Neulateinische Metrik
Formen und Kontexte zwischen Rezeption und Innovation
1028
2019
978-3-8233-9266-8
978-3-8233-8266-9
Gunter Narr Verlag
Stefan Tilg
Benjamin Harter
Die vielfältigen metrischen Innovationen und Experimente in Theorie und Praxis lateinischer Dichtung von ca. 1400 bis 1800 wurden in der bisherigen Forschung kaum gewürdigt. Dabei war es keineswegs so, dass die lateinischen Dichter dieser Zeit immer und überall nur die antike Metrik reproduziert hätten. Von der Erfindung neuer metrischer Einheiten (vom Versfuß bis zur Strophe) über die Adaptation akzentrhythmischer und volkssprachlicher Systeme bis hin zu Formen freier Verse gibt es vieles, was bisher vereinzelt gesehen und gestreift, aber noch nie zusammengetragen und eingehend diskutiert wurde. Der vorliegende Band hat sich dies zum Ziel gesetzt und konzentriert sich programmatisch auf jene Aspekte der neulateinischen Metrik, die aus der antiken Metrik allein nicht erklärbar sind. Er eröffnet damit ein neues Forschungsfeld, das Gräzisten (unter dem Aspekt der Rezeption griechischer metrischer Formen), Latinisten und Neuphilologen gleichermaßen zur Erkundung einlädt.
<?page no="0"?> Giessener Beiträge Die vielfältigen metrischen Innovationen und Experimente in Theorie und Praxis lateinischer Dichtung von ca. 1400 bis 1800 wurden in der bisherigen Forschung kaum gewürdigt. Dabei war es keineswegs so, dass die lateinischen Dichter dieser Zeit immer und überall nur die antike Metrik reproduziert hätten. Von der Erfindung neuer metrischer Einheiten (vom Versfuß bis zur Strophe) über die Adaptation akzentrhythmischer und volkssprachlicher Systeme bis hin zu Formen freier Verse gibt es vieles, was bisher vereinzelt gesehen und gestreift, aber noch nie zusammengetragen und eingehend diskutiert wurde. Der vorliegende Band hat sich dies zum Ziel gesetzt und konzentriert sich programmatisch auf jene Aspekte der neulateinischen Metrik, die aus der antiken Metrik allein nicht erklärbar sind. Er eröffnet damit ein neues Forschungsfeld, das Gräzisten (unter dem Aspekt der Rezeption griechischer metrischer Formen), Latinisten und Neuphilologen gleichermaßen zur Erkundung einlädt. Neulateinische Metrik Formen und Kontexte zwischen Rezeption und Innovation herausgegeben von Stefan Tilg und Benjamin Harter ISBN 978-3-8233-8266-9 Tilg / Harter (Hrsg.) Neulateinische Metrik 18266_Umschlag.indd Alle Seiten 23.09.2019 10: 28: 14 <?page no="1"?> Neulateinische Metrik <?page no="2"?> Herausgegeben von Thomas Baier, Wolfgang Kofler, Eckard Lefèvre und Stefan Tilg in Verbindung mit Achim Aurnhammer 33 <?page no="3"?> Neulateinische Metrik Formen und Kontexte zwischen Rezeption und Innovation herausgegeben von Stefan Tilg und Benjamin Harter <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 1615-7133 ISBN 978-3-8233-8266-9 (Print) ISBN 978-3-8233-9266-8 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0186-8 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> Inhalt Stefan Tilg / Benjamin Harter Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Versbau zwischen Klassizismus und Innovation Jean-Louis Charlet L’hexamètre de Francesco Filelfo dans la Sphortias et dans les Satyrae . . . . 11 Dennis Pulina Die Metren der Manes Monavi Caspar Cunrads (1571-1633) . . . . . . . . . . . . . 31 Jürgen Blänsdorf Verfehlte Klassik oder neue Normen in der Metrik des neulateinischen Dramas? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Radikale Experimente Beate Hintzen Neulateinische Hyporchemata oder die Neuschöpfung einer verlorenen Gattung und deren rascher Untergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Stefano Cassini Il carmen anguineum di Lidio Catto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Erfolgreiche Formen Jochen Schultheiß Zwischen philologischer Analyse und poetologischem Programm: Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Stefan Tilg Die ‚argute‘ Inschrift als barocke Form des freien Verses . . . . . . . . . . . . . . 133 Wilfried Stroh Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 <?page no="6"?> 6 Inhalt Christian Guerra Das „italienisch Latein“ der venezianischen Oratorien am Beispiel der Juditha triumphans (Antonio Vivaldi/ Giacomo Cassetti) . . . . . . . . . . . . . . . 221 Metrik und Bildungsgeschichte Sarah Knight ‘If some of the eminent learned would dare to begin’: Neo-Latin Metre at the Early Modern English Universities . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Victoria Moul Neo-Latin Metrical Practice in English Manuscript Sources, c. 1550-1720 257 Thorsten Burkard Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 <?page no="7"?> Vorwort 7 Vorwort Während es zahlreiche Publikationen zur Prosodie und Metrik der antiken und mittelalterlichen lateinischen Dichtung gibt, sind einschlägige Arbeiten zur Frühen Neuzeit äußerst rar. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass die neulateinische Dichtung gemeinhin als klassizistisch gilt und dass man oft wie selbstverständlich annimmt, sie reproduziere lediglich antike Formen. Gleichzeitig wissen alle, die sich eingehender mit der lateinischen Literatur der Frühen Neuzeit beschäftigt haben, dass das so nicht stimmt. Dieser Band, der aus der 18. NeoLatina -Tagung (Freiburg i.Br., 17.-18. Juni 2016) hervorgegangen ist, soll exemplarisch Möglichkeiten und Wege neulateinischer Metrikforschung aufzeigen und so im Idealfall weitere Arbeiten auf diesem Gebiet anstoßen. Der Schwerpunkt liegt dabei gerade nicht auf der direkten Adaptation antik-klassischer Muster, sondern auf den vielfältigen Innovationen und Experimenten in der Theorie und Praxis lateinischer Dichtung von ca. 1400 bis 1800. Der Band beginnt mit drei Beiträgen, die oberflächlich noch relativ unscheinbare, im Detail aber signifikante Abweichungen von klassischen Mustern im Versbau und dem Zusammenspiel von Form und Inhalt dokumentieren. Jean-Louis Charlet widmet sich in diesem Sinn dem Hexameter des italienischen Humanisten Francesco Filelfo (1398-1481), Dennis Pulina der metrisch bunt gemischten Lyrik des deutschen Arztes und Dichters Caspar Cunrad (1571-1633); Jürgen Blänsdorf geht der Entwicklung der neulateinischen Dramenverse mit besonderer Berücksichtigung der Tragödie nach. In scharfem Gegensatz dazu folgen zwei Beiträge, die mit radikalen und verspielten Experimenten aufwarten: Beate Hintzen behandelt mit dem Hyporchema die Erfindung und kurze Rezeptionsgeschichte einer manieristisch-virtuosen metrischen Gattung; Stefano Cassini vermittelt mit den ‚Schlangengedichten‘ ( carmina anguinea ) des Lidio Catto (15./ 16. Jahrhundert) eine Vorstellung vom Potenzial neulateinischer Rätsel- und Figurengedichte. Wenn diese Beispiele eher vereinzelte Launen repräsentieren, so stehen die Themen der nächsten beiden Beiträge für breitere und erfolgreiche Phänomene, die auch stark in die Volkssprachen ausstrahlen. Jochen Schultheiß beschreibt die Geburt der lateinischen pindarischen Dichtung aus dem Geist der zeitgenössischen metrischen Theorie, und Stefan Tilg macht auf die vormoderne Existenz eines freien Verses in den sogenannten ‚arguten‘ oder ‚literarischen‘ Inschriften aufmerksam. Erfolgreich, wenn auch nicht unbedingt im Sinn antiker Metrik, war zweifellos auch die Verbindung lateinischer Verse mit Musik. Wilfried Stroh gibt <?page no="8"?> 8 Vorwort einen groß angelegten Überblick über diese Verbindung im lateinischen Drama Deutschlands, wobei naturgemäß die Chöre besonderes Interesse beanspruchen. Christian Guerra weist am Beispiel der Juditha triumphans (1716) von Antonio Vivaldi und Giacomo Cassetti eine bisher kaum gewürdigte Wechselwirkung zwischen volkssprachlich-italienischer und klassizistisch-lateinischer Metrik im lateinischen Oratorium nach. In das weite Feld von Metrik und Bildungsgeschichte könnte man schließlich die drei letzten Beiträge des Bandes einordnen. Sarah Knight untersucht die Stellung von Prosodie und Metrik im Bildungsgang von Studenten an englischen Universitäten. Victoria Moul bietet eine erste Auswertung handschriftlicher Gedichtsammlungen in England und zeigt so die Lücken auf, die in einer Literatur- und Bildungsgeschichte ohne Berücksichtigung lateinischer Texte klaffen. In metrischer Hinsicht identifiziert sie Polymetrie, Reim und freien Vers als besonders auffällige und innovative Phänomene, die im Übrigen auch in anderen Beiträgen begegnen (zu Polymetrie z. B. Schultheiß; zum Reim Stroh; zum freien Vers Tilg). Thorsten Burkard beendet den Band mit einem längeren Beitrag zur Geschichte des insbesondere im deutschen Sprachraum erfolgreichen iktierenden Lesens lateinischer Verse und argumentiert auf einer umfangreichen Materialbasis, dass diese Aussprachepraxis kaum vor Gottfried Hermanns De metris poetarum Graecorum et Romanorum von 1796 verbreitet gewesen sein kann. Vieles kann im Rahmen eines Sammelbandes nur angedeutet werden. Um dennoch zumindest zwei Beispiele für breiter angelegte Studien einzuschließen, haben wir Wilfried Stroh und Thorsten Burkard eingeladen, ihre Beiträge, deren Argument nur durch eine fundierte Darstellung des Materials trägt, ohne das sonst übliche Seitenlimit auszuführen. Wir denken, das Ergebnis hat sich gelohnt, und hoffen, auch auf diese Weise zu einer eingehenderen Beschäftigung mit neulateinischer Metrik zu ermuntern. Wir danken dem Ludwig Boltzmann Institut für Neulateinische Studien, der Philologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Stiftung Pegasus Limited für ihre finanzielle Unterstützung der Tagung und des daraus hervorgegangenen Bandes. Diese Tagung war die letzte NeoLatina -Tagung, an der Eckart Schäfer († 17. März 2018) teilgenommen hat. Schäfer hat die NeoLatina -Tagungen (damals noch unter dem Titel „Freiburger Neulateinisches Symposion“) 1999 zusammen mit Eckard Lefèvre gegründet und blieb der Tagung und der damit verbundenen Buchreihe bis zuletzt verbunden. Unvergessen wird er nicht zuletzt durch seine Arbeiten zum ‚deutschen Horaz‘ bleiben, die ihn auch auf das Feld der neulateinischen Metrik führten. Ihm sei dieser Band deshalb gewidmet. Freiburg i.Br., September 2019 Stefan Tilg-/ -Benjamin Harter <?page no="9"?> Versbau zwischen Klassizismus und Innovation 9 Versbau zwischen Klassizismus und Innovation <?page no="11"?> L’hexamètre de Francesco Filelfo dans la Sphortias et dans les Satyrae Jean-Louis Charlet Dans le cycle de mes études sur la métrique latine et néolatine, j’ai déjà eu plusieurs occasions d’étudier de façon comparative l’hexamètre dactylique dans différentes œuvres de plusieurs poètes latins humanistes: Enea Silvio Piccolomini, Marulle et les deux Strozzi, père et fils, Tito et Ercole. 1 Complétant ce panorama de l’hexamètre néolatin, je voudrais aujourd’hui comparer l’hexamètre épique et l’hexamètre satirique de Francesco Filelfo. Mon étude se fera sur un échantillon de 1000 vers pour chacune des deux œuvres: les cent premiers vers de chacun des dix chants de la Sphortias qui le permettent 2 et dix satires (1.6; 2.10 en tenant compte des deux versions; 3.1; 4.9; 5.2; 7.9 deux versions; 8.5 deux versions; 9.7 deux versions; 10.4 et Satira 7 inédite). 3 Pour élargir cette comparaison à l’hexamètre élégiaque de Filelfo, j’ai dépouillé tous les hexamètres (seulement 275) du poème De Genuensium deditione. 4 Comme dans mes études précédentes, j’ai choisi quatre points à mon avis stratégiques pour la facture de l’hexamètre: les schémas métriques avec la répartition des dactyles et des spondées, les césu- 1 Charlet 2011; 2012; 2014a. 2 Édition de référence dans l’étude de De Keyser 2015, 1-219. 3 Éditions de référence: l’étude de Solís de Los Santos 1989 pour ses satires 8 (= 7.9 première version; mais au v. 88 je lis Candida foemineo si en supprimant le premier si superfétatoire), 6 (= 8.5 première version), 15 (= 9.7 première version), 7 (inédite, p. 150-157, mais au v. 90 j’ai préféré combler la lacune du manuscrit par la conjecture donnée dans l’apparat [ conuiuia <laeta> ] plutôt que de reprendre, comme l’a fait l’éditeur la correction de Juan Gil conuiua , qui laisse l’hexamètre incomplet) ainsi que la 1 pour la première version de 2.10 (p. 48-57) avec l’édition de Fiaschi 2005 pour les cinq satires des premiers livres et la première version de 2.10 (p. 516-518). Pour la Satyra 10,4, j’ai utilisé le texte de Lucia Gualdo Rosa dans Arnaldi/ Gualdo Rosa/ Monti Sabia 1964, 42-46, avec deux corrections: au v. 26 il faut évidemment lire palatia avec un seul l , sinon le vers est faux; au v. 96, lire naufragium ne (conjonction négative longue) et non pas naufragiumne (enclitique bref impossible ici métriquement). Pour la représentativité de l’échantillon, comme on le voit, j’ai choisi une satire de chacune des décades, sauf la sixième pour pouvoir intégrer une satire inédite publiée par Solís de Los Santos, et pour quatre satires j’ai comparé les deux versions. 4 De Keyser 2015, 221-239. <?page no="12"?> 12 Jean-Louis Charlet res, les élisions au sens large et les clausules. Toutes mes analyses s’appuieront sur les tableaux donnés en fin d’étude. En ce qui concerne les schémas métriques, l’hexamètre épique de la Sphortiade suit d’assez près le canon virgilien: 5 - nette primauté du schéma DSSS (16,2%), importance du type SDSS (9,1%; 9,54 dans l’ Énéide ) derrière DDSS et DSDS, respectivement à 13,7 et 12,8%; - décroissance continue du nombre des dactyles du premier au quatrième pied (70,7; 49; 42,5 et finalement 26,70%), comme dans les satires d’Horace et de Juvénal; - prépondérance globale des spondées sur les dactyles (52,775 contre 47,225%), mais avec plus de dactyles que dans l’ Énéide (43,52% pour cette dernière), un dédain manifeste pour le vers à quatre spondées (SSSS): 2,7% dans la Sphortias pour 7,09 dans l’ Énéide (sur ce point, Filelfo est assez proche du Stace de la Thébaïde [2,31%], entre Lucain et l’Ovide des Métamorphoses ) et moins de variété dans les schémas métriques (parfois répétés trois fois, voire quatre fois de suite: Sphortias 3.83-86 DSSS). Dans la Sphortias , les quatre schémas préférés représentent plus de la moitié des vers (51,8%, dont 42,7 pour les seuls trois premiers), alors que dans l’ Énéide le total des quatre premiers schémas ne s’élève qu’à 46,85%: manifestement, dans son épopée, Filelfo recherche moins la variété que les effets de répétition. C’est très net dans les dix premiers vers du livre 8 qui ne présentent que quatre schémas métriques (4 DSSS, 3 DDSS, 2 SSDS et un SSSS). Mais, dans son emploi de l’hexamètre holodactylique (DDDD), il recherche parfois des effets d’harmonie imitative, pour donner une impression de vitesse, de rapidité: Paret Atlandiades celerique per aera cursu ( Sphortias 1.79), Mox agit atque gradum properat; comitatur euntem ( Sphortias 1.98; cf. 2.1 et 27); de légèreté: Otia desidiasue leuis et inutile tempus ( Sphortias 5.47) ou de vol: Fulmineae uolitant pilulae uolucresque sagittae ( Sphortias 3.82). L’hexamètre de ses Satyrae se révèle assez différent. D’abord, par un renversement de rythme, le dactyle l’emporte, même si c’est de peu, sur le spondée (50,5%), alors que les satires d’Horace et celles de Juvénal sont encore moins riches en dactyles que l’ Énéide , avec respectivement 41,95 et 44,02% de dactyles. Ensuite, la recherche de la variété est plus grande: 6 la proportion des quatre 5 Je m’appuie sur les statistiques de Ceccarelli 2008, que j’ai déjà utilisées et mises en perspective pour l’Antiquité tardive et le Moyen Âge dans Charlet 2014b, 143-164, ainsi que dans plusieurs études ponctuelles sur Dracontius, Corippe et certains poètes néo-latins (Charlet 2011; 2012; 2014a). 6 Même si on relève des séquences insistantes: je pense en particulier à la séquence insistante de cinq hexamètres consécutifs de type DDSS en Satira 8.5.86-90! <?page no="13"?> L’hexamètre de Francesco Filelfo dans la Sphortias et dans les Satyrae 13 premiers schémas préférés tombe en dessous à 46,8%, à peu près au niveau de l’ Énéide , un peu plus que l’Horace des Satires ou que Juvénal, dont les quatre premiers schémas s’approchaient des 45% et l’on note parfois des effets de contraste rythmique. Les dix premiers vers de la version définitive de la dixième satire de la deuxième décade sont à ce titre significatifs: les deux premiers vers recherchent le contraste maximum en opposant les rythmes contraires SSSS et DDDD avec césures P et H pour le premier et triple a (T, Tr, H) pour le second, avec un rejet ( Qui finem in uita nullum nec rebus agendis / constituit, Frederice, sibi, ratione carere / arbitror ), alors que les huit suivants proposent sept autres schémas métriques différents (DDSS [schéma préféré dans les Satyrae ], DSDS deux fois, DDSD, SSDD, DSSD, DSDD et SDSS)! Enfin, si la courbe de diminution des dactyles du premier au quatrième pied est en gros comparable à celle de la Sphortias , on note un changement notable dans le choix des schémas métriques préférés: 7 le schéma épique virgilien par excellence DSSS, qui conserve la préférence d’Horace et de Juvénal dans leurs satires (respectivement 13,55 et 13,48%), passe en troisième position, précédé de DDSS (14,2%) et de DSDS (13,1%). On doit probablement voir ici, en dépit du genre, une influence de la métrique ovidienne: dans les Métamorphoses , le schéma DDSS est le premier (13,04%), devant DSSS (12,7%), alors que le type DSDS (11,27%) est pratiquement au niveau de DSSD (11,33%) et DDSD (11,29%). Globalement, même si Filelfo ne recherche pas le rythme DSSD, la proportion des dactyles augmente, avec une petite progression des schémas à trois dactyles DDSD et DSDD, et même le schéma le moins fréquent dans toute la latinité classique SDDD (1,91% selon Ceccarelli) se trouve au treizième rang dans les Satyrae de Filelfo, à 2,7%, devant SSSS, SSSD et SSDD. Les hexamètres holodactyliques (DDDD, douzième schéma dans les Satyrae ) monte légèrement, à 3,6% (2,83% dans la latinité classique), alors que son inverse SSSS, très bas dans la Sphortias (2,7%), tombe ici à 1,7% (4,84% dans la latinité classique). 8 En accroissant le nombre des dactyles (ce qui a, comme nous le verrons, des incidences sur les césures), Filelfo recherche plus de mouvement, de vivacité, voire de pathos. 7 Les variations entre les deux versions ne sont pas très importantes pour les satires 7.9 (DSDS 12; DDSS 19; SDSS 2; DDSD 14; SSSS 1) et 9.7 (DDSS 9; SSDS 3; DDSD 7; SSDD 1), davantage pour 8.5 (sur 99 v., le v. 28 de cette version ayant une lacune: DSSS 20; DSDS 9; DDSS 14; DDDS 7; SDDS 10; SSDS 3; DSSD 8; SSSS 3; DDSD 5; DSDD 5; DDDD 3; SSDD 0; SDDD 1), sans altérer les conclusions tirées ci-dessus. Certaines corrections sont métriques, mais ne changent pas le rythme du vers: ainsi, pour supprimer un an long devant une initiale vocalique, Filelfo soit l’a remplacé par Anne (avec synalèphe: 7.9.39), soit a changé le mot suivant pour avoir une initiale consonantique (7.9.84 où an caetera est substitué à an omnia dans la première version). En Satyra 8.5.96 refers est substitué à profers , pour supprimer un abrègement irrégulier du préverbe pro. 8 Je n’ai pas relevé d’hexamètre spondaïque dans mon échantillon (mais voir les clausules). <?page no="14"?> 14 Jean-Louis Charlet Pour avoir un point de comparaison avec l’hexamètre élégiaque, c’est-à-dire en distique avec le pentamètre, j’ai choisi le poème De Genuensium deditione. Mais le choix de ce poème est peut-être discutable car sa thématique historique, politique et militaire le rapproche de l’univers épique. De fait le schéma DSSS y est encore plus nettement le premier que dans la Sphortias , avec 18,55%, devant DDSS et, avec une légère permutation par rapport à la Sphortias , SDSS et DSDS. Les spondées y sont encore plus nombreux (presque 54%) et on note un très gros écart entre les quatre premiers schémas et les trois suivants, à égalité (DDDS, SDDS et DDSD à 6,18%), les quatre premiers schémas atteignant 53,10% des hexamètres: ici aussi la répétition prime manifestement sur la variété. 1.6 2.10 3.1 4.9 5.2 7.9 8.5 9.7 10.4 [7] total 3. DSSS 7 9 15 14 14 5 19 17 5 7 112 2. DSDS 12 16 15 13 11 13 10 14 12 15 131 1. DDSS 11 17 12 15 13 20 16 10 12 16 142 4. SDSS 5 7 6 7 12 3 6 15 13 9 83 7. DDDS 8 8 5 7 11 6 3 10 7 7 72 6. SDDS 9 8 4 9 6 7 11 9 8 3 74 10. SSDS 2 2 5 8 5 6 4 2 8 6 48 8. DSSD 6 9 10 4 2 11 12 2 8 6 70 11. SDSD 5 3 4 4 6 2 5 1 4 4 38 14. SSSS 3 2 3 2 2 - 2 - 3 - 17 5. DDSD 14 8 10 7 5 12 2 6 7 8 79 9. DSDD 10 3 6 4 5 7 3 1 7 9 55 12. DDDD 6 3 3 2 5 2 4 2 2 7 36 15. SSSD 1 1 - - 1 2 - 2 - 1 8 15. SSDD - 2 1 1 1 - 1 2 - - 8 13. SDDD 1 2 1 3 1 4 2 7 4 2 27 Tableau des schémas métriques: Satyrae. Quatre premiers types: 46,80%; huit premiers types: 76,30% - d1 (697) 69,70%; d2 (551) 55,10%; d3 (451) 45,10%; d4 (321), 32,10% - dactyles: 50,50%; spondées: 49,50%. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 11 total 1. DSSS 14 19 22 14 11 15 14 18 14 21 162 3. DSDS 15 14 15 14 10 7 18 12 10 13 128 2. DDSS 11 12 10 15 16 21 9 14 13 16 137 4. SDSS 7 10 10 7 5 11 8 9 15 9 91 <?page no="15"?> 5. DDDS 13 11 3 9 6 5 5 4 14 7 77 7. SDDS 5 6 7 4 9 11 7 6 9 1 65 10. SSDS 5 2 9 4 2 3 5 5 5 6 46 6. DSSD 6 4 8 4 9 4 9 10 6 10 70 13. SDSD 1 3 3 4 2 2 5 1 3 1 25 12. SSSS 6 3 3 4 2 - 2 4 1 2 27 8. DDSD 3 7 1 3 12 5 9 7 5 2 54 9. DSDD 9 4 5 8 9 7 1 1 3 4 51 11. DDDD 4 4 1 2 3 5 2 4 - 3 28 16. SSSD - 1 1 1 - - 3 2 - 1 9 14. SSDD - - 2 4 2 2 2 1 1 3 17 15. SDDD 1 - - 3 2 2 1 2 1 1 13 Tableau des schémas métriques: Sphortias. Quatre premiers types: 51,80% (42,70% pour les trois premiers); huit premiers types: 78,40% - d1 (707) 70,70%; d2 (490) 49%; d3 (425) 42,50%; d4 (267) 26,70% - dactyles: 47,225%; spondées: 52,775%. 1-200 201-400 401-550 total 1. DSSS 19 15 17 51 18,55% 4. DSDS 14 7 8 29 10,55% 2. DDSS 15 8 11 34 12,36% 3. SDSS 10 13 9 32 11,64% 5. DDDS 4 7 6 17 06,18% 5. SDDS 6 8 3 17 06,18% 14. SSDS 3 2 2 7 02,54% 8. DSSD 3 6 4 13 04,73% 9. SDSD 5 4 2 11 04,00% 11. SSSS 4 3 2 9 03,27% 5. DDSD 7 7 3 17 06,18% 10. DSDD 4 4 2 10 03,64% 11. DDDD 3 5 1 9 03,27% L’hexamètre de Francesco Filelfo dans la Sphortias et dans les Satyrae 15 <?page no="16"?> 16 Jean-Louis Charlet 15. SSSD 2 2 1 5 01,82% 15. SSDD - 4 1 5 01,82% 13. SDDD 1 5 3 9 03,27% Tableau des schémas métriques: De Genuensium deditione. Quatre premiers types: 53,10%; huit premiers types: 76,37% - d1 (180) 65,45%; d2 (146) 53,09%; d3 (103) 37,45%; d4 (79) 28,73% - dactyles: 46,18%; spondées: 53,82%. Sur les césures, 9 Filelfo semble être assez scrupuleux. On relève bien dans les 1000 vers de mon échantillon de la Sphortias deux vers apparemment sans césure ou avec césure difficile ou faible. En 6.90 ( portus noctis op(e) ingenioqu(e) et numine Marci ), les élisions aux troisième et quatrième pieds oblittèrent la possibilité d’une césure, à moins de supposer une hephthémimère (H) par tmèse devant l’enclitique -que (souvent détaché du mot sur lequel il s’appuie dans l’écriture médiévale et même humaniste au XV e siècle) qui vient s’élider sur et. On aurait une H seule, ce qui est rarissime, même chez Filelfo, comme nous le verrons. En 9.35 ( horre(a) et aerar(i) et priuata pecunia nobis ), c’est la synalèphe au milieu du troisième pied qui perturbe la césure: Filelfo admettait-il une césure après une conjonction monosyllabique comme et ? En ce cas, on pourrait considérer que ce vers a une penthémimère (P). Dans les deux autres œuvres ici examinées, il y a toujours au moins une césure nette par hexamètre, parfois soulignée par une ponctuation forte, y compris après une trithémimère (T), ce qui produit un puissant effet de rejet. 10 Globalement dans la Sphortias , la césure P se rencontre dans 83,4% des vers, le plus souvent associée à une T ou une H (24,10% de P seule). Ce pourcentage est très proche de celui de l’ Énéide (84,50%), un peu plus faible que dans les Satires d’Horace (88,11%) ou de Juvénal (89,14%) ou à plus forte raison de Perse (95,23%). La césure H est globalement moins fréquente que dans l’ Énéide (61,9 9 La détermination des césures est toujours assez subjective. Personnellement, avec Hellegouarc’h (1962, 154-163 et 1978, 383-395) et Jacques Perret, dans le dernier état de sa réflexion qu’il m’a exposé dans les entretiens que nous avons eu en privé à l’occasion de la soutenance de mes deux thèses, je pense que les poètes cherchent le plus souvent à combiner deux, voire trois césures pour organiser la structure syntaxique et stylistique de leurs hexamètres autour de ces points d’accrochage de l’attention de l’auditeur/ lecteur. 10 L’exemple des 100 premiers vers du livre 4 de la Sphortias est palmaire: on n’y relève pas moins de 9 trithémimères soulignées par une ponctuation forte (v. 16, 18, 20, 37, 40, 42, 53, 57, 85). Je n’ai relevé dans mon échantillon qu’un cas possible de T seule dans la Sphortias (7.76 quisque locum nullusque excedat ab ordine miles ), mais la P escamotée par l’élision du -que pourrait être validée par la possibilité de tmèse dont j’ai parlé plus haut. Nous aborderons plus loin les deux cas de T associée à la seule Tr. <?page no="17"?> contre 75,04%). Rarement associée à la seule T 11 ou à la seule césure trochaïque troisième (Tr), et encore plus rarement employée seule, 12 elle est en revanche très fréquente avec une P, selon l’exemple virgilien (au total, 45,8% des vers de notre échantillon), et assez souvent en “triple a”, selon la terminologie de Louis Nougaret: 13 12,5% des vers, ce qui n’est que très légèrement supérieur à l’usage de l’ Énéide (11,71%), mais loin de Lucain (19,15%), Stace ( Thebais 19,78%) ou Claudien (22,68%). Je n’ai relevé aucun cas de césure trochaïque seule. Quant au tout petit nombre de cas d’association de cette césure trochaïque avec une hephthémimère (13), ils représentent presque tous (11) soit un escamotage de la “triple a” par synalèphe au début du deuxième pied (1.7 et 96; 7.50; 11.9), soit une “triple a” possible avec une T après un mot outil monosyllabique (3.80 e ) ou par tmèse devant un enclitique ( -que : 2.40; 4.26; 6.100; 9.10 et 31; ou -ue : 6.42). Seuls deux cas excluent toute possibilité ou esquisse de T par la présence d’un mot long qui occupe tout le deuxième pied et les deux premiers tiers du troisième (2.92 et 5.47). Quant à la diérèse bucolique au sens strict (avec ponctuation forte), elle est tout aussi négligée dans la Sphortias que dans les Satyrae : à peine cinq cas pour 1000 vers d’un côté comme de l’autre, avec une légère préférence pour la diérèse précédée d’un dactyle (3 + 4 cas, avec la liaison consonne/ voyelle, 2 + 3 de ces 7 cas). Filelfo, qui pourtant, comme je l’ai déjà dit, ne dédaigne pas souligner ses césures par une pause de sens qui correspond à nos ponctuations fortes, n’a manifestement pas recherché les diérèses bucoliques ainsi organisées. Si l’on passe aux Satyrae , la césure P y est moins dominatrice (seulement 79,6%), ce qui ne vient pas, comme nous l’avons vu, de la satire romaine antique qui, au contraire, privilégiait fortement cette césure. La diversité, liée au moins en partie à la diversité des schémas métriques et à l’augmentation du nombre 11 Au total, 17 cas, dont 11 avec une césure escamotée par synalèphe au troisième pied (1.29 et 89; 4.42 et 51; 6.61 et 63; 7.64; 8.26; 11.48, 62 et 68) et 5 avec possibilité de césure faible P après un mot-outil ou déterminant monosyllabique (2.96 in ; 5.89 dum ; 6.8 ac ; 7.100 quos ; 8.83 et ); un seul cas (6.16) correspond à ce que Nougaret appelle la “triple b”, dont je doute de l’existence (voir n.16). 12 Six cas (0,6%), presque toujours avec une césure escamotée par élision au troisième pied: 2.75 avec en plus un nom grec; 5.18 (P possible après ac qui reçoit la synalèphe), 76 (P possible après et qui reçoit la synalèphe), 100 (avec en plus T escamotée par synalèphe); 6.26 ( Flectunt iusta Deum, iniustis accenditur ira ) et 80 (P possible après et qui reçoit la synalèphe). 13 Nougaret 1963, 33-35, § 78-80. L’hexamètre de Francesco Filelfo dans la Sphortias et dans les Satyrae 17 <?page no="18"?> 18 Jean-Louis Charlet des dactyles, est introduite non par les césures T, 14 H 15 ou leur combinaison TH, 16 mais par un accroissement sensible des triples a (17,9% minimum), 17 beaucoup plus nombreuses que dans les satires d’Horace (9%), de Juvénal (7,25%) ou à plus forte raison de Perse (3,85%), mais qui restent néanmoins en dessous de l’usage de Lucain (19,15%). À l’inverse, la proportion des césures P est beaucoup plus forte dans l’hexamètre élégiaque du De Genuensium deditione , puisqu’elle frôle les 90% (exactement 89,82%), alors que la triple a tombe en dessous de 9% et que l’association T H dépasse à peine 1%. 18 Ce choix métrique et stylistique, que j’ai analysé ailleurs, notamment à propos de Tito et Ercole Strozzi, comme une esthétique de l’écho, me semble exprimer le désir de souligner le parallélisme rythmique entre le premier hémistiche de l’hexamètre (jusqu’à la césure P) et le premier hémistiche du pentamètre. 19 Ici, Filelfo recherche plus le parallélisme que la diversité ou le contraste. 14 Seulement trois cas: en 4.9.81 des synalèphes aux troisième et quatrième pieds oblittèrent toute césure; mais en 2.10.74 et 8.5.8 une P faible est possible respectivement après cum et après et sur synalèphe. 15 Seulement trois cas où à chaque fois une césure P faible est possible après un et sur synalèphe (4.9.52; 10.4.69; Inedita 7.79). 16 Sur les 13 cas, 9 fois une élision/ synalèphe au troisième pied escamote une césure Tr ou P (1.6.98; 2.10.19; 3.1.3; 4.9.33 et 62; 5.2.86; 7.9.33; 9.7.71 et Inedita 7.23); dans un cas une P faible est possible après ut sur synalèphe (9.7.81; à noter que la première version combinait ici une P et une H). Trois cas correspondent à ce que Nougaret appelle “triple b” (un mot pyrrhique suit la T): 4. 9. 28 naufragiis / / deus aspirans / / [ … ]; 5.2.8 est Phoebo / / nihil audieris / / [ … ]; 5.2.61 polluerit / / meus Eugenius / / [ … ]. 17 On pourrait y ajouter les trois cas de T avec Tr (pour 8.5.82 une césure H faible est possible après in sur synalèphe; pour 10.4.63 et Inedita 7.85, la césure H est escamotée par élision) ainsi que les trois cas où se combinent Tr et H puisqu’en 8.5.92 une T faible est possible après ac et qu’en 7.9.32 et 10.4.49 une T est possible par tmèse devant -que . 18 Dans les trois cas (v. 287, 351 et 505), la césure P est estompée par une élision au troisième pied : nous avons donc affaire en fait à un jeu de césures TPH déguisé. 19 La réalité de la césure du pentamètre est soulignée par de nombreuses ponctuations fortes (au moins 11: v. 50, 76, 276, 314, 324, 352, 354, 368, 390, 502 et 516) et par une dizaine d’allongements de la syllabe brève qui la précède (ex. v. 26, 34 …). Le fait qu’elle nous semble faible ou difficile dans trois cas (derrière le pronom monosyllabique qui aux v. 152 et 506 et derrière la préposition in sur synalèphe au v. 294: August(o) in / / ) donne à penser que Filelfo admet ce type de césure et donc aussi dans l’hexamètre (voir nos observations précédentes sur les combinaisons TTr, TrH et TH). <?page no="19"?> 1.6 2.10 3.1 4.9 5.2 7.9 8.5 9.7 10.4 [7] total T - 1 - 1 - - 1 - - 3 TTr P 25 27 17 15 20 25 27 16 26 18 216 TP 14 8 11 12 7 18 12 7 8 8 105 PH 33 36 38 25 35 27 26 38 28 36 322 TPH 13 10 16 25 15 6 17 13 19 19 153 total P 85 81 82 77 77 76 82 74 81 81 796 H - - - 1 - - - - 1 1 3 TH 1 1 1 3 3 1 - 2 - 1 13 TTrH 14 17 17 18 20 22 15 24 16 16 179 TrH - - - - - 1 1 - 1 1 3 Bd cv - - 1 1 1 - - - - - 3 Bd vc - - - - 1 - - - - - 1 Bs cc - - - - - - - 1 - - 1 Tableau des césures: Satyrae. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 11 total T - - - - - - 1 - - - 1 TTr - - - 1 - 1 - - - - 2 P 19 21 27 17 16 27 29 25 31 29 241 TP 15 18 14 12 12 9 12 16 13 14 135 PH 24 23 29 26 44 34 29 30 31 29 299 TPH 18 23 13 16 11 14 15 22 10 17 159 total P 76 85 83 71 83 84 85 93 85 89 834 L’hexamètre de Francesco Filelfo dans la Sphortias et dans les Satyrae 19 <?page no="20"?> 20 Jean-Louis Charlet H - 1 - - 3 2 - - - - 6 TH 2 1 - 2 1 4 2 2 - 3 17 TTrH 20 11 16 25 12 6 11 5 12 7 125 TrH 2 2 1 1 1 2 1 - 2 1 13 Tr ? - - - - - 1 - - 1 - 2 Bd cv - - - - 1 - - - - 1 2 Bd vc - - - - - - 1 - - - 1 Bs cv 1 - - - - - - - - - 1 Bs cc - - - - - - - - 1 - 1 Tableau des césures: Sphortias 1-200 201-400 401-550 total P 22 32 18 72 26,18% TP 16 13 10 39 14,18% PH 42 26 23 91 33,09% TPH 16 15 14 45 16,36% total P 247 89,82% TH - 2 1 3 1,09% TTrH 4 10 9 23 8,36% TrH - 2 - 2 0,73% Tableau des césures: De Genuensium deditione. En ce qui concerne les élisions, alors que Virgile en use abondamment (53,31% dans l’ Énéide ), on sait que leur fréquence diminue à partir d’Ovide (19,82% de synalèphes dans les Métamorphoses ). Dans la Sphortias , Filelfo n’est que très légèrement en dessous de l’Ovide épique (18,1% pour les synalèphes), en élidant <?page no="21"?> surtout des brèves sur longues (6,2%) et des longues sur longues (4,7%) et en négligeant l’aphérèse, que, comme ses contemporains, il ne distingue probablement pas de la synalèphe (7 cas, dont une seule aphérèse finale, dans notre échantillon de 1000 vers, soit 0,7%). Je n’ai relevé que deux vers à trois élisions et seulement quatre élisions de monosyllabes (soit 0,4% des vers), un relatif ( quo : 4.23), un pronom personnel ( se : 9.83), mais aussi un adverbe ( tum : 3.27) et même, ce qui est plus remarquable, une forme nominale ( re : 7.51). Si Filelfo n’élide que rarement un monosyllabe, il ne semble y mettre aucun interdit. 20 Je n’ai relevé aucun hexamètre hypermètre dans mon échantillon; mais la vérification que j’ai faite pour toutes les clausules de la Sphortias m’en a fait repérer un, hautement significatif, en 5.617: exposuisse solo, pistrix lintresque phaseliqu(e) / arma uirosque ferunt . La référence à Virgile et à son Énéide est ici explicite puisque le -que s’élide sur l’initiale vocalique du vers suivant qui reprend le vers d’ouverture de l’ Énéide ( Arma uirumque cano )! 21 Paradoxalement, Filelfo élide un peu moins dans ses Satyrae , genre traditionnellement d’une métrique plus libre: 16,8% pour les synalèphes, mais avec plus d’aphérèses (11, dont 6 finales), seul léger trait de rapprochement avec la prose, et surtout des voyelles brèves, ou des longues sur longues. Horace, Perse et Juvénal élidaient davantage dans leurs satires (respectivement 40,12%, 45,54% et 32,81% de synalèphes). En fait, Filelfo est ici très proche de la pratique d’Horace dans ses Épîtres (16,59% de synalèphes). On notera aussi le plus grand nombre de monosyllabes élidés (9), des pronoms relatifs (3.1.45 quae ; 8.5.2 et 10.4.73 qui ; 8.5.22 quam ) ou personnels (5.2.42 se et 5.2.48 te ), mais aussi des conjonctions (3.1.35 et 5.2.64 ne ; 10.4.13 quam ). Enfin, comme Horace l’avait fait, dans ses satires uniquement (1.4.96 -que et 1.6.102 -ue ), mais non Juvénal, Filelfo introduit aussi un hexamètre hypermètre dans ses Satyrae , signalé explicitement comme tel dans la marge des manuscrits E et H ( uersus hypermeter ), 22 et qu’on ne saurait considérer comme une erreur, puisqu’il est transmis par tous les manuscrits, conforté par l’hexamètre hypermètre de la Sphortias et modelé sur un exemple virgilien (3.1.26): ducere te solitum; spectant faciemque coloremqu(e) / et tristem 20 Sur l’élision des monosyllabes et les réticences des poètes latins pour certains d’entre eux, Soubiran 1966, 401-405. 21 Dans l’ Énéide , la grande majorité des vers hypermètres présentent une élision de -que (16) et les trois noms du second hémistique de Filelfo appartiennent au vocabulaire virgilien ( Aeneis 3.427 pistrix ; Georgica 1.262 lintris ; Georgica 1.227 phaselum ). 22 Fiaschi 2005, 400, commentaire ad loc., qui, curieusement, ne mentionne pas la source virgilienne. Sur l’hexamètre hypermètre, outre Soubiran 1966, 466-468, Fortassier 1979, 383-414 et 1981, 65-68, en controverse avec Soubiran 1980, 126-136. Dans le domaine néo-latin italien, j’en ai relevé chez Pétrarque (voir Ruiz Arzalluz 1991, 136-139), Enea Silvio Piccolomini ( Egloga 150: voir Charlet 2011, 29) et Pontano (e.g. De Amore Coniugali 3.4.113 et De hortis Hesperidum 1.106), mais non chez Marulle (Charlet 2012, 231 et n. 18). L’hexamètre de Francesco Filelfo dans la Sphortias et dans les Satyrae 21 <?page no="22"?> 22 Jean-Louis Charlet uultum . L’élision lie fortement les deux vers et les éléments de description de Filelfo, avec un puissant effet d’enjambement. 23 Filelfo a suivi un double modèle virgilien (virgilianisme conscient), Aeneis 4.558 ( similis uocemque coloremque / et crinis flauos ) et sa récriture en Aeneis 9.650 ( similis uocemque coloremque / et crinis albos ), en l’adaptant à son propre contexte. L’hexamètre élégiaque de Filelfo dans le De Genuensium deditione élide un peu plus que dans la Sphortias , ce qui ne correspond pas à l’usage antique: 24 52 synalèphes et 5 aphérèses médianes pour 275 vers (18,91 et au total 20,73%), surtout des brèves et des longues sur longues, peu de voyelles nasales, mais on n’y relève aucun vers à trois élisions. Les élisions sont un peu moins fréquentes dans les pentamètres, même en tenant compte de leur longueur réduite par rapport à celle des hexamètres (34 synalèphes et 2 aphérèses intérieures, soit 12,36 et au total 13,09% des pentamètres), mais non absentes du second hémistiche. On relève deux pronoms personnels monosyllabiques élidés dans le premier hémistiche des pentamètres (v. 414 et 546 te ) et une conjonction dans les hexamètres (v. 3 si ). 1.6 2.10 3.1 4.9 5.2 7.9 8.5 9.7 10.4 [7] total u/ - 3 5 6 3 5 3 5 2 2 4 38 u/ u 8 4 7 6 3 5 1 3 4 3 44 -/ u 1 1 1 1 1 1 - - 1 1 8 -/ - 4 1 7 4 7 1 5 1 5 2 37 comm./ u - - - - - - 1 - - 1 2 comm./ - - - - - 1 - - - 1 1 3 -m/ u - 1 1 - 2 - 1 - 1 1 7 -m/ - 1 4 3 2 2 1 6 4 3 3 29 total syn.: 17 16 25 16 21 11 19 10 17 16 168 1 pour 5,95 v. 23 Il faut supposer un hiatus surprenant dans la clausule de Satyra 5. 9. 46: (immor)tale oportet. En revanche, les interjections monosyllabiques O (par exemple Satyra 8. 5. 68) ou heu (par exemple Satyra 1. 6. 93) en hiatus sont tout à fait classiques. 24 Voir Ceccarelli 2004, 102-104. <?page no="23"?> aph. es m. - - - - - - - - - 1 1 est m. - - - - 2 - 2 - - - 4 fin. - 1 - - 2 1 1 - - 1 6 total 17 17 25 16 25 12 22 9 17 18 179 1 pour 5,59 v. v. à 3 élis. - - - - - - - - - - 0 monos. él. - - 2 - 3 - 2 - 2 - 9 35 ne; 45 quae 42 se ; 48 te ; 64 ne 2 qui; 22 quam 13 quam; 73 qui hypermètre - - 1 - - - - - - - 1 v. 26 Tableau des élisions: Satyrae. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 11 total u/ - 5 5 4 8 5 10 6 5 7 7 62 u/ u 5 2 3 5 3 5 5 2 4 3 37 -/ u - 1 1 1 2 1 - - - - 6 -/ - 2 1 1 4 4 6 7 7 6 9 47 -m/ u 1 - - - - - - 1 - 1 3 -m/ - - 1 5 1 4 2 2 2 4 5 26 total syn.: 13 10 14 19 18 24 20 17 21 25 181 1 pour 5,52 v. L’hexamètre de Francesco Filelfo dans la Sphortias et dans les Satyrae 23 <?page no="24"?> 24 Jean-Louis Charlet aph. est m. 1 - - 2 - 1 - 1 - 1 6 fin. - - - - - - 1 - - - 1 total 14 10 14 21 18 25 21 18 21 26 188 1 pour 5,32 v. v. à 3 élis. - - - - 1 - - 1 - - 2 monos. él. - - 1 1 - - 1 1 - - 4 27 tum 23 quo 51 re 83 se Tableau des élisions: Sphortias hex. -200 -400 -550 total pent. -200 -400 -550 total u/ - 11 8 1 20 4 4 - 8 u/ u 3 2 3 8 3 4 2 9 -/ u - - - - 1 - 1 -/ - 5 4 1 10 4 4 3 -m/ u 1 - - 1 1 - - 1 -m/ - 5 3 5 13 2 1 - 3 total syn.: hex. 52 pent. 34 1 pour 5,29 v. 1 pour 8,09 v. aph. est m. - - 5 5 1 - 1 2 fin. <?page no="25"?> total hex. 57 pent. 36 1 pour 4,82 v. (20,73% des v.) 1 pour 7,64 v. (13,09% des v.) total général: 93 sur 550 v.; 1 pour 5,91 v. (16,91% des v.) v. à 3 élis. - - - 0 - - - - 0 monos. él. 1 - - 1 - - 2 2 3 si 414 et 546 te Tableau des élisions: De Genuensium deditione Enfin, les clausules de Filelfo sont globalement classiques, sans clausule spondaïque dans la Sphortias ni dans mon échantillon des Satyrae , mais j’en ai relevé une ou deux, avec des mots bien latins, dans les cinq premiers livres des Satyrae , 25 avec un très faible nombre de clausules non canoniques, 26 ce qui le rapproche des épopées d’Ovide ( Métamorphoses : 1,28%) ou Stace ( Thébaïde 1,08%; Achilléide 0,80%), voire de Lucain (0,65%) ou de Claudien (0,30%), alors que Virgile admettait dans l’ Énéide 2,58% de clausules anormales, et les différences entre ses trois types d’hexamètres sont très faibles. Son hexamètre épique ( Sphortias ) 25 Satyra 4.4.61 ascendamus (précédé de DSSD, ce qui donne un rythme très harmonieux DSSDSS); et probablement 4.6.73 (faci)bus proterui , au prix d’un allongement irrégulier du o de proterui que je n’ai pas relevé ailleurs (voir Sphortias 1.280; 5.515 et 569; 8.187 et 747): si l’on ajoute un -que après facibus on obtient un dactyle cinquième et une clausule classique 2-3 . En revanche, dans des clausules du type morbosque suerunt (4.3.59; cf. 4.10.31; 4.10.31; 9.7.41; Sphortias 8.152 …), je préfère supposer une diérèse rendant suerunt- / sueuit trisyllabique plutôt qu’un allongement de que devant le groupe sw qui donnerait un cinquième pied spondaïque (les formes suerunt et sueuit dissyllabiques n’allongent pas la brève précédente en Sphortias 4.664 auertere suerunt ou 5.125 ludere sueuit ). On relève quelques hexamètres spondaïques chez Tito et Vespasiano Strozzi (voir Charlet 2014, 131-132) ainsi que chez Marulle, Politien et Pontano (voir Charlet 2012, 226-229). Pour les vers spondaïques dans la poésie néo-latine hispanique, voir Pascual Barea 1996, 819-826. 26 Essentiellement des monosyllabes finaux précédés d’un autre monosyllabe. On notera, en dehors de mon échantillon (voir aussi la n. 35 au tableau des clausules) une finale de trois monosyllabes ( Sphortias 5.376 facitote quis in nos ) et une clausule de type 1-2-2 ( Sphortias 4.277 quam sibi raptam ). L’hexamètre de Francesco Filelfo dans la Sphortias et dans les Satyrae 25 <?page no="26"?> 26 Jean-Louis Charlet donne une légère préférence au partage verbal 3-2 ( condere gentem ) par rapport à 2-3 ( conde sepulcro ), mais avec une présence assez forte du type 2-1+2 ( gente tot annos ), 27 alors que Virgile accentuait dans l’ Énéide la prééminence du type 3-2 (48,14% contre 42,49 au type 2-3) avec une proportion moindre du schéma gente tot annos (6,79%). Dans les Satyrae , assez proches … de l’ Énéide ! , 28 le type condere gentem (48,1%) bénéficie d’une moindre présence du type gente tot annos (6,5 + 0,2%) et les aphérèses finales sont plus nombreuses, tout en restant à un niveau très modeste alors que les monosyllabes finaux sont un peu plus nombreux (9 contre 4 dans la Sphortias ), le plus souvent précédés d’un autre monosyllabe selon l’usage classique, 29 alors que les polysyllabes longs finaux sont rarissimes, comme dans la Sphortias . 30 Les clausules des Satyrae sont donc un peu plus libres que dans la Sphortias , tout en restant bien loin de la liberté manifestée par Horace, ou même de Juvénal, dans leurs satires (respectivement 24,30 et 12,98% de clausules non canoniques) 31 et avec souvent dans leurs ʻirrégularitésʼ des modèles classiques. 27 Comme Ceccarelli 2008, I, 87 et n. 96, je crois que le type gente tot annos ne peut s’assimiler au type conde sepulcro. Mais je distingue le cas où le monosyllabe est un mot outil non accentué du type et, ab, sub … = 2+(1+2) de celui où il s’agit d’un pronom ou d’un déterminant ( quid, qui, is, tot … = 2+1+2), ce dernier cas étant beaucoup plus rare que le précédent. 28 Dans l’ Énéide , 48,14% de condere gentem , 42,49% de conde sepulcro et 6,79% de gente tot annos . 29 La comparaison entre les versions successives des Satyrae ne font apparaître que des différences infimes: pour la satire 2.10, ôter un type 2-3 et ajouter un 3-(1+1); pour 8.5, enlever un 3-2 pour ajouter un 2-3. 30 En prenant en compte les 5000 vers des cinq premières décades, les 400 vers des quatre satyres des cinq dernières décades sélectionnées et les 100 vers de la satire inédite (5500 v. sans compter les variantes): 2 tétrasyllabes (4.4.61 et 5.8.86) et deux pentasyllabes (1.1.58 et 3.9.92). Dans les 7057 vers de la Sphortias , on ne relève que quatre tétrasyllabes finaux (2.123; 7.20; 9.206 et 233), aucun pentasyllabe final. 31 Pour les schémas classiques, Horace présente 31,41% de condere gentem , 37,75% de conde sepulcro et 6,54% de gente tot annos , et Juvénal respectivement 43,17, 39,67 et 4,19%. L’examen des clausules montre le caractère représentatif de mes échantillons: dans la Sphortias , les clausules de type 3-1-1 représentent 0,40% des vers; sur les 7057 hexamètres de l’épopée, on en relève 30 cas, soit 0,425%. De même pour les aphérèses finales, le pourcentage dans mon échantillon est 0,20%; dans les 7057 hexamètres de l’épopée on en compte 16, soit 0,2267%. Ce qui n’exclut pas, hors échantillon, dans les 4000 autres hexamètres des cinq premiers livres, quelques clausules exceptionnelles (cf. n. 25 pour un tétrasyllabe spondaïque en Satyra 4.4.61): pentasyllabiques en Satyra 1.1.58 dedecorique (reprise du début d’un hexamètre des Satires d’Horace: 1.2.53! ) et 3.9.92 ac Thesea Pirithoumque … empruntée à Virgile ( Aeneis 6.393 nec Thesea Pirithoumque ); à monosyllabe final 4-1: 1.8.81 ridiculum te [sur le modèle d’Horace, ars poetica 139 ridiculus mus ]; 1-3-1 avec synalèphe, 2.5.41 = 3.4.57 (pater) atque hominum rex (reprise d’une clausule très fréquente dans l’ Énéide : 1.65; 2.648; 10.2 et 743, que, d’après Macrobe, Saturnalia 6.1.10, Virgile emprunte à l’archaïque Ennius Annales 175 V., qui lui-même imitait Homère, Ilia- <?page no="27"?> Dans l’hexamètre élégiaque du De Genuensium deditione , l’équilibre entre les deux premiers types canoniques de clausules est parfait. J’ai noté chez certains poètes néo-latins, comme dans les Amours d’Ovide, une tendance à donner la préférence à la clausule 2-3 dans l’hexamètre élégiaque, et j’ai supposé que cette inversion visait à éviter, dans un distique élégiaque où le pentamètre se termine presque toujours par un dissyllabe, une trop grande monotonie de finales dissyllabiques. 32 Ici, Filelfo ne va pas jusqu’à inverser sa préférence, peutêtre parce que, à la différence des poètes élégiaques latins à partir de Tibulle et de la seconde manière de Properce, il se sent beaucoup plus libre de ses fins de pentamètres. 33 Au total chez Filelfo, à la différence d’autres poètes néo-latins comme Tito ou Vespasiano Strozzi, la recherche d’une métrique avant tout classique tend à estomper les différences qui auraient pu s’attacher à certains genres littéraires. Satyrae Sphortias De Gen. Ded . 3-2 481 = 48,1% 463 = 46,3% 120 = 43,64% 2-3 34 437 = 43,7% 433 = 43,3% 120 = 43,64% 2 + (1+2) 65 = 6,5% 91 = 9,1% 32 = 11,64% 2 + 1 + 2 2 = 0,2% 5 = 0,5% 1 = 0,36% 1()-(1+3) - 1 = 0,1% 35 - 2-2-1 2 = 0,2% - - de 1.544. Mais la clausule 1.7.10 me perdere uir dans l’édition Fiaschi est métriquement fautive: il faut suivre l’ editio princeps ( perdere mi uir = 3-1-1); pour le monosyllabe uir en fin d’hexamètre, Virgile, Aeneis 10.361 = 11.632); 2-1-1-1: 3.3.54 pauper et hinc te et 3.8.24 prudenter et ut te ; ou encore 1-1-1-2 (5.7.73 quod uel ad omne ), 1-1-3 (5.6.42 nam nec Olympum ), ou 1-2-2 (3.3.4 = 69 O mihi talis ; et 3.9.16 en grec). Voir aussi les notes 35 et 36 du tableau des clausules. 32 Charlet 2011, 22; 2012, 226-227; 2014, 32. 33 L’étude des seconds hémistiches des pentamètres du De Genuensium deditione met en évidence 12,73% de fins de vers non dissyllabiques (15 trisyllabes et 20 tétrasyllabes finaux), ce qui ne respecte pas l’usage de l’élégie latine à partir de Tibulle. Voir Charlet 2010, 259-277. 34 Y compris deux cas avec synalèphe: Satyra 7.9.71 et Sphortias 4.86. 35 Sphortias 8.36: accusar(e) et eosdem. L’hexamètre de Francesco Filelfo dans la Sphortias et dans les Satyrae 27 <?page no="28"?> 28 Jean-Louis Charlet 3-1-1 4 = 0,4% 4 = 0,4% 1 = 0,36% 3-(1+1) 3 = 0,3% - 1 = 0,36% 3-aph. 2 = 0,2% 1 = 0,1% - 2-aph. 4 = 0,4% 1 = 0,1% - 1()-4 - 1 = 0,1% 36 - Tableau des clausules Au total, l’hexamètre dactylique de Filelfo est assez scrupuleusement classique: virgilien dans la Sphortias , sauf pour la fréquence des élisions (proche de celle d’Ovide) et avec plus de rigueur dans les clausules, avec des effets d’harmonie imitative dans certains hexamètres holodactyliques, mais assez monotone dans ses schémas métriques: Filelfo y recherche plus les effets de répétition que de variété; dans les Satyrae , sans atteindre la liberté des poètes satiriques antiques, son hexamètre se fait un peu plus dactylique et surtout plus varié dans les schémas métriques comme dans les césures ou les clausules; dans le De Genuensium deditione , l’hexamètre élégiaque renforce la domination de la césure penthémimère pour rechercher un effet d’écho rythmique avec le pentamètre et la fréquence des élisions diminue. Mais, chez Filelfo, la recherche du classicisme tend à estomper, sans les oblittérer complètement, les spécificités métriques attachées à certains genres poétiques. Bibliographie Arnaldi, Francesco/ Gualdo Rosa, Lucia/ Monti Sabia, Liliana (éd.): Poeti Latini del Quattrocento, Milan 1964. Ceccarelli, Lucio: Note sull’esametro di Ovidio. Metamorfosi e opere in distici, in: Enrico Di Lorenzo (éd.): L’esametro greco e latino, problemi e prospettive, Naples 2004, 85-111. Ceccarelli, Lucio: Contributi per la storia dell’esametro latino, 2 vol., Rome 2008. 36 Sphortias 7.20: peditumqu(e) equitumque ; cf. 2.123 equites peditesque , groupe métrique qui se lit chez Horace ( ars poetica 113), mais à l’intérieur de l’hexamètre (9.206 equites peditesue ) et 9.233 cesser(e) Hameryco ; cf. Satyra 5.8.86 mentisqu(e) animique , à rapprocher d’Horace, Epistula 1.14.8 mens animusque en clausule (et 4.4.61: n. 25). <?page no="29"?> Charlet, Jean-Louis: Le distique élégiaque de Beccadelli, Enea Silvio Piccolomini, Landino, Pontano, Marullo et Pacifico Massimi d’Ascoli, Studi Umanistici Piceni 30, 2010, 259-277. Charlet, Jean-Louis: Quelques observations sur l’hexamètre d’Enea Silvio Piccolomini, in: Serge Stolf (éd.): Enea Silvio Piccolomini - Pie II. Homme de lettres, homme d’Église, Grenoble 2011 (Cahiers d’études italiennes, vol. 13), 17-35. Charlet, Jean-Louis: Observations sur l’hexamètre de Marulle, Studi Umanistici Piceni 32, 2012, 225-235. Charlet, Jean-Louis: Deux manières d’écrire l’hexamètre dactylique. Tito et Ercole Strozzi, Studia Universitatis Babeş-Bolyai 59/ 3, 2014a, 123-160. Charlet, Jean-Louis: L’hexamètre épique de Juvencus à Pétrarque. Coups de sonde, in: Aline Estèves/ Jean Meyers (éd.): Tradition et innovation dans l’épopée latine, de l’Antiquité au Moyen Âge, Bordeaux 2014b, 143-164. De Keyser, Jeroen: Francesco Filelfo and Francesco Sforza. Critical Edition of Filelfo’s Sphortias, De Genuensium deditione, Oratio parentalis, and His Polemical Exchange with Galeotto Marzio, Hildesheim 2015 (Noctes Neolatinae, vol. 22). Fiaschi, Silvia (éd.), Francesco Filelfo. Satyrae I (Decadi I-V). Edizione critica, Rome 2005. Fortassier, Pierre: L’hypermètre dans l’hexamètre dactylique latin, Revue des Études Latines 57, 1979, 383-414. Fortassier, Pierre: Sur l’hypermètre. Brève mise au point, Revue des Études Latines 59, 1981, 65-68. Hellegouarc’h, Joseph: La détermination de la césure dans l’hexamètre latin, L’Information littéraire 14, 1962, 154-163. Hellegouarc’h, Joseph: La réalisation de la césure dans l’hexamètre latin, in: Jean Collard (éd.): Varron, grammaire antique et stylistique latine, Paris 1978, 383-395. Nougaret, Louis: Traité de métrique latine classique, Paris 1963. Pascual Barea, Joaquín: El hexàmetro espondiaco en la poesía hispano-latina del Renacimento, in: Anna Maria Aldama (éd.): De Roma al siglo XX, Madrid 1996, vol. 2, 819-826. Ruiz Arzalluz, Iñigo: El hexámetro de Petrarca , Florence 1991 (Quaderni Petrarcheschi VIII, Anejos de Veleia series minor, vol. 6). Solís de Los Santos, José: Sátiras de Filelfo (Biblioteca Colombina, vol. 7/ 1/ 13), Sevilla 1989. Soubiran, Jean: L’élision dans la poésie latine, Paris 1966. Soubiran, Jean: Encore sur les vers hypermètres, Revue des Études Latines 58, 1980, 126-136. L’hexamètre de Francesco Filelfo dans la Sphortias et dans les Satyrae 29 <?page no="31"?> Die Metren der Manes Monavi Caspar Cunrads (1571-1633) Dennis Pulina Caspar Cunrad kann mit Recht als ein außergewöhnlich begabter Dichter gelten und hat ebenso mit Recht bereits seinerzeit viel Ansehen für seine literarischen Arbeiten genossen. 1571 in Breslau geboren, studierte er an der Artistenfakultät in Frankfurt/ Oder, wechselte nach Wittenberg und nach Leipzig. Nach dem Erwerb des Magistergrades 1597 und Hauslehrertätigkeiten in seiner Heimat ging er zum Studium der Medizin nach Basel, wo er 1604 zum Doktor der Medizin graduiert wurde. Den Rest seines Lebens verbrachte er als Arzt in Breslau, wurde dort 1621 Stadtphysikus und starb ebendort 1633. 1 Cunrad war Förderer und Mittelpunkt des späthumanistischen schlesischen Humanismus und trat auch selbst als Dichter auf. Neben zahlreichen Epigrammen ist hier vor allem seine Prosopographia melica zu nennen, ein Werk, das ihm weitreichende Bekanntheit verschaffte. Es handelt sich dabei um einen Literaturkalender mit 3000 Distichen auf gelehrte und bedeutende Männer. Zu ihren Namen sind ihr Beruf sowie Geburts- und Todesdatum angegeben. Als - wenn auch damals nicht seltene - Auszeichnung wurde Cunrad 1601 zum Dichter gekrönt. Ein weniger bekanntes, aber höchst erstaunliches Werk sind Cunrads Manes Monavi , dem Inhalt nach eine Trauer- und Trostschrift zum Tod Jacob Monaus, der Form nach lyrische Dichtung in einer Vielzahl verschiedener und teils antik nicht belegter Maße. 2 Der Verstorbene stammte aus vornehmer und reicher Familie und war seinerzeit eine bedeutende Persönlichkeit in Breslau. 1546 dort geboren, absolvierte Monau sein Studium in Leipzig, wo er Teil der reformatorischen Bewegung und Anhänger Melanchthons wurde. Nach Aufenthalten in Genf, Padua, Wien und anderen Städten führte ihn sein Weg zurück nach Breslau, wo er „es sich leisten [konnte], beruflichen Belangen nach einem 1 Zur Vita Garber 2012; Flood 2006, 395-401. 2 Die Manes sind bei Garber 2012 nicht verzeichnet. Über Jacob Monau finden sich in neueren Werken nur wenige Informationen, obgleich er bis ins 18. Jahrhundert gut bekannt war. Für kurze Hinweise s. Melchior 1620, 389-391; Schimmelpfennig 1885, 162-163. <?page no="32"?> 32 Dennis Pulina ausgedehnten Studium nur gelegentlich und ohne großen Aufwand nachzugehen“. 3 Damals scharte er auch eine Gruppierung Reformierter um sich. Durch diese Art Mäzenatentum, aufgrund seiner Reisen und seines Aufstiegs „zu einer zentralen Figur des international agierenden Calvinismus“ kannte man ihn über die Landesgrenzen hinaus, und zwar vor allem „auf dem Weg der Kontaktpflege, des gelehrten Austausches, was vor allem hieß über den epistolaren Verkehr“. 4 Als Monau 1603 verstarb, dichtete Cunrad die Manes Monavi , womit er sich in die Tradition frühneuzeitlicher Manes -Literatur als Denkschriften an verstorbene Persönlichkeiten stellte - man denke etwa an die Manes Juniani des Janus Dousa oder die Manes Scaligeri des Daniel Heinsius. Cunrads Gedichte sind teils Klagen, teils Trostspender, sehr stark aber gibt er ihnen den Charakter von Briefen mit der Aufforderung, sich an Monau zu erinnern. Dabei sind neben Familie, Freunden und Bekannten Monaus auch mythologische Gestalten wie der Fährmann Charon, die Natur, die Stadt Breslau, Sonne und Mond oder der Tod selbst Adressaten, die jeweils mit ad und Namensnennung den Titel der einzelnen Gedichte bilden. In Ad Iohannem Iacobum Grynaeum benutzt Cunrad selbst das Wort epistolaris : Conradumque tuum, quem iam complexus amore es, / Crebro loquela vise epistolari („Suche Deinen Cunrad, den Du schon mit Deiner liebevollen Zuneigung umarmt hast, häufig mit brieflicher Rede auf “ [V. 21-22]). Neben der Form, die nebst einer expliziten adscriptio als Titulatur gelegentlich auch Abschieds-Grußworte enthält (z. B. Salue ergo, o Fili carissime! [ Ad Fridericum Filium , V. 33] oder Longos ad usque vive saluus annos [ Ad Ioh. Iac. Grynaeum , V. 20]), erweisen sich auch Appelle, Mahnungen und Handlungsanweisungen an die Adressaten als brieftypisch. 5 Als dichterisches Gesamtwerk sind die Manes Daniel Rindtfleisch (1562-1621), genannt Bucretius , Cunrads Vorgänger im Amt des Breslauer Stadtphysicus, zugeeignet. Die einzelnen Gedichte enthalten nicht nur feinsinnigen Inhalt, sondern sind auch hinsichtlich ihrer Metren bemerkenswert. Ziel dieser Arbeit ist es, anhand von vier Gedichten einen Einblick in Cunrads metrische Technik, ihre Vielfalt und Innovation zu geben. Zugrunde gelegt wird der Erstdruck von 1603. 6 Auf dem späteren Abdruck in den Delitiae poetarum Germanorum (1612, Bd. 2, 1018-1054) basiert ein wertvoller index metrorum , der im Rahmen des CAME- NA-Projektes an der Universität Mannheim angelegt wurde. 7 Dabei fehlen bis- 3 Garber 2015, 279. 4 Ebd. 285. 5 Vgl. Belke 1973, 38. 6 Die Transkription der Gedichte vereinheitlicht die sprachlichen und orthographischen Eigenheiten des Druckes nach den Lemmata des ‚Georges‘. Nur Eigennamen behalten die originäre Schreibung. 7 www.uni-mannheim.de/ mateo/ camena/ del2/ deliciae2-met.html (20.02.2019). <?page no="33"?> Die Metren der Manes Monavi Caspar Cunrads (1571-1633) 33 lang noch wenige Metren bzw. sind sie nur mit „Fancy Metre“ bezeichnet. Dieser Index soll hier zunächst vervollständigt werden: Ad Nicolaum a Burckhaus in Stoltz Tristicha aus elegischem Distichon + Adoneus Ad Iustum Lipsium Sotadeus (mit tr2 im 3. Metrum) Ad Johannem Jacobum Grynaeum Theologum Basiliensem Disticha aus daktylischem Hexameter + katalektischem iambischem Senar Ad Charontem Disticha aus katalektischem iambischem Dimeter + katalektischem iambischem Senar Manes Monavi Ad Fridericum Filium 3. archilochische Strophe Ad Theodorum, Danielem et Philippum-Jacobum Rindfleisch Bucretios, fratrem germanos Disticha aus iambischem Dimeter und katalektischem iambischem Dimeter In der Vielfalt und Kombinatorik der Metren sieht Cunrad offenkundig die Möglichkeit, den emotionalen Duktus der Gedichte formal zu unterstützen, was an den konkreten Analysen im Folgenden deutlicher werden soll. Grundsätzlich ist die Technik, verschiedene, in der Antike getrennte Metren neu zu kombinieren allerdings schon seit dem Mittelalter bekannt. 8 Da uns der daktylische Hexameter von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit in Fülle und mitsamt wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegt, soll mit der Analyse der metrischen Technik eines hexametrischen Gedichts begonnen werden. Adressat ist hier die Natur ( Ad naturam ): Ō Nātūra parēns | 3m rērūm, | 4m pūlchērrima mūndī Fōrmātrīx, | 2m quāe lārga | 3w tuō | 4m prōfūndis in Ōrbem Dōna sinū; | 2m quāe sūmma | 3w parīs, | 4m quāequ(e) īnfima; cāelī Quāe mōtūm | 2m gyrās, | 3m cāelīque quod | 4/ 5 ūspi(am) in ōrbe (e)st; Sūbter at hūnc | 2m quattuōr | 3m dīstīnguis et | 4/ 5 ēxprimis āpte Cōrpora prīncipiīs, | 3m quōrūm | 4m cōncōrdia dīscors Fōrmās prōgenerāt | 3m variās: | 4m pērfēctior īlla, Quāe Dīvīs | 2m propiōr | 3m dīvīnāe | 4/ 5 pārticul(am) āurāe Īntus habēt, | 2m fōrmāta lutō | 4m meliōre: sed īlla Ūt meliōr | 2m lōngēqu(e) | 3m aliā | 4m prāestāntior ōmnī, 10 8 Stotz 1982, 233 erwähnt das Gedicht Filia Solis , bestehend aus 22 Versen mit je einem anderen, bei Horaz vorkommenden Metrum und fügt ebd. 235, an, dass eine derartige Strophenfindung, d. i. die Zusammenfügung verschiedener lyrischer Zeilen der Antike zu einem neuen Metrum, keine Seltenheit war. <?page no="34"?> 34 Dennis Pulina Sīc brevis hē͡i | 2m āevī (e)st! | 3m Oritūr, | 4m moritūrque: diēs nam Īnterit(u) ānticipāt | 3m sōmnī | 4m soror, | 4/ 5 īn nihilūmque Nōbil(e) opūs, | 2m nihilūm | 3m fuerāt | 4m quod inānte, resōlvit. Nōn ita Cōrnīcīs, | 3m nōn Cōrv(i) | 4m it(a) inūtilis āetas; Nōn Cōrvī, | 2m nōn Āssyriāe | 4m soci(a) | 4/ 5 ābsque volūcris; 15 Nōn sērpēntigenī | 3m generīs, | 4m quōd iām seni(o) hōrrēns Ēxuviās | 2m spīnīs | 3m crēdīt, | 4m tremulāmque senēctam Cūm cute dēpōnēns | 3m iuvenēscīt | 4/ 5 cōrpore tōtō. Ō hominī, | 2m Nātūra potēns, | 4m nōn | 4/ 5 prōvida! sīcne Fāctūrāe | 2m meliōris opūs | 4m brevitāte refīngī 20 Dēbuit, ēxtrēmām | 3m dīgn(um) ēxāequāre senēctam? Sēd revocō, | 2m Nātūr(a); Hominī | 4m Tū | 4/ 5 prōvida: nāmque Quō Dīs prōximiōr, | 3m Tūt(e) hōc | 4m fēstīnius ūrgēns Hīs sociās | 2m citiūs, | 3m sēdēs | 4m ubi | 4/ 5 fāta quiētās Pārticipānt, | 2m ōmnīque | 3w carēntia | 4/ 5 gāudia fīne. 25 Īsthūc Mōnaidēs | 3m cēssīt | 4m jām, | 4/ 5 Tē duce, cāelō Dīgnus, ut īndīgnē | 3m fāctūm | 4m putet | 4/ 5 īste, vel īlle. Ērgō vīvat ibī, | 3m vigeātque: Sed, | 4/ 5 ō bona, Tū Me Āudī, quāe | 2m rogitō | 3m brevibūs | 4m quōd | 4/ 5 dēfuit ānnīs Mōnaviī, | 2m dā Būcreadāe | 4m celerēmque senēctam 30 Ād lōngōs | 2m ēxtēnde | 3w diēs, | 4m vegetūmque minīstrā Rōbur et ēvalidās | 3m prāeclār(o) | 4m īn | 4/ 5 pēctore vīrēs: Sīc qu(ae) in eūm | 2m Tib(i) opēs | 3m sūnt ēffūs(ae) | 4/ 5 āmpliter, īlle Lārgiter ēffūndēt | 3m reliqu(a) īn | 4m tua | 4/ 5 plāsmat(a), et Ōrcō Sūbtrahet ād | 2m sērās | 3m languēntia | 4/ 5 cōrpora mēssēs. 35 O Natur, Schöpferin aller Dinge, wunderschöne Weltgestalterin, die du großzügig Geschenke aus Deinem Schoß in die Welt ergießt. Du erzeugst das, was ganz oben liegt, und das, was ganz unten liegt. Du drehst die Bewegung des Himmels und was vom Himmel irgendwo auf der Erde liegt: Aber darunter unterscheidest und bringst du die Körper in geeigneter Weise nach vier Regeln hervor, von denen die zwieträchtige Eintracht verschiedene Formen erzeugt: jene ist vollkommener, welche den Göttern nähersteht und in sich einen kleinen Anteil göttlichen Hauches trägt, geformt aus besserem Schlamm. Aber jene, wenn sie auch besser und bei weitem vorzüglicher ist als jede andere, so kurz, ach, ist ihr Leben! Sie entsteht und scheidet dahin: Die Schwester des Schlafs [ mors , der Tod] nimmt das Tageslicht nämlich vorzeitig weg und löst das edle Werk ins Nichts auf, in das Nichts, das es vorher gewesen war. Nicht das Dasein einer Krähe, nicht das eines Raben ist so nachteilig; nicht das eines Raben, nicht das eines assyrischen Vogels [Phönix] ohne Gefährten an seiner Seite: Nicht das des Schlangengeschlechtes, das, wenn es schon vor Altersschwäche starr ist, seine <?page no="35"?> Haut einem Dornbusch anvertraut und, wenn es das zitternde hohe Alter mit seiner Haut zusammen ablegt, mit seinem ganzen Körper wieder jung wird. O mächtige Natur, wie wenig Fürsorge trägst du für den Menschen! Hätte das Werk eines besseren Geschöpfes nicht ebenso wegen der Kürze der Zeit wiedererschaffen werden müssen, und hätte es nicht das äußerste Alter erreichen müssen - würdig war es dem doch? Doch ich widerrufe, Natur: Du trägst Fürsorge für den Menschen! Denn weil du den Göttern näher bist, drängst du eilig darauf, den Menschen schnell mit diesen zu verbinden, dort, wo unser Geschick uns ruhigen Wohnsitz bietet und Freuden, die nie ein Ende haben. Dorthin schied Jacob Monau schon und Du hast ihn geführt, er, der des Himmels würdig war, auch wenn dieser oder jener meint, es sei zu Unrecht so gekommen. Also möge er dort leben und möge es ihm dort gut gehen: Aber, o Gute, hör mir zu, wonach ich wieder und wieder frage! Was den kurzen Jahren Monaus fehlte, gib es dem Daniel Rindtfleisch, verlängere sein schnelles Alter zu einer längeren Frist, und gib rüstige Stärke und starke Kräfte in einer so vorzüglichen Brust: Die Kräfte, die so durch dich reichlich in ihn geflossen sind, wird jener reichlich in deine übrige Schöpfung ergießen, und seinen schlaffen Körper wird er dem Tod zu einer späten Ernte entreißen. Anlass für das Verfassen des Gedichtes im Hexameter ist unter anderem die Tradition des Lehrgedichts und des Hymnos. Sowohl Metrum als auch Inhalt weisen auf Lukrez und Vergil hin. Einen Anklang an die vergilische Bukolik mag man in den Themen Natur, Schöpfung und Tod sehen. Außerdem gliedern sich 17 Verse, das sind 49% relativ zur Versanzahl, insbesondere durch bukolische Diärese. Schließlich ist auch die Jenseitsvorstellung sedes ubi fata quietas aus Vergil, Aeneis 1,208 wohlbekannt. Gegenüber der gewöhnlichen Prosodie der Antike ist festzustellen, dass Cunrad sich keine Freiheiten nimmt. Eine generelle Schwierigkeit allerdings bei der Skansion bilden frühneuzeitliche Eigennamen. Zeitgenössische Dichter scheinen aufgrund eines fehlenden Maßstabes bzw. fehlender Vorläufer hier schlicht je nach Metrum eine für sie passende Messung vorgenommen zu haben. Dies sei an zwei Beispielen illustriert: Es kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob Cunrad bei Bucreadae (V. 30) von einer Synärese ausging, da sich dieses Wort in den Manes kein weiteres Mal finden lässt. Anders verhält es sich bei Monaides (V. 26). Dasselbe Wort tritt in Ad Justum Lipsium zweifellos in den Versen 26 und 51 in daktylischer Messung Mōnă-ĭdes auf, im selben Gedicht in Vers 16 aber mit einer kurzen (! ) Binnensilbe trochäisch Mōna͡ides (siehe unten). Ebenso wird in Ad Iohannem Iacobum Grynaeum die Prosodie Monāvī verwendet, wohingegen in Ad Davidem Pareum in den Versen 1, 15 und 16 Mōnăvĭus zu skandieren ist. Abgesehen von diesen Verschleifungs- und Längendifferenzen wurden Eigennamen offenkundig nicht nur metrisch, sondern auch orthographisch flexibel dem Die Metren der Manes Monavi Caspar Cunrads (1571-1633) 35 <?page no="36"?> 36 Dennis Pulina Metrum eingepasst (vgl. Monavus vs. Monavius ). So findet sich ebenfalls in Ad Iohannem Iacobum Grynaeum in Vers 3 Rauraca gegenüber Rauriaca in Vers 19. Da gerade der Hexameter in seinem Tempo aufgrund der variablen Verwendung von Daktylen und Spondeen relativ frei ist, lohnt sich eine Analyse ihrer Verteilungen. Da Cunrad regelgemäß im fünften Versfuß einen Daktylus setzt, kann sich die Analyse auf die ersten vier Versfüße beschränken, deren 16 mögliche Kombinationen die folgende Tabelle darstellt. 9 1 dsss 21 9 dssd 14, 17, 27 2 ddss 6, 32, 33 10 ddsd 5, 12, 24 3 dsds 3, 10, 18, 19, 22 11 sdsd - 4 sdss 1, 8, 23, 26 12 dsdd 9, 11, 25, 30, 34, 35 5 ssss - 13 sssd 4 6 ddds - 14 ssdd 15, 31 7 ssds 2 15 dddd 13 8 sdds 7, 29, 16 16 sddd 20, 28 Summe 17 (48,6%) Summe 18 (51,4%) Tabelle 1: Daktylen-Spondeen-Verbindungen in den einzelnen Versen Grundlage dieser kleinen Statistik sind gerade 35 Verse, was keineswegs als repräsentativ für Cunrads Dichtung gelten kann. Allerdings bildet ein Gedicht durchaus ein Werk in sich, und insofern ist es einer Analyse wert, welche Rhythmik gerade dieser Brief aufweist und wie sie hinsichtlich antiker Vorbilder zu bewerten ist. Die in der ersten Spalte angegebenen ersten acht Muster haben in Vergils Aeneis eine relative Häufigkeit von 72,78%, in Ovids Werken immer >80% außer in den Amores (78,84%), in Horaz’ Ars poetica 65,89%. 10 Bei keinem namhaften Autor der Antike oder Spätantike tritt auch nur entfernt ein derart ausnivelliertes Verhältnis zwischen den ersten acht und den zweiten acht Mustern auf. Die zwei häufigsten Muster in Cunrads Ad naturam sind dsds (14%) und dsdd (17%). Als häufigstes Muster tritt dsds in den Argonautica des Valerius Flacchus, den Epen des Statius, sowie bei Claudian, Sidonius und weiteren spätantiken Autoren auf. Hingegen findet sich dsdd bei keinem der von Duckworth untersuchten Autoren unter den vier häufigsten Mustern. Cunrad 9 In der ersten Spalte ist der Häufigkeitsrang dieser Muster in Vergils Aeneis aufgeführt, Spalte 2 enthält das Muster und Spalte 3 dann die betreffenden Verse. Grundlage für die Häufigkeitsrangfolge bei Vergil bildet Duckworth 1969, Table 1. 10 Die Zahlen stammen aus Duckworth 1969, 74, 81; Table 1. <?page no="37"?> schafft also eine variatio , die sich bewusst von antiken Vorbildern abhebt. Trotz vieler Reglementierungen im Hexameter, deren man sich zu Cunrads Zeit sehr wohl bewusst war, kann ein Dichter seinem Werk so eine neue Melodie geben, und Cunrad bedient sich gerade der in der antiken Dichtung seltenen Daktylen- Spondeen-Verbindungen, um diese variatio zu kreieren. Nicht weniger bedeutend für den Klang eines Hexameters sind Zäsuren und Diäresen. Von ihnen finden sich in Ad naturam die klassisch hergebrachten: Trithemimeres (2m), Penthemimeres (3m) , κατὰ τρίτον τροχαῖον (3w), Hephthemimeres (4m) und bukolische Diärese (4/ 5) . 11 Die folgenden Tabellen illustrieren die jeweilige Verteilung und Kombination: # (abs.) % (rel.) 2m 21 60% 3m 25 71% 3w 5 14% 4m 26 74% 4/ 5 18 51% Tabelle 2: Einzelne Zäsuren und Diäresen 3m 1 3% 2m + 3m + 4m 4 11% 3m + 4m 6 17% 2m + 3m + 4/ 5 4 11% 3m + 4/ 5 2 6% 2m + 3w + 4/ 5 1 3% 2m + 4m 2 6% 2m + 4m + 4/ 5 2 6% 3m + 4m + 4/ 5 4 11% 2m + 3m + 4m + 4/ 5 2 6% 2m + 3w + 4m 3 9% Tabelle 3: Zäsuren- und Diäresenkombinationen 11 Die in der Antike gemiedene und seit dem 9. Jahrhundert (Klopsch 1967, 120) populär gewordene Zäsur Posthephthemimeres (5m) findet sich in den Versen 12, 16, 26 und 28 (d. i. 11%). Im Vergleich zu Vergil mit 2% (Kocks 1862, 12) muss in jedem Fall auf die sonderbare Häufigkeit hingewiesen werden. Da Cunrads Verse insgesamt aber nicht einem mittelalterlichen Hexameter ähneln, reicht diese Zahl alleine nicht aus, um ihm eine „mittelalterliche Ausformung“ des Hexameters (Klopsch 1967, 121) zu unterstellen. Weitere Bemerkungen zu 5m und ihrer Häufigkeit im Mittelalter bietet Klopsch 1967, 117-122. Die Metren der Manes Monavi Caspar Cunrads (1571-1633) 37 <?page no="38"?> 38 Dennis Pulina Die Häufigkeiten der Einzelzäsuren ähneln am ehesten Lukan (2m [51,3%], 3m [80,4%], 4m [71,7%]) und Vergils Aeneis (2m [51,5%], 3m [84,5%], 4m [75,6%]. 12 Das Verhältnis Hephthemimeres zu Penthemimeres beträgt 1,04, Trithemimeres zu Penthemimeres (gleicht fast dem zu Hephthemimeres) 0,84. 13 Solch hohe, in der lateinischen Antike nicht zu findende Verhältnisse sagen schlicht aus, dass keine Zäsur maßgeblich vorherrschend ist. In der Ausgewogenheit der Zäsuren gelingt Cunrad eine variatio , die man mit der Ausgewogenheit der Natur, die die Adressatin des Gedichtes ist, in Verbindung bringen kann. Im Wissen um die antike Rhythmik des Hexameters und mit ausreichendem Selbstbewusstsein erzeugt Cunrad situationsbezogen eine ganz neue und andere Färbung des Metrums. Einen weiteren Einblick in Cunrads Dichtung soll ein Gedicht an Justus Lipsius (1547-1606) geben. Beim Metrum handelt es sich um einen Sotadeus, also einen brachykatalektischen ionischen Tetrameter a maiore , wobei hier - wie nicht selten in der antiken lateinischen Dichtung - durch Anaklase ein Ditrochäus an die Stelle des dritten Ionicus tritt. Dieses Versmaß findet sich z. B. bei Ennius, Plautus, Petron und Martial. Līpsī, tuus īll(e), īlle tuūs Monāvus, īlle Mūsārum amor ēt Phōeb(i), Aretēsque, māgnus īlle Fāmāe Geniūs, Dūdithi(o) | 2/ 3 ēt Cratōn(i) honōris Pār nōminequ(e) ātqu(e) īngeniī vegēnte nīsu: Īll(e), īnqu(am), amor īngēns tuus, | 2/ 3 ūnic(a) īll(a) et ūna, 5 Gērmānāe Fideī glōria, | 2/ 3 sīdus āequitātis Ēx Ēlysiā tērre(a) abīvit īn beātam Īll(am) Ēlysiām, Cēlit(um) ubī perēnnitātes Sūnt pērpetuāe, gāudiaqu(e) | 2/ 3 ātque gāudiōrum Īndīvidu(i) īllī comitēs, amōr, volūptas, 10 Rīsūs sine plānctū, sine | 2/ 3 lūct(u) amōenitātes: Mēntēs ubi māgn(ae) āccipiūnt suī labōris Hē͡ic prōmeritūm prāemi(um), et | 2/ 3 īn beātitātis Īll(a) ārce beātī clueūnt serēnitāte Āetērn(a) animās īnter Olȳmpicās micāntēs. 15 Īllūc abiīt Mōna͡ides, | 2/ 3 ēt morātur īllē͡ic Nōs, quōtquot in hōc cūrrimus | 2/ 3 ōrbitātis ōrbe, Pērfēct(um) ubi nīl, nīl propriūm, nihīl perēnne; Sēd flūxa, sed īnfīrm(a), et ināni(a) ōmni(a) ātque 12 Die Zahlen stammen aus Thraede 1978, 63. 13 Zu den Verhältnisangaben ebd. 64-65. <?page no="39"?> Vēnt(i) īnstar et ūmbrāe tenuīs. Modō qu(ae) obōrta 20 Mōrtī prope sūnt, hērbula | 2/ 3 cēu tenēlla cāmpī, Quāe sōl(e) oriēnt(e) ēxoritūr, cadīt cadēnte, Āc īn nihilūm, cēu nihilūm fuīt, recēdit. Ēt nōs obit(um) hūnc, āut abitūm magīs beātum Plōrēmus adhūc, ēt lacrumīs ben(e) ēxpedītum 25 Tīngāmus itēr Mōnaidāe? Qu(i) abīvit hērcle Dāmn(o) hāut sine māgn(o) Āoniāe sodālitātis: Āt nēc sine māgn(o) āetheriāe sodālitātis Ādplāus(u) et amīc(a) ūndique | 2/ 3 grātulātiōne. Mēns lōng(e) aliā (e)st, Līps(i), animī Tibī, metāllō 30 Cūi dē meliōrī meliōr Deūs cerēbrum Cōnflāvit, et īn Mūsipotēns tuī sacēllum Fūdīt capitīs. Fāt(o) abiīt, quod āevitērnum Āetērn(o) ab in āev(um) ōmnia | 2/ 3 dīrigīt regēndō. Hūic vēlle renīt(i); hūic aliquīd vel ōbrogāre, 35 Vēl vēll(e) aliquā quīd ratiōne dērogāre, Ēst stūltitiāe, (e)st īmpietātis. Hāut valēmus Mūtāre, semēl quōd statuīt Deī volūntas. Ērgō potiūs, quōd Deus | 2/ 3 īpse vūlt, velīmus. Ēt cārcere͡o dē pūlvere | 2/ 3 cōrporīs solūtāe 40 Cēlēst(i) animāe cāel(i) habitācla grātulāntēs, Quōd trīstitiāe nōstr(o) anim(o) | 2/ 3 hīnc manēt, levēmus, Cōmmūn(em) ibi nōbīs eti(am) | 2/ 3 ēsse mānsiōnem, Ād qu(am) īlle praeīvīt, cito | 2/ 3 quāmque nōs petēmus. Īst(am) īps(i) igitūr quīn requi(em) | 2/ 3 īnterīm sināmus, 45 Hāncqu(e) ād requi(em) īst(a) īnquietūdin(e) ādparāntēs, Quāe dēvia, quāequ(e) āvia | 2/ 3 mānsiōn(e) in īsthāc, Vītēmus, et ūn(o) īntuitū legāmus ūnam Īllhāncce viām, quām reparāvit īlle nōbis, Quīqu(e) īpsa viā (e)st, vītaque | 2/ 3 qu(i) īpsa, vēritāsque. 50 Hāc Mōnaidēs trānsiit; | 2/ 3 hācce trānseūndum Nōbīs etiām, quōtquot in | 2/ 3 hāc viā labōrum Stāmūs miserī. Cōnstituāmus ērgo nōstra Sīc pēctora nē fōrs metuāmus āntra mōrtis Squālēntia, quāe iānua | 2/ 3 sūnt ad āevitātem. 55 Die Metren der Manes Monavi Caspar Cunrads (1571-1633) 39 <?page no="40"?> 40 Dennis Pulina Lipsius, Dein Freund, jener, jener, Dein Jacob Monau, jene Liebe der Musen und Apollons und der Tugend, jener große Geist der Fama, der Dudith und Craton 14 an Ehre und Namen gleichauf war, und dessen Geist immer lebhaft beschwingt war: Jener, sage ich, Dein außerordentlicher Freund, jener einzigartige und einzige Ruhm des deutschen Glaubens, ein Stern der Gerechtigkeit, ging aus dem irdischen Elysion in jenes glückselige Elysion, wo die Ewigkeit der Himmelsbewohner beständig ist, die Freuden und jene einzelnen Begleiter der Freuden, die Liebe, die Lust, das Lachen ohne Schmerz und der Liebreiz ohne Trauer: Wo die großen Seelen hier den verdienten Lohn ihrer Mühe erhalten und in jener Burg der Glückseligkeit glückselig genannt werden wegen der ewigen Heiterkeit unter den glänzenden Seelen des Olymp. Dorthin schied Jacob Monau und wartet dort auf uns, uns alle, die wir auf dieser verwaisten Erde laufen, wo nichts Vollkommenes, nichts Eigentümliches und nichts Ewiges existiert, sondern nur alles Flüchtige, Schwache und Leere, das dem Wind und einem zarten Schatten gleicht. Was gerade entstand, ist schon dem Tod nahe, wie das ganz zarte junge Gras auf dem Feld, das mit dem Sonnenaufgang entsteht und mit ihrem Untergang zu Boden sinkt und ins Nichts, wie es Nichts war, zurückgeht. Und wir beweinen diesen Tod oder eher glücklichen Fortgang noch und benetzen den gut gebahnten Weg Jacobs mit Tränen? Bei Hercules, dieser ging nicht ohne großen Schaden für die Gemeinschaft der Musen: Aber er ging auch unter großem Beifall der Gemeinschaft im Himmel und ihrer freundschaftlichen Freudesbekundung all überall. Das Denken Deines Geistes, Lipsius, ist ein ganz anderes, Du, dem ein besserer Gott einen Sinn aus besserem Metall zusammengeschmolzen und in das musenmächtige Heiligtum Deines Kopfes ergossen hat. Er ging gemäß seinem Schicksal fort, das ewig ist und von Ewigkeit zu Ewigkeit in seiner Herrschaft alles lenkt. Es zeugt von Dummheit und von Gottverlassenheit, sich ihm widersetzen zu wollen, ihm irgendetwas entgegenzustellen oder etwas aus irgendeinem Grund wegnehmen zu wollen. Wir sind nicht in der Lage, etwas zu verändern, was der göttliche Wille einmal beschlossen hat. Also lasst uns lieber das wollen, was Gott selbst will. Und indem wir uns für die himmlische Seele, die von der kerkerhaften Asche des Körpers befreit ist, wegen ihrer Wohnstatt im Himmel freuen, lasst uns das, was in unserem Geist an Traurigkeit übrigbleibt, damit lindern, dass auch für uns dort ein gemeinsames Haus steht, zu dem jener vorausging und zu dem auch wir schnell hineilen wollen. Lass uns also in der Zwischenzeit selbst jene Ruhe zulassen und uns für diese Ruhe durch unsere Unruhe bereitmachen. Lass uns das meiden, was vom Weg abführt und was in diesem Haus abgelegen ist, und lass uns mit einem Blick jenen einen Weg auswählen, welchen jener für uns erneuert hat, der der Weg selbst ist und der das Leben selbst ist und die Wahrheit. Auf diesem Weg ging 14 Andreas Dudith (1533-1589), Humanist und Reformierter, der seinen letzten Lebensabschnitt in Breslau verbrachte, und Crato von Krafftheim (1519-1585), Humanist und Arzt in Breslau. <?page no="41"?> Jacob hinüber; von hier müssen auch wir hinübergehen, wir alle, die wir auf diesem Weg der Mühen elend stehen. Richten wir unsere Herzen also so aus, dass wir nicht etwa schmutzige Höhlen des Todes fürchten, die (eigentlich) Tore zur Ewigkeit sind. Zunächst muss der Aufbau der Verse 6 und 40 erläutert werden, die je eine Länge zu viel zu enthalten scheinen. In Vers 6 besteht der erste Ionicus a maiore aus drei Längen und zwei Kürzen ( Gērmānāe fide | ī ). Mit keiner versimmanenten Argumentation kann diese Länge begründet werden, vielmehr stoßen wir hier auf ein Phänomen, das nur die griechische Dichtung kennt. Dort konnten Eigennamen, die nicht ins Metrum passten, ausnahmsweise an den Anfang gesetzt werden, wodurch der erste Versfuß zu lang wurde, so beispielsweise geschehen beim griechischen tragischen iambischen Trimeter, wo ein Anapäst am Anfang zulässig war. Daran wird sich Cunrad bei der Nationalitätsangabe ein Vorbild genommen haben. Eine ähnliche Problematik findet sich im zweiten Versfuß von Vers 40, der zunächst naiv gemessen cārcere | ō dē pūlvere | lautet, das wäre mit drei Längen und zwei Kürzen im Versfuß. An dieser Stelle wird man eine Synärese in der Endsilbe zu vermuten haben: cārcere͡o . Anschließend tritt aufgrund der nachfolgenden Hebung eine Iambenkürzung dieser Endsilbe ein, sodass ēt cārcere͡o dē pūlvere sich ins Metrum fügt. Elisionen finden sich auf 55 Versen insgesamt 65, was 118% relativ zur Versanzahl entspricht. Dieses Verhältnis muss schon erstaunen. Hermann stellte in seinen Analysen römischer Dichter „ein [im Laufe der Zeit] mehr und mehr sich steigerndes Streben [heraus], die Elision bei Anwendung der Sprache für die Poesie möglichst zu vermeiden“. 15 Zur Synalöphe in mittelalterlicher, lateinischer Dichtung konstatiert Klopsch: „Der […] Gebrauch […] ist bereits bei Ovid auf ein Mittelmaß reduziert (Met. 19,7%); und es spricht für die Einfühlung und den Geschmack der besten Dichter des 12. Jh., daß sich die Synalöphenhäufigkeit bei ihnen in der gleichen Größenordnung hält.“ 16 Einen Erklärungsansatz für eine so hohe Anzahl an Elisionen liefert vielleicht abermals der Blick auf die inhaltliche Ebene, bzw. hier auf den Adressaten, Justus Lipsius. Dieser habe, so unterrichten uns zeitgenössische Quellen, in seinem Latein zunächst einen klassisch-ciceronianischen Stil gepflegt, sich in seinem Ausdruck dann aber Tacitus und dessen brevitas verschrieben. 17 Die zu beobachtende Elisionenhäufigkeit mag diesen (gelegentlich auch mit obscuritas verbundenen) brevitas -Stil des flämischen Phi- 15 Hermann 1863, 3-32, hier: 13. Ebd. 9-13 wird eine nach Dichtern geordnete Liste gegeben, die die Anzahl der damals bekannten Verse sowie die Anzahl der Elisionen und ihr resultierendes Verhältnis in Prozent angibt. 16 Klopsch 1972, 79. Dort ebenfalls: „Zwischen diesen Höhepunkten der Beliebtheit der Synalöphe liegen Zeiten und herrschen Strömungen, in denen der Gebrauch der Synalöphe eingeschränkt oder sogar strikt gemieden wird.“ 17 Multhammer 2014, 144-146. Die Metren der Manes Monavi Caspar Cunrads (1571-1633) 41 <?page no="42"?> 42 Dennis Pulina lologen widerspiegeln, ob aber als Hommage oder als Spott, sei dahingestellt. Da Lipsius sich im Übrigen als Plautus-Editor einen Namen gemacht hat, bleibt zuletzt noch zu vermuten, dass Cunrad deshalb den seltenen Sotadeus wählte, wie er in ein paar Versen bei Plautus vorhanden ist, z. B. Amphitryon 168. Aus demselben Grund wird er auch die archaisierenden Formen illhancce (V. 49) und hacce (V. 51) gewählt haben. In Bezug auf die Verstechnik mangelt es der Forschung an aussagekräftigen Analysen, Statistiken und Vergleichen des Sotadeus, was zweifelsohne dem spärlichen Material geschuldet ist. Die einzige ausführlichere Untersuchung dazu hat Hermann geleistet. 18 Darin kommt er nach der Analyse griechischer Dichter zum Schluss, dass ein solcher Vers aus zwei Teilen bestehe und eine Diärese nach dem zweiten Versfuß vorliegen müsse. 19 Der Vollständigkeit halber ist diese im Text kenntlich gemacht: 22 Verse werden durch sie gegliedert, d. i. 40%. Diese geringe Anzahl an 2/ 3-Diäresen bzw. die bis zu sieben Versen umfassenden Abschnitte ohne Einschnitt sowie die über 100 weiteren Möglichkeiten für Zäsuren und Diäresen, die in diesem Text gegeben sind, sprechen dafür, dass Cunrad weitere Einschnitte im Sinn hatte. Eine bloße Aufzählung der Möglichkeiten und Häufigkeiten bringt für sich gesehen an dieser Stelle jedoch keinen Ertrag und so wird darauf verzichtet. Wenden wir uns dem nächsten Gedicht zu. Die Manes Monavi ad Fridericum Filium sind an Jacob Monaus Sohn Friedrich Monau (1592-1659) adressiert. Ō Fīl(i)! ō dūlcīs | 3m Fīlī Friderīc(e)! o ēxpetīta Meī volūptas | 3w ēt favīssa cōrdis! Ēn ego sūspirāns, | 3m mōrtī prope, | 4/ 5 dīssolūtiōnem Mūndī subīntrō | 3w sēmit(am) | 4w ūnivērsī: Ātqu(e) ēxāntlātōs | 3m pōst cūrriculī meī labōrēs 5 Fruī beātā | 3w gāudeō quiēte. Āt Tū mī Fīlī | 3m cārīssime, | 4/ 5 Pātre dēstitūtus Nē plānge mūltūm, | 3w quēstibūsque mēstīs Tē cruciā: Tibi Jōva Patēr: dabit | 4/ 5 īs rogātus ōmne, Vītāe quod hūius | 3w pōstulābit ūsus. 10 Nōn tibi dīvitiās, | 3m nōn rūra, bovēs, ovēs rēlīnquo; Tagōve lēct(a) in | 3w āureō metālla: Sēd vītāe fāmāeque decūs, quod abūnd(e) in ūnivērsō Vigēre cērnes | 3w ēt virēre mūndō. Tū modo fāc, mea quō | 3m vēstīgia | 4/ 5 pōne cōnsecūtus 15 18 Hermann 1816, 448-463, zu den lateinischen Autoren nur 453-461. 19 Ebd. 451. <?page no="43"?> Nātūs bonī bonus | 3w āudiās Parēntis. Sīs pius īnprīmīs; | 3m venerāre supērstitēm parēntem; Verēre Pātris | 3w ērgo | 4w cōnstitūtōs Tūtōrēs Tibi prōmeritōsque suō labōr(e) honōrēs Cūm dēbit(a) īllīs | 3w ēxhib(e) | 4w ōbsequēla. 20 Ēt Prāecēptōrēs | 3m adamāns sapiēntiām requīre, Quāe sōla T(e) ōmni | 3w grātiā beābit. Līnque malūm; sēctāre bonūm; pedis | 4/ 5 ōrbitām tuīque, Ōmnēsque vīt(ae) ēxāmin(a) | 4w āctiōnēs. Sīc Tibi dīa Salūs | 3m aderīt; Tibi | 4/ 5 sīc necēssitātī 25 Erīt quod, hāut quīd | 3w dēfiēt bonōrum. Mītt(e) erg(o), ō Fīlī, | 3m mītt(e) ō lacrumāsqu(e) et ēiulātūs! Diūque cār(o) hāut | 3w īnvidē Parēntī Ōptātām requiēm: | 3m quīn hōc Mihi | 4/ 5 fāc vel ūltimūm dēs, In Tē Mihī quō | 3w vīta | 4w lōnga sūbsit 30 Vīrtūtīsque tuāe, | 3m vītāeque decēntis ādparātū, Quāe sōla nōs leth(i) | 3w ēximūnt tenēbrīs. Sālu(e) erg(o), ō Fīlī | 3m cārīssime! | 4/ 5 sālu(e) o! ātque lōngum Valēns, patērna | 3w iūssa | 4w nē relīnque. O Sohn! O liebreizender Sohn Friedrich! O meine Wonne, nach der ich gesucht habe, O tiefste Kammer meines Herzens! Ach, dem Tode nahe ersehne ich meine Auflösung und begebe mich auf den Weg, den die ganze Welt nimmt. Und ich freue mich darauf, nach den Mühen, die ich in meinem Leben ausgehalten habe, glückselige Ruhe zu genießen. Aber du, mein liebster Sohn, verlassen vom Vater, klage nicht viel, quäle dich nicht mit traurigem Jammer: Gott ist dein Vater, er wird dir, wenn du ihn bittest, alles geben, was dieses Leben fordern wird. Ich lasse dir keine Reichtümer, keine Ländereien, keine Ochsen und keine Schafe zurück noch im goldenen Tajo geschöpftes Metall: Aber die Zierde des Lebens und eines guten Rufes, die du in Hülle und Fülle auf der ganzen Welt blühen und gedeihen siehst. Du aber handle so, dass du, wenn du meinen Spuren hinterhergefolgt bist, als guter Sohn eines guten Vaters giltst. Sei vor allem fromm; verehre das, was von deinem Vater überlebt. Achte die Vormunde, die er für dich eingesetzt hat, und eweise ihnen mit geschuldetem Gehorsam die Anerkennung, die sie sich sich durch ihre Mühen verdient haben. Und in der Liebe zur Weisheit, welche alleine dich mit aller Gnade glücklich machen wird, suche dir Lehrer. Lasse das Schlechte hinter dir, folge dem Guten; Prüfe den Lauf deines Fußes und alle Taten deines Lebens. So wird dir das göttliche Heil zuteilwerden; und so wird dir das, was an Gutem nicht mangelt, zu einer Notwendigkeit werden. Lass also, Sohn, lass Tränen und Seufzer sein! Sei nicht lange böse auf die von deinem lieben Vater gewünschte Die Metren der Manes Monavi Caspar Cunrads (1571-1633) 43 <?page no="44"?> 44 Dennis Pulina Ruhe: Nein, tu dies für mich und gib es mir als Letztes, damit mir in dir ein langes Leben zuteil wird durch den Glanz deiner Tugendhaftigkeit und deines rechten Lebens. Sie allein entreißen uns den Schatten des Todes! Lebe also wohl, o liebster Sohn, lebe wohl und bleibe lange gesund, lass die Anweisungen des Vaters nicht hinter dir! Hier liegt die dritte archilochische Strophe vor, ein Distichon aus Archilochius maior , d. i. vier Daktylen + drei Trochäen im ersten Vers, und katalektischem iambischem Trimeter im zweiten. Unter den prosodischen Auffälligkeiten ist zunächst auf dēfiēt (V. 26) hinzuweisen, dessen klassische Messung dēfīēt lauten müsste. Dass Cunrad irrtümlich von Vokalkürzung ausging, ist aufgrund der spärlichen Verwendung des Verbs in der lateinischen Dichtung der Antike aber nicht verwunderlich. In der Metrik ist die Auflösung des zweiten Versfußes in Vers 16 zu einem Anapäst ungeläufig. In Horaz’ Oden 1,4, das ebenfalls in der dritten archilochischen Strophe verfasst ist, enthalten keine der Verse in katalektischem iambischem Trimeter eine derartige Auflösung. Cunrad hat dies vermutlich unbewusst von den Dramatikern übernommen. Da er sonst, abgesehen von seltenen Spondeen, reine Iamben verwendet, wird er diesen Anapäst schon als ungewöhnlich wahrgenommen, aber um des Polyptotons willen eine Ausnahme gemacht haben. Der Archilochius maior hat eine reguläre männliche Zäsur im dritten Daktylus sowie eine Diärese nach dem vierten Daktylus. Die regulären Zäsuren des iambischen Trimeters sind die Penthemimeres im dritten Fuß sowie die Hephthemimeres im vierten Fuß. Eine Auswertung führt zu folgenden Ergebnissen: katal. ia3 # % (/ 17) Archilochius maior # % (/ 17) 3w 16 94% 3m 3 76% 4w 6 35% 4/ 5 8 47% 3w + 4w 5 29% 3m + 4/ 5 6 35% Tabelle 4: Zäsuren und Diäresen in der 3. archilochischen Strophe In Horaz Oden 1,4 findet sich in jedem Archilochius sowohl Diärese als auch Zäsur, im iambischen Vers findet sich in allen Versen die Penthemimeres sowie in zwei Versen, d. i. 20%, Hephthemimeres. Horaz diente Cunrad offenbar weniger als Vorbild als vielmehr als Anreger und Inspiration. Dass dieses im Lateinischen seltene Metrum jedoch durch das Mittelalter und bis in die Frühe Neuzeit bekannt war, ist auch dem „bedeutendste[n], kunstvollste[n], universalste[n] frühchristliche[n] Dichter“ 20 zu verdanken, Prudentius, der zu den 20 Curtius 1948, 59. <?page no="45"?> wichtigsten Schulautoren im Mittelalter gehörte und für einen theologischen Gelehrten wie Cunrad noch genauso viel bedeuten musste. Der zwölfte Hymnus seines Peristephanon , d. i. die Passio Apostolorum [sc . Petri et Pauli ] besitzt genau dieses Metrum. 21 Die Zahlen zu den Zäsuren lauten wie folgt: 3m (97%), 4/ 5 (82%), 3w (100%), 4w (10%). Das lateinische Mittelalter verwendet das Metrum kaum. Norberg führt als prominentes Beispiel das Sanctum simpliciter patrem Fulberts von Chartres auf, 22 das folgende Einschnitte enthält: 3m+4/ 5 (100%), 3w (100%), 4w (33,3%). Diese Zahlen entsprechen ziemlich gut denen des Horaz. Dass ein Bischof im ausgehenden Frühmittelalter sich mehr an Horaz hält als an Prudentius, unterstreicht mindestens, dass Cunrads freierer Umgang mit den Einschnitten ungewöhnlich ist, vielleicht sogar neu. Wieder ist hier allerdings die nachantike lateinische Literatur zu wenig aufgearbeitet, um eine fundierte Einschätzung vornehmen zu können. Abschließend sei noch auch auf die Elisionen in Cunrads Gedicht hingewiesen, 21 an der Zahl, was 62% entspricht. Dieses Verhältnis steht in einem krassen Widerspruch zu Horaz, da niemand anders als er „mehr danach strebte, die Elision zu vermeiden, und [niemand anders] dies mit grösserem Erfolg that“. 23 Will man den Synalöphen bei Cunrad einen inhaltlichen Sinn geben und sie nicht bloß auf Nachlässigkeit zurückführen, könnte man an die lautmalerische Abbildung eines schluchzenden Silbenverschluckens denken. Als letztes Gedicht soll hinsichtlich seiner Form Ad mortem in diese Untersuchungen einbezogen werden, wobei hier nur die ersten vier von insgesamt 16 Versen zitiere: Mors fera dic, per iras Te tuas oro, Monavum cur properas necando Perdere? cur perennem Invides vitam cupido nominis atque famae? Grausamer Tod, sag, ich bitte dich bei deiner Wut, warum beeilst du dich, Monau umzubringen? Warum neidest du ihm, der nach Namen und Ansehen strebte, ewiges Leben? Das Gedicht ist metrisch nicht nur an der zweiten (oder „größeren“) sapphischen Strophe, bei der zweimal auf einen Aristophaneus ein Sapphicus maior folgt, von Horaz, Oden 1,8 orientiert, sondern ist - abgesehen von den syllabae ancipites am Versende - dazu metrisch kongruent. Die beiden Gedichte haben nicht nur 21 Metrische Analyse nach der Edition von Cunningham (Prudentius 1966), 379-381. 22 Norberg 1958, 84. Metrische Analyse nach der Edition von Migne (Fulbert 1880), 350. 23 Hermann 1863, 14. Ebd. 14-15 wird eine Übersicht über die genaue Anzahl an Elisionen in den verschiedenen Werken des Horaz gegeben. Die Metren der Manes Monavi Caspar Cunrads (1571-1633) 45 <?page no="46"?> 46 Dennis Pulina je Vers dieselben Längen und Kürzen, vielmehr auch dieselben Zäsuren und Diäresen, nämlich eine Zäsur in der zweiten sowie eine Diärese in der vierten Hebung. Auf den ersten Blick ist an eine klassische Horaz-Parodie zu denken, ein damals populäres Genre, das Cunrad auch selbst gepflegt hat. 24 Und in der Tat haben die beiden Gedichte inhaltlich mehr als nur Berührungspunkte: Oden 1,8 handelt von einem Jüngling, der von Liebe zu einer gewissen Lydia besessen, seine Männlichkeit aufgibt und völlig verweichlicht. Das lyrische Ich stellt dann an Lydia die Frage, woher dieses Verhalten rührt. In Cunrads Gedicht ist der Tod der Adressat, der erklären soll, warum er Jacob Monau der Welt entrissen hat. Trotzdem kann man nicht umhin, einen weiteren potenziellen Grund für diese metrische Nähe auszumachen. Da Cunrad dieses seltene Metrum abgesehen von Oden 1,8 ganz unbekannt gewesen sein dürfte, hat er wohl jegliche Veränderungen vermieden. Vor und nach Horaz hat die zweite sapphische Strophe in der lateinischen Literatur der Antike keine Anwendung gefunden. Nur ganz selten ist sie im Mittelalter zu finden, Stotz verneint für die Zeit einen „lebendige[n] Besitz“ 25 der größeren sapphischen Stophe. Derart unkundig, stand Cunrad nur eine so detailgetreue imitatio offen . Cunrads metrisch vielfältige Manes zeugen von einer präzisen Kenntnis antiker griechisch-lateinischer Metren, insbesondere lyrischer. Ihm gelingt es, durch seine metrischen Variationen für jedes Gedicht und jeden Adressaten einen einzigartigen Ton anzustimmen, der den Inhalt der Trauer unterstützt. Dabei lässt sich auch ein Sinn für metrische Innovationen erkennen, der aus seiner Kenntnis nicht nur der metrischen Traditionen der Antike, sondern auch ihrer Entfaltung bis in seine Zeit entspringt. Wie einst Horaz sich nach dem genauen Studium der griechischen Dichter Freiheiten hatte herausnehmen können, die dem Lateinischen unbekannt waren, vermochte das auch Cunrad für seine Zeit. Die Manes sind ein gutes Beispiel dafür, dass eingehendere Studien zur Metrik neulateinischer Lyrik ein Desiderat sind. Sie könnten zeigen, wie einerseits Inhalt und Form verbunden ist und wie andererseits der antike metrische Maßstab nicht immer einfach auf neulateinische Gedichte übertragen werden kann. 24 Ad Horatii Flacci Melpomenen Parodiarum Heptas, Liegnitz 1605; Parodiarum Ad Horatii Flacci Melpomenen Variorum Auctorum, et argumenti varii Centuria Integra, Oels 1606 (mit sechs Beiträgen von Cunrad; 2. Aufl. Leipzig 1614); Ad Q. Horatii Flacci Odarum Librum I[-II]. Parodiae, Oels 1609/ 10. Wie die Manes sind diese Sammlungen jeweils Daniel Rindtfleisch gewidmet. 25 Stotz 1982, 20. Dort weiterhin: „Nach Hor.carm. 1,8 kommt sie, im Wechsel mit Aristophaneen, vor: Metell. Quir. 9/ 9a; Iohannes de Garlandia, Petria, ed. Lawler, 7,1704-12, S. 208; ferner in der Renaissance.“ <?page no="47"?> Literaturverzeichnis 1. Primärtexte Cunrad, Caspar: Jacobi Monavi Viri Clariss. Manes Ad Nobilis. Dn. Daniel. Rindfleisch Bucretium, Patritium Et Physicum Vratisl., Liegnitz [1603]. Fulbertus Carnotensis: Opera omnia, herausgegeben von Jacques Paul Migne, Paris 1880 (Patrologia Latina, Bd. 350). Melchior, Adam: Vitae Germanorum, Heidelberg 1620. Prudentius, Aurelius: Carmina, herausgegeben von Maurice P. Cunningham, Turnhout 1966 (Corpus Christianorum. Series Latina, Bd. 126). 2. Sekundärtexte Belke, Horst: Literarische Gebrauchsformen, Düsseldorf 1973 (Grundstudium Literaturwissenschaft, Bd. 9). Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1948. Duckworth, George Eckel: Vergil and Classical Hexameter Poetry. A Study in Metrical Variety, Ann Arbor 1969. Flood, John L.: Poets Laureate in the Holy Roman Empire. A Bio-Bibliographical Handbook, Bd. 1, Berlin 2006. Garber, Klaus: Cunrad (Conradus), Caspar, in: Wilhelm Kühlmann u. a. (Hg.): Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon, Bd. 2, Berlin 2012, 75. Garber, Klaus: Reformierte Mentalität und literarische Evolution. Aspekte kultureller Disposition der nobilitas literaria Silesiae im europäischen Kontext, in: Joachim Bahlcke/ Irene Dingel (Hg.): Die Reformierten in Schlesien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Altpreußischen Union von 1817, Göttingen 2015 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Abendländische Religionsgeschichte, Bd. 106). Hermann, Friedrich Carl: Die Elision bei den römischen Dichtern, in: Jahresbericht über die Königstädtische Realschule, Berlin 1863, 3-32. Hermann, Gottfried: Elementa doctrinae metricae, Leipzig 1816. Klopsch, Paul: Pseudo-Ovidius de vetula. Untersuchungen und Text, Leiden 1967 (Mittellateinische Studien und Texte, Bd. 2). Klopsch, Paul: Einführung in die mittellateinische Verslehre, Darmstadt 1972. Kocks, Wilhelm: De caesura versus hexametri poetarum Latinorum, quae est post quinti pedis arsim, Köln 1862. Multhammer, Michael: Was ist eine „natürliche Schreibart“? , in: Aufklärung. Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte 25 (2014), 133-158. Norberg, Dag: Introduction à l’étude de la versification latine mediévale, Stockholm 1958 (Acta Universitatis Stockholmiensis, Bd. 5). Die Metren der Manes Monavi Caspar Cunrads (1571-1633) 47 <?page no="48"?> 48 Dennis Pulina Schimmelpfennig, Adolf: Monau, Jacob, in: Allgemeine Deutsche Biographie 22, 1885, 162-163. Stotz, Peter: Sonderformen der sapphischen Dichtung. Ein Beitrag zur Erforschung der sapphischen Dichtung des lateinischen Mittelalters, München 1982 (Medium Aevum, Bd. 37). Thraede, Klaus: Der Hexameter in Rom. Verstheorie und Statistik, München 1978. <?page no="49"?> Verfehlte Klassik oder neue Normen in der Metrik des neulateinischen Dramas? Jürgen Blänsdorf Forschungen zur neulateinischen Dichtung haben bisher selten die Metrik in den Blick genommen. Dies gilt insbesondere für die Metrik des Dramas. 1 Zu offenkundig ist die generelle Nachahmung der Tragödien Senecas und zu bedauerlich die Unfähigkeit der neulateinischen Komödiendichter, die Polymetrie des Plautus, ja selbst die iambischen Senare des Terenz zu reproduzieren. Auf diese beiden Feststellungen lassen sich die Behandlungen der neulateinischen Tragödien und Komödien in den Standardwerken zusammenfassen. 2 Schon von der frühen Kaiserzeit an hatten die Metriker Anlass zu dem Hinweis, dass die lateinischen Dramen tatsächlich in Versen geschrieben seien. 3 Asmonius lehrte den Unterschied zwischen den iambischen Trimetern der Tragödien und den der 1 Vgl. Ijsewijn 1977, 259. Bezeichnend ist, dass der mit „Metrica umanistica“ betitelte Aufsatz von Perosa 1952 nicht mehr als drei Seiten umfasst. Ijsewijn/ Sacré 1998, 254-261. Einen Fortschritt stellt Ford 2014, 63-74 dar, bleibt aber mit 12 Seiten für das gesamte Gebiet immer noch zu knapp. 2 Cloetta 1890; Creizenach I, 1911; Sanesi 1954; Perosa 1965; Herrick 1965; Stäuble 1968, 150-153; Musumarra 1972; Stäuble 1976; Braden 1985; Ijsewijn/ Sacré 1998; Ford 2014. In dem thematisch umfangreichen Sammelband von Bloemendal 2008 findet sich nichts zur Metrik. Bradner 1957, 55-70 verzeichnet alle lateinischen Dramen vor 1650. Da viele der neulateinischen Dramen noch unediert sind, erlaube ich mir den Hinweis auf die Textcorpora der Mannheimer CAMENA und der Poeti d’Italia (www.poetiditalia.it/ public/ indici/ autori/ scelta). 3 Caesius Bassus fr. 5 Mazzarino: Mensuram esse in fabulis, hoc est metron, Terenti et Plauti et ceterorum comicorum et tragicorum dicunt hi: Cicero, Scaurus, Firmianus, Varro, Victorinus, Caesius Bassus; Priscianus, De metris fabularum Terentii liber , Grammatici Latini [im Folgenden: GLK] III,418-429, p. 418: Cum non solum Terentius, sed etiam Plautus et Ennius Acciusque et Naevius atque Pacuvius Turpiliusque et omnes tam comoediae quam tragoediae veteris Latinae scriptores eodem metri modo iambici sunt usi, ut omnibus in locis indifferenter ponerent quinque pedes, id est iambum vel tribrachum vel anapaestum vel dactylum vel spondeum, absque postremo loco, in quo vel iambum vel pyrrichium omnimodo posuisse inveniuntur; miror quosdam vel abnegare esse in Terentii comoediis metra vel ea quasi arcana quaedam et ab omnibus doctis semota sibi solis esse cognita confirmare. Quorum ut vel imperitiae vel arrogantiae vitium effugiamus, breviter de supra dictorum metris auctorum exponamus, testimoniis etiam metricorum usumque approbationibus utentes. <?page no="50"?> 50 Jürgen Blänsdorf Umgangssprache näheren iambischen Senaren der Komödien. 4 Doch die von ihnen formulierten Regeln befähigten die Komödiendichter der Renaissance nicht, sie korrekt anzuwenden. Noch Erasmus von Rotterdam sah sich genötigt, der Meinung zu widersprechen, die antiken Komödiendichter und besonders Terenz hätten keine metrischen Regeln befolgt oder sich so viele Freiheiten erlaubt, dass es die Mühe nicht lohne, sie zu untersuchen. 5 Aus dieser Unkenntnis seien viele der neueren Textkonjekturen zu erklären. 6 Erasmus dagegen erkennt die Absicht des Terenz, die Verse trotz Bewahrung des Metrums möglichst weit der Umgangssprache anzugleichen. Seine „in nur vier Tagen“ verfasste Metrik ist im Kern richtig. Er erfasste zwar alle iambischen und trochäischen Metra und selbst einige Cantica, ebenso die Elision und die Synizese, aber das Iambenkürzungsgesetz und erst recht die Regeln der Teilung von Longum und Anceps (darüber s. u.) waren ihm noch unbekannt. 7 Ford urteilt: „Iambic metres in Renaissance verse tend to be the least well known, not least because of the confusion between the practice found in the comic writers Terence and Plautus and that of the poets, especially Horace. Diomedes’ relatively strict advice is often ignored in the Renaissance.“ 8 Den Anstoß zu diesem Beitrag gab die im Jahr 1529 im Druck erschienene Tragödie Imber Aureus von Antonio Telesio (Antonius Thylesius Cosentinus), in der eine große Anzahl merkwürdig holpriger Verse auffallen. 9 Als Beispiele seien hier einige Verse des Anfangs und zwei besonders schwer zu skandierende Verse zitiert. 10 4 Priscianus, De metris fabularum Terentii liber , GLK III,420: comici poetae laxius etiamnum versibus suis quam tragici spatium dederunt et illa quoque loca, quae proprie debentur iambo, dactylicis occupant pedibus, dum cotidianum sermonem imitari volunt et a versificationis observatione spectatorem ad actum rei convertere, ut non fictis, sed veris affectionibus inesse videatur. 5 Desiderius Erasmus Roterodamus, De metris , in der Einleitung zu: Terentius Afer, Comoediae, commentavit Bartholomaeus Latomus, Köln 1534. Die Kenntnis seiner Terenz-Ausgabe Basel 1543 verdanke ich Eckard Lefèvre (Freiburg). 6 Trotzdem versuchte er selbst, in einer Reihe kretischer Verse Andria 633-634 durch Konjektur einen trochäischen Vers herzustellen. 7 Doch auch nach Erasmus blieb die Metrik der Komödien so rätselhaft, dass Tanaquil Faber (in seiner Terenz-Ausgabe Saumur 1671, wiederholt in der Terenz-Ausgabe von Cornelius Schrevelius, Leiden 1686; die Kenntnis verdanke ich ebenfalls Eckard Lefèvre) daktylische u. a. Verstypen zu entdecken glaubte und hemmungslos konjizierte. 8 Ford 2014, 66. Eine hierzu passende Stelle finde ich bei Priscian (s. Fußn. 3 und 4). 9 Thylesius Consentinus 2000. 10 Mit Skandieren bezeichnet man seit den spätantiken Metrikern die metrische Versanalyse. Sie ist nicht mit dem umstrittenen Versvortrag nach dem sog. Iktus gleichzusetzen. Vgl. zur Frage des Iktus den Beitrag von Thorsten Burkard in diesem Band. <?page no="51"?> Verfehlte Klassik oder neue Normen in der Metrik des neulateinischen Dramas? 51 Ut filià parentí parìat ingens nefas 11 50 Vetùlus ut ònere bos iugi fessus diu 52 Verbère cadìt agricòl(ae) immemòris ictus graui 53 Animamque non merìt(am) emerìtus edit gemens. 54 Gaudere pòtius, fùgere quìa potis est malum 56 [usw., besonders schwierig: ] Tamèn habuìt. inanè cape sòlium inflictum tempori. 604 Ferr(e)ae. pavòr oculos putò fefellit senis. 976 Der Grund für die Holprigkeit dieser iambischen Trimeter - nicht Senare, denn das zweite, vierte und sechste Breve sind immer eingehalten - liegt nicht nur in der Häufung der Doppelkürzen, sondern in der Teilung der Brevia durch die Wortgrenzen, seltener bei geteiltem Breve, also den Fällen von zerrissenem Anapäst, als bei geteilten Longum. 12 Aber trotz der Holprigkeit der Trimeter beeindruckt Telesio durch eine reiche Fülle iambischer und anapästischer Verstypen - einmal verwendet er auch stichische Pherekrateen - und einen inhalts- und stimmungsbezogenen Wechsel der Verstypen, sodass die weitere Beschäftigung mit dieser Tragödie lohnt. Wir werden am historisch passenden Ort auf Telesio zurückkommen. Dieser Beitrag verfolgt daher jeweils zwei Aspekte der neulateinischen Metrik, den eigentlichen Versbau und die metrische Komposition der Tragödien. Die von der großen Zahl neulateinischer Dramen erzwungene Beschränkung auf die Tragödien fällt leicht, weil die Komödien lange Zeit nur in Prosa oder nur teilweise metrisch gefasst waren - meistens nur die Versenden ab dem 5. Fuß -, später fast nur den iambischen Trimeter nach dem Vorbild der Tragödie gebrauchten, und das meistens sehr fehlerhaft, und sich selten an die Langverse und überhaupt nicht an die plautinischen Cantica heranwagten. 13 Zu den 11 Geteiltes Longum notiere ich mit einem Gravis auf der ersten der beiden Silben. Elisionen bzw. Synizesen sind in Klammern gesetzt. 12 Zgoll 2012, 114-115 formuliert kurz und treffend: „Regeln für die Auflösung von Hebungen: Die erste Kürze der aufgelösten Hebung soll nicht die 2. Silbe eines pyrrhichischen Wortes sein. Die erste Kürze der aufgelösten Hebung soll nicht die Kürze eines trochäischen Wortes sein. Die Ausfüllung eines iambischen Fußes durch ein tribrachysches Wort ist unmöglich. Wortenden-Regeln: Besteht die Senkung oder Hebung eines iambischen Versfußes aus zwei Kürzen, so endet in der Regel mit keiner dieser Kürzen ein mehrsilbiges Wort.“ 13 Mariotti 1950, 191 unterscheidet vier Typen von Senaren: 1. Verse mit der ungefähren Länge von Senaren, wie diejenigen des Vergerio; 2. Verse mit wenigstens zwölf Silben und kurzer Pänultima wie bei Enea Silvio; 3. sechs iambische Füße mit Iamben, Anapäst, Tribrachys oder Dactylus auch im letzten Fuß; 4. reguläre iambische Senare, vertreten nur vom Schlussteil der Ergänzung der plautinischen Aulularia des Urceus Codrus. Vgl. Perosa 1965, 29. <?page no="52"?> 52 Jürgen Blänsdorf seltenen Ausnahmen gehören der Acolastus des Gulielmus Gnapheus (Willem de Volder) von 1529 14 , das Drama comicotragicum Iudith des Sixt Birck (Xystus Betuleius) von 1544 und der Anabion des Johannes Sapidus von 1540. Bis auf die wenigen bekannten Plautus-Supplemente 15 gingen die neulateinischen Komödiendichter in der Dramaturgie überhaupt eigene Wege. Die Plautus- und Terenz-Nachfolge beschränkte sich bis auf wenige Versuche auf die Sprache, ist aber auch darin von vollständiger Stilimitation weit entfernt. 16 Wenden wir uns nun der Metrik der Tragödien der Renaissance zu. 17 Das erste Drama in antiker Form verfasste bekanntlich im Jahr 1315 der Paduaner Jurist, Staatsmann und Historiker Albertino Mussato, der von dem ebenfalls in Padua tätigen Richter Lovato Lovati (1241-1309) zum Studium der Tragödien Senecas angeregt worden war, die damals gerade in der Bibliothek von Pomposa entdeckt worden waren. 18 Mussatos Ecerinis wurde, wie die große Zahl der Handschriften belegt, zum neuen Gattungsvorbild, seine metrische Praxis zur neuen Norm. 19 Die Dialog- und Monologverse sind iambische Trimeter, die er im Stil Senecas, jedoch ohne je in einen Cento zu verfallen, meistert - mit Ausnahme der vorhin bei Telesio beobachteten, aber bei Mussato viel selteneren Varianten, den über die Wortgrenzen geteilten Longa oder Brevia. Der erste Fall ist erst in V. 7 zu verzeichnen: Quodnam cruentum sidus Arcthoo potens Regnavit orbe, pestilens tantum michi, Gnati, nefando flebiles cum vos thoro Genui. Patris iam detegam falsi dolos Infausta mater. Non diu tellus nefas 5 Latere patitur; durat occultum nihil. Audite nullo temporè negandum genus, Devota proles. Arx in excelso sedet […] Denn das blutige Sternbild, das machtvoll am Nordhimmel herrschte, war nur für mich Verderben bringend, als ich euch, ihr beweinenswerten Kinder, in einem verbrecherischen Bett gebar. Ich, die unglückselige Mutter, werde nun die Listen des falschen 14 Siehe Anhang. 15 Creizenach I, 1911, 571-575. 16 Zu den lateinischen Komödien der Renaissance vgl. Creizenach I, 1911, 535-565; II, 1918, 7, 15; Sanesi 1954; Radcliff-Umstead 1969, 25-58. 17 Zur historischen Entwicklung der Metrikkenntnisse vgl. Creizenach II, 1918, 64-66 und 89-92. 18 Es handelt sich um den codex Etruscus (E). 19 Creizenach I, 1911, 502-511; Perosa 1965, 11-14; Herrick 1965, 4-6; Musumarra 1972, Kap. 2; Müller 1987, jedoch alle fast ohne Behandlung der Metrik. <?page no="53"?> Verfehlte Klassik oder neue Normen in der Metrik des neulateinischen Dramas? 53 Vaters aufdecken. Die Erde lässt ein Verbrechen nicht lange im Verborgenen. Nichts Geheimes ist dauerhaft. Hört, ihr fluchbeladenen Kinder, dass eure Abstammung niemals zu leugnen ist. Eine Burg thront auf der Höhe […] Auch die dramatische Struktur übernimmt Mussato trotz der Kürze von nur 628 Versen weitgehend aus Seneca. Die Ecerinis ist in fünf, freilich sehr ungleich lange Akte zu 1-3 Szenen gegliedert, die durch vier Chöre in lyrischen Maßen - Glykoneen, Sapphiker, Asklepiadeen und sapphische Strophen - geteilt werden. Den Abschluss bildet ein kurzes (sechstes) Chorlied in Anapästen. Für alle Metra konnte Mussato Vorbilder in Senecas Tragödien finden, ohne sich der Reihenfolge einer von ihnen anzuschließen. Er wagte jedoch auch kein polymetrisches Chorlied. Vor allem aber im Gehalt wich er weit von Seneca ab. All das wurde zur neuen Gattungsnorm. 20 Seine Verspraxis fasste Mussato nach der Veröffentlichung der Ecerinis in einer kurzen Abhandlung über Senecas Metrik zusammen, in der er die Lizenzen des iambischen Trimeters beschrieb: Im 1. Fuß kann außer dem Iambus ein Spondeus, Anapäst, Dactylus, Tribrachys oder Prokeleusmaticus stehen, im zweiten nur Iambus oder Tribrachys usw. 21 Aber mit dieser Methode erfasste er nicht die Regeln für die Wortenden beim geteilten Longum und Breve, wie sie in den heutigen Metriken formuliert sind, für die Komödie am besten von Stockert, für die gesamte szenische Metrik von Zgoll. 22 Doch weder die antiken Metriker 23 noch der Seneca-Kommentar des Nicolaus Trevetus (1259-1329) 24 boten in dieser Frage irgendeine Hilfe. Die Erkenntnisse der Renaissance zur antiken Metrik, z. B. Angelo Polizianos in seinem Versprolog zur Ausgabe der Menaechmi 25 und die Abhandlung des Erasmus über die Metra des Terenz (s. o.), kamen für die Verspraxis des 15. und 16. Jahrhunderts zu spät oder boten wie Scaligers Poetik 26 kein detailliertes Regelsystem für die Metrik. Doch 75 Jahre nach Mussatos Ecerinis , im Jahr 1390, hatte Antonio Loschi, vermutlich dank genauerer Beobachtung der Verspraxis Senecas, dieses Pro- 20 Musumarra 1972, 11-29 und Kap. 2. 21 Mussato 1969 (Edition Megas). 22 Stockert 1983; Zgoll 2012. 23 Diomedes, Ars grammatica III: De rhythmo, de metro, de pedibus (GLK I,503: De iambico) ; Donat/ Servius, Commentarius in artem Donati (GLK IV,405, und De centum metris 456- 467); Marius Victorinus (GLK VI,79-83 und 133-138); Atilius Fortunatianus, Ars (GLK VI,278, De iambico 286); [Caesii Bassi] De metris Horatii (GL VI,305,308: De compositionibus ); Terentianus Maurus, De metris (GLK VI,364, zum Iambus 390 V. 2181-2496); Marius Plotius Sacerdos, Artium grammaticarum liber III: De metris (GLK VI,496; De iambico metro et eius speciebus XXIII, 517-528). 24 Treveth 1959, 6. 25 Creizenach II, 1918, 64 und 66. 26 Vgl. Kap. 3,97 zur Tragoedia in der Ausgabe von 1561. <?page no="54"?> 54 Jürgen Blänsdorf blem überwunden. 27 Seine um 1390 verfasste Tragödie Achiles (sic! ) stellt in dieser Hinsicht einen Fortschritt dar, in anderer jedoch einen Rückschritt. Die Fehlerlosigkeit seiner iambischen Trimeter - in den 940 Versen des Achiles habe ich nur drei missglückte entdeckt (356, 473 und 474) - verdankt er einer perfekten Stilimitation, die sich immer wieder dem Cento nähert. Schon im ersten Vers lässt er deutlich genug den Anfang der senecanischen Medea anklingen. 28 O coniugales horridas Troie faces, 29 Quas profuga coniunx numine infausto tulit, Thalamos secutas regius puppes cruor Cuius pelasgas solvit! Immites deos Placare potuit cede virginea cohors 5 Argiva? Ratibus mille suffecit caput? O Hochzeitsfackeln, für Troja schaudervoll, die die geflohene Ehefrau [Helena] unter unheilvollen Vorzeichen trug, [und sie, d. h. Iphigenie], deren königliches Blut die griechischen Schiffe, die der Ehe folgten, befreite. Vermochte das argivische Heer die unerbittlichen Götter mit dem Blut einer Jungfrau zu besänftigen? Genügte für tausend Schiffe ein (einziges) Haupt? Aber damit wird deutlich, dass er überhaupt eine senecanische Tragödie schreiben wollte: Er behandelt einen antiken Mythos, den Tod des Achilleus durch die List des Paris, worin er der bei Hyginus, myth. 110, und Dares, dem spätantiken Verfasser des Troja-Romans De excidio Troianorum , überlieferten hellenistischen Variante folgte, und verlässt an keiner Stelle den Stoff, die Gedankenwelt und Dramaturgie seines antiken Vorbildes. Nur die Orthographie, v. a. die der Eigennamen, ist noch ganz mittelalterlich. 30 In ähnlich nahem Anschluss an Seneca verfasste dreieinhalb Jahrzehnte später, im Jahr 1426 oder 1429, Gregorius Corrarus (Gregorio Correr) seine Progne -Tragödie, ein Schauerdrama nach Ovids Metamorphosen . 31 Diese vollständige Seneca-Imitation erwies sich jedoch als eine literarische Sackgasse. Jeder der folgenden neulateinischen Tragödiendichter versuchte sich in neuen Inhalten und Formen. Die einzigen Konstanten blieben der iambische 27 Creizenach I, 1911, 520-523; Perosa 1965, 15. Textausgabe von da Schio/ Berrigan 1975. 28 Herrick 1965, 11-15. 29 Akkusativ des Ausrufs. 30 Oft ist die Doppelkonsonanz ausgelassen: sagita , sateles , aber villis statt vilis ; h und die Diphthonge sind unsicher, y und i werden verwechselt; besonders betroffen sind die griechischen Eigennamen: Horestes (Orestes), Calcas (Calchas), Ydeas (Idaeas), Ysion (Ixion), Ethna (Aetna), Phito (Pytho). 31 Creizenach I, 1911, 523-527; Herrick 1965, 15-21. <?page no="55"?> Verfehlte Klassik oder neue Normen in der Metrik des neulateinischen Dramas? 55 Trimeter mit den schon erwähnten Lizenzen, die Fünfaktstruktur und die eingeschobenen Chorlieder in den erprobten lyrischen Maßen, die wie schon im Mittelalter fast fehlerlos beherrscht wurden. Im 16. Jahrhundert schwoll die Zahl der lateinischen Dramen immer mehr an. Sixt Birck (1500-1554), Gymnasialdirektor in Augsburg, übersetzte seine für den Unterricht gedachten Bibeldramen nachträglich aus dem Deutschen ins Lateinische. Die belehrende Absicht wird schon im erweiterten Titel seiner Iudith ausgesprochen. In der Metrik folgte er, ob aus mangelnder Fähigkeit oder wegen der schulischen Verwendbarkeit, geradezu ängstlich nur der einen Hauptregel des iambischen Trimeters, die er fehlerlos und ohne die bisherigen Lizenzen anwandte. Er beschränkte sich jedoch mit nur wenigen Ausnahmen auf reine Iamben bzw. Spondeen und ließ nur sehr selten die Teilung von Longa und Brevia, niemals Elisionen zu. Zum Eindruck der Gleichförmigkeit der Verse trägt der fast durchgehende Zeilenstil bei. Prosodische Fehler wie in V. 10 vulneribus sind außerordentlich rar. Vgl. den Prolog: Plerisque controversia est mortalibus, nec dum ratum, vel expeditum mentibus, num fas sit arma Christiano sumere. Mundus furit, nec ullum fit piaculum, in quoslibet ferrum impium constringere. 5 Frater fratris mucrone, vah, confoditur. Erecta signa utrinque picta convolant Cruce, auspicem et Christum miles exercitu Utroque sperat partibus suis fore, Saevis cadunt cives suis vulneribus 32 . 10 Für die meisten Menschen gibt es eine Streitfrage, und es ist noch nicht entschieden oder zu Ende gedacht, ob es Christen erlaubt ist, die Waffen zu ergreifen. Die Welt ist der Raserei verfallen, und es gilt nicht als Sünde, gegen jedermann sein ruchloses Schwert zu zücken. Der Bruder wird, ach, vom Dolch des Bruders durchbohrt. Von beiden Seiten stürmen die Fahnen mit aufgemaltem Kreuz heran, und in beiden Heeren hofft der Soldat, dass Christus seiner Partei den Segen gibt. Bürger fallen von eigenen grausamen Wunden. Das erreichte Niveau war jedoch mangels geeigneter Metrikhandbücher und der sehr beschränkten Möglichkeit, sich Handschriften der Vorgänger zu beschaffen, nicht selbstverständlich. Der am Anfang dieses Beitrags erwähnte Telesio hat sich 1529 in seinem Imber Aureus , der Tragödie der Danae, die von ihrem 32 Mit falscher Prosodie: vulnēribus . <?page no="56"?> 56 Jürgen Blänsdorf grausamen Vater Acrisius in einem eisernen Turm gefangen und von Juppiters goldenem Regen gerettet wird, offenbar weniger als Loschi und Correr von der Nachahmung Senecas leiten lassen. Seine iambischen Trimeter - die er in den Marginalnotizen gelegentlich auch Senare nennt, wovon sich noch der Herausgeber Jan-Wilhelm Beck 2000 hat irreführen lassen - sind zwar an vielen Stellen ungefüge. Außer den schon erwähnten zahlreichen über die Wortenden geteilten Longa und Brevia fallen zäsurlose Verse 33 und positionsbildende muta cum liquida über die Wortgrenze auf, die sonst vermieden werden, z. B. 70 funeré tristem, 71 velleré sparsas, 72 tunderé plangoribus . Falsche Prosodien sind immerhin sehr selten. Im Sprachstil ist Telesio weit von Seneca entfernt, ist aber andererseits erfolgreich in dem Versuch, dem antiken, bisher nicht dramatisch behandelten Mythenstoff eine ungewöhnliche Form zu geben. Er hat zwar die Standardrollen wie den Boten und die Amme und den Wechsel zwischen Monologen und Dialogen beibehalten und in den Chören wenig metrische Variation gesucht: Es sind Pherekrateen, iambische Mono- und Dimeter und trochäische Dimeter. Der Chor nimmt, wie Horaz ( Ars poetica 193) empfohlen hatte, an der Handlung teil: Er ruft am Ende des 1. Aktes Juno zu Hilfe für Danae, im 2. Akt nimmt er am Dialog teil, im 3. Akt führt er ansatzweise einen Dialog mit den Zyklopen, die ihren Lohn für die schnelle Erbauung des eisernen Turmes verlangen, in dem Danae bereits eingekerkert ist. 34 Aber vor allem hat Telesio zugunsten wirksamer Szenen die Einheit von Ort und Zeit und im langen 3. Akt die Gattungsidentität aufgelöst. Dieser vielteilige 3. Akt entwickelt sich zu einem kleinen Drama in sich: Am Anfang staunt Acrisius über die Schnelligkeit, mit der sein Wunsch nach einem unbezwinglichen Kerker für seine Tochter erfüllt wurde, dankt überschwänglich Vulkan und lädt die Zyklopen ein, sich ihren Lohn für die harte Bauarbeit abzuholen. Aber dann beginnt eine burleske Szene, wie sie der antiken und bisherigen neulateinischen Tragödie fremd war: Das Festgelage der Zyklopen geht in ein wüstes Bacchanal über, das mit dem Tod des Polyphemus und seiner Verhöhnung in einem anapästischen Amoibaion endigt. Als der vor Entsetzen geflohene Acrisius zurückkehrt, erkennt er zusammen mit dem Chor, dass er durch seinen Wunsch aus dem Glück ins Unglück gestürzt ist. Das Ende dieses Aktes bilden der Monolog des verzweifelten Acrisius und ein Chorlied über die Macht der Fortuna in katalektischen trochäischen Dimetern. Diese Struktur ist ohne Vorbild in der senecanischen Tragödie, aber auch in der antiken Komödie. 33 In der 1. Szene die Verse 5, 9, 26, 30, 31, 33, 45, 47, 57. 34 Die Unstimmigkeit, dass im 2. Akt Danae bereits im Turm gefangen ist, aber Acrisius die Errichtung des Turmes erst im 3. Akt wahrnimmt, wird von Beck 2000, 40-43 ausführlich diskutiert. <?page no="57"?> Verfehlte Klassik oder neue Normen in der Metrik des neulateinischen Dramas? 57 Das Versmaß wechselt mehrere Male, aber immer entsprechend der Handlung oder der Stimmung. In einer Randbemerkung weist der Verfasser selbst darauf hin, dass der Hinkiambus passend ist für das Dankgebet an den hinkenden Gott Vulcanus. Aber gleichzeitig ist dieses Metrum das der Spottgedichte, weil hier die Dankbarkeit des Acrisius im Widerspruch zu dem Erfolg seines Wunsches steht. Den Weg zur Gattungskreuzung ist der Elsässer Johannes Sapidus (Witz) in seinem mit 1915 Versen überlangen Lazarus-Drama Anabion von 1540 weitergegangen. 35 Die Episode von der Krankheit und Auferweckung des Lazarus, die schon im Johannes-Evangelium ( Joh. 11) personenreich ist, hat Sapidus selbst nicht ganz zutreffend als Komödie oder Tragikomödie bezeichnet. 36 Denn die Handlung ist außerdem mit Elementen des Passionsspiels angereichert. Aus der Komödie stammen besonders die Intrigenhandlung, das Sklavenpersonal, die Schimpfdialoge und die Drastik in Handlung und Sprache. Die komischen Elemente mit ihrer Verspottung des Teufels vertragen sich jedoch mit der mittelalterlichen fabula sacra , der man dieses Stück zurechnen kann. Sapidus verwendet zwar iambische Trimeter, die er wie Telesio bisweilen auch iambische Senare nennt und mit den gleichen Lizenzen wie alle seine Vorgänger verwendet, zeigt aber durch die Verwendung typischer Komödienmetra wie des trochäischen Septenars und des iambischen Oktonars, dass er Plautus und Terenz kennt - schon der Vorspann ist nach dem Vorbild der Terenz-Handschriften angelegt. Dass Sapidus auf einen Chor verzichtete, könnte zwei Gründe haben: ein Chor passt weder zur Gattung des Passionsspiels noch zur antiken Komödie. George Buchanan, der große schottische Gelehrte, Theologe und Dichter (1506-1582), lehrte zwischen 1539 und 1544 in Toulouse am Collège de Guienne. 37 Als Lehrer war er verpflichtet, jedes Jahr eine Tragödie in lateinischer Sprache für das alljährliche Schulfest zu verfassen und aufzuführen. Außer zwei Übersetzungen von Tragödien des Euripides ( Medea und Alcestis ) verfasste er den Jephthes (1450 Verse) über einen Stoff aus dem Alten Testament (nach Richter 11) und Baptistes (1360 Verse) über den Tod Johannes des Täufers (nach Matth. 14). 38 Für ihr klassisches Latein, das von der gesamten klassischen 35 Creizenach II, 1918, 125. Die schnelle Abfolge von sechs Auflagen bzw. Nachdrucken von 1539 bis 1565 zeugt von der Beliebtheit dieses Dramas. Die von Michael/ Parker 1991 veröffentlichte Ausgabe hat zum Glück einen photographischen Abdruck der Ausgabe von 1540, denn die Übersetzung strotzt von unglaublichen Fehlern. 36 Anabion , Prolog V. 117-124. 37 Creizenach II, 1918, 398-403; Textausgabe mit Kommentar und Übersetzung von Sharratt/ Walsh 1983. 38 Zu Daten der Abfassung, Aufführung und Druckveröffentlichung und zu dem naheliegenden Bezug auf zeitgenössische Diskussionen über die Gültigkeit von Gelübden und <?page no="58"?> 58 Jürgen Blänsdorf Latinität inspiriert ist, 39 aber ohne gelehrte Anspielungen auskommt, für die Flüssigkeit der Verse, die zwar noch die bekannten metrischen Lizenzen nutzen, aber viel seltener als alle Vorgänger, und die elegante Rhetorik sind sie zu Recht berühmt. Vgl. den von einem Engel gesprochenen Prolog des Jephthes (aufgeführt 1542): Magni tonantis huc minister aliger, Coelo relicto, mittor Isaci ad lares, Sŏlumque promissum Isaci nepotibus, Sŏlum regendis destinatum gentibus, Si pacta sacri intaminata foederis 5 Servasset: arma sed modò quod Ammonia Expavit arcto servitutis sub iugo, Tulitque, quicquid triste, crudele, asperum, Iratus audet victor, aut victus timet. Hac clade fracta gens rebellis vix Deum 10 Agnoscere patrum coepit […] Ich, der geflügelte Diener des großen Donnerers, habe den Himmel verlassen und werde hierher zum Hause Isaaks und in das Land gesandt, das den Enkeln Isaaks verheißen war, und in das Land, das der Herrschaft über die Völker bestimmt war - wenn es den Vertrag des heiligen Bündnisses unversehrt bewahrt hätte. Aber weil es vor kurzem die Waffen des Ammon [Baal] unter dem drückenden Joch der Sklaverei fürchtete und ertrug, wagte der erzürnte Sieger oder fürchtet der Besiegte alles, was traurig, grausam und hart ist. Durch die Niederlage gebrochen begann das aufrührerische Volk kaum den Gott der Väter zu bekennen […] Aber Buchanan hat nicht versucht, die bisherigen metrischen Formen und die metrische Komposition seiner Dramen zu variieren - selbst die Erweiterung von fünf zu sechs Akten ist damals keine Neuigkeit. 40 Die Sprechverse sind ausschließlich in iambischen Trimetern gehalten, die - übrigens wunderbar lyrischen - Chorlieder in den damals üblichen lyrischen Metra, und die Zahl der Akteure ist auf wenige Personen konzentriert. Den Streit der beiden von ihm in die Handlung des Baptistes eingefügten Rabbiner Gamaliel und Malchus über Johannes den Täufer als öffentliche Gefahr und die erregte Debatte zwischen Herodes und seiner Frau über die Maximen königlicher Macht sind meisterhaft über Herrschaftsmaximen vgl. die Edition von Sharratt/ Walsh 1983, 1-20. 39 Die literarischen Anleihen sind im Kommentar erschlossen. Doch ist übersehen, dass der Bericht des Boten über die siegreiche Schlacht des Jephthes 237-321 nach dem Botenbericht in Plautus, Amphitruo 203-262 gestaltet ist. 40 Die Akteinteilung ergibt sich aus der Zahl der Chöre, fehlt aber in den Druckausgaben. <?page no="59"?> Verfehlte Klassik oder neue Normen in der Metrik des neulateinischen Dramas? 59 dramatisiert, überschreiten aber an keiner Stelle die damals rezipierten Regeln der Tragödie. So wenden wir uns seinem damaligen Kollegen am Collège de Guienne, Marc Antoine Muret (1526-1585), zu, der eine ganz andere, auf das klassische französische Drama führende Richtung einschlug. 41 Sein im Jahr 1544 verfasster und 1547 veröffentlichter Julius Caesar ist ein historisches Drama, das von zwei gegensätzlichen Themen beherrscht wird, dem Ruhm Caesars und dem Kampf um die Freiheit. 42 Wahrscheinlich verband Muret mit dem historischen Stoff ein eigenes, politisches Anliegen, den Kampf um die Befreiung von drückender Herrschaft. In der Einleitung hebt er selbst die Herrschaft der ratio und das Vermeiden von Affekten, von Wahnsinns- und Unterweltsszenen hervor. Darum fehlt auch ein Götterapparat. Das Personal ist aufs äußerste reduziert. Aus dem alten Tragödienfundus stammt nur die Amme als Vertraute von Caesars Gattin Calpurnia. Die metrische Komposition ist noch konventionell und zusätzlich auf schlichteste Formen reduziert. Die Monologe und Dialoge sind mit einer Ausnahme nur in iambischen Trimetern mit den üblichen Lizenzen gehalten, aber durch regelmäßige Zäsuren gefügiger und durch häufige Enjambements effektvoller gestaltet. Durch enge Anlehnung an Senecas Tragödienstil erreicht er es, in wuchtigen Versen dem durchgehend hohen Pathos Ausdruck zu verleihen. Vgl. Caesars Rede in V. 7-19: Quacunque Nereus margines terrae premit, reges vel ipsi Caesaris nomen timent. Numerent triumphos, cum volent, alii suos, seque a subactis nominent provinciis: 10 plus est vocari Caesarem. Quisquis novos aliunde titulos quaerit, is jam detrahit. numerare ductu vis meo victas plagas? Percurrito omnes. Ipsa victrix gentium mihi Roma cessit. Ille tam magnus gener, 15 41 Creizenach II, 1918, 403-404. 42 Blänsdorf 1994. Mit einem historischen Thema war ihm ein Jahrhundert vorher der Florentiner Bischof Leonardo Dati vorausgegangen, dessen Tragödie Hiensal (auch Hyemsal , Hiempsal , 1441/ 42; Edition Berrigan 1976, 85-145) auf Sallusts Bericht von der Ermordung Hiempsals durch Iugurtha beruhte. Datis Ziel war, nach seinem Scheitern im florentinischen Certame Coronario das verhängnisvolle Wirken der Invidia zu illustrieren, die in schlecht regierten Reichen um sich greife. Daher ist der Hiensal eher ein philosophischer Disput als eine Tragödie; vgl. Herrick 1965, 21-22. <?page no="60"?> 60 Jürgen Blänsdorf ut pene nomen duceret jam impar sibi, terra marique fusus agnovit meas praestare vires: quemque noluerat parem, tulit priorem. Wo immer (der Meergott) Nereus die Ränder der Erde bedrängt, fürchten sogar die Könige den Namen Caesars. Mögen andere, wenn sie wollen, ihre Triumphe aufzählen und sich nach den Provinzen, die sie unterworfen haben, benennen: Caesar zu heißen gilt mehr. Wer auch immer von anderswoher neue Titel sucht, der mindert sie schon. Willst du die Länder zählen, die unter meiner Führung besiegt wurden? Dann zähle sie alle auf. Selbst Roma, die Bezwingerin aller Völker, hat sich mir ergeben. Jener so großartige Schwiegersohn [Cn. Pompeius Magnus] hat, um fast schon zu glauben, dass sein Name ihm nicht gebührt, anerkannt, als er auf Land und Meer besiegt war, dass meine Macht stärker ist. Wen er als Gleichrangigen nicht dulden wollte, den ertrug er als Überlegenen. Muret behält auch die Gliederung in fünf Akte und den Einschub von Chorliedern in den üblichen Metra bei: Glykoneen, alkäische und sapphische Strophen und sapphische Verse. Die eigentliche dramaturgische Neuerung ist im 5. Akt angelegt, in dem die zwei Themen dieser Tragödie unversöhnlich aufeinanderprallen, einerseits der Triumph über die Ermordung des Tyrannen und die Wiederherstellung der Gerechtigkeit, die von Brutus und Cassius in drei parallel sich sekundierenden Reden gefeiert werden - eine solche Form gibt es bei Seneca nicht -, andererseits die Trauer um den ermordeten Helden Caesar, seine Apotheose und die Verfluchung der Mörder. Hier die triumphierenden Worte des Brutus nach der Ermordung Caesars: Spirate cives! Caesar interfectus est; 438 Ille, ille Caesar, patriae terror suae, hostis senatus, innocentum carnifex, 440 legum ruina, publici juris lues: cuius rapinas nuper, et libidines agnovit orbis totus, et perpessus est, in curia, quam oppresserat 43 , oppressus jacet. Bürger, atmet auf. Caesar ist ermordet worden. Jener große Caesar, der Schrecken seines Vaterlandes, der Feind des Senats, der Schlächter der Unschuldigen, das Verderben der Gesetze, die Pestkrankheit des staatlichen Rechts, dessen Raubzüge und 43 oppressserat - der einzige zerrissene Anapäst. <?page no="61"?> Verfehlte Klassik oder neue Normen in der Metrik des neulateinischen Dramas? 61 Willkür der ganze Erdkreis erkannte und durchlitt, er liegt bezwungen in der Curia, die er unterdrückt hatte. Der Umbruch erfolgt mitten im 5. Akt mit der Klage der Calpurnia (478-499) und dem 5. Lied des Chores, der nun zu Caesars Partei übergeht, dann zwei Monologen Caesars und Calpurnias - Letzterer ist in feierlichen trochäischen Septenaren gehalten -, die den Reden der Caesarmörder vom Anfang des 5. Aktes knapper korrespondieren. Das sechste Chorlied ist nicht in den an dieser Stelle üblichen Anapästen gehalten, sondern in fünf feierlichen asklepiadeischen Strophen, die sich deutlich an die horazischen Oden, besonders Oden 3,30, anlehnen. Sunt manes aliquid; cumque diem ultimum 551 adduxit fera mors, est aliquid tamen, quod vitat Libitinam, exstructosque fugit rogos. […] Die Totengeister haben eine Existenz, und wenn der unbarmherzige Tod den letzten Tag gebracht hat, gibt es doch etwas, was der Totengöttin entkommt und den aufgeschichteten Scheiterhaufen entflieht. Diese Korrespondenzen und der Sieg der Vernunft über die Leidenschaften, das Maß und die Ordnung sind die Prinzipien der französischen Tragödie, die sich hier auch in der metrischen Komposition ankündigen. In der letzten hier zu besprechenden, in der Sekundärliteratur kaum beachteten Tragödie, der Stuarta tragoedia des Adrien Roulers (Adrianus Roulerius, Poetikprofessor in Douai, gest. 1597), sind die bisherigen metrischen Probleme überwunden. Die Zahl der Abweichungen von der Verspraxis Senecas ist sehr gering und gleichzeitig sind die Wege zum modernen Drama gebahnt - man könnte sogar eine Nähe zum Drama der Vorgänger Shakespeares vermuten. Die Stuarta tragoedia , verfasst und von Schülern aufgeführt in Douai 1593, gehört zum Umkreis des Ordensdramas, hat aber nicht vorwiegend rhetorisch-stilistische Zwecke oder eine moralisch-erzieherische Absicht, sondern gehört zu der katholischen Propaganda gegen die anglikanische Kirche 44 und gegen Königin Elisabeth, die ihre Thronkonkurrentin Maria Stuart, Königin von Schottland, nach neunzehnjähriger Gefangenschaft in der Festung Fotheringhay im Jahr 1587 hatte zum Tode verurteilen und durch Enthauptung hinrichten lassen. Maria Stuart wurde zur Märtyrerin erklärt, aber Roulers hatte seine schon sechs Jahre nach der Hinrichtung verfasste Stuarta nicht nach dem mittelalterlichen 44 Stuarta tragoedia V. 39: Ecclesia Anglica. <?page no="62"?> 62 Jürgen Blänsdorf Genus der fabula sacra konzipiert, sondern als historisches Drama, dessen Quellen der Dichter in seinem ausführlichen Vorwort aufzählt. 45 Die mit der Quellenlage gegebene Vielteiligkeit der Ereignisse und die große Zahl der beteiligten Personen veranlassten Roulers, die Fünfaktstruktur des Dramas von innen aufzubrechen. Denn die Bauform der Akte ist völlig verschieden, wenn auch der iambische Trimeter für alle Monologe und Dialoge das tragende Medium der dramatischen Handlung bleibt. Die ersten drei Akte bestehen aus je zwei Szenen, die auf zunehmenden Kontrast angelegt sind. Der 1. Akt ist geprägt von den drei langen Monologen der Unterweltserscheinung Heinrichs VIII. und der Königin Elizabeta, im zweiten Teil von der Auseinandersetzung zwischen ihr und ihrem Vertrauten, Dudelaeus (Dudley, Graf von Leicester), der um Schonung der gefangenen Gegnerin bittet. Das den 1. Akt beschließende Chorlied ist polymetrisch aufgebaut: In 16 daktylische Hexameter sind vier iambische Dimeter, drei alkäische und acht asklepiadeische Verse eingefügt. Die Verskombination zielt auf einen ruhigen, feierlichen Ausdruck. Der 2. Akt beginnt mit einem überlangen Monolog der Stuarta von 141 Versen und einem ruhigen, in längerer Rede geführten Gespräch zwischen ihr und ihrem Arzt, dem der Streit zwischen ihr und Amias Paulet, dem Kommandanten der Festung von Fotheringhay, folgt. Er wird heftig und mit verbissener Ironie in ausgedehnter Stichomythie und mehreren Antilabai geführt. Amias Perdis Britannos. Stuarta Et volo fieri meos? Amias Cur ergo clam conubia Norfolci ducis? Stuarta Conubia certo nulla sine teste ambii. 510 Amias Quis ad illa testis? Stuarta Quisquis auspex et mei Moravius ipsa pestis imperii nothus. Amias Quo more testem mortuum produxeris? Stuarta Idoneus, dum vixit, haud umquam exstitit. Amias Non clam sorore coeptus hymenaeus fuit? 515 Stuarta Quem nesciebat nemo concilii virum? Visuntor actaque tabulaeque publicae, descripta pacto nomina auctorum leges, ubi quisque testes addidit scripto manus. 45 Der schwierige Stil steht weit über dem Niveau der für Schüler- oder Studentenaufführungen bestimmten Dramen und erklärt sich aus der Absicht, mit einem literarisch anspruchsvollen Lesedrama zur katholischen Propaganda beizutragen. <?page no="63"?> Verfehlte Klassik oder neue Normen in der Metrik des neulateinischen Dramas? 63 Am.: Du verdirbst die Briten. / St.: Und ich will, dass sie meine Untertanen werden? Am.: Warum also heimlich die Ehe mit Herzog Norfolk? St.: Ich habe keine Ehe ohne sicheren Zeugen geplant. Am.: Wer ist der Zeuge dafür? / St.: Jeder, der Priester war, und Moravius selbst, der Bastard, das Verderben des Reiches. Am.: Wie könntest du einen toten Zeugen vorführen? St.: Geeignet war er niemals, solange er lebte. Am.: War die Ehe nicht heimlich vor der Schwester begonnen worden? St.: Dem Manne, den alle Mitglieder des königlichen Rates kannten. Man inspiziere die staatlichen Protokolle und Akten. Da wirst du die dem Vertrag beigefügten Namen lesen, wo jeder als Zeugnis seine Unterschrift dem Text beigefügt hat. Den Abschluss bildet das nun in erregten anapästischen Dimetern gehaltene Lied des Gefangenenchores. 46 Im 3. Akt verabreden die zwei Kommandanten von Fotheringhay die Intrige mittels eines gefälschten Briefes, mit der Maria Stuart der Verschwörung gegen Königin Elisabeth überführt werden soll. Es folgt sofort die Szene, in der Buccardus (Lord Buckhurst) die schottische Königin mit dieser Beschuldigung konfrontiert. Die Szene schließt diesmal mit einem etwas längeren Monolog der Stuarta und einem feierlichen Klagelied des Chores in 11 sapphischen Strophen. Im 4. Akt verkündigt Amias Paulet der Gefangenen das Todesurteil und fordert sie auf, die Insignien ihres Standes abzulegen. In das Gespräch mischen sich erst ihr Arzt, dann der Chor ein, der hier als handelnde Person in iambischen Trimetern spricht, schließlich als vierte sprechende Rolle Scherusbericus (Graf von Shrewsbury), der mit der Hinrichtung beauftragt ist. Als dieser ihr als geistigen Beistand einen anglikanischen Priester anbietet, trifft er auf ihren flammenden Protest. Den Abschluss des 4. Aktes bildet das mit 97 Versen längste Chorlied dieser Tragödie, eine Klage über das Unrecht in der Welt und das unverdiente Schicksal der Stuarta. Mit Stimmung und Inhalt wechseln die Metra von Asklepiadeen zu Glykoneen und schließlich zu erregten anapästischen Dimetern. Das dramatische Crescendo steigert sich im 5. Akt, an dem nicht weniger als neun sprechende Rollen und der Chor und, aus ihm hervortretend, zwei puellae , also junge Hofdamen, beteiligt sind. Sie treten nacheinander auf und füllen mehr und mehr die Szene. Die Handlung schreitet so kontinuierlich fort, dass eine Gliederung nach traditionellen Szenen nicht mehr beabsichtigt scheint. Lange Gebete der Stuarta, Streitgespräche, die Verlesung des Todesurteils in daktylischen Hexametern, die ‚Mauerschau‘ der Hinrichtung, die Zurschaustellung der geköpften Leiche und die Klagen der Hofdamen ergeben ein dramatisch bewegtes Ganzes. Die Schlussworte sprechen im Wechsel die zwei Hof- 46 Wie bei Seneca sind mehrere anapästische Monometer eingeschoben. <?page no="64"?> 64 Jürgen Blänsdorf damen in iambischen Trimetern. So fehlt der übliche versöhnliche Ausklang eines lyrischen oder anapästischen Chorliedes. Roulers hat die Verskunst zur Vollendung geführt und besonders in den Chorliedern mit vielen Zitaten aus Seneca und Horaz dem Geschehen Emphase verliehen, sich aber in der Verskomposition und der Dramaturgie weit von dem literarischen Vorbild entfernt. Anhang Als Beispiel für die Verspraxis der Komödie des 16. Jahrhunderts sei hier Georgius Macropedius’ Rebelles (1535) herausgegriffen. Macropedius verlieh seinen Komödien eine schlichte Form, weil er sie für die Lektüre der Jugend schrieb und von Schülern aufführen lassen wollte. Im Vorwort hebt er seine pädagogischen Zwecken dienende Sorgfalt in der lateinischen Prosodie von der Regellosigkeit seiner Vorgänger ab und will sich nur wenige Lizenzen in Hiaten, Synaloephen usw. gestatten. Macropedius’ Verse wirken einförmig, weil er anders als Plautus und Terenz nur wenige geteilte Longa und Brevia (83, 87, 88, 91, 92, 93) und Elisionen zulässt. 47 So wirkt der Versbau eher senecanisch als plautinisch. Die Wortwahl zeigt einige Anklänge an die Sprache der Komiker. Mit der Anspielung auf Terenz, Adelphoe 57-58 in V. 95 lässt er seine Kenntnis der antiken Komödie durchblicken. Der Satzbau wirkt eher prosaisch. Doch das Enjambement versteht er wie in 85-86 durchaus effektvoll einzusetzen. Die Komödie Rebelles soll die Jugend auf humorvolle Weise zu Fleiß und Sittsamkeit erziehen. Man könnte sie aber auch ein Lehrstück über den Nutzen der Prügelpädagogik nennen! Die besorgte Mutter Philotecnium (eine hübsche Neubildung, wie sie alle Neulateiner lieben: „Kinderlieb“), die sich über die prügelnden Lehrer empört, muss sich zum Schluss belehren lassen, dass ihr verkommener Sohn und sein Freund nur diese Methode verdient haben. Vgl. Philotecniums Rede aus der ersten Szene des 1. Aktes (Edition Bolte 1897) : Cum aetatis huius et peracti temporis rationem habeo, considero haud me paucula Paschalia edisse ova; nam rugosa fit cutis genaeque flaccidae, canis quoque 80 respersa tempora. Quin et ipse filius iam natus annos quindecim puellulam 47 Lizenzen: Hiat V. 78 rationem habeo ; zerrissener Anapäst 81 tempora , 95 rigore docendus ; Synizese im letzten Fuß 87 diu. <?page no="65"?> Verfehlte Klassik oder neue Normen in der Metrik des neulateinischen Dramas? 65 me pernegat. Sed neque parum accelerant mihi gravem hanc senectutem graves curae omnium rerum domesticarum et immitis iugum 80 mariti et ingens prolium curatio, quibus locupletandis honestandisque diu noctuque pervigilo. Nam ob istuc Dyscolum gnatum meum, qui grandior natu est, scholis primum docendum tradidi; et mirum in modum 90 proficeret, id si liceat heu per improbam didascalorum amentiam, qua tenerior pueri cutis diverberatur: et eadem est omnibus crudelitas doctoribus, quasi sit rigore docendus, haud clementia. 95 Wenn ich Gegenwart und Vergangenheit zusammenrechne, denke ich, dass ich nur winzige Ostereier zu essen bekommen habe. Denn die Haut wird runzlig und die Backen schlaff, auch die Schläfen sind von grauen Haaren übersät. Ja auch der Sohn selbst, der schon 15 Jahre alt ist, sagt mir, dass ich kein junges Mädchen mehr bin. Aber die schweren Sorgen um alle häuslichen Pflichten und das Joch des unerbittlichen Ehemannes und die gewaltige Fürsorge für die Kinder beschleunigen sehr dieses schwere Alter. Um ihnen Reichtum und Ehre zu verschaffen, wache ich bei Tag und Nacht. Denn deswegen habe ich meinen Sohn Dyscolus, der der ältere ist, als ersten zur Belehrung in die Schule geschickt. Und er würde erstaunliche Fortschritte machen, wenn es bei der bösen Dummheit der Lehrer möglich wäre, von der die allzu zarte Haut des Knaben verprügelt wird. Und alle Lehrer haben die gleiche Grausamkeit, als ob man mit Strenge lehren müsste, nicht mit Sanftmut. Macropedius verwendete für die Monologe und Dialoge nur iambische Trimeter mit Ausnahme des 4. und 5. Aktes, wo er auch iambische Tetrameter und iambische Septenare wagte. Ein einziges Mal gebraucht er den ganz ungewöhnlichen trochäischen Trimeter. Den Enden der Akte 1 bis 4 verleiht er durch die iambischen Dimeter der beiden Teufel Lorcoballus und Marcolappus und des Chores eine Art strophischer Responsion, die es nicht in früheren Dramen gab. Das Ziel ist offenkundig, mithilfe der einfachen und korrespondierenden metrischen Formen den dramatischen Bau für die Schüler durchsichtig zu halten. Der Dialog wirkt infolge zahlreicher Enjambements und Antilabai sehr lebendig. <?page no="66"?> 66 Jürgen Blänsdorf Literaturverzeichnis 1. Primärtexte Birck, Sixt: Iudith Drama comicotragicum, Augsburg [1544? ] und Köln 1544 (dt. 1539). Buchanan, George: Tragedies, herausgegeben von Peter Sharratt/ Patrick G. Walsh, Edinburgh 1983. Corraro, Gregorio: Progne, herausgegeben von Gary G. Grund in: Humanist Tragedies, Cambridge, Mass. 2011, 110-187. Dati, Leonardo: Hiensal [Hiempsal], herausgegeben von Joseph R. Berrigan in: Humanistica Lovaniensia 25, 1976, 85-145. Gnapheus, Gulielmus (Willem de Volder): Acolastus, Antwerpen 1529. Loschi, Antonio: Achilles [Achiles], herausgegeben von Alvise da Schio/ Joseph R. Berrigan, München 1975 (Humanistische Bibliothek 2,17). Macropedius (Lanckvelt), Georgius: Rebelles und Aluta, herausgegeben von Johannes Bolte, Berlin 1897 (Lateinische Litteraturdenkmäler des XV. und XVI. Jahrhunderts 13). Muret, Marc Antoine: Julius Caesar; Michael Virdung: Brutus. Zwei neulateinische Tragödien. Herausgegeben von Andreas Hagmaier, München 2006 (Beiträge zur Altertumskunde 235). Mussato, Albertino: Écérinide, épîtres métriques sur la poésie, Songe, herausgegeben von Jean-Frédérique Chevalier, Paris 2000 (Les Classiques de l’Humanisme). Mussato Albertino: Argumenta tragoediarum Senecae, commentarii in L. A. Senecae tragoedias, fragmenta nuper reperta, herausgegeben von Anastasios Ch. Megas, Thessaloniki 1969. Roulers, Adrien: Stuarta Tragoedia, herausgegeben von Roman Woerner, Berlin 1906 (Lateinische Litteraturdenkmäler des XV. und XVI. Jahrhunderts 17). Sapidus, Johannes: Anabion, herausgegeben von Wolfgang F. Michael/ Douglass Parker, Bern 1991. Treveth, Nicolaus: Expositio Herculis furentis, herausgegeben von Vincenzo Ussani jr., Rom 1959. Telesio, Antonio (Thylesius Consentinus¸ Antonius): Imber aureus, herausgegeben von Jan-Wilhelm Beck, Frankfurt a. M. 2000 (Bibliotheca Humanistica 7). 2. Sekundärtexte Berrigan, Joseph R.: Early Neo-Latin Tragedy in Italy, in: Jozef Ijsewijn/ Eckhard Kessler (Hg.): Acta Conventus Neo-Latini Lovaniensis, München 1973, 85-93 [zu Loschi]. Berrigan, Joseph R.: Latin Tragedy of the Quattrocento, Humanistica Lovaniensia 22, 1973, 1-9. Blänsdorf, Jürgen: Die Verwandlung der senecanischen Tragödie in Marc-Antoine Murets „Julius Caesar“ und Jacques Grévins „César“, International Journal of the Classical Tradition 1, 1994, 58-74. <?page no="67"?> Verfehlte Klassik oder neue Normen in der Metrik des neulateinischen Dramas? 67 Bloemendal, Jan (Hg.): Neo-Latin Drama. Forms, Functions, Receptions, Hildesheim 2008. Braden, Gordon: Renaissance Tragedy and the Senecan Tradition, New Haven 1985. Bradner, Leicester: The Latin Drama of the Renaissance (1314-1650), Studies in the Renaissance 4, 1957, 31-70 (55-70 List of Original Neo-Latin Plays Printed before 1650). Cloetta, Wilhelm: Beiträge zur Literaturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance. 2 Bde., Halle a. S. 1890/ 1892 (ND Leiden 1975). Creizenach, Wilhelm: Geschichte des neueren Dramas, Bd. 1: Mittelalter und Frührenaissance [1893], Halle a. S. 2 1911; Bd. 2: Renaissance und Reformation, 1. Teil [1901], ebd. 2 1918. Ford, Philip: Neo-Latin Prosody and Versification, in: Philip Ford/ Jan Bloemendal/ Charles Fantazzi (Hg.): Brill’s Encyclopedia of the Neo-Latin World, Leiden 2014, 63-74. Herrick, Marvin Th.: Italian Tragedy in the Renaissance, Urbana, IL 1965. Ijsewijn, Jozef/ Sacré, Dirk: Companion to Neo Latin Studies, 2 Bde., Löwen 1990/ 1998 [Bd. 1, 59 zum italienischen Drama; 187-188 zum deutschen Drama; Bd. 2, Kap. 3, 139-164 Drama; Kap. 6, 254-261 Prosody and metrics]. Mariotti, Scevola: La „Philologia“ del Petrarca, Humanitas 3, 1950, 191-206. Müller, Hubert: Früher Humanismus in Oberitalien. Albertino Mussato, Ecerinis, Frankfurt a. M. 1987 (Studien zur Klassischen Philologie 31). Musumarra, Carmelo: La poesia tragica italiana nel rinascimento, Florenz 1972 (Biblioteca dell’„Archivum Romanicum“ 1,113). Perosa, Alessandro: Metrica umanistica, Rinascimento 3, 1952, 186-188. Perosa, Alessandro: Teatro umanistico, Milano 1965. Radcliff-Umstead, Douglas: The Birth of Modern Comedy in Renaissance Italy, Chicago 1969. Sanesi, Ireneo: Storia dei generi letterari italiani. La commedia, Bd. 1, Mailand 1954. Stockert, Walter (Hg.): Plautus. Aulularia, Stuttgart 1983 [zur Metrik 206-241]. Zgoll, Christian: Römische Prosodie und Metrik, Darmstadt 2012 [zum Iambus 112-123]. <?page no="69"?> Radikale Experimente 69 Radikale Experimente <?page no="71"?> Neulateinische Hyporchemata oder die Neuschöpfung einer verlorenen Gattung und deren rascher Untergang Beate Hintzen Neulateinische Hyporchemata In der neulateinischen Dichtung wurden bekanntermaßen nicht nur die antiken Versmaße imitiert und adaptiert, sondern man wagte auch gern einmal ein metrisches Experiment. Insbesondere der Barockhumanismus kann als Epoche des Experimentierens beschrieben werden, und dieses Experimentieren konnte durchaus manieristische Züge annehmen. Als Vertreter solch manieristisch anmutender Experimente im niederländisch-deutschen Barockhumanismus können vor allem Daniel Heinsius und Paul Fleming gelten, als ihr gemeinsames Vorbild Iulius Caesar Scaliger. Im Folgenden soll nun als Exempel solchen metrischen Experimentierens die Neuschöpfung des Hyporchema durch Iulius Caesar Scaliger nach dem Vorbild des sogenannten Pratinas-Fragments 1 und seine weitere, recht kurze Tradition beschrieben werden. Die Genese des neulateinischen Hyporchema lässt sich m. E. recht deutlich an der außergewöhnlichen metrischen Faktur sowie an der Relation von Inhalt und Form von Scaligers Hyporchema Baccho, Sileno, Pani, Gratiis, Cupidini, Cybelae, Veneri, Herae, Nemesi 2 ablesen, einem der frühesten mir bekannten als Hyporchema bezeichneten Texte. Weiterhin wird der Fokus auf Grotius᾽ kuriosem Hyporchema in obitum Aldinae catellae liegen, das die extreme Artifizialität dieser Textsorte bezeugt. Das neulateinische Hyporchema ist kein Massenphänomen. Diese Feststellung dürfte ihre Gültigkeit auch dann behalten, wenn sich in der ungeheuren Menge der neulateinischen Dichtung über die neun mir bisher bekannt gewordenen Gedichte ein paar weitere verbergen, die im Titel als Hyporchema bezeichnet werden oder aus metrischen Gründen dieser Textsorte zugeordnet 1 Bei diesem von Athenaios (14,617c-f) zitierten Fragment handelt es sich um das einzige umfangreichere Textstück der Gattung Hyporchema, das uns aus der griechischen Archaik überliefert ist. 2 Scaliger 1574, 188-189; 1591, 188-189; 1600, 175-177; Alsted 1630, Bd. 1, 557. <?page no="72"?> 72 Beate Hintzen werden können. Neben den erwähnten Hyporchemata von Scaliger und Grotius gehören hierzu in chronologischer Reihenfolge Scaligers Ad animam Fracastorij hyporchema, 3 Christian Becmanns Hyporchema ad Christianum II Ducem Saxoniae 4 sowie Paul Flemings Sylva 8,39 (= Suavium 39), Sylva 9,1,2 Sponsus ad Sponsam , Sylva 9,1,11 Sponsus ad Aedones , Sylva 9,2 Christo hodie-nascenti hyporchema 5 und Sylva 9,3,4 Hyporchema. Sponsus ad sponsam. 6 Als antike Gattung ist das Hyporchema weitgehend verloren, und die Vorstellung, die sich aus den Fragmenten von Texten, die so bezeichnet werden, sowie aus den Zeugnissen über Hyporchemata (Scholium zu Pindar, Pythie 2,127; Plutarch, Quaestiones convivales 748a7-b1; Athenaios 1,15d-e; 14,628d, 630d, 631c; Lukian, De saltatione 16) gewinnen lässt, ist nicht sehr klar. Schon die Bezeichnung ‚Tanzlied‘ ist problematisch, weil eigentlich alle Chorlieder als Tanzlieder in dem Sinne gelten müssen, 7 dass bei ihrer Vorführung poetischer Text, Gesang und Tanz des Chores zusammenkamen (Aristoteles, Poetik 1447b24-27). Allerdings ist bei den Hyporchemata im engeren Sinne umstritten, ob Sänger und Tänzer identisch sind. 8 Einige Zeugnisse deuten darauf hin, dass der Tanz das primäre Element darstellte. So soll der Archeget Thaletas von Gortyn ein solches Lied als Begleitung zum Waffentanz der kretischen Kureten, der sogenannten Pyrrhiche, gedichtet haben. 9 Entsprechend lässt sich in einigen Fragmenten ein lebhafter Rhythmus, in anderen ein kretisches Maß konstatieren. Strophische Korresponsion scheint hingegen für das Hyporchema nicht typisch zu sein. Zumindest weist das genannte Pratinas-Fragment keine solche Korresponsion auf. Der Text dieses Fragmentes ist durch die Überlieferung stark verderbt, jedoch durch die Konjekturalphilologie soweit wiederhergestellt worden, dass sich Inhalt und Metrum weitgehend erkennen lassen: Ein Sprecher, der am Ende des Fragments Dionysos als efeubekränzten Herrn apostrophiert, wendet sich gegen den Lärm der Flöte und beansprucht nachdrücklich die führende Rolle im Preislied des als Bromios bezeichneten Dionysos für sich. Metrisch lässt sich eine Abfolge von aufgelösten Anapästen, Daktyloepitriten, Trochäen, noch einmal Anapästen, Trochäen sowie Jamben mit einem abschließenden Ithyphallicus beobachten: 10 3 Scaliger 1591, 264; Übersetzung bei Hintzen 2015, 285-286. Ob unter den Hyporchemata Scaligers das Hyporchema Baccho, Sileno usw. oder das Ad animam Fracastorij hyporchema früher anzusetzen ist, lässt sich nicht entscheiden. Immerhin haben wir für das Letztere mit dem Tod Fracastoros 1553 einen Terminus post quem. 4 Alsted 1630, Bd. 1, 557. 5 Fleming 1863, 172-173; Übersetzung bei Hintzen 2015, 283. 6 Fleming 1863, 179-180; Übersetzung bei Hintzen 2015, 284. 7 Wilamowitz 1910, 77. 8 Diehl 1914, 341-342. 9 Ebd. 338, 340. 10 Text und metrische Analyse nach Zimmermann 1986, 149. <?page no="73"?> Neulateinische Hyporchemata oder die Neuschöpfung einer verlorenen Gattung 73 Τίς ὁ θόρυβος ὅδε; Τί τάδε τὰ χορεύματα; 2 an ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ‒ ⏑ ͡ ⏑ Τίς ὕβρις ἔμολεν ἐπὶ Διονυσιάδα πο- 2 an ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ⏑ ͡ ⏑ λυπάταγα θυμέλαν; an ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑ ⏑ ‒ Ἐμὸς ἐμὸς ὁ Βρόμιος, an ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ἐμὲ δεῖ κελαδεῖν, ἐμὲ δεῖ παταγεῖν 2 an 5 ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ἀν᾿ ὄρεα σύμενον μετὰ Ναϊάδων 2 an ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ οἷά τε κύκνον ἄγοντα D ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ποικιλόπτερον μέλος. E (= lec) ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ τᾶν ἀοιδᾶν κατέστασε Πιε- (3 e ⏑ ) ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ρὶς βασίλειαν· ὁ δ᾿ αὐλὸς (D ⏑ ) 10 ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ὕστερον χορευέτω E (= lec) ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ καὶ γὰρ ἔσθ ὑπηρέτας E (= lec) ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ κώμοις μόνον θυραμάχοις τε ‒E ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ πυγμασίαισι νέων θέλοι πάροινων (D ⏑ e ⏑ ) ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ἔμμεναι στρατηλάταις. E 15 ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ Παῖε τὸν φρυνέου 2 cr (=2 e) ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ποικίλου προὰν ἔχοντα· 2 tr (=E ⏑ ) ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ φλέγε τὸν ὀλοοσιαλοκάλαμον, 2 tr ⏑ ͡ ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑ λαλοβαρυοπα παραμελορυθμοβάταν 2 an ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ͡ ⏑ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ θῆτα τρυπανῳ δέμας πεπλασμένον. 3 tr^ (brev. in longo) 20 ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ Ἢν ἰδού· ἅδε σοι δεξιᾶς καὶ ποδὸς διαρριφά- 4 cr ia (= 4e ⏑ e) ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ θριαμβοδιθύραμβε, κισσόχαιτ᾿ ἄναξ, 3 ia ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ἀλλ᾿ ἄκουε τὰν ἐμὰν Δώριον χορείαν. E (=lec) ith ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ <?page no="74"?> 74 Beate Hintzen Was ist das für ein Lärm? Was sind das für Tänze? Welcher Frevel näherte sich dem laut schallenden Altar des Dionysos? Mein, mein ist Bromios. [5] Ich muss lärmen, ich muss schwärmen, durch die Berge stürzend zusammen mit den Najaden und wie ein Schwan anstimmend die buntgeflügelte Melodie der Gesänge. [10] Die Flöte aber soll später zum Tanz aufspielen. Sie ist nämlich Dienerin. Nur für türstürmende Komoi und Boxkämpfe von betrunkenen jungen Männern mag sie [15] Anführerin sein wollen. Schlage ihn, der den Atem des bunten Phryneos hat; verbrenne den rohrverderbenden, den lautes Geschwätz donnernden, den Rhythmus überschreitenden [20], vom Drillbohrer geformten Tagelöhner. Du aber, Thriambodithyrambos, efeubekränzter Herr, höre mein dorisches Tanzlied. Das Fragment wird von einigen Vertretern der Forschung einem Satyrspiel des ausgehenden 6. Jahrhunderts zugewiesen, 11 von anderen, namentlich Bernhard Zimmermann, einem Dithyrambos der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts. 12 Hier zeigt sich die Schwierigkeit, das Hyporchema von anderen Arten von Chorliedern zu unterscheiden. Insbesondere die Nähe zum Dithyrambos und zum Paian scheint groß. Die Verwandtschaft zum Paian wird dadurch deutlich, dass ein Paian Pindars über Jahrtausende als Hyporchema gelten konnte, bis er als Paian identifiziert wurde, und dass in der Antike darüber gestritten wurde, ob Xenodamas von Kythera Hyporchemata und Paiane gedichtet habe oder nur Hyporchemata, wobei ein von ihm überliefertes Lied eindeutig als Hyporchema zu gelten habe (Pseudo-Plutarch, De musica 1134c4-d3). 13 Dadurch, dass dem Exponenten erhabener und pathetischer griechischer Lyrik, d. h. Pindar, Hyporchemata zugeschrieben wurden (Athenaios 14,631c), konnte diese Form mit Pathos konnotiert werden. Noch nebulöser als die Vorstellungen, die ein Altphilologe zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Hyporchema haben konnte - die referierten Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf dem RE-Artikel von Ernst Diehl -, waren offensichtlich diejenigen des Arztes, Literaturhistorikers, Literaturkritikers und Dichters Iulius Caesar Scaliger. Scaliger widmet dieser Lied-Form im 47. Kapitel des 1. Buches seiner Poetices libri septem zwar einen eigenen Abschnitt, beschränkt sich aber auf eine Charakterisierung des Hyporchema als lockerer ( laxius ) und zwangloser ( remissius ) als der Dithyrambos, dem es nahestehe, sowie als voller Bewegung ( gestuosum ) und Leidenschaft ( affectuum plenum ) 14 - 11 Robbins 1998, 815. 12 Zimmermann 1986. 13 Diehl 1914, 342-343. Vgl. auch Bierl 2001, 103 Anm. 218, der „mimetische[n] Tanz mit der performativen Wortbegleitung als Sprechakt“ als Charakteristikum des Hyporchema und ebenso aller Chorgattungen des Rituals wie Dithyrambos und Paian ansieht. 14 Scaliger 1994, 400. <?page no="75"?> also durchaus als pathetisch - und schließt an diese Charakterisierung das Zitat des Pratinas-Fragmentes aus Athenaios an, wie er auch an anderen Stellen Informationen aus Athenaios bezieht, 15 also ebenso manches von dem aus Diehl zum Hyporchema Referierten gewusst haben dürfte. Der von Scaliger zitierte Pratinas-Text entspricht natürlich nicht der stark emendierten Fassung unserer Ausgaben, stellt aber den Text dar, auf dessen Grundlage sich Scaliger und seine Nachfolger ihr Verständnis vom Hyporchema gebildet haben. Deshalb muss dieser Text auch die Grundlage der folgenden Untersuchung bilden: 16 Τί̆ς ὁ̆ θό̆ρῠβο̆ς ὅ̆δε̆; Τί̆να τά̆δε̆ τὰ̆ χο̆ρεύ̄μᾰτᾰ; Τί̆ς ὕ̆βρῐς ἔ̆μο̆λε̆ν ἐ̆πὶ̆ Δῐο̆νῡσῐά̆δᾰ πο̆λῠπά̆τᾰγᾰ θῠμέ̆λᾱν 5 Ἐ̆μὸ̆ς, ἐ̆μὸ̆ς ὁ̆ Βρό̆μῐο̆ς. Ἐ̆μὲ̆ δε̄ῖ κε̆λᾰδε̄ῖν ἐ̆μὲ̆ δε̄ῖ πᾰτᾰγε̄ῖν ἀ̆ν᾿ ὄ̆ρε̆ᾰ ἐ̄σσύ̆με̆νο̄ν με̆τὰ̆ Νᾰϊ̆ά̆δω̄ν 10 ο̄ἷά̆ τε̆ κύ̄κνο̆ν ἄ̆γο̄ντᾰ ποῑκῐλό̄πτε̆ρο̄ν μέ̆λο̄ς τᾶ̄ν ἀ̆οῑδᾶ̄ν Οὔ̄τ᾿ αὐ̄λὸ̆ς ὕ̄στε̆ρο̄ν χο̆ρεῡέ̆τω̄· καὶ̄ γὰ̆ρ ἔ̄σθ ὑ̆πη̄ρέ̆τη̄ς κώ̄μω̄ν μό̆νω̄ν. 15 Πῠρᾱμά̆χοῑς τε̆ πῡγμᾰσί̆αῑσῐ πά̆ροῑνο̆ν ἔ̄με̆ναῑ στρᾰτη̄λά̆ταῑς. Παῖ̄ε̆ τὸ̄ν Φρῡναί̄οῡ ποῑκί̆λο̄ν προ̆ᾰνέ̆χο̄ντᾰ φλέ̆γε̆ τὸ̆ν ὀ̆λε̆σῐᾰλο̆κά̆λᾰμο̆ν λᾰλο̆βᾰρῠο̆πᾰρᾰμε̆λο̆ρῡθμο̆βά̆τᾱν 20 θῠ ̄πᾰτρῡπᾰνο̆δέ̆μρᾱς πε̆πλᾱσμέ̆νο̄ν νη̄νῐδό̆νᾰ. Σὺ̆ δὲ̆ δε̄ξῐο̆πό̆λε̆ θρῐᾱμβο̆δῑθύ̆ρᾱμβε̆ κῑσσό̆χαῑτ᾿ ἄ̆νᾱξ ἄ̆κοῡε̆ τὰ̄ν ἐ̆μὰ̄ν Δώ̄ρῐο̄ν χο̆ρεί̄ᾱν Was ist das für ein Lärm? Was sind das für Chortänze? Welcher Frevel näherte sich dem dionysischen, [5] lautschallenden Altar? Mein, mein ist Bromios; ich muss lärmen, ich muss schwärmen, durch die Berge eilend [10] mit den Najaden und wie ein 15 Zum Beispiel Scaliger 1994, 401 Anm. 629, und 403 Anm. 631. 16 Zitiert nach Scaliger 1994, 400/ 402. Neulateinische Hyporchemata oder die Neuschöpfung einer verlorenen Gattung 75 <?page no="76"?> 76 Beate Hintzen Schwan antreibend die buntgeflügelte Melodie der Gesänge. Später soll die Flöte nicht mehr zum Tanz aufspielen; [15] sie wird nämlich sein die Dienerin der Komoi allein. (…) und dem Boxen, betrunken sein für die Anführer. Schlag den vielfarbigen (…), verbrenne den (…) [20] (…) (…) den geformten (…). Du aber, gnädiger Thriambodithyrambos, efeubekränzter Herrscher, erweise deine Gunst meinem dorischen Chor. 17 Auf Grund dieses Textes ergibt sich für den frühneuzeitlichen Leser der Eindruck eines - zumindest stellenweise - schwer verständlichen Dionysos-Hymnus. Die metrische Faktur ist in Grundzügen zu erkennen, wenigstens ist klar, dass der Text zwar aus überdurchschnittlich vielen Kürzen, jedoch auch aus einer ganzen Reihe von langen Silben besteht. Scaligers Wahrnehmung ist hingegen primär auf die Kürzen gerichtet. Er bezeichnet das Gedicht als voll von Pyrrhichiern, d. h. voll von Doppelkürzen ( pyrrhichiis refertum ), 18 wobei er sich sicherlich vor allem auf die aufgelösten Anapäste am Anfang bezieht. Die Pyrrhichier bezeichnet er zwar im folgenden Kapitel als kennzeichnend für die bereits erwähnte lyrische Form der Pyrrhiche, zitiert aber in diesem Zusammenhang den Anfang seines eigenen, wie er sagt, ganz aus Pyrrhichiern bestehenden Gedichtes, das in den Ausgaben seiner Gedichte von 1574, 1591 und 1600 innerhalb des Abschnittes Farrago jeweils als Hyporchema Baccho, Sileno usw. bezeichnet wird. Scaligers Verständnis des Hyporchema beruht also zum einen auf der erwähnten Beziehung zur kretischen Pyrrhiche, zum anderen auf der selektiven Wahrnehmung des zitierten, Pratinas zugeschriebenen Hyporchema als aus Pyrrhichiern bestehendem Gedicht. Tatsächlich sind die 47 Verse von Scaligers Hyporchema Baccho, Sileno usw. jeweils aus 18 Silben gebildet, von denen die ersten 17 kurz sind und die letzte anceps ist: 19 Bĕnĕ cĭtŭs ĕgŏ pĕdĕ cĕlĕrĕ măgĭs ăgŏ nŭmĕrōs: Ăbĕōquĕ Vĕnĕrĕ dŭcĕ sŭpĕr ălĭ̆ ălŏcă vŏlāns. M(e) hŭmĕr(o) Ămŏr ĭbĭ gĕrĭt: ŏbĭt ĭnĭbĭ nĭtĭdă Chărĭs. Ăgĕ frĕtĭgĕnă Dĕă, Dĕŭs, ăgĕ pŭĕr, ŭbĭ fĕrŏr? Prĭŭs ăgĭlĭs ănĭmă mĕă, mŏdŏ păvĭtăt: ălĭās 5 cătă rĕfŭgĕrĕ vŏlŭĭt: ădĕŏ stŭpĭdă mĕtŭĭt. Sĭnĕ mĭhĭ, qu(ae) hăbĕŏ vĕtĕră: nŏvă nĭhĭl ĕgŏ mŏrŏr. Dŭbĭă mălă nĭmĭs ăvĭdŭs ŏcŭlŭs ŏpĕră bĭbĭt. 17 Übersetzung von Luc Deitz in: Scaliger 1994, 401/ 403 (die Ellipsen bezeichnen unverständliche Partien). 18 Scaliger 1994, 400. 19 Zitiert nach Scaliger 1574, 188-189; vgl. 1593, 188-189; 1600, 175-177; Alsted 1630, 557. Zum Text: 17 Zepherifrema] Alsted : Zepherifrena Scaliger 1574, 1591, 1600 50 Barybromie] Scaliger 1600, Alsted : Barybronie Scaliger 1574, 1591. <?page no="77"?> Vĭdĕŏ quĭd? Ăn ădĭt ĕă iŭgă săty̆rĭcă fĕră vīs? Tĕnŭĭă fŏlĭă, thy̆ăsĭtĕgă, făcĭfĕră quătĭt. 10 Vĕtŭlŭs hŭmĭlĭtĕr ălĭbĭ sĕdĕt hŏmŭlŭs ăsĭnō. Stătă crĕpĕrĭpĕdă cĭĕt ălĭă trĭpŭdĭă cŏhōrs. Fŭrŏr, ŏdĭă mĕră, călĭdă, tŭmĭdă, răbĭdă fŭgă. Lătĭcĭs hĭc ŏpĭcŭs ŏnĕrĕ mădĭdŭs. Ăt ăt ĕtĭăm grăvĭă glădĭă gĕmĭn(a). Ăb(i), ăb(i) ălĭ(o) ăgĕ tŭă flăgră. 15 Cŏlŭbrĭgĕrŭlă Fŭrĭă. Căpĭtă rŏtăt. Ŭb(i) ŭlŭlăt. Mărĭă Zĕphy̆rifrĕmă sŏnŭs ĕtĭ(am) ĕt ĕtĭ(am) ăcŭĭt. Vĭvĭd(um) ŏpĕrĭt ăbŏlĕt ŏcŭlĭtĕgă tĕnĕbră pŏlŭm. Căpră, lĕpŭs, ĕquŭs, ŏvĭs, ăquĭlă, lĕŏ, lŭpŭs, ărĭēs. Lătĭbŭlĭcŏlă pĕcŏră frŭtĭcĕ lătĕră sĭnŭānt. 20 Strĕpĭt ĭbĭ căvă spĕcŭlă, vĭrĭdĭă nĕmŏră frĕmūnt. Săcră nĕquĕŏ săt ăbŏlĭtă rĕpĕtĕrĕ lŏcă pĕdŭm: Făcĭlĭs ŭbĭ mĕmŏrĭă stătŭĭt ĭnĭtĭ(a) ănĭmī. Mĕmŏrĭă trĕmŭlă, flŭĭdă: bĕnĕfĭcĭă pĕrĕūnt, Văcŭă rŏtă vĕlŭt. Ĕă părĭbŭs hăbĭtă. Rădĭīs 25 spătĭă prĕmĭt ălĭ(a), ĕt ălĭă, sĭnĭbŭs ŭb(i) ăgĭtŭr. Rŭĭt ĭtă cŏr ălăcrĕ, vălĭdăquĕ nŏvăquĕ răbĭēs. Quĭs ĕrĭt ăd ĕă bŏnŭs, ĕt ăd ĕă quĭs ĕrĭt hăbĭlĭs? Ădĕs hĕdĕră nĕmŏrĭvăgă, pĕtĕ, răpĕ, quătĕ, trăhĕ. Rĕsĭlĭăt ăgĕ crĕpĭtŭs. Ădĕrĭt ĭbĭ lătrŏ mĭnāx, 30 spĕcŭă sŏpŏr ŭbĭ lĭquĭdŭs ănĭm(i) hĕbĕtăt ŏbĭēns. Quĭd ĕrŏ? Gĕlĭdă mŏră nĕgăt hĭlărĭŭs ĕă dărĕ. Ŭtĭn(am) hăbĕ(am) ălĭquĭd, ĭnŏpĭă qu(o) ăbĕăt ălĭ(o) ăbhīnc. Lăbŏr ĭnĕrĭt ĭn ŏnĕrĭbŭs: ŏnĕră grăvĭ(a) ĭgĭtŭr ĕrūnt. Ĭtă hŏnŏr ădĭgĭt ĕă făcĕrĕ, quĭbŭs ănĭmă săpĭt. 35 Fătŭŭs hĭăt hŏnŏr, ŏnŭs ŭbĭ plăcĭdă bŏnă prĕmĭt. Cĕlĕbrĭs hăbĭtăt ăpŭd ŏlĭdă pĕcŭă stŏlĭdĭtăs, Făcĭlĭŏr ŭt ŏpĕră dăbĭtŭr ăb hŏmĭnĕ nĭhĭlī. Trăhĕrĕ iŭbĕt ănĭmŭs ăvĭdŭs ĭn ăpĭcĭbŭs ĭtĕr. Vŏcăt ălĭŭd ŏpŭs ĭn ăgĭlĭbŭs ŏpĕrĕ frŭī. 40 Ĕă blătĕrŏ, sĭbĭ ĭtă lŏquĭtŭr, ŭt ĭnhĭat ŏpĭbŭs. Dătĕ, dăbĭtŭr. Hăbĕ, hăbĕŏ. Fĕrŏ, fĕr. Ŭt ăg(o), ĭtă t(u) ăgās. Mĭnĭmă rĕlĭgĭŏ cĭt ŏpĭvŏră căpĭtă pŏpŭlī. Vĭtrĕă Vĕnŭs, ĕt Ămŏr hĕrĕ, Hĕră bŏnă, bŏnă Nĕmĕsĭs. Pĕlăgĭdŏmĕ Nŏmĭĕ, Băry̆brŏmĭĕ, fĕmŏrĭgĕnă. 45 Pătĕr Eūĭĕ, Cy̆bĕlă Phry̆gĭă dŏmĭnă, dătĕ lŏcŭm. Răpĭŏr. Ănĭmŭlă mĭsĕrŭlă prŏpĕrĭtĕr ăbĭĭt. Neulateinische Hyporchemata oder die Neuschöpfung einer verlorenen Gattung 77 <?page no="78"?> 78 Beate Hintzen Ganz rasch mit schnellem Fuß treibe ich die Metren noch mehr voran und eile unter Venus Führung davon, andere Gegenden überfliegend. Mich treibt auf der Schulter Amor dorthin; gerade ergreift Besitz von mir die glänzende Charis. Wohlan, meergeborene Göttin, wohlan, göttlicher Knabe, wo bin ich? [5] Zuerst ist meine Seele flüchtig, bald bebt sie; ein anderes Mal wollte sie zurückfliehen; so ängstlich ist die dumme. Lass mir das Alte, was ich habe; ich mag nichts wissen von Neuem. Zweifelhafte, schlechte Werke nimmt das allzu gierige Auge in sich auf. Was sehe ich? Nähert sich dieser Höhe eine wilde Truppe von Satyrn? [10] Dünne Blätter, den Thiasus verbergende, schüttelt die fackeltragende (Truppe). Ein ältliches Menschlein sitzt anderswo kleinmütig auf einem Esel. Eine bestimmte stampffüßige Gruppe zeigt andere Waffentänze. Wahn, reiner Hass, hitzige, leidenschaftliche, rasche Flucht. Dieser Unmusische ist nass von einer Menge Milch. Aber, aber auch [15] zwei starke Schwerter sind da. Geh weg, geh weg und wende deine Geißeln anderswohin, schlangentragende Furie. Den Kopf rollt sie, wenn sie heult. Das westwindtosende Meer peitscht der Klang immer mehr auf. Den feurigen Himmel bedeckt augenverhüllende Dunkelheit und macht ihn unsichtbar. Ziege, Hase, Schaf, Adler, Löwe, Wolf, Widder, [20] schlupfwinkelbewohnende Tiere krümmen ihre Flanken im Strauchwerk. Es lärmt dort die gewölbte Grotte, die grünen Haine rauschen. Die heiligen, ganz abgeschafften Orte der Füße kann ich nicht zurückfordern, nachdem das gewandte Gedächtnis den Ursprung der Seele festgesetzt hat. Das Gedächtnis ist zitternd und schlaff - die Liebesdienste vergehen [25] wie ein hohles Rad. Mit gleichlangen Speichen eingerichtet durchmisst es eine Strecke und eine andere, wenn es sich durch die Krümmung dreht. So stürmt das rasche Herz; stark und neu ist die Tollheit. Wer wird dafür gut sein, wer wird dafür geschickt sein? Du bist da, waldumschlingendes Efeu, eile, raffe, schüttele, ziehe! [30] Wohlan, das Klappern soll nachlassen! Dort wird ein bedrohlicher Räuber sein, wo der erquickende Schlaf die Höhlen der Seele schwächt, wenn er kommt. Was werde ich sein? Die starre Zeit lässt nicht zu, dies mit allzu heiterer Miene zu geben. Hoffentlich habe ich etwas, wodurch der Mangel von hier irgendwo anders hin geht. Mühe wird bei den Aufgaben sein; also werden die Aufgaben schwer sein. [35] So zwingt die Ehre, das zu tun, woran die Seele Geschmack hat. Die alberne Ehre tönt, wo die Aufgabe auf ein friedliches Gut fällt. Häufig kommt Tölpelhaftigkeit bei stinkendem Vieh vor, so dass der Mensch für nichts sich leichtere Mühe macht. Die gierige Seele befiehlt, auf den Gipfeln den Weg zu gehen. [40] Eine andere Aufgabe ruft, unter Geschäftigen Nutzen aus einer Aufgabe zu ziehen. So schwatze ich, so spricht man mit sich, um nach Reichtum zu schnappen. Gebt, es wird gegeben werden. Halte, ich halte. Ich bringe, bring. Wie ich handle, so sollst du handeln. Die geringste Frömmigkeit weckt die hilfeverschlingenden Häupter des Volkes. Glänzende Venus, Herr Amor, gute Hera, gute Nemesis, [45] meerbeherrschender Hirte, lauttönender, schenkelgeborener Vater Euius, phrygische Herrin Kybele, gebt Raum. Ich werde hinweggerafft. Das elende Seelchen ist eilends hinfort gegangen. <?page no="79"?> In der Folgezeit waren Scaligers theoretische Beschreibung des Hyporchema in den Poetices libri septem und/ oder sein konkretes Hyporchema Baccho usw. anscheinend normbildend. Denn Johann Heinrich Alsted definiert diese poetische Form in seiner 1630 publizierten Encyclopaedia ausschließlich dadurch, dass nur kurze Silben verwendet werden (Liber X, Sectio IV, Capitulum V, XXVIII: Hyporchema est, quod non nisi breves admittit syllabas ). 20 Auch bestehen nicht nur beide als Hyporchemata bezeichneten Gedichte Scaligers aus Versen, die nur aus kurzen Silben mit einer abschließenden anceps gebildet werden, sondern es bestehen alle nach Scaliger entstandenen, mir bekannten lateinischen, jeweils als Hyporchema bezeichneten Gedichte aus solchen Versen, wobei diese Verse entweder gleiche (Scaliger, Hyporchema Baccho, Sileno usw.; Hugo Grotius, Hyporchema in obitum Aldinae catellae ; Christian Becmann, Hyporchema ad Christianum II Ducem Saxoniae ; Paul Fleming, Sylva 9,3,4 Hyporchema. Sponsus ad sponsam ) oder alternierende Silbenzahl (Scaliger, Ad animam Fracastorij hyporchema; Fleming, Sylva 9,2 Christo hodie-nascenti hyporchema ) aufweisen. Ebenso bestehen die drei genannten weiteren Gedichte Flemings, die nicht im Titel als Hyporchema bezeichnet werden, aus alternierenden, nur aus Kürzen mit abschließender anceps aufgebauten Versen: Sylva 8,39 (= Suavium 39) ; Sylva 9,1,2 Sponsus ad Sponsam und Sylva 9,1,11 Sponsus ad Aedones. Ein weiterer Beleg ist ein metapoetischer Hinweis Flemings in seinem Christo hodie-nascenti hyporchema (663-665) auf die besondere metrische Faktur des Textes: Brevibus at ego brevia pedibus / tibi mea volo canere canimina. Puere, brevis, / brevis opera mea tibi placeat . („Aber ich will dir meine kurzen Lieder in kurzen Füßen singen. Knabe, kurzer, mein kurzes Werk mag dir gefallen.“). 21 Sich mehr oder weniger ausschließlich auf Kürzen zu beschränken, ist im Lateinischen überaus schwierig, jedenfalls schwieriger als im Griechischen, das etwa doppelt so viele kurze wie lange Vokale aufweist, während im Lateinischen die Längen in etwa demselben Verhältnis wie im Griechischen die Kürzen überwiegen. 22 Abgesehen von der Auswahl des lexikalischen Materials begegnet Scaliger diesem Problem mit folgenden Maßnahmen: Alle Vokale vor Muta cum liquida misst er offensichtlich kurz. Auslautendes langes -e, -i oder -o oder Diphthonge verschleift er entweder mit der nächsten kurzen Silbe (1: me humero Amor ; 7: quae habeo ; 15: Abi, abi alio age ; 31: animi hebetat ; 38: quo abeat alio abhinc ; 47: ago, ita ut tu agas ) oder kürzt auslautendes langes -e, -i oder -o an 24 Stellen entsprechend derjenigen in antiker Dichtung zu beobachtenden Lizenz, die später als Iambenkürzungsgesetz erkannt und formuliert wurde 23 (1: 20 Alsted 1630, Bd. 1, 557. 21 Fleming 1863, 172-173; vgl. Hintzen 2015, 285. 22 Hooper 1975, 59, 61; Maltby 2002, 70. 23 Müller, C. 1869, 83-83; Skutsch 1890, 33-34; Skutsch 1892, 6-7; Skutsch 1934, 5. Neulateinische Hyporchemata oder die Neuschöpfung einer verlorenen Gattung 79 <?page no="80"?> 80 Beate Hintzen ego, ago ; 3: ibi ; 4: ubi ; 5: modo ; 6: adeo ; 7: habeo, ego ; 9: video ; 11: alibi ; 16: ubi, leo ; 22: nequeo ; 23: ubi ; 30: ibi, latro ; 32: ero ; 36: ubi ; 41: blatero, sibi ; 42: habe, habeo, fero ; 43: religio ), wobei die Kürzung des auslautenden -o außer im Dativ und Ablativ der o-Deklination in der lateinischen Dichtung der Antike tatsächlich weit verbreitet war. 24 Zur Kürzung des Diphthongs in Euie (46) mag sich Scaliger wegen der häufigen Kürzung von langen Vokalen vor einem folgenden Vokal berechtigt gesehen haben, doch werden Diphthonge in diesem Fall in der antiken Dichtung normalerweise nicht gekürzt. Möglicherweise hat Fleming in Sylva 9,3,4,23 Scaligers Fehler dadurch zu korrigieren versucht, dass er - jedenfalls in der Druckfassung - 25 nicht Euius , sondern Evius schreibt. Jedenfalls legt Flemings Benutzung der gleichen antik nicht belegten Epitheta barybromyus und femorigena ( Sylva 9,3,4,23-24; V. 45 bei Scaliger) für Euius/ Evius nahe, dass er an dieser Stelle auf Scaliger rekurriert. Dass aber Fleming das E von Evius vor einem Konsonanten v zu Recht kurz misst, kann, soweit ich sehe, antik nicht belegt werden. Auch Scaligers Kürzung des o in abeoque ist eigentlich nicht statthaft. Zwar ist die Kürzung von auslautendem o in Verbformen, wie gesagt, durchaus üblich und Scaliger mag aus der Beobachtung dieses Verfahrens eine Gesetzmäßigkeit abgeleitet haben, doch ist in der antiken Dichtung von Livius Andronicus bis Juvenal außer in quoque kein kurzes o vor -que belegt. 26 Der Verschleifung bzw. der Elision von langen Silben vor kurzen bedient Scaliger sich insbesondere beim Dativ bzw. Ablativ (1: humero ) sowie bei Monosyllaba (1: me ; 7: quae ; 38: quo ; 47: tu ), die in der antiken Metrik üblicherweise nicht gekürzt wurden. 27 Allerdings ist die Elision eines langen Vokals vor einem kurzen bei den antiken Komikern zwar geläufig, in der Hexameterdichtung aber auf die Fälle beschränkt, in denen der nachfolgende kurze Vokal auch lang gemessen werden kann wie z. B. das a in acies , indem das i als Konsonant betrachtet wird, oder beide Worte eng zusammenhängen. 28 Was den Inhalt von Scaligers Gedicht angeht, ist festzustellen, dass das Ich des Textes bzw. seine Seele sich in einem ekstatischen Höhenflug befindet (1-4; 47: rapior ) und das ausspricht (41: ea blatero ), was es in seinem Taumel erlebt. Seine Äußerungen sind nach dem Eindruck Jacopo Morellis dunkel bzw. unverständlich ( obscurus ), 29 nach meinem Eindruck stellenweise nahezu sinnfrei. Ich verweise insbesondere auf Vers 42: Date, dabitur. Habe, habeo. Fero, fer , dann 24 Hartenberger 1911, 9-10; Crusius 1986, 27. 25 Der Erstdruck der Taedae Schoenburgicae ist unter Bewahrung der zeitgenössischen Graphie ediert in Garber 2013; zum Hyporchema. Sponsus ad Sponsam ebd. 217. 26 Siehe die Belege zu *oque in Mastandrea/ Tessarolo 2001. 27 Hartenberger 1911, 8 Anm. 2 und 10. 28 Hartenberger 1911, 10-11. 29 Morelli 1819, 35: versibus satis longis, sed interdum obscuris . <?page no="81"?> aber auch auf die merkwürdige Apostrophe des Bacchus als „meerbeherrschender Hirte, lauttönender, schenkelgeborener Vater Euius“ (45-46). Tatsächlich ist die Geburt aus dem Schenkel des Jupiter ( femorigena ) ein Charakteristikum des Bacchus, Euius einer seiner Beinamen, doch die weiteren Epitheta sind üblicherweise mit anderen Göttern verknüpft, die der Überschrift zufolge nicht die Adressaten sind: Der Meerbeherrscher ( pelagidomus ) ist Neptun/ Poseidon (z. B. Cicero, De natura deorum 71,1; Vergil, Aeneis 5,799: domitor maris ), der Hirte ( nomios ) Apoll (Servius zu Vergils Eklogen, prooemium 1; 5,35; Georgica 3,2; 4,7; Donat, Vita Vergilii 53) und der Lauttönende ( barybromius ) eigentlich Jupiter/ Zeus (z. B. Pindar, Olympia 8,44: βαρυγδούπου Διός). Das für ,lauttönend‘ verwendete Adjektiv barybromius ist zwar in seinem zweiten Teil bromius homophon mit dem Beinamen des Bacchus Bromius, und es ist auch ein griechisches Adjektiv βρόμιος ,tönend, laut‘ belegt (Pindar, Nemea 9,8-9: βρομίαν φόρμιγγ’), doch für das Nominalkompositum barybromius gibt es weder im Lateinischen noch im Griechischen einen antiken Beleg. Man mag die bösartige Vermutung äußern, die Unverständlichkeit und die unüblichen, teilweise neu gebildeten Epitheta seien dem metrischen Zwang geschuldet, ausschließlich Kürzen zu verwenden, doch wahrscheinlicher scheint mir, dass Scaliger die Ekstase abbildet und die Dunkelheit, die Sperrigkeit und nicht zuletzt die geradezu monströs wirkenden Epitheta in den Versen 18-22 des Pratinas-Gedichtes imitiert. Diese These wird durch Scaligers Ad animam Fracastorij hyporchema bestätigt, einem durchaus verständlichen Text über die Aufnahme von Girolamo Fracastoros Seele in den Himmel, sowie durch seinen In Bacchum Galliambus, einen ebenso verständlichen Hymnus auf die Macht des Bacchus mit einigen mythischen Elementen, der in den Ausgaben der Poemata direkt auf das Hyporchema Baccho usw. folgt. 30 Dass dieser Hymnus in Galliamben, d. h. demjenigen Versmaß verfasst ist, das Catull für sein Attis-Gedicht (63) verwendet hat, ist insofern passend, als beide Gedichte einen ekstatischen Kult zum Gegenstand haben. Galliamben bestehen bekanntlich aus vier Ionici a maiore und damit zwar nicht ausschließlich aus Kürzen, in der zweiten Hälfte nach der Dihärese jedoch durchaus häufig aus immerhin 7 Kürzen und einer einzigen Länge im 3. Metrum. 31 Mit dem Hyporchema Baccho usw. verbindet den In Bacchum Galliambus überdies die für einen Götter-Hymnus typische Fülle von Epitheta des angerufenen Gottes. Von diesen Epitheta - es sind nicht weniger als 48 verschiedene - ist ein Teil als Beiname des Bacchus, ein Teil in ähnlicher Form als Beiname des Bacchus (4: Thyrsiger, Bicornis, Dionysus ; 5: Eleleus, Bimater ; 31: Bassareus, Euius ; 39: Lyus [statt: Lyaeus ], Lusius ; 58: Thyo- 30 Scaliger 1574, 189-193; 1591, 189-193; 1600, 177-181. 31 In der gängigsten Form des Schemas: ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ | ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ⏒ (Crusius 1986, 98). Neulateinische Hyporchemata oder die Neuschöpfung einer verlorenen Gattung 81 <?page no="82"?> 82 Beate Hintzen nieus [statt: Thyoneus ], Nyctilieus [statt: Nyctelius ]; 73: Eu[h]an ; 90: Nys[a]eus ; 91: Leneius [statt: Lenaeus ], Manicus ; 101: Licnites, Sabazius ; 130: Liber ; 131: Pericionius ) und ein Teil in anderen Kontexten belegt (55: Peregrinus, Semitalis, Xenius ; 73: Tauriformis [sonst Beiname des Flussgottes Aufidus, vgl. Horaz, Oden 4,14,25]; 101: Dius, Chthonius ; 130: Hagnus, Orgiastes ), wobei die Abweichungen von der belegten Form dem Metrum geschuldet sein dürften. Die Hauptquellen für die belegten und ähnlich belegten Epitheta sind im Bacchus-Preis im 4. Buch von Ovids Metamorphosen (11-15: Lyaeus, Bimater, Nyseus, Thyoneus, Lenaeus, Nyctelis, Eleleus, Euhan ) und in den Orphischen Hymnen (45,2: Bassareus [vgl. Horaz, Oden 1,18,11]; 45,4: Manicus ; 46,1: Licnites ; 47,1: Pericionius ; 48,1: Sabazius [vgl. Cicero, De legibus 2,37; De natura deorum 3,58]; 50, 2: Lysius ; 50,3: Euius [vgl. Cicero, Pro Flacco 60; Horaz, Oden 1,18,9; 2,11,17]) zu suchen. Thyrsiger (in Verbindung mit Lyaeus und Liber ) ist bei Seneca ( Medea 110, Phaedra 753) belegt, Bicornis als Epitheton des Bacchus (und in Verbindung mit Bassareus ) nur in einem Beispiel für ein ithyphallisches Metrum in einem bei Atilius Fortunatianus überlieferten Stück aus einem metrischen Traktat des Gaius Caesius Bassus (frg. 6,18). Dass Scaliger dieses Textstück gekannt hat, ist möglich, aber nicht unbedingt wahrscheinlich. 32 Nomius wird sogar zweimal (39, 58) als Beiname des Bacchus verwendet. Bei einem erheblichen Teil jedoch handelt es sich wie in dem Hyporchema Baccho usw. um nicht belegte Nominalkomposita, von denen zwei aus lateinischen (4: Bigenitus ; 130: Vitulifrons ), die meisten aber aus griechischen Bestandteilen gebildet sind (14: Baryctobromius ; 31: Barymenus, Gegeneophonus ; 55: Myrionymus ; 56: Hyperemeroclophypne, Ploinerterobathypne ; 58: Oreodromus ; 73: Meretrophus ; 90: Botrypyrigenes ; 101: Chryphomistes ; 130: Nooormus ; 131: Holodesmus, Brasmocrator ) und von denen sich die beiden Letzteren aus Periphrasen des 47. Orphischen Hymnus ergeben: […] ἔστησε κρατερῶς βρασμοὺς γαίης ἀποπέμψας […] ὃ δ’ ἀνέδραμε δεσμὸς ἁπάντων (3-5; „[…] der machtvoll das Beben der Erde beendete und abwendete […] er aber erhob sich als Fessel von allem“). Das im Hyporchema Baccho usw. verwendete Kompositum Femorigena erscheint in der Verbindung Semelefemorigena (5), pelagidoma (8: soror […] pelagidoma ) als Periphrase einer Meernymphe. Nicht nur eine Imitation, sondern ein wörtliches Zitat des spätantiken Lyrikers Septimius Serenus bildet der letzte Satz Scaligers (47) : Animula miserula properiter abiit . Serenus᾿ Satz, der bei dem Grammatiker Diomedes (I,513 GLK) tradiert ist, besteht aus 15 kurzen Silben, doch wissen wir ebenso wenig wie Scaliger, in welchem metrischen Kontext er gestanden hat. Von Serenus ist aber 32 Der Text des Atilius wurde 1504 zusammen mit einer Reihe weiterer, v. a. metrischer Schriften von Aulus Janus Parrhasius in Mailand ediert (Max Consbruch: Atilius 39, in: Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft 2,2 [1896], 2082-2083, bes. 2082), in den Poetices libri septem wird Atilius aber von Scaliger nicht erwähnt. <?page no="83"?> bei Martianus Capella (5,518) und Terentianus Maurus (1464) ein weiterer, aus 15 kurzen Silben bestehender Satz überliefert: Perit, abit, avipedis animula leporis , sodass auf Grund der metrischen Äquivalenz dieser beiden Sätze darauf geschlossen werden mag, dass Serenus tatsächlich aus 15 Kürzen bestehende Verse verfasst hat. Im Zusammenhang mit dem neulateinischen Hyporchema ist der Satz des Serenus über das Zugrundegehen des Hasenseelchens überdies insofern von Belang, als er als Modell für Hugo Grotius᾿ Hyporchema auf den Tod des Hündchens Aldina in Anspruch genommen wird. 33 Natürlich ist die inhaltliche Verwandtschaft von Versen über den Tod von Haustieren unübersehbar, doch sprechen die Bezeichnung als Hyporchema sowie die gleiche Länge der Verse - auch Grotius bildet Verse mit 17 Kürzen und einer anceps - dafür, dass Grotius auf Scaliger rekurriert: 34 Trĕpĭdŭlă cănĭs ănĭmŭlă Sty̆gă sŭbĭtŏ pĕtĭĭt, nĭgĕr ŭbĭ lăcŭs, ŭbĭ nĕbŭlă, ŭbĭ plăgă tĕnĕbrĭcă; nĕquĕ lŏcă sŭpĕră, nĭtĭdŭlă, vĭrĭdĭă rĕpĕtĕt. Ŭbĭ mĭsĕră pĕrĭĭt, hĕrĕ, tĭbĭ quĭs ĕrăt ănĭmŭs? Lăcry̆mŭlă cĭtă tĭbĭ cădĭt ĭnhĭbĭtă gĕmĭtĭbŭs, 5 tŭăquĕ mĕmŏrĭă vĕtĕră bĕnĕfĭcĭă rĕpĕtĭt. Hŏmĭnĭdŏmă, fĕrĭdŏmă, Cy̆prĭă, sălĭgĕnă Dĕă, tŭă vĭdĕŏ, tŭă măle pĭă, trŭcĭă făcĭnŏră. Vĕnĕrĕă iŭgă fŭgĭtĕ, văgă gĕnĕră quădrŭpĕdŭm. Sĭnĕ mărĕ, vĭdŭă, stĕrĭlĭs ăgĕrĕ bĕnĕ pŏtŭĭt. 10 Ămŏr ălĭŭd ădĭgĭt. Ĭtă gĕmĭnĭpără pĕrĭt. Dŏlĕt hĕrŭs, ĕt hĕrĭsĕquă, cĭthărĭcrĕpă, fămĭlĭă. Prŏcŭl ăgĭlĭă trĭpŭdĭă, fĭcĭdĭnă Dĕă prŏcŭl, lăbĭăquĕ lătĭcĭbĭbŭlă căpĭtăquĕ hĕdĕrĭgĕră, quĭă nĭvĕŏla, nĭgrŏcŭlă, cĭbĭpĕtă, cĕlĕrĭpēs, 15 tĕnĕrŭlă, plăcĭdă cătŭlă nĕcĕ săcrĭlĕgă ŏbĭĭt, ĕt ĭnănĭmă, cĭnĕrĭflŭă, sĭtă lăpĭdĕ tĕgĭtŭr. Sătĭs ăgĕ, sătĭs. Ăbĕŏ, bŏnă cătŭlă, bĕnĕ vălē. Mănĕt hĕr(i) ŏpĕrĭbŭs ălĭtă, tĭbĭ săcră cĕlĕbrĭtās. Das ängstliche Seelchen der Hündin eilte plötzlich zur Styx, wo ein finsterer See, wo Dunst, wo dunkle Gefilde sind, und wird nicht mehr zu den oberen hellen, grünen Gegenden zurückkehren. Nachdem die Arme tot war, wie, Herr, war deine Gemüts- 33 Morelli 1819, 35; Müller, L. 1869, 207. 34 Zitiert nach: Zanten 1796, 549-550; Morelli 1819, 35-36; [Morelli] 1823, 170-171. Zum Text: 13 tripudia] Zanten : fehlt Morelli crotala Editoren von [Morelli] ficidina] Zanten, Morelli : ficidinaque Editoren von [Morelli] laticibibula] Morelli : laticibula Zanten. Neulateinische Hyporchemata oder die Neuschöpfung einer verlorenen Gattung 83 - - - <?page no="84"?> 84 Beate Hintzen verfassung? [5] Tränen rannen dir rasch herab, unterbrochen von Seufzern, und das Gedächtnis vergegenwärtigte sich die alten Liebesdienste. Menschen und Tiere beherrschende Kypris, meergeborene Göttin, deine gar nicht liebevollen, deine furchtbaren Taten sehe ich. Die Höhen der Venus flieht, ihr umherstreifenden Arten der vierfüßigen Tiere! [10] Ohne Mann, verwitwet, kinderlos hätte sie gut handeln können. Amor drängt zu anderem. So stirbt die Zwillingsgebärerin. Es trauert der Herr und das Gefolge des Herrn, das zittertönende Gesinde. Fern seien lebhafte Dreischritte, fern die saitenspielende Göttin, fern auch milchtrinkende Lippen und efeutragende Häupter, [15] weil die glänzende, schwärzliche, futterbettelnde, schnellfüßige, zierliche, sanfte kleine Hündin einen gottlosen Tod starb und entseelt, in Asche zerfallend unter einem Stein liegt. Genug jetzt, genug! Ich gehe fort. Gutes Hündchen, lebe wohl! Es bleibt dir, genährt durch die Werke deines Herrn, eine heilige Berühmtheit. Das Hyporchema in obitum Aldinae Catellae findet sich in keiner Edition von Grotius᾿ Gedichten, 35 sondern wurde nur in die Appendix der von Laurens van Zanten 1796 publizierten Sammlung von Gedichten zahlreicher, insbesondere niederländischer Neulateiner Deliciae Poeticae aufgenommen. 36 Es geistert erst durch die Forschungsliteratur, seitdem der Direktor der Bibliotheca Marciana Jacopo Morelli den Text zusammen mit zahlreichen weiteren Epicedien anderer Autoren auf denselben Hund 37 in einer Handschrift in die Hände bekam, die den Titel trägt: Lacrymae poeticae Aleandri aliorumque in obitum Aldinae catellae, typis editae Parisiis 1622 und von einer praefatio Girolamo Aleandros eingeleitet ist. 38 Weitere Gedichte auf den Tod der Aldina sind in dem 55 Seiten starken, unter dem Namen Girolamo Aleandros in Paris 1622 publizierten Büchlein In obitum Aldinae catellae enthalten. Teilweise finden sich die Gedichte nur im Druck, teilweise nur in der Handschrift, nur wenige scheinen sowohl im Druck als auch in der Handschrift vertreten zu sein. 39 Dem Titel des (gedruckten) Epicediums 35 Eyffinger 1982, 111. 36 Zanten 1796, 549-550. 37 Morelli 1819, 34; Walker-Meikle 2013, 148. 38 Morelli 1819, 34-35. 39 Broekhuizen/ Verburg/ Huschke 1826, 69. Morelli 1819, 34-35 geht davon aus, dass alle Gedichte der Handschrift einschließlich der praefatio unediert sind. Walker-Meikle 2013, 148 Anm. 346 bezieht sich außer für das Epicedium Aleandros (als „long elegy“ bezeichnet, obwohl es ausschließlich aus Hexametern besteht), das sie im 1. Band der Carmina Illustrium Poetarum Italorum (Florenz 1719, 105-110) ausgemacht hat, ausschließlich auf die Handschrift der Bibliotheca Marciana Lat. Cl. XIV Cod. XLVII (Nr. 4705). Sie kennt weder van Zantens oder Morellis Editionen von Grotius᾿ Hyporchema noch den Druck In obitum Aldinae catellae von 1622. Morelli 1819, 34 und Walker-Meikle 2013, 148 nennen als Autoren der handschriftlich überlieferten Gedichte Josephus Suaresius, Petrus Marionius, Marcellus Joannetius, Joannes Jacobus Lamola, Hieronymus Brivius, Marcus Antonius Romitus, Hugo Grotius und Gerardus Vossius. Im Druck sind folgende Gedichte enthalten: Hier. <?page no="85"?> Aleandros In obitum Aldinae catellae suae festivitissimae 40 ist zu entnehmen, dass es sich bei Aldina um seinen eigenen Hund handelte. 41 Grotius᾿ Hyporchema ist in der gedruckten Sammlung nicht enthalten. Dass Morelli es der Edition für wert hielt, ist vermutlich auf die außergewöhnliche Form zurückzuführen. Wie der Text Eingang in van Zantens Sammlung fand, war für mich nicht ermittelbar. Metrisch sieht sich Grotius zu den gleichen Lizenzen gezwungen wie Scaliger. Es finden sich sechs Kürzungen von auslautendem -i, und -o in der beschriebenen Weise (1: subito ; 2: ubi ; 5: tibi : 8: video , 18: abeo, 19: tibi ) sowie eine Elision von auslautendem -i vor kurzem Vokal (19: heri ), wobei es sich hier um die Elision eines kurzen Vokals handelt, da das i von heri auch in antiker Dichtung gekürzt werden kann. In Becmanns Hyporchema ad Christianum II Ducem Saxoniae und Flemings Gedichten sind die gleichen Phänomene zu beobachten. Inhaltlich präsentieren sich Grotius᾿ 19 Verse als antikisierendes Grabepigramm, in dem zunächst der Eingang der Hundeseele in die Unterwelt festgestellt (1-3), dann die Trauer des Herrn beschrieben wird (4-6). Daraufhin wird Venus die Schuld am Tod des kleinen Tieres und damit eine Rolle gegeben (7-11), die in Opposition zu ihrer Funktion als Lebensspenderin steht, als die sie von Lukrez (1,1-23) gepriesen wird. Noch einmal ist von der Trauer des Herrn und seiner Umgebung die Rede (12). Alle Freudenäußerungen sollen fernbleiben (13-14), weil Aldina tot ist, wobei die Hündin mit zahlreichen Epitheta versehen wird (15-18). Zuletzt nimmt das Sprecher-Ich Abschied von Aldina und ihrem Grab. Die Analogie zwischen dem Hund, der in die düstere Unterwelt eingeht, und Catulls Sperling, der denselben Weg beschreitet (Catull, Carmina 3,11-12), ist deutlich und wurde dementsprechend bereits in der Literatur vermerkt. 42 Aleandri Iunioris Epicedium in obitum Aldinae catellae suae festinatissimae (3-9, Hexameter), Joannis Barclaei In Aldinae mortem (10, elegische Distichen), Alexandri Pollini (10-12, iambische Trimeter), Laurentii Pignorii Aldinae prosopopoeia ad dominum suum (12-14, elegische Distichen), Nicolai Villanii (15-16, Hendekasyllaben), Francisci Rogeri (16-27, Hexameter), M. Antoni Romiti, Eiusdem, Eiusdem (27-29, elegische Distichen), Martini Sandelii (29, elegische Distichen), Benedicti Milani, Eiusdem (29-33, elegische Distichen), Valentini Paschalii (33-35, Hendekasyllaben), Thomae Dempteri, Eiusdem (36, elegische Distichen), Bartolomei Tortoleti (36-37, elegische Distichen), Francisci Aleandri, Eiusdem, Eiusdem (37, elegische Distichen), Alberti Vespasiani Mori Aldinae epistola ad dominum suum (38-45, elegische Distichen), Gismundi Boldonii (46, Hendekasyllaben), Claudii Belurgi (47-51, griechische katalektische iambische Dimeter), außerdem je zwei Grabschriften von Laurentius Pignorius und Martinus Sandelius (52-55). Insoweit kann es eine Überschneidung nur bei den Gedichten des Romitus gegeben haben. Über die Gründe, weshalb nur ein Teil der Gedichte zum Druck gelangte, kann nur spekuliert werden. 40 Aleandro 1622, 3. 41 Broekhuizen/ Verburg/ Huschke 1826, 69 und Rosa 1960, 35, geben hingegen an, dass sich die Gedichte auf den Hund des Aldo Manuzio beziehen. 42 Broekhuizen/ Verburg/ Huschke 1826, 68-69. Neulateinische Hyporchemata oder die Neuschöpfung einer verlorenen Gattung 85 <?page no="86"?> 86 Beate Hintzen Doch Grotius᾽ Hyporchema parodistisch-komische Züge zu attestieren, 43 wie sie in Catull 3 naheliegen, verbietet der Kontext der weiteren Epicedien auf Aldina, insbesondere desjenigen ihres Besitzers. Aleandro schildert in seinem Epicedium sehr realistisch das Aussehen und das (hundetypische) Verhalten seiner Aldina sowie die Umstände ihres Todes, dass sie nämlich - trotz aller Mühe und Fürsorge ihres Herrn - im Alter von gerade zwei Jahren nach der Geburt von Jungen starb, nachdem die Welpen bereits tot waren. Ohne diesen Kontext ist freilich die Versuchung groß, über die trepidula […] animula (1), die Verkleinerung von Substantiv und Attribut zu schmunzeln. Auch zeigen die spätesten der genannten Hyporchemata, Flemings Sylva 8,39 (= Suavium 39) und Sylva 9,3,4 Hyporchema. Sponsus ad sponsam , die beide zu Hochzeitsschriften gehören, durchaus einen spielerischen Charakter. Letzteres stellt eine dem Anlass entsprechende Aufforderung zum Tanz dar, Ersteres ist ein Liebesgedicht, in dem mit einer gewissen Übertreibung und einer überbordenden Fülle von Diminutiva die Abhängigkeit des Sprecher-Ichs von der Gnade und Ungnade der Geliebten formuliert wird. 44 Doch ursprünglich ist die Tendenz des Hyporchema seiner Herkunft entsprechend eher ernsthaft. So finden sich unter den genannten Texten drei, die zu Gedicht-Zyklen anlässlich eines Todesfalls gehören, d. i. Scaligers Ad animam Fracastorij hyporchema aus den Arae Fracastoreae sowie Flemings Sylva 9,1,2 Sponsus ad Sponsam und Sylva 9,1,11 Sponsus ad Aedones aus den Arae Schoenburgicae . Scaligers Hyporchema Baccho, Sileno usw. und Flemings Sylva 9,2 Christo hodie-nascenti hyporchema sind Götterhymnen, der eine pagan-antikisierend, der andere christlich, und Becmanns Hyporchema ad Christianum II Ducem Saxoniae preist den Sachsenherzog. Auch in Flemings Sylva 9,1,2 Sponsus ad Sponsam auf den Tod von Maria Juliane von Schönburg findet sich gleich im ersten Vers die animula (die in den Tod entflohen ist), und zwar ebenso wie in den erwähnten Versen des Serenus und ebenso wie im ersten Vers der iambischen Dimeter, die Hadrian kurz vor seinem Tod geschrieben haben soll ( Scriptores Historiae Augustae, Hadrianus 25,9): Ănĭmŭlă văgŭlă, blāndŭlă, hōspēs cŏmēsquĕ cōrpŏrĭs quaē nūnc ăbībĭs īn lŏcă pāllĭdŭlă, rĭgĭdă, nūdŭlă, nĕc, ūt sŏlēs, dăbīs jŏcōs? 43 Als komisch wird das Gedicht von K. D. 1823, 925 eingestuft. 44 Hintzen 2015, 379. <?page no="87"?> Unstetes, reizendes Seelchen, Gast und Geleiter des Körpers, in welche bleiche, unerbittliche, nackte Gegend gehst du nun von dannen und scherzt auch nicht mehr wie gewohnt? Die Hadrian zugeschriebenen Dimeter, die gerade im ersten Vers fast völlig aufgelöst sind, werden als antikes lateinisches Vorbild für Fleming in Anspruch genommen, auch wenn m. E. Flemings Referenz auf Scaliger außer Frage steht. Insgesamt zeigt das häufige Vorkommen der animula in pyrrhichischen bzw. pyrrhichisch wirkenden Versen sowie das ebenso häufige Vorkommen von Diminutiva in allen Gedichten, die auffällige Rekurrenz bestimmter Adjektive ( nitidus, lepidus, viridis u. a.), die Häufigkeit des Femininum Singular der a-Deklination und des Neutrum Plural, wie sehr sich die Dichter durch die Beschränkung auf Kürzen lexikalisch eingeengt hatten. Wie es scheint, stellt also das neulateinische Hyporchema eine metrische Form dar, die theoretisch und praktisch auf Iulius Caesar Scaliger zurückgeht, der seine Vorstellung vom antiken Hyporchema am sogenannten Pratinas-Fragment orientiert. Diese Form fordert mit Ausnahme der Endsilbe die ausschließliche Verwendung von kurzen Silben, die entweder zu Versen gleicher Silbenzahl oder alternierenden Versen zusammengesetzt werden. Die Beschränkung auf kurze Silben macht zum einen eine Beschränkung auf ein überschaubares lexikalisches Material notwendig, zum anderen die Ausnutzung aller Möglichkeiten, Silben zu kürzen, und die Elision von langen vor kurzen Silben. Typisch für das Hyporchema ist überdies die Verwendung von Diminutiva und von zahlreichen, oft als Nominalkomposita neu gebildeten Epitheta, die sicherlich zum Teil den metrischen Zwängen geschuldet ist. Die Verwendung der auffälligen Epitheta orientiert sich aber auch an entsprechenden Epitheta des Pratinas-Fragments. Die Frage liegt nahe, weshalb Dichter eine Form herausbilden und sich in ihr betätigen, die ihrem Dichten solch enge Beschränkungen auferlegt. Eine poetologische Antwort könnte lauten, dass sie sich in einer Form der archaischen griechischen Lyrik betätigen, in der, wie gesagt, auch Pindar gedichtet haben soll, dass sie also in gewisser Weise pindarisieren. Die prosaische Erklärung muss wohl lauten, dass diese Form technisch überaus schwierig und mühevoll ist, wie Scaliger es in der Überschrift seines Hyporchema Baccho, Sileno usw. formuliert: omnium poematium operosissimum , 45 und die Dichter ihre technische Brillanz unter Beweis stellen wollten. In diesem Sinn hätte Grotius z. B. danach gestrebt, unter den zahlreichen Epicedien auf Aldina etwas Besonderes zu bieten. In Alsteds Encyclopaedia findet sich das Hyporchema jedenfalls unter den Technopaegnia . Die Hyporchemata Flemings, der mit fünf Exemplaren 45 Scaliger 1574, 188; 1591, 188; 1600, 175. Neulateinische Hyporchemata oder die Neuschöpfung einer verlorenen Gattung 87 <?page no="88"?> 88 Beate Hintzen die Hauptmasse beisteuert, stammen sämtlich aus den Jahren 1630/ 31, seiner poetischen Frühzeit und experimentellen Phase. Möglicherweise hat sich also Scaligers metrische Neuschöpfung trotz ihrer erhabenen Herkunft wegen ihrer extremen Künstlichkeit schnell totgelaufen. Nicht jedes Geschöpf, das aus dem Geist der Antike geboren wird, ist also lebenskräftig, und selbst der Barockhumanismus hat nicht jedes manieristische Spiel goutiert. Literaturverzeichnis 1. Primärtexte Aleandro, Girolamo: In obitum Aldinae catellae, Lacrymae poeticae. Paris 1622. Alsted, Johann Heinrich: Encyclopaedia, 7 Bde., Herborn 1630 [Nachdruck Stuttgart 1989/ 90]. Fleming, Paul: Paul Flemings deutsche Gedichte, herausgegeben von Johann Heinrich Lappenberg, Stuttgart 1863 (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, Bd. 73 [Nachdruck Amsterdam 1969]. Scaliger, Iulius Caesar: Poemata, [Heidelberg] 1574; weitere zitierte Auflagen Genf 1591; [Heidelberg] 1600. Scaliger, Iulius Caesar: Poetices libri septem. Bd. 1: Buch 1 und 2. Herausgegeben und übersetzt von Luc Deitz, Stuttgart 1994. Zanten, Laurens van (Hg.): Deliciae Poeticae, Bd. 8, Leiden 1796. 2. Sekundärtexte Bierl, Anton: Der Chor in der Alten Komödie. Ritual und Performativität (unter besonderer Berücksichtigung von Aristophanes᾿ Thesmophoriazusen und der Phalloslieder fr. 851 PMG), München 2001. Broekhuizen, Jan/ Verburg, Isaac/ Huschke, Immanuel G.: C. Valerii Catulli carmina sex priora cum commentariis Ian. Broukhusii Isaac. Verburgii et editoris, in: Immanuel G. Huschke (Hg.): Analecta Litteraria, Leipzig 1826, i-xxxii, 1-76. Crusius, Friedrich: Römische Metrik. Eine Einführung. Neu bearbeitet von Hans Rubenbauer, Hildesheim 1986. D., K.: Bibliographische Notiz zu: Jacobi Morelli, Bibliothecae Regiae D. Marci Venetiarum Praefecti Epistulae septem variae eruditionis, quarum tres nunc primum prodeunt, Padua 1819, in: Göttingische gelehrte Anzeigen 2 (1823), 921-925. Diehl, Ernst: Hyporchema, in: Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft 8,1 (1914), 338-343. Eyffinger, Arthur: Inventory of the Poetry of Hugo Grotius, Assen 1982. Garber, Klaus: Martin Opitz, Paul Fleming, Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas, Köln 2013. Hartenberger, Rudolf: De o finali apud poetas Latinos ab Ennio usque ad Iuvenalem, Bonn 1911. <?page no="89"?> Hintzen, Beate: Paul Flemings Kußgedichte und ihr Kontext, Göttingen 2014 (Super alta perennis, Bd. 16). Hooper, Richard Walter: A Stylistic Investigation into the Third and Fourth Book of the Corpus Tibullianum, Diss. Yale University 1975. Maltby, Robert: Tibullus. Elegies. Text, Introduction and Commentary, Cambridge 2002. Mastandrea, Paolo/ Tessarolo, Luigi (Hg.): A CD-Rom of Latin Medieval Poetry (650- 1250 A.D.) with a Gateway to Classical and Late Antiquity Texts, Florenz 2001. Morelli, Jacopo: Epistulae septem variae eruditionis, quarum tres nunc primum prodeunt, Padua 1819, 35-36 [= Jacopo Morelli: Operette, Bd. 2, Venedig 1820, 239-241]. [Morelli, Jacopo: ] Hugonis Grotii carmen, quod paucissimis legere contigit, The Classical Journal 27 (1823), 170-171. Müller, Carl Friedrich Wilhelm: Plautinische Prosodie, Berlin 1869. Müller, Lucian: Geschichte der klassischen Philologie in den Niederlanden. Mit einem Anhang über die lateinische Versifikation der Niederländer, Leipzig 1869. Robbins, Emmet: Hyporchema, in: Der Neue Pauly 5 (1998), 815-815. Rosa, Alberto Asor: Aleandro, Girolamo, il Giovane, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 2, Rom 1960, 135-136. Skutsch, Franz: Lateinische Sprache und Literatur, in: Kritischer Jahresbericht über die Fortschritte der romanischen Philologie 1 (1890), 25-38. Skutsch, Franz: Plautinisches und Romanisches. Studien zur Plautinischen Prosodie, Leipzig 1892 (Forschungen zur lateinischen Grammatik und Metrik, Bd. 1). Skutsch, Otto: Prosodische und metrische Gesetze der Iambenkürzung, Göttingen 1934 (Forschungen zur griechischen und lateinischen Grammatik, Bd. 10). Walker-Meikle, Kathleen Fiona: Late Medieval Pet Keeping. Gender, Status and Emotions, Microform-Ausgabe, Diss. University College London 2013. Wilamowitz-Möllendorf, Ulrich von: Einleitung in die griechische Tragödie, Berlin 2 1910. Zimmermann, Bernhard: Überlegungen zum sogenannten Pratinasfragment, in: Museum Helveticum 43 (1986), 145-154. Neulateinische Hyporchemata oder die Neuschöpfung einer verlorenen Gattung 89 <?page no="91"?> Il carmen anguineum di Lidio Catto Poesia enigmatica ed enigmistica tra stampe e manoscritti Stefano Cassini La vita del poeta e i suoi Opuscula I pochi studi finora esistenti sulla figura di Bernardino Catti di Ravenna hanno sempre sottolineato la particolare sensibilità di questo poeta per la sperimentazione e il non convenzionale. 1 Bernardino Catti (o Catto o Gatti), che adotterà il soprannome ‘Lidio’ in onore della sua misteriosa amata Lidia, nacque a Ravenna nella seconda metà del XV secolo. Grazie alle opere di erudizione e ai documenti di archivio, è possibile tracciare un profilo abbastanza esaustivo della vita del poeta. Diventato notaio pubblico nel 1481, Lidio si trasferì a Padova, dove la sua presenza è registrata negli Acta dell’Università già a partire dal 1484, così come è registrata la sua laurea in diritto civile nel 1491. 2 Il soggiorno padovano dev’essere stato un punto di svolta non solo professionale, ma anche poetico: nella Padova macaronica, il Catti ha potuto elaborare il suo stile sperimentale, spesso basato sull’incontro tra volgare e latino, nonché conoscere l’allora podestà Leonardo Loredan, futuro doge di Venezia. L’ossessiva presenza di quest’ultimo nell’opera del poeta-giurista lascia suppore che potesse essere il suo mecenate. 3 Tornato tuttavia in patria, Bernardino sembrerebbe essersi concentrato soprattutto sulla carriera giuridica e politica, rivestendo numerosi incarichi pub- 1 Su Bernardino Lidio Catti: Ginanni 1769, 129-136; Muratori 1910, 124-131. Per la produzione sperimentale del ravennate: Pozzi 1981, 186, 198, 283, 286; id. 1984, 16, 66, 131, 140; Comboni 1996, 74-75; Duso 2004, XXII, XXVIII-XXIX, XLI-XLVIII, LXXX-LXXXI, XCIV, XCVI, CV, CIX, CXV-CXVI, 47-53, 107. 2 Martellozzo Forin 2001, 720, 1048-1049. 3 Ginanni 1769, 135. <?page no="92"?> 92 Stefano Cassini blici, tra cui spiccano il ruolo di podestà a Forlì e Cesena 4 e l’incarico d’ambasciatore per la propria città, persino presso il papa. 5 In un documento ravennate del 1530 viene menzionato come defunto. 6 Ebbe sicuramente quattro figli: Venerio, Livio, Laura e Livia. Livio in particolare fu abate di Classe e potrebbe essere lo stesso Livius Cattus della nota di possesso del manoscritto Classense 18, una copia quattrocentesca dei Rerum vulgarium fragmenta e dei Trionfi di Petrarca. 7 Infine, Serafino Pasolini sostiene che alla laurea in diritto il Catti avrebbe affiancato la laurea poetica, 8 ma non ho trovato ulteriori riscontri al riguardo. L’opera più famosa di Lidio sono sicuramente i Lydii Catti Ravennatis opuscula , stampati a Venezia nel 1502 da Giovanni Tacuino, sotto l’egida del grande editore Girolamo Avanzi. Si tratta di una raccolta dedicata al neoeletto doge Leonardo Loredan, formata da versi perlopiù atipici e curiosi composti tra il 1487 e il 1502, suddivisi in sette sezioni. In questo vero e proprio scrigno di stravaganze latine e volgari, le terzine dantesche e la sestina sono scritte in esametri, talvolta compare un carmen Sotadicum, oppure il poeta, cedendo alla sua formazione giuridica, intenta un processo contro la propria amata perché gli restituisca il cuore . 9 Non mancano certo carmina più tradizionali, ma l’attenzione del pubblico non può che essere inevitabilmente attratta dagli esperimenti più curiosi e arditi. Lo stesso poeta d’altro canto dimostra un forte orgoglio nel sottolineare la propria paternità delle invenzioni più audaci: la seconda sezione, che raccoglie i carmina più sperimentali, ostenta nel titolo la dichiarazione a nullo alio tali genere forte composita . Tra questi esperimenti spicca senza ombra di dubbio il carmen anguineum . La struttura del carmen anguineum Il carmen anguineum più noto si trova a c. Bvi r degli Opuscula , col titolo Ad Leonardum Laurodanum divinum Venetiarum principem de Sfortiae Francisci, Ludovici et Catharinae Sfortiadum genealogia deque eiusdem Catharinae Ascaniique Cardinalis captivitate, suspenso inter medios angue ac novato gressu signato pronosticho, Lydii Catti Ravennatis carmen . 4 ASCRa, Fondo Testi Rasponi , CXLI, 1511.10.6; Carrari 2009, 473. 5 Pasolini 1682, 27. 6 ASRa, Corporazione Religiosa Classe , CLXVIII, 1530.9.20. 7 Si veda Vecchi Galli 1993, 632, sebbene in quest’ultimo contributo la nota non sia attribuita a Livio. 8 Pasolini 1703, 74. 9 Sul Processus del Catti si vedano Regolini 2017; Cassini 2018. <?page no="93"?> Il carmen anguineum di Lidio Catto 93 Sfortia: Franciscus: Ludovicus: vertitur: ergo fortuna: ad populi: Francisco: filius: ortus Cottignolae: oritur: satus est: Ludovicus: in orbe mutatur: vocem: genitore: ad proelia: pugnat. Sfortia: Franciscus: Ludovicus: ducitur: et nil sub sole: ad Gallum: princeps: victoria: vincit multos: bellorum: efficitur: Ludovicus: habetur perpetuum: captus: patriae: cantatur: in armis. Sfortia: Franciscus: Ludovicus: mittitur: hoc sit exemplo: Ascanius: fugit: connubia: terras debellat: Blancae: venientem: ad vincla: tenenti imperium: Venetum: regem: contraxit: habetque. Sfortia: Franciscus: Catharina: hoc accidit: una iustitia: ex annis: neptis: cum coniuge: praeda efficitur: pariter: bellatrix: mille: regentes firmat: quingentis: capitur: dominantur: aquarum. A prima vista, questo peculiare componimento si presenta come una successione di parole suddivise in segmenti e colonne. Se si attua una lettura da sinistra a destra, si formeranno esametri perfetti ma privi di senso. Il carmen è quindi seguito dalla didascalia Venetiis decantatum e dal breve epigramma Constructio con cui, tramite un’analogia, il poeta suggerisce la corretta chiave di lettura: Ascanium Marcus, rex Maurum, Borgia neptem, ast anguem hoc coepi carmine Cattus ego. Hunc coepi et viso Ludovici nomine captum suspendi et posui versibus in mediis. Versibus anguis inest igitur, tu clarius ergo anguineo lector carmina more lege. Marco catturò Ascanio, il re prese il Moro, Borgia la nipote, / ma io, Catto, ho catturato il serpente con questo componimento. / L’ho catturato e, visto il nome di Ludovico, una volta preso il serpente, / l’ho sospeso e l’ho posto nel mezzo dei versi. / Dunque il serpente si trova nei versi, perciò tu / lettore, leggi più chiaramente il componimento a mo’ di serpente. L’intero epigramma gioca semanticamente sul tema del serpente, sfruttando l’ambiguità tra lo stemma degli Sforza e la tipologia del componimento. Riallacciandosi perciò al tema del carmen anguineum , il Catti innanzitutto rivendica la paternità dell’invenzione nel primo distico: come Venezia ( Marcus ), Luigi XII di Francia ( rex ) e Cesare Borgia catturarono rispettivamente i tre “serpenti” Ascanio Maria, Ludovico il Moro ( Maurum ) e sua nipote Caterina ( neptem ), così anche il <?page no="94"?> 94 Stefano Cassini poeta - il cui Cattus ego non può che richiamare il topos classico del primus ego-- avrebbe preso un serpente col suo carmen . 10 Una volta catturato, questo è stato posto versibus in mediis , perciò il lettore dovrà leggere il tutto anguineo more . Leggendo queste indicazioni, la prima risposta che si potrebbe dare all’enigma è la lettura bustrofedica. Tuttavia, sebbene segua perfettamente l’andamento tipico del serpente, questa non darà risultati utili, perché i versi continueranno a non avere significato. Il primo studioso a suggerire per iscritto la corretta chiave di lettura del carmen anguineum fu Rinaldo Fulin. 11 Lo studioso venne direttamente a conoscenza del carmen lavorando sui diari di Marin Sanudo, avendo quest’ultimo copiato il componimento, con alcune varianti testuali, alla fine del maggio 1500. Ciò permette di dare una spiegazione alla didascalia Venetiis decantatum che conclude il carmen degli Opuscula , aprendo alla possibilità di un’effettiva presentazione di una redazione precedente del componimento da parte del poeta nella capitale della Serenissima. Il Fulin, a ogni modo, partendo dall’indovinello e notando come la colonna centrale iniziante con Ludovicus (cf. viso Ludovici nomine ) fosse l’unica ad aver senso, capì che l’andamento serpentino in verità non dev’essere seguito parola per parola, ma piuttosto dev’essere usato per unire precisi segmenti di colonne opposte. Grazie a questo metodo, il lettore comprenderà il testo e il serpente farà comunque capolino, alla stregua del gioco in cui si devono unire i puntini per ottenere un disegno. I segmenti da unire, per esempio, per ottenere la prima strofa saranno il primo dei versi dispari e l’ultimo dei versi pari, secondo il seguente schema: Sfortia: Franciscus: Ludovicus: vertitur: ergo Fortuna: ad populi: Francisco: filius: ortus Cottignolae: oritur: satus est: Ludovicus: in orbe Mutatur: vocem: genitore: ad proelia: pugnat. Sfortia: Franciscus: Ludovicus: ducitur: et nil Sub sole: ad Gallum: Princeps: victoria: vincit Multos: bellorum: efficitur: Ludovicus: habetur Perpetuum: captus: patriae: cantatur: in armis. Sfortia: Franciscus: Ludovicus: mittitur: hoc sit Exemplo: Ascanius: fugit: connubia: terras Debellat: Blancae: venientem: ad vincla: tenenti Imperium: Venetum: Regem: contraxit: habetque. Sfortia: Franciscus: Catharina: hoc accidit: una Iustitia: ex annis: neptis: cum coniuge: praeda Efficitur: pariter: bellatrix: mille: regentes Firmat: Quingentis: capitur: dominantur: aquarum. Verso 1: Sfortia ortus Cottignolae pugnat . Verso 2: Sfortia vincit multos in armis. Verso 3: Sfortia terras debellat habetque. Verso 4: Sfortia praeda efficitur aquarum. 10 Il coepi ai versi 2 e 3 sarà da leggere cepi , alla stregua di fenomeni come foelix per felix , ben presenti nell’opera del Catti. 11 Fulin 1880, 131-132. <?page no="95"?> Procedendo in questo modo, per ottenere la seconda strofa si unirà il secondo segmento dei versi dispari con il penultimo dei versi pari, per la terza strofa si leggerà in verticale la colonna centrale, per la quarta si unirà il penultimo segmento dei versi pari con il secondo dei dispari e infine per la quinta strofa l’ultimo segmento dei versi pari con il primo dei dispari. Il risultato finale sarà questo poema sui tre Sforza succitati: Sfortia ortus Cottignolae pugnat. Sfortia vincit multos in armis. Sfortia terras debellat habetque. Sfortia praeda efficitur aquarum. 4 Franciscus filius oritur ad proelia. Franciscus victoria bellorum cantatur. Franciscus connubia Blancae contraxit. Franciscus cum coniuge pariter dominantur. 8 Ludovicus Francisco satus est genitore. Ludovicus princeps efficitur patriae. Ludovicus fugit venientem regem. Catharina neptis bellatrix capitur. 12 Vertitur ad populi Ludovicus vocem. Ducitur ad Gallum Ludovicus captus. Mittitur Ascanius ad vincla Venetum. Hoc accidit ex annis mille quingentis. 16 Ergo fortuna in orbe mutatur. Et nihil sub sole habetur perpetuum. Hoc sit exemplo tenenti imperium. Una iustitia regentes firmat. 20 Lo Sforza nato a Cotignola combatte. / Lo Sforza vince molti con le armi. / Lo Sforza sottomette e possiede le terre. / Lo Sforza cade preda delle acque. / Il figlio Francesco nasce per combattere. / Francesco è cantato per aver vinto le guerre. / Francesco sposò Bianca. / Francesco comanda alla pari con la moglie. / Ludovico è figlio di Francesco. / Ludovico diventa principe della patria. / Ludovico fugge dal re incombente. / La nipote guerriera Caterina è catturata. / Ludovico si rivolge alla voce del popolo. / Ludovico, catturato, è condotto dal Francese. / Ascanio è mandato in catene a Venezia. / Questo accadde nel 1500. / Dunque la sorte nel mondo è mutevole. / E nulla sotto il sole è per sempre. / Ciò sia d’esempio a chi detiene il potere. / La sola giustizia consolida i governanti. Il carmen anguineum di Lidio Catto 95 <?page no="96"?> 96 Stefano Cassini Lo svolgimento del carmen ripropone esattamente quanto anticipato nel titolo. Le prime due strofe riguardano la genealogia dei tre Sforza: la prima parla di Muzio Attendolo, nonno di Ludovico, nato a Cotignola (Ravenna) e morto affogato nel fiume Pescara durante una marcia; la seconda invece è incentrata su Francesco, figlio di Muzio, marito di Bianca Maria Visconti e primo Sforza a diventare duca di Milano. Con la terza strofa, corrispondente alla colonna centrale, si passa alla seconda parte relativa alla cattura dei tre protagonisti: la terza strofa introduce la fuga di Ludovico il Moro da Luigi XII e la cattura di sua nipote Caterina; 12 la quarta parla della cattura del Moro e del suo fratello cardinale Ascanio Maria, con l’indicazione dell’anno dell’evento ( Hoc accidit ex annis mille quingentis ). L’ultima strofa contiene invece la morale finale, ossia un avvertimento tra il biblico 13 e il machiavellico sui rivolgimenti della sorte, affinché chi governa non si illuda che il suo potere sia eterno. Il tema scelto dal Catti per il carmen anguineum è legato alla posizione del componimento, collocato appunto nella sezione dedicata al nuovo doge Loredan. Oltre a muovere dall’antagonismo tra Milano e Venezia, e dalla volontà di mettere in guardia il proprio mecenate dall’ebrezza del potere, la scelta del soggetto può avere anche cause più personali. Grazie ad alcune notizie fornite da Vincenzo Carrari e Pompeo Litta, 14 si sa che Michelino Catti, “proavo” del poeta, sarebbe stato persino imparentato con gli Sforza, in qualità di secondo marito della sorella di Muzio, Margherita Attendolo. Il poeta stesso peraltro, sempre secondo il Carrari, parlando della propria discendenza in alcuni suoi “versi latini manuscritti”, avrebbe confuso la moglie Margherita con la sorella Chiara, dimostrando così “di non aver saputo anco bene la sua origine”. Pur non essendo il carmen anguineum identificabile con i versi in questione, certamente può essere considerato parte di un filone tematico caro al poeta per motivi che vanno al di là del rapporto poeta-protettore. Tornando alla struttura del carmen , nello schema sopra proposto il serpente è ben visibile lungo i vettori che uniscono i segmenti. Il Fulin lo colse nel suo movimento attorno alla colonna centrale, ma questa non dev’essere considerata una condizione sine qua non : nell’altro carmen anguineum contenuto negli Opuscula , ossia quello del Processus , il meccanismo testé descritto funziona nel medesimo modo senza alcuna colonna centrale. Quest’ultimo peraltro, se fatto risalire alla data del finto processo (1487), dev’essere considerato addirittura precedente al carmen sforzesco, databile invece all’anno 1500. 12 Per la vita e la figura di Caterina Sforza, si veda Pasolini 1968. 13 In particolare, nihil sub sole […] perpetuum ricorda Qohelet , 1,9: Nihil sub sole novum . 14 Carrari 2009, 112-113; Litta 1819, tav. I. <?page no="97"?> Un’altra suggestione che può trovare conferma guardando la ricostruzione grafica è il raffinato accostamento del tema prescelto al metro sperimentale. Gli Sforza infatti, assumendo il controllo del Ducato di Milano, ereditarono dai loro predecessori lo stemma del biscione. Elementi quali il nome del carmen , il suo soggetto, la forma suggerita dai vettori e l’uso ambiguo di anguis nella Constructio , convergono tutti nella perfetta specularità tra forma e materia, tra esperimento e contenuto. Se l’ipotesi fosse corretta, saremmo in presenza di un inusuale carmen figuratum, in cui la figura riflette regolarmente il contenuto rimanendo però nascosta, in una specie di gioco enigmistico la cui chiave è fornita dalla Constructio. La questione della paternità L’orgoglio del Catti per la sua creazione è decisamente palese. Nel Processus degli Opuscula , per esempio, laddove il ravennate fa pronunciare all’amata Lidia il proprio breve manifesto poetico, tra le composizioni menzionate compaiono anche i carmina quae anguineo cernis migrantia cursu . 15 Il luogo però in cui si manifesta maggiormente l’orgoglio del poeta è proprio lo stesso in cui compare il carmen . Si è già accennato al tema del primus ego nella Constructio a c. Bvi v , ma ancora più importante è la lettera che il cremonese Gianfrancesco Bindi avrebbe scritto l’11 settembre 1500 al nostro poeta, non a caso riprodotta per intero alle cc. Bvi v - Bvii r , subito di seguito al carmen anguineum . In questa lettera, il poeta è paragonato agli antichi ed è considerato supra omnem priscorum […] et neothericorum ingeniorum facultatem per le sue invenzioni. Su queste capeggiano proprio gli anguinei […] versus […] quos nuper excogitasti supra omnem priscorum . Prescindendo per ora dall’identità dei versi cui il Bindi si riferisce, è qui senza dubbio attribuita al Catti la paternità della loro invenzione. Tali rivendicazioni trovano conferma anche presso Tommaso Tomai e, tramite costui, in Serafino Pasolini e Pietro Paolo Ginanni, eruditi tra i più informati sul Catti. 16 Ciononostante, l’ambiguità terminologica del mondo della “poesia 15 Lidio Catti, Opuscula , c. Diii r . 16 Tomai 1580, 194; Pasolini 1680, 140; Ginanni 1769, 133. Sia Pasolini sia Ginanni citano il Tomai. Il carmen anguineum di Lidio Catto 97 <?page no="98"?> 98 Stefano Cassini per gioco” ha fatto sì che anche ad altri poeti fossero attribuiti alcuni carmina anguinea , in particolare ai coevi Mario Favonio 17 e Lancino Curti. Per quanto riguarda il primo, la questione è facilmente risolvibile. Al Favonio infatti, vissuto sotto papa Paolo III (1468-1549), è stato attribuito un presunto epitaffio per la morte del Bembo “in versi latini da lui inventati e chiamati anguinei”. 18 Questo elogio funebre è andato perduto, quindi non è dato sapere se fosse strutturato come i carmina del Catti. Inoltre, la morte del Bembo sopraggiunse quarantasette anni dopo la lettera del Bindi e diciassette dopo la morte del Catti, pertanto la precedenza di quest’ultimo resta indiscutibile. Parlando di Lancino Curti, poeta sperimentale coevo a Lidio e attivo a Milano, 19 si devono sottolineare due aspetti importanti: in primis non è attestato alcun contatto tra il milanese e il ravennate, ancorché le loro stravaganze siano quasi omologhe; in secundis le raccolte degli esperimenti del Curti sono state edite solo nel 1521 ( Sylvarum libri decem, Epigrammaton libri decem e Epigrammaton libri decem. Decados secundae ), ma in queste non ricorrono carmina che seguano la costruzione dell’ anguineum del Catti. 20 Eppure, già nel XVI secolo prima Paolo Giovio 21 e poi Lilio Gregorio Giraldi, 22 che cita il primo, parlando di Lancino scrivono di certi suoi anguinei versi . Alle parole del Giovio inoltre, il Giraldi aggiunge una descrizione più specifica dei versi anguinei e fa riferimento ai celebri carmina figurata di Rabano Mauro come modello del poeta milanese. Nelle raccolte del Curti difatti, e in particolare nella seconda decade degli Epigrammaton libri, esistono calligrammi, acrostici peculiari e altri carmi del genere. Nonostante queste affinità, bisogna da una parte ribadire l’assenza nel Curti di ciò che il Catti definisce anguineum e, dall’altra, la confusione terminologica che spesso regna in questi ambiti letterari poco studiati. Per comprendere la facilità con cui è possibile cadere in ambiguità e incomprensioni, basta leggere la definizione di carmen anguineum data dal Ginanni nella sua scheda sul Catti: “composto di sei parole, che formano un verso esametro, il primo verso si legge pure nelle prime parole degli altri sei, e ad ogni altra parola corrispondono l’altre, che pure formano un verso”. 23 A questa già sibillina 17 Su Mario Favonio, inventore di nuovi metri e uomo d’elefantina memoria (Paolo III lo soprannominò appunto “Memoria”), si veda Sansi 1879, 261, in particolare la nota 2. 18 Ibid. 19 Per il binomio Catti-Curti, si veda Dionisotti 1964, 318, nota 1. 20 Gli esperimenti più arditi e vicini ai carmina figurata sono concentrati soprattutto nella terza raccolta. 21 Giovio 1546, f. 38 r . Su questa ripresa del Giovio nei Dialogi si vedano anche Rossi 1901, 266-267; Giraldi 2011, 227, nota 22. 22 Giraldi 2011, 100-102. 23 Ginanni 1769, 135. <?page no="99"?> affermazione, il Ginanni non fa seguire a mo’ d’esempio il carmen sugli Sforza, bensì un altro esperimento, cioè il primo dei versi reticolati a f. Bvii v , 24 per poi citare i complimenti contenuti nella lettera del Bindi. In sostanza, il termine anguineum è qui attribuito ai versi reticolati. D’altronde anche il Giovio, parlando dei versus anguinei del Curti, menziona un quadratum epigramma che ricorda molto anche visivamente la disposizione dei carmina reticolati del Catti. Se a ciò si aggiunge che questo tipo di “poesia per gioco”, a differenza del carmen anguineum , è presente in entrambi gli autori, 25 si può forse giungere a una conclusione: la tradizione letteraria identifica come anguinei diversi tipi di carmina , quali i sotadici e i reticolati, 26 mentre il Catti, dal canto suo, definisce anguineum solo quello che segue lo schema di cui vanta l’invenzione. Quest’ultima ipotesi è supportata da una certa evidenza terminologica: nelle rubriche che introducono puntualmente i vari componimenti degli Opuscula , i termini anguineum e anguis ricorrono solamente per il carmen sugli Sforza e per il Summarium processus , tanto negli Opuscula quanto nei manoscritti. Così avviene anche nel Marc. It. IX, 365 (=7168), dove più carmina anguinea si susseguono a formare un poema insieme ad altri metri più convenzionali. Al contrario, i versi reticolati sono rubricati con espressioni quali Et legas utroque tramite . Infine, la stessa posizione della lettera del Bindi è di per sé significativa, in quanto segue subito il carmen sugli Sforza, separandolo nettamente dai successivi componimenti reticolati. Soluzioni grafiche del carmen anguineum nella tradizione manoscritta 1. Soluzioni cromatiche e figurative L’aspetto forse più caratteristico e interessante di questo carmen è il modo in cui nei manoscritti la sua struttura abbia dato libertà di esprimersi alla fantasia del compilatore. Se la fissità e il monocromatismo del processo tipografico hanno reso il carmen anguineum una pagina di enigmistica, i manoscritti hanno invece dato maggiori possibilità di espressione. In tal senso, entrano in scena due codici umanistici: il Marc. Lat. XI, 30 (=4429) e il Ms. VI/ 50. In entrambi i testimoni, scritti dalla medesima mano, sono adottati particolari accorgimenti al fine di rendere l’idea del movimento anguineo 24 I versi reticolati saranno spiegati più avanti. 25 Pozzi 1984, 131. 26 Ancora Giovanni Pozzi definisce “serpentini” i “versi o distici che iniziano o finiscono con la stessa parola o gruppo di parole” (Pozzi 1981, 371). Il carmen anguineum di Lidio Catto 99 <?page no="100"?> 100 Stefano Cassini del carmen , rinunciando persino (nel caso del manoscritto marciano) all’indizio fornito dalla Constructio . Il manoscritto marciano è un testimone pergamenaceo (182 x 124 mm, VI [cart.] + 25 + VI’ [cart.]) della prima sezione degli Opuscula , dedicata all’elezione del doge Loredan avvenuta il 2 ottobre 1501. Si tratta di un esemplare elegante, miniato e dagli inchiostri pluricromatici. 27 Per esempio, il blu e rosso si alternano soprattutto nelle parole delle rubriche, nei capilettera e nelle lettere degli incipit , nonché nei nomi delle personae loquentes dell’ecloga. Questi però non sono gli unici colori adottati, né tantomeno sono limitati a mero elemento decorativo. Quando il lettore arriva al f. 23 v , difatti, si trova innanzi un componimento le cui parole, accuratamente disposte in quattro riquadri, sono state scritte secondo un regolare alternarsi di cinque colori. Questi non è altro che il carmen anguineum . In questa bellissima composizione cromatica, il carmen anguineum è organizzato esattamente come negli Opuscula , ma, a differenza di questi ultimi, la soluzione è affidata all’alternanza dei colori, non a un sibillino epigramma. La prima strofa è composta dalle parole in rosso, la seconda da quelle in blu, la terza in nero, la quarta in viola e la quinta in giallo ocra. Questa soluzione permetterà al lettore di seguire la lettura del carmen , in assenza dell’ormai inutile Constructio . Ciononostante, la scelta di mantenere in nero la colonna centrale ricorda proprio i versi 3-4 della succitata Constructio : Hunc [ anguem ] coepi et viso Ludovici nomine captum / suspendi et posui versibus in mediis . Questo accorgimento mette in risalto l’unica strofa leggibile dall’alto verso il basso e lo stesso Fulin, che poteva basarsi solo su questi versi e non sui colori, decifrò il carmen “badando perciò a Lodovico il Moro, che deve trovarsi versibus in mediis ”. 28 Nel manoscritto marciano, d’altro canto, la soluzione cromatica non è riservata solo al carmen anguineum , ma anche ai suoi “cugini” versi reticolati che lo seguono immediatamente al f. 24 r , introdotti dalla dedica in blu Ad eundem principem . La disposizione dei colori qui permette di cogliere la parentela tra le due tipologie di carmina , tanto nelle somiglianze quanto nelle divergenze. Questo è il primo: 27 Il codice è descritto in Zorzanello 1980, 461-462. 28 Fulin 1880, 132. <?page no="101"?> [rosso] [blu] [nero] [rosso] [blu] [nero] Occidat Italiae mors: Christi belva Turchus Italiae terror: fidei hostis: tristis: iniquus: Mors fidei: pacis destructor: gloria Ditis: Christi hostis: destructor pacis: Ditis amicus: Belva tristis: gloria Ditis: milite perdat: Turchus iniquus: Ditis amicus: perdat in armis. Le somiglianze che, come s’è visto, hanno generato alcuni fraintendimenti, sono sicuramente la struttura a quadratum epigramma menzionata da Giovio, l’uso dell’esametro e il principio alla base dell’artificio, ossia la disposizione in sé delle parole all’interno del componimento. Nel caso dei versi reticolati, i colori rivelano la doppia lettura del carmen , i cui versi si ripetono identici in verticale e in orizzontale. Si ottengono così, in verticale e in orizzontale, i seguenti versi: Occidat Italiae mors, Christi belva Turchus, Italiae terror, fidei hostis, tristis, iniquus, mors fidei, pacis destructor, gloria Ditis, Christi hostis, destructor pacis, Ditis amicus, belva tristis, gloria Ditis, milite perdat, Turchus iniquus, Ditis amicus, perdat in armis. Muoia la morte d’Italia, il Turco belva di Cristo, / terrore d’Italia, nemico della fede, funesto, iniquo, / morte della fede, distruttore della pace, amico di Dite, / belva funesta, gloria di Dite, perda con l’esercito, / il Turco iniquo, amico di Dite, perda in armi. Se questa costruzione è molto simile a quella del carmen anguineum , esistono però alcune differenze non trascurabili, al di là della terminologia con cui l’autore definisce i due componimenti. Il carmen anguineum non gioca innanzitutto sulla disposizione ragionata di parole identiche ma sul collegamento di segmenti unici, ciascuno diverso dall’altro. Inoltre, il movimento stesso dei due artifici è diverso: il primo si sviluppa more anguineo dall’alto verso il basso, mentre il secondo ripete i medesimi versi da sinistra a destra e dall’alto verso il basso lungo una linea diagonale. A ogni modo, l’applicazione dei colori al carmen rafforza visivamente l’elemento figurativo, dapprima solo concettuale, dell’esperimento del Catti. L’ anguis ora diventa più simile a un carmen figuratum, perdendo in parte quell’aria di gioco enigmistico che aveva negli Opuscula . Eppure rimane ancora celata la vera e propria figura del serpente, espressa dai colori ma non del tutto palesata: il soggetto dell’artificio è il moto dell’animale, non l’animale in sé. Il carmen anguineum di Lidio Catto 101 <?page no="102"?> 102 Stefano Cassini Un punto di incontro tra raffigurazione dell’animale ed enigma si ritrova piuttosto nell’altro manoscritto, il VI/ 50 di Forlì. Questo più umile codice cartaceo (200 x 140 mm, I [cart.] + 13), 29 testimone di una redazione precedente del Processus ordine iudiciario stampato negli Opuscula . Al f. 13 r del manoscritto, compare il Summarium processus. Versus anguinei , un esempio di anguineum privo di colonna centrale ma comunque rispettoso dello schema generale. Rispetto alla stampa, la separazione dei singoli segmenti è meno marcata, limitata alla divisione tramite i due punti e non organizzata in colonne definite, mentre la risoluzione non è affidata esclusivamente alle indicazioni della Constructio ( Finge anguem cursuque anguis lege carmina, praetor ), ma anche al disegno d’un serpente realizzato a margine del carmen , quasi fosse una postilla esplicativa. Il praetor Loredan dovrà sì fingere anguem , ma potrà contare anche su un indizio visivo, ancorché meno efficace dei colori del manoscritto marciano. Nell’esemplare forlivese l’enigma rimane tale e anzi si arricchisce di un ulteriore elemento artistico, utile a capire come l’autore immaginasse il suo stesso gioco simbolico. Se davvero il Catti si figurava così il cursus anguis , forse la suggestione poco fa proposta sulla scelta del carmen per gli Sforza non è del tutto frutto di pura fantasia. La somiglianza tra questa immagine (d’altronde molto comune) e lo stemma della famiglia, sommata all’arguzia dimostrata dal Catti in più luoghi della sua produzione, è un’ulteriore prova della volontà di fondere semanticamente nel gioco combinatorio l’ anguis araldico con quello poetico. 2. Soluzioni numeriche e versi inediti: il ruolo del Sanudo Ogni gioco enigmistico sottintende uno sforzo del lettore affinché possa risolverlo. Anche se il concetto di “enigmistica”, applicato a un’antica opera poetica, suonerà forse riduttivo e anacronistico, 30 è certo innegabile la natura combinatoria dei versus anguinei , più vicini al rebus che a un carmen comunemente inteso. Pertanto, un’indagine sulla ricezione - per quanto limitata - di questo esperimento fornisce dati sì curiosi ma anche utili al fine della comprensione dell’invenzione del Catti. Il modo poi in cui un lettore in particolare, Marin Sanudo, risolve visivamente il carmen getterà persino una nuova luce sul gioco anguineo. Nel capitolo precedente è già stato menzionato il primo merito del Sanudo, ossia l’aver annotato nei suoi diari una prima versione del carmen anguineum sugli Sforza e dei versi reticolati. Un caso analogo, benché non testualmente utile, di trascrizione del carmen anguineum si trova nel manoscritto 612 della 29 Sulle differenze tra le due versioni verte Cassini 2018. 30 Persino in Pozzi 1981, 11-12, l’oggetto dello studio è definito “non brillante categoria dei giochi di pazienza, come li definisce il triste ossimoro” e “immensa chincagliera verbale”. <?page no="103"?> Biblioteca civica di Belluno, contenente il carteggio del feltrino Giacomo Salce, collocabile tra il 1549 e il 1558. 31 All’interno di questa raccolta, ai ff. 11 v -12 r si legge la seguente lettera dello stesso Giacomo, datata VI idus octobris 1556. Feltriae : Dominus Iohannes Baptista Merinoctius, vir satis eruditus mihi nudius tertius quaedam carmina anguinea Lydii Catti Ravennatis legenda tradidit, quarum exemplum nunc subscripsi, ut tuam mihi de illis sententiam epistola proferes. Brevitate versuum scire poteris Lydium satis esse ingenio praestanti. Signor Giambattista Merinozio, un uomo piuttosto colto due giorni fa mi diede da leggere alcuni carmi anguinei del ravennate Lidio Catti, dei quali ora ti ho scritto sotto un esempio, affinché tu mi riferisca per lettera il tuo parere su di questi. Dalla brevità dei versi potrai capire che Lidio ha un ingegno piuttosto notevole. Segue dunque la trascrizione completa del titolo e del testo del carmen anguineum sugli Sforza contenuto negli Opuscula , mentre sono omesse la didascalia ( Venetiis decantatum ) e la Constructio . Questo documento ci informa innanzitutto della circolazione dell’opera del Catti anche nel Veneto settentrionale. Il Salce precisa infatti di aver inviato alcuni carmina di Lidio Catti al destinatario, dei quali però vuole dare un’anticipazione in calce alla lettera. L’anteprima scelta dal mittente feltrino è proprio il carmen anguineum , grazie al quale si identifica appunto negli Opuscula l’opera inviata al destinatario: il titolo e il testo sono identici alla versione della raccolta stampata dal Tacuino nel 1502. Il motivo della scelta dev’essere stata l’attrazione esercitata dall’esperimento poetico, percepito come rappresentativo della poesia del Catti (apprezzato dal Salce per la brevitas e l’ ingenium praestans ), a cui si aggiunge l’espressa volontà di conoscere il parere dell’amico satis eruditus . L’aspetto più curioso di quest’ultima richiesta è l’omissione, nella lettera, della Constructio , cioè della chiave che avrebbe permesso a Giambattista di intuire la soluzione della poesia anguinea. Forse il Salce voleva mettere alla prova il povero Giambattista, che così avrebbe potuto risolvere l’enigma senza alcun ausilio, oppure attendendo l’arrivo della sua copia degli Opuscula . Al di là delle informazioni e delle impressioni che i diari di Sanudo e la lettera del Salce possono dare, finora non si sono però viste tracce di tentavi di soluzione del carmen del Catti. Una prima prova tangibile di un lettore intento nel 31 Un’ottima descrizione del manoscritto con bibliografia è disponibile in Nuova Biblioteca Manoscritta - Catalogo dei manoscritti delle biblioteche del Veneto (www.nuovabibliotecamanoscritta.it). Il carmen anguineum di Lidio Catto 103 <?page no="104"?> 104 Stefano Cassini risolvere l’enigma anguineo si trova presso la Biblioteca Braidense di Milano, più precisamente nell’esemplare degli Opuscula lì custodito. 32 Secondo le due note di possesso a penna corredate di stemma, il libro nel 1510 apparteneva a un segretario chiamato Antonio Della Torre. 33 Sfogliando l’esemplare, a c. Bvi r si noterà che il Della Torre, incuriosito dalla sfida del carmen anguineum , si cimentò nella sua soluzione e tentò di ordinarlo apponendo piccoli numeri sopra ciascun segmento del primo riquadro. Gli evidenti errori della successione rivelano però che egli non capì il gioco: Sfortia: 1Franciscus: 3Ludovicus: 2vertitur: 5ergo 5Fortuna: 5ad populi: 3Francisco: 4filius: 2ortus 1Cottignolae: 1oritur: 3satus est: 4Ludovicus: 5in orbe 5Mutatur: 5vocem: 3genitore: 2ad proelia: 4pugnat. Oltre al fatto che Sfortia non è stato numerato, forse perché considerato unito a Franciscus (ricorrono sempre affiancati nei quattro riquadri), sorprende l’assoluta assenza di qualsiasi motus anguineus nella numerazione. Solo la colonna centrale è stata individuata, un po’ perché palese e un po’ perché suggerita dal posui versibus in mediis della Constructio . Siamo perciò di fronte a un lettore che, deciso a sostenere la sfida, ha mal interpretato il modo di risolvere il testo. Dopo aver però illustrato le prove di un interesse dei lettori coevi, è necessario chiamare di nuovo in causa Marin Sanudo. Anch’egli infatti applicò il metodo della numerazione nella sua trascrizione di altri carmina del Catti, stavolta sulle Guerre d’Italia, inseriti nel Marc. It. IX, 365 (=7168). 34 Nel manoscritto, il Sanudo usa i numeri per ordinare i sei carmina anguinea , qui chiamati anguinea epigrammata . A differenza però del Della Torre, il veneziano applica la numerazione in modo corretto: 32 Collocazione: ZEE.2.69. 33 Il segretario Antonio Della Torre (Antonius De la Turre) potrebbe discendere della nobile famiglia lombarda che governò Milano prima dell’arrivo dei Visconti. A differenza dello stemma usuale della famiglia, in quello disegnato negli Opuscula la merlatura della torre è ghibellina e mancano i due scettri gigliati e decussati, secondo un’iconografia decisamente più rara. A ogni modo, non dev’essere confuso col beato Antonio Della Torre (o Torriani), nato a Milano nel 1424 e morto a L’Aquila nel 1494. Sulla famiglia Della Torre si veda Pirovano/ Minonzio 2004. 34 La miscellanea in cui è contenuta l’opera è stata descritta in Ferrari 1956. <?page no="105"?> 1Iulius 15 antiqua 29 Venetum 43 gens barbara 57 quando 58 incaluere 44 suis 30 res captae 16 prole 2secundus 3splendor 17 Alidosia 31 tercentum 45 finibus 59 ista 60 proelia 46 claudatur 32 horis 18 te principe 4summus 5pontificum 19 belli 33 Italie 47 o pastor 61 ab ortu 62 Christi 48 magnanime 34 excidium 20 Francisce 6Ravennam 7trisque 21 papiensem 35 proh Iuppier 49 et tua 63 prima 64 litte[r]a 50 dirigito 36 sic visunt 22 a cardine 8vinctas 9urbes 23 qui titulum 37 vobis o 51 castra 65 Minervae 66 Dianae 52 in Turcas 38 Superi 24 deducis 10 in arvis 11 Aemilae 25 mundi 39 at Nembrotica 53 divus 67 et Vrsae 68 currebat 54 foelix 40 bis nonas 26 inclyta 12 Romae 13 attribuit 27 fama 41 ad messes 55 et semper 69 Iuli 70 et quater 56 augustus 42 redeunda 28 et gloria 14 victor Quello testé riportato è il primo anguineum epigramma della raccolta (f. 271 r ). Solo per questo carmen , di seguito alla versione numerata il Sanudo riscrive l’intero componimento riordinato e compie un’ulteriore operazione più notevole. Dopo la seconda trascrizione, un Notate attira l’attenzione verso l’ennesima ripetizione del carmen , organizzata però secondo un ordine ancora diverso dai precedenti. Quanto fatto qui dal Sanudo è tanto chiaro quanto arguto: giacché ogni segmento dei versi dispari è collegato al segmento a lui opposto dei versi pari, riscrivendo questi ultimi al contrario, tutti i segmenti saranno perfettamente incolonnati a formare il testo corretto. Il carmen anguineum di Lidio Catto 105 <?page no="106"?> 106 Stefano Cassini Iulius antiqua Venetum gens barbara quando secundus prole res captae suis incaluere splendor Alidosia tercentum finibus ista summus te principe horis claudatur proelia pontificum belli Italie o pastor ab ortu Ravennam Francisce excidium magnanime Christi trisque papiensem proh Iuppier et tua prima vinctas a cardine sic visunt dirigito littera urbes qui titulum vobis o castra Minervae in arvis deducis superi in Turcas Dianae Aemilae mundi at Nembrotica divus et Ursae Romae inclyta bis nonas foelix currebat attribuit fama ad messes et semper Iuli victor et gloria redeunda augustus et quater 1 2 3 4 5 Questa raffigurazione del passaggio intermedio del processo mentale di riordinamento, permette di vedere sotto una nuova luce la figura dell’ anguis e la parentela con i versi reticolati. Per quanto riguarda il serpente, il movimento bustrofedico richiesto da quest’ultimo tipo di lettura-riscrittura richiama in maniera ancora più decisa il biscione del manoscritto forlivese e dello stemma sforzesco. Sebbene non sia chiaro se il Sanudo elabori questa soluzione oppure la copi, qualora si ipotizzasse che essa fosse prevista dal Catti stesso nel processo di risoluzione, il termine anguis potrebbe benissimo riferirsi anche a questo moto bustrofedico di riscrittura. L’autore avrebbe in tal caso voluto che i versi pari fossero riscritti (anche solo mentalmente) così che il testo finale fosse opportunamente incolonnato. D’altro canto, nel manoscritto marciano - e qui si torna alla questione della parentela - sono proprio i versi reticolati che seguono il carmen anguineum a suggerire questo esito: per loro i colori sottolineano proprio l’incolonnamento, sebbene i versi possano essere letti anche in orizzontale. Il “gene” che rende parenti questi artifici sarebbe dunque la successione delle colonne, scomposta totalmente nel carmen anguineum per creare il gioco combinatorio. <?page no="107"?> Bibliografia Carrari, Vincenzo: Istoria di Romagna, II. Dalle signorie capitaniali alla liquidazione degli stati cittadini (1326-1522), a cura di Umberto Zaccarini, Ravenna 2009. Cassini, Stefano: Prima degli “Opuscula”. Un antecedente manoscritto del “Processus ordine iudiciario” di Lidio Catti , in: Matteo Fadini/ Matteo Largaiolli/ Camilla Russo (a cura di): “La cetra sua gli porse …”. Studi offerti ad Andrea Comboni dagli allievi, Trento 2018, 103-135. Comboni, Andrea: Forme eterodosse di sestina nel Quattro e Cinquecento, Anticomoderno 2, 1996, 67-79. Dionisotti, Carlo: Girolamo Claricio, Studi sul Boccaccio 2, 1964, 291-341. Duso, Elena Maria: Il sonetto latino e semilatino in Italia nel Medioevo e nel Rinascimento, Roma 2004 (Miscellanea erudita, vol. 69). Ferrari, Giorgio Emanuele: Autografi sanudiani e componimenti ignoti o mai noti d’una miscellanea umanistica cinquecentesca, Lettere Italiane 8, 1956, 319-323. Fulin, Rinaldo: Difficiles nugae, Archivio Veneto 19, 1880, 131-134. Ginanni, Pietro Paolo: Memorie storico-critiche degli scrittori ravennati, vol. I, Faenza 1769. Giovio, Paolo: Elogia veris clarorum virorum imaginibus apposita. Quae in musaeo Ioviano Comi spectantur. Addita in calce operis Adriani pontificis vita, Venezia 1546. Giraldi, Lilio Gregorio: Modern Poets, edited by John N. Grant, Cambridge, MA 2011 (The I Tatty Renaissance Library, vol. 48). Litta, Pompeo: Famiglie celebri di Italia, Milano 1819. Martellozzo Forin, Elda (a cura di): Acta graduum academicorum Gymnasii Patavini ab anno 1471 ad annum 1501, 4 voll., Padova 2001 (Fonti per la storia dell’Università di Padova, vol. 17). Muratori, Santi: Da Bernardino Catti a Giandomenico Michilesi, La Romagna 7, 1910, 124-153. Pasolini, Pier Desiderio: Caterina Sforza [1893-1897], 4 voll., Roma 1968. Pasolini, Serafino: Lustri ravennati, parte III/ IV, Bologna 1680/ 1682. Pasolini, Serafino: Huomini illustri di Ravenna antica, Bologna 1703. Pirovano Carlo/ Minonzio Monica: I Della Torre. Dalla contea di Valsassina alla signoria di Milano, Gorle 2 2004 (La nuova cultura). Pozzi, Giovanni: La parola dipinta, Milano 1981. Pozzi, Giovanni: Poesia per gioco. Prontuario di figure artificiose, Milano 1984. Regolini, Anna: Bernardino Lidio Catti, in: Andrea Comboni/ Tiziano Zanato (a cura di): Atlante dei canzonieri in volgare del Quattrocento, Firenze 2017 (Edizione nazionale. I canzonieri della lirica italiana delle origine, vol. 7), 200-206. Rossi, Vittorio: Per la cronologia e il testo dei dialoghi “De poetis nostrorum temporum” di Lilio Gregorio Giraldi, Giornale storico della letteratura italiana 37, 1901, 246-277. Sansi, Achille: Storia del comune di Spoleto dal secolo XII al XVII, Foligno 1879. Tomai, Tommaso: Historia di Ravenna. Divisa in quattro parti, parte IV, Ravenna 1580. Il carmen anguineum di Lidio Catto 107 <?page no="108"?> 108 Stefano Cassini Vecchi Galli, Paola: Cultura “di corte” e poesia volgare a Ravenna fra Due e Quattrocento, in: Augusto Vasina (a cura di): Storia di Ravenna, III. Dal Mille alla fine della signoria polentana, Venezia 1993, 621-640. Zorzanello, Pietro: Catalogo dei codici latini della Biblioteca nazionale Marciana di Venezia non compresi nel catalogo di G. Valentinelli, Trezzano sul Naviglio 1980. <?page no="109"?> Erfolgreiche Formen 109 Erfolgreiche Formen <?page no="111"?> Zwischen philologischer Analyse und poetologischem Programm: Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode Jochen Schultheiß Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode Die Pindarische Ode in lateinischer Sprache ist eine spezifisch neuzeitliche Erscheinung. Die Antike kannte keine Fortsetzung der Odenform des griechischen Chorlyrikers, der in der ersten Hälfte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts wirkte. Einen wesentlichen Grund für diese große Lücke in der Rezeption stellen sicherlich die Erklärungsschwierigkeiten dar, die sich aus der Undurchsichtigkeit der metrischen Struktur seiner Verse ergeben. Welches Problem für die antiken Dichter entsteht, wenn die Verskunst eines möglichen Modells Rätsel aufgibt, wird dann nachvollziehbar, wenn man sich verdeutlicht, welche Rolle der Metrik bei der Konstitution poetischer Gattungen zukommt. Auch für die Antike gilt, dass nach gängiger Vorstellung gebundene Sprache das grundlegende Definitionskriterium von Dichtung darstellt. 1 Die unterschiedlichen dichterischen Genres der antiken Literatur entstehen stets unter Rückbezug auf Vorgängertexte, die als normgebend betrachtet werden. Bei diesem Prozess kann man durchwegs feststellen, dass sich das einmal etablierte metrische System als ein weitgehend fixes, im Wesentlichen gleichbleibendes Strukturelement einzelner (Unter-)Gattungen erweist. Das metrische Schema wird in der Regel auf den ‚Erfinder‘ oder die ‚Erfinderin‘ der Dichtungsart zurückgeführt, teils auch nach diesem oder dieser benannt und dann in recht konstanter Form beibehalten. Man kann hier an die Sapphischen, Asklepiadeischen oder Alkäischen Strophenformen denken. Wenngleich bei Horaz eine strengere Handhabung der äolischen Versmaße feststellbar ist als bei den 1 Zu der seit Gorgias ( Helena 9) geläufigen, wenngleich auch schon in der antiken wissenschaftlichen Beschäftigung mit Literatur nicht ohne Alternativen gebliebenen Definition der Dichtung (ποίησις) als λόγος μέτρον ἔχων s. Kannicht 1997, 344. <?page no="112"?> 112 Jochen Schultheiß griechischen Lyrikern selbst, 2 so kann man insgesamt doch von einer konservativen metrischen Praxis sprechen. Solche Kontinuität stellt eine unabdingbare Notwendigkeit für die Konstituierung einzelner Gattungen und deren Unterformen dar. Raum für Innovationen hingegen steht im Rahmen der imitatio- und aemulatio -Technik den Dichtern vorzugsweise in der Ausarbeitung des Stoffes offen. Unter diesen Voraussetzungen müssen Probleme beim Verständnis der Metrik, wie sie sich bei den Oden Pindars bereits für die antiken Leser ergaben, zwangsläufig zu einem unumgehbaren Hemmnis für die Etablierung einer Form der Lyrik nach dem Vorbild Pindars werden. Erst die Frühe Neuzeit bereitet den Nährboden für einen selbstbewussteren Umgang mit dem Modell und für eigenständige und innovative Antworten auf die sich im Bereich der rhythmischen Struktur stellenden Probleme. Wenngleich der weitaus größte Teil der neulateinischen Lyrik in den von der klassischen römischen Dichtung übernommenen metrischen Systemen verfasst ist, gewinnen ab dem 16. Jahrhundert polymetrische Gedichte an Beliebtheit. Zu dieser Gruppe ist auch die Pindarische Ode zu zählen. 3 Einer vertieften wissenschaftlichen Beschäftigung hat sich die Metrik der neulateinischen pindarischen Dichtung bisher noch nicht erfreuen dürfen. So ist man etwa in Hinblick auf den deutschen Odendichter Paulus Melissus Schede (1539-1602) nicht über die sehr unbestimmte Feststellung hinausgelangt, dass „jedes […] Gedicht eine individuell entwickelte, so nie wiederkehrende Abfolge von Kürzen und Längen auf[weise]“. 4 Diese Vorsicht, die die drei Herausgeber einer Sammlung zur humanistischen Lyrik des 16. Jahrhunderts zu erkennen geben, darf ihnen angesichts der Schwierigkeiten, die die Metrik der pindarischen Dichtungen bereitet, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Allerdings sollte die Forschung nicht an diesem Punkt stehen bleiben, bedenkt man, dass Metrik, wie gesagt, einen konstitutiven Bestandteil von Dichtung darstellt und dass bestimmte Inhalte und poetologische Programme untrennbar mit gewissen metrischen Formen verbunden sind. 5 Gerade auf diesem letzten Punkt wird der Fokus der folgenden Betrachtung liegen. Der Blick der Untersuchung soll auf die Pindarischen Oden zum einen von Scévole de Sainte-Marthe (1536-1623), zum anderen von Paulus Melissus Schede (1538-1602) gerichtet sein. Die Auswahl fällt insbesondere 2 Zgoll 2012, 143. 3 IJsewijn/ Sacré 1990-1998, Bd. 2, 423, 428. 4 Kühlmann/ Seidel/ Wiegand 1997, 1403. 5 Zur Verbindung von Metrik und Inhalt/ Funktion s. Moul 2015, 42 am Beispiel der Rezeption der horazischen Gedichte aus dem 4. Odenbuch und der Epinikien Pindars. <?page no="113"?> Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode 113 deshalb auf diese beiden Dichter, weil sie poetologische Gedichte und Paratexte verfasst haben, in denen sie auch den Aspekt der Metrik reflektieren. 6 In der Metrik werden nicht nur Konvergenzen, sondern auch Reibungen zwischen poetologischem Programm und dichterischer Praxis sichtbar. Kernelement des pindarischen Dichtens ist bei den Vertretern der Pléiade, insbesondere bei Pierre de Ronsard (1524-1585), der fureur poétique , von dem der Dichter-Sprecher ergriffen ist. 7 Der furor poeticus stellt eine bereits von den Florentiner Humanisten aus den platonischen Dialogen Ion , Phaidros und Symposion hergeleitete Vorstellung eines „enthusiastischen“, göttlich inspirierten Dichtens dar. Eine solche Raserei des Dichters, die das Postulat der metrischen Regellosigkeit impliziert, ist nicht ohne Weiteres mit der für die humanistische Poesie grundlegenden imitatio -Konzeption in Einklang zu bringen, die ein Dichten innerhalb vorgegebener Normen verlangt. Somit wird einerseits die Bindung an die Tradition, andererseits die Autonomie dieser gegenüber zum poetischen Ziel erklärt. Diese Problematik tritt auch in der Metrik zutage, die sich in der Tradition poetischer Gattungen ja gerade als ein sehr konstantes Element erwiesen hat. Dies scheint keinen fruchtbaren Boden für literarische Innovation zu bieten, und da mag es auch nicht überraschen, wenn man in Hinblick auf die neulateinischen Dichter zu der Feststellung gelangt ist, dass sie nur sehr zögerlich, in der Regel gar nicht, in die vorgegebenen metrischen Traditionen eingreifen . 8 Wie sieht es nun aber im Fall eines Dichtens in den Spuren Pindars aus, wo sich die Anknüpfung an das Modell aufgrund der Undurchsichtigkeit der metrischen Struktur ja gerade als sehr schwierig erweist? Unter den gegebenen Umständen könnte man zwei sehr unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten in Erwägung ziehen: entweder die exakte Übernahme des Versschemas einer konkreten Ode Pindars - dies würde dem metrischen Konservatismus in bester Weise gerecht -, oder die Anwendung eines gänzlich freien Metrums - dies würde dem Gedanken des furor poeticus am meisten entsprechen. Durchsetzen wird sich letztlich jedoch ein dritter Weg. Betrachten wir aber zunächst die spezifischen Bedingungen in der Frühen Neuzeit etwas näher: Das vergleichbare Problem einer nicht vorhandenen metrischen Tradition in der lateinischen Literatur stellt sich den neulateinischen Dichtern auch bei den Übersetzungen nationalsprachlicher Dichtungen ins Lateinische. Hier lässt sich beobachten, dass ein in der antiken Metrik unbekann- 6 Einleitungsgedicht Ad lectorem in Sainte-Marthe 1596, 127-128; Hendecasyll(abum) ad Hieron(ymum) Baumgartnerum, patric(ium) et senatorem Norib(ergensem) in Schede 1580, 38-39. 7 Schäfer 1976, 79. Bei Ronsard wird die Raserei des Dichter-Sprechers auf die angestrebte Wirkung des Gedichtes hin funktionalisiert; vgl. Schmitz 1993, 19, 146-161, 261. 8 Schäfer 1976, 83. <?page no="114"?> 114 Jochen Schultheiß tes System kaum je für das lateinische Gedicht beibehalten, sondern durch ein antikes ersetzt wird. So gibt Schede etwa die Sonette Petrarcas oder Ronsards meist in Form von Epigrammen in elegischen Distichen wieder. Doch auch hier lässt Melissus bereits seine Offenheit dafür erkennen, Verse neu zu kombinieren. 9 Die volkssprachlichen Autoren wiederum konnten die quantitierenden metrischen Systeme der Antike nicht ohne weiteres übernehmen und ersetzten sie deshalb in der Regel durch die in ihrer Sprache etablierten iktierenden und silbenzählenden Metren. Dies war die gängige Praxis bei den französischen Pindarikern, 10 allerdings war etwa Ronsard hierbei ersichtlich darum bemüht, der Metrik seiner Oden ein möglichst starkes pindarisches Kolorit zu verleihen. 11 Der etwas spätere englische Dichter Ben Jonson (1572-1637) wählt für seine Ode Pindarick ein regelmäßiges, iambisches Versmaß, orientiert sich aber insofern an dem griechischen Dichter, als er die Verslängen deutlich variiert, so dass er immerhin die pindarische Variation der Einzelverse imitiert. 12 Diese Form der Metrikimitation äußert sich somit in der materiellen Textgestalt, indem eine optische Vergleichbarkeit der Druckbilder zwischen dem englischen Gedicht und den griechischen Modellen entsteht. Es zeigt sich also, dass frühneuzeitliche Autoren aufgrund der sprachlichen Übertragungsprozesse immer wieder mit der Notwendigkeit konfrontiert werden, eigenständige, innovative Lösungen auch auf dem Gebiet der Metrik zu finden. Problemlos zu adaptieren war die Strophenform der Oden Pindars. Als das die neuzeitliche pindarische Dichtung kennzeichnende Charakteristikum ist die triadische Strophenform festzuhalten, wie sie die Epinikien Pindars in ihrer großen Mehrzahl aufweisen. 13 Dies bedeutet, dass eine Ode aus einer Abfolge von Strophe, Antistrophe und Epode besteht. Hierbei wiederholt die Antistrophe das metrische Schema der Strophe, während die abschließende Epode ein eigenes aufweist. Jede folgende Triade repliziert wiederum die Struktur der ersten. In den Drucken so gut wie aller neulateinischen Pindarischen Oden wird dieses Aufbauschema durch Überschriften mit der Angabe des jeweiligen Strophenteils deutlich gemacht. 14 Man darf durchaus so weit gehen, in der Strophenstruktur das entscheidende Definitionsmerkmal für die Pindarische Ode zu sehen, denn dieses formale Kriterium erlaubt eine präzise Zuordnung zur 9 Zu den Wiedergaben Ronsards in den Schediasmatum reliquiae 44, 45, 103, 112, 114, 174 und Petrarcas in Schediasmata 3, 164 und 253 s. Schäfer 1976 mit Anm. 12-14. 10 Allgemein zur Metrik der französischen Pindarischen Ode s. Schmitz 1993, 133. 11 Laumonier 1932, 704-706. 12 Morgan 2010, 27-31. 13 Zur triadischen Strophenform der Oden Pindars s. Willcock 1995, 24. Zu den lediglich sechs monostrophischen Ausnahmen unter den insgesamt 45 überlieferten Epinikien ebd. 93-94. 14 Ausnahmen bilden auch hier nur die wenigen monostrophischen Oden. <?page no="115"?> Gattung. Sicherlich tragen auch stilistische und inhaltliche Charakteristika zur Konstitution einer neuzeitlichen Pindarischen Ode bei, wie etwa die Feierlichkeit, die enkomiastische Intention oder das Inspirationsmotiv, jedoch können diese für sich auch in anderen Dichtungsgattungen erscheinen und unter eine weiter gefasste Form der Rezeption pindarischer Stoffelemente fallen, die im Frankreich des 16. Jahrhunderts mit dem Verb „pindariser“ bezeichnet wurde. 15 Während die nationalsprachliche pindarische Dichtung der Renaissance an die eigene metrische Tradition anknüpfte, bot sich für die Dichtung in lateinischer Sprache eine Orientierung an der philologischen Metrikanalyse zu den Oden Pindars an. Eine besonders starke Nähe zu dem pindarischen Modell lässt sich für die frühneuzeitliche Pindarische Ode, die in griechischer Sprache verfasst wurde, erkennen. Hier zeichnen sich zwei Möglichkeiten ab: Die Oden adaptieren entweder die metrische Struktur einer bestimmten Ode Pindars, oder die Imitation verhält sich dem Modell gegenüber weniger treu und folgt einer allgemeinen Vorstellung von pindarischer Metrik. Die erste Form der metrischen Gestaltung stellt in der Anfangsphase der Pindarischen Dichtung in altgriechischer Sprache während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sogar den Regelfall dar. 16 Für den lateinischen Bereich kann eine solche Praxis in einigen Fällen für die Übersetzung Pindars festgestellt werden, wie etwa in der Version der 1. Olympischen Ode durch Antonio Sebastiano Minturno, die die Metrik des Ausgangstextes genau beibehält. 17 In der dichterischen Produktion setzt sich jedoch die Praxis durch, metrische Äquivalente zur pindarischen Lyrik auf der Basis frühneuzeitlicher philologischer Studien zu schaffen. Damit es jedoch zu einem solchen Zusammenwirken zwischen Dichtung und Philologie überhaupt kommen konnte, mussten die neulateinischen Dichter zunächst ein folgenreiches literarisches Verdikt überwinden. 1. Metrische Implikationen der horazischen ‚Pindarode‘ (Oden 4,2) Pindar-Imitation zu betreiben, meint vorab, einen tiefen Bruch mit der poetischen und poetologischen Tradition zu vollziehen, insofern sie für einen Dichter gerade die verhängnisvolle Hinwegsetzung über die in der sogenannten ‚Pindarode‘ des Horaz vorgebrachte Warnung vor einem Ikarussturz bedeuten 15 Schmitz 1993, 17-20; Päll 2017, 349-350, 362. 16 Schmitz 1993, 132-133; Die für die neualtgriechischen Pindarischen Oden gängige Übernahme der metrischen Struktur eines konkreten Gedichts wird als parodia metrica bezeichnet. Päll 2017, 362 setzt zur Präzisierung diese Bezeichnung von dem für die neulateinische Literatur gängigen parodia -Begriff ab, bei dem es um eine Übernahme und gleichzeitige Erweiterung von Textbausteinen zumeist aus Horaz-Gedichten geht. 17 Tissoni 2014, 73. Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode 115 <?page no="116"?> 116 Jochen Schultheiß musste. Wie nachhaltig die horazische Ode 4,2 die Wahrnehmung des griechischen Dichters durch die Nachwelt prägte, wird in der Frühen Neuzeit daran deutlich, dass den Editionen und Übersetzungen der Werke Pindars dieses Gedicht in der Regel als Paratext vorausgeschickt wurde. 18 Jean Dorat und Pierre de Ronsard ließen ihrer pindarischen Dichtung eine Auseinandersetzung mit Horaz vorausgehen. 19 Horazens lateinische Ode vermittelt nicht nur eine Vorstellung vom erhabenen Stil und Gehalt der pindarischen Lyrik oder den verschiedenen Dichtungsgattungen, die der Grieche gepflegt hat. 20 Sie thematisiert auch die Metrik, die als integraler Bestandteil von Pindars Poesie dargestellt wird. So dichte Pindar laut Horaz numerisque […] lege solutis - „in Rhythmen, die losgelöst sind von Regeln“ ( Oden 4,2,11-12). Liest man Horazens Pindarode spezifisch unter dem Aspekt der Metrik, so stellt man fest, dass nicht nur explizit das Versmaß Gegenstand der Reflexion ist, sondern implizit auch die Strophengestaltung. Wenngleich der römische Dichter hier die Sapphische Strophe verwendet, lässt er doch ein Element der pindarischen Metrik einfließen. Es darf nämlich als ein markantes Kennzeichen pindarischen Dichtens gelten, dass Sätze häufig über die Strophengrenze hinausgehen, dass also ein Enjambement vorliegt. 21 Die Divergenz von Strophenende und inhaltlicher Gliederung bei Pindar wird am Beispiel der 7. Isthmischen Ode deutlich, in der an den acht Strophenübergängen, das heißt an den Sprüngen zwischen Strophe, Antistrophe und Epode, ganze sechs Enjambements und lediglich zwei inhaltliche und syntaktische Zäsuren zu finden sind. Für die beiden Grenzen zwischen den drei Triaden muss man sogar zu der Feststellung gelangen, dass keine eine inhaltliche oder syntaktische Zäsur bildet. 22 Horaz thematisiert diese Eigenheit des Griechen durch den Ver- 18 Zum Beispiel in Estienne 1560, Bl. A3v. 19 Schäfer 1976, 79 Anm. 67. 20 Den Reichtum an Neologismen deuten die nova verba (10-11) an, die Erhabenheit der verschiedenen Themenbereiche behandeln die Alternativen anzeigenden konditionalen Nebensätze (10-14). Hierzu auch Thomas 2011, 103-104, 107-108. 21 Zur Verwendung des Begriffs „Enjambement“ für den syntaktischen Sprung über Strophengrenzen hinweg s. Drexler 1993, 128. Diese Beobachtung zur pindarischen Strophengestaltung findet sich bereits in der Pindar-Kommentierung von Lonicer 1535, 17. 22 Unter prägnanter Abweichung von der metrischen Triadenstruktur (Triade 1: 1-17; Triade 2: 18-34; Triade 3: 35-51) ergibt sich inhaltlich nach Willcock 1995, 60 folgende Anordnung: 1-15 (Mythologische Ehren Thebens), 16-19 (Gnome als Übergang), 20-36 (Strepsiades und sein Onkel), 37-48 (Gnomische Kommentare), 49-51 (Gebet an Apollon). In der 4. Nemeischen Ode beläuft sich das Verhältnis von Zäsuren zu Enjambements an den Strophenübergängen immerhin noch auf 6: 5. Mögen andere Oden klarere Grenzen zwischen den Triaden aufweisen, ist doch nirgends eine strenge Strukturierung festzustellen, sodass man eher eine „relaxed control“ (ebd. 25) konstatieren kann, die Pindar praktiziert. Diese ist sehr wohl auf einen klaren Gedankengang, einen gegliederten Aufgleich <?page no="117"?> der pindarischen Dichtung mit einem herabstürzenden Bergbach. Das in dem Bild vermittelte Charakteristikum wird dann durch den sich über fünf Strophen erstreckenden Satz (4,2,4-24) auch ganz konkret in der Textstruktur des Gedichtes umgesetzt. Hiermit soll sehr wohl der Stil Pindars beschrieben werden, 23 jedoch ebenso die metrische Struktur seiner Dichtung. Auch bei neulateinischen pindarischen Dichtern ist diese Eigenheit erkennbar. Bei einem Blick in die Pindarischen Oden Sainte-Marthes fallen zahlreiche Beispiele von Enjambements ins Auge. 24 Dies ist umso auffallender, als es eine Abweichung von der französischen pindarischen Ode eines Pierre de Ronsard darstellt, der die Strophe strikt als thematische und syntaktische Einheit konzipiert. Grundsätzlich muss man zur Pindarode bedenken, dass es Horaz mit seinem Urteil gelungen ist, wissenschaftliche Erklärungsversuche, die es in der Antike durchaus gab, erfolgreich zu verdrängen. Die alexandrinischen Philologen hatten, auch wenn sie mit einem klaren Verständnis der pindarischen Metrik ringen mussten, 25 durchaus versucht, in Form der sogenannten ‚Kolometrie‘ die metrische Struktur jeder Ode zu bestimmen. Mit den Pindar-Scholien war Horaz sehr gut vertraut. 26 Jedoch lässt der römische Dichter in Oden 4,2 ein anderes Bild von der pindarischen Metrik entstehen und weist dabei implizit die Versuche einer metrischen Erklärung durch die alexandrinischen Philologen und ihre Anwendbarkeit für die dichterische imitatio zurück . 2. Die humanistische Philologie und die pindarische Metrik Mit der Pindarode des Horaz ist ein wichtiger Referenzpunkt benannt, der das neulateinische Dichten in der Manier Pindars prägte. Doch auch in der Antike bildet Horaz nicht die einzige Stimme zur pindarischen Metrik, wie man z. B. an den im Humanismus rezipierten Pindar-Scholien sehen kann. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich die neulateinischen Dichter in Hinblick auf die gebundene Sprache nicht auch an der antiken und der zeitgenössischen philologischen Analyse orientierten. bau und die Herstellung von Symmetrien bedacht, lässt sich aber nicht von formalen Grenzen einzwängen. Noch mehr als für die Übergänge von einer Triade zur nächsten gilt die Freiheit gegenüber den metrischen Einheiten für die Strophengrenzen. Die 11. Olympische Ode kann als Beispiel angeführt werden, bei dem sich in einem Fall inhaltliche und metrische Gliederung treffen, im anderen nicht (ebd. 55). 23 Tissoni 2014, 8. 24 Acht Strophensprünge etwa in der Ode In tumulum P. Ronsardi (Sainte-Marthe 1596, 138-146). 25 Schmitz 1993, 126. 26 Spezifisch zum Aspekt der Metrik in Horazens Rezeption der Pindar-Scholien s. Bitto 2012, 355 Anm. 435 mit Diskussion der Forschungsliteratur. Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode 117 <?page no="118"?> 118 Jochen Schultheiß Seit den Untersuchungen von Paul Maas und Bruno Snell hat sich die Vorstellung etabliert, dass sich Pindars Gedichte in zwei verschiedene metrische Systeme einordnen lassen: Ihre Metren sind entweder äolisch oder daktyloepitritisch. 27 Eine Deutung der daktyloepitritischen Oden sollte durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Metrik erst im 19. und 20. Jahrhundert möglich werden; 28 eine Erfassung gemäß den metrischen Standardfüßen ( da , an , ia , tro ), den äolischen Versmaßen und anderen gängigen Sing- oder Sprechversen stand den Humanisten jedoch durchaus offen. Der Aufschwung der pindarischen Dichtung trat infolge der Editio princeps ein, die von Aldus Manutius besorgt wurde und 1513 in Venedig erschien. Der Kommentar des deutschen Humanisten Johannes Lonicer, der, erstmals herausgegeben 1535, aufgrund seiner mehrfachen Auflagen als wichtigstes philologisches Hilfsmittel für den Zugang zu dem antiken Dichter gelten kann, lässt den Rückgriff auf die griechischen Scholien, und somit auf die andere, nicht-horazische Tradition der antiken Deutung zur Pindar-Metrik, erkennen. 29 Dies macht insbesondere die Definition der Termini Strophe, Antistrophe und Epodos deutlich, wonach die drei Abschnitte einer Triade aus der Bewegung der Sänger erklärt werden (Schol. metr. Boeckh 2, 11). Lonicer gibt allerdings eine gewisse Verlegenheit hinsichtlich des Versmaßes zu erkennen. Ganz unbestimmt hält er sich im Widmungsbrief, wo er schreibt, dass das Metrum kaum vom Rhythmus der gesprochenen Sprache abweiche. 30 Er geht in Anlehnung an Cicero davon aus, dass die pindarische Metrik fast ausschließlich auf dem Gesang beruhe, und dass ohne Gesang von der metrischen Struktur nicht viel mehr übrig bleibe als bei einem Prosatext. Ohne das musikalische Element erwiesen sich die Rhythmen von Lyrik und Prosa als simillimi . 31 Zur metrischen Gestaltung der Gedichte schreibt er in seinen Anmerkungen zur 1. Olympischen Ode: Cola proprie dicuntur versus variis legibus consistentes, ut Aristophanicus interpres autor. Itaque Aristophanicae sectiones recte κῶλα vocantur, quandoquidem tot generibus carminum constent, quot versus habent, utpote strophe 17 colon, versus ha- 27 Maas 1962, 40-42; Snell/ Maehler 1987 (Edition mit Versschemata zu den einzelnen Oden); vgl. Willcock 1995, 24-25. 28 Bahnbrechend war hierbei bereits die von ausführlichen metrischen Analysen begleitete Ausgabe und Kommentierung in drei Bänden durch Boeckh 1811-1821. 29 Der Rückgriff auf griechische Scholien wird bereits im Drucktitel thematisiert: adhibitis enarrationibus, e Graecis Scholiis […] desumptis . 30 Lonicer 1535, Bl. A2 v : quod lyrica carmina non multum à soluta loquendi formula discedant. 31 Lonicer 1535, Bl. A2 v : Si enim, ut Cicero inquit, optimorum quorunque poëtarum, qui λυρικοὶ à Graecis appellantur, versus cantu spoliaveris, nuda remanebit oratio: et nisi tibicen accesserit orationi sunt solutae simillimi (vgl. Cicero, De oratore 183). <?page no="119"?> bet 17. Legibus 17 compositos. Verum de Pindaricis metrorum generibus alias θεοῦ διδόντος agetur. 32 Kola im eigentlichen Sinne werden Verse genannt, die sich nach verschiedenen Gesetzen zusammensetzen, wie es der aristophanische Interpret bestimmt. Darum werden die aristophanischen Abschnitte zurecht κῶλα genannt, da sie ja aus ebenso vielen Dichtungsarten bestehen, wie sie Verse haben, wie nämlich eine Strophe 17 Kola hat, so hat sie auch 17 Verse, die nach 17 Regeln zusammengesetzt sind. Jedoch über die Arten der pindarischen Metren wird, wenn Gott es fügt, an anderer Stelle gesprochen werden. Lonicer beschränkt sich hier auf das, was er mit Sicherheit in Hinblick auf die metrische Form zu schreiben vermag. Mit dieser Unbestimmtheit geht einher, dass seine lateinische Übersetzung der Oden, die dem Kommentar zu den einzelnen Gedichten jeweils vorausgeht, in Prosa verfertigt ist. In ungebundener Rede verfasst sind ebenso die Übersetzung von Philipp Melanchthon und die von Henri Estienne (Henricus Stephanus) in seiner 1560 erstmals herausgegebenen zweisprachigen Edition. Dies ist umso auffallender, als in der Frühen Neuzeit metrisch verfasste Texte bei Übersetzungen gewöhnlich auch in der Zielsprache in gebundener Rede wiedergegeben wurden. 33 Wenngleich Lonicer eine genauere Behandlung der pindarischen Metrik auf einen unbestimmten späteren Zeitpunkt verschiebt, geht er unter Rückgriff auf die alexandrinische Philologie immerhin davon aus, dass die Kola, die deckungsgleich mit den Versen sind, aus verschiedenen metrischen Systemen ( genera carminum; legibus ) zusammengestellt wurden. Vergleichbar ist der Befund bei Estienne. In seiner Textausgabe und Übersetzung werden Exzerpte aus antiken Scholien zusammengetragen, die die Responsion von Strophe und Antistrophe, also die Identität ihrer metrischen Struktur, sowie die Diversität der Epodos herausstreichen. Hier wird auch allgemein festgehalten, dass die Strophe, Antistrophe und Epodos wiederum aus Kola bestehen. 34 Diese Kola setzen sich ihrerseits aus Versfüßen zusammen und 32 Lonicer 1535, 7. Lateinische Texte aus frühneuzeitlichen Drucken werden zur besseren Lesbarkeit in Interpunktion sowie in Groß- und Kleinschreibung hier wie auch in den folgenden Textzitaten normalisiert. 33 Dies gilt nicht zuletzt auch für die zahlreichen von Lonicer angeführten Übersetzungen etwa von griechischen Epigrammen. 34 Im Anhang zu der Ausgabe Estienne 1560, 562-567 finden sich Exzerpte aus den antiken Scholien im griechischen Originaltext, versehen mit einer lateinischen Übersetzung. Hierin wird der Ursprung der Begriffe Strophe, Antistrophe und Epodos erklärt. Dann wird die metrische Gleichheit von Strophe und Antistrophe und die Verschiedenheit der Epodos dargestellt, schließlich die metrische Zusammensetzung dieser drei Teile; vgl. Schäfer 1976, 83 Anm. 98. Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode 119 <?page no="120"?> 120 Jochen Schultheiß bilden dabei verschiedene Versmaße: Haec autem e colis constant: at cola variam mensuram habent, quae ex pedibus constat . 35 Manche frühneuzeitlichen Kommentatoren greifen auf das Handbuch ( Encheiridion ) des Metrikers Hephaistion aus der Kaiserzeit sowie auf antike Scholien mit metrischen Analysen zurück. Diese Werke untergliedern die Gedichte Pindars ebenso in Kola, analysieren diese dann aber auch nach bekannten metrischen Versfußschemata. Eine Auflistung der gemäß Hephaistion von Pindar verwendeten Versfüße bietet Stephanus Niger (Stefano Negri, 1475-ca. 1540) in seiner Praefatio in Pindarum (Mailand 1521). 36 Die einschlägigen Scholien stehen in der Tradition des hellenistischen Philologen Aristophanes von Byzanz, der zu jeder pindarischen Ode eine metrische Systematisierung, eine Kolometrie, entwarf. Diese ist grundsätzlich dadurch bestimmt, dass Aristophanes Kola bildete, von denen jedes ein bis drei rhythmische Elemente enthielt. Seine Ausgabe umfasste neben dem Text auch kurze Hinweise für den Leser, Lesevarianten, diakritische Zeichen sowie Markierungen zur Kolometrie. 37 Die Scholien waren in der Neuzeit durch die Pindar-Ausgabe von Zacharia Calliergi (1515) bekannt und wurden außer von der Pindar-Kommentierung auch in dem metrischen Traktat De generibus carminum Graecorum von René Guillon (1548) rezipiert. 38 In den Scholien finden sich neben der Eruierung der Anzahl von Kola auch Bestimmungen einzelner Versfüße. Hier werden sowohl äolische Versmaße als auch Zusammenstellungen aus den gängigen Standardversfüßen festgestellt, ferner Katalexen und Hyperkatalexen ermittelt. Schließlich sind auch für den Philologen und Dichter Jean Dorat (1508-1588), den Lehrer Ronsards, metrische Analysen zu den einzelnen Epinikien belegt. Diese gelangten jedoch nicht über handschriftliche Eintragungen der metrischen Schemata in der von ihm benutzten Textausgabe hinaus. 39 Zusammenfassend können wir feststellen, dass von der philologischen Metrikanalyse die Auffassung vermittelt werden konnte, dass Strophen, Antistrophen und Epoden mit weitgehender Freiheit gestaltet werden können, dass das einmal gewählte Schema dann jedoch durchgehend beibehalten werden musste. Ebenso war die Zusammensetzung von Strophe, Antistrophe und Epodos aus Kola bekannt. Über diese Kola wiederum konnte man sagen, dass sie aus sehr 35 Griechischer Ausgangstext der Scholien in der von Estienne zitierten Textgestalt: ταῦτα δὲ ἐκ κώλων συνίσταται· τὰ δὲ κῶλα μέτρον διάφορον ἔχοι[ου? ]σιν ἐκ ποδῶν συνιστάμενον (Estienne 1560, 566). 36 Der Abschnitt zur Metrik findet sich auch im Wiederabdruck der Praefatio in Negri 1532, 219-220. 37 Tissoni 2014, 6; speziell zur Überlieferung der metrischen Scholien in der Ausgabe Calliergis s. Irigoin 1958, 109-114. 38 Schmitz 1993, 126-127. 39 Demerson 1979, 292-293. <?page no="121"?> verschiedenen, jedoch auch von anderen lyrischen Dichtern bekannten und in Lehrbüchern systematisierten Versfüßen zusammengestellt waren. Eine dieser Technik entsprechende Praxis lässt sich auch für die neulateinische Dichtung aufweisen. 3. Scévole de Sainte-Marthe Den neulateinischen Poeten, die Pindarische Oden verfassten, war somit ein breiter Spielraum zur kreativen Gestaltung eigener Gedichte gegeben, und ein Blick auf verschiedene Dichter lässt differierende Herangehensweisen an die Metrik erkennen. Die unterschiedlichen von den neulateinischen Dichtern gewählten Lösungen macht eine vergleichende Betrachtung zwischen dem französischen Dichter Scévole de Sainte-Marthe und dem deutschen Paulus Melissus Schede deutlich. Zunächst zu Scévole de Sainte-Marthe (latinisiert Sammarthanus). In der 1629 veröffentlichten Gesamtausgabe der lateinischen Gedichte ist den pindarischen Gedichten, die das erste Buch der Lyriksammlung bilden, als Paratext ein programmatisches iambisches Einleitungsgedicht ( Ad lectorem ) vorangestellt, in dem der Dichter seine poetische Methodik und hierbei gleich eingangs auch seine Handhabung der Metrik erläutert: 40 Cuius [sc. Pindari] nec haesi semper hic vestigiis. Nam pro instituta vatibus licentia 5 hinc inde numeros lege nulla colligens, (nisi quam meo ipse iure dixeram mihi) inusitatos nectere sum ausus modos. Ich heftete mich hier nicht immer an seine [sc. Pindars] Fußstapfen. Denn gemäß der für Dichter eingerichteten Freizügigkeit sammelte ich von hier und da Versmaße zusammen ohne Regel (abgesehen von der, die ich nach eigenem Recht mir selbst auferlegt hatte) und habe es gewagt, ungewöhnliche Rhythmen zu knüpfen. Für Sainte-Marthes Dichten sind nach diesen Versen zwei wichtige Punkte festzuhalten: Zum einen zeigt er sich grundsätzlich darum bemüht, sich nahe an die metrische Gestaltung der Oden Pindars zu halten. Manchmal sei er von diesem Vorgehen jedoch abgewichen. Diese Äußerung wörtlich zu nehmen und aus ihr den Schluss ziehen zu wollen, dass die vollständige Übernahme der metrischen Struktur einer konkreten Ode Pindars Sainte-Marthes gängige Praxis dargestellt habe, wäre allerdings übereilt. Vielmehr scheint nec semper einen Bescheidenheitstopos darzustellen. So kann zwar für seine Pindarische Ode 40 Sainte-Marthe 1629, 127-128. Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode 121 <?page no="122"?> 122 Jochen Schultheiß Ad P. Pitheum die Übernahme der metrischen Struktur der 1. Olympischen Ode festgestellt werden. 41 Ansonsten erweist sich jedoch die Metrik des Franzosen als weitgehend unabhängig von den griechischen Gedichten. 42 Die den Dichtern eingeräumte Freiheit ( instituta vatibus licentia ) nutzt er zu einem regelfreien Sammeln von Metren: numeros nulla lege colligens . Er deutet somit Horazens numeris lege solutis für seine Dichtung um. Bei ihm ist es nicht das Metrum selbst, das ohne Gesetz ist, sondern seine Technik des Zusammensammelns und Zusammenstellens von Versmaßen. Der lateinische Terminus numerus kann im Kontext der Metrik unterschiedliche Bedeutungen tragen: Zunächst kann er (1) den „Rhythmus“ bedeuten, den man sowohl in Dichtungsals auch in Prosatexten finden kann; 43 Sodann (2) steht er in pluralischer Verwendung im Sinne von „Verse“ als metrische Zeilen, z. B. discentur numeri, culte Tibulle, tui (Ovid, Amores 1,15,28). Ferner (3) ist die Bedeutung als zählbarer „Versfuß“ belegt, wie in sex mihi surgat opus numeris, in quinque residat (Ovid, Amores 1,1,27). Schließlich (4) bezeichnet er ein „Versmaß“ oder „Metrum“, z. B. numerus Saturnius (Horaz, Epistulae 2,1,158: „der saturnische Vers“, „der Saturnier“). Die bei Sainte-Marthe anzunehmende Bedeutung steht wohl der letztgenannten Verwendung am nächsten. Ein ähnliches Bedeutungsspektrum kann auch modus abstecken, das auch in der antiken Literatur nicht selten als Synonym zu numerus im Hendiadyoin zu diesem Begriff belegt ist. 44 In dem vorliegenden Text müssen die modi jedoch die rhythmische Struktur eines Gedichts im weiteren Sinne beschreiben, die dann das Ergebnis der Zusammenstellung der gesammelten Versmaße bildet. 45 Die nicht ganz leicht zu verstehende Formulierung mit eingefügter Parenthese gewinnt ihren Reiz aus einem Aprosdoketon-Effekt. Die Formulierung lege nulla versteht sich zunächst unmittelbar als eine Referenz auf die horazische Pindarode: „nach keinem Gesetz“. Nun ist es aber nicht wie bei Horaz die Metrik insgesamt, die ohne Gesetz ist, sondern die Sammlung, die der Dichter aus gänzlich verschiedenen Quellen ( hinc inde ) zusammenträgt. Diese Aussage wird dann aber durch die parenthetische Einfügung relativiert. Die Zusammenstellung erfolge nach keinem Gesetz außer dem, das der Dichter sich selbst aufer- 41 Vgl. Demerson 1979, 292-293; Schmitz 1993, 133 Anm. 219. 42 Dies ergibt ein Abgleich der metrischen Analysen zu Sainte-Marthe in Brunel 2016, 31- 36 mit denen zu Pindar in der Ausgabe von Christ 1873. 43 Zur Bedeutung „Rhythmus“ vgl. die Übersetzung zu Cicero, Orator 183 ( esse ergo in oratione numerum quendam non est difficile cognoscere; sed in versibus res est apertior ) in Zgoll 2012, 18-19. Die drei folgenden metrikspezifischen Wiedergabemöglichkeiten nach Oxford Latin Dictionary, s.v. numerus 14, 1204. 44 Vgl. Cicero, De oratore 1,151; 3,184, 194; Brutus 32; Horaz, Epistulae 2,2,144. 45 Vgl. Oxford Latin Dictionary s.v. modus 7a, 1115: „A rhythmic pattern, measure, beat, metre“. <?page no="123"?> lege. In seiner Eigenschaft als Sammler entspricht der Dichter bei Sainte-Marthe nun aber genau der blütenlesenden Biene, die der Sprecher bei Horaz ja gerade als Gegensatz zum pindarischen Schwan versteht und zu seinem poetologischen Ideal erhebt (4,2,27-32). 46 Die diametrale Opposition von pindarischem und horazischem Dichten ist somit bei Sainte-Marthe aufgelöst. Sainte-Marthe praktiziert also sein Programm einer pindarischen Metrik als eine Technik der freien, nicht den tradierten Regeln entsprechenden Zusammenfügung übernommener Metren. Mit dem ius scheint er wohl kein bestimmtes zu meinen, vielmehr die grundsätzliche Tatsache, dass er mit einer bestimmten Versgestaltung, die er festlegt, gewissermaßen selbst ein „Gesetz“ für jede Ode bestimmt. Wir erkennen aus der metrischen Analyse, dass Scévole de Sainte-Marthe Verse unterschiedlichster metrischer Provenienz zusammenfügt, wie aus der monostrophischen Ode Ad Christianissimum Regem Henricum IIII (1596) deutlich wird. Hieraus soll Strophe 3 analysiert werden: 47 ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏓ Nĕquĕ lōngă fōrsăn aētās anacr ⏓ ⏓ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏓ Ōlīm nōs quŏquĕ nēscĭĕt gl ‒ ‒ ⏓ ‒ ⏓ ‒ ⏓ Aūsōs ĭnūsĭtātōs anacr ⏕ ‒ ⏕ ‒ ⏕ ‒ ‒ Tĭbĭ pēctĭnĕ dīcĕrĕ cāntūs 4an^ ‒ ‒ ⏕ ‒ ‒ ⏕ ‒ ⏓ Ō īncly̆tĕ rēx: tū mŏdŏ grātŭm 3ion. mai^^ 5 ‒ ⏓ ‒ ⏓ ‒ ⏓ ⏓ Laūdĭs hūnc plaūsūm tŭāe 4tr^ 46 Zur Popularität des sogenannten Bienengleichnisses bei den humanistischen Dichtern der Romania s. von Stackelberg 1956, 272. 47 Die metrische Analyse orientiert sich an Brunel 2015, 705. Gemäß der Empfehlung von Zgoll 2012, 45-46 ist ungeachtet der infolge der Sprechpause am Versende eintretenden Längung die Schlusssilbe bei der metrischen Analyse eines konkreten Textes stets mit der korrekten Quantität angegeben. Beim abstrakten Versschema, das alle Strophen erfasst, wird ein elementum indifferens (⏓) gesetzt. Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode 123 <?page no="124"?> 124 Jochen Schultheiß ‒ ⏑ ‒ ⏓ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ Lāetŭs ēxaūdī: tĭbĭ nām lăbōrŭm sapph mi ⏓ ‒ ⏑ ‒ ⏓ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏓ Hāec ūnă mērcēs. Nōn ĕgŏ frīgĭdāe alc 11 ⏓ ⏕ ⏓ ‒ ⏓ ‒ ⏑ ⏕ ⏓ ‒ ⏑ ⏓ Sŭb hĭĕmĭs īpsō sīdĕrĕ rĕcēptās cănăm 6ia ⏓ ‒ ⏑ ‒ ⏒ ‒ ⏑ ⏒ ⏑ Tĭbī tŏt ūrbēs, tōt rĕlātă ͜ 5ia^ 10 ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏒ ‒ ⏑ ‒ ⏒ Ēx hōstĕ pāssīm dīssĭpātō 5ia^ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏓ Lītŭs ăd Ārmŏrĭcūm trŏpāeă. 2da 2tr Sainte-Marthe hat eine Neigung zu Zusammenstellungen aus Standardversfüßen wie Iamben, Trochäen, Anapästen. Es finden sich andererseits auch äolische Versmaße, wie Glykoneus, Sapphischer Elfsilbler und Alkäischer Elfsilbler. In diesen Versmaßen kommt es in einzelnen Strophen dann auch zu Auflösungen oder zur wechselseitigen Ersetzung von Längen und Kürzen. 48 Diese Praxis erfolgt ganz gemäß der metrischen Tradition. Die Ungewohntheit einiger Verse rührt auch aus Abänderungen an den Versmaßen durch Katalexen. Die ursprünglichen Versmaße kommen bei Sainte-Marthe in ihrem Charakter jedoch immer noch sehr deutlich zum Vorschein. 49 Diese Beobachtungen lassen sich auch auf die anderen Pindarischen Oden Sainte-Marthes übertragen. An dieser Stelle kann nur exempli gratia auf die Ode In tumulum P. Ronsardi ad Abelem filium verwiesen werden, bei der in der Epodos sogar komplexere Versmaße in voller Form einander folgen: Iamben, Hemiepes, Pherekrateus, Sapphicus minor, Adoneus: 50 48 So findet sich in Abweichung zur Skansion der hier analysierten Strophe im 3. Vers der 2. Strophe ( vires profectō vires ) bei der ersten Silbe des 2. Fußes eine Länge gegenüber einer Kürze an derselben Stelle in der 3. Strophe. Im anapästischen Versmaß des 4. Verses ist in Strophe 1 Doppelkürze durch Länge ersetzt ( mihi da dēcerpere vires ). 49 Dieser Praxis trägt auch die Betitelung Ode ad imitationem Pindari ex numeris Horatianis Rechnung. Der Titel macht ebenso deutlich, dass sich hinc inde ( colligens ) in dem oben besprochenen paratextuellen Programmgedicht Ad lectorem sich auf beliebige Dichter als Quellen beziehen kann und sich nicht auf Pindar beschränken muss. 50 Eine metrische Analyse, die die Verse nach einem maximal zwei Füße umfassenden System von Versfüßen erschließt, verhindert hier das richtige Verständnis der Metren. Ein solches Schema wurde jüngst in der Ausgabe Brunel 2016, 31-36 vorgeschlagen. <?page no="125"?> Strophe I / Antistrophe I ⏓ ‒ ⏑ ‒ ⏓ ‒ ⏑ ⏓ Quo te beatam nomine 4ia An quod nitentis fluminis ⏓ ⏓ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏓ Praedicabo potissimum, gl Divite allueris vado? ⏓ ⏓ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏓ Galliae o decus, urbiumque ocelle phal An quo mille tuas per officinas ⏓ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏓ Quae bellicosi nomine Caesaris alc 11 Nent delicato police virgines ‒ ⏑ ‒ ⏓ ‒ ⏑ ⏓ Gloriaris civitas? 4tr^ 5 Fila Serum mollia, ‒ ‒ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏓ An quod blanda loci ridet amoenitas, as mi unde et crescit opum vis tibi, et ultimus ⏓ ‒ ⏑ ‒ ⏓ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏓ Laetisque circum tot places viretis? 6ia^ re novit orbis? Quid sacras tot aedes, Epodus I ⏓ ‒ ⏓ ‒ ⏓ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ⏓ Educta caelo quid loquar palatia? 6ia ‒ ⏕ ‒ ⏑ ⏑ ‒ una tamen superest hem ‒ ⏓ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ‒ quae te gloria caelo pher ‒ ⏑ ‒ ⏓ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏓ ‒ ⏑ Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode 125 <?page no="126"?> 126 Jochen Schultheiß aequat, aeternum cineres sepulti sapph mi ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏓ vatis et ossa. adon 5 Festzuhalten ist, dass Sainte-Marthe zwar die vom horazischen Pindarbild vorgegebene ‚Gesetzlosigkeit‘ für sein Dichten in Anspruch nimmt und in der Praxis umsetzt. Die sich ihm ergebende Freiheit füllt er jedoch in der Weise aus, dass er sehr unterschiedliche Typen von Metren zusammenfügt ( colligens ). Letztlich bleiben die Verse noch gut identifizierbar. 51 Dieses Programm einer metrischen ‚Anarchie‘ nimmt sich damit noch recht gemäßigt aus. 4. Paulus Melissus Schede Betrachten wir nun die Pindarischen Oden des Paulus Melissus Schede. 52 Deren metrische Gestaltung stellt auch bei dem deutschen Dichter einen Gegenstand der poetologischen Reflexionen dar. Hierbei ist ein programmatisches Gedicht von Bedeutung, das bereits 1580 in den Mele veröffentlicht wurde ( Hendecasyllabum ad Hieronymum Baumgartnerum ): 53 Pindarum studiosus aemulari, 1 ceratis ope et Daedalea pennis nititur, altius volando, ponto nomina vitreo daturus. Nos haud immemores Horatiani 5 praescripti, tamen improbo labore audacis nova verba Dithyrambi volvimus, numerisque lege nusquam solutis ferimur, sua recentem regula pedem ubique metientes. 10 Wer bestrebt ist, mit Pindar zu wetteifern, stützt sich auf wächserne Schwingen und auf die Kunst des Daedalus und schickt sich an, einem gläsernen Meer seinen Namen zu geben. Ich habe die Vorschrift des Horaz nicht vergessen, dennoch wälze ich in frevlerischer Arbeit die neuen Worte eines kühnen Dithyrambus, in Versen, die nir- 51 Brunel 2016, 36 stellt insgesamt 26 verschiedene Versmaße fest, die Sainte-Marthe in seinen pindarischen Dichtungen verwendet. 52 Eine Untersuchung zur Metrik Schedes wird von Päll 2017, 362 als ein Forschungsdesiderat ausgewiesen. 53 In: Schede 1580, 38-39. Hierzu auch Schäfer 1976, 80. <?page no="127"?> gends von einem Gesetz entbunden sind, werde ich getragen und messe überall den neuartigen Vers an seinem eigenen Versmaß. Hier zeigt Schede beachtliches Selbstbewusstsein, indem er anzeigt, dass er sich nicht von der horazischen Warnung vor einer aemulatio mit Pindar abhalten lassen will. Er bekennt sich in Anlehnung an Vergil zu einem labor improbus , der Autoritäten missachtet, dafür jedoch Fortschritt ermöglicht. Bei Schede wird der Dichter von Rhythmen getragen, die nirgendwo vom Gesetz entbunden sind. Wie er dabei vorgeht, erklärt der folgende Satz: Er messe jeden seiner neuartigen Verse an seiner eigenen Regel. Hiermit beschreibt der Dichter seine innovative metrische Technik. Der Terminus pes verweist hier synekdochisch auf den gesamten Vers als metrische Struktur. 54 Somit folgt jeder Vers seiner jeweiligen regula . Was dabei entsteht, ist als metrisches Produkt „neuartig“ ( recens ), da sich jeder Vers nach seiner eigenen Formel zusammensetzt. Wie sich der Dichter in der Wortwahl Neuerungen erlaubt - nova verba (V. 7) -, so auch in der Metrik. Schede setzt sich hier wie bereits Sainte-Marthe über eine vom literarischen Modell Horaz explizit gesetzte poetologische Norm hinweg. Es findet sich noch eine weitere poetologische Selbstaussage des Dichters hinsichtlich der Metrik seiner Pindarischen Oden. In der Ode an Michael Brutus , den Historiker des polnischen Königs Stephanus, kündigt der Dichter an, „er wolle kühne Dithyramben darstellen, wenngleich auch gegenüber den freien Maßen festere Bindungen bewahren“: audaces ego, liberis licet / numeris strictior, Dithyrambos / Brute repraesentem (V. 57-58). 55 Hier bekennt sich Schede zu einem ‚kontrollierten Wagemut‘ in Hinblick auf seine Metrik. Er nimmt sich heraus, das metrische Regelgebäude zu verlassen, worauf die angesprochene Kühnheit hinweist. Zugleich sollen die Verse nicht ganz frei sein, sondern eine gewisse Gebundenheit aufweisen. Das heißt, dass er weder ein freies noch ein konventionelles Versmaß anstrebt. Schedes 27 Pindarische Oden stellen die erste Gedichtgruppe in seiner großen, 1586 in zweiter, deutlich erweiterter Auflage erschienenen Sammlung der Schediasmata poetica dar. Ihnen folgen Melica , das sind Gedichte in horazischen lyrischen Versmaßen, Epica , Elegiae und Epigrammata . In Hinblick auf die Metrik seiner Odendichtung in den von Horaz verwendeten Metren zeigt er sich, wie Eckart Schäfer feststellen konnte, insgesamt als sehr innovationsfreudig, wobei er gerne Strophenformen der antiken Tradition variiert. Schede lässt hie- 54 Für diesen und manch anderen zielführenden Hinweis weiß ich mich Thorsten Burkard zu großem Dank verpflichtet. 55 Ad Ioannem Michaelem Brutum, Stephani Poloniae regis historicum , in: Schede 1586, 22- 24. Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode 127 <?page no="128"?> 128 Jochen Schultheiß rin gegenüber der Odenform des Römers eine Überbietungsstrategie erkennen. 56 In der Voranstellung der Pindarischen Oden bei der Anordnung der Sammlung folgt er dem Beispiel Ronsards. Die Pindarischen Oden sind mit der Rubrik Emmetra in aemulationem Pindari überschrieben. Der Begriff emmetra ist auffällig, da kaum Belege für neulateinische Gedichtsammlungen aufzufinden sind, die eine Gruppe von Gedichten unter dieser Gattungsangabe fassen. Er ist sehr unbestimmt, bezeichnet lediglich „in Metren Gefasstes“ und bringt damit die angestrebte Gestaltungsfreiheit zum Ausdruck. Auch bei Schede findet sich die seit den antiken Scholiasten bekannte Vielfalt der Versmaße wieder. Eine Bekanntschaft Schedes mit der Pindar-Ausgabe des Henri Estienne und ihren Zitaten aus den metrischen Scholien ist sehr wahrscheinlich. 57 Keine metrische Struktur eines Verses wird wiederholt. Während bei Sainte-Marthe das Metrum noch leicht erkennbar ist, da die Katalexen die Identifikation nur geringfügig beeinträchtigen, erweist sich bei Schede die metrische Struktur als deutlich undurchsichtiger. Betrachten wir die erste Strophe der Ode auf die englische Königin Elisabeth ( Ad Elisabetham Reginam Angliae ): 58 ‒ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏒ Ēlīsă, Brĭtānnĭcō crĕātă sānguĭnĕ rēgŭm, 2ion + pher ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ Ĕădēmquĕ prīncēps Ānglĭāe căpŭt, Elemente ion bzw. anacr (? ) 59 ‒ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ⏑ ⏓ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ⏒ Frāncĭāe cŏlŭmĕn, Hĭ̄bērnĭāe dŏmĭnă, Elemente ion (? ) ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ Ōcĕănīquĕ pŏtēns ĕră: 3dact ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏒ Cūiŭs īn pēctŏrĕ săpĭēntĭă Pāllădĭs Elemente tr (? ) 5 ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏒ Hăbĭtăt; ĭn ōrĕ Suādă mēllĭlīnguĭs; 6ia^ 56 Schäfer 1976, 82-83. 57 Schäfer 1976, 76. 58 In: Schede 1586, 3-7. 59 Die ersten Hälften von V. 1-3 zeigen weitgehend ionische Elemente mit zahlreichen Anaklaseis, ohne jedoch immer aufzugehen. Dasselbe gilt vielleicht für V. 5. <?page no="129"?> ⏑ ⏑ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑ ⏑ ⏑ Ĭn ŏcŭlīs Eūphrŏsy̆nē. cūiūs sŏlĭŭm paian + adon + paian (? ) ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏒ Rēgālĕ fūlcīt Thĕmĭs, āequī 4 ia (oder 2ia + cho ⏒) ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ Rēctīquĕ prāesēs; nōn sĭnĕ cāndĭdā alc 11 ‒ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏓ Pūrĭtātĕ Fĭdēquĕ, pher 10 ‒ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ Cōniūnctīssĭmīs sŏrōrĭbūs, quālēs Elemente tr (? ) ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ‒ Vīx ălĭbī rĕpĕrīrĕ lŏcōrūm est. 4da Eine metrische Analyse, bei der sämtliche Strophen und Antistrophen der Ode in Zusammenschau betrachtet werden, ergibt folgenden Befund: Schedes Bindung an das metrische „Gesetz“ besteht darin, dass er wie Sainte-Marthe jeden Vers als ein Kolon auffasst, das in der Wiederholung der Strophen an dieser Stelle wiederkehrt. Manche Verse sind ohne Weiteres identifizierbar. Völlig problemlos ist der letzte Vers, der aus vier Daktylen besteht. In V. 9 begegnen wir dem alkäischen Elfsilbler, in V. 10 den Pherekrateus. In V. 1 scheint Schede in Analogie zum alkäischen Elfsilbler eine Verbindung von ionischen und äolischen Elementen vorzunehmen. Unmöglich ist es jedoch, eine klare Analyse der Verse 2, 3, 5 oder 7 zu erstellen. Da sie jedoch in den Wiederholungen der Verse in den späteren Triaden keine Variationen aufweisen, kann man auch nicht von freien Versen sprechen. Hier hat Schede einzelne Versfüße von Ionikern, Iamben, Daktylen und Trochäen aneinandergereiht, ohne dass ein Zusammenhang erkennbar wäre. Es scheint Schede nicht mehr darauf anzukommen, dass Verse als einem bestimmten Versmaß zugehörig erkannt werden, vielmehr soll dem Leser oder Hörer vermittelt werden, dass ein stichisches System vorliegt, wie immer dieses auch zu analysieren sei. Genau dies entspricht der in der poetologischen Ode ( Hendecasyllabum ad Hieronymum Baumgartnerum ) dargelegten Technik. Dass sich Schede direkt am pindarischen Prätext orientieren würde, ist unwahrscheinlich. Als Begründung hierfür kann man jedoch sicherlich nicht anführen, dass Schede womöglich des Griechischen nicht mächtig gewesen sei. Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode 129 <?page no="130"?> 130 Jochen Schultheiß Hiergegen spricht etwa, dass Henri Estienne ihn darum bittet, seine griechischen Epigramme ins Lateinische zu übersetzen. 60 Vielmehr verfolgt Schede ein eigenes metrisches Programm. Abschließend lässt sich sagen, dass der Lyriker es konsequent unterdrückt, einen bestimmten Rhythmus entstehen zu lassen: 61 Es ist kein gängiges lyrisches Metrum erkennbar, geschweige denn, dass ein Hörer des Gedichts hier ein klares Bild gewinnen würde, welches Versmaß vorliegen könnte. Dennoch handelt es sich bei Schede ebenso wenig wie bei Sainte-Marthe um ein freies Metrum. Die Metrik basiert auf überkommenen Versfüßen, die kombiniert werden. Der selbstbewusste Umgang mit der Vorgabe des Horaz steht sicherlich der von Schede ebenfalls gepflegten Parodia-Technik nahe. Hierbei wird Horaz-Versen durch den Austausch möglichst vieler Einzelwörter ein völlig neuer Sinngehalt verliehen. 62 Sowohl in der Parodia als auch in der Metrik der Pindarischen Oden trifft die Anlehnung an Horaz mit einer gleichzeitigen Hinwegsetzung über ihn zusammen. 5. Conclusio: Metrik im Lichte der Poetologie pindarischen Dichtens Die Metrik der neulateinischen pindarischen Gedichte steht in einem Spektrum zwischen einer neualtgriechischen Pindarischen Ode, die in der Regel sehr stark an dem antiken Prätext ausgerichtet ist, und einer pindarischen Dichtung, die sich bereits in den Volkssprachen etabliert hat und deren metrischen Traditionen folgt. Für die neulateinische Dichtung lässt sich eine Orientierung an der philologischen Metrikanalyse zu den Oden Pindars feststellen, die bei den Alexandrinern einsetzt und in der frühneuzeitlichen Poetik fortgesetzt wird. Von der Philologie, die die metrische Struktur der Epinikien Pindars als eine Zusammenfügung verschiedenartiger Versmaße erklärte, konnte ein Impuls für die dichterische Produktion ausgehen. Bei den beiden neulateinischen Autoren Scévole de Sainte-Marthe und Paulus Melissus Schede findet gerade in Hinblick auf die Metrik eine Erneuerung der Odendichtung statt. Diese vollzieht sich im expliziten poetologischen Diskurs vermittels einer Auseinandersetzung mit dem Verdikt der horazischen Pindarode ( Oden 4,2). Um die Vorstellung der Unnachahmbarkeit Pindars hinter sich zu lassen, entwickeln die beiden Dichter jeweils einen für sie praktikablen Gegenentwurf zu der Aussage, dass die Oden Pindars eines metrischen Systems ent- 60 Diese erscheinen dann in den Schediasmatum reliquiae (Frankfurt 1575), 211-267; dazu Schäfer 1976, 66 mit Anm. 8. 61 Zum Rhythmus in der Metrik vgl. Drexler 1993, 9-11 generell und 116 spezifisch zu Horaz. 62 Schäfer 1976, 94-95. <?page no="131"?> behrten ( numeris lege solutis ). Sie tun dies, indem sie ihre metrische Freiheit in der eigenmächtigen Zusammenstellung von unterschiedlichen traditionellen Versmaßen ausmachen. Dabei zielen die beiden neulateinischen Dichter darauf ab, den in der Pindarode postulierten diametralen Gegensatz zwischen pindarischem und horazischem Dichten sowohl in der poetologischen Reflexion als auch in der poetischen Praxis zu überwinden. Literaturverzeichnis Editionen, Übersetzungen und Kommentare sind mit (*) versehen. Bitto, Gregor: Lyrik als Philologie. Zur Rezeption hellenistischer Pindarkommentierung in den Oden des Horaz, Rahden 2012 (Litora Classica 4). *Boeckh, August (Hg.): Pindari opera quae supersunt, 3 Bde., Leipzig 1811-1821. *Brunel, Jean (Hg.): Scévole de Sainte-Marthe. Œuvres complètes, Bd. 4, Genf 2015; Bd. 5, Genf 2016. Christ, Wilhelm (Hg.): Pindari carmina cum deperditorum fragmentis selectis, Leipzig 1873. Demerson, Geneviève: L’ode pindarique latine en France au XVIe siècle, in: Pierre Tuynman/ Gerdien C. Kuiper/ Eckhard Keßler (Hg.): Acta Conventus Neo-Latini Amstelodamensis, München 1979, 285-305 (Humanistische Bibliothek 1,26). Drexler, Hans: Einführung in die römische Metrik, Darmstadt 5 1993. *Estienne, Henri: Pindari Olympia, Pythia, Nemea, Isthmia, [Genf] 1560; erweiterte Neuauflage 1566. IJsewijn, Jozef/ Sacré, Dirk: Companion to Neo-Latin Studies, 2 Bde., Löwen 1990-1998 (Supplementa Humanistica Lovaniensia, Bde. 5 u. 14). Irigoin, Jean: Les scholies métriques de Pindare, Paris 1958. Kannicht, Richard: Griechische Metrik, in: Heinz-Günther Nesselrath (Hg.): Einleitung in die griechische Philologie, Stuttgart 1997, 343-362. * Kühlmann, Wilhelm/ Seidel, Robert/ Wiegand, Hermann (Hg.): Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1997 (Bibliothek der Frühen Neuzeit, Bd. 5; Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 146). Laumonier, Paul: Ronsard. Poète lyrique. Etude historique et littéraire, Paris 1932. *Lonicer, Johannes: Pindari Poetae Vetustissimi, Lyricorum facile principis, Olympia, Pythia, Nemea, Isthmia […] adhibitis enarrationibus, e Graecis Scholiis, et doctissimis utriusque linguae autoribus desumptis, Basel 1535. Maas, Paul: Greek Metre, translated by Hugh Lloyd-Jones, Oxford 1962. Morgan, Llewelyn: Musa Pedestris. Metre and Meaning in Roman Verse, Oxford 2010. Moul, Victoria: Lyric Poetry, in: Sarah Knight/ Stefan Tilg (Hg.): The Oxford Handbook of Neo-Latin, Oxford 2015, 41-56. Negri, Stefano: Stefani Nigri quae quidem praestare sui nominis ac studiosis utilia noverimus monimenta […], Basel 1532. Zur Metrik der neulateinischen Pindarischen Ode 131 <?page no="132"?> 132 Jochen Schultheiß Päll, Janika: The Transfer of Greek Pindaric Ode from Italy to the Northern Shores. From Robortello to Vogelmann and Further, in: Stefan Weise (Hg.): Hellenisti! Altgriechisch als Literatursprache im neuzeitlichen Europa, Stuttgart 2017, 349-368. *Sainte-Marthe, Scévole de: Poemata, Poitiers 1596. *Sainte-Marthe, Scévole de: Poemata. Ad Henricum III. Galliae et Poloniae Regem, Paris 1629. Schäfer, Eckart: Deutscher Horaz. Conrad Celtis - Georg Fabricius - Paul Melissus - Jacob Balde, Wiesbaden 1976. *Schede, Paulus Melissus: Mele sive odae ad Norimbergam et septemviros reipublicae Noribergensis, Nürnberg 1580. *Schede, Paulus Melissus: Schediasmata Poetica, Paris 2 1586. Schmitz, Thomas: Pindar in der französischen Renaissance. Studien zu seiner Rezeption in Philologie, Dichtungstheorie und Dichtung, Göttingen 1993 (Hypomnemata 101). *Snell, Bruno/ Maehler, Herwig (Hg.): Pindari carmina cum fragmentis, Pars I: Epinicia, Leipzig 8 1987. Stackelberg, Jürgen von: Das Bienengleichnis. Ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Imitatio, Romanische Forschungen 68, 1956, 271-293. Tissoni, Francesco: Pindarus, in: Greti Dinkova-Bruun/ James Hankins/ Robert A. Kaster (Hg.): Catalogus Translationum et Commentariorum - Medieval and Renaissance Latin Translations and Commentaries, Bd. 10, Toronto 2014, 1-125. *Thomas, Richard F. (Hg.): Horace. Odes. Book IV and Carmen Saeculare, Cambridge 2011. *Willcock, Malcolm M. (Hg.): Pindar. Victory Odes, Cambridge 1995. Zgoll, Christian: Römische Prosodie und Metrik. Ein Studienbuch mit Audiodateien, Darmstadt 2012. <?page no="133"?> Die ‚argute‘ Inschrift als barocke Form des freien Verses Stefan Tilg In einem Band über neulateinische Metrik das nicht-metrische Phänomen freier Verse zu behandeln ist auf den ersten Blick eine Verfehlung des Themas. Freie Verse haben sich von allen Vorgaben der Metrik gelöst und gehören daher eigentlich nicht mehr in ihr Gebiet. Wie allein schon die Bezeichnung „freier Vers“ zu erkennen gibt, werden sie aber oft vor dem Hintergrund metrischer Dichtung, eben als ihr freies Gegenstück, verstanden. Insofern hat das Thema hier eine gewisse Berechtigung, zumal die Existenz eines freien Verses in der Frühen Neuzeit keineswegs selbstverständlich ist. Studien zum freien Vers sehen diesen üblicherweise als emphatisch moderne Ausdrucksform an. In diesem Beitrag möchte ich demgegenüber argumentieren, dass es mit der ‚literarischen‘ oder ‚arguten‘ Inschrift des 17. und frühen 18. Jahrhunderts bereits ein Genre gab, das sich in formaler, verstechnischer Hinsicht nicht wesentlich vom modernen freien Vers unterscheidet. 1. Freie Verse in der Frühen Neuzeit? Wenn Literaturwissenschaftler über die Ursprünge des freien Verses diskutieren, denken sie normalerweise an das 19. Jahrhundert, z. B. an Walt Whitmans erstmals 1855 publizierte Sammlung Leaves of Grass oder an die französischen Symbolisten, die in den 1880ern den vers libre einem breiteren Publikum als neue Dichtungsform bekannt machten . 1 Es ist nicht falsch, das so zu sehen: Der moderne freie Vers geht tatsächlich auf diese Vorbilder zurück, und wenn frühneuzeitliche freie Versdichtung irgendeinen Einfluss auf das 19. und 20. Jahrhundert gehabt hat, so ist dieser allenfalls punktuell. Trotzdem ist es m. E. eine ungebührliche Verkürzung, freie Verse als schlechthin modernes Phänomen zu betrachten und einschlägige vormoderne Praktiken zu ignorieren. Meines Wissens ist Henry T. Kirby-Smiths The Origins of Free Verse die einzige größere 1 Siehe z. B. Scott 1990, Beyers 2001, Murat 2008. <?page no="134"?> 134 Stefan Tilg Studie, die sich mit der vormodernen Geschichte des freien Verses auseinandersetzt. 2 Kirby-Smith diskutiert Praktiken freier Versdichtung seit der Renaissance, konzentriert sich dabei aber auf (vorwiegend englische) Dichtung, die von den Psalmen und von Pindar inspiriert wurde und deren ‚freier‘ Charakter durch die rätselhafte metrische Gestalt ihrer Vorbilder bedingt war. Im vorliegenden Beitrag werde ich diese Art von freier Dichtung nicht behandeln. 3 Sie ist vergleichsweise gut bekannt, auch wenn die Traditionslinien gerade in metrisch-technischer Hinsicht im Einzelnen noch aufgearbeitet werden müssten. Schwerer wiegt, dass die neulateinische Dichtung in der Tradition der Psalmen und Pindars kaum jemals gänzlich frei von Metren war - ihre Freiheit war vielmehr die einer Auflösung größerer metrischer Muster und einer Neukombination kleinerer Elemente. Die lateinische pindarische Dichtung z. B., die, soweit ich sehe, ihren Ursprung in Benedetto Lampridios Sammlung Poemata von 1550 hat, arbeitete typischerweise so, dass aus der klassischen Dichtung bekannte Versfüße, Metren oder Verse zu einer neuen, unvorhersagbaren Folge von Füßen, Metren und Versen kombiniert wurde (die entweder der bei Pindar üblichen strophischen Responsion gehorchte oder diese auch durchbrach). Das Prinzip ist zumindest entfernt dem ähnlich, was in der deutschen Literaturwissenschaft im Anschluss an Friedrich Gottlieb Klopstocks Dichtung „freier Rhythmus“ genannt wird, denn auch Klopstock brach häufig die klassischen Muster auf, um ihre rhythmischen Grundelemente wiederzuverwenden und neu zu kombinieren . 4 Diese Vorgangsweise kann mit dem modernen, gänzlich freien Vers 5 nur bedingt verglichen werden. Anders verhält sich aber der Fall der von Kirby-Smith nicht behandelten ‚arguten Inschrift‘. Hier haben wir tatsächlich eine vormoderne, ganz und gar nicht-metrische Art zu dichten, auch wenn uns die einschlägigen Werke heute wenig dichterisch vorkommen mögen und der Bezug zur Dichtung mehr in der Theorie als in der Praxis klar wird. 6 2 Kirby-Smith 1996. 3 Für pindarische neulateinische Dichtung vgl. den Beitrag von Jochen Schultheiß in diesem Band. 4 Doering 1997, 629-630: „Freie Rhythmen sind reimlose Verse ohne einheitliche metrische Bindung und feste strophische Ordnung, die sich in freier Variation auf antike bzw. antikisierende Versmaße (vor allem Oden-Maße) beziehen und einzelne Versfüße - oft von Vers zu Vers wechselnd - neu kombinieren […], so daß die Gestalt einzelner Verse und Versgruppen nicht mehr vorhersagbar ist.“ 5 Lamping 1997, 631: „Verse entweder ganz ohne oder wenigstens ohne durchgehende fuß- und reimmetrische Bindung und Strophenmaß“. 6 Sparrow 1969 und Neukirchen 1999 bieten gute Einführungen in das Genre. <?page no="135"?> Die ‚argute‘ Inschrift als barocke Form des freien Verses 135 2. Ursprung, Terminologie und Entwicklung Das Genre der literarischen Inschrift hatte weder zu seiner Zeit noch heute eine einheitliche Bezeichnung. Einig war man sich aber über seine Herkunft aus Inschriften, weshalb häufig von inscriptio gesprochen wurde. Die Grundidee ist sinnfällig dargestellt auf dem Frontispiz von Emanuele Tesauros Inscriptiones (Turin 1670): Die personifizierte Inscriptio macht sich gerade daran, den Titel des Werks in Stein zu meißeln, als hinter ihr Merkur auftaucht, ein (noch) leeres Buch aufschlägt und sie darauf hinweist, dass der Inhalt in die Buchseiten geschrieben werden soll. Die Inschrift wird literarisch, sie wird von einem Steinzu einem Buchgenre - entsprechende Dichtungen hießen manchmal auch carmina lapidaria oder nur lapidaria . Sparrow weist auf die Omnipräsenz von Inschriften in der städtischen Kultur und Lebenswelt des 16. und 17. Jahrhunderts hin und erklärt sich so den Übergang von Steinzu Buchinschriften. 7 Vielleicht war dieser Übergang aber auch nur ein launiger Einfall der Turiner Jesuiten der 1630er-Jahre, denn aus dieser Zeit und diesem Milieu stammen die ersten Beispiele der Gattung. Während Inschriften bis dahin eher kurz, sachlich und formelhaft waren, wurden sie nun - und besonders als literarisches Genre - länger, rhetorischer und kreativer. Der stilgeschichtliche Kontext, in den man diese Entwicklung einordnen kann, ist die von den Jesuiten maßgeblich getragene und propagierte argutia- Bewegung, die sich den scharfsinnigen, pointierten, gewitzten, antithesenreichen und epigrammatischen Ausdruck auf ihre Fahnen schrieb . 8 Von diesem neuen Stilideal wurden zunächst - innerhalb der vom Medium gegebenen Grenzen - reale Inschriften auf Stein erfasst; zur Entfaltung konnte es aber erst in der literarisch gewordenen Buchinschrift kommen. Der typische Inhalt dieses neuen Genres waren zunächst Viten herausragender religiöser Persönlichkeiten - daher rührt auch der Name elogium, nach den so bezeichneten inschriftlichen Würdigungen von Verstorbenen. Die Turiner Jesuiten begannen damit, das Leben (oder Episoden aus dem Leben) religiöser Figuren wie Päpste, Patriarchen, Heilige oder Christus selbst in arguten Inschriftensammlungen zu publizieren, die sich formal durch die symmetrische Anordnung der verschieden langen Zeilen rund um eine zentrale Mittelachse auszeichneten. Ich nehme ein Beispiel aus Emanuele Tesauros Patriarchae sive Christi Servatoris genealogia ( Die Patriarchen, oder Genealogie unseres Heilands Christus ), einer erstmals 1645 in Mailand publizierten Sammlung von Viten der Vorväter Christi. Darin wird Isaak auf folgende Weise eingeführt: 9 7 Sparrow 1969, 38-100. 8 Dazu u. a. Breuer 2000. 9 Tesauro 1645, 53. Das ganze Elogium umfasst zwei Seiten bzw. 46 Verse. <?page no="136"?> 136 Stefan Tilg Adeste Cives! In Monte Moriah Tragoedia dabitur, Cui nihil simile dedere Athenae. Idomenaeus et Agamemnon fabulae sunt: Et si confero, mihi frigent. Protasin aget Numinis Internuncius, Qui Isaacum patria iubebit dextera immolari. Distrahetur infelix Pater inter Filii vel Fidei iacturam, Aut incredulus futurus, aut crudelis. Kommt herbei, Bürger! Auf dem Berg Moriah 10 wird eine Tragödie gegeben werden - nichts Gleichwertiges hat Athen geboten. Idomeneus und Agamemnon sind Märchen, 11 und wenn ich sie damit vergleiche, lassen sie mich kalt. Den Beginn wird der Bote Gottes machen, der befehlen wird, Isaak mit der väterlichen Rechten zu opfern. Der unglückliche Vater wird hin- und hergerissen werden zwischen dem Verlust des Sohnes oder des Glaubens, entweder ungläubig oder grausam sein. Die direkte Anrede an den Leser, der sich wie ein Zuschauer im Theater fühlen soll, das überraschende Konzept des Lebens Isaaks als Tragödie, die ähnliche Stoffe aus der griechischen Tragödie übertrifft, unübersetzbare Sprachspiele wie inter Filii vel Fidei („zwischen Sohn und Glaube“) oder incredulus aut crudelis („ungläubig oder grausam“), wobei jeweils ähnliche Laute verschiedene Begriffe mit antithetischer Bedeutung bezeichnen, all das sind nur einige auffällige Ausprägungen des arguten Stils. Religiöse Viten blieben aber nicht die einzige oder auch nur die hauptsächliche Domäne arguter Inschriften. Als das Genre ca. Mitte des 17. Jahrhunderts über die Alpen kam und sich vor allem in deutschen Landen verbreitete, wurde es in erster Linie für politische Inhalte adaptiert. Preisende Viten von Herrschern setzten dabei die religiöse Elogienform fort. Noch häufiger war aber eine tiefgreifendere Neuausrichtung des Genres als politischer Kommentar und 10 Genesis 1,22,2: Gott trägt Abraham auf, ins Land Moriah zu gehen und dort Isaak auf einem Berg zu opfern. 11 Zwei Helden des griechischen Mythos, die wie Abraham ihre Kinder opfern sollten: Idomeneus, der König von Kreta, schwor, das erste Lebewesen zu opfern, das ihm bei seiner Rückkehr aus Troja begegnen würde - es war sein Sohn; Agamemnon wurde prophezeit, dass nur die Opferung seiner Tochter Iphigenie eine Windstille aufheben könnte, die die Griechen auf dem Weg nach Troja in Aulis festhielt. <?page no="137"?> Die ‚argute‘ Inschrift als barocke Form des freien Verses 137 satirisch-kritische Analyse von aktuellem Zeitgeschehen. Dieser ‚publizistische‘ Strang war in der Regel narrativer, weil er sich mehr an der Abfolge von Ereignissen orientierte. Die einschlägigen Beispiele sind oft auch wesentlich länger als die bis dahin üblichen Einzelviten herausragender Persönlichkeiten. Gelegentlich konnten Werke dieser Art regelrecht historiographische Dimensionen annehmen. Der Jurist und Journalist Johann Frischmann (1612-1680) z. B. war für seine buchfüllenden historischen Analysen im arguten Inschriftenstil berüchtigt. Seine 1657 in Frankfurt a. M. erschienenen Causae regum heri et hodie inter se belligerantium ( Ursachen für die Kriege zwischen Königen in der jüngeren Vergangenheit und heute ), die sich in der Hauptsache mit den jüngsten Kriegen zwischen Schweden und Polen sowie Burgund und Frankreich beschäftigen, umfassen nicht weniger als 220 Seiten. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die argute Inschrift auch in den Volkssprachen aufgenommen, wobei Deutschland und Italien die wichtigsten Zentren blieben. 12 Auf Latein und in den Volkssprachen lebte das Genre dann bis in die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts fort und muss angesichts der Vielzahl einschlägiger Publikationen für die Zeitgenossen ein vertrauter Anblick gewesen sein. 13 Es geht mir in diesem Beitrag aber gar nicht so sehr um die verschiedenen Inhalte, Sprachen und Verbreitungsgebiete von arguten Inschriften als um ihre Form und darum, wie diese Form als freier Vers wahrgenommen wurde. Dafür müssen wir uns der Theorie zuwenden. 3. Zeitgenössische Theorie Argute Inschriften wurden meist als Teilgebiet der Theorie des arguten Stils behandelt. Hier gibt es in diversen Traktaten Passagen, aus denen klar hervorgeht, dass man sich das Genre als eines zwischen Prosa und (traditionellem) Vers vorstellte. Obwohl die Zeilen der arguten Inschriften nicht metrisch waren, erkannte man rhythmische und stilistische Gründe für ihr jeweiliges Arrangement und für den je spezifischen Zeilenumbruch. Der Kölner Jesuit Jacob Masen z. B. sagt über sie in seiner Ars nova argutiarum ( Neue Kunst des arguten Stils , Köln 1649, 236-237): 12 Die deutschsprachige Tradition ist vor allem bei Neukirchen 1999 aufgearbeitet. 13 Auch auf echten Steininschriften konnte der Stil in dieser Periode weiter gepflegt werden. Ein Beispiel sind die Inschriften auf den 1719 von den vorderösterreichischen Ständen vor dem Freiburger Münster gestifteten Säulen für die Jungfrau Maria und die Freiburger Stadtpatrone Lambert und Alexander. Siehe dazu Schuster 1909, 2-4; Neuedition mit Übersetzung von Jürgen Blänsdorf im Anhang zu Wehrens/ Blänsdorf 2016, 15-18. <?page no="138"?> 138 Stefan Tilg versuum rythmi […] habent ex syllabarum collusione venustas […]. Numerus quamvis definitis huic orationi pedibus, ut fit in carmine, non absolvatur: Liberiorem tamen poesin, ut comica est, fere aemulatur, varietatem simul aliquam, qualis in polycolo est carmine, desiderat. Die Rhythmen der Verse […] haben eine Anmut aus dem Zusammenspiel der Silben. […] Der Rhythmus, obgleich er nicht durch für diese Rede entworfene Füße vollendet ist wie in einem Gedicht, ahmt dennoch ungefähr eine freiere Dichtung nach Art der Komödie 14 nach und verlangt zugleich eine gewisse Abwechslung, wie es sie in einem vielgliedrigen 15 Gedicht gibt. Masen stellt sich die Zeilen der arguten Inschriften also keineswegs als Prosa vor, sondern als rhythmisierte Verse einer freieren Dichtungsart. Etwas Ähnliches lesen wir in Emanuele Tesauros argutia -Theorie, seinem sogenannten Cannocchiale Aristotelico (Turin 1670, 595) : 16 La Lapidaria vuol’ essere un Componimento mezzano tra’l Poetico e l’Oratorio […] richiede […] nello stile un minor Metro che la Poesia e maggior che l’Oratoria. Talche quantunque le Clausule non habbian gli piè ligati come il Verso: habbian nondimeno una certa misura sì concisa, che l’Intelletto di chi legge più sovente respiri e più rifletta che in un continuato corso della Periodica Oratione. Die literarische Inschrift will ein Werk zwischen einem dichterischen und einem rednerischen sein […] sie fordert […] im Stil ein geringeres Metrum als die Dichtung und ein größeres als die Rhetorik. Dergestalt, dass, obwohl die Satzteile 17 die Füße nicht gebunden haben wie der Vers, sie nichtsdestoweniger ein so präzises Maß haben, dass der Intellekt des Lesenden öfter Atem holt und mehr reflektiert als in einem ununterbrochenen Lauf der periodischen Rede. Wieder haben wir hier die Vorstellung von einem neuen Genre zwischen Prosa und (traditionellem) Vers. Darüber hinaus ist an dieser Passage besonders die Idee vom Zeilenumbruch als intellektueller Markierung interessant, als 14 Dem Senar der römischen Komödie wurde in der Frühen Neuzeit allgemein eine gewisse Freiheit zugeschrieben, nicht zuletzt weil seine altlateinischen prosodischen Grundlagen noch nicht bis ins Detail bekannt waren. 15 Hier ist an die polymetrische Dichtung der neuzeitlichen Pindar-Nachfolger gedacht. 16 Der Titel spielt auf Aristoteles’ Rhetorik an, die Tesauro wie ein „Teleskop“ ( cannocchiale ) verwenden möchte, um argute Phänomene in den Blick zu nehmen. 17 Clausula meint hier offenbar nicht das Satzende, die „Klausel“ wie in der rhetorischen Lehre vom Prosarhythmus, sondern allgemein den (in den arguten Inschriften auf einer Zeile freigestellten und damit als Sinneinheit abgeschlossenen) „Satzteil“. Vgl. Vocabolario degli accademici della Crusca, 3 1691 s.v. clausola, e clausula: „Particella del discorso, che in se racchiude intero sentimento“. <?page no="139"?> Die ‚argute‘ Inschrift als barocke Form des freien Verses 139 Reflexions- und Irritationspotenzial, das sich in der Moderne ja gerade der moderne freie Vers gern zu Nutzen gemacht hat. Abgesehen von Abschnitten, die der arguten Inschrift in allgemeinen argutia- Theorien gewidmet sind, haben wir auch einen größeren Traktat, der sich ausschließlich diesem Genre widmet. Christian Weise, einer der führenden deutschen Schriftsteller seiner Zeit, veröffentlichte De argutis inscriptionibus ( Über argute Inschriften ) erstmals 1678 in Weißenfels und in zweiter Auflage 1688 in Jena. Der erweiterte Titel ( De poesi hodiernorum politicorum sive De argutis inscriptionibus ) lässt bereits einiges über Funktion und Form des Genres erkennen. Zur „politischen“ Ausrichtung erklärt Weise in der upaginierten Vorrede an den Leser: In titulo argutas inscriptiones nominavi Poesin Politicorum, non quod velim omnes politicos in hoc genere versari, sed quod hodiernis moribus praecipua negotiorum politicorum iudicia hoc charactere solent concipi. Ich habe die arguten Inschriften im Titel „Politische Dichtung“ genannt, nicht weil ich möchte, dass alle Politiker [oder eher: politisch interessierte Bürger] sich in diesem Genre betätigen, sondern weil heutzutage bedeutende Analysen des politischen Geschehens in diesem Stil ausgedrückt werden. Wenn Weise von den arguten Inschriften als poesis hodiernorum politicorum spricht, ist damit also eher „Dichtung von zeitgenössischen politischen Dingen“ als „Dichtung von modernen Politikern“ gemeint - wie oben skizziert, entwickelte sich die argute Inschrift im Lauf des 17. Jahrhunderts ja immer stärker in Richtung politischer Kommentar und politische Analyse bzw. Satire des Zeitgeschehens. Interessanter für unseren Kontext ist aber, dass Weise überhaupt vorbehaltlos von Dichtung ( poesis ) spricht. Die zitierte Passage aus der Vorrede erklärt weiter: Accedit hodierni seculi indoles, quae, quo magis ad argutam adulationem propendet, eo minus ad molestiores poetarum leges adstringi cupit: ut proinde in libero hoc ingenii cursu eloquentiae compendium sibi videatur amplecti. Neque poeticum non est, quicquid fingendo efficit ποίημα; si vel maxime absit syllabarum numerus, quem ad vestimenta potius, quam ad ipsum poeseos corpus ego quidem referre semper soleo. Dazu kommt der moderne Zeitgeist, der, je mehr er zur arguten Schmeichelei neigt, desto weniger an die beschwerlichen Gesetze der Dichter gebunden werden will; sodass er also glaubt, in diesem freien, schöpferischen Fluss einen kürzeren und leichteren Weg der Beredsamkeit zu bekommen. Und durchaus ist alles das ‚dichterisch‘, <?page no="140"?> 140 Stefan Tilg was durch künstlerische Gestaltung ein ‚Gedicht‘ hervorbringt; 18 selbst dann noch, wenn ein Silbenmaß ganz fehlt. Ich jedenfalls pflege das Silbenmaß immer eher zur Kleidung als zum Körper der Dichtung zu zählen. Weise variiert hier Aristoteles’ bekannte, in Poetik 1 und 9 formulierte Einsicht, dass Dichtung nicht notwendigerweise von einem Metrum abhängt, mit dem Bild von der Metrik als äußerlichem Kleid, das dem „Körper der Dichtung“ angelegt werden kann oder auch nicht. Im ersten Kapitel des Traktats, De natura inscriptionum ( Über das Wesen der Inschriften ) siedelt er die argute Inschrift dann wie Tesauro und andere zwischen prosaischer Rede ( oratoria ) und traditioneller metrischer Dichtung ( poesis ) an: Von Ersterer habe sie die Freiheit des ungebundenen Ausdrucks, von Letzterer eine gewisse „Üppigkeit“ ( luxuria , worunter man wohl gedankliche Dichte verstehen kann), quae singulis fere lineis novum adspergit ingenii poetici lusum („die fast jeder einzelnen Zeile ein neues Spiel der dichterischen Schaffenskraft hinzufügt“). 19 Wieder wird hier auf die Bedeutung der Zeile als Sinneinheit und damit auf den Zeilenumbruch als zentrales Gestaltungsmittel hingewiesen. Emanuele Tesauro, um noch einmal zu ihm zurückzukehren, illustriert die argute Theorie der freien Verszeile mit einem schönen praktischen Beispiel, wenn er eine Passage aus Ciceros Philippischen Reden (14,31-33) in Form einer arguten Inschrift umschreibt. Die Passage steht einer epigraphischen Form ohnehin nahe, weil Cicero an dieser Stelle im Senat mit einer Lobrede auf die im Mutinensischen Krieg gegen Antonius aufgeriebene, nach dem Kriegsgott Mars benannte Mars-Legion ( legio Martia ) ein Kriegerdenkmal zur Erinnerung an die im Kampf gefallenen Soldaten fordert. Tesauro stellt sich die Passage nun als Inschrift auf einem solchen Denkmal vor. Er bringt eine Reihe von kleinen Änderungen im Text an, um ihn noch epigrammatischer, antithetischer, symmetrischer, mit einem Wort ‚arguter‘ zu machen. Die wichtigste Änderung, mit der all das hervorgehoben und sichtbar gemacht wird, ist aber der Zeilenumbruch. Die ersten Zeilen von Ciceros Text lauten z. B. so: 18 Die Wendung fingendo efficere ποίημα ist schwer zu übersetzen und wohl auch ihrerseits dem arguten Stil zuzuordnen: fingere und efficere variieren die Idee des künstlerischen Formens, Schaffens und Hervorbringens; efficere ποίημα ist eine zweisprachige figura etymologica, da ποίημα (von ποιεῖν, „machen“) eigentlich das „Gemachte“ ist, also das, was durch efficere (von facere , „machen“) gemacht wird. 19 Weise 1688, 5. <?page no="141"?> Die ‚argute‘ Inschrift als barocke Form des freien Verses 141 O fortunata mors quae naturae debita pro patria est potissimum reddita! Vos vero patriae natos iudico; quorum etiam nomen a Marte est, ut idem deus urbem hanc gentibus, vos huic urbi genuisse videatur. Ein herrlicher Tod, wenn er, wiewohl der Natur geschuldet, zuallererst fürs Vaterland erlitten wird! Ihr aber seid, meine ich, fürs Vaterland geboren: ihr habt ja sogar euren Namen von Mars, sodass es offenbar derselbe Gott war, der diese Stadt für die Völker und euch für diese Stadt geschaffen hat! (Üs. Fuhrmann/ Nickel). Diesen Text wandelt Tesauro nun folgendermaßen um: Fortunata mors, Naturae debita, patriae reddita. Legio vere Martia, A patrio numine nomen adepta, ut idem armorum deus Urbem hanc gentibus, vos huic urbi genuerit. Ein herrlicher Tod, der Natur geschuldet, fürs Vaterland erlitten. Wahrlich eine Legion des Mars, Die von der väterlichen Gottheit den Namen hat, sodass derselbe Gott der Waffen, diese Stadt für die Völker, euch dieser Stadt geboren hat. Das neue Arrangement von Sinneinheiten in freigestellten Zeilen markiert das „Atemholen“ und „Reflektieren“ des Intellekts beim Lesen, von dem Tesauro in seiner Theorie spricht. Die Sichtbarkeit dieses Arrangements ist für ihn eine wesentliche Innovation des neuen Genres. 20 Am Ende des Beispiels wendet er sich triumphierend an den Leser: „Non vedi tu con quanto piccol mutamento un’ elogio ascoltabile sia divenuto leggibile? “ („Siehst du nicht, mit welch kleiner Veränderung ein hörbares Elogium zu einem lesbaren geworden ist? “). Während eine ununterbrochene Rede (und man könnte ergänzen: ein metrisches Gedicht) in erster Linie gesprochen und gehört werden will, will eine argute Inschrift gesehen und in ihrer je originellen graphischen Anordnung gelesen werden. Auch das hat sie m. E. mit dem modernen freien Vers gemein, der primär visuell und lesend rezipiert wird. 20 Sparrow 1969 nimmt diesen Gedanken auf, wenn er seine Studie Visible Words nennt. <?page no="142"?> 142 Stefan Tilg 4. Literarische Inschrift und moderner freier Vers Zeilenumbrüche ohne metrischen Zwang sind wohl das wichtigste Charakteristikum des modernen freien Verses. Meist ist nur dank der Zeilenumbrüche sichtbar, dass es sich um Dichtung und nicht um Prosa handelt. Dazu ein Beispiel, das an Tesauros Demonstration der Wirkungsweise freigestellter Zeilen erinnert. Es stammt vom irischen Dichter und Nobelpreisträger William Yeats (1865-1939), der gegen Ende seines Lebens von Oxford University Press mit der Herausgabe einer Anthologie moderner Versdichtung beauftragt wurde. 21 Yeats selbst war ein Anhänger metrischer Dichtung, und als seine Anthologie 1936 erschien, enthielt sie auch deutlich mehr gebundene als freie Verse. Gerade das erste, programmatische Beispiel ist aber nicht nur nicht gebunden, sondern sogar (wie die Cicero-Passage aus den Philippischen Reden ) ursprünglich Prosa, aus der Yeats (wie Tesauro) durch Einfügung von Zeilenumbrüchen Dichtung macht. Es handelt sich die berühmte - und freilich auch in Prosa schon gewissermaßen lyrische - Beschreibung von Leonardo da’ Vincis Mona Lisa , die Walter Pater in seinem 1873 erschienenen Buch The Renaissance (103) gegeben hat: She is older than the rocks among which she sits; like the vampire, she has been dead many times, and learned the secrets of the grave; and has been a diver in deep seas, and keeps their fallen day about her; and trafficked for strange webs with Eastern merchants; and, as Leda, was the mother of Helen of Troy, and, as Saint Anne, the mother of Mary; and all this has been to her but as the sound of lyres and flutes, and lives only in the delicacy with which it has moulded the changing lineaments, and tinged the eyelids and the hands. Daraus macht Yeats mit minimalen Eingriffen in den Text (Einfügung von „was“ in „was the mother of Mary“; ansonsten nur Interpunktion und Kapitalisierung) durch ein neues Zeilenarrangement Folgendes: She is older than the rocks among which she sits; Like the vampire, She has been dead many times, And learned the secrets of the grave, And has been a diver in deep seas, And keeps their fallen day about her, And trafficked for strange webs with Eastern merchants, And, as Leda, Was the mother of Helen of Troy, And, as Saint Anne, Was the mother of Mary; 21 Yeats 1936. Den Hinweis auf Yeats verdanke ich Sparrow 1969, 144. <?page no="143"?> Die ‚argute‘ Inschrift als barocke Form des freien Verses 143 And all this has been to her but as the sound of lyres and flutes, And lives Only in the delicacy With which it has moulded the changing lineaments, And tinged the eyelids and the hands. Es gibt viele Gründe, die Yeats dazu geführt haben, dieses Gedicht als Programmgedicht aufzunehmen, ja es überhaupt erst zu einem Gedicht zu machen. Mich interessiert hier nur die formale Seite, für die Yeats in seiner Einleitung einen Hinweis gibt (viii): Only by printing it in vers libre can one show its revolutionary importance. Pater was accustomed to give each sentence a separate page of manuscript, isolating and analysing its rhythm, Henley wrote certain ‚hospital poems,‘ not included in this book, in vers libre, thinking of his dramatic, everyday material, in that an innovator, but did not permit a poem to arise out of its own rhythm as do Turner and Pound at their best and as, I contend, Pater did. Der freie Vers war demnach für Yeats ein Mittel, ein Gedicht aus seinem eigenen Rhythmus wachsen zu lassen, ein Verfahren, das Pater unbewusst in seiner Prosa befolgte und das Yeats durch Zeilenumbrüche bewusst und sichtbar macht. Nur so konnte der Inhalt gebührend zur Geltung kommen. Trotz aller Unterschiede ist das Verfahren demjenigen Tesauros frappierend ähnlich. Man könnte nun einwenden, dass bei Yeats und im modernen freien Vers überhaupt die Verse nicht um eine zentrale Mittelachse herum angeordnet sind, wie das bei den arguten Inschriften üblich war. Das tut aber der generellen formalen Vergleichbarkeit der beiden Erscheinungsformen freier Verse keinen Abbruch. Außerdem handelt sich sowohl beim zentrierten als auch beim linksbündigen Text lediglich um graphische Konventionen, die weder in der Frühen Neuzeit noch in der Moderne absolut waren. Jacob Masen z. B. bringt in seiner Ars nova argutiarum zahlreiche Beispiele arguter Inschriften ohne zentrale Mittelachse; und umgekehrt findet sich eine solche bei so manchem modernen Dichter, so z. B. in Christopher Logues kleiner Sammlung Mixed Rushes von 1974. 22 Hier die Stücke 6 und 7 daraus zur Illustration: VI She has not crossed my mind for years; and yet, seeing her name in an old address book, I flinch. 22 Enthalten in Logue 1981, 155-159. <?page no="144"?> 144 Stefan Tilg VII Last night in London Airport I saw a wooden bin labelled UNWANTED LITERATURE IS TO BE PLACED HEREIN. So I wrote a poem and popped it in. Der versgeschichtlich interessanteste Fall eines modernen Lyrikers, der sich dieses Zeilenarrangements bedient, ist aber wohl der Berliner Arno Holz (1863- 1929), der als Begründer des deutschen freien Verses gilt. Sämtliche Gedichte seines Hauptwerks Phantasus - das erstmals 1898 erschien, im Lauf seines Lebens ständig erweitert wurde und schließlich mehrere Bände mit insgesamt über 1500 Seiten umfasste - sind um eine zentrale Mittelachse herum angeordnet. Hier ein auch inhaltlich reizvolles Beispiel aus der unpaginierten Erstausgabe : 23 Zwischen Bergen im Sonnenschein liegt am Fluss das Städtchen. Hier oben von meinem Meilenstein seh ich über alle Dächer. Kerzengrade steigt der Rauch. Durch einen blühenden Hollunderbusch unterscheide ich deutlich, unter der alten Grünspankuppel, die Thurmuhr. Ein himmelblaues Zifferblatt mit weissen Zahlen. Noch drei kleine Striche, und die gesammte Bürgerschaft setzt sich pünktlich zu Mittag. Zwölf! Es ist heute Sonnabend, es giebt also überall Eierkuchen. Ich köpfe vergnügt eine Distel und wandre weiter. 23 Reprographisch wiedergegeben in der leicht zugänglichen Reclam-Ausgabe, herausgegeben von Gerhard Schulz (Arno Holz. Phantasus, Stuttgart 1968, [23]). <?page no="145"?> Die ‚argute‘ Inschrift als barocke Form des freien Verses 145 In einem parallel zum Phantasus veröffentlichten Essay, Die Revolution der Lyrik (Berlin 1899), verteidigt Holz seinen freien Vers mit dem absoluten Primat des individuellen, inneren Rhythmus vor allen metrischen Vorgaben und spricht an einer Stelle auch seine „vielleicht etwas sonderbar anmutende Druckanordnung“ an (29): Die für den ersten Augenblick vielleicht etwas sonderbar anmutende Druckanordnung - unregelmäßig abgeteilte Zeilen und unsichtbare Mittelachse, die ich für diese Form bereits seit Jahren vorgesehn, inzwischen ist sie glücklich ‚modern‘ geworden - habe ich gewählt, um die jeweilig beabsichtigten Lautbilder möglichst auch schon typographisch anzudeuten. 24 Wieder haben wir hier das Bestreben, einen immanenten Rhythmus, der keinem Metrum folgt, durch ein sinnfälliges Arrangement von Zeilen und Zeilenumbrüchen zum Ausdruck zu bringen. Kannte Holz seine barocken Vorgänger und ihre arguten Inschriften? Harold Jantz, der die Rezeption der arguten Inschriften in Neuengland und Pennsylvania untersuchte, deutete das in einem Satz beiläufig an, ohne sich weiter mit Holz zu beschäftigen. 25 Thomas Neukirchen folgt ihm darin, wenn er die kurze „Nachbemerkung“ am Ende seines Buchs über die „scharfsinnige Inschrift“ mit einem Gedicht von Holz abschließt, das er so einleitet: „Das Barock hinterläßt auch noch in unserer Gegenwart Schriftspuren, die sich im übrigen schon bei Arno Holz nachweisen lassen.“ 26 Ein Beweis für eine echte Rezeption fehlt aber - weder im Phantasus noch im Essay Die Revolution der Lyrik findet sich ein Hinweis auf frühneuzeitliche Vorbilder. Zur Stärkung der These einer direkten Rezeption könnte man auf Holz’ allgemeine Kenntnis der Barockdichtung hinweisen, die er in seinem 1904 erschienenen Dafnis meisterhaft parodiert. Holz schreibt hier unter dem Pseudonym des Schäfers Dafnis, der seine Sämbtlichen Freß= Sauff= und Venus=Lieder „vermehrt und verbässert durch vihle“ Buß=Thränen herausgibt und dabei kein Klischee der barocken Schäfer-, Liebes- und Vanitas-Dichtung auslässt. Selbst das Druckbild bis hin zur Frakturschrift (die z. B. im Phantasus nicht verwendet wurde) ahmt die Barockzeit nach. Allerdings enthält diese Sammlung gerade keine Beispiele im Inschriftenstil: Alle Gedichte sind metrisch (die Metren sind sogar jeweils 24 Vgl. auch S. 62: „warum sollte das Auge am Drucksatz eines Gedichts nicht seine besondere Freude haben? “. 25 Jantz 1985, 259: „Indeed a vast amnesic silence would have spread over this whole area if it had not been for one of the boldly intuitive modernist poets of the tum of the century who discovered that this middle-axis inscriptional form offered him the almost ideal medium for expressing his cosmic vision in an eloquent and memorable manner. It was Arno Holz with his Phantasus of 1898.“ 26 Neukirchen 1999, 264. <?page no="146"?> 146 Stefan Tilg unter dem Titel angegeben, z. B. „Ode Jambica“), und keines ist um eine Mittelachse herum angeordnet. 27 Mir geht es hier aber gar nicht um den Aufweis einer Rezeptionskette vom Barock bis in die Moderne, sondern um eine Vergleichbarkeit der Phänomene an sich. In verstechnischer Hinsicht sehe ich keinen wesentlichen Unterschied zwischen der barocken arguten Inschrift und dem modernen freien Vers. Die wichtigsten Parallelen sind: a) die Ersetzung des Metrums durch Rhythmus; b) die Tatsache, dass Rhythmus grundsätzlich anerkannt wird, aber wegen seiner Individualität unmöglich auf ein Muster festgelegt werden kann; c) die Etablierung der Verszeile als gedanklicher statt metrischer Einheit; d) damit einhergehend die Bedeutung des Zeilenumbruchs, um solche Einheiten sichtbar zu machen; und schließlich e) das Selbstverständnis der jeweiligen Dichter als „modern“ - die Autoren der arguten Inschriften wussten in ähnlicher Weise um ihre Neuheit und Modernität wie die Autoren freier Verse des 19. und 20. Jahrhunderts. Ich denke also, dass alle wichtigen Kennzeichen unseres freien Verses auch in der Frühen Neuzeit zu finden sind. Damit will ich nicht sagen, dass wir die Geschichte des modernen freien Verses neu schreiben müssen - dieser hängt sicher nicht von dem im 19. Jahrhundert weitgehend vergessenen Genre der frühneuzeitlichen arguten Inschrift ab, wenn es auch, wie bei Arno Holz, im Einzelfall gewisse Verdachtsmomente auf eine Rezeption geben mag. Wir sollten uns aber überlegen, ob eine Geschichte des freien Verses notwendig nur eine Geschichte des modernen freien Verses sein kann oder ob wir dafür nicht vergleichbare Phänomene früherer Zeiten berücksichtigen sollten. Die arguten Inschriften haben keinen genialen Dichter gefunden, der das Genre dem Vergessen entrissen hätte. Sie sind nicht in unseren literarischen Kanon eingegangen und ihre Referenzsysteme, die Inschrift und die rhetorische argutia -Theorie sind uns fremd geworden. Der moderne freie Vers hat dagegen viele geniale Dichter, ist längst kanonisiert und arbeitet in ganz anderen literarischen Traditionen und Konventionen, die z. B. das sprechende Ich in in seiner lebensweltlichen Existenz und Erfahrung zum Mittelpunkt des Interesses machen. Allerdings ist das weniger einer Änderung oder Entwicklung des Verses und seiner freien Konzeption an sich als einer Änderung der Ambitionen und Ziele der Dichter zuzuschreiben, die ihn verwenden. Der freie Vers existierte in seinen Grundzügen auch im 17. und 18. Jahrhundert. Als ein Medium der literarischen Moderne des 19.-21. Jahrhunderts wurde er aber erst von Walt Whitman und seinen Zeitgenossen neu erfunden. 27 Die Vanitas-Ode Er gedänckt seiner Lieben und daß sie ihme alle gestorben sind auf S. 255- 257 sieht auf den ersten Blick so aus, bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass hier nur in grundsätzlich linksbündigen Strophen drei kürzere Zeilen mittig eingerückt sind. <?page no="147"?> Die ‚argute‘ Inschrift als barocke Form des freien Verses 147 Literaturverzeichnis 1. Primärtexte Frischmann, Johann: Causae regum heri et hodie inter se belligerantium, Frankfurt a. M. 1657. Holz, Arno: Phantasus, Berlin 1898. Holz, Arno: Die Revolution der Lyrik, Berlin 1899. Holz, Arno: Dafnis, München 1904. Logue, Christopher: Ode to the Dodo. Poems from 1953 to 1978, London 1981. Masen, Jacob: Ars nova argutiarum, Köln 1649. Tesauro, Emanuele: Patriarchae sive Christi Servatoris genealogia, Mailand 1645. Tesauro Emanuele: Cannocchiale Aristotelico, Turin 1670. Tesauro, Emanuele: Inscriptiones, Turin 1670. Weise, Christian: De argutis inscriptionibus, Jena 2 1688. Yeats, William B. (Hg.): The Oxford Book of Modern Verse, 1892-1935, Oxford 1936. 2. Sekundärtexte Beyers, Chris: A History of Free Verse, Fayettville 2001. Breuer, Dieter: Ingenium, Phantasia, Argutia in jesuitischen Traktaten zur Dichtkunst, in: Hartmut Laufhütte (Hg.): Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit, Bd. 2, Wiesbaden 2000 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Bd. 35), 871-882. Doering, Sabine: Freie Rhythmen, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, 1997, 629-631. Jantz, Harold: Baroque Free Verse in New England and Pennsylvania, in: Peter White (Hg.): Puritan Poets and Poetics. Seventeenth-Century American Poetry in Theory and Practics, University Park 1985, 258-273. Kirby-Smith, Henry T.: The Origins of Free Verse, Ann Arbor 1996. Lamping, Dieter: Freie Verse, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, 1997, 631-632. Murat, Michel: Le vers libre, Paris 2008 (Littérature de notre siècle, Bd. 36). Neukirchen, Thomas: Inscriptio. Rhetorik und Poetik der Scharfsinningen Inschrift im Zeitalter des Barock, Tübingen 1999 (Studien zur deutschen Literatur, Bd. 152). Scott, Clive: Vers Libre. The Emergence of Free Verse in France 1886-1914, Oxford 1990. Schuster, Karl: Zur Baugeschichte des Freiburger Münsters im 18. Jahrhundert, Freiburger Münsterblätter 5, 1909, 1-14. Sparrow, John: Visible Words. A Study of Inscriptions in and as Books and Works of Art, Cambridge 1969. Wehrens, Hans Georg/ Blänsdorf, Jürgen: Die drei Patronatssäulen vor dem Hauptportal des Freiburger Münsters, Münsterblatt 23, 2016, 1-18. <?page no="149"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama Wilfried Stroh Georg Philipp Telemann hat (1718) die eine Hälfte der Sache gut gelaunt auf den Punkt gebracht: Music kann mit Latein sich wohl verknüpffen lassen, Wie diß das Alterthum vorlängst schon dargethan, Ein Kopff, der fähig ist, die Harmonie zu fassen, Sieht auch den Cicero für keinen Kobold an. 1 Aber umgekehrt gilt ebenso: Den Freund Ciceros sollten auch die Geister von Telemann und Genossen nicht schrecken. So hatte jedenfalls ich als Altphilologe immer wieder auch mit Musik zu tun, ja sah mich mitunter sogar vor praktische musikalische Aufgaben gestellt. Zum Beispiel als ich im Jahr 1974 - und das leitet nun zu meinem Thema über - den ehrenvollen Auftrag erhielt, zum 70. Geburtstag von Professor Franz Dirlmeier, dem Heidelberger Gräzisten, die Wiederaufführung einer kleinen Kantate (1881) des berühmten Richard Strauss einzustudieren. Der siebzehnjährige Strauss hatte nämlich zur Aufführung am Münchner Ludwigsgymnasium ein Chorlied aus der Elektra des Sophokles für einstimmigen Männerchor und kleines Orchester vertont . 2 Aus dem erhaltenen Klavierauszug 3 ließ sich eine Instrumentalbegleitung für Streicher herstellen - eine leichte Mühe für den Musikspezialisten unseres Seminars. Strauss hatte sich ein Lied mit apartem Versmaß zur Vertonung vorgenommen (1384-1397): aufgelöste Kretiker mit Dochmien, 4 so beginnend: ⏑ ⏑ ⏑ - ⏑ ⏑ ⏑ - / ⏑ ⏑ ⏑ - ⏑ - ⏑ - - ⏑ - Ἴδεθ᾿ ὅποι προνέμεται τὸ δυσέριστον αἷμα φυσῶν Ἄρης 1 Zitiert nach Draheim 1981, dort vor dem Vorwort. 2 Die Nachrichten darüber diskutiert Draheim 1981, 7-8. 3 In: Karl Schmidt: Hilfsbuch für den Unterricht im Gesange auf den höheren Schulen, Leipzig 1902, 168-170. In die Bibliographie werden in diesem Beitrag nur für das Thema zentrale Titel aufgenommen; alles andere findet sich an Ort und Stelle in den Fußnoten zitiert. 4 Vgl. etwa Otto Schroeder: Sophoclis Cantica, Leipzig 1907, 40. <?page no="150"?> 150 Wilfried Stroh Die Methode seiner Vertonung war nicht schwer zu erkennen (und wurde auch vom Jubilar rasch durchschaut). Strauss hielt sich nicht an die natürlichen Wortakzente, berücksichtigte auch kaum die Silbenquantitäten; er folgte vielmehr seinem Ohr, d. h. dem ihm aus der Schulpraxis geläufigen ‚Iktus‘. 5 Danach wurden nämlich antike Verse so vorgetragen, dass bestimmte (in der Regel lange) Silben einen Versakzent, meist ‚Iktus‘ genannt, erhielten, wodurch sich ein gleichmäßiger taktartiger Rhythmus ergab, in diesem Fall: 6 Ideth’ hopoi pronemetai to dyseriston haima physōn Arēs . Strauss setzte nun die iktierten Silben auf die schweren Taktteile des von ihm unterlegten Viererrhythmus, wobei er diese Silben nach Belieben zerdehnte: Sogleich die kurzen Silben I - und pro erhalten die mehrfache Dauer der jeweils nachfolgenden, die von Natur aus ebenso kurz gewesen wären. So ergibt sich ein ausdrucksvoll eingängiger Rhythmus - der allerdings schwerlich der antike gewesen sein kann. 7 Notiert sei die Chorstimme: Diese Methode der Komposition antiker Verse hat Strauss nicht erfunden. Nachdem man seit etwa 1600 jedenfalls in Deutschland zunehmend begonnen hatte, metrische griechische und lateinische Verse iktierend vorzutragen - statt etwa (Lukrez 1,1) Aenéadum génetrix zu lesen Aeneadum genetrix -, 8 ergab sich grundsätzlich die Möglichkeit, in dieser Weise auch zu vertonen. Doch scheint man in Deutschland 9 erst in der Zeit der Romantik davon Gebrauch gemacht zu haben, so etwa der heute noch als Balladenkomponist bekannte Carl Loewe in 5 Die damals gängige Theorie etwa bei Wilhelm Christ: Metrik der Griechen und Römer, Leipzig 1874, 3-4. 6 Um Verwechslungen vorzubeugen, bezeichne ich iktierte Silben stets durch Unterstreichen des Vokals der betreffenden Silbe. 7 Die vor allem von Gottfried Hermann begründete Iktustheorie ist heute zumindest im Bereich der Gräzistik aufgegeben. Vgl. etwa Sicking 1993, 10-11; Stroh 2000, bes. 196. 8 So Stroh 1979; später, wie Kabell 1960, datiert das Aufkommen des iktierenden Lesens jetzt Thorsten Burkard in diesem Band. 9 Partieller Vorläufer in Frankreich war François-André Danican Philidor, dem die größte aller Horaz-Vertonungen zu danken ist, das von dem gelehrten Giuseppe Baretti inspirierte Carmen saeculare (1779/ 80). Vor allem in den Chorpartien des Hauptteils schlägt hier vielfach der Iktus durch, ohne allerdings konsequent berücksichtigt zu werden. Nichts gerade zu diesem Aspekt des Werks findet man bei Draheim 1981, 48-49 und Richard Tarrant: ‚Lyricus vates‘. Musical Settings of Horace’s ‚Odes‘, in: William Brockliss/ Pramit Chaudhuri/ Ayelet Haimson Lushkov/ Katherine Wasdin (Hg.): Reception and the Classics, Cambridge u. a. 2012, 72-93, hier 88-92. <?page no="151"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 151 seinen für vierstimmigen Männerchor bestimmten Fünf Oden des Horaz (1836). Bei ihm wird dann etwa die sapphische Ode (- ⏑ - - - ⏑ ⏑ - ⏑ - ×) so betont ( Oden 2, 16): Otium divos rogat in patenti […] . 10 Notiert sei der erste Tenor: Nun, das war das neunzehnte Jahrhundert. Wie aber verfuhren die Musiker, bevor der ‚Iktus‘ aufkam bzw. bevor sie von ihm Gebrauch machten, mit den antiken Versmaßen? Wenn ich mich zur Lösung dieser Frage jetzt im Wesentlichen auf das lateinische Schuldrama der Frühen Neuzeit beschränke, so darum, weil hier im Zeichen der Renaissance der Antike naturgemäß ein reiches Material vorliegt, vor allem aber, weil ein großer Teil davon schon 1890 von dem Germanisten und Musikologen Rochus von Liliencron, wenn auch unter anderer Fragestellung, aufgearbeitet und ausführlich bereitgestellt worden ist. Sonstige Literatur speziell zum Thema gibt es so gut wie keine, 11 ja es ist auch kaum das Bewusstsein eines Problems vorhanden, 12 vielmehr scheint alle Welt mit einer partiellen Ahnungslosigkeit zufrieden. Die Philologen interessieren sich meist wenig für Musik, 13 und die Musikologen kennen sich mit der Metrik 10 Carl Loewe: Weltliche Chöre, Bd. 1: Männerchöre a capella, Hildburghausen o. J. (Vorwort 1911), 28 (Nr. 11). 11 Weniger hilfreich ist die gigantische, aber nicht sehr problemorientierte Materialsammlung von Weber 1974, bes. Bd. 2, 531-610 („Les chœurs des drames scolaires néo-latins“). Irmgard Scheitler inventarisiert in Bd. 1 („Materialteil“, 2013) ihres großartigen Werks über „Schauspielmusik […] im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit“ lateinische Dramen nur dann, „wenn sie deutsche Anteile enthalten“ (X); in Bd. 2 („Darstellungsteil“) ist sie großzügiger, nimmt etwa auch Locher, Celtis und Macropedius auf. 12 Wichtige Hinweise gab immerhin schon mein Lehrer Ernst Zinn in seiner Dissertation (1940). Neuartig war damals seine Typologie der Imitationen antiker Versmaße; auch hob er zuerst wieder die Humanistenode ins Bewusstein der Philologen. Förderlich waren dann besonders auch die Untersuchungen von Kabell (1960), dessen Werk kaum auszuschöpfen ist, Derks 1970 und Hartmann 1976. In den bekannten interdisziplinären Arbeiten von Draheim (1981, 1985) und Wille (1967, 1985) wird unser Problem kaum einmal gestreift. 13 Vgl. immerhin das Kapitel über „Musik, Tanz und Metrik“ in Janning 2005, 75-81 (mit Literaturhinweisen), der allerdings „die musikalische Gestaltung der Chöre […] den Untersuchungen der Musikwissenschaft“ überlässt (ebd. 78-79) und nirgendwo angibt, ob zu den von ihm behandelten Dramen Noten vorhanden sind. Nur bedingt richtig ist seine <?page no="152"?> 152 Wilfried Stroh nicht so gut aus. So liest man in seriösen Abhandlungen so sonderbare Dinge wie die, dass bestimmte Komponisten im 16. Jahrhundert zwischen Metrum und Wortrhythmus einen Mittelweg gesucht hätten. Und in einem neuen, repräsentativen Werk, Brill’s Encyclopaedia of the Neo-Latin World (2014), behauptet der Verfasser des einschlägigen Artikels „Latin words to music“, die Tonsetzer hätten seit Ende des Altertums in der Regel betonte Silben gelängt, unbetonte gekürzt. 14 Diesem musikhistorisch sehr wohl beschlagenen Wissenschaftler ist sogar entgangen, dass es auch in der Neuzeit metrische Poesie gegeben hat. 15 Aber vor allem mit dieser werden wir uns zu befassen haben. Dass freilich unter so eingeschränktem Gesichtspunkt keine ästhetische Würdigung der besprochenen Werke gegeben werden kann, versteht sich. Es soll jetzt nur um den Rhythmus gehen. Jacob Locher: Das lateinische Musiktheater in Deutschland beginnt mit Sapphikern Zu beginnen ist mit dem Beginn: den ersten Anfängen des lateinischen Schulbzw. Universitätsdramas. 1495 führte Jacob Locher mit Freiburger Studenten eine von ihm verfasste Historia de rege Frantie 16 auf, eine Tragödie über den verunglückten Neapelfeldzug König Karls VIII. (also dem Inhalt nach ähnlich den Persern des Aischylos). In dem fünfaktigen Drama, dessen Sprechpartien gegen die antiken Vorbilder in Prosa abgefasst sind, 17 befolgt Locher die auch schon Feststellung, dass die neulateinischen Chöre sich „in der Regel“ nicht an den „rhythmischen“ Formen des Mittelalters, sondern an der „quantitierenden Metrik“ der Antike orientieren. Für das Erstere gibt er später (ebd. 367) nur das Beispiel des Reuchlin’schen Henno von 1497/ 1498 (das unzutreffend ist, siehe unten); die seit dem siebzehnten Jahrhundert aufkommende Fülle rhythmischer Lieder bleibt unbeachtet und die Frage nach deren Zusammenhang mit der Musik wird so auch gar nicht gestellt - obwohl hier etwa Adel 1960, 148-149 und Rädle 1988 schon gewisse Hinweise hätten geben können. 14 Rasch 2014, 519-520 (wobei er die entscheidende Frage nach der jeweiligen Aussprache explizit ausklammert). 15 Rasch 2014, 533-534. Unbekannt geblieben ist ihm auch der größte Lateinkomponist des 20. Jahrhunderts, Jan Novák. Dafür würdigt er die kindlichen Reimereien, mit denen man neuerdings Beatles-Songs oder gar die Europahymne latinisiert. 16 Gedruckt Freiburg 1495. Der Text ist sorgfältig wiedergegeben bei Dietl 2005, 384-406; dort 385 die spärlichen Bibliotheksnachweise. 17 Da das Mittelalter keine lateinischen Jamben schrieb, tat man sich hier schwer. An Reuchlin wird es gerühmt, dass er als erster den Jambus nach Deutschland gebracht habe. Sehr fehlerhaft sind z. B. die Trimeter in der 1493 gedruckten Tragödie Historia Baetica von Carlo Verardi (der offene, kurze akzentuierte Silben nach italienischer Aussprache regelmäßig dehnt, wie z. B. scēlera, histōria ); eine Probe bei Dietl 2005, 45. Aber perfekt waren immerhin schon die Trimeter Mussatos ( Ecerinis , 1314). <?page no="153"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 153 vom Tragiker Seneca - nicht aber von Lochers italienischen Vorbildern 18 - befolgte, aus den griechischen Tragödien abgeleitete Regel des Horaz ( Ars poetica 193-201), wonach zwischen den Akten ein Chor zu singen habe. 19 Nach dem 1. Akt singt der Chor ein dreistimmiges Lied, nicht in den chorlyrischen Versmaßen der Griechen, an die sich ja schon die Römer nie gewagt haben, sondern in der gängigen sapphischen Strophe, 20 deren Elfsilbler bereits Seneca in Chorliedern verwendet hatte und die auch im Mittelalter sehr bekannt war. 21 Gut humanistisch dient das metrisch korrekte Lied der Verherrlichung von Ruhm und Tugend. 22 Im Folgenden der sehr schlichte Chorsatz, in dem die ersten drei Verse jeder Strophe je auf dieselbe Melodie gesungen werden, zuerst als Faksimile des Originals und dann in moderner Umschrift: 23 18 Dies stellte jedenfalls Hartmann 1976, 8, bester Kenner auf diesem Gebiet, fest. Dennoch hielt er es für möglich, dass Locher die Tonsätze zu seinem Drama aus Italien mitgebracht hat. Mussatos Ecerinis (1314), das erste humanistische Drama, hat Chöre in horazischen Maßen, wurde aber wohl nicht aufgeführt. 19 Zu Unrecht hielt also von Liliencron 1890, 314 Reuchlins Henno für den „Ausgangspunkt des ganzen humanistischen Dramas“ und des dramatischen Chorgesangs in Deutschland. So implizit auch Janning 2005, der Lochers Historia nicht einmal erwähnt. Richtig dagegen Coppel 2000, 158, der aber fälschlicherweise Locher auch „den Beginn der Humanistenode in Deutschland“ zuschreibt. Diese beginnt erst mit Celtis (siehe unten). Unrichtig in diesem Punkt auch Klein 1964, 142. Zu Lochers Metrik und Musik vgl. Hartmann 1976, 6-31 (passim), 41-42. 20 Locher scheint sie für die schönste überhaupt zu halten; so in seiner Horaz-Ausgabe (Straßburg 1498), 3: Dulcius hoc plectro nihil est. nec blandius isto / Carmine. quod saphus nomine nomen habet. 21 Bes. Norberg 1958, 77-78; Derks 1970, 36-37; Hartmann 1976, 32-51. 22 Dietl 2005, 90, bes. auch zum Fortgang des Lieds. 23 Frau Kollegin Cora Dietl (Gießen) war so liebenswürdig, mir ihre Mikrofilmkopie des in Deutschland nicht zugänglichen Originaldrucks (mitsamt den Noten) zukommen zu lassen. <?page no="154"?> 154 Wilfried Stroh Wer das hört oder singt, spürt sofort, dass diese Vertonung dem üblichen Wortakzent (also nicht etwa unserem künstlichen Versakzent, ‚Iktus‘) folgt. In den regelmäßigen Abständen von zwei ganzen bzw. vier halben Noten folgen im Elfsilbler einander Silben, die jeweils in gewöhnlicher Aussprache betont werden: Quís- -tércú- -pó- . So entsteht ein für unsere Ohren gleichmäßiger, gefälliger Rhythmus, den wir bei entsprechender Umschrift als 4/ 4 Takt notieren können. 24 Dem antiken Klang des Sapphikers, der ja auch in Rom gesungen wurde 24 Dieser bestimmte Akzentrhythmus entsteht fast automatisch dadurch, dass nach der 5. Silbe in der Regel ein Wort endet und dass vor dieser Zäsur wie auch am Ende des Verses das Monosyllabon gemieden wird. Ob das schon von Horaz beabsichtigt war, ist umstritten; vgl. Zinn 1940, mit Nachwort (1997). In größerem Zusammenhang behandelt die Frage Karin Zeleny: Itali modi. Akzentrhythmen in der lateinischen Dichtung der augusteischen Zeit, Wien 2008. <?page no="155"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 155 (am spektakulärsten im Carmen saeculare des Horaz), kann diese Vertonung natürlich nicht genau entsprechen. An zwei Stellen des ersten Verses müssen um des intendierten Rhythmus willen lange Silben gekürzt werden: in (a ) e-ternum die naturlange erste Silbe, in ad nepotes das positionslange ad. Statt des sperrigen Originalrhythmus, 25 der sich in keine isochronen Takte oder Versfüße zwingen lässt, man mag ihn teilen, wie man will ( - ⏑ / - - / - ⏑ ⏑ / - ⏑ / - × oder - ⏑ - / - - / ⏑ ⏑ - / ⏑ - ×) , erhält Locher einen ebenso glatten wie unantiken Versfluss, der sich notieren ließe: - ⏑ ⏑ / - - / ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ / - × . 26 Jacob Locher (bzw. der von ihm in Dienst genommene Komponist) hat diese von ihm angewandte Weise des Vertonens nicht selbst entdeckt (obwohl sie ohne Zweifel dem von ihm praktizierten Versvortrag entsprach). Nach den wertvollen, wenn auch oft spekulativen Forschungen von Karl-Günther Hartmann lässt sich diese musikalische Rhythmisierung des Sapphikers ein Stück weit in Italien zumindest bis ins späte Mittelalter zurückverfolgen. 27 Wohl am prominentesten ist eine schlichte vierstimmige Horaz-Vertonung ( Oden 1,22) des Michael Pesentius (Michele Pesenti), abgedruckt in der Sammlung Frottole (Lieder) von Ottaviano Petrucci (1504). 28 Notiert ist hier der Anfang der Diskantstimme (im Original ohne Taktstriche): 25 In der Tabelle der horazischen Metren (Einleitung zur Horaz-Ausgabe, Straßburg 1498) skandiert Locher natürlich korrekt: Trochaeus, Spondeus, Dactylus, 2 Trochäen. 26 Unbegreiflich verkehrt urteilt Weber 1974, Bd. 1, 534, die dieses Lied der „musique mesurée à l’Antique“, also der Humanistenode, zuordnet: „la prosodie est respectée; le rythme musical épouse le rythme verbal“. 27 Hartmann 1976, 35-42. Derks 1970, 37-38 vermutet ansprechend, dass schon die Ligaturen in einer neumierten Horaz-Handschrift (zu Oden 4,11) des 11. Jahrhunderts auf diese Rhythmisierung hindeuten. - Dem entsprechen deutsche Sapphiker wie die des Mönchs von Salzburg (14. Jh.): „Das hell aufklymmen / deiner diener stymmen […]“ (Kabell 1960, 108; Hartmann 1976, 34), und lateinische wie: Postquam transgressus Domini praeceptum […] (Kabell 1960, 77). Zum „rhythmischen“ Sapphiker Kabell 1960, 33-34, 77-79, 106-110, vgl. 144, 146, 149, 155, 162, 184, 195; Derks 1970, 36-56. Noch Georg Bernardt bietet ein Beispiel, s. unten Anm. 241. 28 Petrucci, Ottaviano: Frottole libro primo, Venedig 1504, f. xliiii r (der erste moderne Notendruck mit beweglichen Typen). Von Liliencron 1887, 41-42 erfasste das Prinzip dieser Vertonung nicht richtig, besser Schütz 1948, 151-152. In der vorausgehenden (f. xliii v ) metrischen Ode Inhospitas per Alpes , deren Strophen jeweils aus zwei katalektischen jambischen Dimetern, einem Pherecrateus und einem trochäischen Metrum bestehen, ist die Rhythmisierung reicher, folgt aber ungefähr demselben Prinzip. Die übrigen Nummern der Sammlung sind italienisch. <?page no="156"?> 156 Wilfried Stroh Der Erfolg gerade dieses Rhythmus war beispiellos. Sogar nach Erfindung des ‚Iktus‘ komponierte man weiterhin die horazischen Sapphiker nach diesem mittelalterlichen Schema, so Carl Loewe selbst in einer späteren (1845) Vertonung von Iam satis terris (Horaz, Oden 1,2), 29 so noch Zoltán Kodály (1934) in Rectius vives (Horaz, Oden 2,10) 30 - der aber daneben auch die iktierende Auffassung kennt. Auch die bei weitem berühmteste Horaz-Vertonung aller Zeiten, das noch unlängst bei allen humanistischen Leichenfeiern gesungene Integer vitae (1811) des Arztes Friedrich Ferdinand Flemming, 31 ist streng in diesem einprägsamen Tonfall gehalten: In vielen bekannten deutschen Chorälen ist dieser mittelalterliche Rhythmus des Sapphikers nachgebildet, wie vor allem in Johann Heermanns Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen (1630) , 32 mit der Melodie von Johann Crüger (1640). 33 Jacob Locher und das elegische Distichon Kehren wir zurück zum deutschen Frühhumanismus. Das elegische Distichon, das sich Locher als gängigstes Versmaß für sein zweites und sein drittes Chor- 29 Draheim/ Wille 1985, 107. 30 Angaben bei Draheim 1981, 194. 31 Draheim/ Wille 1985, 102. 32 Diesem Schema folgen z. B. auch die deutschen Sapphiker des Johann Kohlros („Gott grüß euch schöne, hie in einer gmeine …“), die von Liliencron 1890, 320 sonderbarerweise für quantitierend und auf die Melodie des Tritonius singbar hielt. Franciscus Salinas, De musica (1577) VI,19 (S. 361-362) gibt an, dass diese Form des Sapphikers in volkstümlichen spanischen und italienischen Versen die übliche sei (wofür er Beispiele und eine gängige neapolitanische Melodie anführt), er sieht aber keinen Zusammenhang mit dem Wortakzent (der bei ihm überhaupt keine Rolle spielt), sondern vielmehr mit der Absicht, vt leuius hoc metrum curreret . An das Vorbild dieser vulgares hätten sich die lateinischen Ecclesiastici bei der Vertonung entsprechender Hymnen (wie Iste confessor Domini sacratus ) gehalten, dadurch die Silbenquantität verletzt und sich so ab illa veterum canticorum grauitate ad recentiorum leuitatem begeben! 33 Zinn 1940, 11, 13. Zu Unrecht meint also Staehelin 1981, 199, erst diese protestantischen Choräle hätten den Sapphiker „in ein geradzahliges und akzentuierendes Taktgefüge“ gezwungen. <?page no="157"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 157 lied vorgenommen hat, bot in einer Hinsicht größere Schwierigkeiten als der Sapphiker, haben doch weder Hexameter noch Pentameter einen durchweg geregelten Akzentfall. 34 Hier war also eine gleichmäßige Vertonung mehrerer Verse nach dem Wortakzent nicht möglich. Locher bietet für das erste Distichon eine wiederum dreistimmige Vertonung, die beim dritten Chorlied, das noch einmal elegisch ist, unverändert wieder abgedruckt wird: Es handelt sich also offenbar um eine auf alle elegischen Gedichte anwendbare „forma generalis“. 35 Die ersten beiden Verse ( Mortales misera turbantur sorte: nec vllus / Iam status immota conditione manet ) und auch die nachfolgenden 36 werden so vertont: 34 Hier und überall verstehe ich unter Akzent den natürlichen, im Lateinischen durch das Paenultimagesetz regulierten Wortakzent. 35 So genannt von Schütz 1948, 156, übernommen von Hartmann 1976, 9 u. a. 36 Dietl 2005, 397. <?page no="158"?> 158 Wilfried Stroh Die Rhythmisierung des Hexameters enthält ein ungelöstes Problem, das hier nicht ausdiskutiert werden kann. Unverkennbar spiegelt am Schluss die Abfolge von zweimal 1 Semibrevis und 2 Minimen 37 ein Hexameterende mit Dactylus im 4. und 5. Fuß ([…] - ⏑ ⏑ / - ⏑ ⏑ / - - ), was auf den zitierten Vers jedenfalls dann passt, wenn man im 4. Fuß (bantur ) für die zwei Minimen eine Semibrevis (also Spondeus statt Dactylus) singt. 38 Aber diese Methode der wechselseitigen Substitution von Semibrevis und 2 Minimen geht nicht auf für die ersten 3 Füße, wie man sich leicht überzeugen kann. Weder dieser noch ein anderer Hexameter lässt sich genau auf diese Noten singen; und Hans-Günther Hartmann, Spezialist auf diesem Gebiet, meinte, Locher unterscheide hier gar nicht zwischen kurzen und langen Silben, musste aber, um den Vers singbar zu machen, Ligaturen, und zwar von Vers zu Vers verschiedene Ligaturen ansetzen. 39 Denkbar wäre auch, dass Locher es hier dem Chorleiter überließ, aus dem gegebenen Tönematerial den jeweiligen Hexameter zu gestalten. Dass dabei der daktylisch-spondeische Rhythmus spürbar werden sollte, zeigt wohl die Rhythmisierung des Versendes, aber sicher ist leider auch das nicht. Ein weiteres Rätsel, aber auch einen gewissen Aufschluss bringt der Pentameter. Seine erste Hälfte lässt Locher mit zwei Breves, also Doppellängen, enden, behandelt also diese Fuge wie den Versschluss beim Hexameter (was der Metrik nach mittelalterliche und noch neuzeitliche Parallelen hat). Diesem Einschnitt gehen vier Semibreves voraus, die, wenn wir sie als Längen im metrischen Sinn auffassen, zu keinem Pentameter der Welt passen (bei Locher etwa: Jam status immota […] Et superos precibus […] Exercet quam mars ); sie können nur Statthalter für verschiedene Füllungen von 3-4 Silben sein, die wiederum wohl der Chorleiter im Einzelnen zu bestimmen hatte (ohne dass wir sagen könnten, wie weit er dabei die Silbenquantität berücksichtigen sollte). Auf jeden Fall gibt aber schon die musikalische Betonung der vorletzten Silbe zu verstehen, dass Locher, wie immer er rhythmisiert, keinen ‚Iktus‘ kennt, der ja auf der letzten Silbe läge ( Jam status immota ). Dies bestätigt in frappanter Weise die zweite, daktylische Pentameterhälfe ( conditione manet ), in der sich (naturgemäß) die Melodie notengleich mit den Silben deckt. Hier wird denn also der erste Dactylus ( con-di-ti- ) ‚korrekt‘ mit einer Semibrevis und zwei Minimen notiert; dann aber wird am Versschluss in schreiendem Widerspruch zum Metrum die vorletzte kurze Silbe ( ma- ) zur Doppellänge zerdehnt. Warum? 37 Zur Information der Nichtmusikhistoriker: Nach üblicher Umschrift entspricht die Brevis unserer ganzen Note, die Semibrevis der halben Note, die Minima der Viertelnote. 38 Da in Lochers Elegien der 4. Fuß meistens ein Spondeus ist, überrascht der Dactylus in den Noten gerade an dieser Stelle. Er soll offenbar wie der Dactylus im 5. Fuß das kommende Versende markieren. 39 Hartmann 1976, 12 mit Notenanhang S. 1. <?page no="159"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 159 Einerseits wohl wegen der gefälligen musikalischen Kadenz, vor allem aber auch wegen des Wortakzents, der ja nach der ovidischen Regel (die Locher in diesem Drama ausnahmslos befolgt) notwendig auf der ersten Silbe des zweisilbigen Schlussworts liegt. Kein Zweifel: So wie Locher vertont, so hat man damals nach dem Akzent diese Verse gelesen. 40 Hartmann weist darauf hin, dass noch Jahrzehnte später der auch als Musiktheoretiker berühmte Heinrich Glareanus in seinem Dodecachordon (1547) meint, die vorletzte Silbe im Pentameter solle gedehnt werden, ja Ovid habe aus eben diesem Grund für das Ende des Pentameters ein zweisilbiges Wort gefordert, weil eine nicht dehnbare vorletzte Silbe unschön sei. So sei er selbst, Glareanus, auch bei seiner Komposition verfahren. 41 Trotz seiner Eigenwilligkeit gegenüber dem antiken Metrum hält sich Locher wohl gerade auch dank seiner Chormusik für einen Erneuerer der antiken Tragödie: Ad similitudinem […] veteris tragedie: hancce historiam hocque tragicum argumentum conteximus. 42 Musikalische Jamben in Reuchlins Henno Schon zwei Jahre nach Lochers erstem dramatischen Versuch, 43 der für uns nur noch historisches Interesse hat, tritt das lateinische Deutschland ein in die 40 Nicht nur in Deutschland. Hartmann 1976, 15 weist hin auf die Übereinstimmung mit dem Notenbeispiel für das Elegiacum in der Grammatica des Franciscus Niger (bei ihm: Notenanhang Nr. 2) und meint wohl zu Recht (ebd. 16-17, vgl. 115), dass die Italiener eine besondere Affinität zum Wortakzent hätten. (Auch an das aus Deutschland importierte ‚Iktieren‘ wollten sie sich nur schwer gewöhnen; und fast jeder italienische Philologe, weil er Latein als ältere Variante seiner Muttersprache empfindet, dehnt in gewöhnlicher Lateinaussprache den Vokal in offenen betonten Silben.) - Zur allgemeinen Praxis des Verselesens nach dem Akzent zur Zeit der Renaissance s. Kabell 1960; Stroh 1979, 5-9 und den Beitrag von Thorsten Burkard in diesem Band. Für den Reflex dieser Praxis in der Musik sind besonders aufschlussreich die von Jacobus Gallus (1550-1591) in seinen Moralia und Harmoniae morales vertonten Disticha, Phalaecei und Asclepiadei (als CD im Label ‚Ars Musici‘). 41 Hartmann 1976, 15-16; Dodecachordon, Basel 1547, lib. II, 188: Pentametrum in Elegiaco ob tot breueis ad finem syllabas minus gratum auribus accedit, nisi disyllaba dictio, in quam accentus acutus cadere, Et proinde musica morula deponi queat, claudat uersum. Idque anxie apud Ouidium huius generis principem obseruatum uidemus […]. Itaque nos in pernotanda harmonia [p. 187] penultimae in Pentametro syllabae dedimus longam notulam, quod nescio quid suauius tinniat quàm breuis . 42 So im Prologus actoris (Dietl 2005, 391). 43 Die ihm nachfolgende wieder hauptsächlich in Prosa verfasste Tragedia de Thurcis et Suldano (Straßburg 1497; Text bei Dietl 2005, 407-447, vgl. 109-136), die mit ihrer Darstellung eines Siegs über die Türken in einer fiktiven, aber herbeigewünschten Zukunft spielt - ein weltliterarisches Kuriosum -, hat ebenfalls Chöre (im elegischen, sapphischen, glyconeischen, asclepiadeischen Maß, dieselben Metren wie Mussato in seiner Ecerinis , 1314), außerdem ein (asclepiadeisches) Sololied, die zeigen, dass Locher sein ly- <?page no="160"?> 160 Wilfried Stroh Sphäre der Weltliteratur: Johannes Reuchlins Komödie Scenica progymnasmata , genannt: Henno (1497) , 44 wie bei Terenz im kleinbürgerlichen Milieu angesiedelt, wird noch heute bewundert und gespielt 45 - wozu vielleicht auch die einrisches Repertoire erweitert hat. Auch sie waren höchstwahrscheinlich, wie auch die Bebilderung nahelegt, zum Gesang bestimmt (ohne dass dabei, wie Scheitler 2015, 36 meint, mit „den Singmustern der Historia “ auszukommen wäre): Nach dem ersten Akt, vor dem ersten Chorlied, zeigt ein Holzschnitt sechs nackte Kinder mit einem Notenblatt, das, nicht lesbar, einen Text mit zweistimmigem Satz enthält. Diese Illustration erscheint wieder nach dem zweiten und dritten Akt. Das Schlachtlied ( classicum ) der Türken nach dem vierten Akt wird durch einen Hornbläser illustriert. Bei der Darstellung des Triumphus nach dem fünften Akt (abgebildet bei Dietl 2005, 119) gehen dem Wagen des Triumphators zwei Sänger mit (nicht entzifferbaren) Notenblättern voraus. Cora Dietl (ebd. 119 und 408-409) weist darauf hin, dass sich (mit Ausnahme des Bläsers) diese Bilder auch in der Horaz-Ausgabe Lochers (Straßburg 1498) wiederfinden: Diese ist laut Titel ad odarum concentus herausgegeben, und wendet sich an den, quem iuvat […] lyricos arguto pectine cantus / promere (Einleitungsepigramm). - Lochers drittes Bühnenstück, Spectaculum more tragico concinnatum (1502), diesmal in Hexametern und elegischen Distichen für die Sprechpartien (Text: Dietl 2005, 448-460, vgl. 234-242) enthält wiederum Chorlieder (in Asclepiadeen, sapphischer Strophe und dritter asclepiadeischer Strophe). Eindeutige Hinweise auf Gesang fehlen, aber Locher bezeugt eine Erstaufführung am 13. Februar 1502 in Ingolstadt. - Das Spectaculum de iudicio Paridis vom selben Jahr (Text: Dietl 2005, 461-491, vgl. 243-276), wieder in elegischen Distichen verfasst (bis auf Jupiter, der standesgemäß in Hexametern spricht), verzichtet auf Chöre, bietet dafür nach Akt II einen Gladiatorenkampf, nach Akt III einen von Venus inspirierten Tanz zur Schalmei ( chorea et fistulatio ), ausgeführt von Hirten, zwei Bauernmädchen und einer von Frau Venus beschwingten Alten. Die diesen in den Mund gelegten Verse werden offenbar nicht gesungen; den Tanz begleiten bloß Instrumente ( cithara und fistula ). Im Anhang werden nur die Schauspieler genannt. Scheitler 2015, 37 leitet diese „Intermedien“ von italienischen Vorbilden her. - Der prosaische Schwank Ludicrum drama de sene amatore (1503/ 05; Text: Dietl 2005, 491-502, vgl. 282-291) ist nach Vorbild des Plautus ohne Chöre bzw. Musik; ebenso das Poemation de Lazaro mendico (1510; Text: Dietl 2005, 503-514, vgl. 306-318), das, wie Dietl 2005, 308-309 plausibel macht, erklärtermaßen als Lesedrama verfasst ist. Erst der Libellus dramaticus von 1513 (Text: Dietl 2005, 515-530; vgl. 319-338) kehrt zur alten Form zurück: Dialoge in Prosa, Chorlieder nach Akt I (Asclepiadeen), Akt II (sapphische Strophe), Akt III = Dramenende (elegisches Distichon). Abenteuerlich holperig sind hier die Trimeter des Prologs (die zur Markierung des Jambischen meist nur gerade einen Wortakzent auf der drittletzten Silbe haben). 44 Im selben Jahr führt auch Jakob Wimpheling eine comoedia auf, die bis auf Prolog und Epilog verloren ist; dazu Dietl 2005, 153-156. Auch sie hatte, dem Stoff (einer Variante des Verlorenen Sohns) angemessen, Gesangseinlagen. Sein bekannter Stylpho (1480, gedr. 1494) war noch ohne Musik bzw. Chöre. 45 Kurze Information zum Henno gibt der Artikel von Gerald Dörner s.v. Reuchlin, Johannes, in: Deutscher Humanismus 1480-1520. Verfasserlexikon 2, 2013, 579-633, hier 591-594; eine eindringliche Würdigung bei Brunken 1987, 331-344. - Zur großen Anerkennung, die das Werk sogleich findet, s. Holstein 1888, 48-97; Brunken 1987, 342-343; Dietl 2005, 168-170. Zuletzt gab es 2011 eine von Cora Dietl inspirierte Aufführung an der Universität Gießen. Ich selbst habe zwei Aufführungen in lateinischer Sprache erlebt, ca. 1980 an der Universität München, 1988 bei den Scholae Frisingenses in Freising. <?page no="161"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 161 stimmigen Chormelodien beitragen, die ein sonst unbekannter Daniel Megel 46 für vier Aktschlüsse beigesteuert hat. Weil diese (gut antik von einem Bläser, Choraules , 47 begleiteten) Chöre, zu denen auch getanzt wurde, 48 so volkstümlich eingängig und zumeist auch gereimt sind, nimmt die Wissenschaft wohl meist an, es handle sich hier um rhythmische Dichtung in Art des Mittelalters. 49 Aber davon kann beim Humanisten Reuchlin nur zum kleineren Teil die Rede sein. Seine Versmaße sind zwar (im Gegensatz zu Locher) nicht die alltäglichen, aber sie sind meist quantitierend metrisch. So besteht sogleich die dreimal wiederholte Strophe des 1. Chorlieds aus 2 x drei jambischen Metra und einem Creticus ( × - ⏑ - × - ⏑ - ⏑ - ⏑ - - ⏑ × ), danach einem Vers, in dem ein jambisches Metrum von einem Choriambus und einem Anapäst bzw. Tribrachys (oder auch Spondeus 50 ) gefolgt wird ( × - ⏑ - - ⏑ ⏑ - ⏕ × ), wodurch der Rhythmus, im letzten Glied verkürzt, ruckartig abreißt, was entfernt an den Choliambus erinnert. Hier wollte Reuchlin, der selber seine Komödie nicht Terenz, sondern der (heute) sogenannten Alten Komödie des Aristophanes zuordnet, 51 die lyrischen Verse des griechischen Dramenchors nachahmen 52 (auch im dramatischen Sprechvers, den er zuerst für Deutschland erobert, hält er sich ungefähr an den griechischen Trimeter, nicht an den freieren Senar der römischen Komiker 53 ). Wobei er freilich mit dem Reim und dem weithin alternierenden Akzentrhyth- 46 Nicht einmal einen Artikel im Standardlexikon Musik in Geschichte und Gegenwart hat man diesem Pionier der Bühnenmusik gegönnt. 47 Prüfer 1890, 62 identifiziert ihn als Flötisten, wohl zu Recht, da der griechische Aulos damals so verstanden wurde; vgl. Scheitler 2015, 31. 48 Dies ergibt sich eindeutig aus einem Gedicht des Adam Wernher von Themar, abgedruckt bei Holstein 1888, 33-34, V. 3-4: Vidi equidem / et placuit ficti simulatio sexus, Gestus et in numeros qui salit arte chorus. Da in der Didaskalie (Holstein 1888, 30-31) die Schauspieler und der Komponist namentlich genannt werden, nicht aber die Choreuten, ist eher anzunehmen, dass die musikalisch anspruchslosen Chöre vom Ensemble der Truppe gesungen wurden als von „den Sängern der Kapelle des Kurfürsten Philipp“, wie Schnur 1977, 55 vermutet. 49 Holstein 1888, 34 wollte den Chören „den rechten Rhythmus […] absprechen“. Laut Schnur 1970, 54 findet sich in ihnen ein „akzentuierender Vers mit großer Freiheit verwendet“; danach Janning 2005, 367; ähnlich Rädle 1988, 344 (lässt aber S. 345 richtig das 3. Chorlied aus „z. T. nachlässig gereimten jambischen Dimetern“ bestehen); Grijp 2009, 68; Scheitler 2013, 607: „Eine speziell lateinische Prägung lässt sich nicht feststellen.“ 50 Vgl. dazu unten Anm. 56. 51 In seinem Selbstkommentar (Holstein 1888, 98): Comoedia: secundae aetatis iuxta Diomedem grammaticum ; die Erklärung gibt Diomedes I,489,3 GLK. Richtig hierzu Creizenach 1918, 45. 52 Brunken 1987, 342 neigt dagegen zur Vermutung, „dass die Chöre in den Intermezzi des italienischen Theaters ihr Vorbild haben“. 53 Mit kleinen Nachlässigkeiten, sodass gelegentlich im zweiten (V. 5 argumento ), noch seltener im vierten Fuß (V. 34 furatus ) ein Spondeus sich einschleicht. Bei der Wahl des Trimeters dürfte eine Rolle spielen, dass dieser durch die Grammatici Latini gut erschlossen <?page no="162"?> 162 Wilfried Stroh mus (im Gegensatz zu Locher) dem Mittelalter kleine Konzessionen macht. 54 So die erste Strophe (144-146): 55 Mortalium iocunditas volucris et pendula. Mouetur instar turbinis quam nix agit sedula. Quid ergo confiditis in gloria 56 ? Wer hofft, von der rhythmischen Vielfalt des ambitionierten Dichters etwas auch in der Komposition wiederzufinden, wird zunächst enttäuscht: Nach den modernen Ausgaben, die sich hierin auf den Erstdruck, Basel 1498, stützen können, hat Reuchlin bzw. sein Komponist allen Silben (mit Ausnahme der den Vers schließenden) dieselbe Notendauer gegeben. 57 Oder rechnete Reuchlin damit, dass die Musiker von selbst die Notenwerte dem Rhythmus irgendwie anpassen würden? Einen kleinen Hinweis darauf könnte die Leipziger Ausgabe von 1503 58 geben, die früheste nach den beiden Erstdrucken. Hier hat der Herausgeber, Basilius de Wilt, in diesem Lied, zumindest in den ersten beiden Versen, unverkennbar versucht, den jambischen Rhythmus ein Stück weit nachzubilden; weiter ist er dann allerdings nicht gekommen. Und war, wogegen die Gesetze des Senars erst vom 16. Jahrhundert an allmählich aufgedeckt werden (aufschlussreich dazu Leonhardt, in Leonhardt/ Bauer 2000, 102-106). 54 Scheitler 2013, 607 rät auf eine „Vagantenstrophe langzeilig geschrieben“, aber dazu fehlt im zweiten Versteil eine Silbe. 55 Ich zitiere nach der immer noch maßgeblichen Ausgabe von Holstein 1888. Die anspruchslosere Ausgabe des lateinischen Poeten und Philologen Harry C. Schnur (mit Umschrift der Noten durch Günther Wille, 1970) behält daneben wegen der köstlichen Übersetzung ihren Wert. 56 gloria ist, falls Reuchlin nicht im dichterischen Übermut das o kurz gemessen hat, zweisilbig ( glorja) mit Ligatur auf dem o zu singen. 57 Faksimileartige Transkription dieses und der anderen Chorlieder in der Ausgabe von Holstein 1888, hier 18. Vgl. zur Komposition der vier Chorlieder von Liliencron 1890, 314-316 (mit Notenumschriften S. 353-358), der auch spätere mehrstimmige Bearbeitungen bespricht, die (mit einer Ausnahme, unten Anm. 59) rhythmisch fast nichts ändern. Willes Umschrift des ersten Chorlieds (bei Schnur 1970, 16) in Zweier- und Dreiertakte wird dem Wortakzent oft nicht gerecht und scheint überhaupt willkürlich. 58 Beschreibung der Ausgabe bei Holstein 1888, 156. <?page no="163"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 163 eine genaue Analyse würde hier zu weit führen. Aber die Frage drängt sich auf: Sollte de Wilt hier einem Wink Reuchlins gefolgt sein? Nicht ganz dasselbe gilt für die folgenden Chorlieder. Das zweite, das aus jambischen Stücken (jambisches Metrum, Creticus, Baccheus), aber wiederum gleichwertigen Noten besteht, 59 hat eine eingängige Melodie, die sich dem Reimvers anschmiegt und die Wortakzente deutlich hervortreten lässt; der Text lässt sich zwar als Variante einer mittelalterlichen Vagantenstrophe auffassen, 60 hält sich jedoch dabei an die korrekte Quantitätsmetrik (ich notiere in einer Zeile je zwei Verse): 61 Digna sunt apolline Que concinunt poete. cr + ia / ia + ba Quo coruscant numine Diuinitus prophete. cr + ia / ia + ba Diligamus ergo nos Vates celitus sacros. cr + ia / mol + ia Quorum ludos scaenicos Ostendimus facete. mol + ia / ia + ba Nicht viel anders ist es im dritten ebenfalls dem Preis der holden Poesie geweihten Chorlied, dessen drei Strophen aus je sechs jambischen Dimetern, also einem aus der ambrosianischen Strophe bekannten Versmaß, bestehen. 62 Auch hier verbindet sich strenge Metrik mit Reim und geregeltem Akzentfall; auch hier lässt die Melodie, so wie sie notiert ist, keine Berücksichtigung der Silbenquantitäten erkennen. Wir gehen also gleich über zum vierten Chorlied, das neue und überraschende Probleme aufwirft: 59 Anders in einer Kölner Ausgabe von 1534 (abgedruckt bei von Liliencron 1890, 356 Nr. II): Hier ergibt sich ein gefälliger Dreiertakt, indem die langen Silben in den longa den doppelten Notenwert der übrigen erhalten. Die langen Silben in den ancipitia (wie Quae , Diuinitus , Vates ) müssen dann freilich kurz gemessen werden. So behandelt Macropedius später seine Jamben und Trochäen (s. unten). 60 So Rädle 1988, 344. - Willes Umschrift in einen Viervierteltakt (bei Schnur 1970, 22) ist hier perfekt natürlich. 61 Vgl. Liliencron 1890, 353. 62 Ein Chorlied im selben Versmaß (aber ohne Noten überliefert) steht auch am Ende von Reuchlins Komödie Sergius . <?page no="164"?> 164 Wilfried Stroh Cedant 63 fori contentio & iurgia 3 ia Si vis quies vt sit tibi perpetua 3 ia In atrio nam tartari 2 ia Sunt & Minos ia Et Aeacus ia Et ceteri consules & aduocati. ia + cr + ia - Wieder bietet Reuchlin gereimte lyrische Jamben: Er beginnt mit zwei Trimetern von denen der erste einen Hiat, der zweite einen groben, wohl der normaldeutschen Aussprache geschuldeten prosodischen ‚Fehler‘ ( per-pē-tu-a ) enthält; 64 es folgen zwei Dimeter, deren zweiter (wohl aus musikalischen Gründen) graphisch in zwei Monometer zerteilt wird; der letzte, fast schon unmetrische Vers enthält ein jambisches Metrum, einen Creticus und noch ein jambisches Metrum mit einer überschüssigen (hyperkatalektischen) Schlusssilbe. So weit, so gut. Die zweite korrespondierende Strophe aber bietet in den beiden Trimetern sechs überraschende metrische Patzer, die sich nicht mehr mit nachlässiger Aussprache und schon gar nicht durch ein Versehen des gelehrten Reuchlin erklären lassen (hier mit Unterstreichung angekreidet): Vetat Mu-sa sequacibus industrijs / Frequenta-re iuridici subsellia Vbi vigent versutia. Calumnia / Mendatia. Doli mali / proditorieque fraudes. Reuchlin hat also in diesem Fall darauf verzichtet, genaue metrische Korrespondenz anzustreben und, abgesehen vom Reim, nur dafür Sorge getragen, dass die Zahl der Silben einander entsprach - wobei sich, eher absichtlich als unabsichtlich, auch ein ungefähr gleicher Akzentfall ergab: XxXxxXxxxXxx Cédant fóri conténtio et iúrgia Vétat Músa sequácibus indústriis xxXxxXxxxXxx Si vis quíes ut sít tibi perpétua Frequentáre iurídici subséllia 63 Druckfehler: Cędant (= Caedant ). 64 So nach dem in der zweiten Strophe korrespondierenden subsellia . Sonst wäre ein Choriambus anzusetzen. <?page no="165"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 165 Das Schema wiederholt sich in der dritten Strophe (die sich metrisch mit der ersten deckt): 65 Séd hortátur te laúreis viréntibus Et celéstibus Apóllinis concéntibus - wobei überrascht, dass im vierten Element gut metrisch eine Länge aufgelöst wird (bus A- ), wodurch also an dieser einen Stelle das sonst in allen Chorliedern geltende silbenzählende Prinzip, das die Vertonung erleichtert, aufgegeben ist. Die letzten vier Verse bieten dann wieder einigermaßen normale Jamben: 66 Dies noctes incumbere Et libere Et impigre Vt cum phoebo sempiternus esse possis. Jedenfalls fällt dieses Lied schon durch seine großen metrischen Lizenzen und Inkongruenzen, durch die es in die Nähe rhythmischer Poesie rückt, vielleicht aber auch freien griechischen Chorliedern nahekommen soll, aus den sonstigen Chorpartien (und den peinlich korrekten Jamben der Sprechverse) heraus. Nur hier verwendet Reuchlin auch in der Melodie verschiedene Notenwerte, wobei sich diese aber 67 weder an den Silbenquantitäten noch am Akzentfall auch nur der ersten Strophe orientieren: Im ersten Trimeter Cedant fori contentio et iurgia werden ausgerechnet zwei lange Silben, Ce- und das positionslange et als Kürzen vertont, alle übrigen gelten als lang; ebenso im zweiten Trimeter, wo Si und positionslanges perkurz gemessen werden. Im dritten Vers, dem Dimeter ( In atrio nam tartari ), erhält immerhin in den geforderten kurzen Wert. Der Rest des Verses hat sieben Sil- 65 Mit Ausnahme dessen, dass im dritten Element des jambischen Metrums die lange Silbe ( hortatur, caelestibus ) zugelassen wird. 66 Wenn man wie oben (s. Anm. 65) dem Jambus gewisse Freiheiten lässt ( noctes , Phoebo ). 67 Der „sehr fehlerhafte Nachdruck“ (Holstein 1888, 155, hier: Nr. 2), Straßburg 1498, hat an zwei Stellen abweichenden Notenwert, worauf nicht einzugehen ist. Auch sonstige Versehen in späteren Drucken (wie Leipzig 1515 und 1519) notiere ich hier nicht. <?page no="166"?> 166 Wilfried Stroh ben und neun Noten, davon vier kurze, also insgesamt zwei zu viel, um mit der Silbenzahl gleichzuziehen. Es müssen demnach, wenn man es erprobt, je zwei mit Ligatur verbundene kurze Noten auf -o nam gesungen werden, wie schon Günther Wille bei seinem Versuch einer Notentranskription richtig diagnostiziert hat. 68 Die als zwei Verse notierten Metra des folgenden Dimeters ( Sunt et Minos / Et Aeacus ) bestehen im Gegensatz zur Silbenquantität aus je einer auftaktartig kurzen und drei langen Noten. Der letzte, aus jambischen Stücken bestehende Vers ist so vertont, dass bis auf die zweite ( ce -) und die vorletzte Silbe (ca- ) alle Silben kurz gemessen werden, wobei aber weder Metrum noch Akzent eine Rolle spielen. Während also in den ersten drei Liedern (zumindest nach dem Erstdruck) der Rhythmus insofern statisch ist, als dort nur gleichlange Noten erscheinen, ist hier offensichtlich eine größere Lebendigkeit angestrebt, wie auch schon das Schriftbild mit seinen Kurzversen anzeigt. Eine Beziehung zum jambischen Charakter der Verse besteht aber nur gerade insofern, als alle sechs Verse (und die jeweils dritten Jamben der beiden Trimeter) in der Vertonung mit der (an sich jambischen) Folge kurz-lang beginnen, was kaum ein Zufall sein kann; doch nur in zwei Fällen ( In a- , Et Ae- ) entspricht dies auch der prosodischen Realität! Mögen die Musikwissenschaftler darüber befinden: 69 Mir scheint, dass Reuchlin, der als letztes Chorlied etwas Kunstvolleres als zuvor geben wollte, hier 68 Bei Schnur 1970, 32, ähnlich schon von Liliencron 1890, 353. 69 Sie haben sich für diese Inkunabel der deutschen Theatermusik bisher kaum interessiert. Doch hat mich dankenswerterweise mein Münchner Kollege Dr. Bernd Edelmann, der diesen Chorliedern noch eine eigene Abhandlung widmen will, darauf aufmerksam gemacht, dass hier im musikalischen Sinn, anders als im metrischen, die Kürzen einander nicht immer gleich sind, so dass die Vertonung noch lebendiger wird. Ich zitiere mit seiner Erlaubnis aus einem mir zur Verfügung gestellten Exposé: „Von den vier Chorliedern in Henno ist das letzte, Cedant fori , das kompositorisch eigenwilligste. Daniel Megel hat hierfür eine Mensur gewählt, die um 1500 schon recht selten war. In der sogenannten Mensuralnotation hat das einzelne Notenzeichen keine eindeutige Zeitdauer, sondern es bedarf eines Mensurzeichens, um die rhythmischen Relationen klarzustellen. Am Beginn der Notenzeile steht hier ein Kreis mit mittigem Punkt. Dies ist das Mensurzeichen für durchgängige Dreiteilung der Notenwerte ( tempus perfectum cum prolatione maiori ): Eine Brevis (quadratische Note) enthält mithin drei Semibreven (unsere „ganze Note“), eine Semibrevis drei Minimen (unsere „halbe Note“). Nach bestimmten Regeln verändert auch eine Notengruppe die Zeitdauer der Einzelnote, die entweder verdoppelt (Augmentation) oder verkürzt (Imperfektion) werden kann. Nimmt man die kleinste Einheit, die Minima als Maß, ergeben sich für die Silben des ersten Verses ( Cedant fori usw.) folgende rhythmischen Zeitdauern: 2 3 3 3 3 3 3 2 1 3 3 9. Man sieht, wie die Dreiermensur eine eigenständige rhythmische Schicht bildet, die weder das iambische Versmaß noch die Wortakzente abbildet (der Hiat erhält hier zwei Einzelnoten, die für die Folgestrophen nötig sind). Es ist üblich, die Neunteilung der Brevis in einen modernen 9/ 8-Takt zu übertragen. An der entsprechenden Übertragung von Günther Wille in der Ausgabe von Schnur (1970) lassen sich die rhythmischen Zeitdauern ablesen. Ein Extremfall rascher <?page no="167"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 167 seinem Musiker freiere Hand als sonst gelassen hat, ja sich vielleicht sogar von ihm hat inspirieren lassen - die beiden Kurzverse vor dem letzten scheinen mir aus rein musikalischem Geist empfunden -, und dass er es auch darum mit dem Metrum ausnahmsweise nicht so genau genommen hat, dieses vielmehr, mit Mozart zu reden, ‚der Musik gehorsame Tochter‘ hat sein lassen. Insgesamt kann man auf jeden Fall sagen, dass die Musik bei Reuchlin zumindest hier gegenüber dem Vers eine größere Selbständigkeit hat als bei Locher, wo doch immerhin der Wortakzent eine klare Orientierung für die (weit bescheidenere) Komposition gibt. 70 Secundum naturas et tempora syllabarum: Celtis revolutioniert die musikalische Metrik Einen ganz anderen Weg aber ging zur selben Zeit Lochers Lehrer, der nicht ohne Grund der deutsche Erzhumanist genannt wird, Conrad Celtis P. L., von 1492 bis 1497 (mit Unterbrechungen) als Professor an meiner Universität, damals noch in Ingolstadt. 71 Wie wir einige Jahrzehnte später vom Münchner ‚Stadtpoeten‘ Simon Minervius (Schaidenreisser) erfahren, 72 ließ Celtis am Ende seiner Horatiana lectio , also wohl nach jeder einschlägigen Vorlesungsstunde, von seinen Hörern insgesamt 19 horazische Versmaße, ceu quoddam κέλευσμα , „wie eine Art Ruderlied“, 73 absingen. Beauftragt mit der Komposition war dabei Deklamation in Minimen ist der Schlussvers ( Et ceteri usw.): 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 2 3. Ob Megel damit das Geschnatter der Anwälte karikiert, muß man sich ernsthaft fragen.“ Bezüglich der Tonhöhen, die hier nicht diskutiert werden können, folgt Dr. Edelmanns oben gegebene Übertragung Rochus von Liliencron. 70 Oft ist im Zusammenhang der Humanistenode davon die Rede, nach humanistischer Auffassung müsse „die Musik dem Wort untergeordnet“ werden (so etwa Draheim 1981, 43 u. v. a.). Riemer 2006, 128, 136 gibt als Zeugnis dafür (in Anm. 8) eine bekannte Äußerung Monteverdis, der aber doch in eine spätere Zeit gehört. Wenn ich recht sehe, handelt es sich weniger um eine explizite Leitidee der Humanisten als vielmehr den Hauptgedanken der Schrift Walkers (1949) über den musikalischen Humanismus. 71 Generell informiert Jörg Robert s.v. Celtis, Konrad, in: Deutscher Humanismus 1480- 1520. Verfasserlexikon 1, 2008, 375-427. 72 In der Vorrede seiner Ausgabe von Ludwig Senfls Varia carminum genera , Nürnberg 1534. Minervius wird ausführlich referiert und z. T. abgedruckt bei von Liliencron 1887, 29-31. Er bezeugt ausdrücklich, dass Tritonius’ Kompositionen die ersten ihrer Art waren. 73 Minervius 1534 (Anm. 72), 4: celeu ( s ) ma zielt auf den Rhythmus, denn mit einem solchen Lied - gemeint sein können auch andere Arbeitslieder - sorgen die Ruderer dafür, dass sie zusammen im Takt bzw. Rhythmus bleiben. Nicht richtig übersetzen von Liliencron 1887, 26 „wie zum ermunternden Zuruf “ (danach Pindter 1930, 212), Schäfer 1976, 11 „wie zur Ermahnung“, Schmid 1996, 57 „Ansporn“. - Die Epigramme, mit denen Celtis die Studenten zum Odengesang in seine Vorlesung rief, sind abgedruckt bei Schäfer 1976, 10-11. <?page no="168"?> 168 Wilfried Stroh ein Student aus Südtirol, Petrus Tritonius, 74 der darum heute als Vater der sog. Humanistenode 75 gilt. Im Jahr 1507, ein Jahr nach dem Tod seines Lehrers, veröffentlichte er seine entsprechenden Chorsätze als Melopoiae sive Harmoniae Tetracenticae […] secundum naturas et tempora syllabarum et pedum compositae et regulat(a)e ductu Chunradi Celtis, 76 „Musikstücke oder Melodien 77 im vierstimmigen Satz […] vertont und eingerichtet nach der Natur und Zeitdauer der Silben und Versfüße gemäß der Anleitung von Conrad Celtis“. Entscheidend war das Wort tempora. Quintilian (9,4,47) hatte es als Schulbubenweisheit bezeichnet, dass jede lange Silbe zwei Zeiteinheiten habe - wir sprechen seit Gottfried Hermann von ‚Moren‘ -, jede kurze nur eine. Und wir müssen annehmen, dass sich danach, wie genau auch immer, 78 die Musik der Griechen und Römer 74 Lateinisch für Peter Treibenreiff. Die Latinisierung dürfte schwerlich ironisch gemeint sein, wie Schmid 1996, 58 (nach Pirker 1977, 141, den er nicht zitiert) annimmt; er sieht darin eine Kreuzung aus Tritogeneia (= Athene) und „musikalischer Stümper, Diener des häßlichsten Intervalls, des Tritonus “. Sicherlich soll „Tritonius“ zum Gefolge des Triton gehören, des aus Literatur und bildender Kunst wohlbekannten Gottes, der das Muschelhorn bläst. 75 Grundlegend ist die Arbeit von Rochus von Liliencron 1887, der allerdings von den metrischen Vorstellungen seines Jahrhunderts ausgehen musste. Ihm schloss sich mit selbständigem Urteil an Stemplinger 1906, 42-45. Ausführlich behandelte die Humanistenoden im Zusammenhang einer Gesamtgeschichte der Horaz-Vertonungen Thomas 1919/ 20, 81-88; vgl. auch Pindter 1930, 211-220, Schütz 1948, 147-165 und Pirker 1977. Detailliert, aber spürbar antipathisch ist der Artikel von Albrecht 1957, 907-911; materialreich und anregend die Arbeit von Hartmann 1976; kurz, aber instruktiv Staehelin 1981. Das Material und die ältere Forschung findet man aufgearbeitet bei Wille 1967, 260-271, danach Draheim/ Wille 1985, 4. Vgl. auch die neueren Arbeiten von Schmid 1996 und Benz 2000; Riemer 2006 bringt viel Material, aber nichts eigentlich Neues. - Von Thomas 1919/ 20, 77 stammt die Einteilung in eine metrische und eine freie Art der Vertonung, wobei er unter „metrical“ nur die streng quantitierende Methode versteht; daraus hat Draheim 1981, 42-56 eine „gelehrte“ und eine „freie“ Tradition gemacht (die er aber nicht musikalisch, sondern eher soziologisch abgrenzt). Ihm folgt jetzt Riemer 2006, 127, vgl. 131, die glaubt, beide Traditionen von der Divergenz der ‚alexandrinischen‘ und der ‚aristotelischen‘ Metrik herleiten zu können, offenbar ohne sich bewusst zu sein, dass diese angebliche Dichotomie erst von Rudolf Westphal stammt (Allgemeine griechische Metrik, Leipzig 1865, bes. 20-41). 76 Neu gedruckt in Transkription bei von Liliencron 1887 und Stemplinger 1906. Eine moderne kritische Edition bietet Giuseppe Vecchi: Dalle ,Melopoiae sive Harmoniae tetracenticae‘ oraziane di Tritonio (1507) alle ,Geminae undeviginti odarum Horatii melodiae‘, Accademia delle scienze dell’Istituto di Bologna, classe di scienze morali, serie 5, Bd. 8, 1960, 99-124, hier 115-124. 77 Zu melopoia , „musikalische Komposition“ vgl. etwa Platon, Symposion 187d; harmonia bezeichnet im Altertum wie in der Frühen Neuzeit oft nicht den Zusammenklang, sondern die Melodie; vgl. von Liliencron 1887, 31, Pirker 1977, 141 und Lexicon musicum Latinum Medii Aevi, Bd. 2 s.v. „harmonia“ Nr. V. 78 Der wichtigste Rhythmustheoretiker des 16. Jahrhunderts, Salinas 1577, 239, zitierte allerdings Marius Victorinus (VI,39-40 GLK) dafür, dass die Musiker im Gegensatz zu den <?page no="169"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 169 gerichtet hat. Celtis aber war, soviel wir wissen, der erste Mensch in Mittelalter und Neuzeit, der aus dieser Trivialität Musik gemacht hat, 79 indem er den musikalisch versierten Tritonius dazu bestimmte, die Horaz-Oden so zu vertonen, dass die lange Silbe immer doppelt so lang war wie die kurze: 80 In musikalischer Notation ergab das die zwei Notenwerte der Brevis und der Semibrevis. Da klang die sapphische Ode (im Beispiel: Horaz, Oden 1,2) freilich anders als im betulich klappernden Choral des Jacob Locher: 81 Je genauer man hier die Werte nimmt, umso reizvoller, ja geradezu swingender kommt ein Rhythmus heraus, der aus dem Wechsel von 5-morigen und 4-morigen Einheiten resultiert. Wer hier Noten ausgleicht und Taktstriche setzt wie Metrikern auch mit überlangen und überkurzen Silben rechnen, woraus er (mit Übertreibung) schloss, Victorinus bezeuge […] etiam tunc à sui temporis musicis syllabarum negligi quantitatem . Die Vernachlässigung der Prosodie und Metrik konstatiert Salinas dann auch bei den Musikern seiner Zeit, missbilligt sie aber. Später (ebd. 246) scheint er jedoch die Vernachlässigung der Silbenquantität zugunsten der ratio canticorum als bleibendes Recht der Musiker anzusehen, da die Poetik ihre Kunst allererst von der Musik, wie von ihrer Mutter, gelernt habe. Vgl. Walker 1949, 51-52. 79 Houle 1987, 63-64 möchte die Konzeption von der französischen musique mesurée à l’antique herleiten (nach Walker 1949, 6, der sich jedoch vorsichtiger ausdrückt); aber diese (vertreten besonders durch Claude Le Jeune) gab es erst viel später im Anschluss an die vers mesurés von Jean-Antoine de Baif u. a. ( Psautier 1567/ 1573). Celtis’ Versuch, den Klang der antiken Lyrik durch Musik zu erneuern, ist verwandt, aber nicht identisch mit der Adaption antiker Metrik an den französischen Vers (dazu Kabell 1960, 140-161; zu Vergleichbarem im Deutschen 188-197). 80 Diese Anbindung der Musik an den Text bringt Schmid 1996 in Zusammenhang mit einem von ihm angenommenen allgemeinen Wandel der Musikauffassung, nach dem sich die Musik vom mathematischen Quadrivium löse und sich dem sprachlichen Trivium angliedere. 81 Im Original sind die Stimmen von Diskant und Tenor, Alt und Bass (für Oden 1,1 und 1,2) verteilt auf zwei Seiten (2 v und 3 r ). <?page no="170"?> 170 Wilfried Stroh der begeisterte Rochus von Liliencron in seiner Aufbereitung für die deutsche Schule, 82 der ändert das Wesen dieser Komposition. 83 Warum hat Celtis das gemacht? Aus pädagogischen Gründen, um den Schülern die Metren beizubringen, 84 meint man, denn rein musikalisch sei das ja nicht so interessant. Und dafür habe Celtis auch Vorbilder gehabt. Schon in einer neumierten Handschrift des 10. Jahrhunderts (Codex Franekeranus) glaubt man, eine metrische Übung zum Asclepiadeus zu finden. 85 Aber nur der Text ( Albi 82 Rochus von Liliencron, Die Horazischen Metren in deutschen Kompositionen des XVI. Jahrhunderts. Schulausgabe (Partitur in moderner Notenschrift), Leipzig o. J. (1887). Dabei wird z. B. der sapphische Elfsibler in einen Wechsel von 3/ 4 und 6/ 8 Takt gebracht (4-6). 83 Für von Liliencron 1887, 40-41 ergab dagegen das Prinzip des Celtis, weil der taktmäßigen Teilbarkeit der Tonreihe widerstrebend, „musikalisch betrachtet reinen Unsinn“, nur dadurch zu entschuldigen, dass „die Welt in ihrer Weisheit noch ganze drei Jahrhunderte in den irrigen Voraussetzungen des Celtis hängen geblieben“ sei, „bis sie begriff, dass dieser Widerspruch zwischen Metrik und Musik unmöglich in Wahrheit je bestanden haben könnte“ und endlich die „Roßbach-Westphal’sche Lösung des Räthsels“ gefunden wurde. Nun erst lasse sich (durch Neurhythmisierung) „das Werk des Tritonius vollständig zum Abschluß“ bringen (ebd. 45), wie er im Einzelnen ausführt (ebd. 45-47). Geradezu ungeheuerlich ist seine Vorstellung, die Oden des Tritonius müssten „unter dem skandirenden Taktstock des Celtis“ - den gibt es im Klassenzimmer, wegen des ‚Iktus‘, erst Ende des achtzehnten Jahrhunderts (Stroh 1979, 16 Anm. 61) - nicht viel anders geklungen haben als nach seiner, Liliencrons, Rhythmisierung (Liliencron 1887, 47). Sein an sich schätzenswertes Anliegen, Horaz-Gesang wieder in die Schulen zu bringen, wurde nachdrücklich aufgenommen von einem prominenten bayerischen Schulmann, Eduard Stemplinger, Freund Carl Orffs, der jedoch mit Grund den „Taktstrich“ als „den natürlichen Feind der antiken Melik“ (1921, 108-109, vgl. schon 1906, 44-45) bezeichnete. So sehr hatte die „Welt in ihrer Weisheit“ zwischen 1887 und 1921, dem Erscheinungsjahr von Wilamowitz’ Griechischer Verskunst , ihre metrischen Vorstellungen revidiert. 84 Stemplinger 1921, 108 (nach von Liliencron); Walker 1949, 6 Anm. 9; Albrecht 1957, 907; Wille 1967, 262; Draheim 1981, 43; Draheim/ Wille 1985, 4; Houle 1987, 63; Staehelin 1981, 196; Scheitler 2015, 33 u. v. a. Dieser üblichen Ansicht widerspricht immerhin vorsichtig Benz 2000, 17-22 durch Hinweis auf den Tragiker Seneca; aber dessen Chöre (ebd. 20-21) neben anderen Faktoren mögen zwar Celtis dazu angeregt haben, seinen Ludus Dianae mit Chören zu versehen (richtig schon Schütz 1948, 148, dazu unten), sie können aber nicht als „Inspirationsquelle für die gesungene Humanistenode“ in deren spezieller Form gelten. Nach einer verbreiteten Meinung (so etwa Benz 2000, 13) hätte Celtis mit seiner Methode versucht, die Betonung nach dem Wortakzent auszutreiben (nach Schütz 1948, 152, hätte er gemeint, es gebe im Vers überhaupt keinen Akzent). Aus mehr als vierzigjähriger Unterrichtserfahrung weiß ich, dass gerade das quantitierende Singen ein probates Mittel ist, um den Wortakzent ohne Verletzung der Quantität beizubehalten. Vgl. auch Kabell 1960, 215. 85 Draheim/ Wille 1985, 3-5, Abbildung S. 15 (die einer fragwürdigen Transkription aus dem 19. Jahrhundert folgen) mit weiteren Horaz-Neumen aus dem 12. Jahrhundert. Vgl. auch Thomas 1919/ 20, 78. Wille 1967, 253-260 gibt eine eindrucksvolle Auflistung neumierter Texte, die die Kontinuität des Horaz-Gesangs demonstrieren. Von „der pädagogischen Absicht einer Einübung der Metren“ (wie Wille 1967, 258 glauben möchte), ist aber nichts zu erkennen. Wie Wille u. a. glaubt Benz 2000, 18 an einen mittelalterlichen Horaz-Ge- <?page no="171"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 171 ne doleas ) ist dort horazisch; die Melodie, auch wenn die Umschrift richtig sein sollte, hat nichts mit seinem Versrhythmus zu tun. Ein geeigneterer Vorgänger Celtis’ scheint zunächst der Venezianer Humanist Franciscus Niger (Negri) zu sein, der tatsächlich in seiner verbreiteten Grammatica brevis (Venedig 1480) einige wenige der üblichsten Versmaße, auch des Horaz, mit Noten illustriert (207 r -209 v ). Aber ein kurzer Blick auch in diese Vertonungen genügt, um zu sehen, dass sich der Rhythmus hier ganz frei, oft im strikten Gegensatz zum Quantitätsschema entfaltet 86 (da die Tonhöhen im Druck nicht eindeutig markiert sind, muss hier der Rhythmus genügen): Jedoch in ganz anderer Hinsicht könnte der durchaus originelle Niger für Celtis ein gewisses Vorbild gewesen sein. 87 Ihm war nämlich die Musik nicht eine Zutat, sondern ein Wesenselement der Poesie selbst ( Grammatica 207 r ): „Denn ein Dichter ( vates ) muss ein für die Poesie geeignetes Instrument haben und zu dessen musikalischer Weise ( quo modulante ) seine Gedichte verfassen, in Nachahmung der alten Dichter, die keinen Vers ohne Melodie komponierten ( sine melo nullum versum componebant ). Denn darum haben die carmina (Gedichte) ihren Namen von canere (singen), weil sie, wenn man sie nicht gesungen hat, ihsang „unter strenger Wahrung des antiken Metrums“, wörtlich gleich Riemer 2006, 134. Wie weit mittelalterliche Melodien zu metrischen Texten den Akzent berücksichtigen, untersucht Kabell 1960, 31-35. Vgl. Derks oben Anm. 27. 86 Vgl. zu Niger: Hartmann 1976, 16-31. Hartmann sieht Celtis’ Quantitieren geradezu als Rückschritt an, da die Italiener, wie er kühnlich postuliert, über diese Methode bald hinausgelangt seien! Vgl. unten Anm. 89. Umgekehrt meint Scheitler 2015, 33, mit Berufung auf Hartmann, Celtis habe den Odengesang der Italiener „verbessert“; vgl. auch Gundela Bobeth: Tritonius, Petrus, Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl., Personenteil 16, 2006, 1053-1054, die Vorstufen in „italienischen Improvisationspraktiken des 15. Jh.“ annimmt. Unrichtig zu Niger urteilen etwa Thomas 1919/ 20, 79; Weber 1974, Bd. 1, 133-134; Rasch 2014, 531; Staehelin 1981, 198, der aber auf eine interessante Wolfenbütteler Handschrift aufmerksam macht, in der verschiedene Metren durch lange und kurze Noten veranschaulicht werden (leider ist die Datierung unsicher). In Hugo von Spechtsharts gregorianischen Flores musicae (1488), die er zitiert, kann ich nichts Vergleichbares finden. Offenbar ist die von Staehelin (in Anm. 9) versprochene Abbildung im Druck weggefallen. Was Reinhard Strohm: Neue Aspekte von Musik und Humanismus im 15. Jahrhundert, Acta musicologica 76, 2004, 135-157, hier 156, für eine Celtis vorausgehende „Mode der musikalischen Skansion“ anführt (darunter Nigers „Skansionsmodelle“), hält der Überprüfung nicht stand. Ganz abwegig ist die Annahme, Celtis könne „von den Frottola [lies: Frottole] des Ottaviano Petrucci angeregt worden sein“; so Riemer 2006, 149 Anm. 47; dagegen schon von Liliencron 1887, 41-42. 87 Dass Celtis oder zumindest der Komponist seines Ludus Dianae Niger kennt, ist sicher; s. unten Anm. 100. <?page no="172"?> 172 Wilfried Stroh ren göttlichen Namen für einen ganz hässlichen und widerwärtigen einbüßen.“ Auch Celtis denkt größer von der Musik als seine heutigen Interpreten. Auf das Titelblatt der Melopoiae hat Tritonius eine für diese Kompositionen bestimmte programmatische Elegie des Meisters gesetzt ( Chunradus Celtis ad musiphilos ): Conspicite hec iuuenes germani carmina: Quatuor Vocibus ut uates & sacra templa canunt Syllaba quaeque suam naturam & tempora seruat Et stant legitimo carmina quaeque pede Affectus que animi gestus que in corpore pulsant 88 Plectra simul mixto constrepitant que sono Qualiter odrysiis Orpheus modulatus in oris Et quondam liquido tybure flacce tuo Qualis & hercyniae per uasta cacumina sylue Celtis apollineos fertur habere modos Terque quater felix nunc o Germanica tellus Quae graio & lacio carmina more canit. Wegen seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung soll dieses Gedicht ausnahmsweise in Verse übersetzt sein: Sehet die Lieder hier an, Germaniens Jünglinge: Vierfach tönen die Stimmen darin, Tempel und Dichter zugleich. Jegliche Silbe bewahrt ihre Zeit und ihr Wesen getreulich, und ein jegliches Lied steht auf dem richtigen Fuß. Auch des Herzens Gefühle erwachen beim Klange der Saiten, und es bewegt sich der Leib folgsam, ertönt die Musik, wie einst Orpheus sein Lied musizierte auf Thrakiens Fluren; wie an des Tiberis Strom dir es, mein Flaccus, gelang, wie im hercynischen Wald unter weithin rauschenden Wipfeln Celtis, so sagt man, Apolls Weisen zum Klingen gebracht. O welch glückliches Land, Germanien, dreifach und vierfach! 88 Pulsant dürfte wohl prägnant zu verstehen sein: „durch Schlagen hervorrufen“. Gemeint ist offenbar die antike Ethoslehre (Annemarie J. Neubecker: Altgriechische Musik, Darmstadt 1977, 127-145; zu deren Wiederaufleben in der Renaissance Walker 1949, 13-21), wonach jede Tonart und jeder Rhythmus (von dem aber seltener die Rede ist) eine bestimmte Gemütsstimmung hervorruft. Alternativ könnte man auch affectus und gestus als Subjekte, plectra als Objekt verstehen; aber das würde für constrepitant einen Subjektswechsel notwendig machen. Bei gestus in corpore ist konkret sicherlich an den Tanz gedacht. Celtis weiß, dass die antiken Chöre, im Schauspiel und auch sonst, immer getanzt haben, und der Lyriker Horaz ( Oden 1,1,30-32) wünschte sich, unter den chori der Nymphen und Satyrn sein zu dürfen. <?page no="173"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 173 So wie in Hellas und Rom tönen die Lieder nun hier. Weder die beschworenen alten Sänger, Orpheus und Flaccus (Horaz), wollten Metrikunterricht erteilen, noch legt auch Celtis darauf Gewicht: Vielmehr soll im Sinne der Renaissanceidee über die korrekte Aneignung der Metrik die ganze antike musiké (die wohl Tanz und ethos mit einbezieht) in Deutschland wiedererstehen - denn offenbar gab es auch in Italien noch keine vergleichbaren Versuche. 89 Darum erschienen die Melopoiae nicht in einem Schulbuchverlag, sondern in einem hochmodernen Notendruck mit beweglichen Typen, dem wohl ersten, den Deutschland überhaupt gesehen hat; darum schreibt Tritonius vierstimmige Sätze, deren es zur Erlernung des Quantitätsschemas nicht bedurft hätte; 90 und darum sind es nicht Schulmänner, die das Komponieren dieser sog. Humanistenode fortsetzen, sondern es sind europaweit berühmte Meister wie Ludwig Senfl und Paul Hofhaimer. 91 Auch sie haben es freilich nicht vermocht, der sog. Humanistenode bei der heutigen Nachwelt eine bessere Presse zu verschaffen: Sie gilt ja meist als das schwächliche Kind lateinischer Pedanten, die sich über die Bedürfnisse der Musik hinweggesetzt und gar dazu beigetragen hätten, dass „der lateinische Vers endgültig erstarrte und zum toten Papiervers wurde.“ 92 Richtig ist freilich, dass diese Odenformen, die ja auf alle Gedichte im 89 Was sich über den „italienischen Humanistengesang“ ermitteln lässt, hat Hartmann (1976) in einem riesigen, oft spekulativen Kapitel (S. 52-147) zusammengetragen. Vgl. oben zu Niger. 90 Nicht glauben kann ich allerdings, obwohl man das weithin annimmt (aber vgl. auch Pirker 1977, 142), dass schon Celtis’ Studenten nach den Vorlesungen vierstimmig gesungen hätten. Dazu wären zumindest Notenblätter nötig gewesen. Celtis oder Tritonius wird ihnen die Hauptstimme, also wohl den späteren Tenor , durch Vorsingen beigebracht haben. Pirker (ebd. 142) stellt genauere Spekulationen über die Entstehung des vierstimmigen Odentyps an. 91 Sämtliche Odenkompositionen von Tritonius, Senfl und Hofhaimer sind in den Originalschlüsseln und ohne rhythmische Begradigung (vgl. oben Anm. 82) transkribiert bei von Liliencron 1887, 49-91; danach in modernen Schlüsseln bei Stemplinger 1906, 65-147. 92 Hartmann 1976, 32, vgl. 183 (er denkt an die angebliche Verdrängung des Wortakzents). Gerne nachgesprochen wurde die Formulierung von Albrecht 1957, 896, das Verhältnis von Wort und Ton finde in der Humanistenode seine „radikalste“, aber nicht „künstlerisch höchststehende“ Lösung. Vgl. etwa Wille 1976, 266; Draheim 1981, 43; Riemer 2006, 138-139. Schon von Liliencron 1890, 311, wiewohl entzückt vom pädagogischen Odengesang, nahm an „harmonischer Härte und Einförmigkeit“ der Humanistenoden Anstoß. - Glareanus, der mit seinem Dodecachordon (Basel 1547, 179-180) als prominentester Kritiker der Humanistenode in der Literatur regelmäßig zitiert wird (etwa bei Albrecht 1957, 896; Wille 1967, 267; Schäfer 1976, 13; Riemer 2006, 137), greift nicht das Prinzip der Metrizität, auch nicht die Mehrstimmigkeit an, wie behauptet wird, sondern nur die Uninspiriertheit der tenores bei Tritonius, denen er seine (ebenfalls streng metrischen) harmoniae gegenüberstellt. Dass die Humanistenode des 16. Jahrhunderts nicht überlebte, liegt nicht an der „starre(n) Konzeption“, die „nicht entwicklungsfähig“ gewesen wäre <?page no="174"?> 174 Wilfried Stroh selben Versmaß passen müssen, nicht per se expressiv wie ein modernes Kunstlied sein können. Was aber die Noten nicht geben, das verlangen sie vom Interpreten, der Strophe für Strophe durch Dynamik, Tempo und Phrasierung die affectus animi zu wecken hat. Ich denke an die Experimente, die Martin Zöbeley und seine ‚Gruppe für Alte Musik München‘ 1995 mit den Oden Senfls gemacht haben und an die hinreißenden Hofhaimer-Interpretationen von Rupert Huber mit dem Südfunkchor Stuttgart. Erinnert sei auch daran, dass im 20. Jahrhundert die Humanistenode durch Jan Novák mit den Mitteln moderner Musik glanzvoll neu belebt wurde. 93 Zurück zum Theater. Über die Art, wie Celtis bei seinen Wiederaufführungen antiker Dramen mit der Musik umging, wissen wir nichts; aber im Jahr 1501 hatte er Gelegenheit, vor allerhöchstem Ohr seine Künste vorzustellen: Für Kaiser Maximilian I. und dessen Gattin Bianca Maria inszenierte er, zusammen mit seiner Wiener Sodalitas auf der Burg zu Linz seinen Ludus Dianae, eine Art mythologische Revue, in modum comoediae , in fünf Akten. 94 Hier werden alle Akte von vierstimmigen Chören beschlossen. Und hier habe nun, meint man, Celtis die von ihm kreierte Humanistenode ins Drama eingeführt. 95 Aber das ist nur die Hälfte der Wahrheit. Dreimal erklingt das elegische Distichon, zunächst gesungen von Faunen und tanzenden Nymphen, 96 dann gesungen und getanzt vom Gefolge des Bacchus, ad fistulam et cytharam , schließlich, zum Abschluss (so z. B. Schäfer 1976, 13), sondern, wie Stemplinger schon 1906 (S. 45) andeutete, am Sieg des Taktsystems (siehe unten). 93 Besonders in Servato pede et pollicis ictu: 9 ode oraziane messe in musica , Padua 1972. Vgl. Stroh 2002 und Werner Schubert: Jan Nováks Vertonungen lateinischer Texte, in: Die Antike in der neueren Musik. Dialog der Epochen, Künste, Sprachen und Gattungen, Frankfurt a. M. 2005, 175-200. Wohl als einziger neuzeitlicher Komponist hat sich Novák theoretisch über die Vertonung lateinischer Texte geäußert, in: Musica poetica Latina, hg., übers. und komm. von W. Stroh, München 2001. Werke und Literatur erschließt die Novák-Page der Sodalitas LVDIS LATINIS faciundis e.V.: http: / / stroh.userweb.mwn.de/ novak/ jan_novak.htm . 94 Zur theatergeschichtlichen Einordnung Dietl 2005, 190-195, wo in Anm. 145 neuere Ausgaben genannt sind. Die Versuche der gattungstheoretischen Klassifikation referiert Gingerick 1940, 163-164, die das Stück als eine Art „Fastnachtsspiel“ verstehen möchte. - Das Stück wurde in Nürnberg 1501 erstmals gedruckt. Moderne Umschriften der Noten bei von Liliencron 1890, 359; Gingerick 1940, 170-180; Schütz 1948, 157. Die Ausgabe von Felicitas Pindter (Conradus Celtis Protucius, Ludi scaenici, Budapest o. J., III-X, 1-6) ist ohne Noten. 95 So Schmid 1996, 62 (nach Renatus Pirker); Benz 2000, 17, unter Berufung auf zahlreiche ältere Autoritäten; Friedhelm Brusniak s.v. Celtis, Conrad, in Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl., Personenteil 4, 2000, 536-540, hier 537. Vgl. Gingerick 1940, 166; Weber 1974, Bd. 1, 537 und Riemer 2006, 133. 96 Gut dazu Schütz 1948, 155-156: Diskant und Alt dürften von Mitgliedern der Wiener Sodalitas falsettierend gesungen worden sein. <?page no="175"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 175 des Stücks, von allen Mitwirkenden dargeboten. 97 Nur der dritte Akt wird mit einem horazischen Maß, der gängigen sapphischen Ode, beschlossen. Dabei trügt nun die Elegie durchaus nicht die musikalischen Erwartungen, die man an Celtis im Hinblick auf Quantitätsrichtigkeit stellt - man muss nur freilich, wo das Metrum es fordert, für eine Brevis in den Noten zwei Semibreves singen (wie in der 2. und 3. Silbe von Max-mi-li-a-ne-as ), was ja kein Problem aufwirft. Jedenfalls sind die Fermaten, die Locher, dem Wortakzent folgend, auf die vorletzte Silbe in der Fuge des Pentameters und am Schluss legte, beseitigt, sodass nun der daktylische Rhythmus der zweiten Vershälfte klar hervortritt: 98 Überraschend konventionell gerät dagegen die (nur dreistimmig gesetzte 99 ) sapphische Ode. Es ist der altbekannte, aus dem Mittelalter stammende, schon von Locher verwendete Akzentrhythmus, in dem hier der Kaiser bedankt und gefeiert wird: 100 97 Dabei scheint Diana die einzelnen Distichen (? ) vorzusprechen, der vierstimmige Chor sie musikalisch zu wiederholen: Diana loquente & vniuerso choro quattuor vocum concentu singula carmina repetente (1501, 103). 98 Schütz 1948, 155 notiert richtig: „das erste uns bekannte Beispiel einer solchen Humanistenode“, ebenso Pirker 1977, 137. Kabell 1960, 214 meint, dass die Melodik hier noch „von einem akzentrichtigen Vortrag“ zeuge - was kaum nachvollziehbar ist. 99 Die erste und dritte Stimme sind homophon, die zweite ist leicht figuriert (dazu Gingerick 1940, 166), was für den Gesamtrhythmus kaum eine Rolle spielt. 100 Wie Hartmann 1976, 42 beobachtet hat, ist die Melodie des Diskants (unter Veränderung des Rhythmus) vom Sapphicum des Niger übernommen. Dies hatte auch schon Schütz 1948, 158-159 gesehen, meinte aber sonderbarerweise, die Melodie bei Niger entspreche „genau diesem zweiten Chor“ und es handle sich um eine der in Oberitalien stark verbreiteten Frottole. <?page no="176"?> 176 Wilfried Stroh Wie kommt Celtis dazu, in dem einen von zwei Chorliedern desselben Stücks seine neue, wohl seit 1492 erprobte Kompositionsmethode anzuwenden, im andern dagegen einer älteren Gewohnheit zu folgen? Rochus von Liliencron, dem die Diskrepanz nicht entging, meinte, „das von Celtis angeregte Prinzip“ sei damals „noch in der Entwickelung begriffen“ gewesen. 101 Erst 1507 habe ja Tritonius das inzwischen voll ausgereifte System der Öffentlichkeit vorgestellt. Das ist kaum wahrscheinlich, da dieses Prinzip so einfach ist, dass man es entweder hat oder nicht hat. Eher war es wohl so, dass der immer auf Publikumswirksamkeit bedachte Celtis sich einen so eingängigen Rhythmus nicht entgehen lassen wollte. 102 So blieb es einem Adepten des Celtis, dem Dürerfreund Benedictus Chelidonius, 103 vorbehalten, die echte sapphische Strophe musikalisch ins lateinische Drama einzuführen. 104 Alle drei Akte von dessen 1515 gedruckter Hercules-Komödie Voluptatis cum Virtute disceptatio werden beschlossen von 101 Von Liliencron 1890, 317. Eine etwas andere Variante bevorzugt Hartmann 1976, 42-43: Celtis sei damals wegen der besonderen Schwierigkeit der sapphischen Ode noch unentschlossen gewesen, welcher Art der Vertonung er den Vorzug geben solle. 102 Schütz 1948, 159, der die Melodie Nigers wohl zu Unrecht als volkstümliche italienische Frottola ansieht (s. oben Anm. 100), meint kühn, Celtis habe „einen richtigen heimischen ,Gassenhauer‘ […] der Kaiserin und ihren italienischen Verwandten vorsetzen“ wollen (ähnlich Pirker 1977, 138). - Auch im zweiten Maximilian gewidmeten Hudigungsspiel, der Rhapsodia laudes et victoria de Boemannis (1504; gedruckt Augsburg 1505), wird von Apollo (mit Cithara), Musen, Bacchus und Satyrn ad numerum (Hexameter und sapphische Strophe) gesungen und getanzt (rätselhaft ist Bacchus […] canit: raptis [? ] musis ). Noten sind hier nicht überliefert. Zur Anlage des Stücks Dietl 2005, 195-202. 103 Seine Verehrung bezeugt er auch in einem Celtis gewidmeten sapphischen Kurzgedicht zur Einleitung der Melopoiae des Tritonius (mit frappanter Fehlmessung im ersten Wort; am Schluss ist zu lesen Auctor statt Auror ). 104 Richtig urteilt Margret Dietrich: Chelidonius’ Spiel: „Voluptatis cum virtute disceptatio“. Wien 1515, Maske und Kothurn 5, 1959, 44-59, bes. 56-59. <?page no="177"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 177 einem vierstimmigen sapphischen Lied, jeweils verschieden, aber immer streng nach der Methode des Tritonius vertont. 105 Die tempora syllabarum missachtet oder modifiziert: Hegendorf, Macropedius und Cless So hätte denn die Entwicklung mit dem Sieg des quantitierenden Prinzips weitergehen können, aber es kam anders. Schon der zeitlich nächste Dramendichter, der zwanzigjährige Leipziger Student Christoph Hegendorf, der sich später als Jurist einen Namen machen sollte, veröffentlicht 1520 eine Comedia nova im Stil und mit dem Personal des Terenz, die mit ihren Sprechpartien in Prosa wieder an Locher anknüpft, mit ihren drei einstimmigen Chorliedern aber allen Prinzipien nicht nur des Celtis, sondern sogar Lochers Hohn zu sprechen scheint. 106 Äußerlich vertont wird zunächst dreimal die 4. asclepiadeische Strophe, dann ein Trinklied, der Idee nach aus sieben trochäischen Octonaren (mit Binnenreim und je einem refrainartigen katalektischen Quaternar), die sich aber, im Suff versteht sich, solche prosodischen Freiheiten erlauben, 107 dass man z. T. von rhythmischen Versen sprechen kann; schließlich lässt er noch viermal das elegische Distichon singen, wobei im Pentameter immer derselbe Text gebraucht wird. Schon die Verwendung des Refrains im zweiten und dritten Lied lässt ahnen, wie stark hier alles von der Musik her empfunden wird. Nicht ganz überraschend: Im selben Jahr 1520 versah Hegendorf das oft aufgelegte Enchiridion musicae mensuralis von Georg Rhau mit kundigen epigrammatischen Kapitelüberschriften. In seiner Comedia siegt nun die Musik über fast alle sprachlichen Gegebenheiten, was heißt, dass hier weder der Wortakzent (mit Ausnahme des quasirhythmischen Trinklieds) noch die Silbenquantität peinlich beachtet werden. Hegendorf, den man vielleicht als seinen eigenen Komponisten vermuten darf, unterwirft vielmehr alle drei Versmaße einem schwungvollen, aber je 105 Die Strophen des letzten Lieds werden im Wechsel mit den sprechenden Akteuren gesungen. Die Noten sind transkribiert bei von Liliencron 1887, 360-361, wo die Taktstriche wegzudenken sind, und getreuer wiedergegeben bei Dietrich (s. Anm. 104). - In der 2. Ode, Str. 1 ist statt Atque Gigantum zu lesen Inter et apros. Eine kurze Würdigung gibt Claudia Wiener s.v. Chelidonius, Benedictus, in: Deutscher Humanismus 1480-1520. Verfasserlexikon 1, 2008, 427-439, hier 432-433. 106 Comedia nova Christophori Hegendorffini, salibus non omnino insulsis refertissima , Leipzig 1520; die Noten bei von Liliencron 1890, 362, vgl. 318 (unbefriedigend). 107 V. 2 Bacchi festa redierunt, nummi nostri perierunt , V. 3 Quisque bibat , V. 6 tempus erit . Refrain: Dulces a-ma-torculi . <?page no="178"?> 178 Wilfried Stroh nach Lied differenzierten Dreierrhythmus. Das liegt nahe bei den ‚Trochäen‘ mit ihrem tendenziellen Lang-kurz: 108 Jedoch das mit Daktylen und Spondeen gewissermaßen auf Geradtaktigkeit angelegte elegische Distichon verträgt dergleichen nicht. Sowohl den Hexameter als auch den Pentameter - beide sind metrisch korrekt - zerlegt Hegendorf hier in zwei Kola zu je vier Dreiereinheiten, wobei sich häufig ‚falsche‘ Betonungen ergeben: semél (4x) - hyménaeo - opús usw . Während sich diese ‚Fehler‘ noch einigermaßen in Grenzen halten, wird im Walzerschritt über die Quantitäten geradezu mutwillig hinweggetanzt: Si semel es nobis - ⏑ ⏑ - - - gibt - ⏑ - ⏑ - -; hymenaeo ⏑ ⏑ - - gibt ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ usw. Dasselbe gilt für das asclepiadeische erste Lied. 109 Res sic bella quadrat nimis Dum natos genitor viuere proh sinit Pro voto dolor ah suo Nauci tunc faciant, seuius intonat […] Hier gibt Hegendorf dem ersten Glyconeus vier Dreiereinheiten, den Asclepiadeus zerlegt er in zweimal drei solcher Einheiten. Wiederum wird der Wortakzent größtenteils, die Silbenquantität gänzlich unberücksichtigt gelassen. 110 108 Die „Inkongruenz“ von „Singweise und Text“, die Scheitler 2015, 41 hier konstatiert, verschwindet, wenn man den nur am Schluss notierten Refrain Dulces amatorculi jedem Vers beigibt. Hier wird gegen Quantität und Akzent die vorletzte Silbe -cugelängt, sodass dieselbe Kadenz entsteht wie in Lochers Pentameter und später im Dimeter des Macropedius. Auch Hegendorfs eigener Pentameter im folgenden Notenbeispiel ([…] opus est ) hat diese rein musikalisch bedingte Längung der Paenultima im Vers. 109 Prüfer 1890, 60 sieht sonderbarerweise in diesem Chorlied „das antikisirend-metrische Prinzip […] aufrecht erhalten“. 110 Dabei entsteht, allerdings nur im Glyconeus, ein Akzentrhythmus, der schon unserem Iktus entspricht. Vgl. unten zu Macropedius. <?page no="179"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 179 Ein anderes, nicht sicher lösbares Problem wirft der abschließende, zweite, etwas anders als der erste rhythmisierte Glyconeus auf. Rochus von Liliencron, ohne die Metrik genauer zu beachten, schreibt ihm wie selbstverständlich den 3. Vers zu: Proh voto dolor ah suo - aber dann bleibt der folgende 4. Vers, ein Asclepiadeus ( nauci tunc usw.), musikalisch ohne Anschluss, da die Strophe ja mit Glyconeus begonnen hat. Man müsste also den Text Pro voto dolor ah suo noch einmal auf die Töne von Res sic bella quadrat nimis singen - oder aber diese Töne rein instrumental wiedergeben - und auf die entsprechende Weise mit den weiteren Strophen verfahren. Sehr befriedigend ist das nicht. Aber andere Lösungen sind nicht minder mühsam. Dem Erfolg von Hegendorfs Komödie mit ihren ebenso schlichten wie einprägsamen Melodien hat diese Schwierigkeit aber offenbar keinen Abbruch getan. Sein Verleger rühmt voller Freude, dass sie schon vor der Drucklegung mehrfach in Leipzig aufgeführt wurde. Aber dieser rhythmische Husarenstreich des jungen Hegendorf fand so rasch keine Nachahmer, vielmehr bemühen sich die nachfolgenden Dramatiker darum, die Anforderungen des Celtis mit anderen Prinzipien auszugleichen. Der nächste große Bühnenautor, den Rochus von Liliencron registriert (auch weil wir von ihm die Musik kennen), ist der Utrechter Georgius Macropedius, der seinen Drucken zunächst nur zögerlich Noten beigab, 111 uns dafür aber bei der Gesamtausgabe seiner Komödien (1552/ 1553) 112 entschädigt. Hier heißt es: Adiectae sunt Choris post singulos Actus notulae quaedam musicae, quo simplici tenore („Melodie“) quisque poßit citra laborem uersiculos modulari , 113 also ein- 111 Seine frauenfeindliche Posse Andrisca erschien zuerst 1538 mit Chortexten, aber ohne Noten, dann 1539 und 1540 mit vierstimmigen Chören nach jedem Akt: Auf einen Chor von Mimallones (Bacchantinnen), die gewissermaßen im Sinn der griechischen Urtragödie höchst unchristlich ihren Gott feiern - Iacche bacche ohe ohe usw., Noten bei Liliencron 1890, 369 (wo aber die Silbenverteilung nicht ganz richtig sein kann) -, folgt ein frommer Chorus puerorum , der im selben Versmaß (jambische Dimeter) katholische Lebensweisheit meditiert. Dieser Chor, obwohl lose am Metrum orientiert, ist nicht homophon, sondern motettenartig polyphon. 112 Omnes Georgii Macropedii fabulae comicae , 2 Bde., Utrecht 1552/ 53. Die Noten sind transkribiert bei von Liliencron 1890, 362-363, 368-373, 374-375 (Nr. 5-16). Darauf beziehen sich im Folgenden die Angaben; das von mir immer verglichene Original ist unpaginiert. 113 Von Liliencron 1890, 320 übersetzt modulari mit „richtig skandirend [gemeint: iktierend] singen“, was die Bedeutung unhistorisch einengt. <?page no="180"?> 180 Wilfried Stroh fache, einstimmige Chormelodien. 114 Als Schulmeister, der auch eine Prosoedia (sic; 1541) verfasst hat, hält Macropedius streng auf die Quantitäten, 115 aber nicht ebenso streng auf die von Celtis beachtete 2: 1 Relation. Warum? Zum Exempel diene das sapphische Lied am Ende seines ersten veröffentlichten Stücks, den Rebelles (1535), Akt 5, Szene 14: 116 Laudibus largam celebremus erga Nos Dei nostri bonitatem ab omni Qui reluctantes rapuit periclo Mortis acerbae. Dies sind weder Lochers akzentrhythmische Sapphiker noch die streng quantitierenden Sapphiker des Tritonius, es sind sozusagen frei quantitierende Verse, bei denen die Längen, wo nötig, so überdehnt werden, dass isochrone Abstände entstehen: Lau-di- (- ⏑ ) hätte im Lateinischen drei Moren. Durch die Dehnung von Lauwerden es aber vier Moren, die den folgenden vier Moren von bus lar- (- -) und -gam cele- (- ⏑ ⏑ ) entsprechen. Dies gilt für die jeweils erste und achte Silbe. Nach der Ansicht von Liliencron, 117 der dies richtig beobachtete, 114 Auch die schon veröffentlichten vierstimmigen Sätze der Andrisca (oben Anm. 111) werden nun vereinfacht. 115 Die nur gelegentlichen Reimverse bei ihm notiert Rädle 1988, 346. Wenn Macropedius in der Vorrede zu Rebelles und Aluta (1535; zitiert bei Rädle 1988, 345-346) davon spricht, dass er sich an die strenge Metrik der alten Komödie, nicht, wie andere, an Plautus und Terenz gehalten habe, bezieht sich das, obwohl er sich auf lyrici carminis leges beruft, nicht auf die gesungenen Chöre, sondern den gesprochenen Trimeter (vgl. die bei Rädle 1988, 346 zitierte Vorrede zum Asotus evangelicus ). Auch in diesem war ihm Reuchlin, der ihn nach eigener Aussage zum Komödiendichten angeregt haben soll, das Vorbild. 116 Noten (mit hier sinnvoll zugefügten Taktstrichen) bei von Liliencron 1890, 363, Nr. 5. 117 Liliencron 1891, 320. Grijp 2009 in seiner sonst wertvollen Arbeit über Musik bei Macropedius geht auf das Rhythmische leider kaum ein. Gute Bemerkungen zur Vielgestaltigkeit der Musik bei Macropedius macht Scheitler 2015, 41-46, aber nicht richtig ist ihre Feststellung: „Macropedius verfolgt nicht das Prinzip der Länge und Kürze, sondern das der Betonung“ (was etwa auf Locher oder später Walliser zuträfe). Als inhaltslos betrachte ich die Feststellung von Thomas Schmidt-Beste (s.v. Macropedius, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil 11, 2004, 772-773), Macropedius habe seine Chöre „teils dem Wortrhythmus [? ], teils dem zugrundeliegenden Metrum angepasst“. <?page no="181"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 181 dabei aber von einem überzeitlich gleichen Rhythmusempfinden, das den Takt erheische, ausging 118 - und der darum bezüglich der Antike alle Metriker vom 16. bis zum 18. Jahrhundert im Irrtum wähnte 119 -, hatte Macropedius damit „den metrischen und musikalischen Rhythmus“ ausgeglichen; wir würden heute zutreffender sagen, dass er den Sapphiker auf einen geradzahligen Takt gebracht hat. 120 Diesem Bedürfnis nach Geradzahligkeit entspricht auch, wenn ich recht empfinde, die doppelte Überdehnung der jeweils vorletzten, den ganzen Takt füllenden Silbe ( er-ga , om-ni , -cer-bae ). So kommen wir zweimal auf einen Vers von sechs (nicht fünf) Takten, das dritte Mal, da der dritte Sapphiker mit dem Adoneus verknüpft wird, auf einen Vers von acht (nicht sieben) Takten: Lau-di- | bus lar- | gam ce-le- | bre-mus | er- | ga usw. Das beschriebene Verfahren dehnt Macropedius nun auf fast alle der Versmaße aus, die er den insgesamt etwa 60 Chören und gelegentlich auch Sololiedern seiner elf Dramen zugrundelegt. Das sind an äolischen Versmaßen neben dem Sapphiker, 121 in vier Stücken die Glyconeen, bei denen er unweigerlich die 6. Silbe dehnt, um den geraden Takt zu halten (während er bei den ersten beiden Silben, unter Wahrung des Takts, freizügig ist). So mit spondeischem Beginn etwa im Lazarus mendicus: 122 Nur bei den anapästischen Dimetern, die Macropedius einmal verwendet, ergibt sich bei genauer Wahrung der Silbenquantitäten der Takt von selbst: Dieses 118 Vgl. zur Problematik aus heutiger Sicht Sicking 1993, 9-30. 119 Sein wichtigstes Bekenntnis liest man (1890, 351-352): „Denn die antiken Verse, so wie man sie damals und noch bis in unsere Zeit herunter [d. h. bis Roßbach, Westphal u. a.] begriff, boten einen beständigen Wechsel zwischen geradem und ungradem Takt, der sich dem musikalischen Rhythmus nicht fügte [nämlich bis zu Strawinsky und Bartók]. Zu heben war er äußerlich sehr leicht; durch geringe Änderungen des Verhältnisses zwischen Längen und Kürzen entstanden ja Rhythmen, wie sie der Musik eben geläufig waren.“ 120 In anderer Weise stellt Franciscus Salinas, De musica VI 19 (S. 360-361) die Isochronie her, vgl. unten. 121 Außer in den Rebelles (s. oben) im Lazarus mendicus (Nr. 12 bei von Liliencron, IV. Chor) und dem Josephus (Nr. 14, I. Chor). 122 Nach Akt 3, Szene 3 = Nr. 12. II. „Chor“ bei von Lililiencron. Ebenso spondeisch in Asotus (Nr. 8 „Lied des Asotus“) und Lazarus mendicus (Nr. 12. I. „Chor“); trochäisch in Hypomone (nicht „Hypomene“, Nr. 16 „Lied des David“: Trochäen auch gegen die Prosodie! ) und z. T. in Josephus (Nr. 14. III. „Chor“). <?page no="182"?> 182 Wilfried Stroh Versmaß war ja auch wohl einst zum gleichmäßigen Schreiten bestimmt. 123 Bei Macropedius’ beliebtestem Versmaß, den jambischen Dimetern, war dies, wie bei den gelegentlichen Trochäen, 124 nicht möglich, da ja in den elementa ancipitia am Anfang der Metren ( × - ⏑ - ) sowohl lange als kurze Silben zugelassen sind. 125 Während Tritonius und seine Nachfolger auch im Jambus je nach Kürze oder Länge variierten, 126 reduziert Macropedius, wie es naheliegt, in der Regel das anceps auf die Kürze, so dass ein gleichmäßiger Dreiertakt ( ⏑ - ⏑ - ⏑ - ⏑ - ) entsteht (z. B. Qui edit bibitque sordide Is stultus est, is stultus est ): 127 Eine Sonderbarkeit jedoch, die sich weder aus dem Metrum noch aus dem Taktstreben, sondern vielleicht nur aus einer Gewohnheit des Singens erklären lässt, ist, dass Macropedius oft (nicht immer) ausgerechnet die vorletzte, metrisch immer kurze Silbe im jambischen Dimeter längt: 128 Matrum per indulgentiam - - ⏑ - - - ⏑ ⏑ Gnatorum et insolentiam - - ⏑ - ⏑ - ⏑ ⏑ 123 Vgl. Sicking 1993, 209 und bes. Bruno Snell: Griechische Metrik, Göttingen 1955, 18-20, der darum „dem Anapäst als dem einzigen griechischen Versmaß einen festen Takt“ zuschreibt. 124 Hecastus (Nr. 9, Chor III. und IV. bei von Liliencron), Josephus (Nr. 14 Chor II.). Wie die Anapäste sind die Trochäen nicht registriert bei Scheitler 2, 2015, 41. 125 Von Liliencron, der dies vernachlässigte, meinte, dass sich hier „metrischer und musikalischer Rhythmus“ von selbst decken (1890, 325). 126 Prosodisch ‚korrekt‘ behandelte jambische Dimeter findet man z. B. in den ambrosianischen Hymnen der Melodiae Scholasticae von Martin Agricola, 1578, abgedruckt bei Prüfer 1890, Partiturteil, 9-29; vgl. Textteil, 7 und 18. 127 Bassarus , nach Akt 1, Szene 4 = von Liliencron 1890, Nr. 11; ebenso Aluta (Nr. 6, Ia und Ib), Andrisca (Nr. 10, Ia Chor), Josephus (Nr. 14, IV. Chor). 128 Rebelles , nach Akt 1, Szene 5: So sind in Rebelles (Nr. 5 bei von Liliencron) die Chöre I-IV alle ausgeführt, ebenso Asotus (Nr. 8, Aktschluss 1; Akt 2, Szene 5 „Lied des Asotus“). Grijp 2009, 67, dessen Beschreibung nicht ganz genau ist, führt dies nur auf Streben nach Variation zurückt und führt an, Vergleichbares finde sich auch in der zeitgenössischen Tanzmusik. Von Liliencron 1890, 321 sprach vom „damals beliebten Rhythmus“ (beide ohne genauere Angaben). <?page no="183"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 183 So war ja auch Locher beim Pentameterende verfahren, wo die gelängte Silbe immerhin betont war, und Ähnliches ließ sich bei Hegendorf beobachten. 129 Aber auch sonst experimentiert Macropedius, ohne Aufgabe des Taktprinzips - was jetzt im Einzelnen nicht verfolgt werden kann. Zumindest sein Lazarus mendicus (zuerst 1541), der viele metrische Überraschungen bietet, sei noch kurz erwähnt . 130 Als die Engel am Ende des vierten Akts den Lazarus in Abrahams Schoß forttragen, singen sie standesgemäß ambrosianische Dimeter. Der sterbende Lazarus antwortet mit einer perfekt (im Sinne des Tritonius) quantitierenden sapphischen Ode, in der er sein Gottvertrauen ausdrückt, worauf die Engel zu jeder seiner Strophen als Quasirefrain ebenfalls einen sapphischen Elfsilbler mit Adoneus singen - aber nun gerade nicht quantitierend metrisch, sondern ganz frei melismatisch. Es war eine kuriose Idee, ausgerechnet dem armen Schlucker in seiner Todesnot die strenge Metrik, den sozusagen professionell musizierenden Engelschören die freien Koloraturen zu geben. Solche Ausnahmen bestätigen aber nur die Regel. Generell darf es jedenfalls, wie schon gesagt, als die Leistung des Macropedius gelten, die lyrischen Metra der Antike durch verschiedene geschickte Manipulationen mit dem Taktsystem ausgeglichen zu haben. Im Schuldrama war er damit ein Pionier. Aber unter den Musikwissenschaftlern hatte er einen Vorläufer in dem sonst als Historiker (und Erzfeind Luthers) berühmten Johannes Cochlaeus. In dessen Tetrachordum Musices, das nur fünf Jahre nach den Melopoiae des Tritonius erschien 131 - werden Melos Elegiacum , Melos Sapphicum , Melos Choriambicum (Asclepiadeus und Glyconeus) und Melos Jambicum (ambrosianische Dimeter-Strophe) in vierstimmigem Satz auf schönste Takte gebracht. 132 Nachdem Cochlaeus im Sinne Nigers die Notwendigkeit des Singens und damit seiner Komposition erwiesen hat, sagt er: Verumtamen pedum quantitates non vbique custodiuimus / melodiae potius quam metricae indulgentes . 133 Schon er empfand, 1512, also offenbar einen 129 Vgl. oben Anm. 108. 130 Ich halte mich auch hier (wie von Liliencron 1890, 371-373) an die Noten in der Sammelausgabe von 1552/ 53 (wie Anm. 112). Die von Grijp 2009 verwendete Einzelausgabe (Turnhout, bei Johannes Busciducis, 1545), die vielleicht auch an dieser Stelle andere Noten hat (vgl. Scheitler 2014, 42 Anm. 67), war mir nicht zugänglich, sodass ich Grijps kühn wirkende Transkriptionen nicht überprüfen konnte. 131 Tetrachordum Musices Joannis Coclei Norici , Nürnberg 1512 (Vorrede datiert auf 1511). Zum ganzen Werk Gernot M. Müller/ J. Klaus Kipf s.v. Cochlaeus, Johannes, in: Deutscher Humanismus 1480-1520. Verfasserlexikon 1, 2008, 439-460, hier 444. 132 Keineswegs ist er damit „dem freien italienischen Improvisationsstil verpflichtet“ (so Scheitler 2015, 34 Anm. 27). 133 Tetrachordum (wie Anm. 131), Fii v . - Bezeichnend ist, dass auch er (wie Locher, Glareanus und Macropedius) die vorletzte Silbe im Pentameter längt. Auch der Hexameter wird etwas freier als vom Takt erfordert behandelt. <?page no="184"?> 184 Wilfried Stroh Gegensatz zwischen Taktbedürfnis und metrischer Lyrik. Das Ergebnis war dann beim Sapphicus dieses: 134 Insgesamt hatte Macropedius mit seiner Methode des taktierenden Quantitierens nur mäßigen Erfolg. Von den Schuldramatikern dürfte ihm wohl Sixtus Birck 135 und sicherlich der als Lexikograph berühmte Petrus Dasypodius mit den nivellierenden (d. h. die ancipitia vereinheitlichenden) Jamben und Trochäen seines postum (1565) veröffentlichten Philargyrus gefolgt sein; 136 auch komponierte, außerhalb des Theaters, nach dieser Methode etwa Johannes Eccard seine (von Ludwig Helmbold gedichteten) Odae sacrae (1596). 137 Ganz andere Wege ging man dagegen in Straßburg, dessen Gymnasium seit den Tagen des berühmten Johannes Sturm (1538-1581) als das international beste Schultheater galt. 138 Dort führte man 1587 - zwei Jahre nach der berühm- 134 Tetrachordum (wie Anm. 131), Fiii v . 135 Dass dieser sich an Tritonius angeschlossen hätte, wie man annimmt, ist m. W. unbegründet. Noten zu seinen dramatischen Chorliedern gibt es nicht, aber der Kölner Ausgabe seiner Susanna (1541 und 1544) ist ein vierstimmiges Preislied auf diese Stadt in Asclepiadeen vorangestellt: Agrippina tibi laudibus inclytae usw. (vgl. auch Prüfer 1890, 230-231). In diesem wird in der zehnten Silbe ( in- ) die Brevis punktiert, also überdehnt, so dass ein glatter Viererrhythmus entsteht. Dass auch die erste Silbe ( A- ) überdehnt und die zweite, positionslange ( grip- ) dementsprechend gekürzt wird, dient ohne Not offenbar einer gewissen Symmetrie. - In der Augsburger Erstausgabe, 1537, hieß der Text des wendigen Birck (dort ohne Noten) übrigens noch Augustae Celebri, laudibus inclytae usw. 136 Philargyrus comedia. Lusus adolescentiae Petri Dasypodii, ante annos abhinc triginta quinque scriptus, nunc vero castigatus, auctus et typis primum excusus , Straßburg 1565. Als Abfassungsdatum pflegt man 1530 anzugeben, womit die frühere Prosafassung gemeint ist (Büeler 1920, 57-58, dort im Folgenden Abdruck der Komödie mit Noten zu den Chören). Zum Inhalt Creizenach 1918, 161-162. Die Noten gibt von Liliencron 1890, Nr. 18, 376. 137 XX Odae sacrae Ludovici Hemboldi […] Harmonicis numeris, pro scansione versuum, ornatae & compositae quatuor vocibus à Iohanne Eccardo , Mühlhausen 1596: zu verschiedenen z. T. von Helmbold erfundenen Versmaßen; frei quantitierend, aber reicher melismatisch als bei Macropedius. 138 Zum Straßburger Schultheater vgl. nach Jundt (1881/ 82), der auf S. 41-48 eine Liste der nach 1538 in Straßburg aufgeführten neulateinischen Dramen gibt, jetzt bes. Hanstein 2013 und Scheitler 2015, 47-59. <?page no="185"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 185 ten Darbietung von Gabrielis Edipo Re in Vicenza 139 - in der lateinischen Übersetzung des Joseph Justus Scaliger und mit der Musik des minder bekannten Johann Cless 140 den um allerlei Zudichtungen erweiterten Aiax Lorarius des Sophokles auf. 141 Der Anfang sogleich des ersten Chorlieds sei herausgegriffen. Scaliger hatte mit erstaunlicher metrischer Präzision die Daktylen und Trochäen - ‚Daktyloepitriten‘ kannte man damals noch nicht - des Originals latinisiert: 142 Anne Diana tuum soboles Iouis 4 da (Ah fera fama, fera hem Mater ah probri mei) cr ia In volgus armentorum animum furiauit […]? ia - hem ⏑ Daraus macht Cless diesen vierstimmigen Satz: 139 Diese gilt unbestritten als das „erste erhaltene Beispiel einer Schauspielmusik zum antiken Drama“; so Flashar 1989, 555. Die italienische Übersetzung war natürlich nicht am griechischen Metrum orientiert, die Chöre aber dennoch homophon gesetzt - was auf einen Einfluss der deutschen Humanistenode deuten könnte; so Geary 2010, 50 (mit Notenbeispiel S. 52). Vgl. auch Scheitler 2015, 29-30. 140 Erst 1953 gelang es, ihn zu identifizieren; s. Werner Braun s.v. Cless, Johann, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil 4, 2000, 1260-1261. 141 Einen Überblick über die Neugestaltung, die aber den eigentlichen Text des Sophokles nicht betraf, gibt Jundt 1881/ 82, 51-54, der auch mit der Neubearbeitung 1608 vergleicht. Ausführlicher dazu Anastasia Daskarolis: Die Wiedergeburt des Sophokles aus dem Geist des Humanismus. Studien zur Sophokles-Rezeption in Deutschland vom Beginn des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Tübigen 2000, 291-313; jetzt auch Jean-Marie Valentin: Le théâtre à Strasbourg de Brant à Voltaire (1512-1781), Paris 2015, 117-119. 142 Text nach Sophoclis Aiax lorarius stylo tragico a Iosepho Scaligero Iulii filio translatus & Argentorati publice exhibitus , Straßburg 1587. Leider war mir die mit Noten versehene Ausgabe (Straßburg im selben Jahr) nicht zugänglich. Ich stütze mich also auf Prüfer 1890, 196-229, vgl. 50-57. Zur Musik auch Weber 1974, Bd. 1, 550-554 und Scheitler 2015, 48-49, die auf unser Problem nicht eingehen. <?page no="186"?> 186 Wilfried Stroh Anton Prüfer (1890, 52) der auch dieses höchst aparte Stück Schulmusik wiederentdeckt hat, 143 meinte, hier sei die „Beobachtung des metrisch-antikisierenden Prinzipes“ insofern gewahrt, als nach jeder Verszeile abgesetzt werde - was kaum nachvollziehbar ist -, im Übrigen aber zwänge der Komponist „den freien Strom der antiken Rhythmik meist in das Bett des Allabreve-Taktes“ (ebd. 55). Aber hier hätten gerade die ersten beiden streng daktylischen Verse keinen Zwang bei der Umsetzung in einen geraden Takt nötig gemacht. Cless jedoch, völlig anders als Macropedius, versucht keinen Ausgleich zwischen Taktprinzip und antikem Rhythmus herzustellen; sondern er fühlt sich zumindest diesem nicht verpflichtet, wenn er gleich zu Beginn Diana mit drei kurzen, tuum mit zwei langen Noten versieht und dann fera bald pyrrhichisch bald spondeisch misst. 144 Dabei ist aber auch kaum eine Rücksichtnahme auf den Wortakzent erkennbar, und der gleichmäßig homophone Gang der vier Stimmen erzeugt eher eine oberflächliche Ähnlichkeit mit der quantitierenden Humanistenode. Kaum je ist ein Komponist so frei mit lateinischen Versen umgegangen wie dieser, und dies ausgerechnet in einer Hochburg des Humanismus. Im außerdramatischen Chorgesang der Schule wird die quantitierende Weise des Tritonius und seiner Nachfolger noch lange Zeit gepflegt; 145 von den Dramendichtern dagegen scheint, nach dem Erhaltenen zu urteilen, nur der eine Martin Hayneccius dem strengen Vorbild gefolgt zu sein. Ausgerechnet seine deutschsprachige Schulkomödie Almansor (1578, mit Noten 1582) versieht er mit vier lateinischen Chören zu den Odenmaßen des Horaz, sogar recht exquisiten, 146 und, was das Sensationellste ist, er gibt dem Knaben- und Mädchenchor eine ausgefeilte, in altgriechischer Sprache verfasste Choreographie: 147 Fast hät- 143 Es fehlt bei Geary (2010) und in der verdienstvollen Bibliographie der „Vertonungen antiker Texte“ von Draheim (1981), der überhaupt keine lateinischen Übersetzungen griechischer Dramen anführt und (S. 19-20) vor Mendelssohns Antigone (1841) überhaupt nur vier einschlägige Schauspielmusiken (immer zu modernen Übersetzungen) erwähnt. 144 Völlig verkehrt urteilt Klein 1964, 146: Cless versuche, „dem metrischen Prinzip noch treu zu bleiben“, erlaube sich aber „gelegentliche Freiheiten“, da „schon sein Text [Sophokles! ] sich nicht streng an antike Metren“ halte. 145 Vgl. etwa zahlreiche Nummern in den Melodiae Scholasticae des Bartholomaeus Gesius, abgedruckt bei Prüfer 1890, Partiturteil, 89-123; vgl. aber auch S. 27-28, wonach sich bei Gesius „die Musik aus der willkürlichen [! ] Verstrickung mit der antiken Metrik“ zu lösen beginne. Vgl. zu Prüfers Arbeit auch die inhaltsreiche Rezension durch Rochus von Liliencron, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 7, 1891, 126-131. 146 Abgedruckt bei Prüfer 1890, 232-235, vgl. 64-66; Umschrift bei von Liliencron 1890, 384- 386; ausführliche Beschreibung bei Scheitler 2013, 327-329. Übersehen wurde bisher, dass sich die Vertonung des vierten jambischen Lieds (das auch metrisch und prosodisch eigenwillig ist) ausnahmsweise nicht den Gesetzen der Humanistenode fügt. 147 Von Liliencron 1890, 336-337, Humanist alter Schule, erläutert kundig den Text. <?page no="187"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 187 ten wir es sonst vergessen, dass seit Reuchlin und Celtis im lateinischen Drama oft auch getanzt wurde. 148 Metrisches und Rhythmisches im bayerischen Jesuitentheater Musik und Tanz, ja Ballett dominieren dann im Theater der Jesuiten, 149 das gewissermaßen die Nachfolge des, mit der gewichtigen Ausnahme des Macropedius, meist protestantisch orientierten humanistischen Schultheaters antritt. In München etwa verjagen die vom kunstsinnigen, erzkatholischen Herzog Albrecht V. geförderten Jesuiten geradezu den Melanchthonschüler Martinus Balticus, der zuvor als ‚Stadtpoet‘, d. h. Schulrektor, mit brillanten Theateraufführungen sogar international Aufsehen erregt hatte. 150 Leider sind weder zu seinen Stücken noch zu denen seiner jesuitischen Münchner Konkurrenten die Noten erhalten (die erst in der Spätzeit des Jesuitentheaters etwas reichlicher vorhanden sind). 151 Dabei soll doch zu dem bei der Hochzeit Wilhelms V. 1577 aufgeführten Samson kein Geringerer als Orlando di Lasso die Chöre komponiert haben. 152 Von diesem hochberühmten in München wirkenden Musiker - er 148 Gut Scheitler 2015, 58 gegen die verbreitete Vorstellung, dass Tanz und Tanzmusik erst unter dem Einfluss der Oper ins lateinische Drama eingedrungen seien 149 Die überragende zusammenfassende Darstellung gibt jetzt Fidel Rädle 2013. Dort werden (S. 266-282) speziell die Bühnendichter der bayerischen Jesuiten behandelt. 150 Wilfried Stroh: Hieronymus Ziegler und Martinus Balticus. Zwei Pioniere des lateinischen Schultheaters in München, Mittellateinisches Jahrbuch 46, 2011, 297-326. 151 So Wittwer 1934, 78 und jetzt besonders Körndle (2006 und 2012), der über das Bekannte und Neuentdeckte umfassend informiert. Singulär sind etwa die Stimmbücher der Philothea des Paullinus (1643); vgl. Münch-Kienast 2000, 73. Maßlos übertrieben ist jedenfalls die Behauptung von Franz Lang ( Theatrum solitudinis asceticae [1717], S. 4 der unpaginierten Vorrede an den Leser), es sei „hierzulande“ ( in his partibus ) „bis heute noch keine Bühnenmusik ( theatralem Musicam ) dieser Art veröffentlicht worden“.- Einen summarischen Überblick über die Geschichte der Bühnenmusik im Jesuitentheater versucht Erlach 2006, 38-39. Die von ihm behandelten Stücke stammen aber erst aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Nicht ersetzt ist der inhaltsreiche Überblick in Flemming 1923, 222-246 und die Dissertation von Wittwer, bes. S. 77-122. Neues (mit Lit.) bietet Pohle 2010 unter „Die Musiker“, 480-487; vgl. auch Tilg 2002, 13-15, 30-31. Zu Tanz und Musik besonders im späteren Jesuitentheater Adel 1960, 142-149. 152 Die Belege bei Scheitler 2015, 66 Anm. 25; Diskussion des Problems bei Körndle 2012, 213-214. Die Musik speziell im Münchner Jesuitentheater behandelt neben Körndle 2012, 212-214 ausführlich Münch-Kienast 2000, 21-72, mit Verweis auf die Pionierarbeit von Karl von Reinhardstöttner: Zur Geschichte des Jesuitendramas in München, Jahrbuch für Münchener Geschichte 3, 1889, 53-176. Zur Musik im Triumphus Divi Michaelis (1597) s. Leonhardt in: Bauer/ Leonhardt 2000, 94-97. Die größte Zeit des Münchner Jesuitentheaters von 1577 bis 1597 behandelt auführlich (ohne auf Musikalisches einzugehen) Angelika Kemper: Hof und Macht im lateinischen Theater frühneuzeitlicher Residenzen, Münster 2014, 87-185. <?page no="188"?> 188 Wilfried Stroh ist ja der erste namhafte Komponist, den wir in unserer Revue des lateinischen Jesuitendramas nennen können - haben wir dank einer Entdeckung von Franz Körndle immerhin Chöre zu einem der international erfolgreichsten Stücke des Ordens, dem 1569 in Messina uraufgeführten Christus iudex 153 des Stefano Tucci. 154 Wie fast zu erwarten, gibt sich Meister Lasso mit Metrik nicht weiter ab. 155 Bei Tucci singt ein Chor todbringender Engel folgende Anapäste: 156 Tragico tecti syrmate Coelites 157 Hominum generi damus inferias Fataque populis ultima passis Canimus tristi carmine naenias. Daraus wird bei Lasso ein fünfstimmiger, frei polyphoner Satz, wobei der einleitende Anapäst tragico in allen Stimmen als Dactylus behandelt wird, also dem Wortakzent gemäß, der auch sonst in der ganzen Komposition dominiert. 158 Nur die den Rhythmus dominierende Diskantstimme sei notiert: 153 Tuccis in Hexametern verfasste, formvollendete Tragödie wird in ihrer Wirkung auf Deutschland gewürdigt von Fidel Rädle: Italienische Jesuitendramen auf bayerischen Bühnen des 16. Jahrhunderts, in: Richard J. Schoeck (Hg.): Acta conventus Neo-Latini Bononensis (1979), Binghamton, New York 1985, 303-312. 154 Körndle 2000; 2006, 484-486; 2007/ 2008; 2012, 219-223. Lassos Chöre waren (nach Körndle) vermutlich für eine Aufführung 1589 in Graz bestimmt; ob es eine Münchner Aufführung gegeben hat, ist unsicher. Von den sechs Chören, die Lasso nachweislich vertont hat (darunter ein von drei Propheten gesungenes Terzett), haben die zwei ersten sapphische Strophenform, es folgt ein Lied in ambrosianischen Dimetern und drei Chöre in Anapästen. Diese neben anderen Vertonungen metrischer Gedichte waren schon ediert in: Franz Xaver Haberl/ Adolf Sandberger (Hg.): Orlando di Lasso, Sämmtliche Werke, Leipzig 1894-1926 (Nachdruck 1973), Bd. 19 (1908). 155 Franz Körndle, dem die Identifizierung des Werks zu verdanken ist, spricht hier missverständlich von der „Tradition der einfacheren Sätze, die wir aus anderen Jesuitendramen kennen“ (Die Chöre in Jacob Bidermanns ,Cenodoxus‘, in: Helmut Gier [Hg.]: Jakob Bidermann und sein „Cenodoxus“, Regensburg 2005, 119-128, hier 125). 156 Sämmtliche Werke, Bd. 19 (s. oben Anm. 154), 53-57. 157 Im Gegensatz zu Senecas anapästischen Dimetern lassen neulateinische Dichter meist auch in der zweiten Hälfte des Metrum den Dactylus zu und behandeln dabei das Versende als echtes elementum anceps, sodass wie hier der Creticus für den Dactylus eintreten kann (während Seneca die Synaphie der Verse wahrt). 158 Besonders stark akzentrhythmisch ist (traditionsgemäß) die sapphische Strophe, Bd. 19 (wie oben), 44: Heu quis armorum furor in tyranno est usw.; vgl. 40: Flemus extremos hominum labores usw. <?page no="189"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 189 Lasso verfährt hier nicht anders als in seiner bekannten, höchst expressiven Vertonung der zweiten Epode des Horaz 159 und in einigen anderen Vertonungen berühmter antiker Gedichte. 160 Kompositionen dieser ganz freien Art scheinen sich auch sonst gelegentlich zu finden. So macht Max Wittwer, dessen kleine Sammlung jesuitischer Chormusik (1934) noch immer unersetzt ist, auf einen anderen Engelsgesang aufmerksam, der im Lazarus resuscitatus (1584) des Jacob Gretser SJ den Transport der Seele des Titelhelden in die Vorhölle begleitet. 161 In diesem vierstimmig polyphonen Satz sind die metrisch korrekten Sapphiker ( Aetheris regem socii canamus usw.) musikalisch nicht mehr wiederzuerkennen. Sollte etwa, wie vielleicht schon bei Macropedius, die freie Metrik ein Privileg der himmlischen Heerscharen sein? Unser Material reicht vorläufig nicht aus, um das zu entscheiden. Sicher dagegen ist, dass derselbe Ingolstädter Theologieprofessor Gretser uns irdischen Menschen ganz andere Sapphiker in den Mund legt. In seinem erst unlängst gedruckten Timon (1584) 162 finden wir in zwei vierstimmigen Chören die spätmittelalterlichen Sapphiker des Jacob Locher und Conrad Celtis wieder, im Wesentlichen nach dem Wortakzent, mit kleinen Varianten: Córda qui cúras rélevas onústa usw. 163 Diese bayerische Tradition hatte immerhin Methode und sorgte dafür, dass die einzelnen Verse als solche kenntlich blieben. Wenige Jahrzehnte später aber führte in Rom die Orientierung am Wortakzent zur völligen Auflösung auch einer einfachen Versstruktur. In dem für die römischen Jesuiten 1622 aufgeführten allegorischen Musikspektakel Consecratio SS. Ignatii et Francisci Xaverii des als genial berühmten Johann Hieronymus Kapsberger, 164 zerlegt 159 Wiedergegeben bei Draheim/ Wille 1985, 19-27. 160 Alle sechs einschlägigen Chorsätze (neben Horaz: Vergil, Seneca, Martial) behandelt Robert Forgács: Orlando di Lasso and Antiquity. His Latin Motetts with Classical Texts, Musik in Bayern 72/ 73, 2007/ 2008, 125-145. Auffallend ist, wie stark sich Lasso in Tityre tu patulae (Vergil, Eklogen 1) der quantitierenden Art der Humanistenode annähert (Forgács 2007/ 2008, 132-134). Dennoch überrascht, dass Lasso berühmt war für „observing the accent in French and quantitie in Latine“ ( Jacques Gohory, 1574, zustimmend zitiert bei Walker 1949, 55). 161 Wittwer 1934, Notenanhang Nr. I, dazu S. 79. Zur „nicht unbedeutenden Rolle der Musik“ in Gretsers Dramen vgl. vorläufig noch Dürrwächter 1912, 134-136. 162 Sonja Fielitz (Hg.): Jakob Gretser, „Timon, comoedia imitata“ (1584), München 1994; die Noten zu den zwei vierstimmigen sapphischen Chorliedern dort im Anhang (in Kopie des Originals und in Transkription durch Christian Kelnberger). Eine Transkription des einen Chorlieds ( Plute, tu solus usw.) auch bei Wittwer 1934, Anhang Nr. II und bei Körndle 2006, 484. 163 Wittwer 1934, 79 irrt, wenn er diese Lieder dem „Stil der metrischen Odenkomposition“ zuweist. Richtiger urteilte generell der von Dürrwächter 1912, 134 Anm. 2 befragte Dr. Widmann, Domkapellmeister in Eichstätt. 164 Den Hinweis auf dieses „Prachtballett mit Gesang, Tänzen, Dekorationen und Maschinenwundern“ verdanke ich Wittwer 1934, 81, der eine nähere Beschreibung gibt. <?page no="190"?> 190 Wilfried Stroh die persönlich singende Roma am Beginn ihres Auftrittslieds zwei jambische Trimeter in 5 Vierertakte, ohne die Versgrenzen zu würdigen, geschweige denn den Silbenquantitäten Beachtung zu schenken: Nondum propinqui / nuncius Phoebi / nitor Roseum se-/ reno dividit / mundo jubar? Hier löst sich nicht (wie oft bei Lasso) im Spiel der Polyphonie der antike Rhythmus auf. Vielmehr wird ihm, fast wie später bei Carl Orff, 165 gewalttätig ein anderer, rein musikalischer Rhythmus übergestülpt, wobei immerhin noch der (den Italienern teure) Wortakzent eine Brücke zum antiken Vers bildet. Während sich aus dem Trimeter hier ein Vierertakt ergibt, müssen sich ausgerechnet die auf Geradtaktigkeit gleichsam programmierten Anapäste der nachfolgenden Chöre einem Dreierrhythmus fügen. Aber es gab auch bei den Jesuiten, zumindest in Deutschland, metrische Rigoristen unter den Musikern. Fidel Rädle, bester Kenner des deutschen Jesuitentheaters, hat ein noch unveröffentlichtes Acolastus- Drama in Fulda, aufgeführt 1576, bekannt gemacht, bei dem wie in anderen Bearbeitungen des ‚Verlorenen Sohns‘ die (hier einmal ausnahmsweise erhaltene) Musik zur Illustration des Lotterlebens eine gewichtige Rolle spielt. 166 Und hier ist sie nun so perfekt metrisch, 167 dass sogar den ancipitia im Jambus, die Macropedius noch vernachlässigte, peinlich Rechnung getragen wird. Freilich nicht in der Weise, dass in einem schon vorhandenen Text die Kürzen kurz, die Längen lang vertont würden, wodurch ja die Isochronie zu Schaden käme, sondern so, dass schon vom Dichter in die Position der ancipitia grundsätzlich nur lange Silben 165 Ein Unterschied liegt darin, dass in Catulli Carmina (1943) der vom Gymnasialdirektor Eduard Stemplinger beratene Orff auch noch den Wortakzent auf dem Altar seiner motorischen Rhythmik opfert, sodass z. B. ein Hexameter mit fórtasse réquiris ausklingt . 166 Rädle 1988, 348-349; Rädle 2002, 193-196; Rädle 2013, 207-208; vgl. auch ders.: Acolastus - Der Verlorene Sohn. Zwei lateinische Bibeldramen des 16. Jahrhunderts, in: Theodor Wolpers (Hg.): Gattungsinnovation und Motivstruktur, Teil II, Göttingen 1992, 15-34. 167 Chor nach Akt 1: sapphische Strophen; Chor nach Akt 2: Phalaeceen; Chor eingelegt in Akt 3,6 (s. unten): jambische Trimeter; Chor nach Akt 3: stichische Asclepiadeen; Chor nach Akt 4: elegische Distichen; Chor (vor Epilogus): alcaeische Strophen. Richtig urteilt Körndle 2006, 482: „very similar to humanistic odes“. <?page no="191"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 191 gebracht werden ( - - ⏑ - usw.), wodurch sich ein zwar (nach unseren Begriffen) schräger, aber gleichmäßiger Siebenerrhythmus ergibt. Und nicht genug damit: Um die Symmetrie des Rhythmus noch zu unterstreichen, verbannt der Dichter die Penthemimeres, also das Wortende nach dem fünften Element, und gliedert seinen Trimeter, wie schon der Name nahelegt, nach den drei Metra. Wieder wie bei Tritonius haben wir einen vierstimmigen Satz, bei dem je zwei Verse musikalisch eine Strophe bilden (Akt 3,6, Bl. 14 v ): O quam liquor dulcis merum, nullum Deus Mortalibus donum dedit praeclarius. Wie man sieht, ist der Komponist nur an einer, einer einzigen Stelle in diesem Drama von der strengen Humanistenregel abgewichen: Er scheute sich, den Namen Gottes, Deus , zum Pyrrhichius zu verdünnen, und so längte er wenigstens im Diskant dessen erste, sinntragende Silbe. Überraschenderweise gibt uns aber offenbar gerade dieses metrisch rigorose Drama, wie Rädle gezeigt hat, 168 ein erstes Beispiel für das Eindringen rhythmischer, also (in mittelalterlicher Art) am Wortakzent orientierter Verse 169 in die Schauspielmusik. Auf dem Höhepunkt des vom verlorenen Sohn veranstalteten Gelages macht der Dichter folgende Regieanweisung (Bl. 18 v ): Chorus hoc loco canit cantionem sumptam ex Horlando, cuius initium est Aue color uini . Es handelt sich um ein mittelalterliches Trinklied, das, von Orlando di Lasso komponiert, 168 Rädle 1988, 348-349, mit den genauen Nachweisen. Das von Rädle in diesem Zusammenhang angeführte Chorlied aus dem vierten Akt (Bl. 24) ist trotz Tendenz zum Endreim metrisch, mit zwei Flüchtigkeitsfehlern in V. 11 und 12. 169 Unter ‚rhythmisch‘ verstehe ich jetzt und im Folgenden Verse, in denen die Silbenquantitäten vernachlässigt sind, dafür die Silbenzahl festliegt und (fast durchweg) eine bestimmte, meist alternierende Ordnung der Wortakzente angestrebt wird; Endreim ist dabei die Regel, aber nicht entscheidend. Zwischenformen ergeben sich dadurch, dass auch in metrischen Gedichten Endreim und bestimmter Akzentfall auftreten können. Der angestrebte Akzent hat natürlich auch genetisch nichts mit dem angeblich antiken ‚Iktus‘ zu tun. Fundamental bleibt Norberg 1958, 87-190; eher irreführend Paul Klopsch: Einführung in die mittellateinische Verslehre, Darmstadt 1972, bes. 12-16. <?page no="192"?> 192 Wilfried Stroh zwanzig Jahre zuvor das erste Mal im Druck erschienen und offenbar recht beliebt war (was es noch bis heute ist). Dieses hier einmontierte Lied war nicht metrisch wie das übrige Drama, sondern (natürlich auch in der Vertonung) rhythmisch: Ave color vini clari, Ave sapor sine pari, Tua nos inebriari Digneris potentia. Offenbar löst der Wein (und die moderne Musik) die Zunge vom metrischen Joch. Denn Vergleichbares finden wir elf Jahre später in Jakob Gretsers Udo von Magdeburg (1587), wo ebenfalls zum Besäufnis im Wirtshaus recht verschiedene heitere cantiones des Lasso, darunter auch immerhin eine rhythmische, von der Regie empfohlen werden: 170 Cantatur ex Orlando: […] Fertur in conuiuijs (Vagantenstrophe). Hier entartet die fröhliche Sing- und Zecherei schließlich sogar zu Reimen in der deutschen Muttersprache. 171 Soweit sind es nur von fremder Hand komponierte Rhythmen, die in Jesuitendramen eingebaut werden. Aber Rädle zeigt, dass bald darauf in Bayern auch schon eigene rhythmische Lieder gedichtet und (natürlich) vertont werden. Gerade ernsten geistlichen Inhalten scheint diese Tradition des christlichen Mittelalters angemessen. Im Münchner Drama de Godefrido Bullonio (aufgeführt 1596) erklingt dem in den Himmel aufgestiegenen Helden in der 5. Szene des 5. Akts diese, wie es heißt, sueta […] naenia , also ein „gewohntes“, oder doch an Gängiges angelehntes Totenlied: Omne genus hominum Sentit mortis spiculum usw. Ähnlich verfährt, wie Rädle zeigt, der bekannteste deutsche Jesuitendramatiker, Jakob Bidermann (1578-1639). In seinen erst postum, 1666, gedruckten Dramen hört man neben einem schon tradierten mittelalterlichen Jesus-Hymnus ( Philemon Martyr 4,1: Nil canitur suavius,/ Auditur nil jucundius usw. 172 ) auch einen von ihm selbst verfassten rhythmischen Gesang, wieder ein Totenlied ( Cenodoxus , IV 8): 173 170 Fidel Rädle (Hg.): Lateinische Ordensdramen des XVI. Jahrhunderts mit deutschen Übersetzungen, Berlin 1979, 400. 171 Vgl. auch Körndle 2006, 481-482. 172 Max Wehrli (Hg.): Jacob Bidermann, Philemon martyr, Köln Olten 1960, 202. 173 Rolf Tarot (Hg.): Jacob Bidermann, Cenodoxus, Tübingen 1963, 91. <?page no="193"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 193 Vixdum bene nascimur Cùm repentè morimur: Vita enim hominum Nil est nisi somnium. Wie diese frommen Christen so reimen aber auch die spielenden Kinder ( Josaphat 1,3, ebenso Macarius 2,1), wo jeweils Metren plötzlich in kindgemäße Rhythmen umschlagen: Cingite tempora floribus, Terram spargite roribus, Quidquid teritur pedibus, Rosa, ô rosa fiat. Die ersten zwei Verse sind noch leidliche daktylische Tetrameter (inspiriert aus Catull 61,6: cinge tempora floribus ), aber dann schlägt der kindliche Übermut zum Rhythmus um und längt die betonten Vokale: tēritur pēdibus (was für die Vertonung sicherlich keinen Unterschied machte). Ebenso hat es ein charakteristisches Ethos, wenn im Belisarius (1607) gerade die Soldateska in besonders primitiven Versen ihren Feldherrn preist: 174 Laudemus Belisarium, Qui nobis dat salarium. Sit bene Belisario, Qui nostro favet stomacho. Es leuchtet ein, dass diesen ungeschlachten Söldnern Rhythmen mehr als Metren konvenieren. Ähnlich wird beim Triumphlied, das die rohen Höllengeister im Cenodoxus (1609) anstimmen (4,7), der beim römischen Triumph übliche versus quadratus (katalektischer trochäischer Octonar) durch silbengleiche, rhythmische Trochäen ersetzt: Triumphate, cachinnate, reserate Tartara, / Jam superba anhelamus, & raptamus spolia usw. 175 Dagegen wird das bei Plautus in Cretici an die verschlossene Tür gesungene Paraklausithyron verwandelt in rhythmische jambische Dimeter ( Macarius 1,9): 176 O Delicatum ostium / Quas habes seras postium? Immer haben diese Rhythmen, wie man sieht, etwas ungehobelt Volkstümliches. Auf ein allerdings anders geartetes Beispiel hat Harald 174 Harald Burger: Jakob Bidermanns Belisarius. Edition und Versuch einer Deutung, Berlin 1966, 39. 175 Im Macarius (4,8) singt der Teufelschor schräge rhythmische jambische Quinare (! ): Ridete, cachinnate socii, / Si tantum vobis erit otii usw. 176 Jakob Bidermann: Ludi theatrales, 2 Bde., München 1666 (Nachdruck 1967), hier: Bd. 1, 357. <?page no="194"?> 194 Wilfried Stroh Burger den Finger gelegt. In dem von ihm edierten Belisarius findet sich ein Totenlied, das sich, meint er, „mit den Gesetzen der quantitierenden Metrik nicht erfassen“ lasse (2,9): AH miserandae somnia vitae; Quos perituris facitis ludos? Quid spectatum exponitis orbi usw. Aber hier handelt es sich, von der riskanten (und singulären) Elision in V. 3 abgesehen, um korrekte anapästische Dimeter in der Art Senecas. Das Besondere freilich ist - und das hat Burger richtig gefühlt -, dass diese Verse so eingerichtet sind, dass die Wortakzente ausnahmslos auf die Silbe am Anfang des Versfußes fallen: ÁH mise-rándae sómnia vítae , wodurch sich ein gleichmäßiger Akzentrhythmus ergibt. 177 Hier dringt in der Tat zwanglos ein rhythmisches Prinzip auch in die an sich metrische Dichtung ein - was die Vertonung erleichtern muss. Für den sich immer wieder einschleichenden Endreim gilt dasselbe. Aber diese Rhythmen sind, wenn uns nicht die Herausgeber von Bidermanns Dramen um vieles betrogen haben, 178 bei ihm gegenüber den metrischen Liedern entschieden in der Minderzahl; und, was wohl noch wichtiger ist, sie haben immer den Charakter von Einlagen, vertreten also nicht diejenigen Chorlieder, die nach der Regel des Horaz und der Praxis Senecas zwischen den Akten stehen. Dort regiert auch bei Bidermann die gestrenge Frau Metrica. So weit blieb das alles für uns ohne Noten. Aber nun hat Franz Körndle (2006), ohne dies selbst hervorzuheben, die ersten süddeutschen Beispiele (vierstimmig) komponierter rhythmischer Chorlieder entdeckt. Sie gehören zum 1597 in Regensburg von den Jesuiten aufgeführten Herodes defunctus; und schon die wenigen Zeilen, die Körndle (samt Noten) bisher aus der Wiener Handschrift mitgeteilt hat, 179 zeigen den in jambischen Quaternaren sich vom Metrum lösenden rhythmischen und reimenden Dichter: 177 Nicht zugelassen sind also Verse wie Seneca, Troas 67: Non rúde vulgus lacrimisque nóvum oder Bidermann, Josephus 4,9: Josephus ábest. Ubi Joséphus? 178 Die Herausgeber der Ludi theatrales (oben Anm. 176) bekennen in der Praemonitio , (†) 4: Choros […] Comedijs omnibus incinere voluit [sc. Bidermannus] ; ex quibus tamen nos aliquos certis de causis omisimus, probatioribus suo loco relictis ( angeblich um die Philologen zu ärgern - wohl weil diese, nach Vorbild von Plautus und Terenz, den Komödien keine Chorlieder gönnen). 179 Körndle 2006, 483. Ausführlicher zum ganzen Drama ders. in: Herodes und der Antichrist auf der Kollegienbühne, mälzels magazin 2, 2001, 4-8. Nicht richtig ist die offenbar wegen der Homophonie vorgenommene Zuordnung zur Humanistenode (Körndle 2006, 482). <?page no="195"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 195 Quanta mundi dignitas, Nulla spes est ho minum, Tanta rerum vanitas Fallax lex 180 mortalium. So fügen sich diese Verse auch zwanglos in einen Dreiertakt. Rhythmisches aus Straßburg Wenn auch in etwas anderer Weise als bei den bayerischen Jesuiten beginnt das rhythmische Prinzip sich zur selben Zeit auch im protestantischen Straßburg Geltung zu verschaffen. Eine Schlüsselfigur ist offenbar der damals berühmte, noch heute bekannte Thomas Walliser 181 - nach Lasso erst der zweite prominente Musiker, den wir nennen können -, der nach Studienreisen, unter anderem in Italien, seit 1599 in seiner Heimatstadt Straßburg Gymnasiallehrer für Musik und Literatur war. Er komponierte von spätestens 1598 an wohl den Großteil der Schauspielmusiken für das dort florierende Schultheater. Wie durch ein Wunder angesichts vieler Verluste 182 ist uns als erstes Zeugnis seiner Kunst ein fünfstimmiges Chorlied, genauer ein Siegeslied (nach 1 Sam. 18,7), aus dem Saul (1606) eines unbekannten Dichters, von welchem Drama wir sonst nur eine deutsche Übersetzung kennen, in Einzelstimmen erhalten. 183 Uns kann jetzt nur das Metrische beschäftigen. 184 Der Text ist der Idee nach metrisch (Trochäen mit Jamben wechselnd): Euge victor inclyte, Judaea quo triumphat. Mane te laudabimus, Crepusculo canemus. Saul mille stravit hostium David decem millia. Namque manus hostium spretis pugnavit in armis. 180 So wohl zu verbessern: Nach Körndle (ebd.) ist in der Handschrift in allen Stimmen zu lesen: les mortalium. 181 Nur ein Überblick bei Gunther Morche s.v. Walliser, Christoph Thomas, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil 17, 2007, 415-418: Er konstatiert 417 für die Bühnenmusiken „den ihm (Walliser) vertrauten leichten Tonfall der italienischen Canzonette“. Wertvoller ist hier die Dissertation von Ursula Klein (1964), die mir leider nur in einem, was die Noten anging, schwer lesbaren Microfilm zugänglich war. 182 Vierzehn Schauspielmusiken Wallisers sind sicher bezeugt, von Euripides, Medea (1598) bis zu Crusius, Heliodorus (1621). Die genauen Angaben bei Weber 1974, Bd. 2, 164-202. Die drei zu Andreas Saurs Drama Conflagratio Sodomae (1607) erhaltenen Chöre (Klein 1964, 148) waren mir noch nicht zugänglich. 183 Dr. Raymond Dittrich von der Proskeschen Musikabteilung der Bischöflichen Zentralbibliothek Regensburg war so freundlich, mir ein Digitalisat der gesamten Noten zukommen zu lassen. 184 Eine umfassende musikwissenschaftliche Interpretation gibt Klein 1964, 153-161. <?page no="196"?> 196 Wilfried Stroh Nur in den ersten zwei Versen ist das Metrum rein. Dann schießt in V. 3 die Silbe Saul über; danach wird der Rhythmus rein trochäisch, die betonten Silben von decem und manus werden gelängt, und eine zweite Hexameterhälfte ( - - - - ⏑ ⏑ - - ) bildet den überraschenden Abschluss. Wir sind also von der Mitte des Liedes an, passend zum militärischen Hintergrund, in rhythmischer Dichtung, und auch das Ganze hat, beginnend mit Eúge víctor ínclytè , einen durchgehend alternierenden Akzentrhythmus (Ähnliches haben wir bereits bei Bidermann beobachtet). So hatte Walliser schon von der Textvorlage her kaum einen Anlass, hier etwa in Art der Humanistenode das Metrum nachzubilden. Er wählte statt des bei Jamben und Trochäen näherliegenden Dreiertaktes einen zum Triumphlied passenden Viererrhythmus, wobei die erste Silbe von euge nicht länger als die zweite ist und das wirkungsvoll dreimal repetierte mille mille mille eine kurze erste Silbe bekommt: Ein partiell rhythmischer Text wird also durchaus sachgemäß vertont. Notiert sei der Anfang der Diskantstimme (die Taktstriche sind zugefügt): Wichtigster künstlerischer Partner Wallisers wurde der aus Pommern gebürtige Straßburger Gymnasial- und Akademieprofessor Kaspar Brülow. 185 Dieser verfasste dort von 1612 bis 1616 fünf teils aus der Bibel, teils aus der heidnischen antiken Literatur inspirierte Dramen, denen 1621 (bevor der Dreißigjährige Krieg das Straßburger Theaterleben beendete) ein letztes Stück nachfolgte. Leider sind uns vollständig nur Wallisers Noten zu Brülows erstem Stück, Andromede (1612), in einer späten Abschrift überliefert und bis heute nur bruchstückweise und unzulänglich ediert. 186 Dieses Drama begann mit einer dreistimmigen, von Instrumenten begleiteten Huldigungsode an den Magistrat von Straßburg (der nach seinen keltischen Ureinwohnern apostrophiert wurde): 187 Urbis Salve Trebocum / Ordo sacer Senatus usw. Das sind so weit ordentliche katalektische jambische Dimeter (genauer: Quaternare), aber im Fortgang löst sich das Metrum auf, sodass nur die Silbenzahl und die Länge bzw. Betonung der vorletzten Silbe erhalten bleibt: Tua vigebit fama, / Ducite secla multa / Et vultibus serenis / 185 Reiche Information bietet jetzt Hanstein 2013. 186 Über die Schicksale dieser Bühnenmusik, die nur in einer modernen Partitur von Eugène Wagner vorliegt, informiert Scheitler 2015, 55 Anm. 117. 187 Ich zitiere nach Weber 1974, Bd. 1, 865. Von der Musik zur Andromede kenne ich nur, was Weber ebd. 554-560 und 864-870 daraus nach offenbar eigener Transkription (556 Anm. 8) abdruckt. <?page no="197"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 197 Nostris favete ludis. Es sind nun letztlich rhythmische Verse (mit einer Tendenz zum Endreim), ähnlich wie bei Bidermanns Kinderlied im Josaphat, wobei hier aber mehr eine gewisse Nachlässigkeit als, wie beim bayerischen Jesuiten, ein Wille zur Charakterisierung vorliegt. Sicherlich machte auch die Musik keinen Unterschied zwischen Metrischem und Rhythmischem. Im Übrigen ist Brülow ein metrischer Könner und Experimentator, der im ersten Chorlied (609-626) 188 polymetrisch Trochäen mit Glyconeen, Adoneen und anderem mischt, im zweiten (1228-1241) aus katalektischen und akatalektischen jambischen Dimetern wirkungsvolle siebenzeilige Strophen formt. Das Überraschendste bringt aber das dritte Chorlied (1833-1846), zu dem endlich ein Teil der Noten ediert ist. Ein dreistimmiger Chor beklagt hier das Schicksal der Titelheldin Andromede, ein zweiter ebenfalls dreistimmiger Chor antwortet als Echo mit jeweils denselben Akkorden. 189 Dies sieht im Druck so aus: CHORUS CANENS , Echo O fax virginei pudoris! oris. Quo te fata iubent suprema abire? Obire. triste lethum? 1835 Laetum. praeda futura , dura, ferae? Vere. Eheu! heu! O nostrae columen decusque Ioppes, O spes. et patriae columna, alumna, 1840 Hinc tibi perenne nomen, Omen. tua fama scandet Superna castra. ad astra. Ergo, Andromeda, dulciter valebis, Vale bis. vale, VALE. 1845 Eheu! heu. Nur scheinbar sind die Echoeinreden hier willkürlich auf die Zeilen verteilt; und der raffinierte Brülow hat auch nicht so ganz, wie man meint, „auf ein Metrum verzichtet“. 190 Das Lied teilt sich deutlich in zwei Strophen, von denen die zweite (beginnend mit V. 1839 O nostrae columen ) in ihren ersten drei Versen silbengenau der ersten (1833-1835) korrespondiert: Auf zwei (am Anfang spondeische statt daktylische) alcaeische Zehn- (bzw. Neun-)Silbler ( O fax virginei pudoris ) 188 Den Text der Andromede zitiere ich nach der Onlineausgabe (mit Verszahlen) von Beck 2006. 189 Nach Morche (wie oben Anm. 181) hätte Walliser „die (! ) Librettisten, seine Gymnasialkollegen“, dazu angehalten „Echowörter in ihre Texte einzubauen“. 190 Hanstein 2013, 176. <?page no="198"?> 198 Wilfried Stroh folgt angehängt im Echo ein Trochaeus ( oris ); dann wiederholt sich dieselbe Figur, aber diesmal nur im ersten Chor, noch ohne Echo, das erst im nächsten Vers, einem katalektischen jambischen Dimeter nachgeholt wird. In der zweiten Strophe, soweit sie metrisch der ersten korrespondiert (1839-1841), ist das Echo wiederum anders platziert. Dann, von V. 1836 bzw. 1842 an gehen die beiden Strophen metrisch eigene Wege und finden erst beim Eheu! - heu zusammen. Wie weit sich dieses Spiel der Strophen in der Musik widerspiegelt, ist aus der bisher mitgeteilten Probe nicht zu erkennen. Aber schon diese zeigt klar, dass Walliser dem Text zwar hingebungsvoll folgt - man beachte nur das überschwänglich ausgestaltete O fax -, und durch weitgehende Homophonie für Verständlichkeit sorgt, dass er aber Metrik und Prosodie wenig beachtet, 191 sich vielmehr im Wesentlichen nach dem natürlichen Wortakzent richtet (die Taktstriche dürften von der Herausgeberin, Édith Weber, zugefügt sein). So wird denn in virginei die zweite, in jubent (und später in ferae ) die erste Silbe gelängt. Damit haben wir hier aber noch kein Beispiel rhythmischer Dichtung, die ja per definitionem einen fassbaren Akzentrhythmus haben müsste. Brülow bleibt Polymetriker, dessen Verse alle (wie in Senecas Polymetra) metrisch definiert sind, 192 ohne dass jedoch Walliser dem ernstlich Rechnung tragen müsste; sonst hätte Brülow ihm nicht den Reim ferae - vere zum Vertonen aufgegeben! 191 Richtig Klein 1964, 152-153. 192 V. 1836 Laetum. praeda futura , dura, ferae? lässt sich auffassen als ein Pherecrateus, dem ein Choriambus angehängt ist. Sonst haben wir übliche Verse. <?page no="199"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 199 Beide orientieren sich, trotz aller metrischen Schemata, an der im Elsass und sonst gängigen Aussprache. Das gilt auch für das jauchzende dritte Chorlied (2351-2364), 193 wo in jubilemus das u jubelnd gedehnt wird. 194 Unsere Beobachtungen werden bestätigt durch die Proben lateinischer Sprichwörter, die Walliser, in Kanonform vertont, seinem Lehrbuch der Figuralmusik Musicae figuralis praecepta brevia (1611) 195 beigegeben hat. Hier dehnt der Wortakzent nach Belieben, auch wenn es sich einmal um Verse handelt. 196 So erhält in der zweiten Pentameterhälfte […] more fluentis aquae , das an sich kurze a von aquae (in der seit Locher nicht unüblichen Weise) den doppelten bzw. vierfachen Notenwert. Diese Anweisung zur Komposition bleibt also ganz ohne prosodische Grundlage; wir sind meilenweit entfernt von einem Werk wie dem des Humanisten Salinas, De musica (1577, vgl. unten). Aus dem der Andromede folgenden Elias (1613) 197 ist ein von Walliser vertontes (hexametrisches) Chorlied singender Engel in eine spätere Sammlung geistlicher Musik (1672) aufgenommen worden. 198 Auch sonst handelt es sich hier in den Chorpartien um gängige metrische Maße. 199 Zum nächsten Drama Chariclia (1614) 200 gibt es zwar keine Noten, dafür findet man aber metrisch Neues: Erst hier nämlich vollzieht sich bei Brülow ein wirklicher Übergang zur rhythmischen Dichtung. 201 Nach Akt 1 (S. 22) singt ein Chorus musicus 202 nach drei Hexametern diese zwei Strophen, die wir sogleich nebeneinander schreiben (S. 22): 193 Weber 1974, Bd. 1, 559, 869. 194 Nach Weber 1974, Bd. 1, 869-870 (die auf Metrisches kaum eingeht) würde Walliser im vierten Chorlied (5. Akt, V. 2644-2655), wo Brülow höchst apart hinkende und nichthinkende jambische Dimeter alternieren lässt, im Geist („dans l’esprit“) der Humanistenode vertonen. Bevor ich die Noten gesehen habe, enthalte ich mich jeder Vermutung. 195 Musicae figuralis praecepta brevia […] ad captum tyronum accommodata , Straßburg 1611. Dort der Abschnitt Classis tertia exemplorum sive fugarum, L3 v -S3 r (das Beispiel: Nr. XVII). 196 Irreführend ist hier Klein 1964, 93: „Im allgemeinen ist der Text metrisch deklamiert“. 197 Elias drama tragicum sacrum , Straßburg 1613. 198 Viridarium musicum oder Musicalisches Lust-Gärtlein , Schwäbisch Hall 1672, hier: Nr. 17; das einzige Exemplar befindet sich offenbar in der Bibliothèque Nationale de France (mir bisher nicht zugänglich). Vgl. Klein 1964, 148. 199 Ein Überblick bei Hanstein 2013, 204. Hanstein irrt aber, wenn er bezüglich des Sprechverses einen Unterschied zwischen jambischen Senaren im Prolog und Trimetern im übrigen Drama ansetzt: Brülow schreibt überall Trimeter, und mit seiner Überschrift Iambici Senarij sind nach damaliger Terminologie eben Trimeter, nicht Senare nach unserer heutigen Festlegung gemeint. Vgl. oben Anm. 53. 200 Chariclia tragico-comoedia , Straßburg 1614. 201 Scherzhafte, z. T. an Sapphiker angelehnte gereimte Rhythmen findet man schon in der satirischen Szene (4,3) der Conflagratio Sodomae des Andreas Saur (Straßburg 1607): Hunc circumimus stultum adultum: / Vexemus illum in vultum incultum usw. Dieses Drama hat auch zwei polymetrische Lieder. 202 Offenbar aus der Bezeichnung Chorus musicus hier und S. 115 schließt Hanstein 2013, 304, dass hier „zum ersten Mal in einem Drama Brülows […] einzelne Chorgesänge von <?page no="200"?> 200 Wilfried Stroh Age prodi laeta cohors, Dulce Phoebo carmen ovat, XxXxXxXx Manu valente dimica, Fit pugna Pyrrho Martia, XxxXxXxX Finge libero pede choros. Festa Delphico sacra Deo. XxXxxXxXx Zwar lässt sich hier der jeweils zweite Vers noch metrisch (als jambischer Dimeter) deuten, aber sonst kann man eine Responsion zwischen den Strophen nur herstellen, wenn man auf Silbenzahl und Akzentfall sieht: Es sind rhythmische Verse, auch wenn sie nicht in eines der aus dem Mittelalter tradierten rhythmischen Schemata passen. 203 Ebenfalls rhythmisch, ohne Elisionen, singt am Ende des dritten Akts (S. 53-54) ein Räuberchor ( chorus latronum ): Iubilate Mercurio Deo, Cape preces aure prona bonus, XxXxXxXxXx Omnes Bessae | incolae. Maja Deus genite. XxXxXxX Iu! ju! laeta mente. Iu! ju! laeta mente. XxXxXx Numen & nomen eius Pelle pericla cuncta XxxXxXx Ferte | in astra laudibus. Nostrae saluti consule xxXxXxX Iu! ju! laeta mente. Iu! ju! laeta mente. XxXxXx Ille terrâ marique Tua rerum stupenda XxXxxXx Spolia dedit opima Carmine novo canemus XxxXxxXx Iu! ju! laeta mente. Iu! ju! laeta mente. XxXxXx Nur beim Namen ihres fragwürdigen Patrons Merkur (Str. 1,1) erlauben sich diese groben Gesellen vielleicht eine kleine Freiheit ( Mercurío statt Mercúrio ), sonst sind die je neun Verse der beiden Strophen, wie man sieht, akzentrhythmisch so perfekt aufeinander abgestimmt wie Strophe und Antistrophe einer griechischen Tragödie (an die Brülow ohne Zweifel denkt). Zwei kurze Lieder im vierten Akt bieten dann wieder gewohnte Metrik (katalektische jambische Quaternare und elegische Distichen). Aber überraschend ist ein weiteres kurzes Lied nach dem dritten Akt, das wiederum dezidiert unmetrisch ist, dessen Akzentrhythmus sich aber nicht klar fassen, vor allem nicht an einer Responsion festmachen lässt (man besingt ja auch die Fortuna lubrica ): Miserùm! cur tantas vices Fortuna lubrica versas? Cur premis insontem Charicliam? Cur non parcis Calasiridi seni? usw. Musikern begleitet“ werden. Wahrscheinlich handelt es sich aber nur um eine sprachliche Variante zum üblicheren Chorus canens . 203 Vgl. Hanstein 2013, 305, der die Dinge aber nur z. T. richtig erkennt. <?page no="201"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 201 Fast nur noch die Schreibung in Verszeilen macht hier den Unterschied zu einer Prosadeklamation aus. Vielleicht war nie zuvor die lateinische Poesie so nahe am modernen vers libre. 204 Im folgenden Stück, Nebucadnezar (1615) , 205 tritt ein musikfreier Chorus Israelitarum loquens auf, bei dem wohl einzelne Sprecher im Wechsel rezitieren. 206 Wiederum ist jede metrische Bindung aufgegeben und auch kein fühlbarer Akzentrhythmus vorhanden. Hier ist es aber der aus der Bibel geläufige Ton der Psalmen, dem Inhalt nach der Bußpsalmen, in dem die Kinder des erwählten Volks nicht etwa eine Laune Fortunas (wie in der heidnischen Chariclia ), sondern die Strafe für ihre eigenen Sünden beklagen. So beginnt das ‚Lied‘ (549-551): QUàm deserta jacet urbs Sacrosancta! Populata lue, ferro, igne, fame. Violavit leges Jerusalem domini usw. Auch als der Chor zum Singen übergeht (V. 582-584), findet er noch kein Versmaß, wogegen ausgerechnet ein Chor von neugierigen Babyloniern die Juden in metrischen Anapästen und Jamben auffordert, etwas aus ihrem alten Jerusalemer Repertoire zum Besten zu geben (585-587): Non lacrymas vos poscimus istas: Hymnum cantate nobis De canticis Sionis. Darauf antworten die Kinder Israel unter anderem mit einem Psalmzitat (136,2), aber, wohl weil sie ohne Saitenspiel sind, nur in Rhythmen (595-597): 204 Zum späteren Auftreten einer Art freien Verses in den ‚literarischen Inschriften‘ des 17. Jahrhunderts s. den Beitrag von Stefan Tilg in diesem Band. 205 Ich zitiere nach der jetzt leicht zugänglichen Ausgabe von Hvilshøj Andersen-Vinilandicus 2016; dort sind jeweils auch die Seitenzahlen des Originaldrucks ( Nebucadnezar , Straßburg 1615) angegeben. 206 Der seit von Liliencron 1890, 343 verbreiteten Meinung, hier und in ähnlichen Fällen sei an echte Sprechchöre (wie in zeitgenössischen Aufführungen der Antigone oder der Braut von Messina ) zu denken, widerspricht mit scheinbar guten Gründen Scheitler 2015, 32-33, 50-52. In der Tat dürfte, wenn in den Drucken oder Handschriften ein Chorus loquens einem Chorus canens zur Seite gestellt wird, oft oder in der Regel an das Sprechen einzelner Choreuten zu denken sein (wie schon in der Antike bei Trimeterpartien). Dass aber doch manchmal im Chor auch gemeinsam gesprochen wurde, bezeugt unzweideutig Alexander Donatus in seiner Ars Poetica, Köln 1633, 235: Postremo Chorus non modò canentis, sed etiam loquentis partis agit [ … ]. modo autem vnus pro omnibus: modo plures vel omnes vna tanquam voce loquuntur ; zitiert schon von Wittwer 1934, 81. <?page no="202"?> 202 Wilfried Stroh Remota sunt pendentia Cymbla, lyrae & organa In ramis saliceti! Erst als sie am Ende des Akts zum grausamen Fluch über Babylon ausholen, haben sie wieder die Kraft zu metrischen Jamben. Auch sonst sind Rhythmen und Metren bei Brülow in diesem Stück nicht etwa nach ethnischen Gesichtspunkten eindeutig verteilt, sondern eher den verschiedenen Situationen angemessen. Die Heiden besingen zur Instrumentenbegleitung 207 in Rhythmen die Hure von Babylon (1375-1379, 1723-1727, 208 wiederholt nach V. 1754); unmetrisch psalmodierend ist der die Bibel zitierende Gesang der Männer im Feuerofen (1841-1844). Der Prophet Ezechiel (1564-1610) und eine ebenso autoritative Vox divina (10-19 u. ö.) äußern sich in Hexametern. Königin Nicrotis betet zu ihren Götzen in recht ramponierten Anapästen (718-726). Und ein übernationaler Chor der „Tageszeiten“ ( partium dierum ), besingt in wiederum korrekten Phalaeceen die Regelmäßigkeit im Wechsel der Zeit (2305-2313). Im Julius Caesar (1616) 209 sind die dem Diktator zujubelnden Akklamationen eines das römische Volk repräsentierenden Chorus canens (S. 22: Salve Caesar! patriae pater! usw.) mehr unmetrisch als eigentlich rhythmisch. 210 Erst ganz am Schluss des ersten Akts (S. 23) gehen regelrechte Rhythmen unmerklich in echte Metren, die aber immer noch akzentrhythmisch reguliert sind, über. Ausgerechnet ein Chorus canens der ungeschlachten Luperci singt dagegen am Ende des zweiten Akts (S. 44-45) ein rein metrisches Lied (meist Jamben) in zwei korrespondierenden Strophen. Wiederum ein metrischer Chor aus Hinkjamben, von Göttern und Römern gemeinsam gesungen, beklagt am nächsten Aktschluss (S. 63) den Tod Caesars. Der vierte Akt endet (S. 84-85) mit einem ungewöhnlichen Chor (in dem es um die gerechte Vergeltung für den Mord geht): Wie in einem griechischen Chorlied korrespondieren, ohne dass sie so bezeichnet wären, Strophe und Antistrophe, größtenteils metrisch, 211 an zwei Stellen aber nur rhythmisch ( Meritas luit ~ Placidus regnat ; sequitur culpam ~ 207 Dazu Hanstein 2013, 367-368. 208 Unbegreiflicherweise spricht Hanstein 2013, 352, ebenso Hvilshøj Andersen-Vinilandicus 2016, 494, von „trochäischen Tripodien“. Allenfalls könnte man hier partiell fehlerhafte katalektische jambische Dimeter ansetzen. 209 Caius Julius Caesar tragoedia , Straßburg 1606. 210 Hanstein 2013, 413 versucht zu Unrecht eine metrische Deutung. 211 Hanstein 2013, 412 Anm. 1082 konstatiert richtig an der jeweils dritten Stelle einen trochäischen Quaternar; interessant ist (im Hinblick) auf die Vertonung auch seine Beobachtung, dass die übrigen Verse jeweils zehn Silben haben; sonst ist seine metrische Deutung nicht nachzuvollziehen. Nicht richtig auch Anm. 1084. <?page no="203"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 203 veniunt bona ). Wie hier, so sind in der dritten (besonders regellosen) Strophe die einzelnen Versformen so gut wie frei ad hoc erfunden. Brülows letztes und größtes Drama Moses (1621) 212 scheint Rhythmen und Metren wenigstens ein Stück weit zur Charakterisierung von Heidnischem und Jüdischem zu verwenden. Am Ende des ersten Akts (S. 30) verehren die judenfeindlichen Ägypter ihre mitgebrachten Götzen in Rhythmen: QVibus numinibus / Cultum sacrum feremus? / Vobis, Aegyptii Patroni usw., wogegen Moses und die Seinen, nachdem sie glücklich durchs Rote Meer gekommen sind, in leidlich korrekten anapästischen Dimetern ausgiebig ihrem Gott danken (S. 79-82): Magnificas victoris Domini / Laudes cujus veneranda manus usw. 213 Als aber dann die Israeliten ihrerseits dem Götzendienst verfallen und um das goldene Kalb tanzen, verwenden sie freie, kurzatmige Rhythmen ähnlich wie zuvor die Ägypter (S. 104-105, 108): Salitate, cantitate / Vitulo Deo nostro usw. Aber Brülow führt diesen Gegensatz keineswegs konsequent durch. Am Ende des vierten Akts feiern die wieder fromm gewordenen Israeliten die Errichtung der Stiftshütte in Rhythmen, die aber nun nicht mehr frei, sondern durch Reim, Silbengleichheit und akzentrhythmische Responsion gebunden sind: QUàm dilecta Tabernacula Vivi Dei! Quàm jucunda sunt tentoria Montis sancti! Dem folgt eine Serie von rein metrischen Adoneen (die naturgemäß immer auch festen Akzentrhythmus haben): Foederis arca, / Cedrina mensa usw.; den Schluss des Akts aber bilden wieder einmal vier Verse, die wie Anapäste aussehen, aber freirhythmisch sind und mit ihrem ‚parallelismus membrorum‘, nicht zum ersten Mal bei Brülow, wie Psalmenverse klingen: Atrium sanctum operuit nubes! Et gloria altissimi implevit tectum! usw. 212 Moses sive exitus Israelitarum ex Aegypto, tragico-comoedia sacra , Straßburg 1621. 213 Nicht erkannt von Hanstein 2013, 516-517. Zum Unterschied zwischen Senecas anapästischen Dimetern und neulateinischen Adaptationen s. oben Anm. 157; zu dem dort Notierten kommt die Nichteinhaltung der Mittelzäsur. Ein paar wenige Ungereimtheiten wie (S. 181, Moses V. 4) tu dux facilis gressus < ⏕⏕ > könnten an der Überlieferung liegen (vgl. im folgenden Vers das unsinnige † asseito †). - Das refrainartig wiederholte Bibelzitat Cantemus Domino etc. (nach Exodus 15,1) bleibt als heiliger Text unmetrisch. <?page no="204"?> 204 Wilfried Stroh Kein Zweifel: Brülow kann, wenn er will, Rhythmen und Metren differenziert zur Charakterisierung verwenden. Aber dies muss nicht der Fall sein; und keinesfalls erklärt diese Absicht, warum seine Chorlyrik von der Chariclia an zunehmend rhythmisch wird. Musik und rhythmische Dichtung: Rückblick und Ausblick Um dies und überhaupt die allgemeine Zunahme rhythmischer Dichtung im 17. Jahrhundert zu verstehen, müssen wir noch einmal in die Musikgeschichte blicken. Wir sahen ja, wie von Anfang an die antike Metrik in einem Spannungsverhältnis zur neueren Musik stand. Die lyrischen, insbesondere etwa die äolischen Odenverse des Horaz mit ihrem Wechsel von viermorigen ( - - ⏑ bzw. - - ) und dreimorigen ( - ⏑ ) Einheiten ließen sich nicht mit dem modernen Bedürfnis nach Isochronie bzw. mit dem Taktsystem in völlige Übereinstimmung bringen. Nun lehrt zwar die heutige Musikwissenschaft sicherlich zu Recht, dass ‚Takt‘ im modernen Sinn, d. h. als eine geregelte Folge mehr und weniger akzentuierter (bzw. schwerer und leichter) Taktteile im sechzehnten Jahrhundert noch nicht existiere, indem tactus damals nur eine rein zeitlich regulierende Schlageinheit bedeute, wogegen unser ‚Akzentstufentakt‘ (Heinrich Besseler) 214 erst um 1600 zunächst in tanznaher Musik aufkomme. 215 Aber dies kann nicht bedeuten, dass nicht schon früher ein Bedürfnis bestanden hätte, die Musik in isochrone Einheiten zu teilen - auch wenn diese nicht durch einen (später mit Taktstrich angezeigten) schweren Taktteil markiert waren. Das bezeugen nicht nur die von uns behandelten, mit Cochlaeus beginnenden Versuche, horazische Verse isochron auszugleichen, sondern, wenn ich nicht irre, auch der wichtigste, obschon nicht immer leicht verständliche Theoretiker des Rhythmus im 16. Jahrhundert, Franscico Salinas ( De musica , 1577). Im ausdrücklichen Anschluss an Augustins eigenwillige Pausentheorie 216 ( De musica , bes. Buch 4) legt Salinas dar, dass die Pause in der Musik auch darum nötig sei, damit „im Kontinuum der Metren der Takt ( plausus ) mit gleichmäßiger Maßeinheit ( aequabili mensura ) voranschreite“ (S. 357) und erläutert das z. B. am Sapphiker (den auch wir vorzugsweise behandelt haben): Iam satis terris nivis atque dirae . Hier wollte Augustin ( De musica 4,18) nach den drei ersten Silben ( Iam satis ) eine Pause von einer More ( tempus ) 214 Heinrich, Besseler: Das musikalische Hören der Neuzeit, Berlin 1959. 215 Vgl. etwa Wilhelm Seidel s.v. Rhythmus, Metrum Takt, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Sachteil 8, 1998, 257-317, bes. 259-260 (Definition von ‚Takt‘) und 281 (zum 16. Jahrhundert); knapp informativ: Karl Heinrich Wörner: Geschichte der Musik, Göttingen 8 1993 (neu bearb. von Wolfgang Gratzer u. a.), 195. 216 Leider kaum ergiebig hierzu Beat A. Föllmi: Das Weiterwirken der Musikanschauung Augustins im 16. Jahrhundert, Bern u. a. 1994, 98-103. <?page no="205"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 205 machen, weil damit ein Ausgleich zum Ditrochaeus am Ende hergestellt werde. Salinas stimmt ihm zu und gibt entsprechende Notenbeipiele (S. 360-361), macht aber dann einen ihm einfacher ( commodiùs ) scheinenden Gegenvorschlag (der auch uns wegen der Zäsur näher zu liegen scheint): Man teile den Vers in zwei membra : 1. - ⏑ - - - (creticus, spondeus) und 2. ⏑ ⏑ - ⏑ - - (paeon tertius, spondeus). Jetzt bestehen beide membra aus jeweils zwei zeitmäßig ungleichen Teilen. Macht man aber jeweils am Ende des Spondeus eine Pause von einer More ( tempus ), so entspricht der erste Spondeus (mit nunmehr 5 Moren) dem vorausgehenden Creticus, ebenso der zweite Spondeus (mit ebenfalls 5 Moren) dem vorausgehenden dritten Paeon. Der ganze Vers besteht nunmehr aus (5 + 5) + (5 + 5) Moren. Die Isochronie ist gerettet, und das Ganze lässt sich in einem Fünfertakt, oder, wie Salinas sagt, nach dem „Gesetz von je fünf Moren singen“: & poterit ad legem quinorum temporum cantari (S. 361). Diese Theorie ist nicht ganz so grau wie sie scheint. Als ich 1993 einen bewährten Musicalkomponisten, Martin Keeser, damit beauftragte, für eine Aufführung von Senecas Tragödie Troas 217 unter anderem zwei sapphische Chorlieder quantitätsrichtig zu vertonen, nahm er sich für deren eines die Erlaubnis einer Pause - und geriet so von selbst auf die Lösung von Salinas, die in diesem Fall sogar einen echten Ohrwurm ergab. Aber es kommt nicht darauf an, ob auch je im 16. Jahrhundert ein Sapphiker so vertont wurde; entscheidend ist, dass nach dem Zeugnis des Salinas schon damals eine Diskrepanz von Odenmaß und Musik gefühlt wurde. Sie auszugleichen, gab es (solange der ‚Iktus‘ unbekannt war) verschiedene Möglichkeiten: 1. Man hielt sich gemäß der Normalaussprache an den Wortakzent und konnte sich so einen taktartigen Rhythmus ermogeln; die Silbenquantitäten blieben dabei auf der Strecke. Das war die Lösung z. B. von Locher, im Grunde noch von Walliser. 2. Man ignorierte Wortakzent und Isochronie, um die reine Silbenquantität im Verhältnis von 2: 1 zu erhalten. Das war die Lösung von Celtis bzw. Tritonius und seiner Schule. 3. Man versuchte die Silbenquantitäten, ohne sie aufzugeben, durch leichte Abweichung vom 2: 1-Schema so zu modifizieren, dass Isochronie hergestellt wurde. Das war die von Cochlaeus und vor allem Macropedius eröffnete Methode. Sie war elegant, aber letztlich nicht völlig befriedigend, einmal wegen der Abweichung von der strengen Quantitätsregel als solcher, zum andern, weil hier mehr als bei den anderen Methoden, auch bei Tritonius, der natürliche Wortakzent z. T. verloren ging: Laudibús largám celebremus erga . 218 Uns Heutigen macht das nichts aus, 217 Stroh, Wilfried: Staging Seneca. The Production of ,Troas‘ as a Philological Experiment [zuerst dt., 1994], in: John G. Fitch (Hg.): Seneca, Oxford 2008, 195-215, zum Chor 212- 215. 218 Dass schon hier eine Vorstufe zum späteren Iktieren liegt, habe ich in meinem Aufsatz von 1979 noch nicht beachtet. <?page no="206"?> 206 Wilfried Stroh da uns von der Schule eingeimpft wird, Verse mit falscher Betonung auszusprechen. Solange aber Latein eine quasi lebendige, täglich gesprochene Sprache war, d. h. vom Mittelalter bis weithin ins 18. Jahrhundert, wurden Sprechverse grundsätzlich, wenn auch nicht ausnahmslos, wie Prosa mit allen einschlägigen ‚Unarten‘ (Dehnung betonter kurzer Vokale, Vernachlässigung der Position u. a.) gesprochen. Was den Trimeter angeht, machte Richard Bentley (1726) bekanntlich einen gewissen Reformversuch, 219 ohne aber damit auf die Bretter des Schultheaters durchzudringen: Wer die vom jungen Mozart (in Apollo et Hyacinthus , 1767) vertonten Trimeter hört, bekommt einen genauen Eindruck davon, wie er und die Salzburger Benediktiner, für die er komponierte, solche Verse gesprochen haben - ohne jede Rücksicht auf die Quantität, wie man halt Latein sprach (s. unten). Und so haben überhaupt die meisten Lateinkomponisten bis ins 19. Jahrhundert vom Wortakzent sich nicht lösen wollen, nicht nur beim Gloria in excelsis Deo , sondern auch beim horazischen Integer vitae . Damit war die Bahn für die rhythmische Poesie bereitet, die sich nun in den Gesangspartien des lateinischen Schultheaters allmählich durchsetzte. Mit ihr wurden ja die zwei großen Probleme gelöst, die bei der metrischen Dichtung verblieben waren: Zum einen bestand nun zwischen Taktsystem und Wortrhythmus kein Zwiespalt mehr, was umso wichtiger war, als sich ja, wie die Musikwissenschaftler lehren, gerade um 1600 das Taktprinzip in Form des uns heute selbstverständlichen ‚Akzentstufentakts‘ machtvoll durchsetzte: Eine rhythmische Sequenz wie Stabat mater dolorosa / iuxta crucem lacrimosa machte dem Takt keine Schwierigkeiten; sie fügt sich von Palestrina bis Penderecki in jeden Rahmen. Der zweite Vorzug war, dass bei rhythmischen Gesangstexten die natürliche Aussprache erhalten blieb; es musste dazu eben nur das antike Versschema aufgegeben werden. Dabei spielte sicherlich auch eine Rolle die Affinität zur modernen italienischen Oper, die ja von Hause aus keine Sapphiker und keine binäre Scheidung von kurzen und langen Silben kannte, dafür aber natürliche Betonung und den Endreim. Wenn sich ein Musiker wie Walliser ohnehin nur um Akzente, nicht um Silbenquantitäten kümmerte, mochte es seinem Dichter Brülow zunehmend unwichtig scheinen, beim Tanz um das goldene Kalb prosodisch zwischen salitate und cantitate zu unterscheiden. Und doch sind Brülows herbe Rhythmen von den gefälligen Reimen des Stile nuovo fühlbar verschieden. Wo fänden wir bei bei ihm z. B. eine Arie, die den Schmelz hätte wie etwa diese einschmeichelnden Verse aus der frühesten uns erhaltenen Oper ( Euridice von Ottavio Rinuccini und Jacopo Peri, 1600): 219 Im berühmten Schediasma de metris Terentianis seiner Terenz-Ausgabe; dazu Stroh 1979, 5 Anm. 18; 17 (mit Verweis auf die Untersuchung von Kapp); Stroh 2000, 214-215. Darum hielt Nietzsche Bentley für den großen Verderber der Metrik. <?page no="207"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 207 Cruda morte, ahi pur potesti Oscurar sì dolci lampi! Sospirate aure celesti Lacrimate, o selve, o campi. 220 Überhaupt hat ja der in der Oper so wichtige Reim gerade bei Brülow, im Gegensatz zum späteren lateinischen Musiktheater, noch kaum eine Bedeutung. Man vergleiche mit einer solchen Arie etwa noch einmal das schön rhythmische Lied ( Moses 3,8): Salitate, cantitate Vitulo Deo nostro. Ductitate choros in orbem Vitulo Deo nostro. Quatite pede terram Vitulo Deo nostro. usw. Aber vielleicht noch aussagekräftiger, um die Bedeutung der Oper für die rythmische Dichtung einzuschränken, ist das Beispiel der bayerischen Jesuiten, in deren Rhythmen, wie wir gesehen haben, das Christliche und Mittelalterliche durchschlägt, nicht etwa die welsche Muse. So kann man wohl behaupten: Der Weg vom Metrischen zum Rhythmischen, wie er sich in der Musik des lateinischen Theaters im 17. und 18. Jahrhundert manifestiert, 221 vollzog sich im Wesentlichen nach einer inneren Notwendigkeit, weniger auf Grund äußeren Einflusses. Damit ergibt sich nebenbei die Lösung eines Problems, das man längst gesehen, aber m. W. noch nicht gelöst hat: warum überhaupt die mit der Renaissance so kraftvoll begonnene Vertonung antiker Texte im 17. und weithin noch im 18. Jahrhundert abgestorben ist. 222 Celtis hatte ein für allemal gezeigt, wie horazische Oden eigentlich richtig zu vertonen wären, eben secundum naturas et tempora syllabarum et pedum . Und wenn man auch an den etwas trockenen Melopoiae des Tritonius herummäkelte, gegen die Methode als solche hat (vor dem 19. Jahrhundert) m. W. niemand opponiert. Aber mit den musikalischen- Bedürfnissen der Zeit waren diese taktfreien Gebilde nicht mehr in Einklang zu bringen. Und so gab man, als offenbar um 1600 das Taktprinzip eine neue 220 Selbstverständlich finden sich vergleichbar gereimte Arien in den späteren Dramen der Jesuiten und Benediktiner. 221 Schöne Beispiele, 1655 beginnend, bietet die Dissertation von Wittwer (1934) im Notenanhang Nr. III-X. 222 Vgl. bes. Draheim 1981, 44 mit einer verzweifelten Erklärung. <?page no="208"?> 208 Wilfried Stroh Qualität erreichte, zugleich mit der Humanistenode 223 die Komposition antiker Gedichte zunehmend auf. Nicht die alten Dichter waren bei den Musikern unbeliebt geworden, sondern ihre Metrik. Auch die Entstehung des ‚Iktus‘, der bis heute in Deutschland herrschenden schulmäßigen Versbetonung, findet hier ihre Erklärung. 224 Der ‚Iktus‘ war ja, wie jeder leicht empfindet, nichts anderes als das ins Metrische übertragene Taktprinzip: Integer uitae scelerisque purus lässt sich mit isochronen Abständen zwischen den betonten Silben lesen. Rochus von Liliencron (1887) meinte einst, schon Celtis habe so mit dem Taktstock in der Hand seine Schüler dirigiert, was mit Sicherheit unrichtig war. 225 Für Macropedius könnte es aber vielleicht eher stimmen, denn seine taktgemäße Vertonung des Sapphikers Laudibus largam celebremus erga usw. deckt sich jedenfalls bereits, wenn auch ungewollt, mit unseren ‚Ikten‘. 226 Und so hat hier das Jahrhundert der Renaissance dem Barockzeitalter zumindest vorgearbeitet. Dass man dann aber wirklich begonnen hat, auf die ‚iktierende‘ Weise lateinische Verse zu lesen, zeigen sprechend die deutschen Nachbidungen antiker Versmaße. Statt dem (schon Locher’schen) Akzentschema „Gótt hat uns gúnnet, dás wir hónd das lében“ (Sixt Birck, 1539) hört man ein Jahrhundert später „Wélche Régenwólke hat dích verstékket“ ( Johann Klaj, 1645); und gar schon 1616 schreibt Johannes Kepler ‚iktierende‘ Glyconeen: „O Der seligen Wanderzeit / Drin ich fröhlich von hinnen scheid“ usw. Die Musiker freilich haben sich lange Zeit um diese Entwicklung in der Lateindidaktik nicht gekümmert, sondern sind, wenn überhaupt Metrisches zu vertonen war, dem seit dem Altertum unverrückt bewahrten Wortakzent treu geblieben. Aber lieber als alles Metrische musste ihnen nun Rhythmisches sein. Die weitere Entwicklung, sozusagen ‚vom Metrum zum Rhythmus‘, nachzuzeichnen, 227 ist eine Aufgabe, der ich im Augenblick nicht völlig gewachsen bin. Ganz schnell und geradlinig scheint sie nicht gegangen zu sein. Noch der 223 Deren Ende, meist begrüßt, manchmal auch bedauert, wird in der Regel auf ihre musikalische Dürftigkeit zurückgeführt. 224 Vgl. schon Stroh 1979, 15-16. Aus diesem Aufsatz auch die unten angeführten deutschen Verse. 225 S. oben Anm. 83. 226 Als gewissermaßen Großvater des ‚Iktus‘ erweist sich Macropedius auch darin, dass er am Beginn seiner Prosoedia (eingesehen in der Ausgabe Köln 1562) den Vortrag von Vergil, Aeneis 1,1 durch Noten so erläutert, dass jeweils die longa am Beginn des Versfußes den höheren Ton erhält. 227 Über den Rahmen meines im Wesentlichen auf Deutschland beschränkten Beitrags hinaus gehen die Beispiele rhythmischer Lieder aus englischen Universitätskomödien, die Rädle 1988, 355-361 beibringt. - Verblüffend ist, dass Janning 2005 in den Chorliedern der 140 von ihm untersuchten Dramen (Repertorium S. 319-386) nichts Rhythmisches findet (vgl. oben Anm. 13). Er geht allerdings kaum über die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts hinaus. <?page no="209"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 209 im siebzehnten Jahrhundert bedeutendste Jesuitendramatiker des deutschen Westens, der in Köln und Trier wirkende Jacob Masen (1606-1681), verwendet in seinen Tragödien und Tragikomödien 228 immer metrische Chorlieder; diese klingen jedoch, besonders wenn ein Reim hinzukommt, schon gelegentlich wie Rhythmen, z. B. in Androphilus (S. 436) : Vive, gaude, Rex beate. / Vive, plaude, Rege nate usw. Nur gerade in seiner antialkoholischen Komödie Bacchi schola eversa , in der er (wie in anderen Komödien) auch die Regeln für den Sprechvers erweitert, lässt er echte (und recht bissige) Rhythmen zu (S. 312-313): 229 Est in orbe Germanorum Infinitus numerus Sapientum, ac Stultorum; Quanquam Stultis vincimus. Anders als er hält der in Wien so ungewöhnlich erfolgreiche Nicolaus von Avancini SJ (1611-1686) zwar äußerlich an der metrischen Gestalt seiner Chorlieder fest, gestaltet diese aber mit Akzent und Endreim oft so, dass sie wie Rhythmen klingen (was gelegentlich schon etwa bei Macropedius oder Bidermann vorkam). So beginnt ewa der lyrische Prolog zu S. Idda 230 mit gereimten Trochäen, die ebenso metrisch wie rhythmisch interpretierbar sind: Spirat aura, servit unda; / Sorte navis it secundâ . Was nachfolgt, sind der Idee nach metrische anapästische Monometer, sie werden aber in gewöhnlicher Aussprache als rhythmische Adoneen gehört und sicherlich so auch komponiert: Núlla procélla / Frémit in bélla (später korrespondiert: Pósiti flúctus / Glómerant lúctus ). Wenn aber tatsächlich einmal nach rhythmischem Prinzip ein Tribrachys (statt des erlaubten Dactylus) sich in die Anapäste mischt, wie in Gloria fortes amat alumnos , 231 so rechtfertigt dies Avancini nicht mit der Rücksichtnahme auf die gängige Aussprache ( āmat ), sondern ausdrücklich zum einen mit dem Vorbild von Caussin u. a., zum andern mit der Berücksichtigung der Musik ( euphoniae magis grat [ i ] â ad Musicam, quàm necessitate ). 232 Was natürlich nicht heißen kann, dass ihn die Musik zu einer solchen ‚falschen‘ Messung genötigt hätte; wohl aber, dass es dem Musiker gleichgültig war, ob er amat alumnos oder etwa 228 Seine Dramen sind als Muster der Gattung abgedruckt in seiner Palaestra eloquentiae ligatae , Bd. 3: Dramatica: quae complectitur Poesin Comicam, Tragicam, Comico-Tragicam , Köln 1657. 229 S. 312-313; vgl. S. 305-307. - Zum Sprechvers: In den ernsten Stücken schreibt Masen korrekte Trimeter, in den Komödien sind die Verse weniger reguliert und meist etwas länger. Sie sollen wohl den römischen Senaren entsprechen, sind aber keineswegs identisch mit diesen. 230 Poesis dramatica , Pars 4, Duderstadt 1679, 294. 231 Poesis dramatica , Pars 1, Köln 1674, 170. 232 Ebd. in der unpaginierten Vorrede an den Leser. <?page no="210"?> 210 Wilfried Stroh malit alumnos zu vertonen hatte. Man spürt, wie Avancini einerseits rhythmisch dichten, anderseits doch der Tradition treu bleiben möchte. Dagegen beobachten wir bei seinem wenig jüngeren österreichischen Zeitgenossen, dem größten Bühnendichter des Benediktinerordens, Simon Rettenpacher (1634-1706), eine zu immer größerer Freiheit führende Entwicklung, die dieser selbst dokumentiert, indem er seine Selecta Dramata in chronologischer Ordnung herausgegeben hat. 233 In den vier Dramen von Osiris (1671? ) bis zu Perseus (1674) und noch in Pax terris reddita (1678? ) sind alle Lieder streng metrisch in den üblichen Formen; dann bietet Rosimunda (1675) zuerst auch Polymetrisches (S. 342-343), ebenso Callirhoe (1677, S. 370-372, 378). Der Übergang zum Rhythmus vollzieht sich in dem Homers Penelope verherrlichenden Drama Prudentia Victrix (1677), in dem zunächst zwei Freier der Umworbenen in so wütenden Versen übereinander herfallen, dass ihre Reime sich der Metrik entziehen (S. 487-488); das gilt auch für anderes und besonders für das einschmeichelnde, schon fast ‚italienische‘ Lied, mit dem sich Penelope die Arbeit am Webstuhl versüßt (S. 498-500): Candidâ luce / Telam quam texo, / Minervâ Duce / Nocte retexo usw. Dabei empfindet Rettenpacher so von der Musik her, dass er ihr einmal sogar den Wortakzent opfert (S. 503): Dulcis beatitudo, Quam fugit horror! Amata solitudo Ut excitas cor! Das Musikdrama Juventus (1682) schließlich vollendet die Reihe: Bis auf den Prolog ist es ohne Sprechverse, rein lyrisch, größtenteils rhythmisch. Wo Rettenpacher aufhört, setzt, wiederum im Westen, Paul Aler SJ (1656-1727) fort. Wie vielleicht keiner vor ihm, macht er offenbar die Musik, die uns leider spurlos verloren ist, zur Seele seiner Dramen. Und während seine Sprechverse im klassischen Trimeter verfasst sind, regiert in den Gesangstexten der mittelalterliche Rhythmus. Dass gerade Aler auch das Deutsche als Zweitsprache in seinen Dramen zulässt, passt, wie Fidel Rädle gezeigt hat, 234 ins Bild. Ein Novum dabei ist, wenn ich nichts übersehen habe, dass Aler sich als erster Bühnendichter ausdrücklich dafür entschuldigt, dass er der Musik zuliebe von der klassischen Metrik abweiche: scito, quod in Ariis, major ratio Musicae, quam metri haberi 233 Selecta dramata diversis temporibus conscripta, & in Scenâ recitata , Salzburg 1683; Faksimilenachdruck hg. von Benno Wintersteller: Simon Rettenpacher, Dramen, Teil 1, Berlin 2007. 234 Rädle 1994, bes. 864. Durch Rädles Aufsatz wurde Alers Bedeutung zum ersten Mal wirklich erschlossen. <?page no="211"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 211 debuerit . 235 Als guter Lateinlehrer hatte er wenigstens einen Hauch von schlechtem Gewissen, wenn er jacet mit lang gesungenem a auf ebensolches tacet reimte. 236 Einige Jahrzehnte später sagt dasselbe noch deutlicher und instruktiver Andreas Friz SJ (1757): 237 In choris […] metrum veteribus usitatum neglexi, ut me hodiernae musicae, veterum dimensionibus [Silbenquantitäten] parum assuetae, accommodarem. Es war nicht die Musik, sondern die „heutige“ Musik mit ihrem gestiegenen Taktbedürfnis, die die Bühnenmusik der Lateiner umgestaltet hat. Kühnere Reime als Aler und Friz leisten sich andere. In Johann Kaspar Kerlls 238 bis heute berühmter, durchkomponierter Jesuitenoper Pia et fortis mulier (1677) reimt sich schon in den ersten Nummern hora auf mora und chordae auf corde . Der wohl erfolgreichste Autor des musikalischen Jesuitentheaters, Johannes Paullinus, entzog sich dagegen den Gewissensnöten des strengen Lateiners, indem er seiner (in 34 Städten gespielten) Philothea (1643) 239 ein dialogisches Libretto aus zusammenmontierten Bibelversen zugrundelegte. So brauchte er weder seinen Text noch die Vertonung nach dem Wortakzent zu rechtfertigen. Wieder anders verfuhren diejenigen Jesuiten, die, nachdem schon einmal für die Gesangspartien das Metrum aufgegeben war, nun auch den Sprechvers vom metrischen Joch des Trimeters befreiten und ihre Personen Prosa sprechen ließen: So der Jesuit Bidermann in seinen letzten Dramen, so in Frankreich Nicolaus Caussin, 240 so der von Rädle wiederentdeckte Georg Bernardt SJ (dessen Lieder bzw. Chöre, 1621-1626, fast durchweg rhythmisch sind), 241 so auch etwa „die 235 Zitiert nach Rädle 1994, 864; dort ein weiteres wichtiges Zitat. Vgl. immerhin schon Cochlaeus (oben mit Anm. 133), der aber keine Dramen schreibt. 236 Innocentia victrix sive Genovefa, Köln 1706, 4. 237 Tragoediae duae, et totidem dramatia, Wien 1757, unpaginierte Vorrede an den Leser. 238 Vera Ann Kochanowsky: Johann Kaspar Kerll’s ‚Pia et Fortis Mulier‘ (1677). An Edition and Commentary, Diss. Stanford 1988. Zur Würdigung als „bedeutendstes Werk“ der Jesuitenoper im 17. und 18. Jahrhundert vgl. Wittwer 1934, 87-88. 239 Gründlich behandelt von Münch-Kienast 2000. 240 Hermenigildus , 1620 (mit ausführlicher Begründung); die Chöre bleiben aber metrisch. 241 In Akt 4, Szene 5 von Bernardts Thomas Becket ( Pluite, fontes, properate, rivi usw.) sieht der Herausgeber Fidel Rädle (Georg Bernardt [1595-1660]: Dramen IV, Amsterdam 2008, die Verse dort auf S. 200) „metrisch gebaute, aber den natürlichen Wortakzent nach Möglichkeit wahrende Verse“ (ebd. 279); es sind aber akzentrhythmische Sapphiker, die ihr Akzentschema vom metrischen Sapphiker ( Ínteger uítae scelerísque púrus ) übernehmen. Das ist mittelalterlich, s. oben Anm. 27. Dasselbe gilt für die akzentrhythmischen Sapphiker und Phalaeceen in Theophilus 5,2 (Georg Bernardt [1595-1660]: Dramen I, Amsterdam 1984, 132). Anders Rädle 1984, 196, der aber auf S. 134 richtig metrische Phalaeceen (aber mit festem Akzentfall) erkennt - eine völlige Ausnahme! Fidel Rädle weist mich bei Abschluss dieser Arbeit darauf hin, dass inzwischen ein weiteres Drama Bernardts, Celeusma , ein „musikalisches Festspiel“ (Konstanz 1626), aufgetaucht ist. <?page no="212"?> 212 Wilfried Stroh erste bekannte Oper in Tirol“, Tyrolis pacifica (1646) 242 und später die musikalischen Meditationsdramen von Franz Lang SJ und (großenteils) Rupert Ignaz Mayr 243 sowie die Tragödien des soeben erwähnten Andreas Friz SJ (1757). Auf dem Papier wurde die Prosa deutlicher als auf der Bühne. Trimeter wurden ja seit je in normal moderner Prosadiktion gesprochen und waren somit als solche kaum zu hören. 244 Eine kuriose Sonderform dieses Zwitters bietet das bis heute aufgeführte schönste Beispiel des musikalischen lateinischen Schultheaters, des elfjährigen Mozarts Apollo et Hyacinthus (1767), dessen Libretto von Rufinus Widl OSB verfasst wurde: Chorlied und Arien sind dort rhythmisch und gereimt; die als Sprechverse beibehaltenen Trimeter wurden aber ausnahmsweise durchkomponiert, natürlich wie schiere Prosa - nicht weil Vater Leopold dem Söhnchen kein Latein beigebracht hätte, sondern weil noch damals alle Welt so sprach. Aber am Schluss unseres sehr summarischen Überblicks über Musik, Rhythmus und Metrik soll Deutschlands größter Lateiner im 17. Jahrhundert stehen: Jacob Balde. Schon 1637 hatte er als Rhetoriklehrer in Ingolstadt seine Tragödie Jephte aufgeführt; 1654 brachte er sie in erweiterter Fassung zum Druck: 245 Eine dem Zeitgeschmack entsprechende Liebesgeschichte war eingefügt worden. Vor allem aber waren zwar nicht in dem metrischen Text selbst, sondern in einem Anhang dazu Melodramatica , d. h. rhythmische, gereimte Lieder mitsamt entsprechenden Melodien beigegeben, die man offenbar bei einer Aufführung verwenden konnte oder sollte. Balde ist es nicht ganz wohl dabei, da seine Chorlieder an sich den eruditae aures hätten genügen können, „auch ohne stimmliches Getöse“ ( etiam absque vocali tumultu ) - was gemeint ist, wird sich alsbald zeigen; und er behauptet, damit nur den hartnäckigen Bitten anderer gefolgt zu sein - freilich, sagt er, nicht sine ratione . Diese ratio ist nun überraschend. Balde hebt nicht etwa darauf ab, dass Rhythmen populärer seien als Metren - und überhaupt nur im Fall einer einzigen Nummer soll bei ihm ein rhythmisches Substitut den metrischen Text ersetzen 246 -, sondern auf anderes: Die Erfahrung 242 Dazu Tilg 2002, 36-37, das Zitat ebd. 45. Die Lieder sind hier schon ganz im italienischen Stil gereimt. 243 Lang (1717); zu dieser Form des Musiktheaters vgl. Marianne Sammer: Die Fastenmeditation, München 1996. 244 Andreas Friz in der zitierten Vorrede (oben Anm. 237) entschuldigt seine Tragödienprosa damit, dass er nur für die Praxis ( usui ), nicht für den Druck ( typo ) geschrieben habe. Nur im Druck eben ließen Trimeter sich erkennen. 245 Iephtias tragoedia , Amberg 1654, angehängt: Melodramatica , Amberg 1654 (diese fehlen in den Nachdrucken in Baldes Poemata , 1660 und Opera poetica omnia , 1729). 246 Das Classicum Jephtaei Exercitûs ( Melodramatica , 4-5) soll offenbar, wie angegeben, für den Chorus Actûs II, fol. 64 (gemeint die Verse ab Tanti signa Ducis usw.) eintreten. Bei allen anderen Liedern notiert Balde mit Pro usw. die Stelle, an der das Lied einzufügen ist, <?page no="213"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 213 lehre, dass „volkstümlichen Liedern“ ( popularibus cantilenis ), die man „in ihrer natürlichen Süßigkeit strömen lasse“ ( naturali suavitate effusis ) eine „gewisse Anmut“ ( aliquid gratiae ) innewohne, die den hochvirtuosen Gesangskünstlern“ abgehe. Und nun hebt Balde an zu einer Attacke gegen das „pedantisch verfertigte Durcheinander“ ( anxiè compositum chaos ) der zeitgenössischen Vokalmusik. 247 Im Sinne der Antike sei es doch die Aufgabe der Chöre gewesen, die Gefühle durch die Ohren ins Gemüt dringen zu lassen. Und eben das habe er selbst mit seinen schlichten, fast rustikalen Weisen erreichen wollen. Ein liebliches Beispiel, vielleicht von Balde selbst komponiert, 248 mag zur Illustration genügen. Ariphanasso, ein verliebter ägyptischer Jüngling schmachtet in den rhythmischen Jamben einer Serenade ( Melodramatica , 3): 249 Suspiro dudum percitus, amore Menulemae, Aut Nympha votis annue, aut lucis vsum deme. In Fata certus irruo. Te sine malo mori. Prae qua venustas horror est: jucunda sunt dolori. usw. vgl. unten Anm. 249). Irrig war meine Darstellung in Wilfried Stroh: Baldeana, München 2004, 302-303; vgl. Rädle 1988, 361. 247 Flemming, 1923, 228 setzt diese Kritik doch wohl zu Unrecht gleich mit der an einem verweichlichten, eunuchenhaften Gesangsstil in Balde, Lyrica 1,29. 248 Dazu Norbert Tschulik: Zwei Beiträge zum Theater des Barock. Die Musik zu Baldes ‚Jephtias‘ und Weißenbachs ‚Contrafeth‘, Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 114, 1977, 359-377: Tschulik weist nach, dass immerhin zwei der dreizehn Melodien „aus dem Medienrepertoire jener Zeit“ (d. h. aus Flugblättern) stammen (ebd. 366). Das muss nicht für alle gelten. 249 Einzufügen nach Balde: Pro Actu II, Scen. VI, fol. 58 , also wohl vor den Glyconeen Virgo turture castior usw. Das Es im Bass von Takt 6 scheint ein unerklärlicher Satzfehler zu sein (Hinweis von Dr. Bernd Edelmann). <?page no="214"?> 214 Wilfried Stroh Balde geht es hier also zumindest vordergründig nicht um Metrisches, sondern er polemisiert gegen ein modisches Musikdrama, in dem besonders auch durch ein Zuviel an Polyphonie ( tumultus, chaos ) 250 der schlichte Ausdruck der Empfindungen Schaden nehme (könnte er etwa an Werke wie die Philothea seines Ordensgenossen Paullinus denken? ). Offenbar hatten ihm Freunde geraten, sein altes Drama musikalisch neu aufzupolieren. Dem gibt er mit leichtem Seufzen nach, aber nicht ohne wenigstens seine eigene Weise von einer herrschenden Musikmode abzusetzen. Freilich war mit dieser seiner Entscheidung für musikalische Einlagen offenbar auch gegeben, dass er sich zu rhythmischen Versen, die er sonst ja mied, verstehen musste. Metrisches im Stil der Zeit zu vertonen, war damals wohl schon weithin aus der Mode gekommen - wie sich das auch aus zwei anderen von Baldes Werken ergibt. 251 Als leidenschaftlicher Musikfreund hat er zu seinem die Magerkeit verherrlichenden Agathyrsus (1638) Liednoten beigesteuert (die noch immer hörenswert sind), aber, weil dieses Gedicht metrisch war, erst zu den von ihm in verschiedenem Maß verfassten deutschen Versionen ( Agathyrsus Teutsch , 1647). 252 Ebenso hat er sein noch erfolgreicheres Gedicht De vanitate mundi (zuerst 1636) erst in einer späteren, rein deutschen Auflage (1653) mit Noten versehen. Und sein populärstes Marienlied, den Ehrenpreiß (1638), hat er für die Sodalen der Congregatio Mariana überhaupt nur auf deutsch gedichtet und (falls er selbst es war) auch komponiert; die späteren (1648) lateinischen und metrischen Fassungen seiner Freunde (und seiner selbst) hatten dann mit Musik nichts mehr zu tun. Als er schließlich der 1649 verstorbenen Kaiserin Leopoldine eine rührende Chorea mortualis schrieb, gab er seinen deutschen Versen eine eigene Melodie bei und dazu passend eine lateinische Übersetzung - natürlich in Rhythmen : Eheu, quid homines sumus! Vanescimus, sicuti fumus. Vana, vana Terrigenum sors, Cuncta dissipat improba Mors. 250 Mit seiner offenkundigen Ablehnung der Polyphonie konnte Balde sich auf Musiktheoretiker des Humanismus berufen; dazu Walker 1949, 56-61. Die Musik der Griechen galt den meisten damals als einstimmig. 251 Die Musik zu Baldes Werken behandelt zusammenfassend Tschulik in dem oben (Anm. 248) zitierten Aufsatz. Die hier nicht ausführlich nachgewiesenen Werke sind leicht zugänglich über http: / / stroh.userweb.mwn.de/ balde-bib.html (mit Links). 252 Dass man in seinem Magerkeitsverein schon die lateinische Fassung als Bundeslied gesungen hätte, ist eine verbreitete, aber unrichtige Behauptung. <?page no="215"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 215 Zum ersten Mal konnte man also lateinische Verse von Meister Balde auch singen. Aber eben keine Verse in den klassischen Maßen. Die Zeit einer musica metrica ging damals vorerst zu Ende. 253 Literaturverzeichnis Adel, Kurt: Das Wiener Jesuitentheater und die europäische Barockdramatik, Wien 1960. Albrecht, Hans: Humanismus und Musik, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 6 (1957), 894-918. Bauer, Barbara/ Leonhardt, Jürgen (Hg.): Triumphus Divi Michaelis Archangeli Bavarici - Triumph des Heiligen Michael, Patron Bayerns (München 1597), Regensburg 2000. Beck, Jan-Wilhelm (Hg.): Caspar Brülovius, ‚Andromede‘, Tragoedia (1612), http: / / www.uni-regensburg.de/ sprache-literatur-kultur/ lateinische-philologie/ medien/ fabulae-neolatinae/ tragoediae/ brulovius__andromede.pdf (datiert auf 2006). Benz, Lore: Celtis, Horaz und die Musik, in: Ulrike Auhagen/ Eckard Lefèvre/ Eckart Schäfer (Hg.): Horaz und Celtis, Tübingen 2000, 13-24. Bloemendal, Jan/ Norland, Howard B. (Hg.): Neo-Latin Drama and Theatre in Early Modern Europe, Leiden 2013. Brunken, Otto: Johannes Reuchlin (1455-1522). Scenica progymnasmata. Hoc est: Ludicra preexercitamenta (Henno), in: Theodor Brüggemann (Hg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Vom Beginn des Buchdrucks bis 1570, Stuttgart 1987, 331-344. Büeler, Gustav: Petrus Dasypodius - Peter Hasenfratz. Ein Frauenfelder Humanist des XVI. Jahrhunderts, Frauenfeld 1920. Coppel, Bernhard: Jakob Locher Philomusus (1471-1528). Musenliebe als Maxime, in: Paul Gerhard Schmidt (Hg.): Humanismus im deutschen Südwesten, Stuttgart 2000, 151-178. Creizenach, Wilhelm: Geschichte des neueren Dramas, Bd. 2., Halle (Saale) 2 1918; Bd. 3 (bearbeitet von Adalbert Hämel), ebd. 2 1923. Derks, Paul: Die sapphische Ode in der deutschen Dichtung des 17. Jahrhunderts. Eine literaturgeschichtliche Untersuchung, Diss. Münster 1970. Dietl, Cora: Die Dramen Jacob Lochers und die frühe Humanistenbühne im süddeutschen Raum, Berlin 2005 [mit Edition der Dramen, ohne Noten]. 253 Für Rat und Hilfe danke ich Dott. Francesca Bonomini (München), Prof. Dr. Cora Dietl (Gießen), Dr. Raymond Dittrich (Regensburg), Prof. Dr. Fidel Rädle (Göttingen), Prof. Dr. Wener Schubert (Heidelberg), für Hinweise aus der Praxis ganz besonders der Leiterin der Neuen Freisinger Hofmusik, Sabina Lehrmann (Freising). Am tiefsten verpflichtet bin ich meinem Kollegen vom Musikwissenschaftlichen Institut der Universität München, Dr. Bernd Edelmann: Er hat mit unschätzbarer Sachkenntnis alte Schlüssel und Zeichen enträtselt, mich auf sachliche Versehen hingewiesen und sowohl die Umschrift als auch den Notensatz selbst übernommen. <?page no="216"?> 216 Wilfried Stroh Draheim, Joachim: Vertonungen antiker Texte vom Barock bis zur Gegenwart (mit einer Bibliographie der Vertonungen für den Zeitraum von 1700 bis 1978), Amsterdam 1981. Draheim, Joachim/ Günther Wille (Hg.): Horaz-Vertonungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Eine Anthologie, Amsterdam 1985. [mit Notenbeispielen] Dürrwächter, Anton: Jakob Gretser und seine Dramen. Ein Beitrag zur Geschichte des Jesuitendramas in Deutschland, Freiburg i.Br. 1912. Erlach, Thomas: Unterhaltung und Belehrung im Jesuitentheater um 1700. Untersuchungen zu Musik, Text und Kontext ausgewählter Stücke, Essen 2006. Flashar, Hellmut: Die Anfänge der neuzeitlichen Schauspielmusik. Zum antiken Drama und zur Antike in der frühen Oper, in: Manfred Kraus (Hg.): Hellmut Flashar, Ausgewählte Kleine Schriften, Amsterdam 1989, 553-561. [zuerst 1988] Flemming, Willi: Geschichte des Jesuitentheaters in den Landen deutscher Zunge, Berlin 1923. Ford, Philip/ Bloemendal, Jan/ Fantazzi, Charles (Hg.): Brillʼs Encyclopaedia of the Neo-Latin World, Leiden 2014. Geary, Jason: Incidental Music and the Revival of Greek Tragedy from the Italian Renaissance to German Romanticism, in: Peter Brown/ Suzanna Ograjenšek (Hg.): Ancient Drama in Music for the Modern Stage, Oxford 2010, 47-66. Gingerick, Virginia: The ,Ludus Diane‘ of Conrad Celtes, The Germanic Review 15, 1940, 159-180. Grijp, Louis Peter: Macropedius and Music. Georgius Macropedius as a Composer of Songs for the Theatre and Other School Performances, in: Jan Bloemendal (Hg.): The Latin Playwright Georgius Macropedius (1487-1558) in European Contexts, Turnhout 2009, 57-83. Hanstein, Michael: Caspar Brülow (1585-1627) und das Straßburger Akademietheater. Lutherische Konfessionalisierung und zeitgenössische Dramatik im akademischen und reichsstädtischen Umfeld, Berlin 2013. Hartmann, Karl-Günther: Die humanistische Odenkomposition in Deutschland. Vorgeschichte und Voraussetzungen, Erlangen 1976. Holstein, Hugo: Johann Reuchlins Komödien. Ein Beitrag zur Geschiche des lateinischen Schuldramas, Halle (Saale) 1888. [mit Edition u. a. des Henno ] Houle, George: Meter in Music, 1600-1800. Performance, Perception, and Notation, Bloomington 1987. Hvilshøj Andersen-Vinilandicus, Peter (Hg.): Caspar Brülow, Nebucadnezar (1615), Berlin 2016 [mit der deutschen Übersetzung von Johann Christoph Stipitius]. Janning, Volker: Der Chor im neulateinischen Drama. Formen und Funktionen, Münster 2005. Jundt, August: Die dramatischen Aufführungen im Gymnasium zu Strassburg, in: Protestantisches Gymnasium zu Strassburg, Programm auf das Schuljahr 1881/ 1882, 3-68. Kabell, Aage: Metrische Studien II. Antiker Form sich nähernd, Uppsala 1960. <?page no="217"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 217 Klein, Ursula: Christoph Thomas Walliser (1568-1648). Ein Beitrag zur Musikgeschichte Straßburgs, Diss. Austin, Texas 1964. Körndle, Franz: ,Ad te perenne gaudium‘. Lassos Musik zum ,Vltimum Judicium‘, Die Musikforschung 53, 2000, 68-70. [eingegangen in Körndle 2012, 219-223] Körndle, Franz: Between Stage and Divine Service. Jesuits and Theatrical Muse, in: John W. O’Malley/ Gauvin Alexander Bailey/ Steven J. Harris/ T. Frank Kennedy (Hg.): The Jesuits II. Cultures, Sciences, and the Arts 1540-1773, Toronto 2006, 479-497; Nachdruck in: Philippe Vendrix (Hg.): Music and the Renaissance. Renaissance, Reformation and Counter-Reformation, Barnham 2011, 543-561. [zitiert wird nach der Erstausgabe, 2006] Körndle, Franz: Lassos Musik für das Theater der Münchner Jesuiten, Musik in Bayern 72/ 73, 2007/ 2008, 147-158. Körndle, Franz: Musik im frühen Theater der Jesuiten, in: Gerlinde Huber-Rebenich (Hg.): Lehren und Lernen im Zeitalter der Reformation. Methoden und Funktionen, Tübingen 2012, 211-226. Liliencron, Rochus von: Die Horazischen Metren in deutschen Kompositionen des 16. Jahrhunderts, Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 3, 1887, 26-91. [mit den Noten] Liliencron, Rochus von: Die Chorgesänge des lateinisch-deutschen Schuldramas im XVI. Jahrhundert, Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 6, 1890, 309-387. [mit den Noten] Münch-Kienast, Barbara: ‚Philothea ‘ von Johannes Paullin. Das Jesuitendrama und die ‚Geistlichen Übungen‘ des Ignatius von Loyola, Aachen 2000. Norberg, Dag: Introduction à l’étude de la versification latine médiévale, Stockholm [1958]. Pindter, Felicitas: Die Lyrik des Conrad Celtis, Diss. masch. Wien 1930. Pirker, Renatus: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der vierstimmigen Humanistenode, Musicologica Austriaca 1, 1977, 136-153. Pohle, Frank: Glaube und Beredsamkeit. Katholisches Schultheater in Jülich-Berg, Ravenstein und Aachen (1601-1817), Münster 2010. Prüfer, Anton: Untersuchungen über den außerkirchlichen Kunstgesang in den evangelischen Schulen des 16. Jahrhunderts, Diss. Leipzig 1890. Rädle, Fidel: Über mittelalterliche lyrische Formen im neulateinischen Drama, in: Michael Borgolte/ Herrad Spilling (Hg.): Litterae medii aevi, Sigmaringen 1988, 339-362. Rädle, Fidel: Zur lateinisch-deutschen Symbiose im späten Jesuitendrama, in: Rhoda Schnur (Hg.): Acta conventus Neo-Latini Hafniensis - Proceedings oft the Eighth International Congress of Neo-Latin Studies, Copenhagen 12 August to 17 August 1991, Binghamton 1994, 857-868. Rädle, Fidel: Musik und Musiker auf der Bühne des frühen Jesuitentheaters, in: Ulrich Konrad (Hg.): Musikalische Quellen - Quellen zur Musikgeschichte, Göttingen 2002, 187-202. <?page no="218"?> 218 Wilfried Stroh Rädle, Fidel: Jesuit Theatre in Germany, Austria and Switzerland, in: Jan Bloemendal/ Howard B. Norland (Hg.): Neo-Latin Drama and Theatre in Early Modern Europe, Leiden 2013, 185-292. Rasch, Rudolf: Latin Words to Music, in: Philip Ford/ Jan Bloemendal/ Charles Fantazzi (Hg.): Brillʼs Encyclopaedia of the Neo-Latin World, Leiden 2014, 519-536. Riemer, Jessica: Zwischen ,gelehrter‘ und ,freier‘ Tradition. Horaz-Vertonungen in der Frühen Neuzeit, in: Hermann Wiegand (Hg.): Strenae nataliciae. Neulateinische Studien, Heidelberg 2006, 127-153. Schäfer, Eckart: Deutscher Horaz. Conrad Celtis, Georg Fabricius, Paul Melissus, Jacob Balde - Die Nachwirkung des Horaz in der neulateinischen Dichtung Deutschlands, Wiesbaden 1976. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit, Bd. 1: Materialteil, Tutzing 2013; Bd. 2: Darstellungsteil, Tutzing 2015. Schmid, Manfred Hermann: Musica theorica, practica und poetica. Zu Horazvertonungen des deutschen Humanismus, in: Helmut Krasser/ Ernst A. Schmidt (Hg.): Zeitgenosse Horaz. Der Dichter und seine Leser seit zwei Jahrtausenden, Tübingen 1996, 52-67. Schnur, Harry C. (Hg.): Johannes Reuchlin. Henno, Komödie, Lateinisch und Deutsch, Stuttgart 1970. Schütz, Alfred: Die Dramen des Konrad Celtis, Diss. masch. Wien 1948. Sicking, Christiaan M. J., Griechische Verslehre, München 1993. Staehelin, Martin: Horaz in der Musik der Neuzeit, in: Walther Killy (Hg.): Geschichte des Textverständnisses am Beispiel von Pindar und Horaz, München 1981, 195-209. Stemplinger, Eduard: Das Fortleben der horazischen Lyrik seit der Renaissance, Leipzig 1906. Stemplinger, Eduard: Horaz im Urteil der Jahrhunderte, Leipzig 1921. Stroh, Wilfried: Der deutsche Vers und die Lateinschule, Antike und Abendland 25, 1979, 1-19. Stroh, Wilfried: Arsis und Thesis - oder: wie hat man lateinische Verse gesprochen? , in: Jürgen Leonhardt/ Georg Ott (Hg.): Wilfried Stroh, Apocrypha. Entlegene Schriften, Stuttgart 2000, 193-216. [zuerst 1990] Stroh, Wilfried: Jan Novák. Moderner Komponist antiker Texte, in: Inken Jensen/ Alfried Wieczorek (Hg.): Dino, Zeus und Asterix. Zeitzeuge Archäologie in Werbung, Kunst und Alltag heute, Mannheim 2002, 249-263. Thomas, Henry: Musical Settings of Horaceʼs Lyric Poems, Proceedings of the Musical Association 46, 1919/ 1920, 73-97. Tilg, Stefan (Hg.): Spes aurei saeculi - Hoffnung auf ein goldenes Zeitalter oder Tyrolis pacifica. Ein Innsbrucker Jesuitenschauspiel zur Hochzeit Erzherzog Ferdinand Karls mit Anna von Medici (1646), Innsbruck 2002. Walker, Daniel Pickering: Der musikalische Humanismus im 16. und frühen 17. Jahrhundert, Kassel 1949. <?page no="219"?> Metrik und Musik im lateinischen Schuldrama 219 Weber, Édith: Musique et théâtre dans les Pays Rhénans, Bd. 1: La musique mesurée à l’antiquité en Allemagne; Bd. 2: Le théâtre humaniste et scolaire dans les Pays Rhénans, Paris 1974. Wille, Günther: Musica Romana. Die Bedeutung der Musik im Leben der Römer, Amsterdam 1967, 222-305. Wittwer, Max: Die Musikpflege im Jesuitenorden unter besonderer Berücksichtigung der Länder deutscher Zunge, Diss. Greifswald 1934. Zinn, Ernst: Der Wortakzent in den lyrischen Versen des Horaz, Diss. München 1940; Nachdruck Hildesheim 1997, mit Nachwort von Wilfried Stroh. <?page no="221"?> Das „italienisch Latein“ der venezianischen Oratorien am Beispiel der Juditha triumphans (Antonio Vivaldi/ Giacomo Cassetti) Christian Guerra einige Stellen der Musik waren unendlich schön, der Text vollkommen singbar, so italienisch Latein, daß man an manchen Stellen lachen muß. ( Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise, Eintrag vom 3. 10. 1786) Es liegt in der Natur der Sache, dass die Forschung zum lateinischen Versoratorium von der Musikwissenschaft und der Musikgeschichte beherrscht ist und die Frage nach seiner metrischen Ausgestaltung bis anhin nur oberflächlich behandelt worden ist. Man hat sich mit der Feststellung begnügt, dass „die gebräuchlichen italienischen Versmaße, lediglich der lateinischen Sprache angepasst“, 1 zu finden seien. Ist die Aussage auch grundsätzlich zutreffend, 2 so bedarf sie doch einiger Präzisierungen. 1. Historischer Hintergrund Im November 1716 an der Pietà in Venedig uraufgeführt, lange verschollen, 1926 wiederentdeckt und 1941 erstmals wiederaufgeführt, ist das sacrum militare oratorium 3 Juditha triumphans devicta Holofernis barbarie (RV 644) das einzige 1 Geyer 2004, 37. 2 Wie im Italienischen ist die Metrik akzentuierend, prosodisch sind die akzenttragenden betonten Silben zwingend lang, die unbetonten Silben kurz gemessen. Ebenso tritt i. d. R. beim Aufeinandertreffen zweier Vokale über die Wortgrenze hinweg Synalöphe ein, im Wortinnern Synizese. 3 Zum venezianischen Oratorium vgl. Geyer 2004; Steffan 2002; Leopold 1978. Zur Geschichte des Oratoriums vgl. Speck 2003; Smither 1977; Bianchi 1969. Bereits Ende der 1680er-Jahre wurden in Venedig neben italienischsprachigen erste lateinische Oratorien aufgeführt. Sie gewannen bald die Überhand und waren in Venedig das gesamte 18. Jahrhundert über die vorherrschende Oratorienform, was ein Alleinstellungsmerkmal der Lagunenstadt darstellt. Zwischen 1715 und 1797 sind dort ausschließlich lateinische Versoratorien bezeugt. <?page no="222"?> 222 Christian Guerra erhaltene Oratorium von Antonio Vivaldi. Das Libretto stammt aus der Feder des Giacomo Cassetti, über den wir schlecht unterrichtet sind, der aber in den 1710er-Jahren recht rege am venezianischen Literaturbetrieb partizipiert zu haben scheint. 4 Das hier behandelte Oratorium feiert die siegreiche Verteidigung der Insel Korfu, die im Juli/ August des Jahres 1716 im Venezianisch-Österreichischen Türkenkrieg zuerst einem Sturmangriff, dann einer Belagerung der osmanischen Streitkräfte widerstanden hatte. 5 Vor diesem Hintergrund deutet Cassetti die biblische Judit-Geschichte 6 in der Juditha triumphans allegorisch zum Sieg Venedigs über die Türken und zum Triumph des an vorderster Front von Venedig verteidigten christlichen Glaubens um. 7 Das Werk ist im weiteren Kontext des venezianischen Versoratoriums des 18. Jahrhunderts zu sehen, welches als das Ergebnis eines zweifachen Kulturtransfers zu erachten ist. Dieses ging aus dem italienischen Versoratorium hervor, das historisch und strukturell eine deutliche Nähe zur Opera seria verrät. 8 Das Melodram seinerseits berief sich in seinen Anfängen auf das antike Drama und wurde bekanntlich um 1600 vom Musiker- und Literatenzirkel der Camerata Fiorentina als Rekonstruktionsversuch des antiken Theaters entwickelt. 9 Als erstes Beispiel des neuen Genres, das sehr rasch im restlichen Italien und in ganz Europa Verbreitung fand, gilt Ottavio Rinuccinis Dafne (1594). 10 Wir stellen 4 Talbot 2007, 220-221: Der Cavaliere stammte aus Monselice unweit von Padua, war doctor utriusque iuris und verfasste neben dem Libretto der Juditha triumphans (1716) die Oratorien Sol in tenebris (1713), Rex regum in Veneti maris regia a regibus adoratus (1716), Sacrum amoris novendiale in Dei pariturae Virginis gloriam (1716), Rosa inter spinas (1717) und Sterilis faecunda armonica exultatio (1717). 5 Zu diesen Ereignissen vgl. z. B. Schmidt 1991. 6 Zur Beliebtheit des Judit-Stoffes (v. a. im Barock) Cosentino 2013; Cosentino 2012; Borsetto 2011; Carpanè 2006; Osterkamp 2006; Angelini 2001. Zum Judit-Stoff im Oratorium Brizi 2011 (mit Katalog). 7 Vivaldi 2008, xlI : Carmen allegoricum. || Praesens est Bellum, Saevi minantur et hostes: | Adria Juditha est, et socia Abra Fides, | Bethulia Ecclesia, Ozias summusque Sacerdos, | Christiadum Coetus Virgineumque Decus. | Rex Turcarum Holofernes, Dux Eunuchus et omnis | Hinc Victrix Venetum quam bene Classis erit. || Iac. Cassetti. - „Allegorisches Gedicht: Es herrscht Krieg, ein grausamer Feind droht: Judit ist Adria [d. h. Venedig], ihre Gefährtin Abra der Glaube. Betulia ist die Kirche, Usija der Papst und die Zier der Jungfrauen die Christenschar [d. h. die Heilige Liga]. Holofernes ist der Sultan der Türken, sein Eunuch [Vagaus] der Kapudan Pascha, und von hier wird die ganze venezianische Flotte einen großen Sieg davontragen. Giacomo Cassetti.“ 8 Geyer 2004, 30. Unterschiede sind der häufige Chorgebrauch und die vermehrte Verwendung des Accompagnato-Rezitativs. 9 Zur Geschichte der Oper vgl. Fabbri 2003, ferner Melisi 1985. Bereits im Jahre 1637 wurde in Venedig mit dem San Cassiano das erste unternehmerische Theater eröffnet, an dem Opern vor zahlendem Publikum dargeboten wurden (Fabbri 2003, 78, 84). 10 Fabbri 2003, 13. <?page no="223"?> demnach eine zweifache Pendelbewegung fest, die vom antiken Drama über das italienische Melodram zurück zum lateinischen Versoratorium führt. Auf der Grundlage der Aussagen von Grammatikern wie Aelius Donatus oder Diomedes war man von einer Zweiteilung des antiken Dramas in gesungenes Canticum und gesprochenes Diverbium ausgegangen. 11 Für die Diverbia entwickelte die Camerata de’ Bardi den monodischen Gesang des Rezitativs, der Endecasillabi 12 und Settenari miteinander verband, 13 also die beiden kanonischen Verse, die dem natürlichen Sprechrhythmus am nächsten kommen. Bei Rinuccini noch durchgehend gereimt, ging die Tendenz im Laufe des 17. Jahrhunderts hin zu sich nur noch gelegentlich reimenden versi sciolti (ungereimte Verse). In ihnen übernimmt der Reim pragmatische Funktionen, indem er etwa durch Echoeffekte 14 eine Passage semantisch auflädt oder Sprecherwechsel anzeigt. In den Arien und Chören, die hingegen ein fixes Reim- und Iktusschema aufweisen, versuchte man die große metrische Varietät der antiken Cantica nachzuahmen. Geschaffen wurden Verse, die vom Binario bis zum Endecasillabo reichten und auch versi doppi (Doppelverse) miteinschlossen. Nach experimentierfreudigen Anfängen ging mit der Behauptung des metastasianischen Modells im Melodram die Tendenz hin zu einer Beschränkung der erlaubten Versmaße und zur Isometrie. In der vorliegenden Studie soll die These vertreten werden, dass im venezianischen Versoratorium Spuren der historischen Entwicklung und der Auseinandersetzung mit dem antiken Drama noch erkennbar sind. 11 Fabbri 2003, 44. Diomedes I,491,29 GLK: Latinae igitur comoediae chorum non habent, sed duobus membris tantum constant: diverbio et cantico („Die lateinischen Komödien haben also keinen Chor, sondern bestehen alleine aus zwei Bestandteilen: dem Diverbium und dem Canticum)“; vgl. auch Donati Commentum Andriae , Praefatio 1,7 Wessner; Donati Commentum Phormionis , Praefatio 1,7 Wessner; Donati Commentum de comoedia 12,7 Reifferscheid: diverbia histriones pronuntiabant; cantica vero temperabantur modis non a poeta sed a perito artis musicae factis. Neque enim omnia isdem modis in uno cantico agebantur, sed saepe mutatis („Die Diverbia sprachen die Schauspieler; die Cantica aber wurden mit Weisen moduliert, die nicht der Dichter geschrieben hat, sondern ein sachkundiger Musiker. Denn in einem Canticum wurde nicht alles in ein und derselben Tonart vorgetragen, sondern oft variiert)“. 12 Die Termini technici der italienischen Poetik werden hier nicht übersetzt, weil die deutschen Entsprechungen ihre Eigenheiten nicht adäquat und kongruent wiederzugeben vermögen. So zeichnet sich z. B. der italienische Endecasillabo nicht dadurch aus, dass er elf Silben zählt, sondern dadurch, dass er den obligatorischen Akzent auf der zehnten Silbe trägt. 13 Der Settenario galt seit Pietro Bembos Prose della volgar lingua (1525; 1,19) als verso rotto (gebrochener Vers) gegenüber dem verso intero (ganzer Vers) des Endecasillabo. 14 Man spricht in diesen Fällen von rima d’attesa (Erwartungsreim) und rima di risposta (Antwortreim). Das „italienisch Latein“ der venezianischen Oratorien 223 <?page no="224"?> 224 Christian Guerra 2. Die Sprache der venezianischen Oratorien Sprachlich übersetzen Oratorien wie Giacomo Cassettis Juditha triumphans die italienische ‚Libretto-Koine‘ ins Lateinische. Hauptmerkmale dieses Kunstidioms waren gemäß Kurt Ringger eine extreme Konventionalität und Formelhaftigkeit, die bewusst auf die Erwartungen des Publikums Rücksicht nahm und auf die leichte Wiedererkennbarkeit einiger weniger wesentlicher Züge setzte, sowie eine Transposition der Alltagssprache in ein höheres Sprachregister. 15 Als sektorale Sprache erreichte es den höchsten Grad der Stilisierung im Laufe des 18. Jahrhunderts. Vom normalen Sprachstandard unterscheidet sich die Libretto-Koine in Lexik, Phonetik, Morphologie und Syntax, in welchen sie auffällig oft auf Latinismen zurückgreift. Insgesamt halten lateinische Oratorien wie Cassettis Juditha triumphans die Konventionalität des Librettoidioms ein. Ein Vergleich mit den Libretti von Pietro Metastasio (1698-1782), der wie kein zweiter die Sprache des italienischen Melodrams prägte, zeigt etwa, dass die Codewörter, also jene Signalwörter, welche das Verständnis im Melodram maßgeblich lenken, ohne Ausnahme der Libretto-Koine entstammen. Die Nomina, die fünfmal oder häufiger in der Juditha triumphans auftreten, sind: 16 Substantive: dux (253), pax (1430), caelum (1889), amor (4388), cor (5129), gloria (861), hostis (nemico: 1332), sors (1340), spes (1136), fax (313), lux (190), victoria (207), anima (776), dextra (639), dominus (signore: 2104), lumen (233), rex (2529), salus (salvezza: 63), sol (162), gaudium (gioia: 213), honor (842), patria (489), servus (181), virtus (1650), vultus (1029). Adjektive: cuncti (tutto: 4817), carus (1601), pulcher (bello: 1845), dulcis (610), magnus (grande: 2538), summus (52), felix (1212), amans (1247), invictus (172), suavis (94), vagus (38). Dabei behalten die Codewörter nicht selten ihre italienische Semantik, wie z. B. das Adjektiv vagus , das wie im Italienischen ‚liebreizend‘ und nicht wie im klassischen Latein ‚umherschweifend‘ bedeutet. Hinzu kommen gemäß Overbeck 17 iuncturae des Typs sorte ingrata , 18 Topoi und Idiomatismen, Interjektionen 15 Ringger 1984, 126-127. 16 Zum Vergleich ist in Klammern ihre Häufigkeit bei Metastasio angegeben. Quelle: www. progettometastasio.it/ public/ (14.02.2019). 17 Overbeck 2011, 156-230. 18 Zum Beispiel anima afflicta (anima afflitta), animae amantis (dell’anima amante), umbrae carae (ombre care), dulcissima spes (dolcissima speme), dulcia tecta (dolci tetti), dulcis tui amoris (del dolce tuo amore), dulci spe (dolce speme) . <?page no="225"?> und exklamative Wendungen wie deh! , 19 Wortfelder wie ‚Licht/ Schatten‘ oder ‚Schmerz/ Tod‘ und häufige Reimpaare wie gloria- : victoria oder bella : stella . Im Gegensatz dazu zeigt eine Analyse nach den Methoden der Quantitativen Linguistik aber, dass die lexikale Vielfalt doch grösser ist als im Durchschnitt der italienischsprachigen Libretti. Sowohl die Type-Token-Ratio als auch der Hapax legomena-Quotient, die zum Bestimmen der sprachlichen Vielfalt herangezogen werden, 20 liegen höher als im italienischen Durchschnitt. Der Vergleich mit dem von Anja Overbeck (2011) bearbeiteten Textcorpus ergibt folgendes Resultat: Corpus Overbeck Juditha triumphans Tokens 4000-9000 1920 Types ? 700 Token-Type-Ratio 17.0-25.1% 36.5% Hapax Legomena-Quotient 42.5-54.4% 59% (413) Diese Zahlen sind insofern mit Vorsicht zu genießen, als die Type-Token-Ratio auch von der Textlänge abhängig ist. Obschon das Libretto der Juditha triumphans um die Hälfte kürzer ist als das kürzeste von Overbeck analysierte italienische Libretto, scheint der Befund bei über 10% Differenz dennoch eindeutig. Die höhere sprachliche Vielfalt dürfte sich einerseits durch gattungsbedingte Zwänge erklären, da der Oratorienlibrettist an seine biblische Vorlage gebunden war und beispielsweise das conopeum ‚Mückennetz‘ über Holofernes’ Lager ( Judit 13,19) erwähnen musste; überhaupt spielt christliches Vokabular eine größere Rolle, wie z. B. estatica ‚verzückt‘ oder Factor ‚Erschaffer‘ für Gott. Andererseits dürfte die lateinische Dichtersprache größeren Einfluss ausgeübt haben, wie beispielsweise im Falle der classica ‚Trompetenfanfaren‘, die Cassetti mit ziemlicher Gewissheit von Vergil, Aeneis 7,637 entlehnte, oder incrementum ‚Sprössling‘, das von Vergil, Eklogen 4,49, stammt. Qualitative Unterschiede zum Italienischen ergeben sich dadurch, dass durch die Übersetzung der Librettismen ins Lateinische diese nicht mehr als lexikale Latinismen, aber weiterhin als Teil der lateinischen Dichtersprache erkennbar sind. 21 Dies gilt beispielsweise für lumina ‚Augen‘, das im Lateinischen wie im Italienischen dichterisch konnotiert ist. Häufig tritt gegenüber dem Italienischen aber eine Nivellierung ein, wie bei spes ‚Hoffnung‘, das die Formen speme , spene und speranza wiedergibt. Dasselbe gilt für phonetische und morphologisch Varianten wie cor ‚Herz‘ gegenüber cor , core und cuore , libertas gegenüber libertà , libertade und libertate oder tecum ‚mit dir‘ gegenüber teco und con te . 19 Zum Beispiel o , en , heu , ah , deh , salve/ salvete , ecce , eia , prosit . 20 Vgl. Overbeck 2011, 113-125. 21 Zur lateinischen Dichtersprache vgl. z. B. Maurach 1995. Das „italienisch Latein“ der venezianischen Oratorien 225 <?page no="226"?> 226 Christian Guerra Lautlich erlaubt die lateinische Sprache zudem im Gegensatz zum Italienischen keine Apokope bei den Liquida und Nasallauten l , n , r und m wie in vediamo > vediam . Eine oxytonale Betonung ist daher, sieht man einmal von Synizesen und Synaloephen ab, nur mittels Monosyllaba zu erreichen. Dies hat bedeutende Auswirkungen auf alle endbetonten Verse, die aus einem recht beschränkten Reservoir von monosyllabischen Wörtern schöpfen müssen. Besonders auffällig in der Juditha triumphans sind diesbezüglich die Reime auf -x , wie fax- : -pax und nox- : -vox . Die Syntax folgt ebenfalls jener der italienischsprachigen Libretti, mit einem parataktischen Stil, der höchstens eine Unterordnung zweiten Grades zulässt und sich häufig sogar auf bloße Hauptsätze beschränkt; Einflüsse des lateinischen Epos, das über eine ähnliche Syntax verfügt, sind aber nicht auszuschließen. Auch in diesem Fall tritt gegenüber dem Italienischen eine Nivellierung ein: Wird in der italienischen Dichtersprache die nicht-markierte Wortstellung (S)VO häufig zugunsten einer markierten Wortstellung mit Rechtsdislozierung des Subjekts oder des Prädikats sowie Linksdislozierung von Objekten, Infinitiven, Genitivattributen, Prädikatsnomina, prädikativ gebrauchten Adjektiven und Adverbien aufgegeben, ist dieselbe Wortstellung im Lateinischen nicht gleichermaßen markiert. So ist im Vers Felicitatis tuae nuncius accedo („als Bote deines Glücks trete ich heran“) die Nachstellung des Possessivpronomens tuae , die Endstellung des Prädikats accedo oder die Voranstellung des Genitivattributs felicitatis nicht markiert oder nicht in dem Ausmaß markiert wie im Italienischen. 3. Metrik 3.1 Rezitativ Der Tradition entsprechend sind die Rezitative in der Juditha triumphans in ungereimten Endecasillabi und Settenari gehalten. Bei Cassetti beobachten wir folgende Eigenheiten: Gegenüber den beiden kanonischen Endacasillabi a maiore (Schema: - ± ± - - + | - ± - + - ) 22 und a minore (Schema: ± ± - + | - - ± ± - + - ) 23 findet in der Juditha triumphans auffällig oft der sogenannte endecasillabo misto (Mischform) Verwendung, der den Hauptakzent auf der 6. Silbe eines Endecasillabo a maiore mit dem daktylischen Rhythmus eines Endecasillabo a minore mit Akzenten auf der 1., 4., 7. und 10. Silbe kombiniert (Schema: + - - + - | + | + - - + - ). Zwischen der 6. und 7. Silbe kommt so ein ac- 22 Der Endecasillabo a maiore trägt den obligatorischen Akzent auf der 10. Silbe und den Hauptakzent auf der 6. Silbe; Nebenakzente auf der 2., 3. und 8. Silbe sind möglich. 23 Der Endecasillabo a minore trägt den obligatorischen Akzent auf der 10. Silbe und den Hauptakzent auf der 4. Silbe; Nebenakzente auf der 1., 2., 7. und 8. Silbe sind möglich. <?page no="227"?> cento ribattuto (nachschlagender Akzent) zustande, der mit einer starken männlichen Zäsur gepaart ist. Die weibliche Zäsur nach der 4. Silbe bewirkt zudem, dass das 6. Element metrisch isoliert wird; dieses wird von einem Monosyllabum oder eine Bisyllabum in Synaloephe gestellt. Das daktylische Rhythmem ist seit Petrarca unbeliebt. 24 Wie eine Untersuchung von Chiara De Paoli (2015) gezeigt hat, umfassen die endecasillabi misti beispielsweise in der Lyrik des Petrarkisten Pietro Bembo gerade mal 2,85% der Verse, bei Matteo Maria Boiardo im Amorum libri 3,69%, bei Angelo Poliziano in den Stanze immerhin 7,6%. 25 Bei Cassetti hingegen tragen 50 der 127 Endecasillabi Akzente auf der 4., 6. und 7. Silbe, was 39,4% ausmacht. Von diesen 50 haben 33 (66,0%) den ersten Nebenakzent auf der 1. Silbe, 17 (34,0%) auf der 2. Silbe. Zur Illustration sei das erste, von Holofernes gesungene Rezitativ des Oratoriums, IIa: Felix en fausta dies , angeführt, in dem das hier beschriebene Rhythmem bereits mehrfach auftritt: Felix en fausta dies, + - - + - + - da tr tr o magnanimi͡ ero͡es: en, fortunati, ‒ - + - - + | + - - + - an an(+) ad prospera vobis sors, sidera, caelum; + - - + - + | + - - + - da tr tr^ ad en post saecula tandem ‒ - + - - + - an an+ venit optata lux, lux suspirata, + - - + - + | + - - + - da tr tr^ ad qua magni͡ in vestro duce, - + - + - + - ia ia ia+ qua dux magnus in vobis: cunctis aequa + - + - - + - | + - + - tr da tr tr tr erit tandem victori͡a, ‒ - + - - + - an an+ et vestro͡ invicto regi͡ honor et glori͡a. - + - + - + | + - - + - ia ia ia(+) ad Seht, der glückliche und günstige Tag ist gekommen, ihr edlen Helden: Seht, ihr Glücklichen, günstig sind euch das Schicksal, die Sterne, der Himmel. Seht, nach langer Zeit endlich ist der erwünschte Tag, der ersehnte Tag gekommen, an dem ihr groß durch euren Anführer, an dem euer Anführer groß durch euch sein wird: euch allen gleichermaßen wird schließlich der Sieg gebühren, und eurem unbesiegten König wird er zu Ehre und Ruhm gereichen. Wir können im Endecasillabo eine Tendenz zu größerer Freiheit im ersten Hemistichium beobachten, wo sich daktylisch-trochäische oder anapästisch-iambische Rhythmen etwa die Waage halten, während das zweite Hemistichium fast ausschließlich Daktylen und Trochäen zulässt und mit auffälliger Häufigkeit 24 De Paoli 2015, 33. 25 De Paoli 2015, 33-38. Das „italienisch Latein“ der venezianischen Oratorien 227 <?page no="228"?> 228 Christian Guerra von Adoneus-Klauseln gebildet wird. Für den Settenario gilt dasselbe wie für das erste Endecasillabo-Hemistichium. Es gibt gewiss praktische Gründe für diese besondere Ausgestaltung des Endecasillabo, denn der sich so in beinahe allen Langversen ergebende accento ribattuto erzeugt eine starke Zäsur, die sowohl die Singbarkeit (Atempause) als auch die Verständlichkeit (logische Pause) erhöht, indem er beispielsweise syntaktisch markierte Wortstellungen hervorhebt. 26 Cassetti scheint hier aber mit seiner Insistenz auf daktylische und anapästische Sequenzen durch den lateinischen Hexameter beeinflusst - vielleicht sucht er sogar bewusst eine klangliche Annäherung. Dies wäre ein interessantes Experiment, war doch ab dem frühen 16. Jahrhundert gerade der ungereimte Endecasillabo für die Übersetzung der lateinischen hexametrischen Epik verwendet worden und erhält nun hier seinerseits den Anstrich eines lateinischen Hexameters. Ohnehin hatten auch schon zeitgenössische Musiktheoretiker das Oratorium mit dem Epos in Zusammenhang gebracht. 27 In diesem Sinne würde insbesondere die wiederkehrende Adoneus-Klausel zu diesem Wiedererkennungseffekt beitragen. Die Verwendung der lateinischen Sprache und das martialische Sujet begünstigen diese Identifikation jedenfalls noch zusätzlich. 28 3.2 Arien und Chöre In Cassettis Juditha triumphans bietet sich uns ein ähnliches Bild an wie beim zeitlich etwas späteren Pietro Metastasio (in eckigen Klammern der Prozentsatz bei diesem 29 ): Vers Häufigkeit (absolut) Häufigkeit (relativ) Ottonario 7 26% [28%] Senario 7 26% [8%] Endecasillabo 3 11% [-] Decasillabo 2 7% [4%] Settenario 1 4% [40%] 26 Im letzten Endecasillabo, et vestro invicto regi honor et gloria , ist beispielsweise das nach rechts dislozierte Subjekt durch die Zäsur vom vorangehenden Dativobjekt getrennt. 27 Speck 2003, xx-xxi zu Giovanni Battista Doni (1595-1647); Geyer 2004, 22-23 zu Christian Gottfried Krause (1719-1770). 28 Indirekt wird dieser Befund dadurch bestätigt, dass im Gegensatz dazu keine Auseinandersetzung mit dem phaläkeischen Hendekasyllabus festzustellen ist: Sucht man nach Endecasillabi mit Ikten auf der 1., 3., 6., 8. und 10. Silbe und Einschnitt nach dem 6. Element, so findet man nicht mehr als fünf, auf die diese Beschreibung zutrifft. Cassettis Juditha triumphans tritt also im Rezitativ, wie nicht anders zu erwarten, in einen Dialog mit der Epik, nicht aber mit der Lyrik. 29 Nach Fabbri 2007, 57. Die übrigen 13% von Metastasios Arien sind in Versen gehalten, die bei Cassetti nicht auftreten. <?page no="229"?> Quinario 1 4% [7%] polymetrisch 6 22% [-] Die augenfälligsten Unterschiede zu Metastasio sind bei Cassetti eine klare Bevorzugung des Senario gegenüber dem Settenario, während bei den anderen Versen eine sehr ähnliche Verteilung zu beobachten ist. Außerdem ist das Vorhandensein von endecasillabischen und polymetrischen Arien zu vermerken, die bei Metastasio gänzlich fehlen. Es könnte davon ausgegangen werden, dass Cassetti auch hier eine größere Nähe zum antiken Drama sucht, in diesem Fall zu den Cantica und Chorliedern. Der vermehrte Einsatz des Chores, durch den sich das Oratorium von der Opera seria differenziert, 30 spräche jedenfalls dafür. Die Arien und Chöre sind bewusst in distinktiven Metren gehalten, bevorzugt in geradesilbigen Metren, die stets eine Akzentfolge vorgeben und traditionell bestimmten rhythmischen Baseis zugewiesen sind: Die Senari weisen bei Cassetti durchgehend eine amphibrachysche Basis mit Akzenten auf der 2. und 5. Silbe auf, 31 die Ottonari eine trochäische Basis mit Hauptakzenten auf der 3. und 7. Silbe, 32 die Decasillabi eine anapästische Basis mit Akzenten auf der 3., 6. und 9. Silbe. 33 Zudem bedingt ein ähnliches Metrum häufig auch eine ähnliche Stimmung, wie in den madrigalesken Arien Xb: Agitata infido flatu („Von einem tückischen Wind getrieben“) und XVIIb: Transit aetas („Es vergeht das Leben“), die trochäische Ottonari und Quaternari paaren und große emotionale Aufwühlung und Klage zum Ausdruck bringen. All diese Verse lassen eine zweifache Deutung zu, eine traditionelle und eine antikisierende: So ist der Ottonario seit dem Mittelalter das traditionelle Versmaß der Ballata, könnte hier aber im Sinne des antiken Dramas auch als trochäischer Dimeter (tr d ) gedeutet werden. Ebenso kann der Decasillabo als Paroimiakos (an 4^^ ) gelesen werden, und der Senario als Adoneus mit Anakrusis (-ad). Eine solche zweifache Lesart lassen auch die ‚metastasianischen Leerstellen‘ wie die endecasillabischen Arien zu. Nach ihrem ersten Gespräch mit Holofernes singt Juditha die Arie XXb: Vivat in pace : 30 Geyer 2004, 30. 31 IIb: Nil arma, nil bella ; IIIb: Matrona inimica ; IXb: Sede, sede, o cara (1. Vers trochäisch); XIb: O servi, volate ; XVb: O sidera, o stellae ; XXIb: Umbrae carae, aurae adoratae (1. Vers = ottonario auf trochäisch-daktylischer Basis); XXIIIc: In somno profundo. 32 Vb: Vultus tui vago splendore ; VIIb: Quamvis ferro et ense gravis ; VIIIb: Quanto magis generosa ; XIIb: Veni, veni, me sequere fide (1. und 4. Vers = anapästische decasillabi ); XIIIb: Fulgeat sol frontis decorae ; XVIb: Nox obscura tenebrosa ; XVIIIb: Noli, o cara, te adorantis ; XIXb: Plena nectare non mero . 33 IVb: Quocum patriae me ducit amore ; XIVb: Mundi Rector, de caelo micanti ; XXVIIb: Salve, invicta Juditha formosa . Das „italienisch Latein“ der venezianischen Oratorien 229 <?page no="230"?> 230 Christian Guerra Vivat in pace, et pax regnet sincera, + - - + - + | + - - + - ia 3 +ad et in Bethuli͡a fax surgat amoris. - + - + - + | + - - + - In pace semper stat laetiti͡a vera, - + - + - + | + - - + - nec ampli͡us bella sint causa doloris. - + - + - + | + - - + - In pace͡, anima me͡a, tu cuncta spera, - + + - - + | + - - + - si pax solati͡um est nostri maeroris. - + - + - + | + - - + - In pace, bone De͡us, cuncta tu facis, - + - + - + | + - - + - et cara tibi sunt munera pacis. - + - + - + | + - - + - Sie lebe in Frieden, und es herrsche echter Friede. In Betulia leuchte die Liebesfackel auf. Im Frieden stets gründet echte Freude. Nicht weiter sollen Kriege Kummer bereiten. Auf Frieden, meine Seele, hoffe du ganz, wenn Frieden unserer Trauer Trost ist. In Frieden, guter Gott, erschaffst Du alles, und teuer sind Dir die Früchte des Friedens. Die Arie ist in der Strophenform der Stanze bzw. Oktave ( ottava rima ) mit dem für diese Strophe typischen Reimschema a b a b a b c c (sog. ottava toscana ) konzipiert. Die Endecasillabi, allesamt a maiore, sind im Gegensatz zu den Rezitativen nach einem festen Schema angelegt, das einen Settenario tronco mit einem Quinario verbindet. Rhythmisch erscheinen die Verse als eine Abfolge von einem iambischen Ternar (mit gelegentlichen Anaklaseis) und einem Adoneus; die iambischen Kola enden jeweils auf Monosyllabum und natürlich mit einer männlichen Zäsur. Der offenkundige Kompositcharakter dieser Endecasillabi weckt Erinnerungen an die Verse der antiken Cantica, die ebenfalls oft zwei oder mehr metrische Grundeinheiten, wie z. B. einen Dicreticus und einen Glyconeus, miteinander verbanden. Iambische Endecasillabi wie die hier aufgeführten zeichnen sich mit ihren fünf Akzenten durch eine höhere Iktendichte aus und gelten, weil sie einen regelmäßigen Rhythmus besitzen und durch die hohe Zahl langer/ betonter Silben entschleunigt sind, als besonders gemächlich dahinplätschernde Verse. 34 Das Rhythmem scheint hier also passend zum Inhalt der Arie gewählt, deren Thema der Friede ist - das Wort pax fällt ganze sieben Mal in acht Versen! Die friedliche Ruhe, die der Text vermittelt, hat Vivaldi auch musikalisch umgesetzt, indem er das Stück im Largo geschrieben und mit zwei Violinen mit Sordino und einer Viole minimal orchestriert hat. In diesem Stück ist die Metrik demnach semantisch aufgeladen. Durch die gewählte Strophenform der Oktave, welche die übliche 34 De Paoli 2015, 11. <?page no="231"?> Strophe der italienischen Epik ist, 35 wird im Gegenzug Juditha als epische Heroine ausgewiesen. Die Arie hat also auch proleptischen Charakter, indem sie durch die gewählte Strophenform auf Judithas bevorstehende Heldentat vorverweist. Am offenkundigsten ist der Dialog mit der antiken Metrik aber in den polymetrischen Arien und Chören wie dem Eröffnungschor der assyrischen Soldaten, I: Arma, caedes, vindictae, furores, und Ozias’ Arie bei Judiths Rückkehr nach Betulia, XXVIb: Gaude, felix Bethulia, laetare . Chor und Arie weisen eine anisometrische Strophenform auf, deren Verse jedoch, wie sich noch zeigen wird, isoakzentuell sind und in beiden Fällen trochäische Monometra mit Adoneen verbinden. Der Chor Arma, caedes hat das Reimschema a 10 a 6 b 6’ c 3 c 3 d 6 e 4 d 8 b 6’ , die Arie Gaude felix das Schema a 4 b 6 b 4 c 6 d 4 d 5 c 9 : Arma, caedes, vindictae, furores, + - + - - + - - + - tr m -ad angusti͡ae, timores, - + - - + - -ad praecedite nos. - + - - + -ad^ Rotate, - + - -ad pugnate, - + - o bellicae sortes, - + - - + - -ad mille plagas, + - + - tr m mille mortes + - + - tr m adducite vos. - + - - + -ad^ Waffen, Mord, Rache, Raserei, Not, Schrecken, schreitet uns voran. Wirbelt, kämpft, ihr Kriegslose, und bringt tausend Wunden, tausend Tode. Gaude, felix + - + - tr m Bethuli͡a, laetare, - + - - + - -ad consolare, - - + - tr m urbs nimis afflicta. - + - - + - -ad Caelo͡ amata, + - + - tr m 35 Berühmte Beispiele sind Ludovico Ariostos Orlando furioso und Torquato Tassos Gerusalemme liberata . Das „italienisch Latein“ der venezianischen Oratorien 231 <?page no="232"?> 232 Christian Guerra es fortunata, ‒ - - + - ad inter hostes semper invicta + - + - + - - + - tr m ad Freue dich, du glückliches Betulia, frohlocke, tröste dich, allzu betrübte Stadt. Vom Himmel geliebt bist du gesegnet und unter den Feinden immer unbesiegt. Von der Warte der italienischen Metrik aus erscheinen diese polymetrischen Arien teilweise beinahe schon normwidrig, wenn sie etwa geradesilbige und ungeradesilbige Verse paaren, was zwar möglich, aber doch sehr unüblich ist. Die beiden ungeradesilbigen Verse es fortunata, | inter hostes semper invicta müssten hier als hypometrische Senario und Decasillabo gedeutet werden. Nach den Regeln der antiken Metrik lassen sich die Verse, wie die Analyse oben zeigt, hingegen problemlos als Verbindungen von zwei metrischen Grundeinheiten, dem trochäischen Monometrum (tr m ) und dem Adoneus (-ad), erklären, was jeweils Verse mit vier Hebungen ergäbe: Arma, caedes, vindictae, furores, tr m +-ad angusti͡ae, timores, praecedite nos. -ad d ^ Rotate, pugnate, o bellicae sortes, -ad d mille plagas, mille mortes tr d adducite vos. -ad^ Gaude, felix Bethuli͡a, laetare, tr m +-ad consolare, urbs nimis afflicta. tr m +-ad Caelo͡ amata, es fortunata, tr m +ad inter hostes semper invicta. tr m +ad In beiden Fällen ‚normalisierte‘ Vivaldi in seiner Vertonung die Metrik, indem er die bereits isoakzentuellen Verse durch Längung der Silben zusätzlich in ein isomorisches Verhältnis brachte. In seiner Umsetzung ergeben sich in beiden Stücken daktylische Tetrameter (da 4 ), die unabhängig von der Silbenzahl, die zwischen acht und zwölf schwankt, konstant sechzehn morae messen. Der sich so ergebende daktylisch-spondeische Rhythmus unterstreicht den martialischen (assyrische Soldaten) bzw. hymnischen (Ozias) Ton der Stücke. Neu gruppiert und quantifizierend analysiert sähen die Verse nach Vivaldis Lesart folgendermaßen aus: <?page no="233"?> Arma, caedes, vindictae, furores, ˉ ˉ ˉ ˘˘ ˉ ˘˘ ˉ ˘ angustiae, timores, praecedite nos. ˘ ˉ ˘˘ ˉ ˘˘ ˉ ˘˘ ˉ ^ Rotate, pugnate, H o bellicae sortes, ˘ ˉ ˘˘ ˉ ˘˘ ˉ ˘˘ ˉ ˉ mille plagas, mille mortes ˉ ˉ ˉ ˉ ˉ ˉ ˉ ˉ adducite vos. ˘ ˉ ˘˘ ˉ ^^ Gaude, felix Bethulïa, laetare, ˉ ˉ ˉ ˘˘ ⏓⏓ ˘˘ ˉ ˉ consolare, H urbs nimis afflicta. ˉ ˉ ˉ ˘˘ ˉ ˘˘ ˉ ˉ Caelo H amata, H es fortunata, ˉ ˘˘ ˉ ˘˘ ˉ ˉ ˉ ˉ inter hostes semper invicta. ˉ ˉ ˉ ˉ ˉ ˘˘ ˉ ˉ Dieser Befund wird durch die zweistrophige Arie XXIVc: Si fulgida per te bestätigt, in der die Dienerin Abra die Ermordung des Holofernes bejubelt. Die iambische Basis und das schnelle musikalische Tempo verleihen Abras Jubel Gestalt, sind also auch hier semantisch aufgeladen. Die Arie verbindet Settenari tronchi und piani mit Quinari nach dem Reimschema a 7’ b 7’ a 7’ b 7’ c 5 c 5 b 7’ d 5 e 7 e 7 f 7 d 5 . Die Verse, die iambische Tripodien (ia 3 ) mit Adoneen (ad) alternieren, sind weder isometrisch noch isoakzentuell. In der Musik aber wird das Metrum auf zwölf morae zu einem iambischen Dimeter (ia d ) ‚normalisiert‘. Dabei sind gewisse Silben auf drei morae gelängt (-), während mehrere Versfüße durch Pausen (λ) ‚gefüllt‘ sind. Die dem iambischen Rhythmus zuwiderlaufenden Verse auf trochäischer Basis wie ille dextrae vigorem und nostra victoria sind einmal gegen den Wortakzent metrisch-iambisch betont und ein andermal gegen den Rhythmus anaklastisch-trochäisch gelesen: Si fulgida per te - + - + - + ia 3 propiti͡a caeli fax, - + - + - + ia 3 si dulci͡ animae spe - + + - - + ia 3 refulsit alma pax, - + - + - + ia 3 solum beato + - - + - ad Duci͡ increato + - - + - ad debetur nostra pax - + - + - + ia 3 et nostra glori͡a. + - - + - ad Dat ille cordi͡ ardorem, - + - + - + - ia 3 - ille dextrae vigorem, + - + - - + - ia 3 - et manus donum suae - + - + - + ia 3 nostra victori͡a. + - - + - ad Wenn auch durch dich erstrahlt des Himmels günstige Fackel, Das „italienisch Latein“ der venezianischen Oratorien 233 <?page no="234"?> 234 Christian Guerra wenn auch mit lieblicher Hoffnung der Seele der segenspendende Frieden erstrahlt, schulden wir unseren Frieden und unseren Ruhm allein dem seligen Gott, dem nicht geschaffenen. Er flößt dem Herzen Mut ein, verleiht der rechten Hand Kraft, und seiner Hand Gabe ist unser Sieg. Si fulgida per te ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ λ propitia caeli fax, ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ λ si dulci animae spe ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ λ refulsit alma pax, ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ λ solum beato - ˉ ˘ - - Duci increato - ˉ ˘ - debetur nostra pax ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ λ et nostra gloria. ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ λ Dat ille cordi ardorem, ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ^ ille dextrae vigorem, ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ^ / ˘ ˘ ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ λ et manus donum suae ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ λ nostra victoria. ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ λ / - ˉ ˘ ˉ ˘ - Dieses letzte Beispiel zeigt augenscheinlich, vor welche Schwierigkeiten eine anisometrische Strophe einen Komponisten stellte. Man wird darin einen Grund annehmen dürfen, warum im Laufe des Settecento die Entwicklung hin zur Isometrie verlief. Schluss Wenn behauptet wird, dass in den venezianischen Oratorien „die üblichen italienischen Versmaße, lediglich dem Lateinischen angepasst“ auftreten, so kann diese Aussage sowohl bekräftigt als auch eingeschränkt werden. Bekräftigt deshalb, weil nicht die Metrik allein, sondern die gesamte Libretto-Koine als System ins Lateinische übersetzt worden ist, wir es also tatsächlich mit einem „italienisch Latein“ zu tun haben, von dem Goethe in seiner Italienischen Reise schrieb. Aber auch eingeschränkt deshalb, weil zumindest im Libretto der Juditha triumphans sowohl die lateinische Dichtersprache als auch die antike Poesie in Gestalt des Epos und insbesondere des Dramas einen stärkeren Einfluss <?page no="235"?> ausgeübt zu haben scheint. Es wäre begrüßenswert, wenn der Befund der vorliegenden Einzelstudie in Zukunft in einer breiter angelegten Studie auf seine Allgemeingültigkeit hin geprüft würde. Schon jetzt kann aber festgestellt werden, dass die venezianischen Oratorien ein Experiment darstellten, in dem zwei poetische Systeme über einen zweifachen Kulturtransfer in einen fruchtbaren Dialog mit bisweilen unerwarteten Ergebnissen getreten sind. Literaturverzeichnis Angelini, Franca: Variazioni su Giuditta, in: Lucia Strappini (Hg.): I luoghi dell’immaginario barocco, Neapel 2001, 135-145. Bianchi, Lino: Carissimi, Stradella, Scarlatti e l’oratorio musicale, Rom 1969. Borsetto, Luciana (Hg.): Giuditta e altre eroine bibliche tra Rinascimento e Barocco. Orizzonti di senso e di genere, variazioni, riscritture, Padua 2011. Brizi, Bruno: Giuditta e l’oratorio musicale fra Sei e Settecento, in: Luciana Borsetto (Hg): Giuditta e altre eroine bibliche tra Rinascimento e Barocco. Orizzonti di senso e di genere, variazioni, riscritture, Padua 2011, 141-165. Carpanè, Lorenzo: Da Giuditta a Giuditta. L’epopea dell’eroina sacra nel Barocco, Alessandria 2006 (Manierismo e Barocco, Bd. 11). Cosentino, Paola: Le virtù die Giuditta. Il tema biblico della “mulier fortis” nella letteratura del ’500 e del ’600, Rom 2012. Cosentino, Paola: Vedova, puttana e santa. Giuditta figura del desiderio (XVI, XVII e XVIII secolo), Between 3/ 5, 2013, http: / / ojs.unica.it/ index.php/ between/ article/ view/ 957/ 780 (14.02.2019). De Paoli, Chiara: L’ottava del Poliziano. Un’analisi metrico-stilistica, Tesi di laurea, Università degli Studi di Padova 2015. http: / / tesi.cab.unipd.it/ 48987/ 1/ CHIARA_DE_ PAOLI_2015.pdf (14.02.2019). Fabbri, Paolo: Il secolo cantante. Per una storia del libretto d’opera in Italia nel Seicento, Rom 2003 (Biblioteca di cultura, Bd. 645). Fabbri, Paolo: Metro e canto nell’opera italiana, Turin 2007. Geyer, Helen: Das venezianische Oratorium 1750-1820. Einzigartiges Phänomen und musikdramatisches Experiment. Bd. 1: Abhandlung, Laaber 2004 (Analecta Musicologica, Bd. 35/ 1). Leopold, Silke: Das geistliche Libretto im 17. Jahrhundert. Zur Gattungsgeschichte der frühen Oper, Die Musikforschung 31, 1978, 245-257. Maurach, Gregor: Lateinische Dichtersprache, Darmstadt 1995. Melisi, Francesco (Hg.): Catalogo dei libretti d’opera in musica dei secoli XVII e XVIII, Neapel 1985. Osterkamp, Ernst: Judith. Schicksale einer starken Frau vom Barock zur Biedermeierzeit, in: Steffen Martus/ Andrea Polaschegg (Hg.): Das Buch der Bücher - gelesen. Lesearten der Bibel in den Wissenschaften und Künsten, Bern 2006 (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik, Bd. 13), 171-195. Das „italienisch Latein“ der venezianischen Oratorien 235 <?page no="236"?> 236 Christian Guerra Overbeck, Anja: Italienisch im Opernlibretto. Quantitative und qualitative Studien zu Lexik, Syntax und Stil, Berlin 2011 (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie, Bd. 364). Ringger, Kurt: ‚Che gelida manina …‘. Betrachtungen zum italienischen Opernlibretto, Arcadia 19, 1984, 113-129. Schmidt, Hans: Il salvatore di Corfù Matthias Johann von der Schulenburg (1661-1747). Una carriera militare europea al tempo dell’alto assolutismo, Venedig 1991 (Quaderni Deutsches Studienzentrum Venedig, Bd. 42). Smither, Howard E.: A History of the Oratorio. Bd. 1: The Oratorio in the Baroque Era, Italy - Vienna - Paris, Chapel Hill 1977. Speck, Christian: Das italienische Oratorium 1625-1665. Musik und Dichtung, Turnhout 2003 (Speculum Musicae, Bd. 9). Steffan, Carlida: L’oratorio veneziano tra Sei e Settecento. Fisionomia e contesti, in: Paola Besutti (Hg.): L’oratorio musicale italiano e i suoi contesti (secc. XVII-XVIII), Florenz 2002, 423-452. Talbot, Michael: How Operatic is Vivaldi’s “Juditha triumphans”? , in: Melania Bucciarelli/ Berta Joncus (Hg.): Music as Social and Cultural Practice, Woolbridge 2007, 214-231. Vivaldi, Antonio: Juditha triumphans devicta Holofernis barbarie. Sacrum militare oratorium, Venezia 1716. RV 644. Edizione critica, herausgegeben von Michael Talbot, Mailand 2008. <?page no="237"?> Metrik und Bildungsgeschichte 237 Metrik und Bildungsgeschichte <?page no="239"?> ‘If some of the eminent learned would dare to begin’: Neo-Latin Metre at the Early Modern English Universities Sarah Knight The evening of August 26 th 1621 witnessed one of the least successful performances in the history of English academic drama. Barten Holyday, alumnus of St Paul’s, the distinguished London grammar school, graduate of Christ Church, Oxford and university praelector in rhetoric and philosophy, saw staged before King James his English play Technogamia. The Marriages of the Arts. Technogamia had premièred at Christ Church during Shrovetide in February 1617 to ‘no great applause’, as one spectator noted, 1 but it was the royal performance half a year later which undermined its author’s reputation. Like many other institutional comedies of the period, including a contemporary Oxford play, Robert Burton’s Philosophaster (1617/ 18), and, at Cambridge, Leonard Hutten’s Bellum Grammaticale (1581) and the anonymous Parnassus trilogy (c. 1599-1601), Technogamia is full of curricular in-jokes aimed at a predominantly student audience, and its characters are mainly abstract personifications intended to resonate with subjects its spectators were studying, such as Historia, Astronomia, Ethicus and Oeconoma. But despite its apparent suitability for an institutional performance context, the reception of Holyday’s play was hostile: as well as the contemporary spectator’s lukewarm comment quoted above, the Oxford antiquary Antony Wood called it ‘too grave for the king, and too scholastic for the auditory’ some decades later. 2 Technogamia’s lack of success prompted a pamphlet war between the universities, and perhaps it was this controversy rather than its merit that prompted its quarto publication in 1618 in London, by William Stansby for John Parker. Despite the adverse critical fortunes of Holyday’s play, however, some lines delivered by one of its main characters, Poeta, are particularly relevant for a consideration of metre at the early modern English universities. Taking Technogamia as its starting point, this essay will consider what literary works produced by and for students and university 1 Elliot Jr./ Nelson/ Johnston/ Wyatt 1, 2006, 427. 2 Holyday 1942, xxix-xxx. <?page no="240"?> 240 Sarah Knight scholars tell us about attitudes to prosody at these institutions of learning in the period, suggesting how trends in academic plays and poetry written in both English and Latin intersected with developments in vernacular drama and poetics composed outside the universities. Alongside such fictional representations we can read the works of contemporary tutors and educational theorists, and consider how students were advised to think about prosody during their studies as well as how some channelled that advice into metrical experimentation. The influential mid-twentieth-century studies of Baldwin and Fletcher, who take two of the most canonical writers of the era, William Shakespeare and John Milton, as their examples, have systematically shown how English pupils were taught prosody at grammar school, practising scansion daily when they had reached a sufficiently competent level of Latinity. 3 More recently, Derek Attridge has also argued that by the end of the sixteenth century, educated English people ‘would have held that the correct way of reading Latin verse was with prose stresses’, but also ‘would be accustomed to using the stressed-ictus method for learning by heart and scanning’. 4 Attridge, Baldwin and Fletcher all cite the instructions on writing Latin poetry which were outlined in a contemporary dialogic pedagogical manual, the Lincolnshire schoolmaster John Brinsley’s Ludus Literarius (1612); his fifth rule is that pupils should ‘bee expert in scanning a verse, and in prouing euery quantity, according to their rules, and so vse to practise in their lectures daily’. 5 Working first with classical Latin poets, ‘Virgil or Horace to resolue any peece’, in Brinsley’s model, although other educators also recommended imitating Ovid, one of the schoolboy’s main tasks was ‘[s]canning the verses, and giuing a reason thereof ’. 6 In curricular terms, it is fair to say English Latinists were more formally immersed in metrical training at school than they were at university. One late Tudor comparison shows how metrically ambitious schoolboy poets could be, based on two manuscript verse anthologies presented to Elizabeth I during the 1560s. A miscellany presented to the queen by pupils at Eton College in 1563 is strikingly diverse in its metres, and this variety is expressly signalled in the manuscript as a noteworthy aspect: an epigram headed Carmen Sapphicum cum Vnico Adonio (‘ Poem in Sapphics with a single adonean’) , for instance, consists 3 Baldwin 1944, vol. 2, 380-416; Fletcher 1956-1961, vol. 1, 232-240. 4 Attridge 1974, 40. For the question of ictus see the contribution of Thorsten Burkard in this volume. 5 Brinsley 1612, 192, cited by Fletcher 1956-1961, vol. 1, 233; see also Attridge 1974, 32, 37-38; Baldwin 1944, vol. 2, 380-390; Knight 2017, 50-51. 6 Brinsley 1612, 17; on Ovid versus Virgil and Horace as models in the Tudor classroom, see Baldwin 1944, vol. 2, 381-385. <?page no="241"?> Neo-Latin Metre at English Universities 241 of eight sapphic lines + one adoneus, and poems whose metres include alcaics, hexameters, hendecasyllables, iambic dimeter and trimeter also abound . 7 In a verse anthology offered by students at Magdalen College to Elizabeth during her 1566 visit to Oxford, however, elegiacs and hexameters predominate. 8 J. W. Binns has fairly argued that ‘it is hard to make generalizations’ about these anthologies, in which ‘[t]he conventions […] are fairly loose and free’ 9 , but it is striking that many of the students who conspicuously experiment outside hexameter and elegiac modes went on to become accomplished Latin as well as vernacular poets: Phineas Fletcher’s poem on the death of Elizabeth I in the Cambridge anthology Threno-thriambeuticon (1603), for instance, or George Herbert’s hexameter poem on the death of Henry, prince of Wales, in the collection Epicedium Cantabrigiensis (1612) , which switches to the form of an alcaic ode, are two examples which suggest that university culture did help to foster original and ambitious Latin versification. Even if students were not formally required to scan verse to fulfil academic requirements, or to write Latin poetry themselves to gain their degrees, they were nonetheless assessed on oral delivery, so how they enunciated Latin syllables and quantities was obviously important, especially if they were quoting verse in their curricular orations, as many did, and being invited to contribute original Latin poetry by a senior scholar was clearly a sign of institutional regard which carried considerable cachet. While university tutors did not instruct their students in prosody as formally as they had been taught at school, since they could assume that this skill had already been inculcated, and although scansion of Latin metre was not taught and tested as part of the curriculum, the topic also frequently crops up in works by current students and recent graduates during the late sixteenth and early seventeenth centuries, and became a crucial aspect of the debate over both Latin and vernacular quantitative versification that gathered momentum in England during the same period. In the third act of Technogamia , Poeta recites an eighteen-line piece in iambic pentameter, the dominant vernacular lyric metre, about a disloyal woman, and his central conceit is that she can be compartmentalised according to metrical terminology: 7 Nichols 2014, vol. 1, 259-267: the verses are edited and translated by David K. Money; see also Money 2005. 8 Nichols 2014, vol. 1, 546-611. 9 Binns 1990, 34-45 (43). <?page no="242"?> 242 Sarah Knight Her Brow is like a braue Heroicke line, That does a sacred Maiestie inshrine. Her Nose Phaleuciake -like in comely sort Ends in a Trochie, or a long and short. Her Mouth is like a prettie Dimeter; Her Eie-browes like a little-longer Trimeter. Her Chinne is an Adonicke ; and her Tongue - Is an Hypermeter, somewhat too-long. Her Eies, I may compare them vnto two Quick-turning Dactyles , for their nimble View. Her Necke Asclepiad-like turnes round about Behind, before a little bone stands out. Her Ribs like staues of Sapphickes doe descend Thither, which but to name were to offend. Her Armes like two Iambickes rais’d on hie, Doe with her Brow beare equall Maiestie, Her Legs like two strait Spondies , keep a pace Slow as two Scazons , but with stately grace. 10 Throughout the poem Poeta tries to evoke the visual notation of metrical units, but while legs might resemble two drastically realigned spondees (- -), at a stretch, it is difficult to see the link between eyes and ‘two / Quick-turning Dactyles ’ (- ⏑⏑ ). Such laboured versifying is fully in character - Holyday never presents Poeta to us as an original-minded genius - and the poem tells us something about the sources for the understanding of metre at the universities. Poeta both touches on contemporary trends in vernacular verse, especially the late-stage subversions of the sonnet form and the fashion for ‘metaphysical’ wit, and refers to more longstanding habits of thought formed in the Latin-speaking classroom. Although it is four lines too long to be a conventional sonnet (raising the question of whether Poeta is as bad a mathematician as he is a versifier), the poem fits within the blason tradition of celebrating individualized female body parts which had proved so popular in England during the sixteenth century, but which was already a fairly exhausted mode by the time Shakespeare came brilliantly to subvert it in Sonnet 130: ‘My mistress’ eyes are nothing like the sun; / Coral is far more red than her lips’ red’. 11 The drive of Holyday’s poem moves in the opposite direction to Shakespeare’s: while Sonnet 130 begins by identifying the mistress’s lack of remarkable beauty, by the end the speaker has decided that 10 Holyday 1942, 46. 11 Shakespeare 2001a, 39. <?page no="243"?> ‘I think my love as rare / As any she belied with false compare’ (line 14). Poeta’s blason , on the other hand, starts with extravagant compliment (‘Her Brow is like a braue Heroicke line’; 3.1.62), moves at the mid-point towards stereotypical misogynist critique (‘her Tongue - / Is an Hypermeter , somewhat too-long’; 3.1.68-69), then resolves itself with a vaguely complimentary if clumsy conceit: ‘Her Legs like two strait Spondies , keep a pace / Slow as two Scazons , but with stately grace’ (3.1.78-79). This self-referential imagery also chimes with the use of comparable meta-poetic conceits in contemporary English lyric poetry, such as John Donne’s bilingual play on the Italian stanze in The Canonization (first printed in 1633, but most likely composed during the first decade of the seventeenth century), which yokes together poetic and architectural structures: ‘We’ll build in sonnets pretty rooms’ (line 32). 12 But while Poeta’s extended metaphor might occasionally nod towards contemporary vernacular trends, a more forceful element in the poem is its reliance on schoolroom Latin pedagogy. Holyday assumes that his audience would know what he was talking about in his use of technical terminology; for a comedy to work, they would need to get the metrical jokes. Central to the ‘joke’ is that Poeta - who presents himself as an independent-minded, creative man - uses ostensibly sophisticated vocabulary which is actually lifted from a book that every schoolboy would know, which, as Technogamia ’s mid-twentieth century editor noted, would be particularly ‘commonplace to an academic audience’. 13 Holyday takes his list of metrical terms more or less intact from the single best-known pedagogical work of the English Renaissance, William Lily’s Brevissima Institutio of Latin grammar, first compiled in the 1510s, frequently revised, then established by royal proclamation in 1540 as the authorized grammar in all English schools. Lily’s Latin grammar powerfully influenced how English students thought about metre, whichever of the two languages they wanted to compose in, and was reprinted frequently into the seventeenth century and later. 14 Losing its superlative in translation, the Brevissima Institutio became A Short Introduction , and a bilingual edition was printed by Cantrell Legge, the university printer at Cambridge in 1621, the year of Technogamia ’s fateful royal début. To take perhaps the most explicit and vividly demonstrated example of the impact of the Brevissima Institutio on institutional culture, we can look to Leonard Hutten’s Bellum Grammaticale, which concludes with a task force of historical grammarians, including Priscian, Thomas Linacre, Jean Despautère and Lily, stopping a civil war between different forms of language, with ‘the educator as a deus ex machina ’, as Erik Butler 12 Donne 1996, 88. 13 Holyday 1942, liv. 14 Lily 2013, 265-283. Neo-Latin Metre at English Universities 243 <?page no="244"?> 244 Sarah Knight has observed. 15 Lily himself delivers the play’s Epilogue and states that the bella […] et lites (‘war and disputes’) ‘between Amo , the delightful prince of verbs’ ([ i ] nter Amo, verborum principem iucundum ) and ‘ Poeta , the raging king of nouns’ ( Poetam, nominum / regem furiosum ) are ‘now finally settled’ ( iam tandem […] componuntur ). 16 And it is the Brevissima Institutio which will cement the fact that the inhabitants of the province of Grammar ‘now live in peace’ ( nunc pace vivitur ; line 1210); the ‘rules for living well’ ([ r ] egulas bene vivendi ; line 1210) are ‘recognized by all’ ([ a ] gnoscunt omnes ; line 1212) since they are ‘more widely available’ ( latius apparent ) ‘in the book of precepts which has the following title: Brevissima Institutio ’ ( in libro decretalium, qui sic inscribitur: Brevissima Institutio ; lines 1212-1214). Hutten presents the textbook as a nationally unifying force: the Epilogue’s implication is that all English pupils had in common their classroom experience of Lily, and were so steeped in its instructions, in fact, that when they moved from school to university the textbook remained a touchstone for shared educational experience. In contrast to Bellum Grammaticale, Technogamia follows a different trend which we can also map across English university drama: the use of Lily’s Latin to entertain a student audience with ironic schoolroom nostalgia, where a character’s reliance on Lily’s precepts often denotes a marked lack of academic development, and this comic impulse often relies on reference to versifying. In the Cambridge comedy The First Part of the Return from Parnassus, for example, anonymously authored at the turn of the seventeenth century, the unambiguously named character Gullio calls a line from Ovid’s Ars Amatoria ‘a sayinge in Homer’, then attributes to ‘prating Tullie’ (i.e. Cicero) an example illustrating the subjunctive mood lifted from Lily, ‘ Cum amarem eram miser ’ (‘when I loved I was unhappy’). 17 The point is Gullio does not know the difference between Latin and Greek, or Ovid and Homer, or Cicero and a Tudor textbook, and is intellectually arrested, unable to move beyond basic schoolroom instruction. In the anonymous Cambridge Latin comedy Susenbrotus , too, written a couple of years earlier than Technogamia (March 1615/ 16), and performed before King James more successfully than Holyday’s comedy, the play’s recent editor Connie McQuillen notes that the grammarian protagonist ‘most often quotes Lily’, more than any other Latin source. 18 His textbook-heavy tendency identifies Susenbrotus as an unworldly pedant, as other characters in the play mock his boring Latin and consistently undermine his didactic intentions. 15 Butler 2010, 51. 16 Hutten 2008, lines 1208-1209. 17 The Three Parnassus Plays 1949, 188-189. 18 Susenbrotus 1997, 23. <?page no="245"?> We also see Susenbrotus associate grammar with prosody, as he states his claim to the play’s love interest Fortunia, one of the characters who has ridiculed most vociferously his Lily quotations. Asked by the poet Phantastes quo […] iure (‘by what right’) he calls Fortunia his, Susenbrotus, having just quoted from Lily’s section ‘De Verbis Defectivis’ (‘On defective verbs’), next replies (3.2): 19 Iure (quod aiunt) optimo / Et multiplici: Iure amatorio, iure grammatico, iure Heroico, Elegiaco, Iambico, / Sapphico, et eam inuita Minerua possidebo, per poeticam licentiam. By the highest right (as they say) and many more: by the right of love, by the right rule of grammar and of epic, elegiac, iambic, sapphic verse. Or, should Minerva be unwilling, I shall possess her by poetic license. Susenbrotus’s link between the ius of grammar and the iura of poetic genre and metre indicates a larger trend we see at the early modern English universities to equate these ‘laws’ or ‘rights’ with early stages of educational training. Like Poeta, Susenbrotus lists rather than demonstrates metrical techniques: he names the different forms of versification mechanically rather than performing before the audience any poetic skills. The point of the joke is that the punctilious grammarian might know the right terms, but has no real gift for verse. In an earlier Cambridge comedy, likewise, Edward Forsett’s Pedantius (1581), the title character’s fussy jokes about metrical terminology contribute to his characterisation as ponderously analytical, haplessly cerebral in a knockabout Plautine-Terentian comic world. Once again Pedantius quotes Lily (e.g. at 4.4.2104); composes - despite his claim to write aureos et altitonantes versus (‘golden and high-sounding verse’; 5.1.2368) - bad poetry which rhymes constrictus with ictus and Cicero with misero (5.1.2380-2381); and, like Holyday’s Poeta, forces metrical vocabulary into a strained metaphor: ‘my schoolboys’ robes are semi-long (like a Pyrrhic foot, or rather a tribrach)’ ( puerorum meorum togae sunt semilongae [ quasi in carmine pes pyrrichius, vel potius tribrachys ]; 5.3.2599-2601). 20 Rather like Poeta’s comparison of eyes to a dactyl, taking the comparison literally we might again struggle to see how a robe resembles either a Pyrrhic foot ( ⏑⏑ ) or a tribrach ( ⏑⏑⏑ ). The force of Pedantius’ simile, however, is not so much to pinpoint a likeness as to demonstrate how unsuited his pedagogical idiom is to an encounter with an ordinary person. We can identify similar comic incongruities in contemporary vernacular drama: in Shakespeare’s Love’s Labour’s Lost (c. 1595), for instance, the schoolmaster Holofernes admits correct scansion in another’s verse but is still dismissive 19 Susenbrotus 1997, 110-111. 20 Forsett 1905. Neo-Latin Metre at English Universities 245 <?page no="246"?> 246 Sarah Knight - ‘Here are only numbers ratified, but for the elegancy, facility and golden cadence of poesy, caret [it lacks something] (4.2.121-122) - yet when we come to witness a verse pageant the schoolmaster has himself composed, his rhyming and indeed his Latin is shown to be strained and inept, juxtaposing ‘Cerberus, that three-headed canus ’ [sic - canis would be correct] with ‘strangle serpents in his manus’ (5.2.583, 585). 21 Baldwin reads Holofernes’ phrase ‘numbers ratified’ as indicating Shakespeare’s indebtedness to contemporary grammars, especially the Swiss reformer Rudolf Gwalther’s De Syllabarum et Carminum Ratione (first printed in Zurich in 1569); Baldwin argues that the popularity of Gwalther’s textbook in English schools led to the publication of a London edition in 1573, and that Shakespeare’s meaning is that ‘[t]he numbers have a correct ratio of feet and syllables’. 22 With this in mind, a pattern can therefore be seen not only in university but also in popular comedy, where a character’s use of metrical terminology becomes key to his (and it is always ‘his’, given the homogeneous demographic of early modern formal education) larger characterisation as pedantic and socially inept. As we have seen in the cases of Susenbrotus and Pedantius, citing Lily offered university dramatists a clear opportunity to connect grammar with prosody. In Technogamia , Poeta takes all of his terms from the section ‘De Prosodia’, and its two sub-sections ‘De Carminum Ratione’, and ‘De Generibus Carminum’, which stretch across two consecutive openings of the contemporary quarto publication. Only the Latin version of Lily contains the section ‘De Prosodia’ - no equivalent exists in the English translation - so although Poeta composes in English, he only has access to Latin metrical terms. In ‘De Prosodia’, Lily’s opening gambit is to establish the relationship between pronunciation and stress, the sound of the syllable and its metrical quantity: Prosodia est quae rectam vocum pronuntiationem tradît: Latinè accentus dicitur (‘Prosody is what provides the accurate pronunciation of words: in Latin it is called ‘accent’’). 23 Pronunciation was particularly important to Latinists at university, of course, because their academic success was based exclusively on viva voce assessment, and English Latinists were perhaps right to be self-conscious given contemporary mockery of their pronunciation. On 22 March 1608, Joseph Scaliger, writing to the Arabist Stephanus Ubertus on the variety in pronunciation of Arabic, noted that Anglorum […] etiam doctissimi (‘even the cleverest Englishmen’) pronounced Latin tam prave (‘so badly’) that - when an Englishman spoke to him for fifteen minutes in Leiden - he claimed to understand him no better than if he 21 Shakespeare 2001b, 195, 276-277. 22 Baldwin 1944, vol. 2, 392. 23 Lily 1621, sig. M3 v . <?page no="247"?> had been speaking Turcice (‘in Turkish’). 24 Word of Scaliger’s critique got out: William Drummond records Ben Jonson saying that ‘Scaliger writes an epistle to Casaubon, where he scorns the English speaking of Latin, for he thought he had spoken English to him’; Jonson mistakes Scaliger’s addressee, and confuses English with Turkish as the language mentioned, but the memory of the insult clearly lingered. 25 As well as in the conversations of English authors, the disdain of continental humanists is also mirrored by vernacular drama, suggesting an interesting two-way traffic between the academy and the public stage. Shakespeare’s two pedant characters, Holofernes and the country curate Sir Nathaniel, in Love’s Labour’s Lost not only get Latin noun endings wrong, as we have seen, but their pronunciation of both English and Latin is also satirised; they correct one other’s adverbs - ‘Bone ? ’, Holofernes scoffs, ‘‘ Bone ’ for ‘ bene ’! Priscian a little scratched […]’ (5.1.27-28); and other characters comically misunderstand their Latin, the aptly named Dull, for instance, mistaking Holofernes’ ‘ haud credo ’ (‘I hardly believe it’) for ‘auld grey doe’ (4.2.11-12). The incorrect or mispronounced Latin which Shakespeare gives to his pedants assumes its audience’s familiarity with schoolroom methods and shows that satirical representations of incongruous linguistic use were not only performed before academic audiences steeped in Greek and Latin, but were also incorporated in plays staged at the metropolitan public theatres. The popularity of such plays suggests that debates over Latin prosody and pronunciation were sufficiently well-known in early modern England for a dramatist not to alienate spectators of commercial drama with subject-matter which both then and now might be considered recondite, and which we might expect to find in contemporary institutional drama but not necessarily on the public stage. Underpinning these literary representations is contemporary manuscript evidence which shows us how several university scholars included the practice of Latin prosody in their advice to students, and suggests a variety of metrical models. The tutor and preacher Richard Holdsworth (1590-1649), for instance, who became head of St John’s College in 1633, wrote a set of ‘Directions for a Student in the Universitie’ (dating to c. 1620s/ 30s). Recalling Shakespeare’s Holofernes’s praise for another Latin classroom favourite - ‘Ovidius Naso was the man’ (4.2.123) - Holdsworth encourages first-year B.A. students to read ‘Ovids’ Metamorphosis’, not only because it will ‘afford invention for theams verses & orations’, and ‘adde much to gaining the Latine’, but because 24 Scaliger 1610, 454; see also van Miert 2010, 7-8. 25 Informations to William Drummond of Hawthornden (1619); Jonson 2014, lines 408-409. Neo-Latin Metre at English Universities 247 <?page no="248"?> 248 Sarah Knight […] it is not so figurative and lofty as other Poets are but keeps nerer to the true Idiome and propriety of words it will allso help to perfect you in y e quantity of silables withouth w ch you will never pronounce latine right […]. 26 In their insistence on correct pronunciation based on attention to quantity, Holdsworth’s ‘Directions’ are rooted in the oral performance culture of student life: reading and understanding Latin poetry are important, of course, but more strategically, a writer like Ovid should be excavated to aid the student’s ‘invention’, which does not mean original composition here so much as the recycling of Ovidian stories and exempla to enrich the student’s own ‘theams verses & orations’. And Holdsworth’s verb choices touching on ‘y e quantity of silables’ are telling: the student needs to ‘perfect’ his understanding of quantity to be able to ‘pronounce latine right’. At the same time, contemporary educational manuals such as Brinsley’s Ludus Literarius caution pupils against over-pronouncing Latin based on a knowledge of quantity: ‘for the pronuntiation, it is to be vttered as prose; obseruing distinctions and the nature of the matter; not to bee tuned foolishly or childishly after the manner of scanning a Verse as the vse of some is’. 27 An overly deliberate, slavishly enunciated demonstration of one’s knowledge of quantity was seen as intellectually immature. The association between prosody and pronunciation foregrounded in the Brevissima Institutio for schoolboys’ benefit was picked up by a subsequent generation of educational theorists in the 1530s who were eager for the pronunciation of Latin and Greek to be improved, including Thomas Smith, John Cheke and Roger Ascham, who all taught at Cambridge. These scholars directly influenced the originators of the Elizabethan vernacular quantitative movement, the students who had been taught by that earlier humanist generation at Cambridge: these include the epic poet and French and Italian translator Edmund Spenser, the Ramist rhetorician and Latin poet Gabriel Harvey and less famous theorists like William Webbe who knew them both. 28 In addition to the fact that prosody was an aspect of earlier educational experience shared by every student, the interest of influential writers in quantitative prosody, and the debate they went on to provoke in their theory and practice of experimental metrics, had a profound impact on late sixteenth-century literary debate which helps to explain the continuing references we see to prosody in university works of the period. In his 1586 Discourse of English Poetry , Webbe chooses confessionally loaded terms to argue for ‘the reformed kind of poetry’. 29 The Discourse constitutes one of the 26 Holdsworth c. 1620s-30s, fol. 26; see also Fletcher 1961, vol. 2, 623-664, for a transcript. 27 Brinsley 1612, 213. 28 Attridge 1974; Webbe 2016, 10-37. 29 Webbe 2016, 85. <?page no="249"?> fullest efforts to understand how classical metre might be used for composing vernacular poetry, even though, as Webbe writes, ‘now it seemeth not current for an English verse to run upon true quantity and those feet which the Latins use because it is strange’. 30 Webbe’s treatise assumes though that the poet can move fluently back and forth between composing in English and in Latin, and since it was Latin versification they practiced at school and were exclusively immersed in, we perhaps need to rethink how code-switching between the two languages worked in this period. Although it has become a critical commonplace that the midto late sixteenth century witnessed the rise of English as a literary language - linked, variously, to the reformation impetus to translate, burgeoning ideas of nationhood and an increasing commercial emphasis on the vernacular - it is less often noted how heavily those formulating a quantitative vernacular poetics relied on neo-Latin theorists. One of the most prolific quantitative poets was Abraham Fraunce, a Cambridge graduate of Spenser’s generation. While at St John’s College, Fraunce wrote at least one Latin comedy, Victoria (before 1583), and another entitled Hymenaeus has also been attributed to him. 31 In Victoria we see yet another unskilful poet, Onophrius, mangle Catullan hendecasyllabic verse in a deliberately inaccurate parody: two of Catullus’ lines - quot sunt quotquot fuere, Marce Tulli / quotque post aliis erunt in annis (‘as many as there are, as many as there were, Marcus Tullius / and as many as there will be in years to come’; 49.2-3) - become telescoped in Onophrius’ single line [ q ] uot sunt, quotque fuere, quotque post aliis erunt in annis . 32 We must remember that these lines were part of a performance, and what such moments suggest is that institutional playwrights assumed their audience’s ability not only to recognise well-known Latin verse but also to laugh when a comic character gets the poetic citation and its scansion wrong. Following his career as a Latin dramatist, Fraunce’s quantitative verse was in English, and he particularly favoured classical hexameter, but in his 1588 treatise The Arcadian Rhetorike he demonstrates his interest in polyglot prosody and his continuing interest in Latinity. Fraunce’s treatise adapts the French Ramist Omer Talon’s 1549 manual Rhetorica : he translates Talon, borrows his classical Latin quotations, and adds not only contemporary English but also French examples. For his illustration of the carmen Sapphicum , for instance, Fraunce, like Talon, cites the first quatrain of Horace, Odes 1.2 (although this is mistakenly cited in Talon’s Rhetorica margin as 2.1), then an extended sapphic from Philip Sidney’s 30 Webbe 2016, 118. 31 Fraunce 1991, 2. 32 For the manuscript facsimile text, see Fraunce 1991, line 1388 (n.p.). Neo-Latin Metre at English Universities 249 <?page no="250"?> 250 Sarah Knight English romance Arcadia, then stays within the pastoral mode by quoting another quatrain from the Pléiade poet Rémy Belleau’s Bergerie sequence (first printed in 1565). 33 Fraunce’s two intended readerships were Cambridge students and graduates, and the erudite male and female members of the circle around Philip Sidney and his sister Mary. For these educated groups, at least, the sapphic and all other metrical forms were most usefully explained in trilingual terms. Julie Crawford has written persuasively about the use of sapphic metre by the Sidney circle and related ‘interpretative communities’ as a recognised symbolic means of articulating both male and female homosociability. 34 Her argument is that young Elizabethans steeped in Latin and Greek knew about the same-sex cultural aspects of the Sapphic tradition as well as how to compose sapphics and so wrote this kind of verse to each other as an expression of intimate friendship. We might interestingly relate this phenomenon to the homosocial environment of the early modern schools and universities and the forms of literary expression this generated. Following his definition of sapphics, and addressing the imaginary orator to whom his Rhetorica is aimed, Talon goes on to compare numerus in poetry with that found in prose: numerus, inquam oratorius liberior et solutior est, nec certis pedibus, nec certo semper loco (‘number, I say, is more free and more unrestricted in oratory, having neither fixed feet nor always a fixed position’). 35 Talon’s characterisation of verse as binding and prose as ‘more free’ is anticipated by a second declaration Lily had made in ‘De Prosodia’, where he states that a poem ( carmen ) is a ‘speech restricted [or ‘compressed’] by the correct and proper [or ‘right’] number of feet’: Est enim Carmen, oratio iusto atque legitimo pedum numero constricta . 36 Early in the following century, John Milton makes a similar distinction - writing prose as liberating, scanning verse as hard work - in a Latin letter to his former tutor, Thomas Young, who had taken up a ministry in Hamburg. Young tutored Milton between 1618 and 1620; like Barten Holyday, Milton was an alumnus of St Paul’s School in London, and his earliest metrical experiments in Latin (in elegiacs) date to that time. The letter - the first of Milton’s Epistolae Familiares (printed in 1674) - dates to 1627, when Milton was a Cambridge undergraduate, and the opening sentences are telling: Quanquam statueram apud me (Praeceptor optime) Epistolium quoddam numeris metricis elucubratum ad te dare, non satis tamen habuisse me existimavi, nisi aliud insuper soluto stylo exarassem; incredibilis enim illa et singularis animi mei gratitudo, 33 Talon 1549, 60 (‘Sapphicum’); Fraunce 1588, sig. C2 v (‘a Sapphike ’). 34 Crawford 2002, 979-1007. 35 Talon 1549, 60. 36 Lily 1621, sig. M5 v . <?page no="251"?> quam tua ex debito vendicant in me merita, non constricto illo, et certis pedibus ac syllabis angustato dicendi genere exprimenda fuit, sed Oratione liberâ, immo potius, si fieri posset, Asiaticâ verborum exuberantiâ. Although I had resolved with myself, most excellent Preceptor, to send you a certain small epistle composed in metrical numbers, yet I did not consider that I had done enough unless I wrote also another in prose; for the boundless and singular gratitude of mind which your deserts justly claim from me was not to be expressed in that cramped mode of speech, straitened by fixed feet and syllables, but in a free oration, or rather, were it possible, in an Asiatic exuberance of words. 37 The terms Milton uses, of constriction and freedom, suggest that he was thinking not only of Lily’s definitions but also of other earlier debates about Latin ratio and numerus , influentially articulated by Talon and his followers. At the same time, this exchange with Thomas Young, as well as Latin letters to another of Milton’s tutors, Alexander Gill, which also discuss versification, indicate how fundamental the relationship between student and tutor, or former pupil and former schoolmaster, seems to have been to poetic experimentation at the universities. Milton was not alone in this: in a diary kept by the St John’s Cambridge undergraduate Simonds D’Ewes in the 1610s, an example from 1618 shows how the process worked: when a dignitary associated with the university, ‘James Montague Doctor of Diuinite and Bishopp of Winchester’ died, Samuel Ward, theologian and friend of D’Ewes’ tutor, the same Richard Holdsworth who wrote the ‘Directions’, ‘desired [Holdsworth] to procure some of his freinds to make some funerall elegies’ for Montague. 38 In the diary D’Ewes includes his verse efforts as proof: as well as his ‘elegies’, the poem, In obitum Doctissimi Antistitis Jacobi Montague , he also wrote an Anagramma - a form which Binns has noted was especially ‘frequent’ in English neo-Latin - and an Epigramma . 39 When student Latinists had produced their work, it was corrected by older scholars, as guidelines for Cambridge poems to be presented to Elizabeth on her 1564 visit make clear: ‘the verses made / to be overseen of the best lerned in every howse’. 40 Latin verse composition at the early universities may not have been required by statute, but nonetheless traces of classroom pedagogy affected its production: one of the ways in which constrictio (to use Lily and Milton’s term) might be felt was that even original poems had to be overseen and, if necessary, corrected by a tutor. 37 Milton 1936, 4-5. The translation is by David Masson. 38 D’Ewes, British Library MS Harley 646, fols. 44 v -45 r . 39 Binns 1990, 48. 40 Nichols 2014, vol. 1, 384. Neo-Latin Metre at English Universities 251 <?page no="252"?> 252 Sarah Knight We end this discussion of academic attitudes to versification where we began, in seventeenth-century Cambridge, with evidence of scholarly nostalgia about earlier ‘purer’ phases of prosody. In the 1640 English translation of the Bohemian educationalist Ioannes Comenius’s Janua Linguarum Reserata (1631), the English translator and Cambridge graduate John Robotham laments in the epistle ‘To the Reader’ how in Rome ‘every cobler might better discern once by the bare uttering of the word, then we can now with all our rules of prosody ’. Robotham next looks to the universities to rectify matters when it comes to sound, pronunciation and quantity: ‘Nor is the cure of this error to be despaired, if our University-professors and some of the eminent learned would dare to begin’, and contrasts the ‘ vulgar tongues’ governed by ‘the grosse of the mixt multitude’ with ‘the learned languages, which are exempted from popular use’ where ‘the learned , if they will, may command ’. 41 In a marginal note which recalls Webbe’s theologically orientated plea for a ‘reformed kind of poetry’, Robotham lists two Frenchmen (Henri Estienne and Ramus) and two Englishmen (Thomas Smith and John Cheke) as the ‘undaunted spirits’ who managed to ‘reform’ Greek as Latin prosody now needs to be reformed. Around the same time, Milton’s ‘Sonnet XI’ (1647) also ends with an apostrophe to Cheke - ‘Thy age, like ours, O Soul of Sir John Cheek , / Hated not Learning wors than Toad or Asp’ - for Milton, both periods had their share of philistines who had no real skill or interest in Latin or Greek composition. 42 The examples of Robotham and Milton’s hearkening back to early sixteenth-century English pedagogy illustrate that we can map a line of intellectual influence in terms of discussions of ‘Learning’ and one of its manifestations - namely, the knowledge and correct use of Latin prosody - from Lily at the start of the sixteenth century to the Cambridge educational reformers like Cheke in the 1530s, to the vernacular quantitative theorists of the 1570s and 80s like Abraham Fraunce and William Webbe, to the dramatists who wrote Bellum Grammaticale , Pedantius and Susenbrotus , to Holyday, Milton and Robotham, all affiliated in different ways with the Stuart universities. Unlike Robotham, however, Milton in the 1640s saw the universities as seriously in need of pedagogical reform, and not as somewhere that could usefully contribute to the inculcation of prosody and other aspects of Latinity and of poetic composition. While Robotham looked to the universities to improve Latin prosody, in his treatise Of Education (1644), Milton makes clear the association we have already seen, that prosody was assigned to a more rudimentary educational stage, as a counterpart of grammar, as something that a student should 41 Comenius 1640, sig. A3 v . 42 Milton 2014, 242. <?page no="253"?> have mastered before he entered university. In defining ‘Poetry’ Milton asserts that I mean not here the prosody of a verse, which they could not but have hit on before among the rudiments of grammar, but that sublime art which in Aristotles poetics , in Horace , and the Italian commentaries of Castelvetro , Tasso , Mazzoni , and others, teaches what the laws are of a true Epic poem, what of a Dramatic , what of a Lyric , what decorum is, which is the grand master peece to observe. 43 Milton emphatically separates ‘prosody’ from ‘sublime art’, the labour of scansion from inspired, even near-transcendent poetics, and dismissively classifies it, with grammar, as literary ‘rudiments’. In Technogamia Holyday had also satirically hinted at the close if unwilling (on Poeta’s part) relationship between poetry and grammar: the two clash in an early scene when Grammaticus rebukes Poeta with a ‘Sir, you did that by a Poetica licentia ’ to which Poeta angrily chafes against Grammaticus’s strictures: ‘O, Grammaticus , you’d faine Rule me still: Et nos ergo manum ferule subduximus ’. 44 Poeta quotes a famous line from Juvenal’s first satire (1.15) which Holyday translated in his own edition and translation of Juvenal as ‘Our hand then from the ferula we have / Withdrawn’. 45 Holyday clearly thought that these lines were important and needed more exposition; in his editorial commentary ‘Illustrations of the Obscurer Passages’, he interprets the lines to indicate ‘[t]he vertuous indignation of the Poet who having in the Schools learn’d the grounds of Grammar, and practised himself in the Rhetorique of a Declamation, would not any longer endure to be an Auditor of others, and as it were suffer the ferula again’. 46 Having finally withdrawn his hand from the schoolmaster’s cane, and conquered Latin grammar and prosody, the ambitious poet might perhaps attempt ‘the grand master peece’. 47 References Attridge, Derek: Well-Weighed Syllables. Elizabethan Verse in Classical Metres, Cambridge 1974. Baldwin, Thomas Whitfield: William Shakspere’s Small Latine and Less Greeke, 2 vols., Urbana 1944. 43 Milton 1959, vol. 2, 404-405. 44 Holyday 1942, 19 (1.8.532-534). 45 Juvenal 1673, 1. 46 Juvenal 1673, 11. 47 The author would like to thank Hannah Crawforth, John Creaser and Victoria Moul for helpful and incisive discussion of the topic. Neo-Latin Metre at English Universities 253 <?page no="254"?> 254 Sarah Knight Binns, James Wallace: Intellectual Culture in Elizabethan and Jacobean England. The Latin Writings of the Age, Leeds 1990. Brinsley, John: Ludus Literarius, London 1612. Butler, Erik: The ‘Bellum Grammaticale’ and the Rise of European Literature, Farnham 2010. Comenius, Ioannes Amos: Janua Linguarum Reserata, translated by John Robotham, London 1640. Crawford, Julie: Sidney’s Sapphics and the Role of Interpretative Communities, English Literary History 69, 2002, 979-1007. D’Ewes, Simonds: British Library MS Harley 646, c. 1610s. Donne, John: Selected Poetry, edited by John Carey, Oxford 1996. Elliot Jr., John R./ Nelson, Alan H./ Johnston, Alexandra F./ Wyatt, Diana (eds.): Records of Early English Drama, 2 vols., Oxford 2006. Fletcher, Harris Francis: The Intellectual Development of John Milton, 2 vols., Urbana 1956-1961. Forsett, Edward: Pedantius, edited by George C. Moore Smith, Leuven 1905 (Materialien zur Kunde des älteren Englischen Dramas, Bd. 8). Fraunce, Abraham: The Arcadian rhetorike, London 1588. Fraunce, Abraham: Victoria, in: Hymenaeus, Victoria, Laelia, edited by Horst-Dieter Blume, Hildesheim 1991 (Renaissance Latin Drama in England, 2 nd series, vol. 13). Holdsworth, Richard: Directions for a Student in the Universitie, MS 48 (1. 2. 27), Cambridge c. 1620s-1630s. Holyday, Barten: Technogamia, edited by Mary Jean Carmel Cavanaugh, Washington, DC 1942. Hutten, Leonard: Bellum Grammaticale, edited by Dana F. Sutton, in: The Philological Museum; www.philological.bham.ac.uk/ bellum/ (latest revision 2008). Jonson, Ben: Informations to William Drummond of Hawthornden, edited by Ian Donaldson, in: The Cambridge Edition of the Works of Ben Jonson Online, 2014; https: / / universitypublishingonline.org/ cambridge/ benjonson/ (20.02.2019). Juvenal: Juvenal and Persius, translated with commentary by Barten Holyday, Oxford 1673. Knight, Sarah: How the Young Man Should Study Latin Poetry. Neo-Latin Literature and Early Modern Education, in: Victoria Moul (ed.), Neo-Latin Literature, Cambridge 2017, 45-57. Lily, William: Lily’s Grammar of Latin in English, edited by Hedwig Gwosdek, Oxford 2013. Lily, William: Short Introduction / Brevissima Institutio, Cambridge 1621. Miert, Dirk van: Language and Communication in the Republic of Letters. The Uses of Latin and French in the Correspondence of Joseph Scaliger, Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance 72, 2010, 7-34. Milton, John: Shorter Poems, edited by Barbara Kiefer Lewalski and Estelle Haan, Oxford 2014 (Complete Works of John Milton, vol. 3). <?page no="255"?> Milton, John: Of Education, edited by Donald C. Dorian, New Haven 1959 (Complete Prose Works, vol. 2). Milton, John: Familiar Letters, edited by Donald Lemen Clark, New York 1936 (Works, vol. 12). Money, David K.: Musarum Pueritia. Poetae Iuvenes in Schola Etonensi, sub Anglorum Regina Elizabetha Prima, Studi Umanistici Piceni 25, 2005, 297-303. Nichols, John: The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth I. A New Edition of the Early Modern Sources, edited by Elizabeth Goldring, Faith Eales, Elizabeth Clarke, and Jayne Elisabeth Archer, 5 vols., Oxford 2014. Scaliger, Joseph: Opuscula, Paris 1610. Shakespeare, William: Complete Works, edited by Richard Proudfoot, Ann Thompson, and David Scott Kastan, London 2001a. Shakespeare, William: Love’s Labour’s Lost, edited by Henry R. Woudhuysen, London 2001b. Susenbrotus, edited by Connie McQuillen, Ann Arbor 1997. Talon, Omer: Rhetorica, Paris 1549. The Three Parnassus Plays, edited by James B. Leishman, London 1949. Webbe, William: A Discourse of English Poetry, edited by Sonia Hernández-Santano, Cambridge 2016 (MHRA Critical Texts, vol. 47). Neo-Latin Metre at English Universities 255 <?page no="257"?> Neo-Latin Metrical Practice in English Manuscript Sources, c. 1550-1720 Victoria Moul This chapter presents an initial report on the findings of a large research project surveying for the first time post-medieval Latin verse recorded in English manuscript sources dating from around the mid-16 th to first decades of the 18 th century. 1 Throughout this period, the manuscript circulation of verse remained an important element of English literary culture, with many well-known poets of this period, such as George Herbert and John Donne, circulating their verse only or largely in manuscript. For this reason, manuscript verse miscellanies and personal notebooks have received considerable scholarly attention, but almost exclusively in terms of the English verse that they contain. In practice, literary culture throughout this period was bilingual: the enormous quantity of post-medieval Latin verse in manuscript has, however, received no systematic scholarly study, and is often poorly catalogued, or not catalogued at all. Most first-line indexes of early modern English verse do not include Latin, even where a Neo-Latin poem bears a close relationship to an English piece (such as a translation, imitation or response). 2 1 Victoria Moul, ‘Neo-Latin verse in English manuscript miscellanies’, funded by the Leverhulme Trust for four years (2017-2021). In practice, we looked actively for material dating from between the 1540s and 1720, with a handful of items surveyed from outside these parameters. 2 The exceptions to this are the excellent catalogue and first-line index of the Nottingham Portland manuscripts, which includes Latin verse (www.nottingham.ac.uk/ manuscriptsandspecialcollections/ documents/ collectionsindepth/ family/ pwv-first-line-index-2016. pdf) and Hilton Kelliher’s addendum to the first-line index of verse in British Library manuscripts, which covers only manuscripts acquired between 1894 and 2009, but excludes a single manuscript which contains over 700 Latin epigrams (BL Additional MS 72542). Both these first line indexes are incorporated in the Folger’s ‘Union First Line Index of English Verse’ ( https: / / firstlines.folger.edu ). Details of some Neo-Latin verse can also be found in the digital Catalogue of English Literary Manuscripts 1450-1700 ( http: / / celm2. dighum.kcl.ac.uk ), though this is limited to Latin poems by the 237 16 th and 17 th -century authors included in the catalogue plus a handful of Latin translations of English poems by included authors. <?page no="258"?> 258 Victoria Moul The project has taken as its remit any item of post-medieval Latin verse in a manuscript source the transcription of which certainly or probably dates from the period of study. 3 ‘Latin verse’ for these purposes includes single lines, quotations and fragments as well as complete poems, and covers both transcriptions of existing verse (such as much-copied poems by Petrarch or John Owen) and verse which appears to be an original composition. It includes the full range of manuscript sources, from scribal presentation volumes (particularly common in the first half of the chronological period) to personal notebooks and even scraps of paper. We have included draft verse. Where the same poem appears several times in a single manuscript we have counted each text separately (for instance, two draft copies and a ‘neat’ copy is counted as three). Quantity At the time of writing, the project team has examined 1,454 manuscript sources in 38 separate archives or libraries in England. 4 A total of 24,880 examples of Latin verse or verse extracts (verse ‘items’) were considered to be ‘in range’ (that is, apparently post-medieval and dating or probably dating from between the mid-16 th and the early 18 th century). 5 The data counts individual verse items (whether single line quotations or entire poems), not lines: some of the poems counted simply as ‘1’ therefore represent very long works of many hundreds of 3 That is, where the manuscript item itself appears certainly or probably to have been created between c. 1540 and 1720. This therefore includes, for instance, transcriptions of earlier Neo-Latin texts such as extracts from Petrarch, Sannazaro or Thomas More. 4 The complete list of collections is as follows: British Library, Bodleian Library, Cheshire Archives, Chetham’s Library (Manchester), Cambridge University Library, Derby County Record Office, Durham (5 The College), Durham (PG Library), Durham Cathedral, East Sussex County Record Office, Emmanuel College (Cambridge), Essex County Record Office, Hampshire County Record Office, Hertford County Record Office, Inner Temple Library, St. John’s College (Cambridge), Lambeth Palace Library, Yorkshire Archaeological Service, Brotherton Library (Leeds), John Rylands Library (Manchester), National Archives, Northampton County Record Office, Nottingham University Library, The Queen’s College (Oxford), Ripon Cathedral, Society of Antiquaries (London), Society of Friends Archive (London), Somerset County Record Office, Stafford County Record Office, Surrey Archives, Trinity College (Cambridge), Warwick County Record Office, West Sussex County Record Office. We are very grateful to the archivists and librarians for all their assistance in conducting this primary research. 5 We estimate that this represents at least half, and perhaps closer to two-thirds of the total of extant Neo-Latin verse in manuscript sources now held in England. Of course there are also significant holdings of English manuscripts dating from this period in other countries, especially Wales, Scotland, Ireland and the United States of America. This project has not attempted to survey manuscripts no longer held in England. <?page no="259"?> Neo-Latin Metrical Practice in English Manuscript Sources, c. 1550-1720 259 lines. 6 Further analysis will no doubt discover that a small proportion of these items are in fact classical, late antique, medieval, or that the manuscript itself dates from outside the chronological range of the project. Nevertheless, we believe that the great majority of this material is accurately described as falling within the project’s stated range. Dating The ‘dating’ allocated to items is the certain or likely date (so far as it can be established) of the manuscript transcription, not of the composition of the poems (which in many cases belongs to an earlier period of Neo-Latin). 7 Dating is often difficult to determine precisely: where a manuscript clearly contains two or more sections of significantly different date, the data from these sections has been recorded separately. Nevertheless, the assigned dating of some manuscripts or parts of manuscripts will almost certainly change after further research. At the survey phase, we have used the following date categories: 6 This category includes in particular verse paraphrases of Biblical books; some didactic texts, such as the surprisingly popular sub-genre of the verse grammar; as well as plenty of examples of panegyric, short and mock epic, and a handful of examples of longer epic poems. Most of these long poems are in hexameter, though some long poems in elegiac couplets and iambics were also found, and some fairly long (e.g. 200+ lines) in lyric metres, most often Sapphics or Alcaics. Data on poem length will be added to the analysis as work continues. 7 The only exceptions to this are a handful of autograph manuscripts with an explicit editorial comment of the type ‘I am compiling this collection in 1668. I wrote all of these poems while in prison in 1645-1652’. In these instances we have recorded the earlier date. <?page no="260"?> 260 Victoria Moul Category Date range No. of verse items Percentage of total Mid-16 th cent. 1534-1566 8 1,245 5.0% Late 16 th cent. 1567-1600 2,649 10.7% Early 17 th cent. 1601-1633 8,309 33.4% Mid-17 th cent. 1634-1666 3,816 15.4% Late 17 th cent. 1667-1700 4,177 16.8% Early 18 th cent. 1701-1733 9 3,312 13.3% Table 1: Date categories with numbers of items and percentages (rounded to one decimal place) From the total of 24,880 verse items identified, 287 items are less precisely datable and are recorded as ‘16 th century’ (65 items, 0.3%), ‘17 th century’ (138 items, 0.6%) or ‘18 th century’ (84 items, 0.3%). 1,031 items (4.2%) are currently undated. 10 Some of these may prove datable after further research. It is noticeable that the largest quantity of material by some margin appears to date from the early 17 th century: we speculate that this is due to an overlap in this period between a scribal culture of manuscript verse (for instance, we still find numerous presentation manuscripts in this period) and the prolific circulation of manuscript verse in more informal contexts (such as ‘coterie’ publication, as well as many examples in personal notebooks and surviving correspondence) which has been recognised in the scholarship on English poetry as being particularly distinctive of this period. 11 8 As we were not actively ‘looking’ for material from before 1550, this is a smaller category, and the numbers found should not be treated as representative of the number of verse items extant for the whole of the period. 9 Although the project initially intended to record only material dating up to 1700, we have included this date category as in practice the survey found a lot of material from this period, including many earlier manuscripts which had an early 18 th century section, and many early 18 th century manuscripts which record poetry from the 17 th century. In addition, it quickly became clear that there are significant shifts in the form and style of the Latin verse which definitely dates from the early 18 th century and we were interested in being able to analyse this shift. Given that we were not actively looking for material in this date category, the relatively large quantity of verse items recorded suggests that the quantity of extant Neo-Latin verse dating from the early 18 th century may be significantly larger than for the late 17 th . 10 Note that 727 of this total of 1,024 undated items are from a single manuscript, Surrey History Centre LM/ 1327/ 41, part of the Loseley manuscripts. This is a large collection of moralising and didactic monostichs and distichs, with a few slightly longer items. Most similar collections in the corpus date from the midor late 16 th century. 11 Marotti 1995; Love 1993. <?page no="261"?> Neo-Latin Metrical Practice in English Manuscript Sources, c. 1550-1720 261 Metrical data For each verse item, the project has recorded its metrical form. Of the total 24,880 items, 242 are recorded as of ‘unknown’ or ‘unclear’ metrical form. This represents a mixture of kinds of problem: some texts which are clearly verse but the unusual metre has not yet been identified; some texts where the team is unsure whether it is best described as prose or verse; and some texts which are probably in a common metre, but the difficulty of the hand or damage to the manuscript itself makes it impossible to assign confidently. Nevertheless, this only represents a total of 0.97% of the examined corpus, some of which we expect to be assignable to a metrical category after further research. Therefore we have metrical data for 24,638 poems, over 99% of the corpus. Of these items for which we have a metrical assignation, 1,308 (5.3%) are currently undated, or ascribed to a more general (‘16 th ’, ‘17 th ’, or ‘18 th ’ century) category, and therefore are not included in chronologically-organised data discussed below. As we have not yet generated a first-line index, the project does not yet have data on how many poems appear more than once in the corpus, although in a few cases poems have been found so often that their popularity has already become obvious. 12 Metrical categories The metrical analysis of the corpus has assigned verse items to the following main and sub-categories (in each case, the footnote gives details of the sub-categories): elegiac couplets, hexameter, iambic metres 13 , lyric metres 14 and other 15 . The choice of subcategories has been developed partly in response to what we have found, and partly in response to what we know about early modern 12 Examples of poems in this category include several of John Owen’s epigrams, Sannazaro’s epigram on Venice, songs from Ruggle’s popular Latin play Ignoramus , as well as the satiric pieces on Mazarin and on Bishop Burnet discussed further below. 13 Iambic trimeters, iambic distichs, scazons, iambic ‘other’ (including iambic dimeter, quatrameter and other purely iambic forms found only occasionally). 14 Including hendecasyllables, rhyming verse and pythiambics as well as all recognisable classical, medieval and Neo-Latin lyric metres. 15 Including trochaic verse, dactylic tetrameter, pentameters found alone, as well as polymetric poems, Latin Pindarics, free verse and ‘carmina figurata’. The term ‘polymetric’ has been used to describe both single poems which incorporate recognisably distinct sections in different metres, and also to record metres composed of recognisable classical components recurring in unfamiliar patterns: for instance, stanzas of two hexameters followed by two pentameters. In many if not most such cases we expect further research to find medieval or earlier Neo-Latin precedents for forms of the latter type, which might better be described (alongside e.g. dactylic tetrameter) as ‘dactylic’. <?page no="262"?> 262 Victoria Moul teaching and understanding of metrical forms, and may be further revised and refined as analysis proceeds. Mid-16 th Late 16 th Early 17 th Mid 17 th Late 17 th Early 18 th16 Elegiacs 597 (48.0%) 1,520 (57.4%) 5,443 (65.5%) 2,738 (71.8%) 2,784 (66.7%) 2,565 (77.5%) Hexameter 476 (38.2%) 677 (25.6%) 1,500 (18.1%) 518 (13.6%) 815 (19.5%) 320 (9.7%) Iambics 25 (2.0%) 88 (3.3%) 574 (6.9%) 175 (4.6%) 117 (2.8%) 66 (2.0%) Lyric 132 (10.6%) 289 (10.9%) 489 (5.9%) 274 (7.2%) 361 (8.6%) 268 (8.1%) Other 9(0.7%) 60 (2.3%) 164 (2.0%) 95 (2.5%) 94 (2.3%) 63 (1.9%) Unknown 7 (0.6%) 30 (1.1%) 106 (1.3%) 29 (0.8%) 24 (0.6%) 35 (1.1%) Total 1246 2664 8276 3829 4195 3317 Table 2: Metrical categories according to periods. Key findings The remainder of this chapter discusses several trends in the data gathered so far which I consider of particular interest and worthy of further comment, namely: the emergence of elegiacs as the dominant form in the final part of the 16 th century; the variety of lyric forms found in the late 16 th and early 17 th centuries in particular, and the evidence of links to the teaching of lyric metres at school; the importance of iambic verse in the 17 th century; and the substantial evidence of non-classical metrical innovation, especially in the 17 th century, including significant numbers of polymetric, rhyming and ‘free’ Latin verse. The remainder of this chapter will discuss the evidence for these four phenomena in turn, presenting both general data and specific examples where appropriate, and making some preliminary suggestions about the possible reasons for these findings. Clearly, significant further research is required in this area. 16 As the project was not looking specifically for early 18 th century Latin verse, the overall numbers here almost certainly represent a smaller proportion of the extant corpus than for the core period of study, and as a result the metrical percentages may also be less accurately representative. <?page no="263"?> Neo-Latin Metrical Practice in English Manuscript Sources, c. 1550-1720 263 Increasing dominance of elegiacs As expected, elegiac couplets are by a considerable margin the single most frequently found form in the period of the survey as a whole, when counting individual verse items. 17 Elegiacs are also the single most popular form in all sub-periods. 18 In the mid-16 th century, however, the dominance of elegiac couplets is much less marked (48% elegiacs vs. 38.2% hexameter). In an English context, we speculate that the shift towards more prolific composition and circulation of elegiacs after the mid-16 th century may be related to changing patterns in secondary education from the mid-16 th century onwards, and may also be linked (especially from the early 17 th century onwards) to the emergence of the epigram. In particular, it is noticeable that in the earliest period many of the transcribed verse extracts are excerpted from moralising and didactic material, which is particularly likely to be in hexameter. We would be very interested to hear from any researchers elsewhere who have comparable datasets in order to determine, in particular, whether the emergence of elegiacs as the dominant metrical form in the course of the 16 th century is a phenomenon found elsewhere in Europe, and if so, whether it appears at the same time. During the 17 th century, the proportion of items in elegiac couplets remains roughly constant at between 65 and 70% of all items (65.5% in the early 17 th century, 71.2% in mid-century, 66.7% by the late 17 th century) before increasing again in the early 18 th century sample, where it stands at 77.5%. The particular dominance of elegiac couplets in the early 18 th century is perhaps linked to the rise of the rhyming couplet as the dominant form in English verse in this period, as well as to changing patterns of school compositions. 19 17 Of course, if number of lines were taken into account, these statistics would be significantly different, since hexameter poems are typically considerably longer than poems in elegiac couplets. 18 The project has not been attempting to survey systematically sources dating from before 1550. The ‘mid-16 th century’ category is therefore probably under-represented in the survey. A handful of earlier manuscripts (before 1534) have been examined; in these, 72% of verse items are in hexameter and only 20% in elegiacs, but the numbers are very small (a total of 25 poems). 19 Our corpus includes quite a large number of collections of school compositions, made either by students themselves or by the schools, either for presentation purposes or (apparently) as a record of particularly distinguished compositions. This group of manuscripts deserves study in their own right, but it is noticeable that early 18 th -century school compositions are almost exclusively in elegiacs, whereas collections dating from the late 16 th and early 17 th century are marked by their variety of lyric metres. <?page no="264"?> 264 Victoria Moul Lyric variety and educational practice Alongside a very large quantity of poems in elegiac couplets, the early 18 th century period retains a significant proportion of lyric verse (8.1%, 268 items), which is similar to the proportion of lyric found throughout the 17 th century (5.9% in the early 17 th , 7.2% in mid-century and 8.6% in the late 17 th century), though rather less than the proportion of lyric verse in the midand late-16 th century samples (10.6% and 10.9% respectively). These numbers, which on the surface suggest a strong continuity between the 17 th and early 18 th centuries, in fact conceal considerable change. If we look at the proportions of the various lyric metres (including iambics) in more detail, we find a significant transformation between the late 17 th and the early 18 th centuries. Compare the following chart: 20 Chart 1: Lyric subcategories including iambics. Values in percent of the total in a given period. Early 18 th century Latin lyrics are found equally in the two most common Horatian metres, Sapphics and Alcaics. The number of poems in Phalaecian hendecasyllables (a form found, in classical authors, in e.g. Martial and Catullus) and various iambic metres is also significant, but Sapphics and Alcaics together make up 50% of the total of all verse in lyric and iambic metres. This is quite a different distribution of metres from the earlier periods. In the late 16 th century 20 ‘Lyric: other’ includes pythiambics, archilocheans, anacreontics, anapestic metres, stichic glyconics, stichic adoneans and stichic pherecrateans as well as other combinations made up of recognisable classical lyric lines (such as couplets formed of a hexameter followed by a pherecratean) which were found only infrequently. <?page no="265"?> Neo-Latin Metrical Practice in English Manuscript Sources, c. 1550-1720 265 we find more poems in asclepiad metres than in either Sapphics or Alcaics; whereas in the early 17 th century (the largest single temporal category in terms of the number of individual verse items) the fashion for asclepiads appears to be over. In contrast, hendecasyllables are equally frequent in the two periods, but iambics, which make up only 23% of the iambo-lyric total in the late 16 th century comprise a full 54% in the early 17 th . The very large number of poems in iambic metres in this period is probably related to the generic associations of this form: although this has barely been recognised in the scholarship on early modern satire, iambics are the most natural choice in the early 17 th century for Latin satiric verse. 21 There are very few examples in the corpus of Neo-Latin satire in hexameter until the early 18 th century. In the midand late-17 th century a marked increase in the number of rhyming Latin poems and poems in various kinds of ‘free verse’ (discussed further below) includes a large number of satiric items. The implications of these changing patterns require much greater study: they challenge, for instance, our sense of early modern Horatianism. Studies of English literature have traditionally considered the early 18 th century, the age of Pope, the supremely ‘Horatian’ moment in English verse, albeit one associated almost exclusively with vernacular versions of Latin hexameter: our corpus finds corroboration of this traditional view in the appearance of Latin hexameter satire in this period alongside a strong production of self-consciously Horatian odes in Sapphics and Alcaics. 22 But this is just one version of ‘Horatianism’: the significant role of iambic satiric verse in the early 17 th century (indebted ultimately to the Epodes ) and of choriambic lyric (i.e. asclepiad metres) in the late 16 th century can equally be understood as ‘Horatian’ phenomena. One striking finding of the project is the extent of lyric metrical variety found throughout the period of examination, but especially in the first half. Overall, we find a peak of metrical variety in lyric verse in the late 16 th and (to a slightly 21 Iambic trimeters are of course also very commonly used for verse drama; this project has not, however, recorded Latin drama, even when in verse. The only exceptions to this rule are excerpts of dramatic verse (such as songs or prologues) found transcribed alone. Bespoke prologues with contemporary references were, for instance, quite often composed for recitation at the start of a school performance of a play by Plautus or Terence, and these are quite often found transcribed alone in manuscript miscellanies. The total for verse in iambic trimeters certainly includes some examples of this practice. 22 Indeed the importance of Latin lyric in the early 18 th -century material is striking given that most experts of English literature would consider this period to be one of the least ‘lyric’ in English literary history. We could speculate that this is in part because the ‘lyric energy’ of this period was expressed in forms that are now largely overlooked by scholars of English literature, namely Latin lyric verse and also English hymnody. The connections between these two distinctively early 18 th century forms - Latin sapphics or alcaics and English hymns - has not to my knowledge been explored, though Watts and Wesley were both accomplished Latin poets. <?page no="266"?> 266 Victoria Moul lesser extent) in the early 17 th century, though with differences, as discussed above, between these two periods. British Library Sloane MS 1768, for instance, contains two discrete collections: the Latin verse of Raphael Thorius, author of the popular Hymnus Tabaci (first published Leiden, 1625), preceded by the (mostly) Latin verse of his father, Francis. Raphael died in 1625, and the events and addressees to which the first of Raphael’s poems refer suggest that his section belongs to the early 17 th century, while his father’s poems were composed in the latter part of the 16 th century. 23 The differences between the two sections of this manuscript are in several respects typical of the corpus as a whole. In the older section of poems composed by Francis Thorius, hexameters outnumber elegiacs (23 to 14) and we also find examples of verse in archilocheans, iambic tetrameters and asclepiads alongside the more mainstream trimeters and hendecasyllables. In the early 17 th century section, by contrast, elegiacs are dominant (65 of 106 total poems), followed by iambic trimeters (19 poems), with only nine instances of hexameter (and these all long poems: we no longer find hexameters used for shorter poems as they are by Francis). In addition, Raphael composes five substantial odes in alcaics and one in sapphics, but no archilocheans. 24 Although much analysis remains to be done, there is already some evidence in the corpus of a direct link between these kinds of metrical patterns found in adult compositions and educational practice. For instance, BL MSS Harley 6211, dating from 1594, is a presentation copy of sample compositions by boys at Ludlow grammar school. The poems, accompanied by metrical diagrams, are in a repeating cycle of forms described as ‘Asclepiadea Μονόκωλα’ (stichic lesser asclepiads or ‘first asclepiad’, as in Horace, Odes 1.1), ‘Sapphica hendecasyllaba Δίκωλα’ (Sapphic stanzas), ‘Choriambica Δίκωλα’ (alternating glyconics and asclepiads, or ‘fourth asclepiad’ as in Horace, Odes 1.3) and ‘elegiacs’. The evidence here for the teaching of verse composition in asclepiad metres as well as sapphics and elegiacs fits with the overall high number of poems in asclepiad metres (65 items, 18% of the lyric total) in the latter 16 th century. 25 It is striking 23 The latest datable reference identified so far is to the death of John King, Bishop of London, in 1621; events referred to early in Raphael’s section of the manuscript include the birth of the future Louis XIII in 1601. The Latin verse of his father Francis are mostly translations from Ronsard, though also include a poem in memory of Jean Fernel (d. 1558). 24 Raphael’s long ode on the attack of plague in London in 1603 is in the fourth asclepiad. This is an unusual choice for a long poem. According to our data, asclepiads are much more popular in the late 16 th century than the early 17 th century; 1603 of course falls at an early point in the latter period. 25 Compared, for instance, to the school exercises of Patrick Adair in the 1670s (BL MS Sloane 1249), which are limited to elegiacs and hexameters, or to those of Henry Chetham, dating from 1663 ( John Rylands Library, GB 133 CLD/ 239, bundle of unbound papers), in which <?page no="267"?> Neo-Latin Metrical Practice in English Manuscript Sources, c. 1550-1720 267 that the cycle of metres in Harley MS 6211 corresponds quite closely with those discussed in Book 1 of Johannes Despauterius’ Ars versificatoria, the most influential single manual on the subject in the 16 th century. 26 In some instances the patterns discernible in this data may be robust enough to assist in the future dating of undated manuscripts or manuscript sections. Metrical innovation 1: polymetric verse The corpus as a whole is marked by metrical innovation and experimentation throughout, but in different ways in the various historical periods. As already noted above, the latter 16 th and early 17 th century is the period in which we find the greatest variety of lyric metres, both in terms of the overall corpus of verse from this date, and at the level of individual sequences and verse collections: both school and adult sequences of Latin verse from this period are particularly likely to be in a very wide range of metres. 27 A probably related phenomenon is the late-16 th century peak in the number of ‘polymetric’ poems: that is, poems made up of discrete sections in different of 32 poems 29 are elegiacs, 1 hexameter, 1 sapphics and 1 iambic distichs (the latter two particularly heavily corrected). While Horace is clearly the chief model for the majority of these lyric forms, metrical annotations and descriptions in these sources also cite other authors, especially late antique poets (such as Boethius and Prudentius) and sometimes Neo-Latin models for metrical innovations. Bodleian MS Lat. Misc. e. 23, for instance, includes a poem (27 v ) written in couplets of alternating dactylic pentameter and iambic dimeter. This form, though recognisably a ‘pythiambic’ combination, is not found in Horace, but is used by Boethius ( Consolation of Philosophy 4.1.1-2). BL Harley MS 121, f. 79 r , which contains the Latin verse exercises of Sir Simonds D’Ewes and dates from 1617/ 18, notes that an Alcmanian form is not found in Horace, but is borrowed from George Buchanan. 26 Despauterius describes the full range of possible metres in Book 5, but Books 1 and 2 were probably considered particularly appropriate for school use. Book 1 deals with the hexameter, elegiac couplets, stichic (or ‘lesser’) asclepiad, sapphics and the Phalaecian hendecasyllable. On Despauterius’ Ars versificatoria see Ford 2014, 68-70. 27 Examples include Bodleian MS Lat. Misc. e. 23 (c. 1600), which contains a total of 195 Neo-Latin poems consisting of 100 elegiacs, 17 hendecasyllables, 8 asclepiad, 9 pythiambic, 2 trochaic, 2 stichic adoneans, 4 iambic trimeters, 9 iambic distichs, 8 other iambics, 12 carmina figurata, 1 archilochean, 2 sapphics, 5 alcaics, 1 anapestic, 1 alcmanian, 2 hexameter, 1 hendecasyllable+dactylic pentameter: ‘hendecapent’, 6 polymetric, 6 still unidentified forms and BL MS Burney 406 (early-mid 17 th century), containing 99 Neo-Latin poems: 27 hexameters, 15 elegiacs, 13 iambic trimeters, 9 hendecasyllables, 5 asclepiads, 7 alcaics, 5 iambic distichs, 3 pythiambic, 2 sapphics, 1 glyconic, 1 iambic dimeter, 1 scazon, 1 archilochean, 1 alcmanian, 7 polymetric, 1 not yet identified. Of course such bravura displays of metrical variety are not confined to manuscript sources; compare for instance George Herbert’s earliest Latin verse collection, Musae Responsoriae (dating in its final form probably from the early 1620s, though some of the poems were certainly composed earlier), which incorporates eleven different metres. <?page no="268"?> 268 Victoria Moul metres, such as a poem with a section in hexameter and a section in elegiacs. 28 This device is found only rarely in classical Latin literature, for instance in some of Seneca’s choruses. The detailed analysis of the various types of ‘polymetric’ verse in this corpus is not yet complete; nevertheless, some trends are apparent. Several sources dating mostly from the 16 th century include poems written in an irregular combination of hexameters and pentameters (i.e. not, or not entirely, elegiac couplets). 29 At least three manuscripts, two from the late 16 th century and one dating from 1613, include examples of what appears to be the same form: an elegiac poem with a closing sapphic stanza (or in some cases two stanzas). 30 The poems in these three manuscripts are different, and there is not (at this stage of research) any evidence of a link between them. It is possible that this elegiacs + sapphics form may have been taught in some schools in the latter 16 th century. 31 Finally, in the mid-17 th century we find a cluster of examples of polymetric compositions used for dramatic or emotive effect. Two Bodleian manuscripts contain a transcription of Adam Littleton’s dramatic poem on the political and religious purge of Oxford university, following its surrender to Parliamentarian forces in 1646, as a result of which many royalists lost their university positions: this piece is in hexameters with inset passages of iambic trimeter. 32 Though it was printed with the relatively neutral title Tragicomoedia Oxoniensis (1648), the manuscript copies, in which it is titled Lachrymae academicae fatum Caroli suumque deplorantes make its political allegiance obvious. 33 The fashion at this period for poly- 28 Of 104 polymetric poems found overall, 42 date from the late 16 th century and a further 29 from the early 17 th . 29 For example: CUL Mm. 4.39 (mid-16 th century; mixed hexameters and pentameters, f. 17 r ); Chetham’s Library, MS Mun. A. 4.15 (late 16 th century; mixed hexameters and pentameters, f. 86 r and f. 86 v ); BL Harley MS 3831 (probably late 16 th century; examples throughout); Durham PG MPS 62, f. 48 v (late 16 th or early 17 th century; two poems in stanzas of two hexameters followed by a single pentameter, a form found also in BL Cotton Faustina E V, f. 174 r ); BL ‘Reverse’ elegiacs (pentameter followed by hexameter) are also more common in the earlier sources (Harley 5029 f1, f. 14 r ; Lansdowne 762, f. 18 r ; Add 15227, f. 90 v ), as are dactylic tetrameters, either alone or in combinations (e.g. the ‘first archilochean’, hexameter followed by tetrameter). 30 Staffordshire County Record Office MS D1287/ 19/ 6/ 50 (late 16 th century); CUL Add MS 3873 (late 16 th century); BL Harley MS 5110 (neat copy of school erxercises dating from 1613). 31 It is probably linked to the more widespread, but also largely 16 th century practice, of producing an elegiac poem followed by a short lyric poem on the same set ‘theme’ (usually of a moral or religious nature). 32 Manuscript copies in Bodleian MS Add. B. 109, ff. 124 v -126 v ; Bodleian MS Wood D. 19 (2), ff. 87 r -91 r . 33 Although much more research is required, it seems possible that a certain kind of dramatic polymetric poem had specifically royalist connotations in the mid-17 th century, since we find a cluster of examples appearing at around the same time. Du Moulin explored <?page no="269"?> Neo-Latin Metrical Practice in English Manuscript Sources, c. 1550-1720 269 metric pieces is sometimes extended to examples containing a large number of metrical transitions. BL Burney MS 406, ff. 123 r -120 r (reversed), for instance, is one of a sequence of hymns by Peter Du Moulin, a strongly royalist clergyman. While all are polymetric, this example is particularly impressive, switching between sapphics, elegiacs, hexameters, iambic dimeters and alcaics before finally returning again to hexameters. 34 Although Du Moulin’s bravura performance combines forms all of which are strictly classical, the visual impact on the page of verse of this kind has something in common with the examples of Latin ‘free verse’ which are characteristic of the midto late 17 th century, discussed further below. Metrical innovation 2: rhyming Latin verse One surprising aspect of the corpus is the relatively large number of rhyming Latin poems that appear to be of post-medieval origin (that is, Neo-Latin rather than medieval Latin). 35 ‘Rhyming’ here comprises a range of forms, including poems in standard classical quantitative metres (such as iambic trimeters) that also use end-rhyme, rhyming poems in standard vernacular stress metres (such as ballad forms), and some examples of apparently ‘free’ verse in which rhyme is the main structural device. 36 Rather than appearing predominantly in the the form most extensively, but Abraham Cowley also undertook a series of polymetric experiments in his work of the 1650s and 1660s. Sors Caesarea (Bodleian Tanner MS 306, ff. 149 r -162 v ), a text dedicated to Richard Baylie, President of St John’s College, Oxford, is similarly in hexameter with inset passages in a variety of other metres. This work is described by Martin Wiggins (in the introduction to his hypertext edition at www. philological.bham.ac.uk/ sors) as a late example of a ‘founder’s day’ drama performed at the college in 1646, but may be better understood as a dramatic poem in this tradition. 34 Many of the poems in this manuscript were published by Du Moulin in Ecclesiae Gemitus (1650, published anonymously and with no place of publication for political reasons) and Poematum Libelli Tres (Cambridge, 1670), under his own name. 35 Ijsewijn/ Sacré 1990-1998, vol. 2, 10-14 and 99 comment briefly on rhyming Neo-Latin verse, but stress its rarity, and focus their attention on earlier 16 th -century, followed by 18 th -century examples. They remark that ‘after the seventeenth century mediaeval forms got a clear revival in Germany and England, especially in students’ songs and church hymns’ (12). The evidence of this project suggests that the phenomenon in fact predates the 18 th century, and was more widespread than Ijsewijn/ Sacré realised. In particular, they do not mention the use of rhyming Latin for satirical and political purposes (as well as for humourous songs and religious verse). We have also found a larger than expected quantity of identifiably medieval Latin rhyming verse, falling largely into two categories: collections of hymns and didactic works (broadly understood) including medical and herbal texts, alchemical works and rhyming moralising material. Extracts from the Schola salernitatis are particularly widespread. 36 Leonine hexameters (with internal rhyme) are not included in the statistics for ‘rhyming’ as these were found frequently enough to be recorded separately. The ‘rhyming’ category therefore refers only to poems employing end-rhyme. Confusingly, ‘leonine’ was sometimes <?page no="270"?> 270 Victoria Moul earliest period - as the link with medieval Latin literature might suggest - rhyming poems are instead dominant in the late 17 th century; of 445 rhyming poems recorded, 167 (37.3%) are from the late 17 th century (compared to 16.8% of the overall corpus which is datable to this period). Chart 2: Rhyming poems in absolute numbers. The majority of the rhyming Neo-Latin verse that we have found falls into three categories: hymns, satiric poetry, and humourous verse (with some degree of overlap between the two latter categories). 37 Examples of all three are found throughout the period of the survey. Manchester John Rylands MS Eng. 410, for instance, which dates from the early 17 th century, a period in which we find relatively few examples of rhyming verse in relation to the largest quantity of Latin verse overall, includes a rhyming poem ‘in laudem vini’ (f. 20 v ). This humourous piece is a mock-hymn in four-line stanzas of alternating trochaic dimeter and trochaic dimeter catalectic (that is, lines of alternating 8 and 7 syllables), with each second and fourth line rhyming. It was probably composed as a drinking song in an institutional setting. 38 used to refer to accentual end-rhymed verse: William Petty uses it in this way to describe his own satiric and humourous Latin verse composed in the 1670s. On this see Love 2007. 37 There are some exceptions to this rule, including for instance a handful of examples of apparently serious political panegyric in rhyming verse. 38 There is no evidence as to the authorship or provenance of this commonplace book. It includes a poem on the death of William Braithwaite (Vice-Chancellor of Cambridge University) in 1619, so may have belonged to someone with a Cambridge connection. The rhyming poem ‘in laudem vini’ is also found in BL Harley MS 6918, f. 97 r-v , in the hand of Peter Calfe (1610-1667), and in Bodleian MS Rawl. poet. 26, f. 14 v . Some instances <?page no="271"?> Neo-Latin Metrical Practice in English Manuscript Sources, c. 1550-1720 271 Indeed, some of the most widely circulated items of what we might term ‘popular’ Latin verse are in accentual rhyming schemes. Richard Braithwaite’s Barnabae Itinerarium (‘Barnaby’s Journey ’), a long comic poem about the hapless exploits of the eponymous drunken Barnaby, was a popular hit on its first publication in London in 1636, and excerpts appear frequently in manuscript collections; it was still being reprinted, in parallel text, in the early nineteenth century. The rhyming songs from Ruggle’s 1615 play Ignoramus, a play which was reprinted eleven times between 1630 and 1787, similarly circulate widely in manuscript miscellanies. Metrical innovation 3: free verse and ‘literary inscriptions’ This later-17 th century trend for rhyming Latin verse overlaps in some case with another significant poetic fashion associated with this period. Appearing quite abruptly from the mid-17 th century on, we have found many examples of apparently ‘free verse’ in Latin: that is, poems in which none or very few of the lines fit classical metrical definitions, and there is no other regular and repeated structuring principle (such as stanzaic groupings or a regular rhyme scheme). 39 Chart 3: Free verse poems in absolute numbers. of rhyming Latin verse are accompanied in the manuscripts by music: John Rylands MS Lat. 77, for instance, includes hymns based upon the Song of Songs written in rhyming Latin verse, accompanied by music. 39 We have recorded separately both polymetric poems (in which the entire poem is assignable to classical metrical categories, but the poem as a whole combines more than one: such as a section of iambics followed by a section of elegiacs) and ‘Latin Pindarics’ (in which the lay-out of the poem, often with clear strophes, as well as in some instances the title of the piece, indicate that this is a Latin version of Pindaric lyric form). For Latin Pindaric poetry see the contribution of Jochen Schultheiß in this volume. <?page no="272"?> 272 Victoria Moul Several of the examples clearly fit the description offered by Stefan Tilg elsewhere in this volume of ‘literary inscriptions’: often faux epitaphs of well-known figures, with a satiric or humourous force, and often (though not always) centred on the page. 40 This category of ‘free verse’ includes some of the poems of which we have already recorded a noticeably large number of copies. Tilg’s work emphasises the popularity of this form elsewhere in Europe in the same period; similarly, the most widely-circulated early examples in our corpus mostly appear to have a French origin, or to relate to French affairs. We have for instance already identified eleven copies of a mock-epitaph for Cardinal Mazarin (d. 1661), which in one manuscript (now in the Brotherton Library, Leeds) is attributed to John Milton. 41 The piece is in a kind of rhythmical prose (or ‘free verse’) structured by end rhyme and by visual layout, and with a distinctive paradoxical humour. It begins: 40 This category also includes transcriptions of apparently genuine inscriptions. It can be hard to determine whether such ‘literary inscriptions’ are to be considered as verse or prose; in our corpus key terms in the title (such as carmen ), a relatively large number of clearly metrical or rhyming lines, or the presence of an accompanying English verse translation have been taken as evidence that they were intended to be read as verse. Similar items are found, for instance, on Richelieu (d. 1642) and Pope Alexander VII (d. 1667). I hope to publish a more detailed discussion of these poems in due course. 41 Brotherton Library Leeds, BC MS Lt 71, f. 38 v (probably 1690s). The other sources so far identified for this poem are: Lat. misc. c. 19, pp. 204-205 (probably 1660s); Bodleian Lat. misc. e. 19, ff. 80 r -82 r (c. 1680/ 81); Bodleian Ashmole MS 826, f. 45 r-v (probably 1660s; accompanied by an English translation); Bodleian MS Rawl. poet. 171, ff. 238 r -239 r (c. 1674); Bodleian Top. Cheshire c. 6, ff. 171 v -172 v (before 1686); Durham MSP 29 f. 70 r (early 18 th century); Society of Antiquaries (London) SAL/ MS/ 330, f. 71 v (c. 1672); West Yorkshire Archive Service (Bradford) MS 32D86, volume 17, f. 141 r-v (before 1667); BL Add MS 34217, ff. 75 v -76 r (probably early 1660s) and Add MS 4457, 170 r -172 v (probably early 18 th century, with French version). This poem was also printed in the popular anthology Poems on Affairs of State (London 1702-1707). Love 2004, 341 includes the poem in his first-line index, and notes three manuscript copies at Yale (Osborn MS b. 52, ff. 26 and 44 and Osborn MS b. 136, f. 12, which, however, I have not examined myself). Of the copies in English collections noted here, Love records only the Society of Antiquaries copy, and he does not discuss the poem in the body of the book. There is a further possible copy in the Biblioteca Nacional, Madrid, MS 23888, f. 84, which I have not examined. I have been unable to find any discussion of this poem, or of the attribution to Milton, in existing scholarship. As Latin Secretary to Oliver Cromwell, Milton wrote several Latin letters to Mazarin. An edition of Milton’s Latin letters of the 1650s, which includes nine letters to Mazarin, was published in 1676. As Brotherton MS Lt 71, which attributes the Mazarin poem to Milton, appears to date from the 1690s, the attribution may be influenced by knowledge of the letters, or more generally by the association of Milton in the latter 17 th with the Whig cause. <?page no="273"?> Neo-Latin Metrical Practice in English Manuscript Sources, c. 1550-1720 273 Hic iacet Julius Mazarinus Galliae rex, Italus Ecclesiae Praesul Laicus Europae praedo purpuratus, Fortunam omnem ambiit, omnem corrumpit, Aerarium administravit, et exhausit; Civile bellum compressit, sed commovit; Regni iura tuitus est, et invasit; Beneficia possedit, et vendidit; Parem dedit aliquando, sed distulit, Hostes cladibus, cives oneribus affligit, Arrisit paucis, irrisit plurimos, Omnibus nocuit. Here lies Jules Mazarin / King of France, though an Italian / Prelate of the Church, though a lay-man / Plunderer of Europe, though clad in purple, / He strove for every kind of good fortune, and corrupted every one of them; / Put in charge of the treasury, he drained it dry; / He put down civil war, but also incited it; / Made guardian of the laws of the kingdom, he invaded it; / Having gained various privileges, he sold them; / Sometimes he acted fairly, but was then unjust; / On the enemy he inflicted disaster, but burdened too his own people, / He smiled kindly upon few, though he mocked many - / In short, he was a danger to everyone. Whether or not the Mazarin poem has an English source, the fashion for satirical texts of this type was quickly extended to British subjects. A good example of the phenomenon is the widely circulated poem on Gilbert Burnet, Bishop of Salisbury, which we have identified already in eleven separate manuscripts. 42 The poem probably dates from shortly after Burnet’s consecration as Bishop of Salisbury in 1689; it alludes to his self-imposed exile on the continent during the reign of the Catholic King James II (1685-1688), as well as to his Scottish origins. Indeed, the final lines of the Burnet poem mention Mazarin in a way that may be taken as a reference to the form of the poem (that is, as related to, and 42 Leeds Brotherton BC MS Lt q 38, ff. 97-99 (1690s); BL Egerton MS 3880, ff. 277 v -278 r (probably 1690s); Nottingham MSS PwV 1347 (late 17 th century), PwV 47/ 31/ 1 (1688-1691) and PwV 48/ 31 (1688-1690); BL Lansdowne MS 852 f. 38 r-v (probably 1690s); BL Stowe MS 305 f. 188 r (probably 1690s); BL Harley MS 7315, ff. 203 r -204 r (late 17 th century); Bodleian Rawlinson D. 383, f. 136 r (probably 1680s or 1690s); Durham MSP 29, f. 33 r (early 18 th century). As we have not yet constructed a first line index for the corpus, it is fairly likely that further copies of this poem may be identified in due course. The poem may be by Thomas Brown. An edition, translation and commentary on this poem, which also discusses the question of authorship, is forthcoming (Moul 2019). <?page no="274"?> 274 Victoria Moul perhaps in specific imitation of, the much circulated Mazarin piece) as well as an element of the political satire: Vivit nobis, Vae nobis hic in Angliâ Vivit Mazarinus, Alterum vidimus triumphare fugitivum Et regnare Exulem. He lives for us; alas, for us here in England / Mazarin lives, / A second Mazarin, whom we have seen triumph as a fugitive / And reign as an exile. Anglo-Latin free verse of the later 17 th century may have been almost entirely forgotten by literary scholars: but, even at this relatively early stage of research, our examples suggest that it was not only a fertile literary form, but also aware of its own evolving politico-literary tradition. 43 Future work I hope that this preliminary survey suggests something of the creative variety of post-medieval Latin verse as it was being read, composed and circulated in England between the mid-16 th and early 18 th centuries. The complexity of the data, as well as its sheer quantity, pose many questions. Initially, we hope that the creation of a first-line index for as much of the corpus as possible will greatly aid the analysis of the circulation and popularity of individual poems. At the detailed level, further analysis of this corpus may, for instance, increase our understanding of the connotations of a given form, and why (for example) a late 16 th century Latin poet might choose to compose in asclepiads rather than sapphics, or a 17 th -century poet in free or rhyming Latin verse. In the longer-term, particular areas for further research might include: whether the metrical patterns observed in this corpus are similar to, or different from, those found in sources in Scotland, Wales, Ireland, France, the Netherlands and elsewhere in Europe; and the question of the relationship between poetic trends and fashions in the reading and composition of verse in Latin and in the vernacular. What are the links between, for instance, the popularity of metrically varied collections of psalm paraphrase from the mid-16 th century onwards (such as those of Buchanan, Beza and, in English, the Sidney psalter); the observable fashion for Latin verse collections including many different metres in the latter 16 th century (in both print and manuscript); and the appearance of landmark 43 For a very brief discussion of early examples of this kind of Latin ‘free verse’, see Bradner 1940, 109. <?page no="275"?> Neo-Latin Metrical Practice in English Manuscript Sources, c. 1550-1720 275 volumes of metrically varied English verse in the early 17 th century (such as George Herbert’s The Temple )? Overall, it is clear that the metrical theory and practice of Anglo-Latin verse in the 16 th , 17 th and 18 th centuries is of great variety, interest and (at least in some cases) political and historical as well as literary significance. It is remarkable that such a large body of early modern verse has not been studied systematically before. 44 References Bradner, Leicester: Musae Anglicanae. A History of Anglo-Latin Poetry 1500-1925, New York 1940. Ford, Philip: Neo-Latin Prosody and Versification, in: Philip Ford/ Jan Bloemdendal/ Charles Fantazzi (eds.), Brill’s Encyclopaedia of the Neo-Latin World, Leiden 2014, vol. 1, 63-74. IJsewijn, Jozef/ Sacré, Dirk: Companion to Neo-Latin Studies, 2 vols., Leuven 1990-1998 (Supplementa Humanistica Lovaniensia, vols. 5 and 14). Love, Harold: Scribal Publication in Seventeenth-Century England, Oxford 1993. Love, Harold: English Clandestine Satire, 1660-1702, Oxford 2004. Love, Harold: Sir William Petty, the London Coffee Houses, and the Restoration ‘Leonine’, The Seventeenth Century 22, 2007, 381-394. Marotti, Arthur F.: Manuscript, Print and the English Renaissance Lyric, Ithaca 1995. Moul, Victoria: Latin Free Verse. A Satire on the Bishop of Salisbury (c. 1689), in: Gesine Manuwald/ Luke Houghton/ Lucy Nicholas (eds.), An Anthology of British Neo-Latin Literature, London 2019 (forthcoming). 44 Research of this kind, and on this scale, would have been entirely impossible without the very generous funding provided by a Leverhulme Trust Research Project Grant. Moreover, it could not have been carried out without an excellent research team. I am very grateful to the project’s post-doctoral fellow, Bianca Facchini, and its two PhD students, Sharon van Dijk and Raffaella Colombo, for all their work surveying manuscripts, not to mention their patience in the face of an apparently infinite quantity of scansion. <?page no="277"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? Zur Geschichte von Wort- und Versakzent zwischen 1500 und 1800 Thorsten Burkard Die wissenschaftlichen Diskussionen um die Existenz des Iktus in der Antike sind seit etwa einem Vierteljahrhundert verstummt. 1 Kaum jemand, der sich mit diesem Teilgebiet der antiken Metrik eingehender beschäftigt hat, glaubt heute noch daran, dass die Römer und Griechen ihre Verse iktierend gelesen oder rezitiert hätten. 2 Wenn aber das iktierende Lesen in der klassischen Antike unbekannt war, stellt sich die Frage, ab wann sich zumindest Frühformen herausgebildet haben, die Vorläufer der späteren Systeme waren, und wie es dazu gekommen ist, dass aus einem quantitierenden Lesen unter Berücksichtigung der Wortakzente ein Vortrag von Dichtung werden konnte, der nur noch auf den sogenannten Versakzent achtet und nicht nur die Wortakzente, sondern häufig auch die Quantitäten ignoriert. Gerade weil sich herausgestellt hat, dass der Versakzent sprachwidrig ist und dass jede Iktustheorie mit erheblichen Problemen zu kämpfen hat, ist die Frage, wie sich eine derartige Theorie in der Wissenschaft durchsetzen und ungefähr 200 Jahre lang behaupten konnte, nur umso dringlicher - auch unter einem allgemeinen wissenschaftsgeschichtlichen Aspekt. 3 Die folgenden Ausführungen basieren auf einer - notwendigerweise selektiven - Auswertung des einschlägigen theoretischen Schrifttums zwischen 1 Hierzu hat sicherlich Stroh 1990 entscheidend beigetragen. Der vorliegende Aufsatz versucht, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, die Genese und die große Akzeptanz dieser Theorie zu verstehen. 2 Ein iktusähnliches Lesen gab es hingegen beim Zerlegen der Verse zu didaktischen Zwecken in der spätantiken Schule, dem sogenannten Skandieren (Stroh 1990), auf dessen frühneuzeitliches Pendant noch einzugehen sein wird. 3 Schon Kapp hat in Bezug auf „the modern doctrine of ictus“ darauf hingewiesen, dass die Frage nach der Genese einer Theorie vor allem bei Theorien von Interesse ist, die sich irgendwann einmal als falsch herausstellen (1941, 187-188). <?page no="278"?> 278 Thorsten Burkard dem Beginn der Frühen Neuzeit und dem ausgehenden 18. Jahrhundert, 4 als mit den Schriften Gottfried Hermanns (1772-1848) bekanntlich die Iktustheorie recht eigentlich erst begründet wurde. Im Mittelpunkt stehen dabei der allgemeine Umgang mit Quantität und Akzent in der Frühen Neuzeit sowie Hermanns (scheinbare) Vorläufer im 17. und 18. Jahrhundert. Es wird sich zeigen, dass man - was nichts Neues ist 5 - frühestens bei Richard Bentley (1662-1742) von einer Theorie des Versakzents sprechen kann, diese Protoiktustheorie in der damaligen Zeit aber so absonderlich war, dass sie vor Hermann entweder missverstanden, ignoriert oder scharf kritisiert wurde. 6 Wir werden im Folgenden zunächst (1.) die in der Frühen Neuzeit (und auch schon im Mittelalter) übliche Art und Weise, lateinische und griechische Verse zu lesen, darstellen. Sodann sind (2.) jene Zeugnisse einer näheren Analyse zu unterziehen, in denen zumindest Vorformen einer Iktustheorie vorhanden sind und teilweise sogar schon der Begriff ictus verwendet wird. Bei der Deutung der Quellen muss man sich immer eine Gefahr vor Augen halten, die wissenschaftshistorischen Fragen nach den Vorläufern eines Paradigmas innewohnt: Man neigt dazu, das vertraute Paradigma (hier die Iktustheorie) sehr schnell in früheren Zeiten wiederzuerkennen, obwohl der intellektuelle Kontext und die Problemstellungen ganz anders gelagert sind. Ebenso gerät häufig in Vergessenheit, dass das Paradigma, dessen Genese man untersucht, komplex und voraussetzungsreich ist - diese Komplexität ist einem selbst aber nicht mehr bewusst, weil man das Paradigma verinnerlicht und als etwas Selbstverständliches akzeptiert hat (auch wenn es wissenschaftsgeschichtlich bereits überwunden ist). Mit anderen Worten: Es gilt, zunächst den Diskurs der jeweiligen Zeit unabhängig von den späteren Entwicklungen zu eruieren und nicht den Fehler zu begehen, möglichst schnell das spätere Paradigma in die Texte hineinzudeuten. Die Fragestellung darf also nicht lauten ‚Findet sich der Iktus in diesem oder jenem Text? ‘ oder ‚Kann man hier irgendwie die Iktustheorie hineindeuten? ‘, 4 Die Aussagen von Theoretikern sind bei einer toten Sprache aussagekräftig, da die Sprachpraxis allein durch die Schule vermittelt wird. Wer im Mittelalter und in der Neuzeit Latein lernt, lernt es in der Schule oder an der Universität - und alle Aussagen der entsprechenden Lehrwerke und Abhandlungen beziehen sich in irgendeiner Form auf diesen Lernprozess. Wie heutzutage ein Blick in den Rubenbauer oder die Metrik von Crusius genügt, um festzustellen, dass man im 20. Jahrhundert (auch) iktierend gelesen hat, so ergibt eine Sichtung des entsprechenden theoretischen Schrifttums vor Gottfried Hermann, dass der Versakzent unbekannt war. 5 Hier ist insbesondere Kabell 1960 zu nennen, der sich vor allem auf die praktischen Versuche der volkssprachlichen Dichter konzentriert hat, während wir vor allem die theoretischen Traktate und Schullehrbücher untersuchen werden. 6 Nicht halten lässt sich daher (wie sich zeigen wird) die These von Wilfried Stroh, der die „Geburt des Iktus […] an den Anfang des 17. Jahrhunderts“ setzt (1979, 9). <?page no="279"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 279 sondern: ‚Wie ist der Gedankengang des Textes vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Diskussionen? ‘ Erst danach kann man die Frage stellen, ob man das Recht hat, von einer (Proto-)Iktustheorie zu sprechen, die sich womöglich einer weiteren Verbreitung erfreute. Bevor wir mit der soeben skizzierten historischen Untersuchung beginnen, sei eine Begriffsklärung vorausgeschickt. Unter ‚Iktus‘ wird hier der Versakzent verstanden, der nach klar definierten Regeln unabhängig von der Wortbetonung auf bestimmte Längen oder Kürzen (zumeist sind es die ersten Kürzen einer aufgelösten Länge) fällt und von dem es in jedem Versmaß eine genau festgelegte Zahl gibt. Dieser Versakzent ist mit dem jeweiligen Metrum untrennbar verbunden. Zudem ist der Iktus ein einheitlicher Akzent, er wird ausschließlich mit dem Akut repräsentiert; Zirkumflex und Gravis spielen in iktierenden metrischen Schemata keine Rolle. 1. Akzent und Quantität in Prosarede und im Versvortrag in der Frühen Neuzeit Die einfachste und dem antiken Usus am nächsten kommende Methode, lateinische und griechische Verse (natürlich auch Prosa) zu lesen, besteht darin, die Wörter korrekt nach den Quantitäten und nach den Wortakzenten auszusprechen. Die Gelehrten der Frühen Neuzeit sahen sich nun aber mit demselben Problem konfrontiert wie wir heutzutage: Die wenigsten lernen diese sprachlichen Parameter korrekt, die muttersprachlichen Gewohnheiten tun sodann ihr Übriges, um einen korrekten Vortrag antiker Texte zu erschweren. Beim Übergang von der Prosa zum Verselesen hatten und haben Lateinlerner Formen wie pāter oder cāno häufig schon längst verinnerlicht: Die Tonsilbe wurde und wird automatisch lang ausgesprochen. Theodor Beza (1519-1605) beklagt sich darüber, wie seine Zeitgenossen die ersten beiden Verse der Aeneis lesen, nämlich mit einem langen a und einem kurzen o bei cano und mit einem kurzen o bei fato ; Troiae qui werde zu einer Länge und drei Kürzen (also Trōĭĕ q u ĭ ), profugus werde daktylisch gelesen, die erste Silbe von Lavinaque kurz. Die richtige Aussprache der Verse illustriert Beza dann ausschließlich mit Längen- und Kürzenzeichen. 7 Im Unterschied zur heutigen Zeit, in der falsche Längen und Kürzen in der Aussprache allenfalls toleriert werden, wurden sie damals im Unterricht, der wie heute mit der ‚prosaischen‘ Aussprache begann, offenbar gezielt vermittelt. 8 Man lehrte die jeweils muttersprachliche Aussprache 7 Beza 1587, 50 (= Meetkercke 1576, 146; auch abgedruckt bei Stroh 1979, 6). Zu Beza und Meetkeercke vgl. Anm. 208. 8 Vgl. auch Anm. 13. <?page no="280"?> 280 Thorsten Burkard sozusagen als ‚lateinische Standardaussprache‘; 9 die überlieferten Quantitäten wurden erst für die Dichterlektüre vermittelt. So kann sich Sigmund von Birken (1626-1681) die seltsamen Divergenzen in der quantitas syllabarum und in der pronunciatio bei den Römern und Griechen nicht erklären: ‚man‘ (er sagt „ich“! ) spreche zwar pater und parens mit einer langen und einer kurzen Silbe, im Vers bilde pater aber zwei Kürzen. 10 Die Tatsache, dass man Tonsilben unwillkürlich dehnte, führte dazu, dass man Akzent und Länge häufig gleichsetzte - und ebenso den Begriff der unbetonten Silbe mit der Kürze identifizierte. 11 Diese Verwirrung erschwert es uns natürlich, die Aussagen der Traktate korrekt zu analysieren: Wenn von einer Länge die Rede ist, kann in Wirklichkeit die Betonung gemeint sein und umgekehrt. Wir werden übrigens gleich sehen, dass diese Identifikationen nicht nur aus der Praxis erwuchsen, sondern auch ein theoretisches Fundament hatten. Wie auch heutzutage bestand also ein Konflikt zwischen einer möglichst historisierenden und somit den antiken Verhältnissen gerecht werdenden Aussprache und der von Kindesbeinen an gelernten üblichen Aussprache, die sich fast ausschließlich nach den jeweiligen muttersprachlichen Gewohnheiten richtete, 12 ja diese womöglich sogar bewusst zum Maßstab erhob. Auch wenn Gerhard Johannes Vossius (1577-1649) im Jahre 1635 kritisch vermerkte, dass seine Zeitgenossen bei der Rezitation von Dichtung entweder nur auf den Akzent oder nur auf die Quantitäten achten würden, 13 während man in der Antike beides 9 Vgl. Beza 1587, 51 (= Meetkercke 1576, 147) mit den Beispielen pōtest und pāti (zustimmend zitiert 200 Jahre später von Warner 1797, 40-41 Anm.). Dieser Verzicht auf das genaue Erlernen der Quantitäten gilt heutzutage in Ländern, in deren Sprachen die Quantität phonologisch nicht relevant ist, immer noch. Die Aussprache der einzelnen Laute wird ebenfalls (soweit ich sehe) nirgends ganz konsequent nach der sog. Pronuntiatio restituta durchgeführt. 10 Von Birken 1679, 2. 11 Aus der Fülle der Belege seien beliebig einige wenige herausgegriffen: Pudor 1672, 107- 108 identifiziert Wortzeit mit Akzent: Major 1685, 26 das deprimere einer Silbe mit dem brevissimum tempus . Alexander Hume monierte (1612, 4): vulgus accentum a quantitate non distinguit ; mit diesem Irrtum sei er selber erzogen worden (zit. nach Attridge 1974, 40 Anm. 1). Attridge 1974, 39-40 bezieht dieses Zeugnis offenbar fälschlich auf das iktierende Skandieren. Gemeint ist aber eben, dass man dort längt, wo man betont, und dort kürzt, wo man nicht betont. 12 Zu diesem Problem etwa Attridge 1974, 35-37. 13 Vossius 1635, lib. 2, cap. 10, S. 181. Er illustriert das an der zeitgenössischen Aussprache von calefacis : entweder caléfăcis oder calefācis ; die Römer hätten aber calefắcis gesagt (ebd. 180; bei der Ansetzung der regelwidrigen antiken Paenultimabetonung folgt er Priscian, Institutiones grammaticae , GLK II,402,13). Vossius’ Urteil über die Gelehrten hatte offenbar bereits 100 Jahre früher Gültigkeit: Nachdem Erasmus dargelegt hat, dass man bei jeder Silbe die korrekte Quantität berücksichtigen müsse (vgl. Anm. 20), entgegnet sein Dialogpartner: Wenn diese Aussage der Wahrheit entspreche (was auch der Fall sei), ´ <?page no="281"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 281 berücksichtigt habe, wird in den allermeisten Fällen eine entsprechende Praxis nicht nur aus Bequemlichkeit abgelehnt, 14 sondern auch aufgrund theoretischer Überlegungen, die uns heutzutage teilweise ebenso bizarr anmuten wie die später entstandene Iktustheorie: a. 50 Jahre nach Vossius lehnt der noch zu behandelnde Heinrich Christian Henning Vossius’ angeblich unerfüllbare Forderung dezidiert ab - unerfüllbar deswegen, weil die qua Betonung hervorgehobene Silbe lang werde. 15 Mit anderen Worten: Man kann seiner Auffassung nach eine kurze Silbe nicht betonen, ohne dass sie lang wird. 16 Dieser damals gängige Einwand wirkt auf den ersten Blick absurd. Aber in der Tat hat die moderne Phonetik gezeigt, dass die Hervorhebung einer Silbe durch Betonung auch zu ihrer Längung führt. Wir können Silben und Vokale nicht betonen, ohne sie gleichzeitig zu dehnen, sei diese Dehnung auch noch so minimal. Umgekehrt führt die deutliche Dehnung einer Silbe auch zu Änderungen der Intensität und der Tonhöhe. Die sogenannte Silbenprominenz, die Wahrnehmung einer hervorgehobenen Silbe, entsteht also immer durch das Zusammenspiel der drei Faktoren Länge, Intensität und Tonhöhe. Akzente sind also sogenannte Komplexphänomene. 17 So lässt sich nachvollziehen, warum Begriffe wie ‚Länge‘ und ‚Betonung‘ sowie ‚Kürze‘ und ‚Nicht-Betonung‘ teilweise bedeutungsgleich verwendet wurden, was die Lektüre der Quellentexte und das Verständnis der Gedankengänge mitunter erheblich erschwert. 18 Selbst so spreche heute niemand Latein! (1529, 100). Natürlich handelt es sich bei Vossius’ Aussage nicht um ein „Zeugnis für den Iktus“ (Stroh 1979, 18 Anm. 70) - ganz im Gegenteil: Es geht ja um die Wortakzente. 14 Zum Bequemlichkeitsargument Beza 1587, 52 (= Meetkercke 1576, 148). Vossius hebt demgegenüber zu Recht hervor, dass man durch das Verselesen die richtigen Quantitäten erlernen könne. Jetzt mache aber niemand in der Aussprache einen Unterschied zwischen věnit und vēnit (1635, lib. 2, cap. 12, S. 184). 15 Stirling 1737, 17 unterscheidet zwar zwischen Akzent und Quantität, aber ihm zufolge ist die Aussprache der Tonsilbe eines Wortes lauter und länger als bei den übrigen Silben. Vgl. des Weiteren Beza 1587, 52 (= Meetkercke 1576, 148); Manwaring 1737, 51-52, 65; Primatt 1764, 69: Die Erhebung der Stimme führe zu einer Längung, die Senkung zu einer Kontraktion, dementsprechend werde ein Vokal im Vers durch den Akut gedehnt. Vgl. auch Erasmus 1529, 82, der folgende regula generalis angibt: Habet autem omnis syllaba longa sonum vegetiorem brevi („Jede lange Silbe hat aber einen kräftigeren Klang als eine kurze“) . Die Belege ließen sich beliebig vermehren. 16 Henning 1684, § 73, S. 50; § 93, S. 61. 17 Kohler 2012, 1-2 mit Literatur zum Thema. Dieses Phänomen erklärt auch, warum es Muttersprachlern so schwerfällt, Akzentpositionen in deutschen Wörtern zu bestimmen (Altmann/ Ziegenhain 2010, 50). 18 Jellinek 1906, 254 bezeichnete jene Theoretiker, die Quantität und Akzent in eins setzen, als „Confusionsprosodiker“ (im Original Kleinschreibung). Noch im 18. Jahrhundert beklagt sich John Foster über den konfusen Gebrauch der einschlägigen Termini technici <?page no="282"?> 282 Thorsten Burkard ein überragender Humanist wie Erasmus von Rotterdam war offensichtlich nicht immer in der Lage, zwischen Länge und Betonung zu unterscheiden. So beschwert er sich darüber, dass die Franzosen in allen lateinischen Wörtern die Endsilbe dehnten, sodass etwa das Wort caput zwei u zu haben scheine. 19 Auf Erasmus trifft somit seine eigene Aussage zu, dass der Akzent viele auf Irrwege führe, weil er lang erscheinen lasse, was kurz sei. 20 b. Der Akzent kann mehreren Theoretikern zufolge aber nicht nur eine längende, sondern auch eine kürzende Wirkung auf Folgesilben haben. So behauptet Isaac Vossius, dass aus patulae und recubans im Vergil-Vers Eklogen 1,1 Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi zwei daktylische Wörter würden, 21 wenn man sie nach den Regeln der Prosa läse. 22 Auch hier liegt eine im Prinzip richtige Beobachtung vor, die aus den unter (a) angeführten Umständen folgt: vor- und nachtonigen Silben räumt man beim normalen Sprechen automatisch weniger Zeit ein. Aus diesem Grund betreffen bekanntlich Lautwandelprozesse, die zu Lautschwächungen oder Lautverlusten führen, immer unbetonte Silben. Die den Akzent tragende Silbe ist hingegen durch ihre Prominenz geschützt. (1762, x und xiii): ein und derselbe Gelehrte verwende accent in verschiedenen Bedeutungen, im Sinne von elevation , prolongation of sound , emphasis or stress of voice oder um eine Kombination aus elevation und prolongation of sound zu bezeichnen. Viele würden sogar den Akut als natürlichen Bestandteil einer langen Silbe betrachten; Henry Gally (dazu Drerup 1932, 573-583) scheine die beiden sogar gleichzusetzen. Für die Vermischung von Länge und Betonung in den Traktaten zur deutschen Sprache sei hier summarisch auf Jellineks lehr- und materialreichen Aufsatz verwiesen. Vgl. auch das Vossius-Zitat in Anm. 76. 19 Erasmus 1529, 106 (vgl. auch oben Anm. 15). Wenn Erasmus ebd. behauptet, die Franzosen würden auch in den ersten und den Mittelsilben die Vokale zu dehnen pflegen, so könnte diese ‚Beobachtung‘ mit den Nasalvokalen zusammenhängen. 20 Erasmus 1529, 82; ebd. 85-86 sagt er ausdrücklich, dass die ratio des Akzentes eine völlig andere sei als die ratio der Quantität, aber viele würden das nicht begreifen. Er bringt dann zunächst Beispiele aus dem Griechischen. Im Falle des Lateinischen beklagt er sich über Aussprachen wie legĕbāmus (statt legēbāmus ) und amăvērimus . Ihre Gewohnheiten (so sein Stoßseufzer) seien den Menschen aber schwer auszutreiben. Man erkennt unschwer: Die Probleme sind dieselben wie heute. 21 Die Längung durch Position ( recubans ) wird in der damaligen Zeit häufig als eine angeblich rein künstliche Vorschrift ignoriert, vgl. Anm. 51. 22 Vossius 1673, 32; der Traktat wird unten im 2. Abschnitt ausführlicher besprochen. Vgl. auch Webb 1769, 87-88. Bei Henning findet sich sogar die folgende Argumentation: Wenn ὑπόκαυστον die korrekte Aussprache wäre, müsste man das au ganz schnell sprechen, was aber widersinnig wäre, weil es sich ja um einen Diphthong handele (1684, § 74, S. 50). Major 1685, 25 wird übrigens genau dieses Wort (ὑπόκαυστον) verwenden, um zu zeigen, dass durch die Akzentuierung eine Kürze eine mora duplicis temporis erhalte. Cleaver 1789, cap. 5, S. 67-75 zitiert als Beispiel für Ausdrücke, die seine Zeitgenossen daktylisch analysierten u. a.: ψήφισμα τῇ πόλει. <?page no="283"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 283 c. Durch die andere Gewöhnung empfand man die Quantitäten in der Dichtung als unnatürlich und konnte sich für dieses Unbehagen sogar auf die Autorität des Augustinus berufen, der sich über Grammatiker mokierte, die glaubten, andere maßregeln zu dürfen, wenn sie beispielsweise cano mit einem langen a aussprachen - dabei könnten sie doch als einzigen Grund für diese Aussprache die Verhältnisse in früheren Zeiten anführen! 23 d. Die in der Poesie zu beachtenden Quantitäten wurden daher häufig als reine Setzungen angesehen, die angeblich völlig unabhängig von den normalsprachlichen Verhältnissen waren: 24 So ist nach John Stirling die Prosodie (also die Lehre von den Quantitäten) der arbiträrste, schwerste und nutzloseste Teil der Grammatik, der nur für die Poesie Nutzen bringt. 25 Laut Isaac Vossius waren viele Gelehrte der Überzeugung, die Römer hätten bei den Quantitäten in der Poesie nicht auf die natura , sondern fast ausschließlich auf die consuetudo der Dichter geachtet. 26 In einer anonymen Jesuitengrammatik aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ist zu lesen: „Der Haupt-Grund der Quantität der Sylben ist die Auctorität der Poeten“. 27 Und noch Christian Gottlob Bröder (1745-1819) ist der festen Überzeugung, dass die Quantität vieler Silben nur durch die Autorität der Dichter festgelegt wurde. 28 Wie las man nun angesichts all dieser Probleme lateinische und griechische Verse, wenn man diese Aufgabe ernst nahm? Die Antwort ist einfach: Da man die Silbenquantität als Maßstab für den Rhythmus antiker Dichtung anerkannte, die Beachtung des Wortakzents aber die Längen und Kürzen verfälschte, verzichtete man häufig auf die Akzentuierung und rezitierte Poesie nach den überlieferten Quantitäten, mochten diese dem Lesenden auch noch so künstlich vorkom- 23 Augustinus, De musica 2,1,1, vgl. 3,1,5. Da also die antike Metrik als weitgehend unnatürlich empfunden wurde, ist es unverständlich, warum Stroh 1979, 12-13 die Behauptung deutscher Theoretiker, muttersprachliche Verse hätten einen natürlicheren Klang als lateinische Dichtungen, als „eindeutiges“ Indiz für „ein iktierendes Lesen im Lateinunterricht als das gewöhnliche“ ansieht. Auch die Stellen aus Zesen und Rinckart, die Stroh in Anm. 47 anführt, sind lediglich Belege dafür, dass im Lateinischen Poesie und Prosa anderen Ausspracheregeln folgen. 24 Dazu auch Attridge 1974, 66-67. Diese Scheidung zwischen Prosa- und Versaussprache mag uns seltsam vorkommen, sie findet sich aber auch in der Logik des Iktus wieder: In einer Rede oder in einem Alltagsgespräch hätte der Römer ádes páter gesagt, bei der Rezitation eines Verses aber adés patér . Während aber die Differenzierung in der Frühen Neuzeit quantitativer Natur ist, macht in der Iktustheorie die Betonung den Unterschied (auch wenn in praxi die Quantitäten ebenfalls vernachlässigt werden). 25 Stirling 1737, 19. 26 Vossius 1673, 30. Vossius’ eigene Theorie werden wir im zweiten Abschnitt ausführlich besprechen. 27 Institutiones 2 1779, Pars 2, Sectio 4, 376. 28 Bröder 1804, § 875, S. 447. <?page no="284"?> 284 Thorsten Burkard men. 29 Die Wortakzente wurden dabei also gezielt unterdrückt, sodass vermutlich eine Art schwebende Betonung entstanden ist. So unterscheidet Bernhard Perger um 1500 zwischen drei Arten der pronunciatio : einer mellica [sic], einer metrica und einer prosaica pronunciatio . Die erste werde im cantus beachtet und richte sich nach den Neumen ( illi adiacet neuma ), die zweite komme in scansione metrorum zur Anwendung und orientiere sich am tempus ( illi adiacet tempus ), die dritte richte sich nach dem Akzent ( illi adiacet accentus ). 30 Da speziell die griechische Akzentuierung zudem als unregelmäßig und unharmonisch empfunden wurde und man auch hier bei der Beachtung der Wortakzente keinen Rhythmus erkennen konnte, 31 las man auch griechische Verse rein nach den Quantitäten. In mehreren Ausgaben wurden daher griechische Verse nur mit den Quantitätszeichen, Latino more , 32 und eben nicht more Attico mit den Akzenten versehen. Der Verzicht auf die Akzente wurde bereits beim Skandieren der Verse ( dimensio versuum ) im Schulunterricht eingeübt, in dem man sich ganz auf die Quantitäten konzentrierte: 33 Cōntῐcŭ-ēr’ -ōmnēs īn-tēntīqu’ ōră tĕ-nēbānt . 34 Die einzelnen Füße wurden dadurch noch hervorgehoben, dass man nach jedem Fuß eine Pause machte, 35 so dass die pedes quasi als Wörter behandelt wurden. 36 Die erste Silbe eines Fußes, die gleichzeitig die Endsilbe eines Wortes ist, wurde als caesura bezeichnet, also etwa das no im ersten Vers der Aeneis , das mit dem Tro des nächsten Wortes beim skandierenden Lesen verbunden wurde, weil es 29 Um diese Lesepraxis bemühte man sich bereits im Mittelalter, während man in der Prosa die ‚natürlichen‘ Quantitäten beachtete (Kabell 1960, 122-125). 30 Perger 1498, [Bl. l v ]. Zwanzig Jahre später wird Johannes Cochlaeus diesen Passus wortwörtlich übernehmen (1519, Bl. 72 r ). 31 Drerup 1930/ 1932. Drerup berücksichtigt das Spezialproblem des iktierenden Lesens aber nicht systematisch, sondern nur fallweise. 32 So gibt etwa der Jesuit Guillaume Baile (1557-1620) in seiner Schrift De accentibus Graecorum von 1593 einen Hesiod-Vers nur mit den Quantitätszeichen wieder, also Latino more . Baile sagt ausdrücklich, dass man bei der lateinischen pronuntiatio nur auf die Quantitäten achte (nach Drerup 1932, 443-444). 33 Damit die Lernenden die Quantitäten noch besser verinnerlichen konnten, empfahl der englische Schulrektor John Brinsley (1581-1624), sie singen zu lassen (nach Attridge 1974, 38). Attridge vermutet, dass man dabei mit stress-Betonung iktiert habe (vgl. auch Stroh 1979, 14 Anm. 53). Das würde aber, wie gerade gesehen, dem Prinzip des Skandierens diametral zuwiderlaufen. 34 Vergil, Aeneis 2,1, Skansion nach Kirkwood 1674, 161, die dort gesetzten Kürze- und Längezeichen über den Vokalen bezeichnen natürlich die Silbenlänge. Der waagrechte Strich nach dem qu’ fehlt entweder aus Versehen, wegen des Apostrophs oder einfach, weil ein neues Wort beginnt. 35 Zum Beispiel Vossius 1673, 30. 36 Zum Vorgehen beim Skandieren im England des 17. Jahrhunderts s. Attridge 1974, 67. <?page no="285"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 285 mit diesem einen Fuß bildete. 37 Die Wörter wurden also, sofern sie nicht mit den Füßen zusammenfielen, beim Skandieren regelrecht auseinandergebrochen. 38 Gerade weil das Skandieren das Gefühl für die Quantitäten einüben sollte, konnten diese Übungen allenfalls ungewollt (und oft wohl auch unbemerkt) zu einem iktierenden Lesen führen. 39 War das Skandieren einerseits eine künstliche Analysemethode, die sich durch das Pausieren zwischen den Füßen bewusst von der antiken und neuzeitlichen Sprachwirklichkeit entfernte, so stand sie der antiken Versrezitation doch deutlich näher als die nachlässige zeitgenössische Aussprachepraxis, weil sie immerhin die Quantitäten beachtete. Die Fokussierung auf Letztere war offenbar so stark, dass beim normalen Lesen häufig noch nicht einmal die Elisionen berücksichtigt wurden. 40 Wir haben bereits gesehen, dass Gerhard Johannes Vossius dafür plädierte, beim Verselesen sowohl die Quantitäten als auch die Wortakzente zu beachten. Dementsprechend fasst er das Skandieren zwar wie seine Zeitgenossen als eine Methode auf, um die Längen und Kürzen korrekt zu erkennen. 41 Andererseits weist er den Lernenden an, dabei auch die Wortakzente mitzusprechen. So könnten die Ohren deutlich heraushören, welcher Unterschied zwischen einem a mit Zirkumflex (als Längenzeichen) und kurzem a mit Akut bestehe, z. B. bei mare vs. amare : Quà mare, quà terrae, quà sidus currit, amare . Diese Empfehlung ist offensichtlich nur dann sinnvoll, wenn man máre gelesen hat, also nicht iktierte. 42 Fassen wir die Ergebnisse kurz zusammen: In der ganzen hier betrachteten Periode lassen sich keine Zeugnisse für ein Lesen mit einem Versakzent finden - das gilt im Wesentlichen auch für die in den nächsten Kapiteln zu besprechenden vorhermann’schen Theoretiker. Antike Verse las man, wenn man einen 37 Arma virumque cano Troiae qui primus ab oris (Vergil, Aeneis 1,1). Vgl. zu dieser Nomenklatur etwa Kirkwood 1674, 159: Caesura est syllaba ex praecedente voce residua, et sequenti inter scandendum iungenda („Die Zäsur ist jene Silbe, die von dem vorhergehenden Wort übrig ist und beim Skandieren mit dem folgenden Wort verbunden wird“). 38 Das war im Prinzip schon die antike Praxis (Stroh 1990). 39 Vgl. unten S. 309-310. Charles Hoole nennt in seiner Latine Grammar , einer Überarbeitung der Grammatik von William Lily, die sieben figurae der scansio , also die Aufgaben, die bei der Skandierung zu erfüllen waren (etwa die Zäsur im damaligen Sinne oder die Synalöphe) - die Akzentsetzung bzw. die Iktierung ist nicht dabei (1669, 316-317). Zum wichtigen grundlegenden Unterschied zwischen Skandieren und Iktieren s. auch Stroh 1979, 13-14. 40 Warner 1797, 26-30 (vgl. auch 36), drängt darauf, auch in lateinischen Versen die Elisionen zu beachten, auch wenn man davor zurückscheue! So versteht man, warum die Synalöphe als figura scansionis galt (vgl. Anm. 39). 41 Bei Plantades Behauptung, Vossius d. Ä. habe das Skandieren abgelehnt (2007, 414, 416), kann es sich dementsprechend nur um einen Irrtum handeln. 42 Vossius 1635, lib. 2, cap. 10, S. 180. <?page no="286"?> 286 Thorsten Burkard gewissen Ehrgeiz entwickelte, nach den Quantitäten oder, wenn man seine aus der Prosa herrührenden Gewohnheiten nicht ändern wollte, nach den Wortakzenten; beides zu beachten, versuchten in der Realität wohl die wenigsten, auch wenn das Postulat zuweilen (wie gesehen) explizit formuliert wird. Für ein iktierendes Lesen lassen sich hingegen keine Belege beibringen, mehr noch: Alle einschlägigen Stellen widerlegen die Hypothese, man habe ein Lesen nach Versakzenten vermittelt und praktiziert. Stellvertretend für viele explizite Zeugnisse, die gegen eine Existenz des Iktus sprechen, sei eine Passage bei Abraham Mylius zitiert, in der es um die antike Metrik geht: 43 Accentum enim non curant Graeci Latinique eo loco, ubi syllaba longa requiritur („Die Griechen und Römer kümmern sich nämlich an den Stellen nicht um den Akzent, an denen eine lange Silbe [scil. aufgrund des Metrums] erforderlich ist.“). Kritisiert wird hier die Eigenheit der beiden klassischen Sprachen, Akzent und Längung in der Poesie nicht zusammenfallen zu lassen (im Gegensatz zur niederländischen Sprache), sondern auch unbetonte Silben zu längen, betonte hingegen kurz auszusprechen. Einen weiteren Beweis gegen ein iktierendes Lesen stellt der (nebenbei bemerkt: der Wahrheit entsprechende) Topos dar, der sich bei vielen Theoretikern finden lässt, dass Griechen und Römer in der Prosa nicht anders gesprochen hätten als in der Dichtung. 44 Mit diesem Topos wurde aber an den entsprechenden Stellen nicht etwa das iktierende Lesen bekämpft, sondern der Verzicht auf die Betonung bei der Versrezitation oder vergleichbare Tendenzen. Wie auch die folgenden Seiten zeigen werden, gab es - von einigen wenigen gleich zu besprechenden scheinbaren oder echten Ausnahmen abgesehen - also vor Gottfried Hermann in der Tat kein iktierendes Lesen - weder wurde ein Versakzent gelehrt, noch wurde er in der Praxis realisiert. 45 Wie zwischen ca. 1860 und 1960 vermutlich jeder Lateinschüler auf der Welt den Iktus lernte, so kann man für die Zeit vor 1800 sagen: Was immer man auch in der Schule gelernt haben mag: Der Versakzent war es auf keinen Fall. Nun gibt es in der Tat mehrere Stellen bei einigen wenigen Theoretikern der Frühen Neuzeit und des 18. Jahrhunderts, die man auf den ersten Blick als Belege für eine iktierende Rezitation verstehen könnte. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber (fast) immer, dass es in diesen Passagen um etwas ganz anderes 43 Mylius 1612, cap. 29, S. 169. 44 Beispielsweise Verwey 1684, 24: Non aliter enim in ligata, aliter in oratione soluta extulerunt . 45 Das lässt sich auch daran erkennen, dass zuweilen die Wortakzente bei Versbeispielen explizit angegeben wurden, vgl. etwa Stirling 1749 und 1766. Johannes Sturm untersuchte die Akzentharmonien in Vergil-Versen (1549, Bl. 29 r -29 v ). Weitere Beispiele werden uns im Laufe des Aufsatzes noch begegnen. <?page no="287"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 287 geht. Einige repräsentative Beispiele seien im Folgenden besprochen, um noch einmal die auf den vorigen Seiten vorgestellte Denkweise der damaligen Zeit zu illustrieren, bevor wir uns dann einzelnen (echten oder vermeintlichen) Wegbereitern der Iktustheorie zuwenden, die allesamt durch ihre Originalität aus dem Rahmen fallen. Bei Philipp Zesen (1619-1689) stößt man auf Aussagen, die geradezu prototypisch das iktierende Lesen iambischer Versmaße im Lateinischen zu beschreiben scheinen. Im Hoch-deutschen Helicon wird der Iambus im Glossar am Ende der Vorrede an den Leser mit „steigender Schritt“ übersetzt. 46 Zesen kritisiert sodann die Künstlichkeit der Römer bei der Messung der Silben. Dies erkenne man vor allem bei den steigenden Maßen, d. h. bei den Iambica: Deus potens coelum regens / tractans manu bonum bona . Zesen analysiert (wie es uns selbstverständlich ist) die beiden Verse als zwei Iamben, Spondeus, Iambus, Spondeus und drei Iamben. Keiner würde (so Zesen) diese „steigende“ Analyse ohne Kenntnis der unnatürlichen lateinischen Regeln anwenden, sondern vielmehr der Natur und der Aussprache der Wörter nach diese als „laufend“ (Lehnübersetzung von trochaeus ) oder „fallend“ bezeichnen - und somit acht Trochäen messen, also: Dēǔs pōtĕns cōelǔm rēgĕns / trāctăns mānǔ bōnǔm bōnă . 47 Diese Analyse, die mit zwei Ausnahmen gegen alle Silbenquantitäten und gegen zehn Vokalquantitäten verstößt, irritiert uns nicht mehr, denn Zesen dehnt hier einfach die Tonsilben und kürzt unter Nichtberücksichtigung der Positionslängen die unbetonten Silben, orientiert sich also an den Effekten der Wortbetonung in der ‚normalen‘, d. h. nicht-künstlichen Prosarede. Nun lautet aber die für uns entscheidende Frage: Würde Zesen im zuerst genannten metrischen Schema die Längen betonen, also iktierend Deús poténs usw. lesen? An dieser Stelle gibt es darauf keinen Hinweis, denn er spricht von den unnatürlichen Gesetzen ausschließlich im Hinblick auf die Quantitäten, sodass offenbar die Ausdrücke „steigend“ und „fallend“ nicht auf Tonstärke oder gar Tonhöhe, sondern auf die Quantität zu beziehen sind. Zesen verweist zur weiteren Behandlung des Problems auf seine Scala . 48 Auch dort wird die antike Dichtung als künstlich ( artificialis ) bezeichnet, da sie gegen die Natur der Sprache verstoße ( linguae naturam infringit ) 49 - und jetzt 46 Vgl. zu dieser Begrifflichkeit Schottelius 1656, p. 6-7: Die kurze „Wortzeit“ werde schnell ausgesprochen und falle daher wie etwa bei gericht und erweisen . Auch hier geht es (zumindest terminologisch) nur um Längen und Kürzen. Da sich aber auch Schottelius (1612-1676) von der Betonung nicht freimachen kann, analysiert er die erste Silbe in Hoffnung als lang, die zweite als kurz (ibid. p. 7), analog bei Notwehr (ibid. p. 14). Zesen war übrigens wie Schottelius Mitglied in der Fruchtbringenden Gesellschaft . 47 Zesen 1649, Bl. D ii v . 48 Das Folgende nach Zesen 1643, 10-12. 49 Dagegen ist die deutsche Dichtung natürlich, weil man hier die Quantität an der pronunciatio der einzelnen Wörter und an der Akzentsilbe ( sedes accentuum ) erkennen könne. <?page no="288"?> 288 Thorsten Burkard kommt die entscheidende Begründung: Die Künstlichkeit besteht laut Zesen insbesondere darin, dass oft naturkurze 50 Silben vor zwei oder mehr Konsonanten als lang gelten. So müssten sie gezwungenermaßen im Vers contra naturam „hervorgehoben“ ( elevari et extolli ) werden, wie man besonders an iambischen Versen sehen könne. Unnatürlich ist also nicht die Positionierung der Akzente, sondern die Positionslänge, die als willkürliche Setzung die Natürlichkeit der Sprache verdreht. Die oben zitierten Dimeter werden nur durch die Positionslängen zu iambischen Versen, da beispielsweise us und um eigentlich Kürzen sind. Erst dadurch kommt das Steigende in den vier Füßen zustande, womit Zesen ganz offensichtlich die Abfolge kurz-lang meint. 51 Nun scheint sich aber aus dieser Willkür nach Zesens Worten durchaus eine von den Erfordernissen des Versmaßes herbeigeführte Änderung der Betonung zu ergeben ( elevari et extolli ). Es gibt auf den ersten Blick zwei mögliche Erklärungen: (1) Der Ausdruck contra naturam elevari et extolli deutet in der Tat auf ein iktierendes Lesen hin, d. h. auf Deús poténs usw. (2) Mit elevari und extolli ist hier nicht die Betonung gemeint, sondern die Dehnung einer Silbe. Für die letzte Deutung spricht schlagend die Tatsache, dass Zesen sich ausschließlich über die Positionslängen auslässt; er kritisiert nicht die Messung unbetonter Vokale als naturlange Silben (wie bei manu in seinem Beispiel). Dass sich die Künstlichkeit der lateinischen Versmaße laut Zesen vor allem in den Iambica zeigt, hängt vermutlich damit zusammen, dass hier der Wortakzent oft auf die Kürze des Iambus fällt und diese nach dem uns bereits bekannten Denkmuster längt, die Schlusssilbe aber kürzt, sodass es nicht möglich ist, ein echt iambisches Wort im Lateinischen zu finden. Zesen sagt nämlich eindeutig, dass man in der natürlichen Dichtung die Quantitäten am Sitz der Wortakzente erkennen könne. Die artifizielle Dichtung der Antike vernachlässige demgegenüber die nativa quantitas der Silben (und nicht etwa die Betonung), sodass es zu einem Konflikt von Wortakzent und Länge kommt. Diese Denkweise ist uns inzwischen vertraut. 50 Bei Zesen heißt es: [sc. syllaba ] pronunciatione et accentu brevis (1643, 11); vgl. dazu unten im Haupttext. 51 Weil man die Positionslänge als etwas Widernatürliches empfand, nahm man sie in der deutschen Dichtung in der Regel nicht in Anspruch; vgl. Klopstocks Pentameter (Elegie von 1748, V. 10, S. 32 Gronemeyer/ Hurlebusch): ewiges Verlangen, keine Geliebte dazu , in dem das Wort ewiges als Daktylus zu messen ist; die Schlusssilbe en in Verlangen wird vermutlich wegen der Diärese, nicht wegen der Positionslänge lang gemessen. Man beachte auch, dass der auf lanliegende Wortakzent zeigt, dass hier kein iktierender Rhythmus als Vorbild dienen kann. Klopstock ahmt hier sicher nicht das antike Wortakzentmuster nach (gegen Kabell 1960, 226), sondern (erwartungsgemäß) die Verteilung von Längen und Kürzen. <?page no="289"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 289 Auch Zesens weitere Ausführungen zeigen deutlich, dass er keinesfalls an den Iktus gedacht haben kann. Trotz seiner Skepsis gegenüber der antiken Verskunst räumt er ein, dass man deutsche Verse in der Art der Griechen und Römer schreiben könne (was er auch selber getan habe), wenn man sich der Mühe unterziehe, die pronunciatio (gemeint ist die Quantität) und den accentus zu beachten, was allerdings schwer sei. Er zitiert drei Hexameter von Johannes Clajus, die quantitierend gebaut sind, die Positionslängen beachten und laut Zesen den antiken, aber nicht den deutschen Gesetzen entsprechen. So sei in dem Vers Unsere Soldaten seyn lauter lose Gesellen die letzte Silbe von Soldaten „nach Akzent und Quantität“ ( accentu et pronunciatione ) kurz, werde aber widernatürlich „hervorgehoben“ ( extollitur ) durch die Positionslänge. Sollte Zesen wirklich geglaubt haben, dass Clajus Sóldatén gesprochen hat? Das Problem ist nicht, dass eine eigentlich unbetonte Silbe durch den Zwang des Metrums betont wird (das wäre das Problem des iktierenden Lesens), sondern dass eine kurze Silbe nur durch ihre Stellung im Vers als lang gelten soll, dass also die nativa quantitas zerstört wird. Von einer unnatürlichen Betonung ist überhaupt nicht die Rede. 52 Der Schluss ist unausweichlich, dass Zesen hier Begriffe, die eigentlich die Betonung bezeichnen ( elevare , extollere ), auf Phänomene der Quantität anwendet - was ein Kennzeichen dieser Epoche gewesen ist, wie wir gesehen haben. Auch im Deutschen identifiziert Zesen „erhoben“ mit „lang ausgesprochen“. 53 Noch ein weiteres Beispiel sei angeführt, um zu verdeutlichen, wie gefährlich es ist, allzu voreilig unsere Iktustheorie in Texten aus der Zeit vor 1800 entdecken zu wollen. Abraham Mylius empfiehlt am Ende seiner lateinischen Abhandlung über die niederländische Sprache, an denjenigen Stellen, an denen in lateinischen Metra eine Länge stehen muss, in der Volkssprache eine akzentuierte Silbe zu setzen, für die kurzen Silben dagegen eine unbetonte Silbe zu wählen. Dadurch entstehe eine suavior modulatio , die der modulatio Latina ange- 52 Zesen 1643, 12. 53 Jellinek 1906, 255. In dem hier vorliegenden Aufsatz kann nicht weiter auf die deutsche Dichtung und deren Theoretiker eingegangen werden. Dazu nur so viel: Wenn Stroh 1979, 10-11 glaubt, dass Johann Klaj in seinen Sapphikern „das Iktusschema mit aller nur wünschbaren Genauigkeit“ wiedergibt, so lässt sich diese Behauptung nur unter der Annahme von Tonbeugungen halten (ebd. 11 Anm. 37 spricht Stroh auch nur von einer „Tendenz“ und widerlegt damit seine These eigentlich schon selbst). Richtig ist vielmehr, dass Klaj in dem betreffenden Gedicht die Quantitäten genau nachahmt, was bei einer mechanischen Imitation der Ikten unmöglich wäre. Die antikisierenden deutschen Versmaße lassen sich durch das von der ‚Konfusionsprosodie‘ (s. oben Anm. 18) unterstützte Substitutionsprinzip (das von Stroh ebd. 12 Anm. 46 selbst erwogen wird) ganz einfach erklären. Die Annahme eines Iktus ist für die Erklärung der Metrik in deutschen Dichtungen somit unnötig. Zum Substitutionsprinzip in der volkssprachlichen Dichtung s. die im Folgenden behandelte Textstelle bei Abraham Mylius. <?page no="290"?> 290 Thorsten Burkard messener sei. 54 Steht hinter dieser Aussage iktierendes Lesen, weil ja bei einem solchen Lesen die Betonung zumeist auf eine Länge fällt? 55 Schaut man sich den Kontext der Stelle an, stellt man fest, dass davon keine Rede sein kann. Mylius wendet sich gegen Gelehrte, die meinen, man müsste in der volkssprachlichen Dichtung den quantitierenden Regeln des Lateinischen und seinen Sonderregeln wie etwa der Positionslänge folgen - keine Rede von einem Versakzent. Dann folgt der Schlüsselsatz: Seiner Meinung nach müsse man im Französischen wie im Niederländischen die Quantität nach dem Akzent bemessen ( quantitatem syllabarum […] metiendam ex solo accentu ); das Akzentprinzip kommt also erst in den Volkssprachen ins Spiel; im lateinischen Vers existiert es gar nicht! So werde die Silbe, die den Akzent trägt, im Niederländischen lang und die unbetonte Silbe kurz. Wir erkennen hier das Prinzip wieder, dass Betonung längt und Nicht-Betonung kürzt. Und jetzt wird auch verständlich, warum diese modulatio der lateinischen modulatio angemessener sein soll: 56 weil erst durch die Betonungen im volkssprachlichen Vers ein quantitierendes Muster hergestellt wird, das dem antiken Schema entspricht - ein für uns geradezu paradoxer Gedanke, aber im Denken der damaligen Zeit durchaus konsequent. Aus den bisher nur kurz und exemplarisch vorgestellten Zeugnissen der Frühen Neuzeit geht hervor, dass die Theoretiker das zentrale Problem im Widerstreit und im Wechselspiel von Quantität und Akzent gesehen haben. Das Ideal war der Zusammenfall von Akzent und Länge auf der einen und von Unbetontheit und Kürze auf der anderen Seite. Mit diesem Wissen im Hinterkopf wenden wir uns nunmehr Theoretikern zu, die versucht haben, diese Probleme zu lösen, und dabei den Weg bereitet haben von einer Beachtung der Wortakzente und/ oder Quantitäten hin zu einem Lesen nach Versakzenten. 2. Isaac Vossius Die erste Schrift, in der sich eine Theorie von Versakzenten findet, ist Isaac Vossius’ De poematum cantu et viribus rythmi , die im Jahre 1673 erschien 57 und 54 Mylius 1612, Addit. ad cap. 29, S. 259, dort auch das Folgende. 55 So Stroh 1979, 12 Anm. 46, der glaubt, dass das iktierende Lesen dann zum Postulat der Substitution geführt habe. Allerdings müsste schon die Tatsache, dass Mylius für das Lateinische nur von langen und kurzen (und nicht von betonten und unbetonten) Silben spricht, stutzig machen. 56 Stroh 1979 konnte sich unter der modulatio Latina nichts anderes als den „iktierenden“ Tonfall vorstellen und lief damit in genau jene Falle, vor der wir am Anfang des Aufsatzes gewarnt haben. 57 Der Traktat wurde anonym herausgegeben, aber an Vossius’ Autorschaft bestanden nie irgendwelche Zweifel. Gedruckt wurde De poematum cantu in der Oxforder Universitätsdruckerei, dem Theatrum Sheldonianum (Vossius war 1670 nach England gezogen, wo er <?page no="291"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 291 einen nachhaltigen Einfluss haben sollte. 58 Isaac Vossius (um 1618-1689), der Sohn von Gerhard Johannes Vossius, machte sich hier daran, die Ursachen für den Verfall der Musikkunst zu untersuchen. Die Ursache für die Trennung der beiden Schwesterkünste Poesie und Musik und damit für den Verfall der letzteren liege in der Veränderung der Aussprache - und hier habe sich nicht so sehr der Wandel der einzelnen Laute fatal ausgewirkt als vielmehr die Umwälzung des Akzentsystems. 59 Vossius versucht zu beweisen, dass die überlieferten griechischen Akzentzeichen nicht die historische Aussprache des Altgriechischen wiedergeben, sondern erst spätere Erfindungen sind. Ursprünglich handelte es sich bei den Akzentzeichen um musikalische Zeichen, die erst im 3. Jahrhundert v. Chr. von den Grammatikern zur Bezeichnung der Quantitäten übernommen wurden. Da Musik und Dichtung (die eigentlich wesenseins sind) vor allem auf der genauen Beachtung der Quantitäten beruhen und die griechische Sprache und insbesondere die Poesie musikalischen Gesetzmäßigkeiten folgen, fallen hier lange Silben mit Betonungen zusammen. Dies illustriert Vossius an drei Homer-Versen ( Odyssee 3,1-3), die er zunächst in der üblichen ( ita ac vulgo fit ) Akzentuation abdruckt: 60 Ἠέλιος δ’ ἀνόρουσε λιπὼν περικαλλέα λίμνην Ὀυρανὸν ἐς πολύχαλκον, ἵν’ ἀθανάτοισι φαείνοι Kαὶ θνητοῖσι βροτοῖσιν ἐπὶ ζείδωρον ἄρουραν· Lese man die Verse so, wie die traditionellen Akzentzeichen es nahelegen, werde sowohl der cantus als auch die lectio zerstört. In Wirklichkeit seien die Verse in der Antike ganz anders, nämlich wie folgt gelesen worden: Ἠελιός δ’ ἀνοροῦσε, λιπὼν περικάλλεα λίμνην, οὔρανον ἐς πολυχάλκον, ἱν’ ἀθανατοῖσι φαείνοι καὶ θνητοῖσι βροτοῖσιν ἐπὶ ζειδῶρον ἀροῦραν· von 1673 bis zu seinem Tod Kanoniker in Windsor war). Ein Teil der Abhandlung (15-23, 31) ist auch abgedruckt im Anhang von Henning 1684, 137-146. Die Praefatio ist durch die Subscriptio auf 1671 datiert. 58 Zu De poematum cantu vgl. Drerup 1930, 417-426; Hüschen 1968 (im Wesentlichen eine Paraphrase mit Übersetzungen ausgewählter Passagen; auf S. 344 findet sich ein nicht immer ganz treffender Überblick über den Inhalt der Schrift, die keine Kapiteleinteilung und keine Marginalien hat); Plantade 2007. Im 18. Jahrhundert wurden zwei deutsche Übersetzungen des Traktats angefertigt. 59 Vossius 1673, 14-19. 60 Vossius 1673, 19. <?page no="292"?> 292 Thorsten Burkard Auf den ersten Blick scheint diese Akzentuierung mit unseren Ikten nahezu identisch zu sein. 61 Alle Akzentzeichen fallen exakt auf diejenigen Silben, die wir bei iktierendem Lesen betonen würden. Entgegen seiner eigenen Aussage stellt Vossius übrigens keine vollkommene Identität zwischen Länge und Akzent her, weil dann etwa die erste Silbe des ersten Wortes ebenfalls einen Akzent tragen müsste; auf den Grund werden wir gleich zu sprechen kommen. Es gibt aber zwei gewichtige Unterschiede zwischen Vossius’ Akzentuation und unserer iktierenden Skansion: Zum einen akzentuiert Vossius nicht jede unserer Iktusstellen; der erste Hexameter hat nur fünf, der zweite sogar nur vier ‚Hebungen‘. Der Grund ist offensichtlich: Vossius’ Denken ist noch ganz dem Wortakzent verhaftet, 62 und so kann jedes Wort nur einen einzigen Akzent erhalten; 63 ein Atonon wie ἐς bleibt natürlich ohne Akzent. Aus diesem Grund kann Vossius auch nicht alle Längen mit einem Akzent versehen. In sechs Fällen begegnet er dem Problem, dass ein Wort über mehrere Längen verfügt und er sich entscheiden muss: Bei λίμνην, φαείνοι und θνητοῖσι behält er den überlieferten Akzent bei; im Falle von ἀθανατοῖσι folgt er vermutlich einfach der Regel, dass kein griechisches Wort vor der drittletzten Silbe betont werden darf. 64 Komplizierter liegt der Fall bei Ἠελιός und ζειδῶρον, bei Letzterem gibt es drei mögliche Erklärungen: (1) Vossius richtet sich nach der lateinischen Paenultimaregel (s. unten S. 298). Dagegen spricht, dass sich diese Denkweise bei Vossius nicht finden lässt. (2) Vossius betont bewusst die erste Silbe des Daktylus. Dafür würde sprechen, dass alle Akzente mit unseren Iktusstellen, also dem Longum des Daktylus, zusammenfallen. Allerdings würde sich Vossius dann schon nach den Füßen und nicht mehr nach den Wörtern richten. (3) Wahrscheinlicher ist daher, dass Vossius hier gemäß den Vorstellungen seiner Zeit überzeugt war, dass 61 So hat Gottfried Hermann Vossius verstanden: Bei Homer seien Vossius zufolge die ictus metrici identisch mit den Wortakzenten (1796, 74-75). Hermann lehnt diese Auffassung aber ab, weil dann ein Wort an verschiedenen Versstellen verschiedene Akzente hätte. 62 Das zeigt sich auch bei seiner Analyse der Versfüße (5-8), die rein quantitativ bestimmt werden. Der Akzent ist also nicht schon integraler Bestandteil des Fußes an und für sich wie in der Iktustheorie und den auf ihrer Grundlage erarbeiteten Versschemata. 63 Vgl. für das Lateinische Cicero, Orator 58; Quintilian 1,5,31; Servius, In Donati artem maiorem , GLK IV,426,15: unus autem sermo unum recipit accentum . 64 Auch die Vorschläge von Gottsched 1749 (§ 20, S. 525-526; dazu Jellinek 1906, 266-267) zur „prosodischen Scansion“ griechischer Verse stehen in der vossianischen Tradition. Gottsched zufolge müssen im ersten Vers von Hesiods Erga (Μοῦσαι Πιερίηθεν ἀοιδῇσι κλείουσαι) die Akzente auf das η in Πιεριηθεν und das ου in κλειουσαι fallen ( 4 1751, § 7, S. 383-384). Auch er plädiert also keinesfalls für ein durchgehendes Iktieren, sonst müsste er auch das erste ι in Πιερίηθεν und das οι in ἀοιδῇσι akzentuieren sowie das η in ἀοιδῇσι unakzentuiert lassen. Die relevante Größe ist immer noch der Wortakzent. Für Gottsched ist ganz klar, dass die Griechen und Römer gemäß ihrer natürlichen Aussprache skandiert haben (1749, § 17, S. 522). <?page no="293"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 293 die Akzentuierung ζείδωρον zu einer Kürzung des dann unbetonten Omega führt, was das Versmaß zerstören würde. Es bleibt die Akzentuierung von Ἠελιός, die umso seltsamer ist, als die Länge hier nur durch Position entsteht und das entsprechende attische Wort ein Proparoxytonon ist. 65 Vossius stand aber vor einem unlösbaren Problem: Die einzige Naturlänge des Wortes steht in der viertletzten Silbe, und diese darf nach den damals akzeptierten Regeln der antiken Grammatiker weder im Lateinischen noch im Griechischen den Akzent tragen. Andererseits konnte Vossius den Akzent unmöglich auf das Epsilon oder das Iota setzen, ohne seine eigenen Prinzipien zu verletzen. So bleibt nur noch die Positionslänge am Wortende, und man hätte von Vossius gerne gewusst, wie das Wort isoliert oder vor einem Vokal zu betonen wäre. Wichtig für unsere Fragestellung ist nun erstens, dass Vossius seinen Vorschlag an die Wortakzente bindet. Daher rechtfertigt er sich auch damit, dass die antiken Lexikographen und Kommentatoren Akzentuierungen aus alten Handschriften und älteren Grammatikern überlieferten, bei denen Wörter, die nach der üblichen Betonung den Akzent auf einer Kürze haben, auf der Länge betont werden, etwa ἐρῆμος und τροπαῖον, „sodass der Akzent immer mit der wahren und natürlichen Messung der Silben übereinstimme“ ( ita ut accentus verae et naturali syllabarum semper conveniret mensurae ). 66 Zweitens: Während es beim Iktieren nur eine einzige Betonung gibt, nämlich den dynamischen Akut, verwendet Vossius alle drei griechischen Akzentzeichen, und diese haben durchaus unterschiedliche Bedeutungen, wie aus dem Traktat deutlich wird. Vossius geht davon aus, dass das Altgriechische einen musikalischen Akzent hatte und sich die Tonhöhen in der Alltagssprache im Bereich einer Quinte bewegt haben, 67 während das Spektrum in der Dichtung grundsätzlich größer sei, vor allem wenn heftige Affekte dargestellt werden müssen. 68 Die Akzentzeichen bezeichnen für Vossius die relativen Tonhöhen, der Akut einen höheren Ton, der Gravis einen tieferen Ton, der Zirkumflex ist eine „schmückende“ Variation des Akuts. 69 Diese Semantik der Akzentzeichen ergibt sich aber erst aus den späteren Abschnitten des Traktats - der Leser weiß 65 An einen Druckfehler, also ein Auslassen des Akuts bei H, ist wohl nicht zu denken (der Akut würde gegen das Prinzip verstoßen, dass ein Wort nur einen Akzent haben darf), ebenso wenig daran, dass der Spiritus den Akzent ersetzt, vgl. οὔρανον in V. 2. 66 Vossius 1673, 19-20. 67 Diese Vorstellung geht letztlich auf Dionysios von Halikarnass zurück ( De compositione verborum § 11). 68 Vossius 1673, 30, 95-96, 125. 69 Vossius 1673, 125. Der Zirkumflex ist also bei Vossius - im Gegensatz zur damals üblichen Auffassung - nicht einfach eine Kombination aus Akut und Gravis, sondern eine ausschmückende Silbenlängung, die er mit den zeitgenössischen Koloraturen ( plasmata , <?page no="294"?> 294 Thorsten Burkard an unserer Stelle noch überhaupt nicht, wie er die Homer-Verse in Vossius’ Akzentuierung zu lesen hat. Es wird genügend Leser gegeben haben, die in dem Gravis hier zunächst einmal das Zeichen für Tonlosigkeit gesehen 70 und den Akut dynamisch ausgesprochen haben. 71 Der an die lateinischen Akzentregeln gewöhnte Leser wird Vossius’ Version aber wahrscheinlich unwillkürlich für schön und natürlich angesehen haben. Drittens haben wir gesehen, dass sich Vossius mit seiner Akzentuierung Ἠελιός zumindest am Anfang eines Weges befindet, der zur Hermann’schen Iktustheorie führt. Und scheinbar fordert Vossius für das Lateinische nicht nur ein quantitierendes Lesen, sondern auch ein - wie wir sagen würden - iktierendes, bei dem die traditionellen Wortakzente (deren Existenz er für das Lateinische nicht bestreitet) aufgegeben werden müssen. Er beklagt sich nämlich darüber, dass man ausgelacht werde, wenn man am Ende des Pentameters den Akzent von der vorletzten auf die letzte Silbe ziehe, weil die Gelehrten die vulgaris pronuntiatio schon so verinnerlicht hätten. 72 Hat Vossius also „dem Iktus der Schule die höheren Weihen der philologischen Wissenschaft gegeben“? 73 Diese Frage lässt sich eindeutig verneinen. Erstens bezeugt Vossius mit seiner Aussage über „die übliche Aussprache“, dass man gerade nicht so gelesen hat, weder in der Schule noch an anderer Stelle. Wer den Akzent auf die letzte Silbe zieht, ist ein verlachter Außenseiter. Zweitens liegen die Dinge auch hier komplizierter, wenn man sich die ganze Passage, in der die soeben zitierte Aussage steht, genauer anschaut. 74 Vossius liefert hier nämlich ein Musterbeispiel für Konfusionsprosodie (zu diesem Ausdruck vgl. oben Anm. 18): Er wendet sich zunächst gegen diejenigen Theoretiker, die bestritten haben, dass im Lateinischen eine Endsilbe einen accentus longus haben könne und schreibt Quintilian das Diktum zu, dass kein Wort im Lateinischen eine lange Endsilbe haben könne! Schon der Ausdruck accentus longus zeigt, dass Vossius vorrangig an die Quantität denkt, endgültig klar wird flexiones ) vergleicht, die seiner Ansicht nach viel zu lang seien und zudem auch fälschlich bei kurzen Vokalen angewendet würden (124-127). 70 Vgl. etwa Servius, In Donati artem maiorem , GLK IV,426,12-14: gravis accentus-\ in Latino sermone paene usum non habet, nisi quod vel cum acuto vel circumflexo poni potest, in his scilicet syllabis, quae supra dictos accentus non habent („das Graviszeichen wird im Lateinischen kaum benützt, abgesehen davon, dass es zusammen mit dem Akut oder dem Zirkumflex gesetzt werden kann, natürlich auf diese Silben, die die genannten Akzente nicht haben“) . Für die in der Frühen Neuzeit übliche Auffassung des Gravis als eines Zeichens für die Tonlosigkeit vgl. die Diskussion bei Major 1685, 26. 71 Vossius’ Schrift leidet insgesamt unter einer mangelhaften Disposition; sie ist auch keineswegs widerspruchsfrei. 72 Vossius 1673, 32. 73 Stroh 1979, 18. 74 Vossius 1673, 31-33. <?page no="295"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 295 dies durch seine Verdrehung des Quintilian-Zitats. Quintilian sagt explizit, was einzig und allein sinnvoll ist, dass der Akut im Lateinischen nicht auf einer Endsilbe stehen könne. 75 Vossius geht es also um die Quantität, und das bestätigt sich bei seiner Behandlung der beiden Wörter recubans und patulae im ersten Eklogen-Vers. Wie wir in Abschnitt 1 gesehen haben, lehnt Vossius die Anfangsbetonung dieser Wörter ab, da sie dadurch zu Daktylen würden. Man darf nicht vergessen, wie diese beiden Wörter damals ausgesprochen wurden, das ae von patulae sicherlich als ein kurzes e (wie es auch heute leider oft noch zu hören ist); das a von recubans wurde wohl nur selten korrekt lang ausgesprochen, und die Positionslänge wurde ohnehin als etwas Artifizielles betrachtet. Die scheinbare ‚Betonung‘ der Schlusssilbe entsteht also automatisch durch die korrekte Beachtung der Quantitäten. 76 Vossius’ Ziel ist nicht die Betonung der Endsilbe als vielmehr die Nicht-Betonung der ersten Silbe. Wenn er sich also darüber beklagt, dass man ausgelacht werde, wenn man die letzte Silbe des Pentameters betont, so ist damit gemeint, dass beispielsweise die quantitätsgerechte Aussprache von modis am Ende von Ovid, Amores 1,1,2 zu dem Eindruck verleitet, man betone die letzte Silbe, der durch die Länge und das Versende deutlich mehr Prominenz zukommt als der ersten Silbe. Die ‚Betonung‘ einer Schlusssilbe im Vers ist also lediglich ein unerwünschter Nebeneffekt der korrekt quantitierenden Aussprache. Dass diese Deutung das Richtige trifft, sieht man an Vossius’ allgemeiner Aussage über die Schlusssilben lateinischer Wörter: Da die Römer in der Dichtung häufig die Endsilben ihrer Wörter gegen den Sprachgebrauch ( contra pronuntiationis consuetudinem ) längen ( producere ) mussten, sei es nicht weiter verwunderlich, dass ihnen die griechischen Gedichte besser gefallen hätten als ihre eigenen. Das Wort producere zeigt, was de facto gemeint ist: die Dehnung der Endsilbe, nicht ihre Akzentuierung. Dieses Wort erscheint auch in Vossius’ Klage darüber, dass derjenige, der beim Pentameter gegen die übliche Aussprache verstößt, zum Ziel von Spott werde: Wie könnten die musici den Pentameter mit zwei Anapästen beenden, wenn die vorletzte Silbe des Verses „gelängt wird“ ( producatur )? Was Vossius meint, ist ganz offensichtlich das Folgende: Wenn man in modis das o betont, entsteht ein langes o (das steht ja im Einklang mit den Lehren der damaligen Zeit), wodurch notwendigerweise das Versmaß zerstört wird. Vossius bezeugt hier übrigens, dass in der damaligen Zeit das rein quantitierende Verselesen eher unüblich gewesen ist; zumindest in seiner Umgebung las man offenbar Verse mit der Prosaaussprache, ohne sich um die 75 Quintilian 1,5,31. 76 Schon Jellinek 1906, 235 wollte hier Vossius die Worte seines Vaters entgegenhalten: quasi idem sit acui et produci (1635, lib. 2, cap. 10, S. 181). <?page no="296"?> 296 Thorsten Burkard daraus entstehenden falschen Quantitäten zu kümmern. 77 Als einziges Refugium des Quantitierens bleibt dann nur noch das Skandieren, und so ist es kein Wunder, wenn Vossius behauptet, dass in der Antike Verse so gelesen wurden ( antiqua carminum pronuntiatio ), wie man zu seiner Zeit skandierte - nämlich rein quantitierend. 78 Den Unterschied zwischen der Prosa- ( recitare ) und Versaussprache ( canere ) im Lateinischen ist also vor allem quantitativer Natur, und Vossius führt noch einmal Quintilian als Kronzeugen an, der gesagt hat, dass er volucres am Hexameterende wegen der Positionslänge mit einem Akut auf der zweiten Silbe lese. 79 Interessant ist nun, wie Vossius diese Stelle verwendet: Ihm geht es einzig und allein um die Dehnung ( producere ) der zweiten Silbe (die für ihn natürlich nur eine künstliche Dehnung sein kann, da es sich um eine Positionslänge handelt), „während die Silbe in der Alltagssprache kurz sei“ ( cum in vulgari sermone corripiatur ). 80 Mit Vossius’ Verweis auf die Musiker bei der Besprechung der Prosodie im Pentameter und auf das canere (im Gegensatz zum recitare ) kommt sein Hauptanliegen ins Spiel. Die musica und die Poesie sind ja für Vossius eins, und diese Kunst besteht vor allem in der Beachtung der Quantitäten. Die Betonung spielt dabei eine untergeordnete Rolle - insofern passen seine Vorstellungen zu den Auffassungen seiner Zeit. Was die nicht-musikalische recitatio von Versen angeht (die Vossius auch als nuda carminum lectio bezeichnet), 81 so hat Vossius auffälligerweise nichts gegen die übliche Prosaaussprache einzuwenden. Ein Einwand gegen die hier vorgeschlagene Interpretation liegt auf der Hand: Wenn Vossius den Akzent mit den Quantitäten korrelieren lässt, 82 so müsste sich doch automatisch eine iktierende Vortragsweise ergeben, ergo läge bei Vossius doch die erste Iktustheorie vor. Dass dies nicht zutrifft, lässt sich leicht zeigen. Zum einen rechtfertigt Vossius den starken Eingriff in die Regeln der 77 Folgerichtig beklagt er sich darüber, dass man jetzt die antiken lateinischen Dichter so lese, dass man nicht mehr wisse, ob es sich um Prosa oder Dichtung handele, weil man durch die Betonungen die Quantitäten zerstöre (1673, 23-24) - auch das ist übrigens ein eindeutiger Beleg gegen das iktierende Lesen. 78 Vossius 1673, 30. Da das Ziel der rein quantitierenden Aussprache darin bestand, die poetische Qualität antiker Verse herauszuarbeiten, handelt es sich bei Vossius’ Verweis auf das Skandieren keineswegs um eine „réévaluation paradoxale de la scansion“, wie Plantade 2007, 417 behauptet. 79 Quintilian 1,5,28. Nur nebenbei sei erwähnt, dass diese Stelle in neuerer Zeit gerne als Beleg für den Iktus missbraucht wurde. 80 Vossius 1673, 32. 81 Vossius 1673, 30-31. Vossius’ Dreiteilung in Alltagssprache, recitatio und cantus (die bei Plantade 2007, 416, der eine Dreiteilung in nuda carminum lectio , cantus und recitatio vornimmt, missverstanden wird) kann hier nicht näher erläutert werden. 82 Das postuliert er in der Tat auch für das Lateinische (Vossius 1673, 30-31). <?page no="297"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 297 lateinischen Aussprache mit den musikalischen Notwendigkeiten, also mit den Gesetzmäßigkeiten eines zweiten, außersprachlichen Systems. Vor allem aber gibt es in (fast) jedem Versmaß mehr Längen als Ikten. Den Unterschied zwischen einer Versakzenttheorie und Vossius’ Ansatz kann man sich leicht anhand des Hexameteranfangs auditum longe numen mihi (Statius, Silvae 1,1,75a) verdeutlichen, den man iktierend aúditúm longé numén mihi lesen würde - für Vossius wäre das eine mehrfache Absurdität, da einerseits ohne Not gegen den Wortakzent verstoßen wird, der beim ersten und dritten Wort sogar auf einer Naturlänge steht und zweitens das erste Wort sogar zwei Akzente hätte. Also sind Vossius’ Überlegungen immer noch weit entfernt von einer Iktustheorie. Soweit ich sehe, gibt es, von Henning und Bentley abgesehen, die gleich zu besprechen sein werden, vor Gottfried Hermann keine nennenswerte Rezeption von Vossius’ metrischer Theorie. Der Traktat wird zwar breit rezipiert, aber man interessiert sich kurioserweise vor allem für die Aussprache des Griechischen, für das Lesen von Versen überhaupt nicht 83 - vielleicht deswegen, weil der Traktat an diesen Stellen zu musikwissenschaftlich wurde und man die Tragweite von Vossius’ Gedanken nicht überblicken konnte. Der Traktat wird übrigens gründlich verkannt von Emmanuel Plantade, 84 der Vossius’ Theorie als eine pädagogische Notlösung ansieht, damit seine Zeitgenossen die Verse lesen könnten. Diesen Notbehelf, eben das Skandieren, gab es aber (wie im ersten Abschnitt gesehen) schon früher. Vossius geht es vielmehr um die Wiederherstellung der alten Musik und Dichtung, die nach seiner Überzeugung ursprünglich identisch waren und es auch wieder werden sollten. 3. Heinrich Christian Henning Im Jahre 1684 veröffentlichte Heinrich Christian Henning (Henninius; 1658- 1704) 85 eine Abhandlung mit dem programmatischen Titel: ΕΛΛΗΝΙϹΜΟϹ ΟΡΘΩΙΔΟΣ seu Graecam Linguam non esse pronunciandam secundum Accentus. Dissertatio paradoxa. 86 Am Ende dieser in Utrecht erschienenen Abhandlung waren einige Abschnitte aus Vossius’ De poematum cantu unter der Überschrift 83 Vgl. etwa Iselin 1743, s.v. Accentus, 58-59. Hier werden Vossius, Wettstein und Henning genannt, aber auf die Betonung in Versen wird überhaupt nicht eingegangen. 84 Plantade 2007, 418. 85 Später hat Henning seinen Nachnamen zu de Hennin französisiert und ließ sich auch als Rektor in Duisburg so anreden; daher liest man zuweilen die falschen Namensformen ‚von Hennin(g)‘. Drerup unterstellt ihm - vielleicht nicht ganz zu Unrecht - einen gewissen Hang zu leichter Scharlatanerie (1930, 436-437 mit Anm. 2). 86 Henning ist trotz seines großen, Jahrhunderte währenden Einflusses (s. dazu die beiden folgenden Fußnoten) von der Forschung weitgehend ignoriert worden, vgl. zu ihm Drerup 1930, 432-469, eine kritische Gesamtwürdigung ebd. 464-469. <?page no="298"?> 298 Thorsten Burkard De Accentibus Graecanicis abgedruckt. Dieses in seiner Bedeutung kaum zu überschätzende Werk 87 stellt die erste große wissenschaftliche Leistung des jungen Henning dar, der später Professor für Geschichte, Eloquenz und Medizin sowie Rektor in Duisburg, an der Vorläuferuniversität der heutigen Bonner Universität gewesen ist. Hennings Dissertatio paradoxa geht von demselben Gedanken aus wie Vossius’ De poematum cantu , nämlich dass die traditionellen Akzentzeichen aus einer späteren Zeit stammen und daher nicht die antike Aussprache des Griechischen wiedergeben. Die Lösung besteht laut Henning darin, das Griechische nach den lateinischen Akzentregeln zu betonen, 88 und der Traktat bemüht sich, diesen Vorschlag linguistisch seriös zu untermauern. Im Zentrum von Hennings Theorie stehen vier „Regeln für eine rationale Aussprache“ ( regulae modulationis rationalis ), die er auf der Grundlage des lateinischen Betonungssystems für das Lateinische, das Altgriechische und das Klassische Arabisch postuliert: 89 a. Jedes Monosyllabon wird auf dem Vokal betont. b. Jedes Disyllabon wird auf der ersten Silbe betont. c. In jedem Polysyllabon wird die lange Paenultima betont (also auch im Griechischen etwa ἀνθρῶπος). d. In jedem Polysyllabon wird bei kurzer Paenultima die Antepaenultima betont. 90 Henning bemerkt zur zweiten Regel, nach der zweisilbige Wörter auf der Paenultima zu betonen sind, dass diese Betonung in Versen, deren Füße mit einem Elementum breve beginnen und mit einem Longum enden, eben „wegen der langen Folgesilbe ‚leicht verdunkelt‘ werden“ ( obscurari nonnihil ) könne. 91 Er 87 Vgl. die folgende Aussage von John Foster, der den Theorien von Henning und dessen Epigonen in seinem Essay jede Grundlage entzieht: „And yet this is the man, whose principles of pronunciation have been celebrated and applauded, as oracular precepts of the soundest grecism“ (1762, 179). 88 Ganz so neu war dieser Vorschlag offenbar nicht, auch wenn Henning dies in der Praefatio zu suggerieren scheint (*2 v ). Er verweist selbst darauf (§ 160, S. 127), dass Simone Porzio (1638, cap. 2, S. 17) von einigen wenigen Griechen berichtet, die ihre Sprache nach der Paenultimaregel betonen würden. Immerhin kommt Henning die (zweifelhafte) Ehre zu, die so wirkungsmächtige Theorie von der lateinischen Aussprache des Griechischen als erster ausgearbeitet zu haben; die sog. Henninische Aussprache war bekanntlich noch im 19. Jahrhundert weit verbreitet. 89 Es handelt sich hierbei nicht zufällig um drei Literatursprachen. Henning grenzt die linguae vernaculae von den rationalen linguae liberae ab, weil in diesen die Akme einer Sprache repräsentiert sei und die ratio mit der consuetudo zusammenfalle (§§ 138-139, S. 107-109). Im Laufe der Argumentation verliert er das Arabische übrigens wieder aus dem Blick. 90 Henning 1684, §§ 112-116, S. 88-90. 91 Nota tamen in versibus, quorum pedes a brevi syllaba incipientes in longam sequentem terminantur, ob longitudinem sequentis Syllabae, obscurari nonnihil modulationem prioris <?page no="299"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 299 erläutert dieses Phänomen anhand griechischer und lateinischer Beispiele. Der erste lateinische Vers, den er anführt, lautet: Adès Patèr Supreme, / Quem nemo vidit umquam (Prudentius, Cathemerinon 6,1-2). 92 Was ist an dieser Stelle nun gemeint? Ändert sich die Betonung und ist der Vers annähernd iktierend zu lesen, wie Drerup gemeint hat? 93 Keineswegs. Zunächst einmal sagt Henning ausdrücklich, dass die Wortbetonung in den durch jeweils ein Wort gebildeten iambischen Füßen nur undeutlicher, 94 aber nicht aufgehoben ( tolli ) werde. Undeutlicher wird die Akzentuierung aber eben dadurch, dass der zweiten Silbe durch ihre Länge mehr Gewicht (mehr Silbenprominenz) zukommt. Wir haben in Abschnitt 1 gesehen, dass es die Tradition des reinen Quantitierens gegeben hat. Henning wendet sich hier offenbar implizit gegen diesen Usus, die Quantitäten zu beachten, aber die Akzente zu ignorieren. Ihm zufolge bleibt die poetische Qualität des Verses durchaus erhalten ( versus enim aeque poetica pronunciatione animatur ), wenn man liest: Ádes Páter Supreme . Diese Rezitationsweise zerstöre das Metrum keineswegs, da sich die Länge der betonten Anfangssilben durch den Akut zwar um etwa ein Viertel erhöhe, diese damit aber immer noch kürzer seien als die beiden positionslangen Silben am Wortende und somit die prosodische Struktur des Iambus gewahrt bleibe. Aus dieser Erläuterung wird auch deutlich, was der Gravis in der ersten Notation bedeutet: Er bezeichnet nicht eine Betonung wie bei Isaac Vossius, sondern - wie damals üblich - eine unbetonte Silbe. 95 Die Schwächung (‚Verdunkelung‘) des Wortakzents kommt also nicht durch die Betonung der letzten Silbe, sondern durch ihre Länge zustande. 96 Nur so wird auch Hennings Anmerkung zu diesem Paragraphen verständlich: Er referiert zunächst die Meinung eines Clarissimus quidam Vir , der geglaubt habe, dass bei iambischen und anapästischen Wörtern die Endsilbe betont wer- (§ 115, S. 88-89). 92 Es wird kein Zufall sein, dass John Warner gut 100 Jahre später den ersten dieser beiden Prudentius-Verse analysiert (1797, 38-40) - darauf kann ich hier leider nicht eingehen. 93 Drerup 1930, 455: Henning sei der Meinung, man müsse „dem Versakzent entsprechend die zweite Silbe ein wenig mehr betonen“. 94 Mit dem Verb obscurare wird auch in der antiken grammatischen Theorie das Phänomen bezeichnet, dass ein Laut nur noch schwach artikuliert wird (aber eben nicht vollständig verschwindet), vgl. Thesaurus linguae Latinae IX.2 167, 28-35 und beispielsweise Quintilian 9,4,40; 11,3,20. 95 Vgl. bei Henning selbst §§ 130-131, S. 101-103, z.B.: Die Schreibungen parà und pára stünden für dieselbe Aussprache. Vgl. auch oben Anm. 70. 96 Eine ähnliche Vorstellung liegt vor, wenn den Grammatikern zufolge im Lateinischen eine lange Paenultima nur dann den Zirkumflex tragen kann, wenn die letzte Silbe kurz ist; sonst müsse der Akut gesetzt werden, also etwa Românus vs. Románi ; dabei kürze die lange letzte Silbe die vorhergehende Silbe (vgl. in der Neuzeit etwa Lipsius 1586, cap. 20, S. 100-101); dazu Burkard 2003. <?page no="300"?> 300 Thorsten Burkard de, also zu sprechen sei: patulâe , recubáns , meâs , bovês . Henning verweist auf die antiken Grammatiker, denen zufolge der Akzent nie von der ersten auf die letzte Silbe verlagert wird, es sei denn, wenn Enklitika hinzutreten: recubánsque . 97 Aus diesen Aussagen wird zum einen endgültig deutlich, dass auch Henning dem Wortakzent verpflichtet ist. Zum anderen - und deswegen behandeln wir diese Passage an dieser Stelle - zeigt die Behauptung, dass ein einziger Mann die Endbetonung postuliert habe, dass diese Anschauung eine extreme Außenseiterposition darstellte. Wer sich hinter der Umschreibung Clarissimus quidam Vir verbirgt, ist unschwer zu erraten. 98 Die ersten beiden Beispiele aus Vergils erster Ekloge ( patulâe , recubáns ) finden sich, wie wir schon gesehen haben, bei Isaac Vossius, und die anderen beiden Wörter ( meâs , bovês ) stammen ebenfalls aus der ersten Ekloge (V. 9). Henning verschweigt Vossius’ Namen honoris causa: Er möchte nicht denjenigen nominatim bloßstellen, mit dem er sich im Prinzipiellen einig weiß. Fassen wir kurz zusammen: Aus Hennings Behandlung des Problems der Endbetonung im Vers wird deutlich, dass ihm dieses Phänomen nur aus Vossius’ Traktat bekannt ist. Daraus darf man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schließen, dass es zumindest in dem intellektuellen Umfeld, in dem sich Henning bewegt hat, d. h. in deutschen und niederländischen Gelehrtenkreisen, unbekannt war und dass es ihm trotz seiner Belesenheit auch in keinem anderen theoretischen Werk begegnet ist. Das bedeutet aber, dass es zu dieser Zeit noch kein iktierendes Lesen gegeben haben kann. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass Henning zu denjenigen zu rechnen ist, die es für absurd halten, Wörter in der Prosa anders auszusprechen als in der Dichtung. 99 4. Johann Rudolf Wettstein Zu Beginn der achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts veröffentlichte der Baseler Professor Johann Rudolf Wettstein der Jüngere (1647-1711) 100 neun Orationes 97 Henning räumt lediglich ein, dass durch das skandierende Lesen eine gewisse Hervorhebung von Endsilben hervorgerufen werden kann - aber auch das ändere nichts an der üblichen Betonung: Caesura quidem et scansio in versu quodammodo elevat dicto casu [also in Fällen wie recubans ] longas finales, at non videtur transferre Modulationem („Die Zäsur und die Skansion heben im Vers in einer gewissen Weise in dem genannten Fall die langen Endsilben hervor, aber anscheinend versetzen sie nicht den Akzent“; 1684, 89). 98 Drerup 1930, 455 Anm. 2 hat die Identität nicht erkannt. 99 Henning 1684, § 133, 104. 100 Wet(t)stein (Wetstenius) wurde 1673 in Basel Professor für Beredsamkeit, 1683 Professor für Griechisch, später Professor für Theologie. Er ist nicht zu verwechseln mit seinem gleichnamigen Vater (1614-1684), der ebenfalls Professor für griechische Sprache und Theologie in Basel gewesen ist. Dieser war wiederum der Sohn des gleichnamigen Basler <?page no="301"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 301 apologeticae über die richtige Aussprache des Griechischen, 101 die er in der Tradition Reuchlins ausführlich begründete. In Hennings kurz darauf gedruckter Dissertatio paradoxa wird Wettstein häufiger ohne Namensnennung angegriffen. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Wettstein ließ seine Orationes 1686 abermals publizieren, dieses Mal um einen Anhang erweitert, in den er auch eine Abhandlung mit dem Titel Dissertatio epistolica de accentuum Graecorum antiquitate et usu aufnahm. 102 Auch Wettstein unterdrückte den Namen seines Opponenten - wohl um mit gleicher Münze zurückzuzahlen. 103 Diese Streitschrift wäre als eine von unzähligen Schriften der Frühen Neuzeit zur griechischen Akzentsetzung an dieser Stelle nicht der Rede wert, wenn wir hier nicht scheinbare Spuren einer Iktustheorie entdecken könnten, die bisher in der Forschung übersehen wurden. Die für uns relevante Stelle findet sich in § 55: 104 Henning hatte ja eine Identität der Aussprache in Poesie und Prosa postuliert. Dem hält Wettstein mit Verweis auf Quintilian entgegen, dass Verse anders gelesen würden als Prosatexte und die Dichter selber bezeugen würden, dass sie sängen. 105 Zudem ändere sich die Akzentuierung in der Dichtung ( metri conditionem mutare accentum ), wie man ebenfalls zwei Quintilian-Stellen entnehmen könne. In der einen Passage geht es um die bereits behandelte Betonung von volucres auf der Paenultima, in der anderen um die Längung des ersten i in Italiam und die Behandlung von unius als Daktylus. 106 Wettstein fährt dann fort, dass es viele solcher den Dich- Bürgermeisters (1594-1666), der auf dem Westfälischen Friedenskongress maßgeblich für die Loslösung der Eidgenossenschaft vom Reich verantwortlich war. 101 Der vollständige Titel lautet: Pro Graecâ et genuinâ Linguae Graecae Pronunciatione contra novam, atque à Viris doctis passim propugnatam Pronunciandi rationem Orationes Apologeticae. Accedunt ejusdem Orationes de Federibus, de Fide Helvetica, de Exilii Miseria et Solatio . Die Orationes erschienen in Basel (1680) und Amsterdam (1681). Die Reden waren zuvor von Wettstein und sieben seiner Studenten zwischen Oktober 1676 und Juni 1680 gehalten worden (s. Titelei und den Index orationum unmittelbar nach der Dedicatio ). 102 Der Anhang hat eine eigene Paginierung, die Dissertatio findet sich auf den Seiten 49- 144. Die obige Form des Titels steht in der Titelei des Bandes und im Index orationum ; am Anfang des Traktats liest man hingegen: Dissertatio epistolica de accentibus Graecorum eorumque usu in pronunciatione . Die Subscriptio datiert die Fertigstellung auf den 1. August 1685. 103 Drerup 1930, 476. Aus der Widmungsvorrede zur Dissertatio wird aber bereits deutlich, dass sich diese Schrift gegen Henning richtet, dessen Dissertatio paradoxa […] in Belgio edita erwähnt wird (51). Henning wird meistens einfach als vir doctissimus bezeichnet. 104 Wettstein 1686, 130-132. 105 Quintilian 1,8,2-3: Sit autem in primis lectio virilis et cum sanctitate quadam gravis, et non quidem prorsae similis, quia et carmen est et se poetae canere testantur […]. 106 Zur Betonung von volucres s. o. Abschnitt 2 mit Anm. 79; zu Italiam (Vergil, Aeneis 1,2) und unius Quintilian 1,5,18. <?page no="302"?> 302 Thorsten Burkard tern erlaubten „Barbarismen“ gebe. 107 Die Dichter dachten sich sogar metri causa Wörter aus, die der allgemeine Sprachgebrauch nicht kannte. 108 Es bedurfte einer Dialektmischung und der freien ( licentia incredibili ) Anwendung der Änderungskategorien, 109 um die Wörter dem Versmaß anzupassen. Den Griechen und Römern (die jene darin nachahmten) waren diese Verfahrensweisen erlaubt, während diese Freiheiten in modernen Sprachen undenkbar wären. 110 In der Dichtung gebe es also keine rationalis modulatio , wie Henning seine Leser glauben machen wolle, sondern es herrsche eine quidlibet audendi licentia , 111 die das Fundament der griechischen Dichtung sei. Hinzu komme, dass man in der Dichtung nicht so sehr auf die qualitas der Silben, also die Betonung ( toni intensio vel depressio ), als vielmehr auf ihre Quantität achte ( sed in carmine, ubi ad quantitatem attenditur, talis est ratio accentuum eqs. ) - eine zeittypische Vorstellung, die uns bereits hinreichend geläufig ist. Soweit bewegen sich Wettsteins Ausführungen in dem üblichen Rahmen der damaligen prosodischen Theorien, denen zufolge von den antiken Dichtern fallweise Veränderungen an den Quantitäten und den Betonungen in Anspruch genommen wurden. Doch mit den folgenden Sätzen scheint Wettstein neue Wege einzuschlagen: Er behauptet, dass man diesen Unterschied zwischen Dichtung und Prosa auch durch die experientia erkennen könne ( Et ipsa experientia id probat ). 112 Während man nämlich in der Prosa mit dem Akut auf der ersten Silbe sage: Páter Déum atque Réx hóminum , heiße es in der Dichtung, in der auf die Quantitäten geachtet werde: Deûm pàtèr átque hominúm Rèx . 113 Lese man anders, sei kein Versmaß mehr zu erkennen. Daher sei die Metrik keine Stütze für das Anliegen von Henning, der die Dimension der Quantität mit der qualitas vermischt habe. Die Quantität sei für die carmina von Bedeutung, nicht aber die qualitas - es sei denn, die Alten hätten auf beide Komponenten gleichzeitig 107 Die drei von Wettstein zitierten Stellen finden sich bei Quintilian im Abschnitt über den Barbarismus (1,5,3-31). 108 Zum Beleg verweist er auf griechische Pronomina, die nur in der Dichtung vorkommen. 109 Wettstein nennt additio , detractio , transpositio literarum et syllabarum (1686, 131); vgl. zu den (eigentlich vier) Änderungskategorien Varro, De lingua Latina 5,1,6. 110 Si quisquam in alia lingua talia tentaret, monstri loco haberetur (1686, 131). 111 Die Formulierung nach Horaz, Ars poetica 10. 112 Mit experientia scheint hier weniger die Erfahrung gemeint zu sein als vielmehr der Versuch, die Probe aufs Exempel: Wenn man Verse mit den regulären Wortakzenten liest, entsteht kein Rhythmus. Wie auch immer man das Wort auffasst, zeigt sich an dieser Aussage auf jeden Fall, dass es noch keine richtige Theorie, keine ars pronuntiandi gibt, die eine Umakzentuierung sanktionieren würde. 113 Das Zitat ist offenbar gestaltet nach Vergil, Aeneis 1,65; 2,648; 10,743 (nach Ennius, Annales 6,175 V.), wo allerdings immer divum steht. <?page no="303"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 303 geachtet. 114 Dies sei beim Gesang möglich, und die meisten Gedichtgattungen leiteten ihren Namen ja von canere ab: carmina odarum, epodon, rapsodiarum, comoediae, tragoediae . 115 Beim Singen könne man nämlich eine kurze Silbe betonen, eine lange aber senken, ohne dass die Quantitäten darunter leiden. 116 Diese Auffassung von einem metrischen Lesen, das dem Iktieren sehr nahe zu kommen scheint, überrascht, da sie sich im Laufe des Traktates nicht angekündigt hatte. Wettstein schien bisher davon auszugehen, dass Wörter innerhalb von Versen nach ihrem Wortakzent gelesen werden, so etwa bei der Diskussion über die Aussprache griechischer Wörter in lateinischen Gedichten. 117 Er übernimmt auch die Endbetonung des Adverbs circum , auch wenn die letzte Silbe nicht auf die Iktusstelle fällt, beispielsweise in V. 32 des ersten Aeneis- Buches, wo Wettstein nach Servius am Schluss des Hexameters wie folgt betonen würde: maria omnia circúm , 118 oder in dem Ausdruck circúm litora . 119 Wettstein sagt eindeutig, dass es sich um die Betonung handelt, nicht nur um eine diakritische Schreibweise. In der Endbetonung sieht er ein remedium der antiken Grammatiker, durch das Ambiguitäten vermieden werden sollten - keine Rede von einem Versakzent oder Ähnlichem. 120 Das ganze Problem wird noch verwirrender, wenn wir einen Blick auf den Paragraphen werfen, der unmittelbar auf Wettsteins ‚iktierende‘ Notation folgt. In § 56 geht er auf die Neuakzentuierung der Odyssee -Verse durch Isaac Vossius ein. 121 Nach dem ‚iktierten‘ lateinischen Teilvers in § 55 würde man erwarten, dass er sich hier der vossianischen Akzentuierung anschließt, zumal er von Vossius auch den Gedanken übernommen hat, dass die (meisten) antiken Gedichte gesungen worden sind. Wettstein bleibt aber zurückhaltend; er sagt lediglich, dass es in der Tat wahrscheinlich sei, dass die accentuum ratio zu Homers Zeiten 114 Hier verweist Wettstein auf das Diktum des älteren Vossius (oben Abschnitt 1 mit Anm. 13). 115 Schon zu Beginn der Dissertatio hatte Wettstein behauptet, dass carmina in der Antike i. d. R. gesungen worden seien, v. a. die homerischen Epen (§ 3, S. 55-56). 116 Wettstein 1686, 132: inter canendum brevis syllaba elevari potest tono, et longa deprimi sine quantitatis damno . Danach zitiert er Cicero, Orator 173, um zu belegen, dass in der Antike die Quantitäten genauestens beachtet wurden. 117 Vgl. etwa § 49, S. 122-123 zu Simóis (Vergil, Aeneis 1,100) und trópaeum am Hexameterende (ebd. 10,542). 118 Wettstein 1686, § 11, S. 66; Servius, Kommentar zur Aeneis 1,32 (vgl. Quintilian 1,5,25-27). 119 Wettstein 1686, § 12, S. 71. Die Präpositionalphrase circum litora findet sich dreimal in der Aeneis (1,667-668 und 7,763-764, jeweils mit Enjambement; 4,254); unser Iktus läge natürlich immer auf dem li . 120 Wettstein 1686, § 27, S. 96. 121 Wettstein 1686, § 56, S. 132-133. Bei Wettstein, der nur die ersten beiden Verse zitiert, steht Ἡελιός mit einem Spiritus asper; in V. 2 liest er εἰς statt ἐς und druckt πολύχαλκον, ἵν’ mit der üblichen Akzentuierung. Diese Abweichungen sind wohl einfache Versehen. <?page no="304"?> 304 Thorsten Burkard eine andere war, als die überkommene Akzentuierung vermuten lässt; da dies aber nicht zu beweisen sei, solle man sich an die überlieferten Akzente halten, anstatt unsicheren Vermutungen zu folgen. 122 Selbst wenn man berücksichtigt, dass Wettstein im Gegensatz zu Henning davon ausgeht, dass die griechischen und die lateinischen Betonungsregeln divergieren, 123 so ist doch eindeutig, dass er die Homer-Verse unter dem Aspekt des Wortakzentes betrachtet. Ein Versakzent ist ihm hier eindeutig unbekannt. Auch im folgenden Paragraphen definiert er die Akzente als Zeichen, die die Betonung „jedes einzelnen Wortes“ ( uniuscuiusque particulae orationis ) bezeichnen. 124 Umso mehr stellt sich nunmehr die Frage, wie man die Akzentuierung Deûm pàtèr átque hominúm Rèx zu erklären hat. Als erstes fällt auf, dass Wettstein - wie ja auch Vossius - keine einheitlichen Akzentzeichen verwendet, sondern beispielsweise die Endsilbe von Deûm mit einem Zirkumflex versieht. Das lässt sich leicht mit dem damaligen orthographischen Usus erklären, nach dem der Genitiv Plural von deus so geschrieben wurde, um die angebliche Kontraktion von deorum zu bezeichnen und den Genitiv Plural vom homographen Akkusativ Singular zu unterscheiden. 125 Wettstein wird hier also von einem diakritischen, rein graphischen Wortakzent geleitet. Diese Erklärung trifft auf die Endbetonung bei hominúm aber nicht zu. Wollte man diese Akzentuierung und die Graves auf den beiden Silben von pater einfach als Quantitätszeichen deuten (Akut für Länge, Gravis für Kürze), 126 so scheitert diese Interpretation daran, dass rex mit einem Gravis versehen ist, während dieses Wort in der Prosafassung einen Akut trug. Die Lösung des Problems verbirgt sich vermutlich in dem Wort experientia , mit dem Wettstein den Abschnitt eingeleitet hat: Wenn man - zumal beim Skandieren - die Verse streng quantitierend liest und versucht, die Länge des Daktylus und die erste Länge des Spondeus deutlich hervorzuheben, hat man den Eindruck, als ob diese Versstellen betont seien. Dies hängt mit dem bereits erläuterten Phänomen der Silbenprominenz zusammen. 127 Wettstein spricht also von der unwillkürlichen Lesepraxis seiner Zeit, die einen Notbe- 122 Laut Wettstein weichen die homerischen Akzente (denen er eine singularis ratio zuschreibt) nicht etwa wegen eines postulierten Versakzentes von den üblichen Akzenten ab, sondern wegen der Freiheiten der poetischen Sprache (§ 7, S. 59-60). 123 Wettstein 1686, § 29, S. 99-100; §§ 47-51, S. 119-126. 124 Wettstein 1686, § 57, S. 133. 125 Bekanntlich ist deum nicht die kontrahierte Form von deorum , sondern der alte Genitiv der Substantive. 126 Wettstein weiß, dass in der Antike die Apices die Länge eines Vokals bezeichnet haben (§ 12, S. 71). Zudem haben wir gesehen, dass in der damaligen Zeit häufig Länge und Betonung vermengt oder verwechselt wurden; das scheint auch Wettstein an einer Stelle zu unterlaufen (§ 10, 66). 127 S. oben Abschnitt 1 mit Anm. 17. <?page no="305"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 305 helf darstellt, wenn man nicht den singenden Vortrag der Antike nachahmen möchte. Die Akzentuierung von Deûm zeigt, dass Wettstein bemüht ist, diese Art des Vortrags mit den üblichen Regeln des Wortakzentes zu begründen. Die Akzentuierung von hominúm Rèx lässt sich schließlich so deuten, dass sich ein Monosyllabon gleichsam enklitisch an ein dreisilbiges Wort anlehnt und diesem seinen Akzent leiht. Wettstein ging es vermutlich auch weniger um die Akute als um die Graves; er wollte verdeutlichen, welche Silben nicht betont werden dürfen, da eine Betonung hóminum automatisch eine Längung der ersten Silbe zur Folge hätte, die das Metrum zerstören würde. Dass es Wettstein in der Tat primär um die Quantitäten geht, zeigt seine oben zitierte Aussage, dass im Metrum nur (! ) die Quantität relevant sei. Zum Schluss sei noch darauf aufmerksam gemacht, dass Wettstein gegen den Usus seiner Zeit zur Illustration seiner Verstheorie keinen ganzen Vers gewählt hat, sondern lediglich einen Ausdruck, einen Teil eines Verses. Auch das scheint dafür zu sprechen, dass er diese vom Üblichen abweichende Betonung kaum systematisch postuliert hätte. Es geht ihm nur darum, Henning, der sich ja für die Akzentuierung interessierte, plakativ zu widerlegen. Es wäre interessant zu wissen, wie Wettstein den zweiten Vers der Aeneis akzentuiert hätte, wohl kaum so: Ítaliám fató profugús Lavínaque vénit . Er hätte niemals ein Wort mit zwei Akzenten versehen und ein spondeisches Wort endbetont; alle seine Aussagen sprechen eindeutig dagegen. Wettsteins Versakzentuierung ist in der Tat ein aufschlussreiches Experiment ( experientia ); er versucht, die Betonungen zu eruieren, die sich ungewollt einstellen, wenn man Verse nur nach den Quantitäten liest. Mit einem Versakzent und entsprechenden metrischen Versschemata hat das nichts zu tun. Auch hier gilt also: Ein iktierendes Lesen wäre undenkbar, von einem Versakzentschema ist noch keine Spur zu erkennen. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass Wettsteins scheinbar iktierende Akzentuierung ähnlich extemporiert ist wie Vossius’ Version der Odyssee -Verse. Zwei weitere Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Theoretikern bestehen darin, dass sie ihre Ansätze nicht weiter ausbauen und dass sie grundsätzlich dem Wortakzent verpflichtet sind. 128 Beide Darstellungen wirken noch unreif, wenig systematisch und in sich widersprüchlich - im Falle von Wettstein hat John Foster knapp 80 Jahre später dies auch deutlich ausgesprochen, indem er kritisierte, dass Wettstein nicht hinreichend zwischen Quantität und Betonung unterschieden habe. 129 Mit Bezug auf § 55 der Dissertatio epistolica sagt er: „[scil. Wettstein] puzzles himself exceedingly by referring Accent to metre. This in- 128 Gerade auch der Hinweis auf die musikalische Aufführung der antiken Gedichte in Verbindung mit dem Postulat des älteren Vossius, dass man die Betonung und die Quantitäten beachten solle, zeigt, dass Wettstein der traditionellen Akzentuierung verhaftet ist. 129 Foster 1763, xiv-xv; zu Fosters Essay vgl. unten S. 319-320. <?page no="306"?> 306 Thorsten Burkard volves him in great difficulties.“ 130 Diese Bemerkung lässt auch erkennen, dass selbst noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts (nach Bentley! ) diese Art, Verse zu akzentuieren, Verwunderung hervorrief. Darauf werden wir im nächsten und vor allem im übernächsten Abschnitt noch genauer einzugehen haben. Man kann aber kaum bestreiten, dass sich Isaac Vossius und Johann Wettstein sozusagen schon auf dem Weg zu einer Iktustheorie befinden - eine solche sollte es jedoch erst im 18. Jahrhundert geben, dem wir uns jetzt zuwenden wollen. 5. Richard Bentley Richard Bentleys (1662-1742) berühmtes Schediasma de metris Terentianis von 1726 beginnt mit der Herleitung des Begriffs ‚Senar‘ von der Zahl der Versfüße und Ikten. 131 Während die Römer den iambischen Senar in Monopodien unterteilten, 132 gliederten ihn die Griechen nach Dipodien, weswegen sie ihn Trimetrus 133 nannten. Der ictus 134 werde als percussio bezeichnet, 135 weil der Flötenspieler ( tibicen ), der Rhythmus und Zeit vorgab ( moderabatur ), beim iambischen Trimeter dreimal, beim trochäischen Tetrameter viermal mit dem Fuß auf den Boden gestampft habe ( solum pede feriebat ). 136 Da nun (so Bentley weiter) der Schauspieler bei jedem Stampfen des Flötenspielers bei der jeweiligen Silbe die Stimme hob ( acuebat ac tollebat ), habe man von arsis oder elevatio gesprochen. 137 Alle übrigen Silben befänden sich in der thesis und trügen keinen Iktus, so dass 130 Ebd. xv Anm. 131 Bentley zitiert u. a. Horaz, Ars poetica 251-254 (1726, i). In seiner Horaz-Ausgabe von 1711 kommentiert Bentley keine der für den Iktus einschlägigen Stellen, weder Ars poetica 251-254 noch Satiren 1,10,43 noch Oden 4,6,36. 132 Auch die daktylischen, bacchischen und cretischen Versmaße wurden laut Bentley nach Monopodien gegliedert (1726, i). 133 Zur Form trimetrus vgl. das Caesius-Bassus-Zitat in GLK VI,209,10. 134 Erst durch Bentley erhält das Wort ictus die Bedeutung ‚Akzent‘, die es in der Antike nie hatte (Thesaurus linguae Latinae s.v.). Die Probleme der Iktustheorie beginnen also schon mit ihrem Namen. 135 Diese Umdeutung der Begriffe ictus und percussio auf die Betonung ist bei Isaac Vossius schon vorbereitet, der sie aber mit der Verteilung der Längen und Kürzen in einem Versfuß in Zusammenhang bringt: ein Iambus habe einen heftigen Iktus (eine heftige percussio ), ein Trochäus hingegen nur einen schwachen (1673, 5-8, 12, 74-75). Diese Vorstellung ist vermutlich von Quintilian 9,4,92 beeinflusst (für den Hinweis auf diese Stelle bin ich Dr. Lars Korten, Münster, zu Dank verpflichtet). 136 Vermutlich hat der tibicen zu den senarii überhaupt nicht gespielt, vgl. zu dieser heutigen, auf Friedrich Ritschl und Theodor Bergk zurückgehenden communis opinio Moore 2008 und Cicero, Orator 183-184; Tusculanen 1,106. 137 Bentleys Verwendung von arsis und thesis widerspricht übrigens nicht nur den antiken Metriken, sondern auch dem Usus der Frühen Neuzeit, worauf ich hier nicht weiter eingehen kann. <?page no="307"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 307 sie weniger deutlich gehört würden. Bentley hält sich viel darauf zugute, dass er zum Vorteil der Lernenden 138 als erster diese Ikten oder Arseis in seiner Edition durch Akute zum Ausdruck gebracht habe, 139 von denen er je drei bei den iambischen Trimetern, je vier bei den trochäischen Tetrametern gesetzt habe. Er führt dies exemplarisch an vier Versen vor; für die Trimeter wählt er den Anfang des Andria -Prologs: Poéta cum primum ánimum ad scribendum áppulit, / id síbi negoti crédidit solúm dari . Nach dem römischen Prinzip müsste man laut Bentley sogar sechs Ikten setzen: Poéta cúm primum ánimum ad scríbendum áppulít, / id síbi negóti crédidít solúm darí . Da die Silben aber in den geraden Versfüßen (2, 4, 6) weniger häufig „angehoben“ ( elevantur ) und geschlagen ( feriuntur ) werden als in den ungeraden, ist er dem griechischen Usus gefolgt und hat die Ikten bei den geraden Versfüßen weggelassen. Wenn nun der Leser bei den Silben, die mit den Akzentzeichen versehen sind, die Stimme anhebt ( si vox in illis syllabis acuatur ) und gleichzeitig zwischen den Akzenten immer dieselben, einem Ditrochäus entsprechenden Zeitabschnitte einhält, so wird er laut Bentley den Terenz-Text genauso vortragen wie damals der Schauspieler zur Flöte. 140 Bentley führt keinen Beleg dafür an, warum die Ikten in den geraden Füßen meistens nicht realisiert wurden; er behauptet an anderer Stelle lediglich, dass der Flötenspieler den griechischen Rhythmus vorgebe. 141 Der dahinterstehende Impuls wird später aber noch deutlich werden: Bentley bemüht sich, den Iktus mit dem Wortakzent weitgehend zusammenfallen zu lassen. 142 Da nun im Lateinischen, das (fast) keine Endbetonung kennt, eine Koinzidenz von Vers- und Wortakzent vor allem beim letzten Fuß iambischer Versmaße im Falle einer monopodischen Messung unmöglich ist, ist Bentley geradezu dazu gezwungen, sich für die dipodische Akzentuierung zu entscheiden. Hinzu kommt, dass eine Iktierung nach Monopodien unweigerlich dazu führt, dass immer wieder einzelne Wörter zwei Akzente tragen müssen (vgl. crédidít in V. 2). Die theoretische Rechtfertigung 138 Zu den adolescentes bzw. pueri als Zielgruppe vgl. auch Bentley 1726, xv und xviii. 139 Ein weiterer Vorteil seiner Akzentzeichen besteht laut Bentley darin, dass der Leser auf den ersten Blick erkennen könne, ob es sich um Iamben oder Trochäen handle. Am Ende des Traktats sagt er, dass die Percussionum intervalla auch die Synalöphen erkennbar machten (xviii). Vgl. zur Synalöphe oben Abschnitt 1 mit Anm. 39 und 40. 140 Bentley 1726, i-ii. Bentley sagt übrigens nicht, dass man in der Antike so gelesen habe, s. aber unten zur Phaedrus- und Syrus-Ausgabe. 141 Bentley 1726, ix. Vermutlich geht Bentley davon aus, weil seiner Auffassung nach die Römer alle Metren von den Griechen übernommen haben (1726, x). 142 Vgl. Guastella 2008/ 2009, 387 Anm. 17. Dieses Bestreben bestimmt auch Bentleys textkritische Entscheidungen: In V. 11 des Andria -Prologs (1726, 2 mit Anm.) ändert er die Wortstellung, damit das Wort dissimilis nicht in zwei Versen unterschiedlich betont werden muss; Andria 1,1,116 (1726, 11) dreht er die Reihenfolge dederít qui um, damit der Iktus nicht auf die Endsilbe fällt. In dieser Praxis wird ihm Hermann folgen (s. unten mit Anm. 223). <?page no="308"?> 308 Thorsten Burkard für seine dipodische Iktierung konnte er in antiken Aussagen finden, die den lateinischen Trimeter als „dreimal geschlagenen Fuß“ bezeichneten. 143 Wie reagiert nun Bentley auf die Tatsache, dass seine Ikten notwendigerweise immer wieder gegen die Regeln der lateinischen Betonung verstoßen müssen? Wie schon Zesen, Henning und Wettstein behandelt er vor allem die iambischen Wörter. Explizit weist er darauf hin, dass kein mehrsilbiges lateinisches Wort den Akzent auf der letzten Silbe trage, auch die Zweisilbler mit kurzer erster Silbe würden auf dieser betont wie Déum , Vírum , méum , túum ; nur im Vers seien sie endbetont: Deúm , Virúm , meúm , tuúm. 144 Diese Aussage erinnert an Wettsteins Darstellung der Unterschiede zwischen der Betonung im Vers und in der Prosa. Hatten wir schon bei Wettstein die Vermutung aufgestellt, dass es um die Wort betonung (und nicht um den Versakzent) geht, so bestätigt sich diese Vermutung durch Bentleys Aussage: Man verzichtet beim Lesen von Versen auf den Wortakzent, damit die erste kurze Silbe nicht unzulässig gelängt wird und so den Rhythmus zerstört. Dadurch verschiebt sich die Silbenprominenz automatisch nach hinten. Ob man aus den beiden Stellen bei Wettstein und Bentley den Schluss ziehen darf, dass es in der damaligen Zeit, also spätestens im ausgehenden 17. Jahrhundert, Philologen gegeben hat, die im Falle betonter Längen beim Verselesen nicht nur auf eine Betonung verzichteten, sondern sogar zu einer Tonbeugung bereit waren, lässt sich nicht beantworten. 145 Diese Art der Betonung wäre aber nur im Falle etwa der iambischen Wörter mit unserem Iktus identisch, da bei Wörtern wie fato im zweiten Vers der Aeneis ( Italiam fato profugus ) keine Notwendigkeit zu einer Tonbeugung besteht. Wir werden aber sogleich sehen, dass es noch eine andere Möglichkeit gibt, Bentleys Aussage zu deuten. Nach dieser Aussage zu einem scheinbaren Iktus kommt aber - ähnlich wie in Wettsteins Dissertatio - wieder eine Art Palinodie zur Betonung von Wör- 143 Horaz, Satiren 1,10,43; Diomedes GLK I,504,3-4 ( Feritur autem tetrameter iambicus dipodiis quattuor, sicut trimeter tribus, quem a numero pedum, ut diximus, nostri senarium, a numero vero percussionum trimetrum Graeci dixerunt ); Priscian, De metris fabularum Terentii et aliorum comicorum , p. 22 Passalacqua = GLK III,405. Im Satz zuvor hatte Priscian vom ictus percussionis gesprochen. Dass Bentley diesen kurzen Traktat Priscians gekannt hat, zeigt sich daran, dass er ihn am Ende des Schediasma zitiert. 144 Illud sane in Lingua Latina notabile, ne unum quidem verbum praeter Monosyllaba Tonum in Ultima habuisse. Déum igitur, Vírum, Méum, Túum priore licet brevi pronuntiabant, numquam nisi in Versu Deúm, Virúm, Meúm, Tuúm (1726, xvi). 145 Die Legitimation zu derartigen Tonbeugungen konnte zwar nicht unmittelbar aus den antiken Metrikern bezogen werden; man konnte sie aber aus den oben (S. 303 mit Anm. 118) zitierten Stellen bei Quintilian und Servius extrapolieren. Wettstein verweist für latébras , wo die Silbe durch einen Akut gelängt (! ) werde, auf Servius in Donatum (gemeint ist Sergius, De littera, de syllaba, de pedibus , wo die Betonung latébras in dem Vergil-Vers impulerat ferro Argolicas foedare latebras [ Aeneis 2,55] besprochen wird [GLK IV,484,3-4]). <?page no="309"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 309 tern im Vers: Nachdem Bentley zunächst mit einschlägigen Grammatikerzitaten nachgewiesen hat, dass kein Wort im Lateinischen endbetont werde und die Komödiendichter daher bei der Versifikation darauf Rücksicht nehmen mussten, 146 zitiert er die ersten vier Verse der Aeneis mit den Wortakzenten und erklärt, dass es sich hierbei um die richtige rhythmische Aussprache handle 147 - obwohl hier fünf Wörter den Akzent auf einer Kürze tragen ( cáno , Itáliam , prófugus , súperum , mémorem ). Bentley wendet sich hier also explizit gegen den Usus, Verse nur nach den Quantitäten zu lesen. Die Überraschung wird aber noch größer: Anders als bei den Versmaßen der Komödie verwirft Bentley explizit das iktierende Lesen für den Hexameter. 148 Es zeuge weder von Kenntnis noch erzeuge es einen Rhythmus, wenn man die Akzente am Anfang der Füße setze - „wie Schuljungen“ ( ut pueri in Scholis ): Ítaliám fató profugús Lavínaque vénit . Beim richtigen Lesen trage kein Wort den Akzent auf der letzten Silbe, abgesehen von virum (V. 1); diese Endbetonung sei aber durch das Enklitikon gerechtfertigt. Fassen wir diesen Gedankengang kurz zusammen, bevor wir uns dessen Anwendung auf die römische Komödie zuwenden: Bentley postuliert grundsätzlich eine Aussprache der lateinischen Wörter, die sich nach dem Wortakzent richtet. 149 Daher lehnt er eine iktierende Aussprache ab - was nach seinen Ausführungen zur Metrik der antiken Dramen einigermaßen überrascht. Bentley bezeugt aber, dass es zu seiner Zeit eine iktierende Aussprache gegeben hat, allerdings ganz offensichtlich nur in der Schule. 150 Hätten zu seiner Zeit Gebildete antike oder neulateinische Verse wirklich iktierend gelesen oder rezitiert, so gäbe es keinen Grund, nur von den Schuljungen zu sprechen. Wenn Bentley seine Kritik auf die Schüler beschränkt, so dürfen wir mit einiger Sicherheit annehmen, dass auch hier - wie schon bei Vossius - das skandierende Lesen gemeint ist. 151 Sonst wäre nicht einzusehen, warum Erwachsene dieses Iktieren 146 Bentley 1726, xvi-xvii. 147 Qui perite et modulate hos versus leget, sic eos, ut accentibus notantur, pronuntiabit (Bentley 1726, xvii). 148 Das gilt übrigens auch für den griechischen Hexameter, wie man der Akzentuierung eines Homer-Verses in Bentley 1726, 3 entnehmen kann. Ob es sich hierbei um eine direkte Zurückweisung der Theorie von Isaac Vossius handelt, wie Haugen 2011, 179-180 vermutet, muss offen bleiben. 149 Wenn jemand im communis sermo beispielsweise malúm und omnés gesagt hätte, wäre er ausgelacht worden, wie Bentley zu Recht bemerkt (xviii). Die Stelle wird falsch paraphrasiert bei Kapp 1941, 191. 150 Ähnlich hatte schon Vossius auf das Skandieren hingewiesen; zum mutmaßlichen Unterschied vgl. gleich im Haupttext. Im Gegensatz zu Vossius und Bentley war das ‚iktierende‘ Lesen bei Wettstein eher ein Gedankenspiel. 151 Dass dies die richtige Deutung ist, zeigt sich daran, dass Bentley dem falschen Versvortrag der Schüler mit ihrer Betonung ad singulorum pedum initia das richtige Lesen ad rhythmum totius versus gegenüberstellt (1726, 17): Während diese beim Skandieren (also <?page no="310"?> 310 Thorsten Burkard nicht ausgeübt haben sollten. Des Weiteren sagt Bentley noch nicht einmal (zumindest nicht explizit), dass diese Art des Lesens gelehrt worden sei, sondern lediglich, dass die pueri so lesen. 152 Die Vermutung liegt nahe, dass das Iktieren unwillkürlich beim Skandieren zustande kam, 153 womit wir eine Parallele zum Skandieren in der Antike hätten: Die Schüler zerlegten die Verse in die einzelnen Füße und betonten diese sodann nach ihren eigenen, also englischen Aussprachegewohnheiten: ármavi - rúmqueca - nóTro - iáequi - prímusab - óris . 154 Wenn Bentley also eben von mehrsilbigen Wörtern gesprochen hat, die in Versu endbetont werden, könnte er an dieses mehr oder minder unfreiwillige iktierende Skandieren gedacht haben. Wie wir schon gesehen haben, ist das Skandieren aber nicht mit dem Versvortrag identisch, in der Frühen Neuzeit ebenso wenig wie in der Antike. Auch wenn Bentley dem Wortakzent in weit geringerem Maße verpflichtet ist als Vossius oder Wettstein, so kann er sich nicht von ihm lösen, was aber für eine reine Iktustheorie notwendig wäre. Folgerichtig rebelliert sein Sprachgefühl, wenn er ein daktylisches Wort wie libera auf der zweiten Silbe betonen soll, 155 und so postuliert er, dass ausnahmsweise derartige Wörter, wenn sie im ersten Versfuß stehen, auf der ersten Silbe betont werden können. 156 Die Zerlegen) jeweils nur Teile des Verses für sich lesen, kommt es in Wirklichkeit darauf an, den Rhythmus des ganzen Verses zu erfassen. 152 Dazu grundsätzlich Stroh 1990. 153 Vgl. Kapp 1941, 193, dem zufolge man beim Skandieren „unvermeidlich“ ins Iktieren verfalle. 154 Kabell 1960, 39 hält es für unwahrscheinlich, dass in den Schulen iktiert wurde, weil diese Technik zu wenig ausgereift gewesen sei. Ganz ausschließen lässt sich ein vom Lehrer vermitteltes iktierendes Skandieren aber nach dem Zeugnis Bentleys nicht. 155 Eduard Fraenkel wird 200 Jahre später deutlich weniger Skrupel haben, daktylische und anapästische Wörter auf der zweiten Silbe mit dem Iktus zu versehen. Interessant ist, dass seine Rechtfertigung unmittelbar auf Bentley zurückgeht: Fraenkel argumentiert mit dem Satzakzent („emphatischer Nachdruck“; 1928, 269-272); s. dazu gleich im Haupttext. Fraenkel scheint nicht bewusst zu sein, dass diese Argumentation von Bentley stammt, jedenfalls fällt in dem entsprechenden Kapitel („Emphasis“; 1928, 179-229) sein Name kein einziges Mal. Auch bei der Behandlung des interrogativen Typus hoccíne (s. unten Anm. 157) findet sich kein Verweis auf Bentley (ebd. 184-185). Dieser scheinbare Mangel an Reverenz lässt sich leicht erklären: Zu Fraenkels Zeit war die Ansicht allgemein akzeptiert, dass der rhetorische Akzent (auch als ‚sprachlicher‘ oder ‚logischer Akzent‘ bezeichnet), womit nichts anderes als der Satzakzent gemeint war, mit dem Iktus übereinstimmt. Diese Lehre scheint vor allem Friedrich Ritschl (1806-1876) ausgearbeitet zu haben (Maehly 1868, 88). 156 Die Inkonsequenz wurde schon von Maehly 1868, 88 vermerkt. Nach Maehly würde sich die Zahl solcher möglichen Ausnahmen schon in der ersten Szene der Andria auf 60 belaufen. Bei libera (in Bentleys Edition auf S. 5) handelt es sich um eine Emendation Bentleys in dem bereits damals viel diskutierten Vers Andria 52 (Haugen 2011, 175). Robert Kauer und Wallace M. Lindsay setzen in der Oxford-Ausgabe (1926) Cruces, zitieren <?page no="311"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 311 Legitimation für diesen Verstoß gegen die von ihm selbst aufgestellten Regeln bezieht er aus englischen iambischen Versen, in denen zuweilen die erste Silbe betont sein könne. 157 Da eine Möglichkeit, ein Wort auf der letzten Silbe zu betonen, darin besteht, ein Enklitikon anzuhängen, 158 erklärt Bentley kurzerhand mehrere Monosyllaba zu Enklitika, die angeblich denselben Einfluss auf den Akzent haben können wie -que , 159 nämlich me , te , se , rem , beispielsweise: Miserám me, quod verbum audio? Dasselbe gilt laut Bentley für einen Fragesatz - unabhängig davon, ob das Enklitikon -ne vorkommt oder nicht. Hier kommt offenbar ein neues Element für die Rechtfertigung des Iktus ins Spiel, nämlich der Satzakzent; 160 die Intonation eines Fragesatzes kann ja durchaus einen steigenden Verlauf haben. 161 Entsprechend behauptet Bentley auch, dass Terenz den vetiti (! ) ictus 162 auch dadurch das Anstößige nehmen wollte, indem er sie immer (! ) auf die wichtigsten Wörter ( vocabula significantiora ) eines Satzes platzierte, so dass bei ihm in besonderem Maße die Stilqualität der concinnitas zu erkennen sei. 163 Fassen wir Bentleys Iktustheorie zusammen: Bentleys Vorschlag aber nicht im Apparat. Zu Bentleys Bedürfnis, hier den Wortakzent zu bewahren, vgl. auch Guastella 2008/ 2009, 397-398. 157 Bentley 1726, xi-xii. Neben libéra nennt er noch die Beispiele hicíne , hocíne und sicíne . Man kann nicht sagen, dass Bentley durch die englische Metrik überhaupt erst auf seine Iktustheorie kam (so Oniga 1990, 217-218); die englischen Verse dienten ihm als Illustration und Legitimation. 158 Daher hatte Bentley das Beispiel virumque zitiert. Mit dem Enklitikonargument löst er in einem Vers ( Andria , Prolog 17, in Bentleys Edition auf S. 3) auch das Problem, wie ein ne aufzufassen sei. Frühere Editoren hätten ne als Satzadverb gedeutet. Bentley argumentiert dagegen wie folgt: Faciunt wird endbetont, ne steht in der Thesis, also müsse es sich um das Interrogativpronomen handeln. 159 Man erinnert sich hier an hominúm rex bei Wettstein; bei dieser Akzentuierung spielte nämlich vielleicht auch der Umstand eine Rolle, dass rex ein Monosyllabon ist. 160 Die Kategorie des Satzakzents an sich ist nicht neu. Über dreißig Jahre zuvor hatte Christian Weise zwischen dem accentus scansionis und dem accentus pronuntiationis unterschieden; wie seine deutschen Beispiele zeigen, meinte er mit letzterem den Satzakzent, also die Betonung bedeutender Wörter im Satz (Weise 1692, 1. Teil, cap. 2 [ Von der Scansion ], §§ 16-18, S. 86-88). Der accentus scansionis ist bei Weise der Wortakzent in deutschen Dichtungen, der zugunsten des Satzakzents in den Hintergrund treten soll. Weise verurteilt, wenn man im Lateinischen pedantisch hin scandiren wil (87). Gemeint ist damit offenbar die präzise Beachtung der Quantitäten und wohl auch der Pausen zwischen den Füßen, denn der Akzent kommt erst bei der deutschen Dichtung ins Spiel. 161 Vermutlich hätte Bentley so die Iktierung von Sätzen wie Andria 53-54 gerechtfertigt: Qui scíre posses aút ingenium nóscere, / dum eum aétas, metus, magíster prohibebánt? 162 Weiter unten bezeichnet er sie als vetiti ac vitiosi in ultimis Ictus (xviii). 163 Daher habe er es ebenso geschickt und mit iudicium die Wortstellung gegenüber der Prosa verändert wie Vergil selbst (xvii). <?page no="312"?> 312 Thorsten Burkard a. Wie schon Vossius und Wettstein hat sich Bentley noch keineswegs vom Wortakzent gelöst. 164 Er versucht, den Widerspruch zwischen Vers- und Wortakzent durch entsprechende Regeln der lateinischen Betonung aufzuheben. Zusätzlich bemüht er auch den Satzakzent als Erklärungsmuster (s. unten Punkt c), wodurch die Verifizierbarkeit seiner Iktenpositionen ins Beliebige verschwimmt. 165 Daher kann man selbst Bentleys Iktustheorie nicht ohne Weiteres mit den modernen Vorstellungen vom Versakzent vergleichen oder womöglich identifizieren. 166 b. Der Iktus wird wie bei Vossius durch die Musik, also durch ein außersprachliches System, gerechtfertigt. Der Dichter muss seine Wörter in das metrische Schema einpassen, und dieses richtet sich wiederum nach den musikalischen Notwendigkeiten. 167 Auf die Idee, die Musik mit den Versmaßen des Dramas in Beziehung zu setzen, könnte Bentley durch eine Stelle in Priscians Schrift zu Terenz’ Metren gekommen sein: his igitur exemplis facillime diligentes omnium possunt comoediarum metra comprehendere et versus, si quos imperitia scriptorum confuderit, ad integrum restituere musicae locum . 168 c. Bentleys Iktustheorie enthält noch eine weitere Komponente: den Satzakzent. Gesucht wird nicht nur eine Korrespondenz von Wortakzent und Iktus; ideal ist darüber hinaus auch, wenn die wichtigsten Wörter eines Verses den Akzent tragen. Dieses sehr unscharfe Kriterium wendet Bentley sogar bei der Textkonstitution an, was umso unwissenschaftlicher ist, als wir über die Intonation lateinischer Sätze nichts wissen und nur vage Schlüsse aus der Bedeutung eines Satzes ziehen können. Hinzu kommt, dass (wie die moderne Phonetik lehrt) universalsprachlich der Satzakzent auf dieselbe Silbe fällt wie der Akzent des betreffenden Wortes, sodass es einen Konflikt zwischen Wort- und Satzakzent überhaupt nicht geben kann. 169 d. Durch die Systematisierung der Iktierung bei bestimmten Versmaßen führt Bentley etwas völlig Neues ein. Diese Systematisierung geht so weit, dass er 164 Kapp 1941, 192 hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Bentley es vermieden habe, auf die griechischen Wortakzente einzugehen - hier wären die Probleme, sie mit dem Iktus in Einklang zu bringen, noch größer gewesen als im Lateinischen. 165 So rechtfertigt er beispielsweise die seiner Meinung nach an sich verbotene Endbetonung in der zweiten Dipodie „mit dem großen Gewinn für den Sinn“ ( magno sententiae lucro ; 1726, xix). 166 Vgl. auch Kapp 1941, 189. 167 Zur Bedeutung der Musik für Bentleys Theorie vgl. Guastella 2008/ 2009, 394-396. 168 Priscian, De metris fabularum Terentii et aliorum comicorum , p. 28 Passalacqua = GLK III,405. 169 Der Wortakzent ist „das Wissen“, auf welche Silben „der Satzakzent fällt, wenn das Wort überhaupt einen Satzakzent hat“ (Vennemann 1994, 16; vgl. Kohler 2008, 258). Ausnahmen sind selten, so etwa bei Gegensätzen: „Ihr sollt béladen, nicht éntladen! “ oder „Ich habe Rederécht, nicht Redepflícht.“ <?page no="313"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 313 sogar (wohl unbewusst) die Begründung für den Iktus aufgibt, wenn er Ikten in Gedichten akzeptiert, die überhaupt nicht zu musikalischer Begleitung vorgetragen wurden (s. unten Punkt e). e. Bentleys Iktustheorie ist weit davon entfernt, universal zu sein. 170 Sie bezieht sich nur auf die im antiken Drama verwendeten Versmaße, konkret nennt Bentley den Iambus, den Trochäus, den Baccheus, den Creticus und den Choriambus. 171 Der Grund für diese Begrenzung wurde unter (b) genannt. Auf der anderen Seite verselbständigt sich die Iktustheorie bereits bei Bentley. Denn die Ikten in Bentleys Ausgabe von Phaedrus und Publilius Syrus ließen sich nicht mehr mit musikalischen Notwendigkeiten rechtfertigen, sondern allenfalls mit einer mechanischen Nachahmung der dramatischen Praxis. Bentley selber äußert sich dazu leider nicht. f. Der Iktus fungiert als ein Erklärungsmodell. Wie Vossius durch seine Neuakzentuierung des Griechischen den Rhythmus altgriechischer Verse hörbar machen wollte, so beabsichtigt Bentley, mithilfe des Versakzents die damals umstrittenen Versmaße der römischen Komödie zu erklären und ihnen eine nachvollziehbare rhythmische Struktur zu verleihen. 172 g. Bentleys Zeichen für den Iktus bezeichnet unzweifelhaft immer eine Erhöhung der Lautstärke, also einen dynamischen Akzent. Darüber hinaus dienen diese in den Text der Edition gesetzten Zeichen auch didaktischen Zwecken: 173 Der Leser gewinnt in der Tat dadurch einen schnellen Überblick über die Dipodien. h. Bentley versuchte, seine metrischen Prinzipien auch bei der Textkritik zu beachten. In seinen Anmerkungen rekurriert er oft auf seine Iktustheorie; häufig änderte er die Wortstellung, sodass der Iktus auf ein wichtiges Wort und zugleich auf die Stelle des Wortakzentes fallen konnte. 174 170 Richtig Deufert 2010, 283-284: Bentley sei weit von einer umfassenden Iktustheorie entfernt, diese finde sich erst bei Gottfried Hermann. 171 Daher bezeichnet Kapp 1941, 191 Bentleys Theorie zu Recht als „a modest and limited sort of Ictus-theory“. Haugen 2011, 174 bemerkt, dass Bentley eigentlich nicht erklärt, warum die Aussprache bei den einzelnen Metra derart divergiere. 172 Schon Cicero bemerkte zu den komischen Metra, dass sie der Prosa sehr nahe stünden (Cicero, Orator 183-184). Priscian berichtet von Gelehrten, die den terentianischen Versen jede Metrik absprachen ( De metris fabularum Terentii et aliorum comicorum , p. 19 Passalacqua = GLK III,405). Diese Passage zitiert Bentley im Schediasma (xviii). Noch in der anonym herausgegebenen zweisprachigen Londoner Ausgabe Publii Terentii Comoediae 1734 (in der Bentley rühmend erwähnt [24-26, 41-49], aber nichts zur Iktierung gesagt wird; es werden auch keine Ikten gesetzt) wird behauptet, dass es bei Plautus und Terenz keinerlei Prosodie gebe (41). 173 Fraenkel 1928, 5-6 hatte sogar behauptet, dies sei Bentleys primäre Intention gewesen. 174 Haugen 2011, 174-175, mit einigen Beispielen in den Anmerkungen. Haugen weist ebd. 175 aber auch darauf hin, dass die meisten von Bentleys Emendationen nicht mit seiner <?page no="314"?> 314 Thorsten Burkard 6. Bentleys ‚Schüler‘ Richard Dawes Richard Dawes (1708-1766) ist nach Bentley der erste (und für lange Zeit offenbar auch der letzte), der iktierende Versschemata abdruckte. Der erste Abschnitt der fünften Sectio seiner Miscellanea critica von 1745 trägt die Überschrift: Ictuum sive Accentuum ratio a poetis Atticis servata . 175 Dort werden die metra praecipua der griechischen Dramatiker behandelt, nämlich die iambischen, trochäischen und anapästischen Versmaße. Bei der Konstitution des Iktus ist Dawes natürlich Bentley verpflichtet, 176 aber ebenso der Tradition, die eine Beziehung zwischen Länge und Akzent gesehen hat. Denn Dawes behauptet, dass aufgrund der musicae necessitas die Länge die Akzentposition festlege. 177 Beim Spondeus richte sich die Akzentuierung danach, ob er in einem iambischen oder einem trochäischen Versmaß verwendet wird; in Ersterem falle der Iktus auf die zweite Länge, in Letzterem auf die erste. Auch die Iktierung des Tribrachys richtet sich nach dem Hauptversmaß: in iambischen Metra erhält die zweite Silbe (wie auch die Daktylen), in trochäischen die erste den Iktus. Die Akzentuierung entspricht also bereits derjenigen, die seit dem 19. Jahrhundert in Metriken wie der von Crusius gelehrt wurde. Dawes begründet die Ratio, dass beim Tribrachys, beim Daktylus und beim Proceleusmaticus der Iktus, wenn er zur zweiten Hälfte des Fußes zu ziehen ist, die vorletzte Silbe akzentuiert, damit, dass er auf der letzten Silbe unerträglich und misstönend klänge. 178 Diese Begründung wird nicht weiter ausgeführt. Vermutlich ist Dawes hier vom lateinischen Akzentgesetz beeinflusst. Dawes systematisiert Bentleys Iktustheorie, die ja aus Rücksicht auf den Wortakzent Kompromisse schließen musste. Dawes wirft seinem Vorgänger nämlich vor, in folgendem Vers die erste Silbe akzentuiert zu haben: Píscibus in álto crédo praébent pábulum (Plautus, Rudens 513) . 179 Hier habe Bentley sowohl das Ohr als auch die Theorie ( ars ) im Stich gelassen. 180 Dawes gibt die richtige Iktierung nicht an, aber sie lässt sich leicht aus seinen Prinzipien ableiten: piscíbus . Dawes scheint also nach Bentley der erste zu sein, der Verse systematisch mit Ikten versieht, die Akzentsetzung von den Wörtern löst und nach den Versmaßen ausrichtet. Der ‚Fortschritt‘ gegenüber Bentley besteht darin, dass der Iktustheorie zusammenhängen. 175 Das Folgende nach Dawes 1745, 188-189. Die Versschemata finden sich auf den Seiten 190-192. 176 Dawes 1745, 192-193. 177 Dawes 1745, 188: postulabat musicae necessitas ut accentum longae sedes determinaret . 178 Dawes 1745, 189: nescio quid importuni atque absoni efficeret . 179 Bentley 1726, xi-xii. Fraenkel 1928, 272 wird die Akzentuierung piscíbus mit der Emphase rechtfertigen (vgl. oben Anm. 155). 180 Dawes 1745, 192-193. <?page no="315"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 315 Wortakzent als relevante Kategorie, die es (wie auch immer) zu beachten gilt, aufgegeben wird. Diese Nicht-Berücksichtigung des Wortakzents (und damit der grammatischen Tradition) konnte überhaupt erst den Siegeszug des Iktus ermöglichen. Da die Betonung des Griechischen, wie wir gesehen haben, in höchstem Maße umstritten war, ist es nur folgerichtig, dass diese neue Entwicklung sich zuerst bei der Iktierung griechischer Verse findet. Ist Dawes somit der erste konsequente Iktustheoretiker, der den Versakzent von den Zwängen des Wortakzents befreit und dadurch überhaupt erst aus der Taufe hebt? 181 So scheint es zumindest. Und dennoch ist Vorsicht geboten. Dem ersten Augenschein zum Trotz bezeichnet der Iktus bei Dawes offenbar nicht die Betonung, sondern lediglich die Länge und die Position des jeweiligen Halbfußes. Für diese Deutung sprechen einige Hinweise: Zum einen war es laut Dawes die Musik, durch die die Länge den Akzent bestimmte, und nicht etwa das Metrum selbst. Dawes könnte einfach, wie schon so viele vor ihm, die Länge eines Fußes mit dessen Betonung identifizieren, ohne dass er beim Verselesen diese Betonung bewusst realisiert hätte. Zweitens hat man sich damals intensiv Gedanken über die korrekte Skandierung, also die Gliederung eines Verses, gemacht, wie wir im folgenden Abschnitt sehen werden. Und genau damit beschäftigt sich Dawes über zwei Seiten hinweg am Ende seiner Ausführungen über die Ikten. 182 Dort druckt er griechische Trimeter einmal konsequent mit Längen- und Kürzezeichen, einmal nur mit den Ikten. Was er damit offenbar meint, sei an dem zweiten von Dawes zitierten Vers vorgeführt, der ohne Akzent- und Längenzeichen wie folgt lautet: 183 Λῐπω̄ν | ῐν ᾱͅδη̄ς | χω̄ρῐς | ῳ̄κῑ|σταῑ θε̆ω̄ν (Euripides, Hekabe 1). Dawes schlägt zwei mögliche Gliederungen vor; bei der ersten setzt er die Quantitätszeichen, bei der zweiten die Ikten so, wie wir sie heute kennen (abgesehen von der Schlusssilbe): Λῐπω̄ν | ῐν ᾱͅδη̄ς | χω̄ρῐς | ῳ̄κῑ|σταῑ θε̆ω̄ν Λιπών ιν | ᾴδης | χώρις | ῴκι|σταί θεων In der ersten Gliederung hat man laut Dawes zuerst eine iambische, dann (beginnend mit χωρις) eine trochäische Reihe. Im zweiten Fall werde der erste Fuß um die caesura , also die Silbe ἵν, 184 erweitert ( pedem caesura adauctum ), sodass danach bereits die Trochäen beginnen. In beiden Varianten ergebe sich 181 Vgl. Drerup 1932, 570: „Tatsächlich läßt Dawes die griechischen Zitate durchgehend ohne Akzente drucken, indem er den Akut gelegentlich nur zur Bezeichnung des Versiktus verwendet.“ 182 Dawes 1745, 194-196. 183 Den zweiten Vers der Hekabe hatte bereits Bentley analysiert (1726, xi). Die Spiritus setzt Dawes nie. 184 Vgl. zur Bezeichnung einer Silbe als caesura oben Abschnitt 1 mit Anm. 37. <?page no="316"?> 316 Thorsten Burkard auf jeden Fall eine numerorum venustas . Dawes geht es also vor allem um die richtige Gliederung des Verses, und es ist eindeutig, dass die Taktstriche für ihn Pausen darstellen. 185 Wenn er die richtige Gliederung einmal mit Längen und Kürzen und einmal mit Ikten verdeutlicht, so liegt die Vermutung in der Tat nahe, dass er beide Notationen für gleichbedeutend hält, d. h. dass er die Ikten für die Bezeichnung der langen Silben des Iambus bzw. des Trochäus hält. Im Gegensatz zum heutigen Iktieren neutralisiert der Iktus beim Lesen also nicht die Opposition zwischen langen und kurzen Silben, sondern die Längen generieren allenfalls nebenbei eine iktierende Betonung - ein Phänomen, dem wir schon häufiger begegnet sind. Dass für Dawes die Iktierung nicht so bedeutend ist für die rhythmische Schönheit von Versen, zeigt sich daran, dass er in den beiden von ihm nachdrücklich abgelehnten ‚französischen‘ Gliederungen ( importuna atque odiosa syllabarum distributio ) ebenfalls Ikten setzt: 186 Monopodisch: Λιπών | ἱν ᾴ|δης χώ|ρις ῴ|κισταί | θεων. Dipodisch: Λιπών ἱν ᾴ|δης χώρις ῴ|κισταί θεων. 187 Durch diese Gliederungen werden Dawes zufolge die Verse eher mechanisch gemessen, als dass man ihre wohllautende Harmonie empfindet. Das Entscheidende ist also nicht die Platzierung der Ikten, sondern der Taktstriche. Folgerichtig mokiert sich Dawes über Bentley, der besser daran getan hätte, nur wenige Beispielverse zu akzentuieren, statt sich die Mühe zu machen, immer Ikten zu setzen, wofür ihm auch der Drucker dankbar gewesen wäre. 188 Man kann ergänzen: Wenn etwas sinnvoll gewesen wäre (zumindest in Dawes’ System), dann die Setzung der Taktstriche. (Nur nebenbei sei darauf hingewiesen, dass man hieran auch den zweiten Zweck der Skandierung neben der Herauspräparierung der Füße und Metra erkennt: das Hörbarmachen des Rhythmus.) 189 185 Es handelt sich um die sog. caesurae podicae , Einschnitte nach einem Fuß, im Gegensatz zu den caesurae metricae , Einschnitte nach einem Metrum (vgl. Reiz 1787, x-xi). 186 Offenbar meint Dawes nicht, dass Franzosen so lateinische und griechische Verse skandieren, sondern dass ihre volkssprachlichen Dichtungen so strukturiert sind. Er sagt nämlich, dass sie diese Gliederung in suis beachten (1745, 194). Die Betonung des Wortendes im Französischen könnte hier eine Rolle spielen. 187 Man beachte auch, dass Dawes sowohl in der monopodischen als auch in der dipodischen Variante fünf Ikten setzt - eine deutliche Abweichung von Bentleys Usus. 188 Dawes 1745, 194. 189 Bezeichnend ist, dass Hermann an seinem Lehrer Reiz im Stillen tadelte, dass er sich so viel Zeit zum Verselesen nahm (vgl. das Zitat bei Deufert 2010, 284 Fußn. 43). <?page no="317"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 317 Schließlich verstehen auch andere Gelehrte, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, Bentleys Ikten als Zeichen für eine Länge. 190 Eine definitive Entscheidung, ob Dawes die Ikten als Betonungszeichen oder als Kennzeichnung der Länge und der Position des Halbfußes aufgefasst hat, ist schwierig - aber seine Einstellung zum griechischen Wortakzent weist doch stark darauf hin, dass Letzteres der Fall ist. Zu Beginn des dritten Teils seiner Miscellanea ( In Callimachum emendationes ) setzt sich Dawes mit den accentuum fautores auseinander. 191 Aus dieser Diskussion wird deutlich, dass er die überlieferten griechischen Akzentzeichen für falsch hält, weil der Akut auf einem kurzen Vokal diesen längen würde. 192 Würde Dawes nun die Ikten in seinen metrischen Schemata als Betonungszeichen verstehen, würde der Iktus kurze Vokale (im Falle von aufgelösten Längen) zu langen Vokalen machen und so das Metrum zerstören. Wenn also Dawes konsequent sein sollte, kann er den Iktus überhaupt nicht als Versakzent aufgefasst haben, sondern lediglich als Zeichen für den Sitz des Elementum longum des Versfußes. Sehr wahrscheinlich hat Dawes in alter Tradition versucht, die Verse ohne jegliche Betonung zu lesen, worauf auch der Umstand hindeutet, dass er die Verse fast immer ohne Ikten abdrucken ließ. Wie ist dann aber in der Auseinandersetzung mit Bentley der Verweis auf misstönende Endakzentuierungen und auf das Urteil der Ohren (im Falle von piscíbus ) zu verstehen? Auch hier scheint es um das skandierende Lesen zu gehen. Die Akzentuierung piscíbus hilft dem Lernenden, das Versmaß herauszupräparieren, während die von Bentley bevorzugte Akzentuierung píscibus zu dem Fehlschluss verleiten würde, dass es sich um ein daktylisches Metrum handelt. Da der (graphische und phonetische) Iktus bei Dawes also höchstwahrscheinlich ein rein didaktisches Mittel ist, versteht man auch, warum er die Iktierung der Verse in wissenschaftlichen Ausgaben für überflüssig hält. Auch wenn zwischen den Abhandlungen von Bentley und Dawes und dem Postulat eines Versakzents und somit zu einem iktierenden Lesen jenseits der Skansion nur noch ein kleiner Schritt liegt, bleibt ihre Auffassung im 18. Jahrhundert eine Außenseiterposition, wie sich gleich zeigen wird. 190 Nur hingewiesen sei darauf, dass Daniel Webb (1718/ 1719-1798) die Akzente als Determinanten der Zeit bestimmte, in der aufeinanderfolgende Silben artikuliert werden (1769, 81). Hier haben die Akzentzeichen also eindeutig eine taktierende Funktion. 191 Dawes 1745, 174-176. 192 Dawes’ Argumentation ist aufschlussreich: Er schließt ebd. aus der Tatsache, dass für die Beurteilung des Prosarhythmus für die Griechen alleine die Quantitäten relevant waren, dass die überlieferten Akzente nicht stimmen können. <?page no="318"?> 318 Thorsten Burkard 7. Die Rezeption von Bentleys und Dawes’ Abhandlungen Bentley und Dawes wird zunächst noch nicht einmal in ihrem Heimatland Anerkennung zuteil. Ihre Iktustheorien werden von ihren Landsleuten missverstanden, überhaupt nicht beachtet oder abgelehnt. So setzt John Stirling in seinen Phaedrus- und Terenz-Ausgaben (1749 und 8 1766) wie selbstverständlich „zum Nutzen für die Lernenden“ die Wortakzente. Noch am Ende dieses Jahrhunderts, fast 50 Jahre nach Bentleys Tod, weiß der englische Bischof William Cleaver mit dem Begriff des ictus nichts anzufangen. Als er den Umstand behandelt, dass im Hexameter eine kurze Silbe vor der Zäsur gelängt werden könne, referiert er unter anderem die Ansicht, dass diese Dehnung (auch) auf den sogenannten ( ut quidam loquuntur ) ictus pronunciationis zurückzuführen sei. Cleaver gibt aber offen zu, dass er nicht weiß, was dieser ictus pronunciationis sein soll, da er hierüber keinerlei Informationen finden konnte! 193 Daher habe er über die Gründe der Dehnung in der Zäsur mit Thomas Tyrwhitt (1730-1786) korrespondiert, und der habe geantwortet, dass per se eine Silbe nicht gedehnt werden könne; sollte aber unter dem Iktus der Akzent zu verstehen sein, so könne hierin unmöglich der Grund liegen, da im Lateinischen keine Endsilbe akzentuiert werde. 194 Mit demselben so altbekannten wie schlagenden Argument hatte sich bereits Edward Manwaring noch zu Lebzeiten Bentleys gegen eine Endbetonung ausgesprochen, der zudem auch (zu Recht) darauf aufmerksam machte, dass es absurd sei, Wörter in verschiedenen Versmaßen unterschiedlich zu betonen, und dass es keine Sprache gebe, in der die Wörter im Vers anders betont würden als in der Prosa. 195 Man sieht: Selbst nach Bentley und selbst in Großbritannien gibt es noch keine Spuren einer Iktustheorie oder auch nur eines iktierenden Lesens. 196 Zwei Gelehrte, die den Begriff ictus pronunciationis verwendeten, zitiert Cleaver an der oben genannten Stelle namentlich. Einer davon ist Jacques Philippe d’Orville (1696-1751), Professor in Amsterdam und in diesem Amt Vorgänger 193 Cleaver 1789, 143-144. 194 Cleaver 1789, 148. Tyrwhitt fügte offenbar noch hinzu: Porrò ictum metricum pari jure occupasse utramque pedis partem , was zeigt, dass er noch dem antiken Begriff von ictus verpflichtet ist. 195 Manwaring deutet den Vorschlag der Endbetonung im Vers als (natürlich verfehlten) Versuch, die Längung der Tonsilbe bei iambischen Wörtern zu verhindern (Manwaring 1737, 51-52, 65-66). Er spricht von „Bentley und anderen [sc. Iktustheoretikern]“; vermutlich denkt er noch an Isaac Vossius. 196 Wenn Guastella 2008/ 2009, 379, 390 behauptet, dass nicht nur das Schediasma , sondern auch die darin vorgetragene Iktustheorie wegen ihrer Praktikabilität sofort ein Erfolg waren, so ist der zweite Teil dieser Behauptung also eindeutig falsch. Ausgewogener zur Rezeption von Bentleys in seiner Terenz-Ausgabe formulierten Theorien urteilt Deufert 2010, 280. <?page no="319"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 319 von Pieter Burmann dem Jüngeren, der in seiner Critica Vannus (1737) in der Nachfolge Bentleys steht und den Iktus behutsam heranzieht, um Längungen zu erklären. Eine systematische Iktustheorie ist hier aber keineswegs zu erkennen; der Iktus ist lediglich ein Rettungsanker, wenn andere Deutungen versagen. 197 Worin die Natur des Iktus nach der Auffassung von D’Orville besteht, wird aus seinen Ausführungen nicht recht klar. Anders sieht es mit dem anderen Gewährsmann Cleavers aus, mit dem berühmten Philosophen und Theologen Samuel Clarke (1675-1729). 198 Er sagt in seiner Homer-Ausgabe in der Tat, dass in der Zäsur ein maior pronunciationis ictus bestehe, der wie am Versende zu einer Längung führe. Anscheinend meint Clarke hier den Satzakzent. Schwieriger zu verstehen ist seine Behauptung, dass der Anapäst einen gravior pronunciandi ictus in der letzten Silbe habe als andere Versmaße und dass deswegen die eine Dehnung hervorrufende Pause am Versende nach einem Anapäst zu kurz sei, wenn die letzte Silbe nicht naturlang ist oder ein Sinneinschnitt vorliegt. Diese Aussagen sind offenbar nur sinnvoll, wenn man davon ausgeht, dass gravior auf den Gravis im Sinn von Unbetontheit zu beziehen ist. Gemeint ist offenbar, dass in einer Folge von drei Naturkürzen, die ohnehin schon kurze Schlusssilbe durch ihre Unbetontheit noch kürzer wird. Das ist beim Anapäst problematischer als bei anderen Versmaßen, da bei einem Wort mit drei Naturkürzen die Anfangsbetonung noch stärker durchschlägt. Die für einen Anapäst notwendige Länge kann also nur durch eine Naturlänge oder den Satzakzent qua Sinneinschnitt garantiert werden. 199 Dass es Clarke nur um die Länge, nicht um die Betonung nach Maßgabe eines Versakzents geht, zeigt auch die brevis in arsei, dessentwegen er hier überhaupt eine kommentierende Bemerkung für nötig hält. Die letzte Silbe von βέλος in Ilias 1,51 steht in der Länge des Daktylus, aber vor einem Vokal, bildet also eine offene Silbe. Diese Silbe wird laut Clarke durch die Kraft des Wortendes gedehnt, so dass man beloss sprechen müsse: Clarke empfiehlt also keineswegs die Betonung der Endsilbe, sondern eine Dehnung durch Konsonantenlängung. In seiner Auseinandersetzung mit Bentley und Dawes bemerkt auch John Foster (1731-1774), dass es unvorstellbar sei, dass die Akzentuierung in Prosa eine andere gewesen sein solle als im Vers. Der Ausdruck arsis könne sich nur auf die Bewegung der Hand oder des Fußes beziehen; die Stimme sei allenfalls ansatzweise angehoben worden. 200 Auch die Abhandlung von Foster zeigt, dass 197 D’Orville 1737, 329-334. 198 Das Folgende nach Clarke 1754, 8, zu V. 51 not. 6-8. 199 Man bemerke, dass Clarke von der lateinischen (also henninischen) Paenultima-Akzentuierung für das Griechische ausgehen muss. 200 Foster 1763, 310. <?page no="320"?> 320 Thorsten Burkard noch damals Vorstellungen von einem Versakzent, wie diffus auch immer sie sein mochten, als eher abseitige Theorien einiger weniger Gelehrter galten. Am Ende des 17. Jahrhunderts schlägt John Warner eine neue Methode des Skandierens von Hexametern vor. Sie hat nach seiner eigenen Aussage zwei Vorteile: Die Pausen fallen häufiger nach einer Länge und die Fußenden fallen häufiger mit den Wortenden zusammen. So entstehe sogar beim Skandieren die true music or melody of the verse . Er nimmt für den Hexameter eine Vorschlagsilbe an und kommt damit zu einer anapästischen Messung: 201 For | tuna | te senex | ergo | tua ru │ ra ma ne | bunt (Vergil, Eklogen 1,46). In der Tradition des Skandierens geht es hier um die Gliederung des Verses, die sich für die Betonung allenfalls in zweiter Linie interessiert. Germanophone Schüler hätten die Warner’sche Skandierung vermutlich so gelesen: Fór - túna - té senex - érgo - túa ru - rá mane - búnt , was zwar nicht im Sinne des Erfinders, aber unvermeidlich ist. Auch dieser uns eigenwillig vorkommende Skansionsvorschlag beweist, dass die Vorstellung von einem fest mit einem Metrum verbundenen Versakzent damals schlicht noch nicht existierte. John Warner liefert zudem ein wunderbares Beispiel dafür, wie Bentleys Theorie missverstanden wurde. Dieses Missverständnis ist deswegen instruktiv, weil es zeigt, dass die Zeit noch nicht reif war für ein iktierendes Lesen. Warner glaubt nämlich, dass Bentley mit den Begriffen ictus , ictus vocis , accentus , acuere immer die Längung der entsprechenden Silben bezeichnen möchte! 202 Wie negativ Bentley bei Warner beurteilt wird, belegt das bezüglich seiner „konfusen Behandlung“ von Längen und Betonungen gefällte Urteil: „the paralogisms of our good doctor“. Bentley habe die englischen Aussprachegewohnheiten dem Lateinischen einfach aufoktroyiert. 203 Wenn Warner Bentley sogar unterstellt, er sei der Alleinschuldige daran, wie die Engländer antike Verse aussprechen ( Bentleian system ), 204 so bedeutet das gerade nicht, dass sich durch Bentley das iktierende Lesen im Königreich durchgesetzt hat, sondern dass betonte kurze Silben gelängt werden! Dementsprechend bezeichnet er die folgende, von William Primatt (1701/ 1702-1770) vorgenommene Akzentsetzung, auch als ictus oder accentus : Itáliam fáto prófugus Lavínaque vénit líttora (Vergil, Aeneis 201 Warner 1797, 25-26. Die Idee, Hexameter anapästisch zu messen, hat Warner vielleicht von Manwaring (1737) übernommen, der seinerseits vermutlich von Bentleys Schediasma inspiriert war, wo die Silbe po in poéta dederit quaé sunt adolescéntium (Terenz, Heautontimorumenos , Prolog 2) als Auftakt analysiert wird (1726, iv). 202 Warner 1797, 55. In Warners Augen bezeichnet das Akzentzeichen bei Bentley immer (also auch wenn im Hexameter der Wortakzent bezeichnet wird) eine Länge (ebd. 57). 203 Ebd. 56. 204 Ebd. 63 Anm., 65 Anm., 81. <?page no="321"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 321 1,2). 205 Den Sinn dieser Akzente sieht Warner darin, dass sie wie bei Bentley die Längung bezeichnen sollen. Da durch die Verteilung der Wortbetonungen die betonten Silben gelängt, die unbetonten aber gekürzt würden, empfiehlt er (wie schon unzählige vor ihm), auf die Betonungen beim Verselesen gänzlich zu verzichten. 206 Warner zitiert dann zustimmend die folgenden Sätze Primatts: 207 „BUT if anyone can really be delighted with such harmony as this, Tityre, tu patuláe recubáns sub etc. / Arma virumque canó Trojáe qui etc. e’en let him enjoy his pleasure; I believe few will envy him.“ Das Zitat stammt aus einer Passage, in der sich Primatt mit Isaac Vossius auseinandersetzt. Seine von Warner befürwortete sarkastische Bemerkung zeigt nicht nur, dass er das iktierende Lesen für absurd, sondern dass er es für eine spezifisch vossianische Idee hält. 208 An der Auseinandersetzung mit Bentley, Dawes und ihrem Vorläufer Vossius ist deutlich zu erkennen, dass selbst in der Mitte des 18. Jahrhunderts die ‚proto-iktierende‘ Art, Verse zu akzentuieren, Verwunderung und Ablehnung hervorrief. Auch dies beweist, dass das iktierende Lesen und Rezitieren (und sei es auch nur in Ansätzen) etwas völlig Neues war. 209 Diese Aussage gilt auch für die Rezeption auf dem Kontinent. Pieter Burmann der Ältere (1668-1741) bezeichnet Bentleys Iktierungen ein Jahr nach der Terenz-Edition als accentuum inaudita observatio . 210 205 Primatt 1764, 157, der ebd. auch einen Homer-Vers mit Wortakzenten versieht, wobei diese Wortakzente den lateinischen Betonungsregeln folgen. 206 Warner 1797, 100-102. 207 Ebd. 102-103; Primatt 1764, 160. Zuvor (159-160) hatte Primatt gesagt, dass Vossius’ Vorschlag, den Iktus auf die letzte Silbe zu setzen, gegen den Geist der lateinischen Sprache verstoße (vgl. ebd. 81). Abschließend kommentiert er, dass eine solche Akzentuierung aus der Unsitte entstehe, zwischen Betonung und Quantität nicht zu unterscheiden. Auf. S. 81-84 weist er darauf hin, dass die Römer nur in einigen wenigen Wörtern ausnahmsweise die Endbetonung zuließen. 208 Allerdings entdeckt Primatt (fälschlich) den Iktus bereits im 16. Jahrhundert (1764, 159), indem er behauptet, Meetkercke habe für den zweiten Vers der Aeneis die iktierende Leseweise vorgeschlagen, und die Ikten im wörtlichen Zitat vorführt (außer auf am werden alle unsere Ikten gesetzt, vermutlich ein Versehen). In den Meetkercke-Ausgaben (1565, 1576, 1587) und bei Beza (1587/ 1554) gibt es aber überhaupt keine Betonungszeichen (sie würden auch eindeutig dem Kontext bei Beza/ Meetkercke widersprechen)! Primatt ist hier von den Vorurteilen seiner Zeit (Bentley, Vossius, den er gleich danach behandelt) geprägt, vielleicht haben ihn auch die Begriffe arsis und thesis bei Meetkercke in die Irre geführt. Der Abschnitt findet sich bei Meetkercke auf S. 146 in der Ausgabe von 1576; die ganze Passage ist allerdings wortwörtlich aus Theodor Beza übernommen (1587/ 1554, 50-54); zu diesem „Plagiat“ vgl. Drerup 1930, 240, 263. 209 Noch 1797 beklagt sich John Warner darüber, dass die Wörter in griechischen und lateinischen Versen nach englischen Aussprachegewohnheiten ausgesprochen werden (8-9, 12) - er empfiehlt aber mitnichten den Iktus als Antidot, sondern natürlich die Betonung nach dem Wortakzent, ohne die jeweilige Silbe zu längen (5-6, 40-41). 210 Burmann 1727, Vorrede an den Leser 22 (ohne Paginierung). <?page no="322"?> 322 Thorsten Burkard Wenn Otto Jahn in seinem Nachruf auf Gottfried Hermann bedauert, dass vor der Wiederentdeckung durch Hermann „Bentleys Lehren […] für thörichte Einfälle“ galten, 211 so scheint er mit dieser Aussage die Rezeption des Schediasma in großen Zügen korrekt zusammenzufassen. Im folgenden Abschnitt werden wir aber sehen, dass Hermann in Deutschland keineswegs der einzige Bentley-Nachfolger gewesen ist - er war aber mit Abstand der einflussreichste. 8. Die eigentliche Geburt des Iktus: Friedrich Wolfgang Reiz, Friedrich Heinrich Bothe, Gottfried Hermann und seine Schüler Der erste, der in Deutschland Bentleys Theorien rezipiert, ist der Leipziger Professor Friedrich Wolfgang Reiz (1733-1790), 212 der Lehrer von Gottfried Hermann. 213 In seiner Behandlung von Bentleys Terenz-Ausgabe geht er auf den Iktus zwar nicht explizit ein, aber er akzentuiert Verse aus Seneca-Tragödien nach Bentleys dipodischem System. Wie er die Ikten auffasst, sagt er nicht. Da er sich aber mit der Skansion beschäftigt, lässt sich vermuten, dass er (ähnlich wie wohl auch Dawes) sie als eine Art Taktzeichen verstanden wissen wollte und eben nicht als Betonungshilfen. Für diese Deutung spricht seine postum (1791) von Friedrich August Wolf herausgegebene Schrift über den griechischen Akzent, in dem er griechische Verse mit dem gewöhnlichen Wortakzent versieht. 214 Zudem kritisiert Hermann seinen Lehrer in der Vorrede zu seiner Trinummus -Ausgabe, er habe den Plautus nur mit den Fingern, aber nicht mit den Ohren gemessen, sodass er die Verbindung zwischen den Ikten und den Akzenten nicht erkannt habe, worin er von Bentley abgewichen sei. 215 Das kann doch wohl nichts anderes heißen, als dass er wie die antiken Grammatiker die Taktierung nicht mit der Stimmerhebung, sondern mit dem Finger als ‚Taktstock‘ durchgeführt hat. Den Schritt, den Iktus als Akzentzeichen aufzufassen, machte etwa gleichzeitig mit Hermann der heute vergessene Privatgelehrte Friedrich Heinrich Bothe (um 1771-1855) in seiner De metro iambico dissertatio aus dem Jahr 1795. 216 211 Jahn 1849, 17. 212 So schon Hoche 1889; Deufert 2010, 287. 213 Zu Hermanns Mitarbeit an Reiz’ Rudens -Ausgabe vgl. Deufert 2010, 281. 214 Da in der damaligen Zeit aus Misstrauen gegenüber den überlieferten Akzentzeichen in vielen Ausgaben griechischer Autoren überhaupt keine Wortakzente gesetzt wurden, ist die Setzung der Wortakzente durchaus ein Argument gegen eine iktierende Auffassung (was ab dem 19. Jahrhundert natürlich nicht mehr gilt). 215 Hermann 1800, viii, insbesondere: quum digitis, non auribus versus metiretur […] Hinc neglecta accentuum cum ictibus apta coniunctione […] pedes numerare satis habebat . 216 Eine kurze Würdigung des lange verkannten Bothe findet sich bei Deufert 2010, 277-278 mit Anm. 5. <?page no="323"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 323 Seine Auffassung des Iktus weicht allerdings von der von Hermann etablierten Theorie ab: Bothe zufolge wird der ganze Fuß durch den Iktus hervorgehoben, nicht nur die einzelne Silbe. Des Weiteren ist er unsicher, welcher der beiden Füße beispielsweise in einer iambischen Dipodie den Iktus tragen muss; in der Nachfolge Bentleys entscheidet er sich für den „linken“ Fuß. 217 Bisher haben wir gesehen, dass dem Erfolg des Versakzents mit dem Wortakzent ein Parameter im Weg stand, den man nicht aufgeben wollte (und den selbst Bentley für unverzichtbar erklärt hatte) - die ‚Leistung‘ Gottfried Hermanns (1772-1848) 218 bestand nun darin, die Grundlage für die Verabschiedung des Wortakzents zu schaffen, indem er als neue prosodische Einheit die metrische Reihe, den ordo , postulierte. Gemeint ist damit nichts anderes als das Metrum oder der Versfuß. 219 Der Anfang jeder Reihe verhält sich laut Hermann zu den folgenden Gliedern derselben Reihe wie die Ursache zu ihren Wirkungen. Da aber die Ursache stärker sein müsse als ihre Wirkungen, sei der erste sonus jeder Reihe erstens eine freie Ursache, bedürfe also keiner weiteren Ursache, und müsse zweitens von einer größeren Kraft hervorgebracht werden. 220 Ebendiese Kraft sei aber der ictus , und alle vollständigen Reihen müssten mit einem ictus beginnen. 221 Für diese Theorie stellen natürlich Versmaße, die mit einer Kürze beginnen (etwa der Iambus), zunächst einmal ein Problem dar, da eine Kürze per se schwächer ist als eine Länge. Hermann löst dieses Problem mit der Annahme eines Auftakts („anacrusis“). 222 Zum allerersten Mal finden sich in Hermanns ‚Iktus-Erstling‘ De metris poetarum Graecorum et Romanorum aus dem Jahr 1796 abstrakte metrische Schemata mit Ikten, die unzweifelhaft als Betonungszeichen aufzufassen sind. Daher können wir das Jahr 1796 als die eigentliche Geburtsstunde des Iktus im Sinn von ‚Versakzent‘ bezeichnen. Hermann selbst fühlte sich wie Bentley noch dem Wortakzent bis zu einem gewissen Maße verpflichtet, sodass er zuweilen sogar emendatorisch in den jeweiligen Text eingegriffen hat. 223 Indem er aber de facto den Versakzent als neue 217 Bothe 1795, 20-29. Bothe kannte neben Bentleys Terenz-Ausgabe wohl auch Reiz’ Iktierungen. Über Bothes später geäußerte Kritik an der Theorie in De metris (1796) setzte sich Hermann durch Nichtbeachtung hinweg (1799, vii). 218 Zu Hermann und Bentley vgl. Guastella 2008/ 2009, 390-394. 219 Das wird verkannt von Schramm 2010, 104 („Jedoch stellte Hermann […] nicht den einzelnen Versfuß oder das Metrum in den Mittelpunkt seiner metrischen Analyse, sondern die Reihe“). 220 Ac patet huiusmodi sonum eo a caeteris differre debere, quod acriore quadam et incitatiore vi proferatur et quasi protrudatur (Hermann 1796, lib. 1, cap. 5, S. 18). 221 Hermann 1796, lib. 1, cap. 4-5, S. 12-19; 1799, §§ 29-31. 222 Hermann 1796, lib. 1, cap. 6, S. 19-20. 223 Allerdings scheint die Beachtung des Wortakzents bei Hermann auf die zweite Dipodie des Senars beschränkt zu sein, worin er Bentley (1726, xix) folgt (Hermann 1800, xix, vgl. im Trinummus -Text dieser Ausgabe V. 582, 886, 979). Daher zweifle ich, ob die Har- <?page no="324"?> 324 Thorsten Burkard relevante und umfassende Kategorie neben dem Wortakzent einführte, legte er die Grundlage dafür, Letzteren als Kriterium für die Betonung im Vers abzusetzen und an dessen Stelle den Iktus, eben den Versakzent, zum akzentregulierenden Element zu erheben. Dieses Vorgehen mag uns heutzutage methodisch mehr als fragwürdig erscheinen, vor dem Hintergrund der zeitgenössischen, seit Jahrhunderten geführten Diskussionen ist es aber nur konsequent. Liest man Verse nur noch nach den Quantitäten, weil man die Wortakzente in mehrfacher Hinsicht als störend empfindet, so stellt sich von selbst die Frage, wie die Betonungen zu regeln sind (falls es überhaupt noch welche geben sollte). 224 Die Ikten-Schemata waren gerade für die daktylischen Versmaße hochgradig praktikabel und Verstöße gegen den Wortakzent ließen sich (wie es bereits Bentley getan hatte) mit Wortgruppenakzenten und Satzakzenten rechtfertigen. 225 Wir haben im letzten Kapitel auch gesehen, dass bei aller kopfschüttelnden Kritik an Bentleys Theorie das iktierende Lesen irgendwie in der Luft lag - um es salonfähig zu machen, fehlte nur noch eine entsprechende Theorie, und die präsentierte Hermann mit durchschlagendem Erfolg. Diese knappen Bemerkungen mögen genügen, um zu verdeutlichen, wie die Genese der ersten echten Iktustheorie sich gestaltet hat. Hermanns Überlegungen basieren auf drei Grundlagen: auf den zeitgenössischen Diskussionen über die korrekte Versrezitation, auf Bentleys originellen Ideen und auf abstrakt-philosophischen Prinzipien. 226 Noch viel wichtiger als die Berücksichtigung Bentleys ist dabei der Einbezug der Philosophie - erst dadurch wird es möglich, die Metrik logizistisch zu beschreiben, ohne sich um einzelsprachliche Regeln wie die Wortbetonungen kümmern zu müssen. Um Hermanns System und seimonisierung von Wortakzent und Iktus wirklich ein generelles Anliegen von Hermann war, wie Deufert 2010, 284 mit Anm. 41 behauptet. Deuferts Belege sind nämlich nicht stichhaltig: In dem Satz Videndum est ergo, quomodo haec tam inter se pugnantia conciliari possint (Hermann 1796, 78) geht es nicht um den Widerstreit zwischen Iktus und Wortakzent, sondern um eine uns schon hinlängliche bekannte Frage, nämlich um das Verhältnis von Quantität und Akzent. Und wenn Hermann seinem Lehrer Reiz vorwirft, „die Verbindung der accentus mit den Ikten“ vernachlässigt zu haben (1800, viii; für das Zitat siehe oben Anm. 215), so ist hier nicht der Zusammenfall von Iktus und Wortakzent gemeint, sondern die Tatsache, dass die Iktuszeichen eine Betonung anzeigen. Natürlich wären hier weitere Untersuchungen nötig. 224 Ganz richtig hat Stroh gesehen, dass der Usus, beim Verselesen auf die Wortakzente zu verzichten, in gewisser Weise dem Iktus „die Tür […] geöffnet“ hat (1979, 15). 225 Diese Legitimation wird Schule machen. Hier ist neben den Arbeiten von Friedrich Ritschl vor allem Fraenkels Monographie von 1928 hervorzuheben. Hermanns philosophische Herleitung des Iktus gerät dagegen selbst bei überzeugten Iktusverfechtern in Vergessenheit. 226 Hermann sagt explizit, dass die Metren mithilfe einer allgemeinen ratio erklärt werden müssen (1796, lib. 1, cap. 1, S. 2-3). <?page no="325"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 325 ne (zeittypische) Abhängigkeit von der Philosophie und insbesondere von der Philosophie Immanuel Kants zu analysieren, wäre es nötig, seine metrischen Schriften gründlich aufzuarbeiten. 227 Wissenschaftshistorisch gesehen ist vor allem eine Feststellung interessant: Hermanns Theorie beendet schlagartig und (soweit ich sehe) ohne nennenswerte Diskussionen in Fachkreisen die jahrhundertelangen Auseinandersetzungen um das richtige Lesen lateinischer und griechischer Verse. Der Paradigmenwechsel vom Wortakzent (oder gar dem akzentlosen Lesen) zum Versakzent wird von den Zeitgenossen keineswegs als eine Revolution wahrgenommen oder gar als ein abwegiger Vorschlag, den man zumindest einer Prüfung unterziehen sollte. Nein, Hermanns universales 228 Iktus-Konstrukt wird sofort und nahezu ausnahmslos als geniale Lösung des Ausspracheproblems akzeptiert. 229 Im Rückblick verwundert es, wie bereitwillig man um 1800 den Wortakzent schlankerhand opferte 230 - dieses Staunen verschwindet aber schnell, wenn man sich daran erinnert, wie rasch man selbst in der eigenen Schulzeit, ohne kritisch nachzufragen, den Iktus erlernt hat. Diese Entwicklung vollzieht im Kleinen nach, was sich seit 1800 in größeren Dimensionen abspielte. Während von Leipzig eine fundamentale Umwälzung in der Beurteilung der antiken Versmaße ihren Ausgang nahm, blieb man anderenorts zunächst einmal unbeeinflusst von diesen Neuerungen. Der Homer-Übersetzer Johann Heinrich Voß (1751-1826) machte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts ganz traditionell Gedanken darüber, wie man betonte Kürzen in der Dichtung rechtfertigen könnte (ein Scheinproblem, das der Iktus nicht löste, das er aber in den Hintergrund drängte). Aus der Tatsache, dass im Deutschen in einem Gegensatz kurze Silben ohne Längung betont werden können („er lehrt viel, selten bélèhrt er“), schloss Voß, dass dies auch im Lateinischen möglich gewesen sein müsse: „Diese 227 Zu Hermanns Beschäftigung mit Kant vgl. jetzt Schramm 2010, zur Iktustheorie ebd. 98-105 (v. a. 104-105), allerdings ohne Einordnung in die metrischen Diskussionen der damaligen Zeit. Einige wenige Bemerkungen finden sich auch bei Kapp, der mit einer gewissen Berechtigung resümiert: „the naivety of his pseudo-philosophic reasoning is exempted from criticism only by its indescribable absurdity“ (1941, 194); vgl. auch Kabell 1960, 229. 228 Hermann ist auch der erste, der den Iktus nicht nur für iambische und trochäische Maße postuliert (so schon Kabell 1960, 229). 229 So stellt es auch Otto Jahn in seiner Gedächtnisrede dar, in der er darauf hinweist, dass Hermanns „Gebäude“ sowohl in Fachkreisen als auch darüber hinaus seit 1799 akzeptiert wurde (1849, 17-18). Die Vorrede zum Handbuch der Metrik von 1799 verrät aber, dass De metris (1796) noch mit einem gewissen Gegenwind zu kämpfen hatte (vii). 230 Zur zeitgenössischen Kritik an Hermanns Metriktheorie vgl. den knappen Überblick bei Schramm 2010, 104 Anm. 52. Diese Kritik scheint sich aber eher auf einer theoretischen Ebene zu bewegen, während das Phänomen des Versakzents nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. <?page no="326"?> 326 Thorsten Burkard Tonstellung gleicht der römischen in grӗgḕs und Jŏvìs bei Horaz ( Oden 3,1,5-6: Régum timéndor’ in próprios grӗges-/ Réges in ípsos impériu’st Jóvis .“ Hier können wir noch die überkommenen Vorstellungen greifen: Die Kürze bleibt erhalten, während man in Prosa beide Wörter mit langer betonter Silbe gesprochen hat. Die Rechtfertigung für die Akzentuierung besteht nicht in der Länge, sondern in der Bedeutung des Wortes im Satz - hier trifft sich der deutsche Theoretiker gewissermaßen mit Bentley. 231 Wie man sieht, ist die Vorstellung von einem Versakzent Voß noch völlig fremd. 232 Der Triumph des Iktus war aber nicht mehr aufzuhalten. 233 Ausführlich wird der Versakzent in der lateinischen Grammatik Johann Gottlob Ludwig Ramshorns (1824) behandelt. 234 Eine solche wie selbstverständlich wirkende Behandlung der antiken Metrik als einer iktierenden Metrik wäre noch dreißig Jahre zuvor undenkbar gewesen. 235 Das praktische Haupthindernis für den Iktus, der Wortakzent, wird elegant nach dem Vorgange Hermanns aus dem Wege geräumt: „Ein Vers ist nämlich ein geschlossenes Ganzes und wie ein großer Wortkörper zu betrachten“. So ist es nur folgerichtig, dass der Versakzent an die Stelle des Wortakzents tritt. Ramshorn versucht auch überhaupt nicht, den Widerspruch zwischen beiden aufzulösen, sondern betrachtet diesen Konflikt als ein Zeichen für die prosodische Verfeinerung des Lateinischen gegenüber dem Deutschen. 236 Gottfried Hermann hat einen Paradigmenwechsel im Lesen lateinischer Verse und in der Beurteilung der antiken Versrezitation herbeigeführt, einen Paradigmenwechsel von solcher Radikalität, wie man sie nur selten in historischen Wissenschaften findet. Diese einschneidende Neuerung war nur möglich durch den Verzicht auf ein methodisches Prinzip, das ansonsten gerade von Klassischen Philologen hochgehalten wird: auf die Berücksichtigung der Beleglage. Jede Versakzenttheorie hat nicht nur mit dem Fehlen jeglicher Belege zu kämpfen, sondern auch mit dem Umstand, dass die Belege eindeutig gegen sie sprechen. Auf einer sprachsystematischen Ebene sah die Iktustheorie sich immer schon 231 Voß 1802, 47. 232 Noch Mozart (1756-1791) hat ganz selbstverständlich lateinische Verse nicht-iktierend ausgesprochen (Stroh 2010, 2 mit Anm. 1) - was nach dem zuvor Gesagten nicht mehr überraschen sollte. 233 Den ganzen Diskurs um die Herausbildung und die Etablierung der Iktustheorie seit etwa 1790 im deutschen Sprachraum möglichst minutiös nachzuzeichnen, wäre eine reizvolle Aufgabe. Interessant wäre auch, wie der Iktus in den anderen Ländern Fuß fasste. Soweit ich sehe, gibt es hierzu keinerlei Untersuchungen. 234 Ramshorn 1824, §§ 214-219, S. 733-763. 235 Das haben unsere Ausführungen hoffentlich gezeigt. In den Grammatiken vor 1800 finden sich genauso wenige Spuren einer Iktustheorie wie in den meisten Traktaten. 236 Ramshorn 1824, § 214, S. 733, dort auch das wörtliche Zitat. ´ ´ <?page no="327"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 327 mit der (unbeantwortbaren) Frage konfrontiert, welchen linguistischen Status dieser nachgerade metaphysische Versakzent eigentlich haben sollte. Diese (unüberwindbaren) methodischen Probleme wurden aber ignoriert, weil der Iktus unschätzbare praktische Vorteile hatte: Er löste jahrhundertealte Debatten im Wortsinne mit einem Schlag auf. Mit einem Male wurde der Sitz des Akzentes mit den Längen harmonisiert. Die antiken Versmaße erschienen weniger als eine geregelte Abfolge von Längen und Kürzen denn als Reihen von betonten und unbetonten Silben - und gerade in dem Versmaß, an dem man seit jeher das Verselesen lernte, dem Hexameter, fällt der Versakzent immer auf eine Länge und jede Kürze bleibt idealerweise unbetont. Der Hexameter wurde so zum augenfälligen Beweis für die Richtigkeit und die Praktikabilität der Hermann’schen Iktustheorie. Wie tief verwurzelt die Iktustheorie bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war, erkennt man an Bursians Darstellung im ADB-Artikel zu Gottfried Hermann von 1880. 237 Hier wird der Iktus kaum erwähnt; ein Bewusstsein eines Paradigmenwechsels lässt sich nicht einmal ansatzweise erkennen. Der Iktus ist zu etwas so Selbstverständlichem geworden, dass die Frage nach dem primus inventor irrelevant erscheint. 238 Erfolgreicher kann sich ein Paradigmenwechsel nicht vollziehen. 9. Fazit Die bisherigen Ausführungen haben zum einen gezeigt, dass es eine Praxis des iktierenden Versvortrags vor 1800 nicht gegeben hat. 239 Die übliche Vortragsweise antiker Verse folgte bis dahin entweder den Wortakzenten oder den Quantitäten. 240 Die historisch korrekte (heute sich allmählich durchsetzende) Berücksichtigung beider Parameter gab es demgegenüber offenbar nur selten, 241 237 Fast wortwörtlich wiederholt in Bursian 1883, 672-673. 238 Das ist beileibe kein Einzelfall: Wer weiß heutzutage noch, auf wen die Theorie vom frühlateinischen Initialakzent oder das Iambenkürzungsgesetz zurückgeht? 239 Insofern werden die Ergebnisse von Kabell 1960 bestätigt; vgl. aber die folgende Anm. 240 Falsch ist also die bei Kabell vorausgesetzte Vorstellung, man habe vor Hermann immer nach den Wortakzenten gelesen, vgl. etwa: „Man darf nicht vergessen, dass Dichter, die iktierende oder strenger substituierende Zeilen schreiben wollten, bis in die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts an den akzentrichtigen Vortrag der lateinischen Verse gewöhnt waren“ (1960, 224); auch Stroh 1979, 6 behauptet, man habe im 16. Jahrhundert die Verse nur nach dem Wortakzent gelesen. Weil die Wortakzente als typisch für die Prosa galten und man häufig dazu angehalten wurde, sie in der Dichtung zu unterdrücken, scheint es auch unwahrscheinlich, dass die deutschen Dichter des Humanismus versuchten, lateinische Wortakzentmuster nachzuahmen (Stroh 1979, 6-9 nach Kabell 1960). 241 Die Vorstellung, früher wäre alles besser gewesen, ist also verfehlt: zwar verschonte man die Verse vor dem Iktus, aber man las entweder, wie einem der Schnabel gewachsen war, <?page no="328"?> 328 Thorsten Burkard zum einen aus praktischen Gründen (diese Leseweise galt als zu schwierig), zum anderen aus theoretischen Gründen, weil man glaubte, dass man Kürzen nicht betonen kann, ohne sie zu längen, was natürlich zu einer Zerstörung des Versmaßes führen würde. Ein iktierendes Lesen wurde dahingegen weder systematisch gelehrt noch von den Gebildeten selbst praktiziert. Scheinbare Hinweise auf iktierendes Lesen entpuppen sich bei näherem Hinsehen als ‚falsche Freunde‘, die anders zu deuten sind, 242 weil die Vorstellungswelten (und damit auch die Verwirrungen) andere waren. 243 Keineswegs war es so, dass „der Iktus die Geister verwirrt[e]“. 244 Die Konfusion entstand in erster Linie aus der regelmäßig zu beobachtenden Verwechslung oder Identifikation von Länge und Betonung bzw. Kürze und Nicht-Betonung. Daraus ergaben sich ganz spezifische Fragestellungen und Probleme (die uns heute fremd sind), die auf hohem Niveau behandelt wurden, bis die Iktustheorie quasi mit dem Holzhammer ein einfaches und praktikables System installierte, das die Komplexität der bisherigen Diskussionen beendete. Ein „Iktus des altsprachlichen Unterrichts“, den deutsche Theoretiker „mechanisch“ 245 auf deutsche Verse übertragen hätten, lässt sich somit vor 1800 weder nachweisen 246 noch ist er nach dem bisher Gesagten plausibel. Wenn überhaupt, könnte die Praxis des Skandierens mechanisch auf volkssprachliche Dichtungen übertragen worden sein; dieser Spur nachzugehen, war allerdings nicht Gegenstand dieses Aufsatzes. Richtig ist auf jeden Fall: oder im besten Falle nur die Quantitäten. Die großen Neulateiner machten zwar keine metrischen Fehler, aber das war Buchwissen. Man fragt sich auch, was diese metrische Akribie überhaupt für einen Sinn haben konnte, wenn Längen und Kürzen dann offenbar doch falsch gelesen wurden, weil man die falsche Aussprache völlig internalisiert hatte (von Problemen wie der eine Positionslänge produzierenden ts -Aussprache von <c> und der Aussprache von unbetontem <ae> als ĕ ganz zu schweigen). 242 Es ist eine Ironie der Wissenschaftsgeschichte, dass ausgerechnet jener Forscher, dem wir die endgültige Beendigung der Debatten um den Iktus verdanken, nämlich Wilfried Stroh, für die Frühe Neuzeit genauso von unserem Iktus-Vorwissen verführt wurde wie die Iktusvertreter, die überall in der antiken Literatur Belege für den Iktus erkennen wollten (Stroh 1979). 243 Wenn Stroh 1979, 5 glaubt, mit einem einzigen Beleg das iktierende Lesen antiker Verse für das 17. Jahrhundert nachweisen zu können, so ist das eben ein solcher Irrtum. An der betreffenden Stelle geht es darum, dass Klopstock von der Lizenz der Positionslänge Gebrauch macht - wie die antiken Dichter. Zum Problem der Positionslänge vgl. oben Abschnitt 1 mit Anm. 51. 244 Stroh 1979, 13 Anm. 47. 245 Die zitierten Worte bei Stroh 1979, 10. 246 Selbst Stroh 1979, 12 muss zugeben, dass „ganz handgreifliche Bezeugungen“ fehlen. In diesem Beitrag haben wir gezeigt, dass auch Strohs „indirekte Beweise“ (ebd.) einer Prüfung nicht standhalten. Damit ist auch seine These von der Geburt des Iktus hinfällig (ebd. 17): „Der moderne Takt hat die antike Skansion verkuppelt mit der Aussprachereform der Renaissance - und am Anfang des 17. Jahrhunderts scheint das gemeinsame Kind das Licht der Welt bzw. der Schulstube erblickt zu haben.“ <?page no="329"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 329 Das Skandieren und das rein quantitierende Lesen können unwillkürlich und ungewollt Ikten mit sich bringen. Für das Skandieren ist dies (wie wir gesehen haben) durch eine Stelle in Bentleys Schediasma bezeugt. Die Vermutung, dass die Tradition des Skandierens die Durchsetzung des Iktierens unterstützt hat, 247 ist in der Tat ansprechend und wäre zu prüfen. Des Weiteren kann man vor Gottfried Hermann allenfalls in einem sehr eingeschränkten Sinne von Iktustheorien sprechen. 248 Im Gegensatz zu Hermanns Iktustheorie konnten sich die Protoiktustheorien aber nicht durchsetzen, sondern wurden als Curiosa angesehen, weil sie eine entscheidende Größe, den Wortakzent, vernachlässigten. Die vor-hermannschen Iktustheoretiker rechtfertigten zudem ihre Tonbeugungen mit den Notwendigkeiten eines außersprachlichen Systems, der Musik, weil ihnen bewusst war, dass sich systematische Verstöße gegen den Wortakzent nicht aus der Sprache heraus begründen lassen. Die Schöpfung einer neuen, metaphysischen Größe, des Versakzents, durch Hermann hebelte den Wortakzent aus und machte den legitimierenden Rückgriff auf die Musik unnötig. Damit war der Iktus auf einer abstrakt-theoretischen Ebene etabliert. Die Eingängigkeit des Iktus bei dem prototypischen Versmaß, dem Hexameter, sorgte sodann für die rasche Akzeptanz in der Praxis. Die Attraktivität des Hermann’schen Paradigmenwechsels liegt auch in der Lösung alter Probleme. Die Frage, ob es in der Antike einen Unterschied zwischen Prosa- und Versaussprache gegeben hat, beantwortet die Iktustheorie mit einem klaren ‚Ja‘ und wird so zu einer Fortsetzerin des rein quantitierenden Versvortrags. Den als schwer lösbar empfundenen Konflikt zwischen Wortbetonung und Quantitäten löst die Iktustheorie scheinbar, indem sie vorgibt, eine 1: 1-Entsprechung zwischen Akzent und Quantität herzustellen. Für die Basisversmaße wie Daktylus, Iambus, Trochäus und Anapäst gilt diese Entsprechung in der Tat ausnahmslos, sodass die entgegenstehenden Fälle, etwa der Spondeus (zwei Längen, aber nur eine Betonung) und die Auflösung von Längen, als vernachlässigbar angesehen wurden. Gerade bei der Betonung von Kürzen beispielsweise in iambischen Versmaßen konnte der Iktus das immer als störend empfundene Problem der unwillkürlichen Dehnung nicht lösen. Aber ganz offensichtlich nahm man diesen Nachteil in Kauf. 247 Vgl. Stroh 1979, 10 Anm. 34, 14. 248 Nur nebenbei sei bemerkt, dass für die hier behandelten Iktusvorläufer die zuweilen zu lesende Formel zu einfach ist, dass sie den germanischen Versakzent auf antike Dichtungen übertragen hätten (so etwa Glau 1998, 219 mit Verweis auf Bennett 1898), weil sie dem Komplexitätsniveau der damaligen Diskussionen nicht gerecht wird. Allenfalls ist in dieser Parallele eine Ursache für das Beharrungsvermögen des Iktus sowohl in der Forschung als auch in der Lehre zu sehen. <?page no="330"?> 330 Thorsten Burkard Die Geschichte der Iktustheorie seit Gottfried Hermann ist auch unter wissenschaftshistorischen Aspekten interessant: Die Angriffe auf den Versakzent im 19. und 20. Jahrhundert wurden von den Vertretern der Iktustheorie häufig mit Kopfschütteln quittiert. Zu eingewurzelt war die Vorstellung, die Griechen und Römer hätten zwischen zwei verschiedenen Akzentsystemen (Wortakzent in ungebundener Rede, Versakzent in der Dichtung) hin und her gewechselt. Der Paradigmenwechsel hin zur Aufgabe der Iktustheorie wurde als Revolution empfunden, weil hier ein praktisches und funktionierendes System, das zumindest in einigen Versmaßen ein Rhythmusgefühl vermitteln konnte, in Frage gestellt wurde. Dahingegen konnte sich Gottfried Hermanns Iktustheorie vor 200 Jahren ohne jeglichen Widerstand, also evolutionär, durchsetzen, weil sie einem praktischen Bedürfnis entgegenkam und die als eher nebensächlich empfundene Frage, wie griechische und römische Muttersprachler auf solche Aussprachen wohl reagiert hätten, konsequent ausblendete (wozu die Zuhilfenahme abstrakter Modelle aus der Philosophie ihren Teil beitrug). Dass es für die Theorie keine Belege gab und sich schlagende Gegenbelege in den Quellen in Hülle und Fülle finden, war nach ihrer Etablierung gleichgültig, weil die Alternative (einfache Beachtung von Wortakzent und Quantität wie in der Prosa) ‚unpoetisch‘ und in jeder Hinsicht prosaisch zu sein schien. Die Attraktivität von Hermanns Theorie lag darin, dass sie die vorherigen Ansätze systematisierte und eine Ausspracheregelung für die Dichtung schuf, die der Prosapraxis ebenbürtig war: Man hatte ein festes Betonungsmuster und musste sich auch beim Lesen von Versen de facto nicht mehr um die Quantitäten kümmern. Anders formuliert: Der Iktus löste das Problem, wie man Wortakzent und Quantität gleichzeitig beachten sollte, indem er beide ignorierte. Literaturverzeichnis 1. Primärtexte Bentley, Richard: De metris Terentianis ΣΧΕΔΙΑΣΜΑ , in: Publii Terentii Afri Comoediae, Phaedri Fabulae Aesopiae, Publii Syri et aliorum veterum Sententiae, ex recensione et cum notis Richardi Bentleii, Cambridge 1726, i-xix. Beza, Theodor: De germana pronuntiatione Graecae linguae, in: Henricus Stephanus (Hg.): De vera pronuntiatione Graecae et Latinae linguae commentarii doctissimorum virorum [1554], [Genf ? ] 1587, 1-57. Birken, Sigmund von: Teutsche Redebind- und Dicht-Kunst, oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy mit Geistlichen Exempeln, Nürnberg 1679. Bothe, Friedrich Heinrich: De metro iambico dissertatio, s. l. 1795. Bröder, Christian Gottlob: Praktische Grammatik der lateinischen Sprache [1787], Frankfurt a. M. 1804. <?page no="331"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 331 Burmann d. Ä., Pieter: Phaedri Augusti liberti, Fabularum Aesopiarum libri quinque, Leiden 1727. Clarke, Samuel sen.: Homeri Ilias Graece et Latine [1729-1732], herausgegeben von Samuel Clarke jun., 2 Bde., London 2 1754. Cleaver, William: De rhythmo Graecorum liber singularis in usum Juventutis [1775], Oxford 1789. Cochlaeus, Johannes: Grammatices rudimenta, Straßburg 1519. Dawes, Richard: Miscellanea critica in sectiones quinque dispertita, Cambridge 1745. D’Orville, Jacques Philippe: Critica Vannus in inanes Joannis Cornelii Pavonii paleas, Amsterdam 1737. Erasmus, Desiderius: De recta Latini Graecique sermonis pronuntiatione dialogus, Köln 1529. Foster, John: An Essay on the Different Nature of Accent and Quantity, with their Use and Application in the Pronunciation of the English, Latin, and Greek Languages, Eton 1762; [ 2 1763 mit Anmerkungen von John Taylor und Jeremiah Markland]. Fraenkel, Eduard: Iktus und Akzent im lateinischen Sprechvers, Berlin 1928. Gottsched, Johann Christoph: Grundlegung einer deutschen Sprachkunst, Leipzig 1749. Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer critischen Dichtkunst, Leipzig 4 1751. Henning, Heinrich Christian: ΕΛΛΗΝΙϹΜΟϹ ΟΡΘΩΙΔΟΣ seu Graecam Linguam non esse pronunciandam secundum Accentus. Dissertatio paradoxa, Utrecht 1684. Hermann, Gottfried: De metris poetarum Graecorum et Romanorum libri III, Leipzig 1796. Hermann, Gottfried: Handbuch der Metrik, Leipzig 1799. Hermann, Gottfried (Hg.): M. Acci Plauti Trinummus, Leipzig 1800. Hoole, Charles: The Latine Grammar Fitted for the Use of Schools - Grammatica Latina in usum scholarum adornata [1651], London 5 1669. Hume, Alexander: Grammatica nova, Edinburgh 1612. Institutiones linguae Latinae et Graecae pro media grammatices ad normam Emmanuelis Alvari et Jacobi Gretseri. In usum scholarum provinciarum SJ ad Rhenum Superiorem nova methodo adornatae, Augsburg 2 1779 [das Privilegium stammt aus dem Jahr 1750]. Iselin, Jacob Christoph: Neu-vermehrtes Historisch- und Geographisches Allgemeines Lexicon, Bd. 1 [1729], Basel 3 1742. Kirkwood, James: Grammatica facilis, seu nova, et artificiosa methodus docendi linguam Latinam, Glasgow 1674. Klopstock, Friedrich Gottlieb: Oden, herausgegeben von Horst Gronemeyer und Klaus Hurlebusch, Berlin 2010. Lipsius, Justus: De recta pronuntiatione linguae Latinae dialogus, Antwerpen 1586. Major, Johann Daniel: De nummis graece inscriptis epistola, Kiel 1685. Manwaring, Edward: Stichology: Or, a Recovery of the Latin, Greek and Hebrew numbers. Exemplified in the Reduction of all Horace’s Metres, and the Greek and Hebrew Poetry, London 1737. <?page no="332"?> 332 Thorsten Burkard Meetkercke, Adolf van: De veteri et recta pronuntiatione linguae Graecae commentarius, Antwerpen 1576. Mylius, Abraham: Lingua Belgica, Leiden 1612. Perger, Bernhard: Grammatica nova, Augsburg 1498. Porzio Simone: Grammatica linguae Graecae vulgaris, Paris 1638. Primatt, William: Accentus redivivi, Cambridge 1764. Publii Terentii Comoediae - Terence’s Comedys, Translated into English, with Critical and Explanatory Notes, Bd. 1, London 1734. Pudor, Christian: Der Teutschen Sprache Grundrichtigkeit, Köln 1672. Ramshorn, Johann Gottlob Ludwig: Lateinische Grammatik, Leipzig 1824. Reiz, Friedrich Wolfgang: Orationes in memoriam Henricianam Ridelianam et Seyfertianam […] habendas indicit Fridericus Volgangus Reizius simulque contendit, Burmannum de Bentleii doctrina metrorum Terentianorum iudicare non potuisse, Leipzig 1787. Reiz, Friedrich Wolfgang: De prosodiae Graecae accentus inclinatione, herausgegeben von Friedrich August Wolf, Leipzig 1791. Reiz, Friedrich Wolfgang (Hg.): M. Acci Plauti Rudens, Leipzig 2 1826. Schottelius, Justus Georg: Teutsche Vers- und Reimkunst, Lüneburg 1656. Stirling, John: A Short View of Latin Grammar, in a Method Entirely New, London 1737. Stirling, John: P. Terentii comoediae sex: Or, the Six Comedies of Publius Terence, London 1749. Stirling, John: Phaedri Fabulae Or, Phaedrus’ Fables, London 8 1766. Sturm, Johannes: Nobilitas literata, Straßburg 1549. Verwey, Joannes: Nova via docendi Graeca, Gauda 1684. Vossius, Gerhard Johannes: De arte grammatica libri septem, Amsterdam 1635. Vossius, Isaac: De poematum cantu et viribus rythmi, Oxford 1673. Voß, Johann Heinrich: Zeitmessung der deutschen Sprache. Beilage zu den Oden und Elegieen, Königsberg 1802. Warner, John: Metron ariston: Or a New Pleasure Recommended, in a Dissertation upon a Part of Greek and Latin Prosody, London 1797. Webb, Daniel: Observations on the Correspondence between Poetry and Music, London 1769. Weise, Christian: Curiöse Gedanken von Deutschen Versen, Leipzig 1692. Wettstein, Johann Rudolf: Dissertatio epistolica de accentuum Graecorum antiquitate et usu, in: Ders.: Pro Graecâ et genuinâ Linguae Graecae Pronunciatione contra novam atque à Viris doctis passim propugnatam Pronunciandi rationem Orationes Apologeticae. Quibus adiectae sunt Orationes quaedam miscellae, Basel 1686, Anhang, 49-144. Zesen, Philipp: Scala Heliconis Teutonici, Amsterdam 1643. Zesen, Philipp: Hoch-deutscher Helikon, Wittenberg 1649. <?page no="333"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 333 2. Sekundärtexte Altmann, Hans/ Ziegenhain, Ute: Prüfungswissen Phonetik, Phonologie und Graphematik, Göttingen 3 2010 (Linguistik fürs Examen, Bd. 3). Attridge, Derek: Well-Weighed Syllables. Elizabethan Verse in Classical Metres, Cambridge 1974. Bennett, Charles E.: What Was Ictus in Latin Prosody? , American Journal of Philology 19, 1898, 361-383. Burkard, Thorsten: Interpunktion und Akzentsetzung in lateinischen Texten des 16. und des 17. Jahrhunderts, Neulateinisches Jahrbuch 5, 2003, 3-50. Bursian, Conrad: Hermann, Gottfried, Allgemeine Deutsche Biographie 12, 1880, 174-180. Bursian, Conrad: Geschichte der classischen Philologie in Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1883 (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit, Bd. 19). Deufert, Marcus: „Quid aliud est Plautina emendare quam ludere? “ Gottfried Hermanns Bedeutung für die Plautusphilologie des 19. Jahrhunderts, in: Kurt Sier/ Eva Wöckener-Gade (Hg.): Gottfried Hermann (1772-1848), Tübingen 2010 (Leipziger Studien zur klassischen Philologie, Bd. 6), 277-297. Drerup, Engelbert: Die Schulaussprache des Griechischen von der Renaissance bis zur Gegenwart, 2 Bde. [fortlaufend paginiert], Paderborn 1930/ 1932 (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums, Bd. 6). Glau, Katherina: Notizen zu Nietzsches Deutung von Arsis und Thesis, in: Manuel Baumbach/ Helga Köhler/ Adolf Martin Ritter (Hg.): Mousopolos Stephanos. Festschrift Herwig Görgemanns, Heidelberg 1998 (Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften, Bd. 102), 219-234. Guastella, Gianni: La recitazione di versi dialogici della commedia secondo Bentley, Studi Urbinati B 78/ 79, 2008/ 2009, 379-399. Haugen, Kristine Louise: Richard Bentley. Poetry and Enlightenment, Cambridge, MA 2011. Hoche, Richard: Reiz, Friedrich Wolfgang, in: Allgemeine Deutsche Biographie 28, 1889, 178-179. Hüschen, Heinrich: Isaac Voss (1618-1689) und sein Traktat „De poematum cantu et viribus rhythmi“ (Oxford 1673), in: Richard Baum/ Wolfgang Rehm (Hg.): Musik und Verlag, Kassel 1968, 342-364. Jellinek, Max Hermann: Studien zu den älteren deutschen Grammatikern. 1. Die Lehre von Accent und Quantität, Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 48, 1906, 227-310. Kabell, Aage: Metrische Studien II. Antiker Form sich nähernd, Uppsala 1960. Kapp, Ernst: Bentley’s Schediasma „De metris Terentianis“ and the Modern Doctrine of Ictus in Classical Verse, Mnemosyne 9, 1941, 187-194. Kohler, Klaus J.: The Perception of Prominence Patterns, Phonetica 65, 2008, 257-269. Kohler, Klaus J.: The Perception of Lexical Stress in German, Phonetica 69, 2012, 1-26. Maehly, Jakob: Richard Bentley. Eine Biographie, Leipzig 1868. <?page no="334"?> 334 Thorsten Burkard Moore, Timothy J.: When Did the Tibicen Play? Meter and Musical Accompaniment in Roman Comedy, Transactions of the American Philological Association 138, 2008, 3-46. Oniga, Renato: L’apofonia nei composti e l’ipotesi dell’intensità iniziale in Latino (con alcune conseguenze per la teoria dell’ictus metrico), in: Roberto M. Danese/ Franco Gori/ Cesare Questa (Hg.): Metrica classica e linguistica, Urbino 1990 (Ludus philologiae, Bd. 3), 195-236. Plantade, Emmanuel: Isaac Vossius, Gottfried Hermann et l’ictus vocal, Rheinisches Museum 150, 2007, 407-423. Schramm, Michael: Hermann und Kant. Philologie als (Kantische) Wissenschaft, in: Kurt Sier/ Eva Wöckener-Gade (Hg.): Gottfried Hermann (1772-1848), Tübingen 2010 (Leipziger Studien zur klassischen Philologie, Bd. 6), 83-121. Sier, Kurt/ Wöckener-Gade, Eva (Hg.): Gottfried Hermann (1772-1848), Tübingen 2010 (Leipziger Studien zur klassischen Philologie, Bd. 6). Stroh, Wilfried: Der deutsche Vers und die Lateinschule, Antike und Abendland 25, 1979, 1-19. Stroh, Wilfried: Arsis und Thesis - oder: wie hat man lateinische Verse gesprochen? In: Michael von Albrecht/ Werner Schubert (Hg.): Musik und Dichtung. Neue Forschungsbeiträge, Frankfurt a. M. 1990, 87-116 [auch in: Ders.: Apocrypha, herausgegeben von Jürgen Leonhardt und Georg Ott, Stuttgart 2000, 193-216]. Stroh, Wilfried: Zu Text und Übersetzung von Mozart/ Widl, „Apollo et Hyacinthus“, in: Fredrik Ahnsjö/ Christian Kelnberger (Hg.): Programmheft zu „Apollo et Hyacinthus“ von W. A. Mozart (München, 24.-26. September 2010), München 2010, 2-3. Vennemann, Theo: Universale Nuklearphonologie, in: Karl-Heinz Ramers/ Heinz Vater/ Henning Wode (Hg.): Universale phonologische Strukturen und Prozesse, Tübingen 1994 (Linguistische Arbeiten, Bd. 310), 7-54. <?page no="335"?> Wann erblickte der Iktus das Licht der Welt? 335 A Acolastus (Jesuitendrama 1576) 190 Adoneus 33, 124, 181, 183, 197, 203, 209, 228-233, 240 ff., 264, 267 Siehe auch unter-Sapphicus Agricola, Martin Melodiae scholasticae 182 Akrostichon 98 Akzent siehe unter Wortakzent bzw. Satzakzent 278 Akzentfall 157, 163 ff., 191, 200, 211, 229 f. Akzentrhythmus 151, 154, 161 f., 165, 175, 178, 180, 191-204, 206-214, 226, 269, 271 Akzentzeichen 291 ff., 298, 304, 313, 315, 317, 320-323 Akut 279, 281, 285, 293-296, 299, 302, 304 f., 308, 315, 317 Apex 304 Gravis 279, 293, 299, 304 f., 319 griechische 291, 293, 317, 322 Zirkumflex 279, 285, 293, 299, 304 Alcaicus 60, 62, 111, 124, 129, 190, 197, 241, 259, 264-267, 269 Aleandro, Girolamo 84 In obitum Aldinae catellae 84 ff. Aler, Paul 210 f. Alexander VII. (Papst) 272 alexandrinische Philologie 117, 119, 130 Alsted, Johann Heinrich Encyclopaedia 79, 87 Ambrosius 163, 182 f., 188 Amphibrachys 229 Anaclasis 38, 230, 233 Anacreonticus 264 Anacrusis 229, 323 Anapaestus 41, 44, 51, 53, 56, 61, 63 f., 72, 76, 124, 161, 182, 188, 190, 201 f., 209, 227 ff., 264, 267, 295, 299, 310, 314, 319 f., 329 Dimeter 63, 181, 194, 203 zerrissener 51, 64 Anceps, geteiltes 50 Anisometrie 231, 234 Antistrophe 114, 116, 118 ff., 129, 200, 202 Fett hervorgehobene Seitenangaben bedeuten, dass das betreffende Thema in einem ganzen Beitrag prominent diskutiert wird. Die Schreibung von Eigennamen richtet sich nach den im Deutschen verbreiteten Formen. Latinisierungen werden nur beibehalten, wenn sie gebräuchlicher als die volkssprachlichen Formen sind (z. B. „Macropedius, Georgius“ statt „Lanckvelt, Joris van“). Nach Füßen bzw. Metren gebaute Verse werden unter den jeweiligen Füßen bzw. Metren aufgenommen. Strophen bzw. Systeme, die durch bestimmte Verse geprägt sind (z. B. die sapphische Strophe durch den Sapphicus) sind unter diesen Versen zu suchen. Register <?page no="336"?> 336 Register Apokope 225 Archilochius 44, 264, 266 f. Archilochium primum 268 Archilochium tertium 33, 44 Diärese 44 Zäsur 44 argutia 135-140, 146 Arie 206 f., 212, 223, 228-233 Ariosto, Ludovico 231 Aristophanes 161 Aristophanes von Byzanz 120 Aristophaneus 45 Aristoteles 140 Poetik 72 Arsis 306 f., 319, 321 Ascham, Roger 248 Asclepiadeus 53, 61 ff., 111, 159, 170, 178 f., 183 f., 190, 242, 265 ff., 274 Asclepiadeum quartum 177 Asclepiadeum tertium 159 Asmonius 49 Athenaios Deipnosophistae 72 Atilius Fortunatianus 53, 82 Augustinus, Aurelius De musica 204, 283 Aulos 161 Avancini, Nicolaus von 209 S. Idda 209 B Baccheus 163, 306, 313 Baif, Jean-Antoine de Psautier 169 Baile, Guillaume 284 Balde, Jacob 212 Agathyrsus Teutsch 214 Chorea mortualis 214 De vanitate mundi 214 Ehrenpreiß 214 Jephte 212 f. Lyrica 212 Ballade 229, 269 Balticus, Martinus 187 Baylie, Richard 268 Becmann, Christian Hyporchema ad Christianum II Ducem Saxoniae 72, 79, 85 f. Belleau, Rémy 250 Bembo, Pietro 223, 227 Bentley, Richard 278, 297, 305-324, 326 Phaedrus-Ausgabe 313 Schediasma de metris Terentianis 206, 306-309, 313, 318, 322, 329 Bernardt, Georg 211 Celeusma 211 Theophilus 211 Thomas Becket 211 Beza, Theodor 279 ff., 321 Bibel 202, 211 Hoheslied 271 Psalmen 133 f., 201 ff., 274 Bidermann, Jakob 188, 192, 194, 196, 209, 211 Belisarius 193 f. Cenodoxus 192 f. Josaphat 197 Philemon Martyr 192 Binario 223 Birck, Sixt 55, 184, 208 Drama comicotragicum Iudith 52, 55 Birken, Sigmund von 279 Boethius 266 Boiardo, Matteo Maria Amorum libri 227 Bothe, Friedrich Heinrich 322 f. De metro iambico dissertatio 322 Braithwaite, Richard Barnabae Itinerarium 271 Braithwaite, William 270 <?page no="337"?> Register 337 Breve, geteiltes 51 ff., 55 f., 64 Brinsley, John 240, 284 Ludus Literarius 240, 248 Bröder, Christian Gottlob 283 Brown, Thomas 273 Brülow, Kaspar 196-200, 203 f., 206 f. Andromede 196 f. Chariclia 201 Elias 199 Julius Caesar 202 Moses 203 Nebucadnezar 201 f. Buchanan, George 57, 266 Baptistes 57 f. Jephthes 57 f. Burmann d. Ä., Pieter 321 Burmann d. J., Pieter 319 Critica Vannus 319 Burnet, Gilbert 261, 273 C Caesius Bassus 49, 53, 82, 306 Calliergi, Zacharia 120 Canticum 50 f., 223, 229 f. Casaubon, Isaac 247 Cassetti, Giacomo Juditha triumphans 221 Catto (Catti), Lidio (Bernardino) Opuscula 91 Catull 85, 193, 249 Attis-Gedicht 81 Caussin, Nicolas 209, 211 Celtis, Konrad 151, 153, 167-177, 179 f., 187, 189, 205, 207 f. Ad musiphilos 172 Ludus Dianae 171, 174 Rhapsodia laudes et victoria de Boemannis 176 Cento 52, 54 Cheke, John 248, 252 Chelidonius, Benedictus Voluptatis cum Virtute disceptatio--176 Chor 53, 55-58, 60-64, 72, 74 ff., 149 ff., 153, 157, 159-163, 165 f., 168, 170, 172, 174-182, 184-191, 194 f., 197 ff., 201 f., 205, 208 f., 211 ff., 223, 228 f., 231 Sprechchor 201 Choral 156, 169 Choriambus 161, 164, 198, 265, 313 Cicero 118, 140 Orator 122, 313 Clarke, Samuel 319 Cleaver, William 282, 318 f. Cless, Johann 177, 185 f. Cochlaeus, Johannes 284 Tetrachordum Musices 183, 204 f., 211 Comenius, Johann Amos 252 Janua Linguarum Reserata 252 Correr (Corrarius), Gregorio 56 Cowley, Abraham 268 Creticus 50, 72, 149, 161, 163 f., 188, 193, 205, 306, 313 Dicreticus 230 Crüger, Johann 156 Crusius, Johannes Paul Heliodorus 195 Cunrad (Cunradi), Caspar Manes Monavi 31 Curti, Lancino 98 f. Epigrammaton libri 98 D Dactylus 11, 36, 44, 50 f., 53, 129, 155, 158, 175, 178, 185 f., 188, 197, 209, 226 ff., 232, 242, 261, 279, 282, 288, 292, 295, 301, 304, 306, 310, 314, 317, 319, 323, 329 elegisches Distichon 31, 33, 114, 156 f., 159, 174, 177 f., 190, 200, <?page no="338"?> 241, 245, 259, 261-264, 266-269, 271 Hemiepes 124 Hexameter 11, 33, 36, 62 f., 80, 84, 92 f., 157 ff., 176, 178, 183, 188, 190, 196, 199, 202, 228, 241 f., 245, 249, 258, 261-269, 289, 292, 296 f., 303, 309, 318, 320, 327, 329 Elisionen 20-25, 28 Hypermeter 21 f., 242 Klauseln 25-28 Zäsuren und Diäresen 16-20, 28, 35, 37 f. Pentameter 157 ff., 175, 177 f., 183, 199, 261, 266 ff., 294 ff. Elisionen 22 Klauseln 27 Zäsuren und Diäresen 18 Tetrameter 193, 232, 261, 266 ff. Daktyloepitriten 72, 118, 185 Dasypodius, Petrus Philargyrus 184 Dati, Leonardo Hiensal 59 Dawes, Richard 314-319, 321 f. Miscellanea critica 314 f. Decasillabo 228 f. hypometrisch 232 Despauterius, Johannes 243 Ars versificatoria 266 D’Ewes, Simonds 251, 266 Diomedes 50, 53, 82, 161, 223, 308 Dionysios von Halikarnassos 293 Dithyrambos 74, 126 f. Diverbium 223 Dochmius 149 Donat 53, 223 Donati, Alessandro Ars poetica 201 Donne, John 243, 257 The Canonization 243 Dorat, Jean 116, 120 Dousa, Janus Manes Juniani 32 Drama de Godefrido Bullonio (Jesuitendrama 1596) 192 du Moulin, Peter 269 Ecclesiae Gemitus 269 Poematum libelli tres 269 E Eccard, Johannes Odae sacrae 184 Echo 18, 28, 197 f., 223 Eigennamen 35, 41 Elision 41, 45, 50, 55, 64, 80, 221, 226 f., 285 Elizabeth I. (England) 241, 251 elogium 135 Endecasillabo 223, 226-230 a maiore 226, 230 a minore 226 misto 226 f. Zäsur 227, 230 Enjambement 22, 59, 64, 116 f. Enklitikon 16 f., 300, 305, 309, 311 Epicedium 84-87, 241 Epigramm 114, 261, 263 Epode 114, 116, 118 ff., 124 Erasmus von Rotterdam 50, 281 f. De metris 50, 53 De recta Latini Graecique sermonis pronuntiatione dialogus 281 f. Erfinder 97 ff., 111, 152, 327 Estienne (Stephanus), Henri (Henricus) 119, 128, 130, 252 Euripides Medea 195 F Faber, Tanaquil 50 Favonio, Mario 97 f. 338 Register <?page no="339"?> Figurengedicht 97 f., 101, 261, 267 Filelfo, Francesco Sphortias, Satyrae, De Genuensium deditione 11 Fleming, Paul 71, 85, 87 Sylva 72, 79, 86 Flemming, Friedrich Ferdinand 156 Integer vitae 156 Fletcher, Phineas 241 Threno-thriambeuticon 241 Flöte 72, 74, 76, 161, 306 f. Forsett, Edward 245 Pedantius 245, 252 Foster, John 281, 298, 305, 319 Fraenkel, Eduard 310 Fraunce, Abraham 249 f., 252 Hymenaeus 249 The Arcadian Rhetorike 249 Victoria 249 freier Vers 50, 116, 122 f., 126 f., 129 f., 133, 189, 203, 261 f., 265, 269, 271 f., 274 Frischmann, Johann 137 Causae regum […] inter se belligerantium 137 Friz, Andreas 211 f. furor poeticus 113 G Gabrieli, Andrea Edipo re 184 Gally, Henry 281 Gesius, Bartholomaeus Melodiae scholasticae 186 Gill, Alexander 251 Glarean, Heinrich 159, 173, 183 Dodekachordon 159 Glyconeus 53, 60, 63, 124, 159, 178 f., 181, 183, 197, 208, 213, 230, 264, 266 f. Gnapheus, Wilhelm Acolastus 51 Goethe, Johann Wolfgang von 221 Gottsched, Johann Christoph 292 Gretser, Jacob Lazarus resuscitatus 189 Timon 189 Udo von Magdeburg 192 Grotius, Hugo 83 f., 87 Hyporchema in obitum Aldinae catellae 79, 83 Guillon, René De generibus carminum Graecorum--120 Gwalther, Rudolf De Syllabarum et Carminum Ratione 246 H Hadrian 86 Handschriften 257 Harvey, Gabriel 248 Hayneccius, Martin Almansor 186 Heermann, Johann Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen 156 Hegendorf, Christoph 177 ff., 183 Comedia nova 177 Heinsius, Daniel 71 Manes Scaligeri 32 Helmbold, Ludwig 184 Hendecasyllabus 261 Hendekasyllabus 228 Henning, Heinrich Christian 281 f., 290, 297-302, 304 f., 308 Ἑλληνισμὸς Ὀρθῳδός 297 f., 300 Hephaistion 120 Herbert, George 241, 257 Epicedium Cantabrigiensis 241 Musae Responsoriae 267 The Temple 275 Register 339 <?page no="340"?> Hermann, Gottfried 278, 286, 292, 294, 297, 307, 322-327, 329 f. De metris poetarum Graecorum et Romanorum 323 Herodes defunctus (Jesuitendrama 1597) 194 Hiat 64, 164, 166 Hofhaimer, Paul 173 f. Holdsworth, Richard 247, 251 Directions for a Student in the Universitie 247 Holyday, Barten 239, 242 f., 245, 250, 252 f. Technogamia. The Marriages of the Arts 239, 241-244, 246, 253 Holz, Arno 144 ff. Dafnis 145 Die Revolution der Lyrik 145 Phantasus 144 f. Homer 291 ff., 303 f., 309, 319, 321, 325 Homophonie 175, 179, 185 f., 194, 198 Hoole, Charles 285 Horaz 33, 44 ff., 50, 61, 64, 111, 122, 127, 130, 150, 153-156, 159, 167-173, 175, 186, 189, 194, 204, 206 f., 240, 264 ff., 308 Ars poetica 56, 153 Epoden 265 Oden 44 ff., 155, 249, 265 ‚Pindarode‘ 4,2 115 ff., 123, 130 parodia 46 Vertonung 151, 154 ff., 170 f., 189 Humanistenode 151, 153, 155, 167 f., 170, 173 ff., 185 f., 189, 194, 196, 199, 208 Hume, Alexander 280 Hutten, Leonard 239 Bellum Grammaticale 239, 243 f., 252 Hymnus 35, 76, 81 f., 86, 156, 192, 201, 265, 269 f. Hyperkatalexe 120 Hyporchema 71 I Iambus 44, 50 f., 53, 55 f., 72, 114, 124, 129, 152, 159, 161-166, 182, 184, 190, 195 f., 201 f., 213, 227, 230, 233, 242, 245, 259, 261 f., 264-267, 271, 287 f., 299, 307 f., 310, 313-316, 318, 323, 325, 329 Choliambus 57, 161, 199, 202, 261 Dimeter 33, 56, 62, 65, 86, 161, 163 f., 182 f., 188, 193, 197, 199 f., 233, 241 f., 261, 266 f., 269 katalektisch 33, 155, 202 Dipodie 306, 313, 323 Hyperkatalexe 164 Iambenkürzung 50, 79 Monopodie 307 Oktonar 57 Pentameter 241 Quaternar 194, 200 katalektisch 196 Quinar 193 Senar 49 ff., 56 f., 161, 199, 306 Freiheiten in Komödie 51, 209, 313 katalektisch 33 Senar: katalektisch 33 Septenar 65 Ternar 230 Tetrameter 65, 261, 266 Trimeter 41, 49, 51-59, 62, 64 f., 159, 161, 164 ff., 180, 189 f., 199, 209-212, 241 f., 261, 265-269, 306 f., 315 katalektisch 44 Zäsuren und Diäresen 44, 191 Iktus 50, 114, 150 f., 154, 156, 158 f., 340 Register <?page no="341"?> 170, 178 f., 191, 205, 208, 221, 223, 228, 230, 240 Beitrag Burkard passim 277 Imitation 46, 52, 54, 56, 71, 81 f., 112-115, 117, 151, 161, 171, 240, 257, 274, 289, 313 Inschrift, argute/ literarische 133, 271 f. Ionicus 129 a maiore 41 Galliambus 81 Sotadeus 33, 42, 92 Iselin, Jacob Christoph 297 Isoakzentualität 231 ff. Isochronie 155, 180 f., 190, 204 f., 208 Isometrie 223, 233 f. Italienisch 221 Ithyphallicus 72, 82 J Jahn, Otto 322, 325 Jakob I. (England) 239, 244 Jakob II. (England) 273 John Cheke 248 Jonson, Ben 114, 247 K Kant, Immanuel 325 Kapsberger, Hieronymus Consecratio SS. Ignatii et Francisci Xaverii 189 Katalexe 120, 124, 128 Kepler, Johannes 208 Kerll, Johann Kaspar Pia et fortis mulier 211 Kirkwood, James 285 Klaj, Johann 208, 289 Klopstock, Friedrich Gottlieb 134, 287, 327 Kodály, Zóltan Rectius vives 156 Kohlros, Johann 156 Kolometrie 117, 120 Kolon 119 f., 129 Konfusionsprosodie 281, 289, 294 L Lampridio, Benedetto 134 Poemata 134 Lang, Franz 212 Theatrum solitudinis asceticae 187 Lasso, Orlando di 187-192, 195 Lehrgedicht 35 Lily, William 243-246, 251 f., 285 Brevissima Institutio 243 f., 246, 248, 250 Linacre, Thomas 243 Lipsius, Justus 38, 41, 299 Littleton, Adam Tragicomoedia Oxoniensis 268 Locher, Jacob 151 ff., 155-159, 161 f., 167, 169, 175, 177 f., 180, 183, 189, 199, 205, 211 Historia de rege Frantie 152, 159 Libellus dramaticus 159 Ludicrum drama de sene amatore 159 Poemation de Lazaro mendico 159 Spectaculum de iudicio Paridis 159 Spectaculum more tragico concinnatum 159 Tragedia de Thurcis et Suldano 159 Loewe, Carl 156 Fünf Oden des Horaz 151 Logue, Christopher 143 Mixed Rushes 143 Longum, geteiltes 50-53, 55 f., 64 Lonicer, Johannes 118 f. Pindari […] Olympia, Pythia, Nemea, Isthmia 118 Loschi, Antonio 53, 56 Achiles 54 Register 341 <?page no="342"?> Lovati, Lovato 52 Lukian De saltatione 72 Lukrez 35 Lyrik 31, 111, 159, 169, 259, 261, 263-266, 268 siehe auch unter Chor und den einzelnen lyrischen Maßen M Macropedius, Georgius 64, 151, 163, 177-184, 186 f., 189 f., 205, 208 f. Aluta 180, 182 Andrisca 179 f., 182 Asotus 181 f. Asotus evangelicus 180 Bassarus 182 Hypomone 181 Josephus 181 f. Lazarus mendicus 181, 183 Prosoedia 180, 208 Rebelles 64, 180 ff. Maehly, Jakob 310 Major, Johann Daniel 280, 282 Manwaring, Edward 318 Marius Plotius Sacerdos 53 Martial 189 Martianus Capella 83 Masen, Jacob 137, 208 f. Androphilus 209 Ars nova argutiarum 137, 143 Bacchi schola eversa 209 Maurus, Rabanus 98 Mayr, Ignaz 212 Mazarin, Jules 261, 272 ff. Meetkercke, Adolf van 321 Megel, Daniel 160, 166 Melanchthon, Philipp 119 Mensur 166 Metastasio, Pietro 224, 228 f. Milton, John 240, 250-253, 272 Epistolae Familiares 250 Sonnets 252 Minturno, Antonio Sebastiano 115 Mittelachse 135, 143-146 Monau, Friedrich 42 Monau, Jacob 31 f., 46 Monosyllabum 16 ff., 21 f., 25 f., 80, 226 f., 230, 298, 305, 311 Monteverdi, Giuseppe 167 Mozart, Wolfgang Amadeus 167, 326 Apollo et Hyacinthus 206, 212 Muret, Marc Antoine 59 Julius Caesar 59 ff. Musik 72, 118, 149, 221, 261, 265, 269 ff., 284, 291, 296 f., 303, 305, 312 f., 315, 329 Mussato, Albertino 52 f. Ecerinis 52 f., 152 f., 159 Mylius, Abraham 289 f. Lingua Belgica 286, 290 N Negri, Francesco 159, 171, 175 f., 183 Grammatica 171 Negri, Stefano Praefatio in Pindarum 120 Nietzsche, Friedrich 206 Novák, Jan 151, 174 O Ode siehe Humanistenode Oper 206 f., 211, 221 Oratorium 221 ordo 323 Orff, Carl Catulli carmina 190 Orpheus 172 f. Orville, Jacques Philippe d’ 318 f. Ottonario 228 f. Ovid 159, 240, 247 f. Owen, John 258, 261 342 Register <?page no="343"?> P Paeon tertius 205 Paian 74 parodia 115, 130; siehe auch Imitation Paroemiacus 229 Pater, Walter 142 f. Paullin, Johannes Philothea 187, 211, 214 Pause 17, 123, 138 f., 204 f., 228, 233, 284 f., 311, 316, 319 f. Perger, Bernhard 284 Peri, Jacopo Euridice 206 Pesenti, Michele 155 Petrarca, Francesco 114, 227, 258 Petrucci, Ottaviano Frottole 155, 171 Petty, William 269 Phalaeceus 190, 202, 211, 228, 241 f., 261, 264-267 Pherecrateus 51, 56, 124, 129, 155, 198, 264 Philidor, François-André Danican Carmen saeculare 150 Piccolomini, Enea Silvio 51 Pindar und pindarische Dichtung 72, 74, 87, 111, 134, 138, 261, 271 Pindar und Pindarische Dichtung Scholien 117-120, 128 Triade 114, 116, 118, 120, 129 Platon 113 Symposion 168 Plautus 49-52, 57, 64, 159, 180, 193 f., 265, 313, 322 Amphitruo 42, 58 Plutarch De musica 74 Quaestiones convivales 72 Poliziano, Angelo 53, 227 Polymetrie 33, 49, 53, 62, 119, 122, 129 ff., 138, 197 ff., 210, 229, 231 f., 261 f., 267 ff., 271 Polyphonie 112, 179, 188 ff., 214 Porzio, Simone 298 Pratinas-Fragment 71 f., 74 ff., 81, 87 Primatt, William 320 f. Accentus redivivi 321 Priscian 50, 243, 247, 280, 308, 313 De metris fabularum Terentii 49 f., 312 Proceleusmaticus 53, 314 Prosa 212 Prosadrama 211 Prudentius 44 f., 266 Peristephanon 45 Pudor, Christian 280 Pyrrhichius 51, 76, 87, 191, 245 Pythiambicum 261, 264, 266 f. Q Quantitätszeichen 279, 284 f., 304, 315, 317 Quaternario 229 Quinario 229 f., 233 Quintilian 168, 294 ff., 301, 306 R Ramshorn, Johann Gottlob Ludwig 326 Ramus, Petrus 252 Rätseldichtung 91 Rausch 177, 192, 270 f. Reim 161, 163 f., 177, 180, 191-194, 197 ff., 203, 206 f., 209-212, 223 f., 226, 230 f., 233, 245 f., 261 ff., 265, 269-272, 274 Reiz, Friedrich Wolfgang 316, 322 f. Rettenpacher, Simon 210 Callirhoe 210 Juventus 210 Register 343 <?page no="344"?> Osiris 210 Pax terris reddita 210 Perseus 210 Prudentia victrix 210 Rosimunda 210 Reuchlin, Johannes 152 f., 159-167, 180, 186, 301 Henno 151, 153, 159 f., 166 Sergius 163 Rezitativ 223, 226 ff. Rhau, Georg Enchiridion musicae mensuralis 177 rhythmische Dichtung 191 Rhythmus 38, 122, 127, 130, 134, 137 f., 143, 145 f., 283 f., 288, 302, 306-309, 313, 316 f., 330 Richelieu, Armand 272 Rindtfleisch (Bucretius), Daniel 32, 46 Rinuccini, Ottavio 222 f. Euridice 206 Ritschl, Friedrich 310 Robotham, John 252 Ronsard, Pierre de 113 f., 116 f., 128 Roulers, Adrien 61 f., 64 Stuarta tragoedia 61 f. Ruggle, George Ignoramus 261, 271 S Sainte-Marthe, Scévole de 112, 117, 121-124, 126-130 Poemata 121, 124 Salinas, Francisco 168, 181, 199, 204 f. De musica 156, 204 Samson (Jesuitendrama 1577) 187 Sannazaro, Jacopo 261 Sapidus, Johannes 57 Anabion 52, 57 Sapphicus 45 f., 53, 60, 63, 111, 116, 124, 151-157, 159, 169 f., 175 ff., 180 f., 183 f., 188 ff., 199, 204 ff., 208, 211, 240 ff., 245, 249 f., 259, 264-269, 274, 289 Satire 261, 265, 269 f., 272, 274 Satyrspiel 74 Satzakzent 310 ff., 319 Saul (Drama 1606) 195 Saur, Andreas Conflagratio Sodomae 195, 199 Scaliger, Joseph Justus 185, 246 f. Scaliger, Julius Caesar 53, 71, 74, 87 Ad animam Fracastorii hyporchema 72, 79, 81, 86 Hyporchema Baccho 71, 76, 79, 82 In Bacchum Galliambus 81 Poetices libri septem 74, 79 Schaidenreisser (Minervius), Simon 167 Schede, Paulus Melissus 112, 114, 121, 126-130 Schediasmata poetica 127 Schiller, Friedrich Braut von Messina 201 Schola salernitatis 269 Schottelius, Justus Georg 287 Schule 170, 186, 205, 239, 262-268, 277, 284, 286, 294, 309, 324 f. Senario 228 f. hypometrisch 232 Seneca 49, 52 ff., 56, 59 ff., 63 f., 153, 170, 188 f., 194, 198, 203 Troas 205 Senfl, Ludwig 173 Serenus, Septimius 82, 86 Sergius 308 Servius 53, 294, 303 Sestine 92 Settenario 223, 226, 228 f. piano 233 tronco 230, 233 Shakespeare, William 61, 240, 242, 344 Register <?page no="345"?> 246 f. Love’s Labour’s Lost 245, 247 Sonnets 242 Sidney, Philip 250 Arcadia 250 Silbenprominenz 281 f., 299, 304, 308 Skansion 50, 171, 241, 245, 249 f., 253, 284 f., 292, 296 f., 300, 304, 309 ff., 315 ff., 320, 322, 328 f. Smith, Thomas 248, 252 Sophokles Aiax lorarius 185 Antigone 201 Elektra Vertonung 149 Spechtshart von Reutlingen, Hugo Flores musicae 171 Spenser, Edmund 248 Spondeus 11, 36 f., 44, 53, 55, 155, 158, 161, 197, 205, 232, 242, 304 f., 314, 329 Stanze/ Oktave 230, 243 Stirling, John 281, 283, 286 Phaedrus-Ausgabe 318 Terenz-Ausgabe 318 Strauss, Richard 149 f. Sturm, Johannes 286 Susenbrotus (Komödie) 244 f. Synaloephe 64 Synizese 35, 50, 64, 221, 226 T Takt 150, 154 f., 163, 166 f., 169 f., 177, 180-184, 186, 196, 198, 204-208, 211, 316 f., 322 Akzentstufentakt 204, 206 Talon, Omer 249 ff. Rhetorica 249 f. Tanz 72, 74 ff., 86, 118, 151, 159, 161, 172 ff., 176, 182, 186 f., 189, 203 f., 206 Tasso, Torquato 231 Telemann, Georg Philipp 149 Telesio, Antonio Imber aureus 50 ff., 55 ff. Terentianus Maurus 53, 83 Terenz 49 f., 52, 57, 64, 160 f., 177, 180, 194, 265, 307, 311, 313 Terzine 92 Tesauro, Emanuele 135, 138, 140-143 Cannocchiale Aristotelico 138 Inscriptiones 135 Patriarchae 135 Thaletas von Gortyn 72 The First Part of the Return from Parnassus (Komödie) 244 Thesis 306, 311, 321 Thorius, Francis 266 Thorius, Raphael 266 Tonbeugung 289, 308, 329 Tonhöhe 281, 287, 293 Trevetus, Nicolaus 53 Tribrachys 51, 53, 161, 209, 245, 314 Tritonius (Treibenreiff), Petrus 156, 167, 169 f., 173, 176 f., 180, 182 ff., 186, 191, 205 Melopoiae 168, 172 f., 183, 207 Trochaeus 50 f., 72, 124, 129, 155, 163, 178, 181 f., 184 f., 193, 195 ff., 209, 227, 229, 231 ff., 242, 261, 267, 287, 306 f., 313-316, 325, 329 Dimeter 56, 229, 270 katalektisch 56, 270 Ditrochaeus 38, 307 Oktonar 177 katalektisch 193 Quaternar 202 katalektisch 177 Septenar 57 Tetrameter 306 f. Trimeter 65 Register 345 <?page no="346"?> Tucci, Stefano Christus iudex 188 Tyrolis pacifica (Jesuitenoper 1646) 212 Tyrwhitt, Thomas 318 U Ubertus, Stephanus 246 Universität 239 Urceo Codro, Antonio 51 V Vagantenstrophe 162 f., 192 Verardi, Carlo Historia Baetica 152 Vergerio, Pier Paolo 51 Vergil 35, 189, 225, 240, 286, 311 Aeneis 22, 35, 208 Eklogen 189 Versakzent siehe Iktus 286 vers libre 133, 143, 201 Verwey, Joannes 286 Victorinus, Marius 53, 168 Vivaldi, Antonio Juditha triumphans 221 Vossius, Gerhard Johannes 280 f., 285, 290, 295, 303, 305 Vossius, Isaac 282 f., 290-297, 299 f., 303-306, 309 f., 312 f., 318, 321 De poematum cantu 290 f., 293 Voß, Johann Heinrich 325 W Walliser, Thomas 180, 195-199, 205 f. Musicae figuralis praecepta brevia 199 Warner, John 298, 320 f. Webb, Daniel 317 Webbe, William 248 f., 252 Discourse of English Poetry 248 Weise, Christian 139, 311 De argutis inscriptionibus 139 Wettstein, Johann Rudolf 297, 300-306, 308-312 Orationes Apologeticae 301, 303 Whitman, Walt 133 Leaves of Grass 133 Widl, Rufinus Apollo et Hyacinthus 212 Wolf, Friedrich August 322 Wortakzent 150, 154, 156 f., 159, 162 f., 166 f., 170, 173, 175, 177 f., 186, 188-191, 194, 198 f., 205 f., 208-211, 233, 240, 246, 277 X Xenodamas von Kythera 74 Y Yeats, William 142 f. Young, Thomas 250 f. Z Zanten, Laurens van Deliciae Poeticae 84 Zäsur 56, 59, 228, 284 f., 300, 315 f., 318 Zeilenumbruch 137 f., 140-143, 145 f. Zesen, Philipp 287 ff., 308 Hoch-deutscher Helikon 287 Scala Heliconis Teutonici 287 346 Register <?page no="347"?> NeoLatina herausgegeben von Thomas Baier, Wolfgang Kofler, Eckard Lefèvre und Stefan Tilg Die NeoLatina wurde im Jahr 2000 ins Leben gerufen und hat sich seither zu einem maßgeblichen Organ auf dem Gebiet der neulateinischen Studien entwickelt. In die Reihe finden einschlägige Monographien, kommentierte Textausgaben sowie Sammelbände zu klar umgrenzten Gebieten Eingang. Von Interesse ist die gesamte lateinische Literatur und Kultur seit der Frührenaissance, z.B. die Rezeption antiker Autoren oder die Stellung des Neulateins im Kontext der aufkommenden Nationalliteraturen. Die Reihe ist für Klassische Philologen, Neuphilologen, Historiker sowie alle auf dem Gebiet der Frühen Neuzeit Forschenden von Bedeutung. Seit 2017 werden alle Bände einem Single Blind Peer-Review-Verfahren mit zwei Gutachtern unterzogen. Bisher sind erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: https: / / www.narr.de/ literaturwissenschaft-kat/ literaturwissenschaft-reihen-kat/ neolatina 6 Joachim Camerarius Eclogae / Die Eklogen herausgegeben von Lothar Mundt 2004, XXXVII, 327 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-6081-0 7 Tamara Visser Antike und Christentum in Petrarcas Africa 2004, V, 411 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-6117-6 8 Gérard Freyburger / Eckard Lefèvre (Hrsg.) Balde und die römische Satire/ Balde et la satire romaine 2005, 343 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6141-1 9 Ulrike Auhagen / Stefan Faller / Florian Hurka (Hrsg.) Petrarca und die römische Literatur 2005, 337 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6142-8 <?page no="348"?> 10 Eckart Schäfer (Hrsg.) Sannazaro und die Augusteische Dichtung 2005, 278 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-6193-0 11 Eckart Schäfer (Hrsg.) Sarbiewski Der polnische Horaz 2006, 321 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6224-1 12 Reinhold Glei (Hrsg.) Virgilius Cothurnatus - Vergil im Schauspielhaus Drei lateinische Tragödien von M. Maittaire 2006, 220 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-8233-6238-8 13 Eckard Lefèvre / Eckart Schäfer (Hrsg.) Daniel Heinsius Klassischer Philologe und Poet 2007, 443 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6339-2 14 Thorsten Fuchs Philipp Melanchthon als neulateinischer Dichter in der Zeit der Reformation 2007, 428 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6340-8 15 Eckart Schäfer Michael Marullus Ein Grieche als Renaissancedichter in Italien 2008, 288 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6435-1 16 Eckart Schäfer (Hrsg.) Conrad Celtis: Oden / Epoden / Jahrhundertlied Libri Odarum quattuor, cum Epodo et Saeculari Carmine (1513) 2012, 394 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6635-5 17 Eckard Lefèvre / Eckart Schäfer (Hrsg.) Ianus Dousa Neulateinischer Dichter und Klassischer Philologe 2009, 360 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6525-9 18 Eckard Lefèvre / Eckart Schäfer (Hrsg.) Beiträge zu den Sylvae des neulateinischen Barockdichters Jakob Balde 2010, 351 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6614-0 <?page no="349"?> 19 Marie-France Guipponi-Gineste / Wolfgang Kofler / Anna Novokhatko / Gilles Polizzi (Hrsg.) Die neulateinische Dichtung in Frankreich zur Zeit der Pléiade / La Poésie néo-latine en France au temps de la Pléiade 2015, 340 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6702-4 20 Wolfgang Kofler / Anna Novokhatko (Hrsg.) Cristoforo Landinos "Xandra" und die Transformationen römischer Liebesdichtung im Florenz des Quattrocento 2016, 297 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6785-7 21 Stefan Tilg / Isabella Walser (Hrsg.) Der neulateinische Roman als Medium seiner Zeit/ The Neo-Latin Novel in its Time 2013, 270 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6792-5 22 Iris Heckel (Hrsg.) Floris van Schoonhoven Lalage sive Amores Pastorales - Lalage oder Bukolische Liebesgedichte (1613) 2014, 468 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6897-7 23 Thomas Baier / Jochen Schultheiß (Hrsg.) Würzburger Humanismus 2015, 305 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6898-4 24 T. Baier / T. Dänzer / F. Stürner (Hrsg.) Angelo Poliziano Dichter und Gelehrter 2015, 288 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6977-6 25 Patrick Lucky Hadley Athens in Rome, Rome in Germany Nicodemus Frischlin and the Rehabilitation of Aristophanes in the 16th Century 2015, 185 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-6923-3 26 Philipp Weiß (Hrsg.) Jacob Balde Epithalamion 2015, 195 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-6993-6 27 Thomas Baier (Hrsg.) Camerarius Polyhistor Wissensvermittlung im deutschen Humanismus 2017, 364 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8109-9 <?page no="350"?> 28 Tobias Dänzer Poetik und Polemik Angelo Polizianos Dichtung im Kontext der Gelehrtenkultur der Renaissance 2018, 295 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8163-1 29 Werner Suerbaum Vergils Epos als Drama Die Gattungstransformation der Inclyta Aeneis in der Tragicocomoedia des Johannes Lucienberger, Frankfurt 1576 2018, 514 Seiten €[D] 118,- ISBN 978-3-8233-8225-6 30 Francesco Furlan / Gabriel Siemoneit / Hartmut Wulfram (Hrsg.) Exil und Heimatferne in der Literatur des Humanismus von Petrarca bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts L’esilio e la lontananza dalla patria nella letteratura umanistica dal Petrarca all’inizio del Cinquecento 2019, 592 Seiten €[D] 118,- ISBN 978-3-8233-8199-0 31 Wolfgang Kofler / Simon Wirthensohn / Stefan Zathammer (Hrsg.) Joseph Resch als Bühnenautor Die Brixner Schuldramen und ihr Kontext in Vorbereitung, ca. 240 Seiten €[D] ca. 88,- ISBN 978-3-8233-8230-0 32 Carla Chiummo / Wolfgang Kofler / Valerio Sanzotta (Hrsg.) Pascoli Latinus Neue Beiträge zur Edition und Interpretation der neulateinischen Dichtung von Giovanni Pascoli - Nuovi contributi all’edizione e all’interpretazione della poesia latina di Giovanni Pascoli in Vorbereitung, ca. 240 Seiten €[D] ca. 98,- ISBN 978-3-8233-8237-9 33 Stefan Tilg / Benjamin Harter (Hrsg.) Neulateinische Metrik Formen und Kontexte zwischen Rezeption und Innovation 2019, 350 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8266-9 <?page no="351"?> Giessener Beiträge Die vielfältigen metrischen Innovationen und Experimente in Theorie und Praxis lateinischer Dichtung von ca. 1400 bis 1800 wurden in der bisherigen Forschung kaum gewürdigt. Dabei war es keineswegs so, dass die lateinischen Dichter dieser Zeit immer und überall nur die antike Metrik reproduziert hätten. Von der Erfindung neuer metrischer Einheiten (vom Versfuß bis zur Strophe) über die Adaptation akzentrhythmischer und volkssprachlicher Systeme bis hin zu Formen freier Verse gibt es vieles, was bisher vereinzelt gesehen und gestreift, aber noch nie zusammengetragen und eingehend diskutiert wurde. Der vorliegende Band hat sich dies zum Ziel gesetzt und konzentriert sich programmatisch auf jene Aspekte der neulateinischen Metrik, die aus der antiken Metrik allein nicht erklärbar sind. Er eröffnet damit ein neues Forschungsfeld, das Gräzisten (unter dem Aspekt der Rezeption griechischer metrischer Formen), Latinisten und Neuphilologen gleichermaßen zur Erkundung einlädt. Neulateinische Metrik Formen und Kontexte zwischen Rezeption und Innovation herausgegeben von Stefan Tilg und Benjamin Harter ISBN 978-3-8233-8266-9 Tilg / Harter (Hrsg.) Neulateinische Metrik 18266_Umschlag.indd Alle Seiten 23.09.2019 10: 28: 14