Ausspracheschulung
Erhebung der Kompetenzen, Überzeugungen und Praktiken von Französischlehrkräften. Entwicklung eines bedarfsbezogenen Fördermoduls
0827
2018
978-3-8233-9264-4
978-3-8233-8264-5
Gunter Narr Verlag
Clémentine Abel
Der Ausspracheschulung wird in der Wissenschaft seit zehn Jahren wieder vermehrt Beachtung geschenkt. In den Klassenzimmern fristet sie jedoch auch weiterhin ein karges «Aschenputteldasein», wie dies durch einige internationale Beobachtungsstudien nahegelegt wird. Die vorliegende Arbeit ergründet daher, wie es speziell um die aussprachebezogenen Kompetenzen, Praktiken und Überzeugungen deutscher Sekundarstufenlehrkräfte steht. Im Rahmen der Forschungsarbeiten wurde zudem eine Fortbildung zur Unterstützung von Lehrkräften im evidenzbasierten Ausspracheunterricht konzipiert, evaluiert und dokumentiert. Auf diese Weise ist das vorliegende Buch nicht nur für FremdsprachendidaktikerInnen, sondern auch für Lehrkräfte, Studierende und ErziehungswissenschaftlerInnen interessant.
<?page no="1"?> Ausspracheschulung <?page no="2"?> Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung Herausgegeben von Daniel Reimann (Duisburg-Essen) und Andrea Rössler (Hannover) Band 13 <?page no="3"?> Clémentine Abel Ausspracheschulung Erhebung der Kompetenzen, Überzeugungen und Praktiken von Französischlehrkräften Entwicklung eines bedarfsbezogenen Fördermoduls <?page no="4"?> © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 2197-6384 ISBN 978-3-8233-8264-5 Für Kai Pour Alexander, Maxime et Constantin Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> 1. 11 2. 15 3. 17 3.1 17 3.2 21 3.3 24 3.4 26 4. 29 4.1 29 4.2 34 4.3 36 5. 37 5.1 37 5.2 38 5.2.1 38 5.2.2 42 5.2.3 51 5.2.4 68 5.3 69 6 71 6.1 71 6.2 71 6.2.1 71 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition des Gegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick zur Funktion der Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung für die gelingende Übermittlung der sprachlichen Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung für die Übermittlung von Emotionen . . . . . . . . . . . Bedeutung für die Sprecherwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung für die Motivation der Lernenden und den Lernfortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition der „Aussprachekompetenz“ für den Französischunterricht . . Ziel des Ausspracheunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Norm für den Französischunterricht? . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedingungen für den Ausspracheerwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einflussfaktoren des Aussprachelernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Alter und die Critical Period . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neurokognitive Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozio-psychologische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersichtsdarstellung der beschriebenen Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsequenzen für den Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Forschungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelfaktoren der Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aussprachebewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 6.2.2 75 6.2.3 76 6.2.4 79 6.2.5 82 6.2.6 85 6.2.7 88 6.3 90 7 93 8 99 8.1 99 8.2 103 9 111 9.1 111 9.2 112 9.3 112 9.3.1 112 9.3.2 115 9.3.3 120 9.3.4 120 9.3.5 123 9.4 137 9.4.1 137 9.4.2 138 9.4.3 138 9.4.4 139 9.5 146 9.6 152 10 155 10.1 155 10.2 155 10.3 160 Noticing und Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Verhältnis von Suprasegmentalia und Segmenten Hörverstehensübungen und sprachlicher Input . . . . . . Lernerautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ganzheitliches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Desiderata des aktuellen Fremdsprachenunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . Kompetenzfacetten und Operationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aussprachebezogenes Kompetenzmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . Studie 1: Erhebung des Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodik Quantitative Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dateneingabe und Prüfung der methodischen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitative Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden und Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einschränkungen und Forschungsdesiderata . . . . . . . . . . . . . . Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsstand zur Lehrerprofessionalisierung . . . . . . . . . . . Inhalt 6 <?page no="7"?> 10.4 164 10.5 166 10.6 167 10.7 168 10.8 169 10.9 171 10.10 172 10.10.1 172 10.10.2 174 10.10.3 178 10.11 180 10.12 183 11 187 12 189 13 191 211 213 Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erhebungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung der Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswertung der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quantitative Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitative Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reflexionsdokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einschränkungen und Forschungsdesiderata . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Ergebnisse der Studien 1 und 2 . . . . . . . . . . . . . Bedeutung der Studienergebnisse für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="9"?> In Paris they just simply opened their eyes and stared when we spoke to them in French! We never did succeed in making those idiots understand their own language. Mark Twain: The Innocents Abroad (Twain, 1984, S. 516) <?page no="11"?> 1. Einleitung Seit der Hinwendung zu mündlichen, teilweise auch dialogischen Prüfungsfor‐ maten, rückt die Kommunikationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler ver‐ mehrt in den Fokus des schulischen Französischunterrichts. Gleichzeitig konnte die Forschungsliteratur der letzten Jahre belegen, dass die Kommunikationsfä‐ higkeit in hohem Maße von phonetischen Merkmalen determiniert wird. Diese beeinflussen nicht nur die allgemeine Verständlichkeit (Derwing & Munro, 2015), sondern bilden auch die Diskurskonventionen der jeweiligen Herkunfts- und Zielsprache ab und tragen maßgeblich zur Identitätskonstruktion der Lern‐ enden bei (Moyer, 2014). Dass dies in einem Kontext migrationsbedingter und schulischer Mehrsprachigkeit für den Lernerfolg wesentliche Aspekte sind, liegt auf der Hand. Entsprechend hat in den letzten zehn Jahren die Forschungslite‐ ratur zu wirksamen Lernsettings stark zugenommen (z. B. Lee, Jang, & Plonsky, 2015; Saito, 2012). Diesem Forschungsinteresse ist der Französischunterricht jedoch nicht ge‐ folgt. So fristet die Aussprache seit der Hinwendung zu kommunikativen be‐ ziehungsweise handlungsorientierten Methoden insbesondere ab der Sekun‐ darstufe I ein Nischendasein, das manche Forscher dazu veranlasst hat, sie als fremdsprachendidaktisches „Aschenputtel“ zu bezeichnen (Correa & Grim, 2014; Mertens, 2011; Seidlhofer, 2006; Sturm, 2013). Entsprechend widmet der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (Conseil de l’Europe, 2001) dem Thema nur eine Seite mit Deskriptoren, deren Aussagekraft und Re‐ levanz fragwürdig ist. Es besteht also eine deutliche Diskrepanz zwischen der in der Forschung klar belegten zentralen Bedeutung der Aussprache für das Fremdsprachenlernen ei‐ nerseits und einer nur sehr verhaltenen Ausspracheschulungspraxis im deut‐ schen Französischunterricht andererseits. In der Literatur werden unterschiedliche Faktoren diskutiert, die für diese Diskrepanz verantwortlich sein können (Foote, Trofimovich, Collins, & Urzúa, 2016; Mordellet-Roggenbuck, 2002; Saalfeld, 2012). Dabei scheint dem Geflecht aus den aussprachebezogenen Kompetenzen und Überzeugungen von Lehr‐ kräften eine besonders prominente Rolle zuzukommen. Eine empirische Erfor‐ schung dieser Faktoren steht jedoch noch aus. Desweiteren ist nicht bekannt, ob und unter welchen Bedingungen es möglich ist, durch eine Lehrerfortbil‐ dungsmaßnahme auf die verschiedenen aussprachebezogenen Faktoren einzu‐ <?page no="12"?> wirken. Hieraus ergeben sich unmittelbar Forschungsdesiderata, die den Aus‐ gangspunkt der vorliegenden Forschungsarbeit bilden. Die leitenden Forschungsfragen sind dabei folgende: • Wie sind aussprachebezogene Praktiken in der beforschten Population verteilt? • Besteht ein Zusammenhang zwischen den Variablen Aufenthalt im frankophonen Ausland, Studienort, phonetisch-phonologischer Input in der Erstausbildung, frankophone Muttersprachlichkeit, Schulform oder Geschlecht der Lehrkräfte mit der Ausspracheschulungspraxis im Unter‐ richt, den Überzeugungen und den Kompetenzen der Lehrenden? • Gibt es Unterschiede zwischen ReferendarInnen und erfahrene Lehrper‐ sonen hinsichtlich der aussprachebezogenen Überzeugungen und Kom‐ petenzen? • Besteht ein Zusammenhang zwischen der Ausspracheschulungspraxis im Unterricht mit den Überzeugungen und Kompetenzen der Lehrenden? • Welche Merkmale muss eine Fortbildungsmaßnahme für Französisch‐ lehrkräfte der Sekundarstufen aufweisen, um auf diejenigen Faktoren positiv einzuwirken, die für eine defizitäre Ausspracheschulungspraxis verantwortlich identifiziert wurden? • Welchen Effekt hat die fertige Fortbildungsmaßnahme auf die Teilnehmer der Intervention hinsichtlich der in Studie 1 formulierten Eigenschaften? Aufgrund der unterschiedlichen Natur der Forschungsfragen (Erforschung des Status quo beziehungsweise Entwicklung einer Intervention) bilden diese den Gegenstand zweier separater Studien. Die erste Studie befasst sich mit den For‐ schungsfragen 1-4, die zweite Studie mit den Fragen fünf und sechs. Die Arbeit gliedert sich wie folgt: Aufbauend auf einer Definition des Ge‐ genstandes (Kapitel 2) werden zunächst die verschiedenen Funktionen darge‐ stellt, die die Aussprache in Kommunikation, sozialer Wahrnehmung und der Motivation der Lernenden spielt (Kapitel 3). Anschließend wird in Kapitel 4 diskutiert, wie eine Norm für den französischen Ausspracheunterricht aussehen könnte, die das Ziel des Ausspracheunterrichtes bildet. Kapitel 5 ist der Identi‐ fikation und Analyse der Faktoren gewidmet, die den Ausspracheerwerb beein‐ flussen können: Insbesondere ist dabei von Interesse, ob die in der Literatur diskutierten Faktoren einer näheren Prüfung standhalten. Namentlich wird eru‐ iert, ob es Faktoren gibt, die den Ausspracheerwerb sogar verhindern können. Darauf aufbauend wird in Kapitel 6 dargestellt, wie eine wirksame Aussprache‐ schulung konkret gestaltet werden sollte. Hierfür wird ein theoretisches Modell entwickelt, das Grundlage für beide empirischen Untersuchungen bildet. Ka‐ 1. Einleitung 12 <?page no="13"?> pitel 7 befasst sich mit möglichen Desiderata des aktuellen Ausspracheunter‐ richts und dient zugleich der Hypothesengenerierung für das in den Studien benutzte Erhebungsinstrument. In Kapitel 8 werden die verschiedenen Facetten professionellen Handelns von Lehrkräften definiert beziehungsweise operatio‐ nalisiert. Gegenstand von Kapitel 9 und 10 sind die beiden empirischen Studien, deren Fragestellungen bereits oben skizziert wurden. In Studie 1 wird in einer quan‐ titativen Fragebogenstudie an 74 Französischlehrkräften der Sekundarstufen der Status quo erhoben und mit qualitativen Daten trianguliert. Die Förderung der professionellen Kompetenzen der Lehrkräfte - inklusive der Evaluation der Wirksamkeit dieser Intervention - (Studie 2) erfolgt in einem Fortbildungspro‐ jekt, das im Design-Based Research-Verfahren (Plomp, 2010) optimiert wird. Die Erstellung des Anfangsdesigns gehorcht den Wirksamkeitskriterien für Fort‐ bildungen (Clarke & Hollingsworth, 2002; Lipowsky, 2011). Prä- und Posttests, Reflexionsbögen und Teilnehmerinterviews geben Aufschluss über die Wirk‐ samkeit der Maßnahme und bilden den Ausgangspunkt für den nächsten Zyklus. Der Lesbarkeit halber werden im Folgenden keine gegenderten Personenbe‐ zeichnungen verwendet, alle personenbezogenen formal maskulinen Formen verweisen jedoch stets auf beide Geschlechter sowie auf Menschen, die sich in ihrer geschlechtlichen Identität nicht zugeordnet wissen wollen. 1. Einleitung 13 <?page no="15"?> 2. Definition des Gegenstandes Es ist weithin etabliert, dass die Aussprache einer Fremdsprache von zwei we‐ sentlichen Merkmalen geprägt wird: Dies sind zum einen die Phoneme der je‐ weiligen Sprache. Zum anderen sind dies die suprasegmentalen Merkmale (Seidlhofer, 2006). Während aber die Phoneme der Sprachen über entsprechende Inventare und Analysen recht eindeutig zuzuordnen sind, ist es in terminolo‐ gisch-definitorischer Hinsicht schwerer, der Suprasegmentalia habhaft zu werden. Zum einen ist ihre Funktion nicht auf die linguistische beschränkt, sondern beinhaltet auch ein para- und ein non-linguistisches Moment (Kranich, 2016), so dass eine klare Abgrenzung der rein individuellen Merkmale von Charakteristika überindividueller, sprachgemeinschaftsspezifischer Natur schwierig erscheint (Potapova, 2010). Darüber hinaus ist aber auch die terminologische Zuordnung der Supraseg‐ mentalia problematisch. Dies gilt insbesondere für die Unterscheidung von Pro‐ sodie, Intonation und Suprasegmentalia, die, wie beispielsweise Kranich (2016) darlegt, je nach Forschungsrichtung oder -disziplin, in ganz unterschiedlicher Weise erfolgt. So wird bisweilen zwischen den drei Begriffen unterschieden oder gar nach weiteren Unterkategorien differenziert. Dies ist häufig in sprech‐ wissenschaftlichen Arbeiten der Fall, die aufgrund ihrer Ausrichtung nach einer solchen genaueren Differenzierung verlangen. Teilweise werden die Termini Intonation, Prosodie und Suprasegmentalia jedoch auch synonym verwendet (Hirschfeld & Neuber, 2010; Kranich, 2016). Dabei werden - ebenfalls je nach Ausrichtung der Arbeit - die von den drei Begriffen erfassten Merkmale allerdings oftmals sehr verschieden definiert, so dass auch hier eine einheitliche Verwendung nicht gegeben ist. So legen bei‐ spielsweise Derwing und Munro (2015) eine Reihe an durchaus überzeugenden Definitionen von Aussprachetermini vor, die eine Synonymie von Prosodie und Suprasegmentalia postulieren. Die Intonation wird dabei - als „Sprachmelodie“ verstanden - der Prosodie untergeordnet. Problematisch scheint jedoch zu sein, dass die beiden Forscher, die durchaus schlüssig nach Sprechgeschwindigkeit und Sprechrhythmus unterscheiden, erstere der allgemeinen Aussprache (pro‐ nunciation) zuordnen, den zweiten aber den Suprasegmentalia zuschlagen. Da diese Unterscheidung argumentativ nicht untermauert wird, soll der vorlie‐ genden Arbeit eine Definition zugrunde gelegt werden, die Hirschfeld und <?page no="16"?> 1 Für einen einführenden Überblick über verschiedene pragmatische Aspekte und Theo‐ rien, die „Bedeutung“ als über das Zeichen und seine Referenten hinausgehend be‐ greifen, siehe z. B. Harras (2004). Neuber (2010) für den Unterricht in Deutsch als Fremdsprache erarbeitet haben und die von einem umfassenden Prosodiebegriff ausgeht: Prosodie als multiparametrischer Merkmalskomplex umfasst Sprechmelodie, Laut‐ heit, Dauer, Sprechgeschwindigkeit, Sprechspannung, Pausen sowie Stimmqualität/ Stimmausdruck und deren jeweilige Variation. Diese Merkmale übernehmen einzeln oder in Kombination (als Akzentuierung, Gliederungssignale, rhythmische Muster) bestimmte Funktionen in gesprochenen Äußerungen, wie zum Beispiel hervorzu‐ heben oder zu strukturieren. Merkmale und Funktionen der Prosodie sind sowohl Gegenstand der Phonologie (als Teil des Sprachsystems) als auch der Phonetik (als konkrete Realisierungsformen). (S. 10f.) Der Aussprache eines Menschen kommen somit einige Funktionen zu, die, ob‐ wohl sie diese natürlich stark mitbestimmt, über die reine Übermittlung einer Nachricht, die sprachcodierende Dimension, weit hinausgeht 1 . Da aber gerade für die Fachdidaktik - beziehungsweise für die Vermittlung von Sprache allge‐ mein - das funktionale Element als determinierend angesehen wird, soll diese Bedeutung im Folgenden untersucht werden. 2. Definition des Gegenstandes 16 <?page no="17"?> 3. Forschungsüberblick zur Funktion der Aussprache 3.1 Bedeutung für die gelingende Übermittlung der sprachlichen Botschaft Es besteht Einigkeit darüber, dass die Möglichkeit einer gelingenden Kommu‐ nikation mit Muttersprachlern bei einer nur eingeschränkten Fähigkeit, die ziel‐ sprachlichen Laute zu artikulieren, gering ist (Derwing & Munro, 2015; Morde‐ llet-Roggenbuck, 2002; Munro & Derwing, 2011; Munro u. a., 2006; Sturm, 2013). So weist Aguado (2013) darauf hin, dass nichtmuttersprachliche Abweichungen als störend empfunden würden, „weil sie die gewohnheitsmäßig schnelle und reibungslose Sprachverarbeitung behindern, die Konzentration stören und letztlich zu Ermüdungserscheinungen führen können“ (S. 12). Diese erschwerte Sprachverarbeitung durch die Muttersprachler kann - dies haben Champagne- Muzar & Schneiderman (1993) für kanadische Französischlerner gezeigt - die Muttersprachler schließlich gar dazu veranlassen, die Kommunikation abzu‐ brechen - oder, wenn möglich, auf eine gemeinsame lingua franca umzusteigen. Entsprechend halten Galazzi-Matasci und Pedoya (zitiert bei Syrovatskaja, 2015, S. 249) fest, dass „les Français ne font aucun effort pour entretenir une conver‐ sation lorsqu’ils perçoivent une prononciation déviante.“ In den letzten Jahren wurde die Forschung jedoch vermehrt auf die wichtige Kommunikationsfunktion weiterer Aussprachemerkmale aufmerksam, die in der Didaktik, die die einzelsprachlichen Laute stark in den Vordergrund stellt, zumeist vernachlässigt werden: Dies betrifft, wie Correa und Grim (2014) dar‐ stellen, subphonetische Unterschiede (sub-phonetic differences). Sie halten dies‐ bezüglich fest: These are often deemed as not so vital in the classroom (and often overlooked by instructors desensitized to foreign accents) because they do not convey a change of meaning. However, they might, in fact, decrease intelligibility and comprehensibility. (S. 57) Obgleich diese subphonetischen Aussprachemerkmale keine unmittelbare Be‐ deutungsverschiebung hervorriefen, seien sie für die Sprachverarbeitung sei‐ tens des Hörers, für die Verständlichkeit des Gesagten, durchaus relevant. Be‐ troffen seien beispielsweise die für das Französische wichtigen Phänomene wie die Aspiration der Plosive, die Assimilation und finale Konsonanten. <?page no="18"?> 1 Analyse und Kodierung syntaktischer Strukturen. Ein anderer wichtiger Aspekt, der von der Forschung vermehrt in den Blick genommen wird, ist die kommunikative Funktion der suprasegmentalen Merk‐ male der Sprache, die - wie Ulbrich und Mennen (2016) feststellen - für die Akzentwahrnehmung stark mit den segmentalen Merkmalen interagieren. So zeigen Anderson-Hsieh et al. (1992; 1988) in einigen aufwändigen Studien mit verschiedenen Ausgangssprachen, dass es vor allem die Prosodie ist, die bei Muttersprachlern zu negativen Ratings bezüglich der Verständlichkeit führt. Dabei wurde in zahlreichen linguistischen und insbesondere psycholinguisti‐ schen Forschungsarbeiten konstatiert, dass das syntaktische Parsing 1 , maßgeb‐ lich aufgrund von prosodischen Aspekten erfolgt. Dies trifft in besonderem Maße dann zu, wenn der lexikalische Input zur Disambiguierung des Gehörten nicht ausreicht, wenn also eine Reanalyse nötig wird. Millotte, René, Wales und Christophe (2008) konnten diesbezüglich in einer experimentellen Studie be‐ legen, dass im Französischen, das von zahlreichen Homophonen geprägt ist, die jedoch unterschiedlichen syntaktischen Kategorien zugehörig sind, die Dis‐ ambiguierung häufig aufgrund der Prosodie stattfindet. Zum gleichen Schluss gelangen auch Nakamura, Arai und Mazuka (2012) und Mertens (2009), die die Rolle von Prosodie und Kontext für die Disambiguierung untersuchen: Die Pro‐ sodie beeinflusse maßgeblich die Analyse der Syntax und sei daher - zusammen mit dem Kontext - für die Verarbeitung der Sprache determinierend. Umgekehrt beobachtet Pynte (1996), dass Pausen, die durch den Sprecher falsch gesetzt werden, die syntaktische Analyse durch die Hörer speziell im Französischen verhindern können. Die Bedeutung der Prosodie für die Sprachverarbeitung durch Nichtmutter‐ sprachler analysieren beispielsweise Endress und Hauser (2010) sowie Akker und Cutler (2003). So weisen einerseits Endress und Hauser nach, dass sprach‐ unabhängige, also universelle prosodische Elemente existieren, die auch von Personen, die die jeweilige Sprache nicht beherrschen, eingesetzt werden könnten, um eine Worterkennung vorzunehmen. Dass diese Segmentierung aufgrund prosodischer Merkmale jedoch nicht so zuverlässig funktioniert, wie dies bei muttersprachlichen Hörern der Fall ist, zeigt andererseits die Arbeit von Akker und Cutler (2003): Leistungsstarke, nichtmuttersprachliche dänische Hörer des Englischen setzten diese prosodische Merkmale weniger regelmäßig ein, um die Bedeutung des Gehörten zu analysieren, als dies englische Mutter‐ sprachler taten - und dies, obwohl zwischen dem Dänischen und dem Engli‐ schen eine sehr ähnliche Akzentstruktur herrsche, die den Hörern sicherlich eine Hilfe gewesen sei. Die Forscherinnen sehen darin eine mögliche Erklärung 3. Forschungsüberblick zur Funktion der Aussprache 18 <?page no="19"?> dafür, dass das fremdsprachliche Hörverstehen auch bei sehr guten Sprechern in der Regel dem muttersprachlichen nicht gleichkommen kann. Bekräftigt werden diese Ergebnisse durch eine Untersuchtung von Hahn (2004), die zeigt, dass muttersprachliche anglophone Hörer bei nicht korrekt gesetzten Betonungen signifikant weniger inhaltliche Informationen in Erin‐ nerung behalten, als dies bei einer korrekten Betonungsstruktur der Fall ist. Hahn zieht daraus den Schluss, dass die Beherrschung der Betonungsmuster einer Sprache für die Verständigung mit Muttersprachlern von zentraler Be‐ deutung sei. Dass nicht nur der sprachtypischen neutralen prosodischen Struktur, sondern auch dem Einsatz einer gezielten emphatischen Akzentuierung (emphatic ac‐ cent) eine bedeutungskonstituierende Funktion zukommt, können Dahan und Bernard zeigen (1996). Sie weisen ferner darauf hin, dass das Französische ins‐ besondere im Vergleich zu germanischen Sprachen insofern eine Sonderstellung einnehme, als in den germanischen Sprachen der emphatische Akzent auf einer Silbe liege, die bereits eine Betonung trage, was im Französischen anders sei. Dort müsse die Entscheidung zur Akzentuierung nach bestimmten Regeln be‐ wusst getroffen werden, was für Fremdsprachenlerner eine Schwierigkeit dar‐ stellen könne. Zum gleichen Schluss kommen Turco, Dimroth und Braun (2013) in einer direkten Gegenüberstellung des Deutschen mit dem Französischen: Zwar existiere eine partielle Übereinstimmung in der Akzentstruktur der beiden Sprachen, jedoch werde im Französischen die Akzentuierung viel stärker von äußeren Zwängen geleitet als im Deutschen, was für Fremdsprachenlerner eine Herausforderung darstelle. Mit der Möglichkeit des Erwerbs dieser Phänomene beschäftigt sich Archi‐ bald, der beobachtet, dass fremdsprachliche Lerner auch fortgeschrittenen Alters diese Fertigkeit erlernen können (Archibald, 2004). Dass hierfür jedoch eine gezielte Instruktion vonnöten ist, ohne die fremdsprachliche Sprecher in‐ tuitiv die Prosodie - und insbesondere die Betonungsmuster - ihrer Mutter‐ sprache anwenden, ergab (freilich für das Italienische) die Studie von Turco, Dimroth und Braun (2015). Für das Französische postulieren dies Champagne-Muzar und Bourdages (1998), die in Berufung auf eine Studie von Dirven und Oakeshott-Taylor konstatieren: [S]ur la base de son expérience en langue maternelle, le locuteur natif en arrive à concevoir la prosodie comme source redondante de renseignement et […] dans l’ap‐ prentissage d’une autre langue, le besoin de mettre en œuvre des stratégies sur le plan phonétique n’est pas manifeste. (S. 19) 3.1 Bedeutung für die gelingende Übermittlung der sprachlichen Botschaft 19 <?page no="20"?> Der Prosodie kommt jedoch auch eine konversationsstrukturierende Funktion zu: So konnten konversationsanalytisch ausgerichtete Studien zeigen, dass sie dazu beiträgt, das turn-taking in einer Sprache zu gestalten (Reinke, 2007): Les signaux prosodiques contribuent à organiser les tours de parole (courbe intonative marquée, ralentissement du débit, chute de l'intensité articulatoire, puis pause de la voix). (Kerbrat-Orecchioni, 1996, S. 26) Dass insbesondere die Länge dieser Pause zwischen den turns eine wichtige Rolle spielt und in der interkulturellen Kommunikation häufig ein Problem dar‐ stellt, beschreibt Kerbrat-Orecchioni in Berufung auf weitere konversations‐ analytische Studien. US-amerikanische Französischsprecher kämen etwa in Frankreich oftmals nicht zu Wort, weil die prosodische Konvention ihrer Mut‐ tersprache eine längere Pause zwischen den verschiedenen turns vorschreibe, als dies im Französischen der Fall sei: La durée minimale de cette pause (entre les tours de parole) semble être aux Etats-Unis de cinq dixièmes de seconde, mais en France de trois dixièmes seulement; d'où les problèmes que rencontrent les Américains amenés à converser avec des Francais, et leur difficulté à prendre la parole dans ce type de situation interculturelle. (S. 30) Dass das prosodisch determinierte turn-taking auch in der Konversation zwi‐ schen Deutschen und Franzosen ein Problem darstellen könne, erklärt Kerbrat-Orecchioni in Hinblick auf Unterbrechungen. Seien diese in Frankreich in Maßen sogar positiv (als Zeichen von Lebhaftigkeit und Intelligenz) konno‐ tiert, da sie das Tempo der Konversation zu steigern vermögen, so gälten sie in Deutschland als unhöflich: Mais nos voisins allemands ont une vision des choses bien différente, percevant ces interruptions permanentes comme agressives et insupportablement anarchiques. (Kerbrat-Orecchioni, 1996, S. 31) Diesen Aspekt thematisiert auch Schumann (2010) in ihrem Aufsatz zu kultu‐ rellen Normen in der conversation française: Insbesondere Deutsche hätten in Frankreich oft das Gefühl, „nicht zu Wort zu kommen oder ständig unterbrochen zu werden“ (S. 21). Auch gelinge es ihnen oftmals nicht, dem raschen Ballspiel der Bemerkungen zu folgen, was schließlich ihren „Ausschluss aus der Kom‐ munikationsgesellschaft“ besiegele (S. 21f). Obgleich sich Schumann in ihrem Text nicht explizit mit der Aussprache beschäftigt, nennt auch sie das (u. a. pro‐ sodisch markierte) turn-taking als wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwi‐ schen deutschen und französischen Diskurskonventionen (S. 23). 3. Forschungsüberblick zur Funktion der Aussprache 20 <?page no="21"?> 2 Eine Diskussion der verschiedenen Modelle würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Für einen Überblick seien jedoch die Einführungen von Stein (2014) oder Pelz (2013) genannt. Festzuhalten bleibt, dass suprasegmentale Merkmale ebenso distinktiv sind wie segmentale (Hirschfeld & Stock, 2010): Sie sind für eine gelingende Kommuni‐ kation determinierend, da Menschen Prosodie funktional wahrnehmen und ihr somit Bedeutungen zuweisen (Neuber, 2010). Allerdings erschöpft sich, wie Kranich (2016, S. 19) feststellt, die die Bedeutungszuweisung dieser prosodi‐ schen Merkmale nicht in sprachinhaltlichen oder gesprächsorganisatorischen Aspekten. Vielmehr sei, so Kranich in Berufung auf Hilscher, die Polyfunktio‐ nalität der Suprasegmentalia als ein „Kontinuum von nicht-linguistischen zu linguistischen Funktionen“ anzusehen. Im mittleren Bereich, zwischen nichtlinguistischen und linguistischen Aspekten also, so Kranich (ebd.) weiter, fänden sich „paralinguistische Merkmale, so z. B. die emotionale Prosodie“, die die Übermittlung von Gefühlen determiniere. Diese emotionale Funktion der Aus‐ sprache soll im Folgenden beschrieben werden. 3.2 Bedeutung für die Übermittlung von Emotionen Die Einschätzung, derzufolge paralinguistische Merkmale im Hinblick auf die Emotionen und die Modalität (Potapova, 2010) eine wichtige Rolle spielen, wird in der Forschung recht einhellig vertreten (Chun, 1988; Mordellet-Roggenbuck, 2006; Potapova, 2010). So postuliert Kerbrat-Orecchioni (1996) beispielsweise für das Französische, dass les données paraverbales et non verbales sont […] des indicateurs très éloquents de l'état affectif des participants: les intonations, les regards, les mimiques, et surtout la voix, sont des vecteurs privilégiés pour l'expression des émotions […]. (S. 26) Diese Auffassung geht konform mit verschiedenen Kommunikationsmodellen, die in der Linguistik diskutiert werden (Riegel, Pellat, & Rioul, 2002) und die darauf hinweisen, dass sich Kommunikation nicht in der Übermittlung und De‐ kodierung einer rein sprachlichen Botschaft erschöpft, sondern dass von den jeweiligen Adressaten immer auch weitere (z. B. para- und nonverbale) Infor‐ mationen zur Interpretation des Gesagten herangezogen werden 2 . Die Relevanz phonetischer Merkmale für die erfolgreiche Übermittlung der emotionalen Dimension einer sprachlichen Nachricht wird durch Befunde ver‐ schiedener experimentell-phonetischer Studien untermauert. So zeigt Chen (2009) für die phonetisch beziehungsweise suprasegmental als nah angesehenen 3.2 Bedeutung für die Übermittlung von Emotionen 21 <?page no="22"?> Sprachen Dänisch und Englisch, dass die Emotion „Überraschung“ von Nicht‐ muttersprachlern teilweise phonetisch „falsch“ realisiert werden, was seitens der muttersprachlichen Rater zu einer Fehlinterpretation des Gesagten führt. Ebenso kommen Vanrell, Mascaro, Torres-Tamarit und Prieto (2013) in ihrer Untersuchung der prosodischen Struktur des Katalanischen zum Ergebnis, dass der Ausdruck von „Sicherheit“ und „Bestimmtheit“ über prosodische Merkmale transportiert wird. Auf das russische Stilinventar bezogen beschreibt Velickova (2010) in ihrer Analyse, dass die Unterschiede zwischen den verschie‐ denen Stilen vor allem durch suprasegmentale Merkmale zustande kommen: Die Stilschichten unterscheiden sich […] melodisch und rhythmisch. Eine gesetzmä‐ ßige Veränderung dieser Parameter färbt die Rede umgangssprachlich-familiär bis offiziell-neutral; dabei nehmen die expressiven Mittel der Rede ab. (S. 95) Ähnlich, so postuliert Reinke (2010, S. 104), verhalte es sich mit der Höflichkeit, die „den Gebrauch besonderer stilistischer (auch phonostilistischer) Mittel [ver‐ langt]“. Diese Einschätzung wird von Mehlhorn und Trouvain (2007, S. 5) geteilt, die für das Deutsche feststellen, dass es üblich sei, höfliche Bitten und Anfragen durch einen Tonhöhenanstieg zu markieren. Mithin scheint die Studienlage, obgleich an genaueren Analysen der einzel‐ sprachlichen Wirkungsmechanismen noch Mangel herrscht, zumindest Hin‐ weise darauf zu liefern, dass verschiedene Emotionen auch im Französischen über die Prosodie kodiert werden. So kann man mit Munro et al. (2006) fest‐ halten, dass gezeigt wird, how misunderstandings based on transferred intonation patterns can result in strong negative reactions on the part of listeners if they are unaware that that these patterns are not intended to convey the emotion that is inadvertently expressed. (S. 69) Es kann also durch den Fehlgebrauch von suprasegmentalen Aussprachemerk‐ malen zu negativen Reaktionen seitens der Muttersprachler kommen, wenn diese nicht darüber informiert sind, dass die transportierte Emotion durch den Sprecher bzw. die Sprecherin möglicherweise nicht intendiert waren. Diese deutlich negativen Reaktionen sind möglicherweise dadurch begründet, dass [i]n der Kommunikation […] alle Bewegungen, Haltungen und Stellungen, die ganze Mimik und Gestik sowie die emotionale und modale Färbung der Äußerungen bewusst oder unbewusst zusammen mit den Worten des Kommunikationspartners bewertet [werden]. Und wenn man dieses Zeichensystem nicht beherrscht, kommt es in der Kommunikation zu Missverständnissen oder sogar zu völligem Unverständnis. (Potapova, 2010, S. 37) 3. Forschungsüberblick zur Funktion der Aussprache 22 <?page no="23"?> Die prosodischen Merkmale schaffen also eine Matrix von Strukturen, die vom Hörer zunächst als Komplex aufgenommen werden (Hirschfeld & Stock, 2010). Dass dieser Komplex, dieses Zeichensystem, jedoch auch innerhalb einer Sprache nicht von Eindeutigkeit gekennzeichnet ist, ist seit dem Aufkommen der interpretativen Soziolinguistik ausreichend bekannt. So weisen Hirschfeld, Neuber und Stock (2010) darauf hin, dass es nicht nur verbale, sondern eben auch paraverbale Polysemien gebe, die darauf beruhten, dass die Form-Funktions-Relation der in der Kommunikation gebrauchten Ausdrucks‐ mittel in vielen Fällen nicht ein-eindeutig ist und auch der Situationsbezug die Mehr‐ deutigkeit nicht immer vollständig beseitigt. (Hirschfeld u. a., 2010, S. 48) Der Interpretationsrahmen jedoch, der die Verarbeitung des Gesagten ermög‐ licht, sei durchaus durch die Sozialisation des Hörers determiniert (Reinke, 2007). Insofern schaffe die Muttersprache einen Prototyp für die Analyse der verschiedenen Interaktionsparameter - unter anderem eben auch der Pro‐ sodie -, anhand dessen, wie Gumperz (1982) in Berufung auf Goffman schon in den 1980er Jahren festgestellt hat, alle Interaktionen gemessen werden: [A]ny utterance can be understood in numerous ways, and […] people make decisions about how to interpret a given utterance based on their definition of what is happening at the time of interaction. In other words, they define the interaction in terms of a frame or schema which is identifiable and familiar. (zitiert bei Hirschfeld & Stock, 2010, S. 18) Es ist also deutlich geworden, dass das Vorhandensein fremdsprachlicher pho‐ netischer Merkmale, seien sie suprasegmentalen oder segmentalen Ursprungs, die Übermittlung und Verarbeitung einer Nachricht und von Emotionen sowie die Gesprächsorganisation mit Muttersprachlern erheblich behindern kann. Dass das Vorhandensein eines fremdsprachlichen Akzents über die reine Kom‐ munikationsfunktion hinaus negative Folgen für den Sprecher haben kann, be‐ tonen Munro et al. (2006): One recent manifestation of negative views of accent is the rise of ‘accent-reduction’ programs that claim to reduce or eliminate an accent for its own sake, not because it creates an impediment to communication. (S. 70) Oftmals resultieren aus einer fremdsprachlich akzentuierten Aussprache also Probleme, die sich jenseits der Übermittlung der sprachlichen und emotionalen Nachricht ansiedeln. Besonders gut erforscht ist hierbei das Problem der sozialen Sanktionierung. 3.2 Bedeutung für die Übermittlung von Emotionen 23 <?page no="24"?> 3 Dass die zusätzliche Bedeutungsdimension sich auch positiv auswirken kann, betont Mordellet-Roggenbuck (2017), die in Berufung auf weitere Forschungsarbeiten auf das Phänomen des Foreign brandings eingeht. 3.3 Bedeutung für die Sprecherwahrnehmung Die These, die der Erforschung der Sprecherwahrnehmung und insbesondere der sozialen Sanktionierung zugrunde liegt, besteht darin, anzunehmen, dass beim Sprechen grundsätzlich zwei Informationsströme fließen: dies sind zum einen die linguistischen, zum anderen die indexikalen Informationen (Atagi & Bent, 2013; Best, 2015; Kramsch, 1998). Die Aussprache gehöre zur zweiten Ka‐ tegorie, könnte der Rede also, insbesondere wenn sie sich von der durch den Hörer zugrunde gelegten Norm unterscheidet, zusätzliche deiktische Kategorien hinzufügen (Atagi & Bent, 2013). Dies gilt sowohl für „muttersprachliche", also diastratische oder diatopische Varietäten, als auch für fremdsprachliche Aus‐ sprachemodifikationen. So finden Atagi und Bent (2013) in ihrer Studie plausible Hinweise darauf, dass der fremdsprachliche Akzent neben dem Geschlecht die für eine Einordnung des Sprechers stärkste Indikation darstellt. Dementspre‐ chend kommen sie zum Schluss, dass sich alle Ausspracheabweichungen als eine „central perceptual dimension when listeners classify nonnative talkers“ (S. 157) erweisen. Für den Fremdsprachenlernenden kann es sich problematisch auswirken, dass diese zusätzliche deiktische Kategorie häufig negativ konnotiert ist 3 . Dies wird in einigen Studien für verschiedene Einzelsprachen dokumentiert. So kann beispielsweise Settinieri (2011) für die Muttersprachen Französisch und Russisch (Zielsprache Deutsch) belegen, dass Sprecher, deren Rede fremdsprachliche Ak‐ zente aufweist, von muttersprachlichen Ratern hinsichtlich ihrer angenom‐ menen Intelligenz und Verlässlichkeit unterschiedlich bewertet werden. Beson‐ ders negativ kam dies für die Ausgangssprache Russisch zum Tragen. Ähnliche Studien existieren für das Türkische mit den Zielsprachen Deutsch und Schwe‐ disch (z. B. Hansen, Rakić, & Steffens, 2014). Dass die Ausgangssprache und die damit assoziierten (negativen) Stereotypen in verschiedenen Kontexten (Ar‐ beitswelt, Wohnungsmarkt) eine wichtige Rolle spielen könnten, betont auch Lippi-Green (1997), die in ihrer umfassenden qualitativen Interviewstudie zu‐ sammenfassend festhält: It is crucial to remember that it is not all foreign accents, but only accent linked to skin that isn’t white, or which signals a third-world homeland, that evokes such negative reactions. (S. 239) 3. Forschungsüberblick zur Funktion der Aussprache 24 <?page no="25"?> Ob allerdings ihre Studienergebnisse, die auf Daten beruhen, die in den 90er Jahren mit Einwanderern in den USA erhoben wurden, auch auf europäische Verhältnisse übertragbar sind, oder sich sogar generalisieren lassen, ist jedoch fraglich. Sie stellen jedoch in jedem Fall ein Indiz dafür dar, wie bedeutsam eine auffällige Aussprache für die Klassifizierung des Sprechers durch Muttersprach‐ lerinnen und Muttersprachler ist. Entsprechend postuliert Munro (2006) ganz allgemein für Ausspracheabwei‐ chungen, dass diese zu einer „negative social evaluation“ (S. 68) führen. Erf führt dies zum einen darauf zurück, dass Hörer, wenn sie mit einer nicht normge‐ rechten Aussprache konfrontiert würden, bereits bestehende, möglicherweise negative Stereotypen bezüglich der Ausgangssprachgemeinschaft aktivierten, um den Sprecher zu kategorisieren (S. 69). Zum anderen könne jedoch eine schlechte Aussprache auch unabhängig von der Ausgangssprache dazu führen, dass der Sprecher für weniger intelligent oder gebildet gehalten wird (S. 68). Dies bestätigen Rakić, Steffens und Mummendey (2011), die festhalten, dass „the stronger the degree of a nonstandard accent, the more negative are the evalua‐ tions of targets” (S. 17). Aguado (2013), die ebenfalls eine von der Ausgangssprache abhängige Bewertung annimmt, führt die negativen Affekte, die stark akzentuierte Rede mitunter hervorruft, auf die gestörte Sprachverarbeitung und den dadurch er‐ höhten Aufwand seitens der Hörer zurück. Auch Reinke (2010) weist in ihrem Forschungsüberblick in Bezug auf textgebundenes Sprechen darauf hin, dass eine mangelhafte Aussprache eine „besonders negative Bewertung bei mutter‐ sprachlichen Hörern“ (S. 104) provoziere. Dass der situative Kontext bei der Be‐ wertung des akzentuierten Sprechens eine große Rolle spielt, betont auch Moyer (2014) in Berufung auf mehrere empirische Studien: „[W]hat we as listeners ‚tolerate‘ in terms of degree of accent may depend on whether we are listening in a low-stakes or a high-stakes setting“ (S. 21). Umgekehrt kann Hahn zeigen, dass korrekte Betonungsmuster in der Rede zu einer positiven Bewertung des Sprechers durch englischsprachige Muttersprachler führen. (Hahn, 2004). Diese Beobachtung teilt auch Mordellet-Roggenbuck (2005, S. 15), die in Berufung auf zahlreiche empirische Studien festhält, dass muttersprachliche Hörer Gram‐ matik- und Lexikfehler als weniger schwerwiegend einschätzen, wenn die Aus‐ sprache als gut empfunden wird. Trotzdem bleibt zu bemängeln, dass die aktuelle Studienlage zum Problem der sozialen Sanktionierung nicht normgerechter Aussprache - gerade für das Fran‐ zösische - noch recht unbefriedigend ist, wohingegen die allgemeine soziale Kategorisierung aufgrund von Ausspracheabweichungen weit besser erforscht und empirisch untermauert ist: Hier liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die 3.3 Bedeutung für die Sprecherwahrnehmung 25 <?page no="26"?> Aussprache einen wichtigen Faktor für das Gelingen trans- und interkultureller Begegnungen darstellen kann. Mit Blick hierauf erscheint die Annahme ge‐ rechtfertigt, dass eine gezielte und systematische Ausspracheschulung auch vor dem Hintergrund einer anzustrebenden Integration in die muttersprachliche Gesellschaft wünschenswert, ja, unabdingbar ist. 3.4 Bedeutung für die Motivation der Lernenden und den Lernfortschritt Neben den Bedeutungsaspekten, die die Rolle der Aussprache für die Kommu‐ nikation mit Muttersprachlern und die Wahrnehmung durch Sprecher der Ziel‐ sprache betrifft, existiert ein weiterer in der Didaktik nicht zu vernachlässig‐ ender Gesichtspunkt: Die Auswirkungen einer fehlerhaften Aussprache auf die Motivation der Lernenden und den Lernfortschritt. So gibt es nach Sturm (2013) starke Hinweise darauf, dass die Aussprache für die Fremdsprachenlernenden einen hohen Stellenwert im Sprachlernprozess besitzt. Sie beruft sich auf eine Studie von Harlow und Muyskens, die in einer Umfrage unter 1373 Französisch- und Spanischlernenden herausfanden, dass die Aussprache das fünfte von 14 möglichen Sprachlernzielen war, dass sie also auf der Prioritätenliste der Lernenden durchaus an prominenter Stelle rangiert. Zu einem ähnlichen Schluss kommen LeVelle und Levis (2014) nach einer Be‐ fragung ihrer eigenen (ausländischen) Studierenden: auch für diese stellte die „muttersprachliche Aussprache“ einen wesentlichen Aspekt ihres Sprachlern‐ prozesses dar. Dass umgekehrt eine fehlerhafte Aussprache „zu Sprech- und somit zu Lern‐ hemmungen führen“ könne, die „sich ungünstig auf [die] weitere sprachliche Entwicklung auswirken können“ postuliert Aguado (2013, S. 12) - eine Ansicht, die von Moyer (2014) in Berufung auf ihre eigene Studie von 2004 geteilt wird. Lerner, die eine gute Aussprache haben, seien selbstbewusster, suchten eher Kontakt zu Muttersprachlern beziehungsweise andere Kommunikationsmög‐ lichkeiten und verbesserten sich auf diese Weise stetig. Dieser Zirkelschluss gelte aber auch im negativen Sinne: A strong foreign accent can be a barrier to further advancement if it causes self-con‐ sciousness and discourages L2 users from pursuing a deeper connection to the target language culture. (S. 23) Derwing und Munro (2015) bieten für die Existenz solcher Sprech- und Lern‐ hemmungen eine Erklärung an: 3. Forschungsüberblick zur Funktion der Aussprache 26 <?page no="27"?> Speakers with a strong L2 accent or low-prestige L1 pronunciation may feel consid‐ erable apprehension each time they engage with a new interlocutor because they cannot predict how the communicative exchange will go. (S. 2) Die Angst vor möglichen sozialen Sanktionen oder vor (unbewussten) Verlet‐ zungen der fremdsprachlichen Konversationsnormen rufe also beim Sprecher eine regelrechte Sprechangst hervor, die dem weiteren Spracherwerb nur ab‐ träglich sein könne. Dieses Postulat wird von LeVelles und Levis‘ (2014) Inter‐ viewstudie unter ihren ausländischen Studierenden untermauert: „The barrier [gemeint ist eine Aussprachebarriere, C.A.] is often draped with fear and frus‐ tration on their part, for they see pronunciation as a blockade.” (S. 105). Ein weiterer Aspekt, der sich auf den Lernfortschritt auswirkt, ist ein Sach‐ verhalt, auf den Champagne-Muzar, Bourdages und Schneiderman (1993) aufmerksam machen. Wie bereits beschrieben (s. Abschnitt 3.1.) wichen Mut‐ tersprachler, sofern sie es könnten, auf die Muttersprache des Sprechers bezie‐ hungsweise auf eine gemeinsame lingua franca (z. B. Englisch) aus, wenn sie einen starken fremdsprachlichen Akzent wahrnähmen. Auf diese Weise könne eine schlechte Aussprache den Lernfortschritt sogar bei Aufenthalten im Ziel‐ sprachenland behindern. Obgleich es zu den verschiedenen Funktionen der Aussprache - insbesondere für verschiedene Mutter- und Zielsprachen - noch an weiteren Studien mangelt, lässt sich festhalten, dass der Aussprache zentrale Bedeutung für eine gelin‐ gende Kommunikation mit Muttersprachlern zukommt. Weiterhin existieren starke Hinweise darauf, dass sie auch für die Wahrnehmung des Sprechers und schließlich für die Motivation und den Lernerfolg des Fremdsprachenschülers oder der -schülerin wichtig sein könnte. Oftmals ist jedoch sowohl unter For‐ scherinnen und Forschern als auch unter Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern strittig, was als Ziel der Ausspracheinstruktion anzusehen ist. So herrscht durchaus Uneinigkeit darüber, was für einen Fremdsprachenlernenden als eine „gute Aussprache“ zu gelten habe: Sollte es beispielsweise erstrebens‐ wert sein, eine vollkommene „Muttersprachlichkeit“ zu erreichen und als Ziel‐ punkt festzusetzen? Oder genügt es, sich mit „Verständlichkeit“ - oder gar einem anderen Ergebnis - zufrieden zu geben? Darüber hinaus stellt sich die Frage, an welcher muttersprachlichen Aussprache sich der Fremdsprachenunterricht ori‐ entieren soll: Angesichts der Existenz verschiedener (z. B. regionaler) Varietäten des Französischen ist zu klären, ob die Annahme einer verbindlichen Norm für den Ausspracheunterricht möglich und sinnvoll ist. 3.4 Bedeutung für die Motivation der Lernenden und den Lernfortschritt 27 <?page no="29"?> 4. Definition der „Aussprachekompetenz“ für den Französischunterricht 4.1 Ziel des Ausspracheunterrichts In verschiedenen Befragungen wurde gezeigt, dass für Fremdsprachenlerne‐ rinnen und -lerner das Lernziel „gute Aussprache“ an prominenter Stelle ran‐ giert (LeVelle & Levis, 2014; Sturm, 2013). Üblicherweise wird dabei implizit - oder auch explizit - eine „muttersprachlichen Norm“ (nativelikeness) als Orien‐ tierungspunkt angenommen, den es zu erreichen gälte. Dieses Leitbild des muttersprachlichen Sprechers wird jedoch schon seit langer Zeit in Frage gestellt. Ganz elementar fragt beispielsweise Major (2001), wie dieses Leitbild definiert werden solle: Does it mean fool some of the people some of the time, all of the people some of the time, or all of the people all of the time? (S. 12) So sei es den meisten nichtmuttersprachlichen Sprechern nach entsprechendem Training möglich, das zielsprachliche Segment / ma/ akzentfrei zu artikulieren. Jedoch sei es unwahrscheinlich, dass diese Sprecher in einer emotional an‐ spruchsvollen Notsituation ebenso akzentfrei zu sprechen vermögen: With much practice, probably every adult learner can produce / ma/ natively in some L2 […] but most L2 learners will not pass for native in a L2 when calling the fire department because their houses are burning down. (S. 12) Das Konstrukt „gute Aussprache“ ist also schwerer zu operationalisieren und zu messen, als dies zunächst scheinen mag. In verschiedenen Studien wurde diese Schwierigkeit zum Anlass genommen, eine „objektive“ Bewertung des fremd‐ sprachlichen Akzentes anzustreben. Es wurden verschiedentlich professionelle Rater (ausgebildete Phonetiker) oder entsprechende Computerprogramme zur Hilfe genommen, um Akzenturteile vorzunehmen. So wenden beispielsweise Stölten, Abrahamsson und Hyltenstam (2014) ein Verfahren an, das mutter‐ sprachliches Rating mit professioneller Bewertung (Bewertung der transkri‐ bierten Sprechakte durch Linguisten) vereint. Aus dieser professionellen Be‐ wertung resultiere, dass nur knapp die Hälfte der von naiven Bewertern als muttersprachlich eingestuften Sprecher auch tatsächlich eine solche Beurtei‐ lung verdienten. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen Pinget, Bosker, Quene <?page no="30"?> und de Jong (2014), die muttersprachliche Ratings akustischen Messungen ge‐ genüberstellen und zum Schluss kommen, dass “native speakers' judgements of foreign accent is only weakly dependent on acoustic accentedness measures” (S. 363). Auf den ersten Blick erscheinen diese „objektiven“ Messverfahren auch für den Fremdsprachenunterricht geeignet. So könnte sich die Lehrperson von ihrer eigenen subjektiven Einschätzung der Akzentstärke befreien und die Schüle‐ rinnen und Schüler auf der Grundlage technischer Messungen unterrichten und bewerten. Dass für unterrichtliche Belange diese Einschätzung jedoch nicht un‐ bedingt zielführend, dass also unter Umständen eine subjektive Bewertung diesen Messungen vorzuziehen ist, betonen zahlreiche Forschungsarbeiten. Dies liegt an der Tatsache, dass die Rede vom Hörer - anders als von der Maschine - als komplexe Struktur aufgefasst wird (Hirschfeld & Stock, 2010, S. 22). So weist Stock (2000) darauf hin, dass [f]ür Hörer, auch für geübte Hörer, […] der Akzent ein Phänomen (ist), dessen Wahr‐ nehmung nicht nur von der Bewertung der phonetischen Mittel, sondern immer auch von der situationsbezogenen Interpretation des Gesprochenen abhängt. Unterschiede in der Interpretation führen auch zu Unterschieden in der Akzentwahrnehmung. (S. 12) Der Kontext trägt also erheblich dazu bei, die Wahrnehmung eines Akzentes durch Muttersprachler zu determinieren. So können Muttersprachler „ob‐ jektiv“ - also durch akustische Messungen ermittelbare - vorhandene Ausspra‐ cheabweichungen als weniger schwerwiegend einstufen, als sie es tatsächlich sind. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Rede insgesamt recht flüssig er‐ scheint. Dies verleitet muttersprachliche Rater dazu, nicht normgetreue Pho‐ neme eher zu „überhören“ als bei einer wenig flüssigen Formulierungsweise. In einem solchen Fall wäre eine Korrektur eines nach objektiven Messungen vor‐ handenen fremdsprachlichen Akzentes eher als unnötig anzusehen. Allerdings existiert umgekehrt auch das Phänomen, dass von muttersprach‐ lichen Ratern fremdsprachliche Akzente wahrgenommen werden, die kein ob‐ jektives Korrelat haben. Dies ist einerseits bei dialektalen Abweichungen der Fall: [… E]ven some NSs [native speaker, C.A.] do not pass for native. The greater the difference between the speaker's native dialect and the listener's dialect the more likely the listener will judge the speaker as NN [non-natives, C.A.]. (Major, 2001, S. 12) Es geschieht jedoch auch in Fällen, in denen der Kontext nahelegt, dass die Sprecherin oder der Sprecher - beispielweise aufgrund des Vornamens oder des 4. Definition der „Aussprachekompetenz“ für den Französischunterricht 30 <?page no="31"?> Aussehens - einen Akzent haben könnte. Dieses als reverse linguistic stereotyping bezeichnete Phänomen, definiert als “a phenomenon in which listeners persuade themselves that they hear an L2 accent where none exists” (Derwing & Munro, 2015, S. 138), das von Kang und Rubin in verschiedenen Arbeiten (z. B. 2014) beschrieben wurde, zeigt deutlich, wie sehr Akzenturteile von den Umständen abhängen, unter denen die Äußerung getätigt wird. Auch in diesen beiden Fällen würde es wenig helfen, der Schülerin beziehungsweise dem Schüler mitzuteilen, dass er beziehungsweise sie nach objektiven Messungen keinen Akzent hat. Auf die vermeintliche Wahrnehmung durch Muttersprachler hätte dies ja keinerlei Auswirkung. Es lässt sich daher mit Derwing und Munro (2015) schließen, dass aus fach‐ didaktischer Sicht der objektiven Messung von Akzenten weniger Bedeutung zukommt als der subjektiven Bewertung der Äußerung durch Muttersprachler beziehungsweise Lehrpersonen; nur diese kann Hinweise darauf geben, wann und warum bestimmte Aussprachemerkmale als abweichend wahrgenommen werden und wie die Lernerin oder der Lerner daran arbeiten beziehungsweise - im Falle eines möglicherweise vorhandenen reverse linguistic stereotypings - dies proaktiv thematisieren oder hinnehmen kann: In our view, the terms ‘objective’ and ‘subjective’ are largely unhelpful in under‐ standing the nature of speech assessments. Rather, we must return to our earlier point that dimensions such as accent and intelligibility simply cannot be measured without recourse to listeners. An acoustic measurement of a vowel, for instance, can be useful for some purposes, but it cannot tell us definitively whether the vowel will be per‐ ceived as target-like or not. (Derwing & Munro, 2015, S. 9) Von zahlreichen Forscherinnen und Forschern wird ein weiterer Aspekt sehr kontrovers diskutiert: Es handelt sich um die Frage, ob die Akzentfreiheit, also die muttersprachliche Aussprache, überhaupt als Zielpunkt einer Aussprache‐ didaktik gelten darf. So unterstreicht Tarone (2005), dass ein Ziel, das für nahezu alle späten Fremdsprachenlerner schwer zu erreichen sei, als problematisch zu gelten habe: The goal of ‘nativelike accent’ has always been problematic, and is increasingly being questioned by researchers and educators alike. The goal has been problematic because it has apparently been unattainable for virtually all adult second language learners. (S. 494) Derwing und Munro weisen in ihren Publikationen (Derwing & Munro, 2015; Munro & Derwing, 2011; Munro u. a., 2006) darauf hin, dass es ein natürliches Kennzeichen nicht-nativer Aussprache sei, dass sie einen Akzent aufweise. 4.1 Ziel des Ausspracheunterrichts 31 <?page no="32"?> Dieses Merkmal sei darüber hinaus oftmals für die Übermittlung einer Sprech‐ nachricht kaum problematisch. So fassen Hayes-Harb und Watzinger-Tharp (2012) ihren Forschungsüberblick mit der Bemerkung zusammen, dass entgegen der intuitiven Annahme, derzufolge eine eindeutige Korrelation zwischen der Stärke des Akzentes und der Verständlichkeit des Gesagten bestehe, „accented‐ ness does not necessarily translate into reduced intelligibility“ (S. 261). Auch Moyer (2013) und Munro et al. (2006) weisen darauf hin, dass es - trotz der grundsätzlichen, oben skizzierten problematischen Seiten akzentuierter Rede - durchaus Merkmale eines Akzentes geben könne, die die Verständigung nicht behindern: Despite these problematic aspects of accented speech, it has been shown repeatedly that an accent in itself is not necessarily an obstacle to communicative success. (Munro u. a., 2006, S. 69) Über die reine Kommunikationsfunktion hinaus wird - vor allem in soziologisch geprägten Arbeiten - darauf hingewiesen, dass die Norm der Muttersprach‐ lichkeit angesichts der Tatsache, dass zahlreiche zielsprachliche Normen existieren, hinfällig sei. Darüber hinaus sei das Ideal des muttersprachlichen Sprechers vor dem Hintergrund der gewachsenen Komplexität der Migrations‐ bewegungen und linguistischen Begegnungen höchst fragwürdig: So erläutert Moyer (2013), dass das Konstrukt der „Muttersprachlichkeit“ (nativeness construct) den idealen monolingualen Sprecher privilegiere, „when in reality most native speakers are neither linguistically ideal nor monolingual." (S. 18). Wei‐ terhin, und in diesem Punkt stimmt Moyer (ebd.) mit Tarone (2005, S. 494) übe‐ rein, gebe es einige Lernerinnen und Lerner, die eine muttersprachliche Ak‐ zentfreiheit, so sie denn erreichbar sei, nicht anstreben. In zahlreichen Forschungsarbeiten wird daher postuliert, dass für die Aussprachedidaktik ein anderer Standard an die Stelle der Muttersprachlichkeit treten müsse: Die Ver‐ ständlichkeit (intelligibility). There is now a fervent call to abandon the ‘nativeness principle’ (Levis, 2005), and to embrace a standard of intelligibility instead. Intelligibility is a measure, not of acoustic approximation to a native target, but of the listener’s actual ability to decode an ut‐ terance (Derwing & Munro 2009: 478). (Moyer, 2014, S. 20) Jedoch hat dieses scheinbar so eindeutige Kriterium der Verständlichkeit die Tücke, dass es schwer zu operationalisieren ist, dass also die Etablierung eines Standards nahezu unmöglich ist. So zählt Moyer (2014, S. 20f.) 14 Faktoren auf, die die Verständlichkeit einer Äußerung beeinflussen können. Sie beschließt ihre Ausführungen mit der zusammenfassenden Bemerkung, dass so viele akustische 4. Definition der „Aussprachekompetenz“ für den Französischunterricht 32 <?page no="33"?> 1 Zu den Merkmalen von Normen s. Abendroth-Timmer, Fäcke, Küster & Minuth (2010, S. 5 f.). und extralinguistische Aspekte die Verständlichkeit beeinflussten, dass sie - verglichen mit dem schon schwierigen Konstrukt des Akzentes - noch schwerer zu fassen sei. Angesichts der Tatsache, dass sowohl die Messung des Akzentes im Kontext des Unterrichts problematisch erscheint, als auch der Zielpunkt einer Aus‐ spracheschulung (Muttersprachlichkeit vs. Verständlichkeit) strittig ist, könnte sich die Schlussfolgerung aufdrängen, dass eine standardbasierte Aussprache‐ didaktik nicht sinnvoll sei. Dieser Schluss wird in den genannten Forschungs‐ arbeiten jedoch nicht gezogen. So ist für Moyer (ebd.) angesichts der Tatsache, dass ein starker Akzent ein Kommunikationshindernis und eine Lernbehinde‐ rung darstellen könne, trotz der oben skizzierten Problematik der Native- Speaker-Norm eine Akzentreduktion durchaus anzustreben. In den meisten Fällen wird also eine Aussprachedidaktik gefordert, gleichzeitig aber vermieden, ein allzu normatives Kompetenzmodell anzubieten. Die Arbeiten bewegen sich mithin sehr differenzierend auf dem schmalen Grat zwischen der Kritik an einer als linguistisch unrealistisch empfundenen Norm und der ebenso linguistisch fundierten Kritik an einer unverständlichen Aussprache: On the whole, accent is fundamental to communication, for without a reasonable degree of phonological fluency, spoken interaction will falter. At the same time, accent is a medium through which we project individual style and signal our relationship to interlocutors. Even more broadly, it reflects social identity along various categorical lines. (Moyer, 2013, S. 19) So wichtig es ist, eine solch differenzierte Position auszuformulieren und das Konstrukt des „idealen Muttersprachlers“ auch vor dem Hintergrund der Exis‐ tenz einer Vielzahl von Varietäten und Identitäten zu problematisieren, so schwer ist sie im Fremdsprachenunterricht umsetzbar. Der Fremdsprachenun‐ terricht ist für die Vermittlung und die Evaluation der verschiedenen sprachli‐ chen Kompetenzen auf die Ausformulierung von Standards angewiesen. Diese Standards erhalten in den Augen der Lernerinnen und Lerner sowie der Lehr‐ personen recht schnell den Status einer sprachlichen Norm, die dann häufig nicht mehr hinterfragt wird 1 . Dass diese Norm daher mit Bedacht gewählt und derart formuliert sein sollte, dass sie einen reflektierten Umgang mit ihr ge‐ stattet, liegt angesichts der bereits beschriebenen Forschungsergebnisse auf der Hand. Wie eine solche Norm für den Französischunterricht in Deutschland konkret aussehen könnte, soll im Folgenden diskutiert werden. 4.1 Ziel des Ausspracheunterrichts 33 <?page no="34"?> 4.2 Welche Norm für den Französischunterricht? In fremdsprachendidaktischen Publikationen wird die Frage nach der Notwen‐ digkeit einer Norm weitgehend einhellig bejaht. So postuliert Sikorski (2013) in seiner Arbeit zur korrektiven Phonetik des Deutschen: „Der Fremdsprachen‐ unterricht kommt ohne Norm nicht aus“ (S. 374). Auch Hirschfeld, Neuber und Stock (2007), die der Frage nach Existenz und Wesensart einer „guten“ deutschen Aussprache einen Artikel widmen, fordern angesichts der Tatsache, dass die Aussprache eine „auditiv wahrnehmbare Visitenkarte” darstelle und somit „eine der Voraussetzungen für wirkungsvolles Kommunizieren“ sei (S. 64), die Not‐ wendigkeit einer Normsetzung für den Ausspracheunterricht ein. Interessant ist nun, dass die meisten Didaktiker sich, wenn es um die Be‐ schaffenheit dieser Norm geht, explizit nicht auf die in Aussprachewörtern nie‐ dergelegte Form berufen. So bemerken Hirschfeld et al. weiter, dass „eine gute Aussprache […] zuallererst den Anforderungen an eine bestimmte kommuni‐ kative Aufgabe unter bestimmten kommunikativen Bedingungen gerecht werden [müsse], […] also situationsabhängig“ sei (S. 65). Es sei somit Teil einer guten Aussprachekompetenz, diese situationsabhängige Normen zu beherr‐ schen - und sollte somit auch im Unterricht angestrebt und unterrichtet werden. Insgesamt jedoch, so Hirschfeld et al. weiter, sei eine solche Aussprache anzu‐ streben, die dem Standard, wie er in Aussprachewörterbüchern beschrieben sei, durchaus recht nahekomme: „Im Alltag besteht eine gute Aussprache v. a. in der Erfüllung der ‚Norm der Unauffälligkeit‘. […] Hierzu gehört situativ angemes‐ sene Artikulation und Prosodie“ (S. 76). Hinsichtlich der Akzeptanz regionaler Varietäten ist man sich innerhalb der deutschsprachigen Linguistik nicht immer einig, doch tendieren Hirschfeld, Neuber und Stock zur Forderung nach einer überregionalen Standardaus‐ sprache - sowohl für Artikulation als auch für die Prosodie: Sprecher mit standardnaher Prosodie sind hinsichtlich ihrer regionalen Zugehörigkeit nicht bzw. schwer zuzuordnen. Eine solche überregionale prosoodische Gestaltung wird in vielen Situationen akzeptiert und in der Regel sogar erwartet. (S. 72f.) So schließen sie ihre Ausführung mit der Bemerkung, dass „im Zweifelsfall […] die Standardaussprache immer die ‚richtige‘ Varietät“ sei (S. 76). Damit stimmen Hirschfeld et al. mit dem überein, was Meinhold schon in den 1960er Jahren beschrieb: Ein Sprecher erreicht den bestmöglichen kommunikativen Effekt mit Hilfe derjenigen lautlichen Formen, die den Hörgewohnheiten (der Hör-Erwartung) des Hörers am 4. Definition der „Aussprachekompetenz“ für den Französischunterricht 34 <?page no="35"?> nächsten kommen, also möglichst geringe Auffälligkeiten besitzen. (Meinhold, 1964, zitiert bei Uetz, 2007, S. 18) Auch Roach (2010) erachtet grundsätzlich die Konzentration auf eine zielsprach‐ liche Varietät - zumeist „the accent of educated people in the capital city of the country where the language is spoken“ (S. 63) - als legitim. Für ihn stellt dies einen Weg dar, eine möglichst eindeutige Sprachbeschreibung im Unterricht zu ermöglichen. Jedoch gibt er zu bedenken, dass die Wahl der „Unterrichtsnorm“ ganz maßgeblich von der Elitizierung abhängt, dass also innerhalb eines Sprach‐ raumes möglicherweise verschiedene Normen gleichzeitig bestehen. Trotzdem sieht auch er keine Alternative zur reflektierten Beschränkung des Phonetik‐ unterrichtes auf die Standardaussprache. Explizit auf die französische Aussprache bezogen plädiert Abel (2010) für eine didaktische Reduktion des Unterrichtes auf eine Referenznorm (registre de ré‐ férence), da es unmöglich - und auch nicht sinnvoll sei - alle Varietäten zu unterrichten. So solle man beispielsweise nicht die prononciation méridionale unterrichten - auch wenn diese im Grunde für deutschsprachige Schülerinnen oder Schüler leichter zu erlernen sei: Les interlocuteurs francais des élèves auraient cependant l’impression que l’on se moque d’eux s’ils entendaient la prononciation de Fernandel dans la bouche d’une Allemande ou d’un Allemand. (S. 32) Ebenso postuliert Lauret (2011, S. 18) in seinem Phonetikbuch, dass „il convient d’être intelligible au plus grand nombre“, was dadurch zu bewerkstelligen sei, dass man „une production la moins marquée possible par un accent et la plus proche d’une prononciation ‘modèle’“ anstrebt. Es scheint also innerhalb der Fremdsprachendidaktik weitgehend unstrittig zu sein, dass im Fremdsprachenunterricht, insbesondere jedoch auch im Fran‐ zösischunterricht, grundsätzlich die Standardaussprache gelehrt werden solle. Dabei ist es wichtig, nach und nach auch situationsbedingte Aussprachevarie‐ täten zu behandeln, um, wie Correa und Grim (2014, S. 56) fordern, über die „functional intelligebility“ hinaus auch eine „functional communicability“ zu gewährleisten. Soziale und regionale Varietäten hingegen sollten eher passiv in Hörverstehenstexten beziehungsweise Liedern behandelt werden, jedoch nicht den Fokus von sprachproduktiven Aktivitäten darstellen. Ziel muss es daher trotz aller oben beschriebenen problematischen Aspekte sein, den fremdsprachlichen Akzent der Schülerinnen und Schüler behutsam auf ein Mindestmaß zu reduzieren und eine „aufgeklärte Zielsprachennähe“ (Diehr & Frisch, 2015) anzustreben. 4.2 Welche Norm für den Französischunterricht? 35 <?page no="36"?> 4.3 Zusammenfassung Es konnte gezeigt werden, dass es aus verschiedenen Gründen von großer Be‐ deutung ist, eine gute Aussprache zu erwerben. Es wurde definiert, wie eine solche „gute Aussprache“ für den Französischunterricht aussehen könnte. Dass aber trotz der wichtigen Rolle, die die Aussprache spielt, häufig an der Sinnhaf‐ tigkeit eines gezielten Ausspracheunterrichts gezweifelt wird, könnte unter an‐ derem daran liegen, dass in der Forschung zahlreiche Faktoren diskutiert werden, die den Ausspracheerwerb beeinflussen könnten. Diese Aspekte werden teilweise als so grundlegend eingeschätzt, dass ihr Vorhandensein eine institutionelle Instruktion verhindern könnte. Weiterhin fehlen Lehrpersonen oftmals die Kenntnisse über die verschiedenen Lernmechanismen, die den Aus‐ spracheerwerb beeinflussen können. Daher sollen diese im Folgenden differen‐ ziert dargestellt werden. 4. Definition der „Aussprachekompetenz“ für den Französischunterricht 36 <?page no="37"?> 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 5.1 Allgemeine Übersicht In der Literatur werden verschiedene individuelle Faktoren diskutiert, die den Ausspracheerwerb - unabhängig von der Qualität des Unterrichts und des Sprachinputs - beeinflussen. Die angenommene Stärke dieser Beeinflussung reicht dabei von einer moderaten Modifikation bis hin zur völligen Verhinde‐ rung des Lernprozesses, sollten bestimmte Bedingungen (nicht) gegeben sein. Dass solche Faktoren existieren, ist unstrittig: Auf Grundlage empirischer Daten konnte nachgewiesen werden, dass kontrastive Analysen von Sprachen (z. B. Lado, 1957), auf deren zentrale Bedeutung für die moderne Sprachdidaktik Kramsch (2007) zu Recht hinweist, nicht alle Ausspracheschwierigkeiten zu er‐ klären vermögen. So erläutert Tarone (2005), dass Transferphänomene zwischen der Mutter- und der Zielsprache, obgleich sie oftmals die Fehlerquelle für Aus‐ spracheprobleme darstellen, nicht ausreichend vorhersagen können, wie es zu individuellen Unterschieden im Sprachererwerb kommen kann. Sie schließt da‐ raus, dass auch andere Faktoren involviert seien. Die diskutierten Aspekte liegen in der Person der beziehungsweise des Lern‐ enden und sind unterschiedlicher Natur. So werden zum einen neurokognitive Faktoren angeführt, die von einem allgemeinen „Sprachtalent“ beziehungsweise auch Intelligenz über die Rolle von Musikalität, Arbeitsgedächtnis, Lerntyp bis hin zum Hörverstehenstalent reichen. Weiterhin scheinen auch sozio-psycholo‐ gische Aspekte eine wichtige Rolle zu spielen. Hier werden zumeist Motivation, Emotionen, verschiedene Identitätsaspekte sowie das Geschlecht der Lernenden genannt. Entsprechend fasst Major (2001) in seiner Übersicht zusammen: There are numerous individual facors affecting L2 phonology, often subsumed under personality of the individual. These include empathy, motivation, sense of identity, ego permeability, self-esteem, risktaking, anxiety, and introversion versus extrover‐ sion, musicality, and field independence versus field dependence. (S. 66) Diese Faktoren sollen im folgenden Kapitel dargestellt und die Bedingungen sowie das Ausmaß ihres Einflusses auf den Ausspracheerwerb unter Berück‐ sichtigung neuer Forschungsergebnisse erörtert werden. Der prominenteste und dabei zugleich umstrittenste Faktor ist das Alter des Sprechers beim Aus‐ spracheerwerb beziehungsweise beim Erstkontakt mit der Zielsprache. <?page no="38"?> 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 5.2.1 Das Alter und die Critical Period Grundlegend für die Annahme, dass das Alter, in dem mit dem Fremdsprachen‐ erwerb begonnen wird, für die Ausprägung eines eventuellen Akzentes verant‐ wortlich sei, sind Forschungen zur sogenannten critical period, innerhalb derer ein muttersprachlicher oder muttersprachenähnlicher Erwerb noch möglich ist (Überblick s. Andringa, 2014). Eine etwas weniger strenge Auslegung dieser Theorie ist die sensitive period theory, derzufolge die Fähigkeit, eine mutter‐ sprachliche Aussprache zu erwerben, mit zunehmendem Alter nur graduell ab‐ nimmt (Überblick s. Dörnyei, 2009b, S. 236ff.). Grundlegend für beide Theorien ist zumeist eine Analogie des fremdsprach‐ lichen Lauterwerbs zu demjenigen der Muttersprache: Für den Erwerb der Mut‐ tersprache (beispielsweise bei tauben Kindern) ist sich die Forschung über die Existenz einer solchen kritischen Periode in der Tat recht einig, wenn auch der Zeitpunkt verschieden diskutiert wird (Dietrich & Gerwien, 2017; Dörnyei, 2009b; Ioup, 2005). In Bezug auf die Aussprache bemerkt etwa Aguado (2013) in Berufung auf zahlreiche empirische Studien, dass prosodische Merkmale bereits pränatal erworben würden, und sich die Diskriminierungsfähigkeit hinsichtlich nicht regelmäßig gehörter Sprachen schon ab dem sechsten Lebensmonat ver‐ schlechtere. Dieser Effekt werde dadurch verstärkt, dass das einzelsprachliche Phoneminventar recht begrenzt ist (durchschnittlich 30 Phoneme). Die Autorin schließt mit der Feststellung, dass „die Entwicklung der L1-Aussprache […] in‐ nerhalb der ersten sechs Lebensjahre weitgehend abgeschlossen“ ist (S. 11). Diese Einschätzung teilen Derwing und Munro (2015). So finde noch im Baby‐ alter eine „perceptual reorganization“ statt, die die Diskriminationsfähigkeit der Person vollständig neu konfiguriere und auf die Wahrnehmung muttersprach‐ licher Laute sozusagen programmiere (S. 36). Dies sei zwar aus muttersprachli‐ cher Sicht ein Vorteil, da durch diese Konzentration das Erlernen des eigenen Lautsystems erleichtert werde. Für das Erlernen der Fremdsprache habe diese Reorganisation einen Preis: „The ‚cost,‘ however, ist that they lose sensitivity to speech phenomena that exist in other languages.“ (S. 36). Es erscheint allerdings fraglich, ob diese Spezialisierung sich dahingehend auf den Fremdsprachenerwerb beziehungsweise für die Fremdsprachenvermitt‐ lung auswirkt, dass eine muttersprachliche oder zumindest muttersprachen‐ ähnliche Aussprache nach Verschließen des kritischen Zeitfensters nicht mehr möglich ist, wie dies von den Vertretern einer strengen Auslegung der Cri‐ tical-Period-Theory postuliert wird. So weisen Piske, MacKay und Flege (2001) 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 38 <?page no="39"?> in ihrer Metaanalyse darauf hin, dass es bislang keinerlei Evidenz dafür gebe, dass dem so sei, wenn auch frühe Lerner durchschnittlich bessere Aussprache‐ leistungen zeigten. Auch umgekehrt könne nicht belegt werden, dass ein Fremd‐ sprachenerwerb vor Vollendung des sechsten Lebensjahres automatisch zu einer akzentfreien Aussprache führe: In summary, previous foreign accent research has shown that early learners speak L2 with a lower degree of foreign accent than late learners. However, no study has as yet provided convincing evidence for the claim that L2 speech will automatically be ac‐ cent-free if it is learned before the age of about 6 years and that it will definitely be foreign-accented if learned after puberty. (S. 197) Ebenso findet Birdsong (2001; 2005, 2006) in seinen Studien wenig Hinweise darauf, dass erwachsene Lerner eine sehr gute fremdsprachliche Aussprache nicht mehr erwerben könnten. Er schließt daraus, dass „no feature of an L2 is unlearnable“ (Birdsong, 2005, S. 182) und leitet daraus seine Universal Learnability Hypothesis (S. 183) ab, derzufolge eine muttersprachliche Beherrschung einer Fremdsprache auch für erwachsene Lerner möglich und erstrebenswert ist. Trotzdem weist Birdsong in seinen Artikeln stets darauf hin, dass für einen solch muttersprachlichen Erwerb „benign conditions“, also günstige Lernbedin‐ gungen, notwendig seien. Angesichts dieser Aussagen gibt jedoch Long (2005) zu bedenken, dass die verschiedenen Studien, die zum Beweis der Existenz einer spät erworbenen Muttersprachlichkeit herangezogen würden, zahlreiche Schwächen aufwiesen. Trotzdem streitet auch er die Existenz sehr guter später Sprecher nicht ab, ne‐ giert lediglich die Existenz einer „perfekten“ Muttersprachlichkeit nach einem bestimmten Alter. Aus seiner Sicht ist angesichts der Datenqualität die Annahme einer kritischen Periode die plausiblere Theorie. Dem stellt jedoch Dörnyei (2009b, S. 245f.) entgegen, dass auch diejenigen quantitativen Studien, die von Vertretern einer strengen Critical-Period-Theory durch- und angeführt werden, zumeist an einem methodischen Problem kranken. So sei es doch wahrscheinlich (und werde auch selten negiert), dass die kritische Periode individuell verschieden angelegt sei: „[T]he offset of the CP can, hypothetically, range from as early as 4-5 to as late as 11-12 years of age (or even later).“ (S. 246). Wenn man nun versuche, das Alter des Erstkon‐ taktes und die Ausprägung des fremdsprachlichen Akzentes zueinander in Be‐ ziehung zu setzen, werde man dementsprechend immer eine graduelle Abnahme der Aussprachefähigkeit erhalten, da man das Konstrukt „Erstkontakt“ auf un‐ terschiedlichen Skalen messe - je nach der individuellen Ausprägung der kriti‐ schen Periode könne das Alter des Erstkontaktes ja nicht das Gleiche bedeuten: 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 39 <?page no="40"?> 1 Auf diese mögliche Kovarianz machen auch (Moyer, 2013; Tahta, 1981) aufmerksam. In sum, even in a situation when we assume the existence of a CP in its strictest sense, a typical quantitative CP study would show a more-or-less consistent, linear decline in attainment (perhaps with a brief initial peak) with the increase of AoA (Age of onset) - and certainly a significant negative correlation between attainment and AoA - simply because subjects with different CP offset times are pooled in a joint database and the AoA values of these subjects represent, in effect, scores measured in different scales depending on the subjects’ individual variation in the length of their critical period. (S. 246) Dörnyei schließt daraus, dass diese Studien - je nach Interpretation der Daten - prinzipiell immer dazu herangezogen werden können, gleichzeitig sowohl die Existenz einer individuell unterschiedlichen kritischen Periode zu beweisen als auch eine graduelle sensitive Periode plausibel zu machen. Für ihn gibt es daher keine methodisch robusten Hinweise auf die Existenz einer starren kritischen Periode. Diese Einschätzung teilen auch Derwing und Munro (2015) in ihrer aktuellen Übersicht über die empirischen Studien zum Zusammenhang von Alter und Ausspracheerwerb. Wenngleich ihrer Ansicht nach unstrittig ist, dass die Wahr‐ scheinlichkeit des Erwerbs einer muttersprachlichen Aussprache mit dem Alter kontinuierlich abnimmt, gebe es keine Evidenz für die Existenz einer starren Altersgrenze, nach der die Fähigkeit zum Erwerb unwiederbringlich verloren sei (S. 34). Dass sich Spätlernende - hier sind dies Personen, deren Pubertät schon eingesetzt hat - mit dem fremdsprachlichen Ausspracheerwerb häufig schwertäten, liege an zahlreichen Faktoren, die gleichfalls mit dem Alter zu‐ sammenhingen 1 . Das Alter stelle somit lediglich eine Moderatorvariable dar, die allgemein Einfluss auf die Persönlichkeit des Lernenden nehme: From this perspective, the difficulties adult L2 learners have in learning pronunciation are comparable to the problems they experience in learning other complex behaviours late in life. (S. 34) Insofern sei ein gezieltes Training der Aussprachefähigkeit auch nach dem Ein‐ setzen der Pubertät sinnvoll und fruchtbar. Dörnyei geht in seiner Dateninter‐ pretation sogar noch einen Schritt weiter. Er plädiert für die Annahme einer dynamischen Sicht auf den Spracherwerb (dynamic systems perspective, DST), der die Theorie zugrunde liegt, dass alle Systeme, darunter eben auch der Sprachererwerb, einer Veränderlichkeit unterliegen, die von verschiedenen, miteinander interagierenden Faktoren beeinflusst und moduliert wird: 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 40 <?page no="41"?> (a) (b) [A] basic premise of DST is that in complex systems nothing is permanent or absolute, and even seemingly solid equilibrium states are changeable as they can be moved from their preferred positions by a large enough push. (Dörnyei, 2009b, S. 247) Daher stellt er sogar die Annahme einer sensitiven Periode und einer aufgrund des Alters graduell abnehmenden Sprachlernfähigkeit infrage: Dieses Konstrukt sei allenfalls für den natürlichen Spracherwerb interessant - auch wenn in einer solchen Umgebung gleichfalls weitere interne und externe Faktoren zum Tragen kämen. Sobald es sich um einen institutionellen Kontext handele, würden jedoch in jedem Fall andere Aspekte eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielen wie das Alter. Insofern stellt das Alter des Erstkontaktes für ihn keine wichtige prä‐ diktive Größe dar: [T]he available evidence (empirical and anecdotal alike) suggests that there is no critical period involved in learning an L2 within formal school contexts […]. Further‐ more, even in naturalistic SLA environments the combination of various internal and external factors can generate a considerable amount of unpredictabilitiy of the ulti‐ mate attainment levels, which is exactly what we would expect of a complex system regardless of the strength of the dominant attractors. (S. 248) Umgekehrt gebe es sogar Evidenz dafür, dass in bestimmten Kontexten (insti‐ tutioneller, nicht-immersiver Schulunterricht mit nur wenigen Unterrichts‐ stunden pro Woche) ein fortgeschrittenes Lernalter schneller zum Erfolg führen kann: dies gelte auch für phonetische Fähigkeiten (Dörnyei, 2009b, S. 250f.). In ihren explizit dem Zusammenhang von Alter und Aussprache gewidmeten Literaturübersichten bestätigt Moyer (2014, 2018) diese Einschätzung sowohl für punktuelle phonetische Interventionen als auch für langfristigen Unterricht: „older learners tend to outperform younger ones on a range of phonology-re‐ lated tasks“ (Moyer, 2014, S. 14). Für die Autorin resultieren aus den Ergebnissen zwei Schlussfolgerungen: instruction can mitigate age effects early exposure does not guarantee native-like attainment. (S. 15) Aus neurolinguistischer Perspektive sieht auch Jilka (2009) keine Notwendig‐ keit, eine streng abgegrenzte kritische Periode anzunehmen. Obgleich er der Ansicht ist, dass die Aussprachefähigkeiten mit zunehmendem Alter kontinu‐ ierlich abnehmen, was auch mit Studien zur Gehirnentwicklung konform gehe, werde die Aussprachefähigkeit von mehreren Hirnarealen gesteuert. So werde ein Teil vom primären Kortex beeinflusst, der im Laufe seiner Reifung für Effekte einer kritischen Periode empfänglich sei. Ein weiterer Teil des Spracherwerbs werde aber vom Assoziationskortex beeinflusst. Für dieses Gehirnareal sei 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 41 <?page no="42"?> strittig, ob es gleichfalls einer kritischen Periode unterliegt. Aus Jilkas Sicht würde diese Zweiteilung erklären, wie es gleichzeitig zu Alterseffekten und zur Existenz von exzellenten Spätlernern kommen kann - gleichfalls biete sie eine Erklärung für die Tatsache, dass der Ausspracheerwerb sich häufig vom Gram‐ matik- und Lexikerwerb unterscheidet: This distinction would allow an explanation of the situation encountered in second language acquisition, namely a clear age-dependent influence that is, however not equally strong with respect to the different linguistic levels (e.g. phonetics vs. syntax vs. lexicon). (S. 6) Auch er schließt daher aus seiner Literaturübersicht, dass „it was evident that a neurologically based factor like age of learning onset […] could not be the sole determining factor of L2 ability […]. ” (S. 10). Dies werde insbesondere für den institutionellen Fremdsprachenunterricht sehr deutlich, bei dem sich trotz eines sehr ähnlichen Lerneralters die Lernerkompetenzen stark unterschieden. Es müsse neben dem Alter also noch weitere individuelle Faktoren geben, die auf den Ausspracheerwerb Einfluss nehmen. Zu diesem Schluss kommt auch Bon‐ gaerts (2005): Angesichts der Datenlage fordert er daher mehr Studien zum Zu‐ sammenspiel von Persönlichkeitsmerkmalen, äußeren Umständen und dem Einfluss der verschiedenen Muttersprachen auf den Zielsprachenerwerb. Als Ergebnis der Literaturübersicht ist daher festzuhalten, dass die Existenz einer starren Altersgrenze (critical period) beim Ausspracheerwerb wenig wahr‐ scheinlich ist. Sowohl die Beschaffenheit der empirischen Daten als auch das Vorhandensein sehr guter später Fremdsprachenlerner machen plausibel, dass die Ausspracheerwerbsfähigkeit entweder im Sinne der Hypothese einer sensi‐ tiven Periode nur graduell abnimmt oder dass sie, wie Dörnyei postuliert, oh‐ nehin einer lebenslangen Veränderlichkeit unterliegt, die die Variable Alter we‐ niger schwerwiegend werden lässt. Weitgehende Einigkeit besteht jedoch in der Forschung darüber, dass ab einem gewissen Lernalter eine gezielte und effektive Ausspracheinstruktion notwendig ist, dass also der „natürliche“, spontane Aus‐ spracheerwerb vermutlich nur noch sehr schwer und nur in speziellen Einzel‐ fällen möglich ist. 5.2.2 Neurokognitive Faktoren 5.2.2.1 Talent Ein weiterer Faktor, der vielfach als für den Ausspracheerwerb zentral diskutiert wird, ist das individuelle „Talent“. Darüber, dass die Aussprache gegenüber an‐ deren sprachlichen Fähigkeiten eine Sonderstellung einnimmt, dass also für den 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 42 <?page no="43"?> 2 Sowohl Joseph Conrad als auch Henry Kissinger waren dafür bekannt, die Sprache ihres Immigrationslandes (in beiden Fällen Englisch) schriftlich meisterhaft zu beherrschen und trotzdem in der mündlichen Kommunikation noch einen wohl vernehmbaren mut‐ tersprachlichen (deutschen bzw. polnischen) Akzent zu haben. Aussprachegegenüber beispielsweise dem Grammatikerwerb dem „Talent“ eine andere - vielleicht auch wichtigere Rolle - zukommt, herrscht in der For‐ schung weitgehende Einigkeit (Lewandowski, 2012; Skehan, 2004). So hält Jilka (2009) in seiner Literaturübersicht fest, dass [t]he special position of phonetic skills as opposed to other linguistic abilities is widely acknowledged. Typically, a fundamental distinction is drawn between two substrates of linguistic ability, described as talent for grammar vs. talent for accent. (S. 3) Dieser Unterschied zwischen Grammatik- und Ausspracheerwerb, der auch als Joseph-Conrad- oder Henry-Kissinger-Phänomen 2 bezeichnet wird, könne - so Jilka weiter - durch neurolinguistische Untersuchungen erklärt werden. Er ver‐ weist auf verschiedene Studien, die Hinweise darauf lieferten, dass beim Aus‐ spracheerwerb neben einer neurokognitiven Flexibilität zur Überwindung der Strukturen der L1 (die auch für den Grammatikerwerb unabdingbar sei) auch die Bahnung motorischer Pfade (motor pathways) nötig sei, um die Laute und Lautstrukturen der Fremdsprache zu artikulieren. ( Jilka, 2009, S. 4; ebenso Moyer, 2014, S. 13). Auch Ioup (2005, S. 431) verweist auf Studien, die zeigen, dass Aussprache‐ unterschiede nicht ausreichend über Motivation, Alter, sprachliche Bildung oder allgemeine Intelligenz erklärt werden könnten. Dies spricht ihrer Ansicht nach für die Existenz eines spezifischen Sprachlerntalentes (language-learning apti‐ tude). Dem kann Dörnyei (2010, S. 248) grundsätzlich zustimmen, wenn er fest‐ stellt, dass die gemessene Sprachlernfähigkeit in verschiedenen Tests signifikant mit der erreichten Sprachkompetenz korrelierte, dass also das Talent durchaus einen Prädiktor für den Sprachlernerfolg darstelle. Diese Ansicht teilen DeKeyser und Juffs (2005, S. 445) und Skehan (2004, S. 192), die die prädiktive Kraft der Sprachlernfähigkeitstests für den Sprachlernerfolg betonen. Allerdings - und auch auf diesen Umstand wird in der Forschung stets hin‐ gewiesen - unterliegen die genannten Messungen verschiedenen methodischen Problemen. Es sei, so Jilka (2009), durchaus nicht einfach, die Sprachlernkom‐ petenz so zu messen, dass interne (z. B. „Talent“) und externe (z. B. Menge des Sprachkontaktes, etc.) Faktoren kontrolliert werden könnten: In terms of the distinction between proficiency and talent, there is of course the com‐ plication already mentioned earlier […] that proficiency as evaluated in a straightfor‐ 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 43 <?page no="44"?> ward performance test consists of both inherent (i.e. talent-like), and external factors (such as, for example, amount of L1 and L2 use). It is certainly not a trivial matter to try to separate something like inherent talent - should it exist at all - from these other factors by means of experimental design and then determine what it contributes to overall proficiency. ( Jilka, 2009, S. 8) So beeinflusse beispielsweise auch die aktuelle, situationsabhängige Motivation der Probanden die Testdurchführung und müsse daher erhoben werden, um eine Verfälschung der Ergebnisse zu verhindern. Ein weiteres Problem stellt die Operationalisierung des Konstruktes „Sprach-/ Aussprachetalent“ dar. So existieren zwar zwei Testinstrumente, die für den Spracherwerb zentrale Konstrukte testen: der MLAT (Modern Languages Apti‐ tude Test) und der PLAB (Pimsleur Language Aptitude Battery). Obwohl sie, wie Studien nachgewiesen haben, einen Prädiktor für den Erfolg des Spracherwerbs darstellen, ist keineswegs unstrittig, dass sie tatsächlich „Sprachtalent“ (sollte ein solches Konstrukt existieren) messen. So weist Dörnyei (2010, S. 249) darauf hin, dass beiden Tests kein reelles theoretisches Konstrukt zugrunde liege, son‐ dern dass sie lediglich empirisch, also in einem trial-and-error-Verfahren eta‐ bliert worden seien. Es sei also keineswegs sichergestellt, dass diese Instrumente überhaupt valide sind. Seiner Ansicht nach ist daher die Definition von Sprach‐ talent, die darin besteht zu behaupten, Talent sei, was die Sprachtalenttests messen, keineswegs zufriedenstellend. Auch Lewandowski (2012) weist darauf hin, dass die Existenz eines spezifischen Sprachlerntalentes nicht unstrittig sei: Es stelle sich ganz allgemein die Frage, „whether there is a distinct talent for the acquisition of languages or only a domain general aptitude that influences other types of learning as well.” (S. 60f). Angesichts dieser Unsicherheit gegenüber der Existenz eines Gesamtkonst‐ ruktes „Sprachtalent“ konzentrieren sich neuere Studien eher auf Teilaspekte, die den individuellen (Aus-)Spracherwerb beeinflussen könnten. Damit gehen sie mit Dörnyei konform, der postuliert, dass „[…] language aptitude is not a unitary factor but rather a complex of basic abilities that are essential to facilitate foreign language learning" (Dörnyei, 2010, S. 249). Auch hier werden verschie‐ dene Faktoren diskutiert, die insbesondere für die Ausspracheleistung wichtig sein könnten. 5.2.2.2 Musikalität Besonders prominent ist dabei die Rolle der Musikalität. Dem liegt die Vorstel‐ lung zugrunde, dass Musik und Sprache - insbesondere Aussprache - Systeme sind, die ähnliche akustische Verfahren nutzen, beispielsweise um Emotionen 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 44 <?page no="45"?> zu wecken (Miras, 2013). Dass dies ontogenetisch eine wichtige Rolle spielt und schon für den Säugling und das Kleinkind zentral ist, wird von Hausen, Torppa, Salmela, Vainio, & Särkämö (2013) betont: […]. Especially in infant-directed speech, the musical aspects of language (rhythm, timbral contrast, melodic contour) are the central means of communication, and there is novel evidence that newborns show largely overlapping neural activity to infantdirected speech and to instrumental music. (S. 1) Die Ergebnisse zahlreicher neurologischer und neurolinguistischer Studien sprechen dafür, dass diese enge neurologische Verbindung zwischen Musik und Sprache auch später im Leben erhalten bleibt (Überblick s. Hausen u. a., 2013). Hausen et al. schließen aus ihrer Literaturübersicht, dass „music and speech are at least partly based on shared neural resouces.” (S. 2). Dies betreffe sowohl die Perzeption von Aussprachephänomenen (Segmentation, Phoneme, emotionale Prosodie) als auch ihre Artikulation. Zu einem ähnlichen Ergebnis suprasegmentelle Merkmale betreffend kommt Becker (1999) in ihrer Übersicht über die ältere Studienliteratur. Auch sie schließt daraus, dass „die Fähigkeit, prosodische Merkmale zu nutzen, einen Mediator zwischen den musikalischen Fähigkeiten und dem Fremdsprachen‐ lernerfolg darstellt.“ (S. 76). Zahlreiche Korrelationsstudien zeigen darüber hinaus, dass Musiker bessere Perzeptions- und Artikulationsfähigkeiten zeigten als Nichtmusiker und dass ein Zusammenhang zwischen Amusie und Proso‐ dieperzeption und -artikulation besteht. Auch Nardo und Reiterer (2009) be‐ tonen in ihrer Literaturübersicht, dass die Mehrzahl der Untersuchungen eine positive Korrelation zwischen Musikalität und Spracherwerb ergab.. Das all diesen Studien zugrundeliegende methodische Problem wird jedoch gleichfalls in den genannten Übersichtsarbeiten (Hausen u. a., 2013; Nardo & Reiterer, 2009) thematisiert: So sei das Konstrukt „Musikalität“ oder „musikali‐ sches Talent“ sehr schwer zu operationalisieren - die verschiedenen existier‐ enden Testinstrumente seien durchaus umstritten. Hausen et al. (2013) weisen darauf hin, dass oftmals kein Musikalitätstest zum Einsatz kam, sondern dass vielmehr die Länge des Instrumentenspiels oder Vokalunterrichts per Frage‐ bogen eruiert wurde. Gemessen wurde somit der Effekt eines jahrelangen mu‐ sikalischen Trainings - nicht der eines wie auch immer beschaffenen Talentes. So halten sie fest, dass die Studien „suggest that the possible transfer effects are more likely results of training rather than genetic predispositions.” (S. 2). Diese Einschätzung, derzufolge musikalisches „Talent“ eher mit Erfahrung, denn mit angeborenen Fähigkeiten zu tun hat, teilt auch Moyer (2013) in Berufung auf eine Studie von Gottfried, wenn sie festhält, dass „[m]usical ‚talent‘ may have 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 45 <?page no="46"?> more to do with experience than innate abilities since these musicians were able to work with some tones more accurately than others.“ (S. 55). Nardo und Reiterer (2009) entscheiden sich in ihrer eigenen Studie für den Einsatz eines Musikalitätstests, den sie nach dem Seashore’s measure of musical talents adaptieren und der gegenüber weiteren Tests (z. B. Gordon’s und Wing’s Testbatterien) den Vorteil böte, durch seine intuitive Handhabung auch Nicht‐ musikern und Kindern zugänglich zu sein. In ihrer Literaturübersicht stellen sie überzeugend dar, dass die unterschiedlichen mit den verschiedenen Seashore Subtests gemessenen Musikalitätsscores stark mit den phonetischen Fähig‐ keiten korrelierten. Diese Korrelation war in den Studien für das Französische als Zielsprache (gegenüber beispielsweise dem Deutschen) besonders auffällig. Eine Erklärung für dieses Phänomen bietet Brodovitch (2007) in ihrer interdis‐ ziplinären Untersuchung zur Rhythmusstruktur des Französischen: [T]he rhythmic practice that obliges French speakers to pace their breath resources towards the end of the phrases corresponds very closely to the release of breath and techniques of air flow control practiced by singers. This suggests that because of the linguistic structures inherent in the language, French lends itself to an oral delivery that approaches that of singing. This is a language that wants the communication to ride on the vowel and that encourages every French speaker in daily life to release and maintain the vocalic substance of the communication on a steady release of breath. (S. 74) Das Französische weise im hohen Maße eine musikalische Struktur auf, die den Sprecher dazu zwinge, Atem- und Rhythmusbewegungen aus dem Gesang zu übernehmen. Sowohl die Literaturübersicht als auch die Analyse Brodovitchs sprechen also dafür, dass sich diese Befunde replizieren lassen und dass insbe‐ sondere das Gesangstalent mit den Aussprache-Fähigkeiten korreliert. Dies un‐ tersuchen Nardo und Reiterer (2009) in einer Studie, die in der Tat zum Schluss kommt, dass selbsteingeschätztes Singtalent, Rhythmustalent und Pitch-Score mit der Aussprachefähigkeit korrelieren, das Spielen eines Instrumentes eben‐ falls, jedoch schwächer. In der Diskussion relativieren sie allerdings die Tragweite ihrer Ergebnisse und stellen klar, dass auch diese letztendlich das nature-vs.-nurture-Problem nicht zu lösen vermögen: Our own research as well as the literature reviewed consistently show that language and music are not independent phenomena, but perhaps two sides of one coin with a lot of similarities, yet not being exactly the same. We have seen that music practice improves language processing, and that some aspects of music and language pro‐ cessing are correlated, especially rhythmic processing and phonetic aspects. In our 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 46 <?page no="47"?> own research, we found that there are strong links between rhythm and pitch per‐ ception and singing capacity on the one hand, and pronunciation talent, pronunciation performance/ proficiency, phonetic encoding ability and even grammatical sensitivity and proficiency on the other. (S. 246) Für den Phonetikunterricht lässt sich somit aus den vorliegenden Forschungs‐ ergebnissen lediglich schießen, dass der Einsatz von Musik einem Aussprache‐ training zuträglich sein könnte und dass Musiker im Durchschnitt bestimmte Aussprachephänomene leichter zu perzipieren und artikulieren vermögen - dass diese Erleichterung jedoch auch von der jeweiligen Zielsprache abhängt. Ein eindeutiger Zusammenhang oder gar eine Kausalität zwischen einem an‐ geborenen Musiktalent und den später erworbenen Aussprachefähigkeiten in einer Fremdsprache geht aus den vorliegenden Daten nicht hervor. 5.2.2.3 Hörverstehenstalent Ein weiterer Unteraspekt des Sprachtalentes, der für die Fähigkeit, eine gute fremdsprachliche Aussprache zu erwerben, wichtig sein könnte, ist die Diskri‐ minationsfähigkeit, das Hörverstehenstalent. Wie Reiterer (2009) in ihrem Übersichtsartikel dokumentiert, deuten einige Studien darauf hin, dass es ein phonetisches Talent geben könne, das möglicherweise über angeborene Dis‐ kriminationsfähigkeiten erklärbar sei: Event related potentials revealed individual differences between more or less ‘talen‐ ted’ or ‘able’ phonetic perceivers not only in the foreign, but already in the native language sound system […]. This could represent another hint towards the existence of a specific phonetic ability, something we would call: phonetic language talent. (S. 174) Dass diese Diskriminationsfähigkeit für das Fremdsprachenlernen allgemein und für den Erwerb der fremdsprachlichen Aussprache insbesondere sehr wichtig ist, betonen auch Silbert et al. (2015) in ihrem Artikel und verbinden mit dieser Aussage die Forderung nach weiterer Forschung auf diesem Gebiet: The ability to discriminate non-native phonemes is crucial to accurate word learning in a foreign language, and the difficulties that listeners may have with particular sounds in a non-native language have been, and continue to be, a fruitful topic of research. (S. 115) Dass es an Forschung zum Zusammenhang eines Diskriminationstalentes und der Aussprache noch mangelt, ist nicht zu übersehen. Jedoch legt Reiterer (2009) eine kleine (N=3! ) neurolinguistische Studie vor, die es erlaubt, zumindest Indi‐ zien dafür zu finden, dass zwischen „talentierten“ und „untalentierten“ Hörern 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 47 <?page no="48"?> und Aussprechern sowohl in der Mutterals auch in der Fremdsprache Unter‐ schiede in der Gehirnaktivität herrschen: The data from our own currently ongoing brain imaging research, also demonstrate that on a functional level, there are differences in brain activation between individuals that are more or less talented for L2 pronunciation. (S. 176) Angesichts der kleinen Probandenzahl betont Reiterer in der Diskussion jedoch ausdrücklich, dass ihre Daten allenfalls einen Hinweis auf die Existenz eines neurologisch bedingten Aussprachetalentes liefern könnten. Die psycholinguistische Forschung kann diese Anhaltspunkte auf eine Kor‐ relation zwischen Hörverstehenstalent und Aussprache jedoch untermauern. So postuliert Baran-Lucarz (2012), dass die Existenz verschiedener Lerntypen mög‐ licherweise prädiktiv für die Aussprachekompetenz sein könne: Es sei beispiels‐ weise plausibel, dass auditive Lerner eine bessere Aussprachekompetenz er‐ reichten als Lerner, die andere Lernkanäle präferierten: Taking into account the fact that in the case of some individuals the most natural, effortless and specialized mode of perception is through the auditory channel, we may presuppose that they find it easier to master FL pronunciation than those whose dominating styles are other than auditory. (S. 292) Sie unternimmt es, diese Hypothese in einer Studie (N = 50), die visuelle Lerner von auditiven beziehungsweise von Personen ohne bestimmte Präferenz unter‐ scheidet, zu überprüfen. Ihre Ergebnisse sind eindeutig und weisen in die gleiche Richtung wie die neurowissenschaftliche Untersuchung Reiterers: Lernende, die einen auditiven Lernkanal favorisierten und auch solche ohne Präferenz, er‐ reichten signifikant höhere Aussprachekompetenzen (operationalisiert als ac‐ curancy in foreign language pronunciation) als visuelle Lerner - allerdings nur in einem Setting, in dem keine zusätzliche Ausspracheinstruktion stattgefunden hatte. Für fachdidaktische Belange ist jedoch interessant, dass Baran-Lucarz ebenfalls zeigte, dass ein gezielter Ausspracheunterricht durch eine multisen‐ sorische Ausrichtung eine solche angeborene Disposition kompensieren kann: [T]he lack of such an inborn predisposition to pick up FL phonetics can be compen‐ sated by explicit teaching, in which the instructor provides the learners with a wide variety of presentation techniques and exercises, adjusting them to the student's pre‐ ferred channels of perception. (S. 293) Die bisher durchgeführten Untersuchungen liefern somit also Indizien dafür, dass die Diskriminationsfähigkeit und die Präferenz für einen auditiven Lern‐ kanal für eine bessere Aussprachekompetenz prädisponieren. Gleichzeitig 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 48 <?page no="49"?> scheinen aber diese individuellen Unterschiede durch Unterrichtssettings, die einerseits multimodal gestaltet werden, andererseits aber auch die Diskrimina‐ tionsfähigkeit trainieren, stark kompensiert zu werden. 5.2.2.4 Arbeitsgedächtnis Das Arbeitsgedächtnis, definiert als „the temporary storage and manipulation of information used for language comprehension and production” (Moyer, 2013, S. 53), als vorübergehender Speicherort kodierter sprachlicher Informationen also, rückt vermehrt in den Fokus der Spracherwerbsforschung. So hält Moyer (2013) fest, dass „[t]here is wide support for the idea that aptitude in language learning, and phonetic coding ability itself, is a function of memory.” (S. 53). Dies bestätigt Skehan (2004, S. 192f.) in seiner Studie mit britischen Rekruten, die 10 Wochen lang intensiv Arabisch lernen mussten. So konnte eine Cluster‐ analyse zeigen, dass sich unter den erfolgreichen Lernern eine Gruppe befand, die sich im Wesentlichen auf ihr Gedächtnis verließ, um die Fremdsprache zu erlernen. Allerdings differenzierte Skehan nicht nach Aussprache- und sons‐ tigen sprachlichen Fähigkeiten, sodass fraglich ist, ob seine Ergebnisse auf den Ausspracheerwerb übertragbar sind. Dass die Fähigkeit, phonetische Phänomene zu kodieren, jedoch auch für das Aussprachelernen sehr wichtig sein könnte, wird zwar einerseits von verschie‐ denen Forscherinnen und Forschern betont (Lewandowski, 2012; Moyer, 2013; Skehan, 2004), gleichzeitig wird jedoch bemängelt, dass gerade die Erforschung dieses Aspektes häufig vernachlässigt wird: Phonemic coding ability has often been left aside as being a trivial and self-explaining component of aptitude and therefore has not received much attention in publications on language talent. However, it is exactly this module which seems to be essential in learning pronunciation. (Lewandowski, 2012, S. 64f.) Auch Moyer (2013) weist darauf hin, dass ein Unteraspekt des Arbeitsgedächt‐ nisses potentiell für den Ausspracheerwerb wichtig sein könnte: die sogenannte phonological loop function. Hierunter versteht sie „the recall and the rehearsal of auditory stimuli such as new sound sequences” (S. 53). Sie bemängelt jedoch in ihrem Forschungsüberblick die lückenhafte und widersprüchliche Studien‐ lage. Es stelle sich angesichts der Ergebnisse beispielsweise die Frage, ob der Einfluss des Arbeitsgedächtnisses über den Anfangsunterricht hinausgeht - auch in der Skehan-Studie wurden ja nur die ersten 10 Wochen des Spracher‐ werbs in den Blick genommen. Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass die wenigen aussprachespezifischen Studien durchaus widersprüchliche Ergeb‐ nisse geliefert hätten: einige Studien hätten Korrelationen des Arbeitsgedächt‐ 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 49 <?page no="50"?> nisses mit der Realisierung bestimmte Aussprachephänomene gezeigt (Moyer zitiert eine Studie von Golestani und Zatorre), wohingegen eine andere Studie mit 66 deutschen Englischlernern keine eindeutigen Zusammenhänge ergeben hätte (Rota & Reiterer, 2009). Auch für Reiterer (2009) erlaubt es die Datenlage nicht, Schlüsse für das Vor‐ handensein eines Sprach- oder gar Aussprachetalentes zu ziehen. Einerseits gebe es ganz offenbar verschiedene Unterformen des „Talentes“, die für die er‐ reichte Aussprachekompetenz zentral sind: (A)ptitude for sound discrimination (phonetic aptitude), aptitude for speech sound production (pronunciation aptitude), perhaps even special aptitude for prosody, as we investigated and found in our own present research, aptitude for syntactic relations […], aptitude for vocabulary learning […]. There is ample evidence […] that there are various subtypes of language learning aptitudes. Individuals can differ for specific subtypes, expressing high aptitude in one area and low aptitude in another and vice versa (partial language talent, e.g. the Joseph Conrad phenomenon). (Reiterer, 2009, S. 178) Ebenso weisen Hu et al. (2013) darauf hin, dass die Aussprachekompetenz si‐ cherlich multifaktoriell bedingt sei - und eben nicht ausschließlich von einem phonetischen Arbeitsgedächtnis vorhergesagt werden könne. Dem stimmt Moyer (2013, S. 54) zu, die postuliert, dass Arbeitsgedächtnis, Unterrichtssetting und allgemeine individuelle kognitive Fähigkeiten beim Ausspracheerwerb zu‐ sammenwirken. Obgleich in manchen Studien einige Faktoren offenbar mit der Aussprache‐ kompetenz korrelieren, lässt sich aus den bislang vorliegenden Daten nicht schlussfolgern, dass der Ausspracheerwerb zu einem relevanten Anteil durch ein angeborenes „Talent“ determiniert sei. Eine gewisse prädiktive Kraft wies nur der MLAT-Test auf, dessen Validität jedoch insgesamt fraglich ist. Dass der Einfluss des „Talentes“, wenn man dabei die umstrittene Definition des MLAT-Tests gelten lassen will, darüber hinaus noch von verschiedenen Unter‐ richtssettings abgemildert werden kann, bemerken DeKeyser und Juffs: With more analytic classroom teaching or under conditions of explicit rule learning, aptitude plays a large role; with more holistic teaching methodologies or under con‐ ditions of incidental learning in the lab (entirely meaning-oriented) aptitude as tra‐ ditionally construed plays little or no role. (DeKeyser & Juffs, 2005, S. 446) Diese Einschätzung teilt auch Kissling (2014) in ihrem Übersichtsartikel über die verschiedenen Aspekte, die prädiktiv für einen erfolgreichen Aussprache‐ erwerb wirken: 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 50 <?page no="51"?> Field independence, auditory preference, and musical talent predicted high pronun‐ ciation accurancy for learners in naturalistic contexts, but learners lacking those in‐ nate predispositions could attain high pronunciation accurancy through formal in‐ struction if they were highly motivated (preferably aesthetically motivated), believed they controlled their own progress and considered their goal realistic. (S. 533) Kissling spricht dabei einen weiteren wichtigen Faktorenkomplex an, der für einen erfolgreichen Ausspracheerwerb zentral sein könnte: die sozio-psycho‐ logischen Faktoren, die so unterschiedliche Konstrukte wie Motivation, Lerner‐ persönlichkeit oder Identifikation mit der Zielsprachenkultur umfassen. 5.2.3 Sozio-psychologische Faktoren 5.2.3.1 Persönlichkeit und Identität der Lernenden Die folgende Bermerkung von Zuengler hat an Aktualität in der Ausspracheer‐ werbsforschung nichts eingebüßt: There is now general agreement that pronunciation is a domain within which one’s identity is expressed. (Zuengler, 1988, S. 34) Allerdings gibt es zu diesem Zusammenspiel zwischen Identität(sfacetten) und Aussprache(kompetenz) eine solche Vielzahl an Studien aus so unterschiedli‐ chen Forschungsdisziplinen wie beispielsweise der Psychologie, der Neurolin‐ guistik, der Soziologie oder der Fachdidaktik, dass eine vollständige Aufarbei‐ tung den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde. Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf die für die Fragestellung der vorlie‐ genden Untersuchung relevanten Aspekte. Lange Zeit galt als etabliert, dass die Identität eines Sprechers eine stabile Einheit darstelle, die, wenn sie einmal (z. B. auch sprachlich) „geformt“ worden sei, nicht mehr wesentlich verändert werden könne. Diese Stabilität, so die Theorie, sei Ursprung vieler Ausspracheprobleme. Erwachsene Lernende sähen sich beim Sprechen einer Fremdsprache mit einer elementaren Angst vor Iden‐ titätsverlust konfrontiert - im Gegensatz zu Kindern, bei denen noch eine Permeabilität der Identitätsmerkmale vorliege. Diese Vermutung wurde als Er‐ klärung dafür herangezogen, dass Kinder eine fremde Aussprache so viel müheloser zu erlernen scheinen als Erwachsene. In den 1970er Jahren wurde dieser angenommene Konflikt der erwachsenen, gefestigten Identität mit der zielsprachlichen Aussprache, aus dem eine Identi‐ tätsgefährdung resultieren könne, von der Arbeitsgruppe um Guiora in ver‐ schiedenen Studien erforscht (für einen Überblick s. Reinke, 2010). Er verab‐ reichte seinen Probanden unterschiedliche Substanzen (von Alkohol bis hin zu 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 51 <?page no="52"?> 3 Die Kritiken erstrecken sich von ethischen Problemen seiner Studien über die Opera‐ tionalisierung seiner Konstrukte bis hin zur Validität seiner Messungen und „For‐ schungsinstrumente“ (siehe Riemer, 1997). Psychopharmaka wie Valium), um zu untersuchen, inwiefern die durch die Sub‐ stanzen verursachte „Permeabilisierung“ der Identität auf die Aussprachefähig‐ keit zu wirken vermochten. Er schloss aus seinen Studien, dass das Lernen einer neuen Sprache vor allem ein gutes Einfühlungsvermögen, eine stark ausge‐ prägte Empathiefähigkeit also, und eine hohe Ego-Flexibilität erfordere. Diese Schlussfolgerung wird in einigen Werken zur Aussprachedidaktik kolportiert, ohne jedoch ihren Ursprung zu reflektieren (z. B. Lauret, 2011). Guioras Studien, die sich, wie Müller (2011) anmerkt, stark an den Freudschen Theorien der Identitätskonstruktion orientieren, finden heutzutage zahlreiche Kritiker 3 . Ungeachtet dessen ist nicht von der Hand zu weisen, dass psycholo‐ gische Faktoren eine wichtige Rolle für den Ausspracheerwerb spielen: Disku‐ tiert werden in diesem Kontext neben den von Guiora genannten Eigenschaften (Empathiefähigkeit und Ego-Permeabilität) so unterschiedliche Aspekte wie beispielsweise das Merkmalspaar „Introvertiertheit“/ „Extrovertiertheit“, die Tendenz zur Ängstlichkeit beziehungsweise zur Risikofreude, sozial-identitäre Aspekte (z. B. Einstellungen gegenüber der Zielsprachengemeinschaft) sowie schließlich Motivation. Speziell die neuro- und psycholinguistische Forschung interessiert sich für den Zusammenhang verschiedener Persönlichkeitsfacetten mit der Ausspra‐ chekompetenz. So untersuchen beispielsweise Rota und Reiterer (2009) das Zu‐ sammenspiel fremdsprachlicher Aussprache (die in einem eigens entwickelten Testinstrument operationalisiert wird) und Empathie sowie dem Merkmalspaar „Extrovertiertheit“/ „Introvertiertheit“. Als Resultat der Studie zeigte sich - ent‐ gegen der Studien von Guiora - eine nur sehr schwache Korrelation der Aus‐ sprachefähigkeit mit dem Konstrukt „Empathie“. Ferner ergab sich aus ihrer Studie, dass die Merkmale „Extrovertiertheit“/ „Introvertiertheit“ ebenfalls keine bedeutende Rolle für die mit dem gleichen Test gemessene Aussprachekompe‐ tenz der Testpersonen spielten. Auch zur Bedeutung einer Sprechangst (Anxiety, operationalisiert über ver‐ schiedene Testinstrumente), existieren mehrere Studien, deren Ergebnisse von Hu und Reiterer (2009) aufgearbeitet werden. In ihrer Übersicht kommen sie zum Schluss, dass Sprechangst zwar mit zwar mit der Aussprachefähigkeit der Testsubjekte zusammenhängt und dass dies auch bei Erwachsenen stärker zum Tragen komme als bei Kindern. Aus diesen Studien den Schluss zu ziehen, dass Menschen, die in Tests (je nach Forschungsinstrument) das Persönlichkeits‐ merkmal „Sprechangst“ oder „Ängstlichkeit“ aufweisen, aufgrund dieses Merk‐ 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 52 <?page no="53"?> 4 Dies schließt natürlich nicht aus, dass z. B. Extrovertiertheit eine Moderatorvariable ist: Eine extrovertierte Person sucht möglicherweise eher den Kontakt zu Muttersprachlern beziehungsweise ergreift im Unterricht eher das Wort, sodass sie entsprechend mehr Übungszeit hat als eine introvertierte Person. mals eine schlechtere Aussprachekompetenz erreichen werden, ist jedoch, so die Autoren und Riemer (1997, S. 17) nicht zulässig: So lasse sich aus einfachen Korrelationsstudien keine Aussage zur Kausalität ableiten. Weiterhin - so Hu und Reiterer - ermögliche die Datenlage keine Rückschlüsse darauf zu ziehen, ob die Sprechangst Ursache oder Folge schlechter Sprechkompetenzen sei: Several conclusions can be drawn from the body of language anxiety literature […]: language anxiety negatively effects performance in the second language; listening and speaking are the most anxiety-provoking aspects in SLA situations; language anxiety is more relevant to language learning among adults than among children; the causality between language anxiety and SLA archievement is not clear, whether anxiety is a cause or an effect of bad archievement. (Hu & Reiterer, 2009, S. 108) Dass die Existenz einer Sprechangst beziehungsweise Ängstlichkeit negativ Aussprachefähigkeit korreliert, ist eine nahezu triviale Erkenntnis, die, wie Moyer schreibt, bereits 1995 von Hansen getroffen wurde: „Not surprisingly, fear of embarrassement and ridicule when speaking the target language corre‐ lated negative to accent” (Moyer, 2014, S. 17). Welche praktischen Konsequenzen lassen sich aus den bisher vorliegenden Untersuchungen für den Unterricht ableiten? Da die Hypothese, nach der es eine angeborene Ängstlichkeit sei, die den Ausspracheerwerb der Lernenden behin‐ dert, durch die Studienergebnisse nicht ausreichend belegt ist, verbleibt für den Unterricht letztlich nur die Forderung, die Aussprachesettings bzw. die Feed‐ backstrategien so zu wählen, dass sie keine Sprechangst beziehungsweise Angst vor Blamage bei den Schülerinnen und Schülern hervorrufen. Die Annahme, derzufolge weitere persönliche Eigenschaften wie Empathie oder Extovertiert‐ heit direkt auf den Ausspracheerwerb wirken, ist angesichts der Studienlage wenig plausibel 4 . Allerdings sprechen Hu und Reiterer in ihrer Arbeit über die reine Überprü‐ fung von Zusammenhängen hinaus ein Problem an, das in der postmodernen Sozialforschung immer wieder thematisiert wird und das vielen Arbeiten zur Persönlichkeitsforschung zugrunde liegt: „language anxiety is not a stable ‘trait’ among experienced language learners” (S. 108). Die Sprechangst - wie auch viele andere Persönlichkeitsfacetten - ist keine permanente Disposition, sondern vielmehr einem steten Wandel unterlegen. 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 53 <?page no="54"?> 5 Besonders interessant ist in diesem Kontext der Primat der prosodischen Hörmuster vor den segmentalen Aspekten der Sprache (Mordellet-Roggenbuck, 2002, S. 41). War man nämlich unter Beeinflussung der Freudschen Psychologie noch von einem - wie Gnutzmann (2013) schreibt - „eher stabilen und nicht auf Verän‐ derung angelegten Identitätsbegriff ausgegangen“ (S. 50) und hatte man diesen starren Identitätsbegriff gar auf ganze Sprachgemeinschaften ausgeweitet, deren Identität dann als die durch die Sprache vermittelte „eigenthümliche Weltsicht“ (Humboldt zitiert bei Werlen, 2002, S. 144) aufgefasst wurde, hat sich dies mit einer postmodernen Idee des Individuums verändert. Auch hier wird zwar postuliert, dass das Individuum durch sprachliche Sozialtechniken geprägt werde (Norton & Toohey, 2011; Reichmann, 2004). Allerdings kann durch die vielfältigen Universen, in denen ein Mensch sich aufhält (Lahire, 2011) und durch die Vielzahl der Texte und (Selbst-)Erzählungen, die in den jeweiligen (Sub-)Kulturen kursieren (Hallet, 2013), von einer stabilen Einheit nicht mehr die Rede sein. Die postmoderne Auffassung des Individuums ist also die die einer „Patchwork-Identität“ (Hallet, 2013, S. 62), von „Crosscutting identi‐ ties“ (Welsch, 1991, S. 192) - eines „homme pluriel” (Lahire, 2011). Den Bezug dieser neuen Wahrnehmung des Individuums zum Fremdspra‐ chenunterricht stellt Norton (1997) her. So schreibt sie, dass Fremdsprachenler‐ nende in jedem Austausch mit anderen Personen ihre eigene Identität konstru‐ ierten, dass dies also ein kontinuierlicher Prozess sei: In this view, every time language learners speak, they are not only exchanging infor‐ mation with their interlocutors; they are also constantly organizing and reorganizing a sense of who they are and how they relate to the social world. They are, in other words, engaged in identity construction and negotiation. (Norton, 1997, S. 410) Identität ist für Norton demnach ein soziales Konstrukt, das in Konfrontation mit der sozialen Umgebung gebildet und verändert wird: I use the term identity to refer to how people understand their relationship to the world, how that relationship is constructed across time and space, and how people understand their possibilities for the future. (Norton, 1997, S. 410) Dass diese soziale Komponente der sprachlichen Identitätskonstruktion beson‐ ders für die Aussprache relevant wird, betont Mordellet-Roggenbuck (2002, 2006) in ihren Forschungsarbeiten. Sie beschreibt, dass das Kleinkind durch emotionalen und sozialen Kontakt lerne, Hörmuster 5 zu identifizieren und somit seine Identität und Gruppenzugehörigkeit auch „aus“sprachlich konstruiere. 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 54 <?page no="55"?> Dieser Konstruktionsprozess kann im Rahmen des Fremdsprachenunter‐ richtes freilich als Chance für eine Annäherung an eine neue Sprachgemein‐ schaft angesehen werden. So weist Gnutzmann (2013) darauf hin, dass sich im Englischunterricht „viele Lernende zunächst einmal - gerade im Aussprache‐ bereich - darum (bemühen), sich dem lehrerseitig verwendeten standardsprach‐ lichen Modell möglichst weit anzunähern.“ (S. 51). Er schließt daraus, dass davon ausgegangen werden könne, „dass das Erlernen von Fremdsprachen einen Bei‐ trag zur Erweiterung der sprachlichen Identität von Lernenden leisten kann“ (S. 52). Es ist - wie Block (2009) einwendet - jedoch fraglich, ob der institutionelle Sprachunterricht die Lernerinnen und Lerner überhaupt mit anderen Identitäten zu konfrontieren vermag. Er schreibt, dass im Fremdsprachenunterricht meist auf „lokale Multimodalitäten“ zurückgegriffen werde, Ressourcen also, die der Ursprungssprachgemeinschaft entsprängen: My examination of Liddicoat and Crozelt, Belz, lantolf and Genung and my own re‐ search has led me to the general conclusion that in the FL [foreign langage, C.A.] setting, there is usually far too much first language-mediated baggage and interference for profound changes to occur in the individual’s conceptual system and his/ her sense of self in the TL [target language, C.A.]. (S. 144) Das gilt eben auch für die Aussprache, wenn sie sich auf das Lehrerinnen- und Lehrermodell beziehungsweise auf die oftmals künstlich hergestellten, wenig authentischen Lehrbuchaufnahmen beschränkt. In interkulturell authenti‐ scheren Unterrichtssettings (Block nennt beispielsweise kollaborative Projekte unter Einbeziehung des Internets), könne sich durchaus eine Aushandlung ver‐ schiedener Identitäten ergeben, die dann, wie Hallet (2013) anmerkt, durch die Konfrontation mit den verschiedenen schulsprachlichen Welten (zumeist min‐ destens Englisch und Französisch beziehungsweise Spanisch) die Herausbildung transkultureller Identitäten fördern könne: Der Fremdsprachenunterricht ist daher unmittelbar an der Konstitution transkultu‐ reller Identitäten beteiligt und stellt selbst einen transkulturellen Diskursraum dar, in dem sich kulturell diverse und plurale Identitäten entfalten, bewähren und weiter‐ entwickeln können. (S. 63) Dass jedoch dieser Prozess gerade in Hinblick auf den Erwerb der fremdsprach‐ lichen Aussprache ebenso in einer Identitätsgefährdung resultieren kann, wie dies schon in den Arbeiten der 70er und 80er Jahre postuliert worden war - freilich aus anderen Gründen - betont Marx (2002). Sie weist in ihrem Artikel, der ihr Erleben als Kanadierin in Deutschland nachzeichnet, darauf hin, dass 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 55 <?page no="56"?> 6 Dass diese Einheit dem postmodernen Denken gemäß auch durchaus fragmentarischen Charakter haben kann, betonen Welsch und Lahire (Lahire, 2011, S. 32ff.; Welsch, 1991, S. 190). Jedoch weist auch Lahire (2011) darauf hin, dass es dem Individuum durch ver‐ schiedene soziale Akte (z. B. durch die Identifikation mit seinem Namen oder durch autobiographische Erzählungen) durchaus möglich sei, „de réduire la diversité des pra‐ tiques et des événements individuels à l’unité d’un soi cohérent et unifié, au moins dans certaines de leurs dimensions“ (S. 32ff.). diese verschiedenen Identitäten „must in some way be reconciled within one unified self in order to maintain this self across boundaries.” 6 (S. 266). Dass dies gerade in bi- oder multilingualen Kontexten, bei denen durch die Konfrontation mit neuen Kulturen und neuen Identitäten der Erwerb einer Transkulturalität angestoßen wird, schwieriger wird, zeigt Marx‘ Erfahrungsbericht, in dem sie von ihrer eigenen Identitätskonstruktion berichtet, die maßgeblich vom be‐ wussten Annehmen oder Ablegen eines bestimmten Akzentes begleitet war. Sie schließt daraus, dass eine Zusammenführung der verschiedenen kulturellen/ sprachlichen Identitäten möglich ist, dies aber einer Selbstübersetzung (selftranslation) bedarf - dass es also vonnöten ist, das L1mit dem L2-Selbst zu verbinden: This unification of identities can be achieved through self-translation. According to Wenger (1998, p. 217), reconciliation of identities involves uniting past and present into one self; when a language learner succeeds in connecting the LI/ Cl with the L2/ C2, he is able to participate in both communities. (Marx, 2002, S. 277) Diese möglicherweise schwierige Verbindung der erst- und der zweitsprachli‐ chen Identität bietet eine Erklärung für ein Phänomen, das in zahlreichen Arbeiten zum Ausspracheerwerb (z. B. Derwing & Munro, 2015; Tarone, 2005) beschrieben wird und das aus fachdidaktischer Sicht von höchstem Interesse ist: Das Problem der bewussten Beibehaltung des eigenen muttersprachlichen Ak‐ zentes (accent retention). Dabei handelt es sich um eine Weigerung des Lern‐ enden, die fremdsprachlichen Segmente und Suprasegmentalia möglichst kor‐ rekt zu artikulieren - es wird bewusst eine erkennbar durch die Muttersprache geprägte Aussprache bevorzugt. Tarone (2005), die sich mit den Ursachen für dieses Phänomen beschäftigt, schreibt dazu, dass die Wahl des Lernenden, eine zielsprachliche Aussprache zu erlernen oder eben den eigenen Akzent beizubehalten, durch soziokulturelle Faktoren maßgeblich beeinflusst werde. Sowohl in der Mutterals auch in der Fremdsprache gebe es bei Sprechern die „tendency to vary their production of phonological form in response to a range of social factors“ (S. 495). Ausschlag‐ 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 56 <?page no="57"?> gebend sei vor allem der Wunsch danach, sich auch sprachlich bestimmten Sprechern anzugleichen, um ihre Gunst zu erwerben: Certain phonological features produced by speakers will converge or become more similar to those of interlocutors from whom they desire approval or with whom they wish to express social identity. (S. 495) Moyer (2014) stimmt dem zu, wenn sie schreibt, dass für die Lerner bisweilen eine „authentische” Aussprache nicht darin bestehe, möglichst zielsprachenge‐ treu zu sprechen, sondern vielmehr darin, die eigene gegebenenfalls fehlerhafte Aussprache beizubehalten: In other words, authenticity may be more about sounding not-quiteor even not-at-all native; not everyone is willing to give up their own identity and history in an effort to blend in with their L2 community. (S. 19) Dieses Zurückhalten hänge nicht zuletzt auch vom Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen ethnolinguistischen Gemeinschaft ab, wie Segalowitz, Gatbonton und Trofimovich (2011) schreiben: [S]peakers with a strong sense of affiliation to their primary ethno-linguistic group may deliberately ‘hold back’ some aspects of their L2 use in order to avoid sounding too much like members of a different ethnolinguistic group. (S. 173) Besonders komme dies für die Aussprache zum Tragen, wie es einige Fallstudien belegen können (Überblick bei Segalowitz u. a., 2011). Es scheint also recht plau‐ sibel, dass es - wie Tarone (2005) schreibt - eine enge Verbindung zwischen sozialer Identität und Aussprache gibt. Moyer (2014) erweitert die Perspektive um eine politische Dimension. Es sei nicht zuletzt die politische Orientation gegenüber der eigenen und der zielsprachlichen (ethnischen) Gemeinschaft, die einen Einfluss auf den Ausspracheerwerb und die Wahl der Aussprachevarietät ausübe: „(P)olitical orientation toward one’s own ethnic group seems to affect L2 pronunciation as well“ (S. 17). Die Einstellung (attitude) der zielsprachlichen Gemeinschaft gegenüber scheint also für den Aussprachelernerfolg von eintscheidender Bedeutung zu sein. Dies geht auch mit den Forschungsergebnissen zur Motivation konform, die im nächsten Abschnitt zusammengefasst werden sollen. Entspechend betonen auch Segalowitz, Gatbonton und Trofimovich (2011), dass zahlreiche Studien ergäben „that a positive orientation towards the target language group leads to higher levels of L2 proficiency attained […]” (S. 173). Allerdings geben die Autoren zu bedenken, dass die Einstellung möglicherweise nur eine Moderatorvariable darstelle. So suchten Personen, die eine positive 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 57 <?page no="58"?> Haltung der zielsprachlichen Gemeinschaft gegenüber hätten, automatisch den Kontakt zu entsprechenden Muttersprachlern, sodass sie demnach auch mehr Übungsmöglichkeiten hätten. Dies könne wiederum einen Fortschritt in der zielsprachlichen Aussprache erklären: [I]f a person's sense of ethnolinguistic affiliation leads him or her to limit contact with members of another ethnolinguistic group, then it follows that he or she would have fewer occasions to be exposed to the language and thus fewer oppportunities to in‐ crease his or her profiency. (Segalowitz u. a., 2011, S. 174) Auch hierbei ist es also durchaus denkbar, dass sich ein Teil der gemessenen Effekte sich auf die Trainingsdauer zurückführen lässt. Die Ausführungen bezüglich der Rolle der Identität für den Ausspracheer‐ werb gelten jedoch nicht nur für „natürliche“ Sprachlernkontexte (den Erwerb im zielsprachlichen Ausland). Auch auf den institutionellen Fremdsprachenun‐ terricht bezogen kann die Einstellung der Zielsprachengemeinschaft gegenüber beziehungsweise auch die Verankerung in der eigenen Gemeinschaft den Aus‐ spracheerwerb beeinflussen. So schreibt Moyer (2014) in Berufung auf eine ethnographische Longitudi‐ nalstudie, die Miller in Australien durchgeführt hat, dass das Erlernen einer neuen Sprache immer - und explizit auch in institutionellen Kontexten - mit einer neuen Selbstverortung der Sprachenlernenden einhergeht: „The struggle to find one’s place vis-à-vis a new language applies to instructional contexts as well, even among younger learners” (S. 18). Mehrere Studien von Lefkowitz und Hedgcock hätten ergeben, so Moyer weiter, dass auch in institutionellen Kon‐ texten die enge Verbindung zwischen Aussprache und Identität negativ zum Tragen kommen könne, dass also manche Schülerinnen und Schüler absichtlich und bewusst eine falsche Aussprache wählten. Dies geschehe nicht zuletzt auch, um gegenüber den Klassenkameraden nicht durch eine allzu akkurate Aus‐ sprache aufzufallen - um also die eigene Zugehörigkeit zur Klassengemein‐ schaft nicht zu gefährden: Being reticent to speak, and exhibiting ‘resistance’ behaviours related to accent un‐ derscore the close connection between accent and identity. In an FL classroom, where the psychological stakes are relatively low by comparison to immersion contexts, some students purposefully mispronounce words to express solidarity with their peers. (Lefkowitz & Hedgcock 2002, 2006). (S. 18) Obgleich also eine zielsprachliche Aussprache für viele Lernenden ein wichtiges Ziel des Fremdsprachenunterrichts darstelle, sei dies eben für manche Schüle‐ rinnen und Schüler nicht der Fall. Sie fühlten sich durch die Tatsache, dass sie 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 58 <?page no="59"?> „fremd“ klängen und diesen Klang nicht mit ihrem Selbstbild vereinen könnten, gestört: So, where we might assume that classroom (FL) learners are motivated by a desire for accurancy, they may in fact be more responsive to the discomfort felt by sounding like ‘someone else’. (S. 18) Zusammenfassend lässt sich aus der Literaturrecherche schlussfolgern, dass der Erfolg des Ausspracheunterrichts ganz maßgeblich davon abhängt, dass Fremd‐ sprachenlernerinnen und -lerner sich einer „Selbstübersetzung“ öffnen und es schaffen, den Erwerb der fremdsprachlichen Aussprache als Bereicherung und positives Merkmal anzusehen. Dies bedeutet für die Lehrerinnen und Lehrer zum einen, dass sie danach trachten sollten, alle Faktoren auszuräumen, die eine solche positive Besetzung des zielsprachlichen Akzentes gefährden könnten. Wichtig ist in diesem Kontext insbesondere die Herstellung einer Lernatmos‐ phäre, in der Schülerinnen und Schüler die neuen Klänge „ausprobieren“ können, ohne um ihren Stand in der Klassengemeinschaft fürchten zu müssen (denkbar sind z. B. Imitations- und Rollenspiele, in denen die Lernenden bewusst fremde Figuren spielen - zunächst also nicht unter ihrer eigenen Identität „auf‐ treten“). Zum anderen bedeutet es jedoch, dass der Fremdspracheunterricht Lernsettings anbieten sollte, die ein authentisches interkulturelles Lernen favo‐ risieren. Idealerweise sollte dies auch durch Begegnungen mit Mitgliedern der Zielsprachengemeinschaft oder durch eine multimodale Konfrontation mit an‐ derskulturellen Elementen geschehen. Hilfreich im Sinne der Herausbildung einer transkulturellen identitären Ein‐ heit ist, wie Hallet (2013) beschreibt, der Einsatz von Aktivitäten, die autobio‐ graphische Akte darstellen können. Auch diese sollten „rekontextualisiert und in einen identitätsbildenden Kontext überführt, also authentifiziert werden“ (S. 64f.) - von den Schülerinnen und Schülern also nicht als schulische Sprech- oder Schreibübungen wahrgenommen werden. Für den Ausspracheunterricht können dies beispielsweise selbst aufgenommene und optimierte Podcasts, Hör‐ bücher, Lieder, Raps oder Slams sein (s. Abschnitt 6 der vorliegenden Arbeit). Ein weiterer Aspekt, dessen zentrale Bedeutung für den Ausspracheerwerb in zahlreichen Publikationen betont wird und der mit demjenigen der Identität stark verwoben ist, ist die Motivation. Dieser Aspekt soll im folgenden Abschnitt nochmals gesondert erörtert werden. 5.2.3.2 Motivation der Lernenden Seit langer Zeit gilt in der Sprachdidaktik die Rolle der Motivation der Lernenden als determinierend für den Sprachlernerfolg. Dabei kommt der Publikation von 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 59 <?page no="60"?> Gardner und Lambert (1959) eine richtungsweisende Bedeutung zu, da sie als erste die wichtige Rolle der Einstellung gegenüber der Zielsprachengemein‐ schaft für die Sprachlernmotivation betonten: We argue that an individual acquiring a second language adopts certain behavior patterns which are characteristic of another cultural group and that his attitudes to‐ ward that group will at least partly determine his success at learning a new language. (S. 267) Die Lernenden wünschten demnach eine enge Kommunikation mit den Mit‐ gliedern der zielsprachlichen Gemeinschaft, und dies könne gar in einen Wunsch nach einer vollständigen Integration in diese Gemeinschaft münden. Nach der kanadischen Arbeitsgruppe um Gardner lässt sich diese Motivation in verschiedene Komponenten aufteilen, von denen der integrativeness und der Einstellung gegenüber der Lernsituation eine besonders wichtige Rolle zu‐ kommt. Wie Ross (2015) anmerkt, stellt der Artikel von 1959 deshalb einen Perspek‐ tivenwechsel auf den Sprachlernprozess dar, weil er die affektiven Variablen des Sprachenlernens betont. Dies, so Ross weiter, steht in einem ausgeprägten Ge‐ gensatz zu den vorherigen fremdsprachendidaktischen Postulaten, die vor allem das individuelle Talent und die Intelligenz als für den Sprachlernerfolg verant‐ wortlich ansahen. Entsprechend läutete der Artikel in der fremdsprachendidak‐ tischen Motivationsforschung eine über Jahrzehnte andauernde Phase ein, die Ross als „sozial-psychologische Phase“ (social psychological phase) bezeichnet. Dem Konstrukt der integrativen Motivation wurde von Gardner noch eine andere Motivationsquelle an die Seite gestellt: die instrumentelle Motivation. Für Major (2001), der die Bedeutung dieser beiden Motivationsformen für die Aussprache diskutiert, lassen sich die Konstrukte folgendermaßen voneinander abgrenzen: An integratively motivated learner desires to become completely integrated into the L2 society and essentially wants to pass for native, which implies acquiring nativelike language proficiency; an instrumentally motivated learner wants to use the L2 in order to achieve very specific goals, for example, getting a job or passing the TOEFL. (S. 66) Das Motivationsmodell der Arbeitsgruppe um Gardner wird jedoch in der For‐ schung ungeachtet der Würdigung seiner Verdienste seit längerer Zeit durchaus auch kritisch diskutiert. Dörnyei (2009a) weist beispielsweise darauf hin, dass es trotz der großen Fülle an psychologischer und fremdsprachendidaktischer Forschung schwer zu fassen bleibe - er spricht von einem „Rätsel“ (S. 23). Problematisch sei, dass es, obgleich es ein für den Fremdsprachenerwerb so 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 60 <?page no="61"?> zentrales Konstrukt sei, in der allgemeinen Motivationsforschung oder in der allgemeinen Lernpsychologie kein Korrelat finde. Zudem sei der Begriff „inte‐ grativ“ zweideutig, da nicht deutlich werde, was das Ziel dieser Integration genau sei. Ergebe er in einem multikulturellen Lernsetting, wie es das heimische Québec Gardners darstelle, durchaus einen Sinn, sei dies für den institutionellen Fremdsprachenunterricht viel fragwürdiger. Besonders deutlich werde dies aktuell in der Entwicklung des Englischen zu einem Global World English. Sie führe das Konzept der integrativen Motivation ad absurdum, da sukzessive immer weniger eindeutig sei, worin die Zieliden‐ tität, in die man sich integrieren möchte, bestehe - es handle sich mehr um eine global identity, die sich als Zweitidentität neben die lokale stelle. Es fehle jedoch an einer spezifischen Zielsprachgemeinschaft, in die sich der Lerner integrieren könne: The language of this global identity is English, and from this perspective it is not at all clear who EFL (English as a foreign language) learners believe the ‘owner’ of their L2 is. This lack of a specific target community, in turn, undermines Gardner’s theo‐ retical concept of integrativeness. (Dörnyei 2009, S. 24) Dies bestätigt auch Ricento (2005), der darauf hinweist, dass die Annahme einer integrativen Motivation eine assimilationistische Identitätsauffassung impli‐ ziere. Diese sei angesichts der postmodernen Sozialforschung, die Sprachen‐ lerner wie bereits beschrieben eher als Patchwork-Identitäten (s. o.) auffassten, sehr diskutabel: One problem with these approaches is that they presuppose (often unwittingly) an exclusively assimilationist model in which the price of acceptance into a host culture is the loss of one's identity, or at least the adoption of dual identities. Another possi‐ bility […] is that identities in multilingual contexts are transformed, complex, dy‐ namic, and variable. (S. 897f.) Auch für Major (2001, S. 67) ist das Modell der kanadischen Arbeitsgruppe um Gardner trotz seiner Verdienste nicht unproblematisch. Auch ihm erscheinen die Konzepte nicht eindeutig (er bezeichnet sie als „nebulous“). Insbesondere sei die instrumentelle Motivationsform nicht immer so klar von der integrativen zu trennen, wie dies in den Publikationen Gardners suggeriert wird. Angesichts dieser durchaus nachvollziehbaren Einwände legt Dörnyei (be‐ schrieben bei Dörnyei, 2009a) eine aufwändige Longitudinalstudie mit 13000 ungarischen Fremdsprachenlernern (Zielsprachen waren Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch und Russisch) vor, in der unter anderen Konstrukten die integrative Motivation zu verschiedenen Zeitpunkten erhoben wurde. Die Er‐ 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 61 <?page no="62"?> gebnisse, die eine starke Korrelation der integrativen Motivation mit dem letzt‐ endlichen Lernerfolg beweisen, scheinen, so räumt Dörnyei ein, zunächst einmal zu beweisen, dass Gardners Modell trotz aller Einwände Bestand hat: […] Integrativeness was found to play a key role in L2 motivation, mediating the effects of all the other attitudinal/ motivational variables on the two criterion measures Lan‐ guage choice and Intended effort to study the L2. (Dörnyei, 2009a, S. 26) Angesichts dieser Diskrepanz zwischen den empirischen Ergebnissen und seiner Theorie, derzufolge das Konstrukt Gardners nicht vollständig plausibel sei, entwickelt Dörnyei ein eigenes Modell: die „fremdsprachliche Identität“ (the L2 Self). Die integrative Motivation entspricht in diesem Modell der idealen fremdsprachlichen Identität (the ideal L2 Self). Wenn zum idealen Selbstbild des Lernenden gehöre, dass man eine bestimmte Fremdsprache beherrscht, so sei er natürlich stark motiviert, diese Fremdsprache auch zu lernen - und sei unter anderem auch bereit, Zeit und Mühe in diesen Kompetenzaufbau zu investieren: [I]f our ideal self is associated with the mastery of an L2, that is, if the person that we would like to become is proficient in the L2, we can be described in Gardner’s (1985) terminology as having an integrative disposition. (Dörnyei, 2009a, S. 27) Für Dörnyei stellt dieses Modell jedoch keinen vollständigen Bruch mit der vorangegangenen Motivationsforschung dar. Es ergänzt diese vielmehr um den Aspekt der Veränderlichkeit. So weist er darauf hin, dass sich die ideal L2 Selves durchaus auch wandeln könnten. Entsprechend sei also - wie er es auch für das Talent postuliert - eine dynamische Sicht auf den Fremdsprachenerwerb von‐ nöten: As a result of these considerations, I have recently proposed the adoption of a new dynamic systems perspective on individual differences (Dörnyei 2009b), according to which individual variation in performance is not so much a function of the strength of any individual determinant (e.g., aptitude or motivation) as of the way by which the complex system of all the relevant factors works together. (Dörnyei, 2010, S. 253) Damit läutet Dörnyei, wie Ross (2015) in seinem Überblicksartikel darstellt, zu‐ nächst eine prozess-orientierte, später dann die bis heute andauernde soziodynamische Phase der Sprachererwerbsforschung ein. Dass die Bedeutung der verschiedenen Motivationsformen auch für den Aus‐ spracheerwerb gilt, ist nicht im gleichen Maße eindeutig, wie es dies für den allgemeinen Sprachlernerfolg zu sein scheint. In einer Studie von Smit (2002) konnte beispielsweise kein klarer Zusammenhang zwischen Motivation und Ausspracheleistung gezeigt werden. Jedoch geben Martinsen, Alvord und 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 62 <?page no="63"?> Tanner (2014) zu Bedenken, dass den Studien, die keine Korrelation zwischen Aussprache und Motivation ermitteln können, oftmals andere Operationalisie‐ rungen des Konstruktes „Motivation“ zugrunde liegen, als dies bei den von Gardner und Lambert beeinflussten der Fall war: So wurde die Motivation bei‐ spielsweise als „Wille, eine genaue, normgetreue Aussprache zu erreichen“ de‐ finiert (Martinsen u. a., 2014, S. 68). Dass dies nicht dem oben beschriebenen Konstrukt entspricht, liegt auf der Hand. Demgegenüber postuliert Moyer (2014), dass eine Übertragung der allge‐ meinen Sprachlernergebnisse auch auf den Aussprachebereich möglich sei. Sie erklärt, dass die Motivation, obgleich sie natürlich nicht hinreichend sei, in jedem Fall eine notwendige Bedingung für den Erwerb einer guten Aussprache darstelle: While no one would claim that all who wish to sound native-like can attain their goal, those who do end up sounding native-like surely have sought this consciously, for without a deep desire to affiliate with the L2 group, pronunciation skills are unlikely to develop past a point of reasonable intelligibility. (S. 19) Es scheint tatsächlich plausibel, dass die Aussprache keine Ausnahme innerhalb der Sprachlernkompetenzen darstellt und dass die Motivation für ihren Erwerb eine wichtige Rolle spielen könnte. Aus der dieser Arbeit zugrundeliegenden fremdsprachendidaktischen Pers‐ pektive ergeben sich aus der Literatur folgende Schlussfolgerungen. Es sind ei‐ nige Motivationsmerkmale von höchster Wichtigkeit, die sich in allen ge‐ nannten Modellen finden lassen. Zum einen ist dies die Tatsache, dass sowohl die integrative als auch die instrumentelle Motivation von großer Bedeutung für den Sprachlernerfolg ist. Wie Abendroth-Timmer (2007) jedoch anmerkt, läuft ein institutioneller Unterricht, der ausschließlich auf dem „Nützlichkeits‐ motiv“, der instrumentellen Motivation also, gründe, „Gefahr, Lernende in ihrem aktuellen motivationalen Zustand nicht zu erreichen.“ (S. 55). Es sei demnach von großer Wichtigkeit, den Lernenden neben langfristigen Perspektiven auch kurzfristige Motive für die Aussprachearbeit zu liefern. Diese können für den Aussprachebereich beispielsweise in Videokontakten (z. B. über Skype oder ähnlichen Programmen) oder gar realen Begegnungen bestehen, beziehungs‐ weise in der Produktion von Audiodateien für Muttersprachler (z. B. einen Au‐ dioguide der eigenen Schule/ Stadt …). Ein weiterer für die Fremdsprachendidaktik wichtiger Aspekt der Motivation ist die Tatsache, dass diese einer Veränderlichkeit unterliegt, dass es also möglich und erstrebenswert ist, auch scheinbar unmotivierte Schülerinnen und Schüler zu aktivieren, indem die Lehrerin oder der Lehrer die für diese Lernenden wirk‐ 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 63 <?page no="64"?> samen Motivationsmechanismen aufdeckt. Dies ist in solchen Lernsettings be‐ sonders gut möglich, die sich durch Multimodalität und eine Vielzahl verschie‐ dener Themenbereiche auszeichnen und die Schülerin beziehungsweise den Schüler in ihrer beziehungsweise seiner Individualität wahrnehmen. 5.2.3.3 Das Geschlecht der Lernenden Ein weiterer, oftmals vernachlässigter Aspekt, der stark mit der Motivation in‐ teragiert, die französische Sprache allgemein und ihre Aussprache insbesondere zu erlernen, ist das Geschlecht der Sprachenlernenden. So weist Moyer (2013) darauf hin, dass es ein gesamtgesellschaftlicher Allgemeinplatz sei, dass Mäd‐ chen und Frauen insgesamt bessere Fremdsprachenleistungen erzielen als Jungen und Männer. Sie beklagt jedoch, dass es zu wenige Studien gebe, die einerseits diese klischeehafte Annahme auf Konsistenz überprüften und ande‐ rerseits explizit den Zusammenhang von Ausspracheleistung und Geschlecht zum Gegenstand hätten. Diejenigen Studien, die vorlägen, beleuchteten die Frage aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln, die verschiedene und teilweise widersprüchliche Ergebnisse generierten: • Neurokognitive Untersuchungen, die geschlechtsbezogene Unterschiede in der Sprachverarbeitung erforschen • Studien zu einer Konditionierung durch (soziale) Geschlechterrollen Die neurokognitiven Untersuchungen hielten für mögliche Geschlechtsunter‐ schiede, so Moyer (2013) in ihrem Forschungsüberblick, verschiedene Erklä‐ rungen bereit. Diese reichten von der Annahme einer unterschiedlichen neu‐ ronalen Sprachverarbeitung über die Vermutung, hormonelle Einflüsse wirkten auf die Fähigkeit zur Phonemdiskrimination, bis hin zur Hypothese, derzufolge die gesamte neuronale Struktur bei Männern und Frauen jeweils spezifische Charakteristika aufweise. Unstrittig sei jedoch insgesamt nur ein einzelner geschlechtsbezogener neuronaler Unterschied: „Males appear to be LH (left hemisphere) dominant during many language processing tasks while females are bilateral processors by comparison“ (S. 59). Mittels bildgebender Verfahren (PET) konnte in einer Studie nachgewiesen werden, dass Frauen bei der Diskriminierung von Homo‐ phonen beide Gehirnhälften aktivieren. Weiterhin werde verschiedentlich dis‐ kutiert, ob diese beidseitige Form der Sprachverarbeitung Frauen in besonderem Maße dazu befähige, die emotionale Bedeutung prosodischer Merkmale zu er‐ kennen. Insgesamt sei jedoch die Studienlage nicht dazu geeignet, über eine Hypothesengenerierung zum Zusammenhang zwischen neuronaler Struktur und Ausspracheleistung hinauszugehen (ebd.). 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 64 <?page no="65"?> Die soziologisch orientierte Forschung wirft darüber hinaus die Frage auf, ob mögliche geschlechtsbezogene Unterschiede nicht eher dem Rollenverständnis und den daraus resultierenden Sprachpräferenzen und Motivationen der Lern‐ enden geschuldet seien (Überblick s. Schmenk, 2016). Entsprechend nennt Major (2001, S. 76) in seinem Überblick elf verschiedene Arbeiten für unterschiedliche Muttersprachen, die nachweisen, dass Männer insgesamt familiärere phonolo‐ gische Formen (casual phonological forms) als Frauen (prestige forms) bevor‐ zugen. Dieser Unterschied sei auch bei Fremdsprachenlernenden zu beobachten, wenn auch die Studienlage noch beklagenswert lückenhaft aussehe: „In SLA there are very few studies on gender differences in phonology, as opposed to a wealth of studies on non-phonological differences“ (S. 76). Trotzdem, so Major weiter, sei es sehr plausibel anzunehmen, dass das Geschlecht auch mit der Ausspracheleistung korreliert. Etwa eine Dekade später kommt Hansen Edwards (2014) zum gleichen Er‐ gebnis. Auf der Grundlage einer gründlichen Analyse der vorliegenden Studien zum Verhältnis des Geschlechts der Lernenden mit dem Sprachlernerfolg kommt sie zum Schluss, dass die Aussprache beziehungsweise der Sprachklang einer bestimmten Fremdsprache mit der Repräsentation der eigenen Geschlechter‐ rolle kollidieren könne (S. 59). Sie verweist auf eine Studie von Ohara (2001), die zeigte, dass einige amerikanische Japanischlernerinnen bestimmte Betonungs‐ muster des Japanischen bewusst vermieden, obgleich sie diese in Übungen kor‐ rekt zu artikulieren gelernt hatten: „These women felt that using the high pitch when speaking Japanese would convey a ‘submissive’ or ‘cute’ identity” (Hansen Edwards, 2014, S. 59). Moyer (2013, S. 60) weist darauf hin, dass Fremdsprachenlernerinnen insge‐ samt - so nähmen es zahlreiche Forscher an - einer korrekten Aussprache einen größeren Stellenwert beimäßen als dies Fremdsprachenlerner täten; sie seien entsprechend motivierter, Zeit in entsprechende Übungen zu investieren. Frauen seien auch oftmals motivierter eine normgerechte Aussprache zu er‐ lernen, weil sie sich eher mit der zielsprachlichen Gemeinschaft identifizierten, so eine Studie, die Polat und Mahalingappa (zitiert bei Moyer 2013, S. 61) mit 121 kurdischen Türkischlernern durchgeführt hatten. Jungen und Männer orientierten sich demgegenüber eher an Mitgliedern der gleichen ethnolingu‐ istischen Gruppe. Diese Einstellung habe in der Studie mit einem ausgepräg‐ teren Akzent korreliert, was mit der bereits beschriebenen Forschung zu Iden‐ titätsaspekten und integrativer Motivation in Übereinstimmung zu bringen ist. Wie die Autoren der Studie jedoch berechtigterweise anmerken, ist fraglich, ob sich die besondere ethnolinguistische Konstellation (Kurdisch-Türkisch), die der 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 65 <?page no="66"?> Untersuchung zugrunde lag, auf jeden institutionellen Sprachlernkontext über‐ tragen lässt. Der Frage nach der Rolle des Geschlechts für den Sprachlernerfolg im Fran‐ zösischunterricht in germano- und anglophonen Ländern geht Grein (2012) nach. Ausgangspunkt seiner Untersuchung sind folgende, in verschiedenen Studien belegte Feststellungen: In Deutschland wählten weniger Jungen Französisch als Unterrichtsfach oder wählten das Fach eher wieder ab. Darüber hinaus zeigten Studien von Bittner (2003) und Schröder-Sura et al. (2007), dass Jungen insgesamt weniger motiviert seien, Französisch zu lernen als ihre Klassenkameradinnen. Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland bei Jungen offenbar Motiva‐ tionsmangel für und Desinteresse am Französischunterricht vorliege, beklagt Grein (2012), dass diese Faktoren nur in angelsächsischen Ländern - und ins‐ besondere in Großbritannien - Gegenstand der Forschung seien. Die dort durchgeführten Studien zeigten gleichwohl, dass dem Französischen eine Son‐ derrolle zukomme: Zwar sei die Zahl der Fremdsprachenlernenden in Ländern mit Englisch als Erstsprache allgemein gering. Dennoch gelte Französisch als besonders problematisch. Aus diesen wenigen Studien, resultiere somit eine eindeutige Forderung nach einem boy turn im Französischunterricht. Verantwortlich für diese „Jungenkrise im Französischunterricht“ sei die Re‐ präsentation des Französischen als „Frauensprache“. So stellen Carr und Pau‐ wels (zitiert bei Grein, 2012, S. 171) fest: „French appears to have the monopoly on femininity”. Diese Aussage können die Williams, Burden und Lanvers (2002) in ihrer Interviewstudie untermauern, die im Titel das Zitat eines Schülers trägt, der Französisch als „[t]he language of love and stuff “ bezeichnet. Für Deutsch‐ land kann dies Holder (2005, S. 108) in seiner Studie zur Leistungsmotivation im Fremdsprachenunterricht bestätigen, der in Berufung auf eine Studie von Bau‐ mert festhält, dass Französisch das bei Schülern unbeliebteste Fach sei, wohin‐ gegen Schülerinnen eine Abneigung gegen Physik manifestierten. In jeder Schulstufe, insbesondere aber bei der Wahl von Leistungskursen und beim Fachwahlverhalten, fungierten Physik und Französisch als „die eigentli‐ chen Exponenten geschlechtsspezifischer Vorlieben und Abneigungen.“ (Bau‐ mert 1992 S. 101, zitiert bei Holder 2005, S. 108). Auch die TIMSS-Studie habe ergeben, dass sowohl männliche als auch weibliche Lernende „die stark polari‐ sierenden Fächer [gemeint sind Physik und Französisch, Anm. C.A.] ge‐ schlechtstypisiert“ wahrnähmen. Dabei weise die TIMSS-Studie darauf hin, so Holder weiter, dass die polare Stereotypisierung vom 6. bis zum 8. Schuljahr deutlich zunehme (S. 108). 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 66 <?page no="67"?> Angesichts der Tatsache, dass im deutschsprachigen Raum im Vergleich zur angelsächsischen Forschung nur wenige Studien zum Problem der femininen Repräsentation der französischen Sprache vorliegen, fordert Grein (2012) eine Verschiebung des Publikationsfokus: Während anglophone Studien auf ein historisch eindeutig feminin konnotiertes Bild Frankreichs, der Franzosen (Rosenthal 1999) und der französischen Sprache (Cohen 2010) hinweisen, bleibt in deutschen Veröffentlichungen der Fokus auf den Themen Küche, Krieg, Sport und Urlaub (vgl. Krauskopf 1997, 2008; Kühn 2000; Schumann 2008; Weis 2009). (S. 172) Er weist darauf hin, dass in Deutschland teilweise sogar eine Umdeutung qua‐ litativ erhobener Ergebnisse stattfinde. So hätten bei einer Befragung bayrischer Schülerinnen und Schüler zahlreiche Probanden die Äußerung getätigt, Fran‐ zösisch erscheine ihnen „schwul“. In der Analyse und Interpretation der Daten sei diese Äußerung dann jedoch mit der Kategorie „schwer“ gleichgesetzt und entsprechend kodiert worden (S. 172). Zwar beziehen sich Greins Ausführungen auf den Französischerwerb insge‐ samt, nicht speziell auf die Aussprache. Dennoch ist die Aussprache natürlich Teil der Sprachkompetenz und aufgrund ihres klanglichen Charakters, der eine Exposition des Sprechenden impliziert, sicherlich in besonderem Maße von dieser Problematik betroffen. Deutlich wird dies auch in dem von Grein ange‐ führten Beispiel, in dem Schülerinnen und Schüler das Französische als wenig maskuline Sprache bezeichnet hatten. Hier liegt die Vermutung sehr nahe, dass sich diese Wertung nicht zuletzt auch auf den Klang, phonetische Aspekte also, bezog. Grundsätzliche methodische Probleme der Forschung zum Zusammenhang von Ausspracheleistung und Geschlecht - sei sie nun neuro- oder soziolingu‐ istisch orientiert - nennt Moyer (2013, S. 61). So erhielten Jungen von ihren Lehrerinnen und Lehrern in anderer Weise Feedback zu ihren Ausspracheleis‐ tungen als ihre Mitschülerinnen. Dies könne sowohl ihre Motivation, sich zu verbessern, als auch ihre sprachlichen Leistungen insgesamt stark vermindern. Weiterhin unterscheide sich die Reaktion der Jungen auf die von den Lehrper‐ sonen gewählten Lernsettings von denen der Mädchen, was ebenfalls ihren Aussprachelernerfolg beeinflussen könne. Schließlich könne das Alter der Pro‐ banden eine Rolle für die Studienergebnisse spielen, da die Mehrzahl der Unter‐ suchungen an Jugendlichen durchgeführt worden sei. Hier liege das durch‐ schnittliche Entwicklungsalter der Jungen - insbesondere der Fortschritt der Pubertät - im Durchschnitt weit hinter dem der Mädchen zurück. Insbesondere 5.2 Einflussfaktoren des Aussprachelernens 67 <?page no="68"?> für die Messung der Ausspracheleistung, die mit z. B. der situationsbezogenen Ängstlichkeit korreliert, könne diese Differenz stark ins Gewicht fallen. Möglicherweise seien daher die scheinbar geschlechtsbezogenen Unter‐ schiede teilweise auf Unterschiede im Lehrerverhalten oder den Unterrichts‐ settings und in der (körperlichen und geistigen) Entwicklung zurückzuführen. Auch Christ (2015, S. 37f.) betont, dass die schriftsprachliche Ausrichtung des Französischunterrichtes alle Schüler abschrecke, insbesondere aber auch Jungen benachteilige, die in der mündlichen Sprachproduktion meist erfolgreicher seien als in der schriftlichen. Für die vorliegende Arbeit lässt sich demnach festhalten, dass für den Aus‐ spracheerwerb Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Lernenden messbar sind. Obgleich sich nicht klären lässt, ob diese Unterschiede genetisch, soziologisch oder auch durch Unterrichtsmechanismen bedingt sind, lässt sich aus den vorliegenden Studien schlussfolgern, dass es im Einflussbereich der Lehrerinnen und Lehrer liegt, speziell die Jungen beeinträchtigende Faktoren möglichst auszuschließen. Dies könnte durch eine Arbeit an der (femininen) Repräsentation der französischen Sprache, eine Anpassung und Variation der Lernsettings sowie durch ein gezieltes Feedback, das auch die Jungen einbezieht, geschehen. 5.2.4 Übersichtsdarstellung der beschriebenen Einflussfaktoren In der Forschung werden - wie oben beschrieben - verschiedene Faktoren dis‐ kutiert, die Einfluss auf das Erlernen einer fremdsprachlichen Aussprache nehmen. In Abb. 1 erfolgt eine Übersichtsdarstellung dieser Faktoren mit gra‐ fischer Andeutung der diskutierten Interaktionen zwischen den Einzelfaktoren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass lediglich diejenigen Aspekte dargestellt werden, die im institutionellen Ausspracheunterricht auch tatsächlich zum Tragen kommen. Anders als im Kontext des natürlichen Fremdsprachenerwerbs (zum Beispiel im Rahmen von Auslandsaufenthalten oder durch Immigration) sind für die schulische Instruktion in der Regel weder die Aufenthaltsdauer im Zielsprachenland noch die (unterrichtliche) Inputmenge relevante Variablen, da sich die Schülerinnen und Schüler diesbezüglich nur geringfügig unterscheiden (siehe Kissling, 2014). Auch die Nähe der Muttersprache zur Zielsprache, die grundsätzlich eine wichtige Einflussgröße für den Ausspracheerwerb darstellt, ist für den schulischen Kontext zumeist nicht bedeutsam, da die Lernenden in der Regel eine gemeinsame Mutter- und Ausgangssprache haben. Ist dies nicht der Fall, muss dies von den Lehrpersonen ebenfalls berücksichtigt werden. 5. Bedingungen für den Ausspracheerwerb 68 <?page no="69"?> Abb. 1: Einflussfaktoren auf den Ausspracheerwerb im institutionellen Kontext 5.3 Konsequenzen für den Französischunterricht Die oben dargestellten Faktoren, die den Ausspracheerwerb beeinflussen, sind verschiedenen Ursprungs. Obwohl sie einzeln dargestellt und beforscht werden, ist es - wie DeKeyser und Juffs (2005) darstellen - sehr plausibel anzunehmen, dass sie vermutlich stärker interagieren als dies bislang vermutet wurde. Ent‐ sprechend fordern die beiden Autoren eine Vertiefung der Forschung zu dieser Schnittstelle. Nahezu alle Studien, die sich mit den Aussprache- oder allgemein mit den Fremdspracheerwerb beeinflussenden Faktoren beschäftigen, kommen zu dem Schluss, dass es wichtig und möglich sei, im Rahmen des Fremdsprachenunter‐ richts durch eine gezielte Wahl bestimmter Unterrichtssettings und -themen darauf Einfluss zu nehmen. Entsprechende Ansätze wurden im vorangegan‐ genen Abschnitt vorgestellt. Oftmals wird dies jedoch im Unterricht voll‐ kommen vernachlässigt - auch hier sind sich die meisten Autoren einig. Mittlerweile existiert eine große Anzahl zumeist quasiexperimenteller Studien zu wirksamen aussprachebezogenen Lernmethoden und Unterrichtsprinzipien. Ihre Ergebnisse sollten die Basis für eine evidenzbasierte Ausspracheschulung bilden und sollen im Folgenden zusammengefasst dargestellt werden. 5.3 Konsequenzen für den Französischunterricht 69 <?page no="71"?> 6 Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts 6.1 Allgemeine Forschungsergebnisse In den letzten 20-25 Jahren hat die Publikationsdichte zum Thema der Wirk‐ samkeit verschiedener Aussprachetrainingssettings - insbesondere im eng‐ lischsprachigen Raum - stark zugenommen. Eine wichtige Erkenntnis war dabei, dass sich die Stärke des Akzentes nicht „automatisch“ durch die Menge an allgemeinem Fremdsprachenunterricht verringert (Piske u. a., 2001). Wenn‐ gleich es einigen wenigen Lernenden gelingt, die zielsprachliche Aussprache „intuitiv“, also ohne explizite Instruktion zu erlernen, ist dies bei der Mehrzahl nicht der Fall (Mordellet-Roggenbuck, 2002; Saito, 2011; Sturm, 2013). Umge‐ kehrt konnte gezeigt werden, dass eine gezielte Ausspracheinstruktion ganz allgemein bei allen Lernenden zu einer Verbesserung der Aussprache führt (Champagne-Muzar u. a., 1993; Lord, 2008; Piske u. a., 2001; Saito, 2012). Dies reicht von einer Verbesserung der Gesamtverständlichkeit (Lord, 2008; Saito, 2012) bis hin zu einer starken Reduktion des fremdsprachlichen Akzentes (Champagne-Muzar u. a., 1993). Das Ausmaß dieser Verbesserung ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die in der Person des Lernenden begründet liegen, wie dies bereits in Abschnitt 5 der vorliegenden Arbeit beschrieben wurde. Darüber hinaus jedoch ist die Beschaffenheit des gewählten Unterrichtssettings von großer Bedeutung, da diese einerseits den Einfluss der individuellen Unterschiede abmildern können und andererseits im Sinne einer ökonomischen Nutzung der Unterrichtszeit größtmöglichen Erfolg erwarten lassen. Im Folgenden soll unter Berücksichti‐ gung dieser Gesichtspunkte beschrieben werden, wie ein effektiver, evidenzba‐ sierter Ausspracheunterricht aussehen sollte. 6.2 Einzelfaktoren der Effizienz 6.2.1 Aussprachebewusstsein Für den erfolgreichen Ausspracheerwerb ist es zunächst einmal nötig, dass die Lernenden ein Bewusstsein für die Bedeutung und die Lernmechanismen der <?page no="72"?> 1 Aussprachebewusstsein oder pronunciation awareness wird im Folgenden in der Defini‐ tion von Kennedy, Blanchet & Trofimovitch (2014) verwendet und bezeichnet „learners’ conceptions of how pronunciation is acquired and how pronunciation patterns help speakers convey intended meanings in the L2” (S. 80). Aussprache, ein Aussprachebewusstsein 1 , entwickeln: Nur so ist gewährleistet, dass sie auf eine Verbesserung ihrer eigenen Aussprache überhaupt Wert legen. Dass dies bei Lernenden nicht automatisch gegeben ist, zeigen verschiedene Studien. Die Studierenden, die an Reinkes (2007) Studie teilnahmen, wiesen zu‐ nächst die Notwendigkeit einer Aussprachekorrektur von sich, wenn Verständ‐ lichkeit gegeben war: Dennoch waren die Studierenden anfangs nicht überzeugt von der Notwendigkeit einer Fehlerkorrektur, da die Sprecherin doch trotz der phonetischen Abweichungen gut zu verstehen sei und stolz darauf sein könne, überhaupt so gut Deutsch zu spre‐ chen. Außerdem wirke der Akzent doch richtig niedlich. (S. 1) Reinke konnte ein Überdenken dieser Position erst erreichen, nachdem sie die Studierenden zur Reflektion über die möglichen Nachteile einer solchen Kon‐ notation der Sprache veranlasst hatte. In ähnlicher Weise zeigten sich Studentinnen und Studenten in einer Studie von Hwang, Brennan und Huffman (2015) eher bereit, sich zu bemühen, ziel‐ sprachliche Phoneme korrekt zu artikulieren, wenn ihnen bewusst gemacht worden war, welche kommunikative Bedeutung diese Phoneme haben und dass eine Fehlartikulation zu Missverständnissen führen kann. Über die Übermitt‐ lung einer sprachlichen Nachricht hinaus kann ein erhöhtes Aussprachebe‐ wusstsein bei Schülerinnen und Schülern dazu führen, dass sie der interkultu‐ rellen Bedeutung verschiedener prosodischer beziehungsweise diskursiver Merkmale des Französischen gewahr werden (Luchini, 2012; Müller, 2011, 2013). Um ein solches Aussprachebewusstsein zu fördern, sollte der Unterricht eine entsprechende Ausrichtung favorisieren. Er sollte etwa - so beispielsweise Kramsch (1987) - über die Schriftsprachlichkeit der üblichen Unterrichtssprache und insbesondere über die gängige Frage-Antwort-Interaktion hinausgehen, um die diskursiven Regeln der Zielsprache einzuüben: [We should] use the unique literate environment of the classroom to reflect con‐ sciously and explicitly on interaction processes in various social contexts. (S. 248) Dies könne erreicht werden, indem der Ausspracheunterricht seinen Gegen‐ stand, wie Müller (2013) fordert, als pronunciation-as-language definiere, als Mittel also, Subjektivität, Wünsche, Wahrnehmungen und Identitätsfacetten 6 Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts 72 <?page no="73"?> (S. 216) zu transportieren. Müller schlägt zur konkreten Umsetzung folgende Methoden vor: • Das Rezitieren verschiedener Textgattungen (beispielsweise Gedichte oder Werbungen) in verschiedenen Stimmungslagen, als verschiedene Charaktere, in unterschiedlichen Situationen • Rollenspiele, die beispielsweise interkulturelle Begegnungen zum Ge‐ genstand haben können • Analyse von aussprachebedingten Missverständnissen/ Wortspielen in Literatur und Film Auf diese Weise, so Müller weiter, könnten die Lernenden „experience the dis‐ cursive and social effects of individually different pronunciations and discover how they can give voice to their kaleidoscope of identity facets through pro‐ nunciation” (S. 225). Eine solche reflexive Ausrichtung des Ausspracheunter‐ richts könne darüberhinaus dazu beitragen, die Entwicklung einer Sprechangst zu verhindern und bei der Schülerin oder dem Schüler die Herausbildung eines aussprachebedingten negativen Selbstbildes zu vermeiden: A consistent incorporation of these approaches into language teaching may help pre‐ vent the formation of speaking inhibitions and negative self-images based on pro‐ nunciation difficulties. (S. 226) Diese Forderung nach der reflektiven Arbeit mit (aus)sprachebedingten Miss‐ verständnissen erhebt auch Schumann (2010), die in ihrem Aufsatz den Einsatz von Critical Incidents im Französischunterricht als sinnvoll erachtet: Critical Incidents sind interkulturelle Missverständnisse, die durch differente Wahr‐ nehmungs- und Verhaltensmuster in der Kommunikation auftreten können. Das Ver‐ halten des fremdkulturellen Partners wird aus der eigenen Perspektive wahrge‐ nommen und entsprechend gedeutet. Dabei können erhebliche Fehldeutungen auftreten: Deutsche empfinden Franzosen z. B. als überaus unhöflich, wenn sie ihnen ins Wort fallen und Franzosen fühlen sich von dem direkten Kommunikationsstil der Deutschen leicht brüskiert. (S. 28) Ab dem zweiten Lernjahr, so Schumann weiter, sei es möglich, Kommunikati‐ onserwartungen mit den Schülerinnen und Schüler auf diese Weise zu analy‐ sieren und zu reflektieren. Die Wirksamkeit einer solchen Vorgehensweise spe‐ ziell im Ausspracheunterricht konnte Luchini (2012) anhand einer quasiexperi‐ mentellen Studie belegen, in welcher die Treatment-Gruppe Dialoge analysieren sollte: Diese wiesen die Besonderheit auf, dass es in ihnen aufgrund aussprache‐ bedingter Missverständnisse zu Kommunikationsproblemen kam. 6.2 Einzelfaktoren der Effizienz 73 <?page no="74"?> Die zentrale Bedeutung von Reflexionsaufgaben zur Herausbildung der „pho‐ netischen Motivation“ betonen auch Kennedy, Blanchet und Trofimovich (2014). Ihrer Ansicht nach könnten im Fremdsprachenunterricht Lerntagebücher und Gruppendiskussionen eingesetzt werden, in denen Lernerinnen und Lerner ihre Erfahrungen und Probleme mit Missverständnissen dokumentieren. Für die Vermittlung der Aussprache im Kontext des deutschen Französisch‐ unterrichtes der Sekundarstufen wäre eine entsprechende Arbeit mit ausspra‐ chebedingten Kommunikationsproblemen bereits ab dem ersten Lernjahr denkbar: So wäre eine entsprechende Erweiterung der traditionellen auf Mini‐ malpaaren basierenden Diskriminationsübungen (z. B. zu den Nasallauten) um ein „kommunikatives Moment“ möglich. Es könnten Kurzdialoge verwendet werden, in denen beispielsweise die Ausländerin/ der Ausländer: „Je vais r[õ]nger ma chambre“ anstatt von „Je vais r[-]nger ma chambre“ sagt. Die daraus erwachsende Komik kann bereits Anfänger davon überzeugen, dass eine kor‐ rekte Artikulation der Nasallaute nicht nur stilistischen Nutzen hat, sondern ganz unmittelbar von kommunikativer Bedeutung ist. Die grundsätzliche Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichtes sollte also der Aussprache eine angemessene Bedeutung beimessen: Die Lernenden sollten sich der Tatsache bewusst werden, dass es aus verschiedenen Gründen ein er‐ strebenswertes Ziel sein kann, eine gute Aussprache zu erwerben (Mordellet- Roggenbuck, 2017). Dazu ist es - wie Lauret (2011, S. 22) erläutert - jedoch un‐ abdingbar, dass die Lehrerin beziehungsweise der Lehrer die Aussprache auch eindeutig als Lernziel benennt. So hätten die Arbeiten des Psychologen Robert Rosenthal deutlich gezeigt, dass die Erwartungen des Lehrenden unweigerlich die Leistungen des Lernenden beeinflussen. Dass jedoch oftmals die Aussprache nicht als Lernziel benannt wird, belegt er am Beispiel verschiedener Studen‐ tinnen und Studenten, die ihm berichteten, ihre jeweiligen Lehrpersonen hätten ihnen explizit davon abgeraten, sich allzu umfänglich mit der Aussprache zu befassen. Vielmehr sei Ihnen empfohlen worden, sich zunächst auf vermeintlich wichtigere Kompetenzen (Grammatik oder Lexik) zu konzentrieren - die Aus‐ sprache komme dann später von alleine: J’ai demandé à ma professeur de français de me conseiller quelque chose pour amé‐ liorer ma prononciation, à quoi elle m’a répondu que ce n’était pas du tout grave, qu’il valait mieux que j’accorde attention à la grammaire, qu’un accent ne peut pas être supprimé, et qu’à la fin, c’est charmant… Donc, j’ai laissé tomber… (Lauret, 2011, S. 22) 6 Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts 74 <?page no="75"?> 6.2.2 Noticing und Diskriminierung Ist bei den Lernenden das Bewusstsein dafür entstanden, dass eine gute Aus‐ sprache im Fremdsprachenunterricht ein wichtiges und würdiges Lernziel dar‐ stellt, müssen sie in die Lage versetzt werden, die zielsprachlichen phonetischen Phänomene überhaupt zu erkennen. Dies impliziert, dass der Ausspracheunterricht Lernsettings beinhaltet, die die die fokussierte Aufmerksamkeit der Lernenden auf die neuen Strukturen richtet, dass er sich also nicht implizit an behavioristischen Spracherwerbstheo‐ rien orientiert. Diesen liegt das Postulat zugrunde, dass eine Fremdsprache nicht aktiv gelernt, sondern vielmehr passiv - durch das Verarbeiten von Sprachsti‐ muli - „erworben“ werde. Als Resultat verschiedener psychologischer und psycholinguistischer Studien wurde jedoch offenbar, dass das Bewusstsein beziehungsweise das bewusste Lernen für den Fremdsprachenlernprozess durchaus von größerer Bedeutung ist, als dies von der behavioristisch geprägten Linguistik zuvor angenommen worden war. Über den notwendigen Grad der Bewusstmachung herrscht jedoch bis heute Uneinigkeit. Wie Schmidt (1990, S. 132f.) darlegt, gibt es zudem un‐ terschiedliche Bewusstseinsgrade, die den Fremdsprachenerwerb beeinflussen: • Perception/ Wahrnehmung: Die Wahrnehmung eines Phänomens, so Schmidt, impliziere die Fähigkeit, eine interne Repräsentation einer Ge‐ gebenheit zu bilden. Jedoch seien Wahrnehmungen dem Subjekt nicht notwendigerweise bewusst. • Noticing/ Erkennen: In der Definition von Mehlhorn und Trouvain (2007, S. 6) ist damit „das Erkennen spezifischer - in unserem Falle prosodi‐ scher - Strukturen der Zielsprache als Ergebnis fokussierter Aufmerk‐ samkeit“ gemeint. • Understanding/ Verstehen: Kognitive Operationen, die auf der Grundlage des Noticing stattfinden können; Schmidt (1990, S. 132f.) führt beispiels‐ weise die Analyse oder den Vergleich verschiedener „erkannter“ Daten an. Zu diesem Bewusstseinsgrad zählt er auch Problemlösefähigkeit oder Metakognition. Wie Mehlhorn und Trouvain (2007, S. 5) schlüssig darlegen, ist es für den Aus‐ spracheerwerb notwendig, dass ein Noticing der neuen Lautphänomene stattfindet. So erläutern sie bezugnehmend auf Trubetzkoys Theorie des pho‐ nologischen Siebes, demzufolge fremdsprachliche Laute zunächst einem vermeintlich gleichen muttersprachlichen Prototyp zugeordnet werden, dass bei der Schülerin beziehungsweise dem Schüler „eine perzeptuelle Reorganisation von phonologischen Kategorien“ stattfinden müsse, um einen Ausspracheer‐ 6.2 Einzelfaktoren der Effizienz 75 <?page no="76"?> werb überhaupt zu ermöglichen. Darüber hinaus sei es - abhängig von Reife und Alter der Schülerinnen und Schüler - wünschenswert, auch den nächsten Schritt, das Understanding, anzustreben. Dafür, so Hirschfeld (2001), sei es zweckmäßig, den Unterricht insgesamt systematisch anzulegen: Anstatt bei‐ spielsweise im Einzelfall die (falsche) Betonung der Schülerin oder des Schülers zu korrigieren, sei es wirksamer, den accent de groupe als phonetisches Phä‐ nomen bewusst zu machen. Da es sich im deutschen Schulkontext meist um sprachlich homogene Gruppen handelt, sei darüber hinaus auch eine kontrastive Herangehensweise (z. B. bei der Behauchung der Plosive im Deutschen) denkbar. Um ein Noticing zu gewährleisten, sind insbesondere solche kognitivierende Verfahren geeignet, die die Aufmerksamkeit der Lernenden auf das zu erwer‐ bende phonetische Phänomen richten. Für das Erlernen der zielsprachlichen Prosodie könnten beispielsweise Visualisierungen (Prominenzmuster in Form von Punkten oder Dreiecken über den zu betonenden Silben, Fett- oder Groß‐ druck der Betonungen, die Benutzung des IPA etc.) oder Melodie-Notierungen im Vier-Linien-System nutzbar gemacht werden. Whipple, Cullen, Gardiner und Savage (2015) konnten darüber hinaus zeigen, dass für den Einsatz im univer‐ sitären Bereich Computerprogramme wie beispielsweise Praat sinnvoll sein können, die ebenfalls unter anderem eine Visualisierung der zielsprachlichen Prosodie ermöglichen. Damit sind ihre Ergebnisse konsistent mit denjenigen von Mehlhorn und Trouvain (2007), die im Hochschulbereich gleichfalls für einen Einsatz von Praat plädieren. Für die Visualisierung von Betonungsmus‐ tern bei der Hördiskrimination insbesondere im schulischen Umfeld bieten sich weiterhin auch Gesten in besonderem Maße an (Hirschfeld, 2001). Für den Unterstufenunterricht sollte der noch vorhandene natürliche Spiel‐ trieb der Kinder für die Bewusstmachung genutzt werden (Diehr & Frisch, 2015; Lauret, 2011). So sind Spiele denkbar, in denen die Schülerinnen und Schüler versuchen, die eigene Muttersprache mit dem zielsprachlichen (z. B. französi‐ schen) Akzent auszusprechen. Es bietet sich an, anschließend zu thematisieren, welche Charakteristika dieser Akzent hatte („Was hast Du eigentlich anders ge‐ macht? “): auch auf diese Weise ist die Heranführung an lautliche Besonder‐ heiten des Französischen (z. B. das typische accent de groupe) sinnvoll. 6.2.3 Zum Verhältnis von Suprasegmentalia und Segmenten Dass beim Noticing - aber auch im konkreten Aussprachetraining - insbeson‐ dere die fremdsprachliche Prosodie im Vordergrund stehen sollte, betonen zahlreiche Aussprachedidaktiker und Linguisten. So fordern Mehlhorn und Trouvain (2010) für das Deutsche einen „prosodisch ausgerichteten Aus- 6 Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts 76 <?page no="77"?> spracheunterricht“. In Bezug auf das Französische fordern Briet, Collige und Rassart-Eeckhout (2014), der Ausspracheerwerb müsse être abordé par le rythme et par l’intonation plutôt que par les sons que nous voulons corriger. […] La base rythmique et mélodique doit être bien construite pour que les sons ‘tiennent’ et s’installent à la bonne place. (S. 10) Nur wenn die Melodie- und Rhythmusstruktur der Sprache erworben sei, könne ein Phonemerwerb stattfinden. Das sei der Tatsache geschuldet, dass im Fran‐ zösischen phonotaktische Aspekte eine besondere Rolle spielen: Suivant la position que les sons occupent dans le mouvement rythmique et mélodique, ils se retrouvent en position forte ou position faible. (S. 10) Mit dieser Forderung stimmen sie mit Mordellet-Roggenbuck (2005) und Wio‐ land (2005) überein und stärken somit die Position, die in der Englischdidaktik bereits seit den 1980er Jahren von zahlreichen Forschern vertreten wird (z. B. Chun, 1988; Jones, 1997; Pennington & Richards, 1986; Whipple u. a., 2015). Dieses Postulat bedeutet freilich nicht, dass die Drillübungen strukturalisti‐ scher Inspiration, beispielsweise also die Perzeption und Diskrimination von Minimalpaaren oder die Artikulation wichtiger Phoneme, abzulehnen wären. Wie zahlreiche Forschungsarbeiten zeigen können, sind solche segmentalen Trainingseinheiten durchaus sinnvoll und können dazu beitragen, die Aus‐ sprache der Lernenden durch Automatisierung verständlicher werden zu lassen (Lauret, 2011; Offerman & Olson, 2016; Saito, 2012). Dabei ist es wichtig, dass die Lernenden die Diskriminations- und Perzeptionsübungen auch zuhause wiederholen können. Es sollte also Hörmaterial bereitgestellt werden, das auch Korrekturmöglichkeiten bietet (Hirschfeld, 2001). Allerdings führt eine Beschränkung auf solche Übungsformate zum soge‐ nannten Minimalpaareffekt: „[Learners] go back to the original mispronuncia‐ tion when attempting to use those words in context“ (Correa & Grim, 2014, S. 58). Die erzielte Verbesserung bleibt also auf die Übungssituation beschränkt und kann für die spontane Kommunikation nicht verfügbar gemacht werden. Dies liegt, wie Pennington und Richards (1986) schreiben, daran, dass isolierte Lautübungen die Tatsache ignorierten, „that in communication, many aspects of pronunciation are determined by the positioning of elements within long stretches of speech” (S. 218). Entsprechend sei es wichtig, so Correa und Grim (2014), die punktuell geübten Phoneme nach und nach auch in größeren Ein‐ heiten - und schließlich innerhalb einer authentischen (oder simulierten) Kom‐ munikationssituation zu üben. Dies bestätigen auch Kennedy et al. (2014) in ihrer Literaturübersicht. Die von ihnen gesichteten Studien hätten gezeigt, „that 6.2 Einzelfaktoren der Effizienz 77 <?page no="78"?> learners who receive pronunciation instruction that includes a focus on form, integrated with meaningand fluency based tasks, can develop more accurate and more fluent pronunciation.” (S. 92) - eine Verbesserung sowohl der Aus‐ sprache selbst als auch der Gesamtflüssigkeit also. Problematisch mag nun anmuten, dass den Schülerinnen und Schülern auf Anfängerniveau nahezu keine „größeren Spracheinheiten“ zur Verfügung stehen. Diese Schwierigkeit lässt sich umgehen oder abmildern, indem im Fremdsprachenunterricht auf die Vermittlung von Chunks zurückgegriffen wird. Diese werden von Aguado (2013) folgendermaßen definiert: Darunter sind rekurrente, vorgefertigte, komplexe Sequenzen zu verstehen, die den Status von Wahrnehmungs- und Gedächtniseinheiten haben und die nicht bei jedem Gebrauch von Neuem gebildet, sondern - nachdem sie als Ganzes memorisiert worden sind - wie ein einzelnes Element aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen und in der gesprochenen Sprache flüssig und phonologisch kohärent produziert und rezipiert werden. (S. 14) Verschiedene korpuslinguistische Studien (s. Astruc & Adinolfi, 2015) können beweisen, dass solche Strukturen von besonders kompetenten Sprechern ge‐ genüber weniger kompetenten nahezu doppelt so häufig verwendet werden. Zwar gilt es zu bedenken, dass Chunks wie Astruc und Adinolfi (2015, S. 18) ebenso belegen können, in phonologischer Hinsicht kein Allheilmittel sind: Ins‐ besondere sei es naiv, anzunehmen, dass sie grundsätzlich eine prosodische Einheit darstellten. Dennoch gebe es eine große Menge an Chunks, die „do tend to consistently form separate prosodic units, which are usually separated by pauses“ (S. 18). So schließen Astruc und Adinolfi ihre Ausführungen denn mit der Bemerkung, dass Chunks, setzt man sie reflektiert ein, zu einer „impression of greater fluency“ (S. 18) führen können. Dies deckt sich mit der Analyse Aguados (2013), die einen Vorteil der Ver‐ mittlung von Chunks darin sieht, dass sie es dem Lerner ermöglichen, „die Ziel‐ sprache schon zu Beginn ihres Erwerbs prosodisch und grammatisch flüssig und korrekt zu verwenden“ (S. 14). Flüssigkeit werde unter anderem auch dadurch erreicht, dass ein auswendig gelerntes „Satzstück“ der Schülerin beziehungs‐ weise dem Schüler „die für die weitere Produktion erforderliche Planungszeit verschaffe“ (S. 14). Dies könne bereits zu einem frühen Lernzeitpunkt Gespräche mit Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern ermöglichen und verhelfe, wie Kramsch (1987) schreibt - anders als die übliche, atomisierte unterrichtliche Gesprächspraxis - dem Lernenden dazu, die natürliche Gesprächsorganisation der Zielsprache besser zu durchdringen: 6 Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts 78 <?page no="79"?> Students, used to the fragmented question-answer patterns of traditional classroom discourse, have to rediscover the orality conditions of their early conversations in their native language. Redundancies and echoings of what has been said keep both speaker and hearer on the track. Formulaic elements and prefabricated parts of speech obviate the need to create and improvise at each turn-at-talk. Using naturally spoken language means taking advantage of intonation, stress, pitch, chunking, and pauses to fill the rhythms and push the conversation forward. (S. 247) Wie Aguado (2013) zutreffend bemerkt, könne dies dazu beitragen, dass die Schülerin beziehungsweise der Schüler sich der zielsprachlichen Sprach- und Sprechergemeinschaft zugehörig fühle und sich eine „Partizipation an deren kultureller Praxis“ (S. 14) ermögliche. Besonders (wenn auch nicht ausschließlich) im etwas fortgeschritteneren Lernstadium bietet darüber hinaus der aufgabenorientierte Fremdsprachenun‐ terricht eine hervorragende Möglichkeit, die Aussprache auch in authenti‐ scheren Lernsettings zu üben und so einen dauerhaften Lerneffekt zu erreichen. So ist es gut denkbar, zunächst eine phonetische Übung durchzuführen, die die Aufmerksamkeit der Lernenden auf ein bestimmtes Aussprachemerkmal lenkt und ihnen die konkrete Umsetzung dieses Phänomens beibringt. Anschließend jedoch wäre diese Übung in eine Lernaufgabe zu überführen, bei deren Reali‐ sierung die Lernenden die neugelernten Strukturen zu benutzen hätten. Gooch, Saito und Lyster (2016), die einen solchen Lernprozess (formfokussierte Aus‐ spracheinstruktion, gefolgt von einer Lernaufgabe) entworfen und in einer Studie auf Wirksamkeit überprüft haben, konnten zeigen, dass ein solcher Aufbau der Ausspracheschulung besonders effektiv ist. Ein guter Ausspracheunterricht sollte also grundsätzlich prosodisch ausge‐ richtet sein, und gleichzeitig bestimmte - auch segmentale - Artikulations‐ merkmale formfokussiert einüben, um den Lernenden deklaratives Wissen über die Aussprache zu vermitteln. Dabei sollte aber stets sichergestellt werden, dass solchermaßen punktuell trainierte Phänomene in einem zweiten Schritt auch in größere beziehungsweise kommunikative Kontexte überführt werden. 6.2.4 Hörverstehensübungen und sprachlicher Input Ein wichtiger Bestandteil der Ausspracheschulung ist der auditive Input, unter anderem in Form von gelesenen Texten unterschiedlicher Provenienz und von Hörverstehensübungen (Uetz, 2007). Dass eine solche Perzeption der Fremd‐ sprache vor der Produktion kommt, ist ein Gemeinplatz, der freilich, wie Mor‐ dellet-Roggenbuck (2005) anmerkt, oftmals in Vergessenheit gerät: 6.2 Einzelfaktoren der Effizienz 79 <?page no="80"?> [I]l est important de rappeler ce qui pour certains est peut-être une évidence: pour acquérir la musique de la langue, il faut l’écouter et l’écouter attentivement. (S. 34) Ob jedoch die Perzeptions- und Artikulationsfähigkeit miteinander korrelieren, wird in der Forschung seit geraumer Zeit diskutiert. So stellt sich insbesondere die Frage, ob eine nicht normgerechte Artikulation vor allem auf eine fehlerhafte Perzeption zurückzuführen ist oder ob es sich nicht eher um ein motorisches Defizit - oder auch um ein Zusammenspiel der beiden Faktoren - handelt (s. Huensch & Tremblay, 2015). In ihrer Studie können Huensch und Tremblay (2015) erwartungsgemäß zeigen, dass durch ein Perzeptionstraining robuste Kompetenzzuwachse in der in der Perzeptionsfähigkeit der Probanden erreicht wurde. Außerdem wurden auch Fortschritte in der Artikulation von Lauten und von bestimmten Silben erzielt. Jedoch zeigte sich bei den beiden Effekten im Paarvergleich keine Korrelation. Die Autorinnen stellen die Hypothese auf, dass ein Mediationseffekt vorliege: Sowohl Perzeption als auch Artikulation würden von Training profitieren, jedoch auf unterschiedliche Repräsentationssysteme zurückgreifen. Dass Perzeption und Artikulation zwar nicht korrelieren, dass jedoch ein Perzeptionstraining für die Artikulationsfähigkeit sinnvoll ist, weisen auch Tro‐ fimovich, Lightbown, Halter und Song (2009) in einer Longitudinalstudie nach, in der die Treatment-Gruppe, die aus achtjährigen Kindern bestand, über zwei Jahre hinweg einen „Fremdsprachenunterricht“ erhielt, dessen Gegenstand im Wesentlichen ein gelenktes Hören von gelesenen Texten (die Bilderbücher lagen den Schülerinnen und Schüler ebenso vor) war. Die Kontrollgruppe erhielt „nor‐ malen“ Fremdsprachenunterricht, der also auf einer Mischung von schriftlichen und mündlichen Aufgabenformaten beruhte, ohne dass jedoch auf die Aus‐ sprache einen besonderen Wert gelegt worden wäre. Trotz fehlenden Sprech‐ unterrichts waren nach einem Jahr die Aussprachekompetenzen bei beiden Gruppen gleich. Nach zwei Jahren jedoch erwiesen sich die Schülerinnen und Schüler der Kontrollgruppe als verständlicher; ihre Sprache wurde darüber hinaus als flüssiger eingestuft. Die Autoren schließen daraus, dass sprachlicher Input - gerade zu Beginn des Fremdsprachenlehrgangs - für eine gute Sprach- und insbesondere Aussprachekompetenz von zentraler Bedeutung ist, dass je‐ doch daneben weitere Ausspracheübungen nötig seien. Obgleich es aus verschiedenen Gründen als problematisch anzusehen ist, aus dieser Studie, die nicht spezifisch auf die Aussprache ausgerichtet war, Rück‐ 6 Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts 80 <?page no="81"?> 2 Die Aussprachefähigkeit wurde als „Verständlichkeit“ und als „Flüssigkeit“ operatio‐ nalisiert, was, wie bereits beschrieben wurde, umstritten ist. Darüber hinaus waren die Probanden Kinder vor dem Einsatz der Pubertät. Ob ein solches Ergebnis auch auf ju‐ gendliche oder gar erwachsene Lerner übertragbar ist, ist fraglich. Darüber hinaus wurde die Hörinput-Gruppe nicht mit einer Kontrollgruppe verglichen, die gezielten Ausspracheunterricht erhielt, wie er im vorliegenden Kapitel dargestellt wird. Es lässt sich aus der Studie daher nur folgern, dass Hörinput wirksamer ist als „traditioneller“ Unterricht ohne gesonderte Ausspracheinstruktion. schlüsse auf eine wirksame Aussprachedidaktik zu ziehen 2 , sind verschiedene Aspekte für fachdidaktische Belange von Interesse. Einerseits verdeutlicht sie die zentrale Bedeutung des sprachlichen Inputs für den Ausspracheerwerb und stellt dar, dass ein inputorientierter Unterricht im Anfangsstadium einem „tra‐ ditionellen“ Unterricht, der keine besondere Aufmerksamkeit auf Aussprache legt, im Hinblick auf die Aussprachekompetenz der Lernenden nicht wesentlich unterlegen ist. Besonders interessant ist die Studie jedoch auch, weil sie Indizien für Charakteristika liefert, die dieser Input aufweisen muss, um für sich auf den Ausspracheerwerb positiv auswirken zu können. So weisen die Autoren darauf hin, dass • es sich um verschiedene Textgattungen handeln sollte • sich die Sprecherinnen und Sprecher unterscheiden sollten • die Sprachstile und das Sprechtempo variieren sollten • verschiedene Intonationsmuster repräsentiert sein sollten Nur durch einen solchermaßen variablen Input, so Trofimovich et al. (2009, S. 634) weiter, könne verhindert werden, dass die Schülerinnen und Schüler Aussprachecharakteristika erlernten, die allzu sprecherspezifisch (z. B. der Leh‐ rerin oder dem Lehrer eigen) oder situationsspezifisch (Klassenzimmersprache) seien. Günstig seien Hörverstehensaufgaben und Hörinput darüber hinaus außer‐ dem, weil sie es den Lernenden ermöglichten, diejenigen Lautphänomene zu erwerben, die in der Zielsprache am häufigsten vorkommen. So können Trofi‐ movich, Collins, Cardoso, White und Horst (2012) in einer weiteren Studie zeigen, dass „frequency-based properties of learner speech closely reflect the properties of the language that learners experience around them” (S. 183). Damit stimmen sie mit den Forderungen zahlreicher Aussprachedidaktiker überein (Briet u. a., 2014; Lauret, 2011; Mordellet-Roggenbuck, 2005), die gleichfalls die Bedeutung möglichst vielfältiger Sprachmuster für die Ausprägung einer guten Aussprache betonen, die eben nicht von den Idiosynkrasien des Lehrers oder der Lehrerin geprägt ist. 6.2 Einzelfaktoren der Effizienz 81 <?page no="82"?> Dass authentische Dokumente auch im Sinne der Herausbildung einer trans‐ kulturellen Identität für die Ausspracheleistung von großer Bedeutung sind, konnte bereits gezeigt werden. Im Idealfall resultiert aus einer solchen Kon‐ frontation mit beispielsweise zielsprachlichen Podcasts eine Anregung zur selbstständigen Weiterbeschäftigung mit kulturellen Produkten der entsprech‐ enden Sprachgemeinschaft. Dass solche, von Schülerinnen und Schülern selbst gesteuerte Lernprozesse besonders wirkungsvoll sind, liegt über die Konfron‐ tation mit authentischen Hörinhalten noch in einem weiteren Aspekt begründet, der im Folgenden beschrieben werden soll. 6.2.5 Lernerautonomie Ein weiteres Unterrichtsprinzip, das für die Ausspracheschulung fruchtbar ge‐ macht werden kann, ist das der Lernerautonomie. Im Folgenden soll das Konzept mit Henri Holec (zitiert bei Benson, 2001, S. 48) als „ability to take charge of one’s own learning” definiert werden. Dies beinhaltet nach Holec (zitiert bei Benson, 2007, S. 23) die Verantwortung für Sinnhaftigkeit, Inhalt, Rhythmus und Methoden des Lernprozesses, sowie für die Kontrolle und Evaluation des Fort‐ schrittes. Die Forderung nach einer autonomen Lernerin beziehungsweise einem autonomen Lerner berücksichtigt, wie Dörnyei und Ushioda (2011, S. 123) bemerken, einerseits die Forschungsergebnisse der humanistischen Psycho‐ logie, die besagen, dass jedes Lernen entdeckend und selbstaneignend von‐ statten gehen müsse. Andererseits könne das Konzept auch der Grundforderung der Lernpsychologie Rechnung tragen, derzufolge Lernstrategien und Selbstre‐ gulation im Zentrum des Lernens stehen müssen. Und letztlich, so Dörnyei und Ushioda weiter, sei die Lernerautonomie ein Grundbaustein der Lernermotiva‐ tion und daher von größter Wichtigkeit für den Fremdsprachenunterricht. Ein weiterer Vorteil von Lernsettings, in denen dem Lerner die Verantwor‐ tung für seinen Fortschritt übertragen wird, liegt, wie Little (1995, S. 177) an‐ merkt, darin, dass sie zeitökonomischer sind. So könne der Lerner seinen Übungseffekt maximieren, indem er selbst effektive Strategien anwende - er sei somit nicht auf die zeitlich limitierten Übungsangebote des Fremdsprachenun‐ terrichtes angewiesen. Allerdings sehen sich Unterrichtsarrangements, die die Autonomie der Schü‐ lerinnen und Schüler favorisieren sollen, auch mit verschiedenen Kritikpunkten konfrontiert: So wird vielfach eingewandt, es könne Lerner geben, die nicht über die notwendigen kognitiven Fähigkeiten oder über die erforderliche Reife ver‐ fügten und daher überfordert seien (Benson, 2001, S. 49; Skehan, 2004, S. 266). Eine weitere Gefahr bestehe darin, dass die Lerner auch unwillig sein könnten, 6 Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts 82 <?page no="83"?> die traditionelle, vermeintlich „richtige“ Lehrer-Schüler-Beziehung aufzugeben und selbst aktiv zu werden (z. B. Brindley, 2010, S. 141): In formal educational contexts learners do not automatically accept responsibility for their learning - teachers must help them to do so; and they will not necessarily find it easy to reflect critically on the learning process - teachers must first provide them with appropriate tools and with opportunities to practise using them. (Little, 1995, S. 176f.) Ganz allgemein ist fraglich, inwiefern es im Kontext eines institutionellen Fremdsprachenunterrichtes möglich ist, genuin autonome Lernsettings zu im‐ plementieren - die enge Taktung und die Vorgaben der Bildungspläne werden von manchen Kritikern als geradezu gegensätzlich zu jeder autonomen Lern‐ form angesehen (Überblick über die Positionen s. Benson, 2007). Dass dies trotzdem - und sei es in einer „schwachen Version“ - möglich sei, wird mittler‐ weile von zahlreichen Forschern postuliert (z. B. Benson, 2001, 2007; Little, 1995). Wie Little (1995, S. 179) jedoch darlegt, ist für die Realisation einer Lernerauto‐ nomie im Fremdsprachenunterricht unabdingbar, dass die Lehrerinnen und Lehrer entsprechende Voraussetzungen mitbringen: Sie müssen in der Lage sein, den Fremdsprachenunterricht als „Ko-Produktion“ von Lernenden und Lehr‐ person zu konzeptualisieren, sich also selbst als autonome Person ansehen - und nicht etwa als Spielball curricularer Vorgaben. Durch Aushandlung (nego‐ tiating) müsse dann die Schülerin oder der Schüler davon überzeugt werden, ihren beziehungsweise seinen Teil der Verantwortung für das Gelingen des Lernprozesses zu übernehmen. Das Ausmaß an Autonomie, das den Lernenden dabei zugestanden werden könne, müsse die Lehrerin oder der Lehrer unter Berücksichtigung von Entwicklungsstand und individuellen Fähigkeiten fest‐ legen. Damit stimmt Little mit Dörnyei und Ushioda (2011, S. 123f.) überein, die be‐ tonen, dass Lernerautonomie als sozial situiert (und nicht als individualistisch) aufgefasst werden müsse, dass also die intendierte Freiheit und Verantwortung der Lernenden als Sozialisationsstrategien angesehen werden müssten, mittels derer die Ziele der Lernenden mit denen der Institution in Einklang gebracht werden können. Dies bestätigt auch Terhart (2011): Obgleich diese Auffassung als Absage an dezidiert konstruktivistische Positionen aufgefasst werden könnte, deute die Studienlage - Terhart zitiert unter anderem die Hattie- Studie - darauf hin, dass eine kooperative Führung durch die Lehrperson ein wirksamer Unterrichtsstil sein könne. Wie dies im Ausspracheunterricht konkret aussehen könnte, stellt Mehlhorn (2005) dar. Sie belegte, dass individuelles Coaching, das auf eine Lernerautono‐ 6.2 Einzelfaktoren der Effizienz 83 <?page no="84"?> misierung abzielte, für die Ausspracheleistung sehr förderlich war. Dabei er‐ hielten die Studentinnen und Studenten eine Ausgangsdiagnose und sollten da‐ raufhin ein individuelles Übungsziel benennen - bei der Aufteilung in realistische Teilziele wurden sie von Lehrpersonen unterstützt. Weiterhin wurden ihnen geeignete Übungsmaterialien genannt und Lernstrategien vor‐ gestellt. Bei Bedarf wurden in Präsenzphasen noch persistierende Schwierig‐ keiten erklärt und Aussprachegesetzmäßigkeiten veranschaulicht. Schließlich gab die Instruktorin Feedback zu den erreichten Lernfortschritten. Dieses Lern‐ setting vereint verschiedene für die Aussprache förderliche Aspekte (u. a. Feed‐ back, Bewusstmachung, Vermittlung von Lernstrategien, Transparenz der Lern‐ ziele), die sicherlich für seinen Erfolg als mitverantwortlich anzusehen sind. Darüber hinaus ist diesem Arrangement ein Charakteristikum eigen, das zahl‐ reiche Studien zu autonomem Arbeiten in der Aussprachedidaktik aufweisen: die selbstverantwortliche Erarbeitung verschiedener Aussprachemerkmale al‐ terniert mit Präsenzphasen, in denen die Lerner von der professionellen Exper‐ tise ihrer Lehrkräfte profitieren. Lernarrangements, in denen auf Grundlage einer Ausgangsdiagnose indivi‐ duelle Lernvereinbarungen getroffen werden, sind auch im schulischen Fran‐ zösischunterricht umsetzbar. So können die Schülerinnen und Schüler nach einer Phase der Bewusstmachung sukzessive an die autonome Arbeit an der eigenen Aussprache herangeführt werden. Dafür ist es unabdingbar, dass die Lehrkraft geeignete Lern- und Übungsstrategien sowie die Grundregeln des selbstverantwortlichen Phonetikerwerbs vermittelt. Dies sind insbesondere für das Französische die wesentlichen Gesetzmäßigkeiten der Graphie-Phonie-Be‐ ziehung (für den DaF-Unterricht: Hirschfeld, 2001; für das Französische: Sturm, 2013), die man beispielsweise durch Farbcodes markieren und visualisieren kann. Dies bietet sich besonders für klassische Fehlerquellen wie das verbale Plural -ent an (Cervantes, 2008). Ferner empfiehlt sich die Vermittlung der Laut‐ schrift (IPA), um es den Schülerinnen und Schülern zu erlauben, sich selbst Aussprachemerkmale zu erarbeiten (Hirschfeld, 2001). Dies bietet insbesondere den Vorteil, die fremdsprachlichen Laute (man denke beispielsweise an die Na‐ sale) zu visualisieren und zu verhindern, dass sie kognitiv einer muttersprach‐ lichen Kategorie zugeordnet werden. Für das Training der Lautperzeption müssen den Schülerinnen und Schülern die Übungen zugänglich sein (etwa als MP3-Download oder auf CD). Von zentraler Bedeutung ist hierbei die Korrek‐ turmöglichkeit, weshalb das Material entsprechend didaktisch aufgearbeitet sein muss (Hirschfeld, 2001). Positiv wirkt sich bei solchen selbst durchgeführten Übungen die Tatsache aus, dass sie auch das Zeitvolumen des Aussprachetrai‐ nings erhöhen. Wie verschiedene Meta-Analysen (Lee, Jang, & Plonsky, 2015; 6 Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts 84 <?page no="85"?> Saito, 2012) zeigen, sind nämlich nur solche Lernsettings effektiv, die ein Merkmal länger als die im schulischen Fremdsprachenunterricht üblichen 15-30 Minuten trainieren. Unabdingbar ist darüber hinaus die Arbeit mit Aufnahmegeräten (Hirschfeld, 2001; Kennedy u. a., 2014; Lord, 2008; Seidlhofer, 2006), da sie für die Lernerin beziehungsweise den Lerner eine Grundlage für den Erwerb einer Eigenkor‐ rekturfähigkeit darstellen kann und gleichfalls eine Erhöhung der Trainingszeit ermöglicht. Dies ist in der Sekundarstufe technisch gut durchführbar, da die meisten Schülerinnen und Schüler Zugang zu Smartphones haben, die über eine Aufnahmefunktion verfügen. Darüber hinaus gibt es preisgünstige Aufnahme‐ geräte, die die Schulen in Klassensätzen anschaffen und bei Bedarf an die Schü‐ lerinnen und Schüler verleihen können. Entsprechend können auch die even‐ tuell zuhause oder in Freiarbeitszeiten aufgesprochenen und selbstständig optimierten Texte oder Szenen per Computer an die Lehrkraft gesendet werden, die wiederum Rückmeldungen zu Lernfortschritten und eventuellen Problemen geben kann. 6.2.6 Feedback Die hohe Bedeutung von Feedback für den Lexik- und Grammatikerwerb wurde, wie Lee, Jang und Plonsky (2015, S. 360) erläutern, bereits in über hundert quasi-experimentellen Einzelstudien und 18 Meta-Analysen dokumentiert. Sie selbst stellen in ihrer eigenen Meta-Analyse jedoch fest, dass dies auch auf den Bereich der Phonetik übertragbar ist. Damit stimmen ihre Ergebnisse mit den‐ jenigen der Meta-Analyse von Saito (2012) überein und unterstreichen die Wirk‐ samkeit eines feedback-orientierten Ausspracheunterrichts. Die Bedeutung von Feedback für den Lernerfolg gründet - so Dlaska und Krekeler (2013, S. 26) in Berufung auf zahlreiche pädagogische Studien - darauf, dass es den Lernenden erlaubt, den eigenen Lernerfolg zu verorten und sich der Tatsache zu vergewis‐ sern, dass einerseits das richtige Lernziel verfolgt wurde und andererseits die korrekten Mittel zum Erreichen dieses Lernzieles eingesetzt wurden. Damit veranlasst es die Lernerin beziehungsweise den Lerner dazu, die von Hattie und Timperley (2007) ausformulierten und für den Lernprozess zentralen Fragen zu beantworten: „Where am I going? (What are the goals? ), How am I going? (What progress is being made toward the goal? ), and Where to next? (What activities need to be undertaken to make better progress? )” (S. 86). Nur durch diese Fragen könne die Überwindung einer möglichen Diskrepanz zwischen einer Leistung oder einer Einsicht und dem erwarteten Lernziel angestrebt werden. 6.2 Einzelfaktoren der Effizienz 85 <?page no="86"?> Welche allgemeinen Charakteristika Feedback im Schulkontext aufweisen sollte, um wirksam zu sein, legen Hattie und Timperley (2007) in ihrem Artikel dar. So sollte Feedback stets spezifisch erfolgen und die erwartete Leistung exakt beschreiben. Nur so könne die Schülerin oder der Schüler die Kriterien ver‐ stehen, die eine gute Leistung aufweisen müsse. Hierzu müsse darüber hinaus eine Lernumgebung geschaffen werden, die eine Eigenkorrektur auch favori‐ siere. Das könne beispielsweise über die Vermittlung geeigneter Strategien er‐ folgen, die der Lernende dann nach einem erfolgten Feedback nutzen müsse, um einen Lerneffekt zu erreichen (Hattie & Timperley, S. 87). Feedback muss nach Hattie und Timperley dementsprechend Informationen über Korrekturmög‐ lichkeiten enthalten - andernfalls könne die Verbesserung durch den Lerner nicht generalisiert und in anderen Kontexten umgesetzt werden. Dabei solle jedoch das von der Lehrperson gegebene Feedback sich nicht in der Testung von Leistungen erschöpfen, auch wenn diese durchaus auch ein Mittel zur Verortung der Lernerleistung (und somit zur Beantwortung der Frage „How am I going? “) darstelle: ‘Tests’ are but one method used by teachers and students to address this question and, as discussed below, often fail to convey feedback information that helps teachers and their students to know how they are going. (S. 89) Und ganz grundsätzlich, so De Florio-Hansen (2014, S. 152), müsse von der Lehrkraft sichergestellt werden, dass die Lernenden den neuen Inhalt ver‐ standen hätten, da dies naturgemäß die Vorbedingung jeder Verbesserung dar‐ stelle. Wie diese allgemeinen Feedback-Prinzipien im Ausspracheunterricht umzu‐ setzen sind, wurde in zahlreichen aktuellen Studien untersucht (z. B. Dlaska & Krekeler, 2013; Foote u. a., 2016; Gooch u. a., 2016; Lee u. a., 2015; Offerman & Olson, 2016; Saito & Lyster, 2012). Allen genannten Studien ist ein Befund gemeinsam: Sie unterstreichen, dass mündliches Feedback zur Ausspracheleistung der Schülerinnen und Schüler eine Instruktion in keiner Weise zu ersetzen vermag. So weisen Foote, Trofi‐ movich, Collins und Urzúa (2016) - in Übereinstimmung mit der bereits be‐ schriebenen Forschung zur phonetischen Aufmerksamkeit - darauf hin, dass ge‐ rade im Aussprachebereich nur eine gezielte Schulung der zu lernenden phonetischen Merkmale sichergestellt werden könne, dass die Lernenden das entsprechende Phänomen überhaupt wahrnähmen und dass sie somit das Feed‐ back auch als solches verstünden: 6 Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts 86 <?page no="87"?> Without instruction that first guides students to notice a targeted aspect of pronun‐ ciation, students are not always going to recognize that they are receiving feedback. (Foote u. a., 2016, S. 193) Dies belegten Saito und Lyster (2012) in ihrer empirischen Studie. So erwiesen sich zwar aussprachebezogene Rückmeldungen durch die Lehrkraft als sehr ef‐ fektiv - jedoch nur, wenn diesen eine entsprechende Instruktion vorangegangen war. Die verschiedenen aktuellen Studien zum aussprachebezogenen Feedback im Fremdsprachenunterricht überprüfen unterschiedliche Rückmeldungsmetho‐ den auf ihre Wirksamkeit. So können beispielsweise Dlaska und Krekeler (2013) zeigen, dass kurzfristig explizites Feedback deutlich wirksamer ist als nur im‐ plizites Feedback (z. B. durch ein Hören einer Eigenaufnahme). Wenn dem Hören der Eigenaufnahme (also der Eigenevaluation) allerdings eine formfokussierte Schulung vorangeht, kann auch dieses Verfahren durchaus zu einer Ausspra‐ cheverbesserung führen, wie eine Studie von LappinFortin und Rye (2014) be‐ legt. Als besonders hilfreich erwiesen sich darüber hinaus Reformulierungen (recasts) durch die Lehrkraft, die im Idealfall, wie Gooch et al. (2016, S. 122) in Berufung auf weitere empirische Studien anmerken, in der korrekten Wieder‐ holung der fehlerhaften Partie (beziehungsweise dem falsch ausgesprochenen Wort) und einer fallenden Intonation bestehen. Die Wirksamkeit, so Gooch et al. in Berufung auf ihre eigene Studie, gründe darauf, dass solche Reformulie‐ rungen dem Lernenden das korrekte Aussprachemodell auditiv nahelegen und so eine rasche Korrektur ermöglichen. Hinzu kommt, dass Reformulierungen, wie eine Studie von Yang (2016) nahelegt, auch von den Lernerinnen und Ler‐ nern als effektive, sinnvolle und angenehme Feedbackform wahrgenommen werden und daher motivierend wirken können. Eine weitere Feedbackstrategie, die sich in Studien als effektiv erwiesen hat, waren Aufforderungen an die Lernerinnen und Lerner sich selbst zu verbessern (prompts). Der Unterschied zur Reformulierung, so Gooch et al. (2016, S. 118), besteht darin, dass bei der Korrekturaufforderung die korrekte Form durch die Lehrperson nicht vorgegeben werde. Konkret könne diese Feedbackstrategie beispielweise darin bestehen, das Unverständnis zu markieren („Comment? “, „Je n’ai pas compris“ oder durch eine Geste) und den Lernenden (verbal oder non‐ verbal) dazu zu veranlassen, die fehlerhafte Form zu korrigieren und zu wie‐ derholen. Geschieht dies nonverbal, bietet diese Verfahrensweise darüber hinaus den Vorteil, die Schülerin beziehungsweise den Schüler nur minimal zu unterbrechen. Wie Gooch et al. (2016, S. 125) erläutern, bestehe ein weiterer positiver Aspekt dieser Feedbackform darin, dass die Lernenden nicht nur die von der Lehrperson 6.2 Einzelfaktoren der Effizienz 87 <?page no="88"?> vorgegebene korrekte Sprachform imitieren können, sondern sich gezwungen sehen, die eigenen metalinguistischen (und phonetischen) Kenntnisse zu akti‐ vieren, um sich zu verbessern. Dies könne jedoch nur funktionieren, wenn solche Kenntnisse vorhanden seien, wenn also auch hier dem Feedback eine formfokussierte Ausspracheinstruktion vorangegangen sei. In ihrer Studie, die die jeweilige Wirksamkeit von Wiederholungen und Korrekturaufforderungen nach formfokussierter Instruktion zum Gegenstand hatte, konnten die Autoren zeigen, dass die Korrekturaufforderungen in höherem Maße zu einer Generali‐ sierung der Ausspracheverbesserungen (also auch in spontaner Rede) führten. Zugleich produzierten die Lernenden jedoch auch deutlich mehr Hybridformen, also Mischformen zwischen dem ziel- und dem muttersprachlichen Phonem. Die Autoren schließen daraus, dass eine Mischung der Feedbackformen (Wieder‐ holungen und Korrekturaufforderungen) für den Aussprachebereich am effek‐ tivsten ist. Auf ein weiteres Problem von Korrekturaufforderungen, insbesondere wenn sie im Wesentlichen in einer Äußerung des Unverständnisses bestehen, weist Lee (2016) hin: In ihrer Studie konnte sie zeigen, dass diese Form des Feedbacks mit einer Erhöhung der Sprechangst bei den Lernenden verbunden war. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass derartige Korrekturaufforderungen sensibel geh‐ andhabt werden müssen - und dass sie auch aus psychologischen Gründen mit anderen Feedbackformen alternieren sollten. Besonders sinnvoll, so Kennedy et al. (2014, S. 92), ist es darüber hinaus für den Ausspracheerwerb, den Lernerinnen und Lernern Feedback zu Aufnahmen zu geben, die sie angefertigt hätten: dies erlaube den Lernenden, die monierte Form zu hören und die Ausspracheabweichung selbst besser nachvollziehen zu können. Als Resumée aller Erkenntnisse hält Ellis (2016, S. 418f.) fest, dass es wahr‐ scheinlich wenig sinnvoll ist, die verschiedenen Feedbackformen gleichsam ge‐ geneinander ausspielen zu wollen: Anzustreben sei vielmehr eine Mischung verschiedener Strategien (explizites und implizites Feedback, Feedback durch die Lehrkraft und durch die Mitschülerinnen und -schüler). 6.2.7 Ganzheitliches Lernen Ein weiteres didaktisches Prinzip, das für die Aussprachevermittlung nutzbar gemacht werden kann, ist die Ganzheitlichkeit. Darunter sollen mit Klippel (2000, S. 242) solche Lernprozesse verstanden werden, „die kognitive, affektive und körperliche Dimensionen berücksichtigen“. Ganzheitliches Lernen ist 6 Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts 88 <?page no="89"?> somit, so Klippel weiter, „Lernen mit allen Sinnen, Lernen mit Verstand, Gemüt und Körper.“ In allen aktuellen Französischlehrwerken werden zu diesem Zweck Lieder empfohlen, die es den Lernenden ermöglichen sollen, den Sprachrhythmus des Französischen sozusagen implizit zu erwerben und somit ihre Aussprache zu verbessern. Dass Musik für den Ausspracheunterricht durchaus fruchtbar sein kann, betonen auch Guimbretière (1994) und Lauret (2011). Musik könne dazu dienen, die Lernenden zu entspannen und Sprachblockaden oder -hemmungen zu lösen. Sie stelle ein rhythmisches Gerüst dar, das es den Lernenden ermög‐ lichen könne, die Sprachlaute und den Sprachrhythmus leichter zu identifizieren und zu erlernen. Weiterhin diene sie der Verankerung der lexikalischen und phonetischen Strukturen im Gedächtnis und schließlich wirke der Einsatz von Musik, speziell jedoch von Liedern, sehr motivierend. Beide Phonetiker geben jedoch zu bedenken, dass sich diese Vorteile im Un‐ terricht nur selten voll entfalten können, da Musik in der Regel nicht gezielt zu phonetischen Zwecken genutzt werde. Zumeist würden Lieder eingesetzt, weil sie sich thematisch gut in den Unterricht einfügten - also lexikalisch oder lan‐ deskundlich von Belang seien. In manchen Fällen sei dies geradezu kontrapro‐ duktiv, da sich - wie Guimbretière (1994, S. 84) anmerkt - bisweilen der Rhythmus des gesungenen stark von demjenigen des gesprochenen Wortes un‐ terscheide. Entsprechend hat Lauret (2011) eine Reihe an Kriterien erarbeitet, die es den Lehrerinnen und Lehrern ermöglichen können, die Wertigkeit eines Liedes für den Einsatz im Ausspracheunterricht zu beurteilen. Diese reichen von der Schwierigkeit (Geschwindigkeit, Lexik, Grammatik, Melodie, etc.) über die phonetische Übereinstimmung der gesungenen mit der gesprochenen Sprache bis hin zur Artikulation und anderen Aussprachebesonderheiten (z. B. des Vor‐ handenseins eines Akzentes) der Sängerin beziehungsweise des Sängers. Über den Einsatz von Liedern hinaus empfehlen sich jedoch insbesondere Verfahren, die die Körperlichkeit des Lernenden stärker in den Vordergrund rücken (Schiffler, 2001, 2012). So seien beispielsweise Ansätze, die Prinzipien des Total-Physical-Response-Learning aufgreifen, für das Hörverstehenstraining als sehr vielversprechend anzusehen, da sie durch den körperlichen Vollzug das Verstehen sicherten (Schiffler, 2012, S. 50f.). Dass eine solche Methodik insbe‐ sondere auch für den Ausspracheerwerb im Französischunterricht besonders sinnvoll sein kann, postulieren Briet, Collige und Rassart-Eeckhout (2014) in Berufung auf zahlreiche französische Phonetikerinnen und Phonetiker: Actuellement, des phonéticiens reconnus (Kaneman-Pougatch & Pedoya-Guimbre‐ tière, Lauret, Llorca, etc.) recommandent de s’appuyer sur l’expressivité et la gestualité 6.2 Einzelfaktoren der Effizienz 89 <?page no="90"?> (mime, travail en miroir, jeu théâtral, musique, chanson mimée, choréographie, etc.) pour intégrer le rythme et la mélodie, à partir d’enregistrements non fabriqués. (S. 11) Dass diese Forderung auch einer empirischen Überprüfung standhält, betonen Hille, Vogt, Fritz und Sambanis (2010), die die Überlegenheit des szenischen Lernens für das Aussprachelernen in einem Kontrollgruppendesign nach‐ weisen. Allerdings wählten die Autoren der Studie ihre Intervention so, dass sie eine Exposition der Lernenden nicht erforderlich machten. Klippel (2000, S. 244) gibt jedoch zu bedenken, dass ganzheitliche Lernsettings gerade dadurch, dass zumeist die gesamte Persönlichkeit der Lernenden einbezogen werde, in man‐ chen Lernergruppen auch auf Ablehnung stoßen könnten. Wichtig seien somit auch soziale und interpersonelle Aspekte der Lernsituation, die vor einem Ein‐ satz solcher Unterrichtssettings eingeschätzt werden müssten. Es lässt sich also festhalten, dass der reflektierte und kriterienbasierte Einsatz von Liedern, szenischem Lernen und körperbetonten Verfahren (wie die Nut‐ zung von Gestik und Mimik) für den Ausspracheerwerb sinnvoll sein können und daher in das Methodenrepertoire aufgenommen werden müssen. 6.3 Zusammenfassung und Überblick Es ist von großer Bedeutung, dass der Ausspracheunterricht - wie Foote, Tro‐ fimovitch, Collins und Urzúa (2016) erläutern - proaktiv und nicht reaktiv aus‐ gerichtet ist: Es sollte eine explizite Instruktion stattfinden, die es den Schüle‐ rinnen und Schülern erlaubt, ein Bewusstsein für die Bedeutung der verschiedenen Aussprachemerkmale zu entwickeln und ihr Ohr dergestalt zu schulen, dass sie diese Aussprachemerkmale auch wahrnehmen können. Erst dann können die weiteren, oben dargestellten Unterrichtsprinzipien wirksam werden. Sehr vorteilhaft ist es dabei, wenn Lehrerinnen und Lehrer über eine Vielzahl methodischer Optionen verfügen und diese reflektiert einsetzen können (Ken‐ nedy u. a., 2014; Seidlhofer, 2006). So stellten Kennedy et al. (2014) für den Aus‐ spracheunterricht im Französischen als Fremdsprache fest, dass „learners […] benefited from the variety of tasks and participation patterns […]" (S. 92). Dies ist konsistent mit den Ergebnissen der Meta-Analyse von Saito (2012), in der sich diejenigen Ausspracheinterventionen als wirksam erwiesen, die in Abhän‐ gigkeit der Lernervariablen verschiedene Methoden zum Einsatz brachten. Auf diese Weise werden die verschiedenen Lerntypen und -stile und die unter‐ schiedlichen Interessen und Persönlichkeiten der Lernenden berücksichtigt, so‐ dass für alle Lernenden eine passende Lernumgebung geschaffen werden kann. 6 Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts 90 <?page no="91"?> Eine solche methodische Vielfalt und die Einbeziehung der oben und in Abb. 2 überblicksweise dargestellten Forschungsergebnisse in den Schulunterricht wäre höchst wünschenswert, würde jedoch aktuell eine Neuausrichtung der in den deutschen Schulbüchern angebotenen Übungsformate implizieren. Abb. 2: Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts. 6.3 Zusammenfassung und Überblick 91 <?page no="93"?> 7 Desiderata des aktuellen Fremdsprachenunterrichts Wie oben beschrieben, besteht ein weitgehender Konsens darüber, über welche aussprachedidaktischen Wissensbausteine Lehrkräfte verfügen müssen, um einen wirksamen Unterricht planen und durchführen zu können. Gleichzeitig existieren zahlreiche internationale Arbeiten über mögliche Desiderata, die ak‐ tuell im Ausspracheunterricht vorhanden sind. Diese Desiderata werden zu einem geringen Teil aus empirischen Studien abgeleitet. Bei der überwiegenden Mehrheit handelt es sich allerdings um aus der lebensweltlichen Alltagserfah‐ rung resultierende Hypothesen. Trotz ihrer nur eingeschränkten Aussagekraft resümieren diese Hypothesen und Beobachtungen einen Erfahrungsschatz, der rezipiert werden muss, um bei der Erstellung eines ersten Interviewleitfadens oder des quantitativen Forschungsinstrumentes nicht der „Gewohnheitsheu‐ ristik des Alltagswissens“ (Kelle & Kluge, 1999, S. 17) zum Opfer zu fallen. Daher soll auch hierzu der aktuelle Diskussionsstand zusammenfassend dargestellt werden. Ganz elementar mutet hierbei die Tatsache an, dass die Gesamtausrichtung des Fremdsprachenunterrichts der Lehrkraft obliegt. Sie ist es also, die den Schülerinnen und Schülern die Bedeutung der Aussprache beibringt (s. hierzu den Abschnitt 6.2.1), und die aktiv eine gute Aussprache einfordern muss. Dass dies jedoch häufig ausbleibt, zeigten internationale Studien für unterschiedliche Fremdsprachen. So weisen Segalowitz et al. (2011) darauf hin, dass die Schüle‐ rinnen- und Schülermotivation hinsichtlich des Ausspracheerwerbs, die mit der Motivation der Lehrkräfte korreliert, häufig durch das mangelnde Engagement seitens der Lehrpersonen gemindert wird. Dass das systematische Erlernen einer guten Aussprache für Lehrkräfte - für Schülerinnen und Schüler erkennbar - oftmals keinen hohen Stellenwert ge‐ nießt, können Foote et al. (2016) in einer Videostudie nachweisen. Wenngleich einige Lehrpersonen durchaus segmentale Ausspracheschulung vornahmen, existierten daneben auch solche, die weitgehend auf jegliches Training verzich‐ teten. Gleichfalls zeigte sich, dass keine der gefilmten Lehrkräfte prosodische Aussprachemerkmale unterrichtete. Diese Erkenntnis eines nur punktuellen Interesses seitens der Lehrerinnen und Lehrer stimmt mit denjenigen von Mar‐ tinsen et al. überein (2014), die feststellten, dass die Aussprache nur bis zum Grad der Minimalverständlichkeit verbessert wird, dass darüber hinaus jedoch <?page no="94"?> kein Ausspracheunterricht mehr stattfindet. Weiterhin weisen LeVelle und Levis (2014) darauf hin, dass die Ausspracheschulung - wenn sie denn vorgenommen wird, sich bisweilen auf bestimmte phonetische Teilaspekte der Zielsprache kapriziert, die jedoch für den kommunikativen Erfolg, insbesondere für das Er‐ lernen der zielsprachlichen Diskurskonventionen, keinen hohen Stellenwert einnehmen: Most pronunciation points are taught with an emphasis on accuracy with practice at the word and sentence level. Interaction and communication are included only as a low priority, and social factors play little or no part in instruction, even though re‐ search tells us that the influence of social factors on L2 pronunciation is undeniable. (S. 110) Darüber hinaus weisen einige Studien darauf hin, dass einige segmentale Aus‐ sprachephänomene, die in Unterrichtsmaterialien und von Lehrerinnen und Lehrern bevorzugt trainiert werden, für die Verständigung in der jeweiligen Sprache oder die Wahrnehmung eines Akzentes nicht immer relevant seien (Saito, 2012; Wioland, 2005). Für das Französische fordert beispielsweise Wio‐ land (2011), vorrangig diejenigen Laute im Unterricht zu thematisieren, die für die „oreille francophone“, die gelingende Kommunikation mit französischen Muttersprachlern also, wichtig seien. Ebenso schließt Saito (2012) aus seiner Metaanalyse von 15 quasi-experimentellen Studien, dass eine genaue Analyse der kommunikativen Funktion der jeweiligen Segmente vonnöten wäre, um den Gegenstand des Ausspracheunterrichts besser zu definieren. Die bereits zitierten Studien legen nahe, dass im institutionellen Fremdspra‐ chenunterricht, insbesondere seit der Hinwendung zu kommunikativen und handlungsorientierten Paradigmen (Pennington & Richards, 1986) der Schwer‐ punkt häufiger auf dem Erwerb anderer sprachlicher Fertigkeiten liegt als auf demjenigen der Aussprache. Dass dies insbesondere auch für Deutschland zu‐ trifft, betont Caspari (2010, 2011), die in ihren Analysen zeigt, dass der Franzö‐ sischunterricht sowohl in Lehrwerken als auch in Lehrenden- und Schüler‐ wahrnehmung auf die grammatische Progression fokussiert und für das Sprechen allgemein demnach ein nur geringer Teil der Unterrichtszeit übrig bleibt. Speziell für die Aussprache konstatiert dies Saalfeld (2012), die darauf hinweist, dass bei knappen zeitlichen Ressourcen die Lehrpersonen häufig eine Selektion des Unterrichtsinputs zugunsten der vermeintlich wichtigeren Gram‐ matik und Lexik vornehmen. Die Gültigkeit dieser Bemerkung auch für das er‐ teilte Feedback, betont Chavez (2014, S. 100): „Research to-date shows oral class‐ room feedback to favor morphosyntax over other language features, such as phonology and pragmatics.“ 7 Desiderata des aktuellen Fremdsprachenunterrichts 94 <?page no="95"?> Eine solche Schwerpunktsetzung des Fremdsprachen- und speziell des Fran‐ zösischunterrichts rührt möglicherweise daher, dass es den Lehrerinnen und Lehrern an fachdidaktischen und schülerbezogenen Kenntnissen mangelt, um eine effektive Ausspracheschulung vorzunehmen. Dass dies eine Rolle spielen könnte, legen einige internationale Untersuchungen nahe. So beobachten Foote et al. (2016), dass sich der Ausspracheunterricht oftmals in der Anwendung seg‐ mentaler Diskriminations- und Nachsprechübungen erschöpft, wie diese in den Schulbüchern zum Einsatz kommen. Überdies konnte in einer Videostudie be‐ legt werden, dass der Ausspracheunterricht oftmals durch mündliches Feedback gleichsam ersetzt wird. Die Autoren erklären sich diesen Umstand dadurch, dass es den Lehrerinnen und Lehrern einerseits an notwendigen Kenntnissen man‐ gele. So wüssten die Lehrkräfte nicht, wie eine linguistisch fundierte Selektion der zu unterrichtenden Merkmale stattfinden solle. Darüber hinaus fehlten ihnen Informationen zum systematischen Einsatz evidenzbasiert wirksamer Methoden. Andererseits aber, so Foote et al. (2016) weiter, könne der völlige Verzicht auf die Vermittlung suprasegmentaler Merkmale der Fremdsprache auch dadurch bedingt sein, dass die Lehrpersonen nicht davon überzeugt seien, dass es über‐ haupt möglich sei, diese zu erlernen. Dies vermutet auch Saalfeld (2012), die darauf hinweist, dass besonders die unter Lehrenden stark divulgierte For‐ schung zur Critical Period und die darin enthaltene Annahme, dass ein Aus‐ spracheerwerb nach dem Erreichen eines bestimmten Alters nicht mehr möglich sei, viele Lehrerinnen und Lehrer davon abgebracht habe, die knapp bemessene Unterrichtszeit an ein vermeintlich unsinniges Unterfangen wie es die Aus‐ spracheschulung zu sein scheint, zu verschwenden. Überdies könnte die Schwerpunktsetzung zuungunsten der (suprasegmen‐ talen) Phonetik auch durch die starke Lehrbuchzentrierung des Französischun‐ terrichtes (s. Caspari, 2011; Klippel, 2000) verstärkt werden: Es dominierten in den Schulbüchern der Anfangsniveaustufen die von der strukturalistisch ge‐ prägten Linguistik übernommenen Übungen zu Diskrimination und Artikula‐ tion bestimmter Phoneme (Chun, 1988; Correa & Grim, 2014; Hayes-Harb, 2014; Puren, 2012). In fortgeschritteneren Niveaustufen fehlen Ausspracheübungen zumeist völlig (Lauret, 2011; Mertens, 2011; Michler, 2005, 2015). Lehrerinnen und Lehrern, die sich an den aktuell verfügbaren Schulbüchern orientieren, mangelt es daher an Ressourcen, die einen evidenzbasierten Ausspracheerwerb bei ihren Schülerinnen und Schülern fördern könnten. Ein weiterer Aspekt, zu dem Lehrerinnen und Lehrern bisweilen Informatio‐ nen fehlen könnten, sind die sozio-psychologischen Einflussfaktoren des Aus‐ spracheerwerbs. So postuliert Cutler (2014, S. 161), dass Lehrpersonen es zumeist 7 Desiderata des aktuellen Fremdsprachenunterrichts 95 <?page no="96"?> als selbstverständlich ansähen, dass Fremdsprachenlerner die zielsprachige Aus‐ sprache auch erlernen wollten, sodass sie dann - wie bereits in Abschnitt 5 der vorliegenden Arbeit beschrieben - mit Überraschung und didaktischer Hilflo‐ sigkeit auf Blockaden und Weigerungen unterschiedlichen Ursprungs rea‐ gierten. Auch hier mangelt es an didaktischen Hilfestellungen beispielsweise in Form von Unterrichtssettings in Lehrbüchern, die dazu geeignet wären, auf diese Faktoren einzuwirken oder an entsprechenden Hinweisen in den Handrei‐ chungen, die den Lehrbüchern zugeordnet sind. Dass das sprachliche Vorbild der Lehrperson für die Lernenden - sowohl als motivationaler Faktor als auch als korrekter sprachlicher Input - sehr wichtig ist, wird in verschiedenen Untersuchungen betont (Mordellet-Roggenbuck, 2002; Tominaga, 2009). Gleichzeitig weisen jedoch einige Autoren darauf hin, dass bisweilen bei Lehrerinnen und Lehrern selbst eine fehlerhafte Aussprache vorliege. Diese erstrecke sich von einer falschen Artikulation zielsprachlicher Laute (Correa & Grim, 2014) über eine mangelhafte Diskriminationsfähigkeit Aussprachefehlern gegenüber, die die Schülerinnen und Schülern produzierten (zur Gewöhnung gegenüber fremdsprachlichen Ausspracheabweichungen s. Hanulíková & Weber, 2012) bis hin zu einer globalen sprachlichen Unsicherheit, die dazu führen könne, dass Lehrpersonen sich auf eine unidiomatische instruc‐ tional interaction beschränken, sodass ein Einüben der zielsprachlichen Dis‐ kurskonventionen unmöglich wird (Kramsch, 1987). 7 Desiderata des aktuellen Fremdsprachenunterrichts 96 <?page no="97"?> Abb. 3: Mögliche Defizite relativ zu den Desiderata des Ausspracheunterrichts Konsens besteht in der zumeist internationalen Forschung also darüber, dass die Fehlleistungen im Ausspracheschulungsbereich einem Faktorenkomplex ge‐ schuldet sind, der im Einwirkungsbereich der Lehrerinnen und Lehrer liegt. Entsprechend wird die Forderung laut, in Aus- und Fortbildung auf die unter‐ schiedlichen aussprachebezogenen Aspekte einzugehen: Appropriate preparation for teaching pronunciation is an essential part of any ESL teacher education program. Such preparation requires not only an understanding of pedagogical principles, but also an appreciation of the attitudes towards and experi‐ ences of ESL learners in communities in which they are recognised as non-native speakers because of their accents. (Munro u. a., 2006, S. 76) Wie im Literaturüberblick ferner gezeigt werden konnte, sind die angenom‐ menen Desiderata des Ausspracheunterrichts unterschiedlicher Natur (s. Abb. 3). So werden einerseits fehlende Lehrerkompetenzen genannt, die den 7 Desiderata des aktuellen Fremdsprachenunterrichts 97 <?page no="98"?> 1 Freeman und Johnson (1998) weisen darauf hin, dass darüber hinaus noch eine dritte Einflussgröße existiert: der institutionelle und soziale Kontext, in dem der Unterricht stattfindet. Ausspracheunterricht erschwerten. Andererseits jedoch werde von den Lehre‐ rinnen und Lehrern auch bewusst auf Ausspracheschulung verzichtet: Sie nähmen an, dass eine solche Schulung nicht möglich, notwendig oder sinnvoll sei. Nach Roters, König, Tachtsoglou und Nold (2013, S. 156) stimmt diese Auf‐ teilung der Faktoren in zwei Komplexe mit den generischen Modellen profes‐ sioneller Lehrerkompetenz überein, wie sie in verschiedenen empirischen Stu‐ dien (z. B. TEDS-LT) zum Einsatz kommen. Diese unterscheiden kognitive Komponenten von affektiv-motivationalen. Konkret bedeutet dies, dass ange‐ nommen wird, professionelles Handeln von Lehrkräften werde von zwei Fa‐ cetten bestimmt: Zum einen sind dies die verschiedenen Wissenskomponenten (knowledge); zum anderen die - von diesem Können und Wissen getrennten - Überzeugungen (beliefs) der Lehrkräfte (Baumert & Kunter, 2006; Pajares, 1992) 1 . Im Folgenden soll dargestellt werden, wie aussprachebezogene Kompe‐ tenzen und Überzeugungen definiert werden können. 7 Desiderata des aktuellen Fremdsprachenunterrichts 98 <?page no="99"?> 8 Kompetenzfacetten und Operationalisierung 8.1 Überzeugungen Im Rahmen neuerer Forschungsprogramme zu Lehrerkompetenzen (TEDS-M, TEDS-LT, COACTIV) werden Überzeugungen definiert als Überdauernde existentielle Annahmen über Phänomene oder Objekte der Welt, die subjektiv für wahr gehalten werden, sowohl implizite als auch explizite Anteile be‐ sitzen und die Art der Begegnung mit der Welt beeinflussen. (Voss, Kleickmann, Kunter, & Hachfeld, 2011, S. 235) Überzeugungen weisen somit verschiedene Charakteristika auf, die sie für das Lehrerhandeln bedeutsam werden lassen. Einerseits wirken sie wahrnehmungs‐ filternd (Pajares, 1992), bestimmen also die Art und Weise, wie Lehrerinnen und Lehrer neue Informationen und Erfahrungen bewerten und als Pädagoginnen und Pädagogen in Erscheinung treten ( Johnson, 1995). Umgekehrt jedoch können sie auch durch Erkenntnisse und Berufserfahrung beeinflusst und ver‐ ändert werden (Phipps & Borg, 2009). In der Literatur wird darüber hinaus da‐ rauf hingewiesen, dass die Überzeugungen früh im Leben erworben werden (Caspari, 2003). Ihre Entstehung scheint dabei durch Erfahrungen determiniert zu werden, die das Individuum im Laufe seines Lebens beziehungsweise in seiner Kindheit gemacht hat (Läge & McCombie, 2015). Speziell für fremdsprachenbe‐ zogene Überzeugungen, so Borg (2003), sei charakteristisch, dass sie von den eigenen Sprachlernerfahrungen des Lehrenden geprägt würden. In jedem Fall seien die Überzeugungen schon gefestigt, wenn die späteren Lehrpersonen zur Ausbildung an die Universität kommen und wirkten entsprechend auf die Art und Weise ein, wie die Lehramtsstudierenden die im Studium vermittelten In‐ halte aufnehmen und filtern (Richardson, 1996). In der Literatur herrscht also Übereinstimmung darüber, dass Überzeugungen insgesamt für pädagogische Entscheidungen von zentraler Bedeutung sind (Borg, 2003; Caspari, 2014; Dubberke, Kunter, McElvany, Brunner, & Baumert, 2008; Gebauer, 2013; Läge & McCombie, 2015; Marland & Osborne, 1990; Phipps & Borg, 2009; Schlichter, 2012). Es verwundert daher nicht, dass sich die pädagogische, psychologische und fachdidaktische Forschung bemüht, diese Schlüsselparameter zu erfassen und ihre Bedeutung für das konkrete unter‐ richtliche Handeln zu analysieren. <?page no="100"?> Die Erfassung selbst gestaltet sich jedoch schwierig: Dies ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass Überzeugungen nicht in isolierter Form vorliegen, sondern ein komplexes System verschiedener miteinander interagierender, möglicherweise auch widersprüchlicher Einzelüberzeugungen bilden. Über die exakte Organisation des Systems und die Interaktion der Überzeugungen exis‐ tieren allerdings vorläufig nur Vermutungen. So weisen Crahay, Wanlin, Is‐ saieva und Laduron (2010) darauf hin, dass es strittig sei, ob es sich um hierar‐ chisch angelegte „Schichten“ (sie sprechen von „strates superposées“ und „strates inférieures“, ebd. S. 107) handele, oder ob die die Überzeugungssysteme Cluster bildeten, die voneinander unabhängig existierten. Phipps und Borg (2009, S. 380) postulieren, dass es höchstwahrscheinlich Kernüberzeugungen gebe, die sich von periphären Überzeugungen unterscheiden ließen und die im Falle eines Konfliktes dominierten. Damit stimmen sie mit Caspari (2003, 2014) überein, die gleichfalls von einer hierarchischen Struktur der Überzeugungen ausgeht und annimmt, dass „einzelne (i. d. R. ein bis drei) Deutungsmuster so‐ wohl für die Gesamtstruktur des Selbstverständnisses als auch für einzelne „Komponenten“ (Caspari, 2014, S. 24) von großer Bedeutung sind. Auch für die mögliche Veränderbarkeit der Überzeugungen spielt es eine Rolle - und hier ist sich die Forschung weitgehend einig - ob auf zentrale, mit der Persönlichkeit des Individuums verbundene oder eher periphäre Überzeu‐ gungen eingewirkt werden soll (Crahay u. a., 2010). In jedem Fall jedoch wird angenommen, dass das Subjekt sich seiner Überzeugungen nicht immer bewusst sei. Gerade seiner verhaltensfernen, allgemeinen Überzeugungen, so Läge und McCrombie (2015), sei sich das Individuum nicht unmittelbar gewahr. Entspre‐ chend unterscheidet Basturkmen (2012) in ihrer Literaturübersicht zwischen artikulierbaren und nicht artikulierbaren Überzeugungen (explicit vs. implicit beliefs). Es liegt auf der Hand, dass eine solchermaßen komplexe Struktur der Über‐ zeugungen ihre Erforschung stark erschwert. Insbesondere der für die didakti‐ sche Fragestellungen interessante Beziehung zwischen Überzeugungen und konkretem Handeln habhaft zu werden, erweist sich in zahlreichen Studien als große Herausforderung (Basturkmen, 2012; Talbot & Campbell, 2014). Aus dieser Schwierigkeit werden verschiedene forschungsmethodische Konse‐ quenzen gezogen: Als forschungsmethodisches Ideal wird dabei recht einhellig eine „Gesamt‐ erhebung“ der Überzeugungen eines Individuums benannt (Caspari, 2003; Läge & McCombie, 2015), deren Daten aus multiplen Datenquellen gewonnen werden (Talbot & Campbell, 2014, S. 422). Einerseits, so Talbot und Campbell weiter, könne nur so gewährleistet werden, dass die verschiedenen Systeme und 8 Kompetenzfacetten und Operationalisierung 100 <?page no="101"?> Deutungsmuster berücksichtigt werden. Andererseits stelle dies die einzige Möglichkeit dar, einen zuverlässigen Rückschluss von den erhobenen Überzeu‐ gungen auf die reellen Praktiken der Lehrerinnen und Lehrer zu ziehen: Without analyzing and gathering data between the stated belief and the teacher prac‐ tice, the inference made between belief and practice is weak, at best. In order to gain confidence in inference, multiple data sources are needed. (S. 422) Zur Realisierung dieses anspruchsvollen Unterfangens werden zumeist Fallstu‐ dien durchgeführt, in denen multiple Datenquellen, im Idealfall also Unter‐ richtsbeobachtung und -videographie, Reflexion hinsichtlich der videogra‐ phierten Sequenzen, qualitative Interviews und/ oder schriftliche Daten, erhoben und analysiert werden (Basturkmen, 2012; Talbot & Campbell, 2014). Allerdings betont Basturkmen in ihrem Literaturüberblick (2012), dass aktuell ein Großteil der Forschung zu Überzeugungen auf Fallstudien basiere. Dies führe dazu, dass es methodisch fragwürdig sei, eine Generalisierung der Ergeb‐ nisse anzustreben. Ferner habe auch eine Studie, die - wie gefordert - multiple Datenquellen genutzt habe, zu einem sehr differenzierten Bild geführt. Auch hier ergab sich nicht immer Konsistenz zwischen den erhobenen Überzeu‐ gungen und den beobachteten Handlungen. (ebd. S. 284). Darüber hinaus legen Läge und McCrombie (2015) dar, dass auch qualitative Verfahren, die narrativer Natur seien, als problematisch anzusehen seien. Da der sprachliche Zugang zu den unbewusst gespeicherten Überzeugungen erschwert sei, sei natürlich auch die Ausformulierung durch das Individuum prekär. Demgegenüber existieren einige Studien, in denen Überzeugungen zu be‐ stimmten Aspekten des fremdsprachenunterrichtlichen Handelns mit Hilfe quantitativer Forschungsinstrumente erhoben werden (z. B. Borg & Burns, 2008; Graham, Santos, & Francis-Brophy, 2014): Die Lehrerinnen und Lehrer sollen also dazu veranlasst werden, selbst über ihre Überzeugungen Auskunft zu geben. Auf die Probleme von Fragebögen wird auch von den Autorinnen und Autoren der jeweiligen Studien hingewiesen. So können diese natürlich nur diejenigen Konstrukte erfassen, die bei ihrer Erstellung berücksichtigt wurden. Damit sind sie nur wenig dazu geeignet, eine Gesamtübersicht über Beliefsys‐ teme zu geben, was angesichts der Tatsache, dass gemeinhin zahlreiche wider‐ streitende Überzeugungen für das Handeln von Individuen verantwortlich ge‐ macht werden, als fragwürdig anzusehen ist. Darüber hinaus ist fraglich, ob die solchermaßen erhobenen Auskünfte tatsächlich valide sind. Plausibler sei es, auch dies wird von den Autoren der jeweiligen Studien zumeist eingeräumt, dass es sich um handlungsbezogene Theorien und Idealvorstellungen handelt, wie sie beispielsweise im Sinne der sozialen Erwünschtheit formuliert werden 8.1 Überzeugungen 101 <?page no="102"?> können, denn um handlungsdeterminierende Überzeugungen (Borg & Burns, 2008, S. 459). Freilich wird gleichfalls darauf hingewiesen, dass es gerade in Domänen, in denen der didaktische Diskurs noch nicht zu einem klaren Handlungskonsens geführt hat, Domänen also, die in Aus- und Fortbildung weitgehend vernach‐ lässigt werden, die eigenen Handlungstheorien der Lehrpersonen sind, die das Handeln - und eben auch die Selbstauskünfte - der Lehrerinnen und Lehrer mitbestimmen: Much L2 teacher cognition research shows that, particularly in the absence of un‐ contested conclusions about what constitutes good practice, teachers base instruc‐ tional decisions on their own practical theories. (Borg & Burns, 2008, S. 458) Zu behaupten, dass die Aussprache, die, wie bereits beschrieben wurde, jahr‐ zehntelang am „Aschenputtelsyndrom“ litt (Seidlhofer, 2006), eine solche Do‐ mäne darstellt, mutet nicht allzu verwegen an. Daher scheint es methodisch legitim und zugleich von hohem Erkenntnisinteresse zu sein, die aussprache‐ bezogenen Überzeugungen, die im Kontext der vorliegenden Arbeit als Hand‐ lungstheorien und Idealvorstellungen verstanden werden sollen, mit einem quantitativen Forschungsinstrument zu erheben. Wie bereits im Abschnitt zu den Desiderata des aktuellen Fremdsprachen‐ unterrichts beschrieben wurde, legt die linguistische und fachdidaktische For‐ schung nahe, dass dabei verschiedene relevante Faktoren zu berücksichtigen sind. So könnten die Lehrerinnen und Lehrer annehmen, dass Aussprache ei‐ nerseits für Kommunikation und Integration im Zielsprachenland nicht so wichtig sei wie andere sprachliche Fertigkeiten (genannt werden zumeist Lexik und Grammatik). Diese Annahme könne die Lehrpersonen dazu verleiten, die knapp bemessene Unterrichtszeit zu Lasten eines Aussprachetrainings den aus ihrer Sicht zentralen Lerninhalten zu widmen und den Schülerinnen und Schü‐ lern gegenüber eine gute Aussprache nicht als klares Lernziel zu benennen. (Chavez, 2014; Foote u. a., 2016; Lauret, 2011; LeVelle & Levis, 2014; Martinsen u. a., 2014; Saalfeld, 2012; Segalowitz u. a., 2011). Entsprechend muss erhoben werden, welchen Stellenwert die Aussprache für die Lehrpersonen für Kom‐ munikation und Integration im Zielsprachenland einnimmt. Weiterhin wird verschiedentlich die Annahme geäußert, Lehrerinnen und Lehrer seien - beispielsweise aufgrund der in der Didaktik durchaus verbrei‐ teten Forschungsergebnisse zur Critical Period - davon überzeugt, dass Aus‐ sprache ab einem gewissen Alter nicht mehr, beziehungsweise nur noch von talentierten Lernern lernbar sei (Saalfeld, 2012). Auch diese Annahme bedarf jedoch empirischer Daten, die bislang noch fehlen. 8 Kompetenzfacetten und Operationalisierung 102 <?page no="103"?> 1 Zwar bezieht sich Bandura in seinem Artikel auf Schülerleistungen. Dass die Wahr‐ nehmung einer eigenen Selbstwirksamkeit jedoch auch für Lehrerinnen und Lehrer, beziehungsweise für den Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler von größter Wich‐ tigkeit ist, betont Gebauer (2013) in ihrem Forschungsüberblick. 2 Professionelle Kompetenz und das Wissen von Lehrkräften wird in Forschungsarbeiten verschieden definiert. Allein der Wissensbegriff kann - wie Legutke und Schart (2016, S. 16) betonen - „sehr unterschiedlich gefasst werden“. Für die vorliegende Arbeit wurde aussprachebezogene Kompetenz und aussprachebezogenes Wissen oftmals synonym ver‐ wendet. Dies impliziert jedoch nicht, dass allgemeine Kompetenzen von Lehrenden grundsätzlich und ausschließlich als „Umsetzung eines Wissens“ verstanden werden sollen. Ebenso wird in Forschungsarbeiten oftmals geäußert, den Lehrerinnen und Lehrern mangele es an fachdidaktisch-methodischen Kenntnissen hinsichtlich der Ausspracheerwerbsmechanismen, möglicher (sozio-psychologischer) Hin‐ dernisse und Blockaden sowie zu wirksamen Methoden (Foote u. a., 2016). Dieser Mangel könne, wenn er von den Lehrpersonen selbst wahrgenommen werde, die Selbstwirksamkeitserwartungen (Bandura, 1993) der Lehrkräfte 1 beein‐ flussen und sie entsprechend daran hindern, einen gezielten Ausspracheunter‐ richt vorzunehmen (Cutler, 2014). Daher müssen auch die aussprachebezogenen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Lehrkräfte erhoben werden. Schließlich wird von Kramsch (1987) postuliert, dass es eine globale Unsicher‐ heit der eigenen Aussprache gegenüber sei, die Lehrerinnen und Lehrer dazu veranlasse, keine idiomatische (Aus-)Sprache im Unterricht zu vermitteln. Auch das aussprachebezogene Selbstkonzept soll daher erfragt werden. Somit ergeben sich für die quantitative Studie vier Überzeugungsskalen: 1. Bedeutungsskala 2. Lernbarkeitsskala 3. Selbstwirksamkeitsskala 4. Selbstkonzeptskala 8.2 Aussprachebezogenes Kompetenzmodell Von den Überzeugungen lässt sich das Wissen und Können 2 der Lehrkräfte trennen (Pajares, 1992; Talbot & Campbell, 2014). Richtungsweisend waren be‐ züglich der Definition dieses Wissens Shulmans Arbeiten aus den 1980er Jahren (Shulman, 1987). Er stellte 1987 fest, dass es Wissen gibt, das in der Lehrsitua‐ tionen zum Einsatz kommt und das sich vom eigentlichen Fachwissen unter‐ scheidet. Auf der Grundlage seiner Feststellung schlug er eine heuristische Ter‐ minologie vor, die seitdem in zahlreichen zumeist mathematikdidaktischen 8.2 Aussprachebezogenes Kompetenzmodell 103 <?page no="104"?> 3 Für eine detaillierte Diskussion der Hattie-Studie s. De Florio-Hansen (2014, S. 31ff.) oder Terhart (2011) Publikationen bearbeitet und weiterentwickelt wurde. Dieses Modell unter‐ scheidet, wie Roters et al. (2011) bemerken, vier Bereiche: • content knowledge (CT, fachwissenschaftliches Wissen), • pedagogical knowledge (PK, pädagogisches fachübergreifendes Wissen), • curricular knowledge (CK, auf Lehr- oder Bildungspläne bezogenes Wissen) und • pedagogical content knowledge (PCK, fachdidaktisches Wissen). Dabei ist das PCK jedoch nicht als Gegenpol zum Fachwissen oder zum genuin pädagogischen Wissen zu verstehen, sondern vielmehr als „a kind of amalgam“ (Ball, Thames, & Phelps, 2008, S. 392). Darüber hinaus interagiert die Entstehung und Entwicklung dieses Amal‐ gams mit Erfahrungen und Einstellungen der Lehrkraft, sodass, wie Blömeke (2011, S. 14) betont, eine mehrdimensionale Konzeptualisierung der professio‐ nellen Kompetenz angehender und praktizierender Lehrkräfte notwendig ist. Problematisch ist allerdings, dass die Definition der verwendeten Konzepte häufig nicht eindeutig ist (für einen Überblick siehe Ball et al., 2008, S. 394). So monieren Ball et al., die Definitionen seien „broad enough to include nearly any package of teacher knowledge and beliefs“ und verwischten “distinctions bet‐ ween teacher actions, reasoning, beliefs, and knowledge.” (ebd.) Darüber hinaus wird kontrovers diskutiert, ob die Kompetenzen der Lehr‐ kräfte beziehungsweise eine Lehrerprofessionalisierung überhaupt mit den Schülerleistungen korrelieren. So ergibt, wie Terhart (2011) ausführt, die pro‐ minente Meta-Analyse von Hattie überraschenderweise, dass weder fachdidak‐ tische Kompetenz noch Lehrerprofessionalisierung für den Lernerfolg der Schü‐ lerinnen und Schüler von großer Bedeutung sei. Allerdings weist er darauf hin, dass sich Hatties Analyse hauptsächlich auf Arbeiten aus den 80er und 90er Jahren stütze, so dass die Mehrheit der Arbeiten, die sich mit Lehrerkompe‐ tenzen beschäftigten und die weitaus jünger sind, keinen Eingang in seine Da‐ tenanalyse finden konnte 3 . Dass fachdidaktisches Wissen und Können durchaus wichtig ist und Lehrerprofessionalisierung mit einer Verbesserung der Schüler‐ leistungen einhergeht, betonen demgegenüber neuere Arbeiten (Roters u. a., 2013; Terhart, 2012). Für den Bereich der Fremdsprachendidaktik sind die Arbeiten, die im Kontext von TEDS-LT entstanden sind, richtungsweisend (z. B. Blömeke, 2011; Ro‐ 8 Kompetenzfacetten und Operationalisierung 104 <?page no="105"?> 4 Für eine Darstellung der verschiedenen Sichtweisen auf das Lehrerwissen s. Appel (2016, S. 26). 5 Wipperfürth (2009, S. 15) führt hier das prominente Beispiel einer Unterrichtsinterak‐ tion an, in dem die Lehrkraft auf die Schüleräußerung: „they can die“ mit „very good“ antwortet: Die mangelnde Authentizität einer solchen Äußerung sei für den Fremd‐ sprachenunterricht oftmals charakteristisch. ters u. a., 2013; Roters & Trautmann, 2014) 4 . Diese übertragen die Kategorien Shulmans in Berufung auf ein Modell von Grossmann auf den fremdsprachen‐ didaktischen (freilich englischdidaktischen) Kontext (Abb. 4). Sie definieren das professionelle fachdidaktische Wissen im Fremdsprachenbereich wie folgt: Im Gegensatz zum Fachwissen, das von den akademischen Fachdisziplinen geprägt ist […], ist das professionelle fachdidaktische Wissen auf die Analyse, Erkenntnis und Vermittlung fremdsprachlicher Inhalte und Kompetenzen sowie auf die Bereitstellung von Lerngelegenheiten, die den kognitiven und motivational-affektiven Bedürfnissen der Lernenden in ihrem Kompetenzerwerb entsprechen, ausgelegt. (Roters u. a., 2013: 158) Wichtig sind dabei zwei Aspekte: Erstens wird das Professionswissen für den Fremdsprachenunterricht nicht mehr als Anwendung von „Rezeptvorschlägen aus der Methodenbox“ begriffen, sondern als „Anpassung von Methoden an den jeweils gegebenen Voraussetzungen für Fremdsprachenunterricht.“ (Wipper‐ fürth, 2009, S. 12). Somit, so Wipperfürth (ebd.) weiter, schaffe die Fremdspra‐ chendidaktik „in diesem Bereich eine eigene, fachspezifische Perspektive auf den Prozess der Lehrerprofessionalisierung.“ Zweitens jedoch gilt es die Besonderheit des Fremdsprachenunterrichts zu bedenken (König u. a., 2016; Legutke & Schart, 2016). Die Einheit von Gegen‐ stand und Medium, die die Fremdsprachenvermittlung präge, mache andere Lehrerkompetenzen erforderlich, als dies beispielsweise im Mathematikunter‐ richt der Fall sei. So müsse die Lehrkraft immer zugleich auf Inhalte einer Schü‐ leräußerung wie auf die Korrektheit der Sprache achten, in der die Inhalte for‐ muliert werden. Dabei sei es jedoch wichtig, dass sie pragmatisch angemessen auf Äußerungen reagiere, anstatt ein sich auf die morphologisch-gramma‐ tisch-lexikalischen Feedback-Ebene zu kaprizieren (Wipperfürth, 2009) 5 . Um‐ gekehrt müsse sie sich auch selbst einer Sprache bedienen, die durch verschie‐ dene Merkmale dazu geeignet sei, den Lernfortschritt ihrer Schülerinnen und Schüler zu favorisieren. Über rein methodische Kenntnisse hinaus müsse die Lehrkraft daher über zahlreiche weitere kommunikative und fachdidaktische Fähigkeiten verfügen: 8.2 Aussprachebezogenes Kompetenzmodell 105 <?page no="106"?> Language teachers are also required to develop a high level of language awareness, language learning awareness, and of intercultural competencies (cf. the national standards of education for foreign languages in Germany, www.kmk.org) to diagnose their students’ strengths and weaknesses in the acquisition and learning process and to encourage and develop competencies in the whole range of culture-,media-,and text-related objectives of the EFL curriculum. Furthermore, EFL teachers also have to be experts in the methodology of language teaching and learning. They need specific competencies to create stimulating communicative learning environments and op‐ portunities for developing content-related skills. (König u. a., 2016, S. 322) Es existieren verschiedene Ansätze, die Kompetenzen, die Lehrkräfte für einen guten Unterricht benötigen, zu operationalisieren, so beispielsweise die KMK-Standards für die Lehrerbildung (Die Kultusministerkonferenz, 2017). Wie Wipperfürth (2009, S. 11) jedoch darlegt, betreffen in diesem Beschluss nur we‐ nige Items explizit fachdidaktische Kompetenzen (Wipperfürth spricht von einem Fünftel). Dass dies als problematisch anzusehen ist, betont Terhart (2002), der den spezifischen Mehrwert fachdidaktischer Kompetenzen darstellt: Ein Absolvent muss fachdidaktisch analysieren und argumentieren können. Er muss dazu in der Lage sein, sein Fach bzw. seine Fächer unter dem Gesichtspunkt der Lehr‐ barkeit und Lernbarkeit - auch unter dem Gesichtspunkt von Lernschwierigkeiten bei Schülern sowie unter dem Gesichtspunkt der Fächergrenzen und deren Überwindung - zu erörtern. Während das fachbezogene Wissen sich lediglich auf zu ver‐ mittelnde Inhalte und deren Hintergründe bezieht, und das in die Lehrerbildung ein‐ gebaute erziehungswissenschaftliche Wissen ‚inhaltsneutral‘ und eher allgemein auf Probleme und Prozesse des Schulsystems, des Unterrichts und des Lehrerberufs ab‐ hebt, bietet das Feld der Fachdidaktik die Möglichkeit einer Verschränkung von in‐ halts- und prozessbezogener Perspektive. Genau dies ist ein zentrales Element in‐ nerhalb der Lehrerkompetenz. (S. 31) Roters et al. entwickeln auf der Grundlage dieser Erwägungen ein Modell (s. Abb. 4), welches das fachdidaktische Wissen im Fach Englisch operationali‐ sieren soll. 8 Kompetenzfacetten und Operationalisierung 106 <?page no="107"?> Abb. 4: Modell nach Roters et al. 2013, S. 159 Für die Erforschung des Konstruktes „aussprachebezogene Kompetenzen“ ist es erforderlich, das von Roters et al. vorgelegte Modell zu adaptieren. Die oben bereits dargestellte Forschung zu methodischen Aspekten und zu Lernmecha‐ nismen und -hemmnissen bei der Ausspracheschulung legt jedoch nahe, dass es möglich und sinnvoll ist, eine solche Adaptation theoriegeleitet und rational vorzunehmen. So ist hinreichend bekannt, welche Merkmale das Aussprache‐ training aufweisen sollte, um wirksam zu sein. Darüber geben die bisher vor‐ liegenden Studienergebnisse Aufschluss darüber, welche Lern- und Erwerbs‐ prozesse beim Ausspracheerwerb zum Tragen kommen. Letztlich werden in der Literatur verschiedene (Fehl-)Vorstellungen thematisiert (s. Abschnitt 5.2.3), die den Ausspracheerwerb favorisieren oder behindern können. Das Konstrukt „aussprachedidaktische Kompetenzen“ setzt sich demnach aus folgenden Wis‐ sensdimensionen zusammen (Abb. 5): 8.2 Aussprachebezogenes Kompetenzmodell 107 <?page no="108"?> Abb. 5: Modell für die aussprachedidaktischen Kompetenzen in Anlehnung an das Modell von Roters et al. (2013, S. 159) Über dieses fachdidaktische Wissen hinaus sind für die Vermittlung der Aus‐ sprache, wie bereits beschrieben wurde, weitere Kompetenzen der Lehrkraft von Bedeutung: So muss die Lehrkraft selbst über eine hohe Sprachkompetenz ver‐ fügen, um als Sprachvorbild fungieren zu können. Ferner ist für die Aussprache‐ schulung, insbesondere für das aussprachebezogene Feedback, die Hörverstehenskompetenz unabdingbar. Für die konkrete Operationalisierung beziehungsweise die Itemformulierung der aussprachebezogenen fachdidaktischen Kompetenzen im Sinne einer in‐ neren Validität ergeben sich folgende theoretische Überlegungen: Es muss er‐ 8 Kompetenzfacetten und Operationalisierung 108 <?page no="109"?> hoben werden, auf welcher Grundlage Lehrkräfte ihre aussprachebezogenen Lehrmethoden und Vermittlungsstrategien selektionieren. Darüber ist zu un‐ tersuchen, ob sie in der Lage sind, die verschiedenen Dimensionen einer sinn‐ vollen Aussprachevermittlungsmethode (z. B. Audioaufnahmen, Einsatz des IPA) zu erkennen (Lehrprozesse). Weiterhin muss erfragt werden, ob den Lehrkräften die für die Aussprache‐ vermittlung wesentlichen Erwerbsprozesse bekannt sind. Dies können bei‐ spielsweise Phänomene wie Interferenzen zwischen der Ursprungs- und der Zielsprache sein oder das Wissen darüber, dass für einen Ausspracheerwerb eine gezielte Instruktion vonnöten ist (Lern- und Erwerbsprozesse). Und schließlich muss erforscht werden, wie die Lehrkräfte mit ggf. in ihrem Unterricht er‐ scheinenden Blockaden und Fehlrepräsentationen umgehen und wie sie die verschiedenen Dimensionen des Feedbacks (zwischen Notwendigkeit, sinn‐ vollem Zeitpunkt und einer gewissen Sensibilität den Schülerinnen und Schü‐ lern gegenüber) erfassen (schülerbezogene Aspekte). Schließlich wäre eine Erhebung der eigenen aussprachebezogenen Kompe‐ tenzen der Lehrkräfte interessant. Da diese jedoch den Einsatz aufwändiger Testverfahren implizieren würde (Aufnahmen, Hördateien), ist es im Sinne eines Einsatzes bei größeren Probandengruppen ratsam, darauf zu verzichten. Für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich existieren bereits ei‐ nige standardisierte Testinstrumente, die eine solche Erfassung ermöglichen (Überblick siehe Gebauer (2013)). Hierbei eignen sich besonders Testformate, die von der Arbeitsgruppe um den COACTIV-Test erstellt wurden als Vorlage: Unterrichts- und Gesprächsszenarien, die die Lehrpersonen bewerten müssen, können auch zur Messung des phonetischen und aussprachedidaktischen Wis‐ sens herangezogen werden. Es ist also bekannt, welche Dimensionen pädagogisch-didaktischen Handelns für eine Erforschung der aussprachebezogenen Kompetenzen und Überzeu‐ gungen von Bedeutung sein könnten. Speziell für die Ausspracheschulung konnte jedoch über Vermutungen hinaus noch nicht empirisch nachgewiesen werden, welche der genannten Faktoren zum Tragen kommen und wie diese Faktoren zusammenwirken. Insbesondere für den deutschen Schulkontext fehlt es hier an belastbaren Daten: die Fallstudie, die Mordellet-Roggenbuck (2002) zur Untersuchung des Ausspracheerwerbs in der Grundschule aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Lehrerin unternommen hat, ist in diesem Bereich bislang einzigartig. Desweiteren mangelt es an Information dazu, ob und unter welchen Bedingungen eine Einwirkung auf die genannten Faktoren - beispielsweise durch Fortbildungsmaßnahmen - überhaupt möglich ist. Dieses Forschungsdesiderat möchte die vorliegende Arbeit schließen. 8.2 Aussprachebezogenes Kompetenzmodell 109 <?page no="111"?> 1 Gemeint ist die Einrichtung und das Ausbildungsland (Pädagogische Hochschule bzw. Universität und Deutschland bzw. Ausland). 9 Studie 1: Erhebung des Status quo Die beiden der Arbeit zugrundeliegenden Fragen, wie sie im letzten Abschnitt dargestellt wurden, haben unterschiedlichen Charakter: zum einen handelt es sich um eine Erhebung des aussprachebezogenen Status quo, zum anderen aber soll eine Förderungsintervention mit Modellcharakter entwickelt werden. Auf‐ grund der Verschiedenartigkeit der Fragestellungen ist es sinnvoll, ihre Beant‐ wortung in zwei separaten Studien vorzunehmen. Dabei befasst sich Studie 1 mit der Erhebung der Kompetenzfacetten (Überzeugungen und Kompetenzen) und Praktiken. Studie 2 wird der Entwicklung eines Fördermoduls gewidmet sein. 9.1 Forschungsfragen Die wesentlichen Forschungsfragen lauten dabei wie folgt: 1. Wie sind aussprachebezogene Praktiken in der beforschten Population verteilt? 2. Besteht ein Zusammenhang zwischen den Variablen Aufenthalt im frankophonen Ausland, Studienort 1 , phonetisch-phonologischer Input in der Erstausbildung, frankophone Muttersprachlichkeit, Schulform oder Ge‐ schlecht der Lehrenden mit der Ausspracheschulungspraxis im Unter‐ richt, den Überzeugungen und den Kompetenzen der Lehrenden? 3. Gibt es Unterschiede zwischen ReferendarInnen und erfahrene Lehrper‐ sonen hinsichtlich der aussprachebezogenen Überzeugungen und Kom‐ petenzen? 4. Besteht ein Zusammenhang zwischen der Ausspracheschulungspraxis im Unterricht mit den Überzeugungen und Kompetenzen der Lehrenden? <?page no="112"?> 2 Als „Probandinnen und Probanden“ werden im Folgenden diejenigen Personen be‐ zeichnet, deren Daten vorlagen und ausgewertet werden konnten. 9.2 Forschungsdesign Aus der beschriebenen Forschungslage ergeben sich für die Vorgehensweise bei der Beantwortung der Forschungsfragen folgende Konsequenzen: Das explo‐ rativ angelegte Studienziel macht ein Design erforderlich, das sowohl qualitative als auch quantitative Anteile vereint. Die Erforschung der Kompetenzfacetten und des professionellen Handelns der Lehrkräfte erfordert ein Instrument, das möglichst ökonomisch eine große Zielgruppe erreicht. Diese Vorgaben können am effektivsten mit einer quantitativen Studie und einem Fragebogendesign er‐ füllt werden. Die bereits beschriebene Beschaffenheit der Überzeugungssysteme und der explorative Charakter der Studie macht es zudem erforderlich, dass zusätzlich qualitative Daten erhoben werden, um eine inhaltliche Vereinfachung durch den Fragebogen zu verhindern und um die Interpretation der quantitativ erhobenen Daten zu erleichtern. Hierfür eigenen sich semistrukturierte qualitative Inter‐ views in besonderem Maße, da sie den Probanden die Möglichkeit geben, Ant‐ worten zu formulieren, die die Interviewerin nicht vorhergesehen hatte. Die Arbeit entspricht also in ihrer Ausrichtung dem Ansatz der Datentriangulation (Kuckartz, 2014): Dieser besagt, „dass mehr als eine Perspektive zur Untersu‐ chung eingesetzt wird, um so das Vertrauen in die Validität der Resultate zu erhöhen“ (Kuckartz, 2014, S. 47). 9.3 Methodik Quantitative Untersuchung 9.3.1 Probanden Der Rekrutierungszeitraum erstreckte sich von Dezember 2015 bis Mai 2017. Entsprechend der Forschungsfrage wurden ausschließlich Lehrkräfte der Se‐ kundarstufen I und II (Realschulen, Gemeinschaftsschulen, Berufsschulen und Gymnasien) kontaktiert. Dabei wurden die Bögen von 54 Lehrerinnen und Leh‐ rern der Sekundarstufen und 20 ReferendarInnen des Staatlichen Seminars für Lehrerbildung Freiburg im Breisgau (Gymnasien), insgesamt also von 74 Pro‐ bandinnen und Probanden 2 , ausgefüllt. Den Referendarinnen und Referendaren wurden gleichwohl nur Fragen zu Überzeugungen und Kompetenzen gestellt, da aufgrund ihres Ausbildungsstandes (Beginn der Ausbildung mit ausschließ‐ 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 112 <?page no="113"?> licher Hospitation und fehlender Lehrerfahrung) die eigenen Praktiken als nicht relevant eingeschätzt wurden. Die Herkunft der Probandinnen und Probanden setzte sich wie in Tabelle 1 beschrieben zusammen. Befragte Anzahl Anteil (%) Gymnasium 1 5 7% Gymnasium 2 15 20% Gemeinschaftsschule 8 11% Keine Angabe 17 23% ReferendarInnen 20 27% Fortbildung PH 9 12% Alle 74 100% Tab. 1: Herkunft der Probandinnen und Probanden. Die Probandinnen und Probanden waren überwiegend (85 %) weiblich. Franzö‐ sische Muttersprachlerinnen und Muttersprachler machten 8 % der Stichprobe aus. Die Mehrheit (83 %) der Probanden war an deutschen und ausländischen Universitäten ausgebildet worden. Nur 10 Studienteilnehmerinnen und -teil‐ nehmer gaben als Ausbildungsort eine Pädagogische Hochschule an (s. Tab. 2). Studium Anzahl Anteil (%) PH (D) 10 14% Universität (D) 50 67% Universität (Ausland) 3 4% Universität (D & Ausland) 11 15% Alle 74 100% Tab. 2: Ausbildungsstätte der Probanden. Auf die Frage nach der Gesamtaufenthaltsdauer im frankophonen Ausland ergab sich wie aus Abbildung 6 ersichtlich ein differenziertes Bild: Gab die Mehrheit der Probanden (57 %) an, zwischen sechs und 17 Monaten im franzö‐ 9.3 Methodik Quantitative Untersuchung 113 <?page no="114"?> sischsprachigen Ausland gewesen zu sein, so hatten sich immerhin 21 Pro‐ banden (29 %) nach eigenen Angaben zwischen 18 und 29 Monaten im franzö‐ sischen Sprachraum aufgehalten. Nur eine befragte Person gab an, noch nie im frankophonen Ausland gewesen zu sein. Abb. 6: Gesamtaufenthaltsdauer im frankophonen Ausland. Die Balkenhöhe (Y-Achse) entspricht der jeweiligen Anzahl der ProbandInnen. Das Item, das die Anzahl und die Natur der im Studium besuchten Phonetik- und Phonologieseminare abfragte, war offen formuliert. Das Antwortverhalten war entsprechend heterogen und bedurfte bei der Codierung der Interpretation. Als Phonetik- und Phonologieseminar wurden demnach solche Veranstaltungen gewertet, deren Fokus weitgehend auf der Aussprache, ihrer Funktion, ihrer Didaktik oder phonologischen Aspekten lag. Wenn nur ein Teil der Veranstal‐ tung dem Thema gewidmet war (z. B. eine Einführung in die Linguistik, die Phonetik und/ oder Phonologie als Teilbereich behandelt), wurde dies mit 0,5 bewertet. Dies ist eine Erklärung dafür, dass über die Hälfte der Probandinnen und Probanden angab, im Studium 0-1 Veranstaltungen zur Aussprache (im weiteren Sinne) besucht zu haben (s. Abb. 7). 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 114 <?page no="115"?> 3 Für einen genaueren Einblick s. den online verfügbaren Fragebogen unter http: / / www . meta.narr.de/ 9783823382645/ Fragebogen_Abel.pdf. Abb. 7: Verteilung der im Studium besuchten Phonetikseminare pro ProbandIn (X-Achse). Die Höhe der Balken (Y-Achse) entspricht der jeweiligen Anzahl der Proban‐ dInnen. 9.3.2 Untersuchungsinstrument 3 9.3.2.1 Genese und Operationalisierung der Überzeugungsskalen Das Konstrukt der „aussprachebezogenen Überzeugungen von Lehrkräften der Sekundarstufen“ wurde deduktiv, auf Grundlage der Forschungsliteratur zu möglicherweise vorhandenen Desiderata, wie sie im Forschungsüberblick be‐ reits dargestellt wurden, operationalisiert. Im Sinne einer rationalen Konstrukt‐ definition ergeben sich dabei folgende Merkmale: 1. Überzeugungen zur kommunikativen Bedeutung der Aussprache 2. Überzeugungen zur Lernbarkeit von Aussprache beziehungsweise von der Talentabhängigkeit 3. Überzeugungen zur eigenen Selbstwirksamkeit; d. h. zur Fähigkeit, die Lernenden effektiv in französischer Aussprache unterrichten zu können 9.3 Methodik Quantitative Untersuchung 115 <?page no="116"?> 4 Die Stufen lauteten: 1 = trifft nicht zu, 2 = trifft überwiegend nicht zu, 3 = trifft über‐ wiegend zu, 4 = trifft zu. 5 Die Stufen lauteten: 1 = trifft nicht zu, 2 = trifft überwiegend nicht zu, 3 = trifft eher nicht zu, 4 = trifft eher zu, 5 = trifft überwiegend zu, 6 = trifft zu. 4. Überzeugungen zum Selbstkonzept, die die Wahrnehmung der eigenen Aussprachefähigkeit betreffen. Aus diesem Ansatz ergeben sich vier unipolare Likertskalen, denen in einem ersten Schritt jeweils sechs vierstufige 4 Testitems in Form von Statements zu‐ geordnet wurden, zu denen die Probanden den Grad ihrer Zustimmung be‐ stimmen konnten. Die Testitems wurden nachträglich teilweise invertiert, um eine Verfälschung durch Antworten im Sinne der Akquieszenz zu vermeiden. Eine erste Pilotierung des Konzepts fand im November 2014 im Rahmen einer Fortbildung an Französischlehrerinnen und Französischlehrern rheinlandpfälzischer Schulen (N = 25) in Mainz statt. Nach der Bearbeitung folgte eine kurze retrospektive Befragung zu Praktikabilität, Verständlichkeit und Zumut‐ barkeit. Bereits zu diesem Zeitpunkt ergaben sich hinsichtlich einiger Items Verständnisfragen. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass diese Items meh‐ rere Aussagen beinhalteten. Entsprechend ergab sich nur eine einzige reliable Skala (Reliabilitätsbedingung: Cronbach’s Alpha > 0,7). Abgesehen von der missverständlichen Itemformulierung war dies sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass die vierstufigen Skalen keine ausreichende Differenzierung ermöglichten. Zur Verbesserung der Item-Formulierung wurde einerseits die Forschungs‐ literatur zu Rate gezogen (z. B. Jonkisz, Moosbrugger, & Brandt, 2012), anderer‐ seits wurden die verbesserten Items verschiedenen Testpersonen (2 Französi‐ schlehrerinnen und 2 weiteren fachfremden Personen) vorgelegt, die diese dann bearbeiten und ihre Gedanken bei der Bearbeitung laut ausformulieren sollten. Durch diese dem „lauten Denken“ (Konrad, 2010) entlehnte Vorgehensweise gelang es, die missverständlichen Formulierungen zu identifizieren und durch eindeutige zu ersetzen. Darüber hinaus wurden die vierstufigen Skalen durch sechstufige Skalen 5 sowie durch die Antwortkategorie „kann ich nicht sagen“ ersetzt. Nach einer weiteren Pilotierung an fortgeschrittenen Französischstudier‐ enden (ab dem 6. Studiensemester, Praxiserfahrung bereits erworben) und einer weiteren retrospektiven Befragung zur Praktikabilität, Zumutbarkeit und Ver‐ ständlichkeit, ergaben sich vier reliable Skalen (Bedingung: Cronbach’s Alpha > 0,7, siehe Tab. 3), die als Ausgangspunkt einer Faktorenanalyse dienen konnten. Auf diesem Wege wurde eine Verringerung der Item-Anzahlen und eine Re‐ 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 116 <?page no="117"?> 6 Zum Nutzen des IPA für den Ausspracheunterricht s. z. B. die Abschnitte 6.2.2 und 6.2.5 der vorliegenden Arbeit. duktion der Bearbeitungsdauer erreicht. Dabei wurden vorrangig diejenigen Items entfernt, die bei der retrospektiven Befragung von den Studierenden als redundant bezeichnet worden waren. Skala Itemanzahl und Be‐ zeichnung Cronbach’s Alpha Kommunikationsskala 4 (K1, K2, K3, K4) .82 Talentskala 2 (T1, T2) .87 Selbstwirksamkeit 4 (SW1, SW2, SW3, SW4) .7 Selbstkonzept 3 (SK1, SK2, SK4) .7 Tab. 3: Die reliablen Skalen aus der Fragebogenanwendung. 9.3.2.2 Genese und Operationalisierung des Kompetenz-Leistungstests Die inhaltliche Gestaltung der Items fußte auf dem neu erstellten Modell für die aussprachebezogene fachdidaktische Kompetenz (s. Abschnitt 8.2 der vorlie‐ genden Arbeit). Dabei wurde für die Frage, ob Settings zur Ausspracheschulung als effektiv anzusehen seien, auf die jeweilige Literatur zurückgegriffen, die methodische Kriterien zur Verfügung stellt, um wirksame von weniger wirk‐ samen Schulungsmaßnahmen zu trennen (s. Abschnitt 6). Auf eine Erhebung der eigenen aussprachebezogenen Sprachleistungen der Lehrerinnen und Lehrer, insbesondere die Hörverstehenskompetenz und tatsächliche Ausspra‐ chekompetenz, wurde aus forschungsmethodischen Gründen verzichtet. Dies hätte den Einsatz von Aufnahmegeräten und Audiodateien impliziert, der es erschwert hätte, Zugang zu größeren Probandenmengen zu finden. Lediglich die Fähigkeit, das IPA (internationales phonetisches Alphabet) aktiv zu ver‐ wenden wurde in einem Item abgeprüft 6 . In Anlehnung an die COACTIV -Studie wurden Items formuliert, in denen die Lehrpersonen mit Meinungen oder Unterrichtssituationen konfrontiert und um eine Bewertung in Verbindung mit einer kurzen Begründung gebeten wurden. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass die Lehrpersonen durch das offene Antwortformat frei und unbefangen antworten können, was sowohl die Gefahr einer Antwort im Sinne der sozialen Erwünschtheit als auch die der 9.3 Methodik Quantitative Untersuchung 117 <?page no="118"?> Frustration durch ein nicht als passend empfundenes Antwortformat minimiert ( Jonkisz u. a., 2012). Andererseits wurden die Fragen jedoch auch so gewählt, dass sich mögliche Antworten auf Grundlage der Ergebnisse linguistischer und fachdidaktischer Studien, wie sie in Kapitel 5 beziehungsweise Kapitel 6 der vorliegenden Arbeit dargestellt wurden, recht eindeutig kodieren lassen. Die Codierung erfolgte dabei in vier Stufen von 0 bis 3 Punkten. Auf Grundlage der Forschungsliteratur wurde zudem ein vorläufiges Codierungsmanual im Sinne eines Erwartungs‐ horizontes erstellt. Dieses wurde nach Vorliegen der Pilotierungsergebnisse überarbeitet und ergänzt. Es wurden zunächst 15 Fragen zu unterschiedlichen Aspekten unterrichtlichen Handelns beziehungsweise zu Vor- und Nachteilen von Unterrichtssettings und Benotungsverhalten erarbeitet. Die Kompetenzskalen wurden zwei Mal mit fortgeschrittenen Studierenden pilotiert, um eine eindeutige, nicht irreführende Fragestellung zu erreichen und zudem sicherzustellen, dass die Schwierigkeit der Items auch den Anforde‐ rungen entsprach. Die besondere Schwierigkeit bestand auch hier darin, höchst‐ mögliche Eindeutigkeit der Formulierung und Codierbarkeit zu erzielen. So zeigten die ersten Pilotierungsergebnisse, dass die Fragen teilweise falsch ge‐ deutet worden waren und entsprechend ein Antwortverhalten provozierten, auf welches die Frage eigentlich nicht abgezielt hatte. Entsprechend war in dieser Phase eine Codierung im Sinne des erarbeiteten Manuals nicht oder nur teil‐ weise möglich. Darüber hinaus wurde die Bearbeitungszeit von den Proban‐ dinnen und Probanden als zu lang empfunden. Zur Optimierung und Überarbeitung wurden die missverständlichen Items Expertinnen vorgelegt (Frau Prof. Mordellet-Roggenbuck, Frau Prof. Abend‐ roth-Timmer und Frau Prof. Koerber). Items, die eine niedrige Augenschein‐ validität besaßen oder nur schwer zu optimieren gewesen wären, wurden aus dem Testheft entfernt, sodass schließlich 11 überarbeitete Items übrigblieben, was zusätzlich auch die Bearbeitungszeit zu verringern half. Die zweite Pilotierung mit 22 fortgeschrittenen Studentinnen und Studenten erbrachte sodann ein Antwortverhalten, das auf eine korrekte Deutung der Items hinwies. Die Itemschwierigkeit erwies sich in der Pilotierung als noch zufriedenstellend (hierfür gilt: 20 % < m� < 80 %). Allerdings ist dieser Befund als prekär anzusehen, da anzunehmen ist, dass die Kompetenzen der Studierenden anders gelagert sind als diejenigen erfahrener Lehrpersonen. Bei der Endaus‐ wertung mit Lehrkräften wurde dieser Aspekt daher besonders beachtet. Hier ergab die Auswertung jedoch gleichfalls eine zufriedenstellende Itemschwie‐ rigkeit, sodass die Items als für den Einsatz in der Studie brauchbar angesehen werden können. 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 118 <?page no="119"?> 9.3.2.3 Genese und Operationalisierung der Praxisskalen Die tatsächlichen Praktiken und ihre Frequenz wurden über Nominalskalen und vereinzelt offene Fragen erhoben. Dabei wurde auf verschiedene Aspekte ein‐ gegangen, die auf Grundlage der Forschungsliteratur als relevant anzusehen waren (s. Abschnitt 6 der vorliegenden Arbeit). Ziel war es, ein möglichst um‐ fassendes Bild darüber zu erhalten, was die Lehrkraft ihrer Aussage nach im Unterricht anwendet. Es wurden 27 geschlossene Fragen im Format einer verbalen, vierstufigen Ratingskala (nie bis regelmäßig), verbunden mit konkreten Häufigkeitsangaben (die Antwortoption „regelmäßig“ entsprach beispielsweise der Häufigkeit ≥ 1/ Woche) formuliert. Darüber hinaus wurden vier offene Antwortoptionen ange‐ boten, die es den Lehrkräften ermöglichen sollten, ihr Antwortverhalten zu konkretisieren, zu begründen oder zu ergänzen. Entsprechend dem erarbeiteten Modell (s. Abschnitt 6.3) der Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts wurden Fragen zu folgenden Unterrichts‐ aspekten gestellt (s. Tab. 4): Ziele Praxisinhalte (Beispiele) Fokussierte Aufmerksamkeit Visualisierungen, Gesten Prosodische Ausrichtung Suprasegmen‐ talia Einbezug von prosodischen Übungen, Szenarien, Rollenspielen, Nutzung von verschiedenen Diskriminations- und Nachsprechübungen Segmentale Übungen Diskriminations- und Nachsprechü‐ bungen, Minimalpaare Feedbackverhalten Rückmeldungsverhalten allgemein (Mo‐ mente, individuell oder kollektiv, Me‐ thoden) und Benotungsverhalten Lernerautonomie Nutzung des IPA, Nutzung von Aufnah‐ megeräten, Übungen für zuhause Hören Variation und kriterienbasierte Selektion des auditiven Inhalts Ganzheitlichkeit Nutzung von Liedern, Bewegung, szeni‐ schen Verfahren, Gestik, Mimik Tab. 4: Unterrichtsaspekte mit Berücksichtigung der Bausteine eines effektiven Aus‐ spracheunterrichts. 9.3 Methodik Quantitative Untersuchung 119 <?page no="120"?> 7 Online verfügbar unter http: / / www.meta.narr.de/ 9783823382645/ Kodierschema_offene Fragen_Abel.pdf. 9.3.3 Durchführung Die Daten wurden im Zeitraum von Dezember 2015 bis April 2017 erhoben. Die verwendeten Fragebögen waren standardisiert, also mit Instruktionen versehen, die weitere mündliche Instruktionen unnötig machten. Es handelte sich um paper-pencil-Fragebögen, die zunächst verschiedenen Schulen mit Sekundar‐ stufe I beziehungsweise I und II mit der Bitte um Weitergabe an die Franzö‐ sischfachschaften und mit Rückumschlag versehen zugesandt wurden. Dies hätte den Vorteil geboten, zu einer umfangreichen Stichprobe von Teilnehme‐ rinnen und Teilnehmern zu gelangen. Da sich auf diese Weise jedoch kein Rück‐ lauf ergab, musste die Vorgehensweise modifiziert werden. Daher wurden insgesamt 110 Fragebögen an sechs Französischlehrkräfte verteilt, die der Forscherin persönlich bekannt waren. Diese sollten als Multi‐ plikatoren fungierten und im Schneeballsystem Kolleginnen und Kollegen für die Studie gewinnen. Darüber hinaus wurde an den Fortbildungsgymnasien und der Fortbildungsgemeinschaftsschule mit 90 Fragebögen für die Teilnahme an der Studie geworben, sodass sich auch hier zusätzliche Probanden fanden. Außerdem wurde das Instrument auch von den insgesamt 35 angemeldeten Fortbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmern und von 20 Referendarinnen und Referendaren, die im Rahmen einer Seminarstunde für die Befragung ge‐ wonnen werden konnten, ausgefüllt. Die Rücklaufquote betrug mit 54 von aus‐ gebildeten Lehrkräften und 20 von Referendarinnen und Referndaren spontan ausgefüllten Fragebögen 38 %. 9.3.4 Dateneingabe und Prüfung der methodischen Voraussetzungen Die Analyse der Fragebogendaten wurde mit der Software JMP Pro 13.1.0 (2017) durchgeführt. Dabei wurden die geschlossenen Fragen von einer Hilfskraft in die Software SPSS (2013) eingegeben und zur Auswertung in JMP Pro importiert. Für das Rating der offenen Fragen wurde ein Fünftel der Datensätze, von zwei erfahrenen Forschern (Doktorandin und Hochschullehrer), nach einer Schulung auf der Grundlage des erarbeiteten Codiermanuals 7 doppelt bewertet. Die In‐ terrater-Reliabilität, die nachfolgend mittels Cohen’s Kappa und Spearman’s Rho berechnet wurde, wies gute bis sehr gute Werte (Ergebnis: κ = .7 und ρ = .87) auf. Die übrigen offenen Fragen konnten daher ausschließlich von der Dokto‐ randin ausgewertet und eingegeben werden. 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 120 <?page no="121"?> Die Itemanalyse der Skalen ergab für vier Items (K1, Sk2, Sk3, Sw2, Sw3) Schwierigkeitswerte (Schwierigkeitsindex p), die nicht zufriedenstellend waren. Da diese Items auch die mit Cronbach’s α bestimmte Reliabilität der Skalen negativ beeinflussten, wurden diese aus der Analyse ausgeschlossen. Alle üb‐ rigen Items erzielten zufriedenstellende Werte (20 % < m� < 80 % und 20 % < p < 80 %; wobei p = Schwierigkeitsindex) bei einer ausreichenden Varianz und Trennschärfe (s. Tab. 5). Die auf diese Weise neu gewonnenen Überzeugungsskalen wiesen eine Reliabilität auf, die sich im guten bis sehr guten Bereich bewegte (es gilt für alle Skalen: .7 < Cronbach’s α < .9). Item Schwierigkeitsindex (p) Varianz Trennschärfe (r) K2 .55 1.52 .82 K3 .54 1.58 .81 K4 .49 1.48 .79 T1 .37 1.71 .78 T2 .37 1.21 .78 Sk1 .28 1.32 .66 Sk4 .24 2.13 .66 Sw1 .46 1.50 .61 Sw4 .46 3.04 .61 Tab. 5: Analyse der Überzeugungsitems. Zur Beurteilung der Modellgüte wurden sowohl eine Faktorenanalyse als auch eine Hauptkomponentenanalyse vorgenommen. Durch die Bestimmung des MSA-Wertes (measure of sampling adequacy, KMO-Kriterium) konnte zuvor si‐ chergestellt werden, dass die Items für eine Faktorenanalyse geeignet sind. Der MSA-Wert der Korrelationsmatrix ergab 0.66, situiert sich somit im mittelmä‐ ßigen Bereich, sodass eine Faktorenanalyse zulässig war (Backhaus, Erichson, Plinke, & Weiber, 2016). Bei der Faktorenanalyse und der Hauptkomponentenanalyse wurde jeweils eine Varimax-Rotation gewählt. Beide Ansätze extrahierten vier Faktoren, die den im theoretischen Modell erarbeiteten Überzeugungsskalen entsprechen. Wie aus der in Tabelle 6 wiedergegebenen rotierten Ladungsmatrix der Über‐ zeugungsitems hervorgeht, laden die Items tatsächlich auf diejenigen Faktoren am stärksten, denen sie theoretisch auch zugehörig sind. 9.3 Methodik Quantitative Untersuchung 121 <?page no="122"?> Faktor 1 Faktor 2 Faktor 3 Faktor 4 K4 0.85 0.23 0.01 0.17 K2 0.76 0.14 0.05 0.11 K3 0.75 0.16 0.01 0.21 T1 0.15 0.93 -0.20 0.01 T2 0.36 0.73 -0.01 0.05 Sk4 0.00 0.02 0.99 0.08 Sk1 0.06 -0.16 0.67 0.02 Sw4 0.30 -0.09 -0.10 0.82 Sw1 0.11 0.13 0.19 0.76 Tab. 6: Rotierte Ladungsmatrix der Überzeugungsitems in der Faktorenanalyse. Für die Zugehörigkeiten der Items siehe Tabelle 3. Diese Faktoren entprechen denjenigen, die sowohl in Hauptkomponentenana‐ lyse als auch in der Faktorenanalyse das Kaiser-Kriterium (Eigenwert > 1.0) er‐ füllen (s. Abb. 8). Abb. 8: Eigenwerte und erklärte Varianz (R 2 ) der mittels Faktorenanalyse extrahierten Komponenten. 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 122 <?page no="123"?> Zwar vermögen die vier Faktoren es nicht, 95 % der Varianz zu erklären, wie dies verschiedentlich gefordert wird (s. Backhaus u. a., 2016). Unterzieht man die Daten jedoch dem Scree-Test (Backhaus u. a., 2016, S. 416f.), kann festgestellt werden, dass auch hier vier Faktoren identifiziert werden: So lässt sich nach vier Faktoren ein eindeutiger „Knick“ in der Zunahme der erklärten Varianz ermit‐ teln (s. Abb. 9). Abb. 9: Ergebnis des Scree-Tests. Nachdem drei der vier herangezogenen Verfahren vier Faktoren extrahieren, die Annahme einer Existenz von vier Faktoren darüber hinaus auch dem theoreti‐ schen Modell entspricht, wie es in Abschnitt 8.1 erarbeitet wurde, wurden für die Auswertung weiterhin vier Skalen berücksichtigt. 9.3.5 Ergebnisse Mittels Mann-Whitney-U-Test (für ordinale Daten) und Pearson χ 2 -Test (für nominale Daten) wurde überprüft, ob zwischen der Gruppe der Fortbildungs‐ teilnehmer und der Gruppen der Nichtteilnehmer hinsichtlich Kompetenzen 9.3.5 Ergebnisse 123 <?page no="124"?> (z = 0.365, p = .715), Hochschulbiografie, χ 2 (3, N = 74) = 4.096, p = .910, Ge‐ schlecht, χ 2 (1, N = 74) = 0.814, p = .678, Muttersprachlichkeit, χ 2 (1, N = 74) = 1.524, p = .587 oder der Überzeugungsstruktur (s. Tab. 7) ein signifikanter Un‐ terschied bestand. Ein solcher Unterschied wurde in keinem Falle festgestellt. Somit gab es keinen Hinweis darauf, dass die Anmeldung zur Fortbildung als zusätzliche Moderatorvariable wirken würde. Insbesondere erschien es als ge‐ rechtfertigt, die Datensätze (Teilnehmer vor der Intervention und Nichtteil‐ nehmer, N = 74) für die Analyse der Struktur und des Zusammenspiels der un‐ terschiedlichen das Ausspracheschulungsverhalten betreffenden Faktoren zusammenzufassen. Überzeugung Mann-Whitney-U-Test Selbstwirksamkeit z = -1.13, p = .26 Talent z = 0.82, p = .41 Kommunikation z = 1.70, p = .09 Selbstkonzept z = -0.69, p = .56 Tab. 7: Ergebnisse für die Prüfung von Unterschieden in der Überzeugungstruktur zwi‐ schen Teilnehmern und Nichtteilnehmern der Fortbildung. Die Verteilung der angegebenen Praktiken (Forschungsfrage 1) wurde aus‐ schließlich unter erfahrenen Lehrpersonen (N = 54), das heißt unter Ausschluss der Referendarinnen und Referendare, erhoben. Eine deskriptive Analyse der Häufigkeitsverteilungen ergab dabei, dass die Lehrkräfte segmentale Übungen stark favorisieren (s. Abb. 10). Auf die Frage nach der Häufigkeit der Benutzung (die Antwortoptionen reichten von 0 = nie zu 4 = regelmäßig (≥ ein Mal pro Woche)) gab die überwiegende Mehrheit (92 %) an, diese Art von Übungen häufig bis regelmäßig anzuwenden (M = 3.07, SD = 0.56, N = 53) 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 124 <?page no="125"?> Abb. 10: Durchschnittliche Häufigkeitsverteilung und Boxplot der segmentalen Übungen. Die X-Achse entspricht der Regelmäßigkeit mit der die Übungstypen ange‐ wandt werden (1 = nie, 2 = selten, 3 = gelegentlich, 4 = regelmäßig). Demgegenüber ergab sich bei der Befragung zum Einsatz suprasegmenteller Übungen ein sehr heterogenes Bild (s. Abb. 11). Hier wird kommen die Übungs‐ formate im Durchschnitt deutlich seltener zum Einsatz (M = 2.58, SD = 0.58, N = 54). Abb. 11: Durchschnittliche Häufigkeitsverteilung und Boxplot der suprasegmentalen Übungen. Die X-Achse entspricht der Regelmäßigkeit mit der die Übungstypen ange‐ wandt werden (1 = nie, 2 = selten, 3 = gelegentlich, 4 = regelmäßig). 9.3.5 Ergebnisse 125 <?page no="126"?> Interessant wird dieser Durchschnittswert, analysiert man die Angaben zu den einzelnen suprasegmentalen Übungsformaten (Abb. 12). Gab die Mehrheit der Befragten (56 %) an, ihre Schülerinnen und Schüler regelmäßig ganze Sätze im Chor nachsprechen zu lassen, so verringerte sich dieser Anteil bei Übungen, die die Bewusstmachung suprasegmentaler Phänomene im Sinne einer pronuncia‐ tion awareness betrafen, beträchtlich. Szenarien, Theaterstücke oder -szenen, die eine Überführung der phonetischen Strukturen in eine spontanere Rede ermög‐ lichen würden, wurden von der Mehrheit (68 %) der Lehrkräfte nach ihrer Aus‐ sage selten (etwa alle 3 Monate) bis nie eingesetzt. Abb. 12: Verteilung der Übungen zu Suprasegmentalia. Nur wenige Lehrerinnen und Lehrer gaben an, Methoden einzusetzen, die es den Schülerinnen und Schülern erlaubten, selbstständig an ihrer Aussprache zu arbeiten und diese im Sinne einer erhöhten pronunciation awareness zu verbes‐ sern (M = 1.56, SD = 0.70, N = 54). So gaben 76 % der Befragten an, selten bis nie Hörübungen einzusetzen, die die Schülerinnen und Schüler alleine zuhause ma‐ chen könnten. Sogar 96 % der Lehrerinnen und Lehrer erklärten, selten bis nie mit Aufnahmegeräten zu arbeiten (s. Abb. 13). 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 126 <?page no="127"?> Abb. 13: Durchschnittliche Verteilung und Boxplot der Übungen zur Autonomisierung der Lernenden. Die X-Achse entspricht der Regelmäßigkeit mit der die Übungstypen angewandt werden (1 = nie, 2 = selten, 3 = gelegentlich, 4 = regelmäßig). Hinsichtlich der Wahl ganzheitlicher Übungssettings ergab sich wiederum ein heterogenes Bild. Hier dominierten der Einsatz von Liedern und Gesten - wo‐ hingegen Gedichte und Theaterszenen mit Aussprachefokus eine eher untergeordnete Rolle spielten (s. Abb. 14). Abb. 14: Verteilung der ganzheitlichen Übungsformate. 9.3.5 Ergebnisse 127 <?page no="128"?> Statistische Prüfungen (mittels des Kruskall-Wallis-Tests) ergaben keine Hin‐ weise auf eine Abhängigkeit des Einsatzes der unterschiedlichen Praktiken von den Variablen ‚Schulform der Befragten‘, Studienzeitraum, Geschlecht, Mutter‐ sprache Französisch oder ‚Anzahl an besuchten Phonetikseminaren’ (s. Tab. 8). Praktik vs. Schulform (Gruppen: Realschule, Gemeinschaftsschule, Gymnasium, Realschule + Gemeinschaftsschule, Berufsschule) „Hörverstehen“ χ 2 (4) = 4,68, p = .32 „Übungen zu Suprasegmentalia“ χ 2 (4) = 5,31, p = .26 „Segmentale Übungen“ χ 2 (4) = 0,83, p = .93 „Schülerautonomisierung“ χ 2 (4) = 5,06, p = .28 „Fokussierte Aufmerksamkeit“ χ 2 (4) = 4,94, p = .29 „Ganzheitlichkeit“ χ 2 (4) = 4,79, p = .31 vs. Anzahl Phonetikseminare (Gruppen: 1 bis 9 Phonetikseminare) „Hörverstehen“ χ 2 (8) = 4.72, p = .79 „Übungen zu Suprasegmentalia“ χ 2 (8) = 2,41, p = .97 „Segmentale Übungen“ χ 2 (8) = 7.73, p = .46 „Schülerautonomisierung“ χ 2 (8) = 12.35, p = .54 „Fokussierte Aufmerksamkeit“ χ 2 (8) = 6.96, p = .54 „Ganzheitlichkeit“ χ 2 (8) = 6.81, p = .56 vs. Studienzeitraum (Gruppen: Stu‐ dium in den 70er-,80er-,90er-, 00er-,10er-Jahren) „Hörverstehen“ χ 2 (4) = 2.45, p = .65 „Übungen zu Suprasegmentalia“ χ 2 (4) = 0.53, p = .97 „Segmentale Übungen“ χ 2 (4) = 4.94, p = .29 „Schülerautonomisierung“ χ 2 (4) = 5.46, p = .24 „Fokussierte Aufmerksamkeit“ χ 2 (4) = 2.73, p = .60 „Ganzheitlichkeit“ χ 2 (4) = 1.81, p = .77 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 128 <?page no="129"?> vs. Geschlecht „Hörverstehen“ χ 2 (1) = 0.32, p = .57 „Übungen zu Suprasegmentalia“ χ 2 (1) = 1.12, p = .29 „Segmentale Übungen“ χ 2 (1) = 0.06, p = .81 „Schülerautonomisierung“ χ 2 (1) = 1.21, p = .27 „Fokussierte Aufmerksamkeit“ χ 2 (1) = 0.04, p = .84 „Ganzheitlichkeit“ χ 2 (1) = 0.15, p = .69 vs. Muttersprache Französisch „Hörverstehen“ χ 2 (1) = 0.25, p = .62 „Übungen zu Suprasegmentalia“ χ 2 (1) = 0.94, p = .34 „Segmentale Übungen“ χ 2 (1) = 0.20, p = .66 „Schülerautonomisierung“ χ 2 (1) = 1.98, p = .16 „Fokussierte Aufmerksamkeit“ χ 2 (1) = 0.36, p = .55 „Ganzheitlichkeit“ χ 2 (1) = 1.48, p = .22 Tab. 8: Prüfung des Einflusses der Variablen Schulform, Studienzeitraum, Geschlecht, Muttersprachlichkeit und Anzahl der im Studium besuchten Phonetikseminare auf die gewählten Praktiken im Unterricht (Kruskal-Wallis-Test). Für die Variable Studienort sich ein differenziertes Bild (siehe Tab. 9). Hier er‐ gaben sich Hinweise auf einen Zusammenhang der Variable mit der Nutzung von ganzheitlichen Übungen. Das gleiche gilt für Vermittlungssettings, die eine Schülerautonomisierung bezwecken. Anschließend durchgeführte Post-hoc- Tests (Dunn-Bonferroni-Tests) zeigten, dass dies jeweils für unterschiedliche Populationen gilt. So gaben die Probanden, die ausschließlich im Ausland stu‐ diert hatten, gegenüber denjenigen Lehrkräften, die an deutschen Pädagogi‐ schen Hochschulen (z = 2.71, p = .04) beziehungsweise Lehrpersonen, die an deutschen Universitäten (z = 2.90, p = .02) studiert hatten signifikant häufiger an, Ausspracheübungen zur Schülerautonomisierung zu verwenden. 9.3.5 Ergebnisse 129 <?page no="130"?> Praktiken vs. Studienort (Gruppen: Studium an einer PH, an einer deutschen Universität, an einer ausländischen Universität, an einer deutschen und einer ausländischen Universität) Hörverstehen χ 2 (3) = 4.25, p = .24 Übungen zu Suprasegmentalia χ 2 (3) = 3.62, p = .13 Segmentale Übungen χ 2 (3) = 5.61, p = .31 Schülerautonomisierung χ 2 (3) = 10.74, p = .01* Fokussierte Aufmerksamkeit χ 2 (3) = 2.02, p = .57 Ganzheitlichkeit χ 2 (3) = 10.99, p = .01* Tab. 9: Ergebnisse der Prüfung mit Kruskal-Wallis-Test für den Einfluss des Studienortes auf die angegebenen Praktiken, *) p < .05. Hinsichtlich der Verwendung von ganzheitlichen Übungssettings ergibt sich je nach angewandtem Testverfahren ein differenziertes Bild: Wendet man einen Dunn-Bonferroni-Test an, so ergibt sich nur für die Personen, die ausschließlich im Ausland studiert haben ein signifikant (z = 2.87, p = .01) höherer Einsatz von Liedern, Gedichten und szenischen Verfahren. Im t-Test für unabhängige Stich‐ proben jedoch zeigt sich auch für diejenigen Gruppen, die an pädagogischen Hochschulen beziehungsweise an deutschen Universitäten studiert hatten, ein signifikanter Unterschied (t (50) = -2.15, p = .04). Hier wandten Lehrkräfte, die an PHn ausgebildet worden waren, signifikant häufiger ganzheitliche Übungs‐ settings an als ihre an Universitäten ausgebildeteten Kolleginnen und Kollegen. Prüfungen mittels des Kruskall-Wallis-Tests beziehungsweise des Mann- Whitney-U-Tests im Falle von zwei Gruppen (Muttersprachlichkeit) ergaben darüber hinaus keinen signifkanten Zusammenhang zwischen den Variablen Schulform ( χ 2 (4, N = 72) = 2.32, p = .68), Ausbildungsort ( χ 2 (3, N = 73) = 4.79, p = .19) und Muttersprachlichkeit (z = -1.16, p = .25) einerseits und den Kompe‐ tenzen andererseits. Auch für die aussprachebezogenen Überzeugungen ergab sich keine statistisch auffällige Abhängigkeit bezüglich der genannten Variablen (s. Tab. 10). 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 130 <?page no="131"?> Überzeugung vs. Schulform (Gruppen: Realschule, Gemein‐ schaftsschule, Gymnasium, Real‐ schule + Gemeinschaftsschule, Be‐ rufsschule) Selbstwirksamkeit χ 2 (4, N = 73) = 0.99, p = .91 Talent χ 2 (4, N = 73) = 2.43, p = .67 Kommunikation χ 2 (4, N = 73) = 0.19, p = .99 Selbstkonzept χ 2 (4, N = 73) = 2.24, p = .69 vs. Ausbildungsort (Gruppen: Studium an einer PH, an einer deutschen Universität, an einer ausländischen Universität, an einer deutschen und einer ausländischen Universität) Selbstwirksamkeit χ 2 (3, N = 74) = 3.94, p = .27 Talent χ 2 (3, N = 74) = 2.93, p = .40 Kommunikation χ 2 (3, N = 74) = 4.50, p = .21 Selbstkonzept χ 2 (3, N = 74) = 0.04, p = .99 vs. Muttersprachlichkeit Selbstwirksamkeit z = -0.31, p = 0.76 Talent z = 0.57, p = 0.57 Kommunikation z = -0.65, p = 0.52 Selbstkonzept z = -1.46, p = 0.14 Tab. 10: Ergebnisse zur Prüfung der Abhängigkeit (Kruskal-Wallis-Test bzw. des Mann-‐ Whitney-U-Tests im Fall von lediglich zwei Gruppen) zwischen der Überzeugungs‐ struktur einerseits und der Schulform, dem Ausbildungsort und der Muttersprachlichkeit der ProbandInnen andererseits, *) p < .05. Die Berufserfahrung spielte für die Selbstwirksamkeitswahrnehmung eine wichtige Rolle (Kruskall-Wallis-Test χ 2 (4) = 14.21, p = .007). Für die Gruppe der Referendarinnen und Referendare zeigten sich deutlich höhere Werte auf der aussprachebezogenen Selbstwirksamkeitsskala als für alle anderen Probanden‐ gruppen (s. Abb. 15). Diese unterschieden sich wiederum nicht signifikant von‐ 9.3.5 Ergebnisse 131 <?page no="132"?> 8 Für die paarweisen Vergleiche wurden die p-Werte freilich nicht für die Multiplizität der Testungen adjustiert. 9 Von Interesse ist, dass sich im t-Test für unverbundene Stichproben ein signifikanter Unterschied zwischen den Geschlechtern bezüglich des Selbstkonzeptes ergab (t(14.59) = 2.40, p = .03 mit den Muttersprachlerinnen und Muttersprachler, bzw. t(14.59) = 2.40, p = .03 unter dem Ausschluss der Muttersprachlerinnen und Muttersprachler). Jedoch waren die Normalverteilungsvoraussetzungen für den t-Test verletzt. einander. 8 Die in der Ausbildung befindlichen Probanden waren anscheinend in besonderem Maße davon überzeugt, ihren (zukünftigen) Schülerinnen und Schülern bei Ausspracheproblemen helfen zu können. Abb. 15: Zusammenhang zwischen der beruflichen Position und der Selbstwirksamkeits‐ wahrnehmung. *) p < .05 in den paarweisen Vergleichen mit den übrigen Kategorien. Tabelle 11 zeigt die Ergebnisse des Vergleichs von Männern vs. Frauen in Bezug auf die verschiedenen Überzeugungsskalen mittels des Mann-Whitney- U-Tests. Wegen der extremen Geschlechterverteilung der Muttersprachler (alle acht Muttersprachler waren weiblich) wurden die Analysen neben der Gesamt‐ gruppe auch unter Herausnahme der Muttersprachlerinnen durchgeführt. Wie die Mittelwerte nahelegen (s. Abb. 16) hatten weibliche Probanden deut‐ lich höhere Selbstkonzeptwerte als männliche Studienteilnehmer. Zwar war dieser Befund statistisch nicht signifikant (p = .09 gesamt, bzw. p = .069 nach Herausnahme der Muttersprachler) 9 . Jedoch ist hierbei zu bedenken, dass die 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 132 <?page no="133"?> Macht der Testung wegen der niedrigen Anzahl der Männer (N = 11) sehr be‐ schränkt war. Das Resultat könnte darauf hindeuten, dass Frauen ihrer eigenen Aussprachekompetenz weniger kritisch gegenüberstehen als Männer. Zielgröße M und SD Mann-Whitney- U-Test männlich weiblich Selbstkonzeptskala M = 3.38 SD = 0.74 M = 2.85 SD = 0.74 z = 0.09, p = .09 Talentskala M = 3.55 SD = 1.03 M = 3.23 SD = 1.60 z = 0.30, p = .30 Selbstwirksamkeits‐ skala M = 4.79 SD = 0.89 M = 4.75 SD = 1.23 z = 0.71, p = .71 Kommunikations‐ skala M = 4.10 SD = 1.03 M = 4.00 SD = 1.37 z = 0.93, p = .92 Tab. 11: Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Bezug auf die verschiedenen Überzeugungsskalen. Zielgröße M und SD Mann-Whitney- U-Test weiblich männlich Selbstkonzeptskala M = 3.85 SD = 0.75 M = 2.85 SD = 0.67 z = 0.07, p = .069 Talentskala M = 3.55 SD = 1.08 M = 3.23 SD = 1.60 z = 0.31, p = .31 Selbstwirksamkeits‐ skala M = 4.77 SD = 0.89 M = 4.75 SD = 1.23 z = 0.66, p = .66 Kommunikations‐ skala M = 4.12 SD = 0.98 M = 4.00 SD = 1.37 z = 0.90, p = .90 Tab. 12: Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Bezug auf die verschiedenen Überzeugungsskalen unter Herausnahme der Extremgruppe der Muttersprachler, *) p < .05. 9.3.5 Ergebnisse 133 <?page no="134"?> Abb. 16: Verteilung der Selbstkonzeptwerte, aufgeschlüsselt nach Geschlecht. In einer Spearman-Rang-Korrelation wurde ein möglicher Zusammenhang zwi‐ schen der Länge des Aufenhaltes im frankophonen Auslandes und den ver‐ schiedenen Überzeugungsskalen untersucht. Hier ergab sich für die Selbstwirk‐ samkeitsskala eine negative Korrelation (s. auch Tab. 13): Je länger die Probanden im frankophonen Ausland gewesen waren, desto weniger waren sie von ihrer Selbstwirksamkeit überzeugt. 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 134 <?page no="135"?> Überzeugung vs. Dauer des Auslandsaufenthaltes Selbstwirksamkeit r s (72) = - 0.24, p =.04* Talentskala r s (69) = 0.15, p = .33 Selbstkonzeptskala r s (72) = -0.25, p = .06 Kommunikationsskala r s (69) = 0.10, p = .35 Tab. 13: Ergebnis der Spearman-Rang-Korrelation von Auslandsaufenthaltsdauer und den verschiedenen Überzeugungsskalen, )* p < .05 Hinsichtlich der Kompetenzen (z = 0.441, p = .66) unterschieden sich männliche und weibliche Probanden im Mann-Whitney-U-Test nicht. Zwischen den durchschnittlichen Kompetenzwerten (Durchschnitt des Kom‐ petenzwertes pro Proband) und den Überzeugungen ergaben sich in der Spearman-Rang-Korrelation ebenfalls keine signifikanten Zusammenhänge (Tab. 14). Überzeugung vs. durchschnittliche Kompetenz Selbstwirksamkeit r s (73) = .15, p = .23 Talent r s (70) = .11, p = .18 Kommunikation r s (71) = .20, p = .06 Selbstkonzept r s (73) = -.16, p = .17 Tab. 14: Spearman-Rang-Korrelationen zwischen der durchschnittlichen Kompetenz (Durchschnitt des Kompetenzwertes pro Proband) und den Überzeugungsskalen. Weiterhin wurde geprüft, ob Korrelationen zwischen der durchschnittlichen Kompetenz (= Durchschnitt über alle Kompetenzitems pro Proband) und den angegebenen Unterrichtspraktiken (Tab. 15) beziehungsweise zwischen den Überzeugungen und den Praktiken bestehen (s. Tab. 16). Hier ergaben sich zwei signifikante Zusammenhänge. Einerseits fand sich eine zunehmende Verwen‐ dung der Praxis „fokussierte Aufmerksamkeit“ mit steigender Kompetenz der Teilnehmer (Tab. 15). Zum anderen ging auch eine höhere Selbstwirksamkeit mit einer stärkeren Verwendung von suprasegmentalen Übungen einher (Tab. 16). Dieses Ergebnis ist nicht durch eine Korrelation der Kompetenzen 9.3.5 Ergebnisse 135 <?page no="136"?> gegen die Selbstwirksamkeit erklärbar, da diese eine nur sehr geringe Korrela‐ tion zueinander aufweisen (r s (73) = .15, p = .23). Praktik vs. durchschnittliche Kompetenz Segmentale Übungen r s (50) = .01, p = .96 Übungen zu Suprasegmentalia r s (51) = .18, p = .21 Schülerautonomisierung r s (51) = .08, p = .62 Fokussierte Aufmerksamkeit r s (51) = .32, p = .02* Ganzheitlichkeit r s (51) = -.07, p = .61 Hörverstehen r s (51) = -.06, p = .72 Tab. 15: Spearman-Rangkorrelationen zwischen der durchschnittlichen Kompetenz und den gewählten Unterrichtspraktiken. *) p <.05. Praktik vs. Selbstwirksamkeit Segmentale Übungen r s (51) = .24, p = .08 Übungen zu Suprasegmentalia r s (52) = .19, p = .04* Schülerautonomisierung r s (52) = -.30, p = .19 Fokussierte Aufmerksamkeit r s (52) = .24, p = .08 Ganzheitlichkeit r s (52) = .05, p = .68 Hörverstehen r s (52) = -.09, p = .58 vs. Talent Segmentale Übungen r s (48) = .01, p = .92 Übungen zu Suprasegmentalia r s (49) = .08, p = .57 Schülerautonomisierung r s (49) = .08, p = .64 Fokussierte Aufmerksamkeit r s (49) = .03, p = .85 Ganzheitlichkeit r s (49) = -.21, p = .15 Hörverstehen r s (49) = .10, p = .54 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 136 <?page no="137"?> vs. Kommunikation Segmentale Übungen r s (50) = .24, p = .08 Übungen zu Suprasegmentalia r s (51) = .16, p = .27 Schülerautonomisierung r s (51) = -.04, p = .81 Fokussierte Aufmerksamkeit r s (51) = .13, p = .36 Ganzheitlichkeit r s (51) = -.22, p = .12 Hörverstehen r s (51) = .00, p = .98 vs. Selbstkonzept Segmentale Übungen r s (51) = -.13, p = .35 Übungen zu Suprasegmentalia r s (52) = .13, p = .35 Schülerautonomisierung r s (52) = -.08, p = .59 Fokussierte Aufmerksamkeit r s (52) = .00, p = .97 Ganzheitlichkeit r s (52) = -.11, p = .43 Hörverstehen r s (52) = -.09, p = .56 Tab. 16: Spearman-Rangkorrelationen zwischen den Überzeugungen und den gewählten Unterrichtspraktiken. *) p < 0.05. 9.4 Qualitative Untersuchung 9.4.1 Probanden und Durchführung Die Interviews wurden mit vier Fortbildungsteilnehmerinnen kurz vor und etwa zwei bis vier Wochen nach der Intervention geführt, sodass sich insgesamt acht etwa halbstündige Interviews ergaben, die als Tondokument aufgezeichnet wurden. Das Einverständnis der Testpersonen zur Aufzeichnung und Auswertung wurde mündlich erteilt. Für die vorliegenden Forschungsfragen, die sich mit dem Erfassen fortbildungsunabhängiger Überzeugungen, Kompetenzen und Praktiken befassen, sind ausschließlich die vier Interviews von Belang, die vor der Intervention geführt wurden. Diese bilden den Datensatz, der untersucht werden soll. Interviewerin war in allen Fällen die Promovendin. Den Interviews 9.4 Qualitative Untersuchung 137 <?page no="138"?> 10 Der Interviewleitfaden ist online verfügbar unter http: / / www.meta.narr.de/ 9783823382 645/ Interviewleitfaden_Abel.pdf lag ein Interviewleitfaden zugrunde 10 , der das Grundgerüst des Interviews bil‐ dete. Dabei wurde jedoch die Leitung des Gespräches weitgehend der Probandin überlassen, sodass die Themen in derjenigen Reihenfolge besprochen wurden, die die Testperson wählte. Entsprechend konnte die Testperson das Interview auch auf Themenfelder lenken, die von der Promovendin nicht vorhergesehen worden waren. Gelegentliche Nachfragen konnten dabei ggf. zu einer Klärung des Gemeinten führen. 9.4.2 Datenverarbeitung Die Dateneingabe erfolgte durch eine studentische Hilfskraft mittels der Soft‐ ware F4transkript (Dresing & Pehl, o. J.). Da für die Fragestellung vor allem ma‐ nifeste Inhalte, nicht jedoch latente Bedeutungsebenen zentral sind, wurde bei der Transkription ein vereinfachtes Verfahren gewählt, wie es von Kuckartz (2010; 2014) beschrieben und empfohlen wird. Zur Datenbereinigung wurden die Transkripte anschließend von der Doktorandin mit den Tondateien vergli‐ chen, um eventuell auftretende Transkriptionsfehler zu korrigieren. Auf eine Validierung der Transkripte durch die Interviewpartner wurde verzichtet, da dies für die Probandinnen einen Mehraufwand bedeutet hätte. Zudem gestaltet sich eine solche Validierung, wie Döring und Bortz (2016, S. 584) unterstreichen, bisweilen schwierig, da die Probanden mit Irritation auf die Transkripte rea‐ gierten. So seien sie oftmals der Ansicht, dass diese ihre Art zu sprechen nicht wiedergäben. 9.4.3 Analyse Zur Datenanalyse wurde das Forschungsparadigma der qualitativen Inhalts‐ analyse herangezogen (Mayring, 2010). Die transkribierten Daten wurden hierzu in die QDA-Software f4analyse (Dresing & Pehl, o.) importiert. Die Ana‐ lyse wurde durch die Promovendin sowohl in theoriebasiert-deduktiver als auch in datengesteuert-induktiver Weise durchgeführt. Zum einen wurden die auf Grundlage der Forschungsliteratur angenommenen Kategorien an den trans‐ kribierten Text herangetragen. Dies betraf beispielsweise Konstrukte wie die aussprachebezogene Selbstwirksamkeitswahrnehmung, Überzeugungen zur Bedeutung der Aussprache oder aktuell eingesetzte Praktiken. Zum anderen wurden jedoch auch während der Analyse neue Kategorien gebildet, wenn dies 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 138 <?page no="139"?> durch den Text erforderlich war, beziehungsweise wenn die bestehenden Kate‐ gorien bestimmte Aussagen nicht zu erfassen vermochten. Dies betraf unter anderem die Bedeutung des Geschlechts der Lernenden für ihre Motivation oder die ästhetische Dimension der Sprache. Zwei der vier herangezogenen Interviews wurden im Rahmen eines Dokto‐ randenkolloquiums von drei weiteren fachfremden und fachnahen Doktoran‐ dinnen und Doktoranden ausgewertet, um die Kohärenz und Reliabilität des herausgearbeiteten Kategoriensystems zu überprüfen. Durch die anschließende Diskussion konnte dabei eine Bestätigung beziehungsweise weitere Schärfung der Kategorien erfolgen. Ziel der Analyse war es, über die fallbezogene Analyse hinaus wiederkeh‐ rende Themen in den Interviews zu erkennen, somit also eine thematische Ana‐ lyse vorzunehmen und so ein möglichst umfassendes Bild der aussprachebezo‐ genen Aspekte, die für die Testpersonen wichtig waren, zu erhalten. 9.4.4 Ergebnisse Es konnten sechs wesentliche Themenbereiche (s. Abb. 17) ausgemacht werden, deren Ergebnisse im Folgenden detailliert beschrieben werden sollen. Abb. 17: Thematische Struktur der Interviewdaten 9.4.4.1 Das aussprachebezogene Förderkonzept Alle Probandinnen beklagten, über kein umfassendes Förderkonzept zur Aus‐ sprache ihrer Schülerinnen und Schüler zu verfügen. In einigen Interviews wurde in diesem Kontext explizit auf den Unterschied zur Vermittlung gram‐ 9.4 Qualitative Untersuchung 139 <?page no="140"?> matikalischer oder der lexikalischen Strukturen hingewiesen. Diesbezüglich seien den Lehrkräften in Aus- und Weiterbildung, vor allem aber auch über die Handreichungen der Lehrbücher, theoretische Wissensbestände vermittelt worden, die es den Lehrpersonen erlaubten, die unterschiedlichen Übungsfor‐ mate reflektiert einzusetzen. Bei der Aussprache, so alle Probandinnen, werde intuitiv vorgegangen. Anstatt auf Grundlage einer Diagnose gezielt Übungsset‐ tings anbieten zu können, seien die Lehrkräfte in Ermangelung theoretischer Kenntnisse darauf angewiesen, die Schulbuchübungen anzuwenden. Dies wird in folgenden Zitaten sehr deutlich: P 1 : Aber wie man den Schülern […] ich glaub ehrlich gesagt, da ist so ein bisschen das Schulbuch der heimliche Lehrplan. P 1 : Da verlässt man sich dann schon […], Klett wird es schon richten. Eine weitere Lehrkraft, die ihren eigenen aussprachedidaktischen Kenntnissen gegenüber besonders kritisch eingestellt war, verwies darauf, dass die unref‐ lektierte Nutzung der Schulbuchübungen bei ihr eine derart große Unzufrie‐ denheit provoziere, dass sie in den letzten Jahren vollkommen auf eine gezielte Ausspracheschulung verzichte: P 3 : Das hat glaube ich keine Nachhaltigkeit, weil ich keine Methode dazu im Kopf habe, […] deshalb lasse ich’s jetzt eigentlich eher weg. Besonders offenbar werde das Fehlen eines Förderkonzeptes, wenn Schüle‐ rinnen und Schüler bestimmte Aussprachedefizite aufwiesen, die mit dem Me‐ thodenrepertoire, über das die Lehrkraft verfüge, nicht zu beheben seien. So verwies eine Probandin darauf, dass sie ihren Schülerinnen und Schülern nur „laienhaft“ (P 1 ) aussprachebezogenes Feedback geben könne, dass sie sie darüber hinaus stets als „unsicher“ (P 1 ) empfinde. Dies bekräftigte auch eine weitere Probandin, die betonte, dass sie „versuche, so weit wie möglich zu helfen“ (P 2 ), dass bei manchen Schülerinnen und Schülerinnen jedoch ihre Hilfestellung nicht ausreiche: P 1 : Ich habe da schon eine schwierige Klientel sitzen und es klappt nicht immer so, wie ich mir das vorstelle. Ähm, also, es ist schon manchmal auch Unzufriedenheit da. 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 140 <?page no="141"?> Insbesondere waren sich die befragten Lehrerinnen nicht sicher, in welchem Maße bei Schüleräußerungen eine Fehlertoleranz geboten sei und ob Ausspra‐ chekorrektur nicht demotivierend oder gar stigmatisierend wirke: P 4 : Aber ich würde gerne wissen: wie korrigiere ich Fehler? Lasse ich sie erstmal sehr spielerisch weitergehen und nehme nur die ganz harten Fehler - wenn man sie nicht mehr verstehen würde - […] oder soll ich gleich von Anfang an sehr kleine Korrekturen gleich angeben? Ich variiere da - mal so, mal so - je nach Stimmung im Unterricht. Gerade im Umgang mit älteren Schülerinnen und Schülern empfanden sich zwei von vier Interviewpartnerinnen als sehr unsicher, was gleichfalls häufig in einer Aufgabe der Ausspracheschulung beziehungsweise des Feedbacks resultierte: P 4 : Und ich weiß, dass nachher bei den 9. Klassen ich immer weniger korrigiert habe, weil […] ich wollte die Motivation, nachher zu sprechen, überhaupt nicht mehr bremsen. P 2 : Ähm, die [die älteren SuS, C.A.] habe ich tatsächlich auch nachsprechen lassen und wenn sie es dann wirklich beim dritten oder vierten Mal nicht richtig […] [konnten ], dann habe ich es einfach auch sein lassen. 9.4.4.2 Praktiken Das Fehlen eines stringenten Konzeptes schlägt sich auch im Einsatz der Aus‐ spracheschulungsmethoden nieder. Hier zeigt die Analyse der Nennungshäu‐ figkeiten, dass Chorsprechen und Vor- und Nachsprechen sowie das Lesen mit verteilten Rollen als Schulungsformate dominieren. Diese Praktiken wurden von allen Probandinnen spontan auf eine offene Frage hin genannt. Eine gezielte Nachfrage ergab darüber hinaus, dass zwei Lehrerinnen in der Unterstufe Vi‐ sualisierungsübungen aus dem Schulbuch verwendeten („Bienen-/ Schlangen-S“), drei von vier Probandinnen gaben an, bisweilen Gestik bzw. Mimik zur Veranschaulichung einzusetzen. Eine Lehrerin benutzte das IPA, um bestimmte Laute zu kategorisieren. Als problematisch wurde von zwei Probandinnen benannt, dass die Schüle‐ rinnen und Schüler die strukturalen Übungen, wie sie die Lehrbücher anbieten, als demotivierend empfänden: 9.4 Qualitative Untersuchung 141 <?page no="142"?> P 1 : [D]iese schulbuchbezogene Arbeit, die mögen die Schüler nicht. Darüber hinaus waren sich die Lehrerinnen recht unsicher, ob die von ihnen ausgewählten Trainingsformate überhaupt wirksam seien: P 3 : [A]ber ich weiß nicht, ob das [die ausgewählten Übungen, C.A.] den gewünschten Effekt hat. Das Feedback erteilten alle Lehrerinnen im Kontext des Unterrichts, indem sie auf Fehler hinwiesen und gelegentlich eine Aussprachegesetzmäßigkeit er‐ klärten („ bei Verben in der 3. Person Plural wird die Endung -ent nicht ausge‐ sprochen“). Benotet wurde die Aussprache von 3 Probandinnen holistisch („ das fließt in die mündliche Note ein“ ), ohne jedoch den Schülerinnen oder Schülern das Benotungssystem bzw. den Erwartungshorizont transparent zu machen. Eine Lehrkraft gab an, den Schülerinnen und Schülern Lesenoten zu erteilen: Dabei wurde den Lernenden ein Lehrbuchtext genannt, der zuhause (freilich ohne Hörbeispiel) geübt werden sollte und der in der folgenden Schulstunde evaluiert wurde. Kriterien waren dabei vor allem „Verständlichkeit“, „Flüssig‐ keit“ und „Aussprache“ - gezielte Übungen bestimmter Aussprachephänomene gingen der Evaluation jedoch nicht voraus. Als frustrierend empfanden dabei 2 Probandinnen, dass sie häufig mit der Limitation ihres Methodenrepertoires konfrontiert würden. Eine Probandin artikulierte dies folgendermaßen: P 3 : Und wenn sie dann die nächste Woche wiederkommen, dann ist es wieder genau das Gleiche. Konkret nach den Kriterien für die Auswahl der Schulbuchübungen befragt, antworteten alle Probandinnen, dass sie diejenigen Angebote nutzten, die ihnen einerseits „Spaß machen“ (P 2 ) und die ihnen andererseits „sinnvoll“ erschienen (P 1 , P 2 , P 3 , P 4 ). Konkretere Angaben konnten sie nicht machen. 9.4.4.3 Schülerinnen- und schülerbezogene Aspekte Die Probandinnen nannten unterschiedliche Themenkomplexe, die für das Ver‐ hältnis der Schülerinnen und Schüler zur Aussprache relevant waren. Zentral waren dabei die unterschiedlichen (De-)Motivationsfacetten und die Dicho‐ tomie aus Identität und Fremdheit. So führten drei der befragten Lehrerinnen an, dass für das Aussprachetraining das Alter der Schülerinnen und Schüler wesentlich sei. In jüngeren Klassen sei der Unterricht noch von Spieltrieb und Lernfreude geprägt, bei älteren Lern‐ enden stünde vor allem Unsicherheit im Vordergrund: 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 142 <?page no="143"?> P 1 : Also, ich finde, also ich habe auch englisch bei den […] mit den Kleinen in der Fünften, da geht das noch. Aber in Französisch, also jetzt ab Klasse neun oder so, ja [das] ist schwierig. P 3 : Weil die Schüler immer sagen: "Oh, Französisch ist so schwer“. Die meinen die Aussprache in erster Linie. Die gleiche Probandin (P 3 ) merkte in diesem Kontext an, dass das Gefühl der Schwierigkeit, das die Schülerinnen und Schüler empfänden, nicht zuletzt daher rühre, dass die Lernenden das Französische als „fremd“ klingende Sprache wahrnähmen: P 3 : [Die sagen…: ] „Das hört sich so komisch an“, und man merkt auch, dass sie sehr unsicher sind. Alle Lehrerinnen beschrieben, dass die Unsicherheit oftmals in Vermeidungsst‐ rategien seitens der Schülerinnen und Schüler resultiere: P 3 : […] sind sie sehr unsicher, […] was die Aussprache angeht. Die haben da schon keine Lust dazu, [und dann] reden einige so leise, weil sie denken: "Ich muss den Mund bewegen, dass Frau P 3 denkt, ich rede“ P 2 : Die haben das auch teilweise extra […] hatte ich so das Gefühl, dass sie es extra falsch aussprechen. Weil sie einfach […] irgendwie so mit gespielt, dass das irgendwie falsch ist und dass sie das lustig finden und damit […] transportiert, dass das Fach Französisch sie halt überhaupt nicht interessiert. Eine weitere Lehrkraft (P 2 ) betonte, dass sie bei älteren Schülerinnen und Schü‐ lern meist zwei Profile vorgefunden habe: Die leistungsorientierten Lernenden, die sich um eine korrekte Aussprache bemüht hätten: P 2 : Die leistungsorientierten Schüler haben sich sicherlich da auch bemüht, die Sachen richtig auszusprechen und wenn man ihnen das vorgesprochen hat, auch es wieder richtig nachzusprechen. Demgegenüber gebe es jedoch auch solche Lernende, „die einfach grundsätzlich überhaupt keine Lust auf die Sprache hatten“: P 2 : Wenn man sie gefragt hat, haben sie irgendwie grundsätzlich immer nur "Baguette" geantwortet. 9.4 Qualitative Untersuchung 143 <?page no="144"?> Auch eine andere Probandin sprach von älteren Schülerinnen und Schülern, die sich bewusst nicht um eine gute Aussprache bemühten: P 1 : Also, das war dann auch meistens so, dass ich das Gefühl hatte, sie strengen sich nicht richtig an. Ein wesentlicher Aspekt, der bei älteren Schülerinnen und Schülern jedoch wieder für Motivation sorge, seien die neuen mündlichen Prüfungsformate: P 3 : Sie [die Schülerinnen und Schüler, C.A.] sagen jetzt halt auch so "Oh Gott nächstes Jahr müssen wir eine mündliche Prüfung machen. Wie schaffen wir das denn? ". Durch die Notwendigkeit, sich mündlich zu verständigen, steige auch das Be‐ wusstsein für die eigene (mangelhafte) Aussprachekompetenz bzw. deren Be‐ deutung für den kommunikativen Erfolg, was bis dahin möglicherweise noch gefehlt habe: P 1 : Die [Schülerinnen und Schüler] sind nicht so sensibilisiert worden bis jetzt. 9.4.4.4 Selbstkonzept Hinsichtlich des Ausspracheselbstkonzepts zeigten sich alle Lehrerinnen zu‐ frieden. Sie gaben an, selbst über eine gute Aussprache zu verfügen und über zahlreiche Frankreichkontakte (genannt wurden von allen Probandinnen ziel‐ sprachlicher Medienkonsum, französische und frankophone Freunde, Aufent‐ halte im französischsprachigen Ausland), die es ihnen erlaubten, weiter daran zu arbeiten. Alle vier Probandinnen räumten dabei spontan ein, dass sie „keine Muttersprachlerin“ seien - eine native Aussprache wurde jedoch von keiner der Lehrerinnen als notwendig angesehen: P 2 : Ich glaube jetzt schon, dass ich ganz ordentlich Französisch kann, aber ich bin halt kein Muttersprachler. 9.4.4.5 Überzeugungen zur Bedeutung der Aussprache Die Lehrkräfte gaben an, dass ihnen die Bedeutung der Aussprache durchaus präsent sei. Auf entsprechende Nachfrage hin, betonten drei der vier Proban‐ dinnen, sie hätten den Eindruck, dass eine schlechte Aussprache zu Kommuni‐ kationsproblemen und zu einer negativen Sprecherwahrnehmung führe: 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 144 <?page no="145"?> P 2 : Also das […] so stelle ich mir das halt irgendwie auch vor, dass man halt einfach, wenn man richtig aussprechen kann, hat man gleich vielleicht mehr Respekt […] oder man kommt einfach besser rüber. P 3 : Also erstmal diese wahnsinns Fremdwahrnehmung, wenn sie selber sprechen, dass ihnen das nicht so geht, wie sie selber oft ausländische Mitbürger halt […] beurteilen, verurteilen, wenn sie nicht richtig sprechen. Nur eine Probandin bewertete den Aspekt der negativen Sanktionierung durch Muttersprachler als unwesentlich: einerseits seien Französinnen und Franzosen in diesem Bereich tolerant: P 4 : Ich halte die Franzosen für so - wie soll man sagen - für so fehlertolerant. Also die gehen darüber hinweg. Und da glaube ich, da entstehen keine Berührungsängste also bei den Franzosen. Aber es ist doch auch schön, wenn man dieses Klischee des Deutschen "chhh" hinten im Hals sprechenden, z. B. wenn man das jetzt ein bisschen brechen kann und doch ein bisschen weicher wird, und es dann ein bisschen mit-imitieren kann. Andererseits stelle eine defizitäre Aussprache für die Deutschen auch keinen Anlass für Sprechhemmungen dar, da die französischen Austauschpartner meist schlechter sprächen als sie: P 4 : Ach ich glaube das ist ok. Das belächeln unsere Deutschen in Frankreich sowieso immer, dass die Franzosen so schlecht Englisch sprechen. Von daher glaub ich, da haben sie kein Problem. Also meine Schüler sind auch sehr unerschrocken. Trotzdem betonte auch sie, dass die Aussprache zur interkulturellen Kompetenz gehöre: P 4 : Also sie einfach fit in diese französische Kultur schicken, mit ganz einfachen Sätzen. Ich will nicht, dass sie wahnsinnig kompliziert sprechen. Aber was sie sprechen, sollen sie halt gut, richtig und schön sprechen. 9.4 Qualitative Untersuchung 145 <?page no="146"?> 9.4.4.6 Überzeugungen zur Lernbarkeit der Aussprache Grundsätzlich waren alle Probandinnen von der Lernbarkeit der Aussprache im schulischen Kontext überzeugt: Eine Lehrerin (P 3 ) betont dabei, dass es jedoch nötig sei „eine richtige Methode […] im Kopf “ zu haben. Zwei weitere Proban‐ dinnen leiten die Lernbarkeit der Aussprache von ihrer eigenen Sprachlernbio‐ graphie ab, wie in folgendem Beispiel ersichtlich: P 2 : Wenn ich da auf meine eigenen Erfahrungen zurückgreife, ich habe, also ich bin in [Ort] aufgewachsen, da hat man ab der fünften Klasse auch französisch gehabt und […] da haben wir das am Anfang nur in der Schule gelernt. Dennoch betonen alle Probandinnen, dass es auch nötig sei, dass die Schüle‐ rinnen und Schüler ins französischsprachige Ausland gingen, um authentische Kommunikationsbedingungen vorzufinden: P 1 : Also, ich bin großer Verfechter von Auslandsaufenthalten, weil ich einfach finde, dass man durch diesen, dieses, man sagt ja schön "Sprachbad", ja, dass man da viel viel besser lernt. 9.5 Diskussion Die erste Forschungsfrage der Arbeit bezog sich auf die Verteilung der ausspra‐ chebezogenen Praktiken innerhalb der beforschten Population. Distributions‐ analysen und Interviewdaten konnten nun im Ergebnis zeigen, dass die be‐ fragten Lehrkräfte segmentale Ausspracheschulungsformate favorisierten. Darüber hinaus gaben die Lehrerinnen und Lehrer an, häufig (segmentale und suprasegmentale) Hör- und Nachsprechübungen sowie Chorsprechen zum Ein‐ satz zu bringen. Demgegenüber waren solche Übungssettings, die eine Autonomisierung der Lernenden bzw. eine Überführung der gelernten Strukturen in eine spontanere, authentischere Äußerung erlaubten, ausgesprochen unterrepräsentiert. Die er‐ hobenen Ergebnisse sind also, wenn man sie an den Kriterien für eine effektive Ausspracheschulung misst, wie sie in Abschnitt 6 der vorliegenden Arbeit dar‐ gestellt wurden, als sehr unbefriedigend zu beurteilen. Dies ist ein durchaus überraschender Tatbestand, da aufgrund der Untersuchungsinstrumente (Inter‐ views und Fragebögen) Verzerrungen im Sinne der sozialen Erwünschtheit 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 146 <?page no="147"?> ( Jonkisz u. a., 2012, S. 58f.) zu erwarten gewesen wären. Diese besagt, dass Test‐ personen in der Regel als sozial zustimmungsfähig empfundene Antworten favorisieren. Da dieser Faktor offenbar nicht dazu geführt hat, dass die Lehr‐ kräfte sich in ihrem Antwortverhalten für evidenzbasierte Übungssettings ent‐ schieden haben, liegt die Hypothese nahe, dass noch kein verbindlicher Fach‐ diskurs existiert, der klare Qualitätskriterien für guten und wirksamen Ausspracheunterricht benennen würde. Die Lehrerinnen und Lehrer hätten de‐ mentprechend keine Orientierung darüber, was eine „richtige“ Antwort ge‐ wesen sein könnte. Diese Hypothese wird auch durch die vorliegenden Interviewdaten gestützt. So wiesen die Lehrerinnen in den Interviews explizit darauf hin, dass sie über kein kohärentes Ausspracheschulungskonzept verfügten. Daher fühlten sie sich auch nicht imstande, einen kriterienbasierten Ausspracheunterricht vorzu‐ nehmen. Einerseits folgte daraus, dass sie sich aus diesem Grund weitgehend auf das Lehrbuchangebot verließen, das entsprechend als „heimlicher Lehrplan“ fungierte. Andererseits jedoch resultierte dies oftmals in einer Aufgabe des Ausspracheunterrichts, der durch ein anlassbezogenes Feedback ersetzt wurde. Die zweite Forschungsfrage bezog sich auf die Unabhängigkeit verschiedener Variablen (Muttersprachlichkeit, Geschlecht, Schulform, Auslandsaufenthalt, Aus‐ bildungsort) von den aussprachebezogenen Überzeugungen und Kompetenzen und der Ausspracheschulungspraxis im Unterricht. Die diesbezüglichen Ergeb‐ nisse ergaben ein sehr heterogenes Bild. So konnten beispielsweise keinerlei signifikanten Unterschiede zwischen den Lehrerinnen und Lehrern verschie‐ dener Schularten gesehen werden. Die Lehrkräfte der unterschiedlichen Schul‐ arten wiesen zudem in Bezug auf die Ausspracheschulung keine unterschiedli‐ chen Überzeugungs-,Kompetenz- und Praxisprofile auf. Dies mag durchaus überraschend erscheinen, da in Baden-Württemberg, das die überwiegende Mehrheit der Probanden stellt, die Ausbildung für den Fran‐ zösischunterricht je nach Schulart an unterschiedlichen Institutionen mit sehr verschiedenen Studienstrukturen vorgenommen wird. Während Gymnasial‐ lehrkräfte an Universitäten ausgebildet werden, studieren Realschullehrerinnen und -lehrer an Pädagogischen Hochschulen. Es wäre zu erwarten gewesen, dass sich die sehr unterschiedliche Ausbildungsform auch in den verschiedenen Kompetenzfacetten niederschlägt. Dass dies nicht der Fall ist, legt nahe, dass sich die jeweiligen Institutionen hinsichtlich der Aussprache beziehungsweise der Aussprachedidaktik nur wenig voneinander unterscheiden - oder eben ins‐ 9.5 Diskussion 147 <?page no="148"?> 11 Dass die Daten hier freilich nur Hinweise liefern, die keinen generalisierbaren Rück‐ schluss auf die aktuelle Ausbildung an allen deutschen Hochschulen erlauben, wird in den Einschränkungen diskutiert (s. Abschnitt 9.5.1). 12 Die Autorin diskutiert hierfür verschiedene Hypothesen und Motive, deren Darstellung jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. gesamt wenig Aussprachespracheschulung vermittelt wird 11 . Auch diese Lesart wird durch die vorliegenden Interviewdaten belegt. So beklagten sowohl die befragten Gymnasialals auch die Realschullehrerinnen, sie hätten in der Erst‐ ausbildung wenig fachdidaktischen Input hinsichtlich der Ausspracheschulung erhalten. Für weibliche Probanden lieferten die Daten einen Hinweis auf einen mög‐ lichen Zusammenhang mit ihrem aussprachebezogenen Selbstkonzept: Es lag ein deutlicher Unterschied in den jeweiligen Selbstkonzept-Mittelwerten der weiblichen und der männlihcen Probanden vor. Dieser Befund mag zunächst überraschend erscheinen, da er den Befunden zahlreicher psychologischer Stu‐ dien widerspricht, die sich mit weiblichen Selbsteinschätzungen befassen und die zeigen, dass Frauen eher die Tendenz haben, ihren eigenen Kompetenzen und Leistungen gegenüber kritischer gegenüberzustehen als dies Männer tun (Bischof-Köhler, 2011) 12 . Eine mögliche Erklärung für das hier nahegelegte Er‐ gebnis könnte darin liegen, dass möglicherweise eher besonders selbstbewusste Probandinnen an der Befragung teilgenommen haben. Eine solche Verzerrung durch die freiwillige Testteilnahme wird von Bortz und Döring (2009) be‐ schrieben, die darauf hinweisen, dass freiwillige Testteilnehmerinnen und Test‐ teilnehmer gegenüber Verweigerern die folgenden Merkmale aufwiesen: Sie sind überwiegend weiblich, intelligenter, selbstbewusster, geselliger, weniger au‐ toritär, weniger konformistisch, unkonventioneller, stärker auf soziale Anerkennung angewiesen und verfügen über eine bessere Ausbildung als Testverweigerer. (S. 73) Allerdings konnte bereits im Literaturüberblick (s. Abschnitt 5.2.3.3) gezeigt werden, dass die fremdsprachliche Kompetenz und insbesondere die französi‐ sche Sprechkompetenz von vielen Lernenden als „weiblicher“ Lernbereich an‐ gesehen wird. Dieser Umstand könnte eine (mindestens partielle) Erklärung für die Tatsache darstellen, dass Frauen sich in diesem Bereich als kompetenter wahrnehmen als Männer. Die vier qualitativ interviewten Probandinnen be‐ tonten ebenfalls, mit ihrer eigenen Aussprache „sehr zufrieden“ zu sein. Weiterhin legen die vorliegenden Ergebnisse die Vermutung nahe, dass ein Zusammenhang zwischen dem ausschließlichen Studium an ausländischen Hochschulen und dem erhöhten Einsatz von Übungen, die eine Schülerautono‐ misierung bezwecken, existiert. Gleichzeitig wiesen jedoch diejenigen Pro‐ 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 148 <?page no="149"?> banden, die nur im Ausland studiert hatten, auch signifikant niedrigere Selbst‐ wirksamkeitswerte auf. Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass in vielen Ländern die Lehramtsausbildung in zwei Schritten stattfindet: Auf ein rein akademisches Studium ohne fachdidaktische Inhalte folgt eine praxisorien‐ tierte Ausbildung. Es liegt die Schlussfolgerung nahe, dass diese Diskrepanz hinsichtlich des fachdiaktischen Wissens gegenüber den in Deutschland ausge‐ bildeten Kolleginnen und Kollegen von den Probandinnen und Probanden als Manko wahrgenommen wird. Dennoch ist dieser Befund aufgrund der geringen Probandenzahl lediglich als Indiz zu werten. Interessanter erscheint die Tatsache, dass Probanden, die ausschließlich an einer PH studiert hatten, signifikant häufiger ganzheitliche Übungsformate an als ihre Kolleginnen und Kollegen mit ausschließlicher Universitätsbildung einsetzten. Dieser Unterschied könnte dadurch erklärt werden, dass die univer‐ sitäre Ausbildung sich stark an der Vermittlung von Fachinhalten orientiert. An Universitäten werden in Baden-Württemberg ausschließlich Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet, die auch in der Sekundarstufe II unterrichten wollen. Demgegenüber werden an Pädagogischen Hochschulen sowohl Sekundarschul‐ lehrkräfte als auch Grundschullehrerinnen und -lehrer ausgebildet. Die Grund‐ schulfremdsprachendidaktik ist jedoch stark auf ganzheitliches Lernen ausgerichtet (z. B. Elsner, 2010). Allerdings bezog sich dieser Unterschied ausschließ‐ lich auf den Ausbildungsort. Für die Schulform, an der die Lehrkräfte letztend‐ lich unterrichteten, war, wie oben bereits beschrieben, kein signifikanter Un‐ terschied festgestellt worden. Es liegt also die Vermutung nahe, dass Lehrpersonen, die an einer PH ausgebildet wurden, vom Kontakt und von ge‐ meinsamen Seminaren mit ihren Grundschulkolleginnen und -kollegen profi‐ tiert haben, was schließlich zu einer Favorisierung ganzheitlicher Übungsset‐ tings geführt haben könnte. Der Befund konnte allerdings nur in einem parametrischen Testverfahren (t-Test) belegt werden und ließ sich mittels eines nichtparametrischen Tests (Dunn-Bonferroni-Test) nicht replizieren. Dieser Umstand sollte für eventuelle Schlussfolgerungen bedacht werden. Über die beschriebenen Zusammenhänge hinaus konnten jedoch keine weiteren signifikanten Zusammenhänge festgestellt werden. Insbesondere konnte statis‐ tisch ausgeschlossen werden, dass eine frankophone Muttersprachlichkeit auf Überzeugungen oder Kompetenzen einwirkt. Dieser Befund ist durchaus er‐ staunlich, da anzunehmen gewesen wäre, dass französische Muttersprachler‐ innen und Muttersprachler dem Thema „Aussprache“ mehr Gewicht beimessen würden als ihre nichtmuttersprachlichen Kolleginnen und Kollegen. Allerdings war die Population der frankophonen Probanden mit N = 8 so klein, dass eine Generalisierung dieser Ergebnisse problematisch scheint. 9.5 Diskussion 149 <?page no="150"?> Unterschiede in den Populationen ergaben sich allerdings hinsichtlich der Berufserfahrung (dritte Forschungsfrage): Referendarinnen und Referendare hielten sich bei der Aussprachevermittlung für signifikant kompetenter als ihre erfahrenen Kolleginnen und Kollegen. Dies korrespondiert mit den vorlie‐ genden qualitativen Daten. Auch hier betonten alle Probandinnen, dass sie erst in Konfrontation mit den Ausspracheproblemen ihrer Schülerinnen und Schüler der Limitation ihrer eigenen Kompetenzen gewahr geworden seien. Diese empi‐ rischen Ergebnisse entsprechen den Forschungsergebnissen zur Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses, wie sie Tsui (2003) aufarbeitet. So seien die ersten beiden Phasen des Berufseinstiegs, die auch simultan verlaufen könnten, einerseits von einem „Kampf ums Überleben“ andererseits aber auch von der Lust am neuen Beruf geprägt. In dieser Phase, so Tsui (2003, S. 78), gehe es vor allem darum, erzieherische Ideale und die Realität, die notwendige Klas‐ senführung und die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern zu verein‐ baren. Die Schülerinnen und Schüler mit ihren möglichen Defiziten und Stärken stünden zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Fokus der Lehrkraft. Dies komme erst in der dritten und vierten Phase zum Tragen. Hier verschiebe sich der Fokus der Lehrkraft von sich selbst auf die Schülerinnen und Schüler (ebd., S. 80). Dies sei der Ausgangspunkt für ein Überdenken und eine Reevaluation der eigenen Praktiken, das manche Lehrerinnen und Lehrer dazu veranlasse, nach Innova‐ tionen und Variationen zu suchen (ebd.). Es liegt also nahe, dass die Proban‐ dinnen und Probanden einerseits der Phase 1 und 2 (Referendarinnen und Re‐ ferendare), andererseits der Phase 3 und 4 (Lehrerinnen und Lehrer) zuzuordnen waren. Hier könnte auch die aussprachedidaktische Ausbildung der Französischlehrkräfte verantwortlich gemacht werden, die es möglicherweise verpasst, die zu erwartenden Lernendenprobleme bereits im Studium (z. B. über die Arbeit mit Szenarien) zu antizipieren und so den „Praxisschock“ abzumildern. Die übrigen Ergebnisse (vierte Forschungsfrage) sind von durchaus über‐ raschenden Befunden gekennzeichnet. Bessere aussprachedidaktische Kompe‐ tenzen korrelierten mit einem erhöhten Einsatz von Übungen zur fokussierten Aufmerksamkeit. Dies ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass eine Schulung der aussprachebezogenen Aufmerksamkeit ein hohes didaktisches Können er‐ fordert. Überraschend ist jedoch, dass kein weiterer Zusammenhang zwischen höheren aussprachedidaktischen Kompetenzen und den Unterrichtspraktiken gefunden werden konnte. Somit scheinen die aussprachedidaktischen Kompe‐ tenzen der Lehrkräfte nur in sehr begrenztem Maße Einfluss auf ihr unterricht‐ liches Handeln zu nehmen. Die Daten legen den Schluss nahe, dass Lehrerinnen und Lehrer eventuell vorhandene Kompetenzen im Unterricht nicht wesentlich aktivieren. Die bereits beschriebenen Distributionsanalysen weisen darauf hin, 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 150 <?page no="151"?> dass die Auswahl der zum Einsatz kommenden Ausspracheübungen schulbuch‐ basiert vorgenommen wird - eigene Kompetenzen der Lehrkräfte spielen dabei offenbar eine nur eingeschränkte Rolle. Dies entspricht den Analysen Casparis (2010) und Klippels (2013), die die starke Schulbuchorientierung des deutschen Französischunterrichtes konstatiert hatten. Lehrkräfte verfügen also mögli‐ cherweise nicht über die notwendigen Selektionskriterien, um die ihnen zur Verfügung stehenden Übungsmaterialien sinnvoll auszuwählen. Der gleiche Befund ergab sich für den Zusammenhang der Überzeugungsskalen mit den Kompetenzen. So konnten zwar Zusammenhänge zwischen einer erhöhten Selbstwirksamkeitswahrnehmung und einer vermehrten Nutzung von Übungen zur Schulung suprasegmentaler Merkmale nahegelegt werden. Zu be‐ denken ist jedoch, dass angesichts der Multiplizität der statistischen Prüfungen mit Zufallssignifikanzen zu rechnen ist (Bland & Altman, 1995). Auch fehlt ins‐ besondere dem letzten auffälligen Befund die theoretische Plausibilität, ein As‐ pekt, der für die Interpretation von p-Werten aus erkenntnistheoretischen Gründen zu berücksichtigen ist. So weisen Peto et al. (1976) darauf hin, dass „[i]t is proper to combine prior opinion and knowledge with P-Values to guess the truth.” Da im vorliegenden Fall nur schwer zu erklären wäre, warum die An‐ nahme, man könne seinen Schülerinnenund Schülern besonders kompetent helfen zu einer erhöhten Nutzung von suprasegmentalen Übungsformaten führen sollte, soll dieser Befund als Zufallssignifikanz gewertet werden. Weitere Zusammenhänge zwischen den Überzeugungsskalen und den Kompe‐ tenzen fanden sich nicht. Dies ist durchaus bemerkenswert: Es wäre zu erwarten gewesen, dass höhere Werte in den Bedeutungsskalen signifikant mit dem Ein‐ satz sinnvoller Lernsettings beziehungsweise mit höheren aussprachebezo‐ genen Kompetenzen korrelieren. Die Tatsache, dass keine solche Korrelation festzustellen war, deutet gleichfalls darauf hin, dass unter Lehrerinnen und Leh‐ rern Ratlosigkeit hinsichtlich dessen herrscht, was als eine gute und sinnvolle Ausspracheschulungspraxis anzusehen ist. Diese Kontraste finden sich auch in den qualitativen Daten wieder. So betonen alle Probandinnen einerseits, dass sie Aussprache für ein zentrales Thema im Französischunterricht hielten. Gleichzeitig beklagen sie, über kein umfassendes Schulungskonzept (weder zum grundsätzlichen Unterrichtsaufbau noch zum reflektierten, kriterienbasierten Methodeneinsatz) zu verfügen. Eine weitere Dichotomie, die in den qualitativen Daten anklingt, ist diejenige aus Motivation und Selbstgefährdung, die im Ausspracheunterricht zum tragen komme. So stelle die Aussprache für die Schülerinnen und Schüler einerseits einen Faktor dar, der zu ihrer Motivation beitragen könne. Dies sei besonders bei den jün‐ 9.5 Diskussion 151 <?page no="152"?> 13 Zum Problem der Verzerrung durch die Freiwilligkeit der Testteilnahme s. Bortz & Dö‐ ring, 2009, S. 73. geren Lernenden der Fall. Weiterhin trete neuerdings durch die Etablierung der mündlichen Prüfungsformate auch die instrumentelle Motivation in den Vor‐ dergrund. Andererseits jedoch klinge die neue Sprache für viele Schülerinnen und Schüler fremd und rufe daher Abwehrreaktionen hervor. So vermieden es zahlreiche Schülerinnen und Schüler, die von ihnen als merkwürdig empfun‐ denen Klänge zu artikulieren. Diese Zweiseitigkeit der Aussprache erwies sich für die Lehrkräfte als besonders anspruchsvoll. Insbesondere auf die Vermei‐ dungsstrategien reagierten die Lehrerinnen oft mit Unverständnis oder Resig‐ nation. 9.6 Einschränkungen und Forschungsdesiderata Die erhobenen Ergebnisse sind aus verschiedenen Gründen lediglich als Hin‐ weise zu verstehen. Die beforschte Population ist mit 54 Lehrerinnen und Leh‐ rern und 20 Referendarinnen und Referendaren recht klein. Einige betrachtete Gruppen enthielten daher nur sehr geringe Probandenzahlen (z. B. französische Muttersprachlichkeit oder das ausschließliche Studium im Ausland). Darüber hinaus erlaubt die weitgehende Beschränkung auf den baden-württembergi‐ schen Schulkontext und das Verfahren zur Probandengewinnung es nicht, die Ergebnisse unreflektiert auf den gesamtdeutschen Schulbereich zu übertragen. Weiterhin ist es, wie in der Diskussion bereits angemerkt wurde, sehr plausibel anzunehmen, dass die Probandinnen und Probanden, die sich ja auf die zeitauf‐ wändige Bearbeitung des aussprachebezogenen Untersuchungsinstruments eingelassen haben, ein ausgeprägtes Interesse an der Thematik hatten, was zu einer Verzerrung der Testergebnisse geführt haben könnte 13 . Allerdings würde diese Verzerrung eher in positiver Richtung wirken - angesichts der Vertei‐ lungen der Praktiken würde dies also bedeuten, dass der bereits recht unbefrie‐ digende Befund in der Gesamtpopulation noch erheblich negativer ist. Mit Blick auf diese Einschränkungen wäre es sicherlich gewinnbringend, das im Rahmen der vorliegenden Arbeit entwickelte Forschungsinstrument in einer größeren Population einzusetzen, um die Replizierbarkeit der Ergebnisse zu über‐ prüfen. Darüber hinaus könnte es über die erhobenen und geprüften möglichen Mediatorvariablen (Auslandsaufenthalte, Geschlecht, Schulform, Muttersprachlich‐ keit) noch weitere Aspekte geben, die die Effekte beeinflussen könnten. Dies könnte beispielsweise das Vorliegen einer anderen Muttersprache als der im Fra‐ 9 Studie 1: Erhebung des Status quo 152 <?page no="153"?> gebogen erhobenen (Deutsch und Französisch) sein: Die dadurch möglicherweise andere Herangehensweise an das Fremdsprachenlernen könnte zu Verzerrungen bei den Ergebnissen geführt haben. Gleichfalls wäre beispielsweise denkbar, dass längere Abwesenheiten aus dem Dienst, wie sie etwa über Elternzeiten vorkommen, auf Kompetenzen, Selbstkonzept oder Selbstwirksamkeitswahrnehmung einwirken könnten. Die Existenz einer solchen Mediatorvariable ist auch deshalb plausibel, da eine Pro‐ bandin in einem Interview zum Ausdruck brachte, dass ihre fachdidaktische Unsicherheit nach einer längeren Abwesenheit besonders stark ausgeprägt ge‐ wesen sei. Dies wäre in einer weiteren Studie zu prüfen. Weiterhin wäre es interessant, über die theoretische Erhebung der Überzeu‐ gungen (im Sinne von Handlungstheorien), der angegebenen Praktiken und der Kompetenzen hinaus auch auf die Ebene der tatsächlichen Praxis zu gehen. Es wäre etwa bereichernd, die Angaben der Lehrerinnen und Lehrer mit dem zu vergleichen, was sie im Unterricht tatsächlich tun. Ein anderer relevanter Aspekt könnte der Zusammenhang der (erhobenen) fachdidaktischen Kompetenzen, Überzeugungen und Praktiken mit (zu erhebenden) tatsächlichen Aussprache‐ kompetenzen sein. Diese wären beispielsweise über Hör- und Artikulationstests zu testen. Ein weiteres Desiderat liegt in der Frage, ob und wie es möglich ist, auf die aussprachebezogenen Kompetenzfacetten und Praktiken interventionell positiv einzuwirken. Dieser Aspekt bildet den Kern der im Folgenden dargestellten Studie 2. 9.6 Einschränkungen und Forschungsdesiderata 153 <?page no="155"?> 1 Zur Abgrenzung von Entwicklungsforschung gegen Aktionsforschungsvorhaben siehe Bakker & Van Eerde (2014). Zur Abgrenzung gegen qualitative Experimente (Kleining, 1986) siehe Reinmann (2013). 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten Ziel dieser Studie war es, eine Fortbildungsreihe zu erstellen, zu optimieren und zu evaluieren, die auf diejenigen Faktoren positiv einwirkt, die für eine defizitäre Ausspracheschulungspraxis verantwortlich sein könnten. 10.1 Forschungsfragen 1. Welche Merkmale muss eine Fortbildungsmaßnahme für Französischlehrkräfte der Sekundarstufen aufweisen, um auf diejenigen Faktoren positiv einzuwirken, die in Studie 1 als für eine defizitäre Aussprache‐ schulungspraxis verantwortlich identifiziert wurden? 2. Welchen Effekt hat die fertige Fortbildungsmaßnahme auf die Teilnehmer der Intervention hinsichtlich der in Studie 1 formulierten Eigenschaften? 10.2 Methodik Für die Beantwortung der Forschungsfragen eignen sich Forschungspara‐ digmen, die auf das Entwerfen didaktischer Lehr- und Lernarrangements ab‐ zielen und dabei eine Anbindung an Forschungsergebnisse gewährleisten 1 . Solche Entwicklungsforschungsvorhaben, die sich aus unterschiedlichen Wis‐ senschaftstraditionen speisen (s. Prediger, Gravemeijer, & Confrey, 2015), ent‐ standen ab den 1950er Jahren in verschiedenen Ländern, sodass sich heute eine terminologische Diversität ergibt, die jeweils für die Bezeichnung ähnlicher Forschungsparadigmen benutzt wird (Überblick s. Anderson & Shattuck, 2012; Bakker & Van Eerde, 2014). Es kursieren beispielsweise so unterschiedliche Be‐ griffe wie Design Experiment, Design Research, Developmental und Development Research oder Educational Design Research. In Übereinstimmung mit den Über‐ <?page no="156"?> 2 Ob im fachdidaktischen Bereich eine zuverlässige Kontrolle der verschiedenen Stör‐ faktoren überhaupt möglich ist, wird kritisch diskutiert. Eine Darstellung dieser Dis‐ kussion würde jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. (Für weiterfüh‐ rende Literatur s. Bakker & Van Eerde, 2014.) legungen des Design-Based Research Collective (2003) soll im folgenden der Terminus Design-Based Research (DBR) benutzt werden. Allgemeines Ziel von DBR-Forschungsvorhaben ist das Design von Lernum‐ gebungen auf Basis theoretischer und empirischer Einsichten (Prediger & Link, 2012). Damit unterscheidet sich die Entwicklungsforschung von quasi-experi‐ mentellen Projekten. Diese setzen es sich zum Ziel, die Wirksamkeit bereits bestehender Interventionen (also von Aktualitäten) zu evaluieren und dabei störende beziehungsweise mit der Intervention interagierende Variablen zu kontrollieren 2 . DBR hingegen strebt die Entwicklung innovativer Lernarrange‐ ments zur Lösung bestimmter Probleme an. Es geht also um die Exploration von Potenzialitäten (Euler & Sloane, 2014, S. 7). Dabei blendet sie aber, wie Jahn (2014) hervorhebt, „die ‚Unreinheiten‘ der pädagogischen Praxis wie etwa eine Breite an ganz bestimmten, nicht kontrollierbaren Rahmenbedingungen, […] nicht [aus]“ (S. 4). Vielmehr reflektiere sie sie und binde sie methodisch in den Forschungsablauf ein (ebd.). Damit ist DBR dazu geeignet, das von Riemer (2008, S. 11) beschriebene methodische Problem der Faktorenkomplexion, das durch die Mehrdimensionalität von Fremdsprachenlehr- und -lernprozessen hervor‐ gerufen wird, zu reflektieren. Gleichzeitig vermag sie es, unter Berücksichtigung dieses Umstandes Handlungsempfehlungen an die Praxis auszusprechen, somit die „Unendlichkeit von Forschung“ (ebd.) zu vermeiden. Die genaue Dokumen‐ tation der Bedingungen, unter denen das entwickelte Produkt entstanden ist, soll es Praktikern und weiteren Forschern nämlich ermöglichen, das Produkt selbst reflektiert anwenden zu können: DBR typically has an explanatory and advisory aim, namely to give theoretical insights into how particular ways of teaching and learning can be promoted. The type of theory developed can also be of a predictive nature: Under conditions X using educational approach Y, students are likely to learn Z. (Bakker & Van Eerde, 2014, S. 431) Wie Prediger, Gravemeijer und Confrey (2015) beschreiben, exisiteren innerhalb der DBR-Forschungslinien gleichwohl unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, die sich jedoch im Kern auf zwei Grundausrichtungen reduzieren lassen: • Forschungsvorhaben, die direkt auf die praktische Verwertbarkeit des Resultats abzielen. „Produkte“ solcher Projekte seien konkrete Curricula oder Lernsettings, die sich direkt zum Einsatz in der Praxis eigneten. 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 156 <?page no="157"?> • Forschungsvorhaben, die eine Theoriegenerierung über Lernprozesse an‐ streben. Hier werde auf die Entwicklung lokaler Theorien und Para‐ digmen abgezielt, die Praktikern und Forschern als Grundlage für eigene Entscheidungen oder weitere Forschungsprojekte dienen können. Die erste Forschungsfrage der vorliegenden Studie lässt sich dem Bereich eins zuordnen: Angestrebt wird die Entwicklung eines konkreten Lernsettings zur Aussprachefortbildung von Französischlehrkräften der Sekundarstufen. Die bereits beschriebenen Besonderheiten des DBR-Paradigmas machen es erforderlich, Gestaltungsprinzipien und Gütekriterien zu entwickeln, die mit der Zielsetzung in Übereinstimmung zu bringen sind und die die praktische und theoretische Verwertbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse sicherstellen sollen. Die Gestaltungsprinzipien (s. Abb. 18) von DBR-Projekten werden verschie‐ dentlich benannt (Cobb, Confrey, DiSessa, Lehrer, & Schauble, 2003; Prediger u. a., 2015; Reinmann & Vohle, 2012). So sollen DBR Projekte interventionistisch sein. Dies schließt demnach Beobachtungsstudien oder ähnliche Paradigmen aus. Weiterhin sollen sie theoriegeleitet, auf Grundlage bestehender For‐ schungsliteratur enwickelt werden. In der Umsetzung sollen Theorie und Praxis gestaffelt miteinander in Konfrontation treten, um einerseits einen blinden De‐ duktionismus, andererseits aber auch einen naiven Pragmatismus zu vermeiden (Euler, 2014; Reinmann & Vohle, 2012; Sloane, 2014). Dabei sollte die Reflexion evaluationsbasiert stattfinden, was die Erhebung solcher Daten impliziert, die eine Evaluation ermöglichen. Der Aufbau des Gesamtprojektes sollte iterativ gestaltet werden. Dies bedeutet, dass die zentralen Phasen mehrmals durch‐ laufen werden. Hierbei sollte die Dokumentation der verschiedenen Schritte und Interventionen transparent sein, um die Nachvollziehbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse zu gewährleisten. Und schließlich sollte ein solches Projekt auf die Gewinnung eines konkreten Mehrwertes für die Praxis abzielen (z. B. durch schrittweise Generalisierung oder durch Gewinnung von Design-Prinzipien). 10.2 Methodik 157 <?page no="158"?> Abb. 18: Merkmale von DBR-Projekten Entsprechend dieser Ausrichtung lauteten die Gütekriterien von DBR-Projekten Validität, definiert als „plausible Anbindung an den Forschungsstand“, Prakti‐ kabilität und Innovativität ( Jahn, 2014, S. 9): The products of DBR are judged on innovativeness and usefulness, not just on the rigor of the research process that is more prominent in evaluating true experiments. (Bakker & Van Eerde, 2014, S. 6) Der Forschungsprozess sollte dabei vier Phasen durchlaufen (Bakker & Van Eerde, 2014; Euler, 2014; McKenney & Reeves, 2014; Plomp, 2010; Seufert, 2014), die nachfolgend erläutert werden sollen. 1. Phase: Identifikation des Problems, Analyse der Rahmenbedingungen und theoretischen Konzepte Das Problem sollte benannt werden. Dies sollte jedoch mit einem konkreten Entwicklungsziel verbunden werden. Weiterhin müssen aufgrund einer Analyse der Rahmenbedingungen und einer Aufbereitung der relevanten Forschungsli‐ teratur diejenigen Aspekte benannt werden, die für die Lösung des Problems (und die Erarbeitung des Prototypen) relevant sein können. 2. Phase: Vorbereitung und Design des Prototypen Zur Entwicklung eines Interventionsprototypen müssen gegenstandsbezogene Wissensbestände aufgearbeitet werden. Diese können sowohl theoretischer als auch praktischer Provinienz sein. Der Design Researcher solle, so Gravemeijer (zitiert bei Bakker & Van Eerde, 2014), wie ein bricoleur vorgehen, der pragma‐ tisch alle ihm verfügbaren Wissensquellen erschlösse. Wichtig sei dabei jedoch, dass transparent gemacht werde, welchen Stellenwert die verschiedenen Bau‐ steine hätten - ob es sich mithin um experimentelle Forschungsergebnisse oder 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 158 <?page no="159"?> eher um Theorien handle. Darüber hinaus müsse auch über eine eingehende Analyse gewährleistet sein, dass an feldbezogenes Vorwissen angeschlossen werde (Euler, 2014). 3. Phase: Durchführung des Experimentes Bei der Durchführung des Experimentes müssen Daten gesammelt werden, die es der Forscherin erlauben, Rückschlüsse auf Wirksamkeit und Grenzen der In‐ tervention zu gewinnen. Dies können Teilnehmernotizen, Interviews, For‐ schungsaufzeichnungen, Audio- und Videoaufnahmen, Prä- und Posttests, Re‐ flexionsdokumente o. ä. Daten sein. Anderson und Shattuck (2012, S. 17) weisen darauf hin, dass DBR dabei nicht auf einzelne Forschungsmethoden beschränkt sei, sondern in „agnostischer“ und pragmatischer Manier diejenigen Methoden anwende, die für den jeweiligen Forschungszweck am geeignetesten erschienen. 4. Phase: Retrospektive Analyse und Reflexion (Ggf. Rückkehr zu Phase 2) Auf Grundlage der erhobenen Daten müsse eine Reflexion stattfinden, die die Qualität der Intervention evaluiere und ihren Nutzen, beispielsweise auch im Vergleich mit anderen möglichen Lernarrangements identifiziere. Sollte aus der Reflexion eine Verbesserungsmöglichkeit resultieren, muss diese in einem neuen Zyklus erprobt werden (Rückkehr zu Schritt 2). Für die Qualität der Intervention werden verschiedene Evaluationsprinzipien diskutiert (Bakker & Van Eerde, 2014; McKenney & Reeves, 2014; Plomp, 2010). Besonders plausibel erscheint die Liste, die Jahn in Anlehnung an Collins et al (2004) nennt Wichtige Qualitätsmerkmale einer Intervention seien somit: (1) Lernmerkmale, wie etwa Fertigkeiten, Dispositionen, Wissenszuwachs, metakog‐ nitive Strategien oder Lernstrategien, (2) Klimamerkmale, wie beispielsweise das En‐ gagement der Lernenden, Kooperation, die Übernahme von Risiken oder das Selbst‐ wertgefühl der Lernenden; (3) systemische(n) Merkmalen, wie etwa Nachhaltigkeit, Aufwand für Adaption, Kosten oder die weitere Umsetzbarkeit des Designs. ( Jahn, 2014, S. 11) Deutlich geworden ist, dass die Konzeption der Intervention von theoretischen Einsichten geleitet werden muss. Für eine Fortbildungsveranstaltung zur Aus‐ spracheschulung sind dies Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit von Aus‐ spracheschulungssettings. Diese wurden in Abschnitt 6 der vorliegenden Arbeit dargestellt. Weiterhin müssen bei der Entwicklung der Intervention Wissens‐ bestände zu Struktur von Kompetenzen und Überzeugungen von Lehrkräften berücksichtigt werden, wie sie in Abschnitt 8 beschrieben wurden. Schließlich jedoch muss die Fortbildung auch denjenigen Gütekriterien gehorchen, die die 10.2 Methodik 159 <?page no="160"?> 3 Ein Teil der aufgearbeiteten Literatur, insbesondere die fremdsprachendidaktischen Arbeiten, bezieht sich auf Lehrerausbildung, nicht also auf die Fortbildung von Lehre‐ rinnen. Sie wurden dann einbezogen, wenn es weitere, auf Fortbildung bezogene Stu‐ dien gab, die nahelegen, dass die Ergebnisse übertragbar seien. Forschung zu Lehrerprofessionalisierungsmaßnahmen erarbeitet hat. Welche dies sind, soll im Folgenden dargestellt werden. 10.3 Forschungsstand zur Lehrerprofessionalisierung Für die Konzeption eines Fortbildungsprototypen sind verschiedene Aspekte von Bedeutung, die von Prediger, Leuders und Rösken-Winter (2017, S. 1) dar‐ gestellt wurden: • Die Wirksamkeit verschiedener fortbildungsmethodischer Prinzipien • Die fortbildungsdidaktische Dimension der methodischen Prinzipien: Die Frage danach also, welche Aspekte eines Fortbildungsgegenstandes Lehr‐ kräfte reflektieren müssen. Nur so könne auch eine gegenstandsspezifi‐ sche Gestaltung der Fortbildung gewährleistet werden. • Die Veränderbarkeit der Struktur der unterschiedlichen Professionswis‐ sensfacetten • Erkenntnisse zu Professionalisierungsprozessen Wie die Autoren (ebd.) betonen, fokussiert die bisherige Forschung vor allem die Wirksamkeit methodischer Prinzipien (Punkt 1) und (oftmals über Prä- und Posttestdesigns) die erfolgte Veränderung der professionellen Kompetenzen (Punkt 3). Forschung zur fortbildungsdidaktischen Dimension der Intervention, so die Autoren, sei ebenso rar wie Arbeiten, die sich mit dem Prozess der Pro‐ fessionalisierung beschäftigten. Für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit sind zwar alle vier Punkte relevant. Im ersten Schritt, der darin besteht, eine Intervention zu konzipieren, die den evidenbasierten Wirksamkeitskriterien gehorcht, müssen jedoch zunächst Wissensbestände zu fortbildungsmethodi‐ schen Prinzipien 3 erschlossen werden. So werden in der Forschungsliteratur verschiedene Bausteine benannt, die sich in empirischen Studien als besonders vielversprechend erwiesen haben (für einen Überblick s. Abb. 19). Einigkeit herrscht mittlerweile darüber, dass Professionalisierung nur statt‐ findet, wenn Lehrkräfte als Akteure ihres Lernfortschritts angesehen werden. Dies stellt, wie Clarke und Hollingsworth (2002, S. 948) betonen, eine Abkehr von der in früheren Fortbildungskonzepten vorherrschenden Vorstellung dar, 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 160 <?page no="161"?> nach der das Lernen der Lehrkräfte darin bestehe, ihre professionellen Defizite durch den Transfer akademischer Wissensbestände zu beseitigen. Dabei, so Legutke (2010), entsprach dieser rationalistischen Vorstellung des Lernprozesses üblicherweise eine dreischrittige Vermittlungsform: a. [D]er Vortrag durch einen ausgewiesenen Experten, b. die anschließende Diskus‐ sion und c. die erwartete praktische Umsetzung der neuen Erkenntnisse durch die Lehrenden. (S. 1352) Diese Vorstellung ist nun einer Perspektive gewichen, die Professionalisierung als komplexen Prozess begreift, der nicht zuletzt von den Lehrkräften selbst initiiert und mitgetragen werden müsse. Dies entspricht der soziokulturellen Sicht auf das Lernen, wie sie von der konstruktivistischen Lerntheorie (Vy‐ gotsky, 1997 (1978)) beschrieben wurde. Diese definiert das menschliche Lernen als A dynamic social activity that is situated in physical and social contexts, and is dis‐ tributed across persons, tools and activities. ( Johnson, 2009, S. 1) Kognitive Entwicklung ist nach dieser Auffassung also ein interaktiver, vor allem aber individueller Prozess, der von verschiedenen kontextuellen, sozialen und persönlichen Faktoren determiniert wird. Die Gleichung, nach der Lern‐ input gleich Wissensoutput sei, ist nach dieser Auffassung als naiv anzusehen. Es liegt auf der Hand, dass ein solchermaßen definierter Lernzuwachs nur möglich ist, wenn bei den Lehrkräften Reflexionsprozesse angestoßen werden, die sie dazu veranlassen, nach einer Veränderung in ihrer Praxis oder in ihren Kompetenzen zu suchen. Entsprechend ist sich die Forschung einig, dass Fort‐ bildungsveranstaltungen dann wirksam werden können, wenn sie entsprechend ausgerichtet sind (Abendroth-Timmer, 2017; Clarke & Hollingsworth, 2002; Putnam & Borko, 2000; Timperley, Wilson, Barrar, & Fung, 2007). Es werden unterschiedliche Methoden diskutiert, die besonders dazu geeignet scheinen, Reflexion zu favorisieren. Als besonders erfolgversprechend erscheinen dabei der Einsatz von Videographien (Clarke & Hollingsworth, 2002; Frevel, 2011), Fallstudien (Clarke & Hollingsworth, 2002) oder der Austausch mit anderen Fortbildungsteilnehmern (Borg, 2011). All diese Methoden können eine kogni‐ tive Dissonanz, eine Konfrontation von eigenen Überzeugungen und anderen Wissensbeständen, provozieren, die Anlass für einen (Selbst-)Reflexions- und Veränderungsprozess sein können (Caspari, 2014; Lipowsky, 2011). Als sinnvoll hat sich darüber hinaus eine Abwechslung von Aktions- und Reflexionsphasen erwiesen: So sei gewährleistet, dass die Lehrkräfte die neu gelernten theoretischen Anteile in der Praxis ausprobierten und ihre prakti‐ 10.3 Forschungsstand zur Lehrerprofessionalisierung 161 <?page no="162"?> schen Erkenntnisse dann wieder theoretisch reflektieren können (Legutke, 2010; Müller-Hartmann & Schocker, 2013). So entkämen sie am ehesten der Ge‐ fahr des enactment, a phenomenon in which teachers can learn and espouse one idea, yet continue en‐ acting a different idea, out of habit, without even noticing the contradiction. (Kennedy, 2016, S. 947) Diese Forderung impliziert jedoch, dass die Fortbildungsdauer die einer klassi‐ schen „one-shot“-Intervention übersteige. Dieses Postulat stimmt auch mit den Ergebnissen der empirischen Forschung zur Wirksamkeit von Professionalisie‐ rungsmaßnahmen überein, die die Unwirksamkeit singulärer Interventionen belegen kann (Darling-Hammond & Richardson, 2009; Desimone, 2009; Yoon, Duncan, Lee, Scarloss, & Shapley, 2007). Um die Fortbildungsdauer zu erhöhen, ist es möglich, einen Teil der kollektiven Intervention durch individuelle Coa‐ chingmaßnahmen zu ersetzen (Lipowsky, 2011). Die Forschungslage legt nahe, dass eine solche Beratung in besonderem Maße dazu geeignet ist, Professiona‐ lisierungsprozesse in Gang zu setzen. Eine besondere Rolle spielen in diesem Kontext auch Fortbildungen mit pro‐ fessionellen Lerngemeinschaften (PLG). Dabei handelt es sich um „schulbezo‐ gene Lehrerteams, in denen Lehrer gemeinsam und voneinander lernen" (Li‐ powsky, 2011, S. 408). Allerdings hängt der Erfolg solcher PLG, wie die Meta-Analyse von Kennedy (2016) zeigt, ganz maßgeblich davon ab, wie der Input gestaltet wird. So waren diejenigen Programme besonders erfolgreich, in denen die PLG in Kleingruppen schulrelevante Forschungsergebnisse unter der Leitung einer Expertin oder eines Experten erschlossen. Dies deckt sich mit der Analyse Lipowskys (2011), der die Notwendigkeit eines kompetenten Coachings betont. Eine solche Intervention unter Einbeziehung von PLG kann beispielsweise als Inhouse-Fortbildung an einer Schule durchgeführt werden. Das Lernen im Kontext professioneller Lerngemeinschaften kann aus unterschiedlichen Gründen von Vorteil sein: So situiert sich die Fortbildung innerhalb des Schul‐ kontextes, jedoch außerhalb des Unterrichtes, sodass sowohl eine Anbindung an die Praxis als auch eine Reflexionsmöglichkeit der ausprobierten Inhalte ge‐ geben ist (Borg, 2011; Müller-Hartmann & Schocker, 2013). Weiterhin ist auf diese Weise Interaktion und kritischer Austausch möglich, der es den Lehr‐ kräften erlaubt, ihre Überzeugungs- und Kompetenzfacetten zu verbalisieren und mit denjenigen ihrer Kollegen zu konfrontieren. Allerdings weist Lipowsky (2011, S. 408) darauf hin, dass die Forschungslage zur Wirksamkeit professio‐ neller Lerngemeinschaften noch recht dünn und uneinheitlich sei. Es sei jedoch, 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 162 <?page no="163"?> 4 Lipowsky benennt sieben Kernkompetenzen, die für einen Erfolg notwendig seien. So müssten beispielsweise die Lehrer motiviert an der eigenen Weiterentwicklung ar‐ beiten, auf das Lernen der Schüler fokussieren, sich kontinuierlich über den Unterricht austauschen. Für eine vollständige Übersicht s. Lipowsky (2011, S. 408). so Lipowsky weiter, sehr plausibel, „dass sich positive Effekte professioneller Lerngemeinschaften nur dann einstellen dürften, wenn die [verschiedenen] 4 Kernkompetenzen hoch ausgeprägt sind." Damit stimmt er mit dem Forschungs‐ überblick von Ellis und Briggs (2011) überein, die die Bedeutung grundsätzlicher Dispositionen und Werthaltungen für das Lehrerlernen und -handeln zeigen können. Auf der Grundlage solcher Überlegungen mag es daher gewinnbrin‐ gend sein, im Rahmen einer Inhouse-Fortbildung auf das Mittel einer freiwil‐ ligen Teilnahme zurückzugreifen, um zumindest die Aspekte der Motivation, der Zielorientierung und der Veränderungsbereitschaft unter den fortgebildeten Lehrkräften zu vereinen. In jedem Fall wird in der Forschungsliteratur betont, dass es notwendig sei, den Lehrkräften vielfältige Lern- und Reflexionsmöglichkeiten anzubieten, dass also eine methodische Beschränkung auf eine Methode nicht als sinnvoll er‐ achtet werden könne (Timperley u. a., 2007). Ein weiterer Aspekt, der für die Wirksamkeit von Fortbildungen relevant zu sein scheint, ist die Person, die diese Fortbildung leitet (Kennedy, 2016). Obgleich es diesbezüglich noch an Forschungsergebnissen mangelt, legen die bisher durchgeführten publizierten Studien nahe, dass erfolgreiche Fortbildungsinter‐ ventionen von Personen geleitet wurden, denen einige Charakteristika gemein waren: Many of the more effective programs reviewed here were offered by individuals or groups who had long histories of working with teachers, were very familiar with teachers and with the problems they face, and based their programs on their own personal experience and expertise. Many of the less effective programs were large-scale programs that relied on intermediaries — coaches or small group facilita‐ tors who were hired specifically for the study, and whose familiarity with teaching, or more importantly, with teacher learning, may have been limited. (Kennedy, 2016, S. 973) Für die fortbildungsdidaktische Dimension existieren deutlich weniger empiri‐ sche Studien, die konkrete Gestaltungshinweise liefern könnten. Dennoch exis‐ tieren einige Arbeiten, die Indizien dafür geben, welche didaktischen Prinzipien für Fortbildungsveranstaltungen gelten könnten. So stellt Lipowsky (2011) fest, dass sehr domänenspezifische Fortbildungen, die einen engen Curriculums‐ bezug aufweisen und auf die fachbezogenen Lernprozesse der Schülerinnen und 10.3 Forschungsstand zur Lehrerprofessionalisierung 163 <?page no="164"?> Schüler fokussieren, in zahlreichen Studien positiv evaluiert wurden (ebenso Desimone, 2009). Dies rührt möglicherweise daher, dass eine solche Ausrichtung die von den Lehrkräften wahrgenommene Relevanz erhöht, was wiederum als Prädiktor für die Teilnahmemotivation diskutiert wird (Lipowsky, 2011). Darüber hinaus wird verschiedentlich auf die Bedeutung der zum Einsatz kommenden Materialien verwiesen. So legen Putnam und Borko (2000, S. 10) dar, dass unter anderem das Bereitstellen neuer Computerprogramme den Un‐ terricht der Lehrkräfte nachgerade revolutionieren könne. Wie jedoch Caspari (2010, S. 19) in Berufung auf eine Beobachtungsstudie von Tesch (2010) festhält, genügt die alleinige Übermittlung guter Lehrmaterialien nicht, um den Unter‐ richt der Lehrkräfte Einfluss zu nehmen - die Lehrkräfte könnten dies nicht umsetzen. Entsprechend, so Caspari weiter, müsse jede Materialbeigabe von systematischer und langfrister Unterstützung begleitet werden, um eine Verän‐ derung des Unterrichtes zu gewährleisten. Abb. 19: Gestaltungsprinzipien für eine wirksame Fortbildung Welche konkreten Inhalte in einer aussprachebezogenen Fortbildung vermittelt werden sollen, wurde bereits in Abschnitt 6 des vorliegenden Textes erarbeitet. Diese sollten den didaktischen Kern der geplanten Intervention darstellen. 10.4 Probanden Für eine Optimierung des Fortbildungsdesigns waren fünf Testzyklen not‐ wendig. Die ersten beiden Interventionen fanden dabei in Form einer zweitägigen Fortbildungsveranstaltung an der Pädagogischen Hochschule Freiburg im Breisgau (PH Freiburg) statt. Die nächsten drei Zyklen wurden als Inhouse-In‐ terventionen an den Schulen der Lehrkräfte durchgeführt (Übersicht siehe Tab. 17). Zur Teilnehmerakquise wurde die Intervention einerseits über das halb‐ jährliche Bulletin des Zentrums für Lehrerfortbildungen der PH Freiburg publik gemacht. Darüber hinaus wurde auch das Regierungspräsidium um Hilfe zur Multiplikation des Angebotes gebeten. Dies erwies sich jedoch als problema‐ 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 164 <?page no="165"?> tisch, da von dieser Seite aus vorrangig eigene Fortbildungsformate beworben wurden. Hilfreich war jedoch, dass die Fortbildung vom Regierungspräsidium per Mailing unter den Fachberaterinnen und -beratern bekannt gemacht wurde. Schließlich wurde von der Promovendin eine Information zur Fortbildung per Mail an die Schulleitungen zur Weitergabe an die Französischfachschaften ver‐ sandt. Dies gestaltete sich jedoch gleichfalls schwierig. So gaben zahlreiche Kol‐ leginnen und Kollegen an, die Information nicht erhalten zu haben. Ein weiteres Problem ergab sich aus der zuerst geplanten Dauer der Inter‐ vention. Um eine zweitägige Präsenz zu ermöglichen, war es insbesondere bei Lehrkräften aus dem ferneren Umkreis unter Umständen notwendig, zwei Frei‐ gabetage bei ihren Schulleitungen zu erwirken. Dies stellte offenbar in zahlrei‐ chen Fällen eine unüberwindliche Hürde dar. Entsprechend gestaltete sich die Teilnehmerakquise sehr schwierig. Teilnehmer der ersten beiden Zyklen waren insgesamt 16 Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufen I und II. Die überwiegende Mehrheit kam dabei aus Baden-Württemberg (zwei Probandinnen waren aus Rheinland-Pfalz und Nord‐ rhein-Westfalen angereist). An den weiteren Zyklen nahmen insgesamt 27 Lehr‐ kräfte teil (siehe Tab. 17). Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Fortbildungszyklen waren zu 91 % weiblich und zu 97 % französische Nichtmuttersprachler. 60 % unterrich‐ teten an Gymnasien, 20 % an Gemeinschaftsschulen und 20 % an Real- oder Be‐ rufsschulen. 10.4 Probanden 165 <?page no="166"?> · · · · · · · · · · · · · · · Fortbildung Teilnehmende Lehrkräfte (N) Fragebögen (prä und post) (N) Qualitative Daten Zyklus 1 (PH) Juni und Juli 2015 7 - 2 Interviews Teilneh‐ mernotizen während der Fortbildung Beobachtungsdaten Retrospektive Befragung Zyklus 2 (PH) November 2015 und Januar 2016 9 8 2 Interviews 3 Reflexionsbögen Retrospektive Befra‐ gung Inhouse 1 Januar und März 2017 5 4 4 Reflexionsbögen Beobachtungsdaten Retrospektive Befra‐ gung Inhouse 2 Januar und März 2017 14 12 5 Reflexionsbögen Beobachtungsdaten Retrospektive Befra‐ gung Inhouse 3 Januar und April 2017 8 8 5 Reflexionsbögen Beobachtungsdaten Retrospektive Befra‐ gung Tab. 17: Durchführungszyklen, Anzahl der teilnehmenden Lehrkräfte sowie Art und An‐ zahl der erhobenen Daten. PH = Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau. 10.5 Erhebungsinstrumente Zur Evaluation kamen Fragebögen, Interviewleitfäden und Reflexionsbögen zum Einsatz. Bei den Fragebögen handelte es sich um diejenigen, die für Studie 1 entwickelt worden waren und die die aussprachebezogenen Überzeugungen, Kompetenzen und Praktiken der Probanden erfragten. Der Interviewleitfaden entsprach gleichfalls demjenigen aus Studie 1. Für den Leitfaden, der nach der 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 166 <?page no="167"?> 5 Die Reflexionsdokumente sind online verfügbar unter http: / / www.meta.narr.de/ 978382 3382645/ Reflexionsdokument_Abel.pdf. Intervention zum Einsatz kam, wurde der vorherige um Fragen nach erfolgten Veränderungen und Motiven ergänzt. Darüber hinaus wurde probandenspezi‐ fisch gegebenenfalls auf bestimmte Aussagen eingegangen, die im ersten Inter‐ view getätigt worden waren. Dies bezog sich vor allem auf Aussagen zu einer wahrgenommenen Unsicherheit oder zu den eigenen Kompetenzen. Die Reflexionsdokumente 5 wurden erstmals im zweiten Zyklus eingesetzt und sollten dazu dienen, bei größeren Teilnehmerzahlen den Veränderungspro‐ zess nachzuvollziehen. Damit sollten sie die Interviewdaten ergänzen, die ja aufgrund ihrer limitierten Anzahl nur ein sehr punktuelles Bild abgeben konnten. Das Dokument war kurzgehalten, um die Belastung der Teilnehme‐ rinnen und Teilnehmer möglichst gering zu gestalten. Die Lehrkräfte wurden in zwei offenen Fragen zu bereits erfolgten und noch geplanten Veränderungen in ihrer Unterrichtspraxis befragt. Die offene Formulierung wurde gewählt, um die mögliche Verzerrungsgefahr durch den Effekt der sozialen Erwünschtheit zu minimieren. Darüber hinaus sollten die Lehrkräfte spontan antworten und in ihrem Antwortverhalten nicht durch vorgefertigte Kategorien beeinflusst werden. Eine weitere Frage bezog sich auf die Gründe der Lehrkräfte, eine neue Methode auszuprobieren. Hier wurden verschiedene Antwortkategorien ange‐ boten, wobei Mehrfachnennungen ausdrücklich erlaubt waren. 10.6 Datenerhebung Im ersten Zyklus wurden, wie aus Tabelle 17 hervorgeht, in Ermangelung eines reliablen Testinstruments nur qualitative Daten erhoben. Alle weiteren Zyklen hingegen wurden qualitativ und quantitativ beforscht. Ab dem zweiten Forschungszyklus wurden die Fragebögen vorab an die Pro‐ bandinnen und Probanden verteilt und vor Beginn der Intervention ausgefüllt. Der Post-Fragebogen wurde am Ende des zweiten Fortbildungstermins ebenfalls in Anwesenheit der Promovendin bearbeitet. Die Interviews wurden jeweils ei‐ nige Tage vor Beginn und bis zu zwei Wochen nach Ende der Präsenztermine mit freiwilligen Probandinnen geführt. Die Beobachtungsdaten wurden von der Promovendin während und unmittelbar nach der Intervention handschriftlich notiert. Nach der zweiten Intervention wurde die Fortbildung zu einer Inhouse-Fort‐ bildung umgestaltet, die an interessierten Schulen für angemeldete Lehrerinnen 10.6 Datenerhebung 167 <?page no="168"?> und Lehrer gehalten wurde. Die Fragebögen und Reflexionsdokumente mussten daher vor Beginn und nach Ende der Fortbildung von den Teilnehmenden aus‐ gefüllt, an der Schule gesammelt und per Post verschickt werden. Insgesamt wurden auf diese Weise 32 Fragebogensätze (jeweils Prä- und Posttests) erhoben. Darüber hinaus wurden vor und nach der Intervention vier Interviews geführt und 17 Reflexionsbögen eingesammelt, die die Teilnehme‐ rinnen und Teilnehmer zwischen den Fortbildungsterminen ausgefüllt hatten. 10.7 Aufbau der Fortbildung Das Anfangsdesign der Intervention orientierte sich in seinen Gestaltungsprin‐ zipien an den Forschungsergebnissen zu Gütekriterien für wirksame Fortbil‐ dungen, wie sie in Abschnitt 10.3 dargestellt wurden. Es wurden zwei Termine mit einem Gesamtstundenvolumen von 10 Stunden angesetzt, um eine ausreichende Fortbildungsdauer zu gewährleisten und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gleichzeitig eine zwischengeschaltete Ak‐ tions- und Reflexionsphase einzuräumen. Darüber hinaus wurde mit Unter‐ richtsvideographien gearbeitet. So wurden im Zeitraum, der zwischen den beiden Präsenzterminen lag, freiwillige Teilnehmerinnen im Unterricht besucht und bei der Durchführung einer Ausspracheschulungsmaßnahme videogra‐ phiert. Diese Sequenzen bildeten den Ausgangspunkt für eine Gruppendiskus‐ sion, die im zweiten Fortbildungstermin initiiert wurde. Weiterhin wurden ver‐ schiedene reflexive Elemente in der Fortbildung implementiert. So wurden an verschiedenen Stellen Diskussionen über bestimmte Standpunkte angestoßen, die es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erlauben sollten, eigene Positionen zu artikulieren und mit denen ihrer Kolleginnen und Kollegen zu verglei‐ chen. Außerdem wurden die Probandinnen und Probanden dazu angehalten, ihre eigene Praxis in Form von Lehrpersonentagebüchern zu reflektieren. Und schließlich sollten die Lehrkräfte im Rahmen der Intervention Ausspracheschu‐ lungsmodule für ihre eigenen Schülerinnen und Schüler erarbeiten, die sie dann im Erprobungszeitraum einsetzen sollten. Der zweite Termin war dann dem Austausch über die gemachten Erfahrungen gewidmet und sollte so gleichfalls eine Reflexion favorisieren. Inhaltlich orientierte sich der Input am Modell, das in Abschnitt 6 erarbeitet wurde. Dabei wurde, wie vom DBR-Ansatz gefordert, nach „bricoleur-Manier“ in verschiedenen einschlägigen Phonetiklehrbüchern und -artikeln (z. B. Briet u. a., 2014; Bruchet-Collins, 2014; Cervantes, 2008; Diehr & Frisch, 2015; Guim‐ bretière, 1994; Hirschfeld, 2001; Lauret, 2011; Mordellet-Roggenbuck, 2005; Rol‐ 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 168 <?page no="169"?> land, 2011) nach geeigneten Beispielen und Methoden gesucht bzw. eigene Lehrszenarien entwickelt. Den Lehrerinnen und Lehrern wurde in knapper Form jeweils das theoretische Fundament der einzelnen Bausteine erklärt, auf das anschließend konkrete Unterrichtsbeispiele folgten. Dabei wurde versucht, mit den theoretischen Wissensinhalten an bereits bestehendes Fachwissen oder fachdidaktisches Wissen der Lehrkräfte anzuschließen. Dies konnten beispiels‐ weise allgemeine Kenntnisse zum Spracherwerb oder zur Grammatik- und Lexikvermittlung sein oder auch Informationen zur Motivation von Lernenden. Teilweise waren die gezeigten Unterrichtsbeispiele mit solchen Materialen gestaltet worden, wie sie den Lehrkräften ohnehin vorliegen (z. B. Casting für eine Schauspielrolle auf Grundlage des Lehrbuchtextes). Ziel war es dabei, den Lehrerpersonen zu zeigen, wie sie durch einen Perspektivenwechsel und durch das Anwenden eines kohärenten Konzeptes ihre Ausspracheschulungspraxis verbessern konnten, ohne dabei einen unzumutbaren Aufwand betreiben zu müssen. In diesem Kontext war es auch erforderlich, den Lehrerinnen und Lehrern technische Grundlagen zu vermitteln, die notwendig sind, um bereits vorhan‐ dene Ressourcen zu erschließen (z. B. der Einsatz der Diktierfunktion der Smart‐ phones, die Nutzung spezieller kleiner Verstärker, ggf. der Kauf von Aufnah‐ megeräten). 10.8 Durchführung der Intervention Fortbildnerin war in allen Fällen die Promovendin. Die Fortbildung wurde ins‐ gesamt fünf Mal reiteriert (zum genauen zeitlichen Ablauf siehe Abb. 20). Nach dem ersten Termin waren die Umgestaltungen vor allem inhaltlicher Natur. So hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer moniert, dass die gewählten Bei‐ spiele teilweise nicht konkret genug seien, dass somit der Bezug zum Klassen‐ zimmer fehle. Darüber hinaus wurde von einigen Teilnehmerinnen und Teil‐ nehmern angeführt, der theoretische Input dominiere zu stark. Da jedoch andere Lehrkräfte betonten, gerade die Theorie wirke auf sie plausibel und stärke die Inhalte, wurde diesbezüglich keine Änderung vorgenommen. Nach dem zweiten Durchführungszyklus wurde jedoch offenbar, dass die Teilnehmerakquise aus verschiedenen institutionellen Gründen schwierig werden würde. Nach zwei bereits sehr kleinen Durchgängen meldeten sich schließlich zu einem dritten Zyklus nur noch zwei Lehrerinnen und Lehrer an. Im E-Mail-Kontakt gaben einige Lehrkräfte an, von ihren Schulleitungen keine Freigaben für eine Abwesenheit an einem Schultag und einem Nachmittag er‐ 10.8 Durchführung der Intervention 169 <?page no="170"?> wirkt zu haben. Darüber hinaus war es für manche Lehrerinnen und Lehrer schwierig, über ihr Dienstvolumen hinaus noch einen teilweise weiten Weg nach Freiburg auf sich zu nehmen. Dass jedoch das Interesse an den Inhalten dennoch vorhanden war, wurde in Form von zahlreichen E-Mail-Nachfragen nach alternativen Teilnahmeformen bzw. nach der Übermittlung der Fortbil‐ dungsinhalte deutlich. Es war also offenbar, dass die Intervention dem in Ab‐ schnitt 10.2 beschriebenen systemischen Gütekriterium der Umsetzbarkeit und des Aufwandes nicht gerecht wurde. Aufgrund dieser Sachlage wurde die Fortbildung nach dem zweiten Zyklus zu einer Inhouse-Intervention umgestaltet. Dies bot den Vorteil, dass die Weg‐ strecke für die Lehrerinnen und Lehrer entfiel, dass die Auswirkungen auf den Unterricht geringer waren und die Lehrkräfte von einem Lernen innerhalb einer professionellen Lerngemeinschaft profitieren konnten. Die Umgestaltung machte es jedoch notwendig, das Stundenvolumen der Fortbildung drastisch zu kürzen. Um dennoch die Wirksamkeit aufrechtzuerhalten wurden die Lehr‐ kräfte gebeten, die Fortbildungsinhalte im Rahmen von Fachschaftskonferenzen oder über kollegiales Coaching im Zeitraum zwischen den beiden Terminen zu reflektieren und anzuwenden. Dieser Forderung kam jedoch nur eine der drei Interventionsschulen nach. Inhaltlich wurde in erster Linie am theoretischen Input gekürzt, der von den Lehrkräften in den ersten Zyklen ohnehin als zu lang empfunden worden war. Es blieb daher ein Gerüst von theoretischen Grundlagen, die die Bedeutung der Aussprache (in Anknüpfung an Alltagserfahrungen der Lehrkräfte) vermitteln sollten und der Frage nach der Beschaffenheit einer Norm für den Französisch‐ unterricht gewidmet waren. Weiterhin wurde darauf Wert gelegt, den Lehr‐ kräften ein kohärentes Lehrkonzept zu vermitteln, bei dem jeder Baustein aus anschlussfähiger Theorie und Praxisvorschlägen bestand. Aufgrund der zeitli‐ chen Limitation wurden jedoch die tatsächlichen Arbeitsphasen der Lehrkräfte recht kurz. Hier wurde versucht, dieses Manko über „Hausaufgaben“ auszuglei‐ chen. So sollten die Lehrkräfte idealerweise eigene Unterrichtsentwürfe entwi‐ ckeln, diese im Unterricht einsetzen und die Produkte ihrer Schülerinnen und Schüler aufzeichnen, um eine Beschäftigung mit den Fortbildungsinhalten zu gewährleisten. Allerdings kamen nur wenige Lehrerinnen und Lehrer dieser Aufforderung nach: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben an, dies als Zusatzbelastung empfunden zu haben, die aufgrund ihres unverbindlichen Cha‐ rakters auch umgangen werden konnte. 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 170 <?page no="171"?> Abb. 20: Ablauf der Entwicklungszyklen 10.9 Auswertung der Daten Die Fragebögen und Interviewdaten wurden analog zur Methodik in Studie 1 ausgewertet (s. Kapitel 9 (Abschnitte 9.3. und 9.4.) der vorliegenden Arbeit). Für die Auswertung der offenen Fragen der Reflexionsbögen wurden die Antworten entsprechend ihrer thematischen Zugehörigkeit, wie sie sich aus dem Modell zum evidenzbasierten Ausspracheunterricht (siehe Abb. 2) ergibt, ihrer jeweiligen Kategorie zugeordnet. In Zweifelsfällen (z. B. bei Methoden, die zu mehreren Kategorien passen, wie dies beispielsweise bei der Anwendung von Aufnahmegeräten der Fall ist) wurde folgendermaßen verfahren: Wenn die Lehrkraft selbst den Fokus der angewandten Methode benannte (z. B. „Aufnahmegeräte, damit ich meine Schülerinnen und Schüler besser be‐ werten kann“), wurde diese ausschließlich der genannten Kategorie zugewiesen (im vorliegenden Beispiel: „Feedback“). Wenn jedoch hinsichtlich einer eindeu‐ tigen Kategorisierung Zweifel bestanden, wurden die Antworten entsprechend dem theoretischen Modell allen passenden Kategorien zugeordnet. Dies er‐ scheint methodisch und fachdidaktisch die korrektere Verfahrensweise, weil es sich bei aussprachebezogenen Unterrichtssettings nicht um distinkte Katego‐ rien handeln kann: Vielmehr zielen die Settings ja ausdrücklich darauf ab, im 10.9 Auswertung der Daten 171 <?page no="172"?> Sinne einer ökonomischen Nutzung der Unterrichtszeit möglichst viele unter‐ schiedliche Kompetenzen zu schulen. Für die Auswertung bedeutet dies, dass die Häufigkeiten der unterschiedli‐ chen Antworten lediglich gezählt werden konnte. Weitere statistische Verfahren konnten im Rahmen der hier vorliegenden Studie nicht angewandt werden. 10.10 Ergebnisse 10.10.1 Quantitative Ergebnisse In Bezug auf die durchschnittlichen Gesamtkompetenzen der Fortbildungsteil‐ nehmer und Fortbildungsteilnehmerinnen ergab die Signifikanzprüfung durch einen t-Test für verbundene Stichproben einen signifikanten Lernzuwachs (t (25) = 8.98, p < .001). Darüber hinaus zeigte sich, dass sich ausnahmslos alle Teil‐ nehmerinnen und Teilnehmer in den Kompetenzen gesteigert hatten (siehe Abb. 21). Weiterhin ist auch in der Bland-Altman-Darstellung erkennbar, dass es keinen Einfluss der durchschnittlichen Kompetenz gab, die vor der Intervention vorlag: Alle Teilnehmer, ob insgesamt kompetent oder nicht, steigerten ihre Kompetenz in ähnlichem Ausmaß. Abb. 21: Grafische Darstellung der Verbesserung des durchschnittlichen Kompetenz‐ wertes aller Fortbildungsteilnehmenden in einem Bland-Altman-Plot. Kompetenzen 1 = Wert vor der Fortbildung; Kompetenzen 2 = Wert nach der Fortbildung (t(25) = 11.24, p < .001). Die beiden gestrichelten horizontalen Linien zeigen das 95 %-Konfidenzintervall der Differenzen zwischen den beiden gepaarten Werten. 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 172 <?page no="173"?> Bei einer genaueren Analyse der einzelnen Kompetenzitems konnte jedoch fest‐ gestellt werden, dass sich diese Verbesserung auf acht Items konzentrierte (siehe Tab. 18). Kompetenzitem (abgeprüfter Inhalt) Wilcoxon-Test Kompetenz1 (Interferenz 1) z = -3.19, p = .001* Kompetenz2 (Methodik 1) z = -3.88, p < .001* Kompetenz3 (Methodik 2) z = -3.19, p < .001* Kompetenz4 (Methodik 3) z = -2.28, p = .02* Kompetenz5 (Methodik 4) z = -3.21, p = .001* Kompetenz6 (Interferenz 2) z = -2.55, p = .01* Kompetenz7a (Feedback 1) z = -1.33, p = .18 Kompetenz7b (Feedback 2) z = -1.93, p = .05 Kompetenz8 (IPA 1) z = -1.67, p = .10 Kompetenz9 (IPA 2/ Methodik 5) z = -2.76, p = .01* Kompetenz10 (Interferenz 3) z = -3.40, p = .001* Tab. 18: Ergebnisse des Wilcoxon-Tests für abhängige Stichproben für die verschiedenen Kompetenzitems der Teilnehmer vor und nach der Fortbildung. IPA = Internationales Phonetisches Alphabet. Signifikante Änderungen (p < .05) sind mit *) markiert. Für die verschiedenen Überzeugungsskalen ergaben sich keine signifikanten Veränderungen (siehe Tab. 19). Überzeugungsskala t-Test Selbstwirksamkeit t(25) = 0.04, p = .97 Talent t(24) = 1.27, p = .22 Kommunikation t(25) = 1.07, p = .30 Selbstkonzept t(25) = 0.64, p = .53 Tab. 19: Ergebnis des t-Tests für gepaarte Stichproben zur Prüfung auf Änderung der vier Überzeugungsskalen der Teilnehmer durch die Fortbildung. 10.10 Ergebnisse 173 <?page no="174"?> Hinsichtlich der Praktiken ergibt sich ein differenziertes Bild. Hier gaben die Fortbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer nach der Intervention signifi‐ kant (p < .05) häufiger an, suprasegmentale Übungen einzusetzen. Dies gilt ebenso für die Anwendung von Lernsettings, die eine fokussierte Aufmerksam‐ keit beziehungsweise die Schülerautonomisierung zum Ziel hatten. Keine sig‐ nifikanten Veränderungen ergaben sich hingegen bei der Nutzung ganzheitli‐ cher Übungsformate, bei segmentalen Übungen und beim Einsatz eines möglichst variantenreichen Hörinputs (siehe Tab. 20). Praktik t-Test Segmentale Übungen t(25) = 1.16, p = .26 Suprasegmentalia und Überführung t(25) = 3.38, p = .01* Schülerautonomisierung t(25) = 2.91, p = .01* Fokussierte Aufmerksamkeit t(25) = 4.11, p < .001* Ganzheitlichkeit t(25) = 1.30, p = .21 Hörinput t(25) = 1.51, p = .15 Tab. 20: Ergebnis des t-Tests für gepaarte Stichproben zur Analyse der Änderung von Praxisitems durch die Fortbildung. *) signifikante Änderung (p < .05). 10.10.2 Qualitative Ergebnisse Die thematische Analyse der vier Interviews ließ erkennen, dass sich die Ver‐ änderungen auf vier Themenkomplexe konzentrierte, die im Folgenden näher erläutert werden sollen (siehe Abb. 22). Abb. 22: Die vier grundlegenden Themenkomplexe der Interviews. 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 174 <?page no="175"?> 10.10.2.1 Bedeutung der Aussprache Die Interviewpartnerinnen erklärten, dass die Fortbildung ihnen bewusst ge‐ macht habe, dass die Aussprache ein wichtiger Aspekt des Fremdsprachenler‐ nens und -lehrens sei: P 3 : Definitiv, was ich ja auch schon gesagt habe, ist für mich das Bewusstsein geworden, dass ich erstens mal weiß, wie wichtig das auch ist, die richtige Aussprache. P 1 : Also ich finde generell ist man sensibilisiert worden, einfach dass die Aussprache doch wichtig ist. Daraus folgte für die Probandinnen, dass sie im Unterricht eher auf mögliche Ausspracheabweichungen geachtet hätten: P 1 : [I]ch habe einfach jetzt mehr […] mehr Gewicht drauf gelegt oder einfach es bewusster gemacht und das ist auch ganz wichtig. Dieses Bewusstsein im Sinne einer pronunciation awareness wurde auch von einer weiteren Probandin formuliert: Sie wies darauf hin, dass sie „bei den Schü‐ lern auch einfach nochmal anders hinhöre“ (P 3 ). Die gleiche Probandin formulierte außerdem, dass ihr in der Fortbildung be‐ wusst geworden sei, dass die Aussprache zur Kommunikationsfähigkeit bei‐ trage. Das habe sie zwar intuitiv auch vor der Intervention gewusst, allerdings sei dieses Bewusstsein durch die Betonung der Schriftlichkeit des Französisch‐ unterrichtes verloren gegangen: P 3 : Aber ja, durch die Fortbildung ist mir einfach nochmal so klargeworden, dass das ja […] ein Kommunikationsmittel ist und sie [die Schülerinnen und Schüler, C.A.] wahrscheinlich viel eher reden werden als schreiben werden. 10.10.2.2 Förderkonzept Zwei Lehrerinnen betonten, dass sie durch die enge Verzahnung von Theorie und Praxis in der Fortbildung profitiert hätten. Insbesondere die Vermittlung eines kohärenten, evidenzbasierten Förderkonzeptes habe ihnen geholfen, mög‐ licherweise bereits bekannte oder verfügbare Übungssettings kriterienbasiert anzuwenden: 10.10 Ergebnisse 175 <?page no="176"?> P 2 : [D]adurch, dass wir das neue Buch haben von [Verlag, C.A.], in dem ja relativ viel schon drin ist, würde ich einfach sagen, dass ich die Sachen, die ich da verwende, total bewusst verwende. Ihre Kollegin bemängelte, dass in Aus- und Weiterbildung die Vermittlung eines theoretisch fundierten Förderkonzeptes bislang gefehlt habe: P 3 : Also, Sachen, die ich einfach theoretisch verstehe, kann ich einfach auch bei der Anwendung besser berücksichtigen und ja, also das finde ich sehr wichtig und finde, es kommt manchmal zu kurz, diese Theorie. 10.10.2.3 Praktischer Mehrwert Alle Interviewpartnerinnen hatten neben der grundsätzlichen Ausrichtung ihres Ausspracheunterrichtes die Arbeit mit Aufnahmegeräten mit ihren Klassen ausprobiert, wie es ihnen im ersten Fortbildungstermin empfohlen worden war. Nach Ende des zweiten Interventionstermines konnten sie daher auf den praktischen Mehrwert dieser Methode verweisen. Alle Probandinnen betonten, dass ein solches Unterrichtssetting, bei dem die Schülerinnen und Schüler sich zu Hause aufnehmen und die Datei per Mail an ihre Französisch‐ lehrerin schicken sollten, die Lernenden sehr motiviert habe. Das galt insbe‐ sondere für schüchterne Schülerinnen und Schüler, die im Klassenverband oft‐ mals nicht zu Wort kämen: P 3 : Und dann habe ich so richtig das Gefühl, sie wollte mir jetzt zeigen, dass sie sich angestrengt hat. Dass sie sich Mühe gibt, dass sie die Sache ernst nimmt. Das weiß ich im Unterricht auch, aber da kommt sie gar nicht so richtig zu Wort und da hat sie wirklich ihre Zeit und sie weiß ganz genau ich höre mir das ganz bewusst an und antworte ihr dann natürlich auch immer, weil sie ja immer zeitig alles liefert […] und es ist glaube ich für sie ganz wertvoll […]. Gerade das Bewusstsein, dass die Lehrkraft der Schülerin beziehungsweise dem Schüler intensiv und individuell zuhöre, sei für die Lernenden ein wesentlicher Motivationsfaktor. Dabei sei den Schülerinnen und Schülern auch die Aus‐ sprache als Lernziel wieder ins Bewusstsein gerückt: 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 176 <?page no="177"?> P 3 : Weil das ein ganz anderes Bewusstsein ist für die [Schülerinnen und Schüler, C.A.], dass ich sie so höre am Stück. […] Also das ist schon interessant. Ein weiterer Mehrwert dieser Methode lag für die Lehrkräfte darin, dass sie sich einen besseren Eindruck über die Aussprachekompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler verschaffen konnten: P 3 : Trotz allem, […], man hat so das Gefühl für die Schüler, wie sie lesen, grundsätzlich. Das weiß ich jetzt viel besser. Als ich es zu Beginn des Schuljahres eingeschätzt hätte. Muss ich ehrlich sagen. Als besonders positiv bewerteten die Lehrerinnen die Tatsache, dass die ver‐ mittelten Methoden in ihrer Umsetzung als nicht „übermäßig aufwändig“ emp‐ funden wurden. 10.10.2.4 Selbstkonzept Ein überraschender Befund hinsichtlich der erfolgten Veränderungen war die Tatsache, dass alle vier Lehrerinnen nach der Intervention betonten, ihrer ei‐ genen Aussprache nun viel kritischer zu begegnen. P 2 : Aber es ist auf jeden Fall [so], dass ich selbst mich da nochmal genau beobachtet habe. Und, ähm, ich denk auch immer mal wieder, wenn ich was spreche, dran, ob ich es denn auch richtig mache. P 3 : Aber es kam halt auch der Input durch diese Fortbildung, dass ich geguckt habe, jetzt höre ich nochmal auf mich. Und mache das nochmal ganz bewusst. Insbesondere bei bestimmten Aussprachemerkmalen, deren bedeutungsunter‐ scheidende Wirkung den Lehrkräften in der Fortbildung dargelegt wurde, bil‐ deten für die Lehrerinnen den Fokus ihrer Aufmerksamkeit: P 1 : Nee also, was ich halt total interessant fand, war [dass] ich mir selber dann auch auf den Zahn gefühlt habe. […W]as Sie erzählt haben zum Beispiel, ich weiß jetzt den Satz nicht mehr, aber der nur […] in einer Nuance falsch ausgesprochen gleich einen anderen Sinn ergibt. Was [mir] als Nicht-Muttersprachlerin natürlich auch durchaus passieren kann […]. 10.10 Ergebnisse 177 <?page no="178"?> Das gleiche galt für bestimmte Laute, deren Artikulationsweise verbunden mit fachdidaktischen Vermittlungsmethoden den Fortbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmern per Video gezeigt worden war: P 2 : Also, es ist schon so, dass ich bei ein […] paar Sachen nochmal so versucht habe, mich selber so zu kontrollieren, ob ich das denn auch gut ausspreche oder nicht. Ich habe auch tatsächlich bei den Nasalen gemerkt, dass ich da, […], dass ich da vorher gar nicht so richtig […] auf bestimmte Unterschiede geachtet habe. Dieser Interviewbefund korrespondiert mit dem Inhalt des E-Mail-Kontaktes mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen den Fortbildungsterminen beziehungsweise nach Ende der Intervention. So fragten zahlreiche Lehrkräfte nach Internetseiten und Computerprogrammen, die es ihnen erlauben würden, an ihrer eigenen Aussprache zu arbeiten. Obgleich diese neu gewonnene selbst‐ kritische Einstellung nicht den Fokus der Intervention gebildet hatte, scheint sie also gleichsam ein Nebenprodukt des Bewusstseins hinsichtlich der Bedeutung der Aussprache darzustellen. 10.10.3 Reflexionsdokumente In den Reflexionsdokumenten (N = 17) gaben die Lehrerinnen und Lehrer an, in ihrem Ausspracheunterricht bereits Änderungen vorgenommen beziehungs‐ weise geplant zu haben (siehe Abb. 23). Mehrfachnennungen waren möglich. Dabei bezogen sich die erfolgten Änderungen vor allem auf suprasegmentale Merkmale der Aussprache, die von 53 % der Lehrkräfte benannt wurden. Weitere 41 % nannten Änderungen in der Schulung von segmentalen Phänomenen (dies betraf zumeist die Nasale, deren Bildung explizit in der Fortbildung behandelt worden war). Zudem wurde zumeist darauf verwiesen, dass die Nutzung der Übungsformate nun „bewusst“ erfolge. 24 % der Lehrerinnen und Lehrer gaben darüber hinaus an, Modifikationen in ihrem Feedbackverhalten unternommen zu haben. Da hier jedoch oftmals das Antwortverhalten sehr unspezifisch war („bewusster auf die Technik des mündlichen Korrigierens geachtet“) ist es schwierig aus diesem Befund abzuleiten, welche konkreten Techniken zum Ein‐ satz gekommen sein könnten. Hinsichtlich der geplanten Änderungen ergibt sich folgendes Bild: Auch hier beabsichtigte die Mehrheit der Lehrkräfte (59 %) ihr Augenmerk vermehrt auf die Schulung suprasegmentaler Merkmale der Aussprache zu legen. Darüber 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 178 <?page no="179"?> hinaus gaben insgesamt 76 % der Probanden an, mehr Übungen zur pronuncia‐ tion awareness beziehungsweise zur fokussierten Aufmerksamkeit ihrer Schü‐ lerinnen und Schüler anwenden zu wollen. Ein Blick in die Daten zeigt dabei, dass sich diese geplanten Änderungen in methodischer Hinsicht vor allem auf ein klareres Einfordern einer guten Aussprache und den Einsatz von Visuali‐ sierungen konzentriert. 24 % der Lehrkräfte gaben an, in Zukunft vermehrt mit Aufnahmegeräten arbeiten zu wollen. Ganzheitliche Übungsformate hingegen wurden von keiner Lehrkraft benannt. Weiterhin wurden die Lehrkräfte hinsichtlich der Motivation befragt, etwas an ihrem Unterricht zu verändern beziehungsweise eine Methode in ihr Me‐ thodenrepertoire aufzunehmen (Mehrfachnennungen waren auch hier mög‐ lich). Zentrales Moment schien für viele Lehrerinnen und Lehrern der Aufwand zu sein, der durch den Einsatz einer Methode entstand. 47 % der Lehrkräfte gaben an, dass sie der wissenschaftliche Input, der in der Fortbildung in Verbindung mit den Praxisinhalten vermittelt worden war, davon überzeugt habe, die Nut‐ zung einer Methode zu erwägen. Ebenso betonten 47 % der Probanden, dass es für sie von großer Bedeutung gewesen sei, dass eine Methode motivierend wirke. Für 29 % der Lehrkräfte waren die Reaktionen ihrer Schülerinnen und Schüler für die Implementierung einer Methode relevant. Erfahrungsberichte anderer Kolleginnen und Kollegen und das Feedback der Schülerinnen- und Schülereltern empfanden nur wenige Fortbildungsteilnehmerinnen und -teil‐ nehmer (jeweils 6 %) als relevant. 10.10 Ergebnisse 179 <?page no="180"?> Abb. 23: Ergebnisse der Reflexionsdokumente (N = 17). Die Nummerierungen entspre‐ chen den jeweiligen Items: (1) Gründe für eine Veränderung, (2) bereits erfolgte Ände‐ rungen, (3) geplante Änderungen. 10.11 Diskussion Die Intervention erwies sich hinsichtlich einer positiven Einwirkung auf die aussprachedidaktischen Kompetenzen als eindeutig wirksam. So erfuhren alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Verbesserung ihrer durchschnittlichen Kompetenzen, keine Lehrkraft stagnierte oder verschlechterte sich. Dabei wird deutlich, dass sich die signifikante Verbesserung der Teilnehmerinnen und Teil‐ nehmer auf acht der 11 erfragten Items beschränkt. Drei Items blieben somit von einer Veränderung ausgeschlossen. Die Kompetenzen, bei deren Beantwor‐ tung die Lehrkräfte nach der Intervention besser abschnitten, bezogen sich dabei auf Inhalte, die explizit Inhalt der Fortbildung gewesen waren. Dies waren me‐ thodische Aspekte (mit schülerbezogener oder lernprozessualer Ausrichtung) und solche Fragen, die sich auf die Identifikation und Antizipation von Interfe‐ renzphänomenen (z. B. Antizipation von Lernendenfehlern in einer Äußerung) bezogen hatten. 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 180 <?page no="181"?> Keine signifikanten Veränderungen ergaben sich hinsichtlich der beiden feedbackbezogenen Items. Zwar waren grundsätzliche Feedbacktechniken in der Fortbildung angesprochen worden, jedoch konnte aufgrund der limitierten Zeit ein neues Feedbackverhalten mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht eingeübt werden. Dieses Desiderat schlug sich offenbar in den Ergebnissen nieder. Ebenso verbesserten sich die Lehrkräfte in der Anwendung des IPA nicht signifikant. Dieser Befund ist nicht erstaunlich, da das Erlernen oder Wieder‐ holen des IPA ausdrücklich nicht Inhalt der Intervention gewesen war. Hier waren den Lehrpersonen lediglich Internetseiten und Bücher genannt worden, mit deren Hilfe sie bei Bedarf selbst arbeiten konnten. Die Ergebnisse deuten also darauf hin, dass die Fortbildung auf diejenigen Kompetenzen einwirken konnte, die sowohl theoretisch behandelt als auch in ihrer praktischen Umset‐ zung vorgeführt und geübt wurden. Ein ähnliches Bild ergibt die Analyse der Praktiken. Hier gaben die Lehrkräfte signifikant häufiger an, vermehrt Suprasegmentalia zu trainieren, sowie Übungen zu Schülerautonomisierung und fokussierter Aufmerksamkeit einzusetzen. Dem‐ gegenüber konnte keine Veränderung hinsichtlich der segmentalen Übungen, der Selektion des Hörinputs oder ganzheitlicher Übungsformate beobachtet werden. Dies entspricht zum Teil den Ergebnissen der qualitativen Daten. Auch hier be‐ tonten die Lehrkräfte nach der Intervention, eher auf suprasegmentale Merkmale der Aussprache zu achten. Für segmentale Übungen gaben die Lehrerinnen und Lehrer sowohl in den Interviews als auch in den Reflexionsdokumenten an, diese Übungen nun „bewusster“ einzusetzen. Eine solche Nuancierung konnte in den quantitativen Daten, die sich auf Nutzungshäufigkeit der verschiedenen Übungs‐ typen bezogen, jedoch nicht erfasst werden. Hinsichtlich der geplanten Änderungen wurden in den qualitativen Daten ebenfalls die fokussierte Aufmerksamkeit und die Schülerautonomisierung ge‐ nannt. Auch in den qualitativen Daten spielten Übungen zur Ganzheitlichkeit eine nur sehr untergeordnete Rolle. Ein Unterschied zwischen qualitativen und den quantitativen Daten ergab sich jedoch hinsichtlich des Feedbackverhaltens. So betonten sowohl die Interviewpartnerinnen als auch die per Reflexionsdo‐ kument befragten Lehrerinnen und Lehrer, nun „bewusster“ auf Schülerinnen- und Schülerfehler zu achten und eine gute Aussprache eher einzufordern. Dass sich dies jedoch nicht in den feedbackbezogenen Kompetenzen niederschlagen konnte, liegt möglicherweise daran, dass die von den Lehrerinnen und Lehrern wahrgenommenen Veränderungen sich noch eher auf der Ebene der allge‐ meinen Unterrichtsausrichtung befanden, sich jedoch nicht in Form eines kon‐ kreten Feedbackkonzeptes äußerten. Hier wäre interessant, die Aussagen der Lehrkräfte zu ihren Unterrichtspraktiken mit tatsächlichen Unterrichtsbeob- 10.11 Diskussion 181 <?page no="182"?> 6 Läge und McCombie (2015) entwickeln selbst ein Forschungsinstrument, das ihrer An‐ sicht nach dazu geeignet sein kann, Zugang zu komplexen Überzeugungssystemen von Probanden zu geben. Eine ausführliche Darstellung würde hier jedoch zu weit führen. achtungen zu vergleichen, um Aufschluss über das reelle unterrichtliche Han‐ deln zu erhalten. Eine Veränderung der Überzeugungsskalen konnte quantitativ nicht gezeigt werden. In den qualitativen Daten gaben die Lehrkräfte gleichwohl an, nun ein besseres Bewusstsein für die Bedeutung der Aussprache entwickelt zu haben. Da diese Disposition jedoch auch in den Interviews nicht spezifiziert wurde, liegt nahe, dass es sich bei dieser Bewusstwerdung eher um ein allgemeines Empfinden denn um eine klar artikulierbare Handlungsstrategie handelt. Noch deutlicher wird der Widerspruch zwischen quantitativen Messungen und qualitativen Daten hinsichtlich des aussprachebezogenen Selbstkonzeptes. So zeigte die quantitative Studie hier keinen signifikanten Unterschied zwischen den Prä- und Posttests. In den qualitativen Interviews wie auch in retrospektiven Befragungen beziehungsweise Teilnehmendenkontakten wurde hingegen deut‐ lich, dass die Lehrkräfte für mögliche eigene Ausspracheprobleme sensibilisiert worden waren. Für diese Diskrepanz mag es unterschiedliche Erklärungen geben. Einerseits ist es gut möglich, dass die Lehrkräfte in den Fragebögen ein Antwortverhalten im Sinne der sozialen Erwünschtheit an den Tag gelegt hatten. Im persönlichen Kontakt und in Einzelinterviews hätten sie dann eher zugegeben können, ihrer eigenen Aussprache gegenüber kritischer geworden zu sein. Andererseits ist der Befund jedoch durchaus konsistent mit Forschungs‐ ergebnissen zu Überzeugungssystemen, die immer wieder den erschwerten ver‐ balen Zugang und ihre komplexe Systematik betonen (Läge & McCombie, 2015) 6 . Gerade hinsichtlich der Bedeutungsskalen wäre es denkbar, dass sich eventuelle Änderungen noch nicht in verbalisierten Statements niederschlagen konnten. Es ist also durchaus möglich, dass das eingesetzte quantitative For‐ schungsinstrument nur eingeschränkt dazu geeignet war, eine Veränderung der aussprachebezogenen Überzeugungen aufzudecken. Die qualitativen Ergebnisse legen nahe, dass es die Kombination aus einem ko‐ härentem theoriebasierten Schulungkonzept mit konkreten, einfach einsetz‐ baren Unterrichtsvorschlägen und Erprobungs- und Reflexionsphasen war, die die Lehrkräfte davon überzeugte, Veränderungen in ihrer Unterrichtspraxis vorzunehmen. Diese Schlussfolgerung wird von den Ergebnissen des Kompe‐ tenztests unterstützt. Hier verbesserten sich die Fortbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer lediglich hinsichtlich derjenigen Aspekte, die sowohl theore‐ tisch als auch praktisch Gegenstand der Fortbildung gewesen waren. Diese Be‐ 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 182 <?page no="183"?> 7 Zu beachten ist, dass Randomisation für Erkenntnisgewinn in komparativen Studien weder notwendig noch hinreichend ist (Abel & Koch, 1999) . obachtung stärkt die von Prediger et al. (2017) vertretene Forderung, in For‐ schung und Fortbildungsgestaltung die didaktische Dimension von Interventionen stärker zu beachten. In fortbildungsmethodischer Hinsicht scheint es da‐ rüber hinaus von Bedeutung gewesen zu sein, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwei Termine mit zwischengeschalteter Erprobungsphase wahr‐ nehmen konnten: Die Verbesserungen bezogen sich lediglich auf solche Fort‐ bildungsinhalte, die mit konkreten Erprobungsvorschlägen und Lerngelegen‐ heiten verbunden gewesen ware. Die Intervention erwies sich trotz einer drastischen Reduktion der Präsenzzeit als wirksam. Dieser Befund ist jedoch als prekär zu bewerten, weil durch die Tatsache, dass es sich um eine Inhouse-Intervention handelte, die Fortbildungs‐ dauer beispielsweise durch Austausch mit Kolleginnen und Kollegen erhöht wurde. Die Menge und Beschaffenheit dieses Austausches ist jedoch nicht stan‐ dardisiert messbar. Aus den Befunden kann daher lediglich geschlossen werden, dass eine Reduktion der Fortbildungsdauer offenbar dann möglich scheint, wenn die Intervention als Inhouse-Fortbildung konzipiert ist. So kann durch die An‐ bindung an eine professionelle Lerngemeinschaft zusätzlicher Austausch und Input stattfinden, der wiederum eine weitere Beschäftigung mit den Fortbil‐ dungsinhalten sichert. 10.12 Einschränkungen und Forschungsdesiderata Es liegt auf der Hand, dass sich aus der Wahl des Forschungsdesigns bestimmte Einschränkungen ergeben. So kann durch den Verzicht auf ein randomisiertes Kontrollgruppendesign nicht mit Sicherheit postuliert werden, dass die signifi‐ kanten Veränderungen hinsichtlich der Kompetenzen und Praktiken eindeutig und ausschließlich mit der Intervention in Verbindung gebracht werden können 7 . Diese Einschränkung greifen Bakker und Van Eerde (2014) in ihrem Artikel zum DBR auf. Sie merken hierzu an, dass es zwei Kausalitätsverständ‐ nisse gebe: [A] regularity, variance-oriented understanding of causality versus a realist, process-oriented understanding of causality (Maxwell, 2004). People adopting the first view think that causality can only be proven on the basis of regularities in larger data sets. People adopting the second view make it plausible on the basis of circumstantial 10.12 Einschränkungen und Forschungsdesiderata 183 <?page no="184"?> evidence of observed processes that what happened is most likely caused by the in‐ tervention (e.g., Nathan & Kim, 2009). (S. 9) Für die beiden Autoren ist es also durchaus legitim, auf der Grundlage von theoretischen Einsichten zur Wirksamkeit bestimmter Interventionsmerkmale darauf zu schließen, dass die Intervention für einen Effekt verantwortlich sei. Dies sei vor allem dann legitim, wenn es nicht vernünftig sei, anzunehmen, dass sich eine Änderung spontan ergeben haben könnte. Für die Möglichkeit einer ursächlichen Zuordnung ohne Kontrollgruppe ist aus erkenntnistheoretischer Sicht ein wesentlicher Aspekt, dass entsprechende Effekte ohne Intervention nicht zu erwarten sind (Abel & Windeler, 1998). Auch im vorliegenden Fall ist es wenig plausibel anzunehmen, dass die Lehr‐ kräfte sich ohne jede Intervention verbessert hätten. Durch einen Vergleich mit anderen, nicht an der Fortbildung teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen (Studie 1) konnte darüber hinaus sichergestellt werden, dass sich die Population der Fortbildungsteilnehmenden insbesondere hinsichtlich der Kompetenzen nicht signifikant von den restlichen Befragten unterschied. Insofern sollen die gewonnenen Erkenntnisse reflektiert für die Gewinnung von aussprachedidak‐ tischen Designprinzipien genutzt werden. Gleichwohl wäre jedoch auch denkbar, die Intervention in einem randomisierten Kontrollgruppendesign auf Wirksamkeit zu überprüfen. Durch die limitierte Zeitspanne, die für die Durchführung der Studie zur Ver‐ fügung stand, war es darüber hinaus nicht möglich, Langzeiteffekte der Fort‐ bildung nachzuvollziehen. Dass dies jedoch von Belang sein kann, betont Ken‐ nedy (2016): Die Mehrzahl der Studien zur Fortbildungwirksamkeit kapriziere sich auf kurze Zeiträume, sodass es an wissenschaftlicher Evidenz zur Lang‐ zeitwirksamkeit verschiedener Interventionstypen noch mangele. Entspre‐ chend wäre es denkbar, die Probandinnen und Probanden zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu kontaktieren und zu testen, um Longitudinaleffekte der hier entwickelten Intervention zu erfassen. Ferner mag es problematisch sein, dass alle Interventionen durch die Promo‐ vendin gehalten wurden. Diese Tatsache könnte einen nicht zu vernachlässi‐ genden, zusätzlichen Einfluss dargestellt haben. Immerhin ist es nicht auszu‐ schließen, dass sich die langjährige Beschäftigung mit und die Begeisterung für die Thematik in gewisser Weise auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über‐ trug. Dies wurde auch in den retrospektiven Befragungen deutlich, in denen die Lehrkräfte oftmals formulierten, die motivierte Präsentation der Inhalte habe ihnen die Relevanz des Themas besonders deutlich gemacht. Dass die Person des Fortbildenden ein wichtiger Faktor für den Lernerfolg der teilnehmenden Lehrkräfte ist, betont auch Kennedy (2016). Gleichzeitig stellt sie jedoch auch in 10 Studie 2: Professionalisierungsprojekt zur Förderung der Kompetenzfacetten 184 <?page no="185"?> ihrem Literaturüberblick dar, dass die Bedeutung dieses Faktors von der For‐ schung bislang vernachlässigt wurde. Hier liegt also ein Forschungsdesiderat vor, das in weiteren Studien zu bearbeiten wäre. Ein weiterer Aspekt, der in der vorliegenden Arbeit bewusst ausgeklammert wurde, war die Ebene der tatsächlichen Praktiken der Lehrkräfte. Dass hin‐ sichtlich der angegebenen und tatsächlichen Unterrichtspraktiken große Dis‐ krepanzen bestehen können, zeigten bereits zahlreiche Forschungsarbeiten (speziell für die Ausspracheschulung s. Foote u. a., 2016). Diese Diskrepanz kommt nach der aussprachebezogenen Intervention sicherlich besonders zum Tragen, weil den Lehrkräften während der Fortbildung ein Modell dafür ver‐ mittelt wurde, was eine „gute“ Ausspracheschulung ist. Entsprechend ist zu er‐ warten, dass das Antwortverhalten der Lehrerinnen und Lehrer beim zweiten Testzeitpunkt vom Effekt der sozialen Erwünschtheit gekennzeichnet war. Es wäre auch deshalb in einem weiteren Schritt interessant, die erhobenen ange‐ gebenen Praktiken mit dem zu vergleichen, was die Lehrerinnen und Lehrer tatsächlich im Unterricht anwenden. 10.12 Einschränkungen und Forschungsdesiderata 185 <?page no="187"?> 11 Zusammenfassung der Ergebnisse der Studien 1 und 2 In den beiden durchgeführten Studien wurde die Problematik der Aussprache‐ schulung an deutschen Sekundarschulen aus verschiedener Perspektive behan‐ delt: In der ersten Untersuchung wurde mittels Fragebögen und qualitativen Interviews der Status quo der aussprachebezogenen Kompetenzen, Überzeu‐ gungen und Praktiken von Lehrkräften erhoben. Gegenstand der zweiten Studie war die Entwicklung und Evaluation eines Fortbildungsmodells, das der Ver‐ besserung der aussprachebezogenen Kompetenzfacetten und Praktiken von Lehrkräften gewidmet war. Als Ergebnis der ersten Studie lässt sich festhalten, dass die aktuell vorlie‐ genden Praktiken - gemessen an den Kriterien, die die Forschungsliteratur für eine wirksame Ausspracheschulung definiert - sehr unbefriedigend sind: Die Angaben der Teilnehmerinnen und Teilnehmer lassen darauf schließen, dass mehrheitlich schulbuchorientierte, segmentale Übungssettings eingesetzt werden, die oftmals Hör- und Nachsprechcharakter haben; andere Trainings‐ typen, die die Schülerinnen und Schüler beispielsweise zu spontaneren und län‐ geren Äußerungen oder zu einer Eigenkorrektur aninimeren würden, kommen hingegen kaum zum Einsatz. Als weiteres Resultat ergab sich, dass die aussprachebezogenen Überzeu‐ gungen der Lehrkräfte nicht durchgängig mit den Kompetenzen oder den Prak‐ tiken zusammenhingen. Ebenso fanden sich keine schlüssigen Beziehungen zwischen den Kompetenzen einerseits und den Praktiken andererseits. Unter‐ schiede zeigten sich allerdings für einzelne Gruppen: So gaben weibliche Teil‐ nehmerinnen ihrer Aussprache höhere Bewertungen auf der Selbstkonzeptskala als die männlichen Teilnehmer. Die Referendarinnen und Referendare er‐ reichten in der Analyse signifikant höhere Selbstwirksamkeitswerte als ihre er‐ fahrenen Kolleginnen und Kollegen. Diese Befunde stimmen mit den Ergebnissen der qualitativen Daten überein, die gleichfalls eine starke Schulbuchorientierung der Lehrkräfte korroborieren. In den Interviewdaten wurde von mehreren Teilnehmerinnen beklagt, dass kein kohärentes aussprachebezogenes Förderkonzept bekannt sei, das einer sinn‐ vollen Schulung der Schülerinnen- und Schüleraussprache zugrunde gelegt werden könne. <?page no="188"?> 1 Diese Aussage gilt freilich unter Vorbehalt der bereits genannten methodischen Ein‐ schränkungen. Es ist insbesondere gut möglich, dass Lehrkräfte, die an für die Relevanz aussprachebezogener Kompetenzen sensibilisierten Hochschulstandorten (z. B. an der PH Freiburg) studiert haben, mittlerweile über fachdidaktische Kenntnisse verfügen. Aus den Ergebnissen lässt sich schließen, dass für die Aussprache - anders als für die Grammatik oder die Lexik - aktuell kein verbindlicher fachdidakti‐ scher Konsens über Schulungskriterien existiert, anhand derer die Lehrkräfte eine fundierte Auswahl der Übungen vornehmen können. Insbesondere die Tat‐ sache, dass die aussprachebezogenen Überzeugungen der Probanden nicht mit den Praktiken zusammenhingen, legt nahe, dass auch hochmotivierte Lehr‐ kräfte nicht wissen, wie eine Ausspracheschulungspraxis realisiert werden kann, die evidenzbasiert als wirksam anerkannt ist 1 . In Studie 2 wurde in einem Design-Based Research-Projekt in mehreren Zyklen eine Intervention entwickelt und evaluiert, die darauf abzielte, positiv auf die aussprachebezogenen Desiderata einzuwirken. In der quantitativen Evaluation konnten signifikante Verbesserungen in den Kompetenzen und den Praktiken der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemessen werden. Diese Ver‐ besserungen beschränkten sich jedoch auf Kompetenzen und Praktiken, die in der Fortbildung explizit thematisiert und von den Lehrkräften erprobt worden waren. Keine Modifikation wurden hingegen bei denjenigen Aspekten festge‐ stellt, die in der Intervention nur indirekt - beispielsweise über Transfer wis‐ senschaftlicher Ergebnisse - behandelt worden waren. In den qualitativen Ref‐ lexionsdokumenten betonten die Probanden einerseits die zentrale Bedeutung einer schlüssigen Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu verschie‐ denen Ausspracheschulungssettings; andererseits wiesen sie darauf hin, dass die Anschlussfähigkeit der neuvermittelten Inhalte an bereits bestehende Materialien und die damit verbundene Zeitökonomie für sie ein wichtiges Ar‐ gument darstellte, die angebotenen Trainingsmethoden zu erproben. In den Interviews gaben die Studienteilnehmerinnen darüber hinaus an, ein allgemeines Bewusstsein für die Bedeutung der Aussprache entwickelt zu haben und gleichzeitig nun ihrer eigenen Aussprache kritischer gegenüber zu stehen. Diese Befunde verdeutlichen, dass es möglich ist, innerhalb eines überschau‐ baren Zeitraumes zumindest kurzfristig Verbesserungen der aussprachebezo‐ genen Kompetenzen und Praktiken zu erreichen. 11 Zusammenfassung der Ergebnisse der Studien 1 und 2 188 <?page no="189"?> 1 Dies findet an einigen Ausbildungsstandorten (z. B. an der PH Freiburg) bereits statt. 12 Bedeutung der Studienergebnisse für die Praxis Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde ein reliables Forschungsinstrument zur Messung aussprachebezogener Überzeugungen, Kompetenzen und angege‐ bener Praktiken entwickelt. Dieses Instrument könnte nun in einer größeren Population angewandt werden, um die Ergebnisse der Studie auf ihre Replizier‐ barkeit zu überprüfen. Der darin enthaltene Kompetenztest kann auch ver‐ wendet werden, um (formative und summative) Evaluationen der aussprache‐ bezogenen Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern beziehungsweise von Studentinnen und Studenten vorzunehmen. Desgleichen wäre es möglich, das Instrument für die Messung der aussprachebezogenen Kompetenzfacetten, Überzeugungen und Praktiken für andere Schulfremdsprachen einzusetzen. Darüber hinaus wurde auf Grundlage der aktuellen Forschungsliteratur ein Modell für die Merkmale eines wirksamen Ausspracheunterrichts entwickelt. Dieses Modell könnte für die aussprachedidaktische Aus- und Fortbildung ge‐ nutzt und in Form von Einzelbausteinen auch in unterrichtspraktischen LehrerInnenzeitschriften veröffentlicht werden. Außerdem wurde eine Definition der aussprachebezogenen fachdidaktischen Kompetenz erarbeitet. Dieses Modell könnte wiederum als Grundlage für die Formulierung von Ausbildungszielen (z. B. in Ergänzung der KMK-Standards) dienen. Dies erscheint umso wichtiger, als die aktuell bestehenden Leitlinien augenscheinlich keinen ausreichenden Rahmen für eine standardisierte aus‐ sprachebezogene Ausbildung von Lehrpersonen darstellen. Als Kernbestandteil der vorliegenden Arbeit wurden zwei empirische Studien zu Status quo und Veränderbarkeit von aussprachebezogenen Kompetenzen, Überzeugungen und Praktiken durchgeführt. Aus diesen Studien lassen sich für die aussprachebezogene Aus- und Fortbildung folgende Schlussfolgerungen ab‐ leiten: • Die aktuelle Ausspracheschulungspraxis der Lehrkräfte, die von fachdi‐ daktischer Hilflosigkeit und intuitivem Handeln zeugt, stellt sich hier als sehr unbefriedigend dar. Es ist daher dringend notwendig, Lehrerinnen und Lehrern in der Ausbildung ein mehrgliedriges Konzept zur Aus‐ spracheschulung zu vermitteln, um sie in die Lage zu versetzen, eine re‐ flektierte und wirksame Ausspracheschulung vorzunehmen 1 : Als Grund‐ <?page no="190"?> 2 Zur Notwendigkeit des Trainings in spontaner, authentischer Rede insbesondere für die Entwicklung suprasegmentaler Merkmale der Aussprache und zur Vermeidung des Minimal-Pair-Effektes siehe den Abschnitt 6 der vorliegenden Arbeit. lage könnte das in der vorliegenden Arbeit entwickelte Modell für einen evidenzbasierten Ausspracheunterricht dienen. • Insbesondere bei der Ausbildung von Französischlehrkräften sollte da‐ rauf geachtet werden, über Szenarien oder forschendes Lernen die ver‐ schiedenen zu erwartenden aussprachebezogenen Lernendenprobleme zu antizipieren, um den „Praxisschock“ abzumildern, der sich in der vorlie‐ genden Arbeit sehr deutlich darstellen ließ. • Darüber hinaus sollte darauf geachtet werden, durch eine Anbindung der vermittelten aussprachedidaktischen Inhalte an bereits bestehende (z. B. spracherwerbstheoretische) Wissensbestände Kohärenz zu schaffen. Ins‐ besondere ist es sinnvoll, die Aussprachevermittlung in den Kontext des handlungsorienten Unterrichts einzubetten. So kann zum einen das Ri‐ siko gemindert werden, dass die Lehrkräfte den Ausspracheunterricht als unzeitgemäßes Drillen von Einzelstrukturen wahrnehmen, das mit den anderen sprachlichen Fertigkeiten nicht viel gemeinsam hat. Zum an‐ deren wird durch handlungsorientierte Übungssettings sichergestellt, dass die Aussprache auch in größeren Zusammenhängen trainiert wird 2 . • Der Wissenszuwachs wurde offenbar durch das Alternieren von Input- und Erprobungsphasen, durch Aktion und Reflexion also, erreicht. Diese Beobachtung muss für die aussprachebezogene Aus- und Fortbildung von Lehrkräften bedacht werden. Der Erfolg der Intervention hat gezeigt, dass es möglich ist, innerhalb eines sehr überschaubaren zeitlichen Rahmens zumindest auf der deklarativen und kom‐ petenzbezogenen Ebene eindeutige Wissenszuwächse zu erreichen. Dies sollte einen klaren Appell an alle Akteure der Lehrkräfteaus- und -fortbildung dar‐ stellen, sich dieses wichtigen Themas anzunehmen. 12 Bedeutung der Studienergebnisse für die Praxis 190 <?page no="191"?> 13 Bibliographie Abel, F. (2010). Avant tout: le moins possible, mais assez. La délimitation d’une norme pour l’enseignement du FLE. In D. Abendroth-Timmer, C. Fäcke, L. Küster, & C. Minuth (Hrsg.), Normen und Normverletzungen: aktuelle Diskurse der Fachdidaktik Französisch (S. 31-41). Stuttgart: ibidem-Verlag. Abel, U. & Koch, A. (1999). The role of randomization in clinical studies: myths and beliefs. Journal of Clinical Epidemiology, 52(6), 487-497. Abel, U. & Windeler, J. (1998). Erkenntnistheoretische Aspekte klinischer Studien. 4. 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Die Balkenhöhe (Y-Achse) entspricht der jeweiligen Anzahl der ProbandInnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Abb. 7: Verteilung der im Studium besuchten Phonetikseminare pro ProbandIn (X-Achse). Die Höhe der Balken (Y-Achse) entspricht der jeweiligen Anzahl der ProbandInnen. . . . . . 115 Abb. 8: Eigenwerte und erklärte Varianz (R 2 ) der mittels Faktorenanalyse extrahierten Komponenten. . . . . . . . . . . . . 122 Abb. 9: Ergebnis des Scree-Tests. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Abb. 10: Durchschnittliche Häufigkeitsverteilung und Boxplot der segmentalen Übungen. Die X-Achse entspricht der Regelmäßigkeit mit der die Übungstypen angewandt werden (1 = nie, 2 = selten, 3 = gelegentlich, 4 = regelmäßig). 125 Abb. 11: Durchschnittliche Häufigkeitsverteilung und Boxplot der suprasegmentalen Übungen. Die X-Achse entspricht der Regelmäßigkeit mit der die Übungstypen angewandt werden (1 = nie, 2 = selten, 3 = gelegentlich, 4 = regelmäßig). 125 Abb. 12: Verteilung der Übungen zu Suprasegmentalia. . . . . . . . . . . . 126 Abb. 13: Durchschnittliche Verteilung und Boxplot der Übungen zur Autonomisierung der Lernenden. Die X-Achse entspricht der Regelmäßigkeit mit der die Übungstypen angewandt werden (1 = nie, 2 = selten, 3 = gelegentlich, 4 = regelmäßig). 127 Abb. 14: Verteilung der ganzheitlichen Übungsformate. . . . . . . . . . . 127 Abb. 15: Zusammenhang zwischen der beruflichen Position und der Selbstwirksamkeitswahrnehmung. *) p < .05 in den paarweisen Vergleichen mit den übrigen Kategorien. . . . . . 132 <?page no="212"?> Abb. 16: Verteilung der Selbstkonzeptwerte, aufgeschlüsselt nach Geschlecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Abb. 17: Thematische Struktur der Interviewdaten . . . . . . . . . . . . . . 139 Abb. 18: Merkmale von DBR-Projekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Abb. 19: Gestaltungsprinzipien für eine wirksame Fortbildung . . . . 164 Abb. 20: Ablauf der Entwicklungszyklen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Abb. 21: Grafische Darstellung der Verbesserung des durchschnittlichen Kompetenzwertes aller Fortbildungsteilnehmenden in einem Bland-Altman-Plot. Kompetenzen 1 = Wert vor der Fortbildung; Kompetenzen 2 = Wert nach der Fortbildung (t(25) = 11.24, p < .001). Die beiden gestrichelten horizontalen Linien zeigen das 95 %-Konfidenzintervall der Differenzen zwischen den beiden gepaarten Werten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Abb. 22: Die vier grundlegenden Themenkomplexe der Interviews. 174 Abb. 23: Ergebnisse der Reflexionsdokumente (N = 17). Die Nummerierungen entsprechen den jeweiligen Items: (1) Gründe für eine Veränderung, (2) bereits erfolgte Änderungen, (3) geplante Änderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Abbildungsverzeichnis 212 <?page no="213"?> Tabellenverzeichnis Tab. 1: Herkunft der Probandinnen und Probanden. . . . . . . . . . . . . . . . 113 Tab. 2: Ausbildungsstätte der Probanden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Tab. 3: Die reliablen Skalen aus der Fragebogenanwendung. . . . . . . . . 117 Tab. 4: Unterrichtsaspekte mit Berücksichtigung der Bausteine eines effektiven Ausspracheunterrichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Tab. 5: Analyse der Überzeugungsitems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Tab. 6: Rotierte Ladungsmatrix der Überzeugungsitems in der Faktorenanalyse. Für die Zugehörigkeiten der Items siehe Tabelle 3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Tab. 7: Ergebnisse für die Prüfung von Unterschieden in der Überzeugungstruktur zwischen Teilnehmern und Nichtteilnehmern der Fortbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Tab. 8: Prüfung des Einflusses der Variablen Schulform, Studienzeitraum, Geschlecht, Muttersprachlichkeit und Anzahl der im Studium besuchten Phonetikseminare auf die gewählten Praktiken im Unterricht (Kruskal-Wallis-Test). . . . . 128 Tab. 9: Ergebnisse der Prüfung mit Kruskal-Wallis-Test für den Einfluss des Studienortes auf die angegebenen Praktiken, *) p < .05. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Tab. 10: Ergebnisse zur Prüfung der Abhängigkeit (Kruskal-Wallis-Test bzw. des Mann-Whitney-U-Tests im Fall von lediglich zwei Gruppen) zwischen der Überzeugungsstruktur einerseits und der Schulform, dem Ausbildungsort und der Muttersprachlichkeit der ProbandInnen andererseits, *) p < .05. 131 Tab. 11: Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Bezug auf die verschiedenen Überzeugungsskalen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Tab. 12: Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Bezug auf die verschiedenen Überzeugungsskalen unter Herausnahme der Extremgruppe der Muttersprachler, *) p < .05. . . . . . . . . . . . . . . 133 Tab. 13: Ergebnis der Spearman-Rang-Korrelation von Auslandsaufenthaltsdauer und den verschiedenen Überzeugungsskalen, )* p < .05 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 <?page no="214"?> Tab. 14: Spearman-Rang-Korrelationen zwischen der durchschnittlichen Kompetenz (Durchschnitt des Kompetenzwertes pro Proband) und den Überzeugungsskalen. 135 Tab. 15: Spearman-Rangkorrelationen zwischen der durchschnittlichen Kompetenz und den gewählten Unterrichtspraktiken. *) p <.05. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Tab. 16: Spearman-Rangkorrelationen zwischen den Überzeugungen und den gewählten Unterrichtspraktiken. *) p < 0.05. . . . . . . . . 137 Tab. 17: Durchführungszyklen, Anzahl der teilnehmenden Lehrkräfte sowie Art und Anzahl der erhobenen Daten. PH = Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau. . . . . . . . . . . . 166 Tab. 18: Ergebnisse des Wilcoxon-Tests für abhängige Stichproben für die verschiedenen Kompetenzitems der Teilnehmer vor und nach der Fortbildung. IPA = Internationales Phonetisches Alphabet. Signifikante Änderungen (p < .05) sind mit *) markiert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Tab. 19: Ergebnis des t-Tests für gepaarte Stichproben zur Prüfung auf Änderung der vier Überzeugungsskalen der Teilnehmer durch die Fortbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Tab. 20: Ergebnis des t-Tests für gepaarte Stichproben zur Analyse der Änderung von Praxisitems durch die Fortbildung. *) signifikante Änderung (p < .05). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Tabellenverzeichnis 214