Spracherhalt und Sprachverlust bei Jugendlichen
Eine Analyse begünstigender und hemmender Faktoren für Spracherhalt im Kontext von Migration
0715
2019
978-3-8233-9306-1
978-3-8233-8306-2
Gunter Narr Verlag
Helena Olfert
Der Erhalt von Minderheitensprachen ist ein in der Mehrsprachigkeitsforschung aktuell vielfach diskutiertes Thema. Die Beschäftigung mit diesem Gegenstand stellt nicht nur das gängige Verständnis von "muttersprachlicher" Kompetenz infrage, sondern erweitert auch eine idealisierte Vorstellung von balanciert Mehrsprachigen um Sprecher mit vielfältigeren Sprachprofilen. Dieser Band stellt nach einem umfassenden, interdisziplinär angelegten Überblick über das Forschungsfeld eine empirische quantitative Studie vor, die den Einfluss unterschiedlicher außersprachlicher Faktoren auf den Erhalt bzw. den Verlust der Herkunftssprache bei Jugendlichen der zweiten Migrantengeneration in Deutschland untersucht.
Spracherhalt und Sprachverlust bei Jugendlichen LD 40 Der Erhalt von Minderheitensprachen ist ein in der Mehrsprachigkeitsforschung aktuell vielfach diskutiertes Thema. Die Beschäftigung mit diesem Gegenstand stellt nicht nur das gängige Verständnis von „muttersprachlicher“ Kompetenz infrage, sondern erweitert auch eine idealisierte Vorstellung von balanciert Mehrsprachigen um Sprecher mit vielfältigeren Sprachpro len. Dieser Band stellt nach einem umfassenden, interdisziplinär angelegten Überblick über das Forschungsfeld eine empirische quantitative Studie vor, die den Ein uss unterschiedlicher außersprachlicher Faktoren auf den Erhalt bzw. den Verlust der Herkunftssprache bei Jugendlichen der zweiten Migrantengeneration in Deutschland untersucht. 40 40 Language Development ISBN 978-3-8233-8306-2 Olfert Spracherhalt und Sprachverlust bei Jugendlichen Helena Olfert Spracherhalt und Sprachverlust bei Jugendlichen Eine Analyse begünstigender und hemmender Faktoren für Spracherhalt im Kontext von Migration Language Development 18306_Olfert_Umschlag.indd Alle Seiten 31.05.2019 09: 27: 17 Language Developement Herausgegeben von Christina Flores (Braga), Tanja Kupisch (Konstanz), Esther Rinke (Frankfurt am Main) und Aldona Sopata (Poznań) Band 40 Helena Olfert Spracherhalt und Sprachverlust bei Jugendlichen Eine Analyse begünstigender und hemmender Faktoren für Spracherhalt im Kontext von Migration Language Developement Herausgegeben von Christina Flores (Braga), Tanja Kupisch (Konstanz), Esther Rinke (Frankfurt am Main) und Aldona Sopata (Poznań) Band 40 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0939-7973 ISBN 978-3-8233-8306-2 (Print) ISBN 978-3-8233-9306-1 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0170-7 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 5 Inhaltsverzeichnis Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.1 Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.2 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1 Spracherhalt und Sprachprestige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.2 Mehrsprachigkeit und Bildungserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.3 Gründe für Spracherhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.4 Mehrsprachigkeit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.5 Erkenntnisinteresse der Heritage-Language-Forschung . . . . . . . . . . 48 2.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.1 Der Begriff „Heritage Language“ und seine Abgrenzung von anderen Termini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.1.1 Entstehung des Begriffs „Heritage Language“ . . . . . . . . . . . . . 53 3.1.2 „Heritage Language“ im Vergleich zu anderen Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3.1.3 Arbeitsdefinition des Begriffs „Heritage Language“ . . . . . . . . 59 3.2 Charakteristika des Heritage-Language-Sprechers . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.2.1 Spezifische Bedingungen des Heritage-Language-Erwerbs 60 3.2.2 Die Bedeutung der Sprachkompetenz für die Heritage- Language-Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3.3 Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language- Sprechern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.3.1 Perspektiven der Attritionsforschung auf Sprachverlust . . . 66 3.3.2 Transfermöglichkeiten der Erkenntnisse aus der Attritionsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3.3.3 Unvollständiger bzw. divergenter Erwerb der Heritage Language . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.3.4 Attrition vs. unvollständiger bzw. divergenter Erwerb . . . . . 71 6 Inhaltsverzeichnis 3.4 Die Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern als Normabweichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.4.1 Die monolinguale Vergleichsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.4.2 Fortgeschrittene L2-Lerner als Vergleichsgruppe . . . . . . . . . . 74 3.4.3 Andere Möglichkeiten zur Bildung einer Vergleichsgruppe 75 3.4.4 Diasporavarietäten als Ausgangspunkt des Heritage- Language-Erwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.5 Studien zur Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage- Language-Sprechern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.5.1 Phonologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.5.2 Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.5.3 Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.5.4 Wortschatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt . . . . . . . . . . . 103 4.1 Die Auswirkungen von externen Faktoren auf Spracherhalt in der HL- und Sprachtodforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.2 Gruppenspezifische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.3 Sprachbiographische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.3.1 Spracherwerbstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.3.2 Familienkonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.4 Sprachgebrauchskontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4.4.1 Sprachregister und Sprachmodi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.4.2 Sprachverwendung mit Eltern, Großeltern, Geschwistern, Peers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4.4.3 Besuche im Herkunftsland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4.4.4 Unterricht in der Herkunftssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.4.5 Gottesdienstbesuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4.4.6 Mediengebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4.5 Sozio-emotionale Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 4.5.1 Einstellung zur Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4.5.2 Ethnische und nationale Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 5 Fragestellung und Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 6 Methodisches Vorgehen der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6.1 Methodenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Inhaltsverzeichnis 7 6.2 Aufbau des Fragebogens und Operationalisierung der einzelnen Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6.2.1 Sprachkompetenz in der Heritage Language . . . . . . . . . . . . . 188 6.2.2 Sprachbiographische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 6.2.3 Sprachgebrauchskontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 6.2.4 Sozio-emotionale Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 6.3 Durchführung der Befragung und Stichprobenauswahl . . . . . . . . . 203 6.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 7.1 Beschreibung der Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 7.2 Deskriptive Analysen der Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 7.3 Deskriptive Analysen der außersprachlichen Faktoren . . . . . . . . . . 218 7.3.1 Analyse der sprachbiographischen Faktoren . . . . . . . . . . . . . 218 7.3.2 Analyse der Sprachgebrauchskontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 7.3.3 Analyse der sozio-emotionalen Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 7.4 Regressionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 7.5 Hypothesenüberprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 7.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 7.7 Exkurs: Deskriptive Analysen für die türkischsprachige Gruppe 245 8 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 8.1 Diskussion der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 8.1.1 Relevanz der Einzelfaktoren für die drei Teilmodelle zum Erhalt der Heritage Language . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 8.1.2 Nicht signifikante externe Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 8.1.3 Relation der Teilmodelle zum Gesamtmodell . . . . . . . . . . . . . 258 8.2 Limitationen der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 8.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Anhang: Fragebogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Danksagung Zu dieser Arbeit leisteten verschiedene Personen einen wertvollen Beitrag, für den ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte. Mein außerordentlicher Dank gilt Prof. Dr. Katja F. Cantone-Altıntaş für ihre Geduld, ihre Aufgeschlossenheit gegenüber meinem Zugang zu dem Thema und dafür, dass sie mir neue Denkweisen in Bezug auf Mehrsprachigkeit eröffnete. Prof. Dr. Christoph Schroeder danke ich für seine kritischen Fragen und die intensiven Diskussionen. Prof. Dr. Christina Noack möchte ich für ihr Vertrauen in mich und ihre stete Unterstützung danken. Meiner Mentorin Prof. Dr. Nicole Marx danke ich für ihre ermutigenden Worte auf den letzten Metern. Ein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Katharina Brizić für ihre kreativen Forschungsideen, die inspirierenden Gespräche und für ihren Ansporn, dem „Rauschen in den Daten“ nachzuspüren. Prof. Dr. Utz Maas, der meine Begeisterung für die Sprachwissenschaft weckte, gilt mein herzlichster Dank. Durch ihn lernte ich, bei linguistischen Fragestellungen über den Tellerrand hinauszublicken. Ein großer Dank geht außerdem an alle Schülerinnen und Schüler, die an der Studie teilnahmen, ebenso wie an die interessierten Lehrkräfte und Schulleiterinnen und Schulleiter. Ohne ihr Engagement hätte es diese Studie nicht gegeben. Nicht zuletzt möchte ich mich bei allen bedanken, die mich auf meinem Weg durch wertvolle inhaltliche Diskussionen und kritisches Lesen der Arbeit, aber auch durch motivierende Aufmunterungen begleiteten: Sara Romano, Sven Oleschko, Dr. Majana Beckmann, Julia Hübner, Dr. Galina Putjata, Marina Root, Murat Kılıç, Dr. Valentina Cristante und Zuzanna Lewandowska. Der größte Dank gilt jedoch meiner Familie und meinen Freunden, die stets an mich geglaubt haben. Jan danke ich dafür, dass er mir immer unterstützend und ermutigend zur Seite gestanden hat und mich die Arbeit auch mal hat vergessen lassen. Marina danke ich für ihren Optimismus und unerschöpflichen Humor. Schließlich möchte ich ganz besonders herzlich meinen Eltern und meiner Schwester danken, weil ich jederzeit auf sie zählen kann. Abkürzungsverzeichnis AILA Association Internationale de Linguistique Appliquée CILS Children of Immigrants Longitudinal Study C-Test Cloze-Test ECRM Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen GIDS Graded Intergenerational Disruption Scale HL Heritage Language IAT Impliziter Assoziationstest IGLU Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung k. A. keine Angabe L1 Erstsprache L2 Zweitsprache LOTE Languages Other Than English MEIM Multigroup Ethnic Identity Measure MLU Mean Length of Utterance OECD Organisation for Economic Co-operation and Development OPOL One Person One Language PISA Programme for International Student Assessment SBK Serbisch, Bosnisch, Kroatisch SOV Subjekt, Objekt, Verb SVO Subjekt, Verb, Objekt TN Teilnehmer VOT Voice Onset Time Ich finde es gut, Deutsch zu sprechen, aber meiner Meinung nach ist die Muttersprache am wichtigsten. weiblich, 15, HL Arabisch Ja, ich mag beide Sprachen. Wenn man mehrere Sprachen kann, hat man im Berufsleben mehr Chancen aufzusteigen, und es ist nichts Schlimmes, zwei Sprachen zu können. männlich, 15, HL Russisch Ich würde es sehr gut finden, wenn man in jeder Schule seine eigene Muttersprache lernen könnte! männlich, 15, HL Türkisch Ich finde es schön, wenn Kinder von Geburt an mehrere Sprachen lernen. Meiner Meinung nach kann das Gehirn besser Sprachen lernen, wenn man jünger ist. Später ist dann das Gehirn besser im Sprachenlernen trainiert als das von jemandem, der nur eine Sprache kann. weiblich, 16, HL Italienisch Um ehrlich zu sein, bin ich neidisch auf andere, die ihre Muttersprache gut sprechen können. weiblich, 15, HL Polnisch 1.1 Zielsetzung der Arbeit 15 1 Einleitung 1.1 Zielsetzung der Arbeit Der Erhalt von Heritage Languages (HL), also von allochthonen, intergenerational im Sinne eines sprachlichen Erbes weitergegebenen Minderheitensprachen, ist ein in der Mehrsprachigkeitsforschung aktuell vielfach diskutiertes Thema. Die Beschäftigung mit diesem Gegenstand rückt migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und Minderheitensprachen mit geringem Prestige in den Fokus der Forschung und stellt nicht nur das gängige Verständnis von „muttersprachlicher“ Kompetenz infrage, sondern erweitert auch eine idealisierte Vorstellung von balanciert Mehrsprachigen um Sprecher mit weitaus vielfältigeren Sprachprofilen. Dieser Blick in die Peripherie von Sprachkompetenz- und -dominanzgraden Mehrsprachiger entspricht ungleich häufiger der tatsächlich beschriebenen sprachlichen Realität von HL-Sprechern, die auch ausschließlich über passive Kenntnisse ihrer HL verfügen können. Zudem gibt dieses Untersuchungsfeld Aufschluss über die Auswirkungen von außersprachlichen Merkmalen ganzer Sprechergruppen oder einzelner Individuen auf den Sprachkompetenzgrad in der HL. Dieser spiegelt als Ergebnis des Spracherwerbsprozesses die Bedeutsamkeit externer Kontextbedingungen für den Erhalt von Minderheitensprachen in der Migrationssituation wider. Die vorliegende Arbeit widmet sich diesem letztgenannten Aspekt und untersucht den Einfluss unterschiedlicher außersprachlicher Faktoren auf den Erhalt bzw. den Verlust der HL bei Jugendlichen der zweiten Migrantengeneration. Ziel dieser Arbeit ist es, zur Beschreibung der Sprachverlustbzw. Spracherhaltprozesse ein integratives Regressionsmodell der Einflussfaktoren für Spracherhalt in der Migration zu schaffen, das bereits vorhandene Ansätze aus der Attritions- und der Sprachtodforschung auf den jugendlichen HL-Sprecher überträgt und so mit bestehenden Erkenntnissen der HL-Forschung vereint. Das Modell soll dabei sowohl sprachbiographische als auch sozio-emotionale Faktoren sowie Kontexte des Sprachgebrauchs im Sinne des Registerbegriffs berücksichtigen. Auf diese Weise können zum einen die in der Sprachtodforschung aufgestellten Hypothesen über Wirkungszusammenhänge externer Faktoren auf das Aussterben autochthoner Minderheitensprachen (vgl. Sasse 1992) in einem allochthonen Kontext überprüft werden. Zum anderen können die in der Attritionsforschung bestehenden Annahmen über die Bedeutung einzelner außersprachlicher Faktoren für den Erhalt einer Sprache in der Migrations- 16 1 Einleitung situation (vgl. Schmid 2011) durch deren Transfer auf Sprecher eines anderen Spracherwerbstyps validiert werden. Diese sollen zudem an einer größeren Teilnehmerzahl und an unterschiedlichen HLs getestet werden. Zu der grundsätzlichen Frage des Erhalts oder Verlusts von allochthonen Sprachen liegt eine Vielzahl von Studien vor, die zumindest einige außersprachliche Einflussfaktoren in die Analyse einbeziehen und hierdurch wichtige Hinweise auf bedeutende Wirkungszusammenhänge liefern. Die meisten dieser Studien, die bereits Bezüge zwischen externen Faktoren und dem Erhalt bzw. Verlust von allochthonen Minderheitensprachen in der Migrationssituation nachzeichnen, sind der Attritionsforschung zu erwachsenen Sprechern der ersten Einwanderergeneration zuzurechnen (vgl. Beiträge in Köpke et al. 2007; Schmid et al. 2004; Schmid & Köpke 2013). Allerdings berücksichtigen sie meist aufgrund einer geringen Probandenanzahl nur einige der Einflussmerkmale und widmen sich der Erforschung einer spezifischen Sprechergruppe in einem bestimmten sprachlichen Kontext, was teilweise zu sich widersprechenden Ergebnissen in der Einschätzung der einflussrelevanten Faktoren führte. Da sich die Sprecher in diesen Studien zudem von HL-Sprechern durch eine anders gelagerte Spracherwerbssituation unterscheiden, wird die grundsätzliche Übertragbarkeit der gemäß der Attritionsforschung für Spracherhalt förderlichen Faktoren auf den Kontext der HL-Sprecher in dieser Forschungsarbeit überprüft. Des Weiteren wird eingehend erörtert, ob Ergebnisse aus Studien, die Attrition zum Gegenstand haben, ebenfalls für andere Altersgruppen als für Erwachsene Gültigkeit beanspruchen können. Dabei ist insbesondere die Überprüfung der Annahmen für den Kontext der Jugendlichen als gewinnbringend einzuschätzen: Diese Altersspanne ist nicht nur selten Gegenstand von Untersuchungen zum Spracherhalt, sie zeichnet sich ebenso durch eine spezifische Konstellation an externen Faktoren aus. Beispielsweise tritt die Familie als Sozialisationsinstanz in den Hintergrund, während Gleichaltrige eine zunehmend wichtigere Rolle spielen (vgl. Ecarius 2010). Diese Tatsache gepaart mit einer für dieses Alter oftmals beschriebenen Identitätssuche könnte einen bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklung und die Stabilität der HL ausüben. Ein weiterer Aspekt, der für die hier vorgestellte Studie von zentraler Bedeutung ist, ist die Aufspaltung sprachlicher Fähigkeiten nach Registern (vgl. Biber 1995; Maas 2010). Register als Domänen sozialen Handelns bestimmen nicht nur die hierfür benötigten sprachlichen Mittel, sie entscheiden ferner über deren Adäquatheit und positionieren den Sprecher somit zusätzlich in einem gesetzten Kontext als ein kompetent agierendes Subjekt. Im Sinne sprachlichen Ausbaus ist der Erwerb literater, schriftsprachlicher Strukturen für ein angemessenes Handeln auch im formellen Register unabdingbar. Literate Strukturen können jedoch nur erworben werden, wenn diese von oraten Strukturen aus initiali- 1.1 Zielsetzung der Arbeit 17 siert werden können und wenn ihre Aneignung gleichzeitig durch die sozialen Gegebenheiten gefordert ist. Für die Mehrheitssprache stellen Bildungsinstitutionen solch eine soziale Gegebenheit dar. Hier werden die für eine gelungene Kommunikation erforderlichen sprachlichen Fertigkeiten im formellen Register von den Sprechern nicht nur abverlangt, sondern im Idealfall auch vermittelt. HL-Sprecher erhalten hingegen weitaus weniger Möglichkeiten, die literaten Strukturen ihrer HL zu erwerben und zu nutzen, da diese Sprache zumeist ausschließlich die Domäne der Familie einnimmt, die dem intimen Register zuzurechnen ist. Das formelle Register bleibt für sie häufig allein durch die Mehrheitssprache besetzt. Nur wenige Studien der Sprachtod-, Spracherhalt- und -revitalisierungsforschung thematisieren diesen Aspekt und berücksichtigen in ihren Modellen gleichermaßen Standardisierung, Normierung und Schriftsprachlichkeit als auf Gruppenebene relevante Faktoren für den Erhalt einer Sprache (vgl. Grenoble & Whaley 2006). In der HL-Forschung wird der Erwerb schriftsprachlicher Strukturen allem voran im Rahmen von herkunftssprachlichem Unterricht beforscht und stellt eine Hürde beim Erstellen geeigneter Testformate und -instrumente dar (vgl. Montrul 2008; Polinsky 2015a). Untersuchungen zu Bedingungen, die speziell den Erwerb literater Strukturen fördern, sind hier ebenso selten. Während die Sozialpsychologie auf mehrere Jahrzehnte der Erforschung von Einstellungen und sozialer Identität zurückblicken kann (vgl. Fishbein & Ajzen 1977; Tajfel 1982) und für die Erhebung dieser Konzepte geeignete Instrumente zur Verfügung stellt, werden die Begriffe „Einstellung“ und „Identität“ in der Mehrsprachigkeitsforschung meist noch recht alltagsnah interpretiert. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit Erkenntnissen der Sozialpsychologie oder eine daran angelehnte Erhebung von kultureller Identität und von Spracheinstellungen bilden die Ausnahme. Da diese Faktoren jedoch - wie Ergebnisse der Attritionsforschung es nahelegen - eine zentrale Rolle für den Erhalt der HL spielen können, ist ihre sorgsame Erhebung für die Erstellung eines theoretischen Einflussmodells für Spracherhalt von größter Bedeutung. Daher ist ein weiteres Ziel dieser Forschungsarbeit, in der Sozialpsychologie erarbeitete Instrumente zur Messung von Einstellung und kultureller Identität zu nutzen, um auf diese Weise das aufgestellte Modell zu externen Einflussgrößen auf den Erhalt der HL auch interdisziplinär stärker zu verorten. 18 1 Einleitung 1.2 Aufbau der Arbeit Die Arbeit gliedert sich in sieben weitere Kapitel. Im zweiten Kapitel erfolgt eine einführende Auseinandersetzung mit Spracherhaltprozessen auf gesellschaftlicher, institutioneller und individueller Ebene. Diskussionen um die Bedeutung von Sprachprestige für das Aufgeben von Sprachen in der Migrationssituation und auf Mehrsprachigkeit zurückgeführte Leistungsdisparitäten werden Argumenten für den Erhalt von Minderheitensprachen gegenübergestellt. Statistische Angaben zu Mehrsprachigkeit in Deutschland bilden den Ausgangspunkt für die Frage danach, welchen Forschungs- und Erkenntnisertrag die Beschäftigung mit HLs für die Mehrsprachigkeitsforschung bieten kann. Es folgt im dritten Kapitel eine theoretische Erörterung der konzeptionellen Hintergründe des Begriffes „Heritage Language“ samt seiner kritischen Reflexion. Neben einer definitorischen Abgrenzung zu anderen damit verwandten Begriffen wird an dieser Stelle eine Typologie des HL-Sprechers unter Einbezug seiner Sprachbiographie aufgestellt. Zur Erklärung der Varianz in der Sprachkompetenz von HL-Sprechern werden Forschungserkenntnisse zu Attrition und unvollständigem Erwerb herangezogen. Daran schließt sich ein Überblick über nationale wie internationale Studien zu sprachstrukturellen Eigenschaften von unterschiedlichen HLs auf allen linguistischen Beschreibungsebenen an. Den im Fokus dieser Arbeit stehenden außersprachlichen Faktoren und ihrem Einfluss auf den Erhalt der HL widmet sich das vierte Kapitel. Hierin erfolgt zunächst eine Zusammenfassung gruppenspezifischer außersprachlicher Merkmale, die auf der Ebene der sprachlichen Community den HL-Erhalt steuern können. Eine systematische Analyse des aktuellen Forschungsstandes zu individuellen externen Einflussfaktoren schließt sich daran an. Hierbei erfahren zuerst die Merkmale Spracherwerbstyp, sprachliche Konstellation innerhalb der Familie und Geschwisterrangfolge entsprechend den Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung (vgl. De Houwer 2009) als sprachbiographische Faktoren eine ausführliche Betrachtung gefolgt von unterschiedlichen Sprachgebrauchskontexten. Diese werden nach zwei Gesichtspunkten unterteilt: Unter Berücksichtigung der Theorie des sprachlichen Modus nach Grosjean (2001) sowie des Registermodells nach Maas (2010) werden Forschungsergebnisse zu diversen Kontexten sowohl des bilingualen und monolingualen Sprachgebrauchs als auch der Sprachverwendung im intimen und formellen sprachlichen Register samt ihrem Einfluss auf den Erhalt der HL referiert. Darauffolgend werden die theoretischen Grundlagen der sozio-emotionalen Faktoren „Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ (vgl. Agheyisi & Fishman 1970) und „kulturelle Identität“ (vgl. Phinney et al. 2001) mithilfe von Erkenntnissen aus der Sozialpsychologie erläutert. Das Kapitel schließt mit Forschungsergebnissen, die den Einfluss dieser Merkmale auf den Spracherhalt in der Migration nachzeichnen. 1.2 Aufbau der Arbeit 19 Aufbauend auf den theoretisch bestimmten Eigenschaften der HL und ihrer Sprecher in Kapitel drei sowie auf den in Kapitel vier zusammengeführten Ergebnissen der Disziplinen Spracherwerbsforschung, Linguistik und Sozialpsychologie zu externen Faktoren wird im fünften Kapitel ein umfassendes Modell zu Spracherhalt von HLs konzipiert. Es berücksichtigt alle zuvor für relevant befundenen außersprachlichen Faktoren, die auf der Ebene des Individuums operieren, und lässt sich entsprechend den Merkmalsgruppen „sprachbiographische Faktoren“, „Kontexte des Sprachgebrauchs“ sowie „sozio-emotionale Faktoren“ in drei Teilmodelle unterteilen. Die in diesem Kapitel anhand des Modells formulierten Hypothesen bilden zugleich die Grundlage für die in den nachfolgenden Kapiteln beschriebene empirische Untersuchung. In Kapitel sechs wird zunächst der quantitative Zugang zu den aufgestellten Forschungshypothesen mittels eines Fragebogens sowie die Wahl einer multiplen Regressionsanalyse als Methode begründet. Die Operationalisierung der in die Analyse aufgenommenen externen Faktoren wird ebenfalls an dieser Stelle ausführlich diskutiert. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf der Erfassung der Sprachkompetenz der Studienteilnehmer in ihrer HL anhand von einer eigens für die vorliegende Arbeit konstruierten Skala zur Selbsteinschätzung, da diese die abhängige Variable in dem Regressionsmodell darstellt. Den Abschluss dieses Kapitels bildet eine Beschreibung der Stichprobenauswahl sowie der Untersuchungsdurchführung. In Kapitel sieben werden die Ergebnisse der empirischen Studie detailliert vorgestellt. Das Kapitel beginnt mit einer eingehenden Beschreibung des Datensatzes, die sich auf die im Sample vertretenen HLs konzentriert. Hiernach werden die Skalenstatistiken zur Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz sowie die deskriptiven Ergebnisse der einzelnen außersprachlichen Faktoren für die Stichprobe angeführt. Den Kern dieser Forschungsarbeit bildet die Auswertung der multiplen Regressionsanalyse. Diese wird sowohl für das Gesamtmodell der selbst eingeschätzten Sprachkompetenz in der HL als auch für einzelne, in sprachliche Register differenzierte Teilskalen dargestellt. Anschließend wird anhand der erzielten Ergebnisse überprüft, ob die zuvor aufgestellten Hypothesen zu bestätigen oder zu verwerfen sind. Den Schluss dieses Kapitels bildet ein Exkurs zu deskriptiven Analysen der türkischsprachigen Gruppe aufgrund ihrer zahlenmäßigen Gewichtung im Sample. Im letzten Kapitel werden die Ergebnisse dieser Forschungsstudie unter Rückbezug auf die theoretischen Prämissen in den ersten Kapiteln kritisch diskutiert. Neben den daraus gewonnenen Erkenntnissen werden ebenfalls die inhaltlichen wie methodischen Limitationen der Studie aufgezeigt. Nach einer Skizzierung des damit einhergehenden Forschungsbedarfs schließt die Arbeit mit einem Ausblick auf weiterführende Perspektiven der HL-Forschung. 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation 2.1 Spracherhalt und Sprachprestige Spracherhalt und Sprachverlust im Kontext von Migration sind untrennbar mit gesellschaftlichen Strukturen verbunden. Will man also der Frage nachgehen, weshalb manche Sprachen in der Migrationssituation aufgegeben werden, während andere noch über Generationen hinweg gesprochen werden, erweist sich die Betrachtung sozialer Machtverhältnisse und historisch gewachsener Habitualisierungen als unerlässlich. Oftmals entscheiden sie darüber, welche Sprachen als nützlich und wertvoll angesehen werden, welche es sich zu lernen und zu erhalten lohnt und welche wiederum eine überflüssige Bürde darstellen, die es möglichst hinter sich zu lassen gilt. Dieser sozial konstruierte Bewertungsmaßstab für Sprachen kann aufgrund seiner symbolisch-hierarchischen Machtfunktion derart hohen Druck auf einen Sprecher aufbauen, dass dieser, rationaler Denkweise folgend, sich gegen das Festhalten an vermeintlichen sprachlichen Altlasten und für ein scheinbar schnelleres Vorankommen ohne eine nicht prestigeträchtige Sprache entscheidet bzw. sich zu dieser Entscheidung gedrängt sieht (vgl. Fishman 1991). Wird Einsprachigkeit in der Mehrheitssprache gesellschaftlich als der natürliche Zustand angesehen, so bedarf der Erhalt einer Minderheitensprache seitens eines Individuums umso mehr Aufwand hinsichtlich Energie, Zeit und Rechtfertigung, da ihm eine entsprechende Unterstützung in Form von staatlich etablierten Strukturen und gesellschaftlicher Anerkennung nicht zur Verfügung steht (vgl. Herdina & Jessner 2002). Im Gegensatz dazu ist Unterstützung für die gesellschaftlich legitime Mehrheitssprache sichergestellt, da sie auf dem „sprachlichen Markt“ als Ressource fungiert, die in ökonomisches Kapital umgewandelt werden kann und somit sozialen Aufstieg und Bildungserfolg erst ermöglicht (vgl. Bourdieu 1991). Als Folge habitualisierter Bewertungsmechanismen zum einen und der Betrachtungsweise von Mehrsprachigkeit als nur einer Übergangsphase zum anderen können sich Individuen in der Migrationssituation dazu gezwungen sehen, ihre mitgebrachten Sprachen aufzugeben. Der gesellschaftlich festgelegte Marktwert von Sprachen ist omnipräsent und lässt sich mittels eines hierarchisch geordneten Modells von De Swaan mit einem Kern und einer Peripherie beschreiben (vgl. De Swaan 2001; s. Abbildung 1). Die Position der jeweiligen Sprache in dem Modell symbolisiert gleichsam ihren kommunikativen Wert und ihr Prestige. So befinden sich nach der Analyse von 22 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation De Swaan ca. 98 % aller derzeit weltweit gesprochenen Sprachen in der Peripherie des globalen Sprachsystems. Obwohl hierunter mehrere tausend Sprachen fallen, werden sie von nur ca. 10 % der Bevölkerung in sehr kleinen Sprechergruppen verwendet. In Abgrenzung zu den im Zentrum des Modells positionierten Sprachen werden periphere Sprachen ausschließlich über negative Attribute beschrieben: Sie verfügen über keinen schriftsprachlichen Ausbau, sind keine National- oder Amtssprachen und werden weder als Mutternoch als Fremdsprachen unterrichtet. Ihre Sprecher sind zudem aufgrund der geringen Größe der eigenen Sprachgemeinschaft zu Kommunikationszwecken auf Kenntnisse anderer Sprachen angewiesen, sei es anderer ebenfalls peripherer Sprachen oder aber Sprachen mit einem höheren Kommunikationswert. Abb. 1: Struktur des globalen Sprachsystems nach De Swaan (2001), eigene Darstellung Als zentrale Sprachen betrachtet De Swaan (2001: 4 f.) ungefähr 100 Sprachen, die von etwa 95 % der Bevölkerung gesprochen werden. Diese Sprachen zeichnen sich durch eine Kodifizierung aus, d. h., sie verfügen über einen verbindlichen Standard. Dies ermöglicht wiederum ihre Einrichtung als Nationalsprachen, ihre Unterrichtung sowie ihre Verwendung in Medien, Verwaltung und Justiz. Sprecher zentraler Sprachen können monolingual sein, da ihre Sprache über genügend Kommunikationswert in ihrem Nationalstaat verfügt. Superzentrale Sprachen erfüllen über die Funktionen als Staatssprachen hinaus weitere Aufgaben und gestatten u. a. internationale Kommunikation. Zu diesen Sprachen zählt De Swaan Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Hindi, Japanisch, Malaiisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch und Swahili (vgl. ebd.: 5). Bis auf Swahili haben sie mehr als 100 Millionen Sprecher, die meisten fanden weltweite oder übernationale Verbreitung vor allem durch Kolonialisierung und Besetzung. Heutzutage dominieren sie nach wie vor das öffentliche Leben in den entsprechenden Staaten und schreiben somit die historisch gewachsenen sprachlichen Machtkonstellationen fort. Sie finden sich in höheren 2.1 Spracherhalt und Sprachprestige 23 Bildungsinstitutionen, in der Wissenschaft, Politik, Technologie und Administration. Superzentrale Sprachen bilden ferner die typischerweise schulisch vermittelten Fremdsprachen in anderen Staaten. Im Zentrum des gesamten Systems steht allerdings Englisch, das als hyperzentrale Sprache, als Lingua Franca, eine globale Kommunikation ermöglicht und in der Lage ist, Sprecher anderer Sprachen miteinander zu verbinden. Dies macht Englisch momentan zur Sprache mit dem größten Prestige weltweit. Die hierarchische Anordnung von Sprachen hat einen starken Einfluss auf das Lernen von Sprachen, das stets zentripetal funktioniert, also von der Peripherie ins Zentrum, was zu einer steten Verfestigung dieser sprachlichen Hegemonie führt (vgl. De Swaan 2001: 5). Je zentraler sich eine Sprache im System befindet, desto mehr Sprecher (als Erst- oder Zweitsprache; L1 bzw. L2) lassen sich mit ihr erreichen, desto höher ist ihr Kommunikationswert und desto größer ihr Prestige. Das bedeutet, je höher das Prestige einer Sprache in der globalen Rangordnung ist, umso mehr wird ein Sprecher bereit sein, Zeit, Energie sowie monetäre oder andere Ressourcen in ihr Erlernen zu investieren. Diese Prägung bzw. Überlagerung von Sprachlernentscheidungen durch Sprachprestige lässt sich mit einigen Modifikationen auf die Migrationssituation übertragen. In einem konkreten Kontext haben Migrantensprachen in der Diaspora wie Minderheitensprachen per se einen geringeren Kommunikationswert als die offizielle Nationalsprache des jeweiligen Staates. Belegt eine Minderheitensprache zusätzlich hierzu generell nur einen unteren Rang in dem globalen Sprachprestigegefüge und wurde sie auch im Herkunftsland der Sprecher als peripher angesehen, so sind der Wunsch und das Bestreben nach ihrem Erhalt in der Migrationssituation sogar für die Sprecher selbst nur schwer über rationale oder ökonomische Argumente zu begründen. Der Druck zu ihrer Aufgabe ist gesellschaftlich umso größer. Sprachverlust verläuft also in diesem Modell ebenfalls von außen nach innen, sodass diejenigen Sprachen am schnellsten und am häufigsten aufgegeben werden, die sich in der Peripherie befinden. Das Modell von De Swaan (2001) zeigt zudem, dass Sprachprestige keine natürlich gewachsene Rangordnung von Sprachen ist, die auf objektiven Kriterien o. ä. basiert. Vielmehr ist Sprachprestige gesellschaftlichen Umbrüchen, sozialen Ordnungen sowie historischen Entwicklungen geschuldet und über längere Zeitperioden entstanden. Es ist eng verknüpft mit ökonomischen Vorteilen für die Sprecher und mit ihrer Positionierung im sozialen Raum, weshalb es nicht losgelöst von diesen Faktoren betrachtet werden kann (vgl. ebd.: 6). Sprachprestige durchzieht darüber hinaus die Bildungspolitik und äußert sich über die zentripetale Lernrichtung in gesetzlichen Bestimmungen europäischer Sprachenpolitik, in institutionell etablierten und geförderten Fremdsprachen sowie in den Einstellungen der Bevölkerung bestimmten Sprachen gegenüber. 24 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation Die Eurobarometer-Umfrage zu den in der EU gesprochenen Sprachen stellte beispielsweise fest, dass die offiziellen europäischen Bemühungen um eine m+2-Sprachenpolitik 1 sich in erster Linie in einem Ausbau der Englischkenntnisse, also der hyperzentralen Sprache, niederschlagen (vgl. Europäische Kommission 2012). Diese Dominanz des Englischen reflektierend betitelt De Swaan das Kapitel zu europäischen Sprachverhältnissen in seiner Arbeit auch passenderweise mit „The European Union - The more languages, the more English“ (vgl. De Swaan 2001). Nach wie vor stellt Englisch gefolgt von Französisch und Deutsch die am häufigsten gelernte europäische Fremdsprache dar (vgl. Europäische Kommission 2012: 7). Zwei Drittel der europäischen Bürgerinnen und Bürger sind davon überzeugt, dass Englisch nach ihrer Landessprache die wichtigste Sprache sei (vgl. ebd.: 8). Minderheitensprachen - ob autochthone oder allochthone - werden in der Umfrage nicht thematisiert, was erneut ihre Stellung in der Peripherie der öffentlichen Wahrnehmung unterstreicht. Eine repräsentative Umfrage zu Sprachprestige im deutschen Kontext, die auch Minderheitensprachen berücksichtigt, legten Gärtig und Kollegen vor (2010). Sie konnten die Ergebnisse der Eurobarometer-Studie bestätigen: Die deutsche Bevölkerung befürwortete stark das europäische Mehrsprachigkeitsziel (vgl. ebd.: 250) und bekräftigte, dass Englisch, Französisch und Spanisch in der Schule als Fremdsprachen gelehrt werden sollten. 7,5 % wünschten sich zudem, dass zukünftig Chinesisch an deutschen Schulen unterrichtet wird (vgl. ebd.: 250). Chinas Entwicklung zur global agierenden und aufstrebenden Nation steigerte also in den letzten Jahren stark den Kommunikationswert des Chinesischen und spiegelt sich bereits in einer wahrnehmbaren Erhöhung seines Prestiges wider. Gleichzeitig empfanden die Deutschen fremdsprachige Akzente oben genannter Sprachen sowie Sprachen beliebter angrenzender Urlaubsländer auf subjektiver Ebene als besonders schön (Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch). Gefragt nach den unangenehmsten Akzenten, wurde hingegen eine russisch-, türkisch- oder polnischgefärbte Aussprache genannt (vgl. ebd.: 244-247). Jeweils ein Drittel der Befragten gab an, Schwierigkeiten bei der Verständigung mit Migranten zu haben oder es nicht gutzuheißen, wenn diese in manchen Bereichen ausschließlich ihre Muttersprache verwendeten (vgl. ebd.: 236 ff.). Auf der anderen Seite begrüßten über 80 % der Bevölkerung den Erhalt von autochthonen Minderheitensprachen in Deutschland. Die Studie von Gärtig und Kollegen (2010) verdeutlicht zusätzlich zu einer ubiquitären Rangordnung unterschiedlicher Sprachen zwei weitere Punkte: Zum einen führt die große Befürwortung autochthoner Minderheitensprachen offenbar nicht dazu, dass auch deren Unterrichtung in der Schule gefordert wird. 1 Muttersprache plus zwei weitere Sprachen. 2.1 Spracherhalt und Sprachprestige 25 An dieser Stelle spielt sicherlich der Kommunikationswert dieser Sprachen abseits von ideellen Vorstellungen eine, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle. Zum anderen ist ein hohes Prestige einer Sprache wie Russisch im globalen Sprachsystem noch kein Garant für ihre Akzeptanz. Dass Sprachprestige sogar top-down installiert werden kann und gesellschaftliche Machtverhältnisse noch lange nach einer Änderung dieser unmittelbar reflektiert, wird in der Studie gerade am Russischen deutlich. So sprachen sich noch zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung gut 40 % der Bevölkerung in den Bundesländern der ehemaligen DDR für Russisch als Fremdsprache in der Schule aus (vgl. ebd.: 251). Eine von der deutschen Bevölkerung ausdrücklich verlangte Förderung erfahren die Sprachen von autochthonen, auf europäischem Territorium alteingesessenen Minderheiten offiziell in der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (ECRM, vgl. Europarat 1992). Ihr Ziel ist der Erhalt und der Schutz dieser Sprachen, was insbesondere das Recht auf ihre institutionelle Verankerung im Bildungswesen umfasst. Aber auch ihre Verwendung in den Bereichen Medien, Justiz, Kultur und Verwaltung soll gesetzlich gestärkt und garantiert werden. Von diesem Schutz profitiert in Deutschland beispielsweise die dänischsprachige Minderheit in Schleswig-Holstein. Hier bestehen neben einem sehr gut ausgebauten Netz an bilingualen Programmen in Bildungseinrichtungen aller Stufen und Zweige rein dänischsprachige Schulen, zahlreiche sprachlich-kulturelle Angebote und Lerngelegenheiten für alle Altersgruppen (vgl. Andresen 1997: 96; Boysen 2011: 13). Diese geradezu mustergültige Unterstützung des Dänischen trägt entscheidend zu seiner Stärkung, Anerkennung und zu seinem Erhalt bei, sodass heutige Schätzungen von bis zu 50.000 aktiven Dänischsprechern in Schleswig-Holstein ausgehen (vgl. ebd.). 2 Für die anderen autochthonen Minderheitensprachen auf deutschem Territorium, also Sorbisch, Nord- und Saterfriesisch, Niederdeutsch sowie Romanes, stellt sich die Lage trotz eines ebenfalls durch die ECRM garantierten Schutzes gänzlich anders dar. Im Gegensatz zu ihnen verfügt das Dänische nicht nur über einen schriftsprachlichen Standard, sondern auch über den Status als Nationalsprache des benachbarten Königreichs Dänemark, was es zu einer zentralen Sprache macht, ihm einen größeren Wert auf dem „sprachlichen Markt“ zuschreibt und sein Prestige erhöht (vgl. Maas 2008: 67). Hierdurch wird die Tradierung der Sprache an nachfolgende Generationen vereinfacht, ihre Verwendung als Medium der Bildung und Unterrichtskommunikation gerechtfertigt und der Spracherhalt erleichtert. Obwohl beispielsweise Sorbisch genauso 2 Weitere relevante Faktoren sind u. a. finanzielle Unterstützung durch das Königreich Dänemark, hoher Grad an Sprecherengagement, feste Verankerung im Curriculum allgemeinbildender Schulen sowie die Möglichkeit des Erwerbs einer Lehrbefähigung für Dänisch (vgl. Schmitz & Olfert 2013: 213 f.). 26 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation über einen schriftsprachlichen Ausbau und bilinguale Bildungsangebote verfügt, bedarf es eines starken sprachpolitischen Engagements der Sprecher, um den Verlust dieser peripheren Sprache auf lange Sicht aufzuhalten (vgl. Bundesministerium des Innern 2015: 48) - für sie gibt es keinen „Markt“. An dieser Stelle wird bereits deutlich, welche Position Sprachprestige für den Erhalt oder Verlust von Sprachen in Minderheitenkonstellationen einnimmt, selbst wenn diese offiziell anerkannt und per Gesetz geschützt und gefördert werden. Dies gilt umso mehr für allochthone Sprachen von zugewanderten Minderheiten, die von dieser Förderung explizit ausgeschlossen sind. Die an etablierten großen Nationalsprachen ausgerichtete europäische Sprachpolitik spiegelt sich ebenso in dem Fremdsprachenangebot an deutschen Schulen wider. Nicht nur die flächendeckende Einführung des Englischen 3 ab Klasse 1, auch die Teilnehmerzahlen an in der Schule angebotenen modernen Fremdsprachen belegen diese implizite Rangordnung unterschiedlicher Sprachen (s. Tabelle 1). So lernte beispielsweise in dem Schuljahr 2015 / 2016 die größte Mehrheit der Schülerinnen und Schüler in Deutschland Englisch als Fremdsprache (87 %), mit weitem Abstand gefolgt von Französisch (18 %) und Spanisch (5 %). Der Anteil an erteiltem Unterricht in Russisch oder Türkisch, den größten allochthonen Sprachen in Deutschland, lag hingegen bei 1,3 % bzw. 0,6 %. Fremdsprache TN gesamt TN Grundschule TN Gymnasium Englisch 7.221.431 1.725.656 2.264.245 86,6% 23,9% 31,4% Französisch 1.495.193 96.695 908.808 17,9% 6,5% 60,8% Spanisch 416.997 2.720 295.342 5,0% 0,7% 70,8% Russisch 111.185 2.267 51.208 1,3% 2,0% 46,1% Türkisch 50.862 28.823 2.827 0,6% 56,7% 5,6% Tab. 1: Teilnehmer am Fremdsprachenunterricht im Schuljahr 2015 / 2016 im Vergleich (vgl. Statistisches Bundesamt 2017a) 3 In manchen Bundesländern besteht die Wahlmöglichkeit zwischen Englisch und Französisch. 2.1 Spracherhalt und Sprachprestige 27 Unter dem Aspekt der Schulformen betrachtet, lässt sich ebenfalls ein Ungleichgewicht zwischen den Sprachen erkennen. Während der Anstieg an Teilnehmern für die meisten angebotenen Fremdsprachen durch das Hinzukommen der zweiten und dritten Fremdsprache ab der Sekundarstufe I zu erklären ist, finden 56,7 % des Türkischunterrichts an Grundschulen 4 statt - vermutlich im Rahmen des sog. herkunftssprachlichen Unterrichts. Sein Status als Ergänzungsunterricht ist grundsätzlich problematisch, da er im deutschen Bildungssystem nach wie vor nur eine marginale Rolle spielt (vgl. Gogolin & Oeter 2011: 40; Küppers & Schroeder 2017). Schwierigkeiten bei der Zertifizierung von erbrachten Leistungen, fehlende Lehrkräfte, ungeklärte Verantwortlichkeiten und Finanzierungsprobleme sowie die Voraussetzung einer bestimmten (sprachlichen, geographischen, ethnischen) Herkunft (vgl. Lengyel & Neumann 2016: 12) verhinderten bisher seine Integration in den regulären Unterricht (vgl. Schroeder 2003: 25 ff.; für eine ausführliche Diskussion s. auch Abschnitt 4.4.4). Debatten über die Funktion, den Nutzen und die Zielsetzungen herkunftssprachlichen Unterrichts werden bisweilen ebenfalls von Sprachprestigemechanismen bestimmt und münden in einem „Kosten-Nutzen-Kalkül“ (Niedrig 2011: 102). Diskutiert wird hier vor allem, ob der Erhalt und die Förderung von allochthonen Minderheitensprachen in der Verantwortung des Staates und somit der Schule lägen. Schließlich stehe diese Forderung im Widerspruch zu der symbolisch-unitarisierenden Funktion einer Nationalsprache als der einzig legitimen Sprache (vgl. Krüger-Potratz 2011: 54). Dies hat zur Folge, dass die meisten Kinder allochthoner Minderheiten in Deutschland im Rahmen von Submersionsmodellen beschult werden, eventuell mit zusätzlichen Förderangeboten in der Mehrheitssprache Deutsch (vgl. Reich & Roth 2002: 20). Werden herkunftssprachliche Kurse dennoch eingerichtet, so lassen sich je nach Kontext folgende Beweggründe hierfür finden (vgl. Broeder & Extra 1999): Auf der einen Seite steht die Rückkehroption in das Herkunftsland, auf die die Schülerinnen und Schüler durch herkunftssprachlichen Unterricht vorbereitet werden sollen. Die sprachliche Eingliederung in die Mehrheitsgesellschaft ist hier nicht im Fokus. Diese Perspektive wurde in Deutschland vor allem in den 1970er Jahren eingenommen und wird heutzutage zumindest nicht mehr explizit angeführt (vgl. Schroeder & Küppers 2016: 201). Bei einer Bleibeperspektive wird oftmals in einem kompensatorischen Sinne für die Einrichtung herkunftssprachlichen Unterrichts argumentiert. Durch Transfer von in der Minderheitensprache Gelerntem könne die Mehrheitssprache gefestigt werden. Unterricht in der Minderheitensprache wird in diesem Argumentationsansatz 4 96,9 % des Türkischunterrichts an Grundschulen wurden im Bundesland Nordrhein-Westfalen erteilt. 28 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation durch eine Überbrückungsfunktion bzw. durch einen Ausgleich sprachlicher Defizite bis zu einer Eingliederung in die Regelklasse gerechtfertigt (vgl. Niedrig 2011: 102 f.). Diese Modelle stehen nur einigen wenigen wertschätzenden Ansätzen gegenüber, die Pluralität und sprachliche Diversität unterstützen möchten. Sprachprestige durchdringt also über gesellschaftliche Machtordnungen auch die Bildungsinstitutionen, was Auseinandersetzungen über negative Auswirkungen von Spracherhalt auf Bildungserfolg befeuert und die Aufgabe peripherer Sprachen mit einem geringen Kommunikationswert zusätzlich forciert. 2.2 Mehrsprachigkeit und Bildungserfolg Das Thema Mehrsprachigkeit dominiert bildungspolitische Diskussionen insbesondere unter dem Aspekt der Bildungsrelevanz. Die Debatte findet in Deutschland vor allem auf folgender Ebene statt: Medial präsent und wissenschaftlich aufgegriffen wird die Sichtweise, die Kenntnis der Migrantensprache behindere den Erwerb der Mehrheitssprache Deutsch und schade demnach dem Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler mit sog. Migrationshintergrund. 5 Diese schneiden sowohl in Bezug auf Bildungsbeteiligung und -erfolg als auch bei Leistungsmessungen wesentlich schlechter ab als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Bereits an dem ersten Übergang im deutschen Bildungssystem, dem Übergang von Elementarin die Primarstufe, werden Kinder mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich häufig von der Einschulung zurückgestellt (vgl. Gomolla 2009: 29). Stanat (2006: 190) zeigt, dass Schülerinnen und Schüler ohne deutsche Staatsangehörigkeit nach wie vor deutlich geringere Bildungserfolge erreichen als Gleichaltrige mit einem deutschen Pass. Werden diese Angaben um Anteile von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund erweitert, kann ebenfalls festgestellt werden, dass Kinder und Jugendliche aus zugewanderten Familien in höheren Bildungsgängen wie dem Gymnasium in Deutschland unterrepräsentiert und in unteren wie der Förderschule überrepräsentiert sind. Dies entspreche laut Stanat „den Verhältnissen, die in Deutschland etwa 1970 anzutreffen waren“ (ebd.). Forschungsergebnisse von Kristen (2000: 15) belegen, dass der Faktor „Ethnie“ selbst nach Kontrolle der Schülerleistungen in Deutsch und Mathematik in entscheidendem Maße über einen Hauptschulbesuch entscheidet, was insbesondere auf türkisch- und ita- 5 Da die meisten bildungswissenschaftlichen oder soziologischen Panelstudien nicht die Mehrsprachigkeit von Schülerinnen und Schülern erheben, sondern ihre Staatsangehörigkeit oder den Migrationshintergrund operationalisiert anhand des Geburtslandes und / oder der Staatsangehörigkeit der Eltern, werden hier ebenfalls diese Kategorien verwendet. 2.2 Mehrsprachigkeit und Bildungserfolg 29 lienischstämmige Schülerinnen und Schüler zutrifft. Darüber hinaus verlassen Kinder mit Migrationshintergrund das deutsche Schulsystem überproportional häufig ohne jeglichen Abschluss (vgl. Diefenbach 2007: 222). Diese Disparitäten finden sich genauso in nationalen wie internationalen Schulleistungsvergleichsstudien. In der IGLU-Studie 6 wurde beispielsweise für das Jahr 2011 ermittelt, dass in Deutschland Viertklässler mit Migrationshintergrund im Vergleich zu ihren Klassenkameraden im Leseverständnis einen Rückstand von etwa einem Lernjahr aufwiesen (vgl. Schwippert et al. 2012: 199). Der Anteil an Schülerinnen und Schülern aus zugewanderten Familien, die in dieser Studie nicht über die Lesekompetenzstufe I hinauskamen, war dreimal so hoch wie der von Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund (3,7 % vs. 1,3 %; vgl. ebd.: 200). Für die höchste Kompetenzstufe V stellten sich die Ergebnisse genau spiegelverkehrt dar (4,0 % vs. 12,3 %; vgl. ebd.: 201). Ähnliche Befunde werden seit Jahren in der PISA-Studie 7 für Fünfzehnjährige in Deutschland berichtet: Hier schneiden Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in allen untersuchten Bereichen, also Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz, deutlich schlechter ab als Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund (vgl. Stanat et al. 2010: 201). Als Ursachen für dieses ungleiche Abschneiden werden je nach beteiligter Disziplin unterschiedliche Mechanismen ausgemacht wie beispielsweise bestimmte Organisationsstrukturen der Institution Schule, die auf eine sprachlich homogene Schülerschaft ausgerichtet ist, was direkte oder indirekte institutionelle Diskriminierung nach sich ziehen kann (vgl. Gomolla & Radtke 2002: 334). Diese tritt zutage, wenn Lehrkräfte die zunehmende sprachliche Heterogenität im Klassenzimmer als Störung wahrnehmen und eine stärkere Homogenisierung der Lerngruppen bevorzugen. Adäquate sprachliche Leistungen der Lernenden werden dabei nicht als das Vermittlungsziel schulischer Bildung und somit in der Verantwortung der Institution selbst betrachtet, sondern als Zugangsvoraussetzung zu dieser (vgl. Gomolla 2009: 32). Gleichzeitig werden eventuelle sprachliche Defizite als Indikatoren für fehlendes fachliches Wissen genommen oder auf individuelle Unzulänglichkeiten zurückgeführt und den Schülerinnen und Schülern angelastet. Als Folge können bestimmte Bildungsgänge und -abschlüsse Lernenden, die über die verlangten sprachlichen Ressourcen (noch) nicht verfügen, aus institutioneller Sicht legitim verwehrt werden. Dies wird insbesondere an den Übergängen im Schulsystem sichtbar, wo unterschiedliche Akteure des Bildungssystems in ihrer Funktion als „Gatekeeper“ agieren (vgl. Diefenbach 2007: 233). 6 Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung. 7 Programme for International Student Assessment. 30 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation Dieser „monolinguale Habitus der multilingualen Schule“ (Gogolin 1994) äußert sich überdies in einer prinzipiell negativen Grundhaltung gegenüber lebensweltlicher Mehrsprachigkeit. Wie in Abschnitt 2.1 bereits diskutiert, erhalten in Deutschland nur einige Sprachen neben dem Deutschen eine Legitimierung, sei es durch eine rechtliche Absicherung durch die ECRM wie die autochthonen Minderheitensprachen oder durch die Aufnahme in den Fremdsprachenkanon, was gleichsam ihre Aufwertung als Bildungsgut und ihre Zertifizierung bedeutet (vgl. Gogolin 2001: 2). Die Sprachen von Migranten erfahren hingegen weder Rechtsschutz noch gehören sie zu den regulär in der Schule angebotenen und für alle zugänglichen Fremdsprachen. Der Unterricht in diesen Sprachen ist als Randangebot ausschließlich für die jeweilige Minderheit geplant, wodurch ihnen der Status als gesellschaftliches und schulisch zertifiziertes, förderungswürdiges Kulturgut versagt bleibt. Trotz dieser Sichtweise auf die lebensweltliche Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler öffnet sich die Schule im Laufe der letzten Jahre mehr und mehr auch für andere Sprachen als Deutsch. Beispielsweise findet migrationsbedingte Mehrsprachigkeit in den von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten Bildungsstandards für die erste Fremdsprache für den mittleren und den Hauptschulabschluss Erwähnung: „Ebenso wird der Fremdsprachenunterricht die mitgebrachte Mehrsprachigkeit von Schülerinnen und Schüler [sic! ] berücksichtigen, die bereits intuitive Strategien für das Sprachenlernen (Sprachlernkompetenz) entwickelt haben, diese miteinbeziehen und ausbauen“ (Kultusministerkonferenz 2005a: 6). In den Bildungsstandards für das Fach Deutsch in der Grundschule wird der Einbezug von Herkunftssprachen zudem im Rahmen des Kompetenzbereichs „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“ explizit thematisiert (vgl. Kultusministerkonferenz 2005b: 13). Dass Mehrsprachigkeit trotzdem mehr ein „Häppchen“ denn ein „Hauptgericht“ bleibt (Marx 2014), lässt sich beispielhaft anhand der Einbindung anderer Sprachen in Lehrwerke für den Deutschunterricht illustrieren: Diese erschöpft sich meist in Übersetzungen einzelner Lexeme und Redewendungen und berücksichtigt hauptsächlich Sprachen des schulischen Fremdsprachenkanons (vgl. ebd.: 16). Die Chance auf strukturierten Sprachvergleich und fundierte Sprachreflexion mit Bezug auch auf migrationsbedingte Mehrsprachigkeit bis zur Weiterarbeit mit Gelerntem wird indes vergeben. Die Tendenz, Mehrsprachigkeit in der Theorie zu loben, in der Praxisrealität jedoch zu vernachlässigen oder gar zu pathologisieren, führt nachweislich zu negativen Konsequenzen für die Entwicklung der Mehrheitssprache, der Herkunftssprache und des metalinguistischen Bewusstseins, für das Selbstvertrauen mehrsprachiger Kinder und Jugendlicher in ihrem erweiterten linguistischen Kapital und - noch bedeutender - 2.2 Mehrsprachigkeit und Bildungserfolg 31 für die gesellschaftliche Akzeptanz von anderen Sprachen und somit von Personen mit erweiterten sprachlichen Kompetenzen. (Marx 2014: 20) Die Geringschätzung von Sprachkenntnissen abseits des schulisch legitimierten Wissens kann darüber hinaus ihren Niederschlag in weiteren, sozio-emotionalen Prozessen auf Seiten des Sprechers finden, die wiederum einen Einfluss auf seine Leistung ausüben. So wird als eine weitere Ursache für Leistungsdisparitäten zwischen Ein- und Mehrsprachigen in den letzten Jahren auch die Bedrohung durch Stereotypisierung untersucht (vgl. Ward Schofield & Alexander 2012). Hierunter wird die unbewusst auftretende Angst gefasst, einem bestimmten negativen Stereotyp über die eigene soziale Gruppe zu entsprechen (vgl. ebd.: 66). Voraussetzung für das Greifen dieser Angst ist dabei nicht die eigene Zustimmung zu dem bestehenden Stereotyp, sondern erstens das bloße Wissen um seine Existenz und zweitens die Identifikation mit der betreffenden Gruppe. Fühlt sich eine Person durch ein leistungsbezogenes Vorurteil bedroht, so hemmt diese Angst sie besonders in Situationen, in denen ebensolche Leistung erwartet wird. Die Bedrohung durch ein Stereotyp kann dabei bereits auf subtile Weise durch die Aufforderung auf einem Arbeitsblatt, seine Gruppenzugehörigkeit anzugeben, hervorgerufen werden (vgl. Steele & Aronson 1995: 808). 8 Die meisten Studien befassen sich mit der Bedrohung durch Stereotype bei Frauen (vgl. Nguyen & Ryan 2008), die Ergebnisse lassen sich jedoch ohne weiteres auf andere Minoritätengruppen übertragen. Schmader und Johns (2003: 449) konnten z. B. nachweisen, dass Probandinnen, bei denen ein gender- und ein ethniebezogenes Stereotyp aktiviert wurden, wesentlich schlechter bei einem Aufmerksamkeitstest abschnitten als die nicht betroffene Kontrollgruppe. Die mentale Beschäftigung mit dem Stereotyp nahm ihre kognitiven Ressourcen derart in Anspruch, dass ihr Arbeitsgedächtnis überlastet war. In der Studie von Gonzales und Kollegen (2002: 666) zeigten sich ebenfalls Effekte einer Bedrohung durch Stereotype bei Frauen, die sich der Gruppe der Latinas zugehörig fühlten. Durch die Aktivierung des ethnischen Stereotyps wurden bei ihren Probandinnen auch geschlechtsbezogene Vorurteile ausgelöst. Übertragen auf mehrsprachige Schülerinnen und Schüler lässt sich mit Blick auf diese Befunde das Stereotyp des sprachlich Schwachen bzw. die Angst, diesem zu entsprechen, annehmen. Diese Angst kann dann insbesondere bei Leistungsüberprüfungen 8 In der vierten Teilstudie in Steele und Aronson (1995) erhielten die Studienteilnehmer vor dem Absolvieren eines Tests ein Blatt, auf dem sie persönliche Informationen inklusive ihrer Rassenzugehörigkeit angeben sollten. Bei afroamerikanischen Probanden wurde hierdurch die Bedrohung durch das Stereotyp der intellektuell weniger begabten Gruppe ausgelöst, sodass sie in dem Test schlechter abschnitten als die Kontrollgruppe, die keine Gruppenzugehörigkeit angeben musste. 32 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation wie den oben beschriebenen Schulleistungsstudien ein kompetenzadäquates Abschneiden verhindern. Für Leistungsdisparitäten zwischen Ein- und Mehrsprachigen werden in der Soziologie vor allem sozio-ökonomische Erklärungsansätze wie geringere in die Bildung zu investierende Ressourcen gesucht. In einer groß angelegten Panelstudie (CILS - Children of Immigrants Longitudinal Study) in den USA begleiteten beispielsweise Portes und Rumbaut (1990; 2001) über zehn Jahre lang mehr als 5.000 Jugendliche der zweiten Migrantengeneration bis ins Erwachsenenalter und untersuchten die Auswirkungen unterschiedlicher Ausgangsbedingungen u. a. auf Bildungserfolg, Berufsstand, Arbeitslosigkeit, Familiengründung und Inhaftierung. Es zeigte sich, dass der elterliche sozio-ökonomische Status mit dem Bildungserfolg ihrer Kinder, ihrer finanziellen Lage und ihren Verdienstmöglichkeiten als Erwachsene zusammenhängt (vgl. Portes et al. 2005: 1025 f.). Je höher das bereits von den Eltern in die Familie eingebrachte Kapital war, d. h., je länger beide Elternteile im Bildungssystem verblieben und je höher ihr erreichter Berufsstand war, desto größer war der anschließende Erfolg der Kinder. „Results from our study are almost frightening in revealing the power of structural factors - family human capital, family composition, and modes of incorporation - in shaping the lives of these young men and women“ (ebd.: 1032). Auch in Deutschland haben Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Vergleich zur sozial dominanten Gruppe eine andere strukturelle Ausgangslage: Ihre Familien besitzen weniger ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital (vgl. Diefenbach 2007: 227). So verfügen Migrantengruppen in Deutschland grundsätzlich über niedrigeres Einkommen als die Mehrheitsbevölkerung und weisen zudem typischerweise einen geringeren Bildungsstand als diese auf (vgl. ebd.: 229). Beides kann nur teilweise auf die in Deutschland nicht anerkannten Abschlüsse und Zertifikate zurückgeführt werden. Sie verkehren in weniger sozial relevanten Netzwerken, die Zugänge zu weiteren Bildungsressourcen eröffnen könnten (vgl. Stanat & Edele 2011: 186). Der Faktor „Migrationshintergrund“ ist in Deutschland also stark mit dem sozialen Status konfundiert. Die Forschungsbefunde von PISA 2000 und PISA 2003 legen in diesem Sinne ebenfalls nahe, dass insbesondere die Lesekompetenz von Kindern und Jugendlichen in Deutschland stark mit dem sozio-ökonomischen Status der Familie zusammenhängt. Diese enge Verkettung von schulischen Leistungen und strukturellen Merkmalen des Elternhauses wies bei der ersten Testung in diesem Ausmaß kein weiterer OECD-Mitgliedsstaat auf (vgl. Stanat et al. 2002: 13). Über die Zeit verringerten sich diese Effekte zwar, dennoch bleibt sogar bei der aktuellen PISA-Studie diese Kopplung bestehen (vgl. Müller & Ehmke 2016: 311). Bei Kontrolle des sozio-ökonomischen Status der Schülerinnen und Schüler 2.2 Mehrsprachigkeit und Bildungserfolg 33 reduziert sich hingegen der Einfluss des Faktors Migrationshintergrund auf die gemessenen Leistungen beträchtlich (vgl. Stanat et al. 2010: 202). Mehrere Arbeiten aus der Soziologie führen als Erklärungsansatz für den geringen Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund das Festhalten an der Minderheitensprache an. So konnte u. a. Esser (2006; 2009) anhand von Reanalysen verschiedener Indikatoren für Schulleistungen und Arbeitsmarkterfolg von Migranten feststellen, dass herkunftssprachliche Kompetenz bzw. Investitionen in diese sich weder in der Schule noch später auf dem Arbeitsmarkt auszahlten. Seine Auswertung der oben diskutierten CILS-Studie (vgl. Portes & Rumbaut 1990) belegte, dass allein die Beherrschung der Mehrheitssprache sowohl für Lesekompetenzen als auch für die Leistungen in Mathematik ausschlaggebend sei. Die Minderheitensprache sei für schulischen Erfolg hingegen völlig „irrelevant“ (Esser 2006: 74). Durch die Neubetrachtung von Daten des Sozio-Ökonomischen Panels ließen sich weder beim erzielten Einkommen noch bei der beruflichen Positionierung Vorteile durch migrationsbedingte Mehrsprachigkeit ausmachen (vgl. Esser 2009: 84). Kompetenzen in der Minderheitensprache wären ausschließlich bei einigen wenigen Tätigkeiten in speziellen Arbeitsmarktsegmenten gewinnbringend. Andere Arbeiten aus der Bildungsforschung bestätigen diese Ergebnisse zum Teil. So zeigte beispielsweise eine Metaanalyse von Studien zu bilingualen, Sprachförder- und Spracherhaltprogrammen, die im US-amerikanischen und europäischen Kontext durchgeführt wurden, keine eindeutigen Vorteile für solche Programme, in denen auch die Minderheitensprache berücksichtigt wurde (vgl. Limbird & Stanat 2006). Limbird und Stanat führen zwar selbst an, dass zum einen der Erfolg solcher Programme über das erreichte Niveau in der Mehrheitssprache gemessen wurde und zum anderen das methodische Vorgehen vieler der von ihnen zusammengetragenen Studien insbesondere hinsichtlich der Vergleichsgruppe fragwürdig ist. Dennoch lautet ihre Schlussfolgerung, dass es keine weitere Notwendigkeit zur Untersuchung von bilingualen und transitorischen Programmen gäbe. Es sei „unrealistisch“, alle Minderheitensprachen in der Schule zu berücksichtigen, selbst wenn ihre Förderung der Mehrheitssprache zugute käme (ebd.: 292). Hopf (2005) legt eine ähnlich gerichtete Analyse für den deutschen Kontext vor und argumentiert gegen eine Förderung der Minderheitensprache vor allem mit der Knappheit der zur Verfügung stehenden Lernzeit. Der Aufwand zum Ausbau der Minderheitensprachkenntnisse stehe in keinem Verhältnis zum Ertrag, insbesondere bei Betrachtung der Schülerleistungen im Deutschen. Da viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in Familien aufwachsen, in denen primär die Minderheitensprache gesprochen wird, und zugleich in Ballungsgebieten großwerden, was den Kontakt zu weiteren Sprechern dersel- 34 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation ben Minderheitensprache erleichtert, benötigten sie laut Hopf wesentlich mehr Unterrichtszeit zum Erlernen der deutschen Sprache (vgl. ebd.: 244). Erfolgreiche Zweisprachigkeit sei für ihn hingegen das Ergebnis intensiver familiärer Förderung, die nur wenige Angehörige einer „intellektuellen Elite“ meisterten (ebd.: 242). Nach diesen Forschungsergebnissen scheint für sozialen Aufstieg in der Gesellschaft offenbar ausschließlich die Mehrheitssprache förderlich zu sein, was die Minderheitensprache zusätzlich abwertet und den Erhalt von peripheren Sprachen erschwert. Dass es sich trotz der negativen Befunde aus der Soziologie und Bildungsforschung lohnt, eine Minderheitensprache ohne Prestige und gesellschaftlichen „Marktwert“ zu erhalten und von Generation zu Generation weiterzugeben, obwohl ihre Kenntnis scheinbar keinen Nutzen mit sich bringt oder sogar für Bildungserfolg hinderlich ist, zeigen wiederum zahlreiche Studien aus der Soziolinguistik, Fremdsprachenforschung, Neurowissenschaft, Psychologie und anderen Disziplinen, auf die im folgenden Abschnitt eingegangen wird. 2.3 Gründe für Spracherhalt Entgegen der Sichtweise, das Vorhandensein mehrerer unterschiedlicher Sprachen in einem Staat führe zu politischer Spaltung und widerspreche dem Verständnis von einem Nationalstaat mit nur einer gemeinsamen Sprache für alle Bürger (vgl. Krashen 1998: 5 f.), argumentiert Fishman für den Erhalt sprachlicher Diversität und belegt anhand von Daten aus 170 Ländern, dass dieser Faktor nicht ausschlaggebend für politische Instabilität ist (vgl. Fishman 1990). Im Gegenteil, die Bewahrung und Akzeptanz selbst kleinerer Minderheitensprachen ist laut Fishman gleichsam ein Zeichen kultureller Demokratie (vgl. Fishman 1991: 3). Sprachliche Pluralität aufrechtzuerhalten, bedeutet demnach die Voranstellung von Identität vor Macht, von Individuum und Gemeinschaft vor Gesellschaft und gibt darüber hinaus nicht prestigeträchtigen Sprachen genügend Raum zur Entfaltung (vgl. ebd.: 6): The destruction of languages is an abstraction which is concretely mirrored in the concomitant destruction of intimacy, family and community, via national and international involvements and intrusions, the destruction of local life by mass-market hype and fad, of the weak by the strong, of the unique and traditional by the uniformizing, purportedly ‘stylish’ and purposely ephemeral. (Fishman 1991: 4) Es lassen sich zahlreiche weitere Argumente für den Erhalt einer Minderheitensprache jenseits von verklärter Vorstellung von sprachlicher Diversität an- 2.3 Gründe für Spracherhalt 35 führen. So ist das Versprechen, durch die Mehrheitssprache sozial aufzusteigen und seine Chancen auf Erfolg zu erhöhen, insbesondere wenn man die Minderheitensprache hinter sich lässt, entgegen den in Abschnitt 2.2 zitierten Studien nicht universell einlösbar, wie die Forschungen von Brizić (2007; 2009) nachweisen. In ihrer Studie zeigte sich, dass Schülerinnen und Schüler mit der geringsten Deutschkompetenz gleichzeitig über die geringsten Sprachkenntnisse in der vermeintlichen Erstsprache verfügten. Dies widerspricht also den oben diskutierten Befunden, das schlechte Abschneiden Mehrsprachiger im Bildungssystem sei auf den Erhalt der Minderheitensprache zurückzuführen. Durch qualitative Tiefeninterviews mit den Eltern dieser Schüler konnte Brizić jedoch eine Erklärung für diese Feststellung finden und nachzeichnen, dass in der scheinbar homogenen Sprechergruppe eine Vielzahl an anderen, „verschwiegenen“ Sprachen gesprochen wurde. Diese Familien hatten den Prozess des Sprachwechsels bereits durchlaufen und schon vor der Migration eine im Herkunftsland nicht prestigeträchtige oder gar stigmatisierte Minderheitensprache zugunsten der offiziellen Mehrheitssprache aufgegeben. Brizić formuliert ihre Ergebnisse zusammenfassend wie folgt: Die uneingeschränkte Weitergabe der Erstsprache von den Eltern an die Kinder könnte also tatsächlich so, wie es sich hier in unserem Sample präsentiert, einen entscheidenden Vorteil darstellen und sogar andere ungünstige Bedingungen aufwiegen; die teilweise Weitergabe und die Nichtweitergabe könnten dagegen gewissermaßen einen „Kapitalverlust“ bedeuten, da sie zu einem mehr oder weniger umfassenden sprachlichen Neuanfang zwingen - in der Migrationssituation möglicherweise eine besonders schwierige Ausgangsposition für jeden weiteren Spracherwerb. (Brizić 2007: 330; Hervorhebungen i. O.) 9 Brizić betont also, dass die Aufgabe der familiär verwendeten Sprache in der Migrationssituation eine doppelte Belastung darstellt und die Familien sprachlich zu einem vollständigen Neustart zwingt. Somit führt Sprachwechsel zur Mehrheitssprache erst zu Bildungsbenachteiligung. Studien aus der interkulturellen Erziehungswissenschaft konnten ebenfalls nachweisen, dass diejenigen Sprecher der zweiten Generation erfolgreich am Bildungssystem und am Arbeitsmarkt partizipieren, die sowohl die Mehrheitssprache erwerben als auch die von ihren Eltern mitgebrachte Sprache beibehalten und diese als Ressource nutzen. Fürstenau (2004; 2005) legte eine Untersuchung zu Aufwertungsmöglichkeiten der Minderheitensprache in Ausbildung und Beruf aus der Perspek- 9 Der Begriff „Kapital“ wird von Brizić nicht im ökonomischen, sondern im übertragenen Sinne als sozio-kulturelle Ressource verwendet. Auch sie versteht mit Bourdieu Sprache als symbolisches Kapital, das auf dem sprachlichen Markt feilgeboten werden kann (vgl. ebd.: 84). 36 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation tive Jugendlicher in der Phase der Berufsorientierung vor. In ihrer Arbeit zu portugiesischsprachigen Jugendlichen in Hamburg konnte sie u. a. nachzeichnen, dass sie ihre schulisch illegitimen Sprachkenntnisse durchaus eigenaktiv durch eine offizielle Zertifizierung aufwerten wollten (vgl. Fürstenau 2005: 373). Dies sei nach Fürstenau ein Versuch, sich gegen die bestehenden Verhältnisse auf dem sprachlichen Markt aufzulehnen. Auf dem Arbeitsmarkt zahlten sich insbesondere für die Jugendlichen mit höheren Bildungsabschlüssen die Kenntnisse in der Minderheitensprache ausdrücklich aus: Zusätzlich zu den von Esser (2009) genannten an die portugiesische Migrantengemeinde in Hamburg gebundenen Arbeitsmarktoptionen ergaben sich nach Einschätzung der Studienteilnehmer zahlreiche Berufsfelder in internationalen oder mehrsprachigen Kontexten (vgl. ebd.: 374). Zudem ermöglichte ihnen das Festhalten an der Minderheitensprache Portugiesisch, sich auch im Herkunftsland ihrer Eltern zu bewerben und dort beruflich tätig zu sein. Auf positive Effekte des Erhalts der Minderheitensprache für das Individuum verweisen Ergebnisse der Akkulturationsforschung, die sich mit auftretenden Verhaltens- oder Werteänderungen bei Kontakt zwischen zwei unterschiedlichen Gruppen befasst (vgl. Smith 2014: 599). Die Arbeitsgruppe um Berry (vgl. Berry 1997; Berry et al. 2010) untersuchte mittels einer umfangreichen Fragebogenstudie das Akkulturationsverhalten von 5.366 Jugendlichen sowohl der ersten als auch der zweiten Migrantengeneration in 13 unterschiedlichen Länderkontexten. Darunter befanden sich klassische Einwanderungsländer wie die USA und Kanada sowie europäische Staaten mit hohem Anteil an Einwanderern wie Frankreich, die Niederlande und Deutschland. Als Akkulturationsindikatoren wurden kulturelle Traditionen, exogame vs. endogame Partnerschaften, soziale Aktivitäten, Freundschaften und Sprache ausgewählt. Die Analysen belegen, dass der größte Teil der Jugendlichen (36,4 %) ein integriertes Akkulturationsprofil aufwies (vgl. Berry et al. 2010: 26). Das bedeutet, dass diese Jugendlichen sich sowohl der Kultur und den Traditionen ihrer Eltern als auch des Einwanderungslandes zugehörig fühlten und soziale Aktivitäten, Freundschaften und Partnerschaften unabhängig von diesen Kategorien wählten. Diese Gruppe berichtete eine ausgebaute Kompetenz in der Mehrheitssprache sowie eine durchschnittliche in der Minderheitensprache und wies stabile familiäre Beziehungen auf. Jugendliche mit einem nationalen Profil (18,7 %) zeichneten sich in der Studie dadurch aus, dass sie sich voll und ganz der Sprache und Kultur der Mehrheitsgesellschaft zuwendeten. Sie bevorzugten Kontakte zu Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft und lehnten elterliche Autorität stark ab (vgl. ebd.: 25). Ihr Akkulturationsverhalten wies die Tendenz einer völligen Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft auf. 2.3 Gründe für Spracherhalt 37 Weitere Auswertungen belegten, dass Jugendliche mit einem integrierten Akkulturationsprofil sich weniger diskriminiert fühlten als solche mit einem nationalen Profil (vgl. ebd.: 29). Zudem zeigten Probanden mit einem integrierten Profil die besten psychologischen und sozio-kulturellen Anpassungsfähigkeiten im Vergleich zu den anderen Akkulturationsprofilen. Das bedeutet, dass sie sowohl über persönliches Wohlbefinden und mentale Stabilität verfügten als auch sozial kompetent in der Gesellschaft agierten. Sie waren zufriedener mit ihrem Leben, hatten ein höheres Selbstbewusstsein, weniger psychologische Probleme oder Verhaltensauffälligkeiten und kamen in der Schule besser zurecht (vgl. ebd.: 32). Das nationale Profil hingegen schlägt sich in durchschnittlichen sozio-kulturellen Anpassungsfähigkeiten bei gleichzeitig nur gering ausgeprägten psychologischen Akkulturationsstrategien nieder. Solche Probanden hatten im Vergleich zu anderen Gruppen weniger Selbstbewusstsein und waren seltener zufrieden mit ihren Lebensumständen. Diese Befunde widersprechen also klar der Annahme, der Erhalt der Minderheitensprache zahle sich nicht aus und sei keiner Investitionen wert: For governments in societies that are receiving immigrants, our findings suggest that there should be support and encouragement for immigrants to pursue the integration path, since both psychological and sociocultural adaptation are more positive among those who orient themselves in this way. […] First, cultural maintenance should be desired by the immigrant community, and permitted (even encouraged) by the society as a whole. Second, participation and inclusion in the life of the larger society should be sought by the immigrants, and permitted and supported by the larger society. (Berry et al. 2010: 38 f.) Weitere Studien bescheinigen Mehrsprachigen über die emotionale Ebene hinaus zahlreiche kognitive Vorteile. So konnten beispielsweise Arbeiten aus der Fremdsprachenforschung nachweisen, dass die Förderung der Minderheitensprache und ihre Nutzbarmachung im Unterricht nicht nur einen positiven Effekt auf die Deutschkenntnisse ausübt, sondern auch den Erwerb weiterer Sprachen unterstützt (vgl. Göbel et al. 2011; Hesse & Göbel 2009; Hu 2003; Rauch et al. 2010). Ergebnisse der DESI-Studie 10 zeigen beispielsweise, dass mehrsprachige Schülerinnen und Schüler im Englischunterricht ihren einsprachigen Klassenkameraden um ein halbes Lernjahr voraus sind - trotz eines Leistungsrückstands im Deutschen. Ein Grund hierfür liegt in den sprachanalytischen Fähigkeiten, dem sog. metasprachlichen Wissen, das Mehrsprachige früher ausbildeten als einsprachig Sozialisierte (vgl. u. a. Bialystok 1986; 1991; 2009; Cummins 1978; Oomen-Welke 2006). Durch die bereits frühe Beschäftigung mit 10 Deutsch Englisch Schülerleistungen International. 38 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation unterschiedlichen Sprachsystemen erfahren mehrsprachig aufwachsende Kinder stärker die formale Funktion des sprachlichen Zeichens und lernen, Form und Inhalt abstrakt zu betrachten (vgl. Adesope et al. 2010: 209). Ein weiterer Erklärungsansatz hierfür könnte die im Fremdsprachenunterricht geringere Bedrohung durch Stereotype sein (s. o.). Da das Lernen einer neuen Sprache für alle Kinder gleichermaßen neu ist und nicht so sehr mit Deutschkenntnissen verbunden ist wie andere (Sach-) Fächer, sind Mehrsprachige im Fremdsprachenunterricht keinen negativen Stereotypen ausgesetzt, die Stereotype könnten gar im Sinne der oben angeführten Argumentation positiv besetzt sein. Erleichterte Erwerbsbedingungen gelten allerdings nicht pauschal für alle Mehrsprachigen, sondern betreffen nur Sprecher mit einem hohen Kompetenzgrad in beiden Sprachen (vgl. Cenoz 2003; Lauchlan et al. 2013; Rauch et al. 2012). Die Kenntnisse in einer Minderheitensprache können für einen Sprecher also nur dann von Vorteil für den Erwerb anderer Sprachen sein, wenn diese weit ausgebaut und erhalten sind. Weitere Belege für diese Schlussfolgerung liefert die Neurowissenschaft. Untersuchungen mittels bildgebender Verfahren wiesen nach, dass bei balanciert Mehrsprachigen beide Sprachen im gleichen Hirnareal aktiviert werden, während bei eingeschränkter Kompetenz in einer der beiden Sprachen ein zusätzliches neuronales Netzwerk aufgebaut wird (vgl. Nitsch 2007: 55). Der Mehrsprachige kann also nur bei ausgebauter Sprachkompetenz auf bereits vorhandene neuronale Strukturen zurückgreifen und diese für den Erwerb weiterer Sprachen nutzen. Des Weiteren attestiert die Neuropsychologie Mehrsprachigen Vorteile bezüglich exekutiver Funktionen wie Problemlösekompetenz, mentaler Anpassungsfähigkeit, Aufmerksamkeitssteuerung oder kognitiver Flexibilität. Studien von Costa und Kollegen (vgl. Costa et al. 2008; 2009) zeigten beispielsweise, dass mehrsprachige Probanden in ihrem Sample effizienter und schneller Aufgaben mit inkongruentem Stimulus und widersprüchlicher Information lösten als einsprachige Studienteilnehmer. Sie schlussfolgern daraus, dass Mehrsprachigkeit einen besseren Zugang zu Aufmerksamkeitsmechanismen erlaubt, sodass diese Personen selbst unter erschwerten Bedingungen in der Lage sind, inkonsistente Daten zu verarbeiten (vgl. Costa et al. 2008: 77). Ähnliche Ergebnisse lieferten mehrsprachige Probanden in den Studien von Bialystok und Kollegen (vgl. Bialystok et al. 2005; Emmorey et al. 2008; Moreno et al. 2010). Bei der Bearbeitung eines Simon Task 11 oder bei der Beurteilung von 11 Ein Simon Task ist ein Test zur Messung der Reaktionszeit in Abhängigkeit von der Position des Reizes. Der Proband sieht dabei auf dem Bildschirm zwei unterschiedliche Reize, die entweder links oder rechts von dem Fixationskreuz erscheinen. Während in der ersten Phase des Experiments die Position des Reizes mit der Hand, die für die korrekte Reaktion benötigt wird, übereinstimmt, wird in der zweiten Phase die Position des 2.3 Gründe für Spracherhalt 39 Sätzen, die grammatisch und semantisch inkongruent waren, reagierten Mehrsprachige deutlich schneller und schnitten merklich besser ab als Einsprachige, was auf einen höheren Grad an kognitiver Flexibilität und Kontrolle der erstgenannten Sprechergruppe hindeutet. Diese Vorteile werden auf die Tatsache zurückgeführt, dass der regelmäßige Gebrauch zweier Sprachen ein erhöhtes Ausmaß an Aufmerksamkeit bei der Sprachwahl abverlange (vgl. Adesope et al. 2010: 208). Diese Aufmerksamkeitsleistung können die Probanden ebenfalls auf andere Bereiche übertragen und sie zur Lösung komplexer Probleme nutzen. Diese auch medial sehr präsenten Annahmen der Neuropsychologie werden jüngst durch die Forschungsgruppe um Paap stark in Frage gestellt. In einer breit angelegten Studie testeten Paap und Kollegen 384 Probanden mithilfe von vier gängigen Testverfahren wie dem Simon Task oder dem Antisakkaden-Test 12 , um Unterschiede zwischen den einsprachigen und den mehrsprachigen Studienteilnehmern bezüglich exekutiver Funktionen zu erheben (vgl. Paap et al. 2014). Ziel war es, die gängigen Studien der Neuropsychologie zu replizieren und die als untermauert geltenden Ergebnisse zu bestätigen. Sie erhoben dabei zusätzlich Merkmale wie Beginn des L2-Erwerbs, Sprachdominanz sowie die Beherrschung weiterer Sprachen. Die Arbeitsgruppe konnte entgegen den bisherigen Annahmen unter keinen Bedingungen positive Effekte der Mehrsprachigkeit auf exekutive Funktionen auffinden: „It is likely that bilingual advantages in EF (i. e. executive functions, H. O.) do not exist. If they do exist they are restricted to specific aspects of bilingual experience that enhance only specific components of EF. Such constraints, if they exist, have yet to be determined“ (Paap et al. 2015: 276). Der Widerspruch zu früheren Studien wird primär mit ihrer statistischen Anlage erklärt. So weise ein Großteil der diesem Gebiet zugeordneten Forschungen eine zu geringe Probandenanzahl von durchschnittlich etwa 15 bis 30 Personen pro Gruppe auf (vgl. ebd.: 266 f.). Um diesem Missstand zu begegnen, würden jedoch für gewöhnlich mehrere kleinere Studien statt einer umfassenderen Arbeit durchgeführt. Eine weitere Schwäche stelle die Zusammensetzung der Vergleichsgruppen dar, die oftmals nicht nach sozio-ökonomischem Status kontrolliert oder innerhalb der mehrsprachigen Gruppe nicht nach Dauer des Aufenthaltes angeglichen werde (vgl. ebd.: 267 f.). Trotz ihrer Kritik formulieren Paap und Kollegen abschließend die Hypothese, dass Mehrsprachigkeit sich Stimulus randomisiert, sodass es zu Inkongruenzen kommt. Der Proband hat jedoch nach wie vor auf den Reiz zu reagieren und nicht auf seine Position, die bei inkongruenten Tests unterdrückt werden muss (vgl. Paap et al. 2014: 624). 12 Bei diesem Test muss der Proband den Reflex unterdrücken, seine Aufmerksamkeit auf einen peripher am Rande des Bildschirms erscheinenden Distraktor zu richten, und sich stattdessen auf den Zielstimulus in der Mitte konzentrieren (vgl. Paap et al. 2014: 623). 40 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation dennoch positiv auf exekutive Funktionen auswirken könne, jedoch sei der entsprechende Effekt vermutlich gering und nur bei einer spezifischen Bedingungskonstellation nachweisbar. Darüber hinaus wird Mehrsprachigen in Bezug auf den Alterungsprozess eine Überlegenheit gegenüber Einsprachigen zugeschrieben. So sei bei Ersteren die altersbedingte Abnahme kognitiver Fähigkeiten weiter nach hinten verlagert, da durch die lebenslange Verwendung zweier oder mehr Sprachen eine kognitive Resistenz geschaffen werde, die den geistigen Alterungsprozess verlangsame und das Gehirn vor Schäden schütze (vgl. Kavé et al. 2008). Dabei kann der Faktor Mehrsprachigkeit zuverlässiger die kognitiven Fertigkeiten eines älteren Probanden vorhersagen als andere demographische Variablen wie Alter, Geschlecht, Alter bei Ausreise oder Bildungsgrad (vgl. ebd.: 70). Die balancierte Beherrschung beider Sprachen scheint hier ebenso eine entscheidende Rolle zu spielen: Je ausgebauter die Sprachkenntnisse in beiden Sprachen, desto besser waren die kognitiven Fähigkeiten der Probanden im Alter erhalten. Ardila und Ramos (2008) berichten zudem über Effekte der Mehrsprachigkeit bei Demenzpatienten. Ihre kognitiven Funktionen blieben mit einer größeren Wahrscheinlichkeit erhalten, wenn sie primär in ihrer Erstsprache kommunizierten statt in der Zweitsprache (vgl. ebd.: 244). Die dargestellten Forschungsergebnisse belegen, dass Mehrsprachigkeit nicht nur einen schützenden Effekt auf kognitive Fähigkeiten bei normalen Alterserscheinungen haben kann, sondern dass sie sich auch verzögernd bei Demenz auswirkt. Schließlich wiesen einige Studien einen reziproken Zusammenhang zwischen Mehrsprachigkeit und Kreativität nach (vgl. für einen Überblick Ricciardelli 1992). Forschungen konnten bestätigen, dass sowohl eine ausgeprägte nonverbale Kreativität die Mehrsprachigkeit vorteilhaft beeinflusse als auch die Mehrsprachigkeit selbst sich in einem positiven Maße auf den Ideenreichtum und das Vorstellungsvermögen auswirke. Hommel und Kollegen (2011) belegten ebenfalls für verbale Kreativitätsaufgaben, dass Personen, die über ausgebaute Sprachkompetenzen in ihren beiden Sprachen verfügten, eher konvergente Denkstrukturen aufwiesen und schneller in der Lage waren, Gemeinsamkeiten zwischen Begriffen zu finden sowie Assoziationen, Bedeutungen und Abstraktionen von bestimmten Konzepten zu bilden. Nicht balanciert Mehrsprachige hingegen zeigten ausgebaute divergente Denkweisen und generierten mehr originelle, detaillierte Lösungen für ein Problem (vgl. ebd.: 114). Die kognitiven Prozesse des divergenten und konvergenten Denkens sowie der dadurch erzeugte sprachliche Output sind als Manifestationen der Kreativität Mehrsprachiger zu werten (vgl. Kessler & Quinn 1987). Mehrsprachigkeit ist also aus vielerlei Gründen eine nicht zu unterschätzende gesellschaftliche wie persönliche Ressource, die es aufrechtzuerhalten und aus- 2.3 Gründe für Spracherhalt 41 zubauen gilt. Gleichzeitig erscheint eine Sichtweise auf Mehrsprachigkeit als Ressource - also als Arbeitsmittel und Rohstoff - der Sichtweise der Sprecher selbst jedoch nicht gerecht zu werden (vgl. Ricento 2005 zu einer Kritik dieser Betrachtungsweise). Denn auf der Ebene des Individuums bedarf der Erhalt der Minderheitensprache keiner weiteren Begründung als den Wunsch, diese zu erhalten. Daran gekoppelt ist die Vorstellung, das Bewahren der Sprache stärke die Verbindung sowohl zwischen den Generationen innerhalb der Familie als auch zwischen dem Sprecher und einer von ihm konstruierten Identität, Geschichte oder Herkunft. Die Vermeidung intergenerationaler Konflikte durch eine gemeinsame Sprache und somit eine erleichterte Kommunikation mit der älteren Generation, der Community in der Diaspora und den Familienangehörigen im Herkunftsland stellen seitens mehrsprachiger Eltern wichtige Beweggründe dar, dem Verlust der Minderheitensprache entgegenzuwirken (vgl. Cho & Krashen 1998: 33). So stellt denn auch der Wunsch nach Erhalt der Minderheitensprache für die Familien die Bedeutung der Mehrheitssprache für Bildung und finanziellen Erfolg zwar keinesfalls infrage, dennoch gilt die größere Befürchtung mehrsprachiger Eltern mit Blick auf ihre Kinder nicht einem defizitären Erwerb der Mehrheitssprache, sondern gerade dem Erwerb und Erhalt der Minderheitensprache. Diese Sorge der Eltern spiegelt sich in Unsicherheit und einem großen Beratungsbedarf zu Strategien und Erfolgsbedingungen mehrsprachiger Erziehung, was in einschlägigen Online-Elternforen und in Untersuchungen zu pädiatrischer Beratungspraxis sichtbar wird (vgl. Bockmann et al. 2013; Buschmann et al. 2011). Erste Studien in diesem Bereich konnten aufzeigen, dass Eltern ob der sprachlichen Entwicklung ihres Kindes häufig beunruhigt sind. Falls Beratung in Anspruch genommen wird, so geschieht dies innerhalb der kinderärztlichen Betreuung oder aber im privaten Umfeld (vgl. Bockmann et al. 2013: e16). Meist sind die Eltern jedoch bei Fragen zu mehrsprachigen Erwerbsverläufen auf sich allein gestellt und erfahren kaum institutionelle oder fachkundige Unterstützung (vgl. ebd.). Insgesamt erscheint es nicht angemessen, eine Rechtfertigung für den Erhalt der Minderheitensprache allein in einem positiven Effekt auf das Altern, das Lernen von Fremdsprachen oder auf die Mehrheitssprache und somit auf Bildungserfolg zu suchen, denn die Minderheitensprache stellt bereits einen intrinsischen Wert dar. Jenseits von angestrebten ökonomischen Vorteilen für den Einzelnen führt der Wunsch nach Erhalt der Minderheitensprache und dessen erfolgreiche Umsetzung zu höherem Selbstwertgefühl, ehrgeizigeren Zukunftsplänen, mehr Selbstbewusstsein bei der Erreichung festgesetzter Ziele und zu einem gesteigerten Gefühl der Kontrolle über sein eigenes Leben (vgl. Garcia 1985: 228 f.; Krashen 1998: 8). Die Bewahrung der Mehrsprachigkeit über Ge- 42 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation nerationen hinweg kann folglich einen gewichtigen Einfluss auf emotionales Wohlbefinden, Stabilität und die psychische Verfassung des Individuums ausüben. Als ein persönliches, bedeutsames Thema, das stets im Kontext der Familie verhandelt wird, ist sie für die Sprecher selbst also eine subjektive, emotional aufgeladene Angelegenheit und bedarf weiter keiner rationalen Argumente. 2.4 Mehrsprachigkeit in Deutschland Gesicherte Zahlen zu den in Deutschland gesprochenen Sprachen - allochthonen wie autochthonen - oder zu den Anteilen Mehrsprachiger an der Gesamtbevölkerung liegen nur bedingt vor. Dass Deutschland ein mehrsprachiger Staat ist, lässt sich dennoch anhand einiger Angaben und Statistiken belegen. Das Bundesministerium des Innern schätzt beispielsweise für die alteingesessenen Sprachen folgende Verteilung auf bundesdeutschem Gebiet: ca. 50.000 Angehörige der dänischen Minderheit, 60.000 Friesen, 60.000 Sinti, 10.000 Roma, 60.000 Sorben und rund 9 Millionen Niederdeutschsprecher (vgl. Bundesministerium des Innern 2015). Insgesamt könnten demnach ca. 14 % der autochthonen deutschen Bevölkerung als mehrsprachig bezeichnet werden. Die berichteten Zahlen spiegeln zwar durchaus die Größenverhältnisse der autochthonen Sprachen wider, können aber zugleich aufgrund der subjektiven Erhebungsart über Eigenkategorisierungen und ethnische Selbstzuschreibungen nur Näherungswerte darstellen. Sie reflektieren keinesfalls ihre tatsächliche Sprachvitalität, die nicht statistisch erfasst wird. Auch im Hinblick auf allochthone Mehrsprachigkeit in Deutschland existieren nur ungefähre Angaben, wofür mehrere Ursachen ausgemacht werden können. Zum einen wird ausschließlich legale Migration dokumentiert, zum anderen werden in Statistiken zu allochthoner Bevölkerung primär Staatsangehörigkeit und Geburtsland erhoben, die in Bezug auf gesprochene Sprachen nicht (mehr) aussagekräftig sind. Beide Kriterien sind zwar recht einfach zu erfassen und im Vergleich zu Selbstbezeichnungen objektiv, jedoch bringen sie auch Schwierigkeiten mit sich (vgl. Extra & Verhoeven 1999: 9). So ist z. B. die Staatsangehörigkeit einer Person als Hinweis auf die von ihr gesprochene(n) Sprache(n) durch Naturalisierungsprozesse oder eine eventuelle doppelte Staatsbürgerschaft inzwischen nur wenig überzeugend. Dies liegt daran, dass seit dem Jahre 2000 in Deutschland zusätzlich zum ius sanguinis (Recht des Blutes bzw. Abstammungsprinzip) das ius soli (Recht des Bodens bzw. Geburtsort / Territorialprinzip) gilt. Auf Antrag können damit Kinder von Ausländern, die vor dem Jahr 2000 geboren wurden, unter bestimmten Bedingungen eingebürgert werden (vgl. Böhmer 2012: 7, § 40b Staatsangehörigkeitsgesetz). Die Möglichkeit 2.4 Mehrsprachigkeit in Deutschland 43 eines erleichterten und schnelleren Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit besteht zudem für die Gruppe der (Spät-) Aussiedler aus Osteuropa, die vor dem Gesetz als deutsche Volkszugehörige gelten (vgl. Irwin 2009: 35). Für die Statistiken bedeutet dies wiederum, dass eine deutsche Staatsangehörigkeit keinesfalls Mehrsprachigkeit ausschließt. Die Erhebung der Staatsbürgerschaft erlaubt eine direkte Schlussfolgerung auf die Sprache einer Person vor allem aber deshalb nicht, weil hierdurch Minderheitenkontexte des Herkunftslandes nivelliert werden oder Sprachverlust und Sprachwechsel nach der Migration nicht abgebildet werden können. Dieselben Kritikpunkte gelten für die Erhebung des Geburtslandes. Um dem zu begegnen, schlagen Extra und Verhoeven (1999) auch für allochthone Sprachen Erhebungen mittels einer Selbstkategorisierung und / oder die direkte Erfragung der im Haushalt gesprochenen Sprache(n) vor. Diese Kriterien entsprächen weitaus mehr den realen Gegebenheiten in den Familien Eingewanderter und seien darüber hinaus dynamisch genug, um Veränderungen im Lebensverlauf und in der Sprachbiographie darstellen zu können. In Deutschland wird seit 2005 stattdessen neben Staatsangehörigkeit und Geburtsland der sogenannte Migrationshintergrund durch den Mikrozensus erhoben. Diese Kategorie bildet zwar ebenfalls keine Sprachkenntnisse ab, erfasst jedoch generationenübergreifende Veränderungen dadurch, dass nun auch die Elterngeneration berücksichtigt wird. Er wird wie folgt definiert: Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt. Die Definition umfasst im Einzelnen folgende Personen: 1. zugewanderte und nicht zugewanderte Ausländer; 2. zugewanderte und nicht zugewanderte Eingebürgerte; 3. (Spät-)Aussiedler; 4. mit deutscher Staatsangehörigkeit geborene Nachkommen der drei zuvor genannten Gruppen. (Statistisches Bundesamt 2017b: 4) Nach dieser Definition haben im Jahr 2015 rund 21 % der Bevölkerung in Deutschland einen Migrationshintergrund, der sich weiter nach Staatsangehörigkeit und Geburtsland ausdifferenzieren lässt, sodass sich die in Abbildung 2 dargestellte Zuordnung ergibt. Eine Betrachtung der Altersverteilung zeigt eine steigende Tendenz: Je jünger die jeweilige Bevölkerungsgruppe, desto größer ist der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund. Bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren lag er 2015 bei rund 35 % (vgl. Statistisches Bundesamt 2017b). 44 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation Abb. 2: Deutsche Bevölkerung nach Migrationsstatus (vgl. Statistisches Bundesamt 2017b; eigene Darstellung) Die Abbildung 2 lässt annehmen, dass zumindest alle Personen mit Migrationshintergrund mehrsprachig mit einer allochthonen Minderheitensprache sein könnten. Gleichzeitig kann auch diese Zahl aus zwei Gründen nur als Näherungswert verstanden werden. Zum einen können sich unter der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund auch Sprecher der dritten Generation befinden, die durchaus noch die Minderheitensprache sprechen, aber durch die Erhebungsart nicht erfasst werden. Zum anderen ist aufgrund von eventuellen Sprachverlustprozessen bereits in zweiter Generation auch die Aussagekraft des Merkmals „Migrationshintergrund“ mit Blick auf Mehrsprachigkeit grundsätzlich gering, sodass es lediglich als ein Hinweis auf mögliche in Deutschland gesprochene allochthone Sprachen und deren Verteilung fungieren kann. In diesem Sinne besitzen auch die Ergebnisse der in Abschnitt 2.2 diskutierten bildungswissenschaftlichen und soziologischen Studien zum Zusammenhang von Mehrsprachigkeit und Bildungserfolg eine eingeschränkte Aussagekraft: Sie benutzen häufig das Kriterium des Migrationshintergrundes oder der Staatsangehörigkeit, ohne zusätzlich die Mehrsprachigkeit erhoben zu haben. Betrachtet man nun die Bevölkerung mit Migrationshintergrund genauer (s. Abbildung 3), so lässt sich weitergehend vermuten, dass mindestens alle hier dargestellten Gruppen ohne eigene Migrationserfahrung, d. h. alle, die in Deutschland geboren wurden, mögliche Sprecher einer allochthonen Minderheitensprache in der zweiten Migrantengeneration und somit potentielle HL-Sprecher 13 sind. Dies wären im Jahre 2015 über 5,5 Millionen (vgl. Statistisches Bundesamt 2017b: 62). 13 Für eine genaue Definition dieses Begriffs s. Abschnitt 3.1.3. 2.4 Mehrsprachigkeit in Deutschland 45 Abb. 3: Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach Staatsangehörigkeit und eigener Migrationserfahrung (vgl. Statistisches Bundesamt 2017b; eigene Darstellung) Trotz der unzureichenden Informationslage über die in Deutschland gesprochenen allochthonen Minderheitensprachen können aufgrund der vorhandenen Einwanderungsstatistiken zumindest Russisch und Türkisch als die Sprachen mit den meisten Sprechern angenommen werden. Einen Hinweis auf die Größe der türkischsprachigen Gruppe in Deutschland liefert der Mikrozensus, der von ca. 2,9 Millionen Personen mit türkischem Migrationshintergrund, darunter 1,5 Millionen ohne eigene Migrationserfahrung und demnach mögliche HL-Sprecher, ausgeht. Exakte Zahlen vorzulegen, ist jedoch auch hier aus mehreren Gründen nicht möglich: Da der Beginn der türkischsprachigen Migration nach Deutschland auf das Jahr 1961, dem Abschluss des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik und der Türkei, zurückdatiert werden kann, leben hier manche Familien bereits in dritter Generation. Diese Sprecher besitzen inzwischen entsprechend oft eine deutsche Staatsangehörigkeit und sind nicht mehr als Personen mit Migrationshintergrund in der Statistik geführt. Die Gruppe der Türkischsprecher kann folglich - Spracherhalt vorausgesetzt - weit mehr Personen umfassen. Auf der anderen Seite ist die Türkei selbst ein vielsprachiger Staat mit zahlreichen autochthonen Minderheitensprachen wie z. B. Kurdisch, Arabisch oder Zaza (vgl. Brizić 2007: 104 f.). Das bedeutet wiederum, dass ein türkischer Migrationshintergrund nicht automatisch auf die türkische Sprache verweisen muss. Darüber hinaus ist das Türkische eine autochthone Minderheitensprache in anderen Staaten wie Mazedonien, Kosovo, Bulgarien, Rumänien, Irak oder Griechenland. Personen mit einem Migrationshintergrund aus diesen Staaten könnten also ebenfalls türkischsprachig sein, was zusätzlich zur Unschärfe statistischer Angaben zur türkischsprachigen Bevölkerung in Deutschland beiträgt. 46 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation Für die russischsprachige Minderheit kann ebenfalls durch das Hinzuziehen des Mikrozensus und anderer Statistiken zumindest eine ungefähre Sprecherzahl angegeben werden. Hierbei stellen die (Spät-) Aussiedler aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion die größte Gruppe mit ca. 2,4 Millionen dar (vgl. Bundesverwaltungsamt 2015a). Die wichtigsten Herkunftsländer sind dabei Kasachstan, Russland, Kirgistan, Ukraine und Usbekistan (vgl. Bundesverwaltungsamt 2015b). Eine verhältnismäßig kleine Gruppe bilden die sog. Kontingentflüchtlinge, ca. 220.000 jüdische Flüchtlinge primär aus der Ukraine, Russland und den baltischen Staaten (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2005; Irwin 2009: 51). Die dritte Gruppe besteht aus russischsprachigen Migranten aus Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die nicht unter die ersten beiden Kategorien fallen. Hierzu zählen etwa 231.000 Russen, 134.000 Ukrainer, 46.000 Kasachen und 21.000 Weißrussen (vgl. Statistisches Bundesamt 2016). Dass auch diese Zahlen reine Tendenzen darstellen, liegt, lässt man allgemeine Prozesse des Sprachverlusts außer Acht, an einem Spezifikum russischsprachiger Migration 14 : So gilt für alle Migranten aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion, dass Russisch nicht zwingend die in der Familie tatsächlich gesprochene Sprache sein muss. Insbesondere für die ältere Generation unter den Aussiedlern und Kontingentflüchtlingen kann es sich dabei um einen deutschen Dialekt bzw. um Jiddisch handeln (vgl. Irwin 2009: 47). Vor allem aber kann auch eine der Nationalsprachen des jeweiligen Staates statt des Russischen die Erstsprache der Migranten darstellen. Brehmer verweist in diesem Zusammenhang jedoch auf die Vormachtstellung des Russischen in allen Sowjetnachfolgestaaten und rechnet alle genannten Gruppen zur russischsprachigen Diaspora in Deutschland (vgl. Brehmer 2007: 166 f.). Die ungefähren Angaben zu migrationsbedingter Mehrsprachigkeit sowie zu den größten allochthonen Sprachgruppen in Deutschland können durch einige Forschungsarbeiten ergänzt werden, die punktuell in vereinzelten deutschen Großstädten die tatsächliche Sprachverwendung anhand von umfangreichen Spracherhebungen in Grundschulen untersuchten. Derzeit existieren Erhebungen für Hamburg (vgl. Fürstenau et al. 2003), Freiburg (vgl. Decker & Schnitzer 2012), Erfurt (vgl. Ahrenholz & Maak 2013) und Essen (vgl. Chlosta et al. 2003). Die Daten zeigen, dass je nach Kontext der Anteil mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler an der Gesamtschülerschaft zwischen 14 % und 40 % sowie die Anzahl der erhobenen Sprachen zwischen 36 und 122 schwankt (s. Tabelle 2). 14 Vgl. hierzu auch den Beitrag zur Schätzung russischsprachiger Bevölkerung in Deutschland aus dem Mediendienst Integration (https: / / mediendienst-integration.de/ artikel/ wie-viele-russischsprachige-leben-in-deutschland.html; letzter Zugriff Januar 2019). 2.4 Mehrsprachigkeit in Deutschland 47 Hamburg Freiburg Erfurt Essen Türkisch 30% Französisch 13% Russisch 25% Türkisch 27% Polnisch 10% Englisch 12% Vietnamesisch 10% Arabisch 14% Russisch 10% Russisch 11% Türkisch 6% Polnisch 12% Englisch 7% Arabisch 10% Englisch 6% SBK 5% Dari / Paschto 6% SBK 15 6% Arabisch 5% Russisch 5% gesamt 35% gesamt 40% gesamt 14% gesamt 28% Sprachen 100 Sprachen 85 Sprachen 36 Sprachen 122 Tab. 2: Die fünf am häufigsten gesprochenen Sprachen in Grundschulen in Hamburg, Freiburg, Erfurt, Essen im Vergleich (vgl. Ahrenholz & Maak 2013; Chlosta et al. 2003; Decker & Schnitzer 2012; Fürstenau et al. 2003; eigene Darstellung) Bis auf die Angaben zum Englischen 16 spiegeln diese Zahlen nicht nur die migrationsgeschichtlichen Zusammenhänge, sondern auch die lebensweltliche Mehrsprachigkeit in urbanen Räumen sehr gut wider. Sie bestätigen zum einen, dass Russisch und Türkisch bundesweit zu den am häufigsten gesprochenen Migrantensprachen gehören, zum anderen, dass auch die meisten hier genannten Sprachen im globalen Verständnis zentrale bis superzentrale Sprachen sind. Eine Unterstützung ihres Erhalts über Unterricht wäre somit durchaus möglich und nicht nur im Sinne eines wirtschaftlichen Vorteils für die Sprecher nutzbar. Die enorme Sprachenvielfalt sowie die hohen Anteile Mehrsprachiger in allen vier untersuchten Städten zeigen zudem, dass allochthone Minderheitensprachen trotz ihres in Deutschland geringeren Prestiges äußerst vital sind. Dieses vorhandene Potential zu nutzen und zu erhalten, stellt die Gesellschaft wie das Individuum vor eine zentrale Herausforderung. 15 SBK: Serbisch, Bosnisch, Kroatisch. 16 Wie Decker und Schnitzer (2012: 101) anführen, handelt es sich bei der Angabe „Englisch“ vermutlich um ein Artefakt der Befragungsart. Bei den meisten Schülerinnen und Schülern, die angaben, zu Hause Englisch zu sprechen, konnten sie keine entsprechende familiäre Migrationsverbindung feststellen. 48 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation 2.5 Erkenntnisinteresse der Heritage-Language-Forschung Losgelöst von der Relevanz der Zahlen zu Mehrsprachigkeit in Deutschland sowie von den oben diskutierten gesamtgesellschaftlichen und individualpsychologischen Vorteilen, die der Erhalt allochthoner Minderheitensprachen bietet, stellt die Beschäftigung mit Spracherhalt in der Migrationssituation auch für die Mehrsprachigkeitsforschung eine Chance dar. Anfängliche klassische Studien der Soziolinguistik beschäftigten sich mit Sprachverlust oder Sprachtod allein aus der Sicht autochthoner Minderheitensprachen in diglossischen Kontexten (vgl. bspw. Denison 1977; Dorian 1977; 1981; Dressler 1972; 1981). Wurden Studien zu Sprechern allochthoner Minderheitensprachen durchgeführt, so standen primär der Erwerb und die Beherrschung der Mehrheitssprache dieser Sprechergruppen im Zentrum des Interesses, während ihre Erstsprachen entweder als rein demographische Variable aufgenommen oder nur mitberücksichtigt wurden, wenn es darum ging, Fehler in der Zweitsprache zu erklären. Erst seit den 1990er Jahren rückte der Erhalt auch allochthoner Mehrsprachigkeit und mit ihr der HL-Sprecher 17 vermehrt in den Fokus der Forschung (vgl. Cook 2003; Fase et al. 1992; Köpke et al. 2007; Krashen et al. 1998; Montrul 2008; Polinsky 2007; 2008a; 2008b; Schmid et al. 2004; Schmid & Köpke 2013). Was sich als genuin neu an dieser Forschungsrichtung bestimmen lässt, ist nicht der Sprechertypus, den es so lange gibt wie Wanderungsbewegungen selbst: „There have been heritage speakers as long as immigration has moved families across language borders and as long as bilingual communities have been divided into dominant and minority language settings“ (Polinsky 2015a: 7; Hervorhebung i. O.). Vielmehr wandelte sich das Interesse an diesen Sprechern. Ebenso ist das Bewusstsein dafür gestiegen, dass es sich diese Sprachen ebenfalls zu bewahren und zu stärken lohnt: „Although heritage languages have been part of the linguistic landscape of many nations around the world for many years, what is new is the growing sense that minority languages are worth preserving and maintaining, rather than suppressing or ignoring“ (Montrul 2011a: 156). Zusätzlich zu erfolgreichem Erwerb der Mehrheitssprache spielte infolge dieser Akzentverschiebungen in zahlreichen neueren Studien nicht zuletzt in Deutschland zunehmend die Erforschung derjenigen Bedingungen eine Rolle, die den Erhalt migrationsbedingter Mehrsprachigkeit im familiären und gleichsam im institutionellen Kontext fördern können (vgl. bspw. Anstatt 2011a; 2011b; 2013a; 2013b; Cantone et al. 2008; Meisel 2007a; 2007b; Müller et al. 2002). Diese jüngeren Arbeiten beschäftigen sich mit den Voraussetzungen, unter denen die HL in der Migrationssituation erhalten bleibt oder aber nicht mehr wei- 17 Für eine genaue Definition dieses Begriffs s. Abschnitt 3.1.3. 2.5 Erkenntnisinteresse der Heritage-Language-Forschung 49 tergegeben wird und abhandenkommt. Sie widmen sich also den Fragen nach Bedingungen und außerwie innersprachlichen Umständen, die sich auf die Sprachkompetenz der HL-Sprecher auswirken und somit zur Sprachaufgabe oder zum Spracherhalt nicht-prestigeträchtiger allochthoner Minderheitensprachen beitragen können. Die Erforschung von HLs verspricht zudem neue Erkenntnisse für die linguistische Theoriebildung, denn etablierte Hypothesen des Erstspracherwerbs gründen auf Erwerbsverläufen in einem monolingualen Kontext (vgl. Klann-Delius 2008; Szagun 2011). Erst unter Migrationsbedingungen lassen sich solche Verläufe für dieselben Sprachen auch unter nicht-monolingualen Bedingungen beobachten, sodass der Einfluss der Mehrheitssprache auf den Erwerb der Minderheitensprache sichtbar wird. Zudem kann für diese Sprechergruppe der ungesteuerte L1-Erwerb je nach Kontext ohne institutionelle Unterstützung, ohne Schutz durch den Staat oder ohne schriftsprachlichen Ausbau, Normierung und Standardisierung beschrieben werden. Da allochthone Minderheitensprachen oftmals gesetzlich nicht geschützt 18 und Unterrichtsangebote in diesen häufig fakultativ sind, ist die Möglichkeit, ebenfalls die Standardvarietät der jeweiligen Sprache zu erlernen, in der Migrationssituation eingeschränkt. Die Erforschung von HL-Sprechern kann demzufolge aufgrund seiner Spracherwerbsbiographie neue Erkenntnisse über die Rolle der Umgebung und der äußeren Umstände beim Spracherwerb liefern. Ferner wird die Bedeutung des Inputs bei der Beschäftigung mit HL-Sprechern in einem neuen Licht betrachtet. Denn sie erhalten im Vergleich zu Sprechern, die dieselbe Sprache unter monolingualen Bedingungen erwerben, nicht nur weniger Input in ihrer HL, sondern sie bekommen zudem einen qualitativ anderen Input, da alle HL-Sprecher von früher Kindheit an Kontakt zur Mehrheitssprache entweder in Betreuungseinrichtungen, durch Medien oder durch andere Familienmitglieder haben. Des Weiteren können alle Personen in der Umgebung des Kindes, mit denen es interagiert, bis zu einem gewissen Grad mit der Mehrheitssprache bilingual sein und ihr Herkunftsland unter Umständen selbst bereits als Kinder oder Jugendliche verlassen haben. Zusätzlich spielt zu einem späteren Zeitpunkt der oben genannte Aspekt des fehlenden Zugangs zu standardsprachlicher Varietät und zu Schriftlichkeit eine Rolle, der ebenfalls zu divergierendem Input während des Erwerbs einer HL führen kann. 18 Liegt für eine Minderheitensprache gesetzlicher Schutz vor, so umfasst dieser die Förderung der jeweiligen Sprache insbesondere im Bereich der schulischen Bildung samt ihrer Unterrichtung (vgl. Europarat 1992, Teil III, Art. 8 Abs. 1 b) und c)). Aber auch die Verwendung der jeweiligen Minderheitensprache in Justiz- und Verwaltungsbehörden, in Medien sowie bei kulturellen Aktivitäten soll hierdurch ermöglicht werden (vgl. Europarat 1992: Art. 11 bis 13). 50 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation Die Betrachtung von HLs ermöglicht es, den Zusammenhang zwischen Spracherwerb, Spracherhalt und den daran beteiligten Emotionen in einem neuen Kontext als bisher zu untersuchen. Während der Erwerb der Mehrheitssprache eines Landes für autochthone Sprecher nicht optional und emotionalen Einflüssen nicht zwingend unterworfen ist, erfährt die HL spätestens ab dem Eintritt des Sprechers in das Schulsystem fortdauernde Konkurrenz durch die Mehrheitssprache. Der Sprecher kann sich ab diesem Zeitpunkt einem gesellschaftlichen Druck zur Aufgabe seiner Sprache ausgesetzt sehen und erfährt durch den steten Kontakt zur Mehrheitssprache erstmals deutlich den geringen „Marktwert“ der HL. Dass HLs diese sensible Phase überstehen, ist sicherlich nicht zuletzt den ihnen seitens der Sprecher entgegengebrachten positiven Emotionen zuzusprechen. All diese Besonderheiten der sprachlichen Sozialisation, des Inputs und der den Erwerb und Erhalt beeinflussenden Emotionen haben eine hohe Varianz in der Sprachkompetenz der HL-Sprecher zur Folge. Diese kann unter anderem für sprach- und bildungspolitische Schlussfolgerungen von großer Tragweite sein. Denn HL-Sprecher bilden zunehmend eine neue Zielgruppe als Lerner im Fremdsprachenklassenzimmer (vgl. Schroeder 2003; Tichomirowa 2011), nicht nur in der Schule, sondern vermehrt auch in tertiären Bildungsinstitutionen als sog. „re-learners“ (vgl. Montrul 2010a). Im Vergleich zum gängigen Fremdsprachenlerner stellen sie einen anderen Lernertypus dar, dessen Sprachkenntnisse eine völlig andere Herausforderung für die Lehrkraft bedeuten (vgl. Montrul 2011a: 159). Diese kommt zum einen durch die enorme Varianz in der Sprachkompetenz der Sprecher zustande. Zum anderen sind diese Sprachkenntnisse zusätzlich anders gelagert als die von Fremdsprachenlernern. Während letztere durch den Unterricht eher schriftsprachliche Strukturen erwerben und mit oraten Gebrauchsmustern weniger vertraut sind, bringen HL-Sprecher vergleichsweise gut ausgebaute mündliche Sprachkenntnisse von Zuhause mit. Zusätzlich weisen HL-Sprecher andere Ansprüche an den Unterricht auf, denn sie fühlen sich der unterrichteten Sprache unter Umständen emotional und kulturell verbunden. Unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse könnte der Unterricht diese Zielgruppe in dem Erhalt ihrer HL stärken und sie mit wenig Aufwand zukünftig zu kompetenten und fortgeschrittenen Sprechern von selten gelehrten Sprachen werden lassen: „In order to better serve the needs of this immigrant population and help them reach their full linguistic potential in the heritage language, more needs to be unraveled about the nature of heritage language knowledge and its acquisition“ (Montrul 2008: 8). Um den Unterricht entsprechend gestalten zu können, ist es erforderlich, sowohl die von den Sprechern mitgebrachten Kompetenzen feststellen zu können als auch die Beweggründe Erwachsener für den Besuch entsprechender Kurse zu kennen, damit 2.6 Zusammenfassung 51 HL-Sprecher ihre sprachlichen Möglichkeiten im Sinne einer erfolgreichen Zweisprachigkeit voll ausschöpfen können. Das Forschungsfeld der HL-Sprecher lässt sich zusammenfassend zu folgenden Themenschwerpunkten bündeln: Normal entwickelte Kinder erwerben ihre Erstsprache stets bis zu einer „muttersprachlichen“ Kompetenz, sodass es schließlich in ihrem sprachlichen Output als Erwachsene in Abhängigkeit vom Sozialisations- und Gebrauchskontext wenig Variation gibt (vgl. Klein 2000). Obwohl Kinder allochthoner Minderheiten ihrer HL ebenfalls von früher Kindheit an ausgesetzt waren, bilden HL-Sprecher jedoch keine homogene Gruppe als Erwachsene, da ihr Spracherwerb auf massive Weise durch externe Faktoren beeinflusst wird (vgl. Montrul 2011a: 158). Mithilfe von Analysen ihres sprachlichen Wissens lässt sich folglich ideal die Stabilität von in der Kindheit erworbenen Strukturen in unterschiedlichen Kontexten untersuchen. Somit kann anhand dieser Sprechergruppe der Einfluss sprachexterner Faktoren sowohl auf sprachlichen Output und die Entwicklung alternativer Sprachstrukturen betrachtet als auch der Erhalt dieser Sprache im Allgemeinen unter unterschiedlichen Bedingungen nachgezeichnet werden (vgl. Montrul 2011a: 159). Polinsky beschreibt als große Herausforderungen der HL-Forschung ebenfalls folgende vier Felder: (i) describing precisely what it means to be a heritage speaker and identifying the range of variation among different heritage languages and their speakers, (ii) using patterns in the structure of heritage languages to inform our understanding of the uniquely human ability to create and use languages in general, (iii) testing the possibility of predicting the degree of heritage language maintenance or loss for a particular individual or community, and (iv) determining the particular pedagogical challenges presented and faced by heritage speakers in the classroom. (Polinsky 2015a: 9) Die vorliegende Arbeit widmet sich dem dritten Punkt dieser Liste an Forschungsdesiderata und untersucht, zu welchem Ausmaß unterschiedliche außersprachliche Faktoren den Erhalt bzw. den Verlust der HL beeinflussen können und welche von ihnen dabei den größten Effekt aufweisen. 2.6 Zusammenfassung Die Frage danach, ob eine Sprache auch nach der Migration in der Familie erhalten bleibt und an folgende Generationen weitergegeben wird, hängt stark mit dem Wert und Prestige zusammen, der ihr gesellschaftlich beigemessen wird. Dieses Sprachprestige ist dabei kein objektiv gesetztes Maß, sondern reflektiert gesellschaftliche Machtverhältnisse und wird durch alle Bildungseinrichtungen 52 2 Spracherhalt und Sprachverlust in der Migrationssituation hindurch reproduziert. Sprachen in der Peripherie des nationalen Sprachgefüges unterliegen besonders großen Restriktionen bei ihrer Weitergabe an Folgegenerationen, sodass ihre Sprecher einem umso stärkeren Rechtfertigungsdruck im Falle eines Wunsches nach Spracherhalt ausgesetzt sind. Zahlreiche Forschungsbefunde stellen zudem migrationsbedingte Mehrsprachigkeit als einen Sonderfall sprachlicher Sozialisation und als einen Risikofaktor im deutschen Bildungssystem dar. Ursachenforschung zu den festgestellten Disparitäten zeigt jedoch, dass es nicht zwingend die Mehrsprachigkeit an sich ist, die zu Bildungsbenachteiligung führt, sondern daran gekoppelte sozio-strukturelle Merkmale sowie Eigenschaften der Institution Schule selbst. Für den Erhalt der Minderheitensprache existiert wiederum eine Fülle an Argumenten aus unterschiedlichsten Disziplinen. Sie attestieren Mehrsprachigen u. a. kognitive Flexibilität, Vorteile beim Lernen von Fremdsprachen oder emotionale Stabilität. Zugleich deuten viele Studien darauf hin, dass diese Ressource nur von balanciert Mehrsprachigen ausgeschöpft werden kann, was ein weiteres Argument für die Förderung der Minderheitensprache ist. Dass migrationsbedingte Mehrsprachigkeit kein Randphänomen darstellt, verdeutlichen wiederum unterschiedliche Migrationsstatistiken und Spracherhebungen an Grundschulen. Sie zeigen, dass es sich unter den fünf am häufigsten in Deutschland gesprochenen Sprachen um zentrale bis superzentrale Sprachen handelt, die ihre Randomisierung erst in der Migrationssituation erfahren. Ihre Förderung ließe sich nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten rechtfertigen, sondern würde auch Anerkennung für die zahlreichen HL-Sprecher bedeuten. Nicht zuletzt verspricht die Beschäftigung mit HLs zum einen in Bezug auf die Theoriebildung, zum anderen hinsichtlich der unterrichtlichen Praxis zahlreiche Erkenntnisse für die Mehrsprachigkeitsforschung. 3 Forschungsstand zu Heritage-Language- Sprechern 3.1 Der Begriff „Heritage Language“ und seine Abgrenzung von anderen Termini Der Begriff „Heritage Language“ (HL) ist in der deutschsprachigen Forschungslandschaft nicht weit verbreitet und findet nur begrenzt Anwendung in Studien mit Bezug zum Thema Mehrsprachigkeit. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wird im folgenden Kapitel zunächst ausführlich auf seine Herleitung und definitorische Eingrenzung eingegangen. Gleichzeitig erfolgt eine Bestimmung anderer damit konkurrierender Ausdrücke, um die Notwendigkeit eines Rückgriffs ausschließlich auf diesen Terminus in der vorliegenden Studie zu begründen und hierdurch die Zielgruppe der Studie festzulegen und näher zu beschreiben. 3.1.1 Entstehung des Begriffs „Heritage Language“ „Heritage Language“ wurde als feststehender Fachausdruck laut Cummins (vgl. 2005: 585) zum ersten Mal in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit dem Ontario Heritage Languages Program in Kanada verwendet. Das Programm diente der Initiierung und finanziellen Förderung von wöchentlichem HL-Unterricht und wirkte als Vermittler zwischen den einzelnen Communities und der Schule. Der Begriff selbst wurde im Rahmen dieser bildungspolitischen Maßnahme als „languages other than English or French“ 19 definiert. Diese nicht näher spezifizierte Definition lieferte keine weitere Beschreibung der Sprechermerkmale und fand folglich nur verzögert Eingang in die wissenschaftliche Diskussion. Erst im Laufe des sog. „Heritage Language Movement“ (Peyton et al. 2001: 4) in den 1990er Jahren wurde er in den USA von Pädagogen und Sprachlehrforschern weiter präzisiert. Diese Bewegung verstand sich als eine bottom-up forcierte Abkehr von der monolingual orientierten Bildungspolitik der USA zu der damaligen Zeit und mündete in zahlreichen, von den Minderheiten selbst organisierten Schulen und Kursen vom Kindergarten bis zur universitären Ausbildung, die stufenweise in dem Bildungssystem verstetigt wurden (vgl. Fishman 2001: 89). Durch diese Ent- 19 Vgl. www.teachinontario.ca, letzter Zugriff September 2017. 54 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern wicklungen fand der Begriff „Heritage Language“ und mit ihm der HL-Sprecher zunächst in den USA, Kanada und Australien immer mehr Beachtung durch die Forschung (vgl. Cho et al. 1997; Kondo 1997; Krashen et al. 1998). Inzwischen erlangten HLs - teilweise unter anderen Bezeichnungen - auch in Europa und in Deutschland immer mehr Aufmerksamkeit seitens der Forschungscommunity (vgl. Anstatt & Dieser 2007; Cantone et al. 2008; Cantone & Olfert 2015; Di Venanzio et al. 2012; Gagarina 2008; Kupisch et al. 2014). Die in den ersten Publikationen verwendeten Definitionen beschreiben HLs als Minderheitensprachen (LOTEs - languages other than English), die ausschließlich innerhalb der Familie gesprochen sowie nicht schulisch vermittelt werden und zu denen der Sprecher eine persönliche, historisch bedingte Verbindung 20 aufweist (vgl. Cho et al. 1997: 106; Krashen 1998: 3; Valdés 2001: 38), sie schließen also autochthone Minderheitensprachen ein. Fishman (2001) unterscheidet in a) indigene HLs von autochthonen Minderheiten in den USA, b) koloniale HLs wie Niederländisch, Schwedisch, Französisch und Deutsch, die bereits vor der Staatsgründung der USA durch erste Siedler eingeführt wurden, sowie c) migrationsbedingte HLs aktueller Einwanderer. Diese Differenzierung begründet er zum einen mit der für ihren Erhalt verwendeten Rechtfertigungsstrategie, zum anderen mit den geschichtlich gewachsenen Gruppenmerkmalen, die sich auf die Weitergabe der HLs auswirken. So sei die Bewahrung indigener, autochthoner HLs nicht zuletzt von der Mehrheitsbevölkerung selbst erwünscht. Zurückzuführen sei dieser Wunsch auf den Ursprung indigener Bevölkerungsgruppen auf dem Territorium der USA, ihr Vorrecht darauf und auf eine ihnen gegenüber empfundene Kollektivschuld wegen der Zerstörung ihres kulturellen Erbes (vgl. ebd.: 83). Ähnliches lässt sich für den deutschen Kontext beschreiben, wo die autochthonen Minderheitensprachen Dänisch, Sorbisch und Friesisch als zu Deutschland zugehörig empfunden und durch die ECRM (vgl. Europarat 1992) offiziell geschützt werden. Ihr Erhalt wird in Deutschland auch durch die Mehrheitsgesellschaft stark begrüßt und gefordert (vgl. Gärtig et al. 2010: 227). 21 Bei den im 17. Jahrhundert in den USA noch lebendigen kolonialen HLs fand laut Fishman kaum intergenerationale Sprachweitergabe statt, sodass die Nachkommen dieser ersten Einwanderer zum größten Teil inzwischen monolingual 20 Hiermit ist ein an eine bestimmte ethnische oder nationale Abstammung gebundener Zusammenhang gemeint. 21 Die repräsentative Umfrage von Gärtig und Kollegen (2010) fragt explizit nach der Einstellung der Bevölkerung zu den autochthonen Minderheitensprachen Dänisch, Sorbisch und Friesisch. Ob die referierten Ergebnisse auch für Romanes gelten, das ebenfalls eine anerkannte Regionalsprache im gesamten bundesdeutschen Gebiet darstellt, bleibt zu hinterfragen. 3.1 Der Begriff „Heritage Language“ und seine Abgrenzung von anderen Termini 55 Englischsprachige sind (vgl. Fishman 2001: 84). Eine Ausnahme stelle das Deutsche dar, das in Form von Pennsylvania und Texas German aufgrund der Gruppengröße, des internationalen Kommunikationswerts der Sprache sowie der kulturellen und religiösen Abschottung seiner Sprecher bis in die heutige Zeit Bestand habe (ebd.). Neuere Studien zeigen indes, dass mit der voranschreitenden Öffnung beider Communities diese Sprachvarietäten ebenfalls nur noch von der älteren Generation gesprochen werden (vgl. Boas 2005: 82), sodass selbst in diesem Kontext Sprachverlust immer wahrscheinlicher wird. Eine vergleichbare sprachliche Konstellation ist im deutschen Kontext nicht gegeben. Migrationsbedingte HLs hingegen verfügen über kein gesellschaftlich legitimes Argument, das ihren Erhalt rechtfertigen würde, und weisen gleichzeitig hinsichtlich der Gruppenmerkmale schlechtere Ausgangsbedingungen als die beiden erstgenannten Typen von HLs auf, weshalb ihre Förderung einer speziellen Beachtung bedarf. Obwohl Studien zu Spracherhalt aller drei genannten Gruppen vorliegen, befasst sich die heutige Forschung zu HLs primär mit dieser von Fishman hervorgehobenen dritten Gruppe, also mit allochthonen Minderheiten, deren Einwanderung zwei bis drei Generationen zurückreicht. 22 Der Begriff „Heritage Language“ konnotiert heutzutage dementsprechend eine migrationsbedingte Mehrsprachigkeit. Diese Unterscheidung in allochthon und autochthon wird in Deutschland bei der Beschäftigung mit Minderheitensprachen ebenso grundsätzlich aufrechterhalten (vgl. De Bot & Gorter 2005: 612). Der Terminus „Heritage Language“ wird jedoch von einigen Forschern auch kritisch betrachtet. Das Missliche an ihm sei die damit einhergehende Betonung der Vergangenheit, des sprachlichen „Erbes“ der Sprecher (vgl. Fishman 1991: 362). Dieser Fokus auf die geschichtliche, intergenerationale Herleitung einer HL versperre den Blick in die Zukunft und impliziere, dass sie keine vielversprechende Perspektive aufweise und eher auf Traditionen gründe denn auf der zeitgenössischen Beschäftigung mit Sprachen (vgl. Baker & Jones 1998: 509). Dieser Kritik ist grundsätzlich zuzustimmen, denn ein Erbe ist in der Tat ein Vermächtnis, das nicht selbst erarbeitet oder angeeignet, sondern von vorherigen Generationen in der Vergangenheit verfestigt und an eine Person übergeben wurde. Dennoch stellt der Begriff „Heritage“ eine treffende Bezeichnung für Sprachen in dem geschilderten Zusammenhang dar, denn ein Erbe kann durchaus eine einträgliche Investition in die Zukunft bilden und einen Besitz, den man erhalten, ausbauen und an nachfolgende Generationen weitergeben möchte. Gleichzeitig lässt sich ein Erbe ausschlagen, sodass der Sprecher nicht gezwun- 22 Spracherhalt bei der ersten Migrantengeneration wird vorwiegend unter dem Stichwort „Attritionsforschung“ untersucht. 56 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern gen ist, die sprachliche Hinterlassenschaft seiner Vorfahren weiterhin mitzutragen. Als Gegenvorschlag lässt sich von denselben Autoren der Begriff „internationale Sprache“ finden, „[…] to give the impression of a modern, international language that is of value in a technological society“ (Baker & Jones 1998: 509). Jedoch ist diese Definition wiederum zu eng gefasst und lässt sich beispielsweise nicht auf diatopische Varietäten, Sprachen ohne schriftsprachlichen Ausbau oder regionale Minderheitensprachen anwenden. Hier bietet hingegen der Terminus „Heritage Language“ durchaus das nötige Fassungsvermögen, um all die erwähnten Kontexte abzudecken. 3.1.2 „Heritage Language“ im Vergleich zu anderen Bezeichnungen Parallel zu dem Ausdruck „Heritage Language“ werden in der angloamerikanischen Forschungsliteratur mehrere andere Fachbegriffe verwendet, die sich zwar (meist) auf dieselbe Sprechergruppe beziehen, aber stets einen anderen Fokus aufweisen. Beispielsweise entwickelte sich ebenfalls in den 1970er Jahren in Australien der Fachausdruck „Community Language“. Dieser ist bis heute im australischen Kontext vorherrschend 23 und bezeichnet gleichermaßen „languages other than English and Aboriginal languages“ (Clyne 1991: 3). Er unterstreicht die enorme Bedeutung der Community für die Vitalität und den Erhalt dieser Sprachen. Wie es sich zur gleichen Zeit in Kanada und in den USA zeigte, wurde die HL-Bewegung von den Sprechern, die den Erhalt ihrer Sprachen durch Lernangebote sicherstellen wollten, selbst initiiert (vgl. Fishman 2001: 87 f.). Diese Verankerung der Sprache im Privaten bzw. in der Gemeinde wird durch den Ausdruck „Community Language“ aufgegriffen. Im Gegensatz hierzu bezieht sich der Begriff „Heritage Language“ ausdrücklich auf das Individuum und seine persönliche, geschichtlich hergeleitete Verbindung zu einer bestimmten Sprache. Im Verlauf der letzten 50 Jahre war zudem ein steter Gebrauch des Terminus „Home Language“ zu verzeichnen. Dieser wurde zunächst in psychologischen, pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Studien wegen seiner Alltagsnähe und Zugänglichkeit meist ohne weitere Spezifizierung ebenfalls für allochthone wie autochthone Minderheitensprachen verwendet (vgl. bspw. Clyne & Kipp 1997; Scheele et al. 2010; Quiroz et al. 2010). In den letzten 15 Jahren fin- 23 Laut Google Ngram Viewer, einem Online-Programm, das die Auftretenshäufigkeit von Ausdrücken in digitalisierten Korpora untersucht, wurde der Ausdruck „Community Language“ ca. bis zur Jahrtausendwende favorisiert. Ab 2000 ist hingegen ein deutlicher Vorrang an Publikationen zu Heritage Languages erkennbar (https: / / books.google.com/ ngrams, letzter Zugriff September 2017). 3.1 Der Begriff „Heritage Language“ und seine Abgrenzung von anderen Termini 57 det er auch vermehrt Eingang in linguistische Studien, insbesondere wenn der Fokus dieser auf früher Mehrsprachigkeit oder familiärer Sprachpolitik liegt. 24 Er soll dabei den Blick auf solche Sprachen lenken, die ausschließlich innerhalb der Familie erworben und gesprochen werden, und legt den Schwerpunkt auf die Erwerbsperiode vor dem Eintritt in eine Bildungsinstitution: „[…] we use the term home language as the language acquired by the child through immersion at home, usually the language the child knows best before going through child care or school“ (vgl. Eisenchlas et al. 2013: 2, Hervorhebung i. O.). Zusätzlich zur Einschränkung bezüglich des betrachteten Zeitpunkts unterscheidet sich „Home Language“ von dem Begriff „Heritage Language“ durch eine ausformulierte Erwartung an die Kompetenz des Sprechers. Während der Terminus „Heritage Language“ keinerlei Aussagen über die Kenntnisse einer Sprache macht und sich sowohl auf balanciert Mehrsprachige als auch auf passive Sprecher beziehen kann, beschreibt der Ausdruck „Home Language“ eine Dominanz in der jeweiligen Minderheitensprache. Gleichzeitig betont er die entscheidende Rolle der Bildungsinstitutionen, in denen die Mehrheitssprache vermittelt wird, denn diese haben in vielerlei Fällen eine Umkehr der Sprachdominanz eines Kindes zur Folge. Andere Begriffe, die im gleichen geographischen Raum bisher für diese Sprechergruppe verwendet wurden, sind beispielsweise „semi-speakers“ (Dorian 1981), „quasi-native speakers“ (He 2010) oder „incomplete acquirers“ (Montrul 2002). Diese Beispiele könnten mit weiteren, ähnlichen Ausdrücken fortgesetzt werden. Sie fokussieren jedoch eine Nicht-Kompetenz und formulieren eine Abgrenzung zu den Sprachkenntnissen Monolingualer, die erkennbar die Zielfolie darstellen. Hierdurch spiegeln sie die offenbar nach wie vor bestehende und bereits von Grosjean (1989) kritisierte Vorstellung von Bilingualen als der Entsprechung von zwei Monolingualen wider und sind deshalb abzulehnen. In Deutschland wird „Heritage Language“ oftmals mit „Herkunftssprache“ übersetzt und gleichgesetzt (vgl. Brehmer & Mehlhorn 2015a: 3). Dies ist gleichwohl zu hinterfragen, da der Begriff „Herkunftssprache“ die im Herkunftsland gesprochene Varietät bezeichnet (vgl. Lüttenberg 2010: 306), und gerade diese ist es nicht, die die Sprecher im Einwanderungsland sprechen oder ungesteuert erwerben (vgl. Schroeder 2003: 32 f.). So beschreibt Schroeder beispielsweise das in Deutschland gesprochene Türkisch als eine in der Diaspora neu entstandene Varietät. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass Merkmale des gesprochenen Türkisch und der Kontaktsprache Deutsch grammatikalisiert werden, ein Ab- 24 So trägt beispielsweise auch ein Forschungsnetzwerk im Rahmen der AILA (International Association of Applied Linguistics) den Titel „Social and Affective Factors in Home Language Maintenance and Development“ (s. www.languageathome.info, letzter Zugriff Januar 2019). 58 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern bau von Dialektunterschieden stattfindet, dass also Besonderheiten anatolischer Dialekte erster Einwanderer von anderen Sprechern übernommen werden, und dass sprachliche Anpassungen erfolgen, die die Integration von deutschen Lexemen in das Türkische erleichtern (vgl. ebd.). Diese Neuerungen entstehen hingegen nicht im Türkei-Türkischen, das als Standardvarietät - als Herkunftssprache - weiterhin primär im herkunftssprachlichen Unterricht vermittelt wird. Hier ist folglich ebenfalls ein deutlicher Unterschied zum Terminus „Heritage Language“ zu verzeichnen, der sich auf keine bestimmte Varietät bezieht, sondern diejenige Sprache bezeichnet, zu der der Sprecher eine persönliche, familiär bedingte Beziehung aufweist (vgl. Lo Bianco & Peyton 2013: i), sei es ein Dialekt, eine regionale Minderheitensprache oder die offizielle Amtssprache eines Landes. 25 Im europäischen - und speziell im deutschen - Kontext existiert zwar bislang keine Forschung explizit unter dem Schlagwort „Heritage Languages“ (vgl. Kupisch 2013: 206), jedoch ist das Thema Erhalt von allochthonen Minderheitensprachen seit den 80er Jahren intensiv unter den Begriffen „simultane“ und „sukzessive Mehrsprachigkeit“ erforscht worden (vgl. Cantone et al. 2008; De Houwer 1990; Eichler et al. 2013; Meisel 1989; 2001; Müller et al. 2002). Die meisten dieser Studien betrachten das Aufwachsen mehrsprachiger Kinder unter der OPOL-Strategie (One Person - One Language; vgl. Romaine 1995) im Alter von ca. zwei bis fünf Jahren und beschäftigen sich mit den Aspekten Alter bei Erwerbsbeginn und Sprachdominanz. Selbstverständlich schließt der Begriff „Heritage Languages“ auch die in diesen Studien betrachteten Minderheitensprachen ein. Die Erforschung von HLs findet in Deutschland also zu einem großen Teil unter einer anderen Bezeichnung statt und ist stark auf einen bestimmten Altersausschnitt der kindlichen Mehrsprachigkeit fokussiert. Vor allem in soziologischen und sozio-linguistischen Studien wird zur Beschreibung des HL-Kontextes der Ausdruck „Minderheitensprache“ bzw. seine englische Entsprechung „minority language“ verwendet. Dieser ist entgegen der vorgebrachten Kritik (vgl. Wiley 2001: 34) ein neutraler Begriff, der nicht die betrachteten Sprachen in Bezug auf ihren Wert einordnet (im Sinne von minderem oder höherem Wert). Er legt vielmehr den Fokus auf den Aspekt der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und auf die Grenzziehung zwischen Minderheit und Mehrheit (vgl. Montrul 2013: 169). Mehrheit wird hierbei nicht durch zahlenmäßige Überlegenheit bestimmt, sondern durch politische und ge- 25 Eine weitere Schwierigkeit des Begriffs „Herkunftssprache“ ist der hierdurch explizit ausgedrückte Verweis auf das Fremde und auf die Nicht-Zugehörigkeit ihrer Sprecher zur Mehrheitsgesellschaft. Autochthone Minderheitensprachen werden indes nie als Herkunftssprachen bezeichnet, obwohl sie gleichwohl auf eine bestimmte Sprecherherkunft verweisen wie allochthone. 3.1 Der Begriff „Heritage Language“ und seine Abgrenzung von anderen Termini 59 sellschaftliche Dominanz einer Gruppe, durch Zugangsmöglichkeiten dieser zu Bildung und anderen sozio-kulturellen Ressourcen sowie durch die Vormachtstellung ihrer Mitglieder in höheren gesellschaftlichen Schichten (vgl. Brizić 2007: 66). In Bezug auf Sprache hieße dies, dass diejenige Sprache, die in einem Staat das größte Prestige aufweist und deren Beherrschung in ökonomisches und kulturelles Kapital übersetzt werden kann, als Mehrheitssprache definiert werden kann. Alle in Deutschland gesprochenen HLs sind demzufolge auch als Minderheitensprachen zu betrachten, da sie nicht über denselben Stellenwert wie die Mehrheitssprache Deutsch verfügen (s. Abschnitt 2.1). 3.1.3 Arbeitsdefinition des Begriffs „Heritage Language“ In der hier vorliegenden Studie wird in Ermangelung eines entsprechend etablierten deutschsprachigen Ausdrucks 26 der Begriff „Heritage Language“ verwendet. Dabei werden die anfangs zitierten Definitionen jedoch nicht uneingeschränkt übernommen, sondern ausschließlich mit Blick auf allochthone Minderheitensprachen. Diese Spezifizierung erfolgt aufgrund der bereits erwähnten Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen in Bezug auf ihren rechtlichen Status, ihre gesellschaftliche Wahrnehmung und das damit verbundene Sprachprestige, ihren Zugang zu Institutionen schulischer Bildung und Unterricht sowie die identitätsbezogene Selbstzuordnung ihrer Sprecher. Zur Abgrenzung des Arbeitsgegenstandes dieser Studie sei eine HL dementsprechend eine allochthone Minderheitensprache, die im Vergleich zur Mehrheitssprache im Einwanderungsland über kein bis wenig Prestige verfügt, keine bis wenig gesellschaftlich-institutionelle Unterstützung erfährt und die aufgrund einer familiären Migrationshistorie intergenerational im Sinne eines sprachlichen Erbes weitergegeben wird (vgl. Benmamoun et al. 2010: 8; Polinsky & Kagan 2007: 369). Obwohl die Begriffe „Community Language“, „Home Language“ und „Herkunftssprache“ ebenfalls auf dieselbe sprachliche Konstellation verweisen wie „Heritage Language“, erweisen sie sich als weniger geeignet, da mit ihnen das Augenmerk auf andere Aspekte gelegt wird als in der vorliegenden Studie, d. h. auf die Rolle der Gemeinde für den Erhalt der Minderheitensprache, auf die innerfamiliäre Sprachpolitik und die frühe Phase des mehrsprachigen Spracherwerbs bzw. auf die im Herkunftsland gesprochene Varietät ohne Sprachkontakteinflüsse. 26 Gagarina (2014: 20) führt zwar den Begriff „Erbsprache“ als Übersetzung von „Heritage Language“ ein, jedoch ist dieser Ausdruck im deutschsprachigen Raum bisher unüblich. 60 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern 3.2 Charakteristika des Heritage-Language-Sprechers Gemäß den oben skizzierten Kriterien einer HL bezeichnet der Begriff „HL- Sprecher“ folglich Mehrsprachige, die von früher Kindheit an im Elternhaus simultan zur Mehrheitssprache oder sukzessiv vor der Mehrheitssprache eine HL erwarben. Diese mehrsprachige Konstellation ist von einigen spezifischen Merkmalen gekennzeichnet, die sich als typische Charakteristika des HL-Erwerbs aus den bisherigen Forschungsergebnissen extrahieren lassen und ihn sowohl von monolingualem Erwerb als auch von anderen Typen der Mehrsprachigkeit unterscheiden. Sie werden zur Bestimmung der Stichprobe in dieser Arbeit herangezogen (vgl. Polinsky 2015a: 9). 3.2.1 Spezifische Bedingungen des Heritage-Language-Erwerbs (1) Der Erwerb findet unter anderen Bedingungen statt als bei einem monolingualen Kind. Im Elternhaus ist der HL-Sprecher mit einer allochthonen Minderheitensprache in Kontakt gekommen, die im Einwanderungsland nicht von der Mehrheitsgesellschaft gesprochen, für gewöhnlich nicht in Bildungsinstitutionen gelehrt wird und nur über wenig gesellschaftliches Prestige verfügt. Der Spracherwerb geschieht also von Anfang an in einer Sprachkontaktsituation als Aushandlung zwischen Mehrheits- und Minderheitensprache (vgl. Pauwels 2004: 719 f.). Der Input in der HL erfolgt dabei durch bilinguale Personen, die zwar in der Minderheitensprache stark dominant sein können, aber auch zumindest über geringe Kenntnisse in der Mehrheitssprache verfügen, sodass sich bei HL-Sprechern vom Erwerb einer Kontaktvarietät sprechen lässt (vgl. ebd.; Montrul 2016: 24; Schroeder 2003: 33). Dieser Aspekt wird bei frühem Einreisealter und mit zunehmender Aufenthaltsdauer der Eltern von HL-Sprechern im Einwanderungsland prominenter. (2) Der Spracherwerb wie der Sprachgebrauch des HL-Sprechers sind affektiven Einflüssen unterworfen. Da die Familie die vorrangige Domäne der HL bildet, ist sie nicht nur der Ort des Spracherwerbs, sondern hier werden für den HL-Sprecher gleichsam emotionale Bezüge zu der Sprache als familiär „ererbte“ Sprache hergestellt. Polinsky (2015a: 7) spricht gar davon, dass der HL- Sprecher sich in erster Linie über eine affektive oder kulturelle Verbindung zu der Minderheitensprache auszeichnet, seine Sprachkompetenz indes stärker in der Mehrheitssprache ausgeprägt ist. Spätestens ab dem Schuleintritt findet eine erste emotionale Auseinandersetzung mit der HL statt, da hier dem HL-Sprecher bewusst wird, dass er sich von der Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf seine HL-Kenntnisse unterscheidet und zu einer sprachlichen Minderheit gehört (vgl. Polinsky 2015a: 9). Eine vertiefte Verarbeitung dieses „sprachlichen Erbes“ er- 3.2 Charakteristika des Heritage-Language-Sprechers 61 folgt häufig in der Pubertät, da zu diesem Zeitpunkt ohnehin identitätsbezogene Aspekte hinterfragt werden (vgl. Tse 2000: 188 f.). Sie kann sowohl in eine verstärkte Beschäftigung mit der HL-Kultur und -Sprache als Erwachsener münden, als auch in einer kompletten Ablehnung dieser resultieren (vgl. Montrul 2016: 121). Negative Gefühle in Verbindung mit der HL erfahren HL-Sprecher ferner, wenn sie von anderen, kompetenteren Sprechern für ihre Kenntnisse verurteilt werden, falls sie nicht der im Herkunftsland gesprochenen Norm entsprechen und als defizitär angesehen werden. Dieses Phänomen wird in der HL-Forschung unter der Bezeichnung „Sprachscham“ (vgl. ebd.) untersucht. (3) Die Sprachdominanz eines HL-Sprechers kann sich im Laufe seines Lebens ändern. Während der Kindheit ist die HL häufig seine dominante, also die weiter entwickelte Sprache (vgl. Müller et al. 2011: 65), was sich hingegen mit dem Eintritt in die Schule ändert. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird die Umgebungssprache stark dominant, da in ihr die gesamte institutionelle Kommunikation verläuft (vgl. Montrul 2016: 42). Die Alphabetisierung eines HL-Sprechers erfolgt ebenfalls ausschließlich oder vorwiegend in der Mehrheitssprache, was diese zusätzlich relativ zur Minderheitensprache stärkt (vgl. Polinsky 2015a: 12). Als Jugendliche oder Erwachsene wenden sich HL-Sprecher nicht selten wieder der HL zu und verspüren den Wunsch, ihre Kenntnisse weiter auszubauen und zu verfestigen. (4) Der Gebrauch einer HL ist nicht in allen Domänen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zulässig, sodass die Familie nicht nur die primäre sprachliche Sozialisationsinstanz, sondern auch den vorwiegenden Kontext des HL-Gebrauchs darstellt. Dies hat zur Folge, dass der HL-Sprecher in erster Linie orate Strukturen, die für dieses intime Register 27 bezeichnend sind, erwirbt (vgl. Maas 2008: 111; 2009: 146). Für das formelle Register sind sie nicht lizensiert. Soll ein Ausbau literater Strukturen stattfinden, so kann dieser nur durch Kontakt mit Sprechern außerhalb des intimen Registers oder in Bildungsinstitutionen geschehen (vgl. Schroeder & Şimşek 2010: 57). Wie bereits erwähnt, finden HLs jedoch nur ansatzweise Eingang in schulische Curricula. Das Ausmaß des Kontaktes zur HL außerhalb der Familie kann zudem von Sprecher zu Sprecher variieren und bedingt durch äußere Kontextmerkmale einer bestimmten Einwanderergruppe stark eingeschränkt sein, sodass die Familie oftmals die einzige Inputquelle und die alleinige Möglichkeit zum Sprachgebrauch bietet. Diese Tatsache fällt umso mehr ins Gewicht, je kleiner die betreffende Sprachcommunity ist, sowie bei Sprachen ohne schriftsprachlichen Ausbau. Für die Letztgenannten existiert meist keine angemessene Möglichkeit, andere Register zu erwerben, da sie an streng ritualisierte Handlungen und Sprachmuster ge- 27 Für eine ausführliche Diskussion des Registerbegriffs s. Abschnitt 4.4.1. 62 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern knüpft sind (vgl. Palmer 1997), die in der Migration nicht ohne Weiteres hergestellt werden können. (5) Zusätzlich zu den oben angeführten Merkmalen des Spracherwerbs und Sprachgebrauchs von HL-Sprechern wird in der HL-Literatur als weiteres für diese Studie zentrales Unterscheidungsmerkmal das Kriterium der Generation zu seiner Abgrenzung von anderen Typen des mehrsprachigen Erwerbs hinzugezogen. So bezieht sich der Begriff „HL-Sprecher“ vorwiegend auf Personen der zweiten Einwanderergeneration. Ein Grund hierfür ist in den typischen Sprachdominanzverläufen in der Minderheiten- und Mehrheitssprache entlang den Generationenlinien zu finden und wurde bereits vor 50 Jahren in der Soziolinguistik als Drei-Generationen-Modell der Sprachaufgabe beschrieben (vgl. Fishman 1991: 88 ff.). Für die HL-Forschung erlangt es jedoch mit der Betrachtung der zweiten Generation eine neue Bedeutung und unterstreicht abermals ihre Relevanz für den Prozess des Spracherhalts im Migrationskontext, da hier entscheidende Weichen gestellt werden, die die Weitergabe einer HL an die nachfolgende Generation entweder ermöglichen oder aber versperren (vgl. ebd.): Generation Kenntnisse in der Mehrheitssprache Kenntnisse in der Minderheitensprache erste eingeschränkt dominant zweite dominant eingeschränkt dritte monolingual nicht vorhanden Tab. 3: Formen der Sprachdominanz in der Mehrheits- und Minderheitensprache nach Generationenzugehörigkeit (Darstellung nach Montrul 2016: 24) Die einzelnen Generationen können wie folgt beschrieben werden: Die erste Generation ist selbst zugewandert. Häufig wurden diese Sprecher in der Minderheitensprache vollständig sozialisiert und beschult, insbesondere wenn die Einwanderung im Erwachsenenalter erfolgte. Die Kenntnisse in der Mehrheitssprache des Einwanderungslandes sind bei dieser Generation nur eingeschränkt vorhanden und richten sich stark nach den alltäglichen und beruflichen Bedürfnissen der Sprecher. Dieses Dominanzverhältnis kehrt sich in der zweiten Generation, also bei den HL-Sprechern in der vorliegenden Studie, um. Ihre dominante Sprache ist die Mehrheitssprache. Die Minderheitensprache bzw. eine gewisse Kompetenz in dieser bleibt als HL erhalten, obwohl meist nicht derselbe Grad an Flüssigkeit wie bei den Eltern erreicht wird (vgl. Polinsky 2015a: 7). 3.2 Charakteristika des Heritage-Language-Sprechers 63 Der Kompetenzaspekt ist an dieser Stelle insofern von kritischer Bedeutung, als er über die (Nicht-) Weitergabe der HL an die dritte Generation entscheidet, die infolgedessen monolingual in der Mehrheitssprache sozialisiert wird: „[…] heritage languages often do not survive intergenerational transmission“ (Montrul 2011a: 158). Hierbei spielt nicht primär der erreichte und messbare Kompetenzgrad im Vergleich zur monolingualen Norm eine Rolle, sondern vielmehr die subjektive Einschätzung des Sprechers selbst. Sie bestimmt darüber, ob ein Sprecher sich in seiner HL kompetent genug fühlt, um sie an seine Kinder weiterzugeben. Der auch in der vorliegenden Studie vorgenommene Rückgriff auf die zweite Einwanderergeneration eines Sprechers umschreibt demzufolge nicht ausschließlich familiär bedingte sprachbiographische Gegebenheiten, sondern reflektiert ebenso relative Spracherwerbs- und -dominanzverhältnisse und ist für die definitorische Abgrenzung eines HL-Sprechers unerlässlich: „[…] second generation bilinguals, who were born to families speaking a language different from that of the environment, are heritage speakers “ (Schmid 2011: 73 f.; Hervorhebung i. O.). Der Terminus „HL-Sprecher“ lässt sich bei entsprechender Spracherwerbsbiographie und bei ähnlich gelagerten Sprachdominanzrelationen auch auf die dritte oder weitere Generation ausweiten, was insbesondere für die größeren Einwanderersprachgruppen nicht unwahrscheinlich ist. Er kann sich wiederum nur dann auf die erste Generation beziehen, wenn die Einwanderung in einem frühen Alter erfolgte. In diesem Fall zählen Benmamoun und Kollegen zusätzlich diejenigen Personen zur Gruppe der HL-Sprecher, die vor dem Alter von 8 Jahren eingewandert sind (vgl. Benmamoun et al. 2012: 9). Diese willkürlich gesetzte Grenze wird in der hier durchgeführten Studie jedoch nicht übernommen (s. Abschnitt 6.3). Stattdessen soll in dieser Arbeit die Zuwanderung vor Schuleintritt über die Eingruppierung als HL-Sprecher entscheiden, denn durch den Eintritt in eine Bildungsinstitution erfolgt ein entscheidender Wendepunkt im HL-Erwerb, der sich stark auf die Sprachkompetenz der Sprecher auswirkt. Der typische HL-Sprecher ist demzufolge entweder selbst vor dem Schuleintritt mit seiner Familie eingewandert oder er ist im Einwanderungsland geboren und das Kind von Migranten. Entsprechend werden in der vorliegenden Arbeit die Teilnehmer primär durch ihre generationale Zuordnung nach diesem Kriterium eingegrenzt, aus dem sich anschließend die in (1) bis (4) diskutierten Merkmale des HL-Erwerbs ergeben. 64 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern 3.2.2 Die Bedeutung der Sprachkompetenz für die Heritage- Language-Definition Aktuell verwendete Definitionen von HL-Sprechern arbeiten meist ebenfalls mit den in (1) bis (5) beschriebenen Kontextfaktoren und formulieren bewusst keine Ansprüche an die Sprachkompetenz in der HL: „It is the historical and personal connection to the language that is salient and not the actual proficiency of individual speakers“ (Valdés 2001: 38). Weiteren Versuchen, eine Abgrenzung des HL-Sprechers von anderen Formen der Mehrsprachigkeit vorzunehmen, ist grundsätzlich diese Abkehr von einer Kompetenzmessung gemeinsam (vgl. Benmamoun et al. 2010; Polinsky & Kagan 2007; Valdés 2000). Dabei lässt sich eine enorme Spannweite in der Sprachkompetenz dieser Sprecher feststellen, obwohl sich für alle HL-Sprecher die oben unter (1) bis (5) diskutierten Kontextfaktoren des Spracherwerbs, Sprachgebrauchs und der Sprachdominanz ähnlich ausgestalten. Es werden sowohl Sprecher, die über rein passive Sprachkenntnisse in der HL verfügen und alltägliche Gespräche im intimen Register verstehen können, als auch jene, die eine ausgebaute Kompetenz in der HL aufweisen und in der Lage sind, sprachliche Handlungen im formellen Register gleichermaßen adäquat durchzuführen, als HL-Sprecher bezeichnet. Auch dieser Aspekt soll in die Eingrenzung des Samplings Eingang finden, indem die soziolinguistischen Merkmale zu einer Bestimmung als HL-Sprecher herangezogen werden und Kompetenzmessungen in der HL als nicht relevant betrachtet werden. Solch eine soziolinguistisch orientierte Definition (vgl. Meisel 2013: 226), die nicht allein die Sprachkompetenz eines Individuums ins Zentrum rückt, sondern auch andere, sprachbiographische wie sozio-emotionale Faktoren berücksichtigt, steht im Einklang mit Forderungen der Erziehungswissenschaften nach einem erweiterten Konzept von „Muttersprache“ und vermag es, sich eines Linguizismusvorwurfs zu erwehren (vgl. Skutnabb-Kangas 1988: 16 f.). So argumentiert beispielsweise Skutnabb-Kangas (ebd.), dass zusätzlich zur Kompetenz in der HL die Faktoren „Herkunft“, „Funktion“ und „Identität“ in die Definition einbezogen werden müssen. Während eine Eingruppierung mittels Sprachkompetenz oftmals ausschließlich die Qualität von Kenntnissen in Relation zu einer monolingualen Norm reflektiert, bezieht sich der Faktor „Herkunft“ auf die zuerst erworbene Sprache, „Funktion“ auf die am häufigsten verwendete Sprache und „Identität“ auf a) die Sprache, mit der sich der Sprecher selbst am stärksten identifiziert, sowie b) die Sprache, mit der der Sprecher von anderen assoziiert wird. Im Gegensatz zu anderen Termini für Sprechertypen, die Sprachkompetenzbeschreibungen implizieren wie „Muttersprachler“ oder „Fremdsprachenlerner“, kann bei HL-Sprechern die Sprachkompetenz also keine zuverlässige Defini- 3.3 Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 65 tionsbasis darstellen, da durch die institutionellen Vorgaben die Mehrheitssprache gesellschaftlich stark dominiert und hierdurch gleichzeitig die Kompetenz in dieser intensiviert wird. Minderheitensprachen hingegen erhalten weitaus weniger Raum in der Gesellschaft und werden oft nicht gelehrt. „Use of this definition [i. e. competence, H. O.] fails to consider that a poor proficiency in the original mother tongue is a result of not having been offered the opportunity to use and learn the original mother tongue well enough in those institutional settings where the children spent most of their day“ (Skutnabb-Kangas 1988: 17). Dementsprechend werden in der vorliegenden Untersuchung alle Sprecher, auf die die Kriterien (1) bis (5) zutreffen und die über ein gewisses Maß an Kompetenz in ihrer HL verfügen, als HL-Sprecher betrachtet. Das Spektrum der Sprachkompetenz soll dabei sowohl Sprecher mit rein passiven Kenntnissen als auch balanciert Mehrsprachige einschließen. 3.3 Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage- Language-Sprechern Trotz mehrerer Gemeinsamkeiten in Bezug auf Merkmale der Sprachbiographie, des Sprachgebrauchs sowie der sozio-emotionalen Ebene, die für alle HL-Sprecher gleichermaßen gelten, resultiert der Spracherwerb von HL-Sprechern in einer enormen Varianz an HL-Kompetenz: „Those who exhibit most variability in bilingual ability are the second generation“ (Montrul 2011a: 157). Gründe hierfür liegen sowohl in dem Spracherwerbsverlauf des HL-Sprechers per se, der sich durch diesem Mehrsprachigkeitstypus inhärente Prozesse kennzeichnet, als auch in den außersprachlichen Kontextfaktoren, die für den HL-Erwerb hoch relevant sind und diesen begünstigen oder behindern können. Die Linguistik bringt jedoch die Varianz in der Sprachkompetenz des HL-Sprechers primär mit drei Phänomenen in Zusammenhang: Attrition und unvollständiger bzw. divergenter Erwerb. Im Gegensatz zu den letztgenannten Erwerbsausprägungen befassen sich zwar Studien zu Attrition mit Migranten der ersten Einwanderergeneration, die sich durch einen anderen Spracherwerbsverlauf als der HL-Sprecher auszeichnen. Dennoch lassen sich sowohl die Ursachen von Attrition als auch ihre Erscheinungsformen sehr gut auf HL-Sprecher übertragen, sodass hier eine theoriegeleitete Anlehnung an Attritionsforschung, wie auch Schmid und Köpke sie fordern, begründet erscheint: „Treating heritage language development and L1 attrition as different developmental contexts carves up a continuous spectrum of L1 development into artificially distinct categories“ (Schmid & Köpke 2017: 658). Dieser Punkt soll im Folgenden näher erläutert werden. 66 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern 3.3.1 Perspektiven der Attritionsforschung auf Sprachverlust Im Gegensatz zu Prozessen wie Sprachtod und -wechsel, die sich auf ganze Sprachgemeinschaften beziehen, werden unter dem Begriff „Attrition“ individuelle Verläufe verstanden, die nur Einzelpersonen betreffen (vgl. Montrul 2008: 21). „Attrition“ beschreibt hierbei einen graduellen Verlust bestimmter sprachlicher Strukturen durch ein Individuum: „loss of (or inability to produce) some L1 elements due to L2 influence“ (Pavlenko 2003: 34; vgl. auch Montrul 2008: 64). Es wird unterschieden in natürliche Attritionsprozesse wie L1-Verlust in einer L2-Umgebung (vgl. Köpke et al. 2007; Schmid et al. 2004; Seliger & Vago 1991) sowie L2-Verlust in einer L1-Umgebung (vgl. De Bot & Weltens 1995; Olshtain 1989) im Gegensatz zu krankheitsbedingtem pathologischem Verlust sprachlicher Strukturen bei Aphasie o. ä. (vgl. Gitterman et al. 2012; Paradis 2000; 2004), wobei der erstgenannte Fall durch die Forschung die meiste Aufmerksamkeit erfuhr. Dieser Typ der Attrition wird im Zusammenhang mit der ersten Migrantengeneration untersucht, bei der von einem sukzessiven Verlustprozess von L1-Strukturen in einer L2-Umgebung ausgegangen wird, nachdem diese zuvor in einem L1-Kontext vollständig erworben wurden. Attrition der L1 wird allem voran durch die neurolinguistisch angelegte Aktivierungsschwellen-Hypothese (Activation Threshold Hypothesis, vgl. Paradis 1993; 2004) erklärt. Sie besagt, dass ein Element nur dann aktiviert wird, die entsprechende Schwelle für seine Verwendung also nur dann überschritten wird, wenn dafür genügend positive Evidenz im Input vorhanden ist (vgl. Paradis 2004: 28). Der Begriff „Element“ kann sich dabei sowohl auf eine konkrete sprachliche Form als auch auf eine Regel beziehen. Diese Aktivierungsschwelle für ein Element wird weiter herabgesenkt, je häufiger es aktiviert wird. Sie liegt entsprechend höher, falls das Element keine Stimulation im Input erhält: „In a nutshell, attrition is the result of long-term lack of stimulation“ (Paradis 2007: 125). Auf einen mehrsprachigen Kontext übertragen bedeutet dies, dass bei frequentem Gebrauch der L2 die Aktivierungsschwelle für die L1 weiter ansteigt und diese dadurch schwieriger zugänglich ist. Bei erschwertem Zugang zu bestimmten L1-Strukturen wächst die Wahrscheinlichkeit für den Einfluss entsprechender Strukturen aus der L2, die für den Sprecher inzwischen schneller und leichter verfügbar sind (vgl. Gürel 2007: 104). Hierdurch werden Strukturen produziert, die in der L1-Umgebung nicht auftreten. Laut der Aktivierungsschwellen-Hypothese sind es die nicht frequenten, komplexen und somit markierten Strukturen, zu denen ein Sprecher in einer Sprachkontaktsituation am schnellsten den Zugang verliert (vgl. Gürel 2007: 101). Für diese Elemente ist die Aktivierungsschwelle sogar in einer L1-Umgebung ohnehin hoch gesetzt. Verfügt die L2 jedoch über konkurrierende Formen, 3.3 Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 67 für die die Aktivierungsschwelle aufgrund des häufigeren Gebrauchs niedriger liegt, werden die schwer zugänglichen L1-Strukturen durch diese substituiert (vgl. ebd.: 104; Köpke 2007: 11 f.). Damit einhergehend lässt sich schlussfolgern, dass funktionale, regelhafte Elemente wie Flexionsmorpheme oder die Kernsyntax aufgrund ihrer Auftretensfrequenz weitaus seltener von Attrition betroffen sind als einzelne Lexeme, die wesentlich häufiger nicht mehr zugänglich sind und deren Abhandenkommen als erstes Anzeichen von Attrition gilt (vgl. Keijzer 2007: 14 f.; Schmid 2011: 48). Eine ähnliche Vorhersage über die für Attrition anfälligen sprachlichen Bereiche macht die Regressionshypothese. Sie besagt, dass diejenigen Einheiten als erstes verlorengehen, die als letztes erworben wurden, und umgekehrt (vgl. Jakobson 1941; zitiert nach Keijzer 2010: 9 f.). Da markierte Strukturen später erworben werden als unmarkierte, kommen diese eher in einer Sprachkontaktsituation abhanden. Was bereits in der oben zitierten Definition von Pavlenko sichtbar wird, ist die Uneinigkeit darüber, ob der Begriff „Attrition“ sich nur auf Erscheinungen im Kompetenzbereich oder bereits auf solche im Performanzbereich beziehen könne bzw. ob Attrition beide Bereiche betreffen kann. Werden Abweichungen auf Performanzebene erfasst, ist strittig, ob bestimmte L1-Strukturen tatsächlich nicht mehr vorliegen oder ob vielmehr der Zugang zu diesen aufgrund einer äußerst hoch gesetzten Aktivierungsschwelle versperrt ist (vgl. Keijzer 2007: 13; Köpke 2007: 25; Sharwood Smith & van Buren 1991: 18). Da die Produktion sprachlicher Einheiten im Allgemeinen schwieriger ist als deren Verständnis (vgl. Paradis 2004: 29), greifen entsprechend auch Attritionsprozesse auf der Performanzebene schneller als auf der Ebene der Kompetenz. Sind Erwachsene von strukturellen Veränderungen ihrer L1 betroffen, kann laut Montrul (2008: 65) Attrition nur auf der Performanz-, nicht aber auf der Kompetenzebene auftreten. Diese Ansicht wird gleichermaßen von Seliger gestützt: Er betrachtet Attrition ausschließlich als Erosion der Performanz, da bereits erworbenes Wissen nicht vollständig verlorengehen kann (vgl. Seliger 1985: 4; auch Ecke 2004: 334). Paradis hingegen bestätigt zwar die Feststellung, dass bei erwachsenen Migranten Abweichungen in der L1 primär im Performanzbereich zu beobachten sind, betrachtet diese jedoch nicht als Attritionserscheinungen, sondern vielmehr als Hinweise auf Unzugänglichkeit zu noch immer gespeicherter Information (vgl. Paradis 2007: 130). Die Aktivierungsschwellen-Hypothese hebt nicht nur die Bedeutung von Input für Spracherhalt hervor, sie formuliert zudem Annahmen bezüglich des Sprecheralters als einen relevanten Faktor für Attrition. So lässt sich nur dann von Attrition sprechen, wenn ein vollständiger Erwerb einer entsprechenden Struktur vorausgegangen ist. Dieser Behauptung ist der Altersaspekt auf mehreren Ebenen immanent: Zum einen werden markierte sprachliche Formen später 68 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern erworben als unmarkierte, was einer kognitiven Maturation bedarf, die erst nach einem bestimmten Alter erreicht ist (vgl. Bylund 2009: 696). Beispielsweise wird das Erwerbsalter für komplexe syntaktische Strukturen wie Passivsätze auf 9 bis 11 Jahre gesetzt, während der Aufbau einfacher Sätze bereits in einem Alter von 2; 0 bis 2; 6 möglich ist (vgl. Klann-Delius 2008: 43). Zusätzlich hängt diese Altersgrenze stark von den Strukturen der zu erwerbenden Sprache ab. Klann-Delius berichtet beispielsweise, dass der Erwerb des deutschen Kasussystems im Durchschnitt mit 3; 6 Jahren abgeschlossen ist, während das russische aufgrund seiner Irregularitäten erst im Alter von 6 bis 7 Jahren sicher beherrscht wird (vgl. ebd.: 50). Nach Schmid lässt sich aber grundsätzlich davon ausgehen, dass die Erstsprache eines Sprechers ungefähr ab der Pubertät stabil ist und als erworben gilt: „[…] only speakers who emigrated when they were older than 12 years can be called ‘L1 attriters’“ (Schmid 2011: 73 f.). Zum anderen zeigt sich der Faktor „Alter“ darin, dass der Verlust von L1-Strukturen bei Auswanderung erst nach dieser kritischen Phase keine gravierenden Erosionserscheinungen zur Folge hat, sondern sich höchstens in den bereits oben diskutierten Performanzabweichungen äußert. Dies bestätigen Studien mit Sprechern, deren Auswanderung bereits Jahrzehnte zurücklag und deren Input in der L1 seitdem teilweise stark eingeschränkt war (vgl. Di Venanzio et al. 2012; Gürel 2007; Schmid 2002). Hier konnten bei den Probanden weder Alterseffekte noch Effekte der Aufenthaltsdauer auf die L1 nachgewiesen werden, was die Schlussfolgerung zulässt, dass die Erstsprache - wurde ihr Erwerb einst erfolgreich abgeschlossen - auch unter den ungünstigsten Bedingungen nicht abhandenkommt. Im Gegensatz dazu können bei Bilingualen, die schon vor einem vollständigen L1-Erwerb Kontakt zur L2 hatten, Attritionserscheinungen selbst im Bereich der Kompetenz auftreten und somit massivere Abweichungen und Sprachkontakteffekte auslösen (vgl. Schmid 2011: 73). Laut Paradis lässt sich erst bei dieser Sprechergruppe überhaupt von Attrition sprechen: „Is L1 ever lost? In very young immigrants, possibly, if the language is not yet well-established at the time of immigration and is never used thereafter“ (Paradis 2007: 130). 3.3.2 Transfermöglichkeiten der Erkenntnisse aus der Attritionsforschung Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, verdeutlicht die Aktivierungsschwellen-Hypothese die neurolinguistische Bedeutung des Inputs als eine der wichtigsten Komponenten für den Erhalt der Erstsprache. Gleichzeitig wird durch sie die These aufgestellt, dass bei Sprechern, die erst nach einem vollständigen Erwerb ihrer L1 Kontakt zur L2 hatten, die Erstsprache lediglich schwerer zugänglich ist und nie wirklich vergessen wird. Setzt der Kontakt zur L2 jedoch 3.3 Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 69 vor dieser entscheidenden Phase ein, können gravierende Erosionserscheinungen in der Erstsprache auftreten. Die durch diese Hypothese postulierten Zusammenhänge zwischen Input und Output sowie zwischen Rezeption und Produktion von sprachlichen Strukturen in Abhängigkeit von dem Alter des Sprechers bei L2-Kontakt lassen vor dem Hintergrund der Spracherwerbssituation von HL-Sprechern eine Übertragbarkeit dieser Annahmen auf ihren Kontext prognostizieren und erhalten in diesem Zusammenhang bezüglich zweier Kriterien eine umso höhere Relevanz: Der erste Aspekt, der für den HL-Erhalt wesentlich entscheidender sein kann als für den Erhalt der L1 bei Migranten der ersten Generation, ist das Alter des Sprechers bei Kontaktbeginn zur Mehrheitssprache. So argumentiert Paradis, dass es ausschließlich bei sehr jungen Migranten, die vor der Festigung ihrer L1 ausgewandert sind, zu einem unumstößlichen Verlust ihrer Erstsprache, also zu Attrition kommen kann (vgl. Paradis 2007: 130). Diese Tatsache wird damit begründet, dass bei Kindern bis zu einem bestimmten Alter ein voll und ganz ausgebautes, verfestigtes sprachliches System nicht anzunehmen ist. Für HL-Sprecher gilt im Vergleich dazu, dass sie das Wissen über ihre HL von Anfang an unter stetem Sprachkontakt zur Mehrheitssprache erwerben, der häufig nicht erst ab einem bestimmten Alter einsetzt, sondern konstant ab Geburt gegeben ist. Spätestens ab dem Schuleintritt lässt sich davon ausgehen, dass ein erhöhter Anteil der Kommunikation außerhalb des Elternhauses in der Mehrheitssprache stattfindet. Betrachtet man diese Spracherwerbssituation unter den Prämissen der Aktivierungsschwellen-Hypothese, lässt sich die Annahme formulieren, dass die Konsolidierung sprachlicher Strukturen bei HL-Sprechern eine längere Zeit in Anspruch nimmt, sodass sie von Attritionsprozessen nicht nur der seltenen und komplexen, markierten Strukturen, sondern von bereits in früher Kindheit erworbenen sprachlichen Strukturen betroffen sein können. Der zweite Aspekt, der ebenfalls auf die Gruppe der HL-Sprecher übertragen werden kann, ist die Relevanz des sprachlichen Inputs. Diesbezüglich kann für HL-Sprecher ebenso von einem leichteren Zugang zu sprachlichen Elementen bei häufigerer Aktivierung ausgegangen werden, während sie bei seltenerem Gebrauch verlorengehen bzw. durch funktionsäquivalente Strukturen der Mehrheitssprache ersetzt werden, falls für diese die Aktivierungsschwelle niedriger gesetzt ist. Für HL-Sprecher ist die Bedeutung des sprachlichen Inputs für Spracherhalt gleichzeitig aus zwei Gründen ungleich größer als für erwachsene Migranten der ersten Generation: (1) Der HL-Sprecher wächst im Gegensatz zu diesen von Anfang an in einer Sprachkontaktumgebung auf. Die Verwendung der HL ist für ihn folglich auf bestimmte Domänen des Sprachgebrauchs limitiert, die meist das intime Re- 70 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern gister darstellen und durch orate Strukturen artikuliert werden. Das formelle Register ist in den meisten Fällen durch die Mehrheitssprache besetzt. Auf diese Weise erhält der HL-Sprecher nicht die volle Bandbreite an sprachlichem Input in der HL, sodass die Aktivierungsschwelle für markierte Strukturen, insbesondere solche des formellen Registers, stets äußerst hoch gesetzt bleibt. Diese Strukturen sind nicht frequent und treten in der Inputart, die der HL-Sprecher erhält, eventuell nicht häufig genug auf, sodass sie erst gar nicht aktiviert werden können (vgl. Montrul 2011b: 593; Pires & Rothman 2009: 215). (2) Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass der HL-Sprecher seinen Input von Sprechern der ersten Einwanderergeneration erhält, die selbst seit mehreren Jahren in einer Sprachkontaktsituation mit der Mehrheitssprache leben (vgl. Kupisch 2013: 207). Für sie kann der Aktivierungsgrad bestimmter Strukturen ebenfalls hoch liegen, weshalb es bei diesen Sprechern nach den Erkenntnissen der Attritionsforschung zu Sprachkontakterscheinungen aus der L2 kommt. Diese Abweichungen liegen zwar eher rein auf der Performanzebene, aber genau diese bildet den sprachlichen Input der HL-Sprecher: „Differently from monolinguals, HSs [heritage speakers; H. O.] are exposed to input that has inevitably been affected to some degree by previous cross-generational attrition and/ or other language contact consequences“ (Pascual y Cabo & Rothman 2012: 451). 3.3.3 Unvollständiger bzw. divergenter Erwerb der Heritage Language Die Rolle des Inputs beim HL-Erwerb wird jedoch nicht nur im Zusammenhang mit Attritionsprozessen dieser Sprechergruppe diskutiert, sondern auch im Hinblick auf unvollständige Erwerbsverläufe, deren Eigenschaften sich im sprachlichen Output von HL-Sprechern niederschlagen. Der unvollständige Erwerb bezeichnet im Gegensatz zur Attrition einen Zustand, bei dem bestimmte Teile eines sprachlichen Systems nicht vollständig erworben wurden und somit keine „muttersprachliche“ Kompetenz als Resultat des Spracherwerbsprozesses gegeben ist (vgl. Montrul 2008: 19 f.). Er nimmt seinen Anfang in der Kindheit des Sprechers, wenn unter bestimmten Voraussetzungen einige Strukturen der HL nicht erworben werden können, weil ein intensiver Kontakt zur Mehrheitssprache einsetzt. Als Ursachen für diesen Spracherwerbsverlauf werden ebenfalls sowohl der Einfluss der Mehrheitssprache als auch der reduzierte Sprachgebrauch bzw. der Mangel an Stimulus in der HL benannt (vgl. Köpke 2007: 11 f.; Montrul 2008: 64). Montrul betont hierbei ähnlich wie im Falle von Attritionsprozessen die Bedeutung des Alters, in dem der Kontakt zur Mehrheitssprache beginnt, und unterstreicht gleichzeitig die Rolle des Inputs: „Fossilization in one of the 3.3 Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 71 languages (and possibly even in both) is likely when rich input in the language becomes reduced or is completely interrupted before the closure of the critical period“ (Montrul 2008: 20). Es kommt nach ihrer Auffassung dann zu unvollständigem Erwerb - hier unter dem Begriff „Fossilisierung“ - wenn durch äußere Umstände der Umfang des Inputs in der HL vor dem Erreichen der Pubertät verringert wird. Pires und Rothman unterscheiden zudem zwei Typen von unvollständigem Erwerb, die sie verstärkt mit der Art des erhaltenen Inputs in Beziehung setzen: Zum einen beschreiben sie tatsächlichen unvollständigen Erwerb von sprachlichen Strukturen, für die der Sprecher eindeutige positive Evidenz im Input erhielt. Zum anderen grenzen sie hiervon einen Erwerbsverlauf der HL ab, bei dem der Sprecher einige im Input fehlende sprachliche Strukturen nicht erwerben konnte (vgl. Pires & Rothman 2009: 214). Dieser zweitgenannte Fall ist zwar in seiner Äußerungsform mit dem ersten identisch, allerdings führen sie ihn auf die oben in Abschnitt 3.2.1 (1) und (2) diskutierten Eigenschaften des durch den HL-Sprecher erhaltenen Inputs zurück und betrachten das Resultat dieses Erwerbsprozesses somit nicht als unvollständig, sondern als divergent (missing-input competence divergence, vgl. ebd.). Erst die Unterscheidung in unvollständig vs. divergent berücksichtige die Erwerbssituation dieser Sprecher, da dadurch nicht ausschließlich die von Monolingualen im Herkunftsland erworbene standardnahe Varietät als Zielfolie gelte, sondern auch der auf informelle Kommunikation im intimen Register ausgerichtete Input durch Migranten erster Generation einbezogen werde. Als unvollständig ist der Erwerbsverlauf einzig in dem erstgenannten Szenario zu bezeichnen, also dann, wenn der durch den HL-Sprecher bezogene Input erwiesenermaßen die zu erwerbende Struktur enthielt. 3.3.4 Attrition vs. unvollständiger bzw. divergenter Erwerb Der HL-Sprecher kann ferner von beiden hier beschriebenen Prozessen - sowohl von Attrition als auch von unvollständigem bzw. divergentem Erwerb - betroffen sein: Ist beispielsweise das Fehlen eines grammatischen Merkmals zu verzeichnen, so bedeutet dies nicht zwingend, dass es zu keiner Zeit vorlag (unvollständiger / divergenter Erwerb), es kann ebenso wieder eingebüßt worden sein (Attrition). Attrition und unvollständiger / divergenter Erwerb schließen sich folglich im Erwerbsprozess des HL-Sprechers nicht aus (vgl. Montrul 2008: 162 f.). Um welches der beiden Phänomene es sich handelt, ist bei erwachsenen HL-Sprechern nur anhand des sprachlichen Outputs nicht mehr nachvollziehbar. Allein Longitudinalstudien sind in der Lage, solche umfassenden Verläufe zu dokumentieren und nachzuzeichnen. In diesem Zusammenhang verglich Polinsky 72 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern (2011) exemplarisch in einer Quasi-Longitudinalerhebung vier unterschiedliche Sprechergruppen miteinander, um erste Hinweise darauf zu erhalten. Sie testete Monolinguale und HL-Sprecher des Russischen, die sie gleichzeitig in Erwachsene und Kinder (Durchschnittsalter 6 Jahre) unterteilte, in Bezug auf deren Verständnis von Relativsätzen. Allen Probanden wurden Relativsätze auditiv vorgespielt, denen sie entsprechende Bildkarten zuordnen sollten. Die Studie konnte keine Unterschiede zwischen den monolingualen Kindern, den monolingualen Erwachsenen und den bilingualen Kindern feststellen. Einzig erwachsene HL-Sprecher unterschieden sich negativ sowohl von den erwachsenen monolingualen Sprechern als auch von den Kindern mit Russisch als HL (vgl. ebd.: 319 f.). Polinsky interpretiert diese Werte als einen Beleg dafür, dass der sprachliche Output der von ihr untersuchten erwachsenen HL-Sprecher kein Ergebnis eines unvollständigen Erwerbs sein kann, da das entsprechende Wissen bei den bilingualen Kindern als Quasi-Kontrollgruppe noch vorhanden war. Vielmehr seien diese Resultate als Anhaltspunkte für eine erfolgte Attrition zu werten (vgl. ebd.: 321). Wurde diese Studie zwar lediglich anhand von Quasi-Longitudinaldaten durchgeführt und basiert sie ausschließlich auf Verarbeitungsdaten, so bietet sie dennoch weitere Anhaltspunkte dafür, dass die Ergebnisse der Attritionsforschung auf den HL-Sprecher übertragbar sind. Zudem liefert sie zusätzliche Hinweise auf den immensen Einfluss der Mehrheitssprache während des Erwerbsprozesses sowie der einsetzenden Beschulung auf den Erhalt von HL-Strukturen. Die oben beschriebenen Phänomene Attrition und unvollständiger bzw. divergenter Erwerb beschreiben im Erwerbsverlauf von HL-Sprechern typische, erwartbare Erscheinungen und sind durch die Umstände der Spracherwerbssituation bedingt. Im sprachlichen Output der Sprecher ermittelte Normabweichungen sind dementsprechend als Abweichungen von monolingualer Norm zu sehen, im bilingualen HL-Erwerb bilden sie indes aufgrund der stark veränderten Inputgegebenheiten lediglich einen hierzu alternativen Erwerbsverlauf ab (vgl. Pascual y Cabo & Rothman 2012: 453). Daher sind in diesem Sinne Sprachverlust und die Abweichungen von monolingualen Normen als normale Äußerungsformen von Spracherwerbsverläufen Mehrsprachiger zu betrachten: „Frequently acquisition is achieved only at the cost of (partial) loss and divergence from monolingual norms“ (Ecke 2004: 329 f.). Unter diesem Gesichtspunkt kritisieren jüngere Arbeiten zunehmend den Begriff „unvollständiger Erwerb“ im Zusammenhang mit der Sprachkompetenz von HL-Sprechern (vgl. Pires & Rothman 2009; Putnam & Sánchez 2013). Denn eine Klassifizierung ihrer Sprachkompetenz mittels dieses Terminus nehme Bezug auf die Erwerbssituation monolingualer Sprecher und vermittle somit eine defizitorientierte Sichtweise, bei der dem HL-Sprecher der Erwerb bestimm- 3.4 Die Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern als Normabweichung 73 ter sprachlicher Strukturen, die von einem kompetenten Sprecher seines Alters erwartet werden können, nicht möglich war (vgl. Pires & Rothman 2009: 213). Nicht zuletzt wird ebenfalls verstärkt versucht, den sprachlichen Output Mehrsprachiger mittels eigener Beschreibungskategorien zu charakterisieren, sodass auch Attrition nicht mehr als Normverstoß, sondern als ein Nachweis einer Multikompetenz (vgl. Cook 1995; 2013), einer anders gelagerten Norm angesehen wird: „[…] attrition could be described as a type of variety within the language proficiency of multilinguals, arising from a multiplicity of causes and, more often than not, remaining within the range of perceived native-like proficiency“ (Köpke 2007: 31). Ist die Sprachkompetenz der HL-Sprecher von Attrition und divergentem oder unvollständigem Erwerb gekennzeichnet, so sind diese Erscheinungen folglich das Ergebnis eines normalen Erwerbsverlaufs unter den bestehenden Bedingungen und mittels der den Sprechern zur Verfügung stehenden Ressourcen. 3.4 Die Sprachkompetenz von Heritage-Language- Sprechern als Normabweichung Die vorangegangenen Ausführungen machten deutlich, dass die ermittelte Varianz in der Sprachkompetenz von HL-Sprechern das Resultat eines natürlichen Prozesses ist, der sowohl von Attrition als auch von unvollständigem bzw. divergentem Erwerb gekennzeichnet sein kann (vgl. Montrul 2011b: 593). Allen drei Phänomenen ist die außerordentliche Bedeutung des Inputs als ein Einflussfaktor auf den späteren sprachlichen Output dieser Sprechergruppe gemeinsam. Dieser Aspekt spielt eine umso größere Rolle, sobald die Sprachkompetenz von HL-Sprechern erhoben und gemessen werden soll. Hierzu werden Strukturen untersucht, die sich von der Mehrheitssprache unterscheiden, aufgrund von Sprachkontakt zu erschwertem Erwerb führen und deshalb von Transfer-, Restrukturierungs- oder Konvergenzerscheinungen (s. Abschnitt 3.5) gekennzeichnet sein könnten. Ziel dieser Vorgehensweise ist also die Feststellung von Abweichungen von einer gesetzten Norm. Wenn Normabweichungen erfasst werden sollen, muss zuvor genauestens definiert werden, worin diese Norm besteht und welche Werte den Leistungsmaßstab bilden, sodass Erwartungshorizonte klar abgesteckt werden können. Problematisch bei der Untersuchung von HL-Sprechern ist in dieser Hinsicht stets die Auswahl der Kontrollgruppe, mit deren Sprachkenntnissen die Ergebnisse der Analyse abgeglichen werden sollen (vgl. auch die Kritik in Brehmer & Mehlhorn 2015a: 4). In der HL-Forschung werden drei Arten von Kontrollgruppen verwendet, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll. 74 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern 3.4.1 Die monolinguale Vergleichsgruppe Die erste, am häufigsten verwendete Kategorie der Kontrollgruppe bilden monolinguale, im Herkunftsland lebende Sprecher (vgl. bspw. Bassetti 2007; Eichler et al. 2013; Klassert et al. 2014; Müller & Hulk 2001; Schwartz et al. 2015). Sie werden in den meisten Studien mindestens nach Alter, gelegentlich zusätzlich nach sozialem Status oder Bildungsabschluss an die Untersuchungsgruppe angeglichen. Selten wird die Herkunftsregion berücksichtigt. Für erwachsene Sprecher der ersten Generation mag diese Vorgehensweise durchaus ihre Gültigkeit haben, da hier von einem abgeschlossenen Erwerb in einer L1-Umgebung ausgegangen werden kann. Bei HL-Sprechern ist der Vergleich mit Monolingualen hingegen eher kritisch zu betrachten. Dafür spricht einerseits zwar die Tatsache, dass es sich bei beiden Fällen um einen erstsprachlichen, ungesteuerten Erwerb ab Geburt handelt (vgl. Montrul 2008: 217). Gegen diese Vergleichsfolie lässt sich andererseits insbesondere mit Blick auf den oben diskutierten Aspekt des divergenten Inputs der Mehrsprachigen argumentieren. Für sie können Monolinguale nur dann eine sinnvolle Kontrollgruppe darstellen, wenn genügend Input in literaten Strukturen beispielsweise mittels einer HL-Beschulung erfolgte. Kann diese Bedingung nicht erfüllt werden, wird nicht ausschließlich monolingualer Erwerb gegen HL- Erwerb unter Sprachkontakt getestet, sondern die erzielten Ergebnisse werden durch das Kriterium einer Alphabetisierung samt erfolgreichem Erwerb literater Strukturen und hierdurch Orientierung gen Standardvarietät stark konfundiert. 3.4.2 Fortgeschrittene L2-Lerner als Vergleichsgruppe Weitere Studien vergleichen die sprachlichen Kenntnisse von HL-Sprechern mit denen von fortgeschrittenen Fremdsprachenlernern derselben Sprache (vgl. Alarcón 2011; Bianchi 2013; Montrul et al. 2014). Dass dieser Vergleich durchaus sinnvoll und möglich ist, zeigen einige Parallelen in den Erwerbsverläufen und -bedingungen beider Gruppen (vgl. Meisel 2007b: 497; Montrul 2008: 217). Beide erhalten beispielsweise hinsichtlich des Umfangs und der Häufigkeit schwankenden Input. Dieser ist zudem auf spezifische Kontexte beschränkt und weist weniger Variation in Bezug auf das Vorhandensein von bestimmten Strukturen oder den Wortschatz auf. Auch erfolgt er teilweise durch andere Sprecher mit ähnlich gelagerten Kompetenzprofilen. Bei beiden Sprechergruppen üben affektive, emotionale Faktoren großen Einfluss auf einen erfolgreichen Spracherwerb aus. Sie erwerben ferner die entsprechende Sprache unter konstantem Einfluss der Mehrheitssprache, wodurch ihr sprachlicher Output schließlich diverse Sprachkontakterscheinungen aufweist und durch Fossilisierungen ge- 3.4 Die Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern als Normabweichung 75 kennzeichnet ist. Der Spracherwerb resultiert somit bei beiden in einer hohen Varianz an Sprachkompetenzstufen. Gleichzeitig sind Unterschiede zu Fremdsprachenlernern u. a. bezüglich des Faktors „Alter“ zu verzeichnen, die die Wahl dieser als Kontrollgruppe stark beeinträchtigen (vgl. Montrul 2011a: 159 f.). Während der HL-Sprecher die HL bereits ab der Geburt erwirbt, lernt der Fremdsprachenlerner die entsprechende Sprache meist wesentlich später, teilweise erst als Erwachsener. Die Art des Inputs unterscheidet sich ebenfalls stark, denn der HL-Sprecher erwirbt die HL primär im privaten Kontext bei Gebrauch mit seiner Familie in einer natürlichen, ungesteuerten Umgebung. Eine Fremdsprache wird in diesem Setting hingegen nicht verwendet, hier erfolgt der Input strukturiert, gesteuert und innerhalb eines institutionellen Rahmens. Dieser Umstand übt direkten Einfluss auf die derart erworbenen Sprachkenntnisse aus: Bei HL-Sprechern sind mündliche Kenntnisse und zugleich orate Strukturen besser ausgeprägt als schriftsprachliche, literate. Bei Fremdsprachenlernern verhält es sich genau gegenläufig. 3.4.3 Andere Möglichkeiten zur Bildung einer Vergleichsgruppe Der Erwerb von HLs weist folglich sowohl Parallelen zum monolingualen als auch zum Fremdsprachenerwerb auf, unterscheidet sich aber gleichzeitig von beiden in ausschlaggebenden Aspekten, was die Zulässigkeit der einen wie der anderen Gruppe als Kontrollmaß stark einschränkt. Die Wahl der Kontrollgruppe ist aber für die HL-Forschung von höchster Relevanz, da sie zum einen die Erwartungen an die Sprachkompetenz der HL-Sprecher und zum anderen die Auffassung von einem normalen Erwerbsverlauf sehr gut sichtbar macht. Studien, die dennoch einen Vergleich mit Monolingualen vornehmen, müssen sich häufig dem Vorwurf stellen, ihr Forschungsinteresse ausschließlich auf Abweichungen und die Diagnostik von Defiziten zu richten. Der Vergleich mit Fremdsprachenlernern scheint jedoch den Anforderungen ebenfalls nicht in jedem Fall gerecht zu werden, da der HL-Erwerb wesentlich mehr Eigenschaften eines L1-Erwerbs aufweist als Gemeinsamkeiten mit dem institutionalisierten Erwerb einer Fremdsprache. Als dritte Möglichkeit zur Bildung einer Kontrollgruppe wird daher vermehrt der Vergleich mit anderen Bilingualen mit derselben Sprachkombination, jedoch in einem anderen Setting vorgeschlagen (vgl. Kupisch 2013: 207; Pires & Rothman 2009: 215). So testeten beispielsweise Argyri und Sorace (2007) in Großbritannien lebende HL-Sprecher des Griechischen gegen in Griechenland lebende HL-Sprecher des Englischen hinsichtlich der Markierung des Subjekts mittels Pronomen sowie der Position der Subjekt-NP. Diese Untersuchungsfelder wurden aufgrund ihrer unterschiedlichen Struktureigenschaften in den beteiligten Sprachen 76 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern ausgewählt, was in beiden Gruppen Transfereffekte aus dem Englischen ins Griechische erwarten ließ. 28 Die Autorinnen belegten diesen Spracheneinfluss jedoch ausschließlich bei den in Großbritannien lebenden Probanden, bei den in Griechenland lebenden HL-Sprechern des Englischen waren hingegen keine Transfereffekte zu verzeichnen. Diese Ergebnisse interpretieren die Autorinnen dahingehend, dass Spracheneinfluss nicht nur von der strukturellen Beschaffenheit der beteiligten Sprachen abhängt, sondern auch von der durch Sprachgebrauch geprägten Sprachdominanz (vgl. ebd.: 94). Daller und Kollegen (2011) untersuchten die Versprachlichung von Bewegungshandlungen bei deutsch-türkischsprachigen erwachsenen Bilingualen. Sie verglichen dabei in Deutschland lebende Türkisch-HL-Sprecher mit Sprechern, die zwar ebenfalls in Deutschland Türkisch als HL erwarben, jedoch als Jugendliche in die Türkei ausgewandert waren und inzwischen seit durchschnittlich sieben Jahren dort lebten. Zusätzlich wurden monolinguale Sprecher des Deutschen und des Türkischen getestet. Die Studienergebnisse zeigten unter anderem einen enormen Einfluss der jeweiligen Umgebungssprache auf den sprachlichen Output der Probanden (vgl. ebd.: 113). Die in Deutschland lebenden HL-Sprecher verwendeten beispielsweise im türkischen Testteil ähnliche Versprachlichungsstrategien wie monolinguale Sprecher des Deutschen. In der Türkei lebende Mehrsprachige ähnelten in ihrer Vorgehensweise jedoch den monolingualen Sprechern des Türkischen. Ferner unterschied sich die Gruppe der in der Türkei lebenden Sprecher im deutschen Testteil sowohl von den Bilingualen als auch von den Monolingualen in Deutschland. In einer analog gestalteten Untersuchung beschäftigte sich dieselbe Arbeitsgruppe mit der Bildung von Kollokationen im Türkischen von in Deutschland lebenden HL-Sprechern im Vergleich zu Rückkehrern und Monolingualen (vgl. Treffers-Daller et al. 2016). Auch hier wurden größtenteils strukturelle Anlehnungen an die Umgebungssprache beschrieben, die bei den Rückkehrern sogar 28 Argyri und Sorace (2007) formulieren die Hypothese, dass beispielsweise die Wahl zwischen overt markiertem und nicht realisiertem Pronomen in der Subjektposition sowie die Stellung des Subjekts vor oder nach dem Prädikat im Griechischen anfällig für Spracheneinfluss aus dem Englischen wären. Ein Grund hierfür ist die Überlappung dieser Strukturen in den beiden Sprachen. Während Griechisch sowohl eine Markierung als auch eine Nicht-Realisierung der Subjektposition zulässt, liefert das Englische starke Evidenz für ein overtes Subjektpronomen in entsprechender Position. Auch erlaubt das Griechische präwie postverbale Subjekte. Das Englische favorisiert hingegen stark die präverbale Subjektposition. Die Annahme von Argyri und Sorace ist folglich, dass Kinder, die mit diesen Sprachen bilingual aufwachsen, aufgrund der positiven Evidenz im Englischen und der Unterbestimmtheit derselben Bedingungen im Griechischen wesentlich häufiger das Subjektpronomen realisieren und es präverbal positionieren würden als monolingual griechischsprachige Kinder (vgl. ebd.: 85 f.). 3.4 Die Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern als Normabweichung 77 zu einer Hyperkorrektur führten. Diese verwendeten nach ihrer Ausreise in die Türkei den Verbstamm et- („mach: “) wesentlich häufiger als monolinguale Probanden. Somit umgingen sie zur Bildung von Kollokationen den Stamm yap- (ebenfalls „mach: “), der als typischer Marker von in Deutschland gesprochenem Türkisch gilt (vgl. ebd.: 516). Dieser Befund unterstreicht abermals, dass der Erwerb eines bestimmten Elements genügend positiver Evidenz im Input bedarf, die für die Gruppe der HL-Sprecher in Deutschland nicht gegeben war. Kupisch und Kollegen (2014) widmeten sich der Aussprache von HL- Sprechern in ihren beiden Sprachen. Sie testeten hierzu HL-Sprecher des Französischen und Italienischen in Deutschland sowie HL-Sprecher des Deutschen in Frankreich und Italien. Sie konnten feststellen, dass bei allen HL-Sprechern kein Akzent in der Mehrheitssprache der Umgebung wahrzunehmen war, während ihre Aussprache in der HL von den Ratern als ein fremdsprachiger Akzent gewertet wurde. Diese Wertung galt auch für elf Studienteilnehmer, die sich als Erwachsene später in dem Land niederließen, in dem ihre HL als Mehrheitssprache gesprochen wird. Die Aussprache richtet sich also nach der Umgebungssprache während der Kindheit und passt sich nicht bei Ausreise an die neue Umgebung an (vgl. ebd.: 143). Dass HL-Sprecher keine erstsprachliche Artikulation in der HL aufwiesen, obwohl ein früher Erwerbsbeginn hierfür nachgezeichnet werden konnte, führen die Autoren erneut auf die entscheidende Rolle eines konstanten und variantenreichen Inputs zurück: „Results suggest that besides age sufficient and continued input is a necessary prerequisite for attaining a native-like accent. Moreover, in order to achieve a native-like pronunciation, it may be beneficial if the input comes from a variety of different (native) speaker sources“ (ebd.: 145). Bei HL-Sprechern bietet sich eine Vergleichsmöglichkeit mit anderen Bilingualen derselben Sprachkombination ebenso im Zusammenhang mit der im gleichen Kontext lebenden ersten Einwanderergeneration an. Diese hat wie bereits erwähnt vor dem Hintergrund des Spracherwerbsprozesses von HL- Sprechern eine enorme Bedeutung, da sie die primäre sprachliche Sozialisationsinstanz bildet und somit über den Input bestimmt, den der HL-Sprecher erhält (vgl. Klein 2000: 539). Damit gibt sie gleichzeitig die Varietät vor, die dieser erwirbt. Auch finden Sprachkontakterscheinungen aus der Mehrheitssprache auf diese Weise Eingang in den Input der HL-Sprecher. Die Sprache dieser ersten Generation zeigt, welche Strukturen im Input der HL-Sprecher enthalten sind und ohne unterrichtliche Unterweisung erworben werden können, und formt damit die HL. Sie bildet demnach eine ideale Vergleichsfolie für die Sprachkompetenz von HL-Sprechern (vgl. Pascual y Cabo & Rothman 2012: 452). Obwohl vergleichende Untersuchungen der Sprache der ersten Generation immer stärker verlangt werden (vgl. Kupisch 2013: 207; Pascual y Cabo & 78 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern Rothman 2012: 452; Polinsky 2015a: 10; Sorace 2004: 144), sind Studien, die die Sprachkompetenz der Eltern gegen die der Kinder testen, eher selten. Eine Ausnahme bildet hier das Projekt „Heritage Language Variation and Change“ in Toronto um Nagy (vgl. Kang & Nagy 2016; Nagy 2015; Nagy & Kochetov 2013). Die Arbeitsgruppe untersucht die generationenübergreifende Entwicklung von sieben HLs (Italienisch, Russisch, Ukrainisch, Kantonesisch, Polnisch, Koreanisch und Faetar) in Toronto. Hierbei sind nicht nur Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachen von Interesse, sondern auch Veränderungsdynamiken zwischen der Großeltern-, Eltern- und Kindergeneration. Die im Rahmen des Projekts erhobenen soziolinguistischen Interviews werden gleichzeitig für die Analyse zahlreicher sprachlicher Merkmale von phonologischer bis morpho-syntaktischer Ebene verwendet und mit Daten monolingualer Englischsprecher sowie mit Sprechern im jeweiligen Herkunftsland verglichen. Erste Ergebnisse der Studie zu VOT-Werten 29 in den Sprachen Italienisch, Russisch und Ukrainisch zeigten, dass die beiden letztgenannten sich im Laufe der Generationen immer mehr an das Englische annähern, jedoch statt seine VOT-Maße vollständig zu übernehmen, eigene Kategorien entwickeln (vgl. Nagy & Kochetov 2013). Das Italienische hingegen weist charakteristische VOT-Werte auch noch nach mehreren Generationen auf. Nagy und Kochetov begründen diese Feststellung mit der Größe der italienischsprachigen Community in Toronto, die ca. 10 % der gesamten Bevölkerung ausmacht (vgl. ebd.: 35). Dies fördert nicht nur die Möglichkeiten zum Sprachgebrauch auch außerhalb der Familie und stärkt gleichzeitig die ethnische Identität der Sprecher, es begünstigt zudem die institutionelle Unterstützung dieser Sprache, was den Autoren zufolge dem Spracherhalt zuträglich ist. Exemplarisch für den deutschen Kontext sei hier zusätzlich das Projekt von Brehmer und Mehlhorn genannt (vgl. Brehmer & Mehlhorn 2015b). Es beschäftigt sich mit dem Erhalt des Russischen in Deutschland und untersucht mittels zahlreicher Instrumente ausführlich die Sprachkompetenz russischsprachiger Jugendlicher der zweiten Generation in beiden Sprachen im Vergleich zur Sprachkompetenz ihrer Mütter. Ausschnitte aus den Daten lassen nach Brehmer und Mehlhorn auf einen Zusammenhang zwischen der Sprachkompetenz der Mütter und der Jugendlichen schließen: „Durch die Dominanz des Russischen sind sie [d. h. die Mütter, H. O.] in der Lage, ihren Töchtern einen vielgestaltigen authentischen und zielsprachlichen Input in der Herkunftssprache zur 29 Hierbei handelt es sich um die Voice Onset Time, also die Zeit zwischen dem Lösen eines Verschlusses und dem Einsetzen der Stimme bei nachfolgendem Vokal (vgl. Au et al. 2002: 238). Da die dafür benötigte Zeit sprachspezifisch ist (vgl. Cho & Ladefoged 1999: 218 ff.), lässt sich bei Mehrsprachigen auf diese Weise sehr gut Spracheneinfluss feststellen. 3.4 Die Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern als Normabweichung 79 Verfügung zu stellen, der sicherlich zum hohen Sprachstand der Töchter im Russischen beiträgt“ (Brehmer & Mehlhorn 2015b: 118). 3.4.4 Diasporavarietäten als Ausgangspunkt des Heritage- Language-Erwerbs Die Vergleichsbasis für die Sprache der zweiten Generation besteht also nicht aus der Standardvarietät, die im Herkunftsland gesprochen wird und durch Beschulung erworben wird. Sie hat sich vielmehr nach der innerhalb der Familie verwendeten Sprache, der ein HL-Sprecher während seiner Kindheit ausgesetzt war, zu richten, samt dialektalen Unterschieden und Einflüssen der Mehrheitssprache sowie unter Berücksichtigung des intimen Registers (vgl. Polinsky & Kagan 2007: 372). Polinsky und Kagan vergleichen in diesem Zusammenhang die in der Diaspora gesprochene Varietät mit dem Herausbilden von Kreolsprachen (ebd.: 371): Während manche Kreols in ihrer Struktur sehr stark der Gebersprache ähneln, weichen andere strukturell deutlich davon ab. Diese Varianz lässt sich auf einem Kontinuum der Nähe bzw. Ferne zur Gebersprache anordnen. Entsprechend sollte mit Blick auf den HL-Sprecher die Distanz der von ihm erworbenen Varietät zum Standard bei der Erhebung seiner Sprachkompetenz Berücksichtigung finden. So ist es eine weitere Herausforderung für die HL-Forschung, für jede in der Diaspora gesprochene HL solch eine Vergleichsbasis unter Berücksichtigung von Spracheneinfluss der Mehrheitssprache zu beschreiben (vgl. ebd.: 373). Hierzu ist nicht nur Wissen um demographische Merkmale der jeweiligen Migrantengruppe und ihrer historischen Wanderungsbedingungen vonnöten, sondern auch um die Architektur der Sprache bezüglich ihrer Dialekte, der diachronen Veränderungen von Strukturen sowie der Registerdifferenzen. Beispielhaft seien hier die bereits oben genannten Entwicklungen im Türkischen, das in Deutschland oder in den Niederlanden gesprochen wird, im Vergleich zum Türkei-Türkischen angeführt (vgl. Doğruöz & Backus 2009; Schroeder 2003; Treffers-Daller et al. 2016). In diesem Zusammenhang ist nicht nur ein struktureller Umbau unter Sprachkontakt, sondern auch eine Nivellierung des Türkischen zu Merkmalen ostanatolischer Dialekte zu verzeichnen. Polinsky und Kagan weisen dabei u. a. auf die Erwerbssituation des Koreanischen als HL hin (vgl. Polinsky & Kagan 2007: 373). Es unterscheidet in seiner Standardvarietät sechs Höflichkeitsformen, die registersensitiv und stark von sozialem Kontext abhängig sind. Da HL-Sprecher das Koreanische jedoch primär innerhalb der Familie im intimen Register erwerben und eingeschränkten bis keinen Zugang zu formellem Register haben, kommen sie höchstens mit 80 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern einer bis zwei Höflichkeitsmarkierungen in Kontakt (vgl. Kim 2011: 262). Dies sei bei der Erstellung einer Vergleichsbasis zu berücksichtigen. Die teilweise enormen Unterschiede zwischen dem Standard des Herkunftslandes und der Vergleichsvarietät im Einwanderungsland sind jedoch nicht nur auf die Erwerbssituation unter Sprachkontakt zurückzuführen. Sie können auch durch die Differenzen in der Ausgestaltung der Register bereits im Herkunftsland verstärkt werden. Als Beispiel sei hier die sprachliche Konstellation in Marokko genannt. Während das intime Register durch die Darija, eine marokkanische Varietät des Arabischen, artikuliert wird, bestimmt die Fosħa, das moderne Standardarabisch, das formelle Register (vgl. Maas 2011: 16). Beide wurzeln zwar in denselben sprachlichen Strukturen, die Unterschiede zwischen ihnen sind jedoch enorm und auf allen linguistischen Ebenen zu finden. Sprecher, die Arabisch als HL in Deutschland erwerben, haben demnach größtenteils Zugang zu der oraten Form, der Darija. Dieser Unterschied zwischen der Standard- und der Diasporavarietät wird verstärkt durch den Umstand, dass viele Migranten bereits im Herkunftsland Angehörige von sprachlichen Minderheitengruppen waren. Da diese häufiger als die Mehrheitsbevölkerung zur Auswanderung neigen, ist ihr prozentueller Anteil in der Diaspora im Vergleich zum Herkunftsland als wesentlich größer einzuschätzen (vgl. Brizić 2007: 133; Schroeder 2003: 24). Dies gilt beispielsweise für den Anteil an kurdisch- und arabischsprachigen Minderheiten aus der Türkei sowie für Berbersprachige aus Marokko, die in Deutschland den Hauptanteil an der marokkostämmigen Bevölkerung bilden (vgl. ebd.; Maas & Mehlem 2003). Die Kinder dieser Minderheiten erwerben nach der Auswanderung sowohl die Minderheitenals auch die Mehrheitssprache des Herkunftslandes (vgl. Brizić 2009: 136), was sich in den sprachlichen Strukturen der Diasporavarietät entsprechend niederschlägt (vgl. Vicente 2007: 125) und in Studien zum HL-Erwerb als Vergleichsbasis berücksichtigt werden muss. Die Wahl der Vergleichsgruppe ist also auf mehreren Ebenen für die Erforschung von HLs entscheidend. Alle hier vorgestellten Möglichkeiten, eine Kontrollgruppe zu bilden, lassen sich natürlich durch ein damit einhergehendes kohärentes Erkenntnisinteresse der jeweiligen Studie begründen. Jedoch dürfen in Vergleichsstudien zur Feststellung der Sprachkompetenz von HL-Sprechern und zur Erklärung der ermittelten Varianz in dieser die Rolle und die Art des Inputs, den HL-Sprecher erhalten, nicht unterschätzt werden. Wie die vorherigen Ausführungen zeigten, bestimmt der Input sowohl auf Gruppenebene als auch auf familiärer Ebene in hohem Maße das Ergebnis des Spracherwerbsprozesses von HL-Sprechern. 3.5 Studien zur Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 81 3.5 Studien zur Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern Der HL-Erwerb resultiert nicht nur in einer hohen Varianz an Sprachkompetenzstufen, er äußert sich ebenfalls in einer enormen Vielseitigkeit an verwendeten sprachlichen Strukturen. Diese Strukturvarianz ist jedoch nicht willkürlich und bei weitem nicht jede Struktur ist innerhalb des Systems zulässig. Vielmehr lassen sich bestimmte Muster finden, die allen HLs gemeinsam sind und auf spezifische HL-Erwerbsbedingungen unter Sprachkontakt zurückgeführt werden können. Für HL-Sprecher werden dabei Sprachkontaktphänomene beschrieben, wie sie bereits bei Attritionsprozessen der L1 von Migranten erster Generation auftreten. Solche häufig beobachteten Phänomene stellen beispielsweise Restrukturierungs- und Konvergenzerscheinungen sowie semantische Bedeutungsverschiebungen dar (vgl. Pavlenko 2003: 33; Schmid 2011: 26 ff.). Bei einer Restrukturierung sprachlicher Subsysteme werden Elemente und Regeln der L2 in die L1 einverleibt oder auf diese übertragen. Die L2-Elemente sind hierbei nicht overt als solche gekennzeichnet, sondern sie ersetzen, vereinfachen oder verändern L1-Regeln. Konvergenzerscheinungen beschreiben im Gegensatz dazu eine aus beiden Systemen neu erschaffene Struktur, die die Regeln beider Sprachsysteme vereint, jedoch in derselben Form weder in der L1 noch in der L2 gegeben ist. Der Begriff „Bedeutungsverschiebung“ wird verwendet, wenn die Semantik eines Lexems in der L1 um die Bedeutung, die es in der L2 innehat, erweitert wird. Pavlenko (2003: 33) diskutiert zusätzlich Entlehnungen als ein weiteres Einflussphänomen der L2 auf die L1. Diese werden von Schmid (2011: 26) hingegen nicht als explizites Anzeichen von Attrition gewertet, sondern lediglich als eine Folge von Sprachkontakt, da bei Restrukturierung, Konvergenz und Bedeutungsverschiebung neue, andersartige Strukturen entstehen, die von der in der L1-Umgebung gesprochenen Varietät verschieden und auf den Einfluss der L2 zurückzuführen sind. Ähnliche Einflüsse können im sprachlichen Output von HL-Sprechern beobachtet werden, was ein zusätzliches Argument für einen Rückgriff auf Erkenntnisse der Attritionsforschung darstellt. Um die oben beschriebenen Erscheinungen des Sprachkontakts auf den HL-Sprecher übertragbar zu machen, wird eine begriffliche Abänderung in „HL“ und „Mehrheitssprache“ statt „L1“ und „L2“ als beteiligte Sprachen erforderlich. So bestätigte beispielsweise Montrul (2004) Konvergenzerscheinungen bei spanischsprachigen HL-Sprechern in den USA, da diese bei der Kennzeichnung von Argumenten gleichzeitig Strategien ihrer HL Spanisch wie auch der Umgebungssprache Englisch verwendeten. Pavlenko und Malt (2011) beobachteten in ihrer breit rezipierten Studie Abweichungen in 82 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern den semantischen Konzepten von russischsprachigen HL-Sprechern in den USA beim Benennen von gängigen Haushaltsobjekten („cups“ und „glasses“). Dabei wurden im Russischen bestehende Kategorien um im Englischen vorhandene Bedeutungen derselben Lexeme erweitert oder aber auf diese eingeschränkt. Doğruöz und Backus (2009) stellten bei ihren in den Niederlanden lebenden Türkisch-HL-Sprechern fest, dass sie lexikalisch komplexe sprachliche Einheiten des Niederländischen durch direkte Übersetzungen ins Türkische integrierten und somit syntaktische Einheiten schufen, die für das Türkei-Türkische nicht zulässig sind. Zusätzlich zu diesen HL-Merkmalen des Gesamtsystems sind auf den einzelnen linguistischen Beschreibungsebenen allgemeingültige Tendenzen auszumachen, auf die im Folgenden unter Rückbezug auf mehrere Studien eingegangen werden soll. Die Studien wurden dabei entweder wegen ihrer Prominenz innerhalb des Forschungsfelds oder aufgrund einiger Alleinstellungsmerkmale wie verwendeter Methodik oder untersuchter Sprachpaarung ausgewählt. Es wurden sowohl nationale als auch internationale Arbeiten in diesem Forschungsüberblick berücksichtigt. 3.5.1 Phonologie Die grundsätzliche Annahme, dass die beteiligten phonetischen Systeme Mehrsprachiger miteinander interagieren, da sie sich einen gemeinsamen phonologischen Raum teilen (vgl. Olson 2013: 408), wurde bereits früh mittels VOT-Analysen 30 bewiesen (vgl. Flege & Hillenbrand 1984; Flege 1987; Major 1992). Solch eine Interaktion beschrieb u. a. die Langzeitstudie von Kehoe und Kollegen (2004). Sie beobachteten bei ihren in Deutschland aufwachsenden kindlichen Spanisch-HL-Sprechern eine Tendenz zur Anpassung der VOT-Werte an die dominante Sprache des jeweiligen Kindes, was sie auf den Umfang des Gebrauchs der Umgebungssprache im Verhältnis zur HL zurückführen. Die Bedeutung der dominanten Umgebungssprache stellte auch Godson (2004) heraus. Bezüglich der Anpassungsrichtung lautlicher Merkmale untersuchte sie in ihrer Studie zu armenischsprachigen HL-Sprechern in den USA die Produktion von Vokalen in beiden Sprachen im Hinblick auf ihre Qualität. Sie bestimmte mittels einer Formantenanalyse, dass die von den HL-Sprechern produzierten Vokale in mindestens einer Dimension den Vokalen des Englischen, der dominanten Sprache 30 Das oben bereits kurz angerissene VOT-Maß (Voice Onset Time) wird häufig als Kriterium zur Bestimmung des Spracheneinflusses herangezogen, da hierfür sprachspezifische, normierte Werte aus dem monolingualen Erwerb vorliegen (vgl. Cho & Ladefoged 1999: 218 ff.). Somit erlaubt es seine Verwendung, objektiv zu messen, an welche der beteiligten Sprachen sich die Aussprache des Probanden mehr anlehnt. 3.5 Studien zur Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 83 ihrer Probanden, glichen. Saadah (2011) konnte einen Einfluss des Englischen auf die Produktion von einfachen und pharyngalisierten Vokalen im palästinensischen Arabisch ihrer HL-Sprecher nachweisen, was erneut ein teilweises Überschreiben von HL-Strukturen durch die dominante Umgebungssprache belegt. Zusätzlich zu solchen Restrukturierungen des phonologischen Systems der HL samt Einverleibung phonologischer Kontraste der Umgebungssprache konnten auch Konvergenzerscheinungen zwischen beiden Systemen nachgezeichnet werden. In einer Studie zu Türkisch-HL-Sprechern im Grundschulalter in Deutschland stellte beispielsweise Queen (2001; 2006) fest, dass die Sprecher eine untypische Satzprosodie verwenden, die weder im Türkei-Türkischen noch im Deutschen vorfindbar ist. Die Kinder in seiner Studie nutzten produktiv die durch Sprachkontakt entstandenen Intonationskonturen in ihren Narrationen, um thematische Kontraste zu markieren und das Erzählte zu gliedern (vgl. Queen 2006: 175). Schroeder und Şimşek (2010) berichten ähnliche Intonationsverläufe, die von dieser Sprechergruppe als Kriterium zur Ausgrenzung von Wörtern beim Schreiben herangezogen werden. Die so entstandenen Intonationsverläufe sind folglich überzufällig und lassen sich auf die Sprachkontaksituation zurückführen. Der Einfluss der (oftmals dominanten) Umgebungssprache macht sich somit in Form von Konvergenz- und Restrukturierungserscheinungen der HL auf segmentaler wie suprasegmentaler phonetisch-phonologischer Ebene bemerkbar. Das Ausmaß dieser Interaktion ist jedoch noch nicht hinreichend untersucht worden, sodass zu prüfen ist, unter welchen Bedingungen HL-Sprecher unterschiedliche Lautkategorien zusammenlegen bzw. diese distinkt produzieren (vgl. Chang et al. 2011: 3965). Gleiches ist für die Perzeption von HL-spezifischen Kontrasten zu analysieren. Als relevante Einflussfaktoren werden dabei Kontaktbeginn und -dauer sowie Sprachdominanz diskutiert. Dass ein früher Kontakt zu einer Sprache für die Beherrschung ihrer phonologischen Strukturen entscheidend ist, gilt im Rahmen von Spracherwebstheorien als gesetzt und konnte in vielen Spracherwerbsstudien nachgezeichnet werden (vgl. Klann- Delius 2008: 27, 31). Welche zusätzliche Rolle dabei die Dauer des Kontakts zur entsprechenden Sprache und dessen Intensität übernehmen, kann besonders gut mit Blick auf den HL-Sprecher untersucht werden. An dieser Stelle gibt die Analyse von Sprachdaten von HL-Sprechern Aufschluss darüber, ob der erhaltene Input für die Wahrnehmung und Produktion von phonologischen Merkmalen der HL im Erwachsenenalter trotz eingeschränktem Gebrauch oder trotz einer dominanten Umgebungssprache ausreichend ist. In einer Studie zu Spanisch-HL-Sprechern in den USA untersuchten etwa Au und Kollegen die Produktion von stimmhaften und stimmlosen Konsonanten 84 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern (vgl. Au et al. 2002; Knightly et al. 2003). Die getesteten HL-Sprecher wurden dabei als passive Bilinguale bestimmt („overhearers“, ebd.: 238). Ihre Aussprache wurde von Ratern mit der von Fremdsprachenlernern und monolingualen Sprechern des Spanischen verglichen. Die Ergebnisse der Analysen bestätigen die von den Autoren formulierte Hypothese, dass ein früher Input in der HL zu deutlichen Vorteilen bei der Produktion distinktiver Merkmale im Vergleich zu Fremdsprachenlernern beim späteren Erlernen der entsprechenden Sprache führt. Die Studienteilnehmer produzierten zwar keine VOT-Werte, die den monolingualen Sprechern des Spanischen glichen, jedoch näherte sich ihre Aussprache der monolingualen Norm weitaus mehr an als bei Lernern, die erst als Erwachsene dem Spanischen ausgesetzt waren. Oh und Kollegen untersuchten unter der gleichen Fragestellung die Effekte eines frühen Kontaktes zur HL auf ihr Erlernen im Erwachsenenalter (vgl. Oh et al. 2003). Sie testeten HL-Sprecher mit rein passiven wie aktiven Kenntnissen des Koreanischen in den USA gegen Fremdsprachenlerner und Monolinguale. Auch hier hatten die passiven HL-Sprecher in der Kindheit nur rudimentären Kontakt zur HL. Im Gegensatz zu den Ergebnissen in Au et al. (2002) zeigten die passiven HL-Sprecher im Produktionstest keine Vorteile, sondern schnitten genauso wie die Fremdsprachenlerner ab. Die Autoren führen diese Diskrepanz in den Ergebnissen auf die Tatsache zurück, dass die Spanisch-HL-Sprecher der erstgenannten Studie bereits seit mehreren Jahren ihre HL in einem Kurs lernten, während die Koreanisch-HL-Sprecher erst seit vier Monaten solch einen Kurs besuchten (vgl. Oh et al. 2003: B60). Die Fähigkeit, entsprechende Kontraste des Koreanischen zu produzieren, benötige mehr Aktivierungszeit, so die Autorengruppe. Beide Studien deuten jedoch trotz der teilweise divergierenden Ergebnisse auf einen eindeutigen Vorteil von frühem Kontakt zur HL hin und lassen schlussfolgern, dass sogar bei langanhaltend fehlendem Input die in der Kindheit erworbenen phonologischen Fähigkeiten nicht verlorengehen. Dass ein früher Kontakt allein zum Aufrechterhalten dieser phonologischen Fähigkeiten nicht ausreicht, belegen wiederum Studien um die Arbeitsgruppe von Pallier (vgl. Pallier et al. 2003; Ventureyra et al. 2004). Die Autoren untersuchten 18 Erwachsene, die als Kinder aus Korea in eine französischsprachige Umgebung adoptiert wurden. Zum Zeitpunkt ihrer Adoption waren die Kinder zwischen drei und acht Jahren alt und wiesen eine altersadäquate Entwicklung des Koreanischen auf. Nach der Adoption brach für alle Kinder der Kontakt zu ihrer L1 vollständig ab. Um zu testen, welche der bis zu dem Zeitpunkt erworbenen Fähigkeiten unter diesen Bedingungen erhalten blieben, wurden hier u. a. dieselben Wahrnehmungskontraste wie in Oh et al. (2003) gemessen. Die adoptierten Sprecher verhielten sich bei dem Wahrnehmungstest exakt auf die gleiche Weise wie die monolinguale französischsprachige Kontrollgruppe. Sie 3.5 Studien zur Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 85 reagierten auf die ihnen vorgespielten Kontraste auch nicht unbewusst, was mittels eines funktionellen Magnetresonanztomographen nachgewiesen werden konnte. 31 Diese Ergebnisse widersprechen zunächst den beiden zuvor zitierten Studien und zeigen, dass trotz eines frühen Kontakts zu Strukturen des Koreanischen keine phonologischen Diskriminationsfähigkeiten aufgrund eines absoluten Kontaktabbruchs erhalten blieben. Andererseits geben die Autoren an, dass einer ihrer Probanden, der als Erwachsener sowohl als Tourist nach Korea reiste als auch einen Kurs besuchte, einen Ausreißer darstellte und die gesamte Gruppe an Diskriminationsfähigkeit übertraf (vgl. Ventureyra et al. 2004: 88). Dieser Aspekt der Reaktivierung machte sich bereits in den beiden anderen Studien bemerkbar und könnte darauf hindeuten, dass es für den Erhalt phonologischer Kompetenzen nicht nur eines frühen Einsetzens des Kontaktes, sondern auch eines steten Stimulus bedarf. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ein Einfluss der Umgebungssprache sich auf phonologischer Ebene bemerkbar macht, sodass HL-Sprecher sich sowohl in den VOT-Werten als auch in den Intonationsverläufen von monolingualen Sprechern unterscheiden. Gleichzeitig reicht jedoch bei geringem Stimulus, beispielsweise bei sog. passiven Sprechern, bereits das frühe Einsetzen des HL-Erwerbs aus, um den HL-Sprechern einen entscheidenden Vorteil gegenüber Fremdsprachenlernern in der Produktion und in der Perzeption zu verschaffen. Eine ressourcenorientierte Perspektive auf diese Positionierung zwischen dem monolingualen Sprecher und dem Fremdsprachenlerner bieten Chang und Kollegen (2011) mit ihrer Studie zu Mandarin-HL-Sprechern in den USA. Die von ihnen untersuchten Kontraste wurden dabei so gewählt, dass ein Merkmal der einen Sprache auf zwei Merkmale der anderen ausdifferenziert war (z. B. im Mandarin [ʂ] und [ɕ] vs. das englische [ʃ]). Vergleichend wurden L2-Lerner des Mandarin und des Englischen ebenfalls in beiden Sprachen getestet. Die Auswertung der erhobenen Daten ergab, dass HL-Sprecher von allen getesteten Gruppen am erfolgreichsten sprachspezifische Kontraste in beiden Sprachen produzierten. Sie realisierten nicht nur funktionale Kontraste, die in der jeweiligen Sprache distinktiv und für das Verständnis unabdingbar sind. Auch nichtfunktionale sprachspezifische Kontraste wurden von ihnen sprachenübergreifend im Sinne einer Mehrsprachigkeitskompetenz beibehalten. 31 Während der Tests befanden sich die Studienteilnehmer in einem funktionellen Magnetresonanztomographen, der nach jedem Stimulus Aufnahmen ihres Gehirns anfertigte, um Aktivität in der Großhirnrinde nachzuweisen. Diese Region wird bei Sprachverarbeitung aktiviert, sodass die Forschergruppe davon ausging, hier Nachweise für ein den Probanden unbewusstes Verstehen bzw. Erkennen von koreanischsprachigen Wörtern oder Äußerungen zu finden. 86 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern Diese Studie zeichnet ein überaus positives Bild der phonologischen Kompetenz von HL-Sprechern. Jedoch sollten diese Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden, da nicht alle Probanden die Merkmale von HL-Sprechern erfüllen (vgl. ebd.: 3977). Es finden sich in dieser Gruppe u. a. mehrere Personen, die zwar in den USA geboren sind, aber im Einschulungsalter nach Taiwan ausgewandert sind, wo sie ihre gesamte Schullaufbahn verbrachten. Zudem lassen sich Probanden ausmachen, die erst mit 10 bzw. 13 Jahren in die USA eingewandert sind. In Anbetracht der geringen Teilnehmerzahl von nur 15 Probanden können diese Sprecher die Daten erheblich beeinflusst haben. Die berichteten Ergebnisse sollten daher anhand einer genauer kontrollierten Probandengruppe überprüft werden. 3.5.2 Morphologie Im Gegensatz zu den phonologischen Eigenschaften von HLs ist die Morphologie, insbesondere die Flexionsmorphologie, weitaus besser erforscht. Laut Montrul (2016: 54) liegt der Grund für diese Fülle an Untersuchungen in einer besseren und schnelleren Sichtbarkeit von Sprachkontakteinflüssen in diesem Bereich im Vergleich zu anderen sprachlichen Ebenen. Vornehmlich an den Schnittstellen zu Pragmatik und Syntax sei Morphologie äußerst fragil und anfällig für Sprachkontaktphänomene. Diese äußern sich sowohl in der Nominalals auch in der Verbalmorphologie in Restrukturierungen und Vereinfachungen des Gesamtsystems, wie sie beispielsweise Polinsky in zahlreichen Studien zum HL-Russischen in den USA belegen konnte (vgl. Polinsky 2006; 2008a; 2008b). Da das Russische eine stark flektierende Sprache mit reicher Morphologie ist, werden hier Veränderungen im Rahmen des HL-Erwerbs besonders schnell sichtbar und lassen sich entsprechend dokumentieren. So zeigte Polinsky (2006; 2008a) u. a., dass aufgrund des Sprachkontakts zum Englischen eine Reanalyse des gesamten Genussystems im HL-Russischen von einem Dreizu einem Zwei-Genera-System erfolgt. In Bezug auf die Genusmarkierungen beschreibt Polinsky (2006), dass ihre Probanden nicht kanonische Endungen im Rahmen des kanonischen Genusparadigmas uminterpretierten: Nicht-kanonisch auslautende Substantive im Femininum wurden von den Studienteilnehmern durchgehend als im Maskulinum wahrgenommen. Die nichtkanonische Endung bei Substantiven im Neutrum wurde von den Sprechern wiederum als Femininum interpretiert. Die beiden schwachen, weniger frequenten und markierten Deklinationsklassen wurden also unter diejenigen unmarkierten Klassen subsumiert, die diesen formal analog sind, was in einer Reduktion des Genussystems auf die Opposition Maskulinum versus Femininum samt entsprechender kanonischer Endungen für das HL-Russische resultierte. 3.5 Studien zur Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 87 In Bezug auf Kasus im HL-Russischen beschreibt Polinsky (2006) ebenfalls Simplifizierungs- und Reduktionsprozesse. So werde das russische Sechs-Kasus- System zu einem Zwei-Kasus-System vereinfacht. Markiert wird dabei allein das indirekte Objekt durch eine spezifische Kasusmarkierung, die jedoch nicht unbedingt die zielsprachliche Dativmarkierung ist. Die anderen Argumente im Satz bleiben unmarkiert und werden über die Wortstellung differenziert. In einer darauffolgenden Studie (2008b) präzisierte Polinsky diesen Befund noch einmal: Der Nominativ als unmarkierter Kasus wird im HL-Russischen auf das direkte Objekt übertragen, das hierdurch keine overte Kasusmarkierung mehr trägt. Der Akkusativ verschwindet aber nicht völlig aus dem System, sondern wird als Markierung für Dativobjekte benutzt, insbesondere im Pronominalsystem. Regelgeleitete Restrukturierungen des Systems wies Polinsky (2006; 2008b) auch für die Verbalmorphologie nach. Die Probanden in ihrer Studie behielten zwar größtenteils die für das Russische konstitutive Perfektiv-Imperfektiv-Differenzierung bei. Sie ersetzten jedoch die im Standardrussischen verwendete synthetische Form der Aspektmarkierung am Verb durch eine analytische. Hierzu nutzten sie ein Verb mit entsprechender Aktionsart wie „beginnen“, „aufhören“, „sein“ oder „werden“, das wie ein Modalverb gebraucht wurde. Polinsky betont stets, dass die HL-Sprecher in ihren Studien sich zwar deutlich von den monolingualen Sprechern unterscheiden, dennoch seien ihre Abweichungen und somit die neu entstandenen Kasus-, Genus- und Aspektsysteme regelgebunden und konsequent. Obwohl Polinsky eindeutige Frequenzeffekte als Steuerungsmechanismen des Umbauprozesses in der HL-russischen Nominalmorphologie ausmachen konnte und belegte, dass insbesondere markierte Strukturen durch kanonische Markierungen im Paradigma ersetzt werden, beschrieben Studien für das HL-Spanische, dass auch hoch frequente, kanonische Markierungen im HL- Erwerb reanalysiert werden können. In einer der ersten Studien zu diesem Thema erfasste Anderson (1999) über einen Zeitraum von zwei Jahren in regelmäßigen Abständen die Entwicklung der Genuszuweisung bei zwei Schwestern mit Spanisch als HL in den USA. Sie beobachtete, dass das jüngere Kind grundsätzlich zu einer häufigeren Zuweisung des Maskulinums bei den Substantiven tendierte, obwohl das Spanische über recht durchsichtige Genuszuweisungsregeln verfügt. Basierend auf dieser Erkenntnis führten Montrul und Potowski (2007) eine quantitative Studie an einer spanisch-englisch-bilingualen Schule in den USA durch. Sie untersuchten Genuszuweisungen und Kongruenzmarkierungen innerhalb der Nominalphrase anhand von kanonischen Endungen bei 38 Spanisch- HL-Sprechern. Hier zeigte sich ebenso, dass die Zuweisung des Maskulinums den Studienteilnehmern leichter gelang als die des Femininums. Die Studie 88 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern untermauert nicht nur die von Anderson (1999) beschriebenen Beobachtungen, sie erlaubt auch folgende Annahme: Zumindest für das Spanische als HL lässt sich eine Hierarchie innerhalb der Systemrestrukturierungsprozesse vermuten, da Markierungen im Maskulinum häufiger gesetzt wurden als solche im Femininum. Gleichzeitig wirft sie die Frage auf, wieso hochfrequente Substantive mit kanonischen Endungen von HL-Sprechern teilweise nicht zielsprachlich markiert werden, obwohl sie im Input der Sprecher häufig vorkommen und die Aktivierungsschwelle für sie recht niedrig liegt. Anstatt (2008) stellte in ihren Daten zu HL-Russisch ebenfalls eine starke Präferenz für bestimmte Markierungen fest, die auf eine Hierarchisierung der Restrukturierungsprozesse im verbalen Bereich hindeuten. Im Vergleich zu monolingualen Russischsprechern verwendeten die HL-Sprecher in ihrer Studie bei der Nacherzählung der Frog Story wesentlich häufiger den Imperfektiv als aspektuelle Markierung sowie das Präsens als Erzähltempus. Anstatt sieht den Grund für diese Präferenz im Sprachkontakt mit dem Deutschen, der Umgebungssprache ihrer Sprecher: Wird die Versprachlichungsstrategie der HL-Sprecher im Russischen ihren deutschsprachigen Daten gegenübergestellt, so lässt sich hier dieselbe Markierungsart nachzeichnen. Diese Präferenz findet sich ebenfalls in den Daten monolingualer Deutschsprachiger. Für das HL- Spanische beschreibt Montrul (2009) hingegen eine gegenläufige Hierarchisierung im Bereich der Verbalmorphologie: In allen durchgeführten Tests zeigte sich, dass die HL-Sprecher den Unterschied zwischen Präteritum und Imperfekt zwar kannten und markierten. Gleichzeitig bereitete das Erkennen und Markieren des Imperfekts ihnen stets größere Schwierigkeiten als das des Präteritums. Während das nominale und das verbale Flexionssystem des HL-Russischen wie des HL-Spanischen starken Einflüssen der Umgebungssprache unterworfen zu sein scheinen und zahlreiche hierarchisch geordnete Veränderungen in ihrer Struktur erfahren, berichtet Pfaff (1991; 1994) für das HL-Türkische äußerst stabile Kasus- und Numerusmarkierungen. Sie beschreibt anhand von Sprachdaten von mehreren Kindern die Entwicklung deren HL Türkisch vor dem Hintergrund der Kontaktsprache Deutsch. Als eine Sprache agglutinierenden Bautyps markiert das Türkische sowohl den Kasus als auch den Numerus durch ein reguläres Suffix, dessen Form sich ausschließlich aufgrund von Vokalharmonie verändern kann. Diese Transparenz der Markierungen führt dazu, dass nominale Flexion im monolingualen Türkischerwerb recht früh (ca. mit zwei Jahren, vgl. Pfaff 1991: 107) vorhanden ist. Bei den HL-Sprechern in Pfaff (1991; 1994) treten Abweichungen in den Markierungen des Kasus und Numerus entsprechend lediglich dann auf, wenn eine nicht-kanonische Umgebung oder eine komplexe, markierte Struktur vorliegt. Der hohe Grad an Regelhaftigkeit in den vorliegenden Suffixen erleichtere einen stabilen Erwerb der Nominalflexion des 3.5 Studien zur Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 89 Türkischen selbst unter Sprachkontakt. In Anbetracht dieser Beobachtungen erscheinen die zuvor referierten Ergebnisse von Montrul und Potowski (2007) umso unklarer, da das Spanische ebenfalls über einen hohen Grad an Regelhaftigkeit bei der Genusmarkierung verfügt, die demnach äußerst stabil sein müsste. Andere Ergebnisse berichten Küppers und Kollegen (2015) für die Markierung des Instrumentals bei dem in Deutschland gesprochenen Türkisch. So werde das im Standardtürkischen gebräuchliche Instrumentalsuffix durch eine Form ersetzt, die typisch für die in Ostanatolien gesprochene Varietät des Türkischen ist. Es handelt sich bei dieser Entwicklung folglich nicht direkt um ein Sprachkontaktphänomen, das aufgrund des Einflusses der Umgebungssprache Deutsch zustande kommt, sondern um Anpassungen an diesen Dialekt. Ähnliche Veränderungen beschreiben Şimşek und Schroeder (2011) anhand eines Korpus mit mündlichen und schriftlichen Daten von in Deutschland aufwachsenden Erst- und Siebtklässlern mit der HL Türkisch. Auch sie konnten eine Abweichung in der Form des Instrumentalsuffixes nachweisen, die auf dialektale Einflüsse zurückzuführen ist. Bereits an diesen zwei Studien zum HL-Türkischen wird deutlich, dass Beschreibungen der Sprachkompetenz von HL-Sprechern - nicht nur im Bereich der Morphologie - stets unter Einbezug der Registerunterschiede erfolgen müssen. Abweichungen vom Standard können im HL-Erwerb nicht allein auf Sprachkontakt oder auf unvollständigen Erwerb zurückgeführt werden. Stattdessen müssen die Möglichkeit eines divergenten Erwerbs und das Fehlen institutionell vermittelter literater Sprachstrukturen und Normen fortwährend bei der Konzeption von Sprachkompetenztests sowie bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Dass diese Aspekte stets mitbedacht werden müssen, belegt u. a. die folgende Untersuchung zum Spanischen von Montrul und Kolleginnen (2008). Sie verglichen die Zuweisung von Genus und entsprechende Kongruenzmarkierungen innerhalb der Nominalphrase bei HL-Sprechern mit Fremdsprachenlernern gleicher Kompetenzstufe. In dem ersten Experiment sollten die Probanden in schriftlich präsentierten Sätzen aus einer Liste ein Substantiv auswählen, das in Genus und Numerus mit dem vorgegebenen Determinierer und Adjektiv kongruiert. Bei diesem Aufgabentyp performten die L2-Lerner entgegen den Erwartungen der Autorinnen wesentlich sicherer und produzierten mehr zielsprachliche Strukturen als die HL-Sprecher. Ein zweites Experiment testete die Markierung der Kongruenz auf umgekehrte Weise: Hierbei sollten zu einem in schriftlicher Form vorgegebenen Substantiv jeweils der damit kongruierende Determinierer und das Adjektiv ausgewählt werden. Die Ergebnisse dieses Experiments bestätigten das erste: Auch hier schnitten die L2-Lerner normativ 90 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern deutlich besser ab und zeigten zudem systematischere Abweichungen. In einem daran anschließenden dritten Experiment wurde derselbe Bereich noch einmal in mündlicher Form getestet. Die Probanden wurden gebeten, die ihnen präsentierten Bilder mithilfe von Determinierern, Adjektiven und Substantiven zu beschreiben. Hierbei erzielten die HL-Sprecher erstmals deutlich mehr zielsprachliche Ergebnisse als die L2-Lerner. Montrul und Kolleginnen diskutieren die Gruppenunterschiede in Abhängigkeit von dem Aufgabentyp unter dem Gesichtspunkt von Produktion und Verstehen. So seien verglichen mit den L2-Lernern die deutlichen Normabweichungen der HL-Sprecher damit zu erklären, dass letztere in ihrem Erwerbsverlauf weniger Kontakt zu verschriftetem Spanisch hatten als die Fremdsprachenlerner, für die Schrift das primäre Unterrichtsmedium im Klassenzimmer darstellt. Somit war die Konfrontation mit geschriebenem Spanisch nur bedingt geeignet, um die Sprachkompetenz von HL-Sprechern korrekt zu erfassen. Jedoch wäre auch ein anderer Einfluss des Aufgabentyps denkbar: Während in den ersten beiden Aufgaben anhand von formalsprachlichen Kriterien ein kongruierendes Element ausgewählt werden sollte, beinhaltete die dritte Aufgabe das Zuweisen des zielsprachlich erforderten Genus, das zumindest bei den nicht-kanonischen Formen aufgrund von formalen Merkmalen nicht an der Endung des Substantivs zu erkennen ist. Wegen der unterschiedlichen Erwerbsbedingungen beider Gruppen wäre folglich der Vorteil für L2-Lerner bei Aufgabenformaten mit expliziter Ausrichtung an institutionell vermittelten Normen und Orientierungspunkten erklärbar, wohingegen HL-Sprecher bei nicht-formal gesteuerter Genuszuweisung ohne morphologische Hinweise im Vorteil wären. Effekte des Aufgabenformats zeigten sich auch bei Laleko (2008). Sie testete experimentell die Aspektmarkierungen im Russischen von HL-Sprechern gegen monolinguale Russischsprecher. In ihrem ersten Experiment wurden die Probanden gebeten, englische Verbalphrasen, die aus einem atelischen Verb und einem definiten oder indefiniten Objekt bestanden, ins Russische zu übersetzen. Durch die Kombination dieser Eigenschaften ergab sich jeweils eine telische oder atelische Lesart für die Gesamtkonstruktion, die bei der Übersetzung ins Russische entsprechend mittels Perfektivs bzw. Imperfektivs markiert werden müsste. Die Ergebnisse belegen einen deutlichen Unterschied zwischen den HL-Sprechern und den Monolingualen. Während die HL-Sprecher im ersten Experiment die telische Lesart mit einem Verb im Perfektiv markierten und die atelische mit einem im Imperfektiv, favorisierten die monolingualen Sprecher hingegen für beide Lesarten den Imperfektiv. Laleko führt diese Diskrepanz auf die schriftsprachliche Konvention des Standardrussischen zurück, im Allgemeinen den Imperfektiv als Zitierform von Verben zu verwenden. Daher wurde er von den 3.5 Studien zur Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 91 Monolingualen bei der Übersetzung von Verbalphrasen ohne weiteren Kontext bevorzugt. Die Russisch-HL-Sprecher waren indes nicht in der Lage, diese institutionell vermittelte Konvention erfolgreich umzusetzen. Ähnliche Ergebnisse liefern die Studien von Rothman (2007) sowie Pires und Rothman (2009). Beide befassen sich mit den nach Person und Numerus flektierten Infinitiven, die im Portugiesischen bei einer nominalen Erweiterung des Infinitivs verwendet werden. In Rothman (2007) durchliefen HL-Sprecher des brasilianischen Portugiesischen Grammatikalitätsurteilstests, in denen die Sätze sich jeweils in Bezug auf die Flektiertheit des Infinitivs unterschieden. Es stellte sich heraus, dass die HL-Sprecher den flektierten Infinitiv auch in Kontexten akzeptierten, in denen er in der Standardvarietät nicht vorkommt. Zudem bewerteten sie die Testitems nach dem Zufallsprinzip, d. h., sie konnten dem flektierten Infinitiv keine weitere Information bezüglich seiner Funktion im Satz entnehmen. Rothman interpretiert dieses Ergebnis als eine Umstrukturierung des HL-Portugiesischen, da die HL-Sprecher in seinem Sample die flektierten Infinitivformen als Äquivalente zu entsprechenden finiten Formen werteten. Er schlussfolgert daraus, dass flektierte Infinitive im brasilianischen HL-Portugiesischen gar nicht erst erworben werden. Ein Grund hierfür könnte ihre markierte Stellung selbst in der Standardvarietät sein, sodass diese Form bereits im Input der Sprecher durch die erste Generation nicht vorhanden ist (s. die Diskussion zu divergentem Erwerb in Abschnitt 3.3.3). Einen weiteren Hinweis darauf, dass flektierte Infinitive ein Merkmal des formellen Registers darstellen und erst durch den Zugang zu Bildung erworben werden können, liefert ein genauerer Blick in die Stichprobe der Studie: So schnitten diejenigen zwei Probanden in dem Experiment genauso wie die monolinguale Kontrollgruppe ab, die bereits zwei bzw. fünf Jahre lang in Brasilien beschult wurden. Dieses Ergebnis unterstreicht erneut die entscheidende Bedeutung des Kriteriums „Schuleintritt“ für die Abgrenzung von HL-Sprechern als Untersuchungsgruppe. In einer weiterführenden Studie untersuchten Pires und Rothman (2009) den flektierten Infinitiv im europäischen Portugiesischen bei HL-Sprechern im Vergleich zu Monolingualen. Bei keinem der durchgeführten Tests konnten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen nachgezeichnet werden. Hier ist der Unterschied zu der Studie von Rothman (2007) auffällig, in der die HL-Sprecher weder produktiv den flektierten Infinitiv nutzten noch ihm rezeptiv eine morphosyntaktische Funktion zuordnen konnten. Dieser Gegensatz in den Ergebnissen der beiden Studien kann nicht durch divergenten Erwerb im HL-Kontext erklärt werden, da hiervon nicht nur die brasilianische, sondern auch die europäische HL-Varietät hätte betroffen sein müssen. Stattdessen argumentieren Pires und Rothman für eine diachron andere Entwicklung in diesen beiden Varietäten in den Herkunftsländern: Während das europäische Portugiesisch 92 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern den flektierten Infinitiv produktiv nach wie vor nutzt, ist diese Markierung im brasilianischen Portugiesisch inzwischen ausschließlich im formellen Register gebräuchlich und wird von den HL-Sprechern ohne weitere formale Bildung allein durch elterlichen Input nicht erworben. Zusätzlich zum Aspekt des institutionell vermittelten formellen Registers ist im Zusammenhang mit Untersuchungen zu HL-Kompetenz ein weiterer Gesichtspunkt des Studiendesigns relevant. So unterteilen manche Studien ihre Probanden zunächst nach Kompetenzstufen und testen sie anschließend in ihren HL-Kenntnissen bzw. berichten in ihren Ergebnissen Restrukturierungen oder Simplifizierungen der Morphologie ausschließlich für die Probandengruppe mit der geringsten HL-Kompetenz (vgl. Montrul 2009; 2010c; Montrul & Potowski 2007; Polinsky 2008a). Dieses Vorgehen stellt jedoch eine gewisse Tautologie dar, denn die Diagnostik der HL-Kompetenz im ersten Schritt erfolgt auf der Basis von produzierten Normabweichungen der Sprecher, die im zweiten Schritt wiederum erneut festgestellt und mit der geringen HL-Kompetenz begründet werden. Wie die in diesem Unterkapitel zitierten Studien zeigen, können morphologische Veränderungen von HLs stattdessen auch auf andere erwerbsbedingte Faktoren zurückgeführt werden. 3.5.3 Syntax Die Fülle an Studien zu morphologischen Eigenschaften der HLs lässt einige Folgeannahmen für den Bereich der Syntax zu. Der oben dargelegte Abbau morphologischer Kategorien wie Kasus und das Fehlen morphologischer Kongruenzmarker haben bei morphologiereichen Sprachen Auswirkungen auf die Struktur von Sätzen sowie auf die Interpretation von Pronomen und anderen anaphorischen Ausdrücken in HLs. Die Funktionen der morphologischen Mittel in den Standardvarietäten müssen infolge dieser Restrukturierungen in den HLs von anderen Elementen übernommen werden (vgl. Polinsky & Kagan 2007: 382). So nutzen HL-Sprecher z. B. eher eine unmarkierte, rigide Wortstellung mit entsprechender kanonischer Interpretation semantischer Rollen. Auch werden beispielsweise durch das Fehlen morphologischer Kasusmarkierungen anaphorische Bezüge schwieriger zu deuten und herzustellen. Dies gilt gleichermaßen für eingebettete Strukturen im Allgemeinen sowie für nicht overte Markierungen oder Null-Elemente, für deren Interpretation morphologische Information vonnöten ist. Auswirkungen fehlender Kasus- und Kongruenzmarkierungen sind insbesondere in der Syntax des HL-Russischen zu beobachten (vgl. Polinsky 2006). So ist beispielsweise im Standardrussischen die Wortstellung stark von der Informationsstruktur abhängig: Wird das direkte Objekt nominal ausgedrückt, 3.5 Studien zur Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 93 wird SVO bevorzugt, bei pronominalem Objekt dominiert hingegen SOV (vgl. Polinsky 2006: 237). Die HL-Sprecher in Polinsky (2006) tendieren aufgrund von Sprachkontakt mit dem Englischen hingegen in beiden Kontexten zur SVO-Wortstellung. Wird im HL-Russischen die Kongruenz zwischen Subjekt und Prädikat nicht morphologisch am Verb markiert, tritt zwischen das Subjekt und das unflektierte Verb ein Personalpronomen, das in Numerus mit dem Subjekt des Satzes kongruiert. Diese Konstruktion ist im Standardrussischen nicht gebräuchlich. Das aus normativer Sicht redundante Personalpronomen findet sich zudem in Positionen, in denen das Standardrussische ein Null-Element verlangt wie etwa bei koordinierten Sätzen mit elliptischer Auslassung des Subjekts im zweiten Satzteil. Bereits hier wird sichtbar, dass Umstrukturierungen des morphologischen Systems auch Veränderungen syntaktischer Konstruktionen nach sich ziehen müssen. Das Türkische verfügt ebenfalls über eine recht freie Wortstellung mit einer Tendenz zu SOV. Sie wird aber ähnlich wie im Russischen stark von der Informationsstruktur des Satzes bestimmt, sodass eine andere Wortstellung stets eine bestimmte pragmatische Bedeutung mit sich bringt. Doğruöz und Backus (2007) untersuchten diesen Bereich im HL-Türkischen in Kontakt mit Niederländisch, das über eine rigide SVO-Wortstellung verfügt. Da die SVO-Stellung einerseits eine im Türkischen markierte Wortstellung ist, andererseits die Norm im Niederländischen abbildet, vermuten die Autoren bedingt durch Spracheneinfluss eine Zunahme der SVO-Wortstellung im Türkischen ihrer Probanden sowie eine Neutralisierung bezüglich ihrer pragmatischen Konnotationen. Obwohl quantitativ keine Unterschiede in der Verwendung der markierten Wortstellung zwischen den HL-Sprechern und Monolingualen belegt wurden, konnten die Autoren auf qualitativer Ebene eine nicht standardsprachliche Verwendung von SVO bei den HL-Sprechern ausmachen. Dies deuten Doğruöz und Backus als eine erste Annäherung der türkischen Wortstellung an die niederländische, die allerdings aufgrund der Stabilität und pragmatischen Neutralität der türkischen SOV-Wortstellung noch nicht weit fortgeschritten sei. Şimşek und Schroeder (2011) beschreiben für ihre in Deutschland entstandenen Texte türkischsprachiger Schüler ebenfalls eine freiere Wortstellung als für das geschriebene Standardtürkische (vgl. ebd.: 219), jedoch führen sie diese Veränderungen nicht auf den Einfluss des Deutschen zurück. Vielmehr begründen sie die alternative Wortstellung mit einer starken Orientierung der Sprecher am informellen Register, das diese Optionen zulässt. Die Kasusmarkierungen bzw. ihr Fehlen spielen in gleichem Maße bei der Interpretation und Bildung von Relativsätzen eine wichtige Rolle, denn die grammatische Funktion, über die relativisiert wird, wird in Sprachen mit einem entsprechenden Kasussystem an den Argumenten und am Relativpronomen 94 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern markiert. Polinsky untersuchte die Veränderungen innerhalb dieser syntaktischen Kategorie im HL-Russischen unter dem Einfluss des Englischen (vgl. Polinsky 2008c; 2011). Nach ihrer Hypothese kann es zu Spracheneinfluss kommen, wenn der russische Relativsatz eine zum Englischen nicht kongruente Wortstellung aufweist und die Kasusmarkierungen der Argumente von den HL-Sprechern nicht im Hinblick auf ihre grammatische Funktion interpretiert werden können. Die Gegenhypothese spricht für ein ausgereiftes Verständnis von Relativsätzen ebenso bei HL-Sprechern, da sie recht früh erworben werden (ca. um das dritte Lebensjahr, vgl. Polinsky 2008c: 336). Polinsky konnte keine eindeutigen Einflüsse des Englischen bei ihren Probanden ausmachen. Stattdessen sieht sie die Behauptung bestätigt, dass die Kernsyntax der Relativsätze bei HL-Sprechern stabil ist, da über die Subjektposition relativisierte Sätze bereits im kindlichen Erwerb eher produziert werden, häufiger auftreten und weniger Verständnisschwierigkeiten bereiten. Dieses Ergebnis wird von weiteren Studien untermauert, die ebenfalls einen Beleg für das Aufrechterhalten basaler, früh erworbener syntaktischer Funktionen in HL-Grammatiken bestätigen (vgl. O’Grady et al. 2001 zur Interpretation von Relativsätzen im HL-Koreanischen sowie Montrul 2010b zur Verwendung von Klitika im HL-Spanischen). Kim und Kollegen (2009) untersuchten die Interpretation von Reflexivpronomen bei HL-Sprechern des Koreanischen in den USA. Hier stand zusätzlich zur Frage nach der Beherrschung anaphorischer Bezüge durch die HL-Sprecher der Einfluss des Englischen auf eventuelle Strukturveränderungen im Zentrum der Untersuchung. Das Koreanische hat im Verhältnis zum Englischen ein äußerst reiches System an Reflexivpronomen, die sich im Hinblick auf den präferierten Bezugsausdruck, d. h. Subjekt oder Objekt des Satzes, und bezüglich der Reichweite ihrer Referenz innerhalb oder außerhalb des Satzes unterscheiden. Die HL-Sprecher der Studie zeichneten sich insbesondere hinsichtlich der Interpretation des Reflexivpronomens casin aus. Im Standardkoreanischen wird dafür sowohl eine satzinterne als auch eine satzexterne Bezugsgröße akzeptiert, während im HL-Koreanischen ausschließlich die lokale Lesart auftrat. Die Autoren liefern zwei Erklärungsansätze für diese Beobachtung. Erstens lassen sich die Studienergebnisse als ein Beleg für den Einfluss des Englischen interpretieren, dessen Reflexivpronomen ein Bezugsnomen ausschließlich innerhalb des Satzes akzeptieren. Die zweite Erklärung ist diachroner Natur: Die Autoren beschreiben, dass die lokale Interpretation des Pronomens casin die historisch ältere sei. Seine Interpretation als satzübergreifend sei hingegen eine Innovation im modernen Koreanisch. Entsprechend könne der Input durch die erste Generation, der diese Neuerung nicht enthält, für die unterschiedliche Interpretation dieses Pronomens durch die HL-Sprecher verantwortlich sein. 3.5 Studien zur Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 95 Die Ergebnisse dieser Studie stehen im Einklang mit den Schlussfolgerungen von Pires und Rothman (2009) zum HL-Portugiesischen, dessen divergente Verwendung des flektierten Infinitivs nicht auf einen unvollständigen Erwerb, sondern auf einen anders gearteten Input zurückzuführen ist (s. Abschnitt 3.3.3). Eine Auswirkung morphologischer Veränderungen auf die Syntax lässt sich ebenfalls im HL-Türkischen beobachten. Das Türkische erlaubt als eine sogenannte pro-drop-Sprache den Einsatz von Null-Elementen zur Markierung von Referenten, die aus dem Satzkontext eindeutig wiederhergestellt werden können. Die Null-Elemente können nicht nur in der Subjektposition, sondern auch in anderen syntaktischen Positionen auftreten. Da das Deutsche eine overte Besetzung dieser Positionen verlangt, kann es im HL-Türkischen bei Sprachkontakt zum Deutschen zu Äußerungen kommen, die zwar standardsprachlich nicht ungrammatisch sind, jedoch überproportional häufig eine explizite Markierung aufweisen und folglich überbestimmt sind. In ihrer oben bereits beschriebenen Longitudinalstudie zu Kindern mit der HL Türkisch in Berlin widmete sich Pfaff (1991) der Überprüfung dieser Hypothese. Sie konnte zwar eine häufigere Verwendung des expliziten Pronomens statt eines Null-Elements ausmachen, allerdings ausschließlich bei demjenigen Kind, dessen Sprachkenntnisse des Türkischen schwach ausgeprägt waren. Da die anderen Kinder in ihrem Sample diese Entwicklung nicht aufzeigten, vermutet Pfaff, dass es sich bei der erhöhten Frequenz der explizit pronominalen Referenz nicht ausschließlich um Spracheneinfluss des Deutschen handelt, sondern um eine Kommunikationsstrategie des Kindes. Es greift auf die explizite Markierung der Referenz dann zurück, wenn die ihm zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel nicht ausreichen, um eine eindeutige Referenz mittels morphologischer Mittel herzustellen (vgl. Pfaff 1991: 124). Auch Küppers und Kollegen (2015: 35) beschreiben, dass im Deutschland-Türkischen die Tendenz vorherrscht, den Wegfall von obligatorischen Elementen wie Kasusmarkierungen im Diskurs durch Prosodie zu kompensieren und auf diese Weise einen eindeutigen Kontext zu schaffen. Sie führen an, dass im Deutschland-Türkischen Äußerungen in kleinere Elemente zergliedert werden, die durch eine steigende Intonation und eine kurze Pause markiert werden. Dies verringert die Notwendigkeit, morphosyntaktische Kohärenz durch overte Kasusmarker herzustellen, sodass die Verständlichkeit des Geäußerten nicht gefährdet ist. Wird die Wahl zwischen zwei syntaktischen Alternativen zusätzlich durch die Pragmatik gesteuert, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Spracheneinfluss (vgl. Müller & Hulk 2001; Serratrice et al. 2004). Der Grund hierfür liege in der Beschaffenheit solch einer Schnittstelle: Hier interagieren bereits innersprachlich mehrere Systeme, die unterschiedliche Repräsentationsebenen verlangen (vgl. Montrul 2016: 76). Wenn zur eindeutigen Referenzkennzeichnung 96 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern obligatorische morpho-syntaktische Elemente wie Kasusmarkierungen oder Subjekt- und Objektpronomen nicht vorhanden sind, muss sich der Sprecher zur Interpretation auf diskursbasierte Hinweise verlassen können. Solch eine Strategie, bei der regelwidrige Auslassungen mithilfe der Pragmatik gedeutet werden, wird vor allem für den frühen Spracherwerb beschrieben (vgl. Serratrice et al. 2004: 184). Bei mehrsprachigem Erwerb muss das Kind darüber hinaus sprachspezifische morphologische Marker zweier Sprachen auf sprachuniverselle pragmatische Prinzipien abbilden. Solch eine Schnittstelle zwischen Syntax und Pragmatik bilden beispielsweise die Artikel im Italienischen bezüglich einer spezifischen bzw. generischen Lesart, die sich in ihrer Markierungsdistribution dem Deutschen genau gegensätzlich verhalten. Diesem Kontrast in den beiden Sprachen widmete sich Kupisch (2007; 2012) in mehreren Untersuchungen zum Italienischen unter den Aspekten Spracheneinfluss versus Sprachdominanz. Kupisch (2012) testete hierzu HL-Sprecher des Italienischen in Deutschland zu Kontexten mit generischer und spezifischer Artikellesart. Als Vergleichsgruppen dienten HL-Sprecher des Deutschen in Italien und L2-Lerner des Italienischen. Sowohl die Italienisch-HL-Gruppe als auch die Italienisch-L2-Gruppe hatten bedeutende Schwierigkeiten, bei Sätzen mit inkongruentem Stimulus eine Korrektur anzubieten, insbesondere dann, wenn deren deutsches Äquivalent eine davon divergente Struktur aufwies. Da beide Probandengruppen im Deutschen dominant waren, geht Kupisch hier von Spracheneinfluss des Deutschen aus. Dieser zeigte sich jedoch nicht bei den in Italien lebenden Bilingualen, die wie monolinguale Italienischsprachige performten, da Italienisch ihre stärkere Sprache war. Spracheneinfluss vollzieht sich folglich vornehmlich von der dominanten auf die schwächere Sprache eines Mehrsprachigen und wird nicht allein durch gegensätzliche Strukturen provoziert, wie diese Studie nachweisen konnte (vgl. auch Argyri & Sorace 2007). 3.5.4 Wortschatz Die Erwerbssituation von HL-Sprechern hat ebenfalls Auswirkungen auf den Umfang und die Beschaffenheit ihres passiven und aktiven Wortschatzes. Der aktive Wortschatz von HL-Sprechern zeichnet sich durch Verzögerungen bei spontanem Zugriff auf bestimmte Lexeme aus, was unter anderem durch eine eingeschränkte Inputmenge und die damit verbundene höher gesetzte Aktivierungsschwelle erklärt werden kann (s. Abschnitte 3.3.1 und 3.3.2). Soll der Abruf eines Lexems ad-hoc geschehen, so müssen gleichzeitig zu seiner phonologischen Form morphologische Prozesse der Flexion und Derivation aktiviert werden. Der Zugriff auf diese Bereiche kann für den HL-Sprecher mit Schwierigkeiten verbunden sein. So werden bei HL-Sprechern vermehrte Reparaturse- 3.5 Studien zur Varianz in der Sprachkompetenz von Heritage-Language-Sprechern 97 quenzen und insgesamt eine verzögerte Verbalisierung beschrieben (vgl. Şimşek & Schroeder 2011: 216). Aufgrund der verlangsamten Zugriffsgeschwindigkeit sowie der Einflüsse von morphologischen und syntaktischen Kompetenzen auf den Wortschatz betrachten Benmamoun und Kolleginnen (2013: 135) gar die Sprechgeschwindigkeit, also die Anzahl gesprochener Wörter pro Minute, als einen Indikator für die allgemeine Sprachkompetenz in der HL. Ferner ist der Wortschatz von HL-Sprechern domänenspezifisch, d. h., er beschränkt sich häufig auf Vokabular, das dem intimen Register inhärent ist wie hochfrequente Lexeme aus alltäglichen Situationen und Gegenstände des täglichen Gebrauchs etc. Zur Versprachlichung abstrakter Konzepte fehlt häufig das entsprechende Lexeminventar, insbesondere wenn keine Beschulung in der HL stattfand. Ein Blick auf die erste Generation zeigt, dass bereits diese Sprechergruppe für Veränderungen des Lexikons stark anfällig ist, da es sich dabei um ein offenes System handelt (vgl. Schmid 2011: 45 f.). Der durch Sprachkontakt geprägte Wortschatz der ersten Generation bildet zugleich den Input im Spracherwerb der zweiten und bestimmt zusätzlich zum Umfang des HL-Wortschatzes auch seine Struktureigenschaften. Zum Wortschatz von HL-Sprechern gibt es im Vergleich zu anderen sprachlichen Bereichen bisher die wenigsten Arbeiten, sodass nur vereinzelte Schlaglichter auf bestimmte Zusammenhänge geworfen werden können. Eine der ersten Studien führten beispielsweise Umbel und Kollegen (1992) zu Spanisch-HL-Sprechern in den USA durch. Im Zentrum der Studie stand die Frage nach den Wechselbeziehungen von spanischem Wortschatz und dem Umfang des Sprachgebrauchs in beiden Sprachen. Das Alleinstellungsmerkmal dieser Studie bildet die Einschränkung der Studienteilnehmer auf Sprecher mit einem hohen sozio-ökonomischen Status. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass die für monolinguale Kinder festgelegten Normen sich nicht auf die durchschnittliche spanischsprachige Bevölkerung in den USA bezüglich des sozio-ökonomischen Status abbilden lassen. Erstklässler, die zu Hause entweder beide Sprachen oder ausschließlich die HL Spanisch verwendeten, wurden mittels des Peabody Picture Vocabulary Tests (vgl. Dunn & Dunn 1981) und seiner spanischsprachigen Entsprechung getestet. Die Wortschatzkenntnisse im Spanischen waren bei beiden HL-Gruppen gleich gut ausgeprägt und entsprachen dem Umfang monolingualer Kinder. Im Englischen profitierte allerdings deutlich diejenige Gruppe, die zu Hause mit den Eltern zusätzlich auf Englisch kommunizierte. Die Autoren umschreiben die Ergebnisse ihrer Arbeit so, dass der Gebrauch beider Sprachen in der familiären Umgebung sich nicht nachteilig auf den Umfang des Wortschatzes in der HL auswirke, jedoch deutliche Vorteile für die Entwicklung des englischen Wortschatzes mit sich bringe. Gleichzeitig vermuten sie jedoch, dass die Ergeb- 98 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern nisse der Studie in Bezug auf das äußerst positive Ergebnis für die HL-Kenntnisse ihrer Probanden sowohl durch den für diese Sprechergruppe untypischen hohen sozio-ökonomischen Status als auch durch die geographische Lage des Forschungsprojekts beeinflusst sein könnte. In Miami, dem Standort der Untersuchung, ist über die Hälfte der Bevölkerung spanischsprachig, sodass das Spanische im Vergleich zu anderen Regionen der USA ein überaus hohes Prestige genießt und zugleich häufig außerhalb des Elternhauses Verwendung findet. Die Entwicklung des Wortschatzes in der HL und in der Mehrheitssprache untersuchte Leseman (2000) bei Sprechern mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status. Er begleitete über ein Jahr lang türkischsprachige Kindergartenkinder in den Niederlanden und testete die Entwicklung ihres passiven wie aktiven Wortschatzes in beiden Sprachen zu verschiedenen Messzeitpunkten. Während bei der ersten Messung zum Zeitpunkt des Kindergarteneintritts die bilingualen Kinder sowohl im Niederländischen als auch im Türkischen eine weitaus niedrigere Anzahl an Wörtern kannten als beide monolingualen Kontrollgruppen 32 , steigerte sich der Wortschatzumfang im Niederländischen im Verlauf des Messjahres enorm, sodass ein positiver Effekt der institutionellen Einbindung zu erkennen war. Gleichzeitig gab es keinen Hinweis darauf, dass der Kindergartenbesuch und mit ihm der gehäufte Kontakt zum Niederländischen der Entwicklung des Türkischen schade, da sich das Vokabular in der HL der Kinder ebenfalls weiterentwickelte, jedoch mit einer geringeren Geschwindigkeit als bei den monolingualen Kindern. Die Ergebnisse dieser Studie widersprechen zunächst der gängigen Ansicht, dass der Eintritt in eine Bildungsinstitution die Entwicklung der HL hemme. Es muss jedoch an dieser Stelle bedacht werden, dass der Besuch eines Kindergartens keine mit dem Schulbesuch vergleichbare Situation ist, da es nur im letzteren Fall zur Bewertung der Sprachkenntnisse in der Mehrheitssprache kommt und nur dort aufgrund des HL-Gebrauchs Sanktionen zu erwarten sind. Hulsen (2000) untersuchte passiven und aktiven Wortschatz bei drei Generationen von Niederländischsprechern in Neuseeland. Den Erwartungen entsprechend zeigte die dritte Generation die größten Abweichungen von niederländischem Standard. Sie konnte ebenfalls feststellen, dass der passive Wortschatz in allen drei Gruppen stärker ausgeprägt war als der aktive sowie dass hoch frequente Wörter sowohl passiv als auch aktiv besser beherrscht wurden. Das Gleiche gilt für Kognaten, deren Stamm auf phonologischer Ebene im Englischen und im Niederländischen ähnlich ist. Hulsens Ergebnisse unterstreichen erneut die Bedeutung von Frequenzeffekten im Input der HL-Sprecher für den Erhalt 32 Die zwei monolingualen Kontrollgruppen wurden in hohen und niedrigen SES unterschieden. 3.6 Zusammenfassung 99 und die Entwicklung des Wortschatzes und belegen, dass die häufigere Benutzung von bestimmten Lexemen - auch in Form ihrer englischen Kognaten - ihre Aktivierungsschwelle senkt, sodass sie länger im Lexikon zugreifbar bleiben. Die Analysen in den oben zitierten Studien konzentrieren sich entweder auf Substantive oder betrachten Frequenzeffekte über Wortarten hinweg. Da jedoch für Substantive bei monolingualen Kindern schnellere Reaktionszeiten und mehr Korrektheitswerte berichtet werden als für Verben, stellt sich die Frage nach dieser Substantiv-Verb-Differenz auch für HL-Sprecher. Klassert und Kolleginnen (2014) untersuchten diesen Aspekt im produktiven Wortschatz bei Vorschulkindern mit der HL Russisch im Kontakt zum Deutschen. Während die monolingualen Kinder der Kontrollgruppen den in der Forschung beschriebenen Bias zum Substantiv aufwiesen, konnte dieser für die bilingualen Kinder hingegen nicht bestätigt werden. Warum Substantive von Bilingualen nicht besser und schneller erworben werden als Verben, erklären die Autorinnen mit der größeren Bedeutung von Verben für die Argumentenstruktur eines Satzes. Diese zentrale Funktion der Verben bei dem syntaktischen Aufbau und der Zuweisung semantischer Rollen zwinge mehrsprachige Kinder dazu, beim Erwerb ihrer beiden Sprachen besonders den Verben eine starke Beachtung zu schenken. Während Klassert und Kolleginnen (2014) keine Substantivpräferenz bei Kindern mit der HL Russisch nachweisen konnten, berichtet Polinsky (2005) gar einen Verb-Bias bei erwachsenen Russisch-HL-Sprechern mit Englisch als Kontaktsprache. Den Verb-Bias erklärt Polinsky unter anderem mit der eindeutigen Markierung russischer Verben in ihrer Zitierform, die eine Identifizierung von Infinitiven anhand von formalen Kriterien für die Sprecher einfach macht. Als zusätzliches Argument führt sie die niedrigere Frequenz von Verben im Vergleich zu Substantiven im Russischen an (ca. 20 % vs. 50 %). Dies bedeutet, dass seltene Substantive im Input der Sprecher wesentlich häufiger vorkommen als seltene Verben, sodass letztere im Erwerb salienter erscheinen. Schließlich führt Polinsky analog zu Klassert und Kolleginnen (2014) die kommunikative Wichtigkeit von Verben an, da sie den Kopf eines Prädikats bilden und so die gesamte syntaktische Struktur des Satzes aufspannen. Es sei für HL-Sprecher folglich von größerer Tragweite, ein Verb nicht zu kennen als ein Substantiv. 3.6 Zusammenfassung Der Begriff „Heritage Language“ bezeichnet in dieser Arbeit entgegen seinem Entstehungshintergrund ausschließlich allochthone Minderheitensprachen. HLs sind somit Sprachen, die innerfamiliär von einer Generation an die nächste „vererbt“ werden, ohne im Einwanderungsland gesellschaftlich anerkannt oder 100 3 Forschungsstand zu Heritage-Language-Sprechern institutionell gefördert zu werden. Die primäre Domäne einer HL ist stets die Familie. Andere ebenfalls im Forschungsfeld verwendete Bezeichnungen für allochthone Minderheitensprachen wie „Community Language“ oder „Home Language“ stehen in keinem zwingenden Widerspruch zum Terminus „Heritage Language“, legen ihr Augenmerk jedoch auf jeweils andere Aspekte. Der HL-Erwerb ist an bestimmte Bedingungen geknüpft, die sich auf den Status der HL innerhalb des gesellschaftlichen Sprachgefüges zurückführen lassen. Diese Erwerbsbedingungen sind allen HL-Sprechern gemeinsam, die Ausprägung der Sprachkompetenz in ihrer HL hingegen nicht. Sie kann sich von voll ausgebauten schriftsprachlichen bis zu rein rezeptiven Kenntnissen erstrecken. Gründe für diese Varianz in der Sprachkompetenz trotz ähnlicher Ausgangslagen der Sprecher in den Erwerbsbedingungen können auf zwei Ebenen verortet werden. Zum einen spielen außersprachliche Faktoren eine enorme Rolle, zum anderen sind Attrition und unvollständiger oder divergenter Erwerb als spezifische Spracherwerbsprozesse dafür verantwortlich. Sie können unter dem Druck einer Mehrheitssprache verstärkt und auch zeitgleich auftreten und stellen natürliche sprachliche Entwicklungsverläufe von HL-Sprechern dar. Studien, die die Sprachkompetenz von HL-Sprechern unter Einfluss dieser Prozesse untersuchen, beschreiben sie stattdessen oftmals als eine Normabweichung in Referenz zu monolingualen Sprechern im Herkunftsland. In Anbetracht der unterschiedlichen Erwerbsbedingungen bilden jedoch andere, ähnlich sozialisierte Bilinguale oder die erste Migrantengeneration eine geeignetere Vergleichsfolie. Studien zur Sprachkompetenz von HL-Sprechern lassen sich für alle linguistischen Beschreibungsebenen ausmachen. Die Befundlage ist häufig nicht widerspruchsfrei, was eine Synthese der Ergebnisse schwierig macht. Die Widersprüche entstehen meist durch eine breite Methodenvielfalt sowie durch eine nicht einheitliche Probandenauswahl und -eingrenzung, die sich insbesondere in den Ergebnissen qualitativer Studien niederschlägt. Zudem beschränkt sich die Aussagekraft der berichteten Befunde für die Entwicklung der HL-Kompetenz in den jeweiligen linguistischen Bereichen auf die untersuchten Sprachpaare und ist nicht für alle HLs universell gültig. Kennzeichnend für die vorhandenen Untersuchungen ist, dass sie größtenteils Sprachen mit einem schriftsprachlichen Ausbau sowie typologisch miteinander verwandte und somit sehr ähnlich gebaute Sprachen betrachten. Nach wie vor existieren beispielsweise nur wenige Arbeiten, die sich mit dem Erhalt von peripheren, kleineren Sprachen in der Migration befassen. Jedoch deuten die Ergebnisse der vorhandenen Studien darauf hin, dass HL-Sprecher sich auf einem Kontinuum zwischen den beiden Polen des monolingualen Sprechers und des Fremdsprachenlerners verorten lassen. Dabei können Vereinfachungen und Restrukturierungen des sprachlichen Systems 3.6 Zusammenfassung 101 bedingt durch Frequenz- und Salienzeffekte, durch das Ausmaß des Kontaktes zur Mehrheitssprache oder durch einen fehlenden Zugang zur Schriftsprache festgestellt werden. Diese Auslöser sowie weitere relevante außersprachliche Faktoren, die ebenfalls zur Aufklärung der hohen Varianz in der Sprachkompetenz von HL-Sprechern beitragen können, werden im nächsten Kapitel ausführlich diskutiert. 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt 4.1 Die Auswirkungen von externen Faktoren auf Spracherhalt in der HL- und Sprachtodforschung Die große Streuung in der Sprachkompetenz des HL-Sprechers, sichtbar auf allen in Abschnitt 3.5 dargestellten linguistischen Beschreibungsebenen, resultiert nicht ausschließlich aus den für diesen Mehrsprachigkeitstypus charakteristischen Spracherwerbs- und -verlustprozessen. Vielmehr weist der Befund, dass diese Prozesse trotz ähnlich gelagerter Erwerbsbedingungen bei manchen Sprechern in stärkerem Maße einsetzen als bei anderen, auf weitere zu berücksichtigende Ursachen hin. Mögliche Erklärungsvariablen für unterschiedliche Ergebnisse im Spracherwerbsprozess stellen sogenannte (sprach-) externe Faktoren dar, die nicht nur in der HL-Forschung herangezogen werden. Unter diese Bezeichnung fallen je nach Zusammenhang Gruppen- oder Sprechermerkmale, die nicht auf die Sprachstruktur zurückgeführt werden können. Nach Montrul (2016) lässt sich folgendes Bedingungsgefüge der außersprachlichen Einflussfaktoren auf einen erfolgreichen HL-Erwerb ausmachen: Abb. 4: Externe Einflussfaktoren auf HL-Kompetenz und -Gebrauch nach Montrul 2016: 9; Übersetzung H. O. 4.1 Die Auswirkungen von externen Faktoren auf Spracherhalt 104 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt Hierbei üben nach Montrul (2016: 9) sozio-politische Faktoren auf der gesamtgesellschaftlichen Makroebene den größten Einfluss auf die HL-Kompetenz und ihren Gebrauch aus. Als sozio-politisch versteht sie die Machtkonstellation zwischen Mehrheits- und Minderheitensprache, die sich in unterschiedlichem Sprachprestige der beteiligten Sprachen äußert (s. dazu auch Abschnitt 2.1). Die Auswirkungen dieser sozio-politischen Faktoren durchdringen alle anderen Ebenen bis hin zur HL-Kompetenz im eigentlichen Sinne und spiegeln sich somit in spezifischen sprachlichen Merkmalen auf der Mikroebene des Individuums wider. Das Sprachprestige, also der Wert, der einer bestimmten Sprache beigemessen wird, erklärt dabei die Entstehung sowie die Reproduktion von Einstellungen und Überzeugungen der Sprecher selbst, die sich wiederum in der konkreten Sprachpraxis dieser niederschlagen. Folglich wirken Einstellungen und Überzeugungen nach Montrul (ebd.) direkt auf den Gebrauch der HL in unterschiedlichen Domänen, wodurch sie die Quantität und die Qualität des Inputs für die Folgegeneration mitbestimmen und somit die Weitergabe der HL fördern oder verhindern können. In ihrer Konzeption entwirft Montrul eine Hierarchisierung der Wirkfaktoren: Divergenzen in der Sprachkompetenz von HL-Sprechern, die anhand der vergleichenden Analyse von konkreten sprachlichen Markern im Output evident werden, können zunächst auf den Sprachgebrauch der Sprecher zurückgeführt werden. Dieser wird im Rahmen von Montruls Schema als ein unmittelbar wirkender Faktor auf die HL-Kompetenz dargestellt, während sozio-emotionale Faktoren wie Einstellungen und Überzeugungen sich erst indirekt über den Sprachgebrauch auswirken. Schließlich hat die periphere Position der HL im gesellschaftlichen Sprachgefüge einen impliziten, über die sozio-emotionalen Faktoren und den Sprachgebrauch vermittelten Einfluss auf die Sprachkompetenz eines Sprechers in seiner HL. Montruls Darstellung externer Einflussfaktoren auf die HL-Kompetenz ist zwar nicht empirisch abgesichert, jedoch hält sie einer theoriegeleiteten Überprüfung durchaus stand, da andere Modellierungen von Spracherhalt- oder Spracherwerbsprozessen sich ebenfalls dieser externen Faktoren als Erklärungsvariablen bedienen. So werden externe Faktoren auch unter den Bezeichnungen „Lernervariablen“ oder „Umweltfaktoren“ in Theorien zum Zweitspracherwerb, zur Sprachrevitalisierung und auch in der Attritionsforschung herangezogen. 33 33 Im Erstspracherwerb spielen externe Faktoren eine eher untergeordnete Rolle, da er nicht optional, sondern funktional ist. Das bedeutet, dass Erstspracherwerb, wenn keine Störung vorliegt, unabhängig von externen Einflüssen einen dem sozialen Kontext des Sprechers entsprechenden, „unauffälligen“ Verlauf nimmt (vgl. Klein 2000). Jedoch ist ihre Bedeutung auch hier nicht zu unterschätzen, denn insbesondere der Qualität und Quantität des Inputs wird bei den gängigen Spracherwerbsansätzen ein zentraler Stel- 4.1 Die Auswirkungen von externen Faktoren auf Spracherhalt 105 Sie bestimmen darin über das Auftreten von Sprachverlusterscheinungen und deren Ausmaß sowie über den Erfolg von Spracherwerb und den Erhalt von Sprachen (vgl. Ecke 2004; Giles et al. 1977; Grin 1990; 2003; Herdina & Jessner 2002; Hufeisen 2003; Köpke 2007; Lo Bianco & Peyton 2013). Neben genetischen, physiologischen, kognitiven und entwicklungsbedingten Sprechermerkmalen (vgl. Köpke 2007; Sekerina 2013) haben externe Faktoren in diesen Modellierungen oftmals die größte Vorhersagekraft in Bezug auf den Verlauf von Spracherwerbs- oder -verlustprozessen. Insbesondere die Sprachtodforschung kann an dieser Stelle einen wertvollen Beitrag zur Eingrenzung der für den Erwerb und die Weitergabe von HLs relevanten externen Faktoren leisten. Wie Tsunoda (2006) in seinem Werk zu Sprachverlust von autochthonen Minderheitensprachen betont, lassen sich die von ihm beschriebenen Wirkzusammenhänge auch auf bedrohte Sprachen in anderen Kontexten übertragen: „Although the present work in the main deals with the loss of languages - in particular, so-called aboriginal or indigenous languages - the loss of dialects and enclave languages (including migrant languages) exhibits very similar characteristics“ (Tsunoda 2006: 8). Obwohl die Sprachtodforschung den Verlust von autochthonen Sprachen nicht auf gesamtgesellschaftlicher Ebene diskutiert, ist ein Rückgriff auf ihre Modelle und Ursachenanalysen sinnvoll, da die meisten gängigen Klassifikationen von Sprachverlustprozessen autochthoner Minderheitensprachen zum einen die Weitergabe der Sprache an die Folgegeneration als wichtiges Kriterium für den Erhalt der Sprache heranziehen (vgl. bspw. Krauss 1992). Vor allem das von Fishman etablierte Drei-Generationen-Modell des Sprachwechsels (vgl. Fishman 1972; 1980) mit der zweiten Generation als der kritischen „Übergangsgruppe“ findet sowohl in der Sprachtodals auch in der HL-Forschung Anwendung. Zum anderen sind autochthone Sprachen ähnlich wie allochthone den in Abschnitt 2.1 beschriebenen Mechanismen von Sprachprestige unterworfen, sodass sich gleichartige Prozesse des Verlusts und der Aufgabe annehmen lassen. So vergibt auch beispielsweise Sasse (1992) in seinem Gaelic-Arvanitika- Modell zu Bedingungen des Aussterbens autochthoner Sprachen eine ähnliche Gewichtung externer Faktoren wie Montrul (2016) für den Erhalt der HL (s. o.). Er beschreibt anhand von zwei Fallstudien zur in Griechenland gesprochenen Arvanitika-Varietät des Albanischen und zu schottischem Gälisch im Osten von Sutherland zunächst drei Phänomene, die den Sprachtodprozess bedingen. Auf der Makroebene verortet er das externe Setting des Sprachkontakts samt kultulenwert beigemessen (vgl. Chomsky 1988; Tomasello 2003). Klann-Delius (2016: 47) benennt für den Erstspracherwerb zudem die Qualität der Bindung zu den Bezugspersonen als relevante externe Größe, die einen Einfluss auf die Erwerbsgeschwindigkeit und die Qualität des Lexikons hat. 106 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt reller, sozio-politischer und historischer Entwicklungen, die zu einem Ungleichgewicht in der Verteilung von zwei Sprachen führen. Der Mesoebene weist er das Sprachverhalten einer Gemeinschaft zu. Auf der Mikroebene schließlich befinden sich die daraus resultierenden strukturellen Konsequenzen für die Sprache, d. h. die Sprachaufgabe (vgl. Batibo 2005: 88). Diese drei Ebenen formen nach Sasse (1992) einen Rahmen für den Erhalt bzw. die Aufgabe von Minderheitensprachen: Eine historisch bedingte ungleiche Verteilung von Sprachen auf gesellschaftlicher Ebene fungiert als Auslöser für weitere Sprachaufgabeprozesse und erzeugt derart starken Druck auf die Sprecher einer Minderheitensprache, dass sie eine negative Spracheinstellung entwickeln. Diese führt wiederum zu einem eingeschränkten Sprachgebrauch der Minderheitensprache in der Gemeinschaft der Sprecher sowie zu einer Unterbrechung der intergenerationalen Sprachweitergabe der so stigmatisierten Sprache. Diese bewusste Einschränkung der Weitergabeprozesse zur Unterbindung des Spracherwerbs durch nachfolgende Generationen mündet auf der Ebene des Individuums im Sprachverlust (vgl. Sasse 1992: 18; auch Brizić 2007: 89). Laut Sasse befinden sich alle beschriebenen externen Faktoren nach ihrem ersten, zeitversetzten Auftreten in einem kontinuierlichen Wirkkreislauf (vgl. Sasse 1992: 12). Dressler (1981) modelliert Sprachverlust auf ähnliche Weise, fügt jedoch nur eine zyklische Komponente hinzu: Nach seinem Verständnis wird Sprachverlust ebenfalls auf gesellschaftlicher Ebene ausgelöst und beginnt in dem Augenblick, in dem eine Gruppe einer anderen sozial nachgeordnet wird (vgl. ebd.: 324). Die Mitglieder der statusniedrigeren Sprachgruppe verinnerlichen ihre gesellschaftliche Schlechterstellung und bringen sie mit ihrer Sprache in Verbindung. Dies äußert sich in einer negativeren Einstellung zur Minderheitensprache, die zu einem stark eingeschränkten Gebrauch dieser führt. Je weniger eine Sprache verwendet wird, desto stärker ist sie von Restrukturierungen oder Sprachkontakterscheinungen geprägt. Diese sprachstrukturellen Veränderungen haben einen neuerlichen Einfluss auf die Einstellung der Sprecher. Die Tendenz, die Minderheitensprache negativ zu bewerten, wird hierdurch erhöht und der Prozess des Sprachverlusts beschleunigt (vgl. ebd.: 325). Riehl betont in diesem Zusammenhang zusätzlich, „[…] dass die jeweiligen Faktoren in jeder Konstellation eine andere Rolle spielen“ (Riehl 2009: 188). Sie unterstreicht, dass eine Parametersetzung externer Faktoren für eine bestimmte Gruppe nicht als endgültig betrachtet werden darf, sondern nur unter Beachtung des zeitlichen und örtlichen Kontextes erfolgen kann. So profitierte beispielsweise das Deutsche als Minderheitensprache in Mittel- und Osteuropa bis zum Ersten Weltkrieg - insbesondere im Gegensatz zu den es umgebenden Sprachen - von seinem hohen Prestige als ausgebaute Schrift- und Literatursprache, was positive sprecherseitige Dispositionen dem Deutschen gegenüber 4.1 Die Auswirkungen von externen Faktoren auf Spracherhalt 107 zur Folge hatte. Die Sprachverwendung wurde nicht nur durch deutschsprachige Gottesdienste, den Unterricht in deutscher Sprache und durch deutschsprachige Medien aus dem Herkunftsland unterstützt, sondern auch durch die Geschlossenheit von Siedlungen (vgl. ebd.: 187). Nach dem Zweiten Weltkrieg hingegen sank das Ansehen des Deutschen enorm, was auf sozio-emotionaler Ebene wiederum zur Stigmatisierung der Sprecher führte. Der Sprachgebrauch wurde durch das Absetzen des Deutschen als Schul- und Unterrichtssprache sowie als Sprache der Kirche in den Minderheitengebieten weiter eingeschränkt, was viele Deutschsprecher zur Abwanderung bewegte. Dies verringerte weiter die Möglichkeiten zum Sprachgebrauch und leitete die intergenerationale Sprachaufgabe ein. Riehl (vgl. ebd.) demonstriert anhand der Sprachverlustprozesse dieser allochthonen Minderheitengruppe einen wesentlichen Punkt: Die Ausprägungen externer Faktoren, hier beispielsweise die Gelegenheiten zum Gebrauch der Minderheitensprache, sind in Bezug auf ihre zeitliche und örtliche Rahmung zu betrachten. Sie können in Abhängigkeit von historischen Ereignissen oder politischen Entscheidungen stark schwanken. Eine Analyse der Wirkung externer Faktoren unter Loslösung von ihrer raum-zeitlich bedingten Entstehungsstruktur verkennt die Spezifik solcher Konstellationen und führt zu vermeintlich allgemeingültigen Aussagen über Sprachverlustprozesse, die letztendlich ausschließlich einer bestimmten Gruppe in einem bestimmten Kontext zuzuschreiben sind. Daher schlussfolgert auch Schmid (2011), dass Untersuchungen zu externen Faktoren und ihrem Einfluss auf den Erhalt oder Verlust von Sprachen nur dann aussagekräftig sind, wenn sie unterschiedliche Gruppen in demselben Setting oder aber dieselbe Gruppe in unterschiedlichen Settings betrachten. Die in der Sprachtodforschung verwendeten Modelle (vgl. bspw. Dressler 1981; Sasse 1992) eignen sich insbesondere unter diesem Blickwinkel als Ausgangspunkt für eine Untersuchung der Auswirkung externer Faktoren auf den HL-Erwerb, da sie den Verlust von diversen autochthonen Minderheitensprachen in unterschiedlichen Kontexten mit denselben Mitteln beschreiben und sowohl zu gleichen Kategorien als auch zur gleichen hierarchischen Ordnung dieser gelangen. Ausgehend von den Erkenntnissen der Sprachtodforschung soll im Folgenden geprüft werden, ob entsprechende Ergebnisse auch in Studien zu HL-Erwerb oder -Verlust berichtet werden und ob externe Faktoren die hohe Varianz in der Sprachkompetenz von HL-Sprechern aufzuklären vermögen. 108 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt 4.2 Gruppenspezifische Faktoren Externe Faktoren lassen sich in gruppenspezifische und individuelle Faktoren einteilen (vgl. Yağmur 1997: 19). Als gruppenspezifisch können solche Faktoren bezeichnet werden, die für alle Mitglieder einer Sprachgruppe unabhängig von den die Gruppe konstituierenden Individuen in dem untersuchten Zeit- und Raumkontext gleich ausgeprägt sind. Dies sind u. a. das Prestige der jeweiligen Minderheitensprache, das durch ihre Position in dem globalen, aber auch nationalstaatlichen Sprachgefüge bestimmt wird, die Größe der Minderheitengruppe (bei allochthoner Mehrsprachigkeit auch im Herkunftsland) und die typologische Nähe der Minderheitensprache zur Mehrheitssprache. Da im Zentrum der vorliegenden Arbeit die das Individuum betreffenden externen Faktoren stehen, werden gruppenspezifische Merkmale an dieser Stelle nur kurz angerissen. Das Entstehen von Sprachprestige sowie seine Auswirkungen auf die intergenerationale Weitergabe oder das institutionelle Erlernen von Sprachen wurden bereits ausführlich in Abschnitt 2.1 thematisiert. Sprachen, die sich in der Peripherie des Sprachgefüges befinden, erfahren wesentlich schneller eine Abwertung und werden seltener an Folgegenerationen weitervererbt - im allochthonen wie autochthonen Kontext. Dies betrifft vor allem kleine Sprachgemeinschaften, Sprachen ohne den Status einer offiziellen Amtssprache und Sprachen ohne schriftsprachlichen Ausbau und Standardisierung (vgl. De Swaan 2001: 4 f.). Insbesondere eine formale Standardisierung samt der Ausarbeitung eines Regelkodex spielt bei der Herausbildung von Sprachprestige eine große Rolle (vgl. Stewart 1968: 534). So setzen sprachpolitische Bemühungen um den Erhalt oder die Revitalisierung von Minderheitensprachen häufig Kodifizierungsprozesse erst in Gang. Durch eine solche Vereinheitlichung entsteht die Möglichkeit, institutionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen und die Sprache auch für formelle Situationen zu lizensieren, was sich positiv auf die Wahrnehmung der Minderheitensprache von innen wie von außen auswirkt. Sie erscheint moderner, benutzbarer und wertvoller und erhält in den Augen der Sprecher oft erst durch solch eine schriftsprachlich-formale Standardisierung den Status einer autonomen Sprache. Gleichzeitig setzen solche Prozesse auch sprachideologische Debatten in Gang, wie es momentan in Marokko in Bezug auf die Verschriftung des Tamazigh (Berber), einer im informellen Register recht vitalen Sprache ohne schriftsprachlichen Ausbau, beobachtet werden kann. Hier folgte der offiziellen Anerkennung von Tamazigh als zweiter Amtssprache von Marokko im Jahre 2011 eine öffentliche Auseinandersetzung um das Schriftsystem, mit dem es kodifiziert werden sollte (vgl. Soulaimani 2016). Obwohl die arabische Schrift und auch das lateinische Alphabet vielen Teilen der marokkanischen Bevölkerung 4.2 Gruppenspezifische Faktoren 4.2 Gruppenspezifische Faktoren 109 zugänglich sind und täglich verwendet werden, fiel die offizielle Entscheidung auf Tifinagh, ein Schriftsystem, das nur noch als historisches Relikt besteht und nicht mehr funktional ist (vgl. ebd.: 5). Dieser Beschluss wurde also primär vor dem Hintergrund einer visuellen Abgrenzung des Tamazigh sowohl vom Arabischen als auch vom Französischen gefasst. Das Ziel dieser Maßnahme war somit die Stärkung der Minderheitensprache und Prestigesteigerung (vgl. ebd.: 14). Ob es sich hierdurch erreichen lässt und Tamazigh sich durch diese Anordnung tatsächlich zu einer mit dem Arabischen statusgleichen Sprache etablieren kann, wird in der marokkanischen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert (vgl. ebd.: 5 f.). Ein weiteres Element, das das Prestige einer Minderheitensprache und gleichzeitig ihre intergenerationale Weitergabe beeinflussen kann, ist der historische Kontext ihrer Entstehung. Sprachen, deren Ursprung als unnatürlich gilt wie beispielsweise Kreolsprachen (vgl. Tsunoda 2006: 52), oder Sprachen mit einer stark dominanten und kulturell präsenten Varietät (vgl. Giles et al. 1977: 311) werden als weniger wertvoll angesehen und sind eher von Sprachaufgabe bedroht als andere. So genießt beispielsweise das Französische als superzentrale Sprache (s. Abschnitt 2.1) grundsätzlich ein sehr hohes Prestige. Die in Québec gesprochene Varietät besitzt hingegen nicht dieses Ansehen: Sie steht sowohl in Konkurrenz zum Englischen als auch zu ihrer in Frankreich gesprochenen Entsprechung. Obwohl Québecois stets von einer großen Mehrheit der Bevölkerung in Québec gesprochen wurde, galt es bis zur Verabschiedung der Charta der französischen Sprache 1977 nicht als offizielle Sprache der Provinz. Der bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Mangel an Prestige ist damit zu begründen, dass es sich auf vielen linguistischen Ebenen von der in Frankreich verwendeten Standardvarietät unterschied und so primär mit der Arbeiterklasse der Region in Verbindung gebracht wurde. Hohe gesellschaftliche Positionen wurden in Québec vor der Verabschiedung der Charta durchgängig von Englischsprachigen bekleidet (vgl. D’Anglejan 1984: 34). Erst durch eine Statusherstellung bzw. -aufwertung als offizielle Sprache durch die Behörden änderte sich die Einstellung auch der englischsprachigen Bevölkerung dem Québecois gegenüber, sodass sie ebenfalls begann, diese Sprache in der täglichen Kommunikation zu verwenden (vgl. Bourhis 1983). Heute weist Québecois durch diese offizielle Maßnahme eine hohe Vitalität in allen Bevölkerungsschichten auf und wird nicht nur in der alltäglichen Kommunikation, sondern auch in der Bildung und in den Medien gebraucht. Schließlich diskutiert Weinreich am Beispiel des Rätoromanischen in der Schweiz eine Konstellation, in der es trotz eines schriftsprachlichen Ausbaus, trotz einer Anerkennung als offizielle Amtssprache und trotz einer klaren Abgrenzung als eigenständige Sprache mit eigener Historie zu einem rapiden Sprachverlust kommt (vgl. Weinreich 1974: 84 f.). So beherrschen die meisten 110 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt Sprecher des Rätoromanischen auch das Schweizerdeutsch und verwenden es ebenso in der alltäglichen Kommunikation. Zugleich sind sie im Standarddeutschen durch die Schule literalisiert. Infolgedessen teilen das Deutsche bzw. seine schweizerische Entsprechung und das Rätoromanische sich alle Domänen des sprachlichen Handelns, sodass auf Seiten der Sprecher eine hohe Toleranz gegenüber Sprachkontakt- und Code-Switching-Phänomenen aus dem Deutschen ins Rätoromanische herrscht. Gegenläufige Einflüsse des Rätoromanischen auf das Deutsche werden hingegen abgelehnt. Weinreich begründet diese Beobachtung mit einem unterschiedlichen Prestige der beiden Sprachen. Dieses führt er auf die Tatsache zurück, dass es für das Rätoromanische keinen monolingualen Raum oder kein sprachlich-kulturelles Zentrum gibt, das den Zwang zu einer einsprachigen Norm oder eine „soziale Kontrolle“ (ebd.) schaffte. Aufgrund dieses Umstands prognostiziert Weinreich für die Sprecher des Rätoromanischen einen baldigen Sprachwechsel zum Deutschen. Das Prestige einer Sprache hat folglich eine besondere Relevanz für ihre Weitergabe und ihren Gebrauch - nicht nur innerhalb einer Community, sondern auch innerhalb der Familie. Ferner ist Sprachprestige zweifelsohne bereits sehr jungen Kindern bewusst, was sich auch auf ihre Sprachwahl und auf ihre Einstellung der jeweiligen Minderheitensprache gegenüber auswirken kann (vgl. Montrul 2008: 101). Dies ist sicherlich nicht nur in autochthonen Minderheitensituationen wie den oben beschriebenen der Fall, sondern lässt sich auf allochthone Minderheitengruppen übertragen, wo das Sprachprestige sogar noch stärker greift. Denn jede allochthone Sprache besitzt im Einwanderungsland zwangsläufig weniger Prestige als die dominante Mehrheitssprache, auch wenn es sich bei der Minderheitensprache um eine im globalen Zusammenhang (super- oder hyper-) zentrale Sprache handelt. Ebenso die Größe der Minderheitengruppe bzw. die Anzahl ihrer Sprecher ist zum Erhalt einer Sprache von großer Bedeutung. Tsunoda (2006: 50) betont jedoch, dass dieser Faktor von anderen Gruppenmerkmalen leicht überschrieben werden kann. So hat z. B. Maltesisch nur einige Hunderttausend Sprecher im Gegensatz zu Quechua mit ca. 10 Millionen. Beide Sprachen gelten zudem als offizielle Amtssprachen und stehen in Konkurrenz zu den bedeutenden internationalen Sprachen Spanisch und Englisch. Dennoch schreitet die Aufgabe von Quechua zugunsten von Spanisch schnell voran, während Maltesisch sich hoher Vitalität erfreut (vgl. Haboud 2004: 78; Luykx 2004: 154). Im Kontext von Migration ist die Anzahl der Sprecher ebenfalls relevant (vgl. Köpke 2007: 24 f.). Hier steht allerdings nicht die Anzahl der Sprecher insgesamt im Vordergrund, sondern ihre Konzentration in einer bestimmten Region, beispielsweise im urbanen Raum, im Vergleich zur Einzelmigration. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Möglichkeiten zur sprachlichen Interaktion mit anderen Sprechern 4.2 Gruppenspezifische Faktoren 111 der gleichen Minderheitensprache aus. Erst eine ausreichende Gruppengröße ermöglicht migrantische Selbstorganisation im Rahmen von Kulturvereinen, religiösen Treffen, Sprachunterricht für Kinder oder den Zugang zu Medien, sei es aus dem Herkunftsland oder der Diaspora. In einer quantitativen Studie zu Chinesischsprachigen in den USA zeigte Li (1982) anhand von Censusdaten, dass residentielle Segregation sich signifikant auf den Erhalt des Chinesischen auswirkte. Die Studienteilnehmer, die innerhalb eines sog. Chinatowns lebten, behielten im Verhältnis zu Probanden, die außerhalb lebten, mit einer wesentlich höheren Wahrscheinlichkeit das Chinesische bei. Der Effekt war besonders groß bei der dritten Generation (vgl. ebd.: 118). Entsprechende Feststellungen machte auch Yağmur (2004) in seinem Vergleich der subjektiven Vitalitätswahrnehmung des Türkischen durch türkischsprachige Migranten in Australien und Deutschland. So zeichne sich die türkischsprachige Community in Deutschland durch eine hohe Anzahl an Sprechern, guten Zugang zu türkischsprachigen Medien und eine institutionelle Unterstützung des Spracherhalts in Form von Herkunftssprachenunterricht aus (vgl. ebd.: 131). Für den australischen Kontext sei all dies nicht gegeben, weshalb türkischsprachige Australier trotz einer sehr liberalen australischen Sprachpolitik die Vitalität des Türkischen als wesentlich geringer wahrnehmen (vgl. ebd.: 139). Ob diese Wahrnehmungsunterschiede einen messbaren Einfluss auf den Erhalt einer Minderheitensprache ausüben, stellt Yağmur jedoch selbst infrage. Noch wenig erforscht, jedoch vermutlich ebenfalls von nicht zu unterschätzender Relevanz, ist die typologische Distanz der Minderheitensprache zur Mehrheitssprache. Aus linguistischer Sicht spielt hierbei sicherlich Interferenz eine große Rolle. In Anlehnung an die Kontrastivhypothese aus dem Zweitspracherwerb liegt die Vermutung nahe, dass der Erwerb einer typologisch ähnlichen Mehrheitssprache schneller Strukturen der Minderheitensprache überschreibt als bei nicht verwandten Sprachen. Für den Erhalt der Minderheitensprache bedeutet dies, dass zwei inkongruente Strukturen aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit derart salient sein müssten, dass sie nicht zusammenfallen, sondern erhalten bleiben (vgl. Ecke 2004: 337 f.). Auch Schmid und Köpke (2017) weisen der sprachlichen Nähe eine entscheidende Bedeutung für Attritionsprozesse zu und beschreiben folgende Konstellation als besonders fragil: […] structures that are identical between L1 and L2 (as far as such can ever exist) should be less problematic to maintain, as should be features that are unique to either language due to the absence of recurring, sufficiently similar competing patterns. What should be most amenable to change would then be those structures which are similar but different. (Schmid & Köpke 2017: 647) 112 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt Einige Ergebnisse zu den Auswirkungen linguistischer Nähe liefert die Forschung um deutschsprachige Auswanderer in den Niederlanden (vgl. Prescher 2007). In narrativen Interviews berichten Auswanderer der ersten Generation, dass sie sich sehr schnell das Niederländische aneignen konnten und das Deutsche im Alltag kaum mehr verwendeten (vgl. ebd.: 196 f.). Dies führte zu Attritionserscheinungen im Bereich des Lexikons, der Syntax und der Aussprache, sodass die Sprecher in Deutschland als Nicht-Muttersprachler wahrgenommen wurden. Ähnliche Ergebnisse werden auch zum Niederländischen in Neuseeland von Crezee (2012) und in Australien von De Bot und Clyne (1994) berichtet. Zusätzlich zu diesen gruppenspezifischen Merkmalen können das Individuum betreffende Faktoren die Sprachkompetenz des HL-Sprechers beeinflussen. Diese lassen sich weiter in drei Gruppen unterteilen: 1) sprachbiographische Faktoren, 2) Faktoren des Sprachgebrauchs sowie 3) sozio-emotionale Faktoren. Die nächsten drei Abschnitte beschäftigen sich ausführlich mit diesen drei Kategorien. 4.3 Sprachbiographische Faktoren 4.3.1 Spracherwerbstyp Der Spracherwerbstyp als ein sprachbiographischer Faktor beschreibt das Alter des Sprechers bei Kontaktbeginn zur Mehrheitssprache. Fand der Erwerb beider oder mehrerer Sprachen zeitgleich ab der Geburt statt, so handelt es sich um simultanen mehrsprachigen Erwerb. Erfolgte er hingegen zeitversetzt, so spricht man von sukzessiver Mehrsprachigkeit (vgl. Müller et al. 2002: 15). Ab welchem Alter genau bereits von einem sukzessiven Erwerb auszugehen ist, ist in der Forschung umstritten. Dieser Begriff wird sowohl verwendet, wenn der Kontakt zur anderen Sprache erst einen Tag nach der Geburt bestand (vgl. De Houwer 2009), als auch wenn er auf den Zeitraum zwischen drei und vier Jahren verortet werden kann (vgl. Meisel 2008). Die Unterscheidung in simultan und sukzessiv gründet auf kognitiven Reifungsprozessen, die die Gehirnplastizität und damit den Erfolg des Spracherwerbs kritisch beeinflussen (vgl. Nitsch 2007). Sie führen dazu, dass simultan und sukzessiv Mehrsprachige über anders strukturiertes Sprachwissen verfügen, es unterschiedlich abspeichern, verarbeiten und darauf zugreifen (vgl. Perani et al. 1998). Untersuchungen zu früher Mehrsprachigkeit argumentieren entsprechend, dass bei einem simultanen im Gegensatz zu einem sukzessiven Erwerb beide Sprachen als Erstsprachen erworben werden und die Sprecher zwei voneinander unabhängige Systeme ausbilden. So stellt beispielsweise Genesee (2004) 4.3 Sprachbiographische Faktoren 4.3 Sprachbiographische Faktoren 113 infrage, dass die bei simultanen Bilingualen auftretenden Sprachmischungen ein Beleg für ein fusioniertes System seien. Er betont, dass Sprachmischungen gehäuft nur in einer frühen Phase des Spracherwerbs entstehen und mit denselben Mechanismen wie im monolingualen Erwerb begründet werden können (vgl. ebd.: 312 f.). Auch Cantone (2007) stellt fest, dass Sprachmischungen unabhängig von der dominanten Sprache des Kindes in beide Richtungen vorkommen können. Ferner belegt Meisel (2004), dass simultan bilinguale Kinder schon früh die für beide Sprachen erforderlichen syntaktischen Wortstellungsregeln auch bei konträren Regularitäten beherrschen und ebenso erfolgreich die Subjekt-Prädikat-Kongruenz markieren (vgl. ebd.: 344). Verglichen mit dem monolingualen Erwerb wird also davon ausgegangen, dass ein simultaner Erwerb zweier Sprachen ein doppelter Erstspracherwerb ist. Alterseffekte bei sukzessivem Kontaktbeginn zur Mehrheitssprache werden besonders in Studien zur L2-Kompetenz deutlich. Abrahamsson und Hyltenstam (2009) untersuchten beispielsweise erwachsene Bilinguale mit der Minderheitensprache Spanisch und der Mehrheitssprache Schwedisch. Alle Probanden zeichneten sich einerseits durch eine hohe Kompetenz im Schwedischen aus und sahen sich als Muttersprachler des Schwedischen an, andererseits unterschieden sie sich stark in Bezug auf ihr Alter bei Kontaktbeginn zur Mehrheitssprache (von unter einem Jahr bis zu 47 Jahren). Produktionsdaten der Sprecher wurden von monolingualen Schwedischsprachigen im Hinblick auf wahrgenommenen Akzent und sprachliche Richtigkeit bewertet. Diejenigen Probanden, deren Erwerbsbeginn vor dem Alter von 12 Jahren lag, wurden deutlich häufiger als Muttersprachler des Schwedischen klassifiziert. Je später der Kontakt zur L2 bei den Sprechern einsetzte, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit für eine Einordnung als Muttersprachler (vgl. ebd.: 271). Die als L1-Sprecher wahrgenommenen Probanden wurden anschließend mehreren Sprachtests unterzogen. Hier zeigte sich erneut ein enormer Einfluss des Alters der Sprecher bei Kontaktbeginn auf ihr Abschneiden in der Zweitsprache (vgl. ebd.: 287). Je jünger die Sprecher waren, desto besser waren ihre Testergebnisse und desto mehr glichen sie Monolingualen. Ähnliche Ergebnisse liefern auch Granena und Long (2013) zu Zweitsprachlernern des Spanischen mit der L1 Chinesisch unter Berücksichtigung des Alters bei Kontaktbeginn. Hier zeigten sich die deutlichsten Alterseffekte in Bezug auf die Aussprache (vgl. ebd.: 332): Je jünger die Sprecher beim Erstkontakt zu ihrer L2 Spanisch waren, desto besser ausgebaut waren ihre Aussprachekompetenzen. Beim sukzessiven Erwerb erweist sich ein früher Kontaktbeginn zur Mehrheitssprache folglich als positiv für die Kompetenz in der L2. Diese beobachteten Effekte lassen sich ebenfalls bei einem Vergleich von simultanem zu sukzessivem mehrsprachigen Erwerb feststellen. Hier konnten beispielsweise Unsworth 114 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt und Kolleginnen (2014) im Bereich der Genusmarkierungen in der Mehrheitssprache Griechisch deutliche Vorteile bei denjenigen Kindern belegen, die es simultan zum in der Familie gesprochenen Englisch erwarben. Die simultan Mehrsprachigen erzielten in ihrer Studie in der Mehrheitssprache ebenso gute Ergebnisse wie Monolinguale. Kinder, die erst ab einem späteren Alter Kontakt zum Griechischen hatten (zwischen einem und vier Jahren), schnitten merklich schlechter ab, gefolgt von Kindern, deren Griechischerwerb erst nach dem vierten Lebensjahr begann (vgl. ebd.: 791 f.). Gleichzeitig wiesen jedoch alle Altersgruppen samt der monolingualen Kontrollgruppe auf qualitativ-struktureller Ebene die gleichen Abweichungen von der Norm auf. Auch für den Erhalt der Minderheitensprache spielt das Kriterium des Spracherwerbstyps eine große Rolle und wird zur Erklärung der Sprachkompetenzunterschiede herangezogen (vgl. Sekerina 2013: 204). Studien mit einem Fokus auf die Minderheitensprache unter Berücksichtigung von Alterseffekten sind allerdings wesentlich seltener als solche zur Mehrheitssprache. Entgegen den Erkenntnissen der L2-Erwerbsforschung, die einen frühen Kontaktbeginn zur Mehrheitssprache als förderlich für die Kompetenzentwicklung in der L2 ansehen, ist in der HL-Forschung eine klare Präferenz für die sukzessive Mehrsprachigkeit zu erkennen. Für diesen Kontext lässt sich konstatieren: Je später der Kontakt zur Mehrheitssprache aufgenommen wird, d. h., je später die Minderheitensprache in eine Konkurrenzsituation zur Mehrheitssprache tritt, desto erfolgreicher verläuft der weitere Erwerb der HL bzw. desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für ihren Erhalt (vgl. hierzu ausführlich Montrul 2008; Köpke 2007: 28; Schmid 2011: 72 f.): „Speaking the majority language before age 5 seems to put linguistic minority children at a small but measurable risk for poorer heritage language skills during adolescence“ (Au & Oh 2009: 271). Dass sich sukzessive Mehrsprachigkeit günstig auf den Erhalt der HL auswirkt, konnte in mehreren bereits in Abschnitt 3.5 ausführlich diskutierten Studien nachgewiesen werden. So beobachtete Anderson (1999) beispielsweise, dass das ältere, sukzessiv bilinguale Mädchen in ihrer Studie weitaus weniger Genusabweichungen in ihrer HL Spanisch produzierte als ihre Schwester, die simultan mehrsprachig aufwuchs. Montrul und Potowski (2007) untersuchten Genuszuweisungen und Kongruenzmarkierungen innerhalb der Nominalphrase bei simultanen und sukzessiven HL-Sprechern des Spanischen. Ihre simultan mehrsprachigen Probanden unterschieden sich in dieser Untersuchung nicht von den als Kontrollgruppe eingesetzten L2-Lernern, wohingegen die sukzessiv Mehrsprachigen deutlich mehr zielsprachliche Strukturen in der HL realisierten und damit der monolingualen spanischsprachigen Kontrollgruppe glichen. Auch Montrul (2002) stellte die zentrale Bedeutung des Kontaktbeginns zur Mehrheitssprache für den Erhalt der Aspektopposition in der HL Spanisch her- 4.3 Sprachbiographische Faktoren 115 aus. In ihrer Studie zeigte die Gruppe der simultan Mehrsprachigen die meisten Abweichungen bei Aspektmarkierungen verglichen mit den sukzessiv Mehrsprachigen, die auch in dieser Studie ähnlich wie die monolinguale Kontrollgruppe abschnitten. Zu anderen Befunden bezüglich des Alterseffekts gelangen hingegen Gagarina (2016) und Mikulski (2010). In ihrer Studie zur Entwicklung narrativer Kompetenzen bei simultan und sukzessiv bilingualen Kindern mit der Sprachkombination Russisch / Deutsch stellt Gagarina (2016) fest, dass simultan Mehrsprachige in beiden Sprachen eine komplexere narrative Struktur aufbauten als sukzessive (vgl. ebd.: 107). Dieses Ergebnis galt allerdings nur für die ältere Vergleichsgruppe (bei Vorschülern, Erst- und Drittklässlern) und war ausschließlich für die Mehrheitssprache Deutsch signifikant. Mikulski (2010) analysierte das Erkennen des Subjunktivs bei Sprechern des Spanischen in den USA mithilfe von Grammatikalitätsurteilen und unterteilte hierzu ihre Probanden in zwei Gruppen: zum einen in HL-Sprecher, die in den USA geboren oder bis zu einem Alter von sechs Jahren eingewandert waren, zum anderen in späte Mehrsprachige, deren Einwanderung erst danach stattfand. Die Gruppen wiesen jedoch keine Unterschiede in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand auf, somit ließ sich hinsichtlich der Kontaktdauer zur Mehrheitssprache kein Alterseffekt nachweisen. Mikulski führt diese Ergebnisse darauf zurück, dass der Subjunktiv im Spanischen recht früh erworben werde (vgl. ebd.: 40). Dennoch wiederspricht dies anderen Studien zum HL-Spanischen (vgl. Montrul 2009), die deutliche Nachteile für HL-Sprecher beim Erwerb des Subjunktivs belegten. Diese Diskrepanz könnte jedoch auch zum einen durch die Heterogenität der beiden Testgruppen in Mikulsi (2010) erklärt werden, zum anderen könnte sie in der Tatsache begründet sein, dass die meisten Probanden, auch die HL-Sprecher, von der Grundschule bis zur Universität durchgehend im Spanischen beschult wurden und deshalb derart hohe Testwerte erreichten. Auch die Ergebnisse von Ågren und Kollegen (2014) entsprechen nicht der oben zitierten Annahme, ein simultaner Erwerb der Minderheiten- und Mehrheitssprache beeinflusse die Entwicklung der HL negativ. Sie untersuchten den Erwerb des Französischen als Minderheitensprache unter Einbezug des Erwerbsalters in einem atypischen Kontext an drei Gruppen von Kindern, die in einer rein französischsprachigen Schule in Schweden unterrichtet wurden. Die erste Gruppe der Kinder hatte zwei französischsprachige Elternteile und wurde als monolingual französischsprachig betrachtet. Die zweite Gruppe ist nach der OPOL-Methode simultan mit beiden Sprachen aufgewachsen. Die dritte Gruppe hatte innerhalb der Familie ausschließlich zum Schwedischen Kontakt und erwarb das Französische sukzessiv allein durch den Unterricht in der Schule. Es konnten in der Studie klare Vorteile für die ersten zwei Gruppen insbesondere 116 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt bei der Realisierung einfacher, schon früh erworbener Strukturen ausgemacht werden (vgl. ebd.: 486), was gegen einen sukzessiven Erwerb spräche. Zu ähnlichen Ergebnissen in demselben Testkontext kommen auch Granfeldt und Kollegen (2007), deren Probanden, sukzessive Mehrsprachige, in der Realisierung vieler Strukturen in großem Maße erwachsenen L2-Lernern gleichen. An dieser Stelle muss jedoch angemerkt werden, dass sich der hier ausgemachte Nachteil für die sukzessiv Mehrsprachigen auch auf den Erhebungskontext zurückführen lässt: Während die ersten beiden Gruppen durchaus als HL-Sprecher des Französischen bezeichnet werden können und zusätzlich zur vorherrschenden Mehrheitssprache Schwedisch innerhalb der Familie vielfältigen Input im Französischen erhalten, lernen die sukzessiven Bilingualen das Französische ausschließlich im institutionellen Rahmen. Bei Letzteren liegt also eine gänzlich andere Spracherwerbssituation als bei gängigen migrationsbedingten Mehrheits- und Minderheitenverhältnissen vor. In Bezug auf den Erhalt von autochthonen Minderheitensprachen existieren kaum Untersuchungen zu Alterseffekten. Auch in Modellen zum Verlust autochthoner Sprachen wird der Spracherwerbstyp nicht als Faktor herangezogen. Perani und Kollegen (2003) schlussfolgern jedoch in ihrer Studie, dass dieses Kriterium auch für autochthone Mehrsprachigkeit relevant sein könnte. Sie zeigten dies an sukzessiv Mehrsprachigen in Katalonien, die bis zu einem Alter von drei Jahren entweder ausschließlich das Spanische oder das Katalanische erwarben und erst danach in Kontakt zur jeweils anderen Sprache gelangten. Als Erwachsene verwendeten sie Spanisch und Katalanisch täglich und zeichneten sich durch einen hohen Kompetenzgrad in beiden Sprachen aus. Dennoch ließen sich unter Einsatz eines funktionellen Magnetresonanztomographen Unterschiede in der Verarbeitung ausmachen: Die jeweils zuerst erworbene Sprache wurde bei lexikalischen Zugriffstests mit weniger Gehirnaktivität verbunden, was auf einen unterschiedlichen Status der Sprachen trotz hoher Kompetenz in beiden und somit auf Alterseffekte hindeutet. Für den Faktor „Spracherwerbstyp“ lässt sich zusammenfassen, dass Alterseffekte bei Kontaktbeginn zur Sprache der Umgebung durchaus nachgewiesen werden konnten. Insbesondere mit Blick auf die Mehrheitssprache belegen Studien Vorteile eines möglichst früh einsetzenden Erwerbs. Welchen Effekt das Alter des Sprechers bei Kontaktbeginn auf den Erhalt von allochthonen wie autochthonen Minderheitensprachen hat, ist hingegen nicht eindeutig geklärt. Einerseits deuten einige Arbeiten darauf hin, dass ein sukzessiver Erwerb sich förderlich auf den Erhalt der HL auswirke, andererseits existieren auch Studien, die dieser Annahme widersprechen. Diese sind allerdings durch eine inkonsistente Probandenauswahl und durch einen wenig charakteristischen Erhebungskontext gekennzeichnet. 4.3 Sprachbiographische Faktoren 117 4.3.2 Familienkonstellation Unter den sprachbiographischen Faktor „Familienkonstellation“ fallen zwei Aspekte, die in direktem Zusammenhang zum Spracherwerbstyp stehen und den Erwerb sowie den Erhalt der HL insbesondere in den ersten Lebensjahren beeinflussen können: zum einen die mitgebrachten Sprachen der Eltern, zum anderen die Geschwisterrangfolge. Beide Aspekte bestimmen über die Art und die Dauer des Inputs in der HL innerhalb der Familie, dem entscheidenden Ort des HL-Erwerbs (vgl. Polinsky 2015a: 10), und werden im Folgenden ausführlich erläutert. Die Geschwisterrangfolge bezeichnet die Stellung des Sprechers in seiner Geschwisterreihe (d. h. Erst-, Zweit-, Drittgeborener usw.) bzw. seinen Status als Einzelkind in der Familie. Sie ist deshalb relevant, weil sie in starkem Maße über den Spracherwerbstyp, der im vorherigen Abschnitt diskutiert wurde, entscheidet (vgl. Spolsky 2012: 4). So lässt sich annehmen, dass Einzelkinder gefolgt von Erstgeborenen insofern die besten Möglichkeiten haben, ihre HL zu erwerben, als ihnen insbesondere in den ersten Lebensjahren die exklusive Aufmerksamkeit ihrer Eltern und somit ausreichend sprachlicher Input in der HL zukommt. Der Vorteil dieser Familienkonstellation ist derselbe, der sich aus der sukzessiven Mehrsprachigkeit ergibt (vgl. Wong Fillmore 1991): Tritt das Kind in eine Institution ein, in der die Mehrheitssprache verwendet wird, so hat es zuvor durch die Familie bereits vielfältigen Input in der HL erhalten. Jedes weitere Kind, das anschließend in die Familie hineingeboren wird, genießt zum einen nicht mehr die ungeteilte sprachliche Aufmerksamkeit der Eltern, zum anderen steigt zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass es simultan mehrsprachig aufwächst, da das ältere Geschwisterkind zunehmend die Mehrheitssprache aus der Institution in die Familie einbringt und sich dadurch die Sprachgebrauchspräferenzen in der Familie verändern können (vgl. Schwartz 2010: 173). Es liegen zu diesem Aspekt des HL-Erwerbs bislang nur wenige Studien vor. Der Grund hierfür liegt laut Lippert (2013: 137) darin, dass die Spracherwerbsforschung den Sprecher häufig aus dem familiären Kontext isoliert betrachtet und seine Sprachkompetenz misst, wodurch dieser externe Faktor als Einflussvariable unberücksichtigt bleibt. Zu den wenigen Ausnahmen zählt die Forschungsarbeit von Armon-Lotem und Kollegen (2011). Sie untersuchten den Einfluss der Familiengröße und der Geschwisterrangfolge auf den Erhalt der HL Russisch und die Entwicklung der jeweiligen Umgebungssprache bei Kindern, die in zwei unterschiedlichen Länderkontexten aufwachsen, Israel und Deutschland. Der Sprachstand im Russischen sowie im Hebräischen bzw. Deutschen wurde mittels einer aufwändigen Testbatterie ermittelt. Für beide Gruppen konnte eine negative Korrelation zwischen der Kompetenz in der HL Russisch in allen Sprachtests und der Familiengröße zum einen sowie der Geschwister- 118 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt rangfolge zum anderen ausgemacht werden. Während die Testergebnisse für den israelischen Kontext nur in Bezug auf die Größe des Lexikons statistisch signifikant waren, erreichten die Werte für die in Deutschland lebende Gruppe in drei grammatischen Bereichen (Präpositionen, Kasus, Flexion) das statistisch signifikante Niveau. Ebenfalls wurden in der Untersuchung Einzelkinder gegen Kinder mit Geschwistern getestet. Auch hier zeigten sich bezüglich der HL-Kompetenz Vorteile für Einzelkinder. Beide Ergebnisse belegen, dass der Erhalt der HL in Familien mit Einzelkindern am besten gelingt. Bei mehr als einem Kind ist die Rangfolge in der Geschwisterreihe entscheidend: Je jünger das jeweilige Kind ist, desto geringer sind seine Chancen, die HL erfolgreich zu erhalten. Lippert (2010) untersuchte in ihrer longitudinal angelegten Studie über mehrere Jahre den Erhalt der Minderheitensprache Deutsch bei elf deutsch-italienischsprachigen Familien in Italien. Für alle Kinder in den jeweiligen Familien bestand der Kontakt zum Deutschen ausschließlich über einen deutschsprachigen Elternteil, die Kinder wurden also alle nach dem OPOL-Prinzip mehrsprachig erzogen. Da es sich zudem um eine Einzelmigration des deutschsprachigen Elternteils nach Italien handelte, gab es keine Unterstützung durch weitere Familienmitglieder oder eine deutschsprachige Community. Lippert führte zunächst eine Interventionsstudie durch und dokumentierte danach den Sprachstand der Kinder im Deutschen. Sie berichtet, dass die Umgebungssprache bei jedem hinzukommenden Kind mehr und mehr Eingang in die Kommunikation innerhalb der Familie fand, sodass ohne ein massives Entgegenwirken von außen mit dem dritten Kind eine nahezu vollständige Sprachumstellung der gesamten Familie hin zur Sprache der Umgebung stattfand. Dies formuliert sie in ihrer sog. Drei-Geschwister-Regel analog zur Drei-Generationen-Regel wie folgt: Ein Elternteil spricht vor allem die Sprache des Herkunftslandes oder ist bereits bilingual, die Kinder sprechen in zunehmendem Maße die Umgebungssprache. Das erste Kind ist also zumindest in der frühen Kindheit bilingual […], das zweite Kind spricht schon fast ausschließlich die Umgebungssprache, ist bestenfalls ansatzweise produktiv bilingual mit Tendenz zur rezeptiven Bilingualität, das dritte und jedes weitere Kind (falls vorhanden) ist bereits rein rezeptiv zweisprachig - mit Tendenz zur Monolingualität. (Lippert 2010: 161) Der hier beschriebene Prozess der Sprachumstellung kann nach Lippert also auch innerhalb einer einzigen Generation - der zweiten - stattfinden, sofern mehr als ein Kind in der Familie aufwächst (vgl. ebd.: 279). Dies unterstreicht erneut die Bedeutung der zweiten Generation für den Erhalt von Minderheitensprachen in der Migration. 4.3 Sprachbiographische Faktoren 119 Die von Lippert gemachten Beobachtungen betreffen zusätzlich zur Geschwisterrangfolge zugleich noch ein weiteres sprachbiographisches Merkmal, das innerhalb der Familienkonstellation zum Tragen kommt: die von den Eltern gesprochenen Sprachen. In allen von ihr untersuchten Familien war die Minderheitensprache Deutsch nur durch einen Elternteil vertreten. Der andere Elternteil war jeweils ein monolingual sozialisierter Sprecher der dominanten Umgebungssprache Italienisch. Eine ähnliche Konstellation liegt vor, wenn beide Elternteile unterschiedliche HLs in die Familie mitbringen. Auch in einem solchen Falle könnten die Sprachen entweder in eine Konkurrenzsituation zueinander geraten oder aber die Umgebungssprache wird als einziges gemeinsames Kommunikationsmittel zur vorherrschenden Sprache zwischen den Eltern und nimmt so die Position der Familiensprache ein. Diese Familienkonstellationen führten laut Lippert zur „Legende von der sich in Mischpartnerschaften automatisch einstellenden Zweisprachigkeit“ (ebd.: 280). Jedoch lässt sich vielmehr davon ausgehen, dass die Weitergabe der Minderheitensprache gerade nicht in exogamen Partnerschaften, sondern in endogamen wesentlich leichter gestaltet werden kann, da diese Familienkonstellation den Status der Minderheitensprache aufgrund ihrer Funktion als Kommunikationssprache innerhalb der Familie enorm stärkt. Diese Feststellungen werden von Befunden aus der Sprachtodforschung untermauert (vgl. Tsunoda 2006: 51 f.). Auch hier wird davon ausgegangen, dass Eheschließungen innerhalb der eigenen Minderheitengruppe den Erhalt der Minderheitensprache fördern können. Mougeon (1977) zeigte beispielsweise anhand von Eheschließungsdaten aus einem französischsprachigen Gebiet in Ontario, dass mit einer steigenden Rate von exogamen Ehen mit Mitgliedern der englischsprachigen Mehrheitsgruppe auch das Französische mehr und mehr vom Englischen verdrängt wurde (vgl. ebd.: 374). Ebenso beschreibt Crawford (1996) für den indigenen Stamm der Hualapai in Arizona einen aus ähnlichen Strukturen resultierenden voranschreitenden Wechsel zum Englischen. Da die reservatseigene Schule die Kinder nur bis zur achten Klasse führte, waren sie angehalten, das Schutzgebiet zu verlassen, und kamen so vermehrt mit Englischsprechern in Kontakt, was die Rate exogamer Heiraten erhöhte (vgl. ebd.: 61). Kane (1997) berichtet für die Mandschuren im Nordosten Chinas, dass der Anteil aktiver Sprecher des Mandschurischen in denjenigen Dörfern am größten war, in denen die wenigsten gemischtsprachlichen Eheschließungen registriert wurden (vgl. ebd.: 241). De Klerk (2001) analysierte das Sprachverhalten von Afrikaanssprechern in Südafrika, die eine Ehe mit einem englischsprachigen Partner eingegangen waren. Alle von ihr interviewten Paare sprachen sowohl untereinander als auch zu den Kindern ausschließlich Englisch und keiner der 120 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt englischsprachigen Partner gab an, ernsthafte Versuche unternommen zu haben, Afrikaans zu lernen (vgl. ebd.: 202). Gleichzeitig führt Tsunoda (2006: 51 f.) jedoch an, dass exogame Partnerschaften nicht zwingend zur Sprachaufgabe führen müssen. Er expliziert dies am Beispiel der Jaru- und Kija-Aborigines in Westaustralien. Diese beiden Stämme blicken auf eine lange Tradition exogamer Beziehungen zurück, was jedoch lange Zeit nicht zum Aufgeben einer der beiden Sprachen führte, sodass die Kinder aus solchen Partnerschaften meist bilingual aufwuchsen. Anders verhielt es sich erst, als Mitglieder dieser Aborigines-Gemeinden anfingen, Ehen mit englischsprachigen Australiern einzugehen. Laut Tsunoda wird Sprachwechsel in exogamen Partnerschaften also nicht ausschließlich durch eine Familienkonstellation mit zwei verschiedenen Sprachen hervorgerufen, sondern durch enorme Unterschiede im Prestige der Sprachen: „In general, it seems that marriage involving dominant and subordinate languages, e. g. English and Jaru, that is likely to induce language endangerment, and that marriage involving languages with equal status, e. g. Jaru and Kija, is less likely to do so“ (Tsunoda 2006: 52). Auf den HL-Kontext angewandt hieße dies, dass eine Familie, in der beide Elternteile dieselbe Minderheitensprache sprechen, die günstigste Konstellation für die Sprachweitergabe darstellt gefolgt von Familien, in die zwei unterschiedliche Minderheitensprachen eingebracht werden. Die ungünstigste Voraussetzung liegt bei einer Familienkonstellation vor, in der ein Elternteil Sprecher der prestigeträchtigen Mehrheitssprache ist. Dass prestigeträchtige Sprachen auch als Minderheitensprachen innerfamiliär weitergegeben werden, zeigen die Studien von Yamamoto (2002; 2008). Sie untersuchte den Sprachgebrauch in gemischtsprachlichen Ehen in Japan und unterteilte ihre Probanden dabei in zwei Gruppen je nach der mitgebrachten Minderheitensprache des allochthonen Partners: Englisch ( N = 118) und alle weiteren Sprachen ( N = 39). Der autochthone Ehepartner war jeweils monolingual japanischsprachig sozialisiert. Zwischen den Gruppen zeigten sich enorme Unterschiede bezüglich der Sprachweitergabe an die Kinder und des Sprachgebrauchs innerhalb der Familie. Die Familien der englisch-japanischsprachigen Gruppe berichteten beispielsweise eine wesentlich positivere Einstellung der Gesellschaft ihrer Mehrsprachigkeit gegenüber als die andere Gruppe. Die Paare sprachen untereinander entweder ausschließlich Englisch oder beide Sprachen und gaben entsprechend häufig auch beide Sprachen oder nur die Minderheitensprache Englisch an die Kinder weiter. In Familien mit einer anderen Sprache als Englisch verwendeten die Paare untereinander am häufigsten eine von ihren Erstsprachen abweichende Sprache (Englisch) und die vom allochthonen Partner in die Familie mitgebrachte Minderheitensprache wurde wesentlich seltener an die eigenen Kinder weitergegeben. Die oben beschriebenen Zusammenhänge 4.4 Sprachgebrauchskontexte 121 zwischen Sprachweitergabe und -erhalt und einer bestimmten Familienkonstellation werden also durch die hyperzentrale Sprache Englisch aufgrund ihrer Sonderstellung im globalen Sprachgefüge außer Kraft gesetzt. 4.4 Sprachgebrauchskontexte In der HL- und in der Sprachtodforschung ist unumstritten, dass die Möglichkeit eines häufigen und vielfältigen Sprachgebrauchs dem Erwerb und Erhalt einer Minderheitensprache zuträglich ist (vgl. De Houwer 2007; Dressler 1981; Herdina & Jessner 2002; Lo Bianco & Peyton 2013; Montrul 2016; Sasse 1992; Tsunoda 2006). 34 So schreibt beispielsweise Montrul (2016: 9) in ihrem Modell zu außersprachlichen Einflussfaktoren auf den HL-Erhalt dem Sprachgebrauch einen direkten Einfluss auf die grammatische und kommunikative Kompetenz in der HL zu (s. Abschnitt 4.1). Welche Bereiche der täglichen Kommunikation in der Migrationssituation durch welche Sprache(n) besetzt werden, hängt laut Montrul von der Einstellung der Sprecher zu ihren Sprachen ab. Sprachgebrauch ist auch in gängigen Modellen zum Aussterben allochthoner Minderheitensprachen einer der bestimmenden Faktoren, der über Verlust oder Erhalt entscheidet (vgl. Dressler 1981; Sasse 1992). In den Modellen von Sasse (1992) und Dressler (1981) ruft eine negative Einstellung gegenüber der Minderheitensprache eine Umstellung im Sprachgebrauch hervor, sodass mehr und mehr Domänen allein von der Mehrheitssprache beansprucht werden. Dies führt dann gemäß der Sprachtodforschung zu einer Unterbrechung der intergenerationalen Transmission und somit zu Sprachverlust. In der Attritionsforschung liegen hingegen sich widersprechende Befunde zur Relevanz des Sprachgebrauchs vor. Auf der einen Seite kommt Schmid (2007) in ihrer Studie zur Attrition bei L1-Sprechern des Deutschen in den Niederlanden und in Kanada ( N = 106) zu dem Ergebnis, dass Sprachgebrauch kein Prädiktor für Attritionserscheinungen sei. Sie analysierte äußerst differenziert den Sprachgebrauch der Migranten unter Berücksichtigung des mono- und bilingualen Sprachmodus nach Grosjean (2001; s. Abschnitt 4.4.1) und konnte keinerlei Zusammenhang zwischen der Quantität der Sprachverwendung in den einzelnen Domänen und der Sprachkompetenz der Probanden feststellen (vgl. Schmid 2007: 49). Die Autorin vermutet, dass dieser Fall immer dann eintrete, wenn die L1 bereits vollständig in einer monolingualen Umgebung erworben wurde. Da der typische HL-Sprecher 34 Zur Bedeutung des sprachlichen Inputs im monolingualen Erstspracherwerb vgl. Tomasello 2003. 4.4 Sprachgebrauchskontexte 122 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt die HL jedoch nicht in solch einem Kontext erwirbt, wäre dieser Befund auf den HL-Kontext nicht ohne Prüfung übertragbar. Auf der anderen Seite unterstreicht u. a. Gürel (2007: 117) die Bedeutung des Sprachgebrauchs für die Attritionsforschung: In ihrer Studie zu Attritionserscheinungen bei erwachsenen L1-Sprechern des Englischen mit der L2 Türkisch ( N = 15) konnte sie keine Unterschiede zur monolingualen englischsprachigen Kontrollgruppe feststellen, obwohl die Sprecher sich im Durchschnitt seit bereits 18,6 Jahren in der Türkei aufhielten. Dieses Ergebnis sei laut Gürel auf den ausgiebigen Kontakt der Studienteilnehmer zu ihrer L1 zurückzuführen, die sich als Universitätsdozenten, Sprachlehrer des Englischen und Mitarbeiter in internationalen Firmen ihrer L1 fortwährend auch in einem formellen, monolingual orientierten Kontext bedienen konnten (vgl. ebd.). Der allgemein prestigeträchtige Status des Englischen wäre hier zudem als wichtige Einflussvariable zu beachten. Gürel kommt zu der Schlussfolgerung, dass „[n]o matter how frequent the use of L2 is, if it is not accompanied by infrequent L1 contact, L1 attrition is not likely to occur“ (ebd.: 117). Auch Köpke (2007) schreibt dem Sprachgebrauch als Gegengewicht zum Sprachverlust eine wichtige Rolle zu. Sie beschreibt die Zugehörigkeit zu einer aktiven Community von Migranten gleicher Herkunft im Gegensatz zu isolierter Migration als einen wichtigen Faktor, der Attrition unmittelbar entgegenwirken kann: Bei isolierter Migration gebe es nur geringen Input in der L1 des Sprechers, dieser entspreche aber den monolingualen sprachlichen Normen des Herkunftslandes (z. B. über Literatur oder Medien). Diese Form von nicht interaktivem Input könne zumindest den Erhalt passiver Sprachkenntnisse fördern. Hat der Sprecher jedoch daneben Zugang zu variationsreichem Input von anderen, ebenfalls bilingualen Sprechern aus unterschiedlichen Kontexten (z. B. Freunde, Kulturvereine, Gebetshäuser), so entwickeln sich von der (standardisierten) L1 abweichende Normen im Sinne einer Restrukturierung (vgl. ebd.: 24 f.). Dem Erhalt der L1 sei diese Art des Sprachgebrauchs ebenfalls zuträglich. Trotz sich zum Teil widersprechender Ergebnisse verweist die Attritionsforschung in Bezug auf den Faktor „Sprachgebrauch“ auf einen zentralen Aspekt: Es ist nicht ausschließlich die Häufigkeit der Sprachverwendung, die für den Erhalt der Minderheitensprache ausschlaggebend ist. Vielmehr ist es die Mannigfaltigkeit an durch unterschiedliche sprachliche Bedingungen geprägten Situationen und Gelegenheiten zur Sprachverwendung, die den Sprachgebrauch diversifizieren, die Anforderungen an die Sprache variieren lassen und somit zum Spracherhalt beitragen. Diese unterschiedlichen Kontexte sollen in den folgenden Abschnitten näher beschrieben werden. 4.4 Sprachgebrauchskontexte 123 4.4.1 Sprachregister und Sprachmodi Das Registerkonzept spielt im Zusammenhang mit Spracherhalt eine bedeutende Rolle, da es die entscheidenden Parameter beim Sprachgebrauch in der Migrationssituation zu bestimmen verhilft. Unter dem Begriff „Register“ werden Domänen des sprachlichen Handelns verstanden (vgl. Biber 1995: 18; Maas 2010: 38). Dabei ist das sprachliche Handeln von den an einer gegebenen Situation beteiligten Personen (Dimension der Formalität) und von dem Grad der Öffentlichkeit dieser Situation (Dimension Öffentlichkeit) abhängig (vgl. Koch & Oesterreicher 1985: 23; Maas 2008: 42). Die hierbei gewählten Sprachformen definieren das jeweilige Register. Das intime, private Register artikuliert dabei eine soziale Domäne, in der die Akteure einander vertraut sind, wie Familienangehörige oder enge Freunde, und die nicht öffentlich ist. Die Verwendung intimer sprachlicher Formen, sog. orater Strukturen, reflektiert die Vertrautheit der Gesprächspartner (vgl. ebd.: 47). Kommt ein gewisser Grad an Öffentlichkeit hinzu, beispielsweise auf der Straße oder in Geschäften, so ist die Situation nicht mehr als intim zu bezeichnen. Gleichzeitig weist sie noch nicht die Merkmale formeller Kommunikation auf und lässt sich somit zwischen diesen beiden Registeroppositionen als informelles, öffentliches Register verorten. Das formelle, öffentliche Register bezeichnet hingegen maximal öffentliche Situationen, die nicht an einen bestimmten sozialen Kontext gebunden und an einen generalisierten Dritten adressiert sind (vgl. Maas 2010: 38). Die hier verwendeten sprachlichen Formen - sog. literate Strukturen - sind weitgehend institutionell gefasst. Ein formelles, privates Register ist per definitionem ausgeschlossen. intim formell privat Familie, Freunde, Partner Ø öffentlich Straße, Geschäfte, öffentliche Verkehrsmittel Institutionen, Schule, Gerichte Tab. 4: Das Registermodell nach Maas 2010 Spracherwerb findet ebenfalls entsprechend den Registerfeldern als Sprachausbau statt: Zunächst erwirbt das Kind Sprache ausschließlich im intimen Register mit ihm nahestehenden Bezugspersonen. Mit zunehmendem Alter lernt es, sich im öffentlichen, informellen Register zu artikulieren. Es nimmt Kontakt zu ihm unbekannten Personen auf und muss seine Kommunikationsmittel entsprechend anpassen. Die sprachlichen Formen werden komplexer und informationsreicher, sie sind weniger kontextgebunden. Der Erwerb des formellen Registers ist an den Eintritt in eine Institution geknüpft und wird oftmals hierdurch erst 124 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt angestoßen. Er ist sehr stark an die Schriftlichkeit gebunden. Im formellen Register erfahren auch die sprachlichen Formen ein Maximum an Kontextfreiheit, Komplexität, Elaboriertheit und Informationsreichtum (vgl. Koch & Oesterreicher 1985). Für den Migrationskontext ist das Registerkonzept deshalb von größter Wichtigkeit, weil Sprachverlust ebenfalls entlang den Registerfeldern stattfindet (vgl. Chevalier 2005: 28). Bei der Migration wird zunächst das Feld des formellen Registers durch eine andere Sprache - die Sprache der Mehrheitsgesellschaft - übernommen, was den Sprachgebrauch zuerst einschränkt. Nach und nach findet die Mehrheitssprache Eingang in andere Domänen des Sprachgebrauchs, bis sie auch das intime Register artikuliert (vgl. Pauwels 2004: 719). Dieser Punkt bedeutet gleichwohl einen kritischen Umbruch für das Sprachweitergabeverhalten der nachfolgenden Generation, da die Minderheitensprache hierdurch im intimen Register, dem oftmals einzigen Ort des HL-Erwerbs, unfunktional wird. Minderheitensprache Dominante Sprache (a) traditionelles Leben modernes Leben (b) regional national (c) innerhalb der Community mit der Außenwelt (d) häuslich, privat öffentlich (e) innerhalb der Familie außerhalb der Familie (innerhalb der Community) (f) informell formell (g) intim nicht intim (h) für Solidarität für Macht (i) für Geheimhaltung für Nicht-Geheimhaltung (j) religiös säkular Tab. 5: Funktionale Domänen der Minderheiten- und der dominanten Sprache im Vergleich nach King (1989; zitiert nach Tsunoda 2006: 66; Übersetzung H. O.) Beispiele für solche Entwicklungen lassen sich in zahlreichen Studien zum Verlust von autochthonen Minderheitensprachen finden. Sie werden dort als topdown-Muster des Sprachverlusts bezeichnet (vgl. Tsunoda 2006: 47) und sind die häufigste Art des Sprachtods entlang von Registerfeldern. 35 Palmer (1997) 35 Das bottom-up-Muster des Sprachverlusts ist hingegen äußerst selten. Es trat beispielsweise bei Latein auf, das zunächst innerhalb der Familie nicht mehr verwendet wurde 4.4 Sprachgebrauchskontexte 125 stellte beispielsweise für Warrungu-Sprecher in Australien fest, dass diese zunächst das tabuisierte Vermeidungsregister zur Kommunikation in sozial stark markierten Gegebenheiten verloren, während das Alltagsregister noch erhalten blieb. Rubin (1972) beschreibt, dass die Kolonialsprache Spanisch in Paraguay zuerst Domänen besetzte, die mit Urbanität, Formalität, Ernsthaftigkeit und Öffentlichkeit assoziiert wurden. Das autochthone Guarani artikulierte hingegen noch weiter das intime Register. Die Minderheitensprache und die dominante Sprache besetzen also mit der Zeit unterschiedliche funktionale Domänen, die die in Tabelle 5 dargestellten Eigenschaften aufweisen. Diese Eigenschaften können zum größten Teil auch auf den Migrationskontext übertragen werden, wo die Minderheitensprache das intime Register und die dominante Sprache zunächst das formelle Register bestimmt. So ist auch hier das intime Register eng mit Familie, Häuslichkeit, Intimität und Gemeinschaft verknüpft und als vorherrschende Domäne der HL zu bezeichnen. Mit Blick auf das formelle Register in der HL gilt zudem grundsätzlich, dass der Sprachausbau insbesondere für die zweite Generation häufig gar nicht erst stattfindet bzw. nicht stattfinden kann (vgl. Maas 2008: 111; ebd. 2009: 146), da […] die sprachlichen Verhältnisse im Einwanderungsland nur eingeschränkte Möglichkeit [bieten], die Registervielfalt der Herkunftssprache zu erlernen bzw. zu praktizieren: Es fehlen Situationen, in denen das formelle Register dieser Sprachen notwendig ist, denn die Migranten sprechen ihre Herkunftssprache vorwiegend in ihrer Familie, unter Freunden und in ihren nationalen Communities. Die Situationen, die sprachlich bewältigt werden müssen, sind auf das informelle Register der Herkunftssprache begrenzt und enthalten nur kommunikativ genutzte Verkehrsformen. (Siekmeyer 2013: 32; vgl. auch Küppers et al. 2015; Schroeder 2003; Schroeder & Dollnick 2013; Schroeder & Şimşek 2010) Die HL wird laut dem Registermodell also primär im intimen Register als Sprache der maximal privaten Kommunikation mit der Familie erworben und verwendet. Handelt es sich um Einzelmigration, so wird zudem der Erwerb weiterer Register in der HL erschwert, da die Möglichkeiten zur Kommunikation mit anderen in einem öffentlicheren Rahmen stark eingeschränkt sind. Bei einer genügend großen Community von Migranten mit derselben Herkunftssprache, wie dies beispielsweise in urbanen Räumen für große Sprachgemeinschaften oft der Fall ist, kann der Sprachausbau im informellen Register fortgesetzt werden. Der Erwerb des formellen Registers in der HL ist dabei jedoch den größten Hürden unterworfen, da die HL keine institutionelle Legitimation besitzt und und nach und nach nur noch in speziell hervorgehobenen Kontexten Gebrauch fand (vgl. Tsunoda 2006: 47). 126 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt höchstens im herkunftssprachlichen Unterricht vermittelt und verwendet wird (vgl. Küppers et al. 2015: 32). Die Kompetenzen in der HL sind also im intimen Register am weitesten ausgebaut und bleiben oft auf dieses beschränkt. Da das formelle Register eng an die Schriftlichkeit geknüpft ist, darf auch die Rolle des Schriftspracherwerbs in der Minderheitensprache für ihren Erhalt nicht unterschätzt werden, denn [l]iteracy can be seen as a factor which might prevent attrition in several ways. On the socio-linguistic level, literacy (a) allows the speaker to maintain contact with the L1 by reading, which might be an important source of conforming evidence for the L1 […]; and (b) the wish to have access to written input may enhance motivation for maintaining the L1. (Köpke 2007: 20) Die Effekte, die Köpke Schriftlichkeit zur Vermeidung von Attritionserscheinungen zuschreibt, können direkt auf den HL-Kontext übertragen werden. Durch den Zugang zu geschriebenen Texten erhalten Sprecher zum einen variationsreicheren Input, beispielsweise durch Medien aus dem Herkunftsland oder klassische Schriften. Der Zugriff auf geschriebene Texte erweist sich zum anderen auch als ein Korrektiv, da hierdurch sprachlich undurchsichtige oder mündlich nur flüchtig wahrgenommene Formen im schriftlichen Medium explizit präsentiert werden. Die vorliegende Untersuchung greift jedoch nicht nur auf den Registerbegriff zurück. Vielmehr wird in dieser Arbeit der Versuch unternommen, diesen mit dem Konzept der Sprachmodi eines Bilingualen zu verknüpfen. Der Sprachmodus bezeichnet nach Grosjean den Zustand der Aktivierung und Sprachverarbeitung beider oder mehrerer Sprachen eines Mehrsprachigen zu einer bestimmten Zeit (vgl. Grosjean 2012: 1). Abbildung 5 verdeutlicht dies: Abb. 5: Sprachmodi eines Mehrsprachigen nach Grosjean 2012; Übersetzung H. O. 4.4 Sprachgebrauchskontexte 127 Die Abbildung ist dabei wie folgt zu lesen: Sprache A ist auf dem Sprachmoduskontinuum zu einem bestimmten Zeitpunkt die aktivierte Sprache (dargestellt durch das schwarze Quadrat). Der Aktivierungsgrad der Sprache B variiert hingegen je nach Modus. Während im monolingualen Sprachmodus Sprache B nicht aktiv ist (weißes Quadrat), ist sie im bilingualen Sprachmodus im Hintergrund teilweise aktiviert (graues Quadrat; vgl. Grosjean 2012: 2). Interagieren Mehrsprachige mit monolingualen Personen oder mit Bilingualen einer anderen Sprachkombination, so befinden sie sich im monolingualen Modus und unterdrücken dabei kontinuierlich ihre Sprache B. Formen dieser Sprache werden so im Kommunikationsprozess nicht produziert und können somit keinen Zusammenbruch der Verständigung verursachen. Trifft der Mehrsprachige hingegen auf andere Bilinguale mit derselben Sprachkombination, so kann er unter Umständen in den bilingualen Modus versetzt werden (vgl. ebd.). An diesem Punkt erweist sich auch eine Zusammenführung des Sprachmoduskonzepts mit dem Registermodell als sinnvoll und nachvollziehbar, denn die von Grosjean (2001: 5) benannten Faktoren, die über die Positionierung eines Sprechakts im Sprachmoduskontinuum entscheiden, lassen sich eindeutig auf die oben diskutierten Registereigenschaften übertragen: […] the participant(s), that is the person(s) being spoken or listened to (this includes such factors as language proficiency, language mixing habits and attitudes, usual mode of interaction, kinship relation, socioeconomic status, etc.), the situation (physical location, presence of monolinguals, degree of formality and of intimacy), the form and content of the message being uttered or listened to (language used, topic, type of vocabulary needed, amount of mixed language), the function of the language act (to communicate information, to request something, to create a social distance between the speakers, to exclude someone, to take part in an experiment, etc.) […]. (Grosjean 2001: 5) Im intimen Register können demzufolge bei entsprechender Konstellation beide Sprachen eines Bilingualen verwendet werden. Dieser bilinguale Modus findet durch die Koaktivierung beider Sprachen Ausdruck in Phänomenen wie Sprachmischungen oder Sprachwechsel (vgl. Schmid 2007: 138). Im formellen Register, in dem ausschließlich der monolinguale Modus akzeptiert ist, stellen diese Erscheinungen aus normativer Sicht einen Verstoß dar und sind aus kommunikativen Gründen nicht funktional (vgl. Grosjean 2001: 3; Schmid 2007: 140). HL-Sprecher agieren in ihrer HL also nur selten im monolingualen Modus, da sie sie kaum jemals im formellen Register erleben, was wiederum Auswirkungen auf die Sprachkompetenz in der HL haben kann (s. Tabelle 6). 128 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt intim formell privat bilingualer Modus Ø öffentlich monolingualer Modus Tab. 6: Sprachmodi eines Mehrsprachigen nach Registern (eigene Darstellung) Es existieren jedoch keine eindeutigen Befunde zu der Frage, ob Sprachmischungen eher zum Spracherhalt oder zum Sprachverlust beitragen. Ecke (2004: 338) konstatiert dazu: „[…] the ability and commitment to temporarily suppress one language, that is, to avoid codeswitching while using the other, counteracts attrition.“ Wenn eine Person also eine ihrer Sprachen beim Sprechen zu unterdrücken vermag und mit Grosjean auch bei einem Gespräch mit einer bilingualen Person in einen monolingualen Modus umschalten kann, sei dies förderlich für Spracherhalt (vgl. auch De Leeuw et al. 2010). Auf der anderen Seite schildern Bentahila und Davies (1992), dass die Freiheit, stets beide Sprachen nutzen zu können, Kinder in die Lage versetze, Sprache(n) ungezwungen in vielfältigen Situationen zu verwenden, was somit Spracherhalt fördere. Ähnliches gilt sicherlich für die Möglichkeit eines spontanen Sprachwechsels. Zudem bedarf es spezieller Situationen, um den monolingualen Modus auch im intimen Register für die HL zu erzeugen. Solche Situationen sind im Einwanderungsland nicht per se gegeben, sondern müssen bewusst hergestellt werden, da die meisten anderen HL-Sprecher mit großer Wahrscheinlichkeit selbst Bilinguale mit derselben Sprachkombination sind. Diese Überlegungen machen deutlich, weshalb es unabdingbar ist, sowohl Sprachregister als auch Sprachmodi bei der Darstellung der Sprachgebrauchsmuster Mehrsprachiger zu beachten und die Verwendung der HL den funktionalen Domänen entsprechend abzubilden (vgl. Fishman 1991: 44; Pauwels 2004: 719). Die folgenden Abschnitte befassen sich deshalb mit dem Einfluss von Sprachgebrauch in unterschiedlichen Domänen auf den Erhalt der HL unter Berücksichtigung von Registern und Modi. 4.4.2 Sprachverwendung mit Eltern, Großeltern, Geschwistern, Peers Die Sprachverwendung mit den engsten Familienmitgliedern wie auch mit den Freunden lässt sich dem intimen Register und gleichzeitig (meist) dem bilingualen Modus zuordnen. Somit ist dieser Sprachgebrauchskontext derjenige, der die Sprachkompetenz von jugendlichen HL-Sprechern am stärksten prägt und in dem die HL die größte Stabilität und Funktionalität erfährt (vgl. Küppers et al. 4.4 Sprachgebrauchskontexte 129 2015). Der Erwerb der HL im Familienkontext entscheidet zudem darüber, ob sie an Nachfolgegenerationen weitergegeben wird. Diese Tatsache unterstreicht noch einmal „[…] the crucial importance of the home or family domain in the maintenance of a minority language. If the minority language is no longer used in a family context it is unlikely to be passed on to the next generation“ (Pauwels 2004: 723). Die Sprachaufgabe in der zweiten und / oder dritten Migrantengeneration erzeugt wiederum eine Sprachbarriere zwischen den Generationen innerhalb einer Familie, einen sogenannten „language mismatch“ (Au & Oh 2009: 272). Die sprachliche Praxis im Haushalt ist demnach nicht nur ein entscheidender Prädiktor für den Erhalt der HL, sondern auch für die Beziehung zwischen den Eltern und den Kindern. Familien, in denen Eltern und Kinder die gleiche Sprache sprechen, berichten entsprechend öfter über einen größeren Zusammenhalt untereinander (vgl. Au & Oh 2009; Portes & Hao 1998). Ein häufiges Muster des Sprachgebrauchs im intimen Register der zweiten Generation lässt sich entlang den jeweiligen Generationen nachzeichnen (vgl. Brehmer & Mehlhorn 2015b: 97; 102). Während die Eltern zumindest bis zu einem gewissen Grad bilingual sind, sprechen die Großeltern die Mehrheitssprache nur eingeschränkt oder gar nicht. Ihnen kommt deshalb eine besondere Rolle zu: Die Kommunikation mit ihnen kann den jugendlichen HL-Sprechern die Möglichkeit bieten, die HL im intimen Register im monolingualen Modus zu verwenden. Die dominante Sprache der Geschwister und mit ihnen anderer nahestehender Gleichaltriger ist hingegen meist die Sprache der Umgebung (vgl. Schwartz et al. 2009: 23), wodurch sich weitere Kontexte zur Kommunikation im monolingualen Modus eröffnen, allerdings eher in der Mehrheitssprache. Die Sprachgebrauchsmuster innerhalb der Familie sind folglich äußerst aussagekräftig bezüglich des Einzugs der Mehrheitssprache in diese intime Domäne. Ihr Einfluss auf den Erhalt der HL stand dementsprechend im Fokus mehrerer empirischer Untersuchungen. Die Befunde sind indes auch hier teilweise widersprüchlich. Sprachgebrauch wurde beispielsweise von Sirén (1995) in einer umfassenden longitudinalen Fragebogenstudie zum Erhalt der Minderheitensprache in mehrsprachigen Familien in Stockholm untersucht. Die Familien wurden dafür zu drei Zeitpunkten zu ihrer sprachlichen Praxis befragt: während der Schwangerschaft zu dem geplanten Sprachgebrauch sowie während das Kind 2,5 bzw. 4 Jahre alt war zu der tatsächlichen Sprachverwendung. Die Autorin stellte zum einen fest, dass die geplante Sprachwahl bis zum Alter von 2,5 ohne Hindernisse von den Eltern umgesetzt werden konnte. Dies änderte sich mit Erreichen des Kindergartenalters jedoch stark, sodass zum letzten Erhebungszeitpunkt ein signifikanter Rückgang eines exklusiven Gebrauchs der Minderheitensprache insbesondere bei den Vätern zu verzeichnen war (vgl. ebd.: 78). Zum anderen 130 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt konnte Sirén belegen, dass die Intention, das Kind in der Minderheitensprache aufwachsen zu lassen, in Familien mit einem monolingual schwedischsprachigen Elternteil seltener umgesetzt werden konnte. Dies gilt insbesondere, wenn der Vater Sprecher der Minderheitensprache ist. Grundsätzliches Ergebnis der Studie ist jedoch die Feststellung, dass der ausschließliche Gebrauch der Minderheitensprache durch beide Elternteile die Chancen auf ihre Weitergabe an die Kinder signifikant steigerte. De Houwer (2007) legte eine Studie zum Sprachgebrauch von 1.899 in Flandern lebenden mehrsprachigen Familien mit Kindern im Alter zwischen 6 und 10 Jahren vor. Die Analyse der an die Eltern verteilten Fragebögen zeigte zunächst, dass die Minderheitensprache, obwohl sie in allen Haushalten von den Eltern verwendet wurde, nicht zwingend auch von den Kindern gesprochen wurde. Die Aussicht, die Minderheitensprache erfolgreich an die Kinder weiterzugeben, verringerte sich deutlich, sobald das Kind von beiden Elternteilen Input in beiden Sprachen erhielt (vgl. ebd.: 420). Allerdings ist dieser Effekt nicht pauschal durch den Gebrauch der Mehrheitssprache in der Familie zu erklären. Solange nur ein Elternteil zusätzlich zur Minderheitensprache auch die Mehrheitssprache zu Hause sprach, zeigten sich keine Unterschiede zu Familien, in denen die Eltern ausschließlich in der Minderheitensprache mit den Kindern kommunizierten. Die OPOL-Methode scheint also im Lichte dieser Befunde weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für einen erfolgreichen Erwerb der Minderheitensprache zu sein (vgl. ebd.). Umbel und Kollegen (1992) beschäftigten sich mit dem innerfamiliären Sprachgebrauch als Einflussfaktor auf das Lexikon bei 105 Grundschulkindern mit der Sprachkombination Englisch und Spanisch. Während in manchen Familien nur die Minderheitensprache Spanisch verwendet wurde, wurden in anderen beide Sprachen gesprochen. Die Ergebnisse zeigten deutliche Unterschiede zwischen den Familien. Die Kinder, die zu Hause Input in beiden Sprachen erhielten, erzielten im spanischsprachigen Vokabeltest die gleichen Ergebnisse wie diejenigen, in deren Familie nur Spanisch vorkam. Im englischsprachigen Vokabeltest allerdings zeigten sich deutliche Vorteile für Probanden mit zweisprachigem Input in der Familie. Sie schnitten im unteren Normbereich der monolingual englischsprachigen Gruppe ab, an der der Test geeicht wurde. Die Kinder, in deren Elternhaus allein das Spanische präsent war, konnten also nicht von einsprachigem Input in ihrer HL Spanisch profitieren und hatten zusätzlich deutliche Nachteile im Englischen (vgl. ebd.: 1018). Es ist nach dieser Studie folglich nicht automatisch davon auszugehen, dass ein exklusiver HL-Gebrauch in der Familie ihrem Erhalt dienlich ist, auch ein gemischtsprachlicher Input im bilingualen Modus bzw. die OPOL-Methode scheint ausreichend zu sein. 4.4 Sprachgebrauchskontexte 131 Zu genau gegenläufigen Ergebnissen gelangen Klassert und Gagarina (2010) in ihrer Studie zu Kindergartenkindern mit der HL Russisch in Berlin. Die Kinder wurden für die Analyse in drei Gruppen je nach dem Verhältnis von deutschsprachigem zu russischsprachigem Input in der Familie unterteilt. Anschließend durchliefen die Kinder in beiden Sprachen Tests zu lexikalischem und grammatischem Wissen. Es zeigte sich, dass die Quantität des Russischgebrauchs innerhalb der Familie sich in großem Maße auf die HL-Kompetenz der Kinder in beiden getesteten Bereichen auswirkte. Die Autorinnen fanden zudem keinen Zusammenhang zwischen dem Umfang des Deutschgebrauchs zu Hause und der Sprachkompetenz der Kinder in der Mehrheitssprache. Dies deutet darauf hin, dass der Input in der Umgebungssprache durch den Besuch des Kindergartens ausreichend gegeben ist (vgl. ebd.: 422). Diese Ergebnisse werden auch von Gutiérrez-Clellen und Kreiter (2003) sowie von Pearson und Kollegen (1997) gestützt, die ähnlich für die Verwendung des Spanischen innerhalb der Familie argumentieren. Die Befunde zum Zusammenhang von Sprachgebrauch in der Familie und der HL-Sprachkompetenz von Besters-Dilger und Kollegen (2015) widersprechen allen oben zitierten Studien. Zwar beobachten sie innerhalb ihrer in Deutschland aufgewachsenen polnischsprachigen Probandengruppe ( N = 51) die besten Ergebnisse in dem sehr ausdifferenzierten Kompetenztest bei denjenigen HL-Sprechern, die zu Hause ausschließlich Polnisch verwendeten. Probanden, die innerhalb der Familie nur Deutsch sprachen, schnitten allerdings am zweitbesten ab. Die schlechtesten Ergebnisse erzielten diejenigen, die mit der Familie beide Sprachen nutzten (vgl. ebd.: 62). In dieser Studie konnte ferner das Muster bestätigt werden, dass mit den Eltern noch beide Sprachen zum Einsatz kommen, während mit den Geschwistern hauptsächlich das Deutsche verwendet wird. Diejenigen Studienteilnehmer, die mit den Geschwistern hauptsächlich auf Deutsch kommunizierten, zeigten in den Sprachtests dann erneut entgegen der Annahme die besten Resultate. Darüber hinaus stellen Besters-Dilger und Kollegen fest, dass ihre Probanden polnischsprachigen Input im Allgemeinen ausschließlich durch die Familie erhielten, meist keinen HL-Unterricht besuchten und auch nur sehr wenig polnischsprachige Medien konsumierten. Die Autoren bieten für ihre von den Erwartungen abweichenden Beobachtungen keine Erklärungen. Da zudem nur mit Prozentangaben gearbeitet wurde, sind diese Ergebnisse nur unter Vorbehalt interpretierbar. Braun und Cline (2010) sowie Braun (2012) verweisen im Zusammenhang mit der Verwendung der Minderheitensprache auf die Bedeutung der Großeltern, insbesondere wenn diese nicht im Einwanderungsland der Familie leben, sondern im Herkunftsland. In semi-strukturierten Interviews mit 70 mehrsprachigen Familien in Deutschland und England äußerten die Eltern wiederholt das 132 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt Bestreben, die Minderheitensprache an ihre Kinder weitergeben zu wollen, um eine natürliche Kommunikation mit deren Großeltern oder anderen im Herkunftsland lebenden Verwandten zu ermöglichen. Lebten die Großeltern der Kinder hingegen mit der Familie im Einwanderungsland, so bedienten sie sich häufig auch der Mehrheitssprache, was die Eltern teilweise dazu veranlasste, auf die Weitergabe der Minderheitensprache zu verzichten. Für die Sprachverwendung innerhalb der Familie lässt sich zusammenfassen, dass der Großteil der Studien einen Zusammenhang zwischen der Quantität des Inputs in der HL in dieser Domäne und dem Erhalt dieser sieht. Ob ein exklusiver Gebrauch der HL hierfür zwingend ist oder ob die Mehrheitssprache ebenfalls einen bestimmten Anteil am Input ausmachen kann, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. 4.4.3 Besuche im Herkunftsland Wie im vorherigen Abschnitt erwähnt, schreiben Braun (2012) sowie Braun und Cline (2010) den Großeltern eine wichtige Rolle im Sprachweitergabeprozess zu. Ein Grund hierfür ist, dass die Kommunikation mit Großeltern, die im Herkunftsland der Familie leben, die Verwendung der HL erforderlich macht. Die HL-Sprecher können in diesem Kontext nicht auf die Umgebungssprache des Einwanderungslandes zurückgreifen, sondern müssen sich im monolingualen Modus in der HL verständigen. Au und Oh formulieren dies folgendermaßen: „[…] having authentic and meaningful needs to speak the heritage language can play an important role as well“ (2009: 270). Allgemeiner gefasst bedeutet dies, dass Reisen in das Herkunftsland der Eltern für HL-Sprecher eine Möglichkeit bieten, die HL nicht in einer Machtkonstellation zu erleben, in der sie die untergeordnete Sprache ist. Stattdessen wird sie als authentisches und situationsadäquates Kommunikationsmittel wahrgenommen. Erfolgt die Verständigung zudem insbesondere mit dem Sprecher nahestehenden Personen, lässt sich diese Sprachgebrauchsdomäne als Sprachverwendung im intimen Register und im monolingualen Modus bezeichnen. Obwohl diese Kommunikationsdomäne als bedeutsam für Spracherhalt und als relevant für die Sprachkompetenz in der HL erscheint, sind hierzu vergleichsweise wenige empirische Untersuchungen vorhanden. Exemplarisch lässt sich hier die Studie von De Leeuw und Kolleginnen (2010) anführen, die sich allerdings mit Attrition beschäftigt. Sie untersuchten die Auswirkungen unterschiedlicher Gebrauchskontexte auf Attritionserscheinungen im prosodischen Bereich bei Sprechern des Deutschen, die im Erwachsenenalter nach Kanada oder in die Niederlande ausgewandert waren. Die Sprachgebrauchsmuster der Probanden wurden für die Untersuchung in zwei Kategorien unter- 4.4 Sprachgebrauchskontexte 133 teilt: solche Kontexte, in denen der bilinguale Modus möglich war, und solche, in denen ausschließlich der monolinguale Modus in der L1 der Sprecher lizensiert war. Als Situationen des monolingualen Sprachgebrauchs im Deutschen wurden die Bereiche Arbeit (falls die Sprecher als Übersetzer, Deutschlehrer oder Konsulatsmitarbeiter tätig waren), Reisen nach Deutschland und die Häufigkeit der Korrespondenz mit anderen L1-Sprechern des Deutschen durch beispielsweise Briefe oder E-Mails bestimmt (vgl. ebd.: 36). Sprachaufnahmen der Probanden wurden von monolingualen Sprechern des Deutschen im Hinblick auf einen fremdsprachigen Akzent bewertet. Die Auswertungen zeigten erstens, dass die Qualität und die Quantität des Inputs eine wesentlich präzisere Voraussage über einen fremdsprachigen Akzent erlaubten als beispielsweise das Alter der Studienteilnehmer bei Einreise oder die Kontaktdauer zur L2. Zweitens stellten die Autorinnen fest, dass gerade die monolingualen Sprachgebrauchskontexte sich positiv auf den Erhalt einer nativen Aussprache bei ihren Probanden auswirkten. Hier erwiesen sich jedoch ausschließlich die Faktoren „Arbeit“ und „Korrespondenz“ als signifikant (vgl. ebd.: 39). Dass Besuche im Herkunftsland in dieser Studie die erforderliche statistische Signifikanzgrenze nicht erreichten, erklären die Autorinnen folgendermaßen: Zum einen wurde ausschließlich die Besuchshäufigkeit erhoben, nicht die jeweilige Besuchsdauer. In Anbetracht der äußerst unterschiedlichen Distanzen von Kanada und den Niederlanden nach Deutschland und der damit verbundenen Kosten vermuten die Autorinnen, dass kanadische Probanden, sofern sie nach Deutschland reisten, dies zwar wesentlich seltener taten, jedoch über einen längeren Zeitraum blieben als die niederländischen Probanden. Eine andere Erklärung könnte laut den Autorinnen darin liegen, dass Reisen ins Herkunftsland nur einen temporären Effekt auf die Aussprache haben, so dass nicht nur ihre Häufigkeit, sondern auch der genaue Zeitpunkt des letzten Besuchs erhoben werden sollte (vgl. ebd.). 4.4.4 Unterricht in der Herkunftssprache Im Kontrast zum Aufenthalt im Herkunftsland, also einem authentischen Rahmen für den Sprachgebrauch im intimen Register und im monolingualen Modus, ist der Unterricht in der Herkunftssprache auf die Schriftlichkeit und die standardsprachlichen Normen ausgerichtet (vgl. Montrul 2008: 5). Dies impliziert einen Umgang mit sprachlichem Standard, zu dem im intimen Register ohne Unterricht kaum Zugang besteht. Durch die Vermittlung kodifizierter Normen erfolgen eine vertiefte Auseinandersetzung mit den formalen Aspekten der HL und eine bewusste Ausdifferenzierung zwischen oraten und literaten Strukturen. Aber nicht nur formalsprachlich bietet Unterricht im Idealfall eine 134 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt andere Art von Input verglichen mit der innerfamiliären Sprachverwendung, er ist auch thematisch anders angeordnet und kann Bereiche umfassen, die im intimen Register weniger präsent sind. Aufgrund dieses strukturiert dargebotenen Inputs macht der herkunftssprachliche Unterricht aus dem Erwerb der HL erst ein Erlernen derselben (vgl. Brehmer & Mehlhorn 2015b). Bei ausreichender Kompetenz der Teilnehmer schafft er auch Raum für den monolingualen Modus und somit nach Au und Oh (2009) einen weiteren, anders beschaffenen Kontext zur HL-Verwendung. Zudem gewährt die Schriftlichkeit den Sprechern einen Zugang zu moderner Literatur oder klassischen Texten in der Herkunftssprache und damit gleichsam zur Kultur und Geschichte des Herkunftslandes, was ebenfalls einen positiven Effekt auf den Erhalt der HL haben kann. Darüber hinaus eröffnen sich dem Sprecher durch den Ausbau seiner HL-Kenntnisse bis ins formelle Register eventuelle weitere Berufsfelder, in denen ein professioneller Gebrauch der HL vonnöten ist. Dies kann sich nachhaltig positiv auf die kognitive Einstellung zur HL auswirken (vgl. Carreira 2003: 70; s. auch Abschnitt 4.5.1). Der Unterricht in der Herkunftssprache ermöglicht folglich bestenfalls den Erwerb des formellen Registers in der HL und den Ausbau sprachlicher Kompetenzen auf eine weitere Stufe. Gleichzeitig kann der Nutzen von Unterricht in der Herkunftssprache zur Diskussion gestellt werden, denn die soeben dargestellten Vorteile lassen sich nur unter bestimmten organisatorischen und didaktischen Voraussetzungen erfüllen. Au und Oh (2009: 271) zweifeln gar insgesamt die Effektivität schulischer Angebote zum Zwecke des Spracherhalts an. Wie wirksam Unterricht in diesem Zusammenhang tatsächlich ist, hängt von vielerlei Faktoren ab, die je nach unterrichteter Sprache und nationalem Kontext stark variieren können: So reichen beispielsweise die Organisationsformen des Unterrichts von privaten kostenpflichtigen Angeboten wie Sonntagsschulen über Kurse im Zuge religiöser Erziehung oder Konsulatsstunden bis zu staatlich installiertem Unterricht an Regelschulen (zur Situation in Hamburg vgl. bspw. Lengyel & Neumann 2016: 6). Letzterer kann zudem die Vermittlung der Herkunftssprache in unterschiedlichem Umfang vorsehen. Reich und Roth (2002: 17 f.) nennen hier beispielsweise transitorische Modelle, bei denen ein sanfter Umstieg zur Mehrheitssprache nach ca. zwei Jahren vorgesehen ist, Language-Maintenance-Modelle, in denen die Minderheitensprache durch die gesamte Schulzeit hinweg als Unterrichtssprache parallel zur Mehrheitssprache verwendet wird, oder Two-Way-Immersion-Modelle, in denen Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Ausgangssprachen konstant in einer Minderheiten- und der Mehrheitssprache beschult werden. In Deutschland werden mehrsprachig sozialisierte Schülerinnen und Schüler zumeist in Regelklassen beschult und erhalten gesondert einige Stunden in der Herkunftssprache (d. h. Submersion mit begleitendem Language-Maintenance-Unterricht; vgl. ebd.: 4.4 Sprachgebrauchskontexte 135 21). Während in Deutschland herkunftssprachlicher Unterricht meist ein freiwilliges Zusatzangebot darstellt, das am häufigsten in der Grundschule bereitgestellt wird und mit steigendem Alter und dem Ausbildungsniveau stetig an Bedeutung verliert (vgl. Lengyel & Neumann 2016), finden HL-Kurse in den USA, Kanada oder Australien ebenfalls als durchgehende Programme bis zur Universität statt. Welches dieser Angebote ein zielführendes Lernen eher garantiert, lässt sich jedoch nicht mit Sicherheit vorhersagen. Auf der einen Seite gelten für private Anbieter keinerlei Standards, was die Auswahl der Lehrkräfte, des Materials oder des Unterrichtsinhalts angeht. Auf der anderen Seite haben auch staatlich organisierte Kurse mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, sodass auch hier die Unterrichtsqualität variieren kann. Strukturellen Problemen mit der Lehrkräfteausbildung, Bezahlung, Leistungsbewertung und Anerkennung als reguläre Fremdsprache geht oftmals eine Grundsatzdebatte über die Notwendigkeit von in der Verantwortung des Staates liegendem Unterricht in der Herkunftssprache voraus. Welche Ziele eine Institution mit der Einrichtung von Unterricht in einer Minderheitensprache verfolgt, kann für die oben genannten Aspekte der Unterrichtsqualität entscheidend sein. Eine kompensatorische Argumentationsweise äußert sich beispielsweise in dem Bestreben, etwaige sprachliche Defizite der Schülerinnen und Schüler in der Mehrheitssprache auszugleichen. Unterricht in der Minderheitensprache, so Fishman, lasse sich jedoch nicht trivialisieren „[…] by evaluating merely the degree to which initial instruction via the disadvantaged language maximizes acquisition and mastery of the advantaged one. To do so is not only tantamount to adding insult to injury; it is also to lose sight of the true relationship between language, society and culture“ (Fishman 1989: 479). Weiterhin führt dieser kompensatorische Zweck von Unterricht in der Herkunftssprache zu seiner Selbstabschaffung: If it does not succeed in improving the English [dominant language resp.; H. O.] mastery of those assigned to it, it would necessarily be called to task, and discontinued since such improvement is its major avowed purpose. However, should it succeed in this restricted task, then it would be discontinued purportedly as being no longer necessary. (Fishman 1977: 23) Wird jedoch aus einer pluralistischen Perspektive für einen solchen Unterricht argumentiert und der Erhalt der Mehrsprachigkeit betont, strebt dieser die Stärkung der Kommunikationsfähigkeit in allen den Schülerinnen und Schülern zugänglichen Sprachen, die Würdigung ihrer mitgebrachten Kompetenzen als schulisch relevant und die Anerkennung eines wichtigen Teils ihrer Persönlichkeit an. Aufgrund der sehr großen Heterogenität des angebotenen Unterrichts ist es schwer, eindeutige und allgemeingültige empirische Ergebnisse zu seiner Wirk- 136 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt samkeit vorzulegen. Die nachfolgend diskutierten Studien zu Unterricht in der Herkunftssprache sollten denn auch ausschließlich in dem jeweils untersuchten Rahmen interpretiert werden, d. h. bezogen auf den jeweiligen nationalen Kontext, die unterrichtete Sprache, die den Unterricht bereitstellende Institution und die Organisationsform. Dass national wie international nur wenige Evaluationsstudien existieren, die belastbare Ergebnisse zur Wirksamkeit von herkunftssprachlichem Unterricht liefern, bezeichnen Reich und Roth als „ein besonders schwer wiegendes [sic! ] Versäumnis der deutschen Forschung“ (2002: 22). Arbeiten zu dieser Thematik widmen sich stattdessen entweder der Untersuchung von Auswirkungen des herkunftssprachlichen Unterrichts und zweisprachiger Bildungsangebote auf den Erwerb der Mehrheitssprache (für einen Überblick vgl. Reich & Roth 2002: 18 ff.) oder sie beschäftigen sich mit Rahmenbedingungen des Unterrichts und mit der Perspektive bzw. den Erwartungen der Lernenden. Im Folgenden sollen einige Untersuchungen vorgestellt werden, die den letztgenannten Aspekt verfolgen, bevor anschließend einige Schlaglichter auf die Wirksamkeit von Unterricht in einer Minderheitensprache für den Erhalt dieser geworfen werden. Jensen und Llosa (2007) führten beispielsweise eine Umfrage mit 128 Studierenden der Universität von Kalifornien in Los Angeles durch. Die Studierenden waren HL-Sprecher der Sprachen Koreanisch, Russisch, Thai und Vietnamesisch und besuchten an der Universität einen Anfängerkurs in ihrer jeweiligen HL. Im Fokus standen die Eingangsvoraussetzungen und die Erwartungen der Studierenden. Nach eigener Einschätzung ihrer HL-Sprachkompetenzen waren bei allen Befragten die schriftsprachlichen Fertigkeiten Lesen und Schreiben wesentlich geringer ausgeprägt als Fertigkeiten, die keine Schriftkenntnis voraussetzen (Verstehen und Sprechen). Etwa die Hälfte der HL-Sprecher in jeder Sprachgruppe gab zudem an, ein langsamer Leser zu sein. Zeitschriften, Kinderbücher, Kurzgeschichten, Comics, Speisekarten und Werbeanzeigen wurden von den Probanden als einfache und bewältigbare Lektüre in der HL klassifiziert. Als schwierig erwiesen sich hingegen Zeitungen, Bücher und formelle Texte (vgl. ebd.: 107). Diese Zweiteilung ist ein erneuter Hinweis auf die Nichtgeläufigkeit des formellen Registers in der HL und auf den Wunsch, durch den Unterrichtsbesuch Zugang dazu zu erwerben. Befragt nach präferierten Texten für den HL-Unterricht an der Universität nannte ein Drittel der Studienteilnehmer kulturelle und historische Texte oder volkstümliche Erzählungen. Dies unterstreicht neben dem Ausbau sprachlicher Kompetenzen eine weitere Funktion des Unterrichts in der Herkunftssprache: die Zugangsmöglichkeit zur Geschichte und Kultur des Herkunftslandes. Einen Einblick in den Unterricht in privaten litauischen Samstagsschulen in Chicago gewährt Tamošiūnaitė (2013). Da die litauische Community sehr klein ist 4.4 Sprachgebrauchskontexte 137 und im Vergleich zu den anderen großen Sprachgruppen in den USA kaum Litauischunterricht im öffentlichen Sektor zu finden ist, weichen die Sprecher auf privat organisierte Angebote wie Samstagsschulen aus. Tamošiūnaitė stellte in ihrer Studie erstens fest, dass diese im Gegensatz zur amerikanischen Schule einen sehr konservativen Unterricht anbieten und Materialien für den muttersprachlichen Litauischunterricht verwenden. Zweitens verfügten die von ihr befragten Teilnehmer nach eigenen Angaben über gute bis sehr gute schriftsprachliche Kenntnisse im Litauischen, auch wenn sie bereits in dritter Generation in den USA lebten. Tamošiūnaitė führt dies auf die sehr gut organisierten Samstagsschulen sowie auf zahlreiche kulturelle Aktivitäten der litauischen Gemeinde zurück. Mit der Perspektive der Eltern, Lehrkräfte und Schulleiter auf Unterricht in der Herkunftssprache beschäftigten sich You und Liu (2011). Sie verglichen mittels Fragebögen und exemplarischer Interviews Chinesisch- und Koreanischunterricht an je zwei privaten Schulen in Phoenix. Die meisten der befragten Eltern und Lehrkräfte sehen in der Vermittlung der Herkunftssprache die größte Priorität des Unterrichts. Gleichzeitig räumten viele Teilnehmer auch ein, dass seine Effektivität aufgrund des Zeitmangels eingeschränkt ist. Die Direktoren der Schulen stellten die Herausbildung einer kulturellen Identität, die Schaffung eines Gemeinschaftsgefühls und die Formung des Charakters als Aufgaben der Schule in den Vordergrund. Als problematisch benannten die meisten Teilnehmer die teilweise unzureichende Qualifizierung der Lehrkräfte (es unterrichteten oft die Eltern selbst oder Studierende aus den jeweiligen Herkunftsländern), eine hohe Lehrerfluktuation, die Auswahl der Textbücher sowie eine konservative didaktische Herangehensweise. Der Elternsicht auf herkunftssprachlichen Unterricht widmet sich ebenfalls die Untersuchung von Lengyel und Neumann (2016). Sie befragten 3.110 in Hamburg lebende mehrsprachige Familien nach ihrer Meinung zum herkunftssprachlichen Unterricht ihrer Kinder. Obwohl die Mehrheit der Eltern (88 %) sich herkunftssprachlichen Unterricht für ihre Kinder wünschte, hatte über die Hälfte keine Kenntnis über entsprechende Angebote. Nur etwa ein Fünftel der Befragten gab an, dass ihre Kinder derzeit herkunftssprachlichen Unterricht besuchten. Meist wurde dieser von privaten Vereinen oder Konsulaten organisiert. Der Schule kommt nur eine geringere Rolle zu, obgleich sich die Eltern eher dort die Ansiedlung des Unterrichts wünschten. Als primäres Ziel dieses Unterrichts benennen die Eltern den Schriftspracherwerb in der Herkunftssprache (vgl. ebd.: 60). Weiter sind ihnen die Förderung der Mehrsprachigkeit und Identitätsentwicklung sowie die Vermittlung von Informationen über das Herkunftsland wichtig. An letzter Stelle wird eine Rückkehrabsicht geäußert. Chinen und Tucker (2005) legten eine Studie zu einer japanischen Samstagsschule in Los Angeles vor. Sie untersuchten mittels einer Can-Do-Skala die selbst 138 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt eingeschätzten Kompetenzen der Schüler in ihrer HL Japanisch am Anfang und am Ende eines Schuljahres und fanden keine signifikante Verbesserung. Ein Quasi-Longitudinal-Vergleich der unterschiedlichen Klassen in der Schule zeigte ebenfalls keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen. Das heißt, dass die Schüler, die die Samstagsschule bereits seit mehreren Jahren besuchten, nicht besser abschnitten als neu hinzugekommene Schülerinnen und Schüler. Gleichzeitig wurde jedoch ein Zusammenhang zwischen dem Besuch der Samstagsschule und der Entwicklung ethnischer Identität ermittelt, die bei den ältesten Teilnehmern entsprechend am stärksten ausgeprägt war. Die Auswirkungen von schulisch und außerschulisch erteiltem Herkunftssprachenunterricht in den Niederlanden auf die Sprachkompetenz der Schülerinnen und Schüler in den unterrichteten Sprachen Türkisch, Marokkanisch und Spanisch untersuchten de Bot und Kollegen (1991). Insgesamt 688 Kinder durchliefen einen schriftlichen Sprachtest in der Herkunftssprache. Die Ergebnisse wurden anschließend mit der Dauer des besuchten Unterrichts und dem Organisationstyp (schulisch vs. privat) korreliert. Zunächst zeigte sich, dass die türkischsprachigen Schüler in den Tests am besten abschnitten (durchschnittlich 73 % korrekte Antworten), während die marokkanischsprachigen im Durchschnitt 19 % der Testitems korrekt lösten. 42 % der marokkanischsprachigen Schüler waren nicht in der Lage, den Test durchzuführen, da ihnen grundlegende schriftsprachliche Kenntnisse fehlten. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn die unterschiedlichen Schriftsysteme und die große Distanz von marokkanischem Arabisch zu schriftsprachlichem Arabisch bedacht wird. In den anschließenden Analysen konnte belegt werden, dass sich Unterricht in der Herkunftssprache für die türkischsprachige Gruppe sowohl schulisch als auch außerschulisch als Konsulatsunterricht positiv auf die Sprachkompetenz auswirkt. Bei der marokkanischsprachigen Gruppe hingegen ließ sich keine Wirkung schulisch angebotener Kurse nachweisen. Nur die außerschulischen Angebote hatten einen signifikanten Effekt auf die Kompetenz der Kinder in ihrer HL. Beim Spanischunterricht hingegen war dies weder innerhalb der Schule noch außerhalb der Fall. De Bot und Kollegen (1991) weisen mit ihrer Studie einerseits Einflüsse der Organisationsform auf die Effektivität des Unterrichts nach, andererseits belegen sie, dass sein Wirkungsgrad auch mit der erteilten Sprache zusammenhängen kann. Gleichzeitig schlussfolgern sie jedoch selbst, dass die tatsächliche Ausgestaltung des Unterrichts in ihren Analysen keine Berücksichtigung fand, sodass nicht mit Sicherheit behauptet werden kann, die oben zitierten Zusammenhänge seien universell gültig (vgl. ebd.: 33). Caprez-Krompàk (2010) führte eine Evaluationsstudie zu schulisch erteiltem Herkunftssprachenunterricht in Albanisch und Türkisch in der Schweiz durch. Die insgesamt 126 Schülerinnen und Schüler, die herkunftssprachlichen 4.4 Sprachgebrauchskontexte 139 Unterricht besuchten, füllten zu zwei Zeitpunkten einen C-Test jeweils in der Herkunftssprache und im Deutschen aus. Sie hatten zum Untersuchungszeitpunkt durchschnittlich mindestens zwei Jahre lang Unterricht in ihrer Herkunftssprache besucht. Die 81 albanischsprachigen Probanden schnitten in den albanischen C-Tests wesentlich besser ab als die Kontrollgruppe, die keinen Unterricht erhielt. Die Ergebnisse der türkischsprachigen Gruppe erreichten nicht das statistisch notwendige Signifikanzniveau. Auch zeigte der Herkunftssprachenunterricht keinen Einfluss auf die Deutschkompetenz der Kinder. Die Studie von Caprez-Krompàk (2010) ist eine der wenigen, die die Wirkung von herkunftssprachlichem Unterricht zumindest für eine der Treatment-Gruppen nachwies. Allerdings wurde auch hier wie in de Bot et al. (1991) die Qualität des Unterrichts nicht untersucht. Dieser Aspekt bleibt nach wie vor eine große Unbekannte in Evaluationsstudien zum Herkunftssprachenunterricht. Dennoch lässt sich abschließend zusammenfassen, dass die Ergebnisse der vorhandenen Evaluationsstudien vielversprechend sind und herkunftssprachlicher Unterricht trotz organisatorischer und personeller Schwierigkeiten von den Schülerinnen und Schülern wie von den Eltern geschätzt wird. Ob der Unterricht über identitätsstiftende Aspekte hinaus auch im Hinblick auf den Erhalt der HL in relevantem Maße förderlich ist, hängt jedoch maßgeblich von der Unterrichtsqualität ab und bedarf weiterer Untersuchungen. 4.4.5 Gottesdienstbesuch Eine weitere Gelegenheit, die HL in einem formellen Register und in monolingualem Modus zu erleben, stellt der Gottesdienstbesuch bzw. stellen religiöse Aktivitäten im Allgemeinen dar. Da die mit Religion verbundenen sprachlichen Handlungen meist sehr stark ritualisiert sind und strengen Beschränkungen in Bezug auf die verwendeten sprachlichen Formen unterliegen, bergen regelmäßige Gottesdienstbesuche in der HL das Potential, dem Sprachverlust entgegenzuwirken (vgl. Lo Bianco & Peyton 2013). Während im Gebet je nach religiösem Kontext auch eine archaische oder nicht mehr aktiv gebräuchliche Sprachform bzw. eine andere Sprache als die HL der Sprecher verwendet werden kann, was eng an Rezitation und striktes Memorieren geknüpft ist, wird bei religiösem Unterricht, bei Diskussionen in der jeweiligen Institution, in Beratungsgesprächen usw. meist die Herkunftssprache gebraucht (vgl. Klein 2013). 36 Zumindest in urbanen Räumen bieten religiöse Einrichtungen für die Sprecher zugleich den 36 Beispielsweise wird im muslimischen Gottesdienst das Gemeinschaftsgebet immer auf Arabisch vorgetragen, während die anschließende Khutba, die Predigt, in unterschiedlichen Gemeindesprachen stattfinden kann. Ähnliches gilt für zahlreiche orthodoxe Kirchen, in denen die Liturgie z. B. auf Kirchenslawisch oder Altgriechisch vorgetragen wird. 140 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt Anschluss an dieselbe religiöse - und oft auch sprachliche - Community und erhöhen somit erneut die Möglichkeiten zum Sprachgebrauch. Neben dem sprachlichen Aspekt können religiöse Handlungen stark mit emotionalen und identitätsstiftenden Facetten einhergehen, wie dies von einer Sprecherin mit der HL Spanisch in Baquedano-López (2004) formuliert wird: „I can be educated in English, but I talk to my God in my heart language, which is Spanish“ (Baquedano-López 2004: 224; zitiert nach Carreira & Rodriguez 2011: 162). So ist die Ausübung einer bestimmten Religion oft an eine bestimmte Sprache und ethnische Gruppe geknüpft. Weinreich (1974: 92) beschrieb für die deutschsprachigen Minderheiten in Osteuropa, dass für sie das Deutschsein, Deutsch Sprechen und die evangelische Religion ein und dasselbe war. Oftmals, so Weinreich weiter, führe eine andere Religion als die der Mehrheitsgesellschaft zuallererst zu einer wahrnehmbaren Abgrenzung und einer Hinwendung zur Eigengruppe, was durch eine andere Sprache zusätzlich untermauert wird. Zu der Art der Sprachverwendung in religiösen Einrichtungen in der Diaspora sowie zu den Auswirkungen des Gottesdienstbesuchs in der Herkunftssprache auf den Spracherhalt liegen nur wenige empirische Studien vor. Insbesondere in Deutschland ist dieser Gegenstand noch nicht erforscht. Die meisten Untersuchungen nähern sich der Thematik deskriptiv und stellen die Bedeutung religiöser Aktivitäten für die einzelnen Migrantencommunitys mittels ethnographischer Verfahren dar. Carreira und Rodriguez (2011) führen beispielsweise an, dass acht von zehn in den USA lebenden Spanischsprechern die wöchentliche Messe auf Spanisch besuchen. In Los Angeles sei die katholische Kirche gar der größte Anbieter von außerschulischen spanischsprachigen Programmen für Kinder. Zwar stehe in diesen Kursen nicht die Vermittlung der Sprache im Vordergrund, dennoch erhalten die Kinder hierdurch einmal pro Woche über mindestens zwei Jahre spanischsprachigen Input in einer stark formalisierten Sprache. Auch die im Unterricht verwendeten Lehrbücher seien in einem Spanisch verfasst, das von literaten Strukturen mit anspruchsvollem Fachvokabular und komplexer Syntax geprägt ist. Dieselbe Bedeutung schreiben Zhou und Kim (2006) der Religion für die koreanischsprachige Community in den USA zu: Die koreanische Kirche stelle das umfangreichste Angebot an koreanischsprachigen Aktivitäten wie religiös-spirituellen Treffen, psychologischer Beratung, ökonomischem Beistand sowie von unterschiedlichsten Bildungsressourcen für die gesamte Familie zur Verfügung. Auch Lo Bianco und Peyton (2013) benennen in ihrer Untersuchung zu Griechisch in den USA die Rolle der orthodoxen Kirche bzw. den dort in griechischer Sprache abgehaltenen Gottesdienst als einen wichtigen Faktor für Spracherhalt, da dieser eine natürliche Gelegenheit zu Sprachgebrauch in einem formellen Register darstellt. Nach Laleko (2013) spielt Religion für die russisch- 4.4 Sprachgebrauchskontexte 141 sprachige Community in den USA hingegen nur eine sehr geringe Rolle, was sich damit begründen lässt, dass die meisten russischsprachigen Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion einwanderten, also aus Staaten, in denen Religion nicht praktiziert wurde bis untersagt war. Hinzu kommt, dass ein großer Teil dieser Community jüdischen Glaubens ist. Laleko schreibt hierzu, dass in den jüdischen Gemeinden eher Hebräisch oder Jiddisch gelehrt wird denn Russisch. Somit fehlt den Russischsprachigen im Gegensatz zu Sprechern anderer Minderheitensprachen eine wichtige Institution des Spracherhalts in der Diaspora. Die unterschiedliche Sprachverwendung im Gebet und in der anschließenden religiösen Diskussion untersuchte Klein (2013) im Rahmen von Religionsunterricht an einer privaten Sikh-Schule in den USA. Während der Rezitationskurse, sog. Gurbani, lernten die Kinder und Jugendlichen Verse aus Sikh-Skripten in einer veralteten Form des Punjabi auswendig. In den Diskussionsgruppen hingegen wurde modernes Punjabi verwendet. Laut Klein trugen jedoch beide Kursarten trotz der Unterschiede in der vermittelten Sprache zum Erhalt des Punjabi bei den Jugendlichen bei. So dienten die Gurbani-Klassen der Ehrerbietung gegenüber den heiligen Schriften und die Lerner entwickelten Stolz auf die Geschichte und Kultur ihrer Eltern. In den Gesprächskreisen wurde seitens der Lehrkraft zugleich viel Wert auf den Erhalt des Punjabi als Trägermedium der Sikh-Religion und -Kultur gelegt. Tse (2001) führte Interviews mit zehn studentischen HL-Sprechern der Sprachen Kantonesisch, Japanisch und Spanisch zum Thema Schriftspracherwerb und Zugang zu geschriebenen Texten in der Herkunftssprache. Alle Probanden erreichten einen hohen Kompetenzgrad in ihrer jeweiligen HL. Sie stellte fest, dass die Sprecher die HL ausnahmslos stark mit religiösen Aktivitäten assoziierten: Sie besuchten religiöse Treffen wie Bibelgruppen, erhielten religiöse Magazine und Newsletter ihrer Gemeinden, verrichteten Gebete in der katholischen Kirche bzw. im buddhistischen Tempel. Aus ihrer Kindheit erinnerten sie sich an lautes Vorlesen religiöser Texte und Gebete, an Kindergeschichten aus der Bibel oder religiöse Kinderlieder. Mit Religion verbundene Aktivitäten stellten sich in dieser Studie nach dem Lesen zum Vergnügen als die zweithäufigste Art der Begegnung mit Schriftlichkeit in der jeweiligen Minderheitensprache im privaten Bereich dar und als die wichtigste innerhalb der einzelnen Sprachgemeinden. Den meisten Kontakt zu geschriebenen Texten hatten die Probanden in Tse (2001) folglich entweder zu Hause oder innerhalb der Religionsgemeinde: „Important to note is the role played by community organisations, most notably religious organisations in HL communities, in using the language for communication and worship. Such institutions also served as sources of HL print for the home“ (Tse 2001: 265). In der Schule oder in der Universität war dies nicht der Fall, was erneut an der Wirksamkeit von herkunftssprachlichen Kursen zwei- 142 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt feln lässt. Im Unterricht, so berichten die Probanden, begegneten ihnen eher kurze Texte, zu denen sie keinen Bezug herstellen konnten, oder Arbeitsblätter mit Grammatikaufgaben. Trotz der geringen Anzahl an empirischen Untersuchungen in diesem Feld scheint sich abzuzeichnen, dass der Besuch religiöser Veranstaltungen erstens einen hohen Stellenwert für bestimmte Migrantengruppen einnimmt und zweitens eng an emotionale Aspekte und an die im Gottesdienst verwendete Sprache geknüpft ist. Auch sind religiöse Institutionen oft die einzigen oder die wichtigsten Anbieter von Kursen, die in der Herkunftssprache stattfinden, was weitere Untersuchungen dieses Gegenstandes zwingend erforderlich macht. Religiöse Aktivitäten spielen für den Spracherhalt eine große Rolle, da der sprachliche Input in dieser Domäne stark formalisiert ist und sich durch literate Strukturen auszeichnet, somit also monolingual orientiert ist. Sie bieten dem HL-Sprecher daher eine Möglichkeit, die HL in einem Register und in einem Modus zu erleben, mit denen er sonst nur selten konfrontiert wird, was für den Sprachausbau der HL förderlich ist. 4.4.6 Mediengebrauch Die Bedeutung der Medien im Migrationskontext wird aus Sicht der Medienwissenschaften mit folgenden theoretischen Annahmen begründet (vgl. Bucher & Bonfadelli 2007): Medien wird insgesamt eine große gesellschaftliche Wichtigkeit zugeschrieben, da sie ein kulturelles Narrativ vermitteln und eine gemeinsame Informations- und Wertebasis für die Gesellschaft darstellen. Sie prägen Meinungen und Sichtweisen und somit die Normalitätswahrnehmung. Aus dieser Perspektive wäre für Migranten der Konsum der Majoritätsmedien von Vorteil, da sie sich auf diesem Wege über aktuelle Ereignisse und Wertevorstellungen des Einwanderungslandes ein Orientierungswissen verschaffen könnten. Komplementär hierzu wird argumentiert, dass Migranten, die die Medien des Herkunftslandes konsumieren, diesem auch nach wie vor verhaftet bleiben und sich nicht in die Mehrheitsgesellschaft integrieren (wollen). Dem entgegen steht jedoch die These, dass Mediennutzung von Angeboten des Herkunftslandes sowie der Diaspora eine „transnationale soziale Praxis“ (ebd.: 126) sei. Die Nutzer greifen dabei auf alle Kanäle zurück, die ihnen als Informations- und Unterhaltungsquellen zur Verfügung stehen, und schaffen somit eine Brücke zwischen dem Herkunfts- und dem Einwanderungsland. Welchem Register und Modus diese Domäne des Sprachgebrauchs zuzuordnen ist, hängt von einigen Faktoren ab. Zum einen muss die Art des Mediums berücksichtigt werden, d. h. neue vs. alte sowie schriftliche vs. mündliche Medien. Zum anderen spielt die inhaltliche Ausrichtung eine Rolle, also ob eher 4.4 Sprachgebrauchskontexte 143 Unterhaltungs- oder Informationssendungen bzw. Trivial- oder Hochliteratur konsumiert wird. Ein dritter Aspekt, der ebenfalls bedacht werden muss, ist die bei dem Mediengebrauch verwendete Sprache. Hier kann in Majoritätsmedien, Medien des Herkunftslandes und Diasporamedien unterschieden werden, wobei die zwei letztgenannten sich der Minderheitensprache bedienen. Insgesamt liegen auch in diesem Bereich nur sehr wenige Arbeiten vor, zum Zusammenhang von Mediennutzung und Spracherhalt in der Migration existieren kaum empirisch belegte Erkenntnisse. Die meisten Studien stammen aus der Soziologie, den Cultural Studies oder den Medienwissenschaften und untersuchen die Wechselbeziehungen zwischen Mediennutzung und Integration sowie der Bildung von Identität. Piga (2007) stellt in ihrer Zusammenfassung zur Forschungslage im Bereich Medienkonsum von Migranten fest, dass in Deutschland wie in ganz Europa türkischsprachige Migranten die am besten erforschte Gruppe sind. Zudem beschäftigt sich der Großteil der Untersuchungen mit der ersten Generation und nur einige mit der zweiten. Solch eine Studie im Auftrag des Zentrums für Türkeistudien aus dem Jahre 1996 berichtet Güntürk (2000): Um den Medienkonsum türkischsprachiger Migranten in Deutschland abzubilden, wurden in der Untersuchung 2.052 Personen mit türkischem Migrationshintergrund telefonisch befragt. Zusammenfassend konnte bei dieser Bevölkerungsgruppe ein sehr ausgeprägter Konsum von türkischsprachigen Medien aller Art festgestellt werden (vgl. Güntürk 2000). So lag der Anteil an Personen, die ausschließlich türkischsprachige Zeitungen lasen, bei knapp 56 % (ausschließlich deutschsprachige bei 6 %). In Bezug auf den Fernsehkonsum gaben 40 % an, nur türkischsprachige Sendungen zu schauen, während 53 % in beiden Sprachen gerne fernsahen. Dass diese Angaben nicht unerheblich sind, zeigen die Erhebungen zum Umfang des Fernsehkonsums. 99,3 % der Befragten verfügten über einen Fernseher und über die Hälfte schaute mehr als drei Stunden täglich fern. Somit spielt der Fernsehkonsum im Leben der türkischsprachigen Community in Deutschland als Quelle für Sprachinput eine nicht zu unterschätzende Rolle. Hinsichtlich der inhaltlichen Programmauswahl gaben die Probanden an, sich insbesondere für türkischsprachige Informationssendungen zu interessieren, während Spielfilme lieber auf Deutsch geschaut wurden. Die Studie von Güntürk (2000) gibt zum einen eher das Medienverhalten von Erwachsenen der ersten Migrantengeneration wieder, zum anderen bildet sie nicht die Verwendung neuer Medien ab, die sicherlich besonders unter Jugendlichen eine wichtige Rolle spielt. Bucher und Bonfadelli (2007) untersuchten im Kanton Zürich die Mediennutzung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Jugendlichen ohne diesen. Sie befragten insgesamt ca. 1.500 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 12 und 16 Jahren. Zunächst wurden der Medienzugang und der Medienbesitz im eigenen Zimmer und in 144 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt der Familie im Allgemeinen erhoben. Annähernd 100 % der Jugendlichen mit Migrationshintergrund besaßen in der Familie einen Fernseher, 61 % davon mit Satellitenempfang, was deutlich mehr war als unter Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Im eigenen Zimmer hatten zudem wesentlich mehr Jugendliche aus Migrantenfamilien einen eigenen Computer mit Internetzugang. Was den Umfang des jeweiligen Medienkonsums angeht, können in dieser Studie (vgl. Bucher & Bonfadelli 2007) ebenfalls Unterschiede ausgemacht werden. Insgesamt ist auch hier der Trend zu übermäßigem Fernsehkonsum zu verzeichnen. Jugendliche mit Migrationshintergrund verbringen wesentlich weniger Zeit mit Bücherlesen, dafür mehr am Computer und mit Fernsehen. Gleichwohl können jedoch inhaltlich ähnliche Interessen zwischen den beiden Gruppen bei der Mediennutzung festgestellt werden. Im Fernsehen werden Unterhaltungsprogramme, beim Lesen Belletristik, Krimis und Liebesromane bevorzugt. Die Studie erhebt leider nicht die Sprache der jeweils konsumierten Medien, Piga (2007) verzeichnet in ihrer Metaanalyse jedoch eine Anpassung an die Majoritätsmedien in Abhängigkeit von dem sozio-ökonomischen Status, der Aufenthaltsdauer und der Sprachkenntnisse, sodass bei der zweiten Generation verstärkt von einer Hinwendung zu den Medien des Einwanderungslandes ausgegangen werden kann. Verwenden Migranten der zweiten und weiteren Generation noch Medien des Herkunftslandes, so nutzen sie sie als Informationsquelle für geschichtliche oder kulturelle Hintergründe des Herkunftslandes ihrer Eltern sowie aus emotionalen Gründen. Die von Bucher und Bonfadelli (2007) herausgestellte Bedeutung der neuen Medien für Jugendliche mit Migrationshintergrund wurde im Zusammenhang mit Spracherhalt der HL nur wenig thematisiert. Lee (2006) führte hierzu eine explorative Studie durch und untersuchte den Einfluss neuer Medien auf den Erhalt der HL Koreanisch bei zwei Schwestern, die einen Blog in koreanischer Sprache verfassten. In Interviews gaben beide Probandinnen an, durch diesen Blog eine weitere Möglichkeit zu einem authentischen Sprachgebrauch zu haben und sich mit der koreanischsprachigen Community im Herkunftsland ihrer Eltern zu vernetzen. Dies führte bei den Schwestern zu einer positiveren Einstellung gegenüber dem Koreanischen. Auch befreite sie die Onlinekommunikation von dem Zwang, Standard nutzen und auf grammatische und orthographische Korrektheit achten zu müssen, und erlaubte einen spielerischen und ungezwungenen Umgang mit der Sprache. Gleichzeitig berichteten die Probandinnen jedoch auch, kein Korrektiv zu haben und somit nicht zu wissen, ob sie in der jeweiligen Situation standardsprachliche Ausdrücke verwenden oder nicht. Diese Unsicherheit übertrug sich auch auf andere Bereiche ihrer Sprachverwendung. Bei der Untersuchung von Lee (2006) handelt es sich zwar um eine explorative Fallstudie, jedoch sind diese ersten Erkenntnisse vielversprechend im 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 145 Hinblick auf den Einfluss des Mediengebrauchs auf den Erhalt der HL. Medien stellen eine weitere Möglichkeit dar, die HL in einem Register zu erleben, das innerhalb der Familie nicht zugänglich ist. Betrachtet man insbesondere den Umfang des Fernsehkonsums, so stellt dieser eine der Hauptquellen des Sprachinputs dar (vgl. Besters-Dilger et al. 2015; Küppers et al. 2015). Der Input in der HL erfolgt zwar mit Ausnahme des in Lee (2006) diskutierten Beispiels meist nur passiv, jedoch steht er den Sprechern konstant über einen längeren Zeitraum zur Verfügung, was sich auch auf die aktive Sprachverwendung der Sprecher auswirken kann. Brehmer und Mehlhorn (2015b: 101) schildern beispielsweise für eine ihrer Probandinnen, dass sie Fernsehserien gerne auch auf Russisch schaut und anschließend manche Äußerungen der Protagonisten auch im Privaten verwendet. Erfolgt der Medienkonsum zudem mit Ausrichtung auf das formelle Register, z. B. beim Lesen von Hochliteratur oder religiösen Texten bzw. beim Schauen von politischen Informationssendungen, kann durch die Medien auch der Erwerb literater Strukturen gefördert werden. 4.5 Sozio-emotionale Faktoren Als für den Spracherhalt bedeutend konnten fernerhin sog. sozio-emotionale Faktoren ausgemacht werden (vgl. Köpke 2007). Hierunter werden je nach Disziplin und Erkenntnisinteresse der jeweiligen Studien unterschiedliche Aspekte wie Identität, Akkulturationsorientierung, Einstellungen oder Überzeugungen verstanden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie Empfindungen auf der psychischen Ebene beschreiben und sich im Migrationskontext durch die Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis zwischen einer konstruierten Eigen- und einer Fremdgruppe aufbauen. Die sozio-emotionalen Faktoren werden in Montruls Modell zu externen Wirkgrößen auf den HL-Erhalt (vgl. Montrul 2016; s. Abschnitt 4.1) bei dem Sprecher durch die Konfrontation mit der sozio-politischen Dimension beeinflusst. Das unterschiedliche Prestige der von ihm verwendeten Sprachen wird durch ihre gesellschaftliche Ungleichbehandlung reflektiert, was den Sprecher zur Bildung entsprechender Kategorien veranlasst. Dies äußert sich in unterschiedlichen Ausprägungen der ethnischen vs. nationalen Identität oder in unterschiedlichen Einstellungen seinen Sprachen gegenüber. Der den Sprachen und ihren Sprechern gesellschaftlich beigemessene Wert kann entweder übernommen und internalisiert werden oder der Sprecher entwickelt eine ablehnende Haltung der ihm gesellschaftlich vermittelten Rangordnung gegenüber. Auf die eine oder andere Art beeinflussen sozio-emotionale Faktoren jedoch laut dem Modell die Sprachverwendung und hierdurch 146 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt die Sprachkompetenz in der Minderheitensprache. Auch Sasse (1992) modelliert den Zusammenhang zwischen sozio-politischen Gegebenheiten, sozio-emotionalen Faktoren sowie dem Sprachgebrauch und dem Verlust von autochthonen Sprachen auf ähnliche Weise. Bei ihm führt allerdings die Vormachtstellung der Mehrheitssprache immer zu einer negativen Entwicklung im emotionalen Bereich, die in einer Ablehnung der Minderheitensprache beim täglichen Gebrauch einerseits, der Weitergabe an die nachfolgende Generation andererseits resultiert. Da die theoretische Modellierung von Spracherhaltbzw. Sprachverlustprozessen sozio-emotionalen Faktoren eine Vermittlerrolle zwischen Sprachprestige und Sprachgebrauch zuschreibt, befassen sich die nachfolgenden zwei Abschnitte mit den beiden am häufigsten und am besten untersuchten sozio-emotionalen Konstrukten, Einstellung und Identität, und ihrem Einfluss auf den Erhalt der HL. 4.5.1 Einstellung zur Mehrsprachigkeit Unter Einstellung versteht die Sozialpsychologie die Neigung einer Person, einen Stimulus auf eine bestimmte Art und Weise zu bewerten (vgl. Fischer et al. 2013: 80; Haddock & Maio 2014: 198). In dieser Definition sind bereits drei wesentliche Aspekte, die Einstellung prägen, enthalten. Erstens verweist „Neigung“ darauf, dass es sich bei der wahrgenommenen Reaktion lediglich um eine Tendenz handelt, die zu einem gegebenen Zeitpunkt und unter gegebenen Bedingungen gilt. Einstellungen sind somit nicht statisch, sondern sie entwickeln sich im Laufe der Zeit und unterliegen Veränderungen und Schwankungen. Zweitens beziehen sich Einstellungen auf ein Einstellungsobjekt. Dieses kann eine Person, ein Gegenstand, eine Situation oder eine abstrakte Vorstellung sein. Drittens enthalten sie stets eine Beurteilung des Einstellungsobjekts auf unterschiedlichen Ebenen. Die Bewertung des Einstellungsobjekts lässt sich in drei Komponenten zerlegen (vgl. Fischer et al. 2013: 81). Kognitive Einstellungen beziehen sich auf rational und überlegt gefällte Urteile über den Stimulus, auf seine objektiv messbaren Eigenschaften und auf die damit verknüpften Erwartungen. Affektive Einstellungen geben Emotionen und Gefühle gegenüber dem Einstellungsobjekt wieder. Behaviorale Einstellungen sind nach außen sichtbare und messbare Handlungen, die durch das Einstellungsobjekt hervorgerufen werden. Ob die Einstellung zu einem Objekt gleichzeitig positiv und negativ sein kann, ist in der Forschungsliteratur umstritten (vgl. Haddock & Maio 2014: 207). Eindimensionale Modelle der Einstellung gehen davon aus, dass sich die Einstellung einer Person zu einem Stimulus ausschließlich auf einem Kontinuum von positiv zu negativ verorten lasse. Zweidimensionale Modelle hingegen erlauben die gleichzeitige Berücksichtigung sowohl positiver als auch negativer Einstel- 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 147 lungsbestandteile (s. Abbildung 6). Eine Person mit der Einstellungsstruktur Y kann beispielsweise eine positive affektive Einstellung zum Stimulus haben, jedoch eine negative kognitive. Eine zweidimensionale Modellierung erlaubt somit die Darstellung von ambivalenten Einstellungen. Abb. 6: Zweidimensionales Modell von Einstellungen (vgl. Haddock & Maio 2014: 207) Während die kognitive und die affektive Einstellung nur latente Konstrukte sind, handelt es sich bei behavioralen Einstellungen um für Außenstehende wahrnehmbare Handlungen. Allerdings stehen Einstellungen und Verhalten in keinem direkten Zusammenhang zueinander (vgl. Bohner 2002: 300). Eine positive kognitive und / oder affektive Einstellung muss also nicht zwingend ein entsprechendes Verhalten auslösen. Die Einstellung kann folglich kein konkretes Verhalten vorhersagen, sondern nur eine Verhaltensabsicht (vgl. Ajzen 1985), d. h. die Motivation, eine bestimmte Handlung aufgrund einer Einstellung durchzuführen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Handlungsabsicht in einer sichtbaren Handlung manifestiert, hängt davon ab, ob sich die kognitive und affektive Einstellung zum Einstellungsobjekt gleichen, wie stabil die jeweiligen Einstellungen sind und ob die Einstellung aus persönlicher Erfahrung mit dem Stimulus gewonnen wurde. Einstellungen entstehen auf vielfältige Weise (vgl. Fischer et al. 2013: 86). Kognitive Einstellungen entwickeln sich durch bewusstes Reflektieren über den Einstellungsgegenstand, das Abwiegen von Pro und Kontra und über die Auseinandersetzung mit Informationen über das Einstellungsobjekt. Affektive Einstellungen hingegen werden durch Konditionierung geprägt. Das heißt, wird das Einstellungsobjekt mit einer angenehmen Situation oder einer Belohnung verbunden, entwickelt sich eine positive affektive Einstellung. Bei aufgrund des Einstellungsgegenstandes erfolgter Strafe wird die affektive Einstellung negativ beeinflusst. Behaviorale Einstellungen entstehen durch die Reflexion des bereits erfolgten eigenen Verhaltens, insbesondere wenn keine klare Einstellung auf kognitiver oder affektiver Ebene vorliegt. 148 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt Auch Spracheinstellungen lassen sich mit den oben beschriebenen Begrifflichkeiten und Prozessen erfassen. Das Einstellungsobjekt bilden dabei unterschiedliche Sprachen, Akzente oder Varietäten sowie ihre Sprecher. Ihre Bewertungen können positiv wie negativ ausfallen und lassen sich ebenfalls in Komponenten zergliedern. Dabei drückt die kognitive Einstellung die Annahme bzw. den Wunsch aus, durch die Kenntnis einer bestimmten Sprache zu beruflichen oder monetären Vorteilen zu gelangen. Diese Sprache wird dann bewusst erlernt oder erhalten. Das Fehlen von jeglicher positiver kognitiver Einstellung wird oftmals als Grund für das Aufgeben von Minderheitensprachen herangezogen (vgl. Fishman 1991). Die affektive Einstellung verbindet Emotionen mit einer bestimmten Sprache. Diese können positiver Natur sein, beispielsweise durch angenehme Erinnerungen an einen im Familienkontext verwendeten Dialekt, oder sie sind negativ geprägt, z. B. durch Situationen, in denen die Verwendung einer Sprache in der Schule sanktioniert wurde. Da bei zweidimensionaler Betrachtungsweise der Einstellung beide Komponenten voneinander unabhängig sind, kann folglich trotz negativer kognitiver Einstellung zu einer Sprache gleichzeitig eine positive affektive Einstellung zu dieser vorliegen und umgekehrt (vgl. Baker 1992: 12). Spracheinstellungen wirken sich sodann auf ein geplantes Sprachverhalten aus wie den Wunsch, einen Sprachkurs zu besuchen oder die Sprache an die eigenen Kinder weiterzugeben. Zugleich sind auch Spracheinstellungen reine Momentaufnahmen und lassen sich nicht direkt in Sprachverhalten übersetzen (vgl. Schmid 2011: 98). Individuelle Spracheinstellungen sind Ergebnisse eines Lernprozesses, der seinen Anfang bereits im Elternhaus nimmt und stark durch äußere Gegebenheiten wie (sprach-) politische Entscheidungen beeinflusst wird (vgl. Giles & Billings 2004: 196). Sie sind somit Spiegelungen gegenwärtiger Meinungen zu wahrgenommenem Wert einer Sprache und können das Sprachprestige abbilden, was sich in einer mehrsprachigen Gesellschaft beispielsweise in der Bewertung von allochthonen Minderheitensprachen im Vergleich zur Mehrheitssprache niederschlägt (vgl. Baker 1992: 9). Mit Blick auf gesellschaftliche Mehrsprachigkeit formuliert Ruiz (1984) drei mögliche Ausprägungen von im öffentlichen Diskurs präsenten Spracheinstellungen (s. Tabelle 7): Sprache als Problem, Sprache als Recht und Sprache als Ressource. 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 149 Spracheinstellungen Sprache als Problem Sprache als Recht Sprache als Ressource sprachliche Ziele Sprachwechsel zur Mehrheitssprache Mehrsprachigkeit bei Sprechern von Minderheitensprachen Mehrsprachigkeit bei der Mehrheitsbevölkerung und den Minderheiten L1 → L2 L1 → L1 + L2 L1 +L2 kulturelle Ziele Assimilation Anpassung Bikulturalität soziale Ziele Mainstreaming, „Schmelztiegel“ soziale Autonomie soziale Integration Tab. 7: Gesellschaftliche Spracheinstellungen nach Ruiz 1984; aus Zhang & Slaughter- Defoe 2009, Übersetzung H. O. Besteht auf gesellschaftlicher Ebene die Einstellung, dass Mehrsprachigkeit ein Problem sei, so ist das oberste Ziel bildungspolitischer Handlungen der Wechsel von der Minderheitensprache zur Mehrheitssprache bei allen davon betroffenen Gruppen. Die Minderheiten sollen sich dabei in die Mehrheitsgesellschaft einfügen und mit dieser „verschmelzen“, wobei sie ihre distinkten Merkmale - ihre Sprache - aufgeben. Wird Sprache hingegen als Recht betrachtet, so wird Minderheiten das Anrecht auf den Erhalt ihrer Sprache zugebilligt, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie auch die Mehrheitssprache beherrschen. Die Einstellung, dass Sprache eine Ressource sei, spiegelt sich in den Bestrebungen zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit wider. Das heißt zum einen, dass die sprachlichen Kompetenzen von Minderheiten als solche anerkannt werden, zum anderen, dass auch die monolingual sozialisierte Bevölkerung durch Fremdsprachenlernen mehrsprachig werden soll. Die oben beschriebenen gesellschaftlichen Spracheinstellungen gelten zwar für alle sprachlichen Minderheiten, jedoch lässt sich davon ausgehen, dass autochthone Sprachen sich eher in der dritten Kategorie finden lassen (Sprache als Ressource), während für allochthone die erste Kategorie gilt (Sprache als Problem). Dies wird nicht nur bei Betrachtung der bildungspolitischen Maßnahmen evident, die für diese Minderheitengruppen recht unterschiedlich ausfallen (s. Abschnitt 2.1). Dass sich die Spracheinstellungen der Bevölkerung ebenfalls entlang der Differenzierung autochthon vs. allochthon scheiden, belegen Studien aus Deutschland (vgl. Gärtig et al. 2010) sowie aus neun weiteren europäischen Kontexten 37 (vgl. Lasagabaster & Huguet 2007). Die Probanden in all diesen Stu- 37 Katalonien, Galizien, Baskenland, Valencia, Brüssel, Friesland, Irland, Malta, Wales. 150 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt dien zeigen fast durchgehend positive Einstellungen gegenüber autochthonen Minderheitensprachen. Für allochthone Minderheitensprachen gestaltet sich die Lage anders. Hier liegen erstens keine derart umfassenden und repräsentativen Studien vor, weder zu den Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung gegenüber Migrantensprachen noch zu den Einstellungen allochthoner Minderheiten zu ihren eigenen Sprachen, zur Mehrheitssprache oder zur Weitergabe der Sprachen an ihre Kinder. Zweitens begegnen allochthone Minderheiten häufiger negativen Bewertungen ihrer sprachlichen Kompetenzen, was sich wiederum auf ihre eigenen Einstellungen auswirken kann: Although language attitudes are recognised as an important factor in language acquisition and language use, little research has been directed at understanding the attitudes held by the immigrants toward their language of origin. Immigrants who seek to retain their original language have often met with negative attitudes in the dominant culture. (Zhang & Slaughter-Defoe 2009: 78) Über solche negativen Einstellungen von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft gegenüber einer allochthonen Minderheitensprache berichten beispielsweise die Probanden in Crezee (2012). Sie interviewte 30 ältere Migranten aus den Niederlanden, die seit über 50 Jahren in Neuseeland lebten und bei ihrer Auswanderung zwischen 18 und 39 Jahren alt waren. Aufgrund der sehr strikten Sprachpolitik Neuseelands in den 1950er Jahren gaben die meisten Studienteilnehmer an, von Anfang an nur sehr wenig bis gar kein Niederländisch gesprochen zu haben. Sie schränkten den Gebrauch des Niederländischen auch im intimen Register stark ein, sodass bereits nach einigen Jahren ein kompletter Wechsel zum Englischen innerhalb ihrer Familien stattfand. Ferner schilderten sie, großen Druck in Richtung Sprachwechsel von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft sowie häufige negative Kommentare bezüglich ihrer Sprachverwendung erfahren zu haben, sodass sie sich stets um sprachliche Anpassung auch innerhalb der Familie bemühten. Somit hatte in diesem Kontext die Einstellung der Mehrheitsgesellschaft einen negativen Einfluss auf die Sprachverwendung und die Sprachweitergabe dieser Minderheitengruppe. Zweifelsohne existiert neben diesen Auswirkungen von Spracheinstellungen auf gesellschaftlicher Ebene auch ein Zusammenhang zwischen den Spracheinstellungen eines Individuums und seinem Sprachgebrauch (vgl. Dewaele 2010; Pavlenko 2005). So zeigten beispielsweise Studien zu ins Ausland adoptierten Kindern, dass die damit verbundenen traumatischen Erfahrungen der sprachlichen Isolation bei den Kindern zu einer negativen Einstellung und zur schnellen Aufgabe ihrer L1 führten (vgl. Isurin 2000; Nicoladis & Grabois 2002; Saville-Troike et al. 1995). Nicht nur im Falle der Adoption, die sicherlich einen 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 151 Sonderfall darstellt, sondern auch im Zusammenhang mit gewöhnlicher Migration führt insbesondere der Schuleintritt häufig zu einer Ablehnung der HL. Diese Beobachtung wird unter anderem mit einer in dieser Institution empfundenen Notwendigkeit zur Assimilation und einer negativen Einstellung gegenüber der HL verbunden, die die Schülerinnen und Schüler zwingen, sich in Bezug auf ihre Sprachpraxis der Mehrheitsgesellschaft anzugleichen (vgl. Ecke 2004: 327). Dass die Schule hier in der Tat eine gesonderte Rolle spielt, zeigen Untersuchungen zur Einstellung gegenüber sprachlichen Varietäten bei Kindern. So bewerten beispielsweise Fünfjährige die Umgangssprache äußerst positiv, Zehnjährige bevorzugen jedoch bereits deutlich den Standard (vgl. Giles et al. 1983: 141). Das zeigt, dass sie die Einstellung dazu, was eine schöne und „richtige“ Sprache ausmacht, erst durch die institutionelle Beschulung und die Konfrontation damit erlernten. Andere Studien berichten im Zusammenhang mit Auswanderung im Familienverbund von der Entwicklung einer negativen Einstellung gegenüber der HL bei den Kindern bedingt durch Verbote und Bestrafungen durch die Eltern. Diese sahen solche Maßnahmen als notwendig an, um den Erwerb der Mehrheitssprache ihrer Kinder zu fördern und so ihre Chancen im Beruf oder auf dem Bildungsweg zu erhöhen (vgl. Wong Fillmore 1991). Die HL kann im Elternhaus auch verboten werden, wenn es sich bei dieser Sprache um eine im Herkunftsland oder im Einwanderungsland stark stigmatisierte Sprache handelt. Um ihre Kinder vor Diskriminierung zu schützen, untersagen die Eltern den Gebrauch, was ebenfalls zu einer ausgeprägten negativen Einstellung dieser Sprache gegenüber führen kann (vgl. Ecke 2004; Kouritzin 1999). Welchen Ausmaßes die Auswirkungen positiver oder negativer individueller Spracheinstellungen auf Sprachgebrauch und Spracherhalt sind, lässt sich anhand der vorliegenden Forschungsbefunde nicht eindeutig festlegen. In den meisten Attritionsstudien ließen sich beispielsweise keine eindeutigen Effekte von Spracheinstellungen auf den Erhalt der L1 nachweisen (vgl. Hulsen 2000; Yağmur 1997). Schmid und Dusseldorp (2010) legten gar erwartungswidrige Ergebnisse vor. Sie verglichen je 53 nach Kanada und in die Niederlande als Erwachsene ausgewanderte Deutschsprachige mit einer monolingualen Kontrollgruppe in Deutschland bezüglich ihrer Sprachkompetenz in der L1. Je nach ihrer Spracheinstellung wurden die Probanden in drei Gruppen aufgeteilt. Die Gruppe ohne ausgeprägte positive Einstellung zum Deutschen zeigte keinerlei Unterschiede in der Sprachkompetenz im Vergleich zur Kontrollgruppe, die beiden anderen Gruppen mit einer deutlich positiveren Einstellung ihrer L1 gegenüber schnitten hingegen schlechter als die Kontrollgruppe ab. Die Autorinnen sind unschlüssig bezüglich der Interpretation dieses Ergebnisses. Cherciov (2013) führt dies auf ein methodisches Problem zurück: So können ihrer Auffassung nach quantitative Erhebungsarten den Einfluss von Einstel- 152 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt lung auf Spracherhalt in Attritionsstudien meist nicht genau genug erfassen, während Interviewstudien deren Auswirkung ganz klar belegen (vgl. Schmid 2002). Cherciov demonstrierte dies anhand eines triangulierten Designs. Sie ließ 50 in Kanada lebende rumänischsprachige Erwachsene Sprachtests auf Rumänisch und Englisch durchlaufen und ihre Aussprache zudem von Muttersprachlern des Rumänischen auf Akzent bewerten. Die Probanden füllten ferner einen Fragebogen zu Sprachgebrauch sowie zu Spracheinstellungen aus und wurden hierzu anschließend interviewt. Zum einen zeigte Cherciov, dass die im Fragebogen erhobenen recht niedrigen Einstellungswerte ihrer Probanden weder mit den Sprachkompetenzmessungen noch mit dem Sprachgebrauch korrelierten. Trotz einer durchschnittlich neutralen bis negativen Einstellung zur L1 verwendeten die Studienteilnehmer sie oft im Alltag und verfügten nach wie vor über eine ausgeprägte Sprachkompetenz in ihr. In den Interviews konnte sie zum anderen sehr gut die Widersprüchlichkeit in der Einstellung mancher Probanden gegenüber ihrer L1 aufdecken und belegen, dass nicht bei allen Sprechern die geäußerte Einstellung zu einer tatsächlichen Sprachhandlung bzw. zur Änderung ihres Sprachverhaltens führte. Ob quantitative Erhebungen von Spracheinstellungen auch in anderen Minderheitenkontexten nicht zielführend sind, bedarf ebenfalls einer Überprüfung. So konnte zwar Baker (1992) in einer quantitativen Fragebogenstudie mit englisch-walisischsprachigen Jugendlichen in Wales ( N = 656) einen deutlichen Zusammenhang zwischen Sprachkompetenz in der Minderheitensprache und der Einstellung der Schülerinnen und Schüler zu Mehrsprachigkeit zeigen. Die Einstellung der Sprecher variierte in seiner Studie in Abhängigkeit von ihrer selbst eingeschätzten Sprachkompetenz im Walisischen (vgl. ebd.: 123). Andererseits konnte in der Studie von Hayashi (2006) zu japanisch-englischsprachigen Viert- und Fünftklässlern in Japan und den USA ( N = 63) unter Verwendung desselben Erhebungsinstruments wie bei Baker (1992) kein Zusammenhang zwischen der Einstellung zur Mehrsprachigkeit und weder der Selbsteinschätzung der Sprachkenntnisse noch der tatsächlich gemessenen Sprachkenntnisse in der jeweiligen Minderheitensprache nachgewiesen werden (vgl. ebd.: 162). Obwohl in beiden Studien dasselbe Instrument verwendet wurde, sind die Ergebnisse dennoch nicht vollständig vergleichbar, da die untersuchten Populationen völlig unterschiedlich waren. Während in Baker (1992) autochthone Mehrsprachigkeit im Zentrum der Untersuchung stand, sind die Probanden in Hayashi (2006) HL-Sprecher des Japanischen, aus Japan zugewanderte L2-Sprecher des Englischen und in Japan lebende Fremdsprachenlerner des Englischen. Dass diese Gruppen sich nur schwer in Bezug auf ihre Einstellung zu ihren Sprachen vergleichen lassen und aufgrund unterschiedlicher Spracherwerbsverläufe auch über anders ausgeprägte Sprachkompetenzen in diesen verfügen, ist augenfällig. 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 153 Eine Studie, die ebenfalls einen quantitativen Zugang zum Thema Spracheinstellung und Spracherhalt mittels Bakers (1992) Skala zur Einstellung wählte, legte Lasagabaster (2008) vor. Er untersuchte 80 in den USA lebende Sprecher mit der HL Baskisch. Die Probanden gehörten der ersten bis fünften Einwanderergeneration an und sind je nach Herkunft der Familie zusätzlich zum Baskischen mit Spanisch oder Französisch als HL sozialisiert worden. Sie zeigten einerseits unabhängig von der Generationenzugehörigkeit äußerst positive Einstellungen zu allen durch den Fragebogen erhobenen Sprachen (d. h. Baskisch, Spanisch bzw. Französisch, Englisch). Andererseits nahm die Sprachkompetenz der Probanden im Baskischen entlang der Generationenlinien ab, während die Spanisch- und Französischkenntnisse stabil blieben. Der Autor erklärt die Diskrepanz in den HL-Kompetenzen mit einer stärkeren institutionellen Unterstützung für Spanisch und Französisch, die ebenfalls den nicht vorhandenen Zusammenhang zwischen positiver Einstellung zum Baskischen und entsprechenden Sprachkenntnissen rechtfertigt. Die Ergebnisse dieser Studie lassen sich dahingehend interpretieren, als Spracheinstellungen durchaus mittels quantitativer Instrumente erhoben werden können, jedoch lassen sie sich nicht in jedem Fall in Verhalten übersetzen. Das heißt, Sprecher, die über eine positive Spracheinstellung verfügen, müssen keinesfalls entsprechende Spracherhaltmaßnahmen an den Tag legen, um ihre Sprachkompetenz zu bewahren oder zu verbessern, sei es, weil ihnen entsprechende Möglichkeiten fehlen oder weil die Verhaltensabsicht nicht stark genug ausgeprägt ist (vgl. Lasagabaster 2008). Dasselbe gilt für negative Einstellungen, die ebenfalls nicht zwingend zu Sprachaufgabe führen müssen (vgl. Cherciov 2013). Ist jedoch bereits ein distinktes, spracherhaltendes Verhalten zu beobachten, beispielsweise der Besuch eines HL-Kurses, so lassen sich damit zusammenhängende Spracheinstellungen sehr gut nachzeichnen. Bei Teilnehmern von HL-Kursen festgestellte Unterschiede in der Einstellung zur HL und zur Herkunftskultur korrelieren z. B. positiv mit dem Erfolg, die HL in einem Kurs zu erlernen (vgl. Oh & Au 2005). Auch Polinsky (2015a: 7) schreibt der Einstellung zur HL im Lernprozess eine große Rolle zu. Sie beschreibt, dass HL-Sprecher sich von Fremdsprachenlernern in gemischten Sprachkursen zwar selten in Bezug auf die Sprachkompetenz unterscheiden, jedoch verfügen erstere über eine positivere Einstellung und eine größere familiär bedingte Handlungsmotivation zum Erlernen dieser Sprache. Diese Befunde werden von Forschungsarbeiten zum Fremdsprachenerwerb bereits seit den 1970er Jahren gestützt (vgl. Gardner & Lambert 1972; Gardner 1985). Auch hier zeigte sich, dass eine positive Einstellung einer Sprache gegenüber zu vielversprechenden Lernergebnissen in dieser führt. Beaudrie und Ducar (2005) untersuchten in diesem Zusammenhang 20 Universitätsstudierende mit der HL Spanisch, die einen HL-Sprachkurs an einer amerika- 154 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt nischen Universität besuchten. Die Probanden füllten einen Fragebogen zu Einstellungen und zu ihrem Sprachgebrauch aus und wurden anschließend in Interviews dazu ausführlich befragt. Alle Studierenden zeigten eine äußerst positive kognitive wie affektive Einstellung zum Spanischen auf. Gefragt nach ihrer Motivation zum Kursbesuch gaben 40 % affektive Gründe wie Schönheit der spanischen Sprache an, ebenfalls 40 % führten kognitive Motive wie bessere Jobperspektiven an und 20 % waren kognitiv wie affektiv motiviert. Bei diesen 20 Sprechern mündete die umfassend positive Einstellung zum Spanischen folglich nicht nur in eine Verhaltensabsicht, sondern in tatsächliches Verhalten, d. h. in den Besuch eines Kurses. Dass eine bewusste Entscheidung für den Besuch eines HL-Sprachkurses eine ausgeprägte positive Einstellung zur HL auf affektiver wie auf kognitiver Ebene erfordert, zeigt ebenfalls die Studie von Cho und Kolleginnen (1997). Auch sie befragten HL-Sprecher zu ihrer Motivation, solch einen Sprachkurs zu besuchen. Die Probandengruppe bildeten dabei 24 Sprecher mit der HL Koreanisch in einem privaten Sprachlernprogramm in den USA. Die Studienteilnehmer äußerten auch hier kognitive, affektive wie behaviorale Einstellungen. So gaben sie z. B. an, Koreanisch als Teil ihres kulturellen Erbes zu empfinden und es an die eigenen Kinder weitergeben zu wollen. Ferner erhofften sie sich berufliche Vorteile auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt, insbesondere da sie eine Klientel aus der koreanischsprachigen Community anstrebten. Gleichzeitig berichteten sie über negative affektive Einstellungen, die den Sprachkursbesuch jedoch ebenfalls anregten. Sie empfanden beispielsweise ihre Sprachkenntnisse als unzureichend und als Ursache für eine Sprachbarriere innerhalb der Familie. Auch fühlten sie Sprachscham, wenn sie mit Verwandten oder in der Öffentlichkeit Koreanisch sprechen mussten. Die Einstellungen zu ihrer HL, die die Probanden in Beaudrie & Ducar (2005) sowie in Cho et al. (1997) äußerten, werden wie oben bereits diskutiert von gegenwärtigen gesellschaftlichen Spracheinstellungen geprägt. Sie entstehen jedoch immer zuerst in der Familie, der primären Sozialisationsinstanz. Denn schon die Einstellung der Eltern selbst in Bezug auf die Minderheitensprache, Mehrsprachigkeit allgemein oder eine bestimmte Art des Sprachgebrauchs wie Sprachmischungen kann ihr Sprachhandeln mit den Kindern stark beeinflussen (vgl. De Houwer 1999). Die Einstellung der Eltern entscheidet folglich nicht nur über den Input der Kinder und somit über ihre Sprachkompetenz in der frühen Kindheit, sie formt auch deren Einstellung zur Minderheitensprache und zu ihrem Gebrauch in der Familie. Die Eltern sind in einer HL-Situation insbesondere für die Ausbildung einer positiven affektiven Einstellung bei ihren Kindern entscheidend: 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 155 […] when the child speaks a minority language, encouraging use of that minority language may need to be more rather than less. When there is discouragement in the street, little reinforcement on the screen and in the school playground for minority language usage, parents are often pivotal in fostering favorability of attitude among the children to that minority language. (Baker 1995: 36) Eine Untersuchung zur elterlichen Rolle bei der Vermittlung einer positiven Einstellung zur HL legte Shum (2001) vor. In ihrer Studie zu 13 Sprechern mit den HLs Chinesisch bzw. Koreanisch stellte sie fest, dass diejenigen Probanden, die nach eigenen Angaben über eine hohe Sprachkompetenz in der HL verfügten, zugleich über eine sehr positive innerfamiliäre Einstellung zu ihr berichteten. Ihnen wurde von ihren Eltern stets eine positive Haltung zur HL vermittelt und ihr Wert unentwegt unterstrichen. Dies geschah zum Teil über ein striktes Verbot, zu Hause Englisch zu sprechen, und somit über einen unmittelbaren Zwang zum HL-Gebrauch. Zwei Studienteilnehmer merkten allerdings an, dass ihre Eltern bewusst ausschließlich Englisch zu Hause verwendeten, da sie um den schulischen Erfolg ihrer Kinder fürchteten. Dies führte jedoch nicht zu einer Ablehnung der HL, sondern vielmehr zu einer Trotzreaktion. Als Erwachsene verbrachten diese beiden Probanden mehrere Jahre in dem Herkunftsland ihrer Eltern und verfügten hierdurch über eine ausgebaute HL-Kompetenz. Auch in diesen beiden Fällen prägten folglich die Eltern die Einstellung ihrer Kinder und somit ihr späteres Sprachverhalten. Zhang und Slaughter-Defoe (2009) analysierten die Einstellung gegenüber der Weitergabe des Chinesischen bei 18 Elternpaaren mit Kindern im Alter zwischen 6 und 14 Jahren. Insgesamt äußerten die Eltern eine sehr positive Einstellung zur HL und sahen sie als eine wichtige Ressource insbesondere für die Karriereoptionen ihrer Kinder an. Auffällig war zugleich, dass diese positive Einstellung ausschließlich gegenüber Mandarin galt, andere chinesische Dialekte oder Sprachen wurden von den Eltern hingegen nicht weitergegeben. Als Gründe für den Erhalt des Mandarin führten sie die Bewahrung der ethnischen Identität, die Erinnerung an ihre Herkunft, den Familienzusammenhalt und die Möglichkeit einer tiefgehenden innerfamiliären Kommunikation an. Diese äußerst positive Einstellung zum Mandarin führte bei den Eltern zu entsprechenden Bemühungen, die HL an ihre Kinder zu vermitteln. Hierzu verfolgten sie eine strikte Sprachpolitik zu Hause, unterrichteten ihre Kinder mit Materialien aus dem Herkunftsland, schickten sie zu privatem Sprachunterricht und engagierten sich insgesamt stark in der HL-Gemeinde. Trotz dieser enormen Bemühungen der Eltern zeigten die Kinder, insbesondere diejenigen im Jugendalter, jedoch nur wenig Interesse am Mandarin. Sie empfanden die Anstrengungen der Eltern als Zwang und verbanden damit ausschließlich Strapazen. Nicht nur 156 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt sahen sie Mandarin als schwierig und zeitaufwändig zu lernen an, sie entwickelten auch eine negative kognitive Einstellung dazu: Für sie war Mandarin eine in den USA nutzlose Sprache, ihre HL stellte für sie somit keine Ressource dar. Dies demonstriert sehr deutlich, dass trotz der Vermittlung einer positiven affektiven Einstellung in der Familie eine durch gesellschaftliche Abwertung der HL verursachte negative Einstellung bei HL-Sprechern entstehen kann. Ob sich diese auch in einem anderen Sprachverhalten manifestiert, wurde in der Studie nicht untersucht. 4.5.2 Ethnische und nationale Identität Die Linguistik und Spracherwerbsforschung stoßen bei der Untersuchung von identitätsbezogenen Aspekten oftmals auf das Problem der vielseitigen Interpretationsmöglichkeiten dieses Begriffs. Identität wird hier recht unterschiedlich definiert, wobei ein Aspekt stets im Zentrum steht: „[…] Sprache [ist] an die Person gebunden - und repräsentiert sie. Das ist die Prämisse aller emphatischen Diskurse über Sprache und Identität“ (Maas 2010: 286). Andere Disziplinen konnten bisher ebenfalls keine klare Auslegung des Begriffs „Identität“ finden, da jeweils unterschiedliche Zugänge zu diesem komplexen Konzept von Bedeutung sind und näher beleuchtet werden. Eine klassische Definition aus der (Entwicklungs-) Psychologie stammt beispielsweise von Erikson (1968) und bezieht sich auf die Ich-Identität als ein subjektives Gefühl der Gleichheit und Kontinuität, das Individuen ein stabiles Selbstbild verschafft und als Entscheidungsrichtlinie in zentralen Lebensbereichen dient (vgl. Phinney & Ong 2007: 274). Weiter ergänzt Erikson die Dimension einer Gruppe, der man sich zugehörig fühlt: Nun ein Gefühl der Identität zu haben, heißt, sich mit sich selbst - so wie man wächst und sich entwickelt - eins fühlen; und es heißt ferner, mit dem Gefühl einer Gemeinschaft, die mit ihrer Zukunft wie mit ihrer Geschichte (oder Mythologie) im reinen ist, im Einklang zu sein. (Erikson 1975: 29, zitiert nach Noack 2010: 47) Im Rahmen der Sozialpsychologie von Intergruppenbeziehungen versteht man unter Identität nach Tajfel (1982: 102) die Selbstzuordnung zu verschiedenen sozialen Gruppen (z. B. Familie, Schulklasse, religiöse Gemeinde etc.). Dieses Zugehörigkeitsempfinden hat den Zweck, das Selbstwertgefühl und Wohlergehen zu steigern (vgl. ebd.: 103). Bei einem Vergleich der eigenen Gruppe mit der Fremdgruppe schneidet das Individuum idealerweise besser ab. Soziale Gruppen entstehen durch eine Kategorisierung von subjektiven Wahrnehmungseindrücken, durch die das Individuum sich selbst in Bezug auf eine bestimmte Kategorie mit manchen Personen als identisch wahrnimmt, von anderen wiederum 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 157 als unterschiedlich (vgl. ebd.: 45). Die Zuordnung zu einer Gruppe erfolgt dabei über das Wissen um die eigene objektive Zugehörigkeit aufgrund von formalen, sachlichen Kriterien wie beispielsweise Staatsangehörigkeit. Sie kann aber auch über die subjektive Selbstwahrnehmung des Individuums entstehen und mit emotionalen und zwischenmenschlichen Beziehungen zu dieser Gruppe verbunden sein (vgl. ebd.: 43). Entsprechend den oben formulierten Definitionen wird für diese Studie der Sozialpsychologie folgend ethnische Identität - aufgefasst als Teil sozialer Identität (vgl. Spears 2011: 202; Tajfel 1982: 101; Tajfel & Turner 1986) - als konstruierte Selbstzuordnung zu und Bindung an eine bestimmte ethnische Gruppe verstanden (vgl. Phinney et al. 2001: 495; Phinney 1990: 500; Makarova 2008: 33). Diese Bindung kann auf einer Idee von gemeinsamer Geschichte, Religion, Abstammung oder auch Sprache mit Mitgliedern dieser Gruppe basieren und ist als Ergebnis des Sozialisationsprozesses zu verstehen (vgl. Maehler 2012: 45). Die ethnische Identität einer Person ist multidimensional und äußert sich auf unterschiedlichste Weise (vgl. Phinney & Ong 2007: 271 ff.; für eine Zusammenfassung genereller Bestandselemente sozialer Identität auch Ashmore et al. 2004: 83). So können die Selbstbezeichnung sowie ihre Bedeutung für das Individuum seine ethnische Identität andeuten. Jedoch ist hierbei zu bemerken, dass die Selbstkategorisierung stark vom Kontext abhängt und kein strenges Kriterium zur Erfassung ethnischer Identität darstellen darf (vgl. Ashmore et al. 2004: 84 f.; Phinney & Ong 2007: 272). Beispielsweise reflektiert sie bei sogenannten sichtbaren Minderheiten häufig nicht die selbstgewählte Eigenbezeichnung, sondern die Fremdkategorisierung aufgrund von äußeren Merkmalen (vgl. Phinney 1990: 504). Auch die Suche nach Informationen über oder nach Erfahrungen mit einer bestimmten ethnischen Gruppe können als Äußerungen einer ethnischen Identität verstanden werden. Andere Attribute ethnischer Identität stellen beispielsweise die Einhaltung gruppenspezifischer Werte bzw. die Einstellung dazu sowie ethnische Praktiken dar (vgl. ebd.). Sprache kann ebenfalls als eine externe Komponente von ethnischem Verhalten angesehen werden und wird in Studien häufig als das einzige oder das stärkste Maß für ethnische Identität herangezogen (vgl. Makarova 2008: 54; Phinney & Ong 2007: 272). Phinney und Ong (2007) betonen jedoch, dass ethnische Identität nicht zwingend mit Verhalten einhergehen muss, sondern sich auch ausschließlich als internalisiertes emotionales Konzept äußern kann (vgl. auch Phinney 1990: 505). Es sind folglich insbesondere die emotionale Bindung und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Gruppe, die die ethnische Identität eines Individuums konsolidieren (vgl. ebd.; Ashmore et al. 2004: 90 f.). Die ethnische Identität ist ebenso wie der Faktor „Einstellung“ ein dynamisches, flexibles Konstrukt, das ständig Veränderungen unterworfen ist und sich 158 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt im Laufe des Lebens erst entwickelt (vgl. Maehler 2012: 41; Phinney & Ong 2007: 274; Tse 1998: 15 f.). Basierend auf dem Konzept der persönlichen Identitätsentwicklung von Marcia (1980) arbeitete Phinney ein Drei-Stufen-Modell der ethnischen Identitätsbildung heraus (vgl. Phinney 1989; 1990; 1993), worin sie insbesondere die Bedeutung der Pubertät für diese Entwicklung unterstreicht: „Adolescents are faced with a number of changes that affect this understanding [i. e. the significance of one’s group membership, H. O.], including increased cognitive abilities, more interactions outside their own community, and greater concern with appearance and social life“ (Phinney 1989: 35). Phinney schlägt entlang den Entwicklungslinien einer Ich-Identität folgende drei Phasen der ethnischen Identität vor: Zunächst verfügt das Individuum über eine sogenannte ungeprüfte ethnische Identität (diffusion). Diese kennzeichnet sich durch eine fehlende Auseinandersetzung mit der eigenen ethnischen Gruppe, was auf ein fehlendes Interesse für die Gruppe oder auf eine ungeprüfte Übernahme der Werte und Einstellungen anderer Gruppen zu dieser zurückgeführt werden kann. Die nächste Entwicklungsstufe kann laut Phinney zwei Formen annehmen: entweder die Selbstverpflichtung gegenüber der ethnischen Gruppe ohne vorherige Ergründung dieser (foreclosure) oder die aktive Suche nach ethnischer Identität (moratorium). Bei der letztgenannten Stufe zeigt das Individuum ein starkes Interesse an der eigenen ethnischen Gruppe und setzt sich mit ihr kritisch auseinander. Das ideale Ergebnis dieses Prozesses stellt die erarbeitete ethnische Identität dar (achievement), die sich in einem selbstbewussten Umgang und einer sachlichen Haltung zur eigenen ethnischen Identität äußert (vgl. Phinney & Ong 2007: 275). Jugendliche der letztgenannten Gruppe berichten entsprechend über mehr allgemeines Wohlbefinden, Erfolgserlebnisse im schulischen Kontext und soziale Interaktionen sowie über intakte familiäre Beziehungen im Vergleich zu Jugendlichen, die den anderen Phasen zugeordnet werden können (vgl. Phinney 1989: 47; Phinney et al. 2001: 501). Betrachtet man die Entwicklung ethnischer Identität über Generationen hinweg, so sind in der psychologischen Forschung sich widersprechende Ergebnisse zu finden. Einerseits wurde eine eher schwach ausgeprägte ethnische Identität bei Migranten zweiter Generation im Vergleich zur ersten Generation festgestellt, was eine tendenzielle Abnahme ethnischen Zugehörigkeitsgefühls suggeriert (vgl. Fought 2006: 87). Constantinou und Harvey (1985: 245) berichten beispielsweise, dass die erste Generation griechischer Migranten in den USA sich noch sehr stark mit Griechenland identifizierte, während die zweite Generation eine starke Zugehörigkeit lediglich zur griechischsprachigen Community vor Ort hegte. Andererseits haben Studien solch eine abnehmende Tendenz auch in vierter Migrantengeneration nicht nachweisen bzw. einen „ethnic revival“ ab der dritten Generation feststellen können (vgl. ebd.: 252; Wooden et 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 159 al. 1988: 268). Phinney erklärt diese Abweichungen mit einer Konfundierung des Faktors „Generation“ durch Modernisierung und generellen Wertewandel mancher Gruppen (vgl. Phinney 1990: 509). Diese Werte könnten ebenfalls als Erklärung für Geschlechterunterschiede in der Ausprägung ethnischer Identität dienen, insbesondere für Gruppen mit konservativer Orientierung, in denen die Frau als die Bewahrerin von Sprache und Tradition betrachtet wird, bzw. in Gruppen, die dem Mann eine besonders prestigereiche Rolle in der Gesellschaft zuschreiben (vgl. ebd.; Phinney et al. 2001: 504). Der Begriff „ethnische Identität“ weist in seiner Konzeption einige Parallelen zum Begriff „Akkulturation“ auf und wird gelegentlich synonym mit diesem verwendet. „Akkulturation“ beschreibt jedoch die Anpassung an eine neue oder andere Kultur (zur Diskussion des Kulturbegriffs im Zusammenhang mit Akkulturation vgl. Makarova 2008: 25 ff.) und sollte daher zwingend differenziert verwendet werden: „Acculturation comprehends those phenomena which result when groups of individuals having different cultures come into continuous first-hand contact, with subsequent changes in the original culture patterns of either or both groups“ (Redfield et al. 1936: 149). Im Gegensatz zu dieser klassischen, ergebnisorientierten Definition von Redfield und Kollegen schlagen Kim und Kollegen (2001: 613) eine prozessorientierte Sichtweise auf Akkulturation vor: „We define acculturation narrowly as the learning or acquisition of cultural traits of the host society or immigrant group members […].“ Die Definition von Akkulturation bezieht sich also primär auf Veränderungen oder Konflikte bzw. auf Anpassung, die aus dem Kontakt zwischen zwei Gruppen resultiert. Der Bezug der Minderheitengruppe zur dominanten Gruppe (und umgekehrt) steht bei der Akkulturationsforschung insbesondere im Fokus (vgl. Makarova 2008: 34 f.). Betrachtet wird dabei die Gruppenebene und nicht die des Individuums und seiner Beziehungen zur Eigengruppe. Ethnische Identität kann folglich als ein Teilkonzept von Akkulturation betrachtet werden (vgl. Phinney 1990: 501; Phinney et al. 2001: 495). Die nationale Identität beschreibt im Gegensatz zur ethnischen Identität das Ausmaß der Identifikation mit dem Staat, in dem man lebt, sowie mit den Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft in diesem (vgl. Maehler 2012: 54). Auch sie ist ein wandelbares psychologisches Konstrukt, das kontext- und situationsabhängig ist. Die Entwicklung der nationalen Identität - insbesondere bei der Mehrheitsbevölkerung - lag bislang nicht im Fokus der Forschung und wurde nur in einigen Arbeiten berücksichtigt (vgl. Kritik in Maehler 2012: 56). So untersuchten beispielsweise Barrett und Kollegen in einer großangelegten internationalen Studie in Großbritannien, Spanien, Italien, der Ukraine, Russland, Georgien und Aserbaidschan die Entwicklung nationaler Identität bei 4.211 Kindern unterschiedlichen Alters (6, 9, 12 und 15 Jahre; vgl. Barrett 2007). Sie konnten fest- 160 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt stellen, dass nicht alle Voraussagen der Theorie der sozialen Identität auf die Entwicklung der nationalen Identität bei Kindern und Jugendlichen vorbehaltlos übertragen werden können (vgl. Barrett 2005: 212; Barrett et al. 2004: 182 ff.). So entwickelten zwar die meisten Kinder bereits ab einem Alter von sechs Jahren eine nationale Identität (vgl. ebd.: 197), jedoch wird ihre Salienz bzw. ihre Entwicklung stark durch den Erhebungs- und Sozialisationskontext beeinflusst. In der Studie konnte z. B. nachgewiesen werden, dass sich die nationale Identität auch bei autochthonen Minderheitengruppen in Abhängigkeit von ihrem Status in dem betreffenden Staat entwickelt. Exemplarisch führen Barrett und Kollegen heran, dass Kinder und Jugendliche aus England sich wesentlich stärker einer britischen Identität zuschrieben als Kinder und Jugendliche aus Schottland. Eine parallele Situation wird für baskische und katalanische Kinder und Jugendliche im Gegensatz zu Kindern aus Andalusien beschrieben. Hier identifizierte sich die letztgenannte Gruppe am stärksten mit Spanien (vgl. ebd.: 214). Zudem konnte ein bedeutender Effekt der Unterrichtssprache in der Schule festgemacht werden. Kinder, die in Georgien und Aserbaidschan eine Schule besuchten, in der der Unterricht in der Landessprache durchgeführt wurde, erzielten höhere Werte der nationalen Identität als Kinder auf Schulen mit Russisch als Unterrichtssprache (vgl. Barrett 2005: 199), einer Prestigesprache in Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Dies sei keine Konsequenz des Sprachgebrauchs per se, so Barrett, sondern ein Spiegel der elterlichen sprachideologischen Ansichten, die mittels ihrer Sichtweisen auf die Thematik die Entwicklung der nationalen Identität ihrer Kinder beeinflussen können (vgl. Barrett 2007: 226 ff.). Um das Verhältnis von nationaler zu ethnischer Identität zu beschreiben, werden in der Psychologie zwei Ansätze verfolgt. Der unidimensionale Ansatz besagt, dass beide Identitätsarten die gegenüberliegenden Pole einer Skala darstellen. Somit ginge mit einer hohen Identifikation mit der ethnischen Gruppe eine niedrige Identifikation mit der nationalen Gruppe einher und umgekehrt, sodass ein negativgerichteter linearer Zusammenhang zwischen diesen beiden Konstrukten vorliege (vgl. Phinney et al. 2001: 495). Der zweite Ansatz ist weitaus verbreiteter und orientiert sich an dem Akkulturationsmodell von Berry (1997; 2005). Er besagt, dass die beiden Ausprägungen unabhängig voneinander sein können, dass also auch trotz einer hohen Identifikation mit der ethnischen Gruppe eine ausgeprägte nationale Identität vorliegen kann (vgl. Phinney et al. 2001: 496). Dies ermöglicht eine Vier-Felder-Typologie von Identitätsausprägungen, die sich analog zu dem Akkulturationsmodell nach Berry (vgl. ebd.; s. Abbildung 7) wie folgt beschreiben lassen: Ein Individuum, das eine stark ausgeprägte ethnische Identität bei ebenso stark ausgeprägter nationaler Identität aufweist, wird als integrierter Typus betrachtet. Sind beide Identitätsausprägungen nur 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 161 schwach vorhanden, handelt es sich um den marginalisierten Typus. Ein Individuum, das über eine stark ausgeprägte ethnische Identität verfügt, sich jedoch nicht mit der Mehrheitsgruppe identifiziert, wird als separiert betrachtet, während eines, das sich nur gering der Minderheitengruppe zugehörig fühlt und hauptsächlich mit der Mehrheitsgruppe identifiziert, über eine assimilierte Identität verfügt (vgl. auch Hutnik 1986: 153; 1991: 158). Abb. 7: Vier Ausprägungstypen kultureller Identität (vgl. Berry 1997; 2005) Nach Phinney weist der integrierte Typus in Studien zu psychologischer Adaptation die besten Ergebnisse bei Skalen zu Selbstbewusstsein, einem positiven Selbstkonzept, Lebenszufriedenheit und generellem psychologischen Wohlbefinden auf. Der marginalisierte Typus hingegen schnitt auf Skalen zu psychosozialer Anpassungsfähigkeit am schlechtesten ab (vgl. Makarova 2008: 37; Phinney et al. 2001: 502). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Nguyen und Benet-Martínez (2010: 103) nach einer Metaanalyse von Studien zu kultureller Identität, die dem integrierten Typus bessere Anpassungsfähigkeit bescheinigen, allerdings nur bei einer bidimensionalen Messung dieses Konstrukts. Obwohl diese Konzeption von einer grundsätzlichen Unabhängigkeit beider Identitätsausprägungen ausgeht, können sie je nach Erhebungskontext und untersuchter Gruppe auch positiv oder negativ miteinander korrelieren, was u. a. an der Einwanderungs- und Eingliederungspolitik der betrachteten Länder sowie an den lokalen Gegebenheiten (z. B. Größe der Migrantengruppe in einem bestimmten Setting) liegen kann (vgl. Phinney et al. 2001: 498). So korrelierten beide Skalen in der Studie von Phinney und Kollegen positiv ausschließlich für die Gruppe der mexikanischstämmigen Migranten in den USA, während sie bei Migranten vietnamesischer und armenischer Herkunft ebendort in keinem Zusammenhang zueinander standen. Dieselbe Studie konnte gleichzeitig negative 162 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt Korrelationen zwischen beiden Skalen bei Migranten russischer Herkunft in Israel nachweisen, jedoch nicht bei denjenigen aus Äthiopien (vgl. ebd.). Der Zusammenhang zwischen Sprache und ethnischer sowie nationaler Identität wird in der Soziolinguistik, Spracherwerbs- und -verlustforschung ausgiebig untersucht. Zahlreiche Studien befassen sich auf gesellschaftlicher Ebene mit der Verbindung dieser Konstrukte zu Sprachpolitik, Sprachgebrauch, Sprachtod oder Revitalisierung von Sprachen. So wird beispielsweise unter dem Aspekt der ethnischen Identität die gegenwärtige Sprachpolitik der Ukraine gehandelt (vgl. Pavlenko 2011: 40; Weber & Horner 2012: 70). Zu Zeiten der Sowjetunion wurde auf die Bevölkerung in der Ukraine im Rahmen einer Russifizierungspolitik großer Druck zur Aufgabe des Ukrainischen ausgeübt, was in einem verstärkten Gebrauch des Russischen als Zweitsprache bei allen Bevölkerungsgruppen sowie in einem Sprachwechsel zu Russisch als Erstsprache bei vielen Teilen der Bevölkerung mündete (vgl. Pavlenko 2011: 39). Nach der Unabhängigkeit 1991 versuchte die Regierung, der vorherigen Sprachpolitik durch Derussifizierung und Einung der Bevölkerung zu begegnen, indem sie die Titularsprache förderte (vgl. Pavlenko 2008a: 61). Ukrainisch ist seit 1991 die einzige offizielle Amtssprache, was durch viele Gesetze in den Bereichen Bildung und Medien gestützt wird. Russisch wird seitdem in Schulen meist als zweite Fremdsprache unterrichtet (vgl. Pavlenko 2008b: 282; Weber & Horner 2012: 71). Pavlenko beschreibt diese Wende von staatlich auferlegter Zweisprachigkeit mit Russisch und Ukrainisch während der Sowjetzeit zu offizieller Einsprachigkeit in der Sprache der Titularnation nach der Unabhängigkeit als „monolingual turn“ (vgl. Pavlenko 2011: 42). Die Verwendung des Ukrainischen in öffentlichen und privaten Kontexten wird mehr und mehr zu einem Bekenntnis zur ukrainischen Identität und zum ukrainischen Staat (vgl. Weber & Horner 2012: 71), sodass Sprache offiziell untrennbar mit Ethnizität verbunden wird (vgl. Pavlenko 2011: 43). Eine vergleichbare Verbindung zwischen Sprachpolitik und ethnischer Identität kann für Marokko beschrieben werden. Als Erstsprachen werden dort je nach Bevölkerungsgruppe Berber und marokkanisches Arabisch erworben, wobei die letztgenannte Varietät als die Lingua Franca innerhalb des Landes gilt und von allen Marokkanern als (zweite) Erstsprache gesprochen wird. Offizielle Zahlen über arabisch- und berbersprachige Bevölkerungsanteile sind nicht vorhanden, da die Erstsprachen nicht erfragt werden. Als Grund hierfür nennt Saíb (2001) die Angst vor einem enormen „demographischen Gewicht“ der berberophonen Gruppe und vor deren Ansprüchen auf entsprechende politische Macht, da Schätzungen von 40 bis 60 % Berberophonen an der Gesamtbevölkerung ausgehen, sodass ein numerischer Minderheitenstatus nicht grundsätzlich angenommen werden kann (vgl. Saíb 2001: 430). Die Regierung habe deshalb 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 163 stets versucht, die berbersprachige Bevölkerung über die nicht vorhandene Förderung des Berberischen und seine Exklusion aus der Bildungsdomäne in den Nationalstaat zu assimilieren: „Thus, the schooling of Berber-speaking children has meant their Arabization and their gradual loss of competence in Berber, for the latter is excluded from education“ (Ennaji 1997: 29). Die Beschulung auf Arabisch diente hier also dazu, eine berberische Identität durch den graduellen Verlust des Berberischen abzuschwächen. 38 Aspekte ethnischer Identität werden in der Linguistik auch im Zusammenhang mit Sprachrevitalisierungsprozessen diskutiert. Als Beispiel sei hier die als „ethnic revival“ bezeichnete Bewegung in Wales genannt, die als eines der wenigen gelungenen Beispiele für Revitalisierungsbemühungen gelten kann. Das Walisische war während des 19. Jahrhunderts zwar aufgrund von Industrialisierung und Urbanisierung verstärkten Einflüssen des Englischen ausgesetzt, konnte seine Stellung in Wales jedoch vorerst aufgrund von Bevölkerungswachstum und hohen Alphabetisierungsraten halten. Anfang des 19. Jahrhunderts gaben 90 % der Waliser an, Walisisch als Erstsprache zu sprechen (vgl. Bourhis et al. 1973: 450). Erst Ende des 19. Jahrhunderts wuchs in der Bevölkerung das Bewusstsein für die Vormachtstellung und das Prestige des Englischen als Erstsprache, sodass innerhalb von drei Generationen bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts das Walisische nicht mehr als Sprache des Fortschritts, Erfolgs und der Unterhaltung angesehen wurde und somit nahezu ausgestorben war (vgl. Coupland & Aldridge 2009: 5). Dennoch schaffte es die walisische Bevölkerung, über kulturelle Aktivitäten und Einrichtungen eine walisische Identität aufrechtzuerhalten und weiterzugeben, ohne dass diese auf der walisischen Sprache begründete (vgl. Williams 2010: 247). Zu dieser Schlussfolgerung kommt ebenfalls die Studie von Bourhis und Kollegen, die nachwiesen, dass eine walisische Identität nicht zwingend mit Sprachkenntnissen des Walisischen zusammenhängt (vgl. Bourhis et al. 1973: 457). Auch Coupland und Kollegen konnten zeigen, dass zwar die Sprachkompetenz ihrer Probanden im Walisischen positiv mit einer stark ausgeprägten ethnischen Identität zusammenhängt, gleichzeitig belegten sie jedoch, dass auch diejenigen Waliser eine ausgebildete ethnische Identität hatten, die über nur 38 Seit Anfang der 90er Jahre ist jedoch eine Wende in der Sprachpolitik Marokkos bezüglich der berberischen Sprache von abweisend zu wohlwollend zu verzeichnen: Zunächst wurde Unterricht in berberischer Sprache auf Primarebene erlaubt, ebenfalls waren Bemühungen um eine Kodifizierung der Sprache zu beobachten, die durch die Gründung eines Instituts zur Erforschung des Berberischen unterstützt wurden (vgl. Ennaji 1997: 30; Sadiqi 1997: 19). Erst die neueren sprachpolitischen Bemühungen der berberophonen Bevölkerung konnten jedoch eine deutliche Aufwertung des Berberischen erreichen, sodass es im Jahre 2011 zur zweiten offiziellen Amtssprache neben Hocharabisch erhoben wurde (vgl. Royaume du Maroc 2011: 1904). 164 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt geringe Kompetenz im Walisischen verfügten (vgl. Coupland et al. 2006: 369). Diese Tatsache - „the transmission of Welsh identity through the medium of English“ (Williams 2010: 247) - ermöglichte es, dass heutzutage in Wales das oben genannte „ethnic revival“ angestoßen werden konnte. Der Anteil Walisischsprachiger in der Bevölkerung wächst wieder stetig, er betrug im Jahre 2001 über 20 % (vgl. Williams 2010: 248). Nicht zuletzt sei diese Entwicklung der Sprecherzahlen auch der zweisprachigen Beschulung sowie der offiziellen Gleichstellung der beiden Sprachen im öffentlichen Raum und in der Verwaltung zu verdanken (vgl. Coupland & Aldridge 2009: 5). Als gegenteilig zu diesem Beispiel lässt sich die Entwicklung des Bretonischen anführen, dessen heutige Situation laut Williams (2010: 251) sich mit der Lage des Walisischen vor 50 Jahren vergleichen lässt. Laut offiziellen Statistiken sprechen nur noch 8,5 % der bretonischen Bevölkerung Bretonisch als ihre Erstsprache, 61 % dieser Sprecher sind dabei älter als 60 Jahre (vgl. ebd.). Diese Entwicklung geht mit einer negativen ethnischen Identität einher: „[T]here is a heavy dose of self-denial, even an element of apology of being Breton“ (ebd.: 251), da die bretonische Sprache als Marker der Arbeiterklasse und sozial unterprivilegierter Bevölkerungsschichten gelte (vgl. Timm 2001: 450 f.; 1973: 289) und mit äußerst negativen Stereotypen behaftet sei (vgl. Le Nevez 2006: 117). Aufgrund dieser Umstände seien die Sprecher selbst an einem Spracherhalt des Bretonischen nicht interessiert (vgl. Timm 1973: 291). Die negativ behaftete bretonische Identität konnte auch weder durch Standardisierungsbemühungen der ursprünglich rein gesprochenen Varietät noch durch das Kreieren einer neuen Varietät, des sog. Néo-Breton, aufgewogen werden (vgl. Weber & Horner 2012: 58). Obwohl diese neu erschaffene Varietät in vielen Privatschulen unterrichtet wird, wird sie durch die Sprecher selbst nicht angenommen und als künstlich und unauthentisch empfunden, da die Unterschiede zwischen dem ursprünglichen, traditionellen Bretonisch und dem Néo-Breton derart gravierend seien, dass die älteren Sprecher die jüngeren, die die Sprache institutionell erlernten, nicht verstünden (vgl. Weber & Horner 2012: 58). Es wurde somit eine intergenerationale Lücke (vgl. Le Nevez 2006: 159) geschaffen, die durch den unterschiedlichen Symbolcharakter des Bretonischen je nach Generationenzugehörigkeit der Sprecher hervorgerufen wurde: Für die älteren Sprecher der traditionellen Varietät stellt das Bretonische trotz ihres ambivalenten Verhältnisses dazu ein Identitätskriterium dar. Das Französische ist für diese Sprechergruppe nach wie vor vergleichsweise die prestigereichere Sprache. Für die neue Sprechergeneration, die das Néo-Breton erlernte, ist die Sprache jedoch von hohem Stellenwert auch im öffentlichen Raum. Nichtsdestotrotz fehlt es diesen Sprechern an Möglichkeiten, diese Sprache in einem funktionalen Zusammenhang, beispielsweise mit den Sprechern des traditionel- 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 165 len Bretonischen, zu verwenden (vgl. Le Nevez 2006: 162 f.). So betonen auch Weber und Horner, dass „standardization, instead of contributing to language maintenance, can potentially reinforce the tendency towards language shift if people fail to identify with, or feel alienated from, the standard variety“ (2012: 59; vgl. auch Timm 2001: 458). Das Verhältnis von Sprache und ethnischer Identität wird in der Soziolinguistik aber auch auf der Ebene des Individuums stark diskutiert, so beispielsweise bei der Untersuchung von sozial motivierten Sprachmischungen als Indizierung ethnischer Identität in Auer (1998), Myers-Scotton (1993) und Poplack (1980). Als eine spezifische Art davon kann in diesem Zusammenhang nach Rampton (1995) das sogenannte Crossing bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um eine ritualisierte diskursive Strategie, bei der sich ein Individuum sprachlicher Strukturen bedient, die nicht mit seiner sozialen Klasse, seinem Alter oder seiner ethnischen Gruppe assoziiert werden, es ist also ein Phänomen, das nicht als eine direkte Markierung einer Gruppenzugehörigkeit verstanden werden kann (vgl. Rampton 1995: 14). In seiner breit rezipierten sozio-linguistischen Studie zu urbaner Jugendkultur in Großbritannien konnte Rampton (1995; 1998; 2005) zeigen, in welchen Kontexten Jugendliche aus einem sozial benachteiligten, multiethnischen Stadtteil Elemente karibischer Kreolsprachen, Punjabi und stilisiertes „indisches“ Englisch verwendeten. Hierbei fokussierte er nicht nur Jugendliche, die diese Varietäten als ihre Erstsprachen erwarben, sondern auch monolingual englischsprachige Jugendliche. Ihre eigene ethnische Identität spielte bei der Verwendung von Markern anderer Varietäten nur marginal eine Rolle: „It [crossing; H. O.] is concerned with switching into languages that are not generally thought to belong to you. This kind of switching, in which there is a distinct sense of movement across social or ethnic boundaries, raises issues of social legitimacy that participants need to negotiate […]“ (Rampton 1995: 280). Rampton betont, dass Crossing kein Merkmal der entsprechenden ethnischen Gruppenidentität darstellt, ebenso wenig drückt es den Wunsch nach einer Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe aus. Vielmehr handelt es sich dabei um Grenzüberschreitungen, die die Aushandlung von Zugehörigkeit erzwingen und die Gleichsetzung von Sprache und ethnischer Identität in Frage stellen. Diese Sprechweise werde von den Jugendlichen vielmehr de-ethnisiert und zu einem „contemporary urban vernacular“ überführt, so Rampton (ebd.: 72). Im deutschsprachigen Raum ist insbesondere die Studie von Dirim und Auer (2004), die Crossing ins Türkische (von den Autoren als „Transgression“ bezeichnet; vgl. ebd.: 27) bei monolingual deutschsprachigen und bilingualen nicht-türkischsprachigen Jugendlichen in Hamburg untersuchte, zu nennen, die sich mit 25 Probanden im Alter zwischen 13 und 20 Jahren befasste. Bei aller Ähnlichkeit zu Ramptons Untersuchungsergebnissen ist im deutschen Kontext die 166 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt strukturelle Verschiedenheit der beteiligten Sprachen (Deutsch - Türkisch vs. Standardenglisch - karibisches, englischbasiertes Kreol - „indisches“ Englisch) hervorzuheben. Das Türkische erwarben alle Studienteilnehmer spontan im Alltag ohne formelle Unterweisung und ohne Bezug auf die kodifizierte Norm. Entsprechend war auch ihre Sprachverwendung durch funktionale Aspekte der kommunikativen Anforderungen im Alltag geleitet, d. h., sie unterschied sich stark von den Sprachkenntnissen anderer Sprecher, war oftmals rein passiv oder beschränkte sich auf den Gebrauch von türkischen Flüchen oder Interjektionen. Dirim und Auer (2004) benennen unterschiedliche Gründe für die Verwendung des Türkischen durch die von ihnen untersuchten Jugendlichen, von denen lediglich einer eine „Affiliation mit den Türken“ (ebd.: 38) ist: Wurde dieser Grund für den Erwerb der türkischen Sprachkenntnisse genannt, so basierte er meist auf positiven Stereotypen gegenüber dem, was als typisch türkische Kultur von den Jugendlichen wahrgenommen und entweder im Urlaubskontext oder durch intensiven Kontakt in Hamburg als Erfahrung gesammelt wurde (vgl. ebd.: 42 f.). Zusätzlich funktioniert diese Varietät als Marker einer Jugendkultur bzw. einer bestimmten Szene sowie als generelles Merkmal einer gesellschaftlichen Randposition in Abgrenzung zu sprachlichem Mainstream. Diese Jugendlichen verwendeten das Türkische also durchaus im Sinne einer sozialen Positionierung, jedoch erfolgte diese nicht ausschließlich als Eintrittskarte in die türkischsprachige Community, was die Verwendung des Türkischen in Gruppen auch ohne anwesende Türkischsprecher beweist. Insbesondere diejenigen Jugendlichen, die den Anforderungen eines sozial akzeptierten Lebenswandels nicht (mehr) genügten und keine Hoffnungen hatten, die sozio-ökonomische Marginalisierung zu verlassen, äußerten, dass gerade die türkische Sprache auf dem inoffiziellen sprachlichen Markt ebenfalls einen hohen Stellenwert genieße und ihnen viele Vorteile verschaffe (vgl. ebd.: 63). Die symbolische Bedeutung des Türkischen geht für diese Jugendlichen also weit über die Kategorie „Ethnie“ hinaus: „Es wäre eine unzulässige Vereinfachung, wollte man den Erwerb und die Verwendung des Türkischen durch Jugendliche und junge Erwachsene mit nicht-türkischem sprachlichen Familien-Hintergrund [sic! ] pauschal mit dem Wunsch gleichsetzen, sich mit ,den Türken‘ zu identifizieren und so ethnische Grenzen zu überschreiten“ (ebd.: 69). Dirim und Auer interpretieren die von ihnen beobachtete Nutzung des Türkischen nicht mehr als Crossing im Sinne einer Aneignung einer sprachlichen Varietät, die einem nicht „gehört“, sondern als die Verwendung einer sprachlichen Ressource, die in diesem Kontext allen zur Verfügung steht - unabhängig von der Ethnie (vgl. ebd.: 203). Die Verwendung bestimmter sprachlicher Merkmale als ethnische Marker wurde wiederum für lateinamerikanische Gruppen in den USA beschrieben. So stellt beispielsweise Fought (2003; 2006) ausführlich dar, wie Personen der 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 167 zweiten oder dritten Migrantengeneration und ohne ausreichende Spanischkompetenzen ihre Zugehörigkeit zur Latino-Community demonstrieren, indem sie im Englischen auf bestimmte phonologische wie syntaktische Stilmittel zurückgreifen, um ihre ethnische Herkunft zu markieren (vgl. Fought 2006: 70). Dies gilt z. B. für die Verwendung der alveolaren Plosive [t] und [d] statt der standardsprachlichen interdentalen Frikative [θ] und [ð] auf phonologischer Ebene (vgl. ebd.: 81). Die Sprecher verwenden dieses sog. Chicano English insbesondere in multiethnischen Settings, in denen gewisse Abweichungen von der Mehrheitssprache bewusst eingesetzt werden, um Rückschlüsse auf die Ethnie des Sprechers zu erlauben. Sprache kann hier also trotz nicht vorhandener Kompetenzen in der Standardvarietät als overter und bewusster Marker von ethnischer Zugehörigkeit auftreten. Einen Zusammenhang zwischen ethnischer Identität und Spracherhalt wies die Studie von Schmid (2002) nach. Schmid untersuchte Attritionserscheinungen im Deutschen bei deutschen Juden ( N = 35), die kurz vor oder während des Zweiten Weltkriegs in die USA geflohen sind. Sie stellte fest, dass der Zeitpunkt der Ausreise den größten Effekt auf Attrition hatte, unabhängig von Faktoren wie Sprachgebrauch oder Alter der Probanden bei Ausreise. Sie erklärt diesen Zusammenhang mit der Tatsache, dass eine Ausreise nach Inkrafttreten der Nürnberger Rassengesetze 1935 bei den meisten Migranten eine stärkere Ablehnung der deutschen Kultur und Sprache zur Folge hatte und somit eine schnellere Identifikation mit der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft, also ein beschleunigtes Ausbilden einer nationalen Identität ermöglichte (vgl. Schmid 2002: 189; zu anderen traumatischen Effekten, die einen Konflikt mit der Erstsprache auslösten, vgl. auch Footnick 2007: 171 f.). Diese Ergebnisse stützen zum einen die These, dass eine stabile ethnische Identität zu Spracherhalt beiträgt, zum anderen ermöglichen sie die Annahme, dass eine ausgeprägte nationale Identität die Aufgabe einer Minderheitensprache fördert. Ben-Rafael und Schmid (2007) konnten ebenfalls in einer qualitativen Interviewstudie zeigen, dass eine starke Identifikation mit der Mehrheitsgesellschaft des Einwanderungslandes zu enormen Attritionserscheinungen (hier interpretiert als Ausmaß von Sprachmischungen) bei französischsprachigen erwachsenen Migranten ( N = 15) in Israel führte, während dies bei russischsprachigen Migranten ( N = 15) in demselben Kontext nicht der Fall war, da diese über eine stark ausgeprägte ethnische Identität verfügten, was die Autorinnen auf die unterschiedlichen Einwanderungsmotive dieser beiden Gruppen zurückführen. Die Teilnehmer aus der frankophonen Gruppe reisten in den 50er und 60er Jahren als Kibbutzniks nach Israel ein, das zu der Zeit durch eine strikte monolingual ausgerichtete Sprachpolitik geprägt war. Das Hebräische bzw. seine Wiederbelebung wurde als Staatsziel proklamiert: „The Hebrew language 168 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt was considered an embodiment of the Israel state, and it was the goal of the immigrant generation to contribute to the revival of that language by bringing up a generation of monolingual native speakers“ (ebd.: 222). Die Migrationsentscheidung dieser Gruppe war also primär ideologisch durch sog. Pull-Faktoren motiviert, sodass sie das Erlernen des Hebräischen mit einer israelischen Identität verknüpften. 39 Die russischsprachige Gruppe in ihrem Sample wanderte hingegen in den 90er Jahren nach Israel ein, wo sie eine Umgebung vorfand, in der sprachliche Vielfalt ein Faktum geworden ist und auf breite Akzeptanz traf. Zudem wirkten auf diese Gruppe pragmatische Push-Faktoren wie ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse oder politische und soziale Instabilität des Herkunftslandes als Gründe für eine Ausreise, sodass das Ausbilden einer starken nationalen Identität vergleichbar mit der frankophonen Gruppe ausblieb (vgl. ebd.: 223). Entsprechend zeigte diese Gruppe weniger Sprachmischungen beim Sprechen ihrer Erstsprache. Den Autorinnen gelang es somit, durch die Interviews zu zeigen, dass die unterschiedlichen Ausgangsmotivationen der Gruppen für die Einwanderung nach Israel durchaus zu einer unterschiedlich starken Ausbildung der nationalen bzw. ethnischen Identität führten, dass also Sprache und nationale sowie ethnische Identität miteinander in Zusammenhang stehen. Maehler (2012) legte eine Studie vor, die die Effekte der ethnischen und nationalen Identität auf den Erhalt der Minderheitensprache und den Erwerb der Mehrheitssprache quantitativ misst. Sie untersuchte hierzu bei 279 in Deutschland lebenden Migranten unterschiedlicher Herkunft die Auswirkungen des Einbürgerungsprozesses und verglich sie mit 266 nicht eingebürgerten Migranten. Sie konnte einerseits keinen Zusammenhang zwischen einer nationalen Identität und Sprachkenntnissen im Deutschen nachweisen (vgl. Maehler 2012: 244). Andererseits belegte sie zugleich, dass „eine starke Identifikation mit der Herkunftskultur unabhängig vom Geburtsort des Teilnehmers mit guten ethnischen Sprachkenntnissen einhergeht“ (Maehler 2012: 245). 40 Die Studie von Makarova (2008) untersuchte den Zusammenhang von Akkulturation und ethnischer Identität in den Kontexten Familie und Schulklasse bei 1.071 Schülerinnen und Schülern im Alter von 12 bis 17 Jahren in Bern und Umgebung. Zusätzlich erhob sie weitere Merkmale der Schülerinnen und Schüler wie sozio-ökonomischen Status, Migrationshintergrund und Sprachgebrauch in der Familie. Die Erhebung der ethnischen Identität erfolgte äußerst differenziert über die Selbstbezeichnung, die Beurteilung der subjektiven Zugehörig- 39 Dies belegen Aussagen der Probanden zu diesem Thema wie z. B.: „I came in order to get rid of my French […] in order to participate in the revival of Hebrew“; „We wanted to speak Hebrew, we wanted to become real Israelis“ (Ben-Rafael & Schmid 2007: 214). 40 Über den Geburtsort Deutschland vs. Ausland definiert Maehler (2012) die Generationenzugehörigkeit. 4.5 Sozio-emotionale Faktoren 169 keit zu einer ethnischen Gruppe und die Intensität dieser Zugehörigkeit sowie die persönliche Eingebundenheit in diese (vgl. ebd.: 87). Der Sprachgebrauch wurde im offenen Format mittels einer Frage nach den zu Hause gesprochenen Sprachen erhoben (vgl. ebd.: 91). Als ein Ergebnis ihrer Studie stellte Makarova fest, dass der Sprachgebrauch innerhalb der Familie sich signifikant je nach Identitätstyp unterscheidet. Diejenigen Jugendlichen, die einem integrierten oder einem separierten Identitätstypus 41 zugeordnet wurden, verwendeten in ihrem familiären sprachlichen Umfeld zwei oder mehr Sprachen. Jugendliche, die dem assimilierten Typus entsprachen, verwendeten hingegen nur die Mehrheitssprache und gaben die HL folglich auf (vgl. ebd.: 142). Oh und Fuligni (2010) legten eine quantitative Fragebogenstudie zum Zusammenhang von ethnischer Identität, der Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz in der HL, Sprachgebrauch und der Qualität der Eltern-Kind-Beziehung vor. Sie befragten dazu 414 Jugendliche mit unterschiedlichen HLs in Los Angeles. Die Analysen zeigten, dass die von den Jugendlichen berichteten Sprachgebrauchsmuster und ihre HL-Kompetenz in starkem Maße mit der Ausprägung ihrer ethnischen Identität zusammenhing, wobei die Sprachkompetenz in der HL die größeren Effektmaße lieferte. Sie korrelierte zudem mit den Angaben der Jugendlichen zu innerfamiliärem Zusammenhalt. Über die Richtung dieser Zusammenhänge erlaubt die Studie jedoch keine Schlussfolgerungen: Es kann sowohl eine starke ethnische Identität den Sprachgebrauch und somit die Sprachkompetenz beeinflussen als auch umgekehrt. Aus den oben diskutierten Betrachtungen ethnischer Identität als Einflussvariable lässt sich zusammenfassen, dass eine Verbindung zwischen dem Erhalt und dem Gebrauch einer Sprache im allochthonen wie autochthonen Minderheitenkontext und einer positiven, stark ausgeprägten ethnischen Identität zwar angenommen werden kann, dass diese jedoch gleichzeitig nicht zwingend gegeben sein muss und von der genauen Konstellation der betrachteten Sprachen sowie ihrer institutionellen Einbettung abhängig ist. Zudem sind derartige Zusammenhänge stark in individuellen Voraussetzungen der Sprecher begründet: Language interweaves the individual’s personal identity with his collective ethnic identity. There are many conditions promoting this connection. First, language is very significant to the individual as an instrument for naming the self and the world. Second, the upbringing of a child is a matter of linguistic interaction. And third, spoken language is one of the most salient characteristics of ethnic groups, even if that language is not actively used. (Liebkind 2010: 20) 41 Bei Makarova „bikulturell“ bzw. „monokulturell“ (vgl. Makarova 2008: 142). 170 4 Externe Faktoren als mögliche Einflussgrößen auf Spracherhalt Die Wechselbeziehung zwischen ethnischer Identität und Sprachkenntnissen in der HL wird durch den letzten Teilsatz in dem oberen Zitat nochmals relativiert: Obwohl Sprache also zu einem der wichtigsten Marker ethnischer Identität werden kann (vgl. Edwards 2010: 35; Schmid 2002: 27), bedeutet ihr Verlust jedoch nicht automatisch den Verlust der Gruppenzugehörigkeit (vgl. auch Liebkind 2010: 21; Williams 2010: 238). Eine robuste ethnische Identität ist auch ohne jegliche Sprachkenntnisse in der jeweiligen Minderheitensprache möglich. Ein Bedürfnis nach einer positiven sozialen Identität und Selbstwahrnehmung kann auf der einen Seite zu einer starken Orientierung an der ethnischen Herkunftsgruppe führen (vgl. Umaña-Taylor 2011: 794) und somit zum Erhalt der HL beitragen. Auf der anderen Seite kann dasselbe Bedürfnis den Wunsch fördern, zur Mehrheitsgesellschaft dazuzugehören und von deren Mitgliedern auch als zugehörig wahrgenommen zu werden, was wiederum Sprachaufgabe begünstigt. 4.6 Zusammenfassung Im Verlauf dieses Kapitels wurde argumentiert, dass externe Faktoren Auswirkungen auf die Sprachkompetenz von HL-Sprechern haben können. Den Einfluss dieser externen Faktoren auf den Erhalt der HL modelliert Montrul (2016) in einer hierarchischen Struktur, in der Sprachgebrauch den größten Effekt auf Spracherhalt ausübt gefolgt von sozio-emotionalen und sozio-politischen Faktoren. Diese theoretische Darstellung wird durch Modelle zum Sprachtod autochthoner Sprachen (vgl. Dressler 1981; Sasse 1992) sowie durch zahlreiche Studien hierzu gestützt. Eine empirische Überprüfung dieser Darstellung als ein ganzheitliches Modell externer Einflussfaktoren auf Spracherhalt in der HL steht jedoch noch aus. Gruppenspezifische Faktoren, die die gesamte sprachliche Community betreffen, wirken sich nach Montrul (2016) nur mittelbar durch sozio-emotionale Faktoren auf das Individuum aus, daher stehen sie nicht weiter im Fokus der hier vorliegenden Untersuchung. Stattdessen wird zusätzlich der Einfluss von sprachbiographischen Faktoren auf den HL-Erhalt überprüft, da ihnen insbesondere in der Spracherwerbsforschung eine wichtige Rolle zugeschrieben wird. Unterschiede in der Sprachkompetenz von HL-Sprechern je nach Spracherwerbstyp oder Familienkonstellation können klar belegt werden. Allerdings gelten sie meist für kindliche Sprecher, sodass zu verifizieren ist, ob diese Divergenzen bis in das Jugendalter bestehen bleiben oder ob andere Faktoren ab diesem Zeitpunkt stärker greifen. Unterschiedliche Kontexte des Sprachgebrauchs können ebenfalls Auswirkungen auf Spracherhalt haben, müssen hierzu jedoch zwingend nach Registern (vgl. Maas 2008), d. h. Domänen des sprachlichen 4.6 Zusammenfassung 171 Handelns, differenziert werden, da unterschiedliche Register unterschiedliche Aspekte der HL-Kompetenz abbilden. Während Sprachgebrauch im intimen Register primär dem Erhalt der bereits im familiären Kontext erworbenen oraten Strukturen dient, leitet Sprachgebrauch im formellen Register den Erwerb literater Strukturen erst ein. Zudem wird in dieser Arbeit die These aufgestellt, dass das Registerkonzept mit dem Modusbegriff nach Grosjean (2001; 2012) verknüpfbar ist und der bilinguale Modus somit im intimen Register überwiegt, während der monolinguale Modus das formelle Register artikuliert. Folglich wirkt sich auch der bilinguale Modus stärker auf den Erhalt orater Strukturen aus, der monolinguale Modus hingegen beeinflusst den Erwerb literater Strukturen. Nur wenige empirische Untersuchungen widmen sich der Analyse von Sprachgebrauch derart differenziert, daher ist auch hier eine Überprüfung dieser Annahmen vonnöten. Die Befundlage für die sozio-emotionalen Faktoren ist vergleichsweise am weitesten fortgeschritten, da sich hier ein Rückgriff auf Studien der Sozialpsychologie anbietet. Problematisch an der Aussagekraft dieser Faktoren ist dennoch, dass sie häufig nicht oder nur bedingt mit Sprachverhalten assoziiert werden können, was ihren Beitrag zum HL-Erhalt strittig macht und deshalb ebenfalls weiterer Untersuchungen bedarf. Die in diesem Kapitel dargestellten theoretischen Überlegungen und empirischen Studien lassen die Hypothese zu, dass sprachbiographische Faktoren, Merkmale des Sprachgebrauchs sowie sozio-ökonomische Faktoren alle in gewissem Maße die Sprachkompetenz bilingualer Sprecher in der Migrationssituation beeinflussen können. Bei der Vielfalt an Untersuchungskontexten, herangezogenen Disziplinen, unterschiedlich operationalisierten oder nicht systematisch kontrollierten Faktoren, bisweilen geringen Fallzahlen und sich teilweise widersprechenden Ergebnissen ist es jedoch schwierig, ihre generische Gültigkeit anzunehmen. Auch fehlt eine empirische Überprüfung von Montruls (2016) hierarchischem Modell der Einflussfaktoren auf den HL-Erhalt, die belegen würde, welche dieser Faktoren den größten Einfluss auf Spracherhalt bzw. -verlust ausüben. Genau an dieser Stelle setzt die hier vorliegende Studie an. 5 Fragestellung und Hypothesen Die in den vorherigen Abschnitten berichteten Befunde weisen darauf hin, dass der Erhalt der HL nicht nur von gruppenspezifischen Merkmalen geprägt ist, sondern auch auf individueller Ebene zahlreichen externen Einflüssen unterliegt und von mehreren Faktoren abhängig ist. Als einflussreich konnten zum einen Merkmale identifiziert werden, die in den Erwerbsbedingungen Mehrsprachiger zu verorten sind und sich auf die Frage zurückführen lassen, ab welchem Zeitpunkt Kontakt zur Mehrheitssprache bestand. Dieser Kontakt kann dabei durch die in der Familie praktizierte Sprachpolitik, durch den Eintritt in eine Bildungsinstitution wie Schule und Kindergarten oder durch ein älteres Geschwisterkind zustande gekommen sein. Zum anderen lässt sich eine häufige Verwendung der HL in unterschiedlichsten Kontexten als relevant für Spracherhalt annehmen. Die Sprachverwendung scheint als förderlicher Faktor insbesondere dann ausschlaggebend zu sein, wenn sie außerfamiliär stattfindet und über die intime Kommunikation mit der Kernfamilie hinausgeht. Sind ferner Kontexte, in denen den Sprechern literate Strukturen abverlangt werden, zusätzlich durch die HL besetzt, so trägt auch dies in großem Maße zum Erhalt der HL bei. Voraussetzung hierfür stellt allerdings die Möglichkeit zum Schriftspracherwerb in der HL beispielsweise durch herkunftssprachlichen Unterricht dar. Der Zusammenhang von Spracherhalt und sozio-emotionalen Faktoren wird ebenfalls von mehreren Studien angenommen. Hierbei üben die Selbstverortung eines Sprechers innerhalb der Gemeinschaft und die damit verbundene sprachliche Orientierung, seine Disposition, die HL als wertvoll und nützlich zu sehen, sowie sein subjektives Empfinden gegenüber der HL einen Einfluss auf ihren Erhalt aus. Da Studien zum HL-Erhalt meist qualitativ sind und eine bestimmte Sprechergruppe untersuchen oder die einzelnen oben beschriebenen externen Faktoren unterschiedlich operationalisieren, ist es schwierig, eindeutige Ergebnisse zum Ausmaß des Einflusses einzelner Faktoren vorzulegen. Auch die von Montrul (2016) vorgeschlagene Hierarchisierung entbehrt bisher eines empirischen Nachweises. Sie wird zwar durch ganzheitliche Modelle der Sprachtodforschung (vgl. Dressler 1981; Sasse 1992), die die externen Einflussfaktoren auf den Erhalt von Minderheitensprachen zusammenführen, untermauert. Diese Modelle können jedoch nicht ohne Vorbehalt auf HL-Sprecher übertragen werden, da sie Sprachverlustprozesse auf Gruppenebene beschreiben. Enorme interindividuelle Unterschiede in der Sprachkompetenz von HL-Sprechern lassen zugleich 5 Fragestellung und Hypothesen 174 5 Fragestellung und Hypothesen annehmen, dass gerade die in der Einzelperson liegenden Gründe trotz der Gruppendynamik zu Sprachverlust oder -erhalt der HL führen. Darüber hinaus modellieren Sasse (1992) und Dressler (1981) wie viele andere Autoren (vgl. Grenoble & Whaley 2006; Edwards 1992; Tsunoda 2006) den Sprachverlust auf Basis von autochthonen Minderheitensprachen. Zwar lässt sich durchaus davon ausgehen, dass die Sprachgebrauchskontexte von Sprechern dieser Sprachen denen von allochthonen HL-Sprechern in vielerlei Hinsicht gleichen. So gestaltet sich beispielsweise die Verwendung in einem monolingualen und formellen Kontext bei autochthonen und allochthonen Sprachen ähnlich aus, da sie primär auf das intime Register und den bilingualen Modus ausgerichtet sind. Nur in bestimmten Fällen und oftmals gestützt durch gesetzliche Vorgaben sind beide Arten von Sprachen in öffentlichen Medien und als Unterrichtssprachen zugelassen. Beide Sprechergruppen lassen sich jedoch in Bezug auf sozio-emotionale Faktoren nicht gleichsetzen, da sie über unterschiedliches Sprachprestige auf gesellschaftlicher Ebene verfügen, woraus sich zwischen den Sprechergruppen Unterschiede hinsichtlich der Aspekte Einstellung und Identität ergeben können. Da autochthone Minderheiten auf dem jeweiligen Territorium als alteingesessen gelten, werden sie von der Mehrheitsbevölkerung als zum Nationalstaat zugehörig empfunden (vgl. Gärtig et al. 2010). Die Pflege und der Erhalt ihrer Sprache und Kultur werden je nach Nationalkontext oftmals im Gegensatz zu allochthonen Sprachen befürwortet bis stark gefördert (ebd.). Diese Unterschiede im Umgang mit Minderheitensprachen seitens der Mehrheitsbevölkerung könnten sich auf unterschiedliche Weise zum einen auf die Ausbildung nationaler Identität beider Sprechergruppen, zum anderen als Resilienzmechanismen auf die Entfaltung ethnischer Identität und die Einstellung zur Minderheitensprache auswirken. Es ist also zu überprüfen, ob die von der Sprachtodforschung gemachten Annahmen über den Wirkungsgrad externer Faktoren auf den Erhalt von autochthonen Minderheitensprachen auch auf allochthone Minderheitensprachen zu übertragen sind. Zudem stammen viele der in Kapitel 4 zitierten Studien aus der Attritionsforschung. Trotz einer theoriegeleiteten Transfermöglichkeit dieser Erkenntnisse auf den HL-Sprecher beschreiben sie ebenfalls einen anderen Sprechertypus, der erst im Erwachsenenalter Kontakt zu seiner L2 hatte. Diese Sprecher erwerben ihre Erstsprache somit bis zur Auswanderung in einem monolingualen Umfeld und begegnen der Mehrheitssprache im Einwanderungsland im Allgemeinen erst nach vollständig abgeschlossenem Erwerb. Folglich zeichnen sie sich durch eine anders gelagerte Spracherwerbssituation aus als HL-Sprecher, die spätestens nach der Einschulung in Kontakt zur Mehrheitssprache treten, wodurch eine permanente Konkurrenzsituation zwischen den beteiligten Sprachen entsteht. Die Unterschiede liegen gleichwohl nicht nur in der Spracherwerbssitua- 5 Fragestellung und Hypothesen 175 tion, sondern auch im Sprachgebrauch und in den sozio-emotionalen Faktoren. Wie vielfach belegt werden konnte, ist die Sprachkompetenz der ersten Generation nicht derart stark von Sprachgebrauchsmöglichkeiten beeinflusst (vgl. Schmid 2007), wie dies bei der zweiten Generation zu sein scheint. Auch nach mehreren Jahrzehnten des Aufenthalts in dem Einwanderungsland und mit nur wenig Kontakt zu anderen Sprechern derselben Sprache zeigen als Erwachsene eingewanderte Probanden kaum Attritionserscheinungen. Gleiches lässt sich für Einstellung und Identität beschreiben. Hier kann zum einen kein starker Einfluss dieser sozio-emotionalen Faktoren auf den Erhalt der Minderheitensprache ausgemacht werden (vgl. Cherciov 2013), zum anderen ist die ethnische Identität der ersten Generation oftmals stärker ausgeprägt als die der zweiten (vgl. Constantinou & Harvey 1985). Die Gültigkeit dieser Ergebnisse auch für den HL-Sprecher bedarf daher ebenfalls einer empirischen Absicherung. Ein erstes Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es somit, die bisher ausschließlich theoretisch angelegte Übertragbarkeit der Erkenntnisse aus der Attritions- und Sprachtodforschung auf den HL-Sprecher zu bestätigen bzw. zu widerlegen. Auf Basis dieser Resultate soll in einem zweiten Schritt mithilfe der vorliegenden Studie ein integratives Modell der externen Einflussfaktoren auf den Erhalt von allochthonen Minderheitensprachen geschaffen werden, das die bereits vorhandenen Ansätze zu Spracherhalt und Sprachverlust mit der HL-Forschung vereint. Spracherhalt im Kontext von Migration (und die Relevanz externer Einflussfaktoren darauf) wird insbesondere unter Betrachtung unterschiedlicher Generationen thematisiert. Schon in den 1960er Jahren wurde in der Soziolinguistik Fishmans Drei-Generationen-Modell der sprachlichen Assimilation anhand von Daten europäischer Einwanderer in den USA herausgearbeitet (vgl. Fishman 1972) und mündete in das GIDS-Modell (Graded Intergenerational Disruption Scale, vgl. Fishman 1991: 88 ff.). Das Modell geht davon aus, dass sich Sprachkompetenzen in der Minderheitensprache entlang von Generationenlinien differenzieren lassen. So weist die erste Einwanderergeneration noch die besten Kompetenzen in ihrer Erstsprache auf, da sie diese in einer monolingualen Umgebung im Herkunftsland erwirbt. Erst nach einem abgeschlossenen Erwerb im Erwachsenenalter setzt der Kontakt zur Mehrheitssprache im Einwanderungsland ein, woraus nur eine geringe Bedrohung für die Erstsprache der Sprecher im Sinne von Attritionserscheinungen auf Performanzebene erwächst. Die Kompetenzen in der Zweitsprache werden nur soweit ausgebaut, wie sie beispielsweise im beruflichen Kontext benötigt werden. Die zweite Generation wird im Einwanderungsland geboren und erwirbt die Minderheitensprache ausschließlich im familiären Kontext. Für diese Sprechergruppe spielt die Mehrheitssprache von Anfang an eine weitaus größere Rolle und wird spätestens 176 5 Fragestellung und Hypothesen ab dem Eintritt in eine Bildungsinstitution mit Erfolg, Prestige und Aufstiegschancen assoziiert. Die Erwerbsbedingungen dieser Generation unterscheiden sich von denen der ersten Generation also auf gravierende Weise und können in Sprachkenntnissen resultieren, die normativ von denen der Herkunftssprache stark abweichen. Diese sprachliche Konstellation führt weiter dazu, dass die zweite Generation ihre HL nur bedingt an die nächste Generation vererbt bzw. vererben kann, sodass die dritte Einwanderergeneration nur noch in der Mehrheitssprache sozialisiert wird. Zahlreiche Studien konnten die Gültigkeit dieser Prozesse nachweisen und eine sprachliche Assimilation der dritten Generation gen Mehrheitssprache belegen (vgl. Alba et al. 2002; Cavallaro 2005; Portes 2002; Portes & Hao 1998; Yağmur et al. 1999). Dennoch konnten ebenfalls Konstellationen ausgemacht werden, in denen Fishmans Modell nicht greift bzw. in denen die beobachteten Mechanismen wesentlich langsamer wirken als erwartet (vgl. bspw. Alba et al. 2002; Reich & Roth 2002). Der Erhalt der Minderheitensprache ist also auch über die zweite Generation hinaus nicht ausgeschlossen, sondern unterliegt bestimmten kontextuellen Erfolgsbedingungen. Fishmans Modell unterstreicht also zum einen erneut die enorme Bedeutung externer Faktoren für den intergenerationalen Spracherhalt der HL. Zum anderen stellt es verstärkt die zweite Generation in den Fokus der Forschung um Spracherhalt, da die sprachliche Sozialisation dieser Generation in entscheidendem Maße über die Transmission der HL an weitere Generationen bestimmt. Viele der in Kapitel 4 als spracherhaltend festgestellten Faktoren erfahren in der Adoleszenz einen Umbruch bzw. sie erlangen erst während dieser Zeitspanne für den Sprecher eine Bedeutung. „Die Adoleszenz ist die Phase im Leben eines Menschen, in der die Auseinandersetzung mit der Herkunftsfamilie eine besondere Bedeutung bekommt. In diesem Prozess findet ein Zusammenspiel von Identifizierung und Abgrenzung von familialen Mustern statt, als deren Ergebnis schließlich die Ausbildung eines eigenen Identitätsentwurfs steht“ (Günther 2009: 122). Basierend auf Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie (vgl. Lohaus & Vierhaus 2013: 212 ff.) lässt sich die Adoleszenz als eine Phase beschreiben, während der feste Strukturen und Regeln, als selbstverständlich erachtete Lebensweisen, gebräuchliches Verhalten und tradierte Ansichten der Ursprungsfamilie herausgefordert und in Frage gestellt werden, um einen eigenen Lebensentwurf zu kreieren (vgl. Ecarius 2010: 572). Personen außerhalb der Kernfamilie - insbesondere die Gleichaltrigengruppe - gewinnen an mehr Bedeutung und bereichern durch eine ausgeweitete Perspektive die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit, mit Ursprung, Herkunft und Geschichte (vgl. King & Koller 2009: 10). Diese Umbruchphase gestaltet sich für Jugendliche mit sog. Migrationshintergrund als eine „verdoppelte Transformationsanfor- 5 Fragestellung und Hypothesen 177 derung“ (King & Koller 2015: 108; King & Schwab 2000), denn zum Wandel vom Kind zum Erwachsenen und den damit verbundenen Herausforderungen kommt ein weiterer Punkt hinzu: Migration und damit verbundene Trennungs- und Umgestaltungsnotwendigkeiten der gewanderten Familie und ihrer Mitglieder erzeugen in den familialen Generationenbeziehungen spezifische Bedingungen für die Trennungs- und Umgestaltungsprozesse der adoleszenten Kinder. Solche Prozesse vollziehen sich für Jugendliche mit Migrationshintergrund überdies insofern unter besonderen Bedingungen, als ihnen innerhalb der im Zuge der Adoleszenz immer wichtiger werdenden Instanzen wie Peergroup, Schule oder Öffentlichkeit tendenziell die Rolle von „Außenseitern“ im Verhältnis zu den „Etablierten“ zukommt und sie deshalb mit einer weiteren Besonderungserfahrung konfrontiert werden. (Zölch et al. 2009: 69; auch Apitzsch 2010: 938 f.) Für mehrsprachige Jugendliche könnten also den Ausführungen von Zölch und Kollegen folgend mehr bzw. andere Rollenfindungsprozesse beschrieben werden als für einsprachig sozialisierte Jugendliche (vgl. auch Rosen 2014: 332 f.). Doch nicht nur unter sozialisationstheoretischen Aspekten stellt die Adoleszenz eine besondere Phase dar. In diesem Lebensabschnitt haben zusätzlich zu anderen Heranwachsenden auch Medien und Instanzen außerhalb der Familie eine stärkere Wirkung auf die Jugendlichen als die eigenen Eltern (vgl. Ecarius 2010: 582). Der größte Fernseh- und Internetkonsum wird für diese Altersspanne verzeichnet (vgl. Thole 2010: 746 ff.), ferner ändert sich die Einstellung zu Religion und Politik oder sie bildet sich erst heraus (vgl. Feige 2010: 919). Die Adoleszenz ist folglich in vielerlei Hinsicht auch für die Erforschung von Spracherhalt interessant, da während dieser Lebensspanne nicht nur die Einstellung zur Sprache und die Identitätsentwicklung eine besondere Beachtung erfahren und stark hinterfragt werden, sondern sich auch die Faktoren Medienverwendung, der Sprachgebrauch mit Eltern und Peers oder der Gottesdienstbesuch, die als relevante Kontextbedingungen für den Erhalt einer HL festgestellt wurden, verlagern können. Im Fokus dieser Studie stehen entsprechend den angestellten Überlegungen folgende Forschungsfragen, die mithilfe einer empirischen Untersuchung beantwortet werden sollen: (F1) Zu welchem Ausmaß beeinflussen außersprachliche Faktoren den Erhalt der HL bei Jugendlichen der zweiten Migrantengeneration? (F2) Welche außersprachlichen Faktoren wirken sich am stärksten auf die Sprachkompetenz dieser Sprecher in ihrer HL aus? 178 5 Fragestellung und Hypothesen Um diese Forschungsfragen beantworten zu können, wurden die externen Faktoren für die Untersuchung nach inhaltlichen Kriterien in drei Gruppen unterteilt, deren Zusammenhang mit der Sprachkompetenz in der HL überprüft werden soll: sprachbiographische Faktoren, Sprachgebrauchskontexte sowie sozio-emotionale Faktoren. Abb. 8: Überblick über die in der Arbeit untersuchten externen Einflussfaktoren auf die Sprachkompetenz in der HL Für diese drei Gruppen von Faktoren werden folgende Haupthypothesen auf der Basis der zuvor formulieren theoretischen Annahmen für die Untersuchung aufgestellt und sollen mittels statistischer Analysen überprüft werden: (H1) Sprachbiographische Faktoren wirken sich auf die Sprachkompetenz der Sprecher in ihrer HL aus. (H2) Sprachgebrauchskontexte wirken sich auf die Sprachkompetenz der Sprecher in ihrer HL aus. (H3) Sozio-emotionale Faktoren wirken sich auf die Sprachkompetenz der Sprecher in ihrer HL aus. Zusätzlich kann in Übereinstimmung mit den Annahmen in Kapitel 4 eine Hypothese über die Gewichtung dieser Faktoren bezüglich ihres Einflusses auf den Erhalt der HL aufgestellt werden: Da es sich bei den sprachbiographischen Faktoren um Konstanten handelt, die sich weder im Verlauf des Lebens eines Probanden ändern noch stark von äußeren Einflüssen nachträglich gelenkt werden können, lässt sich annehmen, dass diese den geringsten Effekt auf den Erhalt der HL aufweisen werden (vgl. Herdina & Jessner 2002: 88). Sie werden voraussichtlich erst dann ins Gewicht fallen, wenn Ergebnisdifferenzen in der Sprachkompetenz nicht durch unterschiedliche sozio-emotionale oder Sprachgebrauchsbedingungen erklärt werden können. Sowohl die sozio-emotiona- 5 Fragestellung und Hypothesen 179 len Faktoren als auch die Kontexte des Sprachgebrauchs sind hingegen steten Veränderungen unterworfen und unterliegen zahlreichen äußeren Einflüssen. Dies lässt die Hypothese zu, dass diese beiden Faktoren größere Effekte auf den Spracherhalt haben werden. (H4) Sprachgebrauchskontexte und sozio-emotionale Faktoren üben einen größeren Einfluss auf die Sprachkompetenz in der HL aus als sprachbiographische Faktoren. Unter Berücksichtigung der Befundlage in Kapitel 4 lässt sich zudem eine Hypothese über die Gewichtung von sozio-emotionalen Faktoren im Verhältnis zu Sprachgebrauchskontexten bei der hier untersuchten Sprechergruppe formulieren. Da Kontexte des Sprachgebrauchs sehr stark die Art und die Menge des Inputs definieren und dieser entsprechend den in Abschnitt 3.2.1 dargelegten theoretischen Überlegungen bereits beim Erwerb der HL eine große Rolle spielt, kann in Übereinstimmung mit Montrul (2016) angenommen werden, dass Sprachgebrauchskontexte die HL-Kompetenz stärker beeinflussen als sozio-emotionale Faktoren. (H5) Sprachgebrauchskontexte üben einen größeren Einfluss auf die Sprachkompetenz in der HL aus als sozio-emotionale Faktoren. Zur Schätzung der Effekte, die die externen Faktoren auf den Erhalt der HL ausüben, ist es notwendig, diese zusätzlich in die sie jeweils konstituierenden Einzelelemente aufzubrechen. Für die Analyse sprachbiographischer Einflüsse auf den Spracherhalt der Probanden werden die Merkmale Spracherwerbstyp, Sprachkonstellation in der Familie sowie Geschwisterrangfolge näher betrachtet. Abb. 9: Sprachbiographische Einflussfaktoren auf die Sprachkompetenz in der HL 180 5 Fragestellung und Hypothesen Die Haupthypothese (H1) lässt sich somit in folgende drei Unterhypothesen ausdifferenzieren: (H1.1) Der Spracherwerbstyp beeinflusst die Sprachkompetenz in der HL. Je später der Erwerb der Mehrheitssprache Deutsch einsetzt, desto besser sind die Sprachkenntnisse in der HL. Setzt der Erwerb des Deutschen erst ab dem Eintritt in die Schule ein (ca. 6 Jahre), so wirkt sich dies positiv auf den Erhalt der HL aus. Beginnt der Erwerb hingegen bereits ab der Geburt, also bei doppeltem Erstspracherwerb, so wirkt sich dies negativ auf den Erhalt der HL aus. (H1.2) Die Sprachkonstellation in der Familie hat einen Effekt auf die Sprachkompetenz in der HL. Sprechen beide Elternteile eines Sprechers dieselbe Minderheitensprache als Erstsprache, so wirkt sich dies positiv auf den Spracherhalt der HL der Jugendlichen aus. Spricht ein Elternteil ausschließlich die Mehrheitssprache, so wirkt sich dies negativ auf den Spracherhalt in der HL aus. (H1.3) Die Stellung eines Sprechers in der Geschwisterrangfolge wirkt sich auf die Sprachkompetenz in der HL aus. Hierbei verfügen Einzelkinder über die besten Sprachkompetenzen gefolgt von Probanden, die als älteste Geschwisterkinder aufwachsen. Die geringsten Sprachkompetenzen in der HL weisen diejenigen Jugendlichen auf, die mit älteren Geschwistern aufwachsen. Zur Untersuchung der Hypothese (H2) wird im Einzelnen der Einfluss folgender Sprachgebrauchskontexte auf die Sprachkompetenz der Jugendlichen unterteilt in Register und Modi betrachtet: die Häufigkeit von Besuchen im Herkunftsland ihrer Eltern, der Sprachgebrauch mit den Eltern, Großeltern, Geschwistern und Freunden, die Teilnahme an herkunftssprachlichem Unterricht, die Verwendung von Medien in der HL sowie der Besuch von in der HL abgehaltenem Gottesdienst. 5 Fragestellung und Hypothesen 181 Abb. 10: Sprachgebrauchskontexte als Einflussfaktoren auf die Sprachkompetenz in der HL Auf Basis dieser Darstellung lassen sich zur Hypothese (H2) folgende sechs Unterhypothesen aufstellen: (H2.1) Die Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern des Sprechers wirkt sich auf seine Sprachkompetenz in der HL aus. Hierbei gilt, dass eine steigende Häufigkeit der Aufenthalte mit einer höheren Sprachkompetenz in der HL einhergeht. (H2.2) Der Sprachgebrauch mit a) den Eltern und b) den Großeltern eines Sprechers hängt mit seiner Sprachkompetenz in der HL zusammen. Hierbei schneiden jeweils Jugendliche, die in diesen Kontexten primär ihre HL sprechen, am besten ab, gefolgt von solchen Sprechern, die sowohl die HL als auch Deutsch verwenden. Kommuniziert ein Sprecher in diesen Konstellationen hauptsächlich auf Deutsch, so schneidet er im Vergleich am schlechtesten ab. (H2.3) Der Sprachgebrauch mit a) den Geschwistern und b) den Freunden eines Sprechers hat einen Effekt auf seine Sprachkompetenz in der HL. Auch in diesen Kontexten gilt: Spricht ein Teilnehmer hauptsächlich in der HL, so verfügt er über eine bessere Sprachkompetenz als ein Teilnehmer, der beide Sprachen ver- 182 5 Fragestellung und Hypothesen wendet. Teilnehmer, die in diesen Kontexten primär auf das Deutsche zurückgreifen, verfügen über die geringste Sprachkompetenz in ihrer HL. (H2.4) Der Besuch des herkunftssprachlichen Unterrichts wirkt sich auf die Kompetenz des Sprechers in seiner HL aus. Mit einer steigenden Dauer des Herkunftssprachenunterrichtsbesuchs erhöht sich auch die Sprachkompetenz in der HL. (H2.5) Die Sprachwahl bei der Mediennutzung hat einen Effekt auf die Sprachkompetenz in der HL eines Sprechers. Zu den Medien zählen a) Bücher, b) Internet sowie c) Filme und Fernsehen. Hierbei gilt, dass Sprecher, die diese Medien primär in ihrer HL konsumieren, über eine höhere Sprachkompetenz in dieser verfügen als solche Jugendlichen, die dies in beiden Sprachen tun. Verwendet ein Sprecher diese Medien hauptsächlich auf Deutsch, so schneidet er im Vergleich am schlechtesten in seiner HL ab. (H2.6) Die Sprachwahl beim Gottesdienstbesuch hängt mit der Sprachkompetenz des Sprechers in seiner HL zusammen. Besucht ein Jugendlicher einen Gottesdienst, der in der HL abgehalten wird, so verfügt er über eine bessere Sprachkompetenz als ein Sprecher, der den Gottesdienst in beiden Sprachen hört. Jugendliche, die einen auf Deutsch abgehaltenen Gottesdienst besuchen, verfügen über die geringste Sprachkompetenz in der HL. Unter den Hypothesen (H2.2) und (H2.3) finden sich jeweils zwei Sprechergruppen zusammengefasst: zum einen Eltern und Großeltern, zum anderen Geschwister und Freunde. Diese Zusammenfassung ist zulässig, da unter (H2.2) Sprecher gefasst werden, die jeweils der ersten Migrantengeneration angehören und somit über im Herkunftsland erworbene Sprachkompetenzen in der Minderheitensprache verfügen. (H2.3) berücksichtigt hingegen Sprecher, die zur selben Generation wie die untersuchten Jugendlichen gehören und ähnliche Sprachkompetenzen wie diese aufweisen. Die sozio-emotionalen Faktoren werden zur Überprüfung der Hypothese (H3) in folgende Bestandteile aufgegliedert, mittels derer weitere vier Unterhypothesen formuliert werden können: affektive und kognitive Einstellung zur Mehrsprachigkeit sowie ethnische und nationale Identität der Sprecher. 5 Fragestellung und Hypothesen 183 Abb. 11: Sozio-emotionale Einflussfaktoren auf die Sprachkompetenz in der HL (H3.1) Die affektive Einstellung zur Mehrsprachigkeit hängt mit der Sprachkompetenz des Sprechers in seiner HL zusammen. Je positiver die affektive Einstellung ausfällt, desto höher ist die Sprachkompetenz des Sprechers in seiner HL. (H3.2) Die kognitive Einstellung zur Mehrsprachigkeit wirkt sich auf die Sprachkompetenz des Sprechers in seiner HL aus. Dabei gilt, dass der Grad der Sprachkompetenz in der HL höher ist, je positiver die kognitive Einstellung zur Mehrsprachigkeit ist. (H3.3) Die ethnische Identität des Sprechers hat einen Effekt auf seine Sprachkompetenz in der HL. Je ausgeprägter die ethnische Identität eines Sprechers ist, desto höher ist die Sprachkompetenz in seiner HL. (H3.4) Die nationale Identität eines Sprechers hängt mit seiner Sprachkompetenz in der HL zusammen. Im Gegensatz zu (H3.3) gilt hier, dass bei einer stark entfalteten nationalen Identität die Sprachkompetenz in der HL am geringsten ausgeprägt ist. Die Operationalisierung der einzelnen untersuchten Einflussgrößen sowie die zur Überprüfung der aufgestellten Hypothesen eingesetzte Methode werden im nächsten Kapitel ausführlich erläutert. 6 Methodisches Vorgehen der Studie 6.1 Methodenwahl Wie die Ausführungen in Kapitel 4 zeigten, sind mögliche externe Einflusskriterien auf die Sprachkompetenz in der HL bereits mittels zahlreicher qualitativer Studien bestimmt und ausführlich diskutiert worden. Diese Forschungsarbeiten von meist explorativem Charakter haben die Wirkung von außersprachlichen Faktoren auf den Erhalt bzw. den Verlust von Minderheitensprachen in unterschiedlichsten Konstellationen und mit Blick auf diverse Sprechergruppen subjektiv aus Sicht des Individuums aufdecken können. Die hier durchgeführte Studie versucht nun, die auf diese Weise ausgemachten Zusammenhänge auch statistisch zu überprüfen. Die relevanten Faktoren können jedoch schlecht bis gar nicht in einem Experiment randomisiert werden (z. B. Dauer des Herkunftssprachenunterrichts oder Spracherwerbstyp), um so ihre Auswirkung auf die Sprachkompetenz zu überprüfen. Auch ist weder ein Vorher-Nachher-Design noch eine Interventionsstudie o. ä. aus Kosten- und Zeitgründen (z. B. Randomisierung der Spracheinstellung) im Rahmen dieser Arbeit durchführbar (vgl. Oppenheim 1992). Der Zugang zu der Forschungsfrage erfolgte daher über eine quantitative Querschnittsmethodik, die mittels einer Fragebogenstudie umgesetzt wurde. Quantitative Fragebogenstudien dienen dazu, die zum Erhebungszeitpunkt gegenwärtige Ausprägung einer Variable zu erheben, ohne sie mittels eines Experiments zu manipulieren (vgl. Manstead & Livingstone 2014: 38). Um die in Kapitel 5 aufgestellten Hypothesen über die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Faktoren untermauern zu können und Beziehungen zwischen Variablen zu finden, wurde dabei auf das Verfahren der multiplen Regression zurückgegriffen. Für jeden einzelnen Faktor wurde so analysiert, ob die in der Forschungsliteratur bereits vermuteten Wechselwirkungen in der hier erhobenen Stichprobe und darüber hinaus statistisch nachgewiesen werden können und wenn ja, wie hoch sie ausfallen. Eine Regression ist ein Verfahren, das in der Lage ist, aus einer oder mehreren unabhängigen erklärenden Variablen (Prädiktoren / Regressoren) den Wert der davon abhängigen erklärten Variable (Prognose / Regressand) vorherzusagen. Diese Analysemethode geht also über die reine Berechnung von in den Daten vorhandenen Zusammenhängen und deren deskriptive Darstellung hinaus und erlaubt als ein schätzendes Verfahren eine Prognose für die Grundgesamtheit, 186 6 Methodisches Vorgehen der Studie aus der das Sample gezogen wurde (vgl. Field 2009: 198). Sie ermöglicht sowohl eine Ursachenanalyse als auch eine Wirkungsprognose (vgl. Backhaus et al. 2011: 54). Somit können durch eine Regression beispielsweise Fragen folgender Art beantwortet werden: Wie groß ist der Einfluss des Spracherwerbstyps oder der Dauer des herkunftssprachlichen Unterrichts auf die Sprachkompetenz in der HL? Wie verändert sich die Sprachkompetenz in der HL bei einer Änderung des Sprachgebrauchs mit den Freunden oder den Großeltern? Verglichen mit einer Korrelationsanalyse, die keine Aussagen über die Richtung des Zusammenhangs zwischen zwei Variablen und somit keine Kausalitätsannahme erlaubt, ermöglicht eine Regressionsanalyse eine theoriegeleitete Formulierung solch einer Annahme. Die Kausalität der angenommenen Zusammenhänge bleibt hingegen auch hierbei hypothetisch (vgl. Backhaus et al. 2011: 53). Bei einer multiplen Regression wird zwischen jedem Prädiktor und der abhängigen Variable eine lineare Beziehung unterstellt. Das heißt, bei einem Anstieg der Werte jeder unabhängigen Variable wird je nach Art des Zusammenhangs ein konstanter Anstieg (positiver Zusammenhang) oder eine konstante Senkung (negativer Zusammenhang) der Werte der abhängigen Variablen erwartet. Der Grad des Anstiegs oder der Senkung wird in der Regressionsgeraden durch den Regressionskoeffizienten B bestimmt. Inhaltlich zeigt der Regressionskoeffizient an, um wie viele Einheiten sich die abhängige Variable verändert, wenn die unabhängige Variable um eine Einheit ansteigt (vgl. Field 2009: 199). Durch das Vorzeichen des Regressionskoeffizienten wird zudem die Änderungsrichtung angezeigt: Bei einem negativen Vorzeichen fällt die abhängige Variable, bei einem positiven steigt sie an. Beispielsweise könnte der Regressionskoeffizient übertragen auf die vorliegende Studie aufzeigen, dass sich die Sprachkompetenz in der HL um einen halben Punkt pro zusätzlichem Jahr Herkunftssprachenunterricht verbessert o. ä. Für jede in das Modell einfließende unabhängige Variable wird bei einer multiplen Regression ein Regressionskoeffizient errechnet. Die einzelnen Regressionskoeffizienten dürfen gleichwohl nicht ohne weiteres miteinander verglichen werden, wenn die betreffenden Variablen nicht in derselben Maßeinheit gemessen wurden. So ist z. B. die Maßeinheit für die Dauer des Herkunftssprachenunterrichts das Jahr, die Häufigkeit von Reisen ins Herkunftsland der Eltern wird hingegen durch eine subjektive Einschätzung auf einer fünfstufigen Likert-Skala gemessen (s. u.). Sollen die Werte von unabhängigen Variablen miteinander verglichen werden und gemeinsam in ein Modell einfließen, so müssen sie erst standardisiert werden (vgl. Backhaus et al. 2011: 66). Dieser standardisierte Regressionskoeffizient β gibt dabei an, wie viel jeder einzelne Prädiktor zur Erklärung der Varianz der abhängigen Variable beiträgt, wenn alle anderen Prädiktoren konstant gehalten werden. 6.2 Aufbau des Fragebogens und Operationalisierung der einzelnen Faktoren 187 Für die Theoriebildung sind indes nicht allein die einzelnen Prädiktoren bzw. die für sie errechneten Regressionskoeffizienten von Interesse, sondern die Güte des gesamten Regressionsmodells. Ein Maß für die Qualität des aufgestellten Modells gibt an, wie gut es sich an die empirisch erhobenen Daten anpasst (vgl. ebd.: 67). Dieses Bestimmtheitsmaß wird aus dem Verhältnis von durch das Modell erklärter Streuung zur Gesamtstreuung der Daten errechnet ( R 2 ). Die Höhe dieses Maßes und somit die Modellgüte wird jedoch von der Anzahl der in das Modell einfließenden Prädiktoren beeinflusst: R 2 steigt automatisch mit jedem hinzugefügten Prädiktor an, ohne dass dieser tatsächlich die Schätzeigenschaften des Modells verbessert, was insbesondere bei kleinen Fallzahlen problematisch ist (vgl. Backhaus et al. 2011: 71). Um diesem Effekt entgegenzuwirken, wird das Maß des korrigierten R 2 verwendet, das sowohl die Anzahl der erhobenen Fälle als auch die Anzahl der Prädiktoren berücksichtigt ( R 2 korr ). Dieses korrigierte Bestimmtheitsmaß erlaubt es zusätzlich, Aussagen über die Generalisierbarkeit des aufgestellten Modells über das Sample hinaus zu machen und somit auf die Gesamtpopulation, aus der das Sample stammt, zu übertragen (vgl. Field 2009: 221). Die multiple Regressionsanalyse eignet sich folglich in idealer Weise, um die in Kapitel 5 aufgestellten Hypothesen über den Einfluss der einzelnen Faktoren auf die Sprachkompetenz in der HL zu überprüfen. 6.2 Aufbau des Fragebogens und Operationalisierung der einzelnen Faktoren Zur Befragung wurde ein standardisierter schriftlicher Fragebogen verwendet, bei dessen Konzeption das Alter der Probanden (s. Abschnitt 6.3) berücksichtigt wurde. Das heißt, dass primär syntaktisch und lexikalisch einfache, eindeutige sowie emotional neutrale Formulierungen verwendet wurden (vgl. Oppenheim 1992: 128 f.; Porst 2011: 95). Der Fragebogen umfasste vier inhaltlich zusammenhängende Fragenkomplexe zu allen oben in Kapitel 4 diskutierten Einflussfaktoren verteilt auf sieben Seiten. Die Bearbeitung sollte insgesamt ca. 30 bis 40 Minuten beanspruchen. Im ersten Abschnitt wurden die sozio-demographischen Daten der Befragten erhoben. Hierauf folgte ein zweiter Abschnitt, in dem der Spracherwerb der Studienteilnehmer sowie die Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz erfragt wurden. Im dritten Abschnitt wurde der Sprachgebrauch der befragten Jugendlichen samt Mediennutzung und Unterricht erörtert. Im anschließenden Themenkomplex wurden Fragen zu Spracheinstellungen und zu Identität platziert. Der Fragebogen schloss mit einem freien Feld, das den Probanden Raum für einen persönlichen Kommentar ließ. Nachfolgend wird 6.2 Aufbau des Fragebogens und Operationalisierung der einzelnen Faktoren 188 6 Methodisches Vorgehen der Studie für jeden Faktor einzeln erläutert, anhand welcher Items bzw. Skalen dieser operationalisiert wurde. 6.2.1 Sprachkompetenz in der Heritage Language Die abhängige Variable in dem Regressionsmodell bildete die Sprachkompetenz in der HL. Wie diese in Studien der Mehrsprachigkeitsforschung erhoben wird, hängt von mehreren Aspekten ab wie beispielsweise der untersuchten Sprache bzw. der Sprachkombination, dem angenommenen Grad der Sprachbeherrschung seitens der Probanden, dem Alter der Probanden, dem theoretischen Ansatz der Studie und selbstverständlich der Forschungsfrage, d. h. dem fokussierten linguistischen Bereich. Gekoppelt an diese Rahmenbedingungen wird entweder ein mündliches oder schriftliches Experiment, eine Nacherzählung nach Impuls, ein standardisierter Test, eine Selbsteinschätzung oder ein Interview als Erhebungsmethode der Sprachkompetenz in der HL favorisiert (vgl. Schmid 2011: 137 ff.). Das Design der vorliegenden Studie ließ eine Erhebung der Sprachkompetenz mittels eines Experiments, eines standardisierten Tests oder freier Sprachaufnahmen aufgrund des Alters der Probanden, der angestrebten Sprachenvielfalt im Sample und der möglicherweise ausschließlich passiven Sprachkenntnisse der Teilnehmer (vgl. Abschnitt 3.2.2) nicht zu. Aus diesen Gründen wurden eigens für die Studie Can-Do-Skalen konzipiert. Solche Skalen basieren auf sogenannten Kann-Beschreibungen, die in der Forschung zum Fremdsprachenerwerb, beispielsweise im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen, entwickelt und verwendet werden (dort unter dem Begriff „Deskriptoren“, vgl. Europarat 2001). Diese Kann-Beschreibungen sollen die Motivation des Lerners steigern und ein Bewusstsein für seine bereits erworbenen Fertigkeiten in der Fremdsprache schaffen, um seine Autonomie zu stärken (vgl. ebd.: 186; Blanche 1988: 72 ff.; Heilenman 1990: 174). Die Items selbst stellen meist in Form einer Checkliste konkrete sprachliche Handlungen dar und werden sowohl in die vier Grundfertigkeiten Hörverstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben als auch in unterschiedliche Kompetenzstufen eingeteilt. Im Vergleich zu Sprachtests bietet die Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz sowohl Vorals auch Nachteile. Zu den Vorzügen zählt, dass Kann-Beschreibungen zu einem Vergleich der in unterschiedlichen Sprachen erreichten Kompetenzen genutzt werden können, ohne auf sprachspezifische Merkmale zurückgreifen zu müssen (vgl. Europarat 2001: 176), was für das hier durchgeführte Forschungsvorhaben eine Voraussetzung darstellt. Da die Sprachkenntnisse der HL-Sprecher zudem äußerst heterogen ausgebildet sein können, gestaltet es sich als überaus schwierig, entsprechende Testformate zu kreieren, die in der Lage wären, sowohl rein passive Sprachkenntnisse der sog. „over- 6.2 Aufbau des Fragebogens und Operationalisierung der einzelnen Faktoren 189 hearers“ (vgl. Au et al. 2002: 238; Polinsky & Kagan 2007: 377) als auch ausgebaute Schriftsprachkenntnisse gleichermaßen differenziert zu erfassen. Zudem sind Leistungstests wie Sprachstandstests immer normorientiert (vgl. Europarat 2001: 179). Dies hieße, dass im Zusammenhang dieser Studie solch ein Test sich entweder an der in dem Herkunftsland gesprochenen normierten Varietät oder an einer noch zu kalibrierenden Norm der im Einwanderungsland gesprochenen Varietät orientieren müsste. Beide Vorgehensweisen sind insbesondere vor dem Hintergrund der bereits beschriebenen Spracherwerbssituation der HL-Sprecher fraglich, da diese oftmals einen ungesteuerten Spracherwerb ohne die Vermittlung einer Norm impliziert. Ferner sollten in dem Sample alle in den getesteten Klassen vorhandenen HLs erfasst werden, auch solche, die über keinen schriftsprachlichen Ausbau verfügen. Offen bleibt zudem, inwiefern ein Test sich als geeignet erweist, um explizites Wissen bei Sprechern zu erheben, die in ihrer HL oftmals kaum oder nur unzureichend Beschulung erfuhren (vgl. Europarat 2001: 182; Schmitz & Olfert 2013: 215 f.). Als nachteilig wird oftmals herangeführt, dass die Erhebung durch Selbsteinschätzung nicht mit einer tatsächlich gemessenen Sprachkompetenz durch einen linguistischen Test gleichzusetzen ist und die Kriteriumsvalidität der so gewonnenen Information in Frage gestellt werden kann (vgl. Benmamoun et al. 2010: 16). Herdina und Jessner (2002: 56) unterteilen Sprachkompetenz in zwei Bereiche: So sei Sprachkompetenz im engeren Sinne die Kenntnis einer Sprache und begrenzt auf grammatische, textuelle, pragmatische und metaphorische Kompetenz. Sprachkompetenz im weiteren Sinne - von ihnen „language proficiency“ genannt - bezeichnet das Wissen eines Sprechers um den Sprachgebrauch einer Sprache, also ihren Usus, metakognitive Strategien sowie die Sprachkompetenz im engeren Sinne. Diese Unterteilung spiegelt sich ebenfalls in der Messung der Sprachkompetenz: Während gängige Testverfahren ausschließlich Sprachkompetenz im engeren Sinne erfassen, gehen Selbsteinschätzungen darüber hinaus, indem sie auch situationsadäquaten Sprachgebrauch gemäß einer Registerangemessenheit reflektieren. Deshalb lässt sich durchaus erwarten, dass Testungen von Sprachkompetenz nicht immer der Selbsteinschätzung dieser entsprechen. Auch werden die in einer Can-Do-Skala erzielten Werte insbesondere durch subjektive Aspekte wie die vorhergehende Benotung, soziale Erwünschtheit oder Mangel an Selbstreflexion beeinflusst (vgl. Blanche 1988: 81; Heilenman 1990: 176). Studien aus der Fremdsprachenforschung zeigten, dass die (Selbst-) Einschätzung von Sprachkompetenzen durch Laien von der mittels eines Tests festgestellten Sprachkompetenz abweichen kann. Fortgeschrittene Sprecher tendierten dazu, ihre Kenntnisse zu unterschätzen, während Anfänger ihre Fähigkeiten zu hoch ansetzten (vgl. Blanche 1988: 82; Heilenman 1990: 175). Diese Er- 190 6 Methodisches Vorgehen der Studie gebnisse gelten jedoch vornehmlich für die Bereiche Aussprache und Grammatik (vgl. Blanche 1988: 82). Gleichwohl lässt sich für die Anwendung von Kann-Beschreibungen argumentieren, denn die allgemeine und die in sämtlichen anderen sprachlichen Bereichen vorgenommene Selbsteinschätzung korrelieren in hohem Maße positiv mit den Ergebnissen eines Sprachtests (vgl. Bachman & Palmer 1989: 22; Benmamoun et al. 2010: 17; Blanche 1988: 81; Europarat 2001: 186; Kondo-Brown 2005: 567) sowie mit den Fremdeinschätzungen durch Interviewer (vgl. Maehler 2012: 217). Beispielsweise untersuchten Marian und Kollegen (vgl. Marian et al. 2007) in einer umfangreichen Studie die Korrelationen von durch die mehrsprachigen Probanden selbst eingeschätzten Sprachkenntnissen in ihren beiden Sprachen in den Bereichen Verstehen, Sprechen und Lesen mit acht unterschiedlichen standardisierten Tests zur Erfassung von Sprachkompetenz. Sie konnten zeigen, dass jede einzelne Korrelation signifikante Werte erreichte, was laut den Autoren darauf hindeutet, dass „global measures of self-reported proficiency are good indicators of actual performance on specific measures of language ability“ (ebd.: 962). Werden diese Erkenntnisse auf die HL-Forschung übertragen, so ist davon auszugehen, dass Probanden, deren Selbsteinschätzung bei den Can-Do-Skalen im oberen Bereich liegen wird, in der Tat über eine weiter ausgebaute Sprachkompetenz verfügen als solche Studienteilnehmer, deren Selbsteinschätzung sich eher im niedrigen Bereich befindet. In der Mehrsprachigkeitsforschung sind Selbsteinschätzungen im Allgemeinen, aber auch operationalisiert über Can-Do-Skalen, ein probates Instrument, um Kompetenzen von Teilnehmern auf unterschiedlichen Niveaus zu definieren (vgl. Pauwels 2004: 724). Dabei werden in manchen Studien bloße mehrstufige Selbsteinschätzungen der Sprachkompetenz eingesetzt, die sich auf unterschiedliche Fertigkeitsbereiche und Kompetenzen beziehen (vgl. Badstübner 2011; Cherciov 2010; Crezee 2008; Jamai 2008; Murtagh 2003; Schoofs 2013; Yılmaz 2013). In anderen Untersuchungen werden Can-Do-Skalen verwendet, mit deren Hilfe die Selbsteinschätzung in der Erstsprache (vgl. Opitz 2011; Yağmur 1997), in der Zweitsprache (vgl. Chang 2010; Schwartz et al. 2009) oder vergleichend in beiden Sprachen (vgl. Dostert 2009; El Aissati 1997; Hulsen 2000; Keijzer 2007; Schwartz et al. 2013; Waas 1996) vorgenommen werden soll. Am häufigsten werden mit Can-Do-Skalen die vier Grundfertigkeiten (mindestens aber die kommunikativen Fertigkeiten Hörverstehen und Sprechen) mittels einer fünfstufigen Skala erhoben. In Anlehnung an die oben genannten Studien und an die von Schmid (2007, vgl. auch The Language Attrition Website 42 ) konstruierte fünfstufige deutschsprachige Can-Do-Skala wurde eigens für die hier durchgeführte Untersuchung 42 https: / / languageattrition.org/ , letzter Zugriff Januar 2019 6.2 Aufbau des Fragebogens und Operationalisierung der einzelnen Faktoren 191 eine Can-Do-Skala zur Erhebung der Selbsteinschätzung in der HL entwickelt. Sie orientiert sich dabei nur grob an dem von Schmid erstellten Instrument und unterscheidet sich von diesem in zwei wesentlichen Punkten: Zum einen musste eine Anpassung an die Zielgruppe vorgenommen werden, was den Umfang der Gesamtskala 43 und die Kürze der einzelnen Items betrifft. Da der in der Untersuchung eingesetzte Fragebogen zusätzlich zahlreiche nicht auf die Sprachkompetenz bezogene Daten erheben sollte und dadurch bereits umfangreich war, musste auch die eingesetzte Can-Do-Skala verhältnismäßig prägnant sein. Die in Schmid (2007) teilweise syntaktisch und lexikalisch recht umständlich verfassten Items 44 wurden durch kurze und eindeutige Formulierungen ersetzt. Zum anderen wurden bei der Konstruktion der Can-Do-Skala für diese Untersuchung das Registerkonzept sowie die Sprachmodi berücksichtigt. Ihre Relevanz für die Mehrsprachigkeitsforschung konnte bereits in Abschnitt 4.4.1 theoretisch hergeleitet werden. Trotz einer allgemeinen Affinität von formellem Register, monolingualem Modus und medialer Schriftlichkeit sind weder die Registerarchitektur noch der Sprachmodus von ihrer medialen Umsetzung abhängig (vgl. Biber 1995: 18 ff.; Koch & Oesterreicher 1985: 17; Maas 2010: 39), weshalb zugleich die vier Grundfertigkeiten Hörverstehen, Sprechen, Lesen, Schreiben in diese Skala integriert werden konnten (vgl. Roche 2013: 220). Auch Fishman (1991) betont, dass zwischen den unterschiedlichen Fertigkeiten (bei ihm „media“) im Minderheitenkontext zwingend differenziert werden muss. Verstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben stellen für ihn eine implikationelle Skala dar, d. h., verfügt ein Sprecher über Kompetenzen in einer dieser Fertigkeiten, so lässt sich auch die links davon angesiedelte Fertigkeit bei ihm voraussetzen. Sprechen setze somit Verstehen voraus, Schreiben entsprechend auch Lesen. Diese Implikationen gelten jedoch nicht in umgekehrter Richtung: So kann kein Rückschluss von der Fertigkeit Verstehen auf die Kompetenzen eines Sprechers beim Schreiben gezogen werden (vgl. Fishman 1991: 43 f.). „Observers should, therefore, be encouraged to report separately the command of skills visà-vis each medium and their reports should be checked for monotonic decline“ (ebd.: 44). Die entsprechenden Items wurden unter Berücksichtigung von Registern, Modi und der vier Fertigkeiten folgendermaßen formuliert: 43 43 Items unterteilt in 8 für Hörverstehen, 7 für Leseverstehen, 17 für gesprochene Sprache, 11 für geschriebene Sprache in Schmid 2007. 44 Z. B. „Ich kann komplexe und gut formulierte Briefe, Berichte oder Artikel schreiben, in denen ein Sachverhalt logisch strukturiert dargestellt ist, so dass der Leser die wichtigen Punkte erkennt und behält“ oder „Ich kann klare und detaillierte Beschreibungen von komplexen Sachverhalten geben, und hierbei verschiedene Argumentationen berücksichtigen, meinen eigenen Standpunkt erläutern und meine Ausführungen zu einem guten Abschluss bringen“. 192 6 Methodisches Vorgehen der Studie Skala „Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz“: 1. einfache Gespräche mit Verwandten in deiner Muttersprache verstehen (z. B. mit Eltern / Großeltern) 2. einfache Gespräche mit Fremden in deiner Muttersprache verstehen (z. B. im Supermarkt, in der Bahn) 3. Filme und Fernsehsendungen in deiner Muttersprache verstehen 4. ohne Akzent in deiner Muttersprache sprechen 5. dich mit deinen Verwandten in deiner Muttersprache über einfache Dinge unterhalten 6. im Restaurant in deiner Muttersprache bestellen 7. dich mit Menschen in deiner Muttersprache unterhalten, die kein Deutsch sprechen (z. B. Verwandte in dem Heimatland deiner Eltern) 8. kurze Wörter oder Sätze in deiner Muttersprache lesen (z. B. Einkaufszettel) 9. Straßenschilder und Speisekarten in deiner Muttersprache lesen 10. längere persönliche Briefe / Mails in deiner Muttersprache lesen 11. kurze Wörter oder Sätze in deiner Muttersprache schreiben 12. längere Briefe / Mails in deiner Muttersprache schreiben 13. Reden von Politikern in deiner Muttersprache verstehen 14. ein Referat in deiner Muttersprache halten 15. in deiner Muttersprache bei einem Amt anrufen (z. B. Konsulat) 16. moderne Romane in deiner Muttersprache lesen 17. aktuelle Zeitungen in deiner Muttersprache lesen 18. klassische Literatur oder Religionstexte in deiner Muttersprache lesen 19. einen ausführlichen Text in deiner Muttersprache schreiben, z. B. eine Inhaltsangabe oder einen Bericht 20. eine Bewerbung in deiner Muttersprache schreiben Dabei lassen sich dem intimen Register die Items 1 bis 12 zuordnen, dem formellen die Items 13 bis 20. Alle Items des formellen Registers können tendenziell dem monolingualen Modus zugeordnet werden. Die Items für das intime Register wurden so ausgewählt, dass sie sowohl den monolingualen als auch den bilingualen Modus wiedergeben können. Mit Ausnahme der Situationen, in denen schriftsprachliche Kenntnisse abverlangt werden, herrscht der bilinguale Modus vor. Gleichzeitig sind die Items zu jedem Register derart verfasst, dass sie die vier Fertigkeiten Verstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben abbilden. Der einleitende Text zu der Skala lautete „Wie gut kannst du Folgendes in deiner Muttersprache? “ mit dem Antwortformat 1 = gar nicht / 2 = etwas / 3 = mittel / 4 = gut / 5 = sehr gut. Der Gesamtwert für die Skala wurde durch Bilden des arithmetischen Mittels berechnet. 6.2 Aufbau des Fragebogens und Operationalisierung der einzelnen Faktoren 193 6.2.2 Sprachbiographische Faktoren Eine zentrale Herausforderung der Studie stellte die Bestimmung möglicher Teilnehmer als HL-Sprecher dar. Zum einen galt es, potentielle Probanden aufgrund von sprachbiographischen Merkmalen zu identifizieren (s. Abschnitt 3.2.1), obwohl in der zweiten Migrantengeneration bereits ein Sprachwechsel zum Deutschen stattgefunden haben kann. Zum anderen ist eine differenzierte Bestimmung der in der Familie gesprochenen HL(s) wichtig, da in der Studie Spracherhalt anhand von diesen Daten gedeutet werden soll. Problematisch sind hier neben der Bestimmung der jeweiligen Sprache vor allem die unzähligen Deutungs- und Interpretationsvarianten des Begriffs „Sprache“ selbst, die durch die Studienteilnehmer beim Ausfüllen des Fragebogens vollzogen werden müssen (vgl. Pauwels 2004: 722). Diesen Punkten wurde durch folgende Vorgehensweise versucht, Rechnung zu tragen: Die von den Schülerinnen und Schülern gesprochene HL bzw. die HLs wurden über ein offenes Frageformat zu „Muttersprache(n)“ erhoben. Trotz der Problematik um den Ausdruck „Muttersprache“ (vgl. Apeltauer 1997: 10) bietet er einen entscheidenden Vorteil. Er fokussiert anders als der in der Mehrsprachigkeitsforschung verwendete, neutralere Begriff „Erstsprache“ nicht die bloße Erwerbsreihenfolge von Sprachen, sondern beinhaltet ebenfalls eine emotionale Ebene, die für eine Untersuchung zum Thema Spracherhalt in der Migration von enormer Wichtigkeit ist: Denn die Sprachen, die von Menschen im Lauf ihres Lebens gleichzeitig oder nacheinander erlernt werden, unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihres Prestiges und der Reihenfolge ihres Erlerntwerdens, sondern auch hinsichtlich der Bedeutung, die sie für die Sprecher haben, hinsichtlich Vertrautheit, Sprachloyalität und Kulturhaltigkeit. Der Begriff ‚Muttersprache‘ trifft diese Dimensionen möglicherweise eher als der Begriff ‚Erstsprache‘. (Brizić 2007: 42) Der Begriff „Muttersprache(n)“ ist zudem ein allgemeinverständliches Konzept und, wie der Pretest zeigte, den meisten Schülerinnen und Schülern zugänglich. Zusätzlich eröffnete die Pluralmarkierung in Klammern die Möglichkeit, an dieser Stelle mehr als eine Sprache zu nennen, wovon auch mehrere Teilnehmer Gebrauch machten (s. Abschnitt 7.1). Da „Muttersprache“ jedoch auch ausschließlich als die von der Mutter gesprochene Sprache missverstanden werden kann (vgl. Ahrenholz 2010: 3; teilweise ebenso im Pretest belegt), wurde zusätzlich ebenfalls im offenen Format nach allen Sprachen gefragt, die zu Hause gesprochen werden 45 , sowie welche dieser Sprachen der Schüler sprechen und 45 Item „Welche Sprachen sprecht ihr zu Hause? Hier kannst du alle Sprachen nennen, die bei euch zu Hause gesprochen werden.“ 194 6 Methodisches Vorgehen der Studie verstehen kann. 46 Hierbei erfolgte eine Orientierung an den Fragekomplexen 8 und 9 der Wiener Untersuchung „Multilingual Cities“ (vgl. Brizić & Hufnagl 2011: 281), allerdings ohne die dort vorgenommene explizite Nennung möglicher Sprachen. 47 Eine genauere Differenzierung der Sprachverwendung nach den an der Kommunikation beteiligten Personen wie Eltern oder Geschwistern erfolgte erst im anschließenden Fragenkomplex zu Sprachgebrauch der Probanden. Wie wichtig solch eine feinkörnige Betrachtungsweise der familiären sprachlichen Verhältnisse ist, zeigte die oben zitierte Untersuchung von Brizić (2007; 2008). In ihrer Studie belegte sie, dass die vermeintlich sprachlich homogene Gruppe der Türkischsprachigen in ihrem Sample ein „exorbitant hohes Maß an Sprachwechsel“ (Brizić 2008: 8) aufwies. Durch Gespräche mit den Eltern der Schülerinnen und Schüler ließ sich zeigen, dass bereits in der Elterngeneration ein Sprachwechsel von einer in der Türkei niedrig angesehenen Minderheitensprache (z. B. Kurdisch oder Zaza) zum Türkischen stattfand. Um auch solche Prozesse nachzeichnen zu können, wurden im Fragebogen der hier vorliegenden Untersuchung ebenfalls im offenen Format zusätzlich die „Muttersprachen“ der Eltern erhoben. Diese Angabe diente außerdem der Bestimmung der Familienkonstellation, d. h., hierdurch wurde festgestellt, ob beide Elternteile dieselbe Erstsprache sprechen oder zwei unterschiedliche bzw. ob ein Elternteil nicht zugewandert ist. Die Erhebung des Spracherwerbstyps erfolgte über eine selbst konstruierte nominale Skala zum Beginn des Deutscherwerbs. Sie berücksichtigte die wesentlichen Zeitabschnitte im Spracherwerbsverlauf: Erfolgte der Deutscherwerb von Beginn an gleichzeitig mit dem Erwerb der HL, so wurde dieser Spracherwerbstyp als simultan bilingual klassifiziert. Der sukzessive Bilinguale erwirbt das Deutsche zeitversetzt nach der HL. Diese Kategorie wurde über den Eintritt in den Kindergarten, also ca. ab einem Alter von drei Jahren bestimmt. Zusätzlich wurde der spät sukzessive Spracherwerbstyp als Deutsch-als-Zweitsprache-Lerner bestimmt. Dieser wird über den Beginn des Deutscherwerbs ab dem Eintritt in die Grundschule (ca. sechs Jahre) charakterisiert. Ferner wurde im offenen Format nach einem späteren Einsetzen des Deutscherwerbs gefragt. Diese Teilnehmer wurden anschließend in der Hauptuntersuchung jedoch nicht 46 Items „Welche von diesen Sprachen kannst du verstehen? “ und „Welche von diesen Sprachen kannst du sprechen? “. 47 In dem Projekt wurde mittels folgender Formulierungen nach den Sprachen gefragt: „Welche Sprache/ n sprecht Ihr zu Hause? “, „Welche von diesen Sprachen kannst du verstehen? “ sowie „Welche von diesen Sprachen kannst du sprechen? “. Im geschlossenen Format waren anschließend zwölf unterschiedliche Sprachen anzukreuzen. Zusätzlich konnten in drei freien Feldern nicht erfasste Sprachen eingetragen werden (vgl. Brizić & Hufnagl 2011: 281). 6.2 Aufbau des Fragebogens und Operationalisierung der einzelnen Faktoren 195 berücksichtigt, da sie nicht der Zielgruppe der Studie entsprechen (s. Abschnitt 6.3). Als sozio-demographische Daten wurden von den Teilnehmern der Studie folgende Angaben erhoben: Alter, Geschlecht, Geburtsland mit ggf. Einreisealter zur Bestimmung der Generationenzugehörigkeit, Staatsangehörigkeit, Geburtsland der Eltern und Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits, Anzahl der Geschwister und Geschwisterrangfolge sowie die Religionszugehörigkeit. Der Bildungsgrad der Eltern wurde über den höchsten erreichten Bildungsabschluss der Mutter und des Vaters gemessen und orientierte sich grob an den in PISA 2000 (vgl. Kunter et al. 2002) verwendeten Kategorien. Da diese sich bereits im Pretest als zu komplex erwiesen und die Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten hatten, selbstständig derart detaillierte Angaben über ihre Eltern zu machen, wurden die Kategorien weiter vereinfacht bzw. auf folgende gröbere Kategorien reduziert: kein Schulabschluss, Grundschulabschluss, mittlerer Schulabschluss, Abschluss einer beruflichen Fachschule, Abitur, Fachhochschulabschluss sowie Universitätsabschluss. Das Ziel dieses Vorgehens war es, zumindest in die Bereiche primärer, sekundärer und tertiärer Bildungsabschluss differenzieren zu können. 6.2.3 Sprachgebrauchskontexte Um zu bestimmen, zu welchem Maße die HL im Vergleich zur Mehrheitssprache Deutsch im Alltag der Schülerinnen und Schüler Verwendung findet, wurden mehrere Skalen zur Erhebung der Sprachverwendung entsprechend den im Schema dargestellten Registern formell vs. intim sowie den Modi monolingual vs. bilingual konstruiert (s. Tabelle 8). Intim Formell Monolingual Besuch im Herkunftsland der Eltern Herkunftssprachlicher Unterricht Gottesdienstbesuch Mediengebrauch (Bücher, Fernsehen, Internet) Bilingual Sprachverwendung mit Eltern und Großeltern Ø Sprachverwendung mit Geschwistern und Freunden Tab. 8: Sprachgebrauchskontexte nach Registern und Sprachmodi 196 6 Methodisches Vorgehen der Studie Zur Erfassung der Sprachverwendung im intimen Register und im bilingualen Modus wurden nominale Skalen zur Kommunikation innerhalb der Familie und mit Freunden eingesetzt (vgl. Fishman 1991: 54). Ähnlich wie bei Schwartz und Kollegen (2009: 20) wurde die einleitende Frage „Welche Sprache(n) verwendest du mit wem am häufigsten? “ formuliert. Im offenen Format konnten die Schülerinnen und Schüler angeben, welche Sprache(n) sie mit einer ihnen nahestehenden Person verwenden (Mutter, Vater, Geschwister, Freunde, Großeltern beiderseits). Die Antwort wurde anschließend in folgende drei Kategorien kodiert: 1 = hauptsächlich Deutsch / 2 = Deutsch und HL / 3 = hauptsächlich HL. Diese Kategorisierung ermöglichte zudem auf deskriptiver Ebene eine Zuordnung der elterlichen Sprachpolitik zu den von Romaine (1995: 181; zitiert nach Müller et al. 2011: 48 f.) beschriebenen Typen bilingualer Erziehung und somit die Bildung folgender vier Gruppen: 1 = hauptsächlich Deutsch mit beiden Elternteilen / 2 = hauptsächlich die HL mit beiden Elternteilen / 3 = sowohl Deutsch als auch die HL mit beiden Elternteilen / 4 = one person - one language (OPOL; Deutsch mit einem Elternteil, die HL mit dem anderen). Die monolingual orientierte Sprachverwendung im intimen Register wird operationalisiert anhand der Besuchshäufigkeit im Herkunftsland der Eltern. In diesem Kontext erhalten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, ihre HL mit Verwandten und Bekannten zu sprechen, ohne auf das Deutsche zurückgreifen zu können. Sie erleben so die Sprache in einem funktional anderen Zusammenhang. Die Häufigkeit dieser Reisen wird nach der einleitenden Frage „Wie oft fährst du in das Heimatland deiner Eltern? “ mittels einer Skala mit den Kategorien 1 = ich war noch nie dort / 2 = ich war erst 2-3 Mal dort / 3 = ca. alle 2-3 Jahre / 4 = ca. 1 Mal im Jahr / 5 = öfter als 1 Mal im Jahr erfragt. Die dritte Unterkategorie - monolingualer Modus und formelles Register - erhebt Möglichkeiten, die HL in monolingual orientierten, tendenziell literaten Kontexten zu verwenden. Hierunter fallen herkunftssprachlicher Unterricht, die Medienverwendung in der HL (Bücher, Internet, Fernsehen) sowie in der HL abgehaltener Gottesdienst. All diese Kontexte ermöglichen einen Input in der Standardsprache und bieten eine Gelegenheit, sich mit ihrer Norm vertraut zu machen. Der Zugang zur Standardsprache wird jedoch nur für Sprachen mit einem schriftsprachlichen Ausbau relevant. Der Besuch des herkunftssprachlichen Unterrichts wurde zunächst über eine dichotome Frage erhoben. Wurde sie bejaht, sollten zusätzlich die Dauer der Teilnahme an solch einem Unterricht in Jahren sowie der Ort, an dem dieser stattfand, angegeben werden. Eine Verneinung wurde mit null Jahren kodiert. Studien, die den Mediengebrauch von sprachlichen Minderheiten in der Diaspora untersuchen, erheben oftmals zusätzlich zur Sprache auch den Besitz entsprechender Endgeräte wie Fernseher, Computer, Smartphone (vgl. Bucher 6.2 Aufbau des Fragebogens und Operationalisierung der einzelnen Faktoren 197 & Bonfadelli 2007), die thematische Ausrichtung der Beschäftigung (bspw. Informationssendungen vs. Unterhaltungsfernsehen, vgl. Gezduci & d‘Haenens 2007) sowie die Dauer und die Häufigkeit des Medienkonsums (vgl. Güntürk 2000). Erst durch eine Berücksichtigung auch der quantitativen Verhältnisse kann sichergestellt werden, dass der Gebrauch des jeweiligen Mediums seine tatsächliche Verwendung seitens der Studienteilnehmer widerspiegelt und im Leben der Probanden eine bedeutende Rolle spielt. Um den Sprachgebrauch bei der Verwendung unterschiedlicher Medien wie Bücher, Internet und Fernsehen zu erheben, wurde folglich zunächst auf einer fünfstufigen Intervallskala erfragt, wie häufig die entsprechende Tätigkeit im Allgemeinen ausgeführt wird. 48 Analog zur Erhebung der Sprachwahl im familiären Kontext wurde anschließend im freien Format gefragt, in welcher Sprache die Schülerinnen und Schüler das jeweilige Medium konsumieren. Die Antworten wurden auch hier in die Kategorien 1 = hauptsächlich auf Deutsch / 2 = auf Deutsch und in der HL / 3 = hauptsächlich in der HL kodiert. Auf die gleiche Weise wurde für den Faktor „Sprachwahl beim Gottesdienstbesuch“ verfahren: In einem ersten Schritt wurde die Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs erfragt, im zweiten Schritt wurde erhoben, in welcher Sprache dieser besucht wird. Um von Anfang an eine Interpretation dieses Fragenkomplexes im Kontext einer spezifischen Religion zu vermeiden, wurde ein möglichst neutraler Begriff gewählt. Zudem wurden die entsprechenden Fragen zusätzlich durch die Angaben „Tempel“ und „Moschee“ in Klammern ergänzt. Das Feld „bilinguale Sprachverwendung im formellen Register“ bleibt per Definition unbesetzt, da das formelle Register nur in Ausnahmesituationen den Gebrauch mehr als einer Sprache erlaubt (s. Abschnitt 4.4.1). 6.2.4 Sozio-emotionale Faktoren Um latente sozio-emotionale Konstrukte wie Einstellung und kulturelle Identität zu erfassen, bietet sowohl die Sozialpsychologie als auch die Soziolinguistik qualitative wie quantitative Methoden. Qualitativ werden beide Faktoren beispielsweise durch narrative Interviews mit den Studienteilnehmern erhoben, die ihre persönliche Perspektive auf beide Themen mitteilen und dem Forscher so eine sehr subjektive Einsicht ermöglichen. Anschließend werden die Interviews hermeneutisch, diskurs- oder inhaltsanalytisch ausgewertet und dienen beispielsweise der Typenbildung (vgl. Edelmann 2006; König 2014; Ries 2013). 48 Einleitende Frage: „Wie oft machst du Folgendes in deiner Freizeit? - Bücher lesen; - im Internet surfen (auch Facebook etc.); - Fernsehen schauen“, Antwortkategorien: 1 = nie oder fast nie / 2 = sehr selten / 3 = manchmal / 4 = oft / 5 = sehr oft. 198 6 Methodisches Vorgehen der Studie Für einen quantitativen Zugang wie in dieser Studie können beide Konstrukte mittels indirekter oder direkter Verfahren erhoben werden (vgl. Hussy et al. 2013). Als indirekt werden dabei Methoden bezeichnet, die neurowissenschaftliche Maße ermitteln und möglichst wenig Reaktivität seitens des Probanden aufweisen, d. h., bei denen der Studienteilnehmer sich des Untersuchungszwecks nicht bewusst ist und das Ergebnis der Studie nicht willentlich steuern kann. Bei solchen Verfahren kann nach semantischem oder affektivem Priming die Reaktionszeit auf ein bestimmtes Wort oder Bild gemessen werden (vgl. Haddock & Maio 2014: 215). Sind das Primingobjekt und das zu bewertende Wort bezüglich ihrer Einstellungsvalenz für den Probanden ähnlich gelagert (z. B. beide positiv besetzt), so reagiert er unbewusst schneller. Beispielsweise werden bei dem häufig verwendeten Impliziten Assoziationstest (IAT; vgl. ebd.: 216) dem Studienteilnehmer visuelle Reize für zwei Konzepte präsentiert (z. B. „Frau“ und „klug“). Je stärker der Proband beide Konzepte miteinander verknüpft, desto leichter fällt ihm die Wiedergabe beider als eine Einheit und er reagiert schneller, wenn für beide Konzepte dieselbe Taste zu drücken ist. Sind „Frau“ und „klug“ für den Probanden nicht assoziiert, so reagiert er langsamer. Aus den Reaktionszeiten auf beide Reize könnte beispielsweise anschließend ein Wert für die Gender-Einstellung des Probanden errechnet werden. Die Soziolinguistik bedient sich einer ähnlichen Vorgehensweise für eine indirekte Erhebung von Spracheinstellungen: Diese werden als Matched-Guise- oder Verbal-Guise-Verfahren bezeichnet (vgl. Boyd 2003; Coupland & Bishop 2007; Giles 1970; Lambert et al. 1965; Nesdale & Rooney 1996; Seligman et al. 1972) und sind experimentelle Methoden, bei denen von demselben Sprecher (Matched Guise) oder von unterschiedlichen Sprechern (Verbal Guise) ein emotional neutraler Text mehrmals nacheinander in unterschiedlichen Akzenten, Varietäten, Dialekten o. ä. vorgelesen und aufgenommen wird (vgl. Garrett 2010: 41). Ohne das Bewertungskriterium zu kennen, beurteilt die Testperson die zuvor gehörte Aufnahme mithilfe eines semantischen Differenzials. Dies ist eine mehrstufige Skala, deren Pole mit zwei gegensätzlichen Adjektiven derselben Dimension besetzt sind, z. B. „sympathisch“ vs. „unsympathisch“, „gebildet“ vs. „ungebildet“ (ebd.: 55 f.). Wird wie beim Matched-Guise-Verfahren derselbe Sprecher unterschiedlich bewertet, so spiegelt dies die Einstellung des Probanden zu den erhobenen Varietäten einer Sprache wider (vgl. Giles & Billings 2004: 189). Indirekte Messverfahren bieten im Vergleich zu direkten (wie z. B. einer Fragebogenstudie) ein geringeres Risiko, soziale Erwünschtheit (s. u.) hervorzurufen, da den Teilnehmern das Bewertungskriterium nicht bewusst ist. Bei der Erhebung wird ihr Urteil bestenfalls allein durch die vorhandene Einstellung zu einem bestimmten Akzent oder einer Varietät hervorgerufen (vgl. Garrett 2010: 6.2 Aufbau des Fragebogens und Operationalisierung der einzelnen Faktoren 199 57). Gleichzeitig bergen indirekte Verfahren allerdings auch Nachteile. Zu nennen ist hier bei der Messung von Spracheinstellungen vor allem das Problem der unnatürlichen Testumgebung: Die Aufmerksamkeit der Testperson wird durch die stete Wiederholung im Laufe des Experiments verstärkt auf ein sprachliches Phänomen gelenkt, das in einer natürlichen (Sprach-) Situation eventuell nicht derart prominent wäre (vgl. ebd.). Diese künstliche Erhebungssituation wird bei den Matched- oder Verbal-Guise-Verfahren zusätzlich dadurch intensiviert, dass bestimmte Spracheigenschaften wie Intonation oder Sprechgeschwindigkeit bei allen vorgespielten Aufnahmen mechanisch angeglichen werden. Diese können jedoch charakteristisch für die jeweilige abgefragte Varietät sein (vgl. ebd.: 58). Ferner ist zu hinterfragen, ob die Teilnehmer nicht dennoch auf den Inhalt des vorgelesenen Textes reagieren statt auf die sprachlichen Merkmale (vgl. ebd.: 59). Kritisch ist bei allen indirekten Verfahren grundsätzlich, dass der Forscher nicht sichergehen kann, ob die Testperson tatsächlich das von ihm untersuchte Phänomen bewertet, da dieses nicht expliziert wird. Einen Hinweis darauf liefert die Tatsache, dass indirekte und direkte Messungen desselben latenten Konstrukts häufig nicht miteinander korrelieren, sodass beiden auch zwei unterschiedliche Konzepte zugrundeliegen könnten (vgl. Haddock & Maio 2014: 217). Bei einer direkten Messmethode wird die Einstellung der Teilnehmer oder ihre kulturelle Identität über eine Selbstbeurteilung erhoben, meist mithilfe eines Fragebogens (vgl. Garrett 2010: 39; Haddock & Maio 2014: 213). Dabei werden der Testperson Aussagen (sog. Items) präsentiert, die inhaltlich einem latenten Konstrukt zugeordnet werden können, beispielsweise der Einstellung zu einer bestimmten Sprache. Der Proband bewertet den Inhalt dieser Aussagen mittels des oben beschriebenen semantischen Differenzials oder einer sogenannten Likert-Skala im Hinblick auf den Grad seiner Zustimmung oder Ablehnung (vgl. Hussy et al. 2013: 74). Der Grad der Zustimmung umfasst je nach Studie vier bis neun Abstufungen von „stimme voll und ganz zu“ bis „lehne voll und ganz ab“ o. ä. (vgl. ebd.: 78). Jedem so bewerteten Item wird folglich ein Wert der Zustimmung zugewiesen. Anschließend werden die Werte für die Gesamtskala addiert, sodass ein Gesamtmaß für das erhobene latente Konstrukt berechnet wird. Die oben genannten Schwierigkeiten einer indirekten Messung nicht unmittelbar beobachtbarer Konstrukte wie Einstellung und kulturelle Identität werden bei einer direkten Erhebung anhand von Fragebögen umgangen. Jedoch ist bei direkter Erfassung den Studienteilnehmern das Ziel der Erhebung stets bewusst, was soziale Erwünschtheit insbesondere bei äußerst sensiblen Themen fördert und normativ nicht akzeptable Meinungen im Sinne einer politischen Korrektheit verschleiert. Unter sozialer Erwünschtheit werden „absicht- 200 6 Methodisches Vorgehen der Studie liche Versuche, Antworten auf eine Weise zu verzerren oder zu fälschen, die es den Befragten gestattet, sich selbst in positiver Weise darzustellen“ verstanden (Haddock & Maio 2014: 215). Laut Hussy und Kollegen (2013: 59 f.) lässt sich diesem Problem primär mittels einer Zusicherung der absoluten Anonymität begegnen. Wenn ein Rückschluss auf ihre Person weder bei der Datenauswertung noch bei deren Veröffentlichung möglich ist, wird die Wahrscheinlichkeit der sozialen Erwünschtheit verringert. Ebenfalls positiv wirkt sich die Bestätigung aus, dass es für die Bewertung der Items weder richtige noch falsche Vorgaben gibt sowie dass das Rating der Items für die Testperson mit keinerlei Konsequenzen verbunden ist. Beide sozio-emotionalen Faktoren (Einstellung zur Mehrsprachigkeit sowie kulturelle Identität) wurden in der hier durchgeführten Studie unter Berücksichtigung der oben diskutierten Punkte direkt mittels einer Selbstbeurteilung erfasst. Hierbei stellte die Festlegung der Skalen die größte Herausforderung dar. Standardisierte Skalen zur Messung kultureller Identität werden in der Mehrsprachigkeitsforschung bislang nicht verwendet und sind primär aus der Soziologie oder der Sozialpsychologie bekannt. Diese Disziplinen verfügen in der Erhebung dieses Konstrukts über eine lange Forschungstradition. Allerdings weisen auch die bislang etablierten Skalen Einschränkungen in Bezug auf ihre Übertragbarkeit auf: Oftmals werden sie mit Blick auf eine bestimmte Gruppe konstruiert, sodass ihre Anwendbarkeit auf andere Gruppen nicht gesichert ist. Eine Ausnahme stellt hier das breit verwendete Messinstrument Multigroup Ethnic Identity Measure (MEIM) dar (vgl. Phinney 1992, verwendet bspw. in Cuéllar et al. 1997; Roberts et al. 1999). Auch ist für beide Disziplinen primär eine Messung ethnischer Identität von Interesse. Eine parallel konstruierte Skala zur Erfassung der nationalen Identität, wie sie für diese Studie angestrebt wird, existiert häufig nicht oder wird ohne die Berücksichtigung der Mehrheitsbevölkerung als Referenzgruppe erstellt, sodass hier ein Abgleich nicht möglich ist (vgl. Leszczensky & Gräbs Santiago 2014: 13 f.). Weitere Schwierigkeiten bezüglich der Übertragung bereits etablierter Instrumente stellt zum einen das Alter der Probanden dar, für die eine Skala konstruiert wurde. Zum anderen darf der Länderkontext nicht außer Betracht gelassen werden, da die meisten Messbatterien in den USA entwickelt wurden und in Deutschland in der Form noch nicht zum Einsatz kamen. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich bei standardisierten Skalen zur Erfassung der Spracheinstellung: Auch hier stellt sich die Frage nach deren Übertragbarkeit in Bezug auf den Erhebungskontext, das Alter der Studienteilnehmer oder die Art des Spracherwerbs. Der letztgenannte Punkt schließt somit Instrumente aus, die zur Messung von Spracheinstellungen zu im Fremdsprachenkontext gelernten Sprachen eingesetzt werden. Skalen, wie sie in der Mehr- 6.2 Aufbau des Fragebogens und Operationalisierung der einzelnen Faktoren 201 sprachigkeitsforschung verwendet werden, zielen häufig auf die Einstellung zur Minderheitensprache im Gegensatz zur Mehrheitssprache, betrachten die Sprachen eines mehrsprachigen Individuums also getrennt und als in einer Konkurrenzsituation zueinander (vgl. Baker 1992: 77). Itemformulierungen solcher Skalen wären beispielsweise „I feel that no one is really educated unless he is fluent in the French language“ (Gardner & Lambert 1972) oder „English will take you further than Welsh“ (Sharp et al. 1973). Solche Instrumente wurden nicht zur Erfassung der Einstellung zur Mehrsprachigkeit konstruiert und können nur eingesetzt werden, wenn die Sprachen eines Mehrsprachigen gegeneinander abgewogen werden sollen. Zudem beziehen sie sich auf spezifische Länderkontexte wie Kanada und Wales und erheben die Einstellungen zu einer Prestigesprache wie Englisch im Gegensatz zu einer (autochthonen) Minderheitensprache, die in dem Land jedoch ebenfalls offiziellen Status innehat und zu der auch die Mehrheitsbevölkerung Kontakt hat. Daraus ergeben sich andere Sichtweisen auf die Einstellung zu beiden Sprachen, als es in Deutschland der Fall wäre. In der hier durchgeführten Studie muss also eine holistische Einstellung zur Mehrsprachigkeit erfasst werden, die alle Sprachen eines Mehrsprachigen insbesondere unter Einbezug seiner HL(s) berücksichtigt. Um die Einstellung zur Mehrsprachigkeit zu messen, wurde folglich die in Baker (1992: 81 f.) eigens für eine ganzheitliche Erfassung beider Sprachen der Studienteilnehmer entwickelte Skala „Attitudes to Bilingualism“ (Cronbachs α = 0,89) verwendet. Diese schien insbesondere für den Kontext der vorliegenden Forschungsarbeit günstig, da auch sie zur Erhebung der Einstellung von Jugendlichen konstruiert und an dieser Zielgruppe getestet wurde. Sie wurde zudem bereits in anderen Arbeiten adaptiert, erwies sich also im Zusammenhang mit Spracheinstellungsstudien auch in anderen Länderkontexten und Sprachkonstellationen als geeignet (vgl. Caruana & Lasagabaster 2011; Hayashi 2006). Die Skala wurde ins Deutsche übersetzt, angepasst und von ursprünglich 25 auf 10 Items gekürzt (3 Items zur Messung der kognitiven Einstellung, 7 Items zur affektiven Einstellung). Die Anpassung erfolgte im Hinblick auf die untersuchten Sprachen: Da die Studie von Baker (1992) in Wales durchgeführt wurde, konnten die beiden von den Probanden gesprochenen Sprachen konkret benannt werden (Englisch und Walisisch). Die in dieser Studie von den Teilnehmern gesprochenen HLs waren hingegen vorher nicht bekannt, weshalb an dieser Stelle eine allgemeinere Formulierung verwendet wurde. So wurde beispielsweise Item 16 in Baker (ebd.: 143) „Speaking both Welsh and English helps people get promotion in their job“ zu „Deutsch und seine Muttersprache zu sprechen hilft Menschen, im Job befördert zu werden“ transformiert. Zusätzlich wurden aus der ursprünglichen Skala Items entfernt, die sich speziell auf 202 6 Methodisches Vorgehen der Studie die sprachliche Konstellation in Wales bezogen wie z. B. Item 15 „Speaking both English and Welsh is more for older than younger people“ (ebd.: 142). Ein weiterer Unterschied zur Ursprungsskala in Baker (1992) besteht darin, dass diese nicht in kognitive und affektive Einstellung zur Mehrsprachigkeit differenziert. Beide Bereiche werden zwar durch Items repräsentiert und berücksichtigt, jedoch macht Baker diese Unterscheidung nicht explizit. Dies erschien wiederum vor dem Hintergrund der zuvor angestellten Überlegungen (s. Abschnitt 4.5.1) sinnvoll und notwendig und führte demnach inhaltsorientiert zur Differenzierung in diese beiden Subskalen. Sowohl die affektive als auch die kognitive Einstellung zur Mehrsprachigkeit wurden auf einer fünfstufigen Ratingskala (1 = stimme gar nicht zu bis 5 = stimme zu) abgefragt. Die Werte für die Subskalen „Kognitive Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ und „Affektive Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ wurden anschließend jeweils über das arithmetische Mittel gebildet. Die ethnische und die nationale Identität wurden mithilfe der Subskalen „Identifikation mit Deutschland“ (Cronbachs α = 0,81) und „Identifikation mit der Herkunftskultur“ (Cronbachs α = 0,87) aus Maehler (2012: 135) erhoben. Diese basieren auf der Skala „Italian Identification and Attachment“ aus Kim et al. (2001: 634), die die Identifikation mit Italien bei italienischstämmigen Migranten in Kanada misst. Die Skalen weisen angemessene Reliabilitätswerte über 0,8 auf und eignen sich zur Verwendung in dieser Studie aus mehreren Gründen: Zum einen konnte Maehler in ihrer Arbeit die Eignung beider Instrumente für den deutschen Kontext nachweisen (vgl. ebd.). Zum anderen wird durch die Subskalen nicht nur die ethnische Identität der Studienteilnehmer erhoben, sondern auch die nationale Identität, die durch analoge Itemformulierungen erfasst wird. Einen weiteren Vorteil stellt die Tatsache dar, dass beide Subskalen sich nicht auf eine bestimmte Herkunft der Probanden beschränken, sondern vielfältige Teilnehmergruppen berücksichtigen. Da in der Studie von Maehler erwachsene Testpersonen untersucht wurden, mussten die Subskalen „Ethnische Identität“ und „Nationale Identität“ jeweils an die jugendliche Zielgruppe der hier durchgeführten Studie angepasst werden. Hierbei wurde insbesondere die Generationenzugehörigkeit der Probanden stärker berücksichtigt: „Ich fühle mich wohl in der Kultur meines Herkunftslandes“ (Maehler 2012: 135) wurde beispielsweise modifiziert zu „Ich fühle mich wohl in der Kultur des Herkunftslandes meiner Eltern“. Die Probanden konnten auf einer fünfstufigen Skala ihre Zustimmung zu den Items kundtun (1 = stimme gar nicht zu bis 5 = stimme zu). Die Werte für die Subskalen „Ethnische Identität“ und „Nationale Identität“ wurden jeweils durch Addieren der einzelnen Itemwerte mit anschließender Division durch die Anzahl der Items gebildet (arithmetisches Mittel). 6.3 Durchführung der Befragung und Stichprobenauswahl 203 6.3 Durchführung der Befragung und Stichprobenauswahl Vor ihrem Einsatz in der Hauptstudie wurden die Skalen in einer Voruntersuchung hinsichtlich Klarheit und Verständlichkeit der Items erprobt. Zu diesem Zwecke wurden insgesamt 36 mehrsprachige Schülerinnen und Schüler gebeten, den Pretest-Fragebogen unter Beisein der Forscherin auszufüllen. 49 Auf diese Weise konnten Hinweise auf uneindeutige oder schwer verständliche Itemformulierungen unmittelbar in die Ausarbeitung des Hauptfragebogens einfließen (vgl. Oppenheim 1992: 62). Die Ergebnisse des Pretests wurden zudem dazu verwendet, die Reliabilität der Skalen in Form interner Konsistenz zu testen und diese anschließend zu optimieren. Die nachfolgend in Kapitel 7 dargestellten Ergebnisse basieren somit auf den im Pretest bereinigten Skalen, mussten jedoch aufgrund der geringen Anzahl an Pretestteilnehmern teilweise auch im Anschluss an die Hauptuntersuchung revidiert werden. Die Haupterhebung fand im Juli 2013 im Ruhrgebiet statt. Das Ruhrgebiet eignet sich als größte Metropolregion Deutschlands mit über 5 Millionen Einwohnern aufgrund seiner Geschichte für einen möglichst breiten Zugang zu unterschiedlichen Migrantengruppen und damit zu verschiedenen HLs (vgl. Gogolin & Reich 2001: 207). Schon ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wanderten Migranten aus Polen ein, um in den zahlreichen Bergwerken des Ruhrgebiets zu arbeiten. Die zweite große Migrationswelle bildeten seit Mitte der 1950er Jahre sog. Gastarbeiter aus den Staaten Spanien, Türkei, Portugal, Griechenland, Italien, Tunesien, Marokko und dem ehemaligen Jugoslawien, die zum großen Teil in der Schwerindustrie des Ruhrgebiets eingesetzt wurden. 50 Seit den 1970er Jahren gibt es einen konstanten Strom an politischen Flüchtlingen aus Ländern wie Libanon, Irak, Sri Lanka, Afghanistan oder Syrien, die sich im Zuge von Kriegen, Verfolgung oder politischen Umwälzungen im Ruhrgebiet ansiedelten. 51 Ebenfalls seit den 1970er Jahren, mit einem enormen Anstieg in den 1990er Jahren, erfolgte eine Zuwanderung von sog. Aussiedlern, Migranten ursprünglich deutscher Herkunft aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion, Polen und Rumänien (vgl. Dietz 2008: 398 f.). Nicht zu vergessen ist zudem die zwar geringfügige, jedoch stete Zuwanderung aus den angrenzenden Niederlanden (vgl. Eickmans & Serebrina 2013: 155; Lucassen & Lucassen 2008: 100). 49 Ich danke herzlich Dr. Claudia Benholz (Projekt ProDaZ - Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern), Dr. Gülşah Mavruk (Förderunterricht für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund) und Prof. Dr. Heike Roll (Bereich Deutsch als Zweit- und Fremdsprache) von der Universität Duisburg-Essen für die Vermittlung der Kontakte. 50 Vgl. zu Zahlen und geschichtlichem Hintergrund der jeweiligen Gruppen Beiträge in Bade et al. (2008) und Bernhard & Lebsanft (2013). 51 Vgl. auch hier genauer Bade et al. (2008) und Bernhard & Lebsanft (2013). 204 6 Methodisches Vorgehen der Studie Als Erhebungsort wurde eine Großstadt im Ruhrgebiet ausgewählt. Alle 43 allgemeinbildenden Schulen dieser Stadt wurden schriftlich kontaktiert. Auch durch dieses Vorgehen, d. h. durch das Berücksichtigen aller Schultypen, wurde versucht, die Stichprobe möglichst heterogen zu gestalten (vgl. Makarova 2008: 76). Von diesen Schulen erklärten sich sieben zur Teilnahme an der Studie bereit. Als Absagegründe wurden zum einen fehlende zeitliche Ressourcen insbesondere aufgrund der neu aufkommenden, verbindlichen rechtlichen Auflagen zur Inklusion genannt. Zum anderen wurde die Forschungsfrage dieses Projekts als gegenläufig zu den bildungspolitischen Zielen der jeweiligen Schule im Sinne einer Deutschorientierung empfunden. Über die Standorte der Schulen kann darauf geschlossen werden, dass sich ausschließlich diejenigen Schulen für eine Teilnahme meldeten, die sich in sozial unterprivilegierten Stadtteilen befinden und einen besonders hohen Prozentanteil an Schülerinnen und Schülern mit sog. Migrationshintergrund aufweisen, was sich bei der Auswertung der sozio-demographischen Daten der Studienteilnehmer bestätigte. Somit konnte die gewünschte hohe Varianz in den Daten nicht erreicht werden. Vor der Erhebung erging an alle Schülerinnen und Schüler des neunten Jahrgangs der jeweiligen Schulen sowie an ihre Eltern bzw. Erziehungsberechtigten ein Informationsschreiben, das den Zweck und das Vorgehen der Studie erläuterte und die Kontaktdaten der Verantwortlichen enthielt. Die Studie wurde anschließend mit dem kompletten neunten Jahrgang jeweils im Klassenverband während einer Unterrichtsstunde durchgeführt. Eingeleitet wurde die Erhebung durch eine kurze, standardisierte Ansprache, die nochmals den Untersuchungszweck und das weitere Verfahren mit den Daten erläuterte, Hinweise zum Ausfüllen des Bogens sowie dessen Dauer enthielt und den Teilnehmern die Wahrung ihrer Anonymität versicherte. 52 Die Fragebögen wurden direkt nach dieser Einweisung verteilt. Die Teilnahme an der Studie war freiwillig und wurde nicht entlohnt. Nach Bearbeiten des Bogens wurde dieser von der Versuchsleitung wieder eingesammelt. Von 412 ausgeteilten Bögen wurden 382 bearbeitet und ausgefüllt, woraus sich eine Rücklaufquote von 93 % ergab. Das Untersuchungsdesign sah vor, dass aus dieser Grundgesamtheit ausschließlich solche Jugendlichen in den Auswertungen berücksichtigt werden, auf die folgende Kriterien zutreffen: • im Ausland geboren, jedoch bis zu einem Alter von 6 Jahren zugewandert oder • in Deutschland geboren, jedoch mindestens ein Elternteil zugewandert. 52 Ich möchte mich herzlich bei Sevgi Aktaş, Paul Haller, Murat Kılıç, Sebastian Kretschmar, Zuzanna Lewandowska, Sven Oleschko und Markus Preusche für ihre Unterstützung bei den Erhebungen bedanken. 6.4 Zusammenfassung 205 Aufgrund dieser Kriterien konnten insgesamt 202 Schülerinnen und Schüler in der Studie berücksichtigt werden. Ausgeschlossen wurden 146 monolingual sozialisierte Teilnehmer sowie 34 Schülerinnen und Schüler, die erst nach einem Alter von 6 Jahren nach Deutschland eingewandert sind und bereits im Ausland beschult wurden. 6.4 Zusammenfassung Um den in Kapitel 5 aufgestellten Hypothesen nachzugehen, wurde in dieser Arbeit die Methode der multiplen Regression angewendet, die mittels eines Fragebogens umgesetzt wurde. Hierbei stellten die in Kapitel 4 beschriebenen außersprachlichen Faktoren die unabhängigen Variablen dar, während die Sprachkompetenz in der HL die abhängige Variable bildete. Sie wurde in der Studie mittels Selbsteinschätzung über Can-Do-Aussagen erhoben. Sprachbiographische Faktoren sowie Faktoren des Sprachgebrauchs wurden über kategoriale Variablen erfasst. Zur Erhebung der sozio-emotionalen Faktoren wurden bereits existierende metrische Skalen aus der Soziolinguistik und Soziologie an die Zielgruppe dieser Studie adaptiert. Die Erhebung fand in allen neunten Klassen von sieben allgemeinbildenden Schulen in einer Großstadt im Ruhrgebiet statt und erfasste insgesamt 202 jugendliche HL-Sprecher. 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung In diesem Kapitel werden nach einer eingehenden Beschreibung der Stichprobe in Abschnitt 7.1 zunächst deskriptive Ergebnisse der einzelnen im Fragebogen eingesetzten Skalen vorgestellt (Abschnitte 7.2 und 7.3). Diese werden in einem ersten Schritt auf ihre interne Konsistenz überprüft, um auf dieser Basis die in das Regressionsmodell eingehenden Prädiktoren näher einzugrenzen. In Abschnitt 7.4 folgt die Analyse des Regressionsmodells samt Hypothesenüberprüfung. Die Regressionsanalyse wird sowohl für das Gesamtmodell als auch für drei Subskalen der Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz durchgeführt. Nach einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse schließt das Kapitel mit einem Exkurs zu Einzelergebnissen der türkischsprachigen Gruppe als der größten in der Stichprobe vertretenen Sprachgruppe. 7.1 Beschreibung der Stichprobe Insgesamt wurden 202 Schülerinnen und Schüler aufgrund der in Abschnitt 6.3 angeführten Kriterien in der Studie berücksichtigt. Die Zusammensetzung der Studienteilnehmer kann Tabelle 9 entnommen werden: N % Alter bei Einwanderung ≤ 6 23 11,39 zweite Generation 179 88,61 gesamt 202 100 Tab. 9: Zusammensetzung der Studienteilnehmer 23 Studienteilnehmer sind nicht in Deutschland geboren, ihr Alter betrug bei Einwanderung im Durchschnitt 3,43 Jahre ( SD = 1,88). Sie sind also eindeutig noch vor der Einschulung zugewandert und ebenfalls der Gruppe der HL-Sprecher zuzurechnen. Zum Untersuchungszeitpunkt waren die Teilnehmer im Durchschnitt 15,36 Jahre alt ( SD = 0,6; MIN = 14, MAX = 17). Mädchen waren mit 48,5 % in dem Sample vertreten, Jungen mit 51,5 %. 16 Schülerinnen und Schüler besuchten die Hauptschule, je 93 die Realschule und die Gesamtschule. 208 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Das Sample beinhaltete keine Gymnasiasten. Die Verteilung der Studienteilnehmer nach Staatsangehörigkeit kann Tabelle 10 entnommen werden. N % deutsche Staatsangehörigkeit 125 61,88 doppelte Staatsangehörigkeit 12 5,94 nicht-deutsche Staatsangehörigkeit 60 29,70 k. A. 5 2,48 gesamt 202 100 Tab. 10: Zusammensetzung der Studienteilnehmer nach Staatsangehörigkeit 90 % ( N = 54) der Schülerinnen und Schüler im Sample, die nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen, sind in Deutschland geboren, wurden also von Anfang an in Deutschland sozialisiert und beschult. Insgesamt waren 39 unterschiedliche Herkunftsländer 53 in dem Sample vertreten (operationalisiert anhand des Geburtslandes der Eltern). In 160 von 202 Familien stammen beide Elternteile aus demselben Herkunftsland, in 19 Familien sind die Eltern in unterschiedlichen Ländern geboren (s. Tabelle 11). N % N % Türkei 67 33,17 Italien 1 0,50 Sri Lanka 15 7,43 Montenegro 1 0,50 Libanon 13 6,44 Serbien 1 0,50 Afghanistan 10 4,95 Tunesien 1 0,50 Polen 9 4,46 Libanon - Syrien 3 1,49 Irak 7 3,47 Serbien - Bosnien 2 0,99 Ghana 4 1,98 Marokko - Libanon 2 0,99 Russland 4 1,98 Elfenbeinküste - Kongo 1 0,50 Griechenland 3 1,49 Syrien - Türkei 1 0,50 Kasachstan 3 1,49 Polen - Mazedonien 1 0,50 Kosovo 3 1,49 Kroatien - Bosnien 1 0,50 53 Nicht eindeutige Länderangaben wie „Afrika“ oder „Arabien“ wurden hier als „keine Angabe“ behandelt. 7.1 Beschreibung der Stichprobe 209 Marokko 3 1,49 Kasachstan - Ukraine 1 0,50 Mazedonien 3 1,49 Russland - Armenien 1 0,50 Syrien 3 1,49 Italien - Mexiko 1 0,50 Guinea 2 0,99 Montenegro - Kosovo 1 0,50 Iran 2 0,99 Benin - Togo 1 0,50 Nigeria 2 0,99 Algerien - Ägypten 1 0,50 Albanien 1 0,50 Libanon - Türkei 1 0,50 Argentinien 1 0,50 Polen - Nigeria 1 0,50 Eritrea 1 0,50 k. A. 5 2,48 gesamt 184 91,09 Tab. 11: Herkunftsländer der Familien: beide Elternteile zugewandert Insgesamt wachsen 18 Schülerinnen und Schüler in dem Sample in Familien mit einem nicht zugewanderten autochthonen Elternteil auf (das Herkunftsland des jeweils anderen Elternteils ist in Tabelle 12 dargestellt). Die Differenzierung in diese zwei Kategorien (beide Elternteile zugewandert gegenüber nur einem zugewanderten Elternteil) ist darin begründet, dass die Präsenz der Mehrheitssprache Deutsch als Erstsprache eines der Elternteile einen Effekt auf die Weitergabe und den Erhalt der Minderheitensprache des anderen Elternteils haben könnte (s. Abschnitt 4.3.2). N % N % Türkei 7 3,47 Polen 1 0,50 Libanon 3 1,49 Rumänien 1 0,50 Griechenland 1 0,50 Spanien 1 0,50 Kolumbien 1 0,50 Thailand 1 0,50 Kosovo 1 0,50 Ukraine 1 0,50 gesamt 18 8,91 Tab. 12: Herkunftsländer der Familien: Herkunftsland bei nur einem zugewanderten Elternteil Tabelle 13 gibt einen Überblick über die von den Teilnehmern genannten 37 HLs operationalisiert über die Frage nach der / den Muttersprache(n). Bei Angaben wie „Marokkanisch“ oder „Afghanisch“ usw. ist nicht klar bestimmbar, 210 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung von welcher Sprache die Schülerinnen und Schüler ausgehen, da beispielsweise „Marokkanisch“ sowohl die in Marokko gesprochene Varietät des Arabischen als auch eine Berbervarietät bezeichnen könnte. Obwohl in einigen Fällen die Sprachangabe unterspezifiziert ist, wurde die Eigenbezeichnung der Schülerinnen und Schüler für die Analyse dennoch beibehalten, da sie wiederum eindeutig und im Fragebogen durchgängig auf eine im familiären Kontext verwendete Sprache referiert. Gab ein Teilnehmer mehr als eine „Muttersprache“ an, so wird in Tabelle 13 nur die erstgenannte Sprache aufgeführt, auf die sich die Studienteilnehmer im weiteren Verlauf des Fragebogens beziehen sollten. N % N % Türkisch 74 36,63 Hindi 2 0,99 Arabisch 23 11,39 Italienisch 2 0,99 Tamilisch 15 7,43 Mandingo 2 0,99 Russisch 11 5,45 Dari 1 0,50 Polnisch 9 4,46 Dendi 1 0,50 Albanisch 7 3,47 Edo 1 0,50 Kurdisch 7 3,47 Eritreisch 1 0,50 Persisch 5 2,48 Irakisch 1 0,50 Libanesisch 4 1,98 Kosovarisch 1 0,50 Twi 4 1,98 Lingala 1 0,50 Griechisch 3 1,49 Marokkanisch 1 0,50 Serbisch 3 1,49 Paschto 1 0,50 Spanisch 3 1,49 Rumänisch 1 0,50 Afghanisch 2 0,99 Syrisch 1 0,50 Bosnisch 2 0,99 Ukrainisch 1 0,50 Englisch 2 0,99 Yoroba 1 0,50 Farsi 2 0,99 k. A. 7 3,47 gesamt 202 100 Tab. 13: Heritage Languages der Teilnehmer: erstgenannte Sprache 38 Schülerinnen und Schüler gaben zwei „Muttersprachen“ im Fragebogen an, in 20 Fällen handelte es sich bei der zweitgenannten Sprache um Deutsch. Die übrigen 18 Sprachkombinationen sind in Tabelle 14 aufgeführt. 7.1 Beschreibung der Stichprobe 211 N N Kurdisch - Türkisch 54 2 Persisch-Dari 1 Türkisch-Kurdisch 2 Tamilisch - Indisch 1 Türkisch - Arabisch 2 Hindi - Sindhi 1 Türkisch - Aseri 1 Twi - Englisch 1 Kurdisch - Arabisch 1 Yoroba - Englisch 1 Irakisch - Arabisch 1 Mandingo - Französisch 1 Marokkanisch - Arabisch 1 Lingala - Baoulé 1 Arabisch - Libanesisch 1 gesamt 18 Tab. 14: Heritage Languages der Teilnehmer: zwei angegebene Sprachen Das am häufigsten im Sample vertretene Herkunftsland ist die Türkei (33,2 %) gefolgt von Sri Lanka (7,4 %), dem Libanon (6,4 %), Afghanistan (5,0 %) und Polen (4,5 %). Die Verteilung der Sprachen gestaltet sich ähnlich: Türkisch (36,6 %), Arabisch (11,4 %), Tamil (7,4 %), Russisch (5,5 %) und Polnisch (4,5 %). Diese Zahlen waren für das Ruhrgebiet zum Zeitpunkt der Erhebung durchaus typisch, was die repräsentative Untersuchung von Chlosta und Kollegen (2003: 47) zu Sprachen an Essener Grundschulen bestätigt (Türkisch 27,2 %, Arabisch 13,9 %, Polnisch 12,0 %, Russisch 4,9 %, Tamil 2,2 %). Allerdings zeigt sie auch, dass im Vergleich zu dem Stand vor über fünfzehn Jahren die tamilsprachigen Schülerinnen und Schüler im Sample überrepräsentiert, während die polnischsprachigen unterrepräsentiert sind. Aktuellere Zahlen zur Sprachverteilung im Ruhrgebiet liegen mir nicht vor. Laut den Angaben der Jugendlichen (s. Tabelle 15) haben 21 Väter und 28 Mütter in der Stichprobe keinen Schulabschluss. Hierbei ist jedoch nicht eindeutig zu klären, ob kein Schulbesuch stattfand oder ob dieser lediglich ohne ein Abschlusszertifikat abgebrochen wurde. Fünf Väter und drei Mütter schlossen ausschließlich die Grundschule ab. Die meisten Angaben finden sich bei einem mittleren Schulabschluss ( N = 41 bzw. 53). Einen tertiären Bildungsabschluss erwarben 21 Väter und 15 Mütter im Sample (Fachhochschule und Universität). 54 Die Reihenfolge der von den Studienteilnehmern genannten Sprachen wird in dieser Darstellung beibehalten, da alle weiteren Fragen sich auf die erstgenannte Sprache beziehen, was auch im Fragebogen vermerkt war. 212 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Vater Mutter N % N % kein Schulabschluss 21 10,40 28 13,86 Grundschule 5 2,48 3 1,49 Mittelschule 41 20,30 53 26,24 berufliche Fachschule 26 12,87 20 9,90 Abitur 22 10,89 26 12,87 Fachhochschule 9 4,46 7 3,47 Universität 12 5,94 8 3,96 k. A. 66 32,67 57 28,22 gesamt 202 100 202 100 Tab. 15: Bildungsgrad der Eltern der Studienteilnehmer An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Antwortquote zum Bildungsgrad der Eltern im Vergleich zu allen anderen im Fragebogen eingesetzten Skalen am geringsten ausfiel (je rund ein Drittel ohne Angabe). Dies deutet auf Verständnisschwierigkeiten bzw. auf unzureichende Kenntnis der elterlichen Bildungsabschlüsse seitens der Probanden hin, weswegen die Aussagekraft der tatsächlich getätigten Antworten angezweifelt werden kann. 7.2 Deskriptive Analysen der Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz Die Überprüfung der internen Konsistenz 55 der Skala „Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz“ (s. Tabelle 16) erreicht angemessene Reliabilitätswerte (Cronbachs α = 0,95), sofern aufgrund einer zu geringen Trennschärfe ( r = 0,25) Item 15 „in deiner Muttersprache bei einem Amt anrufen (z. B. Konsulat)“ entfernt wird. Dieses Item erwies sich als inhaltlich nicht trennscharf, da es vermutlich nicht altersadäquat ist und diese Tätigkeit den Probanden unabhängig von der hierfür gewählten Sprache als äußerst schwierig erschien. 55 Dieser Wert ist ein Maß dafür, dass die einzelnen Items einer Skala dasselbe Konstrukt erfassen. Je höher Cronbachs α ausfällt, desto besser ist die interne Konsistenz einer Skala. 7.2 Deskriptive Analysen der Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz 213 M SD r 1. einfache Gespräche mit Verwandten in deiner Muttersprache verstehen (z. B. mit Eltern / Großeltern) 4,55 0,83 0,66 2. einfache Gespräche mit Fremden in deiner Muttersprache verstehen (z. B. im Supermarkt, in der Bahn) 4,43 0,88 0,69 3. Filme und Fernsehsendungen in deiner Muttersprache verstehen 4,28 0,99 0,65 4. ohne Akzent in deiner Muttersprache sprechen 4,02 1,21 0,55 5. dich mit deinen Verwandten in deiner Muttersprache über einfache Dinge unterhalten 4,51 0,83 0,68 6. im Restaurant in deiner Muttersprache bestellen 4,11 1,18 0,64 7. dich mit Menschen in deiner Muttersprache unterhalten, die kein Deutsch sprechen (z. B. Verwandte in dem Heimatland deiner Eltern) 4,20 1,05 0,63 8. kurze Wörter oder Sätze in deiner Muttersprache lesen (z. B. Einkaufszettel) 4,23 1,19 0,75 9. Straßenschilder und Speisekarten in deiner Muttersprache lesen 4,01 1,34 0,78 10. längere persönliche Briefe / Mails in deiner Muttersprache lesen 3,70 1,37 0,79 11. kurze Wörter oder Sätze in deiner Muttersprache schreiben 3,88 1,38 0,75 12. längere Briefe / Mails in deiner Muttersprache schreiben 3,36 1,46 0,73 13. Reden von Politikern in deiner Muttersprache verstehen 3,46 1,24 0,58 14. ein Referat in deiner Muttersprache halten 3,16 1,33 0,73 15. in deiner Muttersprache bei einem Amt Anrufen (z. B. Konsulat) 3,57 3,37 0,25 16. moderne Romane in deiner Muttersprache lesen 3,10 1,39 0,75 17. aktuelle Zeitungen in deiner Muttersprache lesen 3,32 1,47 0,75 18. klassische Literatur oder Religionstexte in deiner Muttersprache lesen 3,24 1,46 0,75 19. einen ausführlichen Text in deiner Muttersprache schreiben, z. B. eine Inhaltsangabe oder einen Bericht 2,85 1,43 0,72 20. eine Bewerbung in deiner Muttersprache schreiben 2,51 1,39 0,71 Tab. 16: Skalenstatistik der Skala „Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz“ 214 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Für die korrigierte Gesamtskala gelten folgende Werte: Cronbachs Alpha der korrigierten Skala: 0,95 Mittelwert der korrigierten Skala: 70,92 Standardabweichung der korrigierten Skala: 17,66 Stichprobengröße der korrigierten Skala: 179 56 Anzahl der Items der korrigierten Skala: 19 Da bei der Konstruktion dieser Can-Do-Skala eine Unterscheidung in die beiden Register ± formell angestrebt war, wurde in einem zweiten Schritt überprüft, ob diese beiden Dimensionen durch die Skala „Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz“ erfolgreich erfasst werden oder ob sie auf einem Gesamtkonstrukt der Sprachkompetenz aufbaut und die Registerdifferenz nicht erfasst. Zu diesem Zweck wurde eine explorative Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse mit orthogonaler Rotation (Varimax)) der 19 Items durchgeführt. Eine Faktorenanalyse ist in der Lage, über Korrelationsmatrizen in den Items Cluster zu identifizieren, die auf ein ihnen gemeinsam zugrundeliegendes latentes Konstrukt schließen lassen (vgl. Field 2009: 628). Drei Komponenten wiesen Eigenwerte über 1 auf (vgl. ebd.: 640) und erklärten insgesamt 74,71 % der Varianz in den Daten. 57 In Tabelle 17 sind die Faktorladungen nach der Rotation dargestellt. Komponente Intimes Register: Lesen & Schreiben Intimes Register: Verstehen & Sprechen Formelles Register 1. Straßenschilder und Speisekarten in deiner Muttersprache lesen 0,86 2. kurze Wörter oder Sätze in deiner Muttersprache lesen (z. B. Einkaufszettel) 0,86 56 Die Stichprobengröße für diese Skala beträgt N = 179 statt N = 202, da bei der Skalenbildung ausschließlich Fälle berücksichtigt werden, die bei jedem Skalenitem einen Wert aufweisen. Studienteilnehmer, die nicht jedes Item bearbeiteten, werden hier also nicht ausgewertet. 57 Die Samplegröße erwies sich als hervorragend geeignet ( KMO = 0,92, vgl. Field 2009: 659). Auch befinden sich alle KMO -Werte für die Einzelitems über der kritischen Grenze von > 0,5. Der Bartlett-Test auf Sphärizität ( χ 2 (171) = 3234,31, p < 0,001) belegte ebenfalls, dass die Inter-Item-Korrelationswerte hoch genug für die Hauptkomponentenanalyse waren. 7.2 Deskriptive Analysen der Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz 215 3. kurze Wörter oder Sätze in deiner Muttersprache schreiben 0,83 4. längere persönliche Briefe / Mails in deiner Muttersprache lesen 0,78 0,41 5. längere Briefe / Mails in deiner Muttersprache schreiben 0,71 0,53 6. einfache Gespräche mit Fremden in deiner Muttersprache verstehen (z. B. im Supermarkt, in der Bahn) 0,84 7. dich mit deinen Verwandten in deiner Muttersprache über einfache Dinge unterhalten 0,82 8. einfache Gespräche mit Verwandten in deiner Muttersprache verstehen (z. B. mit Eltern / Großeltern) 0,82 9. dich mit Menschen in deiner Muttersprache unterhalten, die kein Deutsch sprechen (z. B. Verwandte in dem Heimatland deiner Eltern) 0,78 10. ohne Akzent in deiner Muttersprache sprechen 0,68 11. im Restaurant in deiner Muttersprache bestellen 0,67 0,42 12. Filme und Fernsehsendungen in deiner Muttersprache verstehen 0,64 13. ein Referat in deiner Muttersprache halten 0,82 14. eine Bewerbung in deiner Muttersprache schreiben 0,74 15. einen ausführlichen Text in deiner Muttersprache schreiben, z. B. eine Inhaltsangabe oder einen Bericht 0,51 0,68 16. klassische Literatur oder Religionstexte in deiner Muttersprache lesen 0,54 0,66 17. aktuelle Zeitungen in deiner Muttersprache lesen 0,56 0,66 18. moderne Romane in deiner Muttersprache lesen 0,55 0,65 19. Reden von Politikern in deiner Muttersprache verstehen 0,56 0,61 Eigenwerte 10,53 2,37 1,30 % der aufgeklärten Varianz 55,41 12,45 6,85 α 0,96 0,91 0,94 Tab. 17: Ergebniszusammenfassung der Hauptkomponentenanalyse für die Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz in der HL ( N = 179) 216 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Auf Basis der Faktorenanalyse konnten aus der Skala „Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz“ folglich drei Hauptkomponenten extrapoliert werden. Das bedeutet, dass die Skala inhaltlich aus drei Subskalen besteht, die eine in sich geschlossene wesentliche Dimension abdecken. Auf der ersten Komponente laden nach der Faktorenanalyse alle Items, die schriftsprachliche Kenntnisse abfragen (Items 1 bis 5 sowie 15 bis 18), jedoch lassen sich die stärksten Ladungskoeffizienten für diejenigen Items feststellen, die die Fertigkeiten Lesen und Schreiben im intimen Register abfragen (Items 1 bis 5). Diese sollen für die weitere Untersuchung die Subskala „Sprachkompetenz im intimen Register: Lesen & Schreiben“ bilden. Die zweite Komponente beinhaltet solche Items, die die Fertigkeiten Sprechen und Verstehen im intimen Register beschreiben (Items 6 bis 12 und 19). Da Item 19 stärker auf der dritten Komponente lädt, werden in die Subskala „Sprachkompetenz im intimen Register: Verstehen & Sprechen“ ausschließlich Items 6 bis 12 eingehen. Auf der dritten Komponente laden schließlich am stärksten solche Items, die inhaltlich die Sprachkompetenz im formellen Register unabhängig von der hierfür verwendeten Fertigkeit beschreiben (Items 13 bis 19). Diese werden in der Subskala „Sprachkompetenz im formellen Register“ zusammengefasst. Die zur Berechnung der Sprachkompetenz eingesetzten Items sind somit in der Lage, die angestrebte Unterscheidung in formelles und intimes Register abzubilden. Zusätzlich differenzieren sie jedoch das intime Register in aktive und passive Fertigkeiten. Für diese drei neu errechneten Subskalen gelten folgende Werte: M SD r 1. einfache Gespräche mit Fremden in deiner Muttersprache verstehen (z. B. im Supermarkt, in der Bahn) 4,45 0,87 0,80 2. dich mit deinen Verwandten in deiner Muttersprache über einfache Dinge unterhalten 4,53 0,81 0,78 3. einfache Gespräche mit Verwandten in deiner Muttersprache verstehen (z. B. mit Eltern / Großeltern) 4,55 0,81 0,74 4. dich mit Menschen in deiner Muttersprache unterhalten, die kein Deutsch sprechen (z. B. Verwandte in dem Heimatland deiner Eltern) 4,22 1,04 0,74 5. ohne Akzent in deiner Muttersprache sprechen 4,05 1,19 0,64 6. im Restaurant in deiner Muttersprache bestellen 4,12 1,16 0,70 7. Filme und Fernsehsendungen in deiner Muttersprache verstehen 4,29 0,98 0,64 Tab. 18: Skalenstatistiken der Subskala „Sprachkompetenz im intimen Register: Verstehen & Sprechen“ 7.2 Deskriptive Analysen der Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz 217 Cronbachs Alpha: 0,90 Mittelwert: 30,21 Standardabweichung: 5,47 Stichprobengröße: 190 Anzahl der Items: 7 M SD r 1. Straßenschilder und Speisekarten in deiner Muttersprache lesen 4,01 1,35 0,87 2. kurze Wörter oder Sätze in deiner Muttersprache lesen (z. B. Einkaufszettel) 4,21 1,19 0,83 3. kurze Wörter oder Sätze in deiner Muttersprache schreiben 3,89 1,38 0,85 4. längere persönliche Briefe / Mails in deiner Muttersprache lesen 3,69 1,37 0,87 5. längere Briefe / Mails in deiner Muttersprache schreiben 3,35 1,46 0,81 Tab. 19: Skalenstatistiken der Subskala „Sprachkompetenzen im intimen Register: Lesen & Schreiben“ Cronbachs Alpha: 0,94 Mittelwert: 19,14 Standardabweichung: 6,09 Stichprobengröße: 189 Anzahl der Items: 5 M SD r 1. ein Referat in deiner Muttersprache halten 3,15 1,34 0,72 2. eine Bewerbung in deiner Muttersprache schreiben 2,51 1,40 0,76 3. einen ausführlichen Text in deiner Muttersprache schreiben, z. B. eine Inhaltsangabe oder einen Bericht 2,84 1,44 0,82 4. klassische Literatur oder Religionstexte in deiner Muttersprache lesen 3,23 1,47 0,83 5. aktuelle Zeitungen in deiner Muttersprache lesen 3,30 1,48 0,84 6. moderne Romane in deiner Muttersprache lesen 3,09 1,40 0,81 7. Reden von Politikern in deiner Muttersprache verstehen 3,45 1,25 0,64 Tab. 20: Skalenstatistiken der Subskala „Sprachkompetenz im formellen Register“ 218 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Cronbachs Alpha: 0,93 Mittelwert: 21,56 Standardabweichung: 8,19 Stichprobengröße: 190 Anzahl der Items: 7 Die Auswertung des Regressionsmodells erfolgt zunächst für die Gesamtskala „Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz“ gefolgt von Analysen für die drei in diesem Abschnitt berechneten Subskalen. 7.3 Deskriptive Analysen der außersprachlichen Faktoren 7.3.1 Analyse der sprachbiographischen Faktoren Im folgenden Unterabschnitt werden deskriptive Statistiken zum Spracherwerbstyp des Sprechers, der Sprachkonstellation in der Familie sowie der Geschwisterrangfolge vorgestellt. Die deskriptiven Daten sollen anschließend der Bestimmung der in das Regressionsmodell eingehenden Prädiktoren dienen. Die Teilnehmer der Studie konnten in drei Gruppen in Bezug auf den Spracherwerbstyp unterteilt werden. Dabei bildeten diejenigen, die Deutsch und die jeweilige HL gleichzeitig bereits vor dem Eintritt in den Kindergarten erwarben, die größte Gruppe ( N = 103). Ihnen folgt die Gruppe derjenigen Teilnehmer, die Deutsch erst seit dem Kindergarten erwarben, also ca. ab einem Alter von drei Jahren ( N = 91). Eine kleine Gruppe im Sample ( N = 8) erwarb das Deutsche erst ab dem Eintritt in die Grundschule. Bei sieben Teilnehmern aus der letztgenannten Gruppe handelt es sich um Schülerinnen und Schüler, die in diesem Alter nach Deutschland eingewandert sind, bei denen der Erwerb des Deutschen also in der Tat erst zu diesem Zeitpunkt eingesetzt haben muss. N % von Anfang an (simultan) 103 50,99 seit dem Kindergarten (sukzessiv) 91 45,05 seit der Grundschule (DaZ) 8 3,96 gesamt 202 100 Tab. 21: Studienteilnehmer nach Spracherwerbstyp Die meisten Schülerinnen und Schüler in dem Sample ( N = 161) wachsen in Familien auf, in denen beide Elternteile dieselbe Erstsprache sprechen. In 37 7.3 Deskriptive Analysen der außersprachlichen Faktoren 219 Familien sprechen die Eltern unterschiedliche Erstsprachen. Dabei handelt es sich in 19 Fällen um Familien, in denen beide Elternteile zwei unterschiedliche Minderheitensprachen sprechen, in 18 Fällen um Familien mit einem zugewanderten und einem autochthonen Elternteil. N % beide Elternteile sprechen gleiche Minderheitensprache 161 79,70 beide Elternteile sprechen unterschiedliche Minderheitensprachen 19 9,41 nur ein Elternteil Sprecher von Minderheitensprache 18 8,91 k. A. 4 1,98 gesamt 202 100 Tab. 22: Sprachkonstellation in der Familie der Studienteilnehmer Nur wenige Studienteilnehmer ( N = 8) wachsen als Einzelkinder auf. Bei insgesamt 55 Probanden handelt es sich um das älteste Kind der Familie, 138 hingegen haben ältere Geschwister. N % Einzelkind 8 3,96 ältestes Kind 55 27,23 nicht ältestes Kind 138 68,32 k. A. 1 0,50 gesamt 202 100 Tab. 23: Geschwisterkonstellation Betrachtet man diese drei sprachbiographischen Faktoren gemeinsam, so kann weder in Bezug auf die Sprachkonstellation in der Familie noch auf die Geschwisterrangfolge genügend Variation in der Zusammensetzung der Studienteilnehmer festgestellt werden: Typischerweise sprechen beide Elternteile dieselbe Erstsprache und bei dem Sprecher handelt es sich nicht um das älteste Kind der Familie. Die Probanden in dem Sample unterscheiden sich größtenteils in Bezug auf das Einsetzen des Deutscherwerbs. Auch aus theoretischer Sicht lässt sich argumentieren, dass der Spracherwerbstyp unter den hier erhobenen sprachbiographischen Faktoren der wichtigste Prädiktor für Spracherhalt sein könnte, da er sowohl die Sprachkonstellation in der Familie als auch die 220 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Geschwisterrangfolge des Sprechers widerspiegelt. Wächst ein Kind in einer Familie auf, in der die Eltern zwei unterschiedliche Sprachen sprechen, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Deutscherwerb simultan zum Erwerb der HL stattfindet (s. Abschnitt 4.3.2), sei es, da das Deutsche die Erstsprache eines der Elternteile darstellt oder da Deutsch die gemeinsame Sprache der Eltern aufgrund von unterschiedlichen Erstsprachen ist. Ähnlich kann in Bezug auf die Geschwisterrangfolge argumentiert werden, dass ältere Geschwister durch einen zuvor stattgefundenen Kontakt zur Mehrheitssprache im Kindergarten oder in der Schule stets die Möglichkeit eines zum Deutschen simultanen Erwerbs erhöhen. Der Spracherwerbstyp wird also zur Überprüfung der Hypothese (H1.1) als Prädiktor in Form einer dichotomen Variablen mit den Ausprägungen „simultan“ und „sukzessiv“ in das Regressionsmodell aufgenommen. Die Hypothesen (H1.2) und (H1.3) können mithilfe der erhobenen Daten nicht bearbeitet werden. 7.3.2 Analyse der Sprachgebrauchskontexte Der folgende Unterabschnitt beschreibt die Analyseergebnisse in Bezug auf die Sprachgebrauchskontexte der Studienteilnehmer. Sie werden differenziert nach den beiden Registern „intim“ und „formell“ sowie nach den Sprachmodi „bilingual“ und „monolingual“ entsprechend dem Schema in Tabelle 8 dargestellt (hier modifiziert als Tabelle 24 wiedergegeben): Intim Formell Monolingual Besuch im Herkunftsland der Eltern Herkunftssprachlicher Unterricht Mediengebrauch (Fernsehen, Internet) Gottesdienstbesuch Mediengebrauch (Bücher) Bilingual Sprachverwendung mit den Eltern und Großeltern Ø Sprachverwendung mit Geschwistern und Freunden Tab. 24: Sprachgebrauchskontexte nach Registern und Sprachmodi Einen monolingual orientierten Sprachgebrauch im intimen Register erleben die Studienteilnehmer bei Besuchen des Herkunftslandes ihrer Eltern, wenn sie beispielsweise mit ihren Verwandten im Alltag interagieren und somit die HL 7.3 Deskriptive Analysen der außersprachlichen Faktoren 221 in einer anderen Funktionsweise - mit monolingualen Sprechern dieser Sprache - kennenlernen. Die meisten Studienteilnehmer besuchen das Herkunftsland ihrer Eltern regelmäßig ca. einmal im Jahr ( N = 58) bzw. ca. alle zwei bis drei Jahre ( N = 50). 20 Probanden unternehmen solche Reisen mehrmals im Jahr, 30 Schülerinnen und Schüler besuchten noch nie das Herkunftsland ihrer Eltern. In diesem Zusammenhang am häufigsten genannte Länder sind Sri Lanka ( N = 6), Libanon ( N = 6) und Afghanistan ( N = 4) sowie Syrien, Nigeria und Irak mit je zwei Nennungen. In zusätzlichen acht Fällen handelt es sich um Einzelnennungen von Ländern, die entweder derzeit politisch instabil sind oder sich außerhalb Europas befinden. Bei Ländern, die die Schülerinnen und Schüler häufiger als einmal pro Jahr besuchen, handelt es sich hauptsächlich um Polen und Italien sowie die Balkanstaaten, d. h. um Staaten, die ohne immense finanzielle und zeitliche Aufwendung beispielsweise per PKW erreichbar sind. Die Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern wird als ein Prädiktor für monolingualen Sprachgebrauch im intimen Register in das Regressionsmodell aufgenommen. Abb. 12: Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern Die Benutzung der Medien Bücher, Internet und Fernsehen kann zweifelsohne dem monolingualen Sprachmodus zugeordnet werden. Ob die dabei verwendete Sprache eher literate oder orate Strukturen aufweist bzw. ob dieses sprachliche Handeln ein intimes oder formelles Register darstellt, ist von der genauen Art des Mediums abhängig. Zum einen lässt sich argumentieren, dass sowohl Bücher als auch das Surfen im Internet schriftsprachliche Kenntnisse verlangen im Gegensatz zum Fernsehen, das bereits mit passiven Sprachkenntnissen möglich ist. Zum anderen kann man davon ausgehen, dass sowohl das Fernsehen als 222 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung auch das Surfen im Internet keine literaten Sprachkenntnisse von den Schülerinnen und Schülern einfordern, wenn es um ihre tägliche Verwendung geht. Diese Annahme wird von den Ergebnissen der Faktorenanalyse der Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz gestützt, bei der Fernsehen und Filme von den Studienteilnehmern selbst dem intimen Register zugeordnet wurden (s. Tabelle 17). Im Schnitt lesen drei Viertel der Studienteilnehmer ( N = 150) Bücher auf Deutsch. 21 Probanden gaben an, in beiden Sprachen zu lesen, neun benutzen hierbei hauptsächlich ihre HL. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei der Internetverwendung ab: Auch hier nutzen über drei Viertel der Jugendlichen in dem Sample Internetangebote auf Deutsch ( N = 160), während nur fünf Studienteilnehmer hierzu hauptsächlich auf die HL zurückgreifen. Anders sieht es für die Sprachverwendung beim Fernsehen aus. Hierbei nutzt ca. die Hälfte der Studienteilnehmer ( N = 106) primär Deutsch, während 75 Jugendliche Fernsehprogramme in beiden Sprachen schauen. 14 Teilnehmer gaben an dieser Stelle an, Fernsehen hauptsächlich in ihrer HL zu nutzen. Bücher Internet Fernsehen N % N % N % auf Deutsch 150 74,26 160 79,21 106 52,48 auf Deutsch und in der HL 21 10,40 22 10,89 75 37,13 in der HL 9 4,46 5 2,48 14 6,93 k. A. 22 10,89 15 7,43 7 3,47 gesamt 202 100 202 100 202 100 Tab. 25: Sprachverwendung bei Medien Bei der Sprachverwendung im Bereich Medien wurde zusätzlich erhoben, wie häufig die Jugendlichen die jeweiligen Angebote wahrnehmen. Es wird deutlich, dass Bücherlesen als Freizeitgestaltung ( M = 2,22, SD = 0,93) eine eher marginale Rolle im Vergleich zu den Tätigkeiten Fernsehen ( M = 3,76, SD = 0,89; t (181) = 17,018, p < 0,001) und Surfen im Internet ( M = 4,30, SD = 0,70; t (177) = -23,247, p < 0,001) im Leben der Jugendlichen spielt (vgl. Abbildung 13). 7.3 Deskriptive Analysen der außersprachlichen Faktoren 223 Abb. 13: Histogramme Medienverwendung Für die Sprachverwendung bei der Mediennutzung lässt sich alleinig die Sprachwahl beim Fernsehen als Prädiktor für den Bereich der monolingualen Sprachverwendung im intimen Register in das Modell integrieren. Der Faktor „Bücherlesen“ muss von der Analyse ausgeschlossen werden, da er erstens zu wenig Raum im Leben der Probanden einnimmt, zweitens zeigt sich bei den Studienteilnehmern zu wenig Variation in Bezug auf die Sprachwahl bei dieser Tätigkeit, da rund drei Viertel der Probanden Bücher hauptsächlich auf Deutsch lesen. Ähnliches lässt sich für das Surfen im Internet feststellen. Zwar wird das Internet als Medium ungleich häufiger verwendet, allerdings zeigt sich hier noch weniger Variation in den erhobenen Daten, da fast 80 % der Teilnehmer im Internet auf das Deutsche zurückgreifen. Folglich kann ausschließlich die Sprachverwendung beim Fernsehen zur Beantwortung der Hypothese (H2.5c) als dichotomer Prädiktor in das Regressionsmodell aufgenommen werden, da das Fernsehen als Medium von den Jugendlichen oft genutzt wird und auch die HL dabei Verwendung findet. Die Hypothesen (H2.5a) und (H2.5b) können aufgrund der Datenstruktur nicht weiter bearbeitet werden. 224 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Im monolingualen Sprachmodus und im formellen Register ist der Besuch von herkunftssprachlichem Unterricht anzusiedeln. Durchschnittlich erhielten die Teilnehmer der Studie 2,67 Jahre lang Unterricht in der HL. Die Werte der Skala sind jedoch nicht normalverteilt ( D (195) = 0,21, p < 0,001) und weisen eine extreme Rechtsschiefe auf: N = 81 Schülerinnen und Schüler (also 40,10 %) besuchten keinen herkunftssprachlichen Unterricht. Hierunter fallen alle Sprecher von Sprachen mit einem geringen Prestige und ohne schriftsprachlichen Ausbau wie Dendi, Edo, Lingala oder Twi. Aber auch Sprecher von Sprachen, für die in NRW ein ausgebautes Netz an herkunftssprachlichen Unterrichtsangeboten besteht, müssen an diesem nicht zwingend teilgenommen haben. So besuchten u. a. 18 Schülerinnen und Schüler mit der HL Türkisch, 10 mit Russisch und 7 mit Polnisch noch nie solch einen Unterricht. Von denjenigen, die am herkunftssprachlichen Unterricht teilnahmen, gaben N = 91 (75,21 %) an, dieser habe im schulischen Rahmen stattgefunden. 20 Schülerinnen und Schüler (16,53 %) erhielten solch einen Unterricht privat. Weitere sechs Studienteilnehmer (4,96 %) gaben an, in einer religiösen Einrichtung wie in einer Moschee oder einem Tempel herkunftssprachlichen Unterricht besucht zu haben. Aufgrund der nicht-normalen Verteilung muss die Besuchsdauer des herkunftssprachlichen Unterrichts zu einer dichotomen Variable mit den Ausprägungen „Teilnahme am HSU“ / „keine Teilnahme am HSU“ reduziert werden. Abb. 14: Teilnahmedauer am herkunftssprachlichen Unterricht 7.3 Deskriptive Analysen der außersprachlichen Faktoren 225 Den Gottesdienst besuchen 105 Probanden in ihrer HL und 39 auf Deutsch. Zur erstgenannten Gruppe zählen vorwiegend Jugendliche muslimischen ( N = 77) 58 und hinduistischen ( N = 12) Glaubens, die angaben, den Gottesdienst auf Türkisch bzw. Arabisch oder Tamilisch zu besuchen. In der zweitgenannten Gruppe lassen sich ebenfalls größtenteils muslimische Jugendliche ( N = 17), aber auch katholische ( N = 8), evangelische ( N = 5) und orthodoxe ( N = 5) auffinden, die am Gottesdienst auf Deutsch statt in ihrer HL Albanisch, Türkisch, Polnisch oder Russisch teilnehmen. Zusätzlich zur Sprache wurde auch hier die Häufigkeit der Gottesdienstbesuche erhoben. Diese wird unten getrennt nach dabei verwendeter Sprache in einem Histogramm dargestellt (vgl. Abbildung 15). N % auf Deutsch 39 19,31 auf Deutsch und in der HL 0 0,00 in der HL 105 51,98 k. A. 58 28,71 gesamt 202 100 Tab. 26: Sprachgebrauch beim Gottesdienstbesuch Es wird ersichtlich, dass Jugendliche, die die Möglichkeit haben, einen Gottesdienst in ihrer HL aufzusuchen, diese häufiger wahrnehmen ( M = 3,37, SD = 1,27) als Jugendliche, die den Gottesdienst auf Deutsch besuchen ( M = 1,90, SD- = 1,35). Der Unterschied ist statistisch signifikant ( t (139) = -6,046; p < 0,001; r = 0,46). Dies bedeutet, dass bei dem hier untersuchten Sample die Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs mit der dabei verwendeten Sprache zusammenhängt. Folglich wird sie als zweiter Prädiktor für den monolingualen Sprachgebrauch im formellen Kontext in das Regressionsmodell aufgenommen. 58 Unter diesen 77 Studienteilnehmern muslimischen Glaubens befinden sich 44 Sprecher, die angaben, den Gottesdienst in ihrer HL Türkisch zu besuchen. Dies ist insofern nicht überraschend, als bei muslimischem Gottesdienst das Gebet zwar vorwiegend auf Arabisch abgehalten wird, die Predigt selbst jedoch auch in anderen Sprachen der Gemeinde stattfinden kann. Es handelt sich bei dieser Angabe folglich nicht um ein Artefakt des Fragebogens, da dort zudem im offenen Format nach der beim Gottesdienst verwendeten Sprache gefragt wurde. Diese wurde anschließend mit der zu Beginn des Fragebogens von dem Studienteilnehmer angegebenen „Muttersprache“ abgeglichen. 226 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Abb. 15: Histogramme Häufigkeit der Gottesdienstbesuche nach verwendeter Sprache Im intimen Register und bei bilingualem Sprachmodus lässt sich die Sprachverwendung der Studienteilnehmer mit ihren Familienmitgliedern und Freunden ansiedeln. Die meisten Probanden sprechen mit ihren Eltern, sowohl mit der Mutter ( N = 97) als auch mit dem Vater ( N = 90), primär in ihrer HL. Ungefähr ein Drittel verwendet beide Sprachen gleich häufig ( N = 59 bzw. N = 65). Einige Schülerinnen und Schüler sprechen mit ihren Eltern ausschließlich auf Deutsch ( N = 43 mit der Mutter, N = 32 mit dem Vater). Mutter Vater N % N % auf Deutsch 43 21,29 32 15,84 auf Deutsch und in der HL 59 29,21 65 32,18 in der HL 97 48,02 90 44,55 k. A. 3 1,49 15 7,43 gesamt 202 100 202 100 Tab. 27: Sprachgebrauch mit der Mutter und mit dem Vater In Bezug auf den Sprachgebrauch mit den Geschwistern und den Freunden, also allgemeiner gefasst mit Gleichaltrigen, lässt sich feststellen, dass die meisten Probanden ( N = 109 bzw. 110) in dieser Konstellation hauptsächlich auf das Deutsche zurückgreifen. Im Gegensatz zur Sprachverwendung mit den Eltern benutzen nur wenige Studienteilnehmer ( N = 8 bzw. 2) mit ihren Geschwistern und Freunden ausschließlich die HL. Dies bestätigt die in Abschnitt 4.4.2 for- 7.3 Deskriptive Analysen der außersprachlichen Faktoren 227 mulierte Annahme, die Sprachwahl innerhalb der Familie unterscheide sich in Abhängigkeit von den an der Kommunikation beteiligten Generationen. Geschwister Freunde N % N % auf Deutsch 109 53,96 110 54,46 auf Deutsch und in der HL 71 35,15 80 39,60 in der HL 8 3,96 2 1,00 k. A. 14 6,93 10 4,95 gesamt 202 100 202 100 Tab. 28: Sprachgebrauch mit Geschwistern und Freunden Auch die Sprachwahl bei der Kommunikation mit den Großeltern lässt sich als erwartungskonform beschreiben. So verwendet der Großteil der Schülerinnen und Schüler mit ihnen hauptsächlich die HL ( N = 150 mit den Großeltern mütterlicherseits, N = 144 mit den Großeltern väterlicherseits). Großeltern mütterlicherseits Großeltern väterlicherseits N % N % auf Deutsch 15 7,43 8 3,96 auf Deutsch und in der HL 12 5,94 12 5,94 in der HL 150 74,26 144 71,29 k. A. 25 12,38 38 18,81 gesamt 202 100 202 100 Tab. 29: Sprachgebrauch mit den Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits Der Sprachgebrauch in der Familie kann also entlang der Generationen beschrieben werden: Während die HL noch mit den Großeltern als Verständigungsmittel dominiert, gewinnt die Mehrheitssprache Deutsch mit den Eltern an mehr Bedeutung. Mit Gleichaltrigen (Geschwistern und Freunden) hat schließlich das Deutsche die vorrangige Stellung (s. Abbildung 16). 228 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Abb. 16: Sprachgebrauch mit der Familie Der bilinguale Sprachgebrauch im intimen Register wird folglich ebenfalls unter Berücksichtigung der Generationen ins Regressionsmodell aufgenommen: Zum einen soll die verwendete Sprache unter Freunden und Geschwistern als dichotome Variable „Sprachverwendung mit Peers“ mit den Ausprägungen „hauptsächlich auf Deutsch“ und „auf Deutsch und in der HL“ einfließen (die Ausprägung „hauptsächlich in der HL“ entfällt aufgrund zu geringer Fallzahlen, s. Tabelle 28). Die Hypothesen (H2.3a) und (H2.3b) werden folglich als eine Hypothese analysiert. Zum anderen wird die Sprachverwendung mit den Eltern aufgenommen, jedoch wird hier eine neue Variable berechnet, bei der in vier Sprachgebrauchstypen differenziert wird: hauptsächlich Deutsch mit beiden Elternteilen ( N = 25), hauptsächlich in der HL mit beiden Elternteilen ( N = 92), sowohl auf Deutsch als auch in der HL mit beiden Elternteilen ( N = 39), mit einem Elternteil auf Deutsch, mit dem anderen in der HL ( N = 31), was dem OPOL-Typ entspricht. Die Sprachverwendung mit den Eltern geht als dummy-kodierte Variable mit der Referenzkategorie „hauptsächlich auf Deutsch“ in das Regressionsmodell ein. Der Sprachgebrauch mit den Großeltern beiderseits muss sowohl aus statistischen als auch aus theoretischen Gründen von der Regressionsanalyse ausgeschlossen werden, da hier zum einen die Datenausfälle recht hoch sind (s. Tabelle 29). Zum anderen wurde in dem Fragebogen nicht erhoben, ob die Großeltern in Deutschland wohnen und / oder ob zu ihnen häufiger Kontakt besteht. Dies unterscheidet auch aus theoretischer Sicht diese Personengruppe sowohl von der Kernfamilie als auch von den Freunden. Die Hypothese (H2.2b) kann nicht weiter bearbeitet werden. 7.3 Deskriptive Analysen der außersprachlichen Faktoren 229 7.3.3 Analyse der sozio-emotionalen Faktoren Der folgende Unterabschnitt beschreibt die Analyseergebnisse der sozio-emotionalen Faktoren „Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ sowie „nationale und ethnische Identität“. Zu den intervallskalierten Daten werden zunächst Skalenstatistiken vorgestellt. Anschließend erfolgt eine Reanalyse der Daten in Bezug auf ihre Aufnahme als Prädiktoren in das Regressionsmodell. Tabelle 30 stellt deskriptive Statistiken für die Items der Subskala „Kognitive Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ dar. Diese erreicht eine noch ausreichende interne Konsistenz von Cronbachs α = 0,68. M SD r 1. Wenn ich Deutsch und meine Muttersprache gut sprechen kann, hilft mir das später, einen guten Job zu bekommen. 3,49 1,23 0,47 2. Deutsch und seine Muttersprache zu sprechen hilft Menschen, im Job befördert zu werden. 2,99 1,19 0,56 3. Menschen können mehr Geld verdienen, wenn sie gut Deutsch und ihre Muttersprache sprechen. 3,19 1,17 0,46 Tab. 30: Skalenstatistik der Subskala „Kognitive Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ Cronbachs Alpha: 0,68 Mittelwert: 9,67 Standardabweichung: 2,80 Stichprobengröße: 189 Anzahl der Items: 3 M SD r 1. Es ist wichtig, dass ich Deutsch und meine Muttersprache gut sprechen kann. 4,59 0,74 0,56 2. Es ist wichtig, auf Deutsch und auf seiner Muttersprache lesen und schreiben zu können. 4,13 1,06 0,56 3. Alle Schüler sollten in der Schule in Deutsch und in ihrer Muttersprache unterrichtet werden. 3,25 1,45 0,45 4. Zwei Sprachen zu sprechen ist leicht. 4,06 1,08 0,40 5. Menschen, die nicht Deutsch und ihre Muttersprache sprechen können, tun mir leid. 3,42 1,32 0,29 230 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung 6. Schüler in Deutschland sollten auf Deutsch und in ihrer Muttersprache lesen und schreiben lernen. 3,93 1,15 0,61 7. Menschen können mehr, wenn sie Deutsch und ihre Muttersprache sprechen. 3,58 1,19 0,46 Tab. 31: Skalenstatistik der Subskala „Affektive Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ Cronbachs Alpha der korrigierten Skala: 0,75 Mittelwert der korrigierten Skala: 23,56 Standardabweichung der korrigierten Skala: 4,52 Stichprobengröße: 186 Anzahl der Items der korrigierten Skala: 6 Die Subskala „Affektive Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ (s. Tabelle 31) erreicht ebenfalls die erforderlichen Trennschärfen mit Ausnahme von Item 5 „Menschen, die nicht Deutsch und ihre Muttersprache sprechen können, tun mir leid“ ( r = 0,29). Dieses Item wurde aus der Subskala entfernt, sodass anschließend von einer ausreichenden internen Konsistenz dieser Subskala ausgegangen werden kann. Der Mittelwert für die kognitive Einstellung zur Mehrsprachigkeit ( M = 3,22, SD = 0,92) fällt bei den Teilnehmern der Studie signifikant niedriger aus als für die affektive Einstellung ( M = 3,92, SD = 0,75), t (179) = -12,074, p < 0,001, r = 0,67. Den theoretischen Prämissen lässt sich entnehmen, dass beide Subskalen unabhängig voneinander sein können, d. h., eine positive affektive Einstellung kann auch ohne eine positive kognitive Disposition auftreten (s. Abschnitt 4.5.1). Um dies zu überprüfen, wurde zunächst eine Korrelationsanalyse dieser beiden Subskalen durchgeführt. Der Korrelationswert nach Pearson beträgt r = 0,56 und ist signifikant auf einem Niveau von p < 0,001. Dies bedeutet, dass bei den in diesem Sample untersuchten Probanden die kognitive Einstellung zur Mehrsprachigkeit positiv mit der affektiven Einstellung zusammenhängt. Hierbei stellt sich also die Frage, ob die verwendeten Items tatsächlich zwei unterschiedliche latente Variablen maßen oder ob dem Variablenset ein einziges Konstrukt zugrunde liegt. Zu diesem Zweck wurde eine Hauptkomponentenanalyse mit orthogonaler Rotation (Varimax) der insgesamt 9 Items beider Skalen durchgeführt, die aufklären sollte, ob es sich inhaltlich um zwei unterschiedliche Subskalen handelt oder ob diese aufgrund der hohen Korrelationswerte zusammengefasst werden können. Eine erste Betrachtung wurde zur Erhebung der Eigenwerte für jede Komponente in den Daten durchgeführt. 59 Zwei Komponenten wiesen nach Kaiser 59 Das Kaiser-Meyer-Olkin-Maß bestätigte zunächst die Eignung der Samplegröße für die Hauptkomponentenanalyse, KMO = 0,83, was einen hervorragenden Wert darstellt (vgl. 7.3 Deskriptive Analysen der außersprachlichen Faktoren 231 Eigenwerte über 1 auf (vgl. Field 2009: 640) und erklärten insgesamt 52,24 % der Varianz. In Tabelle 32 sind die Faktorladungen nach der Rotation dargestellt. Komponente Einstellung zur Mehrsprachigkeit Kompetenz 1. Deutsch und seine Muttersprache zu sprechen hilft Menschen, im Job befördert zu werden. 0,79 2. Menschen können mehr Geld verdienen, wenn sie gut Deutsch und ihre Muttersprache sprechen. 0,65 3. Schüler in Deutschland sollten auf Deutsch und in ihrer Muttersprache lesen und schreiben lernen. 0,64 4. Menschen können mehr, wenn sie Deutsch und ihre Muttersprache sprechen. 0,62 5. Alle Schüler sollten in der Schule in Deutsch und in ihrer Muttersprache unterrichtet werden. 0,62 6. Wenn ich Deutsch und meine Muttersprache gut sprechen kann, hilft mir das später, einen guten Job zu bekommen. 0,57 7. Zwei Sprachen zu sprechen ist leicht. 0,81 8. Es ist wichtig, dass ich Deutsch und meine Muttersprache gut sprechen kann. 0,80 9. Es ist wichtig, auf Deutsch und auf seiner Muttersprache lesen und schreiben zu können. 0,47 0,60 Eigenwerte 3,66 1,04 % der aufgeklärten Varianz 40,71 11,53 α 0,77 0,67 Tab. 32: Ergebniszusammenfassung der Hauptkomponentenanalyse für die Einstellung zur Mehrsprachigkeit ( N = 180) Die Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse zeigen zwar auf, dass die Einzelitems auf zwei Komponenten laden, jedoch handelt es sich bei diesen Komponenten Field 2009: 659). Auch befinden sich alle KMO -Werte für die Einzelitems über der kritischen Grenze von < 0,77. Der Bartlett-Test auf Sphärizität ( χ 2 (36) = 425,676, p < 0,001) belegte ebenfalls, dass die Inter-Item-Korrelationswerte hoch genug für die Hauptkomponentenanalyse waren. 232 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung nicht um die theoriegeleitet angenommenen. Während die in Tabelle 32 dargestellten Items 1 bis 6 in der Tat Einstellung zur Mehrsprachigkeit reflektieren, laden auf der zweiten Komponente drei Items, die inhaltlich eher eine Wertung der Sprachkenntnisse beschreiben, so z. B. Item 7: „leicht“, Item 8 „wichtig“ und „gut“, Item 9 „wichtig“, wobei das letztgenannte Item auch auf der ersten Komponente lädt. Aus der Hauptkomponentenanalyse lassen sich folgende zwei Schlüsse ziehen: Zum einen messen die Items 7 bis 9 keine Einstellung zur Mehrsprachigkeit und sollten aus der jeweiligen Skala entfernt werden. Zum anderen ist es nicht gelungen, die Einstellung zur Mehrsprachigkeit getrennt nach den beiden Komponenten „affektiv“ und „kognitiv“ zu erheben, weshalb die Items 1 bis 6 aufgrund der hier erfolgten Analyse als eine Skala „Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ in das Regressionsmodell aufgenommen werden. Für die neu konstruierte Skala gelten folgende Werte: Cronbachs Alpha der neuen Skala: 0,77 Mittelwert der neuen Skala: 20,48 Standardabweichung der neuen Skala: 5,00 Stichprobengröße: 185 Anzahl der Items der neuen Skala: 6 Dies hat zur Folge, dass die Hypothesen (H3.1) und (H3.2) nicht getrennt ausgewertet werden können, sondern mittels der revidierten Skala als eine Hypothese bearbeitet werden müssen. Die Hypothesen werden umformuliert in: (H3.1&2) Die Einstellung zur Mehrsprachigkeit hängt mit der Sprachkompetenz des Sprechers in seiner HL zusammen. Je positiver die Einstellung ausfällt, desto höher ist die Sprachkompetenz des Sprechers in seiner HL. Die Subskala „Ethnische Identität“ erreicht angemessene Reliabilitätswerte von Cronbachs α = 0,86, was auf eine zuverlässige Messgenauigkeit dieser Skala schließen lässt. M SD r 1. Ich fühle mich wohl in der Kultur des Herkunftslandes meiner Eltern. 4,38 0,82 0,72 2. Ich fühle mich eng verbunden mit der Kultur meiner Eltern. 4,18 0,96 0,66 3. Die Kultur meiner Eltern hat den meisten positiven Einfluss auf mein Leben. 3,89 1,13 0,72 7.3 Deskriptive Analysen der außersprachlichen Faktoren 233 4. Ich bin stolz darauf, mich mit der Kultur meiner Eltern zu identifizieren. 4,37 0,86 0,73 5. Ich bin sehr stolz auf die Kultur meiner Eltern. 4,57 0,84 0,56 Tab. 33: Skalenstatistik der Subskala „Ethnische Identität“ Cronbachs Alpha: 0,86 Mittelwert: 21,39 Standardabweichung: 3,69 Stichprobengröße: 189 Anzahl der Items: 5 Die Überprüfung der Reliabilität der Unterskala „Nationale Identität“ ergab ein Cronbachs Alpha von α = 0,91, was den deskriptiven Statistiken in Tabelle 34 entnommen werden kann. M SD r 1. Die deutsche Kultur hat den meisten positiven Einfluss auf mein Leben. 2,93 1,26 0,74 2. Ich bin sehr stolz auf die deutsche Kultur. 3,02 1,22 0,84 3. Ich bin stolz, mich als Deutscher / Deutsche zu identifizieren. 3,03 1,29 0,80 4. Ich fühle mich eng verbunden mit der deutschen Kultur. 2,76 1,13 0,71 5. Ich fühle mich wohl in der deutschen Kultur. 3,41 1,23 0,64 6. Ich fühle mich als Deutscher / Deutsche. 2,51 1,30 0,72 Tab. 34: Skalenstatistik der Subskala „Nationale Identität“ Cronbachs Alpha: 0,91 Mittelwert: 17,67 Standardabweichung: 6,14 Stichprobengröße: 192 Anzahl der Items: 6 Da den theoretischen Vorannahmen entsprechend eine Unabhängigkeit der beiden Skalen „Nationale Identität“ und „Ethnische Identität“ angenommen wird (s. Abschnitt 4.5.2), wurde zunächst die Korrelation dieser beiden Skalen berechnet. Die Korrelationsanalyse nach Spearman ergab, dass beide Skalen 234 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung negativ miteinander korrelieren ( r = -0,22) mit einem Signifikanzwert von p < 0,01. Da dies den theoretischen Annahmen widerspricht, wurde zusätzlich eine Inter-Item-Korrelationsanalyse durchgeführt. Auf diese Weise konnten Item 3 der Subskala „Ethnische Identität“ („Die Kultur meiner Eltern hat den meisten positiven Einfluss auf mein Leben.“) und Item 6 der Subskala „Nationale Identität“ („Ich fühle mich als Deutsche / Deutscher.“) als diejenigen Elemente identifiziert werden, die die größten Korrelationseffekte mit der jeweils anderen Skala aufwiesen ( r = -0,25 bzw. r = -0,32). Diese wurden anschließend aus den jeweiligen Skalen entfernt, sodass für die Subskalen folgende korrigierte Werte gelten: Korrigierte Subskala „Ethnische Identität“: Cronbachs Alpha: 0,81 Mittelwert: 17,49 Standardabweichung: 2,80 Stichprobengröße: 191 Anzahl der Items: 4 Korrigierte Subskala „Nationale Identität“: Cronbachs Alpha: 0,89 Mittelwert: 15,14 Standardabweichung: 5,11 Stichprobengröße: 194 Anzahl der Items: 5 Dieses Vorgehen reduzierte den Korrelationswert der bereinigten Subskalen auf einen geringen signifikanten Effekt von r = -0,17 ( p < 0,05) und verringerte die Korrelationseffekte auf ein Minimum. Hierbei bleibt die ethnische Identität der Teilnehmer dieser Studie signifikant stärker ausgeprägt ( M = 4,29, SD = 0,73) als die nationale Identität ( M = 2,91, SD = 1,01), t (182) = 13,609, p < 0,001, r = 0,71. Beide korrigierten Skalen gehen als Prädiktoren in das Regressionsmodell ein. 7.4 Regressionsanalyse Insgesamt ließen sich zehn Prädiktoren als Einflussvariablen für Spracherhalt in der HL in den vorhergehenden Abschnitten herausarbeiten. Diese sind in Tabelle 35 nochmals zusammenfassend dargestellt und sollen in das Regressionsmodell eingehen. Als abhängige Variable wird zunächst die Gesamtskala „Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz“ in der HL verwendet, gefolgt von Analysen der drei nach Registern und Fertigkeiten getrennten Subskalen. 7.4 Regressionsanalyse 235 Abhängige Variable: Messniveau 1. Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz gesamt intervallskaliert 2. Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz im intimen Register: Verstehen & Sprechen intervallskaliert 3. Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz im intimen Register: Lesen & Schreiben intervallskaliert 4. Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz im formellen Register intervallskaliert Prädiktoren: Messniveau Sprachbiographische Faktoren Spracherwerbstyp dichotom Sprachgebrauchskontexte monolingual / intim Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern intervallskaliert Sprachverwendung beim Fernsehen dichotom monolingual / formell Häufigkeit der Gottesdienstbesuche intervallskaliert Besuch von Herkunftssprachenunterricht dichotom bilingual / intim Sprachverwendung mit Peers dichotom Sprachverwendung mit Eltern nominal (dummykodiert) Sozio-emotionale Faktoren Einstellung zur Mehrsprachigkeit intervallskaliert Identität ethnische Identität intervallskaliert nationale Identität intervallskaliert Tab. 35: Zusammenfassung aller Prädiktoren für das Regressionsmodell zu Spracherhalt der HL 236 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Als Eingabemethode für die Prädiktoren wurde stets ein schrittweises Vorwärts-Verfahren verwendet, das insbesondere zur explorativen Modellbildung empfohlen wird (vgl. Field 2009: 213). Es hat den Vorteil, dass es in einem ersten Schritt denjenigen Prädiktor bestimmt, der die abhängige Variable am besten vorhersagt. Im zweiten Schritt wird der Prädiktor bestimmt, der das in Schritt 1 aufgestellte Modell signifikant verbessert. Dieses Vorgehen wird so lange wiederholt, bis das Hinzufügen weiterer Prädiktoren das Modell nicht weiter signifikant verbessert. Der Nachteil dieses Vorgehens ist, dass durch ein schrittweises Einfügen der Prädiktoren in das Modell die Gefahr des sog. Suppressor-Effekts ansteigt. Dieser tritt auf, wenn Prädiktoren einen signifikanten Einfluss auf die abhängige Variable ausschließlich bei Konstanthalten einer anderen Variable ausüben (vgl. ebd.). Um den Einfluss dieses Effekts zu überprüfen, wurden die Regressionsanalysen wie empfohlen durch Aufteilen der Daten mit 80 % der Fälle kreuzvalidiert. Die Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse 60 mit der Gesamtskala „Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz“ sind in Tabelle 36 dargestellt. B SE B β t α Modell 1: R 2 = .17, p < 0,001 Einstellung zur Mehrsprachigkeit 0,41 0,08 0,41 4,98 0,000 Modell 2: ΔR 2 = .24, p < 0,001 Einstellung zur Mehrsprachigkeit 0,34 0,08 0,33 4,11 0,000 Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern 0,21 0,06 0,29 3,59 0,000 Modell 3: ΔR 2 = .28, p < 0,05 Einstellung zur Mehrsprachigkeit 0,31 0,08 0,31 3,85 0,000 60 Die Voraussetzungen für dieses Verfahren waren erfüllt: Die Samplegröße ist für die Anzahl der in das Modell einfließenden Prädiktoren angemessen (empfohlene Samplegröße mind. N = 114; vgl. Green 1991, zitiert nach Field 2009: 222). Der lineare Zusammenhang der abhängigen Variable mit den Prädiktoren konnte theoretisch hergeleitet werden. Ferner liegt keine perfekte Multikollinearität zwischen den Prädiktoren vor ( VIF ≤ 1,13). Die Varianz der Residuen ist konstant, was auf Homoskedastizität schließen lässt (augenscheinlich durch die Abbildung standardisierter Residuen über den standardisierten vorhergesagten Residuen sowie durch ein Histogramm und Wahrscheinlichkeitsnetz der Residuen bestätigt). Auch liegt keine Autokorrelation vor, da die Residuen im Modell unabhängig sind (Durbin-Watson-Statistik 2,16; vgl. ebd.). 7.4 Regressionsanalyse 237 Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern 0,20 0,06 0,28 3,58 0,000 Sprachverwendung mit Eltern HL & DE mit beiden 0,39 0,16 0,20 2,52 0,013 Modell 4: ΔR 2 = .31, p < 0,05 Einstellung zur Mehrsprachigkeit 0,28 0,08 0,27 3,43 0,001 Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern 0,22 0,06 0,31 3,90 0,000 Sprachverwendung mit Eltern HL & DE mit beiden 0,38 0,15 0,19 2,46 0,015 Häufigkeit der Gottesdienstbesuche 0,10 0,04 0,17 2,22 0,028 R 2korr = .16 für Modell 1, ΔR 2korr = .23 für Modell 2, ΔR 2korr = .26 für Modell 3, ΔR 2korr = .29 für Modell 4 Tab. 36: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse für die Gesamtskala „Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz“ Die Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse lassen sich auf folgende Weise verbalisieren: In dem ersten Modell wird ausschließlich der sozio-emotionale Faktor „Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ ( β = 0,41, p < 0,001) als stärkster Prädiktor für die Selbsteinschätzung der allgemeinen Sprachkompetenz in der HL einbezogen. Dieses Modell erweist sich als höchst signifikant ( p < 0,001). Der Prädiktor erklärt bereits 17 % der Varianz ( R 2 = .17) in den Daten der abhängigen Variable, was nach Cohen (1992) eine mittlere Effektstärke für ein Regressionsmodell darstellt. Erweitert man Modell 1 um die Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern ( β = 0,29, p < 0,001), so wird die Vorhersagekraft des Modells signifikant ( p < 0,001) auf ∆R 2 = .24 erhöht. Durch den monolingualen Sprachgebrauch im intimen Register können also zusätzliche 7 % der Varianz in den Daten aufgeklärt werden. Das Modell 3 beinhaltet einen zusätzlichen Prädiktor, der inhaltlich dem bilingualen Sprachgebrauch im intimen Register zuzurechnen ist. Die Vorhersagekraft des Regressionsmodells wird durch diese Erweiterung ebenfalls signifikant ( p < 0,05) auf ∆R 2 = .28 erhöht, was bereits eine hohe Effektstärke des Regressionsmodells darstellt (vgl. Cohen 1992). Somit können durch die bilinguale Sprachverwendung im intimen Register zusätzliche 4 % der Varianz aufgeklärt werden. Hier erwies sich die Sprachverwendung beider Sprachen - sowohl des Deutschen als auch der HL - mit beiden Elternteilen 238 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung mit einer geringen Effektstärke als signifikant ( β = 0,20, p < 0,05). Im vierten Modell wird schließlich ein Prädiktor des monolingualen Sprachgebrauchs im formellen Register hinzugenommen, was seine Vorhersagekraft auf weitere ∆R 2 = .31 ( p < 0,05) erhöht. Die Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs in der HL trägt mit β = 0,15 ( p < 0,05) mit einem geringen Effekt zum Regressionsmodell bei. Die oben beschriebenen Werte gelten ausschließlich für die hier erhobene Stichprobe. Jedoch ist für die Fragestellung dieser Arbeit auch von Interesse, ob das Regressionsmodell auf die Gesamtpopulation übertragen werden kann. Hierzu wird das Maß des korrigierten R 2 für jedes Modell berechnet: Es beträgt für das vierte Modell zur Vorhersage der Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz ∆R 2 korr = .29. Bei einem ∆R 2 von .31 für dasselbe Modell bedeutet dies, dass lediglich 2 % der Varianz in den Daten allein der Stichprobe zuzuschreiben und nicht zu generalisieren sind. 29 % der Varianz in der abhängigen Variable können hingegen auch übertragen auf die Gesamtpopulation durch das Modell vorhergesagt werden. Aufschlussreich ist hier ebenfalls eine Analyse des oben aufgestellten Regressionsmodells mit den in Abschnitt 7.2 extrapolierten Subskalen der Sprachkompetenz. Zunächst wird die Subskala „Sprachkompetenz im intimen Register: Verstehen & Sprechen“ betrachtet. 61 B SE B β t α Modell 1: R 2 = .09, p < 0,001 Ethnische Identität 0,31 0,04 0,31 3,65 0,000 Modell 2: ΔR 2 = .14, p < 0,01 Ethnische Identität 0,28 0,08 0,28 3,34 0,001 Sprachverwendung mit Peers 0,28 0,10 0,22 2,68 0,008 Modell 3: ΔR 2 = .18, p < 0,05 Ethnische Identität 0,25 0,08 0,25 3,07 0,003 Sprachverwendung mit Peers 0,28 0,10 0,22 2,72 0,007 Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern 0,10 0,04 0,19 2,37 0,020 R 2korr = .09 für Modell 1, ΔR 2korr = .13 für Modell 2, ΔR 2korr = .16 für Modell 3 Tab. 37: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse für die Subskala „Sprachkompetenz im intimen Register: Verstehen & Sprechen“ 61 Die Voraussetzungen für eine multiple Regressionsanalyse waren erfüllt: linearer Zusammenhang, keine Multikollinearität ( VIF ≤ 1,04), Homoskedastizität sowie keine Autokorrelation (Durbin-Watson-Statistik 2,02). 7.4 Regressionsanalyse 239 Die Sprachkompetenz im intimen Register unter Einbezug der Fertigkeiten Verstehen und Sprechen lässt sich im ersten Modell durch den Prädiktor „ethnische Identität“ am stärksten voraussagen ( β = 0,31, p < 0,001). Das Regressionsmodell selbst erreicht hingegen nur eine geringe Effektstärke ( R 2 = .09, p < 0,001). Im zweiten Modell wird als Prädiktor der Sprachgebrauch mit Gleichaltrigen ( β = 0,22, p < 0,01) hinzugenommen, was die Vorhersagekraft des Regressionsmodells auf ∆R 2 = .14 signifikant ( p < 0,01) erhöht. Die Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern ( β = 0,19, p < 0,05) verbessert das Modell auf weitere ∆R 2 = .18 ( p < 0,05). Von diesen 18 % der aufgeklärten Varianz lassen sich ausschließlich 2 % nicht auf die Gesamtpopulation übertragen ( ∆R 2 korr = .16 für das dritte Modell). Die Korrelationskoeffizienten der multiplen Regressionsanalyse 62 für die Sprachkompetenz im intimen Register und die Fertigkeiten Lesen und Schreiben können Tabelle 38 entnommen werden. B SE B β t α Modell 1: R 2 = .19, p < 0,001 Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern 0,44 0,08 0,44 5,59 0,000 Modell 2: ΔR 2 = .27, p < 0,001 Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern 0,36 0,08 0,36 4,62 0,000 Einstellung zur Mehrsprachigkeit 0,42 0,11 0,29 3,71 0,000 R 2korr = .19 für Modell 1, ΔR 2korr = .26 für Modell 2 Tab. 38: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse für die Subskala „Sprachkompetenz im intimen Register: Lesen & Schreiben“ Für diese Subskala wird in einem ersten Schritt die Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern als der stärkste Prädiktor berechnet ( β = 0,44, p < 0,001). Dieses Modell erreicht bereits eine mittlere Effektstärke von R 2 = .19 ( p < 0,001). In einem zweiten Schritt wird dem Modell der sozio-emotionale Faktor „Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ als Prädiktor hinzugefügt ( β = 0,29, p < 0,001), der die Modellgüte auf ∆R 2 = .27 erhöht ( p < 0,001). Dieser Wert unterscheidet sich nur geringfügig von dem korrigierten R 2 ( ∆R 2 korr = .26 für Modell 2), das die Generalisierbarkeit dieses Modells für die Gesamtpopulation beschreibt. 62 Die Voraussetzungen für eine multiple Regressionsanalyse waren auch hier erfüllt: linearer Zusammenhang, keine Multikollinearität ( VIF ≤ 1,08), Homoskedastizität und keine Autokorrelation (Durbin-Watson-Statistik 2,10). 240 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung B SE B β t α Modell 1: R 2 = .13, p < 0,001 Einstellung zur Mehrsprachigkeit 0,46 0,11 0,36 4,37 0,000 Modell 2: ΔR 2 = .19, p < 0,01 Einstellung zur Mehrsprachigkeit 0,38 0,11 0,29 3,56 0,001 Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern 0,24 0,08 0,26 3,14 0,002 Modell 3: ΔR 2 = .24, p < 0,01 Einstellung zur Mehrsprachigkeit 0,35 0,10 0,27 3,40 0,001 Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern 0,23 0,07 0,25 3,08 0,003 Sprachverwendung mit Eltern HL & DE mit beiden 0,60 0,20 0,23 2,99 0,003 Modell 4: ΔR 2 = .29, p < 0,01 Einstellung zur Mehrsprachigkeit 0,30 0,10 0,23 2,90 0,004 Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern 0,26 0,07 0,28 3,57 0,001 Sprachverwendung mit Eltern HL & DE mit beiden 0,58 0,20 0,22 2,96 0,004 Häufigkeit der Gottesdienstbesuche 0,16 0,06 0,21 2,78 0,006 R 2korr = .12 für Modell 1, ΔR 2korr = .18 für Modell 2, ΔR 2korr = .23 für Modell 3, ΔR 2korr = .26 für Modell 4 Tab. 39: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse für die Subskala „Sprachkompetenz im formellen Register“ Für die Subskala „Sprachkompetenz im formellen Register“ 63 wurde in Modell 1 zunächst der sozio-emotionale Faktor „Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ ( β = 63 Die Voraussetzungen für eine multiple Regressionsanalyse waren erfüllt: linearer Zusammenhang, keine Multikollinearität ( VIF ≤ 1,17), Homoskedastizität und keine Autokorrelation (Durbin-Watson-Statistik 1,73). 7.5 Hypothesenüberprüfung 241 0,36, p < 0,001) als der stärkste Prädiktor in das Regressionsmodell aufgenommen. Mit ausschließlich diesem Prädiktor erreichte das Modell jedoch nur eine geringe Effektstärke von R 2 = .13 ( p < 0,001). Im nächsten Schritt wurde dem Modell ein Prädiktor des monolingualen Sprachgebrauchs im intimen Register hinzugefügt. Die Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern ( β = 0,26, p < 0,01) verbessert das Modell signifikant auf ∆R 2 = .19 ( p < 0,01). Die Sprachverwendung beider Sprachen mit den Eltern ( β = 0,23, p < 0,01) lässt die Vorhersagekraft des dritten Modells zusätzlich signifikant auf ∆R 2 = .24 ( p < 0,01) ansteigen. Im vierten Modell schließlich wird ein Prädiktor des monolingualen Sprachgebrauchs im formellen Register hinzugefügt. Die Häufigkeit der Gottesdienstbesuche ( β = 0,21, p < 0,01) trägt ebenfalls in signifikantem Maße ( p < 0,01) zur Modellgüteverbesserung bei und erhöht seine Effektstärke auf ein hohes Niveau ( ∆R 2 = .29). Für die Subskala „Sprachkompetenz im formellen Register“ lassen sich mittels der Prädiktoren im vierten Modell 26 % der Varianz ( ∆R 2 korr = .26) übertragen auf die Gesamtpopulation aufklären bei 3 %, die der Varianz im Sample geschuldet sind. 7.5 Hypothesenüberprüfung Im Folgenden werden ausschließlich solche Hypothesen auf ihre Richtigkeit geprüft, deren Verifizierung durch die Datenlage zulässig ist. Hypothesen, die aufgrund zu geringer Variation in der Datenstruktur nicht überprüft werden können, werden aus der Betrachtung ausgeschlossen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Unterhypothesen durch die Studienergebnisse nur bedingt bestätigt werden können. So erweisen sich die meisten Prädiktoren nicht durchgängig für alle Subskalen als signifikant. Vielmehr zeigte die vorgenommene Differenzierung in Register und Fertigkeiten, dass die untersuchten Faktoren ausschließlich für bestimmte Subskalen eine Vorhersagekraft in Bezug auf die Sprachkompetenz in der HL aufzeigten: (H1.1) Verworfen: Die Hypothese, der Spracherwerbstyp simultan vs. sukzessiv beeinflusse die Sprachkompetenz in der HL, muss verworfen werden. In keinem der aufgestellten Modelle erwies sich der Faktor „Spracherwerbstyp“ als signifikant. (H2.1) Bestätigt: Die Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern des Sprechers wirkt sich auf seine Sprachkompetenz in der HL aus. Hierbei gilt, dass eine steigende Häufigkeit der Aufenthalte mit einer höheren Sprachkom- 242 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung petenz in der HL einhergeht. Diese Hypothese wird uneingeschränkt für alle aufgestellten Modelle bestätigt. (H2.2a) Bedingt bestätigt: Der Sprachgebrauch mit den Eltern eines Sprechers hängt mit seiner Sprachkompetenz in der HL zusammen. Dieser Faktor erwies sich allerdings ausschließlich bei der Analyse der Subskala „Formelles Register“ als signifikant. Zusätzlich muss einschränkend betont werden, dass nicht wie eingangs angenommen die primäre Verwendung der HL mit beiden Elternteilen sich positiv auf die Sprachkompetenz in der HL im formellen Register auswirkt, sondern die Benutzung sowohl des Deutschen als auch der HL mit beiden. (H2.3) Bedingt bestätigt: Der Gebrauch der HL mit Gleichaltrigen hat einen positiven Effekt auf die Sprachkompetenz eines Sprechers in der HL. Allerdings kann diese Hypothese ausschließlich für das Modell der Sprachkompetenz im intimen Register und die Fertigkeiten Verstehen und Sprechen verifiziert werden. Weder für die Fertigkeiten Lesen und Schreiben im intimen Register noch im formellen Register erwies sich dieser Faktor als signifikant. (H2.4) Verworfen: Der Besuch des herkunftssprachlichen Unterrichts erwies sich entgegen den Annahmen für keines der aufgestellten Modelle als signifikanter Prädiktor für die Kompetenz des Sprechers in seiner HL. (H2.5c) Verworfen: Die Sprachwahl beim Fernsehen zeigte in keinem Modell einen Effekt auf die Sprachkompetenz in der HL eines Sprechers. (H2.6) Bedingt bestätigt: Erfolgt der Gottesdienstbesuch häufig in der HL des Sprechers, so hat dies einen positiven Effekt auf seine Sprachkompetenz. Diese Tatsache gilt allerdings ausschließlich für das formelle Sprachregister. (H3.1&2) Bedingt bestätigt: Die Einstellung zur Mehrsprachigkeit hängt mit der Sprachkompetenz des Sprechers in seiner HL zusammen. Je positiver die Einstellung ausfällt, desto höher ist der Wert für die Sprachkompetenz des Sprechers in seiner HL auf den Subskalen „Intimes Register: Lesen & Schreiben“ und „Formelles Register“. Für die Skala „Intimes Register: Verstehen & Sprechen“ hatte dieser Faktor keine Relevanz. (H3.3) Bedingt bestätigt: Die ethnische Identität des Sprechers hat einen Effekt auf seine Sprachkompetenz in der HL, dies gilt allerdings ausschließlich im intimen Register bezogen auf die Teilfertigkeiten Verstehen und Sprechen. Je 7.5 Hypothesenüberprüfung 243 stärker die ethnische Identität eines Sprechers ausgeprägt ist, desto höher ist die Sprachkompetenz in seiner HL gemessen auf dieser Subskala. (H3.4) Verworfen: Die nationale Identität eines Sprechers hängt nicht mit seiner Sprachkompetenz in der HL zusammen. Dieser Zusammenhang ließ sich durch keines der aufgestellten Modelle nachweisen. Die Überprüfung der Haupthypothesen ergab eine weitestgehende Bestätigung der zuvor getätigten Annahmen. Ausschließlich die Haupthypothese (H1) muss vollständig verworfen werden. (H1) Verworfen: Sprachbiographische Faktoren wirken sich nicht auf die Sprachkompetenz der Sprecher in ihrer HL aus. Da die Faktoren „Sprachkonstellation in der Familie“ und „Geschwisterrangfolge“ aufgrund zu geringer Varianz in den Daten nicht in das Modell einfließen konnten, wurde zur Überprüfung dieser Haupthypothese ausschließlich der Spracherwerbstyp als Prädiktor für sprachbiographische Faktoren in das Modell aufgenommen. Dieser erwies sich als nicht signifikant. (H2) Bestätigt: Sprachgebrauchskontexte wirken sich auf die Sprachkompetenz der Sprecher in ihrer HL aus. Als relevante Prädiktoren sind hier die Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern, die Verwendung sowohl des Deutschen als auch der HL mit beiden Elternteilen sowie die Häufigkeit der Gottesdienstbesuche in der HL in das Modell eingeflossen. Als nicht signifikante Faktoren erwiesen sich der Sprachgebrauch beim Fernsehen und der Besuch des Herkunftssprachenunterrichts. Der Faktor „Sprachgebrauch mit Peers“ wurde ausschließlich bei der Subskala „Intimes Register: Lesen & Schreiben“ signifikant, jedoch nicht im Gesamtmodell. (H3) Bestätigt: Sozio-emotionale Faktoren wirken sich auf die Sprachkompetenz der Sprecher in ihrer HL aus. Die Einstellung zur Mehrsprachigkeit erwies sich als der einzige sozio-emotionale Prädiktor, der sich positiv auf die Sprachkompetenz eines Sprechers in der HL auswirkt. Die ethnische Identität des Sprechers wurde im Gesamtmodell nicht signifikant. Allein für die Subskala der Sprachkompetenz im intimen Register für die Fertigkeiten Verstehen und Sprechen zeigte sich eine Voraussagekraft dieses Faktors. Die nationale Identität des Sprechers hingegen stellte sich für keines der aufgestellten Modelle als ein signifikanter Prädiktor heraus. 244 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung (H4) Bestätigt: Sprachgebrauchskontexte und sozio-emotionale Faktoren üben einen größeren Einfluss auf die Sprachkompetenz in der HL aus als sprachbiographische Faktoren. Da die Hypothese (H1) abzulehnen ist, erwiesen sich ausschließlich Sprachgebrauchskontexte und sozio-emotionale Faktoren als Merkmale, die die Sprachkompetenz der Probanden in ihrer HL voraussagen können. (H5) Verworfen: Nicht die Sprachgebrauchskontexte, sondern sozio-emotionale Faktoren üben einen größeren Einfluss auf die Sprachkompetenz in der HL aus. Die Analyse zeigt, dass die Einstellung zur Mehrsprachigkeit als sozio-emotionaler Faktor den größten Einfluss auf die Sprachkompetenz der Probanden hat. 7.6 Zusammenfassung Für das Gesamtmodell lassen sich die Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse folgendermaßen zusammenfassen: Die Sprachkompetenz in der HL wird in signifikantem Maße durch die Einstellung zur Mehrsprachigkeit beeinflusst gefolgt von Reisen ins Herkunftsland der Eltern und dem Gebrauch sowohl des Deutschen als auch der HL mit beiden Elternteilen. Die Häufigkeit der Gottesdienstbesuche hat einen geringen Einfluss auf die Sprachkompetenz in diesem Modell. Die Betrachtung der Subskalen zur Sprachkompetenzselbsteinschätzung offenbart ein differenzierteres Bild auf die relevanten Einflussfaktoren. So weist zwar für die Subskala „Intimes Register: Verstehen & Sprechen“ ebenfalls ein sozio-emotionaler Prädiktor die höchste Voraussagekraft auf, jedoch handelt es sich hier um die ethnische Identität der Probanden. Weitere relevante Prädiktoren in diesem Modell waren die Sprachverwendung mit den Peers sowie die Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern. Das Modell für die Subskala „Intimes Register: Lesen & Schreiben“ beinhaltet lediglich zwei Prädiktoren: die Reisen ins Herkunftsland der Eltern sowie die Einstellung zur Mehrsprachigkeit. Die Ergebnisse für die Gesamtskala spiegeln sich schließlich in dem Modell für die Subskala „Formelles Register“ wider. Die in dieses Modell einfließenden Prädiktoren sind exakt dieselben wie die für die Gesamtskala errechneten. Somit sind folgende Faktoren keine Prädiktoren für die Sprachkompetenz in der HL: nationale Identität, Mediengebrauch (hier: Fernsehen), Teilnahme am herkunftssprachlichen Unterricht und Spracherwerbstyp. Die Effektstärken aller Modelle befinden sich auf hohem Niveau mit Ausnahme des Modells für die Sprachkompetenz im intimen Register für die Fertigkeiten Verstehen und Sprechen, das eine mittlere Effektstärke erreicht. Zusätzlich kann von einer verlässlichen Generalisierbarkeit aller Modellergebnisse aus- 7.7 Exkurs: Deskriptive Analysen für die türkischsprachige Gruppe 245 gegangen werden, da die hierdurch erklärten Varianzanteile sich im Schnitt um lediglich 2 % von den korrigierten Varianzanteilen unterscheiden. 7.7 Exkurs: Deskriptive Analysen für die türkischsprachige Gruppe Eine Analyse nach Herkunftsgruppen war im ursprünglichen Design der Studie nicht vorgesehen und ist aufgrund der geringen Fallzahlen der unterschiedlichen Gruppen (s. Tabelle 13) nur bedingt aussagekräftig. Dennoch sollen an dieser Stelle als Exkurs deskriptive Analysen für die türkischsprachige Gruppe als die im Sample am häufigsten vertretene Gruppe erfolgen. Diese besteht aus 74 Schülerinnen und Schülern, die sich durch folgende demographische Merkmale kennzeichnen: 72 von ihnen sind in Deutschland geboren, 2 sind im Alter von drei Jahren bzw. einem Jahr aus der Türkei nach Deutschland eingewandert. In 46 Familien sind beide Elternteile aus der Türkei eingewandert. Hierbei wurde in zwei Fällen von den Studienteilnehmern Kurdisch als zweite Erstsprache und in jeweils einem Fall Arabisch und Aseri angegeben. Es ist anzunehmen, dass es sich bei diesen Studienteilnehmern um Minderheitensprecher der jeweiligen Sprachen in der Türkei handelt. In 19 Fällen ist nur ein Elternteil zugewandert, während der andere Elternteil bereits selbst zur zweiten Migrantengeneration aus der Türkei gehört. Eine Familie stammt aus Griechenland, die Schülerin gab jedoch als ihre Erstsprache und als die Erstsprache ihrer Eltern das Türkische an. Es lässt sich davon ausgehen, dass diese Familie zu der türkischsprachigen Minderheit im griechischen Westthrakien gehört. In zwei Familien sind beide Elternteile aus unterschiedlichen Ländern eingewandert: die Mutter aus Syrien bzw. aus dem Libanon, der Vater aus der Türkei. In vier Fällen wachsen die Probanden in Familien mit nur einem aus der Türkei zugewanderten Elternteil auf, während der andere Elternteil zur autochthonen Mehrheit gehört (in drei Fällen die Mutter, in einem Falle der Vater). Für die im Folgenden durchgeführten Mittelwertvergleiche bzw. Verteilungstests bei kategorialen Variablen 64 wurde untersucht, durch welche Merkmale sich die türkischsprachige Gruppe ( N = 74) von der nicht türkischsprachigen ( N = 128) im Sample unterscheidet. Es werden ausschließlich die in Tabelle 35 beschriebenen Prädiktoren sowie die Skalen zur Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz betrachtet. 64 Die Samplegröße erreichte nicht den für eine multiple Regressionsanalyse benötigten Mindestumfang. 246 7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung In Bezug auf die allgemeine Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz bewertet die türkischsprachige Gruppe ihre HL-Kenntnisse signifikant besser als die Gesamtgruppe ( M = 4,02, SD = 0,75 vs. M = 3,60, SD = 0,96, t (157,418) = -3,260, p < 0,01, r = 0,25). Betrachtet man hier die einzelnen Subskalen, so lässt sich feststellen, dass die bessere Selbsteinschätzung sich ausschließlich auf die Subskalen „Intimes Register: Lesen & Schreiben“ ( M = 4,31, SD = 0,78 vs. M = 3,56, SD = 1,33, t (186,214) = -4,888, p < 0,001, r = 0,34) und „Formelles Register“ ( M = 3,44, SD = 0,98 vs. M = 2,87, SD = 1,22, t (167,368) = -3,477, p < 0,01, r = 0,26) bezieht, also Subskalen, die zumindest eine basale Alphabetisierung voraussetzen. Dass der Unterschied in den Gruppen durch den Zugang zur Schrift generiert wird, beweist auch ein gepaarter Mittelwertvergleich der türkischsprachigen Gruppe für die beiden im intimen Register angelegten Subskalen: Die Teilnehmer aus der türkischsprachigen Gruppe schneiden auf beiden Skalen gleich ab ( M = 4,39, SD = 0,66 für „Verstehen & Sprechen“, M = 4,35, SD = 0,74 für „Lesen & Schreiben“, t (62) = 0,662, p = 0,511 ( n. s. )). In Bezug auf die Subskala „Intimes Register: Verstehen & Sprechen“ lassen sich keine signifikanten Unterschiede zu der Gruppe der Nicht-Türkischsprachigen ermitteln ( M = 4,41, SD = 0,64 vs. M = 4,34, SD = 0,70, t (185) = -0,655, p = 0,514 ( n. s. )). Betrachtet man die Gruppenunterschiede im Bereich der sozio-emotionalen Faktoren, so wird allein eine positive Einstellung zur Mehrsprachigkeit bei den türkischsprachigen Studienteilnehmern als signifikant höher ausgeprägt erfasst ( M = 3,72, SD = 0,68 vs. M = 3,23, SD = 0,86, t (160,687) = -4,193, p < 0,001, r = 0,31). Die nationale Identität ist bei der türkischsprachigen Gruppe zwar geringer ausgeprägt, jedoch ist dieses Ergebnis nicht signifikant ( M = 2,88, SD = 1,01 vs. M = 3,12, SD = 1,03; t (192) = 1,558, p = 0,121 ( n. s. )). Auch lassen sich keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf die ethnische Identität bei dieser Gruppe festmachen ( M = 4,51, SD = 0,54 vs. M = 4,35, SD = 0,68, t (186) = -1,704, p = 0,090 ( n. s. )). Bezüglich des monolingualen Sprachgebrauchs im intimen Register lässt sich hingegen ein signifikantes Merkmal der türkischsprachigen Gruppe ermitteln: Reisen ins Herkunftsland der Eltern fallen hier wesentlich häufiger an ( M = 3,46, SD = 0,82 vs. M = 2,72, SD = 1,34, t (195,056) = -4,785, p < 0,001, r = 0,32). Es gibt hingegen keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der türkischsprachigen Gruppe und dem Fernsehkonsum in der HL ( χ 2 (1) = 2,80, p = 0,10 ( n. s. )) 65 . Im Bereich der monolingualen Sprachverwendung im formellen Register besuchen türkischsprachige Studienteilnehmer zwar gleich häufig einen Gottes- 65 Der hier durchgeführte Chi-Quadrat-Test ist ein Verteilungstest, der zur Bestimmung eines Zusammenhangs zwischen zwei kategorialen Variablen verwendet wird (vgl. Field 2009: 688). 7.7 Exkurs: Deskriptive Analysen für die türkischsprachige Gruppe 247 dienst in ihrer HL wie andere Gruppen ( M = 2,63, SD = 1,53 vs. M = 2,70, SD = 1,50, t (191) = 0,315, p = 0,753 ( n. s. )), es ist jedoch eine signifikante Beziehung zwischen der türkischsprachigen Gruppe und dem Besuch von Herkunftssprachenunterricht zu verzeichnen ( χ 2 (1) = 11,22, p < 0,01). Dies bedeutet, dass basierend auf dem Kreuzproduktverhältnis die Wahrscheinlichkeit, bei der HL Türkisch herkunftssprachlichen Unterricht zu besuchen, 2,91 Mal höher ist als bei einer anderen HL. In Bezug auf die bilinguale Sprachverwendung im intimen Register lässt sich weder ein Zusammenhang zwischen den türkischsprachigen Probanden und der Sprachverwendung mit ihren Eltern ( χ 2 (3) = 6,82, p = 0,08 ( n. s. )) noch mit ihren Geschwistern und Freunden ausmachen ( χ 2 (1) = 3,43, p = 0,08 ( n. s. )). Ferner lässt sich keine signifikante Beziehung zwischen der türkischsprachigen Gruppe und dem Spracherwerbstyp nachzeichnen ( χ 2 (1) = 0,18, p = 0,77 ( n. s. )). Zusammenfassend lässt sich für die türkischsprachige Gruppe feststellen, dass sie sich durch eine höhere Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz auszeichnet. Bricht man diese Skala auf ihre Subskalen herunter, so wird deutlich, dass dieser Unterschied sich in der Alphabetisierung dieser Gruppe in ihrer HL manifestiert, was anhand ihres besseren Abschneidens bei den Subskalen „Intimes Register: Lesen & Schreiben“ sowie „Formelles Register“ sichtbar wird. Weitere signifikante Merkmale dieser Gruppe stellen eine positivere Einstellung zur Mehrsprachigkeit, häufigere Reisen ins Herkunftsland der Eltern sowie eine größere Wahrscheinlichkeit, herkunftssprachlichen Unterricht zu besuchen, dar. 8 Diskussion 8.1 Diskussion der Ergebnisse 8.1.1 Relevanz der Einzelfaktoren für die drei Teilmodelle zum Erhalt der Heritage Language Der folgende Abschnitt widmet sich der Interpretation der in Abschnitt 7.4 festgestellten Ergebnisse der drei nach Registern und Fertigkeiten differenzierten Teilmodelle und beschäftigt sich mit der Frage, welche Schlussfolgerungen die einzelnen Prädiktoren jeweils über Spracherhaltprozesse in diesen Teilmodellen zulassen. In dem Teilmodell „Intimes Register: Verstehen & Sprechen“ wies der Faktor „ethnische Identität“ die größte Vorhersagekraft für die selbsteingeschätzte Sprachkompetenz der Probanden auf gefolgt von der Verwendung der HL mit Peers sowie von Reisen ins Herkunftsland der Eltern. Während die Reisen als einziger Faktor in allen drei Teilmodellen auftraten, sagten ethnische Identität und HL-Gebrauch mit Peers die HL-Sprachkompetenz ausschließlich in diesem Teilmodell voraus, d. h., sie sind konstitutive Prädiktoren der Sprachkompetenz für diese Teilskala. Insbesondere in Bezug auf die ethnische Identität ist dieses Ergebnis durchaus diskussionsbedürftig, da einerseits mehrere Studien zum Erhalt autochthoner wie allochthoner Minderheitensprachen keine unmittelbare Verbindung zwischen ethnischer Identität und Sprache ausmachen konnten (vgl. Fought 2006; Rampton 1995; Williams 2010). Andererseits wird Sprache jedoch insbesondere in der Psychologie als eine Komponente von ethnisch geprägtem Verhalten angesehen und als der entscheidende Maßstab zur Erfassung ethnischer Identität herangezogen (vgl. Phinney & Ong 2007). So äußere sich eine besonders stark entwickelte ethnische Identität eines Individuums in entsprechendem Verhalten wie einem häufigen Gebrauch der Minderheitensprache bzw. einer ausgebauten Kompetenz in dieser (vgl. Maehler 2012). Die ausgeprägte ethnische Identität der Probanden in dieser Studie ist sicherlich mit ihrem Alter zu begründen. Denn gerade die Phase der Adoleszenz ist für die Auseinandersetzung mit diesem Konzept und für seine erstmalige Entwicklung ausschlaggebend (vgl. Phinney 1989; 1990). Ein Grund hierfür ist der in der Pubertät stattfindende doppelte Umbruch (s. Abschnitt 5.4.2): Zum einen distanzieren sich Jugendliche von ihrer primären Sozialisationsinstanz, der Kernfamilie, und wenden sich stärker der Außenwelt und somit ihren Gleichaltrigen 250 8 Diskussion zu (vgl. Günther 2009; King & Koller 2009). Zum anderen setzen sie sich in diesem Alter zum ersten Mal bewusst mit ihrer Positionierung in der Gesellschaft auseinander und widmen sich der Suche nach sozialen Gruppen, die ihnen ein positives Selbstbild sowie eine Leitlinie bei relevanten Fragen oder Zweifeln bieten (vgl. Phinney 1989; Phinney & Ong 2007; Phinney et al. 2001). Solch eine Selbstzuordnung zu einer sozialen Gruppe wird mehrsprachigen Jugendlichen auch über die Kategorie „Ethnie“ eröffnet. So kann sich in dieser Phase eine Selbstwahrnehmung der Jugendlichen als der Mehrheitsbevölkerung nicht zugehörig entwickeln, sei es aufgrund von Mehrsprachigkeit, anderer Religion, äußeren Merkmalen oder objektiven Kriterien wie Nationalität. Diese Erfahrung des Andersseins kann ferner einen Konflikt bzw. zumindest eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Vorstellung einer ethnischen Herkunft auslösen, da sich „Migranten nicht mehr mit der Herkunftskultur verbunden fühlen und sich eigentlich mit der Aufnahmegesellschaft identifizieren möchten, jedoch Ablehnung erfahren“ (Maehler 2012: 267). Weil die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe aber immer den Zweck hat, das Selbstkonzept aufzuwerten und zu bejahen, wird die erfolgte Selbstkategorisierung verstärkt, sodass bei einem Vergleich die Eigengruppe höherwertiger erscheint als die Fremdgruppe (vgl. Tajfel 1982). Mehrsprachige Jugendliche können also nach einer Auseinandersetzung mit ihrer gesellschaftlichen Stellung als Minderheit eine deutliche ethnische Identität ausprägen. Diese verstärkt das ethnische Verhalten wie beispielsweise den Sprachgebrauch im Alltag und führt somit zu einem Kompetenzerhalt im intimen Register. Zudem wird ethnische Identität durch emotionale Beziehungen und affektive Bindungen geformt, sodass hier die Rolle der Kernfamilie, in der Adoleszenz aber vor allem der Gleichaltrigen ausschlaggebend ist (vgl. Ashmore et al. 2004). Entsprechend sagte in dem Teilmodell „Intimes Register: Verstehen & Sprechen“ die Verwendung der HL mit den Peers die Sprachkompetenz am zweitbesten voraus. Gleichaltrige, Freunde wie Geschwister, besonders wenn sie der gleichen Migrantengeneration und derselben HL-Gruppe wie der Sprecher selbst angehören, bestärken seine ethnische Identität durch die Schaffung eines Gruppenzugehörigkeitsgefühls und durch Bestätigung der in der Familie gestifteten ethnischen Identität. Zudem bieten Peers die Gelegenheit zu emotional relevantem Sprachgebrauch auch außerhalb der Familie. Dieser ist nicht nur thematisch authentisch und prototypisch für das intime Register, sondern zeichnet sich dadurch aus, dass er auch im bilingualen Modus unter gleichzeitiger Verwendung der Mehrheitssprache und somit ohne jegliche Einschränkungen oder Sprachscham aufgrund von vermeintlich unzulänglichen HL-Kenntnissen funktional ist. Sind die Peers selbst ebenfalls HL-Sprecher, so bieten sie als Gruppe ein überaus hohes Identifizierungspotenzial, da sie mit dem Sprecher dieselbe 8.1 Diskussion der Ergebnisse 251 Spracherwerbsbiographie mit ähnlich gelagerten Sprachkompetenzen in der HL sowie eine parallele Auseinandersetzung mit dem Identitätskonzept und die Selbstfindungsphase zwischen Mehrheits- und Minderheitengruppe teilen. Wie oben erwähnt, findet sich der Faktor „Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern“ in allen drei Teilmodellen. In dem Teilmodell zum Verstehen und Sprechen im intimen Register weist er jedoch die geringste Vorhersagekraft auf. Dennoch ist er ein relevanter Prädiktor der HL-Kompetenz in diesem Modell, da er sicherlich Auswirkungen auf die Entwicklung einer ethnischen Identität haben kann. Je häufiger der Sprecher insbesondere in diesem Alter das Herkunftsland der Eltern aufsucht, desto öfter kann er seine HL in einem Kontext erleben, in dem sie entweder keinen Minderheitenstatus innehat und das Prestige einer Mehrheitssprache genießt oder zumindest von einer autochthonen Minderheitengruppe gesprochen wird (s. Abschnitt 4.4.3). Dies kann das Zugehörigkeitsgefühl zu dieser sozialen Gruppe und ihre Wahrnehmung als Eigengruppe stärken. Zudem bietet der Aufenthalt im Herkunftsland der Eltern eine andere Gelegenheit zum Sprachgebrauch, da der HL-Sprecher sich dort in den meisten Kontexten in einem monolingualen Modus befindet und beispielsweise bei der Kommunikation mit Mitgliedern der erweiterten Familie nicht auf das Deutsche zurückgreifen kann. Auch diese Erfahrungen können sich positiv auf seine Sprachkompetenz im intimen Register bei Verstehen und Sprechen auswirken. Den Gegenpol zur Teilskala „Intimes Register: Verstehen & Sprechen“ bildet die Skala „Formelles Register“. Sie zeichnet sich durch Kontexte aus, in denen von den Sprechern das Beherrschen des formellen Registers in allen Fertigkeiten abverlangt wird. Die größte Vorhersagekraft in diesem Teilmodell boten die Einstellung der Probanden zur Mehrsprachigkeit sowie erneut die Reisen ins Herkunftsland der Eltern. Zusätzlich konnten der Gebrauch des Deutschen und der HL mit den Eltern und der Besuch von in der HL abgehaltenem Gottesdienst die Sprachkompetenz der Teilnehmer auf dieser Teilskala bestimmen. Die Tatsache, dass die Einstellung zur Mehrsprachigkeit als die stärkste erklärende Variable zum Teilmodell des formellen Registers beitrug, steht scheinbar in Widerspruch zu den Erkenntnissen von Attritionsstudien, die entweder keinen Zusammenhang zwischen Einstellung und Kompetenz in der L1 der Sprecher feststellen (vgl. Hulsen 2000; Yağmur 1997) oder eine negative Korrelation zwischen den beiden ermitteln (vgl. Schmid & Dusseldorp 2010). Eine Erklärung für diese Diskrepanz ist in der unterschiedlichen Erwerbsart der erwachsenen Probanden in Attritionsstudien im Vergleich zu den Jugendlichen HL-Sprechern der vorliegenden Studie zu suchen. Wird eine Sprache als L1 bereits im Herkunftsland erworben und findet die Auswanderung erst im Erwachsenenalter statt, was ein Abgrenzungskriterium für Sprecher in Attritions- 252 8 Diskussion studien ist, so bleibt die L1 grundsätzlich auch Jahre später und zum Teil trotz negativer Einstellung dazu die dominante Sprache solcher Bilingualer und weist keine Abweichungen im Vergleich zur monolingualen Kontrollgruppe auf (vgl. Cherciov 2013). Die Einstellung zur eigenen Erstsprache ist bei dieser Sprechergruppe für ihren Erhalt folglich nicht relevant, da sie auch bei ihrem Erwerb nicht ausschlaggebend war. Bei jugendlichen HL-Sprechern hingegen scheint die Einstellung eine wesentlich größere Rolle zu spielen, allerdings nur, wenn die beschriebenen Kommunikationssituationen vom Sprecher mehr als die intime Ebene mit der Familie abverlangen, weshalb Einstellung in dem Teilmodell „Intimes Register: Verstehen & Sprechen“ auch kein Prädiktor ist. Hier lässt sich eine Parallele zu den Erkenntnissen aus Attritionsstudien ziehen: Die Einstellung zur Mehrsprachigkeit spielt für Verstehen und Sprechen im intimen Register keine Rolle, da die HL in mündlicher Form innerhalb der Familie erworben wird und in diesem Kontext ein funktionales, nicht optionales Kommunikationsmittel darstellt. Andere Register oder die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben zu erwerben, erfordert vom Sprecher hingegen eine spezielle Anstrengung, einen expliziten Willen hierzu, und geht über die sprachlichen Kompetenzen, die in der Familie erworben werden, hinaus. Um diesen Erwerbsprozess in Gang zu setzen und das Bestreben in eine Handlung zu überführen, ist eine positive Einstellung zum Bewertungsgegenstand, zur Mehrsprachigkeit, zwingend erforderlich. In den theoretischen Vorüberlegungen zum Einstellungskonstrukt (s. Abschnitt 4.5.1) wurde zwar mehrfach betont, dass Einstellung sich nicht direkt in Verhalten übersetzen lässt. Bei den hier vorliegenden Ergebnissen lässt sich jedoch durchaus annehmen, dass die festgestellte positive Einstellung zur Mehrsprachigkeit auch mit entsprechendem Verhalten assoziiert sein kann, da sie als Prädiktor ausschließlich bei formellen Kommunikationskontexten auftrat, in denen von den Sprechern die Verwendung literater Strukturen gefordert wird. Ihr Erwerb erfordert explizite Handlungen, sei es beispielsweise bewusstes autodidaktisches Lernen zu Hause oder den Besuch von Unterricht. Somit bedeutet dies, dass Sprecher, die über eine positive Einstellung zu ihrer Mehrsprachigkeit verfügen, auch eher bereit sind, solche spracherhaltenden Handlungen auszuführen, und ihre Kompetenzen in der HL entsprechend höher einschätzen als Sprecher, die eine negative Einstellung dazu aufweisen. Der Faktor „Reisen ins Herkunftsland der Eltern“ stellte sich auch für das formelle Register als ein signifikanter Prädiktor der Sprachkompetenz in der HL heraus, wobei seine Varianzaufklärung hier im Vergleich zum Teilmodell „Intimes Register: Verstehen & Sprechen“ höher ist. Die Gründe für die Relevanz dieses Faktors sind dieselben wie zuvor beschrieben: Der Sprecher erlebt bei Aufenthalten im Herkunftsland seiner Eltern die HL in einem machtfreien 8.1 Diskussion der Ergebnisse 253 Kontext als prestigereiche Sprache. Er erfährt sie als ein authentisches und bedeutungsvolles Kommunikationsmittel und kommt mit dem Standard oder mit anderen Varietäten in Kontakt (vgl. Au & Oh 2009). Dies kann sich nicht nur auf die Ausbildung einer positiveren Einstellung zur HL und zur Mehrsprachigkeit auswirken, sondern führt auch zu einer anderen Art des Sprachgebrauchs, die dem HL-Sprecher im Einwanderungsland so nicht zur Verfügung steht bzw. erst bewusst hergestellt werden muss. Da im Kontext des Herkunftslandes meist nicht auf das Deutsche zurückgegriffen werden kann, ist der Sprecher auf eine Kommunikation im monolingualen Modus angewiesen. Gerade solche Situationen können sich positiv auf den Erwerb des formellen Registers auswirken (vgl. De Leeuw et al. 2010), da es per definitionem monolingual ausgerichtet ist. Der Gebrauch des Deutschen und der HL mit den Eltern erwies sich in dem Modell für das formelle Register ebenfalls als ein signifikanter Faktor. Hierunter ist jedoch nicht die OPOL-Methode zu verstehen, sondern ein zweisprachiger Input sowohl durch die Mutter als auch durch den Vater. Dass der Sprachgebrauch mit den Eltern einen wichtigen Beitrag zum Spracherhalt leistet, wurde bereits in den Vorüberlegungen in der Untersuchungshypothese H2.2a) angenommen. Schließlich ist dieser Sprachgebrauchskontext derjenige, der die Sprachkompetenz von HL-Sprechern am meisten prägt und in dem die HL die größte Stabilität und Funktionalität erfährt (vgl. Küppers et al. 2015). Jedoch war die Richtung der formulierten Hypothese eine andere, als die Ergebnisse schließlich zeigten. Angenommen wurde, dass die alleinige Verwendung der HL mit den Eltern den HL-Erhalt am stärksten beeinflusst, was im Einklang mit den Ergebnissen mehrerer Studien zum familiären Sprachgebrauch steht (vgl. De Houwer 2007; Sirén 1995). Die Befunde der vorliegenden Studie stützen jedoch die gegenteilige These, dass Kinder bei Input in beiden Sprachen eine bessere Kompetenz in der HL entwickeln (vgl. Umbel et al. 1992). Dieses unerwartete Ergebnis ist darauf zurückzuführen, dass die meisten Studien, die sich mit dem Einfluss elterlichen Sprachverhaltens auf die Sprachkompetenz in der HL beschäftigen, Vor- oder Grundschulkinder untersuchen (vgl. bspw. De Houwer 2007; Gutiérrez-Clellen & Kreiter 2003; Klassert & Gagarina 2010; Pearson et al. 1997; Sirén 1995). In diesem Alter ist der innerfamiliäre Sprachgebrauch bzw. seine Quantität von entscheidender Bedeutung für die HL-Entwicklung, da die Kommunikation mit der Kernfamilie für das Kind den vorrangigen HL-Input darstellt. In der Adoleszenz verhält es sich jedoch anders. Zum einen werden in dieser Lebensphase Gleichaltrige immer wichtiger und bieten so eine zusätzliche Möglichkeit zur Kommunikation in der HL, sodass der elterliche Input keine grundlegende Funktion mehr innehat. Zum anderen sind Jugendliche im Gegensatz zu Kindern in der Lage, sich bei Bedarf proaktiv Input in der HL zu suchen, insbesondere wenn es um den Erwerb des formellen 254 8 Diskussion Registers geht. Ein weiterer Grund für die abweichende Richtung der Ergebnisse könnte in einer anders gelagerten Wahrnehmung der innerfamiliären Kommunikation liegen, wenn beide Sprachen von beiden Elternteilen verwendet werden. Sind die Eltern auch in der Mehrheitssprache zum Aufrechterhalten eines Gesprächs kompetent genug, so zeigt diese Sprachgebrauchsstrategie den Jugendlichen, dass Mehrsprachigkeit nicht mit unzureichender Sprachkompetenz zusammenhängen muss und dass der Erhalt der HL nicht im Widerspruch zum Erwerb der Mehrheitssprache steht. Dieses positive Beispiel für mehrsprachige Kommunikation könnte sich darüber hinaus bestätigend auf den Wunsch zum HL-Erhalt sowie auf die Einstellung zur Mehrsprachigkeit auswirken. Der letzte relevante Faktor in dem Teilmodell zu formellem Register ist die Verwendung der HL beim Gottesdienstbesuch. Dieser Sprachgebrauchskontext beschreibt die Verwendung der HL im formellen Register und in einem monolingualen Modus. Die Signifikanz dieser Variable insbesondere für dieses Teilmodell ist dadurch zu erklären, dass Probanden beim Gottesdienst erstens eine stark ritualisierte und streng formelle Sprachform erleben (vgl. Klein 2013). Auch wird religiöser Unterricht, nicht nur das Gebet selbst, in Migrantencommunities oft in der HL abgehalten, was den Jugendlichen erneut Gelegenheit zur HL-Verwendung gibt und ihnen Input im sprachlichen Standard sowie den Erwerb des formellen Registers erlaubt (vgl. ebd.; Lo Bianco & Peyton 2013). Die Lektüre religiöser Texte wie in Tse (2001) beschrieben stellt ebenfalls einen wichtigen Zugang zu formellem Register in der HL dar. Zweitens sind religiöse Handlungen oft mit Emotionen verbunden und wirken identitätsstiftend. Wird die HL in solch einem bedeutungsvollen, persönlichen Kontext als Trägerin des Glaubens und religiösen Wissens erlebt, so bekommen sie und ihr Erhalt für den Sprecher einen höheren Stellenwert. Geht dies mit dem Wunsch, sich tiefgehender mit der eigenen Religion zu befassen und entsprechende religiöse Texte zu lesen, einher, so wird hierdurch insbesondere der Erwerb des formellen Registers und der Schriftlichkeit in der HL gefördert. Zwischen den Teilmodellen zum Verstehen und Sprechen im intimen Register und zu formellem Register lässt sich das Modell „Intimes Register: Lesen & Schreiben“ einordnen. Es beschreibt Sprachhandlungen, die zwar dem intimen Register zuzuordnen sind, jedoch gleichzeitig vom Sprecher basale Fähigkeiten im Lesen und Schreiben erfordern. In diesem Teilmodell zeigten ausschließlich zwei Prädiktoren statistische Signifikanz. Am besten sagten die Reisen ins Herkunftsland der Eltern die Sprachkompetenz der Probanden voraus gefolgt von der Einstellung zur Mehrsprachigkeit. Da dieses Teilmodell in seiner Konzeption sowohl zum Verstehen und Sprechen im intimen Register als auch zu formellem Register Parallelen aufweist, lassen sich für die beiden externen Einflussfaktoren jeweils ähnliche Argumente anführen. 8.1 Diskussion der Ergebnisse 255 So kann auch in diesem Teilmodell der Aufenthalt im Herkunftsland der Eltern aufgrund des vorausgesetzten monolingualen Modus bei Kommunikation mit anderen dort lebenden Sprechern und einer Begegnung mit diversen Sprachvarietäten sowie mit der Schriftsprache dazu beitragen, grundlegende Kenntnisse im Lesen und Schreiben in der HL erwerben zu wollen. Erst über die Schrift erfolgen auch der Zugang zum Erwerb des formellen Registers und eine bewusste Auseinandersetzung mit Sprache und ihren Strukturen. Dieser Sprachgebrauchskontext scheint ebenfalls deshalb so entscheidend zu sein, weil Schriftlichkeit im Herkunftsland der Eltern im Haushalt wie in der Öffentlichkeit omnipräsent ist, während sie in der innerfamiliären Kommunikation in Deutschland kaum eine Funktion hat. Außerhalb der Familie ist der Zugang zur Schriftlichkeit in der Minderheitensprache stark begrenzt und findet höchstens im herkunftssprachlichen Unterricht statt. Dort lernen die Sprecher zwar durchaus Lesen und Schreiben, die hier vorkommenden literaten Praktiken sind jedoch an den schulischen Kontext gebunden und nicht derart funktional, wie sie im Herkunftsland in alltäglichen Situationen sein können. Wie beim Erwerb literater Strukturen im formellen Register so spielt auch bei basalen schriftsprachlichen Kenntnissen die Einstellung zur Mehrsprachigkeit eine große Rolle. Schriftsprachliche Kenntnisse, seien sie noch so grundlegend, werden im Regelfall nicht innerhalb der Familie vermittelt. Ihr Erwerb ist stets an eine Institution geknüpft wie beispielsweise durch schulisch erteilten Unterricht in der Herkunftssprache oder religiöse Unterweisung in der HL (s. Abschnitte 4.4.4 und 4.4.5). Um Lesen und Schreiben in der Minderheitensprache zu lernen, muss der Sprecher somit eine zeitliche und / oder monetäre Anstrengung auf sich nehmen, um somit also Fertigkeiten in der HL zu erwerben, die über die Kommunikationsnotwendigkeit zu Hause hinausgehen. Hierzu bedarf es einer positiven Einstellung zur eigenen Mehrsprachigkeit, die den Einsatz solcher Ressourcen rechtfertigt. 8.1.2 Nicht signifikante externe Faktoren Nicht alle in Kapitel 4 diskutierten externen Faktoren gingen in die Teilmodelle zum Spracherhalt ein, obwohl bisherige Forschungsarbeiten und theoriegeleitete Betrachtungen auch ihre Relevanz für HL-Erhalt belegten. Dass sie dennoch in keines der Regressionsmodelle eingeflossen sind, muss jedoch nicht zwingend auf ihre Unwichtigkeit für Spracherhalt hinweisen. Viel mehr lässt sich annehmen, dass ihr Effekt auf die in dieser Forschungsarbeit untersuchte Sprecher- oder Altersgruppe nicht stark genug ist und von anderen Prädiktoren überschrieben wird. Obwohl einige in diese Richtung weisende Gesetzmäßigkeiten beschrieben werden konnten und eine theoriegeleitete Übertragung der 256 8 Diskussion Erkenntnisse aus anderen Disziplinen naheliegt (s. Abschnitt 3.3.2), so existieren dennoch gravierende Unterschiede zwischen jugendlichen HL-Sprechern auf der einen Seite und Sprechern allochthoner Minderheitensprachen, erwachsenen Sprechern, die von Attrition ihrer L1 betroffen sind, sowie Kindern, die in ihrer sprachlichen Entwicklung stark dem Elternhaus verhaftet sind, auf der anderen. So erreichte beispielsweise der Spracherwerbstyp als sprachbiographischer Faktor keine hinreichende Signifikanz in den getesteten Modellen. Dies ist insofern ein unerwartetes Ergebnis, als die Differenzierung in simultanen und sukzessiven Spracherwerb zu einer grundlegenden Unterscheidung in Forschungsarbeiten zu früher Mehrsprachigkeit gehört (vgl. Müller et al. 2011). Das Fehlen dieses Faktors in den einzelnen hier aufgestellten Modellen lässt sich in Relation zum Alter der Probanden dieser Studie erklären: So ist der Spracherwerbstyp wie sprachbiographische Faktoren im Allgemeinen unveränderlich und bleibt das gesamte Leben des Sprechers hindurch konstant, sobald er in seiner Kindheit zu Beginn des Spracherwerbsprozesses gesetzt wurde. Demgegenüber unterliegen sozio-emotionale Faktoren sowie Kontexte des Sprachgebrauchs ständigen Schwankungen und können im Laufe des Lebens auch gegenteilige Ausprägungen annehmen, da sie stets Einflüssen von außen unterworfen sind und sich ohne Zutun des Sprechers abrupt ändern können. In der Pubertät erlangen zudem vor allem sozio-emotionale Faktoren großes Gewicht. Bedingt durch die in dieser Phase einsetzende Suche nach einer sozialen Zugehörigkeit kann die ethnische Identität erstarken (vgl. Phinney 1990), was zu einer zielgerichteten Beschäftigung mit der HL und zu einer bewussten Hinwendung zu anderen Jugendlichen mit derselben HL führen kann. Die Auswirkungen der Unterscheidung in simultan und sukzessiv auf die Sprachkompetenz in der HL, die Studien zu früher Mehrsprachigkeit wiederholt feststellen, verlieren in der Adoleszenz offenbar an Bedeutung. Zudem begleiten solche Studien die Kinder ausschließlich bis zu einem bestimmten Alter und brechen bereits früh vor der Einschulung ab (vgl. bspw. Eichler et al. 2013; Müller & Hulk 2001). Ob die festgestellten Kompetenzunterschiede also bis zur Pubertät und unter dem gesellschaftlich-institutionellen Einfluss der Mehrheitssprache bestehen bleiben, ist zu hinterfragen (vgl. Polinsky 2015a). Schließlich stellen die meisten Studien zu erwachsenen HL-Sprechern fest, dass diese in ihrer HL-Kompetenz auch trotz eines sukzessiven Kontakts zur Mehrheitssprache in der Kindheit große Diskrepanzen zu monolingualen Sprechern aufweisen (vgl. Montrul 2009). Daraus leitet sich ab, dass „[…] onset of acquisition during the sensitive phases for language development is a necessary but not sufficient condition for native language acquisition“ (Meisel 2007b: 496). 8.1 Diskussion der Ergebnisse 257 Unter den Sprachgebrauchskontexten zeigten sich zum einen die Medienverwendung, zum anderen der Besuch herkunftssprachlichen Unterrichts als nicht signifikant für Spracherhalt. Der Unterrichtsbesuch konnte auch nicht in solchen Teilmodellen die Sprachkompetenz der Probanden vorhersagen, die eng an Schriftlichkeit geknüpft und von einer Unterweisung abhängig sind. Eine erste Erklärung für das Fehlen dieses Faktors in den Modellen liefert ihre Positionierung im globalen Sprachgefüge (s. Abschnitt 2.1). So ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Unterricht nicht für alle in dieser Studie berücksichtigten HLs die gleiche Relevanz hat und diese Variable somit nicht gleich gut messbar ist, da beispielsweise periphere Sprachen über keinen schriftsprachlichen Ausbau verfügen und dadurch ohnehin nur im intimen Register tradiert werden. Prinzipiell ist zu bedenken, dass HL-Unterricht nur bei ausreichend großer Nachfrage angeboten wird, sei es bei staatlich organisierten, privaten oder religiösen Kursen. Bei eher kleineren Sprachgruppen oder bei Einzelmigration fehlen solche Angebote nicht nur im Rahmen schulischen Unterrichts vollständig, auch die migrantische Selbstorganisation gestaltet sich infolgedessen als wesentlich schwieriger. Des Weiteren wurde bereits in Abschnitt 4.4.4 ersichtlich, dass HL-Unterricht mit steigendem Alter der Sprecher immer seltener stattfindet und eher in der Grundschule angeboten wird. Die hier untersuchten Probanden hatten zudem entweder keinen Unterricht in ihrer HL oder nur für wenige Jahre. Die Effekte dieses Unterrichts auf HL-Erhalt mit einigen Jahren Abstand genau zu erfassen, ist somit problematisch. Gleichermaßen lässt das Fehlen dieser Variable in den Modellen keine direkte Schlussfolgerung über die Qualität des erteilten Unterrichts zu. Obwohl dieser durchgehend vor organisatorischen und strukturellen Herausforderungen steht (vgl. Reich & Roth 2002; s. auch Abschnitt 4.4.4), ist seine scheinbar völlige Ineffizienz dennoch erklärungsbedürftig. So konstatieren Lo Bianco und Peyton (2013), dass die Entwicklung von Sprachkenntnissen durch formale Instruktion nicht alleine zu mehr Sprachgebrauch oder zu Spracherhalt führe: „[…] focusing language revival efforts only or mostly on improving language capacity of learners does not necessarily lead to successful maintenance, recovery, or development of the language spoken by a community of speakers“ (ebd.: iii). Der Grund hierfür liegt in der Ausrichtung von formaler Unterweisung. Solange über den Unterricht hinaus keine Verknüpfungen zu informell erworbenem Sprachwissen hergestellt und keine Gelegenheiten geschaffen werden, um die HL in authentischen Kontexten zu nutzen, führt er nicht zu gewünschtem Ergebnis. Der Status von HLs als Minderheitensprachen limitiert naturgemäß solche unverfälschten Gelegenheiten zum Sprachgebrauch und damit auch die Effektivität von formaler Bildung in ihnen. 258 8 Diskussion Die Relevanz der Medien für den HL-Erhalt konnte ebenfalls in keinem der aufgestellten Modelle nachgewiesen werden. Dies ist damit zu begründen, dass nicht alle erfragten Medienarten in die Analyse aufgenommen werden konnten, da insgesamt nur wenige Probanden in ihrer Freizeit Bücher lesen oder aber das Internet ausschließlich auf Deutsch nutzen. Die zur Auswertung benötigte Varianz zeigte sich ausschließlich bei den Daten zum Fernsehkonsum. Hier belegte die Studie, dass beim Fernsehen in der Minderheitensprache von Probanden dieser Altersgruppe inhaltlich keine anspruchsvollen Formate gewählt werden, sodass nicht vom Input im formellen Register auszugehen ist (s. Abschnitt 7.3.2). Es eröffnen sich somit auf sprachlicher Ebene keine Möglichkeiten in Richtung Sprachausbau, vielmehr liefert der Fernsehkonsum lediglich einen passiven Input im monolingualen Modus. Diese rein passive Konfrontation mit sprachlich informellen Strukturen ist somit für den HL-Erhalt nicht ausschlaggebend und kann eine aktive Sprachverwendung nicht ersetzen, sondern höchstens unterstützen. Nur ein sozio-emotionaler Faktor ging in keines der aufgestellten Modelle ein: die nationale Identität. Dies war die einzige Variable, bei der ein negativer Zusammenhang zur Sprachkompetenz der Probanden angenommen wurde. Dass die nationale Identität die Sprachkompetenz in der HL nicht voraussagen kann, ist insofern unerwartet, als die ethnische Identität, also ihr Gegenpart, sich als der Faktor mit der größten Voraussagekraft in dem Teilmodell „Intimes Register: Verstehen & Sprechen“ herausstellte. Auf deskriptiver Ebene ließ sich zwar feststellen, dass die ethnische Identität der Jugendlichen im Schnitt stärker ausgeprägt war als die nationale (s. Abschnitt 7.3.3), dennoch war auch sie bei den meisten Probanden bis zu einem gewissen Grad ausgebildet. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass diese beiden Arten von sozialer Identität in keinem Widerspruch zueinander stehen (vgl. Berry 1997; 2005). Mehrsprachige Jugendliche können sich also gleichzeitig einer konstruierten sprachlich-kulturellen Eigengruppe zugehörig fühlen und als Mitglied der Mehrheitsgesellschaft wahrnehmen, ohne auf ihre HL verzichten zu müssen. 8.1.3 Relation der Teilmodelle zum Gesamtmodell Wie oben bereits erwähnt, erreichte der Faktor „Spracherwerbstyp“ in keinem der Teilmodelle eine hinreichend hohe Signifikanz. Dies gilt auch für das Gesamtmodell, in dem ebenfalls ausschließlich die Einstellung zur Mehrsprachigkeit die größte Voraussagekraft in Bezug auf die HL-Kompetenz aufwies gefolgt von folgenden drei Sprachgebrauchskontexten: Reisen ins Herkunftsland der Eltern, Verwendung beider Sprachen mit den Eltern sowie Besuch von in der HL abgehaltenem Gottesdienst. Die Reihenfolge der genannten Faktoren 8.1 Diskussion der Ergebnisse 259 gibt zudem Aufschluss darüber, wie hoch der Beitrag des jeweiligen Faktors in dem Gesamtmodell war. Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass die von Montrul (2016; s. Abschnitt 4.1) aufgestellte Hierarchie der externen Einflussfaktoren auf HL-Erhalt auf die hier untersuchte Gruppe nicht übertragen werden kann: In Montrul (2016) wird die Sprachkompetenz in der HL am stärksten durch den Sprachgebrauch geprägt, der wiederum von der Einstellung gesteuert wird. Für die Probandengruppe der vorliegenden Studie ist jedoch folgende Hierarchie externer Faktoren zu postulieren (s. Abbildung 17): Abb. 17: Externe Einflussfaktoren auf HL-Kompetenz in der Adoleszenz Das in dieser Arbeit aufgestellte Modell unterscheidet sich von Montruls Modell (2016) in zwei Punkten: Zum einen zeichnet es sich durch eine geänderte Reihenfolge der externen Faktoren aus. So zeigten die Analyseergebnisse einen stärkeren Einfluss der sozio-emotionalen Faktoren auf die HL-Kompetenz der Sprecher. Wie bereits dargelegt, lässt sich dieser Umstand auf das Alter der Probanden zurückführen, die in der Pubertät stark nach einer sozialen Identität suchen, die sie zum Teil in der ethnischen Eigengruppe finden. Zudem sind sie in der Adoleszenz in der Lage, sich explizit für oder gegen den Erhalt der Minderheitensprache auf Grundlage ihrer Einstellung zu ihrer eigenen Mehrsprachigkeit zu entscheiden. Erst in diesem Alter kann die Einstellung in ein bewusstes spracherhaltendes Handeln und in eine Bestrebung zum Sprachausbau übersetzt werden. Zum anderen fehlen in der Abbildung 17 sowohl die gesellschaftliche als auch die Ebene der linguistischen Beschreibungskategorien. Da ausschließlich 260 8 Diskussion solche externen Faktoren berücksichtigt werden sollten, die auf individueller Ebene zum Tragen kommen, kann über gruppenspezifische oder gar über gesellschaftliche externe Einflussgrößen keine Aussage gemacht werden. Ob sich das aufgestellte Modell auch auf spezifische sprachliche Merkmale auswirkt, wie Montrul (2016) es vorschlägt, lässt sich ebenfalls nicht belegen, denn es wurde auf die Erhebung der Sprachkompetenz der Probanden mittels eines Testverfahrens aufgrund einer angestrebten großen Bandbreite an HLs im Sample verzichtet. Die Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz in der HL kann zwar die Fähigkeiten der Sprecher in der HL durchaus abbilden (s. Abschnitt 6.2.1), über einzelne sprachliche Merkmale lässt sie jedoch keine direkte Aussage zu. Das Modell bezieht sich somit ausschließlich auf diejenigen Faktorengruppen, die in der Studie empirisch überprüft wurden. Werden die drei Teilmodelle im Verhältnis zum errechneten Gesamtmodell externer Faktoren für Spracherhalt betrachtet, so fällt auf, dass die Prädiktoren des Gesamtmodells exakt dieselben wie die des Teilmodells zu formellem Register sind. Sie treten in der Regressionsanalyse zudem in derselben Reihenfolge auf, da sie in beiden Modellen eine ähnlich starke Voraussagekraft aufweisen. Dies bedeutet, dass das Gesamtmodell zu externen Faktoren am meisten durch das formelle Register beeinflusst wird bzw. die Sprachkompetenz der Probanden in diesem Register am stärksten reflektiert. Dieses Ergebnis erscheint durchaus nachvollziehbar, da die Relevanz des formellen Registers für die Entwicklung der Sprachkompetenz in der HL mehrfach betont wurde (s. Abschnitt 4.4.1). So ist der Erwerb des formellen Registers als Sprachausbau und Erweiterung der bestehenden Sprachkenntnisse zu betrachten, da diese im Lichte der neu erworbenen Strukturen abermals bewusst reflektiert werden, was zu einer Reorganisierung des bisher erworbenen sprachlichen Wissens führen kann. Die Beschäftigung mit der Schrift forciert zudem den Umgang mit sprachlichem Standard. Für die Herausbildung des formellen Registers sind ferner andere Kontexte notwendig, die über den primären Ort des HL-Erwerbs, die Familie, hinausgehen. Andererseits stellt sich in Anbetracht des enormen Gewichtes des formellen Registers für den HL-Erhalt erneut die Frage nach peripheren Sprachen ohne schriftsprachlichen Ausbau. Diese werden auch außerhalb des Migrationskontextes ausschließlich ohne schriftliche Formfixierung oder Norm intergenerational weitergegeben. Obwohl solche Sprachen in dem Sample durchaus vorhanden waren, ist ihre Repräsentation in dem Gesamtmodell somit dennoch nur schwach ausgeprägt. Die Tatsache, dass zusätzlich zum Gesamtmodell drei unterschiedliche Teilmodelle mit teilweise anderen externen Einflussfaktoren bestimmt wurden, verdeutlicht erstens, dass es für unterschiedliche Register auch unterschiedlicher Modelle bedarf. Denn ein Modell des HL-Erhalts kann prinzipiell nur die 8.2 Limitationen der Studie 261 innerhalb der Familie im intimen Register erworbenen oraten Strukturen und entsprechende Kontexte ihrer Verwendung berücksichtigen. Ein Modell, das diese mit literaten, im formellen Register erworbenen Strukturen gleichsetzt, verkennt die unterschiedlichen Erwerbsbedingungen, die insbesondere im Migrationskontext eine entscheidende Rolle spielen. Zweitens zeigte die Extrapolierung des Teilmodells „Intimes Register: Lesen & Schreiben“, dass bereits basale schriftorientierte Kompetenzen im HL-Erwerb eine Hürde darstellen, die es für den Erwerb des formellen Registers zu überwinden gilt. Sie benötigen deshalb eine gesonderte Modellierung. 8.2 Limitationen der Studie Die vorliegende Studie erhebt den Anspruch, ein umfassendes Modell des HL-Erhalts bei Jugendlichen in der Migrationssituation zu entwickeln. Hierzu wurde in einer Großstadt im Ruhrgebiet eine Gesamterhebung aller neunten Klassen an allgemeinbildenden Schulen angestrebt, um eine möglichst breite Heterogenität an HLs in das Sample aufzunehmen. Dies ist der Studie gelungen, da von den Probanden 37 HLs genannt wurden, die sich in Bezug auf Prestige, Status und Gruppengröße stark unterschieden (s. Abschnitt 7.1). Trotz dieser Vielfalt an Sprachen konnten andere zuvor formuliere Anforderungen an die Stichprobe nicht erfüllt werden. So findet sich in dem Sample zum einen kein Gymnasium, zum anderen reagierten ausschließlich solche Schulen positiv auf den Aufruf zur Teilnahme, die einen hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit sog. Migrationshintergrund aufwiesen. Dies ist insofern problematisch, als die Studie dadurch jugendliche HL-Sprecher, die in monolingual geprägten Kontexten beschult werden, nicht enthält. Da insbesondere in der Adoleszenz die Bedeutung der Gleichaltrigen steigt, wäre ihre Repräsentation für die Modellierung von HL-Erhalt auch in solchen Konstellationen gewinnbringend gewesen. Zudem muss betont werden, dass die Erhebung in einem urbanen Raum stattfand, der sich grundsätzlich durch einen hohen Anteil an unterschiedlichen Migrantencommunities und somit durch zahlreiche Gelegenheiten zum HL-Gebrauch sowie durch eine allgemeine Offenheit für eine mehrsprachige Praxis auszeichnet. Diese Tatsache muss bei der Interpretation der Daten berücksichtigt werden, da sich Spracherhaltprozesse für Probanden, die in ländlichen Gebieten aufwachsen, sicherlich anders darstellen. Die Ergebnisse der Regressionsmodelle beruhen auf einer durch die Studienteilnehmer vorgenommenen Einschätzung ihrer eigenen Sprachkompetenz in der HL als abhängige Variable. Die Nachteile dieser Vorgehensweise wie Überschätzung und fehlende Objektivität wurden bereits ausführlich in Abschnitt 262 8 Diskussion 6.2.1 diskutiert. Auch unterschiedliche Kontexte des Sprachgebrauchs sowie sozio-emotionale Faktoren stellten in allen Modellen relevante Größen dar und wurden ebenfalls durch Selbsteinschätzung erhoben. Dieselbe Kritik kann somit mit Bezug auf alle erhobenen Variablen geäußert werden, denn Angaben wie „niemals“ oder „immer“ sind ebenso nur subjektive Maße und stark durch die soziale Erwünschtheit geprägt, da Selbstbeurteilungen im Gegensatz zu Experimenten oder Tests stets reaktiv sind (vgl. Manstead & Livingstone 2014: 60). Darüber hinaus mahnt Fishman (1991) insgesamt zur Vorsicht bei der Interpretation von Umfragedaten: The most important thing to remember is that censuses, admirable research tools though they may sometimes be, are, after all, the tools of a given sociocultural and ethnolinguistic establishment and are instituted to serve their masters’ purposes, not only with respect to what is asked, but with respect to when and how , as well as with respect to what particular analyses are undertaken , how they are performed and what findings are reported with respect to the data on hand. (Fishman 1991: 40 f.; Hervorhebungen i. O.) Diesen Kritikpunkten wurde in der Studie durch mehrere in der Forschungsliteratur empfohlene Aspekte Rechnung getragen (vgl. Manstead & Livingstone 2014). So wurde die Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz nicht durch allgemeine Fragen nach den einzelnen Fertigkeiten, sondern durch das Abfragen vielfältiger und nach Registern unterteilter, konkreter Kontexte erhoben. Zudem hatte dieses Vorgehen den Vorteil, auf diese Weise alle in einer Klasse vorhandenen HLs und Sprecher aller Kompetenzstufen berücksichtigen zu können (s. Abschnitt 6.2.1). Auch der Sprachgebrauch wurde äußerst differenziert samt Angaben zur Häufigkeit und der bei der jeweiligen Tätigkeit verwendeten Sprache(n) erhoben. Zur Erfassung der sozio-emotionalen Faktoren wurden bereits etablierte Instrumente aus anderen Studien eingesetzt, die zuvor in einem Pretest erprobt wurden (s. Abschnitt 6.2.4). Dem generellen Risiko sozialer Erwünschtheit wurde zum einen durch die Zusicherung absoluter Anonymität, zum anderen durch den Hinweis, es gebe keine richtigen oder falschen Angaben, begegnet. Schlussendlich lässt sich an diese Studie die allbekannte Kritik an einer quantitativen Vorgehensweise im Allgemeinen anbringen. So vermag es zwar eine quantitative Untersuchung unter starkem Theoriebezug durchaus, durch eine Gegenüberstellung von Faktoren ihre Wirkung auf Spracherhalt hervorzubringen. Zudem ist die Datenerhebung und -auswertung bei quantitativen Methoden stets reproduzierbar und streng kontrolliert. Andererseits erfassen solche Verfahren oftmals nur marginal die Bedeutung, die die Studienteilnehmer den erfragten Faktoren selbst beimessen, und inwiefern sie ihr Handeln subjektiv gesehen danach ausrichten. Sie können also nicht die sozialen Mechanismen 8.3 Ausblick 263 aufdecken, die den quantitativ festgelegten Zusammenhang zwischen den einzelnen Faktoren hervorrufen, oder bestimmen, welche Ereignisse im Leben des Probanden seine Perspektive auf das Phänomen Sprachverlust prägten (vgl. Gläser & Laudel 2010). So sind beispielsweise quantitative Instrumente nur bedingt dazu geeignet, prestigearme oder gar stigmatisierte Sprachen zu erfassen. Diese sind in einem sensibel geführten Interview wesentlich besser aufzudecken (vgl. Brizić 2007; 2009). Es lässt sich andererseits anführen, dass eine qualitative Vorgehensweise zwar spracherhaltende, die Handlungen des Individuums prägende Kausalmechanismen sehr genau nachzeichnen, jedoch nichts über die Häufigkeit ihrer Verbreitung aussagen kann. Auch spricht für ein quantitatives Vorgehen das Bestreben, die Fülle an Informationen und Wirkzusammenhängen, die bei qualitativem Zugang zum Feld vorzufinden sind, zu reduzieren und die Komplexität der Einzelfälle in standardisierter Form zusammenfassend zu vereinfachen. Laut Sekerina (2013) werden insbesondere quantitative Ansätze das Forschungsfeld zu HLs zukünftig voranbringen, denn nur so sei es möglich, empirisch überprüfbare Modelle mit mehreren Faktoren aufzustellen: „In sum, the psychometric approach to HL studies based on identification of factors that are the best predictors of ultimate HL attainment will inevitably contribute to the direction the field of HL studies will go in the future“ (Sekerina 2013: 207). 8.3 Ausblick Die hier dargestellten Studienergebnisse lassen sich dahingehend interpretieren, als die Befunde der Attritions- und der Sprachtodforschung sowie der Sozialpsychologie in Bezug auf den Zusammenhang zwischen externen Faktoren und dem Erhalt von Minderheitensprachen in großen Teilen auf die HL-Forschung übertragbar sind und nutzbar gemacht werden können. Folglich lassen sich auch die in dieser Arbeit herangezogenen Konzepte aus den oben genannten Disziplinen für den Kontext der jugendlichen HL-Sprecher in Deutschland adaptieren. Obwohl die Studien, denen die verwendeten Erhebungsinstrumente entnommen wurden, andere Zielgruppen im Fokus hatten (erwachsene Einwanderer der ersten Generation oder autochthone Minderheiten), erwiesen sich die eingesetzten Skalen als ebenso für diesen Kontext geeignet. Dies spricht eindeutig für ein interdisziplinäres Vorgehen, das das vergleichsweise neue Forschungsfeld zu HLs durch bestehende Erkenntnisse bereits etablierter Disziplinen ergänzen und voranbringen würde. Ferner verweisen die Befunde der vorliegenden Forschungsarbeit auf die Relevanz einiger externer Faktoren, denen in der HL-Forschung bisher wenig Auf- 264 8 Diskussion merksamkeit zuteil wurde. Die größte Forschungslücke herrscht in Bezug auf die Bedeutung des Schriftspracherwerbs in der HL und mit ihm des Sprachausbaus in Richtung des formellen Registers. Schriftspracherwerb, wie die Extrapolierung der drei Teilmodelle zeigte, ist keinesfalls sekundär, sondern eröffnet erst den Zugang zu literaten Strukturen: „I suggest literacy and formal schooling play a much larger role in language development than most linguists are willing to admit“ (Dąbrowska 2013: 199). Somit wären mehr Untersuchungen, die sich der Rolle des Schriftspracherwerbs unter den Bedingungen formalen Unterrichts für den Erhalt der HL widmen, vonnöten. Sowohl das Erlernen der Standardvarietät im Erwachsenenalter als auch die Auswirkungen eines frühen Zugangs zur HL-Schriftlichkeit wären hierbei gewinnbringend. Ein Forschungsdesiderat stellen ebenfalls weitere Untersuchungen zur Bedeutung des monolingualen Modus dar, da in dieser Studie die Variable „Reisen ins Herkunftsland der Eltern“ als einzige in allen drei aufgestellten Teilmodellen die Sprachkompetenz der Probanden voraussagen konnte. Dies ist sicherlich nicht nur auf eine im Einwanderungsland selten vorhandene Art des Sprachgebrauchs zurückzuführen, sondern auch auf einen veränderten Status der beteiligten Sprachen, da ausschließlich im Herkunftsland die HL eine Aufwertung zur Sprache der Mehrheitsgesellschaft erfährt und ein höheres Prestige innehat. Im Zusammenhang mit dem monolingualen Modus ist auch der Stellenwert der Religion als ein sprachbewahrender Faktor nur wenig untersucht. Er könnte sich ebenfalls als für den HL-Erhalt äußerst relevant erweisen, da er den monolingualen Modus und sozio-emotionale Aspekte in sich vereint. Grundsätzlich fehlt es nach wie vor an Studien, die Varianzeffekte auf HL-Erhalt im Input von HL-Sprechern nicht nur hinsichtlich Quantität, sondern auch Qualität und Varietät untersuchen. Bisherige Studien widmen sich dem Inputaspekt mit Blick auf die Erwerbsreihenfolge der Minderheitenim Verhältnis zur Mehrheitssprache sowie auf die diesbezügliche elterliche Sprachwahl und messen somit primär die Inputdauer und -quantität. Unterschiedliche Register sowie nicht standardnahe Varietäten werden bislang kaum empirisch berücksichtigt, entsprechend dokumentiert oder gar theoretisch modelliert. Die wichtigste Frage hierbei ist, wie viel Input notwendig ist und auf welche Art dieser beschaffen sein muss, um für einen erfolgreichen HL-Erwerb auch über die Kindheit hinaus zu genügen (vgl. Meisel 2013). In Bezug auf die analysierten Sprachkonstellationen ist bisher eine starke Verzerrung zu Gunsten von prestigereichen Schriftsprachen zu verzeichnen. Die meisten Befunde liegen zu Spanisch und Russisch als HLs mit Englisch als Mehrheitssprache vor, was dem Erhebungskontext der USA und der Entstehung sowie dem Wachstum des Forschungsfeldes dort geschuldet ist. Studien zu frühkindlicher Mehrsprachigkeit aus Deutschland und Europa, die sich ebenfalls der 8.3 Ausblick 265 Erforschung von HL-Erwerb wenn auch unter Verwendung anderer Begrifflichkeiten widmen, werden in den USA kaum rezipiert. Kupisch (2013) führt an, dass dies an den ausgewählten Minderheitensprachen wie Französisch und Englisch liegen könnte, die keine typischen europäischen Migrantensprachen darstellen. Sowohl im US-amerikanischen als auch im europäischen Kontext haben die Studien folglich zwar den Anspruch, für den Erwerb und Erhalt von Minderheitensprachen universell gültige Prozesse nachzuzeichnen, dennoch beziehen sie sich auf im globalen Sprachgefüge hoch positionierte Sprachen. Die vorhandenen Forschungsarbeiten repräsentieren dabei nur selten Sprachen ohne schriftsprachlichen Ausbau und mit einem bereits im Herkunftsland geringen Ansehen. Gerade an ihnen wäre es jedoch wichtig zu untersuchen, wie sie in einem stärkeren Prestigegefälle bei Auswanderung als HLs erworben und intergenerational weitergegeben werden, um so bestehende Annahmen über diese Prozesse zu überprüfen. Auch aus sprachstruktureller Sicht sind mehr Varianz und der Einbezug von Sprachen unterschiedlichen Bautyps erwünscht (s. Abschnitt 4.2), da nur so die Auswirkungen von Sprachkontakt auf HL-Kompetenz adäquat nachgezeichnet werden können. Die Ergebnisse dieser Studie stellen keinesfalls den Endzustand der Sprachkompetenz der Studienteilnehmer dar, vielmehr ist ihre Weiterentwicklung jederzeit in jegliche Richtung möglich und auch wahrscheinlich. Dies ist erneut in dem Alter der Probanden begründet. Die Pubertät wirkt sich auf alle externen Faktoren in den (Teil-) Modellen verändernd aus: Nicht nur die sozio-emotionalen Faktoren „ethnische Identität“ und „Einstellung zur Mehrsprachigkeit“, sondern auch Sprachgebrauchskontexte unterliegen aufgrund der Lossagung vom Elternhaus großen Schwankungen. Insbesondere in dieser Lebensphase werden somit die Weichen für den Erhalt und die Verwendung der HL im Erwachsenenleben sowie für ihre Weitergabe an die nächste Generation gestellt. Andere Lebensabschnitte Mehrsprachiger, die zu ähnlichen Veränderungen in den außersprachlichen Bedingungen führen und daher dringend weiterer Untersuchungen bedürfen, sind die Geburt eigener Kinder sowie das hohe Alter. Erste Befunde zu letztgenanntem Punkt unterstreichen abermals die Relevanz externer Faktoren für den Erhalt von Minderheitensprachen (vgl. Bialystok & Sullivan 2017; Keijzer 2008). Unabhängig vom Altersaspekt ist Sprache jedoch auch grundsätzlich als ein dynamisches System zu verstehen, das seinen Zustand permanent von stabil zu instabil und umgekehrt ändert und von zahlreichen äußeren Einflüssen geprägt ist (vgl. Ecke 2004; Herdina & Jessner 2002). Sie entwickelt sich beständig durch die Interaktion von Umweltfaktoren und individuellen kognitiven Mechanismen weiter und ist durch eine völlige Interkonnektivität und gegenseitige Beeinflussung der externen Variablen gekennzeichnet, sodass Veränderungen in 266 8 Diskussion der Sprachkompetenz Mehrsprachiger in ihrem weiteren Lebensverlauf durchaus zu erwarten sind. Die in der Studie herausgestellte Bedeutung der sozio-emotionalen Faktoren als in direktem Zusammenhang stehend mit dem Ausmaß der Sprachkompetenz in der HL lenkt den Blick erneut auf die anfangs vorgenommene Definition des HL-Sprechers. Diese fokussiert bisher gruppenspezifische und sprachbiographische Merkmale wie Prestige und Positionierung im Einwanderungsland, Bedingungen des Spracherwerbs und die Generationenzugehörigkeit der Sprecher (s. Abschnitt 3.1). Angesichts der in dieser Arbeit vorgestellten Ergebnisse empfiehlt es sich jedoch, bei der Definition dieses Begriffs ebenfalls auf die Identität und die Einstellung des Sprechers stärker einzugehen. Die Verwendung dieses Terminus sollte dabei die Selbstwahrnehmung als HL-Sprecher stärker widerspiegeln und auch die Grundhaltung des Sprechers zu seiner Mehrsprachigkeit berücksichtigen. Schließlich ist in dieser Untersuchung der Beitrag externer, individueller Faktoren für den Erhalt der HL deutlich herausgearbeitet worden. Gleichzeitig gilt für solche vermeintlich durch den Sprecher selbst steuerbaren bzw. ausschließlich den Sprecher betreffenden Vorgänge, was Weinreich bereits vor über vierzig Jahren zum Aufgeben von Minderheitensprachen formulierte: „But even the order in which, and the age at which, the languages are learned, the extent of written usage, the relative proficiency, and the emotional involvement with the languages are frequently laid down for the language users by their society“ (Weinreich 1974: 83). Für alle das Individuum betreffenden externen Faktoren bildet somit die gesellschaftliche Makroebene die Basis und bestimmt vorrangig über Spracherhalt- und Sprachverlustprozesse im Kontext von Migration. Literatur Abrahamsson, Niclas & Hyltenstam, Kenneth (2009): Age of Onset and Nativelikeness in a Second Language. Listener Perception versus Linguistic Scrutiny. In: Language Learning 59 (2), 249-306. 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Statistisches Bundesamt 2017b; eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Abb. 3: Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach Staatsangehörigkeit und eigener Migrationserfahrung (vgl. Statistisches Bundesamt 2017b; eigene Darstellung) . . . . . . . . 45 Abb. 4: Externe Einflussfaktoren auf HL-Kompetenz und -Gebrauch nach Montrul 2016: 9; Übersetzung H. O. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Abb. 5: Sprachmodi eines Mehrsprachigen nach Grosjean 2012; Übersetzung H. O. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Abb. 6: Zweidimensionales Modell von Einstellungen (vgl. Haddock & Maio 2014: 207) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Abb. 7: Vier Ausprägungstypen kultureller Identität (vgl. Berry 1997; 2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Abb. 8: Überblick über die in der Arbeit untersuchten externen Einflussfaktoren auf die Sprachkompetenz in der HL . . . . . . . . . . . 178 Abb. 9: Sprachbiographische Einflussfaktoren auf die Sprachkompetenz in der HL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Abb. 10: Sprachgebrauchskontexte als Einflussfaktoren auf die Sprachkompetenz in der HL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Abb. 11: Sozio-emotionale Einflussfaktoren auf die Sprachkompetenz in der HL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Abb. 12: Häufigkeit der Reisen ins Herkunftsland der Eltern . . . . . . . . . . . . 221 Abb. 13: Histogramme Medienverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Abb. 14: Teilnahmedauer am herkunftssprachlichen Unterricht . . . . . . . . . 224 Abb. 15: Histogramme Häufigkeit der Gottesdienstbesuche nach verwendeter Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Abb. 16: Sprachgebrauch mit der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Abb. 17: Externe Einflussfaktoren auf HL-Kompetenz in der Adoleszenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 314 Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Tab. 1: Teilnehmer am Fremdsprachenunterricht im Schuljahr 2015 / 2016 im Vergleich (vgl. Statistisches Bundesamt 2017a) . . . . . . . . . . . . . . . 26 Tab. 2: Die fünf am häufigsten gesprochenen Sprachen in Grundschulen in Hamburg, Freiburg, Erfurt, Essen im Vergleich (vgl. Ahrenholz & Maak 2013; Chlosta et al. 2003; Decker & Schnitzer 2012; Fürstenau et al. 2003; eigene Darstellung) . . . . . . . . 47 Tab. 3: Formen der Sprachdominanz in der Mehrheits- und Minderheitensprache nach Generationenzugehörigkeit (Darstellung nach Montrul 2016: 24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Tab. 4: Das Registermodell nach Maas 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Tab. 5: Funktionale Domänen der Minderheiten- und der dominanten Sprache im Vergleich nach King (1989; zitiert nach Tsunoda 2006: 66; Übersetzung H. O.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Tab. 6: Sprachmodi eines Mehrsprachigen nach Registern (eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Tab. 7: Gesellschaftliche Spracheinstellungen nach Ruiz 1984; aus Zhang & Slaughter-Defoe 2009, Übersetzung H. O. . . . . . . . . . 149 Tab. 8: Sprachgebrauchskontexte nach Registern und Sprachmodi . . . . . 195 Tab. 9: Zusammensetzung der Studienteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Tab. 10: Zusammensetzung der Studienteilnehmer nach Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Tab. 11: Herkunftsländer der Familien: beide Elternteile zugewandert . . . 209 Tab. 12: Herkunftsländer der Familien: Herkunftsland bei nur einem zugewanderten Elternteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Tab. 13: Heritage Languages der Teilnehmer: eine angegebene Sprache . . . 210 Tab. 14: Heritage Languages der Teilnehmer: zwei angegebene Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Tab. 15: Bildungsgrad der Eltern der Studienteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Tab. 16: Skalenstatistik der Skala „Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Tab. 17: Ergebniszusammenfassung der Hauptkomponentenanalyse für die Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz in der HL (N = 179) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Tab. 18: Skalenstatistiken der Subskala „Sprachkompetenz im intimen Register: Verstehen & Sprechen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Tabellenverzeichnis 315 Tab. 19: Skalenstatistiken der Subskala „Sprachkompetenzen im intimen Register: Lesen & Schreiben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Tab. 20: Skalenstatistiken der Subskala „Sprachkompetenz im formellen Register“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Tab. 21: Studienteilnehmer nach Spracherwerbstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Tab. 22: Sprachkonstellation in der Familie der Studienteilnehmer . . . . . . 219 Tab. 23: Geschwisterkonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Tab. 24: Sprachgebrauchskontexte nach Registern und Sprachmodi . . . . . 220 Tab. 25: Sprachverwendung bei Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Tab. 26: Sprachgebrauch beim Gottesdienstbesuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Tab. 27: Sprachgebrauch mit der Mutter und mit dem Vater . . . . . . . . . . . . . 226 Tab. 28: Sprachgebrauch mit Geschwistern und Freunden . . . . . . . . . . . . . . . 227 Tab. 29: Sprachgebrauch mit den Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Tab. 30: Skalenstatistik der Subskala „Kognitive Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Tab. 31: Skalenstatistik der Subskala „Affektive Einstellung zur Mehrsprachigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Tab. 32: Ergebniszusammenfassung der Hauptkomponentenanalyse für die Einstellung zur Mehrsprachigkeit (N = 180) . . . . . . . . . . . . . 231 Tab. 33: Skalenstatistik der Subskala „Ethnische Identität“ . . . . . . . . . . . . . . . 233 Tab. 34: Skalenstatistik der Subskala „Nationale Identität“ . . . . . . . . . . . . . . . 233 Tab. 35: Zusammenfassung aller Prädiktoren für das Regressionsmodell zu Spracherhalt der HL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Tab. 36: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse für die Gesamtskala „Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz“ . . . . . . . 237 Tab. 37: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse für die Subskala „Sprachkompetenz im intimen Register: Verstehen & Sprechen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Tab. 38: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse für die Subskala „Sprachkompetenz im intimen Register: Lesen & Schreiben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Tab. 39: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse für die Subskala „Sprachkompetenz im formellen Register“ . . . . . . . . . . . . 240 316 Abbildungsverzeichnis LD 40 Der Erhalt von Minderheitensprachen ist ein in der Mehrsprachigkeitsforschung aktuell vielfach diskutiertes Thema. Die Beschäftigung mit diesem Gegenstand stellt nicht nur das gängige Verständnis von „muttersprachlicher“ Kompetenz infrage, sondern erweitert auch eine idealisierte Vorstellung von balanciert Mehrsprachigen um Sprecher mit vielfältigeren Sprachpro len. Dieser Band stellt nach einem umfassenden, interdisziplinär angelegten Überblick über das Forschungsfeld eine empirische quantitative Studie vor, die den Ein uss unterschiedlicher außersprachlicher Faktoren auf den Erhalt bzw. den Verlust der Herkunftssprache bei Jugendlichen der zweiten Migrantengeneration in Deutschland untersucht. 40 40 Language Development ISBN 978-3-8233-8306-2 Olfert Spracherhalt und Sprachverlust bei Jugendlichen Helena Olfert Spracherhalt und Sprachverlust bei Jugendlichen Eine Analyse begünstigender und hemmender Faktoren für Spracherhalt im Kontext von Migration Language Development 18306_Olfert_Umschlag.indd Alle Seiten 31.05.2019 09: 27: 17