Bilder - Schilder - Sprache
Empirische Studien zur Text-Bild-Semiotik im öffentlichen Raum
0304
2019
978-3-8233-9298-9
978-3-8233-8298-0
Gunter Narr Verlag
Ilona Schulze
Die Monografie beinhaltet die erste umfassende qualitative und quantitative Untersuchung zu zwei semiotischen Landschaften in München (Fußgängerzone Innenstadt und Olympia Einkaufszentrum). Es geht um die Frage, wie und mit welchen Mitteln hier die öffentliche Kommunikation mit Passanten erfolgt, welche Arten von Zeichensystemen (Bild, Schild, Sprache) hierfür eingesetzt werden, wie sich diese Landschaften historisch ausgeprägt haben und wie sie von ihrer Geschichte bestimmt sind. Anhand einer Vielzahl von Beispielen wird untersucht, wie die drei Modalitäten miteinander interagieren und welche semantischen Funktionen den jeweiligen Modalitäten bei der Konstruktion einer semiotischen Gesamtgestalt zukommen. Die Untersuchung geht von aktuellen Ansätzen der ,Linguistic-Landscape'-Forschung aus, versteht ,Linguistic Landscapes' aber nicht als eigenständiges, von anderen Modalitäten unabhängiges semiotisches System, sondern als Teil umfassenderer ,Semiotic Landscapes', deren interne Struktur anhand der beiden o.g. Landschaften nachgezeichnet wird.
<?page no="0"?> www.narr.de TBL Tübinger Beiträge zur Linguistik Die Monogra e beinhaltet die erste umfassende qualitative und quantitative Untersuchung zu zwei semiotischen Landscha en in München (Fußgängerzone Innenstadt und Olympia Einkaufszentrum). Es geht um die Frage, wie und mit welchen Mitteln hier die ö entliche Kommunikation mit Passanten erfolgt, welche Arten von Zeichensystemen (Bild, Schild, Sprache) hierfür eingesetzt werden, wie sich diese Landscha en historisch ausgeprägt haben und wie sie von ihrer Geschichte bestimmt sind. Anhand einer Vielzahl von Beispielen wird untersucht, wie die drei Modalitäten miteinander interagieren und welche semantischen Funktionen den jeweiligen Modalitäten bei der Konstruktion einer semiotischen Gesamtgestalt zukommen. Die Untersuchung geht von aktuellen Ansätzen der ‚Linguistic- Landscape‘-Forschung aus, versteht ‚Linguistic Landscapes‘ aber nicht als eigenständiges, von anderen Modalitäten unabhängiges semiotisches System, sondern als Teil umfassenderer ‚Semiotic Landscapes‘, deren interne Struktur anhand der beiden o. g. Landscha en nachgezeichnet wird. 567 Schulze Bilder - Schilder - Sprache Bilder - Schilder - Sprache Empirische Studien zur Text-Bild-Semiotik im ö entlichen Raum Ilona Schulze 18298_Umschlag.indd 3 13.02.2019 08: 59: 34 <?page no="1"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 567 <?page no="2"?> Ilona Schulze Bilder - Schilder - Sprache Empirische Studien zur Text-Bild-Semiotik im öffentlichen Raum <?page no="3"?> Gedruckt mit Unterstützung der: © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-8298-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="4"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort ......................................................................................................................... 7 1 Einleitung ............................................................................................................. 11 2 Linguistic Landscapes ....................................................................................... 19 2.1 Eine Standortbestimmung ...................................................................... 19 2.2 Der öffentliche Raum als Bühne der LL .............................................. 26 2.3 Der historische Kontext: LL, Ökonomie, Citybildung, Werbung ... 34 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität .................................................... 43 3.1 Typografische Aspekte ........................................................................... 43 3.2 Text und Bild ............................................................................................. 47 3.3 Der historische Kontext .......................................................................... 57 4 Untersuchungsraum und Methoden ................................................................. 63 4.1 Der Untersuchungsraum ........................................................................ 63 4.2 Datenbasis .................................................................................................. 69 4.3 Methoden ................................................................................................... 78 5 Analysen ............................................................................................................... 85 5.1 Struktur des Untersuchungsraums ...................................................... 85 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder ................................................................... 90 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum ........... 140 6 Fazit ..................................................................................................................... 209 7 Abbildungen ....................................................................................................... 216 8 Tabellen .............................................................................................................. 217 9 Diagramme ........................................................................................................ 217 10 Bildverzeichnis .................................................................................................. 217 11 Bildnachweis ..................................................................................................... 219 Bibliografie ............................................................................................................... 220 <?page no="6"?> Inhaltsverzeichnis 7 Vorwort La cité est un discours, et ce discours est véritablement un language: La ville parle à ces habitants, nous parlons notre ville, la ville où nous nous trouvons, simplement en l’habitant, en la parcourant, en la regardant. (Barthes 1967: 12). Dieses Zitat von Roland Barthes kann als Leitmotiv der vorliegenden Arbeit verstanden werden, die im Rahmen des von der Fritz-Thyssen-Stiftung von April 2016 bis April 2018 mittels eines Forschungsstipendiums geförderten Projekts „Bilder, Schilder, Sprache - Empirische Studien zur Text-Bild-Semiotik im öffentlichen Raum“ entstanden ist. Die Arbeit verortet sich so im Forschungsfeld einer Sémiologie de l’espace , wobei unter espace ‚Raum‘ mit Henri Lefebvre (1974) ein dynamischer, sozial, kulturell und ökonomisch bestimmter Raum verstanden wird. Einer der bekanntesten Versuche solche urbanen Räume impressionistisch zu erschließen stammt vom französischen Autoren Georges Perec. In seinem Text Tentative d‘épuisement d‘un lieu parisien (1975) listet er Ausschnitte eines „inventaire de quelques-unes des choses strictement visibles“ auf, also Momentaufnahmen, die er ausgehend von einem Tabac an der Place Saint-Sulpice (Paris) am 18. Oktober 1974 gemacht hatte. Vorgefunden hatte er unter anderem: — Des lettres de l’alphabet, des mots « KLM » (sur la pochette d’un promeneur), un « P » majuscule qui signifie « parking », « Hôtel Récamier », « St-Raphaël », « L’épargne à la dérive », « Taxis tête de station », « Rue du Vieux-Colombier », «Brasserie-bar La Fontaine Saint-Sulpice », « P ELF », «Parc Saint-Sulpice ». — Des symboles conventionnels : des flèches, sous le « P » des parkings, l’une légèrement pointée vers le sol, l’autre orientée en direction de la rue Bonaparte (côté Luxembourg), au moins quatre panneaux de sens interdit (un cinquième en reflet dans une des glaces du café). — Des chiffres : 86 (au sommet d’un autobus de la ligne n° 86, surmontant l’indication du lieu où il se rend : Saint-Germain-des-Prés) , 1 (plaque du n° 1 de la rue du Vieux-Colombier), 6 (sur la place indiquant que nous nous trouvons dans le 6e arrondissement de Paris). — Des slogans fugitifs : « De l’autobus, je regarde Paris » (…) (Perec 1975: 10). Perec spricht einfach nur von einem inventaire , doch kann davon ausgegangen werden, dass er diesem „Inventar“ auch Bedeutung(en) zugewiesen hatte. Ganz im Sinne des obigen Zitats von Roland Barthes kann also vermutet werden, dass die in diesem Inventar aufgelisteten Einheiten zu Georges Perec gesprochen <?page no="7"?> 8 Vorwort hatten. Entscheidend ist, dass Perec dabei etwa im Gegensatz zu Michel Butor dem Sprachlichen hierbei nicht das Primat gibt, auch wenn er das Sprachliche zuerst anführt. Auch der Schriftsteller Michel Butor nimmt zunächst eine globale Perspektive ein, wenn er sagt: „[L]a ville peut être considérée comme une œuvre littéraire“ (Butor 1982: 36), doch schränkt er in einem früheren Text ein: „Par texte de la ville j’entends d’abord l’immense masse d’inscriptions qui la recouvre“ (Butor 2006 [1974]: 567). Butor kann mit dieser Pointierung des (In-)Schriftlichen als Vorläufer derjenigen betrachtet werden, die versuchen die ‚sprachliche Landschaft‘ ( Linguistic Landscape ) eines (vornehmlich urbanen) Raums zu erschließen, wobei aber Landschaft eigentlich als übergeordneter Begriff zu verstehen ist: Es geht um die Systematik aller sensorisch (vornehmlich visuell) erfassbaren Einheiten eines definierten Raums. Dem Begriff Landscape ist also ein multimodales Moment inhärent, was zugleich bedeutet, dass das Lesen solcher Räume - wie Henri Lefebvre (1986: 167) betont - über ein Deschiffrieren und Dekodieren unterschiedlicher, aber mit einander interagierender Zeichensysteme verläuft. Es handelt sich demnach um „un code à la fois architectural, urbanistique, politique, langage commun aux habitants des campagnes et des villes, aux autorités, aux artistes, permettant non seulement de ‘lire’ un espace mais de le produire“ (Lefebvre 1986: 14). Die sémiologie de l’espace verkörpert sich folglich in multimodalen ‚semiotischen Landschaften‘ ( Semiotic Landscapes ), die - wie der französische Landschaftsarchitekt René Pechère formuliert hatsowohl durch eine grammaire als auch durch ein vocabulaire ausgezeichnet sind (Pechère 1995). Natürlich sind solche (besonders urbane) Landschaften (im Sinne von espace ) dynamische Ensembles, wobei den Menschen, die sich in ihnen bewegen, eine besondere Rolle zukommt. Hall (2009: 579) betont dabei sicherlich zurecht: „[L]ocal lives and biographies take shape not only in , but with place, such that the two are run together.“ Dies gilt auch für die Semiotik öffentlicher Räume: Eine komplett menschenleere Fußgängerzone erhält ein anderes semiotisches Gesicht als wenn sie vorweihnachtlich durch tausende von Menschen bevölkert wird. Um solche im Grunde dynamischen Räume aber einer Deskription zugänglich zu machen, ist es notwendig, dem Heraklit’schen πάντα ῥεῖ vorläufig Einhalt zu gebieten: Ebenso wie in den Sprachwissenschaften das Systematische als statische Größe von der Dynamik des tatsächlichen Sprachgebrauchs getrennt wird, ist es sinnvoll, auch die Dynamik semiotischer Landschaften vorläufig, also heuristisch mittels eines snap shot anzuhalten, um sie überhaupt beschreibbar zu machen. Genau diese Art einer Momentaufnahme ist in der vorliegenden Arbeit gegeben. Als Räume wurden eine Fußgängerzone und ein Einkaufszentrum ( Shopping Mall ) in München abgesteckt. Für diese wird eine systematische Analyse <?page no="8"?> Vorwort 9 im Sinne der Sémasiologie de l’espace erarbeitet, die auf einer umfänglichen Foto-Dokumentation des Erhebungsraums basiert. Ganz im Sinne des Verfahrens von Georges Perec werden die dokumentierten Einheiten nach Faktoren geordnet, die sich in den drei Termini Bilder, Schilder und Sprache verkörpern. In der Tradition der Linguistic Landscape-Forschung wird zwar der Modalität Sprache (in Schrift ) ein eigenständiger Wert beigemessen, doch ist zugleich angestrebt, den in der Linguistic Landscape-Forschung gängigen Fokus auf Sprache zu relativieren, indem dieser Faktor in ein multimodales Geflecht ( Text im etymologischen Sinn) semiotischer Verfahren integriert wird, wodurch sich Zeichen ( signs ) im öffentlichen Raum in den Worten von Susanne Göpferich (1995: 56) als „thematisch und/ oder funktional orientierte, kohärente (…) sprachlichfigürliche Komplex[e]“ verkörpern. Diese Perspektive bedeutet natürlich eine Annäherung an bildlinguistische Forschungen, wobei hierunter oft genug eher eine methodische als eine gegenstandsbezogene Perspektive gemeint ist. So deuten zum Beispiel Klemm & Stöckl (2011: 11) ein gewisses Primat der Linguistik an, wenn sie feststellen „dass die Sprachwissenschaft mit ihren Theorien, Methoden und Erkenntnisinteressen sehr wohl einen genuinen Beitrag zu einer inter- und transdisziplinären Bildwissenschaft leisten kann und auch leisten sollte.“ Allerdings transzendieren Forschungen zu Semiotic Landscapes in der Regel das Moment Sprache . So definiert etwa Janina Wildfeuer (2017: 191) „ auch multimodale Artefakte mit wenig oder ganz ohne sprachlichen Anteil als Text.“ In der vorliegenden Arbeit werden die semiotischen Landschaften einer Fußgängerzone und einer Shopping Mall in München also sowohl quantitativ als auch qualitativ dahingehend beforscht, dass die Systematiken und internen Strukturen derjenigen semiotischen Verfahren sichtbar werden, mittels derer die beiden Räume mit Passanten kommunizieren. Damit fühlt sich die Arbeit einem ‚semiotischen Kontextualismus‘ verpflichtet, der zudem über das rein Synchrone hinaus auch in großem Umfang auf diachrone Momente abhebt. Ebenso wie Sprache als Traditionssystem verstanden werden muss, sind auch multimodale semiotische Systeme in den Traditionen des entsprechenden Raums (im Sinne von espace ) eingebettet und vorstrukturiert. Dementsprechend müssen aber synchrone Spezifika in Rechnung gestellt werden, die sich in den sozialen, kulturellen, architektonischen, infrastrukturellen und ökonomischen Mustern des entsprechenden öffentlichen Raums abbilden bzw. diese mit konstituieren. Natürlich kann ein solches Unternehmen niemals vollständig sein. Das liegt zum einen an der oben erwähnten Dynamik der öffentlichen Räume in semiotischer ebenso wie funktionaler Hinsicht. Zum anderen können semiotische Landschaften und ihre grammaire bzw. ihr vocabulaire unterschiedliche Lesarten haben, die sich etwa durch das biographische, diastrate oder eventuell auch diatope Profil des jeweiligen ‚Lesenden‘ ergeben können. Dennoch kann davon <?page no="9"?> 10 Vorwort ausgegangen werden, dass die in die Arbeit eingebrachten Generalisierungen nicht nur Abbildungen einheitlicher Verfahren des Schreibens multimodaler Texte sind, sondern auch globalere, um nicht zu sagen tendenziell universelle Momente des Lesens solcher Texte spiegeln. Zu fragen ist auch, ob mit den drei Größen Schilder , Bilder und Sprache die Semiotik öffentlicher Räume hinreichend abgedeckt ist. So verlangen Dorfplätze, Parks, große Verkehrsstraßen oder gar Tiefgaragen sicherlich auch nach anderen oder zusätzlichen Deskriptoren, die in den hier gewählten Räumen zunächst nicht oder weniger zum Tragen kommen. Dennoch muss damit gerechnet werden, dass analoge Studien zu anderen ‚Raum-Typen‘ auch zur Verfeinerung des deskriptiven Inventars beitragen, das in der vorliegenden Studie zum Einsatz gekommen ist, oder es ergänzen. Hier sollte auch der Faktor ‚Zeit‘ nicht unerwähnt bleiben: Wie oben gesagt handelt es sich bei vorliegender Studie um eine Momentaufnahme. Wünschenswert wäre natürlich, diese Art der Dokumentation um eine Langzeitstudie zu ergänzen, die Wandlungserscheinungen ausgehend vom derzeitigen Ist-Zustand sichtbar machen könnte. Hierdurch könnten die in der vorliegenden Studie gemachten Beobachtungen zur Diachronie der Erhebungsräume weiter verfeinert werden, da dann auch eine Parallelität der ‚Datenlage‘ gegeben wäre, die naturgemäß für frühere Zeitpunkte in größerem Umfang fehlt. Ein weiteres Desiderat wäre die Einbringung einer typologischen Perspektive, indem mehr oder minder analog definierte öffentliche Räume unterschiedlicher urbaner Kontexte zum Beispiel anhand der in vorliegender Arbeit vorgestellten Systematik verglichen werden, um ökonomische, kulturelle und soziale Spezifika ebenso herauszuarbeiten wie Reflexe einer Globalisierung oder Entlehnung entsprechender semiotischer Systeme. Dennoch hoffe ich, dass die vorliegende Studie dazu beträgt, der (in den Worten des oben angesprochenen René Pechère) grammaire und dem vocabulaire zweier urbaner semiotischer Landschaften näherzukommen. Einige mögliche Defizite erklären sich vielleicht mit der relativen Kürze der Laufzeit des Projekts. Andere sind sicher auch der Tatsache geschuldet, dass wir derzeit erst am Anfang der Theorie- und vor allem Methodologie-Bildung zur Semiotic Landscape - Forschung stehen, weshalb das eine oder andere an semiotischen Einheiten anders gelesen werden kann als in vorliegender Arbeit vorgeschlagen. Abschließend möchte ich der Fritz Thyssen-Stiftung herzlich dafür danken, dass sie das Vorhaben, dessen Ergebnisse in diesem Buch versammelt sind, mittels eines Forschungsstipendiums so großzügig unterstützt hat. Ohne diese Unterstützung wäre die Realisierung dieses Vorhabens kaum möglich gewesen. <?page no="10"?> Inhaltsverzeichnis 11 1 Einleitung Die vorliegende Studie versteht sich als empirische Fallstudie zur Frage, in welchem Umfang sich der öffentliche Raum als semiotische Landschaft ( semiotic landscape ) mit Fokus auf die semiotischen Systeme Bild/ Grafik und Sprache darstellt. Ausgangspunkt ist also die Präsens von Sprache (in ihrer grafischen Repräsentation mittels Schrift) im öffentlichen Raum, wie sie sich in Beschilderungen (im weitesten Sinn des Wortes, zur Definition siehe unten) äußert sowie deren typischen Kombinationen mit bildlich/ grafischen Elementen im öffentlichen Raum. Damit knüpft die Untersuchung an die relativ jungen Traditionen von Forschungen zum Komplex Linguistic Landscapes an, erweitert die Perspektive aber unter Einschluss von Theorien und Methoden der bisher schwerpunktmäßig auf die Beschreibung zweidimensionaler, gedruckter Daten konzentrierten Bildlinguistik (s. u.) hin zu einer multimodalen und multifunktionalen Betrachtungsart des öffentlichen Raumes. Zugrunde liegt die Annahme, dass (wir) [v]on der Vielfalt möglicher Zeichentypen und ihren Verknüpfungen (…) regelhaft Gebrauch (machen), also stets orientiert an kulturell und sozial hervorgebrachten und damit wandelbaren Konventionen der Zeichenverwendung und Zeicheninterpretation. Insofern handelt es sich bei diesen Modalitäten um ausdifferenzierte Zeichensysteme, da sie uns jene kommunikativen Übereinstimmungen und Unterschiede erkennen lassen, die Mitteilen und Verstehen erst ermöglichen. (Klemm und Stöckl 2011: 10) Hinsichtlich der Konventionalisierung von Zeichenverwendung und -interpretation ergibt sich für den öffentlichen Raum die Frage nach dessen Genesezeitraum. Wird also angenommen, dass die Verwendung von Sprache und Bild/ Grafik sowohl alleine als auch in Kombination im öffentlichen Raum bestimmten Regeln unterliegt, muss ein Zeitraum bestimmbar sein, der als Ausgangspunkt für die Entwicklung oder Entstehung dieser Regeln gelten kann. Die Identifikation dieses Ausgangspunktes sowie der Umstände, die zur Ausprägung bestimmter Zeichenverwendungen in bestimmten Kontexten geführt haben, können in der Folge zur Erklärung vorgefundener synchroner Strukturen und Muster monomodaler und multimodaler Aggregate herangezogen werden. Gleichzeitig gilt es zu klären, ob multimodale Aggregate im öffentlichen Raum hierarchisierbar sind bzw. hierarchisiert werden müssen, um ihre Funktion für die Konstruktion des öffentlichen Raumes und seiner Diskurse sowohl <?page no="11"?> 12 1 Einleitung aus den Perspektiven der Linguistic Landscape -Forschung als auch der Bildlinguistik , möglicherweise ergänzt durch eine allgemeinere semiotische Perspektive, adäquat beschreiben zu können, woraus sich als weiterer Schritt die Suche nach typischen Aggregaten auf unterschiedlichen Hierarchieebenen oder in unterschiedlichen Funktionstypen ergibt. Es soll also insgesamt nicht nur die direkte Interaktion von geschriebener Sprache und bildlichen/ grafischen Elementen zur Formulierung von Gesamtaussagen untersucht werden, sondern auf verschiedenen Ebenen deren Beitrag zur Strukturierung und Ausprägung eines öffentlichen Raumes, dessen dauerhafte Gegebenheiten in Form von Gebäuden, Straßen, Wegen etc. sowohl als Träger von Signs 1 im Sinne der Linguistic Landscape -Forschung als auch als mögliche eigenständige semiotische Struktur betrachtet werden. Aus dieser Perspektive werden in der vorliegenden Studie exemplarisch zwei spezifische, sowohl areal als auch funktional abgegrenzte, aber ähnliche semiotische Landschaften , nämlich die der Münchener Neuhauser Straße/ Kaufingerstraße/ Weinstraße/ Theatinerstraße und kontrastiv hierzu die des Münchener OEZ („Olympia Einkaufszentrum“) als durch diverse Faktoren intern strukturierte Räume anhand einer empirischen, sowohl qualitativ als auch quantitativ angelegten Mikrostudie zu den in diesen Räumen gegebenen öffentlichen Zeichentypen rekonstruiert und verglichen werden. Als Leithypothese soll dabei gelten, dass sich der öffentliche semiotische Raum über eine kommunikative, also dialogische Dimension mit den Wahrnehmenden konstituiert, wobei das hierfür relevante Zeichensystem als multimodales System im Spannungsverhältnis von Sprache, Bild und Medium („Zeichenträger“) verstanden wird. In diesem Zusammenhang wird auch ein Augenmerk darauf gelegt, dass zahlreiche semiotische Strukturen zwei unterschiedliche Verweisfunktionen mit unterschiedlichen Zielrichtungen haben. Sie kommunizieren in ihrer dialogischen Funktion mit dem Wahrnehmenden über konkrete Handlungen und Diskurse, präsentieren aber gleichzeitig auf einer zweiten, etwas abstrakteren Ebene den öffentlichen Raum als grundlegende, noch nicht ‚personalisierte‘ konkrete Form, also als allgemein erkennbare Struktur mit bestimmter Funktion, die sich aus bestimmten Markern ablesen lässt und die dann ‚individuell‘, also auf einer für einen gegeben Raum spezifischen Art und Weise profiliert wird. Die Studie basiert auf einer primär Foto-gestützten und durch zusätzliche Daten ergänzten Dokumentation der Untersuchungsgebiete, die sich neben ihrem 1 Um die Bezeichnung der deskriptiven Objekte der Linguistic/ Semiotic Landscape-Forschung vom deutschen Terminus Zeichen abzugrenzen wird in der vorliegenden Studie der englische Begriff Sign übernommen. <?page no="12"?> 1 Einleitung 13 aktuellen Erscheinungsbild auch auf historische Dimensionen ab dem frühen 20. Jahrhundert erstreckt. Diese Daten werden um eine Rekonstruktion derjenigen relevanten gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen erweitert, die diachron zur Ausprägung des öffentlichen Raumes in seiner spezifischen Form beigetragen bzw. diesen erst ermöglicht haben und die damit auch als Basis für die aktuell vorgefundenen Formen gelten können. Die Analyse erfolgt über eine Datenbank-basierte, möglichst umfassende quantitative Mikro-Kartierung der Zeichentypen der genannten Räume. In interpretativer Hinsicht wird eine exemplarische, feinkörnige Klassifikation der einzelnen Dimensionen der Multimodalität der dokumentierten Zeichen angestrebt, woraus dann über ein mehrdimensionales Analyseverfahren eine entsprechende Zeichentypologie erstellt wird. Die feinkörnige Annotation der Foto-Dokumente erfolgt über eine Vielzahl von Einzelfaktoren, die sich in folgende Kernbereiche gliedern: 1. Linguistik des Sprachlichen 2. Grafie des Sprachlichen 3. Dimensionen des Bildlichen 4. Typik des ‚Zeichenträgers‘ 5. Einbettung in die architektonische Dimension 6. Ökonomische und historische Faktoren Diese Kernbereiche werden über die jeweiligen Subkategorisierungen hinaus in interpretativer Hinsicht soweit erfassbar mittels für bildlinguistische Analysen vorgeschlagener Parameter wie Intentionalität, Informativität, Situationalität, Intertextualität, Kulturalität und Materialität annotiert (Große 2011). Zusätzlich werden formale Analysemodelle der Bildlinguistik mit ihrem Schwerpunkt auf der Beschreibung der Beziehung von bildlich/ grafischen und sprachlichen Elementen in der Analyse auf ihre Anwendbarkeit in dreidimensionalen Räumen mit komplexen multimodalen Clustern mit mehrseitigen Beziehungsstrukturen untersucht. Auch wenn anzunehmen ist, dass die Gegebenheit öffentlicher semiotischer Räume genuiner Teil zumindest ‚moderner‘ Gesellschaften ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die jeweilige semiotische Substanz an sich ‚zeitlos‘ wäre. Vielmehr ist zu vermuten, dass derlei semiotische Systeme sowohl in ihrer Form als auch in ihrer Semantik Analogien zeigen zu entsprechenden Traditionen und Konventionen von Gesellschaften ‚in ihrer Zeit‘. Zugleich kann angenommen werden, dass aktuelle semiotische Systeme sich aus älteren Verfahrensweisen heraus entwickelt haben und sich in ihrer Struktur auch durch diese begründen. Dieser Aspekt wird durch die Berücksichtigung der diachronen Entwicklung nachgezeichnet. Die diachrone Perspektive bezieht sich dabei <?page no="13"?> 14 1 Einleitung nicht nur auf den Wandel in der Verwendung und Kombination einzelner Modi und deren Auswirkung auf die semiotische Struktur des Raumes, sondern auch auf Änderungen, die durch externe Faktoren wie z. B. die Stadtentwicklung oder Architektur bedingt sind. Die Einbeziehung dieser Aspekte gründet auf umfassenden Archivarbeiten, wobei der hieraus erarbeitete Befund analog in der Datenbank annotiert wird. Die mehrdimensionale Analyse ist sowohl in Theorien und Methoden von Forschungen zu Linguistic Landscapes als auch zur schon oben erwähnten Bildlinguistik (z. B. Große 2011, Diekmannshenke et al. 2011), zur Semiotik von „Schrift-Bildern“ (e.g. Metten 2011) und zur Bildsemiotik (Barthes 1969) eingebettet, wobei die Beobachtung von Große (2011: 12) zugrunde gelegt wird, wonach [d]ie bisher als selbstverständlich geltenden räumlichen und funktionalen Grenzen zwischen Bild, Sprache und Schrift (…) aufgelöst, die jeweiligen Vorteile von Schrift und Bild in neuartigen Zeichensystemen verknüpft und zu permanent neuen Synergien, Metamorphosen und Mischformen gestaltet (werden). In diesem Sinn wird die Tradition von Forschungen zum Komplex Linguistic Landscapes zwar als wesentlicher Ausgangspunkt für die vorliegende Studie verstanden, doch setzt sie sich zugleich das Ziel, diese Dimension unter Zugrundelegung von Hypothesenbildungen im Bereich der Bildlinguistik und „social semiotics“ (Stöckl 2004) als Bestandteil einer multimodalen „semiotischen Karte“ ( semiotic map , vgl. die Beiträge in Zantides 2014) zu interpretieren. In der Tat konzentrieren sich Studien zu Linguistic Landscapes in meist synchroner Perspektive auf die Beschreibung und Analyse von Sprache ‚an sich‘ im öffentlichen Raum. Nicht nur in der genannten synchronen, sondern auch in diachroner Perspektive wird in der vorliegenden Studie jedoch davon ausgegangen, dass - wie oben angedeutet - die Beschränkung auf die rein sprachliche Dimension vor allem in Hinblick auf eine qualitative Analyse der Präsenz geschriebener Sprache im öffentlichen Raum nicht ausreichend ist, um die Strukturierung und Funktionalität bzw. Semiotik eines öffentlichen ‚Sprachraums‘ zu erfassen. Linguistic Landscapes sind also zu verstehen als Teile einer Gesamtkomposition multimodaler semiotischer Zeichen, die als eigentliche Analysegröße zugrunde zu legen ist. Dies ermöglicht eine umfassendere Beschreibung der unterschiedlichen Formen der Repräsentation von Sprache einschließlich der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Funktionen eines semiotischen Raumes 2 und seiner dialogischen Struktur (Zeichen-Wahrnehmende), ohne Kri- 2 Vgl. Hornsby & Vigers (2012), Moriarty (2012) zur Kombination von Farbe, Font und irischer Sprache im touristischen Kontext in Dingle (Irland) oder Coupland and Garrett <?page no="14"?> terien, die in der Linguistic Landscape -Forschung thematisiert werden, zu vernachlässigen. In einer solchen der Gesamtsemiotik des öffentlichen Raumes Rechnung tragenden Analyse können Ansätze der LL-Forschung mit denen der Bildlinguistik (Schmitz 2011, Stöckl 2011, Bateman 2014) und weiteren Bereichen der semiotischen Forschung (Kress 2010) in einem Ansatz integriert werden. Die Klassifizierung in unterschiedliche Analysegrößen (Schild, Sehfläche, Bild, vgl. Kapitel 5), die die verschiedenen möglichen semiotischen Genres aufgreift, ermöglicht es hierbei sowohl unterschiedliche Formen der Multimodalität zu berücksichtigen als auch die Beziehung der einzelnen Modi zueinander und ihre (dialogische) Funktion auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Bereichen im modernen öffentlichen Raum zu beschreiben. Dabei ist zu beachten, dass die Studie darauf abzielt grundlegende, allgemeine Muster und Beziehungen zu isolieren, die sich auf andere öffentliche Räume mit gleicher oder ähnlicher Funktion übertragen lassen. Dies gilt umso mehr, als die gegebenen öffentlichen Räume in ihrer Profilierung zwar vergleichsweise stabil sind, aber dennoch erhebliche Volatilität besteht. Einerseits sind Nutzerwechsel auch innerhalb kürzerer Zeiträume möglich oder gar wahrscheinlich und andererseits sind konkrete Formen sowohl des Bildlichen als auch Sprachlichen durch häufige Umdekorationen etc. im ständigen Wechsel begriffen. Entsprechend sind die erhobenen Daten eine Momentaufnahme, aus der sich aber die zugrunde liegenden Muster, Regeln und Konventionen ableiten lassen. Um den unterschiedlichen Dimensionen und Ansätzen, die dieser Arbeit zugrunde liegen, gerecht zu werden, gliedert diese sich in 6 Textkapitel einschließlich dieser Einleitung und Verzeichnisse. Kapitel 2 widmet sich ausführlich der Linguistic Landscape -Forschung. Nach einer Präsentation des aktuellen Forschungsstandes wird die synchrone Linguistic Landscape in den Kontext des öffentlichen Raumes als ihrem Realisationsort gestellt. Diese Beschreibung des status quo wird mit einer historischen Kontextualisierung abgeschlossen, in der aufgezeigt wird, dass bestimmte interdependente gesellschaftliche, politische und ökonomische Entwicklungen an der Wende vom 19. Jahrhundert zum 20. Jahrhundert wesentlichen Einfluss auf die Genese der modernen Linguistic Landscape und des modernen, ökonomisch genutzten öffentlichen Raums hatten. Kapitel 3 stellt die Beziehung von Linguistic Landscapes und Multimedialität in das Zentrum der Betrachtung. Dabei werden die unterschiedlichen Dimensio- (2010) zur (Re)Konstruktion walisischen Erbes im Cultural Heritage Tourismus in Patagonien. Kress (2010) hingegen beschreibt die Bedeutung des Zusammenspiels von Sprache, Bild und Farbe für Informationsschilder im öffentlichen Raum. 1 Einleitung 15 <?page no="15"?> 16 1 Einleitung nen des Begriffs Multimodalität in Bezug auf die Linguistic Landscape und den öffentlichen Raum in den Blick genommen. Dafür werden zunächst typografische Aspekte wie die Wahl von Fonts, Farben sowie die bildhafte Veränderung von Schrift beschrieben. Es geht in diesem Teil des Kapitels damit um die bewusste Gestaltung des Mediums Schrift mit dem Ziel den so präsentierten Text mit zusätzlicher Bedeutung aufzuladen. Im Anschluss daran wird auf Text-Bild- Aggregate eingegangen. Solche Kombinationen aus möglicherweise mit typografischen Mitteln gestaltetem Text und Bild sind Untersuchungsgegenstand der Bildlinguistik , die die unterschiedlichen Interaktionsformen beider Modalitäten zur Formulierung einer Gesamtaussage untersucht. Auch hier werden nach der Präsentation der synchronen Befunde die historischen Dimensionen nachgezeichnet wobei gezeigt wird, dass die gegenwärtigen Strukturen im Ergebnis auf den in Kapitel 2 vorgestellten Genesekontext zurückzuführen sind. Kapitel 4 führt in die eigentliche Studie ein und stellt den Untersuchungsraum, die angewandten Methoden, Analysegrößen sowie die Datenbasis für die Auswertungen vor. Der Untersuchungsraum wird dabei unter Rückgriff auf die Befunde aus den Kapiteln 2 und 3 ausführlich auch in seiner historischen Dimension beschrieben, welche gerade die Fußgängerzone heute immer noch prägt. Gleichzeitig zeigen sich der Bau und die Funktion des Olympia Einkaufzentrums als Fortschreibung einer Entwicklung, die auch Auswirkungen auf die Fußgängerzone hat(te), woraus sich die Begründung für die Wahl eben dieser Untersuchungsräume ableiten lässt. Die eigentliche und umfassende Analyse der gesammelten Daten erfolgt in Kapitel 5, welches mit einer ausführlichen Beschreibung der allgemeinen Daten des Untersuchungsraumes einsetzt. Es beginnt mit einer Analyse der Sign - Produzenten im Hinblick auf Gruppierung ( Akteure ) und Quantitäten sowohl für den Gesamtuntersuchungsraum als auch für beide Teiluntersuchungsräume (Fußgängerzone, OEZ). Im Anschluss daran und inhaltlich den Kapiteln 2 und 3 folgend wird zunächst eine Analyse der dokumentierten Signs im Sinne der Linguistic Landscape -Forschung vorgenommen. In einem ersten Schritt werden das Gesamtkorpus sowie die Anzahl der dokumentierten Signs in Beziehung zu den Akteuren gesetzt (jeweiliger Anteil der Akteure an den Signs und dem Korpus), um diese Ergebnisse um die Dimension Sprachen zu erweitern. Es erfolgt zunächst die Identifikation der verwendeten Sprachen sowie die Feststellung ihres Anteils am Gesamtkorpus und am fremdsprachlichen Korpus. Diese Daten werden dann mit den Akteuren als Sign -Produzenten sowie den Untersuchungsräumen in Beziehung gesetzt, um eine umfassende Beschreibung der Präsenz sprachlicher Daten im Untersuchungsraum leisten zu können. Diese sprachlichen Daten wiederum werden angeschlossen an eine Untersuchung von Schildformen, verwendeten Farben (Schrift und Schild) sowie weiteren <?page no="16"?> grafischen Elementen, die die Gesamtaussage und das Erscheinungsbild eines Signs beeinflussen bzw. zu ihr bzw. ihm beitragen können. Diese Gesamtergebnisse werden als Abschluss dieses Analyseteils systematisch für die einzelnen Akteure dargestellt und die typischen vorgefundenen Sign -Strukturen beschrieben. Als weiterer Analyseschritt erfolgt die Integration der vielfältigen bildlichen Elemente, wie sie in Form von Schaufenstern und Architektur im öffentlichen Raum gegeben sind. Dabei steht die Analyse der sich aus den Strukturen des öffentlichen Raumes ergebenden multimodalen Aggregate im Zentrum des Interesses. Die Funktion von Signs als strukturierendes und in dieser Form mit der Architektur bzw. bestimmten architektonischen Merkmalen interagierendes Element wird dabei ebenso untersucht wie das Zusammenspiel von Sprache und Bild im Bereich von Schaufenstern. Hier wird der Fokus auf die an Beispielen erläuterte Rekonstruktion von Aneignungswegen solcher komplexer Aggregate, sowie die Beschreibung der formalen Beziehungen zwischen bildlichen und sprachlichen Elementen gelegt. Die Systematisierung der Einzelergebnisse dieses zweiten Analyseabschnittes und die Beschreibung der sich aus diesen ergebenden, Akteur-spezifischen Interaktions- und Präsentationsstrukturen bilden den Abschluss der Analyse. Alle Analyseschritte greifen konsequent auf die in Kapitel 2 und 3 getroffen Aussagen und Beschreibungen von Entstehungskontexten zurück und binden die Analyseergebnisse an diese an, so dass sich, ausgehend von den konkreten Daten der Studie, allgemeinere Aussagen ableiten lassen. Das abschießende Kapitel 6 fasst die Einzelergebnisse der Analyseschritte zusammen und stellt sie in den Kontext sowohl der Linguistic Landscape - Forschung als auch der Bildlinguistik und deren Perspektiven. Darüberhinaus werden die Funktionen von Sprache, Bild und Schild als eigenständige Größen für die Konstruktion des öffentlichen Raumes beschrieben. Dabei gilt jedes Element als eigenständiges, mehrschichtiges Indexal, das für jede Schicht über eine eigene, funktionsabhängige Reichweite verfügt. 1 Einleitung 17 <?page no="18"?> Inhaltsverzeichnis 19 2 Linguistic Landscapes 2.1 Eine Standortbestimmung Mit ihrem Aufsatz „Linguistic Landscape and Ethnolinguistic Vitality. An Empirical Study“ legten Landry & Bourhis (1997) den Grundstein für die wissenschaftliche Betrachtung von Linguistic Landscapes, die sich in den folgenden Jahren als Teilbereich der Soziolinguistik etablieren konnte. Landry & Bourhis definierten Linguistic Landscapes als „[t]he language of public road signs, advertising billboards, street names, place names, commercial shop signs, and public signs on government buildings“ (1997: 25) und nahmen damit einen Perspektivenwechsel vor, weg von der Erforschung gesprochener oder - allgemeiner gesagt - ‚praktizierter‘ Sprache hin zur Frage nach der Aussagekraft von schriftlich fixierten sprachlichen Äußerungen ( signs ) im öffentlichen Raum. Eine der Grundannahmen der Linguistic Landscape-Forschung, die schon bei Landry & Bourhis (1997) angelegt ist, besteht darin, dass die Wahrnehmung von geschriebener Sprache im öffentlichen Raum Aussagen über den Status und den Verwendungsskopus einer gegebenen Sprache in einer Gesellschaft ermöglicht. Basis zahlreicher Linguistic Landscape Studien ist also die Annahme einer grundsätzlich asymmetrischen Beziehung von Sprechern unterschiedlicher Sprachen in einer Gesellschaft, die sich in der Verwendung ebendieser Sprachen im öffentlichen Raum widerspiegelt. Cenoz & Gorter (2006) und Puzey (2012) gehen dabei allerdings von einer positiv verstärkenden Wirkung der Präsenz von Minderheitensprachen im öffentlichen Raum aus, da eine vermehrte Wahrnehmung dieser Sprachen ihren Status erhöhen kann, was in der Folge zu einem Prestigezuwachs führt, der wiederum in einer erhöhten Verwendung der Sprache resultieren kann. Auf dieser Basis widmet sich der Großteil der Linguistic Landscape-Studien Manifestationen von Mehrsprachigkeit und fokussiert dabei stark auf bestimmte Themenbereiche, bei denen sich nicht nur ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Sprachen dokumentieren, sondern gleichzeitig der ökonomische oder politische ‚Wert‘ bestimmter Sprache beobachten lässt. Dies gilt in Bezug auf Linguistic Landscapes besonders für Bereiche wie den Tourismus (Moriarty (2012, 2014) zum Irischen, Bruyèl-Olmedo & Juan-Garau (2015) zum Katalanischen auf Mallorca, Reershemius (2011) zur Funktion des Plattdeutschen im Tourismus, Leeman & Modan (2009, 2010) zum Chinesischen in der Chinatown von Washington D.C.) und für Auswirkungen von sprachpolitischer Maßnah- <?page no="19"?> 20 2 Linguistic Landscapes men bzw. eines Sprachmanagements 3 einschließlich Revitalisierungsbemühungen (Blackwood (2010, 2013) zu französischen Regionalsprachen, Tufi (2013) zum Verhältnis von Italienisch und Slowenisch in der LL von Triest, zu ausgewählten Minderheitensprachen in den Niederlanden Edelmann (2014), grundlegend Landry & Bourhis (1997) zur Frankophonie in Kanada). Als Problem dieser Studien erweist sich bei genauerer Betrachtung aber ein bisher nicht geklärtes methodisches Problem der Linguistic Landscape- Forschung. Zunächst wird nicht ausreichend unterschieden zwischen den unterschiedlichen Gruppen von „Minderheiten“ (autochthone vs. allochthone Minderheiten). Diese zunächst scheinbar nicht vertretbare Unterscheidung von Minderheitengruppen gewinnt an Bedeutung, wenn die hohe Mobilität moderner Gesellschaften und die damit einhergehende Migration berücksichtigt wird, die bei klassischen Migrantengruppen dazu führt, dass die Zahl unterschiedlicher Herkunftsgruppen in zahlreichen Staaten immer größer wird und einzelne (allochthone) Herkunftsgruppen in ihrer Binnenstruktur alles andere als homogen sind, da ihre Mitglieder unterschiedlich lange im Zielland leben, über unterschiedliche Sprachkenntnisse und Bildung verfügen, unterschiedlich stark integriert sind etc. Vertovec (2007) zeigt in seinem Aufsatz zur „ super-diversity“ am Beispiel Londons, dass die traditionelle Konzeption von Migrantengruppen als homogenen Großgruppen in modernen Gesellschaften überholt ist: „Meanwhile multiculturalism continues to be conceived of mainly in terms of the African-Caribbean and South Asian communities of British citizens.“ (S. 1027). Regionale (autochthone) „Minderheiten“ mit historischer Präsenz in ihrem Siedlungsgebiet können zwar sprachlich und kulturell von der Mehrheitsgesellschaft unterschieden werden, weisen aber eben gerade aufgrund ihrer langen lokalen Geschichte andere Muster auf als klassische Migrantengruppen. Insofern muss eine Linguistic Landscape-Studie diese Unterscheidung dringend vornehmen, wenn wie z. B. bei Edelmann (2014) die Präsenz des Friesischen als Sprache einer autochthonen Minderheit mit Sprachen von Gruppen verglichen wird, die erst seit vergleichsweise kurzer Zeit in den Niederlanden präsent sind und klassischen Migrantengruppen entsprechen. Darüberhinaus zeigt Blommaert (2013), dass eine weitgehende Unsichtbarkeit von Sprachen oder schlichte Formen von Signs nicht notwendigerweise auf eine Marginalisierung, sondern auch auf eine sich erst etablierende, kleine Gruppe mit geringer finanzieller Ausstattung hinweisen kann. 3 Ausführlich zum Sprachmanagement in den unterschiedlichsten öffentlichen und privaten Räumen Spolsky 2009(a). <?page no="20"?> 2.1 Eine Standortbestimmung 21 Auch die Frage der Ausprägung von Schriftlichkeit (Spolsky 2009b: 29-30) oder der Wunsch nach öffentlicher Präsenz einer Gruppe spielen eine große Rolle in der Bewertung der Frequenz von Minderheitensprachen im öffentlichen Raum. So gilt z. B. für das von Edelmann (2014) untersuchte Friesische, dass es traditionell von Mündlichkeit geprägt ist und über keine eigene ausgeprägte Schrifttradition verfügt. Tufi (2013) zeigt in ihrer Studie zum Slowenischen in der Provinz Triest, dass eine nur geringe Sichtbarkeit der Minderheitensprache durchaus dem Wunsch der Sprecher entsprechen kann, wenn diese ihrer Sprache eine identitätsstiftende Funktion zuweisen, die nicht auf öffentliche Wahrnehmbarkeit ausgerichtet ist. Vor diesem Hintergrund ist die verbreitete quantitativ-distributive Analyse der Daten als problematisch zu betrachten. Eine Vielzahl von LL-Studien ist in Regionen angesiedelt, in denen aufgrund gegebener historischer Entwicklungen ein über lange Zeiträume hinweg bestehendes, festes Gefüge an Mehrsprachigkeit besteht, also autochthone Gruppen und ihre Regionalsprachen im Zentrum des Interesses stehen. Neben Spanien mit seinen zahlreichen, rechtlich in den jeweiligen Regionen dem Spanischen gleichgestellten Regionalsprachen stehen Frankreich mit der untergeordneten Stellung seiner Regionalsprachen im Vergleich zum Französischen, Irland mit seinen widersprüchlichen Ergebnissen zum Irischen sowie Israel im Zentrum von Lingustic Landscape-Forschungen. Ebenso wie im Falle der Studie von Landry & Bourhis (1997) zur Frankophonie in Kanada handelt es sich bei den aufgeführten Regionen um solche, in denen Mehrsprachigkeit durch komplexe historische Prozesse im Rahmen der Nationenbildung entstanden ist und in denen vormals vergleichsweise eigenständige Regionen und ‚ethnische‘ Gruppen in ein sprachlich und kulturell zumindest teilweise abweichendes politisches Konstrukt (Staat) eingebunden wurden, oft ohne an der Bildung des neuen Konstrukts tatsächlich beteiligt gewesen zu sein. So sind beispielsweise die frankophonen Gebiete Kanadas, an denen Landry & Bourhis ihr Konzept der LL entwickelten, 1763 als Folge der Niederlage Frankreichs im Siebenjährigen Krieg im Pariser Frieden an England abgetreten worden. Die Präsenz von Sprachen von Migrantengruppen wird dagegen seltener thematisiert und entsprechende Studien sind vor allem im außereuropäischen Raum und hier in der Regel in ‚klassischen Einwanderungsländern‘ angesiedelt (z. B. zum Chinesischen in USA Leeman & Modan 2009, 2010; Lou 2010). Für Deutschland ist e.g. auf Stoltmann (2016) hinzuweisen, der die multilingualen Muster in zwei durch massive Zuwanderung gekennzeichneten Stadtteilen von Kiel und Rostock untersucht hat. Diese sowohl quantitativ als auch qualitativ angelegte Studie findet ihre Ergänzung im Projekt der Universität Essen „Metropolenzeichen: Visuelle Mehrsprachigkeit in der Metropole Ruhr“ (2013-2018; vgl. Mühlan-Meyer, Ziegler, Uslucan 2016, Mühlan-Meyer and Lützenkirchen 2017, Cindark and Ziegler 2016, Ziegler, Eickmans, Schmitz 2017). <?page no="21"?> 22 2 Linguistic Landscapes Im Bereich des Tourismus wird zudem häufig die Präsenz von Regionalsprachen nicht mit der Sprache der Mehrheitsgesellschaft verglichen, sondern mit den Sprachen der größten Touristengruppen (Bruyèl-Olmedo & Juan-Garau 2015) oder mit dem Englischen als internationaler Verkehrssprache und moderner lingua franca. Neben der Untersuchung der „Wertigkeit“ der regionalen Sprachen unter dem Stichwort Kommodifizierung (Heller, Jaworski, Thurlow 2014; Heller, Pujolar, Duchêne 2014, Leeman & Modan 2009, 2010), stehen hier weniger gesellschaftliche Machtgefüge zur Diskussion als vielmehr ökonomische Diskurse, zu denen auch die über die Daten laufende Kommunikation zwischen Produzenten und Rezipienten von Signs gehört. Darüberhinaus werden in diesem Bereich zunehmend weitere Aspekte wie die semiotische Unterstützung von Sprache in den Blick genommen und untersucht, in welchem Umfang die Verwendung von Regionalsprachen, Minderheitensprachen oder Dialekten durch weitere Mittel wie Farben, Fonts oder Hinweise auf besondere kulturelle Verfahren unterstützt bzw. verstärkt wird (vgl. Kapitel 2). Für Studien, die diese erweiterte Form von Zeichen berücksichtigen, hat sich die Bezeichnung Semiotic Landscape etabliert. Semiotic Landscape-Studien weisen somit über die reine Betrachtung von Sprache hinaus, legen aber in der Regel den Schwerpunkt auf diese und betrachten die weiteren semiotischen Elemente als unterstützende Faktoren. Die Datenerfassung im Rahmen von LL-Studien mittels Fotodokumentation findet in der Regel in städtischen Räumen statt. Diese Auswahl ist Gegenstand der Kritik, die aber sowohl im Hinblick auf die Art der Daten als auch den historischen Entstehungskontext von LLs zu relativieren ist (s. u.). Städtische Räume bieten im Gegensatz zu dörflichen Strukturen eine Vielzahl unterschiedlicher Orte, an denen die benötigten Daten auffindbar sind. Eine abnehmende Ortsgröße geht in der Regel mit einem geringeren Anteil an Daten-liefernder Infrastruktur in Form von Geschäften, Werbetafeln, gastronomischen Angeboten, Nahverkehr, Straßenschildern etc. einher, so dass eine Auswahl der Orte im Hinblick auf eine ausreichende Datenmenge vertretbar ist. Gleichzeitig muss die Ortsauswahl gegenstandsangemessen sein, was heißt, dass kleinere Ortschaften nicht per se ausgeschlossen werden. Einige Studien zeigen, dass gerade diese kleinen Ortschaften in Bezug auf bestimmte Fragestellungen sehr wohl zum Erkenntnisgewinn beitragen können (z. B. Tufi (2013) komparativ zum Slowenischen oder Reershemius (2011) zum Niederdeutschen). Zusammenfassend lassen sich Linguistic oder Semiotic Landscape-Studien im Hinblick auf die Fragestellung als Untersuchungen zur Präsentation und Repräsentation von Sprachen im öffentlichen Raum als Ausdruck der den Sprachen zugewiesenen Funktion(en) beschreiben, greifen damit allerdings in der vorwiegend distributiv beschreibenden Analyse häufig deutlich zu kurz. <?page no="22"?> Die Linguistic Landscape-Forschung berücksichtigt in der qualitativen Analyse weiterführende semiotische und multimodale Aspekte lediglich als Hilfsargumente zur Beschreibung rein linguistischer Daten, während weiterreichende semiotische Studien zu wenig auf die spezifische Rolle von Sprache abheben. Die sich in den aktuellen Formen und Funktionen multimodaler Konstruktionen widerspiegelnde historische Entwicklung auch in den sich wandelnden Anforderungen und Erwartungshaltungen an entsprechende Konstruktionen im öffentlichen Raum (Kress 2010) wird in den i. d. R. rein synchron ausgerichteten Studien ebenfalls selten thematisiert. Der dialogische Charakter von verschrifteter Sprache allein und in Kombination als semiotisches Genre unterschiedlicher Funktion und Reichweite im öffentlichen Raum bleibt in der LL-Forschung bis dato weitgehend unbeachtet und wird gegebenenfalls nur hinsichtlich seiner Auswirkungen im Bereich der Sprachpolitik und dem möglicherweise wechselseitigen Einfluss der Präsenz von Minderheitensprachen im öffentlichen und ihrem Status in einer gegebenen Gesellschaft betrachtet (z. B. Puzey 2012). Ein ebenfalls noch junger Bereich der Sprachwissenschaft ist die Bildlinguistik, die in einem interdisziplinären Ansatz Bildwissenschaft und Teilbereiche der Sprachwissenschaft (Diskurs-, Medien-, Text-, Kognitionslinguistik) zur Erforschung komplexer Text-Bild-Beziehungen vereinigt. Untersuchungen zur Bildlinguistik als eigenständiges Forschungsthema sind bisher selten. Die existierende Literatur setzt ihre Schwerpunkte derzeit noch in der Diskussion und Beschreibung methodischer und analytischer Verfahren. Grundlegend für theoretische Ansätze sind u. a. die Arbeiten von Diekmannshenke et al. (2011) und Große (2011), sowie Bateman (2008, 2014). Weitere Arbeiten zum Thema Bildlinguistik untersuchen die Verbindung von Sprache und Bild vor allem in Bezug auf Massenmedien und Medienkommunikation (Stöckl 2004a) oder Werbekontexte (Stöckl 2008). Diese intermediale Ausrichtung will den vor allem durch moderne Massenmedien zunehmenden Visualisierungstendenzen und z. B. als „visuelle Zeitenwende“ beschriebenen Paradigmenwechsel (Straßner 2002) Rechnung tragen. Allerdings weisen Duvigneau (1975) und sowie Ilgen & Schindelbeck (2006) in ihren Arbeiten zur Entwicklung der Werbung und besonders des Plakatwesens auf die große Bedeutung hin, die der gestalterischen Komposition von Plakaten auch im Hinblick auf die Integration von Text und Bild schon in der Frühzeit beigemessen wurde und welche Funktionen diesen Elementen jeweils zukommen. Wischermann (1995: 14) beschreibt Werbung als neue Dimension gesellschaftlicher Repräsentation der Moderne und fasst diese unter dem Stichwort „visuelle Kultur“ zusammen. Diese historische Perspektive verdeutlicht, dass der Untersuchungsgegenstand der Bildlinguistik auf historische Dimen- 2.1 Eine Standortbestimmung 23 <?page no="23"?> 24 2 Linguistic Landscapes sionen sowie auf alle weiteren Medien, die auf eine Text-Bild-Integration zur Botschaftsvermittlung setzen, ausgeweitet werden kann und dass so auch das Plakat, Schaufenster und damit bis zu einem gewissen Grad auch die Architektur öffentlicher Räume (s. u.) mit den Mitteln der Bildlinguistik beschreibbar werden, womit sich eine Schnittstelle zu den Fragestellungen und Analysegrößen der LL ergeben würde, da sich beide Bereiche in dieser Perspektive zumindest teilweise überlappen. Sowohl theoretische Ansätze als auch konkrete Untersuchungen aus dem Bereich der Bildlinguistik zielen derzeit vor allem eine gedruckte, filmische oder virtuelle Datenbasis. Das Zusammenspiel von Bild und Sprache in der Konstruktion und Strukturierung des öffentlichen Raums ist bisher noch nicht thematisiert worden. Dabei zeigen sich auch im Bereich der Schaufenster Strukturen, die in ihrer Kombination aus Bild/ Plakat, Warenpräsentation und Text ähnlich komponiert sind und zum Teil explizit auf massenmediale Auftritte des eigenen Labels zurückgreifen. So hat zum Beispiel das Label Esprit im Herbst/ Winter 2015/ 2016 die Kampagne #ImPerfect durchgeführt, die sowohl TV-Spots, Print- und Online-Anzeigen sowie Außenwerbung umfasste und auch Teil der Schaufensterdekoration in Esprit-Shops wurde (Bild 1). Einfachere Text-Bild-Kombinationen finden sich auf bzw. in Schaufenstern, wobei der Schrift bzw. dem Text unterschiedliche Funktionen zukommen, da er sowohl das Thema der Schaufensterdekoration vorgeben, als auch Teil der Dekoration sein kann (vgl. Bild 2 und Bild 3). Bild 1: Schaufenster Fa. Esprit, Kaufingerstraße 24. <?page no="24"?> Bild 2: Schaufenster Fa. Hunkemöller, OEZ. Bild 3: Schaufenster Fa. Hirmer, Kaufingerstraße 28. 2.1 Eine Standortbestimmung 25 <?page no="25"?> 26 2 Linguistic Landscapes 2.2 Der öffentliche Raum als Bühne der LL Linguistic Landscapes sind das Sign um eines öffentlichen und weitgehend anonymen Raums, in dem die Kommunikation zwischen zentralen Akteuren (Produzent/ Händler-Kunde) nur noch indirekt, vermittelt über Signs stattfindet. Definitionen dessen, was als öffentlicher Raum zu verstehen ist, kreisen vornehmlich um die Frage der Zugänglichkeit sowie der Bestimmung von ‚Raum‘ als gedachtem vs. geografischem Areal, wobei letzteres vornehmlich durch Menschen geschaffene oder von ihnen in ihrer Struktur wesentlich geprägte Räume meint und weniger auf Naturräume wie z. B. Wälder Bezug nimmt. Zentral ist zunächst die Unterscheidung von ‚privat‘ und ‚öffentlich‘, da nicht alle Teile der von Menschen geschaffenen Räume für jedermann zugänglich sind. Dabei kann die Selektion der Zugangsberechtigung unterschiedliche Dimensionen annehmen. Grundlegend ist zunächst die Trennung zwischen privaten (Wohn-)Räumen und öffentlich zugänglichen Räumen wie Straßen, Plätzen und Gebäuden aller Art (Geschäfte, Schulen, Behörden, Museen, Schwimmbäder etc.). Damit wird die doppelte Struktur des öffentlichen Raumes sichtbar, die sowohl den Raum außerhalb von Gebäuden umfasst als auch den Raum innerhalb o. g. Gebäudetypen. Diese sind vor allem im Bereich der Geschäfte durch den Eigentümer häufig als Privatbesitz, aber aufgrund ihrer ökonomischen Funktion nicht als privater Raum zu sehen, da die Nutzung durch anonyme, dem Eigentümer unbekannte Personen erwünscht ist. Klamt (2007) beschreibt in diesem Zusammenhang Fensterfronten von Geschäften (Schaufenster) und Arkadengänge als Übergangszonen, in denen die Trennung von Innen (Geschäft) und Außen (Straße) nicht mehr eindeutig gegeben ist. Eine andere Interpretation in Bezug auf Arkaden findet sich bei Scollon & Scollon (2003), die in ihnen eine typisch europäisch geprägte Ästhetik sehen, in der „urban surfaces without signs as an expression of high levels of elegance“ gewertet werden. Allerdings kann bei prinzipiell öffentlich zugänglichen Gebäuden durch bestimmte Merkmale eine Selektion hinsichtlich der Nutzergruppe erreicht werden. Diese wird in der Regel dadurch erzielt, dass bestimmte Zielgruppen über Marker angesprochen werden. Diese Marker sind häufig Teil und prägendes Element der Linguistic oder Semiotic Landscape eines gegebenen Raumes und verweisen auf gelernte Wissens- und Interpretationsstrukturen, die bei den Nutzern des öffentlichen Raumes gegeben sind. Grundsätzlich führt diese Perspektive zu einem weiteren Verständnis von öffentlichem Raum als heterogenem, von der und für die Öffentlichkeit konstruiertem Orten unterschiedlicher Form und Funktion (Klamt 2007). Wesentlich für die Entstehung eines öffentlichen Raumes im obigen Sinne sind zwei weitere, bisher nicht thematisierte Elemente. Die beschriebenen Struk- <?page no="26"?> 2.2 Der öffentliche Raum als Bühne der LL 27 turen verweisen auf eine hohe Nutzungsdichte, die eine gute Erreichbarkeit der jeweiligen Orte sowie einen hohen Frequentierungsgrad und damit eine starke Integration in den Alltag andeuten. Gleichzeitig liegt eine stark ökonomisch geprägte Ausrichtung dieser Orte vor, in denen Kommunikation zwischen den Gruppen bzw. Akteuren nur unter bestimmten Bedingungen möglich ist. Dies gilt zunächst auch für kleinere Ortschaften, in denen z. B. der Dorfplatz, die zentrale Dorfstraße oder das Dorfwirtshaus die Funktion des öffentlichen Raumes im hier beschriebenen Sinne erfüllen. Dort trifft man sich, dort sind u. U. Schule, Kindergarten und Läden angesiedelt, in denen Einkäufe gemacht werden. In diesem überschaubaren Rahmen, in dem eine gewisse Vorhersagbarkeit im Hinblick auf die anwesenden Personen herrscht, kann Kommunikation sowohl zwischen den Nutzern als auch zwischen den Nutzern und den Anbietern (Wirt, Ladenbesitzer) noch weitestgehend direkt als face-to-face -Kommunikation ablaufen. In urbanen Räumen hingegen ist zum einen eine Kommunikation zwischen den Nutzern aufgrund der großen anonymen Masse nicht Ziel des Aufenthalts im öffentlichen Raum, zum anderen ist eine unmittelbare Kommunikation Anbieter-Kunde ebenfalls nicht mehr möglich. Gleichzeitig ist jedoch gerade diese Kommunikation zentral für die Wahrnehmung des öffentlichen Raumes, da sie wesentlich zu seiner konkreten Ausprägung beiträgt und damit Teil seiner Konstruktion ist. Klamt (2007) verwendet den Begriff „Wahrnehmungsraum“ als Gegenbegriff zum „objektiven Raumverständnis der Naturwissenschaften“ 4 und betont damit die Konstruiertheit und Subjektivität des öffentlichen Raumes, da dieser durch seine konkrete Form zwar (konventionalisierte) Wahrnehmungen und Interpretationen vorschlägt, der Nutzer diesen aber nicht folgenden muss und insgesamt eine Umgestaltung und Uminterpretation jederzeit möglich ist. Daraus leitet sich ab, dass in Anlehnung an die Ausführungen von Friedrich & Schweppenhäuser (2010) zum Kommunikationsdesign die Konstruktion des öffentlichen Raums kulturspezifische Elemente und deren Interpretationen und Bewertungen umfasst, die sich auf die konkrete Ausgestaltung dieses Raumes in architektonischer, infrastruktureller und ökonomischer Hinsicht beziehen und auswirken. Friedrich & Schweppenhäuser (2010) verweisen hier z. B. auf die 4 Vgl. hierzu auch Lefebvre (1974: 15), der zusätzlich darauf verweist, dass ein naturwissenschaftlich-mathematisches Verständnis von „Raum“ lange das dominierende Konzept war und ein soziologisches Verständnis von Raum vergleichsweise jung ist: „L’espace! Voici peu d’années, ce terme n’évoquait rien d’autre qu’un concept géométrique, celui d’un milieu vide. Toute personne instruite le complétait aussitôt d’un terme savant, tel qu’“euclidien“ ou „isotrope“, ou „infini“. Le concept de l’espace relevait, pensait-on en général, de la mathématique et seulement de cette science. L’espace social? Ces mots auraient surpris.“ <?page no="27"?> 28 2 Linguistic Landscapes Sehschulung und deren Einfluss darauf, ob bestimmte Kombinationen von ‚Objekt‘ und ‚Text‘ als passend empfunden werden sowie auf die von der kulturellen Prägung vorgegebenen Konnotationen zentraler Elemente der Wahrnehmung. Auch wenn Friedrich & Schweppenhäuser (2010) sich in ihren Ausführungen auf Werbung und Marketing und das Zusammenspiel von beworbenem ‚Objekt‘ und passender ‚Schrift‘ bzw. passendem ‚Text‘ beschränken 5 , können ihre Ausführungen durchaus auf die Wahrnehmung des öffentlichen Raums übertragen werden, wenn die architektonischen 6 und/ oder natürlichen Gegebenheiten bzw. deren Kombination (Gebäude, Wege, Straßen, Grünflächen, Wälder 7 etc.) als ‚Objekt‘ und die Präsenz von Sprache in verschrifteter Form, Piktogrammen etc. als ‚Text‘ verstanden wird, die zusammen den öffentlichen Raum und erst in der jeweils spezifischen Kombination einen bestimmten Typus desselben bilden. Dabei stehen die architektonischen Gegebenheiten und die spezifische Ausprägung von geschriebener Sprache in der Regel in einem reziproken Verhältnis zu einander und verweisen zumindest in der Tendenz auf besonders prägnante Formen des jeweils anderen Elements. So lassen bestimmte architektonische Strukturen eine entsprechende Nutzung und eine für sie typische LL sowohl in Bezug auf die Qualität (hier verstanden sowohl hinsichtlich der Form als auch des Inhalts) als auch der Quantität erwarten. Diese Beziehung gilt dabei nicht nur für die in dieser Betrachtung im Zentrum stehende ökonomische Nutzung urbaner öffentlicher Räume (vgl. Fn. 7). Für Naturräume, wie z. B. Wälder, werden nur wenige, nutzungsspezifische Signs im Sinne von Wegweisern für Wander- oder Radwege, ggf. Rastplätze o. ä. erwartet, die in ihrer äußeren Form deutlich von Signs urbaner Strukturen abweichen. Auch für den hier wesentlichen öffentlichen Raum in urbanen Strukturen zeigen sich ebenfalls spezifische architektonische Formen, die 5 Als Beispiele führen sie die als „passend“ empfundene Verbindung von französischen Burgunder und dem Font Renaissance Antigua sowie von „eine[r] fetten, serifenbetonte[n] Antigua“ und „nordamerikanischen Whiskey“. Begründet wird das Whiskey-Beispiel mit einer „kulturellen Seh-Schulung durch Comics, Westernfilme etc.“ Friedrich & Schweppenhäuser (2010). 6 Unter „architektonischen Gegebenheiten“ wird neben dem Hochbau (Gebäude in Form von Häusern, Hallen etc.) auch der Tiefbau (Straßen, Brücken einschließlich aller nicht versiegelnder Formen wie Wegen aus Kies, Waldwegen etc.) sowie alle durch menschliche planerische Tätigkeit entstandenen Strukturen zum Zweck einer spezifischen Nutzung verstanden. 7 Unabhängig von der hier vorliegenden Konzentration der Definition des öffentlichen Raums auf urbane Strukturen, lässt sich zumindest das Konzept der Sehschulung von Friedrich & Schweppenhäuser (2010) auch auf vom Menschen in spezifischer Weise nutzbar gemachte „Naturräume“ übertragen (vor allem Wanderwege, Radwanderwege). Auf eine Diskussion der Frage der „Öffentlichkeit“ dieser Raumtypen wird hier aber wegen des abweichenden Fokus der vorliegenden Studie verzichtet. <?page no="28"?> 2.2 Der öffentliche Raum als Bühne der LL 29 auf bestimmte Sign typen verweisen. Die Wahrnehmung von Wohngebäuden ggf. in Verbindung mit umgebenden Grünanlagen (Gärten), Parkmöglichkeiten und ‚normalen‘ Eingängen verweisen auf Wohngegenden ohne umfangreiche ökonomische Nutzung. Entsprechend werden keine oder nur wenige sehr spezifische Schilder erwartet, die einen ökonomischen Hintergrund haben (Bäcker, Arzt, sonstige Dienstleister). Stattdessen kann erwartet werden, dass Signs mehrheitlich aus Straßenschildern, Verkehrsschildern einschl. ggf. Hinweisschildern des ÖPNV (Haltestellenschildern, Fahrpläne etc.) und Namensschildern an Klingeln bestehen. Im Gegensatz dazu reicht schon eine abweichende Gestaltung des Erdgeschosses mit besonderen Fensterformen (Schaufenster), die sich durch eine größere Glasfläche und eine entsprechend abweichende Integration in die Fassade auszeichnen, um eine andere Erwartungshaltung zu wecken, da diese Fensterstrukturen auf eine ökonomische Nutzung bzw. Teilnutzung des Gebäudes schließen lassen. Die Art der Wegegestaltung kann zusätzlich Hinweise auf die Nutzung eines Raums geben. Eine fehlende Trennung zwischen Gehwegen und Straßen evtl. einschließlich entsprechender Bepflanzung kann z. B. ein Hinweis auf eine Fußgängerzone sein, was wiederum auf eine ökonomische Struktur verweist, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Präsenz von Geschäften, Gastronomiebetrieben und möglicherweise Vertretern der Unterhaltungsbranche (Kino, Theater) geprägt ist. Bild 4: Fußgängerzone München. <?page no="29"?> 30 2 Linguistic Landscapes Verbunden mit der Wahrnehmung des umgebenden Raums ist demnach eine Hypothese über dessen Nutzung und demzufolge über das Angebot von Informationssystemen ( Signs ), die den vorgefundenen Raum in seiner konkreten Nutzung erläutern. Zusammen mit den architektonischen Gegebenheiten bilden die Signs so die Struktur eines Raums und machen diesen zu einem eigenständigen ‚Exemplar‘ einer allgemeineren, übergeordneten Struktur, sind also eine konkrete Ausprägung eines ‚Genres‘ (vgl. Bawarshi und Reiff (2010: 78): „[G]enres dynamically embody a community‘s ways of knowing, being, and acting”). Die genannten Informationssysteme repräsentieren zwei unterschiedliche, jedoch gleichermaßen konventionalisierte Formen von Sprache im Verbund mit weiteren semiotischen Systemen im öffentlichen Raum. Dies betrifft zunächst nur am Rande die in der LL-Forschung übliche Unterscheidung zwischen public und private signs , bzw. top-down und bottom up , die eine Unterscheidung im wesentlichen nach dem Sign -Produzenten vornimmt und grob gesagt institutionelle Produzenten (Regierungen, öffentliche Verwaltungen aller Ebenen und deren Einrichtungen etc.) und private Produzenten im Sinne von natürlichen Personen sowie Unternehmen als juristische Personen zivilen Rechts trennt. In Bezug auf die Strukturierung des öffentlichen Raums spielt diese Trennung insofern eine Rolle, als dass die Signs der jeweiligen Produzenten eine unterschiedliche spezifische Funktion im öffentlichen Raum innehaben und somit auch auf die Rollen der hinter den Signs stehenden Produzenten für die Genese und Konstruktion des Raums verweisen. Gerade im Hinblick auf die Public Signs fällt auf, dass ihre Visibilität häufig im infrastrukturellen Bereich liegt und sich auf die Weiterleitung bzw. den Transport von Personen (Busse, U- und S-Bahnen, Straßenschilder etc.) im öffentlichen Raum sowie dessen weiterer Ausgestaltung (pflanzen und pflegen von Bäumen, Blumen, Aufstellen von Bänken etc.) bezieht. Im Gegensatz hierzu verweisen Private Signs in überdurchschnittlichem Maße auf ökonomisches Geschehen und zielen auf eine direkte Ansprache und Bindung des Passanten. Bei einer allgemeineren Betrachtung können beiden Sign typen jeweils unterschiedliche Funktionen zugewiesen werden. Public Signs sind im Wesentlichen strukturierend und informierend, womit sich ihre Bedeutung auf die denotative Ebene beschränkt. Private Signs teilen diese Eigenschaften, haben aber zusätzlich eine stark konnotative Ebene, die diese Signs emotional auflädt 8 . Diese konnotative, emotive Ebene in Privat Signs liegt in der erweiterten Funktionalität dieses Sign typs begründet. 8 Selbstverständlich sind Mischformen nicht ausgeschlossen. Ihre Existenz hängt vom jeweiligen referierten Objekt ab. So kann ein öffentliches Museum durchaus auch mit Konnotation und Emotionen in seinen Signs arbeiten. Auch können individuelle Erlebnisse einzelner Personen durchaus auch solche Signs emotional aufladen. <?page no="30"?> 2.2 Der öffentliche Raum als Bühne der LL 31 Er umfasst häufig Firmennamen (Labels) und Werbeslogans, die verkaufsfördernd und kundenbindend wirken sollen (Friedrich & Schweppenhäuser 2010). Signs mit Firmennamen sollen vor allem das sorgsam aufgebaute Firmenimage transportieren und haben damit über bzw. an einem konkreten Objekt sowohl eine deiktische und damit informative als auch konnotative und emotive Funktion, da sie letztendlich die kondensierte Version des Narrativs sind, das das Unternehmen in Form seines Images aufgebaut hat. Werbeslogans zu bestimmten Anlässen oder passend zu einer bestimmten Saison wirken stärker noch als das Firmenimage emotional, da sie auf den Wunsch der Zielgruppe nach Realisierung bestimmter Lifestyle-Vorgaben abzielen, wie z. B. Mode, Make-up, Accessoires, Mobilität. Unterstützung erhalten die klassischen semiotischen Verfahren durch die Kombination mit ausgestellten und sorgsam arrangierten Produkten, die als ‚verlängerter Arm‘ des jeweiligen Labels mit dem Versprechen aufgeladen sind, das jeweilige Lebensgefühl bzw. die Emotionen, die dem Label entgegengebracht werden, auf sich selbst zu übertragen (Bateman 2008, 2014). Aus dieser Konstellation ergibt sich die eingangs bereits erwähnte verlagerte und damit indirekte Kommunikation zwischen den Akteuren im öffentlichen Raum. Ein weiteres prägendes Merkmal dieser Kommunikation ist ihre Ortsgebundenheit durch ihre Präsenz auf Signs , die i. d. R. längerfristig vorhanden sind und am Anbringungsort verbleiben. 9 Insofern tragen auch die Signs zur Konstruktion des öffentlichen Raumes bei, weil sie konstitutiv sind für die funktionale Bewertung dieses Raumes, Handlungsoptionen und -vorgaben machen und die Interaktion zwischen den einzelnen Akteuren ermöglichen, dabei aber aufgrund ihrer eigenen Immobilität die Präsenz des Rezipienten zwingend voraussetzen 10 . Domke (2014: 66) bettet diese Konstruktionsleistung der Signs in die „Herstellung des Raums durch soziale, interaktive, sprachliche Praktiken“ ein, während Papen (2012) die doppelte, oben angesprochene Konzeption von Raum als Bedingung und Ergebnis sozialer Prozesse betont. Diese Bewertungen umfassen damit eine bisher nur implizit angesprochene Eigenschaft des Raums: seine Diskursivität (vgl. auch Jaworski & Thurlow 2010: 12). 9 Vernachlässigt wird hier das, was Jaworski (2014) „mobile language” genannt hat, also Signs , die auf mobilen Trägern wie Bussen, Straßenbahnen, Taxis usw. angebracht sind (vgl. auch Karlander 2016). Die Dokumentation solcher mobiler Signs als „combinations of presence and absence” (Sheller and Urry 2006: 222) verlangt andere Formen des methodischen Zugangs, die kaum in einen korpusbasierten Zusammenhang gestellt werden können. 10 Vergleiche hierzu auch Knoll (2015), der in Bezug auf Online-Werbung bemerkt: „Immer mehr Nutzer wechselten von ihrer passiven Rezipientenrolle in aktivere Mitmach- und Produzentenrollen.“ <?page no="31"?> 32 2 Linguistic Landscapes Der öffentliche Raum ist geprägt von und wird geformt durch unterschiedliche, parallel stattfindende Diskurse. Diese sind monodirektional in dem Sinne, dass sich nur die Sign produzenten an die Nutzer des Raumes wenden, welche ihrerseits nicht direkt in den Diskurs eintreten können. Zu fragen bleibt, in welchem Umfang die durch die Diskurse bzw. Diskursteile initiierten Handlungsformen als Replik interpretierbar sind. Die weiter oben vorgenommene Unterscheidung der Funktionen von Public Signs und Private Signs spiegelt sich auch in der Diskursivität wieder. Der oben als großteilig strukturierend und informierend beschriebene Charakter der Public Signs ist häufig imperativ, da sie in der Regel über Gebzw. Verbote informieren und auch über diese strukturierend wirken. Ge- und Verbote in Public Signs gestalten die Makrostruktur des öffentlich Raumes aus, da sie vorgeben, welcher Akteur sich wo und ggf. wann aufhalten darf, wie er sich wo fortbewegen darf und kann etc. Dabei ergibt sich ein Übergangsbereich zu den Privat Signs . Diese sind bis auf wenige Ausnahmen ökonomischer Struktur, aber Hinweisschilder zu Öffnungszeiten beispielsweise spiegeln den Einfluss des rechtlichen Rahmens 11 . Darüber hinaus sind Private Signs in ihrer Struktur komplexer, da sie nicht nur einfache Informationen darüber bieten, wer wo wann was anbietet, sondern diese Informationen in mehrfach geschichteten Narrativen präsentieren. Private Signs vermitteln im Idealfall das Image bzw. Selbstbild des Unternehmens sowohl über das reine Firmenschild als auch über die präsentierten Objekte, welche über Stil, Materialien etc. das Image des Unternehmens präsentieren. Diese nicht-sprachlichen Elemente sind im Sinne einer Semiotic Landscape ebenfalls als Signs zu bewerten, da sie ebenso wie verschriftete Sprache einerseits zur Konstruktion des öffentlichen Raumes beitragen und andererseits in einer engen Beziehung zu den sprachlichen Elementen stehen und zusammen mit diesen erst ein gesamtes, in sich stimmiges Bild ergeben (ausführlich hierzu: Kapitel 2.3 und Analysekapitel). Aus diesem Gesamtbild leitet der Wahrnehmende im Falle eines unbekannten Sign produzenten (hier gemeint als unbekanntes Unternehmen o. ä.) eine Hypothese über den Produzenten ab bzw. findet im Falle eines ihm bekannten Produzenten eine Bestätigung seiner Erwartungen. Während der Hypothesenbildung spielt wiederum die Sehschulung eine große Rolle, da bestimmte Kombinationen aus Farben, Fonts, Produkten für bestimmte Branchen, Warengruppen, Zielgruppen etc. stehen. Darüberhinaus kommt den sprachlichen Elementen eine 11 Kallen (2010: 42) sieht die Einteilung in Private und Public Signs grundsätzlich kritischer, da Private Signs immer durch rechtliche Vorgaben beeinflusst sind (Sprachgesetze, sowie Vorschriften zu Form, Inhalt, Gestaltung und Aufstellung von Signs durch unterschiedliche institutionelle Ebenen). <?page no="32"?> 2.2 Der öffentliche Raum als Bühne der LL 33 bedeutende Funktion zu, die über die konkrete Einzelsprache hinausgeht und die sich sowohl auf den Inhalt als auch das verwendete Register bezieht und die die nicht-sprachlichen Elemente ergänzt. Bedingt durch ihre Narrativität haben Private Signs eine größere Reichweite als Public Signs . Letztere verweisen auf den unmittelbaren Standort oder, sofern wegweisend, auf ihren unmittelbaren Nahbereich wie dies z. B. bei U- oder S-Bahnschildern der Fall ist, die auf die nächste Haltestelle verweisen. Zwar verweisen auch Private Signs auf ihren unmittelbaren Nahbereich, reichen jedoch durch ihre komplexe narrative Struktur auch darüber hinaus. Damit kommt bei diesen Signs die von Scollon & Scollon (2003: 1-2) beschriebene Wichtigkeit des Standortes zum Tragen. Scollon & Scollon verweisen darauf, dass die Bedeutung/ Botschaft eines Signs erst durch dessen Platzierung an seinem Bestimmungsort seine eigentliche Bedeutung bekommt. Damit wird auch der Aufstellungsort als Teil des öffentlichen Raumes mit Bedeutung aufgeladen. Scollon & Scollon erläutern ihre Ausführungen mit dem Beispiel eines „Nacktbaden verboten“-Schildes, das seine Bedeutung erst am Aufstellungsort erhält und z. B. auf der Ladefläche eines Transporters keine Bedeutung hätte. Die ‚Bedeutungslosigkeit‘ des Signs liegt auch darin begründet, dass die Ladefläche eines Transporters kein Ort ist, an dem zumindest die Möglichkeit zum Baden gegeben ist. Diese Zuweisung von Bedeutung unterliegt gelernten kulturellen Mustern, die Orten nicht nur bestimmte Handlungsoptionen zuweisen, sondern auch bestimmte Signs bzw. konkrete Ausprägungen bestimmter Sign typen erwarten lassen. Wegen der engen Beziehung zwischen öffentlichem Raum und Signs lassen sich nicht nur Aussagen über die Nutzung eines Raumes sondern auch über die Sign dichte und Sign typen ableiten. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen dem Grad der ökonomischen Nutzung auf der einen und Sign dichte und Sign typ auf der anderen Seite. Wie oben angedeutet ist in Wohngebieten eine geringere Varianz in den Signs zu erwarten. Dieser Raumtyp wird in der Regel von Public Signs (Verkehrsschilder, Straßennamen, ggf. ergänzt durch Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft wie Schulen und Kindergärten etc.) und Private Signs des Typs Klingelschild dominiert. Private Signs mit ökonomischem Bezug (Restaurant, Läden etc.) sind in diesem Kontext seltener vorhanden 12 . Sowohl das Verhältnis von Private und Public Signs zueinander als auch zwischen den unterschiedlichen Formen der Private Signs verschiebt sich in 12 Analoges gilt für dörfliche Strukturen, die aufgrund ihrer geringen Größe nur eingeschränkten Bedarf an Läden wie Bäcker etc. haben und innerorts einer großen Zahl handwerklicher Betriebe keinen Platz bieten können. <?page no="33"?> 34 2 Linguistic Landscapes zentralen Lagen größerer Orte und in Städten. Diese Bereiche sind von Handel und Dienstleistung sowie intensivem Verkehr geprägt und weisen nur einen vergleichsweise geringen Anteil an Wohnbevölkerung auf (vgl. Kapitel 4 und 5 für die Münchner Innenstadt). Dadurch gleicht sich einerseits die Zahl von Public und Private Signs an, während andererseits bei den Private Signs der Sign typ Klingelschild in der Präsenz hinter ökonomisch geprägten Signs zurücktritt. In diesem Kontext ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass mit zunehmender Größe des Ortes eine Verdichtung der ökonomischen Struktur zu erwarten ist, da Städte nicht nur die Versorgung der eigenen Bevölkerung leisten, sondern häufig auch als Zentren in das Umland hinaus ausstrahlen und für dieses bestimmte Versorgungsleistungen mit zur Verfügung stellen. Für die Linguistic Landscape-Forschung, deren Daten sich aus Signs generieren, ergibt sich daraus, dass zentrale Teile von Ortschaften, die die jeweils höchste Sign dichte aufweisen, die idealen Forschungsregionen sind. Das von Leeman & Modan (2010) angesprochene Problem der großen Homogenität der Signs in diesen Regionen ist, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen geschuldet, ohne die eine Linguistic Landscape in ihrer heutigen Gestalt nicht denkbar wäre. Durch die Berücksichtigung des öffentlichen Raums als gesellschaftlichem Konstrukt ergibt sich, wie u. a. Scollon & Scollon (2003) zeigen, die Möglichkeit Fragestellungen zu formulieren, die ihren Fokus nicht auf die Beziehung von Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft legen, sondern stärker allgemeingesellschaftlichen Wandel analysieren und dabei die Rolle von Signs über die Sprachwahl hinaus in ihrer narrativen (inhaltlichen) Bedeutung auch im Zusammenspiel mit allen weiteren Konstituenten für die Konstruktion des öffentlichen Raumes berücksichtigen, wie die Studie von Papen (2012) zur Gentrifizierung im Prenzlauer Berg zeigt. 2.3 Der historische Kontext: LL, Ökonomie, Citybildung, Werbung Der moderne öffentliche Raum, der der Ort der Linguistic Landscape ist und an dessen Konstruktion die Linguistic Landscape ihrerseits Teil hat, ist das Ergebnis gesellschaftlicher und ökonomischer Prozesse, die mindestens bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Im Ergebnis führten diese Prozesse dazu, dass sich neue gesellschaftliche Werte und Verhaltensweisen (Konsumgesellschaft, Massenkonsum) sowie ökonomische Strukturen (technischer Fortschritt, Massenproduktion) herausbildeten (Faulstich 2004). Richards (1991: 1) stellt hierzu fest, dass „the imperatives of the capitalist system became tangled up <?page no="34"?> 2.3 Der historische Kontext: LL, Ökonomie, Citybildung, Werbung 35 with certain kinds of cultural forms, which after a time became indistinguishable from economic forms.“ Die angesprochenen Entwicklungen und ihre Verknüpfungen haben zur Ausprägung einer LL mit ihren zahlreichen mehrschichtigen und häufig narrativen Signs geführt. Die bereits oben erwähnte von Leeman & Modan (2010) geäußerte Kritik an den Erhebungsräumen und der damit verbundenen Häufung bestimmter Sign typen ist entsprechend vorsichtig zu bewerten. Im Folgenden liegt das Hauptaugenmerk auf den für die LL-Forschung relevanten historischen Prozessen im Hinblick auf den öffentlichen Raum und die Entstehung von Signs im Sinne der LL. Ein wesentlicher Aspekt dieser Entwicklung ist die Entstehung von Werbung, die zur Ausbildung der Private Signs in der LL führte. Public Signs sind hingegen stärker mit Urbanisierung und Entwicklungen im Verkehrsbereich sowie den sich daraus ergebenden stärkeren Regulierungsnotwendigkeiten verbunden und werden in diesem Abschnitt nur am Rande berücksichtigt. Werbung, zu der im eigentlichen Sinne auch Firmennamen und -zeichen gehören, entwickelte sich im Zuge der Industrialisierung und der damit zunehmenden Distanz zwischen Produzent und Konsument zum unverzichtbaren Bindeglied zwischen beiden Gruppen. Das in dieser Zeit entstandene Beziehungsgeflecht verfestigte sich und ist in der Gegenwart nicht mehr aufzulösen. Wischermann (1995) stellt einen Zusammenhang her zwischen Wirtschaftswerbung, zu der der weitaus größte Teil der Signs einer LL zählt, und einer liberalen Wirtschaftsordnung auf der einen und der industriellen Massenproduktion und der Konsumgesellschaft 13 auf der anderen Seite. Dabei misst er der ersten Weltausstellung in London im Jahr 1851 eine besondere Bedeutung zu (S. 14-19), da hier erstmals in großem Maßstab eine Leistungsschau des produzierenden Gewerbes mit einem breiten Publikum und unter großer internationaler Beachtung und Berichterstattung stattfand. Für Richards (1991) war die Londoner Weltausstellung nicht nur der Beginn eines veränderten Konsumverhaltens und einer veränderten Bewertung von Konsum als ‚Wert an sich‘, sondern auch die Initialzündung für Wirtschaftswerbung im modernen Sinne. Der ökonomische Wandel basierte auf der industriellen Revolution. Der technische Fortschritt, den diese brachte, befeuerte die wirtschaftliche Dynamik da nun Waren in großen Stückzahlen hergestellt werden konnten. Durch den Einsatz von Maschinen änderten sich nicht nur die Produktionssondern auch die Vertriebsbedingungen grundsätzlich (Borscheid 1995). Durch die großen Stückzahlen wurden Waren nunmehr ‚auf Vorrat‘ hergestellt und somit bis zu einem gewissen Grad von der Nachfrage abgekoppelt, da einem produzierten 13 Vgl. Königs (2000) ausführliche Darstellung der Genese und Entwicklung der Konsumgesellschaft. <?page no="35"?> 36 2 Linguistic Landscapes Exemplar einer Ware nicht direkt ein Käufer gegenüberstand. Somit waren die Produzenten in der Situation verstärkt auf sich und ihre Produkte aufmerksam machen zu müssen und den potentiellen Kunden zum Kauf zu animieren. Parallel zu diesen Entwicklungen und möglicherweise auch durch diese unterstützt kam es zum Niedergang der Zünfte. Mit ihren stark reglementierenden, unmittelbaren Wettbewerb hemmenden Regeln wurden sie zunehmend als Entwicklungshemmnis gesehen, dem mit der Einführung der Gewerbefreiheit begegnet wurde. Damit konnte (theoretisch) jedermann ein Unternehmen in einer beliebigen Branche und mit beliebiger Produktionskapazität gründen. In Deutschland wurde die Gewerbefreiheit zunächst in Preußen eingeführt (1807). Andere deutsche Staaten folgten bis Mitte des Jahrhunderts 14 (vgl. z. B. Hahn 2011: 6; Kiesewetter 2004: 57-59; Mokyr 2010: 74). Das starke Bevölkerungswachstum in Europa im 19. Jahrhundert war nur ein Faktor für die durch den technischen Fortschritt ermöglichte Massenproduktion: Eine stark wachsende Bevölkerung benötigte grundsätzlich ein Mehr an Waren für ihre Grundversorgung. Da aber nicht nur über den Bedarf hinaus produziert wurde, sondern aufgrund der Gewerbefreiheit, anders als zu Zunftzeiten, die Zahl der Konkurrenten groß war und damit das unternehmerische Risiko stieg, musste die Entwicklung hin zu einer Konsumgesellschaft parallel begonnen oder bereits eingesetzt haben. Nur wenn Konsum einen Wert an sich für breite(re) Bevölkerungsschichten darstellte, konnten Produzenten sicher sein, Abnehmer für die in großer Stückzahl produzierten Waren zu finden (Faulstich 2004: 9-11; Wischermann 1995). Eine ausreichende Zahl an Abnehmern setzt einen gewissen Wohlstand in breiten Teilen der Bevölkerung voraus, so dass diese über den notwendigen Bedarf zur Deckung der grundlegenden Bedürfnisse hinaus nicht nur konsumieren möchte, sondern auch finanziell dazu in der Lage ist. Die veränderten Rahmenbedingungen in der Produktion verlangten nach neuen Vertriebsformen, die eine Präsentation der fertigen Waren an gut zugänglichen Orten ermöglichte. Die wachsende Zahl an Ladengeschäften wurde ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend durch einen neuen Ladentypus ergänzt, der bis heute prägend für moderne Warenwelten ist: das Warenhaus bzw. Kaufhaus. Dieser Ladentypus fand sich zunächst in einfachen Ladengeschäften. Die Eigentümer gingen jedoch bald dazu über repräsentative Neubauten in zentraler Lage zu errichten. Kaufbzw. Warenhäuser boten nicht nur unterschiedlichste Produkte an und ermöglichten deren Betrachtung ohne jeden Kaufzwang, sie setzten auch auf eine aufwendige Präsentation der Waren 14 Im für die vorliegende Analyse relevanten Bayern wurde die Gewerbefreiheit 1868 eingeführt (Kaizl 1879: 135-137). <?page no="36"?> 2.3 Der historische Kontext: LL, Ökonomie, Citybildung, Werbung 37 (Bruns-Berns 1995). Kaufhäuser stehen dabei nicht nur exemplarisch für die vollkommene Trennung von Kunden und Produzenten, sondern auch für die neuen Kommunikationskanäle zwischen beiden Akteuren (Reinhardt 1995; Faulstich 2004: 154). In diesem Umfeld gewannen Schaufenster und ihre Gestaltung ebenso wie Plakat- oder Schilderwerbung als Teile der Wirtschaftswerbung zunehmend an Bedeutung. Da für die neuen Formen der Produzenten-Kunden-Kommunikation zunächst regulatorische Vorgaben fehlten, kam es im Bereich der Schilderwerbung teilweise zu derart dichten LLs, dass z. B. in Deutschland der Begriff „Blechpest” aufkam. Erste regulatorische Maßnahmen wurden z. B. für München bereits 1912 vom neu eingerichteten Bayerischen Reklameausschuss getroffen (Lehmann 2008: 22-25, vgl. auch Ilgen & Schindelbeck 2006: 58-59 und Spiekermann 1995). Auch in der Schaufenstergestaltung wurde zunächst auf Masse gesetzt, und die Fenster wurden mit möglichst vielen Produkten vollgestellt. Es kamen aber bereits früh erste Ratgeber für die Gestaltung von Schaufenstern auf (Bruns- Berns 1995: 99-100), die häufig auch als Zeitschriften erschienen 15 . Die Bedeutung, die Schaufenstern als Werbeelement beigemessen wurde, zeigt sich auch daran, dass in den repräsentativen Warenhausbauten die Glasflächen immer größer wurden (Borscheid 1995). Der dadurch möglich gewordene und sich gegen Widerstand durchsetzende sonntägliche Schaufensterbummel bot nicht nur Gelegenheit, sich über das Warenangebot zu informieren, sondern er animierte durch die durchdachte Warenpräsentation auch zum Kauf (Bruns-Berns 1995: 98; Wagner 1998: 29). Warenhäuser waren auch ein zentrales Element der Citybildung (Bruns- Berns 1995: 98-99), also einem Funktionswandel innerstädtischer Räume, der zu einer kontinuierlichen Abnahme der Wohnbevölkerung zugunsten einer ökonomischen Nutzung führte. Durch das starke Bevölkerungswachstum im 18. und 19. Jahrhundert sowie der einsetzenden Industrialisierung kam es zu Wanderungsbewegungen in städtische Räume als bevorzugte Standorte der Industriebetriebe. Mit zunehmender Bevölkerung und Kaufkraft stieg die Nachfrage vor Ort, so dass es an bestimmten zentralen Plätzen oder Straßen, die oft vorher schon Standorte von Märkten oder durch eine gemischte Nutzung von Wohn- und Arbeitsstätten von Handwerkern, Händlern geprägt waren 16 (Brandt 15 Z.B. Die Auslage in der Dekoration und in der Reklame: erstes Deutsches Fachorgan für Ladeninhaber, Schaufensterdekorateure sowie für alle Ladenbau- und Ladenausstattungsbranchen; Architektur & Schaufenster: Zeitschr. für moderne Schaufensterdekoration und neuzeitl. Geschäftsausbau; offizielles Organ d. Vereins der Schaufenster- und Ladenausbau-Industriellen"; Krause (1939). 16 Diese Entwicklung zeigt sich auch im Untersuchungsgebiet in der Münchner Innenstadt und wird in Kapitel 4 ausführlicher besprochen. <?page no="37"?> 38 2 Linguistic Landscapes 2008: 160-183; Wagner 1998: 20-21), zu einer Verdrängung der Wohnbevölkerung zugunsten einer ökonomischen Nutzung kam. In der weiteren Entwicklung trat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Shopping Mall ein neuer Raumtyp hinzu, der häufig außerhalb der Stadtzentren angesiedelt war, dafür aber mit guter Verkehrsanbindung und großen Parkplätzen für gute Erreichbarkeit sorgte. Shopping Malls wie das in der vorliegenden Studie untersuchte OEZ wurden auch als Nahversorger bzw. zur Entlastung der Innenstadt geplant 17 und sollten Verkehrsbzw. Kundenströme umleiten und boten bzw. bieten ein entsprechend vielfältiges Angebot, dass neben Ladengeschäften auch Verweilstrukturen (Cafés, Imbisse, (Schnell) Restaurants etc.) anbietet. Shopping Malls gleichen mit ihrer geschlossenen äußeren Hülle, häufig an Ladenöffnungszeiten gebundene Zugänglichkeit sowie ihrem rechtlichen Status als Privatbesitz zunächst dem Warenhaus, stehen aber in starker Konkurrenz und im Kontrast zu diesem (Wehrheim 2007: 7-12, Dörhöfer 2007: 60-62; Frank 2007: 119). Malls mit ihren entlang von ‚Straßen‘ und an ‚Plätzen‘ angeordnet Läden und Gastronomiebetrieben sind durchstrukturierte und optimierte Entitäten, die sich in ihrem schematischen Aufbau gleichen (Dörhöfer 2007: 60-64). Dieser Raumbzw. Gebäudetypus vereinigt scheinbar die Vielfältigkeit einer Einkaufsstraße mit ihren unterschiedlichen Angeboten in sich, richtet sich aber an einer Zielgruppe aus. Durch die Binnenstruktur mit ‚Straßen‘ und abgetrennten Läden sind im Hinblick auf die Werbemedien Schaufenster und Aufsteller präsent, während durch die Überdachung Nasenschilder, Fahnen und weitere hoch angebrachte Sign typen nicht praktikabel sind. Zusammenfassend lässt sich also ein enger Zusammenhang zwischen Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Konsumgesellschaft, Citybildung und der Ausprägung einer Linguistic Landscape im modernen Sinne feststellen. Eine liberale Wirtschaftspolitik unterstützte die Industrialisierung, welche über den Bedarf hinaus Waren produzierte. Der Absatz dieser Waren war durch ein starkes Bevölkerungswachstum sowie einen relativen Wohlstand wachsender Bevölkerungsschichten gesichert, die u. a. in eben jenen Unternehmen Arbeit fanden, die die Massenprodukte herstellten. Dieses Umfeld war ausschlaggebend für die Entwicklung von Kaufhäusern 18 , die ein breites Sortiment unterschiedlichster Waren anboten und geschickt präsentierten und auch den rei- 17 Vgl. den ursprünglich von Bayern-alpha produzierten Beitrag „Das Olympia-Einkaufszentrum 1973§ www.youtube.com/ watch? v=KaFSdWtqpbE (letzter Zugriff 23.09.2017) 18 Vgl. Lipp (1991: 102): „ … , ja man kann sagen: Warenhäuser und die industrielle Welt gingen von Anfang an in der Entwicklung Hand in Hand. Die Industriegesellschaft - und in ihrer Mitte die Großstadt - haben das Warenhaus, die Warenhäuser aber die moderne, städtisch-industrielle Lebensform hervorgebracht.“ <?page no="38"?> 2.3 Der historische Kontext: LL, Ökonomie, Citybildung, Werbung 39 nen ‚Bummel‘, d. h. das Betrachten der Ware ohne Kaufzwang ermöglichten. Kaufhäuser und andere große Ladengeschäfte wiederum konzentrierten sich an bestimmten Straßen und Plätzen, was zur Citybildung führte. In diesem Szenario fand die direkte Kommunikation zwischen Produzenten und Konsumenten nicht mehr statt und musste über andere Kanäle geleistet werden. Dabei spielte nicht nur die Präsentation der eigenen Produkte eine Rolle, sondern das Hervorstechen aus der Konkurrenz sowie das Wecken von Bedürfnissen (Faulstich 2004: 156-157; Spiekermann 1995: 126, 129), wobei der sich entwickelnden Wirtschaftswerbung in der Gestaltung von Firmenlogos, Schaufenstern sowie Plakaten eine besondere Rolle zukam. Wie oben gesagt datieren Wischermann (1995) und Richards (1991) den Beginn des modernen Werbewesens auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Deutschland beispielsweise wurde das Anzeigenwesen 1850 freigegeben. Reklame im Sinne der reinen textuellen Bekanntmachung von neuen Produkten und Hinweisen zu Eigenschaften und Verfügbarkeit 19 verlor an Bedeutung und wurde bis 1900 vollständig durch die Wirtschaftswerbung 20 ersetzt, die auf eine „lebensweltlich-kulturelle“ Präsentation der Waren setzte (Borscheid 1995). Borscheid (1995: 22) vergleicht vorindustrielle Reklame von ihrer Aussagekraft und inhaltlichen Gestaltung her mit modernen „Haltezeichen für Straßen- oder U-Bahnen, den Praxisschildern von Ärzten oder Rechtsanwälten oder dem Schriftzug eines Kaufhauses“. Der Unterschied zu moderner, auf unterschiedlichen Ebenen emotional aufgeladener Werbung wie sie sich nicht nur in Printwerbung, sondern auch in der Warenpräsentation in Schaufenstern, in Slogans und auch der mittlerweile verbreiteten narrativen Aufladung von Firmennamen zeigt, wird damit augenscheinlich (Haas 1995). Es wird aber auch deutlich, dass eine moderne LL sich aus Sign -Typen mit unterschiedlichen und unterschiedlich vielen Bedeutungsebenen zusammensetzt. Die zunehmende Bedeutung von Werbung wirkte sich auch auf die architektonische Gestaltung von Kaufhäusern und Ladengeschäften aus. Da sich Schaufenster als äußerst effektive Werbemittel erwiesen (Reinhardt 1995: 52, Lipp 1991: 108, Wagner 1998: 29), wurden Fensterflächen bei Neubauten gleich als Schaufenster und entsprechend groß geplant, später eingebaut oder vorhandene Fenster vergrößert (Bruns-Berns 1995; Wagner 1998). Schaufenster prägten 19 Franz. réclame (f.) erhielt die Bedeutung ‚öffentliche Bekanntmachung‘ in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts, vgl. „c’est la réclame pour la mort de monsieur La Billardière“ (Honoré de Balsac 1838. Les employés ou la femme supérieure . Bibebook, S. 119 (www. bibebook.com/ search/ 978-2-8247-1019-8). In „Une fille d’Ève“ (1839) verwendet Balsac réclame auch im kommerziellen Sinn. 20 Auf die Entwicklung der Werbewirtschaft im Hinblick auf die Verbindungen von Bild, Wort und emotionaler Aufladung wird in Kapitel 4 ausführlicher eingegangen. <?page no="39"?> 40 2 Linguistic Landscapes nicht nur das Straßenbild in Geschäftslagen, sondern auch die Interpretation öffentlicher Räume. Die Wahrnehmung entsprechender architektonischer Formen löst Hypothesen über die Nutzung bzw. Nutzungsmöglichkeiten der entsprechenden Gebäude aus (große Fensterflächen im EG > Schaufenster > Geschäft). Gleiches gilt im Übrigen für an der Fassade angebrachte Firmenschilder (Firmenschild an der Fassade = Hinweis auf Geschäft). Aus diesen Hypothesen leiten sich weitere Hypothesen bezüglich des ‚Inhalts‘ des (Schau)Fensters ab, die durch Firmenschilder gestützt werden: Ist das Unternehmen, dessen Schild wahrgenommen wird, bekannt, werden bestimmte Produkte im Schaufenster erwartet. Ist das Unternehmen nicht bekannt, wird vermutlich nur erwartet, dass irgendwelche Produkte im Schaufenster ausgestellt sind. Diese Interpretationsketten weisen auf die enge Verbindung aller Konstituenten des öffentlichen Raumes sowohl hinsichtlich der Gesamtwahrnehmung als auch des Zusammenspiels der einzelnen Elemente hin. Die beschriebene Entwicklung führte bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts zu komplexen multimodalen und multilingualen LLs (vgl. Schulze 2018) einschließlich Leuchtreklamen, die sich von modernen LLs lediglich darin unterscheiden, dass (internationale) Ketten noch nicht prägend sind und die Produktauswahl dem in der Zeit üblichen Geschmack und technischen Möglichkeiten entspricht. Die von Leeman & Modan (2010) an den Erhebungsorten der LL angebrachte Kritik erweist sich somit vor dem historischen Hintergrund als nur eingeschränkt haltbar. Ohne die speziellen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen des 18. und 19. Jahrhunderts wäre eine LL in ihrer heutigen Form nicht präsent. Der Wandel dieser beiden Jahrhunderte war so tiefgreifend, dass auch Erhebungsräume außerhalb urbaner Zentren den sich im städtischen Umfeld entwickelt habenden Formen folgen und lediglich in Umfang und (zielgruppenspezifischer) Ausrichtung und Gewichtung der einzelnen Elemente variieren. Von daher ist es fraglich, ob tatsächlich völlig andere Erhebungsräume auffindbar sind. Richtig ist allerdings, dass eine zunehmende Homogenisierung urbaner Zentren durch die Präsenz internationaler Ketten zu beobachten ist. Dies ist jedoch als eine Entwicklung im Rahmen des beschriebenen historischen Prozesses zu sehen, die ebenfalls schon früh eingesetzt hat (z. B. Kaufhausketten in den Innenstätten, Ketten aus dem Schuh- und Modebereich wie z. B. Deichmann 21 , C&A etc.), so dass es sich eher um eine quantitative und nicht qualitative Veränderung handelt. 21 Die Nennungen sind zufällig und orientieren sich an Unternehmen, die auch aktuell im Erhebungsraum präsent sind. <?page no="40"?> 2.3 Der historische Kontext: LL, Ökonomie, Citybildung, Werbung 41 Bild 5: Weinstraße 8, 1910. Bild 6: Kaufingerstraße 14 und 15, 1910. <?page no="42"?> 3.1 Typografische Aspekte 43 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität Multimedialität wird in der Linguistic Landscape-Forschung ebenso wie in der Bildlinguistik für die Beschreibung unterschiedlicher Dimensionen gebraucht. Der Begriff bezieht sich einerseits auf grafische Darstellungen, die auf einem Sign das sprachliche Element ergänzen und als solches zur Gesamtaussage eines Signs beitragen können und steht andererseits für die konkrete Form der schriftlichen Präsentation von Sprache und zielt hier dann auf die verwendeten Fonts und Farben der Schrift bzw. des Schrifthintergrundes. Da geschriebene Sprache im öffentlichen die zentrale Datenbasis der Linguistic Landscape-Forschung darstellt, wird im Folgenden zunächst auf die Gestaltungsmöglichkeiten eingegangen, die sich durch die gezielte Verwendung von Fonts, Farben etc., also typografischen und Designelementen ergeben und die Schrift ggf. zu einem mehrdimensionalen Element werden lassen, das sowohl sprachlich als auch grafisch wirken und Botschaften über die reine Textbedeutung hinaus transportieren kann (ausführlich zu den sich hieraus ergebenen Implikationen und der Bedeutung der Sichtbarkeit von Sprache bzw. Kommunikation vgl. Spitzmüller 2013). 3.1 Typografische Aspekte Die typografische Gestaltung kann auf unterschiedlichste Weise zur Bedeutung einzelner Worte oder komplexerer Aggregate beitragen (Stöckl 2008). So kann mit der Wahl bestimmter Fonts unter Rückgriff auf kulturelle/ gesellschaftliche Prägungen über die reine Wortbedeutung hinaus verwiesen und diese zusätzlich mit einer Konnotation versehen werden, die allein durch den Font ausgelöst wird (vgl. das Konzept der Sehschulung von Friedrich & Schweppenhäuser 2010 in Kapitel 2.2). Dieser Einfluss zeigt sich z. B. auch in der Verwendung bestimmter Fonts im Modebereich. Zahlreiche Labels oder Zeitschriftentitel verwenden ähnliche Fonts oder Abwandlungen eines Fonts, z. B. des Engravers Gothic bei Strenesse, Zara, Balenciaga oder Givenchy oder des Didot oder Bodoni bei Modezeitschriften des Luxussegments wie der Vogue (Wichert 2016). In LL-Studien fällt die Analyse der Verwendung spezieller Fonts häufig mit besonderen Farbgestaltungen der Schildfläche oder der Schrift selbst zusammen, wobei sich eine bestimmte funktionale Ausrichtung erkennen lässt. Während die von Friedrich & Schweppenhäuser (2010) beschriebene Verbindung von <?page no="43"?> 44 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität Fonts und bestimmten Produkten für die Linguistic Landscape vernachlässigbar sind, da sie kein die Linguistic Landscape prägendes Element sind, kommt solchen Verbindungen im Bereich des Tourismus und der Gastronomie häufig eine zentrale Bedeutung zu. 22 Moriarty (2014) und Reershemius (2011) zeigen an sehr unterschiedlichen Beispielen, wie die Kombination aus Font und Farbe im Bereich des Tourismus gezielt eingesetzt wird um Emotionen (vor allem Authentizität und Bodenständigkeit) zu transportieren. Während die Verwendung der Fonts in diesen Fällen vergleichsweise homogen ist und sich im Wesentlichen am Vorhandensein bestimmter Merkmale wie Serifen orientiert, ist die Auswahl an Farben nur scheinbar größer. Um die gewünschten Informationen transportieren zu können, muss auf in der Zielgruppe verankerte prototypische, mit dem Referenten fest verbundene Zuschreibungen zurückgegriffen werden, um die gewünschten Assoziationen aufrufen zu können (vgl. z. B. Metten 2011: 86). In Bezug auf Irland kommt beispielsweise der Farbe Grün eine besondere Bedeutung zu. Der Beiname Irlands „die grüne Insel“ ist zumindest als passives (möglicherweise opaques) Wissen so weit verbreitet, dass die Verwendung der Farbe auch zusammen mit weiteren semiotischen Ressourcen wie Fonts und bildlichen Darstellungen (s. u.) möglich wird, um die Region zu referieren. Die Konnotation der Farbe - Natur und Natürlichkeit und darauf aufbauend Bodenständigkeit und Authentizität - wird auf das Denotat Irland übertragen, das entsprechend aufgeladen wird. Die Verwendung einer bestimmten Sprache (hier: Irisch), die das eigentliche Zielobjekt der Linguistic Landscape Forschung ist, ist in größerem Umfang dann in vielen Fällen nicht mehr nötig. Auch im Untersuchungsraum der vorliegenden Studie gibt es Beispiele für den gezielten Einsatz bestimmter Fonts, die in diesem Falle mit einer bestimmten Sign -Gestaltung einhergehen, um dem Stil des Gebäudes Rechnung zu tragen, an dem die Schilder befestigt sind, wodurch sie unmittelbar mit der Gestaltung des öffentlichen Raumes in Zusammenhang stehen und weniger ökonomische Ziele verfolgen. In diesen Fällen läuft der Sign -Inhalt der durch die Sign -Form geweckten Erwartungshaltung zuwider, bricht also in einem gewissen Sinne mit der Konvention, um die Homogenität der Wahrnehmung zu erhalten. Über den Eingängen zu den Theatiner Höfen in der Theatinerstraße befinden sich beispielsweise wappenartige Signs (vgl. Bild 7), die dem historischen Charakter des Gebäudes Rechnung tragen, aber erst im Zuge der Neugestaltung der Anlage in den 1970er Jahren angebracht wurden. Diese ‚historisierenden‘ Signs 22 Vgl. auch die Verwendung der Frakturschrift z. B. in der Beschilderung einiger Gasthäuser. womit unter Bezug auf ein entsprechendes „grafisches Wissen“ der Wahrnehmenden (Spitzmüller 2013: 203) ein spezifischer Traditions- und Erlebnisraum suggeriert werden soll. <?page no="44"?> 3.1 Typografi sche Aspekte 45 nehmen aber, anders als erwartet, nicht auf ein historisches Ereignis Bezug, sondern eben auf die erwähnte Neugestaltung und die Fertigstellung der Anlage im Jahr 1972. Dieser Sign -Gestaltung stehen in unmittelbarer Nähe modern gestaltete Signs mit Hinweisen auf die Nutzer der Höfe gegenüber. Bild 7: Theatinerhof. Das gegenteilige Verfahren findet sich ebenfalls in der Weinstraße (vgl. Bild 8, Bild 9). Hier wird auf einem schlichten, sehr unauffälligen Plexiglasschild auf den Wohnort des Stadt- und Hofmalers Hans Mielich († 10.03.1573) hingewiesen. Das ursprüngliche Gebäude wurde während des 2. Weltkriegs stark zerstört, im Wiederaufbau mit Ladeneinbauten versehen und erhielt so vor allem im Erdgeschoss ein modernes architektonisches Gesicht, an dem sich die Gestaltung der Hinweistafeln orientiert (vgl. Enns 2013: 294 sowie 182-183 zu den allgemeinen Grundsätzen des Wiederaufbaus der Münchner Innenstadt. Siehe hierzu auch Meitinger 1946). <?page no="45"?> 46 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität Bild 8: Theatinerstraße, Gedenktafel Mielichhaus. Bild 9: Gedenktafel Hans Mielich. Die genannten Beispiele zeigen auf, dass die Aussage eines Signs mehrschichtig sein kann und Text und Gestaltung auf unterschiedliche Referenten zielen können. Während die Texte der Signs jeweils auf bestimmte Ereignisse hinweisen, orientiert sich die Gestaltung der Signs einschließlich der gewählten Fonts nicht an der Textaussage, sondern an der Aussage bzw. Botschaft des Träger-Gebäudes und seiner Rolle im öffentlichen Raum. <?page no="46"?> 3.2 Text und Bild 47 Diese komplexe Beziehungsstruktur besteht nicht nur im Hinblick auf historische Ereignisse. Vielmehr ist sie auch für ökonomisch basierte (private) Signs anzunehmen, wie sie z. B. in der Kombination aus Firmenschildern/ Logos und Schaufenstern oder ähnlichen Präsentationstrukturen im öffentlichen Raum zu finden sind. 3.2 Text und Bild Die Kombination der sich ergänzenden Ansätze der Linguistic Landscape Forschung mit ihrer Konzentration auf Sprache im öffentlichen Raum, deren sozialer Aussagekraft und ihrer Wirkung auf die Rezipienten mit der stärker Produzenten-orientierten und die Interaktion unterschiedlicher Modi untersuchenden Bildlinguistik bieten einen neuen Ansatz zur Analyse öffentlicher Räume als multimodaler gesellschaftlicher Konstrukte. Dies gilt umso mehr, als dass Multimodalität in der Form, in der sie überwiegend Gegenstand moderner Forschung ist und die Linguistic Landscape ihre gemeinsame Basis in der in Kapitel 2.3 beschriebenen historischen Entwicklung haben. Multimodalität im Sinne einer Kombination bzw. Integration unterschiedlicher Zeichensysteme (z. B. Grafik, Schrift, Bild) zu einer Gesamtaussage 23 werden in der Linguistic Landscape nicht systematisch betrachtet. So berücksichtigt z. B. Blackwoods (2013: 69) Arbeit zu Korsika ausschließlich das korsische Wappen ( tête de Maure ) als Emblem auf den Dosen der lokalen Cola-Sorte und dies nur als Hilfsargument, ohne den Beziehungstyp zwischen Sprache und Grafik zu thematisieren. Gleiches gilt für Malinowskis (2009) Studie zum Koreanischen in Oakland, in der die Verwendung unterschiedlicher Modes lediglich am Rande und aus Produzentensicht angesprochen, aber nicht systematisch analysiert werden (besonders S. 119-123). Während sich die Linguistic Landscape also auf die Präsenz geschriebener Sprache und die Verwendungsformen und -frequenz von Einzelsprachen in einem gegebenen Untersuchungsraum konzentriert, wird die Interaktion mit weiteren grafischen oder bildlichen Elementen weitestgehend außer Acht gelassen. Damit fällt der Einfluss, den diese komplexen Aggregate möglicherweise 23 Vgl. die zeichentypologische Definition des Begriffs etwa bei Klug & Stöckl (2016: vi), wonach diese durch eine „semantische und funktionale Verknüpfung bzw. wechselseitige Integration verschiedener Zeichenmodalitäten“ gekennzeichnet ist. Diesem Verständnis von Multimodalität wird von Klug und Stöckl (2015: 245) der Begriff mode zugeordnet, d. h. „Zeichensysteme, die über Ressourcen und Regeln ihrer Verwendung (Grammatik) verfügen.“ <?page no="47"?> 48 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität auf die Wahl 24 der Sprache und ihre Repräsentationsform haben aus der Analyse ebenso heraus wie die Frage nach dem Grad der Konventionalisierung bestimmter Formen. In Kapitel 2.3 wird gezeigt, dass die Linguistic Landscape in ihrer aktuellen Erscheinungsform ein in einem bestimmten historischen Kontext und dessen Reflex in der Öffentlichkeit entstandenes Phänomen ist, dessen Entwicklung immer in diesem Rahmen verblieben und von diesem nicht zu trennen ist. Zu diesem Rahmen gehörte von Anfang an nicht nur ein bildliches bzw. grafisches Moment, sondern auch die bewusste Integration von geschriebener Sprache und Bild bzw. deren Kombination zu einer Gesamtaussage (vgl. Kapitel 3.3). Die Linguistic Landscape Forschung berücksichtigt somit stärker die Wirkung einer LL auf die Rezipienten und fragt weniger nach der Motivation der Produzenten für eine bestimmte Sprachwahl (innerhalb der gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen). Sie hat aber nicht den Einzelnen oder die Rezipienten als große anonyme Masse und dessen bzw. deren gelernten und/ oder automatisch ablaufenden kognitiven Prozesse im Auge. Die Linguistic Landscape zielt i. d. R. auf Gruppen, die sich vor allem anhand des Parameters (sprachliche) Minderheit definieren lassen (s. o.). Der Unterschied zur Bildlinguistik und Medienwissenschaft liegt damit darin, dass nicht Modellentwicklung und die Beschreibung Einzelsprachen-unabhängiger Mechanismen (ggf. in ihrer Kombination mit grafischen Elementen) und deren Analyse im Zentrum der Forschung stehen, sondern die konkrete Verwendung von Einzelsprachen und die Annahme, dass sich daraus Aussagen über die politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse zwischen einzelnen gesellschaftlichen Akteuren ableiten lassen. Dass die Daten für derartige Analysen Teil von durch ökonomische Nutzung geprägten, größeren Aggregaten sind, wird nur am Rande thematisiert z. B. in Studien zur Kommodifizierung von Sprache (s. o.). Die Interaktion von (geschriebener) Sprache und Bild/ Grafik in multimodalen Entitäten ist das Thema der Bildlinguistik, die sich diesem Bereich schwerpunktmäßig mit Blick auf moderne Massenmedien widmet (z. B. Stöckl 2004a, Stöckl 2004b, Stöckl 2011, Bateman 2014, Große 2011). 25 Das Zusammenspiel von Sprache und Bild in vergleichbaren Strukturen im öffentlichen Raum wird bis 24 Adami (2017: 6) weist darauf hin, dass die Entscheidung für eine konkrete Sprachwahl und Sign -Gestaltung durch den Produzenten mehreren Aspekten Rechnung trägt: „Sign makers draw on the resources that are available to them to make signs in sociallysituated contexts, in relation to their interests, their communicative purposes and their assessment of their audiences“. 25 Klemm & Stöckl (2011: 9) fügen einen etwas anderen Akzent hinzu, indem sie Bildlinguistik definieren als „Betrachtung der Bezüge zwischen Sprache und Bild in Gesamttexten und die Nutzbarmachung linguistischer Konzepte, Modelle und Methoden für die Beforschung des in vorwiegend massenmediale Texte integrierten Bildes“ (Hervorhebung I.S.). <?page no="48"?> 3.2 Text und Bild 49 dato von der Bildlinguistik ebenso wenig wie von den Medienwissenschaften zu ihrem Gegenstand gezählt. Dabei finden sich, wie oben erwähnt, im gleichen Erhebungsraum, in dem die Linguistic Landscape ihren Forschungsraum sieht, multimodale Aggregate, bei denen das Zusammenspiel von Schrift und Bild zentral für die Gesamtaussage ist. Zahlreiche Schaufenster bestehen nicht nur aus ausgestellten Waren, sondern weisen eine komplexe Struktur auf, die aus Text, Bildern/ Grafiken sowie Objekten in Form von Schaufensterpuppen und weiteren Elementen (z. B. Dekorationen) bestehen kann. Diese Aggregate können zusätzlich noch auf die jeweils zugehörigen Firmenschilder bezogen werden, so dass großflächige, mehrteilige Text-Bild-Kombinationen entstehen. Die Bildlinguistik will einen Analyseapparat zur Verfügung stellen, der eine systematische Beschreibung der unterschiedlichen Beziehungen von Sprache und Bild/ Grafik ermöglicht. Dabei steht nicht nur die jeweilige Leistungsfähigkeit der unterschiedlichen semiotischen Systeme und damit ihre jeweilige Funktion und textsortenspezifische Quantität in Text-Bild-Aggregaten im Zentrum der Betrachtung (vgl. Stöckl 2011: 48-50; 2004a: 3 ff.), sondern auch die Frage nach dem informationellen ‚Mehrwert‘ solcher Kombinationen: The idea is, that under the right conditions, the value of a combination of different modes of meaning can be worth more than the information (whatever that might be) that we get from the modes when used alone. (Bateman 2014: 6, Hervorhebung im Original, vgl. auch Bucher 2011: 127) Neben der Frage, welche Aggregatsteile in welchem Umfang Informationen zur Gesamtaussage beitragen und woraus das „more“ besteht, ist die Frage der Wahrnehmung und Verarbeitung solcher Aggregate ebenfalls von zentraler Bedeutung. Während die Wahrnehmung von Bildern holistisch ist und sie leichter und besser memoriert werden, weshalb Straßner (2002: 42) sie auch als „schnelle Schüsse ins Gehirn“ beschreibt, ist geschriebene Sprache an Linearität gebunden. Sicher kommt auch das Phänomen des Bildüberlegenheitseffekts ( picture superiority effect , vgl. Nelson, Reed und Walling, 1976, Nelson, 1979, vgl. auch Miller 2011) zum Tragen, das heißt, dass Abbildungen von Objekten besser erinnert werden als die entsprechenden lexikalischen Repräsentationen, vgl. auch die Theorie der Doppelcodierung von Paivio (1986), wonach die Verarbeitung von Bildern mit der Aktivierung der entsprechenden lexikalischen Repräsentationen einher geht, während dies umgekehrt nur eingeschränkt gilt. Das Phänomen des picture superiority effect kann damit in Verbindung gebracht werden, dass entsprechend kodierte Einheiten (Bilder im weitesten Sinn des Wortes) Hier geht es also auch um eine Interpretation bildlicher Einheiten mittels linguistischer Kategorien und Deskriptoren. <?page no="49"?> 50 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität kognitiv mehr oder minder analog und nahezu simultan verarbeitet werden (Kuhlhavy, Stock und Kealy 1993: 52), während sprachliche Einheiten zumindest in Teilen phonetisch und kognitiv sequentiell repräsentiert und verarbeitet werden (in Bezug auf Schrift gilt die vornehmlich für phonografische, weniger für logografische Verfahren). Dennoch kann mit Holly (2009: 401) vermutet werden, dass diese Differenz selten zu einer autonomen Lesung der Sprach- oder Bildseite auf Signs führt, sondern eher im Sinne des ressource integration principle (Baldry & Thibault 2006: 19) multiplikativ wirksam wird. Multimodale Text-Bild-Strukturen verlangen vom Rezipienten also in der Regel zwei unterschiedliche Wahrnehmungsformen, die in Kombination nacheinander oder wechselnd und in vielen Fällen in beliebiger Reihenfolge stattfinden können, womit die Linearität insgesamt aufgehoben wird (vgl. Bucher 2011: 125; 2016: 27; 2017). Bucher (2011: 126-127) bezieht sich im Zusammenhang mit dem Wahrnehmungsprozess auf zwei Modelle, die gegenläufige Aneignungsrichtungen aufweisen. Die „Salience Theorie“ (Itti & Koch 2000) beschreibt ein bottom-up -Verfahren, bei dem auffällige Elemente (Farbe, Form, Position) eines Aggregats den Prozess der Aneignung steuern. Bei Aggregaten, die sich wie in der vorliegenden Studie im öffentlichen Raum und damit in gelernten Großstrukturen finden, können dies z. B. farbliche Elemente, Schriftgröße oder Position sein. So ist die Farbe Rot vor allem in Bezug auf Rabattaktionen und Sonderverkäufe zu finden (vgl. Kapitel 5) und Schaufenster oder Plakate, die diese Farbe zusammen mit weiteren Elementen verwenden, ziehen eine größere Aufmerksamkeit auf sich, ohne dass dies ein ‚bewusster‘ vom Rezipienten geplanter Vorgang ist. Dieses Verfahren könnte auch das Fehlen von erwarteten Elementen umfassen, so dass ‚Leerstellen‘ Aufmerksamkeit erregen. Itti & Koch (2000: 1490) weisen aber darauf hin, dass parallel zu diesem bottom-up -Verfahren ein top-down -Verfahren ablaufen kann, das eine willentliche, bewusste Fokussierung auf bestimmte Elemente umfasst, was im gegebenen Kontext beispielsweise im konkreten Suchen eines bestimmten Geschäfts, eines Zugangs zu oder einer Haltestelle des öffentlichen Personennahverkehrs bestehen könnte. Die Aufmerksamkeit ist in diesem Fall auf einen bestimmten Typ Schild bzw. Information fokussiert, dessen Form und/ oder Positionierung gelernt sind. Andere Reize, die ansonsten über das bottom-up -Verfahren aktiviert werden, werden entsprechend ausgeblendet bzw. überlagert. Das Modell von Schnotz et al. (2003) beschäftigt sich im Gegensatz zu Itti und Koch stärker mit der eigentlichen Verarbeitungsstruktur multimodaler Aggregate. Zentral sind getrennte Verarbeitungswege von Text ( descriptive ) und Bild ( depictive ), die jeweils in mental models resultieren. Die ‚Ergebnisse‘ der beiden getrennten Verarbeitungsprozesse werden hinterher in einem mapping miteinander abgeglichen und ergänzen sich gegenseitig. Dabei kann der Infor- <?page no="50"?> 3.2 Text und Bild 51 mationsgehalt der generierten mental models von ihrer ‚Konstruktionsvorlage‘ (Text oder Bild) abweichen, da mental models einerseits bereits bekanntes Wissen um das Thema/ Objekt berücksichtigen können und andererseits für die in der aktuellen Situation unnötige Informationen nicht berücksichtigt werden. Bucher stellt über den Verweis auf die obigen Modelle Aneignung und Verarbeitung multimodaler Aggregate und damit die Rezipientenseite ins Zentrum der Überlegungen, während sich die Modelle der Bildlinguistik auf die strukturelle, syntagmatische Komposition multimodaler Entitäten konzentrieren und damit tendenziell eher auf die Produzentenseite abzielen. Dies zeigt sich auch in der Entwicklung Grammatik-orientierter und damit linearer Modelle, die die strukturellen Beziehungen der einzelnen Elemente eines multimodalen Aggregats analysierbar machen sollen und so eine systematische und vergleichbare Beschreibung der Funktionsweise multimodaler Komplexe anstreben 26 . Diese Modelle werden an massenmedialen Objekten entwickelt und reichen in ihren elaborierteren Versionen für die vorliegende Studie zu weit: Wie schon mehrfach betont weist der öffentliche Raum in hohem Grade historisch gewachsene und konventionalisierte Elemente mit eingeschränktem, themen- und raumspezifischem bildlich/ grafischem und sprachlichem Inventar auf. Daraus ergibt sich ein ‚Analysedreieck‘, das sich auf die Beziehungen zwischen den Analysegrößen Bild , Schild und Sehfläche beschränkt (für eine Definition der Analysegrößen siehe Kapitel 4.3). Darüber hinaus ist der öffentliche Raum in den vorgegebenen Strukturen statischer, so dass weniger Variationsmöglichkeiten in der Anordnung von Elementen gegeben sind. Schaufenstergrößen und ihre Position im Gebäude sowie weitere architektonische Gegebenheiten sind beispielsweise nicht ohne Weiteres beeinflussbar und über lange Zeit als feste Größe vorgegeben. Dadurch gelten, wie sich auch in der Analyse zeigen wird, die von Straßner (2002: 42) genannten Prämissen hinsichtlich der Kürze und Prägnanz von Texten sowie dem Corporate Design 27 in besonderer Weise, da die Funktion dieser öffentlichen Repräsentation nicht nur auf reine Werbung beschränkt ist. Einerseits ist sie Teil des Placemaking , also der (stadtplanerischen) Gestaltung von Teilen des öffentlichen Raums, die auch die Umwandlung von Raum in einen sozialen (konstruierten und interaktiven) Raum beinhaltet, welche hier 26 Einen Überblick über die wichtigsten Modelle sowie eine kritische Diskussion der vorgestellten Ansätze gibt Bateman (2014). 27 Haas (1995: 73-74) datiert die Entstehung der Corporate Identity und damit die Etablierung der Verbindung zum Unternehmen/ Produkt über die konnotative Ebene auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Brook (2008: 16) verweist allerdings auf frühere Ansätze, zum Beispiel verkörpert im Logo der VOC („Vereenigde Oostindische Compagnie“, 17.- 18. Jh.), „possibly in fact the first global logo“. <?page no="51"?> 52 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität einer dauerhaften Präsenz von Unternehmen entspricht, die durch entsprechende Marker wie Label, Schilder, Slogans etc. sichtbar gemacht werden 28 . Sie weisen damit dem Raum nicht nur eine spezifische Funktion zu, sondern profilieren ihn auch in eine bestimmte Richtung und geben ihm so ein typisches ‚Gesicht‘. Gleichzeitig wird in der Warenpräsentation und Schaufenstergestaltung nicht nur analog zu anderen Werbemedien für konkrete Produkte geworben, sondern ggf. eine Auswahl unterschiedlicher Ausführungen des gleichen Produktes häufig Anlass- oder Lifestyle-spezifisch situiert präsentiert (vgl. Bild 2 und Bild 3). Die unmittelbare Nähe zum Verkaufsraum mag dabei ein implizites „im Laden/ hier gibt es X“ oder „hier gibt es mehr davon“ beinhalten, ähnlich wie dies auch für virtuelle Räume bzw. Online-Shops gelten mag, und den kommunikativen Charakter und die soziale Komponente dieser öffentlichen Strukturen betonen. Anders als reine Print- oder Fernsehwerbung kann das Werbemedium Schaufenster nicht nur unmittelbar auf den Betrachter einwirken, sondern auch direkte und spontane Handlung initiieren und so auch Personen am Rande oder außerhalb der eigentlichen Zielgruppe ansprechen. Vor dem Hintergrund dieser gewachsenen und konventionalisierten Strukturen und ihren zugehörigen Kommunikations-, Interaktions- und Handlungsformen muss gefragt werden, inwieweit Modelle zur Text-Bild-Integration die Existenz dieser Formen in Rechnung stellen sollten. In der konkreten Ausgestaltung sind die Möglichkeiten der Nutzung dreidimensionaler Räume zentral, weil sie eine zusätzliche Informationsebene zur Verfügung stellen und damit, auch in Abhängigkeit von der Analysegröße (s. u.), komplexere Aggregate ermöglichen. Bei der Analyse der Rezeption dieser Aggregate muss auf allgemein zugängliche Wissensbestände der Wahrnehmenden zurückgegriffen werden. Dieser Vorgang wird durch eine grundsätzliche Voreinstellung des Wahrnehmenden (Erwartungshaltung) erleichtert, die im konventionalisierten Wissen um die Struktur, die Formen und die Intentionen des vorgefundenen Raums begründet liegt, durch die Handlungen der im Raum Agierenden ständig reproduziert wird und dadurch Stabilität erlangt. Als Beschreibungsmodell für diese stereotypen Situationen und ihre Handlungen bietet sich die Frame Semantics an (Fillmore 2006), die eine hierarchische, ontologische Systematisierung des öffentlichen Raumes und damit auch die Aneignung und Analyse von einzelnen multimodalen Aggregaten über Segmentierung in Frames und Subframes ermöglicht. 28 Deutlicher wird dies durch die Unterscheidung von space und place , die auch in der deutschsprachigen Literatur (vgl. z. B. Domke 2014) und in Anlehnung an die Raumkonzepte von de Certeau verwendet wird ( espace vs. lieu , vgl. de Certeau 1990: 172-173). De Certeau kondensiert die Differenz zwischen ‚stabilem‘ lieu und ‚dynamischem‘ espace in der Formulierung: „L’espace est un lieu pratiqué“ (p. 172). <?page no="52"?> 3.2 Text und Bild 53 Ebenso wie die oben angesprochenen Verfahren von Itti & Koch (2000) und Schnotz et al. (2003) handelt es sich bei der Frame Semantics um ein kognitives Verfahren, das den Rezipienten multimodaler Aggregate in das Zentrum stellt. Die Analysemodelle der Bildlinguistik wie das unten vorgestellte, von Martinec & Salway (2005) entwickelte und auf Barthes (1964) basierende Modell (vgl. auch Bateman 2014: 190-198), konzentrieren sich ausschließlich auf die formale Beschreibung der Beziehung von Bild und Text in multimodalen Aggregaten und fragen damit weder nach den Aneignungswegen der Rezipienten noch nach den Intentionen der ‚Kompositeure‘. Die nicht-lineare kommunikative Struktur des öffentlichen Raums sowie das sich aus der historischen Entwicklung ergebende Kontextwissen hinsichtlich möglicher und/ oder erwarteter Daten- und Informationsstrukturen sowie daraus abgeleitete Handlungen der Wahrnehmenden, also deren Interaktion mit dem und im Raum werden in der Modellbildung nicht berücksichtigt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass gerade durch die Situiertheit mittels einzelner Aggregatselemente Informationswege und -strukturen aktiviert werden, die sich einer formalen Beschreibung entziehen. Da aber im öffentlichen Raum multimodale Aggregate existieren, die in ihrer Form große Ähnlichkeit zu den Untersuchungsgegenständen der Bildlinguistik haben, wird in Kapitel 5.3.2 und 5.3.3 auf Basis von Martinec & Salway (2005) ein Modell vorgeschlagen, das mit leichten Anpassungen die Integration aller wesentlichen Komponenten eines multimodalen Konstrukts im Sinne der vorliegenden Studie ermöglicht und gleichzeitig die gegebene feste, stereotype Struktur beschreibbar macht, so dass den unterschiedlichen Analyseebenen des öffentlichen Raumes ebenso Rechnung getragen werden kann, wie seinen Besonderheiten im Hinblick auf die gemeinsame Wahrnehmung von eigentlich unabhängigen Elementen. Zentral sind vor allem die auf der Dreidimensionalität von Schaufenstern und weiteren Aggregaten basierenden und damit zusätzlich gegebenen Bedeutungsebenen. Aber auch die Beziehung von Firmenschildern und Sehflächen/ Schaufenstern sowie von Firmenschildern und den Gebäuden, an denen sie befestigt sind, stellen eine Analysegröße dar, die zweidimensionale multimodale Aggregate nicht erklären müssen, aus denen sich jedoch eine Struktur ergibt, in der mehrere Bild- und Textelemente in einem einzigen Aggregat zusammentreffen und sich die Aussagen nicht über eine 1: 1 Zuweisung von einzelnen Text- und Bildelementen zu einander ergeben, sondern ggf. Zwischenstufen mit Subaggregaten entstehen. Dieser Datenstruktur wird durch die Einführung einer weiteren Analyseebene, die in Anlehnung an Fix (1996) Supertext genannt wird, Rechnung <?page no="53"?> 54 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität getragen. Dieser Supertext kann als α-modale Zwischenstufe 29 dann als Vergleichsgröße für die verbleibenden Elemente dienen und nimmt jeweils die komplementäre Rolle ein (bildartig in Beziehung zu Text und textartig in Beziehung zu Bild/ Grafik). Damit spricht das vorgeschlagene Modell die von Klemm & Stöckl (2011: 12) aufgeworfene Frage nach den Prinzipien der Bild-Text-Verknüpfung an. Die darüberhinaus von Klemm & Stöckl (2011: 12) angesprochenen Fragen hinsichtlich der Komposition und kommunikativen Funktion des Bildes als eigenständigem semiotischen Mittel ergeben sich in diesen Modellen indirekt über die Beschreibung ihrer Funktion in Bezug auf den Text. Neben seiner kommunikativen und interaktiven Ausrichtung weist der öffentliche Raum jedoch weitere zu berücksichtigende Besonderheiten auf, die Anpassungen im Modell von Martinec & Salway, aber auch in allen anderen bildlinguistischen Ansätzen notwendig machen, sofern sie sich als grundsätzlich angemessene Modelle für die Beschreibung des öffentlichen Raumes erweisen. Somit stellt sich die oben bereits angedeutete Frage, ob sich die grundsätzlichen Beziehungsstrukturen von Text/ Schild und Bild in Schaufenstern und auch im öffentlichen Raum insgesamt aufgrund dieser Differenz von zweidimensionalen Aggregaten unterscheiden, oder ob Modelle zur Analyse multimodaler Strukturen, die in der Regel für das bzw. am gedruckten Aggregat entwickelt wurden auch auf dreidimensionale Aggregate im öffentlichen Raum und diesen selbst anwendbar sind (vgl. Kapitel 5.3.2 und 5.3.3). Die Wahl von Martinec & Salway (2005) als Basis für ein Analysemodell begründet sich zunächst in der ausreichenden Differenzierung der möglichen logisch-semantischen Beziehungen der Text und Bild-Komponenten. Andere Modelle weisen hier eine größere Differenzierung auf, ohne jedoch damit die oben angesprochenen Besonderheiten des öffentlichen Raumes zu adressieren. Entsprechend erscheint es sinnvoller, ein ausreichend ausführliches Modell auf notwendige Veränderungsmöglichkeiten und Anknüpfungspunkte hin zu untersuchen, als ein Modell mit vielen nicht benötigten Elementen zunächst zu kürzen und dann anders zu erweitern. Wesentlich und für den öffentlichen Raum unabdingbar ist bei der Wahl zusätzlich das Vorhandensein einer zweiten Beschreibungsebene, nämlich Status . Der Aspekt Status bei Martinec & Salway (2005: 343-349) beschreibt zunächst auf rein formaler Ebene die Text-Bild-Beziehungen. Dabei werden equal und unqual unterschieden und jeweils in zwei weitere Subkategorien untergliedert. Diese Subkategorien bestimmen auf der equal -Ebene den Grad der Eigenstän- 29 „ α “ steht hier für ‚nicht aktiviert‘, d. h. dass diese Zwischenstufe hinsichtlich der in ihr enthaltenen multimodalen Segmente unspezifiziert bleibt. <?page no="54"?> 3.2 Text und Bild 55 digkeit der einzelnen Elemente: Bild und Text unabhängig ( independent ) von einander oder komplementär zu einander ( complementary ). Vor allem der Parameter independent ist für eine Analyse im öffentlichen Raum wichtig, da dort Text-Bild-Aggregate existieren, die nicht komponiert, sondern der besonderen Situation geschuldet sind und ein Nebeneinander unterschiedlicher Einheiten darstellen. Solche Aggregate sind z. B. Schilder von Arztpraxen, die unmittelbar neben dem Schaufenster eines Ladens angebracht sind und nicht getrennt von diesem rezipiert werden können (vgl. Bild 64 und Bild 70, sowie ausführlich Kapitel 5.3.3) Die Untergliederung des Parameters unequal nimmt auf die beiden Subordinationsrichtungen (Text → Bild oder Bild → Text) Bezug. Die formalen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Analyseebenen eines Aggregats des öffentlichen Raumes können über die Unterscheidungen des Parameters Status umfassend berücksichtigt werden, da die Beziehung zwischen einem Firmenschild und einem Schaufenster sowie dessen unmittelbarer Umgebung eben so beschrieben werden können wie die Beziehungen von Text auf der Fensterfläche und solchem, der Teil der Präsentation im Schaufenster ist (vgl. Kapitel 5.3.2 und 5.3.3). Als zweiten Aspekt führen Martinec & Salway (2005: 349-355) die logicosemantic relations 30 aus, die die unterschiedlichen inhaltlichen Beziehungen zwischen Text und Bild/ Grafik in einem mehrstufigen System beschreibbar machen. Der Parameter projection wird von Martinec & Salway (2005: 352) zwei bestimmten Text-Bild-Typen zugewiesen (Comic und Text-Diagramm-Aggregate), die sich durch eine Wiederholung zentraler Elemente der Aussagen auszeichnen, also präsente Aussagen im Text, oder zentrale Textaussagen grafisch wiederholen. In der nachstehenden grafischen Darstellung fehlt dieser Aspekt daher. Der Parameter expansion beschreibt im Gegensatz dazu die unterschiedlichen Möglichkeiten der gegenseitigen Ergänzung der in einem Medium gegebenen Informationen. In den gegebenen Strukturen des öffentlichen Raums spielen vor allem die Dimensionen elaboration und extension eine zentrale Rolle, da sie die weitere Erläuterung einer Information durch das jeweils andere Medium bzw. die Präsentation von Zusatzinformationen umfassen. Die Dimension enhancement leistet im Wesentlichen eine räumlich-zeitliche Situierung einer Information. 30 In dieser Erläuterung werden zunächst die im Original verwendeten englischen Begriffe verwendet. Im Weiteren folgende Begriffe verwendet: Logisch-semantische Beziehung , Projektion , Elaboration , Extension , Exposition , Exemplifikation , Status , gleich , ungleich. <?page no="55"?> 56 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität Status gleich • Text und Bild unabhängig • Text und Bild ergänzen sich ungleich • Bild untergeordnet • Text untergeordnet logisch-semantische Beziehung Expansion • Elaboration: neue zusätzliche Information • Exposition: Text und Bild gleich allgemein • Exemplifikation • Bild allgemeiner • Text allgemeiner • Extension: keine intrinsische semantische Verbindung zwischen Text und Bild • Enhancement • temporal • räumlich • kausal (Grund/ Anlass ) Abbildung 1: Grafische Darstellung der relevanten Aspekte des Modells von Martinec & Salway (2005). Die Überlegung, die derzeit in unterschiedlichen Teildisziplinen getrennt betrachteten rein sprachlichen oder multimodalen Daten unter Rückgriff auf ein einziges bildlinguistisch basiertes Modell zu analysieren und ihre Funktion in urbanen Räumen zu beschreiben, liegt in der historisch gegebenen Verbindungslinie zwischen LL und Bildlinguistik begründet. Dabei werden neue Perspektiven auf Sprache im öffentlichen Raum insgesamt eingenommen, die zunächst auf eine grundsätzliche Beschreibung der Verwendungskontexte und deren Implikationen abzielen. Da sich dies aber aufgrund der besonderen Struktur multimodaler Aggregate als problematisch erweisen kann, werden mit der Frame Semantic und den Kategorien Orientierung , Identität und Referenz parallel kognitive Perspektiven hinzugezogen, die explizit auf die kommunikative, interaktive Ausrichtung des öffentlichen Raumes eingehen können. Dabei steht vor allem die Integration der historischen Dimension im Zentrum, die bildlinguistische Modelle mit ihrem formalen Ansatz und auch Analysen der Linguistic Landscape nicht oder nur stark eingeschränkt abbilden. <?page no="56"?> 3.3 Der historische Kontext 57 Integration der historischen Dimension meint in diesem Zusammenhang zunächst die Etablierung moderner Warenwelten und ihrer Werbe- und Präsentationsstrukturen, einschließlich der Umgestaltung des öffentlichen Raumes, der Entstehung neuer Handlungsformen und -räume (vgl. Kapitel 2.2, 2.3 und 3.3) sowie über die Zeit deren Stabilisierung, die in der Konventionalisierung des spezifischen Wissens um die Funktion dieses Raumes und die zugehörigen Handlungs- und Kommunikationsformen münden. Daraus wiederum kann eine Matrix gebildet werden für weitere Fragen, wie die nach der konkreten Ausprägung des Korpus im Hinblick auf die verwendeten Sprachen sowie die Frage nach inhaltlichen Aspekten und deren Struktur, woraus die Profilierung einer gegebenen allgemeinen Struktur hin zu einer bestimmten individuellen LL abgeleitet werden kann. Damit ergibt sich für die Linguistic Landscape-Forschung aber auch, dass sie Teil eines komplexen Ganzen ist, und die Frage, ob und in welchem Umfang Sprache allein und isoliert analysiert werden kann, immer zu berücksichtigen ist. 3.3 Der historische Kontext Die Dimensionen der Linguistic Landscape und der Bildlinguistik sind eng mit der Entstehung von Wirtschaftswerbung verbunden, die von Anbeginn eine stark visuelle Komponente aufwies und immer die Interaktion von Text und Bild zur Vermittlung der Werbebotschaft nutzte (Bucher 2016: 28, vgl. auch Kapitel 2.3). Im Kontext liberaler Wirtschaftsordnung, Massenproduktion, Markenprodukt und Konsumgesellschaft entstanden nicht nur zahlreiche neue Unternehmen, die durch ihre Firmenschilder auf sich aufmerksam machten, es fand auch eine Trennung von Produzent und Abnehmer statt. Damit ergab sich sowohl die Notwendigkeit auf die zahlreichen neuen Produkte hinzuweisen als auch sich von der Konkurrenz abzuheben (Barr 2016: 233-234). Vor diesem Hintergrund entwickelten sich nicht nur Schaufenster als Präsentations- und Werbefläche sondern auch das Plakat und die Anzeige als Werbemittel (vgl. z. B. Bertschik 2014: 81-83, Haas 1995, Reinhardt 1995). Vor allem das Plakat bestand von Anfang an aus Text und Bild, die zu einer Gesamtaussage komponiert wurden. Duvigneau (1975) verortet das Plakat als Medium der öffentlichen Anschlagflächen und damit als Teil des öffentlichen Raumes. Die hohe Präsenz von Werbung im öffentlichen Raum im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zeigt sich nicht nur in der kritischen Auseinandersetzung mit dem gehäuften Auftreten von Plakaten und Schildern, sondern auch in der Entstehung von Anschlagflächen wie der Litfaßsäule (vgl. Ilgen & Schindelbeck 2006). <?page no="57"?> 58 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität Im Jahr 1900 befanden sich beispielsweise in der jetzigen Fußgängerzone in München (vgl. Kapitel 4.1) bereits 426 Unternehmen verschiedener Branchen, die mit Schildern auf sich aufmerksam machten. Zu diesen Firmenschildern kamen noch Werbeplakate, Plakate in Schaufenstern und Fassadenwerbung hinzu. Auch fremdsprachliche Elemente waren verbreitet, die branchenspezifisch zugeordnet werden können (vgl. Schulze 2018). Der ökonomisch genutzte öffentliche Raum unterschied sich damit nicht wesentlich von dem heute üblichen (vgl. Bild 5 und Bild 6). In der Ausgestaltung wurde gezielt auf Fonts und Text-Bild Interaktion gesetzt. Das auf Bild 6 am rechten Rand sichtbare Bild einer Augenpartie verweist auf ein Occularium , also einem Unternehmen, das mit den heutigen Optikern vergleichbar ist. Duvigneau (1975) unterscheidet für das im 19. Jahrhundert in seiner Funktion als Werbemedium entstandene Plakat von Beginn an zwei unterschiedliche Typen, die auch heute noch präsent sind. 31 Das reine Sachplakat, das mit Produktabbildungen arbeitet und stärker informativ ausgerichtet ist, steht neben Plakaten, auf denen das eigentliche Produkt zusammen mit anderen Bildbzw. grafischen Motiven dargestellt wird, und die stärker auf eine emotionale Ansprache des Rezipienten setzen (vgl. Straßner 2002: 43, Reinhardt 1995). Barr (2016: 238) stellt die Komposition von Markenannoncen in Illustrierten in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der textuellen und bildlichen Prägnanz von Sachplakaten und zeigt damit die Verbindunglinie des zentralen Themas der Bildlinguistik mit der werbetechnischen text-grafischen Ausgestaltung des öffentlichen Raumes, dessen sprachlicher Anteil Gegenstand der Linguistic Landscape-Forschung ist. Unabhängig von dieser Unterscheidung waren moderne Plakate zunächst Künstlerplakate (vgl. z. B. die Arbeiten von Lucian Bernhard und Ludwig Hohlwein). Neben diese von Kunstmalern entworfenen Plakate traten schnell Plakate, die auf werbepsychologischen und damit wissenschaftlichen Erkenntnissen basierten und die von einer neu entstandenen Berufsgruppe, den Werbegrafikern, konzipiert wurden (vgl. Duvigneau 1975: 36). Die Entwicklungen der Werbewirtschaft waren spätestens ab dem Ersten Weltkrieg von politischen Einflüssen gekennzeichnet. So setzten vor dem Ersten Weltkrieg z. B. Verdeutschungstendenzen und die Verdrängung ausländischer Produkte ein 32 . Während des Krieges selbst kam es auch aufgrund der ökono- 31 Zugrunde liegen letztendlich appellative und informierende Funktionen von papiernen Wandanschlägen beginnend im 16. Jahrhundert. 32 In der Linguictic Landscape Münchens machte sich dies in der heutigen Fußgängerzone deutlich bemerkbar. So sank die Anzahl fremdsprachlicher Signs in Laden-/ Unternehmensbezeichungen ab 1913 kontinuierlich und erreichte erst in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg wieder das Niveau von 1900 (zu Methode und Daten vgl. ausführlich Schulze (2018)). <?page no="58"?> 3.3 Der historische Kontext 59 mischen Auswirkungen zu einem Einbruch im Anzeigenaufkommen (vgl. z. B. Ilgen & Schindelbeck 2006: 61, 77). Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Werbewirtschaft zunehmend instrumentalisiert und die Unterstellung unter das Propagandaministerium stellte eine vollkommene Kontrolle sicher. 33 Gleichzeitig kam den mit der Werbung befassten Berufsgruppen durch diese Entwicklung eine besondere Bedeutung zu (vgl. Duvigneau 1975: 151-152). Schon für die Entstehungsphasen der Werbung konstatiert Duvigneau (1975) eine Auflösung der festen Grenzen zwischen Bild und Schrift und verweist in diesem Kontext vor allem auf Markenzeichen/ -namen (Logos, Labels). Unabhängig davon, ob diese nur aus Text oder Bild oder beidem bestehen, werden sie als eine einzige Entität bildgleich wahrgenommen. Damit ist die Rezeption von Markenzeichen, auch wenn sie nur aus Text bestehen, schneller als die von Text und damit analog zu Bildern, ohne dass die Zusatzinformationen, die sich zwangsläufig auf Bildern finden, gegeben sind. Elementar ist dabei, dass Bilder im Gegensatz zur Sprache in zwei kognitiven Systemen verarbeitet werden: Sprache ausschließlich im verbal system , Bilder hingegen sowohl im verbal als auch im imagery system (Schnotz & Bannert 2003: 142). Diese bildartige Verarbeitung einer gelernt als Einheit zu lesenden Entität entspräche auch historisch der parallelen Genese von Markenzeichen und (Werbe-)Bild, welches Wischermann (1995: 14) „als zentrales Ausdrucksmittel der Moderne“ beschreibt (vgl. auch Haas 1995). Diese von Duvigneau beschriebene Zwischenposition von Markenzeichen findet in der Linguistic Landscape-Forschung ihren Widerhall in der Methodendiskussion um die Bewertung von Labels, Firmennamen etc. Dabei geht es in der Regel um die Zuordnung von Firmennamen/ Labels und die Frage, ob man ihnen eine konkrete Sprache zuweisen kann, ob also z. B. Apple als englisch oder Georgio Armani als italienisch zu bewerten ist, wie mit Markenzeichen/ Labels umgegangen wird, die aus Eigennamen bestehen und wie mit solchen Labels zu verfahren ist, die sich aus Einzelbuchstaben und/ oder Ziffern bzw. typografischen Symbolen zusammensetzen wie z. B. C&A , H&M, O 2 34 etc. Aufgrund der starken Ausrichtung auf Sprache dreht sich die Diskussion also um den sprachlichen Status solcher Entitäten und nicht um die Frage, ob in der Rezeption überhaupt Sprache im eigentlichen Sinne wahrgenommen und verarbeitet wird. Diese Unterscheidung ist auch für die Linguistic Landscape-Forschung in sofern von Bedeutung, dass sie der quantitativen Präsenz einzelner Sprachen 33 Vgl. das „Gesetz über Wirtschaftswerbung“ vom 12. September 1933 und die Gründung der Nationalsozialistischen Reichsfachschaft Deutscher Werbefachleute (NSRDW) im Juni 1933. 34 Die genannten Beispiele wurden aus der Datenbasis des vorliegenden Projekts ausgewählt. <?page no="59"?> 60 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität große Aufmerksamkeit widmet. Wenn nun Markenzeichen zwar den Modus Grafie verwenden, diese aber vom Rezipienten nicht (primär) sprachlich verarbeitet werden, stellt sich die Frage, ob die von der Linguistic Landscape- Forschung beschriebene Bedeutung von Einzelsprachen zumindest hinsichtlich dieses Sign typs tatsächlich gegeben ist. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang sicherlich die Sprachkenntnisse innerhalb einer Gesellschaft bzw. die Ähnlichkeit der ‚ Sign -Grafie‘ mit der Mehrheitssprache, sowie die Frage, ob größere Ähnlichkeit mit dem wie auch immer definierten Standard (z. B. lateinische Schrift) oder größtmögliche Differenz stärker eine bildartige Rezeption unterstützen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die historisch gewachsene Position der entsprechenden Signs im öffentlichen Raum oder auch auf Produkten ausreichend ist, um eine bildartige Rezeption anzustoßen, womit das Erkennen eines Zeichens als Label/ Markenzeichen auch ohne vorherige Kenntnis des Labels/ der Marke auf einen hohen Grad an Konventionalisierung in der Wahrnehmung und Interpretation nicht nur des öffentlichen Raumes hinweisen würde. Dabei können die wahrgenommenen Segmente des öffentlichen Raumes als multimodales Aggregat klassifiziert werden, auf dessen Rezeption das von Bucher (2016: 30) beschriebene Kompositionalitätsproblem zutrifft: „ (…) so erfordert seine Rezeption Hinweise darauf, welche Elemente zusammengehören, welcher Art die intermodalen Zusammenhänge zwischen diesen Elementen sind und in welchem Hierarchieverhältnis sie zueinander stehen.“ Abbildung 2: Zusammengehörigkeit und Beziehung Einzelelemente. <?page no="60"?> 3.3 Der historische Kontext 61 Hierzu folgendes Beispiel: Aufgrund der einheitlichen Ausgestaltung liegt in Abbildung 2 das Problem zunächst in der Zuordnung der Tür und des Firmennamens zu den beidseitig zu findenden Schaufenstern (links: Silberwaren, rechts: Bademoden). Durch die stilisierte Badehose auf dem Logo auf der Tür wird ein eindeutiger Bezug zur Bademode hergestellt. Ein weiterer Hinweis könnte die Position des Schriftzugs sein. Dieser schließt linksbündig mit der Tür ab. Wird aus der Laufrichtung der Schrift und der räumlichen Ausdehnung des Firmennamens auf die Zugehörigkeit geschlossen, ergibt sich ebenfalls eine Zuordnung der Tür zum rechten Schaufenster. Da dieses zweite Element besser sichtbar ist als das Logo auf der Tür, ist anzunehmen, dass zunächst der Firmenname und dessen Position hypothesenleitend sind und diese Hypothese dann durch das Logo bestätigt wird. Die Funktion des Schaufensters kann als Exemplifizierung des Firmennamens interpretiert werden (s. o.). Die zweite Leistung besteht in der Zuordnung der am rechten Bildrand angebrachten Tafel von Dienstleistern. Aufgrund des konventionalisierten Wissens um die Produzenten dieser Schilder kann vom Betrachter schon allein aufgrund der Schildform eine Beziehung zum benachbarten Schaufenster ausgeschlossen werden, was durch die textuellen Hinweise auf den Schildern bestätigt wird. Die Frage nach den Räumen der entsprechenden Unternehmen wird über das Schild beantwortet, welches als ‚Kopfzeile‘ Straßennamen und Hausnummer trägt. Das darüber angebrachte offizielle Schild mit der Hausnummer umfasst zusätzlich einen Pfeil, der die Richtung zum Eingang weist. Damit wird in der Summe verdeutlicht, dass der Zugang zu den Unternehmen auf dem Schild rechts (außerhalb des Bildes) liegt und über den Eingang zur Theatinerstraße 32 erfolgt. Da gleichzeitig das Erdgeschoss der Theatinerstraße 32 bereits einer Nutzung zugeordnet werden kann, leitet sich daraus weiterhin die Hypothese ab, dass die Unternehmen auf dem Schild in den Obergeschossen ansässig sind. Wegen der Stabilität dieses Musters kann es als konventionalisiertes Wissen und der Richtungspfeil lediglich als Orientierungshilfe gesehen werden. Insgesamt sind also drei Segmente zu isolieren und interpretieren: 1) Das Schaufenster ganz links, das zur nächsten Entität gehört. 2) Tür und Schaufenster rechts als zusammengehörig durch die Position und Reichweite der Schrift, unterstützt durch das Logo auf der Tür. Festzulegen ist die Beziehung von Warenpräsentation und Schrift. 3) Die Schilder am rechten Bildrand sowie die sich daraus ergebenen Informationen über Ort und Angebot. Erst aus der aufgrund ihrer Position und ihrer Aussage korrekten Zusammenstellung der Elemente (Hinweisschilder, Markenzeichen, Schaufenster, Gebäude etc.) ergibt sich beispielsweise die Funktion eines Gebäudes als Filiale eines bestimmten Labels bzw. überhaupt erst als Geschäft und die des Schaufensters (als eigenständigem multimodalem Aggregat) als beispielhafte Präsentation <?page no="61"?> 62 3 Linguistic Landscapes und Multimedialität aktueller Produkte eben dieses Labels, die im zum Schaufenster gehörenden Gebäude/ Laden erworben werden können. Damit bezieht sich dann auch Text auf Schaufensterflächen (z. B. ‚sale‘) nicht nur auf die gezeigten Produkte, sondern ggf. auch auf weitere dieses Herstellers, aber eben nicht auf die Waren anderer Hersteller in anderen Ladengeschäften. Nur in bestimmten Fällen, wie z. B. beim ‚sale‘ kann ein solcher Text auf saisonbedingte Angebotskonventionen hinweisen, die über das spezifische Angebot eines Anbieters hinausgehen. Das ‚Lesen‘ und Zuordnen beruht dabei auf dem Wissen um die konventionalisierten Strukturen moderner Waren- und Verkaufswelten und ihrer Außenpräsentation in öffentlichen Räumen ggf. unter Rückgriff auf weitere gesellschaftliche und/ oder ökonomische Strukturen (Muttertag, Weihnachten, Schlussverkäufe etc.), die in besonderen Formen der Warenpräsentation oder Kundenansprache resultieren. Diese Form der Konventionalisierung ist damit als Ergebnis eines historischen Prozesses zu bewerten, der seinen Anfang in den oben beschriebenen, veränderten ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen genommen hat (Wirtschaftswerbung, Einführung von Markenprodukten, Konsumgesellschaft) 35 und sich bis heute auf die konkrete Ausgestaltung öffentlicher Räume mit kommerzieller Aktivität auswirkt. 35 Vgl. hierzu Ilgen & Schindelbeck (2006: 37): “Innerhalb weniger Jahre hatte sich das Straßen- und Landschaftsbild durch die Reklame völlig verändert.“ <?page no="62"?> 3.3 Der historische Kontext 63 4 Untersuchungsraum und Methoden 4.1 Der Untersuchungsraum Der ausgewählte Untersuchungsraum umfasst mit der Fußgängerzone (Kaufingerstraße-Neuhauser Straße-Weinstraße-Theatinerstraße (Abbildung 3) und dem Olympia Einkaufszentrum (Abbildung 4) als Shopping Mall zwei unterschiedliche Räume, um den Entwicklungen moderner ökonomischer Strukturen und Stadtplanung Rechnung zu tragen. Abbildung 3: Untersuchungsraum Fußgängerzone. <?page no="63"?> 64 4 Untersuchungsraum und Methoden Abbildung 4: Flächen des OEZ im Erhebungszeitraum. Die im Stadtzentrum gelegene Fußgängerzone ist heute eine der meistfrequentierten Einkaufsstraßen Deutschlands 36 . Mit einer Länge von ca. 1,3 km ist sie in ihrer Ausdehnung über die Zeit weitestgehend unverändert geblieben (Angermeir 2013, 1989; Enss 2013). Im Erhebungszeitraum (April/ Mail 2016) waren im Untersuchungsraum 337 Unternehmen (Handel, Dienstleistungen, Praxen) an- 36 Vgl. die Presseerklärungen von Jones Long LaSalle vom 15.5.2015 (www.jll.de/ germany/ de-de/ presse/ 1651/ kaufingerstrasse-in-muenchen-ist-deutschlands-meistbesuchteeinkaufsmeile-2015) und 21. Juni 2016 (www.jll.de/ germany/ de-de/ presse/ 1880/ koelnerschildergasse-holt-sich-spitzenplatz-unter-den-einkaufsstraßen-zurueck; Zugriff auf beide Seiten am 17.01.2018). Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 26. Juni 2018: „Der Immobilienverband Deutschland (IVD) hat die Frequenz der Passanten in der Münchner Innenstadt zählen lassen und kommt für die Kaufingerstraße zu einem Ergebnis von durchschnittlich 5496 Menschen pro Stunde. Knapp dahinter auf dem zweiten Platz landet die Neuhauser Straße mit einer Passanten-Frequenz von 5287 pro Stunde.“ <?page no="64"?> 4.1 Der Untersuchungsraum 65 gesiedelt. Die U- und S-Bahnstationen am Marienplatz und Karlsplatz (Stachus) sind als Teil der Stammstrecke wichtige Umsteigebahnhöfe, am U-Bahnhof Odeonsplatz kreuzen sich die U-Bahnlinien U4, U5 sowie U3 und U6. Ferner befinden sich am Karlsplatz (Stachus) die Haltestellen diverser Straßenbahnlinien. Damit befinden sich die Zugänge zum ÖPNV an beiden Enden der Fußgängerzone (Karlsplatz - Odeonsplatz) und zusätzlich an zentraler Stelle (Marienplatz), so dass eine gute Erreichbarkeit aller Teile des Fußgängerzone gegeben ist. Das Areal ist traditionell von Handel und Gewerbe geprägt. Veränderungen betreffen spätestens ab dem späten 19. Jahrhundert vor allem das Zusammenlegen von Grundstücken, die Errichtung von Neubauten (z. B. des Kaufhauses Oberpollinger, vgl. Bild 10 von 1875, und Bild 11 von 1906) 37 , die ökonomische Nutzung von ehedem privat genutzten Immobilien etc. und sind eindeutig in den in Kapitel 2 beschriebenen Zusammenhang von gesellschaftlichem und ökonomischen Wandel zu stellen. Gleiches gilt für die bereits vor der Jahrhundertwende einsetzende Abnahme der Wohnbevölkerung zugunsten einer gewerblichen Nutzung im Rahmen der Citybildung. Diese Entwicklung hat vor allem in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg großen Einfluss auf den Charakter der Erhebungsraumes (Bruns-Berns 1995: 98-99, Enss 2013: 30). Bild 10: Oberpollinger 1875. 37 Der Oberpollinger ist jeweils mit einem Rahmen markiert. Im späten 19. Jh. war das Oberpollinger noch ein Hotel. Nach dessen Insolvenz wurde das Oberpollinger unter Beibehaltung des Namens durch das Warenhausunternehmen M.J. Emden und Söhne übernommen. Das Bild von 1906 entspricht den heutigen Dimensionen des Gebäudes, die Integration der Nachbargrundstücke erfolgte nach der Übernahme durch M.J. Emden und Söhne im Zuge des Neubaus, vgl. hierzu z. B. Burgmaier (1960). In Burgmeiers Häuserbuch ist die strukturelle Veränderung des Straßenbildes grafisch aufbereitet und gut nachvollziehbar. <?page no="65"?> 66 4 Untersuchungsraum und Methoden Bild 11: Oberpollinger 1906. Im Kontext des Wiederaufbaus der stark zerstörten Münchner Innenstadt nach dem 2. Weltkrieg getroffene Entscheidungen hinsichtlich der Wiederherstellung, des Abrisses sowie des Denkmalschutzes prägen den Untersuchungsraum in architektonischer Hinsicht bis heute. Im Wesentlichen orientierte sich der Wiederaufbau Münchens an den Plänen von Karl Meitinger (1882-1970), die unter dem Namen Meitinger-Plan in München diskutiert wurden. In seiner Schrift „Das neue München“ (1946) entwirft Meitinger weitreichende Pläne für den Wiederaufbau der Stadt, die im Untersuchungsraum der vorliegenden Studie bis heute sichtbar sind. Meitinger plädierte für eine weitmöglichste Erhaltung alter Bausubstanz und der Rekonstruktion zerstörter Bauten, sofern dies aufgrund der noch erhaltenen Reste möglich war; Baulücken sollten mit modernen Neubauten gefüllt werden. Denkmalpflegerische Erwägungen spielten also beim Wiederaufbau eine bedeutende Rolle. Bereits im Jahr 1944 und damit vor Kriegsende wurden Überlegung zum Schutz von Gebäuden oder Fassaden angestellt (Enss 2013: 182-183). Dabei wurde vor allem für die ausgebrannten Objekte angeregt, die Fassade zu erhalten und bei der Innengestaltung auf moderne Standards zu setzen, die sich auch an den Bedürfnissen einer ökonomischen Nutzung orientieren (vgl. Bild 12 Palais Preysing, Residenzstraße 27 38 ). 38 Das Palais Preysing hat seinen Eingang an der Residenzstraße, die „Rückseite“ liegt an der Theatinerstraße. Durch das Gebäude führt heute eine Passage hindurch, die nicht nur <?page no="66"?> Bild 12: Palais Preysing, Theatinerstraße. Gleichzeitig sollen beim Wiederaufbau „Verkehrsfragen gebührend berücksichtigt werden“ (Meitinger 1946: 18). Die die Fußgängerzone heute noch prägenden Arkaden 39 gehen auf diese Initiative zurück. Sie sollten laut Meitinger (1946: 25) einer Entflechtung von Fußgängern und Autoverkehr dienen und somit dem zunehmenden Individualverkehr Rechnung tragen. Die Straßenbreite konnte an den betreffenden Stellen erhalten oder ausgeweitet werden, da die Arkaden durch eine Rückverlegung der Baulinie in den Erdgeschossen von Gebäuden erreicht werden sollte (vgl. Bild 14 bis Bild 17 unten zu beiden Seiten des Karlstors). Auch die Verkehrsführung und die Breite der Theatinerstraße gehen auf die Pläne Meitingers zurück. Als letzter großer, das heutige Erscheinungsbild des Untersuchungsraumes Fußgängerzone prägender stadtplanerischer Eingriff ist der Bau der U-Bahn und die Einrichtung der Fußgängerzone zu nennen. Die Fußgängerzone wurde im Zuge von stadtplanerischen Erwägungen vor dem Hintergrund zunehmender Verkehrsprobleme in der Münchner Innenstadt geplant und ist - entgegen der zeitgenössischen Wahrnehmung - in den Kontext der in den 1960er und 1970er dominanten Planungsperspektive der autogerechten Stadt zu stellen (Egger 2013: 228). Gleichzeitig repräsentiert sie ein für die deutsche Nachkriegszeit typisches Merkmal deutscher Stadtplanung und als Zugang zu den Geschäften im Palais genutzt werden kann, sondern auch als Durchgang von der Theatinerzur Residenzstraße. 39 Deren möglicher Rückbau im Hettlage-Haus (Neuhauser Straße 10) wird im Zuge der geplanten Neugestaltung des Objekts heftig diskutiert (vgl. z. B. die Berichte in der Süddeutschen Zeitung vom 25.4.2016, Seite. 39 „Luxus statt Arkaden“ und vom 1./ 2. 4.2017, S. 86 „Der Streit hinter den Fassaden“). 4.1 Der Untersuchungsraum 67 <?page no="67"?> 68 4 Untersuchungsraum und Methoden spiegelt die aus der im Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg entstandene Symbiose aus neuen und alten Stadtstrukturen mit ihrer jeweils besonderen Architektur und ihren Ansprüchen wider (Egger 2013: 226). Die Einweihung der Fußgängerzone am 30.06.1972 erfolgte kurz vor dem Beginn der XX. Olympischen Spiele in München. Die Möglichkeit der Einrichtung einer Fußgängerzone muss in Verbindung mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehr (U- und S-Bahn) gesehen werden. Die Diskussionen um den Bau unterirdischer Verkehrstrassen in München gehen bis in das frühe 20. Jahrhundert zurück, scheiterten in den 1920er Jahren aber an den durch die Weltwirtschaftskrise verursachten ökonomischen Problemen. Während des Nationalsozialismus wurde ein komplettes Netz unterirdischer Bahnen geplant und Teilstücke des Tunnels der heutigen U6 gebaut. Erst die zunehmenden Verkehrsprobleme in den 1950er Jahren führten zu einer forcierten Planung. Nachdem verschiedene Beschlüsse hierzu in den Jahren 1955-59 und 1963 (Gesamtverkehrsplan) gefasst wurden, wurde 1965 mit dem Bau begonnen. Die Vergabe der XX. Olympischen Spiele nach München beschleunigte die Umsetzung der Pläne. Die Etablierung der Stammstrecke sowie die veränderte Straßenführung (Bau des Altstadtrings) ermöglichten den Ausschluss des Autoverkehrs aus dem Areal der heutigen Fußgängerzone, wobei U- und S-Bahn weiterhin die gute Erreichbarkeit sicherstellen und mit ihren Ein- und Ausgängen sowie den dazu gehörigen Schildern Teil der Linguistic Landscape wurden (vgl. z. B. Zimniok 1981; Pischek & Jungardt 2012). Das Olympia Einkaufszentrum (im Folgenden: OEZ) als zweiter Untersuchungsraum der vorliegenden Studie bildet aufgrund seiner Struktur als Shopping Mall , also einer überdachten in einer Einheit geplanten Entität, sowohl einen Gegensatz zur Struktur der Fußgängerzone als auch ein im Zusammenhang mit der oben beschriebenen Entwicklung des öffentlichen Raumes anknüpfendes System (vgl. Kapitel 2.3.) Das in den USA entwickelte Konzept der Shopping Mall 40 wurde im Zuge der Ausrichtung der Stadtplanung in den 1960er und 1970er Jahren auf die autogerechte Stadt (s. o.) in Deutschland übernommen. Die Eröffnung des OEZ am 25.05.1972 ist damit im Gegensatz zu anderen Projekten der Zeit nicht nur in den Kontext der Olympischen Spiele zu stellen, sondern als Teil eines größeren stadtplanerischen Gesamtkonzepts zu sehen und passte sich in die Einrichtung der Fußgängerzone und die neue angepasste Verkehrsführung (Altstadtring) und Bau von S- und U-Bahn (s. o.) ein. 40 Die erste ‚moderne‘ Shopping Mall war das 1928 erbaute Grandview Avenue Shopping Center in Grandview Heights, Ohio, die erste in einem Gebäude zusammengefasste Shopping Mall war das Southdale Center in Edina, Minnesota (1956). <?page no="68"?> 4.2 Datenbasis 69 Heute ist das OEZ an zwei U-Bahnlinien angebunden (U1 und U3) und mit mehreren Buslinien erreichbar. Darüberhinaus stehen den Besuchern 2400 Parkplätze zur Verfügung. Der ursprüngliche Bau wurde in den Jahren 1993/ 1994 erweitert. Auf einer Fläche von heute 56.000 qm 41 , die sich auf zwei Ebenen verteilen, sind Flächen an 135 Unternehmen vermietet. 42 Der Branchenmix berücksichtigt sowohl den täglichen Bedarf (Edeka/ Bäcker) als auch weitere zentrale Branchen wie Bekleidung, Parfümerie, Gastronomie. Einige Unternehmen sind sowohl in der Fußgängerzone als auch im OEZ mit Filialen vertreten. Der Zugang zum Einkaufszentrum ist durch die Öffnungszeiten auf Werktage und die Zeiten von 9: 30 bis 20: 00 Uhr beschränkt. Entsprechend ist das OEZ wegen des gastronomischen Angebots und den zugehörigen Verweilmöglichkeiten (Cafés) ein Treffpunkt und wird während der Mittagszeit auch als Verpflegungsoption von Mitarbeitern umliegender Unternehmen genutzt. 43 Gleichzeitig ist diese Möglichkeit auf die Öffnungszeiten begrenzt und auch ein abendlicher Schaufensterbummel u. ä. analog zu den Möglichkeiten der Fußgängerzone ist wegen der Öffnungszeiten nicht möglich. Eine Nutzung des Raumes über seine ökonomische Funktion hinaus ist also zeitlich eingegrenzt. 4.2 Datenbasis In beiden Untersuchungsräume wurden in den Monaten April und Mai 2016 eine fotografische Volldokumentation vorgenommen (Datenbasis: 2.117 Bilder und 174 kürzere Videosequenzen). Die Videosequenzen wurden alle im „Olympia Einkaufszentrum“ aufgenommen. Zum einen konnten so durch die Öffnungszeiten bedingte Probleme bei den Fotoaufnahmen (Passanten) weitestgehend ausgeglichen werden. Zum anderen sollte die doch erheblich abweichende Geräuschkulisse sowie die Lichtverhältnisse dokumentiert werden, da zum Erhebungszeitpunkt ein möglicher Einfluss auf die Gesamtwahrnehmung nicht ausgeschlossen werden konnte. Im OEZ wurde die spezifische Struktur, bei der eine Trennung zwischen ‚außen‘ und ‚innen‘ nicht immer eindeutig ist, bei der Datenerhebung berücksichtigt. Die Trennung zwischen Ladeninnerem und Außenfläche ist im OEZ in einigen Fällen lediglich eine optische Trennung, die ohne echte Schwelle in Form eines expliziten Eingangsbereichs auskommt. Um eine Einheitlichkeit in 41 Damit entspricht die Größe des OEZ rund 75 % der Größe des in Fn. 40 genannten Southdale Centers um 1956 (heute 120.000 qm). 42 Zum Vergleich: Das nahezu doppelt so große Southdale Center (Fn. 40, 41) umfasst derzeit nahezu die gleiche Zahl an Unternehmen (123), über vier Ebenen verteilt. 43 Beobachtung während der Datenerfassung. <?page no="69"?> 70 4 Untersuchungsraum und Methoden der Datenerhebung zu gewährleisten wurden nur solche Schilder, Bilder etc. berücksichtigt, die sich an einer Stelle befanden, die bei standardmäßiger Gestaltung dem Außenbereich entsprechen (vgl. ausführlich Kapitel 5.1). Aus den Fotos und Videos wurden die Analysegrößen „Schild“, „Sehfläche“ und „Bild“ von insgesamt 472 (337 in der Fußgängerzone und 135 im OEZ) Unternehmen extrahiert und erfasst. Hinzu kommen S- und U-Bahn sowie das Centermanagement des OEZ als drei weitere Akteure. Während U- und S-Bahn nicht direkt eingebunden sind und daher keinem der beiden Erhebungsorte konkret zugeordnet werden können, ist das Centermanagement des OEZ eindeutig zu lokalisieren. Die Schilder, die das Centermanagement produziert, können aber ähnlich wie die Schilder von U- und S-Bahn zum Bereich Infrastruktur gezählt werden, da es in der Regel um Schilder geht, die auf Zugänge zum Parkhaus, zu Toiletten etc. hinweisen. Die Erfassung der erhobenen Daten erfolgte bedingt durch die heterogene Struktur der Dienstleistungsschilder in 371 Objekten. Als Dienstleister werden Ärzte, Anwälte, Notare, Arbeitsvermittlungen etc. als typische Nutzer der Obergeschosse verstanden. Sie treten in gemeinsamen Verweisstrukturen auf, wobei die Organisation der ‚Einträge‘ einheitlichen Strukturen folgt, die Präsentation aber äußerst unterschiedlich ist (Abbildung 5). So sind untereinander angebrachte Einzelschilder (a) ebenso zu finden wie Einzelschilder auf einem gemeinsamen Rahmen (b), Schilder mit rein optischer Trennung der einzelnen Nennungen (c), sowie ungegliederte Listen, deren Einzelelemente nicht auf den ersten Blick unterscheidbar sind (d). Für diese Objekte wurde der Schildtypus „Tafel“ eingeführt. Für jede Tafel wurde bei der Datenerfassung die entsprechende Anzahl an Einzelelementen vermerkt, die dann jeweils entsprechend beschrieben wurden. <?page no="70"?> 4.2 Datenbasis 71 a) b) c) d) e) Abbildung 5: Verschiedene Tafel-Typen. Als Analyseeinheiten wurden 884 Schilder, 818 Sehflächen (zur Definition vgl. 5.3.2) und 334 Bilder erfasst (insgesamt 2.036 Analyseeinheiten). An fünf Objekten wurden zur Zeit der Datenerfassung größeren Umbauten vorgenommen; <?page no="71"?> 72 4 Untersuchungsraum und Methoden sie waren durch mit unternehmensspezifischen Plakaten verhängte Bauzäune vollständig abgesperrt. Zusätzlich wurde für alle dokumentierten Objekte eine Art Steckbrief mit Unternehmensnamen, Kurzbeschreibung, Produktpalette und Preissegment erstellt, der zusätzlich mit einem Hinweis auf eine mehrfache Präsenz des Unternehmens im Erhebungsraum versehen wurde. Dieser Objektsteckbrief wurde in einer Excel-Tabelle erstellt. Die dokumentierten Objekte wurden wie im Kapitel 4.3 beschrieben in der Komplexität aufsteigend nach Schildern, Sehflächen und Bildern analysiert. Die jeweiligen Kategorien samt Kurzbeschreibung sind dort für jede Analyseeinheit aufgeführt. Als Teil der Erarbeitung der historischen Struktur wurden in einem ersten Schritt die denkmalgeschützten Objekte des Erhebungsraumes ermittelt (20,6% der Objekte des Gesamterhebungsraumes incl. OEZ, 36,8% ohne OEZ), mit relevanten Informationen in Excel erfasst und soweit möglich mit Fotos versehen. Diese Informationen zum Denkmalschutz wurden mit dem Objektsteckbrief verlinkt (vgl. nachstehende Ausschnitte zur Neuhauser Straße 18 und 20) Abbildung 6: Ausschnitt aus Objektsteckbrief mit Verlinkung zu den zugehörigen Denkmalschutzdaten. Um Entwicklungslinien, Brüche aber auch Kontinuitäten sowohl für das architektonische Erscheinungsbild als auch die Linguistic Landscape des Untersuchungsraums aufzeigen zu können, wurde die Entwicklung dieses Raumes für das 20 Jahrhundert punktuell erfasst. Die Daten geben ebenfalls Aufschluss <?page no="72"?> 4.2 Datenbasis 73 darüber, in welchem Umfang die Warenpräsentation (Schaufenster, Plakatwerbung etc.) bereits zu frühen Zeiten Merkmale aufwies, die bildlinguistisch erschlossen werden können. In der Analyse werden diese historischen Daten auch in Anknüpfung an die Kapitel 2 und 3 mit den synchronen Daten abgeglichen. Für die historische Dimension wurde die Struktur des Untersuchungsgebiets zu ausgewählten Zeitpunkten im Zeitraum von 1900 bis 1971 erfasst. Hierzu wurde mit Hilfe der entsprechenden Adress- und Branchenbücher der Stadt München sowohl die kommerzielle Nutzung als auch die Wohnbevölkerung erfasst. Als Ausgangspunkt für die Rekonstruktion wurden zunächst die Daten für die Jahre 1900, 1913 und 1918 erhoben. Diese engmaschigere Betrachtung sollte einerseits verlässliche Aussagen über die Stabilität der Struktur dieses frühen Zeitraumes ermöglichen und gleichzeitig die Tatsache berücksichtigen, dass in den Jahren 1905/ 1904 (Bau des Oberpollingerhauses) und 1914 (Bau des Geschäftshauses „Zum schönen Turm“, heute Herrenausstatter Hirmer) auch für die synchrone Analyse bedeutende Änderungen im Erscheinungsbild der Kaufingerstraße und der Neuhauser Straße erfolgten. Für die beiden folgenden Jahrzehnte wurde jeweils ein Jahr als Vergleichsgröße erfasst, um Änderungen zu dokumentieren. Für die 1920er Jahre wurde anhand der Daten aus dem Jahr 1926 überprüft, in welchem Umfang die grundlegenden Struktur des Zeitraumes 1900-1918 erhalten geblieben war. Für die 1930er Jahre wurde analog anhand der Daten aus dem Jahr 1933 verfahren. Die Entscheidung für die gewählten Zeiträume begründet sich in den ökonomischen und politischen Ereignissen der Zeit. Die Depression nach dem Ende des ersten Weltkriegs hätte die Daten in den frühen 20er Jahren möglicherweise insofern verfälscht, als dass Änderungen nicht eindeutig der globalen wirtschaftlichen Situation oder einem grundsätzlichen Strukturwandel des Untersuchungsgebietes hätten zugeordnet werden können. Für die 1930er Jahre sind mögliche Auswirkungen der Politik des Nationalsozialismus zu bedenken. Spätestens ab 1934 wurde konkret für die Münchner Innenstadt zu Boykotten jüdischer Händler aufgerufen, von denen zahlreiche (z. B. Fa. Bamberger und Hertz, heute Hirmer 44 ) im Erhebungsgebiet ansässig waren. Erfasst wurden für jedes Haus die Art der kommerziellen Nutzung, soweit angegeben die genutzten Stockwerke (47,0 = EG der Hausnummer 47; 33= nur Angabe der Hausnummer ohne Hinweis auf die genutzten Stockwerke) , sowie die Nutzung als Mietraum (vgl. Beispiel unten: Auszug Neuhauser Straße 1900, Sortierung nach Branchen). 44 Zur Firmengeschichte von Hirmer siehe besonders Hans-Diether Dörfler 2015. Von Bamberger & Hertz zu HIRMER Ein respektables Stück Wirtschaftsgeschichte . Hirmer Gruppe (www.hirmer-gruppe.de/ download/ presse/ pressemappe/ hirmer_gruppe_geschichte.pdf, zuletzt eingesehen 2.6.2918). <?page no="73"?> 74 4 Untersuchungsraum und Methoden Abbildung 7: Auszug Erfassung historische Daten. Aus dem Vergleich der historischen und aktuellen Strukturen ergeben sich erste Parallelen und Abweichungen. So ist der heute weitestgehend fehlende Bereich der stationären Lebensmittelversorgung bereits historisch gegeben und wohl mit der unmittelbaren Nähe zum Viktualienmarkt zu erklären. Auch ist für die einzelnen Straßen bis in die Vorkriegszeit ein jeweils eigenständiges Profil zu erkennen, das sich beginnend mit dem Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg zunehmend abschwächt. Markant ist für die Frühzeit die kleinteiligere und vielfältigere Nutzung. Diese ist einerseits durch Klein- und Kleinstbetriebe handwerklicher Produktion z. B. im Bereich Mode im Erhebungsraum zu erklären, die nicht mehr der modernen Massenproduktion entsprechen (z. B. Handschuhmacher, Putzmacher); sie belegt aber auch eine insgesamt vielfältigere Nutzung (Möbel, Büroeinrichtungen, Ärzte, Kürschner, Musikalienhandlungen, Instrumentenbauer, Schneider, Bekleidungshäuser etc.). Ebenfalls auffällig ist die in der Zeit vor dem Krieg gegebene größere Dichte an Wirtshäusern, Kaffeehäusern und Restaurants, die die aktuellen Werte übersteigt. Ein weiterer prägnanter Unterschied zwischen Vorkriegs- und aktueller Struktur ist synchron das Fehlen von Hotels und vor allem Pensionen im Gebiet Neuhauser Straße-Kaufingerstraße-Weinstraße-Theatinerstraße 45 . 45 In unmittelbar angrenzenden Bereichen liegen der Bayerischer Hof (Maffeistraße) und Beyond by Geisel am Marienplatz (Eröffnung 2017 und damit nach der Datenerhebung). <?page no="74"?> 4.2 Datenbasis 75 Grundlegende Änderungen der Struktur finden sich erst nach dem zweiten Weltkrieg mit dem Wiederaufbau und der Tendenz hin zu größeren Einheiten und einheitlicherer Nutzung als Ergebnis einer stärkeren Trennung von Produktion und Konsum. Des Weiteren wurden historisch auch die oberen Geschosse sowie Rückgebäude stärker genutzt, womit sich eine im Vergleich zu heute erhebliche Dichte an Schrift-Einheiten ergibt (vgl. Bild 13, Kaufingerstraße 10 um 1910, nachträglich datiert nach Angaben im Stadtaddressbuch München 1918): Bild 13: Kaufingerstraße 10 um 1918. Gleichzeitig zeigt die Auswertung der Daten, dass bereits zu diesem frühen Zeitpunkt Mehrsprachigkeit in ihren unterschiedlichsten Formen im öffentlichen Raum präsent war: Auf dem obigen Bild finden sich z. B. die in der Zeit übliche <?page no="75"?> 76 4 Untersuchungsraum und Methoden französische Schreibweise „Bureau“, ein amerikanisches Label (Underwood 46 ) sowie am rechten Bildrand auf dem Schild der Fa. Tronick der Zusatz „Munich Embroideries“. Der Name des Schuhgeschäfts „Chasalla“ (Filiale eines Kasseler Unternehmens) zeigt, dass bereits Anfang des 20. Jh. Sprache im Sinne einer mock language gezielt eingesetzt wurde, um werbewirksam Assoziationen zu wecken. Für die unmittelbare Nachkriegszeit wurde kein konkretes Jahr untersucht, da sich der Wiederaufbau der stark zerstörten Münchner Innenstadt bis Ende der 1950er Jahre hinzog und das Stadtbild im Erhebungsraum von Behelfsstrukturen geprägt war. Für das Folgejahrzehnt wurde Daten aus 1966 erhoben und mit den Vorkriegsdaten abgeglichen. Das Jahr wurde gewählt, weil der Wiederaufbau im Wesentlichen abgeschlossen war, die nächste grundlegende Veränderung mit der Einrichtung der Fußgängerzone 1972 noch zu weit entfernt war, um sich möglicherweise auf die Struktur auszuwirken (z. B. durch Bauarbeiten). Da der Wiederaufbau mit der Umsetzung moderner Stadtplanungskonzepte und denkmalpflegerischen Erwägungen zusammenfiel (s. o.), wurde der Fokus für diese Zeit auf die Entwicklung des Stadtbildes im Zusammenhang mit der kommerziellen Nutzung gelegt. Zu nennen sind hier unter anderem die bereits in den Zwanziger Jahren thematisierte und im Wiederaufbau teilweise umgesetzte Zurückverlegung der Baulinie, die in den Erdgeschossen zur Schaffung von Arkaden führen sollte (vgl. Kapitel 4.1). Diese sollten zu einer stärkeren Trennung von Fußgängern und zunehmendem Autoverkehr führen. Im aktuellen Stadtbild sind diese Arkaden präsent (vgl. Bild 14 bis Bild 17), aber Gegenstand der Diskussion. Durch die Schaffung der Fußgängerzone sind die Arkaden heute dysfunktional. Entwürfe zur anstehenden Neugestaltung des Hettlagehauses in der Innenstadt sahen großteilig einen (von der Stadtverwaltung abgelehnten) Rückbau der Arkaden vor, da diese im gesamten Bereich der Fußgängerzone nur stark eingeschränkt genutzt werden. Für das vorliegende Forschungsthema ist die Funktionalität von Arkaden insofern von Bedeutung, als dass diese in der bestehenden Struktur zu einer stark eingeschränkten Sichtbarkeit der Sehflächen und Schilder führen. 46 „Underwood“ fungierte in dieser Zeit nahezu als Metonym für ‚Schreibmaschine‘ (ausgehend von John Thomas Underwood, dem Gründer, Geschäftsführer und Inhaber der Underwood Typewriter Company in den USA. <?page no="76"?> 4.2 Datenbasis 77 Bild 14: Ansicht Karlstor, Neuhauser Straße Richtung Stachus ca. 1910: Gebäude ohne Arkaden. Bild 15: Ansicht Karlstor, Neuhauser Straße Richtung Stachus 2016: Gebäude links und rechts mit Arkaden. <?page no="77"?> 78 4 Untersuchungsraum und Methoden Bild 16: Einzelansichten: Karstadt Sport und Deichmann. Bild 17: Arkaden Hettlage-Haus und Arkaden Ecke Kaufingerstraße/ Weinstraße. 4.3 Methoden Die erhobenen Daten werden quantitativ und qualitativ ausgewertet. Hierzu werden die Daten mittels untenstehender Variablen beschrieben und zunächst formal aus einer stärker vom Aspekt ‚Linguistic Landscape‘ geprägten Perspektive analysiert. Dies gilt vor allem für die Analysegrößen Schilder und Sehflächen, in denen Formen der Schriftlichkeit beschrieben werden. Hierzu werden die Sign - Produzenten (im folgenden Akteure ) in große auf ihrer jeweiligen Branchenzugehörigkeit basierenden Gruppen eingeteilt. Diese sind Handel, Gastronomie, Dienstleister (hier verstanden als Anwälte, Notare, Ärzte s. u.), Kirche und Kultur . <?page no="78"?> 4.3 Methoden 79 Das Korpus wird sowohl für die gesamte Datenbasis als auch für die jeweiligen Einzelgruppen analysiert um Informationen über die sprachliche Struktur zu erhalten (Kapitel 5.2). Dabei wird das Gesamtkorpus nicht nur nach den Subkorpora der genannten Akteure aufgeteilt, sondern auch in zwei Teilkorpora, die den jeweiligen Erhebungsgebieten entsprechen. Die zentralen Variablen sind Korpus (Tokenzahl, der entsprechende Durchschnittswert für die Sub- und Teilkorpora), Sprachen, Schild- und Textfarben sowie Schildformen. Hinsichtlich des Akteurs Infrastruktur sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass dieser mit 38 Schildern zur gesamten Menge von 884 Schildern beiträgt (4,3%), diese aber überdurchschnittlich häufig Piktogramme darstellen. Die Werte, die sich aus noch als Sprache zu zählenden Schildern ergeben, sind sehr gering. So finden sich im Erhebungsraum ‚Fußgängerzone‘ nur 4 entsprechende Schilder, was auf das Teilkorpus dieses Erhebungsraumes heruntergebrochen einen Anteil von 0,06% entspricht. In einem weiteren Analyseschritt (Kapitel 5.3) werden Inhalte der Schilder zunächst unter Ausschluss der Firmenschilder in Beziehung zur Gesamtpräsentation und ihrem direkten Präsentationskontext gesetzt. An dieser Stelle findet der Übergang von der Linguistic Landscape-Forschung zur Bildlinguistik statt, da ausgehend von den ersten Befunden z. B. auch hinsichtlich Inhalt und Sprache eines Textes sowie dessen Positionierung diese Repräsentationen von Sprache im öffentlichen Raum in einen größeren konstruierten Kontext gestellt werden, der eine eigene Entität darstellt. An diesen Schritt schließt sich dann die Integration der Firmenschilder an, um deren Rolle in der Gesamtkomposition herauszustellen und der Frage nachzugehen, ob dieser Schildtyp rein deiktische Funktion hat, oder sich darüber hinaus im Zusammenspiel mit anderen Elementen weitere Funktionen ergeben. In diesem Schritt werden sowohl Aneignungswege von Text-Bild-Aggregaten analysiert als auch die Anwendbarkeit formaler Beschreibungsmodelle der Bildlinguistik überprüft. Im Anschluss werden dann größere Cluster (Bilder) auf ihre Komposition hin untersucht. Da diese eine große Gesamtentität (einschließlich mehrerer zusammengehöriger Sehflächen) genauso umfassen kann wie Schilder oder Sehflächen unterschiedlicher Unternehmen werden hier auch Typik der Organisation und der Interaktion von Schildern etc. isoliert, die dem Betrachter helfen, diese Cluster zu lesen. Hieraus wird abschließend eine allgemeinere Interaktionsstruktur von Text-Bild-Aggregaten der einzelnen Akteure abgeleitet. Aus der Integration der Ansätze der Linguistic Landscape-Fotschung und der Bildlinguistik ergeben sich für die Annotation der Daten die drei Analysedimensionen Schilder , Sehflächen und Bilder , für die im Folgenden die angesetzten Variablen aufgelistet und in Stichworten beschrieben werden. Die Variablen der entsprechenden Einträge (Felder) in den Datenbanken sind fallweise in einem <?page no="79"?> 80 4 Untersuchungsraum und Methoden jeweils einheitlichen Format deskriptiv gehalten (unter Verwendung eines entsprechenden Satzes von Deskriptoren) oder beinhalten quantitative Angaben. Zusätzlich sind die jeweiligen fotografischen Abbildungen gegeben. a) Schilder Die Schilder der Unternehmen wurden nach den unten aufgeführten Parametern beschrieben. Die Kategorien ID und Unternehmen finden sich für jede der drei angesetzten Analysegrößen Schild, Sehfläche, Bild. Die ID ist die fortlaufende Nummer der Unternehmen, die in der Reihenfolge der Erfassung vergeben wurde. Die Kategorie „Akteur“ steht für die Zuordnung jeweiligen Unternehmens. Diese Zuordnung soll im Zusammenspiel mit der ID die Identifizierbarkeit erleichtern. Ferner kann über die Zusammenstellung der Anzahl von Einzeleinträgen pro ID die Komplexität der einzelnen Strukturen schon in der Erfassung zumindest grob nachverfolgt werden, da jedes Schild, jede Sehfläche und jedes Bild, das einer ID zugeordnet wird, einzeln erfasst wird. Schilder für die U- und S-Bahn und Infrastrukturhinweise des OEZ (Wegweiser zu Parkdecks, Toiletten etc.) wurden in der Rubrik „Akteur“ als ‚Infrastruktur‘ erfasst. Die weiteren Akteure sind Dienstleister (zur Definition s. u.), Handel , Gastronomie , Kultur und Kirche. ID Fortlaufende Nummer aus der Datenerfassung pro Unternehmen, ist identisch für Schilder, Sehflächen und Bilder. Akteur Zuweisung zu einer der Kategorien Akteur Schildtyp Unterschieden werden die Typen Etikette, Nasenschild, Tafel (für Dienstleister, vgl. oben), Plakate und Plaketten (als kleinere Form von Plakaten und Aufstellern), A-Schilder (Kundenstopper) Komposition Der Komponenten Text und/ oder Grafik im Schild. Bei Tafeln (Dienstleister) zunächst Angabe der Anzahl der Einzelelemente gefolgt von der jeweilige Komposition Schildformat Angabe der Form (rund, rechteckig, oval etc.) Funktion Unterscheidung zwischen deiktischer Funktion, Information etc. des Gesamtschildes Anzahl Elemente Ergänzungsangaben zur Kategorie „Komposition“, die zusätzliche Aussagen über die Komplexität eines Schildes zulässt. Farbe Schildfläche Angabe der Farbe der Schildfläche und wenn möglich des Materials. Diese Kategorie hat sich als notwendig erwiesen. So finden sich z. B. „Inversionen“ bei denen am Objekt an zwei typgleichen Schildern Schrift- und Hintergrundfarbe ausgetauscht werden. Des Weiteren ist in der Datenerfassung bereits ein Überblick über bevorzugte Farben entstanden. <?page no="80"?> 4.3 Methoden 81 Beschreibung grafische Elemente Grafische Elemente umfassen alle bildlichen Darstellungen einschließlich Fotos. Farben Grafiken Herausarbeiten von häufig verwendeten Farben und Branchenspezifika (z. B. Gold- oder Silbertöne bei Juwelieren) sowie Themengebundenheit (z. B. Jahreszeit). Textlänge Anzahl von Wörtern bzw. Sätzen. Ziel ist die Quantifizierung von Fließtext (z. B. Stellenanzeigen in Schaufenstern), stichwortartigen Listen, Firmennamen etc. Texttyp Der Texttyp gibt an, ob es sich um einen Firmennamen, eine Liste, Fließtext, eine Internetadresse, einen Hashtag etc. oder Kombinationen handelt. Textfarbe Farbe des Textes. Text Dokumentation des vollständigen Textes zur Bestimmung von Frequenzen und Kontexten in der Analyse Sprache Verwendete Sprache, bei mehrsprachigen Texten Sprachreihenfolge oder bei gemischten Texten Sprachkombinationen Fonts Verwendung von Groß-, Kleinschreibung, Schreibschrift etc. Interaktion Schildelemente Zusammenführung der Einzelelemente Funktion Sprache Inhalt und Reichweite von Texten auch von ‚transgressiven‘ Strukturen, die über das Schild hinaus vor allem auf das Internet (online shops, social media) verweisen Bild Das Bild des entsprechenden Schildes. Tabelle 1: Analyseparameter Schilder. b) Analysegrößen Sehflächen Sehflächen (vgl. 5.3.2) bilden die nächstgrößere Analyseeinheit und können je nach Objekt Schaufenster, ganze Eingangs- und Fensterbereiche als auch übergreifende Strukturen mit Nachbarobjekten umfassen. Letzteres gilt vor allem für die Schilder von Dienstleistern, die oft unmittelbar im Wahrnehmungsraum einer Sehfläche eines anderen Unternehmens angebracht sein können, so das Cluster entstehen. Durch ihre bewusste Komposition und das Zusammenspiel unterschiedlichster Elemente zu einer Werbeaussage entsprechen Sehflächen komplexen, vielschichtigen Werbeanzeigen und bilden einen Übergang zur Bildlinguistik. Auf Schilder, die in Sehflächen integriert sind, wird in der Beschreibung entsprechend verwiesen, so dass keine Verzerrungen durch doppelte Erfassung entstehen. <?page no="81"?> 82 4 Untersuchungsraum und Methoden ID Vgl. Erläuterungen bei Schildern Akteur Vgl. Erläuterungen bei Schildern Platzierung Text Beschreibung der Platzierung des Textes (z. B. auf einem Schildtyp, der innerhalb der Sehfläche platziert ist; auf einer Fensterscheibe oder anderen Elementen der Sehfläche ) Fonts2 Analog zur Kategorie „Fonts“ bei den Schildern, bezieht sich aber auf Schrift in Sehflächen, die nicht Schild-gebunden ist. Farben Text Analog zu „Textfarbe“ bei Schildern. Andere Benennung zur Unterscheidung. Laufrichtung Schrift Diese Kategorie zeigt, dass in bestimmten Kontexten die Laufrichtung abweichen kann. Dies kann sich auf die wenigen Vorkommnisse von arabischen Schriftzeichen ebenso beziehen wie auf diagonale oder andere Laufrichtungen lateinischer Schriftzeichen. Bildthema Als größere Analyseeinheit haben Sehflächen häufig ein Thema, das in unterschiedlichem Ausmaß durch die Bildelemente oder auch nur Produkte gestützt wird. Bildelemente Produkte und alle weiteren Elemente, die die Gesamtkomposition bilden. Funktion Bildelemente Erläutert für jedes Element welche Funktion es hinsichtlich der Konstruktion des Themas der Sehfläche erfüllt. Bildaufbau Beschreibt den Aufbau der Sehfläche mit der absoluten Position der Elemente innerhalb der Sehfläche und der relativen Position der Elemente zueinander unter Berücksichtigung von Faktoren wie Sichtbarkeit, Größe der Elemente, Führung des Betrachterblicks. Schriftträger Schrift an oder in Sehflächen kann auf unterschiedlichen Trägermaterialien anbzw. aufgebracht sein: Glas, Stoff, Material von Deko-Elementen etc. Sprache Funktion Beschreibung der Funktion von Sprache für das Thema der Sehfläche. In manchen Fällen gibt es Schrift bzw. Text, die außerhalb des eigentlichen Themas stehen (z. B. Stellenanzeigen) Text Sehfläche Dokumentation des vollständigen Textes zur Bestimmung von Frequenzen und Kontexten in der Analyse. Dies gilt nur für solche Texte, die nicht Teil eines Schildes und bereits dort erfasst sind. Sprachen2 In der Sehfläche verwendete Sprachen. <?page no="82"?> 4.3 Methoden 83 Analyse Sehfläche Beschreibung der Gesamtkomposition der Sehfläche. Bilder Das Bild der entsprechenden Sehfläche. Tabelle 2: Analyseparameter Sehflächen. c) Bilder Bilder sind die größte Analyseeinheit und umfassen das Gesamtobjekt mit allen Schildern und Sehflächen, sowie ggf. im Wahrnehmungsbereich liegende Elemente benachbarter Objekte. ID Vgl. Erläuterungen bei Schildern Akteur Vgl. Erläuterungen bei Schildern Anzahl Sehflächen Anzahl der Sehflächen des Bildes Position Sehflächen Position innerhalb der Analyseeinheit Bild. Anzahl Schilder Anzahl und Art der analysierten Schilder des Objekts. Im Falle von Überschneidungen (z. B. Plaketten und Nasenschilder unterschiedlicher Objekte) werden alle zum Bild gehörigen Schilder gezählt. Position Schilder Position der Schilder innerhalb der Analyseeinheit. Diese können innerhalb von Sehflächen über Sehflächen, Eingangsbereichen, Gebäudeecken etc. positioniert sein. Beziehung Schild_ Sehfläche Ausgehend von der Position des Schildes Beschreibung der Beziehung zwischen den Schildern und den Sehflächen eines Objektes. Beziehung Text Sehfläche_Schild Beziehung eines evtl. vorhandenen eigenen Textes einer Sehfläche zu den Schildern des Objektes. Beziehung Schild_ Fassade Oft sind die Schilder direkt an der Fassade angebracht oder bestehen aus dreidimensionalen Buchstaben ohne Schildfläche. Vgl. auch die Erläuterungen zu Bild 7 und Bild 9. Beziehung Sehfläche_Fassade Bei denkmalgeschützten Gebäuden sind die Größe und Form der Sehflächen oft als nicht originäre Struktur erkennbar. Vorhandene Arkaden heben die Beziehung zur Gebäudefassade teilweise auf. Bilder Fotos des entsprechenden Bildes. Tabelle 3: Analyseparameter Bilder. <?page no="84"?> 4.3 Methoden 85 5 Analysen 5.1 Struktur des Untersuchungsraums Die ökonomische Struktur des Untersuchungsraums ist traditionell stark durch Handel und Dienstleistung (letztere besonders im Sinne von Arzt- und Anwaltspraxen) geprägt. Im historischen Vergleich mit dem Jahr 1900 zeigt sich für die Fußgängerzone ein deutlicher Rückgang der absoluten Zahl an Unternehmen, der aber nicht einem grundsätzlichen Wandel in der Nutzung geschuldet ist, sondern ökonomischen Entwicklungen weg von kleineren Handwerksbetrieben und Spezialgeschäften hin zu großflächigen Kaufhäusern und Filialen von Einzelhandelsunternehmen. Nachstehende Tabelle zeigt, dass im Einklang mit der allgemeinen Entwicklung im Bereich von Ökonomie und Citybildung (vgl. Kapitel 2.3) bis zur Weltwirtschaftskrise in den 1920ern eine Intensivierung der ökonomischen Nutzung zu beobachten ist, diese dann in den frühen 1930er Jahren wieder anzieht und in der Nachkriegszeit von einer Abnahme der Zahl der ansässigen Unternehmen gekennzeichnet ist. Dies ist bereits 1966 durch das vermehrte Auftreten von Kaufhäusern und dem Verschwinden kleinerer Fachbetriebe zu erklären. Diese Entwicklung setzt sich für alle Straßen mit Ausnahme der Theatinerstraße fort. 1900 = Basis 1913 1926 1933 1966 2016 Kaufingerstraße 68,7% 86,1% 49,6% -17,4% -52,2% Neuhauser Straße 44,5% 86,6% 47,9% 48,7% -26,9% Weinstraße 16,92% 83,08% 38,46% 12,31% -47,69% Theatinerstraße 28,9% 71,9% 71,1% 58,6% 13,3% Tabelle 4: Entwicklung ‚Zahl Unternehmen‘. Positive Zahlen = Zuwachs, negative Zahlen = Abnahme. Für den Erhebungszeitpunkt im Frühjahr 2016 ergibt sich folgende kumulierte Grundstruktur der Erhebungsräume hinsichtlich der ökonomischen Nutzung sowie der Schilder- und Textdichte: <?page no="85"?> 86 5 Analysen Unternehmen/ Objekte 475 100% Handel 297 62,5% Dienstleister 135 28,4% Gastronomie 28 5,9% Kultur (incl. Kunsthalle) 9 1,9% Kirche 3 0,6% Infrastruktur (U-Bahn, S-Bahn, Centerinfrastruktur) 3 0,6% Tabelle 5: Ökonomische Struktur Erhebungsraum. Von den 297 Ladengeschäften gehören lediglich 99 zu Unternehmen, die entweder nur mit einer Filiale im Untersuchungsraum vertreten sind oder klassische inhabergeführte Unternehmen mit nur einem Laden sind. Dies entspricht einem Anteil von 20,9% aller dokumentierten Objekte und 33,3% aller Ladengeschäfte. 38 Unternehmen aus dem Bereich Ladengeschäfte unterhalten im Untersuchungsraum zwei oder mehr Filialen. Hierzu zählen vor allem große internationale Ketten wie Zara, Esprit, H&M, C&A, aber auch die Kaufhauskette Karstadt und das deutsche Schuhhaus Deichmann. Die Struktur des OEZ ist dabei fast ausschließlich von Ladengeschäften geprägt. 117 der 297 Geschäfte befinden sich im OEZ, dies entspricht einer Quote von 39,4%. Stark ausgeprägt ist im OEZ der Bereich Gastronomie . Mit 17 von 28 gastronomischen Betrieben sind 60,7% dieses Segments im OEZ ansässig 47 . Dies entspricht der während der Datenerfassung gemachten Beobachtung, dass vor allem die zahlreichen Imbisse und Fast-Food-Angebote des OEZ während der Mittagszeit stark von Angestellten umliegender Unternehmen sowie von Schülern frequentiert werden. Die stärker Restaurant- oder Café-artig ausgerichteten Unternehmen haben eine andere Klientel, die zu einem größeren Teil aus jungen Müttern mit Kinderwagen oder Senioren besteht. Damit entspricht das beobachtete Verhalten der Klientel dem oben beschriebenen Konzept der ‚Einkaufszentrum/ Shopping Mall‘ (s. o.). 47 Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass die in der Fußgängerzone ansässigen Kaufhäuser Galeria Kaufhof und Oberpollinger über eigene Gastronomieangebote verfügen. Während die Galeria Kaufhof über ein Plakat auf ihr gastronomisches Angebot hinweist, fehlen für das Oberpollinger entsprechende Hinweise vollständig. Auch das Caffè im Armani Store ist nur durch ein Schild („Caffè“) vertreten. Allerdings verfügt Armani über Freischankflächen, so dass im Sommer eine bessere Sichtbarkeit gegeben ist, die sich dann auch in der Beschilderung niederschlägt. <?page no="86"?> 5.1 Struktur des Untersuchungsraums 87 Die Gestaltung der Eingangsbereiche der Läden ist ein weiteres prägendes Element des OEZ, das sich auf die Anzahl der Schilder und Sehflächen auswirkt. Zahlreiche Geschäfte sind zu den Gängen hin offen gestaltet, so dass nur kleine bis keine Präsentationsflächen vorhanden sind und das Ladeninnere diese Funktion übernimmt. Der Beginn der Ladenfläche wird in diesen Fällen analog zu Verfahren aus Kaufhäusern durch einen veränderten Bodenbelag und die Nachbarbebauung markiert (vgl. Bild 18, Bild 19, Bild 20). Unterstützt wird diese Wahrnehmung von den fehlenden Obergeschossen. Die durch diese Struktur nicht nur sichtbaren Schilder, Bilder etc., sondern auch einfach zugänglichen Teile des Innenbereichs von Laden- oder Gastronomieflächen sind in der Datenerfassung nicht berücksichtigt worden, da dies zu einer asymmetrischen Datenerhebung geführt hätte, bei der die fehlende optische Schwelle in Form eines Eingangs Einfluss auf die Erhebung genommen hätte. Wenn alle ohne Einschränkung sichtbaren Elemente des Ladeninneren durch die Gestaltung der Front zum Korpus gezählt werden, stellt sich die Frage nach der Grenzziehung zwischen innen und außen, zwischen öffentlichem Raum und Ladenbzw. Gastronomieflächen und damit nach der Funktionalität der einzelnen Flächen. Bild 18: pimkie-Filiale im OEZ. <?page no="87"?> 88 5 Analysen Bild 19: DEPOT-Filiale im OEZ. Bild 20: ORO VIVO im OEZ. Das Problem der ‚Blechpest‘, der schon in frühen Zeiten der Wirtschaftswerbung mit rechtlichen Vorgaben begegnet wurde (vgl. Kapitel 2.3) 48 scheint damit 48 Vgl. auch Justitz (2013: 34). Geber et al. (2001: 143) berichten z.B.: „1906 rief d[ie Schweizer Vereinigung für] Heimatschutz in [ihr]em Organ zum «Kampf gegen das Reklamewesen» auf, beschimpfte die Werbung als «Plakatseuche», die Blech- und Emailschilder als «Blechpest» und beschuldigte die Industrie, die Verschandelung von Landschaft und <?page no="88"?> nicht mehr virulent zu sein. Auch synchron beschriebene Probleme aus dem Bereich der visual pollution (vgl. Chmielewski et al. 2016) scheinen zumindest für den Untersuchungsraum keine größere Rolle zu spielen. Dies gilt sowohl für die Fußgängerzone als auch für die geschlossene Struktur des OEZ. Bild 21: OEZ. Bild 22: Blick entlang der Fußgängerzone. Stadtbild zu verursachen.“ Weiter zitieren die Autoren den Heimatschutz wie folgt: „Wir wollen hier nur die Tatsache registrieren, dass auf der kurzen Strecke Bern-Bümpliz der SBB nicht weniger als 102 Schokoladenhelgen (worunter allein 87 Tobler) dem Reisenden sich aufdrängen.“ Dies entspricht auf der rund 4,2 km langen Strecke alle 41 Meter ein Helgen (Schautafel) allein für Schokoladenwerbung. 5.1 Struktur des Untersuchungsraums 89 <?page no="89"?> 90 5 Analysen Während es sich bei der Fußgängerzone um einen Bereich handelt, bei dem rechtliche Vorgaben der Stadt München ggf. einschränkend zum Tragen kommen, ist das OEZ ein privates Unternehmen (s. o.), bei dem die Betreiber die Vorgaben für Werbemaßnahmen beeinflussen können. Angesichts der teilweise recht schmalen Gänge und der eingeschränkten Etagenhöhe kann nur vermutet werden, dass Werbemittel wie Kundenstopper oder große Plakate eher störend wirken oder gar eine Gefahr (Stolperfalle) darstellen 49 und sie nur in geringem Umfang am unmittelbaren Übergangsbereich von Ladenzu Passantenfläche zu finden sind (Bild 20 oben). Auch die fehlenden Möglichkeiten, Fahnen oder Nasenschilder anzubringen, tragen im OEZ zu einer spezifischen Schildkultur bei, die eine Sichtbarkeit aus der Ferne im Gegensatz zur Fußgängerzone nicht oder nur stark eingeschränkt ermöglicht bzw. erfordert. Quantität und Qualität der sprachlichen/ textuellen Elemente werden im Vergleich zur Fußgängerzone hierdurch jedoch nicht wesentlich beeinträchtigt, da gerade die Auftritte der großen internationalen und nationalen Ketten, die in hohem Maße auch im OEZ vertreten sind, von der jeweiligen corporate identity geprägt sind und entsprechend identisch ausfallen (s. u.). 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder Im Vergleich zur Gesamtzahl der Sign -Produzenten der Akteure Handel , Gastronomie , Dienstleistung , Kirche , Kultur (472) erscheint die Zahl der dokumentierten Schilder mit 847 zunächst gering. Aus den Zahlen für Schilder und Unternehmen ergibt sich ein Durchschnitt von 1,8 Schildern/ Unternehmen. Wird zusätzlich berücksichtigt, dass 806 Schilder reine Firmenschilder sind, also solche auf denen lediglich der Unternehmensname zu finden ist und sich daraus eine Frequenz von 1,7 Schildern/ Unternehmen ergibt, zeigt sich deutlich der geringe Umfang von ‚sekundären‘ Texten auf Schildern. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass zusätzliche Vorkommnisse von Schrift bzw. Sprache vor allem in Form ‚sekundärer‘ Texte z. B. unmittelbar auf Schaufenstern oder auf Deko- Elementen in Schaufenstern die Schilder ergänzen. 5.2.1 Basisdaten Sprache Aus allen Instantiierungen von Sprache aus den beiden o. g. Quellen Schildern und ‚ sekundäre‘ Texte ergibt sich ein Gesamtkorpus von 8.535 Wörtern (tokens), incl. Zahlen, wie sie als Jahreszahlen, Telefonnummern auf Schildern von 49 Das ‚Centermanagement‘ erteilt zu Vorgaben, Werbestrategien und Vermietungskriterien keine Auskunft. <?page no="90"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 91 Arzt- und Anwaltspraxen oder als Preise auf Preisschildern oder Werte bei Rabattierungen 50 vorkommen sowie dem Prozentzeichen, was 18,1 Wörtern / Unternehmen entspricht. Bereinigt (ohne Zahlen und Prozentzeichen) ergibt sich ein Korpus von 8.159 Tokens 51 und 3.424 Types, von denen 2.116 nur einmal vorkommen. Zur spezifischen Ausprägung des Korpus tragen die drei Elemente ‚jahreszeitliche Hinweise‘, ‚corporate identity‘ sowie ‚Dienstleister‘ bei. Während letzteres Element durch die Nennung von Informationen wie Praxisinhaber und medizinischem bzw. juristischem Tätigkeitsfeld in starkem Maße zur Varianz beiträgt (s. u.), wirken sich die beiden anderen Elemente stärker vereinheitlichend aus, da sie im ersten Fall in thematisch parallelen Werbeaktionen (Muttertag, Valentinstag etc.) münden und im zweiten durch die Präsenz mehrerer Filialen des gleichen Unternehmens im Untersuchungsraum zu Mehrfachnennungen von Firmennamen, Werbeslogans etc. führen (s. u.). Eine Betrachtung der Verteilung dieses Gesamtkorpus auf die beiden Erhebungsräume zeigt eine sehr ungleiche Verteilung von 6.938 Tokens für die Fußgängerzone und lediglich 1.597 Tokens für das OEZ. Dieses Ungleichgewicht ist vor allem durch die Präsenz von Dienstleistern und religiösen Einrichtungen (Bürgersaalkirche, St. Michael) in der Fußgängerzone zu erklären, die beide ausschließlich dort zu finden sind. Die Art der Texte (z. B. Gottesdienstordnungen, Erläuterungen zur Geschichte des Gebäudekomplexes und von Kirchenmännern) trägt dazu bei, dass sich im Umfeld der beiden Kirchen die Texte auf 1.100 Tokens summieren, was 12,9% des Gesamtkorpus entspricht und 15,9% des Subkorpus ‚Fußgängerzone‘ (vgl. Tabelle 6 unten). Ebenfalls vergleichsweise textlastig sind die Schilder von Dienstleistern im hier verwendeten Sinne des Wortes, also bezogen auf Ärzte, Anwälte, Notare, Beratungs-/ Consultingfirmen, welche ebenfalls ausschließlich in der Fußgängerzone ansässig sind. Viele Kanzleien und Praxen sind Gemeinschaftskanzleien/ praxen, in denen mehrere Ärzte bzw. Anwälte tätig sind; Consultingfirmen beschäftigen in der Regel mehrere Berater. Allein durch die Listung der Namen, ggf. Titel sowie der Spezialbereiche ergibt sich in vielen Fällen eine hohe Anzahl an Wörtern/ Schild (vgl. Abbildung 5 sowie Bild 44). Die Daten der Schilder dieser Gruppe summieren sich auf 1.224 Tokens, was einem Anteil von 14,3 % 50 Nicht berücksichtigt wurden Zahlen als Preisangaben bei Juwelieren und Schuhgeschäften. Diese Unternehmen präsentieren eine große Zahl von Produkten in ihren Schaufenstern, die alle ohne weiteren Text mit Preisen versehen sind. Angesichts der hohen Zahl von Juwelier- und Schuhgeschäften hätte dies zu einer starken Verzerrung geführt. 51 In diesem Abschnitt wird das Gesamtkorpus einschließlich Zahlen allen Berechnungen zugrunde gelegt. Der Grund hierfür liegt in der besonderen Struktur der Schilder der Akteure Dienstleistung , bei denen Zahlen ein bedeutender Bestandteil der Schilder sind, vor allem in Form von Telefonnummern zur Kontaktaufnahme und Etagenangaben zum Auffinden der Praxisräume. <?page no="91"?> 92 5 Analysen am Gesamtkorpus und 17,6% am Subkorpus ‚Fußgängerzone‘ entspricht. Der Umfang dieses Subkorpus ergibt sich nicht aus langen Texten, sondern aus der hohen Zahl an Emittenten (s. o.). Texte aus den Bereichen Religion und Dienstleistung machen zusammen 27,2% des gesamten Korpus und 33,5% des Korpus ‚Fußgängerzone‘ aus. Zieht man diese beiden Subkorpora vom Korpus ‚Fußgängerzone‘ ab, bleibt ein Restkorpus von 4.616 Tokens. Dies entspricht immer noch dem 2,9-fachen des Umfangs des gesamten Korpus ‚OEZ‘ (s. u.). Gastronomische Betriebe tragen 898 Tokens (10,5%) zum Gesamtkorpus bei, wovon 651 auf die Fußgängerzone (9,4% des Subkorpus) entfallen. Dieses Ungleichgewicht erklärt sich durch die unterschiedliche Struktur des gastronomischen Angebots. Gasthäuser wie Schnitzelwirt, Donisl und Augustinerbräu haben umfangreiche Speisekarten, die neben dem Eingang angebracht sind. Darüberhinaus hat das Augustinerbräu auf einer Tafel mehrsprachige Hinweise über die Öffnungszeiten der Küche im Außenbereich angebracht. Das OEZ hingegen ist nicht nur stärker von Imbissen und Fastfoodangeboten mit nur geringem Speisenangebot geprägt, sondern auch von einer spezifischen Angebotspräsentation und Flächengestaltung. Die Imbisse präsentieren ihr Angebot häufig auf Screens oder Tafeln, auf denen Speisen nicht benannt, sondern als Abbildung/ Foto gelistet und mit einem Preis versehen werden. Diejenigen Gastronomiebetriebe, die mit Cafés oder Restaurants vergleichbare Strukturen aufwiesen, hatten zum Zeitpunkt der Datenerhebung in der Regel keine auf den Tischen ausliegenden oder stehenden Karten, die sich auf das Korpus hätten auswirken können. Es konnte in einem Fall beobachtet werden, dass diese vom Personal an den Tisch gebracht wurde. Zusätzlich sind einige Flächen so strukturiert, dass die eigentlichen Angebote oder zumindest ein Teil von ihnen innerhalb der gastronomischen Flächen platziert sind. Durch die offene Struktur des OEZ im Hinblick auf die Gestaltung zahlreicher Eingangsbereiche (s. o.) ist solchen Aspekten in der Bewertung Rechnung zu tragen (vgl. Tabelle 6). Der Handel trägt insgesamt 56,4% zum Gesamtkorpus bei. Bei getrennter Betrachtung beider Erhebungsräume ergeben sich jedoch deutliche Unterschiede. Während der Anteil des Handels am Subkorpus ‚OEZ‘ 84,5% beträgt, beläuft sich sein Anteil am Subkorpus ‚Fußgängerzone‘ auf nur 49,9%. Dieser Unterschied zwischen beiden Subkorpora ist auf die oben besprochenen Anteile der Akteure Kirche und Dienstleister zurückzuführen, die zum einen nur in der Fußgängerzone zu finden sind und andererseits ausgeprägte Korpora haben, die einen bedeutenden Anteil am Subkorpus ‚Fußgängerzone‘ ausmachen 52 . 52 In wie weit sich dies auf die Sichtbarkeit dieser Akteure und in der Konstruktion des öffentlichen Raumes Fußgängerzone auswirkt, wird weiter unten untersucht. <?page no="92"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 93 Längere Texte zeigen sich im Bereich des Handels in den Stellenanzeigen, die auf kleinen Aufstellern in Schaufenstern zu finden sind. Diese sind in zweierlei Hinsicht interessant: Zum Einen sind diese Texte für Stellenanzeigen für diesen Akteur und gemessen am durchschnittlichen Umfang des Gesamtkorpus vergleichsweise lang, zum Anderen verweist die Positionierung im Schaufenster darauf, dass die Zielgruppe potentieller Kunden/ Kundinnen mit der der potentiellen Mitarbeiter identisch ist. Zum Zeitpunkt der Datenerfassung waren bei drei Unternehmen Stellenanzeigen in Schaufenstern platziert. Die Anzeige von Vero Moda im OEZ hat eine Länge von 125 Wörtern und ist wegen der fehlenden Schaufensterflächen in der Fußgängerzone nur im OEZ zu sehen gewesen. Die Anzeige von S.Oliver ist mit 33 Wörtern wesentlich kürzer, ist dafür aber in der Filiale in der Kaufingerstraße in zwei Schaufenstern zu sehen, die optisch nur durch den Ladeneingang getrennt sind, sowie in der Niederlassung im OEZ. Ein ähnliches Muster zeigt sich bei H&M. Auch hier ist der Text mit 21 Wörtern eher kürzer, ist dafür aber in allen sieben Filialen des Untersuchungsgebietes zu finden. Zusammen tragen allein diese Anzeigen mit 371 Wörtern zum Korpus bei. Als zusätzliche Akteure sind Kulturschaffende bzw. -treibende im Erhebungsraum präsent. Neben Plakaten für die unterschiedlichsten kulturellen Veranstaltungen, die an festen Plätzen in der Fußgängerzone zu finden sind (Litfaßsäule in der Weinstraße, Stromkästen am Neuen Rathaus und der Neuhauser Straße, Telefonzelle in der Weinstraße) zählt auch die Kunsthalle als innerstädtischer Ausstellungsort dazu. Im Erhebungszeitraum waren im OEZ keine entsprechenden Hinweise zu finden. Da jeder der Veranstaltungshinweise auf eine andere Veranstaltung oder Ausstellung hinweist, werden diese alle getrennt gezählt. Gemessen an der Gesamtzahl der Einzelplakate (26 Plakate) ist der Umfang des Korpus ist auch dieses Subkorpus von signifikanter Größe. Gesamtkorpus Fußgängerzone OEZ Gesamtkorpus absolut % 8535 100% 6938 81,3% 1597 18,7% Anteil Kirche absolut % 1100 12,9% 1100 15,9% 00% Anteil Dienstleistung absolut % 1224 14,3% 1224 17,6% 00% <?page no="93"?> 94 5 Analysen Anteil Gastronomie absolut % 898 10,5% 651 9,4% 247 15,5% Anteil Handel absolut % 4815 56,4% 3465 49,9% 1350 84,5% Anteil Kultur absolut % 498 5,8% 498 7,2% 00% Tabelle 6: Kerndaten Korpus. Aus dem Gesamtkorpus ergibt sich wie gesehen eine durchschnittliche Textlänge von 18,1 Wörtern/ Unternehmen. Die unterschiedlichen Strukturen der Korpora der fünf Akteure Kirche , Dienstleistung , Gastronomie , Handel, Veranstaltung werden durch diesen Mittelwert jedoch nur unzureichend abgebildet. Der längste Einzeltext des gesamten Korpus findet sich an der Bürgersaalkirche. Die Erläuterung zum Leben und Wirken des Jesuiten Pater Rupert Mayer (1876-1945 53 ) hat eine Länge von 346 Wörtern. Alle Texte an der Bürgersaalkirche und St. Michael einschließlich der listenartigen Aufstellungen der Gottesdienstordnungen zusammengenommen umfassen 931 Wörter. Der Text über Pater Rupert Mayer ist der längste, aber auch die mit Abstand kürzesten Texte bezüglich der Öffnungszeiten beider Kirchen liegen mit 22 bzw. 28 Wörtern noch über dem Durchschnitt des Gesamtkorpus. Wird zusätzlich eine Tafel zur Geschichte der Alten Akademie als historisch-touristischer Text mit 169 Wörter berücksichtigt 54 , trägt der Akteur Kirche mit zusammen 1100 Wörtern einen bedeutenden Anteil am Korpus bei. Dieser hohe Anteil ist dabei nur drei Sign - Produzenten (Bürgersaalkirche, St. Michael, Stadt München) zuzuordnen, womit sich ein Schnitt von 366,7 Wörtern/ Sign -Produzent ergibt. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass Gottesdienstordnungen einer festeren Struktur folgen, da sie sich am Kirchenjahr orientieren. Gleiches gilt für Sonderveranstaltungen der Gemeinden, die an kirchliche Feiertage oder sonstige Festtage gebunden sind. Bei Schildern zu solchen Veranstaltungen sind analog zu den Schildern 53 Auch bekannt als „Apostel Münchens“. Sein Grab befindet sich in der Unterkirche des Münchner Bürgersaals (Neuhauser Straße 14). 54 Das heute Alte Akademie genannte Gebäude wird in diesem Kontext berücksichtigt, weil sie im 16. ursprünglich als Jesuitengymnasium gegründet wurde. Das Gebäude wurde zusammen mit der benachbarten Kirche St. Michael gebaut, einer jesuitischen Institutskirche. Beide Gebäude stehen unter Denkmalschutz. <?page no="94"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 95 des Akteurs Kultur bestimmte Informationen notwendig, die ein bestimmtes höheres Textaufkommen verursachen. Im Falle des Subkorpus Dienstleistungen steht ein hoher Anteil am Gesamtkorpus sowie am Teilkorpus Fußgängerzone mit 135 Einheiten eine hohe Zahl an Sign -Produzenten gegenüber, die in der Regel nur mit einem Schild vertreten sind. Der sich daraus ergebende Schnitt von nur 9,1 Wörtern/ Unternehmen entspricht nur der Hälfte des Durchschnittswerts des Gesamtkorpus und ergibt sich aus den wenigen standardisierten Basisangaben, die in der Regel auf den Schildern zu finden sind (s. u.). Aus dem Subkorpus des Akteurs Kultur von 498 Tokens ergibt sich ein Schnitt von 83 Wörtern/ Schildproduzent. Dieser Schnitt entspricht dem 4,6-fachen des Gesamtdurchschnitts und erklärt sich über die notwendigen, branchenspezifischen Angaben auf diesen Plakaten wie auftretende/ präsentierte Künstler, Ort, Zeit, Preise etc. sowie der teilweise hohen Anzahl von Einzelplakaten/ Schildproduzent. Dies gilt vor allem für die Litfaßsäule in der Weinstraße mit 17 Veranstaltungsplakaten. Um bei diesem Akteur nicht in die Einzelfallbeschreibung abzugleiten, wurde die Litfaßsäule ebenso als ein Sign -Produzent gezählt wie die Telefonzelle in der Weinstraße, an der zwei Plakate angebracht waren. Die Einzelplakate an Stromkästen wurden als eigenständige Sign -Produzenten gezählt. Ähnliches gilt für den gastronomischen Bereich mit einem Schnitt von 32,1 Wörtern/ Sign -Produzent. Dieser Wert ist im Wesentlichen auf Speisekarten zurückzuführen damit ebenfalls weniger individuellem Spracheinsatz als branchenspezifischen Bedürfnissen zuzuweisen. Für den Handel ergibt sich ein Wert von 16,2 Wörtern/ Sign -Produzent. Damit liegt dieser Akteur am nächsten am Gesamtdurchschnitt, unterschreitet diesen aber um knapp zwei Wörter. Während bei allen anderen Akteuren branchenspezifische Notwendigkeiten und eine zum Teil hohe Schilddichte einen Erklärungsansatz für die beträchtlichen Abweichungen zum Durchschnittswert liefern, lassen sich die Werte für den Akteur Handel auf den ersten Blick nicht entsprechend auflösen. Hinzu kommt, dass dieser Akteur der einzige Bereich ist, der vor allem im Hinblick auf die Präsentation seiner Produkte frei wäre, Sprache auch im größerem Umfang kreativ einzusetzen. Welche Funktion Sprache bei den einzelnen Akteuren übernimmt und welche Substitutions- oder Ergänzungsformen sich in welchem Umfang finden, wird nachfolgend ausführlich für jede Gruppe analysiert. Nachstehende Tabelle 7 fasst die obigen Werte zusammen und ergänzt sie um die Berechnung der Durchschnittswerte für Teilkorpora ‚Fußgängerzone‘ und ‚OEZ‘ auf der Basis ihrer jeweiligen Gesamtwerte. Die Gegenüberstellung zeigt, dass im OEZ die Präsenz von Sprache insgesamt geringer ist, was nicht nur durch das Fehlen einzelner Subkorpora zu erklären ist. Offensichtlich wirkt sich einerseits die bereits <?page no="95"?> 96 5 Analysen oben angesprochene spezifische Struktur von Einkaufszentren bzw. Shopping Malls aus. Wie bereits angedeutet, scheint vor allem das Fehlen von Nasenschildern maßgeblich zur geringen Präsenz von Sprache beizutragen. Zum Anderen führt der Umstand, dass das OEZ abseits der touristischen Teile Münchens liegt, zusätzlich zu einer anderen Ausrichtung im Vergleich zur Fußgängerzone, vor allem zum geringen Umfang des Subkorpus ‚Gastronomie‘. In der Fußgängerzone finden sich stärker als im OEZ fremdsprachige Hinweise im gastronomischen Bereich. In welchem Umfang sich dies konkret niederschlägt, wird im Abschnitt „Sprachen“ untersucht. Wörter/ Singproduzent Fußgängerzone OEZ Gesamtkorpus 18,2 20,6 11,8 Kirche 366,7 366,7 0 Dienstleistung 9,1 9,1 0 Gastronomie 30 65,1 14,5 Anteil Handel 16,2 19,3 11,5 Anteil Kultur 83 83 0 Tabelle 7: Durchschnittswert Wörter/ Sign -Produzent. 5.2.2 Basisdaten Sprachen In diesem Abschnitt werden die Vorkommen von Sprachen im Korpus dargestellt. Dabei wird die Frequenz einzelner Sprachen analog zum vorherigen Abschnitt in zwei Dimensionen betrachtet. Zum einen geht es um ihren Anteil am Gesamtkorpus und den Teilkorpora ‚Fußgängerzone‘ und ‚OEZ‘, sowie innerhalb dieser drei Korpora um den Anteil der Sprachen in den Texten der verschiedenen Akteure. Zusätzlich wird der Sprachgebrauch auf Schildern mit demjenigen auf Sehflächen verglichen. Diese Befunde werden weiterhin im Hinblick auf die Motivation bestimmter Sprachverwendungen analysiert, wobei hier dann auch auf Präferenzen zu ein- oder mehrsprachigen Texten sowie der Funktion der Sprachen in mehrsprachigen Texten eingegangen wird. Als letztes wird auch eine mögliche Beziehung zwischen verwendeter Sprache und Textlänge untersucht. Eine zentrale Frage in diesem Abschnitt ist die Bewertung bzw. Zuordnung von Firmennamen und Labels zu Einzelsprachen. Für die vorliegende Analyse <?page no="96"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 97 werden Firmennamen dann einer anderen Sprache als Deutsch zugeordnet, wenn die übliche Aussprache in Deutschland dies vorgibt. Es steht also nicht die vom Unternehmen möglicherweise intendierte sprachliche Verortung im Vordergrund, sofern diese nicht eindeutig propagiert und durchgesetzt wird, wie dies beispielsweise beim Mobilfunkanbieter 0 2 der Fall ist, der in Werbespots den Firmennamen englisch aussprechen lässt. Über diesen Kanal ist die entsprechende sprachliche Verortung des Firmennamens allgemein bekannt, weshalb er auch als ‚englisch‘ bewertet wird. Im Gegensatz dazu ist nicht davon auszugehen, dass der durchschnittliche deutsche Konsument bzw. Kunde der Kette H&M selbst bei Auflösung der Initialen darüber informiert ist, dass der erste Namensbestandteil Hennes im Gegensatz zum zweiten Namensbestandteil Mauritz kein Eigenname ist, sondern ein schwedisches Possessivpronomen (f.pl.). 55 Unter phonetischen Gesichtspunkten kann Hennes , evtl. auch über eine volksetymologische Reanalyse als Hannes , im deutschen als Eigenname gewertet werden. Diese Interpretation kann gestützt werden durch den zweiten Teil Mauritz, der im Deutschen ebenfalls eindeutig als Nomen proprium identifiziert werden kann. Da im Firmennamen die beiden Initialen mit einem „&“ verbunden werden und dieses in Deutschland als und und nicht schwedisch als och verbalisiert wird, wird der Firmenname H&M als deutsch gewertet. Im Gesamtkorpus von 8.535 Tokens (3.424 Types) finden sich auf Grundlage der obigen Ausführungen 601 Tokens (312 Types), die dem Englischen zuweisen sind. Diese Menge umfasst allerdings zunächst auch Zuweisungen wie sneaker oder sandwich und Formen des Verbs to shop , das auch in deutscher Konjugation im Korpus vorhanden ist und des zugehören Nomens shop . In dieser ersten groben Zuweisung hat das Englische einen Anteil von 7 % am Gesamtkorpus. Wird das um Zahlzeichen bereinigte Korpus von 8.159 Tokens zugrunde gelegt, ergibt sich ein nur unwesentlich höherer Wert von 7,4%. Allerdings ist das Englische damit die mit am Abstand präsenteste Fremdsprache in der untersuchten Linguistic Landscape. An zweiter Stelle folgt das Französische mit 125 Tokens und 66 Types, was 20,8 % bzw. 21,1% der Werte des Englischen sind. In Bezug auf das Gesamtkorpus entsprechen die Werte 1,5 % der Tokens bzw. ebenfalls 1,9 % der Types. Damit zeigt sich ein deutliches Gefälle in der Verwendung der beiden dominanten Fremdsprachen, die einer entsprechenden Entwicklung zugeordnet werden kann. In der Linguistic Landscape Münchens im frühen 20. Jahrhundert war das Französische die dominante Fremdsprache, 55 Zugrunde liegt der eigentliche Firmenname Hennes ‚Für sie‘ (Damenbekleidung, 1947 gegründet von Erling Persson), der nach der Integration des Jagdbekleidungshändler Mauritz Widforss 1968 um Mauritz erweitert wurde ( Hennes & Mauritz > H&M). <?page no="97"?> 98 5 Analysen erfuhr aber im Laufe der Zeit einen Bedeutungsverlust, vor allem zu Gunsten des Englischen (ausführlich hierzu Schulze 2018). Der Wandel ist mit einer quantitativen Zunahme des Englischen nur unzureichend erklärt. Neben dem zunehmenden Einfluss der angelsächsischen Kultur im Verbund mit zunehmenden Englischkenntnissen in der Nachkriegszeit verlor das Französische auch durch Entwicklungen im ökonomischen Bereich Anteile an der Sprache im öffentlichen Raum (Schulze 2018). War Französisch lange Zeit die prägende Sprache im Modebereich (Kleidung, Make-up, Frisuren), so wurde es mit der wachsenden Bedeutung von Städten wie London und New York in diesem Bereich zumindest eingeholt. Das hat zur Folge, dass auch im vorliegenden Korpus zahlreiche Termini aus den Bereichen Mode, Make-up und Frisuren nicht Französisch, sondern Englisch sind (z. B. Stylist, Fashion, Streetwear). Der Beitrag des Französischen beschränkt sich im vorliegenden Korpus auf Markennamen ( Lancôme ) bzw. Namen von Filialisten ( un1deux2trois3 ) sowie Speisen ( baguette ). Die Dominanz des Englischen im technischen Bereich und damit auch bei technischen Termini spielt im vorliegenden Kontext keine signifikante Rolle, weil entsprechende Laden- und Werbeflächen fehlen. So ist im Untersuchungsraum zwar der Elektronikhändler Saturn ansässig, der aber nicht durch entsprechende Werbeflächen zum öffentlichen Raum hin vertreten ist. Gleiches gilt für die Technikabteilung der Galeria Kaufhof . Einzig die Mobilfunkanbieter tragen im technischen Bereich zur Präsenz des Englischen bei. Dies geschieht vorzugsweise für Produktnamen ( Samsung Galaxy , iPhone ) und verwandte Begriffe aus dem Bereich Internet und Mobiltelefonie ( powerbank , highspeed ). Als weitere Fremdsprachen mit größerer Präsenz im Untersuchungsraum sind Italienisch und Spanisch zu nennen, wobei das Italienische deutlich dominiert (80 : 22 Tokens). Dies Verhältnis ist vor allem auf den gastronomischen Bereich sowie italienische Labels/ Markennamen aus der Mode zurückzuführen. Die Gastronomie des OEZ weist neben der starken Ausrichtung an der Schnellgastronomie einen bedeutenden italienischen Akzent auf ( Pizzeria Emilia , Espressobar von Segafredo , Gelateria Ti amo ). In der Fußgängerzone finden sich beispielsweise ein Eisverkauf sowie italienischsprachige Hinweise am Augustiner. Der Einfluss des Spanischen auf die Linguistic Landscape beschränkt sich auf den Modebereich und dort auf den unmittelbaren Kontext spanischer Unternehmen ( Zara , Desigual ), die in beiden Teilerhebungsräumen präsent sind. Neben den vier genannten Sprachen gibt es noch einige wenige weitere Sprachen mit vereinzelten vorkommen. Diese werden wegen ihrer geringen Zahl hier nicht gesondert betrachtet, sondern kollektiv beschrieben. In der Fußgängerzone finden sich bei O 2 eine Liste mit der Aussage „wir sprechen xxx“ in 15 unterschiedlichen Sprachen einschließlich Englisch, Italienisch und <?page no="98"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 99 Spanisch, jeweils in der Landesprache und dem entsprechenden Schriftsystem, wobei derartige Belege für Sprachen wie Türkisch, Mazedonisch oder Bosnisch der einzige Nachweis der jeweiligen Sprache in der Linguistic Landscape im Untersuchungsgebiet ist. Verschiedene asiatische Sprachen zeigen sich vor allem im OEZ im Bereich der dort vertretenen Gastronomie. Auch hier finden sich nur einzelne Wörter, da die Speisenpräsentation im Wesentlichen über bildliche Darstellungen umgesetzt und von Deutsch und Englisch dominiert wird. Das thailändische Restaurant KAIMUG hat auf seiner nicht offen einsehbaren Speisekarte lediglich elf thailändische Speisebezeichnungen, von denen keine im Bereich der Linguistic Landscape sichtbar war. Das japanische Restaurant Tokyo ist ein Running Sushi , bei dem eine ausführliche Speisekarte entfällt. Lediglich einige Vorspeisen (Suppen und Salate) werden auf den Karten mehrsprachig (Deutsch, Englisch) gelistet. Darüberhinaus wird mit Bildern gearbeitet. Insgesamt umfasst diese Gruppe 48 Tokens in 20 verschiedenen Sprachen, wobei die Mehrzahl (31) im OEZ zu finden ist und trotz der zurückhaltenden Verwendung der lokalen Sprachen rein asiatisch ist. Nachfolgendes Diagramm und die dazugehörige Tabelle stellen den relativen Anteil der Sprachen (insgesamt 874 Tokens) am Gesamt- und an den Teilkorpora zusammen. Diagramm 1: Verteilung und Anteile Fremdsprachen. <?page no="99"?> 100 5 Analysen Gesamtkorpus Fußgängerzone OEZ absolut % absolut % absolut % Gesamt 876 10,3% 521 7,5% 355 22,2% Englisch 601 7,0% 344 5,0% 257 16,1% Französisch 125 1,5% 92 1,3% 33 2,1% Italienisch 80 0,9% 52 0,7% 28 1,8% Spanisch 22 0,3% 16 0,2% 6 0,4% Andere 48 0,6% 17 0,2% 31 1,9% Tabelle 8: Anteile Fremdsprachen an den Teilkorpora der Erhebungsgebiete. Die Abweichungen, die sich in der Verteilung der Sprachen in den Teilkorpora zeigen, ergeben sich aus der spezifischen ökonomischen Struktur beider Gebiete. Im OEZ fehlen nicht nur die Akteure Dienstleister und Kultur , wobei vor allem erstgenannter mit seiner starken Dominanz des Deutschen zu einem niedrigeren Anteil fremdsprachlicher Elemente in der Fußgängerzone beiträgt. Aber auch die Sprache des Akteurs Kultur ist stark Deutsch geprägt, was sich vor allem durch notwendige Angaben auf Veranstaltungsplakaten wie Ort, Zeit sowie die Veranstaltungsbzw. Ausstellungsthemen erklärt. Der Anteil der Fremdsprachen am gesamten fremdsprachlichen Korpus stellt sich wie folgt dar: Gesamtkorpus Fußgängerzone OEZ absolut % absolut % absolut % Gesamt 876 100% 521 100% 355 100% Englisch 601 68,6% 344 66,0% 257 72,4% Französisch 125 14,3% 92 17,7% 33 9,3% Italienisch 80 9,1% 52 10,0% 28 7,9% Spanisch 22 2,5% 16 3,1% 6 1,7% Andere 48 5,5% 17 3,3% 31 8,7% Tabelle 9: Anteile Fremdsprachen am fremdsprachlichen Korpus der Erhebungsgebiete. <?page no="100"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 101 Diagramm 2: Anteile der Fremdsprachen am fremdsprachlichen Korpus. Der im Vergleich zur Fußgängerzone hohe Anteil des Englischen im OEZ sowohl in Bezug auf die gesamten Teilkorpora (5,0% vs. 16,1%) also auch innerhalb der jeweiligen fremdsprachlichen Teilkorpora (Tabelle 9 und Diagramm 2) kann aus dem hohen Anteil des Akteurs Handel erklärt werden, der überwiegend auf das Englische zurückgreift (s. u.). Gestützt wird diese Tendenz durch einige Verwendungen des Englischen, die zum Einen durch spezifische gastronomische Angebote (z. B. des Anbieters Dunkin Donut), sowie durch Ausdrücke aus dem gastronomischen Bereich, die mittlerweile in Deutschland verankert sind wie happy hour , take away oder to go . Der Einfluss der unterschiedlichen Akteure auf das fremdsprachliche Korpus stellt sich wie folgt dar: Subkorpora Handel Dienstleister Gastronomie Kultur Kirche Englisch Akteur Sprache 8,6% 71,7% 5,5% 11,1% 7,8% 11,6% 6,6% 5,5% 0% 0% Französisch Akteur Sprache 1,8% 71,2% 0,1% 0,8% 3,0% 21,6% 1,0% 4% 0,3% 2,4% Italienisch Akteur Sprache 1,1% 65,0% 0,1% 1,25% 2,8% 31,3% 0,4% 2,5% 0% 0% <?page no="101"?> 102 5 Analysen Spanisch Akteur Sprache 0,3% 68,2% 0% 0% 0% 0% 1,4% 31,8% 0% 0% andere Akteur Sprache 0,2% 25% 0,2% 4,5% 3,5% 64,6% 0% 0% 0,3% 6,25% Tabelle 10: Verteilung fremdsprachlicher Elemente. Aus Tabelle 10 und Diagramm 3 (unten) ist deutlich die Dominanz des Deutschen bei allen Akteuren zu sehen, die sich aus dem geringen Wert fremdsprachlicher Anteile ergibt. Alle Fremdsprachen bleiben bei allen Akteuren bei Werten deutlich unter 10 %. Dieser Wert entspricht ungefähr den Werten, die sich auch historisch in der Linguistic Landscape Münchens nachweisen lassen (Schulze 2018) 56 . Diagramm 3: Anteil Fremdsprachen an den Subkorpora der Akteure. Die starke Präsenz fremdsprachlicher Elemente vor allem im Bereich des Handels, mit deutlichem Abstand gefolgt von Gastronomie und Kultur, sind der Internationalisierung dieser Bereiche zuzuschreiben (Tabelle 10 und Diagramm 4). 56 Bei der Rekonstruktion der historischen Linguistic Landscape gibt es methodische Einschränkungen, da kurzfristig präsente Elemente nicht zuverlässig erfasst werden können. Die Werte beziehen sich daher auf das Nachweisbare. <?page no="102"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 103 Diagramm 4: Anteil der Akteure an den einzelnen fremdsprachlichen Korpora. Während beim Englischen auch Sprachkenntnisse und der Status des Englischen eine Rolle spielen können, sind die Verwendung von Französisch und Italienisch an konkretere Kontexte geknüpft. Die stärkste Verwendung des Französischen findet sich in der Gastronomie. Dies ist vor allem mit der Verwendung von Speisenamen ( Brioche , Quiches , Croissant , Macaron etc.) zu erklären, die durch die Präsenz eines entsprechenden Unternehmens ( Brioche dorée ) im OEZ verstärkt wird. Analoges gilt für das Italienische, wobei der Anteil des Italienischen, das im gastronomischen Bereich verwendet wird, gemessen am Gesamtkorpus dieser Sprache höher ist als beim Französischen, was den zahlreichen italienischen gastronomischen Angeboten zuzuschreiben ist. Dies wiederum zeugt von der starken Präsenz und Verankerung zumindest von Teilen der italienischen Küche in Deutschland. Spanisch ist insgesamt nur schwach in der Linguistic Landscape vertreten, obwohl spanische Filialisten ( Zara , Desigual ) in beiden Teilerhebungsgebieten präsent sind. Bei Zara wirkt sich deren Verzicht auf auffallende Werbung aus - sowohl im OEZ als auch in der Fußgängerzone beschränkte sich die Verwendung von Sprache auf den Firmennamen. Desigual setzte im Gegenzug zumindest teilweise auf moderne Screens mit wechselnden Bildern in intensiven Farben, die aber ebenfalls weitestgehend sprachfrei waren. Wenn Sprache zum Einsatz kam, wurde nicht auf das Spanische, sondern auf Deutsch und Englisch zurückgegriffen. Die etwas größere Präsenz des Spanischen im Bereich Kultur ist auf zwei Veranstaltungsankündigungen zurückzuführen (Spaniens goldene Zeiten in der Kunsthalle und eine Fotoausstellung zu Mayas in Yucatán). <?page no="103"?> 104 5 Analysen Neben der Verteilung der Sprachen auf die Teilerhebungsgebiete und die Akteure, ist ihre Verwendung auf den beiden Analysegrößen Schilder und Sehflächen von Interesse. Im Zentrum steht hier vor allem die Frage nach der Dauerhaftigkeit sprachlicher Elemente. Schilder - vor allem Firmenschilder sind vergleichsweise zeitstabile Elemente der Linguistic/ Semiotic Landscape, während die Dauer von Schaufensterdekorationen, Rabattaktionen und jahreszeitlichen Hinweisen zu Feiertagen oder Kollektionswechseln naturgemäß zeitlich stärker begrenzt ist. Auf 80 % der dokumentierten 847 Schilder (ohne Infrastruktur, s. o.) findet sich Sprache einschließlich Firmennamen 57 . Der oben vorgestellte Anteil von Fremdsprachen am Gesamtkorpus spiegelt sich auch in der sprachlichen Verfasstheit der Schilder wieder. 50 % aller relevanten Schilder sind rein deutschsprachig. Weitere 13 % sind allein in Englisch gehalten, wobei hier Werbeslogans wie # myendlesssummer (hunkemöller), # ImPerfect (Esprit), # partofmyworld (ecco) oder Einzelwörter wie sale dominieren, die mehrfach anzutreffen sind, da die betreffenden Unternehmen mehrere Filialen im Untersuchungsraum unterhalten bzw. jahreszeitliche Hinweise von zahlreichen Unternehmen parallel genutzt werden. An dritter Stelle folgen mit 5 % Schilder, die in unterschiedlichen Ausprägungen zweisprachig Deutsch-Englisch sind. Zu diesen zählen beispielsweise die in Kapitel 5.2.1 erwähnten Stellenanzeigen, in denen die ausgeschriebene Position im Verkauf bei H&M Sales Advisor genannt wird. Orsay überschreibt sein Stellenangebot mit: Fashion up your career (orsay), während der New Yorker auf weitere Angaben verzichtet und offensichtlich zur Nachfrage im Laden animieren will: Career enter here . Alle anderen oben erwähnten Sprachen (französisch, italienisch, spanisch) sind mit so geringen Werten auf den Schildern vertreten, dass einsprachige Schilder sowie zweisprachige (mit Deutsch) zusammen erfasst wurden. Die Werte für Französisch und Italienisch belaufen sich auf jeweils 4 %. Spanisch ist aus den oben angeführten Gründen auch hier schwächer als die beiden anderen Sprachen vertreten (2 %). Die verbleibenden drei Prozent nicht deutschsprachiger Schilder verteilen sich auf „andere“ und umfassen dabei die oben erwähnten Sprachen, in der Regel auf mehrsprachigen Schildern. Auf bzw. in den Sehflächen zeigt sich ein ähnliches Muster: Auf 213 von 818 dokumentierten Sehflächen finden sich 317 nicht schildgebundene Texte (vgl. Bild 23 und Bild 24). Von diesen Texten sind 57 % einsprachig Deutsch, 24 % einsprachig Englisch und weitere 13 % zweisprachig Deutsch-Englisch, wobei die Kombination in Bild 23 die häufigste Kombination darstellt. Spanisch und Italienisch sind gleichstark mit jeweils 2 % vertreten. Nicht schildgebundene Texte auf oder in Sehflächen sind häufig handschriftlich und verwenden gleichermaßen 57 Auf die restlichen 20 % der Schilder wird im Abschnitt 5.3 eingegangen. <?page no="104"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 105 Schreib- und Druckschrift, wobei beim Beispiel in Bild 23 zu diskutieren wäre, ob die Textteile „bis zu“ als Schreib- oder Druckschrift zu werten sind. Als nicht schildgebundene Texte in Sehflächen werden solche Texte verstanden, die sich auf Deko-Elementen oder Produkten befinden, die keinen Schildcharakter haben und damit auf Trägern, die nicht der gegebenen Schilddefinition entsprechen (Bild 25). Bild 23: nicht schildgebundener Text. Bild 24: Komplexe Sehfläche mit Schildern und mehreren nicht schildgebundenen Texten. <?page no="105"?> 106 5 Analysen Bild 25: Kombination aus schildgebundener und nicht schildgebundener Schrift. Ein wesentlicher Bestandteil der Texte auf Schildern und auf bzw. in Sehflächen ist der Firmenname. Auf 87,4% aller Schilder und Sehflächen mit Text ist der Name des zugehörigen Unternehmens entweder Teil des Textes oder ist co-präsent. Bild 23 stellt im Gegensatz zu Bild 25 eines der wenigen Beispiele dar, in denen der Firmenname nicht zusätzlich in der Sehfläche präsent ist. Damit ergibt sich nur ein geringer Anteil von unabhängigen Texten. Bei diesen handelt es sich vor allem um Texte auf kleinen Sehflächen, bei denen durch die unmittelbare Nähe eines Nasenschildes oder einer Etikette eine Zuordnung erfolgt, die bei größeren Einheiten durch eine zusätzliche Nennung des Unternehmens geleistet wird. (vgl. Kapitel 5.3). 5.2.3 Schildformen, Farben, Grafik Die dokumentierten Schilder mit Schrift sind in ihrer Form sehr einheitlich. Grundflächen von Schildern des Akteurs Dienstleistung sowie von Nasenschildern der Akteure Handel , Gastronomie und Kultur sind in der Regel rechteckig. Ausnahmen bilden nur solche Schilder, bei denen der Firmenname fest mit einer abweichenden Form als Logo verwendet wird (z. B. C&A, Petit Bateau), wobei hier runde und ovale Formen überwiegen. Abweichende freie Formen finden sich im Erhebungsgebiet nicht, ihre Existenz kann jedoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Auch größere Text- und Bildplakate bleiben der rechteckigen Form treu (die in Bild 39 und Bild 40 zu sehende runde Fläche ist auf das Holz-Deko-Element aufgemalt). Lediglich kleine Plaketten auf Sehflächen wei- <?page no="106"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 107 sen häufig eine runde Form auf. Sie sind inhaltlich nicht variant und weisen mit einer Ausnahme auf besondere, zeitlich begrenzte Aktionen hin ( Sale , spezielle Rabatte für Kundenkarteninhaber, Muttertag etc.). Einzig das runde Schild bei Douglas weicht hiervon ab und weist darauf hin, dass Arabisch gesprochen wird. Sonderformen von Schildern finden sich bei den Etiketten (= rechteckige Schilder auf einem Untergrund), so dass sich insgesamt drei Formen von Etiketten beschreiben lassen. Gemeinsam ist allen Typen, dass sie sich über dem Eingangsbereich befinden. Der erste Typ (Bild 26) entspricht einem klassischen eigenständigen Schild. Diese traditionelle Form aus Schildfläche und darauf befindlicher Schrift evtl. ergänzt durch grafische Darstellungen ist im Erhebungsraum am seltensten. Deutlich häufiger zeigt sich als zweite Variante (Bild 27), eine an das traditionelle Schild angelehnte Form. Diese fügt sich in die Gestaltung von Eingangsbereichen oder größerer Außenflächen ein, für welche rahmenartige Formen verwendet werden, die entweder den gesamten Ladenbereich einschließlich Türen und Fenstern umfassen oder aber zumindest oberhalb der Türen und/ oder Fenstern verlaufen. Auf diese Rahmenelemente wird der Firmenname so angebracht, dass ein schildartiger Eindruck entsteht. Dabei können flache Buchstaben oder solche, die in die Trägerfläche integriert sind und mit ihr abschließen ebenso verwendet werden, wie dreidimensionale, leicht erhöhte Ausführungen. Zwei weitere Formen unterscheiden sich deutlicher von den beiden genannten, weisen aber untereinander Parallelen auf. In beiden Fällen werden einzelne dreidimensionale Buchstaben verwendet, die wie im ersten Fall (Variante 3a, Bild 28) auf Trägerleisten oder direkt an der Fassade angebracht werden. Die Variation dieser Etikettenform (Variante 3b, Bild 29) ist hängend, so dass kein Kontakt zur Fassade gegeben ist. Diese letzte Form findet sich häufig bei Läden, deren Sichtbarkeit durch Arkaden begrenzt ist sowie im OEZ, dessen Geschosshöhe begrenzt ist und das sich, wie oben gezeigt, auch durch eine offene Gestaltung von Eingangsbereichen auszeichnet. Bild 26: Etikette Typ 1. Bild 27: Etikette Typ 2. <?page no="107"?> 108 5 Analysen Bild 28: Etikette Typ 3a. Bild 29: Etikette Typ 3b. Im Hinblick auf Farben 58 ist zu unterscheiden zwischen der Schriftfarbe und der Farbe, die als Schildhintergrund verwendet wird. Für beide Variablen haben sich in der Analyse klare Strukturen ergeben, die sich sowohl in eindeutigen Präferenzen in der Farbverwendung für Schrift und Schildfläche zeigen als auch in häufigen Farbverbindungen. Für alle dokumentierten Schilder, nun einschließlich des Akteurs Infrastruktur , ergeben sich folgende Werte für die Schildfläche: Diagramm 5: Anteile Farben / Schildfläche. 58 Zur Rolle von Farben in der Werbung vgl. etwa Küthe und Venn (1996). <?page no="108"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 109 Das obige Diagramm trennt nicht zwischen Nasenschildern bzw. Etiketten, die Firmenlogos enthalten und solchen Schildern, die in oder auf Sehflächen platziert sind und einen anderen Inhalt haben. Eine Unterscheidung zwischen beidem ist nur insofern von Bedeutung für die vorliegende Untersuchung, als grundsätzlich die Frage im Zentrum steht, welche Farben in Verbindung mit Text und Grafik den öffentlichen Raum prägen und welche Funktion diesen Verbindungen zukommt. Ferner hat die Analyse ergeben, dass einige Unternehmen des Akteurs Handel mit Inversionen arbeiten, also zwei Schilder bzw. Schild-Etiketten-Kombinationen in unmittelbarer Nähe zueinander zeigen, bei denen Text- und Schildfarbe vertauscht sind (Bild 30 und Bild 31). Bild 30: Inversionen auf Schildern. Bild 31: Inversionen auf Schildern. Des Weiteren zeigt sich, dass Etiketten des Typs 3a oder 3b häufig von Nasenschildern ergänzt werden, bei denen sich offensichtlich die Farbe der Schildfläche an der Schriftfarbe orientiert, die in diesen Fällen bei allen Schildern identisch ist, und an einem maximalen Kontrast und damit bester Lesbarkeit ausrichtet. Dabei kann zumindest bei einem Unternehmen (H&M) beobachtet werden, dass die konkrete Farbe der Schildfläche beim Nasenschild zusätzlich an die Fassade des Gebäudes angepasst ist. So ist bei den Filialen in der Kau- <?page no="109"?> 110 5 Analysen finger- und in der Weinstraße jeweils eine Etikette vom Typ 3a vorhanden, die um je ein Nasenschild ergänzt werden, welches sich in seiner Farbe an der Fassadengestaltung des jeweiligen Gebäudes (weiß, vgl. Bild 32) bzw. des unmittelbaren Etikettenhintergrunds orientiert (graue Kunststoff- oder Milchglasfläche, vgl. Bild 33). Bild 32: H&M Weinstraße. Bild 33: H&M Kaufingerstraße. Aufällig an den verwendeten Farben ist auf den ersten Blick, dass hängende Schilder von den Größen ‚ohne Hintergrund‘ und ‚weiß‘ dominiert werden. Während die hängenden Versionen an bestimmte Kontexte gebunden sind (s. o.), erklärt sich die hohe Präsenz von Weiß vermutlich mit seinem starken Kontrast zu den meisten Farben des Farbspektrums. Diese Annahme wird durch die weiteren häufig verwendeten Farben bestätigt, die ihrerseits kräftige Farben sind, die einen guten Kontrast zu hellen Schriftfarben bilden. Die Analyse der Schriftfarben (Diagramm 6) fügt sich in dieses Ergebnis ein und zeigt einen Zusammenhang zwischen den Farbpräferenzen für den Schildhintergrund (Diagramm 5) und verwendeter Schriftfarbe ebenso, wie eine Präferenz für gut sichtbzw. lesbare kräftigere Farben bzw. weiß als Schriftfarbe für farbige Hintergründe. <?page no="110"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 111 Diagramm 6: Verteilung Schriftfarben. Die Farbe Weiß ist mit klarem Abstand die am meisten verwendete Schriftfarbe, was nicht nur auf ihre Verwendung in Firmennamen, sondern auch in sonstigen Kontexten zurückzuführen ist. Es ist zu beobachten, dass die Tendenz zu dunkleren (farbigen) Schildflächen und weißen Texten geht (vgl. Bild 39 und 40). Auch nicht schildgebundene Texte sind in großem Umfang weiß: Bild 34: Nicht schildgebundene weiße/ grau-weiße Schrift. Die hohe Präsenz von Schwarz auf Schildern ist auf dessen starke Verwendung durch den Akteur Dienstleistung zurückzuführen, der nur in Ausnahmefällen andere Farben verwendet. Auf Sehflächen ist die gute Schichtbarkeit auf den transparenten Glasflächen ein zentraler Grund für die hohe Verwendungshäufigkeit (vgl. Kapitel 5.3). <?page no="111"?> 112 5 Analysen Bild 35: Nicht schildgebundene schwarze Schrift. Für eine zweckgebundene motivierte Nutzung einzelner Farben unabhängig von der Verwendung in den hier auch berücksichtigten Firmennamen spricht, dass Texte auf Sehflächen vor allem in der Verwendung der Farben Weiß, Schwarz und Rot vergleichbare Tendenzen zeigen. Die einseitig hohen Werte für die Schriftfarbe Gold auf Sehflächen sind einem einzigen Verwendungstyp zuzuweisen. Die im Erhebungsgebiet mehrfach vertretene Juwelierkette Christ (OEZ, Neuhauser Straße, Kaufingerstraße) hatte zum Muttertag mit goldener Schrift auf den Sehflächen geworben. Die entsprechenden Texte waren auf jeder Sehfläche jeder Filiale angebracht, was zu einem entsprechend hohen Aufkommen der Schriftfarbe geführt hat, der aber nicht dauerhaft ist. Darüberhinaus ist Gold als Farbe nur selten vorhanden. Rot findet sich häufig in Firmennamen (z. B. H&M, Parfümerie Brückner, Pia rennt, GUESS, CAMPER, REPLAY, ESPRIT) und ist daher auf Schildern etwas häufiger präsent als in nicht schildgebundenen Texten. Es zeigt sich zum einen, dass die Verwendung von Rot nicht auf internationale Ketten beschränkt ist und zum anderen, dass gerade die doch große Zahl von Ketten im Erhebungsgebiet erheblich zur Präsenz von Rot beiträgt, da Unternehmen wie H&M oder Esprit mehrfach im Erhebungsgebiet vertreten sind und vor allem in der Fußgängerzone pro Filiale mehr als ein Schild verwenden 59 . Die Verwendung in Firmennamen ist auch der Grund für die höhere Verwendung von Rot auf Schildern als schildungebunden auf bzw. in Sehflächen. Ergänzt wird diese Verwendung durch die Nutzung in Rabattbzw. Sale-Kontexten (vgl. Bild 23). Die Verwendungshäufigkeit von Rot als Schildfläche ist etwas geringer als die Verwendung als Schriftfarbe, bewegt sich aber in vergleichbaren Größenordnungen. Ähnlich wie für die Verwendung von Gold als Schriftfarbe lässt sich für Rot als Schildfarbe ein dominanter Verwendungskontext feststellen. Aktionen aller Art (Rabattaktionen, Sale, 2 für 3 etc.) werden auf Schildern mit roter Grundfläche und weißer Schrift beworben. 59 Die H&M Filiale in der Weinstraße verwendet zwei Nasenschilder (eins an jeder Gebäudeecke) und eine Etikette über dem Eingangsbereich. <?page no="112"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 113 Bild 36: Verwendung von Rot als schildungebundener Schriftfarbe und als Schildgrund mit weißer Schrift. Schriftfreie Schilder und Plakate machen 20 % dieser Analyseeinheit aus und bestehen fast ausschließlich aus Bildern, die oft Teile der aktuellen Werbekampagne des jeweiligen Unternehmens sind. Alternativ werden sie zur Illustration als Hintergrund oder ergänzendes Element von Szenen in Schaufenstern eingesetzt. Eine weitere häufige Anwendung ist die großformatige Verwendung in Fensterflächen des 1.OGs. Diese sind in vielen Fällen vollständig mit Bildern/ Plakaten verschlossen und verhindern so den Blick in das Innere des Gebäudes. Diese Form der Nutzung findet sich ausschließlich beim Akteur Handel . Bild 37: Textfreies Bild als Schaufensterhintergrund. Neben diesen Formen von Bildlichkeit finden sich unterschiedliche Formen von grafischen Elementen in Verbindung mit Schrift. Dabei kann es sich sowohl um Firmenlogos, um (seltene) illustrierende grafische Zusätze oder um bildergän- <?page no="113"?> 114 5 Analysen zende Formen von Text (Slogans, Firmennamen etc.) handeln. Auf diese und weitere Formen von Text-Bild Kombinationen wird in Kapitel 5.3 ausführlich eingegangen. Stilisierende, grafische Elemente integrierende Schrift, die über die Wahl bestimmter Fonts hinausgeht und der Schrift/ dem Text selbst einen bildlichen Charakter verleiht, sind im Erhebungsraum nicht anzutreffen. Bei den Fonts dominieren Großbuchstaben mit und ohne Serifen, wobei im vorliegenden Datenmaterial keine Systematik in der Verwendung ausgemacht werden konnte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Bestimmung einer solchen Systematik nur auf Texte bzw. Wörter beziehen kann, die nicht einem Firmennamen entsprechen, da dessen Form dauerhaft festgelegt ist. Wie in Kapitel 3.1 bereits ausgeführt wurde, ist jedoch zu beobachten, dass gerade Modelabels eine bestimmte Präferenz für bestimmte Fonttypen oder Variationen derselben haben. Zu ergänzen ist darüber hinaus der Effekt der Sehschulung (vgl. Kapitel 2.3 und 3.1) also in bestimmten Kontexten erwarteten Kombinationen aus Farben, Fonts evtl. grafischen Darstellungen und Produkten oder Branchen. Hierzu gehört auch die oben beschriebene Kombination aus Rot und Weiß für Rabattaktionen oder die Präferenz von schwarzer Schrift für Akteure aus dem Bereich Dienstleister. Der geringe Anteil von Schreibschrift oder Handschrift imitierenden Schildern oder Texten lässt sich bestimmten Bereichen im Handel zuweisen. Im Erhebungsgebiet betrifft dies einige wenige Unternehmen, die schon länger dort ansässig sind und entweder aus Traditionsgründen oder als Alleinstellungsmerkmal diese Fonts zumindest teilweise verwenden (z. B. Veicht , Hermann ) oder bei denen die Schreibschrift bestimmte Assoziationen wecken soll, wie dies z. B. bei Marrying der Fall sein könnte (Bild 38). 60 Die geschwungene Schreibschrift des Trauringhändlers könnte Assoziationen an handgeschriebene Hochzeitseinladungen wecken. Die Farbe Rot stellt das Produkt und den Firmennamen möglicherweise in den Kontext ‚Liebe‘. Bild 38: Firmenschild „Marrying“. Insgesamt zeigt sich sowohl für die Verwendung und Präsentation (Schilder) von Sprache als auch von Schriftlichkeit ein festes Muster, das sich in einer ver- 60 Zu mit unterschiedlichen Drucktypen verbundenen stereotypen Assoziationen vgl. auch Golonka (2009: 302). <?page no="114"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 115 gleichsweise geringen Auswahl an Farben für Schrift und Schriftträger, mit der Ausnahme von Logos wenig schriftbegleitenden oder -ergänzenden Elementen und einer eingeschränkten Auswahl an Fonts und typografischen Mitteln niederschlägt. Vor allem medien-/ werbetechnische Erfordernisse wie die Corporate Identity bzw. Corporate Design, die eine Wiedererkennbarkeit garantieren sollen, und die ohne die Entstehung von Markenprodukten als besonderem Produkttypus nicht denkbar bzw. nötig wäre (vgl. Kapitel 2.3), setzten spontanen Veränderungen im Erscheinungsbild zumindest auf der Ebene der Firmenschilder und Logos enge Grenzen. Dabei darf die Bedeutung von Farben und Schriftzügen weder werbepsychologisch noch rechtlich unterschätzt werden. Bereits in den 1920er Jahren hat sich die Werbepsychologie als Fach etabliert 61 und sich nicht nur wissenschaftlich mit den Inhalten von Werbung auseinandergesetzt, sondern aktiv Einfluss auf Formen und Inhalte sowie deren Präsentation genommen 62 . Die Festlegung von Firmenschriftzügen, Labels und Logos und auch Farben 63 wird häufig durch Eintragungen als Trademark, Warenzeichen etc. juristisch abgesichert, was nicht nur die parallele Verwendung durch Dritte und damit Verwechslungsmöglichkeiten verhindern soll, sondern auch einen spontanen Wechsel erschwert. Durch die Präsenz stabiler, werbepsychologisch und medienwissenschaftlich erarbeiteter Formen ist eine gewisse Uniformität im öffentlichen Raum gegeben. Diese wird zusätzlich unterstützt durch gelernte Assoziationen von Fonts und Farben zu bestimmten Produkten oder ökonomischen Verfahren (z. B. Rabattaktionen). Dabei kommen auch Konnotationen wie Rot als Signalfarbe, Schreibschrift für Einladungen oder Fraktur im Bereich Trachtenmode zum Einsatz. Gleichzeitig ergibt sich durch die Platzierung der Schilder eine bestimmte den Raum prägende und ihn identifizierende Gestaltung. Nasenschilder tragen in der Regel nur den Firmennamen und/ oder das Logo. Die Funktion von Nasenschildern liegt mit ihrer Ausrichtung quer zur Laufrichtung primär in der Sichtbarkeit aus der Entfernung und der Abgrenzung zum 61 Einen knappen Überblick geben Behrens et al. (2001: 428). 62 Ein aktuelles Beispiel ist die Diskussion bei der Lufthansa, die sowohl den verwendeten Blauton als auch die Farbe des Wappens (von Gelb zu Weiß) ändern will, womit Diskussionen um den Wiedererkennungswert ausgelöst wurden (vgl. z. B. Berichterstattung in Süddeutschen Zeitung vom 01.03.2018, S. 20 und ausführlich zur Begründung der einzelnen Änderungen: www.designtagebuch.de/ das-neue-erscheinungsbild-der-lufthansa/ letzter Zugriff 15.02.2018). 63 Geschützte Farben bzw. Farbtöne sind z. B. Magenta (Telekom), Lila (Milka), Braun (UPS), Blau (Lufthansa), Rot (Sparkassen). <?page no="115"?> 116 5 Analysen nächsten Objekt 64 . Allerdings unterliegt die Positionierung keiner offensichtlichen Systematik, da Nasenschilder aus der jeweiligen Laufrichtung gesehen sowohl zu Beginn als auch am Ende eines Objektes angebracht sein können, was zu Clustern mehrerer Nasenschilder übereinander führen kann (vgl. Bild 43). Auch ist zu beachten, dass Nasenschilder im Gegensatz zu Etiketten nicht immer vorhanden sind (keine Nasenschilder finden sich im Neuen Rathaus an der Weinstraße sowie in der Neuhauser Straße 2). Weitere oder andere Texte sind auf solchen Schildern grundsätzlich nicht zu finden. Etiketten wiederum sind über dem Eingangsbereich zu finden, oder weisen im Falle von Arkaden oder weit zurückliegenden Eingängen den Weg zu diesen. Damit sind sie durch ihre Position direkt über dem Eingangsbereich deutlich konkreter als Nasenschilder (vgl. Kapitel 5.3.3). Daraus ergibt sich, dass durch diese Schilder, die aus der Ferne oft nur schemenhaft wahrnehmbar und nicht notwendigerweise lesbar sind, nicht nur konkrete Gebäude für den Betrachter bzw. Passanten mit einer Nutzungshypothese versehen werden, sondern dass in ihrer Summe auch eine Hypothese über die Struktur des Raumes (öffentlich, ökonomisch genutzt, Einkaufsmöglichkeiten etc.) formuliert wird. Diese wird in ihrer konkreten Ausprägung feiner gestellt durch die Wahrnehmung der Existenz oder dem Fehlen von Straßen und/ oder Gehwegen sowie Hinweisen zur Zugänglichkeit des öffentlichen Personennahverkehrs. Dessen Schilder sind die einzigen über Kopfhöhe angebrachten und auch aus der Entfernung gut sichtbaren Schilder, die nicht Unternehmen aus Handel, Gastronomie etc. zuzurechnen sind. Sie sind für den Passanten aber von diesen dadurch zu unterscheiden, dass sie in der Regel nicht an Gebäuden angebracht sind, sondern frei stehen. Eine Ausnahme in der vorliegenden Studie bilden U-Bahn Schilder im OEZ, die teilweise im Inneren von Ladenflächen angebracht sind und den Weg zur U-Bahn Station durch den Laden weisen (Bild 58). 64 Historisch gründet die Tradition von Nasenschildern (vgl. auch Abschnitt 5.3.1) vornehmlich (aber nicht) nur in den analog zu Nasenschildern angebrachten Zunftzeichen. Ihre ikonische Verfasstheit sollte auch analphabetischen Passaten helfen sich zu orientieren (analoges galt für die Auszeichnung von Wirtshäusern, die oft ihren Namen bildikonisch in Nasenschildern darstellten). So berichtete Bertha Pappenheim (1904) in Sisyphus: Gegen den Mädchenhandel , Kap. 5 („Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien“): „Charakteristisch für die durchschnittlich analphabetische Bevölkerung ist, daß die Firmenschilder nicht nur in hebräischer und polnischer Sprache Namen und Handel oder Handwerk verkünden, sondern daß, wie in der Kinderfibel, ein Anschauungsbild gleichzeitig die Verständigung mit übernimmt. Einige dieser Bilder wiederholen sich ganz typisch. So die Schere und ein verschlungenes Ellenmaß für die Männerschneider, ein wie eine Käferlarve aussehendes, fest gewickeltes Kind auf den Schildern der Hebammen u. s. w.“ (zitiert nach http: / / gutenberg.spiegel.de/ buch/ -799/ 5, letzte Einsicht 5.6.2018). <?page no="116"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 117 Das Erscheinungsbild des Raums im OEZ wird durch vergleichbare Muster gesteuert. Im Vergleich zur Fußgängerzone fehlen hier die hoch angebrachten Schilder als Marker und Identifier des öffentlichen Raumes. Dies wird im OEZ durch die geschlossene Struktur geleistet. Die abgeschlossene Gebäudestruktur macht ein bewusstes Betreten notwendig. 65 Auch wird durch die künstliche Beleuchtung sowie die immer präsente Decke und das Vorhandensein von Fahrstühlen und Rolltreppen eine gelernte Seh- und Handlungsstruktur aktiviert, die an ein Kaufhaus erinnert und so vermutlich selbst bei einem ersten Besuch in einem Einkaufszentrum/ einer Shopping Mall Orientierung bietet. Im folgenden werden ausgehend von diesen Basisbefunden zu den Dimensionen Text , Sprache , Schildformen und Farben die typischen Präsentationsformen der einzelnen Akteure zusammengefasst und ihr Beitrag zur beschriebenen Struktur des Untersuchungsraumes besprochen. 5.2.4 Handel Der Akteur Handel trägt signifikant zum Korpus des Untersuchungsgebietes bei. Dabei gilt dies sowohl für das Gesamtkorpus wie für die fremdsprachlichen Anteile. Die Varianz der Sprachverwendung ist allerdings eingeschränkt, da wie gesehen Firmennamen (Labels) nicht nur in großem Umfang zur Linguistic Landscape und damit zum Korpus beitragen, sondern einige Unternehmen durch die mehrfache Präsenz die Uniformität erhöhen. Markant ist die Nutzung zweisprachiger Schilder, auf denen einzelne eyecatcher oder headlines auf Englisch, der Rest aber auf Deutsch gehalten ist. Auch der Erhebungszeitraum kann sich wie bereits betont auf das Korpus auswirken, da jahreszeitlich bestimmte Aktionen immer wieder zur Häufung bestimmter Lexeme oder Phrasen führen können. Durch den Zeitpunkt der Datenerhebung der vorliegenden Studie im April und Mai 2016 sind die fünf Vorkommnisse des Lexems Muttertag ebenso zu erklären, wie die 27 Erwähnungen von sale und die 17 Erwähnungen von Rabatt , bedingt durch den Wechsel von Frühjahrszur Sommerkollektion. Die Präsenz von großen Filialisten in beiden Erhebungsräumen führt nicht nur zu mehrfachen Wiederholung der Firmennamen (allein 13 mal H&M), sondern auch von weiteren Textelementen, da die Gestaltung der Sehflächen soweit wie möglich identisch ausfällt (Bild 39 und 40). 65 In gewissem Sinne leistet dies auch das Karlstor als Entrée in die Neuhauser Straße. <?page no="117"?> 118 5 Analysen Bild 39: Schaufenster C&A Kaufingerstraße. Bild 40: Schaufenster C&A OEZ. Auch wenn ‚ sekundäre‘ Texte im konkreten Kontext im öffentlichen Raum in Bezug auf ein bestimmtes Unternehmen zu finden sind, werden sie erst durch ihre Präsenz im öffentlichen Raum mit dem diesem verbunden. So hätte der Slogan #ImPerfect der Werbekampagne von Esprit auch für ein anderes Unternehmen verwendet werden können. Erst die Verwendung dieses Slogans in dieser Form durch das Unternehmen stellt ihn in einen unmittelbaren Kontext mit demselben und wird entsprechend aufgeladen. Anders verhält es sich mit Markennamen/ Unternehmensnamen/ Labels die als Namen grundsätzlich mit dem bezeichneten Objekt/ Unternehmen verbunden und zusätzlich mit zahlreichen Konnotationen und Emotionen aufgeladen sind (vgl. Kapitel 2.3). Grafische Elemente finden sich zunächst in Logos, die allerdings ebenso festgelegt sind wie die Schreibweisen für Firmennamen. Diese sorgfältig geplanten grafischen Darstellungen sind bei einer Bewertung grafischer Elemente des öffentlichen Raumes nicht zentral zu stellen, da sie ebenso wie Firmennamen feste, gelernte Strukturen darstellen, die in der Regel vom Firmennamen begleitet werden. Auch haben nicht alle Unternehmen ein Logo, das unabhängig und zusätzlich zum Firmennamen existiert. Häufig fungiert der Firmenname <?page no="118"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 119 bivalent, weshalb die jeweils typische Präsentationsform möglicherweise wie ein Bild wirkt und ähnlich schnell verarbeitet wird. Eine gestalterische Verwendung von Schrift ist im Erhebungsraum nur in wenigen Ausnahmen anzutreffen und bezieht sich weniger auf die konkrete Gestaltung der Fonts, sondern auf die Laufrichtung der Schrift. Die Kette C&A gestaltet auf einer Plakette zum Thema Muttertag mit Text den Kopf von Pusteblumen, erkennbar an den angedeuteten abgestoßenen Blütenhüllen (Bild 41). Dabei ist der Text ausschließlich Dankestext („Danke Mama“) in unterschiedlichen Sprachen. Situiert wird das Thema durch die dem Rundbogen der Plakette folgende deutschsprachige Überschrift 66 . Die Textstruktur der Blüten wird nur aus großer Nähe sichtbar - Passanten bzw. Betrachter des Schaufensters müssen unmittelbar vor der Plakette stehen, um die Struktur und den Inhalt der Blüten zu erkennen. Bild 41: Muttertagsschild C&A. Zumindest die vorliegenden Daten legen nahe, dass eine Unterstützung der Sprache durch grafische Mittel häufiger ist als eine grafische Verwendung von Schrift. Das Unternehmen S. Oliver wirbt z. B. für die Aktion „Denim Days“ mit einer Plakette, bei der die Überschrift englisch, alles weitere aber auf Deutsch gehalten ist (Bild 42 unten). Die gewährten Rabatte sind auf der größeren Plakette optisch noch einmal in der häufigsten Farbkombination für Preisnachlässe (roter Grund und weiße Schrift) in eigenen kleinen integrierten Plaketten präsentiert. Die Basis der Hauptplakette unterstützt das Gesamtthema durch eine Struktur, die an Jeansstoff erinnert. Die Überschrift folgt dieser Struktur, ist aber heller und evtl. in Form von „Flicken“ oder Aufnähern integriert. Neben der gezielten Verwendung von Farben und Strukturen werden auch Fonts gezielt eingesetzt. Für die Überschrift ist ein Font mit deutlichen Serifen gewählt, der Rustikalität ausdrücken soll und somit das Thema Jeans/ Denim unterstützt. Der Font der integrierten Rabattplaketten hingen ist ohne Serifen und wirkt nüchtern, ratio- 66 Auch in zahlreichen deutschsprachigen Arbeiten wird für diese Überschriften der Begriff Headline verwendet. <?page no="119"?> 120 5 Analysen nal. Dies könnte mit dem Kontext (bewusster Umgang mit Geld, sparen) zu tun haben, der möglicherweise als rationales, vernünftiges Handeln und nicht als die etwas negativ konnotierte Schnäppchenjagd präsentiert werden soll. Bild 42: Plakette Rabattaktion S. Oliver. Die Positionierung der Schilder ist je nach Typus eindeutig festgelegt. Im Teilerhebungsraum Fußgängerzone finden sich Nasenschilder an den meisten Gebäuden auf Höhe des ersten Stockwerks oder leicht darüber, womit eine gewisse Sichtbarkeit aus der Ferne gewährleistet ist, ohne dass eine unmittelbare Lesbarkeit gegeben ist. Allerdings reicht diese reduzierte Sichtbarkeit, um darauf hinzuweisen, dass sich an dieser Stelle ein Ladengeschäft befindet. Nasenschilder sind nur dann in unmittelbarer Nähe des Eingangs zu finden, wenn die Ladenfront schmal und somit eine geringere Erkennbarkeit aus größerer Entfernung möglich ist. Gemein ist allen Nasenschildern, dass sie sich an der Gebäudeecke bzw. der Grenze zum Nachbargebäude befinden, was in einigen Fällen zu Clustern führen kann, bei denen dann auf unterschiedlicher Höhe mehrere Nasenschilder übereinander angeordnet sind (Bild 43). Bild 43: Übereinander angeordnete Nasenschilder mehrerer Unternehmen. <?page no="120"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 121 Etiketten sind grundsätzlich über dem Eingangsbereich, oder in ihrer Sonderform als hängende Schilder an Arkaden (s. o.) angebracht. Damit sind Ladenflächen in der Fußgängerzone häufig doppelt mit in der Regel inhaltsgleichen Schildern versehen, die einmal das Gebäude auch aus der Ferne und zum zweiten konkret den Eingang markieren. Diesen Schildern kommt damit für den öffentlichen Raum eine rein deiktische Funktion zu. Ob und gegebenenfalls in welcher Form eine weitere kommunikative Funktion im Zusammenspiel mit Sehflächen gegeben ist, wird in Kapitel 5.3 näher untersucht. Im Teilerhebungsgebiet OEZ sind Etiketten die dominante Form deiktischer Schilder, da Nasenschilder wie bereits betont aufgrund der geringen Höhe, die sich durch die architektonische Struktur ergeben, nicht präsent sind. Für Form und Platzierung der Etiketten gelten im OEZ die gleichen Regeln wie für die Fußgängerzone beschrieben. Damit kann möglicherweise eine Zwischenstellung des OEZ zwischen Kaufhäusern und Einkaufsstraßen im öffentlichen Raum beschrieben werden. In modernen Kaufhäusern ist zunehmend zu beobachten, dass Labels eigens baulich markierte Ladenflächen belegen, deren Abgrenzungsstruktur sehr ähnlich der des OEZ ist und vor allem in andersfarbigem und ggf. andersartigem Bodenbelag, eigenen Regalstrukturen etc. besteht. 67 Das Label, der Markenname ist in solchen Fällen i. d. R. auf Wandflächen etikettenartig angebracht, die oft sekundär aufgestellte Raumtrenner bzw. Stellwände sind, und die nicht zur originären Gebäudestruktur gehören. Plakate und Plaketten als weitere typische Schildformen des Akteurs Handel sind ähnlich stereotyp in ihrer Platzierung im öffentlichen Raum. Große Plakate oder Bilder mit und ohne Text werden im Hintergrund von Schaufenstern verwendet, um die dort aufgebauten Szenen zu ergänzen. Der Text auf solchen Plakaten beschränkt sich auf wenige Worte, häufig Slogans aktueller Werbekampagnen, oder auf den Firmennamen. Des Weiteren finden sich Plaketten sowohl im als auch auf dem Schaufenster. Dort weisen diese Typen in der Regel auf besondere Angebote hin und sind Teil von Szenen, also inhaltlich mit der Darstellung im Schaufenster verbunden. Die Aufgabe von Plaketten auf dem Schaufenster ist diverser und entspricht der von nicht schildgebundener Schrift auf den Fensterflächen. Diese beiden Typen enthalten mit einer einzigen Ausnahme immer Text, der gelegentlich grafisch begleitet wird. Die vorhandenen Texte lassen sich in zwei Gruppen gliedern. Die erste Gruppe besteht aus Slogans aktueller Werbekampagnen und wird in der Regel von einem Hashtag begleitet. Damit steht dieser Text nicht nur in enger Verbindung zu den gezeigten Produkten im zugehörigen Schaufenster, sondern weist auch 67 Bis hin zur sog. ‚horizontalen Kooperation‘ in Form von Shop-in-Shop-Strukturen. <?page no="121"?> 122 5 Analysen noch über dieses lokale, stationäre Angebot hinaus auf die zugehörigen Aktionen in den sozialen Medien, wie Facebook , Instagram oder Twitter . Die zweite Textgruppe bleibt in ihrem Bezug lokal. Auch hier bezieht sich der Inhalt der meisten Plaketten auf besondere Aktionen. In ihrer Mehrzahl sind dies Rabattaktionen unterschiedlichster Art, die von Schlussverkäufen über Kundenkartenaktionen oder schlussverkaufsunabhängige Mengenrabatte (2 für 3, gestaffelte Rabatte vgl. Bild 42) reichen. Darüber hinaus sind Texte bezogen auf besondere Anlässe wie Muttertag o. ä. vorhanden. Eine ebenfalls in der Werbefläche platzierte Schildform sind Aufsteller mit Stellenangeboten. Diese Sonderform ist selten und auf bestimmte Unternehmen beschränkt (Zielgruppe Kunde = potentieller Mitarbeiter s. o.), zeigen jedoch eine Parallele in der Platzierung. Diese Aufsteller sind alle am unteren Rand des Schaufensters in der linken oder rechten Ecke aufgestellt (je nach Aufbau der Schaufensterszene) und nur aus der unmittelbaren Nähe zu sehen und zu lesen. Wie in Abschnitt 5.2.6 zu sehen sein wird, sind die Verweisstrukturen des Akteurs Handels zumindest in Bezug auf die Schildtypen Etikette und Nasenschild auch in der Gastronomie verbreitet, was zusätzlich zu einer größeren Einheitlichkeit im öffentlichen Raum beiträgt. Welche Unterschiede in der Darstellung und damit für die Interpretation von Schildern durch die Wahrnehmenden bestehen, wird in der Darstellung des Akteurs Gastronomie aufgezeigt. 5.2.5 Dienstleistung Dieser Akteur trägt wesentlich zur sprachlichen Varianz bei. Auf den Schildern von Arzt- und Anwaltspraxen, Notaren etc. stehen in der Regel die vollen Namen der Praxisbetreiber sowie häufig fachspezifische Zusatzangaben und Begriffe (z. B. Proktologie, Anästhesistin, Arbeitsmedizin, Arbeitsrecht, Arzthaftungsrecht, Diagnostik, Geburtshilfe etc.). Insgesamt sind Schilder für Praxen und Beratungsfirmen im Vergleich zu Ladenschildern und Sehflächen sehr textlastig (s. o.). Borscheid (1995: 22) stellt daher diese Schilder als besondere Art der Werbung in einen Zusammenhang mit frühen Annoncen in Intelligenzblättern oder Handwerkszeichen in vorindustrieller Zeit. Aufgrund der uniformen Angaben auf den Schildern tragen diese zwar quantitativ in hohem Maße zu einem varianten Korpus bei, weisen aber in ihrer Grundstruktur (Form und Typ der gegeben Informationen) nur geringe Flexibilität auf. Damit weichen sie grundsätzlich von typischer Warenwerbung ab. Weder kann im Normalfall der Name, der im Falle einer Praxis mit einem Label/ Firmennamen verglichen werden kann, emotional aufgeladen und mit einer eigenen ‚Story‘ versehen werden, die über den Firmennamen/ das Logo aktiviert werden könnte, noch kann über bestimmte zentrale Produkte oder <?page no="122"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 123 deren Situierung geworben werden, da die erwartbaren medizinischen oder juristischen Leistungen und deren Kosten durch den Fachbereich und weitere Vorgaben (z. B. Leistungskataloge der Krankenkassen, Gebührenordnungen) bis zu einem gewissen Grad vereinheitlicht werden und Wettbewerb im ökonomischen Sinne nur stark eingeschränkt und in Einzelfällen möglich ist. Eine weitere grundlegende Differenz zur kommerziellen Werbung besteht darin, dass, von geringen Ausnahmen in der kosmetischen Medizin abgesehen (Bild 45), eine bestimmte Indikation (Erkrankung, juristische oder ökonomische Fragestellungen) für den Besuch einer entsprechenden Praxis/ Beratungsfirma gegeben sein muss. Verhaltensformen und Anreizsysteme aus der kommerziellen Werbung sind daher nicht angebracht und tragen nicht zum ökonomischen Erfolg bei. 68 Dieser Befund wird auch unterstützt durch die Tatsache, dass Schilder für Arzt- und Anwaltspraxen sowie Beratungsfirmen häufig zu mehreren in einer optischen Einheit präsent sind (vgl. Bild 44 und Abbildung 5). Die notwendigen Informationen auf Schildern dieser Akteure (wer, was, wann, wo) können nur in wenigen Fällen vor allem im medizinischen Bereich grafisch unterstützt werden (Bild 44). Zusätzlich erschwert die räumliche Situierung die Sichtbarkeit, da Praxen ausnahmslos in Obergeschossen untergebracht sind, so dass selbst die geringen Möglichkeiten einer stärker visuell ausgeprägten Präsentation durch die Lage oberhalb des Blickfeldes nicht oder nur stark eingeschränkt zum Tragen kommen (Bild 45). Die gezeigten Bilder, die den Arbeitsbereich illustrieren, sind nur durch Heben des Kopfes und den Blick nach oben sichtbar. Bei normaler Körperhaltung bleiben sie unauffällig. Bild 44: Ausschnitt Tafel; Praxisschilder mit grafischer Unterstützung. 68 Vgl. auch §. 27 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Arzte (2015), der eine „anpreisende“ Werbung explizit als „berufswidrig“ untersagt. <?page no="123"?> 124 5 Analysen Bild 45: Eingeschränkte Sichtbarkeit grafisch-bildlicher Präsentation durch Lage im 1. OG. Der Rückgriff auf grafische/ bildliche Elemente und farbliche Unterstützung steht vermutlich weniger im Kontext einer verstärkten Sichtbarkeit im öffentlichen Raum, sondern gilt eher dem Abbau von Schwellenangst, da gerade Facharztbesuche nur bedingt positiv konnotiert sind. Entsprechend sind die Ärzte aus den obigen Beispielen Fachärzte aus sensiblen Bereichen sowie ein Zahnarzt. Dem Zahnarzt und der Augenklinik gemeinsam sind die Verwendung stilisierter grafischer Elemente, die auf ihren Fachbereich hinweisen. Während die Augenklinik aber die Grafik im schwarz-weiß des Textes hält, wählt die Zahnarztpraxis ein helles Grün, das in der Praxisbezeichnung als Hintergrund für die weiße Schrift wiederholt wird. Dadurch wirkt das Schild nicht nur freundlicher, sondern auch der Ausdruck ‚Versorgungszentrum‘ ist eher mit ‚kümmern, Pflege, Fürsorge‘ und damit positiv konnotiert. Eine farbliche Unterstützung der Grafik ist im Falle der Augenklinik allerdings auch nicht notwendig, da das Fadenkreuz und die kreisförmige Struktur an die üblicherweise schwarz-weißen Zielscheiben aus dem Schießsport erinnern. Damit ist die Farbwahl nicht nur angemessen, sondern verweist auf einen Bereich, in dem gute Sehkraft unabdingbar ist. Dabei ist unerheblich, ob die gezeigte Grafik auch stilisiert wiedergibt, was ein Augenarzt bei Untersuchungen beim Blick durch medizinische Geräte sieht, da dieses Wissen bei Patienten normalerweise nicht gegeben ist. Einen völlig anderen Weg geht die urologisch-phlebologische Praxis. Diese trägt zwar den Beinamen „am Dom“ und stellt dies mit zwei skizzierten Türmen dar. Diese sind in rot und blau gehalten, wie auch die beiden Fachbegriffe. Dieser Komposition liegt ein komplexes Zusammenspiel von Sprache, Farbe und Grafik zugrunde: Die beiden Türme der Frauenkirche (offiziell: Dom zu Unserer Lieben Frau ) erinnern in ihrer konkreten Form an Kondome oder das männliche Geschlechtsteil, womit die Verbindung zur einem Teilbereich der Urologie hergestellt ist. Das Fachgebiet der Phlebologie sind Gefäßerkrankungen. Blutgefäße werden in der Medizin/ Biologie in der grafischen Darstellung als Venen blau und Arterien rot dargestellt werden (vgl. Gegenüberstellung Abbildung <?page no="124"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 125 8 69 ). Diese Farben finden sich sowohl in der grafischen Darstellung als auch den Nennungen der Fachgebiete. Die farbliche Aufteilung des Schildes in linksblau und rechts-rot entspricht medizinischen/ biologischen Konventionen in der schematischen Darstellung des Blutkreislaufs. Auf dem Schild finden sich also nicht nur eine Anspielung auf den Standort der Praxis nahe der Frauenkirche und einem der beiden Fachgebiete in einer Grafik, sondern durch die Farbwahl und deren Verteilung auch eine Repräsentation des zweiten Schwerpunkts der Praxis. Letzterer erschließt sich allerdings womöglich nicht allen Betrachtern unmittelbar. Abbildung 8: Gegenüberstellung ‚Darstellung Blutkreislauf und Farbverteilung‘ (Praxis). Im juristischen und beratenden Bereich sind kaum grafische oder farbliche Varianzen zu finden. Diese Branchen, die in besonderem Maße Seriosität vermitteln wollen, zeichnen sich durch zurückhaltende, auf die Vermittlung von Basisinformationen beschränkte Schilder aus. 70 Grafische Elemente sind, wenn vorhanden, als Firmenlogos zu interpretieren. Eine Ausnahme bilden Notare, die aufgrund ihrer besonderen Stellung das kleine bayerische Staatswappen auf ihren Schildern tragen. Die lebenslange Bestellung in ein öffentliches Amt und der Umstand, dass die Anzahl von Notaren begrenzt ist, führen nicht nur dazu, dass in der Regel neue Notare nur nach dem Ausscheiden einer Person aus dem Amt deren Position übernehmen können, sondern sorgen auch für eine Besonderheit in der Linguistik Landscape, die auf diesen Umstand hinweist: Auf einigen Notar-Schildern finden sich Hinweise wie „Amtsnachfolger des Notars“ (z. B. Theatinerstraße 33). Als Schriftfarbe dominiert im medizinischen Bereich mit wenigen Ausnahmen Schwarz. Der Schildhintergrund ist entweder weiß/ transparent auf modernen Schildern (Kunststoff) oder traditionell Silber oder Gold bei Schildern aus Metall. 69 Quelle Blutkreislauf https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: A-kreislauf01.svg (Bildausschnitt, Zugriff 14.04.2018). 70 Vgl. auch § 43b der Bundesrechtsanwaltsordnung: „Werbung ist dem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.“ <?page no="125"?> 126 5 Analysen Die Farbe Gold findet sich ausschließlich im juristischen Bereich. Bei Schildern aus silber- oder goldfarbenem Material ist die Schriftfarbe immer schwarz. Der durchschnittliche Textumfang der Schilder ergibt sich aus der Zahl der Sign - Produzenten und dem Gesamtkorpus und entspricht mit 9,1 Wörtern dem Wert von Wörter/ Sign -Produzent, da Ärzte und Anwälte nur je einmal vertreten sind. Die Sprachwahl im medizinischen und juristischen Bereich ist vom Deutschen geprägt. Im medizinischen Bereich finden sich gelegentlich in der Regel griechisch basierte Fachtermini wie das obige Phlebologie (griechisch φλέψ phléps , ‚Blutgefäß‘, „Blutader“, ‚Vene‘), während im juristischen Bereich in wenigen Fällen ein Latinismus zu finden ist, der sich aber in der Regel auf einen international anerkannte juristischen Abschluss beziehen (LLM). Dabei ist unklar, ob die Abkürzung LLM (Legum Magister/ Magistra) immer als Latinismus erkannt wird, da dieser Abschluss in angelsächsischen Ländern verbreiteter ist als im deutschsprachigen Raum. Da im englischsprachigen Raum LLM als ‚Masters of Law‘ (eigentlich legum magister ) aufgelöst wird, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die in Deutschland eher unbekannte Abkürzung mit einem Auslandsstudium und wegen der starken Präsenz des Englischen über diesen Umweg, möglicherweise motiviert durch die ‚L‘ mit law , assoziiert wird, sofern überhaupt eine Zuordnung zum Englischen oder einer anderen Einzelsprache erfolgt. 5.2.6 Gastronomie Die Schildstruktur des Akteurs Gastronomie gleicht im Wesentlichen der des Akteurs Handel. Dies liegt einerseits an der ebenfalls gegebenen Wettbewerbsstruktur, in der gleiche oder ähnliche Produkte über Preis, Unternehmensbindung oder andere Alleinstellungsmerkmale möglichst viele Abnehmer finden müssen. Für die Teilerhebungsstrecke Fußgängerzone bedeutet dies die Präsenz von Nasenschildern und Etiketten und eine Konzentration auf Etiketten im Bereich des OEZ. Plaketten oder Plakate, die auf besondere Angebote oder gar Rabatte hinweisen, sind die Ausnahme. Die Bäckerei Rischart, die das Café zur Mauth in der Neuhauser Straße sowie eine Filliale im OEZ betreibt, wirbt in der Fußgängerzone mit Plakaten an der Außenfläche für ein jahreszeitliches Kuchenangebot (Bild 46). Die Filiale der Metzgereikette Vinzenz Murr betreibt in der Weinstraße eine Filiale mit rein gastronomischem Angebot (Bild 47) 71 . Ein Auszug aus den jeweils aktuell angebotenen Speisen wird auf Plakaten an der Außenwand links und rechts vom Eingang präsentiert. In beiden Fällen werden 71 Weitere Niederlassungen, dann aber auch mit Metzgereiangebot, finden sich in der Theatinerstraße und im OEZ. <?page no="126"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 127 Plakate mit einer Kombination aus Schrift und Bild verwendet, die im Bereich Gastronomie nur in diesen Fällen auftritt. Bild 46: Plakat Café zur Mauth. Bild 47: Plakate mit Speisenangebot, vinzenzmurr. Vor allem die Wirtshäuser im Teilerhebungsgebiet Fußgängerzone zeigen eine auf die Betonung von Traditionen ausgelegte Eigendarstellung, die sich im Schriftbild in der Verwendung von Frakturschriften zeigt. Der Donisl (Weinstraße) unterstützt diese Wahrnehmung mit großflächiger Fassadenmalerei, die den Raum zwischen den Fensterreihen des ersten und zweiten Obergeschosses einnimmt und Wirtshauszenen zeigt (Bild 48). Damit wird nicht nur eine <?page no="127"?> 128 5 Analysen Verortung des Angebots vorgenommen (traditionelles bayerisches Wirtshaus), sondern sowohl in diesem als auch im Falle des Augustiners zusätzlich auf die lange Geschichte der Unternehmen hingewiesen. Der Donisl ist als Gasthaus seit 300 Jahren im selben Gebäude nachgewiesen. 72 Die Augustiner Bierhalle und Restaurant ist das Stammhaus der Augustinerbrauerei, die auf ein dort ab 1294 ansässiges Augustinerkloster zurückgeht. Der historisierend-traditionellen Außendarstellung kommt zu gute, dass beide Gebäude unter Denkmalschutz stehen und somit die traditionellen Fassaden erhalten geblieben bzw. wiederhergestellt sind. Die im Krieg stark zerstörten Gebäude zählen zu denjenigen, die nach Maßgabe des in Kapitel 4.1 vorgestellten Wiederaufbauplans und dessen Berücksichtigung von bzw. Umgang mit alten Fassaden gestaltet wurden. 73 Bild 48: Fassadenmalerei Donisl. Grundsätzlich verschieden ist die gastronomische Struktur beider Teilerhebungsgebiete, die in der Fußgängerzone stärker von klassischen gastronomischen Angeboten mit Lokal und Service sowie einem umfangreicherem Speisen- und Getränkeangebot geprägt ist, während im OEZ Imbisse mit nur geringem Sitz- 72 1715 wurde die „Bierwirtschaft am Markt“ (später „Reale Bierwirtschaft zur alten Hauptwache“) eröffnet. Der Name Donisl ist eine Verkürzung von Dionysius (bezogen auf den Gastwirt (1760-1775) Dionysius Härtl). 73 http: / / stadtarchiv.muenchen.de/ scopeQuery/ detail.aspx? ID=4785711949 zeigt den Donisl 1905, http: / / stadtarchiv.muenchen.de/ scopeQuery/ detail.aspx? ID=461261 dessen Zustand 1949. <?page no="128"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 129 platzangebot dominieren, die stärker auf den Verzehr im Gehen oder Mitnahme von Speisen und Getränken ausgelegt sind. Dies wirkt sich auf die sprachliche Varianz des zweitkleinsten Subkorpus aus (10,5% des Gesamtkorpus), die sich vor allem über die Speisekarten ergibt. Dabei ist der Anteil internationaler Elemente geringer als die Vielfalt der angebotenen Küchen vermuten ließe. Für diesen Befund sind vor allem zwei Ursachen auszumachen. Zum einen erfolgt die Benennung vor allem asiatischer Gerichte häufig deskriptiv in Deutsch, zum anderen werden vor allem internationale Speiseangebote vermehrt über Bilder über oder hinter der Theke anstatt über Text präsentiert. Dieses Verfahren findet sich auch bei einigen Anbietern deutscher Speisen, ist aber auf die Imbisse im OEZ beschränkt. Anbieter mit restaurantartiger Struktur verwenden dieses Verfahren seltener, da sie über Sitzplatzangebote mit Service verfügen. Die Verwendung von Bildern zur Speisenwahl in einer Speisekarte scheint entweder nicht praktikabel oder den Vorstellungen und Erwartungen an ein Restaurant oder Café oftmals zu widersprechen. Auch in der Gastronomie sind jahreszeitliche Einflüsse auf die Linguistic Landscape gegeben, die aber anders als beim Akteur Handel im Untersuchungszeitraum nicht zum Tragen kamen. In der Fußgängerzone verfügen alle Cafés und Restaurants über eine Freischankfläche, die im Sommer bewirtschaftet wird. Dies zieht eine verstärkte Nutzung von A-Schildern (Kundenstoppern) mit aktuellen Speise- und Getränkeangeboten nach sich. 5.2.7 Kirche Der im Teilerhebungsgebiet Fußgängerzone präsente Akteur Kirche zählt im Kontext von urbanen Erhebungsräumen zu Linguistic Landscapes nicht zu den typischerweise präsenten Akteuren. Die Fußgängerzone in München ist ein historisch gewachsenes Ensemble, dessen unterschiedliche Nutzungen auch im Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg Berücksichtigung fanden. Auch im denkmalgeschützten Gebäudebestand finden sich ursprünglich kirchliche Gebäude (z. B. Alte Akademie, Theatinerhöfe), die aber bereits im frühen 20. Jahrhundert säkular genutzt werden. Der Akteur Kirche trägt mit einem Anteil von 12,9% zum Gesamtkorpus und 15,9% zum Subkorpus Fußgängerzone bei. Dieser im Vergleich zur Gesamtverteilung des Korpus auf die einzelnen Akteure hohe Wert ist mit Akteurspezifischen Texten zu erklären. Die Textstruktur spiegelt zum einen das Erwartbare wieder und ist durch Gottesdienstordnungen und das Kirchenjahr geprägt. Darüberhinaus informiert die Gemeinde über Feste und musikalische Veranstaltungen. Gezielt werden auf prominent platzierten Schildern mit Hinweisen auf kurze Mittagsandachten Personen angesprochen, die in der Fußgängerzone <?page no="129"?> 130 5 Analysen ihre Mittagspause verbringen. Einen historischen Aspekt erhalten die Aushänge zum einen durch die ausführlichen Hinweise auf die DVD über das Leben und Wirken eines Jesuiten Paters im Dritten Reich (s. o.) in der Bürgersaalkirche, der Grablege des Paters. Darüberhinaus ist die St. Michaelskirche die Grablege der Wittelsbacher 74 , welche für die Öffentlichkeit zugänglich und zu besichtigen ist. Die Hinweise auf die Öffnungszeiten der Gruft enthalten die einzigen fremdsprachlichen (englischen) Hinweise an dieser Kirche. Das jahreszeitengemäß gestaltete Plakat von St. Michael, auf dem zu einem Frühlings- und Familienfest eingeladen wird, ist ausschließlich auf Deutsch gehalten, zeigt aber inhaltlich eine Reaktion auf im Frühjahr 2016 hoch aktuelle politische Ereignisse, indem Flüchtlingskinder explizit zur Feier eingeladen werden (Bild 49). Da nicht davon auszugehen ist, dass diese oder deren Familien in ausreichendem Maße über Deutschkenntnisse verfügen, um das Schild zu verstehen, muss davon ausgegangen werden, dass sich dieser Hinweis eher an die zahlreichen ehrenamtlichen Helfer richtet. Bild 49: Einladung ‚Frühlings- und Familienfest‘. Die Plakate des Akteurs Kirche lassen eine klare Systematik erkennen. An das Kirchenjahr und die Gottesdienstordnung gebundene Texte sind frei von Grafik 74 In der Fürstengruft von St. Michael sind insgesamt 36 Angehörige des Hauses Wittelsbach begraben. <?page no="130"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 131 und listenartig aufgebaut. Zu ihrem Verständnis sind zumindest Grundkenntnisse über das Kirchenjahr und die möglichen Gottesdienste notwendig, welche heute nicht mehr als allgemein gegeben vorausgesetzt werden können. Alle Schilder und Plakate jedoch, die auf gemeindliche Aktivitäten hinweisen, die eine breitere Zielgruppe ansprechen, sind grundsätzlich grafisch unterstützt. Dies kann wie im obigen Schild eine Bildleiste sein, die durch die stilisierten Blüten nach unten fortgesetzt wird, oder ein vollflächiges Bild wie bei der Einladung zum Mitsingkonzert (Bild 50). Auch wenn sich diese Schilder alle auch an Personen richten, die der Kirche/ Gemeinde nicht verbunden sind, so fällt doch auf, dass sie immer vor nicht genutzten Portalen stehen und nie auf den Wegen vor der Kirche, obwohl die Konstruktion der Ständer (A-Schilder, Kundenstopper) dies ermöglichen würde. Damit sind diese Schilder trotz ihres teilweise sehr auffälligen Designs unaufdringlich. Bild 50: Einladung ‚Mitsingkonzert‘. Mit der Funktion des Plakates oder Schildes ist auch der Textumfang verknüpft. Gottesdienstordnungen umspannen einen Zeitraum von mehreren Tagen, an welchen in der Regel mehrere Gottesdienste und Andachten stattfinden. Zusätzlich sind auf diesen Listen auch Gelegenheiten zur Beichte vermerkt, so das die Texte zwar sehr einheitlich, aber hinsichtlich der Tokenzahl umfangreicher sind, als solche Plakate und Schilder, die zu sonstigen Veranstaltungen einladen. Diese entsprechen in ihrer Typik und ihrem Aufbau Plakaten des Akteurs Kultur (s. u.). <?page no="131"?> 132 5 Analysen 5.2.8 Kultur Der Akteur Kultur ist der kleinste Einzelakteur, der sprachlich nur 5,8% des Gesamtkorpus umfasst und in sechs Einzelakteure gruppiert wurde. Dieser Akteur weist eine spezifische Schildstruktur auf, die deutlich von den Schildern und Plakaten der anderen Akteure abweicht. Allerdings bieten auch andere Akteure gelegentlich Veranstaltungen an, die in ihrer Struktur denen des Akteurs Kultur ähneln oder gleich sind. Solche Veranstaltungen werden mit Schildern/ Plakaten beworben, die denen des Akteurs Kultur entsprechen (s. o.). Die im nachstehenden Abschnitt beschriebene Trennung von Ort der Aufhängung des Plakats und der beworbenen Veranstaltung ist in diesen Fällen nicht gegeben. Ein wichtiges Merkmal des Akteurs Kultur ist die häufige Trennung von Schild/ Plakat und Veranstaltungsort. Anders als im Handel, der Gastronomie und Dienstleistungen werden Plakate für eine Veranstaltung an mehreren räumlich getrennten Orten aufgehängt, ohne dass eine Beziehung zu diesen Orten besteht (Bild 51). Insofern weisen diese Plakate anders als Schilder und Plakate anderer Akteure über ihren Ort hinaus (Scollon & Scollon 2003) und tragen nicht zur eigentlichen Binnenstrukturierung des Raums bei, in dem sie sich befinden, sondern geben diesem Raum oder zumindest Teilen von ihm mit einer Verweisfunktion eine zusätzliche Funktion. Dieses Hinausweisen über die eigenen Grenzen wird von einem bestimmten Teil der Schilder des Akteurs Infrastruktur unterstützt (s. u.). Dabei ist das Anbringen dieser Schilder rechtlichen Vorgaben unterworfen, 75 die dazu führen, dass eine „wilde“ Beschilderung, wie sie sich historisch gezeigt hat (s. o.) vermieden wird. Gleichzeitig ziehen diese Vorgaben eine gewisse Berechenbarkeit in der Platzierung dieser Plakate nach sich, was wiederum dazu führt, dass Passanten einerseits gezielt an bestimmten Stellen nach entsprechende Plakaten und damit nach nicht an den Ort gebundenen Informationen Ausschau halten können und im Umkehrschluss bei der Wahrnehmung von Plakaten an bestimmten Stellen begründet auf deren Inhalt bzw. Funktion sowie deren Reichweite schließen können. Eine Ausnahme von der beschriebenen räumlichen Trennung von Plakat und Ort ist der eigentliche Veranstaltungsort, der als einziger die Einheit herstellt. Im Erhebungsraum ist dies insofern von Bedeutung, als die Kunsthalle in der Theatinerstraße einen solchen Ort darstellt. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung 75 Vgl. die Plakatierungsverordnung der Stadt München vom19.4.2013. In §. 1 heißt es: „Zum Schutz des Orts- und Landschaftsbildes und zum Schutze von Natur-, Kunst- und Kulturdenkmälern dürfen in der Öffentlichkeit Anschläge, insbesondere Plakate, Zettel, Schriften und Tafeln nur an den von der Landeshauptstadt München zugelassenen Anschlagsflächen (Reklame- und Plakattafeln, Plakatsäulen und -ständer sowie Schaukästen) angebracht werden.“ <?page no="132"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 133 waren alle Flächen mit großformatigen Plakaten über kommende, teilweise im Aufbau befindliche Ausstellungen verstellt (Bild 52). Bild 51: Telefonzelle Weinstraße mit Veranstaltungsplakaten. Bild 52: Plakate Kunsthalle. <?page no="133"?> 134 5 Analysen Die völlig abweichende Schildstruktur des Akteurs Kultur liegt in der weiteren Besonderheit seines Angebots begründet. Einen Wettbewerb unterschiedlicher Anbieter beim Vertrieb zweier ähnlicher oder gleichwertiger Produkte wie im Handel oder der Gastronomie existiert nicht. Auch ist das Angebot nicht mit der Deckung täglichen oder des Grundbedarfs an Nahrung und Kleidung zu vergleichen. Kulturelle Angebote sind stärker als ein zusätzliches Element in der Lebensführung zu betrachten. Die entsprechenden Angebote können, müssen aber nicht regelmäßig wahrgenommen werden, sogar ein kompletter Verzicht ist möglich. Anders als bei der Deckung von Grundbedürfnissen, geht es hier stärker um Freizeitgestaltung und damit um einen fakultativen Bereich der Lebensführung. Eine weitere Abweichung von den Schildern/ Plakaten anderer Akteure liegt in der ‚angebotenen Ware‘. Anders beim individuellen Erwerb von Waren bietet der Akteur Kultur die Teilnahme an einem Ereignis an, bei der in vielen Fällen die Herstellung des Produkts im Zentrum steht (Musik, Theater, Shows jeder Art). Gleichzeitig wird das Produkt mit vielen anderen geteilt, und es kann kein Eigentum an ihm erworben werden. Dadurch ist in diesen Fällen die Trennung von Produzent/ Produkt und Konsument im Gegensatz zu den Produkten des Handels und auch der Gastronomie nicht gegeben. Eine Ausnahme bilden hier Museen, da die Künstler der ausgestellten Werke häufig schon verstorben oder zumindest nicht präsent sind. Hier wird ein fertiges Produkt angeboten, das aber analog zu den anderen Produkten des Akteurs nicht individuell erworben werden kann und dessen Konsum in Gesellschaft anderer Personen stattfindet. Gleichwohl stehen auch hier häufig die Produzenten als identifizierbare Individuen im Zentrum, was sich auch in der Gestaltung der Plakate zeigt. Unabhängig von der Thematik wird häufig mit großflächigen Darstellungen der Produzenten geworben. Dabei wird eine dem Ereignis entsprechende Situierung vorgenommen, die das Thema der Veranstaltung zumindest grob andeutet oder dessen Nennung grafisch unterstützt (vgl. Bild 51 und Bild 52). Die Plakate der Kunsthalle werben alle mit Werken der ausgestellten Künstler, deren Namen und dem Ausstellungstitel. Als weitere Informationen sind nur noch die Ausstellungsdaten zu finden, ein Ortshinweis erübrigt sich durch die Einheit von Ausstellungsort und Ort der Plakataufhängung. Plakate, die für Veranstaltungen werben, bei denen diese Einheit nicht gegeben ist, nennen zusätzlich noch den Veranstaltungsort. Für Veranstaltungen, bei denen die Präsentation und Produktion gleichzeitig stattfinden (Lesungen, musikalische Veranstaltungen) wird häufig mit der Darstellung des Künstlers geworben (Bild 53). Im Falle von Einzelkünstlern aus dem Bereich der Klassik erfolgt dies in der Regel zusammen mit seinem Instrument. Bei moderner Musik sowie bei Bands und Orchestern sind Darstellungen üblich, die Veranstaltungsausschnitten ähneln. <?page no="134"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 135 Bild 53: Konzertplakat. Grundsätzlich gilt also, dass das Plakat aus einem Bild bzw. einer Komposition von Bildelementen besteht, die das Thema der Veranstaltung eindeutig benennen. Textuelle Elemente sind Ergänzungen, die sich einerseits um die Kerninformationen was , wann , wo drehen. Was bezieht sich dabei auf den Veranstaltungsnamen, der in Bild 53 aus dem Namen des Künstlers besteht. Zum Verständnis der Plakate des Akteurs Kultur sind in größerem Maße als bei anderen Akteuren Vorkenntnisse notwendig. Um die Ausstellungsankündigung der Kunsthalle zu Velázquez zu verstehen (Bild 52), ist es notwendig zu wissen, wer Velázquez war und was unter dem goldenen Zeitalter Spaniens zu verstehen ist. Aus beiden Informationen oder zumindest aus einer der beiden kann auf die Art der Ausstellung (Gemälde) und den Stil der Bilder geschlossen werden. Etwas anders aber doch vergleichbar verläuft die Erschließung des Plakates in Bild 53. Der Name des Künstlers dient als Bildunterschrift. Als Bildüberschrift wird die aus der Stimmlage des Künstlers abgeleitete Berufsbezeichnung verwendet, die mit einer Qualitätsangabe versehen wird. Es wird nicht angegeben, welche Stücke zum Vortrag kommen. Interessenten, die den Künstler und dessen Repertoire kennen und/ oder die Möglichkeiten, die sich aus der Stimmlage ergeben, können bestimmte Erwartungen an die Veranstaltung haben. Ein anderer Typus Schild dieses Akteurs findet sich an einigen Gebäuden der Fußgängerzone und verweist auf die historischen Dimensionen dieses Raumes. Diese Schilder erinnern an Baumeister, Daten der Umstrukturierung etc. und sind an denkmalgeschützten Gebäuden zu finden. Die in der Regel tafelartig gestalteten Schilder haben unterschiedliche Produzenten. Ist dies in vielen Fällen die Stadt, so ist im Falle des Kaufhauses Hirmer das Unternehmen als Produzent <?page no="135"?> 136 5 Analysen zu identifizieren, das an die Historie des Gebäudes und die Geschichte des Unternehmens vor Ort erinnert. Wie bereits ausgeführt, orientiert sich das Design des Schildes grundsätzlich an der Architektur des Gebäudes und nicht an der Zeit bzw. die Epoche, auf die es sich bezieht (vgl. Bild 7, Bild 9 oben) 5.2.9 Infrastruktur Dieser bisher sehr wenig berücksichtigte Akteur spielt in der Linguistic Landscape des Untersuchungsraumes eine untergeordnete Rolle. In der Fußgängerzone liegt dies an der Platzierung der Zugänge des öffentlichen Personennahverkehrs. Eingänge zur U- und S-Bahn befinden sich innerhalb des Teilerhebungsgebietes Fußgängerzone vor dem Oberpollinger, in der Kaufingerstraße und am Marienplatz. Der U-Bahnzugang am Odeonsplatz ist bereits nicht mehr Teil des Erhebungsgebietes. Die Zugänge zu U- und S-Bahn sind jeweils nur an einer Stelle markiert. Es werden die jeweils zugänglichen Verkehrsmittel (U-Bahn und/ oder S-Bahn) angegeben, woraus sich Cluster von maximal zwei Schildern ergeben können (Bild 54). Die Schilder entsprechen dabei den typischen, im ganzen Stadtgebiet bekannten Schildern: Das Schild für die U-Bahn ist ein Quadrat mit blauem Grund und großem weißen „U“, während das S-Bahn-Schild ein grüner Kreis mit weißem „S“ ist, das sich auf Einzelschildern im Außenbereich immer auf einem quadratischen weißen Schild befindet. 76 Eine Wiederholung der Logos findet sich auf Etiketten mit dem Namen der jeweiligen Haltestelle, die sich am Übergang zum Sperrengeschoss am Ende der (Roll)Treppen befinden und die nur bei einem Blick die (Roll)Treppe hinab sichtbar werden, womit nicht mehr zur unmittelbaren Linguistic Landscape der Fußgängerzone gehören, sondern einen Übergangsbereich zu einem anderen Segment des öffentlichen Raumes darstellen. Obwohl diese Haltestellenschilder in München blau sind, wird beim S-Bahn Logo auf die umgebende weiße Fläche verzichtet (Bild 55). 76 Der Begriff U-Bahn für ‚Untergrundbahn‘ (ursprünglich ‚Unterpflasterbahn‘) kam 1929 in Berlin auf. Am 1.12.1930 wurde die Bezeichnung S-Bahn (‚Stadt-/ Schnellbahn‘) durch die Reichsbahndirektion als Marke eingeführt, verbunden mit dem typischen Logo (weißes S auf grünem Grund). Das in Deutschland häufig verwendete U-Bahn-Signet (weißes U auf blauem Grund) ist nicht als Marke geschützt. <?page no="136"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 137 Bild 54: Eingang U- und S-Bahn Neuhauser Straße. Bild 55: Eingang S-Bahn Haltestelle Marienplatz auf der Kaufingerstraße. Schilder des Akteurs Infrastruktur weichen von Schildern aller anderen Akteure ab, weil sie trotz Einheit von Ort und Verweisobjekt über den Ort hinaus verweisen. So benennt das Haltestellenschild die Haltestelle, zu der der Zugang möglich ist und auch, welches Verkehrsmittel an dieser Haltestelle genutzt werden kann. Die Annahme des Angebots ist jedoch identisch mit einem Verlassen des Raumes. Die Funktion des Akteurs Infrastruktur im OEZ ist der in der Fußgängerzone sehr ähnlich, weist aber Besonderheiten auf, die sich aus der Struktur des OEZ als Einkaufszentrum/ Shopping Mall ergeben. Zunächst sind auf der visuellen Ebene Unterschiede festzustellen. Alle Infrastrukturschilder im OEZ sind orange mit schwarzer Schrift oder schwarzen Grafiken (vgl. Bild 56), was dazu führt, dass die vertrauten Farben für die U-Bahn nicht als Orientierungshilfe zur Verfügung stehen, um den Weg zur Haltestelle zu finden. Darüberhinaus sind im OEZ Hinweise aufzufinden, die in der Fußgängerzone fehlen, da diese Funktionen zumindest teilweise in die ansässigen Geschäfte verlegt sind (z. B. Toiletten). <?page no="137"?> 138 5 Analysen Seine Anlage als geschlossener ökonomischer Einheit macht im OEZ eine Informationsstruktur notwendig, die von der in offenen Räumen signifikant abweicht. So wird auf eine allgemeine Verwaltungseinheit verwiesen, sowie auf eine Kundeninformation, die als Ansprechpartner bei allen Fragen, die sich aus dem Aufenthalt im Center ergeben können, zur Verfügung steht. In der Nähe der Eingänge zum OEZ befinden sich interaktive Lagepläne (Bild 57), aus denen Kunden die Position einzelner Geschäfte sowie der Parkmöglichkeiten und der Zugänge zur U-Bahn ersehen bzw. diese suchen können. Derartige Lagepläne gibt es für Innenstadtbereiche nicht. Bild 56: Schild mit Infrastrukturhinweisen OEZ Untergeschoss. Bild 57: Interaktiver Plan des OEZ. Bild 58: U-Bahn Schild OEZ in der Ladenfläche Wöhrl. <?page no="138"?> 5.2 Sprache, Sprachen, Schilder 139 Wie aus dem Center Plan (Bild 57) zu ersehen ist, liegt der Zugang zur U3 unter der Ladenfläche der Modekette Wöhrl. Solche Zugangsstrukturen führen dazu, dass Hinweisschilder für die U-Bahn als Schilder des Akteurs Infrastruktur innerhalb der Ladenflächen angebracht sind und eine transgressive Struktur entsteht, bei der Schilder eines Akteurs innerhalb der Flächen eines anderen Akteurs zu finden sind (Bild 58). Insgesamt zeigen die Analysen, dass eine Linguistic bzw. Semiotic Landscape in ihrer Struktur wesentlich nicht nur durch rechtliche Vorgaben zur Außenwerbung oder von Sprachgesetzen beeinflusst werden, sondern auch von ihrer jeweils spezifischen Komposition. Unterschiedlichen Akteuren können bestimmte, jeweils typische Formen der (Selbst)Präsentation im öffentlichen Raum zugewiesen werden. Ihr jeweiliger Anteil an einer gegebenen Linguistic bzw. Semiotic Landscape hat dadurch essentiellen Einfluss auf deren tatsächliches Erscheinungsbild. Dabei weisen gerade die Anteile der Akteure Dienstleistung und Kirche eine hohe Stabilität über die Zeit hinweg auf. Diese Akteur-spezifischen Präsentationsformen können möglicherweise landesspezifische Abweichungen aufweisen, so dass sie sich in unterschiedlichen Ländern/ Regionen in unterschiedlicher Weise auf die Linguistic/ Semiotic Landscape auswirken. Eine Typologie der Akteur-spezifischen Formen sowie eine landesspezifische Typologie der Akteure in verschiedenen, nicht nur urbanen Räumen würde eine systematischere Darstellung und Interpretation vorgefundener Linguistic Landscapes ermöglichen 77 . Das Erkennen der Nutzung und der Struktur des (primär ökonomisch genutzten) öffentlichen Raumes ist auch Ergebnis der in Kapitel 2 und 3 dargestellten historischen Entwicklungen im gesellschaftlichen und ökonomischen Bereich (Konsumgesellschaft, Wirtschaftswerbung, Entstehung von Markenprodukten), die die Basis für die Ausprägung moderner öffentliche Räume bilden. In welchem Umfang dies nicht nur auf die Verwendung von Sprache und Sprachen, sondern auch auf besondere Werbeformen wie das Schaufenster und die Interaktion einzelner Schilder zutrifft, wird im folgenden Kapitel untersucht. 77 Der Autorin ist bewusst, dass die Erstellung solcher Typologien, idealerweise in einer Datenbank, das Machbare weit übersteigt. Eine Teilumsetzung einzelner Bereiche kann jedoch als Desiderat beschrieben werden. <?page no="139"?> 140 5 Analysen 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum Das vorhergehende Kapitel hat sich schwerpunktmäßig mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen von Schildern beschäftigt. Neben der Form der Schilder wurde der Fokus auf die über sie in den öffentlichen Raum getragene Sprache gelegt. Die Identifikation von bestimmten Akteuren ermöglichte eine grobe Typologisierung von Schildtypen hinsichtlich ihrer Verwendung durch bestimmte Akteure, womit sich für Schildtypen wiederum bestimmte Funktionen ergaben. Da diese nicht isoliert aus dem Schild heraus abgeleitet werden können, werden in diesem Kapitel die Interaktion der unterschiedlichen Schildtypen, ihre Position und ihre Funktion sowohl für den einzelnen Produzenten als auch für die Branche und im Zusammenspiel für die Konstruktion und Interpretation des öffentlichen Raums durch seine Nutzer im Zentrum stehen. 5.3.1 Schilder und Räume Nasenschilder sind wegen ihrer Position entlang der Sichtachsen von Passanten gut wahrnehmbar und sind seit dem Mittelalter prägend für die Markierung von Orten handwerklicher und gastronomischer Leistung (vgl. auch Fn. 64). In ihrer frühen Form bestanden Nasenschilder im handwerklichen Bereich aus Zunftzeichen, ließen also keinerlei Rückschlüsse auf den Inhaber des Betriebs zu (vgl. Schmidt 1992). Das Zunftzeichen seinerseits zeigte nicht nur das Gewerk an und damit die angebotenen handwerklichen Leistungen allgemein, sie garantierten auch einen bestimmten Standard hinsichtlich der Qualität, der Ausführung und der Dienstleistung. Die Nasenschilder waren also reine Informationsschilder bezüglich der Warengruppe und bestimmter, normierter Dienstleistungen, die durch die Zunft vorgegeben waren. Da nur Zunftmitglieder angebotsberechtigt waren, war Konkurrenz nicht nur überschaubar, sondern auch durch den regulierten Zugang zu den Zünften kontrollierbar. Damit war eine Konkurrenzsituation wie sie mit der späteren Liberalisierung der Wirtschaftsordnung (vgl. Kapitel 2.3) einherging nicht gegeben. Entsprechend war die Reichweite dieser Schilder eine andere. Sie standen nicht für einen bestimmten Anbieter und seine individuellen Leistungen, sondern wiesen den Anbieter als Teil einer Gruppe aus, die über Art und Umfang des Angebots bestimmte. Heutige Nasenschilder sind im Gegensatz dazu Firmenschriftzüge und/ oder Logos und damit Zeichen individueller Anbieter mit einem selbst bestimmten Angebot an Waren und Dienstleistungen. Diese können innerhalb der gleichen Branche oder ihren Teilgebieten unterschiedlich stark von einander abweichen, wobei sich die Abweichung auf unterschiedliche Bereiche (z. B. Warensegment, <?page no="140"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 141 Preisklasse, Zusatzleistungen) erstrecken kann. Damit sind moderne Nasenschilder nicht Zeichen einer normierten Dienstleistung, deren individueller Erbringer hinter extern vorgegebenen Regeln zurück tritt, sondern Zeichen individueller Anbieter mit einem individuellen Angebot, dessen Umfang über Marktmechanismen mit Wettbewerbern und Kunden ausgehandelt wird. Kontinuität ist damit nur in der Form und Wahrnehmungsmodus der Schilder, aber nicht in ihrer Reichweite und ihrer Konnotation gegeben. Ähnlich, aber weniger vom Wandel in der Wirtschaftsordnung geprägt und damit historisch kontinuierlicher ist die Bedeutung von Nasenschildern im Bereich der Gastronomie, in der es seit dem Mittelalter üblich war, Gasthöfe mit einem Kranz über dem Eingang zu markieren. Gleichzeitig trugen Gasthäuser schon früh Namen, die sich auf den Standort ( Zur Linde ), eine Funktion ( Gasthof zur Post ) und ähnliches bezogen. Diese Namen wurden in Nasenschilder bzw. Auslegern grafisch dargestellt. Diese Tradition hat sich bis heute erhalten, so dass viele Gasthäuser über entsprechende Schilder verfügen (vgl. beispielhaft Bild 59). Der Unterschied zum Handel besteht darin, dass kein wesentlicher Wandel in der Bedeutung der Schilder erfolgt ist, sondern die Struktur vergleichsweise stabil ist. Allerdings fehlen diese Nasenschilder heute auch bei traditionsreichen Häusern, sind also nur eine Option der Außenpräsentation des Akteurs. Bild 59: Nasenschild Gastronomie 78 . 78 Die Abbildung ist rein illustrierend gemeint. Sie entstammt nicht dem Korpus, da dieses keine entsprechenden Belege beinhaltet. Es handelt sich um das Nasenschild der Gast- <?page no="141"?> 142 5 Analysen Der Blick entlang einer Straße mit Nasenschildern und ggf. Etiketten führte also zu Zeiten des Zunftwesens zu anderen Informationen als dies heute der Fall ist. Zu Zunftzeiten konnte ein Nasenschild den Wahrnehmenden darüber informieren, dass in einer Straße ein Schreiner, ein Goldschmied und ein Schneider ansässig waren. Daraus konnte er auf bestimmte Leistungen schließen, die in ihrer konkreten Form im Rahmen der Zunftvorgaben auszuhandeln waren (Größe und Material des Möbels oder Schmuckstück; Form, Farbe und Stoff eines Kleidungsstücks). Die Basisinformation war also nur „Hier gibt es Dienstleistung XY“ oder „Hier werden Produkte XY“ hergestellt, womit eine gewisse Ähnlichkeit zur Informationsstruktur des Akteurs Dienstleistung gegeben ist (s. o.). Eine emotionale Aufladung wie sie bei modernen Marken möglich ist, und die zum Storytelling der Marke gehören, war nicht möglich. Der Blick entlang einer der Straßen der Fußgängerzone vermittelt deutlich mehr Informationen. So wird über die Firmenschilder nicht nur die Branche, sondern auch die Zielgruppe angesprochen (Mode, für Männer, Frauen, junge Leute, günstig, teuer, Freizeitbzw. Outdoor-Mode, Abendmode etc.). Dabei vereint jedes Firmenschild/ Logo seine individuelle Zusammenstellung dieser einzelnen Parameter auf sich. Die zusätzlich angestrebte Identifikation der Kunden mit einer Marke über weiche Faktoren wie Lifestyle wird über das Firmenschild/ den Firmennamen sowohl transportiert als auch mit diesem assoziiert. Damit ist die Wahrnehmung eines modernen Firmenschildes ein komplexer psychologischer Vorgang, der den Prozess der Identifizierung des Raumes als ökonomisch genutzt ergänzt (Bild 60). Dabei gilt das Gesagte nicht nur für Nasenschilder, sondern auch für Etiketten, die mit Nasenschildern in der Regel inhaltsgleich sind. Im Untersuchungsraum gilt darüber hinaus, dass Etiketten trotz ihrer Lage parallel zum Straßenverlauf häufig aufgrund ihrer Größe eine ebenso gute Sichtbarkeit haben wie Nasenschilder und vor allem an historischen, denkmalgeschützten Gebäuden sowie an Arkaden allein auftreten. stätte Adlerbräu in Gunzenhausen, deren Name durch den Adler, durch das Ensemble Gerste und Hopfen sowie durch einen Braubottich (in den Krallen des Adlers) (> Bräu ) repräsentiert ist. <?page no="142"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 143 Bild 60: Blick entlang der Kaufingerstraße, Bildausschnitt. Plakate und Plaketten spielen in diesem Kontext eine zu vernachlässigende Rolle. Die klassischen Orte der Befestigung bzw. Aufstellung oder Aufhängung dieses kleineren Schildtyps sind in oder auf Schaufenstern oder Fassadenteilen, was zu einer stark reduzierten Sichtbarkeit führt und eine Betrachtung der jeweiligen Fläche voraussetzt. Eine Ausnahme bilden hier Litfaßsäulen und damit vor allem die Plakate des Akteurs Kultur , die aufgrund ihrer Höhe aus der Entfernung besser gesehen werden können, allerdings ohne eine eindeutige Identifizierbarkeit der Inhalte der Plakate zu ermöglichen. Ein weiterer, im Erhebungsraum nur selten angetroffener Schildträger sind A-Schilder bzw. Kundenstopper. Durch ihre Positionierung am Boden sind sie erst aus unmittelbarer Nähe wahrzunehmen und können auch dann durch andere Passanten verdeckt werden. Mit der Entwicklung der Konsumgesellschaft, der Markenprodukte und der Wirtschaftswerbung eng verbunden ist auch das Schaufenster als Werbemedium und das Placemaking (vgl. Kapitel 2.2, 2.3 und 3.2). Beide Parameter haben nicht nur einen sprachlichen sondern auch einen dezidiert visuellen Aspekt, der ebenfalls signifikant zur Struktur öffentlicher Räume beiträgt und deren Erkennen und Zuordnung ermöglicht oder zumindest fördert. Neben dem Nasenschild mit seiner doppelten Funktion der Identifikation eines bestimmten Händlers/ Labels und der Raumnutzung tritt das Schaufenster mit ähnlichen Aufgaben. Aus der Entfernung bzw. beim Blick entlang einer Straße sind Schaufenster aufgrund ihrer Größe zwar nicht mit ihrem Inhalt aber <?page no="143"?> 144 5 Analysen in ihrer Form zu identifizieren. Aus der gleichzeitigen Wahrnehmung beider Elemente ergibt sich eine starke Hypothese über die Nutzung des Raumes, da jedes der beiden Elemente für sich genommen bereits diese Hypothese auslöst, die durch das andere Element bestätigt wird. Ist dann zusätzlich eine Etikette sichtbar, ergibt sich hieraus eine weitere Bestätigung (Bild 61). Bild 61: Ensemble aus Nasenschildern, Etiketten und Schaufenstern. Schilder und Informationsstrukturen der Akteure Kirche und Dienstleistung spielen in dieser ersten Annäherung eines Passanten an einen öffentlichen Raum über diese Akteur-spezifischen Zeichenstrukturen nur eine untergeordnete Rolle, da eine unmittelbare Sichtbarkeit über diese Zeichenstrukturen nicht gegeben ist. Wie genau diese Akteure an der Konstruktion des öffentlichen Raumes und seiner vollständigen Interpretation beteiligt sind, wird in den jeweiligen Kapiteln besprochen. <?page no="144"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 145 5.3.2 Sehflächen: Varianten und Aneignung Sehflächen 79 sind eine typische Präsentationsform des öffentlichen Raums und umfassen zunächst mehrschichtige, das Bild des Erhebungsraums prägende Schaufenster des Akteurs Handels , können aber je nach Lage, Größe des Objekts und gestalterischer bzw. architektonischer Einflüsse auch nebenliegende Strukturen des gleichen oder eines anderen Produzenten umfassen. Eine Sehfläche entspricht dabei dem, was gemäß der 24-Feet-Regel aus diesem Abstand (ca. 7,30 Meter) wahrgenommen werden kann. Dabei wird die Sehfläche von der optischen Zusammengehörigkeit der zu erfassenden Flächen bestimmt, unterliegt also bereits einer gewissen Lenkung der visuellen Wahrnehmung. Nach der 24-Feet-Regel aus dem Marketing soll ein Schaufenster so gestaltet sein, dass aus dieser Entfernung alle Elemente gut zu erkennen sind. Da jedoch Schaufenster- und Gebäudegrößen im Erhebungsraum sehr variabel sind, ergibt sich aus dieser Entfernung, dass gerade bei schmaleren Einheiten benachbarte Strukturen ebenfalls erfasst werden (s. u.). Von ihrer Struktur her sind Schaufenster, die häufig alleiniger oder zumindest prägender Teil von Sehflächen sind, in drei potentiell informationstragende Ebenen aufzuteilen: 1. Die erste Ebene ( Rückenmodul ) entspricht dem Bauteil oder Modul, dass das Schaufenster zum Laden hin abschließt. Dieses kann eine neutrale Trennwand sein, oder ein Teil der Schaufenstergestaltung, ist dann aber kein Teil einer aufgebauten Szene. Dieses Modul ist optional und kann auch fehlen, womit der Blick in das Ladeninnere frei gegeben ist. 2. Die zweite Ebene ( Mittelteil ) umfasst den Teil des Schaufensters in dem die eigentliche Warenpräsentation stattfindet. Diese kann auf unterschiedliche Art erfolgen und von einer einfachen Ausstellung von Produkten bis zum Aufbau komplexer thematischer Szenen reichen. 3. Die Fensterfläche als dritte Ebene als Abschluss zur Straße kann in ihrer Interpretation als Übergangsbereich von Innen nach Außen (vgl. Kapitel 2.2, Klamt 2007) mit unterschiedlichsten Informationen versehen werden. Diese drei Ebenen des Schaufensters weisen spezifische Schildstrukturen und eine spezifische Sprachdichte auf und können in unterschiedlicher Weise 79 Schmitz (2011: 25) definiert Sehflächen als „Flächen, auf denen Texte und Bilder in geplantem Layout gemeinsame Bedeutungseinheiten bilden“ und zählt hierzu u. a. „Zeitungen, Zeitschriften, Buchseiten, Geldscheinen, Flyern, Ansichtskarten, Plakaten, Wegweisern, Schaufenstern, Bildschirmen, Webseiten, T-Shirts [und] Warenverpackungen“. Schmitz (2015: 102) betont dabei: „„[Sehflächen] integrieren Bild und Text zu bedeutungstragenden Gestalten. Dabei koalieren sprachliche mit bildlichen Elementen und nehmen teilweise Eigenschaften des anderen Modus an.“ <?page no="145"?> 146 5 Analysen miteinander verknüpft werden. Aus diesen Verknüpfungen können maximal zwei unterschiedliche Aussagen abgeleitet werden, wobei diese zumindest eine basale Gemeinsamkeit aufweisen, die in darin besteht, dass sie auf Angebote etc. des gleichen Sign -Produzenten hinweisen. Die Verknüpfung kann sowohl sprachgebunden als auch sprachfrei sein und dabei neben der präsentierten Ware unterschiedliche Schildtypen umfassen. Damit wird es möglich z. B. über die gezielte Kombination von sprachfreien Schildern und Text und ggf. unter Überbrückung von Raum eine Gesamtaussage zu produzieren, die auf einem Schild unter den gegebenen Umständen nicht zu realisieren gewesen wäre (Verdeckung der Fensterfläche durch Bilder/ Grafik, schlechte Lesbarkeit von Text auf Schildern im Hintergrund etc.). Die folgende Abbildung fasst die drei Ebenen des Schaufensters mit seinen jeweiligen Basiselementen überblicksartig zusammen: Abbildung 9: Ebenen ‚Schaufenster’ Ebene 1: Rückenmodul, Hintergrund; kann fehlen dann Blick in den Laden • großflächiges Plakat zur Warenpräsentation • Bauelement zu Szene • neutrales Bauelement • Element zur Fensterfläche • spracharm Ebene 2: Mittelteil, Warenpräsentation, Szene • Warenpräsentation als Szene oder andere Formen • Deko-Elemente • Plakate, Plaketten, Aufsteller • geringes inhaltsbzw. szenenspezifisches Sprachaufkommen Ebene 3: Fenster-, Glasfläche • Plaketten, nicht schildgebundene Sprache • Abschluss zur Straße, Zugang zum Fensterinhalt • grafische Elemente • mittleres Sprachaufkommen • Bezug Szene oder externer Anlass • Bezug Rückenmodul Abbildung 9: Ebenen ‚Schaufenster‘. <?page no="146"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 147 Dieses Grundmodell der Interaktionsebenen eines Schaufensters gilt vornehmlich für den Akteur Handel und ist in stark variierter und vereinfachter Form auch beim Akteur Gastronomie zu finden. Die erweiterte Version des Modells umfasst bei kleinen Einheiten noch zusätzliche Elemente. Dies sind zum einen weitere Sehflächen des selben Sign -Produzenten, so dass mehrere, in der Regel zwei Einheiten eine gesamte Sehfläche ergeben. Zum anderen sind dies Schilder anderer Akteure, die sich in unmittelbarer Nähe des Schaufensters und damit im Randbereich der Sehfläche befinden. Diese Bereiche sind von Größe und Position derart, dass sie nicht als eigenständige Sehfläche gewertet werden können. Nachstehendes Bild 62 illustriert diese Sonderform und zeigt gleichzeitig das häufig beobachtete Phänomen, dass die Zusammengehörigkeit der einzelnen Elemente mit gestalterischen Mitteln in Form von ‚Rahmungen‘, hier die graue Steineinfassung, betont wird. Bild 62: Sonderform ‚Sehfläche‘. Gleich bleibt bei allen Sehflächen, dass die Informationsstruktur ‚fensterweise‘ angelegt ist. Verweise auf nebenstehende Fenster sind zumindest im vorliegenden Korpus nicht gegeben. Für die Verknüpfung der einzelnen Ebenen eines Schaufensters haben sich aus den Daten fünf unterschiedliche Varianten ergeben. Diese werden nachstehend in ihrer allgemeinen Verknüpfungsstruktur beschrieben und in jeweils einer Beispielanalyse aus einem der beiden Teilerhebungsräume erläutert. Es werden keine Werte für die Verteilung der einzelnen Varianten ermittelt, da die Beobachtung des Erhebungsraums ergab, dass diese sehr variabel sind und <?page no="147"?> 148 5 Analysen durch die häufige Umgestaltung von Schaufenstern sowie dem raschen Wechsel von Kollektionen und jahreszeitlichen Aktionen (Muttertag etc.) starken Schwankungen unterworfen sind. Es ist nicht möglich, einem Sign -Produzenten eine Präferenz für ein bestimmtes Verfahren zuzuweisen. Es ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass die mehrfache Präsenz einzelner Unternehmen bei identischer Schaufenstergestaltung aller Filialen zu einer geringeren Varianz in der gesamten Informationsstruktur führt und die Aneignungsleistung für den Wahrnehmenden verringert. Variante 1: Unabhängige Elemente Variante 1 zeichnet sich dadurch aus, dass jedes die drei Elemente Rückenmodul, Mittelteil, Glasbzw. Fensterfläche unverbunden nebeneinander stehen, bzw. das Rückenmodul ganz fehlt. Abbildung 10: Beispiel ‚Schaufenster Variante 1’ Ebene 1: Rückenmodul • neutrales Bauelement • schließt das Fenster zum Laden hin ab • sprachfrei • kein Beitrag zur Informationsstrukur Ebene 2: Mittelteil • Warenpräsentation mit 3 Schaufensterpuppen in verschiedenen Positionen: informationstragend • Sitzwürfel • Gemäldeartiges großformatiges Dekoelement hinter den Schaufensterpuppen • sprachfrei Ebene 3: Fenster-, Glasfläche • schildfrei • sprachfrei • kein Betrag zur Informationsstruktur • Abschluss zur Straße hin Abbildung 10: Beispiel ‚Schaufenster Variante 1‘. <?page no="148"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 149 Dieses Schaufenster wird von den Schaufensterpuppen dominiert, die sich durch die Farbgebung stark sowohl vom weißen Hintergrund als auch vom graublau-braunen Deko-Element hinter ihnen abheben. Das beworbene Produkt (Strumpfwaren) befindet sich am unteren Ende des Schaufensters als Teil der Kleidung der Schaufensterpuppen. Es wird nicht gesondert darauf hingewiesen. Die strichartigen Elemente auf dem Deko-Element mögen auf Beine verweisen, ihre intendierte Bedeutung bleibt allerdings unklar. Das Fenster weist keinerlei Plaketten oder schildungebundene Schrift auf und fungiert lediglich als Abschluss zu Straße bzw. als Möglichkeit in das Schaufenster hinein zu schauen. Der Prozess der Aneignung wird im vorliegenden Beispiel über die im Vergleich zum Umfeld auffällige Gestaltung der Auslage gesteuert, erfolgt also im Sinne von Itti & Koch (2000; vgl. Kapitel 3.2) als salienzgestütztes bottom-up- Verfahren. Die Komposition dient als Zugang zur Warenpräsentation, die dann über die genaue Betrachtung der Auslage erfolgt. Da die Auslage selbst sprachfrei ist, bleibt die Aussage auf die der gezeigten Produkte beschränkt. Eine weitergehende Aneignung dieser im Grunde monomodalen Präsentation kann nur über Kontextwissen erfolgen, das in diesem Fall allerdings außerhalb der Sehfläche angeordnet ist und sich auf den Firmennamen ( Wolford ) bezieht. Ist dieser als Produzent von Strumpfwaren bekannt, erfolgt eine weitergehende Interpretation, da die gezeigten Produkte dann nicht mehr nur als Strumpfwaren, sondern als Strumpfwaren einer bestimmten Firma identifiziert und bei ausreichendem Kontextwissen entsprechend aufgeladen werden. In diesem komplexeren Schritt der Aneignung, wird der Text ‚Wolford‘ zum mit unterschiedlichen Attributen versehenen Konzept WOLFORD. Das Ergebnis dieser von Schnotz et al. (2003) als deskriptiv bezeichneten Verarbeitung von Text wird mit der depiktiven Verarbeitung der Warenpräsentation im Schaufenster als bildlicher Darstellung abgeglichen. Die Interaktionsrichtung und -tiefe, also die Frage, ob zuerst das Schaufenster und dann der an anderer Stelle angebrachte Firmenname verarbeitet wird, ob dieser Prozess andersherum verläuft oder ggf. gar nicht stattfindet und es bei der Wahrnehmung des Schaufensters bleibt, hängt vom individuellen Verhalten des Betrachters ab und kann schon von seiner Laufrichtung beeinflusst werden, also ob zuerst das Schaufenster seinen Wahrnehmungsraum erreicht. Variante 2: Verknüpfung Ebene 1 und 2 Bei dieser Variante entsteht die Gesamtaussage aus dem Zusammenspiel der Ebenen 1 und 2. Dabei kann Ebene 3 eine eigenständige weitere Information beinhalten oder informationsfrei als reines Zugangselement gestaltet sein. Als Beispiel soll hier Abbildung 12 unten dienen: <?page no="149"?> 150 5 Analysen Abbildung11: Beispiel ‚Schaufenster Variante 2’ Ebene 1: Rückenmodul • großes Plakat mit Rückansicht einer Person in Jeans. Farben rot und schwarz • Unterhalb des Gesäßes Firmenname in weiß • schließt das Fenster zum Laden hin ab • informationstragendes Element Ebene 2: Mittelteil • Warenpräsentation mit 2 Schaufensterpuppen (1 männlich, 1 weiblich) • an der Querseite (im Bildausschnitt nicht zu sehen, vgl. aber rechten Rand auf dem Bild Ebene 3): Liste mit den erhältlichen Jeansmarken • beide Elemente informationstragend Ebene 3: Fenster-, Glasfläche • schildfrei • sprachfrei • kein Betrag zur Informationsstruktur • Abschluss zum Weg hin • Einblick in das Fenster Abbildung 11: Beispiel ‚Schaufenster Variante 2‘. Die text- und bildbasierte Information in diesem Schaufenster setzt sich aus vier Elementen zusammen, von denen jedes für sich eine Aussage hat, die aber zusammen eine erweiterte Gesamtaussage ergeben. Das Schild des Rückenmoduls stellt grafisch den Unternehmensgegenstand ( Jeansmode) dar. Unterhalb des Gesäßes verläuft quer über das Plakat der Firmenname, so dass Branche und Name miteinander verbunden werden (‚Leos‘ + ‚Jeans‘). Die weibliche und männliche Schaufensterpuppe zeigen an, dass Mode für beide Geschlechter angeboten wird und präsentieren eine Auswahl des aktuellen Angebots, des Modestils und der Zielgruppe. Diese Angebotspräsentation wird erweitert durch das Schild, das an der rechten Schmalseite des Schaufensters angebracht ist. Dort werden alle im Sortiment vertretenen Labels aufgeführt, so dass die Gesamtaussage heißen könnte: „ Dies ist eine Filliale von Leos. In dieser kann (lässige? , coole? ) Jeansmode für Damen und Herren folgender Labels gekauft werden “. <?page no="150"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 151 Die beiden informationstragenden Elemente des Mittelteils können miteinander ohne das Rückenmodul und jeweils unabhängig von einander mit dem Rückenmodul zu jeweils eigenen Aussagen kombiniert werden: Abbildung 12: Beispielanalyse ‚Variante 2‘. a. Schaufensterpuppen und Seitentafel: ‚Hier gibt es Jeans für Damen und Herren der folgenden Labels: ‘ b. Rückenmodul + Schaufensterpuppen : ‚Bei Leos gibt es Jeans für Damen und Heeren‘. c. Rückenmodul + Seitentafel : ‚Bei Leos gibt es Jeans folgender Labels: .‘ Aussage a) ist dabei vor allem auch für solche Betrachter von Bedeutung, die Leos als Unternehmen nicht kennen und den Namen auf dem Plakat nicht als Firmennamen erkennen. Aussage b) setzt voraus, dass Leos als Firmenname bekannt ist, aber möglicherweise Unklarheit über den Unternehmensbereich herrscht, die mit Aussage b) sehr allgemein ausgeräumt wird. Aussage c) geht von einem ähnlichen Wissensstand aus, legt aber den Schwerpunkt auf die Beschreibung des Sortiments und nicht des Kundenkreises. <?page no="151"?> 152 5 Analysen Abbildung 13: Aneignungswege (Beispiel Leos). Auch im vorliegendem Beispiel erfolgt die Aneignung primär über Salienz und damit nach dem top-down Muster. Das Plakat (i) im Hintergrund ist durch Farbe und Lichtführung so auffällig, dass es die Schaufensterpuppen dominiert. Die komplexe Konstruktion des Plakats aus Firmennamen und Warensegment wird aus der Entfernung und auch bei Betrachtung der Schaufensterpuppen (ii) nicht unmittelbar wahrgenommen, da die stilisierte schwarz-rote Darstellung der Jeans nach unten in eine einheitliche rote Präsentationsfläche für die Schaufensterpuppen übergeht. Die Wahrnehmungsreihenfolge ist wahrscheinlich ebenfalls Salienz-geleitet und geht vom Plakat (i) auf die Schaufensterpuppen (ii) und dann erst auf die Liste der Labels an der rechten Querseite des Mittelteils (iii). Nach Erreichen der Stufe (ii) kann der Wahrnehmungsprozess unterbrochen oder wegen der eingeschränkten Sichtbarkeit der Labelliste vom Wahrnehmenden auch als abgeschlossen betrachtet werden. <?page no="152"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 153 Die Funktion der Sprache ist in diesem Beispiel im Wesentlichen auf Information beschränkt. Entsprechend kann ein Mapping von deskriptiven und depiktivern Elementen nur eingeschränkt erfolgen. Die Liste der Label im Sortiment ist rein informativ und evtl. mit der Kleidung der Schaufensterpuppen abgleichbar, wobei dieses Mapping nur sehr rudimentär erfolgen kann, da die Schaufensterpuppen nur Kleidung von maximal vier der genannten Labels zu tragen in der Lage sind (2 Oberteile, 2 Jeans). Es kann also nur ganz allgemein ein Mapping <Kleidungsart/ -stil> ≙ <Labels> insgesamt vorgenommen werden. Der Firmenname auf Ebene 1 informiert einerseits über den Nutzer der Ladenfläche. Andererseits kann aber angenommen werden, dass der Firmenname mit spezifischen Konnotationen verbunden ist, die gegebenenfalls durch die Grafik unterstützt werden. Ein weiterer Abgleich im Sinne eines Mappings kann dann über die Plakatgrafik (i) mit der Labelliste (iii) erfolgen. Aber auch dieses Mapping erfolgt auf einer sehr basalen Ebene und könnte nur eine Hosenart mit Herstellern also <Jeans> ≙ <Jeanslabels> abgeglichen werden. Der Umfang dieses Mappings ist stark vom individuellen Wissen des Wahrnehmenden abhängig, da der Erfolg des Mappings von der Kenntnis der genannten Labels abhängt. Variante 3: Verknüpfung Ebene 2 und 3 Bei dieser Variante (vgl. Abbildung 15) finden sich alle Teil- und Gesamtaussagen auf den Ebenen 2 (Mittelteil) und 3 (Fenster-, Glasfläche). Auch hier gilt, dass die nicht an der Verknüpfung beteiligte Ebene eigenständige Informationen liefern kann. Allerdings ist ein solcher Fall für Variante 3 im vorliegenden Korpus nicht dokumentiert. Eine Verknüpfung von Informationen der Ebenen 2 und 3 geht in der Regel mit einer dichten Nutzung und Vernetzung beider Ebenen einher. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass das Rückenmodul der Ebene 3 in solchen Informationsanordnungen nur noch eingeschränkt zu sehen ist, was sich negativ auf die Wahrnehmbarkeit einer weiteren unabhängigen Information auswirkt. Die nachstehende Beispielanalyse geht nicht nur auf das Zusammenspiel der Ebenen 2 und 3 ein. Die Informationsstruktur der Ebene 2 ist für sich genommen ein komplexes multimodales Aggregat, bei dem neben der situierten Verwendung von Sprache/ Schrift sowie Schaufensterpuppen auch ein digitales Bild zum Einsatz kommt. Das Bild steht sowohl thematisch als auch durch die sich wiederholende Präsentation eines Produktes in einer mehrfachen Beziehung zu den beiden Schaufensterpuppen. <?page no="153"?> 154 5 Analysen Abbildung 14: Beispiel ‚Schaufenster Variante 3’ Ebene 1: Rückenmodul • nicht vorhanden • über und neben dem Mittelteil Blick in den Laden Ebene 2: Mittelteil • Im Hintergrund Screen mit Strandszene (mit Model) • rechts davor 2 Schaufensterpuppen im Bikini • Links und rechts am Rand, die Szene aus Model und Puppen einrahmend "Wegweiser" • Alle Elemente informationstragend Ebene 3: Fenster-, Glasfläche • schildungebundene Sprache • Name der aktuellen Werbekampagne in 2 Versionen • gewährt zusätzlich an der Szene vorbei Einblick in den Laden • Alle Elemente informationstragend Abbildung 14: Beispiel ‚Schaufenster Variante 3‘. Die Konstruktion der Gesamtaussage erfolgt in diesem Beispiel in zwei Stufen, da die Szene im Mittelteil ‚verstanden‘ werden muss, um mit der Aussage in Ebene drei in Verbindung gebracht zu werden. Der Text auf der Fensterfläche kann auf zwei Weisen mit der Szene in Beziehung gesetzt werden: Er kann einerseits als Überschrift und damit als Einstieg in die Interpretation der Szene dienen, kann aber auch als Bildunterschrift dienen und wäre in dieser Funktion dem Bild untergeordnet (s. u.). Der Mittelteil (Ebene 2) wird von dem großflächigen Bild auf dem Screen dominiert, das den Hintergrund der Szene bildet und vermutlich Teil einer größeren, vor allem im Internet verbreiteten Werbekampagne ist (s. u.). Durch die leuchtenden Farben ist diese Darstellung auch aus der Entfernung sehr auffällig. Alle Elemente der Szene sind in ihrer Position an diesem Bild ausgerichtet. Das Bild zeigt einen weißen Sandstrand mit türkisblauem Meer im Hintergrund und spricht damit prototypische und idealisierte Vorstellungen eines Strandes an. <?page no="154"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 155 Das groß im Vordergrund positionierte Model trägt einen lilafarbenen Bikini und blickt nach rechts unten. In Richtung dieses Blickes mit entsprechender Neigung des Kopfes sind nebeneinander zwei Schaufensterpuppen platziert. Die erste in einem grünen Bikini und stehend, womit ihr Kopf ungefähr auf Schulterhöhe des Models auf dem Bild endet. Auch die Schaufensterpuppe hat den Kopf nach rechts unten geneigt, so dass der Blick auf die zweite Schaufensterpuppe gelenkt wird, die neben der ersten kniet und den Kopf nach hinten zum Bild gewendet hat. Es entsteht also ausgehend vom Bild eine Blickkaskade nach unten und von Model zu Puppe zu Puppe. Dabei entsteht eine Klammer zwischen dem Model und der knienden Puppe, die beide den gleichen Bikini tragen. Eingerahmt wird diese sprachfreie Strandszene von zwei nahezu identischen Wegweisern in unterschiedlicher Größe. Diese Wegweiser bestehen aus sechs übereinander angeordneten Schildern, deren Form verwittertes Holz simulieren soll. Das zweite Schild von oben weicht dabei in Form (oval) und Inhalt von den anderen Schildern ab, da es das Firmenlogo enthält. Alle anderen Schilder sind in ihrer Form so gestaltet, dass sie erkennbar rechteckig gewesen sein sollen. Auffällig ist, dass das oberste Schild stark an eine Pfeilform erinnert und Richtung Bild weist. Der größere dieser beiden Wegweiser steht am linken Bildrand, während der deutlich kleinere am rechten Bildrand steht. Das oberste Schild mit der Aufschrift „WELCOME“ ist leicht nach rechts oben geneigt und zeigt so auf das Model. Auf dieses Schild folgt das Firmenlogo. Danach folgt ein gelbes Schild mit der Aufschrift „CALIFORNIA“ und einem Pfeil nach links und somit aus der Szene hinaus. Nach unten folgt dann ein grünes Schild mit gelber Schrift „TIME TO CHILLAX“. Damit ist das Thema der Szene gesetzt. Die Aufschrift auf dem nächsten Schild lautet „TO THE BEACH“ auf einem himbeerfarbenen Schild mit weißer Schrift und einem Pfeil nach rechts, wobei der Pfeil durch die Positionierung des Wegweisers auf die Strandszene des Bildes zeigt. Der Wegweiser schließt mit einem rosafarbenen Schild mit der grünen Aufschrift „MIAMI“ zusammen mit einem Pfeil nach rechts ab. Die genannten Orte, Richtungspfeile und Richtungsangaben („to the beach“) stehen in nur in einem mittelbaren Zusammenhang. Kalifornien ist nicht direkt für seine Strände bekannt, wohl aber für einen ‚entspannten‘ Lebensstil und sonniges, warmes Wetter, was möglicherweise die Reihenfolge der Schilder beeinflusst haben mag. Miami wiederum ist neben dem Wetter für seinen Strand bekannt. Alle Schilder können also mit dem Motto der Szene („time to chillax“) als auch der dargestellten Szene in Verbindung gebracht werden. An diese Szene knüpft dann der nichtschildgebundene Text auf Ebene 3 (Fensterfläche) an. Dieser ist über dem kleinen Wegweiser so positioniert, dass er am rechten Rand der Szene einen Abschluss bildet. Durch die leicht schräge Führung der Schrift von links unten nach rechts neigt sich der Text der Szene <?page no="155"?> 156 5 Analysen in Ebene 2 zu. Der Text erscheint zweimal in leicht abgewandelter Form. Der obere „ENDLESS SUMMER“ kann als Auslöser des Mottos der Szene fungieren: „Es liegt ein (gefühlt) endloser Sommer vor euch! Relaxt, chillt, geht an den Strand, reist an ‚angesagte‘, ‚coole‘ Orte“. Alternativ kann, wie oben bereits angedeutet, diese Aussage auch als Bildbeschriftung dienen, die das Gezeigte zusammenfasst. Wird die Fernwirkung des Fensters in Rechnung gestellt, scheint die zweite Möglichkeit wahrscheinlicher. Die Wiederholung dieses Textes wird ergänzt zu „#MY ENDLESS SUMMER“ und verweist damit auf die in den sozialen Netzwerken zu verfolgende Werbekampagne des Unternehmens 80 . Die Szene im Mittelteil wirkt vor allem über Emotionen, wobei sowohl die Präsentationsform der Sprache und die gewählten Lexeme als auch das Bild mit seiner Ergänzung durch die Schaufensterpuppen jeweils für sich die gewünschten Emotionen auslösen und diese durch das jeweils andere Element gestützt werden. Die leuchtenden und sehr kräftigen Farben in Verbindung mit Lexemen, die mit Sommer und entspanntem Lebensstil konnotiert sind, lösen eine Assoziation Urlaub und Ferien ebenso aus wie die Strandszene. Aufgrund der Größe und Brillanz des Bildes auf dem Screen wirkt dieses als Blickfang, so dass davon ausgegangen werden kann, dass es den Einstieg in die Aneignung der präsentierten Szene dient. Zusammenfassend erfolgt der Aneignungsprozess in einem mehrstufigen bottom-up -Prozess über die Wahrnehmung des Bilds auf dem Screen und davon ausgehend der Schaufensterpuppen (i). Im Anschluss daran ergeben sich zwei Möglichkeiten: 1. Der Blick vom Bild (i) geht nach links zum Wegweiser (ii) und verbleibt zunächst in der Szene in Ebene 2 und wendet sich dann nach rechts und den Texten auf Ebene 3 zu (iii). 2. Der Blick wird von der letzten (knienden) Schaufensterpuppe (i) auf Ebene 3 (iii) gelenkt und dann (fakultativ) auf den Wegweiser (ii). Ein Mapping findet hier in Abhängigkeit des Aneignungsprozesses (Variante a) oder b) zweistufig mit unterschiedlichen Referenten statt. Die gesamte Aneignung lässt sich wie folgt darstellen 1. Bild ∧ [[<Wegweisertexte> ≙ <Bild>] ≙ <Fenstertexte>] 2. Bild ∧ [[<Fenstertexte> ≙ <Bild>] ≙ <Wegweisertexte>] 80 Die zugehörige Kollektion wurde von Fotomodel und Moderatorin Sylvie Meis exklusiv für die Fa. Hunkemöller entworfen. <?page no="156"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 157 Abbildung 15: Aneignungswege (Beispiel hunkemöller). Variante 4: Verknüpfung Ebene 1 und 3 Die Verknüpfungen der Variante 4 bilden eine Klammer um die eigentliche Warenpräsentation im Schaufenster, die nicht direkt mit den Ebenen 1 und 3 verbunden ist. Bei dieser Verknüpfungsart wird eine Aussage aus dem Aggregat Ebene 1 + Ebene 3 gebildet, welche dann auf die ausgestellten Produkte übertragen wird (vgl. Abbildung 17). <?page no="157"?> 158 5 Analysen Abbildung 16: Beispiel ‚Schaufenster Variante 4’ Ebene 1: Rückenmodul • großflächiges Kunstwerk aus Lotusblättern, vermutlich Sonderanfertigung • hoch und halbhoch, teilweise Blick in den Laden möglich • Element zur Fensterfläche • sprachfrei Ebene 2: Mittelteil, • Warenpräsentation auf Halbpuppen • Deko-Element (überdachter 'Unterstand') • sprachfrei Ebene 3: Fenster-, Glasfläche • nicht schildgebundene Sprache • längerer Fließtext (34 Wörter) + Kontaktadresse des Künstlers • grafisches Element mit textbezug • Bezug Rückenmodul Abbildung 16: Beispiel ‚Schaufenster Variante 4‘. Das Rückenmodul der Ebene 1 dieses Schaufenstersegments besteht aus einem Kunstwerk, das aus grüngefärbten Lotusblättern hergestellt ist 81 . Das Kunstwerk ist sprachfrei. Es ist als durchgehende hüfthohe ‚Mauer‘ gestaltet und gleicht sich lediglich hinter dem Deko-Element an dessen Höhe an. Vor diesem Kunstwerk ist in Ebene 2 eine Gruppe von Halbpuppen mit Freizeitmode für jüngere Männer platziert. Diese Halbpuppen sind vor und unter einem aus Metallrahmen gestalteten Unterstand ähnlich einer Bushaltestelle angeordnet, von dem an Gurten weitere Kleidungsstücke hängen. Dieses Arrangement ist ebenfalls sprachfrei. Auf der 81 Das Schaufenster ist sehr groß, weshalb hier nur ein Ausschnitt besprochen wird. Im unmittelbaren Anschluss befand sich zur Zeit der Dokumentation ein nahezu identischer Aufbau (vgl. Abbildung 7). <?page no="158"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 159 Fensterscheibe (Ebene 3) befindet sich ein rechtsbündig geschriebener Fließtext, der sich mit der Besonderheit des Kunstwerkes und der Beziehung von Kunst und Natur auseinandersetzt; nach einem Absatz erfolgt die Angabe der Kontaktadresse des Künstlers. Damit ist der Bezug dieses Textes eindeutig das Rückenmodul. Der Text wird ergänzt durch ein stilisiertes Lotusblatt an der rechten oberen Ecke. Die Botschaft dieses Schaufensters ergibt sich nur indirekt und ist vom Wahrnehmenden aus den Aussagen der Ebene 1 und 3 abzuleiten. Die sprachfreie Ebene 3 fungiert dabei als Illustration des Textes der Ebene 1 und zielt dabei nicht nur auf das Ergebnis (das Kunstwerk), sondern auf die Bedeutung des Ausgangsmaterials („Wer die Formen und Strukturen der Natur erkennt, sieht Kunst“; „Die Natur hat das Material) und des kreativen Schöpfungsprozesses („ veredeln echte Lotusblätter zu ästhetischen Inszenierungen“; „ der menschliche Geist sieht darin die Inspiration und wandelt es zum Schönen 82 ). Dabei kommt der Formulierung des Textes besondere Bedeutung zu. Die hervorgehobenen Wörter lassen sich leicht auf Mode beziehen. „Formen und Strukturen der Natur“ kann auf die Ausgangsmaterialien der verwendeten Stoffe (Wolle, Baumwolle etc.) oder das Material selbst (z. B. bei Leder) bezogen werden. Die Ausdrücke „ästhetische Inszenierungen, der menschliche Geist, Inspiration, wandeln zum Schönen“ verweisen auf den Design- und Produktionsprozess von Mode ebenso wie auf die Wahrnehmung des fertigen Kleidungsstückes. Die gezeigten Kleidungsstücke werden damit in einen Kontext mit Kunst gestellt und in allen Aspekten als besonders hochwertig dargestellt. Wichtig ist dabei, dass der Text so zu den gezeigten Kleidungsstücken positioniert ist, dass er sich auch auf diese beziehen könnte. Der Prozess der Aneignung des Schaufensters beginnt als bottom-up -Prozess mit der Wahrnehmung der Kleidung auf den Halbpuppen vor und im Unterstand (1). Sie sind das Element, das aus der Entfernung am besten zu sehen ist. Durch den Unterstand ist dieser Teil des Aufbaus der höchste und hebt sich dadurch zusätzlich vom Rest ab. Der grüne Hintergrund kann zwar als solcher wahrgenommen, aber in seiner Bedeutung nicht erfasst werden. Bei Betrachtung des Schaufensters wird das Rückenmodul zwar in seinen Einzelheiten wahrnehmbar, bleibt aber ohne den zugehörigen Text für die dargestellten Waren bedeutungslos und kann einfach als Jahreszeiten-angepasst (grün, Blätter → Frühling) interpretiert werden (2). Die Lektüre des Textes allein kann sich ebenfalls als problematisch erweisen, da für die Herstellung des Bezuges Text-Rückenmodul Wissen um das Aussehen eines Lotusblattes notwendig ist. Diese Interpretationshilfe wird durch das Lotusblatt am rechten oberen Rand des 82 Hervorhebungen der Autorin. <?page no="159"?> 160 5 Analysen Textes geleistet (3), der damit nicht nur das Thema des Textes illustriert, sondern auch als Verweis auf das Rückenmodul fungiert und damit erst die Klammer bildet. Der Aneignungsweg kann daher wie folgt konstruiert werden (vgl. hierzu Abbildung 17): 1. Wahrnehmung der Kleidung vor grünem Hintergrund 2. Erkennen der grafischen Muster auf dem Rückenmodul 3. Wahrnehmung Text + Grafik → Zuweisung Grafik zum Thema Lotusblätter a. Abgleich Textgrafik und Formen auf dem Rückenmodul à identisch b. Anwendung Textinformation auf Rückenmodul c. Übertragung auf die Kleidung. Zur Aneignung dieses Aggregats sind wiederum mehrere Mappings notwendig. Die Zuordnung von Lotusgrafik und dem Wort Lotusblätter im Text (a) erfolgt dabei eher über die gelernte Konvention, dass Text und unmittelbar mit diesem verbundene Bilder/ Grafiken in einer intrinsischen Beziehung stehen: Im Text wird von Lotusblättern gesprochen → das gezeigte Blatt muss ein Lotusblatt sein. Das erste Mapping erfolgt dann zwischen Rückenmodul und den um die Grafik erweiterten Text (b). Durch den Text wird das Rückenmodul zu einem Kunstwerk auf Basis des Naturprodukts Lotusblätter. Das zweite Mapping (c) besteht aus dem Abgleich des Transformationsprozesses des natürlichen Ausgangsproduktes Lotus in ein Kunstwerk mit dem Entstehungsprozess von Kleidung. Eine direkte Rückkopplung mit dem Text findet nicht mehr statt. Die Gesamtaussage des Schaufensters lässt sich systematisch wie folgt darstellen: Mode : [[<Text> →<Grafik1>] ∧ [ <αText → Grafik2> ≙ <Rückenmodul>]] ≙ Mode Abbildung 17: Aneignung ‚Schaufenster Variante 4‘. <?page no="160"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 161 Trotz der wenigen Elemente dieses Aggregats ist der Aneignungsprozess komplex und verlangt dazu eine Transferleistung, bei der Eigenschaften, Tätigkeiten und Produkte eines Metiers (Kunst) auf ein anderes (Mode) übertragen werden müssen. Dieser Prozess wird durch Schlüsselwörter unterstützt. Es muss allerdings ein bestimmtes Vorwissen vorhanden sein, um diesen Transfer leisten zu können. Variante 5: Verknüpfung Ebene 1 und 2 und 3 Diese Variante (vgl. Abbildung 19) bezieht in der Gestaltung alle Ebenen mit ein. Der wesentliche Unterschied zu Variante 4 besteht darin, dass die bildlich gestaltete Ebene 1 zwar zur Gesamtaussage beiträgt, aber nicht so aktiv wie bei Variante 4 daran beteiligt ist. In Variante 3 wird ebenfalls häufig mit Bildern gearbeitet (vgl. Beispiel oben), welche dann aber in der Regel zum Aggregat des Mittelteils gehörten. Dabei handelt es sich z. B. um Bilder aus Werbekampagnen, die in der gezeigten Art und Weise mit den Schaufensterpuppen und anderen Elementen zu einem Aggregat gehören. Die Funktion der Ebene weicht auch deutlich von der Klammer-bildenden Funktion der Ebene 1 in Variante 4 ab und entspricht am ehesten der Funktion dieser Ebene in Variante 2 (s. o.) Abbildung 18: Beispiel ‚Schaufenster Variante 5’ Ebene 1: Rückenmodul • großflächiges Bild: Abendstimmung, Häuserfront südliche Architektur • Element zur Ebene 2 • sprachfrei Ebene 2: Mittelteil • Reihe sitzender Schaufensterpuppen auf einer balken- oder brüstungsartigen Konstruktion • Deko-Elemente: 1 alter Koffer mit Hemd und Schuhen gepackt, Plastikkakteen in Kasten • sprachfrei • Element zur Ebene 3 Ebene 3: Fenster-, Glasfläche • nicht schildgebundene Sprache • Slogan als Headline: FASHION LINE SPRING SUMMER 2016 • Bezug primär Ebene 2 Abbildung 18: Beispiel ‚Schaufenster Variante 5‘. <?page no="161"?> 162 5 Analysen Das zentrale Element des hier beispielhaft besprochenen Schaufensters eines Herrenausstatters ist das Mittelteil (Ebene 2). Dieses besteht aus einer Art Brüstung in hellblau mit hellbraunen ‚Sitzkissen‘. Auf diesen sind fünf männliche Schaufensterpuppen nebeneinander sitzend platziert, von denen jede in einem anderen Stil gekleidet ist. Auf dem Boden zwischen den Schaufensterpuppen 1 und 2 (von links) steht ein altmodischer Koffer, in dem sich weitere Kleidungsstücke befinden. Der zentrale Teil auf dem Boden vor der Brüstung ist von Plastikkakteen in einem Blumenkasten ausgefüllt. Die Ebene 1 zeigt ein großflächiges Bild mit älteren Häusern in einem südlichen Architekturstil in einer Abendstimmung. Ebene 3 trägt mit dem Slogan „Fashion Line Spring Summer 2016“ zum Aggregat bei. Die Funktion des Rückenmoduls besteht in der Situierung der Schaufensterpuppen. Das Licht löst die Assoziation einer Feierabendstimmung aus, die durch die südliche Architektur erweitert werden soll zur stereotypen Vorstellung südlicher Abende mit Treffen auf einer Plaza/ Piazza etc. Die Verortung im Süden wird unterstützt durch die Kakteen in Ebene 2. Die Szene erinnert an das berühmte Foto Lunch atop a skyscraper (1932, evtl. von Charles C. Ebbets), auf dem Arbeiter ihre Pause auf einem Stahlträger sitzend in großer Höhe verbringen. Diese Assoziation verstärkt möglicherweise die Attraktivität der Darstellung. Der nicht schildgebundene in orange-rot gehaltene Slogan bezieht sich in doppelter Hinsicht auf Ebene 2. Das Wort fashion legt den Fokus auf die Kleidung der Puppen, während das zweite Wort line sich auf die Positionierung der Schaufensterpuppen bezieht. Damit werden zwei Elemente der Ebene 2 scheinbar getrennt adressiert. Als Kollokation wird der Ausdruck jedoch zur Beschreibung der Präsentationsweise der Mode. Die Schaufensterpuppen treten dabei in den Hintergrund. Offen bleibt, ob „Fashion Line“ als Aneinanderreihung von Kleidungsstücken über eine Assoziation an „Wäscheleine“ funktioniert, die in der Wahrnehmung ebenfalls eine Aneinanderreihung von Kleidungsstücken ist. Der zweite Teil des Slogans „Spring Summer“ stellt einen Bezug her zur Atmosphäre der Szene und bezieht sich damit auf die Gesamtwahrnehmung der Ebenen 1 und 2, die so zu einer Einheit verschmelzen. Die Jahreszahl „2016“ stellt den Aktualitätsbezug her. Der Einstieg in die Sehfläche erfolgt auch in dieser Variante in einem bottom-up -Verfahren über die bildlichen/ figürlichen Darstellungen in Ebene 2. Diese nehmen nicht nur die gesamte Breite des Schaufensters ein, sondern sind durch ihre Positionierung auf Augenhöhe und die sich daraus der ergebende Höhe das dominierende Elemente. Die sehr großflächige Gestaltung der Ebene 1 wird dadurch zu einem reinen Hintergrund. Feinheiten, wie die Straßenszene, die unterhalb der Sitzfläche über die ganze Breite zu sehen ist, bleiben praktisch unbemerkt und fallen nur bei sehr genauer Betrachtung auf. Diese <?page no="162"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 163 Anordnung führt dazu, dass Mittelteil und Rückenmodul als ein Bild wahrgenommen werden. Die Position des Slogans am oberen Ende der Fensterfläche und auch oberhalb der Dächer des Bildes auf dem Rückenmodul, lässt diesen wie eine Überschrift wirken. Abbildung 19: Aneignung ‚Schaufenster Variante 5‘. Die Aneignung dieses Schaufensters erfolgt zwar mit mehreren Mappings, bei denen aber die einzelnen Elemente der Slogans mit einzelnen Bildelementen abgeglichen werden. Die Ebenen 1 und 2 sind derart fest miteinander verknüpft, dass sie als eine Einheit erscheinen. Ein Informationsabgleich findet zwischen diesem Aggregat und dem Slogan auf Ebene 3 statt. Dort werden die Elemente „fashion“ (a), „line“ (b), „spring“ (c), „summer“(c) mit dem Bild abgeglichen. Jedes findet seine bildliche Repräsentation in Ebene 2 wobei der jahreszeitliche Bezug indirekt und damit assoziativ ist. Er ist nur möglich unter Rückgriff auf stereotype lokale Vorstellungen (Architektur). Fensterübergreifende Sehflächen Die oben vorgestellten Schaufenstertypen beziehen sich alle auf Schaufenster, die aufgrund ihrer Größe eine eigenständige Sehfläche darstellen. Wie oben gesagt, finden sich im Erhebungsraum und dort ausschließlich in der Fußgängerzone auch Sehflächen, die aufgrund der architektonischen Gegebenheiten (geringe Breite) ein oder mehrere schmale Schaufenster sowie den Eingangsbereich umfassen können (Bild 63, Bild 64). Im vorliegenden Korpus zeichnen sich die einzelnen Elemente dieser Sehflächen durch eine geringe Komplexität aus. Die einzelnen Schaufenster sind <?page no="163"?> 164 5 Analysen schmale, unmittelbar neben Eingangsbereich befindliche und mit diesem eine optische Einheit bildende Fensterflächen. Direkt, ohne jede Abtrennung findet sich eine geringe Zahl von präsentierten Elementen. Damit sind diese Waren nicht nur von der Straße aus zu sehen und präsentieren das Warenangebot nach außen, sie sind auch vom Ladeninneren aus zu sehen und sind im Extremfall Teil der dort ausgestellten Waren. Bild 63: Schaufenster ‚übergreifende Sehflächen, Beispiel 1‘. Bild 64: Schaufenster ‚übergreifende Sehflächen, Beispiel 2‘. <?page no="164"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 165 Für das vorliegende Korpus hat sich ergeben, dass bei einer isolierten Betrachtung der Sehflächen die Variante 3 mit der Verknüpfung der Ebenen 2 (Mittelteil) und 3 (Fensterfläche) zur Beschreibung des Aneignungsprozesses herangezogen werden kann. Auch wenn der Eingangsbereich in diesen Fällen Teil der Wahrnehmung ist, trägt er nicht zur Gesamtaussage bei. Da in fast allen Fällen über die optische Gestaltung die gemeinsame Wahrnehmung durch Rahmen-artige Konstruktionen gefördert wird, wirkt der Eingangsbereich wegen der fehlenden Gestaltung aus der Entfernung wie eine Leerstelle, wird aber aufgrund des gelernten, konventionalisierten Wissens um die straßenseitige Organisation von Läden nicht als Leerstelle verarbeitet, sondern mit der Hypothese Eingang versehen. Text und Bild in der Sehfläche Aus der Systematisierung der Interaktion von bildlich/ grafischen, figürlichen und sprachlichen Elementen in Sehflächen ergeben sich fünf Varianten, die sich vor allem aus den verschiedenen Interaktionsmöglichkeiten der einzelnen Ebenen der Schaufenster ableiten. Dabei stand die Konstruktion der Gesamtwerbeaussage des Schaufensters im Mittelpunkt und die dazu notwendigen Schritte der Aneignung. Hier erwies sich die Kombination der Ansätze von Itti & Koch (2002) sowie von Schnotz et al. (2003) als geeignet für die Beschreibung der Aneignung großflächiger Werbeaggregate im öffentlichen Raum. Durch Vorgaben wie die 24-Fuß-Regel (s. o.) ist ein stark visuelles Moment gegeben, das einen Salienz-initiierten ‚Einstieg‘ in ein Schaufenster quasi zwingend macht. Die Sichtbarkeit aller wesentlichen Objekte aus der gegebenen Entfernung, die Notwendigkeit, figürlich-bildliche Darstellungen nicht mit Schrift zu verdecken sowie die gemessen am vergleichsweise geringen sprachlichen Korpus (s. o.) starke visuelle Gesamtausrichtung fördern einen Aneignungsbeginn über bildlich-figürliche Elemente. In der weiteren Aneignung kommt es zu einem Mapping der Aussagen von Text und Bild, bei dem die Übereinstimmung bzw. die gegenseitige Ergänzung beider Elemente überprüft und sie zu einer Gesamtaussage integriert werden. Die Analyse des Aneignungswegs als kognitivem Verfahren hat wenig Aussagekraft in Hinblick auf die formale Beziehung von Text und Bild in multimodalen Aggregaten. Unter Berücksichtigung aller oben gemachten Einschränkungen wird daher im folgenden überprüft, ob sich bildlinguistische Verfahren zur Beschreibung komplexer Sehflächen eignen, oder ob durch die Situiertheit, das aktivierte Kontextwissen und die gegebene Dreidimensionalität Informationsstrukturen entstehen, die sich bis zu einem gewissen Grad der Beschreibbarkeit mit bildlinguistischen Modellen entziehen. Das in Kapitel 3.2 angesprochene Analysemodell von Martinec & Salway (2005), das die Basis bilden soll für ein Modell zur Beschreibung der Text-Bild Be- <?page no="165"?> 166 5 Analysen ziehungen im öffentlichen Raum, unterscheidet zwei Beziehungstypen, den Status von Text und Bild zueinander, sowie die logisch-semantische Beziehung beider Elemente eines multimodalen Aggregats. Anders als gedruckte, zweidimensionale Werbung können Schaufenster von ihrer Dreidimensionalität profitieren, die eine weitere potentielle informationstragende Ebene zur Verfügung stellt (s. o.). Im Folgenden wird wie in Kapitel 3.2 beschrieben untersucht, in welchem Umfang das Modell zur Beschreibung der Analysegröße Sehfläche und im Kapitel 5.3.3 der Analyseeinheit „Bild“ herangezogen werden kann, und welche Änderungen notwendig sind, um ein formales Modell der Bildlinguistik an die Erfordernisse der dynamischen und kommunikativen Struktur des öffentlichen Raumes zu anzupassen. Die Ebene Status , die die Interdependenz der textuellen und bildlich-figürlichen Elemente beschreibt, ermöglicht eine Systematisierung multimodaler Aggregate im öffentlichen Raum, da sie die vielfältigen Beziehungsgrößen widerspiegeln kann. Die zentrale Unterscheidung ist dabei die zwischen gleicher ( equal ) und ungleicher ( unequal ) Beziehung, wobei beide Typen nochmals unterteilt werden. Zunächst werden Instanziierungen von Sprache vorgestellt, die die Subkategorien von gleich , nämlich unabhängig ( independent ) und ergänzend ( complementary ) repräsentieren. Unabhängigkeit ist dabei mit Intransitivität zu vergleichen, es kann also jedes der verbundenen Elemente für sich alleine stehen. Die Konstruktion der Gesamtbedeutung eines solchen multimodalen Aggregats ergibt sich dann aus der logisch-semantischen Verknüpfung der einzelnen Elemente. 1) Im Bereich der Sehflächen lassen sich einige sprachliche Elemente isolieren, die im Bezug auf die vorhandenen bildlich/ figürlichen Elemente als gleichwertig zu bewerten sind. Als unabhängig ist zunächst Co-Präsenz von Schildern zu bewerten, deren Produzent nicht Gestalter der Sehfläche ist, es sich also um transgressive Strukturen in dem Sinne handelt, dass durch Schildercluster mehrere Produzenten an einer Sehfläche teilhaben, diese aber von einem Produzenten dominiert und damit diesem primär zugewiesen wird. Bild 64 (s. o.) und Bild 70 (s. u.) zeigen Varianten, in denen ein Teil des Textes unabhängig ist. Schilder des Akteurs Dienstleister stehen in keiner Beziehung zu den Schaufenstern und Eingangsbereichen der Sehflächen, zu denen sie gehören. Dieser Teil des Modells eignet sich also um die im öffentlichen Raum häufig zu findenden ‚transgressiven‘ Aggregate im Bereich Sehflächen zu analysieren, die sich nicht nur auf Zeichencluster unterschiedlicher Akteure, sondern auch verschiedener Sign- Produzenten des gleichen Akteurs beziehen (vgl. Bild 43). Ob dies auch für logisch-semantische Beziehungen gilt, wird weiter unten besprochen. <?page no="166"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 167 2) Ebenfalls als unabhängig können Stellenangebote gelten, die auf Aufstellern in Schaufenstern zu finden sind (s. o.). Diese Texte haben keinen Bezug zur ausgestellten Ware. Sie können in einem abgeschwächten Verständnis ebenfalls als transgressiv verstanden werden, da Schaufenster nicht der übliche Ort der Platzierung von Stellenanzeigen sind und sie somit als Textsorte „fehl am Platz“ sind, auch wenn im Unterschied zu 1) nicht auf einen anderen Sign -Produzenten oder gar auf einen anderen Akteur verwiesen wird. 3) Auch Schilder und schildungebundene Schrift mit dem Text sale, reduziert etc. können als unabhängig gelten. Diese sind für sich genommen vollständige Aussagen und benötigen keine weitere bildliche Unterstützung. Eine Beziehung zu möglicherweise referierten Objekten wird über die logisch-semantische Beziehung beschrieben. Damit sind zwei von drei regelmäßig auftretenden unabhängigen Textelementen im Bereich von Sehflächen transgressive Strukturen, was auf das unter 1) bereits angedeutete Problem der Beschreibung einer logisch-semantischen Beziehung verweist. Die formalen Beschreibungsmodelle gehen grundsätzlich davon aus, dass zwischen sprachlichen und bildlich-grafischen Elementen, die in einer gemeinsamen Entität erscheinen ein Zusammenhang besteht, sie sich also aufeinander beziehen, womit die Analyse von Sehflächen mit transgressiven Strukturen der Typen 1) und 2) mit formalen Beschreibungsmodellen grundsätzlich fraglich ist. Während die multimodale Entität im traditionellen Anwendungsbereich formaler Beschreibungsmodelle als Artikel, Anzeige etc. klar umgrenzt ist, sind die Formate im öffentlichen Raum komplexer und die Grenzen oft weniger scharf, ihre Gestaltung auch wegen der gegebenen räumlichen Möglichkeiten, die sich durch Dreidimensionalität und Größe ergeben, deutlich variabler. Es ist vergleichsweise einfach, unverbundene Elemente in einer Entität zu platzieren und sie durch Gestaltung (Größe etc.) und ihre Platzierung auch für den Wahrnehmenden von den restlichen Informationen abzusetzen (vgl. die Positionierung und Größe von Stellenanzeigen oben). Dies ist in gedrucktem Text unabhängig von der Textsorte nicht möglich. Darüberhinaus ist dann im Einzelfall für jede Sehfläche die Beziehung neu zu bestimmen. Wird der Blick auf Schaufenster als zentrale Elemente des ökonomisch genutzten öffentlichen Raumes und ihrer Funktion als Präsentationsraum und Ort der Werbung verengt, stellt sich die Frage nach der Beziehung von Text und Bild vor dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte von Schaufenstern neu. Seit ihrer ‚Entstehung‘ haben sich Schaufenster als in ihrer Form flexible, in ihrer Grundausrichtung und Präsentation aber stabile Orte der lokalen, <?page no="167"?> 168 5 Analysen stationären Werbung etabliert (vgl. Kapitel 2.3 und 3.3), die sich häufig durch komplexe Binnenstrukturen auszeichnen (s. o.). Durch die Tradierung und damit im Laufe der Zeit auch der Konventionalisierung des Wissens um die Funktion von Schaufenstern sowie der sich aus den Daten abzeichnenden starken Visualität bei tendenziell schwächer ausgeprägter Präsenz von Sprache (s. o.) ergibt sich die Frage, ob die Warenpräsentation und damit der figürliche Teil (Ebene 2 Mittelteil ) verstärkt durch den Präsentationsort Schaufenster im Sinne von Martinec & Salway (2005) grundsätzlich als unabhängig zu bewerten ist, zumal auch vollkommen sprachfreie Schaufenster existieren, die offensichtlich ihre Funktion erfüllen. Als Kernaussage der präsentierten Waren kann formuliert werden: „Betrachter kann diese und vergleichbare Produkte im zugehörigen Laden/ hier erwerben.“ Wird den bildlich/ figürlichen Darstellungen in Ebene 2 auf dieser Basis grundsätzliche Unabhängigkeit zugesprochen, muss jedes sprachliche Element in diesem Kontext ebenfalls als unabhängig gelten, sofern es sich nicht erkennbar auf bildlich-grafische Darstellungen einer anderen Ebene bezieht. Daraus ergibt sich das Problem, dass evtl. vorhandene Transitivitätsmarker in sprachlichen Elementen ins Leere weisen können. Darüberhinaus hat sich im Korpus mindestens eine Sehfläche gefunden, in der das Bild lediglich illustrierenden Charakter hat und ohne textuelle Begleitung unvollständig, wenn auch nicht völlig unverständlich wirkt. Das nachfolgende Bild könnte ohne sprachliche Begleitung sowie den größeren räumlichen Kontext mit dem eindeutig zuzuordnenden Eingang und der unmittelbar vor dem Bild platzierten Freischankfläche auch auf einen Metzger hinweisen. Bild 65: Ausschnitt ‚Sehfläche‘ (Augustiner). <?page no="168"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 169 Da zahlreiche Sehflächen mehr als ein sprachliches oder bildlich/ figürliches Element enthalten, ist unabhängig vom Status dieser Elemente zu klären, wie und in welcher Reihenfolge die Elemente aufeinander zu beziehen sind. Findet sich, wie im obigen Beispiel zur Schaufenstervariante 3 (Abbildung 15) in Ebene 2 ein multimodales Aggregat, das in Ebene 3 um eine weiteres sprachliches Element ergänzt wird, so liegt es nahe, zunächst Status und logisch-semantische Beziehung der Elemente des Aggregats in Ebene 2 zu beschreiben. Die Funktion des sprachlichen Elements in Ebene 3 kann sich dann wahlweise auf das Aggregat als Ganzes beziehen, wofür bildlinguistische Modelle keinen Ansatz bieten, oder aber das sprachliche Element auf Ebene 3 wird unabhängig von sprachlichen Elementen in Ebene 2 eigenständig auf die bildlich/ figürlichen Elemente dieser Ebene bezogen, womit das Aggregat, welches als gestalterische Einheit gedacht ist, jedoch aufgebrochen wird. Ein weiteres Problem in der Anwendung des Modells von Martinec & Salway und ähnlich aufgebauten Modellen ergibt sich bei Analysen von Klammern, wie sie in Sehflächen der Variante 4 beschrieben sind. Hier existiert ebenfalls, wenn auch Ebenen-übergreifend, ein multimodales Aggregat, welches dann erst in Beziehung mit der (sprachfrei) präsentierten Ware und damit eindeutig mit einem rein bildlich/ figürlichen Element gestellt wird. Selbst wenn die jeweilige Gesamtaussage der Aggregate aus den genannten Problemfällen als Zwischenstufe in der Beschreibung angenommen wird, bleibt das Problem der Definition dieses Aggregats. Wird dieses Aggregat wegen der üblicherweise visuellen Dominanz im öffentlichen Raum als bildlich gewertet, kann sich, wie beim obigen Beispiel für Variante 4 die Situation ergeben, dass zwei bildliche Elemente über Parameter miteinander in Beziehung gesetzt werden, die für die Beschreibung von Text-Bild Beziehungen gedacht sind. Werden die entsprechenden Aggregate als Text betrachtet, kann ebenfalls der Fall eintreten, dass zwei gleiche Elemente, in diesem Fall Text-Text, über ein Modell für multimodale Aggregate beschrieben werden. Die Einführung des Supertextes (vgl. Kapitel 3.2) als intermediärer Ebene, mit der über ‚Zwischenstufen‘ mehrgliedrige multimodale Aggregate hierarchisch strukturiert werden können, bietet nur dann einen Ausweg, wenn die vorgeschlagene ‚Zwischenstufe‘ als modalitätsfreie Gesamtaussage gesehen und mit anderen gegebenen Elementen in Beziehung zu gesetzt werden kann. Weniger problematisch ist die Analyse einfacherer Schaufensterpräsentationen, die sich auf jeweils ein bildlich/ figürliches und sprachliches Element beschränken und damit bis zu zwei Ebenen nutzen, aber in ihrer Wahrnehmung bzw. Wirkung mit der eines zweidimensionalen Aggregats verglichen werden können. <?page no="169"?> 170 5 Analysen Zum Zeitpunkt der Dokumentation waren solch ‚einfache‘, will heißen aus einem bildlich/ figürlichen und sprachlichen Element bestehende Schaufenster in der Unterzahl. Dominant waren Schaufenster bzw. Sehflächen mit mehreren, zur Gesamtaussage beitragenden Elementen je Modalität sowie sprachfreie Schaufenster/ Sehflächen. Im folgenden werden zunächst zwei ‚einfache‘ Schaufenster beispielhaft mit dem Modell von Martinec & Salway (2005) beschrieben. Darauf folgt die Analyse der Schaufenster, die als Sehflächenvarianten 1-5 bereits in ihrer Aneignung beschrieben worden sind. Bei diesen komplexen Beispielen kommt der Supertext als Zwischenstufe der Analyse zum Einsatz. An die Beispielanalysen schließt sich eine Bewertung der Aussagekraft der Beschreibung dieser Beziehungen im Vergleich zu den in der Analyse der Schaufenstervarianten 1-5 verwendeten kognitiven Modellen an. Dabei wird auch überprüft, ob sich Muster erkennen lassen, die auf eine Verbindung von formaler Struktur und Aneignungsweg erkennen lassen. Bild 66: Einfaches Schaufenster. Die Beziehung von Schrift und Bild in obigem Beispiel entspricht dem Status gleich, unabhängig . Sowohl der Text als auch die ausgestellten Schuhe stellen für sich genommen eine vollständige Aussage dar. Der Text kann ausschließlich als Hinweis auf die Binnenstruktur des Geschäfts gelesen werden und hat als solcher einen eigenen Informationswert. Gleiches gilt für die ausgestellten Waren. Die Schuhe werden vom Betrachter entsprechend der Funktion eines Schaufensters als Muster oder Teile des Angebots verstanden. Damit haben die Schuhe für sich ebenfalls einen abgeschlossenen Wert. Die Aussage der Warenpräsentation ist unabhängig vom begleitenden Text. Die Konstruktion der Warenpräsentation, die über die schiefen Ebenen Bewegung signalisiert <?page no="170"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 171 und damit auf den ausgestellten Schuhtyp referiert, bleibt hier außen vor, da die Beziehung von Text und Bild im Zentrum der Betrachtung steht. Die logisch-semantische Beziehung von Text und Bild in diesem Beispiel kann als Expansion , Elaboration, Exemplifikation bewertet werden, bei der der Text allgemeiner ist als das Bild. Die Elaboration beschreibt laut Martinec & Salway (2005) einen Beziehungstypus, bei dem die Einzelaussagen zu einer Gesamtaussage zusammengeführt werden, wobei die einzelnen Elemente unterschiedliche Funktionen zukommen können, die einer hierarchischen Struktur (Subordination) entsprechen. Im gegebenen Fall sind die ausgestellten Schuhe als Beispiel ( Exempel ) für die allgemeinere Aussage des Textes zu sehen. Abbildung 20: Visualisierung ‚formale Analyse Bild 65’ Schaufenster Status gleich Text und Bild unabhängig Logisch-semantische Beziehung Expansion: Bedeutunsgplus aus Kombination von Text und Bild Elaboration Exemplifikation: Text allgemeiner als Bild Abbildung 20: Visualisierung ‚formale Analyse Bild 66‘. <?page no="171"?> 172 5 Analysen Bild 67: Einfaches Schaufenster. Bild 67 arbeitet wie auch das vorhergehende Beispiel mit zwei Dimensionen, da das Plakat nach der eingangs vorgeschlagenen Systematik der drei Ebenen eines Schaufenster zur Ebene 2 (Mittelteil) zählt, da es kein vollwertiges Rückenmodul ist, dass das Schaufenster zum Laden hin abschließt, sondern aufgrund seiner Form direkt zur Warenpräsentation gezählt werden kann. Trotz des Missverhältnisses in Größe und Perspektive, können die Schaufensterpuppen als Teil der auf dem Bild zu sehenden, schematischen Passanten gewertet werden. Der Zeichenstil des Bildes minimiert diesen Bruch. Die Verortung des Stadtszene wird durch die im Hintergrund sichtbaren Teile der Freiheitsstatue vorgenommen. Der Text auf der Fensterfläche (Ebene 1) bezieht sich durch die Verwendung des definiten Artikels auf alle New Yorker. Ohne Artikel hätte sich der Text potentiell auf die exemplarisch für die Bewohner der Stadt dargestellten Schaufensterpuppen beziehen können. Da sowohl Text als auch Bild für sich alleine stehen können, ist ihre Beziehung als unabhängig und gleich zu bewerten. Die Beschreibung der logisch-semantischen Beziehung ist ebenfalls als Expansion und dort als Elaboration zu sehen. Nicht ganz eindeutig ist die weitere Zuweisung. Der Text ist in seiner Aussage sehr allgemein und bezieht sich generell auf die Bewohner der Stadt. Damit hängt die Bewertung der Beziehung an den bildlich/ figürlichen Elementen. Hier ist zu entscheiden, in welchem Maße die Schaufensterpuppen in das Bild integriert oder herausgenommen werden. Sind die Schaufensterpuppen intrinsischer Teil des Bildes, ist auch dieses allgemein, da auf dem Bild noch weitere Personen, wenn auch ungenauer zu sehen sind, <?page no="172"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 173 womit eine Bewertung als Exposition (Bild und Text gleicher Allgemeinheitsgrad) möglich ist. Wird das Ganze jedoch als bildlich-figürliche Szene verstanden, kann den Puppen ein herausgehobener Status zugeschrieben werden. Dann stehen sie exemplarisch für alle New Yorker, woraus sich die Zuordnung Exemplifikation ergeben würde, wobei der Text allgemeiner ist als das Bild. Dieser Interpretation wird hier gefolgt. Abbildung 21: Visualisierung ‚formale Beziehung Bild 66’ Schaufenster Status gleich Text und Bild unabhängig Logischsemantische Beziehung Expansion: Bedeutunsgplus aus Kombination von Text und Bild Elaboration Exemplifikation: Text allgemeiner als Bild Abbildung 21: Visualisierung ‚formale Beziehung Bild 67‘. Die beiden beispielhaft analysierten Schaufenster stehen für alle dokumentierten Schaufenster/ Sehflächen, die lediglich je ein sprachliches und bildliches Element umfassen. Insofern zeigt sich, dass die formale Struktur von Schaufenstern offensichtlich darin besteht, einen allgemeineren Text über die Warenpräsentation zu exemplifizieren. Sprachfreie Fenster können demnach ihre <?page no="173"?> 174 5 Analysen Funktion vor allem deswegen erfüllen, weil eine der auf Konventionalisierung von Wissensbeständen um das Schaufenster basierende Interpretation vorgenommen wird, bei der die Ware als Beispiele/ Muster interpretiert und möglicherweise ein allgemeiner Textverweis (s. o.) mitgedacht wird. Damit wäre die oben beschriebene Beziehung gegeben, bei der das bildlich-figürliche Element als Subordination im Sinne einer Exemplifikation einer allgemeinen Aussage fungiert. Der Text ist in diesem Fall eine Leerstelle, die mit einer zwar jeweils individuellen Formulierung, aber identischen Aussage ‚gedanklich‘ gefüllt wird. Die Etablierung solcher formaler Strukturen könnte ein Erklärungsansatz für die vergleichsweise große Spracharmut von Schaufenstern sein. Mit dem Ziel den Betrachter nicht zu überfordern werden selbstverständliche, allgemeingültige Elemente weggelassen. Die Wirksamkeit dieses Verfahrens ist wiederum abhängig von einem hohen Grad der Konventionalisierung der Strukturen, Funktionen und Kommunikationswege des öffentlichen Raumes. Hier greift dann die historische Dimension als Anknüpfungspunkt (s. o.). Die Grundform des Modells gerät an ihre Grenzen, wenn Sehflächen in Form komplexer Sehflächen vorliegen. Dies können sowohl große Schaufenster sein, bei denen mehr als ein bildlich/ figürliches und/ oder sprachliches Element vorliegen als auch Schaufenster-übergreifende Strukturen, bei denen mehrere Elemente gemeinsam wahrgenommen werden, diese aber von unterschiedlichen Produzenten stammen. Die Schwierigkeiten, die sich für die Beschreibung komplexer Schaufenster ergeben und welchen Beitrag die Einführung des α-modalen, d. h. modalitätsneutralisierten Supertextes hier leisten kann, wird nachfolgend an den oberen bereits besprochenen Schaufenstern der Varianten 3 und 4 gezeigt. Auf die Problematik übergreifender Sehflächen wird im Anschluss eingegangen. Die Komplexität bei nachstehendem Schaufenster liegt im Vorhandensein zweier bildlich-figürlicher Elemente und eines grafisch unterstützten Textteils (s. o.), womit ein sprachliches und drei grafisch-bildliche Elemente gegeben sind. Der grafisch unterstützte Text (Ebene 1) bezieht sich zunächst auf das bildliche Element, so dass eine Bedeutungsklammer aus den Ebenen 1 und 3 entsteht, womit eine Diskontinuität in der Konstruktion bzw. Aneignung des gesamten Bildes gegeben ist. Die Beschreibung der formalen Strukturen muss also zunächst an dieser Klammer ansetzen und diese dann in Beziehung zum verbleibenden Element im Mittelteil setzen. Damit entspricht die Bildung der Supertexte dem oben beschriebenen Aneignungsweg, womit kognitive Aspekte die Basis für die Bildung der Einheiten für die Supertexte bilden. Theoretisch kann natürlich die Beziehung des Textes zu beiden bildlich/ figürlichen Elementen beschrieben werden. Wenn allerdings die grafische Unterstützung des Texts an der oberen rechten Ecke als Deixis verstanden wird, <?page no="174"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 175 ist ein Beziehungsweg vorgegeben (Ebene 1 + Ebene 3), der nicht künstlich aufgebrochen werden sollte. Bild 68: Komplexes Schaufenster. Abschließend bleibt bei diesem Fenster noch zu klären, wie das oben als Deixis interpretierte grafische Element in die Beschreibung einfließt. Es ergeben sich zwei Möglichkeiten für die Gesamtinterpretation des Fensters: 1. Analyse Ebene 1 als Text-Bild Aggregat (= Supertext 1); Analyse Supertext 1 und Ebene 3 (= Supertext 2); Analyse Supertext 2 und Ebene 2. Analyse Ebene 1 und Ebene 3 als Supertext 1, wobei das grafische Element als sprachlich interpretiert wird (Wiederaufnahme eines Textelements, evtl. Verstärkung durch Reduplikation: sprachlich-bildlich); Analyse Supertext und Ebene 2. Möglichkeit 2) verkürzt die Beschreibung um einen Schritt, greift aber in die Struktur der Darstellung ein, was auch durch die zusätzliche funktionale Aufladung des grafischen Elements als Deixis nicht vertretbar ist. Die einzelnen Analyseschritte aus Möglichkeit 1) sind wie folgt: Es wird zunächst die Beschreibung der Beziehungen von Text und Grafik auf Ebene 1 unternommen und somit der Supertext 1 als α-modale Entität gebildet: Der Status von Text und Bild sind hier ungleich , weil das Lotusblatt nur die intendierte Bedeutung hat, wenn es einen Bezug zum Text hat. Es ist sogar zu vermuten, dass ohne Bezug zum Text das Blatt nicht als Lotusblatt identifiziert werden kann. Da die Illustration aber keine neue Information enthält, ergibt sich ein ungleicher Status , bei dem das Bild dem Text untergeordnet ist. <?page no="175"?> 176 5 Analysen Die logisch-semantische Beziehung bleibt im bekannten Bereich. Auch hier liegt eine Expansion vor, da die Grafik als untergeordneter Einschub interpretiert werden kann, der sich der Beschreibung von Form und Struktur eines Lotusblatts widmet. Dieser Teil ist hilfreich, aber für das Verständnis des Textes nicht zwingend. Gleichzeitig ist das Bild exemplifizierend, da der Text allgemein von Lotusblättern spricht und die Grafik eines illustrierend zeigt. Es kann bei längeren Texten mit grafischer Unterstützung überlegt werden, ob hier nicht doch die Beziehung Projektion zum Tragen kommt, die Martinec & Salway ausschließlich für solche Aggregate aus Infografiken und Text reservieren, bei denen das eine Element das jeweils andere näher ausführt oder beschreibt (s. o.). In Ansätzen ist diese Struktur auch hier gegeben, da die Grafik ein zentrales Element des Textes visualisiert. Der Text hat allerding nicht das Thema ‚Lotusblätter‘, sondern widmet sich der Schöpfung von Kunstwerken aus Lotusblättern. Entsprechend kommen diese im Text lediglich als eines der verwendeten Materialien vor. Damit der zentrale Aspekt der Projektion nicht gegeben. Abbildung 22: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 1 Bild 67’ Supertext 1: Text und Grafik Ebene 1 Status ungleich Bild dem Text untergeordnet Logisch-semantische Beziehung Expansion: Bedeutunsgplus aus Kombination von Text und Bild Elaboration Exemplifikation: Text allgemeiner als Bild Abbildung 22: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 1 Bild 68‘. <?page no="176"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 177 Im zweiten Analyseschritt wird aus den Elementen Supertext 1 und Ebene 3 der zweite Supertext gebildet. Abbildung 23: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 2 Bild 67’ Supertext 2: Supertext 1 und Bild Ebene 3 Status gleich komplementär Logisch-semantische Beziehung Expansion: Bedeutunsgplus aus Kombination von Text und Bild Elaboration Exemplifikation: Text allgemeiner als Bild Abbildung 23: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 2 Bild 68‘. Der wesentliche Unterschied ergibt sich hier zunächst im Bereich des Status . Es liegt hier ein gleicher Status zwischen Supertext 1 und Ebene 3 vor, da, anders als die Grafik in Ebene 1, die Darstellung in Ebene 3 unabhängig vom Text eine Funktion erfüllen kann. Die Beschreibung dieser Beziehung als komplementär im zweiten Schritt, ergibt sich aus der Textaussage und der Funktion der Textgrafik als Deixis, die explizit auf Ebene 3 verweist. Für die logisch-semantische Beziehung ergibt sich keine Änderung, da der Supertext gegenüber der Ebene drei die gleiche Funktion hat wie der Text der Ebene 1 zur ihn begleitenden Grafik. Das Bild in Ebene 3 kann als eines der möglichen Ergebnisse des beschriebenen Prozesses gesehen werden. <?page no="177"?> 178 5 Analysen Vor dem letzten Schritt kann Supertext 2 trotz der starken visuellen Komponenten, als textbasiert beschrieben werden. Sowohl in Supertext 1 als Bestandteil von Supertext 2 als auch in diesem sind die bildlichen Elemente dem Text im Hinblick auf die Aussagekraft untergeordnet. Insofern scheint die α-Modalität der Supertexte in diesem Fall zweitrangig, da das verbleibende figürliche Element in Ebene 2 mit einem primär textuellen Element in Beziehung gesetzt wird. Für den Status ergibt sich für den letzten Analyseschritt, dass Supertext 2 und Ebene 2 gleich und unabhängig sind. In der Tat sind Text und Bild nicht nur völlig eigenständig, es besteht auch inhaltlich zumindest auf den ersten Blick keine Beziehung zwischen den beiden Elementen (s. o.). Die logisch-semantische Beziehung im Bereich der Expansion ist hier als Extension zu bewerten. Kennzeichen der Extension ist, dass sie weitere, neue Informationen liefert, die auf semantischer Ebene keine intrinsische Beziehung zwischen den Elementen aufweist. Dies kann für die Beziehung zwischen der Beschreibung der Schöpfung eines Kunstwerks auf Basis natürlicher Rohstoffe und ausgestellten Kleidungsstücken angenommen werden. Die Übertragungsleistung ist nur unter Rückgriff auf bestimmte Betrachtungs- und Bewertungskonventionen möglich, wie in der Beschreibung des Aneignungsweges des Schaufensterst ausführlich beschrieben. Damit nimmt Ebene 2 eine deutlich unabhängigere Stellung gegenüber dem Text ein, als die beiden anderen präsenten grafischen/ bildlichen Elemente und realisiert erst auf dieser letzten Beschreibungsebene die eigentliche Aussage des Bildes. Insgesamt ist festzuhalten, dass die formale Beschreibung der Beziehung sehr nah am Aneignungsweg liegt, was bei komplexen Schaufenstern möglicherweise mit der notwendigen Segmentierung zu erklären ist, die den Aneignungsschritten folgen muss, um sinnvolle Einheiten zu bilden. <?page no="178"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 179 Abbildung 24: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 2 und Ebene 2 Bild 67’ Schaufenster: Supertext 2 und Bild Ebene 2 Status gleich unabhängig Logisch-semantische Beziehung Expansion: Bedeutunsgplus aus Kombination von Text und Bild Extension Abbildung 24: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 2 und Ebene 2 Bild 68‘. Das folgende, bereits oben angesprochene Schaufenster ist in seiner Gesamtstruktur ebenfalls hochkomplex, weist aber andere Besonderheiten auf. Das Schaufenster weist mindestens vier Textelemente auf, aber nur ein bildliches, dafür aber weitere grafische Elemente. In der aufgebauten Szene ist ein komplexes sprachliches Element (Wegweiser) an zwei unterschiedlichen Stellen in unterschiedlicher Größe präsent. Sprachlich identisch, gibt es jedoch einen kleinen Unterschied. Während die Wegweiser in die Richtungen „Welcome“, „California“ und „Miami“ identisch mit dem größeren Schild sind, weist der Richtungspfeil auf dem Schild „to the Beach“ in die andere Richtung. Dies ist insofern von Bedeutung, als dass so beide „to the Beach“-Schilder auf das Bild bzw. die Szene in der Mitte weisen. Eine besondere Herausforderung bei diesem Schaufenster sind die Schilder auf den Wegweisern. Drei Schilder sind Kombinationen aus Sprache und Richtungspfeil, das oberste Schild weist zwar nur Text auf, hat selbst aber Pfeilform. Damit stellt sich für das letzte Element die Frage, ob ein Schild in Pfeilform ein Bild in dem Sinne ist, wie sie in den formalen Modellen der Bildlinguistik <?page no="179"?> 180 5 Analysen angenommen werden. Sicherlich kann argumentiert werden, dass sie in ihrer Funktion identisch sind mit Pfeilen auf Schildflächen, aber dies ist bereits eine Interpretation, womit die rein formale Beschreibungsebene verlassen wird. Bild 69: Komplexes Schaufenster, mehrere Text- und Bildelemente. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich also zunächst die Frage wie mit einer mehrgliedrigen multimodalen Binnenstruktur von größeren Einzelelementen umzugehen ist, die in einer getrennten Betrachtung potentiell zu einer Vielzahl an Supertexten und damit zu einer gewissen Unübersichtlichkeit in der Analyse führen. Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel liegt kein Fließtext vor. Es kann jedoch eine homogene Struktur angenommen werden, bei der alle Text- und alle grafisch-bildlichen Elemente die gleiche Funktion erfüllen. Eine Ausnahme bildet das Firmenlogo, das auf einer eigenen Schildfläche (zweites Schild von oben) Teil dieses Ensembles ist. Ein Lösungsansatz für dieses Problem liegt demnach in einer Segmentierung der gegebenen sprachlichen und bildlich-grafischen Elemente auf einer übergeordneten Ebene. Hierzu werden die basalen Kategorien Referenz , Identität und Orientierung zugrunde gelegt. Die Schilder „California“, „Miami“ und „to the beach“ können auf dieser Basis zusammengefasst werden. Sie beinhalten <?page no="180"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 181 alle mindestens eine Verweisstruktur sowie eine Referenz, auf die sich der Verweis bezieht. Im Falle von „to the beach“ ist der Verweis in sprachlicher und grafischer Form und damit doppelt vorhanden, womit eine Betonung des Themas des Schaufensters quasi als multimodale Reduplikation erfolgt. Aus diesen Elementen kann der α-modale Supertext 1 gebildet werden. Abbildung 25: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 1 Bild 68’ Supertext 1 (Wegweiser) Status ungleich Bild untergeordnet Logisch-semantische Beziehung Expansion: Bedeutunsgplus aus Kombination von Text und Bild Enhancement: Die Grafik liefert eine weitere qualifizierende Information zum Ort Abbildung 25: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 1 Bild 69‘. Der Status von Text und Bild ist als ungleich , Bild untergeordnet zu beschreiben, da die Orientierung gebenden Richtungspfeile ohne Referenz ohne Bedeutung bleiben, die Referenzen aber unabhängig von diesen semantische Bedeutung haben. Auf der logisch-semantischen Ebene liegt eine Expansion der Art Enhancement vor, die zusätzliche Informationen zu Zeit, Ort, Ursache etc. gliedern. Diese Zusatzinformation liegt hier in der Richtungsangabe. Als weiteres multimodales Aggregat kann die aufgebaute Szene in Verbindung mit dem Schild „time to chillax“ als einzigem Schild ohne lokale, sondern mit thematischem Verweis gesehen werden. Der Bezug ist ebenfalls die aufgebaute Szene, mit welcher dann der α-modale Supertext 2 gebildet wird. <?page no="181"?> 182 5 Analysen Abbildung 26: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 2 Bild 68’ Supertext 2 (Thema + Bild) Status gleich unabhängig Logisch-semantische Beziehung Expansion: Bedeutungsplus aus Kombination von Text und Bild Exemplifikation: Text allgemeiner als Bild Abbildung 26: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 2 Bild 69‘. Die formale Beziehung zwischen den beiden Elementen des Supertextes 2 ist gleich, unabhängig, weil keine gegenseitige Abhängigkeit im Hinblick auf das Verständnis oder die Aussage besteht. Auf logisch-semantischer Ebene ist von einer Exemplifikation mit allgemeinerem Text aus zugehen, da „to chillax“ nicht notwendigerweise auf einen Strand verweist, die Darstellung also nur eine von vielen Möglichkeiten ist. Aus diesen beiden Supertexten wird die formale Beziehung des gesamten Schaufensters abgeleitet ( α-modaler Supertext 3) , der dann in Beziehung gesetzt werden kann zu den inhaltsgleichen, und deswegen zusammenfassbaren Texten auf der Schaufensterscheibe ( α-modaler Supertext 4 ). <?page no="182"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 183 Abbildung 27: Visualisierung ‚formale Beziehung Supertext 3 Bild 68’ Supertext 3 (Supertext 1 + Supertext 2) Status gleich unabhängig Logisch-semantische Beziehung Expansion: Bedeutungsplus aus Kombination von Text und Bild Extension Abbildung 27: Visualisierung ‚formale Beziehung Supertext 3 Bild 69‘. Abbildung 28: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 4 Bild 68’ Supertext 4 (Supertext 3 + Text Fensterscheibe) Status gleich unabhängig Logisch-semantische Beziehung Expansion: Bedeutungsplus aus Kombination von Text und Bild Exemplifikation: Text allgemeiner als Bild Abbildung 28: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 4 Bild 69‘. <?page no="183"?> 184 5 Analysen Die formale Beziehung zwischen den beiden Elementen des Supertextes 4 ist gleich , unabhängig , weil keine gegenseitige Abhängigkeit im Hinblick auf das Verständnis oder die Aussage besteht. Auf logisch-semantischer Ebene ist von einer Exemplifikation mit allgemeinerem Text auszugehen, da „endless summer“ nicht notwendigerweise auf einen Strand verweist, die Darstellung also nur eine von vielen Möglichkeiten ist, den Sommer zu gestalten. 83 Damit ist die Beziehungsstruktur von Supertext 2 und 4 identisch. Als letzter Analyseschritt bleibt die Beschreibung dieses komplexen α-modalen Supertextes 4 mit dem verbleibenden letzten Segment . Hierbei handelt es sich um die beiden Schilder „Welcome“ und das Logo, die als „Willkommen bei Hunkemöller“ zu lesen sind. Das identitätsbezeichnende Firmenlogo wird hier zusammen mit dem Verweis „Welcome“ in eine multimodal formulierte Gesamtaussage überführt ( α-modaler Supertext 5) . Diese Aussage steht, obwohl Teil der aufgebauten Szene, im Grunde außerhalb, weil sie nicht zu deren Erzählung beiträgt, sondern eher als Bühne dient. 83 Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass Endless Summer auf den Titel eines gleichnamigen Kompilationsalbums der Gruppe Beach Boys (1974) anspielt, das Titel wie California Girls oder Girls on the Beach enthält, auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass dieses Album heute noch im kulturellen Wissen eines Standard-Passanten verankert ist. <?page no="184"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 185 Abbildung 29: Visualisierung ‚formale Beziehung Supertext 5 Bild 68’ Supertext 5 (Firmenlogo + Schild "Welcome") Status gleich unabhängig Logisch-semantische Beziehung Expansion: Bedeutungsplus aus Kombination von Text und Bild Enhancement: Die Grafik liefert eine weitere qualifizierende Information: Wer heißt willkommen Abbildung 29: Visualisierung ‚formale Beziehung Supertext 5 Bild 69‘. Abbildung 30: Visualisierung ‚formale Struktur Schaufenster Bild 68’ Schaufenster (Supertext 4 + 5) Status gleich unabhängig Logisch-semantische Beziehung Expansion: Bedeutungsplus aus Kombination von Text und Bild Extension Abbildung 30: Visualisierung ‚formale Struktur Schaufenster Bild 69‘. <?page no="185"?> 186 5 Analysen Die formale Beziehung zwischen den Supertexten 4 und 5 ist als gleich , unabhängig zu bezeichnen, weil keine gegenseitige Abhängigkeit im Hinblick auf das Verständnis oder die Aussage besteht. Auf der logisch-semantischen Ebene liegt eine Extension vor. Supertext 5 liefert eine semantisch von Supertext 4 völlig unabhängige Information. Alle im Schaufenster genannten Referenzen sind in sprachlicher Form präsent; das Kernthema, dessen Frames und Subframes (Strand, Urlaub, Erholung, Sommer etc.), durch die sprachlichen Elemente ausgelöst werden, sind durch die bildliche Unterstützung als multimodale Reduplikation vorhanden. Für das letzte Segment ist die Beziehung von Orientierung und Identität bzw. lokaler Referenz umgekehrt, da die Identifikation auf bildlich-grafischer Ebene durch das Logo erfolgt, der Verweis aber auf sprachlicher Ebene erfolgt. Durch den hier exemplarisch dargestellten Ansatz kann die Beschreibung der formalen Beziehungen auf sechs Analyseschritte reduziert werden, was im Hinblick auf komplexe Strukturen zur Übersichtlichkeit beiträgt und gleichzeitig kognitive Kategorien aufzeigt, die bei einer vorbereitenden Strukturierung multimodaler Aggregate zum Einsatz kommen können. Rückblickend auf die obige die Analyse von Bild 68 kann festgehalten werden, dass auch hier mit Verweisstrukturen und Referenzen (Lotusblatt sowie die Nennung im Text in Ebene 3) gearbeitet wird. Auch Identität spielt eine Rolle, da der Textinhalt weniger eine Beschreibung von Kunst, sondern Kunsthandwerk ist, als welches Mode auch verstanden werden kann. Schlüsselwörter im Text fungieren hier als Auslöser für die entsprechenden Frames. Einfache Schaufenster mit je einem Text- und Bildelement und solchen mit einer textuellen Leerstelle können in ihrer Struktur einfacher mit formalen Modellen beschrieben werden, weil sie zumindest auf dieser Ebene nur zweigliedrig und damit linear sind. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch diese Sehflächen in einem komplexeren Kontext stehen und Verweise und Referenzen aufgrund der Struktur des öffentlichen Raumes in der Regel außerhalb der Sehfläche zu finden sind. So ist bei Berücksichtigung des Gesamtkomplexes von Bild 67 der Firmenname, der unweit des Schaufensters zentral als Etikette angebracht, von großer Bedeutung für die korrekte Zuordnung des Schaufensters (Identität). Die Darstellungsprobleme formaler Modelle liegen in ihrer Linearität begründet. Die Wahrnehmung dreidimensionaler Räume und Strukturen kann in linearen Modellen nur schwer abgebildet werden, weil Räumlichkeit und die damit verbundenen Verweisstrukturen auf Informationen referieren können, die außerhalb der verweisenden Struktur liegen und die eine eigene Binnenstruktur aufweisen können. Gleichzeitig ergibt sich das Problem, dass die Repräsentanten kognitiver Kategorien in der Regel nicht modalitätsgebunden sind, also sowohl eine grafisch-bildliche oder sprachliche Form annehmen können. <?page no="186"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 187 Die Dichotomie von Text und Bild, die formalen Modellen zugrunde liegt kann dem ebenfalls nicht Rechnung tragen. Sehflächen mit Schaufenster-übergreifenden Elementen sind über kognitive Kategorien und den durch die Referenzen ausgelösten Frames gut zu strukturieren, da sie Zugehörigkeiten klären und so dem Betrachter helfen, die wahrgenommenen Elemente zu „sortieren“ und seine Wahrnehmung gemäß seiner Intentionen zu profilieren. In untenstehendem Beispiel greift zunächst das an einen Frame ‚kommerzielle Transaktion‘, ‚Einkaufen‘ gebundene und von der Ausprägung des öffentlichen Raumes und der wahrgenommenen Entität aktivierte Wissen, dass der Schildtyp Etikette (s. o.) den Nutzer der Ladenflächen anzeigt, diesen und damit den Laden identifiziert. Damit dient dieser gleichzeitig als Referenz für das Schaufenster und die dort ausgestellten Waren und als Verweis auf die Ladenfläche, die über den ebenfalls unter dem Label angebrachten Eingang zu erreichen ist. Abbildung 31: Referenzstrukturen ‚Schaufenster-übergreifende Sehfläche‘. Die Schilder rechts neben dem Eingang werden aufgrund dieser Zuordnungen als eigenständige Entitäten erkannt. Gleichzeitig werden sie als Verweise auf die Obergeschosse verstanden (a). Das Zahlenschild verweist auf die Hausnummer, entsprechend werden die darunter aufgelisteten Unternehmen als unter dieser Adresse ansässig verortet (b). Die Unternehmensnamen identifizieren die Nutzer, von denen ebenfalls aufgrund des konventionalisierten Wissens um die Struktur des Raums eine Lokalisierung im Obergeschoss und Erreichbarkeit <?page no="187"?> 188 5 Analysen durch einen nahen Eingang angenommen wird. In einigen Fällen werden solche Schilder durch richtungsweisende sprachliche und/ oder grafische Elemente ergänzt (etwa die Richtungspfeile auf der Tafel rechts in Bild 70). 5.3.3 Bilder Bild 70 zeigt die größte Analyseeinheit Bild , die einen komplexen Zeichencluster umfasst. Die Basis bildet hier eine schmale Sehfläche, die das nur einseitig vom Eingang vorhandene, schmale Schaufenster sowie den Eingangsbereich umfasst. Wegen der geringen Gesamtbreite werden unweigerlich die links und rechts angebrachten Schilder des Akteurs Dienstleistung sowie das über dem rechten Dienstleistungsschild angebrachte Nasenschild des benachbarten Unternehmens wahrgenommen. Bild 70: Analyseeinheit Bild. So kann aus der Entfernung, die der 24-Fuß Regel entspricht, wie durch diese Regel beabsichtigt das gesamte Schaufenster samt Eingangsbereich erfasst werden, wobei eine Lesbarkeit der Plakette auf dem Schaufenster noch gegeben ist. Gleichzeitig werden die zentral über Eingangsbereich und Schaufenster angebrachte Etikette, die auf dem Schaufenster befindliche Plakette, das auf gleicher Höhe befindliche Nasenschild sowie die beiden Tafeln auf Augenhöhe links und rechts des Ensembles aus Schaufenster und Eingang wahrgenommen. Die Zahl der sichtbaren Einzelunternehmen beläuft sich so auf acht: sechs unterschiedliche Unternehmen des Akteurs Dienstleister , sowie zwei Unternehmen auf des Akteurs Handel . <?page no="188"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 189 Form und Platzierung zeigen dem Wahrnehmenden an, dass es sich bei den Tafeln um Schilder von Dienstleistern handelt, die in den Obergeschossen ansässig sind. Die Etikette klärt die Zugehörigkeit des Ladengeschäfts samt Schaufenster und stellt somit auch einen Bezug her zwischen dem Textinhalt der Plakette, den ausgestellten Waren und dem Unternehmen. Die Ungleichheit im Namen zwischen Etikette und Nasenschild weist zum einen darauf hin, dass beide nicht zusammengehören, und zum anderen darauf, welches das benachbarte Unternehmen ist. So wird die räumliche Gliederung dieses kleinen Ausschnitts des öffentlichen Raumes für den Betrachter eindeutig geklärt. Der Unterschied zwischen den Analyseeinheiten Bild und Sehfläche besteht also primär in der Komplexität und der Größe. Bilder enthalten grundsätzlich mehrere große Sehflächen eines Sign -Produzenten, die nicht zusammen wahrgenommen werden können, oder Strukturen vergleichbarer Größe, in denen die Schilder mehrerer Schildproduzenten gemeinsam wahrgenommen werden, wobei zusätzlich nicht zur Sehfläche gehörige Schilder, i. d. R. Nasenschilder und Etiketten, Teil der Bilder sind. Die Leistung der Aneignung besteht zunächst in der korrekten Zuweisung der einzelnen Sign -Strukturen zu ihren Produzenten, auf deren Basis eine weitere Auseinandersetzung mit einzelnen Elementen stattfinden kann. Bilder prägen aufgrund ihrer Größe die Wahrnehmung und Interpretation des öffentlichen Raumes, während kleinere Strukturen oft ein bewusstes oder zumindest bewussteres Betrachten verlangen. Ferner bieten Bilder einen ersten ‚Überblick‘ über das Angebot und die Struktur, also die konkrete Ausgestaltung eines gegebenen öffentlichen Raumes. Dabei spielen Schildtypen und deren Platzierung eine wesentliche Rolle. Abbildung 32: Struktur Analyseeinheit Bilder. Bild Schilder Nasenschild Etikette Architektur Einzelgebäude (Struktur) Gebäudeensembles Abbildung 32: Struktur Analyseeinheit Bilder . <?page no="189"?> 190 5 Analysen Die unterschiedlichen Schildtypen verweisen zunächst auf die jeweiligen Akteure als stereotype Gruppen (s. o.) und haben in diesem Kontext zwei unterschiedliche Funktionen. Zum einen wird durch Tafeln, Nasenschilder und Etiketten der allgemeine Verweis auf die Akteursgruppe aufgelöst und das einzelne Mitglied der Gruppe identifiziert und identifizierbar. Die Identifikation eines Mitglieds einer Akteursgruppe ist im Bereich Handel verbunden mit der Aktivierung des Wissens um dieses spezifische Mitglied (Corporate Identity etc.), was sich auf das weitere Verhalten des Wahrnehmenden auswirken kann. Liegt eine individuelle positive Konnotation vor, wird der Schaufensterauslage mehr Interesse gewidmet, wohingegen sich eine individuelle ablehnende Konnotation in Desinteresse an der Auslage manifestieren kann. Nasenschilder und Etiketten erlauben daher dem Nutzer des öffentlichen Raumes auch eine Vorauswahl zu treffen. Dieser Schritt bzw. diese Übertragungsleistung ist erst mit der Entstehung von Markenprodukten und dem Massenkonsum entstanden und damit ein direktes Ergebnis einer historischen Entwicklung und der Etablierung und Stabilisierung neuer Waren- und Konsumwelten sowie deren Einfluss auf die Gestaltung von Räumen und Handlungsformen und -mustern. Bild 71: Etiketten OEZ. In Bild 71 sind auch aus größerer Entfernung (über den Rolltreppenaufgang) die Labels (Identifikation) und zumindest grob die Schaufensterauslagen zu erkennen. Über die Etiketten als Schildtyp kann zunächst die Zuordnung zum Akteur Handel und darüber hinaus zu den Branchen vorgenommen werden. Die Firmen Christ und Swarovski sind in der Regel als Filialisten der Juwelier-/ Schmuckbranche bekannt. Es ist demnach möglich, dass über die Zuweisung des Akteurs hinaus die Branche über den Firmenmanen erkannt wird. Das Geschäft am rechten Bildrand gibt mit seinem Namen X-Large einen eindeutigen Hinweis, da dieser Name gleichzeitig einer Kleidergröße entspricht. Auf dieser <?page no="190"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 191 Basis kann der Wahrnehmende zumindest vermuten, dass dieses Geschäft Mode vertreibt und auf Kunden mit Übergröße abzielt. Auch wenn dies aus dem verkleinerten Bildausschnitt nicht deutlich zu erkennen ist, kann zusätzlich über die Schaufensterauslagen die Hypothese über die Zuordnung mittels der Etiketten bestätigt werden. Bei Swarovski sind die Auslagen als Schmuck oder Uhren zu erkennen; die Schaufenstergestaltung von Christ ist hierfür zu dunkel. Bei X-Large sind die Schaufensterpuppen zu erkennen, so dass eine Eingrenzung der o. g. Zielgruppe vorgenommen werden kann - die Schaufensterpuppen stellen ausschließlich Frauen dar, so dass angenommen werden kann, dass nur Damenmode im genannten Größenspektrum angeboten wird. Dies schließt an die zweite Funktion dieser Schilder an, nämlich Frames auszulösen. Zwar ist in einer Fußgängerzone oder einem Einkaufszentrum bereits ein entsprechender Frame aktiviert, aufgrund der unterschiedlichen Akteure ist jedoch eine Spezifizierung von Subframes (z. B. branchen- oder zielgruppenspezifisch) oder die Aktivierung von verwandten Frames (z. B. bei Ausstellungshallen/ Museen etc.) notwendig, um die Funktion der jeweiligen Entität zu verdeutlichen. In diesem Kontext werden Schilder von der architektonischen Ausgestaltung unterstützt. Die Wahrnehmung von Schaufenstern, Freischankflächen oder auch großen Fensterflächen, durch die Personen an Tischen wahrgenommen werden können, also zusammengefasst die Möglichkeit von (Schau)fenstern die Trennung von innen und außen zumindest tendenziell aufzuheben, ermöglicht im Zusammenspiel mit den entsprechenden Schildtypen und ihrer stereotypen Platzierung eine Identifikation des Raumes und eine Segmentierung nach Akteuren. Gleiches gilt für die Schilder der Dienstleister, die in der Regel zu Tafeln zusammengefasst auftreten. Auch hier erfolgt eine Individualisierung des Mitglieds der Akteursgruppe. Zum anderen werden über die Nennung des Dienstleistungsbereichs ein entsprechender Frame (Medizin, Jura etc.) sowie zugehörige Subframes ausgelöst, wobei letzteres abhängig ist von der individuellen Erfahrung des Wahrnehmenden und vom Grad seiner bzw. ihrer Betroffenheit. Anders als Nasenschilder und Etiketten stellen die Schilder/ Tafeln von Dienstleistern keinen Bezug zu einer Außendarstellung her, sondern verweisen auf einen ‚unsichtbaren‘ Raum in den Obergeschossen, von denen der Wahrnehmende aber eine stereotype Vorstellung hat, die bei Arztpraxen z. B. den Empfang, Warte- und Behandlungszimmer samt Einrichtung sowie das zugehörige Personal umfasst. Zusammengenommen kann aus den vorgefundenen Schildern, ihrer Position sowie aus den architektonischen Gegebenheiten auf die Nutzung eines gesamten Gebäudes oder zumindest großer Teile geschlossen werden. Auch wenn dies aufgrund seiner rein auf Handel und Gastronomie konzentrierten Ausrichtung für das OEZ nur eingeschränkt gilt, trifft dies auch auf anders strukturierte <?page no="191"?> 192 5 Analysen Einkaufszentren zu. Gleichzeitig interagieren Schilder mit Sehflächen, die über die gute Sichtbarkeit der Waren grundsätzliche Annahmen über die Nutzung stützen und diese bei Unkenntnis des durch die Schilder ausgewiesenen Nutzers näher spezifizieren. In der Anwendung auf Sehflächen haben sich die Grenzen formaler Beschreibungsmodelle bei mehrschichtigen Sehflächen und bei Schaufenster-übergreifenden Sehflächen gezeigt. Bilder im öffentlichen Raum sind in der Wahrnehmung großer Abschnitte ebenfalls übergreifende Strukturen, umfassen aber auch die Gesamtdarstellung größerer Einzelobjekte, die im Erhebungsraum mehrfach vorhanden sind. In diesen Fällen kommt es vor allem auf die Interaktion der einzelnen Nasenschilder und Etiketten mit dem Gebäude und den Sehflächen an, die in diesen Fällen Schaufenster oder bei sehr großen Flächen nur Teile dieser sind. Da die Schilder in diesen Fällen sowohl in Bezug zum Gebäude bzw. Gebäudeteil als auch zu den Sehflächen stehen, ist eine Anwendung formaler Modelle auch hier nicht ohne weiteres möglich, zumal auch zu klären ist, ob Nasenschilder und Etiketten eines Objektes ebenfalls in Beziehung zueinander zu setzen sind. Auf Basis der im Kapitel 5.3.1 herausgearbeiteten unterschiedlichen Verweisfunktionen scheint die Beschreibung der Beziehung von Nasenschild und Gebäude sowie von Etikette und Schaufenstern/ Eingang eine Möglichkeit zu bieten, wobei sowohl für den Status als auch die logisch-semantische Beziehung grundsätzlich stereotype Muster beschrieben werden, da Text- und Bildelemente immer identisch in dem Sinne sind, dass Texte immer Firmenbzw. Markennamen sind und Gebäude immer Läden, gastronomische Betriebe oder Praxen/ Büros mit gleichen historisch gewachsenen architektonischen Strukturen. Eine Ausnahme bilden die Akteure Religion und Infrastruktur. Während ersterer weder Etiketten und Nasenschilder verwendet, fehlen letzterem weitestgehend die architektonischen Bezüge. Der Status ist sowohl für die Beziehung Nasenschild-Gebäude als auch für die Beziehung Etikette-Schaufenster-Eingangsbereich für die Akteure Handel und Gastronomie als gleich, unabhängig zu beschreiben. Das Nasenschild und die textgleiche Etikette verweisen zunächst einmal nur auf die Marke und sind daher für sich alleine verständlich. Ebenso ist ein Haus zunächst einmal dies und ein Laden ein Laden (im Sinne eines Einzelhandelsgeschäft) unabhängig von seiner konkreten Nutzung. Im Bereich der logisch-semantischen Beziehung liegt eine Expansion der Art enhancement-räumlich vor, da eine räumliche Beziehung etabliert und der Text konkret an einen physischen Raum gebunden wird. Dabei verweist das Nasenschild eher großräumig auf das Gebäude und die Etikette auf den genaueren Teil sowie den Zugang. Tafeln mit Schildern von Dienstleistern leisten das gleiche in einem Schild, da sie zum einen ebenfalls zunächst für sich verständlich sind ( Status ), auf das <?page no="192"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 193 genutzte Gebäude und die Gebäudeteile verweisen (logisch-semantische Beziehung). Dies gilt selbst dann, wenn auf dem Schild keine Angabe zu den Etagen vorhanden ist, weil eine Nutzung des EGs nicht typisch ist und durch die üblicherweise sichtbare anderweitige Nutzung optisch ausgeschlossen wird (vgl. Abbildung 31 und Bild 70). Auch wenn in der Analysegröße Bild alle Schildtypen zusammenfallen, so ist sie von den großen, den Raum prägenden und die Wahrnehmenden informierenden Schildtypen Nasenschild und Etikette geprägt. Sprachdichte und Vielfalt dieser primären Wahrnehmungseinheit hängen daher stark von der ökonomischen Nutzung und der Größe einzelner Einheiten ab. Sind einzelne Unternehmen mehrfach in einem Erhebungsgebiet präsent, reduziert dies die sprachliche Vielfalt, da entsprechend viele Schilder dieses Sign -Produzenten vorhanden sind. Ähnlich negativ wirkt sich aus, wenn große Gebäude ausschließlich einen Nutzer haben (z. B. Oberpollinger, Hirmer (Bild 73)). Dies kann zu einer geringen Gesamtzahl an Sign -Produzenten, also zu geringerer Sprachdichte führen und bei mehrfacher Präsenz eines Produzenten sich zusätzlich auf die sprachliche Vielfalt auswirken. So finden sich allein in der Fußgängerzone zehn Nasenschilder und Etiketten von H&M. Besonders prägend ist dabei die Filiale in der Weinstraße mit zwei Nasenschildern und einer Etikette. Im OEZ finden sich zwei weitere Etiketten - Nasenschilder fehlen im Einkaufszentrum grundsätzlich (s. o.). Die Modekette Zara ist in der Fußgängerzone mit acht Schildern vertreten. Nennungen im OEZ belaufen sich auf zwei Etiketten und sind in das Schaufenster integriert und fallen daher nicht in diese Zählung (Bild 72). Bild 72: Schaufensterausschnitt Zara OEZ. <?page no="193"?> 194 5 Analysen Ergänzt werden diese Manifestationen von Sprache durch Schilder des Akteurs Infrastruktur, die ebenfalls in prominenter, gut sichtbarer Position angebracht sind. Die Information und Identifikation, die sie hinsichtlich der angezeigten Verkehrsmittel liefern, unterscheiden sich deutlich von denen der anderen Akteure. Während letztere auf die Struktur und Handlungsmöglichkeiten vor Ort verweisen, zeigen die Schilder des Akteurs Infrastruktur an, wie man sich durch den Raum hindurch bewegen kann, wie man ihn betreten und verlassen kann. Zusammengefasst zeigt die Analyseeinheit Bild also an, wer was wo wie mit/ bei wem tun kann und wie man an diesen Ort kommt und wie man ihn wieder verlässt. Diese allgemeine Aussage gilt auch für das OEZ und wird durch das Betreten eines Gebäudes mit festen Öffnungszeiten lediglich profiliert. Darüber hinaus können einzelne Gebäude vielschichtige semiotische Cluster sein, die sich nur bei Kenntnis aller Einzelheiten auflösen lassen. Dies trifft häufig auf ältere Gebäude mit einer langen gleichbleibenden Nutzungsgeschichte zu. Auch in diesen Fällen spielt Sprache eine untergeordnete Rolle. Nachfolgend wird dies beispielhaft am Gebäude des Herrenausstatters Hirmer gezeigt. Bild 73: Gebäude des Herrenausstatters Hirmer. <?page no="194"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 195 Das Gebäude des Herrenausstatters Hirmer, hier in der Ansicht der Giebelseite vom Stachus kommend, wird durch die Etikette auf der Giebelseite, das im Hintergrund zu sehende Nasenschild als vollständig von diesem Unternehmen genutzt angezeigt. Zu dieser Interpretation gibt die hoch unter dem Giebel angebrachte Etikette als Hinweis auf die genutzten Geschosse, sowie das am anderen Gebäudeende angebrachte Nasenschild Anlass. Inwieweit es beabsichtigt ist, die gemeinsame Wahrnehmung von Etikett und den Türmen der Frauenkirche (links oben) zu erreichen, bleibt offen. Die durch die Beleuchtung gut sichtbaren Schaufenster werden in dieser Ansicht mit dem Etikett in Verbindung gebracht. Einen Anknüpfungspunkt mit der Stadtgeschichte bildet das rechte Eck. Der dort dargestellte Turm verweist nicht nur auf den Ort eines ehemaligen Turms in der Stadtmauer („Schöner Turm“), dessen genauer Standort vor dem Gebäude markiert ist, sondern verweist auch auf eine lokale, mit diesem Turm in Verbindung stehende Legende. Am ehemaligen Standort des Turms ist eine Tafel mit den Daten des Turms sowie einer historischen Ansicht angebracht (Bild 74). 84 Die unter der Turmdarstellung an der Gebäudeecke angebrachten, im Stil gleiche Tafeln enthalten hingegen einen Werbespruch („Kauf was Gutes, kauf bei Hirmer“), womit die Erwartungen an den Inhalt dieser Tafeln bewusst gebrochen werden. Aufgrund der großen räumlichen Nähe zur Darstellung des Turms könnte ein Hinweis zu diesem erwartet werden, zumal die Tafeln in der Form nicht wie Werbetafeln wirken, sondern eher als Informationstafeln zu historischen Ereignissen wahrgenommen werden. Dies ist im Münchner Kontext insofern nachzuvollziehen, als solche Tafeln wie oben bereits ausgeführt, sich in ihrer Form immer am Stil des Gebäudes orientieren. Diesen verdeckten Werbeschildern kommt neben der expliziten Kaufaufforderung eine weitere wichtige Funktion zu. Aufgrund ihrer Position auf Augenhöhe sind sie für Passanten besser sichtbar als die hoch angebrachte Etikette und das weit entfernt angebrachte Nasenschild am anderen Ende des Gebäudes. Da gleichzeitig die Schaufenster in einer Arkade liegen, kann so am Gebäudeeck, das an zwei Stellen einen Zugang zur Arkade bietet, auf die Zugehörigkeit der Schaufenster verweisen. 84 Der „Schöne Turm“ war eines der fünf Stadttore Münchens (auch Kaufingertor genannt). Er wurde 1807 endgültig abgerissen. Das von 1912 bis 1914 in etwa an seiner Stelle nach Plänen der Architekten Eugen Hönig und Karl Söldner im Auftrag der Eigentümer der Textilhandelsgesellschaft Bamberger & Hertz erbaute Gebäude wird auch Zum schönen Turm genannt. <?page no="195"?> 196 5 Analysen Bild 74: Tafel „Schöner Turm“. Bild 75: Werbespruch Hirmer 85 . Insgesamt sind Bilder als primär bildliche Komponenten des öffentlichen Raumes wahrzunehmen. Gebäudestrukturen sowie die Wahrnehmung zentraler Elemente der Gebäude (Sehflächen/ (Schau)Fenster) bilden das Grundgerüst für die Interpretation der Funktion eines gegebenen öffentlichen Raumes. Schilder haben auf dieser Analyseebene lediglich identifizierende bzw. spezifizierende Funktion und sind durch ihren Typus und damit verbundenem stereotypen Inhalt (Firmenbzw. Markennnamen; Infrastruktur) von geringer sprachlicher Varianz und profilieren den Raum Fußgängerzone oder Einkaufszentrum hin zu einem individuellen öffentlichen Raum. Dieser Befund entspricht dem bereits in der historischen Entwicklung angelegten Fokus moderner Warenwerbung und Warenwelten, die stark auf visuelle Reize setzten und Sprache auf das Notwendigste beschränkten, da diese zum einen aufgrund ihrer Linearität weniger kompakt und mehrdimensional Informationen und Emotionen vermitteln kann. Diese Problematik spiegelt sich auch in der Anwendung formaler Modelle der Bildlinguistik in der Beschreibung von Sehflächen und Bildern (s. o.) wieder. 85 Der bereits 1914 entstandene Werbespruch „Kauf was Gutes, kauf bei Hirmer“ löste nach 1960 die Bildmarke „Freundlicher Herr“ ab, die vom Grafiker Henry Ehlers in den 1920er Jahren geschaffen wurde. <?page no="196"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 197 Die Aneignung eines öffentlichen Raumes erfolgt demnach über saliente Elemente 86 in diesem Raum, die mit einer bestimmten Bedeutung behaftet sind und entweder einen bereits aktivierten Frame bestätigen oder einen entsprechenden Frame aktivieren. Dabei sind zunächst rein bildliche Elemente (die Schildform bzw. der Schildtyp) von Bedeutung. Der Schildtext wird erst in einem zweiten Schritt (Profilierung des gegebenen Raumes) bedeutsam, in dem er dann eine anderer Reichweite und Verweisfunktion (auf das konkrete Gebäude sowie die Konnotationen einer Marke) erhält. Auf eine bestimmte Nutzung ausgerichtete Räume weisen ein festes Muster auf, welches sich aus der in Kapitel 2.3 und 3.3 beschriebenen Struktur entwickelt hat. In einem fremden Raum werden die vorgefundenen Elemente mit diesem Muster abgeglichen und so eine Nutzungshypothese gebildet. Abbildung 33: Schildfunktionen in der Analyseeinheit Bild Öffentlicher Raum Schildform: Etikette, Nasenschild, Tafeln und ihre Einzelelemente • Verweis nach außen in den Raum Funktion öffentlicher Raum (Einkaufsstraße, Durchgangsstraße mit Haltestellen etc.) Schildinhalt Profilierung • Verweis nach innen (in das Gebäude, in die Haltestelle etc.) • Nutzung • ggf. Konnotation Marken/ Nuzter/ Anbieter Abbildung 33: Schildfunktionen in der Analyseeinheit Bild . 86 Vgl. die Ausführungen zur Aneignung von Sehflächen in Kapitel 5.3.2 <?page no="197"?> 198 5 Analysen 5.3.4 Interaktionsstrukturen Die im Laufe dieser Studie identifizierten Akteure weisen unterschiedliche Interaktionsstrukturen auf. Mit Interaktionsstruktur sind die Verweisreichweite der einzelnen Schilder sowie die Interaktion der Schilder auf den unterschiedlichen Ebenen (Bild, Sehfläche) miteinander zu einer Gesamtaussage gemeint. Die für jeden Akteur spezifische Struktur wird nachstehend im Einzelnen vorgestellt. a) Interaktionsstrukturen des Akteurs Handel Die Präsentationsformen des Akteurs Handel weisen unter allen Akteuren die höchste Komplexität auf. Die unterschiedlichen Schilder, die Schaufenster und ggf. die architektonischen Strukturen sind miteinander zu einer komplexen Interaktionsstruktur verwoben. Dabei ist das Schaufenster, aufgewertet zur Sehfläche, ein eigenes mehrschichtiges Informationssystem, das mit den Schildtypen Nasenschild und Etikette interagiert und damit sowohl nach außen als auch nach innen weist. Abbildung 34: Grundlegendes Muster Interaktionsstruktur Handel Sehflächen • Warenpräsentation • Plakate/ Plaketten • Text auf Scheibe Schilder • Nasenschild • Etikette Bild • Architektur als Raum gestaltendes und prägendes Element Abbildung 34: Grundlegendes Muster Interaktionsstruktur Handel . Die architektonische Gestaltung (Gebäude, Wege etc.) eines Raums weist allgemein auf eine bestimmte Gesamtnutzung hin, die durch verschiedene Zeichen spezifiziert wird. Schaufenster/ Sehflächen als typische Elemente des Akteurs Handel sind Teil dieser architektonischen Gestaltung, tragen als prägendes Element zur Definition der Funktion des Raumes bei. Gleiches gilt, wie ebenfalls oben bereits erwähnt, für die Schildtypen Nasenschild und Etikette, die <?page no="198"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 199 aufgrund ihrer hohen Visibilität ebenfalls raumprägend und -spezifizierend wirken. Beide Elemente (Schaufenster/ Sehfläche und Schilder) weisen auf der Bildebene allgemein den gesamten Raum und spezifischer das einzelne Gebäude als ökonomisch vom Handel genutzt aus. Die Hinzunahme des Schildtextes ergibt eine weitere Spezifizierung der Gebäudenutzung, da Markenund/ oder Unternehmensnamen genauere Hinweise auf die Nutzung geben (Branchen, Preissegment, Zielgruppe (männlich, weiblich, jung etc.)). In dieser Funktion weisen die Schilder nun nach innen ins Gebäude (genaue Nutzung) und werden zugleich mit dem Image der Marke etc. aufgeladen. Damit verweisen sie auf eine dritte Ebene, die auf das Gebäude bzw. den in ihm befindlichen Geschäft übertragen wird. Sehflächen sind aus dieser Perspektive zunächst ‚Fenster‘ in dem Sinne, dass sie eine Vorstellung vom ‚Innen‘ vermitteln. Dabei muss die präsentierte Ware einerseits die Erwartungshaltung der Nutzer, die über die Schilder und deren Konnotationen bereits eine Beziehung zu einem konkreten Laden bzw. dem Label aufgebaut haben, also auf das Image des Labels reagieren, erfüllen und andererseits auch solche Personen erreichen, bei denen das Image nicht wirkt oder bei denen es unbekannt ist. Hier kann dann über den umgekehrten Weg von der präsentierten Ware über die Verifizierung des Labels/ der Marke und damit der Schildtypen Etikette und Nasenschild rückwirkend eine entsprechende Konnotierung vorgenommen werden. Die Warenpräsentation muss gleichzeitig Kaufanreize setzen, was primär über die Komposition in der Ausstellungsfläche erfolgt. Diese Ebene ist die einzige Ebene, in der Sprache in größerem Umfang zum Tragen kommt. Die ausgestellten Produkte aktivieren über Signalwörter bestimmte Subframes des Frames kommerzielle Transaktion wie dies z. B. für alle Hinweise auf Rabattierungsaktionen gilt, oder neue Frames wie dies z. B. bei den oben besprochenen Schaufenstern zum Thema Sommer-Strand-Urlaub oder zum Thema Kunst und Mode der Fall ist. Während Subframes lokal wirken, also eine Einheit von Anlass und Handlung darstellen, verweisen neue Frames über den konkreten Ort hinaus und brechen diese Einheit scheinbar auf, da das Ziel der Handlung, nämlich die über die Schaufenstergestaltung geweckte Assoziation nicht Teil des Frames kommerzielle Transaktion ist. Die Aktivierung von neuen Frames ist sprachintensiver als die Aktivierung von Subframes. Bei letzteren genügt oft ein Wort oder ein Indexal ( sale , %) evtl. in Kombination mit einem Zahlenwert oder einem Zeitraum oder einer Begrenzung auf bestimmte Warengruppen. Bei ersteren muss der Frame aktiviert und gestützt werden. Für sich genommen sind einzelne sprachliche Elemente im Gegensatz zu phrasenartigen Hinweisen auf Rabatte etc. oft nicht eindeutig genug. Die Nennung der Orte „California“, „Miami“ und Hinweise wie „to <?page no="199"?> 200 5 Analysen the beach“, „time to chillax“ können auch außerhalb des Kontextes Bademoden (s. o.) Verwendung finden. Ebenso bleibt die Präsentation von Bademoden ohne diese sprachlichen Hinweise eine reine Warenpräsentation. Die Aufladung der gezeigten Produkte erfolgt über die entsprechend konnotierten sprachlichen Elemente, welche in ihrer spezifischen Kombination die ausgestellten Waren situieren. Längere Texte sind hierfür in der Regel nicht notwendig, wichtig sind eindeutig besetzte, schnell zu verarbeitende (Schlag-)Wörter oder Slogans, die es dem Betrachter ermöglichen sich in der präsentierte Situation oder in den gezeigten Produkten vorzustellen, also im Extremfall die Rolle mit der Schaufensterpuppe zu tauschen. Trotz dieser Verweisfunktion über den Ort der Präsentation hinaus, spielt das (gewünschte) Image der Marke auch in diesem Kontext eine wichtige Rolle, da Szenen und ihr Verweis sowohl zur Zielgruppe als auch dem über Nasenschilder und/ oder Etiketten aktivierten Markenimage passen muss. So wie Nasenschilder und Etiketten ein Schaufenster und die dortige Warenpräsentation verorten und aufladen, wird die Präsentation im Schaufenster mit der Aussage der genannten Schildtypen abgeglichen. b) Informationsstrukturen des Akteurs Gastronomie Die Informationsstruktur des Akteurs Gastronomie gleicht hinsichtlich der externen Verweisreichweiten der Schildtypen Nasenschild und Etikette der des Akteurs Handel. Auch sie tragen zur Strukturierung des Raumes im Allgemeinen und der Kenntlichmachung der Nutzung einzelner Gebäude bzw. Flächen bei. Allerdings verfügt der Akteur Gastronomie nicht über eine dem Schaufenster vergleichbare Struktur. In wenigen Fällen ist ein Blick in das Innere möglich, dieser wird aber nicht explizit gefördert. Zuordnungen erfolgen hier über ein weiteres sprachliches Element, nämlich die im Außenbereich angebrachte Speisekarte. Sie zeigt, in einigen Fällen auch nur auszugsweise, das verfügbare Speisen- und Getränkeangebot und erfüllt damit eine ähnliche Funktion wie das Schaufenster zur Warenpräsentation. Die Namen gastronomischer Betriebe und damit der Schildinhalt können dabei einen Hinweis auf das zu erwartende Angebot liefern bzw. rückwirkend damit abgeglichen werden. Gleichzeitig bietet das Speisenangebot einen Hinweis auf die zu erwartende Inneneinrichtung. Ein Betrieb mit traditionellem, bayerischem Namen wird stereotyp mit einer entsprechenden Speisen- und Getränkekarte sowie einer eher im Landhausstil bis rustikal gehaltenen Einrichtung verbunden. <?page no="200"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 201 Abbildung 35: Grundlegendes Muster Interaktionsstruktur Gastronomie Speisekarte • Warenpräsentation • Hinweis auf Inneneinrichtung Schilder • Nasenschild • Etikette Bild • Architektur als Raum gestaltendes und prägendes Element Abbildung 35: Grundlegendes Muster Interaktionsstruktur Gastronomie . Bereits in dieser Konstellation kommt der Sprache eine wichtige Verweisfunktion zu. Sowohl der Name des Unternehmens als auch die Texte der Speisenkarte lösen spezielle, lokal situierte Subframes eines Frames Nahrung/ Gastronomie aus. Damit sind sie trotz ihres größeren Umfangs mit den entsprechenden sprachlichen Elementen des Akteurs Handel zu vergleichen. Gleichzeitig ist die emotionale Aufladung regionaler und nationaler Küchen in Rechnung zu stellen, womit Speisenkarten und in diesem Fall auch der Schildinhalt zusätzlich über den Raum hinaus verweisen, da entsprechende eigenständige Frames aktiviert werden. Damit übernimmt vor allem die Speisenkarte sämtliche Funktionen, die beim Akteur Handel Sprache und Bild/ Warenpräsentation gemeinsam leisten. Dies ist möglich, weil andere Vorstellungen bzw. Handlungssimulationen ausgelöst werden müssen. Im Gegensatz zum Handel, bei dem der Betrachter sich selbst in den gezeigten Waren und ggf. Situationen sehen soll, löst das Lesen einer Speisekarte eine Vorstellung aus, die auf die Speise fokussiert ist und nicht auf den Betrachter als handelnder Person. Dabei ist die sprachliche Varianz eingeschränkt und auf die Unterschiede in den Speisekarten beschränkt, die listenartige Nennung von Speisen (bes. mittels Nomina) bleibt gleich. Diese stärkere Ausrichtung auf Sprache wirkt nicht in Imbissen und Schnellrestaurants, die vermehrt auf eine bildgestützte Präsentation ihrer Waren setzen (s. o.). Für gastronomische Betriebe in bestimmten Lagen (hier: der Fußgängerzone) gilt zusätzlich, dass sich ihre semiotische Struktur durch Außenbestuhlung und Freischankflächen im Sommer ändert. Dies hat auch Einfluss auf die Raum- <?page no="201"?> 202 5 Analysen wahrnehmung insgesamt. Vorhandene Gehflächen werden kleiner, was sich im Erhebungsraum vor dem Augustiner durch die Breite der Neuhauser Straße allerdings nur marginal auswirkt. Durch die Lage des Donisl und des Cafés Wörner’s am Rathauseck wird der Zugang zur Weinstraße jedoch schmaler und die Aufmerksamkeit deutlich auf die gastronomischen Angebote gelenkt. Die Theatinerstraße zeigt ein etwas anderes Phänomen, bei der die Freischankflächen mittig angeordnet sind und Passanten so links oder rechts vorbei müssen; eine direkte Zuordnung der jeweiligen Fläche durch die räumliche Nähe zu einem Gebäude und dem Nutzer ist nicht ohne weiteres gegeben. Grundsätzlich gilt, dass das sprachliche Angebot in den Sommermonaten erweitert, aber nicht varianter ist. Angebotene Speisen und Getränke werden zusätzlich verstärkt auf Tafeln oder A-Schildern im Außenbereich angezeigt und Sonnenschirme oder Markisen tragen den Namen des Unternehmens oder einer Brauerei, so dass lediglich eine Multiplikation vorhandener Informationen erfolgt. Eine Freischankfläche mitsamt ihren Nutzern kann als ‚lebendiges Schaufenster‘ interpretiert werden, da die Präsentation des Angebots samt seines Konsums ähnlich wirken kann, wie der Aufbau einer Szene in einem Schaufenster und somit die gleichen Vorstellungen (Rollentausch) ausgelöst werden. Damit würde im Sommer die stärker sprachliche Ausrichtung traditioneller gastronomischer Betriebe hinter eine stärker visuell ausgerichtete Präsentation zurücktreten. c) Interaktionsstrukturen des Akteurs Dienstleistung Die Positionierung, formale Faktoren sowie die Informationen und deren Präsentation von Schildern aus dem Bereich Arzt-, Anwalts-, Notarpraxis und Beratung tragen zu einer leichten Identifizierbarkeit bei. Eine Sehschulung hinsichtlich der Positionierung, Form und Inhalt fördert eine prototypische Vorstellung dieses Schildtyps. Dabei ist immer eine Abgrenzung zu leisten, da Schilder/ Tafeln dieses Akteurs aufgrund ihrer Position grundsätzlich Teil von Sehflächen sind, die von anderen Entitäten (i. d. R. Handel oder Gastronomie) dominiert werden. Entsprechend weckt die Wahrnehmung dieser Schilder trotz unmittelbarer Nähe nicht die Erwartung eines Ladengeschäfts oder bestimmter Produkte. Der Rezipient ‚weiß‘ um die Lage in den oberen Stockwerken. Im Verbund mit weiteren Informationen zu den Berufsgruppen (z. B. beratend und behandelnd, keine Ladengeschäfte, i. d. R. Kontakte unter Ausschluss der Öffentlichkeit) wird zusätzlich eine Vorstellung der Aktivitäten in den Obergeschossen eines bestimmten Gebäudes aktiviert und letzteres in seiner Funktion erweitert. <?page no="202"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 203 Abbildung 36: Grundlegendes Muster Interaktionsstruktur Dienstleistung Stereotype Vorstellung von • Behandlung • Beratung • Räumen Schilder • Tafeln • Einzelschilder Bild • Architektur als Raum gestaltendes und prägendes Element Abbildung 36: Grundlegendes Muster Interaktionsstruktur Dienstleistung . Die Interaktionsstrukturen sind zunächst wesentlich weniger komplex als bei den Akteuren Handel und Gastronomie , bei denen jeweils drei sichtbare Elemente miteinander agieren und aufeinander zurückwirken. Dem Akteur Dienstleistung stehen hier nur zwei Elemente zur Verfügung, die sich im Schild kondensieren. Form und Position strukturieren wie alle Schilder der Typen Nasenschild, Etikette und Tafel den Raum. Der Schildinhalt verweist nach innen und damit zum einen auf die Gebäudestruktur und zum anderen auf die angebotenen Leistungen. Die Nennung des Anbieters löst keinerlei Assoziationen aus. Dies ist auf die Nennung des Tätigkeitsfelds verlagert und im Gegensatz zu den in der Regel positiv bis neutral besetzten Tätigkeitsfeldern im Handel und der Gastronomie neutral bis negativ besetzt. Vor allem die Inanspruchnahme ärztlicher oder juristischer Hilfe weist in der Regel auf eine Notlage hin, so dass die stereotypen Vorstellungen möglicherweise eher negativ besetzt sind. Damit ersetzt die Vorstellungsebene die ‚Leistungspräsentation‘, die im Handel von Schaufenstern und in der Gastronomie von Speisekarten geleistet wird. Die Schilder dieses Akteurs sind sprachlastig und nur in Ausnahmefällen grafisch begleitet (s. o.). Die sprachliche Varianz ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass die ‚Firmennamen‘ identisch sind mit Personennamen und somit je Schild mindestens ein Name (bei Gemeinschaftspraxen auch mehrere) zu finden ist. Hinzu kommt eine gewisse Spannbreite der Tätigkeitsfelder. Alle weiteren Angaben sind nahezu identisch und beziehen sich auf die Sprechzeiten, Telefonnummern und ggf. Hinweise zur Etage oder auf den Eingang, <?page no="203"?> 204 5 Analysen wobei dies eine der wenigen Informationen ist, die auch grafisch dargestellt werden (Richtungspfeile). d) Interaktionsstrukturen des Akteurs Kirche Die Interaktionsstruktur dieses Akteurs wird häufig von der Architektur dominiert. Die entsprechenden Gebäude (Kirchen) haben nicht nur eine eindeutige Architektur, sondern werden i. d. R. ausschließlich von diesem Akteur genutzt; weitere Gebäude mit weniger prägnanter Architektur des gleichen Akteurs (z. B. Gemeindezentren) finden sich in der Regel in großer räumlicher Nähe zu Kirchen und können entsprechend zugeordnet werden. Abbildung 37: Muster grundlegende Interaktionsstruktur Kirche. stereotype Vorstellung von • Veranstaltungen • Abläufen • Räumen Plakat/ Plakette • 'Programm' • ggf. Hinweise zu besonderen Veranstaltungen Bild • Architektur als Raum gestaltendes und prägendes Element Abbildung 37: Muster grundlegende Interaktionsstruktur Kirche . Auch dieser Akteur kann nicht auf eine Außenpräsentation seines Angebotes setzen, sondern ist dabei auf stereotype Vorstellungen der Wahrnehmenden angewiesen. Anders jedoch als im Bereich Dienstleistungen ist die ‚Angebotspalette‘ in ihren Grundzügen bekannt und wird über das Gebäude transportiert. Schriftlich fixiert wird nur noch die genaue Ausgestaltung, also eine Angabe der Gottesdienstordnung, der abgehaltenen Gottesdienste, Beichtzeiten etc. Allerdings ist hier auch ein grundlegendes Vorwissen vonnöten, da z. B. zu den Gottesdiensten nur allgemeine Hinweise gemacht werden (Hochamt, Familienmesse). Eine grafische Unterstützung findet sich in diesem Bereich nicht. <?page no="204"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 205 Weitere Veranstaltungshinweise zu Feiern und Festen, die die Allgemeinheit ansprechen sollen, entsprechen Plakaten des Akteurs Kultur (s. o.). Diese werden durch die Positionierung am Gebäude mit diesem in Verbindung gebracht und entsprechend konnotiert. Daraus ergibt sich, dass trotz der starken Präsenz von Text und einer nur schwach ausgeprägten grafischen Darstellung Sprache nur eine sekundär informierende Rolle spielt, da die Symbolkraft des Gebäudetyps ‚Kirche‘ alle grundlegenden Informationen vermittelt. e) Interaktionsstrukturen des Akteurs Kultur Der Akteur Kultur tritt im Erhebungsraum in zwei seiner typischen Erscheinungsformen auf. Dies sind einerseits Plakate als Hinweise auf andernorts stattfindende Veranstaltungen, die mit den notwendigen Angaben (wer, wann, was, wo) versehen sind. Diese Plakate weisen notwendigerweise eine stereotype Informationsstruktur auf, die sowohl an die des Akteurs Dienstleister, als auch des Akteurs Kirche erinnert. Auch hier sind stereotype Vorstellungen und Vorwissen zum Verständnis der Informationen notwendig. Abbildung 38: Muster grundlegende Interaktionsstruktur Kultur stereotype Vorstellung von • Veranstaltungen • Abläufen • Räumen Plakat/ Plakette, ggf. Nasenschild, Etikette • 'Programm' • ggf. Hinweise zu besonderen Veranstaltungen • können über den Ort hinaus weisen Bild • Architektur als Raum gestaltendes und prägendes Element Abbildung 38: Muster grundlegende Interaktionsstruktur Kultur. Die Plakate zeigen auch in ihrer Bildstruktur eine Systematik, in der wiederkehrende, jeweils der Veranstaltung angepasste Elemente Frame-auslösend wirken. Dies kann die Darstellung eines Künstlers mit seinem Instrument oder ein Orchester sein (Frame Konzert, Unterframe: Klassische Musik), die bildliche <?page no="205"?> 206 5 Analysen Unterstützung des Veranstaltungsnamen, z. B. bei Theateraufführungen mit entsprechenden Szenen aus dem Stück. Trotz der vergleichsweise zahlreichen sprachlichen Elemente ist auch hier die bildliche Darstellung von größerer Bedeutung. Die Funktion der Sprache beschränkt sich auf die Lokalisierung und Determinierung der Veranstaltung. Die bildlichen Elemente dienen aufgrund ihrer Größe nicht nur als Blickfang, sie geben auch den Kontext der Veranstaltung vor, aus dem sich dann Informationen wie Erwartungen an Kleidung, Verhalten etc. ablesen lassen. Die zweite Präsentationsform des Akteurs Kultur findet sich in Form der Kunsthalle 87 , welche durch den Ausstellungscharakter museumsartig ist. Ihre Außendarstellung orientiert sich durch die Unterbringung in einem Gebäude nur oberflächlich an den Akteuren Handel und Dienstleistungen . So verfügt das Gebäude über eine große Fensterfläche im EG, die zur Zeit der Datenerhebung durch Plakate über die in Vorbereitung befindlichen Ausstellungen verdeckt waren (s. o.). Bei freien Fenstern ist der Blick in das Innere möglich, ohne dass jedoch eine Präsentation des ‚Produktes‘ erfolgt. Das Erdgeschoss gleicht vielmehr dem Eingangsbereich von Museen (Theke mit Kassen und Ausstellungshinweisen, Ständer mit Flyern zu Ausstellungen etc.), wodurch dem ungeübten Betrachter unklar bleibt, was genau ihn in diesem Gebäude erwartet. Wegen des fehlenden sichtbaren Angebots erfolgt die Interpretation ähnlich wie bei den Ausstellungsplakaten über das vorhandene Wissen und daraus abgeleitete Vorstellungen über diesen Raum, die sich aus den Kassen und den darüber angebrachten Ausstellungshinweisen ableiten. Lediglich das Nasenschild mit dem Text „Kunsthalle“ gibt eine gewisse Situierung vor, die einen entsprechenden Frame auslöst. Dies wird im Bereich der Veranstaltungsplakate im Erhebungsgebiet durch ihre stereotype Platzierung im Raum entweder an der Litfaßsäule und der Telefonzelle in der Weinstraße oder aber an Stromkästen erreicht. Die Wahrnehmung eines Plakats an diesen Stellen löst einen Frame „kulturelles Ereignis“ aus, der dann durch das Plakat selbst erst konkretisiert wird und über den Platzierungsort hinaus auf einen anderen Ort verweist, wobei diese Orte ein typisches Nutzungsprofil haben. f) Interaktionsstrukturen des Akteurs Infrastruktur Schilder der U- und S-Bahn sind Hinweise zum Eingang und Ausgang aus der Fußgängerzone und damit Portale, die das Betreten und Verlassen des mit einer spezifischen Funktion versehenen öffentlichen Raums ermöglichen. Mit dem 87 Die Bezeichnung Kunsthalle wird beibehalten, Die Kunsthalle München gehört zur Hypo-Kulturstiftung und ist kein Museum, da sie anders als ein solches nicht über eine eigene Sammlung verfügt. In der Kunsthalle werden mehrmals jährlich wechselnde Ausstellungen gezeigt. <?page no="206"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öff entlichen Raum 207 Zugang zu den öffentlichen Verkehrsmitteln werden andere Angebots-, Präsentations- und Handlungsoptionen in den Vordergrund gestellt. Gleiches gilt im OEZ für die Zugänge zum Center, auch wenn diese stärker mit den Eingängen eines Kaufhauses zu vergleichen sind, da anders als in der Fußgängerzone eine zeitliche Beschränkung für das Betreten dieser Sonderform des öffentlichen Raumes gilt. Analoges findet sich für das Betreten der Fußgängerzone nicht. Die Zeitabhängigkeit der Handlungsoptionen in der Fußgängerzone bezieht sich nicht auf die Sichtbarkeit der Warenpräsentationen und die Zugänglichkeit des Raumes als solchem, sondern auf die Zugänglichkeit der Läden, gastronomischen Betriebe und religiösen Einrichtungen. Im OEZ hingegen ist nach Ladenschluss der gesamte Raum einschließlich aller in ihm vorhandenen Strukturen nicht mehr zugänglich. Die Sichtbarkeit und Funktionalität der Schilder des Akteurs Infrastruktur sind dort unabhängig vom Sign -Produzenten also an die Öffnungszeiten gekoppelt. Abbildung 39: Muster grundlegende Informationsstruktur Infrastruktur stereotype Vorstellung von Verkehrsmitteln und Leitsystemen Etikette, Nasenschild Bild • Architektur als Raum gestaltendes und prägendes Element Abbildung 39: Muster grundlegende Informationsstruktur Infrastruktur. Die Architektur nimmt für diesen Akteur keine besondere Rolle ein, da die Infrastruktur nicht an die umgebenden Gebäude gebunden ist. Die vorhandenen Schilder verweisen nur im Falle von Bussen, Trambahnen etc. mit ihren oberirdischen Haltestellen und ggf. Schienen auf sichtbare Objekte, die einem eigenen geschlossenen System entsprechen, das außerhalb der beschriebenen Nutzungstypen für Gebäude steht. Gleichzeitig ist der bauliche und damit permanent sichtbare Teil der Infrastruktur (Fahrzeuge sind nur temporär sichtbar) <?page no="207"?> 208 5 Analysen im Vergleich zu den Bauwerken, die von Handel, Dienstleistung und Kirche genutzt werden nicht nur deutlich kleiner, sondern in seiner Form auch weniger komplex, da er sich in der Regel auf Wartehäuschen beschränkt. Im Falle von U- und S-Bahnen kommt hinzu, dass diese bei unterirdischer Trassenführung in ihrer Struktur nicht sichtbar sind. Nur die Zugänge in Form von abwärts bzw. aufwärts führenden (Roll)Treppen und Aufzügen dienen im Zusammenspiel mit den Schildern als Wegweiser. Vor allem in diesen Fällen sind stereotype Vorstellungen von der unterirdischen Architektur, den dort befindlichen Wegen, Räumen und Handlungen für eine korrekte Interpretation notwendig. Die Präsentationen dieses Akteurs sind stark indexalisch und sprachliche Elemente finden sich lediglich auf Fahrplänen, Verkehrsschildern etc. Im Untersuchungsraum sind wegen der unterirdischen Streckenführungen von U- und S-Bahn keine Fahrpläne zu finden. Im Übergangsbereich von Wein- und Theatinerstraße findet sich ein Schild mit Regeln für den Zugang bzw. die Zufahrt in die Fußgängerzone. <?page no="208"?> 5.3 Bild, Schilder, Sprache: Interaktion im öffentlichen Raum 209 6 Fazit Beide in der vorliegenden Studie untersuchten Teiluntersuchungsräume weisen stereotype gewachsene Strukturen auf, die das Ergebnis ökonomischer und stadtplanerischer Prozesse sind wie sie in Kapitel 2 und 3 aus unterschiedlichen Perspektiven ausführlich beschrieben wurden. Damit greifen beide auf historisch gewachsene Strukturen zurück, deren Ausprägung in der Fußgängerzone auf den Genesezeitraum im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zurückgehen und die später vom Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg sowie mit der Einrichtung der Fußgängerzone entscheidend mitgeprägt wurde. Das OEZ als Einkaufszentrum/ Shopping Mall stellt eine Weiterentwicklung dar, die durch stadtplanerische Erwägungen und zunehmenden Individualverkehr initiiert wurde und in den gleichen Ansätzen begründet liegt, die auch zur Verbannung des Autoverkehrs aus dem Bereich Kaufingerstraße, Neuhauser Straße, Weinstraße, Theatinerstraße geführt haben. Trotz der vermeintlich anderen Strukturen, die sich durch ein geschlossenes Gebäude ergeben, zeigen sich vielerlei Parallelen in der semiotischen Struktur und Funktionsweise des OEZ, womit sich die Etablierung fester Muster in den Kommunikations- und Interaktionsstrukturen des öffentlichen Raums zeigt. Die Prozesse der allgemeinen Zuordnung und Strukturierung des Raums laufen zunächst über eine Zuordnung anhand von Großstrukturen wie Gebäude- und Straßentypen, durch die eine Voreinstellung in Form des Auslösens eines bestimmten Frames erfolgt, durch den auf der einen Seite eine bestimmte Erwartungshaltung an den Raum gerichtet wird und der auf der anderen Seite den Wahrnehmenden auf bestimmte Handlungs- und Kommunikationsformen einstellt. Ist diese grobe Voreinstellung erfolgt, wird diese mittels weiterer Elemente der Raumsemiotik überprüft. Im vorliegenden Fall einer Einkaufsstraße und einem Einkaufszentrum erfolgt dies primär über die typischen Schildformen und -platzierungen und zunächst unabhängig von Sprache. Sprache spielt erst im Prozess der Individualisierung und Identifizierung eine Rolle, wobei die Frage im Raum steht, ob Namen von Modeunternehmen tatsächlich sprachlich oder als grafische Einheit erkannt und verarbeitet werden (s. o.). Die Aneignung des Raums findet also in einem top-down -Prozess von großen zu kleineren Strukturen statt, wobei bestimmte Schildtypen (Etiketten, Nasenschilder, Tafeln, Infrastruktur) bifunktional und mit ihrer äußeren Form Teil der größeren Einheit sind und nur inhaltlich zur kleinsten Form zählen. Plakate und Plaketten <?page no="209"?> 210 6 Fazit hingegen zählen zur kleinsten Informationseinheit, da sie aufgrund ihrer Position und ihrer Größe nicht zur Strukturierung des Großraumes beitragen. Sprache gewinnt in diesem Stadium erst in der Annäherung an ein konkretes Objekt und seine Interpretation an Bedeutung. Zu diesen primären visuellen Reizen in der Aneignung des öffentlichen Raums kommen Schaufenster und sonstige Außendarstellungen als weitere nicht-sprachliche Elemente hinzu. Zunächst sind Schaufensterflächen auch aus der Entfernung als große Glasflächen zu erkennen und aufgrund des konventionalisierten Wissens und des entsprechenden wirksamen Frames werden diese großen Fenster als Schaufenster interpretiert und damit mit einer bestimmten Funktion versehen. Ähnlich wie Nasenschildern und Etiketten kommen damit auch ihnen zwei Funktionen zu: Aus der Ferne und in Bezug auf ihre Form sind sie Teil der semiotischen Struktur eines öffentlichen Raums mit primär ökonomischen Nutzung. Als konkretes Schaufenster eines Unternehmens bekommen sie eine spezifischere Funktion und sind Teil der Außendarstellung dieses Unternehmens. Aus der Interaktion der nach außen wirkenden und den Raum konstituierenden Funktion der drei genannten Elemente ergibt sich aufgrund des Entstehungskontextes eine stabile, konventionalisierte Grundstruktur, die der modernen Ausprägung eines Makroframes „kommerzielle Transaktion“ und zugehöriger Subframes entspricht und im Sinne von Bawarshi und Reiff (2010) als Genre-Type bezeichnet werden kann (vgl. 2.2). Diese Grundstruktur ist nicht sprachlich sondern bildlich geprägt. Sprache gewinnt erst in der konkreten Ausgestaltung und Profilierung eines Raumes und damit der Identifizierung von Einzelakteuren sowie deren Außendarstellung an Bedeutung. Die Dichte und Diversität von Schildern und Sprache ist dabei zunächst grundlegend von zwei Faktoren abhängig: 1. Größe der Einheiten. Je größer die Fläche ist, die ein Einzelakteur in Anspruch nimmt, umso geringer ist die Gesamtzahl möglicher Einzelakteure in einem gegebenen Raum. Entsprechend weniger Möglichkeiten und Notwendigkeiten bestehen für die Verwendung von Sprache. 2. Rechtliche Vorgaben zur Außenwerbung und zur Verwendung von Sprache. Außenwerbung unterliegt lokalen Bestimmungen, die Einfluss auf Form, Größe, und Dichte von Plakaten und Schildern nehmen, welche oft schon historisch angelegt sind. Wie in Kapitel 2.3 ausgeführt, resultieren die frühen Erfahrungen mit überbordender Außenwerbung (Blechpest) u. a. in Bayern bereits früh zu Regulierungen. Solche vor allem die Menge beschränke Regelungen können zusätzlich durch Vorgaben hinsichtlich des Sprachgebrauchs ergänzt werden. Während dies in Deutschland nicht der Fall ist und somit kein Einfluss auf die Ausprägung von Sprache im öffentlichen Raum gegeben <?page no="210"?> ist, kann dies in anderen Ländern aufgrund entsprechender Gesetzgebung durchaus anders sein (z. B. Frankreich, Estland, Slowakei). Vor allem in Bezug auf die Nasenschilder und Etiketten, die in der Regel die Träger von Firmennamen sind, ergibt sich hierbei die Frage nach der Zuordnung zu Bild oder Schrift. Unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung von Markenzeichen, deren sich daraus ergebenden Unveränderlichkeit, ihrem stereotypen einheitlichen Vorkommen in der Werbung und dem damit gegebenen hohen Grad an Konventionalisierung werden diese unabhängig davon, ob sie aus Text, Bild oder Text-Bild Kombinationen bestehen, in diesem Kontext primär als Bild verarbeitet. Damit ergibt sich auch für Markenzeichen eine doppelte Funktion: In Kombination mit bestimmten Schildtypen tragen sie in einem bildlich ausgerichteten Kontext zur Strukturierung und Konstruktion des Raumes bei, weisen also nach außen in den Raum (vgl. Kapitel 2.2, 2.3 und 3.2 zum Placemaking ). Als konkreter Firmen- oder Markennamen bzw. Zeichen werden sie ‚sprachlich‘ in dem Sinne, dass sie zum einen unabhängig von ihrer Präsentationsform als Schrift oder Bild verbalisiert werden und zum anderen mit Konnotation und Emotionen aufgeladen werden. In dieser Funktion weisen sie dann nach innen , wobei sich dies sowohl lokal auf den Ort des Schildes als auch gedacht in die Identität des Unternehmens, den Markenkern und seine Erzählung bezieht. Insgesamt lässt sich festhalten, dass neben den festen, nicht zu beeinflussenden Komponenten Gebäude und Straßen in ihren Grundformen fünf bifunktionale Elemente zur Konstruktion des öffentlichen Raumes beitragen. Die Funktionsunterscheidung ergibt sich aus der Trennung von Erscheinungsform und Inhalt. Nasenschild, Etikett, Tafeln, Infrastrukturschilder und Schaufenster werden auf ihre geometrische Form und ihre Platzierung reduziert, das Markenzeichen auf seine Erscheinung als Schildbeschriftung, trägt damit aber schon zu einer Profilierung des Raumes bei. Zusammen bilden diese Elemente nicht nur die Matrix eines gegeben öffentlichen Raumes, sie geben auch den kommunikativen Rahmen vor. In ihrer zweiten Funktion tragen die genannten Elemente zur Konkretisierung der Diskurse und der Ausprägung eines gegebenen Raumes bei und ändern dabei ihre Wirkrichtung. Diese zweite und in der Wahrnehmung vermutlich präsentere Funktion richtet sich auf die Präsentation bzw. Repräsentation. Nasenschilder, Etiketten und Tafeln verweisen nun auf die konkrete Lokalität und deren Binnennutzung, Markennamen laden diese Orte auf und wecken eine Erwartungshaltung in Bezug auf den ‚Inhalt‘. Sie haben damit nicht nur deiktische Funktion, sondern machen auch ein allgemeines ‚Gesprächsangebot‘, dessen Thema durch das Markenimage und das Branchensegment gesetzt werden. 6 Fazit 211 <?page no="211"?> 212 6 Fazit Schaufenster werden zu Präsentationsflächen dieses Inhalts und konkretisieren das Thema in Übereinstimmung mit dem Markenimage und den jeweils jahreszeitlichen oder anderen branchentypischen Erfordernissen. Die Besonderheit der Infrastrukturschilder liegt darin, dass sie zum einen dezidiert organisierend sind und vor allem im Bezug auf den öffentlichen Personennahverkehr der Intention der anderen Schildtypen zuwiderlaufen, da sie nicht zum Verweilen animieren sollen, sondern für Ankunft im sowie für durchfahren und verlassen des Raumes stehen. Weitere bildliche und sprachliche Elemente kommen erst in dieser Konkretisierungsphase zum Tragen und weisen damit eindeutig nach innen. Sie sind die jeweils individuelle Präsentation der genannten Erfordernisse. Auch diese Präsentationen sind vornehmlich bildlich und auch eine sprachfreie Präsentation kann zum Betreten des Ladengeschäfts oder zum Kauf animieren. Die Warenpräsentationen sind auf eine bestimmte Größe ausgelegt und auch aus größerer Entfernung gut zu sehen, wohingegen Texte in und auf Schaufenstern eine bestimmte, in vielen Fällen unmittelbare Nähe voraussetzen. Dadurch erhält der öffentliche Raum eine weitere stark bildliche Komponente. Die Dominanz des Bildlichen zu Lasten der Sprache hat bereits in der Frühzeit der Ausprägung moderner Warenwelten und der Wirtschaftswerbung eingesetzt und spiegelt die oben angesprochene Aufhebung der Linearität zu Gunsten der holistischen Wahrnehmung von Bildern wider, die eine parallele Präsentation auf mehreren Ebenen und den multifunktionalen Einsatz einzelner Zeichen ermöglicht. Das Zusammenwirken von Bildern und Sprache ist somit fast vollständig auf die Ebene von Schaufenstern und deren benachbarten Flächen verlagert. Dies gilt sowohl für benachbarte, aneinandergereihte Schaufenster als auch für sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu Schaufenstern befindenden Tafeln von Dienstleistern, welche in keiner Beziehung zu den Schaufenstern stehen. Eine der wichtigsten Leistungen des Rezipienten ist daher die Zuordnung bzw. die Trennung von Text- und Bildelementen in sinnvolle Einheiten. Dies ist auf Basis des vorhandenen Wissens um Positionen von Schildern und deren Verweisstrukturen sowie der framespezifischen Voreinstellung möglich. Erst innerhalb solcher sinnvoller Einheiten können Text- und Bildelemente in Beziehung gesetzt werden. Diese Text-Bild-Cluster finden sich in der Regel in Schaufenstern, die aufgrund ihrer Dreidimensionalität zahlreiche Gestaltungs- und Kombinationsmöglichkeiten bieten, die von einer reinen, sprachfreien Warenpräsentation bis zu komplexen Clustern mit mehreren sprachlichen und/ oder bildlichen Elementen reichen, die auf den unterschiedlichen Ebenen präsent und auf unterschiedlichste Weise miteinander verknüpft sein können. Der Einstieg in die Wahrnehmung der Schaufenster kann grundsätzlich als Salienz-basierter bottom-up- Einstieg über den Mittelteil (Ebene 2) beschrieben <?page no="212"?> 6 Fazit 213 werden. Die Darstellungen dort sind als Ganzes oder in Teilen so auffällig, dass sie als Blickfang für das gesamte Schaufenster dienen und sich an diese die Wahrnehmung der weiteren Elemente anschließt, die sich zu einer Gesamtaussage summieren. Der Minimalform entsprechen dabei sprachfreie Schaufenster, die aber möglicherweise als Text-Bild-Aggregate mit je einem sprachlichen und einem bildlichen Element zu klassifizieren sind, bei denen der Textteil im Firmennamen oder einem lokalisierenden hier besteht und welcher durch eine Leerstelle ersetzt wird. Diese Interpretation weist auf eine starke Konventionalisierung hin, bei der selbst rudimentäre sprachliche Verweisstrukturen nicht mehr notwendig sind, und die bei Bedarf von den vorhandenen Schildern des Typs Nasenschild und vor allem der über dem Eingang platzierten Etikette übernommen werden können. Auffällig ist aber auch in diesem Bereich die nur schwache Ausprägung von Sprache, die in der Regel nur unterstützende Funktion hat und Signalwörter liefert, die die von den bildlichen Darstellungen ausgelösten Frames unterstützen und/ oder in spezifischere Subframes überführen. Nur im Falle von besonderen, eigenständigen Anlässen wie Feiertagen (Muttertag im Erhebungszeitraum), oder jahreszeitlich bedingten Branchenereignissen (Schlussverkauf) bekommt Sprache einen größeren Stellenwert, da sie in diesen Fällen das Ereignis direkt oder indirekt benennt und die Warenpräsentationen zu Mustern oder Vorschlägen für die in diesem Rahmen zu erwerbenden Produkte werden. Abweichend von diesem generellen Muster hat sich im Erhebungsraum ein Schaufenster gefunden, bei dem ein längerer Text zu einem vermeintlich fremden Thema (Kunst) über eine Rückkopplung mit einer Illustration dieser Kunst auf das eigentlich beworbene (Mode) verwiesen wurde. Da aber auch hier gilt, dass der sprachliche Teil nur aus unmittelbarer Nähe zum Fenster zu lesen ist (vgl. Bild 68) und die eigentliche Funktion des Schaufensters auch ohne die Wahrnehmung des Textes erfüllt wird. Die Komplexität von Schaufenstern und Schaufenster übergreifenden und Schaufenster freien Sehflächen (z. B. Kirchen) zeigt die Grenzen formaler bildlinguistischer Beschreibungsmodelle auf. Dabei liegen die Probleme nicht nur in der Linearität begründet, die sich mit den mehrdimensionalen und oft auch übergreifenden Strukturen des öffentlichen Raumes nur schwer vereinen lässt, sondern auch in der Komplexität der zu analysierenden Entitäten in Bezug auf ihre Komposition. Die multimodalen Aggregate des öffentlichen Raums bestehen regelmäßig aus mehreren Textund/ oder Bildelementen, während formale Modelle ein Verhältnis von 1: 1 ansetzen. In den Musteranalysen ist versuchsweise mit einer Segmentierung gearbeitet worden, die als Zwischenschritt(e) einen oder mehrere α-modale Supertexte generiert hat, die dann mit den verbleibenden Elementen in Verbindung gesetzt <?page no="213"?> 214 6 Fazit wurden. Die Entscheidungen zur Segmentierung zeigten, dass eine solche nur sinnvoll möglich ist, wenn die zur sinnhaften Aneignung des multimodalen Aggregats eines Schaufensters notwendigen Schritte als Segmentierungsbasis herangezogen werden. In diesem Fall werden aber nicht mehr die Beziehungen reiner Text-Bild-Aggregate, sondern kognitiver Einheiten untersucht. Diese Einheiten entsprechen Segmenten des durch die Gesamtinterpretation ausgelösten Frames, spiegeln also bis zu einem gewissen Grad (je nach Vollständigkeit des zu analysierenden Aggregats) die Binnenstruktur des Frames wieder, dessen einzelne Elemente sowohl bildlich als auch sprachlich repräsentiert sein können. Die formale Beschreibung der Beziehungen entspricht so der Beschreibung der Beziehungen der Frameelemente zueinander und gibt im Bereich der logisch-semantischen Beschreibung die Perspektivierung oder Profilierung des Frames an. Die weitgehende Unabhängigkeit der Elemente im Bereich Status liegt zum einen darin begründet, dass ein Frame mit Platzhaltern für die entsprechenden Elemente ausgestattet ist, die individuell und unterschiedlich gefüllt werden können und zum anderen Frames grundsätzlich eine Perspektivierung zulassen, so dass für die die Platzhalter ausfüllenden Elementen eine gewisse Autonomie gegeben ist. Der Rückgriff auf den Ansatz der Frame Semantics erweist sich auch bei denjenigen Akteuren als sinnvoll, die nur über Schilder und Plakate im öffentlichen Raum vertreten sind (Dienstleister, Veranstaltungsplakate), die die gesamte Informations- und Kommunikationslast tragen. Diese Schilder und Plakate können ihre Funktion nur erfüllen, wenn sie die entsprechenden Frames aktivieren können. Im Erhebungsraum sind vier Akteure auf diese stereotype Vorstellungen angewiesen, da keine dinglichen Produkte angeboten werden, sondern Handlungen, für die keine exemplarische Präsentation möglich ist ( Dienstleister , Kirche , Kultur , Infrastruktur ). Aufgrund des hohen Konventionalisierungsgrads und der starken Framegebundenheit des öffentlichen Raums und seiner multimodalen Aggregate ist trotz der Schwierigkeiten, die sich mit bildlinguistischen Modellen ergeben haben, die Ausarbeitung eines analogen Modells für dreidimensionale komplexe multimodale Aggregate wünschenswert, die eine einheitliche Beschreibung und Typisierung eben dieser Aggregate möglich macht. Die Konzentration auf die sprachlichen Daten zeigt ein kleines Korpus, das die von Straßner (2002: 42) konstatierte sprachliche Kürze und Prägnanz aufgrund der notwendigen Konzentration auf das Wesentliche in der Werbung bestätigen kann. Die wenigen vorgefundenen längeren Texte haben nie Werbe-, sondern Informationswert und können als eigenständige Textsorten identifiziert werden (Stellenangebote, Speisekarten, Gottesdienstordnungen etc.). <?page no="214"?> Gleichzeitig weisen lange Texte auf eine fehlende bildliche Präsentation hin. Bei einigen Textsorten wie dem Stellenangebot oder der Gottesdienstordnung ist eine bildliche Unterstützung kaum möglich. Im Bereich der Gastronomie lässt sich eine Wechselwirkung beobachten, in dem der sprachliche Umfang der typischen Textsorte Speisenkarte vom Grad der bildlichen Präsentation der Speisen abhängig ist. Der Anteil an Fremdsprachen ist gering und auf stereotypische Verwendungen durch bestimmte Akteure beschränkt, so dass viele fremdsprachliche Elemente in ihrer Bedeutung auch ohne Sprachkenntnisse intuitiv bzw. situativ oder über die Wiederholung isoliert gelernt und somit verstanden oder zumindest zugeordnet werden können. Dabei handelt es sich häufig um Fachbegriffe aus den Bereichen Mode und Kosmetik sowie Speisennamen internationaler Küchen. Die Bewertung einzelner Lexeme als fremdsprachlich oder als Entlehnung ist in diesem Kontext auch vor dem Hintergrund zunehmender Sprachkenntnisse zu diskutieren, wobei weniger formale Kriterien, sondern sprecherzentrierte Perspektiven von Interesse sind, da vor allem in der Linguistic Landscape-Forschung Multilingualität eine großer Rolle spielt, während die einzelsprachliche Zuordnung eines Textelementes in der Bildlinguistik zumindest auf formaler Ebene unbeachtet bleiben. Für die Linguistic Landscape-Forschung ergibt sich aus der gesamten Kontextualisierung zunächst eine stark situierte, durch rechtliche Rahmenbedingungen gelenkte und bis zu einem gewissen Grad auch konventionalisierte Verwendung von Sprache. Der starke Zusammenhang von Sprachverwendung und ökonomischer Zielsetzung führt zu formelhaften Verwendungen sprachlicher Elemente, die sich in der geringen Diversität des untersuchten Korpus zeigen. Die starke Kopplung an Rhythmen der Modeindustrie, der auch andere Branchen folgen, resultiert in einem sich regelmäßig wiederholenden Satz an Themen, deren zugehörige Wortfelder sowie dominanten Sprachen die jeweils aktuelle Linguistic Landscape prägen. Damit ist die Linguistic Landscape einerseits einem steten Wandel unterworfen, bleibt aber aufgrund der sich wiederholenden Themen zirkulär. Varianz ergibt sich lediglich durch die Wahl unterschiedlicher Präsentationsformen der jeweils aktuellen, sprachlich und bildlich Zielgruppen spezifisch aufbereiteten Themen, wobei auch diese von großen stabilen kollektiven Vorstellungen beeinflusst werden. 6 Fazit 215 <?page no="215"?> 216 6 Fazit 7 Abbildungen Abbildung 1: Grafische Darstellung des Modells von Martinec & Salway. 56 Abbildung 2: Zusammengehörigkeit und Beziehung Einzelelemente. 61 Abbildung 3: Untersuchungsraum Fußgängerzone 64 Abbildung 4: Flächen des OEZ im Erhebungszeitraum 65 Abbildung 5: Verschiedene Tafel-Typen. Abbildung 6: Ausschnitt aus Objektsteckbrief Abbildung 7: Auszug Erfassung historische Daten . Abbildung 8: Gegenüberstellung ‚Darstellung Blutkreislauf/ Farbverteilung‘ 137 Abbildung 9: Ebenen ‚Schaufenster‘ 163 Abbildung 10: Beispiel ‚Schaufenster Variante 1‘ 166 Abbildung 11: Beispiel ‚Schaufenster Variante 2‘ 168 Abbildung 12: Beispielanalyse ‚Variante 2‘ 170 Abbildung 13: Aneignungswege (Beispiel Leos) 171 Abbildung 14: Beispiel Schaufenster Variante 3 174 Abbildung 15: Aneignungswege (Beispiel Hunkemöller) 178 Abbildung 16: Beispiel ‚Schaufenster Variante 4‘ 179 Abbildung 17: Aneignung ‚Schaufenster Variante 4‘ 182 Abbildung 18: Beispiel ‚Schaufenster Variante 5‘ 184 Abbildung 19: Aneignung ‚Schaufenster Variante 5‘ 186 Abbildung 20: Visualisierung ‚formale Analyse Bild 66‘ 197 Abbildung 21: Visualisierung ‚formale Beziehung Bild 67‘ 200 Abbildung 22: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 1 Bild 68‘ 204 Abbildung 23: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 2 Bild 68‘ 206 Abbildung 24: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext2/ Ebene2 Bild 68‘ 208 Abbildung 25: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 1 Bild 69‘ 212 Abbildung 26: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 2 Bild 69‘ 214 Abbildung 27: Visualisierung ‚formale Beziehung Supertext 3 Bild 69‘ 215 Abbildung 28: Visualisierung ‚formale Struktur Supertext 4 Bild 69‘ 216 Abbildung 29: Visualisierung ‚formale Beziehung Supertext 5 Bild 69‘ 217 Abbildung 30: Visualisierung ‚formale Struktur Schaufenster Bild 69‘ 218 Abbildung 31: Referenzstrukturen ‚Schaufenster-übergreifende Sehfläche‘ 221 Abbildung 32: Struktur Analyseeinheit Bilder . 224 Abbildung 33: Schildfunktionen in der Analyseeinheit Bild . 234 Abbildung 34: Grundlegendes Muster Interaktionsstruktur Handel. 235 Abbildung 35: Grundlegendes Muster Interaktionsstruktur Gastronomie. 238 Abbildung 36: Muster grundlegende Interaktionsstruktur Dienstleistung. 241 Abbildung 37: Muster grundlegende Interaktionsstruktur Kirche. 243 Abbildung 38: Muster grundlegende Interaktionsstruktur Kultur 245 Abbildung 39: Muster grundlegende Informationsstruktur Infrastruktur 248 <?page no="216"?> 8 Tabellen Tabelle 1: Analyseparameter Schilder 86 Tabelle 2: Analyseparameter Sehflächen 87 Tabelle 3: Analyseparameter Bilder 88 Tabelle 4: Entwicklung ‚Zahl Unternehmen‘. 89 Tabelle 5: Ökonomische Struktur Erhebungsraum 90 Tabelle 6: Kerndaten Korpus 98 Tabelle 7: Durchschnittswert Wörter/ Sign -Produzent. 101 Tabelle 8: Anteile Fremdsprachen an den Teilkorpora der Erhebungsgebiete. 105 Tabelle 9: Anteile Fremdsprachen am fremdsprachlichen Korpus 106 Tabelle 10: Verteilung fremdsprachlicher Elemente. 107 9 Diagramme Diagramm 1: Verteilung und Anteile Fremdsprachen. 105 Diagramm 2: Anteile der Fremdsprachen am fremdsprachlichen Korpus. 106 Diagramm 3: Anteil Fremdsprachen an den Subkorpora der Akteure. 108 Diagramm 4: Anteil der Akteure an einzelnen fremdsprachlichen Korpora. 109 Diagramm 5: Anteile Farben / Schildfläche. 117 Diagramm 6: Verteilung Schriftfarben. 120 10 Bildverzeichnis Bild 1: Schaufenster Fa. Esprit, Kaufingerstraße 24 22 Bild 2: Schaufenster Fa. Hunkemöller, OEZ 22 Bild 3: Schaufenster Fa. Hirmer, Kaufingerstraße 28 23 Bild 4: Fußgängerzone München 27 Bild 5: Weinstraße 8, 1910 40 Bild 6: Kaufingerstraße 14 und 15, 1910. 41 Bild 7: Theatinerhof 44 Bild 8: Theatinerstraße, Gedenktafel Mielichhaus 45 Bild 9: Gedenktafel Hans Mielich 45 Bild 10: Oberpollinger 1875. 67 Bild 11: Oberpollinger 1906. 68 Bild 12: Palais Preysing, Theatinerstraße 69 Bild 13: Kaufingerstraße 10 um 1918 . Bild 14: Ansicht Karlstor, Neuhauser Straße ca. 1910: Gebäude ohne Arkaden <?page no="217"?> Bild 15: Ansicht Karlstor, Neuhauser Straße 2016: Gebäude mit Arkaden Bild 16: Einzelansichten: Karstadt Sport und Deichmann 82 Bild 17: Arkaden Hettlage-Haus und Arkaden Kaufingerstraße/ Weinstraße 82 Bild 18: pinkie-Filiale im OEZ. 91 Bild 19: DEPOT-Filiale im OEZ. 92 Bild 20: ORO VIVO im OEZ. 92 Bild 21: OEZ 94 Bild 22: Blick entlang der Fußgängerzone 94 Bild 23: nicht schildgebundener Text. 111 Bild 24: Komplexe Sehfläche: Schilder und nicht schildgebundene Texte. 112 Bild 25: Kombination schildgebundene und nicht schildgebundene Schrift 113 Bild 26: Etikette Typ 1. 115 Bild 27: Etikette Typ 2 115 Bild 28: Etikette Typ 3a 116 Bild 29: Etikette Typ 3b 116 Bild 30: Inversionen auf Schildern 117 Bild 31: Inversionen auf Schildern 118 Bild 32: H&M Weinstraße. 118 Bild 33: H&M Kaufingerstraße. 119 Bild 34: Nicht schildgebundene weiße/ grau-weiße Schrift. 120 Bild 35: Nicht schildgebundene schwarze Schrift. 121 Bild 36: Verwendung von Rot als Schriftfarbe und als Schildgrund t. 122 Bild 37: Textfreies Bild als Schaufensterhintergrund. 123 Bild 38: Firmenschild „Marrying“ 124 Bild 39: Schaufenster C&A Kaufingerstraße. 128 Bild 40: Schaufenster C&A OEZ. 128 Bild 41: Muttertagsschild C&A 130 Bild 42: Plakette Rabattaktion S. Oliver. 131 Bild 43: Übereinander angeordnete Nasenschilder mehrerer Unternehmen. 132 Bild 44: Ausschnitt Tafel; Praxisschilder mit grafischer Unterstützung. 135 Bild 45: Eingeschränkte Sichtbarkeit durch Lage im 1. OG. 136 Bild 46: Plakat Café zur Mauth 139 Bild 47: Plakate mit Speisenangebot, vinzenzmurr. 140 Bild 48: Fassadenmalerei Donisl. 141 Bild 49: Einladung ‚Frühlings- und Familienfest‘ 143 Bild 50: Einladung ‚Mitsingkonzert‘ 144 Bild 51: Telefonzelle Weinstraße mit Veranstaltungsplakaten. 146 Bild 52: Plakate Kunsthalle. 147 Bild 53: Konzertplakat 148 Bild 54: Eingang U- und S-Bahn Neuhauser Straße. 151 Bild 55: Eingang S-Bahn Haltestelle Marienplatz auf der Kaufingerstraße. 151 Bild 56: Schild mit Infrastrukturhinweisen OEZ Untergeschoss 152 Bild 57: Interaktiver Plan des OEZ. 153 <?page no="218"?> Bild 58: U-Bahn Schild OEZ in der Ladenfläche Wöhrl. 153 Bild 59: Nasenschild Gastronomie 157 Bild 60: Blick entlang der Kaufingerstraße, Bildausschnitt. 158 Bild 61: Ensemble aus Nasenschildern, Etiketten und Schaufenstern. 160 Bild 62: Sonderform ‚Sehfläche‘ 164 Bild 63: Schaufenster ‚übergreifende Sehflächen, Beispiel 1‘ 187 Bild 64: Schaufenster ‚übergreifende Sehflächen, Beispiel 2‘ 188 Bild 65: Ausschnitt ‚Sehfläche‘ (Augustiner) 193 Bild 66: Einfaches Schaufenster 195 Bild 67: Einfaches Schaufenster 198 Bild 68: Komplexes Schaufenster 202 Bild 69: Komplexes Schaufenster, mehrere Text- und Bildelemente 210 Bild 70: Analyseeinheit Bild 222 Bild 71: Etiketten OEZ. 224 Bild 72: Schaufensterausschnitt Zara OEZ 228 Bild 73: Gebäude des Herrenausstatters Hirmer. 230 Bild 74: Tafel „Schöner Turm“ 232 Bild 75: Werbespruch Hirmer 232 11 Bildnachweis Bild 5: Weinstraße 8, 1910. Stadtarchiv München Signatur DE-1992-FS-HB-XXIII-336} Bild 6: Kaufingerstraße 14,15 1910. Stadtarchiv München Signatur DE-1992-FS-HB-XXIII-078 Bild 10: Neuhauser Straße Stadtarchiv München Signatur DE-1992-FS-NL-WEIN-0155 Bild 11: Oberpollinger Stadtarchiv München Signatur DE-1992-FS-NL-WEIN-0383 Bild 13: Kaufingerstraße 1918 Stadtarchiv München Signatur DE-1992-FS-HB-XX-K-043 Bild 14: Ansicht Karlstor Neuhauser Straße Richtung Stachus ca. 1910 Stadtarchiv München Signatur DE-1992-FS-NL-KV-2105 <?page no="219"?> 220 Bibliografie Adami, Elisabetta (2017). Multimodality and superdiversity: Evidence for a research agenda. Tilburg Papers in Culture Studies 177. Allgem[eine]. Fleischerz[ei]t[un]g (1911). Schaufenster-Dekoration für das Fleischer- und Wurstmacher-Gewerbe . Berlin. Baldry, Anthony; Thibault, Paul J. (2006). Multimodal Transcription and Text Analysis: A Multimodal Toolkit and Coursebook with Associated On-line Course . London: Equinox. Barr, Helen (2016). 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Anhand einer Vielzahl von Beispielen wird untersucht, wie die drei Modalitäten miteinander interagieren und welche semantischen Funktionen den jeweiligen Modalitäten bei der Konstruktion einer semiotischen Gesamtgestalt zukommen. Die Untersuchung geht von aktuellen Ansätzen der ‚Linguistic- Landscape‘-Forschung aus, versteht ‚Linguistic Landscapes‘ aber nicht als eigenständiges, von anderen Modalitäten unabhängiges semiotisches System, sondern als Teil umfassenderer ‚Semiotic Landscapes‘, deren interne Struktur anhand der beiden o. g. Landscha en nachgezeichnet wird. 567 Schulze Bilder - Schilder - Sprache Bilder - Schilder - Sprache Empirische Studien zur Text-Bild-Semiotik im ö entlichen Raum Ilona Schulze 18298_Umschlag.indd 3 13.02.2019 08: 59: 34