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Von Stereotypen zu Einstellungsprofilen

Eine empirische Untersuchung zur Entwicklung der Deutschlandbilder chinesischer Deutschstudierender in China

1007
2019
978-3-8233-9324-5
978-3-8233-8324-6
Gunter Narr Verlag 
Ningjie Zhang

Wie beeinflusst stereotyp verkürztes Wissen unsere Einstellung und unsere Sicht auf die Welt, z. B. auf eine andere Nation? Wodurch können Stereotype und die damit verbundenen Gefühle geprägt werden, was sind wichtige Einflussfaktoren? Diesen Fragen geht die vorliegende Studie nach. Sozialwissenschaftliche Modelle liefern die notwendigen Instrumente, die für diese Untersuchung adaptiert und neu kombiniert wurden. Erstmalig werden Einstellungsprofile für Gruppen und einzelne Individuen entwickelt. Sie zeigen, dass Stereotype und damit verbundene Einstellungen immer unsere interkulturelle Begegnung begleiten. Um sie besser kennenzulernen, wird ein schlüssiges Untersuchungsdesign vorgestellt.

<?page no="0"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidak�k Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidak�k ISBN 978-3-8233-8324-6 Zhang Von Stereotypen zu Einstellungsprofilen Ningjie Zhang Von Stereotypen zu Einstellungsprofilen Eine empirische Untersuchung zur Entwicklung der Deutschlandbilder chinesischer Deutschstudierender in China Wie beeinflusst stereotyp verkürztes Wissen unsere Einstellung und unsere Sicht auf die Welt, z. B. auf eine andere Na�on? Wodurch können Stereotype und die damit verbundenen Gefühle geprägt werden, was sind wich�ge Einflussfaktoren? Diesen Fragen geht die vorliegende Studie nach. Sozialwissenscha�liche Modelle liefern die notwendigen Instrumente, die für diese Untersuchung adap�ert und neu kombiniert wurden. Erstmalig werden Einstellungsprofile für Gruppen und einzelne Individuen entwickelt. Sie zeigen, dass Stereotype und damit verbundene Einstellungen immer unsere interkulturelle Begegnung begleiten. Um sie besser kennenzulernen, wird ein schlüssiges Untersuchungsdesign vorgestellt. 18324_Umschlag.indd 3 11.09.2019 09: 14: 40 <?page no="1"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="2"?> Ningjie Zhang Von Stereotypen zu Einstellungsprofilen Eine empirische Untersuchung zur Entwicklung der Deutschlandbilder chinesischer Deutschstudierender in China <?page no="3"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Zusätzliches Material finden Sie online unter www.meta.narr.de/ 9783823383246/ Anhang.pdf. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-8233-8324-6 (Print) ISBN 978-3-8233-9324-5 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0181-3 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="4"?> Für meine Familie <?page no="6"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.2 Forschungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.3 Forschungsstationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung . . . 25 2.1 Der Begriff Stereotyp in unterschiedlichen Untersuchungskontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.2 Stereotyp vs. Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.3 Messinstrumente zur Erfassung von Stereotypen und Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3.1 Die Eigenschaftsliste zur Erfassung von Stereotypen . . . . . . . . 33 2.3.2 Messinstrumente zur Erfassung der Einstellungen . . . . . . . . . . 40 2.4 Zusammenfassung zur Einordnung der Begriffe Stereotyp und Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.5 Nationale Stereotype . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.5.1 Öffentliche und private Anteile der Stereotype . . . . . . . . . . . . . . 43 2.5.2 Entstehung nationaler Stereotype . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.5.3 Das Stereotyp im Kontext China-Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.5.4 Zusammenfassung zu nationalen Stereotypen . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.6 Zusammenfassung zum Konzept Stereotyp und Einstellung in Bezug auf die interkulturelle Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.3 Weitere Modellgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.3.1 Das Drei-Komponenten-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.3.2 Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3.3.3 Einstellungsmessung mit dem semantischen Differenzial, Fishbein (1963) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 <?page no="7"?> 8 Inhaltsverzeichnis 3.3.4 Das semantische Differenzial nach Osgood et al. (1957) . . . . . . 82 3.3.5 Reduziertes semantisches Differenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.3.6 Die Bedeutung der Aufgabenstellung für den gewählten Modellansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.3.7 Single-Response-Messungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . 87 3.3.9 Zusammenfassung weiterer Modellgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . 89 3.4 Zusammenfassung Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4.1 Quantitative und qualitative Aspekte der Forschungskonzeption . . . 95 4.2 Versuchsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.2.1 Übersetzung der Eigenschaftsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.2.2 Voruntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.2.3 Aufbau des Fragebogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.2.4 Fragebogen-Pretest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.2.5 Untersuchungsumfeld an der Universität SISU . . . . . . . . . . . . . . 115 4.2.6 Deutschabteilung der Universität SISU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.2.7 Das Probandenkollektiv der Hauptuntersuchung . . . . . . . . . . . 118 4.2.8 Durchführung der Fragebogenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4.2.9 Aufbereitung der Fragebogendaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.2.10 Auswertungswerkzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.2.11 Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5.1 Darstellung der befragten Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5.1.1 Lerndauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5.1.2 Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5.1.3 Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5.1.4 Herkunftsregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5.1.5 Deutschlanderfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5.1.6 Kontrollgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 5.2 Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 5.3.1 Nutzung der offenen Eigenschaftsliste durch die Probanden . . . 145 5.3.2 Bewertungsrichtung und -intensität der Eigenschaften . . . . . 146 5.3.3 Mittelwerte und Streuungen der Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . 156 5.3.4 Dimensionen und Faktoren der Eigenschaftsliste . . . . . . . . . . . 161 5.3.5 Zusammenfassung Eigenschaftsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5.4 Untersuchung der Jahrgänge ( Jahrgangsmodell) . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 <?page no="8"?> Inhaltsverzeichnis 9 5.4.1 Nutzung der offenen Eigenschaftsliste in den Jahrgängen . . . 180 5.4.2 Einstellungswerte der Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5.4.3 Faktorbasierte Häufigkeiten und Bewertungen im Jahrgangsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5.4.4 TOP-20-Items in Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.4.5 Dynamik der TOP-5-Priorisierung in Jahrgängen . . . . . . . . . . . 201 5.4.6 Diskussion des Jahrgangsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 5.4.7 Zusammenfassung Jahrgangsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 5.5 Modell kohärenter Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 5.5.1 Herleitung kohärenter Gruppen auf Basis der Einstellungsprofile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 5.5.2 Stereotype der kohärenten Gruppen 1-4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 5.5.3 Gruppen-Kombinationen in den Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . 262 5.5.4 Szenarien für Gruppen-Neukombinationen in den Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5.5.5 Zusammenfassung kohärente Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 5.6 Zusammenfassung Jahrgangsmodell und kohärente Gruppen sowie Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie . . . . . . . . . . . . . 277 6.1 Darstellung der Interviewprobanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 6.2 Darstellung der Datenbasis zur Erklärung der Stereotype und Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens . . . 283 6.3.1 Kategorisierung der Interviewaussagen zu Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 6.3.2 Im Interview besprochene Eigenschaften, Faktoren und ihre Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 6.3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 6.4 Bewertung der Stereotype . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 6.4.1 Kategorisierung der Interviewaussagen zur Bewertung von Items . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 6.4.2 Bewertung der Dimension Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 6.4.3 Die Komplexität der Dimension Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 6.4.4 Bewertung der Dimension Erwartung und Wert . . . . . . . . . . . . . 333 6.4.5 Bewertung der Dimension Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 6.4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 6.5 Darstellung der Ergebnisse zu den Central Traits warm - und kaltherzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 6.5.1 Auswertung der Fragebogendaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 <?page no="9"?> 10 Inhaltsverzeichnis 6.5.2 Auswertung der Interviewaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 6.5.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala . . . . . . . . . . . 373 6.6.1 Auswertung der Fragebogendaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 6.6.2 Auswertung der Interviewaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 6.6.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 7. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 7.1 Ziele, Adaption geeigneter Theorien und empirische Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 7.2 Ergebnisse und Forschungsresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 7.3 Ergebnisse für die Fremdsprachendidaktik und interkulturelle Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 7.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 <?page no="10"?> 11 Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 als Dissertation an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen eingereicht und angenommen. Für die Unterstützung bei der Erstellung meiner Arbeit möchte ich mich an erster Stelle bei Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Rupprecht S. Baur bedanken, der mich zur Stereotypenforschung hingeführt hat. Bereits in der Vorbereitungsphase zu meinem Dissertationsvorhaben hat er mich intensiv begleitet und bei der Eröffnung neuer Forschungsperspektiven sehr geholfen. Bei der Planung und Durchführung der vorliegenden Arbeit hat er mich nicht nur jederzeit mit Rat und Tat begleitet, sondern mit auch viel Freiheit zur Entwicklung und Durchführung meiner neuen Forschungsideen eingeräumt. Mein ganz herzlicher Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Bernd Rüschoff für die Übernahme des Zweitgutachtens. Mein Dank geht an meine Kolleginnen und Kollegen des Deutschinstituts der SISU in China, die mich bei der Vorbereitung und Durchführung meiner Datenerhebung zweimal unterstützt haben, bei der Fragebogenerhebung und etwas später noch einmal bei der Interviewbefragung der Probanden. Mein Dank gilt deshalb auch den Probanden, den Studenten der SISU, die während des Unterrichts sorgfältig Fragebögen ausgefüllt haben. An dieser Stelle möchte ich auch meiner Heimatuniversität SISU danken, die mich freigestellt hat und auf dem Weg zur Weiterbildung und Qualifikation in Deutschland unterstützt hat. Auch dem China Scholarship Council , das meine Promotion vier Jahre lang finanziell mit einem Stipendium gefördert hat, gilt mein Dank. Ein ganz besonderer Dank geht auch an meine chinesischen Freundinnen und Freunde, die an der Voruntersuchung teilgenommen haben. Schließlich möchte ich meiner Familie danken, die mich mit Liebe und Vertrauen unterstützt hat. Diese Arbeit ist ihr gewidmet. <?page no="12"?> 13 1. Einleitung Das „Interkulturelle“ hat zahlreiche Facetten. Vor nicht allzu langer Zeit war es noch sehr aufwändig, der jeweils anderen Kultur überhaupt zu begegnen, jedenfalls wenn es sich um Deutschland und China handelte. Interkulturelle und die damit verbundene kommunikative Kompetenz ergab nur für wenige Spezialisten überhaupt Sinn. Die heutige Zeit bietet mit dem unmittelbaren Zugang zu neuen Nachrichten und Informationen ganz andere Voraussetzungen. Durch den viel direkteren Zugang zur anderen Kultur, über Internet und soziale Medien hat man theoretisch die Möglichkeit am Alltag des Anderen teilzunehmen, ausreichendes Wissen und Sprachkompetenz vorausgesetzt. Auch gibt es eine wachsende Anzahl Auslandsstudenten, strategisch geförderte internationale Kooperationen zwischen Universitäten und schulischen Bildungseinrichtungen, sowie die zunehmenden Abhängigkeiten der Länder voneinander, aus technologischen, ökonomischen, sicherheitspolitischen oder auch umweltschutzbezogenen Gründen, die dazu führen, dass man dem „Fremden“ aus anderen Kulturkreisen zunehmend begegnet, auch im eigenen Land. Dabei begleitet uns immer auch die schematische, stereotype, wenig differenzierende Wahrnehmung des Anderen durch uns und umgekehrt von uns durch Andere. Dabei können Stereotype durch Gefühle aufgeladen sein, im positiven und im negativen Sinne. Von diesem schematischen Denken sind wir plötzlich selbst betroffen, wenn z. B. unser ausländischer Gesprächspartner vorschnell Eigenschaften in uns sieht und Gefühlsbarrieren aufbaut, die eigentlich gar nicht auf uns selbst zutreffen, sondern nur dem Stereotyp von uns entsprechen. In dieser Situation kann das stereotype Denken und Fühlen die interkulturelle Kommunikation erschweren. Umgekehrt können wir Irritationen vermeiden, wenn wir mehr über solche mitgebrachten Überzeugungen und Gefühle, ihre Wirkung und ihre Wandelbarkeit wissen. In unserer Zeit, in der der Erstkontakt eine entscheidende Rolle spielt, in der man möglicherweise wenig Zeit hat, unnötig entstandenes Misstrauen auszuräumen, in der der Erfolgsdruck überall steigt, kann es helfen mehr über die stereotypen Prämissen unserer Kommunikation zu wissen, um besser damit umgehen zu können, wenn dies angebracht erscheint. Dazu soll die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten. <?page no="13"?> 14 1. Einleitung 1.1 Ausgangssituation Durch Walter Lippmanns Arbeit Public Opinion (1922) wurde die empirische Forschung zu Stereotypen und Einstellungen in den USA ausgelöst. In dieser Anfangszeit der Stereotypenforschung wurden Einstellungen und Stereotype häufig noch ganzheitlich betrachtet. Der Schwerpunkt der damaligen Forschungen lag auf der Untersuchung von Urteilen und Vorurteilen, die das Zusammenleben der vielen Ethnien im Einwanderungsland USA erleichterten oder erschwerten. Deshalb wurde die Gefühlskomponente von Stereotypen immer mituntersucht. Wichtige Meilensteine der frühen sozialpsychologischen Forschungen, auf die in dieser Arbeit eingegangen wird, wurden von Bogardus (1925b, 1928), Thurstone (1928), Katz und Braly (1933, 1935), Likert (1932) und Osgood/ Suci/ Tannenbaum (1957) gesetzt. Dabei wurden die Stereotype in den Untersuchungen von Katz und Braly (1933) mit Eigenschaftslisten ( stereotype check list ) erhoben. Diese Methode hatte einen bedeutenden Einfluss auf die nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland angewandte Methodologie zur Erforschung von Stereotypen. Die in der Nachkriegszeit an der FU Berlin arbeitenden Sozialpsychologen Sodhi und Bergius übernahmen 1953 das Eigenschaftslisten-Verfahren von Katz und Braly und legten damit in Deutschland den Grundstein für die Folgearbeiten mit dieser auch hier benutzten Methode. In den Arbeiten, die in der Fremdsprachenforschung in Deutschland und damit insbesondere auch im Fach Deutsch als Zweit- und Fremdsprache seit den 60er Jahren bis heute durchgeführt wurden (Keller 1969, 1972, 1973, 1979, 1986, 1998, Hann 1985, Koreik 1993, Apeltauer 2002, Baur/ Ossenberg/ Zarudko 2013, Baur/ Ossenberg/ Churbanova 2017), wurde der Schwerpunkt einseitig auf die kognitive Komponente von Stereotypen gelegt. Gefühlsladungen sind aber auch wesentlicher Bestandteil des stereotypen Denkens. Besonders deutlich zeigen dies gegensätzlich gefühlsgeprägte Begriffe wie z. B. großzügig und gastfreundlich gegenüber verschlossen und fremdenfeindlich . Diese affektiven Seiten von Stereotypen wurden nicht weiter betrachtet. Die Verbindung zwischen den Ansätzen der Einstellungs- und der Stereotypenforschung wurde weitgehend aufgegeben. Um diese Verbindung wiederherzustellen müssen Methoden entwickelt werden, welche die Einstellungskomponenten für eine genauere Interpretation von Stereotypen wieder einbeziehen können. Ansätze sozialpsycholgischer Forschung von Rosenberg und Hovland (1960) sowie Fishbein (1963) erscheinen als geeignete Basis und werden auf ihre Eignung hin untersucht. Sie werden im theoretischen und empirischen Teil dieser Arbeit genauer betrachtet. <?page no="14"?> 1.2 Forschungsansatz 15 In interkulturellen Kontaktsituationen geht es auch immer um „nationale Stereotype“, in diesem Fall also um die Eigenschaften, die Chinesen den Deutschen zuschreiben. Arbeiten von Tang (1993), Yang (2007), Fan (2007), Liu (2010), Gao (2012) und die aktuelle Huawei-Studie (2012, 2014, 2016) sind nicht unmittelbar vergleichbar, weil sehr unterschiedliche Erhebungsmethoden verwendet wurden. Sie zeichnen insgesamt aber ein sehr positives Deutschlandbild, das in Kapitel 2.5.3 genauer beschrieben wird. Um Natur und Wirkung dieser Stereotype - und von Stereotypen ganz allgemein - besser zu verstehen, müssen Gefühle als Einstellungskomponente durch die Adaption geeigneter Ansätze der sozialpsychologischen Forschungen wieder berücksichtigt werden. Das ist das Ziel der vorliegenden Arbeit. 1.2 Forschungsansatz Einstellung und Kommunikation bedingen einander, stehen in ständiger Wechselwirkung zueinander, im Alltag genauso wie im interkulturellen Kontext. Die Einstellungen der Kommunikationspartner bestimmen den Inhalt, den Ton und letztlich das Ergebnis ihres Austauschs. Einstellungen sind nicht einfach greifbar. Die Forschungen dazu nehmen in der Sozialpsychologie seit fast 100 Jahren einen festen Platz ein. Die vorliegende Arbeit fokussiert einen Aspekt, der gerade in der interkulturellen Kommunikation immer eine Rolle spielt: sie untersucht Einstellung als Bündel stereotyper Überzeugungen und gefühlsgeprägter Urteile. Mit dieser Arbeit wird beschrieben, mit welchen Eigenschaften deutschlernende chinesische Studenten 1 die Deutschen stereotyp charakterisieren. Dabei wird auch untersucht, wie diese Probanden 1 die genannten Eigenschaften in Bezug auf die Deutschen beurteilen. Forschungsziel ist es, Zusammenhänge von Stereotyp und wertendem Urteil zu analysieren, um damit die Einstellung der chinesischen Probanden zu den Deutschen zu beschreiben und zu verstehen. Die den Probanden abverlangten wertenden Urteile zu den deutschen Charakteristika bringen eine affektive Komponente mit sich, die in diesem Forschungsansatz als ein Teilaspekt zusammen mit der Stereotypisierung als zweitem Teilaspekt einer Einstellung untersucht wird. Die Begriffe Stereotyp und Einstellung sind deshalb zentrale Begriffe für diese Arbeit. 1 Aus Gründen der Übersichtlichkeit und der besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit vorwiegend auf das generische Maskulinum zurückgegriffen, auf die weiblichen Formen im Einzelfall, z. B. bei der Interpretation von Interviewaussagen. <?page no="15"?> 16 1. Einleitung Zuerst wurde der Begriff Stereotyp 1922 vom US-amerikanischen Publizisten Walter Lippmann geprägt. Er ging dabei von der Produktion, der Verbreitung und der Wirkung medialer Nachrichten aus. Aus eigener Erfahrung beschrieb er, dass ein Augenzeugenbericht inhaltlich oft nicht objektiv ist, sondern von Vorstellungen überlagert wird, die der wahrnehmende Zeuge vorher schon hatte und an den Schauplatz mitbringt: Yet even the eyewitness does not bring back a naive picture of the scene. For experience seems to show that he himself brings something to the scene which later he takes away from it, that oftener than not what he imagines to be the account of an event is really a transfiguration of it. (Lippmann 1998: 79 f.) Solche bereits vorhandenen Vorstellungen des Beobachters, die zwischen unserer Wahrnehmung und der realen Umgebung stehen und tatsächliche Ereignisse gedanklich überlagern können, fasst Lippmann - in Analogie zur damaligen Schriftdrucktechnik - mit dem Begriff Stereotyp 2 zusammen. Die Wirkung von Stereotypen lässt sich durchaus selbst erfahren. Lesen Sie bitte diesen Text: Ein Vater und sein Sohn wurden in einen Autounfall verwickelt, bei dem der Vater starb und der Sohn schwer verletzt wurde. Der Vater wurde am Unfallort für tot erklärt und sein Leichnam ins örtliche Leichenschauhaus gebracht. Der Sohn wurde mit einem Unfallwagen ins nächste Krankenhaus transportiert und sofort in den Operationssaal der Notfallabteilung gerollt. Es wurde ein Mitglied des Chirurgenteams gerufen. Als es eintraf und den Patienten sah, rief es aus: ‚Oh Gott, das ist mein Sohn! ‘ Haben Sie eine Erklärung dafür? ( Jonas et al. 2014: 110 f.) Wenn man diese Aufgabe in einer privaten Versuchsreihe einige Male Dritten stellt, wird deutlich, wie schwer es fallen kann, ein automatisch aktiviertes Stereotyp zu überwinden. Die Auflösung ist im nächsten Kapitel beschrieben. Dies leitet über zu den Strategien, mit denen Stereotype erforscht werden. Die oben genannte private Versuchsreihe hätte durchaus einen Experimentalcharakter, wenn die Geschichte mit unterschiedlich deutlichem Gendering erzählt würde und die unterschiedlichen Reaktionen der Probanden festgehalten würden. Denn Experimente sind „Methode[n], bei welche[n] der Versuchsleiter absichtlich eine Veränderung einer Situation herbeiführt, um die Konsequenzen dieser Veränderung zu untersuchen“ (ebd. 6). Experimente sind eher auf Detailfragen ausgerichtet und benötigen eine passende Umgebung im Labor oder im 2 Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff Stereotyp im Kontext der gegenseitigen Wahrnehmung von sozialen Gruppen und Individuen benutzt. <?page no="16"?> 1.2 Forschungsansatz 17 Feld, um die Experimentalsituation präzise kontrollieren und reproduzieren zu können. Wenn es um die Erfassung von multivariaten Forschungsdaten zu nationalen Stereotypen geht, dann werden Probanden auch direkt befragt. Instrumente sind dabei meistens unterschiedliche Formen von Fragebogenerhebungen und Interviews sowie deren Auswertungen (z. B. Backhaus et al. 2016, Mayring 2008, Kuckartz 2012). Die vorliegende Arbeit weist mit Stereotyp und Einstellung thematische Schwerpunkte auf, folgt aber auch konsequent der Chronologie der Forschungen in diesem Bereich, weil gerade in der Anfangszeit der Stereotypenforschung Stereotyp und Einstellung häufig simultan betrachtet wurden. Motivation der frühen Untersuchungen war es, gefühlsgeprägte Vorurteile im Zusammenleben der vielen Ethnien in den USA zu erforschen. Sowohl stereotypisierende Perzeption als auch wertende Urteile wurden in diesem Zusammenhang als wichtige Forschungsgegenstände angesehen. Deshalb geht diese Arbeit zunächst zurück in die Zeit der ersten Fragebogenerhebungen zur Erfassung von Stereotypen und Einstellungen, um die damaligen eher ganzheitlich geprägten Forschungsideen wieder aufzugreifen. So bekamen z. B. 248 Probanden in einer frühen Studie (Bogardus 1925b) die Aufgabe, 36 ethnische Gruppen entsprechend ihrem Gefühl in eine der drei Kategorien „friendliness, neutrality and aversion“ einzusortieren. Diese Methode einer gefühlsbetonten, affektiven Klassifikation verband Thurstone (1928) mit einer 11-stelligen Skala. Seine Methode bestand darin, zu einem Einstellungsobjekt - er nannte es „attitude variable“ - ein Set von 80 bis 100 Meinungen oder Feststellungen - er nannte es „Statements“ - rangierend von sehr positiv oder sehr gut bis sehr negativ oder sehr schlecht im Rahmen einer Vorstudie zusammenzustellen. Ein weiterer Schritt der Vorstudie bestand darin, 300-400 Probanden dieses Set in elf Stapel von sehr positiv bis sehr negativ sortieren zu lassen. Die somit erfasste Bewertung eines jeden Statements wurde gemittelt, dabei wurden offensichtlich mehrdeutige Statements bereinigt, sodass am Ende mit einem Set von 20 bis 30 Statements die Einstellungsmessung durchgeführt werden konnte. Die Messung bestand darin, die Probanden zu fragen, ob sie einem Statement zustimmen oder nicht. Da der Wert eines jeden Statements bereits ermittelt worden war, ließ sich so für jeden Probanden durch einfaches Aufaddieren der Statementbewertungen die Einstellung messen. Ähnlich ist Likerts Ansatz 1932, der ebenfalls von einem Set von ca. 100 Statements zu einem Einstellungsobjekt ausging. Diese wurden ebenfalls reduziert, aber nicht im Rahmen einer aufwändigen Vorstudie, sondern vom Versuchsleiter. Dieser sortiert Statements aus, die mehrdeutig oder neutral sind. Nach diesem Schritt bleiben nur eindeutig positive und eindeutig negative Statements übrig. <?page no="17"?> 18 1. Einleitung Diese werden dann auf „innere Konsistenz“ ( internal consistency ) (Likert 1932: 27) geprüft, das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass negative Items meistens abgelehnt wurden und positiven meistens zugestimmt werden konnte, musste höher sein als umgekehrt. Die Zustimmung zu einem Statement oder dessen Ablehnung wurde dann auf einer 5-stelligen Skala von vollkommener Ablehnung bis vollkommene Zustimmung abgefragt. Die Reihenfolge der Skala variierte dabei mit dem jeweiligen Statement. Thurstones und Likerts Verfahren benötigten relativ aufwändige Statements in Form von ganzen grammatikalischen Sätzen. Katz und Braly (1935) verbanden die Eigenschaften 3 ihres Fragebogens mit einer gefühlsbetonten Beurteilung. Dabei setzten sie erstmalig eine Eigenschaftsliste zur Stereotyperfassung ein, so wie sie auch heute noch benutzt wird. Zur Beurteilung der Eigenschaften ließen sie eine Probandengruppe jedes Item 4 auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten. Eine 10 wurde für eine sehr erwünschte Eigenschaft, eine 5 für eine neutrale und eine 1 für eine unerwünschte Eigenschaft vergeben. Das Kriterium für jede Bewertung war „your preference for association with people possessing such a trait“ (Katz/ Braly 1935: 184). Im Ergebnis konnten sie die Beliebtheit von zehn Ethnien durch Kennzahlen - Mittelwert und Standardabweichung - auf einer Rangskala quantifizieren, z. B.: Amerikaner vor Engländern, Deutschen und Iren. Die damalige simultane Betrachtung von „private or personal basis and […] public or cultural basis [of stereotypes]“ (Katz/ Braly 1933: 289), „belief in typical characteristics 5 “, „evaluation of typical traits“ sowie „emotional responses“, „public and private attitudes“ (Katz/ Braly 1935: 188 ff.) führte in den folgenden Jahrzehnten zu unterschiedlichen Forschungsansätzen. Zum einen entwickelten sich relativ disjunkte Betrachtungen von Einstellungs- und Stereotypenforschungen. Stereotypbetrachtungen ohne ausgeprägten Bezug zu Einstellungen standen z. B. in den Bereichen der Kulturwissenschaften und der Didaktik im Vordergrund (siehe Kap. 1.1 Ausgangssituation ). Die Ansätze der Einstellungsforschung dagegen setzen ihrerseits keine Stereotype voraus, sie sind umfassender angelegt. Ihre Basis sind Modelle, die Komponenten definieren und deren Zusammenwirken beschreiben. Deshalb muss sich auch die vorliegende Arbeit verstärkt mit Modellen auseinander- 3 Eigenschaften in diesem Kontext bezeichnen Attribute, mit denen eine soziale Gruppe beschrieben wird, z. B. „fleißig“, „freundlich“. 4 Der Begriff Item bezeichnet Eigenschaften im operationalen Kontext zur Erfassung dieser Eigenschaften, z. B. die Eigenschaft „fleißig“ als Teil eines Fragebogens oder als Teil einer Eigenschaftsliste eines Fragebogens. Zur genauen Definition vgl. Definition 5: Item (siehe Kap. 3.1) 5 Der Begriff Charakteristika fasst mehrere Eigenschaften zusammen, die typisch für eine soziale Gruppe sind, z. B. erscheinen Deutsche den Chinesen als „diszipliniert, gründlich, ordentlich, …“ (siehe Kap. 3.1). <?page no="18"?> 1.3 Forschungsstationen 19 setzen. Häufig herangezogene Modelle, auf die auch diese Arbeit Bezug nimmt, sind das Drei-Komponenten-Modell von Rosenberg und Hovland (1960) und das Modell von Fishbein (1963). Die Arbeiten von Rosenberg und Hovland (1960) beschreiben Einstellung 6 aus der Perspektive eines abstrakten Modells, das aus drei Komponenten besteht. Demnach besteht Einstellung daraus, wie wir in Bezug auf ein Einstellungsobjekt erstens denken, zweitens fühlen und drittens handeln wollen oder tatsächlich handeln (vgl. Rosenberg/ Hovland 1960). Ein Einstellungsobjekt ist dabei allgemein gehalten als Personen, als Sachverhalte, als eine soziale Gruppe oder ein beliebiges Objekt. In unserem Fall besteht das Einstellungsobjekt aus einer sehr großen sozialen Gruppe, nämlich den Deutschen in ihrem Land. Ziel dieses Forschungsansatzes (Abbildung 1) ist es, stereotypes Denken - das bezieht sich in dieser Studie auf nationale Stereotype - so wie zu Beginn der Stereotypenforschung als einen Teilbereich der Einstellung zu begreifen und zu untersuchen. Dadurch, dass Stereotyp und Einstellung zu den Deutschen untersucht wurde, geht es um die interkulturelle Einstellung, ihre Facetten, einstellungsgestaltende Einflüsse, den Wandel und letztendlich auch um mögliche Konsequenzen für die interkulturelle Kommunikation und die Didaktik im Bereich DaZ/ DaF. In einem Forschungsresümee werden Empfehlungen für die Weiterentwicklung der hier eingesetzten Methoden zusammengefasst. 1.3 Forschungsstationen Die Forschungsstationen werden mit der Aufzählung von 1-9 beschrieben und in der Grafik des Modellansatzes dargestellt (vgl. Abbildung 1: Forschungsansatz ). Den Ausgangspunkt bildet zunächst das Modell von Rosenberg und Hovland (1960). Dabei geht es nicht darum, die Komponenten Kognition/ Denken, Affektion/ Fühlen und Konation/ Handeln (wollen) aufeinander abzubilden. Vielmehr bildet das Modell einen allgemeinen, anerkannten ‚Grundriss‘, der als Basis für die Forschungsaktivitäten dieser Arbeit benutzt wird. Dies verdeutlicht Abbildung 1. Der Grundriss wird durch die vorliegende Arbeit dadurch ausgestaltet, dass das Modell von Fishbein (1963) integriert wird. Dabei wird nicht das Originalmodell verwendet, sondern eine durch diese Arbeit konkretisierte Form (siehe auch Kap 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ). Die 6 Wenn man eine Einstellung äußert, ist das der Ausdruck eines wertenden Urteils über ein Stimulusobjekt. Einstellungen unterscheiden sich in Richtung und Stärke (vgl. Jonas et al. 2014: 199). <?page no="19"?> 20 1. Einleitung Komponenten des Denkens und Fühlens - beide Komponenten werden im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit in Bezug zu Stereotypen gesetzt - sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die Komponente des Handeln (wollens) jedoch nicht, sie wird als Teilkomponente des Einstellungsmodells stellenweise mit betrachtet, aber nicht näher untersucht (vgl. Abbildung 11: Aspekte des Drei-Komponenten-Modells: mit integrierten Dimensionen Erwartung und Wert ). Abbildung 1: Forschungsansatz Die folgende Aufzählung der Forschungsstationen soll als Leitfaden durch die empirischen Abschnitte des Forschungsansatzes dienen. Die eingesetzten empirischen Theorien und Modelle und auch die Gründe für ihren Einsatz weisen jeweils einen eigenen Forschungsansatz auf, der im jeweiligen Kapitel genauer beschrieben wird. Nach einer Betrachtung relevanter Konzepte zu Stereotyp und Einstellung im Allgemeinen und zu nationalen Stereotypen im Besonderen in Kapitel 2 Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung werden grundlegende Modellüberlegungen angestellt. Die in Kapitel 3 Modellbildung beschriebenen Forschungsansätze, vorwiegend der Einstellungsforschung, werden untersucht und entsprechend der Zielsetzung der vorliegenden Arbeit adaptiert und um Aspekte der Stereotypenforschung erweitert. Ab Kapitel 4 Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen wird der eigene Versuchsaufbau mit anschließender Datenanalyse, immer mit Bezug auf die Modellbildung, beschrieben. Wichtigste Stationen sind: 1. Als Teil eines modular aufgebauten Fragebogens erfasste ein allgemeines Modul Informationen zum Probanden wie Alter, Geschlecht, Geburtsort <?page no="20"?> 1.3 Forschungsstationen 21 sowie eine Kennzahl zur Erfassung des positiven oder negativen Gefühls gegenüber den Deutschen (durch warmherzig vs. kaltherzig als zentrale Begriffe für ein mehr positives oder mehr negatives Gefühl auf einer Skala von 1-5, vgl. Kap. 4.2.3 Aufbau des Fragebogens ). 2. Das zentrale Modul bestand aus einer Eigenschaftsliste (Baur et al. 2014) zur Erfassung der Stereotype. Damit wurde ein Faktorenmodell (vgl. Kap. 5.3.4 Dimensionen und Faktoren der Eigenschaftsliste ) erstellt, und Zusammenhänge in den Korrelationen der Nennungen sichtbar gemacht: nämlich welche Eigenschaft tendenziell zusammen mit welchen anderen Eigenschaften genannt wurde. Das Ergebnis bestand aus sechs Haupt-Faktoren, die mit Überschriften wie z. B. „Soziale Eigenschaften“ oder „Eigenschaften der deutschen Perfektion“ charakterisiert wurden und die zusammen den „Raum“ der Eigenschaftsliste vollständig beschreiben. Mit der Verdichtung von 139 Items auf sechs Faktoren konnten die Nachteile einer offenen Eigenschaftsliste überwunden werden und deren Vorteile genutzt werden. 7 3. Ein zweites Modul verlangte die Hervorhebung, die Qualifizierung der 5 typischsten unter den genannten Eigenschaften. Diese TOP-5-Nennungen wurden zweimal verwendet. Zuerst wurde auf dieser Basis das von Katz und Braly (1933) eingeführte Bestimmtheitsmaß berechnet und ein eigenes Phasenmodell für die Stereotypentwicklung abgeleitet (vgl. Kap. 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly ). Weiterhin wurde die Dynamik untersucht, die mit der Qualifizierung der TOP-5 verbunden ist, denn dabei wird implizit eine Rangskala von auf- und abgestuften Eigenschaften erstellt (vgl. Kap. 5.4.5 Dynamik der TOP-5-Priorisierung in Jahrgängen ). 4. Ein drittes Modul erfasste die Bewertung zu jeder vom Probanden genannten Eigenschaft auf einer 7-stufigen-Skala von -3 bis +3. Die Skala nach Fishbein (1963) wurde in einer modifizierten Form eingesetzt, um über dieses Modul die Einstellungswerte der Probanden zu erfassen (vgl. Kap. 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ). Die unterschiedliche Art und Weise des Umgangs der Probanden bei der Anwendung der Skala wurde ebenfalls erfasst und analysiert (vgl. Kap. 5.3.2 Bewertungsrichtung und -intensität der Eigenschaften ). 5. Mit der Bewertung aus 4. wurde der Einstellungswert nach Fishbein (1963) berechnet: Zum einen die affektive Seite des Stereotyps, d. h. das Gefühl, ob 7 Mit der offenen Eigenschaftsliste in der vorliegenden Arbeit ist nicht gemeint, dass die Probanden die Liste noch um weitere Eigenschaften ergänzen können, sondern dass die Probanden nicht gezwungen werden, jedes Item zur Zustimmung oder Ablehnung bearbeiten zu müssen. Die Auswahl der angebotenen Items bleibt insofern offen, als dass jeder Proband durchs Ankreuzen der Items seine individuelle Liste erstellt. <?page no="21"?> 22 1. Einleitung diese Eigenschaft positiv oder negativ empfunden wird, zum anderen die kognitive Seite, d. h. ob (ja = angekreuzt) und wie sicher sie zutrifft. Die Berechnung erfolgte individuell für Probanden, für Faktoren je Proband und für angekreuzte Eigenschaften je Proband, sowie kollektiv für Faktoren und Eigenschaften (vgl. Kap. 5 Empirische Darstellung der Fragebogendaten ). 6. Ein viertes Modul fragte in leichter Abwandlung der Social Distance Scale von Bogardus (1928) das Gefühl der sozialen Distanz zu den Deutschen ab sowie das Gefühl in Bezug auf unterschiedliche Handlungsalternativen zur persönlichen und beruflichen Zielen in Deutschland und das potentielle Zusammenleben mit Deutschen (vgl. Kap. 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala ). 7. Es wurden Leitfadeninterviews durchgeführt. 8. 1. Dabei reflektierten 16 der insgesamt 407 befragten Probanden ausgewählte Eigenschaften ihrer Stereotype. Die auf Basis einer qualitativen Inhaltsanalyse kodierten Aussagen geben einen Überblick über die Haupteinflüsse, die zur Ausprägung eines Stereotyps führen können (vgl. Kap. 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens ). 2. Weiterhin ergaben sich aus den Interviews die Grundlagen für die praktische Herleitung der Berechnung von Erwartung und Wert des algebraischen Modells von Fishbein (1963) im konkreten Anwendungsfall (vgl. Kap. 6.4 Bewertung der Stereotype ). 3. Die Probanden reflektierten ebenfalls die Bewertung der sozialen Distanz. Motive und Absichten werden hierbei deutlich (vgl. Kap. 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala ). 9. Die Datenauswertung kann damit mehreren Ansätzen folgen. a. Die feinste Stufe der Granularität einer Bewertung bezieht sich immer auf eine einzelne Eigenschaft. Die Menge aller Item-Bewertungen (insgesamt 14.646 Nennungen) werden in einem ersten Schritt unabhängig von Probanden, Klassen und Jahrgängen auf Mittelwerte, Streuungen, Bewertungsrichtungen und Faktoren hin analysiert (vgl. Kap. 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste ). b. Die hier vorliegende Querschnittsstudie umfasst vier vollständige Studienjahrgänge. In einem Jahrgangsmodell wird ein hypothetischer Entwicklungsgradient angenommen, wobei die Jahrgänge aufeinander folgende Entwicklungsschritte, auch für die Stereotyp- und Einstellungsbildung, darstellen. Mit analytischen Gruppenvergleichen wird dieser Hypothese nachgegangen (vgl. Kap. 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) ). c. Die Verteilung der Einstellungswerte der Probanden innerhalb eines jeden Jahrgangs zeigt Untergruppen mit schlechteren, mittleren und bes- <?page no="22"?> 1.3 Forschungsstationen 23 seren Einstellungswerten. Für diesen Untersuchungsansatz wird hypothetisch angenommen, dass es sich um vier kohärente Hauptgruppen (K-Gruppen-Modell) handelt, die jahrgangsübergreifend existieren. Diese sind im einzelnen eine Fan -Gruppe, die grundsätzlich positiv eingestellt ist, eine skeptische Gruppe, die ihren eigenen Überzeugungen zweifelnd gegenübersteht, eine stark polarisierende Gruppe, die negative und positive Eigenschaften deutlich trennt und eine kritische Gruppe, deren Einstellung deutlich negativer als der Durchschnitt ausfällt. Für jede Gruppe wird ein typisches Einstellungsprofil herausgearbeitet. Der ebenfalls hypothetische Entwicklungsgradient besteht dann im Wechsel z. B. von der Fan -Gruppe zur polarisierenden Gruppe. Diesem Ansatz wird in Kapitel 5.5 Modell kohärenter Gruppen nachgegangen. <?page no="24"?> 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung Den Begriff Stereotyp wendete Lippmann (1922) für jede Art des stereotypen Denkens an. Im obigen Stereotypbeispiel aus dem (klinischen) Alltag erscheint uns der Chirurg als willkommener Lebensretter. Aber muss ein Chirurg immer ein Mann sein? Unsere Kognition nimmt hier eine Abkürzung über das Stereotyp, denn meistens sind Chirurgen Männer. Das Modell zum dahinterliegenden Prozess nennt die Sozialpsychologie „kognitive Heuristik“, in unserem Fall genauer „repräsentative Heuristik“ (Fiske/ Taylor 2017: 189), die uns erlaubt, schnelle Schlussfolgerungen aufgrund von Wahrscheinlichkeiten durchzuführen. Diese Fähigkeit zum Schnellschluss bringt aber auch Unsicherheiten und nicht immer korrekte Ergebnisse mit sich. Das ist eine gute Motivation, sich auf interkultureller Ebene, insbesondere im Zusammenhang mit der interkulturellen Kommunikation damit auseinanderzusetzen. 2.1 Der Begriff Stereotyp in unterschiedlichen Untersuchungskontexten Der Begriff Stereotyp , der sich ursprünglich aus den griechischen Wörtern steréos und týpos zusammensetzt, bedeutet „starres Muster“. Bevor der Begriff zu Beginn des 20. Jahrhunderts wissenschaftlich eingesetzt wurde, wurde der Begriff nur im Bereich des Buchdrucks für die Bezeichnung der feststehenden Druckplatten benutzt. Mittlerweile ist das Verfahren veraltet, aber die Bezeichnung ist geblieben (vgl. Hort 2012: 13). Walter Lippmann hat 1922 mit seinem Werk Public Opinion (1922) den Begriff Stereotyp geprägt und auch als „pictures in our head“ (Lippmann 1998: 3) umschrieben. Er argumentiert darauf hin, dass Menschen die komplexe vielfältige Außenwelt mit einem „simpler model“ (ebd. 16) rekonstruieren wollen. Durch Klassifizierung und Kategorisierung wird der Umgang mit der Außenwelt erleichtert: For the most part we do not first see, and then define, we define first and then see. In the great blooming, buzzing confusion of the outer world we pick out what our culture has already defined for us, and we tend to perceive that which we have picked out in the form stereotyped for us by our culture. (ebd. 81) <?page no="25"?> 26 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung We are told about the world before we see it. We imagine most things before we experience them. And those preconceptions, unless education has made us acutely aware, govern deeply the whole process of perception. (ebd. 90) Nachdem der Begriff von den Sozialwissenschaften übernommen wurde, folgten viele neue Definitionsversuche, die aber noch keine eindeutige Klärung bringen, was ein Stereotyp inhaltlich, empirisch, funktional und semantisch ist (vgl. Hann 1985: 16). Auch Lippmann hat nie präzise Definitionen von Stereotypen in dem Sinne der Sozialpsychologie gegeben. Je nach Fachbereich wird der Begriff unter unterschiedlichen Aspekten und zu verschiedenen wissenschaftlichen Zwecken umschrieben und die Wirkung des Stereotyps beschrieben. Im Rahmen der kognitiven Theorie werden Stereotype „als individueller, kognitiver Antwortversuch auf die massive Informationsflut gesehen, welcher der Einzelne in Bezug auf die dingliche und soziale Umwelt ausgesetzt ist“ (Lin 1999: 31). Wie der aus der Druckersprache übernommene Begriff schon sagt, wurden Stereotype am Anfang als relativ starre, begrenzte und erfahrungsresistente Zuschreibungen angesehen. Diese Merkmale führten allerdings zu viel Kritik und Diskussionen darüber, ob man mit dem Begriff die wechselvollen Beziehungen zwischen Ländern auf unterschiedlichen Ebenen überhaupt beschreiben soll (vgl. Florack 2007: 37 f.). Obwohl Stereotype oft als starre, falsche und übergeneralisierte Vorstellungen betrachtet werden, bleibt ihre offensichtliche Nützlichkeit ein unvermeidliches zentrales Thema. Die Begriffsdefinition von Stereotypen entwickelt sich weiter und das Verständnis dafür wandelt sich „vom Negativen tendenziell hin zum Neutralen […] unter Einbeziehung von verschiedenen Bereichen wie Linguistik, Geschichtswissenschaft usw.“ (Gao 2012: 40). Auf die positive Wirkung des Stereotyps und funktionale Aspekte wurde später mehr Wert gelegt. Leyens/ Yzerbyt/ Schadron (1994) argumentieren gegen die klassische Meinung, dass Stereotype starr, stark vereinfacht und falsch sind, nur weil sie bestimmte Verhaltensweisen übergeneralisieren. Ihrer Meinung nach können Stereotype sowohl starr als auch flexibel sein, wenn sie als Teil der sozialen Wahrnehmung angesehen werden. Man kann durch Generalisierung die kategorialen Informationen schnell interpretieren als individuierende ( individuating ) Informationen (vgl. ebd. 204 f.). Sie bestätigen die positiven Wirkungen der Stereotype, obwohl sie gegebenenfalls zu einer naiven Erklärung der Welt führen könnten: Stereotypes may be stupid judgements and they may show bad taste. However, they are useful and inescapable. Debunking their underlying naive theories and showing the role of these theories in their use would have a greater positive impact than pretending they should not exist. By doing so, researchers will view stereotypes as explanatory meanings rather than as erroneous pieces of information. (ebd. 206) <?page no="26"?> 2.1 Der Begriff Stereotyp in unterschiedlichen Untersuchungskontexten 27 Benkhoff (1998) sieht den Vorteil von Stereotypen darin, dass sie der sozialen Umwelt eine Struktur geben können mit „Anhaltspunkten, nach denen man sein Verhalten ausrichten kann“ (Benkhoff 1998: 59). Aus der gegenwärtig verbreiteten Sicht in der Psychologie ist das Stereotyp ein notwendiger Bestandteil von Verallgemeinerungsprozessen und Ausdruck von Informationsverarbeitungsprozessen (vgl. Löschmann 1998: 14). Nach Hort (2012) resultieren Stereotype zwar aus einer beschränkten Informationsverarbeitung, beeinflussen aber wiederum die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen und können als Orientierungsmuster benutzt werden (vgl. Hort 2012: 63). Im Gegensatz zu früheren Ansichten, die Stereotype eher als Fehlperzeption und negative Übergeneralisierungen aus Wissensdefiziten ansehen, die abgebaut werden sollten, werden sie nunmehr als soziale und psychologische Phänomene angesehen, die der alltäglichen Orientierung dienen (vgl. Althaus 2010: 1424). Wiegerling (2002) verweist darauf, dass Orientierung immer auf Verallgemeinerung und Typisierung sowie medialer Transzendierung beruht (vgl. Wiegerling 2002: 16, zitiert nach Gao 2012: 19), was die Wahrnehmung der komplexen Umwelt erleichtert (vgl. Gao 2012: 19). Florack (2007) betrachtet die Tatsache, dass Angehörige einer sozialen Gruppe einer anderen Gruppe bekannte Attribute zuschreiben, als unvermeidbar und unverzichtbar zur Orientierung, weil: die bekannten Attribute [also die Stereotype] […] dem einzelnen dazu verhelfen, sich in einer überwältigend komplizierten Wirklichkeit zu orientieren und mit anderen über diese Komplexität zu verständigen. So könnte man sagen, daß Stereotype dazu dienen, das, was verschiedene einzelne je als >fremd< wahrnehmen, in eine vertraute, rudimentäre und den Sprechern gemeinsame >Sprache< zu übersetzen. (Florack 2007: 59) Hahn (1995) zeigt auf, dass „es […] heute kaum eine Humanwissenschaft [gebe], die sich nicht mit Stereotypen befaßt, von der Soziologie [...] über die Psychologie und Ethnologie bis zur Literaturwissenschaft und zur Geschichtswissenschaft“ (Hahn 1995: 191). Er definiert Stereotype in seinem Artikel 12 Thesen zur historischen Stereotypenforschung als „in Worte oder Bilder gefasste verallgemeinerte Wahrnehmungen der Welt“ (Hahn 2007: 16). Er deutet darauf hin, dass Stereotype als Untersuchungsgegenstand viel wissenschaftliches Interesse deswegen wecken konnten, weil die Wahrnehmung der Welt nicht mit der Welt selbst identisch ist und zur Orientierung in der unübersichtlich empfundenen Welt ökonomische Wahrnehmungs- und Denkmechanismen benötigt werden (vgl. ebd. 15 f.). Neben dem Begriff Stereotyp gibt es noch eine Reihe von verwandten verwechselbaren und bedeutungsnahen Begriffen, die schwer abzugrenzen sind. <?page no="27"?> 28 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung Da die genaue Abgrenzung nicht Ziel der vorliegenden Arbeit ist, werden im Folgenden einige grundlegenden Definitionen zur Darstellung der verwandten Begriffe vorgelegt. „Oft werden Stereotyp und Vorurteil in einem Atemzug genannt“, meint Löschmann (1998: 21). Er vertritt die Ansicht, dass der Begriff Vorurteil sich stark mit Stereotyp überlappt und kaum klar abgegrenzt werden kann, sodass keine definitive Unterscheidung vorgenommen werden soll (vgl. ebd.). Schlöder (1988) zeigt auf, dass die sozialpsychologische Vorurteilsforschung keine einheitliche Definition für die verschiedenen Ansätze, Theorien und Untersuchungen bietet, weil Definitionen immer kontextabhängig sind und die Überzeugungen und Lehrmeinungen über Inhalt, Struktur und Hintergründe von Vorurteilen voneinander verschieden sind (vgl. Schlöder 1988: 68). Allerdings geht ein früherer Versuch bei der Begriffsunterscheidung zwischen Stereotyp und Vorurteil auf die Arbeit von Katz und Braly (1935) zurück. Sie versuchen, Vorurteile anhand der Präferenzordnungen der ethnischen Gruppen zu beschreiben. Als Ergebnis wird eine Unterscheidung zwischen Stereotypen und Vorurteilen erstellt: „Racial prejudice is thus a generalized set of stereotypes of a high degree of consistency which includes emotional responses to race names, a belief in typical characteristics associated with race names, and an evaluation of such typical traits“ (Katz/ Braly 1935: 191 f.). Das deutet darauf hin, dass Vorurteile direkt auch mit Emotionen verknüpft werden. In den meisten Publikationen werden Vorurteile als negative Einstellung definiert und implizieren eine negative Bewertungsdimension, während mit Stereotypen allgemein Wahrnehmungsurteile über Personen und Gruppen beschrieben werden (vgl. Zick 1997: 38 ff.). Florack (2007) fasst die Begriffsdifferenzierung zwischen Stereotyp und Vorurteil seit der sogenannten „kognitiven Wende“ in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts so zusammen, dass das Stereotyp von den meisten Experten als kognitive Prozesse der Unterscheidung und Verallgemeinerung gegenüber den anderen definiert wird, während das Vorurteil mit der Ebene der negativen Einstellungen bzw. Antipathien verbunden ist (vgl. Florack 2007: 35). Stereotype werden auch oft im Bereich der Imagologie unter dem Aspekt des Bildes vom anderen Land erforscht. 8 Die Untersuchung der Herkunft der 8 Zur konkreten Darstellung über den Forschungsbereich der Imagologie findet man z. B. im Handbuch zur Imagology von Beller/ Leerssen (2007). Eine Beschreibung von Hoenselaars und Leerssen (2009) lautet: „Imagology is based on, but not limited to, the inventory and typology of how nations are typified, represented, and/ or caricatured in a given tradition or corpus of cultural articulations. On the basis of the analysis of texts or cultural artefacts, it raises questions about the mechanism of national/ ethnic ‘othering’ and its underlying self-images. Questions raised concern the relation between ‘character’ and <?page no="28"?> 2.1 Der Begriff Stereotyp in unterschiedlichen Untersuchungskontexten 29 stereotypen Denkmuster ist „in hohem Maße auf Texte als Quellenmaterial angewiesen“ (Florack 2007: 143). „[Die] Untersuchung des Bildes eines Landes im Spiegel der Literatur und aus der Perspektive eines anderen Landes“ (Nünning 1994: 162) gehört zum Forschungsschwerpunkt der komparatistischen Imagologie. Dabei wird versucht, „den jeweiligen Erscheinungsformen der Images in der Literatur nachzugehen, ihre Genese aufzudecken und ihre Wirkung sowie die Rolle, die sie bei der Verbreitung von Übersetzungen spielen, zu erforschen“ (O´Sullivan 1987: 218). Nünning (1999) hebt die Bedeutsamkeit der literarischen Texte für das Verstehen fremder Kulturen hervor und begründet damit, dass „ethnische Stereotypenbildungen und nationale Selbst- und Fremdbilder in den literarischen Texten nicht nur explizit thematisiert werden, sondern […] [dass] fiktionale Erzähltexte den Prozeß und die Probleme des Fremdverstehens auch mit erzählerischen Mitteln literarisch inszenieren können“ (Nünnig 1999: 349). Untersuchungen der Deutschlandbilder in den literarischen Texten von O´Sullivan (1987), Steinmann (1992), O´Sullivan und Rösler (1999) sowie Nünning (1994, 1999) gehen auf der Basis der Imagologie und kognitiven Stereotypenforschung kreativ mit Stereotypen um. Ihre Arbeiten befassen sich mit der Vermittlung der Fremd- und Selbstbilder von Fremdsprachenlernenden und mit der kritischen Auseinandersetzung damit im Fremdsprachenunterricht. Ähnliche Begriffe wie Bild und Vorstellung findet man längst schon bei Lippmann (1922) als „pictures in our heads“ (Lippmann 1998: 3). „Der Stereotypbegriff kommt sicherlich dem, was man in der Alltagssprache als das ,Bild‘ von einem Lande bezeichnet, näher als das Konzept des Vorurteils.“ (Stapf et al. 1986: 16) Löschmann (1998) grenzt Stereotype von dem Begriff der Nationenbilder ab, indem deren Komplexität und Veränderbarkeit voneinander unterschieden werden: Das Bild, das wir von etwas, - z. B. vom Zielsprachland - haben, ist auf jeden Fall mehr als nur etwa ein Bündel von Stereotypen. Es ist eher eine komplexe Vorstellung, eine mehr oder weniger strukturierte Ganzheit, in die Wahrnehmungen, Vorstellungen, Erfahrungen, Kenntnisse und Erkenntnisse, Ideen, Vermutungen, Gefühle und natürlich auch Stereotype und Vorurteile eingehen. […] Von hier aus wird auch einsichtig, daß sich ,Nationenbilder‘ viel schneller wandeln können als Stereotype. (Löschmann 1998: 21 f.) Hahn (2007) unterscheidet die Begriffe Bilder und Stereotyp so, dass Bilder sich spezifisch auf einzelne Person beziehen oder auch auf eine Gruppe generalisierend wirken können. Aber wenn die Bilder unbedingt reduzierend und emotio- ‘identity’; historical variability; genre, canonicity, and irony; and intermediality.“ (Hoenselaars/ Leerssen 2009: 251) <?page no="29"?> 30 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung nal aufgeladen sind, spricht man von Stereotypen (vgl. Hahn 2007: 17). Was die Untersuchung der Nationenbilder angeht, steht heute oft wie Stapf et al. (1986) beschrieben haben, eine kognitive Repräsentation der Eigenschaften, die einer Nation zugeschrieben werden, im Vordergrund und nicht die Gefühle, die mit diesen Meinungen verbunden sind (vgl. Stapf et al. 1986: 16). Die anderen ähnlichen modernen Begriffe wie Klischees , die als alltagssprachlich geläufiger Ausdruck Stereotype bezeichnen (vgl. Florack 2007: 39), oder Schablonen , Images genauso wie das Stereotyp stammen alle aus der Druckersprache, die meist erst im 20. Jahrhundert im übertragenen Sinne wie Stereotyp benutzt werden (vgl. Hahn 2007: 17). In diesen Definitionen spiegelt sich die Bandbreite des Begriffs Stereotyp wider, von den ersten grundlegenden Überlegungen Lippmanns über die Verwendung in der Sozialpsychologie bis hin zur Didaktik des Fremdsprachenunterrichts. 2.2 Stereotyp vs. Einstellung In der späteren Stereotypenforschung ab den 70er Jahren insbesondere solcher im Zusammenhang mit Kultur-, Sprachwissenschaft und begleitender Landeskunde stand oft nur eine Komponente, die Kognition, also das Stereotyp an sich im Vordergrund. Grünewald (2017) bemerkt dazu: Diese grundsätzliche […] Problematik der Zugänglichkeit und damit natürlich auch Erfassbarkeit inhärenter Vor- und Einstellungen, Stereotypen, Vorurteile usw. ist auch ein zentraler Knotenpunkt der verschiedenen Themen, mit denen sich die sozialpsychologische Forschung über Attitudes and attitude change beschäftigt. Diese wird aber von beiden methodischen Polen, d. h. der quantitativ wie auch der qualitativ ausgerichteten Forschung über kulturbezogenes Lernen im Bereich DaF/ DaZ, nahezu gar nicht aufgenommen und für die eigenen Zwecke adaptiert. (Grünewald 2017: 243 f.) Erst in jüngerer Zeit werden wieder Anläufe unternommen, in den genannten Forschungsbereichen auch die affektive Komponente vermehrt zu berücksichtigen. Stapf/ Stroebe/ Jonas (1986) untersuchten das Deutschland- und Deutschenbild sowie die Einstellungen gegenüber Deutschland und den Deutschen aus Sicht der US-Amerikaner. Zur Erfassung der Stereotype wurden in einer Voruntersuchung getrennte Eigenschaftslisten in Bezug auf Länder und Bevölkerung zusammengestellt. Stapf et al. (1986) ergänzten dann eine Eigenschaft Sympathie in der Länderversion und sympathisch in der Bevölkerungsversion zur Erfassung der Einstellung. Die Einstellungen zu mehreren Ländern wurde in der „Länderversion“ des Fragebogens nach dem Ausprägungsgrad der Sym- <?page no="30"?> 2.2 Stereotyp vs. Einstellung 31 pathie gegenüber jedem der 14 Länder auf einer Skala von 0 (überhaupt nicht sympathisch) bis zu 9 (sehr stark sympathisch) ermittelt. Entsprechend enthielt die Bevölkerungsversion die Frage, wieviel Prozent der Einwohner des betreffenden Landes man als sympathisch beurteilt. Ähnlich wie Stapf/ Stroebe/ Jonas fragt Grünewald (2005) nach der positiven oder negativen Einstellung der Probanden gegenüber den Deutschen und Deutschland. Sato-Prinz (2017) erfasst sowohl Stereotype über eine klassische Eigenschaftsliste, parallel dazu aber auch generelle Gefühle der Probanden in drei Kategorien nämlich positive und negative Gefühle von JapanerInnen zu Deutschland und Japan sowie Interesse an einer beruflichen Zukunft in Deutschland. Der Begriff Einstellung , ursprünglich aus dem Begriff attitude , der aus dem Lateinischen aptus abgeleitet ist, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Thomas und Znaniecki (1918-1920) zum ersten Mal als eigenständiges Konzept in die Soziologie und Sozialpsychologie eingeführt (vgl. Zick 2004: 129), um Unterschiede in den Lebensgewohnheiten polnischer Bauern in Polen und Amerika zu beschreiben (vgl. Stroebe 1980: 139). In der sozialpsychologischen und soziologischen Literatur wird der Terminus Einstellung ( attitude ) als Oberbegriff angesehen (vgl. Schäfer/ Six 1978: 14). Obwohl es Pümpel-Mader zufolge in der Sozialpsychologie und auch im Alltagssprachgebrauch keine konsensuelle begriffliche Unterscheidung zwischen Vorurteil , Stereotyp und Einstellung gibt (vgl. Pümpel-Mader 2010: 351), werden zur Differenzierung der Erfassung von Stereotypen und Einstellungen einige grundlegenden Unterschiede bei den Definitionsversuchen beschrieben. In der Literatur finden sich verschiedene Definitionen zum Begriff Einstellung . Eine Definition von Allport (1935) lautet: „An attitude is a mental and neutral state of readiness, organized through experience, exerting a directive or dynamic influence upon the individual’s response to all objects and situations with which it is related“ (Allport 1935: 810). In der früheren Zeit der Sozialforschung beruhte die Definition von Einstellung auf dem affektiven Charakter (z. B. Thurstone 1928: 531), der sich auf Mögen oder Nicht-Mögen bezieht, bei der nach und nach die kognitive oder Meinungs-Komponente (z. B. Katz 1960: 168) miteinbezogen wurde (vgl. Stroebe 1980: 139 f.). Das von Rosenberg und Hovland (1960) weiter entwickelte „Drei-Komponenten-Modell der Einstellung“ (siehe Kap. 3.3.1 Das Drei-Komponenten-Modell ) ist eine bis heute noch weit verbreitete Konzeption, in der eine kognitive, affektive und konative Dimension der Einstellung unterschieden wird. Sie definieren Einstellung so: „attitudes are predispositions to respond to some class of stimuli with certain classes of responses and [we] designate the three major types of response as cognitive, affective, and behavioral“ (Rosenberg/ Hovland 1960: 3), wobei mit behavioral <?page no="31"?> 32 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung ein tatsächliches Verhalten oder eine Verhaltensintention gemeint ist. Damit wird die interne 3-dimensionale Struktur der Einstellung in den Vordergrund gestellt, Vandermeeren (2016) erklärt die drei Komponenten wie folgt: die kognitive Komponente besteht aus den Überzeugungen, die ein Individuum gegenüber Objekten und Handlungen verschiedenster Art hegt. Diese Vorstellungen sind das Ergebnis unmittelbarer Erfahrung und/ oder stützen sich auf die Überzeugungen anderer. Die affektive/ evaluative Komponente befasst sich mit der ablehnenden oder zuwendenden Disposition eines Individuums gegenüber einem Einstellungsobjekt. Die Intention einer Person, sich in einer bestimmten Weise gegenüber einem Einstellungsgegenstand zu verhalten, stellt die konative oder Verhaltenskomponente dar. (Vandermeeren 2016: 172) In der heutigen Zeit definieren Jonas et al. (2014) Einstellung als „Gesamtbewertung eines Stimulusobjekts“, nämlich die „Bewertungen von Sachverhalten, Menschen, Gruppen und anderen Arten von Objekten unserer sozialen Welt“ ( Jonas et al. 2014: 198). Dem Modell von Rosenberg und Hovland folgen Zanna und Rempel (1988) mit ihrem Multikomponentenmodell. In diesem Modell wird angenommen, dass Einstellungen Gesamtbewertungen eines Einstellungsobjekts sind, die auf kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Informationen beruhen (vgl. Jonas et al. 2014: 200). Stetten (2009) verweist jedoch darauf, dass die Vielfalt der Definitionen von Einstellung und Stereotyp dazu geführt hat, dass sich in der Literatur keine einheitliche und klare Unterscheidung zwischen beiden finden lässt (vgl. Stetten 2009: 101). Sie bezieht sich auf Lustig/ Koester (1993), die einen fließenden Übergang feststellen, nämlich dass sich Stereotype von Einstellung darin unterscheiden, dass Stereotype eher einseitig nur bestimmte Kognitionen über ein Einstellungsobjekt hervorheben und andere Informationen ignorieren (vgl. ebd.). Aronson/ Wilson/ Akert (2008) sehen Stereotype als kognitive Komponente der Einstellung an. Laut ihrer Definition ist ein Stereotyp die kognitive Komponente einer voreingenommenen Einstellung und ist definiert als eine Verallgemeinerung über eine Gruppe, wobei nahezu allen Mitgliedern identische Merkmale zugeordnet werden, ohne Rücksicht auf bestehende Variationen unter den Mitgliedern (Aronson et al. 2008: 526, zitiert nach Vandermeeren 2016: 172). <?page no="32"?> 2.3 Messinstrumente zur Erfassung von Stereotypen und Einstellungen 33 2.3 Messinstrumente zur Erfassung von Stereotypen und Einstellungen 2.3.1 Die Eigenschaftsliste zur Erfassung von Stereotypen Die Erforschung von ethnischen und später auch nationalen Stereotypen im interkulturellen Kontext begann im Zusammenhang mit der Untersuchung von Vorurteilen mit Katz und Braly 1933. Sie setzten erstmalig eine Eigenschaftsliste als Hauptbestandteil ihrer Fragebögen ein, in Verbindung mit der Aufgabenstellung. Die Liste enthielt Items wie z. B. intelligent , lazy , honest . Sie wollten damit ermitteln, wie zehn bestimmte ethnische Gruppen der USA wie z. B. Engländer, Deutsche, Türken durch eine Probandengruppe von 100 amerikanischen Studenten der Princeton-Universität wahrgenommen werden. Die Probanden hatten die Aufgabe, Eigenschaften, die ihrer Meinung nach auf eine ethnische Gruppe zutrafen, in der vorgegebenen Liste mit insgesamt 84 Items anzukreuzen. Von den bereits angekreuzten Eigenschaften sollten die fünf typischsten anschließend nochmals markiert werden. Die Studie von Katz und Braly wurde einige Zeit später von Gilbert (1951) und Karlins/ Coffman/ Walters (1969) an der Princeton-Universität in genau der gleichen Form weiter fortgeführt. Mit derselben Eigenschaftsliste, Aufgabenstellung und Auswertungsverfahren wurden die Ergebnisse in drei unterschiedlichen Zeiten miteinander verglichen. Man bezeichnet die drei wiederholten Querschnittsstudien deshalb als „Princeton Trilogy“. Abgesehen von dieser Wiederholung wurden Eigenschaftslisten zwar auch häufig aus Vorgängern abgeleitet, dann aber an die jeweiligen Untersuchungsziele angepasst. Die Eigenschaftsliste wurde bis in die heutige Zeit zu einem zentralen Instrument zur Erfassung von Stereotypen. Six (1987) vertritt die Ansicht, dass das Eigenschaftslisten-Verfahren so eng mit dem Konzept des Stereotyps und seiner Erfassung verbunden ist, dass das Konzept mit dieser Erfassungsmethodik beinah gleichgesetzt wird (vgl. Six 1987: 41). Es handelte sich in der Studie von Katz und Braly um eine Untersuchung von Stereotypen zu ethnischen Gruppen und nicht von Stereotypen zu anderen Ländern. Deshalb verwendeten sie vorwiegend Items, die den Charakter von Personen beschreiben und weniger solche, die Landeseigenschaften beschreiben. In nachfolgenden Studien zu nationalen Stereotypen wurden deshalb vielfach Landeseigenschaften ergänzt. So entwickelte sich eine Reihe von teilweise aufeinander aufbauenden Listen. Hier sollen einige der empirischen Ansätze erwähnt werden, die für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind. <?page no="33"?> 34 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung Als die erste Stereotypenforschung im deutschsprachigen Raum zählt die Studie von Sodhi und Bergius 1953. Sie adaptierten die Studie ihrer Vorgänger Katz und Braly und untersuchten von der FU Berlin aus, welche Vorstellungen Deutsche einer bestimmten sozialen Schicht von 14 europäischen und außereuropäischen Völkern haben. Sie haben dazu eine Liste mit 206 Items zusammengestellt. Diese Liste ist dadurch zustande gekommen, dass die spontanen Äußerungen von Bekannten, Freunden und Verwandten und Mitarbeiter über jene nationalen Gruppen in natürlichen Situationen aufgeschrieben wurden und die gesammelten Eigenschaftsbezeichnungen sinngemäß geordnet und zusammengefasst wurden. Im Laufe der Studie wurden 881 Studenten befragt. In einer ergänzenden Studie mit 62 Versuchspersonen wurden die Durchschnittswerte für die soziale Erwünschtheit für jede einzelne Eigenschaft ermittelt. Zur Bewertung stellten sie eine Skala von 1-11 zur Verfügung. Wie Katz und Braly (1935) konnten sie diese auf die Eigenschaftsliste übertragen und so Rangfolgen „affektiver Einstellung“ (Sodhi/ Bergius 1953: 79) für die stereotypisierten Nationen bilden. Zu Auswertungszwecken fassten Sodhi und Bergius alle Items zu 13 Gruppen zusammen wie z. B. zu Charaktereigenschaften wie „Stimmung und Temperament“, „Wollen und Leisten“ oder zu Bevölkerungseigenschaften wie „Kulturniveau und Bildung“, „Berufsbezeichnungen und Begabungen“ oder Ländereigenschaften wie „Politisches,“ „Ökonomisches“ (vgl. ebd. 55). Durch diese Art von Kategorisierung konnten sie die 206 Items strukturieren und die verschiedenen nationalen Gruppen auf der Grundlage der Kategorien besser miteinander vergleichen. Die Eigenschaftsliste mit 178 Items von Keller (1969) bildet die Basis für die heutige Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014, 2016). In seiner Arbeit Erkenntnisse der Sozialpsychologie als Grundlage kulturkundlicher Didaktik (1969) zur Untersuchung der Auto- und Heterostereotype von deutschen und britischen Schülern hat er die von Katz und Braly (1933) und von Sodhi und Bergius (1953) entwickelte Methode aufgegriffen und die Eigenschaftsliste von Sodhi und Bergius (1953) in einem Team aus deutschen und britischen Kollegen für den Einsatz an deutschen und britischen Schulen angepasst und modifiziert. Diese Liste wurde für die britischen Schüler ins Englische übersetzt. Eine genaue Begründung, warum sie bestimmte Items aus der Liste von Sodhi und Bergius (1953) aussortiert haben und aufgrund welcher Kriterien, ist in dieser Arbeit nicht angegeben. Weiterhin hat Keller diese Liste als Basis über Jahrzehnte hinweg noch mehrfach verwendet für seine nachfolgenden Forschungen (Keller 1972, 1979, 1986) zur Untersuchungen des Deutschlandbildes anderer nationalen Gruppen im Rahmen des kulturkundlichen Unterrichts und der Veränderung des Deutschlandbildes durch einen Deutschlandaufenthalt. <?page no="34"?> 2.3 Messinstrumente zur Erfassung von Stereotypen und Einstellungen 35 Die Liste von Keller (1969) wurde von Apeltauer et al. (1998) übernommen und für die Untersuchung der Auto- und Heterostereotype von deutschen und türkischen Studierenden eingesetzt und für die Befragung ins Türkische übersetzt. Diese Untersuchung ließ sich inspirieren von der Studie von Keller (1986) und ist nach Apeltauer et al. eine Replikation und Erweiterung der Untersuchung von ihm (vgl. Apeltauer et al. 1998: 164). Vier Jahre später setzte Apeltauer (2002) diese Liste wieder für eine andere Studie ein, in der Stereotype gegenüber Deutschland und den Deutschen aus der Sicht von norwegischen Schülern untersucht werden. In dieser Arbeit wurden 154 norwegische Gymnasialschüler von fünf Klassen im Alter von 13 bis 19 Jahren mit dieser Eigenschaftsliste in Verbindung mit offenen Assoziationen befragt. Der Grund für die Verwendung derselben Liste ist, dass die Ergebnisse aus mehreren seiner Erhebungen miteinander verglichen werden sollten und Materialien für Vergleiche, Reflexionen und Diskussionen im kontrastiven Landes- und Kulturkundeunterricht bieten sollten (vgl. Apeltauer 2002: 96 f.). Apeltauer nennt den Vorteil der Vorgehensweise mit dem Einsatz der Eigenschaftsliste, dass die Probanden ohne lange Überlegung und insbesondere ohne Wortfindungsprobleme relativ rasch die zu beurteilenden Gruppen mit den vorgegebenen Eigenschaften identifizieren können (vgl. ebd. 97). Er argumentiert, dass sich die Probanden bei offenen Fragen oder Interviews nicht so frei fühlen und ihre Emotionen eventuell verstecken wollen und deshalb durch die anonyme Listenbefragung sogar „ehrlichere“ Antworten geben können (vgl. ebd.). Die Nachteile des Listenverfahrens bestehen nach Apeltauer (2002) hauptsächlich darin, dass die Charakterisierung der untersuchten Gruppe auf die vorgegebene Liste beschränkt ist und die individuellen Meinungen nicht erfasst werden können. Eine weitere Kritik daran geht dahin, dass die Probanden beim Auswählen der Merkmale Markierungstendenzen folgen könnten und dadurch ihre Bewertungstendenzen eher in eine Richtung gehen würden (vgl. ebd. 97 f.). Apeltauer (2002) versucht, durch Verknüpfung der Eigenschaftsliste mit halbstrukturierten Fragebögen plus qualitativen Interviews mit den Lehrkräften die Aussagekraft der Ergebnisse zu verstärken und die oben genannten Probleme zu mindern. Allerdings zeigen die Antworten auf die offenen Fragen in Bezug auf die typischen Eigenschaften der Deutschen, dass die freien Nennungen nicht direkt mit den vorgegebenen Bezeichnungen aus der Eigenschaftsliste übereinstimmen (vgl. ebd. 97) und die Probanden spontan wenig Assoziationen erzeugen können. Obwohl Apeltauer für die Untersuchung qualitative Methode eingesetzt hat, wurde dieses Vorgehen nicht auf alle Untersuchungsgruppen ausgeweitet. Deswegen lieferten die Interviews mit den norwegischen Lehrkräften statt mit den untersuchten Schülern keine zusätzlichen Datensätze zum Vergleich mit <?page no="35"?> 36 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung den Ergebnissen des Fragebogens. Die sogenannte Methodentriangulation erweiterte zwar die Aspekte des Deutschlandbildes aus der norwegischen Sicht, konnte aber die Reliabilität der Aussagen, gewonnen durch den Fragebogen, nicht wirklich absichern. Die geringe Anzahl der Befragten in Apeltauers Studie schränkt die Aussagen und die Erklärung der Ergebnisse ein. Er weist selbst auf das Problem seines Verfahrens hin, dass die Datenbasis zu schmal ist und die verwendeten Verfahren auch nicht geeignet sind, um die Daten zu erklären (vgl. ebd. 108). Dennoch liefert Apeltauer eine interessante Beobachtung des Zusammenhangs zwischen dem zunehmenden Alter der Schüler und ihrer Stereotypentwicklung. Er stellt die Hypothese auf, dass das Fremdbild mit zunehmendem Alter, Wissen und Lebenserfahrungen differenzierter wird. In Ergebnissen stellt er fest, dass Fremdbilder bei den jüngeren Schülern wenig negativ sind und sie im Lauf der Lernzeit während einer Übergangsphase erweitert und negativer werden, und bei den älteren Schülern allmählich realistischer, differenzierter und auch wieder positiver werden (vgl. ebd. 115). Wegen der geringen Anzahl der Probanden in jeder Klasse sind dies keine abgesicherten Aussagen, aber der Ansatz, die Unterschiede der Stereotype bei den Schülern während der Schulzeit im Zusammenhang mit dem zunehmenden Wissen über Deutschland und die Deutschen und den zunehmenden Lebenserfahrungen zu betrachten, öffnete neue Anregungen und Perspektive für die Stereotypenforschung in Bezug auf die Deutschlerner in ihren Entwicklungsphasen. Basierend auf der Eigenschaftsliste von Keller (1969) und Apeltauer (2002) führten Baur/ Ossenberg/ Zarudko (2013) eine Erhebung unter 224 deutschen und 322 russischen Probanden zur Untersuchung von Auto- und Heterostereotypen in Deutschland und in Russland durch. Dabei stellen sie fest, dass die Übernahme der Stereotypen-Eigenschaftsliste von Keller und Apeltauer für die Durchführung von Stereotypenbefragungen durchaus hilfreich und nachvollziehbar ist und auch Vergleiche zwischen den Studien ermöglicht. Sie stellen aber weiter fest, dass auch der Bedarf besteht, die Begrifflichkeiten der Liste, die in einem Zeitraum von über 70 Jahren herausgebildet wurde und zum Teil veraltet ist, auf den heutigen gesellschaftlichen Zustand anzupassen (vgl. Baur et al. 2013: 559 ff.). Schließlich haben Baur et al. (2014) die Eigenschaftsliste auf Basis der Liste von Apeltauer (2002) mit 178 Eigenschaften weiter entwickelt (Baur/ Ossenberg 2014, Ossenberg/ Baur 2016). 9 An dieser Liste setzt die vorliegende Studie an. 9 Die Eigenschaftsliste von Baur und Ossenberg wurde 2014 auf der Internetseite des Stereotypen-Projekts „SI.DE - Stereotype International“ veröffentlicht: [https: / / side.unidue.de, abgerufen am 17.02.2018]. <?page no="36"?> 2.3 Messinstrumente zur Erfassung von Stereotypen und Einstellungen 37 Aktuell enthält die Liste 140 Eigenschaften, die „im deutschen, chinesischen, russischen und türkischen Sprachraum angewendet wird und auf ihre kulturkontrastive und interkulturelle Funktionalität in allen vier Sprachen überprüft worden ist“ (Ossenberg/ Baur 2016: 11). Ossenberg und Baur (2016) führen in ihrer Veröffentlichung Wie kommen wir an die Bilder in unseren Köpfen? Zur Methodologie einer interkulturell anwendbaren Stereotypenerhebung aus, wie ihre interkulturell anwendbare Eigenschaftsliste zur Nutzung der Stereotyperhebung zustande gekommen ist. Sie stellen fest, dass Eigenschaftslisten im Laufe der Zeit aktualisiert werden müssen. So wurden mit den Vorgängerlisten von Katz und Braly (1933), Sodhi und Bergius (1953) sowie Apeltauer (2002) Eigenschaften aus zeitlich veralteten Kontexten unreflektiert übernommen (vgl. Ossenberg/ Baur 2016: 15). Beim Aufbau ihrer Liste gehen Ossenberg und Baur deshalb so vor: • Übertragung der einzelnen Eigenschaften auf Begriffe der Sprachen Englisch, Russisch, Türkisch und Chinesisch, welche jeweils semantisch und konnotativ den deutschen Begriffen nahe kommen • Überprüfung der Liste auf ihre kulturkontrastive und interkulturelle Funktionalität in den Sprachen • Anpassung der Eigenschaften an einen zeitgemäßen Kontext (z. B. Eigenschaften wie Antikommunisten , antisemitisch wurden aussortiert) • Vermeidung von interkulturellen Missverständlichkeiten, z. B. Verwendung der Eigenschaft attraktive Männer anstatt hübsche Männer • Einbeziehung von Eigenschaften aus prägenden Studien und solchen aus aktuellen Meinungsumfragen. (vgl. ebd. 17 ff.) Nach Ossenberg und Baur (2016) dient eine überprüfte, angepasste und interkulturell anwendbare Eigenschaftsliste einer besseren Vergleichbarkeit einzelner Studien auf dem Gebiet der Stereotypenforschung (vgl. ebd. 11). Neben dem Einsatz zu wissenschaftlichen Zwecken wird das von Katz und Braly (1933) eingeführte Eigenschaftslisten-Verfahren auch zur Durchführung von unterschiedlichsten Umfragen benutzt. Die Eigenschaftslisten werden dabei zweckbezogen angepasst. Nach Manz (1968) hat die Methode den großen Vorteil, dass „der Rückschluss von der Stichprobe auf die Gesamtheit gesichert ist“ (Manz 1968: 67). Demgegenüber verwenden zahlreiche Untersuchungen zur Erhebung von Stereotypen eine Eigenschaftsliste, die durch Vorversuche dem jeweiligen Forschungszweck angepasst wurde, was aber wie Ossenberg und Baur (2016) anmerken, den Nachteil hat, über sehr eingeschränkte Vergleichbarkeit zu verfügen (vgl. Ossenberg/ Baur 2016: 11). Erwähnenswert sind zwei Studien zur Deutschlandbildforschung von Hann (1985) und Grünewald (2005), die zu den <?page no="37"?> 38 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung wichtigsten Arbeiten der Stereotypenforschung im asiatischen Sprachraum zählen. Zur Untersuchung der Koreabilder von Deutschen in Südkorea und Deutschlandbilder von Koreanern, ebenfalls in Südkorea stellte Hann (1985) zwei Eigenschaftslisten zur Verfügung, die sich aus einer von Kußler (1980) übernommenen und einer mittels Vorversuche zusammengestellten Liste mit jeweils 62 Eigenschaften zusammensetzten. Grünewald (2005) führte eine Longitudinalstudie in Japan zum Deutschlandbild japanischer Studenten durch, die Deutsch als zweite Fremdsprache erlernten. Zur Herleitung der Eigenschaftsliste ging er zunächst von einer Liste mit 147 Items aus. Diese Liste hatte er aus Analysen vorheriger Untersuchungen (Grünewald 2005: 162) zusammengetragen, mehrfach semantisch verdichtet und schließlich im Rahmen einer Vorstudie zusammengefasst. Im Ergebnis erhielt er eine Liste mit 20 Items für die Hauptuntersuchung. Damit befragte er 659 Probanden (ausgewertet wurden 574 Fragebögen) bei der ersten Untersuchung und 555 Probanden (ausgewertet wurden 449 Fragebögen) bei der Wiederholung. Für den Grad der Zustimmung durch die Befragten benutzte er eine typische Likert-Skala mit Werten von 1 bis 5. In neuerer Zeit ist die Longitudinalstudie von Sato-Prinz (2017) zur Untersuchung der Deutschlandbilder und ihrer Veränderung von japanischen Austauschstudierenden dazugekommen. Sie übernimmt teilweise Grünewalds Liste als eine Grundlage ihrer Austauschforschung. Ossenberg und Baur (2016) sehen den Vorteil der individuell erstellten Eigenschaftslisten darin, dass ggf. neue Eigenschaften (z. B. umweltbewusst von der Liste von Grünewald 2005) genannt werden (vgl. Ossenberg/ Baur 2016: 16). Als Nachteil sehen sie generell, dass zu wenige Eigenschaften zur Auswahl zu Verzerrungen führen könnten, auch wenn die Anzahl der Befragten groß ist (vgl. ebd.). Manz (1968) verweist auf die Schwäche der verkürzten Liste, dass die Zusammenstellung der verkürzten Eigenschaftsliste entweder aus einer Reihe sehr allgemeiner Eigenschaften, die mehr oder weniger synonyme Ausdrücke für „gut“ und „schlecht“ darstellen, oder aus sehr spezifischen verbalen Etiketten besteht, die eher die Intentionen der Ersteller dieser kurzen Eigenschaftsliste repräsentieren, nicht die eigene Vorstellung der Befragten zur Beschreibung eines Objekts (vgl. Manz 1968: 68 f.). Das Eigenschaftslisten-Verfahren sollte ein Rekonstruktionsverfahren sein (vgl. ebd. 69). Bei den bisherigen empirischen Untersuchungen zum Deutschlandbild der Chinesen werden noch keine Eigenschaftslisten aus der Literatur zur Befragung übernommen und verwendet, vielmehr werden Ergebnisse meistens durch Fragen nach spontanen Assoziationen der Probanden zu Land und Leuten (z. B. Huawei-Studie 2012, 2014, 2016, Yang 2007a, Fan 2007) oder durch die von den <?page no="38"?> 2.3 Messinstrumente zur Erfassung von Stereotypen und Einstellungen 39 Verfassern selbst zusammengestellten wenigen Eigenschaften (z. B. Liu 2010) ermittelt. Nach Ossenberg und Baur (2016) führen Erhebungen, die spontane Assoziationen sammeln, eher zu Beschreibungen von landschaftlichen und geographischen Merkmalen und weniger zur Beschreibung von Menschen, sodass Eigenschaftslisten mit dieser Art von „Merkmalen“ nicht zur Erfassung der Stereotype zu anderen Sprachen und Kulturräumen geeignet sind (vgl. Ossenberg/ Baur 2016: 16). Als direktes Messverfahren der Stereotypenforschung bleibt die Befragung mittels einer Eigenschaftsliste bis heute immer noch das am häufigsten verwendete Verfahren zur Operationalisierung und Messung von Stereotypen (vgl. Six 2017: 84). Allerdings wird das Verfahren zur Erhebung der Stereotype auch vielfach diskutiert und kritisiert (Manz 1968, Cauthen et al. 1971, Günther 1975, Lilli 1975, Picht 1980, Bausinger 1988, Bausinger 2000, Eckes 2008). Unter anderem bilden die Einschränkungen der Antwortmöglichkeit des Probanden ohne Rücksicht auf seine subjektive Wahrnehmung sowie der Zwang zur stereotypen Übergeneralisierung durch die vorgegebene Liste die Hauptkritikpunkte. Die vorliegende Untersuchung geht allerdings davon aus, dass die Zuordnung von Merkmalen, im Sinne der Modelltheorie, also der Modellbildung und -reduktion eines so großen Objektes wie das einer nationalen Gruppe immer zu einer stereotypen Generalisierung führt (siehe auch Kap. 3.3.6 Die Bedeutung der Aufgabenstellung für den gewählten Modellansatz ). Im Laufe der Zeit entstanden mehrere methodische Ansätze zur Erfassung von Stereotypen und individuellen Kognitions- und Emotionsstrukturen, die versuchen, die Schwächen des Listenverfahrens auszugleichen, z. B. die Ergänzung von Fragebögen mit offenen oder geschlossenen Fragen entsprechend der eigenen Forschungskonzeption (vgl. Tholey/ Hoeth 1983: 19). Damit können die abgefragten Daten genauer abgestuft und differenziert werden (vgl. Deckers 2010: 530). Unterschiede können in den gewählten qualitativen Methoden bestehen, die sich z. B. auf die Grounded Theory 10 (Strauss/ Corbin 1996) stützen, zu der die Messung verbaler Reaktionen zählt. Eine andere Methode sind indirekte Messverfahren, die sich z. B. auf die Messung von Reaktionszeiten bis zur Beantwor- 10 Grounded Theory ist eine wissenschaftliche Methode, die Anfang der 60er Jahre von den amerikanischen Soziologen Anselm Strauss und Barney Glaser für z. B. die Planung, Durchführung und Auswertung von Interviews entwickelt wurde, ohne einer a priori gebildeten Hypothese folgen zu müssen. Die Autoren beschreiben den Ansatz selber so: „Eine ,Grounded‘ Theory ist eine gegenstandsverankerte Theorie, die induktiv aus der Untersuchung des Phänomens abgeleitet wird, welches sie abbildet. Sie wird durch systematisches Erheben und Analysieren von Daten, die sich auf das untersuchte Phänomen beziehen, entdeckt, ausgearbeitet und vorläufig bestätigt“ (Strauss/ Corbin 1996: 7 f.). <?page no="39"?> 40 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung tung bestimmter Fragen bezieht (vgl. Eckes 2008: 101), z. B. der Implizite Assoziationstest von Greenwald/ McGhee/ Schwartz (1998), sowie die in den letzten Jahren vermehrt eingesetzten neurowissenschaftlichen Verfahren zur Untersuchung der Veränderung von physiologischen Hirnfunktionen (vgl. Six 2017: 84). All dies bildet zwar ein breites Spektrum an Methoden, aber keine davon bildet eine praktisch anwendbare Erhebungsalternative zur Eigenschaftsliste bei ähnlich effektiver Handhabbarkeit und Forschungstiefe, besonders wenn es um die Erfassung von nationalen Stereotypen geht (vgl. Ganter 1997: 13 f., zitiert nach Ossenberg/ Baur 2016: 10). Leyens et al. (1994) vertreten generell die Meinung, dass die Messung von Stereotypen sich auf die Beschreibung ( description ), Bewertung ( evaluation ), Konsens ( consensus ), Homogenität ( homogeneity ) und Besonderheit ( distinctiveness ) konzentrieren soll und es noch keine universale Methode gibt, die alle diese Aspekte enthalten kann (vgl. Leyens et al. 1994: 30). Die Auswahl einer Methode hängt oft von der Definition des Stereotyps ab, die die Forscher vorgegeben haben (vgl. ebd.). 2.3.2 Messinstrumente zur Erfassung der Einstellungen Stereotyp und Affekt müssen getrennt erfasst werden, wenn die Stereotyperfassung auf dem Listenverfahren beruht. Eine Eigenschaftsliste allein beinhaltet für die Probanden keine Möglichkeit, ihr Gefühl zum stereotypisierten Objekt, also auch zum Einstellungsobjekt direkt mitzuteilen. Thomas (1996) führt dazu an, dass „Menschen […] Personen und Ereignisse in ihrer Umwelt nicht nur einfach wahr[nehmen], sondern mit der Wahrnehmung ist zugleich eine Bewertung verbunden“ (Thomas 1996: 114). Die Bewertung kann explizit oder implizit ermittelt werden. Entweder werden Probanden explizit „ direkt gebeten, über ihre Einstellung nachzudenken und darüber zu berichten, während implizite Einstellungsmaße Einstellungen erfassen, ohne Probanden direkt zu einer verbalen Angabe über ihre Einstellung zu veranlassen“ ( Jonas et al. 2014: 213). In der empirischen Einstellungsforschung dominiert das explizite Messverfahren (vgl. ebd. 214 f.). Im einfachsten Falle wird der Proband zur Einstellung gegenüber einem Einstellungsobjekt befragt und bekommt die Aufgabe eine Bewertung auf einer Skale „von … bis“, den Messwert abzugeben. Die schon relativ früh entwickelten Skalen zur Einstellungsmessung von Bogardus (1925a), Thurstone (1928), Likert (1932) wurden auch in der kommerziellen Umfrageforschung häufig verwendet und gelten als anerkannt (vgl. Six/ Schäfer 1985: 11). Darauf wurde bereits in der Beschreibung des Forschungsansatzes kurz eingegangen (siehe Kap. 1.2 Forschungsansatz ). <?page no="40"?> 2.4 Zusammenfassung zur Einordnung der Begriffe Stereotyp und Einstellung 41 Weitergehende Beschreibungen finden sich als Modellgrundlagen in Kapiteln 3.3.3 Einstellungsmessung mit dem semantischen Differenzial, Fishbein (1963) und 3.3.4 Das semantische Differenzial nach Osgood et al. (1957) . 2.4 Zusammenfassung zur Einordnung der Begriff e Stereotyp und Einstellung Stereotyp und Einstellung sind zwei Begriffe, die häufig parallel, ineinander übergehend oder sogar synonym benutzt werden. Ein Teil der Überlegungen und Forschungen beschäftigt sich mit dem Stereotyp an sich, mit dem stereotypen Denken und mit den entwicklungsgeschichtlichen Gründen und Vorteilen. Dabei wird so wie Lippmann bereits in den 20er Jahren meistens auf die komplexer gewordene Umwelt Bezug genommen, in der es sich zu orientieren gilt. Es erscheint trivial anzunehmen, dass es auch in sehr frühen Evolutionsphasen des Menschen vorteilhaft war, sich in Sekundenbruchteilen richtig zu entscheiden, wobei die angesammelte, erlernte und kategorisierte Erfahrung sicherlich eine Rolle gespielt hat. In der komplexer gewordenen Welt fällt es aber zunehmend auf, dass diese Art kognitiver Heuristik häufiger nicht (mehr) zur Realität passt. Das ist auch die eigentliche Aussage Lippmanns und das verdeutlicht auch unser Eingangsbeispiel mit dem weiblichen Chirurgen. Abbildung 2: Wortbeispiele zur sprachlichen Wolke um den Begriff Stereotyp herum <?page no="41"?> 42 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung Ein weiterer Teil der Überlegungen und Forschungen beschäftigt sich mit sozialen Stereotypen, mit deren Funktion beim Verhalten innerhalb der eigenen Gruppe und gegenüber anderen sozialen Gruppen und deren Individuen. Hier überschneiden sich plötzlich die Konzepte: Die stereotypen Denkmuster werden im sozialen Kontext der Natur des Menschen entsprechend immer von Affekten z. B. des Mögens oder nicht Mögens begleitet und schnell werden im Sprachgebrauch des Alltags auch Konsequenzen des Verhaltens dazu in Beziehung gesetzt. Es entsteht eine sprachliche Wolke zum Begriff Stereotyp . (Abbildung 2) Die ersten sozialwissenschaftlichen Forschungen trennen diese Begrifflichkeiten jedoch ganz konsequent und ermitteln Stereotyp und die affektive Komponente dazu stets getrennt. Diesem Vorgehen folgt der eigene Forschungsansatz. Das Drei-Komponenten-Modell von Rosenberg und Hovland (1960) systematisiert diese Trennung von Denken, Fühlen und Verhalten in verallgemeinerter Form, aber sehr deutlich, und fasst die drei Komponenten wieder unter dem Begriff der Einstellung ( attitude ) zusammen. An diesem Ansatz orientiert sich auch die vorliegende Arbeit bei der eigenen Modellbildung. 2.5 Nationale Stereotype In interkulturellen Kontaktsituationen geht es auch immer um „nationale Stereotype“. Deshalb wird dem Verständnis von Stereotypen als Orientierungs- und Kommunikationshilfe durch die Sozialpsychologie und die Linguistik viel Bedeutung beigemessen. Denn trotz stetig wachsendem Kulturkontakt in der globalisierten Welt nehmen die nationalen Stereotype nicht ab (vgl. Florack 2007: 143). Florack vertritt die Auffassung, dass nationale Stereotype, wie auch andere Stereotype, Bestandteile eines kollektiven Wissens sind und im Laufe der Sozialisation auf mannigfache Weise erworben werden (vgl. ebd. 60). Die Untersuchung von nationalen bzw. ethnischen Stereotypen hat in den letzten 30 Jahren im Fremdsprachenunterricht an Bedeutung gewonnen. Nach Löschmann stehen diese Stereotype sogar im Zentrum der Forschungs- und Unterrichtstätigkeit im Fremdsprachenunterricht (vgl. Löschmann 1998: 19). Nünning (1999) deutet auf die Bedeutsamkeit der nationalen Stereotype und der Auseinandersetzung mit dem Fremd- und Selbstbild für das Verstehen fremder Kulturen hin (vgl. Nünning 1999: 323). Jeweils andere Völker werden „als Element eines grenzüberschreitenden Wissens in Europa seit dem Humanismus“ (Florack 2007: 143), als Kollektivindividuen mit guten und schlechten Eigenschaften beschrieben, damit sie auf einer allgemeinverständlichen Ebene vergleichbar sind (vgl. ebd. 143 f.). <?page no="42"?> 2.5 Nationale Stereotype 43 Hahn (1995) stellt fest, dass es nationale, regionale u. ä. Stereotype gibt als quasi unreflektierte ,Volksweisheiten‘, die in jeder Gesellschaft relativ unkontrolliert und spontan entstanden sind und herumgeistern, was dem ,natürlichen‘ Orientierungsbedürfnis entspricht, um zwischen ,Eigenen‘ und ,Fremden‘ zu unterscheiden (vgl. Hahn 1995: 194). Im Anhalt an neuere sozialpsychologische Erkenntnisse stellt Florack fest: „Stereotype sind allgemein bekannte, durch Tradition verbürgte Attribute, welche die Gruppenzugehörigkeit markieren; als Textelemente verweisen nationale Stereotype auf das (rudimentäre) Wissen, das die Leser über ein Volk haben“ (Florack 2007: 39). Daher ist es sinnvoll zu untersuchen, wie Kammhuber und Schroll-Machl (2007) anmerken, wie realitätsnah die Stereotype der zu untersuchenden Gruppe konstruiert sind, wie bewusst der Verallgemeinerungsprozess zur Orientierung vollzogen wird und wie offen sie gegenüber weiteren Differenzierungen bleiben (vgl. Kammhuber/ Schroll-Machl 2007: 21). 2.5.1 Öffentliche und private Anteile der Stereotype Bereits die ersten Forschungen von Katz und Braly (1933) haben sich nicht nur auf die Bedeutung und die Anzahl der genannten Eigenschaften fokussiert, also nicht alleine Semantik, Konnotation und statistische Anteile der Eigenschaften untersucht. Katz und Braly berechneten einen nummerischen Wert, den sie „definiteness“ (Katz/ Braly 1933: 288) nannten. Ihre definiteness beschrieb die Anzahl der genannten Eigenschaften im 0.5 Quantil aller Nennungen. Unter Verwendung und Diskussion der Metrik zur Bestimmung der definiteness von Katz und Braly wird ein Phasenmodell abgeleitet, das den Reifegrad eines Stereotyps auf einer allgemeinen Ebene beschreibt (siehe Kap. 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly ). Durch die Anwendung des Konzepts, bei dem der Konsens der Stereotype gegenüber verschiedenen ethnischen Gruppen mit einem nummerischen Wert berechnet und verglichen wurde, ist klar geworden, dass die konsensuelle Eigenschaft des Stereotyps als wichtiger Bestandteil in ihrer Definition angesehen wird. Mit der Definition der definiteness verfügten sie über eine einfache Metrik zur Unterscheidung von Stereotypen mit überwiegend öffentlichem, tradiertem Anteil von solchen mit mehr individuellem Anteil: „Table II [mit unterschiedlichen Werten für die definiteness Anm. d. Autors] indicates then that the knowledge upon which students assigned characteristics to various races has both a private or personal basis and a public or cultural basis.“ (ebd. 289) In der <?page no="43"?> 44 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung Nachfolgeforschung der ‚Princeton Trilogy‘ 11 von Gilbert (1951) und Karlins et al. (1969) wird der Begriff „soziale Stereotype“ ( social stereotypes ) verwendet, um die konsensuellen Überzeugungen einer Gruppe mit einem hohen Grad an Übereinstimmung zu kennzeichnen. Die jeder Gruppe am häufigsten zugeschriebenen Eigenschaften werden als Indikator für soziale Stereotype angesehen (vgl. Gilbert 1951: 246). Triandis (1975) setzt sich mit den Bestandteilen der Stereotype weiter auseinander und vertritt die Meinung: Wenn wir an andere Leute denken, über die wir nur wenig wissen, […] dann neigen wir dazu, die Meinungen anderer Individuen zu übernehmen, zum Beispiel die von Journalisten, Autoren oder anderer Autoritätspersonen. Denken wir dagegen an Menschen, die wir gut kennen, zum Beispiel an nahe Verwandte, dann verlassen wir uns zumeist auf unser eigenes Urteilsvermögen. Bei unseren Verwandten nehmen wir wahrscheinlich eine große Zahl verschiedener Charakteristika wahr; betrachten wir aber entferntere Gruppen, dann, denken wir eher in einfachen Kategorien und attribuieren diesen Gruppen nur wenige Charakteristika. (Triandis 1975: 156 f.) Demnach unterscheidet Triandis zwei Begriffe: „Normative Stereotype sind Überzeugungen von Gruppen, wie man ,angemessen‘ und ,richtig‘ über andere Gruppen denkt.“ (Triandis 1975: 158, zitiert nach Hort 2012: 25) Diese kulturell dominierenden Stereotype beziehen sich auf einen breiten Konsens innerhalb einer Gesellschaft und werden von einer großen Mehrheit geteilt (vgl. Hort 2012: 25). „Nicht-Normative Stereotype sind ungenaue und nicht definierte Stereotype über Menschen, über die man nur wenig weiß“ (Triandis 1975: 158, zitiert nach Hort 2012: 25), was meist auch als individuell bzw. idiosynkratisch verstanden wird (vgl. Hort 2012: 25). Diese Stereotype finden in der Gesellschaft weniger Übereinstimmung oder gar Akzeptanz. Mitulla (1997) versteht individuelle bzw. idiosynkratische Stereotype als „Überzeugungen hinsichtlich der charakteristischen Merkmale einer Gruppe, den speziell dieses einzelne Individuum besitzt. Diese Form gilt als weniger automatisiert, eher motivational fundiert […]“ (Mitulla 1997: 71, zitiert nach Hort 2012: 25). Ob Stereotype individuell oder durch sozial geteiltes Wissen erworben werden, ist ein offener Diskurs. Es gibt Ansätze, die davon ausgehen, dass Stereotype mit einer Reihe von Überzeugungen in Bezug auf eine soziale Gruppe individuell entstanden sind und nicht unbedingt sozial geteilt werden müssen (z. B. Secord/ Backman 1974; Ashmore/ Del Boca 1981), während andere im Gegensatz 11 Die Studie von Katz und Braly 1933 wurde in der Princeton-Universität durchgeführt und später noch zweimal, nämlich 1951 von Gilbert und 1967 von Karlins et al. in genau der gleichen Form wiederholt. Man bezeichnet sie deshalb als ‚Princeton Trilogy‘. <?page no="44"?> 2.5 Nationale Stereotype 45 dazu das sozial geteilte Stereotyp als notwendigen Bestandteil betrachten (z. B. Fiske/ Pavelchak 1986; Hogg/ Abrams 1988; Katz/ Braly 1935) (vgl. Leyens et al. 1994: 12). Ashmore und Del Boca (1979) legen nahe, dass konsensuelle Überzeugungen ( consensual beliefs ) als kulturelle Stereotype ( cultural stereotypes ) bezeichnet werden sollten, mit denen sozial geteilte Überzeugungen gemeint sind, und die individuellen Stereotype von den kulturellen Stereotypen unterschieden werden sollten, was dazu dient, die diversen Phänomene mit unterschiedlichen Begriffen präzise zu beschreiben und die individuelle Akzeptanz der sozial geteilten Stereotype einschätzen zu können (vgl. Ashmore/ Del Boca 1979: 223). Sie bestehen darauf, dass die Überzeugungen trotz eines geringen Übereinstimmungsgrades in einer sozialen Gruppe auch als Elemente eines Stereotyps betrachtet werden (vgl. Ashmore/ Del Boca 1981: 20): [T]he degree of association between a particular trait and a social group should not be the sole determinant of whether that trait is included in an individual or a cultural stereotype. Differentiating traits, even if they tend to be ascribed with a relatively low degree of frequency, should be regarded as elements of a stereotype. (ebd.) Leyens et al. (1994) sind der Auffassung, dass es durchaus geteilte Stereotype gibt, aber dass sie aus vielen individuellen Prozessen entstehen, Prozesse, die ihren Ursprung im Individuum haben. Sie stellen fest, dass die Stereotypisierung auf jeden Fall ein individueller Prozess ist, der stark von sozialen Faktoren beeinflusst wird, wobei Stereotype selbst aus weitgehend sozial geteiltem Wissen bestehen können (vgl. Leyens et al. 1994: 12). 2.5.2 Entstehung nationaler Stereotype Bentele (1995) verweist auf das Forschungsdesiderat bei empirischen Untersuchungen der Deutschlandbilder im Ausland, die hauptsächlich auf die Bilder selbst und deren Bestandteile fokussieren. Er macht deutlich, dass „die Relevanz unterschiedlicher Informationsquellen, also der Prozeß der Imageentstehung selbst, untersucht werden sollte“ (Bentele 1995: 65). Bei der Untersuchung der Entstehung der nationalen Stereotype sind im Allgemeinen Primär- und Sekundärerfahrungen zu unterscheiden. Primärerfahrungen werden definiert als individuelle direkte Erfahrungen, die im Inland bzw. durch einen Aufenthalt im Zielsprachenland mit dessen Bevölkerung gemacht werden (vgl. Bentele 1995: 63 ff.; Spaniel-Weise 2006: 14). Sekundärerfahrungen betreffen dagegen Informationen, die über die bekannten Sozialisationsinstanzen wie Familie, Freunde, Schule, Medien auf unterschiedliche Weise vermittelt werden (vgl. Spaniel-Weise 2006: 14), kurz, von Dritten übernommenes Wissen. Zu den frühesten Se- <?page no="45"?> 46 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung kundärerfahrungen der kindlichen Sozialisation gehört die Vermittlung von Fremdbildern durch Eltern und Schule (vgl. Wilke 1989: 16). Die dominierende Betonung des Einflusses der Sekundärerfahrungen auf die Stereotypenbildung ist auf Lippmanns Werk Public Opinion (1922) zurückzuführen. „We are told about the world before we see it. We imagine most things before we experience them. And those preconceptions, unless education has made us acutely aware, govern deeply the whole process of perception.“ (Lippmann 1998: 90) Damit wird betont, dass die vorgeprägten Meinungen, die nicht durch direkte Erfahrungen ermittelt werden, den stärksten Einfluss auf den ganzen Wahrnehmungsprozess haben. Er vertritt die Ansicht, dass Stereotype hauptsächlich durch z. B. Lehrer, Eltern, Medien vermittelt werden und wenig durch eigene Erfahrungen korrigiert werden können, was daran liegt, dass viele Menschen wenige Chancen haben, ins Ausland gehen zu können, um die privaten Erfahrungen zu gewinnen (vgl. ebd. 273 f.). Unter anderem leisten die Massenmedien, die oft als einzige Informationsquelle über räumlich entfernte, fremde Länder und Kulturen dienen (vgl. Wilke 1989: 16), zur Bildung der Meinung im erheblichen Maß Beiträge. Hort (2012) verweist darauf, dass die mediale Massenkommunikation der modernen Gesellschaften eine der bedeutendsten „Konversationsmaschinen“ ist (vgl. Hort 2012: 90). „Film und Fernsehen, Literatur, Zeitungen und Zeitschriften sowie Hörfunk und Internet usw. fungieren als die wichtigsten Vermittlungsinstrumente zur gesellschaftlichen Distribution von Wissen.“ (ebd.) Er deutet darauf hin, dass Fernsehserien (besonders die am amerikanischen Vorbild orientierten sogenannten „Soap-Operas“), Fernsehwerbung, Talk-Sendungen und Filme entscheidende Beiträge dazu geleistet haben, ein stark verzerrtes oder einseitiges Bild zu liefern, stereotype Vorstellungen und mitunter Vorurteile damit zu vermitteln und konstruierte Stereotypenstrukturen zu erhalten (vgl. ebd.). Wiegerling (2002) verweist ebenfalls auf die zentrale Rolle der rassischen Stereotypenbildungen in vielen populären US-amerikanischen Filmen, wo gute und böse Rassen charakterisiert und klassifiziert werden (vgl. Wiegerling 2002: 14). Seit dem 21. Jahrhundert übernimmt das Internet langsam die dominierende Rolle des Fernsehens als Informationsquelle und zählt zu den wichtigsten Medien, besonders bei den jungen Leuten. Aufgrund der Aktualität der Informationen, die durchs Internet erfahrbar werden, lässt die Beliebtheit der klassischen Medien, vor allem Büchern mit häufig veraltenden Informationen nach. Schaffranietz (2009) beleuchtet den interaktiven Meinungsbildungsprozess (vgl. Violet 2016: 77), der durch „eine veränderte Nutzung und Wahrnehmung des Internets“ (Schaffranietz 2009: 311) geschieht. Mehrere interaktive Webdienste wie Webblogs, Forum, Wikis, Foto- und Videoportale eröffnen die Möglichkeit, dass Meinungen nicht nur passiv, sondern eben auch interaktiv durch Äußerung <?page no="46"?> 2.5 Nationale Stereotype 47 der eigenen Meinungen im Rahmen eines Interaktionsprozesses gebildet werden können (vgl. Schaffranietz 2009: 311, zitiert nach Violet 2016: 77). Trotz der zahlreichen Möglichkeiten in der heutigen Zeit, so schnell Informationen aus aller Welt zu bekommen und verarbeiten zu können wie noch nie zuvor, besteht die Problematik darin, dass einerseits Wahrheitsgehalt und Umfang der Informationen begrenzt sind und dass andererseits auch der individuelle Informationsverarbeitungsprozess zur Verzerrung eines Bildes führen kann. Man muss davon ausgehen, dass es Unterschiede zwischen der sozialen Wirklichkeit und der Medienwirklichkeit gibt, die beispielsweise an der Verkürzung und Vereinfachung sowie subjektiver Rekonstruktion bei der Darstellung der Tatsachen liegen (vgl. Bentele 1995: 65 ff.). Violet (2016) setzt sich mit dem Verzerrungsmechanismus bei der Produktion und Rezeption der Informationen aus Medien auseinander und stellt fest, dass die individuelle Informationsverarbeitung nicht in objektiver Weise, sondern mit diversen Selektions- und Verzerrungsprozessen geschieht (vgl. Violet 2016: 78). Burkart (2002) vertritt auch die Auffassung, dass selbst die Primärerfahrung vom Rezipienten durch bestimmte Selektions- und andere Wahrnehmungsfilter verzerrt werden könnte, geschweige denn Informationen aus den Medien (vgl. Burkart 2002: 207 f., zitiert nach Violet 2016: 77), die in der Regel die Wirklichkeit nicht repräsentieren (vgl. Burkart 1995: 260). Die selektive Wahrnehmung des Individuums bestimmt, welche Informationen aus der stetig anwachsenden Informationsflut aufgenommen werden und wie sie verarbeitet werden. Triandis (1975) stellt seine These auf, die bereits in mehreren Untersuchungen nachgewiesen ist, dass Individuen Informationen selektieren, die ihre eigenen Einstellungen stützen, die von großem Nutzen für ihr größeres Verständnis der Umwelt sind, und die ihr eigenes Selbstwertgefühl nicht bedrohen (vgl. Triandis 1975: 230 ff.). Unter dieser Voraussetzung lässt sich die Einstellung durch die Einflüsse verschiedener Informationsquellen formen und verändern. Nach Triandis (1975) wirken die Informationen bei der Wahrnehmung der Quellen der Rezipienten unterschiedlich stark auf die Einstellungsänderung. Er kommt zum Ergebnis, dass „Informationsquellen hinsichtlich ihrer Kompetenz, ihres Bekanntheitsgrades, ihrer Attraktivität, ihrer Feindseligkeit und Macht variieren“ (Triandis 1975: 253). Damit ist gemeint, dass die Sachkenntnis, die Zuverlässigkeit und die Attraktivität der Informationsquellen eine entscheidende Rolle spielen. Obwohl Massenmedien nach Hort (2012) schon längst als Instrument der Propaganda für politische Interessen und Ziele genutzt werden und die von der Politik gesteuerten Medienberichte sehr berechtigt kritisiert werden, können stereotype und vorurteilshafte Informationen über Medien transportiert und schnell verbreitet werden, was Hort zufolge daran liegt, dass <?page no="47"?> 48 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung 1. […] die Konsumenten dieser Inhalte dafür ansprechbar sind und diese eventuell - so wie die Vertreter der Medien z. T. argumentieren - wünschen oder gar verlangen und 2. dass die Verantwortlichen dieser medialen Inhalte auch in den jeweils gesellschaftlichen Stereotypen- und Vorurteilsstrukturen leben, worauf sie Bezug nehmen. Sie haben also Teil an ihrem nomischen Wissen. (Hort 2012: 92) Auch bemerkenswert ist, dass Bentele (1995) „Produkte und Dienstleistungen“ (Bentele 1995: 63) als Informationsquelle nennt und sie den direkten Erfahrungen, also Primärerfahrungen zuordnet. Er betrachtet diese Quelle als eine wichtige Imagekomponente im Hinblick auf die deutsche Nation, die sich aufgrund mehrerer weltweit anerkannten Produkte historisch auf die Erfahrung „deutsche Wertarbeit“ stützt (vgl. ebd. 64). Er behauptet, dass die deutschen Produkte auch im Ausland direkt, ohne Vermittlertätigkeiten der Medien, wahrgenommen werden können und dadurch den Deutschen positive Eigenschaften in Bezug auf ihre Leistungen zugeschrieben werden (vgl. ebd.). Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Stereotype gegenüber Deutschland und den Deutschen sollte demnach auch diese Art einer Informationsquelle berücksichtigt werden. Wie Violet (2016) anmerkt, zählt diese Quelle zu „[einer] der wenigen Möglichkeiten, direkte Erfahrungen mit Objekten und Organisationen aus einem Land zu sammeln, ohne es besuchen zu müssen“ (Violet 2016: 75). Allerdings verweist sie darauf, dass es bislang noch keinen Forschungszweig gibt, bei dem die Wirkung von Produkten und Dienstleistungen auf die Einstellungsbildung gegenüber dem Herkunftsland untersucht wird (vgl. ebd.). Aufgrund der offen zugänglichen, vielfältigen Informationsquellen in der heutigen Zeit kann man davon ausgehen, dass die Hauptgruppe der vorliegenden Arbeit, also die Deutschstudierenden bereits über gewisse Vorstellungen und Vorwissen über Deutschland und die Deutschen verfügen, bevor sie mit dem Germanistikstudium anfangen. In der Regel ist es das von Dritten übernommene Wissen, oder die besondere Primärerfahrung durch deutsche Produkte. Während des Studiums wird das Wissen durch weitere Sekundärerfahrungen erweitert. Diese werden im Fremdsprachen- und Landeskundeunterricht in Verbindung mit vielfältigem Lehrmaterial vermittelt. Eine wichtige Rolle nehmen auch die Einstellungen der chinesischen Lehrkräfte gegenüber Deutschland und den Deutschen ein, weil sie durch ihre Auswahl und Interpretation der Lehrmaterialien Einfluss auf die Studenten ausüben können. Löschmann (1998) betont die relevante Bedeutung der Fremdsprachenlehr- und -lernmittel bei der Stereotypenbildung (vgl. Löschmann 1998: 11). „Bereits durch die Themenwahl, die Wahl und Darstellung der gewählten Personen, die Perspektive, die Aufgaben- und Übungsgestaltung, das Bildmaterial usw. können Stereotype gefestigt oder gar neu geformt werden.“ (ebd.) <?page no="48"?> 2.5 Nationale Stereotype 49 Obwohl Sekundärerfahrungen hinsichtlich zahlreicher diverser Quellen häufiger auf die Bildung von Stereotyp und Einstellung einwirken, ist es nach Violett (2016) in der Fachwelt unbestritten, „dass Primärerfahrungen, also direkte Erfahrungen eines Rezipienten mit einem anderen Land, dessen Bevölkerung und/ oder Produkten oder Dienstleistungen, den potenziell stärksten Einfluss auf sein Länderbild haben“ (Violet 2016: 75). Bentele (1995) betont die relevante Bedeutung der direkten Erfahrungen mit Menschen und Land in Deutschland selbst und betrachtet sie als die „intensivste Art, sich ein Bild vom Land machen zu können“ (Bentele 1995: 65, zitiert nach Violet 2016: 75). Nach Gramberger (1994) weist die interpersonale Kommunikation unter allen Kommunikationsformen die größte Glaubwürdigkeit auf, sodass die direkten Erfahrungen den wirksamsten Einfluss auf die Bildung von nationalen Stereotypen ausüben (vgl. Gramberger 1994: 49, zitiert nach Schaffranietz 2009: 118). Für die meisten Menschen bleiben die Chancen jedoch gering, dass Stereotype und Einstellungen durch direkte Konfrontation mit dem Einstellungsgegenstand gebildet werden, wenn es ums Ausland geht. Triandis (1975) behauptet, dass zwar nur ein kleiner Teil der Einstellungen aus direkter Erfahrung gebildet wird, aber sehr ausgeprägt ist und besonders die „traumatischen Erlebnissen“ den extrem intensiven Einfluss haben (vgl. Triandis 1975: 153). Für die Hauptgruppe der vorliegenden Arbeit sind hauptsächlich zwei Quellen, die zu Primärerfahrungen zählen, zu nennen, die eine ist der direkte Kontakt mit den deutschen Lehrkräften, z. B. den DAAD-Lektoren aus Deutschland, die den Studierenden regelmäßigen Unterricht geben (siehe Kap. 4.2.5 Untersuchungsumfeld an der Universität SISU ), die andere ist ein Deutschlandsaufenthalt im Rahmen der Austauschprogramme, hier auch zwischen dem zu untersuchenden Deutschinstitut der SISU (Sichuan International Studies University) mit einigen deutschen Universitäten (siehe Kap. 4.2.6 Deutschabteilung der Universität SISU ). Dadurch erhalten die Studierenden Möglichkeiten, direkte Erfahrungen mit deutschen Menschen zu machen. Außerdem zählt das private Reisen in Deutschland mit einer kurzen Aufenthaltsdauer auch zu den direkten, selbst gemachten Erfahrungen. Wie Schaffranietz (2009) anmerkt, können Reisen, Auslandsaufenthalte oder Austauschprogramme einen umfassenden und wirklichkeitsnahen Eindruck des Ziellandes vermitteln und dadurch interkulturelle Begegnungen in verschiedenen Bereichen stattfinden (vgl. Schaffranietz 2009: 116). Die Untersuchung des Einflusses eines Deutschlandaufenthalts auf die Stereotyp- und Einstellungsbildung bzw. -veränderung der Studierenden ist ein eigenes Thema, das der Austauschforschung zugeordnet werden kann. In der vorliegenden Arbeit wird dieser Faktor zwar bei der Datenauswertung und -interpretation in vielen Hinsichten berücksichtigt, aber aufgrund begrenzter Anzahl der Probanden mit Deutschlanderfahrungen nicht als eine zentrale Variable näher untersucht. <?page no="49"?> 50 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung Für die vorliegende Studie ist von Bedeutung, diverse Informationsquellen der Deutschstudierenden über Deutschland und die Deutschen zu erfassen und sich mit deren Relevanz bei der Entstehung bzw. Veränderung ihrer Deutschlandbilder auseinanderzusetzen. 2.5.3 Das Stereotyp im Kontext China-Deutschland Diese Konstellation ist eine besondere. Obwohl Deutschland und China zu ganz unterschiedlichen Kulturkreisen gehören, entwickelten sich die gegenseitigen Beziehungen im Laufe der vergangenen hundert Jahre vielfältig (vgl. Leutner 1995: 7). Heute genießt Deutschland ein hohes Ansehen in China. Die öffentliche Berichterstattung über Deutschland in China als wichtige Quelle für die Ausbildung des nationalen Stereotyps erfolgt mit einem positiven Tenor (vgl. Die Huawei-Studie 2012, 2014, 2016). Nicht zuletzt aus dem positiven Einklang heraus steigt seit Anfang des neuen Jahrtausends ständig die Zahl der Interessierten, die die deutsche Sprache lernen wollen und beruflichen Bezug zu Deutschland suchen. Zur Erklärung können unterschiedliche Gründe herangezogen werden. Im Folgenden werden einige Untersuchungen zu Chinas Deutschlandbildern präsentiert. 2.5.3.1 Das positive Deutschlandbild in China Das positive Deutschlandbild ist von China aus gesehen auf die Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen zurückzuführen. Tang (1993) untersucht Deutschlandbilder Chinas in einem umfangreichen Zeitraum seit der Gründung des Deutschen Reichs 1870/ 71 bis hin zur Wiedervereinigung Deutschlands 1989 durch eine Beschäftigung mit vielen wichtigen historischen Ereignissen und politischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Anhand der qualitativen Inhaltsanalyse eines umfangreichen Quellenmaterials wie z. B. der chinesischen Volkszeitung (Renmin Ribao), Gesamtwerke, Tagebücher und Erinnerungen der wichtigsten chinesischen Entscheidungsträger sowie chinesischer Presseorgane und anhand von ergänzenden quantitativen Analysen kommt er zu dem Ergebnis, dass die Chinesen, vor allem die chinesischen Führungen aus machtpolitischer Sicht innerhalb dieses Untersuchungszeitraums, in dem ein konkretes Bild von Deutschland in China entstand, ständig sehr positive Eindrücke von Deutschland hatten (vgl. Tang 1993: 329). 12 Deutschlands Entwicklung passte in 12 Die offizielle Beziehung zwischen China und Deutschland begann um 1860 (vgl. Kuan et al. 2009). Die beiden Nationen nahmen 1861 mit der Unterzeichnung des „deutsch-chinesischen Handels- und Freundschaftsvertrag“ die ersten diplomatischen Beziehungen auf (vgl. Klemm 2001). Erst nach dem Sieg der Deutschen im deutsch-französischen Krieg 1870/ 71 und der anschließenden Reichsgründung bekam Deutschland größere Aufmerk- <?page no="50"?> 2.5 Nationale Stereotype 51 ideologischer, militärischer und politischer Hinsicht in der neueren Geschichte zu den politischen Interessen der chinesischen Führung (vgl. ebd. 332 f.). Besonders auch der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von China als Vorbild und geistige Anregung genutzt (vgl. ebd. 329 ff.). Nach Tang waren die den Deutschen zugeschriebenen Eigenschaften dergestalt, dass sie militärisch diszipliniert, mächtig und patriotisch sind, was für die damalige chinesische Führung in ihren Kämpfen gegen die äußere Bedrohung sehr nachahmenswert erschien (vgl. ebd. 333). Violet (2016) vertritt die Meinung, dass „die Wahrnehmung Deutschlands und der Deutschen in einem Land immer auch von der gemeinsamen Geschichte geprägt ist“ (Violet 2016: 131). Sie skizziert prägnant die historische Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen seit der Gründung des Deutschen Reichs 1871. 13 Zur damaligen Zeit wurde Deutschland von China immer stärker als Großmacht wahrgenommen (vgl. Klemm 2001, zitiert nach Violet 2016: 132). Da Deutschland aber aufgrund der geographischen Entfernung nie ernsthaft als Bedrohung angesehen wurde, lässt sich das heutige positive Deutschlandbild auf das auch dadurch unbelastete deutsch-chinesische Verhältnis zurückführen (vgl. ebd. 132 ff.). Klemm (2001) begründet das heutige positive Deutschlandbild der Chinesen damit, dass Deutschland angesichts seiner selbstkritischen Auseinandersetzung mit dem Krieg und der eingeleiteten Wiedergutmachung nach dem Zweiten Weltkrieg als Vorbild betrachtet wird im Gegensatz zu Japan, das den Chinesen ein Eingeständnis von Kriegsverbrechen und den Versuch einer Wiedergutmachung schuldig geblieben ist. Trotz vielfältiger Wirtschaftsbeziehungen wird dadurch gegenüber den Japanern eine gewisse Abneigung immer weiter tradiert (vgl. Klemm 2001). Nach Klemm (2001) spielt auch die führende deutsche Technik im Industriebereich bei der positiven Wahrnehmung der deutschen Mentalität von den Chinesen eine entscheidende Rolle. Dabei werden die altpreußischen Tugenden wie Fleiß und Disziplin mit einem resultierenden wirtschaftlichen Erfolg in Verbindung gesetzt (vgl. Rohmund 1997: 36, zitiert nach Klemm 2001). Aus der Untersuchung der Lernmotive zum Deutschlernen chinesischer Studierender weisen Fan und Li (2007) darauf hin, dass das positive Deutschlandbild der chinesischen Studierenden auch dazu beiträgt, dass sie sich für das Deutschlernen entscheiden und Antrieb zum Lernen bekommen. Nach der Mosamkeit in China, während zuvor die europäischen Länder von den Chinesen weitgehend als Einheit gesehen wurden (vgl. ebd.). Erst ab diesem Zeitpunkt ist es sinnvoll, Deutschlandbilder in China zu untersuchen. 13 Einen Einblick in die historische Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen von Beginn an findet man beispielsweise in den Arbeiten von Tang 1993, Klemm 2001, Gao 2012, Violet 2016. <?page no="51"?> 52 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung tivation zum Deutschlernen gefragt, spielen deutsche Produkte und die Moral und Mentalität der Deutschen sowie die wirtschaftliche Stärke Deutschlands eine wichtige Rolle bei der Begründung (vgl. Fan/ Li 2007: 206). Ihrer Meinung nach liegt dem positiven Deutschlandbild der Chinesen zu einem großen Teil die Bewunderung des Wirtschaftswunders Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg zugrunde (vgl. ebd.). Neuere Untersuchungen über das Deutschlandbild der Chinesen liefern einheitlich positive Ergebnisse. Yang (2007) führte eine Befragung unter 638 chinesischen Studierenden verschiedener Studienfächer an drei Universitäten in Shanghai durch. Aufgabenstellung war die Beschreibung ihrer Eindrücke von Deutschland und den Deutschen. Dabei erfasst er das Deutschland- und Deutschenbild mit den am häufigsten zugeschriebenen Stichwörtern, mit denen ein sehr positives Bild sowohl von Deutschland als auch von den Deutschen gezeichnet wurde. Wirtschaftliche Stärke, schöne Landschaft und Umwelt, kulturell hoch entwickelt und Ordentlichkeit zählen zu den wichtigen Merkmalen des Deutschlandbildes. Bei der Beschreibung der Eigenschaften der Deutschen haben unter anderen ernsthaft , seriös und freundlich hohe Übereinstimmungen (vgl. Yang 2007a: 243). Eher negative Eigenschaften wie inflexibel , arrogant , eingebildet , distanziert , Kälte und Eigensinnigkeit wurden zwar genannt, aber im Vergleich mit der überwiegenden Zahl an positiven Eigenschaften nur zu einem sehr geringen Teil, wobei Inflexibilität unter den negativen Zuschreibungen einen großen Anteil ausmacht (vgl. ebd. 244). Allerdings sieht Yang das allzu positive Deutschlandbild der chinesischen Studierenden eher als eine Gefahr als einen Nutzen für die chinesisch-deutsche Kommunikation. Er weist auf die Problematik dieser unkritischen Verallgemeinerung der Studierenden hin, dass bei dem zukünftigen Umgang mit Land und Leuten leicht Enttäuschung hervorgerufen werden kann und sich aus dem verzerrten und verschönerten Deutschlandbild der Studierenden Missverständnisse, Unverständnis und Konflikte ergeben können. Er behauptet, dass das von den Studierenden gezeichnete Deutschenbild unrealistisch ist, weil dergestalt perfekte Deutsche in Wirklichkeit kaum anzutreffen sind und die guten Eigenschaften außerdem nicht auf alle Deutschen zutreffen (vgl. ebd. 244). Er hebt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dem Deutschlandbild im Deutschunterricht hervor, damit ein angemessenes Deutschlandbild vermittelt wird und das einseitig positive Bild kritisch zur Sprache gebracht werden kann (vgl. ebd. 258). Liu (2010) führte eine empirische Untersuchung anhand schriftlicher Befragungen mit quantitativen und qualitativen Anteilen zu aktuellen Tendenzen in der chinesisch-deutschen Kommunikation unter chinesischen und deutschen Studierenden durch. Dabei wurde ein Schwerpunkt darauf gelegt zu erforschen, ob und inwieweit kulturelle Unterschiede Einflüsse auf die interkulturelle Kom- <?page no="52"?> 2.5 Nationale Stereotype 53 munikation bei der jüngeren Generation ausüben. Untersucht wurde dabei, ob die Kommunikation eher von sogenannten chinesischen „zentralen Kulturstandards“ bzw. den „kulturspezifischen Verhaltensmustern“ (Liu 2010: 112), die auf dem Einfluss des Konfuzianismus beruhen, beeinflusst wird oder eher von westlichen Denk- und Verhaltensweisen. Die Stereotype und Vorurteile über die Deutschen sowie deren Einfluss auf die Kommunikation wurden ebenfalls erfasst. Unter elf von Liu selbst zusammengestellten und zur Auswahl angebotenen Adjektiven gehören gewissenhaft, höflich/ freundlich, ernst, pünktlich, unflexibel/ starr, ordentlich zu den häufigsten Nennungen. Bemerkenswert ist, dass auch unflexibel/ starr als negative Eigenschaft, die schon in mehreren Untersuchungen (Yang 2007a, Bolten/ Weißflog 2005, Nagels 1996, Liang 1996) in Bezug auf das Deutschlandbild in China als einzige negative Eigenschaft der Deutschen vorkommt, häufig genannt wurde. Gao (2012) untersuchte unterschiedlichste Medien auf die durch die historischen Zeitläufe bedingten Wandlungen des Deutschlandbildes hin (vgl. Gao 2012: 97) und verweist auf das aktuelle positive Deutschlandbild in China. Nach Gao wissen die Chinesen angesichts der historischen und wirtschaftlichen Hintergründe wenig von den Deutschen und nutzen klischeehafte Beschreibungen wie „die Deutschen trinken Bier, spielen gut Fußball, produzieren gute Autos“ (vgl. ebd. 54). Als neuen Aspekt untersucht sie ethnische Witze aus den beiden Ländern und zeigt auf, dass sich die stereotypen Bilder von Deutschland wie z. B. die deutsche Ernsthaftigkeit , Genauigkeit , Überkorrektheit in den Witzen widerspiegeln, die aber nur ein sehr einseitiges Bild von den Deutschen umreißen (vgl. ebd. 54 f.). Die anhand der Befragung und Medienanalyse durchgeführte Huawei-Studie (2012, 2014, 2016) untersucht seit 2012 das Chinabild der Deutschen und das Deutschlandbild der Chinesen von etwa jeweils 1300 14 Probanden und Zeitungsartikel über beide Länder und liefert alle zwei Jahre neue Ergebnisse zu wechselseitigen Wahrnehmungen. Die deutsche Kultur besitzt in China ein überaus positives Image, das sich auch in der Berichterstattung der chinesischen Medien widerspiegelt (vgl. Huawei-Studie 2014: 148). Deutschland und die Deutschen werden deutlich als vertrauenswürdig und zukunftsorientiert mit hohem Innovationspotential wahrgenommen (vgl. Huawei-Studie 2012: 81 ff.), Staat und Gesellschaft werden zunehmend positiv gesehen (vgl. Huawei-Studie 2016: 39 ff.), gute deutsche Automobile und andere Produkte werden schnell mit Deutschland assoziiert (vgl. ebd. 27), die deutschen Technologieprodukte wer- 14 Die Gruppe der Befragten in der Huawei-Studie 2012 setzt sich aus 1250 deutschen Bürgern und 1319 chinesischen Bürgern zusammen. An der Befragung der Huawei-Studie 2014 haben aus beiden Ländern jeweils 1300 Probanden teilgenommen. 2016 gab es für die Befragung 1301 deutsche und 1300 chinesische Probanden. <?page no="53"?> 54 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung den als international wettbewerbsfähig bewertet (vgl. Huawei-Studie 2014: 118). Höflichkeit , Familiensinn , Respekt vor älteren Menschen , Friedfertigkeit und Traditionsbewusstsein sind von den Chinesen geprägte Bilder der Deutschen (vgl. ebd. 148). Da sich die öffentliche Berichterstattung an Leitlinien der Politik orientiert (vgl. Fan 2007 15 ) und dies schon über einen längeren Zeitraum (s. o. Tang 1993: Deutschlandbilder Chinas von 1870 bis 1989 ), kann eine nachhaltig positiv gestimmte Konstanz der öffentlich verfügbaren Quellen als „public or cultural basis“ (Katz/ Braly 1933: 289), als stereotypfördernd angenommen werden. Die sich daraus ergebenden möglichen, unterschiedlichen Ebenen von Stereotypen von Gruppen oder Individuen und ihren Quellen sind ein Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Deshalb wird die vorliegende Querschnittsstudie im Bereich Deutsch als Fremdsprache mit interdisziplinären Querbezügen zur Kulturwissenschaft, Didaktik, Sozialpsychologie, Linguistik und Interkultureller Kommunikation verortet. Es werden die Stereotype und Einstellungen von chinesischen Deutschlernern gegenüber den Deutschen erfasst und analysiert. 2.5.3.2 Stereotype als Element im Fremdsprachenunterricht und der interkulturellen Kommunikation Heutzutage ist nicht nur das Erlernen von Fremdsprachen ein zentrales Ziel für Fremdsprachenlerner, sondern auch der Erwerb der interkulturellen Kompetenz wird als wichtiges Lernziel gesehen und gewinnt immer mehr Aufmerksamkeit. Nach Vandermeeren (2016) sind die Sprachwahlstrategien, die mit den im Fremdsprachenunterricht erworbenen Fremdsprachenkenntnissen zusammenhängen, und die interkulturelle Sensibilität der Kommunikationsteilnehmer von großer Bedeutung, um bei der interkulturellen Kommunikation Erfolg zu erzielen (vgl. Vandermeeren 2016: 163 f.). Bei der Ausbildung der interkulturellen Kompetenz der Fremdsprachenlerner hat zunächst das interkulturelle Bewusstsein große Bedeutung. Trim et al. (2001) 15 Rong Fan untersuchte das Deutschlandbild in China anhand der quantitativen Befragung von jeweils 400 chinesischen Hochschulstudenten in China im Jahr 2004 und 2006 und der Medienanalyse der größten chinesischen Parteizeitung „Volkszeitung“ (Renmin Ribao) und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die chinesische Regierung aus parteipolitischen Gründen in der einheimischen Presse bewusst ein positives Deutschlandbild präsentiert und unter den befragten Studierenden die Eigenschaften wie Ordnungsliebe, Gewissenhaftigkeit und Fleiß als typische Eigenschaften der Deutschen am häufigsten genannt werden. Dieses Ergebnis wurde im chinesischen DaF-Lehrwerk „Studienweg Deutsch“ Band. 4 im Text „Was halten Chinesen von Deutschland. Ein Shanghaier Germanist hat es untersucht.“ (Liang/ Nerlich 2009: Studienweg-Deutsch 4: 277) dargestellt. Dadurch sind Rong Fans Erkenntnisse zu Stereotypen von Chinesen über Deutsche den in der vorliegenden Arbeit befragten Deutschstudierenden gut bekannt. <?page no="54"?> 2.5 Nationale Stereotype 55 stellen in ihrer Veröffentlichung Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen die sprachenpolitischen Ziele des Europarats und die angestrebten Kompetenzen der Sprachlerner dar und stellen fest, dass die Fremdsprachenlerner sich der regionalen und sozialen Verschiedenheit zwischen Ausgangskultur und fremder Kultur bewusst sein sollen (vgl. Trim et al. 2001: 105). Nach Trim et al. sollen interkulturelle Fertigkeiten folgende Elemente enthalten: - „die Fähigkeit, die Ausgangskultur und die fremde Kultur miteinander in Beziehung zu setzen; - kulturelle Sensibilität und die Fähigkeit, eine Reihe verschiedener Strategien für den Kontakt mit Angehörigen anderer Kulturen zu identifizieren und zu verwenden; - die Fähigkeit, als kultureller Mittler zwischen der eigenen und der fremden Kultur zu agieren und wirksam mit interkulturellen Missverständnissen und Konfliktsituationen umzugehen; - die Fähigkeit, stereotype Beziehungen zu überwinden“. (ebd. 106) Seit den 1990er Jahren gewinnt das Fremdverstehen bzw. die interkulturelle Kompetenz in chinesischen Fachkreisen immer mehr an Bedeutung und wird in die didaktische Konzeption des Fremdsprachenunterrichts eingeführt als ein wichtiges Lernziel für das Hochschulfach Deutsch betrachtet (vgl. Wang 2011: 18). Im neuen Curriculum für das Hochschuldeutsch (2006) wird die Erkennung der sozialen kulturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen China und deutschsprachigen Ländern sowie der kommunikativen Kompetenz der Deutschstudierenden als eins der wichtigsten Lernziele des Faches Deutsch angesehen: Fremdsprachenlernen ist nicht nur ein Lernprozess der Beherrschung und Anwendung der Sprache, sondern auch ein Prozess, bei dem die Gesellschaft und Kultur der anderen Kultur kennengelernt wird. Deswegen sollen die landeskundlichen Erkenntnisse der Zielsprachenländer in der fachlichen Ausbildung den Lernenden bewusst vermittelt werden. Gleichzeitig soll die Sensibilität der kulturellen Unterschiede bei den Lernenden verstärkt werden, damit sie die kulturelle Vergleichskompetenz und Kommunikationskompetenz beherrschen und verbessern. 16 (Curriculum 2006: 14) Bredella (1999) betont ebenfalls, dass es für das interkulturelle Verstehen wichtig ist, sich im Fremdsprachenunterricht die Unterschiede zwischen Eigenem und Fremdem bewusst zu machen (vgl. Bredella 1999: 115). Dabei ist es notwendig, Hetero- und Autostereotype der Lernenden im Fremdsprachenunterricht zu untersuchen und zu thematisieren. Löschmann (1998) bringt die Un- 16 Übersetzt von der Verfasserin. <?page no="55"?> 56 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung vermeidlichkeit der Stereotypisierung bei den Fremdsprachenlernern wie folgt zum Ausdruck: „Die Fülle der Erscheinungen, die komplizierte und komplexe Welt des Zielsprach[en]landes, mit der sich Fremdsprachenlerner und -lernerinnen konfrontiert sehen, unterstützen die Tendenz, sich bestimmter Stereotype zu bedienen oder sogar selbst Stereotype zu bilden“ (Löschmann 1998: 10). O´Sullivan und Rösler (1999) vertreten die Ansicht, dass Stereotype aufgrund ihrer denkökonomischen Funktion zum Grundbestandteil menschlicher Kognition gehören und eine Auseinandersetzung damit im Fremdsprachenunterricht notwendig wird (vgl. O´Sullivan/ Rösler 1999: 313). Im Zusammenhang mit dem Fremdsprachenunterricht sieht Nünning (1994) die Aufgabe, sich mit den verbreiteten Stereotypen gegenüber Deutschland und den Deutschen sowie den „Ursachen für die Enstehungen von Stereotypen, ihre[n] verschiedenen Ausprägungen sowie ihre[n] Funktionen in der Literatur und in der Realität im Unterricht“ (Nünnig 1994: 164) zu beschäftigen. Dabei sollten den Lernenden bewusst gemacht werden, dass z. B. das überwiegend dargestellte negative Deutschlandbild der Briten in der Literatur „aus geschichtlichen Erfahrungen heraus entstanden ist und daher nur historisch angemessen zu verstehen ist“ (ebd. 172). O´Sullivan (1987) zeigt mit Beispielen aus der britischen und deutschen Kinder- und Jugendliteratur, dass die Beschäftigung mit nationalen Stereotypen in literarischen Texten für den Fremdsprachenunterricht didaktische Anwendung findet. Nach O´Sullivan und Rösler zielt die Beschäftigung mit nationalen Stereotypen im Unterricht nicht nur darauf ab, interkulturelle Stereotype und Vorurteile aufzudecken und den Lernenden die Diskrepanz von Stereotyp und Wirklichkeit zu vermitteln, wie Nünning (1994: 180) es vorschlägt, sondern auch die Funktionsweisen und Mechanismen der Stereotypisierung den Lernenden bewusst zu machen, um die Differenzierungsfähigkeit der Lernenden verstärkt zu fördern (vgl. O´Sullivan/ Rösler 1999: 315 ff.). Steinmann (1992) steht der Forderung nach dem Abbau von Vorurteilen ablehnend gegenüber, die nach üblichen Argumentationen wegen falschen und übergeneralisierten Vorstellungen auch Barrieren für interkulturelle Kommunikation sein könnten (z. B. Rasmussen 2016: 211 f.). Er betrachtet Stereotype und Vorurteile als Basis für den Sprachunterricht, die allen Teilnehmern „wie selbstverständlich zur Verfügung steht, zur Kommunikation anregt und sprechmotivierend wirkt“ (Steinmann 1992: 218). Er bezieht sich dabei auf die Argumentationen von Bausinger (1988). Steinmann sieht die Forderung nach dem Abbau von Vorurteilen eher als „den falschen Weg zu einem besseren Verstehen von Fremde“ (ebd.) an. Aufgrund der Implizitheit von Stereotypen und Vorurteilen sollte sich die Auseinandersetzung damit nicht nur auf landeskundliche Einheiten im Fremdsprachenunterricht beschränken. Sie kann auch genutzt werden „für die sensibilisierende Analyse von Kommunikations- und Argumen- <?page no="56"?> 2.5 Nationale Stereotype 57 tationsstrukturen in Alltagsgesprächen der Zielkultur und in interkulturellen Gesprächsverläufen“ (ebd. 223), „um den jeweiligen Sprecherabsichten und den ihnen unterliegenden Kulturkonzeptionen auf die Spur zu kommen“ (ebd.). Gerade bei der Unterscheidung von Hetero- und Autostereotypen sollte eine grundlegende Erkenntnis der sozialpsychologischen Forschungen herangezogen werden, nämlich jede explizite Fremdcharakterisierung einer anderen Nation bezieht sich auch zugleich explizit oder implizit auf das Selbstcharakterisierung der eigenen (vgl. Nünning 1994: 163). Nach Maletzke (1996) können Barrieren und Missverständnisse oft dadurch zustande kommen, dass die eigenen Wertorientierungen zugrunde gelegt und die eigenen altgewohnten Verhaltensmuster unbesehen auch in der fremden Kultur angewendet werden (vgl. Maletzke 1996: 151). Deswegen legt Maletzke nahe, „sich der eigenen Vorstellungen und Einstellungen bewußt zu werden, sie rational zu analysieren und dadurch zu ihnen eine kritische Distanz zu gewinnen“ (ebd. 159). Um unpassendes Verhalten bei der interkulturellen Begegnung zu vermeiden, empfiehlt Thomas (1994), das eigene kulturelle Orientierungssystem in Richtung auf das fremdkulturelle Orientierungssystem zu verändern und zu erweitern (vgl. Thomas 1994: 49). Bredella (1999) vertritt die Meinung, dass es im Fremdsprachenunterricht keineswegs um die Bewahrung oder Aufgabe der eigenen Identität geht, sondern, dass die Unterschiede zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu einer Erweiterung der eigenen Identität dienen sollten, anstatt die eigene Kultur bei der Begegnung mit der fremden Kultur von den fremden Kultur abzugrenzen (vgl. Bredella 1999: 98 ff.). Auch Nünning (1999) ist gegen eine klare Trennung zwischen Fremdem und Eigenem und empfiehlt, die korrelativen, dialektischen und dynamischen Verhältnisse zwischen Fremdem und Eigenem herauszuarbeiten (vgl. Nünnig 1999: 344). Zu den wichtigen Voraussetzungen für die erfolgreiche interkulturelle Kommunikation zählen nach Maletzke (1996) z. B. „Akzeptieren der Gastkultur, Sensibilität für kulturspezifische Eigenheiten, Weltoffenheit, Toleranz, Überwinden des Ethnozentrismus, Abbau negativer Stereotype und Vorurteile, Verstehen der eigenen Kultur“ (Maletzke 1996: 176). Löschmann (1998) verdeutlicht die Funktion des Fremdsprachenunterrichts für die Auseinandersetzung mit Stereotypen: Unterricht kann nicht die Ungleichheiten der verschiedenen Gruppen aus der Welt schaffen, aber er kann dazu beitragen, sie nicht zu verstärken, sie zu relativieren, das Wissen über diese Gruppen und das Gespür und Verständnis für sie zu wecken, Gleichbehandlung zu unterstützen, auch andere zu ermuntern, ihre Möglichkeiten zu entfalten. (Löschmann 1998: 25) Er fasst als Ziele der Beschäftigung mit Stereotypen im Unterricht zusammen, dass das Bewusstsein erzeugt, geweckt und verstärkt werden soll für: 1. „das <?page no="57"?> 58 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung eigene kulturelle Orientierungs- und Integrationssystems“; 2. „die kulturspezifische Prägung des Fühlens und Handelns fremdkultureller Partner und Partnerinnen“; 3. „die Rolle kultureller Einflussfaktoren in der kommunikativen Interaktion“ (ebd. 26). 2.5.3.3 DaF-Lehrwerke als Informationsquelle zu Deutschland und den Deutschen Die Germanistik als Hauptstudienfach an den chinesischen Universitäten und Hochschulen hat eine kurze Geschichte von knapp 60 Jahren (vgl. Kong 2007: 123). Heutzutage erlebt das Deutschlernen in China aus wirtschaftlichen Gründen und veränderten soziokulturellen Rahmenbedingungen einen Boom im Gegensatz zu 1988, als die erworbenen Deutschkenntnisse oft nicht in der Praxis angewendet werden konnten (vgl. Li 2010: 118). Da ausschließlich Englisch als erste Fremdsprache als Pflichtfach in den meisten Schulen in China erlernt werden muss und überhaupt unterrichtet wird, beginnen die Studierenden das Studium ohne Vorkenntnisse der deutschen Sprache. Das intensive Erlernen der Sprache wird erst in Hochschulen ermöglicht, die Germanistik als Hauptfach anbieten. Die Studenten können einen Abschluss als Bachelor, Master oder Doktor anstreben. Das Bachelorstudium in Germanistik dauert vier Jahre. Hauptziel ist zuerst das Erlernen der Sprache Deutsch mit anwendungsorientiertem Spracherwerb, der in vielen Prüfungen nachgewiesen werden muss. Dabei erfolgt im Unterricht zunehmend eine intensive Auseinandersetzung mit der deutschen Kultur und Literatur. Die ersten zwei Studienjahre werden anhand des Rahmenplans für das germanistische Bachelorstudium an Hochschulen und Universitäten für das sogenannte Grundstudium geplant mit der Zielsetzung des Erwerbs von sprachlichen wie landeskundlichen Grundkenntnissen, Fertigkeiten des Lese- und Hörverstehens sowie Sprech- und Schreibfertigkeiten. Damit soll eine solide Grundlage für die weitere Ausbildung im Hauptstudium in den letzten zwei Studienjahren geschaffen werden (vgl. Curriculum 1992: 6), wobei eine Spezialisierung auf unterschiedliche Berufsziele hin möglich ist und die hinzugekommenen landeskundlichen, soziokulturellen und interkulturellen Kenntnisse vertieft behandelt werden (vgl. Kong 2007: 127). Yang (2007) kritisiert aber, dass „der chinesische Deutschunterricht heute immer noch in großem Ausmaß grammatik- und prüfungsorientiert [ist]“ (Yang 2007a: 256). Der Wichtigkeit der kulturellen Unterschiede zwischen der eigenen Kultur und den fremden Kulturen und verschiedenen interkulturellen Kommunikationsformen sind sich die Lehrenden und Lernenden nicht so bewusst. Zu den wichtigen Trägern und Quellen für sprachliches und kulturelles bzw. interkulturelles Wissen zählen natürlich die chinesischen DaF-Lehrwerke. Im Fragebogen der vorliegenden Studie geben 71,31 % der Deutschstudierenden an, <?page no="58"?> 2.5 Nationale Stereotype 59 dass sie ihr Wissen über Deutschland und die Deutschen auch durch Lehrwerke erfahren haben. Im Vergleich mit anderen Informationsquellen sind die Lehrwerke für chinesische Lernende von besonderer Relevanz. Erst seit den 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts ist die „Interkulturelle Kommunikation“ in China als wissenschaftliche Fachdisziplin (oder Teildisziplin) entstanden (vgl. Chen 2014: 67) und der Begriff „interkulturelles Lernen“ wurde erst damit als Lernziel ins chinesische Fremdsprachenlernen eingeführt. Seit der Jahrtausendwende setzen sich immer mehr chinesische Forscher mit der Interkulturalität im chinesischen DaF-Unterricht auseinander (Yu 2004, Liu 2006, Li 2007, Yang 2007b, Pan 2008, Liu 2010, Wang 2011). Besonders erwähnenswert sind die zwei Dissertationen in Bezug auf die Analyse der chinesischen DaF-Lehrwerke von Xuemei Yu (2004) und Zhongxin Wang (2011). Yu (2004) setzt den Schwerpunkt auf die Förderung der interkulturellen Kompetenz als Zielsetzung des Fremdsprachenlernens und untersucht drei zeitgenössische DaF-Lehrwerke aus interkultureller Perspektive nach den drei Kategorien Gleichberechtigung, Vorurteilskritik und Multiperspektivität, um zu prüfen, wie und inwieweit das Konzept des interkulturellen Lernens in diesen Lehrwerken umgesetzt wird. Sie betont die dominierende Rolle des Lehrwerks im DaF-Unterricht aufgrund der großen Entfernung zwischen Deutschland, China und der Beschränkung durch die institutionellen Bedingungen des Deutschunterrichts in China sowie der Lerntradition der Chinesen (vgl. Yu 2004: 109). Im Vergleich mit der Arbeit von Yu (2004) untersucht Wang (2011) im Bereich der chinesischen DaF-Lehrwerkanalyse das Bild von Deutschland und den Deutschen aus einer diachronischen Betrachtungsperspektive. Sie untersucht das Fremdverstehen und den Umgang mit dem Fremden auf der kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Ebene in drei grundlegenden DaF-Lehrwerken für das Deutschstudium in China aus drei unterschiedlichen Zeiten nach der Gründung der Volksrepublik Chinas 1949 bis zur Gegenwart. Im Überblick über die historische Entwicklung der chinesischen DaF-Lehrwerke und die bisherigen Forschungen zu Lehrwerken im chinesischen DaF-Bereich seit 1956 stellt sie fest, dass sich die Lehrwerkforschung im chinesischen DaF-Bereich trotz der zentralen Position des Lehrwerks im Unterricht bisher verzögert und nicht ausreichend entwickelt hat, und der Forschungsbereich auf die Erarbeitung von Curricula und der Lehrwerkerstellung eingeengt wurde (vgl. ebd. 56 ff.). Da der chinesische Deutschunterricht sehr prüfungsorientiert ist, dienen die DaF-Lehrwerke als bevorzugtes Lernmittel, um das Prüfungsniveau zu erreichen. Wie Wang (2011) erläutert, werden die Lehrwerke aber darüberhinaus als Informationsquelle zu Deutschland und den Deutschen in Bezug auf Kultur und Landeskunde von den Lernenden höher bewertet als andere Informationsquellen wie Sachbücher oder Massenmedien (vgl. Wang 2011: 61). <?page no="59"?> 60 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung 2.5.3.4 Stereotype in „Studienweg Deutsch“, das von der Probandengruppe der vorliegenden Studie genutzte DaF- Lehrwerk Wegner (1999) hebt die Wichtigkeit der Lehrwerkanalyse mit dem Fokus auf das in den Lehrwerken vermittelte Landesbild hervor und empfiehlt der Frage nachzugehen, welche Bilder in welcher Form durch landeskundlich geprägte Inhalte transportiert werden (vgl. Krumm/ Ohms-Duszenko 2001: 1035). Das jeweils aktuelle Lehrwerk muss generell als eine wichtige Informationsquelle für die Wissensbildung der Deutschstudierenden über Deutschland und die Deutschen betrachtet werden. Eines der neuesten DaF-Lehrwerke für chinesische Deutschstudierende ist das 4-bändige Studienweg Deutsch. Das Werk wurde zwischen 2004 und 2009 vom Verlag für die fremdsprachliche Lehre und Forschung (Beijing) herausgegeben, ist für die Germanistik-/ Deutschstudierenden im Grundstudium konzipiert und ist das am meisten eingesetze Standardlehrwerk für das Grundstudium in den Deutschinstituten Chinas. Es wurde auch als Hauptlehrwerk von der Hauptgruppe dieser Studie im ihrem ersten und zweiten Studienjahr verwendet. Angesichts der verschiedenen Lehrveranstaltungen und Seminare, die von dem Deutschinstitut angeboten wurden, standen den Studierenden natürlich verschiedene Lehrwerke und von den Lehrenden verteilte Lehrmaterialien zur Verfügung. Mit Studienweg Deutsch beschäftigen sich die chinesischen Germanistik-/ Deutschstudierenden und die Lehrenden jedoch besonders intensiv, weil es ein grundlegendes DaF-Lehrwerk für das Grundstudium darstellt und auch als Nachschlagewerk für phonetisches, vokabularisches und grammatisches Wissen genutzt wird. Aufgrund der vorwiegenden grammatischen und lexikalischen Anteile in einer der wichtigsten staatlichen Prüfung PGG-4 (Prüfung für das Germanistik-Grundstudium) für die chinesischen Germanistik-/ Deutschstudierenden wird Studienweg Deutsch auch als das wichtigste Lehrwerk angesehen. Durch die langzeitige intensive Beschäftigung mit diesem Lehrwerk sind die Studierenden sehr vertraut mit dessen Inhalten und Themen. Die landeskundlichen und kulturkontrastiven Darstellungen zählen insbesondere für Anfänger, die noch keine sprachlichen und kulturellen Kenntnisse besitzen und auch keine kommunikativen Erfahrungen mit der Zielkultur gemacht haben, zu einer der glaubwürdigsten Informationsquellen. Zur Untersuchung der stereotypen Bilder von Deutschland und den Deutschen in Studienweg Deutsch gibt es bereits einige Untersuchungen. Die wichtigsten Erkenntnisse werden im Folgenden zusammengefasst. Miao (2013) untersucht das Deutschlandbild im DaF-Lehrwerk Studienweg Deutsch und stellt durch die Kategorisierung der Themenabdeckung in den vier Bänden des Lehrwerks fest, dass die Themen in dem Lehrwerk einen großen <?page no="60"?> 2.5 Nationale Stereotype 61 Bereich abdecken, von der Gesellschaft und der Geschichte über die Politik, die Wirtschaft bis zur Erziehung und Umwelt und dadurch als fremdsprachliches Lehrwerk eine Quelle des Landesbildes darstellen (vgl. Miao 2013: 160). Bei der DaF-Lehrwerkanalyse von Studienweg Deutsch konzentriert sich Wang (2011) auf das Bild von Deutschland und den Deutschen in Hinblick auf das Fremdverstehen und verweist darauf, dass in neuerer Zeit angesichts der schwunghaften und intensiven Kooperation und des Austauschs zwischen Deutschland und China besondere Anforderungen an Fremdverstehen und interkulturelle Kompetenz gestellt werden und sich diese als Zielsetzung im Lehrwerk Studienweg Deutsch widerspiegeln (vgl. Wang 2011: 204). So hat sich der Anteil der Texte im interkulturellen Kontext zwischen Deutschland und China im Vergleich zu dem vorherigen Standardlehrwerk Deutsch (1979-1983) verdoppelt (vgl. ebd. 208). In Bezug auf das Bild von Deutschland und den Deutschen in dem neuen Lehrwerk machen die Texte nach Wang mit sachlicher bzw. neutraler Darstellung mit 57,6 % den überwiegenden Anteil aus, während der Anteil der Texte mit einer Auseinandersetzung mit positiven oder kritischen Seiten Deutschlands jeweils 7,6 % und 20,1 % beträgt und die übrigen 14,6 % aller Lehrwerktexte sowohl die positiven als auch die kritischen Seiten betreffen (vgl. ebd. 216). Die im Lehrwerk Studienweg Deutsch positiv bewerteten Themen handeln Wang (2011) zufolge von bekannten deutschen Musikern, Schriftstellern und Wissenschaftlern, Kulturevents, Kunst und Sport usw., während bei Themen beispielsweise bezüglich schlechter Studienbedingungen, der deutschen Sprache oder Umweltverschmutzung kritische Aspekte enthalten sind (vgl. ebd.). Die allgemeinen Informationen über das Land und die verschiedenen gesellschaftlichen Aspekte sind im Text sachlich und neutral beschrieben (vgl. ebd.). Über die Geschichte aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gibt es in diesem Lehrwerk nur zwei literarische Texte „Ach, Sie sind ein Deutscher“ von Uwe Johnson (Liang/ Nerlich 2009: Studienweg Deutsch 4: 141 f.) und „Damals“ von Hans Magnus Enzensberger (ebd. 283 ff.), in denen über die Kriege reflektiert und die Verantwortung Deutschlands und der Deutschen für die kriegerischen Ereignisse und Verbrechen thematisiert wird (vgl. Wang 2011: 220). Bei den Themen, im Rahmen derer kulturelle Unterschiede dargestellt werden und Thematiken aus der deutschen und chinesischen Perspektive betrachtet werden, wird eine Überbetonung der Unterschiede und Bewertungen weitgehend vermieden (vgl. ebd. 221). Im Vordergrund steht nicht die Frage, ob das Leben in Deutschland oder in China besser ist. Es geht meistens darum, die unterschiedlichen Perspektiven gegenüberzustellen und die Studierenden dazu zu bringen, die interkulturellen Unterschiede mit Reflexion, Toleranz und gleichen Maßstäben vom Eigenen und Fremden zu erkennen und zu interpretieren (vgl. ebd. 221 ff.). <?page no="61"?> 62 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung Dies wird in einer Hauptlektion „Wir und die Anderen“ (Liang/ Nerlich 2009: Studienweg Deutsch 4: 275 ff.) direkt thematisiert (vgl. Wang 2013: 137). Die Studierenden werden aufgefordert, sich zu ihren Stereotypen gegenüber Deutschland zu äußern und über deren Entstehung nachzudenken und zu diskutieren. In einem Interviewtext werden die in China als typisch deutsch bezeichneten Eigenschaften wie Ordnungsliebe, Gewissenhaftigkeit und Fleiß zum Vergleich und Reflexion mit eigenen Stereotypen gegenübergestellt. Die in Studienweg Deutsch häufig auftauchenden Stereotype betreffen die Pünktlichkeit und Ordentlichkeit der Deutschen, die auch in überzeichneter Weise ironisch oder mit abweichenden Gegenbeispielen in Texten dargestellt werden (vgl. ebd. 137 ff.). Die Anwendung von Stereotypen im Lehrwerk Studienweg Deutsch hält Wang (2011) für notwendig und fruchtbar für die chinesischen Studierenden. Sie erkennt die Absicht der Autoren, bewusst Stereotype in den Lehrwerken einzusetzen: [Die Autoren] sind sich der Funktionsmechanismen und der negativen Auswirkungen der Stereotype bewusst und sie haben auch durch destereotypisierende Prozesse wie Selbstreflexion, Differenzierung, Konkretisierung und Dynamisierung gegen Stereotypisierungen gekämpft. […] Außerdem bemühen sich die Autoren, durch die systematische Auseinandersetzung mit Stereotypen bei den Studierenden die ‚richtige‘ Einstellung gegenüber Stereotypen heranzubilden. […] Wenn die Studierenden in der Lage sind, mit Stereotypen richtig umzugehen, sind Stereotype weder störend noch beeinträchtigend für das Verstehen der Zielkultur. Ganz im Gegenteil - sie sind notwendig und fruchtbar. (ebd. 235) Wie Wang (2011) in ihrer Dissertation zusammenfasst, werden Deutschland und die Deutschen im Lehrwerk Studienweg Deutsch zum großen Teil im interkulturellen Kontext dargestellt und in erster Linie neutral beschrieben (vgl. ebd. 239). Das Bild von Deutschland und den Deutschen ist in Hinsicht auf ein breites Spektrum mit gesellschaftlichen und alltäglichen Themenbereichen von Ausgewogenheit und Vielfältigkeit geprägt (vgl. ebd.). Dadurch, dass Stereotype auf der kognitiven Ebene bewusst im Lehrwerk angewendet werden und durch destereotypisierende Prozesse wie Selbstreflexion, Differenzierung, Konkretisierung und Dynamisierung gegen Stereotypisierungen vorgegangen wird, werden die angewendeten Stereotype als Orientierungshilfe für die chinesischen Studierenden angesehen und die kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten bewusst wahrgenommen (vgl. ebd. 240). <?page no="62"?> 2.6 Zusammenfassung zum Konzept Stereotyp und Einstellung 63 2.5.4 Zusammenfassung zu nationalen Stereotypen Nationale Stereotype als Teil einer Einstellung sind bei jedem von uns vorhanden. Im Verhältnis China-Deutschland handelt es sich um sehr positive Vorstellungen der Chinesen gegenüber den Deutschen. An dieser Stereotypenbildung sind vielschichtige, teilweise auch politische Interessen, daraus abgeleitete Informationsquellen wie Medien oder Lehrwerke und damit verbundene individuelle Prozesse der Primär- und Sekundärerfahrung beteiligt. Das Ergebnis dieser vom Individuum übernommenen Generalisierungen kann in Bezug auf die Realität richtig, falsch oder ambivalent sein. Im didaktischen Umgang mit Stereotypen lässt man deshalb ganz pragmatisch immer mehr davon ab, Stereotype ändern zu wollen. Im Fremdsprachenunterricht lassen sich damit ganz im Gegenteil eingängige Unterrichtsmaterialien erstellen, die weitverbreitete Stereotype durchaus auch mit einem Augenzwinkern humorvoll einbinden, ohne sie auf- oder abzuwerten. So gesehen bildet der offene Umgang mit Stereotypen einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund für die interkulturelle Kommunikation. „Verstehen wir die Rede von ,kulturellem Wissen‘ also in diesem Sinne eines im kulturellen Gedächtnis gespeicherten Repertoires an Texten, das einer Kommunikationsgemeinschaft zur Verfügung steht, um im Rahmen kommunikativer Handlung eine gemeinsame ,Welt‘ herstellen zu können“ (Altmayer 2004: 251), dann können die überall reichlich und redundant verfügbaren Stereotype, sofern offen darüber gesprochen (und vielleicht auch gelacht) werden kann, zu einem wichtigen Baustein der interkulturellen Kommunikation genutzt werden, und das völlig unabhängig davon, ob sie richtig oder falsch sind. 2.6 Zusammenfassung zum Konzept Stereotyp und Einstellung in Bezug auf die interkulturelle Kommunikation Blickt man über die hier im Vordergrund besprochenen Aspekte der Stereotypisierung bei der interkulturellen Kommunikation hinaus und zurück auf den Forschungsansatz, dann sind Stereotype dort als Modell-Komponente zwischen Denken und Fühlen verortet, die wiederum beide Komponenten des hier als Grundlage herangezogenen Einstellungsmodells von Rosenberg und Hovland (1960) darstellen. Dieses weist eine weitere Komponente auf, das Handeln oder die Handlungsintention, das Handeln wollen . Diese zuletzt genannte Komponente des Einstellungsmodells ist nicht Bestandteil der vorliegenden Arbeit (vgl. Abbildung 11: Aspekte des Drei-Komponenten-Modells: mit integrierten Dimensio- <?page no="63"?> 64 2. Einordnung und Abgrenzung der Konzepte von Stereotyp und Einstellung nen Erwartung und Wert ), es soll an dieser Stelle jedoch kurz darauf eingegangen werden. Denn was bedeutet Handeln ? Handeln wird im Forschungskontext der vorliegenden Arbeit auch als Kommunikation, und zwar als interkulturelle Kommunikation, angesehen. Häufig steht vor der Ausführung einer klassisch als Handlung verstandenen Aktion das Wort oder auch eine nonverbale kommunikative Handlung. Den Aspekt der Kommunikation als kommunikative Aktion beschreibt Els Oksaar (1993) im Zusammenhang mit dem Fremdsprachenerwerb. Oksaar modelliert Kommunikation als interaktionalen Austausch zwischen einem Sender und einem Empfänger nach kulturspezifischen Regeln: „Die Interpretation und Bewertung des Gehörten und Gesehenen geschieht nach den kulturellen, sozialen und psychologischen Regeln einer Gesellschaft. Auf der Ebene des kommunikativen Aktes werden sie nach situationsspezifischen Normen befolgt“ (Oksaar 1993: 16). Die von Oksaar angesprochene interaktionale Kompetenz zwischen Kulturen erfordert mehr als klassische Fremdsprachenkenntnisse z. B. in Bezug auf Wortschatz und Grammatik. Deshalb wird die Erforschung des kommunikativen Handelns im hier untersuchten Kontext als Teil einer Einstellung mit stereotyp geprägtem Denken und Fühlen als wichtiger, zukünftiger Forschungsbereich angesehen. <?page no="64"?> 3. Modellbildung Der Begriff des Modells wird in der empirischen Stereotypenforschung nicht immer explizit benutzt. Nach Stachowiak (1973) wird er in der Forschung implizit immer realisiert unabhängig davon, ob quantitative oder qualitative Ansätze gewählt werden. Stachowiak schreibt in Kapitel „Weite des Modellbegriffs: Modell […] ist ebenso die ,elementarste‘ Warhnehmungs,gegebenheit‘ wie die komplizierteste, umfassendste Theorie“ (Stachowiak 1973: 56) und an anderer Stelle: Modelle von Originalen werden konstruiert, wenn die letzteren der Vergrößerung oder Verkleinerung bedürfen, um anschaulich gemacht werden zu können, […], wenn ein zu unübersichtliches und verwickeltes Geschehen verdeutlicht, vereinfacht, konkretisiert werden soll, wenn es gilt, Mannigfaltigkeiten von Beschaffenheiten auf einige wesentliche Grundzusammenhänge zurückzuführen, aus diesen zu erklären oder vorauszusagen. (ebd. 139) Deshalb wird an dieser Stelle kurz auf die benötigten modelltheoretischen Begriffe eingegangen. Modelle sind stets Modelle von etwas, nämlich Abbildungen, Repräsentationen natürlicher oder künstlicher Objekte, die selbst wieder Modelle sein können (ebd. 131). Modelle erfassen nicht alle Attribute des durch sie repräsentierten Originals (Verkürzungsmerkmal), sondern nutzen nur solche, die den jeweiligen Modellerschaffern und/ oder Modellbenutzern relevant erscheinen (ebd. 132). Über die abbildungsmäßige Originalbezogenheit hinaus ist der allgemeine Modellbegriff dreifach pragmatisch zu relativieren. Modelle sind nicht nur Modell von etwas. Sie sind auch Modelle für jemanden, einen Menschen oder einen künstlichen Modellbenutzer. Sie erfüllen dabei ihre Funktionen in der Zeit, innerhalb eines Zeitintervalls. Und sie sind schließlich Modelle zu einem bestimmten Zweck (ebd. 133) (pragmatischer Modellbegriff). Definition 1: Modelle Stachowiaks Definition beschreibt einerseits, dass „[j]ede demoskopische Repräsentativgruppe einer Bevölkerung […] als […] Modell dieser Bevölkerung betrachtet werden [kann]. […]. Das zu erforschende hochkomplexe Original <?page no="65"?> 66 3. Modellbildung wird in diesem Fall durch eine seiner Verwirklichungsformen repräsentiert“ (ebd. 195). In diesem Sinne bildet die Gruppe der hier befragten Probanden bereits ein Modell, die Gruppe der Interviewprobanden ein zweites Modell. Andererseits können weitere, mehrschichtige Modelle auf Grundlage der Untersuchungsgruppe erstellt werden. So bildet schon die Abbildung von Stereotypen mittels einer Eigenschaftsliste ein verkürztes, weil auf die Liste begrenztes, „Stereotypmodell“. Konkreter werdend bemerkt Stachowiak, „die gruppendynamischen Experimentalmodelle dienen bekanntlich dem Studium […] von Fragen […] der sozialen Distanz […] [und der] Stereotypenbildung […]. Neben der verkürzenden Originalmodellierung kommen hier vor allem Methoden des Gruppen vergleichs zum Zuge“ (ebd. 194). Auch diese Arbeit basiert auf Gruppenvergleichen, wobei die Gruppenbildung durch unterschiedliche Kriterien erfolgt. Jede Gruppe wird dabei wieder durch ein Modell definiert. Im einfachen Fall bildet jeder vorgefundene Jahrgang ein Modell aufgrund der Klassenzugehörigkeit als der einzigen Dimension für die Kriterienbildung. Gruppen werden jedoch auch als jahrgangsübergreifende kohärente Gruppen auf der Basis eines multivariaten Modells, des Einstellungsprofils, gebildet. Angesichts des hochkomplexen Originals stellt Stachowiak fest: „Zumindest eine heuristische Funktion darf man der Modellanalyse jedoch auch dann zusprechen, wenn die Originalverkürzung und Originalverfremdung das im allgemeinen als zulässig angesehene Maß stark überschreiten“ (ebd. 196). Er bezieht sich unter anderem damit auf Modelle mit „Basissätze[n,] [die] Aussagen […] [treffen], [für die] auf der Ebene der Beobachtungen nur reproduzierbare Ereignisse (sogenannte Effekte) […] relevant sind“ (ebd. 29). Popper (1935) meint dazu in seiner Empirismus-Kritik in Bezug auf die Erfahrungswissenschaften (wie z. B. die Sozialwissenschaften): „Eine absolut sichere, unter allen denkbaren Umständen wahre Aussage ist informationsleer, und eine Aussage, die einen hohen Informationsgehalt besitzt, ist immer auch mit entsprechend hoher Unsicherheit und Unwahrscheinlichkeit behaftet“ (Stachowiak 1973: 33). Er kritisiert damit das „Induktionsprinzip“ (ebd.), die Verallgemeinerung von empirischen Beobachtungen hin zu Gesetzen (Naturgesetzen). Wenn im Zusammenhang mit den hier beschriebenen Modellen statistische Null-Hypothesen beispielsweise in Bezug auf die Trennung von Gruppen mit Standardinstrumenten wie z. B. der Gauss’schen Häufigkeitsverteilung und dazugehörigen Tests wie z. B. dem t-Test geprüft und auf dem angegebenen Signifikanzniveau beibehalten werden, so ist das kein Beweis gegen das Modell an sich. Dieses kann sich aber, um bei Popper (1935) zu bleiben, wenn es nicht widerlegt wird, als Hypothese bewähren. <?page no="66"?> 3.1 Definitionen 67 Da hier keine experimentelle Studie durchgeführt wird, liegt der Fokus auch nicht auf reproduzierbaren Effekten. Dennoch soll nicht nur die heuristische Funktion des gewählten Ansatzes als einziger Zweck im Vordergrund stehen. In einem Ausblick wird deshalb exemplarisch skizziert, welche Benutzer das betrachtete Modell wie, d. h. auf welche Weise nutzen können. 3.1 Definitionen Das hier vorgestellte Modell basiert auf den grundlegenden Ansätzen von Bogardus (1928), Katz/ Braly (1933), Osgood et al. (1957), Fishbein (1963) und Rosenberg/ Hovland (1960). Konkret verwendete Fragebogenitems, welche die Rohdaten zur Berechnung von Modellparametern bilden, bestanden aus modifizierten Sozialen-Distanz-Skalen von Bogardus (1928) und der Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014). Zur Beschreibung des Modells wird kurz auf die genauen Begrifflichkeiten der genannten Ansätze eingegangen, soweit dies im Rahmen der Einordnung und Abgrenzung noch nicht geschehen ist. Katz und Braly sprechen häufiger von einer „list of words or traits” (z. B. Katz/ Braly 1933: 283) und auch von einer „list of traits or characteristics” (z. B. ebd. 282, 284). Dabei wird der Begriff Characteristics eher als Oberbegriff für einzelne und auch für mehrere Eigenschaften einer nationalen Gruppe verwendet und die Begriffe word und trait eher als konkreter Eintrag einer Liste wie z. B. intelligent , honest , musical . Dementsprechend wird hier der Begriff Eigenschaft als Oberbegriff verwendet wie z. B. in Eigenschaftslisten . Der konkrete Eintrag wie intelligent , ehrlich oder musikalisch wird hier mit dem Begriff Einzelitem oder kurz Item bezeichnet (siehe z. B. Döring/ Bortz 2016: 407), um zu unterstreichen, dass zunächst grundsätzlich geeignete, aber nicht zugeordnete Eigenschaften, entsprechend der Aufgabenstellung für die Probanden dazu dienen, das eigentliche Objekt zu erfassen und zu bewerten und damit letztlich zu messen. Einzelitems sind Eigenschaften, die sich zusammen mit einer Aufgabenstellung auf einer Fragebogenliste wiederfinden. Alle Items zusammengenommen bilden eine Eigenschaftsliste. Definition 2: Einzelitems <?page no="67"?> 68 3. Modellbildung Trait wird synonym mit dem Begriff Einzelitem verwendet, wenn ein besonderer Kontext gemeint ist wie z. B. „central trait“ (z. B. in Jonas et al. 2014: 68) Definition 3: Trait Grundlegende Begriffe des semantischen Differenzials von Osgood et al. (1957) sind die Begriffe concept und scale . Eine Skala bezeichnet dabei zwei polare Adjektive wie gut und schlecht mit einer Abstufung dazwischen, die Richtung ( direction ) und Intensität ( intensity ) einer Bewertung wiedergeben kann, also die bipolare Skala (vgl. Osgood et al. 1957: 20). Osgood et al. verwenden dabei sieben Stufen z. B. in der Form: gut --: --: --: --: --: --: -schlecht. Dieses graphische Konstrukt nennt er eine Skala, eine andere ist z. B. fair --: --: --: --: --: --: -unfair. Ein Set von mehreren dieser Skalen bildet das semantische Differenzial. Mit diesem Verständnis beschreiben Osgood et al. die Itemliste zur Sozialen-Distanz-Skala von Bogardus (1928), die aus sieben Einzelitems besteht, die angekreuzt werden können oder nicht (z. B. „Können Sie sich vorstellen einen Deutschen als Nachbarn zu haben“ (vgl. Bogardus 1928: 25)), ebenfalls als Skala (vgl. Osgood et al. 1957: 199). Demzufolge bildet auch eine Itemliste mit stereotypen Eigenschaften wie die hier verwendete von Baur et al. (2014) eine Skala. Auf einen Stimulus ein concept wenden Osgood et al. das semantische Differenzial an, z. B. Deutsche sind gut -- : --: --: --: --: --: -schlecht fair --: --: --: --: --: --: -unfair. Osgood et al. lassen dabei offen, welche und wie viele Skalen ein Set bilden: „it is a very general way of getting at a certain type of information, a highly generalizable technique of measurement which must be adapted to the requirement of each research problem to which it is applied“ (Osgood et al. 1957: 76). Ebenso offen bleibt der Begriff concept , in dem Beispiel hier sind es „die Deutschen“. „We use the term ,concept‘ in a very general sense to refer to the ,stimulus‘ to which the subject’s checking operation is a terminal ,response‘.“ (ebd. 77) Es wird auf den englischen Sprachgebrauch verwiesen, wobei das concept häufiger ein Nomen ist wie z. B. Feuer oder Baby. Aber auch andere Sprachkomponenten <?page no="68"?> 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly 69 werden eingesetzt wie Adjektive oder nicht verbale concepts wie z. B. Bilder (vgl. ebd.). Osgood et al. definieren das Item als „pairing of a particular concept with a particular scale, and each subject’s judgement of such an item provides one bit of information“ (ebd. 80). Daraus ergeben sich folgende Definitionen für diese Arbeit: Ein Item kann auch aus einem Einzelitem in Verbindung mit einer Skala bestehen. Wenn z. B. die Aufgabe der Probanden in einem zweiten Schritt darin besteht, die im ersten Schritt aus der Eigenschaftsliste ausgewählten Einzelitems, z. B. pünktlich jeweils auf einer Skala von negativ -3: -2: - 1: 0: +1: +2: +3 positiv zu bewerten, so bildet diese Kombination ebenfalls ein Fragebogenitem. Deutsche sind pünktlich, das finde ich negativ --: --: --: --: --: --: -positiv Definition 4: Einzelitem mit Skala Im Folgenden werden sowohl Einzelitems aus Definition 2 als auch Items aus Definition 4 kurz als Items bezeichnet. Definition 5: Item 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly Bereits in der Grundlagenstudie von Katz und Braly (1933) sind erste Ansätze für Stereotyp-Modelle enthalten. Katz und Braly haben sich mit der Erhebung von Stereotypen gegenüber zehn ethnischen Gruppen Gedanken gemacht, wie man aufgrund der Zuschreibung der Attribute Gruppen vergleichen kann. Sie haben in ihren Ergebnissen nicht nur die am häufigsten genannten Eigenschaften zu jeder Ethnie aufgelistet und analysiert, wie z. B., dass 78 % der Probanden die Deutschen für wissenschaftlich orientiert , 65 % für fleißig halten (Katz/ Braly 1933), sondern sie wollten auch wissen, wie übereinstimmend die Stereotype der Probanden sind. Sie haben diesen Parameter agreement oder definiteness <?page no="69"?> 70 3. Modellbildung genannt. Dieser Begriff wird hier mit Bestimmtheit übersetzt. 17 Ihre Idee war dabei, dass die Bestimmtheit umso größer ist, je weniger Eigenschaften für die Beschreibung eines Stereotyps von allen Probanden benutzt werden. Abbildung 3: Fragebogen mit 84 Items von Katz und Braly 1933 und TOP-12-Eigenschaften zur deutschen Ethnie Sie haben die Bestimmtheit nicht aufgrund aller 84 Eigenschaften ihres Fragebogens berechnet (siehe Abbildung 3), sondern mit den TOP-5-Nennungen. Dies war deshalb notwendig, weil die Berechnung des Bestimmtheitsmaßes eine feste Anzahl von Nennungen pro Proband erfordert, in diesem Fall die TOP-5-Nennungen. Das Bestimmtheitsmaß definierten sie als die kleinste Anzahl der Items ( the least number of traits ), mit denen 50 % der TOP-5-Nennungen abgedeckt werden (vgl. Katz/ Braly 1933: 287). Abbildung 4: Bestimmtheitsmaße von Katz und Braly (1933) 17 In der Literatur wird der Begriff definiteness auch als „Prägnanz der Stereotype“ bezeichnet. (z. B. Manz 1968: 147, Schäfer/ Six 1978: 41, Lilli 1982: 4) <?page no="70"?> 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly 71 Wie man in Abbildung 4 sehen kann, sind die Bestimmtheitsmaße bei den Schwarzen, Deutschen, Juden vergleichsweise gut. Das heißt, bei Schwarzen, Juden und Deutschen reichen weniger Items aus, um die 50 % Übereinstimmungen zu erreichen. Für die Italiener, vor allem Engländer, Iren und US-Amerikaner verwenden die Probanden schon mehr Items. Und am Ende bei den Japanern, Chinesen und Türken sind ihre Stereotype noch unbestimmter. Wie kann man diese Bestimmtheitsmaße nun interpretieren? Katz und Braly interpretieren es so, dass man irrtümlich vielleicht zuerst eine höhere Bestimmtheit erwartet, wenn man eine Ethnie gut kennt: „At first glance it would appear that the students showed the greatest agreement for racial groups with whose members they had contact and the least degree of agreement for the unfamiliar groups“ (ebd. 289). Dies würde die englischen, irischen, und US-amerikanischen Ethnien betreffen, die sich sehr gut kennen, weil sie die gleiche Erstsprache sprechen und jeder Student Bekannte aus diesen Kulturkreisen hat. Aber die Bestimmtheitsmaße für diese Gruppen liegen nur in der Mitte. Katz und Braly stellen dazu fest: „[b] ut familiarity with the members of a race does not explain why Americans, Irish, and English show less definite descriptions than Negroes, Germans, Jews, and Italians.“ (ebd.) Demgegenüber ist das Bestimmtheitsmaß gegenüber Schwarzen besonders hoch, es werden nur 4,6 Items für die ersten 250 TOP-5-Nennungen benutzt. Katz und Braly interpretieren es so: „Indeed actual knowledge of individual Americans and Englishmen probably explains the fact that there was less agreement upon these groups than upon others who are less well known.“ (ebd.) Wenn eine Gruppe über mehr Wissen über eine andere Gruppe verfügt, wenn mehr individuelle Unterschiede gesehen werden, dann wird das Bestimmtheitsmaß ungenauer. Zu Schwarzen, Juden und Deutschen haben die Studenten weniger Kontakte, sodass die öffentlichen Stereotype im Vordergrund stehen, die gut bekannt sind und die alle teilen. Die Bestimmtheitsmaße sind bei den Japanern, Chinesen und Türken noch geringer, weil auch hier zwischen Princetonstudenten und ihnen nur wenige soziale Kontakte bestehen, d. h. sie wissen über diese Gruppen aus eigener Erfahrung genauso wenig wie über die Schwarzen. Sie haben zu den Japanern, Chinesen, Türken noch keine gemeinsamen, gut ausgebildeten Stereotype. Dabei sind die öffentlichen Stereotype in Bezug auf Japaner, Chinesen und Türken noch ungenauer als in Bezug auf Schwarze, Juden und Deutsche. Das Bestimmtheitsmaß von Katz und Braly zeigt diese relativen Unterschiede zwischen den Stereotypen zu unterschiedlichen Ethnien auf. <?page no="71"?> 72 3. Modellbildung Abbildung 5: Bestimmtheitsmaße der Probandengruppen dieser Studie Die Studie von Katz und Braly und die vorliegende Arbeit vergleichen ganz unterschiedliche Gruppen. Katz und Braly arbeiten mit 100 Probanden, die Stereotype zu zehn Ethnien nennen. Die vorliegende Studie arbeitet mit der Hauptgruppe der Deutschlerner und einer Kontrollgruppe von Englischlernern. Beides sind Studentengruppen. Für die Vergleiche von Bestimmtheitsmaßen wird eine weitere Gruppe hinzugezogen, die der Voruntersuchung (siehe Kap. 4.2.2 Voruntersuchung ), eine heterogene Gruppe von chinesischen Studenten und Berufstätigen. Die Gruppen sind im methodischen Vorgehen näher beschrieben. Die Probanden aller drei Gruppen nennen ihre Stereotype zu den Deutschen. Zu jeder dieser Gruppen lässt sich ein Bestimmtheitsmaß berechnen (siehe Abbildung 5). Im Vergleich der Bestimmtheitsmaße erkennt man die folgenden drei Gruppierungen: 1. „weniger klares, öffentliches oder privates Stereotyp“ (z. B. Chinesen 1933, die Vorstudie der vorliegenden Arbeit) 2. „nah am verbreiteten, allgemeinen, öffentlichen Stereotyp“ (z. B. Schwarze 1933, die Kontrollgruppe der vorliegenden Arbeit) 3. „stärker differenziertes eigenes Bild“ (z. B. Engländer 1933, die Hauptgruppe der vorliegenden Arbeit) Diese drei Gruppierungen sind sowohl bei Katz und Braly als auch in der vorliegenden Studie zeitlich koexistent. Wenn man jedoch modelltheoretisch einen zeitlichen Entwicklungsgradienten annimmt und die drei Gruppierungen darauf abbildet, ergibt sich die Hypothese: <?page no="72"?> 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly 73 Der numerische Wert für die Bestimmtheit eines Stereotyps auf der Zeitachse ist ein Indikator für Entwicklungsphasen eines Stereotyps. Hypothese 1: Phasenmodell eines Stereotyps Das Phasenmodell (siehe Abbildung 6) besteht aus 1. einer hypothetischen Zeitachse mit mehreren Zeitpunkten t(1) bis t(3) 2. einer Achse mit dem Bestimmtheitsmaß 3. dem gesamten Wertebereich für das Bestimmtheitsmaß von 2,5 bis 42, der Bereich ergibt sich aus der Theorie des Bestimmtheitsmaßes (siehe Abbildung 4) 4. den Bestimmtheitsmaßen für die Gruppen, aber nicht in einer Tabelle zeitlich koexistent (siehe Abbildung 4 und Abbildung 5), sondern hier auf einer hypothetischen Zeitachse nacheinander. Jede Gruppe beschreibt eine Phase des Entwicklungsgradienten. Das erste Symbol der Grafik repräsentiert dabei die Bestimmtheitswerte von Japanern, Chinesen und Türken zusammengefasst, dann kommen die Werte von Schwarzen, Deutschen, Juden und am Ende von US- Amerikanern, Engländern und Iren. Abbildung 6: Phasenmodell <?page no="73"?> 74 3. Modellbildung Der Entwicklungsgradient stellt sich wie folgt dar: Bei Katz und Braly: • Die Türken, Chinesen, Japaner beschreiben die erste Phase als „weniger klares, öffentliches oder privates Stereotyp“ • Die Schwarzen, Deutschen, Juden beschreiben die zweite Phase als „nah am verbreiteten, allgemeinen, öffentlichen Stereotyp“ • US-Amerikaner, Engländer und Iren beschreiben die dritte Phase als „stärker differenziertes eigenes Bild“ In der vorliegenden Studie: • Die Gruppe aus der Voruntersuchung wurde der Phase 1 „weniger klares, öffentliches oder privates Stereotyp“ zugeordnet. • Die Kontrollgruppe, die Englischklasse wurde der Phase 2 „nah am verbreiteten, allgemeinen, öffentlichen Stereotyp“ zugeordnet. • Die Hauptgruppe wurde der Phase 3 „stärker differenziertes eigenes Bild“ zugeordnet. Man kann sich jetzt überlegen, ob die Reihenfolge der Phasen anders sein könnte. Aber das wäre nicht logisch, weil man ein differenziertes Bild nicht zuerst hat und ein weitverbreitetes Bild nicht vor der Phase 1 existiert. Diese Phasen beschreiben in der richtigen Reihenfolge eine Entwicklungsdynamik des Stereotyps, die durch das Bestimmtheitsmaß festgelegt wird. Für Katz und Braly ist das Bestimmtheitsmaß • ein Maß für die Evaluation der Übereinstimmung von Stereotypen zu einer gesellschaftlichen/ ethnischen Gruppe. Hier wurde die Hypothese beschrieben, dass das Bestimmtheitsmaß auch genutzt werden kann als • ein Indikator für die Entwicklungsdynamik des Stereotyps mit seiner öffentlichen und privaten Komponente und damit als Grundlage für ein allgemeines Phasenmodell. Da es sich bei der untersuchten Hauptgruppe um vier Jahrgänge handelt, kann das Bestimmtheitsmaß für diese vier Gruppen berechnet und verglichen werden (siehe Tabelle 1). Die Anwendung auf die Jahrgänge der Hauptgruppe der hier befragten Deutschlerner zeigt einen ähnlichen Verlauf innerhalb der Hauptgruppe (Abbildung 7) wie zwischen den drei Probandengruppen (Abbildung 6). <?page no="74"?> 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly 75 Probandengruppe Anzahl Probanden Bestimmtheitsmaß Anzahl der insgesamt benutzten TOP-5-Items 1. Jahrgang 109 13,3 77 2. Jahrgang 108 11,9 78 3. Jahrgang 84 11,4 69 4. Jahrgang 72 13,1 69 Tabelle 1: Bestimmtheitsmaße der Jahrgänge Jeder dieser drei Anwendungsfälle zeigt einen typischen nicht linearen Phasen- Verlauf der Bestimmtheitsmaße. Allerdings fallen die Unterschiede der Bestimmtheitsmaße zwischen den Jahrgängen kleiner aus als bei den oben (Abbildung 6) gezeigten zwei Vergleichsfällen. In Kapitel 5.4.5.1 Kritische Auseinandersetzung mit dem Bestimmtheitsmaß nach Katz und Braly wird gezeigt, dass sich hinter diesen vegleichsweise kleinen Unterschieden der numerischen Bestimmtheitsmaße die Stereotype im Jahrgangsverlauf stark verändert haben. Es ist also auch bei kleinen Veränderungen ein Indikator für die dahinterliegende Entwicklungsdynamik. Abbildung 7: Phasenmodell der Jahrgänge <?page no="75"?> 76 3. Modellbildung • Der 1. Jahrgang, der Anfängerjahrgang kann der Phase 1 zugeordnet werden „weniger klares, öffentliches oder privates Stereotyp“ • Die Jahrgänge 2 und 3 können der Phase 2 zugeordnet werden „nah am gemeinsamen Gruppenstereotyp“ 18 • Und der 4. Jahrgang kann der Phase 3 zugeordnet werden „stärker differenziertes eigenes Bild“ In allen Phasen wird das verbreitete, allgemeine, öffentliche Stereotyp geteilt. Die höhere Bestimmtheit im 2. und 3. Jahrgang wird durch die Entwicklung eines „Gruppenstereotyps“ auf der Basis gemeinsamer Quellen des Deutschunterrichts erklärt, das von den meisten Deutschstudierenden ebenfalls öffentlich geteilt wird und das erst im 4. Jahrgang z. B. auch durch vermehrte Auslandsaufenthalte (vgl. Kap. 5.1.5 Deutschlanderfahrung ) wieder stärker differenziert und individuell angereichert wird. 3.3 Weitere Modellgrundlagen Um den hier gewählten Modellansatz herauszuarbeiten, wird an dieser Stelle nochmal genauer auf die Grundlagen eingegangen, sofern dies in den vorangegangenen Kapiteln noch nicht geschehen ist. Eine wesentliche Grundlage steuert Fishbein 1961 mit seiner Dissertation an der University of California und seiner Veröffentlichung 1963 An Investigation of the Relationships between Beliefs about an Object and Attitude toward an Object (Fishbein 1963) bei. Eine weitere Grundlage ist das Drei-Komponenten-Modell von Rosenberg und Hovland (1960). 3.3.1 Das Drei-Komponenten-Modell Während das Modell von Rosenberg und Hovland zu Beginn (siehe Abbildung 1: Forschungsansatz ) als ,Grundriss‘ für die Visualisierung der Forschungsaktivitäten genutzt wird, geht es jetzt um die Abbildung der eigentlichen Teilaspekte, der Theorie dazu und die Messergebnisse, die im Rahmen dieser Arbeit gewonnen wurden. Beides wird wieder auf das Drei-Komponenten-Modell bezogen, das mit seiner Definition der Einstellung für diese Arbeit die gemeinsame Basis für den Zusammenhang von Stereotyp und Bewertung bildet. 18 „Öffentliches Stereotyp“, siehe Definition 7, wird in dieser Stelle konkretisiert zu „Gruppenstereotyp“ der Jahrgänge. <?page no="76"?> 3.3 Weitere Modellgrundlagen 77 Abbildung 8: Das Drei-Komponenten-Modell Die Komponenten werden hier gleichberechtigt dargestellt, d. h. keine ist der anderen vorgelagert und es wird vorausgesetzt, dass sie sich wechselseitig aufeinander beziehen. Ziel dieser Arbeit ist es nicht, Fühlen, Denken und Handeln kongruent aufeinander abzubilden, das Modell hat zunächst nur die formale Funktion, Beobachtungen entlang der Modellkomponenten einzuordnen, um dann wechselseitige Beziehungen erkennen und weiter untersuchen zu können. Das Modell wurde zwar häufig kritisiert, weil Vorhersagen des Verhaltens auf Basis einer vermeintlich gemessenen Einstellung oft scheiterten. Dies gestaltete sich in der Vergangenheit als schwierig bis hin zur sogenannten „Krise“ des gesamten Forschungsbereichs, die der Soziologe Alan Wicker nach seinem Überblick über Studien zur sozialen Einstellung 1969 so formulierte: „these studies suggest that it is considerably more likely that attitudes will be unrelated or only slightly related to overt behaviors than that attitudes will be closely related to actions“ (Wicker 1969: 65). Jonas et al. (2014) stellt demgegenüber klar, dass theoretische Modelle manchmal erst dann bestätigt werden können, wenn die Empirie auf der Grundlage geeigneter Messmethoden durchgeführt wird und dass ungeeignete Messmethoden z. B. auch die Vorhersage des Verhaltens aufgrund von Einstellungen verschleiern können (vgl. Jonas et al. 2014: 23). Im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit bildet das Drei-Komponenten-Modell ein generelles Bezugssystem, auf das die theoretischen Vorüber- <?page no="77"?> 78 3. Modellbildung legungen mit den resultierenden Messergebnissen auf der Grundlage der hier verwendeten Eigenschaftslisten und Skalen abgebildet werden. 3.3.2 Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz Parallel zum Drei-Komponenten-Modell veröffentlichte Fishbein 1963 sein Einstellungsmodell, das auf den genannten Begrifflichkeiten Fühlen und Denken basiert und zunächst auf die Handlungskomponente verzichtet. Da er die Einstellung gegenüber einem Einstellungsobjekt auf der Basis mehrerer Eigenschaften, die das Objekt haben kann, in einem einzigen Gesamtwert zusammenfasst, wird sein Ansatz manchmal auch als Ein-Komponentenmodell bezeichnet (z. B. Six/ Schäfer 1985: 9). Tatsächlich unterscheidet er aber auch eine Dimension der Erwartung , z. B. ob es wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher ist, dass eine Eigenschaft zutrifft ( belief about ) (Fishbein 1963: 233) und eine Dimension des Werts z. B. ob eine Eigenschaft des Einstellungsobjektes gut oder schlecht ist ( evaluative aspect of belief ) (ebd.). Aufbauend auf Fishbein und Raven (1962) unterscheidet sich die vorliegende Arbeit von anderen Ansätzen, die lediglich untersuchen, ob eine Eigenschaft zutrifft oder nicht ( belief in the existence ) (ebd.). Dabei geht Fishbein (1963: 234) auch auf die Dialektik von Denken und Fühlen ein: „many investigators […] attempt to distinguish between beliefs that are ‚attitudinal‘ in nature […] and beliefs that are ‚purely descriptive or reportorial‘. Indeed, […] most investigators have tended to ignore descriptive or reportorial beliefs […]“. Die Dimension Erwartung nennt er „B“ und die Dimension Wert nennt er „a“. 19 Den Schätzwert der Einstellung „A“ttitude zu einem Objekt „O“ bildet er mit seiner bekannten Fishbeinformel wie folgt ab (vgl. ebd.): Formel 1: Erwartung-mal-Wert (Fishbein 1963) Fishbein betrachtet die Dimensionen Erwartung und den Wert bei der empirischen Umsetzung seines Modells getrennt. Dementsprechend bekamen seine Probanden bei der Validierung seiner Methode die Aufgabe, die zuvor ermit- 19 Fishbeins „Expectancy-Value Model“ (Fishbein/ Ajzen 1975: 222) wird in der deutschsprachigen Literatur als Erwartung-mal-Wert-Modell übersetzt (z. B. Jonas et al. 2014: 201). Parameter des Modells bestehen in der ersten Veröffentlichung 1963 aus „B“ ( belief ) und „a“ ( the evaluative aspect of belief ). Bei der spätereren Veröffentlichung 1975 nannte er dieselben Parameter „B“ ( belief ) und „e“ ( evaluation ). In der vorliegenden Arbeit werden die Parameter mit „B“ ( Erwartung ) und „a“ ( Wert ) bezeichnet. <?page no="78"?> 3.3 Weitere Modellgrundlagen 79 telten Eigenschaften zuerst zu bewerten und erst dann über einen weiteren Fragebogen, das „belief statement“ (ebd. 235) mit der Angabe der Erwartung dem Einstellungsobjekt zuzuordnen. Die Bewertung einer jeden Eigenschaft drückte er algebraisch aus mit Formel 2: Bewertung einer einzelnen Eigenschaft (i) um diese dann zur Gesamtbewertung  0 aufzusummieren. Für die Validierung seines Ansatzes leitete Fishbein zunächst die Eigenschaftsliste bestehend aus zehn Eigenschaften empirisch her. Im ersten Teil des Experiments bekamen 125 Studenten die Aufgabe auf Stimuli zu reagieren. Die Stimuli bestanden aus zehn Wörtern, die ethnische und nationale Gruppen in den USA bezeichnen, z. B. US-Amerikaner, Juden, aber auch das Wort „Negro“. Jedes Mal, wenn ein Wort genannt wurde, mussten die Studenten eine typische Eigenschaft dazu frei benennen. Dieses Prozedere wurde fünfmal wiederholt, wobei jedes Mal eine andere Eigenschaft genannt werden sollte. Insgesamt gab es also für jede Ethnie 625 Nennungen. Davon wurden semantisch und konnotativ ähnliche Eigenschaften zusammengefasst, z. B. „dark skin“, „black“ und „dark“ zu „dark skin“ (vgl. ebd.). Von allen Nennungen wurden die zehn häufigsten als Eigenschaftsliste verwendet. Abbildung 9: Eigenschaftsliste „Negro“, Fishbein (1963) <?page no="79"?> 80 3. Modellbildung Im zweiten Teil des Experiments zwei Wochen später wurden 50 Studenten aus dem ersten Teil wieder beteiligt und bekamen die drei Aufgaben, 1. nur die Eigenschaft an sich zu bewerten, ohne Bezug zur ethnischen Gruppe „Negro“ (die a i ) 2. die Wahrscheinlichkeit anzugeben, dass diese Eigenschaft auf „Negros“ zutrifft (die B i ) 3. die Ethnie „Negro“ anhand der A-Skalen (siehe Abbildung 10) direkt zu bewerten A (0) (ebd. 236). Die Schätzwerte  (0) , Fishbein nennt sie die „estimated attitude“ (ebd. 237) und A (0) , die „obtained attitude“ (ebd.), wiesen eine hohe Korrelation von 0,801 (p < 0,001, N=50) auf. Die Korrelation der einzelnen Dimension , die „obtained attitude“ (ebd.), wiesen eine hohe Korrelation von 0,801 B i (i = Eigenschaft 1…n) mit A (0) ergab 0,653 (p < 0,01, N=50) und die Korrelation der einzelnen Dimension (0) ɑ i (i = Eigenschaft 1…n) mit A (0) ergab 0,468 (p < 0,01, N=50). Dies zeigt, dass die Messung der Einstellung über jede einzelne der beiden Dimensionen weniger gut gelingt als durch die beiden Dimensionen Erwartung und Wert zusammen wie in Formel 1: Erwartung-mal-Wert (Fishbein 1963) . Dies bedeutet, dass die Dimension Erwartung und die Dimension Wert , zusammen die Einstellung zu einem Objekt abbilden können. Zur Erinnerung, hinter der Erwartung steht die vereinfachte Frage „wie wahrscheinlich ist es, dass eine Eigenschaft zutrifft und hinter Wert steht vereinfacht die Frage „wie gut ist diese Eigenschaft an sich“. Definition 6: Dimensionen Erwartung und Wert nach Fishbein (1963) 3.3.3 Einstellungsmessung mit dem semantischen Diff erenzial, Fishbein (1963) Zur Messung von Erwartung ( B ) und Wert ( a ) und der direkt abgefragten Einstellung A (0) setzte Fishbein das Prinzip des im folgenden Kapitel beschriebenen semantischen Differenzials nach Osgood et al. (1957) ein. Fishbein benutzte 1963 für seine Messungen seine sogenannte AB-Skala von 1962 (siehe Abbildung 10). Die mit A markierten Skalen wurden zur Messung des Wertes ( a ), die mit B markierten zur Messung der Erwartung ( B ) benutzt. Die Skalen ohne Markierung wurden als „filler“ eingestreut. Jede Messung zu a bestand so aus fünf standardisierten A-Skalen, jede Messung zu B aus fünf standardisierten B-Skalen. <?page no="80"?> 3.3 Weitere Modellgrundlagen 81 Standardisiert, weil zu jedem „concept to be rated“ jedesmal dieselben Skalen benutzt wurden. Das „concept to be rated“, (siehe Abbildung 10), bestand zuerst aus den zehn Items der Eigenschaftsliste, für die getrennt 1. zuerst der Wert ( a ) 2. die Erwartung ( B ) erfasst wurden. Ein weiteres concept bestand 3. für die direkte Messung der Einstellung A (0) aus dem Item „Negro“, also dem Einstellungsobjekt direkt. Dabei wurde in Kauf genommen, dass es bei der Kombination Item/ Skala auch unpassende Kombinationen gab, die abgefragt wurden. So passt z. B. bei der Messung des Wertes ( a ) zu „dark skin“ die angebotene A-Skala wise/ foolish sicherlich weniger gut. Mit der Gleichverteilung von jeweils fünf A-Skalen für die eigentliche Bewertung ( Wert ) und ebenso fünf B-Skalen für die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit ( Erwartung ), dass ein Item zutrifft, richtete Fishbein das semantische Differenzial bereits auf die beiden Dimensionen des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes aus. Osgood et al. schränkten die Verwendung ihres Modells in keinster Weise ein, sie forderten sogar die Ausrichtung auf den jeweiligen Forschungszweck (vgl. Osgood et al. 1957: 76). Mit ihrem Modell zur Messung von Bedeutung ( meaning ) grenzen sie sich deutlich von weitergehenden Modellen zur Einstellung ( attitude ) ab. Dadurch wird ihr Modell aber grundlegender und vielfältig interdisziplinär einsetzbar, u. a. auch bei der Einstellungsmessung. Dies wird im nächsten Kapitel näher beschrieben. <?page no="81"?> 82 3. Modellbildung Abbildung 10: AB-Skala Fishbein/ Raven (1962) 3.3.4 Das semantische Diff erenzial nach Osgood et al. (1957) Osgood et al. (1957) entwickelten das semantische Differenzial zur Messung der Bedeutung eines Begriffs oder Sachverhalts einschließlich seiner konnotativen, insbesondere emotionalen Nebenbedeutungen. In ihrer Definition des Modellansatzes räumen sie ein, dass Begriffe wie Bedeutung ( meaning ), Einstellung ( attitude ) und Bewertung ( value ) durchaus synonym benutzt werden (vgl. Osgood et al. 1957: 1). Die Abgrenzung begründen sie damit, dass ihr Ansatz Bedeutung <?page no="82"?> 3.3 Weitere Modellgrundlagen 83 im rein sprachlichen Kontext sieht und erforscht, während weiter gefasste Begriffe wie Einstellung modelltheoretisch auch die Beobachtung nichtverbaler Äußerungen des Probanden durch Zeichen ( sign ) wie Gesichtsausdruck und Körpersprache einsetzen (vgl. ebd. 18). Dabei differenzieren Osgood et al. denotative, konnotative, syntaktische und semantische, also sprachliche Bedeutungen (vgl. ebd. 2 f.). Dabei differenzieren sie weitere Prozesse, welche die Kodierung einer Äußerung ( encoding ) und den Empfang der Äußerung ( decoding ) ermöglichen. Zentraler Ansatz ist, dass die Reaktion auf ein Stimulusobjekt durch einen Index, eine Repräsentation der sprachlichen Prozesse zur Beschreibung der Reaktion, gemessen werden kann. Die Repräsentation dieser sprachlichen Prozesse ist das semantische Differenzial (vgl. ebd. 9). Dieses besteht, wie in Kapitel 3.1 Definitionen beschrieben, aus Sets geeigneter bipolarer Skalen. Zu Beginn der Umsetzung dieser Forschungsidee stand auch hier die Notwendigkeit der Erstellung einer Item-Liste. Diese bestand zuerst aus möglichst vielen denkbaren Skalen aus bipolaren Adjektiven. Osgood et al. beschreiben, wie ein Ausgangskatalog mit zunächst 289 Adjektivpaaren aufgrund der damaligen Beschränkung der statistischen Rechenpower des IBM Systems ILLIAC (the Illinois digital computer) auf 76 Items reduziert werden musste (vgl. ebd. 48). Mit den verbleibenden 76 Skalen ermitteln sie die Bedeutung zu 20 allgemeinen Test-Begriffen ( concepts ) in fünf Gruppen: Begriffe zu Personen (Foreigner, my Mother, Me, Adlai Stevenson), physikalischen Objekten (Knife, Boulder, Snow, Engine), abstrakten Themen (modern Art, Sin, Time, Leadership), Ereignissen (Debate, Birth, Dawn, Symphony), Institutionen (Hospital, America, United Nations, Family Life). Zu diesen 20 Begriffen wurden die Meinungen von 100 Studenten im Verlauf von ca. drei Arbeitsstunden ermittelt. Grundlage war das komplette semantische Differenzial, bestehend aus einem Set von 76 Skalen (vgl. ebd. 48 f.). Die so gewonnenen Rohdaten wurden mit einer Faktorenanalyse weiter zusammengefasst. Dabei schließen Osgood et al. zwei vorangegangene Untersuchungen mit ein (vgl. ebd. 33 ff., 39 ff.). Im Ergebnis konnten sie drei wichtige Faktoren ermitteln, die den semantischen Raum ( semantic space ) der Bedeutung aufspannen (vgl. ebd. 50 ff., 71 ff.): • die bewertende Dimension ( evaluation ) mit Skalen wie good-bad, optimistic-pessimistic, positive-negative • die Dimension von Macht und Stärke ( potency ) mit Skalen wie hard-soft, heavy-light, strong-weak, masculine-feminine, tenacious-yielding • die Dimension von Aktivität ( activity ) mit Skalen wie active-passive, hot-cold, complex-simple <?page no="83"?> 84 3. Modellbildung • weitere Faktoren wie Stabilität ( stability ), Spannung ( tautness ), Neugier ( novelty ), Aufmerksamkeit ( recepticity ) kamen ebenfalls vor, aber mit geringerer Ladung, sodass sie nicht weiter untersucht wurden (vgl. ebd. 74). 3.3.5 Reduziertes semantisches Differenzial Daraus ergeben sich Ansatzpunkte, um das Set eines semantischen Differenzials einerseits zu reduzieren, es andererseits zielgerichtet aufzubauen und so den Aufwand der Einzelmessung zu verringern. Wie wir oben gesehen haben, hatte Fishbein zwei Skalensets möglichst passend zur Ermittlung der Meinung über die Erwartung (B-Skala) und den Wert (A-Skala) einer Eigenschaft zusammengestellt. Die bipolaren Paare der A-Skala entstammen dabei sinnvollerweise alle der bewertenden Dimension von Osgood et al. (vgl. ebd. 53 ff.) (siehe Abbildung 10 : AB-Skala Fishbein/ Raven (1962) ). Die B-Skala steuert Fishbein fast komplett selbst bei, mit der Ausnahme von false/ true, das ebenfalls der bewertenden Dimension von Osgood et al. entstammt. Seine AB-Skala nennt Fishbein deshalb modifiziertes Osgood’sches Differenzial (vgl. Fishbein/ Raven 1962: 35). Daraus ergeben sich Modell-Voraussetzungen für den hier gewählten Ansatz: Das semantische Differenzial kann und muss dem Forschungszweck angepasst werden. Dabei kann das Set an Skalen gezielt reduziert werden, bis hin zu einer einzigen geeigneten Skala. Voraussetzung 1: Gezielte Reduktion des semantischen Differenzials von Osgood et al. (1957) nach Fishbein/ Ajzen (1975) Fishbein setzt in späteren Studien auch nur eine einzige Skala ein, um den Wert ( a ) und mit einer weiteren Einzel-Skala die Erwartung ( B ) zu messen. In einem Beispiel (Fishbein/ Ajzen 1975: 29) benutzt er eine Skala zwischen 0 (trifft nicht zu) und 1 (trifft 100 % zu) in 10-tel Schritten zur Ermittlung der Erwartung und eine bipolare Skala von -3 (bad) bis +3 (good) in 1-er Schritten zur Ermittlung des Wertes . Bewertet wird jedes Item einer exemplarischen Eigenschaftsliste, die Produkte je Item werden gemäß der Formel 1: Erwartung-mal-Wert (Fishbein 1963) aufsummiert und repräsentieren die Einstellung. Die bipolare Skala stammt wieder aus der bewertenden Dimension. Entsprechend diesem Beispiel wurden auch Studien mit Probanden durchgeführt (ebd. 225 ff.). Die Gemeinsamkeit der Studien bestand darin, dass der Wert ( a ) und die Erwartung ( B ) jeweils mit nur noch einer Skala des semantischen Differenzials gemessen wurden. <?page no="84"?> 3.3 Weitere Modellgrundlagen 85 3.3.6 Die Bedeutung der Aufgabenstellung für den gewählten Modellansatz Die Aufgabenstellung durch die Versuchsleiterin oder den -leiter sowie das richtige Verständnis seitens der Probanden ist von zentraler Wichtigkeit für die Durchführung der Erhebung. So kritisieren Devine und Elliott (1995) die Aufgabenstellung bei der Durchführung der schon genannten „Princeton Trilogy“. Die 100 Probanden hätten aufgrund der Formulierung nicht unterscheiden können, ob sie ihr Wissen über die öffentlichen Stereotype zu den vorgegebenen Ethnien nennen sollten oder Items aufgrund ihrer eigenen Meinung ankreuzen sollten (vgl. Devine/ Elliott 1995: 1141). Durch die Möglichkeit der unterschiedlichen Interpretation seitens der Probanden wird in der Konsequenz die scheinbar beobachtete Änderung der Stereotype mehrdeutig und zweifelhaft. Umgekehrt bedeutet das: Die Aufgabenstellung kann die Äußerungen der Probanden in eine bestimmte Richtung lenken. Versetzen wir uns einmal für einen Moment in eine fiktive Aufgabenstellung, weniger wissenschaftlich aber mit common sense : Der Versuchsleiter stellt einem Probanden die Frage „Was wissen Sie über die Deutschen und wie finden Sie die Deutschen? “. Möglicherweise käme ein Gespräch auf und der Versuchsleiter würde den Probanden sprechen lassen, manchmal nachfragen und auf diese Weise nach und nach, im Laufe von Stunden oder Tagen mehr erfahren. In diesem Beispiel würde der Versuchsleiter den Verlauf der Informationsgewinnung nur wenig lenken. Das Verfahren kommt der Grounded Theory (vgl. Strauss/ Corbin 1996) nahe. Alternativ, um Zeit zu sparen und Aussagen unterschiedlicher Probanden leichter zu vergleichen, stellen wir uns eine andere Situation vor: Der Versuchsleiter stellt dem Probanden dieselbe Frage, legt aber dabei eine Eigenschaftsliste vor mit der Bitte „alle Items anzukreuzen, von denen Sie selbst, ganz persönlich glauben, dass diese auf die Deutschen zutreffen“. Nachdem der Proband diese Aufgabe erledigt hat, käme die nächste, nämlich „Sie sehen auf dem nächsten Blatt des Fragebogens die bereits angekreuzten Items und daneben eine 7-stellige Skala von -3 (negativ/ schlecht) bis +3 (positiv/ gut). Bitte kreuzen Sie darauf an, wie sie diese Eigenschaft bei den Deutschen finden, nicht bei Freunden oder Nachbarn, sondern in Bezug auf die Deutschen“. Dieses Beispiel entspricht der hier durchgeführten Fragebogenerhebung. Diese lief unter kontrollierten Bedingungen im Rahmen einer Unterrichtsstunde ab. Den Probanden wurde die Aufgabe schriftlich gestellt und nochmals verbal erläutert. In diesem Beispiel ist der Verlauf mehrfach gelenkt: 1. Anstatt den Probanden reden zu lassen, wird er wegen des begrenzten Zeitraums veranlasst, zuerst sein Repertoire an Wissen und Glauben unter dem Label „die Deutschen“ in Form von Eigenschaften sehr schnell abzurufen. <?page no="85"?> 86 3. Modellbildung Hilfestellung geben dabei die Items des Fragebogens. Die Antwort kann nur stereotyp sein, denn das Objekt der Frage „die Deutschen“ ist vielschichtig, mehrdeutig, komplex und groß (wie jede Volksgruppe). Auch sehr viele Eigenschaften können es nur verkleinert abbilden und das stereotype Abbild ist bestenfalls so gut wie das Eigenschaftsraster der mitgebrachten Liste. 2. Dieser Punkt ist noch wichtiger: Durch die angebotene offene Liste muss der Proband entscheiden, ob er ein Item ankreuzt oder nicht, dabei aktiviert er immer die Einschätzung der Erwartung . Für die folgende Aufgabe, die bereits angekreuzten Items zu bewerten, wird eine bipolare gut-schlecht-Skala, die stärkste Skala aus der bewertenden Dimension des semantischen Raums, zur Erfassung angeboten. Es wird erwartet, dass dabei sowohl die Dimension Wert ( Evaluation ) als auch durch die vorherige Einschätzung die Dimension Erwartung ( Belief ) implizit vom Probanden aktiviert und bestmöglich zu einem einzigen Wert kombiniert werden. Hypothese 2: Implizite Kombination von Erwartung und Wert durch Probanden bei geeigneter Aufgabenstellung Diese Hypothese wird in den nächsten Kapiteln theoretisch und empirisch validiert. 3.3.7 Single-Response-Messungen Auch Fishbein und Ajzen diskutieren 1975 single-response Measures (Fishbein/ Ajzen 1975: 53 ff.). Damit ist gemeint, dass die Trennung der Dimensionen Erwartung und Wert entfällt und die Beurteilung des concepts auf nur einer Skala erfolgt und nicht auf mindestens zwei Skalen, einer zur Erfassung des evaluative aspects und noch auf einer zweiten zur Erfassung des beliefs about (vgl. Kap. 3.3.2 Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz ). Sie diskutieren dazu folgende Zusammenhänge, die bestimmend für die Qualität des Ergebnisses sind: • Die Messung auf der Einzelskala beinhaltet drei Aspekte: • das concept , wir beschränken uns hier auf das Item, das dem Einstellungsobjekt zugeordnet wird, • die Beurteilung, die das concept auf einer uni- oder bipolaren Skala verortet, • das Format für die Reaktion wie multiple-choice , qualitative Beurteilung oder quantitative Schätzungen. <?page no="86"?> 3.3 Weitere Modellgrundlagen 87 • Die Messung repräsentiert weniger die Einstellung, sondern nur die Erwartung oder nur den Wert . Welche Dimension erfasst wird, hängt dabei eher vom concept selbst ab und von der Bedeutung der Pole der bi- oder unipolaren Skala. • Einfluss des concepts : die Beurteilung eines concepts z. B. mit einer Skala warm-cold beinhaltet wertende Implikationen, wenn eine Person damit beurteilt wird, aber rein deskriptive Aspekte, wenn z. B. das concept „Feuer“ beurteilt wird. • Einfluss der scale : Einige Skalen korrelieren unabhängig vom concept stark mit der Dimension Wert , z. B. good-bad , I like-dislike the object . Andere Skalen wie probable-improbable , likely-unlikely erfassen automatisch die Dimension Erwartung . Hier wird ein weiterer Zusammenhang ergänzt, der bestimmend für das Ergebnis ist: • Die Messung auf der Einzelskala repräsentiert die Einstellung, also die Erwartung und den Wert bestmöglich nur dann, wenn die Aufgabenstellung die Dimensionen Erwartung und Wert simultan berücksichtigt. Wenn einerseits eine Beurteilung auf einer wertenden Skala verlangt wird und andererseits das Einstellungsobjekt als Kollektiv verdeutlicht wird, dann kombiniert der Proband bei der Beurteilung einer Eigenschaft (des concepts ) implizit den Grad der Wahrscheinlichkeit, mit dem er diese Eigenschaft im Kollektiv erwartet mit dem eigenen Wertesystem und platziert die Eigenschaft auf der Messskala bestmöglich entsprechend der Beurteilung aus Erwartung und Wert . 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes Durch die Single-Response-Messung je Item ändert sich in Verbindung mit der hier gewählten Einstellung der algebraisch funktionale Zusammenhang von zu Formel 3: Bewertung einer einzelnen Eigenschaft mit impliziter Kombination von Erwartung und Wert Das heißt, der algebraisch darstellbare Zusammenhang von Erwartung und Wert wird ersetzt durch eine implizit und individuell vom Probanden durchgeführte Kombination von Erwartung und Wert , die hier mit f bezeichnet wird. <?page no="87"?> 88 3. Modellbildung Damit wird der geschätzte ( estimated ) Einstellungswert eines Probanden zum Einstellungsobjekt  0 nicht mehr durch die aufsummierten Produkte aus Erwartung-mal-Wert dargestellt wartung-mal-Wert dargestellt sondern als Summe über die implizit und individuell gebildeten Kombinationen aus Erwartung und Wert : Formel 4: Schätzwert für die Einstellung mit impliziter Kombination von Erwartung und Wert , modifiziert nach Fishbein (1963) Mit dieser Voraussetzung werden alle folgenden Auswertungen auf Basis einer Single-Response pro Item durchgeführt, wenn es sich um die Bewertung eines Items handelt. Mit folgenden Begründungen wird ein implizit aus B und a , aus Erwartung und Wert kombinierter Schätzwert  für die Einstellung erwartet: 1. Fishbein zeigt 1963, dass der Schätzwert für die Dimension Wert , die A-Skala, besser mit der Einstellung korreliert als die B-Skala (vgl. Fishbein 1963: 237). 2. Die bipolare Skala good-bad besitzt im Raum des semantischen Differenzials die höchste Faktorladung in der bewertenden Dimension (vgl. Osgood et al. 1957: 37, 43, 53). Die Übersetzung ins Deutsche von good-bad, d. h. gutschlecht, wurde als positiv (gut)-negativ (schlecht) in die chinesische Aufgabenstellung übertragen. Es wird erwartet, dass durch die „stärkste“ A-Skala in jedem Fall die bewertende Dimension aktiviert wird. 3. Grundlage des Ansatzes von Fishbein ist, dass erst die Erwartung ein Einstellungsobjekt mit einer Eigenschaft verlinkt (ein Item der Eigenschaftsliste bezieht sich hier auf „die Deutschen“). Nur wenn der Proband glaubt - deswegen nennt Fishbein die Erwartung „belief “ -, dass eine Eigenschaft mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zutrifft, wird er sie ankreuzen. Wenn der Proband dann veranlasst wird, das Item auf einer bipolaren Skala zu platzieren, wird er diese Platzierung entsprechend seiner Erwartung zwischen dem unteren und dem oberen Wert durchführen (vgl. Fishbein/ Ajzen 1975: 58), weitgehend unabhängig von den Adjektiven der Skala. Es wird also in jedem Fall die Dimension der Erwartung aktiviert. 4. Durch die Kombination des Items ( concepts ) gerade mit der am stärksten bewertenden A-Skala, der Aufgabe, die zu beurteilenden Items darauf zu platzieren, und dem zusätzlichen Hinweis, dabei zu berücksichtigen, „dass <?page no="88"?> 3.3 Weitere Modellgrundlagen 89 diese Eigenschaften das persönliche Bild der Deutschen repräsentieren“, 20 wird erwartet, dass beide Dimensionen des Fishbein’schen Ansatzes B und a , Erwartung und Wert aktiviert und in einer Single-Response f(B,a) kombiniert verarbeitet und wiedergegeben werden. 5. Empirisch repräsentiert der Mittelwert der Beurteilung eines Items demzufolge den mittleren Wert und die mittlere Erwartung . Die Streuung beinhaltet einen Wertanteil und einen Erwartungsanteil. Diese werden in den folgenden Kapiteln näher untersucht. 3.3.9 Zusammenfassung weiterer Modellgrundlagen Fishbein zeigt mit seinem Erwartung-mal-Wert-Modellansatz (Fishbein 1963), dass die Dimensionen Erwartung und Wert maßgeblich an der Einstellungsbildung beteiligt sind. Diese Erkenntnis wird im Folgenden zugrunde gelegt. Fishbein beschreibt damit die Einstellung eines Probanden, hier ist das die Einstellung zu „den Deutschen“, als eine Serie von Produkten, die zum Einstellungswert aufaddiert werden. Eine Serie deshalb, weil das Einstellungsobjekt, die Deutschen, vom Probanden durch eine Serie von Items einer Eigenschaftsliste mit stereotypen Eigenschaften charakterisiert und beurteilt wird. Der eine Multiplikator ist dabei der Wert , das wertende Urteil des Probanden zu einer Eigenschaft. Oder anders ausgedrückt: Wie reagiert der Proband mit seinem Wertesystem auf eine bestimmte Eigenschaft der Eigenschaftsliste mit der Positionierung seines Urteils auf einer bipolaren Skala? Fishbein selbst würde den Probanden hier noch nicht mitteilen, dass „die Deutschen“ das Einstellungsobjekt darstellen. Der zweite Multiplikator ist die Erwartung , das Urteil des Probanden dazu, d. h. wie wahrscheinlich es ist, dass eine bestimmte Eigenschaft zutrifft. Oder die Frage, wo positioniert der Proband seine Erwartung , dass ein Item konkret auf „die Deutschen“ zutrifft auf einer Skala von 0 bis 1 oder 0 % bis 100 %. Hier würde Fishbein selbst erst den Bezug zum Einstellungsobjekt „die Deutschen“ herstellen. Die Entwicklung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes wurde im Detail beschrieben, um aufzuzeigen, dass Fishbein bei der Validierung die Ermittlung des Schätzwertes für die Einstellung sehr aufwändig durchgeführt hat. Zu jedem einzelnen Item wurden beide Multiplikatoren, „Erwartung“ und „Wert“ mit einem modifizierten Osgood’schen Differenzial gemessen, also jeweils fünffach aus jeweils fünf etwas unterschiedlichen Perspektiven beurteilt. Jede Beurteilung erfolgte auf einer 7-stelligen semantischen und bipolaren Skala von -3 bis 20 Zitat aus der Aufgabenstellung des Fragebogens. (siehe elektronischer Anhang: Fragebogen) <?page no="89"?> 90 3. Modellbildung +3, wobei die beiden Enden der Skala mit einem jeweils gegenteiligen Adjektiv gekennzeichnet waren, wie z. B. wise-foolish oder clean-dirty. Osgoods semantisches Differenzial wurde ebenfalls genauer untersucht, um aufzuzeigen, dass er eine Vielzahl von bipolaren Skalen mittels Faktorenanalyse zu wenigen semantischen Dimensionen zusammenfassen konnte, was er den semantischen Raum ( semantic space ) nannte. Die Haupt-Dimensionen waren die Dimension Bewertung ( evaluation mit bipolaren Skalen wie good-bad, optimistic-pessimistic), die Dimension Stärke/ Macht ( potency mit bipolaren Skalen wie strong-weak, hard-soft) und die Dimension Aktivität ( activity mit bipolaren Skalen wie active-passive, complex-simple). Interessant ist für die Modellbildung der vorliegenden Arbeit, dass schon in Osgoods Untersuchung zwei bestimmte Skalen der bewertenden Dimension durch eine sehr hohe Faktorladung herausragten, nämlich die Skala good-bad und positive-negative. Das bedeutet, diese Skalen repräsentieren ein wertendes Urteil besonders gut. Fishbein zeigt später, dass die Skala good-bad mit der Dimension Wert des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes eng korreliert. Beide Ergebnisse zusammengenommen führen zum eigenen Ansatz, einer modifizierten Berechnung von Fishbeins „Erwartung-mal-Wert“: Dabei werden nicht zuerst alle „Werte“ der genannten Items durch den Probanden erfasst und danach alle „Erwartungen“. Es wird damit keine Serie von algebraischen Produkten berechnet und zu einem Einstellungswert zusammengefasst. Stattdessen wird vom Probanden ein einziges Urteil zu jedem genannten Item abgefragt. Dieses Urteil deckt beide Dimensionen des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ab: • den „Wert“ durch Verwendung der am stärksten wertenden bipolaren positiv/ gut-schlecht/ negativ-Skala, • die „Erwartung“ durch gleichzeitige Herstellung des Kontextes „in Bezug auf die Deutschen, bei den Deutschen“. Anstelle einer späteren formalen algebraischen Multiplikation kann die Kombination von „Erwartung“ und „Wert“ implizit vom Probanden selbst im Moment der Beurteilung als Single-Response durchgeführt werden. Dadurch werden mehrere Vorteile realisiert: 1. Eine umfangreiche Einstellungsmessung mit 407 Probanden kann durch Erfassung und Auswertung von einfachen Single-Responses im Rahmen einer Dissertation rationell durchgeführt werden. <?page no="90"?> 3.3 Weitere Modellgrundlagen 91 2. Das kombinierte Urteil zu Erwartung und Wert wird tatsächlich, real vom Probanden gebildet. Die Multiplikation von Erwartung und Wert des originalen Ansatzes ist demgegenüber nur eine Modellberechnung. 3. Der somit modifizierte Ansatz nach Fishbein mit Schätzung der Einstellung entlang der Dimensionen von Erwartung und Wert durch eine Serie von Single-Responses innerhalb des ebenfalls modifizierten Versuchsaufbaus ist in der Literatur noch nicht beschrieben. Dieser Ansatz wird deshalb durch die erhobenen Daten, insbesondere die Interviewdaten in den folgenden Kapiteln validiert. Eine weitere Grundlage ist das Drei-Komponenten-Modell. Die Empirie dieser Studie versucht dabei nicht die drei Komponenten kongruent aufeinander abzubilden (siehe Abbildung 8: Das Drei-Komponenten-Modell ). Das Drei-Komponenten-Modell ist viel zu umfassend, um alle drei in der Literatur oft als Antezedenzien (Voraussetzungen) bezeichneten Komponenten ständig gemeinsam mit empirischen Korrelationen zu unterlegen. Nur dann könnte man beschreiben, wie Einstellungen im Zusammenspiel der drei Komponenten berechnet werden. Mehrere Interpretationen der drei Komponenten (z. B. Greenwald 1968, Breckler 1983, 1984) gehen sogar davon aus, dass ihre Beziehungen keineswegs immer schlüssig aufeinander abbildbar sind (vgl. Zanna/ Rempel 1988: 317 ff.). Deshalb werden nur Teilaspekte abgebildet, so wie sie hier zur Durchführung der Forschungsarbeiten benötigt werden. Die Komponente Handeln (wollen) ist nicht im Umfang dieser Arbeit enthalten (siehe Abbildung 11: Aspekte des Drei-Komponenten-Modells: mit integrierten Dimensionen Erwartung und Wert ). Außer der erweiterten Sozialen-Distanz-Skala nach Bogardus (1928) mit Fragen zur Handlungsabsicht in Bezug auf Deutschland und die Deutschen wurden keine Daten explizit dazu erfasst. Diese Arbeit fokussiert sich im Sinne des Modells auf die kognitive und affektive Komponente und deren Beziehung zur Einstellung und zum Stereotyp. Eine Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Stereotyp und Einstellung von Aronson/ Wilson/ Akert (2008) kommt dem Ansatz dieser Arbeit nahe. Sie definieren Stereotype als „die kognitive Komponente einer voreingenommenen Einstellung und als eine Verallgemeinerung über eine Gruppe, wobei nahezu allen Mitgliedern identische Merkmale zugeordnet werden, ohne Rücksicht auf bestehende Variationen unter den Mitgliedern“ (Aronson et al. 2008: 526, zitiert nach Vandermeeren 2016: 172) (siehe auch Kap. 2.2 Stereotyp vs. Einstellung ). Die vorliegende Arbeit stellt dem gegenüber: Jeder Proband verfügt über ein mehr oder weniger reichhaltiges Repertoire an Wissen, Emotionen und eventuell auch Handlungsmotivationen über „Deutschland und die Deutschen“. Sein Wissen und seine Überzeugungen dazu werden im Rahmen der Befragung in <?page no="91"?> 92 3. Modellbildung Form von vordefinierten Eigenschaften sehr schnell abgerufen. Dadurch entsteht durch das Probandenkollektiv ein stark reduziertes „Modell“, eben das Stereotyp. Dieses wird weniger als „Voreingenommenheit“ gesehen, eher als Resultat einer notwendigen Reduktion (siehe auch Kap. 3.3.6 Die Bedeutung der Aufgabenstellung für den gewählten Modellansatz ). Abbildung 11: Aspekte des Drei-Komponenten-Modells: mit integrierten Dimensionen Erwartung und Wert Damit kann das Drei-Komponenten-Modell operational, also rechenbar in den benötigten Teilaspekten ausgestaltet werden: • Die reduzierte, stereotype kognitive Komponente der Einstellung wird durch die Dimension Erwartung des Ansatzes nach Fishbein beschrieben (siehe Kap. 3.3.2 Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz ). Den Probanden wird die Aufgabe gestellt, ihr Wissen, genauer ihre Erwartung , innerhalb einer Unterrichtsstunde zu den Deutschen, einer ganzen Kultur wiederzugeben, was nur stereotyp geht. Die vorgelegte Eigenschaftsliste nach Baur et al. (2014) ist dabei die Grundlage der Stereotyperfassung. Die Granularität des Stereotyps entspricht der Granularität der Eigenschaftsliste. • Die affektive Komponente der Einstellung in Verbindung mit dem Stereotyp wird durch die Dimension Wert beschrieben (siehe ebd.). Erwartung und Wert , das ist die Hypothese, sollen beide in einem einzigen Single-Response-Urteil erfasst werden. Die aggregierten Urteile bilden einen <?page no="92"?> 3.4 Zusammenfassung Modellbildung 93 Schätzwert der realen Einstellung. Voraussetzung für eine bestmögliche Beurteilung ist die präzise Aufgabenstellung bei der Befragung in Verbindung mit einer maximal wertenden Skala (siehe ebd.). Die Hypothese wird in einem späteren Kapitel mit der Auswertung von Interviewdaten validiert. • Zur Handlungsabsicht in Bezug auf Deutschland und die Deutschen wurden außer der erweiterten Sozialen-Distanz-Skala nach Bogardus (1928) keinerlei Daten erfasst. Zielführend wäre hier ein anderer Modellansatz, z. B. der Ansatz des geplanten Verhaltens (Ajzen 1991: The Theory of Planned Behavior ). Dazu hätte aber die Einstellung zu einem konkreten Verhalten gemessen werden müssen (siehe gestrichelte Line in Abbildung 11: Aspekte des Drei-Komponenten-Modells: mit integrierten Dimensionen Erwartung und Wert ). Diese Messung könnte problemlos aus der Erwartung-Wert-Theorie heraus durchgeführt werden, z. B. zu Einstellungsobjekten wie „Umgang mit Deutschen“ oder „Studieren und arbeiten in Deutschland“, was jedoch nicht Bestandteil dieser Arbeit ist. 3.4 Zusammenfassung Modellbildung Die modifizierte Berechnung der Einstellungswerte für Probanden und die mittlere Bewertung der genannten Items nach Fishbein (1963) ermöglicht Gruppenvergleiche durch „Einstellung“. Umgekehrt können auf Grundlage der gemessenen Einstellung auch neue Kriterien gebildet werden, um Gruppen zu bilden. Ein triviales Kriterium für eine Gruppenbildung ist die Lerndauer. Auch wenn es sich bei der vorliegenden Arbeit nicht um eine Longitudinalstudie handelt, kann hinter der zeitlichen Parallelität von hier vier Studierendenjahrgängen auch ein Entwicklungsgradient für die Einstellung einschließlich Stereotyp gesehen werden. So wird der erste Gruppenvergleich auch für Studienjahrgänge durchgeführt, durchaus mit dem Anspruch Entwicklungstendenzen aufzuzeigen. Ein Modell, das einen allgemeingültigen Entwicklungsgradienten beinhaltet, ist das in Kapitel 3.2 beschriebene Phasenmodell. Dieses Modell beruht auf dem Bestimmtheitsmaß von Katz und Braly (1933), das die Übereinstimmung von parallelen Stereotypisierungen vergleicht. Es kommt ohne Einstellungsmessung aus, denn es berechnet die minimale Anzahl von Stereotyp-Items, die benötigt werden, um 50 % aller Nennungen (nur TOP-5) zu erreichen. Wenn z. B. 4,6 Items 50 % aller TOP-5-Nennungen auf sich vereinen, dann sind sich die befragten Probanden sehr einig darin, mit welchen Items die stereotypisierte Gruppe zu beschreiben ist. Eine vergleichsweise kleine Anzahl, wie die 4,6, kann nur dann entstehen, wenn ein gut ausgeprägtes Stereotyp zugrunde liegt, <?page no="93"?> 94 3. Modellbildung der von allen geteilt wird. Wenn die Probanden eine größere Anzahl von Items im Bestimmtheitsmaß benötigen, wissen sie entweder weniger über die betreffende Gruppe, z. B. die US-Amerikaner über die Türken, d. h. es liegt kein oder nur ein undeutliches Stereotyp zugrunde, das nicht alle teilen können. Oder die Probanden wissen viel über die stereotypisierte Gruppe, z. B. die US-Amerikaner über die Engländer. Auch dann verwenden sie relativ viele Items, weil sie ein geteiltes Stereotyp mit jeweils eigenem Wissen anreichern können. Wenn das Stereotyp der Probanden in geringerem Maße übereinstimmt, helfen nur Annahmen bei der Einordnung, ob mehr oder weniger Wissen im Spiel ist. In ihrer Studie nehmen Katz und Braly z. B. an, dass US-Amerikaner mehr über Engländern wissen als über Türken. Während Katz und Braly damit die Übereinstimmungen von Stereotypen zu mehreren gesellschaftlichen/ ethnischen Gruppen zeitlich parallel beschreiben, wird die Serie von geordneten Bestimmtheitsmaßen im Rahmen der vorliegenden Arbeit als Entwicklungsgradient interpretiert. Für Gruppenvergleiche und Analysen stehen aus diesen Modellüberlegungen heraus zwei weitere Ansätze zur Verfügung: 1. Das Phasenmodell, mit dem z. B. die Stereotype von vordefinierten Gruppen, z. B. Jahrgängen, a posteriori auf eine Entwicklungsrichtung hin untersucht und verglichen werden können. 2. Die modifizierte Einstellungsberechnung nach Fishbein auf Basis des Drei-Komponenten-Modells, womit vordefinierte Gruppen differenzierter untersucht und a priori Kriterien für die Gruppenbildung definiert werden können, um bisher „unentdeckte“ Gruppen im Probandenkollektiv zu identifizieren. <?page no="94"?> 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen In diesem Kapitel werden die für diese Arbeit gewählten Forschungsansätze zur Erfassung des Stereotyps und eines Näherungswertes für die Einstellung chinesischer Deutschstudierender zu den Deutschen empirisch mit Daten hinterlegt und begründet. Die Ansätze zur Herleitung quantitativer Metriken und Modelle beruhen auf • der Eigenschaftsliste nach Baur et al. (2014) und der modifizierten Skala der sozialen Distanz nach Bogardus (1928), • einer modifizierten Skala zur Bewertung der Eigenschaften auf Basis des Modells von Fishbein (1963), • der Kodierung und Kategorisierung von transkribierten Abschnitten des Leitfadeninterviews. 4.1 Quantitative und qualitative Aspekte der Forschungskonzeption In den sozialwissenschaftlichen Forschungen basieren die Untersuchungen oft auf der systematischen Sammlung, Aufbereitung und Analyse von empirischen Daten, um die sozialen Sachverhalte wissenschaftlich zu beschreiben und zu möglichst gesicherten Erkenntnissen zu gelangen (vgl. Döring/ Bortz 2016: 5). Aus dem Grund, dass Einstellungen wie die meisten Konstrukte der Psychologie von der Außenperspektive aus nicht direkt beobachtbar sind (vgl. Jonas et al. 2014: 212; Werlen 1984: 139; Riemer 2016: 155), sondern nur aus „sekundäre[n], äußere[n] Anzeichen und Reaktionen, z. B. in Form sprachlicher Äußerungen“ (Witte 2014: 45) erschlossen werden können, ergeben sich im Grunde explizite und implizite Einstellungsmessverfahren. Beim expliziten Vorgehen werden „[die] Befragten direkt gebeten […], über ihre Einstellung nachzudenken und darüber zu berichten, während implizite Einstellungsmaße Einstellungen erfassen, ohne Befragte direkt zu einer verbalen Angabe über ihre Einstellung zu veranlassen“ ( Jonas et al. 2014: 213), wobei in dem Bereich der empirischen Stereotypen- und Einstellungsforschung das explizite Messverfahren dominiert (vgl. ebd. 214 f.), das sinnvoll ist, um in Form von Selbstauskünften befragter Personen Erkenntnisse zu gewinnen (vgl. Riemer 2016: 155). Üblicherweise wird dann eine quantitative und/ oder qualitative Datenanalyse zur Bildung oder Überprüfung der Hypothesen durchgeführt. Ob soziale Sachverhalte bes- <?page no="95"?> 96 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen ser qualitativ oder quantitativ untersucht werden, ist eine seit langer Zeit umstrittene Frage der empirischen Sozialforschung. Welche Forschungsmethode gewählt werden soll, hängt vom Forschungsproblem und den Kontextbedingungen des Forschungsprojekts ab (vgl. Döring/ Bortz 2016: 17). Angesichts der Stärke und Schwäche beider wissenschaftstheoretischen Paradigmen bzw. Forschungsansätze ist heute ein fruchtbares Ergänzungsverhältnis, nämlich ein Mixed-Methods-Paradigma entstanden, bei dem sowohl qualitative als auch quantitative Daten eingesetzt werden und so eine umfassende Bearbeitung der Forschungsprobleme und eine bessere Absicherung der Ergebnisse ermöglicht wird (vgl. ebd. 16 ff.). In der vorliegenden Arbeit wird ein Fragebogen mit einer Eigenschaftsliste nach Baur et al. (2014) eingesetzt, ergänzt um Aufgaben zur Bewertung jeder genannten Eigenschaft sowie der Markierung der typischsten Eigenschaften. Der Fragebogen dient der Messung eines Näherungswertes für die Einstellung nach Fishbein (1963). Im Folgenden wird von Bewertung gesprochen, wenn es sich um die empirischen Werte handelt, oder von Einstellung, wenn auf den grundlegenden Modellansatz von Fishbein Bezug genommen wird. Neben der Prüfung des Näherungswertes des auf dem angepassten Fishbeinschen Erwartung-mal-Wert-Ansatzes aufgebauten Modellansatzes (siehe Kap. 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ), der Erfassung der Einstellungsbildung und der Einstellungsentwicklung der individuellen Probanden, der Betrachtung der vielseitigen Einflussfaktoren auf ihre Einstellungen und Handlungsintentionen sowie der näheren Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Untersuchungsgruppen wird durch vertiefende Leitfadeninterviews eine qualitative Ergänzung der gewonnenen Ergebnisse erzielt. Dazu wurden nach der Auswertung der quantitativen Daten nach bestimmten Auswahlkriterien (siehe Kap. 4.2.11.1 Auswahl der Interviewprobanden ) Probanden ausgesucht, die noch einmal ausführlich per Leitfadeninterviews befragt wurden. Dieses Vorgehen nennt Mayring (2001) „Vertiefungsmodell“ (Mayring 2001: 9), das dazu dient, die quantitativen Befunde der ersten Teilstudie vertiefend erklären zu können. Mit der folgenden Abbildung beschreibt er dieses Modell für eine Kombination qualitativer und quantitativer Analyse: Abbildung 12: Vertiefungsmodell nach Mayring (2001) <?page no="96"?> 4.2 Versuchsaufbau 97 Er begründet die Vorteile damit, dass „die Ergebnisse […] [dadurch] besser interpretierbar [werden]; beispielsweise […] durch Fallanalysen in Korrelationen die Richtung einer möglichen Kausalität gedeutet werden [kann]. Quantitativen Ergebnissen kann auf diese Weise weiter nachgegangen werden“ (ebd.). Tabelle 2 zeigt die Untersuchungsphasen der vorliegenden Studie zum jeweiligen Zeitpunkt. 4.2 Versuchsaufbau Im Folgenden werden der Versuchsaufbau und die Planung zur Durchführung der Untersuchung ausführlich beschrieben. Der Versuchsaufbau umfasst vier Phasen. Nummer Untersuchungsphasen Inhalt Zeitpunkt 1. Voruntersuchung Fragebogen Interview März 2015 (zwei Wochen) 2 Fragebogen-Pretest Fragebogen Oktober 2015 (eine Woche) 3. Fragebogenerhebung Fragebogen Dezember 2015 (drei Wochen) 4. Leitfadeninterviews Interview Juni 2016 (drei Wochen) Tabelle 2: Übersicht über die Untersuchungsphasen 4.2.1 Übersetzung der Eigenschaftsliste Bisher gibt es keine Studien, in denen eine Eigenschaftsliste, basierend auf den in vergangenen relevanten Stereotypenforschungen benutzten Listen (z. B. Katz/ Braly (1933), Sodhi/ Bergius (1953), Keller (1969), Stapf et al. (1986) und Apeltauer (2002)), in Chinesisch übersetzter Form verwendet wurde. Matthias Grünewald (2005) stellt in seiner Arbeit die Übersetzungsproblematik bei den interkulturellen Untersuchungen dar. Er deutet darauf hin, dass die semantischen Unterschiede bei der Übersetzung der Erhebungsmaterialien und die Schwierigkeiten bei der Suche semantischer Äquivalenz besonders bei räumlich und kulturell erheblich unterschiedlichen Gebieten wie Deutschland und asiatischen Ländern auftreten (vgl. Grünewald 2005: 164). Angesichts z. B. kultureller, situativer, sozialer und altersabhängiger Verwendungsformen, die sich in semantischer Hinsicht bei den adjektivischen Attribuierungen unterscheiden, <?page no="97"?> 98 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen lassen sich Übersetzungen nur an die Bedeutungsvarianten der benutzten Items annähern (vgl. ebd. 174). Um die Validität der erzielten Ergebnisse zu stärken, verweist er auf die von Noelle-Neumann und Köcher (1987) vorgeschlagenen Maßnahmen. Hier wurden die Vorschläge übernommen, • eine Rückübersetzung in die jeweilige Ausgangssprache von möglichst mehreren ÜbersetzerInnen vornehmen zu lassen, welche die beteiligten Sprachen als Erstsprachler beherrschen, und • eine Voruntersuchung für die semantische Betrachtung von Schlüsselbegriffen (vgl. Grünewald 2005: 164 f.) durchzuführen. In Grünewalds Arbeit (2005) wurden eine Übersetzung, eine Bewertung sowie Beispiele der situativen Verwendung der 20 Items, die er als Eigenschaftsliste für den Fragebogen verwendet hat, beschrieben. Im Rahmen empirischer interkultureller Forschung hat Ulrich Hann (1985) die Übersetzungsproblematik für die Erfassung des koreanischen Deutschlandbildes sehr gut beschrieben. Nach Hann (1985) haben zwar viele Forscher (z. B. Edwards 1940; Sodhi/ Bergius 1953; Chung 1970; Park 1980; Breitenbach 1980) auf die Probleme verwiesen, dass interkulturelle Alteritäten bei der Übersetzung von Eigenschaften in eine Fremdsprache vorkommen können, aber dieser Sachverhalt wurde bisher nicht bei empirischen Auswertungen berücksichtigt (vgl. Hann 1985: 47). Hann deutet darauf hin, dass nicht nur die semantisch unterschiedlichen Konnotationen der Eigenschaften, sondern auch die bis dahin wenig berücksichtigten interkulturell unterschiedlichen Bewertungen der Eigenschaften, welche durch die unterschiedlichen normativen Regelsysteme und die verschieden wirksamen interpersonellen Bezugssysteme verursacht wird, zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen führen können (ebd. 46 ff.). Um bessere Verstehens-, Verständigungs-, aber auch Verhandlungsbedingungen zu schaffen, hat er nach Auffassung von ihm selber und einer zweisprachigen Übersetzungskommission eine Liste von besonders unterschiedlich bewerteten Eigenschaften, die außerdem noch häufig bei der Erhebung gewählt wurden, zusammengestellt und deren deutschen und koreanischen Konnotationen inhaltlich und situativ beschrieben (ebd. 54 f.). Auf die tieferen Konnotationen, ob die Eigenschaften positiv oder negativ verstanden werden, wurde in der vorliegenden Arbeit verzichtet, weil die Bewertungen einzelner Eigenschaften einen wesentlichen Teil der Untersuchung darstellen (siehe Kap. 5.3.2 Bewertungsrichtung und -intensität der Eigenschaften und Kap. 5.3.3 Mittelwerte und Streuungen der Eigenschaften ). Bewertungen wurden deshalb sowieso systematisch und individuell erfasst. Angesichts der eingesetzten Liste mit 139 Eigenschaften wurde bei der Übersetzung haupt- <?page no="98"?> 4.2 Versuchsaufbau 99 sächlich die denotative, konnotative und pragmatische Äquivalenz nach Koller (2011) beachtet. Im lexikalischen Bereich unterscheidet Koller (2011) fünf Entsprechungstypen, nämlich Eins-zu-eins-, Eins-zu-viele-, Viele-zu-eins-, Eins-zu- Null- und Eins-zu-Teil-Entsprechungen und verweist auf die dabei auftretenden Übersetzungsschwierigkeiten (vgl. Koller 2011: 231 ff.). Mit Rücksicht auf konnotative Werte sollten demnach die Entsprechungstypen angepasst werden und mit gewisser Annäherung an die Bedeutungsvarianten als Eins-zu-Teil-Entsprechungen behandelt werden (vgl. ebd. 243 f.). Nach Koller kann hinsichtlich der Bedeutungsvarianten und kontextlosen Besonderheiten einzelner Eigenschaften natürlich immer das Problem auftreten, dass die Konnotationen der zwei Sprachen nicht miteinander übereinstimmen und die Eigenschaften aus der Ausgangssprache nicht 1: 1 ins Chinesische übersetzt werden können. Andere Disambiguierungsmethoden, bei denen Eigenschaften in einen sprachlichen (also zusammen mit weiteren sprachlichen Einheiten) oder situativen (wo in einer Situation etwas geäußert wird) Kontext gesetzt werden, oder kommentierende Übersetzungsverfahren mit Fußnoten, Anmerkungen und/ oder Zusätze im Text eingesetzt werden (vgl. ebd. 136 f., 270 f.), sind bei der Übersetzung einer Eigenschaftsliste im Rahmen eines Fragebogens nicht sinnvoll. Im Rahmen des übergeordneten internationalen Forschungsprojekts SI.DE 21 an der Universität Duisburg-Essen baut die vorliegende Arbeit auf der Stereotypliste mit 139 Eigenschaften 22 von Baur und Ossenberg (2014) auf. Diese Eigenschaftsliste wurde bereits auch in einer russischen und in einer türkischen Version verwendet. Aufgrund der kulturspezifischen Konnotationen einzelner Eigenschaften in der deutschen und chinesischen Sprache können Verständigungsprobleme bei der Befragung auftreten. Bei einer Prüfung des Übersetzungsentwurfs einer ersten chinesischen Version zeigte sich, dass die Übersetzung in vielen Fällen ohne Berücksichtigung der Konnotationen durchgeführt worden war. Für die Korrektur und Prüfung wurde deshalb eine Übersetzungskommission eingerichtet, bestehend aus zwei chinesischen Deutschlehrern, drei chinesischen Promovendinnen unserer Forschungsgruppe und zwei deutschen Erstsprachlern. Diese Kommission hat dann insbesondere Denotationen, Konnotationen und die Bedeutungsvarianten der deutschsprachigen Eigenschaften ohne Rücksicht auf ihre affektiven Ladungen diskutiert und den Sinn der Charaktereigenschaft 21 Die detaillierte Vorstellung dieses Projekts ist unter dem Link zu finden: [https: / / side. uni-due.de, abgerufen am 17.02.2018]. 22 Die aktuelle Liste umfasst mittlerweile 140 Eigenschaften, wobei die Eigenschaft rassistisch ergänzt wurde. <?page no="99"?> 100 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen entsprechend festgelegt und nochmals abgestimmt. Die Konnotationen der chinesischen Übersetzungen, besonders von solchen mit einer Eins-zu-Teil- Entsprechung, wurden durch ein Rückübersetzungsverfahren überprüft, um semantische Äquivalenz der Merkmale abzusichern. Die damit verbundenen kulturspezifischen Assoziationen wurden vor der Durchführung der Hauptuntersuchung nochmals im Rahmen einer Voruntersuchung überprüft, um die möglichen Fehlerquellen bei der Erhebung und Auswertung der Daten zu minimieren oder ganz zu vermeiden. Im Folgenden wird eine Liste von Eigenschaften mit chinesischen Übersetzungen, die nicht 1: 1 direkt ins Chinesische übersetzt werden können oder deren Übersetzungen zur Unverständlichkeit oder Unklarheit führen könnten, in einer Rückübersetzungsform dargestellt. Die anderen, doch äquivalenten Eigenschaften der beiden Sprachen werden nicht mehr in dieser Tabelle 3 aufgelistet. <?page no="100"?> 4.2 Versuchsaufbau 101 Eigenschaften Übersetzung Rückübersetzung Anmerkung anspruchslos 容易满足的 genügsam, man ist leicht befriedigt Keine Anmerkung anspruchsvoll 要求高的 hohe Anforderungen/ Ansprüche Bei der Auflistung der Synonyme im Duden zeigen sich mehrere Gruppierungen der Bedeutung. Die Konnotation der chinesischen Übersetzung wird normalerweise mit strikten Anforderungen an sich selber oder an die anderen bei der Arbeit assoziiert. Die chinesischen Konnotationen stimmen mit den deutschen nicht eindeutig überein. bequem 追求安逸的 Man strebt nach einem mühelosen und angenehmen Leben. Eine direkte Übersetzung führt zur Unklarheit, worauf die Eigenschaft sich bezieht. Mit der chinesischen Übersetzung wird die Konnotation der Eigenschaft konkretisiert. diplomatisch 有交际技 巧的 geschickt bei der Kommunikation, man hat kommunikative Fertigkeiten. Bei der Übersetzung ins Chinesische muss vermieden werden, dass die Konnotation mit zwischenstaatlichen Beziehungen in Verbindung gebracht wird. friedlich 性格温和的 Der Charakter der Person ist verträglich. Die Übersetzung bezieht sich auf die Person. Man vermeidet Streit. friedliebend 爱好和平的 Man liebt Frieden. Die Übersetzung bezieht sich auf Krieg. gut gewachsen 身材好的 schöne Figur, schön gestaltet Übersetzung und Rückübersetzung stimmen semantisch und konnotativ überein. gute Demokraten 有民主意 识的 Man hat demokratisches Bewusstsein. Hier wurde gut nicht direkt übersetzt, denn es fehlt eine lexikalische Definition von „guten Demokraten“ und eine direkte Übersetzung führt zur Unklarheit, was damit gemeint ist. <?page no="101"?> 102 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen Eigenschaften Übersetzung Rückübersetzung Anmerkung Herrenvolk 有种族优越 感的 Überlegenheitsgefühl, andere Völker sind ihnen untergeordnet. Hier wurde Herrenvolk nicht direkt übersetzt, da es zu Missverständnissen führen könnte, ob der Sachverhalt zutrifft, dass die deutsche Nation anderen Nationen übergeordnet ist, oder ob die Deutschen ihrer Meinungen nach nur selbst ein Überlegenheitsgefühl haben. Von der Konnotation her passt die Übersetzung vom Überlegenheitsgefühl besser und ist semantisch eindeutig konnotiert. kameradschaftlich 有团队协作 精神的 Man hat Teamgeist, achtet und hilft sich gegenseitig innerhalb einer Gruppe. Diese Eigenschaft lässt sich nicht 1: 1 ins Chinesische übersetzen. Diese Eigenschaft beschreibt ein vertrautes und zusammengehöriges Verhältnis zwischen Kameraden. Mithilfe des Lexikons konnte die Denotation der chinesischen Übersetzung ohne Kontext nicht als Charaktereigenschaft verstanden werden. Für die heutige Zeit ist eine Übersetzung, die ein Verhältnis innerhalb eines Teams beschreibt, besser zu verstehen. Diese Eigenschaft wurde auch mit Rücksicht auf die pragmatische Äquivalenz übersetzt. konventionell 循规蹈矩的 Man hält sich an verbreitete, normale Regeln. Keine Anmerkung konservativ 保守的 zurückhaltend, vorsichtig, wenig innovativ Im Chinesischen kann diese Eigenschaft in zweierlei Hinsicht verstanden werden. Die eine Bedeutung ist, gedanklich hauptsächlich am althergebrachten festzuhalten, sich nach alten Traditionen zu richten, Innovatives nicht leicht zu akzeptieren. Die andere Bedeutung ist, sich zurückhaltend zu kleiden und zu verhalten. traditionsgebunden 传统的 traditionell. Man richtet sich nach Traditionen, nach tradierten Verhaltensweisen. Keine Anmerkung <?page no="102"?> 4.2 Versuchsaufbau 103 Eigenschaften Übersetzung Rückübersetzung Anmerkung korrekt 追求准确的 Man strebt nach Korrektheit. Korrekt wird als Synonym von richtig angesehen. Als Charaktereigenschaft ist die Übersetzung von richtig nicht geeignet. Deshalb wurde die chinesische Übersetzung als „Streben nach Korrektheit“ angepasst. kriminell 犯罪率高的 hohe Kriminalitätsrate Eine direkte Übersetzung würde bedeuten, dass die deutschen Menschen verbrecherische Handlungen begehen. Die Konnotation der chinesischen Übersetzung bedeutet eine Landeseigenschaft „hohe Kriminalitätsrate“. künstlerisch 有艺术天 赋的 Die Menschen haben künstlerische Veranlagung. Eine direkte Übersetzung führt zu Unklarheiten, worauf sich die Eigenschaft bezieht. Mit der chinesischen Übersetzung wird die Konnotation der Eigenschaft konkretisiert. materiell eingestellt 追求物质的 streben nach Materiellem Übersetzung und Rückübersetzung stimmen semantisch und konnotativ überein. nüchtern 实事求是的 sachlich, arbeiten nach der tatsächlichen Gegebenheit der Situation, ohne eigene subjektive Gefühle mitzubringen. Keine Anmerkung pflichtbewusst 有责任感 pflichtbewusst/ verantwortungsbewusst Die gewählte Übersetzung des objektiven Pflichtbewusstseins (Erfüllen einer verbindlichen Aufgabe) kann im Chinesischen auch als verantwortungsbewusst verstanden werden. Aber der Begriff verantwortungsbewusst ist umfassender mit z. B. sozialer Verantwortung. Semantisch und konnotativ passt die gewählte Übersetzung am besten. <?page no="103"?> 104 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen Eigenschaften Übersetzung Rückübersetzung Anmerkung philosophische Lebenshaltung 哲学的生活 态度 philosophische Lebenshaltung Diese Eigenschaft wurde 1: 1 ins Chinesische übersetzt. Philosophische Lebenshaltung ist ein abstrakter Begriff. In der deutschen Konnotation ist mit der Eigenschaft eine Betrachtungsweise der Dinge gemeint. Man stellt nicht sich selbst in den Mittelpunkt, sondern die Dinge in einem größeren Kontext, das ist eine Relativierung aus der Welterfahrung. Der Begriff Philosophie wird hinsichtlich der langen chinesischen Geschichte und zahleichen Strömungen und Richtungen sowie des Imports westlicher Wissenschaften von heutigen Chinesen oft unterschiedlich interpretiert. Im Alltagsgebrauch wird der Begriff oft mit unterschiedlichen Begriffen wie religiösem Glauben, Ideen und Lehren der chinesischen oder westlichen Philosophen, die Art und Weise, die Welt und Dinge zu betrachten, in Beziehung gesetzt. Aufgrund der chinesischen kulturspezifischen Ideologie und Wertsysteme lässt sich die Konnotation der Eigenschaft nicht in kurzer Sprachform wiedergeben. Aus diesen Gründen wurde hier die Eigenschaft 1: 1 ins Chinesische übersetzt. Es wird individuell unterschiedliches Verständnis zu der Eigenschaft erwartet. Dies soll in den Interviews verifiziert werden. religiös 有宗教信 仰的 haben eine Religion Keine Anmerkung sauber 注重个人卫 生的 achten auf persönliche Sauberkeit Eine direkte Übersetzung führt zur Unklarheit, worauf die Eigenschaft sich bezieht. Bei der chinesischen Übersetzung beschränkt sich die Konnotation auf die Beachtung persönlicher Sauberkeit. schlechte Demokraten 缺乏民主意 识的 unzulängliches demokratisches Bewusstsein Hier wurde schlecht nicht direkt übersetzt, denn es fehlt lexikalisch eine Definition von „schlechten Demokraten“ und eine direkte Übersetzung führt zur Unklarheit, was damit gemeint ist. <?page no="104"?> 4.2 Versuchsaufbau 105 Eigenschaften Übersetzung Rückübersetzung Anmerkung sportlich 喜欢运动的 machen gerne Sport Eine der deutschen Konnotationen der Eigenschaft bezieht sich auch auf das Aussehen der Menschen, das durch sportliche Bekleidung oder körperliche Kraft geprägt ist. Hier wurde diese Konnotation nicht gewählt, damit sich der Sinnkern des Wortes nicht auf das Äußere beschränkt. stolz 自豪的 man freut sich über seinen Erfolg und zeigt sein Gefühl. In chinesischer Sprache gibt es zwei passende Übersetzungen für die Eigenschaft stolz, nämlich 自豪的 (stolz), 骄傲的 (hochmütig). Hier wurde das positivere Wort genommen, weil die zweite Übersetzung sich von der Konnotation her mit der Eigenschaft arrogant überlappen könnte. stur 顽固的 starrsinnig In chinesischer Sprache kann die Eigenschaft stur auch als eigensinnig übersetzt werden. Weil stur in der Diskussion eher als Angriff und Beleidigung gegenüber anderen angesehen wird, kam es hier zu einer Entscheidung für eine Übersetzung wie starrsinnig mit mehr negativer Ladung als eigensinnig. unberechenbar 捉摸不透的 Gedanken und Verhalten von jemanden kann man nicht im Voraus berechnen. (Man weiß nicht, was jemand machen und denken wird.) Keine Anmerkung Volk von Bauern 农业社会 Agrargesellschaft Hier wurde statt einer direkten Übersetzung von Bauer Landwirtschaft gewählt. Eine direkte Übersetzung kann zu dem Missverständnis führen, dass das Land reich an Bauern ist. Übersetzung und Rückübersetzung stimmen semantisch und konnotativ überein. Tabelle 3: Übersetzung und Rückübersetzung der Eigenschaftsliste mit Konnotationserklärungen <?page no="105"?> 106 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen In drei Fällen zeigt sich auch bei mehrfacher Übersetzung und Rückübersetzung, dass es für die Begriffe philosophische Lebenshaltung , pflichtbewusst und kameradschaftlich keine passende Äquivalenz gibt und diese nicht 1: 1 übersetzt werden können. In einem Fall, nämlich philosophische Lebenshaltung , ist der chinesische Ausdruck noch mehrdeutig und kann von den Probanden unterschiedlich verstanden werden. Alleine dadurch könnten bei der Bewertung Streuungen entstehen. Das tatsächliche Verständnis der Probanden soll mittels qualitativer Interviews näher erfasst werden. 4.2.2 Voruntersuchung Eine Voruntersuchung ist bei interkulturellen Studien wie der vorliegenden Arbeit auf jeden Fall empfehlenswert. Mayring (2001) meint, „überall, wo neue Instrumente entwickelt wurden, sollten sie zumindest an einer kleinen Stichprobe ausprobiert werden“ (Mayring 2001: 11). Breitenbach (1974) hebt die Wichtigkeit der Vorarbeiten vor der Durchführung der eigentlichen Befragung hervor, wobei „Übersetzungskontrollen, semantische Analysen zentraler Begriffe, Kontrolle verschiedener Versuchsleiter-Variablen sowie kulturspezifischer Reaktionsstile der Probanden“ (Breitenbach 1974: 153) durchgeführt werden sollen. Da das Design der Hauptuntersuchung vor der Voruntersuchung noch nicht ganz fertiggestellt war, hatte die Voruntersuchung einerseits den Zweck, die Abarbeitung eines Fragebogens mit einer Eigenschaftsliste mit relativ vielen Items durch die befragten Probanden zu testen. Tests galten der Geduld und Konzentration der Probanden, der Dauer der Bearbeitung sowie der Verständigungsprobleme bei einzelnen Items. Die Voruntersuchung hatte auch den Zweck, den möglichen Gesamtumfang des Fragebogens abzuschätzen. Dieser sollte neben der Eigenschaftsliste noch andere Module enthalten, die mittlere Bearbeitungszeit durch einen Probanden sollte jedoch 30 Minuten nicht überschreiten. Nebenbei wurden auch vorläufige Annahmen im Verlauf der Probeinterviews geprüft, um Inspiration und konkrete Ansätze für das Design der Hauptuntersuchung zu gewinnen. Zusammenfassend bestanden die Ziele der Voruntersuchung darin, • die durchschnittliche Bearbeitungszeit für die Eigenschaftsliste zu ermitteln, • die Durchführbarkeit einer Befragung mit einem erweiterten Fragebogen mit integrierter Eigenschaftsliste zu prüfen, • die Verständlichkeit der Eigenschaftsliste zu prüfen und die Verständigungsprobleme zu erfassen, • Ideen und Inspirationen für das Design der weiteren Fragen im Fragebogen und den Interviews zu gewinnen, <?page no="106"?> 4.2 Versuchsaufbau 107 • zu testen, ob die für die Forschungsprobleme relevanten Fragen von den Probanden im Interview beantwortet werden können. Die Voruntersuchung wurde mit 53 chinesischen Probanden durchgeführt, zum großen Teil im März 2015 mit 46 Probanden in Chongqing sowie mit 7 Probanden im April 2015 in Deutschland. Die Gruppe der Probanden bestand aus Deutschstudierenden und chinesischen Deutschlehrerinnen der Fremdsprachenuniversität Sichuan (SISU) sowie weiteren Probanden aus dem Freundes- und Verwandtenkreis im Alter von 21 bis 59. Letztere hatten direkt nichts mit Deutschland und den Deutschen zu tun. Die Liste wurde in einem ersten Durchlauf als Papier an kleine Gruppen von jeweils drei bis fünf Teilnehmern verteilt. Die insgesamt 53 Teilnehmer bekamen die Aufgaben, auf der ins Chinesische übersetzten Eigenschaftsliste anzukreuzen, welche Eigenschaften ihren Meinungen nach auf die Deutschen zutreffen und danach die fünf typischsten Eigenschaften auszusuchen und von eins bis fünf zu priorisieren. Anschließend sollten sie die Items markieren, deren Konnotationen sie nicht sofort verstehen konnten oder die sie für ungeeignet zur Beschreibung der Eigenschaften der Deutschen hielten. Die Befragungszeit bei jeder Gruppe bzw. jedem einzelnem Probanden wurde von der Versuchsleiterin und Verfasserin dieser Arbeit gemessen und notiert. Nach dem Test wurde ein kurzes Gespräch über die Verständigungsprobleme und Meinungen oder Vorschläge zur Verbesserung des Fragebogens geführt. Die Eigenschaftsliste mit 139 Items war auf einem DIN-A4 Papier mit angepassten Zeichengrößen auf einer Seite ausgedruckt worden. Die Bearbeitungsdauer betrug zwischen 10 und 15 Minuten. Ohne den Zeitaufwand für Markierung einiger im ersten Moment unverständlicher Items betrug die Bearbeitungszeit durchschnittlich zwischen 6 und 11 Minuten. Die neue Übersetzung der Eigenschaftsliste wurde dann anhand ihrer Antworten und Kommentare zur endgültigen Version überarbeitet. Eine Beobachtung war, dass die Eigenschaftsliste als lang empfunden wurde. Alle 53 Probanden haben gesagt, dass die Liste recht lang ist und sie Geduld dafür aufbringen mussten. Aufgrund der Anwesenheit der Versuchsleiterin haben sie die Liste trotzdem sehr sorgfältig durchgelesen und genau überlegt ausgefüllt. Es zeigte sich deutlich, dass die Anwesenheit und die Zuverlässigkeit des Versuchsleiters für die Datenqualität dieser Art von Befragung sehr wichtig sind. Diese Erkenntnis führte dazu, dass die Hauptuntersuchung später unter ähnlichen Bedingungen durchgeführt wurde. Von den 53 Probanden wurden mit 27 noch ein zusätzliches Leitfaden-Probeinterview durchgeführt. Für die Probeinterviews wurden keine Tonaufnahmen <?page no="107"?> 108 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen aufgezeichnet, sondern nur Notizen beim Gespräch mitgeschrieben und die Antworten nach den Interviews zusammengefasst. In dem Probeinterview wurden Fragen zu den persönlichen Begegnungen mit Fremdkultur und Deutschland und den Deutschen, den Motivationen zum Sprachenlernen, der Bildung und Änderung ihrer Einstellung gegenüber Deutschland und den Deutschen sowie den Quellen, durch die sie Informationen über Deutschland und die Deutschen bekommen haben, gestellt. Es wurde getestet, ob sich die Probanden noch an ihre früheren Erlebnisse und Eindrücke erinnern und die Konstanz oder die Veränderungen ihrer Einstellungen selbst einschätzen und beschreiben konnten. Erstaunlicherweise konnten alle Interviewprobanden ihre ersten Kontakte zur Fremdkultur und die ersten Eindrücke von Deutschland und den Deutschen genau beschreiben und von ihren wichtigen Schlüsselerlebnissen berichten. Ihre Aussagen haben gezeigt, dass sie ihre Einstellungsentwicklung als eine Serie von Eindrücken verstehen. Die Antworten zu den sie prägenden Erlebnissen beinhalteten sowohl Wissen als auch Emotionen. Dies wurde z. B. durch die Beschreibung und Bewunderung der deutschen Architektur verdeutlicht. Ein anderes Beispiel ist die Faszination über das „deutsche Märchen“, das sich anlässlich der Fußball-WM 2006 ergab, d. h. die Solidarität der Teilnehmer untereinander und gegenüber den Deutschen, was insgesamt als Motivation für das Deutschlernen genannt wurde. Die Probeinterviews haben gezeigt, dass eine Selbsteinschätzung der Einstellungsänderung möglich ist und die Probanden die Änderungen auch begründen können. Ein anderes wichtiges Ziel der Probeinterviews bestand darin, die Quellenauswahl zu Informationen über Deutschland und die Deutschen für den Aufbau der Fragen im Fragebogen der Hauptuntersuchung zu gewinnen. Die von den Interviewprobanden genannten Informationsquellen und die Anzahl der Nennungen sind in Tabelle 4 zusammengefasst: <?page no="108"?> 4.2 Versuchsaufbau 109 Quellen Anzahl Nennungen Medien (Blogs, Internet, Nachrichten, Fernsehen, Serien und Filme) 12 Fußball-WM 8 Deutschlanderfahrungen 8 Äußerungen von chinesischen Deutschlehrern 7 Deutsche Produkte 6 Erfahrungen mit deutschen Touristen oder deutschen Freunden 4 Äußerungen von Freunden und Familien 4 Deutsche Lehrer 3 Grimms Märchen 3 Geschichtsunterricht 3 Geschichte 3 Romane 2 Deutsche Lehrbücher 1 Geographieunterricht 1 Deutschunterricht 1 Expo-Besuch 1 Musik 1 Formel-1 1 Tabelle 4: Übersicht über die genannten Informationsquellen in der Voruntersuchung Die oben genannten Quellen wurden zusammengefasst und als ein Teil der Auswahl der Quellenangaben im Fragebogen der Hauptuntersuchung angeboten. 4.2.3 Aufbau des Fragebogens Der Fragebogen folgt der in Kapitel 3 beschriebenen Modellbildung als Messinstrument für Stereotyp und Einstellung (siehe elektronischer Anhang Fragebogen). Der Fragebogen wurde in deutscher Sprache entwickelt, übersetzt und den Probanden in chinesischer Sprache vorgelegt. Die erste Seite des Fragebogens enthält eine kurze Beschreibung, die sich auf das Forschungsthema, Hinweise und Anforderungen zum Ausfüllen, Zusicherung der Anonymität und einen Hinweis zur durchschnittlichen Befragungsdauer bezieht. In der rechten oberen Ecke der ersten Seite unter dem Fragebogentitel wird ein Bereich für die anonyme Identität der Probanden ausgewiesen, in dem Klassennummer, <?page no="109"?> 110 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen Befragungsdatum und Probandennummer, die jeder Proband selbst aus einem Pool beschrifteter Nummernzettel gezogen hat, eingetragen wurden. Jeder Frageblock, im Folgenden als Fragebogenmodul bezeichnet, wird durch eine Überschrift eingeleitet, die den Probanden den Inhalt des darauffolgenden Moduls vermittelt. Im ersten Teil des Fragebogens werden zum Aufwärmen die demographischen Daten der Probanden nach Geschlecht, Alter, Herkunft und Bildungsabschluss mit offenen und Auswahlfragen erhoben. Im Teil zwei geht es um die Fragen zu Lerndauer, Deutschlanderfahrungen und Informationsquellen über Deutschland und die Deutschen. Mit den halboffenen Fragen werden die Probanden aufgefordert, ihre genaue Lerndauer zum Deutschlernen und die Aufenthaltsdauer in Deutschland anzugeben, wenn sie Deutschlanderfahrungen gemacht haben. Modul 3 fragt nach den Quellen, durch die der Proband sich über Deutschland und die Deutschen informiert. Bei dieser Frage wurden zwölf Multiple-Choice- Vorgaben mit Mehrfachnennung zur Verfügung gestellt. Die Multiple-Choice- Vorgaben wurden aus dem von den Probanden genannten Informationsquellen der Voruntersuchung (Kap. 4.2.2 Voruntersuchung ) abgeleitet. Aus dem Ergebnis in Tabelle 4: Übersicht über die genannten Informationsquellen in der Voruntersuchung wurden die folgenden zwölf Quellen herausgearbeitet und für diese Frage als Antwortvarianten angeboten: 1. Medien (inklusive Fernsehen, Internet, Zeitungen, Magazine), 2. Elternhaus oder Freunde, 3. Musik, 4. Literatur, 5. Unterricht in der Schule oder Uni, 6. durch Reisen, 7. durch Arbeit, 8. durch deutsche Produkte, 9. das Lehrbuch, 10. die chinesischen oder deutschen Lehrkräfte, 11. Sport, 12. Ausstellungen und Messebesuche. Andere Quellen, die nicht in den Antwortvarianten enthalten sind, konnten die Probanden unter Sonstiges angeben. Die Eigenschaftsliste von 139 Items von Baur et al. (2014, 2016) bildet ein weiteres Modul des Fragebogens und zusammen mit der anschließenden Bewertung eines jeden genannten Items den Hauptteil der Datenerhebung. Anders als bei Katz und Braly (1935) wird die Bewertung der Items nicht unabhängig in einer ergänzenden Studie durchgeführt, sondern vom individuellen Probanden selbst. Es wird in der Überschrift dieses Moduls klar dargestellt, dass die Probanden bei der Bewertung die Eigenschaften auf die Deutschen beziehen sollen und die vorgegebene Skala zur Beurteilung der Eigenschaften bei den Deutschen verwendet werden soll. Die Bedeutungen der Skalenwerte von -3 bis +3 werden in der Anweisung beschrieben. Damit wird die Intervallskala mit einer Ordinalskala unterlegt (siehe Kap. 5.3.2 Bewertungsrichtung und -intensität der Eigenschaften ). Eine -3 bedeutet sehr negativ/ sehr schlecht, 0 bedeutet neutral, +3 bedeutet sehr positiv/ sehr gut. Über die Vor- und Nachteile des Skalenwertes „0“ in der Mitte <?page no="110"?> 4.2 Versuchsaufbau 111 der Antwortskala wird in der empirischen Sozialforschung durchaus diskutiert. Mummendey (2003) fasst mehrere Begründungen für ein Weglassen des mittleren Wertes zusammen, dass die antwortende Person diese Auswahl als „eine mittlere Antwortposition, ‚Weiß nicht‘ - Antwort, eine ‚Irrelevanz‘ - Antwort, eine ‚Protest‘ - Antwort und eine Antwort aus Zaghaftigkeit (Unsicherheit)“ (Mummendey 2003: 56 f.) nutzen könnte. Statt „unentschieden“, „meinungslos“ kann die Skala „0“ aber auch eine tatsächliche mittlere Einstellung signalisieren (vgl. Diekmann 2012: 472). Nach Cox (1980) ist „an odd rather than even number of response alternatives preferable under circumstances in which the respondent can legitimately adopt a neutral position“ (Cox 1980: 420). Für die Beurteilung der Eigenschaften bei den nationalen Gruppen spielt die „0“ Option eine wichtige Rolle. Die Probanden sollen nicht gezwungen werden, ihre eigentlichen neutralen Einstellungen gegenüber einer nationalen Gruppe auf die positive oder negative Seite zu versetzen. Die Bewertung überträgt das Gefühl, wie man die Menschen und das Land in der getroffenen Auswahl bestimmter Eigenschaften sieht. Das Gefühl kann auch aus verschiedenen Gründen nach Abwägung zwischen Vor- und Nachteilen neutral sein. In einem weiteren Modul werden die Probanden aufgefordert, unter den bereits ausgewählten Items die fünf typischsten Items auszuwählen, die auf die Deutschen zutreffen. Dabei soll das Item, das für das typischste gehalten wird, mit der Ziffer 1 gekennzeichnet werden, die anderen Items sollen entsprechend ihrer Relevanz von 2 bis 5 in eine Reihenfolge gebracht werden. Die Frage nach diesen TOP-5-Nennungen wurde als Erstes von Katz und Braly (1933) eingeführt. Im Unterschied zum Verfahren von Katz und Bralys (1933) werden die Probanden zusätzlich aufgefordert, die fünf typischsten Items entsprechend ihrer Relevanz zu sortieren. Diese Aufgabe diente dazu, das Bestimmtheitsmaß nach Katz und Braly zu berechnen und auch dazu, die Dynamik dieser Itemqualifikation zu untersuchen (vgl. Kap. 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly und Kap. 5.4.5 Dynamik der TOP-5-Priorisierung in Jahrgängen ). Weil die Fragebogenerhebung in Papierform durchgeführt wurde, musste die Formatierung gut lesbar und das gewünschte Skalenformat im Hinblick auf das Layout und die Länge eines Paper-Pencil-Fragebogens praktisch umsetzbar sein. Ein schnelles Durchlesen und zügiges Antworten sollten den Probanden ermöglicht werden (vgl. Döring/ Bortz 2016: 245). Das Format wurde so angepasst, dass die Eigenschaftsliste mit 139 Items auf einer DIN-A4-Seite gedruckt werden konnte. Der Fragebogen in Papierform hat den Nachteil, dass die von den Probanden angekreuzten Items für weitere Fragen, hier für die Bewertung und für die TOP-5 Auswahl, nicht wie im Online-Fragebogen automatisch wieder gezeigt werden können. Damit die Probanden diese wichtigen Module trotzdem <?page no="111"?> 112 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen zügig abarbeiten konnten, wurden drei Seiten des Fragebogens auf speziellem Papier zum Durchschreiben gedruckt. So konnten die Probanden bei den betreffenden Modulen deutlich sehen, welche Items sie schon angekreuzt hatten, um die TOP-5-Items zu markieren und jedes ausgewählte Item zu bewerten. Durch das spezielle Papier und eine unverrückbare Heftung der Fragebogenseiten wurde die Filterfunktion, die sonst eher beim Online-Fragebogen möglich ist, in Papierform verwirklicht. Das vierte Modul des Fragebogens enthält zwei ankreuzbare „Central Traits“ 23 warmherzig und kaltherzig zur Erfassung der positiven und negativen Gefühle. Die Probanden sollen auf jeweils einer 5-stufigen-Skala einstufen, ob die Deutschen ihrer Meinung nach eher warmherzig oder eher kaltherzig sind. Eins bedeutet die niedrigste Stufe der Warm- oder Kaltherzigkeit, fünf bedeutet die höchste Stufe der Warm- oder Kaltherzigkeit. Das Modul enthält weiterhin die Messung des Gefühls der sozialen Distanz und einiger Handlungsintentionen. In Anlehnung an die Messungsmethode von Bogardus (1928) zum sozialen Abstand wurden hier acht Items entwickelt. Wie in Kapitel 3.1 bereits ausgeführt, verwendete Bogardus (1928) zur Untersuchung der Beziehungen zwischen ethnischen Gruppen eine Soziale-Distanz-Skala. Die sieben Fragen darin sind ein frühes Instrument zur Messung der Verhaltenskomponente auf einer Ordinalskala (vgl. Triandis 1975: 82). Der Ansatz von Bogardus wird hier in angepasster Form benutzt. Die Änderung und damit Anpassung der Items im Vergleich zu denen von Bogardus (1928) werden in der Tabelle 5 dargestellt. 23 „Central Trait“ (Zentrales Persönlichkeitsmerkmal) wird definiert als „[e]in dispositionales Merkmal, das bei Betrachtern den Gesamteindruck von einer Persönlichkeit maßgeblich beeinflusst“ ( Jonas et al. 2014: 68). Asch (1946) führte ein Experiment zur Untersuchung des Prozesses der Eindrucksbildung durch, wobei die Probandengruppen aufgefordert wurden, anhand von zwei fast identischen Adjektivlisten, in denen sich nur zwei Adjektive warm und cold voneinander unterschieden, den Eindruck von einer Zielperson zu beschreiben. Weitere Experimente mit anderen Begriffen zeigten, dass diese nicht im gleichen Maß zu unterschiedlichen Eindrücken führten (vgl. Asch 1946: 264), sodass diese Eigenschaften warm und cold „als zentrale Persönlichkeitsmerkmal[e] angesehen [werden], [die] die Wahrnehmung der gesamten Persönlichkeit der Zielperson beeinfluss[en]“ ( Jonas et al. 2014: 68). <?page no="112"?> 4.2 Versuchsaufbau 113 sieben Items von Bogardus acht Items der vorliegenden Arbeit Vergleich 1. to marriage with a member of another race 1. dass ein Deutscher in Ihre Familien einheiratet geändert 2. to having members of another race as chums in one’s social club 2. deutsche Freunde nach Hause einzuladen geändert 3. as neighbors 3. Deutsche als Nachbarn zu haben identisch 4. as members of the same occupation 4. mit Deutschen beruflich zusammenzuarbeiten geändert 5. as fellow citizens 5. in Deutschland zu arbeiten geändert 6. to allowing such persons to enter one’s country as visitors only 6. Deutschland als Tourist zu bereisen geändert 7. to excluding them altogether 7. als Austauschstudent in einer deutschen Familie zu leben geändert 8. für mindestens ein Jahr In Deutschland zu studieren ergänzt Tabelle 5: Itemvergleich zur Messung der sozialen Distanz Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, welche Items auf der Basis der Items von Bogardus angepasst und geändert wurden. Da die Probanden in dieser Untersuchung nach ihren Handlungsabsichten und ihrem Gefühl zur sozialen Distanz gefragt werden sollen, sind die Fragen in zwei semantische Kontexte geteilt, nämlich, die Deutschen in der eigenen Umgebung zu akzeptieren und selber in Deutschland aktiv zu sein. Die zwei Kontexte enthalten je vier Items, in denen die verschiedenen Situationen beschrieben wurden. Abbildung 13 zeigt die relativen sozialen Abstände, wie weit man die andere nationale Gruppe in der eigenen nahen Umgebung akzeptieren kann und wie weit man in andere nationale Gruppe hineingehen will. Im ersten Kontext von Item 1 bis 4 wurde das zweite Item von Bogardus „ob man Leute aus anderen Rassen als persönliche Freunde im eigenen sozialen Club haben möchte“ durch „ob man die deutschen Freunde nach Hause einladen will“ ersetzt. Denn es ist in China nicht üblich, dass man sich aktiv in sozialen Clubs aufhält. Um einen ähnlichen Vertrautheitsgrad zu beschreiben, wird hier stattdessen „deutsche Freunde nach Hause einzuladen“ als Item definiert. Die Items 5 bis 8 befragen, ob man das Land besuchen, in dem Land studieren, sich in deutschen Familien integrieren und in Deutschland arbeiten und länger bleiben will. Die Probanden werden aufgefordert, sich all diese Situationen vorzustellen und ihre potenzielle Handlungsintention auf einer 5-stufigen-Skala von „sehr ungern“ (starke Ablehnung) bis „sehr gern“ (starke Zustimmung) einzuschätzen. <?page no="113"?> 114 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen Abbildung 13: Illustration der Sozialen-Distanz-Skala Abbildung 13 illustriert die Differenz der sozialen Distanz von nah bis fern, wie sie vom jeweiligen Item repräsentiert wird. Die Nummern entsprechen der Aufzählung in Tabelle 5. Als Abschlussfragen sollen die Probanden noch die Wetterbedingungen und ihre Laune während der Befragung angeben. Diese zwei Angaben wurden aufgenommen, um gegebenenfalls einen Hinweis zu bekommen, ob externe oder interne Faktoren die eigene Laune während der Einstellungsmessung beeinflussen. 4.2.4 Fragebogen-Pretest Im Oktober 2015 wurde ein Pretest, in der Literatur auch als Vortest bezeichnet, mit dem fertiggestellten Fragebogen für die Hauptuntersuchung durchgeführt. Nach Bortz und Döring (2006) dient ein experimenteller Vortest dazu, dass die Verständlichkeit der Aufgaben und die Akzeptanz des Designs sichergestellt sowie die Dauer des Versuchs ermittelt werden (vgl. Bortz/ Döring 2006: 356). Aus forschungsökonomischen Gründen wurde der Fragebogen lediglich unter einer kleinen Gruppe von zehn chinesischen Studenten und Promovenden, die in Deutschland studieren, verteilt. Durch den Pretest wurde die Verständlichkeit und Eindeutigkeit von chinesischen Übersetzungen aller Fragen geprüft und die Bearbeitungsdauer ermittelt. Das für den Fragebogen eingesetzte spezielle Papier wurde getestet, ob das Durchschreiben funktioniert und vor allen Dingen das Ankreuzen auf den weiteren Seiten deutlich zu sehen ist. Bei manchen Fragebögen waren die Durchschriften auf der dritten Seite schon schlecht zu sehen. Das führt dazu, dass manche von den Probanden angekreuzte Items bei den weiteren Aufgaben, z. B. bei der Bewertung der Items, übersehen wurden. Beim Pre-Test wurde als Lösung für dieses Problem die Verwendung von normalen Kugelschreibern statt Bleistift oder Füller gesehen. <?page no="114"?> 4.2 Versuchsaufbau 115 Noch eine wichtige Aufgabe des Pretests war zu prüfen, nämlich ob die Aufgabenstellung verstanden wurde, insbesondere, ob die Bewertung der Eigenschaften in Bezug auf die Deutschen gesehen und auf das Kollektiv der Deutschen bezogen wurde. Dieses Grundverständnis ist notwendig, um sowohl den Grad der Wahrscheinlichkeit, dass es diese Eigenschaft unter den Deutschen gibt ( Erwartung ), als auch den gut-schlecht-Wert ( Wert ), wie man die Eigenschaft an sich findet, in einer Single-Response-Bewertung zusammenzufassen (siehe Kap. 3.3.6 Die Bedeutung der Aufgabenstellung für den gewählten Modellansatz und Kap. 3.3.7 Single-Response-Messungen ). Nach dem Pretest wurde jeder Teilnehmer befragt, ob und wie er diese Aufgabe verstanden hat und was die angegebenen Skalen bedeuten. Ihre Antworten zeigten, dass 80 % der Teilnehmer die Aufgaben richtig verstanden und die Bewertungen in der gewünschten Weise auf die Deutschen bezogen haben, während 20 % davon die Skalen als Grad der Zustimmung oder Ablehnung ansahen. Der Grund für dieses Fehlverständnis liegt darin, dass die Test-Probanden die Überschrift dieser Aufgabe zu schnell überflogen und aus der eigenen Vorstellung heraus sowie aufgrund von bisherigen Erfahrungen mit dieser Art häufig benutzter Skalen geantwortet hatten. In China werden ähnliche Skalen am Ende eines jeden Semesters verwendet, um Unterricht und Lehrkräfte zu bewerten. Die Fragen werden dort z. B. so gestellt: „Der Lehrer beantwortet geduldig die Fragen der Studenten“, dann wird von den Studenten auf einer 5- oder 7-stufigen-Skala der Grad der Zustimmung oder Ablehnung zu dieser Feststellung angegeben. Durch dieses Feedback war klar, dass eine persönliche Begleitung und Erklärung während der Fragebogenaktion benötigt wird, um mögliche Missverständnisse und Fehlquellen für die Auswertung der Daten zu beseitigen und die Datenqualität sicherzustellen. Dies wurde später von der Versuchsleiterin selbst und entsprechend instruierten Lehrkräften gewährleistet. 4.2.5 Untersuchungsumfeld an der Universität SISU Da die Verfasserin der vorliegenden Arbeit seit 2010 als Deutschlehrerin an der SISU tätig ist und dadurch auf organisatorische Unterstützung für diese Untersuchung zurückgreifen konnte, wurde aus diesen praktischen Gründen die Universität SISU (Sichuan International Studies University) als Untersuchungsort festgelegt. Im Folgenden werden das Untersuchungsumfeld und die Deutschabteilung vorgestellt, um einen Gesamteindruck vom Lernhintergrund der Untersuchungsgruppe zu vermitteln. Die SISU ist eine staatliche Fremdsprachenuniversität und liegt in der Stadt Chongqing im Südwesten Chinas. Sie wurde im April 1950 als Russischzentrum zur Sprachausbildung der Südwest-Universität für Militärpolitik der Chinesi- <?page no="115"?> 116 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen schen Volksbefreiungsarmee gegründet. Im Lauf der Zeit hat sich die SISU weiterentwickelt, wobei die Sprachausbildung nicht auf das Russische beschränkt blieb, sondern auf viele andere Sprachen erweitert wurde, wie z. B. Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Arabisch, Chinesisch und Asiatisch-afrikanische Sprachen inklusive Japanisch, Koreanisch und Vietnamesisch. Gegenwärtig werden an der SISU elf Fremdsprachen unterrichtet. Sie ist auch die einzige spezialisierte Fremdsprachenuniversität und eines der bedeutendsten Forschungszentren für Fremdsprachenkultur, Außenhandel sowie internationale Fragestellungen im Südwesten Chinas. Um die Chancen der Fremdsprachenausbildung tatsächlich zu nutzen, hat die SISU nach und nach weitere verwandte Disziplinen wie Literaturwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Management, Jura, Pädagogik, Philosophie sowie Kunst und Medientechnologie usw. integriert. Derzeit ist die SISU in 23 akademische Abteilungen und untergeordnete Institute, zwei unabhängige Hochschulen, zwei angehörige Gymnasien und eine internationale Schule organisiert. Die Universität bietet 36 Bachelor-Studiengänge, 26 Master-Programme und ein Promotionsprogramm in fremdsprachiger Sprach- und Literaturwissenschaft an. Die Zahl der Studierenden beträgt heute etwa 15.000. 24 Die SISU nimmt Schüler und Studierende chinaweit aus 28 Provinzen bzw. autonomen Gebieten und sogenannten regierungsunmittelbaren Städten auf. Aus kosten- und lagegünstigen Gründen hat die SISU eine größere Attraktivität für die Schüler und Studierende, die aus der Stadt Chongqing und der Provinz Sichuan kommen. Chongqing liegt am Zusammenfluss von Yangtze, dem längsten Fluss Chinas, und Jiangling Fluss im Südwesten Chinas. 1997 wurde die Stadt von der benachbarten Provinz Sichuan abgetrennt und neben Beijing, Tianjin und Shanghai die vierte regierungsunmittelbare Stadt Chinas. Heutzutage hat Chongqing etwa 30 Millionen Einwohner und ist mit ihrer Fläche des Verwaltungsgebietes von etwa 82.400 Quadratkilometern die größte Stadt der Welt. Durch die günstige Lage am Yangtze ist Chongqing das Wirtschafts- und Industriezentrum im Südwesten Chinas. Die SISU hat zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Stadt viel beigetragen und zahlreiche qualifizierte und sprachkompetente Fachkräfte ausgebildet, die nach dem Studium in vielen Branchen tätig sind, wie z. B. als Diplomaten, Übersetzer/ Dolmetscher, Sprachlehrer, Reiseleiter, Journalisten, Rechtsanwälte und Geschäftsleute. 24 Nach Angaben der China Scholarship Council des chinesischen Bildungsministeriums. (vgl. [http: / / www.csc.edu.cn/ studyinchina/ universitydetailen.aspx? collegeId=292, abgerufen am 12.05.2018]) <?page no="116"?> 4.2 Versuchsaufbau 117 4.2.6 Deutschabteilung der Universität SISU Die Deutschabteilung der SISU ist eine der renommiertesten in China. Die Entwicklung der Abteilung hat eine lange Geschichte. Das Fach Germanistik wurde 1960 in der SISU eingerichtet und 1985 wurde die Deutschabteilung gegründet. 25 Im März desselben Jahres, in dem die Deutschabteilung gegründet wurde, hat die Deutschabteilung das internationale akademische Symposium „Schiller und China“ erfolgreich organisiert. Das war der erste bedeutende Schritt für einen internationalen akademischen Austausch zwischen der Deutschabteilung der SISU und den Germanisten der Welt. Durch die Reform- und Öffnungspolitik hat sich die Deutschabteilung in den 1990er Jahren schnell entwickelt. Ein Magisterstudiengang für Germanistik konnte ab 1997 angeboten werden. Ende der 90er Jahre wurden jährlich 20 Studierende für einen 4-jährigen Bachelorstudiengang aufgenommen. Seit dem Jahr 2000 ist diese Zahl auf 50, 2007 auf 80 gestiegen. Seit 2012 werden jährlich etwa 110 Bachelorstudenten aufgenommen. Die Anzahl der Magisterstudenten ist in der Zwischenzeit ebenso auf etwa 25 pro Jahr gestiegen. Zurzeit hat die Deutschabteilung etwa 420 Bachelorstudenten in vier Jahrgängen und insgesamt 60 Magisterstudenten. Die Deutschabteilung hat im Lauf der Zeit viele Kooperationsbeziehungen mit zahlreichen deutschen Universitäten auf verschiedenen Ebenen aufgenommen, um den akademischen Austausch und den Studentenaustausch sowie die Zusammenarbeit in den Bereichen Fortbildung der Lehrkräfte und Ausbildung der Master- und Bachelorstudierenden aufzubauen und zu vertiefen. Sie hat Vereinbarungen für Austauschprogramme mit der Universität Osnabrück, der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und dem Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf abgeschlossen und jährlich fahren etwa 20 Bachelorstudenten und 10 Magisterstudenten aus der Deutschabteilung nach Deutschland, um dort an den Universitäten und Instituten für einen kürzeren Zeitraum von einem Monat bis zu einem halben Jahr oder auch ein ganzes Jahr lang zu studieren. Durch die enge Kooperationsbeziehung mit dem Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf und mit deren Unterstützung wurde 2013 das Heinrich-Heine-Forschungszentrum der SISU gegründet. Im Jahr 2015 wurde das Zentrum für Deutschlandstudien in der SISU etabliert. Es handelt sich hierbei um eine Ausbildungsbasis des chinesischen Bildungsministeriums für regionale und nationale Forschungen. Es gibt momentan in China nur zwei Zentren für Deutschlandstudien, die es sich zum Ziel gesetzt haben, eine fachübergreifende und interdisziplinäre Erforschung der deutschen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft zu betreiben. 25 Die Zahlen und Informationen über die Deutschabteilung im diesen Abschnitt wurden zitiert nach [http: / / dyx.sisu.edu.cn/ Deutsch.htm, abgerufen am 02.01.2018] <?page no="117"?> 118 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen Im Jahr 2004 wurde das Testzentrum für TestDaF in der SISU eingerichtet. Es ist das einzige Testzentrum im Südwesten Chinas. Als Unterstützer des Testzentrums bietet die Deutschabteilung den an Deutsch und Deutschland Interessierten vielseitige Beratung und Serviceleistungen an. Im Jahr 2008 wurde das Goethe-Sprachlernzentrum an der SISU in Kooperation mit dem Goethe-Institut Peking gegründet. Durch die Konzentration von Testzentrum, Sprachlernzentrum und Deutschinstitut auf dem Campusgelände der SISU ist ein Zentrum mit weitreichenden Erfahrungen hinsichtlich der Erteilung von Deutschunterricht, Lehrerfortbildungen, Prüfungsstrukturen und Unterrichtsdidaktik für die an Deutsch und Deutschland Interessierten entstanden mit vielen Möglichkeiten, in Chongqing eine professionelle Sprachausbildung zu bekommen. Zurzeit sind insgesamt 22 Deutschlehrerinnen und Lehrer an der Abteilung tätig. Außerdem sind drei deutsche Lektoren für Germanistik: eine DAAD-Lektorin und ein Lektor von der deutschen Bosch-Stiftung sowie eine deutsche Austauschstudentin aus der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf hier beschäftigt. Sie werden hauptsächlich für Kurse wie Leseverstehen von Zeitungsartikeln, Kommunikation, Verfassung von Texten eingesetzt und betreuen auch die Abschlussarbeiten von den Studenten im Bachelor- und Magisterstudiengang. Die Deutschabteilung bietet sehr gute Studienbedingungen mit qualifizierten Lehrkräften. Bis jetzt hat sie über 1500 Absolventen mit Bachelorabschluss und 65 mit Mastertitel hervorgebracht, die in verschiedenen Branchen arbeiten und weltweit tätig sind. Die Deutschabteilung hat sich zum Ziel gesetzt, hochqualifizierte Fachkräfte heranzubilden und neben dem fremdsprachlichen Fachwissen auch die interkulturelle Kompetenz der Deutschstudierenden zu entwickeln. 4.2.7 Das Probandenkollektiv der Hauptuntersuchung In der vorliegenden Arbeit werden Stereotype und Einstellungen chinesischer Deutschstudierender zu den Deutschen untersucht. So wie viele solche Studien vorher auch kann die Stichprobe aus Kosten- und organisatorischen Gründen nicht repräsentativ sein. Die Ziehung einer repräsentativen Zufallsstichprobe aus allen chinesischen Deutschstudierenden Chinas einschließlich Auswertung ist für eine Dissertation nicht realisierbar und auch nicht zielführend. Denn es müssen ja zuerst Methodiken entwickelt werden, die dann für repräsentative Untersuchungen eingesetzt werden können. Der empirische Teil der Arbeit wurde mit einem Probandenkollektiv der SISU in Chongqing durchgeführt. Im Folgenden werden die an der Fragebogenerhebung beteiligten Versuchspersonen beschrieben. Es wurde eine Querschnittsuntersuchung aller Studenten im Bachelorstudiengang der deutschen Abteilung in allen vier Jahrgängen durchgeführt. Damit <?page no="118"?> 4.2 Versuchsaufbau 119 sollten unterschiedliche Phasen des Studiums erfasst werden. Durch die Unterstützung seitens der SISU-Leitung und der Lehrkräfte der Universität konnte diese Untersuchung organisiert und durchgeführt werden. An dieser Fragebogenerhebung haben die Bachelorstudenten aus vier Jahrgängen der Deutschabteilung mit 381 Studierenden und einer Klasse der Englischabteilung als Kontrollgruppe mit 26 Studierenden teilgenommen. Tabelle 6 gibt einen Überblick über die Anzahl der Probanden und die gültigen Fragebögen. Es gab acht Fragebögen, die vor der Eingabe in das Datenbanksystem wegen unzureichender Bewertungen aussortiert wurden. Wegen der expliziten Aufgabenstellung und persönlichen Begleitung während der Erhebung betrug die Rücklaufquote 100 % und die genannte Quote ungültiger Fragebögen blieb gering. Die Anzahl der gültigen Fragebögen ergab letztendlich insgesamt 399. Probandengruppe Anzahl der Fragebögen Anzahl der gültigen Fragebögen Hauptgruppe (Deutschstudierende) N=381 N=373 Kontrollgruppe (Englischstudierende) N=26 N=26 Versuchspersonen gesamt N=407 N=399 Tabelle 6: Übersicht über die Anzahl der Fragebögen Die Probanden der Deutschabteilung in allen vier Jahrgängen sind in 16 Klassen verteilt, für jeden Jahrgang gibt es vier Klassen. Zum Zeitpunkt der Fragebogenerhebung hatten die Probanden des 1. Jahrgangs erst zwei Monate lang Deutsch gelernt. In dieser Zeit werden intensiv das deutsche Alphabet und die Phonetik gelernt. Parallel dazu werden einfache, kurze situative Konversationen im Unterricht behandelt. Das Wissen über die deutsche Grammatik und den Wortschatz sind noch sehr gering. Andere kulturbezogene Lehrveranstaltungen wie Landeskunde zu deutschsprachigen Ländern werden im ersten Semester nicht angeboten. Deshalb werden die Probanden des 1. Jahrgangs in dieser Untersuchung als Anfänger betrachtet, die weder über Sprachkenntnisse noch über fachlich kulturelles Wissen verfügen. Es ist natürlich möglich, dass einige Probanden schon zu einem früheren Zeitpunkt in der Schule Deutsch gelernt haben. Diese Informationen werden im Fragebogen erfasst und können im Gruppenvergleich berücksichtigt werden. Die Probanden des 4. Jahrgangs haben fast alle Pflichtveranstaltungen schon abgeschlossen und werden sechs Monate nach der Befragung mit der Abgabe einer Bachelorarbeit ihr Studium beenden. <?page no="119"?> 120 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen In Tabelle 7 wird die Altersstruktur der Untersuchungsgruppe dargestellt. Das Alter der Probanden beträgt zwischen 17 und 23 Jahren. Für jeden Jahrgang wurde ein Durchschnittsalter berechnet. Die Abweichung vom Mittelwert der jeweiligen Altersverteilung in jedem Jahrgang ist gering. Probandengruppe 1. Jahrgang N=109 2. Jahrgang N=108 3. Jahrgang N=84 4. Jahrgang N=72 Kontrollgruppe N=26 Studienfach Germanistik Germanistik Germanistik Germanistik Anglistik Lerndauer des Studiums 2 Monate 1,5 Jahre 2,5 Jahre 3,5 Jahre 2 Monate Durchschnittsalter 18 19 20 21 18 männlich (Anzahl und Prozent) 13 (11,90 %) 16 (14,80 %) 18 (21,40 %) 12 (16,70 %) 4 (15,40 %) weiblich (Anzahl und Prozent) 96 (88,10 %) 92 (85,20 %) 66 (78,60 %) 60 (83,30 %) 22 (84,60 %) Tabelle 7: Übersicht über die Grunddaten der Probanden mit gültigen Fragebögen in jedem Jahrgang Tabelle 7 zeigt auch die ungleiche Geschlechterverteilung. Gemäß langjähriger chinesischer Tradition werden Frauen für geeigneter als Männer gehalten, Fremdsprachenlernen als Studienfach zu wählen und als Übersetzerin und Dolmetscherin zu arbeiten. Männliche Studenten interessieren sich umgekehrt mehr für die naturwissenschaftlichen Fächer. Das führt dazu, dass ein unausgeglichenes Verhältnis zwischen Studentinnen und Studenten in allen Fremdspracheninstituten besteht. Obwohl Männer von den Fremdspracheninstituten sowohl bei der Studienaufnahme als auch bei der Jobsuche bevorzugt werden und vergleichsweise bessere Berufschancen als Frauen haben, besteht das Ungleichgewicht der Geschlechterverteilung. In der Hauptgruppe der Deutschabteilung machen die Studenten 15,8 % aus, während die Studentinnen eine dominierende Mehrheit mit 84,2 % einnehmen. Der Unterschied der Geschlechterverteilung zwischen allen Jahrgängen variiert relativ wenig. Als Kontrollgruppe wurde eine Klasse mit 26 Studenten der Englischabteilung im 1. Jahrgang ausgewählt. Hinsichtlich Alter und Wissen sind sie vergleichbar mit dem 1. Jahrgang der Deutschstudierenden. Auf jeden Fall stellen sie eine Kontrollgruppe ohne Einfluss durch den Deutschunterricht dar. Der Anteil der Studenten und Studentinnen der Kontrollgruppe liegt bei 15,4 % bzw. 84,6 %, was der Geschlechterverteilung der Hauptgruppe entspricht. <?page no="120"?> 4.2 Versuchsaufbau 121 Die Fragebogenerhebung wurde in allen Gruppen ohne Unterschiede auf gleiche Weise durchgeführt. 4.2.8 Durchführung der Fragebogenerhebung Die Fragebogenaktion wurde vom 08. Dezember bis 18. Dezember 2015 in der Fremdsprachenuniversität Sichuan (SISU) durchgeführt. Die Datenerhebung der Untersuchung erfolgte in der zweit- und drittletzten Woche des Wintersemesters im Rahmen einer Unterrichtstunde. Die Studenten wurden vorher nicht informiert, d. h. diese Unterrichtseinheit wurde für sie unvorbereitet durchgeführt, um eine Verfälschung der Ergebnisse durch eine nicht kontrollierbare Vorbereitung auf die Befragung zu vermeiden. Aus forschungsökonomischen Gründen und praktischem Nutzen verschiedener Item-Formate wie z. B. Drag-and-Drop-Aufgaben, Pull-Down-Menüs, Analogskalen mit Schiebereglern usw. wird heutzutage die Online-Befragung bei vielen Sozialforschungen bevorzugt (vgl. Döring/ Bortz 2016: 414). Hier war es schwierig, die große Hauptgruppe, bestehend aus allen Bachelorstudenten von der Deutschabteilung, klassenweise parallel an einer Online-Umfrage per Bildschirm teilnehmen zu lassen. Die Klassen verfügen auch nicht über PCs oder Laptops an jedem Arbeitsplatz, deshalb entfiel die Online-Befragung als Medium. Stattdessen wurden die Fragebögen in Papierform verteilt und die Bearbeitung als Unterrichtseinheit behandelt, als Übung und Beitrag zu einer Forschungsarbeit im interkulturellen Kontext. Im Gegensatz zur selbstadministrierten Online-Befragung mit vergleichsweise leicht möglichem Abbruch z. B. wegen fehlender Motivation (vgl. ebd. 415), ermöglicht die mit großer Ernsthaftigkeit durchgeführte Datenerhebung in der vorliegenden Studie in Begleitung der Versuchsleiterin und der jeweiligen Lehrkräfte innerhalb einer Unterrichtsstunde die Sicherstellung einer möglichst hohen Datenqualität. Die Bachelorstudenten aus allen vier Jahrgängen mit insgesamt 16 Klassen der Deutschabteilung und eine Klasse aus der Englischabteilung haben an dieser Untersuchung teilgenommen. Die Durchführung der Fragebogenaktion wurde von den Leitern und Lehrern des Instituts tatkräftig unterstützt. Vor der Fragebogenerhebung erklärten die Klassenlehrer den Studenten kurz, dass sie an einem wichtigen Forschungsprojekt teilnehmen werden und innerhalb dieser Unterrichtsstunde einen Fragebogen ausfüllen werden. Sie erklärten weiterhin, dass die Daten anonym erhoben und ausschließlich durch das Forschungsprojekt ausgewertet werden. Nach der kurzen Einführung durch die jeweiligen Lehrkräfte stellte die Versuchsleiterin den Probanden das Forschungsthema vor. Ihnen wurde klargemacht, dass es um ihre Meinungen und Eindrücke zu den Deutschen geht und es nicht darum geht, die Deutschen zu loben oder zu positiv oder zu negativ zu beurteilen. Sie wurden gebeten, die <?page no="121"?> 122 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen Fragen nach der Reihenfolge so frei und ehrlich wie möglich zu beantworten, ohne ihre Nachbarn zu fragen. Der Hinweis, dass ihre Fragebögen anonym behandelt werden und ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden, wurde nochmals betont. Der chinesische Fragebogen wurde von einer deutschen Druckerei angefertigt. Der Fragebogen enthielt fünf DIN-A4-Seiten, die zu einem kleinen Block zusammengeleimt waren. Wegen des inneren Zusammenhangs zwischen den Fragen wurden die drei Seiten mit der mehrfach zu bearbeitenden Eigenschaftsliste (Eigenschaften ankreuzen, TOP-5 markieren, angekreuzte Eigenschaften bewerten) auf speziellem Papier zum Durchschreiben gedruckt. Der Pretest des Fragebogens zeigte, dass ein leichtes und nachlässiges Schreiben zur Erkennungsschwierigkeit bei der Dateneingabe und Datenaufbereitung führen kann. Deshalb wurden die Probanden aufgefordert, beim Ausfüllen mit dem Kugelschreiber etwas stärker aufzudrücken. Damit das Fragebogendesign richtig funktioniert und die Unklarheit bei der Dateneingabe vermieden werden, bekamen alle Probanden die gleichen Kugelschreiber mit etwas dickerer Spitze zur Verfügung gestellt. Eigene Stifte waren nicht zugelassen. Für die Vorbereitung auf das Interview nach der schriftlichen Befragung bekam jeder Student eine anonyme Identität, eine Nummer, die er selbst aus einem Pool beschrifteter Nummernzettel ziehen konnte. Für jeden Jahrgang wurden dabei Nummernkreise gebildet, z. B. für den 1. Jahrgang von 1-120, für die erste Klasse des 1. Jahrgangs von 1-30, für die zweite Klasse von 31-60. Durch die Nummernkreise ließen sich später die Klassen und Jahrgänge eindeutig zuordnen. Diese Identitätsnummer mussten sie auf dem Fragebogen eintragen. Nachdem die Fragenbögen abgegeben waren, wurden die Studenten gebeten diese Nummer aufzubewahren oder sich die Nummer anderweitig zu merken. Mithilfe der Identitätsnummer wurden nach Auswertung der Fragebögen später ausgewählte Studenten für das Interview aufgerufen. Auf die aufgerufenen Nummern hin konnten sich die namentlich unbekannten Studenten melden, um am Interview teilzunehmen. Dadurch konnten die Daten der Frage- und Interviewbögen richtig zugeordnet werden. Die gewonnenen Daten sind heute nur noch über die Identitätsnummer zugänglich, die Namen der Befragten bleiben weiterhin anonym. Als zusätzliche Motivation wurde den Probanden versprochen, mit dieser Nummer demnächst an einer Verlosung für kleine deutsche Produkte teilnehmen zu können. Die Verlosung wurde dann auch durchgeführt und hat bei den Teilnehmern nachträglich für viel Spaß an der Forschungsarbeit gesorgt. Das Vorgehen entspricht den „Incentives“ (ebd.) nach Döring und Bortz. Während der Befragung waren der Lehrer oder die Lehrerin der jeweiligen Klasse und die Versuchsleiterin immer anwesend, um die Durchführung der Befragung zu begleiten und dafür zu sorgen, dass die Probanden die Aufgabenstellung verstehen und die Fragebögen vollständig, sorgfältig und selbständig <?page no="122"?> 4.2 Versuchsaufbau 123 ausfüllen. Die Versuchsleiterin achtete besonders darauf, die Meinungen der Probanden nicht tendenziös zu beeinflussen. Die Befragung mit Erklärung und Vorstellung dauerte 25-30 Minuten. Die Rücklaufquote betrug 100 %. 4.2.9 Aufbereitung der Fragebogendaten Von 407 Probanden kamen 407 Fragebögen zurück. Die 407 Fragebögen wurden kopiert und die Kopie in der Deutschabteilung in China archiviert. Die Originale wurden weiterverarbeitet. Für die Datenaufbereitung wurde eine Datenbank angelegt, mit Eingabeformularen, um die Fragebögen zu digitalisieren. Die halboffenen Fragen wurden kodiert. Da die Daten nicht primär elektronisch erfasst wurden, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die manuelle Eingabe fehlerhaft war. Nach Döring und Bortz (2016) muss der Datensatz vor der quantitativen Datenanalyse gründlich von Fehlern bereinigt werden (vgl. Döring/ Bortz 2016: 589). Um hohe Datenqualität für die Auswertung sicherzustellen, wurde im Dateneingabesystem für jede Variable ein Wertbereich mit beschränkten Bedingungen vergeben, um Tippfehler auszuschließen (vgl. ebd.). Außerdem wurden die Datensätze nach der Eingabe von jedem Fragebogen durch Vergleich mit dem originalen Fragebogen mindestens zweimal überprüft. Bei der manuellen Dateneingabe wurde noch geprüft, ob ein offensichtlicher Effekt einer seriellen Bewertung, also der Tendenz, die Bewertungen meherer Items gleich einzustufen, in den Fragebogendaten erkennbar ist. Als unvollständig galt, wenn die wichtigen Fragen nicht oder nur teilweise beantwortet wurden. Für die Forschungsfragen und -ergebnisse ist die Konsistenz der Daten auf Grundlage der Eigenschaftsliste besonders wichtig (Eigenschaften ankreuzen, TOP-5 ausweisen, genannte Eigenschaften bewerten). Die Fragebögen mit fehlenden Werten in diesem Teil mussten aussortiert werden. Es gibt einen Fragebogen, in dem die letzte Frage zur Handlungsintention nicht beantwortet wurde, der aber die Antworten an allen anderen Stellen vollständig enthielt. Dieser wurde trotzdem als verwendbarer Fragebogen angenommen und in die Datenbank eingetragen. Die übrigen 398 Fragebögen sind vollständig ausgefüllt. Der Datenbestand enthält 399 Fragebögen. 4.2.10 Auswertungswerkzeuge Die Daten aller verwendbaren Fragebögen wurden mit der Datenbank „Microsoft Access 2016“ erfasst. Die statistische Auswertung wurde mit den Programmen „Microsoft Excel 2016“, dem aktuellen XLSTAT und SYSSTAT 13 durchgeführt. <?page no="123"?> 124 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen 4.2.11 Interview Als Ergänzung der quantitativen Vorgehensweisen wurde noch eine qualitative Teilstudie durchgeführt, in deren Rahmen einige ausgewählte Probanden aus der Fragebogenerhebung noch einmal ausführlich in Leitfadeninterviews befragt wurden. Dieses Vorgehen mit Vertiefungsmodell nach Mayring (2001), das als ein Mix-Methods-Design bezeichnet wird, dient dazu, die quantitativen Befunde punktuell durch qualitative Daten zu ergänzen und direkt aufeinander zu beziehen und so durch die kombinierte Interpretation in ihrer Gesamtheit vertieft und komplexer zu erfassen (vgl. Döring/ Bortz 2016: 185). Ziel des Interviews ist, die Einstellungsbildung und die Einstellungsentwicklung der individuellen Probanden, die vielseitigen Einflussfaktoren auf ihre Einstellungen sowie die Interpretationen von statistischen Ergebnissen von den Fragebögen zu erfassen. 4.2.11.1 Auswahl der Interviewprobanden Interviewprobanden wurden nach ihrem Einstellungswert (EW) gezielt ausgesucht. Geplant waren zuerst mindestens elf Probanden. Grundlage für die Auswahl war eine Gruppenzugehörigkeit, der Proband sollte dann die Gruppe repräsentieren. Kriterien zur Gruppenbildung waren Deutschlanderfahrung und (Studien-) Jahrgang. Die Auswahl der Probanden wurde wie folgt geplant: 1. Mindestens ein Proband, der noch nicht in Deutschland war und dessen Einstellungswert zu den zehn schlechtesten Einstellungswerten dieser Gruppe gehört. 2. Mindestens ein Proband, der noch nicht in Deutschland war und dessen Einstellungswert zu den zehn besten Einstellungswerten gehört. 3. Mindestens ein Proband aus dem 1. Jahrgang, dessen Einstellungswert unterhalb der schlechtesten Einstellungswerte liegt. 4. Mindestens ein Proband, der Deutschlanderfahrungen hat und einen guten Einstellungswert hat. Seine Aufenthaltsdauer in Deutschland wird berücksichtigt (nicht kürzer als eine Woche). 5. Mindestens ein Proband, der Deutschlanderfahrungen hat und einen schlechten Einstellungswert hat. Seine Aufenthaltsdauer in Deutschland wird berücksichtigt (nicht kürzer als eine Woche). 6. Im 2. und 3. Jahrgang gibt es jeweils zwei Klassen, deren mittlere Einstellungswerte stark abweichend von dem Durchschnittswert aller Probanden sind. Vier Probanden, deren Einstellungswerte beim Mittelwert der jeweiligen Klasse liegen, werden ausgesucht. Sie repräsentieren typische Vertreter aus der besser eingestellten Klasse eines Jahrgangs und aus der schlechter eingestellten Klasse eines Jahrgangs. <?page no="124"?> 4.2 Versuchsaufbau 125 7. Zwei Probanden aus dem 4. Jahrgang, die einen guten oder schlechten Einstellungswert haben, werden ausgesucht, je nachdem, ob sie noch zu erreichen sind. Denn die Studenten aus dem 4. Jahrgang haben ihr Studium schon absolviert und die meisten studieren nicht mehr in der Universität. Auswahl 1-2 Auswahl 3 Auswahl 4-5 <?page no="125"?> 126 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen Auswahl 6 Auswahl 7 Abbildung 14: Häufigkeitsverteilungen der Einstellungswerte von Probanden-Gruppen und Auswahlbereiche für Interviewprobanden Die Abbildung 14 zeigt die Häufigkeitsverteilungen der Gruppen-Einstellungswerte. Aus den hellgrau markierten Bereichen der Verteilungen wurden insgesamt 20 Interviewprobanden nach der Auswertung der Fragebögen in Deutschland ausgesucht. Davon sollten in China dann mindestens elf Probanden befragt werden, je nach Durchführbarkeit der Interviews und Erreichbarkeit der Probanden vor Ort. Da diese anonym waren, d. h. nur ihre Klasse und ihre Fragebogen-Nummer bekannt waren, mussten die betreffenden Klassen nochmals aufgesucht werden und die Probanden mittels der Nummer aufgerufen werden. Da die Durchführung der Interviews organisatorisch jedoch gut gelang, konnten fünf Probanden mehr aufgefunden und gewonnen werden. Insgesamt wurden die folgenden 16 Probanden ausgewählt: <?page no="126"?> 4.2 Versuchsaufbau 127 1. Zwei Probanden, die noch nicht in Deutschland waren und deren Einstellungswerte zu den zehn schlechtesten Einstellungswerten dieser Gruppe gehören. 2. Zwei Probanden, die noch nicht in Deutschland waren und deren Einstellungswerte zu den zehn besten Einstellungswerten gehören. 3. Zwei Probanden aus dem 1. Jahrgang, deren Einstellungswerte unterhalb der schlechtesten Einstellungswerte liegt. 4. Zwei Probanden, die sich für einen Monat bzw. 15 Tage in Deutschland aufgehalten hatten und einen guten Einstellungswert haben. 5. Ein Proband, der sich für einen Monat in Deutschland aufgehalten hatte und einen schlechten Einstellungswert hat. 6. Vier Probanden aus den vier Klassen des 2. und 3. Jahrgangs, deren Einstellungswerte beim Mittelwert der jeweiligen Klasse liegen. 7. Drei Probanden aus dem 4. Jahrgang wurden ausgesucht unter denjenigen, die gerade noch zu erreichen waren: Ein Proband, dessen Einstellungswert ziemlich niedrig war, ein Proband, dessen Einstellungswert sehr hoch war, und ein Proband, dessen Einstellungswert ungefähr bei dem Mittelwert der Einstellungswerte aller Probanden lag, wobei dieser einen Monat Deutschlanderfahrung hatte. Tabelle 8 gibt einen Überblick über die Grunddaten der Interviewprobanden mit dem jeweiligen Einstellungswert. Die Probandennummer ist die Identitätsnummer von jedem Probanden, die aus der Bezeichnung ihrer Jahrgänge, Klassen und der Nummer, die jeder selbst bei der Fragebogenaktion aus einem Pool beschrifteter Nummernzettel gezogen hat, besteht. <?page no="127"?> 128 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen Gesamtzahl der auszuwertenden Probanden: 16 Probandennummer 26 Jahrgang Lerndauer* Früherer Deutschlandaufenthalt Einstellungswert 1-4_92 1 1,5 Semester nein 0,32 1-1_12 1 1,5 Semester nein 0,30 1-2_65 1 1,5 Semester nein 2,84 1-1_9 1 1,5 Semester nein 2,87 2-3_6 2 3,5 Semester nein 1,49 2-1_62 2 3,5 Semester ja, 15 Tage 2,87 2-1_64 2 3,5 Semester nein 1,87 2-1_82 2 3,5 Semester nein 0,44 3-1_17 3 5,5 Semester nein 1,16 3-2_87 3 5,5 Semester nein 1,54 3-4_40 3 5,5 Semester ja, 1 Monat 2,76 3-4_58 3 5,5 Semester nein -0,20 3-3_101 3 5,5 Semester ja, 1 Monat 0,72 4-2_51 4 8 Semester nein 0,67 4-2_37 4 8 Semester ja, 1 Monat 1,70 4-3_41 4 8 Semester nein 2,59 Tabelle 8: Lerndauer, Deutschlanderfahrung und Einstellungswerte der Interviewprobanden * Zum Zeitpunkt der Durchführung der Interviews, ein halbes Jahr nach der Fragebogenaktion. 4.2.11.2 Wahl der Interviewtechnik Für die qualitativen Interviews wurde ein Leitfadeninterview gewählt. Um konkrete Aussagen über bestimmte Sachverhalte zu bekommen, sind Leitfadeninterviews ein produktives methodisches Vorgehen (vgl. Flick 1999: 114). Bei dem Leitfadeninterview werden anhand des Leitfadens offene Fragen gestellt, auf die die Interviewprobanden frei antworten können und der Interviewverlauf 26 Die Interviewprobanden bleiben anonym. Für Bezeichnung jedes Probanden wird eine Probandennummer als Identitätsnummer benutzt, die aus der Bezeichnung ihrer Jahrgänge (1-4), Klassen (1-4) und der Nummer (1-120) besteht, die jeder selbst bei der Fragebogenaktion aus einem Pool beschrifteter Nummernzettel gezogen hatte. <?page no="128"?> 4.2 Versuchsaufbau 129 stärker von den Interviewten gesteuert wird. Der Interviewablauf kann auch je nach Interviewsituation flexibel gestaltet werden, sodass neue Fragen spontan aufgeworfen und weiterverfolgt werden können (vgl. Döring/ Bortz 2016: 365). Der Leitfaden dient als Orientierung bzw. Gerüst für Datenerhebung und Datenanalyse und eröffnet viele Spielräume in den Frageformulierungen, Nachfragestrategien und in der Abfolge der Fragen (vgl. Flick et al. 2012: 351). Durch den konsequenten Einsatz des Leitfadens wird einerseits die Vergleichbarkeit der Daten erhöht und andererseits gewinnen die Daten Struktur durch die Fragen selbst (vgl. Flick 1999: 114). Dies erleichtert die Datenauswertung und die Vergleichbarkeit der Aussagen unterschiedlicher Interviews. 4.2.11.3 Planung des Leitfadeninterviews Für das Leitfadeninterview wurde eine Reihe von Fragen vorbereitet und der Leitfaden wurde so konstruiert, dass einerseits Daten des Fragebogens im Interview diskutiert werden konnten und andererseits die Einstellungsbildung und die Einstellungsentwicklung der jeweiligen Probanden sowie die vielseitigen Einflussfaktoren auf ihre Einstellungen gegenüber den Deutschen besprochen wurden. Fragen wurden in unterschiedlichen Formaten gestellt, nämlich offen, halbstrukturiert und strukturiert, und wurden auch der Interviewsituation hinsichtlich Wortwahl, Reihenfolge der Fragen und Zusatzfragen angepasst (vgl. Döring/ Bortz 2016: 372). Der Leitfaden soll die Problemstellung der zugrunde liegenden Untersuchung widerspiegeln (vgl. Mayer 2009: 44). Das Interview sollte somit drei Themenbereiche enthalten: 1. Fragen zur Einstellungsbildung und Einstellungsentwicklung einschließlich persönlicher Erfahrungen 2. Fragen zu Informationsquellen zu Deutschland und den Deutschen sowie den möglichen Einflussfaktoren für die Bildung von Meinungen und Einstellungen 3. Fragen zu den Daten des jeweiligen Fragebogens. Einstiegsfragen an die Probanden waren dabei: • ob sie die Fragebögen überlegt ausgefüllt haben • ihre ehrliche Meinung geäußert haben (siehe elektronischer Anhang Interviewleitfaden). Im ersten Teil des Interviews ging es um die persönlichen Begegnungen mit der Fremdkultur Deutschland und den Deutschen: • Wann hatten sie den ersten Kontakt zur Fremdkultur? • Gab es beeindruckende Ereignisse? • Wie wurde ihr erster Eindruck zu Deutschland gebildet? <?page no="129"?> 130 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen • Wie war die Einstellung zu den Deutschen vor dem Deutschlernen? • Hat sich ihre Einstellung zu den Deutschen später verändert? • Warum? Ziel war es auch herauszufinden, ob sich ihre Einstellung im Lauf des Studiums geändert hat und was der Grund dafür sein kann. Dabei wurden auch die Sprachlernabsichten und die Motivationen zum Sprachenlernen abgefragt. Der zweite und dritte Teil des Interviews sollte jeweils von Daten aus den Fragebögen ausgehen, die sechs Monate vorher von den Probanden ausgefüllt worden waren. Darunter wurde auf die bedeutenden Informationsquellen eingegangen, durch die die Einstellung zu Deutschland und den Deutschen gebildet und beeinflusst wurde. Da einige Informationsquellen bereits in den Fragebögen angegeben wurden, wurden die Interviewten gefragt, • was sie genau durch die jeweilige Quelle über Deutschland und die Deutschen erfahren haben, • durch welche Quelle sie am meisten beeinflusst wurden. Weiterhin wurden vorher genannte Items der Eigenschaftsliste besprochen. Um die Aussagen vergleichbar zu machen, wurden zuerst die Items ausgesucht, die von den meisten Interviewprobanden genannt worden waren. Items, auf die mehr als 40 % der Nennungen der Interviewprobanden entfielen, wurden besprochen. • Außerdem wurden von jedem Fragebogen des jeweiligen Interviewprobanden einige auffällige Items zur Besprechung ausgesucht, die entweder besonders positiv oder negativ vom Mittelwert dieser Eigenschaft abwichen. Ziel war es herauszufinden, wodurch diese abweichend negative oder positive Bewertung entstanden ist. • Jeder Interviewte wurde gefragt, warum sie/ er dieses Item typisch für die Deutschen findet, • und woher sie wissen, dass diese Eigenschaft auf die Deutschen zutrifft. • Zu jedem Item sollten sie auch die getätigte Bewertung erklären, • und wie sie das jeweilige Bewertungsintervall auf der Skala ausgewählt haben. • Anschließend sollten die Begründungen ihrer Verhaltensabsichten, die im Fragebogen erfasst wurden, und die zukünftigen Beruf- und Ausbildungspläne nach dem Studium erfragt werden. Interviewprobanden, die Deutschlanderfahrungen angegeben hatten, sollten ein paar Fragen mehr gestellt werden <?page no="130"?> 4.2 Versuchsaufbau 131 • nach dem jeweiligen Anlass, warum sie damals nach Deutschland gefahren waren, • nach besonderen Erlebnissen in Deutschland, • nach möglichen Veränderungen ihrer Einstellung gegenüber Deutschland und den Deutschen nach der Reise. Biographische und demographische Angaben der Interviewprobanden wurden nicht bei dem Interview erhoben, da sie schon bei der Fragebogenaktion schriftlich erfasst worden waren. 4.2.11.4 Durchführung der Interviews Die Interviews, der zweite Teil der Untersuchung, wurden ein halbes Jahr nach der Fragebogenaktion im Sommersemester 2016 an der Fremdsprachenuniversität Sichuan (SISU) durchgeführt. Die Probanden zum Interview wurden gezielt, aber anonym, nach ihrem Einstellungswert (EW) ausgesucht. Das Interview wurde den Probanden vorher nicht angekündigt. Ihre anonyme Identitätsnummer wurde jeweils im Rahmen einer Unterrichtsstunde in der aufgrund des Nummernkreises bekannten Klasse von der Versuchsleiterin aufgerufen und die entsprechenden Probanden wurden zu einem Interview als einer weiteren Untersuchungseinheit eingeladen. Die geplanten elf Probanden (Mindestanzahl) wurden problemlos identifiziert, zusätzlich wurden fünf weitere Probanden aus den oben genannten Gruppen mit den vorgesehenen Bereichen der Verteilungen der Bewertung, siehe Kap. 4.2.11.1 Auswahl der Interviewprobanden , befragt. Über die Zielsetzung des Interviews wurden alle Probanden kurz aufgeklärt, damit sie auch die Gelegenheit ergreifen konnten, ihre Meinungen zu äußern. Die ausgesuchten Probanden haben alle freiwillig an dem zweiten Teil der Untersuchung teilgenommen. Termine für die Interviews wurden mit jedem Probanden direkt nach der Identifizierung abgesprochen. Vor der Durchführung der Interviews wurde angekündigt, dass das Gespräch als Tonaufnahme aufgezeichnet wird, ausschließlich der Aufzeichnung der Transkription dient und vor anderweitiger Verwendung geschützt wird. Die ca. 30-40-minutigen Interviews wurden im direkten Gespräch von Angesicht zu Angesicht durchgeführt und fanden alle auf dem Unicampus statt. Vor Beginn des Interviews wurden alle Interviewprobanden aufgefordert, sich möglichst genau an ihre Meinungen zu dem Zeitpunkt, als sie den Fragebogen ausgefüllt hatten, zu erinnern und die Antworten auf diesen Zeitpunkt zu beziehen. Am Ende wurden innerhalb von drei Wochen die 16 Probanden interviewt, mehr als die geplante Mindestanzahl. Alle Interviews wurden von der Versuchsleiterin selbst auf Chinesisch durchgeführt. <?page no="131"?> 132 4. Empirisches Forschungsdesign und -vorgehen 4.2.11.5 Dokumentation und Aufbereitung der Daten Vor der Durchführung der Interviews wurde den Interviewten mitgeteilt, dass das Interview als Tonaufnahme aufgezeichnet wird, damit der Interviewer sich auf die Befragung konzentrieren kann. Dies schafft eine flexible Handhabung des Leitfadens (vgl. Mayer 2009: 47). Um die Interviews qualitativ analysieren zu können, ist eine schriftliche Transkription der Audioaufzeichnungen erforderlich. Es stehen unterschiedlich genaue Transkriptionssysteme zur Verfügung, um den Kommunikationsprozess so abzubilden, dass die relevanten Forschungsfragen hinreichend abgedeckt werden (vgl. Dittmar 2009: 209). Aufgrund der Zielsetzung des Interviews wurde eine Form der Teiltranskription gewählt. Da lediglich die inhaltlichen Aussagen zu den Interviewfragen erfasst und miteinander verglichen werden sollten und eine Interpretation der quantitativen Daten der Fragebogenerhebung ergänzt werden sollte, wurden nur die für das Forschungsproblem besonders relevanten Interview- oder Diskussionspassagen wortwörtlich verschriftet und die sonstigen Gesprächspassagen von der Versuchsleiterin summarisch in eigenen Worten zusammengefasst (vgl. Döring/ Bortz 2016: 583). In der Transkription wurde auf Kennzeichnungen nonverbaler und paraverbaler Äußerungen (z. B. Lachen, Husten, Sprechpausen) und aufwendige Notationssysteme verzichtet (vgl. ebd. 367). Denn es ist für die Fragestellung dieser Untersuchungen weder notwendig noch sinnvoll, das gesamte Gespräch akribisch zu transkribieren. Die Aufbereitung der Interviewdaten wurde in den folgenden Schritten durchgeführt: • Vor der Transkription wurde für alle 16 Probanden eine Tabelle mit allen anhand des Leitfadens im Interview gestellten wichtigen Fragenthemen erstellt. • Diese für die Forschungsprobleme relevanten Themen wurden als Erstes in einer verkürzten Form in die obere Beschriftungs-Zeile der Tabelle eingetragen. Neben den wichtigen Themen wurden danach alle Items aus der Eigenschaftsliste, die im Interview besprochen wurden ebenfalls in die obere Zeile eingegeben, sodass die Erklärung zu jedem Item vom jeweiligen Probanden direkt in den Zeilen darunter erfasst wurden. • So entstand eine Matrix von n Spalten mit Themen und Items und 16 Zeilen, eine je Proband. Danach wurde die einzelne Tonaufnahme mehrmals abgehört und die Antworten der Probanden auf Chinesisch transkribiert und in die entsprechenden Felder der Matrix eingeordnet. So wurden die Aussagen der 16 Interviews in die jeweiligen Themenbereiche eingeteilt, damit ein anschaulicher Überblick über das Material zu jedem Thema möglich war und die Aussagen für die fallübergreifende Analyse leichter miteinander verglichen werden konnten. Die transkribierten chinesischen Interviewtexte wurden von der Versuchsleiterin ins Deutsche übersetzt. Zum Zwecke der <?page no="132"?> 4.2 Versuchsaufbau 133 Qualitätssicherung wurde die Übersetzung von der begleitenden Übersetzungskommission überprüft. Die Interviewtexte wurden kodiert und statistisch ausgewertet. Die Texte selbst werden bei Bedarf fallweise in der deutschen Übersetzung herangezogen und somit zitiert. 4.2.11.6 Kodierung der Interviewaussagen Da die Interviews durch den Leitfaden stark vorstrukturiert waren, wurde eine Qualitative Inhaltsanalyse der ins Deutsche übersetzten Interviewtexte in Anlehnung an Kuckartz (Kuckartz 2012: 100) durchgeführt. Die Hauptkategorien wurden aus den Themen des Interviewleitfadens gebildet. Zur Inhaltsanalyse gehören hauptsächlich das Kodieren des gesamten Datenmaterials der Hauptkategorien, dabei werden weitere Subkategorien induktiv bestimmt (vgl. ebd. 59 ff.). Einzelfallanalyse wurden dementsprechend nicht durchgeführt. Das Kodieren orientierte sich an dem von Strauss (1987) und Strauss und Corbin (1996) entwickelten Kodierparadigmas und erfolgte getrennt nach Themen. Die betreffenden Textabschnitte wurden zunächst so reduziert, dass die wesentlichen Inhalte erhalten blieben und daraus einzelne Wörter oder Wortgruppen, die möglichst direkt aus den Texten kamen, als Codes jeder Textpassage zugewiesen werden konnten. Nach Flick (1999) sollen die Codes bei der Kodierung zunächst nahe am Text und später immer abstrakter formuliert sein (vgl. Flick 1999: 197). Im Lauf der Kodierung wurden die Codes aus den Aussagen mit ähnlichen Inhalten immer wieder angepasst. Ähnliche Codes wurden später zu übergeordneten Kategorien gebündelt und bei der fallübergreifenden Analyse weiter untersucht (vgl. Döring/ Bortz 2016: 604 f.). Schließlich wurden die Subkategorien quantitativ ausgewertet und die für Hauptkategorien bzw. Themenbereiche und Fragestellung relevanten Aspekte interpretiert. Die aus dem Theorieteil und der Fragenbogenstudie abgeleiteten Hypothesen wurden mithilfe der Auswertung des Interviewmaterials überprüft. <?page no="134"?> 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten In den folgenden Kapiteln werden die per Fragebogen erhobenen Daten und Messwerte empirisch dargestellt und untersucht. Die in Kapitel 3 Modellbildung hergeleiteten theoretischen Ansätze werden dabei genutzt und diskutiert. Die Daten der kodierten und damit quantifizierten Interviews werden in einem folgenden Kapitel untersucht. Einige Interviewzitate werden in diesem Kapitel eingefügt, um die empirischen Ergebnisse zu illustrieren. 27 5.1 Darstellung der befragten Probanden Die in der Fragebogenstudie erhobenen Daten beziehen sich auf alle Germanistikstudierenden im Bachelorstudiengang der Deutschabteilung der SISU als Hauptgruppe und einer Klasse Englischstudierender im 1. Jahrgang der Anglistikabteilung als Kontrollgruppe. Im Folgenden werden die Kopfdaten des Fragebogens mit Informationen über Studien- und Auslandserfahrungen sowie demographischen Angaben der an der Fragebogenstudie beteiligten Probanden dargestellt. Merkmale sind Geschlecht, Alter, regionale Herkunft, Bildungsabschluss, Lerndauer Deutsch und Deutschlanderfahrungen. Die Merkmale wurden mit Auswahl- und offenen Fragen im ersten Teil des Fragebogens erhoben. Alle Teilnehmer der Untersuchung besitzen einen Mittelschulabschluss und wurden durch die nationale Hochschulaufnahmeprüfung (Chinesisch „Gaokao“) von der Universität SISU aufgenommen. Wie zuvor bereits ausführt, dauert das Bachelorstudium im Fach Germanistik an chinesischen Universitäten in der Regel vier Jahre. Dadurch ergeben sich vier Jahrgänge. Tabelle 7: Übersicht über die Grunddaten der Probanden mit gültigen Fragebögen in jedem Jahrgang (Kap. 4.2.7 Das Probandenkollektiv der Hauptuntersuchung ) gibt einen Überblick über die Verteilung von Anzahl, Durchschnittsalter und Geschlechter sowie der jeweiligen Lerndauer jedes Jahrgangs der Hauptgruppe und der Kontrollgruppe. 27 Die in diesem Kapitel eingefügten Interviewzitate werden aus Platzgründen nur in übersetzter Form als Fußnoten angeführt, und zwar in folgendem Format: Probandennummer der Interviewten, Position im Datenblatt, Position in der Audiodatei. Die Äußerungen der Interviewerin während der Interviews wurden in eckigen Klammern markiert. <?page no="135"?> 136 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten 5.1.1 Lerndauer Das Fachwissen der Studierenden nimmt im Verlauf der Studienjahre natürlich zu. Die Lerndauer beinhaltet auch die zunehmende Beschäftigung mit den sprachlichen und kulturellen Themen des Studiums. Damit repräsentiert die Lerndauer auch einen Entwicklungsgradienten für die Bildung und Veränderung der Einstellung der Studierenden gegenüber Deutschland und den Deutschen. Wie oben erwähnt, können die Deutschstudierenden hinsichtlich ihrer Lerndauer in vier offensichtliche Jahrgangs-Gruppen eingeteilt und untersucht werden. Die Lerndauer der Probanden der jeweiligen Jahrgänge zu dem Zeitpunkt der Fragebogenerhebung wurde in Tabelle 7 : Übersicht über die Grunddaten der Probanden mit gültigen Fragebögen in jedem Jahrgang angegeben und in Kapitel 4.2.7 Das Probandenkollektiv der Hauptuntersuchung ausführlich dargestellt. Im Rahmen dieser Querschnittsstudie wurde also eine Vollerhebung aller Germanistik-Bachelorstudenten der SISU durchgeführt. Im Gegensatz zu einer Longitudinalstudie, in der dieselben Probanden mehrfach befragt werden, stehen aber keine echten Zeitreihen zur Verfügung. Dennoch ist die unterschiedliche Lerndauer ein Attribut eines jeden Jahrgangs und damit eines jeden Probanden, das mit Zeitbezug ausgewertet werden kann. 5.1.2 Alter Als Merkmal der kognitiven Reife werden in der Regel auch die Jahrgangsstufe oder das Alter der Probanden erfasst (vgl. Mißler 1999: 156). In der vorliegenden Studie wurden beide Attribute erhoben. Das Alter der Probanden lag zum Zeitpunkt der Erhebung zwischen 17 und 23 Jahren. Aus Tabelle 7: Übersicht über die Grunddaten der Probanden mit gültigen Fragebögen in jedem Jahrgang ist das zunehmende Alter der Probanden entsprechend der Jahrgangsstufe während des Studiums ersichtlich. Die Streuung der Altersverteilung ist in jedem Jahrgang gering, sodass das Alter als Variable durch den Studienjahrgang ersetzt werden kann und hier nicht mehr weiter betrachtet wird. 5.1.3 Geschlecht In Kapitel 4.2.7 Das Probandenkollektiv der Hauptuntersuchung der vorliegenden Arbeit wurde bereits auf das Problem der ungleichen Geschlechterverteilung der Fremdsprachenuniversitäten in China eingegangen. Der dominierende Anteil der weiblichen Studenten an der SISU bleibt bei leichter Streuung in jedem Jahrgang ziemlich identisch. Da etwa 20 Bachelorstudenten (hauptsächlich Studentinnen) <?page no="136"?> 5.1 Darstellung der befragten Probanden 137 aus dem 3. Jahrgang aufgrund der Austauschprogramme zwischen der Deutschabteilung und der Universität Osnabrück sowie der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) während der Befragung in Deutschland studierten, scheint der Anteil der männlichen Studenten im 3. Jahrgang deutlich höher zu sein als der in anderen Jahrgängen. Ein Gruppenvergleich weiblich/ männlich wurde wegen statistisch unterrepräsentierter männlicher Studenten nur kurz betrachtet. 5.1.4 Herkunftsregion Die Abbildung 15 gibt einen Überblick über die Herkunftsregionen der Probanden aus China. Die Studierenden kommen aus 21 Provinzen bzw. drei regierungsunmittelbaren Städten (nämlich Beijing, Tianjin, Chongqing) Chinas. 47 % der Untersuchungsgruppe sind Studenten aus Chongqing, wo die Universität SISU liegt. Mit 11 % die zweitgrößte Gruppe sind Studenten aus der Nachbarprovinz Sichuan. Die beiden Gruppen bilden etwa die Hälfte des Probandenkollektivs. Andere kleinere Gruppen sind Studenten aus allen anderen Provinzen bzw. regierungsunmittelbaren Städten Chinas. Abbildung 15: Verteilung der Herkunft aller Probanden So wie von allen chinesischen Universitäten werden auch von der SISU Quoten für Studenten aus jeder Provinz festgelegt. Dann können sich die Studenten bewerben. Diejenigen, die dem geforderten Notendurchschnitt entsprechen, werden zugelassen. Der Grund dafür, dass die Mehrheit der Studierenden aus <?page no="137"?> 138 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Chongqing und der Nachbarprovinz Sichuan kommt, liegt darin, dass die Universitäten höhere Aufnahmequoten für die lokalen Schüler planen müssen und einen vergleichsweise niedrigeren Notendurchschnitt akzeptieren dürfen. Dadurch werden die jeweiligen lokalen Bildungsressourcen zwar im ganzen Land angeboten und dadurch verteilt, aber es gibt trotzdem eine lokale Priorität. Die vorliegende Studie ist natürlich nicht repräsentativ, aber die Verteilung der Herkunft aller Probanden zeigt, dass die erfassten Stereotype und Einstellungen der Probanden nicht nur rein lokales Wissen, lokale Meinungen und Einflüsse widerspiegeln, sondern solche aus fast ganz China. 5.1.5 Deutschlanderfahrung Insgesamt gab es 53 Probanden (14,21 % der Hauptgruppe, also aller befragen Studenten ohne die Kontrollgruppe), die nach eigenen Angaben einmal in Deutschland waren. Tabelle 9 zeigt die Verteilung der Aufenthaltsdauer in Deutschland von allen Probanden. Die unterschiedlichen Angaben zur Dauer in Tagen oder Monaten wurden einheitlich in Monate umgerechnet, wobei Aufenthaltszeiten, die kürzer als ein Monat waren, in einer Kategorie „weniger als ein Monat“ zusammengefasst wurden. Jahrgang weniger als 1 Monat 1 Monat 2 Monate 10-12 Monate Anteil der Probanden mit Deutschlanderfahrung % 1. Jahrgang 8 1 0 0 8,26 2. Jahrgang 5 0 0 0 4,63 3. Jahrgang 0 15 0 0 17,86 4. Jahrgang 1 16 1 6 33,33 Gesamt 14 32 1 6 14,21 Tabelle 9: Anzahl der Probanden mit Deutschlandaufenthaltserfahrung Wie in Kapitel 5.1.3 bereits erwähnt, gehen im Moment jährlich etwa 20 Studenten aufgrund der internationalen Austauschprogramme mit deutschen Partneruniversitäten für eine Zeit lang nach Deutschland. Die Austauschprogramme bieten den Studenten nach dem Grundstudium zwei Möglichkeiten mit unterschiedlichen Aufenthaltsdauern: Das eine ist ein kurzer einmonatiger Austausch mit Sprachkurs, das andere ein einjähriges Studium von zwei Semestern im Fach Germanistik an einer von zwei deutschen Partneruniversitäten. Da die Austauschprogramme nur für Fortgeschrittene nach dem zweijährigen Grundstudium angeboten werden, finden sich Probanden mit einem oder mehr Monaten Deutschlandaufenthalt hauptsächlich im 3. und 4. Jahrgang. <?page no="138"?> 5.1 Darstellung der befragten Probanden 139 Die Studierenden aus dem 1. und 2. Jahrgang mit kürzerer Aufenthaltsdauer sind höchstwahrscheinlich durch eine private Reise nach Deutschland gelangt, jedenfalls außerhalb der offiziellen Programme. Tabelle 9 zeigt, dass ein Drittel der Probanden aus dem 4. Jahrgang Deutschlanderfahrungen über einen längeren Zeitraum gemacht haben, während es viel weniger Studierende aus den jüngeren Jahrgängen mit diesen Erfahrungen gibt. Die Deutschlanderfahrung ist als Variable interessant, da sie als Primärerfahrung einen Einfluss auf die Einstellung der Probanden gegenüber Deutschland und den Deutschen ausüben kann. Die Dauer der Deutschlanderfahrung wurde jedoch aus forschungsökonomischen Gründen hier nicht als Kriterium für eine Gruppenbildung genutzt. 5.1.6 Kontrollgruppe Die Kontrollgruppe wurde bereits in Kapitel 4.2.7 Das Probandenkollektiv der Hauptuntersuchung vorgestellt. Das Durchschnittsalter entspricht dem der Deutschstudierenden des 1. Jahrgangs. Wie Tabelle 7: Übersicht über die Grunddaten der Probanden mit gültigen Fragebögen in jedem Jahrgang zeigt, ist auch die Größenordnung der Geschlechterverteilung ähnlich. Wie aus Abbildung 16 ersichtlich, deckt die Herkunft der Kontrollgruppe aufgrund der begrenzten Anzahl der Probanden mit acht Provinzen und zwei regierungsunmittelbaren Städten einen kleineren Umfang ab als die gesamte Untersuchungsgruppe. Abbildung 16: Verteilung der Herkunft der Kontrollgruppe Die Kontrollgruppe besitzt nach eigenen Angaben keine deutschen Sprachkenntnisse und Deutschlanderfahrungen, sodass die Kontrollgruppe als <?page no="139"?> 140 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Nicht-Deutschstudierende auf verschiedenen Ebenen der Datenauswertung mit Deutschstudierenden verglichen werden kann. 5.2 Informationsquellen Aus welchen Quellen wissen Sie etwas über Deutschland und die Deutschen? Diese Frage wurde den Probanden im Zusammenhang mit der Eigenschaftsliste auf einem eigenen, vorangestellten Blatt gestellt. Die Frage diente dazu, mehr über die Ursprünge der Überzeugungen zu Deutschland und den Deutschen zu erfahren, die anschließend abgefragt wurden. Die zwölf vorgegebenen Kategorien zu Informationsquellen ergaben sich aus der Voruntersuchung, wobei es die dort am häufigsten frei genannten Informationsquellen waren. Zusätzliche Quellen konnten die Probanden im aktuellen Fragebogen als Sonstiges angeben. Die Informationsquellen werden mit der Anzahl der Nennungen und der entsprechenden Prozente nach ihrer Häufigkeit aufgelistet, Mehrfachnennungen waren möglich. Die Relevanz der Quellen wurde nicht im Fragebogen mit Skalen abgefragt, sondern im Interview mit einzelnen Interviewprobanden besprochen. Die Ergebnisse werden für die Hauptgruppe der Deutschstudierenden und die Gruppe der Nicht-Deutschstudierenden getrennt betrachtet, um Unterschiede zu erkennen. Quellen Anzahl Nennungen Anteil Nennungen % Medien (Fernsehen, Internet, Zeitungen usw.) 360 96,51 Deutsche Produkte 278 74,53 Chinesische oder deutsche Lehrkräfte 271 72,65 Lehrbuch 266 71,31 Unterricht in der Schule oder Uni 265 71,05 Literatur 222 59,52 Sport 156 41,82 Ausstellungen und Messebesuche 143 38,34 Elternhaus oder Freunde 133 35,66 Musik 129 34,58 Reisen 50 13,40 <?page no="140"?> 5.2 Informationsquellen 141 Arbeit 8 2,14 Sonstiges: Filme 3 0,80 Sonstiges: Trickfilm „Hetalia“ 2 - Sonstiges: Talkshow „Jugend aus der Welt“ 1 - Sonstiges: Teilnahme an einem Sommercamp in Deutschland 1 - Sonstiges: WeChatblog 28 1 - Sonstiges: Lehrbuch Geschichte 1 - Sonstiges: Deutsche Austauschschüler in der chinesischen Schule 1 - Sonstiges: Games 1 - Sonstiges: Serien 1 - Sonstiges: Japaner und japanische Literatur 1 - Tabelle 10: Übersicht über die Informationsquellen der Hauptgruppe (nur Deutschlerner) Wie die Tabelle 10 zeigt, nimmt die Quelle Medien mit 360 Nennungen (96,51 %) die erste Stelle ein. Diese Kategorie wurde hauptsächlich auf Internet, Fernsehen, Nachrichten, Zeitung und Magazine usw. bezogen. Das Internet ist in der heutigen Zeit die wichtigste Informationsquelle geworden, besonders für die jüngere Generation, zu der auch die Probanden zählen. Das Internet ermöglicht den Studierenden den Zugang zu Informationen fast jeder Art, wodurch sie zum einen in umfangreichem Maße die neuesten Materialien erhalten und bearbeiten können, zum anderen die Kommunikation zwischen den Teilnehmern erleichtert wird. Interessant sind die Nennungen der deutschen Produkte als zweithäufigste Informationsquelle. In den bisherigen Forschungsarbeiten werden deutsche Produkte kaum als eine Quelle für die Ausbildung von Überzeugungen angesehen. Aufgrund der häufigen Referenz in der Voruntersuchung wurden hier Produkte als Informationsquelle einbezogen. Deutsche Produkte können tatsächlich einen Eindruck von Deutschland und den Deutschen vermitteln. Seit China 2001 der WTO (Welthandelsorganisation) beigetreten ist und freien Handel eingeführt hat, werden viele deutsche Produkte nach China importiert. Bei Gebrauch und Konsum dieser Produkte zeigten sich die besonders guten Qualitätsstandards. Die inzwischen von vielen Chinesen geteilte Meinung „Deutsche Produkte = garantiert gute Qualität“ wirft ein sehr gutes Licht auf das Land und beeinflusst 28 WeChat ist ein in China weitverbreiteter chinesischer multifunktionaler Chat-Dienst für Smartphones. Auf der Plattform kann man Blogs und Artikel veröffentlichen. <?page no="141"?> 142 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Überzeugungen. Die heute nach China importierten Produkte sind schon längst nicht mehr nur auf Autos beschränkt. Von industriellen Bereichen z. B. Maschinenbau oder Chemie bis zu Lebensmitteln, Kosmetik, Bekleidung, Schmuck, Haushaltswaren, Küchengeräten und Luxusmarken sind deutsche Produkte in vielen Marktsegmenten in China zu finden. Abbildung 17 zeigt den Anstieg des Wertes der deutschen Exporte nach China in den Jahren von 2002 bis 2017. Eine größere Veränderung ergab sich 2010 und setzte sich bis heute fort. Im Jahr 2017 hat der Export nach China seinen bisherigen Spitzenwert von ungefähr 86,19 Milliarden Euro erreicht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hat China im Jahr 2016 die USA überholt und war erstmals Deutschlands wichtigster Handelspartner. Die hohe Nachfrage auf dem chinesischen Markt zeigt den Grad der Beliebtheit und der Anerkennung deutscher Produkte. Die Beobachtung, dass sich die Studierenden auch über deutsche Produkte Wissen über Deutschland und die Deutschen erschließen und Produkte zu einer Quelle der Stereotyp- und Einstellungsbildung werden können, ist gut erklärbar. Abbildung 17: Wert der deutschen Exporte nach China von 2002 bis 2017 (in Milliarden Euro) (Quelle: Statista 2018) 29 Wie Tabelle 10 weiter zeigt, machen Lehrer , Lehrbuch und Unterricht fast gleich hohe Anteile aus und zeigen kaum Unterschiede in der Häufigkeit. Weiterhin geben 222 Deutschstudierende an, dass auch das Lesen von Literatur zum Wissen über die Deutschen beigetragen hat - auch das ist eine wichtige Quelle mit relativ viel und über 50 % der gesamten Nennungen. Interessant sind auch die 29 [https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 152360/ umfrage/ deutsche-exporte-nach-china/ , abgerufen am 02.03.2018] <?page no="142"?> 5.2 Informationsquellen 143 relativ zahlreichen 156 Nennungen (41,82 %) von Sport . Wie sich schon bei den Interviews der Voruntersuchung zeigte, entstand das Deutschlandbild bei vielen chinesischen Studierenden erst durch die Fußball-WMs 2006 bis 2014 und wurde dadurch wesentlich geprägt. Etwas mehr als ein Drittel der Befragten bekommen Informationen durch Bekannte und Verwandte in ihrer eigenen Umgebung. Der Anteil dieser Quelle unterscheidet sich in ihrem Anteil der Nennungen wenig von den Kultur-Quellen wie Kunst , Musik und Ausstellungen . Einige Probanden mit Reise- und Deutschlanderfahrungen haben Reise angekreuzt. Ein Proband davon hatte seine Angabe zusätzlich unter Sonstiges mit Sommercamp präzisiert. Die acht weiteren Ergänzungen unter Sonstiges beziehen sich zum großen Teil auf Filme, Internet, Fernsehserien und andere Fernsehsendungen. Vergleich mit der Kontrollgruppe Ein Vergleich zwischen Deutschstudierenden und Nicht-Deutschstudierenden in Tabelle 11 zeigt, dass beide Gruppen Medien und Produkte als häufigste Quellen angeben, 100 % und 65 % bei der Kontrollgruppe. Anders als bei der Hauptgruppe entfällt der Einfluss durch die Lehrer weitgehend. Im Englischunterricht werden die Deutschen dennoch aber ab und zu mit 15 % Anteil vom Lehrer direkt erwähnt. Anders sieht es mit dem Curriculum aus, dort ist Deutschland mit seiner Geschichte und als Wirtschaftsmacht präsenter, das Lehrbuch wird mit 50 % und Literatur mit 42 % Anteil erwähnt. Es dürfte sich dabei auch um Geschichtslehrbücher handeln. Der deutsche Sport interessiert mit 15 % weniger, mit Eltern und Freunden wird mit 27 % etwas weniger über Deutsche und Deutschland gesprochen als bei den Deutschlernern, während Musik (klassisch und Pop) und Ausstellungen und Messen ebenso wie Sport weniger Interesse finden, aber noch deutlich genannt werden. Quellen Anzahl Nennungen Anteil Nennungen Kontrollgruppe % Anteil Nennungen Hauptgruppe % Medien (Fernsehen, Internet, Zeitungen usw.) 26 100,00 96,51 Deutsche Produkte 17 65,38 74,53 Unterricht in der Schule oder Uni 13 50,00 71,05 Lehrbuch 13 50,00 71,31 Literatur 11 42,31 59,52 Elternhaus oder Freunde 7 26,92 35,66 <?page no="143"?> 144 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Musik 6 23,08 34,58 Ausstellungen und Messebesuche 5 19,23 38,34 Sport 4 15,38 41,82 Chinesische oder deutsche Lehrkräfte 4 15,38 72,65 Sonstiges: Serien 1 - - Tabelle 11: Übersicht über die Informationsquellen der Kontrollgruppe (Englischlerner) im Vergleich Zusammenfassend zeigt sich, dass Deutschland und die Deutschen durch Medien und Produkte zumindest bei Universitätsstudenten unabhängig von der Fachrichtung ähnlich präsent sind und die Überzeugungen der Probanden dadurch ähnlich beeinflusst wurden. Danach werden studienfachspezifische Unterschiede deutlich, d. h. bei Unterricht, Lehrbüchern, Literatur, Kultur, Sport bis hin zu direkten Äußerungen der Lehrkräfte nimmt der Einfluss zunehmend ab. Eine Ausnahme bilden Gespräche mit Eltern und Freunden, bei denen die Unterschiede zwischen beiden Gruppen am geringsten sind. Vermutlich spiegelt das die Präsenz Deutschlands durch Medien und Produkte wider, die dann zum Gesprächsthema zwischen Familienmitgliedern und in Freundeskreisen werden. 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste In der vorliegenden Arbeit wird eine offene Eigenschaftsliste (Baur et al. 2014) mit insgesamt 139 Items benutzt, das heißt, es bleibt dem jeweiligen Probanden überlassen, welche Items ausgewählt werden. Jeder Proband erstellt bei der Befragung also seine individuelle Eigenschaftsliste mit unterschiedlichen und unterschiedlich vielen Items. Um diese Listen zu aggregieren und auswertbar zu machen, werden unterschiedliche Verfahren eingesetzt, die hier nochmal im Überblick genannt werden: • Bildung einer Rangfolge nach Häufigkeit (z. B. TOP-12 bei Katz und Braly 1933) • Normierung der Anzahl (z. B. TOP-5 bei Katz und Braly 1933) • Zusammenfassung von Items nach semantischen Gesichtspunkten (z. B. Sodhi/ Bergius 1953: 55), hier durch explorative Faktorenanalyse, um die Dimensionen der Zusammenhänge darzustellen (z. B. Osgood et al. 1957 zur Strukturierung der semantischen Skalen) <?page no="144"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 145 • Bewertung der Items nach einem modifizierten Verfahren nach Fishbein (1963) mit einer Single-Response-Skala von -3 bis +3. Daraus ergeben sich gemittelte Skalenwerte pro Item, pro Faktor und pro Jahrgang, die in diesem Abschnitt dargestellt werden. 5.3.1 Nutzung der offenen Eigenschaftsliste durch die Probanden Die Eigenschaftsliste wurde den Probanden ohne irgendeine Einschränkung der Auswahl von Items angeboten. Bei einer offenen Liste variiert die Anzahl der angekreuzten Items je Probanden stark. Insgesamt gibt es 14.646 Nennungen von 399 Probanden der gesamten Untersuchungsgruppe einschließlich der Kontrollgruppe, im Durchschnitt benutzt jeder 36,7 Items bei einem Min von 5 und einem Max von 78. Diese im Vergleich mit ähnlichen Studien relativ hohe durchschnittliche Anzahl der Nennungen zeigt einerseits das relativ reichliche Wissen der Studierenden über Deutschland und die Deutschen, und andererseits auch, dass die Probanden die Befragung sehr ernst genommen und die Eigenschaften dieser Liste sorgfältig ausgewählt haben. Die 373 Deutschstudierenden der Hauptgruppe nennen insgesamt 13.948 Items, im Durchschnitt benutzt jeder Proband demnach 37,4 Items. Das unten dargestellte Histogramm in Abbildung 18 zeigt die Häufigkeitsverteilung der Anzahl der Items, die von jedem Probanden der Hauptgruppe genannt wurden. Durch die Berechnung der Dichtefunktion der Normalverteilung mit den Datenwerten für Mittelwert und Streuung, die auf der rechten senkrechten Achse angezeigt wird, ergibt sich die Ideal-Kurve. Die grafische Darstellung zeigt, dass das Histogramm der Daten und die ideale Normalverteilung weitgehend deckungsgleich sind, mit einer leichten Schiefe zu den höheren Werten. Die Probanden benutzen, im Vergleich zur Normalverteilung, eher etwas mehr Eigenschaften als etwas weniger. Die häufigste Anzahl der Nennungen liegt zwischen 20 und 40. Die Probanden, die mehr als 50 Items genannt haben, machen ebenfalls einen relativ großen Anteil aus. <?page no="145"?> 146 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Abbildung 18: Häufigkeitsverteilung der Nennungen von Items pro Proband der Hauptgruppe Insgesamt wurden von 139 angebotenen Items der Eigenschaftsliste 134 benutzt. Nicht benutzt wurden die Eigenschaften bestechlich , dekadent , eitel , oberflächlich und ungebildet. 5.3.2 Bewertungsrichtung und -intensität der Eigenschaften Aus der Gesamtliste mit 139 Items wurden 134 Items, die von den Probanden angekreuzt wurden, bewertet. Im elektronischen Anhang 1 werden die Mittelwerte und Standardabweichungen sowie die von allen Probanden gegebenen Min und Max Bewertung eines jeden Items aufgezeigt. Die gemittelte Bewertung pro Item ergibt sich aus den von allen Probanden abgegebenen Bewertungen. Die Mittelwerte pro Item ergeben • eine Reihenfolge der Eigenschaften, wie die Probanden sie sehen, von sehr positiv bis sehr negativ, • ein Maß für die individuelle Bewertung durch einen Probanden, der mehr oder weniger davon abweicht. Die Bewertung eines Items wird durch eine Verortung auf der hier abgebildeten Skala durch Ankreuzen eines der sieben Skalenwerte durchgeführt. <?page no="146"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 147 Dabei kennzeichnet eine Zuordnung nahe der „0“ eine geringere Bewertungsintensität, als eine Zuordnung nahe „-3“ oder „+3“ (vgl. Osgood et al. 1957: 20). Tabelle 12 gibt einen Überblick, wie die mittleren Bewertungen der 134 Items über den Skalenbereichen verteilt sind und wie viele Nennungen es in jedem Skalenbereich gibt. Es gibt insgesamt 48 Items, die auf der negativen Seite der Skala bewertet wurden, zwei mit neutraler Bewertung, und 84 Items, die auf der positiven Seite der Skala bewertet wurden. Es gibt kein Item, das durchschnittlich von allen mit +3 bewertet wurde. Die beste Bewertung hat das Item umweltbewusst mit +2,68, während zwei Items kriminell und faul aufgrund sehr weniger Nennungen mit der identischen Bewertung die schlechteste Mittelwertbewertung -3 erreichen. Deutlich überwiegend mit über 80 % wurden Items mit einer mittleren Bewertung von +1 bis +3 auf der positiven Seite der Skala genannt. Die Anzahl der Nennungen der Items mit einer negativen Bewertung verringerte sich, je negativer die Skala wird. Umgekehrt verhält es sich auf der positiven Seite, d. h. je positiver der Skalenbereich desto höher die Anzahl der Nennungen. Die meisten genannten Eigenschaften in Bezug auf die Deutschen sind positive Eigenschaften und nur etwa 11 % der Gesamtnennungen werden als negativ angesehen. Skalenbereiche -3 -2~-3 -1~-2 -1~0 0 0~+1 +1~+2 +2~+3 +3 Anzahl Bewertung 2 13 22 11 2 8 25 51 0 Anzahl Nennungen 5 142 600 875 237 852 3.335 8.600 0 Anzahl Nennungen in % 0,03 0,97 4,10 5,97 1,62 5,82 22,77 58,72 0,00 Tabelle 12: Verteilung der Anzahl der mittleren Bewertung der Items in der Eigenschaftsliste und die Anzahl der Nennungen jedes Skalenbereiches In dem für die vorliegende Arbeit verwendeten Fragebogen wird jedes einzelne Stereotyp-Item durch den Probanden mit dessen Bewertung kombiniert. In den bisherigen Stereotypenforschungen (z. B. Katz/ Braly 1935, Sodhi/ Bergius 1953) wurde die Bewertung getrennt durchgeführt mit den folgenden, sich daraus ergebenden problematischen Punkten: • Die Bewertung der Eigenschaften wurde in einer separaten Studie von anderen Probanden durchgeführt, nicht von der eigentlichen Untersuchungs- <?page no="147"?> 148 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten gruppe. Damit wurden aber deren „fremde“ Gefühlswerte auf die Untersuchungsgruppe projiziert. • Dieselben oder andere Probanden wurden nach der „sozialen Erwünschtheit“ einer Eigenschaft bei bekannten Personen gefragt, wodurch der Kontext, auf welche soziale Gruppe die Eigenschaften angewendet werden, verloren ging. Damit wurden eher durchschnittliche Bewertungen auf die Untersuchungsgruppe projiziert. In den neueren Studien gab es auch eigene Einschätzungen von den Forschern selbst über die Wertladung einer Eigenschaft (Apeltauer 2002) oder die Beschreibung der Bewertung der Items mit einer möglichen situativen Verwendung durch Muttersprachler (Grünewald 2005). Alle diese Ansätze konnten nur „Ersatzbewertungen“ für die Eigenschaften in Bezug auf die untersuchte soziale Gruppe liefern. Da die Eigenschaftsliste, die Apeltauer (2002) für seine Studie verwendet hat, auf den gleichen Ursprung wie die hier verwendete Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014) zurückgeht, überlappen sich die Items der beiden Studien zum großen Teil. In der folgenden Tabelle 13 werden die quantitativ ermittelten Werte der vorliegenden Studie mit den Einschätzungen von Apeltauer (2002) zur Bewertung einzelner Items durch norwegische Probanden in Bezug auf die Deutschen verglichen. Einerseits zeigt sich teilweise ein hoher Grad an relativer Übereinstimmung. Andererseits wird deutlich, dass eine kombinierte Bewertung wesentlich konkretere Aussagen ermöglicht. Items Bewertungen von Apeltauer (2002) Bewertungen in vorliegender Studie fleißig positiv +2,40 gastfreundlich positiv +2,20 gute Ärzte positiv +2,49 gute Organisatoren/ gut organisiert positiv +2,02 gute Wissenschaftler positiv +2,47 heimatliebend positiv +2,08 höflich positiv +2,47 musikalisch positiv +2,21 Nationalstolz positiv +1,25 ordentlich positiv +1,93 pflichtbewusst positiv +2,65 <?page no="148"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 149 gute Ingenieure/ Techniker eher positiv +2,46 intelligent eher positiv +2,34 Klassenunterschiede eher schwach negativ -1,36 materiell eingestellt eher schwach negativ -0,14 rassebewusst eher negativ -0,61 arm negativ -2,00 diszipliniert negativ +1,78 stur negativ -1,23 trinken viel/ trinkfreudig negativ +0,05 militaristisch stärker negativ -1,40 arrogant stark negativ -1,94 brutal stark negativ -1,78 hinterlistig stark negativ -2,00 Legende keine Abweichung zu Apeltauer Keine Markierung geringe Abweichung zu Apeltauer Markierung hellgrau starke Abweichung zu Apeltauer Markierung dunkelgrau Tabelle 13: Vergleich mit der Bewertung von Apeltauer (2002) Im Falle der Eigenschaften diszipliniert und trinkfreudig wäre eine direkte Übernahme von Apeltauers Einschätzung auf den eigenen Untersuchungskontext nicht korrekt. Der große Unterschied bei der Bewertung dieser beiden Items ist sicherlich auch auf den unterschiedlichen Kulturkreis zurückzuführen. Man erkennt daran, wie wichtig es ist, dass die positiven und negativen Wertungen der Items als Messwerte erfasst werden. Um die Differenzierung bei der Bewertung näher zu untersuchen, werden zunächst die Bewertungen anhand ihres Skalenbereichs vier Kategorien zugeordnet, nämlich „eindeutig positiv“ mit dem Bereich von 0 bis +3, „eindeutig neutral“ mit der Bewertung von 0, „eindeutig negativ“ mit dem Bereich von -3 bis 0, „uneindeutige Wertung“ mit dem Bereich von -3 bis +3. Schwanken die Bewertungen eines Items zwischen negativem und positivem Skalenbereich, wird die Bewertung des Items wegen der wechselnden Bewertungsrichtung als uneindeutig angesehen. Tabelle 14 zeigt, inwieweit alle Probanden in der Richtung der Bewertung übereinstimmen (siehe auch Kap. 3.1 Definitionen zur Definition eines Items). <?page no="149"?> 150 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Wertung der Items Bewertungsdimension Anzahl der Items eindeutig positiv 0 bis +3 52 eindeutig neutral 0 1 eindeutig negativ -3 bis 0 31 uneindeutige Wertung -3 bis +3 17 -2 bis +3 12 -1 bis +3 16 -3 bis +2 3 -3 bis +1 2 Tabelle 14: Überblick über die Verteilung der Bewertungen von 134 Items der Eigenschaftsliste Aus der Tabelle geht hervor, dass die Bewertungsrichtung von 84 Items bei allen Probanden eindeutig ist. Die Bewertungen in unterschiedliche Richtungen, also positiv und negativ, wurden im Rahmen einer Qualitätssicherung nochmal dahingehend näher geprüft, ob Missverständnisse der Probanden oder Unernsthaftigkeit beim Ausfüllen zur Streuung geführt haben könnten. Es wurde daraufhin jedoch nur ein einziger Fragebogen aussortiert, dieses Phänomen ist vielschichtiger. Tabelle 15 zeigt der Vollständigkeit halber alle überhaupt von den Probanden benutzten Items der Eigenschaftsliste mit ihrer Bewertungsrichtung. Einige davon wurden nur selten genannt, z. B. Volk von Bauern mit nur 3 Nennungen (siehe elektronischer Anhang 1), sie spielen daher im Gesamtkontext keine Rolle. eindeutig positiv bewertete Items attraktive Männer ausdauernd dankbar Dichter und Denker ehrlich familienorientiert fleißig fortschrittlich freiheitsliebend freundlich friedlich friedliebend gastfreundlich gesellig großherzig großzügig gut gewachsen gute Ärzte gute Demokraten gute Hausfrauen gute Organisatoren gute Techniker gute Wissenschaftler handwerklich begabt höflich hübsche Frauen humorvoll intelligent kameradschaftlich kinderlieb künstlerisch kultiviert musikalisch natürlich pflichtbewusst reich sauber selbstbewusst sportlich sprachbegabt tapfer tierliebend tolerant umgänglich umweltbewusst unsoldatisch Volk der Zukunft weltmännisch willensstark zielstrebig Zusammengehörigkeitsgefühl zuverlässig <?page no="150"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 151 eindeutig neutral bewertete Items Volk von Bauern eindeutig negativ bewertete Items ängstlich arm arrogant autoritätshörig brutal bürokratisch faul fremdenfeindlich geizig großspurig hinterlistig impulsiv kriminell lässig Massenmenschen maßlos misstrauisch naiv neidisch primitiv rekordsüchtig religiös intolerant rücksichtslos schlechte Demokraten schlechte Politiker schmutzig Überschätzung des Fremden unberechenbar unterwürfig unzuverlässig verschlossen Tabelle 15: Eindeutige Bewertungsrichtungen von Items der Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014) Die folgende Tabelle 16 zeigt Items mit unterschiedlicher Bewertungsrichtung. Der Vollständigkeit halber listen die Tabellen 15 und 16 alle 134 benutzen Items von insgesamt 139 Items der Eigenschaftsliste auf. In der Tabelle 16 wurden zunächst Items mit extrem wenigen Nennungen ( abergläubisch , sentimental , streitsüchtig jeweils mit Nennungen < 10) markiert, sie spielen keine Rolle. Dann wurden seltene Skalenwerte < 10 ebenfalls markiert, um sie, für die an dieser Stelle durchgeführten Überlegungen, ebenfalls „auszublenden“. Danach bleiben in Bezug auf die Bewertung nur wenige klar ambivalente Items übrig. Sie befinden sich alle in der linken Tabellenhälfte und wurden rot markiert : anspruchsvoll , distanziert, gute Soldaten , konservativ , konventionell , rassebewusst , reserviert , traditionsgebunden und trinkfreudig. <?page no="151"?> 152 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten uneindeutige Bewertung von -3 bis +3 Item Mittelwert Anzahl Gesamt -3 -2 -1 0 +1 +2 +3 anspruchsvoll 1,26 247 1 1 14 54 64 74 39 arbeitsfreudig 1,10 185 1 2 6 56 51 41 28 bequem 0,67 12 1 1 3 4 1 2 distanziert -0,68 197 16 26 65 68 14 7 1 fernsehbegeistert -0,06 70 2 1 14 42 6 3 2 gute Politiker 1,73 162 1 23 36 59 43 gute Soldaten 1,19 180 1 10 56 38 35 40 Herrenvolk -0,92 157 20 32 46 43 7 8 1 individualistisch -0,66 70 4 10 24 26 3 2 1 konservativ -0,46 154 5 19 44 69 11 3 3 militaristisch -1,40 47 15 13 7 7 1 1 3 Nationalstolz 1,25 213 3 1 7 62 47 42 51 rassebewusst -0,61 137 20 24 29 33 17 6 8 reserviert 0,29 83 1 1 10 44 18 6 3 stur -1,23 178 20 45 75 35 1 1 1 traditionsgebunden 0,18 171 2 9 23 85 32 14 6 trinkfreudig 0,05 295 8 12 46 162 34 24 9 abergläubisch -0,50 2 1 1 jähzornig -1,89 27 7 13 6 1 Klassenunterschiede -1,33 55 9 15 18 12 1 fanatisch -1,92 25 8 10 5 1 1 rachsüchtig -2,06 18 10 2 4 1 1 diplomatisch 1,63 65 1 1 11 12 23 17 Idealisten 0,45 64 1 9 28 15 8 3 konventionell 0,00 234 14 63 99 37 9 12 Tabelle 16: Unterschiedliche Bewertungsrichtungen und -intensitäten von Items der Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014) <?page no="152"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 153 uneindeutige Bewertung von -3 bis +3 Item Mittelwert Anzahl Gesamt -3 -2 -1 0 +1 +2 +3 leichtlebig 1,36 28 1 1 6 5 9 6 materiell eingestellt -0,14 21 2 5 10 3 1 ordentlich 1,93 253 1 2 32 37 88 93 rational 1,44 273 1 5 59 75 73 60 religiös 0,60 183 5 2 113 22 23 18 revolutionär 0,56 27 1 3 10 7 5 1 ruhmsüchtig -0,25 12 3 2 4 2 1 sentimental -0,43 7 2 2 1 1 1 streitsüchtig -1,00 6 2 3 1 anspruchslos 0,35 17 1 11 3 2 anständig 2,19 191 1 9 34 56 91 diszipliniert 1,78 322 3 51 68 93 107 emotional 1,24 21 1 6 6 3 5 gründlich 2,39 286 1 6 40 73 166 Handelsvolk 1,28 60 1 18 15 15 11 heimatliebend 2,08 201 1 21 25 67 87 korrekt 1,71 203 9 27 41 63 63 modisch 1,33 30 1 10 6 4 9 nüchtern 2,04 300 4 20 56 100 120 philosophische Lebenshaltung 1,62 185 9 30 38 54 54 pünktlich 2,07 252 2 26 41 66 117 schönheitsliebend 1,97 134 1 15 23 43 52 sparsam 1,59 110 4 15 26 42 23 stolz 1,28 126 1 39 34 28 24 treu 2,16 161 1 10 31 40 79 <?page no="153"?> 154 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Wie in Kapitel 6 „Interview“ näher beschrieben wird, spiegeln sich darin folgende Effekte: 1. Der Proband nehmen sich selbst als Maßstab, so finden z. B. Probanden, die sich selbst für anspruchsvoll halten, diese Eigenschaft positiv. 30 Probanden, die weniger ambitioniert sind, nicht von sich selbst oder anderen unter Druck gesetzt werden wollen, bewerten diese Eigenschaft weniger positiv. 31 Das gilt auch für die Eigenschaften distanziert 32 und reserviert , eigentlich nach den Mittelwerten nicht positive Eigenschaften. Distanziert wurde von 11 % der Probanden und reserviert von 33 % positiv gesehen, als gegenseitiger persönlicher Freiraum, den man sich manchmal nehmen muss. Ähnliches gilt für trinkfreudig . 33 2. Die Aufforderung an die Gesellschaft modern zu sein: z. B. im Tripel konservativ , konventionell und traditionsgebunden 34 zeigt sich diese Ambivalenz trotz unterschiedlicher Konnotationen der einzelnen Begriffe. Probanden, 30 Interviewzitat: (Bewertung von anspruchsvoll , +3): Man sieht es an ihren Produkten, dass sie anspruchsvoll sind. Auch unsere Lehrer haben hohe Anforderungen an uns. [Findest du hohe Anforderung sehr gut? ] Ja, wahrscheinlich weil ich selber die „Zwangsvorstellung“ habe, alles immer gut machen zu müssen. ((lachend)). (…) Unsere chinesischen und deutschen Lehrer haben alle hohe Anforderungen an uns. [Das findest du gut? ] Ja, genau. (1-1_9, B2, 20: 59) 31 Interviewzitat: (Bewertung von anspruchsvoll , 0): Ich denke, ich bewerte das nach meiner Lebensweise. Wenn sie hohe Anforderungen an Qualität und Sicherheit der Produkte stellen, finde ich das gut. Aber im Alltagsleben muss man sich nicht bei jeder Sache überfordern . (2-1_64, B3, 18: 25) Interviewzitat: (Bewertung von anspruchsvoll , +1): Sie sind wirklich anspruchsvoll. Manchmal finde ich sie zu anspruchsvoll. Wenn wir hier Hausarbeiten schreiben, haben die deutschen Lehrer Ansprüche an zahlreiche unwichtige Stellen, auf die wir früher gar nicht geachtet haben. Am Anfang war das für uns sehr schwer. Deshalb fand ich sie damals wahrscheinlich zu anspruchsvoll. (3-2_87, B4, 23: 32) 32 Interviewzitat: (Bewertung von distanziert , +2): [Warum findest du Distanz gut? ] (…) Die Deutschen, die ich kenne, halten immer eine bestimmte Distanz. Aber sie werden sich auch gegenseitig ein bisschen freien Raum geben. z. B. in dieser Zeit können wir zusammenbleiben, aber in anderer Zeit möchten sie dann alleine sein, Zeitungen und Bücher lesen oder so. Sie halten immer ein bisschen Distanz. (3-4_40, J2, 24: 41) 33 Interviewzitat: (Bewertung von trinkfreudig , +3): Als ich in Deutschland war, trank ich selber sehr gerne Bier. Ich habe alle Sorten vom deutschen Bier ausprobiert. Ich habe auch gesehen, dass unser Vermieter, das deutsche Paar, auch jeden Tag trinkt. Sie tranken zu jeder Mahlzeit Rotwein oder rosa Wein. [Du hast eine +3 gegeben. Findest du, dass diese Eigenschaft zu einer guten Eigenschaft bei den Deutschen zählt? ] Ja, schon. Weil ich selber gerne Alkohol trinke, deshalb (habe ich so bewertet). (…) Außerdem habe ich nie gesehen, dass sie sich betrinken. Sie trinken Alkohol, um sich zu erbauen und sich ihres Lebens zu erfreuen. Deshalb finde ich es gut . (3-4_40, BR2, 22: 29) 34 Interviewzitat: (Bewertung von traditionsgebunden , -1): Weil sie viel Wert auf ihre traditionellen Feste legen. Das ist ein Vorteil. Aber wenn man zu traditionsgebunden ist, nicht innovativ ist, nicht mit der Zeit Schritt hält, ist das dann nicht so gut. (3-3_101, BQ2, 21: 05) <?page no="154"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 155 die, wie in China verbreitet, jedem neuen Trend gegenüber offenstehen, finden diese Eigenschaften eher negativ. Hinzu kommt ein typisch chinesisches Motto der kommunistischen Partei in China „man muss mit der Zeit Schritt halten“ und „Befreiung von alten Gedanken“. Dies führt zu einer ambivalenten Einstellung gegenüber der Vergangenheit. Die Leistungen der 5000-jährigen Kulturgeschichte Chinas generell stehen außer Frage, Alltagspraktiken und -verhalten sollen jedoch modern sein. 3. Der dritte Effekt ist die unterschiedliche Sicht auf Deutschland als Verursacher des Zweiten Weltkriegs. Die meisten Probanden wissen um Schuld und Sühne der Deutschen und sie sehen das moderne Deutschland im Vordergrund. 35 Die Eigenschaft gute Soldaten wird von ihnen positiv bewertet. Nur im Zusammenhang mit einer vergegenwärtigten Kriegszeit bewerten einige diese Eigenschaft negativ oder neutral. 36 Ähnlich verhält es sich mit der durchschnittlich etwas besser bewerteten Eigenschaft Nationalstolz , die nur vor dem Hintergrund der Kriegsgeschichte negativ oder neutral bewertet wird, ansonsten positiv. 37 In diesem Zusammenhang wird dann manchmal auch die Eigenschaft militaristisch genannt, die bis auf zunächst nicht weiter betrachtete Ausnahmen negativ bewertet wird. 4. Wie später gezeigt wird, gibt es unter den Probanden manchmal eine Assoziation „ Herrenvolk, rassebewusst “ und manchmal „ Herrenvolk, rassebewusst, fremdenfeindlich “. Die Assoziation mit fremdenfeindlich 38 ist immer Bestandteil eines insgesamt sehr schlechten Gesamturteils des betreffenden Proban- 35 Interviewaussagen allgemein zu Geschichte und Krieg 1: (…) [Aber wir wissen, Deutschland hat den Krieg provoziert, hattest du damals auch keinen schlechten Eindruck von dem Land? ] Weil sie ja nicht direkt mit uns Krieg geführt haben. [Deswegen denkst du, dass das nichts macht und die Deutschen auch nicht böse sind? ] Nur jene Deutschen waren damals böse, jetzt sind die Deutschen nicht mehr die Gleichen. Außerdem haben sie ihre Fehler eingestanden, nicht wie die Japaner. (2-3_6, BX2, 3: 07) Interviewaussagen allgemein zu Geschichte und Krieg 2: Im Geschichtsunterricht haben wir die Geschichte im Ersten und Zweiten Weltkrieg gelernt, da habe ich etwas von (Deutschland) erfahren. [Hattest du damals einen besonderen Eindruck von Deutschland? Nicht so gute oder gute Eindrücke? ] Eigentlich bin ich der Meinung, dass die Bevölkerung in jedem Land, das Krieg erlebt hat, friedlich sein soll. Ich habe natürlich einen schlechten Eindruck von Hitler, aber keinen schlechten von Deutschland. [Findest du, dass er kein Repräsentant der deutschen Bevölkerung ist? ] Genau, ich sehe eher die Stärken dieses Landes. (2-1_64, BX3, 2: 16) 36 Interviewzitat: (Bewertung von gute Soldaten, 0): Das ist neutral, z. B. wegen Hitler. Obwohl alle Soldaten ausgezeichnet sind, aber wenn sie von manchen bösen Personen ausgenutzt würden, ist das nicht mehr gut. (4-3_41, V2, 23: 23) 37 Interviewzitat: (Bewertung von Nationalstolz, -3): Wegen der Nazis. Weil sie ja auf andere Länder herabschauen. (2-1_82, AT5, 24: 37) 38 Interviewzitat: (Bewertung von fremdenfeindlich, -3): Wegen des Zweiten Weltkriegs. Der genaue Zeitpunkt fällt mir im Moment nicht ein, das war wo sie die Juden getötet haben. <?page no="155"?> 156 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten den. Das rassebewusst ohne diese negativen Komponenten stellt nur neutral oder sogar positiv fest: Die Deutschen verhalten sich rassebewusst. Damit ist eher ein Kulturbewusstsein gemeint, dass Unterschiede zwischen den Völkern und ihren Kulturen erkannt werden. 5. Auf die vereinzelten besonders guten Bewertungen von eher negativen Eigenschaften wie Herrenvolk , militaristisch und rassebewusst mit +2 und +3 wird in Kapitel 5.5 Modell kohärenter Gruppen näher eingegangen. 5.3.3 Mittelwerte und Streuungen der Eigenschaften Neben dem Mittelwert der Bewertung wird in den folgenden Betrachtungen insbesondere auch die Streuung der Bewertungen einbezogen. „Die Streuung der Merkmalswerte ist die zweite wesentliche Eigenschaft einer Häufigkeitsverteilung.“ (Bourier 2014: 88) Das Streuungsmaß kann zeigen, wie dicht die Merkmalswerte beieinander liegen (vgl. Kosfeld et al. 2016: 109) und damit wie unterschiedlich oder gleich die Urteile der Probanden sind. Die gesamte Streubreite der Bewertung anhand der Skala von -3 bis +3 beträgt 6. Die Standardabweichung der Bewertung aller Items liegt zwischen 0,00 und 3,54. Der Mittelwert der Standardabweichung liegt jedoch bei 1,01. In der deskriptiven Statistik bedeutet eine geringere Streuung der Merkmalswerte einen die Häufigkeitsverteilung besser repräsentierenden Mittelwert (vgl. ebd. 109) oder hier die größere Übereinstimmung der Probanden bei der Beurteilung einer Eigenschaft. Die folgende Tabelle 17 zeigt der Vollständigkeit halber alle 139 Items von Baur et al. (2014) mit ihren statistischen Kennzahlen, die auf einer angenommenen Intervallskala berechnet wurden: • Mittelwert: statistischen Kennzahlen, die auf einer angenommenen Intervallskala berechnet wurden: • Mittelwert: 𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀 𝑖𝑖𝑖𝑖 = ∑ 𝑏𝑏𝑏𝑏 𝑖𝑖𝑖𝑖 𝑛𝑛𝑛𝑛𝑘𝑘𝑘𝑘=1 𝑛𝑛𝑛𝑛 , mit i = Eigenschaft 1…139, k = 1…n (Anzahl Nennungen des Items i), b=Bewertung mit Wertemenge = {-3,-2,-1,0,+1,+2,+3} • Standardabweichung: 𝑆𝑆𝑆𝑆𝑀𝑀𝑀𝑀𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑀𝑀𝑀𝑀 𝑖𝑖𝑖𝑖 = � ∑ (𝑏𝑏𝑏𝑏 𝑖𝑖𝑖𝑖 −𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀 𝑖𝑖𝑖𝑖 ) 𝑛𝑛𝑛𝑛𝑘𝑘𝑘𝑘=1 (𝑛𝑛𝑛𝑛−1) • Anzahl: 𝑛𝑛𝑛𝑛 𝑖𝑖𝑖𝑖 = Anzahl Nennungen der Eigenschaft i • Min: 𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑛𝑛𝑛𝑛 𝑖𝑖𝑖𝑖 = Minimum der Bewertung der Eigenschaft i • Max: 𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀 𝑖𝑖𝑖𝑖 = Maximum der Bewertung der Eigenschaft i , mit i = Eigenschaft 1…139, k = 1…n (Anzahl Nennungen des Items i), b = Bewertung mit Wertemenge = {-3,-2,-1,0,+1,+2,+3} • Standardabweichung: • • Standardabweichung: 𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆 𝑖𝑖𝑖𝑖 = � ∑ (𝑏𝑏𝑏𝑏 𝑖𝑖𝑖𝑖 −𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀𝑀 𝑖𝑖𝑖𝑖 ) 𝑛𝑛𝑛𝑛𝑘𝑘𝑘𝑘=1 (𝑛𝑛𝑛𝑛−1) • Anzahl: n i = Anzahl Nennungen der Eigenschaft i • Min: Min i = Minimum der Bewertung der Eigenschaft i • Max: Max i = Maximum der Bewertung der Eigenschaft i Die farbige Hinterlegung der Werte mit grün, gelb, rot kennzeichnet die Wertebereiche als positiv, noch positiv bis neutral und negativ. Die Streuung bei der Beurteilung kann dem Modellansatz folgend durch zwei Haupt-Einflussgrößen hervorgerufen werden: 1. Jeder Proband hat gedanklich eine eigene Erwartung , dass diese Eigenschaft auf die Deutschen zutrifft (vgl. Kap. 3.3.2 Fishbeins Erwartung-mal-Wert-An- Deshalb finde ich sie fremdenfeindlich. (…). Ich finde, die meisten europäischen Länder sind fremdenfeindlich und sie diskriminieren z. B. Asiaten und Afrikaner. (1-1_12, O2, 19: 11) <?page no="156"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 157 satz ). Die Varianz der Erwartung kann eine Bewertungsrichtung (vgl. Kap. 5.3.2 Bewertungsrichtung und -intensität der Eigenschaften ) nicht umkehren, nur höher z. B. bei +3 oder niedriger z. B. bei 0 ansetzen. 39 2. Jeder Proband beurteilt diese Eigenschaft individuell auf der Grundlage seines Wertesystems, er weist gedanklich einen individuellen Wert zu, der sich von anderen Urteilen unterscheiden kann (vgl. ebd.). Zu welch unterschiedlichen Bewertungen dies führen kann, zeigen insbesondere Eigenschaften mit unterschiedlicher Bewertungsrichtung (vgl. ebd.). 39 Interviewzitat: (Bewertung von pünktlich , 0) [Pünktlich hast du mit 0 bewertet, warum? ] Ich habe nicht besonders wahrgenommen, dass sie pünktlich sind. Wegen der deutschen Lehrer, ich finde nicht, dass sie besonders pünktlich sind. Aber ich habe wiederum gehört, dass die Deutschen sehr pünktlich sind. Deshalb habe ich gewichtet und eine 0 gegeben. (…) Eigentlich nur weil ich das gehört habe. [Findest du diese Eigenschaft für sich alleine eher positiv oder eher negativ? ] Positiv. [Wenn du bei vielen Deutschen gesehen hättest, dass sie pünktlich wären, welchen Punkt von 0 bis +3 würdest du geben? Ich meine, wie gut ist diese Eigenschaft bei den Deutschen, wenn du sicher bist, dass das zutrifft? ] Dann würde ich eine +3 geben. [Nur weil du siehst, dass die deutschen Lehrer nicht so pünktlich sind, hast du die Bewertung abgestuft? ] Genau ((lachend)). (2-1_82, AZ2, 20: 02) Interviewzitat: (Bewertung von zuverlässig , 0) [Du hast zuverlässig mit 0 bewertet, warum? ] Weil ich keine direkten tieferen Kontakte mit Deutschen habe. Aber die Deutschen vermitteln mir so einen Eindruck, dass ich ihnen vertrauen kann. Ich habe einen positiven Eindruck von ihnen. Aber ich habe keine direkten tieferen Kontakte mit Deutschen, deshalb kann ich nicht einfach sagen, dass sie vollkommen zuverlässig sind. Ich war unschlüssig, aber ich denke, zuverlässig trifft auf die Deutschen vielleicht schon zu. [Aber meinst du, dass diese Eigenschaft zu einer vorteilhaften Charaktereigenschaft zählt? ] Ja, richtig. (3-3_101, BW2, 16: 35) <?page no="157"?> Eigenschaft Mwert StAbw Anzahl Min Max Eigenschaft umweltbewusst 2,68 0,64 229 0 3 unsoldatisch friedliebend 2,66 0,69 115 0 3 schönheitsliebend pflichtbewusst 2,65 0,60 302 0 3 humorvoll zuverlässig 2,59 0,69 261 0 3 ordentlich kultiviert 2,55 0,72 298 0 3 hübsche Frauen gute Ärzte 2,49 0,86 165 0 3 gut gewachsen großherzig 2,48 0,76 44 0 3 friedlich höflich 2,47 0,76 300 0 3 gesellig gute Wissenschaftler 2,47 0,88 275 0 3 diszipliniert gute Techniker 2,46 0,88 229 0 3 gute Politiker dankbar 2,45 0,79 66 0 3 korrekt ausdauernd 2,44 0,84 150 0 3 diplomatisch ehrlich 2,43 0,82 138 0 3 philosophische Lebenshaltung kameradschaftlich 2,41 0,81 185 0 3 sparsam fleißig 2,40 0,83 217 0 3 rational zielstrebig 2,40 0,76 96 0 3 reich gründlich 2,39 0,83 286 -1 3 leichtlebig freundlich 2,38 0,81 142 1 3 modisch sportlich 2,38 0,91 271 0 3 Handelsvolk sauber 2,37 0,78 196 0 3 stolz intelligent 2,34 0,89 287 0 3 anspruchsvoll tolerant 2,33 0,78 64 0 3 Nationalstolz kinderlieb 2,32 0,98 82 0 3 emotional natürlich 2,31 0,93 100 0 3 gute Soldaten weltmännisch 2,31 0,76 94 0 3 arbeitsfreudig sprachbegabt 2,29 0,95 140 0 3 bequem fortschrittlich 2,28 0,94 209 0 3 religiös tierliebend 2,26 0,95 89 0 3 revolutionär künstlerisch 2,25 0,94 163 0 3 Idealisten familienorientiert 2,23 1,02 78 0 3 anspruchslos willensstark 2,21 0,94 184 0 3 reserviert attraktive Männer 2,21 1,02 211 0 3 traditionsgebunden musikalisch 2,21 0,95 120 0 3 trinkfreudig großzügig 2,21 0,91 68 0 3 Volk von Bauern Zusammengehörigkeitsgefühl 2,20 0,90 172 0 3 konventionell gastfreundlich 2,20 1,01 59 0 3 fernsehbegeistert Volk der Zukunft 2,20 1,07 224 0 3 materiell eingestellt anständig 2,19 0,93 191 -1 3 ruhmsüchtig treu 2,16 0,98 161 -1 3 sentimental tapfer 2,12 0,95 111 0 3 konservativ umgänglich 2,10 0,90 71 0 3 abergläubisch heimatliebend 2,08 1,01 201 -1 3 rassebewusst Dichter und Denker 2,08 1,05 239 0 3 individualistisch pünktlich 2,07 1,05 252 -1 3 distanziert selbstbewusst 2,06 0,98 201 0 3 unberechenbar nüchtern 2,04 0,99 300 -1 3 Herrenvolk handwerklich begabt 2,03 1,05 40 0 3 gute Organisatoren 2,02 0,91 125 0 3 freiheitsliebend 2,02 1,00 168 0 3 gute Demokraten 2,02 0,99 221 0 3 gute Hausfrauen 2,00 1,05 10 0 3 Tabelle 17: Bewertung der Eigenschaften mit Mittelwert top-down, Standardabweichung, Anzahl und Min-Max <?page no="158"?> Mwert StAbw Anzahl Min Max Eigenschaft Mwert StAbw Anzahl Min Max 1,98 1,25 45 0 3 naiv -1,00 0,00 2 -1 -1 1,97 1,04 134 -1 3 rekordsüchtig -1,00 0,67 10 -2 0 1,94 1,01 53 0 3 streitsüchtig -1,00 1,10 6 -2 1 1,93 1,07 253 -2 3 schlechte Demokraten -1,14 1,21 7 -3 0 1,87 1,14 63 0 3 stur -1,23 1,01 178 -3 3 1,86 1,11 123 0 3 Klassenunterschiede -1,33 1,11 55 -3 2 1,83 1,06 66 0 3 militaristisch -1,40 1,70 47 -3 3 1,82 1,01 17 0 3 maßlos -1,50 0,71 2 -2 -1 1,78 1,10 322 -1 3 impulsiv -1,57 0,53 7 -2 -1 1,73 1,07 162 -3 3 religiös intolerant -1,63 1,21 24 -3 0 1,71 1,17 203 -1 3 verschlossen -1,63 0,93 96 -3 0 1,63 1,18 65 -2 3 bürokratisch -1,64 1,22 14 -3 0 1,62 1,20 185 -1 3 ängstlich -1,67 0,58 3 -2 -1 1,59 1,08 110 -1 3 schmutzig -1,67 0,87 9 -3 0 1,44 1,13 273 -2 3 geizig -1,73 0,79 11 -3 0 1,37 1,22 171 0 3 Massenmenschen -1,75 0,96 4 -3 -1 1,36 1,34 28 -2 3 misstrauisch -1,75 1,06 12 -3 0 1,33 1,32 30 -1 3 brutal -1,78 1,30 9 -3 0 1,28 1,14 60 -1 3 unterwürfig -1,80 1,10 5 -3 -1 1,28 1,12 126 -1 3 jähzornig -1,89 1,05 27 -3 2 1,26 1,19 247 -3 3 fanatisch -1,92 1,04 25 -3 1 1,25 1,34 213 -3 3 arrogant -1,94 0,87 47 -3 0 1,24 1,26 21 -1 3 Überschätzung des Fremden -2,00 1 -2 -2 1,19 1,30 180 -3 3 primitiv -2,00 1 -2 -2 1,10 1,20 185 -3 3 hinterlistig -2,00 1,41 2 -3 -1 0,67 1,67 12 -3 3 großspurig -2,00 1 -2 -2 0,60 1,13 183 -2 3 unzuverlässig -2,00 1,41 2 -3 -1 0,56 1,15 27 -2 3 neidisch -2,00 1,73 3 -3 0 0,45 1,08 64 -2 3 arm -2,00 1 -2 -2 0,35 0,79 17 -1 2 rachsüchtig -2,06 1,26 18 -3 1 0,29 1,02 83 -3 3 autoritätshörig -2,11 0,92 28 -3 0 0,18 1,12 171 -3 3 rücksichtslos -2,20 0,92 10 -3 -1 0,05 1,13 295 -3 3 lässig -2,33 0,82 6 -3 -1 0,00 0,00 3 0 0 fremdenfeindlich -2,34 0,84 64 -3 0 0,00 1,13 234 -2 3 schlechte Politiker -2,60 0,55 5 -3 -2 -0,06 1,02 70 -3 3 faul -3,00 0,00 2 -3 -3 -0,14 1,11 21 -2 3 kriminell -3,00 0,00 3 -3 -3 -0,25 1,48 12 -2 3 -0,43 1,51 7 -2 2 -0,46 1,09 154 -3 3 -0,50 3,54 2 -3 2 -0,61 1,64 137 -3 3 -0,66 1,14 70 -3 3 -0,68 1,18 197 -3 3 -0,92 0,74 48 -2 0 -0,92 1,32 157 -3 3 <?page no="159"?> 160 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Schaut man auf die ersten 5 Top-bewerteten Items umweltbewusst , friedliebend , pflichtbewusst , zuverlässig und kultiviert, so findet man diese auch unter den TOP-20 häufigsten Nennungen, Ausnahme ist friedliebend auf Platz 59 nach Häufigkeit (siehe elektronischer Anhang 1). Gleichzeitig weisen diese Items die geringste Streuung zwischen 0,60 und 0,72 auf, es handelt sich bei allen um jeweils übereinstimmend bewertete, geteilte Stereotype. Im Vergleich mit den TOP-20 der Kontrollgruppe (Anglisten) zeigt sich, dass umweltbewusst und friedliebend dort nicht vorkommen (siehe elektronischer Anhang 2). Auch unter den Deutschlernern werden diese beiden Items erst mit fortschreitenden Jahrgängen, also der Beschäftigung mit Deutschland, häufiger genannt. Demgegenüber gehören pflichtbewusst , zuverlässig und kultiviert zu weitverbreiteten Stereotypen über die Deutschen. Diese Items rangieren in den TOP-20 der Kontrollgruppe und auch in den TOP-20 der Vorstudiengruppe (siehe elektronischer Anhang 4). Daraus kann abgeleitet werden, dass pflichtbewusst , zuverlässig und kultiviert aus allgemeinen Quellen erworben wurden, dagegen umweltbewusst und friedliebend erst durch die Beschäftigung mit Deutschland und den Deutschen. An dieser Stelle sei nochmals auf die in der Literatur diskutierten Unterscheidungen von öffentlichen, privaten, kulturellen, individuellen, sozial geteilten und sozial nicht geteilten Anteilen von Stereotypen verwiesen (vgl. Kap. 2.5.1 Öffentliche und private Anteile der Stereotype ). Keine dieser Definitionen bietet einen praktischen Ansatzpunkt, um eine Eigenschaft als öffentlich geteilten oder privaten Anteil eines größeren, zusammengesetzten Stereotyps oder Bildes zu qualifizieren. Die vorliegende Arbeit beschreibt schon aus ihrem Modellansatz heraus Stereotyp und Einstellung als Prozess, sodass in diesem Zusammenhang auf Definitionen wie die von Leyens et al. (1994: 12), zurückgegriffen wird, die Stereotype als Ergebnis vieler individueller Prozesse sehen. Um eine tatsächliche Unterscheidung zu treffen wird hier die Definition ergänzt: Öffentliche Anteile von nationalen Stereotypen sind immer verbreitet und sozial geteilt. Private Anteile können in begrenzterem Maße innerhalb einer stereotypisierenden Gruppe auch sozial geteilt werden. Dabei entsteht der öffentliche Anteil im Laufe der Zeit durch Einflüsse in der näheren und weiteren Umgebung des Einzelnen, während der private Anteil durch aktive Auseinandersetzung mit der stereotypisierten Gruppe erworben wird. Definition 7: Unterscheidung von öffentlichen und privaten Stereotypanteilen Der Erwerb des privaten Anteils kann sehr unterschiedlich erfolgen, z. B. innerhalb einer Berufsgruppe, eines Studienfachs, innerhalb einer Interessengemeinschaft oder zwischen den Teilnehmern eines Projektes. <?page no="160"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 161 Damit kann die obige Differentialanalyse die Richtigkeit der Hypothese von Katz und Braly bestätigen (vgl. Kap. 2.5.1 Öffentliche und private Anteile der Stereotype ). Bei pflichtbewusst , zuverlässig und kultiviert handelt es sich um einen öffentlichen Anteil der Stereotype, den viele Chinesen teilen, und bei umweltbewusst und friedliebend um einen privaten Anteil, den die Deutschlerner teilen. 5.3.4 Dimensionen und Faktoren der Eigenschaftsliste In den vorherigen Kapiteln wurde die Bewertung als neue Variable bereits vorgestellt. Die individuellen Eigenschaftslisten der Probanden sollen an dieser Stelle auf gemeinsame Strukturen hin untersucht werden, die noch vor der Bewertung entstehen. Bevor Items bewertet wurden, wurden sie in einem ersten Schritt genannt (vgl. Kap. 4.2.3 Aufbau des Fragebogens ). Diese klassische Datenbasis soll hier näher untersucht werden. Fragestellungen dabei sind: • Wie korrelieren Items, d. h. welche Items werden tendenziell zusammen mit welchen anderen genannt? • Welche Itemgruppen können dadurch identifiziert und voneinander abgegrenzt werden? • Welche Charakteristika einer Itemgruppe bilden den semantischen Zusammenhang? Die Faktorenanalyse ist ein strukturentdeckendes Verfahren. Im Gegensatz zu den strukturprüfenden Verfahren erfolgt keine Zweiteilung der Variablen in abhängige, zu erklärende und unabhängige, erklärende Variablen (vgl. Backhaus et al. 2016: 21). „Die Faktorenanalyse findet insbesondere dann Anwendung, wenn im Rahmen einer Erhebung eine Vielzahl von Variablen zu einer bestimmten Fragestellung erhoben wurden und der Anwender nun an einer Reduktion oder Bündelung der Variablen interessiert ist.“ (ebd.) Hier wurde eine Hauptkomponentenanalyse mit Varimax Rotation durchgeführt (vgl. ebd. 419). Zur Abgrenzung sei hier nochmal der Ansatz von Sodhi und Bergius (1953) erwähnt, die ein Ersatzverfahren ohne statistischen Hintergrund, aber mit derselben Zielsetzung, einsetzten. In ihrer Studie arbeiten sie mit einer von ihnen zusammengestellten Eigenschaftsliste mit 206 Items. Um die lange Liste zu strukturieren, wurden die Items zu 13 Kategorien zusammengefasst und für jede Kategorie wurden z. B. die Anteile der Nennungen berechnet. Dadurch konnten die unterschiedlichen stereotypisierten ethnischen Gruppen auf der Grundlage von 13 tatsächlichen Werten verglichen werden, anstelle von 206 möglichen Werten. In einer der neueren Studie von Sato-Prinz (2017) zur Stereotypenforschung und der Veränderung der Deutschlandbilder japanischer Austauschstudierender <?page no="161"?> 162 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten durch Studienaustauschaufenthalte wurde mit Items der Eigenschaftsliste eine Faktorenanalyse durchgeführt, um die Liste auf die dahinterliegenden Dimensionen der Items zu reduzieren (vgl. Sato-Prinz 2017: 77). Die von Sato-Prinz verwendete Eigenschaftsliste mit elf Items wurde so auf drei Dimensionen reduziert. Dadurch können die Untersuchungsgruppen einerseits auf der inhaltlichen eigenschaftsbezogenen Ebene, andererseits aufgrund der Zusammenhänge der Items unter den zusammengefassten Kategorien miteinander verglichen werden. 5.3.4.1 Gewinnung der Faktoren Wegen des im Fragebogen geforderten dichotomen Urteils, ein Item anzukreuzen (explizit gefordert) oder nicht (implizit gefordert), wurde die Faktorenanalyse auf einer dichotomen Skala durchgeführt. Grundlage der benötigten Korrelationen ist das Phi-Maß für dichotome Variablen. Der Informationsgehalt dichotomer Variablen ist aufgrund der Skala selbst stark eingeschränkt. Letztendlich bringt, dies wird im Scree Plot deutlich, jedes Item seinen Faktor mit. Die nach dem Scree-Test optimale Anzahl gemeinsamer Faktoren liegt bei 5 Faktoren, weil die Eigenvalues ab dem 6. Faktor stark abnehmen, wie dies in Abbildung 19 deutlich zu sehen ist. Der Scree-Test kann jedoch übergangen werden, wenn sich bei der Faktorenbildung darüber hinaus weitere gut interpretierbare Faktoren ergeben, insbesondere, wenn es sich um eine explorative Faktorenanalyse handelt, so wie sie hier durchgeführt wird (vgl. Backhaus et al. 2016: 445). Abbildung 19: Scree Plot <?page no="162"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 163 Die explorativ durchgeführte Faktorenanalyse begann mit einem Minimum von 3 Faktoren. Das Ergebnis wurde interpretiert und bewertet. Danach wurden iterativ weitere Analysen durchgeführt, wobei die Anzahl der zu extrahierenden Faktoren um jeweils einen erhöht wurde, also 3, 4… bis zum Maximum von hier 15 Faktoren. Diese Analysesequenz ergab 8 inhaltlich gut interpretierbare Faktoren, während dies für die restlichen 7 Faktoren nicht gilt und sie deshalb nicht weiter berücksichtigt wurden. Tabelle 19 zeigt das fertige Ergebnis, nämlich die Eigenschaften pro Faktor und die Faktorbezeichnungen. Diese wurden frei vergeben, sie sollen die jeweils gebündelten Eigenschaften charakterisieren z. B. als Allgemeine Stereotype , Sozial , Unsozial . Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird der Faktor Allgemeine Stereotype im Folgenden auch verkürzt mit Stereotyp bezeichnet. Der Faktor Sonstige ergab sich nur indirekt aus der Analyse, hier wurden selten genannte Items zusammengefasst, die zu keinem anderen Faktor passten. Abbildung 20: Explorative Faktorenanalyse skizziert den Inhalt der jeweils erhaltenen Faktoren, die sich bei jedem der Analyseschritte 3 bis 15 ergaben, mit Bezug zum fertigen Ergebnis in Tabelle 19. Lesebeispiel: Beim Start der Analyse mit der Anzahl von 3 Faktoren (3 F) bestand das Ergebnis: • aus einem Faktor, der vorwiegend allgemeine stereotype Eigenschaften sammelt, wie sie in Tabelle 19 dem fertig ausdifferenzierten Faktor Stereotyp entsprechen. Der noch nicht ausdifferenzierte Faktor Stereotyp wird hier noch nicht durch Fettschrift hervorgehoben, dies geschieht erst auf Stufe 7 F. Erst dort werden dem Faktor Stereotyp alle die Eigenschaften zugeordnet wie in Tabelle 19. Davor sind auch andere Eigenschaften zugeordnet, die semantisch aber nicht passen. • Das Ergebnis bestand aus einem weiteren Faktor, der deutlich soziale Eigenschaften sammelt, aber auch andere und • einem, der deutlich negative Eigenschaften beschreibt. <?page no="163"?> 164 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Abbildung 20: Explorative Faktorenanalyse Mit der Erhöhung der Faktoranzahl bilden sich weitere interpretierbare Faktoren heraus. • Bei 4 Faktoren (4 F), bildet sich ein Faktor mit deutlich „asozialen“ Eigenschaften heraus • autoritätshörig , brutal , faul , großspurig , lässig , naiv , schmutzig , Überschätzung des Fremden • Dieser Faktor verschwindet mit dem nächsten Schritt mit der Erhöhung auf 5 Faktoren (5 F). Diese zeigen eine weitere Ausdifferenzierung der Faktoren Stereotyp und Sozial , sowie erste Repräsentationen des Faktors Herrenvolk , Unsozial und Unflexibel . • Mit 7 Faktoren (7 F) sind die Faktoren Stereotyp und Sozial weitgehend ausdifferenziert. In Tabelle 18 ist für einen dieser Faktoren, nämlich Unflexibel , die Ausdifferenzierung mit steigender Anzahl von Faktoren in Bezug auf den Faktor Stereotyp im Detail dargestellt. • Mit 3 Faktoren sind alle Eigenschaften des späteren Faktors Unflexibel noch dem Faktor Stereotyp zugeordnet. Die Zahlenwerte sind die Faktorladungen, z. B. 0,206 die Ladung der Eigenschaft distanziert im Faktor Stereotyp . Die Summe aller Faktorladungen beträgt 1,835. Je höher die Faktorladungen, desto ausdifferenzierter sind die dadurch beschriebenen Dimensionen, d. h. desto besser passen die Faktoren. <?page no="164"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 165 • Mit 4 Faktoren teilen sich die Items auf zwei Faktoren auf, Stereotyp und Unsozial mit den Summen 1,822 und 1,897. • Mit 5 bis 8 Faktoren teilen sich die Items auf zwei Faktoren auf, Stereotyp und Unflexibel . Das Item stur verbleibt beim Faktor Stereotyp. • Durch die weitergehende Ausdifferenzierung aller Faktoren ändern sich die Summen, der Faktor Unflexibel wird mit den Summen 3,205 - 3,177 - 3,321 - 3,309 tendenziell immer stärker geladen. • Dies setzt sich fort bis hin zur Summe 3,407 mit 12 Faktoren. Erst dann wechselt das Item stur von Stereotyp zu Unflexibel , der Faktor wird damit als komplett interpretiert. Faktor Unflexibel 3F 4F 4F 5F 5F 6F 6F Anzahl Item Stereotyp Stereotyp Unsozial Stereotyp Unflexibel Stereotyp Unflexibel 198 distanziert 0,206 0,203 0,383 0,078 0,536 0,084 0,508 154 konservativ 0,251 0,249 0,301 0,111 0,544 0,140 0,575 234 konventionell 0,315 0,315 0,130 0,229 0,334 0,250 0,352 83 reserviert 0,233 0,231 0,135 0,141 0,357 0,143 0,333 110 sparsam 0,165 0,164 0,097 0,078 0,329 0,076 0,309 179 stur 0,291 0,291 0,238 0,248 0,244 0,262 0,257 171 traditionsgebunden 0,277 0,276 0,126 0,177 0,377 0,194 0,389 97 verschlossen 0,097 0,093 0,486 -0,005 0,484 -0,007 0,454 Summe Faktorladung 1,835 1,822 1,897 1,058 3,205 1,142 3,177 7F 7F 8F 8F 12F 12F Stereotyp Unflexibel Stereotyp Unflexibel Stereotyp Unflexibel 0,082 0,514 0,071 0,517 0,063 0,422 0,127 0,588 0,123 0,572 0,107 0,616 0,229 0,384 0,224 0,384 0,208 0,454 0,100 0,382 0,087 0,401 0,075 0,371 0,063 0,319 0,055 0,325 0,036 0,288 0,270 0,249 0,272 0,236 0,258 0,329 0,179 0,406 0,180 0,387 0,165 0,452 -0,031 0,479 -0,045 0,489 -0,057 0,474 1,019 3,321 0,967 3,309 0,856 3,407 Tabelle 18: Explorative Entwicklung des Faktors Unflexibel <?page no="165"?> 166 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Bei der Herausarbeitung aller 9 endgültigen Faktoren wurden in Einzelfällen Items mit nächst höheren Ladungen in unterschiedlichen Faktoren demjenigen Faktor zugeordnet, der sich semantisch am besten erklären ließ. Zum Beispiel wurde das Item trinkfreudig vom Faktor Unflexibel mit der Ladung 0,327 in den Faktor Stereotyp mit der nächst höheren Ladung von 0,266 verschoben. In anderen Faktoren betrug die Ladung jeweils nur noch 0,206 - 0,071 oder weniger. Das Ergebnis ist in Tabelle 19 dargestellt. 5.3.4.2 Zusammenfassung Faktorgewinnung Die explorative Faktorenanalyse besteht im Kern also aus zwei Prozessen, nämlich der iterativen multivariaten Analyse einerseits und der parallel laufenden semantischen Evaluation der Ergebnisse andererseits. Die im Vergleich zu typischen naturwissenschaftlichen Datenkonstellationen eher geringen Faktorladungen sind der Tatsache geschuldet, dass aufgrund der offenen Eigenschaftsliste die resultierenden individuellen Eigenschaftslisten der Probanden unterschiedlich strukturiert sind. Üblich ist z. B. die Vorgabe von 1…n Variablen, wobei zu jeder Variable dann auch ein Wert erfasst wird. Die Verteilung der Werte sollte dabei einer Normalverteilung folgen. Dadurch, dass eine Variable, d. h. Item hier von einem Probanden ausgewählt wird und vom nächsten nicht, entsteht strenggenommen eine Datenlücke. Dies wird deutlicher, wenn zum Beispiel Faktoren zur Bewertung von Items gewonnen werden sollen, um die Frage zu beantworten: Welche Items werden entlang welcher Dimensionen höher, niedriger oder entgegengesetzt bewertet? Wenn ein Item durch einen Probanden bewertet wurde, durch den anderen aber nicht, weil dieser es nicht ausgewählt hat, entsteht eine Datenlücke. Mit den hier sehr zahlreich vorliegenden Datenlücken kann eine Faktorenanalyse zur Bewertung nicht durchgeführt werden. Imputationsverfahren, um die Lücken zu schließen, einmal Ersetzung der Lücken durch Probandenmittelwerte, einmal durch Itemmittelwerte, wurden kurz getestet und dann nicht weiterverfolgt. Der Ansatz selbst ist auch nicht überzeugend, weil durch die Ersetzung Daten generiert und weiterverarbeitet werden, die nicht vom Probanden selbst stammen. Hier wurde ein anderer Ansatz realisiert: Auf eine Datenanalyse auf der zwar höherwertigen Intervallskala der Bewertungen, die aber zu viele Datenlücken enthält, wurde verzichtet. Stattdessen wurde auf die dichotome 0/ 1-Skala zurückgegangen, die sich aus der Benennung der Items ergibt: 0 = Item wurde nicht genannt, 1 = Item wurde genannt. Alle nicht genannten Items wurden dabei wie ein aktiv geäußertes „nein“ des Probanden behandelt, analog zum geäußerten „ja“ in Form eines angekreuzten Items. Durch diese angenommene Gleichsetzung verringert sich der Informationsgehalt vergleichsweise, was z. B. auch in den geringeren Faktorladungen sichtbar wird, aber dadurch erhält jedes <?page no="166"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 167 Item von jedem Probanden eine 1 oder eine 0 und damit konnte die Faktorenanalyse überhaupt erst durchgeführt und ein Ergebnis erzielt werden. <?page no="167"?> 168 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Allgemeine Stereotype Sozial Perfektion Heimatverbunden anständig ausdauernd Dichter und Denker ehrlich fleißig fortschrittlich friedliebend gut gewachsen gute Ärzte gute Organisatoren gute Techniker gute Wissenschaftler höflich intelligent kameradschaftlich kultiviert pflichtbewusst philosophische Lebenshaltung reich religiös ruhmsüchtig sportlich stolz treu trinkfreudig umweltbewusst Volk der Zukunft willensstark zuverlässig attraktive Männer dankbar diplomatisch emotional familienorientiert freiheitsliebend freundlich friedlich gastfreundlich gesellig großherzig großzügig gute Demokraten gute Hausfrauen Handelsvolk handwerklich begabt hübsche Frauen humorvoll kinderlieb künstlerisch leichtlebig modisch musikalisch natürlich sauber schönheitsliebend selbstbewusst sprachbegabt tapfer tierliebend tolerant umgänglich unsoldatisch weltmännisch zielstrebig anspruchsvoll arbeitsfreudig diszipliniert gründlich Idealisten korrekt nüchtern ordentlich pünktlich rational gute Politiker gute Soldaten heimatliebend Nationalstolz Zusammengehörigkeitsgefühl Tabelle 19: Faktoren mit ihren zugeordneten Items <?page no="168"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 169 Herrenvolk Unflexibel Massenmensch Unsozial Sonstige arrogant bürokratisch fremdenfeindlich Herrenvolk militaristisch rachsüchtig rassebewusst religiös intolerant schlechte Demokraten schlechte Politiker distanziert konservativ konventionell reserviert sparsam stur traditionsgebunden verschlossen anspruchslos autoritätshörig fernsehbegeistert Massenmenschen unterwürfig ängstlich bequem brutal fanatisch faul geizig hinterlistig impulsiv individualistisch jähzornig Klassenunterschiede kriminell lässig maßlos materiell eingestellt misstrauisch naiv neidisch rekordsüchtig revolutionär rücksichtslos schmutzig streitsüchtig unberechenbar unzuverlässig abergläubisch arm bestechlich dekadent eitel großspurig oberflächlich primitiv sentimental Überschätzung des Fremden ungebildet Volk von Bauern <?page no="169"?> 170 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten 5.3.4.3 Untersuchung der gewonnenen Faktoren Wie sich die verwendete Eigenschaftsliste mit 139 Items in der vorliegenden Arbeit mit Anzahl und Anteil auf die Faktoren verteilen, wird in der folgenden Tabelle 20 gezeigt. Faktor Anzahl Items Anteil Items in Faktoren % (N=139) Anzahl Nennungen Anteil Items in Nennungen % (N=14.646) Durchschnittliche Anzahl der Nennungen pro Item in Faktoren Anzahl TOP-5- Nennungen Allgemeine Stereotype 29 20,86 5.850 39,94 202 831 Sozial 35 25,18 3.216 21,96 92 191 Perfektion 10 7,19 2.385 16,28 239 592 Heimatverbunden 5 3,60 928 6,34 186 95 Herrenvolk 10 7,19 520 3,55 52 60 Unflexibel 8 5,76 1.223 8,35 153 192 Massenmensch 5 3,60 124 0,85 25 10 Unsozial 25 17,99 384 2,62 15 24 Sonstige 12 8,63 16 0,11 1 0 Summe 139 100 14.646 100 - 1.995 Tabelle 20: Anzahl und Anteil der Items in den Faktoren der Hauptgruppe und Kontrollgruppe Wie man in der Tabelle 20 (Spalte 2, Anzahl Items) sieht, gehören die meisten Items zu dem Faktor Sozial . Allgemeine Stereotype und Unsozial weisen auch noch vergleichsweise höhere Anteile von Items auf, während die restlichen Faktoren durch eine deutlich geringere Anzahl Items gekennzeichnet sind. Die kleineren Faktoren Heimatverbunden , und vor allem Herrenvolk und Unflexibel werden weiter untersucht, weil sie häufige Vorstellungen der Chinesen von den Deutschen wiedergeben. Die Faktoren Massenmensch und Unsozial spielen nur vereinzelt eine Rolle, z. B. wenn einzelne Probanden überproportional viele Items daraus verwenden. Ansonsten laufen sie in den folgenden Analysen als allgemeine negative Faktoren mit und werden nicht mehr unterschieden. <?page no="170"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 171 Die vorletzte Spalte der Tabelle zeigt die durchschnittliche Anzahl der Nennungen pro Item in den Faktoren. Daraus wird deutlich, dass der Faktor Sonstige nur vereinzelt genutzt wird, und die Faktoren Unsozial und Massenmensch auch nur von einer sehr kleinen Probandengruppe. Interessantere Faktoren sind für die Probanden diejenigen ab Herrenvolk mit durchschnittlich über 50 Nennungen der zugehörigen Items (vgl. Tabelle 19: Faktoren mit ihren zugeordneten Items ). Der Faktor Allgemeine Stereotype besitzt den überwiegenden Anteil der Nennungen, obwohl er nicht die größte Anzahl der Items auf sich vereint. Der Faktor Perfektion zeigt wegen der höchsten Anzahl der Nennungen pro Item auffallend deutlich die größte Relevanz für die Charakterisierung der Deutschen. Insgesamt scheinen die negativen Faktoren in Bezug auf den Anteil der Nennungen von wesentlich kleinerer Bedeutung für die Charakterisierung der Deutschen zu sein. Diese Kombination, relativ geringe Anzahl von Items mit relativ vielen Nennungen spielgelt eine gewisse Einigkeit der Probanden wider, die auch in Bestimmtheitsmaßen berechnet auf Basis der TOP-5-Nennungen der Faktoren ausgedrückt werden kann. Faktor Bestimmtheitsmaße auf Basis der TOP-5 Allgemeine Stereotype 6,16 Sozial 3,68 Perfektion 2,80 Unflexibel 1,95 Heimatverbunden 1,71 Herrenvolk 1,27 Unsozial nicht berechnet Massenmensch nicht berechnet Sonstige nicht berechnet Tabelle 21: Bestimmtheitsmaße der Haupt-Faktoren Entlang der Faktoren in Tabelle 21 nimmt die Bestimmtheit stetig zu. Zur Erinnerung: Das Maß beschreibt die Anzahl der Items, die 50 % aller Nennungen abdecken (siehe Kap. 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly ). Beim Faktor Allgemeine Stereotype werden dazu 6,16 Items benötigt, beim nächsten Faktor Sozial nur noch 3,68 Items. Die Probanden sind sich bei diesem Faktor eher einig, mit welchen Items sie die Deutschen charakterisieren. <?page no="171"?> 172 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Oder anders gesagt, die durchschnittliche Anzahl der Nennungen konzentriert sich auf weniger Items, je bestimmter das Maß wird, also je kleiner die Zahl ist. Der Hauptgrund dafür ist teilweise die größere Häufigkeit der Items der oberen Faktoren. Allerdings berechnet sich der Faktor Sozial , der rein von der Anzahl her gesehen die meisten Items auf sich vereint, wesentlich bestimmter als die Allgemeinen Stereotype , d. h. die Probanden transportieren verhältnismäßig weniger davon in die TOP-5, mit anderen Worten, welche Items es sind, darüber sind sie sich relativ „einig“. Die folgende Tabelle 22 zeigt zur Orientierung die Items zur Berechnung des Bestimmtheitsmaßes und einige nächste Items, die nicht mehr oder nur teilweise in die Berechnung eingehen. Die Items sind entsprechend ihrer Nennungen von häufig zu weniger häufig sortiert (Spalte „Anzahl“). Die nächste Spalte („kumulierte Anzahl“) zeigt den Bereich an, in dem die 50 % Nennungen des Bestimmtheitsmaßes erreicht werden. Die Spalte „Daten Bestimmtheitsmaß“ zeigt in der jeweils ersten Zeile die Zielgröße des Bestimmtheitsmaßes, z. B. sind 415,5 genau die erforderlichen 50 % der komplett kumulierten Anzahl von 831 für den Faktor Stereotyp . Das Bestimmtheitsmaß selbst berechnet sich mit dieser Tabelle durch das Herunterzählen der kumulierten Anzahl, bis das Bestimmtheitsmaß - z. B. 415,5 - erreicht wird. Für den Faktor Stereotyp sind dies sechs Items von trinkfreudig bis höflich . Bis dahin sind 408 von 415,5 Nennungen erreicht. Die letzten 7,5 Items werden anteilig mit 0,16 oder 16 % des Items gute Techniker erreicht. Analog werden die Items der weiteren Faktoren Sozial, Perfektion, Unflexibel, Heimatverbunden und Herrenvolk gezeigt, die durch das Bestimmtheitsmaß hervorgehoben werden. <?page no="172"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 173 Faktor Item Anzahl kumulierte Anzahl Daten Bestimmtheitsmaß Bestimmtheitsmaß Stereotyp *) trinkfreudig 96 96 415,5 Stereotyp pflichtbewusst 74 170 Stereotyp sportlich 72 242 Stereotyp kultiviert 60 302 Stereotyp Dichter und Denker 56 358 Stereotyp höflich 50 408 Stereotyp gute Techniker 46 454 Anteil Nennungen 0,16 6,16 Stereotyp umweltbewusst 46 500 Stereotyp gute Wissenschaftler 45 545 Stereotyp weitere 286 831 Sozial attraktive Männer 38 38 95,5 Sozial gute Demokraten 29 67 Sozial freiheitsliebend 19 86 Sozial familienorientiert 14 100 Anteil Nennungen 0,68 3,68 Sozial weitere 91 191 Perfektion gründlich 126 126 296 Perfektion diszipliniert 101 227 Perfektion pünktlich 86 313 Anteil Nennungen 0,80 2,80 Perfektion weitere 279 592 Unflexibel konventionell 59 59 96 Unflexibel distanziert 39 98 Anteil Nennungen 0,95 1,95 Unflexibel stur 22 120 Unflexibel verschlossen 20 140 Unflexibel weitere 52 192 Heimatverbunden Nationalstolz 34 34 47,5 Heimatverbunden gute Soldaten 19 53 Anteil Nennungen 0,71 1,71 Heimatverbunden gute Politiker 16 69 Heimatverbunden weitere 26 95 Herrenvolk Herrenvolk 26 26 30 Herrenvolk rassebewusst 15 41 Anteil Nennungen 0,27 1,27 Herrenvolk fremdenfeindlich 9 50 Herrenvolk arrogant 4 54 Herrenvolk weitere 6 60 *) Kurzform für Allgemeine Stereotype . Tabelle 22: Kumulierte Anzahl der Items pro Faktor <?page no="173"?> 174 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Der Faktor Allgemeine Stereotype beschreibt mit insgesamt 831 Nennungen über alle Items des Faktors mit den häufigsten 40 6-7 TOP-5-Items • trinkfreudig , pflichtbewusst , sportlich , kultiviert , Dichter und Denker , höflich sowie gute Techniker eine Vorstellung, die als Teil des öffentlichen Stereotyps vielen Chinesen bekannt ist. Der Faktor Sozial benötigt bei insgesamt wesentlich weniger, nämlich nur 191 Nennungen, auch noch die ersten 3-4 TOP-5-Items: • attraktive Männer , gute Demokraten , freiheitsliebend sowie familienorientiert Der Faktor Perfektion wird mit 592 TOP-5-Nennungen und 2-3 Items präziser: • gründlich , diszipliniert und pünktlich Der Faktor Unflexibel weist mit 192 Nennungen ähnlich viele wie der Faktor Sozial auf, benötigt aber nur 1-2 Items: • konventionell und distanziert Die Faktoren Heimatverbunden und Herrenvolk benötigen bei 95 und 60 Nennungen ebenfalls nur 1-2 Items: • Nationalstolz und gute Soldaten sowie • Herrenvolk und rassebewusst . Interessant ist hier, dass das nächste Item fremdenfeindlich seltener genannt wird. Wie wir später sehen werden, differenziert sich an dieser Stelle eine eher gute oder eher schlechtere Einstellung aus. 5.3.4.4 Bewertung der Faktoren Die Bewertungen der enthaltenen Items sind weitere Metriken für die Beschreibung der Faktoren. Ein Faktor wird durch die aufsummierten Bewertungen der enthaltenen Eigenschaften von der jeweils einbezogenen Probandengruppe bewertet. Zu den aufsummierten Bewertungen können Mittelwerte und Streuungen berechnet werden. Voraussetzung 2: Bewertung eines Faktors Tabelle 23 zeigt die jeweiligen Anteile der Bewertungen, sowie die Mittelwerte (MW) und Standardabweichung (StAbw) von jedem Faktor. 40 Zur Berechnung des Bestimmtheitsmaßes werden die Nennungen der häufigsten Items akkumuliert. Der Schwellenwert von 50 % der Nennungen wird in der Regel zwischen zwei Items, z. B. dem 6. und dem 7. Item erreicht. <?page no="174"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 175 Faktor Anteil Bewertung % (N=14.646) MW aller Bewertungen StAbw aller Bewertungen MW von TOP-5- Bewertungen StAbw von TOP-5- Bewertungen Allgemeine Stereotype 39,94 2,13 1,12 2,27 1,16 Sozial 21,96 2,13 0,99 2,42 0,91 Perfektion 16,28 1,74 1,16 2,03 1,12 Heimatverbunden 6,34 1,68 1,21 1,52 1,54 Unflexibel 8,35 -0,29 1,37 -0,41 1,47 Herrenvolk 3,55 -1,26 1,48 -1,28 1,65 Unsozial 2,62 -1,08 1,30 -1,17 0,82 Massenmensch 0,85 -0,59 1,35 -1,20 1,40 Sonstige 0,11 -0,75 1,53 - - Tabelle 23: Bewertungen der Faktoren durch alle Probanden Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass abgesehen von Sonstige die Bewertung der Hälfte der Faktoren im positiven Bereich, der anderen Hälfte im negativen Bereich liegt. Der Faktor Sozial wurde mit am positivsten bewertet und weist zudem die geringste Streuung (StAbw) auf. Die Perfektion der Deutschen wird stärker abgewertet, ebenfalls bei relativ geringer Streuung. Noch weiter abgewertet wird Heimatverbunden, dieser Faktor liegt aber noch deutlich im positiven Bereich. Ab dem Faktor Unflexibel fallen die durchschnittlichen Bewertungen bei relativ hohen Streuungen negativ aus. Der Vergleich mit den TOP-5-Werten verstärkt den Trend der genannten Beobachtungen noch etwas. <?page no="175"?> 176 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten alpha 0,05 Variable Observations Mean Std. deviation Difference p-value t (Observed value) |t| (Critical value) Stereotyp 5.850 2,131 1,124 -0,004 0,881 -0,150 1,960 Sozial 3.216 2,134 0,993 Stereotyp 5.850 2,131 1,124 0,386 < 0,0001 14,012 1,960 Perfektion 2.385 1,745 1,160 Heimatverbunden 928 1,680 1,215 -0,065 0,155 -1,423 1,961 Perfektion 2.385 1,745 1,160 Heimatverbunden 928 1,680 1,215 1,966 < 0,0001 34,664 1,961 Unflexibel 1.223 -0,286 1,366 Herrenvolk 520 -1,260 1,481 -0,973 < 0,0001 -13,271 1,961 Unflexibel 1.223 -0,286 1,366 Tabelle 24: t-Test Faktoren Bewertung <?page no="176"?> 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste 177 Der t-Test der Faktoren untereinander zeigt, dass der Bewertung der Faktoren Allgemeine Stereotype und Sozial , sowie Perfektion und Heimatverbunden jeweils dieselbe Verteilung der Bewertungen zu Grunde liegt. Obwohl der t-Test dies nahelegt, werden die Faktoren aber aus folgenden Gründen nicht zusammengelegt: • Die Bewertung der Faktoren zeigt im statistischen Mittel über das gesamte Probandenkollektiv hinweg nur die vier Dimensionen Allgemeine Stereotype/ Sozial , Perfektion/ Heimatverbunden , Unflexibel und Herrenvolk . • Diese Dimensionen werden zwar durchschnittlich gleich bewertet, sind semantisch jedoch unterschiedlich. • Die von den Probanden gewählten individuellen Anteile der Faktoren sind unterschiedlich. • Auch das Bestimmtheitsmaß der Faktoren unterscheidet sich deutlich. Deshalb unterscheiden die weiteren Untersuchungen weiterhin die sechs Hauptfaktoren. 5.3.5 Zusammenfassung Eigenschaftsliste Nur fünf von 139 Items der offenen Eigenschaftsliste nach Bauer et al. (2014) wurden von den chinesischen Probanden nicht angenommen, um die Deutschen zu charakterisieren, nämlich: bestechlich , dekadent , eitel , oberflächlich , ungebildet . Schon diese Negativauswahl sagt einiges über ihre Stereotype. Bei allen genannten Vor- und Nachteilen der Deutschen, bei aller Abwägung, inwieweit eine Eigenschaft bei vielen oder nur bei wenigen Deutschen erwartet werden kann, hatten sie für diese fünf Items keine Verwendung. Alle diese Eigenschaften befinden sich auf der eher negativen Seite des Spektrums, ihre Bewertung ist letztendlich nicht bekannt. Umgekehrt ist kein Item von der positiven Seite unbenutzt übriggeblieben. Nicht einmal ein oberflächlich wollte man bei den Deutschen vermuten. Sie sind zwar trinkfreudige, aber dennoch pflichtbewusste, sportliche und kultivierte Dichter und Denker, als gute Techniker konzentrieren sie sich diszipliniert und gründlich auf Design und Herstellung ihrer überzeugenden Produkte, bleiben dabei aber attraktive Männer und familienorientiert, wenngleich sie besonders in Bezug auf ihr Äußeres und ihr Verhalten konventionell, also unmodern und distanziert daherkommen, manchmal sogar als rassebewusstes Herrenvolk, und einige Probanden sind überzeugt von ihrer Fremdenfeindlichkeit (vgl. Tabelle 17: Bewertung der Eigenschaften mit Mittelwert top-down, Standardabweichung, Anzahl und Min-Max ). Aber bestechlich , dekadent , eitel , oberflächlich oder ungebildet wurden nicht benutzt. <?page no="177"?> 178 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Diese exemplarischen Überlegungen zeigen den größten Vorteil einer aktuellen, umfangreichen, offenen und noch handhabbaren Eigenschaftsliste als Instrument zur Erfassung von Stereotypen: Die befragten Probanden können ihre Überzeugungen die Deutschen betreffend (vgl. Kap. 2.2 Stereotyp vs. Einstellung ) gegen die Eigenschaftsliste spiegeln, wiederfinden und damit schnell und effizient festhalten und erfassen. Art und Umfang der Liste ist dabei entscheidend, wobei eine vielfach eingesetzte und dabei überprüfte Liste wie die vorliegende sicherlich vorteilhaft ist. Bei mehrsprachiger Ausprägung der Liste ist die richtige Konnotation eine weitere kritische Voraussetzung, der im Rahmen der vorliegenden Arbeit mit entsprechendem Aufwand begegnet wurde, um sie zu erfüllen. Die Probanden wählen von den angebotenen 139 Items meistens 20-40 für ihre individuelle Eigenschaftsliste aus (vgl. Abbildung 18: Häufigkeitsverteilung der Nennungen von Items pro Proband der Hauptgruppe ). Die dahinterliegenden Dimensionen, entlang derer die Probanden ihre Items auswählen, wurde durch eine explorative Faktorenanalyse ermittelt. Diese wurde bewusst auf einer Skala mit minimalem Informationsgehalt durchgeführt, der dichotomen ja-nein oder 1-0 Skala, welche nur die Information enthält, ob ein Item ausgewählt wurde oder nicht. Durch den Verzicht auf mehr Information, z. B. durch die Bewertung, konnte das Problem der fehlenden Werte, das immer mit einer offenen Eigenschaftsliste gekoppelt ist, umgangen werden. Die so ermittelten Haupt-Dimensionen wurden aufgrund der jeweils beteiligten Items als Allgemeine Stereotype , Sozial , Perfektion , Heimatverbunden , Unflexibel und Herrenvolk charakterisiert und benannt (vgl. Tabelle 19: Faktoren mit ihren zugeordneten Items ). Aufbauend auf der Eigenschaftsliste wurde dem hier zugrunde gelegten Modell (vgl. Abbildung 11: Aspekte des Drei-Komponenten-Modells: mit integrierten Dimensionen Erwartung und Wert) folgend jedes genannte Item auch bewertet. Die Anzahl der Nennungen von Items entspricht mit 14.646 der Anzahl ihrer Bewertungen. Die Bewertungen von Items weisen eine eigene Dynamik in Bezug auf die positive oder negative Bewertungsrichtung auf. Einige Items finden sich dadurch eindeutig auf der positiven oder auf der negativen Seite wieder, andere sind in Bezug auf ihren Wert ambivalent (vgl. Tabelle 16: Unterschiedliche Bewertungsrichtungen und -intensitäten von Items der Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014) ) . Gründe dafür liegen z. B. im Probanden selbst, wenn er bei der Bewertung sein individuelles Wertesystem zum Maßstab macht. Andere Gründe liegen in kulturellen Besonderheiten, wenn z. B. die drei Items konservativ , konventionell und traditionsgebunden auch, aber nur von einem Teil der Probanden, als Antithese zur offiziellen Richtlinie für die <?page no="178"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 179 chinesische Gesellschaft begriffen werden „immer fortschrittlich zu sein, mit der Zeit Schritt zu halten“. Die Bewertungen können zu Mittelwerten und Streuungen aggregiert werden. Es wurde gezeigt, wie auf der Grundlage ähnlicher Mittelwerte und Streuungen der Eigenschaften pflichtbewusst , zuverlässig und kultiviert und der unterschiedlichen Häufigkeit dieser Eigenschaften in den Gruppen der Deutschlerner, der Englischlerner und der Vorstudiengruppe öffentliche und private Stereotype unterschieden werden können. Die Eigenschaften pflichtbewusst , zuverlässig und kultiviert werden öffentlich von allen einbezogenen Gruppen geteilt, dagegen umweltbewusst und friedliebend nur von Deutschlernern. Die Eigenschaften umweltbewusst und friedliebend werden deshalb den selbst erarbeiteten, privaten Stereotypen dieser Gruppe zugeordnet. Damit wird auch eine Hypothese von Katz und Braly (1933) bestätigt, die auf einem anderen Weg die mögliche Koexistenz von öffentlichen und privaten Stereotypen hergeleitet hatten (vgl. Kap. 5.3.3 Mittelwerte und Streuungen der Eigenschaften ). Schließlich wurden auch die Faktoren bewertet, indem die Bewertungen der enthaltenen Eigenschaften gemittelt wurden. Jeder Faktor erhält dadurch einen Mittelwert und eine Streuung. Damit steht jetzt ein Instrument zur Verfügung, individuelle Probanden mit nur wenigen Faktoren klassifizieren und gruppieren zu können. Zunächst werden die Stereotype und Bewertungen der Jahrgänge untersucht. 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) Apeltauer befragte im Jahr 2002 154 norwegische Gymnasialschüler aus fünf aufeinander folgenden Jahrgängen mit Schülern im Alter von 13 bis 19 Jahren. Seine Untersuchung des von Jahrgang zu Jahrgang zunehmenden Wissens der Schüler über Deutschland und die Deutschen eröffnete neue Perspektiven und Anregungen für die Stereotypenforschung in Bezug auf Deutschlerner in unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Die mit der vorliegenden Arbeit durchgeführte Querschnittsstudie erfasste vier vollständige Jahrgänge, (siehe Kap. 4.2.7 Das Probandenkollektiv der Hauptuntersuchung) , für die hier ebenfalls ein Entwicklungsgradient angenommen wird. Dieser Ansatz beschreibt ein Modell, das hier als Jahrgangsmodell bezeichnet wird. Dabei wird durch Jahrgangsvergleiche untersucht, ob und inwiefern Stereotype und Einstellungen der Deutschstudierende sich mit den zunehmenden Studienjahren unterscheiden. <?page no="179"?> 180 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten 5.4.1 Nutzung der offenen Eigenschaftsliste in den Jahrgängen Apeltauer (2002) stellt in seiner Untersuchung zum Deutschlandbild bei den norwegischen Schülern im Vergleich der unterschiedlichen Klassen fest, dass die jeweils ältere Klasse mehr Eigenschaften benutzt als die jüngere. Das ist für ihn der Beleg für die Hypothese, dass Fremdbilder im Lauf der Zeit während des Lernens erweitert und mit neuen Merkmalen angereichert werden (vgl. Apeltauer 2002: 115). Während diese Hypothese für seine Untersuchung richtig gewesen sein mag, zeigen die hier untersuchten Jahrgänge chinesischer Deutschstudierender ein anderes Verhalten. Die Anzahl der durchschnittlichen Nennungen pro Proband eines Jahrgangs ist in Tabelle 25 dargestellt. Die durchschnittlichen Nennungen unterscheiden sich dabei im Lauf der Studienjahre nicht so stark. Besonders auffallend sind die Deutschstudierenden aus dem 2. Jahrgang, weil sie aus der Eigenschaftsliste insgesamt 130 und zudem für die Charakterisierung der fünf typischsten Items (TOP-5) der Deutschen die meisten Items benutzt haben und auch pro Proband im Durchschnitt die meisten Nennungen hatten. Obwohl die Studierenden aus dem 1. Jahrgang gerade mit dem Deutschlernen angefangen haben, lassen sich im Vergleich mit den älteren Studierenden aus dem 3. und 4. Jahrgang bei der Anzahl benutzter Items kaum Unterschiede aufzeigen. Die jüngsten Studierenden haben bereits am Anfang ihrer sprachlichen und kulturellen Ausbildung durch das Germanistikstudium nicht weniger Vorstellungen über Deutschland und die Deutschen. Jedoch zeigt die Standardabweichung (StAbw) der Nennungen einen Unterschied zwischen den jüngeren und älteren Studierenden, weil die Streuungen bei den älteren Studierenden geringer sind und es nicht so viele Probanden gibt, die entweder sehr wenige oder besonders viele Items benutzen. Jahrgang Anzahl Nennungen Anzahl benutzter Items gesamt Anzahl benutzter Items für TOP-5 Anzahl Probanden Anzahl Nennungen pro Proband StAbw 1. Jahrgang 3.888 119 77 109 36 15,33 2. Jahrgang 4.603 130 78 108 43 15,41 3. Jahrgang 2.824 121 69 84 34 11,54 4. Jahrgang 2.633 120 69 72 37 12,90 Tabelle 25: Anzahl der Nennungen von Items in vier Jahrgängen Die vier Grafiken in Abbildung 21 zeigen deutlich, dass sich die Verteilungen des 1. und 2. Jahrgangs sowie des 3. und 4. Jahrganges ähnlich sind. Ähnlich- <?page no="180"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 181 keitskriterium ist die Form und Spreizung (Streuung) der Verteilung, die bei den Deutschstudierenden aus dem 1. und 2. Jahrgang etwas breiter angelegt ist und um Mittelwert herum weniger fokussiert, die Mittelwerte selbst sind ähnlich. Nur der 2. Jahrgang verhält sich anders. Ein weiteres Kriterium ist die Schiefe der Verteilung, alle Jahrgänge haben ihren Durchschnitt etwas nach rechts verschoben, tendenziell also eher mehr Items angekreuzt als weniger. Abbildung 21: Häufigkeitsverteilung der Nennungen der Items von vier Jahrgängen der Hauptgruppe Man kann davon ausgehen, dass sich das Wissen der Probanden über Deutschland und die Deutschen im Lauf der Studienjahre mit vielfältigen Veranstaltungen, Seminaren, interkulturellen Erfahrungen und ständiger Beschäftigung mit der deutschen Sprache und Kultur nicht verringert. Die geringere Streuung beim 3. und 4. Jahrgang muss deshalb anders erklärt werden. Eine Erklärung liefert das Phasenmodell (siehe Kap. 3.2), das eine Anreicherung der Stereotype bei fortgeschrittenen Jahrgängen beschreibt. Jeder Proband verfügt dann über ein reichhaltigeres Repertoire an Wissen, Emotionen und eventuell auch Handlungsmotivationen unter dem Label „Deutschland und die Deutschen“. Gleichzeitig konvergieren offensichtlich Erwartung und Wert bei den Stereotypen. <?page no="181"?> 182 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten In Tabelle 26 zeigt der t-Test keine signifikanten Unterschiede zwischen der jeweiligen mittleren Anzahl der Nennungen pro Proband der Jahrgänge 1., 3. und 4. Das heißt, im Prinzip nennen die Probanden gleich viele Items, die höheren Jahrgänge greifen dabei aber häufiger auf dieselben Items zurück. Zieht man den Varianztest hinzu, bestätigen die höheren p-Werte zwischen 1 und 2 (0,959) und 3 und 4 (0,329) die graphische Darstellung, die eine größere Ähnlichkeit bei der Spreizung der Verteilung zwischen den Jahrgängen 1 und 2 einerseits und 3 und 4 andererseits zeigt. Die Jahrgänge 3 und 4 fokussieren ihre Eigenschaften also etwas mehr. Jahrgang 3 2 1 4 t-Test Varianz-Test Differenz Bestimmtheitsmaß Differenz Anzahl TOP-5 p=0,134 p=0,329 2,464 0,0 p=0,005 p=0,110 3,729 9,0 p=0,671 p=0,119 1,713 8,0 3 t-Test Varianz-Test Differenz Bestimmtheitsmaß Differenz Anzahl TOP-5 p=0,000 p=0,006 2,518 9,0 p=0,290 p=0,007 0,751 8,0 2 t-Test Varianz-Test Differenz Bestimmtheitsmaß Differenz Anzahl TOP-5 p=0,001 p=0,959 2,016 1,0 Tabelle 26: t-Test zur Hypothese, dass sich die Jahrgänge bei der Nennung von Eigenschaften nicht unterscheiden. All dies erklärt die höhere Streuung der Jahrgänge 1 und 2 in Tabelle 25 und bestätigt den optischen Eindruck: • Die Deutschstudierenden aus Jahrgang 1 und 2 nennen durchschnittlich einige mehr Items als die aus Jahrgang 3 und 4, der Unterschied zwischen 1./ 3., 1./ 4. und 3./ 4. ist nicht signifikant, nur der 2. Jahrgang unterscheidet sich signifikant von den anderen. • Dabei benutzen Jahrgang 1 und 2 jedoch mehr Items insbesondere auch zur Charakterisierung der typischen Eigenschaften mit den TOP-5. • Der 3. und 4. Jahrgang fokussiert stärker, wie anhand der geringeren Standardabweichungen von 11,5 und 12,9 gegenüber 15,3 und 15,4 zu sehen ist. Die Grafiken zeigen die engere Spreizung auch optisch. Der Varianz-Test zwischen 1./ 2. und 3./ 4. zeigt mit p-Werten von 0,959 und 0,329, dass sich diese Varianzpaare ähnlicher sind als alle anderen. <?page no="182"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 183 5.4.2 Einstellungswerte der Jahrgänge Im vorangegangenen Kapitel 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste werden die Bewertungen der einzelnen Items der Eigenschaftsliste lediglich als Bewertung bezeichnet. Diese Bewertungen wurden zur mittleren Bewertung eines Items aggregiert (vgl. Tabelle 17: Bewertung der Eigenschaften mit Mittelwert top-down, Standardabweichung, Anzahl und Min-Max ) oder zur mittleren Bewertung eines Faktors (vgl. Tabelle 23: Bewertungen der Faktoren durch alle Probanden) . Wenn jetzt mittlere Bewertungen für Jahrgänge, also für Probandengruppen berechnet werden, werden diese entsprechend dem hier modifizierten Erwartung-mal-Wert-Ansatz als Schätzwerte für deren Einstellung betrachtet (vgl. Kap. 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ) bzw. kurz als Einstellungswert. Jahrgang Einstellungswert StAbw 1. Jahrgang 1,73 1,51 2. Jahrgang 1,59 1,56 3. Jahrgang 1,48 1,50 4. Jahrgang 1,50 1,53 Tabelle 27: Vergleich der Einstellungswerte der Jahrgänge Die Einstellungswerte und deren Streuung zeigen: • Die gemittelten Einstellungswerte (EW) aller Jahrgänge liegen weiter über 0 im positiven Bereich. Das deutet auf eine insgesamt positive Einstellung der Deutschstudierenden gegenüber den Deutschen hin. Das geht auch schon aus der statistischen Beschreibung der Eigenschaften und ihrer Bewertungen an sich hervor (vgl. Kap. 5.3 Untersuchung der Eigenschaftsliste ) • Der EW sinkt mit den zunehmenden Studienjahren tendenziell. Die Einstellungswerte des 3. und 4. Jahrgangs sind mit minimalen Unterschieden fast gleich hoch. Das bestätigt andere Untersuchungen, die besagen, dass die Deutschstudierenden zu Beginn des Studiums bessere Einstellung gegenüber den Deutschen haben, ihre positive Einstellung im Laufe des Studiums aber realistischer wird und sinkt (vgl. Grünewald 2005: 292). Die Streuung der Bewertungen ist für jeden Jahrgang ähnlich hoch. In den folgenden Kapiteln soll untersucht werden, welche Unterschiede, abgesehen von der Lerndauer, zwischen den Jahrgängen beobachtet werden können und ob mit diesen Beobachtungen das graduelle Absinken der positiven Einstellungswerte erklärt werden kann. <?page no="183"?> 184 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten 5.4.3 Faktorbasierte Häufigkeiten und Bewertungen im Jahrgangsvergleich Zunächst werden Jahrgänge auf Faktor-Ebene verglichen. Dabei wird die Verteilung der Nennungen von Items in den Faktoren und deren Bewertungen unter den Jahrgängen untersucht. In Tabelle 28 wird der Anteil eines jeden Faktors und dessen mittlere Bewertung dargestellt. Der Index repräsentiert beide Parameter durch Multiplikation von Anteil mal Bewertung. 41 Tabelle 28: Vergleich der Faktoren mit Bewertung unter den vier Jahrgängen Der auffälligste Unterschied zeigt sich beim Faktor Unflexibel . Die Anteile nehmen mit den zunehmenden Studienjahren tendenziell stark zu, während bei den restlichen negativen Faktoren aufgrund der geringen Anteile der Nennungen keine deutlichen Unterschiede zwischen den Jahrgängen festzustellen sind. Bei den positiv bewerteten Faktoren unterscheiden sich die Anteile ebenfalls nur geringfügig voneinander. Bei dem Faktor Sozial , Perfektion und Heimatverbunden ist mit den zunehmenden Jahrgängen eine tendenzielle Abnahme zu erkennen. Die Bewertung der Faktoren in den Jahrgängen zeigt, dass die tendenzielle Verschlechterung der Einstellungswerte der Probanden mit zunehmendem Studienjahr einerseits mit dem erhöhten Anteil des negativen Faktors Unflexibel bei den älteren Jahrgängen zusammenhängt. Andererseits werden aber auch die positiven Faktoren von den älteren Jahrgängen zurückhaltender bis schlechter bewertet. Die jüngeren Jahrgänge 1 und 2 bewerten die Faktoren Sozial , insbesondere Perfektion und Heimatverbunden deutlich positiver als die älteren Jahr- 41 Aus Platzgründen wird in der Tabelle eine Abkürzung von „MW“ benutzt für „Mittelwert der Bewertung“. <?page no="184"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 185 gänge 3 und 4, während nur der 1. Jahrgang den Faktor Allgemeine Stereotype besonders positiv anführt. Dieser Sachverhalt ist durch den Index gut zu erkennen. Interessant ist es, den Jahrgangsvergleich auf Item-Ebene fortzusetzen, also der Frage nachzugehen, ob sich das Item-Spektrum zwischen den Jahrgängen verschoben hat. Doch welche Items soll man betrachten? Manz (1968) kritisiert die mangelnden kollektiv geteilten Stereotype, die aus zusammengeworfenen Items der individuellen Probanden und nach Häufigkeit ihrer Nennungen bestimmt werden. Er stellt dabei fest, dass ausschließlich die am häufigsten vorkommenden Eigenschaftskombinationen als Homogenität der Gruppe interpretiert werden sollten, nicht die am häufigsten genannten Items (vgl. Manz 1968: 153). Auch Six (2017) deutet darauf hin, dass „Stereotype als kognitive Strukturen […] nicht nur eine Ansammlung von Merkmalen, sondern […] mehr oder weniger differenzierte Strukturen [sind]“ (Six 2017: 78). Manz selbst ist mit seinem Ansatz der Item-Ketten wegen zu großer kombinatorischer Vielfalt über die Betrachtung weniger Items nicht hinausgekommen. Darüberhinaus hat er auch nicht ausreichend betrachtet, dass die Anzahl der Nennungen pro Item sehr unterschiedlich ist. Ein eher selten genutztes Item führt zu ebenso seltenen Item-Ketten, die genau dieses Item enthalten. Im Umkehrschluss heißt das, dass eine Betrachtung häufigster und häufiger Eigenschaften für Gruppenvergleiche durchaus sinnvoll ist, denn nur diese Items bilden auch die häufigsten Item-Ketten im Sinne der Kombinatorik. 5.4.3.1 Faktorbasierte Häufigkeiten der Eigenschaften Wie also kann Item-Struktur und Item-Häufigkeit aussagekräftig kombiniert werden? Einen Ansatzpunkt bilden die Häufigkeiten innerhalb der Faktoren. Gegenüber z. B. TOP-20-Analysen, die nur häufige Items erfassen, sind Häufigkeiten entlang der Faktoren, die alle Dimensionen der Eigenschaftsliste abdecken, vollständiger. Diese Analyse wurde beginnend mit Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen durchgeführt. 42 Die dadurch identifizierten Items machen über 60 % aller Nennungen aus. 42 Ein Kriterium ist ein Mindestanteil von 50 % des jeweiligen Faktors; einige Items des Faktors Sozial wurden aussortiert, da ihre Bewertung zu schon vorhandenen Items ähnlich ist und durch diese bereits repräsentiert wird. <?page no="185"?> Faktor Item 1. Jahrgang % 2. Jahrgang % 3. Jahrgang % 4. Jahrgang % Stereotyp Dichter und Denker 58,72 62,04 64,29 65,28 Stereotyp fleißig 55,05 62,04 50,00 52,78 Stereotyp fortschrittlich 64,22 57,41 42,86 41,67 Stereotyp gute Techniker 50,46 61,11 64,29 61,11 Stereotyp gute Wissenschaftler 74,31 75,93 64,29 65,28 Stereotyp höflich 67,89 78,70 78,57 83,33 Stereotyp intelligent 76,15 79,63 71,43 55,56 Stereotyp kameradschaftlich 44,04 54,63 42,86 48,61 Stereotyp kultiviert 73,39 72,22 82,14 76,39 Stereotyp pflichtbewusst 72,48 89,81 75,00 68,06 Stereotyp philosophische Lebenshaltung 47,71 51,85 35,71 50,00 Stereotyp sportlich 59,63 67,59 71,43 90,28 Stereotyp trinkfreudig 60,55 88,89 78,57 84,72 Stereotyp umweltbewusst 44,95 59,26 69,05 69,44 Stereotyp Volk der Zukunft 58,72 61,11 53,57 56,94 Stereotyp zuverlässig 61,47 71,30 65,48 66,67 Sozial attraktive Männer 56,88 52,78 51,19 54,17 Sozial familienorientiert 22,94 20,37 14,29 18,06 Sozial selbstbewusst 53,21 63,89 39,29 41,67 Perfektion anspruchsvoll 59,63 73,15 59,52 56,94 Perfektion arbeitsfreudig 44,95 58,33 44,05 37,50 Perfektion diszipliniert 84,40 86,11 79,76 75,00 Perfektion gründlich 77,06 76,85 71,43 63,89 Perfektion nüchtern 72,48 83,33 78,57 77,78 Perfektion ordentlich 65,14 75,00 55,95 63,89 Perfektion pünktlich 72,48 77,78 48,81 54,17 Perfektion rational 66,97 82,41 63,10 63,89 Heimatverbunden Nationalstolz 52,29 71,30 41,67 44,44 Heimatverbunden heimatliebend 58,72 65,74 25,00 38,89 Heimatverbunden Zusammengehörigkeitsgefühl 44,04 58,33 29,76 36,11 Heimatverbunden gute Soldaten 48,62 49,07 33,33 45,83 Heimatverbunden gute Politiker 33,03 47,22 32,14 47,22 Unflexibel distanziert 37,61 44,44 61,90 73,61 Unflexibel konservativ 28,44 39,81 42,86 51,39 Unflexibel konventionell 46,79 67,59 64,29 66,67 Unflexibel stur 42,20 51,85 42,86 48,61 Unflexibel traditionsgebunden 31,19 54,63 46,43 44,44 Unflexibel verschlossen 22,02 20,37 26,19 37,50 Herrenvolk fremdenfeindlich 11,01 20,37 14,29 25,00 Herrenvolk Herrenvolk 35,78 48,15 30,95 47,22 Herrenvolk rassebewusst 35,78 43,52 21,43 40,28 Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen <?page no="186"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 187 Die Tabelle 29 zeigt, dass z. B. das Item Dichter und Denker eines der häufigsten Items im Faktor Allgemeine Stereotype ist und die Nennung mit den Jahrgängen zunimmt. Dabei bedeutet die 58,72, dass 58,72 % aller Probanden des 1. Jahrgangs dieses Item genannt haben. Umgekehrt verhält es sich mit dem Item fortschrittlich , dessen Anteil mit den Jahrgängen abnimmt. Andere Items unterliegen anderen Dynamiken, z. B. nimmt die Zahl der Nennungen bei attraktive Männer von Jahrgang 1-3 ab, im 4. Jahrgang dann aber wieder zu. Um den Entwicklungsgradienten vom 1. bis zum 4. Jahrgang zu verdeutlichen, werden die Anteile dieser Items in Abbildung 22 gegenübergestellt. Abbildung 22: Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang Die getesteten unterschiedlichen Anteile der Items zwischen dem 1. und 4. Jahrgang im jeweiligen Faktor sind signifikant unterschiedlich. In Abbildung 22 ist die Testserie durch eine vertikale grüne Line markiert. Eine Auswahl von Tests für einige dieser Items ist exemplarisch in Abbildung 23: Exemplarische t-Test zu unterschiedlichen Stereotyp-Anteilen im 1. und 4. Jahrgang dargestellt. <?page no="187"?> 188 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Abbildung 23: Exemplarische t-Test zu unterschiedlichen Stereotyp-Anteilen im 1. und 4. Jahrgang <?page no="188"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 189 5.4.3.2 Faktorbasierte Häufi gkeiten der Eigenschaften mit Bewertung Mit Hinzuziehung der Bewertungen differenziert sich das Bild. Vom 1. zum 4. Jahrgang werden viele Eigenschaften schlechter bewertet, einige jedoch auch besser oder weniger negativ. Zu den besser bewerteten gehören arbeitsfreudig, gute Techniker, gute Wissenschaftler, intelligent, sportlich, Volk der Zukunft, Zusammengehörigkeitsgefühl . Zu den weniger negativ bewerteten Eigenschaften gehören fremdenfeindlich , konservativ , traditionsgebunden und verschlossen . Die anderen Eigenschaften werden von beiden Jahrgängen sehr ähnlich bewertet (vgl. Abbildung 24). Abbildung 24: Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang mit Bewertung Die Bewertungen der Eigenschaften allein beschreiben die Situation jedoch noch nicht vollständig, denn je nachdem, ob eine Eigenschaft im veränderten Eigenschaftsspektrum zwischen 1. und 4. Jahrgang häufiger oder weniger häufig erscheint, ergeben sich verstärkende oder gegenläufige Effekte für den Einstellungswert eines Jahrgangs: • Die vom 4. Jahrgang besser bewerteten positiven Eigenschaften erhöhen den Einstellungswert für den 4. Jahrgang, wenn sie gleich häufig oder häufiger genannt werden. • Wenn die positiven Eigenschaften vom 4. Jahrgang seltener genannt werden, verringert sich der positive Effekt oder verschwindet ganz. • Die vom 4. Jahrgang weniger negativ bewerteten Eigenschaften erhöhen den Einstellungswert, wenn sie gleich häufig genannt werden. <?page no="189"?> 190 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten • Wenn die negativen Eigenschaften vom 4. Jahrgang zwar weniger negativ bewertet werden, aber wesentlich häufiger genannt werden, verstärken sie die negative Seite. Die Klassifikation positiv oder negativ bezieht sich auf die durchschnittliche Bewertungsrichtung einer jeden Eigenschaft durch die Probanden (vgl. Tabelle 15 und Tabelle 16) Die Effekte für die Veränderung der Einstellung zwischen 1. und 4. Jahrgang durch die Kombination von verändertem Häufigkeitsspektrum und veränderter Bewertung ist in Abbildung 25 dargestellt. Der Einstellungseffekt je Eigenschaft wurde als Index berechnet, d. h. als Differenz des Produkts von Bewertung x Anteil: I i = ( b i4 x p i4 )-( b i1 x p i1 ) • Index: I i mit i = Eigenschaft 1 … Auswahl über Faktoren, b = Bewertung mit Wertemenge = {-3,-2,-1,0,+1,+2,+3}, • Anteil: Wertemenge = {-3,-2,-1,0,+1,+2,+3}, mit: n i = Anzahl Nennungen der Eigenschaft i, k = 1. Jahrgang oder 4. Jahrgang • Anzahl Probanden im Jahrgang: pp k mit k = 1. Jahrgang oder 4. Jahrgang Dort, wo die rot gefärbte Indexlinie die Null-Linie unterschreitet, ist der Effekt auf den Entwicklungsgradienten negativ, dort, wo sie überschritten wird, ist sie positiv. Abbildung 25: Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang und Einstellungseffekt durch Bewertung Bemerkenswert ist, dass die Faktoren Perfektion und Heimatverbunden durch jeweils geringere Anteile und durch etwas schlechtere Bewertung beim 4. Jahr- <?page no="190"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 191 gang einen Hauptbeitrag zur Absenkung des Einstellungswertes vom 1. zum 4. Jahrgang liefern. Die Parallelität von reduzierter Bewertung bei reduziertem Anteil ist im Sinne des Modellansatzes ein Hinweis darauf, dass die reduzierte Bewertung auf eine reduzierte Erwartung der Probanden zurückzuführen ist, dass diese Eigenschaft auf alle Deutschen zutrifft (vgl. Kap. 3.3.2 Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz und Kap. 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ). Die vermehrt genannten Eigenschaften der Faktoren Unflexibel und Herrenvolk tragen auch etwas dazu bei, werden jedoch abgeschwächt durch die Tatsache, dass die Bewertung der beteiligten Eigenschaften weniger negativ ausfällt als beim 1. Jahrgang. Die Faktoren Allgemeine Stereotype und Sozial wirken geringfügig negativ auf die Gesamtbilanz (vgl. auch Tabelle 28: Vergleich der Faktoren mit Bewertung unter den vier Jahrgängen ). Interessant ist, dass gute Techniker und Wissenschaftler vom 4. Jahrgang höher bewertet werden, ebenso Traditionsgebundenheit und Arbeitsfreude . Gut bewertet werden auch die weiter in den Fokus gerückte Sportlichkeit und das Umweltbewusstsein . Negativ schlägt der verminderte Glaube an die Fortschrittlichkeit Deutschlands zu Buche, der wahrscheinlich auch die zu beobachtende minimal schlechtere Bewertung weiterer positiver Eigenschaften erklärt (vgl. Anhang 2), die in Summe zur herabgestuften Einstellung des 4. Jahrgangs beiträgt. 5.4.3.3 Ein Blick ins Lehrwerk Die Veränderung des Eigenschaftsspektrums und dessen Beurteilung im Vergleich vom 1. zum 4. Jahrgang kann viele Ursachen haben (vgl. Kap. 2.5 Nationale Stereotype ) Weil hier aber konkrete Eigenschaften identifiziert wurden, die an dieser Veränderung beteiligt sind, ist es naheliegend, das Lehrwerk, die Unterrichtsgrundlage für die vier Jahre, genau auf diese Eigenschaften hin einmal zu untersuchen. Wie schon in Kapitel 2.5.3.4 Stereotype in „Studienweg Deutsch“, das von der Probandengruppe der vorliegenden Studie genutzte DaF-Lehrwerk über Stereotype im DaF-Lehrwerk der chinesischen Deutschstudierenden besprochen wurde, gibt es zwei literarische Texte über die Nachkriegszeit, in der sich die Deutschen vorsichtig und zurückhaltend in den europäischen Ländern, die sie im Krieg angegriffen hatten, verhalten mussten. Diese Texte stehen in Studienweg Deutsch , Band. 4, und werden erst Ende des zweiten Studienjahres gelernt. Besonders erwähnenswert ist der Text von Uwe Johnson, in dem es um die bereits erwähnte Geschichte einer Frau geht, die auf einer englischen Insel namens Sheppey einen deutschen Besucher verwechselt hat. Sie dachte, es ist ihr Freund, auf <?page no="191"?> 192 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten den sie dreißig Jahre lang gewartet hatte, der aber nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zurückkam. Der deutsche Besucher wurde als „der Fremde“ anonymisiert und sein vorsichtiges Verhalten beim Umgang mit den Einheimischen wurde besonders hervorgehoben. Er traute sich nicht einmal zu sprechen, weil er sich als Deutscher schuldig und unsicher fühlte und fürchtete, dass die Einwohner durch seine Aussprache seine deutsche Nationalität erkennen würden. Er hat in der Tasche einen deutschen Pass. Der Krieg mit den Deutschen ist dreißig Jahre her und vorbei, er denkt an diesen Krieg. Auf dieser Insel gab es den Flugplatz Eastchurch, den haben die Deutschen bombardiert; es gibt Tote bei Luftangriffen und es wird sie geben im Gedächtnis der Bürger von Sheerness. Über diese Insel hinweg schossen die Deutschen ihre Raketenbomben nach London; die Bewohner der Insel werden sich erinnern an das tödliche Pfeifen. Dieser Deutsche war damals ein Kind, sein Vater war nicht bei der Luftwaffe der Deutschen; er bleibt ein Deutscher, einer von den Feinden. Er erwartet kein Willkommen auf dem Broadway von Sheerness. Er erschrickt, als eine Dame ihn anspricht, denn nun muss er antworten, sie wird ihn erkennen als einen Deutschen, sie wird sich abwenden von ihm, das wird sein wie ein Schlag ins Gesicht. (Liang/ Nerlich 2009: Studienweg Deutsch 4: 141 f.) In dem Zusammenhang wird den Studenten die Aufgabe gestellt, das Gefühl und Verhalten dieses Fremden als Deutscher in England zu interpretieren. Die genaue Beschreibung seines Verhaltens im Text vermittelt eindeutig, dass die Deutschen sich gegenüber anderen im Krieg angegriffenen Nationen noch lange schuldig fühlen und sich zurückhaltend verhalten. Der andere Text „Damals“ von Hans Magnus Enzensberger handelt von einem Deutschen in den fünfziger Jahren, der nach Norwegen gezogen ist und sich dort integrieren wollte. Ihm wurde von einem Norweger die Frage gestellt, wann er geboren sei. Der Autor betont durch die folgende Beschreibung, wie wichtig diese Frage für die Norweger ist: „Das ganze Dorf schien gespannt auf meine Antwort zu warten. ‚Ich bin 1929 geboren‘, sagte ich. […] Das ganze Dorf schien sich zu freuen, dass ich 1929 geboren war. Dann tranken wir noch ein paar Gläser.“ (ebd. 284) Weil er während des Kriegs noch ein Kind war und nicht an dem Krieg teilgenommen hatte, wurde er akzeptiert und freundlich behandelt. Im Gegensatz dazu wurden zwei ehemalige deutsche Offiziere von den Norwegern nicht willkommen geheißen. Nachdem sie wussten, dass einer sogar an dem Krieg in Norwegen beteiligt gewesen war, verhalten sie sich so, wie der folgende Text beschreibt: Wir schwiegen wie die Fische. […] Niemand hörte ihm zu. Erst stand der Postbote auf, dann ich, und wir gingen, ohne „Morn da“ zu sagen. Die Bedienung kam und stellte <?page no="192"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 193 unsere Stühle vor den beiden Herren auf den Tisch, und obwohl es erst fünf Uhr nachmittags war, wirkte das Café auf einmal unendlich leer. (ebd. 284 f.) Der Autor drückt damit aus, wie schwierig es damals nach dem Zweiten Weltkrieg war, Deutscher zu sein. Der Nationalstolz 43 der Deutschen wird in diesen Texten deutlich in Frage gestellt. Die Darstellung einer traurigen Liebesgeschichte im Zusammenhang mit dem Leid des Kriegs kann natürlich besondere Gefühle bei den Studenten auslösen und Eindrücke prägen. Dabei wird ein negatives Kriegsbild mit den Deutschen der Vergangenheit assoziiert. Dieses Unterrichtsmaterial erklärt aber auch, warum die älteren Studenten die heutigen Deutschen als weniger stolz auf ihr Land ansehen. Damit lässt sich besser erklären, warum die Items des Faktors Heimatverbunden bei den älteren Deutschstudierenden als nicht mehr so relevant wahrgenommen werden. Im Studienweg Deutsch , Band. 2 und 3, setzen sich zwei Lektionen mit dem Thema Höflichkeit der Deutschen auseinander (Liang/ Nerlich 2006a: Studienweg Deutsch 2: 231 ff., Liang/ Nerlich 2006b: Studienweg Deutsch 3: 23 ff.). Im 1. Studienjahr werden in Texten und Übungen die üblichen Umgangsformen und Höflichkeitsregeln der Deutschen sowie die Redewendungen in Bezug auf die Höflichkeit vermittelt. Im zweiten Studienjahr wird das Thema nochmal in Verbindung mit dem Erwerben der Ausdrucksform Konjunktiv II in höflicher Rede behandelt. Die vielfältigen und ziemlich komplizierten Ausdrucksformen über Höflichkeit sind für die chinesischen Studenten sehr prägend, sie halten die Deutschen zunehmend für höflich . 44 Über die Trinkfreudigkeit der Deutschen wird im 2. Semester des 1. Jahrgangs in Studienweg Deutsch , Band. 2, in einem Text über die Stadt München im Bezug auf das Oktoberfest gesprochen (Liang/ Nerlich 2006a: Studienweg Deutsch 2: 7 f.). Materialien über gute Leistungen der deutschen Sportler, insbesondere der Fußballspieler, und auch über den Umweltschutz sind ebenfalls in Studienweg Deutsch , Band. 2, 3 und 4, zu finden (Studienweg Deutsch 2: 187 ff., Band. 3: 127 ff., Band. 4: 189 ff.). Diese Texte werden im 2. Jahrgang besprochen. Das Wis- 43 Interviewzitat: (Bewertung von Nationalstolz, 0): Aus der Geschichte habe ich über Deutschland im Zweiten Weltkrieg erfahren. Man hat den Eindruck, dass die Deutschen danach eher vorsichtig geworden sind. Sie wagten nicht mehr ihren Nationalstolz zu zeigen. (3-2_87, AT3, 25: 11) 44 Interviewzitat: (Bewertung von höflich, +3): Als ich am Anfang das deutsche Wort „bitte“ lernte, erzählte uns die Lehrerin, dass die Deutschen in vielen Situationen das Wort benutzen werden, selbst im Ärger werden sie „bitte“ zu dir sagen. Bei vielen Details im Alltagsleben kann man das sehen. Sie sind gebildet und höflich. [Und auch in ihrer Sprache siehst du die höflichen Redewendungen? ] Ja, genau, sie haben viele solche kurzen Redewendungen für Höflichkeit. (1-2_65, AB2, 20: 38) <?page no="193"?> 194 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten sen um diese Eigenschaften der Deutschen steht dem 1. Jahrgang in der Regel noch nicht zur Verfügung. Näheres zu diesen Themenkomplexen wird in Kapitel 6 (Interview) untersucht. 5.4.3.4 Vergleich mit der Kontrollgruppe Die Kontrollgruppe wird mit dem 1. Jahrgang verglichen, weil beiden Gruppen durch das Studium noch nicht viel über die Deutschen vermittelt wurde. Auch der 1. Jahrgang befand sich zum Zeitpunkt der Befragung erst im ersten Semester und hatte noch keine umfangreicheren Sprachkenntnisse (vgl. Kap. 5.1.6 Kontrollgruppe ). Der Einstellungswert der Kontrollgruppe übertrifft mit 1,96 alle Jahrgänge der Deutschlerner (vgl. Tabelle 27: Vergleich der Einstellungswerte der Jahrgänge ). Die vollständigen Daten der Kontrollgruppe sind im elektronischen Anhang 2 einzusehen. Abbildung 26: Anteile der Vergleichsitems bei dem 1. Jahrgang und der Kontrollgruppe Bei einem Vergleich des 1. Jahrgangs mit der Kontrollgruppe zeigt sich, dass die Kontrollgruppe die bei den Deutschlernern häufigstgenannten Eigenschaften mit etwas geringeren Anteilen nennt. Diese Unterschiede sind trotz des geringeren Umfangs der Kontrollgruppe - 26 Probanden gegenüber 109 Probanden des 1. Jahrgangs - weitgehend signifikant wie z. B. trinkfreudig und diszipliniert mit p-Werten deutlich unter 0,01. Dabei ist deutlich, dass sich das Eigenschaftsspektrum etwas unterscheidet, vorwiegend beim Faktor Perfektion . Dieser Faktor ist den Deutschlernern des 1. Jahrgangs besonders gegenwärtig, auch im <?page no="194"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 195 Vergleich zum 4. Jahrgang (vgl. Abbildung 22: Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang ). Die Bewertungen der Kontrollgruppe liegen fast durchweg über denen des 1. Jahrgangs. Hier zeigt sich der 1. Jahrgang bereits realistischer. Abbildung 27: Bewertung der Vergleichsitems beim 1. Jahrgang und der Kontrollgruppe 45 5.4.3.5 Zusammenfassung der Analyse faktorbasierter Häufigkeiten Die Einstellungswerte der Jahrgänge nehmen vom 1. zum 4. Jahrgang hin von 1,73 bis zu 1,50 graduell ab. Dies geschieht auf einer Skala von -3 bis +3, deshalb liegen auch die schlechteren Einstellungen noch im positiven Bereich. Dennoch wird der Frage nachgegangen, woran das liegen kann. Die pauschale Antwort ist: die positive Einstellung der Studenten wird im Laufe des Studiums realistischer und sinkt (vgl. Grünewald 2005: 292). An dieser Stelle soll jedoch ein Gruppenvergleich auf der Grundlage einzelner Eigenschaften durchgeführt werden. Da sich ein Entwicklungsgradient am einfachsten zwischen Start- und Endpunkt analysieren lässt, werden hier der 1. Jahrgang und der 4. Jahrgang miteinander verglichen. Der Vergleich wird für die veränderten Anteile der Vergleichseigenschaften und für die veränderten Bewertungen und für die Kombination von beiden vorgenommen (vgl. Abbildung 25: Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang und Einstellungseffekt durch Bewertung ). 45 Das Item fremdenfeindlich wurde von der Kontrollgruppe nicht genannt, sodass auf der zugehörigen Verlaufslinie eine Lücke entstand. <?page no="195"?> 196 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Doch anhand welcher Eigenschaften kann man diese Gruppen vergleichen? Hier werden die Haupt-Faktoren, die alle wesentlichen Dimensionen der Eigenschaftsliste erschließen, genutzt. Diese sind Allgemeine Stereotype , Sozial , Perfektion , Heimatverbunden , Unflexibel und Herrenvolk . Aus diesen Faktoren wurden die jeweils am häufigsten genannten Eigenschaften für den Vergleich herangezogen (vgl. Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen ). Im Vergleich zu einer unstrukturierten Eigenschaftsauswahl, wie z. B. der häufigsten TOP-20, wird der Eigenschaftsraum entlang der Faktoren repräsentativer erfasst. Im Zusammenspiel von Anteil, also der Häufigkeit der Nennungen eines Items, und Bewertung eines Items können folgende Fälle beobachtet werden: 1. Die Bewertungsrichtung ändert sich in Richtung „0“. Eigenschaften, die der 1. Jahrgang besser bewertet, werden vom 4. Jahrgang schlechter bewertet und Eigenschaften, die der 1. Jahrgang schlechter bewertet, werden vom 4. Jahrgang besser bewertet. a. Dabei verringert sich der Anteil dieser Eigenschaft beim 4. Jahrgang. → Erklärung: Die Gruppe hält es für weniger wahrscheinlich, dass die Eigenschaft auf die Deutschen zutrifft. Probanden, die das Item noch ankreuzen, reduzieren nach Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz die Erwartung . Andere kreuzen das Item gar nicht mehr an. b. Dabei erhöht sich der Anteil dieser Eigenschaft beim 4. Jahrgang. → Erklärung: Die Gruppe teilt vermehrt das Wissen, dass die Eigenschaft auf die Deutschen zutrifft, aber nicht die Überzeugung, dass es auf alle zutrifft. Probanden kreuzen das Item vermehrt an, reduzieren nach Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz die Erwartung . Sie haben während des Studiums viel von den chinesischen Lehrern und auch aus den Lehrwerken gelernt, wozu auch Wissen über Stereotype gehört. Ihre jeweilige Auswahl gleichen sie an das Lernkollektiv an und kreuzen diese Eigenschaften vermehrt an, obwohl sie durch immer mehr eigene Erfahrungen insbesondere mit den deutschen Lehrern oder durch Deutschlandbesuche wissen, dass es Gegenbeispiele gibt (vgl. Kapitel 6: Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie ). Deshalb stellen sie die Erwartung , dass die Eigenschaften auf die meisten Deutschen zutreffen, in Frage, was zur Abwertung der Bewertung führt. 2. Die Bewertungsrichtung ändert sich in Richtung der Pole. Eigenschaften, die der 1. Jahrgang besser bewertet, werden vom 4. Jahrgang noch besser bewertet, und Eigenschaften, die der 1. Jahrgang schlecht bewertet, werden vom 4. Jahrgang noch schlechter bewertet. a. Dabei verringert sich der Anteil dieser Eigenschaft beim 4. Jahrgang. <?page no="196"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 197 → Erklärung: Ein Teil der Gruppe teilt die Überzeugung, vermutlich aus individuellen Erfahrungen und dadurch privaten Anteilen der Stereotype, dass die Eigenschaft sehr positiv oder negativ ist und auf die Deutschen zutrifft; sie erhöhen nach Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz die Erwartung und/ oder den Wert . Der andere Teil ist überzeugt, dass die Eigenschaft nicht zutrifft und kreuzt das Item nicht mehr an. Insgesamt kreuzen weniger Probanden das Item an. b. Dabei erhöht sich der Anteil dieser Eigenschaft beim 4. Jahrgang. → Erklärung: Die Gruppe teilt die Überzeugung, dass die Eigenschaft vermehrt auf viele Deutsche zutrifft. Probanden kreuzen das Item vermehrt an und sie erhöhen nach Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz die Erwartung und/ oder den Wert . Abbildung 28: Varianten von Bewertungsrichtung und Veränderung des Anteils der genannten Items im Jahrgangsvergleich <?page no="197"?> 198 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Ausgehend von den Analyseergebnissen könnte ein fiktiver Jahrgangssprecher die Veränderung seines Stereotyps und seiner Einstellung vom 1. zum 4. Jahrgang aufgrund der Anteilsverschiebung, der Bewertung und mit Berücksichtigung des inneren Änderungspotentials 46 etwa so beschreiben: Generell finden wir, die Deutschen entsprechen wirklich ihrem Image der Dichter und Denker, das finden wir nach wie vor gut, aber jetzt, zum Ende des Studiums hin erscheinen uns andere Eigenschaften noch typischer. Viele, aber natürlich nicht alle sind besonders höflich und verhalten sich kameradschaftlich zueinander. Wir wussten schon immer, dass sie sportlich sind, aber in der Zwischenzeit haben wir gelernt, dass sie oft und gerne zusammen Sport treiben , das finden wir toll. Sie trinken auch gerne zusammen Bier, davon hatten wir schon zu Beginn des Studiums öfter mal etwas gehört. Die gesellige Seite davon ist uns sympathisch, aber zu viel Alkohol ist auch ungesund. Erst in letzter Zeit haben wir davon erfahren, dass sie sehr umweltbewusst leben, wir Chinesen wissen jetzt aber auch, wie wichtig das ist, und holen in dem Bereich auf. Sie haben immer noch sehr gute Techniker und Wissenschaftler , das ist und bleibt ein großer Vorteil. Wir sehen jetzt eher als früher, dass sie sehr zuverlässig sind, was man auch an ihren Produkten erkennt, außerdem sind ihre Männer attraktiv . Das alles bestätigt uns darin, dass sie ein Volk der Zukunft sind , so wie wir selbst. Wir sehen jetzt aber auch, dass sie anders als wir Chinesen nicht so familienorientiert sind wie wir früher dachten. Nach konfuzianischem Brauch sind wir unseren Eltern ein Leben lang verpflichtet, wohingegen die Deutschen diesbezüglich viel unabhängiger sind. Sie trumpfen aber auch nicht immer so selbstbewusst auf, wie wir uns das früher vorgestellt hatten. Die Deutschen machen alles sehr ruhig und nüchtern . Aber das Image ihrer Perfektion hat sich bei uns ein wenig abgeschwächt. Wir haben in der Zwischenzeit Deutsche getroffen, z. B. unsere Lehrer und auf Deutschlandreisen, wir finden jetzt immer noch, dass sie ziemlich arbeitsfreudig sind, aber nicht mehr ganz so wie damals, dass sie anspruchsvoll, diszipliniert, gründlich, nüchtern, ordentlich, pünktlich und rational sind. Dennoch denken wir, dass diszipliniert , ordentlich, pünktlich und rational ganz typische Eigenschaften der Deutschen sind und bleiben. Was ihren Bezug zur eigenen Heimat angeht, wissen wir jetzt auch mehr. Sie haben zwar gute Politiker, aber sie sind nicht alle gut, besonders wenn sie China kritisieren. Ihr Nationalstolz und ihre Heimatliebe halten sich in Grenzen, das hat mit ihrer Kriegserinnerung zu tun. Eine rührende Geschichte aus unserem Lehrbuch, in der ein Deutscher dreißig Jahre nach dem Krieg eine kleine englische Insel besucht, die von den Deutschen im Krieg bombardiert wurde und der von einer 46 Siehe Kapitel 5.4.5.4 Wechsel der Item-Rangfolgen - die Sanduhr-Dynamik <?page no="198"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 199 Frau angesprochen wird, die ihn für einen im Krieg verschollenen Freund hält, bleibt uns im Gedächtnis. Vergleichsweise erscheinen uns die Deutschen jetzt weniger fortschrittlich , denn wir finden sie nun etwas unflexibel. Vielleicht werden sie anders als wir nicht immer wieder aufgefordert, mit der Zeit zu gehen, modern zu sein und Neues anzunehmen, dadurch finden wir sie konventioneller als früher. Das zeigt sich besonders auch in ihrer Mode und ihrem Kleidungsstil, 47 wobei wir auch an unsere deutschen Lehrer denken. Sie sind traditionsgebunden , was wir im Prinzip gar nicht negativ empfinden, aber sie erscheinen uns jetzt insgesamt konservativer als früher, manchmal sogar distanziert und stur . Besonders diese Distanz bleibt ein Problem, das uns zukünftig noch beschäftigen wird. Was wir nicht mögen ist, dass einige von uns sie verschlossen und sogar fremdenfeindlich erlebt haben. Auch unsere chinesischen Lehrer berichten von diesem Verhalten. Es gibt aber auch viele Gegenbeispiele, die wir selbst erlebt oder von denen wir gehört haben. 48 Bei den meisten von uns spielen diese zuletzt genannten Eigenschaften keine große Rolle. 5.4.4 TOP-20-Items in Jahrgängen In diesem Kapitel wird der Vergleich der Jahrgänge auf Item-Ebene auch nochmal anhand der TOP-20 Häufigkeitsrangfolge durchgeführt. Das Verfahren der TOP-xx ist verbreitet, es stellt die xx-häufigsten Items der zu vergleichenden Gruppen nebeneinander. Anders als faktorbasierte Häufigkeiten werden jedoch nicht alle Dimensionen der Eigenschaftsliste berücksichtigt, es fehlen weniger häufig genannte Eigenschaften und damit wichtige Bereiche des Gesamtbildes. 47 Interviewzitat: (Bewertung von konservativ, 0): Im Vergleich mit anderen westlichen Ländern sind die Deutschen bei der Auswahl ihrer Kleidung konservativer. Es gibt in Deutschland weniger Veranstaltungen wie Modenschauen. Ihre Kleidung ist nicht so auffällig wie bei den Amerikanern und Engländern. (1-4_92, AK2, 20: 52) 48 Näheres zu diesem Punkt in der Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie. <?page no="199"?> 200 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Tabelle 30: Gegenüberstellung der häufigsten Nennungen (TOP-20-Items) der vier Jahrgänge In Tabelle 30 werden die TOP-20 49 Items mit ihrem prozentualen Anteil aus jedem Jahrgang gegenübergestellt. Die Items sind alphabetisch sortiert und so geordnet, dass sie anschaulich miteinander verglichen werden können. Die Zeilen werden in unterschiedlichen Farben markiert, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu verdeutlichen. Items, die bei manchen Jahrgängen fehlen, werden grau markiert. Die Items (Stereotype), die unter den 20 häufigsten durchgängig von den Jahrgängen gemeinsam geteilt werden, sind blau unterlegt. Es sind die Items anspruchsvoll , Dichter und Denker , diszipliniert , gründlich , gute Wissenschaftler , höflich , kultiviert , nüchtern , ordentlich , pflichtbewusst , rational , sportlich , trink- 49 Da die zwei Items Dichter und Denker sowie fleißig mit der gleichen prozentualen Nennung auf dem Platz 20 der Liste vom 2. Jahrgang stehen, werden in der Tabelle für den 2. Jahrgang 21 Items aufgelistet. <?page no="200"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 201 freudig und zuverlässig . Fortschrittlich und korrekt sind lediglich unter den TOP- 20 des 1. Jahrgangs, distanziert , gute Demokraten, gute Techniker und umweltbewusst finden sich nur unter den TOP-20 des 3. und 4. Jahrgangs. Heimatliebend und pünktlich sieht nur der 1. und 2. Jahrgang, fleißig , Nationalstolz und selbstbewusst sieht nur der 2. Jahrgang in den TOP-20. Dies entspricht etwa dem Bild, das die faktorbasierten Häufigkeiten ergeben. Items wie höflich , trinkfreudig , sportlich werden zwar von allen Jahrgängen geteilt. Wie die genauere Analyse oben (vgl. Abbildung 22 : Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang) zeigt, sind die Anteile aller dieser Items zwischen dem 1. und 4. Jahrgang jedoch signifikant unterschiedlich. Wichtige Items wie die der Faktoren Unflexibel und Herrenvolk fehlen fast ganz unter den TOP-20. Deshalb sind darauf aufbauende Analyse unvollständig. Ohne Faktorenmodell lassen sich diese hier fehlenden Eigenschaften auch kaum gezielt in die Analyse einbeziehen. Die TOP-20 werden aber für einen anderen Ansatz gebraucht, nämlich zur Beschreibung der Dynamik der TOP-5-Priorisierung in den Jahrgängen. 5.4.5 Dynamik der TOP-5-Priorisierung in Jahrgängen Die Hervorhebung der TOP-5, also der Eigenschaften, von denen die befragten Probanden überzeugt sind, dass es die fünf typischsten sind, die auf das Einstellungsobjekt zutreffen, wurde bereits von Katz und Braly (1933) eingeführt. In einem eigenen Modul des Fragebogens der vorliegenden Arbeit wurden die Probanden ebenfalls aufgefordert, von den bereits genannten Eigenschaften die charakteristischen TOP-5 in Bezug auf die Deutschen zu kennzeichnen (siehe Kap. 4.2.3 Aufbau des Fragebogens ). Mit den somit konzentrierten Stereotypen wurden die Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly (1933) untersucht und daraus ein anschauliches Phasenmodell abgeleitet (siehe Kap. 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly ). Auch Katz und Braly verwendeten eine offene Eigenschaftsliste mit 84 Items. Die Logik des Bestimmtheitsmaßes bildet aus den TOP-5 nochmals ein 50 %-Konzentrat, wobei die restlichen ebenfalls genannten Eigenschaften nicht mehr weiter berücksichtigt werden. Die Anzahl der Items des Bestimmtheitsmaßes z. B. in Gruppenvergleichen ist zwar abstrakt und direkt vergleichbar, jedoch ist der Konzentrationseffekt einer jeweiligen Gruppe, d. h. das Verhältnis Anzahl aller genannten Items dividiert durch das Bestimmtheitsmaß , und damit die Dynamik des Bestimmtheitsmaßes selbst nicht erkennbar. Deshalb setzt sich das nächste Unterkapitel kritisch mit dem Bestimmtheitsmaß auseinander und im folgenden Unterkapitel wird ein weitergehender Ansatz zur Dynamik der Top-5-Priorisierung beschrieben. <?page no="201"?> 202 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Denn die Aufgabe der Hervorhebung der TOP-5 beinhaltet auch diese zu priorisieren. Dies erfordert eine Abwägung z. B. von wichtig und weniger wichtig oder von höherer oder weniger hohen Vertrauenswürdigkeit der beteiligten Informationsquellen oder Primär- und Sekundärerfahrungen (vgl. Kap. 2.5.2 Entstehung nationaler Stereotype ). Hypothese ist, dass durch die TOP-5-Priorisierung eine Änderung in der Item-Rangfolge aus der offenen Liste einerseits und der TOP-5 andererseits beobachtet werden kann, die im jeweiligen Jahrgang unterschiedliche Veränderungspotentiale beschreibt. Hypothese 3: Dynamik der TOP-5-Priorisierung Mögliche a priori anzunehmende Varianten sind: • In einem Gruppenkollektiv lassen sich geringere Unterschiede in den Rangfolgen zwischen den aus der offenen Eigenschaftsliste ausgewählten Items und den TOP-5-Items feststellen. Das würde bedeuten, dass sich die Gruppe schon bei der Auswahl aus der offenen Eigenschaftsliste relativ sicher und einig in Bezug auf die charakteristischen Stereotype ist. Das Änderungspotential ist kleiner. • In einem Gruppenkollektiv lassen sich größere Unterschiede in den Rangfolgen zwischen den aus der offenen Eigenschaftsliste ausgewählten Items und den TOP-5-Items feststellen. Das würde bedeuten, dass sich die Gruppe schon bei der Auswahl aus der offenen Eigenschaftsliste relativ unsicher und uneinig in Bezug auf die charakteristischen Stereotype ist. Das Änderungspotential ist größer. Im Jahrgangsvergleich wird eine zunehmende Konstanz und damit ein abnehmendes Änderungspotential für Stereotype erwartet. 5.4.5.1 Kritische Auseinandersetzung mit dem Bestimmtheitsmaß nach Katz und Braly In Kapitel 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly der vorliegenden Arbeit wurde bereits ausführlich auf die Funktion und Anwendung des Bestimmtheitsmaßes der Stereotype nach dem Ansatz von Katz und Braly (1933) eingegangen. Wie Tabelle 1: Bestimmtheitsmaße der Jahrgänge zeigt, weist der 1. Jahrgang das niedrigste Bestimmtheitsmaß auf. Er braucht 13,3 Items, um 50 % der TOP-5-Nennungen abzudecken, mit einem kleinen Unterschied folgt der 4. Jahrgang. Der 2. und 3. Jahrgang benötigt mit höherer Bestimmtheit etwa zwei Items weniger, um 50 % der Übereinstimmung zu errei- <?page no="202"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 203 chen. Sie besitzen dadurch gegenüber dem 1. und 4. Jahrgang mehr gemeinsam übereinstimmende Stereotype. Tabelle 31 stellt das Bestimmtheitsmaß von jedem Jahrgang und das Konzentrationsverhältnis dar, also das Verhältnis Anzahl aller genannten Items dividiert durch das Bestimmtheitsmaß . Jahrgang Anzahl Probanden Bestimmtheitsmaß Anzahl der gesamt benutzten TOP-5- Items Konzentrationsverhältnis 1. Jahrgang 109 13,3 77 77: 13,3 = 5,79 2. Jahrgang 108 11,9 78 78: 11,9 = 6,55 3. Jahrgang 84 11,4 69 69: 11,4 = 6,05 4. Jahrgang 72 13,1 69 69: 13,1 = 5,27 Tabelle 31: Vergleich der Bestimmtheitsmaße und Konzentrationsverhältnisse der Stereotype von allen vier Jahrgängen Das Konzentrationsverhältnis liefert einen zweiten numerischen Wert, eine Kennzahl zu den Stereotypen der Jahrgänge: • Der 1. und 4. Jahrgang unterscheiden sich im Bestimmtheitsmaß nur geringfügig. Mithilfe der zusätzlichen Annahme, dass der 1. Jahrgang über weniger und der 4. Jahrgang nach vier Studienjahren über mehr Kenntnisse über die Deutschen verfügt, kann die Schlussfolgerung getroffen werden, dass der 1. Jahrgang seine (Un-)Bestimmtheit mit 13,3 durch ungenauere Stereotype und der 4. Jahrgang seine vom Wert her fast gleiche Bestimmtheit mit 13,1 durch gemeinsam angereicherte Stereotype bildet (vgl. Kap. 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly ) . Die zweite Kennzahl zeigt, dass der 1. Jahrgang sein gesamtes Set von 77 TOP-5-Items 5,79mal verdichten muss und der 4. Jahrgang sein von 69 Items gebildetes Set nur 5,27mal. Der 4. Jahrgang erreicht ein fast gleiches Bestimmtheitsmaß mit deutlich weniger Verdichtung, das heißt die größere Einigkeit in den Stereotypen, das größere gemeinsame Wissen wird deutlicher. Das immer noch geringe Bestimmtheitsmaß bestätigt die Annahme der gemeinsam angereicherten Stereotype. • Der 2. und 3. Jahrgang sind ähnlich gelagert: auch hier muss der 3. Jahrgang weniger verdichten. Dabei ist die Bestimmtheit von beiden besser als beim 1. Jahrgang. Das deutet auf mehr Einigkeit, also gemeinsam ausgebildete Gruppenstereotype beim 2. und 3. Jahrgang, hin, nicht aber auf eine deutliche Anreicherung. Diese erfolgt erst zum 4. Jahrgang hin. <?page no="203"?> 204 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Abbildung 29: Verlauf der 20 am häufigsten genannten Items der TOP-5 von vier Jahrgängen Abbildung 29 zeigt diese Effekte nochmal aus einer anderen Sicht auf die Daten. Hier werden die Häufigkeiten der Nennungen der ersten 20 Items der TOP-5 je Jahrgang angezeigt. Die sich aus dem Histogramm ergebende Kurve des 2. und 3. Jahrgangs mit jeweils besserer Bestimmtheit fällt stärker zum Ende hin ab als die Kurven des 1. und 4. Jahrgangs. Aus der abstrakten Sicht der Daten bedeutet höhere Bestimmtheit eine deutlich abnehmende Gemeinsamkeit in den Häufigkeiten der jeweiligen (unterschiedlichen) Items. Die Kurve des 4. Jahrgangs zeigt ein etwas sanfteres Abfallen, die Gemeinsamkeiten bleiben über die Items hin stärker erhalten. Der 1. Jahrgang ist ähnlich, zeigt aber einen Unterschied in den ersten fünf Items, nämlich einen starken Abfall nach dem dritten Item. Zu Beginn des Studiums gibt es offensichtlich stärker geteilte, allgemein bekannte, öffentliche Stereotype, auf Rang 1 ist dies gründlich , auf Rang 2 und 3 pünktlich und diszipliniert (vgl. Tabelle 32). Danach folgen auf Rang 4 und 5 (4) 50 kultiviert und rational, ebenfalls allgemein bekannt. Danach zeigt der steilere Abfall in Abbildung 29 weniger Übereinstimmung. Der 4. Jahrgang nennt auf den Rängen 1-5 die Items sportlich , trinkfreudig , pflichtbewusst , distanziert und diszipliniert . Der flache Abfall der dann folgenden Anteile in Abbildung 29 zeigt, dass die Items der TOP-20 im 4. Jahrgang stärker geteilt werden als in den jüngeren Jahrgängen. 50 Auf dem vierten Rang stehen zwei Items mit der gleichen Zahl an Nennungen, deshalb entfällt der fünfte Platz. <?page no="204"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 205 Tabelle 32: Gegenüberstellung der häufigsten TOP-5-Nennungen der vier Jahrgänge Vergleicht man die häufigsten Items der Bestimmtheitsmaße aller Jahrgänge, also die ersten 13 Items der TOP-5-Nennungen beim 1. und 4. Jahrgang sowie die ersten elf Items beim 2. und 3. Jahrgang, so gibt es fünf gemeinsam geteilte Items, nämlich diszipliniert , gründlich , pflichtbewusst , pünktlich , trinkfreudig . Das bedeutet, die Stereotype 51 ändern sich in der Häufigkeit der Nennungen. Vom 1. zum 2. Jahrgang wurden vier Items von 13 ausgetauscht, vom 2. zum 3. wurden sechs Items von 12 ausgetauscht, vom 3. zum 4. wurde kein Item von insgesamt elf Items ausgetauscht, hier ist das Stereotyp bereits stabiler. Es werden aber drei Items hinzugefügt, was auf eine Anreicherung der Stereotype im 4. Jahrgang hindeutet. Mit dem Vergleich der dahinterstehenden Items der Bestimmtheitsmaße kann die Zuordnung der Phasenentwicklung der Stereotype 51 Diese Betrachtung beschränkt sich auf den Ausschnitt der 50 % der TOP-5 Nennungen, also die Items des Bestimmtheitsmaßes. <?page no="205"?> 206 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten vom 1. bis hin zum 4. Jahrgang trotz kleiner Unterschiede der numerischen Werte beobachtet und durch die Verschiebung der Häufigkeiten bestätigt werden. Die Kennzahlen von Bestimmtheitsmaß und Verdichtung, sowie der Häufigkeitsverlauf der TOP-5-Items zeigen übereinstimmend: • Zu Beginn des Studiums sind die Stereotype geprägt durch allgemein bekannte, also öffentliche Anteile. Der 1. Jahrgang zeigt nach diesem öffentlichen Anteil (Items 1-3) bei den weiter häufig genannten Items weniger Übereinstimmung durch uneinheitliche Überzeugungen. • Zum Ende des Studiums hin gibt es ebenfalls deutlich geteilte Stereotype, die im Verlaufe des Studiums gewonnen wurden, es sind die privaten Anteile (vgl. Definition 7: Unterscheidung von öffentlichen und privaten Stereotypanteilen ), die semantisch von den allgemein bekannten Stereotypen deutlich abweichen. Zudem ist der Grad der Übereinstimmung der ersten drei Items nicht ganz so hoch wie beim 1. Jahrgang, die Stereotype konzentrieren sich im 4. Jahrgang nicht ganz so stark auf die privaten Anteile wie die Stereotype im 1. Jahrgang auf die allgemeinen öffentlichen Anteile. 5.4.5.2 Vergleich des Anteilniveaus der Faktoren zwischen TOP-5- Nennungen und allen Nennungen Von den 373 Probanden der Hauptgruppe wurden 373 * 5 = 1865 von den TOP-5- Items genannt. Dabei wurden 99 von insgesamt 134 genutzten Items der Eigenschaftsliste wiederum für die TOP-5 genutzt, das sind 74 % oder grob ¾ der Gesamtliste. Der hohe Nutzungsgrad der Eigenschaftsliste für die TOP-5-Nennungen zeigt, dass die Vorstellungen der Probanden, was eigentlich typisch deutsch ist, doch recht unterschiedlich sind. Für eine erste Beschreibung dessen, was typisch für die Deutschen ist, werden die Anteile der Faktoren für jeden Jahrgang berechnet und jahrgangsweise gegenübergestellt. Zum Vergleich der Unterschiede zwischen den TOP-5-Nennungen und allen Nennungen werden in der unteren Tabelle die Anteile der Faktoren aller Nennungen angegeben (vgl. auch Tabelle 28: Vergleich der Faktoren mit Bewertung unter den vier Jahrgängen ). <?page no="206"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 207 Jahrgang Allgemeine Stereotype Sozial Perfektion Heimatverbunden Unflexibel Herrenvolk Unsozial Massenmensch Sonstige Anteil Faktor der TOP-5- Nennungen % 1. Jahrgang 38,53 11,56 33,58 6,06 7,34 1,83 1,10 0,00 0,00 2. Jahrgang 36,67 9,07 33,70 5,93 9,07 3,89 1,11 0,56 0,00 3. Jahrgang 46,67 6,90 28,57 2,62 11,43 1,90 0,95 0,95 0,00 4. Jahrgang 46,94 9,44 21,39 2,78 12,78 5,00 1,11 0,56 0,00 Anteil Faktor aller Nennungen % 1. Jahrgang 40,95 22,20 17,46 6,64 6,69 3,29 2,42 0,31 0,05 2. Jahrgang 38,50 22,81 16,08 6,84 7,56 3,98 2,85 1,26 0,13 3. Jahrgang 41,29 20,89 16,57 4,82 10,45 2,62 2,30 0,92 0,14 4. Jahrgang 40,56 19,75 15,19 5,81 10,71 4,37 2,62 0,87 0,11 Tabelle 1: Vergleich der Anteile von Faktoren aus allen Nennungen und der TOP-5-Nennungen der vier Jahrgänge Tabelle 33: Vergleich der Anteile von Faktoren aus allen Nennungen und der TOP-5-Nennungen der vier Jahrgänge Wie die Pfeile in der Tabelle anzeigen, haben die Faktorenanteile der TOP-5-Nennungen einen ähnlichen Verlauf wie die Anteile aller Nennungen. Die Faktoren Unsozial , Massenmensch , Sonstige sind aufgrund der geringen Nennungen hier ebenfalls nicht mehr berücksichtigt. Die Unterschiede zwischen der Verteilung der Faktoren nach der Priorisierung bestehen einerseits darin, • dass eine Steigerung mit stärkerer Differenz der Anteile des Faktors Allgemeine Stereotype in den TOP-5-Nennungen mit zunehmendem Alter der Jahrgänge deutlich zu sehen ist, • dass sich der Verlauf der Anteile der restlichen Faktoren in den TOP-5-Nennungen stärker unterscheidet als im Verlauf der Anteile aller Nennungen, • dass dabei das Anteilsniveau von Sozial stark, teilweise um mehr als 50 % abnimmt, • dass dafür das Anteilsniveau von Perfektion stark, teilweise um mehr als 50 % zunimmt, • dass dabei das Anteilsniveau der Allgemeinen Stereotype und von Heimatverbunden, Unflexibel und Herrenvolk differenzierter ausfällt: • das Anteilsniveau der Allgemeinen Stereotype nimmt beim 1. und 2. Jahrgang deutlich mit 2-3 %-Punkten ab, dagegen im 3. und 4. Jahrgang mit 5-6 %-Punkte zu • das Anteilsniveau von Heimatverbunden ist im 1. Jahrgang noch gleich, fällt in den Folgejahren bei den TOP-5 stark ab, bis unter 50 % • das Anteilsniveau von Unflexibel liegt bei allen Jahrgängen mit 1-2 %-Punkte leicht höher, d. h. die Probanden finden diesen Faktor durchaus typisch für die Deutschen • das Anteilsniveau von Herrenvolk verhält sich umgekehrt, d. h. während der 1. Jahrgang diesen Faktor für nicht so typisch hält, steigen die Anteile der TOP-5 mit den Jahrgängen auf das gleiche Niveau wie alle Nennungen und liegen im 4. Jahrgang sogar etwas über dem Niveau aller Nennungen. <?page no="207"?> 208 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Der Verlauf der Anteile zwischen dem 1. und dem 4. Jahrgang bei den TOP-5-Nennungen ist vergleichbar mit allen Nennungen (vgl. Kap. 5.4.3.2 Faktorbasierte Häufigkeiten der Eigenschaften mit Bewertung ), zeigt aber folgende Unterschiede: • Der Faktor Allgemeine Stereotype weist unter allen Nennungen keinen Unterschied zwischen dem 1. und 4. Jahrgang auf, bei der Priorisierung sinkt das Niveau demgegenüber beim 1. Jahrgang und steigt beim 4. Jahrgang. Dadurch entsteht ein Unterschied. • Bei allen anderen Faktoren ist die Tendenz von TOP-5 zu allen Nennungen ähnlich, jedoch mit den beschriebenen Niveauunterschieden. Das heißt, die in Kapitel 5.4.3.2 Faktorbasierte Häufigkeiten der Eigenschaften mit Bewertung beschriebene Stereotypentwicklung der Jahrgänge entlang der Faktoren ist im Prinzip zwar unabhängig davon, ob sie mit TOP-5 oder allen Nennungen beschrieben werden. Die Analyse der Anteils- und Wertentwicklung und damit der Stereotypentwicklung in den Jahrgängen auf Item-Level sollte jedoch auf dem vollständigen Set aller gewählten Eigenschaften durchgeführt werden, weil nur dann die Verhältnisse zwischen den Anteilen einzelner Items auf den vollständigen Daten basieren. Die TOP-5-Auswahl führt zu einem Ausschnitt, einem Subset von ¾ aller Items und damit zu Verschiebungen der Item-Anteile. Dies geschieht in Richtung eines noch positiveren Deutschlandbildes. So liegt der mittlere Einstellungswert der gesamten Hauptgruppe auf der Basis aller genannten Items bei 1,59 und auf der Basis der TOP-5-Nennungen bei 1,73 durch die Bevorzugung positiverer Items im Bereich der Faktoren Allgemeine Stereotype und Perfektion . Die kritischen Faktoren werden dadurch aber etwas unterrepräsentiert und die Anteile einzelner Items verschieben sich. Demgegenüber beschreibt das Bestimmtheitsmaß auf Basis der TOP-5 einen abstrakten numerischen Wert, eine Kennzahl. Dabei spielt es keine Rolle, welche Items dort einfließen - dies wird nicht interpretiert, sondern nur wieviele bis zur Erreichung des Schwellenwert von 50 % aller Nennungen. Andere Items werden ausgeblendet. Dadurch ist das Bestimmtheitsmaß weniger geeignet zur Beschreibung der Stereotypentwicklung auf Item-Level. 5.4.5.3 Vergleich der Faktorbewertung von TOP-5 und allen Nennungen Tabelle 34 zeigt, dass positive Items, die als TOP-5 markiert wurden, im überwiegenden Teil aller Jahrgänge höher bewertet wurden als die durchschnittliche Bewertung aller Nennungen, und negative Items umgekehrt noch negativer bewertet wurden (siehe auch elektronischer Anhang 3). In der Tabelle 34 werden die mittleren Bewertungen (MW) pro Faktor und ihre Standardabweichungen (StAbw) für die Hauptgruppe angegeben. Die MW und StAbw der Faktoren, die anhand der TOP-5-Nennungen jedes Jahrgangs <?page no="208"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 209 berechnet wurden, werden in der Tabelle nicht direkt, sondern als Abweichung von der MW und StAbw der Hauptgruppe angezeigt. Faktor MW von der Hauptgruppe StAbw von Bewertung der Hauptgruppe Abweichung der MW der TOP-5 von der MW aller Nennungen Abweichung der StAbw der TOP-5 von der StAbw aller Nennungen 1. Jg 2. Jg 3. Jg 4. Jg 1. Jg 2. Jg 3. Jg 4. Jg Allgemeine Stereotype 2,12 1,13 0,27 0,10 0,01 0,14 -0,09 0,13 0,11 0,04 Sozial 2,13 1,00 0,52 0,34 0,01 0,17 -0,25 -0,15 0,06 0,04 Perfektion 1,73 1,16 0,44 0,31 0,14 0,14 -0,03 -0,10 0,07 -0,08 Heimatverbunden 1,63 1,22 0,47 -0,53 -1,35 -0,03 -0,07 0,33 0,73 0,21 Unflexibel -0,31 1,35 -0,14 -0,30 -0,09 -0,06 0,46 -0,18 0,12 0,02 Herrenvolk -1,29 1,47 -0,31 0,15 0,29 -0,32 -0,04 0,25 0,23 0,18 Unsozial -1,07 1,31 0,23 -0,10 -0,43 0,07 -0,55 -0,32 -0,73 -0,15 Massenmensch -0,59 1,37 - -0,41 -0,91 -0,91 - -0,37 0,36 0,75 Tabelle 34: Vergleich der mittleren Bewertungen der TOP-5-Nennungen und aller Nennungen in den Faktoren unter vier Jahrgängen ( Jg) <?page no="209"?> 210 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Der Vollständigkeit halber wird hier festgestellt, dass keine Items des Faktors Sonstige als TOP-5 ausgewählt wurden, sodass der MW dieses Faktors in der folgenden Tabelle nicht mehr angezeigt wird - er würde in diesem Zusammenhang zusammen mit den Faktoren Unsozial und Massenmensch allerdings sowieso nicht weiter berücksichtigt. Die TOP-5-Items werden in den positiven Faktoren von allen Jahrgängen etwas positiver bewertet und die negativen etwas negativer als in der Gesamtbewertung. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Dimension Erwartung des Modellansatzes nach Fishbein (vgl. Kap. 3.3.2 Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz ) als höher angesehen wird, wenn das Item als besonders typisch priorisiert wird. Allerdings ist die Differenz teilweise sehr klein, was wiederum darauf hinweist, dass die Bewertung als Funktion der Dimensionen Erwartung und Wert hier nicht allein von der Erwartung dominiert wird, wie Fishbein und Ajzen es für Single-Response-Antworten annehmen (vgl. Fishbein/ Ajzen 1975: 53 ff.). Das wiederum ist ein Hinweis darauf, dass der Single-Response-Ansatz in Verbindung mit der Aufgabenstellung funktioniert hat (vgl. Kap. 3.3.6 Die Bedeutung der Aufgabenstellung für den gewählten Modellansatz und Kap. 3.3.7 Single-Response-Messungen ). Wenn die Erwartung den Einstellungswert dominieren würde, dann müsste die Kurve mit der TOP-5-Bewertung komplett parallel nach oben versetzt sein im Vergleich zur Kurve mit allen Bewertungen. Das ist aber nicht der Fall. (vgl. Abbildung 30) Abbildung 30: Mittlere Bewertungen der Vergleichsitems der TOP-5 und von allen Nennungen Eine Ausnahme ist der Faktor Heimatverbunden , der vom 1. Jahrgang besser, aber von den älteren Jahrgängen schlechter bewertet wurde. Interessant ist hier <?page no="210"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 211 der Verlauf der Streuungen (StAbw), die sehr hoch ist, beim 3. Jahrgang ihr Maximum erreicht und dann wieder etwas abfällt. Das bedeutet, die Probanden bewerten die damit verbundenen Eigenschaften sehr unterschiedlich. Die betreffenden Eigenschaften sind mehrfach ambivalent. Wie in Kapitel 6 Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie gezeigt wird, ist die Bewertung einerseits abhängig davon, welches Charakteristikum gesehen wird, nämlich ob die Eigenschaften gedanklich eher mit der Kriegshistorie Deutschlands verbunden werden oder eher mit dem modernen Deutschland. 52 Diese gut-schlecht-Assoziation gewichtet die Dimension Wert des modifizierten Fishbeinansatzes (vgl. Kap. 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ) stärker und führt dadurch zu unterschiedlichen Bewertungen. Die andere Ambivalenz steckt in der unterschiedlichen Relevanz, die von den Probanden in den Eigenschaften des Faktors Heimatverbunden gesehen werden (vgl. Kap. 5.4.3.3 Ein Blick ins Lehrwerk ). Dies gewichtet die Dimension Erwartung des modifizierten Fishbeinansatzes stärker (vgl. Kap. 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ). Im Folgenden wird die Dynamik der TOP-5-Priorisierung beschrieben, um die Jahrgänge und ihre Entwicklung auf dieser Ebene weiter zu unterscheiden (vgl. Hypothese 3: Dynamik der TOP-5-Priorisierung ). 5.4.5.4 Wechsel der Item-Rangfolgen - die Sanduhr-Dynamik Welche Prozesse bei der TOP-5-Auswahl führen nun zu dem beschriebenen Niveauwechsel der Anteile und zur Aufwertung der mittleren Einstellungswerte? Der Wechsel der Rangfolge wird aus Gründen der Vergleichbarkeit wieder anhand der 20 am häufigsten genannten Items aufgezeigt. Tabelle 32: Gegenüberstellung der häufigsten TOP-5-Nennungen der vier Jahrgänge zeigt die 20 häufigsten Items der TOP-5-Auswahl, die TOP-20 der TOP-5. 53 Zur besseren Übersicht werden Items nicht nach dem Prozentanteil ihrer Nennungen sortiert, sondern alphabetisch geordnet. Die Items, die in den TOP-20 der TOP-5-Nennungen in allen Jahrgängen durchgehend zu finden sind, werden blau markiert. Außer ihrem Anteil wird noch ihre Rangposition vor der Itembezeichnung an- 52 Interviewzitat: (Bewertung von Nationalstolz , +3): Jeder sollte stolz auf sein Vaterland sein. Das ist ein Zeichen von Patriotismus. (…) Ich gehe von meiner Sicht aus, dass jeder sein Land liebt. Außer wenn das Land was sehr Schlechtes getan hätte, oder jemand in dem Land sehr ungerecht behandelt würde, würde man sein Land schlecht beurteilen. Das Land ist unsere Stütze, jeder sollte Nationalstolz haben. (1-2_65, AT4, 26: 17) Interviewzitat: (Bewertung von Nationalstolz , -3): Wegen der Nazis. Weil sie ja auf andere Länder herabschauen. (2-1_82, AT5, 24: 37) 53 Bei dem 2., 3. und 4. Jahrgang gibt es mehr als zwei Items, die auf dem Platz 20 stehen. Damit die Vergleichsliste nicht zu lang und ungleichverteilt wird, wurden von diesen Jahrgängen nur die ersten 19 Items aufgelistet. Auf dem zwanzigsten Platz der TOP-5-Nennungen vom 1. Jahrgang steht nur ein Item, sodass es in der Liste erscheint. <?page no="211"?> 212 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten gezeigt. Rangpositionen außerhalb der TOP-20 werden mit roter Schrift markiert. Nun werden nicht die Wechsel der Rangposition zwischen den Jahrgängen beschrieben, weil diese bereits direkt oder indirekt durch die Anteilsentwicklung der häufigsten Items in den Faktoren beschrieben wurden (vgl. Abbildung 25: Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang und Einstellungseffekt durch Bewertung ). Hier geht es um eine Dynamik innerhalb einer Gruppe, d. h. eines Jahrgangs, um dann Gruppen, d. h. Jahrgänge, weiter vergleichen zu können. Deshalb werden die Tabelle 30 und Tabelle 32 für eine Differenzialanalyse herangezogen. Analysiert werden die Differenzen der Item-Rangpositionen innerhalb desselben Jahrgangs zwischen den TOP-5-Nennungen und allen Nennungen. Zweck ist es herauszufinden, wie groß die Unterschiede in den Häufigkeiten bei der Charakterisierung der Deutschen sind, wenn einerseits eine offene Eigenschaftsliste benutzt wird, andererseits verlangt wird, bereits genannte Eigenschaften zu priorisieren. Die Aufgabe der Priorisierung ist hier gleichbedeutend mit der TOP-5-Auswahl. Lesebeispiel: Tabelle 30: Gegenüberstellung der häufigsten Nennungen (TOP- 20-Items) der vier Jahrgänge zeigt die 20 häufigsten Items von allen Items der Eigenschaftsliste, Tabelle 32 die der TOP-5-Auswahl. Das Item anspruchsvoll im 1. Jahrgang liegt bei allen auf Rang 16, bei der TOP-5-Auswahl auf Rang 15. Die Differenz in der Rangfolge beim Übergang von allen zu den priorisierten TOP-5 beträgt „+1“. Dies ist auch bei den Items gründlich und kultiviert der Fall. Wenn man die Items mit positiver und negativer Rangdifferenz in einer Grafik zusammenfasst, beschreibt der Vektor der Veränderungsstärke eine Kurve von starker Rangänderung im negativen Bereich, die die schwächer wird, dann im positiven Bereich ansteigt bis zum Maximum. Einige Eigenschaften verlieren in der Rangfolge, einige gewinnen hinzu, es ergibt sich semantisch und grafisch das Abbild einer „Sanduhr“, welche die Rangverschiebung der Eigenschaften durch die erfolgte Priorisierung darstellt (vgl. Abbildung 31: Sanduhr-Dynamik der Eigenschaften des 1. Jahrgangs ). Eine Beschreibung dieses Phänomens konnte in der Literatur nicht aufgefunden werden. <?page no="212"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 213 Abbildung 31: Sanduhr-Dynamik der Eigenschaften des 1. Jahrgangs Die Dynamik der Zu- und Abnahme der Rangfolge von Eigenschaften aufgrund einer Priorisierung durch eine Gruppe folgt semantisch und grafisch dem Abbild einer Sanduhr und wird im folgenden Sanduhr genannt. Die Form der Sanduhr beschreibt sowohl die Stabilität, als auch die Veränderungstendenz der Stereotype dieser Gruppe, also die Dynamik. Definition 8: Sanduhr-Dynamik Die Sanduhr-Dynamik beschreibt die Fähigkeit einer Gruppe die Frage „welches Stereotyp beschreibt die stereotypisierte Gruppe“ mehr oder weniger konsistent zu beantworten: • Weniger Differenz in der Rangfolge der häufigsten Items ist dabei die konsistentere Antwort, mehr Differenz ist die weniger konsistente Antwort. • Ein konsistenter impliziert eine konkretere und sicherere Vorstellung der Stereotype. • Ein konsistenter bedeutet auch für jede Art der Stereotypdarstellung im Gruppenvergleich wie z. B. TOP-20, TOP-5 oder auch der häufigsten Eigenschaften <?page no="213"?> 214 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten entlang der Haupt-Faktoren ein Mehr an Schärfe und Sicherheit für die dargestellten Stereotype. Die Sanduhr selbst beschreibt die Richtung und Größe von Änderungspotentialen, grafisch erkennbar am zunehmenden Anstieg und Abfall der Rangpositionen ausgehend vom Minimum zum Maximum. Abbildung 32: Sanduhr-Dynamik der Jahrgänge Zur Bildung einer Kennzahl für die Sanduhr-Dynamik werden die Rangänderungen je Gruppe aggregiert. Die Kennzahl wird größer, wenn das Aggregat der Rangdifferenzen größer wird. Die Kennzahl wird kleiner, wenn die Rangdifferenzen zusammengenommen einen kleineren Wert ergeben. Tabelle 35 zeigt die aggregierten Rangänderungen. Um den Umfang der Änderungen zu erfassen und einen Ausgleich der positiven und negativen Änderungen auszuschließen, wurde z. B. eine „-1“ positiv als „+1“ addiert. Die Aggregation bildet eine Kennzahl für die Sanduhr-Dynamik. <?page no="214"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 215 Kennzahl und Grafik zeigen übereinstimmend, dass die Dynamik im Vergleich des 1. und 4. Jahrgangs deutlich abnimmt. Das wird hier als Zunahme der Sicherheit des Kollektivs in Bezug auf Stereotype interpretiert. Probandengruppe 1. Jahrgang 2. Jahrgang 3. Jahrgang 4. Jahrgang Kontrollgruppe Summe der Rangänderungen 188 226 107 86 297 Tabelle 35: Rangdifferenzen als Dynamik-Kennzahlen für Jahrgänge und Kontrollgruppe Eigenschaften, die einer geringeren Sanduhr-Dynamik mit ≤ 5 Rängen Differenz unterliegen, sind für den 1. Jahrgang: anspruchsvoll , attraktive Männer , diszipliniert, fleißig , gründlich , gute Wissenschaftler , kultiviert , ordentlich, pflichtbewusst , pünktlich , sportlich, trinkfreudig 2. Jahrgang: anspruchsvoll , diszipliniert, intelligent , kultiviert , Nationalstolz , ordentlich, pflichtbewusst , pünktlich , rational , sportlich, trinkfreudig 3. Jahrgang: Dichter und Denker , diszipliniert, gründlich , gute Demokraten , gute Techniker , gute Wissenschaftler , höflich , konventionell , nüchtern , ordentlich, pflichtbewusst , rational , sportlich, trinkfreudig, umweltbewusst 4. Jahrgang: anspruchsvoll , distanziert , diszipliniert, gute Techniker , gute Wissenschaftler , höflich , nüchtern , ordentlich, rational , sportlich, trinkfreudig, umweltbewusst , Volk der Zukunft , zuverlässig Diese Eigenschaften im Zentrum der Sanduhr sind keineswegs immer die häufigsten. Unter den gemeinsamen Eigenschaften liegt die Häufigkeit von trinkfreudig auf den Rängen 15/ 11 (vgl. Tabelle 30 und Tabelle 32) im 1. Jahrgang. Nach der Begegnung mit den entsprechenden Lehrmaterialien im 2. Semester des 1. Jahrgangs (vgl. Kap. 5.4.3.3 Ein Blick ins Lehrwerk ) wechselt trinkfreudig im 2., 3. und 4. Jahrgang auf die Ränge 2/ 3, 3/ 1, 2/ 2. Das Zentrum der Sanduhr beschreibt eine ruhigere Zone im Sinne einer stabilen Einstufung der Rangposition eines Items durch das jeweilige Kollektiv. Oder anders ausgedrückt, im gemeinsamen Verständnis aller vier Jahrgänge wird trinkfreudig sowohl bei der ersten Nennung als auch bei der anschließenden Priorisierung als gleich wichtig angesehen. Dies gilt für alle Eigenschaften, die einer geringeren Sanduhr-Dynamik mit ≤ 5 Rängen Differenz aufweisen und allen vier Jahrgängen gemeinsam sind, diese sind diszipliniert, ordentlich, sportlich und eben trinkfreudig. <?page no="215"?> 216 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Andere Eigenschaften halten ihre Position nur im jeweiligen Jahrgang, wie z. B. fleißig nur im 1. Jahrgang, intelligent nur im 2. Jahrgang und gründlich in mehreren Jahrgängen nämlich im 1. und 3. Jahrgang. 5.4.5.5 Bewertung der Sanduhr-Items In Tabelle 36 sind die Änderungen der Rangpositionen nochmal im Detail aufgeführt, zusammen mit den durchschnittlichen Skalenpunkten. Dies sind die durchschnittlichen Bewertungen der jeweiligen Eigenschaften im jeweiligen Jahrgang mit positivem Vorzeichen. Damit soll vermieden werden, dass sich positive und negative Werte ausgleichen, aber die Intensität der Bewertung, also näher an „0“ = geringe Intensität, näher an „3“ = hohe Intensität, erhalten bleibt. Sanduhr-Items, die ihre Position nicht verändert haben - dies sind sportlich im 2. Jahrgang und sportlich , trinkfreudig und zuverlässig im 4. Jahrgang (vgl. Abbildung 32: Sanduhr-Dynamik der Jahrgänge ) - werden in Tabelle 36 nicht aufgeführt. Als Nullpunkt der Dynamik liefern sie keinen Beitrag auf der Seite des An- oder Abstiegs der Rangposition durch Priorisierung. Tabelle 36: Sanduhr-Items mit Änderungen der Rangpositionen ohne Nullwerte, mit mittleren Skalenpunkten Das Verhältnis der mittleren Skalenpunkte von An- und Abstieg insgesamt ist in Abbildung 33 dargestellt. Mit fortschreitendem Jahrgang näheren sich die Kurven an, das heißt die Unterschiede in der Intensität der Bewertung zwischen aufsteigend und absteigend priorisierten Eigenschaften werden deutlich geringer. Im Einzelnen zeigt sich: • Herauf- und herunterpriorisierte Eigenschaften des 1. Jahrgangs sind nicht alle positiv, wie z. B. die Eigenschaft stur (vgl. Kap. 5.3.3 Mittelwerte und Streuungen der Eigenschaften und Anhang 3). Doch auch diese gehen mit ihrer positiven Bewertungsintensität als Skalenpunkt in die Gegenüberstellung ein, es führt also nicht durch das sonst negative Vorzeichen der Bewertung zur Abnahme der durchschnittlichen Bewertungsintensität der heraufpriorisierten Items mit Änderungen der 1. Jahrgang Rangänderung Skalenpunkte 2. Jahrgang Rangänderung Skalenpunkte 3. Jahrgang Rangänderung Skalenpunkte 4. Jahrgang Rangänderung Skalenpunkte diszipliniert -2 2,10 trinkfreudig -1 0,11 konventionell -1 0,17 anspruchsvoll -1 2,14 gute Wissenschaftler -2 2,47 kultiviert -3 2,73 ordentlich -1 1,57 umweltbewusst -1 2,73 pflichtbewusst -2 2,88 rational -3 2,17 gute Techniker -1 2,25 Volk der Zukunft -1 3,00 ordentlich -5 2,18 intelligent -4 2,88 nüchtern -2 2,35 nüchtern -2 1,67 höflich -7 2,73 pflichtbewusst -4 2,68 Dichter und Denker -3 1,91 höflich -3 2,50 nüchtern -7 2,62 ordentlich -5 2,09 diszipliniert -3 1,65 Dichter und Denker -6 2,63 intelligent -8 2,57 zuverlässig -6 2,88 gute Wissenschaftler -5 2,63 gute Demokraten -6 2,11 heimatliebend -14 2,33 nüchtern -10 2,17 höflich -5 2,80 kultiviert -6 2,80 Volk der Zukunft -14 3,00 höflich -13 2,50 zuverlässig -6 3,00 konventionell -9 0,14 fortschrittlich -17 2,57 selbstbewusst -13 1,60 kultiviert -9 2,62 zuverlässig -22 3,00 heimatliebend -18 2,00 intelligent -17 2,40 gute Wissenschaftler -26 2,75 Summe 28,45 26,56 23,35 19,72 Mittelwert 2,85 2,21 2,12 2,19 stur +22 1,40 Herrenvolk +26 1,36 pünktlich +17 2,43 pünktlich +17 2,67 konventionell +20 0,73 attraktive Männer +24 2,92 anspruchsvoll +8 1,31 attraktive Männer +9 2,78 Dichter und Denker +10 2,24 korrekt +19 2,00 distanziert +7 0,77 pflichtbewusst +7 2,81 korrekt +7 2,00 Dichter und Denker +11 2,47 gründlich +5 2,28 gründlich +6 2,09 rational +6 1,90 konventionell +11 0,09 umweltbewusst +5 2,94 gute Techniker +4 2,78 attraktive Männer +5 2,73 gute Techniker +9 2,92 sportlich +4 2,48 distanziert +3 0,93 fleißig +4 2,60 gründlich +8 2,40 gute Demokraten +3 1,63 gute Wissenschaftler +2 2,50 pünktlich +4 2,56 anspruchsvoll +5 1,45 pflichtbewusst +2 2,56 diszipliniert +1 1,50 trinkfreudig +4 0,36 pünktlich +4 1,84 trinkfreudig +2 0,29 ordentlich +1 1,78 sportlich +3 2,08 Nationalstolz +2 0,27 rational +1 1,00 rational +1 1,33 anspruchsvoll +1 1,75 diszipliniert +1 2,13 gründlich +1 2,44 kultiviert +1 2,75 Summe 25,54 19,85 17,69 21,17 Mittelwert 1,96 1,80 1,77 2,12 Tabelle 36: Sanduhr-Items mit Änderungen der Rangpositionen ohne Nullwerte, mit mittleren Skalenpunkten Das Verhältnis der mittleren Skalenpunkte von An- und Abstieg insgesamt ist in Abbildung 33 dargestellt. Mit fortschreitendem Jahrgang nähern sich die Kurven an, das heißt die Unterschiede in der Intensität der Bewertung zwischen <?page no="216"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 217 aufsteigend und absteigend priorisierten Eigenschaften werden deutlich geringer. Im Einzelnen zeigt sich: • Herauf- und herunterpriorisierte Eigenschaften des 1. Jahrgangs sind nicht alle positiv, wie z. B. die Eigenschaft stur (vgl. Kap. 5.3.3 Mittelwerte und Streuungen der Eigenschaften und Anhang 3). Doch auch diese gehen mit ihrer positiven Bewertungsintensität als Skalenpunkt in die Gegenüberstellung ein, es führt also nicht durch das sonst negative Vorzeichen der Bewertung zur Abnahme der durchschnittlichen Bewertungsintensität der heraufpriorisierten Eigenschaften (blaue Balken). Ein Blick auf Tabelle 36: Sanduhr-Items mit Änderungen der Rangpositionen ohne Nullwerte, mit mittleren Skalenpunkten zeigt als Grund für die Abnahme der Bewertungsintensität den Austausch von sehr positiven Eigenschaften zugunsten von weniger polarisierenden und teilweise schlechter bewerteten Eigenschaften. Wie Tabelle 27: Vergleich der Einstellungswerte der Jahrgänge zeigt, liegt der 1. Jahrgang bei der positiven Bewertung aller Eigenschaften an erster Stelle. Dennoch zeigt die Sanduhr-Dynamik, dass eine latente Tendenz besteht, die besonders positive Bewertung zu korrigieren, denn bei der Priorisierung wird abgestuft. • Beim 4. Jahrgang verhält es sich fast umgekehrt. Nachdem sich die Wertigkeit in Bezug auf die Bewertungsintensität im Jahrgangsverlauf angenähert hat und vom 2. zum 3. Jahrgang parallel verläuft, steigt sie im 4. Jahrgang deutlich an. Hier besteht eine latente Tendenz, die nach dem 3. Jahrgang bereits auf den dritten Platz verbesserte Bewertung im Jahrgangsvergleich zu stabilisieren oder eher nochmal nach oben zu korrigieren. Insgesamt zeigt der 4. Jahrgang kollektiv die geringste Sanduhr-Dynamik: - in der Anzahl von drei Items ohne Positionsveränderung mit Änderungspotential = 0, - in den geringeren Anteilen größerer Veränderungen, also kleineren Änderungspotentialen, - bis hin zur fast ausgeglichenen Bewertungsintensität. Das geringste Änderungspotential im 4. Jahrgang, das bei der Priorisierung deutlich wird, bedeutet im Umkehrschluss die kollektiv sichersten Reaktionen im Denken und Fühlen gegenüber den Deutschen, repräsentiert durch Stereotypisierung und Bewertung der Deutschen (vgl. Abbildung 1: Forschungsansatz ) im Jahrgangsvergleich. In diese Richtung weist auch die durchweg geringste Streuung bei der Bewertung (vgl. Tabelle 28: Vergleich der Faktoren mit Bewertung unter den vier Jahrgängen ). <?page no="217"?> 218 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Abbildung 33: Aggregierte mittlere Skalenpunkte der Sanduhr-Items von An- und Abstieg Allerdings besitzt auch der 4. Jahrgang Änderungspotentiale, die über diese Jahrgangsstufe hinaus auf die weitere Entwicklung des Stereotyps verweisen. (vgl. Abbildung 32: Sanduhr-Dynamik der Jahrgänge ) 5.4.5.6 Sanduhr-Items der Kontrollgruppe Die Kontrollgruppe weist eine hohe Dynamik auf (vgl. Abbildung 34 und Tabelle 35), ist in Bezug auf die Bewertungsintensität mit Abstieg = 2,29 und Anstieg = 2,32 aber fast ausgeglichen. Abbildung 34: Sanduhr-Dynamik der Kontrollgruppe <?page no="218"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 219 Das liegt daran, dass die Kontrollgruppe ausschließlich positive Eigenschaften verwendet und diese vergleichsweise sehr gut bewertet, sodass die Kontrollgruppe im Bewertungsdurchschnitt noch vor dem 1. Jahrgang liegt (vgl. Tabelle 37). Probandengruppe Einstellungswert StAbw Kontrollgruppe 1,96 1,39 1. Jahrgang 1,73 1,51 Hauptgruppe 1,59 1,53 Tabelle 37: Vergleich der Einstellungswerte der Kontrollgruppe, des 1. Jahrgangs und der Hauptgruppe Ein genauerer Blick auf die Bewertung der Faktoren zeigt, dass auch jeder einzelne Faktor von der Kontrollgruppe im Mittel (MW) positiver bewertet wird als vom sonst am positivsten eingestellten 1. Jahrgang (vgl. Tabelle 38). Durch die geringen Bewertungsdifferenzen der herauf- und herunterpriorisierten Eigenschaften ist die Bewertungsintensität ausgeglichen. Die Kontrollgruppe überlagert wie die Deutschlerner mögliche Differenzierungen durch eine allgemein undifferenziert positive Bewertung. Nur der Faktor Herrenvolk wird im Mittel leicht negativ bewertet. Da sich die hier untersuchte Sanduhr-Dynamik auf die 20 am häufigsten genannten Eigenschaften beschränkt, erscheinen diese Items nicht in der Sanduhr. Items mit nur geringem Positionswechsel sind: anspruchsvoll , diszipliniert , fortschrittlich , freundlich , höflich , intelligent , kultiviert , gute Soldaten , philosophische Lebenshaltung . Mit den gemeinsamen Items der Jahrgänge der Hauptgruppe teilt die Kontrollgruppe nur das Item diszipliniert . <?page no="219"?> 220 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Probandengruppe Allgemeine Stereotype Sozial Perfektion Heimatverbunden Unflexibel Herrenvolk Unsozial Massenmensch Sonstige Anteil Faktor % Kontrollgruppe 36,10 27,65 14,04 9,46 5,44 2,87 3,58 0,72 0,14 1. Jahrgang 40,95 22,20 17,46 6,64 6,69 3,29 2,42 0,31 0,05 Hauptgruppe 40,13 21,67 16,40 6,18 8,50 3,58 2,57 0,85 0,11 MW Kontrollgruppe 2,40 2,25 2,02 2,39 0,45 -0,45 -1,28 -0,60 0,00 1. Jahrgang 2,17 2,20 1,87 1,74 -0,43 -1,15 -1,17 -0,42 -1,00 Hauptgruppe 2,12 2,13 1,73 1,63 -0,31 -1,29 -1,07 -0,59 -0,80 StAbw Kontrollgruppe 0,95 0,95 1,19 0,86 1,62 1,67 1,17 0,89 - 1. Jahrgang 1,11 1,03 1,18 1,20 1,42 1,58 1,41 1,83 1,41 Hauptgruppe 1,13 1,00 1,16 1,22 1,35 1,47 1,31 1,37 1,57 Tabelle 38: Vergleich der Faktoren aller Nennungen mit Bewertung unter der Kontrollgruppe, dem 1. Jahrgang und der Hauptgruppe <?page no="220"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 221 5.4.6 Diskussion des Jahrgangsmodells Für das Jahrgangsmodell konnten mehrere deutliche Entwicklungsgradienten beschrieben werden. Der jeweilige Gradient wird hier durch eine Abfolge von Zuständen bestimmt, die sich von Jahrgang zu Jahrgang verändern, wobei die Veränderung eine Entwicklung beschreibt. Folgende Gradienten wurden dazu untersucht, als geeignet erkannt und zur Beschreibung der Entwicklung benutzt: 1. Das Phasenmodell mit Bestimmtheitsmaß 2. Der Umgang der Probanden mit der offenen Eigenschaftsliste 3. Die Bewertung der Faktoren, normative angedeutete U-Kurve 4. Die Bewertung der häufigsten Eigenschaften der Faktoren, Abweichungen von der U-Kurve 5. Die Kennzahl der Sanduhr-Dynamik auf der Grundlage der TOP-20 und TOP-5-Nennungen Die Gradienten verlaufen jedoch nicht immer gleichmäßig (monoton) oder linear. So ist z. B. das Bestimmtheitsmaß des Phasenmodells, auch im Normalfall, in der Einstiegsphase größer, fällt in der zweiten Phase ab und fällt in der dritten Phase jedoch nicht weiter ab, sondern steigt wieder an. Diese Nicht-Linearität und der Wechsel von monoton fallend und monoton steigend soll an dieser Stelle nochmal für jeden Gradienten kritisch betrachtet werden. 5.4.6.1 Das Phasenmodell Das Phasenmodell basiert auf dem Bestimmtheitsmaß von Katz und Braly (1933) (vgl. Abbildung 4: Bestimmtheitsmaße von Katz und Braly (1933) ) . Der Verlauf dieses nummerischen Wertes kann als ein Gradient interpretiert werden, der die Entwicklung der Beziehung zwischen zwei Gruppen beschreibt zwischen: a. der stereotypisierenden Gruppe und b. der stereotypisierten Gruppe. 1. Zustand des Phasenmodells (PM-1) Wenn a) gegenüber b) sehr wenig weiß, ist das Stereotyp ungenauer, der nummerische Wert ist im Vergleich zu den folgenden Zuständen größer. Ein Beispiel aus Katz und Bralys Untersuchungskontext für ein ungenaues Bestimmtheitsmaß mit einem hohen numerischen Wert war a) US-Amerikaner und b) Türken. Zur damaligen Zeit gab es kein klares und öffentlich geteiltes Stereotyp in der Beziehung dieser beiden Gruppen. Wurden Probanden aus a) danach gefragt, mussten sie in den meisten Fällen wahrscheinlich raten und nannten unterschiedlichste Eigenschaften mit wenig Übereinstimmung. Ihr nummerischer <?page no="221"?> 222 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Wert ist höher. Um 50 % aller Nennungen zu erreichen, wurden mehr als 15 Stereotyp-Items benötigt. 2. Zustand des Phasenmodells (PM-2) Wenn a) gegenüber b) über ein gut ausgeprägtes Stereotyp verfügt, das von den meisten Probanden geteilt wird, weil es allgemein bekannt, nämlich öffentlich ist, dann ist das Bestimmtheitsmaß sehr genau. Der nummerische Wert ist niedrig, d. h. um 50 % aller Nennungen zu erreichen, wurden weniger Stereotyp-Items benötigt. Ein Beispiel aus Katz und Bralys Untersuchungskontext für ein präzises Bestimmtheitsmaß mit einem niedrigen numerischen Wert war a) US-Amerikaner und b) Deutsche. Zur damaligen Zeit gab es ein einfaches und klares Stereotyp in der Beziehung dieser beiden Gruppen, das öffentlich von vielen US-Amerikanern geteilt wurde. Wurden Probanden aus a) danach gefragt, nannten viele übereinstimmend dieselben Eigenschaften. 3. Zustand des Phasenmodells (PM-3) Wenn a) gegenüber b) sehr viel weiß, wird das Stereotyp ebenfalls ungenauer, weil es vielfältiger wird, der nummerische Wert wird im Vergleich zum 2. Fall größer, aber eher etwas kleiner als im 1. Fall. Ein Beispiel aus Katz und Bralys Untersuchungskontext für ein solches Bestimmtheitsmaß war a) US-Amerikaner und b) Engländer oder Iren. Sowohl a) als auch b) sprechen dieselbe Sprache und teilen denselben kulturellen Hintergrund. Wurden Probanden aus a) danach gefragt, nannten sie übereinstimmend Eigenschaften des öffentlich geteilten Stereotyps, reicherten diesen jedoch mit eigenen Überzeugungen des privaten Stereotyps an. Das Bestimmtheitsmaß wurde hier zur Grundlage des Phasenmodells, eines Gradienten, der genau diese Entwicklung durchläuft: von aufgefächert groß und ungenau aufgrund eines fehlenden öffentlich geteilten Stereotyps über ein Minimum aufgrund eines klaren, öffentlich geteilten Stereotyps hin zu wieder aufgefächert, größer aufgrund des öffentlich geteilten Stereotyps, das mit eigenen Überzeugungen aus eigenem Wissen und Erfahrungen angereichert wurde. Während es sich bei den Gruppen a) und b) im Untersuchungskontext von Katz und Braly um Ethnien mit teilweise großen kulturellen Unterschieden handelte, wurde das Phasenmodell auch auf den Kontext a) Chinesen der Vorstudie, Chinesen der Kontrollgruppe (Englischlerner) und Chinesen der Hauptgruppe (Deutschlerner) und b) Deutsche angewendet. Obwohl es unter den a) nicht so viel kulturelle Unterschiede gibt, zeigte sich der typische Verlauf des Gradienten. In beiden Fällen, sowohl bei Katz und Braly als auch den unter a) genanten Gruppen dieser Untersuchung zeigte sich der ähnliche nicht lineare Verlauf des <?page no="222"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 223 Bestimmtheitsmaßes (vgl. Kap. 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly ). Auch im Kontext a) 1. Jahrgang bis 4. Jahrgang und b) Deutsche zeigte sich derselbe Verlauf des Gradienten. Die Nicht-Linearität des Phasenmodells (PM): • Zustand PM-1: 1. Jahrgang (Bestimmtheitsmaß 13,3) • Zustand PM-2: 2. Jahrgang (Bestimmtheitsmaß 11,9) + 3. Jahrgang (Bestimmtheitsmaß 11,4) • Zustand PM-3: 4. Jahrgang (Bestimmtheitsmaß 13,1) stellt mit seinem typischen Verlauf in allen diesen Fällen ein modellkonformes Ergebnis dar. 5.4.6.2 Der Umgang der Probanden mit der offenen Eigenschaftsliste Betrachtet man den Umgang mit der Eigenschaftsliste in Bezug auf Mittelwert und Streuung der Nennungen pro Proband, so zeigt sich ein klarer Gradient zwischen dem 1. und dem 4. Jahrgang. Etwa gleich viele Probanden des 1. Jahrgangs nennen wenige, durchschnittlich viele und zahlreiche Items. Sie fokussieren sich nicht auf eine durchschnittliche Anzahl von Nennungen zur Beschreibung ihrer individuellen Stereotype. Im Gegensatz dazu fokussiert sich der 4. Jahrgang stärker (vgl. Kap. 5.4.1 Nutzung der offenen Eigenschaftsliste in den Jahrgängen ). Zwischen dem 1. und 4. Jahrgang ist der Verlauf nicht linear. Der 3. und 4. Jahrgang fokussiert stärker, wie anhand der geringeren Standardabweichungen von 11,54 und 12,90 gegenüber 15,33 und 15,41 zu sehen ist. Die Grafiken zeigen die engere Spreizung auch optisch. Der Varianz-Test zwischen 1./ 2. und 3./ 4. Studienjahr zeigt mit p-Werten von 0,959 und 0,329, dass sich diese Varianzpaare ähnlicher sind als alle anderen. Es findet also eine Blockbildung statt. Im t-Test unterscheidet sich nur der 2. Jahrgang aufgrund seiner durchschnittlich höheren Anzahl von Nennungen signifikant von allen anderen Jahrgängen und der 1. vom 3. Jahrgang (vgl. Tabelle 26: t-Test zur Hypothese, dass sich die Jahrgänge bei der Nennung von Eigenschaften nicht unterscheiden ). Die Varianzanalyse (VA) zeigt einen Verlauf zwischen zwei Blöcken: • Block VA-1: der 1. und 2. Jahrgang greifen weniger fokussiert auf die Eigenschaftsliste zu • Block VA-2: der 3. und 4. Jahrgang greifen stärker fokussiert auf die Eigenschaftsliste zu Dieser Befund kann mit den Beobachtungen aus dem Phasenmodell in Beziehung gesetzt werden, um diese Blöcke aufzulösen und einen linearen Verlauf bei der Nutzung der offenen Eigenschaftsliste (NEL) zu erkennen: • Zustand der Nutzung der Eigenschaftsliste (NEL-1) <?page no="223"?> 224 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Der 1. Jahrgang fokussiert weniger, siehe VA-1. Der 1. Jahrgang weist aber auch das größte, also ungenaueste Bestimmtheitsmaß auf, das auf eine erste Phase verweist (PM-1). • Zustand der Nutzung der Eigenschaftsliste (NEL-2) Der 2. Jahrgang fokussiert ebenfalls weniger, siehe VA-1. Das Bestimmtheitsmaß wird jedoch deutlich kleiner, was zunächst wie ein gegenteiliger Befund aussieht. Ein Blick auf den höheren Konzentrationsfaktor (vgl. Tabelle 31: Vergleich der Bestimmtheitsmaße und Konzentrationsverhältnisse der Stereotype von allen vier Jahrgängen ) des 2. Jahrgangs gegenüber dem 1. Jahrgang zeigt aber, dass zwar Eigenschaften mit ähnlich geringer Fokussierung aus der offenen Liste gewählt werden, diese werden aber bei der Benennung von TOP-5-Eigenschaften mit Faktor 6,55 stärker verdichtet. Der 1. Jahrgang verdichtet nur mit Faktor 5,79. Der 2. Jahrgang kann gegenüber dem 1. Jahrgang also bereits besser priorisieren. Trotz geringer Fokussierung im Umgang mit der offenen Liste kann der 2. Jahrgang der zweiten Phase des Phasenmodells zugeordnet werden und bildet damit innerhalb von VA-1 einen weiteren Entwicklungsschritt. Ein Einflussfaktor der Differenzierung zwischen NEL-1 und NEL-2 ist sicherlich das Lehrwerk (vgl. Kap. 5.4.3.3 Ein Blick ins Lehrwerk ) und der Unterricht. Das Curriculum sieht für den 1. Jahrgang den Schwerpunkt auf die Sprachausbildung vor, es werden also Grammatik und Wortschatz und weniger kulturelle und landeskundliche Sachverhalte vermittelt. 54 Dennoch bekommen die Probanden in kurzer Zeit vielfältige neue Informationen über die Deutschen, z. B. durch situative Fallbeispiele und deutsche Lehrkräfte. Damit werden sie offensichtlich in die Lage versetzt, Eigenschaften priorisieren zu können, aber die neuen Informationen wurden noch nicht gut genug (stereotyp) eingeordnet, um von vornherein fokussierter auf die Eigenschaftsliste zugreifen zu können. • Zustand der Nutzung der Eigenschaftsliste (NEL-3) Der 3. Jahrgang fokussiert stärker, siehe VA-2 und weist das geringste Bestimmtheitsmaß der zweiten Phase des Phasenmodells (PM-2) auf. Diese Beobachtungen sind kongruent und erklären in Kombination diesen Entwicklungsschritt. 54 Wie bereits in Kapitel 4.2.7 Das Probandenkollektiv der Hauptuntersuchung angesprochen, hatten zum Zeitpunkt der Fragebogenerhebung die Probanden des 1. Jahrgangs erst 2 Monate lang Deutsch gelernt. In dieser Zeit beschäftigen sie sich intensiv mit dem deutschen Alphabet und der Phonetik. Parallel werden einfache, kurze situative Konversationen im Unterricht behandelt. Das Wissen über deutsche Grammatik und der Wortschatz sind noch sehr gering. Andere kulturbezogene Lehrveranstaltungen wie Landeskunde zu deutschsprachigen Ländern werden im ersten Semester nicht angeboten. Deshalb werden die Probanden des 1. Jahrgangs in dieser Untersuchung als Anfänger betrachtet, die weder über Sprachkenntnisse noch über fachlich kulturelles Wissen verfügen. (vgl. Kap. 4.2.7) <?page no="224"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 225 • Zustand der Nutzung der Eigenschaftsliste (NEL-4) Der 4. Jahrgang fokussiert ebenfalls stärker, siehe VA-2 und weist wieder ein größeres Bestimmtheitsmaß auf. Da der 4. Jahrgang aber anders als der 3. Jahrgang mit demselben VA-2 der dritten Phase des Phasenmodells (PM-3) zugeordnet werden kann und das größere Bestimmtheitsmaß modellkonform ist, bildet der 4. Jahrgang innerhalb von VA-2 einen eigenen, den dritten Entwicklungsschritt. Die Kombination VA-2 (wie 3. Jahrgang) und PM-3 (3. Jahrgang PM-2) und geringer Verdichtungsfaktor (3. Jahrgang höherer Verdichtungsfaktor) unterscheidet den dritten und vierten Zustand der Nutzung der Eigenschaftsliste klar voneinander. Das Phasenmodell erkennt also in vier Jahrgängen 3 Phasen, Jahrgang zwei und drei gehören in dieselbe Phase. Die Varianz im Umgang mit der Eigenschaftsliste erkennt zwei Blöcke gleicher Varianz VA-1 und VA-2. 1. Jahrgang 2. Jahrgang 3. Jahrgang 4. Jahrgang PM-1 = 13,3 PM-2 = 11,9 PM-2 = 11,4 PM-3 = 13,3 VA-1 p = 0,96 VA-1 p = 0,96 VA-2 p = 0,33 VA-2 p = 0,33 Tabelle 39: Kombination von Phasenmodell (PM) und Varianz (VA) In der Kombination ergibt sich ein gemeinsamer Gradient, der die Entwicklung der vier Jahrgänge mit den nummerischen Werten des Phasenmodells und den Varianzen im Umgang mit der Eigenschaftsliste beschreiben kann. 5.4.6.3 Bewertung der Faktoren, normative angedeutete U-Kurve Kennzahl für die simultane Entwicklung der 6 Faktoren (F) in den Jahrgängen ist der Gradient der Bewertung (vgl. Tabelle 28: Vergleich der Faktoren mit Bewertung unter den vier Jahrgängen ): Die Bewertung eines jeden Faktors nimmt im Verlauf der ersten drei Jahrgänge ab und im 4., dem letzten Jahrgang, wieder zu. Die Zustände sind im Einzelnen (vgl. Tabelle 28: Vergleich der Faktoren mit Bewertung unter den vier Jahrgängen ): Zustand der Faktor-Bewertung im 1. Jahrgang (FB-1) Allgemeine Stereotype Sozial Perfektion Heimatverbunden Unflexibel Herrenvolk 2,17 2,20 1,87 1,74 -0,43 -1,15 Zustand der Faktor-Bewertung im 2. Jahrgang (FB-2) <?page no="225"?> 226 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Allgemeine Stereotype Sozial Perfektion Heimatverbunden Unflexibel Herrenvolk 2,12 2,17 1,76 1,67 -0,27 -1,30 Zustand der Faktor-Bewertung im 3. Jahrgang (FB-3) Allgemeine Stereotype Sozial Perfektion Heimatverbunden Unflexibel Herrenvolk 2,04 1,96 1,56 1,38 -0,27 -1,47 Zustand der Faktor-Bewertung im 4. Jahrgang (FB-4) Allgemeine Stereotype Sozial Perfektion Heimatverbunden Unflexibel Herrenvolk 2,12 2,10 1,66 1,56 -0,29 -1,32 Dies trifft für alle Jahrgänge und Faktoren zu, mit zu vernachlässigender Unschärfe bei dem negativen Faktor Unflexibel . Der Verlauf der Bewertungen ist in Abbildung 35 dargestellt. Der Verlauf beschreibt ein angedeutetes „U“. Eine solche U-Kurve wird in der Literatur in unterschiedlichen Kontexten beschrieben. Abbildung 35: Verlauf der Einstellungswerte der Jahrgänge Im Zusammenhang mit Studien an Personen mit Auslandserfahrungen von unterschiedlichen Aufenthaltsdauern spiegelt sich der Trend in dem bekann- <?page no="226"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 227 ten U-Kurvenmodell von Lysgaard (1955) wider. Kalervo Oberg (1960) hat auf dieser Basis das Konzept des Kulturschocks aufgestellt. Später wurde daraus die erweiterte W-Kurve (vgl. Gullahorn/ Gullahorn 1963), die von vielen Longitudinalstudien schon bestätigt wurde und wissenschaftliche Anerkennung gewonnen hat. Nach Oberg (1960) wird der Beginn des Auslandsaufenthaltes als Honeymoon-Phase bezeichnet. Mit längerer Aufenthaltsdauer fällt die Einstellung in den unteren Bereich der Kurve, was als Krise bezeichnet wird, danach folgen Erholung und Anpassung mit verbesserter Einstellung. Das U-förmige Kulturschockmodell kann nicht auf die Einstellungsentwicklung der Jahrgänge übertragen werden. Es lässt sich aber eine Analogie beobachten, eine nicht lineare Einstellungsentwicklung der Deutschstudierenden entlang der Jahrgänge (vgl. Abbildung 35). Dieser Verlauf, der aber kein vollständiges „U“ beschreibt, wird hier angedeutete U-Kurve genannt. Vergleichbar mit Auslandsaufenthalten können kulturelle Unterschiede auch während des Germanistikstudiums in China erfahren und erlebt werden. Voraussetzung dazu ist sicherlich die zunehmende Erfahrung mit Deutschen, vor allem den deutschen Lehrkräften. Apeltauer (2002) beschreibt in ähnlicher Richtung seine Feststellungen zur Entwicklung des Deutschlandbildes bei norwegischen Schülern und darüber hinaus so: 1. Es gibt bei jüngeren Schülern offenbar eine Form des Fremdbildes, die fragmentarisch ist und relativ wenige negative Merkmale enthält. Man kann hier nicht von prototypischen Formen sprechen. 2. Fremdbilder werden im Laufe der Zeit erweitert und mit neuen Merkmalen angereichert. Während einer Übergangsphase scheinen sich vor allem negative Merkmale - auch bei Schülern mit DU 55 - zu verstärken. 3. Erst danach werden Fremdbilder allmählich differenzierter, realistischer und damit auch positiver. (Apeltauer 2002: 115) Apeltauers Feststellungen, die durch die Punkte 1-3 beschrieben werden, können tendenziell hier auch beobachtet, jedoch nicht abgesichert werden. Der t-Test zeigt, dass die Häufigkeitsverteilungen der Bewertungen der Jahrgänge gleich sind, bis auf den 1. Jahrgang, der mit p-Werten unterhalb des Signifikanzniveaus von 0,05 eine eigene Verteilung bildet. 55 DU = Deutschunterricht <?page no="227"?> 228 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten t-Test 3. Jahrgang 2. Jahrgang 1. Jahrgang 4. Jahrgang p=0,705 p=0,333 p=0,009 3. Jahrgang p=0,500 p=0,010 2. Jahrgang p=0,045 Tabelle 40: t-Test der Einstellungswerte in Jahrgängen Dies zeigen auch die Häufigkeitsverteilungen (vgl. Abbildung 36). Abbildung 36: Vergleich der Verteilung der Einstellungswerte in Jahrgängen Die Wanderung der Gipfel-, der Mittelwerte von 1,73 beim 1. Jahrgang zu 1,59 und 1,48 beim 2. und 3. Jahrgang und wieder zurück zu 1,50 beim 4. Jahrgang (vgl. Tabelle 27: Vergleich der Einstellungswerte der Jahrgänge ) ist gering und bis auf den Unterschied zum 1. Jahrgang mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen. Die angedeutete U-Kurve kann nicht statistisch abgesichert werden. Dennoch ist die Tendenz deutlich (vgl. Abbildung 35: Verlauf der Einstellungswerte der Jahrgänge ). Deshalb wird der angedeutete U-Gradient als Hypothese hier stehen gelassen. Verlässt man diese Hypothese und bleibt bei den statistischen Fakten dieser Untersuchung, dann zeigt sich nur: <?page no="228"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 229 • dass zwischen dem 1. und 4. Jahrgang ein deutlicher Gradient der Einstellung zu verzeichnen ist. • dass sich der 2., 3. und 4. Jahrgang in der Verteilung der Einstellungen wenig unterscheiden und in Bezug auf den t-Test gar nicht. • Deshalb entspricht: - der Gradient zwischen dem 1. und 4. Jahrgang statistisch auch - dem Gradienten zwischen 1. und 2. Jahrgang sowie - dem Gradienten zwischen dem 1. und 3. Jahrgang. Das bedeutet im Umkehrschluss scheinbar, dass die Einstellungsbildung nach dem 1. Studienjahr abgeschlossen ist. 56 Danach treten zwar Verschiebungen der Stereotype auf, hinsichtlich der Bewertung gleichen sich diese jedoch aus. 5.4.6.4 Bewertung der häufigsten Eigenschaften der Faktoren, Abweichungen von der U-Kurve Der Gradient der Bewertungsänderung der Faktoren kann auf der Ebene der Eigenschaften (FE) weiterverfolgt werden. Dazu wurden die Eigenschaften ausgewählt, die in ihrem zugehörigen Faktor am häufigsten von allen Probanden genannt wurden (vgl. Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen ). In Abbildung 25: Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang und Einstellungseffekt durch Bewertung sind sowohl Anteilsverschiebungen als auch resultierende Beiträge zur Veränderung der Bewertung des jeweiligen Faktors für den 1. und den 4. Jahrgang dargestellt. Dieser Entwicklungsgradient ist statistisch signifikant. Die hypothetische angedeutete U-Kurve ist über vier Jahrgänge hinweg zwar sichtbar, aber im t-Test nicht statistisch signifikant. Der t-Test bezieht sich allerdings nur auf die Einstellungswerte. Die dahinterliegenden Stereotype werden nicht berücksichtigt. Verschiebungen der Stereotype können durchaus umfangreich sein, wenn sie sich allerdings in der Bewertung ausgleichen, wird der t-Test keine Unterschiede in der Verteilung feststellen. Um den 2. und 3. Jahrgang einzubeziehen wird die angedeutete U-Kurve deshalb normativ eingesetzt und für die folgende Analyse auf der Ebene der Stereotype als der „Normalfall“ betrachtet. Dabei lassen sich folgende Fälle unterscheiden: Items folgen dem Normalfall (FE-1) : Wie man sieht, folgen 16 von 41 der häufigsten Eigenschaften, das sind 39,02 %, der U-Kurve. Die Aggregation dieser 39,02 % trägt zur U-Kurvengestalt der Bewertungen insgesamt bei. 56 Diese Schlussfolgerung wird mit der Analyse der kohärenten Gruppen in den Jahrgängen widerlegt (siehe Kap. 5.6). <?page no="229"?> 230 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten 1 Bewertung Faktor Item 1. Jahrgang 2. Jahrgang 3. Jahrgang 4. Jahrgang Stereotyp Dichter und Denker 2,20 2,00 1,98 2,09 Stereotyp fleißig 2,43 2,42 2,33 2,34 Stereotyp fortschrittlich 2,46 2,26 1,86 2,27 Stereotyp gute Techniker 2,42 2,52 2,31 2,52 Stereotyp gute Wissenschaftler 2,37 2,41 2,39 2,72 Stereotyp höflich 2,49 2,49 2,47 2,33 Stereotyp intelligent 2,30 2,35 2,18 2,53 Stereotyp kameradschaftlich 2,42 2,49 2,22 2,37 Stereotyp kultiviert 2,66 2,62 2,39 2,44 Stereotyp pflichtbewusst 2,70 2,62 2,52 2,69 Stereotyp philosophische Lebenshaltung 1,98 1,45 1,33 1,50 Stereotyp sportlich 2,18 2,42 2,42 2,49 Stereotyp trinkfreudig 0,02 -0,11 0,33 0,02 Stereotyp umweltbewusst 2,71 2,58 2,71 2,70 Stereotyp Volk der Zukunft 2,11 2,23 2,18 2,22 Stereotyp zuverlässig 2,63 2,65 2,56 2,52 Sozial attraktive Männer 2,37 2,39 1,77 2,23 Sozial familienorientiert 2,28 2,27 2,17 2,00 Sozial selbstbewusst 2,14 1,96 1,94 2,13 Perfektion anspruchsvoll 1,23 1,38 1,12 1,24 Perfektion arbeitsfreudig 0,88 1,22 0,89 1,26 Perfektion diszipliniert 1,92 1,81 1,51 1,76 Perfektion gründlich 2,44 2,40 2,28 2,35 Perfektion nüchtern 2,18 2,08 1,85 1,91 Perfektion ordentlich 2,15 2,09 1,57 1,67 Perfektion pünktlich 2,43 1,61 2,10 2,13 Perfektion rational 1,52 1,57 1,26 1,13 Heimatverbunden Nationalstolz 1,33 1,19 0,97 1,22 Heimatverbunden heimatliebend 2,05 2,08 1,57 2,11 Heimatverbunden Zusammengehörigkeitsgefühl 2,08 2,29 2,00 2,33 Heimatverbunden gute Soldaten 1,21 1,19 0,93 1,03 Heimatverbunden gute Politiker 2,17 1,55 1,63 1,44 Unflexibel distanziert -0,73 -0,60 -0,75 -0,66 Unflexibel konservativ -0,58 -0,33 -0,75 -0,38 Unflexibel konventionell 0,08 0,00 0,00 -0,19 Unflexibel stur -1,24 -1,25 -1,19 -1,20 Unflexibel traditionsgebunden 0,09 0,10 0,13 0,34 Unflexibel verschlossen -1,83 -1,86 -1,50 -1,37 Herrenvolk fremdenfeindlich -2,67 -2,45 -2,25 -2,06 Herrenvolk Herrenvolk -0,79 -1,13 -0,85 -1,00 Herrenvolk rassebewusst -0,44 -0,53 -1,56 -0,55 Legende keine U-Kurve 24,39 % gleichbleibend 7,32 % U-Kurve 39,02 % Bewertung 2. Jahrgang besser 29,27 % Tabelle 41: Häufigste Eigenschaften der Faktoren mit Bewertung, getrennt nach Jahrgängen <?page no="230"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 231 Items werden im 4. Jahrgang nicht höher bewertet als im 3. Jahrgang, kein ausgeprägter U-Effekt (FE-2) : 7,32 % weisen so geringe Unterschiede in der Bewertung zwischen dem 3. und 4. Jahrgang auf, dass hier kein deutlicher U-Effekt vorhanden ist. Dies betrifft die Items umweltbewusst , zuverlässig und stur . Items werden im 4. Jahrgang niedriger oder vom 1. bis zum 4. Jahrgang zunehmend höher bewertet, kein U-Effekt (FE-3) in 24,39 % der Fälle: Entweder ist die Bewertung im 3. Jahrgang besser als im 4. Jahrgang, das bedeutet eine Abweichung vom U-Effekt. Dies betrifft die Items höflich , trinkfreudig , familienorientiert , rational , gute Politiker , konventionell und Herrenvolk . Oder Items werden vom 1. bis zum 4. Jahrgang zunehmend höher bewertet : sportlich , traditionsgebunden und fremdenfeindlich . Items werden im 2. Jahrgang höher bewertet als im 1. Jahrgang, Störung des U-Effekt (FE-4) : In der Spalte des 2. Jahrgangs sind 29,27 % der Items hervorgehoben, die im 2. Jahrgang, ebenfalls entgegen einer typischen U-Kurve, besser bewertet wurden als im 1. Jahrgang. Der Verlauf kann in all diesen Fällen im Bereich des 3. und 4. Jahrgangs eine U-Kurve bilden, diese fällt dadurch aber nicht kontinuierlich ab. Dies betrifft die Items gute Techniker , Volk der Zukunft , anspruchsvoll , arbeitsfreudig , Zusammengehörigkeitsgefühl , distanziert und konservativ . Dagegen sind die Unterschiede in der Bewertung von gute Wissenschaftler , intelligent , kameradschaftlich , attraktive Männer und heimatliebend vernachlässigbar gering. Diese Detailanalyse auf der Ebene der Eigenschaften zeigt, dass ein größerer Anteil aller Eigenschaften dem Verlauf der angedeuteten U-Kurve folgt. Im Prinzip lässt sich die U-Kurve für die öffentlich geteilten, kulturellen Stereotype, die als „typisch deutsch“ in China verbreitet sind, durchaus klar beobachten, während die eher privaten, im Laufe des Studiums selbst erkannten oder besser verstandenen Stereotype davon abweichen. Es gibt jedoch auch viele Ausnahmen. Deshalb ist die Hypothese der angedeuteten U-Kurve hier sichtbar, aber nicht statistisch signifikant beweisbar. 5.4.6.5 Dynamik-Kennzahl der Sanduhr als Stabilitätsmaß Die Dynamik-Kennzahl ist unabhängig vom Gradienten der Eigenschaftsentwicklung. Im Sinne einer Triangulation (vgl. Grünewald 2005: 147) bildet es nach • dem Phasenmodell in Kombination mit der offenen Eigenschaftsliste über vier Jahrgänge hinweg, • dem Entwicklungsgradienten zwischen dem 1. und 4. Jahrgang und • dem hypothetischen Gradienten der angedeuteten U-Kurve über vier Jahrgänge hinweg einen vierten unabhängigen Gradienten für vier Jahrgänge. <?page no="231"?> 232 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Die Grundmenge der Items der Sanduhr-Dynamik bilden einerseits alle Eigenschaften, die unter den 20 von allen Probanden am häufigsten genannten Eigenschaften sind und andererseits alle Eigenschaften der 20 häufigsten TOP-5-Nennungen (vgl. Tabelle 30: Gegenüberstellung der häufigsten Nennungen (TOP-20-Items) der vier Jahrgänge und Tabelle 32: Gegenüberstellung der häufigsten TOP-5-Nennungen der vier Jahrgänge ). Kurz gesagt sind es die TOP-20-Eigenschaften und die TOP-20 der TOP-5-Eigenschaften. Die Kennzahl beschreibt die Veränderung der Position eines Items aufgrund des veränderten Anteils der Nennung (vgl. Kap. 5.4.4 TOP-20-Items in Jahrgängen und Kap. 5.4.5 Dynamik der TOP-5-Priorisierung in Jahrgängen ). Die Kennzahlen der Sanduhr-Dynamik (SD) verlaufen linear abnehmend, dies entspricht der allgemeinen Logik des Stereotypaufbaus mit zunehmender Dauer der Auseinandersetzung mit der stereotypisierten Gruppe. Eine Ausnahme bildet wieder der 2. Jahrgang (vgl. Tabelle 35: Rangdifferenzen als Dynamik-Kennzahlen für Jahrgänge und Kontrollgruppe ): • Zustand SD-1: große Dynamik, Kennzahl 188 • Zustand SD-2: sehr große Dynamik, Kennzahl 226 • Zustand SD-3: geringe Dynamik, Kennzahl 107 • Zustand SD-4: sehr geringe Dynamik, Kennzahl 86 Der 2. Jahrgang zeigt eine besonders große Dynamik, besonders große Unterschiede zwischen einer initialen Benennung von Eigenschaften und der gleich danach erfolgten Priorisierung der TOP-5. Diese können aber ähnlich erklärt werden wie der Übergang von NEL-1 zu NEL-2. Die Kurve der Zunahme von Informationen pro Zeiteinheit, auch in Bezug auf das kulturelle Wissen dürfte bei den Anfängern im ersten und zweiten Lernjahr im Vergleich zu den Folgejahrgängen besonders steil verlaufen. Eine interkulturelle Kompetenz wird in dieser Zeit jedoch noch nicht gezielt vermittelt. Dadurch ist dieses Wissen noch undifferenziert, ungenau und die Probanden sind unsicher. Deshalb reagieren sie auf die Eigenschaftsliste mit der Auswahl von vergleichsweise mehr Items, im Mittel 43 Items, die anderen Jahrgänge liegen im Mittel zwischen 34 und 37 Items (vgl. Tabelle 25: Anzahl der Nennungen von Items in vier Jahrgängen ), die dann bei der Priorisierung aber auch vermehrt abgeändert werden. Demgegenüber weist die ruhigere Zone der Sanduhr mit: anspruchsvoll , diszipliniert, intelligent , kultiviert , Nationalstolz , ordentlich, pflichtbewusst , pünktlich , rational , sportlich, trinkfreudig nur elf Items auf, die anderen Jahrgänge liegen alle darüber. Die Fettschrift markiert die mit den anderen Jahrgängen geteilten Items des ruhigen Mittelbereichs der Sanduhr-Dynamik. Andere Items wie gute Wissenschaftler , heimatliebend , selbstbewusst , höflich , nüchtern , zuverlässig , werden bei der Priorisierung ausgewechselt gegen gründ- <?page no="232"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 233 lich , gute Techniker , konventionell , Dichter und Denker , korrekt , attraktive Männer und Herrenvolk , die initial nicht in demselben Maße ausgewählt wurden. Der Vergleich dieser Stereotype zeigt eine Dynamik weg vom Allgemeinwissen hin zu privaten, erlernten Stereotypanteilen wie z. B. Dichter und Denker aus der Beschäftigung mit der Landeskunde, konventionell aus erweiterter Kenntnis in unterschiedlichen Lebensbereichen. Diese beiden Items z. B. gewinnen im ersten Lernjahr stark an Bedeutung, die Anteile der Probanden, die sie nennen, steigt leicht an von 58 % auf 62 % bei Dichter und Denker und deutlich von 46 % auf 67 % bei konventionell (vgl. Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen ). Die Anteile verbleiben auf hohem Niveau, sie sinken im 3. und 4. Jahrgang minimal zwischen 2-3 Prozentpunkten. Die Sanduhr-Dynamik zeigt deutlicher, dass diese Items zuerst im 3., dann im 4. Jahrgang im Verhältnis zu anderen Items neu bewertet werden, sie verlieren kontinuierlich etwas an Bedeutung (vgl. Abbildung 32: Sanduhr-Dynamik der Jahrgänge ). Der Auslöser der höheren Dynamik im 2. Jahrgang, die „Entdeckung“ vieler neuer Eigenschaften bei den Deutschen, relativiert sich in den Folgejahrgängen. So wie das Phasenmodell einen modellkonformen Entwicklungsgradienten von „aufgefächertem ungenauerem öffentlichem Stereotyp“ über „genaueres öffentliches Stereotyp“ zu „aufgefächertem angereichertem Stereotyp“ beschreibt, kann der normale Entwicklungsgradient für die Sanduhr-Dynamik in Bezug auf eine Informationskurve (Kurve ansteigender Informationen pro Zeiteinheit) deshalb so verallgemeinert werden: Die Kennzahl der Sanduhr-Dynamik von Stereotypen ist auch ein Stabilitätsmaß. Mit sinkendem Wert vergrößert sich die Stabilität. Der Wert vergrößert sich in Bezug auf die Jahrgänge und die dahinter liegende interkulturelle Informationskurve dynamischer, wenn die Informationskurve besonders ansteigt. Wenn sich das interkulturelle Wissen und damit das Stereotyp verfestigt, sinkt die Dynamik und der Stabilitätswert. Der zentrale Bereich der Sanduhr weitet sich dabei aus, dort ist eine größere Anzahl von Items verortet, die von der Gruppe sowohl initial als auch bei der Priorisierung gezielt ausgewählt werden. Definition 9: Das Stabilitätsmaß für Stereotype im Gruppenvergleich 5.4.7 Zusammenfassung Jahrgangsmodell Die Analyse des Jahrgangsmodells zeigt zwei Komponenten, die an der Entwicklung von Stereotypen und Einstellungen beteiligt sind: <?page no="233"?> 234 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten 1. Ein Potential, als Ausgangssituation für einen Entwicklungsprozess Die Sanduhr-Dynamik beschreibt das Potential für mögliche Stereotypveränderungen. Die Sanduhr-Dynamik innerhalb einer Gruppe, hier eines Jahrgangs, wird erst ersichtlich, wenn den Probanden die Aufgabe gestellt wird, bereits genannte Stereotype zu priorisieren, hier als TOP-5. Eine Übersicht der Sanduhr-Dynamik mit ihren Änderungspotentialen zeigt Abbildung 32: Sanduhr-Dynamik der Jahrgänge . 2. Ein Gradient, der den Entwicklungsprozess beschreibt Die tatsächlich ablaufende Entwicklung zwischen den Gruppen, hier von Jahrgang zu Jahrgang, wird im Sinne der Triangulation durch mehrere Teil-Gradienten beschrieben. 2.1 Phasenmodell Das Phasenmodell beschreibt in Verbindung mit der individuell mehr oder weniger fokussiert benutzten Eigenschaftsliste die Entwicklung von Stereotypen. Dies geschieht abstrakt durch nummerische Werte, also nicht auf semantischer Ebene. Erkennbar an der Anzahl der Nennungen pro Proband, der Streuung dazu und der resultierenden „breiteren“ oder „enger fokussierten“ Häufigkeitsverteilung zeigen die Jahrgänge ein unterschiedliches Verhalten im Umgang mit der Eigenschaftsliste (vgl. Abbildung 21: Häufigkeitsverteilung der Nennungen der Items von vier Jahrgängen der Hauptgruppe ). Die jüngeren Jahrgänge nutzen die Eigenschaftsliste weniger systematisch fokussiert als die älteren Jahrgänge. Deren souveränerer Umgang mit der Eigenschaftsliste kann mit einer gezielteren und sichereren Stereotypisierung erklärt werden. Dieser Befund wird mit dem Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly kombiniert (vgl. Tabelle 31: Vergleich der Bestimmtheitsmaße und Konzentrationsverhältnisse der Stereotype von allen vier Jahrgängen ). Das Phasenmodell sagt ebenfalls nichts zu Inhalt und Semantik von Stereotypen aus, sondern es beschreibt, dass das Bestimmtheitsmaß als numerischer Wert, eine Kennzahl, die sich von unbestimmter beim 1. Jahrgang über bestimmter beim 2. und 3. Jahrgang wieder zu unbestimmter beim 4. Jahrgang entwickelt. Die Aussage des Phasenmodells ist hier, dass sich das Stereotyp von einem öffentlich geteilten und aufgefächerten über ein verengtes Stereotyp schließlich zu einem gereiften, aber wieder mit eigenen Erkenntnissen angereicherten und deshalb wieder aufgefächertem Stereotyp entwickelt. Das stimmt mit dem Umgang der Probanden mit der Eigenschaftsliste überein. Ein höherer Reifegrad des Stereotyps ermöglicht eine souveränere Nutzung der Eigenschaftsliste. <?page no="234"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 235 Das Phasenmodell und die Nutzung der Eigenschaftsliste zusammengenommen beschreiben einen Teil-Gradienten, der alle vier Jahrgänge einschließt. 2.2 Der Vergleich von Stereotyp und Einstellung auf Faktorebene wird zunächst zwischen dem 1. und dem 4. Jahrgang durchgeführt. Nur der 1. Jahrgang unterscheidet sich signifikant in der Einstellung von allen anderen Jahrgängen, die Jahrgänge 2-4 unterscheiden sich untereinander nicht signifikant. Während der Faktor Allgemeine Stereotype von allen Jahrgängen ähnlich häufig genannt wird, werden die Anteile bei Sozial , Perfektion und Heimatverbunden verringert. Insbesondere Perfektion und Heimatliebe der Deutschen werden kritischer, realistischer gesehen. Dafür werden die Deutschen zunehmend als Unflexibel und Herrenvolk charakterisiert (vgl. Tabelle 28: Vergleich der Faktoren mit Bewertung unter den vier Jahrgängen ). Dies spiegelt das erweiterte Wissen des älteren Jahrgangs durch sekundäre und primäre Erfahrungen wider. Die Entwicklung der Stereotypanteile zwischen dem 1. und dem 4. Jahrgang deckt sich gut mit dem Phasenmodell und dem Umgang mit der Eigenschaftsliste. Die Entwicklung der Bewertung stellt sich komplexer dar. Zwischen dem 1. und dem 4. Jahrgang werden alle Faktoren bis auf Unflexibel weniger positiv oder stärker negativ bewertet. Die besonders positive Bewertung zu Beginn des Studiums wird zum Ende hin reduzierter. Der Versuch, den 2. und 3. Jahrgang in diesen Gradienten einzubinden - es zeigt sich dabei eine angedeutete U-Kurve - scheitert im Sinne der statistischen Signifikanz. U-Kurve bedeutet (vgl. Abbildung 35: Verlauf der Einstellungswerte der Jahrgänge ), dass die positive Einstellung von Jahrgang zu Jahrgang abnimmt, sich am Ende aber wieder verbessert. Die angedeutete U-Kurve wurde normativ verwendet, um sowohl hypothesenkonforme als auch davon abweichende Eigenschaften entlang des Entwicklungsgradienten zu identifizieren und zu analysieren. Dabei zeigt sich, dass die durchschnittliche Einstellung der Jahrgänge sich ab dem 2. Jahrgang nicht mehr signifikant ändert. Eine frühzeitig abgeschlossene Entwicklung der Einstellung kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Denn die dahinterliegenden Stereotype ändern sich in ihren Anteilen und in ihrer Bewertung, letztere ist dabei allerdings ausgeglichen. <?page no="235"?> 236 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Beide Einflussgrößen, Potential und Gradienten, stehen in Beziehung zueinander. Dies zeigt das folgende Beispiel: Die Eigenschaften sportlich und trinkfreudig stehen mit Anteil der Nennungen und dementsprechend der Rangfolge des 1. Jahrgangs nur auf den hinteren Rängen (vgl. Tabelle 30: Gegenüberstellung der häufigsten Nennungen (TOP-20-Items) der vier Jahrgänge ). Sie verbessern ihre Rangfolge jedoch bei der TOP-5-Priorisierung (vgl. Abbildung 32: Sanduhr-Dynamik der Jahrgänge ), das Änderungspotential wird deutlich, und sie werden von den folgenden Jahrgängen immer häufiger genannt, das Änderungspotential realisiert sich (vgl. Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen ). Im 4. Jahrgang sind sich die Probanden dann sicher, dass diese Stereotype die Deutschen gut charakterisieren, die Sanduhr-Dynamik zeigt keinen Unterschied mehr zwischen der ersten Stereotypisierung mit der offenen Eigenschaftsliste und der TOP-5-Priorisierung (vgl. Abbildung 32: Sanduhr-Dynamik der Jahrgänge ). Das gilt auch für die Eigenschaften fortschrittlich , Volk der Zukunft , heimatliebend , ordentlich , intelligent , gute Wissenschaftler , diszipliniert und pflichtbewusst , die in der Sanduhr-Dynamik herunterpriorisiert werden und deren Anteil im Jahrgangsverlauf dann tatsächlich abnimmt. Der 1. Jahrgang „irrt“ sich im aufgebauten Änderungspotential nur bei den Eigenschaften zuverlässig , höflich und nüchtern , die im Jahrgangsverlauf zunehmende Anteile bekommen. Eigenschaften, die vom 1. Jahrgang heraufpriorisiert und dann auch im Jahrgangsverlauf häufiger genannt werden, sind kultiviert , Dichter und Denker , konventionell . Im Bereich des positiven Änderungspotentials „irrt“ sich der 1. Jahrgang bei gründlich , anspruchsvoll , pünktlich , attraktive Männer , rational jedoch nur bedingt. Diese Eigenschaften werden im Jahrgangsverlauf insbesondere vom folgenden 2. Jahrgang tatsächlich häufiger genannt, um erst dann beim 3. und 4. Jahrgang weniger Anteile zu bekommen (vgl. Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen ). Die Sanduhr-Dynamik zeigt also über die Momentaufnahme von Stereotypen hinaus eine latente Bereitschaft der Probandengruppe, diese Stereotype zu wandeln, ein Änderungspotential. Umgekehrt beschreibt die Zone der geringeren Dynamik mit ≤ 5 Rängen Differenz eine größere Konstanz der Stereotype innerhalb der Gruppe. Die Richtung der Wandelbarkeit realisiert sich dann tatsächlich in vielen Fällen in späteren Stadien des hier angenommenen Entwicklungsgradienten. Interessant dabei ist, dass die zu Beginn, vom 1. und 2. Jahrgang, am häufigsten genannten Eigenschaften, nämlich attraktive Männer , diszipliniert , ordentlich , rational , gute Techniker , gute Wissenschaftler , gründlich , pflichtbewusst , pünktlich , die zwischenzeitlich Anteile verloren hatten, beim 4. Jahrgang ein <?page no="236"?> 5.4 Untersuchung der Jahrgänge (Jahrgangsmodell) 237 positives Änderungspotential besitzen, während Eigenschaften, die vom 1. bis zum 4. Jahrgang an Bedeutung und Anteil gewonnen hatten, das sind anspruchsvoll , Dichter und Denker , höflich , konventionell , kultiviert , nüchtern , umweltbewusst , beim 4. Jahrgang ein negatives Änderungspotential aufgebaut haben (vgl. Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen und Abbildung 32: Sanduhr-Dynamik der Jahrgänge ). Es scheint so, als ob sich gegen Ende des Studiums im Gedächtnis der Gruppe wieder die allgemeinen, öffentlichen Stereotype in Erinnerung bringen, während die im Laufe des Studiums gewachsenen Überzeugungen, d. h. die privaten Anteile (vgl. Kap. 2.5.1 Öffentliche und private Anteile der Stereotype ), gegen Studienende etwas an Potential verlieren. Apeltauer (2002: 115) beobachtet etwas Ähnliches, er schreibt: Ältere Erwachsene haben gelernt, über Fremdbilder vorsichtiger zu sprechen und zwischen Eigenerfahrungen und Gehörtem genauer zu unterscheiden. Dennoch scheinen auch sie über kollektive Sichtweisen zu verfügen, die sich nicht allzu sehr von den Vorstellungen älterer Schüler unterscheiden. Auch Apeltauer umschreibt damit einen öffentlichen, von vielen, Jüngeren wie Älteren gleichermaßen geteilten Stereotypanteil, der während der gesamten Stereotypentwicklung eine Rolle spielt, persistiert und wie in der vorliegenden Studie beobachtet auch wieder stärker in den Vordergrund rücken kann. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass öffentliche und private Anteile der Stereotype einer Gruppe in ständigem Abgleich stehen. Möglicherweise führt auch eine Tendenz zur Angleichung an das Kollektiv zur beobachteten Entwicklung, dass Anteile eines Stereotyps zunehmen, aber gleichzeitig die Bewertung abnimmt (vgl. Kap. 5.4.3.5 Zusammenfassung der Analyse faktorbasierter Häufigkeiten ). So lernen die Probanden, dass die Deutschen viel Wert auf Pünktlichkeit legen, sehen aber bei den einzigen Deutschen, die sie persönlich kennen, d. h. den deutschen Lehrkräften, dass dies nicht unbedingt bzw. nicht durchgehend der Fall ist. Die fehlende Überzeugung zum erlernten und durch den hohen Anteil der Nennungen auch dokumentierten Wissen kompensieren sie durch eine schlechtere Bewertung einer sonst sehr positiven Eigenschaft. Möglicherweise ist diese Beobachtung eine Bestätigung der Konsistenztheorien, „denen zufolge Menschen Kongruenz bzw. Konsistenz zwischen ihren diversen Kognitionen bevorzugen, insbesondere zwischen Überzeugungen, Wertvorstellungen und Einstellungen“ ( Jonas et al. 2014: 19). Vor diesem Hintergrund käme der Bewertung von Eigenschaften eine weitere Bedeutung zu, nämlich Konsistenz herzustellen zwischen widersprüchlichen Stereotypanteilen. Bisher wurden öffentliche und private Anteile unterschieden. Die beschriebenen Beobachtungen lassen aber auch weitergehende Schlüsse zu: <?page no="237"?> 238 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten 1. Ein Proband bildet in seiner sozialen Umgebung in Verbindung mit eigenen Primär- und Sekundärerfahrungen viele „Referenzpunkte“ (Sato-Prinz 2017: 223) aus, an denen sich seine Einstellung zum Einstellungsobjekt orientiert. Diese können mit fortlaufender Entwicklung auch Widersprüche hervorrufen. 2. Bewertungen von Eigenschaften können durch die Abwertung positiver und die Aufwertung negativer Eigenschaften eine Kompensation der Widersprüche enthalten. 3. In der Summe und im Durchschnitt spiegelt die Bewertung aber doch die Einstellung wider. Dabei kann die Ab- oder Aufwertung sowohl in tatsächlich schlechteren oder besseren Überzeugungen als auch in womöglich unbewussten, vielleicht aber auch bewussten und akzeptierten Widersprüchen begründet sein. 5.5 Modell kohärenter Gruppen In Kapitel 5.4.6.3 Bewertung der Faktoren, normative angedeutete U-Kurve zeigte sich, dass der Gradient des angedeuteten U-Kurvenmodells statistisch nicht abgesichert werden konnte. Die Frage ist also: Welchem Gradienten folgt die Einstellungsentwicklung zwischen den Jahrgängen und gibt es überhaupt einen Gradienten? Wie Abbildung 37: Häufigkeitsverteilung der Einstellungswerte aller vier Jahrgänge zeigt, folgen die Einstellungswerte der Probanden jedes Jahrgangs der Normalverteilung. Dabei unterscheidet sich nur der 1. Jahrgang von den anderen, die Jahrgänge 2-4 gehören in Bezug auf ihre Einstellungswerte statistisch derselben Grundgesamtheit an (vgl. Abbildung 36: Vergleich der Verteilung der Einstellungswerte in Jahrgängen ). Dadurch ist zu erkennen, dass es unabhängig von den Studienjahren der Probanden in jedem Jahrgang solche mit ähnlich schlechteren und ähnlich besseren Einstellungen gibt, die in den Grafiken mit hellgrau und dunkelgrau hinterlegten Bereichen im Minimum und Maximum der Häufigkeitsverteilung markiert sind. <?page no="238"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 239 Abbildung 37: Häufigkeitsverteilung der Einstellungswerte aller vier Jahrgänge Daraus ergibt sich die Hypothese: Innerhalb des Probandenkollektivs existieren kohärente Gruppen, die sich in Bezug auf ihre Einstellungswerte ähnlicher sind als Jahrgänge. Sie weisen gemeinsame statistische Merkmale auf, die aus der Kenntnis der chinesischen „Kultur“ heraus gut und logisch erklärbar sind und die sich nicht zwingend aus „vorgegebenen“ Gruppen wie z. B. Jahrgängen ergeben müssen, sondern z. B. auch über Jahrgänge hinweg kohärent sind. Hypothese 4: Kohärente Gruppen Dieser Hypothese wird in den folgenden Kapiteln nachgegangen. <?page no="239"?> 240 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten 5.5.1 Herleitung kohärenter Gruppen auf Basis der Einstellungsprofile Um diese Gruppen zu erkennen müssen ihre statistischen Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden. Der wichtigste Parameter ist dabei die Einstellung. Ein einfacher Ansatz wäre es, das Probandenkollektiv in der Mitte zu teilen. Eine Gruppe bilden die Probanden mit Einstellungswerten, die gleich dem oder über dem Mittelwert liegen, die andere Gruppe solche mit Einstellungswerten unterhalb des Mittelwertes. Dieser Ansatz hat den Nachteil, dass er zwar statistikbasiert, aber rein schematisch vorgeht. Der semantische Kontext, also der Bezug zu Stereotypen, geht dabei völlig verloren. Das gilt für alle ähnlichen Ansätze, die über Quantile oder auch Cluster von Einstellungswerten Gruppen generieren. Hier wird deshalb ein anderer Ansatz gewählt: 1. Der semantische Bezug der Einstellungswerte zu Stereotypen wird durch die Faktordimensionen hergestellt. Das heißt, für jeden Probanden werden die mittleren Einstellungswerte seiner Faktoren berechnet, sein Faktorprofil. Das ist das erste Kriterium der Gruppenbildung. 2. Ein weiteres Kriterium ist der Einstellungswert des Probanden nach dem modifizierten Ansatz von Fishbein (vgl. Kap. 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ). Dieses Kriterium fasst die Einstellungswerte der Faktoren pro Proband zusammen. Es wurde parallel zu 1. benutzt, um das Einstellungsniveau des individuellen Probanden zu klassifizieren. 3. Aus den Streuungen zum Mittelwert ist nicht unmittelbar ablesbar, ob es einige stärkere Abweichungen in Richtung der Skalenpole gibt. Diese Intensität der Bewertung in Einzelfällen sollte mitberücksichtigt werden (vgl. Kap. 5.3.2 Bewertungsrichtung und -intensität der Eigenschaften ). Deshalb wurde nicht die Standardabweichung, sondern die Verteilung der Skalenpunkte ausgewertet, also die Häufung von Nennungen auf der Bewertungsskala von -3 bis +3. Dies ist das dritte Kriterium der Gruppenbildung. Es wird immer eingesetzt, wenn die Trennschärfe des ersten Kriteriums nicht ausreicht. 4. Das vierte Kriterium ist der Anteil der Faktoren. Die Anteile der positiven Faktoren Allgemeine Stereotype , Sozial und Perfektion sind mit 40 %, 22 % und 16 % insgesamt relativ hoch. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Faktoren auch bei individuellen Probanden gut besetzt sind und dessen positives Bild wiedergeben. Im Gegensatz dazu sind die Anteile der negativen Faktoren Unflexibel und Herrenvolk mit 8 % und 4 % wesentlich kleiner. Wenn bei der Zuordnung eines individuellen Probanden zu einer Gruppe negative Faktoren ausschlaggebend sind, soll ausgeschlossen werden, dass deren Anteil sehr niedrig ist, weil z. B. nur ein einziges Item dieses Faktors genannt <?page no="240"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 241 wird. Das wird nicht als ausreichend dafür angesehen, um eins der typischen negativen Bilder zu beschreiben, die Chinesen von Deutschen haben (vgl. z. B. Kap. 5.3.2 Bewertungsrichtung und -intensität der Eigenschaften ). Deshalb wird in diesem Fall auch der Anteil der negativen Faktoren berücksichtigt, d. h. er muss oberhalb der genannten durchschnittlichen Anteile liegen. 5.5.1.1 Kriterienkatalog für Gruppenbildung Für die Gruppenbildung müssen Probanden direkt miteinander verglichen werden. Dies geschieht hier jedoch nicht auf der Ebene von Items, denn dazu müssten die häufigsten Item-Kombinationen ermittelt werden (vgl. Manz 1968: 153). Dazu müssten jedoch noch weitere theoretischen Grundlagen erarbeitet werden. Fragen sind z. B. für welche Kette-Längen von Item-Kombinationen Häufigkeiten berechnet werden sollen. Faktoren nutzen Item-Korrelationen, also 2er Kombinationen. Diese gehören zu den vielfach untersuchten Standards der mathematischen Statistik. Wenn man diese Kombinationen verlängert auf 3er-, 4er- oder noch längere Ketten und dafür Häufigkeiten untersucht, verlässt man den Bereich der Korrelation und betritt den Bereich der Kombinatorik. Hier wird es sehr rechenaufwändig, weil die Ausgangsmenge zunächst alle möglichen Item-Kombinationen bilden. Dabei stellt sich der Effekt ein, dass die Häufigkeiten längerer Ketten von Item-Kombinationen drastisch abnehmen. Keine zwei Probanden der gesamten Untersuchungsgruppe mit 399 Probanden haben die gleichen Items angekreuzt, benutzen die gleichen Item-Kombinationen. Es gibt also keine einzige Übereinstimmung, wenn die volle Ketten-Länge zugrunde gelegt wird. Dabei gibt es etwas häufiger ähnliche Kombinationen bei kürzeren Ketten, wobei z. B. Position 1 und 2 gleich besetzt sind, Position 3 unterschiedlich und Position 4 wieder gleich. Solche Item-Kombinationen sind nicht gleich, fallen also nicht in dieselbe Häufigkeitsklasse. Sie sind sich aber ähnlich. Die Ausarbeitung von Ähnlichkeitskriterien für Item-Kombinationen im Zusammenhang mit Stereotypen wurde bisher in der Literatur nicht durchgeführt. Mit den hier entwickelten Einstellungsprofilen steht ein anderer Ansatz zur Verfügung. Probandengruppen können mithilfe der Bewertung der Faktoren und der Intensität der Bewertung miteinander verglichen werden. Das Einstellungsprofil lässt sich auch auf individuelle Probanden anwenden, indem die individuell genannten Eigenschaften ihren Faktoren zugeordnet werden, die Bewertungen der Eigenschaften pro Faktor gemittelt werden und so die durchschnittliche Faktorbewertung ergeben. Jeder Proband erhält dadurch sein faktorbasiertes Einstellungsprofil. Dieses umfasst zwar alle Nennungen und ihre Bewertungen, dabei geht jedoch die Information über die Bewertungsintensität verloren, worin sich die Probanden <?page no="241"?> 242 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten ebenfalls unterscheiden. Zur Vervollständigung des Einstellungsprofils wird die Bewertungsintensität als Nebenkriterium hinzugezogen (vgl. Kap. 5.5.1 Herleitung kohärenter Gruppen auf Basis der Einstellungsprofile ). A priori können folgende Gruppen definiert werden (vgl. Abbildung 38: Die Faktorprofile realer Gruppen 1-4 ): 1. Die Gruppe hat fast nur positive Faktoren und bewertet diese mit einer positiven Abweichung vom Faktormittelwert, bewertet also besser als der Durchschnitt. Oder die Gruppe hat nur negative Faktoren und bewertet mit einer negativen Abweichung vom Faktormittelwert. 57 Kombinationen daraus sind: 2. Die Gruppe hat positive und negative Faktoren und bewertet positive Faktoren mit negativer Abweichung und negative Faktoren mit positiver Abweichung. 3. Die Gruppe hat positive und negative Faktoren und bewertet positive Faktoren mit positiver Abweichung und negative Faktoren mit negativer Abweichung. 4. Die Gruppe hat positive und negative Faktoren und bewertet positive Faktoren mit negativer Abweichung und negative Faktoren ebenfalls mit negativer Abweichung. 5. Folgende Kombinationen sind auch möglich, existieren innerhalb der Untersuchungsgruppe jedoch nicht real: a. Die Gruppe hat fast nur positive Faktoren und bewertet positive Faktoren mit negativer Abweichung. b. Die Gruppe hat fast nur negative Faktoren und bewertet negative Faktoren mit positiver Abweichung. 57 Diese Gruppe existiert in der Untersuchungsgruppe nicht. <?page no="242"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 243 Abbildung 38: Die Faktorprofile realer Gruppen 1-4 Mit gezielten Such-, Sortier- und Gruppierungsabfragen an die Datenbank (vgl. Kap. 4.2.10 Auswertungswerkzeuge ) konnten vier reale kohärente Gruppen ermittelt werden. Die Suchanfragen werden im Folgenden näher beschrieben. Die Probanden wurden zuerst nach Hauptkriterien in der Datenbank aufgesucht und der jeweiligen Gruppe zugeordnet und anschließend nach Nebenkriterien überprüft und anhand der Nebenkriterien in vielen Fällen auch weiter differenziert. Mit folgenden Kriterien konnten die vier realen Gruppen identifiziert werden. <?page no="243"?> 244 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Gruppenbildung Gruppe 1 58 Auswahlkriterien Hauptkriterien: 1. Die positiven Faktoren wurden noch positiver als der Durchschnitt bewertet. 59 Die Abweichungen des Gruppenmittelwertes vom globalen Mittelwert des jeweiligen Faktors liegen im positiven Bereich „über MW“. 60 2. Negative Faktoren wurden besser bewertet als im Durchschnitt. Die Abweichungen des Gruppenmittelwertes vom globalen Mittelwert des Faktors liegen ebenfalls im positiven Bereich „über MW“. Nebenkriterien: 1. Der Bewertungsstrich +3 wurde überwiegend, bei über 50 % der Bewertungen, benutzt. +3 bekommt die meisten Skalenpunkte. 2. Die Bewertungsskalen wurden eingeschränkt benutzt. Die negative Seite bekommt fast keine Skalenpunkte. 58 Die grafische Abbildung stellt das Faktorprofil der gebildeten kohärenten Gruppe dar. Jeder Balken repräsentiert die Abweichung des Gruppenmittelwertes vom globalen Mittelwert aller Probanden des jeweiligen Faktors. 59 Mindestens zwei positive Faktoren davon müssen noch besser als die Durchschnittsbewertung bewertet werden. 60 „über MW“ bedeutet deutlich über dem globalen Mittelwert als Referenzwert. <?page no="244"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 245 3. Negative Faktoren wurden mit geringen Anteilen unter dem Durchschnittsanteil der Faktornennungen aller Probanden genannt. 61 4. Der mittlere Einstellungswert der Probanden liegt mit MW_1=2,31 deutlich über den Mittelwert (MW=1,57). Die Streuung ist relativ niedrig (StAbw=1,12). Gruppenbildung Gruppe 2 Auswahlkriterien Hauptkriterien: 1. Die Bewertungen der positiven Faktoren wurden deutlich abgestuft, sie liegen unter der Durchschnittsbewertung. Die Abweichungen vom Mittelwert liegen im negativen Bereich „unter MW“. 62 2. Negative Faktoren wurden meistens besser als im Durchschnitt bewertet. 63 Die Abweichungen vom Mittelwert liegen im positiven Bereich „über MW“. 61 Es gibt ein paar Probanden, die ein einzelnes Item negativ bewertet haben. Wenn die anderen Kriterien für diese Gruppe erfüllt sind, werden sie in diese Gruppe eingeordnet. Denn es wird festgelegt, dass ein einzelnes negatives Item und der damit verbundene negative Faktor mit einem unterdurchschnittlichen Anteil nicht auf konkrete negative Bilder hindeutet und deswegen nicht die insgesamt positive Einstellung beeinflusst. 62 „unter MW“ bedeutet deutlich unter dem globalen Mittelwert als Referenzwert. 63 Es gibt in dieser Gruppe Probanden, die nur ein einzelnes negatives Item oder negative Items mit unterdurchschnittlichem Anteil angekreuzt haben. Liegen einige Faktorbewertungen unter dem Durchschnitt, werden die Probanden nicht aus der Gruppe aussortiert. <?page no="245"?> 246 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Nebenkriterien: 1. Der Bewertungsstrich +3 wurde nicht zum überwiegenden Teil, d. h. bei weniger als 50 % der Bewertungen, benutzt. 2. Der Einstellungswert der Probanden liegt mit MW_2=1,53 deutlich abgestuft um den Mittelwert (MW=1,57) und immer unterhalb des Bereichs von +2,00. Die Streuung (StAbw=1,25) ist etwas höher als bei Gruppe 1. Gruppenbildung Gruppe 3 Auswahlkriterien Hauptkriterien: 1. Mindestens zwei positive Faktoren wurden noch positiver als der Durchschnitt bewertet. Die entsprechenden Abweichungen vom Mittelwert liegen im positiven Bereich „über MW“. 2. Ein oder mehrere negative Faktoren wurden unterhalb der Durchschnittsbewertung noch negativer bewertet. Die entsprechenden Abweichungen vom Mittelwert liegen im negativen Bereich „unter MW“. Nebenkriterien: 1. Ein oder mehrere negative Faktoren haben höhere Anteile oberhalb des Durchschnittsanteils des jeweiligen Faktors. <?page no="246"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 247 2. Die Bewertungsskalen wurden in vollem Umfang benutzt, negative Skalen wurden vergleichsweise häufiger als von den ersten zwei Gruppen benutzt. Die meisten Skalenpunkte liegen im positiven Bereich bei +2 und +3. Dabei gibt es einen weiteren klaren Schwerpunkt bei -3. 3. Der Einstellungswert der Probanden liegt mit MW_3=1,75 deutlich oberhalb vom Mittelwert (MW=1,57), weist aber eine hohe Streuung auf (StAbw=1,70). 64 Gruppenbildung Gruppe 4 Auswahlkriterien Hauptkriterien: 1. Mindestens zwei positive Faktoren wurden unterhalb der Durchschnittsbewertung bewertet. Die entsprechenden Abweichungen vom Mittelwert liegen im negativen Bereich „unter MW“. 2. Ein oder mehrere negative Faktoren wurden unterhalb der Durchschnittsbewertung noch negativer bewertet. Die entsprechenden 64 Kriterium für die Gruppenbildung ist nicht der mittlere Einstellungswert der Gruppe MW_1 bis MW_4, sondern der mittlere Einstellungswert des Probanden im Vergleich mit dem globalen Mittelwert (MW=1,57). Die mittleren Einstellungswerte der Gruppen und ihre Standardabweichung (StAbw) ergeben sich erst nach der Gruppenbildung. Sie werden hier als gruppenspezifische, beschreibende Parameter erwähnt. <?page no="247"?> 248 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Abweichungen vom Mittelwert liegen ebenfalls im negativen Bereich „unter MW“. Nebenkriterien: 1. Ein oder mehrere negative Faktoren haben höhere Anteile oberhalb des Durchschnittsanteils des jeweiligen Faktors. 2. Die Bewertungsskalen wurden in vollem Umfang benutzt. Die meisten Skalenpunkte liegen im positiven Bereich um 0. 3. Der Einstellungswert der Probanden liegt mit MW_4=0,98 meistens unter dem Mittelwert (MW=1,57). Die Streuung (StAbw=1,57) ist hoch. Tabelle 42: Kriterienkatalog zur Ausdifferenzierung von kohärenten Gruppen 5.5.1.2 Einstellungsprofile von individuellen Probanden und Gruppen Im Rahmen der festgelegten Auswahlkriterien werden alle Probanden in eine der vier Gruppen eingeordnet. Es gibt in jeder Gruppe individuelle Probandendaten, die in einigen Werten etwas von den Kriterien abweichen. Wenn die Kriterien der jeweiligen Gruppe überwiegend erfüllt wurden, wurden diese Probanden der entsprechenden Gruppe zugeordnet. Die Probanden (ProbandNr: 4-4_99 Gruppe 1, ProbandNr: 4-2_43 Gruppe 2, ProbandNr: 2-3_7 Gruppe 3, ProbandNr: 4-1_49 Gruppe 4) wurden als Repräsentanten für die jeweilige Gruppe exemplarisch, aber zufällig ausgewählt. Diese Probanden repräsentieren die Hauptkriterien der jeweiligen Gruppe. <?page no="248"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 249 Tabelle 43: Datenbeispiele, Probanden mit Einstellungsprofilen der Gruppen 1-4 In Tabelle 43 werden die mittleren Bewertungen (MW) der Faktoren angegeben. Grundlage für die Zuordnung zu einer Gruppe ist gemäß der Gruppenkriterien die Abweichung ihrer Mittelwerte von den Durchschnittswerten aller Probanden, die Anteile der Faktoren sowie die Verteilung der Skalenpunkte. Um die gruppenspezifischen Merkmale eines Probanden anschaulich darzustellen, wurde ein grafisches Einstellungsprofil für jeden Repräsentanten erstellt (Tabelle 44). Ein solches Profil kann für jeden Probanden erstellt werden. Anhand des Faktorprofils und der Nebenkriterien kann jeder Proband der Gruppe zugeordnet werden, die am besten seinem Profil entspricht. Der Repräsentant in Beispiel 1 zeigt für alle Faktoren eine positive Abweichung. Er hat also alle Faktoren besser bewertet als der Durchschnitt, auch die negativen Faktoren Herrenvolk und Unflexibel. Damit korrespondiert die Nutzung der Skalen ausschließlich im positiven Bereich von 0 bis +3. Den überwiegenden Teil der angekreuzten Items bewertet er mit +3. Dadurch ist sein Einstellungswert sehr hoch und die Streuung der Bewertungen (StAbw) klein. Dieser Proband hat eine sehr positive Einstellung gegenüber den Deutschen. Er empfindet die von den meisten Probanden als negativ angesehenen Eigenschaften aufgrund der sehr positiven Einstellung als besser und bewertet sie <?page no="249"?> 250 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten dementsprechend positiver. 65 In Bezug auf den hier referenzierten Modellansatz (vgl. Kap. 3.3.2 Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz und Kap. 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ) ist er sich bei Erwartung und Wert sicher. Die überwiegende Bewertung von +3 beinhaltet den besten Wert und die Erwartung , dass diese Eigenschaft sicher zutrifft. Dieser Probandentypus wird im Folgenden „Fan“ genannt, er gehört zur Gruppe 1, der Fangruppe. Der Repräsentant in Beispiel 2 bewertet die sonst positiven Faktoren unter dem Durchschnitt aller und nur die negativen Faktoren überdurchschnittlich. Er benutzt die negative Bewertungsskala kaum, sodass seine Einstellung sehr positiv zu sein scheint, aber er setzt den Bewertungsschwerpunkt nicht auf die +3, sondern deutlich darunter. Die Streuung der Bewertungen (StAbw) ist etwas höher. Die meisten positiven Items werden dadurch deutlich abgewertet. Die sehr deutliche Aufwertung negativer Faktoren deutet darauf hin, dass bei Erwartung und Wert die Erwartung , also die Überzeugung, dass diese Eigenschaften zutreffen, nicht so ausgeprägt ist. Dass der Wert bei negativen Eigenschaften gänzlich anders angesetzt wird als von allen anderen, erscheint nicht plausibel. Überträgt man diese Schlussfolgerung auf die deutliche Abwertung der positiven Eigenschaften, so kann diese ebenfalls mit der reduzierten Erwartung erklärt werden. Dieser Zweifel oder die Skepsis in Hinblick auf die eigene Überzeugung führt zur Bezeichnung „Skeptiker“ für diesen Probandentypus, er gehört zur Gruppe 2, den Skeptikern. Der Repräsentant in Beispiel 3 bewertet positive Faktoren etwas positiver und negative etwas negativer als der Durchschnitt. Die Bewertungsintensität ist höher, wie die deutlich auseinandergezogene und an den Polen mit Häufigkeitsschwerpunkten versehene Skala zeigt. Die Streuung der Bewertungen (StAbw) dieser Gruppe ist groß. Dieser Proband bewertet intensiver, heftiger in dem Sinne, dass er negative und positive Eigenschaften deutlich trennt. Dabei nimmt insbesondere die negative Seite keinen oder nur wenig Einfluss auf die positive Seite. Die beiden Schwerpunkte an den Polen der Skala deuten darauf hin, dass er sich seiner Erwartung sicher ist und offensichtlich im Wert trennt, deshalb wird dieser Probandentypus mit 65 Eine Interviewprobandin aus der Gruppe 1 äußerte ihre Meinung zu dem Kriegsbild von Deutschland wie folgt: [Wusstest du früher etwas von Deutschlands Geschichte und Kultur? ] Hauptsächlich habe ich im Geschichtsunterricht etwas davon erfahren. [Wurde im Geschichtsunterricht über den Zweiten Weltkrieg gesprochen oder worüber? ] Über den Zweiten Weltkrieg. [Hat sich danach deine Einstellung zu Deutschland geändert? ] Das hat sich nicht besonders geändert. [Findest du, dass Deutschland im Krieg Schuld hatte? ] Nein, ich habe nicht diesen Eindruck. [Warum? ] Für uns war die Haltung der Deutschen nach dem Krieg beeindruckender. Deutschland hat seinen Fehler eingestanden, ganz anders als Japan. Dadurch kann man die Tugenden des Landes erkennen. Aufgrund dieser Erkenntnisse habe ich keinen schlechten Eindruck von Deutschland und den Deutschen. (1-1_9, BX4, 3: 25) <?page no="250"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 251 der Eigenschaft „polarisierend“ beschrieben, er gehört zur polarisierenden Gruppe 3. Der Repräsentant in Beispiel 4 bewertet negative und positive Faktoren deutlich negativer als der Durchschnitt. Dabei hat er die Skalenpunkte sehr gleichmäßig verteilt, alle sieben Skalenstriche werden benutzt. Die Streuung der Bewertungen (StAbw) ist deshalb ebenfalls groß. Die Mittelwerte aller Faktoren liegen systematisch unter dem globalen Durchschnitt. Das führt zu der Schlussfolgerung, dass dieser Proband sowohl bei der Erwartung kritische Zweifel hegt, als auch den Wert systematisch und kritisch bewusst abstuft. Möglicherweise wirken teilweise negative Überzeugungen in den positiven Bereich hinein. Dieser Probandentypus wird deshalb mit der Eigenschaft „kritisch“ charakterisiert, er gehört zur Gruppe 4, der kritischen Gruppe. <?page no="251"?> 252 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Repräsentant Faktoren Profil Prozentanteil pro Skalenwert Beispiel 1 (Fans) Beispiel 2 (Skeptiker) Beispiel 3 (Polarisierer) Beispiel 4 (Kritiker) Tabelle 44: Grafische Darstellung des Einstellungsprofils der Gruppenrepräsentanten <?page no="252"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 253 5.5.2 Stereotype der kohärenten Gruppen 1-4 Die Anwendung des Kriterienkatalogs (vgl. Kap. 5.5.1.1 Kriterienkatalog für Gruppenbildung ) ergibt folgende Übersicht in Tabelle 45. Gruppe Anzahl Probanden Anteil % Einstellungswert StAbw Gruppe 1 96 24,06 2,31 1,12 Gruppe 2 92 23,06 1,53 1,25 Gruppe 3 85 21,30 1,75 1,70 Gruppe 4 126 31,58 0,98 1,57 Gesamt 399 100,00 1,61 1,53 Tabelle 45: Übersicht über die Probanden in vier kohärenten Gruppen Die Gruppe 4 hat den größten Anteil, gefolgt von den Gruppen 1, 2 und 3, die aber annähernd gleich verteilt sind. Die erste Gruppe hat den positivsten Einstellungswert mit der kleinsten Streuung, während die vierte den am wenigsten positiven Einstellungswert hat. Die Streuung der Bewertungen in der dritten Gruppe ist aufgrund ihrer polarisierenden Sicht am größten, gefolgt von Gruppe 4, 2 und 1. Zur Darstellung aller Abweichungen aller Eigenschaften vom jeweiligen Mittelwert wurden in Abbildung 39 Polarvektoren gewählt. Die x-Achse bildet die Skala von -3 bis +3, darüber sind die mittleren Bewertungen einer Eigenschaft aufgetragen. Jeder Vektor geht vom Zentrum mit der Abweichung „0“ aus, seine Länge ist in diesem dann ebenfalls „0“. In allen anderen Fällen entspricht Länge und Richtung des Vektors seiner Abweichung vom Mittelwert. Die Grafik zu Gruppe 1 zeigt, wie sowohl die positiven Eigenschaften (vgl. Kap. 5.3.3 Mittelwerte und Streuungen der Eigenschaften ) auf der rechten Seite noch positiver bewertet werden und die negativen Eigenschaften auf der linken Seite ebenfalls positiver als im Durchschnitt. Es gibt in der Gruppe der Fans aber nicht viele negative Eigenschaften. Die Grafik zu Gruppe 2 zeigt, wie die positiven Eigenschaften auf der rechten Seite abgewertet und die negativen auf der linken Seite aufgewertet werden. Das charakteristische Bild der Gruppe der Skeptiker entspricht der Abbildung 38: Die Faktorprofile realer Gruppen 1-4. Die Grafik zu Gruppe 3 zeigt umgekehrt, wie die positiven Eigenschaften auf der rechten Seite noch positiver und die negativen auf der linken Seite noch negativer bewertet werden. Das Bild ist typisch für die polarisierende Gruppe. <?page no="253"?> 254 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Die Grafik zu Gruppe 4 zeigt, wie die positiven Eigenschaften auf der rechten Seite negativer und die negativen auf der linken Seite noch negativer bewertet werden. Das Bild ist typisch für die kritische Gruppe. Abbildung 39: Abweichungen von den mittleren Bewertungen der Eigenschaften in vier kohärenten Gruppen Der t-Test zeigt, dass sich die oben beschriebenen Gruppen in Bezug auf die Bewertung der Eigenschaften hochsignifikant unterscheiden (siehe Tabelle 46), anders als die Gruppen der Jahrgänge (vgl. Tabelle 40: t-Test der Einstellungswerte in Jahrgängen ). t-Test Gruppe 3 Gruppe 2 Gruppe 1 Gruppe 4 p=0,000 p=0,000 p=0,000 Gruppe 3 p=0,000 p=0,000 Gruppe 2 p=0,000 Tabelle 46: t-Test der Einstellungswerte der Probanden von vier kohärenten Gruppen <?page no="254"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 255 Dies wird durch den Vergleich der häufigsten Eigenschaften in den Faktoren unterstrichen. Abbildung 40: Bewertungen der häufigsten Eigenschaften in den Faktoren nach Jahrgängen Die mittleren Bewertungen der häufigsten Eigenschaften durch die Jahrgänge liegen in vielen Fällen sehr dicht beieinander, insbesondere beim 2. bis 4. Jahrgang. Dadurch lassen sich die Bewertungen dort nicht signifikant unterscheiden. Anders verhält es sich mit den mittleren Bewertungen durch die kohärenten Gruppen. Diese erscheinen deutlich getrennt, das ergibt die oben genannten signifikanten Unterschiede. Dabei liegen die 1. Gruppe der Deutschland- Fans und die 3. polarisierende Gruppe über den Allgemeinen Stereotypen und dem Faktor Sozial dicht zusammen und trennen sich über dem Faktor Heimatverbunden. Über dem Faktor Unflexibel kreuzt sich die 2. Gruppe der Skeptiker mit der 3. Gruppe und wechselt die Positionen. Ab dem Kreuzungspunkt verlaufen die 3. polarisierende Gruppe und die 4. kritische Gruppe fast gleich. <?page no="255"?> 256 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Abbildung 41: Bewertungen der häufigsten Eigenschaften in den Faktoren nach kohärenten Gruppen Der Verlauf zeigt deutlich, bezüglich welcher Faktoren die Gruppen ähnlich oder gleich eingestellt sind und in welchen Bereichen sie unterschiedliche Positionen einnehmen. Im Vergleich mit den Jahrgängen unterscheiden sich auch die Verläufe der Anteile der Faktoren insgesamt deutlich. Die Anteile der Faktoren nehmen bei den Allgemeinen Stereotypen und beim Faktor Sozial zwischen Gruppe 1 und Gruppe 4 ab, liegen dabei aber nur 4-6 Prozentpunkte auseinander. Die Faktoren Perfektion und Heimatverbunden sind annähernd gleich verteilt, Unflexibel und Herrenvolk nehmen 3-4 Prozentpunkte zu. Einen ähnlichen Verlauf wie bei den Jahrgängen zeigen nur die Faktoren Sozial und Unflexibel . Hier verschieben sich die Anteile im Gruppenverlauf von den Allgemeinen Stereotypen und dem Faktor Sozial weg und hin zu Unflexibel und Herrenvolk . Die mittleren Bewertungen (MW) dagegen folgen keinem Gradienten, sie stehen nebeneinander, wie es ihren Charakteristika entspricht. Die Standardabweichungen (StAbw) sind nur wenig kleiner, sie entsprechen ebenfalls, wie oben erläutert, den Charakteristika der Gruppen. <?page no="256"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 257 Gruppe Allgemeine Stereotype Sozial Perfektion Heimatverbunden Unflexibel Herrenvolk Unsozial Massen mensch Sonstige Anteil Faktor % Gruppe 1 41,74 26,01 16,38 6,54 5,99 1,63 1,08 0,60 0,03 Gruppe 2 41,57 22,20 16,93 6,73 7,20 2,90 1,67 0,67 0,13 Gruppe 3 39,56 19,47 16,41 6,09 9,85 4,29 3,53 0,68 0,12 Gruppe 4 37,71 20,38 15,68 6,10 9,89 4,98 3,82 1,29 0,15 MW Gruppe 1 2,56 2,56 2,31 2,45 0,53 0,23 -0,10 0,27 0,00 Gruppe 2 1,88 1,83 1,49 1,50 0,15 -0,53 -0,40 0,00 0,25 Gruppe 3 2,48 2,55 2,07 1,84 -0,59 -1,63 -1,24 -0,78 -0,50 Gruppe 4 1,65 1,62 1,19 1,03 -0,67 -1,70 -1,39 -1,03 -1,57 StAbw Gruppe 1 0,89 0,75 0,97 0,84 1,36 1,50 1,63 1,55 - Gruppe 2 1,12 0,98 1,07 1,04 1,10 1,14 0,90 0,56 1,71 Gruppe 3 0,98 0,80 1,06 1,28 1,43 1,48 1,33 1,51 1,91 Gruppe 4 1,18 1,02 1,14 1,16 1,19 1,22 1,09 1,19 0,98 Tabelle 1: Anteil und Bewertung der Faktoren aller vier kohärenten Gruppen Tabelle 47: Anteil und Bewertung der Faktoren aller vier kohärenten Gruppen Die folgenden Grafiken zeigen anhand der häufigsten Eigenschaften in den Faktoren, in welchen Bereichen Jahrgänge oder kohärente Gruppen ähnliche oder gleiche Anteile aufweisen. Die Differenzen bei den Jahrgängen wurden bereits ausführlich für den 1. Jahrgang und den 4. Jahrgang aufgeführt. Die mit bloßem Auge erkennbar weiter auseinander liegenden Anteile von Eigenschaften wurden positiv auf Signifikanz getestet (vgl. Abbildung 22: Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang ). Abbildung 42: Anteile der häufigsten Eigenschaften in den Faktoren nach Jahrgängen Die Abbildung 42 soll lediglich noch einmal aufzeigen, dass sich die Jahrgänge in den Stereotypanteilen mehrfach und unsystematisch überkreuzen, wenn alle vier Jahrgänge dargestellt werden. <?page no="257"?> 258 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Abbildung 43: Anteile der häufigsten Eigenschaften in den Faktoren nach kohärenten Gruppen Das erwartete Zusammenlaufen der benachbarten Jahrgänge 1 und 2 sowie 3 und 4 ist nur teilweise zu beobachten. Die Anteile der häufigsten Eigenschaften verlaufen in den kohärenten Gruppen deutlich geordneter, wie in Abbildung 43 zu sehen ist. Die 1. Gruppe der Deutschland- Fans und die 3. polarisierende Gruppe verlaufen bis zum Faktor Heimatverbunden ähnlich. Dies gilt auch für die 2. skeptische Gruppe und die 4. kritische Gruppe, sie verlaufen unterhalb der 1. und 3. Gruppe. Danach kreuzen sich die Verläufe und die Linien der 1. und 2. Gruppe verlaufen über den Faktoren Unflexibel und Herrenvolk dichter zusammen. Dies gilt nach dem Wechsel auch für die 3. und 4. Gruppe oberhalb der erstgenannten Gruppen. Die folgende Tabelle 48 zeigt die Anteile der Eigenschaften im Einzelnen. <?page no="258"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 259 Faktor Item Gruppe 1 % Gruppe 2 % Gruppe 3 % Gruppe 4 % Stereotyp Dichter und Denker 58,33 60,87 64,71 57,14 Stereotyp fleißig 66,67 46,74 62,35 45,24 Stereotyp fortschrittlich 63,54 40,22 58,82 48,41 Stereotyp gute Techniker 60,42 52,17 63,53 54,76 Stereotyp gute Wissenschaftler 71,88 65,22 83,53 59,52 Stereotyp höflich 77,08 73,91 82,35 69,84 Stereotyp intelligent 76,04 66,30 74,12 71,43 Stereotyp kameradschaftlich 52,08 40,22 54,12 41,27 Stereotyp kultiviert 81,25 69,57 81,18 69,05 Stereotyp pflichtbewusst 77,08 77,17 81,18 69,84 Stereotyp philosophische Lebenshaltung 55,21 38,04 48,24 44,44 Stereotyp sportlich 65,63 67,39 68,24 69,84 Stereotyp trinkfreudig 69,79 75,00 76,47 74,60 Stereotyp umweltbewusst 62,50 51,09 58,82 57,14 Stereotyp Volk der Zukunft 69,79 47,83 57,65 50,79 Stereotyp zuverlässig 70,83 58,70 70,59 62,70 Sozial attraktive Männer 60,42 48,91 51,76 50,79 Sozial familienorientiert 28,13 15,22 16,47 18,25 Sozial selbstbewusst 61,46 48,91 56,47 38,89 Perfektion anspruchsvoll 63,54 53,26 68,24 62,70 Perfektion arbeitsfreudig 47,92 44,57 47,06 46,03 Perfektion diszipliniert 81,25 75,00 87,06 80,16 Perfektion gründlich 79,17 67,39 76,47 65,87 Perfektion nüchtern 84,38 69,57 80,00 69,05 Perfektion ordentlich 70,83 54,35 74,12 57,14 Perfektion pünktlich 66,67 66,30 68,24 54,76 Perfektion rational 67,71 63,04 75,29 68,25 Heimatverbunden Nationalstolz 53,13 46,74 54,12 57,94 Heimatverbunden heimatliebend 63,54 50,00 44,71 44,44 Heimatverbunden Zusammengehörigkeitsgefühl 47,92 39,13 47,06 39,68 Heimatverbunden gute Soldaten 44,79 45,65 52,94 39,68 Heimatverbunden gute Politiker 41,67 38,04 44,71 38,89 Unflexibel distanziert 35,42 34,78 69,41 57,14 Unflexibel konservativ 25,00 28,26 48,24 50,00 Unflexibel konventionell 43,75 53,26 68,24 67,46 Unflexibel stur 27,08 32,61 63,53 53,97 Unflexibel traditionsgebunden 41,67 32,61 45,88 49,21 Unflexibel verschlossen 9,38 13,04 41,18 31,75 Herrenvolk fremdenfeindlich 6,25 5,43 27,06 23,81 Herrenvolk Herrenvolk 19,79 33,70 49,41 51,59 Herrenvolk rassebewusst 28,13 26,09 38,82 42,06 Tabelle 48: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach kohärenten Gruppen <?page no="259"?> 260 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Wenn man zunächst auf die Gruppen 1, 3 und 4 schaut und die unsichere 2. Gruppe einen Moment unbeachtet lässt, dann ist hier genauer zu erkennen, dass sich diese Gruppen erst in den Faktoren Sozial , Unflexibel und Herrenvolk deutlicher unterscheiden. Die Deutschland- Fans sehen die Deutschen wesentlich sozialer, während die polarisierende und die kritische Gruppe die Deutschen deutlich unflexibler betrachten und Eigenschaften eines Herrenvolks sehen. Die etwas unentschlossene 2. Gruppe der Skeptiker liegt mit ihren Anteilen dazwischen und hat im Vergleich mit der Gruppe 1 und 3 deutlich wenigere Nennungen von positiven Items. Die Differenzialanalyse der TOP-20-Items aller Nennungen und der TOP-5-Nennungen einer jeden kohärenten Gruppe zeigt wie bei den Jahrgängen die Sanduhr-Dynamik (siehe Abbildung 44). Abbildung 44: Sanduhr-Dynamik der vier kohärenten Gruppen In Kennzahlen ausgedrückt (siehe Tabelle 49) weist die 4. Gruppe der Kritiker die geringste Dynamik auf, oder umgekehrt, die größte Sicherheit bei der ersten Auswahl der Items aus der offenen Eigenschaftsliste. Bei der Priorisierung ändert diese Gruppe am wenigsten. Mit weitem Abstand folgt die 1. Gruppe der Deutschland- Fans , die 2. Gruppe der Skeptiker und mit der größten Dynamik <?page no="260"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 261 die 3. polarisierende Gruppe. Die zuletzt genannte Beobachtung erstaunt etwas. Bisher erschien die 3. Gruppe als relativ sicher in ihren Überzeugungen. Die größten Änderungen im Anstieg betreffen die negative Eigenschaft verschlossen und die ambivalente Eigenschaft Nationalstolz . Die größten abfallenden Änderungen betreffen die verbreiteten allgemeinen Stereotype gute Wissenschaftler und höflich. Gruppe Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4 Summe der Rangänderungen 165 171 220 128 Tabelle 49: Rangdifferenzen als Dynamik-Kennzahlen für die vier kohärenten Gruppen Es scheint jetzt eher so, als würde die hohe Intensität der Piorisierung dazu dienen, die unterschiedlichen negativen und positiven Seiten der Deutschen zu trennen, ohne dadurch insgesamt zu einer schlechteren Einstellung zu gelangen. Demgegenüber scheinen sich die Deutschland- Fans der 1. Gruppe ihrer positiven Überzeugung weiterhin sicher zu sein. Die 2. Gruppe der Skeptiker dagegen steht den eigenen Überzeugungen auch skeptisch gegenüber und tauscht eine gleiche Anzahl Allgemeiner Stereotype und Eigenschaften der Perfektion gegeneinander aus. Von den Allgemeinen Stereotypen werden intelligent , höflich und gute Wissenschaftler ausgewechselt gegen Dichter und Denker , umweltbewusst und sportlich , von den Eigenschaften der Perfektion werden ordentlich und diszipliniert ausgewechselt gegen gründlich , rational und pünktlich . Die abfallenden Überzeugungen sind hier jeweils zuerst genannt, gefolgt von den ansteigenden Eigenschaften. Nur die 3. und die 4. Gruppe nennen negative Eigenschaften auf der ansteigenden Seite mit verschlossen und distanziert sowie Herrenvolk und distanziert . Eigenschaften, die einer geringeren Sanduhr-Dynamik mit ≤ 5 Rängen Differenz unterliegen, sind für die Gruppe 1: attraktive Männer , Dichter und Denker , diszipliniert, gründlich , höflich , intelligent , kultiviert , pflichtbewusst, rational, trinkfreudig, umweltbewusst , Volk der Zukunft Gruppe 2: diszipliniert, gute Wissenschaftler , höflich , intelligent , ordentlich , pflichtbewusst, pünktlich , rational, sportlich , trinkfreudig, umweltbewusst Gruppe 3: anspruchsvoll , distanziert , diszipliniert, gute Techniker , nüchtern , pflichtbewusst, rational, sportlich , trinkfreudig, zuverlässig Gruppe 4: anspruchsvoll , Dichter und Denker , diszipliniert, gute Techniker , gute Wissenschaftler , konventionell , kultiviert , Nationalstolz , nüchtern , ordentlich , pflichtbewusst, rational, sportlich , trinkfreudig, umweltbewusst <?page no="261"?> 262 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Den Jahrgängen und Gruppen gemeinsam sind nur zwei Eigenschaften: diszipliniert und trinkfreudig als stereotyper Kern und semantische Pole. 5.5.3 Gruppen-Kombinationen in den Jahrgängen Jahrgänge und kohärente Gruppen sind zwei Ansätze der Klassifikation derselben Probanden nach unterschiedlichen Kriterien. Der beobachtete zeitliche Verlauf der Jahrgänge kann anhand der Gruppen auch anders beschrieben werden. Die Hypothese ist hier: Die beschriebenen Gradienten der Jahrgangsentwicklung können auch als eine Abfolge von (Neu-) Kombinationen der kohärenten Gruppen von Jahrgang zu Jahrgang beschrieben werden. Hypothese 5: Entwicklung der Jahrgänge als Abfolge von Kombinationen der kohärenten Gruppen Die koexistierenden Jahrgänge repräsentieren dabei einen zeitlichen Verlauf mit Entwicklungsgradienten. Die kohärenten Gruppen typisieren die Probanden danach, wie ihre Überzeugungen aussehen und wie sie diese bewerten. Diese Typisierung bezieht sich auf die momentan geltenden Überzeugungen in der momentanen Situation des Probanden. Sie beschreibt eher einen zeitlichen „Schnappschuss“. Die folgende Tabelle 50 zeigt die Anteile der Gruppen in den Jahrgängen. Gruppe 1 % Gruppe 2 % Gruppe 3 % Gruppe 4 % 1. Jahrgang (N=109) 31,19 18,35 24,77 25,69 2. Jahrgang (N=108) 19,44 24,07 25,00 31,48 3. Jahrgang (N=84) 13,10 36,90 17,86 32,14 4. Jahrgang (N=72) 22,22 16,67 18,06 43,06 Kontrollgruppe (N=26) 53,85 11,54 11,54 23,08 Tabelle 50: Kreuztabelle der Anteile der Probanden in Jahrgängen und kohärenten Gruppen Die Gruppe 1 der Deutschland- Fans startet mit einem Maximum im 1. Jahrgang und bleibt bis auf ein Minimum im 3. Jahrgang fast konstant. Dies entspricht der Beobachtung, dass der 1. Jahrgang besonders positiv eingestellt ist und dass bei allen Jahrgängen in der Normalverteilung der Einstellungen immer ein Bereich sehr guter Einstellungen existiert. <?page no="262"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 263 Die Gruppe 2, die skeptische Gruppe, macht zusammen mit der polarisierenden Gruppe 3 im 2. Jahrgang fast 50 % der Probanden aus, etwa im Verhältnis 1: 1 (24,07: 25,00). Wie schon diskutiert (vgl. Kap. 5.4.6 Diskussion des Jahrgangsmodells ), steigt die Informationskurve in Bezug auf die Deutschen bei den Probanden zum Ende des 1. Jahrgangs hin und im 2. Jahrgang besonders stark an. In diesem Studienabschnitt hören die Studenten sehr viel Neues (vgl. Kap. 2.5 Nationale Stereotype ), ohne dass sie über ein interkulturell landeskundlich gefestigtes Wissen verfügen. Die Reaktion darauf ist möglicherweise von Proband zu Proband unterschiedlich, je nach persönlichen Voraussetzungen. In der Gruppe der Skeptiker besteht die Reaktion eher in einer vorsichtigen, zurückhaltenden Einstellung. In der polarisierenden Gruppe passiert möglicherweise das Gegenteil, diese Probanden trennen positive und negative Items, stellen sie gedanklich gegenüber und positionieren sie dadurch eher in Richtung der beiden Pole der Bewertungsskala. Ihre Einstellung bilden sie nach der gedanklichen Trennung bewusst zwischen diesen Polen. Für diese Interpretation spricht auch, dass die Gruppe 3 nur im 1. und 2. Jahrgang höhere Anteile hat, aber im 3. und 4. Jahrgang stark Anteile verliert. Möglicherweise handelt es sich bei der vereinfachenden, polarisierenden Gegenüberstellung von positiven und negativen Eigenschaften eher um ein Anfängerphänomen in einer Orientierungsphase. Die verbleibenden Anteile der Gruppe 3 im 3. und 4. Jahrgang von jeweils etwa 18 % werden von Probanden gebildet, die diese vereinfachende Art der Bewertung beibehalten oder annehmen. Die kritische Gruppe 4 nimmt in den Jahrgängen kontinuierlich zu, dies entspricht der Beobachtung (vgl. Kap. 5.4 Untersuchung der Jahrgänge ( Jahrgangsmodell ), dass die Einstellung gegenüber den Deutschen im Laufe der Zeit kritischer und weniger positiv wird und dass die Sanduhr-Dynamik nachlässt. Die unbestätigte Hypothese der angedeuteten U-Kurve lässt sich über den Verlauf der kombinierten Anteile von Gruppe 1 und Gruppe 3 nachvollziehen. Gruppe 1 % Gruppe 3 % Summe Anteile % Gruppe 1 und Gruppe 3 1. Jahrgang (N=109) 31,19 24,77 55,96 2. Jahrgang (N=108) 19,44 25,00 44,44 3. Jahrgang (N=84) 13,10 17,86 30,96 4. Jahrgang (N=72) 22,22 18,06 40,28 Tabelle 51: Aufsummierte Anteile der überdurchschnittlich positiven Gruppen 1 und 3 <?page no="263"?> 264 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten In Summe nehmen die überdurchschnittlich gut bewertenden Gruppen 1 und 3 über die ersten drei Jahrgänge stetig ab (vgl. Tabelle 51), aber im 4. Jahrgang wieder zu. Umgekehrt nehmen die Verläufe der negativer bewertenden Gruppen 2 und 4 über die ersten drei Jahrgänge stetig zu, um im 4. Jahrgang abzunehmen (vgl. Tabelle 52). Diese gegensätzlichen Verläufe erklären die Bildung der angedeuteten U-Kurve. Insgesamt gleichen sich die Bewertungen durch die individuellen Probanden jedoch so weit aus, dass der Verlauf der Bewertungen selbst zwischen den Jahrgängen nicht signifikant unterschiedlich ist. Eine Ausnahme bildet dabei der 1. Jahrgang. Er ist auch im Verlauf der Gruppen-Kombinationen eine Besonderheit, weil das Maximum der gut bewertenden Gruppen (55,96 %) und das Minimum der weniger gut bewertenden Gruppen (44,04 %) hier zusammentrifft. Gruppe 2 % Gruppe 4 % Summe Anteile % Gruppe 2 und Gruppe 4 1. Jahrgang (N=109) 18,35 25,69 44,04 2. Jahrgang (N=108) 24,07 31,48 55,55 3. Jahrgang (N=84) 36,90 32,14 69,04 4. Jahrgang (N=72) 16,67 43,06 59,73 Tabelle 52: Aufsummierte Anteile der überdurchschnittlich negativen Gruppen 2 und 4 Die größere Sanduhr-Dynamik im 1. und 2. Jahrgang erklärt sich aus der Kombination der Anteile der Gruppe 3 (Kennzahl 220 vgl. Tabelle 49: Rangdifferenzen als Dynamik-Kennzahlen für vier kohärenten Gruppen ) und der Gruppe 4 (Kennzahl 128). Der Anteil der Gruppe 3 ist in den ersten beiden Jahrgängen am höchsten und der Anteil der Gruppe 4 am niedrigsten (siehe Tabelle 50). 5.5.4 Szenarien für Gruppen-Neukombinationen in den Jahrgängen Die beobachtete Verteilung der kohärenten Gruppen in den Jahrgängen zeigt in einer Momentaufnahme Unterschiede. Da hier keine Longitudinalstudie durchgeführt wurde, kann nicht für einzelne Probanden nachvollzogen werden, ob und wie sie ihre Gruppenzugehörigkeit wechseln. Dazu liefern die anschließend durchgeführten Interviews Hinweise. Die 16 Interviewprobanden (vgl. Kap. 4.2.11 Interview ) wurden nach ihrer Selbsteinschätzung befragt, ob und warum sich ihre Einstellungen im Verlauf des Deutschlernens von Beginn des Studiums bis zum Zeitpunkt der Untersuchung geändert haben. Hinweise aus diesen Interviews auf Gründe, die dann in der Analyse zu möglichen Gruppenwechseln <?page no="264"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 265 führen, werden hier zusammengestellt. Tabelle 53 listet die 16 Interviewprobanden mit ihren jeweils zugehörigen kohärenten Gruppen (K-Gruppen) auf. Ihre Interviewaussagen zur Selbsteinschätzung der Einstellungsänderung wurden interpretiert, um anhand des Kriterienkatalogs (vgl. Kap. 5.5.1.1 Kriterienkatalog für Gruppenbildung ) abzuschätzen, welcher Gruppe sie vorher angehört hatten. Wenn dies nicht möglich war oder mehrere Gruppen in Frage kamen, wurden alle angegeben. In Verbindung mit der Kenntnis der aktuellen Gruppenzugehörigkeit lassen sich Szenarien und Gründe für die Beibehaltung der aktuellen Gruppe oder den Wechsel in die aktuelle Gruppe erkennen. K-Gruppen Probandennummer Einstellungswert Anzahl Summe Gruppe 1 1-1_9 2,87 5 2-1_62 2,87 1-2_65 2,84 3-4_40 2,76 4-3_41 2,59 Gruppe 2 2-1_64 1,87 5 4-2_37 1,70 3-2_87 1,54 2-3_6 1,49 3-1_17 1,16 Gruppe 3 2-1_82 0,44 1 Gruppe 4 3-3_101 0,72 5 4-2_51 0,67 1-4_92 0,32 1-1_12 0,30 3-4_58 -0,20 Tabelle 53: Verteilung der Interviewprobanden in den kohärenten Gruppen Die folgenden Zitate liefern Hinweise dafür, dass ein Gruppenwechsel beobachtet werden kann. Die Zitate werden durch die ID des Probanden und einen Zeitindex der Tonaufnahme eindeutig identifiziert. Die Identifikation (1-1_9, CA3, 10: 49) kennzeichnet zum Beispiel eindeutig den Probanden 1-1_9 aus dem 1. Jahrgang, dort aus der 1. Klasse, der Proband hat dort die Nummer 9. CA3 ist die Position des Zitats im Datenblatt. 10: 49 ist der eindeutige Zeitindex auf der Audiospur der Interviewaufnahme. In Gruppe 1 Deutschland-Fan geblieben Zitat 1, Proband studiert im 1. Jahrgang: Ich habe mich nicht intensiv über Deutschland informiert. Ich wusste nur, dass die deutschen Produkte und Industrie bekannt sind. (1- <?page no="265"?> 266 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten 2_65, CA2, 6: 14) (…) Vor dem Deutschlernen hatte ich eine ziemlich positive Einstellung, aber ich wusste zu wenig über sie. (1-2_65, CA2, 6: 50) (…) Nach dem Deutschlernen weiß ich mehr und habe mich intensiver über die Deutschen informiert, aber nur durch das Erlernen ihrer Konversationen im Alltagsleben, im Lehrbuch. (1-2_65, CA2, 14: 01) Kommentar: Der Proband (1-2_65) ist zu Beginn ein Fan ohne viel Wissen. Zitat 2, Proband studiert im 1. Jahrgang: Ich weiß jetzt mehr von Deutschland. Der Gesamteindruck zu Deutschland ist immer sehr gut. Ich bewundere das Land. (1-1_9, CA3, 10: 49) Kommentar: Der Proband (1-1_9) ist zu Beginn ein Fan ohne viel Wissen. Zitat 3, Proband studiert im 2. Jahrgang: Seitdem ich angefangen habe, Deutsch zu lernen, habe ich von der Mittelschule an bis jetzt immer einen guten Eindruck von Deutschland. Das hat sich nicht geändert. Der Eindruck ist immer gut. (2-1_62, CA4, 2: 49) Kommentar: Der Proband (2-1_62) ist Fan geblieben. Von Gruppe 2, 3 oder 4 zu Gruppe 1 der Deutschland-Fans gewechselt Zitat 1, Proband studiert im 3. Jahrgang: Das hat mit meiner Deutschlanderfahrung zu tun. Ich wohnte bei einem deutschen Paar, das wirklich super warmherzig ist. (…) Diese Erlebnisse haben meine alte Einstellung komplett geändert. Ich habe nicht gedacht, dass sie mir sooo viel helfen würden. Früher fand ich die Deutschen kaltherzig. Aber nach dem Deutschlandaufenthalt fragte ich mich, wie konnten sie mich so gut behandeln. Sie haben sogar jeden Tag Frühstück für mich gemacht. (3-4_40, CA5, 5: 16) Kommentar: Der Proband (3-4_40) ist durch positive Primärerfahrungen in Deutschland Fan geworden. Zitat 2, Proband studiert im 4. Jahrgang: Ich kenne nur unsere deutschen Lehrer. Weil ich noch nie im Ausland war. Alle meine Erkenntnisse bekomme ich von den Lehrern, Kommilitonen und aus Lehrbüchern. Ich habe mich mehr über Deutschland informiert, aber auch nicht so viel. Ich habe einen sehr guten Eindruck von Deutschland. Ich möchte sehr gerne in Deutschland studieren, arbeiten und leben, und ehrlich gesagt sogar einen deutschen Mann heiraten ((lachend)). Ich finde, obwohl die Deutschen ernst aussehen, lassen sie mit sich reden. Sie sind nicht so stur, wie wir gedacht haben, obwohl sie wirklich hohe Anforderungen haben . (4-3_41, CA6, 4: 57) (…) Im Großen und Ganzen ist meine Einstellung gegenüber ihnen in den letzten vier Jahren immer besser geworden. (4-3_41, CA6, 30: 26) Kommentar: Der Proband (4-3_41) ist durch gute Erfahrungen mit den Deutschlehrern und durch positive Informationen Deutschland-Fan geworden. <?page no="266"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 267 Von Gruppe 1 der Deutschland-Fans zu Gruppe 2 der Skeptiker gewechselt Zitat 1, Proband studiert im 2. Jahrgang: Nach zwei Jahren Deutschlernen ist meine Einstellung gegenüber den Deutschen umfassender und objektiver geworden. Ich würde nicht mehr so blind in Deutschland und den Deutschen meine Idole sehen. Früher hatte ich sie als Idole angesehen. (2-3_6, CA7, 10: 58) Kommentar: Der Proband (2-3_6) ist durch Erfahrungen und angereichertes Wissen objektiver geworden. Zitat 2, Proband studiert im 3. Jahrgang: Jetzt ist meine Einstellung objektiver und neutraler geworden. Früher hatte ich immer einen sehr guten Eindruck. Jetzt habe ich viele andere Seiten von ihnen gesehen, z. B. vor kurzem hatten wir wegen eines Gruppenprojekts einen deutschen Fußballtrainer interviewt. Unsere chinesischen Lehrer haben früher auch erzählt, dass die Deutschen eine arrogante Haltung an den Tag legen. Ich hatte das bis jetzt nie erlebt, bis ich diesen Trainer gesehen habe. Obwohl er nett war, merkte man an seinen Worten, dass er sehr stolz auf seine Nationalität ist und immer sein Land lobte. Er vermittelte uns so ein Gefühl. (3-2_87, CA8, 11: 15) Kommentar: Der Proband (3-2_87) ist durch Erfahrungen mit Deutschen und angereichertes Wissen objektiver geworden. Von Gruppe 4 der Kritiker zu Gruppe 2 der Skeptiker gewechselt Zitat 1, Proband studiert im 2. Jahrgang: Ich finde, nicht alle Deutschen sind so starr, wie ich früher dachte. Es gibt auch welche, die extrovertiert und umgänglich sind. Durch ein paar Videoclips, die unsere chinesischen Lehrer uns im Unterricht gezeigt haben, habe ich gesehen, dass nicht alle Deutschen so ernst sind. Sie sind doch umgänglich. Nach zwei Jahren Deutschlernen ist mein gesamter Eindruck gegenüber Deutschland und den Deutschen insgesamt besser geworden. Vielleicht, weil die Lehrer nie was Schlechtes über Deutschland und die Deutschen erzählt haben. In den nächsten zwei Jahren im Hauptstudium werden wir mehr über die deutsche Kultur lernen. Vielleicht werden wir später Deutschland und die Deutschen umfassender kennenlernen, bis jetzt haben wir hauptsächlich nur die Sprache und Positives über Deutschland gelernt. (2-1_64, CA9, 10: 10) Kommentar: Der Proband (2-1_64) hat seine vorher negativere Einstellung durch Erfahrungen und angereichertes Wissen korrigiert, seine Einstellung ist positiver geworden. Zitat 2, Proband studiert im 4. Jahrgang: Nach dem Deutschlandaufenthalt hat sich die Einstellung etwas geändert. Früher dachte ich, dass die Deutschen distanziert und kaltherzig sind. Nach dem Aufenthalt finde ich, dass sie zwar ernsthaft und zurückhaltend, aber doch freundlich und hilfsbereit sind. (4-2_37, CA10, 8: 52) <?page no="267"?> 268 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Kommentar: Der Proband (4-2_37) hat seine vorher negativere Einstellung durch Erfahrungen in Deutschland korrigiert, seine Einstellung ist besser geworden. Von Gruppe 1 der Deutschland-Fans zu Gruppe 3 der polarisierenden Gruppe gewechselt Zitat 1, Proband studiert im 2. Jahrgang: Die deutsche Industrie ist sehr stark. Weil ich ein Mädchen bin, fand ich die deutschen Männer beim Filme- und Fußballspielgucken sehr hübsch. Deshalb mochte ich die Deutschen sehr. (2-1_82, CA11, 3: 10) (…) Im Unterricht, auch auf der Reise höre ich auch was Negatives über sie, z. B. einige Europäer diskriminieren die Chinesen ein bisschen, sind ein bisschen fremdenfeindlich. (2-1_82, CA11, 10: 49) (…) Ich finde die Deutschen kaltherzig, weil meine Freundin, die in Deutschland studierte, ungerecht behandelt wurde. (2-1_82, CA11, 29: 30) Kommentar: Der Proband (2-1_82) hat seine negativen Überzeugungen durch Hörensagen und negative Erfahrungen der anderen verstärkt. Von Gruppe 1, 2 oder 3 zu Gruppe 4 der kritischen Gruppe gewechselt Zitat 1, Proband studiert im 3. Jahrgang: Der Eindruck war positiv. Ich habe selber keine Kriege erlebt und weiß auch wenig über Kriege, deshalb konnte ich nicht mitfühlen. In meinen Augen ist Deutschland eher ein wirtschaftlich und technisch sehr entwickeltes Land. Nachdem ich Deutsch gelernt hatte, hat sich meine Einstellung sehr stark geändert. (3-4_58, CA12, 1: 53) (…) Nach einigen Jahren Deutschlernen ist meine Einstellung gegenüber Deutschland insgesamt schlechter geworden. Denn ich war früher sehr gut beim Englischlernen, ich dachte, ich bin sprachbegabt. Aber jetzt sehe ich, dass ich beim Deutschlernen nicht so gut bin. (…) Erstens, weil ich selber das Lernen vernachlässigt habe, zweitens, weil ich nicht so viel Interesse an deutscher Sprache habe. Die Leistung ist immer schlechter geworden. Das Deutschlernen ist nicht so interessant und einfach wie das Englischlernen. Meine ehemalige Erwartung ist nicht eingetroffen. (3-4_58, CA12, 16: 06) Kommentar: Wegen schlechter Leistung und weniger Lernmotivation wurde die Einstellung von Proband (3-4_58) negativ beeinflusst. Zitat 2, Proband studiert im 3. Jahrgang: Meine Familie und Freunde sagen oft, dass sie Deutschland gut finden. Sie finden die Deutschen ernsthaft. Alle finden das so. (3-3_101, CA13, 3: 18) (…) Am Anfang hatten alle Leute in meiner Umgebung positive Eindrücke zu Deutschland. Nur unsere chinesischen Lehrer haben etwas Negatives erzählt, sonst gab es fast keine negativen Einstellungen. Die meisten Leute und ich hatten eine komplett positive Einstellung gegenüber Deutschland. Nachdem ich einige Zeit lang mehr und intensiver gelernt und durch eigene Erfahrungen mehr gesehen hatte, wurde ich objektiver. Die Deutschen sind auch nicht so perfekt. Sie haben auch viele Probleme. Ich <?page no="268"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 269 würde nicht mehr so blind in Deutschland und den Deutschen meine Idole sehen. Sie sind etwas eigensinnig. Ich habe an unseren deutschen Lehrern oft gesehen, dass sie sich dauernd mit einer Sache herumschlagen und sehr auf Details achten. Das ist übertrieben. (3-3_101, CA13, 12: 20) Kommentar: Der Proband (3-3_101) ist durch Erfahrungen und angereichertes Wissen objektiver und negativer geworden. Zitat 3, Proband studiert im 4. Jahrgang: Vor dem Studium war mein Eindruck von Deutschland und den Deutschen ziemlich gut. Nach dem Deutschlernen kannte ich wenigstens ein paar mehr Ortsnamen von Deutschland und habe die Kultur mehr oder weniger intensiv kennengelernt. Meine Einstellung ist auch objektiver geworden. Ich finde, sie haben viele Vorteile, aber über die Nachteile hat jeder seine eigenen Ansichten. Man kann auch schwer sagen, das sind Nachteile, weil sie zu ernsthaft und starr sind. (4-2_51, CA14, 06: 16) Kommentar: Der Proband (4-2_51) ist durch Erfahrungen und angereichertes Wissen objektiver und negativer geworden. In Gruppe 4 kritisch geblieben Zitat 1, Proband studiert im 1. Jahrgang: Vor dem Studium fand ich, dass Deutschland theoretisch gut ist. Aber ich hatte nie Kontakt mit den deutschen Menschen. In der Uni habe ich plötzlich Deutsche persönlich kennengelernt. Aus ihren Eigenschaften, wie „ernsthaft“, habe ich früher wahrscheinlich hergeleitet, dass sie starr und schweigsam sind. Ich hatte das Gefühl, dass sie kaltherzig sind. Besonders der erste deutsche Lehrer, den ich in der Uni sah, hat fast nie gelächelt. Ich dachte, man kann wahrscheinlich schwer mit ihm umgehen. (…) Später hatten wir eine andere deutsche Lehrerin, die zwar ein bisschen anders ist, aber sie vermittelt mir immer noch das Gefühl, dass sie kaltherzig und distanziert ist. (1-4_92, CA15, 2: 30) Kommentar: Der Proband (1-4_92) hatte bereits am Anfang aus eigener Herleitung schon eine etwas negative Einstellung, die durch eigene Erfahrungen mit Deutschlehrern bestätigt wurde. Zitat 2, Proband studiert im 1. Jahrgang: Damals fand ich Hitler sehr grausam, aber er hatte auch seine Vorteile, wie z. B. gute Entscheidungs- und Durchführungsfähigkeit. Aber er war zu grausam zu den Völkern aus anderen Ländern. (1-1_12, CA16, 4: 40) (…) Meine Einstellung gegenüber den Deutschen ist jetzt nach dem Deutschlernen bestimmt etwas positiver geworden als vor dem Studium. Meine Erkenntnisse über sie sind intensiver geworden. (1-1_12, CA16, 13: 50) Kommentar: Der Proband (1-1_12) hatte bereits vor dem Studium keine besonders positive Einstellung. <?page no="269"?> 270 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten In den Aussagen zeigen sich die folgenden Gruppenwechsel. Wechsel von Gruppe 1 (Deutschland-Fans) in andere Gruppen. • Ein Teil der Deutschland- Fans haben vor dem Germanistikstudium schon sehr positive Einstellung gegenüber Deutschland und den Deutschen. Das begründet den hohen Anteil des 1. Jahrgangs in der Fan -Gruppe. (1→1) • Ein Teil der Deutschland- Fans hat durch das Studium hindurch die positiven Einstellungen gegenüber Deutschland und den Deutschen immer behalten und ist in der Fan -Gruppe geblieben. (1→1) • In die polarisierende Gruppe 3, mit hohem positiven und auch negativen Faktoranteil kann wahrscheinlich nur ein Fan wechseln, der seinen positiven Faktoranteil beibehält und den bisher nicht vorhandenen negativen Anteil hinzufügt (1→3). • Ein Teil der Deutschland- Fans kann im Laufe des Studiums auch zu Gruppe 2 oder 4 wechseln. Gründe dafür können darin liegen, dass ihre ursprünglich extrem positive Einstellung durch eigene Erfahrungen und angereichertes Wissen in Frage gestellt, korrigiert und objektiver wird oder sogar in die negative Richtung geht. (1→2/ 4) Wechsel von Gruppe 2 der Skeptiker in andere Gruppen. • Durch besondere positive Erfahrungen, die die Probanden mit den Deutschen gemacht haben, kann ihre Einstellung sich verbessern - dann wechseln sie zur Gruppe der Deutschland- Fans . (2→1) • Durch negative Erfahrungen, die die Probanden gemacht haben, oder angereichertes Wissen kann sich der Anteil der negativen Erkenntnisse erhöhen <?page no="270"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 271 und die Einstellung kritischer oder sogar negativer werden, wodurch ein Wechsel zur kritischen Gruppe 4 erfolgt. (2→4) Wechsel von Gruppe 3 der polarisierenden Gruppe in andere Gruppen. • Durch besonders positive Primärerfahrungen, die die Probanden mit Deutschen gemacht haben, kann sich ihre Einstellung verbessern, sie wechseln zur Gruppe 1 der Deutschland- Fans . (3→1) • Durch negative Erfahrungen und angereichertes Wissen oder durch schwindende Lernmotivation kann die Einstellung objektiver oder sogar negativer werden. Die Probanden wechseln in die kritische Gruppe (3→4). Wechsel von Gruppe 4 der Kritiker in andere Gruppen. • Die ursprünglich kritische Einstellung kann durch besonders positive Primärerfahrungen korrigiert und so stark verbessert werden, dass sich die gesamte Richtung der Einstellung ändert. Die Probanden wechseln in die Gruppe der Deutschland- Fans . (4→1) • Die ursprünglich kritische Einstellung kann auch durch positive Erfahrungen und angereichertes Wissen in Frage gestellt, korrigiert und verbessert werden, sodass die negativen Items auch nicht mehr so negativ erscheinen, sondern etwas aufgewertet werden und so ein Wechsel in die Gruppe 2 der Skeptier erfolgt. (4→2) • Ein Teil der Probanden hat von vornherein keine besonders positive Einstellung gegenüber Deutschland und den Deutschen und bildet den Teil der kritischen Gruppe im 1. Jahrgang. (4→4). <?page no="271"?> 272 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten 5.5.5 Zusammenfassung kohärente Gruppen In Kapitel 5.4.6.4 Bewertung der häufigsten Eigenschaften der Faktoren, Abweichungen von der U-Kurve zeigte es sich, dass der Gradient des angedeuteten U-Kurvenmodells statistisch nicht abgesichert werden konnte. In Abbildung 37: Häufigkeitsverteilung der Einstellungswerte aller vier Jahrgänge ist zu erkennen, dass es unabhängig von den Studienjahren der Probanden in jedem Jahrgang Gruppen mit ähnlich negativeren und ähnlich positiveren Einstellungen gibt. Dies führte zu der Hypothese, dass es innerhalb des Probandenkollektivs quer zu den Jahrgängen Gruppen gibt, die sich in Bezug auf ihre Einstellungswerte ähnlicher sind als die Jahrgänge (vgl. Hypothese 4: Kohärente Gruppen ). Zur Identifikation dieser Gruppen wurde ein Kriterienkatalog für typische Einstellungsprofile mit Haupt- und Nebenkriterien entwickelt (vgl. Kap. 5.5.1.1 Kriterienkatalog für Gruppenbildung ). Grundlage des Kriterienkatalogs ist das hier entwickelte Faktorenmodell. In die Profilbildung gehen die Bewertungen der Faktoren als Hauptkriterium ein und Anteile der Faktoren sowie die Bewertungsrichtung und -intensität als Nebenkriterien. Es wurden vier kohärente Gruppen identifiziert und anhand ihrer Charakteristika benannt: Gruppe 1 sind die Deutschland -Fans , die alles an Deutschland positiv und Negatives nicht so schlimm finden. Diese Gruppe hat den besten durchschnittlichen Einstellungswert von 2,31 und ist im 1. Jahrgang besonders stark vertreten, zu Anteilen von 13-22 %, aber auch in allen anderen Jahrgängen vorhanden. Gruppe 2 ist die skeptische Gruppe. Diese Gruppe liegt mit ihrem durchschnittlichen Einstellungswert von 1,53 nur etwas unterhalb des globalen Durchschnitts von 1,57. Die Skepsis beruht zum einen auf der Erkenntnis, dass viele Eigenschaften gar nicht so typisch auf alle Deutschen zutreffen. Sie sehen viele Gegenbeispiele zu ihrem früheren Wissen, z. B., dass die deutschen Lehrer gar nicht so pünktlich sind, wie man es von Deutschen erwartet. 66 Ihr Stereotyp 66 Zwei Interviewzitate von Probanden aus der Gruppe 2: (Bewertung von pünktlich , +2): [Warum hast du eine zwei gegeben und die Bewertung abgestuft? ] Die Deutschen sind wirklich nicht unbedingt sehr pünktlich. Unsere deutschen Lehrer kommen oft beim Klingeln oder noch später zum Unterricht. Durch den Kontakt mit den deutschen Lehrern habe ich diese Eigenschaft bei ihnen nicht besonders festgestellt. Deshalb habe ich eine zwei gegeben. (…) Es gibt noch einen Grund. Unsere chinesischen Lehrer haben früher auch erzählt, dass die deutsche Bahn nicht immer so pünktlich ist und wir sollen nicht immer so denken, dass sie sehr pünktlich sind. (3-2_87, AZ3, 17: 45) (Bewertung von pünktlich , +2): Ich habe schon immer so einen Eindruck in meinem Kopf. Seit wann ich diesen Eindruck habe, weiß ich auch nicht mehr genau. Ich habe immer so ein Gefühl, dass die Deutschen sehr pünktlich sind. Aber später haben uns unsere chinesischen Lehrer erzählt, dass die Deutschen nicht so pünktlich sind, wie wir gedacht haben, viele wür- <?page no="272"?> 5.5 Modell kohärenter Gruppen 273 schließt Widersprüche ein. Insgesamt ist ihre Erwartung auch in Bezug auf den hier entwickelten und referenzierten Modellansatz (vgl. Kap. 3.3.2 Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz und Kap. 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ) reduziert. Diese Gruppe ist mit Anteilen von 24-37 % am stärksten im 2. und 3. Jahrgang vertreten, im 1. und 4. Jahrgang nur zu 16-18 %. Gruppe 3 ist die polarisierende Gruppe. Diese Gruppe bewertet mit einem durchschnittlichen Einstellungswert von 1,75 sehr gut. Typischerweise nutzen sie die -3 und die +3 auf der Bewertungsskala sehr häufig. Das hat zur Folge, dass negative Bilder wenig Einfluss auf die positive Seite der Stereotype haben. Diese Gruppe ist mit Anteilen um 25 % im 1. und 2. Jahrgang am stärksten vertreten. Die vereinfachende Gegenüberstellung und Abwägung von guten und schlechten Eigenschaften der Deutschen ist möglicherweise eine Reaktion auf das schnell einströmende kulturelle Wissen in diesen Studienjahren, das jedoch noch nicht wirklich verankert ist. Diese Gruppe ist im 3. und 4. Jahrgang nur noch mit Anteilen von 17-18 % vertreten. Dort bildet sie eine relativ gut, aber heftig und intensiv bewertende Gruppe ohne irgendwelche negativen (Vor-) Urteile, die den positiven Anteil der Einstellung beeinträchtigen könnten. Gruppe 4 ist die Gruppe der Kritiker . Sie bewerten im Durchschnitt mit 0,98 am schlechtesten. Ihr Anteil nimmt von 25 % beim 1. Jahrgang bis auf 43 % im 4. Jahrgang stetig zu. Gründe sind bestätigte Skepsis mit der Folge einer sehr negativen Bewertung der negativen Eigenschaften. Dies erfolgt nicht ganz so extrem wie in der Gruppe 3, aber fundierter, basierend auf Überzeugung und Wissen und nicht nur als Reaktion, um einströmende Informationen zu ordnen. Die negative Sicht setzt sich auch bei den eigentlich positiven Eigenschaften fort, die abgewertet werden. Durch die Betrachtung der Kombinationen von Gruppenanteilen in den Jahrgängen können Ergebnisse und Hypothesen der Jahrgangsanalyse bestätigt werden: • Die Kombinationen von Gruppenanteilen in den Jahrgängen kann deren Entwicklung von einer sehr positiven Einstellung hin zu einer eher kritischen Einstellung genauer beschreiben als das Jahrgangsmodell. Dabei wird deutlich, dass eine sehr positive Gruppe zu Anteilen von 20-30 % in jedem Jahrgang vertreten ist (Ausnahme 3. Jahrgang mit 13 %). • Durch die Kombinationen von Gruppenanteilen im Jahrgangsverlauf kann die Hypothese der angedeuteten U-Kurve eher bestätigt als abgelehnt werden. den auch zu spät kommen. [Du hast eine +2 gegeben.] Ja, weil nicht alle Deutschen, nicht so viele Deutsche pünktlich sind. [Denkst du, dass diese Eigenschaft nicht auf alle zutrifft? ] Ja, genau. [Aber diese Eigenschaft alleine, findest du sie positiv? ] Ja, richtig. (…), ich finde, pünktlich ist immer eine sehr positive Eigenschaft. (2-3_6, AZ4, 16: 27) <?page no="273"?> 274 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten • Die Sanduhr-Dynamik kann auch für kohärente Gruppen berechnet werden. Durch die Kombinationen von Gruppenanteilen im Jahrgangsverlauf kann die Sanduhr-Dynamik der Jahrgänge bestätigt werden. Durch den Vergleich der jeweils zentralen Eigenschaften zeigen sich nur zwei Eigenschaften, die dem Jahrgangsmodell und den kohärenten Gruppen gemeinsam sind: diszipliniert und trinkfreudig. Sie bilden den stereotypen Kern und die semantischen Pole des Stereotyps der Probanden. 5.6 Zusammenfassung Jahrgangsmodell und kohärente Gruppen sowie Ausblick Die beiden Modellansätze, das Jahrgangsmodell und kohärente Gruppen, unterscheiden sich grundsätzlich: • Die Jahrgänge beschreiben im Gruppenvergleich eine Entwicklung. • Jede kohärente Gruppe (K-Gruppe) beschreibt einen Zustand. Im Gruppenvergleich beschreiben unterschiedliche K-Gruppen unterschiedliche Zustände. Das Jahrgangsmodell kann unterschiedliche Zustände weiterer innerer Gruppen nicht berücksichtigen. Der Jahrgang wird mit statistischen Parametern wie Häufigkeitsverteilungen von Kennzahlen und semantischen Beobachtungen wie Häufigkeiten von Eigenschaften oder der hier entwickelten Sanduhr-Dynamik beschrieben. Der Jahrgangsvergleich setzt bei einem hypothetischen Entwicklungsgradienten an und beschreibt diesen mit Veränderungen der statistischen und semantischen Parameter. Modelle dazu sind hier das Phasenmodell, Veränderungen der Zusammensetzung von Faktoren, Veränderungen von Anteilen häufigster Eigenschaften der Faktoren und die angedeutete U-Kurve zur Beschreibung der Einstellungsentwicklung. Die Hypothese, dass die aufeinanderfolgenden Jahrgänge eine logische Entwicklung repräsentieren, also die Existenz eines dahinterliegenden Gradienten, konnte durch die genannten vergleichenden Analysen der Jahrgänge und die Entwicklung und Anwendung der Modelle gezeigt und bestätigt werden. Die kohärenten Gruppen eröffnen eine weitere Sicht. Weil jeder Proband anhand des Kriterienkatalogs einer am besten passenden Gruppe zugeordnet werden kann, ergeben sich für jeden Jahrgang durch die Anzahlen der Probanden pro K-Gruppe die Anteile einer K-Gruppe im Jahrgang und auch die Kombinationen von K-Gruppen-Zuständen. <?page no="274"?> 5.6 Zusammenfassung Jahrgangsmodell und kohärente Gruppen sowie Ausblick 275 Die Entwicklung der Jahrgänge konnte so durch eine Entwicklung von Zustandskombinationen nachgezeichnet werden. Ebenso konnte die Sanduhr-Dynamik eines Jahrgangs anhand der Zustandskombinationen und der Sanduhr-Dynamik eines jeden Zustands nachvollzogen werden. Die angedeutete U-Kurve konnte durch Zustandskombinationen eher bestätigt als widerlegt werden. Die Kongruenz von Jahrgangsmodell und K-Gruppenmodell erklärt die Beobachtung, dass sich die Einstellungen der Jahrgänge nach dem 1. Jahrgang, beim 2., 3. und 4. Jahrgang nur noch wenig verändern: Die Entwicklung der Einstellungen ist im 2., 3. und 4. Jahrgang keinesfalls beendet, denn die Zustandskombinationen sind dort gänzlich andere (vgl. Tabelle 50: Kreuztabelle der Anteile der Probanden in Jahrgängen und kohärenten Gruppen ). Die kritische Gruppe nimmt über alle Jahrgänge vom 1. zum 4. Jahrgang hin stetig zu. Deutschland- Fans haben ihr Maximum im 1. Jahrgang und den nächsthöheren Anteil im 4. Jahrgang. Die polarisierende Gruppe ist im 1. und 2. Jahrgang am stärksten vertreten und die skeptische Gruppe hat ihre höchsten Anteile im 2. und 3. Jahrgang. Das Kaleidoskop der Zustände zeigt starke Veränderungen entlang des zeitlichen Gradienten, die die t-Tests zu den Häufigkeitsverteilungen der Einstellungen allein nicht beschreiben können. Die Zusammensetzung der Probandentypen ist in jedem Jahrgang unterschiedlich. Dass sich die mittlere Bewertung in den letzten Jahrgängen kaum ändert, beruht auf einem eher zufälligen Ausgleich. Die K-Gruppe beschreibt den Zustand der Einstellung einer Gruppe oder auch eines individuellen Probanden im K-Gruppen-System. Szenarien für den Wechsel von einem Zustand in einen anderen wurden anhand von Interviewaussagen der Probanden aufgezeigt. Die bisherigen Erkenntnisse legen nahe, dass z. B. ein Wechsel von Gruppe 1 aus zu Gruppe 3 plausibler und wahrscheinlicher ist als von allen anderen Gruppen aus. Andere mögliche Wechselszenarien wurden skizziert. Gründe für einen Wechsel in positivere Gruppen sind positive Primärerfahrungen, gute Erfahrungen mit den Deutschlehrern, positiv vermittelte Informationen und eine Korrektur der Einstellung durch neue Erfahrungen und angereichertes Wissen. Gründe für einen Wechsel in weniger positive Gruppen sind Skepsis und negative Einstellungen, die durch eigene Primärerfahrungen mit Deutschlehrern bestätigt wurden, dass die Probanden durch Erfahrungen und angereichertes Wissen objektiver und realistischer geworden sind, negative Überzeugungen, die durch Hörensagen und negative Erfahrungen der anderen verstärkt wurden, und weniger Lernmotivation aufgrund schlechter Leistung und Leistungsdruck. Das K-Gruppenmodell ermöglicht es, wie gesagt, einem Probanden die zu ihm am besten passende Gruppe anhand des Kriterienkatalogs zuzuordnen. <?page no="275"?> 276 5. Empirische Darstellung der Fragebogendaten Grundlage dafür sind abgesicherte globale Mittelwerte für Faktorbewertungen und Anteile des Kollektivs, hier der beschriebenen Probanden. Denn der Kriterienkatalog basiert auf den individuellen Differenzen des Probanden in Bezug auf das Referenzsystem der globalen Mittelwerte. Ungenau ermittelte globale Mittelwerte würden zu einer Dejustierung der Kriterien führen und damit zu verzerrten und unbrauchbaren K-Gruppen und ihren Zuständen. Für die vorliegende Arbeit wurden möglichst hochwertige Daten durch die sorgfältige Durchführung der Befragung unter kontrollierten Bedingungen gewonnen (vgl. Kap. 4.2 Versuchsaufbau ). Unter Verwendung der Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014) mit der hier vorgestellten Erweiterung mit Bewertungsskalen kann einem individuell befragten chinesischen Probanden aufgrund seines Einstellungsprofils, das auf der Grundlage des hier veröffentlichten Faktorenmodells und seiner Mittelwerte sowie des Kriterienkatalogs gebildet werden kann, direkt die zu ihm am besten passende K-Gruppe zugewiesen werden. Im Zusammenhang mit der Kenntnis der Gruppendisposition in Bezug auf Einstellung, das Stereotyp, das Gruppenpotential, mögliche Wechselszenarien und die Position der Gruppe auf einem Entwicklungsgradienten könnte für diesen Probanden z. B. der Unterricht optimiert werden. Dies gilt auch für Kollektive wie Klassen, Seminare oder Austauschgruppen mit ihren Kombinationen von Anteilen der K-Gruppen. In diesem Zusammenhang ist der Aufbau einer größeren nationalen Datenbasis (befragt werden Chinesen) mit hochwertigen Daten zu Stereotypen und ihren Bewertungen sowie den hier vorgestellten weiteren Items zur Klassifikation von Probanden sinnvoll. Der Kriterienkatalog auf der Grundlage des vorgestellten Faktorenmodells würde sich durch repräsentativere globale Mittelwerte automatisch selbst nachjustieren, solange die Kriterien selbst nicht angepasst werden müssen. <?page no="276"?> 6.1 Darstellung der Interviewprobanden 277 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden nach der Fragebogenerhebung 16 Probanden interviewt. Dann wurde eine Inhaltsanalyse durchgeführt. Schwerpunkt ist dabei die Kodierung der Aussagen. Die Codes werden anschließend analysiert, um sie zu Kategorien thematisch zusammenzufassen. Codes und Kategorien werden durch Auszählung und Gewichtung quantifiziert. Die somit erhaltenen quantitativen Interviewdaten werden in Statistiken und Übersichten analysiert und auch zur Bekräftigung von Hypothesen genutzt. Aus den Interviews wurden Textabschnitte, die für die Inhaltsanalyse relevant sind, ins Deutsche übersetzt und hier dokumentiert. Die Interviewaussagen werden in der Originalsprache mit einer Übersetzung ins Deutsche zitiert. In der deutschen Version werden die Originaltexte für eine bessere Lesbarkeit nicht immer wortwörtlich wiedergegeben, aber Syntax und Semantik wurden beibehalten. 6.1 Darstellung der Interviewprobanden Eine Übersicht über die Grunddaten der 16 Interviewprobanden gibt Tabelle 54. Wie in Kapitel 4.2.11.1 Auswahl der Interviewprobanden beschrieben, wurden die Interviewprobanden gezielt aus allen Bereichen der Häufigkeitsverteilungen von Einstellungswerten ausgesucht und decken alle Studienjahre des Bachelorstudiengangs der Deutschabteilung ab. Die Teilnehmer aus dem 1. und 2. Jahrgang mit jeweils vier Probanden machen je 25 % aller Interviewprobanden aus. 31,2 % der Teilnehmer kommen aus dem 3. Jahrgang und 18,9 % aus dem 4. Jahrgang. Da die Interviews ein halbes Jahr nach der Fragebogenaktion durchgeführt wurden, beträgt die Lerndauer der Interviewprobanden ein Semester länger, verglichen mit dem Zeitpunkt des Ausfüllens der Fragebögen. Deshalb wurden die Probanden im Interview aufgefordert, sich an ihre Überzeugungen zu dem Zeitpunkt zu erinnern, als sie die Fragebögen ausgefüllt haben. In der Gruppe der Interviewprobanden sind 87,5 % weibliche und 12,5 % männliche Teilnehmer. Der Anteil der männlichen Interviewprobanden (12,5 %) entspricht auch ungefähr dem der Fragebogenprobanden (15,8 %). Das Alter der Probanden liegt zwischen 18 und 22 Jahren. Die Probanden kommen zusammengefasst wie folgt aus den geographischen Regionen Chinas: 12,5 % aus dem Norden, 6,3 % aus dem Süden, 18,8 % aus dem Osten, 12,5 % aus der Mitte und 50 % aus dem <?page no="277"?> 278 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Südwesten. Dort liegt auch die Universität. Die Hälfte der Probanden kommt also aus dem nahen Einzugsgebiet der Universität. 25,1 % der Interviewprobanden waren einmal zu einem früheren Zeitpunkt in Deutschland. 18,8 % davon haben im Rahmen eines Austauschprogramms zwischen der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und der SISU an einem einmonatigen Sommerkurs in Düsseldorf teilgenommen und 6,3 % der Probanden haben wegen eines Austauschprogramms in der Mittelschule für 15 Tage Deutschland besucht und bei einer deutschen Gastfamilie gewohnt. Die restlichen 75 % der Teilnehmer haben keine Deutschlanderfahrungen. Der Einstellungswert und die Standardabweichung der Bewertungen eines jeden Probanden werden in Tabelle 54 angegeben. Man sieht, dass die ausgesuchten Teilnehmer alle Jahrgänge sowie positive und weniger positive Einstellungen abdecken. Die Standardabweichungen zeigen, dass die besseren Einstellungswerte kleinere Streuungen bei der Bewertung mit sich bringen. Im Gegensatz dazu bewerten Probanden mit negativeren Einstellungswerten mit mehr Streuung. Das bedeutet nicht unbedingt, dass ihre Bewertungen in allen Fällen schlecht sind, sondern zwischen eher positiv und eher negativ stark wechseln. Probandennummer 67 Studienfach Universität 1-4_92 Germanistik SISU 1-2_65 Germanistik SISU 1-1_9 Germanistik SISU 1-1_12 Germanistik SISU 2-3_6 Germanistik SISU 2-1_82 Germanistik SISU 2-1_64 Germanistik SISU 2-1_62 Germanistik SISU 3-4_58 Germanistik SISU 3-4_40 Germanistik SISU 3-3_101 Germanistik SISU 3-2_87 Germanistik SISU 3-1_17 Germanistik SISU 4-3_41 Germanistik SISU 4-2_51 Germanistik SISU 4-2_37 Germanistik SISU <?page no="278"?> 6.1 Darstellung der Interviewprobanden 279 Studienjahr Geschlecht 68 Alter Geburtsort 69 Lerndauer 70 Frühere Deutschlandaufenthalte 71 Dauer der Deutschlandaufenthalte Einstellungswert StAbw von Bewertung 1 w 18 Henan 1,5 Semester nein - 0,32 1,88 1 w 19 Chongqing 1,5 Semester nein - 2,84 0,53 1 w 19 Shanxi 1,5 Semester nein - 2,87 0,52 1 w 19 Chongqing 1,5 Semester nein - 0,30 1,90 2 w 18 Guangxi 3,5 Semester nein - 1,49 1,39 2 w 19 Zhejiang 3,5 Semester nein - 0,44 2,64 2 w 18 Chongqing 3,5 Semester nein - 1,87 1,25 2 m 20 Shandong 3,5 Semester Ja (Schulaustausch) 15 Tage 2,87 0,52 3 w 21 Chongqing 5,5 Semester nein - -0,20 1,96 3 w 21 Sichuan 5,5 Semester Ja (Sprachkurs) 1 Monat 2,76 0,62 3 w 20 Jiangsu 5,5 Semester Ja (Sprachkurs) 1 Monat 0,72 1,59 3 w 20 Chongqing 5,5 Semester nein - 1,54 1,16 3 w 21 Shaanxi 5,5 Semester nein - 1,16 1,01 4 w 21 Chongqing 8 Semester nein - 2,59 0,81 4 m 22 Chongqing 8 Semester nein - 0,67 2,13 4 w 21 Hebei 8 Semester Ja (Sprachkurs) 1 Monat 1,70 1,47 Tabelle 54: Übersicht über die Grunddaten der Interviewprobanden 67 Die Interviewprobanden bleiben anonym. Aber jeder Proband hat eine anonyme Identität mit einer ID, die aus der Bezeichnung ihrer Jahrgänge (1-4), Klassen (1-4) und der Nummer (1-120), die jeder selbst bei der Fragebogenaktion aus einem Pool beschrifteter Nummernzettel gezogen hat, besteht. 68 w = weiblich, m = männlich 69 Als Geburtsort werden einheitlich Provinz bzw. regierungsunmittelbare Stadt angegeben. 70 Die gesamte Studienzeit beim Bachelor beträgt 8 Semester. Die Lerndauer wird zum Zeitpunkt der Durchführung der Interviews angegeben. Der Zeitpunkt der Fragebogenaktion war ein halbes Jahr (ein Semester) früher. Die Probanden aus dem 4. Jahrgang haben zum Zeitpunkt des Interviews das Studium gerade absolviert. 71 In Klammern wird der Grund des Deutschlandaufenthalts angegeben. <?page no="279"?> 280 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie 6.2 Darstellung der Datenbasis zur Erklärung der Stereotype und Einstellungen Da alle Probanden ihre Fragebögen bereits abgegeben hatten, konnten sie selbst gezielt für die Interviews ausgewählt werden und es konnten Eigenschaften identifiziert werden, auf die im Interview näher eingegangen wurde. Diese Eigenschaften sind: • Items, die von vielen Interviewprobanden gemeinsam angekreuzt wurden. Damit werden direkte Vergleiche von Aussagen unterschiedlicher Probanden zum gleichen Item ermöglicht. • Individuelle Items, die im interkulturellen Kontext interessant sind. 72 Die Interviewprobanden sollten gemäß dem vorstrukturierten Leitfaden (siehe Kap. 4.2.11.3 Planung des Leitfadeninterviews ) erklären, warum sie ein Item als charakteristisch für die Deutschen ansehen, woher sie wissen, dass es auf die Deutschen zutrifft und warum sie das Item so bewerten. Nach Kodierung und Kategorisierung der so gewonnenen Antworten können relevante Informationsquellen zur Stereotypenbildung und eine Erklärung für die unterschiedlichen Bewertungsrichtungen und -intensitäten ihrer Stereotype herausgearbeitet werden. Im Folgenden wird zunächst die Datenbasis für die Auswertung dargestellt. Tabelle 55 gibt einen Überblick über die Anzahl der von dem jeweiligen Interviewprobanden im Fragebogen angekreuzten Items und die Anzahl der davon im Interview besprochenen Items. Von den Interviewprobanden hat jeder im Fragebogen im Durchschnitt 38 Items genannt. Die kleinste Anzahl an Nennungen liegt bei 15 und die größte bei 68. Da die Interviews nur in einer begrenzten Zeit durchgeführt werden mussten, war es nicht möglich, über alle genannten Items zu sprechen. Wie in Kapitel 4.2.11.3 Planung des Leitfadeninterviews beschrieben, wurden aus Gründen der Vergleichbarkeit der Aussagen zunächst Items zur Besprechung ausgesucht, auf die mehr als 40 % der Nennungen der Interviewprobanden entfielen sowie interessante und auch auffällige Items der jeweiligen Probanden, z. B. solche, die entweder besonders positiv oder negativ vom globalen Mittelwert dieser Eigenschaft abwichen. Wie Tabelle 55 zeigt, wurden im Durchschnitt 18 Items mit jedem Probanden im Interview besprochen; insgesamt wurden 75 verschiedene Items besprochen. Es ergaben sich daraus 287 Textabschnitte mit Aussagen zu diesen 75 Items der 72 Diese wurden von der Versuchsleiterin, der Verfasserin der vorliegenden Studie, ausgewählt. <?page no="280"?> 6.2 Darstellung der Datenbasis zur Erklärung der Stereotype und Einstellungen 281 Eigenschaftsliste. 73 Davon beziehen sich 257 Aussagen auf Erklärungen zu der Auswahl von 68 Items. Hiervon wiederum enthalten 214 Aussagen zu 61 Items Begründungen der Bewertungen. Probandennummer Anzahl der angekreuzten Items Anzahl der abgefragten Items 74 1-4_92 41 27 1-2_65 43 15 1-1_9 15 10 1-1_12 33 17 2-3_6 49 22 2-1_82 32 18 2-1_64 30 16 2-1_62 68 19 3-4_58 20 15 3-4_40 42 10 3-3_101 32 15 3-2_87 41 24 3-1_17 37 18 4-3_41 41 17 4-2_51 33 19 4-2_37 47 25 Gesamtnennungen 604 287 Durchschnitt pro Proband 38 18 Tabelle 55: Anzahl der Items der Interviewprobanden 73 Insgesamt gibt es 287 Aussagen in Bezug auf die Items. Davon betreffen vier Aussagen Erklärungen, warum ein bestimmtes Item nicht angekreuzt wurde. Bei der Auswertung der Begründung für eine getätigte Auswahl von Items werden diese vier Aussagen nicht herangezogen. 74 Die Items, über die an anderen Stellen des Interviews durch die Fragen ohne direkten Bezug zur Erklärung der Items gesprochen wurde, werden auch mitgezählt. Außerdem wurden drei Probanden zur Qualitätsprüfung der Fragebogenaktion bei vier Items gefragt, warum sie bestimmte Items nicht angekreuzt haben. <?page no="281"?> 282 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Tabelle 56 fasst die Items, sortiert nach absteigender Anzahl der Aussagen, zusammen. 75 Die Anzahl der Aussagen zum jeweiligen besprochenen Item ist hierin angegeben. Außerdem werden die prozentualen Anteile der abgefragten Items unter den Interviewprobanden und unter der Hauptgruppe der Fragebogenstudie gegenübergestellt. Die Anteile sind oft ähnlich. Ein Vergleich mit Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen zeigt, dass die in den Interviews besprochenen Items alle auch in den häufigsten Eigenschaften der Faktoren enthalten sind. Item Anzahl der Nennungen der Interviewprobanden Anzahl der Aussagen zu jedem Item Anteil Nennungen der Interviewprobanden % (N=16) Anteil Nennungen der Hauptgruppe % (N=373) kultiviert 15 15 93,75 75,60 trinkfreudig 14 14 87,50 77,50 zuverlässig 13 13 81,25 66,22 höflich 13 13 81,25 76,41 ordentlich 13 13 81,25 65,68 pflichtbewusst 12 12 75,00 77,21 Volk der Zukunft 12 11 75,00 57,91 pünktlich 11 11 68,75 65,15 konventionell 10 10 62,50 60,59 distanziert 9 8 56,25 52,01 konservativ 8 8 50,00 39,41 Nationalstolz 11 8 68,75 53,89 philosophische Lebenshaltung 8 7 50,00 46,65 anspruchsvoll 12 7 75,00 63,00 Herrenvolk 7 7 43,75 40,48 attraktive Männer 9 6 56,25 53,89 diszipliniert 14 6 87,50 82,04 rassebewusst 6 6 37,50 35,66 fremdenfeindlich 5 5 31,25 17,16 intelligent 14 5 87,50 72,12 verschlossen 5 5 31,25 25,47 Tabelle 56: Darstellung der in den Interviews häufig abgefragten Items mit Anzahl und Anteil der Nennungen sowie die Anzahl der Aussagen zu jedem Item aus den Interviews 75 Items mit weniger als fünf Aussagen werden aus Platzgründen nicht in der Tabelle aufgelistet. <?page no="282"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 283 Nach Kodierung und Kategorisierung der Interviewaussagen wurden diese drei Hauptthemen zugeordnet. 1. Den Quellen, die von den Probanden in Bezug auf die Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens über die Deutschen genannt wurden. 2. Bewertung der Dimension Erwartung nach dem hier referenzierten Modellansatz (vgl. Kap. 3.3.2 Fishbeins Erwartung-mal-Wert-Ansatz und Kap. 3.3.8 Anpassung des Erwartung-mal-Wert-Ansatzes ), also in Bezug auf die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, inwieweit eine Eigenschaft auf die Deutschen zutrifft. 3. Bewertung der Dimension Wert in Bezug darauf, wie gut oder schlecht dem Probanden diese Eigenschaft in Bezug zu seinem Wertesystem erscheint. 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens In diesem Abschnitt geht es um die Kategorisierung der Informationsquellen, auf die sich die Interviewprobanden beziehen, wenn sie über die Items sprechen, die sie bei den Deutschen für zutreffend halten. Die im Fragebogen gestellte Frage nach den Informationsquellen gibt eine Übersicht über die allgemeinen Quellen des erworbenen Wissens der Deutschstudierenden über Deutschland und die Deutschen (siehe Kap. 5.2 Informationsquellen ). Durch die konkrete Fragestellung in den Interviews nach der Begründung, warum sie eine Eigenschaft bei den Deutschen als typisch empfinden und ankreuzen, werden die Assoziationen in Bezug auf konkrete Items geweckt und die Quellen der Überzeugungen und des Wissens der Probanden konkretisiert und erfasst. 6.3.1 Kategorisierung der Interviewaussagen zu Informationsquellen Im Folgenden wird zunächst die Kategorisierung der Informationsquellen zu den in den Interviews besprochenen Items beschrieben. Die Kategorisierung orientiert sich an den Kategorien, die im Fragebogen erfassten und in Tabelle 10: Übersicht über die Informationsquellen der Hauptgruppe (nur Deutschlerner) dargestellt wurden. Tabelle 57 stellt das Regelwerk für die Kategorisierung der Aussagen zur Informationsquelle anhand der in den Interviews besprochenen Items dar. Die Subkategorien dienen dazu, einige Hauptquellen zu konkretisieren und zu differenzieren. Das Regelwerk beschreibt die Regeln, mit denen die Aussagen zu Quellen kodiert und in die Haupt- und Subkategorien eingeordnet wurden. <?page no="283"?> 284 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Kategorien Subkategorien Q.1. Allgemeiner Eindruck Q.1.1 Ohne Konkretisierung Q.1.2 Mit Konkretisierung Q.2. Medien Q.2. Medien Q.3. Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften Q.3.1 Durch Verhalten im Unterricht Q.3.2 Durch Verhalten privat Q.4. Erfahrung mit weiteren Deutschen Q.4. Erfahrung mit weiteren Deutschen Q.5. Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte Q.5. Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte Q.6. Äußerungen von weiteren Personen Q.6. Äußerungen von weiteren Personen Q.7. Eltern erzählen Q.7. Eltern erzählen Q.8. Lesematerialien, Lehrbuch Q.8. Lesematerialien, Lehrbuch Q.9. Durch Deutschlernen Q.9. Durch Deutschlernen Q.10. Durch deutsche Produkte Q.10.1 Mit den Deutschen in Beziehung gesetzt Q.10.2 Mit dem Land in Beziehung gesetzt <?page no="284"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 285 Regelwerk 1.1.1 Die Probanden nennen „allgemeinen Eindruck*)“ UND 1.1.2 Die Quelle für dieses Item wird nicht weiter konkretisiert UND 1.1.3 Die Quelle für dieses Item wird auch nicht im Zusammenhang mit anderen Items oder anderen Themen indirekt konkretisiert. 1.2.1 Die Probanden nennen „allgemeinen Eindruck“ UND 1.2.2 Die Quelle für dieses Item wird weiter konkretisiert, d. h. im weiteren Verlauf des Interviews wird eine Quelle genannt ODER 1.2.3 Die Quelle für dieses Item wird im Zusammenhang mit anderen Items oder anderen Themen indirekt konkretisiert. Die Probanden geben an, dass die Informationen durch Fernsehen, Internet, Nachrichten, Bücher, Zeitschriften, Filme und Serien erworben wurden. Die Eigenschaft der Deutschen bezieht sich direkt auf das Verhalten der deutschen Lehrkräfte. Die Probanden geben an, dass die Eigenschaft durch eigene Erfahrungen mit den Deutschen neben deutschen Lehrkräften erfahren wurde, z. B. deutsche Austauschstudenten in China; deutsche Freunde aus der Internetfreundschaft und/ oder andere Deutsche, die in China leben oder arbeiten. Die Probanden geben an, dass die Informationen durch positive oder negative Äußerungen der chinesischen Lehrer über Deutschland und die Deutschen im Unterricht erworben wurden. Die folgenden Personen werden als „weitere Personen“ bezeichnet: 1. Die Probanden geben an, dass die Informationen durch ihre Freunde oder Bekannte erworben wurden; 2. Die Probanden geben an, dass die Informationen durch die Leute in ihrer Umgebung erworben wurden. Die Probanden geben an, dass die Informationen durch positive oder negative Äußerungen über Deutschland und die Deutschen von den Eltern der Probanden erworben wurden. Die Probanden geben an, dass die Informationen durch Lesematerialien oder Lehrbücher erworben wurden. Anmerkung: Lesematerialien und Lehrbuch beziehen sich hier nur auf die deutschen Lehrbücher und die deutschen Lese- und Hörtexte. Die Probanden geben an, dass die Informationen durch Deutschlernen erworben wurden. Die deutschen Produkte werden mit den Deutschen in Beziehung gesetzt. Die deutschen Produkte werden mit Deutschland in Beziehung gesetzt. <?page no="285"?> 286 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Kategorien Subkategorien Q.11. Geschichte und Krieg Q.11.1 Historische Ereignisse Q.11.2 Geschichtsbuch und -unterricht Q.11.3 Medien über Geschichte und Krieg Q.12. Vergleich mit anderen Ländern Q.12. Vergleich mit anderen Ländern Q.13. Sport: Fußball Q.13. Sport: Fußball Q.14. Deutschlanderfahrung Q.14. Deutschlanderfahrung Q.15. Eigene Schlussfolgerung** Q.15.1 Basierend auf allgemeinem Eindruck ohne Konkretisierung Q.15.2 Basierend auf allgemeinem Eindruck mit Konkretisierung Q.15.3 Basierend auf Äußerungen der chinesischen Lehrer Q.15.4 Basierend auf Erfahrung mit den deutschen Lehrern Q.15.5 Basierend auf Informationen aus Medien Q.15.6 Basierend auf Fußball Q.15.7 Basierend auf guten deutschen Produkten Q.15.8 Basierend auf Informationen zu Geschichte und Krieg Q.15.9 Basierend auf Deutschlernen Q.15.10 Basierend auf Vergleich mit anderen Ländern Q.15.11 Basierend auf Deutschlanderfahrung Q.15.12 Basierend auf Äußerungen von weiteren Personen <?page no="286"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 287 Regelwerk Die Probanden nennen historische Ereignisse wie z. B. den Ersten und Zweiten Weltkrieg oder andere historische Ereignisse. Die Probanden nennen Literatur über Geschichte, Geschichtslehrbuch und Geschichtsunterricht. Die Probanden geben an, dass die Informationen aus Filmen darüber erworben wurden. Anmerkung: Hier werden Medien als Quelle in Bezug auf Geschichte und Krieg von Medien allgemein abgegrenzt. Die Probanden beziehen sich auf die Einwohner anderer Länder, für die sie sich interessieren oder über die sie mehr wissen. Sie vergleichen deren Eigenschaften mit denen der Deutschen. Sie vergleichen auf diese Weise die Deutschen z. B. mit Amerikanern, Engländern, Chinesen und den Völkern aus anderen EU-Ländern. Die Probanden geben an, dass die Informationen durch Fußballspielen erworben wurden. Die Probanden mit Deutschlanderfahrungen erzählen über ihre Erlebnisse in Deutschland und geben an, dass die Informationen durch den Deutschlandaufenthalt erworben wurden. Allgemeinwissen, sie beginnen mit Stereotypen oder Allgemeinwissen, ohne weiter zu konkretisieren. Das heißt, es gibt keine weitere Quellenangabe zu diesem Item. Sie beginnen mit Stereotypen oder Allgemeinwissen, dann können sie konkretisieren. Im Kontext werden chinesische Lehrer genannt. Im Kontext werden deutsche Lehrer genannt. Im Kontext werden Medien genannt. Im Kontext wird Fußball genannt. Im Kontext werden deutsche Produkte genannt. Im Kontext werden Geschichte und Krieg genannt. Im Kontext wird Deutschlernen genannt. Im Kontext wird ein Vergleich mit anderen Ländern gezogen. Im Kontext werden Erlebnisse in Deutschland genannt. Im Kontext werden Äußerungen von weiteren Personen genannt. <?page no="287"?> 288 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Kategorien Subkategorien Q.16. Angleichung ans Kollektiv*** Q.16.1 Nach Erfahrung mit den deutschen Lehrern Q.16.2 Nach Äußerung der chinesischen Lehrer Q.16.3 Nach Bericht von Kommilitonen Tabelle 57: Regelwerk für die Kategorisierung der Aussagen zur Informationsquelle der Interviewstudie Aus den Aussagen zur Begründung der Auswahl der Items aus der Eigenschaftsliste ergeben sich diese 16 Hauptkategorien von Informationsquellen der Interviewprobanden. Das „Q“ vor der laufenden Nummer bildet zusammen mit der laufenden Nummer die ID der Quelle. Im Vergleich mit den im Fragebogen vorgegebenen zwölf Quellenangaben sind die Quellen, die aus den Interviewaussagen kodiert werden konnten, präziser und differenzierender. Gegenüber dem Fragebogen sind neue Quellen wie Allgemeiner Eindruck , Erfahrung mit weiteren Deutschen , Geschichte und Krieg , Vergleich mit anderen Ländern , Eigene Schlussfolgerung und Angleichung ans Kollektiv dazugekommen. Davon sind Kategorien wie Allgemeiner Eindruck , Vergleich mit anderen Ländern , Eigene Schlussfolgerung und Angleichung ans Kollektiv keine Quellen, aus denen das <?page no="288"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 289 Regelwerk Die Probanden geben an, dass nach Erfahrung mit den deutschen Lehrern diese Eigenschaft nicht auf alle Deutschen zutrifft, aber wegen Angleichung an das kollektive Wissen angekreuzt wurde. Die Probanden geben an, dass nach Äußerung der chinesischen Lehrer diese Eigenschaft nicht auf alle Deutschen zutrifft, aber wegen Angleichung an das kollektive Wissen angekreuzt wurde. Die Probanden geben an, dass nach Bericht von Kommilitonen diese Eigenschaft nicht auf alle Deutschen zutrifft, aber wegen Angleichung an das kollektive Wissen angekreuzt wurde. *) Formulierungsbeispiele für „allgemeiner Eindruck“ sind: Die Deutschen geben mir so einen Eindruck; Das ist ein allgemeiner verbreiteter Eindruck; Ich habe so ein Gefühl/ einen Eindruck; Ich habe schon immer diesen Eindruck; Ich habe das gehört; Die Deutschen sind…; Deutschland ist/ hat…; Jede(r) hat…; Alle sagen so. **) Die Aussagen zu Quellen werden der Kategorie „Eigene Schlussfolgerung“ zugeordnet, wenn die Probanden nicht eine Quelle direkt nennen können, sondern: 1. eine eigene Schlussfolgerung basierend auf dem Wissen, das durch verschiedene oben genannte Quellen erworben wurde, abgeleitet haben; 2. aus mehreren Assoziationsketten ableiten und begründen können, dass die Eigenschaft auf die Deutschen zutrifft. Formulierungsbeispiele für „Eigene Schlussfolgerung“ sind: Weil sie … haben/ sind, deshalb…; Weil sie … haben/ sind, müssten sie auch … haben/ sein; Wenn sie so sind, sind sie auch so; Weil sie … haben/ sind, kann doch nicht … sein; Weil sie … haben/ sind, denke ich/ habe ich das Gefühl, dass … ***) Formulierungsbeispiele für „Angleichung ans Kollektiv“ sind: Das ist eine allgemein bei uns bekannte Eigenschaft der Deutschen/ Weil alle so sagen, aber ich habe das nicht besonders wahrgenommen/ Aber unsere deutschen Lehrer sind nicht so/ Unsere chinesischen Lehrer haben erzählt, dass nicht alle Deutschen so sind. <?page no="289"?> 290 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Wissen über Deutschland oder die Deutschen direkt übernommen werden kann. Sie wurden aus den Begründungen der Probanden abgeleitet. Mit Ausdrucksformen wie z. B. „Alle sagen das so; Ich habe das gehört; Das ist ein allgemeiner verbreiteter Eindruck; Ich habe schon immer diesen Eindruck; Die Deutschen sind …“ drücken sie z. B. aus, dass eine Eigenschaft in Bezug auf Deutschland oder die Deutschen zum Allgemeinwissen gehört, das alle teilen und nicht durch eigene Erfahrungen oder Kontakte erworben wurde. Deshalb konnten sie keine konkreten Beispiele als Begründung nennen. Diese Kategorie Allgemeiner Eindruck wird noch durch zwei Subkategorien mit und ohne Konkretisierung differenziert. Zur Subkategorie mit Konkretisierung gehören Aussagen, in deren Zusammenhang neben der Angabe, dass es sich um einen allgemeinen Eindruck handelt, doch weitere konkrete Quellen genannt wurden. Eine Ausdifferenzierung dieser Hauptkategorie zielt darauf ab, die Assoziationen der Probanden hervorzuheben. Sie können, basierend auf dem Allgemeinwissen, noch weitere Anknüpfungspunkte miteinbeziehen und ihre Überzeugung damit deutlicher begründen. Durch die Subkategorien mit und ohne Konkretisierung können einerseits die Probanden, die sich ohne Reflexion leicht von den öffentlichen Stereotypen beeinflussen lassen, von denen unterschieden werden, die besser reflektieren und die versuchen, durch weitere Quellen oder eigene Erfahrungen ihr Allgemeinwissen zu verifizieren oder zu widerlegen. Andererseits können dadurch die Eigenschaften identifiziert werden, die vorwiegend oder ausschließlich öffentlich geteilte Stereotype sind und von denen unterschieden werden, die durch konkretere Quellen von den Studierenden erworben oder bestätigt werden. Zwei Kategorien weisen auf öffentlich geteilte Stereotype hin: Allgemeiner Eindruck und Angleichung ans Kollektiv . Die Gemeinsamkeit, die den Aussagen aus beiden Kategorien zugrunde liegt, besteht darin, dass es sich um Allgemeinwissen handelt. Den Unterschied zeigen zwei Probanden mit ihren Begründungen zur Auswahl des Items pünktlich wie folgt: Zitat 1, Bewertung von pünktlich , 0: 没有特别感觉他们很守时, 因为外教, 没有特别感 觉他们很守时, 但是又听说德国人很守时, (…), 其实是因为听说他们很守时, 但是实际 接触下来可能我们中国人认为的守时和他们德国人认为的守时不一样, 就觉得没有特 别大的感觉 . (2-1_82, AZ2, 20: 02) 76 Ich habe nicht besonders wahrgenommen, dass sie pünktlich sind, wegen der deutschen Lehrer, ich finde nicht, dass sie besonders pünktlich sind. Aber ich habe wiederum gehört, dass die Deutschen sehr pünktlich sind. (…) Im tatsächlichen Kontakt mit unseren deutschen Lehrern habe ich den Eindruck, dass sie nicht 76 Format: Probandennummer der Interviewten, Position im Datenblatt, Position in der Audiodatei. <?page no="290"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 291 so pünktlich sind. Vielleicht haben wir Chinesen die Pünktlichkeit anders verstanden als die Deutschen. Deshalb habe ich das nicht besonders wahrgenommen. Zitat 2, Bewertung von pünktlich , +3: 守时是大家都这么说 , 外教吧其实外教也迟到 过 , 哈哈 , [ 但是整体印象还是觉得没有改变哈 ? ] 77 , 对对对 , 就听去德国留过学的同学 说其实德国人并不像大家听说那样守时 , [ 但是你还是觉得总的来说他们是守时的 ? 是 因为这个印象比较深入了吗 ? ] 对对对 . (4-3_41, AZ5, 22: 46) Weil alle es so sagen, dass sie pünktlich sind. Aber unsere deutschen Lehrer haben sich eigentlich auch verspätet, ((lachend)). [Aber dein Gesamteindruck hat sich nicht dadurch geändert? ] Ja, richtig, genau. Die Kommilitonen, die in Deutschland studiert hatten, haben erzählt, dass die Deutschen eigentlich nicht so pünktlich sind, wie alle es sagen. [Aber bist du trotzdem im Großen und Ganzen der Meinung, dass sie pünktlich sind? Weil dieser Eindruck sehr tief bei dir ist? ] Ja, richtig, genau. Beide Probanden haben persönliche Erfahrungen mit den deutschen Lehrern gemacht und gesehen, dass nicht alle Deutschen immer pünktlich sind. Außerdem hatten deutschlanderfahrene Kommilitonen der zweiten Probandin berichtet, dass die Deutschen nicht so pünktlich sind, wie alle es sagen. Beide Probanden halten diese Eigenschaft bei den Deutschen für zutreffend. Sie kreuzen sie an, aber nur die erste Probandin korrigiert eine fehlende Überzeugung mit einer Abwertung auf „0“. Im Sinne des modifizierten Erwartung-mal-Wert-Ansatzes von Fishbein führt sie die Korrektur wahrscheinlich über die Dimension Erwartung durch. Die andere Probandin aus der Gruppe der Deutschland- Fans tut dies nicht. Sie behält den positiven Wert bei, ohne über die Erwartung zu korrigieren. In beiden Fällen zeigt sich, dass öffentlich geteilte Stereotype ihre Bedeutung auch entgegen eigener Primärerfahrungen beibehalten. Diese Beispiele zeigen ein Phänomen, auf das die Beschreibung von Triandis (1975) passt, dass es Probanden gibt, die sich an „Normativen Stereotype[n]“ (Triandis 1975) (siehe Kap. 2.5.1 Öffentliche und private Anteile der Stereotype ) orientieren, ihre Meinung der vorherrschenden anpassen wollen und die gegenteiligen Erfahrungen dann eher als Einzelfälle betrachten. Hahn (2007) verweist darauf, dass die Menschen innerhalb einer sozialen Gruppe die gleichen Stereotype teilen, um damit das „Wir-Gefühl“ der Mitglieder einer Gruppe zu festigen (vgl. Hahn 2007: 21). Hahn und Hahn (2002) sprechen von einem Abwehrmechanismus, der üblicherweise etwas „zum Einzelfall und zur Ausnahme erklärt, damit die Gültigkeit und der Wahrheitsanspruch des Stereotyps nicht bezweifelt, sondern bestätigt wird“ (Hahn/ Hahn 2002: 36). Im Gegensatz dazu gibt es auch Probanden, die sich eher auf ihre eigenen Erfahrungen verlassen wollen. Eine Probandin erläutert, 77 Die Äußerung der Interviewerin während der Interviews wurde in eckige Klammern gesetzt. <?page no="291"?> 292 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie warum der allgemeine Eindruck der Chinesen, dass die Deutschen pünktlich sind, bei ihr weggefallen ist. (Item pünktlich wurde nicht genannt): 老师一般给我们讲的德国人就是准时的, (…) [但 准时的你没有选 , 是你觉得他们也不准时吗 ? ] 对 , 他们上课也会迟到 , 我大一的时候还 以为他们总是会那么准时 , 100 % 就不会迟到的 , 但是有时候等了几分钟也还没有来的 时候就算他们就迟到一次我也觉得原来德国人不是那么准时的 , 所以可能当时就没选 这个 . (3-4_58, AZ6, 24: 55) Unsere chinesischen Lehrer sagen uns oft, dass die Deutschen sehr pünktlich sind. (…) [Aber du hast pünktlich nicht angekreuzt, ist das, weil du sie nicht so pünktlich findest? ] Ja, genau. Als mein Studium gerade anfing, dachte ich, dass die Deutschen immer zu 100 % pünktlich sind und nie zu spät kommen. Aber nachdem unsere deutschen Lehrer manchmal ein paar Minuten nach dem Klingeln noch nicht zum Unterricht gekommen waren, auch wenn das nur selten passierte, denke ich jetzt, dass sie eigentlich gar nicht so pünktlich sind. Damals habe ich wahrscheinlich deswegen diese Eigenschaft nicht angekreuzt. Wie Hort (2012) ausführt, kann dieser Unterschied auch vom Typ und Charakter der befragten Personen abhängen: Vorurteilsfreie Personen lehnen die im kulturellen Stereotyp enthaltenden Zuschreibungen weitgehend ab. […]. Dagegen entsprechen bei vorurteilsvollen Personen die kulturellen Stereotype weitgehend ihren individuellen Überzeugungen bzw. werden unreflektiert als wahr oder zutreffend übernommen. Die einmal erworbenen kulturellen Vorurteile und Stereotype bleiben weiterhin im Gedächtnis präsent. (Hort 2012: 32) In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff des öffentlich geteilten Stereotypanteils gegenüber dem privat individuellen Stereotypanteil verwendet. Hort spricht hier vom kulturellen Stereotyp gegenüber individuellen Überzeugungen. Die Begrifflichkeiten bezeichnen dasselbe Phänomen, die Erklärungsansätze unterscheiden sich jedoch. Horts individuelle Überzeugungen werden hier eindeutig dem Stereotyp zugeordnet, nur einem anderen Bereich, einer anderen Ebene als dem öffentlich geteilten Anteil. Das erste Zitat (2-1_82, AZ2, 20: 02) zeigt, dass, wie Hort beobachtet, der öffentlich geteilte Anteil des Stereotyps weiterhin berücksichtigt wird. Das neue Instrument der Bewertung detailliert diese Beobachtung und zeigt, dass eine Korrektur der öffentlich geteilten Wahrnehmung erfolgt. Diese ist mit „0“ größtmöglich, der nächste Korrekturschritt wäre, das Item nicht mehr anzukreuzen. Dieser Schritt wird mit dem dritten Zitat von 3-4_58, AZ6, 24: 55 verdeutlicht. In beiden Fällen wird der Prozess sichtbar, der zur Veränderung des Stereotyps führen kann. Die Korrektur erfolgt tatsächlich wohl erst dann, wenn auch im Bereich des öffentlichen Stereotyps zunehmend die Überzeugung geteilt wird, dass eine Eigenschaft nicht mehr zutrifft. <?page no="292"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 293 Völlig unbeeindruckt von eigenen widersprüchlichen Erfahrungen zeigt sich der Fan in seiner Aussage 4-3_41, AZ5, 22: 46, für ihn sind Widersprüche unbedeutende Einzelfälle. In diesem Zusammenhang wurde von Devine und Elliott (1995) vorgeschlagen, die Aufgabenstellung bei einer Befragung viel klarer zu stellen, als es z. B. Katz und Braly getan hätten. Es müsse klar vorgegeben werden, ob der allgemeine, kulturelle, also der hier mit öffentlich geteilt bezeichnete Stereotypanteil oder die eigene Überzeugung, also der hier mit privat , individuell bezeichnete Stereotypanteil genannt werden soll. Mit der hier gezeigten Erkenntnis, dass beide Stereotypanteile nebeneinander existieren und widersprüchliche Erkenntnisse durch ein wertendes Urteil korrigiert werden, erscheint es für viele Fälle unrealistisch und auch nicht sinnvoll, diese Anteile über eine Aufgabenstellung trennen zu wollen. In Verbindung mit Horts Beobachtungen lässt sich jetzt gut erklären, warum der Anteil von pünktlich bei den älteren Jahrgängen stark abnimmt und die Bewertung dazu ebenfalls abgestuft wird (vgl. Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen und Tabelle 41: Häufigste Eigenschaften der Faktoren mit Bewertung, getrennt nach Jahrgängen ) . Durch die eigenen Erfahrungen wie z. B. mit den unpünktlichen deutschen Lehrern wird das öffentliche, bekannte Stereotyp teilweise von den „vorurteilsfreien“ Studierenden korrigiert und nicht mehr genannt. Von den Studierenden, die dieselbe Erfahrung gemacht haben, sich aber eher an das Kollektiv angleichen wollen, wird die Eigenschaft zwar genannt, aber, um die Konsistenz wiederherzustellen, abgewertet (vgl. Kap. 5.4.7 Zusammenfassung Jahrgangsmodell ). Dieses Phänomen erklärt auch den in Kapitel 5.4.3.5 Zusammenfassung der Analyse faktorbasierter Häufigkeiten beschriebenen Fall 1.b, nämlich warum Items vom 4. Jahrgang schlechter bewertet wurden als vom 1. Jahrgang und warum sich dabei die Anteile der Nennungen auch verringern. Bei einigen Quellen aus dem Fragebogen wie „Literatur, Ausstellungen und Messebesuche, Musik“ finden die Probanden keinen direkten Bezug zu irgendeiner der besprochenen Eigenschaften. Sie wurden niemals in den Interviews erwähnt, obwohl die Quellen im Fragbogen nicht selten genannt wurden (Literatur 59,5 %, Musik 34,6 %, Ausstellungen und Messebesuche 38,3 %). Offensichtlich kann man sich zwar durch diese Quellen über deutsche Kultur und Technik informieren, kann sie aber wenig mit den besprochenen menschlichen Charaktereigenschaften in Verbindung setzen. Die Quelle „durch Arbeit“ wurde im Fragebogen von 2,1 % der Hauptgruppe genannt und in den Interviews gar nicht erwähnt. Die Probanden hatten als Studenten kaum Gelegenheit, in China oder im Ausland mit Deutschen zusammenzuarbeiten. <?page no="293"?> 294 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Alle Aussagen zur Begründung der Informationsquellen eines jeden Items wurden einer der oben aufgelisteten Kategorien zugeordnet. In manchen Erklärungen zu Items wurden auch mehrere Quellen genannt, die jeweils mitgezählt werden. Tabelle 58 stellt Anzahl und Anteil der Hauptkategorien, die auf den Quellen der besprochenen 68 Items basieren, sortiert nach Häufigkeit dar. Kategorienummer Kategorien Anzahl Anteil % Q.15 Eigene Schlussfolgerung 89 24,86 Q.1 Allgemeiner Eindruck 51 14,25 Q.3 Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften 47 13,13 Q.11 Geschichte und Krieg 33 9,22 Q.14 Deutschlanderfahrung 25 6,98 Q.2 Medien 23 6,42 Q.4 Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte 16 4,47 Q.5 Erfahrung mit weiteren Deutschen 16 4,47 Q.12 Vergleich mit anderen Ländern 13 3,63 Q.10 Durch deutsche Produkte 12 3,35 Q.8 Durch Lesematerialien, Lehrbuch 11 3,07 Q.6 Äußerungen von weiteren Personen 10 2,79 Q.16 Angleichung ans Kollektiv 5 1,40 Q.7 Eltern erzählen 3 0,84 Q.9 Durch Deutschlernen 3 0,84 Q.13 Sport: Fußball 1 0,28 Nennungen gesamt 358 100,00 Tabelle 58: Anzahl und Anteil der Kategorien zu Informationsquellen basierend auf den besprochenen Items in den Interviews Insgesamt ergeben sich aus den Interviewabschnitten zur Erklärung der Items 358 78 Nennungen von Informationsquellen, die in 16 Hauptkategorien eingeordnet wurden. Die meisten Aussagen wurden der Kategorie Eigene Schlussfolgerung zugeordnet. 24,86 % der Begründungen dafür, warum sie eine Eigenschaft für zutreffend oder nichtzutreffend halten, kommen aus der eigenen Schlussfolgerung der Probanden, die aus ihrem vorhandenen Wissen aus anderen Kontexten abgeleitet wurde. Dies zeigen die folgenden beiden Aussagenbeispiele, das erste zur Erklärung des Items intelligent , das zweite zur Erklärung des Items Volk der Zukunft : 78 Von den 358 Nennungen von Quellen beziehen sich fünf Nennungen auf die Begründung, warum ein bestimmtes Item nicht angekreuzt wurde. Das sind Deutschlanderfahrungen (3 Nennungen), Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften (1 Nennung) und Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte (1 Nennung). <?page no="294"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 295 Zitat 1, 自然科学方面德国近代出了这么多科学家, 人文科学方面哲学家也很多, 包括我 们政府信仰的共产主义也是他们那里来的 , 没有智慧的人怎么会想到的 . (4-2_51, AF2, 14: 16) In der Neuzeit gab es so viele Naturwissenschaftler und Philosophen in den Geisteswissenschaften. Auch der Kommunismus, von dem unsere Regierung überzeugt ist, kommt aus Deutschland. Menschen ohne Intelligenz können nicht auf solche Ideen kommen. Zitat 2, 就像经营一家店一样 , 如果你的东西经得起时间的考验真的是很扎实的话 , 就 一开始就做得很扎扎实实 , 稳扎稳打的话 , 然后一直这样子持续下去的话还是会很有 成效的 , 就如果是一家店一开始就偷工减料的 , 之后就慢慢的开始偷工减料 , 这家店那 肯定慢慢就处于下滑期 , 因为你卖出的东西人家都看得到 , 好的东西就算贵人们也会 买那个好的东西 , 坏的东西就算外包装再精美 , 时间考验久了人们也不会去了 , 感觉 他们是可以一直发展下去的 , 并且还会在发展中还是会慢慢有进步的 . (1-4_92, BV2, 14: 38) Das ist so, wie einen Shop zu betreiben. Wenn ein Shop von Anfang an Produkte mit guter Qualität produziert, und dessen Produkte sich über eine lange Zeit bewähren, kann der Shop sich bestimmt nachhaltig entwickeln. Im Gegenteil, wenn ein Shop Pfuscharbeit macht und minderwertiges Material verwendet, kann er natürlich nicht lange existieren. Auch wenn die Produkte mit guter Qualität teuer sind, kaufen die Leute trotzdem gerne. Produkte mit schlechter Qualität werden trotz einer schönen Verpackung nicht lange existieren können. Deshalb denke ich, dass Deutschland sich gut und weiter entwickeln kann und bei der Entwicklung noch Fortschritte machen kann. Wie in Tabelle 59 dargestellt, basieren die Anteile der eigenen Schlussfolgerung auf mehreren Quellen, auf die die Probanden sich beziehen und aus denen sie Assoziationen schöpfen können. Die genaue Verteilung der Quellen, auf denen ihre Schlussfolgerung basiert, wird in der unteren Tabelle dargestellt. Kategorienummer Subkategorien Anzahl Anteil% Q.15.1 Basierend auf allgemeinem Eindruck ohne Konkretisierung 29 32,58 Q.15.4 Basierend auf Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften 12 13,48 Q.15.5 Basierend auf Informationen aus Medien 10 11,24 Q.15.2 Basierend auf allgemeinem Eindruck mit Konkretisierung 9 10,11 Q.15.10 Basierend auf Vergleich mit anderen Ländern 6 6,74 Q.15.3 Basierend auf Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte 6 6,74 Q.15.8 Basierend auf Informationen zu Geschichte und Krieg 5 5,62 <?page no="295"?> 296 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Q.15.7 Basierend auf guten deutschen Produkten 5 5,62 Q.15.6 Basierend auf Fußball 2 2,25 Q.15.9 Basierend auf Deutschlernen 2 2,25 Q.15.12 Basierend auf Äußerungen von weiteren Personen 2 2,25 Q.15.11 Basierend auf Deutschlanderfahrung 1 1,12 Nennungen gesamt 89 100,00 Tabelle 59: Anzahl und Anteil der Subkategorien von „Eigene Schlussfolgerung“ zur Informationsquelle Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass die Interviewprobanden zum größten Teil mit 42,69 % (Q.15.1+Q.15.2) aus den öffentlich geteilten Stereotypen weitere Eigenschaften in Bezug auf die Deutschen abgeleitet haben. Die zweitstärkste Quelle, woraus in den Schlussfolgerungen weitere Eigenschaften der Deutschen abgeleitet wurden, sind die deutschen Lehrkräfte. Genauso wie in den direkt genannten Hauptkategorien nehmen die deutschen Lehrer bei den Schlussfolgerungen den zweitwichtigsten Platz für die Einstellungsbildung zu den Deutschen ein. Weil die mit den Schlussfolgerungen genannten und die direkt genannten Quellen denselben Kategorien entsprechen, kann man alle direkten und indirekten genannten Quellen addieren, um einen Überblick über die gesamte Verteilung der Anteile von Assoziationsquellen zu gewinnen. Die addierten Hauptkategorien, deren Anteil 5 % von den gesamten 358 Nennungen überschreitet, werden als relevante Informationsquellen in der unteren Grafik (Abbildung 45) veranschaulicht. 260 Q.15.9 Basierend auf Deutschlernen 2 2,25 Q.15.12 Basierend auf Äußerungen von weiteren Personen 2 2,25 Q.15.11 Basierend auf Deutschlanderfahrung 1 1,12 Nennungen gesamt 89 100,00 Tabelle 59: Anzahl und Anteil der Subkategorien von „Eigene Schlussfolgerung“ zur Informationsquelle Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass die Interviewprobanden zum größten Teil mit 42,69 % (Q.15.1+Q.15.2) aus den öffentlich geteilten Stereotypen weitere Eigenschaften in Bezug auf die Deutschen abgeleitet haben. Die zweitstärkste Quelle, woraus in den Schlussfolgerungen weitere Eigenschaften der Deutschen abgeleitet wurden, sind die deutschen Lehrkräfte. Genauso wie in den direkt genannten Hauptkategorien nehmen die deutschen Lehrer bei den Schlussfolgerungen den zweitwichtigsten Platz für die Einstellungsbildung zu den Deutschen ein. Weil die mit den Schlussfolgerungen genannten und die direkt genannten Quellen denselben Kategorien entsprechen, kann man alle direkten und indirekten genannten Quellen addieren, um einen Überblick über die gesamte Verteilung der Anteile von Assoziationsquellen zu gewinnen. Die addierten Hauptkategorien, deren Anteil 5 % von den gesamten 358 Nennungen überschreitet, werden als relevante Informationsquellen in der unteren Grafik (Abbildung 45) veranschaulicht. Abbildung 45: Darstellung der Anteile der relevantesten Informationsquellen der Interviewstudie Wie die Abbildung zeigt, macht die Quelle Allgemeiner Eindruck etwa ein Viertel der gesamten Nennungen aus. Das sind die öffentlich geteilten Stereotype als Allgemeinwissen, das unter den untersuchten chinesischen Deutschstudierenden vorhanden ist, die sie durch Hörensagen erlernt und Allgemeiner Eindruck; 24,86 % Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften; 16,48 % Geschichte und Krieg; 10,61 % Medien; 9,22 % Deutschlanderfahrung; 7,26 % Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte; 6,15 % Vergleich mit anderen Ländern; 5,31 % Abbildung 45: Darstellung der Anteile der relevantesten Informationsquellen der Interviewstudie <?page no="296"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 297 Wie die Abbildung zeigt, macht die Quelle Allgemeiner Eindruck etwa ein Viertel der gesamten Nennungen aus. Das sind die öffentlich geteilten Stereotype als Allgemeinwissen, das unter den untersuchten chinesischen Deutschstudierenden vorhanden ist, die sie durch Hörensagen erlernt und übernommen haben und die sie nicht durch persönliche Erfahrungen erworben haben. Das bildet einen festen hohen Anteil ihres Stereotyps über die Deutschen. Als die zweitstärkste Quelle zählt die Primärerfahrung mit den deutschen Lehrkräften. Von allen Aussagen zur Auswahl der besprochenen Items wurden 59-mal deutsche Lehrer genannt als Begründung, warum die Probanden eine Eigenschaft bei den Deutschen für typisch halten. Davon haben die Interviewprobanden 55-mal angegeben, dass sie durch das Verhalten der deutschen Lehrer im Unterricht festgestellt haben, dass diese Eigenschaft auf die Deutschen zutrifft. Und 4-mal wurde das private Verhalten der deutschen Lehrer außerhalb des Unterrichts genannt. Das zeigt: 1. Die deutschen Lehrer spielen bei der Bildung der Einstellung der chinesischen Deutschstudierenden gegenüber den Deutschen eine wichtige Rolle, sie üben auf die Studierenden einen großen Einfluss dabei aus. Denn für die chinesischen Deutschstudierenden, die nie in Deutschland waren, ist dies fast die einzige Möglichkeit, mit deutschen Menschen überhaupt in direkten Kontakt zu treten. Durch den hohen Anteil der Nennungen dieser Quelle erkennt man, dass die persönliche Erfahrung von großer Bedeutung ist für die Stereotypenbildung und als eine vertrauenswürdige Quelle angesehen wird. 2. Bei der Beschreibung der typischen Eigenschaften von deutschen Menschen beziehen sich die Interviewprobanden in hohem Maße auf die deutschen Lehrer, zu denen sie persönliche Kontakte haben. Das Verhalten der deutschen Lehrer wird von den Probanden auf alle Deutschen übertragen. Auch Sato-Prinz (2017) kam in ihrer Untersuchung über Deutschlandbilder von japanischen Austauschstudierenden zum Ergebnis, dass sich die Studierenden für die Beschreibung ihrer Deutschlandbilder in starkem Maße auf deutsche Menschen beziehen, mit denen sie befreundet sind oder die ihnen zumindest persönlich bekannt sind. Diese Menschen dienen als Gewährspersonen für die Deutschlandbilder. Daneben stellen anfangs Lehrkräfte und später Personen aus dem alltäglichen Leben Referenzpunkte dar, an denen die Studierenden ihre Bilder abgleichen. (Sato-Prinz 2017: 223) Die deutschen Lehrkräfte werden von Sato-Prinz (2017) als erste „Gewährspersonen“ bezeichnet, durch die die Studierenden am Anfang ihre Deutschlandbilder formen können. Alle Gewährspersonen bilden im Laufe der Zeit Referenzpunkte, um Bilder abzugleichen. Im Sinne der vorliegenden Arbeit gehen diese Referenzpunkte in den privaten Anteil des Stereotyps ein, sowohl durch die <?page no="297"?> 298 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Auswahl einer Eigenschaft als auch über die Bewertung, in der Kombination von Erwartung und Wert . Den dritten Platz nimmt der Anteil der Quelle von Geschichte und Krieg ein. Erstaunlich ist, dass die Probanden oft die historischen Ereignisse vor allem aus der Weltkriegszeit spezifisch als Informationsquelle für die Zuschreibung einiger Items nennen und mit dem heutigen Deutschland und den Deutschen in Verbindung setzen. Auf den engen Zusammenhang zwischen Geschichte und Stereotypen geht Hahn (1995) bereits ein und setzt sich mit der Funktion der Stereotype in der Geschichte und umgekehrt der Geschichte der Stereotype auseinander. Er vertritt die Ansicht, dass das stereotype Verständnis der Gegenwart häufig auf Geschichtsbildern beruht und die Geschichte benötigt, benutzt und somit die Vergangenheit miteinbezogen wird in die stereotypisierte Perzeption der Welt, was nationale Stereotype unabhängig von dem Bezug zur Gegenwart macht (vgl. Hahn 1995: 195 ff.). Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Wahrnehmung der Gegenwart von den stereotypen Geschichtsbildern beeinflusst und bestimmt werden kann, wenn die historische Erfahrung als etwas Abgeschlossenes statt als ein ständiger Prozess verstanden wird (vgl. ebd. 203 f.). Das gibt einen Hinweis darauf, dass Menschen, die von ihrem erlernten historischen Wissen und Bildern geprägt sind, die Geschichte nicht als ständigen Wandel betrachten. Denn sie haben auch keine oder wenige neue Erfahrungen gemacht, um die alten Geschichtsbilder neu anzupassen. Aus den Interviews ist ersichtlich, dass die historischen Kriegsbilder aus der Zeit vor der Nachkriegszeit bei einem Teil der Deutschstudierenden noch eine starke Wirkung auf ihre Einstellung ausüben. Ein anderer Teil bezieht die Nachkriegszeit als Zeit des Wiederaufbaus, den Kniefall von Warschau durch Willy Brandt Ende 1970 und die deutsche Wiedergutmachungspolitik auch in Form von Geldzahlungen in ein anderes Geschichtsverständnis ein. Ebenfalls erwähnenswert ist die Quelle Medien . Im Fragebogen haben 96,50 % der Deutschstudierenden Medien als Quelle angekreuzt, durch die sie sich über Deutschland und die Deutschen informieren. Diese Quelle hat in der Fragebogenstudie die meisten Nennungen, während sie in der Interviewstudie selten mit den besprochenen Eigenschaften in Verbindung gesetzt wurde. Wenn doch, dann wurden in den Interviews Fernsehen, Internet und Filme als Medienquellen genannt. Aus der in Abbildung 45 dargestellten Verteilung der Informationsquellen ist ersichtlich, dass die Überzeugung der Probanden anhand der abgefragten Items zum größeren Teil aus dem übernommenen Wissen, also Sekundärerfahrung, besteht, wie die Quellen Allgemeiner Eindruck , Geschichte und Krieg , Medien und Äußerung der chinesischen Lehrkräfte aussagen. Das bestätigt auch die verbreitete Ansicht, dass die meisten Stereotype von Dritten, z. B. Lehrern , Eltern und Medien übernommen werden und nur zu einem geringeren Anteil durch direkte Erfahrun- <?page no="298"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 299 gen erworben werden (z. B. Triandis 1975: 198; Lippmann 1998: 273 f.). Lippmann (1998) verweist auf die begrenzte Möglichkeit der Menschen in der damaligen Zeit (in den 1920er Jahren), ins Ausland zu gehen, um private Erfahrungen zu sammeln (vgl. Lippmann 1998: 273 f.), was in der heutigen Zeit nicht mehr überall gilt. So steht bei den Probanden mit früherem Deutschlandaufenthalt die Primärerfahrung im Vordergrund. In Abbildung 45: Darstellung der Anteile der relevantesten Informationsquellen der Interviewstudie macht der Anteil der Quelle Deutschlanderfahrung zwar nur einen Anteil von 7,26 % der gesamten Nennungen aus, aber wurde ausschließlich von vier Interviewprobanden, die einen früheren Deutschlandaufenthalt hatten, genannt. Betrachtet man die Informationsquellen dieser vier Probanden näher, ergibt sich die Verteilung der Anteile der relevanten Quellen in der Abbildung 46. Die Quelle Deutschlanderfahrung macht den höchsten Anteil aller genannten Informationsquellen aus. Zusammen mit den Quellen Erfahrungen mit deutschen Lehrkräften und weiteren Deutschen machen die Primärerfahrungen den überwiegenden Anteil von 59,50 % ihrer gesamten Nennungen aus. Die Quelle Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte macht bei den Interviewten mit Deutschlanderfahrung nur einen Anteil von 2,53 % aus. Medien wurden nicht einmal genannt. Das deutet darauf hin, dass die persönlichen Erfahrungen als Informationsquelle im Vordergrund stehen, wenn persönliche Erfahrungen gemacht werden können. Die Äußerungen und Meinungen der anderen Menschen rücken in den Hintergrund, wenn man selbst viel gesehen und erlebt hat. Abbildung 46: Darstellung der Anteile der relevanten Informationsquellen der Interviewprobanden mit Deutschlanderfahrungen der Interviewstudie <?page no="299"?> 300 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Die prozentualen Anteile der Quellen von Allgemeiner Eindruck und Geschichte und Krieg bleiben bei den Interviewprobanden mit Deutschlanderfahrungen hingegen in der gleichen Größenordnung wie bei den Interviewprobanden insgesamt ( Allgemeiner Eindruck 23 % zu 25 % und Geschichte und Krieg 10 % zu 11 %). Das zeigt, dass ein Teil der öffentlich geteilten Stereotype einen festen Anteil der Überzeugungen ausmacht und sich nicht einfach verändern lässt. Außerdem wird deutlich, dass die historischen Bilder in Bezug auf die Weltkriegszeit noch eine prägende Rolle bei der Einstellungsbildung einiger Probanden gegenüber den heutigen Deutschen und Deutschland spielen. 6.3.2 Im Interview besprochene Eigenschaften, Faktoren und ihre Quellen Im Folgenden werden die Kategorien der Quellen mit ihren zugrunde liegenden Items in Verbindung gesetzt, um darzustellen, aus welchen Quellen die Überzeugungen zu bestimmten Eigenschaften vorwiegend stammen. Zur Darstellung der relevanten Quellen von Items wird nicht auf jedes in den Interviews besprochene Item eingegangen. Zum einen wird jedes besprochene Item auf der Ebene der Faktoren zusammengefasst, zum anderen werden Items, die auch in der Fragebogenstudie einen höheren Anteil an Nennungen haben (siehe Tabelle 56), aufgelistet. Tabelle 60 stellt die Ergebnisse der quantitativen Auswertungen zu Quellen aller in den Interviews abgefragten Items dar, zusammengefasst in den jeweiligen Faktoren. 79 Die Quellenangaben mit dem höchsten und zweithöchsten Anteil eines jeden Faktors werden durch Fettdruck hervorgehoben, um die relevantesten Quellen für jeden Faktor besser zu erkennen. 79 Fünf Quellen von drei Items, die die Probanden als Begründung, warum sie die Items nicht angekreuzt haben, genannt haben, wurden in dieser Auswertung ausgeschlossen. <?page no="300"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 301 264 abgefragten Items dar, zusammengefasst in den jeweiligen Faktoren. Die Quellenangaben mit dem höchsten und zweithöchsten Anteil eines jeden Faktors werden durch Fettdruck hervorgehoben, um die relevantesten Quellen für jeden Faktor besser zu erkennen. Tabelle 60: Anzahl und Anteil der Nennungen von Kategorien der Quellen der in den Interviews abgefragten Items, zusammengefasst nach Faktoren Wie in Tabelle 60 ersichtlich, spielen die Quellen Allgemeiner Eindruck und Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften bei den meisten Faktoren die wichtigste Rolle. Bei den sozialen Eigenschaften und Perfektionismus nehmen die beiden Quellen sogar ähnliches Gewicht ein. Ausnahmen sind die Faktoren Heimatverbunden und Herrenvolk. Daran erkennt man deutlich, dass das Kriegsbild noch einen dominierenden negativen Einfluss auf das heutige Bild von Deutschland und den Menschen dort ausübt. Dabei spielen die Medien auch eine besondere Rolle, weil zahlreiche Filme und Serien über die Weltkriegszeit in China laufen und es auch Berichte über Diskriminierung von Ausländern in den westlichen Ländern gibt, was das fremdfeindliche Bild prägen kann. Bei den anderen beiden negativen 79 Fünf Quellen von drei Items, die die Probanden als Begründung, warum sie die Items nicht angekreuzt haben, genannt haben, wurden in dieser Auswertung ausgeschlossen. Tabelle 60: Anzahl und Anteil der Nennungen von Kategorien der Quellen der in den Interviews abgefragten Items, zusammengefasst nach Faktoren Wie in Tabelle 60 ersichtlich, spielen die Quellen Allgemeiner Eindruck und Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften bei den meisten Faktoren die wichtigste Rolle. Bei den sozialen Eigenschaften und Perfektionismus nehmen die beiden Quellen sogar ähnliches Gewicht ein. Ausnahmen sind die Faktoren Heimatverbunden und Herrenvolk . Daran erkennt man deutlich, dass das Kriegsbild noch einen dominierenden negativen Einfluss auf das heutige Bild von Deutschland und den Menschen dort ausübt. Dabei spielen die Medien auch eine besondere Rolle, weil zahlreiche Filme und Serien über die Weltkriegszeit in China laufen und es auch Berichte über Diskriminierung von Ausländern in den westlichen Ländern gibt, was das fremdfeindliche Bild prägen kann. Bei den anderen beiden negativen Faktoren Unflexibel und Unsozial machen die allgemeinen Eindrücke und die deutschen Lehrer den höchsten Anteil aus, wobei die Unflexibilität der Deutschen zum großen Teil auch aus dem Ländervergleich abgeleitet wurde, hier insbesondere mit dem Selbstbild der Chinesen, die sich für besonders flexibel halten. 80 Die folgende Tabelle 61 listet die in den Interviews genannten Quellen zu den häufig abgefragten relevanten Items auf. 80 Näheres zu diesem Punkt siehe Kap. 6.4.4 Bewertung der Dimension Erwartung und Wert . <?page no="301"?> 302 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Item Allgemeiner Eindruck Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften Geschichte und Krieg Medien Deutschlanderfahrung Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte Vergleich mit anderen Ländern kultiviert 3 81 (14,29%) 5 (23,81%) 5 (23,81%) 3 (14,29%) 1 (4,76%) zuverlässig 7 (33,33%) 5 (23,81%) 1 (4,76%) 1 (4,76%) höflich 2 (10,53%) 6 (31,58%) 5 (26,32%) 2 (10,53%) 1 (5,26%) pünktlich 1 (5,88%) 3 (17,65%) 1 (5,88%) 1 (5,88%) 2 (11,76%) pflichtbewusst 3 (17,65%) 5 (29,41%) 1 (5,88%) 1 (5,88%) 1 (5,88%) 1 (5,88%) trinkfreudig 5 (31,25%) 1 (6,25%) 3 (18,75%) 3 (18,75%) konventionell 7 (50,00%) 2 (14,29%) 1 (7,14%) 2 (14,29%) Volk der Zukunft 9 (64,29%) 1 (7,14%) 1 (7,14%) 1 (7,14%) ordentlich 2 (15,38%) 2 (15,38%) 1 (7,69%) 4 (30,77%) 1 (7,69%) 1 (7,69%) Herrenvolk 1 (8,33%) 4 (33,33%) 3 (25,00%) 1 (8,33%) 1 (8,33%) konservativ 1 (8,33%) 1 (8,33%) 4 (33,33%) 5 (41,67%) Nationalstolz 4 (33,33%) 5 (41,67%) distanziert 1 (10,00%) 4 (40,00%) 1 (10,00%) 1 (10,00%) anspruchsvoll 4 (44,44%) 1 (11,11%) 1 (11,11%) rassebewusst 4 (44,44%) 2 (22,22%) 1 (11,11%) 1 (11,11%) 81 In der Tabelle werden die Anzahl und der Anteil der Nennungen jeder Kategorie zu jedem Item angegeben. Der Anteil einer Quellenkategorie über 20 % wird durch Fettdruck hervorgehoben. <?page no="302"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 303 Erfahrung mit weiteren Deutschen Durch deutsche Produkte Durch Lesematerialien, Lehrbuch Äußerungen von weiteren Personen Angleichung ans Kollektiv Eltern erzählen Durch Deutschlernen Sport: Fußball Gesamt 2 (9,52%) 1 (4,76%) 1 (4,76%) 21 6 (28,57%) 1 (4,76%) 21 1 (5,26%) 1 (5,26%) 1 (5,26%) 19 2 (11,76%) 1 (5,88%) 5 (29,41%) 1 (5,88%) 17 2 (11,76%) 1 (5,88%) 1 (5,88%) 1 (5,88%) 17 3 (18,75%) 1 (6,25%) 16 1 (7,14%) 1 (7,14%) 14 1 (7,14%) 1 (7,14%) 14 1 (7,69%) 1 (7,69%) 13 1 (8,33%) 1 (8,33%) 12 1 (8,33%) 12 2 (16,67%) 1 (8,33%) 12 1 (10,00%) 1 (10,00%) 1 (10,00%) 10 1 (11,11%) 2 (22,22%) 9 1 (11,11%) 9 <?page no="303"?> 304 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Item Allgemeiner Eindruck Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften Geschichte und Krieg Medien Deutschlanderfahrung Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte Vergleich mit anderen Ländern fremdenfeindlich 1 (12,50%) 2 (25,00%) 2 (25,00%) 1 (12,50%) 1 (12,50%) diszipliniert 2 (25,00%) 3 (37,50%) attraktive Männer 2 (28,57%) 2 (28,57%) 1 (14,29%) philosophische Lebenshaltung 5 (71,43%) 1 (14,29%) verschlossen 1 (16,67%) 4 (66,67%) intelligent 3 (75,00%) Tabelle 61: Anzahl und Anteil der Nennungen von Kategorien der Quellen zu den in den Interviews häufig abgefragten Items Die in der Tabelle aufgelisteten Items sind von links nach rechts nach abnehmender Anzahl der in den Interviews genannten Quellen und von oben nach unten nach abnehmender Anzahl der Item-Nennungen sortiert. Die Anzahl der Kategorie Q.15 Eigene Schlussfolgerung wird nicht direkt in der Tabelle aufgezeigt, sondern in der dazugehörigen Urquelle mitgezählt, aus der die Probanden neue Erkenntnisse abgeleitet haben. Aus dem berechneten Anteil jeder Kategorie zu jedem Item erkennt man, welche Quellen dafür relevant sind. Die Kategorien mit einem hohen Anteil von über 20 % werden in Tabelle 61 durch Fettdruck hervorgehoben. <?page no="304"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 305 Erfahrung mit weiteren Deutschen Durch deutsche Produkte Durch Lesematerialien, Lehrbuch Äußerungen von weiteren Personen Angleichung ans Kollektiv Eltern erzählen Durch Deutschlernen Sport: Fußball Gesamt 1 (12,50%) 8 1 (12,50%) 1 (12,50%) 1 (12,50%) 8 1 (14,29%) 1 (14,29%) 7 1 (14,29%) 7 1 (16,67%) 6 1 (25,00%) 4 <?page no="305"?> 306 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Allgemeiner Eindruck Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften Geschichte und Krieg Medien zuverlässig (1) 82 trinkfreudig (1) konventionell (1) Volk der Zukunft(1) Nationalstolz (2) attraktive Männer (1) diszipliniert (2) philosophische Lebenshaltung (1) intelligent (1) kultiviert (1) höflich (1) zuverlässig (3) pflichtbewusst(1) distanziert (1) anspruchsvoll (1) attraktive Männer(1) verschlossen(1) Herrenvolk (1) Nationalstolz (1) fremdenfeindlich (1) rassebewusst (1) diszipliniert (1) kultiviert (1) höflich (2) Herrenvolk (2) konservativ(2) fremdenfeindlich (2) rassebewusst (2) Tabelle 62: Zuordnung der in den Interviews häufig abgefragten Items zu den am häufigsten genannten Kategorien der Quellen Tabelle 62 ordnet noch einmal die Items den am häufigsten genannten Quellenkategorien zu. Aus der Verteilung der Items ist ersichtlich, dass aus der Quelle Allgemeiner Eindruck eher positive Items (vgl. Tabelle 17: Bewertung der Eigenschaften mit Mittelwert top-down, Standardabweichung, Anzahl und Min-Max ) entstanden sind, während die Quelle Geschichte und Krieg eher mit negativen Items in Bezug auf die Fremdfeindlichkeit und Überlegenheitsgefühl der Deutschen in Verbindung gesetzt wird. Dies sind hauptsächlich die Items aus dem Faktor Herrenvolk . Wie in Kapitel 5.3.2 Bewertungsrichtung und -intensität der Eigenschaften bereits angeführt, gibt es unter manchen Probanden eine Assoziation mit „Herrenvolk, rassebewusst und fremdenfeindlich“, die immer Bestandteil eines insgesamt sehr schlechten Gesamturteils des betreffenden Probanden ist. Diese Assoziation wird auch über Medien vermittelt, eine Probandin sagt: „In vielen Filmen zeigt es sich, dass die Weißen andere farbige Rassen diskriminieren. Ich habe so ein Gefühl, in den Ländern, wo die Weißen sind, gibt es immer Diskriminierung.“ (1-4_92, O3, 17: 57) Bemerkenswert ist, dass Nationalstolz und sogar diszipliniert in erster Linie mit der eher negativ geprägten Quelle Geschichte und Krieg verbunden sind und erst in zweiter Linie mit dem eher positiv geprägten Allgemeinen Eindruck . Dies sind die einzigen positiven Items, die in der Kategorie Geschichte und Krieg 82 Die in Klammer angegebene Nummer 1, 2, oder 3 bedeutet, dass das Item den erst-, zweit- oder drittrangigen Anteil bei dieser Quelle hat. <?page no="306"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 307 Vergleich mit anderen Ländern Deutschlanderfahrung Durch deutsche Produkte Angleichung ans Kollektiv konservativ (1) ordentlich (1) zuverlässig (2) anspruchsvoll (2) pünktlich (1) häufiger genannt wurden. Das ist auch die Erklärung dafür, dass Nationalstolz häufig und diszipliniert gelegentlich die Bewertungsrichtung wechselt (vgl. Tabelle 16: Unterschiedliche Bewertungsrichtungen und -intensitäten von Items der Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014) ). Die Quelle Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften steht für positive und negative Erfahrungen. Die positiven Erfahrungen betreffen das gute Benehmen und den Arbeitsstil der Deutschen, was von der Mehrzahl der Probanden als attraktiv angesehen wird; die negativen betreffen persönliche Charaktereigenschaften wie Verschlossenheit und Distanziertheit. Das Item distanziert zählt zu einer der relevantesten negativen Eigenschaften bei den Deutschstudierenden, die mit den Studienjahren rasant von 37,61 % im 1. Jahrgang bis auf 73,61 % im 4. Jahrgang zunimmt (siehe Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen ). Hier ist es ersichtlich, dass diese wachsende Überzeugung stark mit den zunehmenden Kontakten mit den deutschen Lehrern zusammenhängt. Die folgenden Interviewaussagen liefern ein paar wichtige Erkenntnisse: Zitat 1, 之前觉得理论上德国比较好 , 但是从来没有接触过德国的这些人 , 到大学的时 候突然接触了一下 , 他们那些比较严谨 , 83 可能我当时引申出来感觉是有些木讷沉默之 类的, 感觉有点冷漠, 特别是大学的时候看到的第一个德国外教, 感觉都不怎么笑, 感觉 83 严谨 [yán jǐn]: Im Chinesischen ist das Wort als gewissenhaft, ernst und Streben nach Perfektion zu verstehen. Hier wird das Wort sinngemäß mit ernsthaft übersetzt. <?page no="307"?> 308 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie 可能不好接触 . (1-4_92, CA15, 2: 30) (…) 想(和他们)接触 , 但是不知道是什么样的 . [ 但 是现阶段的话你对德国人的看法还是属于有点距离有点冷漠的? ] 还是有点怕. (1-4_92, CA15, 27: 40) Vor dem Studium fand ich Deutschland allgemein gut. Aber ich hatte nie Kontakt mit den deutschen Menschen. In der Uni habe ich plötzlich Deutsche persönlich kennengelernt. Aus ihren Eigenschaften, wie „ernsthaft“, habe ich wahrscheinlich damals hergeleitet, dass sie starr und schweigsam sind. Ich hatte das Gefühl, dass sie kaltherzig sind. Besonders der erste deutsche Lehrer, den ich Anfang des Studiums gesehen hatte, hatte fast nie gelächelt. Ich hatte den Eindruck, dass man wahrscheinlich schwer mit ihm umgehen kann. (…) Ich möchte Deutsche persönlich kontaktieren, aber ich weiß nicht genau, wie das aussehen könnte. [Momentan hast du noch die Einstellung gegenüber den Deutschen, dass sie distanziert und kaltherzig sind? ] Ich habe noch etwas Angst vor ihnen. Zitat 2, [ 你还选了难以接近的和保持距离的 , 这个你是觉得他们 ? ] 很高冷 . 84 [ 这个是 通过跟德国人接触发现的呢还是从哪里发现的 ? ] 就是第一个外教好像就觉得挺高冷 . [ 就不好接近吗 ? ] 因为他年纪 30 几岁嘛 , 就他五官就长得那种很高冷的感觉 , 就很严厉 严肃 . [ 不怎么笑那种 ? ] 嗯 . (…) [ 你选的 5 个最肯定的词里排名第一的是难以接近的 , 你 觉得这个词是他们最典型的特点吗 ? ] 大一上的时候排的 , 就是刚开始来 , [ 你就比较肯 定难以接近 ? ] 当时不是很了解 , 刚开始来上外教课 , 就不是很习惯 , 当时就觉得有一点 难以接近的感觉 . [ 哦 , 所以你就觉得这个是给的第一 , 然后保持距离的你就给的是第 二名 , 这两个就属于你觉得对他们的整体印象 ? ] 嗯 , 对 . [ 就是通过这个外教 ? ] 对 . [ 那 你通过网上软件聊天的那个语伴有没有给你比较难以接近的感觉 ? ] 没有 , 他还比较亲 切 , (…) [ 那主要就是这个外教对你的影响要大一些哈 ? ] 对 , 刚开始嘛 , 就接触的第一个 德国人这个是. (1-1_12, J3, 19: 40) [Du hast noch verschlossen und distanziert angekreuzt, warum findest du sie so? ] Sehr distanziert und kaltherzig. [Weißt du das durch die Kontakte mit den Deutschen oder woher weißt du das? ] Unseren ersten deutschen Lehrer finde ich distanziert und kaltherzig. [Meinst du, es ist schwer ihm näher zu sein? ] Weil er ja schon über 30 Jahre alt ist und sein kantig gestaltetes Gesicht vermittelt so ein Gefühl, dass er distanziert und kaltherzig ist und er sieht sehr ernsthaft und streng aus. [Lacht er selten? ] Genau. (…) (weiter ab 24: 20) [Du hast verschlossen als Top 1 genannt, hältst du diese Eigenschaft für die typischste Eigenschaft der Deutschen? ] Diese Reihenfolge habe ich damals im ersten Semester des Studiums gebildet, da habe ich ja gerade mit dem Studium angefangen. [Warst du schon ziemlich sicher, dass sie verschlossen sind? ] Damals wusste ich nicht so viel von ihnen. Ich fand den Deutschunterricht bei diesem Lehrer ungewöhnlich, besonders gleich am Anfang. Damals hatte ich das Gefühl, dass er 84 高冷 [gāo lěng]: das ist momentan in China ein beliebtes Wort, das vor kurzer Zeit im Internet erschaffen wurde und besonders von den jüngeren Leuten gerne benutzt wird, um Leute zu beschreiben, die hochmütig aussehen und zu den anderen Distanz halten, sodass man sie als kaltherzig und gleichgültig empfindet. Ins Deutsche wird das Wort hier sinngemäß übersetzt als distanziert und kaltherzig. <?page no="308"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 309 etwas verschlossen ist. [Deshalb hast du verschlossen als Top 1 und distanziert als Top 2 markiert. Dies gehört dann zu deinen Gesamteindrücken von ihnen? ] Ja, genau. [Genau durch diesen deutschen Lehrer? ] Ja, richtig. [Der deutsche Sprachpartner, den du durch ein Chat-Programm kennengelernt hast, hat dir nicht so ein verschlossenes Gefühl vermittelt? ] 85 Nein. Er ist sympathisch. (…) [Das heißt, hauptsächlich wurdest du von diesem einen deutschen Lehrer beeinflusst? ] Ja, genau. Weil er ja gerade am Anfang da war. Er war der erste Deutsche, mit dem ich direkten persönlichen Kontakt hatte. Zitat 3, 从上课老师给我们的用词发现的 . 外教老师虽然和我们上课这么久了 , 他们还 是会用Sie, siezen这样的,有这种敬语体的国家比如日语韩语他们也会在不熟的情况下 对你用尊称 , 但是我觉得一是他们是老师吧 , 辈分也比我们大 , 但是我们相处这么久应 该也很亲近了 , 我觉得应该用 duzen 也是没有关系的 . 但他们这样讲感觉就让我们有点 距离感 . (3-4_58, J4, 28: 12) Durch die Worte, die die Lehrer im Unterricht benutzen, habe ich erkannt, dass die Deutschen distanziert sind. Sie siezen uns immer noch, obwohl sie uns schon so lange unterrichtet haben. In den Ländern, wo man ehrerbietige Wörter benutzt, wie Japan und Korea, sprechen die Leute mit respektvoller Anredeform zu dir, wenn sie dich noch nicht gut kennen. Aber ich meine, auch wenn sie unsere Lehrer sind und ihre Position höher als unsere ist, können wir uns schon duzen, weil wir uns schon lange kennen, schon vertraut sind und gut zurechtkommen. Aber sie siezen immer noch, deshalb geben sie uns ein Distanzgefühl. Aus den obigen drei Aussagen der Probanden geht hervor, dass durch Worte, Verhalten und sogar das Aussehen der Deutschen bei den chinesischen Studenten ein Distanzgefühl ausgelöst werden kann. Einerseits hängt es sicherlich von den individuellen Persönlichkeiten ab, ob ein deutscher Lehrer oder eine Lehrerin sympathisch ist. Auf der anderen Seite beschreibt eine Probandin einen unter den Chinesen nicht seltenen Eindruck, dass das kantige Gesicht der Deutschen (Westler) ohne freundliches Lächeln Ernsthaftigkeit und Unfreundlichkeit vermitteln würde und auch wegen der Körpergröße der Deutschen im Kontrast zu den viel kleineren chinesischen Frauen Druck und Furcht hervorgerufen werden könnte. Das dritte Zitat einer Probandin aus dem 3. Jahrgang liefert ein typisches Beispiel für Hindernisse bei der interkulturellen Kommunikation. Im Deutschunterricht lernen die chinesischen Deutschstudierenden ganz am Anfang schon die Anwendung von siezen und duzen , wobei von den chinesischen Deutsch- 85 Während des Interviews hat diese Probandin zu einem früheren Zeitpunkt erwähnt, dass sie vor dem Studium durch ein Chat-Programm im Internet einen deutschen Sprachpartner kennengelernt hat. Hier stellt die Interviewerin diese Frage, um zu erfahren, ob sie diesen negativen Eindruck noch durch Kontakte mit anderen Deutschen neben dem einen deutschen Lehrer bekommen hat. <?page no="309"?> 310 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie lehrern betont wird, dass das sehr wichtig für den Umgang mit den Deutschen ist und man vorsichtig mit Du sein soll. Es wird von den chinesischen Lehrern immer genau erklärt, dass Du eine vertrauliche Anrede ist und man sich unter Familien, Freunden, Kindern und in vertrauten Beziehungen duzen darf, während Siezen in erster Linie Respekt und Distanz bedeutet und man die unbekannten, älteren und unvertrauten Personen siezen muss. Außerdem muss man beim Duzen besonders auf die sozialen und beruflichen Hierarchien achten. Dabei lernen sie aber auch, dass man, wenn man sich länger kennt und vertrauter wird, auch den anderen anbieten kann, sich gegenseitig zu duzen. Für die chinesischen Deutschlerner ist der Gebrauch von Sie und Du in der Anfangsphase schon eine große Herausforderung, die einerseits in der richtigen Auswahl der Umgangsformen bei verschiedenen Kontaktsituationen begründet ist, und andererseits in den mit der Anrede zusammenhängenden wechselhaft konjugierten Verbformen. Denn es gibt zwar im Chinesischen auch die Respektform von Sie , aber diese wird bei der Kommunikation viel seltener und lockerer als im Deutschen verwendet und die Verben werden nicht mit Änderung der Anrede konjugiert. Für Chinesen, die sehr viel Wert auf zwischenmenschliche Beziehung legen, ist wachsende Vertrautheit sehr wichtig. Das Siezen ist für viele chinesische Deutschstudierende eine kommunikative Barriere, die für sie viel Aufwand bedeutet, damit sie sich beim Umgang mit den Deutschen nicht falsch verhalten. Diese Probandin deutet die Anrede, die der deutsche Lehrer benutzt, als Zeichen einer Unvertrautheit. Sie sieht sich außerstande, zu dem deutschen Lehrer eine normale, bessere Beziehung aufzubauen, weil dieser die Studenten nach längerer Zeit immer noch siezt. Deswegen werden er und die deutschen Menschen als distanziert angesehen und es wird sogar Antipathie hervorgerufen. Die Entstehung solcher interkulturellen Missverständnisse liegt an den mangelnden Kenntnissen der Studenten darüber, dass die Lehrer durch Siezen Respekt ihnen gegenüber ausdrücken wollen. Stattdessen wird dieses Verhalten als Distanzgefühl und sogar Gefühlsverletzung empfunden. Die chinesischen Deutschlehrer sollten im Deutschunterricht darauf eingehen und die Studenten informieren, um solche interkulturellen Missverständnisse zu vermeiden. 6.3.3 Zusammenfassung Die Probanden wurden in einem Interviewabschnitt gefragt, warum sie bestimmte Items ausgewählt hatten. Die Aussagen dazu verweisen auch auf die Informationsquellen, aus denen die Probanden ihr Wissen und ihre Überzeugungen schöpfen. Eine Analyse ergab 16 Kategorien von Informationsquellen, die kodiert wurden; die Codes wurden gezählt. <?page no="310"?> 6.3 Quellen zur Entwicklung der Überzeugungen und des Wissens 311 Aus der quantitativen Darstellung der Codes ist ersichtlich, dass die Quelle Allgemeiner Eindruck , die auf sozial geteilte Anteile der Stereotype hindeutet (vgl. Kap. 2.5.1 Öffentliche und private Anteile der Stereotype ), den größten Anteil mit etwa einem Viertel der gesamten Nennungen ausmacht und dadurch einen festen Bestandteil von Stereotypen der Probanden über die Deutschen bildet. Die zweitstärkste Quelle Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften ist für die meisten chinesischen Deutschstudierenden die einzige Quelle für Primärerfahrungen mit Deutschen. Daher spielen die deutschen Lehrer bei der Bildung der Stereotype der Studenten eine relevante Rolle. Als einzige Bezugspersonen werden sie als Repräsentanten aller Deutschen angesehen und die Eindrücke, die sie liefern, werden auf alle Deutschen übertragen. Aus den konkreten Aussagen in Bezug auf deutsche Lehrer geht hervor, dass dieser Erstkontakt mit Deutschen einen bleibenden Eindruck hinterlässt und die Stereotypenbildung nachhaltig beeinflusst. Das Verhalten, das Aussehen und die Art und Weise, wie die deutschen Lehrer im Unterricht sprechen und agieren, prägen das Deutschenbild der Studenten auch auf der Gefühlsebene. Das mehr oder weniger umfangreiche stereotype Vorwissen, das sie vor dem Studium erworben hatten, wird im Umgang mit den deutschen Lehrern überprüft. Teilweise wird es bestätigt, teilweise werden Widersprüche wahrgenommen, die ebenfalls auf die Stereotypenbildung und -veränderung einwirken. Probanden mit früherem Deutschlandaufenthalt verfügen über Primärerfahrungen, die dann zur wichtigsten Informationsquelle werden. Die Benennung stereotyper Eigenschaften wird zum überwiegenden Anteil mit eigenen Erfahrungen begründet. Das bestätigt andere Feststellungen, dass Primärerfahrungen den potenziell stärksten Einfluss auf das Länderbild ausüben (vgl. Violet 2016: 75). Geschichte und Krieg wurde als dritthäufigste Quelle genannt. Wie bereits in den vorherigen Kapiteln 5.3.2 Bewertungsrichtung und -intensität der Eigenschaften und 5.5.1.2 Einstellungsprofile von individuellen Probanden und Gruppen dargestellt, gibt es unterschiedliche geschichtsgeprägte Sichtweisen auf die Deutschen. Einmal wird die deutsche Geschichte eher statisch begriffen, dann erscheinen die Deutschen bis heute als Verursacher des Zweiten Weltkriegs. Die meisten Probanden wissen aber um das politische Selbstverständnis von Schuld und Sühne der Deutschen und sie sehen im Vordergrund eine Entwicklung zu einem modernen Deutschland. Bei den erstgenannten Probanden führt die resultierende Assoziation von „Herrenvolk, rassebewusst und fremdenfeindlich“ fast immer zu einem sehr schlechten Gesamturteil, das durch den Einfluss von Filmen über die Kriegszeit noch verstärkt werden kann. Auch Hahn (2017) weist darauf hin, dass historisch gewachsene Stereotype die aktuellen Wahrnehmungen teilweise sehr stark beeinflussen können (vgl. Hahn 2017: 151). So lässt sich auch hier durch die negative oder eher neutrale bis sogar positive Bewertung <?page no="311"?> 312 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie der diesbezüglichen Items genauer erkennen, wie dieses erlernte historische Wissen von den Studenten wahrgenommen wird und ob es sich positiv oder negativ auf die Wahrnehmung der heutigen Deutschen auswirkt. Die Kategorien zur Einordung der Informationsquellen können in die von Katz und Braly (1933) angenommenen Bestandteile der Stereotype, die sich aus einer privat-persönlichen Komponente und einer öffentlich-kulturellen Komponente zusammensetzen, eingeordnet werden (vgl. Abbildung 47). Abbildung 47: Darstellung der Bestandteile der Stereotype anhand der kodierten Interviewdaten Eine neue Erkenntnis ist, dass eigene Schlussfolgerungen auf der Basis der vorhandenen Stereotype gezogen werden, die wiederum Bestandteil der privaten Anteile, werden können. Diese Zusammenfassung beschreibt genauer, welche Quellen an der Gewichtung einzelner Komponenten des Stereotyps, an Bestätigungen, an der Entstehung von Widersprüchen und letztlich an der Veränderung beteiligt sind (vgl. Kap. 5.4.7 Zusammenfassung Jahrgangsmodell und Kap. 5.5.5 Zusammenfassung kohärente Gruppen ). 6.4 Bewertung der Stereotype Mit der Inhaltsanalyse der Interviewaussagen können Szenarien für ganz unterschiedliche Bewertungen, Bewertungsrichtungen und Bewertungsintensitäten gleicher Stereotype herausgearbeitet werden. Die Analyse ergab zehn Kategorien von Hauptargumenten, die kodiert wurden; die Codes wurden gezählt. <?page no="312"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 313 Die so erhaltenen quantitativen Ergebnisse verdeutlichen, warum ein und dieselbe Eigenschaft ganz unterschiedlich bewertet werden kann. Dies erklärt wiederum sehr gut die Streuung der Bewertungen eines jeden Items der Eigenschaftsliste, unabhängig davon, wie die Probanden gruppiert werden. Die Ergebnisse stützen auch die Hypothesen der vorliegenden Arbeit, dass bei der Bewertung der Items die Dimension Erwartung ( Belief ) und die Dimension Wert ( Evaluation ) durch Probanden bei geeigneter Aufgabenstellung, „wie sie diese Eigenschaft bei den Deutschen finden“, aktiviert und bestmöglich implizit zu einem einzigen Wert kombiniert werden (siehe Hypothese 2 in Kapitel. 3.3.6 Die Bedeutung der Aufgabenstellung für den gewählten Modellansatz ). In diesem Abschnitt werden zunächst die Haupt- und Nebenargumente der Bewertungen in kodierter Form dargestellt. Der modifizierte Modellansatz wird durch den Vergleich der Anteile von Codes in Bezug auf Erwartung und Wert diskutiert. 6.4.1 Kategorisierung der Interviewaussagen zur Bewertung von Items Mit den Probanden wurden die Gründe besprochen, die zur Bewertung einer Eigenschaft geführt hatten. Die Bewertung selbst war aus dem Fragebogen bekannt, sodass gezielt danach gefragt werden konnte. Dabei wurde ein Schwerpunkt auf die abgestuften Bewertungen bei den positiv bewerteten Items und auf die aufgewerteten Bewertungen bei den negativ bewerteten Items gelegt. Die Aussagen zu den Bewertungen wurden kodiert und den Kategorien zugeordnet. Tabelle 63 stellt das Regelwerk für die Kodierung von allen 214 Aussagen zur Begründung der Bewertungen von 61 Items dar. <?page no="313"?> 314 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Kategorien Codenummer Codes B.1 Erwartung hoch B.1.1 trifft auf die meisten zu B.1.2 sehr sicher B.2 Erwartung niedrig B.2.1 trifft nicht auf alle zu B.2.2 nicht ganz sicher B.3 Eigenschaft zu viel wird weniger gut B.3.1 führt zur Inflexibilität und ist zu starr B.3.2 gibt den anderen Druck B.3.3 schädigt die Gesundheit B.3.4 behindert den Umgang mit anderen B.3.5 fehlende Annehmlichkeit im Leben B.3.6 führt zum Extrem B.3.7 fehlende Innovationsfähigkeit B.3.8 Bedrohung für andere B.3.9 führt zur Fremdfeindlichkeit B.3.10 sieht langweilig aus B.4 Mit Herleitung und Begründung (weil, deshalb) B.4.1 Vergleich mit anderen Items mehr oder weniger positiv B.4.2 Items vermitteln ein kaltherziges, arrogantes Gefühl B.4.3 Vergleich mit dem Selbstbild besser oder schlechter B.4.4 eigene Präferenzen als Maßstab B.4.5 Items vermitteln ein gutherziges Gefühl B.4.6 Aufwertung durch positive Erfahrungen B.4.7 fehlende Lebenslust B.4.8 Krieg provoziert B.4.9 hat viele Vorteile B.4.10 keine Bedeutung, interessiert mich nicht B.4.11 unerwünschte Kritik an China <?page no="314"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 315 Regelwerk Die Probanden begründen eine gute Bewertung damit, dass diese Eigenschaft auf die meisten Deutschen zutrifft. Die Probanden begründen eine gute Bewertung damit, dass sie sich sicher sind, dass diese Eigenschaft auf die meisten Deutschen zutrifft. Die Probanden begründen eine abgestufte Bewertung damit, dass diese Eigenschaft nicht auf alle Deutschen zutrifft; dass sie diese Eigenschaft bei den Deutschen nicht besonders wahrgenommen haben. Meistens konnten sie noch Gegenbeispiele nennen. Die Probanden begründen eine abgestufte Bewertung damit, dass sie sich nicht sicher sind, ob diese Eigenschaft auf die meisten Deutschen zutrifft. Die Probanden geben am Anfang an, dass diese Eigenschaft bei den Deutschen zu viel ist. Formulierungsbeispiele für „Eigenschaft zu viel“ sind: „Sie sind zu …“; „Das ist übertrieben.“ Dabei begründen sie mit konkreten Aussagen, die hier als Codes gefasst wurden, warum sie diese Eigenschaft in Bezug auf die Deutschen weniger gut finden. Anmerkung: Aus den Aussagen wird ersichtlich, dass die Erwartung und Sicherheit, dass das Item zutrifft, hoch ist, und dass die Abwertung eher von dem Wert abhängt. Diese Kategorie wird somit als eine indirekte Äußerung zu einer hohen Erwartung und einem niedrigeren Wert interpretiert. Verschiedene von den Probanden angegebene Argumente, warum sie ein Item so bewerten, die sich aus eigener Herleitung oder eigener Meinung ergeben, werden dieser Kategorie zugeordnet. <?page no="315"?> 316 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie B.5 Es gibt Vor- und Nachteile B.5 Es gibt Vor- und Nachteile B.6 Neutral, nicht gut, nicht schlecht B.6 neutral, nicht gut, nicht schlecht B.7 Sehr gute Eigenschaft B.7 sehr gute Eigenschaft ohne Begründung B.8 Sehr schlechte Eigenschaft B.8 sehr schlechte Eigenschaft ohne Begründung B.9 Relativ gute Eigenschaft B.9 relativ gute Eigenschaft ohne Begründung B.10 Relativ schlechte Eigenschaft B.10 relativ schlechte Eigenschaft ohne Begründung Tabelle 63: Regelwerk für die Kategorisierung der Aussagen zu Begründungen der Bewertung Es wurden 31 Codes zu den 214 Aussagen vergeben, die nach dem Hauptargument der Probanden zehn Kategorien zugeordnet wurden. Die zehn übergeordneten Kategorien beschreiben die zusammengefassten Begründungen für die Bewertungen der Items. Einige Bezeichnungen der Codes werden auf deren übergeordnete Kategorie übertragen, wenn es darunter keine weiteren Nebenargumente gab, die kodiert werden konnten. Den Aussagen konnte zum Teil ein einzelner Code zugewiesen werden; wenn mehrere Begründungen zusammenhängend genannt wurden, wurden Codekombinationen vergeben. Eine Übersicht über die Anzahl und den Anteil der vergebenen einzelnen Codes, zusammengefasst in Kategorien, zeigt Tabelle 64. Insgesamt gab es 280 Nennungen zu zehn Kategorien. <?page no="316"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 317 Die Probanden nennen Vor- und Nachteile einer Eigenschaft und begründen damit, warum sie diese Eigenschaft abwerten. Die Probanden geben an, dass diese Eigenschaft neutral ist. Formulierungsbeispiele dafür sind: „neutrale Eigenschaft“; „Das ist nicht gut, aber auch nicht schlecht“. Die Probanden geben an, dass sie diese Eigenschaft sehr gut finden, ohne weitere Begründungen zu nennen, oder bestätigen, dass diese Eigenschaft sehr positiv ist. Die Probanden geben an, dass sie diese Eigenschaft sehr schlecht finden, ohne weitere Begründungen zu nennen, oder bestätigen, dass diese Eigenschaft sehr negativ ist. Die Probanden geben an, dass diese Eigenschaft nur relativ gut ist oder nicht eine Top-Eigenschaft ist, ohne weitere Begründungen zu nennen. Die Probanden geben an, dass diese Eigenschaft nur relativ schlecht ist, ohne weitere Begründungen zu nennen. Kategorienummer Kategorien Anzahl Anteil % B.4 Mit Herleitung und Begründung (weil, deshalb) 60 21,43 B.2 Erwartung niedrig 46 16,43 B.3 Eigenschaft zu viel wird weniger gut 38 13,57 B.7 Sehr gute Eigenschaft 36 12,86 B.5 Es gibt Vor- und Nachteile 29 10,36 B.1 Erwartung hoch 24 8,57 B.6 Neutral, nicht gut, nicht schlecht 21 7,50 B.9 Relativ gute Eigenschaft 10 3,57 B.10 Relativ schlechte Eigenschaft 9 3,21 B.8 Sehr schlechte Eigenschaft 7 2,50 Nennungen gesamt 280 100,00 Tabelle 64: Anzahl und Anteil der Nennungen von Kategorien der Bewertungen zu den in den Interviews abgefragten Items <?page no="317"?> 318 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Die Kategorien B.1 Erwartung hoch und B.2 Erwartung niedrig beziehen sich eindeutig auf die Dimension Erwartung , ob eine Eigenschaft auf alle oder zumindest die meisten Deutschen zutrifft. Ihre Äußerungen zählen zur Hauptkategorie Äußerungen zur Erwartung (vgl. Tabelle 65). Die Kategorien B.1 Erwartung hoch und B.2 Erwartung niedrig sind in den Aussagen von allen 16 Probanden zu finden, alle Probanden beziehen diese Dimension also prinzipiell in ihre Bewertungen mit ein. Die Aussagen der Kategorie B.3 Eigenschaft zu viel wird weniger gut werden als Äußerungen zu den beiden Dimensionen Erwartung und Wert interpretiert, weil die Probanden mit ihrer Aussage, dass eine Eigenschaft bei den Deutschen zu viel und übertrieben erscheint, zum Ausdruck bringen, dass sie erwarten, dass diese Eigenschaft graduell auch mehr oder weniger auf die Deutschen zutrifft. Daher kann man davon ausgehen, dass bei der Abwertung einer solchen Eigenschaft ihre Erwartung bereits berücksichtigt wurde (Beispiele aus Interviewaussagen dazu siehe Kap. 6.4.4 Bewertung der Dimension Erwartung und Wert ). Ihre Äußerungen zählen zur Hauptkategorie Äußerungen zu Erwartung und Wert (vgl. Tabelle 65). Codekombinationen, die nicht die Kategoriennummer B.1, B.2 und B.3 enthalten, zählen zu der dritten Hauptkategorie Äußerungen zum Wert (vgl. Tabelle 65). Die Summe in Tabelle 65 ergibt 214 verschiedene Aussagen der Probanden zu insgesamt 61 Items. Zu einigen Items gibt es mehrere Aussagen, wenn dasselbe Item mit mehreren Probanden besprochen wurde. In Tabelle 64 werden 280 Nennungen zu zehn Kategorien gezählt, weil einige der 214 Aussagen mit mehreren Codes beschrieben wurden. Tabelle 65 zeigt, dass es bei etwa 50 % der Erklärungen zur Bewertung um den Wert der Items geht, nämlich, warum eine Eigenschaft in Bezug auf die Deutschen als gut oder schlecht empfunden wird. Bei etwa der anderen Hälfte aller Aussagen geht es ausschließlich um die Erwartung oder die Erwartung wird in die Äußerung, wie wahrscheinlich eine Eigenschaft auf die meisten Deutschen zutrifft, miteinbezogen. <?page no="318"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 319 Hauptkategorien Anzahl Anteil % Anmerkung Äußerungen zur Erwartung 36 16,82 Erklärung bezieht sich auf Erwartung: Wie die Bewertung durch Erwartung angepasst wird. Äußerungen zu Erwartung und Wert direkte Aussagen: 34 indirekte Aussagen: 36 32,71 Erklärung bezieht sich auf Erwartung und Wert: Wie die Bewertung durch Erwartung und Wert angepasst wird. Äußerungen zum Wert 108 50,47 Erklärung bezieht sich auf Wert: Wie die Bewertung durch Wert angepasst wird. Gesamte Aussagen 214 100 Tabelle 65: Anzahl der Aussagen, jeweils zu einem Item, in drei Hauptkategorien Die Anteile von nahezu 50: 50 zeigen (vgl. auch Abbildung 48: Erwartungs- und Wertanteile aus kodierten Interviewaussagen zur Bewertung der Items ), dass bei der Umsetzung der Aufgabe Eigenschaften zu bewerten, die vergebene Bewertung aus einer Reaktion ( Response ) besteht, welche die Dimensionen Erwartung und Wert miteinbezieht. Dies geschieht aber nicht einseitig verzerrt in Richtung Erwartung , wie Fishbein und Ajzen es für die meisten Fälle einer Single-Response vermuten, sondern eher ausgeglichen (vgl. Kap. 3.3.7 Single-Response-Messungen ). Ein wichtiges Element zur „Aktivierung“ beider Dimensionen ist dabei die Aufgabenstellung (vgl. Kap. 3.3.6 Die Bedeutung der Aufgabenstellung für den gewählten Modellansatz ). Die Interviewanalysen deuten darauf hin, dass die Probanden bei der Umsetzung der Aufgabe dann eine Eigenschaft mit einem einzigen Wert auf der Skala von -3 bis +3 bewerten können, also implizit sowohl die Dimension Erwartung ( B ) als auch die Dimension Wert ( a ) in eine Single-Response miteinbeziehen können. Die Einstellung nach Fishbein (1963) kann dann mit dem angepassten Erwartung-mal-Wert-Modellansatz A (0) = f(B, a) tatsächlich beschrieben werden. Die genannte Funktion A (0) = f(B, a) ist natürlich nur eine Modellfunktion, ihre Parameter B und a sind nur Modellparameter eines Prozesses im Sinne einer „kognitiven Algebra“ ( Jonas et al. 2014: 69). Denn „Modelle erfassen nicht alle Attribute des durch sie repräsentierten Originals (Verkürzungsmerkmal), sondern nutzen nur solche, die den jeweiligen Modellerschaffern und/ oder Modellbenutzern relevant erscheinen“ (Stachowiak 1973: 132) (vgl. Kap. 3.1 Definitionen ). Hier geht es deshalb nur um die Erfassung der Dimensionen Erwartung <?page no="319"?> 320 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie und Wert bei der Bewertung einer Eigenschaft eines Einstellungsobjektes, um damit die Einstellung nach Fishbein (1963) zu messen. Aber auch unter der Prämisse, dass das hier definierte Modell A (0) = f(B, a) den tatsächlichen, aber unbekannten, Bewertungsprozess nur teilweise abbilden kann, kann man es anwenden. Danach bedeutet eine Bewertung mit 0, dass diese Eigenschaft entweder als sehr unwahrscheinlich angesehen wird (= Erwartung ) oder als neutral, im Einzelfall auch als unwichtig oder uninteressant (= Wert ) betrachtet wird. Eine Bewertung mit dem Maximalwert +3 bedeutet dann immer, dass die Eigenschaft sehr positiv (= Wert ) gesehen wird und eine Wahrscheinlichkeit von 100 % angenommen wird, dass diese Eigenschaft auf die Deutschen zutrifft (= Erwartung ). Eine kollektive Durchschnittsbewertung von +2,59 z. B. vom Item zuverlässig wird damit so interpretiert, dass die mit der Bewertung zugeordnete Wahrscheinlichkeit bei 2,59/ 3 = 86 % liegt. Nicht ausgeschlossen werden mögliche Einzelfälle, bei denen diese für Chinesen äußerst positive Eigenschaft dennoch mit einem abgestuften Wert, z. B. +2, und einer Wahrscheinlichkeit von 100 % berechnet wurde. Die Standardabweichung von 0,69 für die Bewertung von zuverlässig wird dann für diese, wie gesagt, äußerst positive Eigenschaft hauptsächlich als Variabilität in der Erwartung interpretiert. Analoge Überlegungen können für jedes bewertete Item der Eigenschaftsliste durchgeführt werden, wobei die insbesondere vom Geschichtsverständnis der Probanden stereotypgeprägte, unterschiedliche Wahrnehmung vor allem der ambivalenten Eigenschaften berücksichtigt werden muss (vgl. Kap. 5.3.2 Bewertungsrichtung und -intensität der Eigenschaften und Kap. 6.3.1 Kategorisierung der Interviewaussagen zu Informationsquellen ). Abbildung 48: Erwartungs- und Wertanteile aus kodierten Interviewaussagen zur Bewertung der Items <?page no="320"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 321 In den folgenden Abschnitten werden exemplarische Interviewzitate in Bezug auf die jeweilige Dimension der Bewertung, d. h. auf die Dimension Erwartung und die Dimension Wert , zusammengestellt und erläutert. 6.4.2 Bewertung der Dimension Erwartung Aussagen der Probanden, dass sie sich nicht sicher sind, inwieweit eine Eigenschaft auf die Deutschen zutrifft, oder, dass sie glauben, dass eine Eigenschaft auf die meisten Deutschen nicht zutrifft, können in die Kategorie Erwartung niedrig eingeordnet werden. Die niedrige Erwartung der Probanden kann, je nach Erwartungsgrad, unterschiedlich stark auf die Bewertung der Items wirken, z. B. kann eine positive Eigenschaft abgewertet und eine negative Eigenschaft hingegen aufgewertet werden. Eine niedrige Erwartung zieht die Bewertung der Items in Richtung des neutralen Nullpunktes auf der Bewertungsskala. Durch eine hohe Erwartung hingegen würde eine positive Eigenschaft eher noch positiver und eine negative eher noch negativer bewertet werden. Eine hohe Erwartung schiebt die Bewertung der Items in Richtung der Pole der Bewertungsskala. Daraus ergeben sich vier Bewertungsrichtungen mit ihren unterschiedlichen Intensitäten, die in Abbildung 49 dargestellt werden. Abbildung 49: Bewertungsrichtung und -intensität der positiven und negativen Items aufgrund eines unterschiedlichen Erwartungsgrades Im Folgenden werden für diese Fälle einige exemplarische Interviewaussagen zitiert und interpretiert: <?page no="321"?> 322 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie positive Items: Erwartung niedrig↓ = Bewertung niedriger↓ Interviewzitate 1. Block: Kommentar: Die Probanden sind davon überzeugt, dass das Item nicht auf alle Deutschen zutrifft, positive Items werden abgewertet bis zur Null. Item: pünktlich, Bewertung +2 (Code B.2.1) 86 [ 给 2 分是为什么打了一点折 ? ] 守时的这个真的不一定 , 因为外教有时候上 课都会卡着铃声来 , 或者晚一点点 , 因为我从接触当中没有特别体会到这 一点 , 所以才给 2 分 , (…) 还有一个原因是以前老师有说过德国的地铁火车 站也不一定是每次都那么那么准时 , 大家也不要就是一直有这样一个想法 . (3-2_87, AZ3, 17: 45) [Warum hast du eine zwei gegeben und die Bewertung abgestuft? ] Die Deutschen sind wirklich nicht unbedingt sehr pünktlich. Unsere deutschen Lehrer kommen oft beim Klingeln oder noch später zum Unterricht. Durch den Kontakt mit den deutschen Lehrern habe ich diese Eigenschaft bei ihnen nicht besonders festgestellt. Deshalb habe ich eine zwei gegeben. (…) Es gibt noch einen Grund. Unsere chinesischen Lehrer haben früher auch erzählt, dass die deutsche Bahn nicht immer so pünktlich ist und wir sollen nicht immer so denken, dass sie sehr pünktlich sind. Item: pünktlich, Bewertung +2 (Code B.2.1) [ 给 2 分是为什么 ? ] 我们的外教有迟到啊 , Thomas 87 昨天上课迟到了 5 分钟 啊 . [ 哈哈 , 就是你觉得他们也不是完全守时的吗 ? ] 对 , 年轻人我觉得这方面 体现得不太好 , 包括我接触的那些人 , 我觉得上了年纪的人普遍更守时 , 年轻 人这方面可能做得没有以前老一辈人做得那么好 . [ 你是觉得守时的没有以 前那么典型了吗 ? ] 对 ! [ 所以打了个折哈 ? ] 嗯 . (3-1_17, AZ7, 15: 06) [Warum hast du zwei Punkte gegeben? ] Unsere deutschen Lehrer kommen auch zu spät. Thomas kam gestern 5 Minuten zu spät zum Unterricht. ((lachend)). [Haha, das heißt, du findest, sie sind nicht immer pünktlich? ] Ja, richtig. Ich finde, unter den Deutschen, mit denen ich Kontakte habe, sind die jungen Menschen nicht so pünktlich wie die älteren. 86 Zu jeder Aussage wird die zugeschriebene Codenummer oder die Nummer der Codekombinationen angegeben. 87 Der Name der in den Interviews genannten deutschen Lehrer wurde aus Datenschutzgründen geändert. <?page no="322"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 323 Die ältere Generation hält sich besser daran. Die jüngeren machen das nicht so gut wie die älteren früher. [Meinst du, dass Pünktlichkeit bei den jüngeren nicht mehr so typisch wie bei den älteren ist? ] Ja, ganz genau! [Deshalb hast du die Bewertung abgestuft? ] Ja. Item: pünktlich, Bewertung +2 (Code B.2.1) 因为以前脑海里面一直有这个概念 , 什么时候有的也不是很清楚 , 一直感觉 德国人很守时 , 但是老师后来说其实也不一定那么守时 , 也是就那样吧 , 很 多人也还是会迟到 , [ 然后你给的是 2 分 ] 对 , 因为不是所有的人也不是那么 多人都是守时的 . [ 哦 , 你是觉得守时不满足于所有的人 ? ] 对 . [ 但是守时的就 这个特点的话你觉得算是一个好的优点吗 ? ] 对对对 . (…), 我觉得守时一直 是积极的 . (2-3_6, AZ4, 16: 27) Ich habe schon immer so einen Eindruck in meinem Kopf. Seit wann ich diesen Eindruck habe, weiß ich auch nicht mehr genau. Ich habe immer so ein Gefühl, dass die Deutschen sehr pünktlich sind. Aber später haben uns unsere chinesischen Lehrer erzählt, dass die Deutschen nicht so pünktlich sind wie wir gedacht haben, viele würden auch zu spät kommen. [Du hast eine +2 gegeben.] Ja, weil nicht alle Deutschen, nicht so viele Deutsche pünktlich sind. [Denkst du, dass diese Eigenschaft nicht auf alle zutrifft? ] Ja, genau. [Aber diese Eigenschaft allein, findest du sie positiv? ] Ja, richtig. (…), ich finde, pünktlich ist immer eine sehr positive Eigenschaft. Item: pünktlich, Bewertung 0 (Code B.2.1) [ 守时的你给的 0 分 ] 没有特别感觉他们很守时 , 因为外教 , 没有特别感觉到 他们很守时 , 但是又听说德国人很守时 , 然后综合了一下打的是 0 分 . (…) 其 实是因为听说他们很守时 . (…) [ 那你觉得守时这个性格特点是属于比较好 的还是不好的 ? ] 还是好的 . [ 就这个词来说 , 如果你知道德国人都很守时的 , 见到很多都是很守时的来打个分的话偏向于几分 ? 就是如果你比较确定德 国人是很守时的然后你再打个分的话 , 这个性格好的程度 0 到 3? ] 那应该是 3 吧 . [ 但是因为你看到外教不是很守时就打了个折吗 ? ] 呵呵 , 对 . (2-1_82, AZ2, 20: 02) [Pünktlich hast du mit 0 bewertet, warum? ] Ich habe nicht besonders wahrgenommen, dass sie pünktlich sind. Wegen der deutschen Lehrer, ich finde nicht, dass sie besonders pünktlich sind. Aber ich habe wiederum gehört, dass die Deutschen sehr pünktlich sind. Deshalb habe ich gewichtet und eine 0 gegeben. (…) Eigentlich nur weil ich das gehört habe. [Findest du diese Eigenschaft für sich alleine eher positiv oder eher negativ? ] Positiv. [Wenn du bei vielen Deutschen gesehen hättest, dass sie pünktlich wären, welchen Punkt von 0 bis +3 würdest du geben? Ich meine, wie gut ist diese Eigenschaft bei den Deutschen, wenn du sicher bist, dass das zutrifft? ] Dann würde ich eine +3 geben. <?page no="323"?> 324 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie [Nur weil du siehst, dass die deutschen Lehrer nicht so pünktlich sind, hast du die Bewertung abgestuft? ] Genau ((lachend)). Item: attraktive Männer, Bewertung +1 (Code B.2.1) 我觉得有魅力当时想到的是德国的那些男模特 , 我看那些电视剧哈就觉得帅 的人不多 , 有时候看网上发的那些德国男模特的照片 , 就感觉他们特别帅吧 而且感觉他们很有礼貌 , 但是一到中年他们德国人就变胖呀 , 就感觉就不是 那么的有魅力吧 . 通过我们学校这几个男外教来看感觉可能也没有那么 , 我 这一分可能就是给 Thomas 外教的吧 . 其他的好像就不是那么有魅力 . [ 你这 个 1 分是指的是有魅力的程度还是有魅力的人数 ? ] 对 , 有魅力的人数可能就 比较少 , [ 但是就是说还是有 ? ] 对 , 还是有 . [ 那你觉得德国男人有魅力这个 特点你觉得是好还是不好 ? ] 我觉得是好的 , 有魅力在我看来一个是外形上 有魅力 , 二是性格上品行上有魅力 . [ 如果 0-3 分让你评价好坏的话 , 你会给多 少分 ? 就是这个性格在德国人身上 , 你觉得是好的还是不好的 , 就是如果德 国大部分男人都是有魅力的男人 , 你会给几分 ? ] 嗯 0 到 3, 2 分吧可能 , 因为 2 分就是给在他们年轻的时候 , 外形上可能还是比较好看的 , 还有包括他们就 是真的很有教养啊感觉也很尊重女性这种 , 1 分是他们到了老了也会变得很 固执 , 教养啊 , 逻辑会变得有些固执 , 外形相对来说也比较没有那么好了 . (3- 4_58, F2, 32: 37) Ich finde sie attraktiv, weil ich damals an die deutschen männlichen Models gedacht habe. In den deutschen Serien habe ich wenig hübsche Männer gesehen, nur im Internet sehe ich manchmal Bilder von Models und finde sie sehr hübsch und auch sehr höflich. Aber wenn die deutschen Männer älter (mittelalt) werden, werden sie dick, dann sind sie nicht mehr so attraktiv. Die deutschen Lehrer in unserer Uni sind meiner Meinung nach nicht so besonders attraktiv. Diesen einen Punkt habe ich wahrscheinlich unserem deutschen Lehrer Thomas gegeben. Die anderen Deutschen sind quasi nicht so attraktiv. [Bedeutet deine Bewertung +1 den Grad der Attraktivität der deutschen Männer oder die Anzahl der attraktiven deutschen Männer? ] Ja, die Anzahl ist wahrscheinlich ziemlich klein. [Aber gibt es doch welche? ] Ja, es gibt welche. [Aber findest du das gut oder schlecht, wenn die deutschen Männer Attraktivität als Eigenschaft haben? ] Ich finde diese Eigenschaft gut. Ich finde, Attraktivität ist erstens das Aussehen, zweitens auch der Charakter. [Wenn du mit einer Skala von 0 bis +3 bewertest, wie gut diese Eigenschaft ist, welchen Punkt würdest du geben? Ich meine, wenn die meisten deutschen Männer attraktiv wären, findest du das bei ihnen gut oder nicht so gut? ] Mhm, 0 bis +3, dann würde ich wahrscheinlich eine +2 geben. Weil ich mit dieser Vergabe von +2 ihre jungen Jahre bewerte. Da sahen sie äußerlich noch hübsch aus, außerdem sind sie wirklich sehr kultiviert und respektieren <?page no="324"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 325 Frauen. Ich gebe einen Punkt weniger, denn wenn sie alt sind, werden sie sehr eigensinnig, stur, nicht mehr so kultiviert, außerdem wird das Aussehen vergleichsweise nicht mehr so schön. Item: attraktive Männer, Bewertung +1 (Code B.2.1) 都说德国男人长得比较帅 , 我觉得也不是绝大部分都帅 , 可能偏多数 , 而且 很多是感觉一开始被植入了这个概念 , 带着这个想法去看就会自动美化的感 觉 . 比如之前看到外教就觉得好帅 , 然后系里的照片我朋友看了之后就说也 还好啊 , 德国人中也不算最帅的那种 , 后来我想想好像确实也是这样的 , 觉得 也还好 , 再加上有一些性格特征也不算特别有魅力 , 有些过度的性格 , 就给了 1 分 . (2-3_6, F7, 24: 18) Alle sagen, dass die deutschen Männer hübsch sind. Ich bin der Meinung, dass nicht alle deutschen Männer hübsch sind, vielleicht nur etwas mehr als die Hälfte. Ich empfinde, dass mir diese Meinung am Anfang schon in meinen Kopf eingepflanzt wurde. Wenn ich mit diesen Gedanken die deutschen Männer sehe, werden sie automatisch verschönert, z. B. fand ich früher einen unserer deutschen Lehrer sehr hübsch. Ich habe meiner Freundin das Bild von dem Lehrer gezeigt und sie fand ihn normal, nicht besonders hübsch unter den deutschen Männern. Danach habe ich darüber nachgedacht, dann fand ich ihn wirklich nicht so hübsch wie ich mir vorher eingebildet habe. Außerdem haben die Deutschen manche übertriebenen Charaktereigenschaften, die nicht so attraktiv sind. Deshalb habe ich diese Eigenschaft mit +1 bewertet. Item: musikalisch, Bewertung +1 (Code B.2.1) 因为我们老师也提到过 , 确实有这种感觉 , 当时的德国的音乐登峰造极的感 觉 , 但是现在音乐都感觉一直不温不火的 , 都没有特别好听的 , 难得听到几 首感觉还可以的 , 还不一定是德国人唱的 , 只是唱的是德语的歌而已 , 德语 的歌把词唱出来之后有时候也不是那么好听 , 然后就选了 1 分 . (2-3_6, AS2, 25: 59) Unsere chinesischen Lehrer haben auch erzählt und ich habe wirklich das Gefühl, dass die deutsche Musik früher den Höhepunkt erreicht hatte, aber in heutiger Zeit ist die deutsche Musik nicht besonders bekannt. Es gibt keine besonders schönen Lieder mehr. Das ist schwer, ein paar schöne deutsche Lieder zu finden, manchmal werden diese sogar von nicht-deutschen Sängern gesungen. Die Lieder mit deutschen Texten hören sich nicht so schön an. Deshalb habe ich +1 gegeben. Item: humorvoll, Bewertung +2 (Code B.2.1) 接触的这几个德国人都还挺幽默的 , 但是在人们口中说的都是那种很刻板 , [ 但是你觉得你接触到的不是这样的 ? ] 对 , 我接触到的不是这样的 . (…), 因为 <?page no="325"?> 326 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie 大多数人觉得他们不幽默呀 , 我一个人这样觉得 , 所以就降了 1 分 . (2-1_62, AC2, 11: 51) Die Deutschen, die ich kenne, sind humorvoll. Aber man sagt immer, die Deutschen sind starr. [Aber meinst du, dass die Deutschen, die du kennst, nicht so sind? ] Genau, die Deutschen, die ich kenne, sind nicht so. (…). Weil die meisten Menschen die Deutschen nicht humorvoll finden und nur ich der Meinung bin, habe ich einen Punkt weniger gegeben. Interviewzitate 2. Block: Kommentar: Die Probanden sind sich nicht sicher, ob das Item auf die meisten Deutschen zutrifft, positive Items werden abgewertet bis zur Skalen-Null. Item: attraktive Männer, Bewertung 0 (Code B.2.2) [ 有魅力的男人你给的是 0 分 ] 啊 , 我给的 0 分吗 ? 我也不知道为什么我给 0 分 , 哈哈 . 不肯定应该是不肯定 , 因为我也不知道 . [ 哦 , 所以就给的 0 分 , 就是里 面有一些词还是有一部分你不太确定德国人是不是这样子的 ? ] 嗯 . [ 像这种 你不太确定的是不是你打的分就稍微谨慎一点 ? ] 嗯 , 可能就会打得比较中 立一点 . [ 那肯定的就一般就会偏向两极一点 ? ] 对对对 . (1-4_92, F3, 23: 32) [Du hast attraktive Männer mit 0 bewertet? ] Aaaahhh (erstaunt), habe ich eine Null gegeben? Ich weiß auch nicht mehr warum ich eine Null gegeben habe ((lachend)). Nicht sicher, ich war bestimmt nicht sicher. Weil ich auch nicht genau weiß, ob das stimmt. [Ach so, deshalb hast du eine Null gegeben. Das heißt, es gibt unter den von dir angekreuzten Items welche, bei denen du nicht sicher bist, ob diese Eigenschaften wirklich auf die Deutschen zutreffen? ] Ja, genau. [Wenn du nicht sicher bist, hast du sie dann etwas vorsichtiger bewertet? ] Ja, dann habe ich wahrscheinlich eher eine neutrale Bewertung gegeben. [Bei den Items, wo du sicher bist, dass sie zutreffen, tendiert die Bewertung dann eher zu den beiden Polen auf der Skala? ] Ja, genau, richtig. Item: zuverlässig, Bewertung 0 (Code B.2.2) [ 可信赖的你给的 0 分 , 是表示 ? ] 因为我没有深入接触过 , 但是他们给我的印 象是可以信赖的 , 对他们的印象是正面的 , 所以觉得他们可信赖 , 但是我没 有正面深入接触过 , 所以我不能就是说完全可以信赖的 , 犹豫不决 , 但是觉 得应该可行 . [ 但你觉得可信赖的算是一个优点是吧 ? ] 对 . (3-3_101, BW2, 16: 35) [Du hast zuverlässig mit 0 bewertet, warum? ] Weil ich keine direkten tieferen Kontakte mit Deutschen habe. Aber die Deutschen vermitteln mir so einen Eindruck, dass ich ihnen vertrauen kann. Ich habe einen positiven Eindruck von ihnen. Aber ich habe keine direkten <?page no="326"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 327 tieferen Kontakte mit Deutschen, deshalb kann ich nicht einfach sagen, dass sie vollkommen zuverlässig sind. Ich war mir unschlüssig, aber ich denke, zuverlässig trifft auf die Deutschen vielleicht schon zu. [Aber meinst du, dass diese Eigenschaft zu einer vorteilhaften Charaktereigenschaft zählt? ] Ja, richtig. Interviewzitate 3. Block: Kommentar: Aufgrund sicherer niedriger Erwartung der Probanden, erworben durch eigene Erfahrungen, dass das Item nicht auf die meisten Deutschen zutrifft, wird das Item nicht mehr angekreuzt. Item: pünktlich, nicht angekreuzt 老师一般给我们讲的德国人就是准时的 , (…) [ 但准时的你没有选 , 是你觉得 他们也不准时吗 ? ] 对 , 他们上课也会迟到 , 我大一的时候还以为他们总是会 那么准时 , 100 % 就不会迟到的 , 但是有时候等了几分钟也还没有来的时候就 算他们就迟到一次我也觉得原来德国人不是那么准时的 , 所以可能当时就没 选这个 . (3-4_58, AZ6, 24: 55) Unsere chinesischen Lehrer sagen uns oft, dass die Deutschen sehr pünktlich sind. [Aber du hast pünktlich nicht angekreuzt, ist das, weil du sie nicht so pünktlich findest? ] Ja, genau. Als mein Studium gerade anfing, dachte ich, dass die Deutschen immer zu 100 % pünktlich sind und nie zu spät kommen. Aber nachdem unsere deutschen Lehrer manchmal ein paar Minuten nach dem Klingeln noch nicht zum Unterricht gekommen waren, auch wenn das nur manchmal passierte, denke ich jetzt, dass sie eigentlich gar nicht so pünktlich sind. Damals habe ich wahrscheinlich deswegen diese Eigenschaft nicht angekreuzt. Item: distanziert, nicht angekreuzt 以前没去德国之前大致觉得德国人整体应该是有距离感的 , 去了德国之后觉 得他们虽然感觉比较严谨内敛 , 但是对人还是挺友好的 , 你问他们什么问题 他们都会热心的帮你解答 , 去了之后还有一点改观 , (…), 跟预想的不太一样 . (4-2_37, J5, 8: 53) Bevor ich nach Deutschland fuhr, dachte ich, dass die Deutschen insgesamt distanziert sind. Aber als ich in Deutschland war, waren die Menschen dort ziemlich freundlich, auch wenn sie ernsthaft und zurückhaltend sind. Wenn du sie was fragst, werden sie warmherzig antworten. Der Deutschlandaufenthalt hat meine Meinung geändert, (…) anders als ich erwartet habe. <?page no="327"?> 328 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie negative Items: Erwartung niedrig↓ = Bewertung weniger negativ↑ Kommentar: Die Probanden sind davon überzeugt, dass ein negatives Item nicht auf alle Deutschen zutrifft, negative Items werden nicht mehr so negativ bewertet und können bis zur neutralen Null aufgewertet werden. Interviewzitat: Item: militaristisch, Bewertung 0 (Code B.2.1) [ 你选了军国主义的 , 给的是 0 分 , 军国主义是来源于 ? ] 二战 , 感觉现在好像 没有那么那么那个了 , 所以就选了 0 分 , [ 就是说以前肯定觉得不太好 , 但是 现在也没有什么 ? ] 就是现在感觉他们没有那么军国主义了 , 但是他们存在 过 . [ 所以你综合了一下给了 0 分 ? ] 嗯 . (2-3_6, AQ2, 23: 52) [Du hast militaristisch angekreuzt und es mit 0 bewertet. Woher kommt dieser Eindruck? ] Wegen des Zweiten Weltkriegs. Ich habe das Gefühl, dass sie jetzt wahrscheinlich nicht mehr soooo militaristisch sind. Deshalb habe ich mit 0 bewertet. [Das heißt, du findest es schlecht, dass sie in der damaligen Zeit militaristisch waren, aber jetzt findest du sie nicht mehr so schlecht? ] Das heißt, jetzt habe ich das Gefühl, dass sie nicht mehr so militaristisch sind. Aber Militarismus hat früher existiert. [Deshalb hast du gewichtet und eine 0 gegeben? ] Ja. In allen oben zitierten Interviewaussagen wird ausschließlich von der niedrigen Erwartung der Probanden gesprochen. Damit begründen sie, warum sie eine Eigenschaft aufwerten, abwerten oder nicht mehr ankreuzen. Aufgrund der individuellen Erfahrungen der Probanden (z. B. Erfahrungen mit den deutschen Lehrkräften, Deutschlanderfahrungen) können die erlernten sozial geteilten Stereotype direkt überprüft werden. Gegenbeispiele, die allgemeinen Stereotypen widersprechen, führen zuerst zu unterschiedlichen Abstufungen der Bewertungen, je nachdem, wie hoch der Erwartungsgrad ist. Diese Größenordnung der Erwartung hängt davon ab, wie sehr man von den öffentlichen Meinungen, seinen eigenen Erfahrungen oder Informationen aus vertrauenswürdigen Quellen geprägt wurde und wie weit man sich ans Kollektiv angleichen will. Wenn man selbst fast nicht mehr daran glaubt oder sich sehr unsicher ist, dass das Item zutrifft, wird mit Null bewertet. Das gilt auch für die negativen Items. Dabei fällt auf, dass es Probanden gibt, die sich an das öffentliche Stereotyp angleichen wollen. Ihre schwindende Überzeugung zeigt <?page no="328"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 329 sich zuerst in der angepassten Bewertung, bis zur Null auf der Skala. Erst im nächsten Korrekturschritt wird dieses Stereotyp komplett gelöscht. Im Gegensatz dazu, dass die Probanden aufgrund niedrigerer Erwartung ein positives Item abwerten oder ein negatives aufwerten, gibt es auch Beispiele für eine bessere Bewertung aufgrund höherer Erwartung der Probanden. positive Items: Erwartung hoch↑ = Bewertung höher↑ Kommentar: Die Probanden sind davon überzeugt, dass das Item auf die meisten Deutschen zutrifft, sehr positive Items werden nicht abgewertet, sondern sehr gut bewertet. Interviewzitate: Item: kultiviert, Bewertung +3 (Code B.1.1) 我们普遍会认为在大部分人眼中可能就觉得教养这个词可能跟受文化的程 度有相当大的关系 , 文化程度高的人可能会觉得教养性会更好一些 , 但是我 不是这么认为的 . 通过我对德国人的了解 , 一些朋友里面比如有一个朋友是 德国超市的老爷爷 , 他也没有读过大学 , 勤勤恳恳地工作 , 差不多快 60 岁了 , 但是我通过跟他接触发现他是非常有教养的 , 对人非常非常客气 , 跟同事什 么相处都很好 , 刚才可信赖的那些词在他身上都非常有体现 , 所以这个词可 能是我觉得在他们身上普遍都有体现的 , 所以给 3 分 . [ 你觉得他们这样的人 比较多 , 然后这个词也很好 ] 对 . (3-1_17, AN2, 12: 53) Im Allgemeinen denkt man, dass Kultiviertheit sehr viel mit Bildungsniveau zu tun hat. Je höher sein Bildungsniveau ist, desto kultivierter ist er. Aber ich bin anderer Meinung. Im meinem deutschen Freundeskreis kenne ich einen älteren deutschen Mann, der in einem Supermarkt arbeitet. Er ist fast 60 Jahre alt, hat nicht studiert, aber er arbeitet immer sehr fleißig und gewissenhaft. Durch den Umgang mit ihm habe ich gemerkt, dass er sehr höflich zu allen und auch sehr kultiviert ist. Er kommt mit den Kollegen gut aus. Viele gute Charaktereigenschaften wie zuverlässig und pflichtbewusst, die gerade besprochen wurden, verkörpert er auch. Deshalb finde ich, diese Eigenschaft zeigt sich allgemein bei vielen Deutschen. Deshalb habe ich +3 gegeben. [Meinst du, dass viele Deutsche kultiviert sind und das auch eine sehr gute Eigenschaft ist? ] Ja, genau. <?page no="329"?> 330 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Item: kultiviert, Bewertung +3 (Code B.1.1) 就是因为在德国那段经历 , 我觉得大部分德国人都对我们挺友好 , 都是比较 有教养的 . 比如像你过马路他们都会让我们先过 . [ 给 3 分是你比较肯定 , 觉 得大部分人都这样吗 ? ] 我觉得大部分人都这样 . (4-2_37, AN3, 25: 33) Wegen meiner Erlebnisse in Deutschland. Während des Aufenthalts in Deutschland waren die meisten Deutschen nett zu uns. Sie sind alle sehr kultiviert, z. B. wenn wir über die Straßen gehen, lassen uns die Autos immer vorgehen. [Gibst du eine +3, weil du sicher bist, dass die meisten so sind? ] Ich finde, die meisten sind so. Die Aussage der Probandin 3-1_17 zum Item pünktlich wurde oben im ersten Block zitiert. Im Vergleich mit ihrer Begründung zur Bewertung von kultiviert ist ersichtlich, dass die Dimension Erwartung bei ihrer Bewertung eine Rolle spielt. Sie wertet das Item pünktlich etwas ab, weil die deutschen Lehrer nicht so pünktlich wie die Deutschen der älteren Generation sind. In der Aussage zu kultiviert bringt sie hingegen eine hohe Erwartung zum Ausdruck. Aufgrund der eigenen Erfahrungen mit den Deutschen sind die beiden zitierten Probandinnen davon überzeugt, dass die meisten Deutschen, denen sie begegnet sind, kultiviert und nett sind. Durch Ausdrücke wie „die meisten Deutschen“ und „immer“ wird eine hohe Erwartung als Hauptargument für die bestmögliche positive Bewertung hervorgehoben. Wenn die Probanden bei der Begründung ihrer Bewertung direkt eine Quelle genannt haben, wurde diese wie alle Aussagen, zu Informationsquellen kodiert (vgl. Tabelle 57: Regelwerk für die Kategorisierung der Aussagen zur Informationsquelle der Interviewstudie ) und in Kombination mit den Codes zur Bewertung festgehalten. Insgesamt werden 22-mal konkrete Quellen genannt, die zu einer erhöhten oder verringerten Erwartung führen. Tabelle 66 gibt einen Überblick über den Anteil der Quellen, die einen Einfluss auf die Bewertungen haben. Kategorienummer Kategorien zu Quellen Anzahl Anteil% Q.3 Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften 13 59,09 Q.5 Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte 4 18,18 Q.4 Erfahrung mit weiteren Deutschen 2 9,09 Q.6 Äußerungen von weiteren Personen 1 4,55 Q.7 Eltern erzählen 1 4,55 Q.14 Deutschlanderfahrung 1 4,55 Nennungen gesamt 22 100,00 Tabelle 66: Informationsquellen, die Erwartungen der Probanden beeinflussen (Interviewaussagen) <?page no="330"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 331 Wie aus Tabelle 66 ersichtlich, macht der Einfluss der deutschen Lehrkräfte über die Hälfte der Nennungen aus. Die Erwartung wird hier weitgehend von Primärerfahrungen beeinflusst. Die von Angesicht zu Angesicht bekannten Deutschen wurden als Gegenbeispiele und Widerspruch oder als Bestätigung eines stereotypen Deutschen angesehen. Weitere Quellen, wie chinesische Deutschlehrer und weitere Personen wie Eltern, Freunde und Bekannte der Probanden, zählen auch zu vertrauenswürdigen Quellen, deren Erfahrungen die Überzeugung der Deutschstudierenden beeinflussen können. Dies sind zusammengefasste grundlegende Erkenntnisse aus den Leitfadeninterviews, die aufgrund der jeweiligen geringen Zahl nicht weiter statistisch untersucht werden. 6.4.3 Die Komplexität der Dimension Erwartung Der Prozess der Aufwertung von Items der Eigenschaftsliste sowie der Abwertung bis hin zur „Löschung“ eines Stereotyps ist mit der Modelldimension der Erwartung verbunden, wie die Interviewaussagen zeigen. Devine (1989) verweist in dem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen dem stereotypen Wissen ( knowledge of a stereotype ) und der persönlichen Überzeugung ( personal beliefs ) (Devine 1989: 5) und zieht daraus die Konsequenz, dass die Bewertung und das Verhalten gegenüber einer ethnischen Gruppe durch den Gegensatz der beiden Elemente beeinflusst werden kann. Die Abstufung der Bewertung eines Items erklärt sich demnach durch die geringe Übereinstimmung zwischen dem stereotypen Wissen der Probanden und ihrer persönlichen Erwartung : although one may have knowledge of a stereotype , his or her personal beliefs may or may not be congruent with the stereotype. […] Beliefs are propositions that are endorsed and accepted as being true. Beliefs can differ from one’s knowledge about an object or group or one’s affective reaction toward the object or group […]. To the extent that stereotypes and personal beliefs represent different and only potentially overlapping subsets of information about ethnic or racial groups, they may have different implications for evaluation of and behavior toward members of the ethnic and racial groups. (ebd. 5 f.) Beide Parameter , knowledge of a stereotype und personal beliefs , werden hier nach dem modifizierten Ansatz von Fishbein in der Dimension Erwartung zusammengefasst. Devines Feststellungen in Verbindung mit den Interviewaussagen beschreiben das Spannungsfeld, das zwischen öffentlichem Stereotyp und privaten Erfahrungen, also dem privaten Stereotyp, entsteht und dessen Ausgleich zum <?page no="331"?> 332 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Zeitpunkt der Befragung. Der Proband wählt eine Eigenschaft aus oder nicht. Im Zusammenhang mit diesem Ereignis wertet er diese Eigenschaft auf oder wertet sie ab. Dies geschieht auch und wahrscheinlich vorwiegend entlang der Dimension der Erwartung . Diese Dimension des hier modifizierten Modellansatzes von Fishbein A (0) = f(B, a) mit Erwartung ( B ) und Wert ( a ) begründet eine höhere Variabilität. Anders als der Wert führt sie dazu, dass ein Stereotyp komplett in das stereotype Gesamtbild aufgenommen oder daraus entfernt werden kann. Der Wert kann sich immer nur auf bereits genannte Stereotype beziehen. Diese Beobachtungen und Feststellungen gelten für Individuen. Übertragen auf Gruppen führt die Variabilität der Erwartung zu einem Prozess, der dem Phasenmodell und der Sanduhr-Dynamik zugrunde liegt. 6.4.3.1 Dimension Erwartung und Phasenmodell Das Phasenmodell weist in einer ersten Phase eine höhere Unbestimmtheit auf, die durch weniger gemeinschaftliches Wissen und weniger öffentlich geteilte Stereotype erklärt wird. Dabei sammeln die Probanden dieser Gruppe viele Items, der Pool, d. h. die Anzahl aller genannten Items, weist ein Maximum auf. Diese Phase kann jetzt mit unbestimmten, wechselnden Erwartungen der Probanden in dieser Phase weiter erklärt werden. Eine zweite Phase wird mit einem klarer ausgebildeten Stereotyp begründet, mit mehr öffentlichen, gemeinsam geteilten Stereotypen. Diese Phase kann jetzt mit synchronisierten Erwartungen weiter begründet werden, die sich ähnlicher werden. Eine dritte Phase wird wieder unbestimmter. Anders als in der ersten Phase greifen die Probanden dieser Gruppe gezielter auf Items zu, der Pool aller genannten Items ist kleiner als in der ersten Phase (vgl. Kap. 3.2 Phasenmodell auf Basis der Bestimmtheitsmaße nach Katz und Braly ). Diese Phase kann jetzt mit unterschiedlichen Erwartungen aufgrund erweiterter Primärerfahrungen erklärt werden. 6.4.3.2 Dimension Erwartung und Sanduhr-Dynamik Die Sanduhr-Dynamik beschreibt ein Änderungspotential von Stereotypen. Die Heraufpriorisierung der typischsten Eigenschaften bedingt gleichzeitig eine Herunterpriorisierung anderer Eigenschaften in Bezug auf ihre Rangfolge (vgl. Kap. 5.4.5.4 Wechsel der Item-Rangfolgen - die Sanduhr-Dynamik ). Diese Dynamik kann jetzt mit einem Änderungspotential der Erwartungen von Stereotypen erklärt werden. Typisch können nur Eigenschaften sein, die man auch erwartet, die man also für sehr wahrscheinlich hält. Mit der Aufgabe diese typischsten Eigenschaften zu qualifizieren, werden möglicherweise die Erwartungen reevaluiert. Die Sanduhr-Dynamik ergibt sich dann aus der Reevaluation von Erwartungen . Die Abnahme der Dynamik entlang eines zeitlichen Entwicklungsgradienten, der im Rahmen der vorliegenden Arbeit durch die Jahrgänge <?page no="332"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 333 repräsentiert wird, kann jetzt dadurch erklärt werden, dass die Erwartungen sicherer werden und dass dadurch eine Reevaluation weniger Unterschiede, also weniger Dynamik ergibt. 6.4.4 Bewertung der Dimension Erwartung und Wert Im Folgenden werden Interviewaussagen zitiert, in denen Probanden sowohl den Wertanteil als auch den Erwartungsanteil in die Erklärung ihrer Bewertung einbeziehen. Wenn es um die für die Chinesen eindeutig positiven Eigenschaften geht, gibt es die folgenden vier Möglichkeiten, um eine Eigenschaft auf- oder abzuwerten (siehe Abbildung 50): Abbildung 50: Bewertungsrichtung und -intensität der positiven Items aufgrund unterschiedlicher Wert-/ Erwartung-Kombinationen positive Items: Erwartung hoch↑, Wert hoch↑ = Bewertung höher↑ Kommentar: Die Probanden haben eine hohe Erwartung , dass das Item auf die meisten Deutschen zutrifft, und finden das Item selbst auch sehr positiv, dadurch kommt es zu einer sehr positiven Bewertung. Interviewzitate: <?page no="333"?> 334 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Item: ordentlich, Bewertung +3 (Codes B.1.1 + B.7 + B.4.3) 88 因为我觉得他们会比较遵守规章制度. 我当时可能是因为想到中国很多人比 较不遵守一些公共秩序, 我觉得这一点对我来说是比较好的, 就是感觉大部 分人德国人都比较遵守规矩. (4-2_37, AW2, 30: 20) Ich finde, sie halten ihre Vorschriften und Regeln ein. Damals 89 habe ich an Chinesen gedacht. Viele Chinesen halten sich nicht an die öffentlichen Vorschriften und Regeln. Deshalb, für mich finde ich diese Eigenschaft bei den Deutschen sehr gut. Ich finde, dass die meisten Deutschen ihre Vorschriften und Regeln einhalten. Item: attraktive Männer, Bewertung +3 (Codes B.1.1 + B.7) 从我们小女生的角度讲, 大部分都长得挺帅的, 就算是不帅的我接触的德国 人性格都蛮好的, 比如那些守时有责任感都有体现, 这也是有魅力的体现. (3-1_17, F4, 23: 51) Aus der Sicht von jungen Mädchen finde ich die meisten deutschen Männer hübsch. Auch wenn einige, die ich kenne, nicht so hübsch aussehen, haben sie doch einen guten Charakter. Sie sind z. B. pünktlich und verantwortungsvoll. Das sind auch Gründe für Attraktivität. positive Items: Erwartung niedrig↓, Wert hoch↑ = Bewertung niedriger↓ Kommentar: Die Probanden halten das Item für sehr positiv, aber sie sind sich nicht sicher und nicht davon überzeugt, dass es auf die meisten Deutschen zutrifft. Die niedrige Erwartung führt zu einer Abwertung einer positiven Eigenschaft. Interviewzitate: Item: arbeitsfreudig, Bewertung +2 (Codes B.2.2 + B.7) 爱工作我是觉得这一点比较好 , 至于他们到底是不是很勤奋的工作我就不知 道了 , [ 你是因为不确定才打了一个折 ? ] 对 , 我想象德国人又守时又有纪律素 质又高 , 应该是爱工作的 , 因为很多我都不是很确定 , 因为我没有去过德国 那边 , 所以我一般没有给 3 分 , 即使我觉得他们那方面很好 . [ 你给 3 分的就还 是你比较确定的 ? ] 对 . (4-3_41, D2, 27: 37) Diese Eigenschaft finde ich gut, aber ob sie wirklich so fleißig arbeiten, weiß ich nicht. [Du hast 88 Hier wird die Kombination der Codenummer aufgezeigt, die in der Tabelle 63 als Verweise zu finden sind. 89 Anmerkung: Mit „damals“ ist der Zeitpunkt gemeint, als der Proband den Fragebogen ausfüllte. <?page no="334"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 335 die Bewertung abgestuft, weil du dir nicht sicher bist? ] Ja, genau. Ich stelle mir vor, die Deutschen sind pünktlich, diszipliniert, gebildet und kultiviert, sie müssten auch arbeitsfreudig sein. Aber ich bin bei vielem nicht ganz sicher, weil ich noch nie in Deutschland war. Deshalb habe ich viele Items nicht mit +3 bewertet, obwohl ich diese Eigenschaften sehr gut finde. [Die Items, die du mit +3 bewertet hast, bist du dir sicher, dass sie zutreffen? ] Ja, genau. Item: philosophische Lebenshaltung, Bewertung +2 (Codes B.2.2 + B.7 + B.4.4) 我觉得他们经常看书经常思考 , [ 你给的 2 分是 ? ] 我觉得他们这点很好 . [ 但 是为什么没有给 3 分 ? ] 没有给 3 分是因为我不太确定是不是所有德国人都这 样 , 我所了解到的听说到的看到的是这样的 , 因为我就喜欢爱阅读的人 , 也 从我个人喜好出发了吧 . (4-3_41, AY2, 25: 33) Ich finde, sie lesen gerne und oft und sie denken gerne nach. [Warum bewertest du das Item mit +2? ] Diesen Punkt finde ich bei ihnen sehr gut. [Aber warum gibst du nicht +3? ] Ich habe nicht 3 Punkte gegeben, weil ich nicht sicher bin, ob alle Deutschen so sind. Soweit ich erfahren, gehört und gesehen habe, sind sie so. Auch weil ich diejenigen mag, die gerne lesen, habe ich aus meinen eigenen Präferenzen heraus so bewertet. Item: rational, Bewertung +1 (Codes B.2.2 + B.7) 我觉得他们还是理性的 , 不然为什么会有这么多哲学家思想家 , 因为我接 触的德国人不太多我也不完全肯定 , 所以我就给了 1 分 , 我觉得理性是很好 的 , 如果我接触的人比较多大部分都是理性的话我可能会给 2 分或者 3 分 . (4- 3_41, BC2, 26: 58) Ich finde sie rational, wie kann es sonst so viele Philosophen und Denker geben. Weil ich nicht so viele Deutsche kenne, bin ich aber nicht ganz sicher. Deshalb habe ich mit +1 bewertet. Ich finde diese Eigenschaft sehr gut. Wenn ich mehr Deutsche kennen würde, die meistens rational wären, würde ich mit +2 oder +3 bewerten. Item: kultiviert und höflich, Bewertung 0 (B.2.1+ B.4.3) 外教上课的时候, 他们来了之后一定会问好, 早上好下午好, 给我们递东西 的时候就会说 bitte, 我们作完报告就会夸奖一下我们, 谢谢我们作的报告, 结尾的时候会祝我们度过美好的一天, 祝我们用餐愉快, 虽然说是很客套的 话, 但是从中就可以感觉他们很有礼貌有教养, 中国的老师可能就说开始上 课了, 下课就下课再见就这样. 可能这也是他们的文化吧, 也不能说是教养, 是他们的传统, 但是在我们看来就觉得他们很有礼貌有教养. [然后你给的分 数是0分, 你是觉得他们这个也没有很好 ? ] 可能跟遇到的外教不一样吧, 去 年的时候填的这个, 去年的时候有遇到一个留学生嘛, 对对对, 去年的时候有 <?page no="335"?> 336 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie 遇到一个留学生, 然后我们聊天 , 刚开始加了他微信聊天嘛 , 后来就是有一次 晚会碰到了跟他打招呼 , 他都就是我都跟他打招呼了我说我是跟你在微信上 聊天的那个同学, 我主动跟他打招呼了, 然后他就说哦, 然后就这样理都没有 想理那种, [是德国人吗 ? ] 对, 是德国留学, 一个 10 多岁的高中生吧好像, 当时 可能那天对他的印象就不是很好, 当时可能看到这个题的时候就瞬间想起了 这个人就觉得. 后来但是这一年吧比如特别是我们现在的外教呀 Thomas 我 觉得他特别有教养那种, 跟他一起去德语角也觉得他对我们就很照顾, 然后 人也是一个非常好的人 . [ 如果现在来给分的话你就可能会给高一点 ? ] 对, 现 在来给分的话我肯定会给, 虽然说可能不是满分, 因为也有很多人就是像我 说的那个德国人一样还是比较高冷高傲的那种, 但是想到其他的外教的话会 给高一点 . (3-4_58, AB3, 19: 26) Unsere deutschen Lehrer begrüßen uns immer zu Beginn des Unterrichts mit „Guten Morgen, guten Tag, wie geht’s? “ Wenn sie uns was reichen, sagen sie immer „bitte“. Wenn wir Referate gehalten haben, loben uns die deutschen Lehrer immer, und bedanken sich für unsere Referate. Zum Schluss des Unterrichts wünschen sie uns immer einen schönen Tag und guten Appetit. Auch wenn das nur höfliche Redensarten sind, finden wir sie höflich und kultiviert. Die chinesischen Lehrer sagen das nicht. Sie sagen nur „fangen wir an“ und „Auf Wiedersehen“. Vielleicht ist das ihre Kultur, nicht unbedingt Kultiviertheit, sondern ihre Tradition. Aber in unseren Augen finden wir sie höflich und kultiviert. [Du hast eine Null gegeben, findest du sie doch nicht so gut? ] Vielleicht weil ich unterschiedliche deutsche Lehrer getroffen habe. Ich habe im letzten Jahr diesen Fragebogen ausgefüllt. Ja, genau, richtig, ich hatte im letzten Jahr einen deutschen Austauschschüler kennengelernt. Am Anfang haben wir immer mit WeChat 90 gechattet. Einmal habe ich ihn an einem Kulturabend gesehen und habe zuerst zu ihm „Hallo“ gesagt und mich noch vorgestellt, dass ich diejenige bin, die mit ihm im WeChat gechattet hat. Aber er hatte nicht reagiert und wollte gar nicht weiter mit mir sprechen. [Ist er ein Deutscher? ] Ja, ein deutscher Austauschschüler, so Teenager. Damals hatte ich sofort einen schlechten Eindruck von ihm. Als ich diesen Fragebogen ausfüllte, dachte ich sofort an ihn. Aber seit dem letzten halben Jahr haben wir einen besonders kultivierten deutschen Lehrer Thomas. Wenn wir zusammen zur Deutschen Ecke gehen, kümmert er sich um uns. Er ist ein sehr netter Mann. [Wenn du jetzt eine Bewertung gibst, würdest du etwas höher geben? ] Ja, wenn ich jetzt diese Eigenschaften nochmal bewerten würde, würde ich zwar nicht mit voller Punktzahl 90 WeChat ist ein in China weitverbreiteter chinesischer multifunktionaler Chat-Dienst für Smartphones. <?page no="336"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 337 bewerten, weil es doch viele Deutsche gibt, wie diesen Austauschschüler, den ich gerade erwähnt habe, die kaltherzig und arrogant sind. Aber wenn ich an die neuen deutschen Lehrer denke, würde ich etwas höher bewerten. Bei den obigen Aussagen stimmen die Probanden bei dem hohen positiven Wert der Items überein. Im Vergleich mit dem Selbstbild oder mit den eigenen Vorstellungen als Maßstab wird der Wert eines Items festgelegt. Die Abwertung der Items hängt deutlich von der niedrigen Erwartung ab, die aus Unsicherheit und wegen mangelnden oder schlechten Primärerfahrungen zustande gekommen ist. Das letzte Beispiel zeigt auch, dass die Bewertung einer Eigenschaft eine Momentaufnahme sein kann, insbesondere, wenn noch nicht so viele persönliche Erfahrungen mit Deutschen gemacht wurden. Eine einzelne schlechte Erfahrung, wie mit dem Austauschschüler, kann dann das negative Bild prägen. Das wird jedoch auch schnell wieder verändert, wenn gute Erfahrungen gemacht werden, wie anschließend mit dem deutschen Lehrer. Wie diese Probandin im Interview an anderer Stelle zum Item ordentlich erzählt hat, gilt ihre Bewertung oft für ein einzelnes Beispiel, das sie aus ihrer Umgebung kennt, das sie dann aber auf alle Deutschen anwendet, obwohl sie sich des Einzelfalls bewusst ist: Bewertung von ordentlich , 0: 因为我评论这个的时候想到的就是我周围的德国人, 可能 当时遇到的那个外教属于那种和中国人一样的, 上课也不完全准时, 上课讲东西的时 候也是自己想讲到哪儿就讲到哪儿. 现在来选的话我就会想到现在周围的德国人, 现 在的外教是这样的情况, 所以说我的那个“德国人”感觉就不是说我了解到的所有德 国人, 只是我周围的某一个个例或者极少数一点的德国人 . (3-4_58, AW3, 23: 42) Denn, als ich das Item bewertete, habe ich nur an die Deutschen in meiner Umgebung gedacht. Damals im letzten Semester hatten wir einen deutschen Lehrer, der oft nicht pünktlich zum Unterricht kam und auch ohne Pläne unterrichtete wie chinesische Lehrer. Wenn ich jetzt diese Eigenschaft neu bewerte, werde ich an den neuen deutschen Lehrer in diesem Semester denken. Er ist anders. Deshalb betrifft der Begriff „die Deutschen“ für mich nicht alle Deutschen, sondern nur sehr wenige Einzelfälle in meiner Umgebung. Auch dieses Phänomen, dass die Probanden individuell unterschiedliche positive oder negative Erfahrungen gemacht haben, kann ein Grund für die Streuung der Bewertungen sein. <?page no="337"?> 338 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie positive Items: Erwartung niedrig↓, Wert niedrig↓ = Bewertung niedriger↓ Kommentar: Die Probanden haben eine niedrige Erwartung, dass das Item auf die meisten Deutschen zutrifft. Gleichzeitig wird das Item als nicht besonders positiv empfunden. Die niedrige Erwartung kann die Abstufung der Bewertung noch mehr verstärken. Interviewzitate: Item: attraktive Männer, Bewertung 0 (Codes B.2.1 + B.4.4 + B.4.10) 是因为我更喜欢中国人 , 所以我看外国男的有魅力对我也没什么影响 , 而且 我去德国我也感觉没什么帅的 , 还没有我们现在那个外教帅呢 . [ 你看到有魅 力的男人也不多 ? ] 嗯 , 不多 . 而且我更喜欢中国男人 , 所以应该就是出于这两 方面原因给了他们 0 分吧 . (3-4_40, F5, 25: 55) Weil ich lieber chinesische Männer mag. Die Attraktivität der ausländischen Männer hat keinen Einfluss auf mich. Außerdem, als ich in Deutschland war, habe ich auch keine hübschen Männer gesehen, unser deutscher Lehrer ist sogar noch hübscher. [Hast du nicht so viele attraktive Männer gesehen? ] Nein, nicht viel. Und ich mag lieber chinesische Männer. Deshalb habe ich aus diesen zwei Gründen diese Eigenschaft mit 0 bewertet. Item: trinkfreudig, Bewertung 0 (Codes B.2.1 + B.5 + B.10) [ 给的是 0 分是觉得 ? ] 我觉得就喝酒有好有坏 , 而且也不算很典型吧 , 我感觉 西方人都喜欢喝酒 , 比如英国人威士忌 , 俄国人伏特加 , 法国葡萄酒 , 当然德 国也喜欢喝自己的啤酒 , 感觉各有千秋那种 . (…), 给 0 分是第一是因为喝酒 也不是很好的事 , 第二德国人喜欢喝酒也不太明显就像我刚才说的西方很 多国家的都喜欢喝酒 , 所以不太突出感觉 . (4-2_51, BR3, 15: 25) [Warum hast du das mit 0 bewertet? ] Ich finde, trinkfreudig hat Vor- und Nachteile, außerdem ist diese Eigenschaft nicht besonders typisch nur für die Deutschen. Ich finde, alle Westler trinken gerne Alkohol, z. B. die Engländer trinken gerne Whisky, die Russen trinken gerne Wodka, die Franzosen trinken gerne Wein, die Deutschen trinken natürlich gerne ihr Bier. Jeder hat seine Vorliebe. (…), ich habe eine Null gegeben, weil erstens, wenn man gerne Alkohol trinkt, ist das keine sehr gute Sache. Zweitens ist das Trinken für den Deutschen nicht besonders typisch. Wie ich gerade gesagt habe, trinken alle Westler gerne Alkohol. Deshalb habe ich das Gefühl, dass die Trinkfreude kein besonderes Mekmal nur für die Deutschen ist. <?page no="338"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 339 positive Items: Erwartung hoch↑, Wert niedrig↓ = Bewertung niedriger↓ Interviewzitat 1. Block: Kommentar: Die Probanden sind davon überzeugt, dass das Item auf die meisten Deutschen zutrifft, es erscheint sehr typisch. Der Wert des Items wird aus verschiedenen Gründen als nicht besonders positiv empfunden, sodass die Bewertung abgestuft wird. Item: diszipliniert, Bewertung +2 (Codes B.1.1 + B.5 + B.4.8) (…) [ 你给的是 2 分 , 是这个还算是个比较好的一个特点吗 ? ] 纪律性嘛我觉 得可能还是因为他们感觉比较严谨 , 很多公司的规定他们都会很认真地遵 守 , 我觉得大部分人还是比较有纪律性的 . [ 然后给 2 分是为什么 ? ] 我不知道 当时可能是又想到希特勒了 , 哈哈 , 因为我觉得纪律性嘛可能也不算一个特 别好的 , 因为有两面性嘛总体还算不错 , 但是万一会被有些人利用 . (4-2_37, K2, 28: 00) (…) [Du hast zwei Punkte gegeben, findest du, dass diese Eigenschaft relativ gut ist? ] Ich finde sie diszipliniert, wahrscheinlich weil ich sie ernsthaft finde. Sie halten ganz genau die Vorschriften ihrer Firmen ein. Ich finde, die meisten Deutschen sind diszipliniert. [Warum hast du zwei Punkte gegeben? ] Ich denke, ich habe damals wahrscheinlich wieder an Hitler gedacht ((lachend)). Ich finde, diszipliniert zählt wahrscheinlich doch nicht zu einer besonders positiven Eigenschaft, weil es zwei Seiten hat. Im Großen und Ganzen ist das nicht schlecht, nur falls diese Eigenschaft von manchen Leuten ausgenutzt würde. Interviewzitat 2. Block: Indirekte Äußerungen zu Wert und Erwartung Kommentar: Einige Interviewaussagen wurden der übergeordneten Kategorie „Eigenschaft zu viel wird weniger gut“ zugeordnet. Diese Aussagen beschreiben, dass eine Eigenschaft bei den Deutschen übertrieben oder zu viel erscheint. Damit kommt indirekt die Erwartung zum Ausdruck, dass diese Eigenschaft graduell auch mehr oder weniger auf die Deutschen zutrifft. Man kann davon ausgehen, dass bei der Abwertung einer solchen Eigenschaft die Erwartung bereits berücksichtigt wurde. In diesem Fall ist aufgrund des abgestuften Wertanteiles des Items eine niedrigere Bewertung zustande gekommen. Formulierungsbeispiele für Hinweise auf hohe Erwar- <?page no="339"?> 340 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie tung sind z. B.: „Sie sind zu …“; „Das ist übertrieben.“, „immer“, „unbedingt“. Item: konventionell, Bewertung -1 (Codes B.3.1 + B.4.3) 就是可能一切都走程序 , 其实外企其实都这样 , 外国其实都是比较遵循条例 的 , 而且也听说在国外办很多手续要饶很多的过程 , 虽然可能是我们中国 太捷径了 , 但是就觉得他们按照章程来讲还是有一点点太循规蹈矩了 . [ 就 是觉得有点负面 , 不变通 ? ] 对对 . (2-1_82, AL2, 25: 42) Alles läuft nach geregelten Verfahren. Bei den ausländischen Firmen in China ist das eigentlich immer so. Die Ausländer befolgen immer ihre Vorschriften. Ich habe gehört, wenn man im Ausland Formalitäten erledigen will, muss man durch viele Verfahren gehen. Vielleicht weil wir es in China leichter haben und eine Abkürzung haben können, finde ich sie aber einfach zu konventionell, dass sie alles nach Vorschriften abarbeiten. [Das heißt, du findest diese Eigenschaft ein bisschen negativ, weil sie unflexibel sind? ] Ja, genau. Item: konventionell, Bewertung +1 (Code B.3.1) [ 循规蹈矩你给 1 分是表示你觉得这个词还是算是一个正面的在他们身上算 是一个比较好的特点 ? ] 对 , 也是有点过分了感觉 , [ 哦 , 也是过度了哈 , 所以 你就觉得没有那么好 ? ] 嗯 , [ 循规蹈矩你觉得体现在哪些方面 ? ] 就有一些东 西他们标语写在那里就一定不会去违反 , 有一些规定了在那儿就不变通嘛 , 话说在那里了他就一定会那样做 . (2-3_6, AL3, 20: 48) [Du hast konventionell mit +1 bewertet. Findest du diese Eigenschaft bei den Deutschen eher positiv? ] Ja, aber ich finde, sie sind etwas übertrieben konventionell. [Ach so, findest du das auch übertrieben, deshalb weniger gut? ] Ja. [In welchen Hinsichten wird deiner Meinung nach verkörpert, dass sie konventionell sind? ] Gegen die festgeschriebenen Vorschriften darf man ja auf keinen Fall verstoßen. Sie sind unflexibel gegenüber den Regeln. Wenn sie sagen was sie machen werden, werden sie es unbedingt genau so machen. Item: konventionell, Bewertung +1 (Code B.3.1) 就是他们不管做什么都要按照他们的思路和章程来办 , 叫他改变的话基本上 不可能的 . [ 哈哈 , 然后你觉得还是有点不好的 ? ] 啊对啊 . [ 就是过于死板了 ? ] 对 . (2-1_62, AL4, 15: 08) Man muss sich immer nach ihren Vorüberlegungen und Vorschriften richten, unabhängig davon, was man selbst beabsichtigt. Es ist fast unmöglich für sie, sich zu ändern. [Haha, deshalb findest du das nicht so gut? ] Ja, genau. [Findest du sie zu starr? ] Ja, genau. <?page no="340"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 341 Item: arbeitsfreudig, Bewertung +1 (Code B.3.2) 首先我认同他们是爱工作的 . 1 分的话我是觉得他们有时候好像有一点太过 于爱工作了 , 感觉外教们很勤奋 , 布置很多作业 , 我个人来说不是那么的好 . (3-2_87, D3, 22: 44) Ich stimme zu, dass sie arbeitsfreudig sind. Warum ich einen Punkt gegeben habe? Weil ich sie manchmal zu arbeitsfreudig finde. Unsere deutschen Lehrer sind sehr fleißig und geben uns immer viele Hausaufgaben. Ich persönlich finde das nicht so gut. Item: fleißig, Bewertung +1 (Code B.3.3) 首先勤奋肯定没什么不好 , 他们如果不勤奋也不会二战之后几十年就把国家 建设得这么好 , 但是过于勤奋可能就会觉得一直干工作是理所应当的 , 人还 是需要休息的 , (…), 觉得有时候不需要那么勤奋 , 比如我给外教发邮件交作 业 , 他半夜三四点钟给我发 , 你说这种好还是不好 , 我也希望他能正常作息 , 感觉好像伤身体啊 . (3-1_17, N2, 24: 19) Fleißig ist sicher keine schlechte Eigenschaft. Wenn die Deutschen nicht fleißig wären, könnten sie nicht innerhalb von zig Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg so schnell ihr Land so gut wiederaufbauen. Aber wenn man zu fleißig ist, denkt man, dass fleißig arbeiten selbstverständlich ist. Man braucht aber auch Pausen und Erholung. (…), ich finde, manchmal muss man nicht so fleißig sein. Ich schicke z. B. unserem deutschen Lehrer per Mail meine Hausaufgaben, er schreibt nachts um 3, 4 Uhr zurück. Findest du das gut? Man soll regelmäßig leben, sonst wird die Gesundheit geschädigt. Item: anspruchsvoll, Bewertung +1 (Code B.3.2) 因为要求高确实有的 , 因为有时候会觉得他们要求过于高了 , 在我们中国我 们写一些论文他们有很多很多小地方都有要求 , 这些是我们以前都没有注意 到的 , 所以一开始对我们来说会有点困难 , 所以我当时是觉得可能有一点要 求太高了 . (3-2_87, B4, 23: 32) Sie sind wirklich anspruchsvoll. Manchmal finde ich sie zu anspruchsvoll. Wenn wir hier Hausarbeiten schreiben, haben die deutschen Lehrer Ansprüche an zahlreiche unwichtige Stellen, auf die wir früher gar nicht geachtet haben. Am Anfang war das für uns sehr schwer. Deshalb fand ich sie damals wahrscheinlich zu anspruchsvoll. Item: pünktlich, Bewertung +2 (Code B.3.2) 我觉得他们自己守时其实挺好的 , 但是如果他们这个观念觉得他们这个守时 的观念特别特别根深蒂固的话也许就会对别人守时的要求也要求非常很强 , 就感觉有点压力 . 就感觉跟德国人出去你要迟到了啊 , 一整天都会感觉他是 个低气压的感觉 . (1-4_92, AZ8, 13: 14) Ich finde das gut, wenn sie selber pünktlich sind. Aber wenn diese Ansicht tief verwurzelt ist, werden sie <?page no="341"?> 342 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie auch sehr hohe Anforderungen an die anderen stellen. Wenn wir auch so pünktlich sein müssen, dann haben wir Druck. Wenn man sich z. B. mit einem Deutschen verabredet, sich aber verspäten würde, würde den ganzen Tag lang eine gedrückte Stimmung herrschen. Item: pünktlich, Bewertung 0 (Codes B.2.1 + B.3.1 + B.3.2 + B.3.4 + B.4.3) 应该不是所有人都守时 , 而且比如说有些东西太守时了也不太好 , 因为生活 中需要很多通融的 , 就是不用那么太刻板 . 假如跟德国人交往肯定会觉得会 注重一下啊 , 时间上面感觉很赶 , 因为我觉得我们这边通常说时间有点左右 , 除非特别正式的事情 , 比如说什么左右啊 , 差不多就行 , 没有那么强调 . [ 那你 觉得守时这个习惯也不算特别好的优点吗 ? ] 其实守时整体是不错的 , 但是有 时候交往上就会有阻碍一点 , [ 希望变通一点哈 ? ] 嗯 . (2-1_64, AZ9, 16: 02) Wahrscheinlich sind nicht alle Deutschen pünktlich. Außerdem, wenn man immer zu pünktlich ist, ist das manchmal auch nicht so gut. Denn im Leben braucht man oft viel Toleranz und Flexibilität. Man soll nicht so starr sein. Wenn wir mit den Deutschen zu tun haben, müssen wir sehr auf die Zeit achten. Das wird ein Druck für uns. Ich finde, wir Chinesen sagen immer, gegen wieviel Uhr wir uns treffen, wir werden nicht so genau pünktlich sein, außer, es ist etwas Offizielles. Ungefähr reicht schon. Wir werden Pünktlichkeit nicht betonen. [Findest du pünktlich als Eigenschaft auch nicht so positiv? ] Insgesamt ist Pünktlichkeit eine gute Eigenschaft, aber das behindert manchmal den zwischenmenschlichen Umgang. [Findest du es besser, wenn sie flexibler werden können? ] Ja. Item: nüchtern, Bewertung 0 (Codes B.3.1 + B.4.3 + B.6) 可能因为当时我想到的是有些事情有一些不太懂变通 , 尤其是我当时可能 想到的是可能中国人会比较委婉一点 , 德国人比较直接的话有可能会伤害 到对方 , 他太过实事求是了也不一定特别好但是也还可以 , 所以我给了一个 比较中立的评价 . (4-2_37, AV2, 39: 00) Wahrscheinlich habe ich damals 91 gedacht, dass sie in manchen Sachen nicht so flexibel sind. Besonders habe ich daran gedacht, dass die Chinesen sich indirekter und vorsichtiger auf schonende Weise ausdrücken. Aber wenn die Deutschen so direkt sind, könnten sie die anderen verletzen. Sie sind zu nüchtern, das ist nicht unbedingt gut, aber auch nicht schlecht, deshalb habe ich eine neutrale Bewertung gegeben. 91 Anmerkung: Mit „damals“ ist der Zeitpunkt gemeint, als der Proband den Fragebogen ausfüllte. <?page no="342"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 343 Item: intelligent, Bewertung +1 (Code B.3.8) 聪明是他们的优点 , 但是我觉得在我比如说在其他国家看来他们太聪明感 觉就不是一件很好的事情 , [ 就是会威胁到其他国家吗 ? ] 对对对 . (1-4_92, AF3, 20: 25) Intelligent ist ihr Vorteil. Aber aus meiner Sicht oder z. B. aus der Sicht anderer Länder scheint das keine gute Sache zu sein, wenn sie zu intelligent sind. [Meinst du, ihre Intelligenz wird für die anderen Länder eine Bedrohung? ] Ja, genau, richtig. Der Code Eigenschaft zu viel wird weniger gut geht immer mit einer Abwertung einher, bei eher hoher Erwartung , die Abwertung betrifft den Wert nach dem hier modifizierten Modellansatz nach Fishbein A (0) = f(B, a) mit Erwartung ( B ) und Wert ( a ). Das in dieser Kategorie am meisten betroffene Item ist konventionell. Diese Eigenschaft wird im Durchschnitt von den 399 Probanden der Fragebogenstudie genau neutral mit „0“ bewertet. Wie sich jetzt zeigt, kann dies in vielen Fällen aufgrund einer Abwertung geschehen sein, das heißt, die Eigenschaft selbst hat implizit einen höheren Wert . In der chinesischen Übersetzung hat konventionell die Bedeutung, dass man sich immer nach den verbreiteten normalen Regeln richtet und danach handelt. Bei den 70 % der gesamten Aussagen zur Bewertung von konventionell geht es darum, dass zu konventionelles Verhalten nicht so gut ist, weil es häufig mit Unflexibilität der Deutschen assoziiert wird. Mit Ausdrucksformen wie „zu konventionell“, „auf keinen Fall“, „übertrieben“, „unbedingt“ und „unmöglich für sie“ wird Abneigung ausgedrückt. Gleichzeitig deuten diese Ausdrucksformen auf eine sehr hohe Erwartung hin, dass die Probanden sich also sehr sicher sind, dass konventionell auf die meisten Deutschen zutrifft. Man kann deswegen davon ausgehen, dass sich die Abwertung dieses Items ausschließlich auf den Wert des Items in Bezug auf die Deutschen bezieht. Wie bereits besprochen wurde, zählt unflexibel/ starr zur häufigsten negativen Eigenschaft der Deutschen in mehreren Untersuchungen in Bezug auf das Deutschlandbild in China (siehe Kap. 2.5.3.1 Das positive Deutschlandbild in China ). Hier ist noch einmal wichtig zu verstehen, warum diese Eigenschaft immer wieder von den Chinesen hervorgehoben wird. Wie oben die erste Probandin (2-1_82) erzählt, halten die Chinesen sich für flexibler und lassen sich nicht von Vorschriften komplett einschränken, während die Regeln und Vorschriften der Deutschen als umständliche Formalitäten und Hindernisse angesehen werden. Zur Erklärung können die von Liang und Kammhuber (2007) zusammengefassten sieben zentralen chinesischen Kulturstandards herangezogen werden. 92 92 Die Benennung und Bestimmung chinesischer Kulturstandards basiert auf den Forschungsarbeiten von Alexander Thomas, die von der Handlungswirksamkeit von Kul- <?page no="343"?> 344 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Thomas (1996) vertritt die Auffassung, dass die Wahrnehmung einer Person und die Bewertung ihres Verhaltens „abhängig von zentralen Kulturstandards als Maßstäbe zur Bewertungs- und Bedeutungszuschreibung“ (Thomas 1996: 115) ist. Einer der sieben zentralen chinesischen Kulturstandards betrifft den Regelrelativismus. Damit ist gemeint, dass die Chinesen Flexibilität hoch schätzen und Regeln keinen absoluten Status haben. Diese werden ihrem Kontext entsprechend interpretiert und müssen je nach Situation flexibel angepasst werden (vgl. Liang/ Kammhuber 2007: 181). Dies ist auf die konfuzianische Vorstellung zurückzuführen, dass „Staat und Gesellschaft […] durch Moral, Menschlichkeit und Tugend gelenkt werden [sollten] und nicht durch abstrakte Gesetze“ (ebd.). Auf Grundlage dieser Vorstellung wird daher das Recht in China relativer und nicht als absolut empfunden. Diese Vorstellung steht den deutschen Kulturstandards, die von Schroll-Machl (2007) zusammengestellt werden, wonach die Wertschätzung von Strukturen und Regeln bei den Deutschen im Vordergrund steht, diametral gegenüber (vgl. Poerner 2009: 41). Nach deutscher Rechtsauffassung gilt der Grundsatz „Pacta sunt servanda“ (Verträge müssen eingehalten werden), der auf das römische Recht zurückgeht (vgl. Liang/ Kammhuber 2007: 181 f.). Schroll-Machl (2007) verweist darauf, dass unzählige Regeln, Vorschriften, Verordnungen und Gesetze in Deutschland eng und starr ausgelegt und strikt eingehalten werden, was mit anderen Kulturen kontrastiert (vgl. Schroll- Machl 2007: 75). Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, dass Deutsche von den Chinesen häufig als rigide, stur und unflexibel empfunden werden und umgekehrt die Chinesen in den Augen der Deutschen manchmal als unzuverlässig, chaotisch oder gar hinterhältig angesehen werden (vgl. Liang/ Kammhuber 2007: 181). Diese gegenseitige Wahrnehmung basiert offensichtlich auf der eigenen Kultur, die die meisten Menschen „als den Mittelpunkt der Welt und als den Maßstab aller Dinge“ (Maletzke 1996: 23) sehen. Maletzke (1996) bemerkt dazu, dass „diese Einstellungen, in den Wissenschaften als „Ethnozentrismus“ 93 turstandards in der Interaktion zwischen Deutschen und Chinesen handeln (vgl. Poerner 2009: 40). Nach Thomas wird Kultur als ein spezifisches Orientierungssystem aufgefasst und Kulturstandards werden definiert als zentrale Orientierungsmerkmale in diesem System, in dem sich über Generationen hinweg spezifische Bewertungs- und Verhaltensstandards herausbilden (vgl. Thomas 1996: 114 f.). Die Ergebnisse der Kulturstandardsforschung in Bezug auf China präsentieren, basierend auf empirischen Untersuchungen, Liang Yong und Stefan Kammhuber im von Thomas/ Schroll-Machl/ Kammhuber herausgegebenen Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation (Thomas et al. 2007). Die von ihnen zusammengefassten sieben zentralen chinesischen Kulturstandards lauten: Soziale Harmonie; Hierarchie; Guanxi und Renqing (Beziehung und Mitmenschlichkeit); Gruppenorientierung; Gesicht geben - Gesicht nehmen; Etikette, Bescheidenheit und Höflichkeit; Regelrelativismus. 93 Dieser Begriff wurde von dem US-Soziologen William Graham Sumner im Jahr 1906 geprägt mit der Definition: „Ethnocentrism is the technical name for this view of things in <?page no="344"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 345 bezeichnet, […] bei der interkulturellen Begegnung eine außerordentlich bedeutsame Rolle [spielen]“ (ebd.). Solmecke (1983) vertritt die Ansicht, dass der Grad der Toleranz fremdkultureller Erscheinungsformen, die von eigener Kultur abweichen, individuell unterschiedlich ist (vgl. Solmecke 1983: 131). Die anderen eindeutig positiven Items, wie z. B. anspruchsvoll , arbeitsfreudig , fleißig , pünktlich , nüchtern usw., erscheinen ganz typisch für die Deutschen, wurden aber weniger gut bewertet, weil die Probanden sich durch die entsprechenden Verhaltensweisen unter Druck gesetzt und überfordert fühlen. Das betrifft hauptsächlich Items des Faktors Perfektion . Denn diejenigen, die nicht nach Perfektionismus streben wollen, werden mit sich selbst als Maßstab den Perfektionismus der Deutschen abwerten. Das kann auch der Grund dafür sein, warum die mittlere Bewertung des Faktors Perfektion mit 1,74 deutlich weniger positiv ist und die Bewertungsrichtung der dazugehörigen Items gewechselt werden kann (vgl. Tabelle 23: Bewertungen der Faktoren durch alle Probanden und Tabelle 16: Unterschiedliche Bewertungsrichtungen und -intensitäten von Items der Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014) ). Dahinter stehen die unterschiedlichen, eigenen, zum Teil komplexen Wertvorstellungen der Probanden. Interessant ist auch, dass einige negativere Gefühle und Bewertungen nicht direkt durch den Umgang mit den Deutschen, z. B. den deutschen Lehrern hervorgerufen wurden, sondern durch eine fiktiv erdachte Kommunikationssituation mit einem Deutschen. Vielleicht setzen und sehen sich gerade die Deutschstudierenden, die später vielleicht öfter mit Deutschen zu tun haben werden, bei der Bewertung der Eigenschaften schon jetzt in Relation zu ihnen. Sie stellen sich intensiv vor, was es bedeuten könnte, mit Deutschen zu tun zu haben. Möglicherweise bewerten Leute, die sich in keiner Beziehung zu den Deutschen sehen, die oben genannten Eigenschaften ganz anders. Die für die Chinesen eindeutig negativen Eigenschaften können ebenfalls durch unterschiedliche Erwartungen verstärkt oder abgeschwächt werden. Es gibt die folgenden zwei Möglichkeiten, um eine negative Eigenschaft auf- oder abzuwerten: which one’s own group is the center of everything, and all others are scaled and rated with reference to it“ (Sumner 1906: 13). <?page no="345"?> 346 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie negative Items: 1. Erwartung hoch↑, Wert niedrig↓ = Bewertung niedriger↓ Kommentar: Die Probanden haben eine hohe Erwartung , dass das Item auf die meisten Deutschen zutrifft, es erscheint typisch. Die hohe Erwartung kann den negativen Wert des Items noch verstärken. Interviewzitat: Item: fremdenfeindlich, Bewertung -3 (Codes B.1.1 + B.8) 我觉得这种行为很不好 , 而且我觉得他们好像可能有点严重吧 . 本来他们互 相以前就有这种历史 , 老师也说某个州跟某个州之间的关系就不好 , 更别说 我们这种外国人了 , 去了他们那边就更不好了 . (3-4_58, O4, 27: 53) Ich finde fremdenfeindlich, dieses Verhalten, sehr schlecht. Das ist in Deutschland wahrscheinlich auch sehr schlimm und verbreitet. Früher gab es schon solche Konflikte, in der Vergangenheit. Unsere Lehrer haben auch erzählt, dass die Verhältnisse zwischen einzelnen Bundesländern schon nicht so gut sind. Im Inland gibt es schon Fremdenfeindlichkeit, geschweige denn gegenüber Ausländern. Also wenn wir als Ausländer in Deutschland sind, wird es bestimmt noch schlimmer. negative Items: 2. Erwartung niedrig↓, Wert niedrig↓ = Bewertung weniger negativ↑ Kommentar: Die Probanden sind sich nicht sicher, ob das Item auf die meisten Deutschen zutrifft, ob es typisch ist. Dadurch werden negative Items nicht mehr so negativ bewertet und können bis zur neutralen Null aufgewertet werden. Interviewzitat: Item: militaristisch, Bewertung 0 (Codes B.2.2 + B.10) 其实我也不是特别清楚当时就选了这个 , 可能还是脑海里有希特勒啊 , 当时 那种屠杀之类的 . [ 然后给的是 0 分的话是觉得 ? ] 觉得不是很好 , 坏 , 坏的话 我也不太确定是不是坏 , 就不太敢评价 . (1-4_92, AQ3, 22: 39) Eigentlich war ich nicht so sicher. Ich habe das Item angekreuzt, wahrscheinlich weil ich Hitler und den Holocaust im Kopf hatte. [Warum hast du eine Null gegeben? ] Ich fand das nicht so gut, aber ob das schlecht ist, war ich auch nicht sicher. Deshalb wagte ich nicht, es anders zu beurteilen. Was die eindeutig negative Eigenschaft angeht, kann eine sehr hohe Erwartung der Probanden, dass diese negative Eigenschaft bei den Deutschen typisch und weitverbreitet ist, dazu führen, dass die negativen Items eventuell bis zum schlechtesten Wert -3 bewertet werden; umgekehrt kann es aufgrund niedri- <?page no="346"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 347 ger Erwartung zu einer weniger schlechten Bewertung bis zur neutralen Null kommen. Zusammengefasst beschreiben die zitierten Aussagen, dass die Probanden bei der Bewertung einer Eigenschaft sowohl den Wert der Eigenschaft selbst als auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Eigenschaft auf die Deutschen zutrifft, berücksichtigt haben. Beide Anteile haben einen wechselseitig großen Einfluss auf die Bewertung der Items. • Eine höhere Erwartung wird jede Bewertung in Richtung der Pole schieben, je nachdem, ob es sich um eine positive oder um eine negative Eigenschaft handelt. • Ob die Eigenschaft als positiv oder negativ angesehen wird, hängt vom Wert ab. Dieser wird durch drei grundsätzlich unterschiedliche Mechanismen gebildet: • Der Proband leitet den Wert objektiv auf die Deutschen bezogen her, z. B. „pünktlich finde ich bei den Deutschen gut“, der Wert dieser Eigenschaften bleibt erhalten. • Der Proband leitet den Wert durch impliziten Vergleich von Kulturstandards her, z. B. „wir Chinesen sind nicht so regelfixiert“, „konventionelles bis stures Verhalten bereitet uns Unbehagen“. Der Wert dieser Eigenschaften wird heruntergestuft. • Oder der Proband bewertet subjektiv, er setzt sich gedanklich in Beziehung zu den Deutschen, als Student z. B. zum Lehrer oder auch allgemeiner und stellt z. B. fest, dass ihn das unbeirrte Streben der Deutschen nach Perfektion unter Druck setzen würde. Der Wert dieser Eigenschaften wird heruntergestuft. 6.4.5 Bewertung der Dimension Wert Etwa die Hälfte der Interviewaussagen zur Begründung der Bewertung der Items bezieht sich auf den Wert einer Eigenschaft. Das betrifft die Kategorien B.4 Mit Herleitung und Begründung (weil, deshalb), B.5 Es gibt Vor- und Nachteile , B.6 Neutral, nicht gut, nicht schlecht sowie B.7 bis B.10 zum guten oder schlechten Wert der Eigenschaft. Tabelle 67 zeigt eine Übersicht über die Häufigkeit von Codes, die sich ausschließlich auf die Bewertungsdimension Wert beziehen. Die Summe von 115 unterscheidet sich von den 108 Fällen, die in Tabelle 65 gezählt wurden, weil zu den 108 Aussagen zu den besprochenen Items 115 Codes vergeben wurden. Für einige Aussagen wurde mehr als ein Code vergeben. <?page no="347"?> 348 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Codenummer Codes Anzahl Anteil% B.7 sehr gute Eigenschaft 23 20,00 B.5 Es gibt Vor- und Nachteile 20 17,39 B.6 neutral, nicht gut, nicht schlecht 18 15,65 B.4.3 Vergleich mit dem Selbstbild besser oder schlechter 8 6,96 B.4.1 Vergleich mit anderen Items mehr oder weniger positiv 8 6,96 B.4.4 eigene Präferenzen als Maßstab 8 6,96 B.9 relativ gute Eigenschaft 7 6,09 B.10 relativ schlechte Eigenschaft 7 6,09 B.8 sehr schlechte Eigenschaft 5 4,35 B.4.9 hat viele Vorteile 3 2,61 B.4.7 fehlende Lebenslust 2 1,74 B.4.8 Krieg provoziert 2 1,74 B.4.2 Items vermitteln ein kaltherziges, arrogantes Gefühl 1 0,87 B.4.5 Items vermitteln ein gutherziges Gefühl 1 0,87 B.4.10 keine Bedeutung, interessiert mich nicht 1 0,87 B.4.11 unerwünschte Kritik an China 1 0,87 Nennungen gesamt 115 100,00 Tabelle 67: Anzahl und Anteil der Codes in Bezug auf die Bewertungsdimension Wert Die häufig zugewiesenen Codes wie Es gibt Vor- und Nachteile und neutral, nicht gut, nicht schlecht beziehen sich hauptsächlich auf die Begründung für eine neutrale Bewertung mit „0“, während eine sehr gute Eigenschaft oft die beste Bewertung +3 begründet. Bemerkenswert sind einige häufig genannte Begründungen, die auf das Gewicht von individuellen Wertsystemen hindeuten. Die eigene Kultur und Wertsysteme werden als Maßstab genommen, um die fremden sozialen Gruppen zu beurteilen. Der zweithäufigste genannte Code B.5 Es gibt Vor- und Nachteile und der dritthäufigste Code B.6 neutral, nicht gut, nicht schlecht beziehen sich auf die Begründung für eine neutrale Bewertung. Ein paar Beispiele dazu werden im Folgenden zitiert. <?page no="348"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 349 Code: Es gibt Vor- und Nachteile Kommentar: Wie die Benennung dieses Codes schon sagt, werden Vor- und Nachteile einer Eigenschaft in Bezug auf die Deutschen bei der Begründung der Bewertung genannt. Eine Bewertung von vorwiegend „0“ ist dadurch zustande gekommen, dass die Probanden die Vor- und Nachteile gewichten und dadurch zu einem gemittelten, eher neutralen Wert kommen. Interviewzitate: Item: distanziert, Bewertung 0 (Code B.5) 因为德国人我觉得还挺绅士的感觉 , 即使互相交往但是两个人之间 , (…), 在 德国就感觉亲近但是要给彼此留一点空间 , 就是跟不太熟的人也这样 . [ 然 后你给的是 0 分你觉得是 ? ] 可能有时候会拘谨于德国人觉得 , 我这样是不 是不太好啊 , 少了一些更亲近的机会 , 但是保持距离的同时也是留一点余地 啊 , [ 就是你觉得保持距离有时候也是有好处的 ? ] 嗯 , 有好处的 . (2-1_64, J6, 21: 26) Die Deutschen geben mir einen Eindruck, dass sie Gentlemen sind. Wenn vertraute Leute in Deutschland miteinander verkehren, geben sie sich auch ein bisschen freie Räume. (…) Bei nicht so vertrauten Personen halten sie auch Distanz. [Warum bewertest du das mit 0? ] Wenn man immer überlegen muss, ob man den Deutschen schon zu nah gekommen ist, ob das nicht so gut ist, gibt es dadurch weniger Chancen, mit ihnen vertrauter zu werden. Aber beim Distanzhalten gibt man den anderen gleichzeitig auch freie Räume. [Meinst du, dass distanziert auch Vorteile hat? ] Ja, es gibt Vorteile. Item: trinkfreudig, Bewertung 0 (Code B.5) 就是那个应用技术大学来的两个老师 , 有一个老师就是男老师 , 他上课结束 的时候就邀请我们一起去吃饭 . 到了那叫什么 , 露天啤酒吧 , 他就说来我们 每个人一瓶啤酒吧 , 我说不不不我们喝不了那么多 , 呵呵 . 我觉得和德国人一 起最少还是要喝一些 , 我觉得就是那样他看见你的杯子见底了就会说来来来 赶紧了倒上 , [ 你觉得也不太好 ? ] 对 , 哈哈哈 . [ 但是你为什么没给负分 ? ] 是 因为我觉得他们很喜欢喝啤酒 , 他们把喜欢的东西和别人分享 , 我觉得这一 点很好 , 说明他觉得你这个人还不错所以他会愿意和你分享他觉得好的的 事物 . [ 所以就折中哈就给了 0 分 ? ] 对对对 . (4-3_41, BR4, 21: 31) Einmal kamen zwei deutsche Lehrer aus einer deutschen Fachhochschule und haben uns Unterricht gegeben. Nach dem Unterricht lud ein Lehrer uns zum Essen ein. Wir haben in einer Bierbar unter freiem Himmel gegessen. Der Lehrer sagte, dass jeder von uns eine Flasche Bier trinken soll. Wir haben das sofort zurückgewiesen und gesagt, dass wir nicht so viel trinken könnten ((lachend)). Ich denke, wenn man mit den Deut- <?page no="349"?> 350 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie schen umgeht, muss man doch ein bisschen Alkohol trinken. Als unsere Gläser fast leer waren, wollte er unsere Gläser sofort nachfüllen. [Das findest du nicht so gut? ] Ja, hahaha. [Aber warum hast du nicht eine negative Bewertung gegeben? ] Weil sie sehr gerne Bier trinken und die Dinge, die sie schön finden, gerne mit den anderen teilen. Das finde ich gut. Das bedeutet, nur wenn er diese Person ok findet, will er seine Lieblingsdinge mit der Person teilen. [Deshalb hast du Vor- und Nachteile gemittelt und mit 0 bewertet? ] Ja, genau, richtig. Item: rational, Bewertung 0 (Code B.5) 比如他们循规蹈矩 , 然后又很守时什么都很有序严谨 , 说明在这些方面就觉 得我一定要这样做 , 一定按着一个正确的路子来 , 就说明肯定是不太容易冲 动的一个民族嘛 , 很有规矩 , 理性这个东西我觉得感性理性都要有才好 . (2- 1_64, BC3, 19: 20) Weil die Deutschen konventionell, pünktlich, ordentlich und ernsthaft sind, denken sie, sie müssen die Regeln einhalten und machen alles nach Regeln und Vorschriften. So eine Nation kann nicht impulsiv sein. Aber was Vernunft angeht, finde ich, man muss beides haben, Vernunft und Emotion, dann ist es gut. Item: gute Soldaten, Bewertung -1 (Code B.5) 也是想到二战 , 挺优秀的 , 而且也很帅 , 但是对于我们来讲不是特别好 , 对于 其他国家有威胁 , 以我自身的角度 , 虽然挺喜欢但是还是有不好的一面 . (2- 1_82, V3, 24: 57) Ich habe auch an den Zweiten Weltkrieg gedacht. Die Soldaten waren ausgezeichnet und auch sehr hübsch. Aber das ist nicht so gut für uns, sie sind auch eine Bedrohung für andere Länder. Aus meiner eigenen Perspektive gefallen sie mir gut. Aber es gibt auch schlechte Seiten. Item: trinkfreudig, Bewertung 0 (Code B.5) 可能也是从学课文中了解的 , 我觉得在一些场合朋友聚会喝酒品酒 , 适当喝 酒是好的 , 但是如果是酗酒或者达到那种成天就喝酒就不好了 . (…) 我觉得 德国人应该不太酗酒吧 , 有些场合还是好的 , 就是那些合适的场合 , (…) 因 为我自己觉得看到酗酒的就不好 , 对就综合一下 . (1-2_65, BR5, 21: 30) Ich habe das durch Texte in den Lehrbüchern erfahren. Unter manchen Umständen, wie z. B. beim Treffen mit Freunden, kann man Alkohol trinken und zusammen Wein und Bier kosten. Trinken von passenden Mengen finde ich gut. Aber wenn man alkoholsüchtig ist und jeden Tag trinkt, ist das nicht gut. (…) Ich glaube, die Deutschen müssen sich nicht betrinken. Unter manchen Umständen finde ich es gut, wenn man gerne <?page no="350"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 351 zusammen Alkohol trinkt. (…) Weil ich betrunken sein für nicht so gut halte, gewichte ich und bewerte ich so. Aus diesen Aussagen ist ersichtlich, dass die Interviewprobanden die Eigenschaften bei der Bewertung genau auf die Deutschen bezogen haben. Sie kommen zu einer eher neutralen Bewertung, nachdem sie die Vor- und Nachteile dahingehend abgewogen haben, was sie in Verbindung mit einer bestimmten Eigenschaft gut oder nicht so gut an den Deutschen finden. In dem Abwägungsprozess stehen oft die eigenen Präferenzen und Interessen im Vordergrund. Code: Neutral, nicht gut, nicht schlecht Kommentar: Die Probanden nehmen eine neutrale Position gegenüber Items ein, die ihren Meinungen nach nicht mit gut oder schlecht beurteilt werden können. Interviewzitate: Item: religiös intolerant, Bewertung 0 (Code B.6) 感觉他们信基督比较多 ,[ 你给的是 0 分哈 , 是觉得宗教排外也不是特别坏 ? ] 可 能因为我自己不信宗教吧 , 我对这个就也不能说是好还是不好 , [ 就持中立的 态度 ? ] 对 . (4-2_37, BF2, 35: 34) Weil die meisten Deutschen an Christus glauben. [Du hast eine Null gegeben. Findest du das auch nicht so schlecht? ] Wahrscheinlich, weil ich selber an keine Religion glaube, kann ich nicht beurteilen, ob diese Eigenschaft bei ihnen gut oder schlecht ist. [Nimmst du einen neutralen Standpunkt ein? ] Genau. Item: fernsehbegeistert, Bewertung 0 (Code B.6) (…), 因为看电视我觉得没什么优点也没有缺点 , 看多了可能也不太好 , 但是 你不看吧也不太好 , 个人兴趣吧 , 中立态度 . (4-2_37, M2, 41: 06) (…) Weil ich der Meinung bin, dass Fernsehen gucken keinen Vorteil und auch keinen Nachteil hat. Wenn man zu viel fernsieht oder gar nicht fernsieht, ist beides nicht gut. Das hängt von eigenen Interessen ab. Ich halte das für neutral. Items, die im Vergleich mit dem Selbstbild besser oder schlechter bewertet werden, kommen auch relativ häufig vor. Der Vergleich wird vom Probanden anhand von ganz konkreten Beispielen durchgeführt. Code: Vergleich mit dem Selbstbild besser oder schlechter Kommentar: Die Probanden schauen auf sich selbst und vergleichen die Unterschiede zu den Deutschen. Das Selbstbild und das <?page no="351"?> 352 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Wunschbild werden ein Maß, um zu betrachten, ob die Deutschen sich wie die Chinesen verhalten oder den von ihnen gewünschten Eigenschaften entsprechen. Die bei den Chinesen fehlenden guten Eigenschaften, die die Deutschen besitzen, werden als Vorbild oder Wunschbild angesehen und sehr positiv empfunden. Umgekehrt werden Eigenschaften bei den Deutschen negativer bewertet, wenn diese von ihrem positiven Selbstbild abweichen. Interviewzitate: Item: pünktlich, Bewertung +3 (Codes B.4.3 + B.7) (…), 后来我们去德国一个月特别惊讶的就是那个德国公交车就特别准 , 每 个站点会有时间表 , 就是说几点来就几点来 , 不会像中国这样你就那里等着 也不知道什么时候来 . (4-2_37, AZ10, 13: 11) (…), später waren wir einen Monat in Deutschland und es hat uns sehr erstaunt, dass jede Bushaltestelle einen Fahrplan hat und die Busse immer genau um die Zeit kommen, wie es im Fahrplan steht. Nicht wie in China, hier weiß man nicht, wann der Bus kommt, man muss einfach warten. Item: ordentlich, Bewertung +3 (Code B.4.3) 也是自己看到的 , 因为我发现德国人真的有提前制定自己的计划 , 就是说这 个月好这个表拿出来 , 好 , 这周我有事 , 今天我要做什么明天我要做什么 , 好 我跟谁预约了就要先写上 . 像中国人应该是很不会的 , 有事都会经常忘吧 , 大 多数人吧 . 他们就写下来 , 包括那个德国房东我也是看他每个月专门都有一 个计划表 . (3-4_40, AW4, 20: 47) Das habe ich auch selber gesehen. Ich habe gemerkt, die Deutschen entwickeln ihre eigenen Pläne wirklich im Voraus. In ihrem Kalender steht, was sie in dieser Woche, heute und morgen machen müssen. Alle Termine schreiben sie auf. Die Chinesen machen das nicht und vergessen oft wichtige Sachen, die meisten sind so. Aber sie (die Deutschen) schreiben das auf. Ich habe gesehen, dass mein deutscher Vermieter für jeden Monat einen Terminkalender hat. Item: kultiviert, Bewertung +3 (Code B.4.3) 我觉得他们很有素质 , 最切身的一点是有一次我记得是 , 有一次房东送我们 去机场乘飞机的时候 , 路上遇到了警车鸣笛 , 然后我们都很奇怪 , 他们都把 车都停下来往两边靠 , 我觉得在中国是不可能的 . 如果高速路如果前面有警 车 , 他们会自动跟在警车后面走 , 他们高速路上开车都很快却会停下来 , 在中 国是很少见的 , 素质真的是很高 . (3-4_40, AN5, 19: 56) Die Deutschen haben ein hohes Niveau. Ein Erlebnis war beeindruckend. Einmal brachte uns unser Vermieter zum Flughafen. Unterwegs kam ein Polizeiwagen mit Sirene. Wir haben uns gewundert, dass alle Autos Platz gemacht <?page no="352"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 353 haben und zur Seite gefahren sind. In China würde sowas nie passieren. Auf der Autobahn fahren alle hinter dem Polizeiwagen und haben sogar kurz angehalten, obwohl sie vorher mit hoher Geschwindigkeit gefahren sind. In China sieht man das selten. Deshalb finde ich, dass sie wirklich ein hohes Niveau haben und kultiviert sind. Item: konservativ, Bewertung -2 (Code B.4.3) 有个事例是他们不让我们拍照 , 没有经过允许的时候不让我们拍他们的照 片 , 还有他们穿衣服穿特别多 , 老是大热天的还穿特别多 , 还有就是感觉有 时候很严肃 , 也不太谈自己私人的东西 , 对私人这方面很看重 . 就不像我们 中国的一来就问你住哪儿啊 , 你年龄多大啊 , 你父母干什么的啊 . (3-4_58, AK3, 31: 12) Ich hatte ein Erlebnis. Wir durften sie (Anmerkung: die Deutschen) nicht fotografieren ohne ihre Erlaubnis. Außerdem ziehen sie sich dick an, auch bei warmem Wetter. Sie sind manchmal sehr ernst und sprechen nicht gerne über ihre privaten Sachen. Sie legen viel Wert auf ihre private Seite. Nicht wie wir Chinesen, beim ersten Treffen fragen wir schon: „Wo wohnen Sie? Wie alt sind Sie? Was sind Ihre Eltern von Beruf? “ Wie mehrere Autoren anmerken, verweist das Heterostereotyp jedes Mal explizit oder implizit auf das Autostereotyp, d. h. die Äußerungen über die anderen Gruppen und deren Beurteilungen sind immer auf das Selbstverständnis und das eigene Werte- und Normensystem zurückzuführen (vgl. Boerner 1975: 318; Mirga 1984: 64; Fischer 1987: 61 f.; Beller 1987: 674; Bausinger 1988: 160; Steinmann 1992: 221; Nünning 1994: 163) „In der soziologischen Literatur herrscht allgemein Übereinstimmung darüber, dass Autostereotype die Normen einer Gruppe angeben und als Leitbilder das Verhalten der Gruppenmitglieder beeinflussen.“ (Keller 1972: 53) Keller (1998) hebt auch den hohen Stellenwert des Kulturvergleichs bei einer internationalen Orientierung hervor (vgl. Keller 1998: 152). Er vertritt die Auffassung, dass die aus der eigenen Kultur erworbenen Wissensbestände, Erfahrungen, Wertvorstellungen, Verhaltensweisen sowie sozio-kulturellen Errungenschaften als Vergleichsraster und Beurteilungskriterien dienen, um sich an der fremden Kultur zu orientieren, sie zu verstehen und auf der Basis der eigenen Kultur die andere einer affektiven Wertung zu unterziehen (vgl. ebd. 152 f.). Aus den oben zitierten Aussagen der Probanden ist ersichtlich, dass das Selbstbild nicht immer positiver als das Fremdbild gesehen wird, sie sind selbstkritisch und betrachten viele Eigenschaften der Deutschen als Vorbild. Neben dem Vergleich mit dem Selbstbild ist eine weitere Begründung für die Bewertung eines Items die Herstellung von Zusammenhängen zwischen den <?page no="353"?> 354 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Werten unterschiedlicher Items. Bei der Bewertung werden Items oft miteinander verglichen und nach der eigenen Wertvorstellung der Probanden in eine Rangfolge gebracht. Hieraus ergibt sich für die Probanden eine Klassifizierung zwischen wichtigeren und weniger wichtigen Charaktereigenschaften für den Umgang mit anderen im sozialen Leben. Code: Vergleich mit anderen Items mehr oder weniger positiv Kommentar: Die Probanden vergleichen Items untereinander mit ihrem eigenen Wertsystem. Sie vergeben die Bewertung nach einer Rangfolge, die ihrer eigenen Wertvorstellung entspricht. Interviewzitate: Item: intelligent, Bewertung +2 (Code B.4.1) [ 有智慧的这个特点本来应该算是比较好的哈 ? ] 嗯 . [ 你给 2 分是因为有智慧 也没有最好吗 ? ] 因为可能我当时打这个分有做一些选择吧 , 因为可能排一 下名或者排一下顺序我觉得有智慧这一点比起其他的那些东西可能没有那 些东西重要 , 就给了 2 分 . (3-2_87, AF4, 27: 45) [Intelligent sollte doch zu einer ziemlich positiven Eigenschaft zählen? ] Ja. [Gibst du eine +2, weil du das doch nicht so top findest? ] Weil damals, bei der Bewertung, habe ich wahrscheinlich gewichtet und innerlich eine Reihenfolge gebildet. Im Vergleich mit den anderen guten Charaktereigenschaften finde ich intelligent etwas weniger wichtig. Deshalb habe ich eine +2 gegeben. Item: kultiviert, Bewertung +1 (Code B.4.1) 就跟可信赖的比排下来没有那么好 . (1-1_12, AN6, 16: 29) Im Vergleich mit zuverlässig finde ich diese weniger gut. Item: traditionsgebunden, Bewertung +2 (Code B.4.1) 就跟保守的很像 , [ 但是又比保守的还要更好一点 ? ] 对 , 呵呵 , 因为我觉得保 守从某些方面来说点有贬义的色彩 , 传统的话就是一个比较好的中性词 . (4- 3_41, BQ3, 26: 09) Das ist so ähnlich wie konservativ. [Aber etwas positiver als konservativ? 94 ] Genau ((lachend)). Weil ich finde, in manchen Hinsichten ist konservativ etwas negativ, aber traditionsgebunden ist eine relativ positive, neutralere Eigenschaft. Item: Herrenvolk, Bewertung -1; Item: fremdenfeindlich, Bewertung -2 (Code B.4.1) 94 Diese Frage wurde von der Interviewerin gestellt, weil diese Probandin konservativ mit +1 bewertet hat und kurz davor darüber gesprochen hat. <?page no="354"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 355 [ 排外的给的是 -2 分 , 是比起有种族优越感要更坏一些吗 ? ] 嗯 , 排外毕竟是一 种做法了嘛 , 有优越感只是有优越感 , 只是在心里面 , [ 哦 , 就觉得没有那么负 面哈 ? ] 嗯 . (4-2_51, O5, 17: 30) [Du hast fremdfeindlich mit -2 bewertet, ist das Item schlechter als Herrenvolk? ] Ja, Ich finde, fremdenfeindlich ist schon eine Handlung, Herrenvolk ist nur im Herzen ein Überlegenheitsgefühl. [Findest du deshalb das Item Herrenvolk weniger negativ? ] Genau. Item: Nationalstolz, Bewertung +1 (Codes B.4.1+ B.4.10 + B.1.1) 可能跟种族优越感有点类似 , 但是我觉得民族自豪感这个词偏正面一点 , 因 为每个民族肯定都会或多或少对自己的民族挺自豪的 , 就是给了个 1 分的评 价 . [ 但是也不算很好 ? ] 我觉得自豪感可能对我来说没有什么用 , 你就自豪也 没有什么用 . [ 然后就没有那些技能 , 比如优秀的医生 , 优秀技术员这些你觉 得比较有用一点 ? 你给的都是 3 分 ] 对 . (4-2_37, AT6, 37: 10) Dieses Item ist so ähnlich wie Herrenvolk. Aber Nationalstolz ist positiver als Herrenvolk, denke ich. Jede Nation müsste stolz auf sich sein. Deshalb habe ich das mit +1 bewertet. [Aber das ist auch nicht besonders gut? ] Ich finde, Nationalstolz hat wahrscheinlich keine Bedeutung für mich. Sie können stolz sein, na und? Es nützt nichts. [Findest du handwerkliche Begabung nützlicher, z. B. gute Ärzte, gute Techniker hast du alle mit +3 bewertet? ] Ja, genau. Die obigen Beispiele zeigen das Phänomen, dass einige Eigenschaften, wie zuverlässig oder handwerkliche Begabungen, die für die Chinesen allgemein äußerst positiv und sehr wichtig sind, von einigen Probanden im obersten Bereich eines Wertesystems erkannt werden. Andere Eigenschaften werden damit verglichen, in eine Rangfolge gebracht und abgestuft. McDaniel/ Samovar/ Porter (2012) definieren ein Wertesystem, bestehend aus persönlichen und kulturellen Werten wie folgt: Values represent those things we hold important in life, such as morality, ethics, and aesthetics. We use values to distinguish between the desirable and the undesirable. Each person has a set of unique, personal values and a set of shared, cultural values. The latter are a reflection of the rules a culture has established to reduce uncertainty, lessen the likelihood of conflict, help in decision making, and provide structure to social organization and interactions. Cultural values are a motivating force behind our behaviors. (McDaniel et al. 2012: 14) <?page no="355"?> 356 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Code: Eigene Präferenzen als Maßstab Kommentar: Die Probanden gehen von ihren eigenen Interessen und Präferenzen aus und begründen eine bessere oder schlechtere Bewertung damit, dass sie persönlich diese Eigenschaft bevorzugen oder abgeneigt sind. Interviewzitate: Item: ordentlich, Bewertung +1 (Code B.4.4) (…), [ 给 1 分的话是觉得没有那么好 ? ] 整体挺好的 , 但是可能我个人比较偏 向那种自由一点的 , 就是美国那边的那种 , 开心就好 . 有序还是不错 , 但是没 有太喜欢 . (2-1_64, AW5, 17: 08) (…), [Du hast einen Punkt gegeben, findest du das nicht so gut? ] Insgesamt finde ich diese Eigenschaft gut. Aber ich persönlich bevorzuge eine amerikanische, freiere Lebensweise, wobei man fröhlich ist. Ordentlich ist nicht schlecht, aber gefällt mir nicht so. Item: trinkfreudig, Bewertung +3 (Code B.4.4 + B.4.9) 因为我在德国的时候我其实挺喜欢喝啤酒的 , 我会把德国啤酒每一种尝遍 嘛 , 然后那个德国夫妇也是每天也会喝酒 , 喝葡萄酒啊 , 什么玫瑰酒啊 , 我 发现他们每顿都喝呢 . [ 给 3 分是你觉得这个特点在他们身上是比较好的算 是 ? ] 算吧 , 因为我也比较爱喝酒 , 所以说 , (…) 大多数我看到他们都没有使 劲喝 , 就是熏陶自己的生活情调 , 我觉得还是可以的 . (3-4_40, BR2, 22: 29) Als ich in Deutschland war, trank ich selber sehr gerne Bier. Ich habe alle Sorten vom deutschen Bier ausprobiert. Ich habe auch gesehen, dass unser Vermieter, das deutsche Paar, auch jeden Tag trinkt. Sie tranken zu jeder Mahlzeit Rotwein oder rosa Wein. [Du hast eine +3 gegeben. Findest du, dass diese Eigenschaft zu einer guten Eigenschaft bei den Deutschen zählt? ] Ja, schon. Weil ich selber gerne Alkohol trinke, deshalb (habe ich so bewertet), (…). Außerdem habe ich nie gesehen, dass sie sich betrinken. Sie trinken Alkohol, um sich zu erbauen und sich ihres Lebens zu erfreuen. Deshalb finde ich es gut. Item: anspruchsvoll, Bewertung 0 (Code B.4.4) 我觉得好像都是我的生活方式 , 在生产产品保障安全上要求高是很好的 , 但 是生活上不用每件事都去苛刻 . (2-1_64, B3, 18: 25) Ich denke, ich bewerte das nach meiner Lebensweise. Wenn sie hohe Anforderungen an Qualität und Sicherheit der Produkte stellen, finde ich das gut. Aber im Alltagsleben muss man sich nicht bei jeder Sache überfordern. <?page no="356"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 357 Item: konservativ, Bewertung +1 (Code B.4.4) 我觉得德国人相对来说是比较保守的 , 我是这么觉得的 , (…), 各方面都是 , 因为我觉得德国人和中国人一样 , 大家不熟也不会太热情 , 不像美国人那样 一见面嗨感觉大家认识好久了其实我们初次见面 . [ 给 1 分是觉得没有那么 好 ? ] 1 分我觉得我当时对他们保守还是持一种肯定的态度的 , [ 觉得还算好 的 ? ] 对 . [ 但是也没有到达 3 分那么好 , 是什么地方导致打了点折呢 ? ] 我就 觉得比如说我也算是一个保守的人 , 我觉得有的情况下就不应该这么保守 , 我是从自身观点出发的吧 , 就觉得保守也不太好 , 所以就给了 1 分 . (4-3_41, AK4, 24: 13) Ich finde, die Deutschen sind vergleichsweise konservativ, (…) in jeder Hinsicht. Ich finde, die Deutschen sind ähnlich wie die Chinesen, wenn sie mit den anderen nicht so vertraut sind, werden sie nicht so herzlich. Nicht wie die Amerikaner, die beim ersten Treffen schon so reden, als hätten sie einen schon sehr lange gekannt. [Du hast einen Punkt gegeben, findest du diese Eigenschaft auch nicht so top? ] Eins bedeutet, dass ich damals diese Eigenschaft bei ihnen für positiv hielt. [Hältst du das doch für einen ziemlich guten Charakterzug? ] Ja, richtig. [Warum hast du das nicht mit +3 bewertet, sondern die Bewertung abgestuft? ] Ich finde, dass ich selber auch konservativ bin. Ich bin der Meinung, dass man in manchen Fällen nicht so konservativ sein sollte. Ich gehe von meiner eigenen Perspektive aus und finde konservativ manchmal auch nicht sooo gut. Deshalb habe ich mit 1 bewertet. Die Probanden ziehen bei solchen Bewertungen ihre eigene bevorzugte Lebens- und Verhaltensweise heran. 6.4.6 Zusammenfassung Der algebraisch ausgelegte Ansatz von Fishbein gibt vor, dass sich die Einstellung eines Probanden aus der Summe der Einzelbewertungen (der Items der Eigenschaftsliste) ergibt und sich jede Einzelbewertung aus dem Produkt von Erwartung-mal-Wert berechnet. Demzufolge müssten bei einer Datenerhebung für jedes Item mindestens zwei Parameter abgefragt werden: 1. Für den Wert , z. B.: „Wie gut findest du diese Eigenschaft im Allgemeinen? “ und 2. Für die Erwartung , z. B.: „Auf wieviel Prozent der Deutschen trifft diese Eigenschaft deiner Meinung nach zu? “ Bei der Herleitung seines Ansatzes verwendet Fishbein sogar fünf Fragen für jede Dimension (vgl. Kap. 3.3.3 Einstellungsmessung mit dem semantischen Differenzial, Fishbein (1963) ), also insgesamt zehn. <?page no="357"?> 358 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Ein solcher Aufwand im Rahmen der Datenerfassung war für die vorliegende Arbeit nicht möglich, pro Klasse stand nur eine Unterrichtsstunde zur Verfügung, ganz abgesehen davon, dass eine Befragung aus Qualitätsgründen nicht zu lange dauern sollte (vgl. Kap. 4.2.2 Voruntersuchung ). Deshalb wurde der algebraische Ansatz verändert zu A (0) = f(B, a) . Das bedeutet, dem Probanden wird pro Item nur noch eine Bewertung, eine Single-Response, abverlangt, wobei die beiden Dimensionen Erwartung und Wert bei der Bewertung der Items durch die Aufgabenstellung aktiviert und bestmöglich implizit zu einem einzigen Wert kombiniert werden sollen. Dieser sollte das subjektive Gefühl, auf welcher Stufe diese Eigenschaft als gut oder schlecht empfunden wird, also den Wert wiedergeben, und simultan auch eine Wahrscheinlichkeit, inwieweit diese Eigenschaft zutreffend ist, also die Erwartung . Mit dieser Hypothese wurde die Untersuchung durchgeführt. Während sich einige empirische Beobachtungen schlüssig mit der Unterscheidung von Erwartung und Wert erklären lassen (vgl. Kap. 5 Empirische Darstellung der Fragebogendaten ), was die Koexistenz der Parameter damit indirekt bestätigt, zeigen die Interviewaussagen dies direkt. In den Interviews begründeten die Probanden ihre Bewertungen von Eigenschaften genauso oft mit Argumenten der Erwartung wie für den Wert (vgl. Abbildung 48: Erwartungs- und Wertanteile aus kodierten Interviewaussagen zur Bewertung der Items ). Dabei werden dieselben Items der Eigenschaftsliste sehr unterschiedlich bewertet, die besten und die schlechtesten Bewertungen können häufig weit auseinander liegen, was auch die statistischen Streuungen widerspiegeln (vgl. Kap. 5.3.3 Mittelwerte und Streuungen der Eigenschaften ). Die Gründe dafür liegen in der hohen Variabilität von Erwartung und Wert , pro einzelnem Parameter und in der Kombination. Dabei zeigt sich der Wert als der weniger komplexe Parameter, Begründungen dafür beginnen bei dem eigentlich erwarteten objektiven Werturteil, das dann aber plötzlich variiert, weil z. B. in einer eigentlich guten Eigenschaft Vor- und Nachteile gesehen werden, der Vergleich mit dem Selbstbild und mit eigenen Präferenzen das Urteil beeinflusst oder eine Eigenschaft mit anderen Eigenschaften verglichen und gegeneinander abgewogen wird. Die Wirkung der Bewertung ist jedoch begrenzt, weil ein „besser“ oder „schlechter“ niemals zur Auswahl oder zum Ausschluss eines Items führen kann, im Gegenteil, die Vergabe eines Wertes ist nur für bereits genannte Items möglich. Genannt wird ein Item der Eigenschaftsliste, wenn die Erwartung , dass es zutrifft, > 0 ist. Deshalb ist die Erwartung die mächtigere und auch komplexere Dimension. Durch sie können Stereotype verändert werden. Die Erwartung beginnt im Normalfall mit erlernten, öffentlich geteilten Stereotypen, mit Sekundärerfahrungen. Durch Primärerfahrungen entstehen Widersprüche, die dazu führen, dass ein Stereotyp schwächer, weniger intensiv bewertet wird, <?page no="358"?> 6.4 Bewertung der Stereotype 359 um dann eventuell ganz wegzufallen; umgekehrt kann ein Stereotyp neu angenommen und zunächst schwächer bewertet werden, um nach einiger Zeit mit mehr Sicherheit entsprechend dem tatsächlichen Wert intensiver beurteilt zu werden. Derartige Mechanismen führen letztendlich zu den beobachteten Phänomenen wie dem Phasenmodell oder der Sanduhr-Dynamik. Vereinfacht zusammengefasst besitzt jeder Proband zum Zeitpunkt der Befragung sein individuelles Einstellungsprofil. Bei der Reflexion über die Einflussfaktoren zeigen sich Einwirkungen zu unterschiedlich weit zurückliegenden Zeitpunkten bis in die Gegenwart. Dort werden dann meistens noch eigene Schlussfolgerungen gezogen. Die Wirkung eines Einflussfaktors ist auch profilabhängig. Die Gruppe der Deutschland- Fans , die von einer äußerst positiven Grundeinstellung (vgl . Abbildung 51: Einflussfaktoren für Erwartungs- und Wertanteil der Bewertung ) geprägt sind, erwartet, dass positive Eigenschaften auf die meisten Deutschen zutreffen. Bei den Fans zeigt sich auch das Phänomen, dass einige Gegenbeispiele, z. B. die deutschen Lehrer, die manchmal nicht pünktlich zum Unterricht kommen, ihre Überzeugung nicht abschwächen. Wie Hahn und Hahn (2002) erklären, wollen einige die Gültigkeit und den Wahrheitsanspruch ihres Stereotyps nicht bezweifeln, sondern bestätigen, indem die Gegenbeispiele eher zum Einzelfall und zur Ausnahme erklärt werden (vgl. Hahn/ Hahn 2002: 36). Die Interviewaussagen zeigen, dass das öffentlich geteilte Wissen bei der Bildung der Stereotype der Deutschstudierenden eine große Rolle spielt, dass aber durch die späteren Kontakte mit den deutschen Menschen und auch durch ihre Beschäftigung mit der deutschen Sprache und Kultur immer wieder Beweise und auch Widersprüche gegenüber den öffentlichen Stereotypen erlebt werden. Abbildung 51: Einflussfaktoren für Erwartungs- und Wertanteil der Bewertung <?page no="359"?> 360 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Gleichzeitig wird auch das privat erworbene Wissen, das den öffentlichen Stereotypen nicht entspricht, in Frage gestellt. Gerade bei den Deutschstudierenden, die mehr Möglichkeiten haben, Wissen aus verschiedenen Quellen zu erwerben, kann die Erwartung in einer Phase mit einströmenden Informationen besonders unstabil werden. Der Wert einer Eigenschaft wird durch soziale Normen und eigene Kulturstandards bestimmt. Man lernt von klein an, welches Verhalten bzw. welche Eigenschaften gut oder schlecht sind. Man wird durch Kulturstandards „konditioniert“. Davon abweichendes Verhalten wird, auch bei „Ausländern“, durch einen negativen oder weniger positiven Wert beurteilt. Ein anderer Einflussfaktor sind die eigenen Interessen und Präferenzen, die bei den Probanden individuell variieren. Die persönlichen Erfahrungen können neben der Erwartung ebenfalls den Wert einer Eigenschaft beeinflussen, was ein Beispiel zeigt: Im Allgemeinen wird die Eigenschaft konventionell von den Chinesen als starr und unflexibel eher negativ empfunden. Die Probandin Nummer. 3-2_87 beurteilt konventionell 95 im Interview nach Kontakten mit den deutschen Lehrern jetzt als eher positiv. Im Gegensatz dazu werden sonst eindeutig positive Eigenschaften wie fleißig und arbeitsfreudig durch Erfahrungen mit den deutschen Lehrern, die diesbezüglich so sehr übertreiben, dass sie ihre eigene Gesundheit schädigen oder andere unter Druck setzen, auch abgewertet. All diese Faktoren werden von den Probanden bei der Bewertung intuitiv verarbeitet, gewichtet und zu einem wertenden Urteil gebracht. Die Erwartungs- und Wertanteile spielen dabei immer eine Rolle, sodass die Gegen-Hypothese, diese würden durch eine Single-Response-Antwort „vergessen“ oder systematisch verzerrt, fallengelassen wird. Dagegen wird Hypothese 2: Implizite Kombination von Erwartung und Wert durch Probanden bei geeigneter Aufgabenstellung bestätigt: Durch die offene Eigenschaftsliste muss der Proband entscheiden, ob er ein Item ankreuzt oder nicht, dabei aktiviert er immer die Einschätzung der Erwartung . Durch die danach stattfindende nachdrückliche und unmissverständliche Hinlenkung der Beurteilung einer jeden angekreuzten Eigenschaft auf eine bipolare gutschlecht-Skala, der stärksten Skala aus der bewertenden Dimension des semantischen Raums, wird erwartet, dass daraus die Kombination der Dimension Wert ( Evaluation ) und durch die vorherige Einschätzung auch die Dimension Erwartung ( Belief ) implizit vom Probanden aktiviert und bestmöglich zu einem 95 Interviewzitat: (Bewertung von konventionell , +1): Das kommt wahrscheinlich auch aus der alten festen Ansicht, z. B. die Deutschen sind starr und hartnäckig. Das ist die allgemeine Meinung von uns allen. Aber durch spätere Kontakte (Anmerkung: Hier sind die deutschen Lehrer gemeint) ist dieser Eindruck jetzt bei mir eigentlich nicht mehr so stark. [Du hast einen Punkt gegeben, findest du, dass sie jetzt zu einer vorteilhaften Eigenschaft zählt? ] Ja, genau. [Das heißt, du findest das gut, wenn man Sachen nach Regeln macht? ] Ja, genau, ich finde, man soll nicht immer zu sehr anstreben, die Regeln zu brechen. (3-2_87, AL5, 21: 22) <?page no="360"?> 6.5 Darstellung der Ergebnisse zu den Central Traits warm- und kaltherzig 361 einzigen Wert kombiniert wird. Die Aussagen der Interviews bestätigen die Validität der Single-Response-Messung. Sie bestätigen auch die Reliabilität des Messinstruments durch die Normalverteilung der Messwerte in jedem Jahrgang bei fast gleicher Streuung der Bewertungen (siehe Tabelle 20: Vergleich der Einstellungswerte der Jahrgänge und Abbildung 37: Häufigkeitsverteilung der Einstellungswerte aller vier Jahrgänge ). Die Interviewergebnisse erklären anschaulich, dass z. B. dasselbe Item sehr unterschiedlich bewertet werden kann (Validität). Daraus ergeben sich Streuungen im normalverteilten Probandenkollektiv, z. B. pro Jahrgang, die fast gleich und damit sehr wiederholgenau sind (Reliabilität). 6.5 Darstellung der Ergebnisse zu den Central Traits warm- und kaltherzig Im vierten Teil des Fragebogens werden zwei Items, warmherzig und kaltherzig , als zentrale Merkmale ( Central Traits ) (siehe Kap. 4.2.3 Aufbau des Fragebogens ) zur Erfassung der positiven und negativen Gefühle gegenüber den Deutschen in einer einzigen Antwort zusätzlich angeboten. Die zugehörige Ratingskala sollte keine Bewertung abbilden, wie die gut-schlecht-Skala für die Items der Eigenschaftsliste, sondern den Grad der Zustimmung. Sie war deshalb als Ratingskala von 0 bis 5 aufgebaut. 6.5.1 Auswertung der Fragebogendaten Tabelle 68 gibt einen Überblick über die Auswertungsergebnisse der gesamten Probandengruppe und der Jahrgänge. Warmherzig Kaltherzig Probandengruppe Anzahl Nennungen Anteil Nennungen% MW StAbw Anzahl Nennungen Anteil Nennungen% MW StAbw Gesamtgruppe(N=399) 293 73,43 2,82 0,92 106 26,57 2,13 0,96 Hauptgruppe(N=373) 274 73,46 2,80 0,93 99 26,54 2,15 0,97 Kontrollgruppe(N=26) 19 73,08 3,11 0,66 7 26,92 1,86 0,69 1. Jahrgang(N=109) 73 66,97 2,73 0,77 36 33,03 1,94 0,95 2. Jahrgang(N=108) 88 81,48 2,95 0,96 20 18,52 2,35 0,93 3. Jahrgang(N=84) 64 76,19 2,61 0,99 20 23,81 2,00 0,92 4. Jahrgang(N=72) 49 68,06 2,86 1,02 23 31,94 2,43 1,04 Tabelle 68: Überblick über die Auswertung der Central Traits aller Probandengruppen <?page no="361"?> 362 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Wie in dieser Übersicht deutlich wird, sind die Probanden, die die Deutschen für warmherzig oder kaltherzig halten, in der Hauptgruppe und Kontrollgruppe fast gleich verteilt. Etwa 73 % der Deutschstudierenden und auch der Nicht-Deutschstudierenden finden die Deutschen warmherzig . Die Bewertungen der beiden Items der Hauptgruppe und der Kontrollgruppe unterscheiden sich nicht signifikant (p=0,553). Der Mittelwert der Ratingskala (MW) für warmherzig liegt bei der Kontrollgruppe bei 3,11 und liegt höher als der Mittelwert der Hauptgruppe von 2,80. Außerdem hält die Kontrollgruppe die Deutschen auch für weniger kaltherzig als die Hauptgruppe. Bei der Bewertung von beiden Items hat die Kontrollgruppe eine viel kleinere Streuung. An dieser Stelle spiegelt sich die insgesamt positivere Einstellung der Kontrollgruppe gegenüber den Deutschen wider. Bei den Jahrgängen sind die Studierenden, die die Deutschen als warm- oder kaltherzig empfinden, etwas unterschiedlich verteilt. Außer, dass der 2. Jahrgang sich signifikant von dem 1. (p=0,013) und 4. Jahrgang (p=0,032) unterscheidet, sind die Unterschiede zwischen den anderen Jahrgängen nicht signifikant. Aber die Tatsache, dass die Mehrheit der Probanden die Deutschen warmherzig finden, bleibt. Erstaunlich ist, dass der Anteil der Probanden, die kaltherzig ausgewählt haben, im 1. Jahrgang am höchsten ist, ähnlich dem anteilsmäßig folgenden 4. Jahrgang. Jedoch halten die Probanden des 4. Jahrgangs die Deutschen mit einem Mittelwert von 2,43 für kaltherziger als die jüngsten Studierenden mit einem Mittelwert von 1,94. Im 2. Jahrgang findet die Mehrheit die Deutschen im Mittel mit 2,95 besonders warmherzig , die komplementäre Minderheit findet die Deutschen mit 2,35 relativ kaltherzig . Abbildung 52: Korrelation zwischen dem Grad von warm-/ kaltherzig und Einstellungswert der Hauptgruppe <?page no="362"?> 6.5 Darstellung der Ergebnisse zu den Central Traits warm- und kaltherzig 363 Abbildung 52 zeigt eine schwach positive Korrelation (r=0,334) zwischen Einstellungswerten aller Probanden der Hauptgruppe und den Bewertungen der Central Traits. Auf der x-Achse sind die Skalen für die Einstellungswerte der Probanden, auf der y-Achse sind die Zustimmungen von warmherzig im Plus-Bereich und von kaltherzig im Minus-Bereich gegenübergestellt. Die Zustimmungswerte von kaltherzig sind im Original positiv, sie wurden transformiert, um die Korrelation übersichtlicher darzustellen. Die vertikale schwarze Linie kennzeichnet den Mittelwert der Einstellungswerte aller Probanden der Hauptgruppe (MW=1,55) und trennt den über- und unterdurchschnittlichen Bereich der Einstellungswerte. Auf dem Punktdiagramm sind der jeweilige Einstellungswert und die Bewertung der Central Traits von den 373 Deutschstudierenden angegeben. Die Zustimmung für warmherzig variiert von 1 bis 5, während die höchste Zustimmung für kaltherzig nur die 4 auf der Skala von 0 bis 5 erreicht. Besonders auffällig ist, wie der Bereich unten rechts in der Grafik zeigt, dass einige Probanden, deren Einstellungswerte über dem Durchschnitt liegen, deren Einstellung also als mehr positiv angesehen werden kann, die Deutschen trotzdem für kaltherzig halten. Es soll deswegen aus der semantischen Perspektive der Faktoren betrachtet werden, ob dieses negative Gefühl von besonderen Überzeugungen ausgelöst wird, die sich nicht in dem berechneten Einstellungswert widerspiegeln. warmherzig kaltherzig Index Faktor Anzahl Nennungen Anteil Nennungen% MW StAbw Anzahl Nennungen Anteil Nennungen% MW StAbw warmherzig kaltherzig Allgemeine Stereotype 4.219 40,48 2,14 1,12 1.379 39,11 2,05 1,15 86,71 80,03 Sozial 2.362 22,66 2,16 0,98 661 18,75 2,01 1,04 48,95 37,63 Perfektion 1.717 16,47 1,76 1,14 570 16,17 1,66 1,22 28,94 26,86 Heimatverbunden 654 6,28 1,69 1,18 208 5,90 1,41 1,32 10,62 8,34 Unflexibel 827 7,94 -0,19 1,32 358 10,15 -0,59 1,38 -1,49 -6,01 Herrenvolk 307 2,95 -1,08 1,48 193 5,47 -1,62 1,38 -3,20 -8,88 Unsozial 235 2,25 -0,99 1,28 124 3,52 -1,22 1,35 -2,23 -4,28 Massenmensch 87 0,83 -0,49 1,36 32 0,91 -0,84 1,37 -0,41 -0,77 Sonstige 14 0,13 -0,86 1,61 1 0,03 0,00 - -0,12 0,00 Tabelle 69: Vergleich der Faktoren mit Anteil und Bewertung von Probanden der Hauptgruppe für warm - und kaltherzig Der Index in Tabelle 69 repräsentiert durch Multiplikation von Anteil-mal-Bewertung beide Parameter. Dadurch ist gut zu erkennen, dass sich die beiden Gruppen bei dem positiven Faktor Sozial und den negativen Faktoren Unflexibel und Herrenvolk am meisten unterscheiden. Die Gruppe für kaltherzig nannte deutlich weniger soziale Eigenschaften, aber mehr Items aus den Faktoren <?page no="363"?> 364 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Unflexibel und Herrenvolk , und die Mittelwertbewertungen aller Faktoren sind deutlich schlechter. Der Vergleich der Anteile und Bewertungen der Items wird ebenfalls mit den häufigsten Eigenschaften der Faktoren (vgl. Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen ) auf Basis des Index durchgeführt (siehe Abbildung 53). Neben den häufigsten Items der Faktoren wurden noch einige Items aus dem sozialen Faktor ausgewählt, die von Konnotationen her mit warmherzig zusammenhängen könnten. Das sind freundlich , gastfreundlich , gesellig , umgänglich , großzügig , kinderlieb und friedlich . Abbildung 53: Vergleich der Indexe (Anteil mal Bewertung) von den häufigsten Items der Faktoren von Gruppen für warm - und kaltherzig Die Linien der Grafik liegen an den Positionen derjenigen Items besonders weit auseinander, die besonders viel zu den Unterschieden der beiden Gruppen beitragen: • Die Probanden, die die Deutschen für warmherzig halten, finden die Deutschen vermehrt kultiviert , pflichtbewusst , zuverlässig , selbstbewusst , freundlich , gastfreundlich , großzügig und ordentlich und bewerten diese Eigenschaften auch besser. Die zusammengefassten Bewertungen dieser Items ergeben für die Gruppe kaltherzig MW=2,23 (StAbw=0,96), für die Gruppe warmherzig MW=2,41 (StAbw=0,84) und einen hochsignifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen mit p=0,001 (vgl. Abbildung 54: t-Test mit Items für Kaltherzigkeit und Warmherzigkeit , rechte Seite) • Die Probanden, die die Deutschen für kaltherzig halten, finden die Deutschen vermehrt distanziert , konventionell , sogar über 100 % häufiger verschlossen und fremdenfeindlich . Über 50 % der Probanden dieser Gruppe sind der Meinung, dass die Deutschen Herrenvolk sind und sie bewerten diese Items negativer. <?page no="364"?> 6.5 Darstellung der Ergebnisse zu den Central Traits warm- und kaltherzig 365 Die zusammengefassten Bewertungen dieser Items ergeben für die Gruppe kaltherzig MW=-1,15 (StAbw=1,31), für die Gruppe warmherzig MW=-0,52 (StAbw=1,32) und einen hochsignifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen mit p=0,0001 (vgl. Abbildung 54: t-Test mit Items für Kaltherzigkeit und Warmherzigkeit , linke Seite). Sehr auffällig sind die positiven Items gute Wissenschaftler und philosophische Lebenshaltung , die von dieser Gruppe mit 5 % etwas häufiger genannt und auch besser bewertet werden. In Verbindung mit den Interviews zeigt sich hier, dass das wissenschaftliche und nachdenkliche Arbeitsverhalten der Deutschen sie für diese Probanden eher als einsame Forscher und Denker erscheinen lässt, die sich mehr auf Wissenschaft und die geistige Welt konzentrieren, sodass sie als weniger sympathisch und lebendig angesehen und häufiger mit kaltherzig assoziiert werden. Abbildung 54: t-Test mit Items für Kaltherzigkeit und Warmherzigkeit Der Eindruck von Distanziertheit und Verschlossenheit und teilweise der Fremdfeindlichkeit führt offensichtlich zu einer höheren Wahrscheinlichkeit für die Beurteilung der Deutschen als kaltherzig . Auch das Item Nationalstolz wurde von der Gruppe kaltherzig mit 0,72 in Richtung Null stark abgewertet, was auf einen engen Zusammenhang mit Fremdfeindlichkeit hindeutet. Im Folgenden lassen sich diese Zusammenhänge aus den Interviewaussagen direkt ableiten und darstellen. <?page no="365"?> 366 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie 6.5.2 Auswertung der Interviewaussagen In den Interviews wurden die 16 Interviewprobanden nach den Begründungen für die Auswahl der beiden Central Traits und zum Teil auch nach den Bewertungen dazu gefragt. Anders als die schwach positive Korrelation (r=0,334) zwischen den Einstellungswerten und Bewertungen zu Central Traits der Hauptgruppe ergibt sich aus den beiden Werten aller Interviewprobanden eine stark positive Korrelation (r=0,886) (vgl. Abbildung 55). Die Interviewprobanden wurden, ohne diesen Zusammenhang zu kennen, zu Beginn gezielt aus Häufigkeitsverteilungen ausgewählt, die das Probandenspektrum gut repräsentieren (vgl. Kap. 4.2.11.1 Auswahl der Interviewprobanden ). Auswahlkriterium war eine Position des Probanden am nächsten zum Mittelwert der jeweiligen Verteilung oder aus dem positivsten und negativsten Randbereich. Diese Positionen repräsentieren einerseits die Streuung der Einstellungswerte, andererseits zeigen sie den hier dargestellten Zusammenhang deutlich. Abbildung 55: Korrelation zwischen Einstellungswert und Bewertung zu Central Traits der Interviewprobanden Abbildung 55 zeigt, dass die Probanden mit den besseren Einstellungswerten die Deutschen für warmherziger halten, während die Probanden mit den mittleren Einstellungswerten eine geringere Zustimmung für warmherzig angeben. Die Probanden mit niedrigen Einstellungswerten halten die Deutschen eher für kaltherzig . In der folgenden Tabelle 70 werden die Kernaussagen zur Zustimmung in Bezug auf warm - und kaltherzig (w/ k) aller Interviewprobanden zusammen- <?page no="366"?> 6.5 Darstellung der Ergebnisse zu den Central Traits warm- und kaltherzig 367 gefasst. Als Quellen werden die Kategorien der kodierten Informationsquellen übernommen (siehe Tabelle 57: Regelwerk für die Kategorisierung der Aussagen zur Informationsquelle der Interviewstudie ). Zur Prüfung des Zusammenhangs zwischen der Zustimmung zu Central Traits und dem Einstellungswert werden die beiden Werte eines jeden Probanden gegenübergestellt und nach dem jeweiligen Einstellungswert (EW) absteigend sortiert. <?page no="367"?> 368 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Probandnummer EW Quellen Inhalt Zustimmung w/ k 2-1_62 2,87 Deutschlanderfahrung, Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften Meine deutsche Gastfamilie war sehr nett und die deutschen Lehrer sind sympathisch. warmherzig 5. 1-1_9 2,87 Eigene Schlussfolgerung Ich habe selber hergeleitet, dass die Deutschen im Großen und Ganzen warmherzig sind. warmherzig 3. Die chinesischen Lehrer erzählen von Gegenbeispielen, sodass ich die Bewertung abgestuft habe. 1-2_65 2,84 Durch Lesematerialien, Lehrbuch, Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte, Eigene Schlussfolgerung Das meiste habe ich durch Lehrbücher und chinesische Lehrer erfahren, und meiner Meinung nach hat jede Person Mitgefühl und wird den anderen helfen. warmherzig 4. 3-4_40 2,76 Deutschlanderfahrung In Deutschland habe ich ein sehr warmherziges hilfsbereites deutsches Vermieterehepaar gehabt. warmherzig 5. 4-3_41 2,59 Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften Die deutschen Lehrer helfen uns viel beim Deutschlernen. warmherzig 3. 2-1_64 1,87 Informationen aus Medien Durch Videoclips im Unterricht über das Alltagsleben von den Deutschen habe ich erfahren, dass sie nicht so ernsthaft sind. warmherzig 3. 4-2_37 1,70 Deutschlanderfahrung In Deutschland habe ich freundliche und warmherzige Menschen getroffen. warmherzig 4. <?page no="368"?> 6.5 Darstellung der Ergebnisse zu den Central Traits warm- und kaltherzig 369 Probandnummer EW Quellen Inhalt Zustimmung w/ k 3-2_87 1,54 Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften Im Allgemeinen sind sie warmherzig und antworten gerne auf unsere Fragen. warmherzig 2. Beim Umgang halten sie Distanz, sind nicht so leidenschaftlich. 2-3_6 1,49 Allgemeiner Eindruck Sie vermitteln mir das Gefühl, dass sie den anderen helfen werden, wenn man um Hilfe bittet. warmherzig 2. Sie sind nicht aktiv hilfsbereit, nur bei Anfrage. 3-1_17 1,16 Informationen aus Medien, Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften Bei den Flüchtlingsproblemen zeigen die Deutschen Warmherzigkeit. Bei den normalen Menschen wie den deutschen Lehrern existiert die Freundlichkeit mit Distanz. warmherzig 2. Es gibt keine absolute Warmherzigkeit. Außerdem vermitteln sie Distanzgefühl. 3-3_101 0,72 Deutschlanderfahrung In Deutschland habe ich freundliche und hilfsbereite Menschen getroffen. warmherzig 1. Nur beim Besuch Berlins waren die Berliner nicht so freundlich, sie sind distanziert. 4-2_51 0,67 Eigene Schlussfolgerung, Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften In der heutigen Gesellschaft sind alle Menschen kaltherzig, nicht nur die Deutschen. Beim Umgang mit den Deutschen gibt es ein Distanzgefühl. kaltherzig 2. 2-1_82 0,44 Äußerungen von weiteren Personen Eine Freundin wurde in Deutschland ungerecht behandelt. kaltherzig 4. <?page no="369"?> 370 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Probandnummer EW Quellen Inhalt Zustimmung w/ k 1-4_92 0,32 Eigene Schlussfolgerung, Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften Einerseits kommt der Eindruck von unseren deutschen Lehrern. Andererseits wird abgeleitet, dass sich ernsthafte Leute eher auf ihre eigenen Sachen konzentrieren und nicht so vertraut mit anderen sein wollen. kaltherzig 1. 1-1_12 0,30 Allgemeiner Eindruck, Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften Westliche entwickelte Länder sind meistens fremdenfeindlich. Ein deutscher Lehrer ist distanziert und verschlossen. kaltherzig 2. 3-4_58 -0,20 Erfahrung mit weiteren Deutschen Ich habe einen unfreundlichen und unhöflichen deutschen Austauschschüler getroffen. kaltherzig 2. Tabelle 70: Zusammenfassung der Kernaussagen der Interviewprobanden zur Zustimmung zu Central Traits <?page no="370"?> 6.5 Darstellung der Ergebnisse zu den Central Traits warm- und kaltherzig 371 In dieser Zusammenfassung der Kernaussagen wurden Eigenschaften zur Beschreibung der Deutschen, aus denen die Warm- oder Kaltherzigkeit abgeleitet wurde, fett markiert. Diese Eigenschaften, die in der folgenden Tabelle 71 mit der Anzahl der Nennungen aufgelistet werden, zeigen einen direkten Gefühlszusammenhang mit den Central Traits. genannte Eigenschaften Anzahl Nennungen hilfsbereit 5 distanziert, verschlossen 4 nett/ freundlich 4 sympathisch 1 Mitgefühl 1 nicht so ernsthaft 1 nicht so leidenschaftlich 1 nicht aktiv 1 ungerecht behandelt 1 ernsthaft 1 nicht so vertraut mit anderen 1 fremdenfeindlich 1 unfreundlich 1 unhöflich 1 Tabelle 71: Zusammenfassung der in den Interviews genannten, mit warm - und kaltherzig zusammenhängenden Eigenschaften In dieser Zusammenfassung stehen Eigenschaften wie hilfsbereit , distanziert/ verschlossen , nett/ freundlich weiter oben. Die Warmherzigkeit wird stark auf die Eigenschaften hilfsbereit und nett/ freundlich projiziert, während die Kaltherzigkeit hingegen oft mit distanziert/ verschlossen assoziiert wird und das Gegenteil von Freundlichkeit, die Fremdenfeindlichkeit, als kaltherzig betrachtet wird. Außerdem geht aus den Begründungen hervor, dass das Distanzgefühl der Deutschen auch zur Abwertung des Grades der Warmherzigkeit führt. Sehr interessant ist, dass die Ernsthaftigkeit der Deutschen von den Probanden als kaltherzig angesehen wird mit der Begründung, dass sich gewissenhafte und strikte Leute eher auf ihre eigenen Angelegenheiten konzentrieren und keinen vertrauten Umgang mit anderen pflegen werden. Dies erklärt auch die oben <?page no="371"?> 372 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie beschriebene Beobachtung, dass gute Wissenschaftler und philosophische Lebenshaltung häufiger von der Gruppe kaltherzig genannt wurden. Tabelle 72 zeigt die Anzahl und den Anteil der genannten Quellen aus den Interviewaussagen zur Begründung der Auswahl der Central Traits. Quellen Anzahl Anteil % Erfahrung mit den deutschen Lehrkräften 7 30,43 Deutschlanderfahrung 4 17,39 Eigene Schlussfolgerung 4 17,39 Allgemeiner Eindruck 2 8,70 Informationen aus Medien 2 8,70 Durch Lesematerialien, Lehrbuch 1 4,35 Erfahrung mit weiteren Deutschen 1 4,35 Äußerungen der chinesischen Lehrkräfte 1 4,35 Äußerungen von weiteren Personen 1 4,35 Gesamt 23 100,00 Tabelle 72: Anzahl und Anteil der Nennungen von Quellen von Interviewaussagen zur Auswahl der Central Traits Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass die Primärerfahrungen, die bei einem Deutschlandaufenthalt oder mit deutschen Lehrern und weiteren deutschen Menschen selbst erlebt wurden, den überwiegenden Anteil (52,17 %) ausmachen. Dabei ist besonders auffallend, dass die Studierenden ihre persönlichen Erfahrungen für die Zustimmung zu warm-/ kaltherzig bevorzugen und die einzelne Person oder die Gruppen, denen die Probanden begegnet sind, stellvertretend auf alle Deutschen übertragen wurden. Beim Berichten über ihre eigenen Erfahrungen sprachen die Probanden meistens über einzelne freundliche oder unfreundliche Deutsche. Die Sozialpsychologie betrachtet die Eigenschaften warm-/ kaltherzig als zentrale Persönlichkeitsmerkmale, die personenbezogen sind. Tatsächlich beziehen die Probanden diese Eigenschaften und wahrscheinlich auch weitere Charaktermerkmale besonders auf die Deutschen, die sie zuerst kennenlernen. Danach hängt die Zustimmung von eigenen Schlussfolgerungen und vom allgemeinen Eindruck von den Deutschen ab, wobei die Schlussfolgerungen auch auf dem allgemeinen Eindruck basieren. Die eigene Schlussfolgerung wurde vorwiegend von den Probanden des 1. Jahrgangs genannt, die auch am we- <?page no="372"?> 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala 373 nigsten Erfahrungen mit Deutschen haben. Insgesamt gibt es zwei Probanden aus dem 1. und 2. Jahrgang, die keinen Personenbezug erwähnten, sondern die Deutschen aus ihrem Gesamteindruck beurteilten. Das deutet darauf hin, dass die Zustimmung zu den Central Traits bei den Studierenden ohne persönliche Erfahrungen mit Deutschen stärker mit ihren allgemeinen positiven oder negativen Einstellungen zusammenhängen. 6.5.3 Zusammenfassung Die Zustimmung zur Frage, ob und inwieweit die Deutschen als warmherzig empfunden werden, korreliert mit Items wie z. B. freundlich, gastfreundlich, großzügig , kultiviert, ordentlich , pflichtbewusst , selbstbewusst und zuverlässig stärker als mit anderen Items. Dies gilt für die Zustimmung von kaltherzig , z. B. für Items wie distanziert , fremdenfeindlich , konventionell und verschlossen . In der Bewertung dieser zusammengefassten Items unterscheidet sich die Gruppe mit der Zustimmung für warmherzig hochsignifikant von der Gruppe mit einer Zustimmung für kaltherzig . Dies deutet darauf hin, dass die genannten Eigenschaften bei der Charakterisierung der Deutschen durch die chinesischen Probanden als die konkreten Central Traits der Eigenschaftsliste von Baur. et al. (2014) fungieren. Eine weitere Eigenschaft, die im Interview in diesem Zusammenhang von den Probanden benutzt wurde, aber nicht in der Eigenschaftsliste enthalten ist, ist hilfsbereit . Dadurch, dass von den Probanden außerdem aber noch viele andere Items genannt werden können, die in den Einstellungswert mit eingehen, ist die Korrelation zwischen Einstellung und der Zustimmung zu warm-/ kaltherzig insgesamt viel geringer (vgl. Tabelle 68: Überblick über die Auswertung der Central Traits aller Probandengruppen ). Die geringere Korrelation zwischen Einstellung und Zustimmung zu warm-/ kaltherzig bei allen Probanden geht nach diesen Beobachtungen auch darauf zurück, wie die ersten Deutschen persönlich erlebt und verstanden werden und welche individuellen Kontaktmöglichkeiten es letztlich gab. 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala Die letzte Aufgabe des Fragebogens dient der Erfassung des Gefühls der sozialen Distanz der Probanden gegenüber Deutschland und den Deutschen mit acht angepassten Sozialen-Distanz-Skalen in Anlehnung an Bogardus (1928). Damit werden einige Daten zur „interkulturelle[n] Distanz“ (Maletzke 1996: 33) und zur Handlungsintention der Probanden erfasst (siehe Kap. 4.2.3 Aufbau <?page no="373"?> 374 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie des Fragebogens ). Ziel ist, zu überprüfen, ob und wie weit Stereotyp, Bewertung und das Gefühl der sozialen Distanz oder Nähe korrelieren. 6.6.1 Auswertung der Fragebogendaten Auf einer 5-stufigen-Skala von „sehr ungern“ (starke Ablehnung) bis „sehr gern“ (starke Zustimmung) sollten die Probanden ihre Zustimmung oder Ablehnung zu acht Szenarien mit Bezug auf soziale Distanz oder Nähe beziffern. Insgesamt gibt es 398 gültige Fragebögen. Davon sind 372 Antworten von der Hauptgruppe und 26 von der Kontrollgruppe. Die Skalen von „sehr ungern“ bis „sehr gern“ wurden für die statistische Auswertung zu Werten von „1“ bis „5“ transformiert. Die „3“ in der Mitte der Antwortskala ist ein neutraler Wert, d. h. ohne Zustimmung oder Ablehnung. MW StAbw MW StAbw MW StAbw MW StAbw MW StAbw MW StAbw 1. dass ein Deutscher in Ihre Familien einheiratet 3,43 0,82 3,35 0,75 3,52 0,87 3,51 0,80 3,27 0,80 3,35 0,75 2. mit Deutschen beruflich zusammenzuarbeiten 4,17 0,65 4,23 0,82 4,21 0,71 4,20 0,59 4,10 0,67 4,15 0,62 3. deutsche Freunde nach Hause einzuladen 4,32 0,67 4,38 0,57 4,48 0,66 4,32 0,67 4,27 0,70 4,14 0,61 4. Deutsche als Nachbarn zu haben 3,99 0,80 4,19 0,63 4,24 0,81 4,03 0,79 3,76 0,82 3,85 0,66 5. als Tourist Deutschland zu bereisen 4,70 0,54 4,62 0,57 4,78 0,52 4,66 0,51 4,65 0,59 4,68 0,53 6. für mindestens ein Jahr in Deutschland zu studieren 4,36 0,79 4,15 0,92 4,54 0,75 4,36 0,79 4,25 0,77 4,22 0,84 7. als Austauschstudent in einer deutschen Familie zu leben 4,13 0,94 3,96 0,92 4,34 0,88 4,12 0,99 4,01 0,94 3,97 0,92 8. in Deutschland zu arbeiten 3,60 1,05 3,58 1,24 3,68 1,12 3,55 1,06 3,56 1,02 3,63 0,98 3. Jahrgang 4. Jahrgang mit Deutschen in der eigenen Umgebung selbst in Deutschland aktiv werden zwei semantische Kontexte Soziale-Distanz-Skala Hauptgruppe Kontrollgruppe 1. Jahrgang 2. Jahrgang Tabelle 73: Darstellung der Bewertung der Sozialen-Distanz-Skala durch Hauptgruppe, Kontrollgruppe und die vier Jahrgänge Tabelle 73 zeigt die Durchschnittsbewertung zu den acht Skalen durch die Hauptgruppe und die Kontrollgruppe sowie die Jahrgänge der Deutschstudierenden. Wie in Kapitel 4.2.3 Aufbau des Fragebogens ausgeführt, können die acht Fragen in zwei semantische Kontexten mit je 4 Fragen eingeordnet und betrachtet werden, nämlich, „mit Deutschen in der eigenen Umgebung“ und „selbst in Deutschland aktiv werden“. Der Mittelwert (MW) über „3“ wird als eher Zuneigung und unter „3“ als eher Abneigung bezeichnet. Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass die Durchschnittsbewertungen (MW) aller Skalen der Gruppen zwischen 3 und 5 liegen und damit eher eine Zuneigung zu Deutschland und den Deutschen gezeigt wird. Bei der Hauptgruppe liegt der Wert in Hinblick auf Deutsche als Familienmitglied, Nachbar und Arbeitskollege in Deutschland zwischen 3 und 4. Die größte Zustimmung zeigen alle Gruppen bei einer Reise nach Deutschland, niemand hat dieses Szenario mit „ungern“ abgelehnt. Alle Probanden sind sich darin auch besonders einig, wie <?page no="374"?> 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala 375 die kleinen Streuungen um die jeweiligen Mittelwerte zeigen. Bei der Kontrollgruppe, den Englischstudierenden, ist Arbeiten in Deutschland und Leben als Austauschstudent in einer deutschen Familie weniger erwünscht. Bemerkenswert ist, dass Heiraten und Arbeiten in Deutschland zwei Vorstellungen sind, bei denen alle Probandengruppen durchschnittlich weniger hohe Zuneigung zeigen. Ansonsten nimmt die Zustimmung dazu, „selbst in Deutschland aktiv zu werden“, bei allen Gruppen ab, je tiefer man sich dazu in die deutsche Gesellschaft begeben müsste. Abbildung 56 vergleicht die beiden Kontexte anhand der Mittelwerte. Der semantische Kontext „mit Deutschen in der eigenen Umgebung“ wird in der Grafik abgekürzt als „mit Deutschen“ bezeichnet und „selbst in Deutschland aktiv werden“ als „nach Deutschland“ bezeichnet. Abbildung 56: Vergleich der Mittelwerte von zwei semantischen Kontexten der Sozialen- Distanz-Skala unter den Probandengruppen Wie in Abbildung 56 deutlich wird, zeigen die Deutschstudierenden eine stärkere Zustimmung, wenn es um künftige Besuche, Studien und berufliche Pläne in Deutschland geht. Im Gegensatz dazu zeigt die Kontrollgruppe etwas mehr Akzeptanz von Deutschen in ihrer Nähe. Im Vergleich der Jahrgänge der Deutschstudierenden fallen beide semantischen Kontexte in der Zustimmung tendenziell ab. Interessant ist, dass der Verlauf des Sozialen-Distanz-Gefühls bei den Jahrgängen dem Verlauf der Einstellungswerte ähnlich ist (vgl. Abbildung 35: Verlauf der Einstellungswerte der Jahrgänge ). Ob die Einstellung gegenüber den Deutschen mit dem Gefühl der sozialen Distanz oder Nähe korreliert, wie der Verlauf zeigt, wird im Folgenden analysiert. <?page no="375"?> 376 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Abbildung 57: Korrelation zwischen sozialer Distanz und Einstellungswerten der Hauptgruppe Abbildung 57 zeigt eine schwach positive Korrelation (r=0,391) zwischen Einstellungswerten der Hauptgruppe und ihren Werten der sozialen Distanz. Auf der Abbildung wurden zwei schwarze Linien zur Kennzeichnung der Mittelwerte eingesetzt, um die Korrelationen in den vier dadurch entstandenen Quadranten deutlicher darzustellen. Die vertikale schwarze Linie bezeichnet den Mittelwert der Einstellungswerte von allen Probanden aus der Hauptgruppe (MW=1,55), die horizontale schwarze Linie markiert die durchschnittliche Skala mit 4 für gern (Zuneigung). Die Hypothese, dass man sich mit höherem Einstellungswert sozial näher fühlt, lässt sich nicht bestätigen, dafür gibt es zu viele Tupel aus den Quadranten oben links und unten rechts. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Einstellung das Soziale-Distanz-Gefühl beeinflussen kann und was für andere mögliche Einflussfaktoren dabei eine Rolle spielen könnten. Dies soll im Folgenden mithilfe der Interviewaussagen herausgearbeitet werden. 6.6.2 Auswertung der Interviewaussagen In vielen Studien wurde bereits belegt, dass Einstellung eine Handlungsabsicht nicht einfach vorhersagen kann. Laut neueren Meta-Analysen von Six und Ecks (1996) liegen auf der Basis von 414 diesbezüglichen Studien die gemittelten Korrelationen zwischen Einstellungen und Verhaltensintentionen bei r=0,41 (vgl. Six/ Ecks 1996: 13). In der vorliegenden Studie zeigt sich eine ähnlich <?page no="376"?> 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala 377 schwach positive Korrelation zwischen dem Einstellungswert und der sozialen Distanz (r=0,391). In den Interviews wurde deswegen nach den Begründungen für die Abneigung oder Zustimmung in Hinblick auf die acht Szenarien zum Sozialen-Distanz-Gefühl gefragt, um zu untersuchen, wovon die Zustimmung zu Handlungsabsichten und dem Umgang mit Deutschen abhängt und ob und inwiefern die positive oder negative Einstellung einen direkten Einfluss hat. Anschließend wurde allen Probanden noch die Frage gestellt, ob sie nach dem Studium in Deutschland weiter studieren wollen und sich einen Beruf wünschen, der mit der Sprache Deutsch und Deutschland zu tun hat. Im Folgenden werden zunächst die kodierten Argumente der Interviewprobanden zusammengestellt, die die Begründungen für ihre neutrale Antwort oder für Ablehnung oder Zustimmung zu den acht Sozialen-Distanz-Skalen beschreiben. Die Argumente für die Antwortskalen von „gern“ und „sehr gern“ werden gemeinsam als Zustimmung zusammengefasst. 1. dass ein Deutscher in Ihre Familien einheiratet nicht gern (Abneigung) egal (neutral) gern (Zustimmung) länderübergreifende Distanz ist zu groß noch keinen direkten Kontakt zu den Deutschen gehabt, kennen sie nicht gut genug, nicht sicher entwickeltes Land und fortschrittliche Technik Kulturunterschied wenn man sich gegenseitig mag, egal welche Nationalitäten (Liebe ist unabhängig davon) man kann neue Erfahrungen machen und Neues lernen deutsche Männer sind kleinlich eine Fügung des Schicksals, deshalb keine große Erwartung, und keine Ablehnung (2) 96 bewundere gute Eigenschaften der Deutschen (2) mag lieber Chinesen Eltern sind dagegen habe sehr guten Eindruck von den Deutschen und Deutschland mag lieber Chinesen Interesse an Mischlingsbaby man kann mit dem Deutschen Importhandel mit deutschen Produkten machen 96 In der Klammer wird die Anzahl der Nennungen dieses Codes angegeben. <?page no="377"?> 378 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie 2. mit Deutschen beruflich zusammenzuarbeiten nicht gern (Abneigung) egal gern (Zuneigung) Geschäfte machen ist unabhängig von Nationen, nur Gewinn ist wichtig (2) Geschäfte machen ist unabhängig von Nationen, nur Gewinn ist wichtig 3. deutsche Freunde nach Hause einzuladen nicht gern (Abneigung) egal gern (Zuneigung) noch keinen direkten Kontakt zu den Deutschen gehabt, kennen sie nicht gut genug, nicht sicher (2) bewundere gute Eigenschaften der Deutschen egal wer, stört mich nicht ich bin selber gastfreundlich (2) Freundschaften schließen ist sehr gut 4. Deutsche als Nachbarn zu haben nicht gern (Abneigung) egal gern (Zuneigung) Deutsche haben viele Hausregeln egal wer, stört mich nicht aus Deutschlanderfahrung: deutsche Nachbarn machen Party um Mitternacht, sehr laut kann mit jedem Nachbar sein (2) 5. als Tourist Deutschland zu bereisen nicht gern (Abneigung) egal gern (Zuneigung) kein Interesse an deutscher Sprache, deshalb kein großer Wunsch um die Welt draußen zu entdecken entwickeltes Land und fortschrittliche Technik Interesse an der schönen Architektur Interesse an der westlichen Kultur <?page no="378"?> 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala 379 6. für mindestens ein Jahr in Deutschland zu studieren nicht gern (Abneigung) egal gern (Zuneigung) kann nicht selbstständig im Ausland leben kein Interesse an deutscher Sprache, deshalb kein großer Wunsch (2) Wunsch der eigenen Eltern (2) zuerst sprachliche Grundlagen in China stärken, dann später nach Deutschland, im Moment kein großer Wunsch Interesse an der schönen Architektur man kann neue Erfahrungen machen und Neues lernen (2) entwickeltes Land und fortschrittliche Technik um die Welt draußen zu entdecken (2) möchte exotisches Leben erleben (2) als Deutschstudierende muss man die Sprache vor Ort praktizieren man kann die Sprache besser sprechen (3) man kann das Land und Kultur direkt kennenlernen (3) man kann die Deutschen tiefer kennenlernen (2) man kann eigenen Horizont erweitern (2) als Kind schon großes Interesse an Erziehungswissenschaft, möchte Pädagogik an der Humboldt Universität studieren großes Interesse an Deutschland Studieren ist nicht wie Arbeiten, dauert nicht so lange man kann Lebenserfahrungen sammeln möchte erleben, wie in der deutschen Uni unterrichtet wird und wie ihre Denkweisen sind großes Interesse an der deutschen Sprache (2) <?page no="379"?> 380 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie 7. als Austauschstudent in einer deutschen Familie zu leben nicht gern (Abneigung) egal gern (Zuneigung) zu Detailfragen noch keine konkrete Vorstellung man kann sprechen üben unsicher, ob die Deutschen gastfreundlich sind man muss sich nicht selber ums Essen kümmern (bequem) keine Abneigung, geht beides 8. in Deutschland zu arbeiten nicht gern (Abneigung) egal gern (Zuneigung) länderübergreifende Distanz ist zu groß (2) keine große Erwartung, und keine Ablehnung deutsche Unternehmen arbeiten nach Vorschriften und sind gerecht und fair lieber in der vertrauten Umgebung bleiben nach Abwägung von Vor- und Nachteilen: werde nicht danach streben, werde auch nicht ablehnen um die Welt draußen zu entdecken (2) Atmosphäre in Deutschland passt mir nicht Zuhause bleiben ist langweilig kann nicht selbstständig im Ausland leben mit Auslandserfahrung verdient man später mehr in China lieber in China mit Familie zusammen sein (3) tolle Lebenserfahrung Eltern sind dagegen um direkt das Land und Kultur kennenzulernen gewünschter Berufsbezug zu dem Studienfach habe sehr guten Eindruck von den Deutschen und Deutschland Tabelle 74: Kodierte Argumente für die Fragen nach Sozialer-Distanz-Skala der Interviewstudie Die ersten vier Fragen beziehen sich darauf, wie nah man die Deutschen an sich heranlassen möchte. Die Deutschen als Familienmitglieder in der eigenen Familie zu akzeptieren, bildet die kleinste mögliche Distanz. Genau bei dieser Frage liegt die durchschnittliche Zustimmung der Deutschstudierenden mit 3,42 am niedrigsten. Die in der Tabelle 74 aufgelisteten Argumente für die eindeu- <?page no="380"?> 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala 381 tige Abneigung zeigen, dass die Abneigung nur in einem Fall aufgrund eines negativen Eindrucks von deutschen Männern hervorgerufen wurde („deutsche Männer sind kleinlich“). Alle anderen Argumente beziehen sich eher auf objektive Gründe und eigene Präferenzen. Die kodierten Argumente für Abneigung, neutral und Zustimmung werden in der nächsten Tabelle jeweils kategorisiert, um die Haupteinflussfaktoren zusammenfassen zu können. Tabelle 75 stellt die Anteile der jeweiligen Kategorien dar. Skala Kategorien Anzahl Anteil% nicht gern (Abneigung) Eigene Interessen, Motivation 7 43,75 Sieht Nachteile (Kultur und Distanz) 4 25,00 Negativer Eindruck von Deutschland und den Deutschen 4 25,00 Eltern dagegen 1 6,25 egal (neutral) Unabhängig von Nationalitäten 7 30,43 Unsicher 5 21,74 Keine große Erwartung und keine Ablehnung 5 21,74 Eigene Interessen, Motivation 5 21,74 Eltern dagegen 1 4,35 gern (Zustimmung) Eigene Interessen, Motivation 25 45,45 Nutzen und Chancen 19 34,55 Positiver Eindruck von Deutschland und den Deutschen 9 16,36 Wunsch der eigenen Eltern 2 3,64 Tabelle 75: Kategorisierung der Begründungen für die Soziale-Distanz-Skala der Interviewstudie Die Zuneigung zu den Deutschen wird nur zu einem Anteil von 16,36 % durch einen direkten positiven Eindruck von den Deutschen begründet. Die Abneigung wird zu einem Anteil von 25 % durch einen direkten negativen Eindruck begründet. Die restlichen 83,64 % der Begründungen für eine Zuneigung und 75 % für eine Abneigung gehen nicht auf die Deutschen direkt ein. Die Zu- und Abneigung gegenüber den Deutschen ist zu diesen dominanten Anteilen in den eigenen Interessen, Motivationen und der Lebenssituation begründet, wie die Tabelle 75 zeigt. Von ihnen hängen deshalb auch überwiegend Handlungsabsichten ab, z. B. in Deutschland zu studieren oder zu arbeiten. <?page no="381"?> 382 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Besonders bei den Deutschstudierenden, die Germanistik als Studienfach haben, stehen das Interesse an deutscher Sprache und beruflichen Chancen noch über ihren jeweiligen per Eigenschaftsliste erhobenen Einstellungswerten. Die Abbildung 57: Korrelation zwischen sozialer Distanz und Einstellungswerten der Hauptgruppe zeigt z. B. im linken oberen Quadranten zahlreiche Probanden mit unterdurchschnittlichem Einstellungswert, aber trotzdem überdurchschnittlichem Gefühl oder eher Wunsch zur sozialen Nähe. Denn diese erfasst mit der Sozialen-Distanz-Skala auch Handlungsabsichten, die etwas mit Ausbildung, Konkurrenzvorteilen und Karriere zu tun haben können. Der von den Probanden oft erwähnte Einfluss der Eltern spielt dabei auch eine Rolle. Die Tradition, dass die chinesischen Eltern ihre Kinder in der Nähe haben wollen und die chinesischen Familien eng zusammenhalten, ist in China normal, ebenso der Wunsch, seinem Kind Konkurrenzvorteile zu verschaffen. Diese Begründungen haben deswegen auch nichts mit Sympathie oder Antipathie gegenüber Deutschland oder den Deutschen zu tun. Vielmehr liegt das an instrumentellen Gründen wie persönlichen Interessen und dem Einfluss der Eltern. Das erklärt die insgesamt schwach positive Korrelation zwischen den ermittelten Einstellungswerten und den Zustimmungswerten zu den Szenarien der sozialen Distanz (vgl. Abbildung 57). Dies bestätigt auch viele Feststellungen der Sozialwissenschaften über die Beziehung zwischen der Einstellung und dem Verhalten, nämlich, dass das Verhalten zwar von der Einstellung beeinflusst wird, aber nicht als eine einfache direkte Relation, sondern viel komplexer (vgl. Maletzke 1996: 120). Brislin (1981) verweist darauf, dass eine positive Einstellung keineswegs auch ein entsprechend positives Verhalten garantiert, weil es viele Einflussfaktoren gibt, die auf das menschliche Verhalten mit einwirken (vgl. Brislin 1981: 193, zitiert nach Maletzke 1996: 120). Boosch (1983) bemerkt dazu, dass „Handeln komplex determiniert [ist], d. h. durch personale und situative Faktoren, von denen eine Einstellung nur einen kleinen Ausschnitt darstellt“ (Boosch 1983: 30). Das folgende Beispiel spricht dafür, dass eine eher negative Einstellung gegenüber den Deutschen kein entscheidender Faktor ist, um die Handlung zu beeinflussen. Eine Probandin hat einen niedrigen Einstellungswert von 0,30, zeigt aber eine große Zustimmung bei den Szenarien der sozialen Distanz. Im Fragebogen hat sie die Items distanziert , verschlossen und fremdenfeindlich angekreuzt und jeweils mit -3 bewertet und auch die Deutschen als kaltherzig charakterisiert mit einer Zustimmung von „2“ auf der Skala von 0 bis 5. Im Interview wurde sie gefragt, warum sie trotz dieses Eindrucks noch mit den Deutschen in einer Familie sein möchte. Sie gibt die Antwort wie folgt: <?page no="382"?> 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala 383 Einstellungswert: 0,30, Bewertung zu „dass ein Deutscher in Ihre Familien einheiratet“: 4 (gern), Bewertung zu „für mindestens ein Jahr in Deutschland zu studieren“: 5 (sehr gern), Bewertung zu „als Austauschstudent in einer deutschen Familie zu leben“: 5 (sehr gern) [ 你觉得德国人比较排外又比较难以接近 , 那为什么你愿意和他们成为家人 ? ] 就是在 纠结啊 , 当时就想反正就是觉得德国比较发达嘛 , 然后那边接触的一些事物就比较新 , 科技这些比较先进 , 医疗啊技术啊这些都很好 , 而且食品安全也不错 , 所以就很想去德 国. [但是人好不好你觉得还是其次? ] 可能当时可能不是很了解, 不是所有人都不好, 中 国也不是所有人都好 , [ 你觉得去学习感受这个国家的技术比较重要一点 ? ] 对 , 获取一 些新的信息啊这些 , [ 就是不排斥和德国人结婚啊或者成为家人 ? ] 这个不排斥 . (…) [ 去 德国留学一年你也是愿意的 ? ] 因为毕竟我们学德语的 , 肯定要去那边实地演练一下 . [ 如果住在一个德国家庭你也是觉得可以 ? ] 可以啊 , 至少不操心吃什么 . (1-1_12, CB2, 27: 22) [Du findest die Deutschen fremdenfeindlich und verschlossen, warum möchtest du noch mit ihnen in einer Familie sein? ] ((lachend)) Ich war mir ja unschlüssig. Damals dachte ich, dass Deutschland ein relativ entwickeltes Land ist. Da gibt es sicherlich Dinge, die neu und fortschrittlich sind. Die Technologie ist fortgeschrittener, die Medizintechnik ist gut und die Lebensmittelsicherheit ist auch nicht schlecht, deshalb möchte ich sehr gerne nach Deutschland fahren. [Aber ob die Leute nett sind, ist zweitrangig? ] Vielleicht wusste ich damals nicht so viel über sie. Sicherlich sind nicht alle Deutschen schlecht. In China sind auch nicht alle Leute gut. [Findest du das wichtiger, die Technologie in diesem Land kennenzulernen und zu erleben? ] Ja, ich möchte neue Informationen erhalten oder so. [Deshalb ist die Heirat mit einem Deutschen oder Familienmitglied zu werden für dich nicht ausgeschlossen? ] Genau, nicht ausgeschlossen. (…) [In Deutschland für mindestens ein Jahr zu studieren findest du auch ok? ] Ja, das ist ok. Weil wir Deutsch als Fach studieren, müssen wir doch die Sprache vor Ort praktizieren. [Wenn du in einer deutschen Familie wohnen musst, bist du auch nicht dagegen? ] Nein. Weil man sich wenigstens nicht ums Essen und Wohnen kümmern muss. Aus dieser Aussage wird deutlich, dass die fortschrittliche Technik in Deutschland bewundert wird und Sehnsucht nach diesem entwickelten Land weckt. Diese Motivation setzt sich über die gemessene schlechtere Einstellung hinweg. Die Probandin sieht mehr Vorteile als Nachteile, wenn sie in Deutschland ist. Die Einstellungswerte der Interviewprobanden sind mit den Zustimmungswerten zu den Szenarien der sozialen Distanz (r=0,629) ebenfalls höher korreliert als die aller Probanden. Das heißt, ein Proband mit einem hohen Einstellungswert zeigt grundsätzlich auch ein näheres soziales Gefühl zu Deutschland und den Deutschen. Allerdings gibt es bei einzelnen Skalen auch Widersprüche, die durch folgende Interviewzitate verdeutlicht werden. <?page no="383"?> 384 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie Einstellungswert (sehr hoch), „dass ein Deutscher in Ihre Familien einheiratet“ (egal) Kommentar: Die Begründungen beziehen sich auf die wenige Zuneigung zu den Deutschen, auf die persönlichen Interessen und den Wunsch der eigenen Eltern, was unabhängig von der positiven Einstellung gegenüber den Deutschen ist. Interviewzitate: Einstellungswert: 2,87, Bewertung zu „dass ein Deutscher in Ihre Familien einheiratet“: 3 更多的还是不愿意 , 比较喜欢重庆的女孩子 . (2-1_62, CB3, 16: 39) Ich neige eher nicht dazu, eine deutsche Frau zu heiraten, weil ich eher Frauen aus Chongqing mag. Einstellungswert: 2,87, Bewertung zu „dass ein Deutscher in Ihre Familien einheiratet“: 3 这个是看缘份看自己的感觉吧 , 但是这个可能还是有一定影响就是父母感觉我们家 可能不会太同意 , 考虑到家人的想法就填了无所谓 . (1-1_9, CB5, 25: 26) Das hängt einerseits vom Schicksal und andererseits von meinem Gefühl ab. Außerdem wurde ich wahrscheinlich von meinen Eltern beeinflusst. Sie würden nicht damit einverstanden sein. Unter Berücksichtigung der Gedanken meiner Eltern habe ich eine neutrale Bewertung gegeben. Einstellungswert (sehr hoch), „in Deutschland zu arbeiten“ (nicht gern) Kommentar: Die Begründungen sind fast genau gleich. Sie alle sprachen über Heimweh und die Heimatliebe und wollen gerne mit den Eltern zusammenbleiben, auf der anderen Seite gibt es auch Hindernisse seitens der Eltern, die ihre Kinder in der Nähe behalten wollen. Die Tradition, dass die chinesischen Eltern ihre Kinder in der Nähe haben wollen, ist in China normal. Diese Begründungen haben auch nichts mit Sympathie oder Antipathie gegenüber Deutschland oder den Deutschen zu tun. Vielmehr liegt das an den persönlichen Interessen und dem Einfluss der Eltern. Interviewzitate: Einstellungswert: 2,87, Bewertung zu „in Deutschland zu arbeiten“: 2 这个还跟家里人有关系 , 父母不愿意我去那么远的地方 , 去国外他们可能不会太同意 , 因为离家太远了 , 不会同意 . 我自己也不是特别愿意 , 还是希望跟家人在一起 . (1-1_9, CB5, 25: 47) Das hat auch mit meiner Familie zu tun. Meine Eltern wollen nicht, dass ich ins Ausland fahre, so weit weg von Zuhause. Sie sind wahrscheinlich sehr dagegen. [Möchtest du aber selber in Deutschland arbeiten, wenn es eine <?page no="384"?> 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala 385 Chance gäbe? ] Ich selber möchte auch nicht unbedingt gerne. Ich möchte lieber mit meiner Familie zusammen sein. Einstellungswert: 2,84, Bewertung zu „in Deutschland zu arbeiten“: 2 可能是短时间的工作愿意 , 长时间的还是想回到自己家乡 , 陪在父母身边 , 还是有恋家 的乡情 . (1-2_65, CB7, 32: 46) Für eine kurze Zeit kann ich das wahrscheinlich akzeptieren, aber langfristig möchte ich in meiner Heimat sein und bei meinen Eltern bleiben. Ich habe ja Heimweh. Einstellungswert: 1,87, Bewertung zu „in Deutschland zu arbeiten“: 2 因为工作的话肯定还是希望在国内工作 , 我觉得在德企工作应该比较好 , 虽然要求很 严格但是感觉工作氛围应该不错 . 工作肯定是要长时间呆在德国 , 还是想跟家人在一 起 . (2-1_64, CB10, 23: 31) Weil, wenn es um die Arbeit geht, möchte ich natürlich in China bleiben. Ich finde, das ist gut, bei einer deutschen Firma zu arbeiten. Sie sind zwar strikt und haben hohe Anforderungen, aber sie bieten bestimmt eine gute Arbeitsumgebung an. Die Probanden, deren Einstellungswert unter dem Durchschnitt 1,59 liegt, zeigen meistens auch weniger Zustimmung zu den Szenarien der sozialen Distanz. Im Folgenden werden einige Interviewaussagen zur Begründung von Handlungsabsichten von den Probanden mit relativ niedrigen Einstellungswerten zitiert und interpretiert, um zu schauen, wie unterschiedlich die Einstellung auf die Handlungsabsichten wirkt. Einstellungswert (eher niedrig), soziale Nähe (niedrig) Kommentar: Abneigung hängt mit der negativen Einstellung gegenüber den Deutschen und auch mit dem Desinteresse und geringer Motivation am Sprachelernen zusammen. Interviewzitate: Einstellungswert: -0,20, Bewertung zu „dass ein Deutscher in Ihre Familien einheiratet“: 2 我觉得主要还是在电视剧上看到的觉得德国男人斤斤计较吧 , 跟他们可能思想也不太 搭啊 , 当时我是有认真考虑这个问题 , 如果真的有个德国男人来结婚的话 , 我觉得还有 一个原因就是因为太远了啊 , 也不是他们本人人不怎么好 , 真的是考虑到异国可能也 不太好 , 两个人文化差异太大了 , 觉得不太合适 . [ 如果他只是成为你的家人呢 ? 比如 和你的家里的某个亲戚结婚了你也不愿意 ? ] 跟我不太亲的家人结婚还是可以的 , 太 亲的话也总是要面对的嘛 , [ 你是觉得他们总的来说比较冷漠所以不愿意吗 ? ] 不是说 他们不好 , 是我觉得中国男人更好 , 特别是重庆男人更好 . (3-4_58, CB11, 35: 45) Ich denke, der Hauptgrund ist, dass ich in den Serien gesehen habe, dass die deutschen Männer sehr kleinlich sind. Unsere Gedanken passen nicht zusammen. Damals (beim Ausfüllen des Fragebogens) habe ich wirklich ernsthaft darüber <?page no="385"?> 386 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie nachgedacht, was mache ich, wenn ein deutscher Mann mich heiraten will. Noch ein Grund ist, die Distanz ist zu groß. Nicht weil sie selber nicht so gut sind, ich mache mir Gedanken über länderübergreifende Distanz und große Kulturunterschiede. Ich denke, wir passen nicht zusammen. [Wenn er eine Verwandte von dir heiraten würde, möchtest du das auch nicht so gerne? ] Das geht, wenn wir entfernt verwandt sind. Wenn das nahe Verwandtschaft ist, bin ich doch oft mit ihm konfrontiert. [Findest du die Deutschen insgesamt etwas kaltherzig und hast sie deswegen nicht so gerne? ] Ich meine nicht, dass sie nicht gut sind, ich finde die chinesischen Männer besser, besonders die Männer in Chongqing. Einstellungswert: -0,20, Bewertung zu „als Tourist Deutschland zu bereisen“ und „für mindestens ein Jahr in Deutschland zu studieren“: 3 因为那段时候是对德语特别没有兴趣的时候 , 但是填问卷的时候还是有认真带入自己 的想法去思考 , 就觉得去不去都没有关系 , 如果不去的话也不会后悔啊 , 去了也不会特 别激动啊特别开心 . 没有特别想去德国 , 所以当时去德国留学的报名的时候想都没有 想过 , 考试都没有去参加 , 也不是特别有兴趣吧 . (…) [ 毕业之后会不会打算从事和德 语有关的工作 ? ] 现在是没这个想法 , 但是也说不定吧 , 反正现在觉得自己做不了跟德 语有关的工作 , 因为自己专业成绩也不是很好 , 对这方面也不感兴趣 , 所以做这方面的 工作会有点困难 . (3-4_58, CB11, 37: 18) Damals 97 hatte ich mein Interesse an der deutschen Sprache ziemlich verloren. Aber ich habe noch sehr ernsthaft darüber nachgedacht, meine eigenen Gedanken dazu mitgebracht. Ich fand damals, es war mir egal, ob ich nach Deutschland fahre oder nicht. Wenn ich nicht dahinfahre, würde ich es nicht bereuen. Wenn ich nach Deutschland fahren könnte, würde ich auch nicht besonders aufgeregt oder erfreut sein. Ich möchte nicht besonders gerne nach Deutschland. Deswegen hatte ich damals gar nicht überlegt, als unser Institut das Austauschprogramm angeboten hatte. Ich habe nicht einmal an der Aufnahmeprüfung teilgenommen. Ich hatte kein Interesse. (…) [Möchtest du nach dem Studium einen Beruf suchen, der Bezug zu Deutsch hat? ] Im Moment habe ich diese Idee nicht. Aber später, mal sehen. Aber jetzt fühle ich mich so einer Arbeit nicht gewachsen. Denn meine Leistung in diesem Fachs ist nicht gut und ich interessiere mich auch nicht dafür. Solche Arbeit ist für mich zu schwierig. 97 „Damals“ bedeutet zur Zeit des Ausfüllens des Fragebogens in ihrem 3. Studienjahr. <?page no="386"?> 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala 387 Einstellungswert: 0,32, Bewertung zu „dass ein Deutscher in Ihre Familien einheiratet“: 3 就是说不太清楚是什么样的人 , 所以也不知道是抗拒还是接受 , [ 也没有对他们特别 有好感 , 想成为家人 ? ] 没有没有 . (…), 就主要是因为没有接触过 , 所以不知道是个什 么情况 , (…). [ 去德国工作旅游和留学你是愿意的 ? ] 我感觉对于这种比较详细的不是 很敢 , 对于大范围的比如像留学 , 就比较抽象一点的概念 , 感觉还是比较希望去的 , 感 觉总体上的方向还是希望去那边跟他们有些交流 , 但是真正问到比较细的问题就觉得 还没有太具体的想法 , 就是究竟是愿意还是不愿意跟他们在一起 , [ 就是接触还比较少 哈 ? ] 想接触但是不知道是个什么样子 . [ 就是现阶段对于和德国人的看法还是有点距 离有点冷漠的 ? ] 对 , 还是有点怕的 . (1-4_92, CB12, 26: 37) Das heißt, ich weiß nicht genau, was für Menschen sie sind, deshalb weiß ich nicht, ob ich sie ablehne oder akzeptiere. [Empfindest du auch keine besondere Zuneigung zu ihnen und möchtest nicht mit ihnen eine Familie gründen? ] Nein, nein. (…) Hauptsächlich, weil ich nicht mit den Deutschen direkt Kontakte gehabt habe, weiß ich nicht, wie die Situation ist. (…). [Möchtest du aber gerne nach Deutschland reisen, studieren und dort arbeiten? ] Zu solchen detaillierten Fragen wage ich noch nicht, eine Antwort zu geben. Aber bezüglich der abstrakten Frage, wie Studieren in Deutschland, habe ich das Gefühl, dass ich gerne möchte. Allgemein bin ich grundsätzlich dafür, nach Deutschland zu fahren und mit den Deutschen Kontakt aufzunehmen. Aber zu den detaillierten Fragen habe ich noch keine konkreten Ideen und weiß nicht, ob ich das wirklich möchte, mit ihnen zusammen zu sein. [Weil du noch zu wenige Kontakte mit den Deutschen hast? ] Ich möchte sie kontaktieren, aber ich weiß nicht, wie das ist und wird. [Im Moment bist du der Meinung, dass die Deutschen etwas distanziert und kaltherzig sind? ] Ja, ich habe ein bisschen Angst vor ihnen. Diese Probandin (1-4_92) fängt gerade an zu studieren und spricht selber darüber, dass sie noch keine richtigen direkten Kontakte mit den Deutschen gehabt hat. Aufgrund ihrer eher negativen Einstellung gegenüber den Deutschen zeigt sie ihre Unsicherheit und Furcht beim Umgang mit den Deutschen. Weil sie Germanistik als Studienfach hat, ist der Gedanke an Studium und Beruf in Deutschland für sie zwar noch weit weg, aber schon vorstellbar. Bei ihr sieht man, dass ihre Einstellung zwar nicht direkt zur Ablehnung eines Umgangs mit den Deutschen führt, aber Unsicherheit und Unschlüssigkeit mit sich bringen. Obwohl sie noch gar keine Erfahrungen mit Deutschen gemacht hat, lässt sie sich von ihren Stereotypen beeinflussen. Vandermeeren (2016) stellt fest, dass Vorurteile sich mit der affektiv-evaluativen Einstellungskomponente verknüpfen lassen und die dadurch ausgelösten negativen Bewertungen und Gefühle sich in der Vermeidung des Kontaktes mit Mitgliedern einer bestimmten Kultur <?page no="387"?> 388 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie manifestieren können. Zeichen für affektive Reaktionen auf eine Kultur sind z. B. Misstrauen und Furcht (vgl. Vandermeeren 2016: 173 f.). Die obigen Beispiele der Probanden mit ähnlich negativer Einstellung gegenüber den Deutschen zeigen unterschiedliche Auswirkungen ihrer Einstellung auf die Handlungsabsichten. Bei der Auswahl der Eigenschaften der Deutschen im Fragebogen reagierten sie stereotyp, aber bei genaueren Fragen über Handlungsabsichten ist aus den Interviewaussagen zu erkennen, dass es Probanden gibt, die sich genauer mit ihren Stereotypen auseinandersetzen und überlegen, ob das überhaupt richtig ist (1-1_12). Aufgrund mangelnder Erfahrungen können Stereotype auch in Frage gestellt werden, sodass bei der Handlung Verunsicherung und Unsicherheit hervorgerufen werden (1-4_92). Die Interviewaussagen zeigen auch, dass es Probanden gibt, die sich von ihrer Einstellung beeinflussen lassen und entsprechende Handlungsabsichten zeigen (3-4_58). Im Gegensatz zu diesen Beispielen gibt es auch Probanden, die eine differenzierte Sicht haben und die vermeintlichen guten und schlechten Eigenschaften der Deutschen unterscheiden können. Eine Probandin mit der Probandennummer 2-1_82, deren Einstellungswert mit 0,44 ebenfalls nicht so gut ist, hält die Deutschen für distanziert , verschlossen , fremdenfeindlich und zudem noch für kaltherzig mit einer Zustimmung von „4“, trotzdem neigt sie dazu, Deutsche als Familienmitglieder zu akzeptieren, mit ihnen Geschäfte zu machen, sie nach Hause einzuladen und sie als Nachbarn zu haben. Der Grund liegt darin: Einstellungswert: 0,44, Bewertung zu „dass ein Deutscher in Ihre Familien einheiratet“: 4 und „Deutsche als Nachbarn zu haben“: 4 [ 你觉得德国人比较冷漠有点排外 , 那为什么你愿意和他们成为家人 ? ] 虽然他们个人 很冷漠 , 但是我还是很欣赏他们有一些东西的 , 包括思想上面行为上面 , 就觉得品质还 是很好的 . (…) [ 邀请德国人到家里来啊和德国人成为邻居这些你都很愿意 , 就是他们 冷不冷漠这个 ? ] 就是我还是比较想那个 , 但是他们冷漠我也没有办法 , [ 就是你还是想 主动和他们成为朋友 ? ] 因为确实比较欣赏他们的一些作风 . (2-1_82, CB13, 29: 52) [Du findest die Deutschen kaltherzig und fremdenfeindlich, warum möchte du mit ihnen eine Familie werden? ] Obwohl sie persönlich kaltherzig sind, bewundere ich manche Eigenschaften von ihnen, inklusive ihrer Ansichten und ihres Verhaltens. Ihre vielen Tugenden finde ich gut. (…) [Du hast geschrieben, dass du gerne Deutsche nach Hause einlädst und sie als Nachbarn hast, das heißt, ob sie kaltherzig sind, spielt keine Rolle? ] Ich selbst möchte gerne, wenn sie kaltherzig sind, kann ich nichts machen. [Das heißt, du möchtest dich aktiv mit ihnen befreunden? ] Ja, weil ich wirklich manche ihrer Fähigkeiten und Tugenden bewundere. <?page no="388"?> 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala 389 Diese Probandin legt mehr Wert auf die Fähigkeiten und Tugenden 98 der Deutschen und bewundert sie. Das ist für sie wichtiger als Kaltherzigkeit und Distanzgefühl, das ihr die Deutschen vermitteln. Das zeigt auch, dass ihre Einstellung gegenüber den Deutschen differenziert ist. Trotz schlechter Einstellung findet sie einige „Fähigkeiten und Tugenden“ der Deutschen sehr gut. Das Bewusstsein, dass es negative Eigenschaften gibt, was Grund für die schlechtere Einstellung ist und in diesem Fall zu der Auswahl vieler negativer Items wie Distanziertheit und Fremdenfeindlichkeit geführt hat, überlagert nicht den Blick auf andere positive Eigenschaften. Diese Beobachtung wird erst in der Kombination von Eigenschaftsliste, Bewertung, generalisierender warm-/ kaltherzig -Zustimmung und Sozialer-Distanz-Skala ermöglicht. 6.6.3 Zusammenfassung Die Soziale-Distanz-Skala in Anlehnung an Bogardus (1928) beinhaltet acht Fragen, die mit je vier Fragen in zwei semantische Kontexte eingeordnet werden können, nämlich „mit Deutschen in der eigenen Umgebung“ und „selbst in Deutschland aktiv werden“. Der Grad der Bejahung einer gefühlten sozialen Nähe korreliert grundsätzlich mit dem Einstellungswert eines Probanden; bei den ausgewählten Interviewprobanden mit einem r-Wert von 0,63. Auf alle Probanden bezogen verringert sich diese Korrelation jedoch. Die Gründe dafür werden bei der Besprechung im Interview deutlich. Die bessere oder schlechtere, über die Instrumente Eigenschaftsliste und Single-Response-Bewertung erfasste Einstellung wird von darüber hinausgehenden Motivationen und Interessen überlagert, wie z. B.: Vorteile durch Ausbildung, Erfahrungen sammeln, Sprachkenntnisse verbessern, Chancen ergreifen und manchmal auch den Wunsch der Eltern, ihr Kind konkurrenzfähiger zu machen. Dies sind Gründe dafür, trotz einer schlechteren Einstellung die soziale Nähe zu suchen. Motive dafür, zu Hause zu bleiben, sind: der Wunsch der Eltern, ihr Kind zu Hause zu behalten, die eigene Familie, räumliche Distanz und Verunsicherung durch erwartete kulturelle Unterschiede. Das sind meistens temporäre, situative Motive, die durchaus von einer sich entwickelnden Einstellung in Bezug auf Denken und Fühlen (vgl. Kap. 1.2: Forschungsansatz ) abweichen können. Das Handeln wollen oder das tatsächliche Handeln als dritte Komponente der Einstellung ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit (vgl. ebd.). Die erfassten Aspekte des Handeln wollens im semantischen Kontext „selbst in Deutsch- 98 Über die Tugenden der Deutschen wie zuverlässig, pflichtbewusst, kultiviert, höflich und diszipliniert wurde an anderen Stellen des Interviews gesprochen. <?page no="389"?> 390 6. Darstellung der empirischen Ergebnisse der Interviewstudie land aktiv werden“ wurden in der oben beschriebenen Form jedoch mit betrachtet. Auch hier gilt die Feststellung, dass temporäre, situative Motive zu einem Handeln wollen, zu Handlungsabsichten führen, die nicht immer mit der Einstellung in Bezug auf das Denken und Fühlen korrelieren. Wie oben beschrieben, wollen einige der interviewten Probanden gerne nach Deutschland kommen, obwohl ihr Einstellungswert nicht besonders hoch ist, und umgekehrt. Wie Triandis (1975) bereits anmerkte, ist das Verhalten „nicht nur durch das bestimmt, was die Leute gerne tun möchten, sondern auch durch das, was sie meinen, dass sie es tun sollen“ (Triandis 1975: 20). Nach Triandis hängt das Verhalten nicht nur von einem Element, den emotionalen Empfindungen gegenüber einem Einstellungsgegenstand, ab, sondern auch von Normen, Gewohnheiten und Verstärkungserwartungen, sodass durch die Messung der Einstellung allein das Verhalten nicht vorherzusagen ist (vgl. ebd. 21 ff.). Abgesehen von der abweichenden Zielsetzung der vorliegenden Arbeit und dem Modellansatz, der den Einstellungswert mit mindestens zwei Dimensionen beschreibt, nämlich Erwartung und Wert zeigen auch die Interviewaussagen Ähnliches. Allein durch den mittleren Einstellungswert, der auf der Eigenschaftsliste basiert, lässt sich nur bedingt eine positive Korrelation mit dem Sozialen-Distanz-Gefühl herstellen, worin die Handlungsabsicht einen Faktor darstellt. Tittle und Hill (1967) verweisen ebenfalls auf die Begrenztheit des Messinstruments, das anhand einer stereotypen Checkliste und Fragen zu sozialer Distanz nur eine einzelne Einstellungskomponente erfassen kann (vgl. Ehrlich 1979: 19). Die Begründung geben sie folgendermaßen: [Die Checkliste] stellt nur die Bedeutsamkeit von Stereotypen fest, und das meist auf kategorisierende Weise, während die Messung sozialer Distanz nur Auskunft über Verhaltensintentionen gibt - meist abstrahiert vom situativen Zusammenhang. Nur dort, wo diese Komponenten in hohem Maße Verhalten bewirken, lässt sich auch eine hohe Übereinstimmung mit dem Verhalten erwarten. (ebd.) Fishbein (1966) vertritt die Meinung, dass die Handlung, als Teil der Einstellung, als eine eigene Variable erforscht werden soll: Because attitude is a hypothetical variable abstracted from the totality of an individual’s beliefs, behavioral intentions, and actions, toward a given object […] any given beliefs, behavioral intention, or behavioral, therefore, may be uncorrelated or even negatively correlated with his attitude. Thus, rather than viewing specific beliefs or classes of beliefs and specific behavioral intentions or types of behavioral intentions as part of attitude, these phenomena must be studied as variables in their own right, that, like attitudes, may or may not function as determinants of a specific behavior. (Fishbein 1966: 213, zitiert nach Ehrlich 1979: 19) <?page no="390"?> 6.6 Darstellung der Ergebnisse zur Sozialen-Distanz-Skala 391 Fishbein selbst liefert dazu zusammen mit Ajzen (Fishbein/ Ajzen 1975) die Theorie des überlegten Handelns. Das Modell dazu wurde von Ajzen zum bis heute anerkannten Standard der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen 1991: The Theory of Planned Behavior ) weiterentwickelt. Dies ist heute das vorherrschende sozialpsychologische Modell für die Vorhersage von Verhalten (vgl. Jonas et al. 2014: 225). Hierin liegt ein Ansatz zur weiteren Erforschung der beschriebenen Phänomene. <?page no="392"?> 7.1 Ziele, Adaption geeigneter Theorien und empirische Modellbildung 393 7. Zusammenfassung und Ausblick 7.1 Ziele, Adaption geeigneter Theorien und empirische Modellbildung Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Zusammenhänge von Stereotyp und wertendem Urteil dazu über die Deutschen zu beschreiben und zu verstehen. Dabei stützt sich der Forschungsansatz auf fünf Säulen: 1. Die chinesischen Probanden der Studie • Zu Beginn wurde eine Voruntersuchung mit einer Gruppe von 53 heterogen zusammengesetzten Probanden durchgeführt, um die neu übersetzte Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014) und den neu entwickelten Fragebogen zu testen. • Es wurden 407 chinesische Probanden befragt, von denen 381 Probanden Germanistik und 26 Studenten Anglistik studieren. Das ist die Hauptuntersuchung. • Von den Germanistikstudenten wurden 16 Probanden gezielt für ein Leitfadeninterview ausgesucht, das unter anderem den Fragen nachging, warum Items aus der Eigenschaftsliste ausgewählt und wie sie bewertet wurden. Die sprachlichen Aussagen wurden für quantitative Übersichten kodiert und kategorisiert. 2. Adaptierte theoretische Modelle der Einstellungs- und Stereotypenforschung 2.1. Modelle der Einstellungsforschung (mit Bewertung) • Mit dem Ziel das Fühlen, die Affektion im Zusammenhang mit stereotypem Denken, das bei der Frage nach der Charakterisierung einer anderen Nation immer vorliegen dürfte, zu beschreiben, wurden Modelle aus der Sozialpsychologie adaptiert. • Grundlegendes Modell ist das Drei-Komponenten-Modell von Rosenberg und Hovland (1960), das die Reaktion auf ein Einstellungsobjekt, hier die Deutschen, mit den Komponenten Denken, Fühlen und Handeln (wollen) beschreibt. • In dieses Grundmodell wurde das konkrete Erwartung-mal-Wert-Modell von Fishbein (1963) integriert. Hier kam es zu einer konzeptionellen Anpassung, die eine Single-Response, also eine einzige Bewertung pro Item der Eigenschaftsliste für beide Dimensionen des Modells erlaubt. Im Ori- <?page no="393"?> 394 7. Zusammenfassung und Ausblick ginal verwendete Fishbein (1963) für die Erwartung und den Wert jeweils fünf Bewertungen. Dieser Aufwand musste aus forschungsökonomischen Gründen hier reduziert werden, wobei es zu vergleichbar guten oder sogar besseren Ergebnissen kam. 2.2. Modelle der Stereotypenforschung (ohne Bewertung) • Ein Zwischenschritt bestand darin, die Eigenschaftsliste mit 139 Items, wovon 134 tatsächlich benutzt wurden, mittels einer explorativen Faktorenanalyse auf sechs semantische Dimensionen zu verdichten. Dabei wurde jede Eigenschaft einem Faktor zugeordnet. Damit kann jeder Gruppenvergleich zuerst vereinfacht auf Grundlage der Faktoren durchgeführt werden und nur bei Bedarf auf der darunterliegenden Ebene der Eigenschaften selbst. • Das Bestimmtheitsmaß ( definiteness ), das von Katz und Braly (1933) für Gruppenvergleiche definiert wurde, wurde mit einem zeitlichen Entwicklungsgradienten versehen und als hier so bezeichnetes Phasenmodell für eine Stereotypentwicklung weiterentwickelt. Das Phasenmodell wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit als einer von mehreren Ansätzen eingesetzt, um einen möglichen zeitlichen Entwicklungsgradienten der Studienjahrgänge eins bis vier zu untersuchen. 3. Empirische Modelle auf Grundlage der Theorie • Ein Etappenziel war der Nachweis eines Gradienten für die Stereotypentwicklung durch Gruppenvergleiche. Dabei wurde die zeitliche Entwicklung durch die vier Jahrgangs-Gruppen des Bachelorstudiengangs dargestellt. Die quantitativen Zusammenhänge in diesem Kontext wurden Jahrgangsmodell genannt. • Eine Aufgabe des Fragebogens bestand darin, wie schon zu Zeiten Katz und Bralys, aus den genannten Eigenschaften die fünf typischsten herauszuheben. Durch diese aktive Qualifikation gewinnen Eigenschaften an Bedeutung, sie werden hochpriorisiert, andere werden herunterpriorisiert. Diese Dynamik wurde hier erstmals näher beschrieben und aufgrund der Ähnlichkeit des grafischen Abbildes mit einer klassischen Sanduhr Sanduhr-Dynamik genannt. • Jeder Jahrgang des Jahrgangsmodells zeigt die Einstellungen der Probanden normal verteilt. Die Normalverteilungen weisen per definitionem einen mittleren Bereich, einen überdurchschnittlichen Bereich und einen unterdurchschnittlichen Bereich auf. Deshalb wurde in einem letzten Modellierungsschritt nach jahrgangsübergreifenden, hier kohärent genannten Gruppen gesucht, die sich ähnlicher sind als die durch das Jahrgangskriterium definierten Gruppen. Es wurden vier kohärente Gruppen <?page no="394"?> 7.1 Ziele, Adaption geeigneter Theorien und empirische Modellbildung 395 herausgearbeitet, die in jedem Jahrgang existieren. Die Gradienten der Jahrgangsentwicklung können auch als eine Abfolge von Neu-Kombinationen der kohärenten Gruppen von Jahrgang zu Jahrgang beschrieben werden. • Jede kohärente Gruppe weist ein typisches Gruppen-Faktorprofil auf, das sich aus den Abweichungen der Gruppe vom mittleren Faktorprofil aller erfassten Probanden ergibt. Aus dem Faktorprofil wurde zusammen mit den Nebenkriterien des Kriterienkatalogs das Einstellungsprofil der Gruppe hergeleitet. • Jeder Proband konnte anhand seines individuellen Faktorprofils und der Nebenkriterien einem Einstellungsprofil und damit einer kohärenten Gruppe zugeordnet werden. 4. Leitfadeninterviews • Für die Interviews wurden 16 Probanden gezielt aus prägnanten Bereichen ihrer jeweiligen Normalverteilung ausgewählt. • Die gewonnenen Audiodaten wurden unter Angabe der Position auf der Tonspur transkribiert, übersetzt, kodiert und klassifiziert. Das Regelwerk für Kodierung und Klassifikation wurde transparent definiert. • Die kodierten und klassifizierten Aussagen wurden genutzt, um zentrale Hypothesen zu stützen. Denn sie bestätigen die Validität der Single-Response-Messung und auch die Reliabilität des Messinstruments durch die Normalverteilung der Messwerte in jedem Jahrgang bei fast gleicher Streuung der Bewertungen. • Die kodierten und klassifizierten Aussagen tragen erheblich zum Grundverständnis für die Entstehung und Wandlung von Einstellungen einschließlich ihrer Stereotype bei. 5. Interpretationen von kulturbildenden Einflüssen und kulturvergleichenden Beobachtungen • Offensichtliche Faktoren, die für die Ausbildung kulturellen Wissens und auch von nationalen Stereotypen in Frage kommen wie z. B. Lehrwerke, die im Deutschunterricht verwendet werden, wurden kurz betrachtet. • Interviewaussagen, die Quellen für die Stereotypisierung der Deutschen benennen, wurden herausgearbeitet. • Kulturvergleichende Beobachtungen wurden fallweise angeführt, bei der Interpretation von quantitativen Ergebnissen ebenso wie bei der Interpretation von Interviewaussagen. <?page no="395"?> 396 7. Zusammenfassung und Ausblick 7.2 Ergebnisse und Forschungsresümee Die verschiedenen Blickwinkel, aus denen auf das Forschungsobjekt geschaut wurde, nämlich die Entwicklung der Deutschlandbilder der chinesischen Probanden, zeigen die unterschiedlichen Facetten. Jede Facette ist ein Forschungsobjekt für sich, wobei sich in der Vergangenheit viele Untersuchungen z. B. auf das Stereotyp fokussierten. Auch hier erscheint das nationale Stereotyp in einem der Blickwinkel. Damit ist jetzt zuerst das kulturelle, öffentliche Stereotyp gemeint, das von vielen Chinesen geteilt wird. Abbildung 58: Blickwinkel auf das Forschungsobjekt Diese gemeinschaftliche Vorstellung über die Deutschen macht das Stereotyp z. B. über die Befragung vieler Probanden mit Eigenschaftslisten und anschließender statistischer Auswertung erst sichtbar. Über die Optimierung von Eigenschaftslisten ist in der Literatur diskutiert worden, denn die Granularität der Liste gibt die Sichtbarkeit des Stereotyps vor. Der Weg, eine größere Sammlung von Eigenschaften im Rahmen von Voruntersuchungen zu reduzieren und auf den Untersuchungszweck zuzuschneiden, wurde hier nicht verfolgt. Stattdessen wurde die Liste von Baur et al. (2014) mit 139 Items verwendet. Ein Ziel war dabei, die Vergleichbarkeit mit anderen Studien zu erhalten, die diese Liste verwenden. Die eigene Voruntersuchung hat gezeigt, dass diese Anzahl von Items noch gut handhabbar ist. Nun ergibt solch eine Liste durchaus feingranulare Deutschlandbilder, die Vielzahl der Items und der möglichen Itemkombinatio- <?page no="396"?> 7.2 Ergebnisse und Forschungsresümee 397 nen erschwert jedoch die Identifikation von ähnlichen Probandengruppierungen und die Beobachtung von Entwicklungen durch Gruppenvergleiche. Dieses Problem wurde durch eine explorative Faktorenanalyse gelöst. Damit wurden die 139 Items - 134 wurden tatsächlich von den Probanden genutzt - auf sechs Faktoren verdichtet. Jeder Faktor beschreibt eine semantische Dimension des Eigenschaftsraums. Die Eigenschaften von sechs Dimensionen können gut simultan im Blick behalten werden, um Gruppen zu vergleichen. Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes ist, dass nach der Analyse auf der Ebene der Faktoren die Feinanalyse auf der Ebene der Items selbst fortgesetzt werden kann. Diese Möglichkeit wurde genutzt, um Jahrgänge zu vergleichen und jahrgangsübergreifende, hier sogenannte kohärente Gruppen zu identifizieren. Ein weiteres Problem, das es zu lösen galt, war, die Frage zu beantworten, wie, d. h. mit welchen Kriterien man das Stereotyp einer Gruppe hinreichend genau beschreiben kann, um sowohl statistische als auch semantische Unterschiede zu erkennen. Hier wurden die üblichen Häufigkeitsanalysen der Item-Nennungen durch weitere, neue Daten ergänzt, durch die Bewertung eines jeden genannten Items der Eigenschaftsliste vom Probanden. Den theoretischen Hintergrund dafür liefern die oben genannten sozialpsychologischen Modelle der Einstellungsforschung, die für diesen Zweck adaptiert wurden. Mit diesen Daten ist es möglich, eine „zentrale“ Datenbasis aller Items und aller Bewertungen dazu zu erstellen, aus der sich Mittelwerte und Streuungen für jedes Item einer Eigenschaftsliste ergeben. Von diesem Moment an kann für jeden Probanden ein Einstellungsprofil anhand seiner Item- Nennungen und Bewertungen berechnet werden, indem die Differenzen zwischen seinen individuellen Nennungen und den Mittelwerten aus allen Nennungen gebildet werden. Um Probanden sicher vergleichen zu können, wurden die Differenzen auf Faktorenebene gebildet und es wurden die Einstellungsprofile auf Faktorbasis verglichen. Die anschaulichen Bilder dazu sind in Kapitel 5.5.1.2 Einstellungsprofile von individuellen Probanden und Gruppen zu sehen. Mit dem Einstellungsprofil für jeden Probanden können nun in sich ähnliche Gruppen gebildet werden, statistisch nach Richtung und Intensität der Abweichung und semantisch, weil jeder Faktor durch die zugeordneten Items eine Bedeutung in Bezug auf Stereotype hat. Auf dem Weg dahin, dieses Instrumentarium nutzen zu können, mussten Detailfragen beantwortet und Annahmen bestätigt werden. Eine wichtige Annahme war, dass es aus forschungsökonomischen Gründen ausreicht, pro Item nur eine Bewertung durchführen zu lassen, eine sogenannte Single-Response. Denn Fishbein (1963), der Autor des zentralen Erwartung-mal-Wert-Ansatzes, ließ bei der Entwicklung seiner Methode jedes Item zehnfach, mit unterschiedlichen Skalen, bewerten, fünffach zur Erfassung der Erwartung und fünffach zur Erfassung des Werts . Er benutzte dabei allerdings nur wenige (zehn) Items. Bei den ebenfalls <?page no="397"?> 398 7. Zusammenfassung und Ausblick durchgeführten Interviews ließ sich zeigen, dass die Probanden bei geeigneter Aufgabenstellung beide Dimensionen, Erwartung und Wert implizit in einer Single-Response verarbeiten können. Natürlich können die individuell ablaufenden Mechanismen bei der eher kognitiv geprägten Schätzung einer Erwartung und der eher affektiv geprägten Feststellung eines Werts hier nicht weiter erforscht werden. Genau für diesen Bereich wären weitere Erkenntnisse sehr wertvoll, weil sich damit Studien und Umfragen in allen Bereichen, auch z. B. in der Ökonomie, effektiver und rationeller gestalten lassen. Ein weiterer Blick richtete sich auf die Entwicklung von Stereotypen. Da es sich hier um eine Querschnittsstudie handelt und keine Wiederholungen mit denselben Probanden wie bei einer Longitudinalstudie möglich waren, wurden die vier vollständig erfassten Jahrgänge der Bachelorstudenten des Faches Germanistik der SISU auf einen möglichen Entwicklungsgradienten hin untersucht. Hierbei wurden wieder mehrere Blickwinkel eingenommen, auch im Sinne einer Triangulation. Ein Blick richtete sich auf ein altes Verfahren von Katz und Braly (1933), die einen abstrakten Index, eine Kennzahl für die Bestimmtheit eines Stereotyps definiert hatten, der sich in der späteren Literatur leider wenig und oft missverständlich wiederfindet. Ihre definiteness beschreibt, dass ein ungenaues Stereotyp in sehr wenig oder sehr viel Wissen begründet ist, während ein klares stereotypes Bild dazwischen zu sehen ist, mit eher eingeschränkten, aber dafür stark verbreiteten, vielfach geteilten stereotypen Vorstellungen. Dabei stellten sie schon einen Unterschied zwischen öffentlich geteilten, kulturellen Stereotypen und individuell privat angereicherten stereotypen Bildern fest. Die definiteness in der Abfolge, unscharfes Bild begleitet von wenig Wissen über scharfes reduziertes Bild begleitet von vielfach geteilten öffentlichen Stereotypen hin zu scharfen, aber individuell angereicherten und deshalb unterschiedlichen und in der Summe ungenauen Bildern, wurde als Phasen einer Stereotypentwicklung begriffen und in einem Phasenmodell fortgeführt. Angewendet auf die Stereotype der Jahrgänge zeigte sich genau dieser Phasendurchlauf. Damit konnte eine Entwicklung von Jahrgang zu Jahrgang festgestellt werden, eben der Entwicklungsgradient des Phasenmodells. Ein ganz anderer Blick galt dem Verlauf der gemessenen Einstellungen. Die angedeutete U-Kurve wurde normativ genutzt, indem die Items, die genau dem U-Verlauf folgen, und diejenigen, die stark von diesem Verlauf abweichen und für eine statistische Ungenauigkeit verantwortlich sind, nochmal analysiert wurden. Dabei zeigte sich, dass Eigenschaften wie Dichter und Denker , fleißig , fortschrittlich , pflichtbewusst , kultiviert , diszipliniert , gründlich , pünktlich , ordentlich und nüchtern der U-Kurve folgen, indem sie vom 1. Jahrgang sehr gut, dann abnehmend und im 4. Jahrgang wieder besser bewertet werden. Eigenschaften, welche die U-Kurve statistisch in Frage stellen, sind z. B. stur , umweltbewusst <?page no="398"?> 7.2 Ergebnisse und Forschungsresümee 399 und zuverlässig , die von allen Jahrgängen ähnlich bewertet wurden; weiterhin solche, die stetig ansteigend, also positiver oder weniger negativ als im Jahrgang davor bewertet werden, z. B. sportlich , traditionsgebunden und fremdenfeindlich und solche, die in den Jahrgängen unterschiedlich bewertet werden, wie familienorientiert , Herrenvolk , höflich , rational und trinkfreudig . Im Prinzip lässt sich die U-Kurve für die öffentlich geteilten, kulturellen Stereotype, die als „typisch deutsch“ in China verbreitet sind, durchaus klar beobachten, während die eher individuell, selbst erkannten oder im Laufe des Studiums besser verstandenen Stereotype davon abweichen. Die angedeutete U-Kurve erscheint also in einem zweiten Blickwinkel, der einen Entwicklungsgradienten für Jahrgänge erkennen lässt. Es gibt einen weiteren Blickwinkel, der sich erst bei der Analyse der Daten zeigte, die für das Bestimmtheitsmaß nach Katz und Braly erhoben wurden. Für die Berechnung der definiteness werden die TOP-5-Items benötigt. Das sind die Items der Eigenschaftsliste unter den vom Probanden bereits genannten Items, die er für die fünf typischsten hält, die die Deutschen also am besten charakterisieren. Bei der Analyse dieser Daten wurde ein Änderungspotential für Stereotype festgestellt. Denn die Heraufpriorisierung der typischsten Eigenschaften bedingt gleichzeitig eine Herunterpriorisierung anderer Eigenschaften in Bezug auf ihre Rangfolge. Die grafische Darstellung der Eigenschaften, die abgewertet werden, gegenüber denen, die aufgewertet werden, ähnelt einer Sanduhr; das Phänomen wurde hier deshalb als Sanduhr-Dynamik bezeichnet. Dies ist anschaulich in Kapitel 5.4.5.4 Wechsel der Item-Rangfolgen - die Sanduhr-Dynamik beschrieben. Eine Betrachtung dieser Dynamik zeigt einen deutlichen, gut erklärbaren Verlauf vom 1. Jahrgang bis zum 4. Jahrgang. Damit kann ein Entwicklungsgradient für Jahrgänge im Sinne einer Triangulation gut belegt werden. Ein weiterer Blickwinkel zeigt den unterschiedlich sicheren Umgang der Probanden mit der Eigenschaftsliste an sich, der den Gradienten nochmals aus einer anderen Richtung bestätigt. Ein scheinbarer Widerspruch, nämlich die Identifikation von jahrgangsübergreifenden kohärenten Gruppen und die Belege für den Gradienten für die Jahrgangsentwicklung, kann aufgelöst werden. Die Probandentypen, die diese Gruppen bilden, werden namentlich durch die Sets der differenzierenden Kriterien charakterisiert: Fans , Skeptiker , polarisierende und kritische Probanden. Die Anteile dieser Gruppen unterscheiden sich in den Jahrgängen. Die kritische Gruppe nimmt über alle Jahrgänge vom 1. zum 4. Jahrgang hin stetig zu, Deutschland- Fans haben ihr Maximum im 1. Jahrgang und den nächst höheren Anteil im 4. Jahrgang, die polarisierende Gruppe ist im 1. und 2. Jahrgang am stärksten vertreten und die skeptische Gruppe im 2. und 3. Jahrgang. Der Wechsel der Anteile zeigt gut erklärbare Veränderungen entlang des zeitlichen Gradienten. <?page no="399"?> 400 7. Zusammenfassung und Ausblick Wie gesagt, können die Häufigkeitsverteilungen der Einstellungen in den Jahrgängen, also die angedeutete U-Kurve, nicht signifikant nachgewiesen werden. Die Einstellungen allein können den angedeuteten U-Kurven-Gradienten nicht gut beschreiben. Den Grund dafür zeigt die Analyse der Zusammensetzung der Probandentypen in jedem Jahrgang. Die Anteile der Probandentypen wechseln erklärbar und zeigen dadurch den Gradienten. Dass sich die mittlere Bewertung in den letzten Jahrgängen kaum ändert, beruht aber auf einem eher zufälligen Ausgleich, jedenfalls kann die Beobachtung, dass die Einstellungsbildung früh, d. h. mit dem 1. Jahrgang abgeschlossen ist, nicht aufrechterhalten werden. Die vier kohärenten, jahrgangsübergreifenden Gruppen wurden durch die Zusammenfassung von Probanden mit ähnlichen Einstellungsprofilen gebildet. Die Einstellung einschließlich der ausgebildeten Stereotype ist innerhalb einer Gruppe ähnlicher als zwischen den Gruppen. Der t-Test zeigt hochsignifikante Unterschiede zwischen den Gruppen. In den Jahrgängen mischen sich diese Gruppen auf die beschriebene Art und Weise - ein Effekt ist dabei, dass ein Jahrgang kein Profil mehr aufweist. Die profilbildenden Eigenschaften der Probanden lösen sich statistisch gesehen in einem Jahrgang auf zu statistischen Verteilungen, zu verteilten Eigenschaften, die allerdings den beschriebenen Entwicklungsgradienten erkennen lassen. Die normalverteile Einstellung der Probanden in ihren Gruppen wie Jahrgängen und Klassen ermöglichte es z. B. Interviewprobanden durch ihre Position innerhalb einer solchen Verteilung zu identifizieren. Für die Interviews wurden prägnante Positionen nahe dem Mittelwert der Einstellungen oder möglichst weit entfernt davon im negativen und positiven Bereich festgelegt. Diese Position hat zunächst keinen semantischen Bezug, sie sagt noch nichts über die Stereotype des Probanden aus. Die kohärenten Gruppen ermöglichen demgegenüber erstmalig, individuelle Probanden direkt anhand ihres Einstellungsprofils zu identifizieren. Denn jeder Proband besitzt sein Einstellungsprofil, das durch Vergleich mit den K-Gruppenprofilen einer dieser Gruppen am besten zugeordnet werden kann. Damit ist auch sein Stereotyp relativ genau festgelegt, das er von seiner Gruppe „erbt“. Relativ genau bedeutet in diesem Zusammenhang, dass es bezüglich der Bewertung einzelner Items der Eigenschaftsliste immer noch größere Streuungen gibt. Wie die Interviewanalysen zeigen, sind die Streuungen in der individuellen Sicht auf Erwartung und Wert der Stereotype begründet. <?page no="400"?> 7.3 Ergebnisse für die Fremdsprachendidaktik und interkulturelle Kommunikation 401 7.3 Ergebnisse für die Fremdsprachendidaktik und interkulturelle Kommunikation Interkulturelles Lernen und Training, insbesondere für Fremdsprachenlerner, kann durch Erkenntnisse und Ergebnisse der vorliegenden Arbeit unterstützt werden. Interkulturelle Aspekte im Alltagsunterricht können diesen interessanter gestalten und ein besseres Verständnis der Schüler und Studenten für die andere Kultur und damit für die Fremdsprache und das eigene Lernen vermitteln. Training in dem Zusammenhang könnte die Vorbereitung auf Auslandsaufenthalte sein, auf die Begegnungen mit den „Fremden“. Ein naheliegendes Ziel wäre es, die manchmal zu beobachtende Gettobildung gerade auch der chinesischen Studenten im Ausland etwas aufzulockern, die jeder Chinese mit Auslandsstudienerfahrung kennt. Das käme dem interkulturellen Austausch und der Vertiefung von Fremdsprachenkenntnissen durchaus zugute. Ein weiterer Aspekt ist das Auftreten und die Wirkung von muttersprachlichen Lehrern im Ausland, hier von Deutschen an chinesischen Ausbildungsstätten. Wie die Interviewanalysen zeigen, ist der Deutschunterricht für die meisten Chinesen der erste Kontakt mit fremden Deutschen. Dabei wird der deutsche Lehrer zur Referenz für die eigene stereotype Einstellung, die bis zu dem Zeitpunkt aus dem öffentlich geteilten, kulturellen Stereotyp der umgebenden Gesellschaft gespeist wurde. Die eigene Primärerfahrung mit dem Lehrer kann zur Bestätigung der Einstellung führen, aber eher noch zu Widersprüchen. Gerade Widersprüche bilden sich vielfältig heraus. Im einfachsten Fall werden die stereotypen Erwartungen, z. B. der deutschen Pünktlichkeit, vom Lehrer nicht eingehalten. Ein komplexerer Widerspruch tritt z. B. auf, wenn der Lehrer nach Mitternacht noch per E-Mail Korrekturen zurückschickt und diese noch übertrieben penibel sind. Dann erscheinen hohe deutsche Anforderungen, Arbeitsfreude und Gründlichkeit in einem anderen Licht, als zu viel und weniger gut, weil sie für einen selbst gesundheitsschädlich sind und bei anderen Stress verbreiten. Wenn der Deutsche sich darüber hinaus nicht bewusst ist, dass er ständig Distanz aufbaut, nur weil er sehr ernsthaft unterrichtet und nicht davon ablassen will, die Studenten respektvoll zu siezen, und dieser Eindruck durch Aussehen und Körpersprache noch verstärkt wird, ist das eine stark negativ wirkende Bestätigung der bekannten ernsthaften und zurückhaltenden Verhaltensweisen der Deutschen. Das Gegenteil bewirken Lehrer, die z. B. durch aufgelockerten Unterricht und gelegentliche Freizeitkontakte mit den Studenten eine rein freundschaftliche Nähe erlauben. Kompetenz, Wissen und Engagement wird bei all dem vorausgesetzt und sollte keinen Widerspruch ergeben. <?page no="401"?> 402 7. Zusammenfassung und Ausblick Der erste Schritt zur Verbesserung der interkulturellen Kommunikation zwischen Studenten und Lehrern wäre, sich dieser Effekte bewusst zu werden und damit auf beiden Seiten die interkulturelle Kompetenz zu verbessern. Denn wie im Rahmen dieser Arbeit gezeigt wurde, werden Widersprüche aufgelöst, entweder indem der Proband sich dem Kollektiv angleicht und die eigenen Beobachtungen als Einzelfall deutet, oder indem er seine Einstellung anpasst. Dieser Prozess beginnt mit einer schlechteren oder besseren Bewertung einer Eigenschaft, die im Stereotyp selbst noch nicht sichtbar ist, und kann mit der Löschung oder Hinzunahme von Eigenschaften vorläufig enden. Vorläufig, weil sich dieser Prozess mit weiteren Primärerfahrungen fortsetzt. Eine dritte Möglichkeit der Kompensation, die beobachtet werden konnte, ist ein latentes Veränderungspotential, das bei Aufgabenstellungen wie der TOP-5-Priorisierung freigesetzt und sichtbar wird. Dieser Effekt, die hier so bezeichnete Sanduhr-Dynamik, scheint ein Spannungsfeld zu bilden, mit einer impliziten Bereitschaft für eine Änderung der Einstellung im Detail. Das Spannungsfeld wird vermutlich auch durch Widersprüche genährt. Während die Beschäftigung mit dem Einstellungsobjekt immer Widersprüche und Spannungen mit sich bringen wird, weil man mit zunehmenden Kenntnissen und Erfahrungen auch mehr Abweichungen und Gegenbeispiele zu bisherigen Erkenntnissen feststellen wird, bringt die Unkenntnis und besonders die vorurteilsbelastete Unkenntnis wahrscheinlich eher spannungsfreie Einstellungen und Stereotype mit sich. Hier wäre es interessant zu wissen, wie und wodurch Widersprüche erzeugt werden können, um solchen Einstellungen entgegenwirken zu können. Dies ist ebenfalls ein Bereich für weitere Forschungen. Die Entwicklung interkultureller Kompetenz kann aber auch im Unterricht mit dem chinesischen Lehrer erfolgen. Angenommen, es wäre möglich, jeden Schüler, Studenten, Seminarteilnehmer und anderweitige Teilnehmer einer Lehrveranstaltung seiner am besten passenden K-Gruppe zuzuordnen. Dies kann zukünftig durch die Entwicklung von Schnelltests geschehen, die aufgrund weniger Fragen die Zuordnung zur jeweiligen Gruppe ermöglichen - dies ist ein weiterer Forschungsbereich - oder aktuell durch das Benennen und Bewerten von Items der Eigenschaftsliste durch jeden Teilnehmer und Auswertung durch den Lehrer. Damit können z. B. die Schüler und Studenten in ihre Gruppen eingeteilt werden und eine Basis für Gruppenarbeit ist geschaffen. So können etwa literarische Texte, Zeitungsnachrichten oder andere Medien bis hin zu modernen Internetblogs von den Studenten interpretiert werden und auf unterschiedliche Ergebnisse hin diskutiert werden. Hier findet sich ein Bereich für die angewandte Forschung: Wird die Gruppe der Deutschland- Fans zu anderen Ergebnissen kommen als die kritische Gruppe? Mit welchen Argumenten und in welchem Ton wird eine Diskussion der Ergebnisse verlaufen? <?page no="402"?> 7.4 Ausblick 403 Welche Rolle werden individuelle Gewohnheiten, Interessen und Motivationen spielen? Welche Rolle die immer impliziten Selbstbilder und Kulturvergleiche? Weitere interessante Interaktionen zwischen den Gruppen - auch der Lehrer wird einer davon angehören - werden möglich. Die Ausbildung der interkulturellen Kompetenz hängt dabei weitgehend davon ab, wie die Prozesse und Ergebnisse der Gruppenarbeit reflektiert werden können. Dies ist eine wichtige Aufgabe des Lehrers. Ein weiteres oben erwähntes Anwendungsbeispiel sind Trainings als Vorbereitung für längere Auslandsaufenthalte oder auch internationale Events wie Kongresse. Dabei können die Trainees ebenfalls in Gruppen eingeteilt werden und, ähnlich wie die oben gemeinten Schüler und Studenten, ihre Selbst- und Fremdbilder in Verbindung mit ihrer Einstellung bewusst erleben, um dann zu lernen, diese zu reflektieren und weiter damit umzugehen. Wenn es dann schließlich zur Begegnung kommt, ist die gegenseitige Kenntnis der Einstellung hilfreich. Ein Deutscher, der wenigstens das öffentliche, von vielen Chinesen geteilte Stereotyp zu den Deutschen gut kennt, verfügt schon über eine erste gemeinsame Kommunikationsbasis zusammen mit seinem chinesischen Gegenüber. Denn „Heute gilt in aller Regel eine gute Vorbereitung als unabdingbare Voraussetzung für einen erfolgreichen Auslandseinsatz“ (Maletzke 1996: 175). 7.4 Ausblick Aufgrund des empirischen Schwerpunkts dieser Arbeit standen zunächst Methoden im Vordergrund. Dabei erwiesen sich auch ältere Ansätze aus der Anfangszeit der Stereotypenforschung auf den zweiten Blick hin als sehr wertvoll. In den 20er und 30er Jahren wurden Stereotype ganzheitlich, zusammen mit den affektiven Anteilen der Einstellung betrachtet. Einige dieser Ansätze von Katz und Braly (1933) wie Bestimmtheitsmaße und die Unterscheidung der öffentlich/ individuellen Anteile von Stereotypen sowie von Bogardus (1928) die Messung der sozialen Distanz konnten übernommen oder im Falle des Phasenmodells auch weiterentwickelt werden. Diese Methoden wurden in den Rahmen des Drei-Komponenten-Modells von Rosenberg und Hovland (1960) eingesetzt, das Einstellung ganz allgemein als Denken, Fühlen und Handeln beschreibt, damit diese Komponenten, insbesondere das Denken und das Fühlen als zwei Parameter im Kontext der hier durchgeführten Untersuchung der Einstellungen und Stereotype referenziert werden konnten. Der funktionale Zusammenhang dieser beiden Parameter wurde durch den Erwartung-mal-Wert-Ansatz von Fishbein (1963) hergestellt. Stereotype wurden als limitiertes Set von Eigen- <?page no="403"?> 404 7. Zusammenfassung und Ausblick schaften begriffen und integriert, die das Einstellungsobjekt, hier die Deutschen, beschreiben. Zur Erfassung der Parameter wurde die Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014) ins Chinesische übersetzt und jedes vom Probanden genannte Item daraus mit einer Single-Response zur Messung der Einstellung bewertet. Die Single-Response-Methode misst Erwartung und Wert simultan, wobei bei der Entwicklung der hierzu notwendigen Aufgabenstellung auf Erfahrungen von Fishbein und Ajzen (1975) zurückgegriffen wurde. Aus diesem Methodentelegramm ergibt sich als erster Ansatz für weitere interdisziplinäre Forschungen die Untersuchung der Single-Response mit experimentellen Methoden. Alle hier durchgeführten statistischen und logischen Inferenzen bestätigen die Hypothese, dass Erwartung und Wert mit nur einer Single-Response gemessen werden können. In From Culture to Brains beschreiben Fiske und Taylor (2017) Ansätze der Korrelation von bildgebenden Verfahren zur Darstellung der Gehirnaktivität mit Einstellungsforschung (vgl. Fiske/ Taylor 2017: 297). Auch in diesem Zusammenhang ist vorstellbar, dass eine simultan ablaufende affektiv-kognitive Aktivität des Gehirns als Reaktion auf die hier beschriebene Aufgabenstellung als solche darstellbar ist. Erweiterte Erkenntnisse in diesem Bereich lassen sich vielfältig unmittelbar anwenden, von der Optimierung der Aufgabenstellung bis hin zur Erforschung von kognitiven und affektiven Reaktionen im Zusammenhang mit Stereotypen, insbesondere auch Vorurteilen. Neben interdisziplinären Ansätzen für die weitere Forschung lassen sich mögliche nächste Ziele auch direkt aus der vorliegenden Arbeit ableiten. Dies ist z. B. die Überprüfung der hier formulierten Hypothesen zur Entwicklung der Einstellung in den Jahrgängen im Rahmen einer Longitudinalstudie. Weiterhin ist der Ausbau der Datenbasis für die mittleren Bewertungen der Eigenschaftsliste wichtig. Da jedes Probanden- und Gruppenprofil auf den Differenzen der individuellen Bewertung und der mittleren Bewertung beruht, ist eine Festigung der Mittelwerte über das hier untersuchte Probandenkollektiv hinaus eine wichtige Grundlage für die Anwendung der Methodik. Denn je größer die Probandenbasis zur Berechnung der Mittelwerte, desto genauer kann die Profilbildung erfolgen. Die Wahrscheinlichkeit, einen Probanden seiner K-Gruppe korrekt zuordnen zu können, wird damit größer. In diesem Zusammenhang ist der Aufbau einer größeren nationalen Datenbasis (befragt werden Chinesen) mit hochwertigen Daten zu Stereotypen und ihren Bewertungen sowie den hier vorgestellten weiteren Items zur Klassifikation von Probanden sinnvoll. Der Kriterienkatalog auf der Grundlage des vorgestellten Faktorenmodells würde sich durch repräsentativere globale Mittelwerte automatisch selbst nachjustieren, solange die Kriterien selbst nicht angepasst werden müssen. <?page no="404"?> 7.4 Ausblick 405 Die Untersuchung der Komponente des Handeln (wollens) bildet einen eigenen Forschungsansatz. Im Zusammenhang mit der interkulturellen Kommunikation sollte dabei die Erforschung des kommunikativen Handelns im Vordergrund stehen, als Teil einer Einstellung mit stereotyp geprägtem Denken und Fühlen (vgl. Kap. 2.6). Die Untersuchung der Einstellung gegenüber kommunikativen Aktionen könnte zu interessanten anwendungsorientierten Ergebnissen führen, die sowohl für den Fremdsprachenunterricht als auch bei der interkulturellen Begegnung förderlich sind. Ein weiterer wichtiger Blickwinkel, der mit der vorliegenden Arbeit nicht abgedeckt werden konnte, sind Selbstbilder mit der Einstellung zur eigenen Kultur, die genauso wie die Deutschlandbilder mit den hier beschriebenen Methoden erfasst werden können. Die Interviews zeigen, dass die positive und auch negative Bewertung von Eigenschaften der Deutschen nicht selten aus konträren kulturellen Vergleichspositionen abgeleitet wurden. Deutsche sind einerseits Vor- oder Wunschbilder, mit Eigenschaften, die Chinesen nach ihrem eigenen Selbstverständnis nicht haben, wie zuverlässig, umweltbewusst, pflichtbewusst und kultiviert. Deutsche erscheinen aber auch als übermäßig regelorientiert, unflexibel und an einen kulturellen Hintergrund gebunden, der als „pacta sunt servanda“ bis auf das römische Recht zurückgeht. Demgegenüber sehen sich die Chinesen selbst als flexibel, unkonventionell und pragmatisch - ihr kultureller Hintergrund ist der Konfuzianismus, der Moral, Menschlichkeit und Tugend über abstrakte Gesetze stellt. Ein Vergleich der Deutschlandbilder mit Selbstbildern kann helfen, die Bedeutung von Kulturstandards besser zu verstehen, sowohl gemeinsame Grundlagen, insbesondere aber auch Unverträglichkeiten bis hin zum „Culture Clash“, die sich daraus ergeben können. Mögliche Anwender dieser Erkenntnisse sind Personen und Organisationen, die mit Aufgaben zur interkulturellen Integration beauftragt sind oder die sich Entwicklungshilfe und den Ausbau internationaler Kooperationen zum Ziel gesetzt haben. 99 Interdisziplinäre experimentelle Zusammenarbeit, Ausbau der Datenbasis zur Feinjustierung von Einstellungsprofilen, Longitudinalstudien der Einstellungsentwicklung und Untersuchung der Einstellung zu kommunikativen Aktionen und zur eigenen, chinesischen Kultur im Kontext von Kulturstandards - mit 99 Als ein Beispiel dafür kann die Seidenstraßen-Initiative* ) der chinesischen Regierung genannt werden, für die Nachhaltigkeit ein wichtiger Aspekt ist. Die Erfüllung ökonomischer Anforderungen ist dabei sicherlich notwendig, aber erst der Aufbau tatsächlicher interkultureller Kompetenz der Beteiligten, eine gegenseitig gewogene und realistische Einstellung im Denken, Fühlen sowie Handeln (auch als kommunikativer Akt) und die damit verbundene Erforschung stereotyper Prämissen werden auch hinreichend sein. * ) siehe z. B. Zeitschriftenartikel von Frankfurter Allgemeine Woche (F.A.Z. Woche): „Chinas langer Weg nach Westen“ (Hein 21/ 2018) und „Die Stunde Chinas“ (Kolonko 15/ 2017). <?page no="405"?> 406 7. Zusammenfassung und Ausblick diesen Empfehlungen endet der Ausblick. Aber unabhängig davon können die oben angeführten Ergebnisse für die Fremdsprachendidaktik und interkulturelle Kommunikation z. B. von Lehrern im Unterricht direkt angewendet werden, ohne viel Forschungsaufwand. <?page no="406"?> Literatur Ajzen, Icek (1991). The Theory of Planned Behavior. In: Organizational Behavior and Human Decision Processes , 50(2), S. 179-211. 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Literatur 421 <?page no="422"?> 7.4 Ausblick 423 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Forschungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Abbildung 2: Wortbeispiele zur sprachlichen Wolke um den Begriff Stereotyp herum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Abbildung 3: Fragebogen mit 84 Items von Katz und Braly 1933 und TOP-12-Eigenschaften zur deutschen Ethnie . . . . . . . . . . . . . . 70 Abbildung 4: Bestimmtheitsmaße von Katz und Braly (1933) . . . . . . . . . . . . 70 Abbildung 5: Bestimmtheitsmaße der Probandengruppen dieser Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Abbildung 6: Phasenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Abbildung 7: Phasenmodell der Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Abbildung 8: Das Drei-Komponenten-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Abbildung 9: Eigenschaftsliste „Negro“, Fishbein (1963) . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Abbildung 10: AB-Skala Fishbein/ Raven (1962) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Abbildung 11: Aspekte des Drei-Komponenten-Modells: mit integrierten Dimensionen Erwartung und Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Abbildung 12: Vertiefungsmodell nach Mayring (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Abbildung 13: Illustration der Sozialen-Distanz-Skala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Abbildung 14: Häufigkeitsverteilungen der Einstellungswerte von Probanden-Gruppen und Auswahlbereiche für Interviewprobanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Abbildung 15: Verteilung der Herkunft aller Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Abbildung 16: Verteilung der Herkunft der Kontrollgruppe . . . . . . . . . . . . . 139 Abbildung 17: Wert der deutschen Exporte nach China von 2002 bis 2017 (in Milliarden Euro) (Quelle: Statista 2018) . . . . . . . . . . . . . . . 142 Abbildung 18: Häufigkeitsverteilung der Nennungen von Items pro Proband der Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Abbildung 19: Scree Plot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Abbildung 20: Explorative Faktorenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Abbildung 21: Häufigkeitsverteilung der Nennungen der Items von vier Jahrgängen der Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Abbildung 22: Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang . . . . . 187 Abbildung 23: Exemplarische t-Test zu unterschiedlichen Stereotyp- Anteilen im 1. und 4. Jahrgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Abbildung 24: Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang mit Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 <?page no="423"?> 424 Abbildungsverzeichnis Abbildung 25: Häufigste Items der Faktoren im 1. und im 4. Jahrgang und Einstellungseffekt durch Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Abbildung 26: Anteile der Vergleichsitems bei dem 1. Jahrgang und der Kontrollgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Abbildung 27: Bewertung der Vergleichsitems beim 1. Jahrgang und der Kontrollgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Abbildung 28: Varianten von Bewertungsrichtung und Veränderung des Anteils der genannten Items im Jahrgangsvergleich . . . . . . 197 Abbildung 29: Verlauf der 20 am häufigsten genannten Items der TOP-5 von vier Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Abbildung 30: Mittlere Bewertungen der Vergleichsitems der TOP-5 und von allen Nennungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Abbildung 31: Sanduhr-Dynamik der Eigenschaften des 1. Jahrgangs . . . . . 213 Abbildung 32: Sanduhr-Dynamik der Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Abbildung 33: Aggregierte mittlere Skalenpunkte der Sanduhr-Items von An- und Abstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Abbildung 34: Sanduhr-Dynamik der Kontrollgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Abbildung 35: Verlauf der Einstellungswerte der Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . 226 Abbildung 36: Vergleich der Verteilung der Einstellungswerte in Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Abbildung 37: Häufigkeitsverteilung der Einstellungswerte aller vier Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Abbildung 38: Die Faktorprofile realer Gruppen 1-4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Abbildung 39: Abweichungen von den mittleren Bewertungen der Eigenschaften in vier kohärenten Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . 254 Abbildung 40: Bewertungen der häufigsten Eigenschaften in den Faktoren nach Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Abbildung 41: Bewertungen der häufigsten Eigenschaften in den Faktoren nach kohärenten Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Abbildung 42: Anteile der häufigsten Eigenschaften in den Faktoren nach Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Abbildung 43: Anteile der häufigsten Eigenschaften in den Faktoren nach kohärenten Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Abbildung 44: Sanduhr-Dynamik der vier kohärenten Gruppen . . . . . . . . . 260 Abbildung 45: Darstellung der Anteile der relevantesten Informationsquellen der Interviewstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Abbildung 46: Darstellung der Anteile der relevanten Informationsquellen der Interviewprobanden mit Deutschlanderfahrungen der Interviewstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 <?page no="424"?> Abbildungsverzeichnis 425 Abbildung 47: Darstellung der Bestandteile der Stereotype anhand der kodierten Interviewdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Abbildung 48: Erwartungs- und Wertanteile aus kodierten Interviewaussagen zur Bewertung der Items . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Abbildung 49: Bewertungsrichtung und -intensität der positiven und negativen Items aufgrund eines unterschiedlichen Erwartungsgrades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Abbildung 50: Bewertungsrichtung und -intensität der positiven Items aufgrund unterschiedlicher Wert-/ Erwartung- Kombinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Abbildung 51: Einflussfaktoren für Erwartungs- und Wertanteil der Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Abbildung 52: Korrelation zwischen dem Grad von warm-/ kaltherzig und Einstellungswert der Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Abbildung 53: Vergleich der Indexe (Anteil mal Bewertung) von den häufigsten Items der Faktoren von Gruppen für warm - und kaltherzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Abbildung 54: t-Test mit Items für Kaltherzigkeit und Warmherzigkeit . . . . . . 365 Abbildung 55: Korrelation zwischen Einstellungswert und Bewertung zu Central Traits der Interviewprobanden . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Abbildung 56: Vergleich der Mittelwerte von zwei semantischen Kontexten der Sozialen-Distanz-Skala unter den Probandengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Abbildung 57: Korrelation zwischen sozialer Distanz und Einstellungswerten der Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Abbildung 58: Blickwinkel auf das Forschungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 <?page no="425"?> 426 Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Bestimmtheitsmaße der Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Tabelle 2: Übersicht über die Untersuchungsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Tabelle 3: Übersetzung und Rückübersetzung der Eigenschaftsliste mit Konnotationserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Tabelle 4: Übersicht über die genannten Informationsquellen in der Voruntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Tabelle 5: Itemvergleich zur Messung der sozialen Distanz . . . . . . . . . . . . . 113 Tabelle 6: Übersicht über die Anzahl der Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Tabelle 7: Übersicht über die Grunddaten der Probanden mit gültigen Fragebögen in jedem Jahrgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Tabelle 8: Lerndauer, Deutschlanderfahrung und Einstellungswerte der Interviewprobanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Tabelle 9: Anzahl der Probanden mit Deutschlandaufenthaltserfahrung . . 138 Tabelle 10: Übersicht über die Informationsquellen der Hauptgruppe (nur Deutschlerner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Tabelle 11: Übersicht über die Informationsquellen der Kontrollgruppe (Englischlerner) im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Tabelle 12: Verteilung der Anzahl der mittleren Bewertung der Items in der Eigenschaftsliste und die Anzahl der Nennungen jedes Skalenbereiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Tabelle 13: Vergleich mit der Bewertung von Apeltauer (2002) . . . . . . . . . . 149 Tabelle 14: Überblick über die Verteilung der Bewertungen von 134 Items der Eigenschaftsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Tabelle 15: Eindeutige Bewertungsrichtungen von Items der Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Tabelle 16: Unterschiedliche Bewertungsrichtungen und -intensitäten von Items der Eigenschaftsliste von Baur et al. (2014) . . . . . . . . 152 Tabelle 17: Bewertung der Eigenschaften mit Mittelwert top-down, Standardabweichung, Anzahl und Min-Max . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Tabelle 18: Explorative Entwicklung des Faktors Unflexibel . . . . . . . . . . . . . 165 Tabelle 19: Faktoren mit ihren zugeordneten Items . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Tabelle 20: Anzahl und Anteil der Items in den Faktoren der Hauptgruppe und Kontrollgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Tabelle 21: Bestimmtheitsmaße der Haupt-Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Tabelle 22: Kumulierte Anzahl der Items pro Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 <?page no="426"?> Tabellenverzeichnis 427 Tabelle 23: Bewertungen der Faktoren durch alle Probanden . . . . . . . . . . . . 175 Tabelle 24: t-Test Faktoren Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Tabelle 25: Anzahl der Nennungen von Items in vier Jahrgängen . . . . . . . . 180 Tabelle 26: t-Test zur Hypothese, dass sich die Jahrgänge bei der Nennung von Eigenschaften nicht unterscheiden. . . . . . . . . . . . 182 Tabelle 27: Vergleich der Einstellungswerte der Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . 183 Tabelle 28: Vergleich der Faktoren mit Bewertung unter den vier Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Tabelle 29: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Tabelle 30: Gegenüberstellung der häufigsten Nennungen (TOP-20-Items) der vier Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Tabelle 31: Vergleich der Bestimmtheitsmaße und Konzentrationsverhältnisse der Stereotype von allen vier Jahrgängen . . . . . . . 203 Tabelle 32: Gegenüberstellung der häufigsten TOP-5-Nennungen der vier Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Tabelle 33: Vergleich der Anteile von Faktoren aus allen Nennungen und der TOP-5-Nennungen der vier Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . 207 Tabelle 34: Vergleich der mittleren Bewertungen der TOP-5-Nennungen und aller Nennungen in den Faktoren unter vier Jahrgängen ( Jg) . . . 209 Tabelle 35: Rangdifferenzen als Dynamik-Kennzahlen für Jahrgänge und Kontrollgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Tabelle 36: Sanduhr-Items mit Änderungen der Rangpositionen ohne Nullwerte, mit mittleren Skalenpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Tabelle 37: Vergleich der Einstellungswerte der Kontrollgruppe, des 1. Jahrgangs und der Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Tabelle 38: Vergleich der Faktoren aller Nennungen mit Bewertung unter der Kontrollgruppe, dem 1. Jahrgang und der Hauptgruppe . . . 220 Tabelle 39: Kombination von Phasenmodell (PM) und Varianz (VA) . . . . . 225 Tabelle 40: t-Test der Einstellungswerte in Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Tabelle 41: Häufigste Eigenschaften der Faktoren mit Bewertung, getrennt nach Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Tabelle 42: Kriterienkatalog zur Ausdifferenzierung von kohärenten Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Tabelle 43: Datenbeispiele, Probanden mit Einstellungsprofilen der Gruppen 1-4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Tabelle 44: Grafische Darstellung des Einstellungsprofils der Gruppenrepräsentanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Tabelle 45: Übersicht über die Probanden in vier kohärenten Gruppen . . . 253 <?page no="427"?> 428 Tabellenverzeichnis Tabelle 46: t-Test der Einstellungswerte der Probanden von vier kohärenten Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Tabelle 47: Anteil und Bewertung der Faktoren aller vier kohärenten Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Tabelle 48: Häufigste Eigenschaften der Faktoren, getrennt nach kohärenten Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Tabelle 49: Rangdifferenzen als Dynamik-Kennzahlen für die vier kohärenten Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Tabelle 50: Kreuztabelle der Anteile der Probanden in Jahrgängen und kohärenten Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Tabelle 51: Aufsummierte Anteile der überdurchschnittlich positiven Gruppen 1 und 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Tabelle 52: Aufsummierte Anteile der überdurchschnittlich negativen Gruppen 2 und 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Tabelle 53: Verteilung der Interviewprobanden in den kohärenten Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Tabelle 54: Übersicht über die Grunddaten der Interviewprobanden . . . . . 279 Tabelle 55: Anzahl der Items der Interviewprobanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Tabelle 56: Darstellung der in den Interviews häufig abgefragten Items mit Anzahl und Anteil der Nennungen sowie die Anzahl der Aussagen zu jedem Item aus den Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Tabelle 57: Regelwerk für die Kategorisierung der Aussagen zur Informationsquelle der Interviewstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Tabelle 58: Anzahl und Anteil der Kategorien zu Informationsquellen basierend auf den besprochenen Items in den Interviews . . . . 294 Tabelle 59: Anzahl und Anteil der Subkategorien von „Eigene Schlussfolgerung“ zur Informationsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Tabelle 60: Anzahl und Anteil der Nennungen von Kategorien der Quellen der in den Interviews abgefragten Items, zusammengefasst nach Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Tabelle 61: Anzahl und Anteil der Nennungen von Kategorien der Quellen zu den in den Interviews häufig abgefragten Items . . 304 Tabelle 62: Zuordnung der in den Interviews häufig abgefragten Items zu den am häufigsten genannten Kategorien der Quellen . . . . 306 Tabelle 63: Regelwerk für die Kategorisierung der Aussagen zu Begründungen der Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Tabelle 64: Anzahl und Anteil der Nennungen von Kategorien der Bewertungen zu den in den Interviews abgefragten Items . . . 317 Tabelle 65: Anzahl der Aussagen, jeweils zu einem Item, in drei Hauptkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 <?page no="428"?> Tabelle 66: Informationsquellen, die Erwartungen der Probanden beeinflussen (Interviewaussagen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Tabelle 67: Anzahl und Anteil der Codes in Bezug auf die Bewertungsdimension Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 Tabelle 68: Überblick über die Auswertung der Central Traits aller Probandengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Tabelle 69: Vergleich der Faktoren mit Anteil und Bewertung von Probanden der Hauptgruppe für warm - und kaltherzig . . . . . . 363 Tabelle 70: Zusammenfassung der Kernaussagen der Interviewprobanden zur Zustimmung zu Central Traits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Tabelle 71: Zusammenfassung der in den Interviews genannten, mit warm - und kaltherzig zusammenhängenden Eigenschaften . . . 371 Tabelle 72: Anzahl und Anteil der Nennungen von Quellen von Interviewaussagen zur Auswahl der Central Traits . . . . . . . . . . 372 Tabelle 73: Darstellung der Bewertung der Sozialen-Distanz-Skala durch Hauptgruppe, Kontrollgruppe und die vier Jahrgänge . . . 374 Tabelle 74: Kodierte Argumente für die Fragen nach Sozialer-Distanz-Skala der Interviewstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Tabelle 75: Kategorisierung der Begründungen für die Soziale-Distanz-Skala der Interviewstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Tabellenverzeichnis 429 <?page no="430"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidak�k Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidak�k ISBN 978-3-8233-8324-6 Zhang Von Stereotypen zu Einstellungsprofilen Ningjie Zhang Von Stereotypen zu Einstellungsprofilen Eine empirische Untersuchung zur Entwicklung der Deutschlandbilder chinesischer Deutschstudierender in China Wie beeinflusst stereotyp verkürztes Wissen unsere Einstellung und unsere Sicht auf die Welt, z. B. auf eine andere Na�on? Wodurch können Stereotype und die damit verbundenen Gefühle geprägt werden, was sind wich�ge Einflussfaktoren? Diesen Fragen geht die vorliegende Studie nach. Sozialwissenscha�liche Modelle liefern die notwendigen Instrumente, die für diese Untersuchung adap�ert und neu kombiniert wurden. Erstmalig werden Einstellungsprofile für Gruppen und einzelne Individuen entwickelt. Sie zeigen, dass Stereotype und damit verbundene Einstellungen immer unsere interkulturelle Begegnung begleiten. Um sie besser kennenzulernen, wird ein schlüssiges Untersuchungsdesign vorgestellt. 18324_Umschlag.indd 3 11.09.2019 09: 14: 40