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Semantik für Lehrkräfte

Linguistische Grundlagen und didaktische Impulse

0111
2021
978-3-8233-9379-5
978-3-8233-8379-6
Gunter Narr Verlag 
Christian Efing
Thorsten Roelcke

Semantik stellt ein zentrales Teilfach der allgemeinen und der germanistischen Sprachwissenschaft dar und ist gleichzeitig ein wichtiges Feld der Sprachdidaktik - sowohl im Hinblick auf Lernende der Erst- als auch auf Lernende der Fremd- oder Zweitsprache. Die schulische Relevanz betrifft verschiedene Bereiche des Deutschunterrichts, besonders wichtig ist die Semantik aber für die Wortschatzarbeit an allen Schulformen und in allen Klassenstufen. Diese findet in der Einführung daher besondere Berücksichtigung. Der Band hat das Ziel, angehende oder bereits berufstätige Lehrerinnen und Lehrer in die linguistische Semantik einzuführen und sie unter einer didaktischen Perspektive mit zentralen Theorien, Modellen, Methoden und Ergebnissen vertraut zu machen. Dabei wird vor allem die migrationsbedingte Heterogenität unter Schülerinnen und Schülern in Deutschland mit berücksichtigt.

<?page no="0"?> Semantik für Lehrkräfte Christian Efing / Thorsten Roelcke Linguistische Grundlagen und didaktische Impulse <?page no="1"?> Prof. Dr. Christian Efing lehrt germanistische Linguistik und Sprachdidaktik an der RWTH Aachen. Prof. Dr. Thorsten Roelcke lehrt Deutsch als Fremd- und Fachsprache am Institut für Sprache und Kommunikation der Technischen Universität Berlin. <?page no="4"?> Christian Efing / Thorsten Roelcke Semantik für Lehrkräfte Linguistische Grundlagen und didaktische Impulse <?page no="5"?> © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-8379-6 (Print) ISBN 978-3-8233-9379-5 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0272-8 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="6"?> 7 1 9 1.1 9 1.1.1 9 1.1.2 11 1.2 14 1.2.1 14 1.2.2 15 1.2.3 17 1.2.4 19 1.2.5 22 2 27 2.1 27 2.1.1 27 2.1.2 31 2.1.3 35 2.2 38 2.2.1 39 2.2.2 42 2.2.3 46 2.2.4 49 2.3 52 2.4 57 2.4.1 57 2.4.2 60 2.4.3 63 2.5 66 2.5.1 66 2.5.2 72 2.5.3 75 2.5.4 82 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Semantik - Systematischer Aufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Linguistische Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Semantik, Syntax und Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexikologie und Lexikographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Semantik, sprachliche Kompetenzen und Wortschatz(arbeit) Semantik und Wortschatzarbeit in der Schule . . . . . . . . . . . . . Empirische Untersuchungen und nachgewiesene Förderbedarfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenhänge von Wortschatzfähigkeiten und anderen sprachlichen Teilfertigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Linguistische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorien und Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung als eigenständige Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung als Gebrauch von Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere semantische Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung von Bedeutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortfelder und Merkmalsemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prototypen- und Stereotypensemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frame- und Skriptsemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung und Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutungsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrdeutigkeit und Gleichnamigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutungsüber- und -unterordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutungsgegenordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutungsvariation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutungswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fachbedeutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jugendsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geheimsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="7"?> 2.6 94 2.6.1 95 2.6.2 98 2.6.3 101 2.6.4 106 2.7 111 2.7.1 112 2.7.2 114 2.8 116 3 127 3.1 127 3.2 132 3.2.1 141 3.2.2 143 3.3 147 3.4 152 3.4.1 152 3.4.2 157 3.5 160 3.6 162 3.6.1 164 3.6.2 166 3.6.3 167 3.6.4 178 3.6.5 181 3.6.6 188 3.6.7 193 195 205 Komposition von Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Form- und Wortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phrasen und Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbale und nonverbale Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutungskomposition und Idiomatizität . . . . . . . . . . . . . . . Uneigentlicher Wortgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Primäre) Tropen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere (sekundäre) Tropen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung im sprachlich-kulturellen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwerb und Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortschatzkompetenz und mentales Lexikon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortschatz- und Bedeutungserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alter, Wortschatzumfang und Wortschatztiefe . . . . . . . . . . . . Wortschatz- und Bedeutungserwerb in der Zweitsprache . . . Didaktische Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wortschatzarbeit in Curricula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nationale Curricula: KMK-Bildungsstandards und länderspezifische Lehrpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen Gegenstände der Wortschatzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Explizite vs. implizite Wortschatzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textorientierte Wortschatzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Semantikorientierte Wortschatzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritische Wortschatzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit . . . . . . Methodische Ansätze der kultursensiblen Wortschatzarbeit für Schülerinnen und Schüler mit DaZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analysekriterien für Lehrmaterial zur semantikorientierten Wortschatzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 6 <?page no="8"?> Einleitung Semantik oder Bedeutungslehre stellt einen ganz zentralen Teil der linguistischen For‐ schung dar und hat im Laufe der Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, zahlreiche verschiedene Theorien, Modelle und Methoden entwickelt. Die Frage nach der Bedeu‐ tung sprachlicher Zeichen oder etwas moderner: die Frage, wie diese mit Bezug auf die außersprachliche Wirklichkeit verwendet werden, ist jedoch nicht alleine von wissen‐ schaftlichem Interesse, sondern auch und gerade von zentraler Bedeutung für die Kommunikation im Alltag, im Beruf und in der Öffentlichkeit. Daher gehört sie darüber hinaus zu den wesentlichen Bereichen der Sprachdidaktik im Allgemeinen sowie der Didaktik des Deutschen als Erst-, Zweit- und Fremdsprache im Besonderen. Dieser Band der Reihe „narr Studienbücher“ verfolgt daher das Ziel, angehende oder bereits berufstätige Lehrkräfte in die linguistische Semantik einzuführen und sie unter einer didaktischen Perspektive mit zentralen Theorien, Modellen, Methoden und Er‐ gebnissen vertraut zu machen. Aus der Überzeugung heraus, dass jede sprachliche Di‐ daktik einer linguistischen Fundierung bedarf, werden dabei zunächst die sprachwis‐ senschaftlichen Grundlagen und im Anschluss die sprachdidaktischen Grundsätze der Semantik vorgestellt. Den einzelnen Kapiteln und Abschnitten sind jeweils zahlreiche Übungsaufgaben beigegeben. Diese haben sehr oft vertiefenden oder weiterführenden Charakter: Daher sei deren Bearbeitung allen Leserinnen und Lesern ans Herz gelegt! Dieses Buch ist das Ergebnis einer sehr erfreulichen gemeinsamen Arbeit. Auch wenn die sprachdidaktischen Teile mehr auf Christian Efing und die sprachwissen‐ schaftlichen Teile mehr auf Thorsten Roelcke zurückgehen, zeichnen beide Autoren daher gemeinsam verantwortlich und danken allen, die sie mit Rat und Tat bei dessen Entstehung unterstützt haben. Aachen & Berlin, im Winter 2020 Christian Efing & Thorsten Roelcke <?page no="10"?> 1 Semantik - Systematischer Aufriss 1.1 Linguistische Verortung Das sprachwissenschaftliche Fachwort bzw. der linguistische Terminus Semantik leitet sich aus altgriechisch σημαίνειν, sēmaínein ‚bezeichnen‘ ab und bezieht sich auf die Lehre von der Bedeutung sprachlicher Zeichen - sei es nun die Bedeutung einzelner Wörter oder auch diejenige von Sätzen oder ganzen Texten. Im Folgenden soll die Disziplin Semantik linguistisch und didaktisch verortet werden. Im Rahmen der linguistischen Verortung wird die Semantik zunächst von anderen zentralen Disziplinen der Sprachwissenschaft abgegrenzt. Im Anschluss daran wird geklärt, auf welchen Ebenen der Beschreibung von Sprache Semantik eine Rolle spielt, um abschließend einige Hinweise auf das Verhältnis zwischen Lexikologie (Wortfor‐ schung) und Lexikographie (Wörterbuchschreibung) zu geben. 1.1.1 Semantik, Syntax und Pragmatik Zeichen und insbesondere sprachliche Zeichen können in ganz verschiedener Hinsicht beschrieben werden. Zu den bekanntesten Gliederungen solcher Dimensionen der Semiotik (Lehre sprachlicher und nichtsprachlicher Zeichen - aus altgriechisch σημεῖον sēmeĩon ‚Zeichen‘; vgl. Eco 9 2002; Nöth 2 2000; 2017; Posner/ Robering/ Sebeok 1996 ff.) im Allgemeinen und der Linguistik (Lehre sprachlicher Zeichen - aus latei‐ nisch lingua ‚Sprache, Zunge‘; vgl. Auer 2013; Kessel/ Reimann 5 2017) im Besonderen gehört diejenige des amerikanischen Semiotikers Charles William Morris (1901-1979). Morris bezeichnet den Vorgang, in welchem etwas als ein Zeichen fungiert, als Semiose. Im Zentrum seines semiotischen Modells (vgl. Abb. 111a) steht dabei der Zeichenträger, der wiederum in drei Dimensionen erscheint (die im Folgenden jeweils am Beispiel des Wortzeichens Köter kurz erläutert werden): ▸ die syntaktische Dimension im Hinblick auf andere Zeichenträger, mit denen ▸ dieser gemeinsam verwendet wird - etwa im Rahmen eines Satzes wie Dieser Köter ist bissig, in dem Köter zusammen mit anderen Wörtern verwendet wird; ▸ die pragmatische Dimension hinsichtlich der Personen, die den Zeichenträger ▸ verwenden (Interpretant, Interpret) - zum Beispiel in bestimmten Verwendungs‐ situationen, wenn sich die Personen mit Köter abfällig über einen bestimmten Hund äußern möchten; und ▸ die semantische Dimension in Bezug auf die Wirklichkeit, auf die sich der Zei‐ ▸ chenträger bezieht (Designat, Denotat) - in diesem Falle die sachliche und die wertende Bedeutung des Wortes Köter, die ‚Hund‘ und eine negative Einstellung in sich vereinigt. <?page no="11"?> Jeder dieser drei Dimensionen werden nun eigene semiotische Unterdisziplinen zuge‐ ordnet: So beschäftigt sich die Syntax (bei Morris: Syntaktik) mit der syntaktischen Dimension, also mit der Kombination einzelner Zeichen, während sich die Pragmatik mit der pragmatischen Dimension, das heißt mit der Art und Weise, wie Zeichen von ihren Verwendern gebraucht werden, auseinandersetzt. Die Semantik ist hiernach diejenige Disziplin, welche die semantische Dimension in Augenschein nimmt, sich also mit der Beziehung zwischen den Zeichen einerseits und der Wirklichkeit, auf die sich diese beziehen, andererseits beschäftigt. Abb. 111a: Zeichenmodell nach Morris (engl. 1939: 417; dt.: 1972: 94) An dieser Dreiteilung in Semantik, Syntax und Pragmatik wird innerhalb von Semiotik und Linguistik bis heute festgehalten (zu einer theoretisch orientierten Übersicht vgl. etwa Hagemann/ Staffeldt 2014; Staffeldt/ Hagemann 2014; 2017), auch wenn deren in‐ nere Systematik wiederholt infrage gestellt wurde. So gibt es semiotische bzw. lingu‐ istische Ansätze, die syntaktische Erscheinungen allein in Abhängigkeit von semanti‐ schen oder funktionalen Gesichtspunkten diskutieren, oder auch solche, die semantische Phänomene ausschließlich aus pragmatischer Perspektive betrachten und somit die Grenzen zwischen den einzelnen Dimensionen und ihren Disziplinen auf‐ brechen. Als Ausgangspunkt für solche Überlegungen sowie zur systematischen Ein‐ ordnung dessen, worum es in dem vorliegenden Bändchen geht, erscheint Morris’ Mo‐ dell indessen nach wie vor als eine gute Basis. 1 Semantik - Systematischer Aufriss 10 <?page no="12"?> 1.1.2 Lexikologie und Lexikographie Die sprachwissenschaftliche Untersuchung von Bedeutungen wird in der Öffentlich‐ keit nur allzu oft mit der semantischen Beschreibung von Wörtern in Wörterbüchern oder Lexika gleichgesetzt. Hier gilt es zu differenzieren: Zum einen stellen Wörter nicht die einzigen sprachlichen Einheiten dar, die Bedeutungen tragen. Zum anderen sind Wörterbücher nicht das zentrale Medium der Beschreibung von Bedeutungen - einmal ganz abgesehen davon, dass es neben Bedeutungswörterbüchern auch andere Typen von Wörterbüchern gibt. In einem vorwissenschaftlichen Verständnis stellen Wörter die kleinsten sprachli‐ chen Zeichen dar, aus denen sich einzelne Sätze und aus diesen wiederum ganze Texte zusammensetzen. Diese Auffassung wird (mit der Differenzierung, dass Wörter die kleinsten selbständigen sprachlichen Zeichen darstellen) von der Sprachwissenschaft geteilt; hinzu kommen hier die Bereiche Laut und Schrift sowie Morphologie mit Wort- und Formbildung (vgl. Abb. 112a). Vor diesem Hintergrund sind nun mindestens drei Ebenen der semantischen Beschreibung von Sprache zu unterscheiden: ▸ die Ebene der Wortsemantik (die sog. lexikalische Semantik) ▸▸ die Ebene der Satzsemantik ▸▸ die Ebene der Textsemantik ▸ Text Syntax Morphologie Lexik Lautung regional sozial funktional medial u.a. historisch Abb. 112a: Sprachliche Variation nach sprachlichen Beschreibungsebenen und kommunikativen Bedingungen (Roelcke 2011: 17) 1.1 Linguistische Verortung 11 <?page no="13"?> In diesem Band wird ein besonderer Schwerpunkt auf Wortsemantik gelegt; Satz- und Textsemantik finden in einem eigenen Kapitel Berücksichtigung (vgl. Kap. 2.6). Der vorliegende Band behandelt im Wesentlichen die Semantik am Beispiel der deutschen Sprache. Doch welche Sprache ist damit genau gemeint? Denn so etwas wie die deutsche Sprache gibt es nicht: Zum einen unterliegt das Deutsche seit seiner Ent‐ stehung vor etwa zwölfhundert Jahren zahlreichen historischen Veränderungen und befindet sich auch derzeit im ständigen Wandel. Zum anderen zeigt auch die deutsche Sprache der Gegenwart zahlreiche Varianten - sei es mit regionalen Besonderheiten in verschiedenen Dialekten wie dem Bairischen, Sächsischen oder Moselfränkischen, oder sei es in funktionaler bzw. in sozialer Hinsicht mit der Sprache in Wissenschaft, Technik und Institutionen oder der Presse-, der Jugend- und der sog. Kiezsprache; hinzu kommen hier verschiedene mediale Ausprägungen wie gesprochene und geschriebene Sprache einschließlich deren Gebrauch in den sog. neuen, elektronischen Medien. So‐ fern nicht anders angegeben wird hier die deutsche Standardsprache der Gegenwart zum Ausgangspunkt semantischer Betrachtungen gemacht; die Variation von Bedeu‐ tung ist jedoch ebenfalls Gegenstand eines eigenen Kapitels (vgl. Kap. 2.5). Die wissenschaftliche Analyse und Interpretation von Wörtern ist Gegenstand der Lexikologie; die Aufgabe der Lexikographie ist das Erstellen von Wörterverzeich‐ nissen, in denen einzelne Wörter (unter welchen Gesichtspunkten auch immer) be‐ schrieben werden (vgl. Cruse et al. 2002-2005; Elsen 2013; Lutzeier 1995; Schlaefer 2 2009). Dabei sind je nach Auswahl der Wörter und Art der Angaben, die über diese Wörter jeweils gemacht werden, zahlreiche verschiedene Typen von Wörterbüchern denkbar (vgl. Abb. 112b): Zahl der Sprachen, Wortschatzausschnitt (Art der Wortschat‐ zabgrenzung), Beschreibungsaspekt (beschriebene Zeichenebene oder Zeichenbezie‐ hung), Gruppe der Benutzenden (bzw. vorrangiges Benutzungsziel), Analysebasis (Be‐ zugswissenschaft oder Beschreibungsverfahren) und institutionelle Verankerung (Träger des Wörterbuchprojekts). Von solchen Wörterbüchern, die auf sprachliche Phänomene bezogen sind, werden in der Wörterbuchforschung, der sog. Metalexi‐ kographie (Hausmann et al. 1989 ff.), Lexika und Enzyklopädien unterschieden: Diese enthalten im Wesentlichen Informationen, die sich auf Personen, Sachen oder Ereig‐ nisse beziehen. Leitmerkmal Wörterbuchtypus Anzahl der Sprachen Einsprachiges, mehrsprachiges Wörterbuch, Polyglotten‐ wörterbuch Art der Wortschatzabgrenzung Gegenwartssprachliches, neuhochdeutsches, mittelhoch‐ deutsches, althochdeutsches Wörterbuch; Mundartwör‐ terbuch, umgangssprachliches, standardsprachliches, fachsprachliches Wörterbuch; Individualwörterbuch, Grundwortschatz-Wörterbuch, Fremdwörterbuch, The‐ sauruswörterbuch, Sprachstadienwörterbuch 1 Semantik - Systematischer Aufriss 12 <?page no="14"?> Leitmerkmal Wörterbuchtypus Beschriebene Zeichenebene Orthographisches, orthoepisches, morphologisches, phra‐ seologisches Wörterbuch, Bedeutungswörterbuch, Valenzwörterbuch Beschriebene Zeichenbeziehung Begriffswörterbuch, Synonymenwörterbuch, Antony‐ menwörterbuch, Kollokationswörterbuch, Wortfamilien‐ wörterbuch, Homographenwörterbuch Vorrangiges Benutzungsziel, Zielgruppe Übersetzungswörterbuch, Produktionswörterbuch, Hand-, Taschenwörterbuch, Lernerwörterbuch, Schüler‐ wörterbuch, Expertenwörterbuch, Laienwörterbuch Methodische Grundlage, Bezugswissenschaft Semasiologisches, onomasiologisches, synchronisches, diachronisches, etymologisches Wörterbuch Lexikographische Grundlagen und Beschreibungsverfahren Korpuswörterbuch, Belegwörterbuch, Definitionswörter‐ buch, Allgemeinwörterbuch, Spezialwörterbuch Träger des Wörterbuchprojekts Verlagswörterbuch, Akademienwörterbuch Abb. 112b: Wörterbuchtypen (nach Schlaefer 2 2009: 108) Da in diesem Band die lexikalische Semantik im Vordergrund steht, wird neben deren lexikologischer Betrachtung örtlich auch deren lexikographische Erfassung berück‐ sichtigt. Übung 112a Welcher Wörterbuchtyp kommt dem lexikologischen Schwerpunkt des vorlie‐ genden Bändchens am nächsten? Suchen Sie nach Beispielen. Literatur Auer 2013; Cruse et al. 2002-2005; Eco 9 2002; Elsen 2013; Haß-Zumkehr 2001; Hausmann et al. 1989 ff.; Kessel/ Reimann 5 2017; Lutzeier 1995; Nöth 2 2000, 2017; Schlaefer 2 2009. Allgemeine Lehr- und Studienbücher zur Semantik: Busse 2009; Cruse 1986; Hur‐ ford/ Heasley/ Smith 2 2007; Löbner 2 2015; Maienborn/ von Heusinger/ Portner 2011 f.; Pafel/ Reich 2016; Schwarz/ Chur 6 2014; Staffeldt/ Hagemann 2017; Stechow/ Wunderlich 2008; Zimmermann 2014. 1.1 Linguistische Verortung 13 <?page no="15"?> 1.2 Didaktische Relevanz 1.2.1 Semantik, sprachliche Kompetenzen und Wortschatz(arbeit) Sprachliche Kompetenz beruht nicht nur auf dem Umfang des Wortschatzes, den eine Person oder ein Schüler oder eine Schülerin beherrscht, sondern auch auf der so ge‐ nannten Wortschatztiefe, d. h. auf der Einsicht von Sprecherinnen und Sprechern, verschiedene Bedeutungen eines Wortes zu kennen und differenzieren zu können - oder Bezüge zwischen den Bedeutungen verschiedener Wörter zu kennen und gezielt einzusetzen, zum Beispiel zwischen Synonymen oder Ober- und Unterbegriffen (Hypo- und Hyperonymen) zu wechseln. Wortschatzerwerb ist weit mehr als nur das Lernen neuer Wörter, es ist der Erwerb einer zunehmenden Einsicht in die (zum Teil meta‐ phorische) Bedeutungsbreite bereits bekannter Wörter. Nur solch ein Wissen um die semantische Tiefenstruktur der eigenen Sprache, um die Vernetzung der Wörter und ihrer Bedeutungen, ermöglicht es einem Schreiber/ einer Schreiberin etwa, varianten‐ reiche, stilistisch ansprechende Texte zu verfassen - oder einem Leser/ einer Leserin, eine bestimmte Lesart eines Wortes im Zusammenhang zu erkennen. Insbesondere bei Schülern und Schülerinnen, für die Deutsch die Zweitsprache ist, kommt es nicht selten vor, dass sie zwar ein bestimmtes Wort kennen, hiervon aber nur die prototypische Bedeutung. Mit Schule wird so das ‚Schulgebäude‘ oder eine ‚Lehrinstitution‘ ver‐ bunden, aber die biologische Verwendung im Kompositum Baumschule oder bei der Bezeichnung für einen ‚Fischschwarm‘ wird nicht verstanden. Und auch bei den gram‐ matischen Funktionswörtern ist eine Kenntnis der Bedeutungsbreite von Wörtern ele‐ mentar, um bildungs- und fachsprachliche Texte zu verstehen. Zu wissen, dass etwa die Konjunktion während nicht nur eine temporale (zeitliche), sondern auch eine ad‐ versative (entgegenstellende) Bedeutung hat, ist Voraussetzung für das korrekte Ver‐ stehen von Sätzen wie: Während Annika Vegetarierin ist, isst Nicolas sehr gerne Fleisch. Sowohl für die Sprachrezeption, das präzise Lese- und Hörverstehen, wie für die Sprachproduktion, die stilistische Ausdrucksfähigkeit, ist ein profundes Semantik‐ wissen auf lexikalischer Ebene also unerlässlich. Hierzu zählt insbesondere auch ein generelles Verständnis für die Prozesse der metaphorischen Bedeutungserweiterung, das es ermöglicht, neue Bedeutungsnuancen und unbekannte Anwendungsbereiche und Verwendungen eines Wortes nachvollziehen und sich kontextuelle Bedeutungen selber erschließen zu können. Zweitsprachlerinnen und -sprachler stehen darüber hinaus vor der Herausforderung, die wertenden Nebenbedeutungen eines Wortes (Konnotationen), die Erstsprachler im Laufe der Sprachsozialisation leichter oder früher erwerben, zu erkennen - also zum Beispiel, dass Köter kein neutraler, sondern ein abfälliger Ausdruck für ‚Hund‘ ist (vgl. Kapitel 2.1.3). 1 Semantik - Systematischer Aufriss 14 <?page no="16"?> 1.2.2 Semantik und Wortschatzarbeit in der Schule Das Thema „Semantik“ taucht unter diesem Begriff in der Schule bzw. in Curricula wie den KMK-Bildungsstandards oder länderspezifischen Kernlehrplänen sowie im Deutschunterricht oder in Deutschbüchern kaum auf - und wenn, dann implizit und immer verengt auf lexikalische Semantik. Jedoch darf man dieses Fehlen des Begriffs nicht als mangelnde Relevanz des Themas für Schülerinnen und Schüler und für das sprachliche Lernen und die sprachliche Bildung begreifen. Die Semantik als Thema ist didaktisch und schulisch relevant und betrifft verschiedenste Bereiche des schulischen Deutschunterrichts. Insbesondere sind semantische Themen im Rahmen von Wort‐ schatzarbeit zu finden. Diese jedoch ist ebenfalls in den Curricula (vgl. auch Kap. 3.4) - und bis vor gut zehn Jahren auch in der deutschdidaktischen Diskussion - wenig präsent und findet schulisch, wenn überhaupt, dann fast nur in der Primarstufe (Grund‐ wortschatz, Wortfelder) statt (Steinhoff 2013: 12). Diese Beschränkung auf die Grund‐ schule ist insofern problematisch, als mit dem Übergang zur weiterführenden Schule im Unterricht ein Übergang zur stärkeren Verwendung von Schriftlichkeit und zum Lernen aus Texten einhergeht, was bedeutet, dass Wortschätze zunehmend schriftlich geprägt und auf bestimmte Texthandlungen bezogen (Feilke 2009: 5), also bildungs‐ sprachlicher geprägt sind und neu gelernt werden müssen; dies sollte schulische Wort‐ schatzarbeit unterstützen. Die Semantik von Wörtern oder Sätzen wie auch die Wortschatzarbeit, die neben der Wortform zentral vor allem die Wortbedeutung(en) thematisiert, liegen dabei quer zu den vier großen curricularen Bereichen des Deutschunterrichts, die je nach Curri‐ culum etwas unterschiedlich heißen, aber grob unter folgenden Titeln zusammenzu‐ fassen sind: ▸ Sprechen und Zuhören ▸▸ Schreiben ▸▸ Lesen/ Umgang mit Texten und Medien ▸▸ Sprachreflexion/ Sprachbewusstheit/ Sprache und Sprachgebrauch untersuchen ▸ Die Semantik betreffende sprachliche Phänomene kann und sollte man idealerweise reflexiv im Bereich „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“ untersuchen, aller‐ dings liegt auf der Hand, dass Semantik grundsätzlich elementar für alle produktiven und rezeptiven Sprachhandlungen ist: Wer spricht und schreibt, sollte sich ebenso Gedanken über die Semantik der verwendeten Wörter und Sätze machen wie derjenige, der sprachliche Äußerungen zuhörend oder lesend aufnimmt und interpretieren muss. Denn eine durch semantische Reflexion beförderte starke Vernetzung eines Wortes im mentalen Lexikon (Kap. 3.1) erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es auch produktiv beim Schreiben oder Sprechen genutzt werden kann (Mathiebe 2018: 54). Von großer didaktischer Relevanz ist daher die Frage, wie Schule - den außerschulischen Wort‐ schatzerwerb flankierend - den Aufbau des mentalen Lexikons beeinflussen und se‐ mantische Verknüpfungen fördern und ggf. umstrukturieren kann. Denn noch gibt es angesichts mangelnder Beschäftigung der Deutschdidaktik mit diesem Thema „keine 1.2 Didaktische Relevanz 15 <?page no="17"?> einheitliche Theorie zur Vermittlung von Wortwissen in der Schule“, und nach einer Umfrage halten 40 % der deutschen Lehrkräften Wortschatzarbeit als eigenen Lernbe‐ reich des Deutschunterrichts für eher unwichtig (ebd.: 87 f.). Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum die systematische Wortschatz- und damit auch die semantische Arbeit in der Vergangenheit der Deutschdidaktik (jedenfalls mit Blick auf Deutsch als Mutterbzw. Erstsprache) dennoch sehr wenig thematisiert wurde. Dies mag zum einen an der noch heute aktuellen traditionellen Gliederung der Curricula liegen, in denen Semantik/ Wortschatzarbeit als quer liegende Themen und Kompetenzen kaum explizit und damit sichtbar vorkommen. Es liegt zum anderen aber auch daran, dass man lange geglaubt hat, Deutsch-Erstsprachlerinnen und -sprachler, auf die der Deutschunter‐ richt immer noch schwerpunktmäßig ausgerichtet ist, würden Wörter - und die Bedeu‐ tung von Wörtern - mehr oder weniger automatisch und beiläufig beim Zuhören und Lesen aufnehmen und erlernen (sog. inzidentelles Lernen). Zudem gebe es ohnehin viel zu viele Wörter (mit Kern- und Nebenbedeutungen), um diese rein vom Umfang her auch nur ansatzweise im schulischen Deutschunterricht vermitteln zu können, weshalb Wort‐ schatzarbeit ohnehin nur extrem exemplarisch möglich sei. Die These vom inzidentellen Wörterlernen bei der Textrezeption, also ohne bewussten Aneignungsprozess, entspricht natürlich der Realität. Jedoch bleibt diese unsystematische Art des rein impliziten Wörter‐ lernens (sog. fast mapping ohne wirkliche Vernetzung der Begriffe), etwa beim flüch‐ tigen Lesen, sehr vorläufig und unvollständig, ist nicht so effektiv wie die explizite Ver‐ mittlung, was Metaanalysen zeigen (Mathiebe 2018: 88), und führt zu großen individuellen Unterschieden von bis zu 6 000 Wörtern Wortschatzdifferenz zwischen zwei Schulkin‐ dern, selbst wenn bei beiden die Wortschatzleistung unauffällig ist (Rothweiler/ Meibauer 1999: 18). Wenn solch eine beiläufige Wortschatzerweiterung im Unterricht wirklich gelingen soll, dann müssen Schülerinnen und Schüler daher explizit darin gefördert und dafür sensibilisiert werden, denn: Die Anreicherung und Erweiterung des impliziten Bedeutungswissens erfolgt eben nicht al‐ lein durch Folgebegegnungen mit einem neuen Wort in anderen Kontexten und Verwen‐ dungssituationen, sondern auch durch Untersuchung der semantisch-lexikalischen Vernet‐ zung im mentalen Lexikon, also durch den Erwerb expliziten Bedeutungswissens. Wer die semantischen Strukturen, die inhaltliche Ordnung und Vernetzung seines inneren Lexikons durchschaut, sie sich bewusst gemacht hat, ist viel besser in der Lage, neue Lexeme an der passenden Stelle im Netzwerk einzuordnen und dort bei Bedarf schnell und sicher abzurufen (Zugriff auf den Wortschatz). (Ulrich 2011a: 182) Übung 122a Untersuchen Sie die KMK-Bildungsstandards des Faches Deutsch und die für Sie relevanten länderspezifischen Kernlehrpläne, insbesondere den Bereich „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“, in Hinblick auf explizites und implizites Vor‐ kommen der Themen „Semantik“ und „Wortschatz(arbeit)“ und stellen Sie die Kontexte und die curricularen Bereiche (Lesen, Schreiben, Sprechen/ Zuhören, 1 Semantik - Systematischer Aufriss 16 <?page no="18"?> Sprachgebrauch untersuchen) zusammen, in denen sie erwähnt, sowie die Kom‐ petenzerwartungen, die formuliert werden. 1.2.3 Empirische Untersuchungen und nachgewiesene Förderbedarfe Doch die didaktische Relevanz von semantischen Fragen lässt sich nicht an ihrer (feh‐ lenden) expliziten Präsenz in Curricula oder einschlägigen Handbüchern zur Sprach‐ didaktik ablesen. Dass sich die Deutschdidaktik seit einigen Jahren endlich vermehrt mit (semantischen Aspekten) der Wortschatzarbeit auseinandersetzt, hat viel zu tun 1. mit empirischen Ergebnissen zu Wortschatzwissen und semantischen 1. Leistungen bzw. zu „erschreckenden“ Wortschatzdefiziten (Merten/ Kuhs 2012b: 7) von Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache im Bereich des Grundwie des bildungssprachlichen Wortschatzes; 2. mit neueren Erkenntnissen zur Relevanz des Wortschatzes erstens für 2. Lernprozesse und das Lernen generell („Schlüsselfunktion [des Wortschatzes] für sämtliche Lernprozesse“, McElvany et al. 2016: 53, vgl. auch Ekinci-Kocks 2013: 1) sowie zweitens für speziell sprachlich das Lesen und Schreiben und auch seinen Zusammenhang mit der Grammatik (Siepmann 2007). Während es hier für englischsprachige Schülerinnen und Schüler zahlreiche Untersu‐ chungen gibt, fehlt es jedoch nach wie vor an Grundlagenforschung, d. h. an umfang‐ reicheren empirischen Studien oder gar large scale assessments, zu deutschsprachigen Schülerinnen und Schülern und ihrem Wortschatzwissen und -können; insbesondere oberhalb der Primarstufe, für ältere Schülerinnen und Schüler, gibt es kaum Untersu‐ chungen zur Differenzierung und zum Reichtum des Wortschatzes (Mathiebe 2018: 75). Daher wird bis heute auf die so genannte DESI-Studie (Deutsch Englisch Schülerleis‐ tungen International; Klieme/ Beck 2007; DESI-Konsortium 2008) und ihr Modul „Wort‐ schatz Deutsch“ und damit Daten von über 10 000 Neuntklässlern aus den Jahren 2003/ 04 verwiesen (vgl. etwa Kilian 2010; Balsliemke/ Peschel/ Runschke 2015; Mathiebe 2018), um den Bedarf deutschsprachiger Schülerinnen und Schüler an Wortschatzför‐ derung aufzuzeigen. Dabei wird die Operationalisierung von (semantischem) Wort‐ schatzwissen in der DESI-Studie durchaus kritisch gesehen, da die Testaufgaben nicht tiefgehend genug seien, um den Handlungscharakter des Wortwissens in ausrei‐ chendem Maße abzubilden (vgl. hierzu wie zur Zusammenfassung der DESI-Ergebnisse zum Wortschatz Mathiebe 2018: 75 ff.). Für die Wortschatz-Testung in DESI wurden zwei Varianten der Wortverwendung in drei Aufgabentypen benutzt: in Variante 1 mussten die Zielitems frei produziert werden, indem vorgegebene Wortfelder auszu‐ füllen waren (Typ 1), darüber hinaus waren bildlich dargestellte Begriffe zu benennen (Typ 2). Beide Aufgabentypen überprüfen den Umfang des produktiven Wortschatzes der Schülerinnen und Schüler. Bei Aufgabentyp 3 sollten Schülerinnen und Schüler Vorgaben in Text- und Satzzusammenhängen rezeptiv in Bezug auf bestimmte Nuan‐ cierungen überprüfen; hierdurch wurde das Wortverständnis und die Qualität der le‐ 1.2 Didaktische Relevanz 17 <?page no="19"?> xikalischen Einträge im mentalen Lexikon der Schülerinnen und Schüler getestet. Bei der Auswertung setzte DESI drei verschiedene Kompetenzniveaus an: A. hochfrequente Wörter, die zu den ersten 2 000 registrierten Wörtern im Lan‐ A. genscheidt-Grundwortschatz gehören (z. B. Ofen, meinen) B. frequente Konkreta und Abstrakta, die nicht mehr zum Grundwortschatz zählen B. (Standuhr, defensiv) C. seltenere Fach- oder Fremdwörter sowie Redensarten (Stellwerk, trojanisches C. Pferd). Die Auswertung ergab, dass fast 40 % der Schülerinnen und Schüler in ihren Wort‐ schatzfähigkeiten noch unter Niveau A lagen, wobei starke Schulformunterschiede festgestellt werden: Während an der Hauptschule 71,4 % das Niveau verfehlten, waren dies am Gymnasium lediglich 7,6 % der Schülerinnen und Schüler. Insgesamt erreichten knapp 30 % das Niveau A, 14,5 % das Niveau B und 17,9 % das Niveau C (aber immerhin 44,2 % der Schülerinnen und Schüler am Gymnasium das Niveau C). Neben der Schul‐ form kann die Familiensprache als deutlicher Hinweis auf die Wortschatzleistung gelten, denn monolingual Deutsch sprechende Schülerinnen und Schüler erzielten in allen Schularten bessere Leistungen als diejenigen, die im Elternhaus neben Deutsch eine weitere Sprache oder gar kein Deutsch sprechen. Gleichzeitig war aber zu beob‐ achten, dass mehrsprachige Schülerinnen und Schüler am Gymnasium durchschnitt‐ lich besser abschnitten als monolingual Deutsch sprechende Schülerinnen und Schüler in den anderen Bildungsgängen. Insgesamt schnitten die Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu den anderen Deutschmodulen im Bereich Wortschatz am schlechtesten ab, was als deutliches Indiz für den Bedarf an Semantik- und Wortschatzarbeit im Deutschunterricht gewertet werden muss - und zwar umso mehr, als die Wortschatz‐ leistungen in DESI mit den anderen Deutschmodulen, also den weiteren sprachlichen Teilfertigkeiten (außer Schreiben! ), korrelieren. Semantisches Wissen und angemes‐ senes Können in diesem Bereich spielen demnach eine zentrale Rolle für sprachliche Bildung und Fähigkeiten ganz generell. Nachdem der Schülerwortschatz über lange Jahre weder in der fachdidaktischen Forschung und Theorie noch in der Unterrichtspraxis prominent thematisiert wurde, mehren sich angesichts solch alarmierender Ergebnisse in den letzten Jahren die Stimmen in verschiedensten Disziplinen (etwa Psychologie, Pädagogik, Psycholingu‐ istik, Sprachdidaktik), die fordern, dass Wortschatzarbeit ein größeres Gewicht in der fachdidaktischen Diskussion und im Unterricht zukommen muss. Es sei die genuine Aufgabe der Schule, ▸ Bedeutungen und Konzepte, die die Wörter bezeichnen, zu vermitteln und zu ▸ erklären; ▸ unbekannte Bedeutungen unbekannter Wörter zu vermitteln; ▸▸ zu ermöglichen, ungewöhnliche Verwendungsweisen vertrauter Wörter ken‐ ▸ nenzulernen und damit Möglichkeiten zu schaffen, Mehrdeutigkeiten von Wör‐ tern wahrzunehmen und die Rolle des Kontexts bei der Desambiguierung zu 1 Semantik - Systematischer Aufriss 18 <?page no="20"?> erkennen und den Kontext dementsprechend zu nutzen (Ulrich 2011a: 180 f. mit Verweis auf den Pädagogen und Psycholinguisten John B. Carrol); ▸ die Beziehungen der zu einem Netzwerk verknüpften Wörter und Wendungen ▸ zu erhellen und bewusst zu machen; ▸ im Rahmen der präzisen Bedeutungsbestimmung Bedeutungsabgrenzungen zu ▸ ermöglichen und dadurch ▸ für Ausdrucksangemessenheit und Ausdrucksnuancen zu sensibilisieren, indem ▸ etwa beim Lesen und Zuhören die Aufmerksamkeit über die Inhalte hinaus auch auf die Wortwahl im Text gelenkt werde. (Pohl/ Ulrich 2016b: XIII) Der Ort, an dem diese auf die Semantik ausgerichtete Wortschatzarbeit stattfinden solle, sei vor allem der Bereich der Sprachreflexion (Pohl/ Ulrich 2016b: XIII), für den Ulrich fordert: „Weniger satz- und syntaxzentrierten Grammatikunterricht und mehr wortschatzorientierte Sprachreflexion im Deutschunterricht! “ (Ulrich 2011a: 181). Wie aber bereits angedeutet und u. a. auch in DESI empirisch nachgewiesen, hängen die Wortschatzfähigkeiten eng mit den anderen sprachlichen Teilfertigkeiten und cur‐ ricularen Bereichen zusammen, da ein quantitativ und qualitativ ausreichender Wort‐ schatz „Voraussetzung für ein differenziertes Leseverständnis, für eine gelingende Ge‐ sprächsführung und für einen sach- und situationsangemessenen schriftlichen Ausdruck“ (Pohl/ Ulrich 2016b: XIII) und damit Grundlage für schulischen Erfolg (McEl‐ vany et al. 2016: 45) wie gesellschaftlich angemessenes und erfolgreiches Handeln ist. Eine angemessene Wortschatzkompetenz wirkt sich auf alle anderen sprachlichen Kompetenzen positiv aus (vgl. Ulrich 2016a). Übung 123a Überlegen Sie, warum, in welcher Hinsicht und in welchen Bereichen Wort‐ schatzförderung die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in den Berei‐ chen Zuhören, Sprechen, Lesen und Schreiben fördern kann. 1.2.4 Zusammenhänge von Wortschatzfähigkeiten und anderen sprachlichen Teilfertigkeiten „Spracharmut“, so Ulrich (2014: 1), sei vor allem „Wortschatzarmut“, mangelnde Sprach‐ fähigkeiten sind demnach in großen Teilen auf mangelnde Wortschatzkompetenz rück‐ führbar. Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung deuten darüber hinaus darauf hin, dass eine zu geringe Wortschatzkenntnis ursächlich generell für Lernschwierig‐ keiten in unterschiedlichen Kompetenzbereichen ist (Kilian 2011: 161) - so, wie es spä‐ testens seit der ersten PISA-Studie im Jahre 2000 als nachgewiesen gilt, dass mangelnde Lesefähigkeiten zu Defiziten beim Lernen auch in den Sachfächern führen. Nun wird aber die Lesefähigkeit ihrerseits partiell mitbestimmt durch die Wortschatzkenntnis. Eine „systematische Sprachförderung im Bereich ‚Wortschatz und Semantik‘ im Regelunterricht des Deutschen als Erstsprache“ mit dem Ziel der Förderung einer le‐ 1.2 Didaktische Relevanz 19 <?page no="21"?> xikalisch-semantischen Kompetenz (ebd.) ist also eine unabdingbare Basis für jegliche Sprachförderung. Wortschatzarbeit wirke, so Steinhoff (2013: 12) „per se integrativ“, da der Wortschatz „für das Sprechen, Zuhören, Lesen und Schreiben gleichermaßen rele‐ vant und folglich für die Förderung aller sprachlichen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen von großer Bedeutung“ (ebd.) und damit die „Schaltstelle für das Sprach‐ wissen und den Spracherwerb“ und „Bindeglied der verschiedenen Teilgebiete des Deutschunterrichts“ sei (Steinhoff 2009: 3, 24). Kinder und Jugendliche, die über einen umfangreichen Wortschatz verfügen, sind eher dazu in der Lage, die sprachlich-fach‐ lichen Erwartungen der einzelnen Unterrichtsfächer zu erfüllen als Kinder und Ju‐ gendliche, die einen schwächeren Wortschatz aufweisen (Steinhoff 2013: 16). Schon wenn 3 % der Wörter eines Textes nicht verstanden werden, kann das Text‐ verständnis insgesamt blockiert werden (Apeltauer 2008). Der enge Zusammenhang zwischen Wortschatzfähigkeiten und Leseverständnis ist schon länger recht gut untersucht und nachweisbar (Philipp 2012; Bangel 2015; Polz 2016a). Die Rolle des Wortschatzes für das Lesen wird dabei deswegen so hoch angesetzt, weil das Wissen über Wortbedeutungen die Grundlage für das Verstehen von (Sach-)Texten bildet und eine gute Lesefähigkeit assoziiert wird mit einem sicheren, schnellen und kontextun‐ abhängigen Zugriff auf Wortbedeutungen (Ulrich 2014: 1). Philipp/ Efing (2018: 200) führen diverse querschnittlich als auch längsschnittlich angelegte Studien aus dem englischsprachigen Raum an, die - insbesondere für das Alter des Übergangs in die Sekundarstufe I - die hohe Bedeutsamkeit des (produktiven wie rezeptiven) Wort‐ schatzes für das Textverstehen nachweisen. Umgekehrt ist jedoch auch das Lesever‐ stehen ein Prädiktor des Wortschatzes, sodass (kompetente) Leser ihren Wortschatz lesend erweitern können, indem sie Lexeme aus Texten aktiv erwerben (ebd.). Inter‐ ventionsstudien zur Förderung der Leseflüssigkeit weisen nach, dass sich leseschwache Schülerinnen und Schüler durch Wortschatzerweiterung „von der Wortebene lösen, die Lesegeschwindigkeit erhöhen und die Leseanstrengungen minimieren, um sich schließlich hierarchiehöheren Leseprozessen zuzuwenden und ihr Textverstehen deut‐ lich zu verbessern“ (vgl. Steinhoff 2013: 20; vgl. auch Mathiebe 2018: 186). Es lässt sich für den Zusammenhang von Wortschatz- und Lesekompetenz also resümieren: Wer über einen großen produktiven wie rezeptiven Wortschatz verfügt, hat größere Chancen, Texte zu entschlüsseln und diese zu verstehen; auch die Schnelligkeit beim Lesen von Texten erhöht sich, wenn Wörter sicher phonologisch, morphologisch und semantisch im mentalen Lexikon gespeichert sind (Vasylyeva/ Kurtz 2015: 239). Um‐ gekehrt gilt: Ist der Wortschatz gering, beeinträchtigt das die kontextfreie Worterken‐ nung, die Lesegeschwindigkeit und das Leseverstehen, da die Rekodierung, also das „Erkennen von Buchstaben-, Wörter- und Phrasenkombinationen und ihre semanti‐ sche Zuordnung“, mehr Zeit benötigt und nicht automatisiert abläuft (Meireles 2006: 308). Im Vergleich zum Lesen ist das Schreiben weniger gut untersucht. Eine Studie mit englischsprachigen Schülerinnen und Schülern (Olinghouse/ Wilson 2013, zitiert nach Philipp/ Efing 2018) ergab, dass die Verwendung von domänenspezifischen Fachwör‐ 1 Semantik - Systematischer Aufriss 20 <?page no="22"?> tern textsortenunabhängig ein Prädiktor für die Qualität von Sachtexten ist. Andere Wortschatzvariablen differierten in ihrer Bedeutung je nach geschriebener Textsorte, aber generell war zu erkennen, dass der - insbesondere bildungssprachliche - Wort‐ schatz im Sekundarschulalter wichtig für die Schreibkompetenz bei expositorischen Texten sowie zentral für die Wahrnehmung und Beurteilung der Textqualität durch die Lehrkräfte ist und deshalb auch gefördert werden sollte (ebd.: 201). In einer Studie mit deutschen Schülerinnen und Schülern untersuchte Mathiebe (2018) den Zusammenhang von (bildungssprachlichem) Wortschatz und Schreibkompetenz in Schülertexten der Sekundarstufe I. Zentrale Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen (Mathiebe 2018: 184-188, 198, 206): ▸ Je vielfältiger die Lexeme eines Textes, umso höher die Textqualität. ▸▸ Je höher die Wortschatzleistung, umso höher die Textlänge - und umso ad‐ ▸ äquater der Einsatz bildungssprachlicher Mittel. Die Ergebnisse aus dem Wort‐ schatztest können sowohl als Prädiktor für die in den Texten gezeigte Bildungs‐ sprachlichkeit als auch für die globale Textqualität angesehen werden. ▸ Je mehr angemessene Verben (als Indikator für bildungssprachlichen Wort‐ ▸ schatz), umso höher die Textqualität. Generell scheint die adäquate Auswahl an Verben mit den allgemeinen lexikalischen Fähigkeiten zusammenzuhängen. ▸ Wer zügig und sicher liest, verfügt eher über eine höhere lexikalische Vielfalt ▸ und verfasst längere Texte. ▸ Je besser die Leistungen im Wortschatztest, umso höher der Anteil an angemes‐ ▸ senen Textbausteinen. ▸ Die Anzahl verwendeter bildungssprachlicher Mittel sagt nichts über deren An‐ ▸ gemessenheit aus. Insgesamt gibt es aber wenige Studien und uneindeutige, wenig aussagekräftige Er‐ gebnisse dazu, ob, und wenn ja: welche Art von Wortschatzförderung (eher domänen‐ spezifischer, inhaltsbezogener Grundwortschatz oder bildungssprachlicher Wort‐ schatz? ) die Schreibkompetenz verbessern hilft. Die Vermittlung speziell von Verben scheint dabei als eine erfolgversprechende Möglichkeit, bildungssprachlichen Wort‐ schatz und Textqualität gemeinsam zu fördern, wobei im Fokus der Förderung nicht allein die Vermittlung der Verben, sondern deren angemessener Einsatz stehen sollte (Mathiebe 2018: 213 f.). Für den Bereich der Mündlichkeit referiert Steinhoff (2013) weitere empirische Ergebnisse, die die Relevanz der Wortschatzkompetenz belegen. So zeigen Studien die bedeutende Rolle des Wortschatzes im Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören beim mündlichen Argumentieren (ebd.: 19). Untersucht wurden Jugendliche aus achten Klassen aller Schularten. Festgestellt wurden „enge Zusammenhänge zwischen der ar‐ gumentativen Kompetenz einer/ eines Lernenden und der Anzahl der von ihr/ ihm ge‐ äußerten unterschiedlichen Autosemantika“ (ebd.). Schülerinnen und Schüler, die selbstständig ein großes Spektrum von Autosemantika gebrauchten, brachten eigen‐ initiativ komplexe Gesprächsbeiträge ein. Dagegen verhielten sich Schülerinnen und 1.2 Didaktische Relevanz 21 <?page no="23"?> Schüler, die Autosemantika verwendeten, die durch die Aufgabenstellung bereits vor‐ gegeben waren, viel passiver und partizipierten oft nur formal an der Konversation; es fiel ihnen schwerer eigeninitiativ Gesprächsbeiträge einzubringen. Dies änderte sich, wenn vor den Gesprächen eine intensive, auf der Lektüre thematisch relevanter Texte beruhende Wortschatzarbeit (Worterklärungen, Vernetzungen, Zusammenfassungen) betrieben wurde, an deren Ende die Erstellung eines Stichwortzettels stand, an dem sich die Schülerinnen und Schüler während des Gesprächs orientieren konnten. Unter diesen Voraussetzungen waren auch wortschatzschwache Schülerinnen und Schüler in der Lage, eigeninitiativ und gehaltvoll zu argumentieren (ebd.). Und Wortschatzfähigkeiten hängen nicht nur kognitiv nachweisbar mit anderen sprachlichen Teilfertigkeiten zusammen, sondern es wird auch im Bereich der Unter‐ richtsmethoden ihr Vorhandensein, d. h. „die Existenz lexikalisch-semantischer Struk‐ turen im mentalen Lexikon von Schülerinnen und Schülern[,] in zahlreichen modernen sprachdidaktischen Ansätzen vorausgesetzt“ (Kilian 2011: 156) - zumindest implizit. Beispiele hierfür im Bereich Schreiben sind etwa die Cluster-Bildung zu Beginn eines Schreibprozesses oder jegliche Form des Schreibens, die mit Reiz- oder Schlüsselwort sowie Kontext operiert; im Bereich Lesen wird bei der gängigen Strategie der Vorak‐ tivierung vorhandenen Wissens regelmäßig auf lexikalisch-semantische Strukturen zurückgegriffen, die damit für Kilian eine „Schlüsselfunktion […] beim sprachlichen Lernen“ (ebd.) einnehmen. Übung 124a Laut Steinhoff (2013: 16) sind Kinder und Jugendliche, die über einen umfangrei‐ chen Wortschatz verfügen, eher dazu in der Lage, die sprachlich-fachlichen Er‐ wartungen der einzelnen Unterrichtsfächer zu erfüllen. Überlegen Sie, inwiefern sprachliche Wortschatzkenntnisse und inhaltlich-fachliches Lernen zusammen‐ hängen. 1.2.5 Fazit und Konsequenzen Die kontinuierliche Förderung des Wortschatzes nicht nur quantitativ mit Blick auf den Wortschatzumfang, sondern vor allem auch qualitativ bezüglich des Wissens um die semantische Tiefe von Wörtern mit ihren Beziehungen und Stellungen in Wort‐ netzen ist eine zentrale, wenn bislang auch vernachlässigte schulische Aufgabe insbe‐ sondere des Sprachunterrichts (Ulrich 2013: 33). Der durch semantisch orientierte Wortschatzarbeit erzielte Kompetenzzuwachs betrifft nicht nur das Wortwissen selbst, sondern auch generelle kognitive und Lernfähigkeiten in jedem Fachgebiet: „Die Be‐ herrschung von vielen und richtigen Wörtern und der flexible Umgang mit einem si‐ tuationsgerechten Wortschatz erscheinen daher als Schaltstelle für eine umfangreiche Wissensaneignung“ (Neumann 2013: 10). Dabei gilt natürlich eine Interdependenz in beide Richtungen, da sich enzyklopädisches Weltwissen und Sprachwissen gegenseitig 1 Semantik - Systematischer Aufriss 22 <?page no="24"?> bedingen: Wer viel weiß, kennt viele Wörter; wer einen großen Wortschatz besitzt, verfügt auch über ein umfangreiches Wissen (Ulrich 2013: 29, Ekinci-Kocks 2013: 22). Zudem spart Wortschatzarbeit Zeit, denn „wer Wörter in ihrer Funktionalität be‐ herrscht, gewinnt Zeit und kann seine Ressourcen […] für anderes Lernen nutzen“ (Neumann 2013: 9). Damit werden Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses für andere Aufgaben frei. In einem engeren Sinne der Sprachbildung geht es darum, bei Schülerinnen und Schülern die Sinne für Wörter zu schärfen, für Bedeutungsnuancen zu sensibilisieren und Lexeme zielgenau zu speichern und demnach schnell und leicht wieder abrufen zu können (Ulrich 2013: 34). Allgemein zielt Wortschatzarbeit demnach nicht auf das Erlernen einzelner Wörter, sondern auf den Erwerb einer allgemeineren Kompetenz, mit Wörtern und semanti‐ schen Fragen umzugehen und ein Sprachbewusstsein zu entwickeln und dabei auch die kognitiven Fähigkeiten zu erweitern. Es wurde bisher einerseits die didaktische Relevanz von (semantikorientierter) Wortschatzarbeit, andererseits aber auch der Bedarf an einer solchen gezeigt, da diese bislang weitgehend fehlt, Wortschatzdefizite der Lerner eine solche aber als dringlich erscheinen lassen. Um es mit Plewnia (2006: 13) zu sagen: Zum einen nimmt Wort‐ schatzarbeit keinen sehr breiten Raum im Deutschunterricht ein; zum Zweiten wird dieser wenige Raum nur in relativ unspezifischer Weise gefüllt und zum Dritten do‐ miniert an Stellen, an denen Wortschatz thematisiert wird, eine relativ konservative Betrachtungs- und Beschreibungsweise. Es liegt aber auf der Hand, dass die Förderung des Wortschatzerwerbs als eine zentrale Aufgabe des Deutschunterrichts verstanden werden sollte (Ulrich 2016b: 39). Im weiteren Verlaufe dieses Bandes werden daher sowohl Ziele als auch Konzepte einer modernen, semantikorientierten Wortschatzar‐ beit aufgezeigt. An dieser Stelle lässt sich als Konsequenz des bisher Gesagten aus didaktischer Sicht aber schon zusammenfassen, dass semantikorientierte Wortschatzförderung nicht auf die Primarstufe begrenzt, sondern auf alle Schulstufen ausgeweitet werden sollte. Des Weiteren sollte Wortschatzförderung nicht auf den Deutschunterricht beschränkt bleiben, sondern, gerade, wo es um bildungs- und fachsprachlichen Wortschatz geht, auf den Fachunterricht ausgeweitet werden, da Wortschatzerwerb und fachliches Lernen und Wissen miteinander einhergehen (Steinhoff 2013: 14 f.). Diesen Zusam‐ menhang von Deutsch- und Fachunterricht sowie Sprachreflexion und Kommu‐ nikationsförderung verdeutlicht folgende Abbildung: 1.2 Didaktische Relevanz 23 <?page no="25"?> Abb. 125a: Kommunikationsförderung und Sprachreflexion im Sprach- und Sachunterricht (Roelcke 2013: 337) Am stärksten wird die semantische Seite des Wortschatzes dabei in einem reflexiven (Deutsch-)Unterricht zum Tragen kommen, der nicht allein Wortschatzarbeit als För‐ derung anderer sprachlicher Kompetenzen betreibt, sondern Einsichten in semantische Tiefenstrukturen, Polysemie und Ambiguitäten anstrebt. Traditionelle Themen, die hier im Deutschunterricht in Frage kommen, wären etwa: ▸ Semantik in Definitionen und terminologischen System, z. B. bei Fachtermino‐ ▸ logien der Unterrichtsfächer ▸ Semantik bei Anglizismen und anderen Fremdwörtern (in Relation etwa zu nahe ▸ stehenden deutschen Begriffen) ▸ wörtliche vs. übertragene Bedeutung von Redensarten und Sprichwörtern; bei ▸ Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) oder Deutsch als Fremdsprache (DaF) generell die Semantik von Phraseologismen usw. ▸ Semantik und (Schein-)Synonyme - in Verbindung mit Schreibunterricht (Sti‐ ▸ listik, Angemessenheit) ▸ kritische Semantik/ Semantik und Sprachkritik/ Sprachmanipulation (bspw. zu ▸ Euphemismen, Unwörtern des Jahres, Metaphorik in politischen Reden) ▸ … ▸ Über den schulischen Unterricht hinaus sollte Wortschatzarbeit zudem - nicht nur für mehrsprachige Kinder, sondern auch für einsprachige - bereits vorschulisch im Kin‐ dergarten ansetzen, da sich die „bedeutendsten Entwicklungen im Bereich des [men‐ talen] Lexikons [im] Alter von ungefähr drei bis acht Jahren“ ereignen (Moser/ Berweger/ Stamm 2005: 61). 1 Semantik - Systematischer Aufriss 24 <?page no="26"?> Übung 125a Nennen Sie drei Argumente, die für eine gezielte Wortschatzarbeit im Deutsch‐ unterricht auch für Erstsprachler sprechen. Literatur Balsliemke/ Peschel/ Runschke 2015; Feilke 2009; Kilian 2011; Steinhoff 2009, 2013; Ulrich 2011a, 2011b, 2013, 2014. 1.2 Didaktische Relevanz 25 <?page no="28"?> 2 Linguistische Grundlagen 2.1 Theorien und Modelle Das Wort Bedeutung geht nach dem bedeutungsgeschichtlichen Wörterbuch von Hermann Paul ( 10 2002: 141 f.) zurück auf das mittelhochdeutsche Wort bediutunge mit der Bedeutung ‚Auslegung, Interpretation‘; in dem etymologischen Wörterbuch von Friedrich Kluge ( 23 1995) findet es keine Berücksichtigung. Es trägt in der deutschen Standardsprache der Gegenwart laut des „Duden - Deutsches Universalwörterbuch“ ( 4 2001: 242) selbst zwei Bedeutungen: zum einen „Sinn, der in Handlungen, Gegeben‐ heiten, Dingen, Erscheinungen liegt“ bzw. „begrifflicher Inhalt eines Zeichens; Bezie‐ hung zwischen Wortkörper u. begrifflichem Inhalt“ und zum anderen „Gewicht, Trag‐ weite, Belang“ bzw. „Geltung, Ansehen, Wert“. Neben diesen allgemeinsprachlichen Bedeutungen haben sich im Laufe der Ge‐ schichte von Philosophie, Semiotik und Linguistik (Auroux et al. 2008; Gardt 1999; Leiss 2009; Nöth 2 2000; 2017; Posselt/ Flatscher 2016; Ricken 1990) zahlreiche weitere fachsprachliche Bedeutungen herausgebildet. Dabei lassen sich im Wesentlichen zwei Positionen unterscheiden: Die eine geht davon aus, dass Bedeutung eine eigenständige Einheit darstellt, die unmittelbar als Begriff oder Konzept, als Bewusstseinsgegenstand oder als kognitive bzw. mentale Entität zu fassen ist. Im Rahmen der anderen Position gilt dieser Status einer eigenständigen Einheit als nicht gesichert, sodass Bedeutung hier lediglich mittelbar als Gebrauchsweise eines Zeichens oder als kommunikative Funktion verstanden wird; in einem extremen Ansatz wird der wissenschaftliche Ge‐ brauch von Bedeutung dann aufgrund von Undefinierbarkeit ganz zurückgewiesen. Unabhängig von diesen zwei bzw. drei grundsätzlichen Positionen werden innerhalb der philosophischen und linguistischen Semantik einige grundsätzliche Bestimmungen und Unterscheidungen vorgenommen. 2.1.1 Bedeutung als eigenständige Einheit Die philosophische Auffassung, dass Bedeutungen letztlich eigenständige Einheiten (kognitive oder mentale Entitäten) darstellen, geht mindestens zurück bis auf die klas‐ sische Antike und wird beispielsweise in Platons berühmtem Dialog „Kratylos“ disku‐ tiert und hier bereits mit der Auffassung von Bedeutung als Gebrauch von Zeichen konfrontiert. In der neuzeitlichen Philosophie findet sie sich etwa wieder bei John Locke (1690), Immanuel Kant ( 2 1787) oder dem Begründer der (analytischen) Sprach‐ philosophie Gottlob Frege (vgl. Frege 5 1980) sowie bei Bertrand Russell und dem jün‐ geren Ludwig Wittgenstein (1921/ 82). <?page no="29"?> Innerhalb der modernen Sprachwissenschaft findet sich eine entsprechende Vor‐ stellung von Bedeutung bei deren Begründer, dem Genfer Linguisten Ferdinand de Saussure (1916). De Saussure unterscheidet zwei Komponenten eines (sprachlichen) Zeichens (vgl. Abb. 211a): ▸ das Bezeichnende (der Ausdruck, signifiant) und ▸▸ das Bezeichnete (die Bedeutung, signifié). ▸ Dabei entsprechen das Bezeichnende der (abstrakten) Ausdrucksseite des Zeichens (von de Saussure auch als image acoustique bezeichnet) und das Bezeichnete dessen (ebenfalls abstrakter) Inhaltsseite, der Bedeutung (auch: concept). Die Zuordnung zwi‐ schen Ausdruck und Bedeutung ist dabei durch Arbitrarität und Konventionalität ge‐ kennzeichnet: Von lautmalerischen Ausdrücken (sog. Onomatopoetika) wie Kuckuck oder Wauwau einmal abgesehen, bestehe zwischen der Ausdrucks- und der Bedeu‐ tungsseite eines Zeichens weder eine Ähnlichkeitsbeziehung noch ein Kausalzusam‐ menhang; ihre kommunikative Verwendbarkeit wird alleine durch eine Übereinkunft innerhalb einer Sprachgemeinschaft gewährleistet. Abb. 211a: Zeichenmodell von de Saussure (1916: 231) De Saussure siedelt das sprachliche Zeichen auf der Ebene des Sprachsystems (langue) an: Durch den engen Zusammenhang, der zwischen dem Ausdruck und der Bedeutung bestehe (de Saussure vergleicht diesen im Rahmen seiner berühmten Blattmetapher mit den zwei Seiten eines Papiers), werde deren reziproke Evoka‐ tion ermöglicht, welche wiederum die Grundlage für konkrete sprachliche Äuße‐ rungen auf der Ebene des Sprachgebrauchs (parole) bildet: Verbindet etwa eine Person einen konkreten Gegenstand in der Natur mit dem Konzept eines Baumes, stellt sich bei ihr unweigerlich das entsprechende Lautbild / baum/ ein, das diese daraufhin in einer konkreten Lautkette wiedergeben kann. Diese Lautkette kann wiederum von einer anderen Person mit dem entsprechenden Lautbild in Verbin‐ dung gebracht werden, sodass dieser schließlich ihrerseits die Bedeutung bzw. das Konzept des Baums bewusst wird. Diese Fähigkeit zu bzw. Möglichkeit der sprach‐ lichen Kommunikation fasst de Saussure als langage zusammen. Während das Zeichenmodell von de Saussure mit Ausdruck und Bedeutung zwei Komponenten umfasst und daher auch als bilateral charakterisiert wird, werden inner‐ halb des Modells der Briten Charles Kay Ogden und Ivor Armstrong Richards (1923; dt. 1974) drei Komponenten angesetzt; es wird daher auch als semiotisches Dreieck oder 2 Linguistische Grundlagen 28 <?page no="30"?> als trilaterales Zeichenmodell charakterisiert (vgl. Abb. 211b). Das Modell erscheint graphisch als gleichschenkliges Dreieck, an dessen Ecken Faktoren und an dessen Kanten Relationen des Gebrauchs von (sprachlichen) Zeichen angegeben werden. Dabei werden nach gängiger Interpretation Symbol als der Ausdruck und Thought or Refe‐ rence als die Bedeutung eines (sprachlichen) Zeichens angesehen; unter Referent werden schließlich die Gegenstände und Sachverhalte der (außersprachlichen) Wirklichkeit zu‐ sammengefasst (zu dieser und einer alternativen Interpretation des semiotischen Drei‐ ecks vgl. Roelcke 2017: 25-29). Abb. 211b: Zeichenmodell von Ogden und Richards (1923: 11) Zwischen Ausdruck, Bedeutung und Wirklichkeit bestehen nach Ogden und Ri‐ chards drei verschiedene Beziehungen: Ausdruck (Symbol) und Bedeutung (Thought or Reference) stehen dabei in einem unmittelbaren Zusammenhang, da sie einander (durch Arbitrarität und Konventionalität) zugeordnet sind. Die beiden Autoren gehen hier von einer kausalen Beziehung (causal relation) aus, die entweder zutreffend (correct) oder nicht zutreffend ist (abhängig davon, ob der betreffende Ausdruck in Bezug auf die Bedeutung richtig gewählt ist). Ein unmittelbarer Zusammenhang besteht im Weiteren auch zwischen der Bedeutung und der Wirklichkeit (Referent); dieser Zusammenhang erweist sich in Bezug auf das Erfassen der Wirklichkeit durch das Denken als zulänglich (adequate) oder nicht. Anders verhält es sich mit der dritten Beziehung, also derjenigen zwischen Ausdruck und Wirklichkeit: Hier wird nur ein mittelbarer, indirekter Zu‐ sammenhang angenommen (imputed), da zwischen beiden weder ein Kausalzusam‐ menhang noch eine Ähnlichkeitsbeziehung bestehe. 2.1 Theorien und Modelle 29 <?page no="31"?> Übung 211a Die Berücksichtigung des Referenten bzw. der außersprachlichen Wirklichkeit stellt eine wesentliche Erweiterung des semiotischen Dreiecks von Ogden und Richards gegenüber dem Zeichenmodell von de Saussure dar. Versuchen Sie, die beiden graphischen Darstellungen (Abb. 211a und Abb. 211b) in Deckung miteinander zu bringen. Konzeptionen wie die hier vorgestellten, dass Bedeutungen eigenständige Einheiten darstellen, dürfen in der Regel nicht mit einem naiven Begriffsrealismus gleichge‐ setzt werden, der die Existenz von kognitiven oder mentalen Entitäten postuliert, die letztlich unabhängig von einzelnen Sprachen sind. Der philosophische oder linguisti‐ sche Ansatz eigenständiger Bedeutungseinheiten lässt zumeist den epistemologischen Status von Bedeutung oder Begriff offen und nutzt diese Einheiten oder Termini ins‐ besondere als hermeneutische Größen, die dazu beitragen sollen, Zeichen und Kom‐ munikation zu modellieren. Dies gilt auch für einschlägige Modelle der kognitiven Semantik (Croft/ Cruse 6 2010; Dabrowska/ Divjak 2015; Rickheit/ Weiss/ Eikmeyer 2010; Schwarz 3 2008) - etwa der Prototypen- und Stereotypensemantik (vgl. Kap. 2.2.3) oder der Frame- und Skriptsemantik (vgl. Kap. 2.2.4), die sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie nicht Bedeutungen unmittelbar als mentale Phänomene erfassen und be‐ schreiben, sondern vielmehr anhand von kommunikativen Erscheinungen mittelbar auf die Suche nach mentalen Spuren gehen. Ein wichtiges Beispiel für einen eher methodisch als epistemologisch, jedoch durchaus begründeten Begriffsrealismus findet sich in der modernen Terminologie‐ lehre bzw. Terminologiearbeit. Um den Gebrauch von Fachwörtern national und in‐ ternational festlegen zu können, wird hier von kognitiven Einheiten ausgegangen, denen jeweils Ausdrücke verschiedener Sprachen zuordnet werden (vgl. Arntz/ Picht/ Schmitz 7 2014: 48-56; zu fachsprachlichen Definitionen vgl. Kap. 2.2.1). In DIN 2342, einer der terminologischen Grundsatznormen des Deutschen Instituts für Normung, wird dabei Begriff wie folgt bestimmt: „Denkeinheit, die aus einer Menge von Gegen‐ ständen unter Ermittlung der diesen Gegenständen gemeinsamen Eigenschaften mit‐ tels Abstraktion gebildet wird.“ Und weiter heißt es dort: „Begriffe sind nicht an ein‐ zelne Sprachen gebunden, sie sind jedoch von dem jeweiligen gesellschaftlichen und/ oder kulturellen Hintergrund einer Sprachgemeinschaft beeinflusst.“ Ungeachtet solch verschiedener Konzeptionen werden die Wörter Bedeutung, Begriff und Wort nicht allein in der Sprache des Alltags, sondern durchaus auch innerhalb der Sprachwissenschaft oftmals nicht trennscharf verwendet. Daher seien im Folgenden einige terminologische Gebrauchsweisen vorgeschlagen (vgl. Roelcke 3 2010: 62), die sich in der semantischen Praxis im Allgemeinen bewährt haben und im Folgenden verwendet werden: 2 Linguistische Grundlagen 30 <?page no="32"?> ▸ Ausdruck = formale (schriftliche oder lautliche) Seite eines (lexikalischen) Zei‐ ▸ chens; ▸ Bedeutung = funktionale (inhaltliche) Seite eines (lexikalischen) Zeichens; ▸▸ Wort = (lexikalisches) Zeichen als Einheit aus Ausdruck und Bedeutung mit Be‐ ▸ tonung der Ausdrucksseite; ▸ Begriff = (lexikalisches) Zeichen als Einheit aus Ausdruck und Bedeutung mit ▸ Betonung der Bedeutungsseite. 2.1.2 Bedeutung als Gebrauch von Zeichen Die Annahme, Bedeutungen seien eigenständige Einheiten, ist aus Sicht vieler Vertre‐ terinnen und Vertreter aus Sprachphilosophie, Semiotik und Linguistik derart proble‐ matisch, dass sie selbst auf deren Ansatz als hermeneutische Größe verzichten: Der Status der Konzepte bzw. Termini Begriff und Bedeutung sei hiernach in einem so hohen Maße unbestimmt, dass diese konzeptionell nicht haltbar seien und deren wissen‐ schaftlicher Gebrauch daher abgelehnt werden müsse. Vor diesem Hintergrund fordert bereits Charles S. Peirce (1878), nicht die konzep‐ tionelle Intension von Begriffen selbst zum Ausgangspunkt wissenschaftlicher Unter‐ suchungen zu machen, sondern die pragmatische Relevanz der Gegenstände und Sachverhalte, auf die durch solche Begriffe jeweils Bezug genommen wird: Ein Begriff bzw. eine Bedeutung spiegele sich in der Art und Weise wider, wie der damit erfasste Gegenstand oder Sachverhalt verwendet werde; diese Verwendungsweise zu erfassen, mache die Beschreibung von so etwas wie Begriffen oder Bedeutungen hinfällig. Stark vereinfacht lässt sich dies am Beispiel des Worts oder Begriffs Hammer zeigen: Dieser Gegenstand kann intensional als ein Werkzeug aufgefasst werden, das dazu dient, Ge‐ genstände an Wänden usw. zu befestigen; seine Verwendungsweise besteht dagegen darin, Nägel in Flächen usw. zu schlagen. Für die Sprachwissenschaft bedeutsam wurde ein solcher Ansatz mit der Philosophie des späteren Ludwig Wittgenstein (1958/ 77: 236), der die Bedeutung eines (lexikali‐ schen) Zeichens mit dessen Gebrauchsweise bzw. mit deren Beschreibung bzw. Erklä‐ rung gleichsetzt: „‚Die Bedeutung des Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt‘. Das heißt: willst du den Gebrauch des Worts ‚Bedeutung‘ verstehen, so sieh nach, was man ‚Erklärung der Bedeutung‘ nennt.“ Die Bedeutung eines Wortes wie Hammer wird hiernach nicht durch Beschreibung seines (kognitiven, mentalen oder konzeptionellen) Inhalts erfasst, sondern durch die Beschreibung seiner (pragmati‐ schen) Verwendung im allgemeinen Sprachgebrauch. Seinen Niederschlag fand Witt‐ gensteins Philosophie etwa in der pragmatischen Semantik der 1970er Jahre oder in der Sprechakttheorie von John L. Austin (1962) und John Searle (1969). Eine konsequente Ablehnung erfährt das Konzept der Bedeutung im Rahmen des Behaviorismus (aus englisch behaviour ‚Verhalten‘). Menschliches Verhalten wird hier als Abfolge von unmittelbaren Reizen und Reaktionen (Stimulus und Response) beschrieben - so etwa, wenn der Anblick eines Apfels eine Person dazu bewegt, diesen 2.1 Theorien und Modelle 31 <?page no="33"?> an sich zu nehmen und zu essen (S → R). Sprachliche Handlungen erscheinen im Rahmen dieses Konzepts als Reize und Reaktionen auf einer mittelbaren Ebene - hier etwa, wenn der Anblick eines Apfels zu einer sprachlichen Reaktion gegenüber einer anderen Person führt, die diesen Apfel dann zum Verzehr reicht (S → r → s → R; dieses berühmte Beispiel, das durchaus biblische Erinnerungen weckt, stammt von Leonard Bloomfield 1933: 74; als weitere Vertreter des Behaviorismus gelten etwa Charles Morris oder Willard van Orman Quine). Der entscheidende Punkt des beha‐ vioristischen Ansatzes besteht somit darin, menschliche Handlungen im Allgemeinen und Sprachhandlungen im Besonderen ohne einen Rückgriff auf so etwas wie Bedeu‐ tungen oder Begriffe zu erfassen. Letztlich hat sich ein behavioristischer Ansatz innerhalb der linguistischen Semantik nicht durchsetzen können. Mit der Etablierung der linguistischen Pragmatik rückten indessen Konzeptionen in den Fokus des Interesses, die an verschiedenen Funktionen sprachlicher und nichtsprachlicher Zeichen ansetzen und auf diese Weise eine Se‐ mantik erlauben, die sowohl pragmatische als auch systematische Aspekte berück‐ sichtigt. Das bekannteste Modell dieser Art stammt von dem Psychologen Karl Bühler (1934: 24-33). Es wurde ausdrücklich als Alternative zu behavioristischen Ansätzen entwickelt und wird als Organon-Modell (aus altgriechisch ὄργανον organon ‚Werk‐ zeug‘) bezeichnet (vgl. Abb. 212a). Abb. 212a: Zeichenmodell von Karl Bühler (1934: 28) In der Mitte des Modells steht das (sprachliche) Zeichen Z - symbolisiert durch einen Kreis für dessen Ausdrucks- und ein Dreieck für dessen Bedeutungsbzw. Funktions‐ seite. Teile des Kreises, die über das Dreieck hinausreichen, stellen Aspekte des Aus‐ drucks dar, die im Rahmen „abstraktiver Relevanz“ für die Kommunikation unerheblich 2 Linguistische Grundlagen 32 <?page no="34"?> sind; hierzu zählen etwa Stimmlage oder Sprechgeschwindigkeit. Demgegenüber ver‐ weisen die Spitzen des Dreiecks, die über den Kreis hinausreichen, auf Aspekte der kommunikativen Funktion, die nicht von der Ausdrucksseite abgedeckt werden, son‐ dern eine „apperzeptive Ergänzung“ erforderlich machen. Dies lässt sich an folgendem Beispiel leicht veranschaulichen: Im Rahmen eines Te‐ lefonats etwa sind zum einen die individuelle Höhe der Stimme oder die situative Ge‐ schwindigkeit der Sprecherin oder des Sprechers (in einem gewissen Rahmen) nicht wesentlich, um die gesprochenen Äußerungen selbst zu verstehen (abstraktive Rele‐ vanz); zum anderen können hier bestimmte Laute, die technisch nicht übertragen werden, oder ganze Wörter, die von den Sprechenden verschluckt oder ausgelassen werden, von den Telefonierenden intutiv so mitgedacht werden, dass der volle Inhalt dieser gesprochenen Äußerungen dennoch erschlossen und verstanden wird (apper‐ zeptive Ergänzung). Um das Zeichen herum sind in dem Modell ein Sender und ein Empfänger als Ver‐ wenderinnen und Verwender des Zeichens sowie Gegenstände und Sachverhalte als die Wirklichkeit, auf die sich das Zeichen bezieht, angeordnet. Gegenüber jeder dieser Einheiten erfüllt das Zeichen im Rahmen der Kommunikation eine bestimmte Funk‐ tion: die Funktion einer Darstellung der außersprachlichen Gegenstände von Sach‐ verhalten, diejenige von Appell (etwas zu tun bzw. zu verstehen) an den Empfänger sowie die von Ausdruck (eigener Herkunft und Befindlichkeit) seitens des Senders. Mit diesen drei kommunikativen Funktionen wird die Vorstellung einer bestimmten Bedeutung aufgehoben und durch drei Dimensionen des Zeichengebrauchs ersetzt. Übung 212a Exemplifizieren Sie das Organonmodell von Karl Bühler anhand des folgenden Beispielsatzes: „Es regnet! “ Mindestens zwei Parallelen zu den bereits skizzierten Zeichenmodellen von de Saus‐ sure sowie Ogden und Richards sind offensichtlich: Zum einen wird hier ebenfalls zwischen der Ausdrucks- und der Bedeutungsbzw. Funktionsseite eines Zeichens un‐ terschieden. Zum anderen findet sich auch der Bezug auf Gegenstände und Sachver‐ halte der außersprachlichen Wirklichkeit, der das semiotische Dreieck von Ogden und Richards gegenüber dem Zeichenmodell von de Saussure kennzeichnet. Ein wesentli‐ cher Unterschied zwischen dem Organon-Modell und den beiden anderen Modellen betrifft jedoch den Status des Zeichens: Im Falle von Bühlers Modell handelt es sich (primär) um ein Zeichen im konkreten Gebrauch (parole), im Falle der Modelle von de Saussure sowie Ogden und Richards um ein Zeichen auf der abstrakten Ebene eines einzelsprachlichen Systems (langue). Unterscheidet Bühler drei Funktionen des Gebrauchs von sprachlichen Zeichen, so sind dies bei Roman Jakobson (1960/ 79) sechs, die an die folgenden „Faktoren“ in einem einfachen Modell sprachlicher Kommunikation gebunden sind (vgl. Abb. 212b): einen Sender und einen Empfänger, die in einem bestimmten (außersprachlichen) Kon‐ 2.1 Theorien und Modelle 33 <?page no="35"?> text in Kontakt zueinander stehen und anhand eines (einzelsprachlichen) Kodes ein‐ ander eine Mitteilung (über den Kontext der außersprachlichen Wirklichkeit) zu‐ kommen lassen. Abb. 212b: Faktoren (sprachlicher) Kommunikation nach Roman Jakobson (1960/ 79: 88) Gegenüber jedem dieser sechs Faktoren erfüllt das sprachliche Zeichen nun jeweils eine kommunikative Funktion, die den drei Funktionen in Bühlers Organonmodell partiell entsprechen (vgl. Abb. 212c): Eine emotive Funktion gegenüber dem Sender (analog der Ausdrucksfunktion), eine konative Funktion gegenüber dem Empfänger (Appellfunktion), eine referentielle Funktion in Bezug auf den Kontext (Darstellungs‐ funktion), eine metasprachliche Funktion hinsichtlich des Kodes (der durch die kon‐ krete Verwendung von Zeichen seinerseits zum Ausdruck kommt), eine phatische Funktion bezüglich des Kontakts (der durch die Kommunikation hergestellt bzw. er‐ halten wird) sowie eine poetische Funktion im Hinblick auf die Mitteilung (die durch die Art und Weise ihrer Gestaltung wirkt) selbst. Insbesondere die poetische Funktion ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, da sie Ausdruck einer eigenen ästheti‐ schen Konzeption ist, die als Autoreflexivität von Kunstwerken bekannt geworden ist. Diese Ästhetikkonzeption stellt bis heute ein wichtiges Bindeglied zwischen Sprach- und Literaturdidaktik dar, das insbesondere zur Interpretation von Lyrik her‐ angezogen wird. REFERENTIELL POETISCH EMOTIV ------------------------- KONATIV PHATISCH METASPRACHLICH Abb. 212c: Funktionen (sprachlicher) Kommunikation nach Roman Jakobson (1960/ 79: 94) Bei der Betrachtung eines Gedichts - etwa über den einsetzenden Frühling - zum Bei‐ spiel kommen letztlich alle sechs Funktionen ins Spiel: Die Autorin bzw. der Autor bringt emotiv ihre bzw. seine Freude über das referentiell vorgetragene, neu erwachende Leben zum Ausdruck und wirkt dabei auf die Lesenden konativ als Aufforderung zur Mitfreude. Damit entsteht eine phatische Verbindung zwischen dem Schreibenden und den Lesenden. Mit der Art und Weise, über den Frühling zu schwärmen, wird Sprach‐ gebrauch im Allgemeinen metasprachlich bekräftigt und im Speziellen poetisch zum 2 Linguistische Grundlagen 34 <?page no="36"?> Gegenstand der Betrachtung selbst (und somit ggf. eines ganz eigenen künstlerischen Genusses). 2.1.3 Weitere semantische Grundbegriffe Im Rahmen der Beschreibung und Erörterung semantischer Erscheinungen haben sich einige weitere grundsätzliche Begriffspaare etabliert, die im Folgenden unabhängig von weiteren konzeptionellen Überlegungen eingeführt werden: ▸ Semasiologie vs. Onomasiologie ▸▸ Denotation vs. Konnotation ▸▸ Sinn vs. Bedeutung ▸▸ Referenz vs. Bedeutung ▸▸ Intension und Extension ▸▸ Objekt- und Metasprache ▸ Die Unterscheidung zwischen Semasiologie und Onomasiologie basiert auf einem bi‐ lateralen Zeichenmodell wie etwa demjenigen von Ferdinand de Saussure (vgl. Abb. 213a). Mit den beiden Begriffen werden zwei verschiedene Fragerichtungen se‐ mantischer Analysen bezeichnet: Unter Semasiologie (von altgriechisch σημασία semasía ‚Bedeutung‘) wird dabei die Fragerichtung nach der Bedeutung eines gege‐ benen Ausdrucks verstanden, unter Onomasiologie (von altgriechisch ὀνομάζειν onomazein ‚benennen‘ bzw. ὄνομα onoma ‚Name‘) diejenige nach dem Ausdruck für eine gegebene Bedeutung. Abb. 213a: Onomasiologie und Semasiologie am Beispiel des Zeichenmodells von de Saussure Übung 213a Diskutieren Sie verschiedene didaktische Situationen, in welchen einer semasio‐ logischen bzw. einer onomasiologischen Fragerichtung gefolgt wird. Übung 213b Die schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren lässt Pippi Langstrumpf und deren Freundinnen und Freunde ein semantisches Abenteuer mit dem „Spunk“ 2.1 Theorien und Modelle 35 <?page no="37"?> erleben (vgl. Astrid Lindgren: Pippi im Taka-Tuka-Land. Deutsch von Cäcilie Heinig. Hamburg 1951, S. 41ff.): Ordnen Sie hier die semasiologische und die ono‐ masiologische Fragerichtung zu und diskutieren Sie deren Didaktisierung im Rahmen des Deutschunterrichts der Sekundarstufe I. Die Unterscheidung zwischen Denotation und Konnotation bezieht sich auf zwei As‐ pekte von Bedeutungen selbst. Dahinter verbirgt sich die Beobachtung, dass bestimmte Wörter wie etwa Hund und Köter zwar dasselbe bezeichnen, dieses aber unterschiedlich bewerten: Das Tier, das im Lateinischen als canis bezeichnet wird (die semasiologische Angabe lateinischer Äquivalente stellt insbesondere in mittelalterlichen oder frühneu‐ zeitlichen Wissenschaftstexten ein beliebtes Mittel der Angabe von Bedeutungen dar), wird im Deutschen neutral als Hund bezeichnet, während mit dem Ausdruck Köter eine negative Beurteilung verbunden ist. Die sachliche Bedeutungskomponente wird dabei als Denotation (von lateinisch denotare ‚bezeichnen‘) bzw. als denotative Bedeutung bezeichnet, die wertende als Konnotation (aus dem lateinischen Präfix con- ‚mit-, zusammen-‘ und notatio ‚Anmerkung‘) bzw. als konnotative Bedeutung. In diesem Zu‐ sammenhang ist zu beachten, dass sich konnotative Bewertungen nicht auf subjektive Einschätzungen beziehen (etwa einer einzelnen Person, die einmal schlechte Erfah‐ rungen mit einem bissigen Hund gemacht hat), sondern auf intersubjektive Einstel‐ lungen (die von den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft geteilt werden). Die Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung geht zurück auf Gottlob Frege (1892), der sie anhand der Wörter Morgenstern und Abendstern recht anschaulich er‐ läutert: Beide Wörter beziehen sich jeweils auf den Planeten Venus, der schon in der abendlichen oder noch in der morgendlichen Dämmerung am Firmament zu erkennen ist und somit entweder als früher Stern am Abend oder als später Stern am Morgen erscheint. Den tatsächlichen Bezugsgegenstand (hier also die Venus) nennt Frege nun (ein wenig ungewöhnlich) die Bedeutung, die Art und Weise, wie dieser sprachlich vermittelt erscheint (entweder als Stern am Morgen oder als solcher am Abend) den Sinn des Ausdrucks. Die Wörter Morgenstern und Abendstern weisen hiernach somit dieselbe Bedeutung, jedoch jeweils einen eigenen Sinn auf. Die klassische Definition von Zeichen lautet: „Aliquid stat pro aliquo“ bzw. „Etwas steht für etwas anderes“. Nach Peirce sind dabei drei Zeichentypen zu unterscheiden: ▸ Index (indexikalisches Zeichen): Hier besteht ein Sachzusammenhang zwi‐ ▸ schen dem Zeichen und dem, worauf es hinweist (etwa Rauch, der auf ein Feuer zurückgeht, oder Fieber, das auf eine Infektion schließen lässt); ▸ Ikon (ikonisches Zeichen): In diesem Fall herrscht ein Ähnlichkeitsverhältnis ▸ zwischen einem Zeichen und dem, worauf es sich bezieht (zum Beispiel Pikto‐ gramme bei Verkehrsschildern wie Bahnübergang und Überholverbot oder laut‐ malerische Wörter wie Kuckuck oder Wauwau); ▸ Symbol (symbolisches Zeichen): Zwischen einem Zeichen und dem, wofür es ▸ steht, kann weder ein Sachzusammenhang noch ein Ähnlichkeitsverhältnis aus‐ gemacht werden; die Verbindung ist ausschließlich arbiträr (willkürlich) und 2 Linguistische Grundlagen 36 <?page no="38"?> (sozial) konventionalisiert (dies ist bei vielen Verkehrsschildern wie etwa bei Halteverbot und Vorfahrt der Fall, aber auch bei der Großzahl natürlich-sprach‐ licher Wörter). Übung 213c Interpretieren Sie das folgende Bild des französischen Surrealisten René Magritte (1898-1967) mit der Unterschrift „Ceci n’est pas une pipe“ (Dies ist keine Pfeife) aus dem Jahre 1928/ 29 vor dem Hintergrund der hier eingeführten Zeichentypen. Abb. 213b: Ceci n’est pas une pipe (René Magritte, 1928/ 29) Das Verhältnis zwischen dem Zeichen einerseits und demjenigen, wofür es steht oder auf das es hinweist, andererseits wird als Referenz bezeichnet. Im semiotischen Dreieck von Ogden und Richards (vgl. Kap. 2.1.1 und Abb. 211b) entspricht dies der rechten Kante zwischen der Bedeutung (Thought or Reference) und den Gegenständen und Sachverhalten der (außersprachlichen) Wirklichkeit (Referent). Referenz als Bezug oder Hinweis eines Zeichens zu etwas anderem, außerhalb des Zeichens, kann auch im Rahmen anderer Zeichenmodelle konzipiert werden. In engem Zusammenhang mit dem Konzept der Referenz steht die Unterscheidung zwischen Intension und Extension von Zeichen: Unter der Intension eines Zeichens wird dabei dessen begrifflicher Inhalt bzw. dessen Bedeutung verstanden, unter seiner Extension die Gegenstände und Sachverhalte, worauf es sich bezieht. So trägt etwa das Wort Hund die Bedeutung ‚canis‘ und bezieht sich dabei auf die Tiere dieser Art im Allgemeinen oder auf bestimmte Exemplare dieser Tiere im Besonderen. Dabei wird in aller Regel ein umgekehrt proportionales Verhältnis zwischen Intension und Extension angenommen: Je größer die Menge an Bedeutungsmerkmalen (Intension), desto geringer ist die Menge an Referenzgegenständen und -sachverhalten (Extension) und umgekehrt. Um das Beispiel von Hund aufzugreifen: Das Wort Hund hat eine grö‐ ßere Intension als das Wort Tier, da zur Bedeutung von Hund als bestimmter Tierart weitere Merkmale hinzutreten; dafür hat das Wort Tier eine größere Extension als das Wort Hund, da es neben Hunden zahlreiche weitere Tierarten wie Katzen, Meisen oder Schmetterlinge gibt. 2.1 Theorien und Modelle 37 <?page no="39"?> Übung 213d Die Annahme eines umgekehrt proportionalen Verhältnisses zwischen Intension und Extension ist zwar weit verbreitet, aber letztlich nicht richtig, da Bedeutungen mit unterschiedlicher Intension durchaus die gleiche Extension zeigen können: Konstruieren Sie ein entsprechendes Beispiel! Das wissenschaftliche Objekt der Linguistik ist die Sprache; dabei wird Sprache mit Hilfe von Sprache beschrieben und erläutert. Die Sprache als Gegenstand wissen‐ schaftlicher Untersuchungen wird als Objektsprache bezeichnet, die Sprache als Mittel wissenschaftlicher Untersuchungen demgegenüber als Metasprache (aus grie‐ chisch μετά meta ‚hinter, über‘ - vgl. auch Physik gegenüber Metaphysik). So enthält zum Beispiel die folgende Feststellung sowohl eine objektsprachliche als auch eine metasprachliche Komponente (vgl. Abb. 213c): Der Satz „Fischers Fritz fängt frische Fi‐ sche“ enthält keinen Artikel. Es gibt eine ganze Reihe an Wörterbüchern und Lexika zur sprachwissenschaftlichen Metasprache, deren Gebrauch angesichts der terminologi‐ schen Vielfalt der Linguistik im Allgemeinen und der Semantik im Besonderen ange‐ raten sei (vgl. zum Beispiel: Bußmann 4 2008; Glück/ Rödel 5 2016). Metasprache Der Satz enthält keinen Artikel. Objektsprache „Fischers Fritz fängt frische Fische“ Abb. 213c: Objektsprache und Metasprache (Beispiel) Literatur Arntz/ Picht/ Schmitz 7 2014; Croft/ Cruse 6 2010; Gardt 1999; Leiss 2009; Nöth 2 2000, 2017; Posner/ Robering/ Sebeok 1996 ff.; Posselt/ Flatscher 2016; Ricken 1990; Rick‐ heit/ Weiss/ Eikmeyer 2010. 2.2 Beschreibung von Bedeutungen Die Beschreibung von Bedeutungen gehört zu den zentralen Aufgaben einer jeden Se‐ mantik. Dabei haben sich zahlreiche verschiedene Modelle und Methoden herausge‐ bildet, die eine solche Bedeutungsbeschreibung theoretisch begründen und praktisch gestalten. Im Folgenden werden vier der einflussreichsten Ansätze präsentiert und je‐ weils kurz diskutiert: zum Ersten der aus der Fachsprachenlinguistik bekannte Ansatz der Definition von Termini und zum Zweiten das Konzept der Wortfelder sowie deren Darstellung im Rahmen der Merkmalsemantik als Beispiele für eine systematische bzw. strukturalistische Vorgehensweise. Im Weiteren folgen dann mit der Prototypen- und der Stereotypensemantik einerseits wie der Frame- und Skriptsemantik 2 Linguistische Grundlagen 38 <?page no="40"?> andererseits zwei Ansätze der sog. kognitiven Semantik, wobei sich die ersten beiden auf einzelne Wörter, die letzten zwei auf ganze Wortfelder beziehen. 2.2.1 Definitionen Ein weit verbreitetes Verfahren der Angabe von Bedeutungen besteht im Aufstellen von Definitionen (Arntz/ Picht/ Schmitz 7 2014: 63-74; Roelcke 3 2010: 60-68). Solche Defini‐ tionen treten insbesondere innerhalb der fachlichen Kommunikation in Wissenschaft, Technik und Institutionen in Erscheinung und haben dabei in der Regel keine deskriptive (beschreibende), sondern vielmehr eine präskriptive (vorschreibende) Funktion (vgl. Kap. 2.5.2). Die allgemeine Definitionslehre unterscheidet diverse Typen von Definitionen sowie eine Reihe von Definitionsfehlern, die im Folgenden kurz skizziert werden. Eine Definition setzt sich in der Regel aus drei Teilen zusammen (vgl. Abb. 221a): dem zu definierenden Element (das Definiendum), dem dieses definierende Element (das Definiens) und dem Element, welches diese beiden miteinander verbindet (der Definitor); im Falle des klassischen Typs der Definition, der auch als aristotelische Definition charakterisiert wird, untergliedert sich das Definiens wiederum in zwei Bestandteile: die Angabe einer übergeordneten Gattung (das Genus proximum) und die Angabe von Merkmalen, welche die betreffende Art gegenüber anderen Arten dieser Gattung unterscheiden (die Differentia specifica). Dies lässt sich anhand der folgenden Definition leicht erläutern: Linguistik ist die Wissenschaft von der Sprache. Hier stellt das Fachwort Linguistik das Definiendum, also das Element dar, dessen Bedeutung festgelegt werden soll. Das Verb ist verbindet als Definitor dieses Definiendum mit dem Definiens. Und dieses Definiens als der die Be‐ deutung festlegende Teil der Definition wird durch die Wissenschaft von der Sprache gebildet; dabei stellen das Substativ Wissenschaft und sein Artikel die Angabe der Gat‐ tung und die attributive Präpositionalphrase von der Sprache die Angabe der artunter‐ scheidenden Merkmale dar. Linguistik ist die Wissenschaft von der Sprache Definiendum Definitor Definiens Genus proximum Differentia specifica Abb. 221a: Aufbau einer klassischen (aristotelischen) Definition Klassisch-aristotelische Definitionen eignen sich hervorragend zur Etablierung von Definitionsleitern und damit zum Aufbau von ganzen terminologischen Systemen. Dies lässt sich an dem folgenden Beispiel gut zeigen: In DIN 2330 (1993), einer terminolo‐ gischen Grundsatznorm des Deutschen Instituts für Normung e. V. (DIN), werden unter anderem die folgenden drei Termini definiert: Begriff, übergeordneter Begriff und Ober‐ begriff (die Bezeichnung übergeordneter Begriff bildet hier einen sog. Mehrwortter‐ 2.2 Beschreibung von Bedeutungen 39 <?page no="41"?> minus). Diese Definitionen lassen sich systematisiert wie folgt darstellen (vgl. Abb. 221b): Definiendum Genus proximum Differentia specifica Begriff Denkeinheit die aus einer Menge von Gegenständen unter Er‐ mittlung der diesen Gegenständen gemeinsamen Ei‐ genschaften mittels Abstraktion gebildet wird übergeordneter Begriff Begriff innerhalb eines hierarchischen Begriffssystems, der auf einer anderen, höheren Hierarchiestufe mehrere Begriffe zusammenfasst Oberbegriff Übergeordneter Begriff innerhalb eines hierarchischen Begriffssystems, das durch Abstraktionsbeziehungen gekennzeichnet ist Abb. 221b: Definitionen in DIN 2330 (1993), Beispiele Die Termini sind hier von abstrakter Bedeutung (oben) zu konkreter Bedeutung (unten) dargestellt. Dabei erscheint das Definiendum der Definition eines abstrakten Terminus als Genus proximum im Definiens der Definition eines der nächsten konkreten Termini (also Begriff in der Definition von übergeordneter Begriff und übergeordneter Begriff wiederum in derjenigen von Oberbegriff). Durch diese Identifikation von Definiendum und Genus proximum zweier nahestehender Definitionen entsteht eine Verkettung, die sich in Einzelfällen über viele Abstraktionsstufen ziehen und zu zahlreichen Veräste‐ lungen führen kann (zum terminologischen System der DIN-Norm vgl. Abb. 242d). Neben der klassischen, aristotelischen Definition sind zahlreiche weitere Defini‐ tionsarten bekannt, die sich in der Gestaltung des Definiens voneinander unter‐ scheiden (vgl. Abb. 221c). Hierzu zählen mit Blick auf die Gestaltung des Definiens die unsystematische Aufzählung von Merkmalen, die für das zu definierende Element cha‐ rakteristisch sind (explikative Definition), die Angabe von entsprechenden Beispielen (exemplarische Definition), Hinweise zum Verfahren oder zur Herstellung des zu De‐ finierenden (genetische oder operationale Definition), die Angabe von anderen Wör‐ tern, die ebenfalls die Bedeutung des Definiendums aufweisen (Synonymendefinition), oder von solchen, deren Bedeutung mit dessen Bedeutung in einem mehr oder weniger genauen Zusammenhang stehen (wortassoziative Definition). Im Hinblick auf die Wahl des Definitors sind darüber hinaus die Definition, die sich auf eine bestimmte Sache, und solche, die sich auf einzelne Bezeichnungen selbst beziehen, zu unterscheiden (Real- und Nominaldefinition). 2 Linguistische Grundlagen 40 <?page no="42"?> Definitionstyp Verfahren Beispiel Aristotelische Definition Angabe von Genus proximum und Differentia specifica Linguistik ist die Wissenschaft von der Sprache. Explikative Definition Angabe von Merkmalen Linguistik beschäftigt sich mit Wortschatz und Grammatik. Exemplarische Definition Angabe von Beispielen Linguistik besteht aus Semantik, Syntax und Pragmatik. Genetische oder operatio‐ nale Definition Hinweise zum Verfahren oder zur Herstellung Linguistik wird durch qualita‐ tive oder quantitative Untersu‐ chung von Sprache betrieben. Synonymendefinition Angabe von Wörtern mit gleicher Bedeutung Linguistik ist Sprachwissen‐ schaft. Wortassoziative Defini‐ tion Angabe von Wörtern mit ver‐ wandter Bedeutung Linguistik hat zu tun mit Gram‐ matik und Wörterbüchern. Realdefinition Bezug auf eine festzulegende Sache Linguistik ist die Wissenschaft von der Sprache. Nominaldefinition Bezug auf eine festzulegende Be‐ zeichnung Linguistik bezeichnet die Wis‐ senschaft von der Sprache. Abb. 221c: Definitionsarten im Überblick Zu den wichtigsten Typen unzureichender oder fehlerhafter Definitionen gehören solche, in denen das Definiens im Definiendum erscheint (Zirkeldefinitionen), Defini‐ tionen mit echten Verneinungen, die keine Angabe darüber machen, was unter dem Definiendum selbst zu verstehen sein soll, sowie solche mit einer zu engen oder solche mit einer zu weiten Festlegung der Gattung, sodass deren Extension entweder zu klein oder zu groß ausfällt (vgl. Abb. 221d). Definitionsfehler Verfahren Beispiel Zirkeldefinition Angabe des Definiens im Definiendum Linguistik ist linguistische For‐ schung. Echte Verneinung Ausschluss durch Negation Linguistik ist nicht Hermeneutik. Zu enge Definition Angabe einer zu kleinen Gattung Linguistik ist die quantitative Erfor‐ schung von Sprache. Zu weite Definition Angabe einer zu großen Gattung Linguistik ist die Beschäftigung mit Sprache. Abb. 221d: Fehlerhafte Definitionen im Überblick 2.2 Beschreibung von Bedeutungen 41 <?page no="43"?> Übung 221a Nehmen Sie verschiedene Lehrwerke aus Ihrem Studium zur Hand und suchen Sie jeweils einige ihrer Definitionen heraus: Welche Definitionstypen begegnen Ihnen; gibt es auch fehlerhafte Definitionen? 2.2.2 Wortfelder und Merkmalsemantik Wörter bestehen jeweils nicht für sich alleine, sondern stehen in Beziehung zu anderen Wörtern, mit denen sie zusammen den Wortschatz einer Sprache bilden. Eine seman‐ tisch interessante und dabei (etwa im Rahmen von Wortschatzarbeit) durchaus auch didaktisch relevante Frage besteht darin, ob der Wortschatz einer einzelnen Sprache in bestimmte thematische oder semantische Gruppen gegliedert werden kann. Zwei wichtige Ansätze, denen diese Vorstellung zugrunde liegt, stellen die Wortfeldtheorie und die Merkmalsemantik dar. Der Terminus Wortfeld wurde bekannt durch die Arbeiten von Jost Trier (vgl. Trier 1973), die Anlass zu einer intensiven theoretischen wie empirischen Forschung gegeben haben (Staffeldt 2017). Als wesentliche semantische Eigenschaften von Wortfeldern werden dabei zum einen deren Abgrenzbarkeit von anderen Wortfeldern und zum an‐ deren ihre Vollständigkeit und Unterscheidbarkeit (es bestehen keine Bedeutungslücken und keine Bedeutungsüberschneidungen zwischen den betreffenden lexikalischen Ein‐ heiten) diskutiert. Bekannte Beispiele für solche Wortfelder sind etwa: ▸ Substantive für Verwandtschaftsbeziehungen ▸ Verwandter, Eltern, Vater, Mutter, Geschwister, Bruder, Schwester, Kind, Sohn, Tochter, Onkel, Tante, Cousin, Cousine, Neffe, Nichte ▸ Substantive für menschliche Beziehungen ▸ Freund/ Freundin, Partner/ Partnerin, Bekannter/ Bekannte, Kollege/ Kollegin, Kom‐ militone/ Kommilitonin, Geliebter/ Geliebte usw. ▸ Verben, mit denen bestimmte sprachliche Handlungsweisen bezeichnet werden ▸ reden, sagen, sprechen, schreien, schweigen, befehlen, lügen usw. Ein weiteres Wortfeld stellt dasjenige zur allgemeinen Bezeichnung von Frau im Deut‐ schen dar (vgl. Abb. 222a). 2 Linguistische Grundlagen 42 <?page no="44"?> Abb. 222a: Das Wortfeld Frau im gegenwärtigen Deutsch (nach König et al. 18 2015: 22) Übung 222a Vergleichen Sie die hier angegebenen Wortfelder auf deren semantische Abgrenz‐ barkeit und die darin enthaltenen Wörter auf Bedeutungslücken und -überschnei‐ 2.2 Beschreibung von Bedeutungen 43 <?page no="45"?> dungen. Was bedeutet das Ergebnis für die theoretische Diskussion des Wort‐ feldes? Ein bekanntes und ebenfalls einflussreiches Wörterbuch, das der Wortfeldtheorie ver‐ pflichtet ist, stellt „Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen“ von Franz Dornseiff ( 5 1959) dar. Hier wird der „gesamte Wortschatz […] in 20 Hauptabteilungen“ zusam‐ mengestellt; diese lauten: „1. Anorganische Welt. Stoffe / 2. Pflanzen. Tier. Mensch (körperlich) / 3. Raum. Lage. Form / 4. Größe. Menge. Zahl. Grad / 5. Wesen. Beziehung. Geschehnis / 6. Zeit / 7. Sichtbarkeit. Licht. Farbe. Schall. Temperatur. Gewicht. Ag‐ gregatzustand. Geruch. Geschmack / 8. Ortsveränderung […]“ (Dornseiff 5 1959: III). Unter „Farbe“ findet sich dann etwa der Eintrag „22. Violett. / lila. Violett / Amethyst. Flieder. Stiefmütterchen. Veilchen / Bischofsfarbe. Kardinalblau. Lila. Pflaumenblau. Purpur. Rotblau. Veilchenblau. Violett.“ (ebd.: 225). Die Schwierigkeiten, die mit der intuitiven Gliederung von Wortfeldern im Einzelnen verbunden sind, machen ein eigenes linguistisches Verfahren erforderlich, das die se‐ mantische Unterscheidbarkeit der einzelnen Wörter und mögliche Lücken eines Wort‐ feldes hinreichend nachweist. Dieses Verfahren wurde von der sog. strukturalistischen Linguistik im Rahmen der Merkmalsemantik (oder auch: Komponential- oder Sem‐ semantik) entwickelt. Die Grundidee besteht dabei darin, die einzelnen Bedeutungen der Elemente eines Wortfeldes anhand von kleineren semantischen Merkmalen zu be‐ stimmen und anhand dieser voneinander zu unterscheiden. Ein solches semantisches Merkmal wird als Sem bezeichnet, eine Einzelbedeutung, die sich aus einem oder meh‐ reren solcher Seme zusammensetzt, als Semem; der Terminus für eine semantische Un‐ tersuchung eines Wortfelds anhand von Semen lautet Semanalyse oder Komponenten‐ analyse. Ein gutes Beispiel für eine solche Semanalyse stellen die erwähnten Verwandt‐ schaftsbezeichnungen dar (vgl. Abb. 222b): In der Matrix werden den einzelnen Be‐ zeichnungen (hier: Lexeme) diverse Merkmale (in eckige Klammern gefasst) zuge‐ ordnet; dabei wird zwischen zutreffend, nicht zutreffend und indifferent unterschieden. Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass jede vertikale Verteilung von Merkmalen (das heißt also: jedes Semem) eine ganz eigene Kombination an Semen aufweist und sich somit eindeutig von anderen unterscheidet. 2 Linguistische Grundlagen 44 <?page no="46"?> Lexeme: Merkmale Verwandter Eltern Vater Mutter Geschwister Bruder Schwester Kind Sohn Tochter Onkel Tante Cousin Cousine Neffe Nichte [Lebewesen] + + + + + + + + + + + + + + + + [Mensch] + + + + + + + + + + + + + + + + [verwandt] + + + + + + + + + + + + + + + + [direkt verwandt] (-) + + + + + + + + + - - - - - - [gleiche Generation] 0 - - - + + + - - - - - + + - - [älter] 0 + + + 0 0 0 - - - + + 0 0 - - [männlich] 0 0 + - 0 + - 0 + - + - + - + - [weiblich] 0 0 - + 0 - + 0 - + - + - + - + [Plural] 0 + 0 0 + 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Abb. 222b: Semanalyse der Verwandtschaftsbezeichnungen (nach Bierwisch 1969: 67). + = Merkmal trifft zu; - = Merkmal trifft nicht zu; 0 = indifferent in Bezug auf Merkmal Übung 222b In einer strengen Variante der Merkmalsemantik dürfen nur so viele Merkmale bzw. Seme angesetzt werden, wie zur semantischen Unterscheidung der betref‐ fenden Wörter erforderlich sind. Untersuchen Sie die Merkmalmatrix in Abb. 222b auf überflüssige Merkmale. An dieser Stelle tut sich die Frage nach dem epistemologischen Status von semantischen Merkmalen auf: Sind diese reale sprachliche Erscheinungen der Objektsprache, oder handelt es sich vielmehr um Einheiten der Metasprache, die zum Zweck der linguisti‐ schen Analyse unterschieden werden? Die Existenz (universeller) semantischer Merk‐ male, die den Wortschatz einzelner Sprachen gliedern, ist in der Sprachtypologie und Universalienforschung noch immer umstritten (zu denken ist dabei an Merkmale wie [Singular] und [Plural] oder [belebt] und [unbelebt]), erweist sich letztlich jedoch für die semantische Merkmalanalyse als irrelevant: Ungeachtet ihres Status’ werden hier Merkmale entweder herausgegriffen oder eigens angesetzt, um im Zuge einer sprach‐ wissenschaftlichen Konstruktion Wortfelder semantisch zu gliedern. Problematisch bei diesem abgrenzenden Verfahren mag sein, dass dabei das Wesentliche oder auch: Ty‐ pische (vgl. Kap. 2.2.3) außer Acht bleiben kann. 2.2 Beschreibung von Bedeutungen 45 <?page no="47"?> 2.2.3 Prototypen- und Stereotypensemantik Während die Merkmalsemantik als eine geradezu klassische Vertreterin der struktu‐ ralistischen Sprachwissenschaft zu gelten hat, stellen Prototypen- und Stereotypense‐ mantik typische Vertreterinnen der sog. kognitiven Semantik dar. Im Unterschied zur strukturellen verfolgt die kognitive Semantik das Ziel, semantische Phänomene nicht eigens linguistisch zu konstruieren, sondern als mentale Repräsentationen zu analy‐ sieren. Oder mit anderen Worten und dabei ein wenig traditioneller ausgedrückt: Die kognitive Semantik versucht, anhand sprachlicher Daten einen Einblick in die Funk‐ tionsweise des menschlichen Geistes zu erhalten. Dabei ist eine universalistische Rich‐ tung, die sich für sprachlich reflektierte kognitive Funktionsweisen überhaupt inter‐ essiert, von einer soziokulturellen Spielart zu unterscheiden, welche mentale Gemeinsamkeiten der Mitglieder einzelner sprachlicher Gemeinschaften herauszuar‐ beiten versucht. Unter einem Prototyp wird der beste Vertreter einer Kategorie verstanden (Über‐ sicht bei Gansel 2017). Welche Vertreter das jeweils sind, lässt sich anhand von Expe‐ rimenten ermitteln. Erste Erhebungen dieser Art wurden in den 1970er Jahren in den Vereinigten Staaten durchgeführt (vgl. Rosch 1975): Dabei mussten die Probanden beste Vertreter einer Kategorie aus vorgegebenen Beispielen nennen oder Aussagen zu besten Vertretern (mehr oder weniger spontan) bestätigen. Im Falle der Kategorie ergab sich dabei etwa das folgende Bild (vgl. Abb. 223a): Als bester Vertreter erschien robin (das Rotkehlchen), gefolgt von sparrow (Spatz), canary (Kanarienvogel), blackbird (Amsel), dove (taube) und lark (Lerche). Parrot (Papagei), pheasant (Fasan), albatross (Albatros), toucan (Tukan) und owl (Eule) lagen etwas weiter entfernt, flamingo (Fla‐ mingo), duck (Ente) und peacock (Pfau) noch etwas weiter; den weitesten Außenseiter bildete schließlich bat (die Fledermaus, die kein Vogel ist). 2 Linguistische Grundlagen 46 <?page no="48"?> Abb. 223a: „Abstufungen der Vogeligkeit“ (Aitchison 1997: 68) Das Ergebnis der Untersuchung belegt nun zweierlei: Aus einer universalistischen Perspektive der kognitiven Linguistik heraus ist zum einen festzuhalten, dass abstrakte Kategorisierungen im menschlichen Denken (auch) als Prototypikalisierungen er‐ folgen - in diesem Falle durch eine besonders charakteristische Vogelart, das Rotkehl‐ chen. Zum anderen kann aus einer soziokulturellen Sicht heraus festgestellt werden, dass solche Prototypikalisierungen spezifisch für bestimmte sprachliche Gemein‐ schaften sind - denn in Australien oder China wird das Rotkehlchen sicher nicht im Zentrum der Prototypikalisierung von Vögeln stehen, sondern eine andere Art. Dies gilt bereits für den europäischen Raum: So kommt etwa das Rotkehlchen in dem volks‐ tümlichen Lied „Alle Vögel sind schon da“ von Hoffmann von Fallersleben (1847) gar nicht vor; hier erscheinen vielmehr „Amsel, Drossel, Fink und Star“ an erster Stelle. 2.2 Beschreibung von Bedeutungen 47 <?page no="49"?> Amsel, Drossel, Fink und Star, aber auch Rotkehlchen und Spatz ähneln sich, sodass ihnen als mehr oder weniger zentrale Vertreter des Prototyps Vogel gemeinsame Ei‐ genschaften zugeschrieben werden können. Eine standardisierte Beschreibung solcher Eigenschaften, die für eine bestimmte Kategorie oder natürliche Art charakteristisch bzw. normal sind, wird als Stereotyp bezeichnet (vgl. Putnam 2 1990: 41). Im vorlie‐ genden Fall läuft dies insbesondere auf Merkmale wie [klein], [fliegt], [singt] und [ge‐ fiedert] hinaus. Diese Merkmale haben nun einen ganz anderen epistemologischen Status als die Seme der Merkmalsemantik: Sie stellen keine sprachwissenschaftlichen Konstrukte zur Unterscheidung von lexikalischen Einheiten eines Wortfelds dar, son‐ dern sind Kriterien einer nach Putnam operationalen Definition, die zur Klärung bei‐ tragen, ob ein gegebener Gegenstand zu einer bestimmten Klasse bzw. Kategorie gehört oder eben nicht. Zusammengefasst lässt sich der Zusammenhang zwischen Prototyp und Stereotyp wie folgt darstellen (vgl. Abb. Abb. 223b): Ein Prototyp stellt den idealen Vertreter einer Kategorie dar (diese Kategorie kann auch als Gattung oder als Hyperonym bezeichnet werden; vgl. Kap. 2.4.2) - hier repräsentiert durch eine einfache Zeichnung, die für einen echten Vogel steht (ggf. eine einzelne Amsel). Dieser Prototyp wird nun durch Vertreter verschiedener Subkategorien mehr oder weniger ideal repräsentiert (diese sind dann entsprechend als Arten oder als Hyponyme zu bezeichnen) - in diesem Falle beispielsweise durch solche von Amsel, Drossel, Fink und Star. Diesen ideal-typischen Vertretern sind nun einige charakteristische Merkmale eigen - hier also etwa [klein], [fliegt], [singt] und [gefiedert]: Diese bilden gemeinsam den Stereotyp, der dem Pro‐ totyp entspricht. Zuletzt sind einige weitere Merkmale anzusetzen, die den Vertretern bestimmter Subkategorien zukommen - im Falle der konkreten Amsel zum Beispiel [schwarz] und [gelbe Augen]. Prototyp: Vogel (Hyperonym) Typische Vertreter (Hyponyme) Amsel, Drossel, Fink und Star Stereotyp: Charakteristische Merkmale [klein], [fliegt], [singt] und [gefiedert] Weitere Merkmale eines Referenten - etwa Amsel [schwarz] und [gelbe Augen] Abb. 223b: Prototyp und Stereotyp (in Anlehnung an Schwarze 1996: 718 f.) 2 Linguistische Grundlagen 48 <?page no="50"?> Übung 223a Diskutieren Sie (im Kurs oder in anderer Gemeinschaft) Prototypen und Stereo‐ typen anderer Kategorien - zum Beispiel von Baum, Möbel oder Trinkgefäß. Wie verhalten sich in diesem Zusammenhang Abstrakta wie Vernunft, Freiheit oder Demokratie? 2.2.4 Frame- und Skriptsemantik Die Bedeutung eines Wortes erschließt sich nicht allein im Hinblick auf deren Relation zu Bedeutungen anderer Wörter, sondern ist darüber hinaus auch abhängig von einem entsprechenden Weltwissen der Sprachverwendenden. Dieses Weltwissen wiederum ist nach der Auffassung der kognitiven Semantik in mehr oder weniger komplex struk‐ turierten Szenarien organisiert, die zum Beispiel als Frames oder Skripts charakterisiert werden. Der semantische Terminus Frame geht zurück auf Charles Fillmore und gilt als Weiterentwicklung der sog. Kasusgrammatik. Er bezeichnet die mentale Repräsenta‐ tion einer (aus wiederholter Erfahrung bekannten) stereotypen Situation, deren Ele‐ mente in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen und somit jedem Ausdruck für ein solches Element eine eigene semantische Rolle in Bezug auf diese Gesamtsi‐ tuation zuweisen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist ein Frame, der als „Kommerzielle Transaktion“ bezeichnet werden kann. Dieser Frame umfasst zum einen mindestens die folgenden Elemente, die als Verkäufer, Käufer, Ware, Preis und Geld bezeichnet werden und mit einem Vorgang zusammenhängen, der mit den Verben kaufen und verkaufen erfasst wird. Zum anderen umfasst er Relationen, die zwischen diesen Ele‐ menten bestehen: Hierzu gehört etwa aus der Perspektive des Verkäufers, dass dieser eine Ware besitzt und diese zu einem bestimmten Preis an den Käufer abtritt; aus der Sicht des Käufers erhält dieser die Ware von dem Verkäufer gegen eine bestimmte Geldsumme. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Bedeutung der einzelnen Wörter jeweils nicht allein in ihrer Relation innerhalb des Rahmens bzw. Frames besteht, sondern sich darüber hinaus auch aus deren Perspektivierung ergibt; im vorliegenden Falle mani‐ festiert sich diese Perspektivierung auf die Verben kaufen bzw. einkaufen einerseits und verkaufen andererseits. Die Frame-Semantik geht davon aus, dass mit dem Gebrauch eines Wortes jeweils mindestens ein solcher Frame mental aktiviert und damit der Gebrauch anderer Wörter dieses Frames gesteuert wird. Ein Frame weckt somit be‐ stimmte Vorstellungen bei der Produktion und Rezeption von Texten und bedingt somit eine bestimmte kommunikative Erwartungshaltung. Das Konzept eines Frames bezieht sich seiner kasusgrammatischen Herkunft ent‐ sprechend auf einen mehr oder weniger eng begrenzten Vorgang, der sich (mit Blick auf diverse syntaktische Aktanten bzw. verschiedene Beteiligte an einem bestimmten Vorgang) durch wenige zentrale Verben (wie kaufen und verkaufen oder nehmen und geben) charakterisieren lässt. Im Unterschied hierzu öffnet sich das Konzept Skript 2.2 Beschreibung von Bedeutungen 49 <?page no="51"?> einem größeren und dabei ebenfalls mental repräsentierten Vorgangs- oder Hand‐ lungszusammenhang. Ein bekanntes Beispiel hierfür stellt das sog. „Restaurant“-Skript dar, in welchem Gastraum, Küche, Gäste, Service-Personal, Küchenpersonal, Menü- Folgen, Gerichte und Getränke usw. sowie eine Vielzahl entsprechender Vorgänge und Tätigkeiten wie kochen, servieren, essen, trinken, bezahlen usw. zusammengefasst sind und durch entsprechende Wörter zum Ausdruck gebracht werden. Übung 224a Beschreiben Sie die Elemente eines Skripts, das als „Persönliche Begegnung“ be‐ schrieben werden kann und in dessen Zentrum das Verb (jemanden oder sich) treffen steht. Wie Frames wecken auch Skripts bestimmte Vorstellungen bei der Produktion und Rezeption von Texten und bedingen somit eine bestimmte kommunikative Erwar‐ tungshaltung. Dieses Prinzip kann unter anderem auch für die Wirkung von Witzen herangezogen werden. Ein kurzes Beispiel für einen Witz: Treffen sich zwei Jäger im Wald. Beide tot! Im ersten Teil dieses Witzes aktiviert das Verb (sich) treffen die Vor‐ stellung bzw. das Skript einer kameradschaftlichen Begegnung unter zwei Waidmän‐ nern, während die Pointe im zweiten Teil des Witzes das alternative Skript einer ge‐ fährlichen Schützenhandlung der beiden Waidmänner ins Bewusstsein ruft. Der Witz funktioniert letztlich durch eine sog. Skriptopposition, d. h. eine Gegenüberstellung zweier Skripts, die anhand eines polysemen oder ambigen Wortes (wie in diesem Falle das Verb treffen) mental aktiviert werden. Übung 224b Beschreiben Sie die Elemente eines Skripts, das als „Zielschuss“ beschrieben werden kann und in dessen Zentrum das Verb (jemanden oder etwas) treffen steht. Vergleichen Sie dieses Skript mit demjenigen, das als „Persönliche Begegnung“ charakterisiert werden kann und in dessen Zentrum das Verb (jemanden oder sich) treffen steht. Es gibt zahlreiche Versuche, Frames und Skripts schematisch oder graphisch aufzuar‐ beiten und darzustellen (eine Übersicht hierzu findet sich in Busse 2012: 844-876). Ein schönes Beispiel, das die Darstellung von Frames (hier als Überbegriff, der auch Skripts umfasst) aus einem fachsprachlichen Bereich zeigt, stellt die folgende Aufarbeitung des „Strafrechtlichen Wegnahme-Frames im Sinne von § 242 StGB“ (nach Busse 2008: 49 f.) dar (vgl. Abb. 224a). Dabei ist jedoch zu beachten, dass es sich hier weniger um die Darstellung einer alltagsnahen mentalen Repräsentation handelt, sondern vielmehr um diejenige einer fachlich spezialisierten Konzeption. 2 Linguistische Grundlagen 50 <?page no="52"?> Abb. 224a: „Strafrechtlicher Wegnahme-Frame im Sinne von § 242 StGB“ (Busse 2012: 875) 2.2 Beschreibung von Bedeutungen 51 <?page no="53"?> Ein wesentliches Anwendungsfeld der kognitiven Semantik stellt die Erforschung künstlicher Intelligenz dar, die sog. KI-Forschung. Dort sind Frames und Skripts die Voraussetzung für die automatische Erkennung und Bearbeitung von sprachlichen Texten, indem sie die Grundlage für das maschinelle „Verstehen“ natürlichsprachlicher Phrasen und Texte bilden. - Unabhängig davon und vergleichbar der Konzeption von Prototypen und Stereotypen zeigt auch die intensive Diskussion um Frames und Skripts sowohl eine universalistische Richtung, die sich für sprachlich reflektierte kognitive Funktionsweisen überhaupt interessiert, als auch eine soziokulturelle Ausprägung, die mentale Gemeinsamkeiten einzelner sprachlicher Gemeinschaften herausarbeitet: So stellen Konzepte wie Frame und Skript als solche sprachlich reflektierte Modelle der mentalen Organisation des Menschen dar, während der Frame „Kommerzielle Trans‐ aktion“ oder das „Restaurant“-Skript konkrete Analysen mental fundierter, sprachli‐ cher Handlungszusammenhänge darstellen. Literatur Aitchison 2 1994/ 97; Arntz/ Picht/ Schmitz 7 2014; Busse 2012; Croft/ Cruse 6 2010; En‐ gelberg/ Rapp 2017; Gansel 2017; Konerding 1993; Rickheit/ Weiss/ Eikmeyer 2010; Roelcke 3 2010; Schwarz 3 2008; Staffeldt 2017; Ungerer/ Schmid 2 2006; Ziem 2008. 2.3 Bedeutung und Grammatik Bedeutung entsteht in Kommunikation keineswegs nur durch Wörter, sondern auch durch die Grammatik sowie die Situation, in der kommuniziert wird, also den Kontext der jeweiligen Äußerung. Dieser vereindeutigt zum Beispiel erst, ob ein Satz ironisch gemeint ist oder nicht. Damit steht Semantik in einem engen Verhältnis zur Gram‐ matik wie auch zur Pragmatik. Mit Löbner (2003: 21) kann man daher verschiedene Ebenen ansetzen, auf denen Bedeutung entsteht bzw. die bedeutsam sind (vgl. Kap. 2.6.4 mit Abb. 264a): 1. die lexikalische Semantik, d. h. die kontextfreie Bedeutung eines einzelnen 1. Lexems; 2. die Wortbildungssemantik (kompositionale Semantik); 2. 3. die Semantik der grammatischen Formen, die den Bedeutungsbeitrag der 3. frei wählbaren grammatischen Formen beschreibt; 4. die Satzsemantik, die die Regeln beschreibt, die festlegen, wie die Bedeutungen 4. der Komponenten in einem komplexen Ausdruck zusammenwirken; 5. die Äußerungssemantik, die die Mechanismen (zum Beispiel Bedeutungsver‐ 5. schiebungen) untersucht, welche Äußerungsbedeutungen ein Ausdruck im Kon‐ text annehmen kann. 2 Linguistische Grundlagen 52 <?page no="54"?> Im Folgenden soll überblicksartig auf die Ebenen 2 bis 4 eingegangen werden, um den Zusammenhang zwischen Bedeutung und Grammatik zumindest kurz zu skiz‐ zieren. In den Kapiteln zur Frame- und Script-Semantik mit ihren Bezügen zur Kasus‐ grammatik (2.2.4), zur Form- und Wortbildung (2.6.1), zu Phrasen und Sätzen (2.6.2), zur Bedeutung im sprachlich-kulturellen Vergleich (2.8) sowie zum Wortschatzerwerb (3.1) werden die Zusammenhänge von Semantik und Grammatik (-Erwerb) ebenfalls aufgegriffen. Auf den ersten Blick mögen Semantik als Bedeutung und Grammatik als Struktur verschiedene Bereiche der Sprache betreffen, wie man auch das Fremdsprachenlernen oft als Lernen einerseits von Vokabeln, andererseits von Grammatik auffasst und ken‐ nengelernt hat. Jedoch sind beide Bereiche weniger klar getrennt, als ein eingeengter Fokus rein auf die lexikalische Semantik suggerieren mag; vielmehr gibt es eine deut‐ liche Schnittmenge, einen Bereich, in dem die Grammatik auf vielfältige Art und Weise an der Bedeutungskonstitution mitwirkt. Als Erstes mag man hier an die Wortbildungssemantik denken. Im Bereich der Komposita-Bildung führt die (grammatische) Kombination zweier oder mehrerer lexi‐ kalischer Morpheme zu einer neuen Bedeutung, die zumeist mehr ist als die reine Ad‐ dition der Teilbedeutungen der einzelnen Konstituenten. Eine Haustür mag leicht als ‚Tür ins Haus‘ identifizierbar sein, aber dieses Beispiel zeigt bereits, dass hinter Kom‐ posita verkürzte grammatische Strukturen liegen, die man entschlüsseln können muss, um die kompositionale Bedeutung der neuen Wortbildung, die auf den ersten Blick unterspezifiziert ist, korrekt zu erfassen. So kann man nicht der Wortbildung ent‐ nehmen, sondern muss diese Bedeutungsrelation konstruieren, dass ein Kalbsschnitzel zwar ein ‚Schnitzel aus Kalbsfleisch‘ ist, ein Kinderschnitzel aber hingegen ein ‚Schnitzel für Kinder‘. Das Beispiel der Komposita zu Schuhen zeigt, dass weitere Re‐ lationen möglich sind: Lederschuh ‚Schuh aus Leder‘, Damenschuh ‚Schuh für Damen‘, Turnschuh ‚Schuh zum Turnen‘. Auch im Bereich der Derivation erschließt sich Be‐ deutung über grammatisches Wissen um die Bedeutung von Wortbildungsmorphemen: So gilt es im Deutschen etwa zu beachten, dass das Suffix {-er} ein nomen agentis-Suffix sein kann, das eine Person bezeichnet (Drucker ‚Person, die druckt‘), ebenso aber ein nomen instrumentalis-Suffix, das ein Gerät bezeichnet (Drucker ‚Maschine, die druckt‘). Nur mit diesem Wissen um Grammatik können unbekannte bzw. neue Wortbildungen verstanden, aber auch produktiv gebildet werden. Auch bei den Präfixen findet sich diese Art von Wortbildungssemantik, etwa wenn man das Präfix {be-} mit der Bedeu‐ tung ‚mit etwas [Nomen] versehen‘ beschreiben kann, zum Beispiel in bebildern, be‐ noten. Nach Ulrich (2000: 10) ist die sichere Beherrschung von Wortbildungsregeln als re‐ zeptive, produktive wie kreative Wortbildungskompetenz ein zentraler Bestandteil des mentalen Lexikons (vgl. Kap. 3.1) eines Menschen. Erweitert man die Perspektive von der Wortbildung hin zum Satz, finden sich neben Wortbildungsmorphemen weitere bedeutungshaltige grammatische Formen wie etwa die Kategorien Singular/ Plural, Kasus, Tempus (vgl. etwa die analytische Per‐ 2.3 Bedeutung und Grammatik 53 <?page no="55"?> fektbildung) oder Positiv/ Komparativ/ Superlativ, die grammatisch/ morphosyntak‐ tisch die lexikalische Bedeutung modifizieren. Hierbei ist zu beachten, dass gramma‐ tisch transportierte Bedeutung oft alternativ auch lexikalisch auf Wortebene ausgedrückt werden kann. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Tempus: Zukünftiges kann man zum Beispiel lexikalisch, etwa durch Adverbien oder andere Konstruktionen (morgen, demnächst, in den nächsten Sommerferien), als zukünftig darstellen, oder aber grammatisch durch das Tempus Futur. Gleiches gilt für modale Aspekte: Vermu‐ tungen können lexikalisch (eventuell, vielleicht) oder grammatisch (durch den Kon‐ junktiv) ausgedrückt werden. Aber nicht alle grammatischen Formen sind (immer) re‐ levant für die Satzbedeutung, da sie oft schlicht aus Gründen der Kongruenz stehen müssen und redundant sind. Die Satzbedeutung beeinflussen sie nur, wenn sie frei wählbar und damit unabängig von der syntaktischen Struktur und den daraus resul‐ tierenden Anforderungen sind (Löbner 2003: 16). Dass man der Grammatik nicht grundsätzlich das Potenzial zuschreiben kann, Be‐ deutung auszudrücken, lässt sich auch am Genus-System des Deutschen zeigen: Denn das grammatische Genus ergibt sich zum Teil nicht aus dem außersprachlichen Ge‐ schlecht (Sexus), sondern aus der morphologischen Struktur des Wortes, wie das viel zitierte Beispiel das Mädchen schnell verdeutlicht, bei dem im grammatischen Neutrum (wegen des Diminutivsuffixes {chen}) auf eine weibliche Person referiert wird. (Das Basislexem Maid ist hingegen natürlich feminin.) Die grammatische Kategorie Femi‐ ninum bedeutet umgekehrt keineswegs, dass das Referenzobjekt weiblich wäre (die Sonne, die im Französischen übrigens maskulinum ist: le soleil), grammatisches und natürliches/ biologisches Geschlecht sind nicht kongruent. Dennoch ist die Genus/ Sexus-Kongruenz in indoeuropäischen Sprachen signifikant und es gibt Versuche, die Semantik des deutschen Genussystems als ansatzweise systematisch zu beschreiben, wenn etwa im Bereich der Bezeichnungen für Tiere starke, große Tiere eher masku‐ linum sind (der Löwe, der Tiger, der Bär), kleine und Nutztiere hingegen femininum (die Gans, die Kuh, die Maus) oder neutrum (das Huhn, das Schwein) (vgl. Köpcke/ Zubin 1997). Grundsätzlich ist Entstehung von Bedeutung auf grammatischer Ebene ein mehr‐ schichtiger Prozess: Die Bedeutung komplexer Ausdrücke ergibt sich nämlich durch semantische Komposition (Kompositionalitätsprinzip), die auf drei Basen beruht: „1. die lexikalische Bedeutung der Grundausdrücke, 2. die grammatische Bedeutung ihrer Form, 3. die syntaktische Struktur des komplexen Ausdrucks“ (Löbner 2003: 18). Grammatischer Aufbau und Bedeutungskomposition erfolgen dabei parallel als Bottom-up-Prozess (Abb. 230a): „Die lexikalischen Bedeutungen der Grundausdrücke dienen als Input für die Regeln der grammatischen Bedeutung, zum Beispiel Interpre‐ tation des Plurals, des Komparativs oder des Perfekts; deren Output ist wiederum Input für die semantischen Kompositionsregeln“ (ebd.: 18 f.). 2 Linguistische Grundlagen 54 <?page no="56"?> Abb. 230a: Grammatischer Aufbau und Bedeutungskomposition erfolgen parallel (Löbner 2003: 19) Das Gegenteil wäre ein Top-down-Prozess, wenn ein Rezipient die Bedeutung der Wörter aus der des ganzen Satzes erschließt, was immer dann passiert, wenn man in einem gegebenen Kontext auf ein unbekanntes Wort trifft, dessen Bedeutung aber aus der Satzbedeutung erschließbar ist (ebd.: 19). Wenn man das oben erwähnte Kompositionalitätsprinzip ernst nimmt, hieße das, dass sich die „Bedeutung eines komplexen Ausdrucks […] eindeutig aus der lexikalischen Bedeutung seiner Komponenten, aus deren grammatischer Bedeutung und aus seiner syntaktischen Struktur“ (ebd.: 20, Herv. CE) ergeben würde. Doch dies wäre eine rein innersprachliche Ausdrucksbedeutung. Durch die Situierung eines Satzes in einem konkreten Kontext entsteht über diese kompositionale Bedeutung aus semantischen und grammatischen Elementen hinaus eine situationsspezifische Äußerungsbedeutung, die sich erst im Rahmen des konkreten außersprachlichen Äußerungskontextes ergibt (ebd.: 20f.) und nur unter Rückgriff auf pragmatische Analysen beschreibbar ist. Eine adäquate Äußerungsbedeutung kann aber sicherlich nur derjenige oder dieje‐ nige erzeugen, der/ die zunächst einmal das Kompositionalitätsprinzip verstanden hat und Ausdrucksbedeutungen gezielt produzieren kann. Und hierfür ist eben ein Wissen zentral, das an der Grenze von Semantik als lexikalischer Bedeutung und Semantik als grammatisch produzierter Bedeutung angesiedelt ist. Dies verrät ein einfacher Blick in grammatische Theorien wie etwa die Valenzgrammatik, mit der zeigbar ist, dass die 2.3 Bedeutung und Grammatik 55 <?page no="57"?> Syntax zu einem Großteil von Wörtern und ihrer Bedeutung abhängt: Das dreiwertige Verb geben zum Beispiel spannt so einen semantischen wie syntaktischen Rahmen auf, der einzuhalten ist, will man einen korrekten Satz artikulieren: Es müssen die drei Leerstellen gefüllt werden, wer (Nominativ) was (Akkusativ) wem (Dativ) gibt. Siepmann (2007) plädiert in seinem fremdsprachendidaktisch ausgerichteten Beitrag dafür, wegen dieser engen Verzahnung von Grammatik und Wortschatz/ Semantik beim Zweit- und Fremdsprachenlehren und -lernen stärker als bislang beide Bereiche inte‐ grativ miteinander zu vermitteln, da nicht nur Redensarten und Sprichwörter idiomatisch seien, sondern man „durchgängig in größeren idiomatischen Einheiten, die man als Kol‐ lokationen und Kolligationen (britischer Kontextualismus), Phraseme (Phraseologiefor‐ schung, Sinn-Text-Theorie Mel’cuks) oder Konstruktionen (Konstruktionsgrammatik) bezeichnen könnte“ (ebd.: 61), spreche und schreibe und Lernerinnen und Lerner dem‐ nach vorgeprägte textund/ oder kontextspezifische Muster erwerben müssten, die in un‐ terschiedlicher Gewichtung aus lexikalischen und grammatikalischen Bestandteilen be‐ stehen können“ (ebd.: 62). Auch beim Erstspracherwerb erwerbe man nicht erst Wörter und dann Grammatik, sondern von Beginn an Wörter in (grammatischen) Konstruktionen („Form-Bedeu‐ tungspaaren“, idiomatischen „Ausdrucksschablonen“) (ebd.: 63 f.). Die Konsequenz daraus ist die didaktische Forderung, beim Zweit- und Fremd‐ sprachlernen nicht das Einzelwort in den Vordergrund zu stellen, sondern regelmäßige Konstruktionen und Valenzstrukturen, also Wortschatz- und Syntaxvermittlung zu verbinden, indem Wortschatz „grundsätzlich in Einheiten oberhalb der Wortebene gelehrt“ (ebd.: 70) werde. Im Unterricht sehe das so aus, dass bei der Frage nach Über‐ setzungen eben immer Konstruktionen fokussiert werden müssten: Erfragen Schüler Übersetzungen oder bietet der Lehrer diese an, so sollten sie sich immer auf Konstruktionen beziehen. Also nicht: was heißt „Voraussetzung“ auf Englisch? Sondern: Wie kann ich „Voraussetzung“ in folgendem Satz am besten wiedergeben? Gleiches gilt für Fragen zur Differenzierung von Synonymen. Die Frage sollte nicht lauten: Was ist der Unterschied zwischen learn (im Sinne von „erfahren“) und get to know, zwischen moist und damp oder zwischen mist, fog und haze? Sondern: Welche Konstruktionen gehen learn und get to know (usw.) üblicherweise ein? (ebd.: 77) Übung 230a Finden Sie jeweils zwei passende Satzbeispiele, mit denen Sie die Kategorien „Zu‐ künftiges“ und „Modalität“ einmal lexikalisch, einmal grammatisch-syntaktisch ausdrücken. Literatur Löbner 2003; Köller 1988; Siepmann 2007. 2 Linguistische Grundlagen 56 <?page no="58"?> 2.4 Bedeutungsrelationen Wörter und deren Bedeutungen stehen in zahlreichen Beziehungen zueinander, die wie ein Netz miteinander verbunden sind (Löbner 2 2015: 230-242; Lyons 1977: 270-335; Roelcke 2017: 35-47). Es lassen sich drei Gruppen solcher Bedeutungsrelationen unterscheiden: 1. Zuordnung einzelner Ausdrücke und Bedeutungen von Wörtern selbst (z. B. der 1. Ausdruck Bank mit den Bedeutungen ‚Sitzgelegenheit‘ und ‚Kreditinstitut‘); 2. Wörter, deren Bedeutungen einander über- oder untergeordnet sind (so etwa 2. Hund als Wort zur Bezeichnung für eine Gattung und das Wort Pudel als Be‐ zeichnung für eine Art); 3. Wörter, deren Bedeutungen einander gegengeordnet sind (wie etwa die Wörter 3. heiß und kalt, die zwei Pole auf einer offenen Skala angeben). Bedeutungsrelationen können auf vielfältige Weise erfasst werden. Neben einer Be‐ schreibung in natürlicher Sprache sind dabei zum Teil auch Beschreibungen unter Rückgriff auf die Mengenlehre oder die formale Logik möglich. Im Rahmen des Deutschunterrichts bieten sich alltagssprachliche Beschreibungen insbesondere für die Primar- und Sekundarstufe I an; in der Sekundarstufe II erscheinen dann spiral-curri‐ culär zunächst Vertiefungen anhand von Mengenlehre oder durch Logik sinnvoll. 2.4.1 Mehrdeutigkeit und Gleichnamigkeit Im Rahmen eines bilateralen Zeichenmodells wird zwischen dem Ausdruck und der Bedeutung eines Wortes (oder auch eines anderen sprachlichen Zeichens) unter‐ schieden. In Abhängigkeit davon, wie viele Bedeutungen und Ausdrücke dabei jeweils beteiligt sind, lassen sich verschiedene Relationen unterscheiden (vgl. Abb. 241a). A 1 B 1 Monosemie, Mononymie B 1 A 1 B 2 Polysemie, Homonymie B n A 1 A 2 B 1 Synonymie A n Abb. 241a: Mehrdeutigkeit und Gleichnamigkeit von Wörtern (A = Ausdruck, B = Bedeutung) 2.4 Bedeutungsrelationen 57 <?page no="59"?> Im einfachsten Fall ist einem Ausdruck genau eine Bedeutung sowie einer Bedeutung genau ein Ausdruck zugeordnet. Dies ist innerhalb der deutschen Standardsprache etwa bei dem Wort Pudel der Fall: Der Ausdruck bezieht sich auf eine bestimmte Art von Hunden, für die es hier keine andere Bezeichnung gibt. Daher wird ein solcher Fall als Eindeutigkeit oder als Monosemie (im Sinne einer einzelnen Bedeutung eines Ausdrucks) bzw. Mononymie (im Sinne eines einzelnen Ausdrucks für eine Bedeu‐ tung) charakterisiert. Es gibt jedoch Fälle, in denen einem bestimmten Ausdruck nicht nur eine einzige Bedeutung, sondern mehrere Bedeutungen zugeordnet werden können. Dies gilt zum Beispiel für die Ausdrücke Bank oder Birne: Während Bank entweder unter der Be‐ deutung ‚Sitzgelegenheit‘ oder unter der Bedeutung ‚Kreditinstitut‘ verwendet wird, bezeichnet Birne entweder ein bestimmtes Obst oder ein elektrisches Leuchtmittel. In beiden Fällen wird im Allgemeinen von Mehrdeutigkeit gesprochen. Innerhalb der Sprachwissenschaft wird dagegen differenziert, ob die betreffenden Ausdrücke ety‐ mologisch bzw. die Bedeutungen semantisch miteinander verwandt sind oder nicht: So erweisen sich die Bedeutungen von Birne hinsichtlich der äußeren Form der bezeich‐ neten Gegenstände als miteinander verwandt (es liegt eine Metapher vor), während zwischen den Bedeutungen ‚Kreditinstitut‘ und ‚Sitzgelegenheit‘ gegenwärtig keine Verwandtschaft erkennbar ist. Der erste Fall wird als Polysemie (Mehrdeutigkeit), der zweite als Homonymie (Einnamigkeit) bezeichnet. Schließlich ist auch der umgekehrte Fall denkbar: Eine bekannte Südfrucht wird sowohl als Orange als auch als Apfelsine bezeichnet, sodass hier also zwei Ausdrücke mit ein und derselben Bedeutung verwendet werden. Aus linguistischer Sicht liegt hier Gleichnamigkeit bzw. Synonymie vor. Im Unterschied zu Polysemie ist echte Sy‐ nonymie verhältnismäßig selten. Die meisten Ausdrücke, die auf den ersten Blick die‐ selbe Bedeutung tragen, unterscheiden sich bei näherem Hinsehen doch voneinander und bilden somit lediglich unechte Synonyme: Dies gilt etwa für deren regionalen Ge‐ brauch oder die mit ihnen verbundene Wertung. Übung 241a Untersuchen Sie die Bedeutungen ‚starkes Seil‘ und ‚feuchter Niederschlag‘ des Ausdrucks Tau sowie ‚Landwirt‘ und ‚Vogelkäfig‘ des Ausdrucks Bauer auf deren semantische Verwandtschaft und beurteilen Sie diese hinsichtlich Polysemie und Homonymie. Greifen Sie dabei auf ein etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache zurück. Übung 241b Untersuchen Sie die Wörter Lerche und Lärche sowie modern unter den Bedeu‐ tungen ‚verwesen‘ und ‚aktuell‘ hinsichtlich Homonymie. Unterscheiden Sie hierbei zwischen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache. 2 Linguistische Grundlagen 58 <?page no="60"?> Übung 241c Diskutieren Sie die Wörter Samstag und Sonnabend sowie Hund und Köter hin‐ sichtlich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihres Gebrauchs. Ziehen Sie ggf. ein Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache zu Rate. Synonyme Wörter sind als intensional wie extensional identisch zu charakterisieren, da sie sowohl hinsichtlich ihrer Bedeutungsmerkmale als auch im Hinblick auf die von ihnen bezeichneten Gegenstände als identisch anzusehen sind. Eine formale Darstel‐ lung von Synonymie im Rahmen der Logik ist dabei als eine bidirektionale Implikation aufzufassen (vgl. Satz 1): Wenn der Ausdruck A für einen Gegenstand x gilt, dann gilt auch der Ausdruck B für den Gegenstand x, und wenn der Ausdruck B für einen Ge‐ genstand x gilt, gilt auch der Ausdruck A für den Gegenstand x (vereinfacht etwa: jede Apfelsine ist eine Orange und jede Orange ist eine Apfelsine). (1) A x ↔ B x (A genau dann, wenn B) Polysemie und Homonymie sowie echte und unechte Synonymie machen jeweils ei‐ gene Angaben in einem Bedeutungswörterbuch erforderlich (vgl. Abb. 241b): So wird zum Beispiel die Polysemie von Birne durch zwei verschiedene Bedeutungsangaben innerhalb ein und desselben Wörterbuchartikels zum Ausdruck gebracht, während sich die Homonymie im Falle von Bauer oder Tau in zwei eigenständigen Artikeln nieder‐ schlägt; Entsprechendes gilt für die Homophonie im Falle von wider und wieder sowie für die Homographie bei modern (wobei bei mehrsilbigen Wörtern Akzentangaben durch Unterpunkte oder -striche erfolgen). Die echte Synonymie von Apfelsine und Orange spiegelt sich in identischen Bedeutungsangaben wider; demgegenüber werden die regionalen Dubletten Samstag und Sonnabend hinsichtlich ihrer regionalen Ver‐ breitung markiert und die abwertende Konnotation von Köter gegenüber Hund ge‐ kennzeichnet. Allein das Wort Grundel erscheint hier ohne Mehrdeutigkeit oder Gleich‐ namigkeit. Apfelsịne ‚Südfrucht, Orange‘ Bauer 1 ‚Person, die Landwirtschaft treibt‘ Bauer 2 ‚Käfig zur Haltung von Vögeln‘ Bịrne 1. ‚Frucht (Spätsommer und Herbst)‘; 2. ‚elektrisches Beleuchtungsmittelʼ Grụndel ‚am Grund lebende Fischart‘ Hund ‚beliebtes Haustier‘ Köter ‚beliebtes Haustier‘ (abwertend) mọdern ‚verwesen‘ modẹrn ‚neu, aktuell‘ 2.4 Bedeutungsrelationen 59 <?page no="61"?> Orạnge ‚Südfrucht, Apfelsine‘ Samstag ‚sechster (bzw. letzter) Tag der Woche‘ (regional verbreitet) Sonnabend ‚sechster (bzw. letzter) Tag der Woche‘ (regional verbreitet) Tau 1 ‚dicker Strick (zum Gebrauch in der Schifffahrt)‘ Tau 2 ‚feuchter Niederschlag (insbesondere auf Wiesen)‘ wịder ‚gegen, entgegen‘ wieder ‚ein weiteres Mal‘ Abb. 241b: Wörterbuchausschnitt (nach Roelcke 2017: 25) Übung 241d Untersuchen Sie verschiedene Wörterbücher zur deutschen Gegenwartssprache auf den Umgang mit Polysemie und Homonymie sowie echter und unechter Sy‐ nonymie - so etwa: DUDEN - Universalwörterbuch ( 8 2015) und WAHRIG - Deut‐ sches Wörterbuch ( 8 2008) als große allgemeinsprachliche Wörterbücher sowie Bulitta/ Bulitta ( 2 2005) und Duden - Synonymwörterbuch ( 6 2014) als synonymi‐ sche Spezialwörterbücher. 2.4.2 Bedeutungsüber- und -unterordnung Der Wortschatz natürlicher Sprachen ist oftmals hierarchisch aufgebaut. Das heißt, viele Wörter stehen in einer Relation der Über- und Unterordnung oder im Verhältnis eines Teils zum Ganzen. So sind beispielsweise die Wörter Tier und Pflanze dem Wort Lebewesen semantisch untergeordnet, diesen wiederum Fisch und Vogel bzw. Gras und andere mehr (vgl. Abb. 242a). Lebewesen Tier Pflanze Fisch Vogel Gras […] Abb. 242a: Über- und Unterordnung von Wörtern (Beispiele) Eine solche Bedeutungsüber- und -unterordnung wird in der Sprachwissenschaft als Hyperonymie bezeichnet (vgl. Abb. 242b). Dabei stellt das Wort Lebewesen ein Hyperonym zu den Wörtern Tier und Pflanze dar, während diese jeweils dessen Hy‐ 2 Linguistische Grundlagen 60 <?page no="62"?> ponyme sind; da Tier und Pflanze gemeinsam Lebewesen untergeordnet sind, ist hier auch von gemeinsamer Bedeutungsunterordnung bzw. von Kohyponymie die Rede. Während die Wörter Fisch und Vogel nun wiederum kohyponym zu dem Wort Tier anzusehen sind, stellen sie jedoch keine Hyponyme bzw. Kohyponyme zum Wort Le‐ bewesen dar, da sie diesem nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar (über das Wort Tier) untergeordnet sind. Hyperonym 1 (Ko)Hyponym 1a Hyperonym 2 (Ko)Hyponym 1b Hyperonym 3 (Ko)Hyponym 2a (Ko)Hyponym 2b Hyponym 3 […] Abb. 242b: Hyperonymie: Über- und Unterordnung von Wörtern (Terminologie) Im Rahmen der formalen Logik erscheint Hyperonymie als monodirektionale Impli‐ kation (vgl. Satz 2): Wenn der Ausdruck A für einen Gegenstand x gilt, dann gilt auch der Ausdruck B für den Gegenstand x, und wenn der Ausdruck B für einen Gegenstand x gilt, gilt der Ausdruck A nicht notwendigerweise für den Gegenstand x (vereinfacht etwa: jedes Tier ist ein Lebewesen und nicht jedes Lebewesen ist ein Tier). (2) A x → B x (Wenn A, dann B) Übung 242a Diskutieren Sie Hyperonymie hinsichtlich der Intension und Extension der be‐ teiligten Wörter und deren Bedeutungen: Ist die Intension bei hyperonymen Wör‐ tern größer oder kleiner als bei deren Hyponymen; und wie verhält es sich dabei jeweils mit der Extension? Betrachten Sie hierzu kritisch die folgende Darstellung von Hyperonymie und Hyponymie im semiotischen Dreieck nach Löbner ( 2 2015: 232), in welcher die Extension als Denotation des lexikalischen Zeichens be‐ zeichnet wird (vgl. Abb. 242c). 2.4 Bedeutungsrelationen 61 <?page no="63"?> Abb. 242c: Hyperonymie und Hyponymie im semiotischen Dreieck (Löbner 2 2015: 232) Übung 242b Bisweilen wird Hyperonymie auch als partielle Synonymie bezeichnet. Erklären Sie diese Redeweise. Die deutsche Sprache ist bekannt für ihre hohe Zahl an Zusammensetzungen bzw. Komposita. Im Fall von Determinativkomposita besteht dabei oftmals die Relation der Hyperonymie oder der Kohyponymie, so zum Beispiel bei Tier als hyperonymem Aus‐ druck sowie Haustier und Wildtier als hypobzw. kohyponymen Wörtern. Solche Bil‐ dungen können sich im Rahmen von fachlicher Kommunikation zu hierarchisch or‐ ganisierten terminologischen Systemen formieren. In dem folgenden Beispiel aus der Begriffstheorie (vgl. Abb. 242d) sind etwa die zweigliedrigen Komposita Oberbegriff und Verbandsbegriff dem Terminus übergeordneter Begriff als Kohyponyme unterge‐ ordnet; Entsprechendes gilt für die Termini Unterbegriff und Teilbegriff in Bezug auf den übergeordneten Ausdruck untergeordneter Begriff. Die beiden Termini übergeord‐ neter Begriff und untergeordneter Begriff stellen hier feste Mehrworttermini (aus Sub‐ stantiv und attributivem Adjektiv) dar, die ihrerseits als Kohyponyme des Einwortter‐ minus Begriff dienen. 2 Linguistische Grundlagen 62 <?page no="64"?> Begriff Definition Benennung Einwortbenennung Mehrwortbenennung übergeordneter Begriff untergeordneter Begriff Oberbegriff Unterbegriff Verbandsbegriff Teilbegriff Abb. 242d: Terminologisches System in Abschnitt 2 von DIN 2330 (1993; nach Roelcke 2012: 71) Eine weitere Spielart von hierarchisch aufeinander bezogenen Bedeutungsrelationen zeigt sich schließlich in Wörtern, die sich auf einen Teil und ein entsprechendes Ganzes beziehen: Solch ein Fall besteht etwa bei Vogel und Flügel, wobei das Wort Vogel für ein Ganzes und das Wort Flügel für einen Teil dieses Ganzen steht. Die linguistische Fach‐ bezeichnung für diese Bedeutungsrelation lautet Partonymie oder Meronymie. 2.4.3 Bedeutungsgegenordnung Neben den semantischen Relationen der Gleich- und der Überordnung bestehen schließlich auch solche der Gegenordnung. Diese werden im Allgemeinen in allge‐ meinsprachlichen Wörterbüchern wie dem DUDEN - Universalwörterbuch ( 8 2015) oder dem WAHRIG - Deutsches Wörterbuch ( 8 2008) verzeichnet; daneben gibt es auch Wörterbücher, die auf Gegensatzwörter spezialisiert sind (so etwa Müller 2000). Be‐ kannte Beispiele für Gegensatzwortpaare sind etwa groß und klein, tot und lebendig oder unterhalb und oberhalb sowie geben und nehmen. Diese repräsentieren jeweils einen eigenen Typ von Bedeutungsgegenordnungen. Die Wörter groß und klein stehen in einer Relation, die sich als relative Bedeu‐ tungsgegenordnung, als sog. Antonymie, charakterisieren lässt. Ihre semantische Gegenordnung ist insofern relativ, als bestimmte Gegenstände wie etwa ein Fußball im Vergleich zu anderen Gegenständen wie einer Stecknadel eher groß und im Ver‐ 2.4 Bedeutungsrelationen 63 <?page no="65"?> gleich zu wiederum anderen Gegenständen wie etwa einem Planeten eher klein er‐ scheinen. Die Einschätzung, ob ein solcher Gegenstand als groß oder als klein be‐ zeichnet werden kann, erfolgt also vor dem Hintergrund eines Kontinuums oder einer Skala und bedarf stets einer vergleichenden Größe. Antonymie lässt sich im Rahmen der formalen Logik als eine monodirektionale Implikation unter Einbezie‐ hung einer Negation darstellen (vgl. Satz 3): Wenn der Ausdruck A für einen Ge‐ genstand x gilt, dann gilt der Ausdruck B nicht für den Gegenstand x, und wenn der Ausdruck B nicht für x gilt, gilt der Ausdruck A nicht notwendigerweise für den Gegenstand x (vereinfacht etwa: ein großer Ball ist nicht klein, während ein nicht kleiner Ball nicht notwendigerweise groß ist). (3) A x → - B x Im Unterscheid zu den Wörtern groß und klein zeigen die Ausdrücke tot und lebend keine relative, sondern eine absolute Bedeutungsgegenordnung; diese wird auch als Komplenymie bezeichnet. Der Gegensatz, den tot und lebend bezeichnen, bezieht sich nicht auf ein Kontinuum oder auf eine Skala, sondern gilt uneingeschränkt. Von der Diskussion medizinischer oder biologischer Grenzbereiche einmal abgesehen, ist ein menschlicher oder tierischer Körper entweder als lebend oder als tot zu charakte‐ risieren - ein Zwischenstadium besteht nicht. Im Rahmen einer logischen Modellierung wird Antonymie durch eine wechselseitige Implikation symbolisiert (vgl. Satz 4): Wenn der Ausdruck A für einen Gegenstand x gilt, dann gilt der Ausdruck B nicht für den Gegenstand x, und wenn der Ausdruck B für einen Gegenstand x nicht gilt, gilt der Ausdruck A für den Gegenstand x (vereinfacht zum Beispiel: eine totes Tier ist kein lebendes Tier, und kein lebendes Tier ist eine totes Tier). (4) A x ↔ - B x Übung 243a Erklären Sie die Funktionsweise des folgenden Witzes: Treffen sich zwei alte Freundinnen nach langer Zeit zufällig im Café. Fragt die eine: „Bist Du inzwischen verheiratet? “; antwortet die andere: „Und wie! “. Antonyme und komplenyme Ausdrücke finden sich oftmals in terminologischen Sys‐ temen wieder - sei es als Attribute im Rahmen von Mehrworttermini (vgl. zum Beispiel die staatstheoretischen Fachbezeichnungen absolute Monarchie, konstitutionelle Mon‐ archie und parlamentarische Monarchie) oder als determinierende Glieder innerhalb von Komposita (vgl. etwa Kleinhirn und Großhirn oder kältebeständig und hitzebe‐ ständig). 2 Linguistische Grundlagen 64 <?page no="66"?> Übung 243b Im terminologischen System des zweitens Abschnitts von DIN 2330 (1993) sind die zweigliedrigen Komposita Oberbegriff und Verbandsbegriff dem Terminus übergeordneter Begriff untergeordnet; Entsprechendes gilt für die Termini Unter‐ begriff und Teilbegriff in Bezug auf den übergeordneten Ausdruck untergeordneter Begriff (vgl. Abb. 242d). Erklären Sie anhand der Wortbildung, warum es sich hierbei nicht um ein zwei-, sondern um ein dreidimensionales terminologisches System handelt. Mit den Wortpaaren unterhalb und oberhalb sowie geben und nehmen liegt schließlich eine weitere Art der Bedeutungsgegenordnung vor: Sie geben verschiedene Blickrich‐ tungen auf ein und dasselbe Verhältnis oder ein und denselben Vorgang wieder und bilden somit sog. lexikalische Konversen bzw. stehen in der Relation der Konver‐ sonymie (Roelcke 1992). Auch dies lässt sich mit Hilfe der Logik fassen: Hier liegen jeweils zwei- oder dreistellige Prädikationen vor, die bei vertauschten Argumenten äquivalent zueinander sind (vgl. die Sätze 5 und 6). Wenn der Ausdruck A für eine Relation von x zu y bzw. von x zu y zu z gilt, dann gilt der Ausdruck B für eine Relation von y zu x bzw. von z zu y zu x, und wenn der Ausdruck B für eine Relation von y zu x bzw. von z zu y zu x gilt, gilt auch der Ausdruck A für eine Relation von x zu y bzw. von x zu y zu z (vereinfacht etwa: wenn etwas unterhalb von etwas anderem liegt, liegt dieses andere oberhalb von diesem; wenn jemand etwas jemandem anderen gibt, nimmt dieser andere etwas von diesem). (5) A x,y ↔ B y,x (6) A x,y,z ↔ B z,y,x Zu den semantischen Relationen der Gegenordnung wird nicht zuletzt auch diejenige der Heteronymie gezählt. Hierbei finden sich auf einer bestimmten hierarchischen Ebene mehrere lexikalische Zeichen, die einen abgeschlossenen Ausschnitt der Wirk‐ lichkeit abdecken und somit alternativ verwendet werden können. Bekannte Beispiele hierfür sind etwa die Bezeichnungen der Wochentage, die Monatsnamen oder die Aus‐ drücke für die Grundfarben. Literatur Cruse 1986; Löbner 2 2015: 230-242; Lutzeier 1995: 73-87; Lyons 1977: 270-335; Roelcke 2017; Schwarz-Friesel/ Chur 6 2014: 60-66. 2.4 Bedeutungsrelationen 65 <?page no="67"?> 2.5 Bedeutungsvariation Semantik wird in der Sprachwissenschaft und der Sprachdidaktik des Deutschen in der Regel am Beispiel der deutschen Standardsprache der Gegenwart betrieben. Im Falle der Didaktik des Deutschen erscheint dies sinnvoll, da der Erwerb von Kenntnissen und Kompetenzen in der Standardsprache als ein wesentliches Lernziel des Deutsch‐ unterrichts anzusehen ist. Dennoch ist es hier auch sinnvoll, die Variation von Bedeu‐ tung auch über die engen Grenzen der Standardsprache hinaus zum Gegenstand des Unterrichts zu machen. Dabei ist die semantische Variation insbesondere der folgenden Bereiche von Bedeutung: ▸ Bedeutungswandel ▸▸ Fachbedeutungen ▸▸ Mundartunterschiede ▸▸ Jugendsprache ▸▸ Geheimsprachen ▸ 2.5.1 Bedeutungswandel Die historische Entwicklung von lexikalischen Bedeutungen erscheint insbesondere für den Deutschunterricht in der Sekundarstufe aus wenigstens zwei Gründen von besonderem Interesse: Zum einen erlauben entsprechende Unterrichtseinheiten Ein‐ sicht in die historische Entstehung der deutschen Gegenwartssprache und lassen diese als etwas Veränderliches erfahren, das auch künftigen Entwicklungen unterliegt und bis zu einem gewissen Grade mit zu gestalten ist. Zum anderen ergeben sich hieraus zahlreiche Anknüpfungspunkte für den Literatur-, Religions-, Philosophie- oder Ge‐ schichtsunterricht, sodass durch fächerübergreifende Ansätze ein nachhaltiges Lernen gefördert werden kann. Beispiele hierfür sind unter anderem der andersartige Sprach‐ gebrauch in älteren literarischen oder philosophischen Werken (etwa bei Walther von der Vogelweide und Andreas Gryphius oder bei Immanuel Kant und Martin Heidegger) oder in historischen Quellen (Urkunden, Programmen oder Plakaten), die im Fach Ge‐ schichte eine wichtige Rolle spielen. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen denotativer und konnotativer Bedeutung lassen sich vier Grundtypen der Veränderung von einzelnen Bedeutungen unterscheiden (Fritz 2 2006): Erweiterung und Verengung von denotativen sowie Ver‐ besserung und Verschlechterung von konnotativen Bedeutungen. Mit Blick auf die Anzahl einzelner Bedeutungen kommen mit der Zunahme und der Abnahme der Ge‐ samtbedeutung einzelner Wörter zwei weitere Grundtypen hinzu (vgl. Abb. 251a). 2 Linguistische Grundlagen 66 <?page no="68"?> Entwicklung Gegenentwicklung Denotation einer Einzelbedeutung Erweiterung Verengung Konnotation einer Einzelbedeutung Verbesserung Verschlechterung Spektrum einer Gesamtbedeutung Zunahme Abnahme Abb. 251a: Arten des lexikalischen Bedeutungswandels im Überblick Unter Bedeutungserweiterung wird die Erweiterung der denotativen Bedeutung eines lexikalischen Ausdrucks verstanden. Im Allgemeinen nehmen dabei die Intension ab und die Extension zu. Dies lässt sich an dem folgenden Beispiel zeigen: Das alt‐ hochdeutsche Wort frouwa, eine Ableitung von frô in der Bedeutung ‚Herr‘, wurde in mittelalterlicher Zeit zur Bezeichnung einer weiblichen Person von Stand verwendet. In der frühen Neuzeit wurde diese enge Bedeutung aufgegeben und das Wort Frau zur Bezeichnung einer erwachsenen weiblichen Person (unabhängig von sozialem und fa‐ miliärem Stand) gebraucht (weitere Beispiele für den Bedeutungswandel im Wortfeld Frau sind in Abb. 251b zusammengestellt; vgl. auch die Erläuterungen in König et al. 18 2015: 113). 2.5 Bedeutungsvariation 67 <?page no="69"?> juristisch (ehe) biologisch (fem.) bilogisch (feminin) bilogisch (feminin) sozial (hochstehend) funktionell (Dienerin) funktionell (Dienerin) moralisch (Prostituierte) moralisch (Prostituierte) sozial (hochstehend) frouwa Ehefrau quena verheiratet wīb funktionell (Dienerin) diu moralisch (Prostituierte) huora unverheiratet magad jung diorna Nebenfrau kebisa verheiratet vrouwe juristisch (Ehe) hûsvrouwe wirtin kone (veraltet) verheiratet wîp jung dierne diu (veraltet)) juristisch (Ehe) Ehefrau -gattin unverheiratet Fäulein unberührt Jungfrau jung Mädchen niederer Stil Weib Magd Hure Dirne huore kebese unverheiratet jung maget unverheiratet juncvrouwe vrouwelin Frau NEUHOCHDEUTSCH MITTELHOCHDEUTSCH ALTHOCHDEUTSCH wîp wīb Abb. 251b: Entwicklung des Wortfeldes Frau vom Althochdeutschen zum Neuhochdeutschen (nach König et al. 18 2015: 112) 2 Linguistische Grundlagen 68 <?page no="70"?> Weitere Beispiele für eine solche Erweiterung von lexikalischen Bedeutungen sind etwa bei den folgenden Wörtern zu finden: Herr (von ‚erwachsene männliche Person von Stand‘ zu ‚erwachsene männliche Person‘), Dekan (von ‚Vorsteher von zehn Mann‘ zu ‚Vorsteher (eines Kirchenbezirks oder einer Fakultät)‘, Ding (von ‚Gegenstand eines Rechtsstreits‘ zu ‚Gegenstand (überhaupt)‘ oder sehr (von ‚schmerzlich‘ zu ‚intensiv‘; vgl. etwa noch unversehrt oder Kriegsversehrter). Übung 251a Im „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe fragt der Faust das Gretchen: „Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, / Meinen Arm und Geleit ihr anzutragen? “; Margarete antwortet darauf: „Bin weder Fräulein, weder schön, / Kann ungeleitet nach Hause gehen.“ - Interpretieren Sie diese Textstelle; greifen Sie dabei auf ein historisches Bedeutungswörterbuch der deutschen Sprache zurück. Eine Verengung der denotativen Bedeutung hat demgegenüber das mittelhochdeutsche Wort maget erfahren: Es dient im Mittelalter der Bezeichnung für eine unverheiratete weibliche Person (nicht von Stand, denn eine solche wurde als juncvrouwe bezeichnet); die Bedeutungsverengung zu Magd zur Bezeichnung für weibliches Dienstpersonal erfolgt erst nach der oben erläuterten Bedeutungserweiterung von Frau. Weitere Bei‐ spiele für Bedeutungsverengung sind: Hochzeit (von ‚hohes kirchliches oder weltliches Fest‘ zu ‚Feier der Eheschließung‘), Junggeselle (von ‚jüngster Geselle in einem Hand‐ werk‘ zu ‚unverheiratete männliche Person‘ oder witzig (von ‚geistreich‘ zu ‚lustig‘). Neben Änderungen in der denotativen Bedeutung erfahren Wörter oftmals auch solche in ihrer konnotativen Bedeutung. So war das Wort wîp noch im Mittelhoch‐ deutschen die neutrale Bezeichnung für Angehörige des weiblichen Geschlechts. Die Bedeutungsverschlechterung oder auch: Pejorisierung zu der abwertenden Be‐ deutung von Weib entstand erst, nachdem Frau die Funktion der erweiterten und damit neutralen Bedeutungsangabe übernommen hatte (die neutrale Bedeutung von Weib ist gegenwärtig in Ableitungen wie weiblich erhalten geblieben). Ein weiteres Beispiel für die Verschlechterung einer lexikalischen Bedeutung findet sich bei albern: Während das althochdeutsche Adjektiv alawari noch unter der neutralen Bedeutung ‚ganz wahr, freundlich‘ verwendet wurde, zeigen der Gebrauch des mittelhochdeutschen alwære als ‚allzu gütig, dumm‘ eine leicht negative und derjenige des neuhochdeutschen albern als ‚töricht, einfältig‘ eine stark negative Konnotation. - Eine Bedeutungsverbesse‐ rung oder Meliorisierung zeigt demgegenüber das althochdeutsche Wort marah‐ salc, dessen Bedeutung von ‚Stallmeister‘ über ‚Hofbeamter‘ und ‚Offizier der Reiterei‘ bis hin zur Bezeichnung eines der höchsten militärischen Ränge, des Marschalls, ver‐ schoben und dabei aufgewertet wurde. 2.5 Bedeutungsvariation 69 <?page no="71"?> Übung 251b Zeichnen Sie die Geschichte des Wortes geil hinsichtlich seiner denotativen und seiner konnotativen Bedeutung nach; greifen Sie dabei auf historische Wörter‐ bücher und ein Bedeutungswörterbuch der deutschen Sprache zurück. Im Verlauf sprachgeschichtlicher Entwicklung können sich nicht allein einzelne Wort‐ bedeutungen in denotativer oder konnotativer Hinsicht verändern. Darüber hinaus ist auch ein Wandel der Gesamtbedeutung einzelner Wörter zu beobachten. Besonders produktiv sind hierbei Metaphorisierungen, die zu einer Polysemierung, d. h. Zu‐ nahme der Gesamtbedeutung eines Wortes führen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das althochdeutsche Wort wurzala, das ursprünglich den gewundenen und verästelten Teil von Pflanzen bezeichnet, welcher im Boden steckt und zu deren Verankerung und Nahrungsaufnahme dient: In der Entwicklung von Wurzel bis zur deutschen Sprache der Gegenwart sind hier nun zahlreiche Einzelbedeutungen hinzugekommen, deren Verwandtschaft mit der Ursprungsbedeutung noch immer leicht zu erkennen ist - so etwa im mathematischen, zahnmedizinischen oder sprachwissenschaftlichen Bereich. Ein Beispiel für den umgekehrten Fall, also eine (partielle) Monosemierung bzw. Abnahme der Gesamtbedeutung eines Wortes, findet sich mit dem Wort Elend: Dieser Ausdruck wurde noch in frühneuhochdeutscher Zeit unter mindestens zwei Bedeu‐ tungen gebraucht, einerseits ‚Fremde, Ferne‘ und andererseits ‚Entbehrung, Not‘. In der deutschen Gegenwartssprache ist allein die zweite Bedeutung erhalten geblieben, wäh‐ rend die erste seit mindestens zweihundert Jahren nicht mehr zu belegen ist. Übung 251c Einzel- und Gesamtbedeutungen von Wörtern ändern sich nicht ohne Grund: Welche Ursachen für Bedeutungswandel können Sie sich vorstellen? Diskutieren Sie dabei die Beispiele für den Wandel von lexikalischen Bedeutungen, die in diesem Kapitel gegeben werden. Die verschiedenen historischen Entwicklungen der Erweiterung und Verengung denota‐ tiver sowie der Verbesserung und der Verschlechterung konnotativer Bedeutungen haben zu der semantischen Struktur des Wortfeldes Frau geführt, die in Abb. 251b unten bzw. Abb. 222a skizziert werden. Diese Skizzen geben die Gestalt des Wortfeldes im Neuhoch‐ deutschen bzw. innerhalb der deutschen Sprache der Gegenwart wieder. Diese Verhält‐ nisse entsprechen jedoch nicht denjenigen in den Mundarten des deutschen Sprachge‐ biets. Dies zeigt exemplarisch die Karte für die Verteilung der Bezeichnungen für Mädchen in den deutschen Dialekten um 1940 (vgl. Abb. 251c). 2 Linguistische Grundlagen 70 <?page no="72"?> Abb. 251c: Bezeichnungen für Mädchen in den Mundarten des deutschen Sprachraums um 1940 (nach König et al. 18 2015: 166) Wie die Karte zeigt, zieht sich vom Südwesten bis in den Nordosten des Gebiets ein breiter Streifen mit Bezeichnungen, die mit dem Ausdruck Mädchen etymologisch zu‐ sammenhängen. Im Nordwesten und im Südosten herrschen demgegenüber insbeson‐ dere solche Bezeichnungen vor, die mit dem Ausdruck Dirne verwandt sind. Übung 251d Interpretieren Sie die Karte mit Bezeichnungen für Mädchen (Abb. 251c) bzgl. der Konnotationen, die mit den Ausdrücken Mädchen (als Verkleinerungsform der Bezeichnung Magd) und Dirne sowie deren etymologisch jeweils verwandten Ausdrücken im deutschen Dialektraum und in der deutschen Standardsprache um die Mitte des 20. Jahrhunderts verbunden sind; beziehen Sie dabei Aspekte des Bedeutungswandels mit ein. In der Germanistik wurden zahlreiche Wörterbücher hervorgebracht, welche den Wortschatz historischer Perioden des Deutschen (Roelcke 1995) unter anderem auch semantisch erfassen und beschreiben (vgl. Reichmann 1990) - sie sind zum Teil auch online zugänglich. Zu nennen sind hier unter anderem die folgenden Sprachstadien‐ wörterbücher: Karg-Gasterstädt/ Frings (1952 ff.) und Schützeichel ( 7 2012) für das Alt‐ hochdeutsche (750-1050); Benecke/ Müller/ Zarncke (1854-1866), Lexer (1872-78) und Lexer ( 38 1999) für das Mittelhochdeutsche (1050-1350) sowie Anderson/ Goebl/ Reich‐ 2.5 Bedeutungsvariation 71 <?page no="73"?> mann 1986 ff.) für das Frühneuhochdeutsche (1350-1650). Ein bedeutungsgeschichtli‐ ches Spezialwörterbuch stellt Paul ( 10 2002) dar. - Im Weiteren gibt es zahlreiche Dia‐ lektwörterbücher des Deutschen. 2.5.2 Fachbedeutungen Die didaktische Relevanz von Fachsprachen bzw. fachlichen Bedeutungen ist für einen Unterricht, der auf die Kommunikation im Berufsleben vorbereiten soll (vgl. Efing 2014; Roelcke 2017), offensichtlich: Im Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als erster Sprache sowie im Unterricht für Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache stellen sowohl sprachliche Reflexion als auch kommunikative Förderung zentrale Lernziele dar (Becker-Mrotzek 2013; Efing 2015a). Darüber hinaus geraten sprachliche Bewusst‐ heit sowie ein sprachsensibler Unterricht zunehmend in den Fokus von Sachfächern (vgl. Abb. 252a) und sind daher mittlerweile integraler Bestandteil der Lehrkräfteaus‐ bildung geworden (vgl. Kniffka/ Roelcke 2016; Michalak/ Lemke/ Goeke 2015). Sprachliche Lernziele Kommunikationsförderung Reflexion fremdsprachlicher Unterricht Sachfächer muttersprachlicher Unterricht Abb. 252a: Fachsprachen im Unterricht nach Lernzielen (Roelcke 2009b: 8) Die Kommunikation in Wissenschaft, Technik oder Institutionen strebt eine möglichst hohe Unmissverständlichkeit an. Da es sich hierbei um spezialisierte menschliche Tätig‐ keitsbereiche handelt, weisen auch die hier gebrauchten Fachwörter bzw. Termini se‐ mantische Unterschiede zu standard- oder umgangssprachlichen Wörtern auf. In der modernen Terminologielehre und -arbeit (vgl. zum Beispiel Arntz/ Picht/ Schmidt 7 2014) werden daher mindestens drei sog. Güteeigenschaften fachsprachlicher Wörter ange‐ nommen, die eine weitgehend reibungslose Fachkommunikation gewährleisten sollen und sich anhand des semiotischen Dreiecks von Ogden und Richards miteinander in Beziehung setzen lassen (vgl. Abb. 252b): ▸ Exaktheit ▸▸ Eindeutigkeit ▸▸ Eigentlichkeit ▸ Die Diskussion solcher Güteeigenschaften stellt im Wesentlichen eine semasiologische Sicht auf die Semantik von Fachwörtern dar; ihr gegenüber steht eine onomasiologische Betrachtungsweise, die verschiedene Verfahren der Deckung eines erhöhten fachlichen Benennungsbedarfs erörtert. 2 Linguistische Grundlagen 72 <?page no="74"?> Bedeutung (thought or reference) Gegenstand (referent) Ausdruck (symbol) Eindeutigkeit Eigentlichkeit Exaktheit Abb. 252b: Semantische Güteeigenschaften von Fachwörtern im Rahmen des semiotischen Drei‐ ecks (Roelcke 2016 [2018]: 89) Die semantische Exaktheit von Fachwörtern besteht in einer möglichst unmissver‐ ständlichen Beziehung der terminologischen Ausdrücke zu den von ihnen bezeich‐ neten Gegenständen. Diese Exaktheit besteht jedoch nicht absolut, sondern hängt stets von der betreffenden Definition des Terminus und dessen Einbindung in das betref‐ fende terminologische System ab. So kann zum Beispiel eine Definition von Kernspal‐ tung im Rahmen einer ökologischen oder ökonomischen Abhandlung weitaus weniger differenziert erfolgen als innerhalb einer physikalischen oder technischen Beschrei‐ bung. Fachwörter weisen also stets eine gewisse semantische Vagheit und somit nur eine relative Exaktheit auf. Neben fachlichen Konventionen stellen insbesondere De‐ finitionen ein wichtiges Verfahren dar, terminologische Exaktheit herzustellen (zu De‐ finitionen vgl. Kap. 2.2.1). Übung 252a Suchen Sie verschiedene Definitionen ein und derselben Fachwörter und unter‐ suchen Sie diese im Hinblick auf deren relative Exaktheit im Rahmen ihrer fach‐ spezifischen Verwendung. Die semantische Eindeutigkeit von Fachwörtern zeigt sich in der Beziehung von deren Ausdruck und Bedeutung. Dabei wird im Idealfall davon ausgegangen, dass einem terminologischen Ausdruck genau eine Fachbedeutung und einer solchen Fach‐ bedeutung wiederum genau ein terminologischer Ausdruck zugeordnet ist. Bei dem Postulat einer solchen terminologischen Eineindeutigkeit wird jedoch leicht über‐ sehen, dass diese nicht auf der Ebene des terminologischen Systems, sondern auf der Ebene des Gebrauchs von Fachwörtern erforderlich ist, um eine unmissverständliche Kommunikation zu garantieren. Terminologische Systeme zeichnen sich sogar oft durch ein hohes Maß an Polysemie und Synonymie aus, um dem erhöhten Benen‐ nungsbedarf und dem erforderlichen Differenzierungsgrad fachlicher Kommunikation 2.5 Bedeutungsvariation 73 <?page no="75"?> gerecht zu werden. Beispiele für polyseme Fachwörter stellen etwa Wurzel, Kopf, Zahn, Demokratie oder Konzept dar. Übung 252b Synonyme Termini finden sich nicht allein im Bereich der Geistes- oder der Sozial‐ wissenschaften, sondern durchaus auch im Bereich der Technik. Ein Beispiel hierfür findet sich bereits bei Häfele (1977): Edelgasgleichrichterröhre, Edelgasgleichrichter, Gasgleichrichterröhre, gasgefüllter Kathodengleichrichter, gasgefüllte Diode, Gasdiode, Glimmdiode und Glimmröhre. Diskutieren Sie die Vorteile, welche die Synonymie dieser Termini für die technische Kommunikation mit sich bringt. Die Forderung nach Eigentlichkeit fachsprachlicher Lexik bezieht sich auf das sog. Metapherntabu (Weinrich 1989). Hiernach wird an den Wortschatz in Wissenschaft, Technik und Institutionen der Anspruch erhoben, möglichst wenig bildhaft zu sein, um so einen möglichst hohen Anspruch auf Anonymität bzw. Objektivität fachlicher Kom‐ munikation einzulösen. Hierbei handelt es sich jedoch eher um ein ideologisch als um ein theoretisch begründetes Konzept: Denn ein metaphorischer Sprachgebrauch er‐ laubt nicht nur innerhalb der fachlichen Kommunikation die Bezeichnung neuer Ge‐ genstände durch den Gebrauch von bekannten Wörtern, er ist hierzu sogar nötig: Denn auf diese Weise kann eine neue fachliche Begrifflichkeit an alltägliche oder bereits bestehende fachliche Konzepte angelehnt werden. Anhand des Wortes Wurzel lässt sich dies gut nachvollziehen: Die Form und die Funktion pflanzlicher Wurzeln erlauben den Gebrauch dieses Wortes zur Bezeichnung von anatomischen, mathematischen oder linguistischen Erscheinungen, die in Form oder Funktion mit diesen vergleichbar sind. Übung 252c Metaphern sind insbesondere auch in der fachlichen Umgangssprache beliebt: Klären Sie die Bereiche, aus denen die folgenden technischen Metaphern gezogen sind: a) Das Auto ist altersschwach und säuft viel Sprit; b) Der Taschenrechner kommt nicht mehr mit und fängt an, herumzuspinnen; c) Der Techniker lässt den Strom fließen und erhält einen Schlag. Fachliche Kommunikation steht immer wieder vor der Herausforderung, neue Be‐ zeichnungen für neue Begriffe oder Bedeutungen zu finden. Zur Lösung dieses ono‐ masiologischen Problems der Wortschatzerweiterung stehen im Allgemeinen drei Verfahren zur Verfügung: ▸ Polysemierung von bekannten allgemein- oder fachsprachlichen Wörtern im ▸ Rahmen von Bedeutungsübertragungen wie Metaphern, Metonymien usw. (vgl. oben). ▸ Schaffung von neuen Ausdrücken mit den Mitteln der Wortbildung - darunter ▸ insbesondere: Zusammensetzungen wie Lohnsteuerjahresausgleich, Raster- 2 Linguistische Grundlagen 74 <?page no="76"?> elektronenmikroskop oder Zwillingsverben wie spritzgießen; Ableitungen wie Schweißer, Verordnung, entflammbar und Präfixbildungen wie Misswirtschaft oder ineffizient; Konversionen wie Schmelzen, Hertz oder mendeln; Kurzwörter wie Bus aus Omnibus oder DIN aus Deutsches Institut für Normung. ▸ Entlehnungen verschiedener Art aus anderen Sprachen (vgl. Abb. 252c) - zum ▸ Beispiel aus dem Lateinischen wie Fenster, predigen oder Korrektur, aus dem Fran‐ zösischen wie Turnier, Kostüm oder Revolution oder aus dem Englischen wie Streik, Business oder Computer - diese Beispiele aus der über eintausend Jahre langen Sprachgeschichte des Deutschen zeigen, dass viele Ausdrücke gemeinsam mit den durch sie bezeichneten Sachen Eingang in den deutschen Sprachraum gefunden haben. Typ Merkmal Beispiele Fremdwort Ausdruck formal nicht an‐ gepasst Flirt (engl.), Palais (franz.), Sputnik (russ.) Lehnwort Ausdruck formal angepasst Pfingsten (griech. pentecoste), Streik (engl. strike) Lehnübersetzung Übertragung Glied für Glied Mitlaut (lat. Konsonant), Halbwelt (franz. demi-monde) Lehnübertragung freie Übertragung Vaterland (lat. patria), Wolkenkratzer (engl. sky-scraper) Lehnschöpfung Ausdruck formal unab‐ hängig Umwelt (franz. milieu), Sinnbild (Symbol) Fremdschöpfung Ausdruck nach fremder Form Handy (engl. mobile phone) Lehnbedeutung eigener Ausdruck mit fremder Bedeutung Heiland (lat. Salvator), schneiden (engl. to cut ‚jmdn. geflissentlich übersehen‘) Abb. 252c: Typen (fach-)sprachlicher Entlehnung (Roelcke 2009a: 70) 2.5.3 Jugendsprache Jugendsprachen bieten seit einigen Jahrzehnten einen beliebten Gegenstand der lin‐ guistischen Forschung (vgl. etwa Henne 1986; Schlobinski/ Kohl/ Ludewigt 1993; And‐ routsopoulos 1998; Neuland 2008; Bahlo et al. 2019), aber auch der deutschdidaktischen und unterrichtlichen Reflexion über Sprache und Sprachgebrauch (inkl. curricularer Verankerung der Jugendsprache als Thema) (vgl. etwa Baurmann 2003; Neuland 2003; Hoppe/ Romeikat/ Schütz 2003; Baradaranossdat 2011). Der Status von Jugendsprache als eigene Varietät ist angesichts schneller Sprach‐ wandeltendenzen und ihrer Heterogenität in Abhängigkeit von regionaler Herkunft und Subgruppen-Zugehörigkeit der jugendlichen Sprecher umstritten; zumeist wird Jugendsprache als Gruppensprache klassifiziert. Als problematisch bei der Eingren‐ 2.5 Bedeutungsvariation 75 <?page no="77"?> zung von Jugendsprache erweisen sich zudem ihre Nähe zu Merkmalen der Münd‐ lichkeit und der Umgangssprache sowie ihre Fremd-Inszenierung durch Medien und Werbung. Die aber doch deutliche Gemeinsamkeit der im Grunde zahlreichen, verschiedenen jugendlichen Sprechstile liegt in ihrer identitätsstiftenden Funktion sowie in sprach‐ strukturellen und pragmatischen Parallelen. Spezifisch für die oft bildreiche ju‐ gendsprachliche Lexik ist dabei die Ausdifferenzierung bestimmter Wortschatzbe‐ reiche, die Verwendung von Vulgarismen, Anglizismen, typischen Wortbildungs‐ mustern, Verstärkungswörtern sowie bestimmten Phraseologismen und Routineformeln. Auf pragmatischer Ebene wurden vor allem Phänomene der Stilbastelei (sog. Brico‐ lage als Umgang mit kulturellen und medialen Ressourcen), des assoziativen und kom‐ petitiven Sprechens sowie der Gebrauch von Diskursmarkern untersucht. Generell ist eine Tendenz zu sprachlichen Übertreibungen (Hyperbolik) zu beobachten. Nach einem Fokus auf lexikalische Aspekte zu Beginn der Forschung sind mittler‐ weile viele andere der genannten Bereiche der Jugendsprachen in den Blick der For‐ schung geraten - allein speziell mit der Semantik hat sich die Jugendsprachenforschung bislang weniger intensiv auseinandergesetzt. Dabei bieten jugendliche Sprachstile auch hier einiges an spannenden Reflexionsanlässen, gerade auch für den Deutschunterricht. Dabei kann man anlässlich der Thematisierung von Jugendsprache potenziell sowohl sprachanalytische wie -produktive und -reflexive Kompetenzen fördern (Neuland 2008: 172); die Schüler können strukturelle und funktionale Aspekte des eigenen Sprachge‐ brauchs untersuchen, die Angemessenheit der situativen und funktionalen Verwendung kritisch diskutieren und durch die Thematisierung von Normenpluralität ihr Nor‐ menbewusstsein und ihre Varietäten- und Stilkompetenz ausbauen - auch und ge‐ rade durch die Beschäftigung mit semantischen Phänomenen des Bedeutungswandels und der bewussten, funktionalen bzw. jugendsprachlich funktionalisierten Bedeutungs‐ änderung/ -verfremdung bzw. -zuweisung (Neosemantisierung, zum Beispiel fett ‚gut‘). Denn in diesem Bereich zeigt sich Jugendsprache semantisch als sehr kreativ und innovativ, und diese kreativ-innovative, scherzhafte Seite (Neologismen wie Pit‐ bull-am-Schwanz-Zieher ‚mutiger Mensch‘, Brötchen-über-der-Spüle-Aufschneider/ Schat‐ tenparker/ Elektrogriller ‚penibler, ängstlicher, langweiliger Mensch‘, Bauarbeiterdekolletee ‚beim Bücken sichtbare Poritze‘) gilt es einerseits gegenüber einer oft pau‐ schalen medialen Kritik an Jugendsprache als Sprachverfall unterrichtlich herauszu‐ arbeiten; andererseits kann man an ihr exemplarisch generelle Phänomene von Be‐ deutungswandel aufzeigen (etwa Bedeutungsübertragungen und Metaphorisierungen wie Birne ‚Kopf ‘ oder ätzend ‚abscheulich‘). Schließlich sollte an Jugendsprachen aber auch sprachkritisch herausgearbeitet werden, wo diese problematisch sind. Hiermit sind weniger die typischen, semantisch oft weitgehend entleerten und daher unspezi‐ fischen Vulgarismen aus den Tabubereichen der Sexual- und Fäkalsprache gemeint, wie sie u. a. Androutsopoulos (1998) veranschaulicht: 2 Linguistische Grundlagen 76 <?page no="78"?> Struktur Beispiel Funktion Intensivierungsformativ fuck-, Scheiß- I NT / B E W Zweitglied -kacke, -gewichse B E W Unspezif. Wertsubstantiv So ’ne Wichse! U N S P E ZI F . B E W / S I G NAL Personenbezeichnung Kotzpille, Flachwichser B E W / A N R E D E Abstraktum Beschiß, Wichserei B E W Adjektiv auf -ig kackig, scheißig U N S P E ZI F . B E W Pseudopartizip verfickt U N S P E ZI F . B E W Verb abkacken B E W Konversion scheiße, kacke U N S P E ZI F . B E W / S I G NAL Kollokation N+V Dünnschiß labern B E W Komp. von Phraseolexemen den Arsch hochkriegen B E W Komp. von Routineformeln fick dich ins Knie B E W (Partnerkritik) Abb. 253a: Vulgarismen in der Jugendsprache (Androutsopoulos 1998: 415). INT = Intensivierung, BEW = Bewertung, Komp = Komponente Vielmehr geht es hier um semantisch problematische Beleidigungen wie die diskri‐ minierenden Beschimpfungen als Opfer oder Schwuler, die in ihrer Verfremdung und Entleerung der ursprünglichen Semantik hin zu pejorativen, abwertend-abschätzigen Bewertungsausdrücken als jugendsprachentypisch gelten müssen, deren Brisanz und semantische Mechanismen jugendlichen Sprechern wohl aber nicht immer bewusst sind. Gleichwohl zeigen sich subkulturelle Normen in diesen Begriffen: Wenn jemand jugendsprachlich als Opfer bezeichnet wird, so ist damit niemand gemeint, der tat‐ sächlich in irgendeiner Form Opfer wurde, sondern es wird angedeutet, dass jemand ein potenzielles Opfer ist, weil er offenbar nicht dem subkulturellen Konzept von do‐ minanter, selbstbewusster, starker Männlichkeit entspricht. Gleichzeitig wird damit der Ausgangsbegriff des Opfers pejorisiert und erhält die problematische Konnotation, dass ein Opfer aus charakterlichen Gründen selber Verantwortung für die Opferrolle trägt. Auch die Beschimpfung als Schwuler, die jugendsprachlich keineswegs meint, dass je‐ mand homosexuell ist, verweist auf die subkulturellen Werte der starken Männlichkeit, die jemandem, der als Schwuler beleidigt wird, abgesprochen werden. In Ergänzung und im Überblick lassen sich demnach folgende Themen auf wortse‐ mantischer Ebene nennen, die an Jugendsprache gut zu thematisieren und zu reflek‐ tieren sind: 2.5 Bedeutungsvariation 77 <?page no="79"?> ▸ Neologismen, Scherzbildungen ▸▸ Neosemantisierungen (Bedeutungsverschiebungen, die nicht durch allmähli‐ ▸ chen historischen semantischen Wandel, sondern durch gezielte Bedeutungs‐ veränderung entstehen) ▸ Metaphorisierungen ▸▸ Vulgarismen ▸▸ Beleidigungen ▸▸ Hyperbolik (Übertreibungen) ▸▸ expressiver Charakter und emotionaler Gehalt der Lexik ▸▸ die hohe Bedeutung sozialer Kategorisierungen (z. B. Proll, Penner), von Wer‐ ▸ tungsausdrücken (geil) und Handlungsbezeichnungen (chillen) (vgl. Neuland 2016: 305) In worthistorischer und varietätenlinguistischer Perspektive lässt sich zudem Bedeu‐ tungswandel als Stilausbreitung von der Jugendin die Umgangssprache beschreiben; dies sieht man z. B. an den Wörtern Braut und Penner in jugendsprachlicher Bedeutung: Braut meint hier dann nicht ‚Verlobte, Braut am Hochzeitstag‘, sondern eine ‚Freundin nicht anwesender Jugendlicher‘, oft mit pejorativer Nebenbedeutung; Penner ist in der Jugendsprache kein ‚Stadtstreicher, Obdachloser‘, sondern heutzutage unter Jugendli‐ chen eine fast schon freundliche Anrede für einen Freund (neben der Bedeutung ‚doofer Typ, Trottel‘; vgl. auch Proll, zu Prolet, in der Bedeutung ‚Angeber‘) (Neuland 2008: 77 ff.). Darüber hinaus lässt sich an der Schnittstelle von Semantik und Pragmatik und unter Rückgriff auf interaktionslinguistisch-konversationsanalytische Methoden ein wei‐ teres Phänomen besonders gut an Jugendsprache reflektieren: die Aushandlung von Bedeutung und Bedeutungsaspekten scheinbar universell einsetzbarer Ausdrücke im Diskurs. Hintergrund ist die Beobachtung, dass viele jugendsprachliche (v. a. Wer‐ tungs-)Ausdrücke wie etwa cool, geil, fett, ätzend, assi auf den ersten Blick semantisch weitgehend entleert wirken und eine nicht selbstevidente, nur sehr unkonkrete Be‐ deutung bzw. ein sehr breites Bedeutungspotenzial aufweisen, das erst im jeweiligen kommunikativen Kontext spezifiziert wird oder ausgehandelt werden muss; es über‐ wiegt die pragmatische (evaluative) Funktion. Diese unspezifische Bedeutung, die wenig mehr als eine generelle expressive positive oder negative Evaluation beinhaltet, wurde bereits mit Verweis auf die Vulgarismen und Beleidigungen angedeutet. Dep‐ permann (2002) zeigt diese dann im Verwendungskontext vorgenommene Bedeu‐ tungsaushandlung und -spezifizierung eindrucksvoll am Beispiel von assi. Dabei wird deutlich, dass im jeweiligen konkreten Kontext durchaus eine spezifische Se‐ mantik zu erkennen ist bzw. entsteht und dass Bewertungsausdrücke wie assi für eine ( Jugendlichen-)Gruppe eine hohe Bedeutung für die soziale Kategorisierung ein‐ nehmen, weil sie die Sicht der Jugendgruppe auf die Lebenswelt und eigene Identität verdichtet auszudrücken vermögen. Die kontextspezifische Bedeutung entsteht, so 2 Linguistische Grundlagen 78 <?page no="80"?> Deppermann, durch so genannte „Praktiken der lokalen semantischen Elaboration“ (2002: 177). Hierzu zählt er unter anderem (ebd.: 177 ff.): ▸ die referenzielle Explikation, bei der Bewertungsausdrücke (z. B. Adjektive) ei‐ ▸ nerseits dargestellte Objekte oder Sachverhalte bewerten, diese Objekte/ Sach‐ verhalte andererseits aber wiederum die kontextspezifische Bedeutung des Be‐ wertungsausdrucks explizieren; ▸ die Konstruktionen hypothetischer beziehungsweise fiktiver Szenarien; ▸▸ die expressive Enaktierung. Sie dient „besonders durch prosodische und phone‐ ▸ tische Gestaltung (singende Intonation, Dehnung, stimmhaftes / s/ et cetera), Lachen, Interjektionen und Onomatopöie, […] spezifisch der Realisierung von affektiven Bedeutungskomponenten (wie EKEL, UNTERHALTUNG)“ (ebd.: 179). Deppermann konzediert jedoch einschränkend, dass es „oft schwer einzuschätzen [ist], welche semantische Relevanz einzelne Aktivitäten für die lokale Interpretation eines Ausdrucks haben“ (2002: 180), da die Bedeutungsspezifikation eine Gesamtwirkung verschiedener Aktivitäten sei. Häufiger könne „die Bedeutung größerer Einheiten (wie Phrasen, Beiträgen oder Sequenzen) eindeutiger festgestellt werden als die spezifische, inkrementelle Wortinterpretation“ (ebd.). Ergänzend zur Wortinterpretation kann je‐ doch eine sequenzstrukturelle Analyse vorgenommen werden, die erhebt, wo innerhalb einer Konversation ein Wort auftaucht (als Vorankündigung, Kommentar, Konklu‐ sion …) - und was demnach seine Bedeutung (i.S.v. Funktion) sei. Bezüglich assi kommt Deppermann so zu dem Fazit: „Die sequenzstrukturelle Analyse macht […] deutlich, dass assi die Semantik bewertender und interaktionsmodalisierender Rahmung hat. Im Besonderen ist es eine Kategorisierung, die konstitutiv für moralisch-unterhaltsame Genres sein kann, so etwa für Klatscherzählungen, spielerische Ermahnungen und Kritik oder für den Bericht und die Fiktion extremer Begebenheiten“ (ebd.: 181). Das Problem der linguistischen Beschreibung und unterrichtlichen Thematisierung von semantischen Phänomenen der Jugendsprache liegt allerdings neben diesen um‐ fangreichen und methodisch aufwändigen konversationsanalytischen Analysen darin, dass wenige seriöse semantische Beschreibungen jugendsprachlicher Lexeme vor‐ liegen und generell ein Problem der mangelnden Authentizität öffentlich diskutierten jugendsprachlichen Wortschatzes in Wörterwie Schulbüchern zu konstatieren ist (Neuland 2016: 304): Der offensichtlich ökonomisch lukrative Markt der jugendsprach‐ lichen Wörterbücher ist geprägt von künstlichen Inszenierungen einer (Pseudo-)Ju‐ gendsprache, die zudem dekontextualisiert dargeboten wird (Kispál 2013: 87), was, wie man gesehen hat, wenig aussagekräftig ist. Zudem findet sich in Lehrbuchtexten oft eine übertriebene, unrealistische Dichte an (pseudo-)jugendsprachlichen Wörtern. In allgemeinsprachlichen Wörterbüchern wird die Jugendsprachlichkeit von Lexemen oft in den Stil-Konnotationen (als umgangssprachlich, salopp, Jargon oder derbes Sprach‐ register) ausgewiesen (Gerdes 2007: 247). Hierbei lässt sich erkennen, dass Jugend‐ sprache (zumindest in der Wahrnehmung durch allgemeinsprachliche Wörterbücher) 2.5 Bedeutungsvariation 79 <?page no="81"?> offenbar dazu tendiert, bestimmte semantische Felder abzudecken, wie Kispál (2013: 92) sie zusammenstellt: Wertadjektive abgefuckt, affenstark, angesagt, ätzend, beinhart, cool, fetzig, flippig, geil, happy, hart, heiß, irre, krass, schrill, stark, super, tierisch Personenbezeichnungen Braut, Grufti, Laschi, Looser, Macker, Scherzkeks, Tussi, Typ Freizeit, Musik, Auto abhängen, Fete, in (sein), Message, Raver, (irgendwo ist) tote Hose, ein heißer Ofen Soziales, verbales Verhalten abchecken, aufmischen, frusten; Trouble; aufs Blech hauen Eltern, Schule (in etw.) durchsteigen, etw. verhauen, jmd. etw. verklickern; (jmds.) alter Herr Sexualität Quickie Alkohol und Drogen Junkie Intensivpartikeln, Anrede, Gruß hallo Sonstiges Feeling, (irgendwohin) fetzen, logo, Power, (irgendwohin) ti‐ gern; Das geht ja ab hier! , die Arschkarte ziehen, (keinen/ null) Bock auf etw. haben, das bringts (voll), etw./ das fetzt, auf etw. geil sein Abb. 253b: Die semantischen Felder der jugendsprachlich markierten Lexik im LGwDaF [Lan‐ genscheidt e-Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache 5.0] und PGwDaF [PONS Großwörter‐ buch Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart: Klett 2008] (Kispál 2013: 92) Allerdings können allgemeinsprachliche Wörterbücher nur schwer „soziokulturelle Konnotationen und stilistische Gebrauchspräferenzen jugendsprachlicher Wörter und Wendungen [erfassen, die] durch die Verbreitung in andere Kontexte [„Restandardi‐ sierung als Stilverbreitung“, Neuland 2008: 80] verloren[gehen]“ (Neuland 2016: 305). Doch nicht nur im Bereich der Wortsemantik bietet Jugendsprache linguistisches wie sprachdidaktisches Potenzial; auch auf syntaktischer Ebene lässt sich über Bedeu‐ tungsvariation reflektieren. Hierzu zählen einerseits die kreative Sprüchekultur (Fighting for Peace is like Fucking for Virginity; Wer A sagt, muß auch Bomben werfen) wie generell die jugendsprachlichen Phraseolexeme und Phraseologismen (drauf sein, etwas drauf haben, alles geben); andererseits finden sich aber auch semantische Phä‐ nomene auf Satzebene, die aktuell vor dem Hintergrund des ethnolektalen Deutsch diskutiert werden, das mit Heike Wiese (2012) bisweilen als Kiezdeutsch bezeichnet wird. Insbesondere ist hier eine Reduktion der Verben und, damit einhergehend, eine Ausweitung der Verwendung weniger anderer Verben zu beobachten, die entsprechend semantisch entleert werden (semantische Bleichung bei Heike Wiese und ihrer Ar‐ beitsgruppe: www.kiezdeutsch.de/ sprachlicheneuerungen.html, 17.01.2020) und ihre 2 Linguistische Grundlagen 80 <?page no="82"?> spezifische, vom Standarddeutschen abweichende Bedeutung erst im konkreten Kon‐ text erhalten - durch die Semantik der dazugehörigen Nominalgruppe: „Bei einem Satz wie Machst du rote Ampel führt diese Bleichung des Verbs dazu, dass er eben nicht bedeutet, dass jemand im wahrsten Sinne des Wortes eine rote Ampel macht/ erzeugt/ herstellt, sondern dass jemand bei Rot über die Ampel geht“ (ebd.). In einem anderen Kontext und Satz wie Ich mach Dich Messer sorgt das Nomen Messer dafür, dass machen die Bedeutung ‚erstechen, umbringen‘ erhält. Die Arbeitsgruppe um Heike Wiese ver‐ weist hier auf die Analogie zu den so genannten Funktionsverbgefügen aus seman‐ tisch gebleichten Verben und grammatisch vereinfachten, oft artikellosen Nomen oder Nominalgruppen im Standarddeutschen (Angst machen, Pfötchen geben, Krawatte tragen, zur Aufführung bringen). In solchen Konstruktionen liefert das Nomen „den Hauptinhalt, während das Verb die wesentliche grammatische Arbeit leistet und das Nomen in den Satz integriert“ (ebd.). In didaktischer Perspektive lässt sich resümieren, dass Jugendsprache eine ideale Form der Sprachvariation ist, um hiervon ausgehend im Deutschunterricht sprachkri‐ tische (Reflexion über Vulgarismen, Beleidigungen, Wortfelder usw., vgl. auch Kilian 2016a) und semantikorientierte (Pohl 2016) Wortschatzarbeit mit dem Ziel der Wort‐ schatzvertiefung (vgl. Kapitel 3.3, 3.6.3, 3.6.4) zu betreiben. Nicht nur kann man bei der Thematisierung jugendsprachlicher Semantik sehr gut zeigen, wie Bedeutungs‐ wandel und -verschiebung funktioniert und wie semantische Informationen und neue Teilbedeutungen und Bewertungen an bereits vorhandene anknüpfen und sich damit in vorhandene Wörternetze semantisch einfügen. Sondern generell können seman‐ tische Grundbegriffe und -relationen wie Konnotation, Polysemie, Synonymie oder das Erlernen der Verwendungsregeln (kontextuelle bzw. situative Angemessenheit) eines Wortes (vgl. assi; Penner) ebenso reflektiert werden wie die Entstehung von Bedeutung aus dem Verwendungskontext und sprachlichen Umfeld. Übung 253a Sammeln Sie weitere aktuelle Beispiele, a) die die semantische Entleerung bei gleichzeitiger emotionaler Aufladung im Bereich der Jugendsprache und b) die das Phänomen der Neosemantisierung veranschaulichen. Übung 253b Sammeln Sie verschiedene Satzbeispiele und kontextuelle Bedeutungen für die Verwendung des jugendsprachlichen Lexems cool und arbeiten Sie die jeweiligen Bedeutungsunterschiede heraus. Überlegen Sie sich dann, wie und wozu (Lern‐ ziele) Sie die Bedeutungsvielfalt von cool im Deutschunterricht - mit welcher Al‐ tersgruppe/ Jahrgangsstufe - thematisieren würden. Übung 253c Sammeln Sie aktuelle Beispiele für die jugendsprachliche Sprüchekultur und (er)klären Sie deren Funktionsweise und Semantik. 2.5 Bedeutungsvariation 81 <?page no="83"?> Übung 253d Sammeln Sie Lernziele, die Sie mit der Reflexion der Begriffe Opfer und Schwuler in jugendsprachlicher Verwendungsweise/ Bedeutung im Deutschunterricht ver‐ binden würden. Übung 253e Deppermann (2002: 178) schreibt: „Ganz allgemein bilden bewertende Adjektive und die von ihnen bewerteten Ob‐ jekte und Sachverhalte einen Evaluations-Explikations-Komplex: Mit Bewer‐ tungsausdrücken wird Dargestelltes bewertet; das Dargestellte selbst fungiert je‐ doch als Explikation der spezifischen Bedeutung, die der Bewertungsausdruck im gegebenen Kontext annimmt. Gehen wir vom evaluativen Matrixsatz: ‚A ist B‘ aus, wobei A ein Objekt beziehungsweise eine Person, ein Ereignis, eine Handlung oder einen Zustand bezeichnet und B ein Bewertungsausdruck ist, dann gilt: A wird durch B bewertet, während die lokale Bedeutung von B durch A spezifiziert wird. Die referenzielle Explikation gibt an, in welcher Hinsicht etwas gut oder schlecht ist, sie verdeutlicht die spezifische Qualität (wie SCHNORREN, EKEL, SUBVERSION), die als lokales semantisches Merkmal gilt.“ Erläutern Sie diese Aussage und insbesondere den Begriff referenzielle Explikation in eigenen Worten und finden Sie Beispiele. 2.5.4 Geheimsprachen Jugendsprachen sind ein „Klassiker“, wenn in der Schule über sprachliche Variation reflektiert werden soll - das zeigt die Häufigkeit der expliziten Nennung von Jugend‐ sprache als Thema in den Curricula sowie die Thematisierung in didaktischer Literatur. Eine nicht weniger interessante und für Schülerinnen und Schüler motivierende Va‐ rietät stellen aber sicherlich die weniger bekannten, zu den Soziolekten und Grup‐ pensprachen gehörenden Sondersprachen dar (vgl. Efing 2009, 2015b), die oft funk‐ tional reduzierend, aber eventuell durchaus schultauglich und sinnvoll in Hinblick auf Unterricht und Schülermotivation als Geheimsprachen bezeichnet werden. An vielen Stellen wird in der didaktischen Literatur der zentrale Wert der Thematisierung von Soziolekten (tendenziell in der zweiten Hälfte der Sekundarstufe II, vgl. Neuland 2004: 5 f., 2006: 12) betont, und auch die Curricula erwähnen Gruppensprachen als zu the‐ matisierende Varietät, jedoch finden sich hierzu - außer einem Beitrag von Eva Neu‐ land (2016) zu Gruppensprachen - kaum Publikationen und konkrete (Schulbuch-)Vor‐ schläge. Dabei bieten Geheimsprachen gerade für die Reflexion über semantische Besonderheiten ein großes Potenzial - in verschiedenen Klassenstufen sowie im fach‐ übergreifenden Unterricht. Während bei der Thematisierung von Variation im Deutschunterricht der Aus‐ gangspunkt oft „Alltagserfahrungen mit der Variation“ (Neuland 2006: 13) sind, bieten Sondersprachen ganz im Gegenteil den Vorteil, dass sie einerseits einen distanzierten 2 Linguistische Grundlagen 82 <?page no="84"?> Blick auf einen unbekannten Ausschnitt der deutschen Sprache ermöglichen, der an‐ dererseits den Reiz des Geheimnisvollen, Unbekannten, Exotischen trägt, da die we‐ nigsten Schülerinnen und Schüler zuvor von der Existenz dieser oft geheimsprachlich genutzten Sondersprachen und der jeweiligen Sondersprachensprecher in zahlreichen Regionen Deutschlands wissen dürften. Bereits in der Grundschule ließe sich an der Semantik von Sondersprachen arbeiten, zum Beispiel in Verbindung mit dem Sachun‐ terricht zum Thema „Räuberbanden“ und in spielerischer Form wie bei Fremdsprachen. Für solch eine sprachreflexive Thematisierung von Sondersprachen, die seit dem 19. Jahrhundert (zunächst insbesondere von Kriminologen) untersucht und spätestens seit Friedrich Kluges Quellensammlung „Rotwelsch“ (1901) auch sprachwissenschaft‐ lich wahrgenommen werden, wird im Folgenden die (sozio-)linguistische Grundlage gelegt. Dabei steht einer (von drei prinzipiellen, Efing 2009) Typen von Geheimspra‐ chen im Fokus, der für semantische Aspekte besonders interessant sind: die soge‐ nannten Mischsprachen. Diese werden so bezeichnet, da ihre Basis der Wortschatz und die Grammatik des Deutschen bzw. eines deutschen Dialekts bildet und die Un‐ verständlichkeit bzw. Geheimsprachlichkeit durch Integration von neuem Wortschatz (ungewöhnliche Wortbildungen oder Fremdwortschatz aus sog. Spendersprachen) erreicht wird. Es werden also einzelne, semantisch zentrale Wörter substituiert, statt das Textganze zu verfremden. Ein Beispielsatz wäre: Der fremde Bauer ist dumm. > Der fremde hacho ist nerbelo. Die bekanntesten Vertreter dieses Typs der Mischsprachen sind das sog. Jenische und die sog. Rotwelsch-Dialekte des Deutschen, bei denen es sich um habituelle und nicht nur transitorische Soziolekte (vgl. Löffler 2010: 115) der entsprechenden Sprechergruppen handelt, um einen jeweils eigenen kleinen, aber in gewisser Weise umfassenden sprachlichen und kulturellen Mikrokosmos, der deutliche Spuren in der lexikalischen Semantik dieser Sondersprachen hinterlässt: Eine Geheim‐ sprache entsteht sinnvollerweise nur dort, wo es eine Notwendigkeit der Verschleie‐ rung außersprachlicher Sachverhalte gegenüber außenstehenden Dritten gibt. Die Se‐ mantik kann somit die Gründe für das Sprechen einer Sondersprache erhellen, da „Sozialhistorie und Lexik solcher Sondersprachen zusammen[spielen]“ (Siewert 2003: 359). Denn man darf erwarten, dass diejenigen Bereiche des Wortschatzes verdunkelt werden, die, unabhängig von einer verschleierungswürdigen Bedeutung, im Alltag einen wichtigen Stellenwert für die Sprecher haben. Wenn man bei einem Sprecher von einem individuellen sondersprachlichen Wortschatz von wenigen hundert Wör‐ tern ausgeht, wird deutlich, dass längst nicht alle Sachbereiche der Lebenswelt ge‐ heimsprachlich ausgedrückt werden können, sollen und müssen. Die Auswahl der ver‐ dunkelten Bereiche gewinnt dadurch eine hohe Aussagekraft bezüglich der Funktion und der Anwendung einer Geheimsprache. Der Zugriff auf die sprachliche Welt einer Gruppe lässt somit Rückschlüsse auf deren Lebenswelt und Lebensweise (soziale Be‐ ziehungen/ Wirklichkeit, Bewertungen wie relevant/ irrelevant, gut/ schlecht …) zu und gewährt einen Einblick in die Geistes- und Sozialgeschichte der betreffenden Gruppe. 2.5 Bedeutungsvariation 83 <?page no="85"?> Um diesen Konnex zwischen Semantik und Lebenswelt ziehen zu können, wird im Folgenden zunächst überblicksartig die Entstehung geheimsprachlicher Mischspra‐ chen in Deutschland nachgezeichnet. Im 12./ 13. Jahrhundert entsteht im deutschen Sprachraum das lange Zeit als Gau‐ nersprache bezeichnete Rotwelsch (I), eine Geheimsprache, die sich schnell unter Nicht-Sesshaften verbreitet und die Basis für die heutigen Rotwelsch-Dialekte (Rot‐ welsch II) liefert. Das Rotwelsch ist eine Mischsprache, da es seine Grammatik und seinen Wortschatz aus unterschiedlichen Quellen bezieht. Die Lexik besteht aus einer Ansammlung von Lexemen unterschiedlichster Varietäten (Mundart, Standardsprache, Umgangssprache) und Sprachen (zu Beginn etwa Latein, Jüdischdeutsch, später vor allem auch Romani-Dialekte). Hinzu kommen rotwelsche Umbildungen, Verfrem‐ dungen deutschen Sprachmaterials. Da Rotwelsch immer Zweitsprache, nie Mutter‐ sprache gewesen ist, hat es im Normalfall auch keine eigene Grammatik und Syntax ausgebildet. Grundlage für die übernommenen Wörter aus Spendersprachen war also immer der jeweilige Dialekt des Sprechers, der die sprachliche Ummantelung für das sondersprachliche Lexeminventar bildete. Allgemein zur Entwicklung des Lexembestandes und der Geheimsprache kann man sagen, dass das Rotwelsch in sich historisch aufgrund spezieller, sich wandelnder sozio-politischer Rahmenbedingungen und Entwicklungen und damit sich verän‐ dernder Sprechergruppen und wechselnder Bedeutsamkeit unterschiedlicher Spender‐ sprachen dreifach geschichtet ist: Die Wörter aus der Zeit ab dem 14. Jahrhundert sind im Liber Vagatorum (1510) zusammengefasst; eine zweite Welle entstammt der Zeit vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zum Ausgang des napoleonischen Zeitalters; die dritte Schicht ist das bis heute lebende Rotwelsch, dessen Wortbestand auf der zweiten Schicht aufbaut, aber aufgrund einer weitestgehenden Ansiedlung der Spre‐ cher regionale Eigenheiten entwickelt und sich so ortsspezifisch in sogenannte Rot‐ welsch-Dialekte ausdifferenziert hat. Hiermit schwand gleichzeitig die relativ einheit‐ lich benutzte Bezeichnung Rotwelsch zugunsten von Eigenbezeichnungen wie Jenisch, Emmes, Masematte, Manisch usw. Die Sprechergruppen des Rotwelschen und der Rotwelsch-Dialekte waren Vagie‐ rende und Räuber(banden), aber auch nicht-sesshafte Berufsgruppen jeglicher Couleur wie etwa fahrende Händler, Hausierer, Schausteller, Zirkusleute und Artisten. Eine be‐ sondere Gruppe innerhalb der Rotwelsch-Sprecher stellen bis heute die Jenischen dar, die im gesamten (v. a. west-)europäischen Sprachraum vertreten sind und um ihre An‐ erkennung als soziale und sprachliche Minderheit kämpfen - ein Status, der ihnen bislang nur in der Schweiz zuteil wurde (vgl. Efing 2019). Im Folgenden soll exempla‐ risch das Jenische als typischer Vertreter des Typs 1 der Sondersprachen erläutert werden. Das Jenische hat sich historisch aus dem Rotwelschen entwickelt und dessen sprachtypologischen Eigenschaften übernommen. Zwar geht der Sprachname Jenisch auf ein Romani-Wort (džanel ‚wissen, kennen‘) zurück (das Jenische ist also die ‚Sprache 2 Linguistische Grundlagen 84 <?page no="86"?> der Wissenden, Eingeweihten‘), doch ist Jenisch eindeutig als germanische Sprache einzuordnen, die über das Rotwelsche auf den mittelhochdeutschen Dialekten fußt. Jenisch zeichnet sich als Sondersprache vor allem durch eine Sonderlexik aus, wobei ein einzelner Sprecher zumeist über einen Sonderwortschatz von 300-500 Basismor‐ phemen verfügt. Die Lexik besteht aus einer Ansammlung von Lexemen unterschied‐ lichster Varietäten des Deutschen (Mundart, Standardsprache, Umgangssprache, mittel‐ alterliches Rotwelsch; insg. mindest. 50 % der Basismorpheme des Sonderwortschatzes) und aus sog. Spendersprachen (vor allem aus den Romani-Dialekten [8-22 %] und dem Jüdischdeutschen [rund 15 %], vereinzelt auch aus dem Lateinischen und anderen roma‐ nischen Sprachen [insg. bis zu 10 %] sowie bisweilen auch geringfügig aus slawischen Sprachen [selten mehr als 1 %] etc.). Hinzu kommen morphologische und/ oder seman‐ tische Umbildungen und Verfremdungen deutschen Sprachmaterials (z. B. Roller ‚Eisenbahn‘, Schneidling ‚Messer‘, Staubert ‚Mehl‘, Plauderer ‚Lehrer‘), die aber jeweils existierende Wortbildungsmuster des Deutschen zur Basis haben. Semantische Besonderheiten ergeben sich dabei sowohl bei den deutschstämmigen wie bei den spendersprachlich übernommenen Lexemen. Im Folgenden werden die meisten Phänomene exemplarisch am Schwarzwälder Rotwelsch-Dialekt Lützen‐ hardter Jenisch (Efing 2005), der als typischer Vertreter gelten kann, dargestellt. Im Bereich der deutschstämmigen Lexeme betrifft dies vor allem die Wortbil‐ dung. So werden einerseits intensiv Derivationen mit bestimmten, im Standarddeut‐ schen oft seit langem unproduktiven Suffixen (z. B. -ert, für das es im Hundeshagener Kochum 68 Derivate gibt, Weiland 2003: 368 f.) verwendet - und dies auf eine seman‐ tisch eher untypische Weise. Dies lässt sich gut am Beispiel des für das Rotwelsche typischen (im Lützenhardter Jenisch zum Beispiel finden sich 65 ling-Derivate) Suffixes -ling zeigen, das mit deutschen wie spendersprachlichen Lexemen verbunden werden kann, um Lebewesen oder Gegenstände zu bezeichnen: Basis der Derivation können dabei Adjektive (Weißling ‚Milch‘), Verben (Schwimmling ‚Fisch‘) und Substantive (frz. pomme ‚Apfel‘ > Pommerling ‚Apfel‘) sein, die auf eine bestimmte Eigenschaft des Re‐ ferenzobjekts verweisen. Auf semantischer Ebene sind dabei Differenzen zwischen den jenischen und den standarddeutschen -ling-Derivaten zu verzeichnen, die im Stan‐ darddeutschen oft eine pejorative Bedeutung oder Konnotation aufweisen (Fiesling; Schreiberling ‚despektierlich: Journalist‘), die sie im Jenischen aber nie haben (vgl. Efing 2005: 129 f.). Kennzeichnend für viele -ling-Derivate ist eine relative semantische Un‐ bestimmtheit, die häufig mit Polysemie bzw. Homonymie einhergeht (Brandling ‚Ku‐ chen; Schnaps; Feuerzeug/ Streichholz‘; Grünling ‚Jäger; Salat‘; Süßling ‚Zucker; Honig; Wein‘), die aber in der fast immer ausschließlich mündlichen und damit kontextuali‐ sierten und semantisch vereindeutigenden Kommunikation zu keinen Missverständ‐ nissen geführt hat. Zum Verständnis der jeweiligen Semantik war es ausschließlich wichtig, das grundsätzliche Wortbildungsprinzip zu kennen. -ling-Derivate eignen sich demnach auch gut für Spontanbildungen, so dass nur ein Teil der Bildungen als fest lexikalisiert gelten kann; dies belegt auch die Existenz zahlreicher Synonyme als 2.5 Bedeutungsvariation 85 <?page no="87"?> ling-Derivate wie z. B. Läufling/ Platling/ Trittling ‚Fuß‘ oder Scharfling/ Schneidling/ Stichling ‚Messer‘. Über die Derivation hinaus sind semantisch aber insbesondere geheimsprachliche Verfremdungsverfahren interessant, die auf der Verwendung von bildhaften wie scherzhaften Ausdrücken, Metaphern, Metonymien, Euphemismen, Rätselwör‐ tern usw. als Mitteln der sprachlichen Verschleierung basieren (vgl. von Polenz 1991: 212; Jütte 1988: 155). Dieses Verfahren ermöglicht es den Geheimsprachen, problemlos Wörter oder Morpheme aus dem Standarddeutschen oder deutschen Dialekten zu übernehmen, die dann im Bereich der Semantik verändert werden, was durch Wort‐ bildungsprozesse unterstützt werden kann. Zahlreich sind vor allem Simplizia, die auf diese Weise geheimsprachlich funktio‐ nalisiert werden. Hierbei wird, wie bei den ling-Derivaten, häufig ein Charakteristikum des zu bezeichnenden Gegenstandes als Bezeichnung für diesen Gegenstand ver‐ wendet, so etwa bei den metonymischen Bildungen Fuchs ‚Gold‘ oder Schwertz ‚Nacht‘ aufgrund der Farbe. Etwas weniger offensichtlich sind die Bedeutung(zuweisung)en in Lexemen wie Galm ‚Kind‘ zu deutsch galmen ‚schreien‘; Kracher ‚Wald‘, Lolo ‚Land‐ jäger‘ (vermutlich zu Romanes lolo ‚rot‘ als Hinweis auf die ursprünglich roten Uniformaufschläge; andererseits gilt rot auch als die negativ konnotierte Farbe des Linken, Falschen). Weitere der zahlreichen Lexeme, deren Bedeutungszuweisung (auf häufig analoge Weise zu anderen Lexemen) bildhaft, metaphorisch oder metonymisch ist, sind etwa: Muffnagel ‚Zigarre‘; Steinhäufle ‚Stadt‘; Plauderer ‚Lehrer‘; Galmenguffer ‚Lehrer‘ (< Galm ‚Kind‘, guffen ‚schlagen‘). Soziohistorisch spannend sind solche Bildungen deshalb, weil sie in ihrer Bildhaftigkeit einen Einblick in die Werte und soziale Positionierung einer Sprechergemeinschaft gewähren und verraten, welche anderen Gruppen etwa als sozialer Gegner oder ge‐ nerell negativ angesehen gelten (vgl. Galmenguffer/ Plauderer ‚Lehrer‘, Pegerer/ Peege‐ repflanzer oder Mulumpflanzer ‚Arzt‘, wörtlich jeweils: ‚Totmacher‘). Eine andere Funktion haben Euphemismen wie etwa Kistleshochzeit ‚Beerdigung‘ und Kittchen/ Kittle ‚Gefängnis‘ (Diminutiv zu Kitt ‚Haus‘, also ‚kleines bzw. enges Haus‘), die tabuisierte oder negativ besetzte Begriffe durch die scherzhaft-bildhafte Semantik kommunizierbar machen sollen. Solche bildhaften und auch euphemistischen Ausrücke sind prinzipiell ein Ver‐ fahren, das auch aus anderen Varietäten des Deutschen bekannt ist, gerade in Tabu‐ bereichen. Es gibt aber auch ein semantisches Phänomen im Bereich der Rot‐ welsch-Dialekte, das vermutlich als geheimsprachliches Spezifikum gelten kann und bei dem sich die Semantik deutscher oder fremdsprachlicher Wörter nicht im Rahmen eines längeren historischen und natürlichen Prozesses des Bedeutungswandels ändert, sondern bei dem die Semantik eines Lexems im Moment der Integration in die Ge‐ heimsprache bewusst und gezielt künstlich verändert wird. Mit Siewert (2000: 158) nennt man diesen Prozess in Abgrenzung zu semantischem Wandel und unter 2 Linguistische Grundlagen 86 <?page no="88"?> Betonung des „agitatorischen Faktor[s]“ hierbei eine semantische Verwandlung, während Jütte hierfür den anschaulichen Terminus des „gewaltsame[n] Bedeutungs‐ wechsel[s]“ benutzt (1988: 155); Matras spricht von „semantischer Umorientierung“ (Matras 1996: 54) und Roth von „semantischer Verfremdung“ (2001: 78). Der Unter‐ schied zwischen semantischer Verwandlung und der ebenfalls bewusst gesteuerten Neosemantisierung (vgl. Kapitel 2.5.3), wie sie etwa in der Jugendsprache (fett ‚toll, gut‘), aber auch in Geheimsprachen (vgl. Siewert 2003: 217) vorkommt, ist dabei in der Anzahl der am Vorgang beteiligten Sprachen zu suchen: Während mit Neosemantismus eine Form bezeichnet wird, die innerhalb einer Einzelsprache und ihrer Varietäten, etwa Hochsprache/ Jugendsprache, auf der Bedeutungsseite verändert wird, die also eine neue Bedeutung zugewiesen bekommt, vollzieht sich der manipulative Eingriff bei der semantischen Verwandlung im Moment des Übergangs von einer in eine andere Sprache, also bei der Integration des spendersprachlichen Lexems in die Geheim‐ sprache. Während im Fall der Neosemantisierung der Außenstehende quasi in die Irre geführt wird, da er glaubt, das scheinbar hochsprachliche Lexem zu verstehen, tat‐ sächlich aber die neue Bedeutungszuweisung durch die Sprecher nicht durchschaut, kennt beziehungsweise versteht er im Fall der semantischen Verwandlung normaler‐ weise erst gar nicht das betreffende Lexem, und wenn dies doch der Fall sein sollte, (er)kennt er auch hier nicht die neu zugewiesene Bedeutung. Daher kann man im Fall der semantischen Verwandlung von einer doppelten Kodierung und damit Absicherung des Vokabulars gegenüber einer möglichen Aufdeckung durch Außenstehende spre‐ chen: Siewert (2000: 159) unterscheidet zwei Grundtypen semantischer Verwandlung: 1. Die radikale semantische Verwandlung (semantische Antonymie), die die 1. Bedeutung eines spendersprachlichen Lexems bei der Integration in die Son‐ dersprache antonymisch verkehrt. 2. Die partielle semantische Verwandlung, bei der die Bedeutung des spender‐ 2. sprachlichen Lexems „mehr oder minder stark“ verändert wird. Siewert unter‐ scheidet hier zwischen „(a) spendersprachlichen Lexemen, deren in der Sonder‐ sprache verwandelte Bedeutung in keiner erkennbaren Beziehung mehr zur Bedeutung des Wortes in der Spendersprache steht und (b) Fällen, in denen die veränderte Bedeutung in einer in irgendeiner Weise motivierten Beziehung zur Bedeutung des Lexems in der Spendersprache steht“ (ebd.). In letzterem Fall (2b) könnte man eine weitere Unterscheidung zwischen einer Bedeutungserweite‐ rung bzw. Bedeutungsverengung der ursprünglichen Bedeutung treffen. Beispiele für eine radikale semantische Verwandlung (semantische Antonymie) finden sich generell in Rotwelsch-Dialekten nur sehr selten, vermutlich da sie, wenn jemand das Prinzip einmal verstanden hat, leicht zu durchschauen ist. Angesichts zum Teil noch ungeklärter Etymologien kann zudem nicht immer sicher auf die zugrunde lie‐ genden semantischen Prozesse rückgeschlossen werden. Im Lützenhardter Jenisch kann in mehreren Fällen nur vermutet werden, dass eine radikale semantische Ver‐ 2.5 Bedeutungsvariation 87 <?page no="89"?> wandlung stattgefunden hat. Hierzu zählt der Fall debel ‚Gott, Teufel‘ (< rom. devel ‚Gott‘), wobei bereits die Koexistenz beider Bedeutungen, ‚Gott‘ und ‚Teufel‘ zugleich, gegen die Annahme einer radikalen semantischen Verwandlung spricht. Es ist hier tatsächlich eher von einem natürlichen Wandel, keiner bewussten Verwandlung aus‐ zugehen, denn der wahrscheinliche Weg der Bedeutungsverschiebung ist leicht nach‐ vollziehbar: Zunächst ist festzustellen, dass nur wenigen Lützenhardtern das Simplex debel bekannt ist, während viele das Kompositum barodebel ‚Teufel, Tod, Gott‘ (< rom. devel und rom. baro ‚groß‘) kennen. Immer, wenn etwas Schlimmes passierte, sagte man, analog zum Deutschen, baro debel ‚großer Gott‘, im Sinne von ‚oh, mein Gott; ganz schlimm‘, das als Bedeutungsangabe für das Lützenhardter Jenisch ebenfalls über‐ liefert ist. Das Simplex debel benutzte man offensichtlich nie außerhalb dieser Wen‐ dung. barodebel scheint somit ausschließlich als Interjektion für etwas Negatives ver‐ wendet worden zu sein, nie in neutralem beziehungsweise religiösem Zusammenhang für ‚Gott‘: Die Bedeutungsangabe ‚Teufel‘ ist demnach ebenfalls lediglich im Sinne von ‚verflixt noch mal‘ zu interpretieren, nicht als Begriff für die Gestalt des ‚Teufels‘ als Gegenspieler zu ‚Gott‘. Eine tatsächliche Bedeutungsverschiebung scheint demnach gar nicht vorzuliegen; vielmehr wurden spendersprachliche Elemente in identischen Situationen analog zur Standardsprache (‚oh, mein Gott‘) verwendet. Die anderen „Verdachtsfälle“ sind noch zweifelhafter. Während demnach Beispiele für eine (eindeutige) radikale semantische Verwand‐ lung im Lützenhardter Jenisch fehlen, finden sich hingegen mehrere Beispiele für die Typen 2a) und 2b). Für die im Lützenhardter Jenisch kleine Gruppe 2a), also Lexeme, deren neue, ver‐ wandelte Bedeutung in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Bedeutung des Lexems in der Spendersprache steht, kann angeführt werden: rom. kambana ‚Uhr, Glocke‘/ lat. campana ‚Glocke‘ > Lützenhardter Jenisch (lj.) gambane ‚Zigarette‘. Das Problematische an dieser Gruppe liegt zum einen darin, dass man in diesen Fällen letztlich oft nur vermuten kann, dass man die etymologische Herkunft korrekt be‐ stimmt hat, da die semantische Übereinstimmung von spendersprachlichem und ge‐ heimsprachlichem Wort als Indiz für die Korrektheit der Herleitung eben nicht gegeben ist. Zum anderen kann nicht immer mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass bei der verwandelten Bedeutungsangabe ein Sprecherirrtum zugrunde liegt und Ursache für die vermeintliche geheimsprachliche Bedeutung ist. Die Annahme eines Sprecherirr‐ tums erhöht sich bei mangelnder Bestätigung der unzusammenhängend verwandelten Bedeutung durch weitere Sprecher, wie etwa im Falle von gambane ‚Zigarette‘, zumal sich im Lützenhardter Jenisch auch unverwandeltes gambane ‚Uhr‘ findet. Wesentlich mehr und eindeutigere Beispiele finden sich für Repräsentanten der Gruppe 2b), bei denen es sich um eine partielle semantische Verwandlung handelt, die in einer in irgendeiner Weise motivierten Beziehung zur Bedeutung des Lexems in der Spendersprache steht. Problematisch ist jedoch, dass man im Einzelfall nicht immer ausschließen kann, dass es sich hier schlicht um semantischen Wandel und eben nicht 2 Linguistische Grundlagen 88 <?page no="90"?> um semantische Verwandlung handelt. Potenzielle Beispiele für semantische Verwand‐ lung im Lützenhardter Jenisch sind: schwäb. dachlen ‚schlagen‘ > lj. dachlen ‚töten, schlachten‘; schwäb. wadel ‚Penis‘ > lj. waddl ‚Gesäß‘ (beides zu dt. wedeln); jd. dolfen ‚armer Mann‘ > lj. dalfen ‚betteln‘; rom. gudlo ‚Zucker; süß‘/ rw. süßling ‚Zucker‘ > lj. gudlo/ süßling ‚Kaffee‘; rw. latt ‚Gewehr‘ > lj. latt ‚Säbel‘; jidd. koran ‚strahlen‘ > lj. krönen ‚heiraten‘; jidd. parscho ‚Abschnitt‘ > lj. frosch ‚Monat (zunächst im Rotwelschen: ‚Monat der Strafhaft‘)‘. Beispiele speziell für Bedeutungserweiterung bei der Integration eines spendersprach‐ lichen Lexems in die Sondersprache sind: jidd. sonah ‚Hure‘ > lj. somne ‚Frau‘; dt. Mutze/ Muschel ‚Vulva, Hure‘ > lj. moß ‚(neutral) Frau‘; rom. bedo ‚(schlechter) Kerl, Unzüchtiger, Hurer‘ > lj. bedo ‚Mann, Kerl, Herr, benk‘; rom. sáster ‚Eisen‘ > lj. zaster ‚Geld‘; schwäb. bet sein ‚in einem Kartenspiel verlieren; müde sein‘ > lj. bed ‚Tod‘; rom. beš- ‚sitzen, sich setzen‘ > lj. beschen ‚sein‘; jd. scheffen ‚sitzen, gehen‘ > lj. scheffen ‚sein‘; dt. pflanzen > pflanzen ‚machen, tun‘; frz. grand ‚groß‘ > lj. grandig ‚groß, viel, stark, arg‘. In dieser Gruppe fällt auf, dass im Zuge der Bedeutungsausweitung und Verallge‐ meinerung häufig negative Aspekte und Konnotationen wegfallen, dass Bedeutungen verändert werden im Sinne einer Neutralisierung und Meliorisierung der Bedeutung, als Aufwertung der bezeichneten Person/ Sache (etwa bei moß, bedo, somne). Beispiele speziell für Bedeutungsverengung sind: jidd. cheluka ‚Teilung‘/ rw. chelek ‚Teil am Diebesgut‘ > lj. glucker ‚Goldstücke‘ > lj. glucker ‚Hoden‘; dt. Dampf > lj. dämpfen ‚rauchen‘; dt. Luft > lj. luft ‚Hunger‘ (Luft im Bauch); frz. chance > lj. schanzieren ‚hausieren‘; jd. bal ‚Mann‘, jd. chochem ‚klug‘ > lj. balchochem ‚Be‐ amter, der Jenisch kann‘; jd. bajes ‚Haus‘ > lj. beiz ‚Wirtschaft‘; rom. but ‚viel, zahlreich‘ > lj. put ‚teuer‘; rw. rolum ‚Jude‘ > lj. rolom ‚Arzt‘. Die bisherigen Ausführungen einschränkend muss aber noch einmal darauf hinge‐ wiesen werden, dass - gerade bei den nur partiellen semantischen Verwandlungen - selten bis nie definitiv festgestellt werden kann, ob nun eine bewusst intendierte se‐ mantische Verwandlung vorliegt oder das Ergebnis eines ungesteuerten historischen Prozesses, da auch Geheimsprachen über die Jahrhunderte hinweg zwangsläufig einem natürlichen und damit auch semantischen Wandel unterliegen. Aber bei Geheimspra‐ chen ist die Wahrscheinlichkeit der semantischen Verwandlung grundsätzlich höher als in der Standardsprache. (Hier kennt man das Phänomen der semantischen Ver‐ wandlung allerdings durchaus auch von der Sprachpolitik in totalitären Systemen sowie aus der wissenschaftlichen, fachsprachlichen Praxis der Terminologisierung, wenn ein Alltagswort per Definition zu einem Fachterminus wird.) Daher ist die These der semantischen Verwandlung bei einer Geheimsprache als Alternative zur These des natürlichen semantischen Wandels immer in Erwägung zu ziehen. Denn grundsätzlich können Geheimsprachen als von ihren Sprechern bewusster erlebte, wahrgenommene 2.5 Bedeutungsvariation 89 <?page no="91"?> und zum Funktionserhalt auch bewusster gesteuerte, beeinflusste Sprachen gelten. In der Literatur finden sich zahlreiche Hinweise auf explizite Absprachen unter den Spre‐ chern einer Sondersprache, in denen es darum geht, diese eigene Sondersprache be‐ wusst zu verändern und zu erneuern. Beispiele aus dem Wortschatz des Lützenhardter Jenisch, die sicherlich nicht auf bewusste Sprachsteuerung, sondern auf natürlichen und damit auch semantischen Sprachwandel zurückzuführen sind, finden sich ebenfalls zahlreich. Grund für seman‐ tischen Wandel ist hierbei häufig die Veränderung der Lebenswirklichkeit der Sprecher. So bedeutete dächle früher, als die Lützenhardter noch mit Schirmen hausierten, ‚Schirm‘, dächlespflanzer bedeutete ‚Schirmmacher‘. Seit langer Zeit aber wird in Lüt‐ zenhardt nicht mehr mit Schirmen hausiert, so dass dächle nun bei denen, die es noch kennen, angepasst an die neue Berufswelt, ‚Vordach‘ und dächlespflanzer ‚Monteur‘ bedeutet, da viele Lützenhardter heute als Vertreter für Vordächer beziehungsweise als Monteure, die diese Vordächer anbringen, arbeiten. Ein letztes geheimsprachliches Phänomen im Bereich der Semantik zeigt sich im Bereich der Sach- und Wortfelder: Die gruppenspezifische Perspektive und Sicht der Geheimsprachensprecher auf ihren Alltag manifestiert sich in Form detaillierter lexi‐ kalischer Ausdifferenzierung (bis hin zur Synonymie) in bestimmten Sachgebieten und Wortfeldern, die für die Sprecher besonders wichtig sind. In anderen Wortschatz‐ bereichen sind hingegen Lücken zu verzeichnen, die durch die Umgebungssprache ge‐ füllt werden. Der geheimsprachliche Wortschatz orientiert sich dabei vor allem an konkreten Sachverhalten; Wörter für Abstrakta finden sich nur äußerst selten. Was Roth (2001) für das Schweizer Jenische konstatiert, ist übertragbar auch auf die deut‐ schen Rotwelsch-Dialekte: Der Wortschatz deckt vor allem einen alltäglichen, ländli‐ chen, einfachen, materiell bescheidenen Lebensstil ab und ist praktisch orientiert. Die Bedeutung wird oft erst im Kontext spezifiziert, wobei fehlende Ausdrücke durch se‐ mantisch vage und dadurch flexibel einsetzbare passe partout-Wörter wie schure ‚Ding, Zeug‘ oder pflanzen ‚machen, tun‘ ersetzt werden (Roth 2001: 159). Vertreten sind insbesondere die Bereiche (Beispiele aus dem Lützenhardter Jenisch, vgl. Efing 2005) ▸ der sinnlichen Wahrnehmung (spannen ‚sehen‘, bibern ‚frieren‘, linsen ‚hören‘), ▸▸ der körperlichen Bedürfnisse, Tätigkeiten und Verrichtungen sowie der Kör‐ ▸ perteile (schwächen ‚trinken‘, schonden ‚scheißen‘, Kiebes ‚Kopf ‘), ▸ der Umwelt (Jaari ‚Wald‘, flösseln ‚regnen‘, Stupfl ‚Igel‘, Tschuggl ‚Hund‘), ▸▸ der primären sozialen Kontakte (Ruech ‚Bauer, Sesshafter‘, Gallach ‚Pfarrer‘), ▸▸ der Kontakte mit Polizei- und Justizbehörde (Dofes ‚Gefängnis‘, Glisto ‚Polizist‘, ▸ Lolo ‚Polizist‘, Fläppe ‚Ausweis‘), ▸ der körperlichen Auseinandersetzungen (guffen ‚schlagen‘) sowie des ▸▸ wirtschaftlichen bzw. gewerblichen Verhaltens (strenzen ‚hausieren‘, schinag‐ ▸ geln ‚arbeiten‘, Dercher ‚Bettler‘, Lobi ‚Geld‘). 2 Linguistische Grundlagen 90 <?page no="92"?> Dabei sind die schwerpunktmäßigen Verteilungen des geheimsprachlichen Wort‐ schatzes auf diese thematischen Sachgebiete sowie die Ausdifferenzierung bestimmter Wortfelder (siehe unten) über das Beispiel des Lützenhardter Jenisch hinaus in der Tendenz als generell typisch für Rotwelsch-Dialekte anzusehen. Ausdifferenzierte Wortfelder finden sich zumeist für den Tabubereich der Sexualität (bujen, schurelen ‚beischlafen‘) und der körperlichen Ausscheidungen, für den Bereich der Nahrungs- und Genussmittel und ihres Konsums (Bossert ‚Fleisch‘, Maro ‚Brot‘, Schundbolln ‚Kartoffeln‘, tobrichen ‚rauchen‘) sowie für Personenbezeichnungen inkl. von Schimpfwörtern. Besonders interessant ist das Wortfeld „männliche Person“, das mit 32 Ausdrücken stark ausdifferenziert ist - wie überhaupt der Wortschatz für Personenbezeichnungen, da man auf Jenisch viel über andere sprach und spricht: altbenk ‚Großvater‘, patres ‚Vater‘, bauergatsche ‚Bauer‘, bedo ‚Mann‘, benk ‚(lediger, junger) Mann‘, bengo ‚Mann‘, benges ‚Mann, Liebhaber (eher abfällig)‘, bichgatsche ‚reicher Mann‘, dad ‚Vater‘, daudr ‚Knecht‘, ehne ‚Opa‘, fehtekaffer ‚Hausherr (einer Herberge)‘, fiesel ‚junger Bursche‘, finkelkaffer ‚Hexenmeister; undurchsichtiger Mann‘, freier ‚Mann, Fremder, Freund‘, gatsch(e) ‚Mann, Fremder, Bauer‘, gitschegatsche ‚Mann mit Hut‘, gröner ‚Ehemann‘, kaffer ‚Bauer, Mann‘, kohlbenk ‚verlogener Mann, Sprüchemacher‘, kracher ‚alter Mann‘, lo‐ begatsche ‚Geschäftsmann, reicher Mann‘, raklo ‚Junge‘, rom ‚Mann‘, ronk ‚Bauer‘, ruoch ‚Bauer‘, ruochefisel ‚Bauernjunge‘, schwer ‚Schwiegervater‘, sens ‚vornehmer Herr‘, sindogat‐ scho ‚Zigeuner‘, stenz ‚Angeber; junger, schicker Mann‘, tschabo ‚Knecht, Bauer‘. Die Bezeichnungsinteressen und -differenzierungen liegen in den unterschied‐ lichsten Bereichen: Alter, verwandtschaftliche Beziehung, Wohlstand, Lebensweise usw. Interessant erscheint insbesondere die Semantik im Bereich der Bezeichnung von Personen, die nicht zur eigenen Gruppe gehören. Prinzipiell trennen die Lützenhardter pauschal zwischen Reisenden, zu denen sie sich selber zählen, und Sesshaften, die sie als Bauern bezeichnen. Mit Bauer ist hierbei keineswegs der Beruf des Landwirts ge‐ meint, sondern Bauer stellt für die Lützenhardter wie für andere Rotwelsch-Sprecher den Inbegriff des sozialen Gegners, des Sesshaften, Unbeweglichen, Langweiligen und Sturen, des Halsstarrigen dar. Daher gibt es im Lützenhardter Jenisch mehrere Be‐ zeichnungen für ‚Bauer = Sesshafter‘, die, auch als Beleidigung und despektierliches Schimpfwort eingesetzt werden können und steigerbar sind, da Bauern den Gegen‐ standpunkt zur eigenen, nicht-sesshaften Lebensweise darstellten: Während bereits ruoch ‚Bauer‘ eine abschätzige Wertung einer Person ist, ist ronk ‚Bauer‘ insofern noch eine Steigerung, als es den evangelischen Bauern bezeichnet. Für die in der Diaspora lebenden, streng katholischen Lützenhardter verbanden sich im ronk also zwei Eigen‐ schaften, die im Gegensatz zur eigenen Lebensweise standen: Sesshaftigkeit und Pro‐ testantismus. Dass es für die Lützenhardter offensichtlich besonders wichtig war, andere belei‐ digen zu können, zeigt auch die Tatsache, dass sich für beleidigende Personenbezeich‐ nungen weitere 18 Lexeme sowie 16 Wörter für ‚Depp‘/ ‚Idiot‘ finden. 2.5 Bedeutungsvariation 91 <?page no="93"?> Für das Wortfeld „weibliche Person“ finden sich im Lützenhardter Jenisch 30 unter‐ schiedliche Bezeichnungen, die unterschiedlichste Differenzierungswünsche bedienen. Während etwa die tschai (sehr häufig benutzt) fast immer jung und schön, also positiv konnotiert ist (vgl. mords-/ granatentschai), ist die moss eine verheiratete, eher stattliche, ältere, eventuell korpulente Frau. Eleganter als beide ist die model, obwohl model auch negativ konnotiert (vgl. lenke/ schofle model ‚schlechte Frau‘) und insbesondere für ‚Geliebte‘ verwendet wird, in dieser Verwendung aber nach Aussagen eines Sprechers immer noch „weniger derb als schüx“ gilt. Kaum benutzt für ‚Frau‘ wird goi. Es zeigt sich also, dass die ausdifferenzierten Wortfelder vor allem dem übergrei‐ fenden Sachgebiet „Mensch“ angehören und verstärkt (häufig negativ konnotierte) Le‐ xeme zur Bezeichnung von Außenstehenden versammeln. Dies demonstriert, wie sehr sich die Lützenhardter als eine geschlossene Gruppe in Abgrenzung zu anderen sehen und wie hoch die Bedeutung dieser sozialen Gegenwelt ist (vgl. auch Jütte 1988: 125). Es ist dabei auffällig, dass Rotwelsch-Dialekte in vielen thematischen Bereichen durch eine ausgeprägte Synonymie gekennzeichnet sind, die nicht zuletzt angesichts eines insgesamt geringen geheimsprachlichen Wortschatzumfangs unökonomisch er‐ scheint - aber durch Entstehung durch Kontakt zu verschiedenen Spendersprachen gut zu erklären ist, da für ein und dasselbe Referenzobjekt geheimsprachliche Lexeme aus verschiedenen Spendersprachen übernommen und zusätzlich noch im Rahmen der Wortbildungsmuster des Deutschen gebildet werden können. Doch handelt es sich bei diesen scheinbaren Synonymen nicht immer tatsächlich um Fälle von Synonymie im engeren Sinn, auch wenn bei Synonymen aus unterschiedlichen Spendersprachen „- eher als in anderen Varietäten des Deutschen - tatsächlich semantische Äquiva‐ lenzen zu erwarten sind“ (Siewert 2003: 371). Beispiele solcher Synonyme aus unterschiedlichen Spendersprachen sind im Lüt‐ zenhardter Jenisch etwa: lobegatsche/ bichgatsche ‚reicher Mann‘, fuhlkitt/ -kehr/ -haus, schondkitt/ -kehr ‚Toilette‘, dadeskitt/ -kehr/ -haus, denelohaus/ -kitt/ -kehr, dudeskehr/ niesekitt/ nuaschekitt ‚Irrenanstalt‘. Ein Grund, warum gerade Geheimsprachen oft über eine ausgeprägte, tatsächliche Synonymie verfügen, könnte darin liegen, dass eine zu häufige Wiederholung ein und desselben Lexems in ähnlichen Kontexten die Entschlüsselung durch Außenstehende begünstigt, während eine ständige hohe Wortschatz-Varianz die Aufdeckung durch kontextuelle Wiedererkennung deutlich erschwert. Dagegen spricht jedoch, dass viele Synonymenhäufungen vor allem in den Bereichen der primären Bedürfnisse (Essen, Trinken, Alkoholkonsum, Rauchen, Sexualität) zu verzeichnen sind, was verdeutlicht, dass nicht nur Geheimes verdunkelt wird, sondern vor allem lebensweltlich Relevantes - und dass also Rotwelsch-Dialekte weit mehr als Geheimsprachen, nämlich vor allem Soziolekte sind. Einzelne Bedeutungsnuancen innerhalb von Wortfeldern und zwischen Scheinsy‐ nonymen, die Einblick in die Lebenswelt der Sprecherinnen und Sprecher gewähren, können nur zum Teil noch durch Befragungen der letzten noch lebenden Sprecherinnen und Sprecher herausgearbeitet werden, da die höchst seltenen schriftlichen Quellen 2 Linguistische Grundlagen 92 <?page no="94"?> häufig nur undifferenzierte Bedeutungsangaben liefern. Sprecherbefragungen ergeben dann zum Beispiel eine Differenzierung zwischen hamore und gurenbenn, die beide ‚Streit‘ bedeuten: Während ersteres noch ein harmloser, verbaler Streit sein kann, ist gurenbenn immer schon eine handgreifliche Auseinandersetzung. Interessant ist auch die detaillierte Semantik von bschores ‚verheimlichtes Geld‘: Der Begriff wurde früher vornehmlich für das Geld verwendet, das die Frauen beim Hausieren einnahmen und vor ihren eigenen Männern versteckten, damit diese es nicht direkt in Alkohol um‐ setzten. Von dieser Praxis zeugt nämlich das Verb verschwächen ‚versaufen‘. Von - zum Teil selbst gemachten - finanziellen Schwierigkeiten zeugen auch die Lexeme ver‐ muffen ‚im Spiel verlieren‘, vergondert ‚Konkurs‘, offenburger ‚Offenbarungseid‘ sowie der Ausdruck auf kone handeln ‚auf Pump/ Schulden handeln‘. Dass man das Geld einnahm durch Handeln, also Reden mit den Kunden, bezeugen die Lexeme schmusbich/ schmusgeld (< schmusen ‚reden, erzählen‘). Übung 254a Grenzen Sie die Prozesse des Bedeutungswandels und der sog. semantischen Ver‐ wandlung (Siewert) voneinander ab. Diskutieren Sie, ob die Unterscheidung im Einzelfall für bestimmte Lexeme immer eindeutig zu treffen ist und suchen Sie Beispiele für Ihre Argumentation. Übung 254b Das Suffix -ling gilt als semantisch potenziell abwertend (Fiesling, Feigling, Schrei‐ berling, Wüstling), das Wort Flüchtling wurde daher sogar als mögliches Unwort des Jahres diskutiert und es wurde vorgeschlagen, stattdessen nur noch von Ge‐ flüchteten zu sprechen. Die geheimsprachliche Verwendung von -ling ist konno‐ tativ allerdings immer neutral, und auch in der Standardsprache finden sich viele neutrale ling-Derivate (Prüfling, Lehrling). Recherchieren Sie zur Debatte um den Begriff Flüchtling im Internet und positionieren sich selber mit semantischer Be‐ gründung. Übung 254c Geheimwie Jugendsprachen enthalten zahlreiche Wörter, die andere Menschen auf semantischer Ebene bewerten und beleidigen. Diskutieren Sie Gründe und vergleichen Sie die Art und Weise, wie die beiden Varietätentypen hierbei lexi‐ kalisch-semantisch und morphologisch vorgehen. Literatur Androutsopoulos 1998; Arntz/ Picht/ Schmidt 7 2014; Baradaranossdat 2011; Bech‐ mann 2016; Efing 2005, 2009, 2015b; Eisenberg 2 2012; Neuland 2008; Fritz 2 2006; Jütte 1988; Roelcke 2009a: 55-81; Roelcke 3 2010: 60-74; Siewert 2002, 2003; Turgay 2012. 2.5 Bedeutungsvariation 93 <?page no="95"?> 2.6 Komposition von Bedeutung Sprachliche Äußerungen sind (mit Ausnahme von Einwortsätzen wie Hilfe! oder Vor‐ sicht! ) in aller Regel aus mehreren sprachlichen Zeichen zusammengesetzt und ent‐ falten dabei mehr oder weniger komplexe Gesamtbedeutungen. Daher gehört die Frage, wie sich solche Gesamtbedeutungen zusammensetzen, zu den zentralen Problemstel‐ lungen der Sprachwissenschaft und nicht zuletzt auch der Sprachdidaktik. Sie steht insbesondere auch mit der weiteren Frage nach der Verständlichkeit von Texten in enger Verbindung. In den folgenden vier Abschnitten werden verschiedene Modelle der Bedeutungs‐ komposition vorgestellt. Dabei wird von kleineren zu größeren Bedeutungskompo‐ sitionen vorangeschritten: Den Anfang machen somit semantische Gesichtspunkte der Form- und Wortbildung, gefolgt von solchen im Bereich von Phrasen und Sätzen sowie in verbalen und nonverbalen Texten; der letzte Abschnitt ist Phrasen und Sätzen mit mehr oder weniger feststehenden Bedeutungen gewidmet. Zuvor erfolgen jedoch ei‐ nige allgemeine Hinweise zu den kleinsten bedeutungstragenden Einheiten von Sprache überhaupt. Die kleinsten Zeichen natürlicher Sprachen werden Morpheme genannt. Ein Mor‐ phem ist somit die kleinste bedeutungstragende sprachliche Einheit (in Analogie zum Phonem als der kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheit). Solche Morpheme können ihrerseits syntaktisch in freie und gebundene und semantisch in lexikalische und grammatische Morpheme unterteilt werden, wobei zusammen vier Mischtypen entstehen (vgl. Abb. 260a). Syntaktisch frei gebunden Semantisch lexikalisch Hund, rot, morgen Ordn-, Himgrammatisch und, denn, du ent-, un-, -en, -est Abb. 260a: Semantische und syntaktische Klassifikation von Morphemen: Beispiele Lexikalische Morpheme (sog. Lexeme) sind Morpheme mit (lexikalischer) Vollbe‐ deutung und Referenz auf Gegenstände der Wirklichkeit. Hierzu gehören die Wurzeln von Verben (etwa sag(-), geh(-) oder denk(-)), Substantive (Hund, Haus oder Auto), Ad‐ jektive (rot, klein oder klug) oder Adverbien (morgen, oben oder genau). Grammatische Morpheme sind demgegenüber Morpheme, die eine grammatische und keine bzw. kaum eine referentielle Funktion erfüllen. Typische Vertreter dieser Gruppe sind etwa Konjunktionen, die einzelne Phrasen (etwa und, oder und sowohl - als auch) oder ganze Sätze (wie zum Beispiel denn, dass oder damit) miteinander verbinden, oder Proformen (wie die Pronomina du, dieser oder sich), die eine Stellvertreterfunktion erfüllen, indem sie zuvor oder nachfolgend genannte Wörter ersetzen. Eine interessante, da nicht un‐ 2 Linguistische Grundlagen 94 <?page no="96"?> problematische Gruppe bilden in diesem Zusammenhang Präpositionen (wie von, auf oder wegen), die neben ihrer grammatischen Funktion, bestimmte Phrasen an andere Satzelemente anzubinden, auch eine, wenn auch geringe, lexikalische Bedeutung tragen (können). Die hier genannten Morpheme sind zumeist freie Morpheme, also solche, die im Rahmen von Phrasen oder Sätzen nicht auf die Kombination mit anderen Morphemen angewiesen sind. Viele grammatische Morpheme sind jedoch als gebundene Mor‐ pheme anzusehen, da sie innerhalb von Phrasen oder Sätzen nicht alleine stehen können: Hierzu zählen insbesondere die Affixe, die zur Bildung von einzelnen Wörtern (wie zum Beispiel ent-, un- oder -ung und -heit) oder von Wortformen (beispielsweise -en, -st oder-s) verwendet werden. Lexikalische Morpheme, die als gebunden aufzu‐ fassen sind, treten demgegenüber nach weit verbreiteter Meinung eher selten auf: Hierzu zählen etwa ordn- (in ordnen oder Ordnung) oder sog. unikale Morpheme wie Him- (in Himbeere), die nur in einzelnen Komposita vorkommen (im Falle von Himbeere geht das Morphem auf das mittelhochdeutsche Wort Hinde für Hirschkuh zurück, das als freies lexikalisches Morphem aus dem Wortschatz verschwunden ist). Übung 260a Diskutieren Sie, ob es sich bei den Verbstämmen sag, red und sprich um freie oder um gebundene lexikalische Morpheme handelt. Berücksichtigen Sie dabei die Bil‐ dung des Imperativs in der deutschen Standard- und Umgangssprache der Ge‐ genwart. 2.6.1 Form- und Wortbildung Die Kombination von lexikalischen und grammatischen Morphemen führt im Rahmen von Wortbildung und Formbildung zu komplexen Bedeutungen, die sich aus der Kom‐ bination der beteiligten Morpheme ergeben. Aus diesem Grund stehen sie am Beginn des vorliegenden Kapitels zur Bedeutungskomposition. Im Rahmen von Wortbil‐ dung (Donalies 2 2011; Elsen 2 2014; Fleischer/ Barz 4 2012) entstehen abstrakte lexikali‐ sche Einheiten als Elemente eines sog. mentalen Wörterbuchs, die dann im Zuge der Formbildung in konkreten Äußerungen als Elemente syntaktischer Konstruktionen verwendet werden. Im Folgenden wird zunächst auf die Komposition von Bedeutungen im Rahmen der Wort- und daran anschließend auf diejenige im Zuge von Formbildung eingegangen. Die Komposition von Bedeutung im Bereich der Wortbildung wird im Deutschen insbesondere im Falle der Zusammensetzung oder Komposition deutlich. Sie stellt ein Verfahren zur Bildung von Wörtern dar, bei dem mehrere Lexeme (in Ausnahmefällen auch freie grammatische Morpheme) zu komplexen Wörtern verbunden werden. Den bekanntesten Typ stellen hier Determinativkomposita wie Glastür oder Türglas dar, bei denen das vordere Kompositionsglied das hintere näher bestimmt. Dabei gibt es diverse Spielarten der Determination, wie etwa die Beispiele Schweineschnitzel ‚aus Schwei‐ 2.6 Komposition von Bedeutung 95 <?page no="97"?> nefleisch‘, Jägerschnitzel ‚nach Jäger Art mit Pilzen zubereitet‘ oder Kinderschnitzel ‚für Kinder in besonderer Weise hergestellt‘ belegen. In diesem Zusammenhang ist termi‐ nologisch zwischen endozentrischen Komposita, deren Bedeutung durch den rechten Kopf der Konstruktion bestimmt wird (vgl. noch einmal Glastür gegenüber Türglas), und exozenterischen Komposita, deren Bedeutung nicht aus dem Kopf erschlossen werden kann (vgl. zum Beispiel Schluckauf), zu unterscheiden. Übung 261a Diskutieren Sie die Determination in den folgenden Komposita: Uhrendieb, Trick‐ dieb, Ladendieb, Gelegenheitsdieb, Taschendieb, Palmendieb. Fallen Ihnen weitere Komposita mit -dieb ein? Weitere Arten der Komposition bilden unter anderem: ▸ Possessivkomposita, mit denen lediglich auf einen Teil der bezeichneten Ge‐ ▸ genstände hingewiesen wird (so zum Beispiel im Falle von Rotkehlchen, Groß‐ maul oder Bleichgesicht); ▸ Kopulativkomposita, deren Bestandteile keine Determination zeigen, sondern ▸ einander gleichberechtigt sind (etwa bei graublau, Hosenrock oder spritzgießen; hierzu zählen auch Namen wie Anna-Lena, Villingen-Schwenningen oder Baden-Württemberg). ▸ Rektionskomposita (wie Radfahrer oder Weinkellner), bei denen das determinie‐ ▸ rende erste Glied als Argument des determinierten, verbalen Zweitglieds anzu‐ sehen ist. Nach Jacob Grimm sind die sprachhistorisch jüngere Kasuskomposition (mit Fugen‐ element - etwa bei Gehalt-s-erhöhung oder Bär-en-fell) und die ältere Juxtaposition (ohne Fugenelement - vgl. Gelände-erhöhung oder Lamm-fell) voneinander zu unter‐ scheiden. Auch wenn die Kasuskomposition aus historischer Sicht auf vorangestellte Genitivattribute zurückgehen mag, stellen ihre Fugenelemente keine funktions- oder bedeutungstragenden Morpheme (mehr) dar; dies zeigen solche Bildungen, in denen diese Fugenelemente nicht den zu erwartenden Genitivbildungen entsprechen (etwa in Freiheit-s-statue). Besondere Beachtung verdienen hier im Weiteren Komposita mit sog. Affixoiden: Dies sind lexikalische Morpheme, die aufgrund der Bildung von Reihen und einer abstrahierenden Abschwächung ihrer Bedeutung in einer Entwicklung hin zu grammatischen Morphemen stehen (zum Beispiel -frei in alkoholfrei, hitzefrei, FCKW-frei, schulfrei usw.). Im Unterschied zur Komposition werden im Rahmen der Ableitung oder Derivation nicht mehrere lexikalische Morpheme miteinander kombiniert, um eine neue Bedeu‐ tung zu schaffen, sondern lexikalische und grammatische Morpheme. Insbesondere Suffixe führen dabei zu einer Änderung der Wortart (sog. Transposition) und damit auch der grammatischen Funktion der betreffenden Wortbildungen, deren lexikalischer Be‐ deutungskern erhalten bleibt: So werden beispielsweise aus dem Verb leiten und dem 2 Linguistische Grundlagen 96 <?page no="98"?> Adjektiv frech die Substantive Leitung und Frechheit, während aus den Verben lesen und schweigen die Adjektive lesbar und schweigsam entstehen; bei den Ableitungen Sozietät aus Societas und lieblich aus lieb bleiben dagegen der substantivische bzw. der adjektivische Charakter erhalten. Bildungen mit Präfixen (wie unklar, intolerant, miss‐ verständlich, destabilisieren, entlaufen, umfahren usw.) haben trotz der abstrakten Ver‐ änderung (sog. Modifikation) der ursprünglichen Wortbedeutungen keinen Einfluss auf die betreffende Wortart, sodass Präfixbildungen als eine eigene Wortbildungsart an‐ gesehen werden können. Während im Rahmen der Konversion ein Wortartwechsel ohne Wortbildungsmor‐ pheme stattfindet (etwa von Röntgen zu röntgen oder von Film zu filmen), ist mit Wortkürzungen weder eine Änderung der lexikalischen Bedeutung noch der gram‐ matischen Funktion verbunden: Dies gilt für Kurzwortbildungen wie Bus aus Omnibus oder Auto aus Automobil ebenso wie für echte Abkürzungen wie DIN für Deutsches Institut für Normung oder BGB für Bürgerliches Gesetzbuch; allein die semantische Durchsichtigkeit bzw. Eigentlichkeit kann in dem einen oder anderen Fall einge‐ schränkt sein: Wem ist die historische Ausgangsbezeichnung für Edeka heute noch bekannt - Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler [im Halleschen Torbezirk zu Berlin]? Im Rahmen der Formbildung werden ebenfalls mehrere Morpheme miteinander kombiniert, sodass eine veränderte grammatische Funktion (bisweilen auch eine an‐ dere lexikalische Bedeutung) der betreffenden Einheiten entsteht. Dies ist anhand der Kennzeichnung von Kasus gut zu beobachten: In der deutschen Standardsprache der Gegenwart werden vier Kasus unterschieden, die entsprechenden Nomen bzw. Sub‐ stantiven und deren Nominalphrasen bestimmte syntaktische Rollen im Satz zuweisen: ▸ Nominativ: Subjekt bzw. neutrale Kategorie - Der Hund bellt; ▸▸ Genitiv: Attribut, Objekt, Adverbiale, nach Präpositionen - Der Knochen des ▸ Hundes […]; ▸ Dativ: indirektes Objekt, nach Präpositionen - Wir kaufen dem Hund einen Kno‐ ▸ chen; ▸ Akkusativ: direktes Objekt, Adverbiale, nach Präpositionen - Wir sehen den Hund. ▸ Die Formbildung im Falle der Kasuskennzeichnung ändert die ursprüngliche lexikalische Bedeutung des betreffenden Wortes nicht - mit der Kennzeichnung der syntaktischen Funktion bleibt die Referenz letztlich unverändert. Anders verhält sich dies im Falle der Kennzeichnung von Tempora: Die Kennzeichnung eines Tempus ist im Deutschen mit einem Bezug auf die außersprachliche Wirklichkeit verbunden: Der durch das Verb als zentralem Bestandteil des Prädikats bzw. der Verbalphrase zum Ausdruck gebrachte Sachverhalt oder Vorgang wird dabei im Hinblick auf sein zeitliches Vorkommen im Ver‐ gleich zu der entsprechenden Äußerung näher charakterisiert: ▸ Präsens: Gleichzeitigkeit bzw. neutrale Kategorie - Der Hund bellt; ▸▸ Präteritum: Vorzeitigkeit - Der Hund bellte; ▸▸ Futur I: Nachzeitigkeit - Der Hund wird bellen; ▸ 2.6 Komposition von Bedeutung 97 <?page no="99"?> ▸ Perfekt: Vorgleichzeitigkeit - Der Hund hat gebellt; ▸▸ Plusquamperfekt: Vorvorzeitigkeit - Der Hund hatte gebellt; ▸▸ Futur II: Vornachzeitigkeit - Der Hund wird gebellt haben. ▸ Übung 261b Im Deutschen wird zwischen drei grammatischen Geschlechtern (den Genera Maskulinum, Femininum und Neutrum) unterschieden, die sich zum Teil mit dem natürlichen Geschlecht (dem Sexus) der bezeichneten Lebewesen decken (vgl. die Frau, der Mann und das Kind). Klären Sie anhand eines etymologischen Wörter‐ buches oder einer Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, warum es der Junge (maskulinum), aber das Mädchen (neutrum) heißt. Übung 261c Die partielle Kongruenz von Genus und Sexus im Deutschen wird als Grundlage für einen gendersensiblen Sprachgebrauch aufgefasst. Erklären Sie diese Vorge‐ hensweise. Übung 261d Das Deutsche gilt als eine Sprache mit einem fest etablierten System von drei Genera. In anderen indoeuropäischen Sprachen wurden diese Genussysteme im Laufe der Geschichte aufgegeben und zu Systemen mit zwei Genera oder sogar gar keinem Genus reduziert. Betrachten und vergleichen Sie die Genussysteme von europäischen Sprachen, die Ihnen bekannt sind. 2.6.2 Phrasen und Sätze Die Komposition von Bedeutung erfolgt nicht allein auf der Ebene von einzelnen Wör‐ tern bzw. Wortbildungen und Wortformen, sondern erstreckt sich auch auf die nächst höhere Ebene: die Ebene der Phrasen und Sätze. Innerhalb der deutschen Sprachdidaktik wird dabei in der Regel der sog. Verbalsatz als Bestimmung zugrunde gelegt: Ein Verbal‐ satz definiert sich als eine sprachliche Konstruktion aus verschiedenen Satzgliedern, in deren Zentrum ein Prädikat steht; er ist inhaltlich und kommunikativ relativ abge‐ schlossen und erscheint meist innerhalb größerer sprachlicher Äußerungen oder Texte. Dieser Auffassung nach werden Sätze sowohl grammatisch als auch semantisch durch das verwendete Verb bzw. das verbale Satzglied, das Prädikat, bestimmt. Dabei hängt die Bedeutung des Satzes nicht allein von der lexikalischen Bedeutung der Verbwurzel (eines verbalen lexikalischen Morphems) bzw. des Verbstammes (einer verbalen Wortbildung) ab, sondern darüber hinaus auch von semantischen Rollen, die an ein Verb gebunden sind und durch entsprechende Satzglieder besetzt werden. Im Falle des Verbs lieben sind dies etwa zwei Rollen - ein Agens (die liebende Person) und ein Patiens (die geliebte Person oder Sache) wie in dem Beispiel: Karlchen liebt Berlin. Dieser transitive Satz, in welchem das Verb im Aktiv steht und das Agens als Subjekt 2 Linguistische Grundlagen 98 <?page no="100"?> des Satzes erscheint, kann in einen intransitiven Satz umgewandelt werden, in dem das Verb im Passiv verwendet wird und das Patiens ins Subjekt rückt: Berlin wird [von Karlchen] geliebt. Mit diesem Wechsel der Handlungsrichtung im Rahmen der sog. Diathese wird die syntaktische Dimension der Kombination von Bedeutung deutlich. Da das Verb lieben die Besetzung von zwei Rollen fordert, wird es im Rahmen des linguistischen Modells der Verbvalenz auch als zweiwertig angesehen. Unter der Va‐ lenz eines Verbs wird dabei die maximale Anzahl an Satzgliedern verstanden, die zu einem syntaktisch regelgerechten Gebrauch eines Verbs Verwendung finden können: Dies sind stets (obligatorische oder auch nur fakultative) Ergänzungen, sog. Aktanten, zu denen im Weiteren Adverbiale, sog. Zirkumstanten, treten können. Dies lässt sich an dem folgenden Beispiel gut zeigen: Karlchen kauft Clärchen eine Blume zum Ge‐ burtstag. Hier fordert das Verb kaufen in der Form kauft als Prädikat des Satzes zwei Rollen: ein Subjekt, Karlchen, und ein direktes Objekt, eine Blume - diese stellen die obligatorischen Ergänzungen dar (vgl. den Satz: Karlchen kauft eine Blume). Mit Clär‐ chen und zum Geburtstag kommen in dem gegebenen Beispielsatz eine fakultative in‐ direkte Ergänzung und ein adverbiales Satzglied hinzu. Angesichts der zwei obligato‐ risch und der einen fakultativ durch ein Satzglied zu besetzenden Rollen wird das Verb kaufen schließlich als dreiwertig eingestuft. Neben den zwei- und dreiwertigen Verben werden auch einwertige Verben angesetzt, die als Prädikate entweder ein Agens oder ein Patiens als Subjekt führen: Im Falle des Satzes Das Mädchen lebt fordert das Verb leben ein Agens als Subjekt des Satzes, im Falle des Satzes Dem Mädchen graust [vor Karlchen] das Verb grausen demgegenüber ein Patiens. Übung 262a Suchen Sie weitere Beispiele für ein-, zwei- und dreiwertige Verben. Übung 262b Sog. Witterungsverben wie regnen, schneien oder blitzen werden im Rahmen des Modells der Verbvalenz als nullwertig angesehen: Begründen Sie diese Einschät‐ zung anhand des Beispielsatzes: Es schneit. Sätze können als Prädikationen aufgefasst werden. Eine Prädikation stellt eine sprachliche Handlung dar, mit der einem bestimmten Element, dem sog. Prädikat, be‐ stimmte Rollen oder Eigenschaften, sog. Argumente, zugeordnet werden, um einen vollständigen Satz bzw. eine vollständige Phrase zu bilden. Im Falle der Verbvalenz stellt das Verb somit das Prädikat dar, dessen Leerstellen (Valenzen) durch eine bestimmte Anzahl an Satzgliedern als dessen Argumente gefüllt werden, denen bestimmte Rollen (wie etwa die des Agens oder Patiens) zugeschrieben werden. Innerhalb der Grammatik und der Logik haben sich diverse Verfahren und Nota‐ tionen zur Darstellung von Prädikaten und Argumenten herausgebildet. In einer ein‐ fachen Darstellungsweise der Prädikatenlogik lassen sich Verben im Rahmen des Va‐ 2.6 Komposition von Bedeutung 99 <?page no="101"?> lenzmodells etwa durch ein großes Prädikatszeichen wie P und deren Aktanten durch kleine Argumentzeichen wie x, y und z ausdrücken. Hier einige Beispiele: ▸ Nullwertige Verben als nullstellige Prädikate: P - etwa: ▸ Es schneit P . ▸ Einwertige Verben als einstellige Prädikate: P x - etwa: ▸ Karlchen x schläft P . ▸ Zweiwertige Verben als zweistellige Prädikate: P x,y - etwa: ▸ Karlchen x liebt P Clärchen y . ▸ Dreiwertige Verben als dreistellige Prädikate: P x,y,z - etwa: ▸ Karlchen x kauft P Clärchen z Blumen y . Neben Verben können auch Adjektive und Substantive als logische (nicht: grammati‐ sche) Prädikate erscheinen und ihrerseits logische Argumente fordern. Dies zeigen die folgenden Beispiele: ▸ Einwertiges Adjektiv als einstelliges Prädikat: A x - etwa: ▸ Karlchen x scheint verliebt A . ▸ Einwertiges Substantiv als einstelligen Prädikat: S x - etwa: ▸ Karlchen x war Student S . ▸ Zweiwertiges Adjektiv als zweistelliges Prädikat: A x,y - etwa: ▸ Karlchen x ist Clärchen y nahe A . ▸ Dreiwertiges Adjektiv als dreistelliges Prädikat: A x,y,z - etwa: ▸ Karlchen x gilt als Clärchen y im Blumenschenken z überlegen A . In all diesen Beispielen bilden die Adjektive bzw. Substantive logische Prädikate, die durch Argumente ergänzt werden. In grammatischer Hinsicht sind diese logischen Prädikate als sog. Prädikative anzusehen, die zusammen mit sog. Kopulaverben wie sein, scheinen oder als etwas gelten syntaktische Prädikate wie scheint verliebt oder war Student bilden. Eine vereinfachte Darstellungsweise im Rahmen der Prädikatenlogik eignet sich im Übrigen zur Darstellung von lexikalischen Bedeutungsrelationen (vgl. Kap 2.4). Das grammatische Modell der Verbvalenz und das logische Modell der Prädikation stellen zwei prominente Beispiele für die Erfassung von Bedeutungskomposition auf der Ebene von ganzen Sätzen dar. Mit der Bildung von Attributen sei hier abschließend ein Verfahren genannt, bei dem eine solche Komposition von Bedeutungen auch un‐ terhalb der Satzebene erfolgt. Attribute sind keine selbständigen Satzglieder, sondern Teile von nominalen Satzgliedern, mit denen diese semantisch näher bestimmt werden (ähnlich der Determination in zahlreichen Komposita wie Glastür und Türglas; vgl. Kap. 2.6.1). Im Deutschen lassen sich dabei verschiedene Typen unterscheiden (auf eine formalisierte Darstellungsweise wird verzichtet): ▸ Adjektiv-Attribute - z. B. mit froh in: ▸ ein frohes Karlchen. ▸ Genitiv-Attribute - z. B. mit der Genitiv-Form von Karlchen in: ▸ 2 Linguistische Grundlagen 100 <?page no="102"?> Karlchens Blumen. ▸ Präpositionale Attribute - z. B. mit der Präposition von in: ▸ Blumen von Karlchen. ▸ Attribut-Sätze - z. B. mit dem durch das Pronomen die eingeleiteten Relativsatz ▸ in: Blumen, die Karlchen Clärchen schenkt. Die Auffassung, dass sich die Bedeutung eines komplexen (sprachlichen) Ausdrucks aus der Bedeutung seiner Teile und seiner syntaktischen Gestaltung ergibt, geht zurück auf die Wahrheitsbedingungen-Semantik des Philosophen Gottlob Frege und ist allge‐ mein als Kompositionalitätsprinzip (auch: Frege-Prinzip) bekannt. Die Wahrheits‐ bedingungen-Semantik untersucht, unter welchen Bedingungen bestimmte Sätze in bestimmten Kontexten wahr oder falsch sind. Eine formale Weiterentwicklung dieser Semantik, die auf eine eigens hierfür entwickelte Metasprache zurückgreift, stellt die Wahrheitsfunktionale Semantik oder auch: Modelltheoretische Semantik in der Folge von Alfred Tarski und Richard Montague dar. 2.6.3 Verbale und nonverbale Texte Verbalsätze (vgl. oben, Kap. 2.6.2) erscheinen als inhaltlich und kommunikativ relativ abgeschlossene Einheiten innerhalb größerer sprachlicher Äußerungen und bilden somit Texte (Adamzik 2 2016; Brinker/ Cölfen/ Pappert 8 2014). Solche Texte zeichnen sich laut de Beaugrande und Dressler (1981) insbesondere durch grammatische Kohäsion und semantische Kohärenz aus (Texte oder Äußerungen, die jeweils nur aus einzelnen Wörtern, Phrasen oder Sätzen bestehen, sind demgegenüber als peripher anzusehen). Dabei bestehen diverse Verfahren zur Herstellung von Kohärenz, die zum Teil eng mit entsprechenden Kohäsionsmitteln in Verbindung stehen und hier in Auswahl skizziert werden. Diese enge Verbindung von semantischer Kohärenz und grammatischer Kohäsion wird im Falle der Konnexion besonders deutlich: Im Deutschen werden Nebensätze in der Regel durch sog. Konnektoren bzw. Konjunktionen eingeleitet - so etwa durch die Konjunktion weil in dem Satz: Karlchen schenkt Clärchen Blumen, weil es sie liebt. Die Konjunktion dient hier einerseits der ausdrücklichen grammatischen Ordnung des Nebenunter den betreffenden Hauptsatz und zum anderen der expliziten Kennzeich‐ nung einer semantischen Beziehung zwischen beiden, die in diesem Falle als Kausalität charakterisiert werden kann. Konjunktionen sind somit freie grammatische Mor‐ pheme, die ganze Sätze miteinander verbinden und dabei eine gewisse lexikalische Bedeutung tragen (eine Übersicht hierüber findet sich in Abb. 263a). Auf nebenord‐ nende Konjunktionen wie und bzw. oder sowie die Verbindung von Wörtern und Phrasen wird hier aus Raumgründen nicht eingegangen. 2.6 Komposition von Bedeutung 101 <?page no="103"?> Funktion Konjunktionen Beispielsatz Subjekt- oder Objektsatz dass, ob. Karlchen stellt fest, dass er Clärchen liebt. Adverbialsatz temporal: als, indem, solange (gleichzeitig); nachdem, sobald, wenn (vorzeitig); bevor, bis, ehe (nachzeitig). Karlchen kauft Clärchen Blumen, solange er sie liebt. modal: soviel, während, wohingegen (adversativ); indem (instrumental); als ob, als wenn, wie wenn (vergleichend). Karlchen bereitet Clär‐ chen eine Freude, indem er ihr Blumen kauft. kausal: da, weil (kausal im engeren Sinne); als dass, sodass (konsekutiv); falls, sofern, wenn (konditional); gleichwohl, obwohl, wenngleich (konzessiv); auf dass, damit, dass (final). Karlchen kauft Clärchen Blumen, da er sie liebt. Abb. 263a: Nebensatzeinleitende Konjunktionen im Deutschen (Beispiele) Ein weiteres Mittel der Kohärenzbildung stellt der geregelte Gebrauch von Tempora, die sog. Consecutio temporum (Zeitenfolge), dar, mit der die natürliche Reihenfolge von Geschehnissen im Rahmen eines Textes wiedergegeben wird. Dies zeigt sich in dem folgenden Beispiel: Nachdem Karlchen Clärchen kennengelernt hatte, war er sofort in sie verliebt. Heute hat er ihr deshalb wieder Blumen gekauft und macht ihr damit wie immer eine große Freude. Aber falls er dies irgendwann einmal vergessen haben wird, wird sie ihm sicher nicht böse sein. Übung 263a Bestimmen Sie die Tempora in dem oben gegebenen Textbeispiel und rekonstru‐ ieren Sie die zeitliche Abfolge des hier dargestellten Geschehens. Während die semantische Kohärenz im Falle der Konnexion und der Consecutio tem‐ porum eine Verbindung mit der grammatischen Kohäsion zeigt, ist dies im Falle von sog. Thema/ Rhema-Strukturen nicht der Fall (sofern einmal von der Verwendung bedeutungsverwandter Wörter abgesehen wird). Unter einem Thema wird in der Text‐ linguistik der bekannte, unter einem Rhema der unbekannte Teil eines Satzes ver‐ standen. Und so steht zu Beginn eines Textes immer ein Satz als Rhema, der dann als Ganzes oder in Teilen in dem folgenden Satz als Thema erscheint. (1) Karlchen und Clärchen kennen sich schon einige Jahre [Rhema 1]. Die beiden [Thema 1] haben sich in einem Blumengeschäft kennengelernt [Rhema 2]. Daher [Thema 2] schenkt Karlchen seiner Freundin auch immer wieder Blumen [Rhema 3]. Ihre liebsten Blumen [Thema 3] sind Rosen, während sie Nelken über‐ haupt nicht mag [Rhema 4]. 2 Linguistische Grundlagen 102 <?page no="104"?> Übung 263b Bestimmen Sie jeweils Thema und Rhema der Sätze in dem folgenden Textbeispiel und vergleichen Sie dessen Thema/ Rhema-Gliederung mit derjenigen aus Beispiel (1): (2) Karlchen und Clärchen kennen sich schon einige Jahre. Karlchen ist in Berlin geboren und studiert dort an der Technischen Universität. Clärchen stammt aus Hamburg und ist für ihr Studium an der Humboldt-Universität nach Berlin gezogen. Beide lieben die Metropole Berlin sehr und möchten dort nach ihrem Studium weiter arbeiten. Übung 263c Das Deutsche gilt als eine Sprache, in der das Thema eines Satzes nur selten eine eigene Kennzeichnung erfährt (vgl. Roelcke 2011: 70 ff.), sondern mit dem Subjekt eines Satzes zum Ausdruck gebracht bzw. koordiniert wird. Diskutieren Sie diese These vor dem Hintergrund der folgenden beiden Beispiele: (3) „Wer liebt Clärchen? “ - „Karlchen liebt Clärchen.“ (4) „Wen liebt Karlchen? “ - „Clärchen liebt Karlchen.“ Die philosophische Disziplin der Logik leistet nicht allein im Rahmen der Prädikation einen wertvollen Beitrag zur semantischen Erfassung der Komposition von Bedeu‐ tungen - mit der sog. Schlusslehre besteht hier ein weiteres wichtiges Feld, das sich jedoch nicht auf die Satz-, sondern auf die Textebene erstreckt, da sie sich mit dem logisch-semantischen Zusammenhang mehrerer Sätze beschäftigt. Wichtige Schluss‐ verfahren stellen dabei der Syllogismus sowie der Modus ponens und der Modus tollens dar (vgl. Abb. 263b). Schlussverfahren Beispiel Syllogismus Prämisse 1: Alle Menschen lieben Blumen. Prämisse 2: Karlchen ist ein Mensch. Konklusion: Karlchen liebt Blumen. Modus ponens Prämisse 1: Wenn Karlchen Clärchen liebt, schenkt er ihr Blumen. Prämisse 2: Karlchen liebt Klärchen. Konklusion: Karlchen schenkt Clärchen Blumen. Modus tollens Prämisse 1: Wenn Karlchen Clärchen liebt, schenkt er ihr Blumen. Prämisse 2: Karlchen schenkt Clärchen keine Blumen. Konklusion: Karlchen liebt Clärchen nicht. Abb. 263b: Die logischen Schlussverfahren Syllogismus sowie Modus ponens und Modus tollens im Überblick (Beispiele) 2.6 Komposition von Bedeutung 103 <?page no="105"?> In allen drei Fällen werden jeweils zwei Sätze als Prämissen formuliert, aus denen dann ein weiterer Satz als Konklusion gefolgert wird. Diese Konklusion ergibt sich bei Syl‐ logismen aus der Äquivalenz des Arguments des einen Satzes mit einem Prädikat des anderen Satzes (in diesem Falle Mensch). Bei Modus pones und Modus tollens wird von dem Ausdruck einer Bedingung (hier: Wenn Karlchen Clärchen liebt, […]) und einer Folge ([…], schenkt er ihr Blumen) im Rahmen einer abhängigen bzw. hypotaktischen Konstruktion ausgegangen und in dem einen Fall aus der Bestätigung (Assertion) der Bedingung auf die Bestätigung der Folge und in dem anderen Fall aus der Ablehnung (Negation) der Folge auf die Ablehnung der Bedingung geschlossen. Die Beispiele lassen deutlich werden, dass logische Schlüsse nur richtig oder falsch, nicht aber wahr oder unwahr sein können; der Wahrheitsgehalt der Konklusion hängt dabei allein von dem Wahrheitsgehalt der beiden Prämissen ab. Die Bedeutung von ganzen Texten ergibt sich nicht allein aus der semantischen Verbin‐ dung der Sätze, aus denen diese bestehen. Viele Texte weisen neben dieser sog. Mikro‐ struktur bestimmte Textbausteine auf, die als deren Makrostruktur ausgesprochen oder unausgesprochen bestimmte Funktionen oder Bedeutungskomponenten dieser Texte er‐ füllen und somit zu deren Bedeutungskomposition beitragen. Solche Textbausteine finden sich zum Beispiel oft in literarischen Gattungen oder bei Fachtextsorten und müssen bei deren angemessener Produktion wie Rezeption gekannt und beachtet werden. Ein ein‐ schlägiges linguistisches Analyseraster für Texte, das sowohl deren Kohärenz als auch deren Kohäsion berücksichtigt, wird in Brinker et al. ( 8 2014) entwickelt. Ein Beispiel für die makrostrukturelle Textgliederung einer literarischen Gattung stellt die Gliederung des klassischen Dramas nach Gustav Freytag (1863) dar, der ins‐ besondere die theoretischen Überlegungen von Aristoteles und Friedrich Schiller in einem Gattungsmodell mit fünf Akten mit jeweils spezifischer Bedeutung zusammen‐ fügt (vgl. Abb. 263c). Akt Charakterisierung Erläuterung 1. Akt Exposition Einführung in Ort, Zeit, Personen des Dramas 2. Akt Entwicklung Entfaltung des Handlung und des Konflikts 3. Akt Höhepunkt und Peripetie Entscheidung des Konflikts, Umschlag der Handlung 4. Akt Retardierendes Moment Innehalten (Andeutung einer Alternative) 5. Akt Katastrophe Lösung des Konflikts (Untergang des Helden) Abb. 263c: Aufbau eines klassischen Dramas (nach Freytag 1863) Übung 263d Besorgen Sie sich die Packungsbeilage zu einem Medikament, den sog. Wasch‐ zettel: Bestimmen Sie die darin enthaltenen Textbausteine und diskutieren Sie deren kommunikativen Nutzen für Produzenten und Rezipienten. 2 Linguistische Grundlagen 104 <?page no="106"?> Einzelne Texte sind in struktureller Hinsicht die größten sprachlichen Einheiten, die eine Bedeutung tragen. Darüber hinaus ist es jedoch weit verbreitet, dass auch ganze Textgruppen so etwas wie eine gemeinsame und dabei übergeordnete Bedeutung ent‐ falten und ihrerseits die Produktion neuer Texte nicht unerheblich beeinflussen. Hierbei wird in den einzelnen Texten explizit oder implizit aufeinander Bezug ge‐ nommen, sodass ein semantischer Gesamtzusammenhang entsteht, der die Sprachwis‐ senschaft seit den grundlegenden Arbeiten von Michel Foucault in den 1970er Jahren mehr und mehr interessiert und derzeit als Diskurs charakterisiert wird (vgl. etwa Warnke/ Spitzmüller 2008). Als wesentliche Aspekte der Diskursanalyse werden dabei vier Größen angesehen: ▸ Ort: die Institutionalisierung eines Sachverhaltes, über den kommuniziert wird ▸ (zum Beispiel der Bereich der Psychiatrie); ▸ Einschreibung: die Wiederholung von ähnlichen Äußerungen, durch die über‐ ▸ greifende Aussagen innerhalb des Diskurses getroffen werden; ▸ Interdiskurse: Verbindungen zu und Ausgrenzungen von anderen Diskursen; ▸▸ Archiv: die historische Genese und der geschichtliche Zusammenhang, in wel‐ ▸ chem sich der Diskurs konstituiert. In einem weiten Verständnis werden unter Texten nicht alleine komplexe Gebilde aus Zeichen verstanden, die sich aus mehreren sprachlichen Sätzen zusammensetzen: Texte können hiernach auch aus nichtsprachlichen Zeichen oder aus einer Kombination aus sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen bestehen, also multikodal sein (vgl. Roelcke 1994). Beispiele für nichtsprachliche Texte sind etwa Bilderwitze, pantomimi‐ sche Darstellungen oder viele Hinweisschilder in mehrsprachigen Kontexten, in denen auf den Gebrauch von einzelnen Sprachen gerne verzichtet wird. Beispiele für die Kombination aus sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen sind etwa im Bereich des Films oder des Theaters zu finden, aber auch in Gebrauchsanweisungen oder fachwie populärwissenschaftlichen Darstellungen, die oftmals mit Graphiken, Tabellen oder Bebilderungen versehen sind. Solche Text/ Bild-Komplexe können grundsätzlich zwei Funktionen von nichtsprachlichen gegenüber sprachlichen Zeichen aufweisen: zum einen eine textillustra‐ tive Funktion, mit der die Bedeutung des sprachlichen Teils mit den nichtsprachlichen Elementen nur veranschaulicht oder verdeutlicht wird, und zum anderen eine text‐ konstitutive Funktion, bei der die Bedeutung des sprachlichen Teils durch denjenigen der nichtsprachlichen Elemente inhaltlich ergänzt wird, sodass beide Teile zusammen die vollständige Bedeutung des Textes tragen. Diese Unterscheidung ist auch und ge‐ rade für die Didaktik sprachsensiblen Unterrichts in Sachfächern von erheblicher Be‐ deutung. 2.6 Komposition von Bedeutung 105 <?page no="107"?> 2.6.4 Bedeutungskomposition und Idiomatizität Die Komposition von Bedeutung lässt sich über mehrere sprachliche Beschreibungsebenen erfassen (vgl. Abb. 264a): ▸ Auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen lexikalischen Morphemen mit ▸ voller Bedeutung und grammatischen Morphemen mit grammatischer Funktion (und zum Teil abstrakter lexikalischer Bedeutung) ist auf der Ebene von Wörtern die Komposition von Bedeutungen im Rahmen von Wortbildung einerseits (etwa bei Komposition und Derivation) und Formbildung andererseits (zum Beispiel im Falle der Kennzeichnung von Tempus oder Genus) zu unterscheiden. ▸ Auf der nächst höheren, der Satzebene kann eine solche semantische Kompo‐ ▸ sition sowohl in einzelnen Phrasen (etwa durch Attribute) als auch in ganzen Sätzen (beispielsweise im Rahmen des Modells der Valenz von Verben oder von Prädikation) beschrieben werden. ▸ Auf mikrostruktureller Textebene sind semantische Kohärenz mit Beteiligung ▸ grammatischer Kohäsion (bei Konnektoren oder der Consecutio temporum) wie solche ohne deren Beteiligung (vgl. Thema/ Rhema-Gliederungen oder diverse Schlussverfahren) zu unterscheiden. ▸ Textbausteine und deren Textbaupläne erlauben im Weiteren eine Bedeutungs‐ ▸ komposition auf makrostruktureller Textebene, während ganze Diskurse eine Bedeutung zusammengehöriger Texte entfalten. ▸ Im Falle eines erweiterten Textbegriffs können darüber hinaus schließlich auch ▸ Abbildungen als illustrative oder konstitutive Elemente zur Konstitution textu‐ eller Bedeutungskomplexe aufgefasst werden. 2 Linguistische Grundlagen 106 <?page no="108"?> Semantische Komposition Linguistische Ebenen Beispiele Semantische Idiomatizität Nicht-sprachli‐ cher Bereich Bilder und Graphiken Text/ Bild-Verhältnis a) konstitutiv b) illustrativ Religiöse und my‐ thische Symbole Sprachlicher Be‐ reich Ebene von Texten Diskurse Makrostrukturen Textbausteine und Textbau‐ pläne Mikrostrukturen Thema/ Rhema-Strukturen, Schlussverfahren (ohne explizite Kohäsion) (Lyrik? ) Konnexion, Consecutio temporum (mit expliziter Kohäsion) Syntaktische Ebene Sätze Verbvalenz, Prädikation Sprichwörter Phrasen Attribution (einschließlich Relativsätze) Phraseologismen Lexikalische Ebene Formbildung Kennzeichnung von Genus, Kasus und Tempus Wortbildung Komposition, Derivation Determination, Kurzwortbildung Elemente Morpheme Lexikalische und grammati‐ sche Bedeutungsträger Abb. 264a: Semantische Komposition und semantische Idiomatizität auf verschiedenen sprach‐ lichen Beschreibungsebenen (Beispiele) Der Komposition von Bedeutung steht in natürlichen Sprachen wie dem Deutschen das Prinzip der Idiomatizität gegenüber. Hierbei verfügt ein mehr oder weniger kom‐ plexer sprachlicher Ausdruck über eine Gesamtbedeutung, die sich (entgegen dem Frege-Prinzip) nicht oder zumindest nicht vollständig aus den einzelnen Bedeutungen seiner Elemente ableiten lässt. Beispiele für solche idiomatisierten Ausdrücke sind so‐ wohl auf der Ebene einzelner Wörter als auch auf derjenigen von Phrasen und Sätzen zu finden (vgl. ein weiteres Mal Abb. 264a). Auf der lexikalischen Ebene ist hier insbesondere an die Wortbildung zu erinnern (vgl. zum Folgenden auch Kap. 2.6.1): ▸ So sind hier beispielsweise im Bereich der deutschen Determinativkomposita ▸ verschiedenartige Aspekte einer näheren Bestimmung des sog. Grundwortes zu unterscheiden, die etwa im Falle von Schweineschnitzel, Jägerschnitzel oder Kin‐ derschnitzel nicht durch die Elemente Schwein, Jäger oder Kind vorgegeben sind, sondern erst aus dem Kontext erschlossen oder als (aus dem situativen oder kulturellen Vorwissen) bekannt vorausgesetzt werden müssen. 2.6 Komposition von Bedeutung 107 <?page no="109"?> ▸ Ein anderes Beispiel stellt die Verwendung sog. unikaler Morpheme in Kompo‐ ▸ sita dar: Zwar wissen viele Personen, die der deutschen Sprache mächtig sind, auf welches Obst sich die Bezeichnung Himbeere bezieht, doch kann die Bedeu‐ tung nicht mehr aus der Komponente Himbzw. aus dem mittelhochdeutschen Wort Hinde hergeleitet werden, sodass die Bedeutung des ursprünglichen Kom‐ positums nur als ein Ganzes Bestand hat. ▸ Ein drittes Beispiel für Idiomatisierung im Umfeld von Wortbildung stellen ▸ zahlreiche Kurzwörter dar. Deren ursprüngliche Langform ist oftmals bereits in Vergessenheit geraten, sodass auch hier jeweils keine Gesamtbedeutung aus Teilbedeutungen konstruiert, sondern nur als ein Ganzes erschlossen werden kann (vgl. etwa das bekannte Beispiel Edeka). Auch auf der Ebene der Phrasen sind idiomatisierte Ausdrücke ausgesprochen zahl‐ reich und bilden dabei sogar ein eigenes sprachwissenschaftliches Forschungsfeld - die Phraseologie (Burger 5 2015; Donalies 2009). Der Gegenstand der Phraseologie sind sog. Phraseologismen oder Phraseme wie zum Beispiel bei jemandem ins Fettnäpfchen treten ‚sich daneben benehmen‘, auf dem Holzweg sein ‚in eine Sackgasse geraten, einem Irrtum folgen‘ oder jemanden unter die Haube bringen ‚jemanden verheiraten‘. Deren linguistischer Status ist indessen äußerst umstritten: Da sie in systematischer Hinsicht eine ausgesprochen heterogene Gruppe bilden, spielen Probleme bei deren Definition und Klassifikation noch immer eine wichtige Rolle im Forschungsdiskurs. Ohne diese Diskussion entscheiden zu wollen, seien hier die wesentlichen Merkmale von Phraseologismen angegeben und erläutert: ▸ Semantische Idiomatizität: Die Gesamtbedeutung vieler Phraseologismen (in ▸ einem terminologisch engeren Sinne) kann also nicht oder nur unter ganz be‐ stimmten Voraussetzungen aus den Einzelbedeutungen ihrer Komponenten er‐ schlossen werden. So erschließt sich die Bedeutung von bei jemandem ins Fett‐ näpfchen treten alleine vor dem Hintergrund, dass in früherer Zeit in der Küche armer Leute kleine Gefäße aufgestellt wurden, in denen sich das abtropfende Fett aus den an der Decke hängenden Würsten oder Schinken sammelte: deren Umstoßen bedeutete zum einen den Verlust eines wertvollen Rohstoffs und zum anderen einen unsauberen Boden. ▸ Syntaktische Stabilität: Phraseologismen bestehen aus bestimmten Wörtern, die ▸ nicht beliebig miteinander austauschbar sind. So kann der Phraseologismus bei jemandem einen Stein im Brett haben nicht beliebig durch den Gebrauch bedeu‐ tungsähnlicher Wörter wie Kiesel oder Fels umgestaltet werden: Der Satz Clär‐ chen wurde unter die Haube gebracht ist also möglich, während die Bildungen *Clärchen wurde unter die Kappe gebracht oder *Clärchen wurde unter den Hut gebracht kaum möglich erscheinen. Allerdings tatsächlich nur kaum, da gerade diese Stabilität Ursache für Wortspielereien sein kann - etwa, wenn Clärchen im Winter geheiratet hat: Clärchen wurde unter die Mütze gebracht. 2 Linguistische Grundlagen 108 <?page no="110"?> ▸ (Poly-)Lexikalität: Phraseologismen bestehen ursprünglich aus mehreren Wör‐ ▸ tern; sie stehen somit oberhalb der Wort- und unterhalb der Satzebene; sie werden nunmehr jedoch als lexikalische Ganzheiten erworben und verwendet. Das macht das folgende Beispiel deutlich, in welchem der Phraseologismus auf dem Holzweg sein, der aus mehreren Wörtern besteht, gemeinsam mit einem Eigennamen und einem Adverb einen vollständigen Satz bildet und dabei eine eigene Bedeutung bildet, die in diesem Falle durch ein anderes Wort äquivalent wiedergegeben werden kann: Karlchen ist heute auf dem Holzweg im Sinne von Karlchen irrt heute. ▸ Ausgeprägte Bildhaftigkeit und Konnotationsneigung: Phraseologismen zeichnen ▸ sich in der Regel durch eine ausgesprochen hohe Bildhaftigkeit aus, da sie in früherer Zeit oftmals in übertragener Bedeutung gebraucht wurden und dabei konkrete Veranschaulichungen für abstrakte Prozesse bildeten (historisch gesehen sind also die nicht übertragenen, konkreten Bedeutungen verloren ge‐ gangen, während die übertragenen, abstrakten Bedeutungen erhalten geblieben sind). Mit dieser Bildhaftigkeit ist letztlich auch die starke Ausprägung an kon‐ notativen Bedeutungen verbunden, die vielen Phraseologismen eigen ist. Übung 264a Untersuchen Sie anhand etymologischer Wörterbücher und historischer Lexika die Herkunft der folgenden Phraseologismen: a) jemanden unter die Haube bringen; b) auf dem Holzweg sein; c) mit Kind und Kegel. Die ausgeprägte Bildhaftigkeit von Phraseologismen führt dazu, dass diese insbeson‐ dere in der Alltagskommunikation eine wichtige Rolle spielen: Sie dienen insbesondere der Veranschaulichung komplexer Sachverhalte und vereinfachen damit die Kommu‐ nikation. Ihre hohe Neigung zu Konnotationen führt darüber hinaus oftmals dazu, dass sie Emotionen transportieren und soziale Zugehörigkeiten signalisieren. Nicht zuletzt können sie eine große ästhetische Wirkung entfalten und durch ihren Gebrauch sprachliche Kreativität fördern. Was Phraseologismen auf der Ebene der Phrasen sind, stellen Sprichwörter auf der Ebene der Sätze dar - syntaktische (und in diesem Falle: vollständige) sprachliche Ein‐ heiten, die jeweils (mehr oder weniger) stabil wie idiomatisiert sind. Sie werden daher nicht frei konstruiert, sondern als Ganze verwendet. Beispiele für solche Sprichwörter sind: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Oder: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist den Taler nicht wert. Oder: Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Oder: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Oder: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Die semantische Idiomatizität solcher Einheiten zeigt sich etwa in veralteten Wörtern wie Pfennig, Taler oder nimmermehr oder in den Verallgemeine‐ rungen, die ihnen regelmäßig anhaften. 2.6 Komposition von Bedeutung 109 <?page no="111"?> Übung 264b Die Bildhaftigkeit von Sprichwörtern hat etwa der niederländische Maler Pieter Brueghel der Ältere (um 1525-1569) im Jahr 1559 zum Anlass genommen, Sprich‐ wörter seiner Zeit in einem berühmt gewordenen Gemälde zusammenzufassen (vgl. Abb. 264b). Besuchen Sie die folgende Internetseite und gehen Sie auf Ent‐ deckungstour durch die Welt der flämischen Sprichwörter der frühen Neuzeit und suchen Sie Parallelen zu Sprichwörtern der deutschen Gegenwartssprache! (https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Pieter_Brueghel_the_Elder_-_The_ Dutch_Proverbs_-_Google_Art_Project.jpg) Abb. 264b: Pieter Brueghel der Ältere: Die niederländischen Sprichwörter (1559) Übung 264c Dem russischen Schriftsteller Leo Tolstoi (1828-1910) wird zugeschrieben, er habe angehenden Autoren empfohlen, eine Geschichte zu einem bekannten Sprichwort zu verfassen. Erläutern Sie den didaktischen Sinn dieser Schreibanweisung - und: versuchen Sie es doch selbst einmal! 2 Linguistische Grundlagen 110 <?page no="112"?> Literatur Adamzik 2 2016; Brinker/ Cölfen/ Pappert 8 2014; Burger 5 2015; Donalies 2009; Dona‐ lies 2 2011; Elsen 2 2014; Fleischer/ Barz 4 2012; von Polenz 1995. 2.7 Uneigentlicher Wortgebrauch In der allgemeinen Rhetorik (Lausberg 4 2008; Ueding/ Steinbrink 5 2011) werden in lin‐ guistischer Hinsicht phonetisch-phonologische, syntaktische und semantische Figuren unterschieden. Darunter spielen auch die semantischen Figuren eine wichtige Rolle, da sie die Gestaltung von Texten in ganz besonderem Maße mitbestimmen. Sie werden im Allgemeinen unter der Bezeichnung Tropus (Plural: Tropen, vgl. altgriechisch τροπή tropé ‚Wendung‘) zusammengefasst und in vier Typen unterteilt: Metapher, Me‐ tonymie, Ironie und Synekdoche. Hinzu kommen mit Pleonasmus, Oxymoron, Peri‐ phrase, Litotes, Hyperbel, Epanorthose und anderen einige weitere semantische Fi‐ guren, die zum Teil auch als Sekundärtropen bezeichnet werden. - Die didaktische Relevanz von Tropen ist vor allem im sprachbzw. rhetorikbezogenen Deutschunter‐ richt selbst zu sehen; darüber hinaus tritt sie insbesondere auch im Bereich des Lite‐ raturunterrichts und im Rahmen des fachsprachlichen Unterrichts zur Veranschauli‐ chung und Erweiterung sowie Vertiefung von Wortschatz (vgl. Kap. 2.5.2) zutage. Bei der Analyse eines Tropus sind mindestens drei Elemente zu berücksichtigen: ▸ der (eigentliche) Ausdruck, der durch einen anderen (uneigentlichen) Ausdruck ▸ ersetzt wird, ▸ der (uneigentliche) Ausdruck, der diesen (eigentlichen) Ausdruck ersetzt, ▸▸ ein sprachlicher Kontext, in dem diese Ersetzung und damit der Gebrauch des ▸ uneigentlichen Ausdruckes anstelle des eigentlichen Ausdrucks deutlich wird. Ein solch uneigentlicher Sprachgebrauch lässt sich anhand des folgenden Beispiels erläutern (vgl. Abb. 270a): Im Falle des Satzes Karlchen schreibt mit Liebe ein Gedicht dürfte offensichtlich sein, dass der Ausdruck Liebe nicht eigentlich, sondern uneigent‐ lich verwendet wird: Er bezieht sich letztlich nicht auf die Zuneigung (etwa zu Klär‐ chen), die Anlass für das Verfassen des Gedichtes ist, sondern auf ein besonders ge‐ eignetes Schreibwerkzeug, mit dem Karlchen das Gedicht zu Papier bringt - etwa einen Füllfederhalter. 2.7 Uneigentlicher Wortgebrauch 111 <?page no="113"?> sprachlicher Kontext eigentlicher Sprachgebrauch sprachlicher Kontext Karlchen schreibt mit einem Füllfederhalter ein Gedicht. mit Liebe sprachlicher Kontext uneigentlicher Sprachge‐ brauch sprachlicher Kontext Abb. 270a: Eigentlicher und uneigentlicher Sprachgebrauch (Beispiel) 2.7.1 (Primäre) Tropen Zu den zentralen semantischen Figuren bzw. primären Tropen werden gezählt: ▸ Metapher (Übertragung) ▸▸ Metonymie (Umbenennung) ▸▸ Ironie (Vortäuschung) ▸▸ Synekdoche (Mitverstehen) ▸ Unter einer Metapher (aus altgriechisch μεταφορά, metaphorá ‚Übertragung‘) wird eine Bedeutungsübertragung verstanden, bei der zwei semantische Bereiche mitein‐ ander verknüpft werden, die üblicherweise nicht miteinander verknüpft werden (Ha‐ gemann 2017). Entscheidend ist dabei jedoch das sog. Tertium comparationis, ein ver‐ gleichendes Merkmal, das in beiden semantischen Bereichen anzutreffen ist und auf der Grundlage einer Ähnlichkeit deren Verknüpfung ermöglicht. Dies ist etwa bei dem Satz Karlchen ist ein Fuchs der Fall: Niemand wird Karlchen für einen Caniden, ein hundeartiges Tier, halten; der Ausdruck bezieht sich vielmehr auf die Schlauheit, die Karlchen zukommt und im Allgemeinen auch Füchsen zugesprochen wird (das Tertium comparationis stellt hier also die Schlauheit beider dar). In dem Beispielsatz Karlchen schreibt mit Liebe ein Gedicht liegt letztlich ein metaphorischer Sprachgebrauch vor: Das Tertium comparationis besteht hier etwa in der Sanftheit oder Zärtlichkeit, welche sowohl Karlchens Liebe zu Klärchen als auch der graphischen Gestaltung des Gedichtes zukommt (vgl. auch Abb. 271a). Übung 271a Ermitteln Sie jeweils das Tertium comparationis der folgenden Metaphern: a) Wüstenschiff (für Kamele, die als Transporttiere Verwendung finden), b) Rede‐ fluss (für einen längeren, ggf. eloquenten Gesprächsbeitrag) und c) Erleuchtung (für Einfall oder Idee). Im Unterscheid zur Metapher besteht im Falle der Metonymie (aus altgriechisch μετωνυμία, metonymía ‚Vertauschung des Namens, Umbenennung‘) zwischen der Be‐ deutung des eigentlichen und des uneigentlichen Ausdrucks keine Ähnlichkeit, son‐ 2 Linguistische Grundlagen 112 <?page no="114"?> dern eine mehr oder weniger enge sachliche Beziehung. So wird zum Beispiel in dem Satz Thomas Mann hat seinen Goethe mit großer Aufmerksamkeit gelesen nicht auf die Person Johann Wolfgang von Goethes selbst, sondern auf die Werke Bezug genommen, die dieser Autor geschrieben hat. Ähnlich verhält es sich mit dem Beispiel Karlchen schreibt mit Tinte ein Gedicht: Hier wird auf die Flüssigkeit Bezug genommen, die aus Karlchens Schreibgerät, dem Füllfederhalter, strömt. Übung 271b Ermitteln Sie jeweils den sachlichen Zusammenhang der folgenden Metonymien: a) Berlin regiert die Republik; b) Heinz trank drei Flaschen; c) Karlchen singt gerne die Beatles. Im Falle von Ironie (aus altgriechisch εἰρωνεία, eirōneía ‚Verstellung, Vortäuschung‘) wird auf eine bestimmte Sache mit einem Ausdruck Bezug genommen, der einen Ge‐ gensatz hierzu darstellt: Das hast Du ja wieder einmal toll hinbekommen! Mit diesem Satz ist sehr oft kein Lob, sondern viel eher Tadel verbunden - meist wird damit aber dieser Tadel abgeschwächt bzw. relativiert und darf somit nicht mit Sarkasmus oder Zynismus verwechselt werden, die sich durch eine verletzende Intention auszeichnen. Entsprechendes gilt dies auch für das Beispiel: Karlchen schreibt mit Stahl ein Gedicht. Die Härte, die mit dem Stahl der Feder eines Füllfederhalters im Allgemeinen ver‐ bunden ist, relativiert die Sanftheit oder Zärtlichkeit, mit der Karlchen sein Gedicht an Klärchen verfasst, und nimmt ihm so den Verdacht der Gefühlsduselei. - Ironie spielt auch in der Pädagogik eine wichtige Rolle, da sie zumeist erst von Jugendlichen erkannt wird und bei Kindern verletzend wirken kann. Bei der Synekdoche (aus altgriechisch συνεκδοχή, synekdoché ‚Mitverstehen‘) schließlich handelt es sich um einen Tropus, bei dem der eigentliche Ausdruck durch den Ausdruck eines entsprechenden Teils oder des entsprechenden Ganzen ersetzt und somit uneigentlich benannt wird. So wird zum Beispiel mit dem Satz Hier sitzen lauter kluge Köpfe nicht allein auf die Köperteile von Seminarteilnehmenden Bezug ge‐ nommen, sondern auf die Personen selbst; hier wird also ein Teil für ein Ganzes genannt (Pars pro toto). Im umgekehrten Falle wird anstelle eines Teils das Ganze angeführt (Totum pro parte) - so etwa in dem Beispielsatz Er hat eine ganze Wiese an den Schuhen, obwohl die Stiefel lediglich durch Erde und Halme stark verdreckt sein mögen. Der Beispielsatz Karlchen schreibt mit der Feder ein Gedicht ist ebenfalls als Synekdoche aufzufassen, da die Feder nur einen Teil des gesamten Füllfederhalters ausmacht. Übung 271c Neben Pars pro toto und Totum pro parte werden in der klassischen Rhetorik weitere Arten der Synekdoche angesetzt. Erläutern Sie jeweils die mitverstandene Beziehung ausgehend von den folgenden Beispielen: a) Traubensaft für Wein; b) das Pronomen wir anstelle von ich; c) Brot für Nahrungsmittel oder Raubkatze für Tiger. 2.7 Uneigentlicher Wortgebrauch 113 <?page no="115"?> Metapher Karlchen schreibt mit Liebe ein Gedicht. Bedeutungsübertragung (Tertium comparationis) Metonymie mit Tinte Umbenennung (Sachzusammenhang) Ironie mit Stahl Gegensatzbenennung (Widerspruch) Synekdoche mit der Feder Teil/ Ganzes-Mitver‐ ständnis (hier: Pars pro toto) Abb. 271a: Primäre Tropen im Überblick 2.7.2 Weitere (sekundäre) Tropen Neben Metapher, Metonymie, Ironie und Synekdoche als primären werden in der Rhe‐ torik weitere semantische Figuren als sekundäre Tropen beschrieben. Hierzu gehören unter anderem: ▸ Periphrase (Umschreibung) ▸▸ Pleonasmus (Wiederholung) ▸▸ Oxymoron (Widerspruch) ▸▸ Litotes (Verneinung) ▸▸ Hyperbel (Übertreibung) ▸ Unter einer Periphrase (aus altgriechisch περί, peri ,um herum‘ und φράζειν, phrazein ,reden‘) wird eine Umschreibung eines abstrakten Begriffs, eines Gegenstands bzw. einer Person oder auch eines Sachverhalts verstanden. Bekannte Beispiele sind Auge des Gesetzes für Polizei, das Heilige Land für Israel oder ableben für sterben. Das Beispiel ableben entspricht zudem einem euphemistischen Gebrauch von Sprache, bei dem Sachverhalte in einem positiven Sinne zum Ausdruck gebracht werden sollen; die entsprechende Figur wird als Euphemismus (aus altgriechisch εὐφημία, euphēmía ‚Worte von guter Vorbedeutung‘) bezeichnet. Ein Pleonasmus (aus altgriechisch πλεονασμóς pleonasmós ‚Überfluss, Übertrei‐ bung‘) zeichnet sich durch den wiederholten Gebrauch semantisch gleicher Wörter aus, sodass es zu einer redundanten Wiederholung ohne zusätzliche kommunikative Information kommt. Dies ist zum Beispiel bei Rückantwort, Gratis-Geschenk oder schlussendlich der Fall. Diese Beispiele, denen offensichtlich keine echte rhetorische Funktion zukommt, haben eher als Stilblüten zu gelten. Anders verhält es sich aber in den folgenden Formulierungen: pechrabenschwarz, einzelne Individuen oder offizielle Amtssprache als rhetorisch beabsichtigte Steigerungen. In diesen Zusammenhang ge‐ hört auch die Steigerung von nicht zu steigernden Pronomen oder Adjektiven: in keinster Weise, am optimalsten oder zu unserer vollsten Zufriedenheit (in Arbeitszeug‐ nissen). 2 Linguistische Grundlagen 114 <?page no="116"?> Das Oxymoron (aus altgriechisch ὀξύμωρος, aus oxys ‚scharf bzw. scharfsinnig‘ und moros ‚dumm‘; Plural: Oxymora) stellt eine rhetorische Figur dar, bei der zwei einander widersprechende Konzepte miteinander verbunden werden, um auf diese Weise ent‐ weder den Effekt einer Steigerung zu erzielen oder etwas eigentlich Unsagbares unei‐ gentlich zum Ausdruck zu bringen. Beispiele für solche Figuren finden sich in der All‐ tagssprache - so etwa alter Knabe, Eile mit Weile oder beredtes Schweigen. Oxymora sind aber auch in der Literatur anzutreffen - zum Beispiel mit der Zwillingsformel „unsichtbar sichtbar“ in Goethes Faust, Der Tragödie Erster Teil (1808), Vers 3450, im Falle des Titels von Erich Kästners Gedicht „Sachliche Romanze“ (1929) oder in dem Vers „Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends“ aus der „Todesfuge“ (1948) von Paul Celan. Bei der Litotes (aus altgriechisch λιτότης, litótēs ‚Sparsamkeit‚ Zurückhaltung‘) handelt es sich um eine semantische Figur der doppelten Verneinung oder der Vernei‐ nung des Gegenteils. So stellen etwa nicht unüblich eine doppelte Verneinung und nicht selten eine Verneinung des Gegenteils dar. Der Gebrauch einer Litotes hat meist eine abschwächende Funktion und kommt daher bisweilen in ironischer Verwendung vor. Während die doppelte Verneinung in der Standardsprache als Bejahung aufzufassen ist, erscheinen in manchen deutschen Dialekten doppelte Verneinungen, die auch als Verneinung zu verstehen sind - so etwa im Bairischen: Des is koa sünd ned! im Sinne von ‚Das ist keine Sünde! ‘; eine solche Konstruktion wird bisweilen auch als falsche Litotes bezeichnet. Als Hyperbel (aus altgriechisch ὑπερβολή, hýperbolé ‚Übertreibung‘) bezeichnet man eine rhetorische Figur, mit der ein Gegenstand oder ein Sachverhalt übertrieben dargestellt werden. Wird dieses Stilmittel wiederholt angewandt, wird auch von einem hyperbolischen Stil gesprochen. Beispiele aus der Sprache des Alltags sind etwa Lö‐ wenhunger, Meer von Tränen oder blitzschnell. Beispiele für Hyperbeln finden sich ins‐ besondere in der Literatur (so etwa in dem Kunstmärchen „Das Feuerzeug“ von Hans Christian Andersen aus dem Jahr 1835): „Dort sitzt ein Hund, der hat ein Paar Augen, so groß wie Mühlräder.“) oder auch in der Bibel (zum Beispiel im Evangelium des Markus 10, 25: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“). Literatur Drößinger 2007; Eder/ Czernin 2007; Hagemann 2017; Japp 1983; Lakoff/ Johnson 1980; Lausberg 4 2008; Lausberg 4 2008; Midjana 2005; Plett 8 1991; Skirl/ Schwarz-Friesel 2007; Rolf 2005; Ueding/ Steinbrink 5 2011; Weimar 1997-2003; Weinrich 1980. 2.7 Uneigentlicher Wortgebrauch 115 <?page no="117"?> 2.8 Bedeutung im sprachlich-kulturellen Vergleich „Grundverschiedene Sprachen sind nicht einfach Sammlungen von unterschiedlichen Be‐ zeichnungen für dieselben gedanklichen Vorstellungen in einer hypothetischen und univer‐ sellen Denksprache, die für alle Sprecher aller Sprachen gleich ist. Es ist vielmehr so, dass viele der Einteilungen, mit denen wir die Welt einfangen, erst aufgebaut werden, während wir sprechen lernen - mit dem Ergebnis, dass sich unser Vorrat an Begriffen und Konzepten je nach Sprachhintergrund stark verändert“ (Evans 2014: 243). In allen Bereichen der Sprache lassen sich solche unterschiedlichen sprachlichen Kon‐ zeptualisierungen finden - diese, wie auch die Gemeinsamkeiten, untersucht die kul‐ turvergleichende Semantik (Goddard/ Wierzbicka 2003: 139) bzw. die interkultu‐ relle Semantik (Kühn 2006). In diesem Zusammenhang der semantischen Kulturunterschiede wird Sprache oft, wie im Eingangszitat, in ihrer Relation zum Denken diskutiert: „Spielen Unterschiede in der sprachlichen Konzeptualisierung eine wesentliche Rolle für die Sprache und das Denken, oder sind sie eher als interessante, aber nicht eben sehr grundlegende Randerscheinungen einzustufen? “ (Goddard/ Wierz‐ bicka 2003: 139). Hierzu haben sich zwei einander widersprechende Hypothesen zum Zusammenhang von Sprache, Kultur und Denken herausgebildet. Die sog. Relativitäts-Hypothese geht davon aus, dass die menschliche Wahrneh‐ mung und Welterfahrung elementar durch die sprachspezifischen Konzeptualisie‐ rungen geprägt werden. Sprache - und zwar nicht nur Lexeme, sondern gerade auch grammatische Strukturen - beeinflusst also die Weltsicht einer Sprachgemeinschaft, da sie die Schemata und Kategorien der Wahrnehmung vorgibt. Die radikale Form, die einen sehr engen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken postuliert, nennt man auch Sprachdeterminismus. Bekannt geworden ist diese Position auch als Sapir-Whorf-Hypothese. Die von B. L. Whorf (1897-1941) in Tradition von Herder (1744-1803) und W. V . Humboldt (1767-1835) sowie in Anschluss an E. Sapir (1884- 1939) entwickelte Hypothese verbindet im Grunde zwei Prinzipien: das des sprachli‐ chen Determinismus, nach dem die Erstsprache eines Sprechers sein Denken bestimmt, und das der sprachlichen Relativität, nach dem die in einer Sprache kodierten Unter‐ scheidungen in keiner anderen Sprache vorkommen und der Erwerb einer Sprache damit die spezifische Weltsicht der Sprecher bedingt. Demnach ist menschliche Er‐ kenntnis nur relativ zu den sprachsystematischen (nach Whorf insb. den grammati‐ schen) Vorgaben einer Einzelsprache möglich; Sprache ist die Bedingung der Interpre‐ tation von (Um-)Welt und organisiert die kognitive Strukturierung der Wahrnehmungsinhalte. Die aus der linguistischen Anthropologie stammende und an Indianersprachen entwickelte Sapir-Whorf-Hypothese wurde v. a. in der Soziolingu‐ istik im Rahmen der Sprachbarrieren-Diskussion rezipiert. Auch die feministische Sprachtheorie und die kognitive Metaphern-Linguistik gehen davon aus, dass sprach‐ liche Prozesse die soziale Realität und das Denken formen. In ihrer strikten Form wird die Sapir-Whorf-Hypothese heute kaum noch vertreten; gegen sie spricht z. B. die Möglichkeit des erfolgreichen Übersetzens zwischen zwei Sprachen. Das Wechselver‐ 2 Linguistische Grundlagen 116 <?page no="118"?> hältnis zwischen Sprache und Denken wird heute als komplexer als in der Sapir-Whorf-Hypothese und Wahrnehmung als auch sprachunabhängig möglich, näm‐ lich durch Kognition und Emotion gesteuert, angenommen. Aber in abgeschwächter Form gilt die Hypothese als allgemein akzeptiert. Der entgegengesetzte Standpunkt zu dieser Position wird in der Hypothese vom sprachlichen Universalismus formuliert: Demnach folgt das menschliche Denken kulturübergreifend denselben Grundprinzipien. Die Sprachwissenschaftler, die diese Hypothese verfolgen, suchen im kulturellen Vergleich nach sog. semantischen Primi‐ tiva als kulturübergreifend universalen Konzepten, sozusagen kleinsten, grundle‐ genden semantischen „‚Bedeutungsatomen‘“ (Goddard/ Wierzbicka 2003: 145), aus denen komplexere Bedeutungen zusammengesetzt sind. Beispiele für solche semanti‐ schen Primitiva als universale sprachliche Konzepte liefern Goddard/ Wierzbicka: Substantiva I C H , D U , J E MAND , L E U T E , E TWA S , K ÖR P E R Determinative Elemente DI E S , DA S S E L B E , E IN S , ZW E I , E INI G E , VI E L , AL L E , Erfahrungsverben WI S S E N , D E NK E N , WO L L E N , FÜHL E N , S E H E N , HÖR E N Handlungs- und Vorgangsverben S A G E N , T U N , G E S C H E H E N , B E W E G E N Existentiale und Possessiva E S G I B T , HAB E N Leben und Tod Evaluation und Beschreibung L E B E N , S T E R B E N G U T , S C HL E C HT , G R O SS , K L E IN Räumliche Konzepte WO , HI E R , ÜB E R , U NT E R , NAH , F E R N , IN , S E ITLI C H Zeitliche Konzepte W E NN , NAC H , V O R , J E TZT , E IN E LAN G E Z E IT , E IN E K U R Z E Z E IT , E INI G E Z E IT Relationale Elemente E IN E A R T …, T E IL V O N , S E H R , M E H R , WI E Logische Elemente W E NN , W E IL , NI C HT , VI E L L E I C HT , KÖNN E N Abb. 280a: Universale sprachliche Konzepte: semantische Primitiva (Goddard/ Wierzbicka 2003: 147) Allerdings wird davon ausgegangen, dass es wahrscheinlich weniger als 100 solcher Konzepte gibt und dass damit konzeptuelle Unterschiede zwischen den Sprachen, d. h. komplexe und sprachspezifische Bedeutungen überwiegen, die eine Art „Spiegelbild und Ausdruck der einzigartigen historischen und kulturellen Erfahrungen einer Sprachgemeinschaft“ (ebd.: 148) sind. Semantische Kulturspezifika lassen sich, wie bereits kurz erwähnt, auf allen sprachli‐ chen Ebenen finden und beschreiben: im Bereich der Lexikologie, der Morphologie, der Syntax und selbst der Phonologie (Satzmelodie, Betonung, Tonhöhe). Im Folgenden 2.8 Bedeutung im sprachlich-kulturellen Vergleich 117 <?page no="119"?> sollen zunächst und vor allem lexikalische Kulturspezifika im Wortschatz be‐ leuchtet werden, für den Edward Sapir formulierte: Unterscheidungen, die uns unabdinglich erscheinen, mögen in anderen Sprachen, die einen völlig anderen Kulturtyp widerspiegeln, keinerlei Rolle spielen. Umgekehrt bestehen diese auf Unterscheidungen, die für uns nichts anderes als unverständlich sind. (Deutsch nach Goddard/ Wierzbicka 2003: 141) Wörter sind damit „kulturell geprägte Denk- und Formulierungswerkzeuge“ (Kurtz 2016: 447), d. h. Wortbedeutungen sind sprach- und kulturabhängig oder sogar -spezi‐ fisch - selbst in Bereichen, in denen man glauben möchte, dass eine 1 : 1-Übersetzung zwischen Wörtern problemlos möglich ist. Es genügt, die Bedeutung der beiden all‐ täglichen Substantive Haus und Brot unter die Lupe zu nehmen, um dies zu bemerken: Sofort wird augenfällig, wie unsere lebensweltlichen Bedingungen unsere semanti‐ schen Konzepte und Begriffe hinter diesen Wörtern prägen. Während ein Deutscher bei Brot vermutlich prototypisch an ein rundes Land-/ Bauernbrot oder ein dunkles, kastenförmiges Roggen- oder Schwarzbrot denkt, assoziiert ein Franzose mit Brot bzw. pain ein langes, helles Baguette (vgl. Kap. 2.2.3 zur Prototypen- und Stereotypense‐ mantik); während ein Deutscher bei Haus Vorstellungen von soliden, stabil gemauerten vier Wänden hat und eventuell an Aspekte wie Miete, fester Wohnsitz oder Altersvor‐ sorge denkt, verbinden Angehörige von Kulturen, die in Iglus oder Lehmhütten leben, sowohl mit dem Wort Haus bzw. dessen mehr oder weniger entsprechenden Bezeich‐ nungen als auch mit dem Verb wohnen völlig anderes, da Häuser nicht nur anders gebaut werden, sondern auch einen anderen Stellenwert im Leben und Alltag (zum Beispiel eines Nomadenvolkes) einnehmen. Auch dem Wort Arbeit (und seinen jewei‐ ligen Übersetzungen) liegt je nach (z. B. ländlicher, industrieller, Dienstleistungs-) Kultur der Sprachgemeinschaft ein ganz unterschiedliches Konzept zugrunde, welche Berufe prototypisch sind, wie viel Tage die Woche gearbeitet wird, ob Arbeit ein rares Gut oder eine lästige Pflicht ist usw. (vgl. hierzu Freges Unterscheidung in Sinn und Bedeutung, Kap. 2.1.3). Dies zeigt, dass es zwischen zwei Sprachen und Kulturen keine exakten „Synonyme“, sondern höchstens Äquivalente geben kann und dass auch das angesichts der kulturellen Aufladung der Bedeutung schwierig ist, nämlich wirk‐ lich äquivalent zu übersetzen. Also kann sich ein Wort auf den gleichen Gegenstand beziehen, aber gänzlich An‐ deres bedeuten, oder anders gesagt: Überbegriffe können unterschiedliche Prototypen beinhalten. „Gerade in den Basis- oder Primärbegriffen (Hund, Stuhl, Haus, Schiff, Baum) sind die für den Menschen relevanten Eigenschaften in maximaler Weise kon‐ zentriert, sie haben ein visuelles Vorstellungsbild“ (Ol’sankij 1999: 230). Auch Wortas‐ soziationen sind immer kulturspezifisch (Avdić 2011: 262; Spinelli 1992: 306). Demnach ist die Bedeutung eines Wortes oder einer lexikalischen oder grammatischen Kon‐ struktion eine kulturelle Konvention (Berthele 2000: 14), die wir in der Sozialisation in unserer eigenen Sprachgemeinschaft mit ihrem spezifischen kulturellen Kontext er‐ worben haben. Diese Bedeutung und dieselbe Wortreferenz unterstellen wir in der 2 Linguistische Grundlagen 118 <?page no="120"?> Kommunikation unbewusst ebenfalls dem Interaktanten, wodurch es zu Missverständ‐ nissen kommen kann (Kühn 2006: 26). Hierbei ist es überhaupt nicht nötig, den Blick auf exotische Länder und Kulturen und andere Sprachen zu werfen, um den Zusammenhang von Bedeutung und Kultur zu erkennen. Auch innerhalb einer nationalen Sprachgemeinschaft, die dieselbe (Stan‐ dard-)Sprache spricht, finden sich verschiedene Teilkulturen mit verschiedenen Wort‐ konzepten; Kulturgrenzen sind nicht zwangsläufig Sprachgrenzen. So umfasst etwa im Schwäbischen Fuß (Fuaß) das ganze Bein und hat demnach eine deutlich weitere Be‐ deutung als im Standarddeutschen. (Ähnlich umfasst z. B. das spanische dedos als Kon‐ zept undifferenziert sowohl ‚Finger‘ als auch ‚Zehen‘.) Und es variiert regional zum Beispiel die Bedeutung des Ausdrucks Pfannkuchen: In Berlin handelt es sich dabei um ein ‚frittiertes Hefegebäck mit Füllung‘, welches im Rheinland unter Berliner und in Hessen als Kräppel bekannt ist, während in vielen anderen Regionen unter Pfannkuchen ein ‚Teig, der in der Pfanne gebacken wird‘ verstanden wird. Ein bekanntes, nicht regional verteiltes Beispiel innerhalb deutscher Teilkulturen ist das Wort geil, das bereits Gegenstand einer Übungsaufgabe in Kap. 2.5.1 war und das in der Jugendsprache und -kultur so viel wie ‚toll, großartig‘ bedeutet, umgangs‐ sprachlich eher ‚sexuell erregt, gierig, lüstern‘ und fachkulturell in der Botanik ‚üppig wachsend; fruchtbar‘; ein Blick auf die Sprachgeschichte (vgl. Paul 2002) und damit im diachronen Blick auf andere Teilkulturen zeigt zudem frühere Verwendungen von geil in der Bedeutung ‚froh, übermütig‘. Mit den verschiedenen Bedeutungen gehen in den verschiedenen Kulturen auch unterschiedliche stilistische Konnotationen einher: So ist geil in der Jugendkultur ein gängiger, gruppen-/ kulturintern unmarkierter Ausdruck und auch in der fachkulturellen botanischen Bedeutung neutral, während er in der umgangssprachlichen Bedeutung und Alltagskultur als abwertend bzw. der unteren Stilschicht zugehörig wahrgenommen wird. Ein weiteres semantisches Phänomen zwischen verschiedenen Kulturen ist das der fehlenden Lexikalisierung bestimmter Konzepte in bestimmten Sprachen - womit sich ein Problem der direkten wörtlichen Übersetzbarkeit ergibt. So gelten etwa die deut‐ schen Ausdrücke Rabenmutter und Gemütlichkeit oder auch Heimat als kulturelle Schlüsselwörter und daher in viele andere Sprachen schwer und insbesondere nicht wörtlich übersetzbar, da eine lexikalische Entsprechung in der anderen Sprache fehlt; umgekehrt fehlen dem Deutschen z. B. spezifische Essens- (kulturtypische Lebens‐ mittel und Gerichte) oder Verwandtschaftsbezeichnungen, die es z. B. im Türkischen gibt und die dort etwa als Anrede verwendet werden (z. B. abla für ‚ältere Schwester‘). Selbst scheinbar basale Konzepte wie die Raumorientierung mit den anthropozentri‐ schen Begriffen links und rechts sind keineswegs eine natürliche semantische Univer‐ salie und existieren in vielen Sprachgemeinschaften nicht; hier werden Raumangaben entweder nach konstanten Himmelsrichtungen oder nach räumlichen Verhältnissen in Bezug auf andere Objekte getätigt (Evans 2014). Solch eine Unübersetzbarkeit ist je‐ weils ein Hinweis auf ein sehr kulturspezifisches semantisches Konzept einer Sprach‐ gemeinschaft, das nur durch umfangreichere soziokulturelle und sprachliche Refle‐ 2.8 Bedeutung im sprachlich-kulturellen Vergleich 119 <?page no="121"?> xionen und Beschreibungen erfasst werden kann. Ein Blick aus der Perspektive der und des Deutschen mag dies am Beispiel des dänischen Worts Hygge verdeutlichen, das es 2016 nicht nur zum Buchtitel in Deutschland (Meik Wiking (2016): Hygge - ein Le‐ bensgefühl, das einfach glücklich macht), sondern auch in den online-Duden (www.du den.de/ suchen/ dudenonline/ hygge, 17.01.2020) geschafft hat. Hygge ist ein Wort für ein Lebensgefühl, das als typisch dänisch gilt und für das es demnach kein Konzept in der deutschen Kultur und Sprache gibt. Es lässt sich nicht direkt übersetzen, sondern nur weitläufig umschreiben, was unter Hygge verstanden werden kann. Der online-Duden definiert das Substantiv die Hygge unter explizitem Verweis auf die Kulturspezifik als ‚Gemütlichkeit, Heimeligkeit als Lebensprinzip (in Dänemark)‘, das Adjektiv hyggelig als ‚dem Prinzip der Hygge gemäß; gemütlich, heimelig‘ (ebd.). Ausführlicher wird die Problematik der Kulturspezifik und (Un-)Übersetzbarkeit „dieses ur-dänische[n] Konzept[s]“ (www.visitdenmark.de/ de/ daenemark/ die-kunst-der-daenischen-hygge, 17.01.2020), das persönliche Beziehungen, Inneneinrichtung, Freizeitaktivitäten und Essen umfasst und offenbar durch Kerzenschein(-Atmosphäre) symbolisiert werden kann, auf einer touristischen Homepage diskutiert: Das dänische Wort ‚Hygge‘ lässt sich nicht so einfach übersetzen: Es kann am ehesten mit ‚Gemütlichkeit‘ übersetzt werden, doch dieses Wort deckt nicht die Bandbreite der ‚Hygge‘ ab. […] ‚Hygge‘ ist ein Kernbestandteil der dänischen Tradition. Im Wesentlichen ist ‚Hygge‘ eine gemütliche, herzliche Atmosphäre, in der man das Gute des Lebens mit netten Leuten zusammen genießt. Das warme Licht der Kerzen ist ‚Hygge‘. Freunde und Familie gehören auch zur ‚Hygge‘. Und nicht zu vergessen das Essen und Trinken - das heißt für Dänen am liebsten mehrere Stunden am Tisch zu sitzen und sich gemeinsam mit den größeren und kleineren Dingen des Lebens auseinanderzusetzen. Vielleicht erklärt das dänische Phänomen ‚Hygge‘, wieso die Dänen oft als eines der glücklichsten Völker der Welt betrachtet werden? […] Hygge ist ein immanenter Bestandteil der dänischen Kultur: Sie werden Hygge in der Einrichtung Ihres Ferienhauses oder Hotels finden (Dänisches Design ist hier das Stichwort), in den gemütlichen kleinen Cafés und natürlich in Form von kulinarischen Köstlichkeiten in den Bäckereien. Im Sommer bedeutet ‚Hygge‘ Picknicks im Park, mit Freunden grillen, Open- Air-Konzerte, Straßenfeste und Radtouren - alles auf die dänische Art. Egal wann und wo: Kerzenschein bildet oftmals die Grundlage für das hyggelige Gefühl. Für solch ein umfassendes Konzept besitzt das Deutsche keinen einzelnen Begriff, denn es wäre mit ‚Behaglichkeit, Gemütlichkeit‘ in den Augen/ Ohren eines Dänen nur sehr unzureichend und rudimentär übersetzt, da alle Konnotationen und Assoziationen (Grillen, Kerzenschein usw.), die das Wort in der dänischen Kultur hervorruft, nicht erfasst würden. Wörter und ihr Gebrauch, in dem die Bedeutung sich erst zeigt, sind sprach- und kulturspezifisch. Am Beispiel Hygge wird damit deutlich, dass die (kultu‐ relle, kulturbedingte, kulturspezifische) Bedeutung eines Wortes, die in den Hand‐ lungen liegt, die wir mit diesen Wörtern vollziehen, in den seltensten Fällen einfach übersetzt werden kann, „da die Gebrauchsbedingungen und Handlungszusammen‐ hänge in einer fremden Sprache und Kultur anders sind“ (Ekinci-Kocks 2013: 34). Hierin 2 Linguistische Grundlagen 120 <?page no="122"?> liegt auch der Grund für die Übernahme zahlreicher Fremdwörter aus anderen Spra‐ chen und Kulturen: Wenn eine Sprachgemeinschaft ein neues kulturelles Konzept ken‐ nenlernt, für das es über kein eigenes Wort verfügt bzw. noch nicht verfügen kann, übernimmt man mit dem Konzept das entsprechende (Fremd-)Wort, das dieses Konzept am präzisesten erfassen kann, wie hier Hygge in den online-Duden. Dieser Aspekt der kulturspezifischen Präzision zeigt sich auch darin, dass sich Spra‐ chen oft darin unterscheiden, wie viele Wörter sie innerhalb bestimmter Wortfelder für den Ausdruck spezifischer Bedeutungsnuancen zur Verfügung stellen. Diese Aus‐ differenzierung (oder lexikalische Elaboration) spiegelt oftmals kulturelle Aspekte wider; bekannt ist hier sicherlich das Beispiel der vielen verschiedenen Wörter für verschiedenste Sorten von ‚Schnee‘ bei den Inuit oder für Rentiere verschiedenen Alters in Lappland, aber weitere Beispiele finden sich zahlreich, etwa ein in asiatischen Spra‐ chen ausdifferenziertes Wortfeld für Reis: Im Malaiischen bedeutet padie ‚noch nicht gedroschener, ungeschälter Reis‘, beras ‚ungekochter ungeschälter Reis‘, nasi ‚ge‐ kochter Reis‘ usw. (Goddard/ Wierzbicka 2003: 148 f.). Andere Sprachen können diese Unterscheidung ebenfalls ausdrücken, haben dafür aber keine lexikalisierten Mittel, sondern müssen auf Attributbildungen oder Prädikationen zurückgreifen. Anfälliger für Missverständnisse in der interkulturellen Kommunikation ist ein anderes wortfeldrelevantes semantisches Phänomen - und zwar, wenn zwei Aus‐ drücke in zwei Sprachen scheinbar direkt ineinander übersetzbar sind, sie aber eine andere Bedeutung oder einen gänzlich anderen Bedeutungsumfang aufgrund ihrer Wortfeldposition haben. Schaut man sich etwa das Wortfeld der Schulnoten an, ist ein Deutscher daran gewöhnt, dass eine 1 die Note für die bestmögliche Leistung darstellt - und wird sich eventuell wundern, wenn in Polen die schlechteste schulische Leistung mit einer 1 benotet wird. Gleichzeitig ist der Bedeutungsumfang abhängig von der Anzahl an Noten im Wortfeld. Innerhalb eines Systems mit sechs Noten, wie in Polen und Deutschland, ist die Bedeutungsbreite einer 1 eine andere (weit größere) als in‐ nerhalb eines Notensystems wie in Frankreich, wo eine 1 die zweitschlechteste Note bzw. Punktzahl ist, die beste aber nämlich eine 20. Während dieses Phänomen durch reine, mehr oder weniger willkürliche und eben gänzlich konträre Festlegung erklärt werden kann, beruht ein anderes Wortfeld-ab‐ hängiges Phänomen auf sprachlicher und kultureller Sozialisation - und damit aller‐ dings auch auf einem unterschiedlichen Bedürfnis der Feinheit der Bedeutungsdiffe‐ renzierung. Guy Deutscher erklärt in seiner Monographie „Im Spiegel der Sprache“ (2014) so ausführlich wie anschaulich, wie unterschiedlich ausdifferenziert in ver‐ schiedenen Kulturen das Wortfeld der Farbadjektive ist und welch unterschiedliche Bedeutungsbreite demnach Farbadjektiven zukommt. In Kulturen, in denen es nicht mehr als vier Farbadjektive gibt, ist der Bedeutungsumfang von rot zwangsläufig er‐ heblich breiter als im Deutschen und kann auch Farben umfassen, die Deutsche als blau oder grün bezeichnen würden. Diese Farben, die Deutsche blau und grün nennen, nehmen die Sprecher durchaus wahr, ebenso die Farbdifferenz, aber diese wie auch die Differenz zu dem, was Deutsche rot nennen, ist für sie kulturell nicht relevant. Solch 2.8 Bedeutung im sprachlich-kulturellen Vergleich 121 <?page no="123"?> unterschiedliche Bedeutungsbreiten im Bereich der Farbadjektive kennt man innerhalb des Deutschen an den Grenzen von Farbkontinua, wie etwa zwischen blau-türkis-grün oder rosa-pink. Dies zeigt, dass Skalen für Farben oder Schulleistungen lexikalisch ganz unter‐ schiedlich gegliedert werden können. Unterschiedliche Sprachen rufen somit unterschiedliche Denkmuster hervor. Auf der offen‐ sichtlichsten Ebene heißt das, dass die richtigen Konzepte im Kopf bereitliegen müssen, wenn man eine Sprache verstehen oder sprechen will. Solange man keine Vorstellung von ‚Paral‐ lelverwandte(r) mütterlicherseits zwei Generationen nach oben oder unten‘ hat, kann man das Wort kakkak aus dem Kunwinjku [australische Ureinwohner-Sprache] nicht benutzen, denn es verbindet gleichzeitig die Vorstellung ‚Mutter der Mutter‘ (Großmutter mütterli‐ cherseits), ‚Bruder der Mutter der Mutter‘ (Großonkel mütterlicherseits) und ihre umge‐ kehrten Gegenstücke. (Evans 2014: 243) Interkulturell problematisch, da Missverständnisse fördernd, sind zudem Fälle von, so könnte man es nennen, zwischensprachlicher Homonymie (z. B. deutsch Salat ‚Salat‘, arabisch salat ‚Gebet‘). Über solche Fälle wird oft aus der Werbebranche berichtet, wenn diese globalisiert, aber kulturunsensibel mit demselben Slogan oder Produktnamen in verschiedenen Kulturen und Sprachgemeinschaften wirbt (Global Branding) - und nicht merkt, dass eine verwendete Wortform in der fremden Kultur und Sprache eben‐ falls, aber in einer ganz anderen Bedeutung, existiert. Marken- und Produktnamen sind hier ein beliebtes Beispiel, um die Probleme zu verdeutlichen. So erklärt sich etwa der ausbleibende Erfolg eines amerikanischen Unterwäscheherstellers namens Puff in Deutschland mit Wissen um die deutsche Bedeutung dieser Wortform. Und aus der Autobranche erlangten gleich mehrere Beispiele unrühmliche Bekanntheit, etwa der Ford Pinto (Pinto bedeutet in der brasilianischen Umgangssprache ‚kleiner Pimmel‘), der Mitsubishi Pajero (Pajero bedeutet auf Spanisch ‚Wichser‘; in spanischsprachigen Ländern heißt der Geländewagen deshalb Montero) oder der Audi e-tron (étron bedeutet auf Französisch ‚Scheißhaufen‘). Hinzu kommen verschiedene kulturelle Bedeutungen nonverbaler Werbeelemente (wie etwa die Bedeutung von Alter o. dgl.), auf die Rücksicht zu nehmen und mit denen kultursensibel umzugehen ist. Wie bereits angedeutet, finden sich semantische Kultur- und Sprachunterschiede aber nicht nur im Wortschatz, sondern auch in der Grammatik und Pragmatik. Wenn wir im Deutschen sagen, dass etwas ohne Zweifel oder zweifellos der Fall ist, dann markiert das eine größtmögliche Sicherheit - Zweifel werden ausgeschlossen. Im Französischen hingegen bedeutet sans doute nur aus deutscher Perspektive, in - un‐ angemessener - wörtlicher Übersetzung, ‚ohne Zweifel‘; die Verwendungsbedeutung von sans doute wäre korrekt zu übersetzen mit ‚wahrscheinlich‘, also einem weit ge‐ ringeren Sicherheitsfaktor. Das deutsche ‚ohne Zweifel‘ müsste auf Französisch korrekt mit sans aucun doute ‚ohne jeglichen Zweifel‘ übersetzt werden. Solche Fälle sind zwi‐ schenkulturell nicht unüblich. Um jemanden im Deutschen für einen kurzen Augen‐ 2 Linguistische Grundlagen 122 <?page no="124"?> blick zu vertrösten und ein Warten bzw. Geduld zu erbitten, sagen wir im Deutschen eventuell Ich komme sofort. (ohne mit sofort ‚auf der Stelle, sogleich‘ zu meinen) oder aber Sekunde! . Auch in England kann man in diesem Fall Hold one second. ‚Warte eine Sekunde.‘ sagen. In Frankreich weiß man hingegen, dass es dann doch meistens länger dauert, und man vertröstet das Gegenüber gleich mit Attends une minute. ‚Warte eine Minute.‘, ohne damit die Dauer von 60 Sekunden zu meinen. Äußerungsbedeutungen und -modifikationen auf pragmatischer Ebene drücken wir im gesprochenen Deutsch sehr oft auch durch die als schwer bis nicht (wörtlich) über‐ setzbar geltenden Partikeln aus, von denen das Deutsche viele vorzuweisen hat, wie etwa folgender Satzzusammenhang mit verschiedenen möglichen Abtönungsparti‐ keln verdeutlicht: Das ist echt / wohl / doch / halt / ja / aber verrückt. Und während sich einerseits die Satzbedeutung durch die Partikeln modifizieren lässt (Der Kaffee ist ja heiß. / Der Kaffee ist aber heiß. [Überraschungssignal]), tragen auch die Partikeln je nach Satzkontext eine unterschiedliche Bedeutung (Komme ja pünkt‐ lich. [Verstärkung einer Mahnung] vs. Er kommt ja meist pünktlich. [Beschwichtigung]). Generell kann man die Bedeutungen und Funktionen der typisch deutschen Parti‐ keln wie folgt zusammenfassen: Sie dienen ▸ als Illokutionsindikatoren/ -modifikatoren, ▸▸ der Modalisierung: Vagheit, Distanzierung, Verschärfung, ▸▸ der Markierung von Höflichkeit/ der Beziehungsgestaltung, ▸▸ der Markierung der Sprechereinstellung, ▸▸ der Adressatenlenkung (Signalfunktion für das Verstehen), ▸▸ der Textstrukturierung und Gliederung von Turns, ▸▸ der Rederechtssicherung, ▸▸ der Verständnissicherung, ▸▸ der Nuancierung von Aussagen, ▸▸ der Lockerheit, Spontaneität und Flüssigkeit. ▸ All diese Funktionen können auch in anderen Sprachen und Kulturen übernommen und die jeweiligen satz- und aussagenmodifizierenden Bedeutungen ausgedrückt werden - aber tendenziell mit anderen sprachlichen Mitteln. Dies gilt etwa auch für die Sprechhandlung des Grüßens, die sich je nach Kultur und Sprachgemeinschaft völlig unterschiedlich vollzieht. Während man in Europa gerne fragt, wie es dem An‐ deren geht (Wie geht es Dir? How are you? Ça va? ), wird in anderen Kulturen als Be‐ grüßung, ohne damit also auf eine bedeutungsvolle Antwort im Sinne der wörtlichen Frage zu zielen, etwa gefragt, wohin man gehe, ob man schon reich geworden sei oder ob man schon gegessen habe oder im Internet gewesen sei. Es handelt sich hier um „de-semantisierte Wortverbindungen mit einer bestimmten kommunikativen Funk‐ tion“ (Kühn 2006: 22). Hier liegt die interkulturelle Herausforderung im pragmatischen Bereich: „Die Deutung von nicht explizit Gesagtem ist in der Kommunikation mit An‐ 2.8 Bedeutung im sprachlich-kulturellen Vergleich 123 <?page no="125"?> gehörigen einer fremden Kultur schwieriger als in der Kommunikation mit Angehö‐ rigen der eigenen Kultur“ (Knapp 2013: 90). Weitere grammatisch manifestierte Bedeutungsunterschiede zwischen Sprachen zeigen sich in der (Nicht-)Existenz bestimmter grammatischer Kategorien wie „zählbar/ nicht-zählbar“, „Substantiv/ Verb“, „Tempus“ oder „Kasus“ (Goddard/ Wierzbicka 2003: 141). Dennoch betonen einige Sprachwissenschaftler, dass sich Sprachen grundsätzlich nicht darin unterscheiden, was sie (nicht) sagen können bzw. was in ihnen (nicht) aus‐ drückbar sei; man könne prinzipiell in jeder Sprache alles irgendwie ausdrücken. Spra‐ chen würden sich aber vielmehr darin unterscheiden, was sie zwangsläufig aufgrund ihrer Struktur immer mit ausdrücken müssten. So gibt es Sprachen, in denen ein Spre‐ cher bei einer Aussage immer mit ausdrücken muss, ob ihm die Informationen aufgrund persönlicher Erfahrung, vom Hörensagen oder durch eigene Schlussfolgerung bekannt sind: Wenn man den deutschen Satz es brannte ins Pomo [Nordkalifornien] übersetzen will, muss man sich zwischen vier Verbsuffixen entscheiden: p h a·bék h -ink´e heißt, dass man es am eigenen Leib erfahren hat, p h a·bék h -a, dass man direkte Hinweise anderer Art hat, p h a·bék h -ine, dass man indirekte Hinweise hat und daraus auf das Ereignis schließt, und p h a·bék h -·le, dass man seine Aussage aufgrund von Informationen Dritter macht (Evans 2014: 123). Andere Sprachen verpflichten den Sprecher dazu, Aussagen über die (Un-)Sichtbarkeit eines Gegenstandes, die Himmelsrichtung von Geschehnissen oder den interperso‐ nellen Hierarchiestatus von Interaktanten zu treffen (ebd.; Deutscher 2014; Evans 2014). So bedeutet etwa Wekemarnûmokkûnhdokan, wenn man es so übersetzt, dass alle so‐ zialen Implikationen expliziert werden: ‚Ich befürchte, dass die beiden, die gegenseitig in einem ungeradzahligen Generationsverhältnis stehen, vielleicht, mit Folgen für je‐ manden anderen und ohne dass eine wichtige Person davon weiß, gehen; durch die gewählte Wortform zeige ich hiermit an, dass einer der beiden Handlungsträger eine Schwiegermutter von mir ist oder ein anderer Verwandter, mit dem ich in einem spe‐ ziellen Respektsverhältnis stehe‘ (Evans 2014: 128). Über die lexikalischen und grammatischen Kategorien hinaus erläutern Goddard/ Wierzbicka (2003: 154 ff.) zudem noch sog. kulturelle Skripte wie etwa „SAGEN, WAS MAN WILL“. Sie zeigen, wie die Gepflogenheiten etwa der (In-)Direktheit dieser Sprechhandlung deutlich kulturell bedingt und konnotiert sind. Das heißt, wenn ein Sprecher diesen Sprechakt in wörtlicher Übersetzung aus seiner Sprache L1 (z. B. des Verbs müssen, der Verwendung der Imperativ- oder Frageform) und damit gleicher (In-)Direktheit in einer anderen Sprache L2 artikuliert, kann es sein, dass er damit in L2 unhöflich (zu direkt) oder unterwürfig wirkt. So artikuliert man in der für Zurück‐ haltung bekannten japanischen Kultur Wünsche auf sehr indirekte Weise. Direkte Fragen wie „Was wollen Sie essen? “ oder „Was möchten Sie? “ gelten ebenso als unhöf‐ lich wie konkrete Antworten. Nach bestimmten Arrangements befragt, antworten Ja‐ 2 Linguistische Grundlagen 124 <?page no="126"?> panerinnen und Japaner mit Ausdrücken wie „jede Zeit ist recht“ oder „jeder Ort ist für mich ok“. Es wird in der japanischen Kultur also streng vermieden, in europäisch direkter Art zu sagen, was man will. Das japanische Skript „SAGEN, WAS MAN WILL“ würde man paraphrasieren mit: wenn ich etwas will, ist es nicht gut, zu anderen Leuten zu sagen: ich will dies[; ] ich kann etwas anderes sagen[; ] wenn ich etwas anderes sage, dann können andere Leute wissen, was ich will. (Goddard/ Wierzbicka 2003: 155) Das analoge anglo-amerikanische Skript, geprägt von Idealen der individuellen Freiheit und Autonomie, würde hingegen lauten: „jeder kann Dinge wie diese zu anderen Leuten sagen: ich will dies/ ich will dies nicht“ (ebd.: 156). Jedoch liegen in diesem Bereich der kulturellen Skripte quer zu den kulturellen Prä‐ ferenzen des Ausdrucks immer auch individual-stilistische Präferenzen, sodass man die kulturelle Prägung nicht verabsolutieren und überschätzen darf. Abschließend sei noch ergänzend darauf hingewiesen, dass natürlich nicht nur die Bedeutung von Sprache, sondern auch von nonverbaler Kommunikation, etwa von Mimik und Gestik, kulturspezifisch geprägt ist. Während der nach oben gestreckte Daumen nicht zuletzt dank Facebook mittlerweile einen überkulturellen Siegeszug als Geste der Zustimmung und positiven Bewertung angetreten hat, gibt es andere Gesten, die in verschiedenen Kulturen gleich aussehen, aber ganz Unterschiedliches bedeuten, sodass hier vor einer Verwendung in fremdkulturellem Kontext gewarnt werden muss. Wenn man in Deutschland Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis formt, bedeutet dieses Ring-Zeichen so viel wie ‚super‘, es gilt auch etwa unter Tauchern als Zeichen, dass alles in Ordnung ist. In anderen Kulturen hingegen (etwa Frankreich) kann es die Null symbolisieren und steht damit für die Qualifikation einer Person oder Handlung als ‚wertlos‘; eine noch andere Bedeutung trägt diese Geste etwa in Italien, wo sie als obszöne Anspielung auf eine Körperöffnung und damit als Beleidigung gilt. Auch Farben tragen oft sehr kulturspezifische Bedeutungen bzw. werden kulturabhängig unterschiedliche Farben für dasselbe Konzept verwendet. In Deutschland verwendet man so etwa Schwarz als Trauerfarbe - in Asien Weiß. Wörter, grammatische Strukturen, nonverbales Verhalten spiegeln immer Kulturen wider; der Erwerb einer fremden Sprache lässt sich demnach nicht auf das Erlernen sprachlicher Strukturen beschränken, sondern schließt notwendigerweise immer auch die Auseinandersetzung mit dem Umfeld der Sprache, d. h. mit der fremden Kultur und die damit einhergehende Reflexion über die eigene Kultur mit ein. Die Bedeutung und Interpretation sowie die Weltwahrnehmung wird von der Kultur der Sprecher mitbe‐ stimmt (Avdić 2009: 255): It is not possible to learn a foreign language without understanding the specific socio-cultural values and conceptualisations that underlie that particular language. (Harden/ Witte 2000: 7) 2.8 Bedeutung im sprachlich-kulturellen Vergleich 125 <?page no="127"?> Kapitel 3.6.6 erörtert, inwiefern die angesprochenen sprachlich-kulturellen Bedeu‐ tungsunterschiede es nötig machen, nicht nur mit Fremdsprachenlernern, sondern auch im Deutschunterricht im heutzutage mehrsprachigen Klassenzimmer eine kul‐ tursensible, „kulturbezogene Wortschatzarbeit“ (Avdić 2011) durchzuführen, die die Sprache mitsamt dem kulturellen Hintergrund vermittelt. Übung 280a Im Text heißt es: „Dies zeigt, dass es zwischen zwei Sprachen und Kulturen keine exakten ‚Synonyme‘, sondern höchstens Äquivalente geben kann und dass auch das angesichts der kulturellen Aufladung der Bedeutung schwierig ist, nämlich wirklich äquivalent zu übersetzen.“ Erläutern Sie diesen Satz und belegen Sie die Behauptung mit eigenen Beispielen, die nicht dem Text entstammen. Übung 280b Es gibt im Deutschen (angeblich) Wörter, die typisch deutsch seien, weil es sie nur im Deutschen gebe, z. B. Abendbrot, Brückentag, Fingerspitzengefühl, Fremd‐ schämen, Geborgenheit, Geschmacksverirrung, innerer Schweinehund … Be‐ schreiben Sie die (kulturell geprägte) Bedeutung von drei dieser Wörter so, als wenn Sie sie für eine Person einer fremden Kultur beschreiben müssten. Versu‐ chen Sie dasselbe danach für Alltagsbegriffe wie Kirche, Brot, Sonntag, Heimat und beachten Sie die kulturellen Implikationen. Übung 280c Paraphrasieren Sie die Satzbedeutungen des folgenden Satzes je nach verwendeter Partikel: Das ist echt / wohl / doch / halt / ja / aber verrückt. Literatur Deutscher 2014; Evans 2014; Goddard/ Wierzbicka ²2003; Kühn 2006. 2 Linguistische Grundlagen 126 <?page no="128"?> 3 Erwerb und Vermittlung In diesem deutlich didaktisch ausgerichteten Kapitel geht es im Folgenden um den Erwerb, die Entwicklung und die Förderung des Wortschatzbzw. semantisch-lexika‐ lischen Bedeutungswissens. Hier interessieren zum einen psycholinguistische und ent‐ wicklungspsychologische Erkenntnisse zum Bedeutungserweb (und seinen kognitiven Voraussetzungen) bei Kleinstkindern, aber auch Erwerbs- und Entwicklungsprozesse älterer Kinder und Erwachsener, die sich gesteuert, etwa im Unterricht, oder unge‐ steuert, d. h. inzidentell (beiläufig) im Alltag, vollziehen können. Während der inzi‐ dentelle Bedeutungserwerb unkontrolliert immer abläuft und Bedeutungen erworben und modifiziert werden, wurde die schulische Anleitung und Begleitung (Vermittlung) von Wortschatz(entwicklung) und Bedeutungswissen lange vernachlässigt; die Sprach‐ didaktik hat sich lange Jahre nicht um diese Kompetenz gekümmert. In diesem Kapitel soll den traditionellen didaktischen Fragen nach dem Was, Warum, Wozu, Wem und Wie eines gesteuerten Wortschatzerwerbs nachgegangen werden: Warum muss Wortschatz und Bedeutung explizit und gesteuert vermittelt und gelernt werden, wenn Bedeutungserwerb auch ungesteuert/ inzidentell verläuft? Was, d. h. welcher Wortschatz (Konkreta vs. Abstrakta; einfache vs. komplexe Wörter und Kol‐ lokationen/ Phraseologismen; Alltagsvs. bildungs- und fachsprachlicher Wortschatz) und welche Bedeutungsaspekte (Denotation vs. Konnotation; kulturspezifische Be‐ deutungsaspekte usw.) sollen vermittelt werden - und warum und wozu (Legitimation und Ziel)? Wer ist dabei die Zielgruppe: nur Schülerinnen und Schüler, die Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache sprechen, oder auch Erstsprachler? Wie sieht - je nach Ziel und Zielgruppe - die Methodik der Vermittlung aus? 3.1 Wortschatzkompetenz und mentales Lexikon Zuallererst jedoch sollen zwei zentrale Begriffe geklärt werden, die für dieses Kapitel relevant sind: der der lexikalischen bzw. Wortschatzkompetenz (Ulrich 2016a) und der des mentalen Lexikons (Aitchison 3 2008). Ein Wort kann dann als Teil des individuellen Wortschatzes angesehen werden, wenn der Nutzer über Informationen aus den vier Bereichen Phonologie, Morphologie, Semantik und Syntax verfügt und das Wort mit anderen lexikalischen Einheiten im mentalen Lexikon verbunden ist und im Sprachverarbeitungsprozess abgerufen werden kann. Lexikalische bzw. Wortschatzkompetenz umfasst demnach nicht nur de‐ klaratives, sondern auch prozedurales Wissen, das sich zeigt in a) der Fähigkeit zur Integration (Herstellen von Verbindungen zu anderen Einheiten des mentalen Lexi‐ kons), b) der Fähigkeit zum Abruf (passende Abrufgeschwindigkeit) (Alber 2016: 110). <?page no="129"?> Ein Wort zu kennen ist demnach keine dichotome Kompetenz, die man entweder beherrscht oder nicht, sondern es handelt sich um eine gestufte Kompetenz mit ver‐ schiedenen Graden an Beherrschung. Mit Selimi (2014: 26) kann man Wortkenntnis in mindestens drei Stufen unterteilen: 1. Oberflächliche Wortkenntnis (partial-precise): Durch eine noch vage Ver‐ 1. bindung von Form und Inhalt kann eine genaue Bedeutung nicht beliebig ab‐ gerufen werden. 2. Tiefe Wortkenntnis (depth of knowledge): Erkannte Wörter werden mit 2. anderen vernetzt und mit dem Inhalt verknüpft. Je tiefer die Wortkenntnis um auch polyseme Strukturen und kontextuelle Nebenbedeutungen, desto vielsei‐ tiger die Verknüpfung. Diese Stufe steht in enger Beziehung zur ersten Stufe und bildet mit ihr zusammen die Voraussetzung für die 3. Stufe (vgl. detaillierter Kap. 3.3.1). 3. Rezeptiv-produktive Wortkenntnis (receptive-productive): Hier geht es 3. einerseits um das Verständnis des Wortes, andererseits um seine mündliche und schriftliche Anwendung. Beides sind aktive Prozesse, in denen sich die Kennt‐ nisse der beiden vorausgehenden Stufen ständig vermischen. Die Unterscheidung in Wortschatzbreite (auch Wortschatzumfang, -quantität; ge‐ meint ist die Anzahl lexikalischer Einträge im mentalen Lexikon unabhängig von der Qualität des Bedeutungswissens) und Wortschatztiefe (Qualität des Wort- und Be‐ deutungswissens, Umfang der semantischen Repräsentationen, Bedeutungsgenauig‐ keit, Netzwerkwissen/ relationales Wortwissen, formales Wortwissen [Grammatik, Or‐ thographie …]) ist international etabliert, jedoch hat sich die deutschsprachige Linguistik der Wortschatztiefe bislang kaum angenommen; lediglich die Sprachdi‐ daktik hat sich ihr intensiver zugewandt ( Juska-Bacher/ Jakob 2014: 57 f.). Beide Be‐ reiche können als interdependent gelten, entwickeln sich parallel und beeinflussen sich also gegenseitig (ebd.: 61). Der starke Zusammenhang und Einfluss der Wortschatztiefe auf den Wortschatzumfang (wie übrigens auch auf die Abrufgeschwindigkeit), der auch aus dem Fremdsprachenbereich bekannt ist, ist, v. a. auf der semantisch-syntaktischen Ebene, auch empirisch nachzuweisen: Die Wortschatztiefe „bildet mit 50 % den Haupt‐ einflussfaktor auf den Wortschatzumfang. Die Wortschatztiefe ist somit womöglich die zentrale Voraussetzung für die Aneignung eines großen Wortschatzumfangs“ (Alber 2016: 123). Das semantische Wortwissen im Bereich der Wortschatztiefe kann dabei in Hinblick auf verschiedene Aspekte variieren: 3 Erwerb und Vermittlung 128 <?page no="130"?> Incrementality stufenweise Erweiterung des Wortwissens durch wieder‐ holte Rezeption und Produktion Wie genau ist eine Bedeutung bekannt? (Entwicklung von der Unkenntnis des Konzepts, z. B. des Begriffs Schnee, über zu‐ nehmend breiter werdendes dekontextualisiertes Wissen sowie die Kenntnis der Beziehung zu anderen Konzepten, z. B. die Abgrenzung des Begriffs Schnee von Hagel, Schnee‐ regen, Regen und Eis, hin zum Wissen über die ggf. metapho‐ rische Verwendungsweise, z. B. Das ist doch Schnee von gestern [Mathiebe 2018: 57].) Dimensionality Mehrdimensionalität des Wortwissens Auf welche Aspekte bezieht sich die Kenntnis? (Phonologie und Orthographie, Grammatik etc.) Polysemy Wie viele der verschiedenen Bedeutungen sind bekannt? Interrelatedness Verknüpfung mit anderen Lexemen Welche Beziehungen zu anderen Wörtern werden hergestellt? (Abhängigkeit neu gelernter Wörter von bereits im mentalen Lexikon gespeicherten ähnlichen Wörtern bzw. Konzepten: „Je besser die Organisation, desto schneller kann ein neues Wort hinzugefügt und darüber auch produktiv verfügt werden. Schon vorhandene Konzepte werden so um weiteres Wissen ergänzt und gleichzeitig von den neuen Konzepten abgegrenzt, was zu Nuancierungen der Wortbedeutungen führt“ [Mathiebe 2018: 57].) Heterogeneity Variation von Wortbedeu‐ tungen in Abhängigkeit von der Funktion und Struktur im Satz (Kontext) In welchem Ausmaß gelingt es, das Wort im jeweiligen Kon‐ text zu interpretieren? Abb. 310a: Aspekte, unter denen Wortkenntnis variieren kann (nach Nagy/ Scott 2000: 269-284) Diese Aspekte können wiederum in verschiedenen Ausprägungen beherrscht werden. In der Literatur werden etwa Niveaus angesetzt wie ( Juska-Bacher/ Jakob 2014: 59): [1] Vorhandensein sehr begrenzter allgemeiner Informationen zur Wortbedeutung (Bsp.: ‚Altruismus‘ bedeutet etwas Positives) [2] Verfügen über enges, kontextgebundenes Wissen (Bsp.: Wissen, dass ein ‚wohlwol‐ lender‘ Diktator ein Herrscher ist, der die Menschen nicht misshandelt, aber ‚wohlwol‐ lend‘ nicht in einem anderen Kontext beschreiben können) [3] Wissen zu einem Lexem ist vorhanden, es muss aber über die detaillierte Bedeutung nachgedacht werden (Bsp.: erst bei genauerem Nachdenken kommt die Erinnerung, dass das Wort ‚bukolisch‘ typisch für das Landleben ist) [4] reiches, dekontextualisiertes Wissen zur Wortbedeutung und zur Verbindung zu an‐ deren Lexemen (Bsp.: ein „Geizkragen“ spart Geld und lebt, als wäre er arm, Beispiele zu entsprechendem Verhalten geben sowie das Lexem in anderen Kontexten verstehen und verwenden können). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Wortschatzkompetenz, die didaktisch aktuell auch als normative Zielidee der (schrift-)sprachlichen Förderung diskutiert wird, zwei‐ 3.1 Wortschatzkompetenz und mentales Lexikon 129 <?page no="131"?> erlei meint: Zum einen sollen Personen einen möglichst breiten (hohe Anzahl der Le‐ xeme) und tiefen (semantisch profilierte und vernetzte Lexeme) Wortschatz sowohl in der Sprachproduktion als auch in der -rezeption haben. Zum anderen sollen sie auf‐ grund ihres eigenen Wissens unbekannte Lexeme analysieren, verstehen und lexika‐ lisch abspeichern können. Dabei bildet der erste Aspekt des breiten und tiefen Wort‐ schatzes quasi die Voraussetzung für den zweiten Aspekt der Erschließung und des Lernens neuer Lexeme. Schulisch wird dabei derzeit insbesondere eine bildungs‐ sprachliche Wortschatzkompetenz verlangt, die unter anderem Fähigkeiten in den Bereichen der Begriffsbildung, des Bedeutungswissens, der Kenntnisse über die gram‐ matische Bedeutung von Funktionselementen (Konnektoren und deren adäquater Ein‐ satz usw.), Wortbildungswissen um die Verwendung von Prä- und Suffixen usw. bein‐ haltet (Philipp/ Efing 2018: 199 f.). Das mentale Lexikon bezeichnet dann in gewisser Weise den individuell zugängli‐ chen Wortschatz (einfache und komplexe Wörter sowie Wortgruppenlexeme/ Phrase‐ ologismen) einer Person und ist der Ort, an dem die Wörter abgespeichert sind - und zwar nicht nebeneinander als separate Einträge, sondern in einem dichten, mehrdi‐ mensionalen semantischen Netz, in dem die Beziehungen zu anderen Wörtern auf verschiedenen Ebenen abgebildet sind: Es lassen sich als Teilnetze des mentalen Lexi‐ kons zum Beispiel Sachnetze, Begriffsnetze, Merkmalsnetze, syntagmatische Netze, Wortfamiliennetze, phonetische Netze und affektive Netze ansetzen (Neveling 2005: 29). Das mentale Lexikon ist damit als Teil des Langzeitgedächtnisses die „aktive Spei‐ cher- und Verarbeitungseinheit von internalisiertem Wortwissen“ ( Juska-Bacher/ Jakob 2014: 51), in der Informationen zur Wortform, zur Grammatik und zur Bedeutung ge‐ speichert und mit anderen Lexemen vernetzt sind. Die Lexeme kann man sich dabei als Knoten innerhalb verschiedener Netze (und damit Teile verschiedener Netze) vor‐ stellen (Pohl 2016: 160). Der Eintrag eines Lexems mit semantischen, formalen und funktionalen Merkmalen steht in vielfältigen Verbindungen zu den Einträgen anderer Lexeme und ist „damit Teil einer umfassenden, vielfältigen Organisationseinheit“ (ebd.; vgl. auch Rothweiler/ Meibauer 1999: 10). Diese muss bei Sprachrezeption wie -pro‐ duktion einen flexiblen, möglichst treffsicheren und schnellen Zugriff sowohl ausge‐ hend von der Form auf die Bedeutung wie auch in entgegengesetzter Richtung von kognitiven Konzepten über die Bedeutung auf die (lautliche bzw. orthographische) Form gewähren. Form und Bedeutung sind dabei zwar eng miteinander verbunden, aber nicht als Einheit abgespeichert. Wie Assoziationstests zeigen, können Wortzu‐ griffe auch über semantische Bedeutungsrelationen wie Synonyme, Antonyme, Hy‐ ponyme, Hyperonyme oder Kohyponyme erfolgen ( Juska-Bacher/ Jakob 2014: 51 f.). Generell gibt es zwei verschiedene Modelltypen zum Aufbau des mentalen Lexikons, die heutzutage auch kombiniert werden (Aitchison 3 2008: 247): modulare (Stufen-)Mo‐ delle, die von einer getrennten Speicherung von Wortform- und Wortbedeutungs‐ wissen und damit mindestens zwei Subsystemen ausgehen, einerseits, und andererseits holistische, interaktive Netzwerkmodelle der kognitiven Semantik, die sich rein auf die Bedeutungsebene beschränken: 3 Erwerb und Vermittlung 130 <?page no="132"?> Man geht davon aus, dass Wortbedeutungen nicht als fixe Einheiten (Definitionen) abge‐ speichert sind und als solche abgerufen werden, sondern dass sie über ihre netzartigen Ver‐ bindungen zu anderen Lexemen im mentalen Lexikon konstruiert werden (Rickheit/ Strohner 1993: 144). Wortwissen wird in erster Linie als prozedurales, nicht als deklaratives Wissen verstanden. ( Juska-Bacher/ Jakob 2014: 53) Das mentale Lexikon ist demnach nicht einfach eine Ansammlung von Informationen über Lexeme, sondern vielmehr „ein wohlgeordnetes System, ein vieldimensionales Netzwerk, in dem alle Elemente in Beziehung zueinander stehen, vergleichbar etwa mit den durch Synapsen verbundenen Nervenzellen unseres Gehirns“ (Ulrich 2016b: 34 f.). Lexeme sind dabei in alle Richtungen vielfach miteinander verbunden, je nachdem, ob die Lexeme ähnliche Lautungen oder morphologische Strukturen auf‐ weisen, syntaktisch verträglich oder unverträglich sind oder sich inhaltlich-semantisch nah oder fern stehen (vgl. Ulrich 2006b: 819). Beispielsweise geht man davon aus, dass Synonyme, Antonyme, Hyperonyme und Hyponyme gemeinsam abgespeichert werden, da sie semantisch sehr nah beieinanderstehen; dass paradigmatische Bezie‐ hungen oder Entweder-oder-Beziehungen im mentalen Lexikon als Alternativen be‐ reitstehen und daher assoziativ eng verbunden gespeichert sein müssten (vgl. Ulrich 2014: 29) usw. Wortschatzumfang/ -quantität meint im Kontext von mentalen Modellen dann also die Anzahl der Einträge im mentalen Lexikon, während Wortschatztiefe/ -qualität als se‐ mantisches Wissen im Sinne der Vernetzung und der Stärke der (Konzept- und Eigen‐ schafts-)Knoten zwischen Einträgen im mentalen Lexikon beschrieben werden kann: Formales (morphologisches, syntaktisches) Wortwissen „wird auf der Lemmabzw. Le‐ xemebene gespeichert, relationales Wissens spiegelt sich in der Dichte der Verbin‐ dungen (Kanten) zwischen den verschiedenen Knoten“ (Juska-Bacher/ Jakob 2014: 60 f.). Man geht davon aus, dass man ein Lexem erst „kennt“, wenn man weiß, mit welchen Lexemen es enger oder lockerer vernetzt ist (multidimensionales Netzwerk), sowohl in syntagmatischer wie auch in paradigmatischer Hinsicht, und über welche Lesarten es verfügt. Die verschiedenen Lesarten sind dabei vermutlich radial um eine prototy‐ pische Kernbedeutung angeordnet (Radial-Modell; Ulrich 2014: 31). Mit dem Umfang des individuellen Wortschatzes steigt automatisch auch die Kom‐ plexität des mentalen Lexikons als Struktur und Vielfältigkeit der Vernetzungen (Pohl 2016: 160 f.). Übung 310a Erläutern Sie die Konzepte der Wortschatzbreite und der Wortschatztiefe und grenzen Sie beide einserseits voneinander ab, zeigen aber auch ihren Zusammen‐ hang auf. Übung 310b Erläutern Sie, was die Aussage meint, dass Wortschatzkompetenz nicht dichotom, sondern gestuft ist. 3.1 Wortschatzkompetenz und mentales Lexikon 131 <?page no="133"?> Übung 310c Nennen Sie die verschiedenen Aspekte von Wortschatzkompetenz. Übung 310d Erläutern Sie in eigenen Worten, was das mentale Lexikon ist und wie es aufgebaut ist/ funktioniert. Literatur Aitchison 3 2008; Alber 2016; Bachmann-Stein/ Stein 2016; Juska-Bacher/ Jakob 2014; Michalak 2009; Neveling 2005; Ulrich 2011a, 2015a. 3.2 Wortschatz- und Bedeutungserwerb Die Aneignung lexikalisch-semantischer Fähigkeiten wird als einer der wichtigsten und schwierigsten Bereiche des Spracherwerbs angesehen (Selimi 2015: 243). Dennoch hat die Forschung zum Sprach- und Wortschatzerwerb (vgl. etwa Meibauer/ Rothweiler 1999) den Erwerb speziell von Bedeutungsaspekten bisher wenig beleuchtet; noch im Jahr 2000 bezeichnete Löbach (2000: 201) den Forschungsstand zum Semantikerwerb als „desolat“; vorliegende Forschung entstammt weitgehend dem angloamerikanischen Raum (Kilian 2016b: 85). Der Fokus der Forschung liegt hingegen häufig auf der Ent‐ wicklung des Wortschatzumfangs oder des Erwerbs spezifischer Wortarten. Fokussiert man den Bedeutungserwerb, stellen sich vor allem Fragen nach dem Zu‐ sammenhang von biologischer Gedächtnisbildung, Entwicklung kognitiver Fähig‐ keiten und Voraussetzungen einerseits und sprachlichem Bedeutungserwerb anderer‐ seits - sowie nach dem Zusammenhang von Wahrnehmung, Begriffsbildung/ Denken und Sprache. Geht die Entwicklung der Wahrnehmung und Begriffsbildung dem Wort‐ schatz- und Bedeutungserwerb voraus oder schult umgekehrt der Spracherwerb durch die sprachlich existierenden, vorgegebenen Kategorien die Entwicklung der Wahrneh‐ mung? Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass es beim Erlernen von Wörtern drei verschie‐ dene Aufgaben gibt, die den Ablauf des Wörter-Lernens kurz skizzieren. Nach Ait‐ chison (2008) wird zunächst herausgefunden, auf welche Referenzobjekte in unserer Erfahrungswelt die Wörter verweisen könnten (labelling). Im Anschluss versucht man den begrifflichen Inhalt zu erfassen (packaging) und schließlich wird das Wort im mentalen Lexikon vernetzt (network building) (Ulrich 2006a: 825). Präziser darge‐ stellt geht man davon aus, dass die Lernenden beim Hören oder Lesen neuer, noch unbekannter Wörter oder Lesarten eines Wortes aus dem sprachlichen und/ oder si‐ tuativen Kontext Informationen aufnehmen und daraufhin Vermutungen zu den Be‐ deutungen aufstellen. Diese getätigten Hypothesen werden bei Wiederbegegnungen 3 Erwerb und Vermittlung 132 <?page no="134"?> mit dem Wort verifiziert und ggf. präzisiert oder falsifiziert. Wenn das neu erlernte Wort nun wiederholt richtig verstanden worden ist, kann das Wort vom rezeptiven in den produktiven Wortschatz übernommen und in gelernten Kontexten verwendet werden (vgl. Ulrich 2006b: 818). Die Wiederholung von neu erlernten Wörtern in neuen Zusammenhängen und Kontexten fördert dabei zudem die Sensibilisierung für Neben‐ bedeutungen und Konnotationen (Ulrich 2014: 35) Wenn ein Wort nun vom rezeptiven in den produktiven Wortschatz aufgenommen wurde, muss dies allerdings nicht be‐ deuten, dass der Eintrag dieses Wortes im mentalen Lexikon abgeschlossen ist. Es können immer wieder neue Lesarten oder verschiedene Bedeutungen hinzugefügt, also Lexikoneinträge verändert und erweitert und (neue) Beziehungen zwischen verschie‐ denen Einträgen hergestellt, umgebaut und gefestigt werden (Meibauer/ Rothweiler 1999: 12). Neue Wörter und Bedeutungen werden demnach stets vor dem Hintergrund schon vorhandenen Wissens gelernt und in das bereits geknüpfte Netzwerk eingefügt (Ulrich 2014: 31). Mit Blick auf den frühkindlichen Bedeutungserwerb erklärt Schlemmer (1988: 860), dass Kinder hierbei begännen, Wörter bzw. sprachliche Zeichen nicht mehr nur als Namen für Dinge wahrzunehmen, sondern „als symbolische Repräsentationsmittel des Wahrnehmung verarbeitenden Geistes gebrauchen lern[en]“. Oder anders mit Kilborn (2002: 21 ff.) formuliert, muss ein Kind, um einen Zugang zur Semantik erlangen zu können, die Symbolfunktion von Sprache erkennen: Ein Baby, das laut schreit, er‐ reicht zwar zumeist die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse und erlebt Schreien also als ein effektives Kommunikationsmittel, jedoch ist dies noch keine symbolische Kom‐ munikation. Erst, wenn neue, komplexere oder differenziertere Bedürfnisse auftreten, die nicht pauschal durch Schreien befriedigt werden können, muss das Kind auf sym‐ bolische und damit differenziertere Kommunikation umsteigen. Die Verwendung von Symbolen ist dann Grundlage u. a. für Sprechen und Gestik (in der Theorie von Piaget nennt man die Phase vom 18. Lebensmonat bis zum 5. Lebensjahr die präoperationale oder symbolische Phase). Für die sprachliche Kommunikation muss das Kind sodann seine Wahrnehmung differenzieren und Wahrnehmungsaspekte mit sprachlichen Zei‐ chen (Wörtern) verbinden, d. h. eine Beziehung zwischen einem arbiträren Zeichen und einem Objekt in seiner Umgebung (z. B. durch perzeptuelle Ähnlichkeit) herstellen lernen. Hierfür, für die Ausbildung der ersten sprachlichen Bedeutungskategorien, ist als Voraussetzung v. a. (neben sensomotorischen Voraussetzungen) die Einsicht in die so genannte Objektpermanenz relevant (ab dem achten Lebensmonat); das meint das Erkennen, dass Objekte auch dann weiterexistieren, wenn sie aus dem aktuellen Sicht‐ feld verschwinden, dass sie also verschwinden und wieder auftauchen können (Szagun 2002: 39). Beim Bedeutungserwerb oder Wortverständnis wird also „ein willkürliches auditorisches Zeichen mit Aspekten eines Objekts in der Umgebung assoziiert bzw. symbolisiert und ruft Erinnerungen an sensorische Eindrücke von diesem Objekt hervor“ (Kilborn 2002: 23). Diese Erkenntnis von der Objektpermanenz erst führt dazu, dass ein Kind über diese Objekte auch reden kann und will. Über verschiedene Sprachen hinweg scheinen dabei die gelernten Bedeutungskategorien, die aus der Einsicht in die 3.2 Wortschatz- und Bedeutungserwerb 133 <?page no="135"?> Objektpermanenz resultieren, vergleichbar zu sein, wie erste Zweiwortäußerungen von Kindern im Alter von 18-24 Monaten nahelegen: Bedeutungskategorie Beispiel ▸ Handlungsträger und Handlung ▸▸ Handung und Objekt ▸▸ Handlungsträger und Objekt ▸▸ Handlung und Lokalisierung ▸▸ Objekt/ Person und Lokalisierung ▸▸ Besitzer und Besitz ▸▸ Objekt/ Person und nähere Bestimmung ▸▸ Vorhandensein ▸▸ Nicht-Vorhandensein ▸▸ Wieder-Vorhandensein ▸ ▸ baby weint ▸▸ drehen brücke ▸▸ Maxe Hose (= Maxe hat eine Hose) ▸▸ rein machen ▸▸ karre rein ▸▸ dani tasse (= Danis Tasse) ▸▸ großer Fisch ▸▸ da auto ▸▸ füße weg ▸▸ mehr hase ▸ Abb. 320a: Wesentliche Bedeutungskategorien von Zweiwortäußerungen von Kindern im Alter von 18-24 Monaten, die spezifisches Wissen von der Objektpermanenz haben (Szagun 2002: 38) Zusammenfassend kann man mit Kilborn (2002: 28) sagen, dass der wichtigste Aspekt der frühen kognitiven Entwicklung als Voraussetzung für den Bedeutungserwerb die Entstehung der Fähigkeit ist, generell Symbole zu verwenden bzw. das Entstehen einer doppelten Fähigkeit: „a) eine mentale Repräsentation von einem Objekt bei dessen Ab‐ wesenheit zu bilden [Objektpermanenz] und b) Assoziationen zwischen Objekten und Ereignissen zu bilden. Zentrum dieser Entwicklungsprozesse bildet das Konzept des Symbols“ (ebd.: 28). Der Weg hin zum Erwerb sprachlicher Symbole und zur Einsicht in die symbolische Funktion von Wörtern (mit ca. zwei Jahren) erfolgt aus psycholin‐ guistischer Sicht durch zunehmende Abstraktion über insgesamt drei Ebenen (Kilian 2016b: 86): 1. Zunächst bildet das Kind vorsprachliche Begriffe in Form aktionaler/ handlungs‐ 1. bezogener Repräsentationen von Gegenständen und Sachverhalten; 2. die aktionale Repräsentationsform wird dann nach und nach von einer ikoni‐ 2. schen/ bildhaften Repräsentationsform überlagert: das Kind hat ein Vorstel‐ lungsbild von einem Sachverhalt/ Gegenstand erworben, das Bild löst sich von der konkreten Handlung. 3. Die dritte, symbolische Repräsentationsform steht am Beginn des Wort- 3. schatzerwerbs: „Das Kind lernt die auf unterschiedlicher Abstraktionsstufe re‐ präsentierten Merkmale symbolisch-sprachlich abzubilden, die Dinge bzw. die sie bezeichnenden Wörter nach bestimmten Merkmalen zu unterscheiden oder zusammenzufassen, solche Gruppierungen wiederum mit einem Wort […] zu versehen usw“ (Bullens 1982: 442). Ist der Schritt von einem generellen zu einem sprachlichen Symbolverständnis (die Einsicht in die symbolische Funktion von Sprache) geleistet, vollzieht sich der Wort‐ schatzerwerb als Erwerb eines sprachlichen Symbolsystems rasend schnell und es folgt, 3 Erwerb und Vermittlung 134 <?page no="136"?> etwa zwischen dem 16. und 18. Lebensmonat und nach dem Erwerb eines produktiven Wortschatzes von circa 50 Wörtern ein so genannter Wortschatzspurt, während dessen Kinder zu lexikalischen „Staubsaugern“ (Aitchison 1997: 221) werden: Ein Kind am Beginn des lexikalischen Erwerbsprozesses lernt dann nicht mehr, wie zuvor, ein bis zwei Wörter pro Woche, sondern ungefähr neun Wörter pro Tag; das ist, abzüglich der Schlafenszeit, circa ein Wort pro Stunde (Kilborn 2002: 24). Basis für diese Wortschatzexplosion ist das so genannte fast mapping (Beier 2011: 7), eine Phase der schnellen und nun öfter fehlerfreien Zuordnung einer Wortform zur Bedeutung durch grobes Identifizieren des semantischen Gehalts. Diese Zuordnung und grobe Abspeicherung im rezeptiven Lexikon von lautlicher Form und Bedeutung geschieht nun z. T. bereits nach nur einmaliger Präsentation und sorgt für zukünftiges Verstehen des Wortes. Nach wiederholter Wahrnehmung und einer Ausdifferenzierung der Bedeutung wandert das Wort dann auch in das produktive Lexikon und kann aktiv verwendet werden (Karmiloff/ Karmiloff-Smith 2001). Die sichere Speicherung und souveräne produktive Verwendung von Wörtern vollzieht sich auch im höheren Alter durch eine kontinuierliche Konfrontation mit diesen in möglichst unterschiedlichen Kontexten; dies gewährleistet, dass sich die Wörter im mentalen Lexikon einprägen (Vasylyeva/ Kurtz 2015: 244 f.). Im Rahmen dieses sich nun vollziehenden schnellen lexikalisch-semantischen Er‐ werbs kommt es regelmäßig zu Übergeneralisierungen (Überdehnungen, Unterdis‐ kriminierungen) und Untergeneralisierungen (Unterdehnung, Überdiskriminie‐ rung) von Kategorienzugehörigkeit, wenn etwa Papa als Wort generell für ‚Mann‘ oder Ball als Bezeichnung generell für ‚Kugelförmiges‘ verstanden oder benutzt wird (Über‐ generalisierung) oder wenn unter Hund nur ‚braune Hunde‘ oder unter Auto nur ‚rote Autos‘ (Untergeneralisierung) aufgefasst werden. Dabei ist unklar, ob a) beide Phäno‐ mene eventuell nur in der Produktion als kommunikatives Problem oder auch in der Rezeption als kognitives Problem existieren und ob b) sie ein Fehler auf dem Weg zum Erwerb der konventionellen Bedeutung sind oder eine „Ausweichstrategie im Rahmen kommunikativen Sprachhandelns in Fällen, in denen der bislang erworbene Wortschatz noch keine Angebote zur lexikalischen Differenzierung bereithält“ (Kilian 2016b: 92 ff.; nach Rothweiler/ Meibauer 1999: 18). Das heißt, Bedeutungserwerb hängt von der Fähigkeit zur „Entwicklung und Aus‐ feilung von Grundkategorien“, d. h. „von der Fähigkeit ab, einem Stimulus nicht die irrelevanten, sondern die relevanten Eigenschaften zuzuordnen“ (Kilborn 2002: 28). Die Entwicklung dieser zunächst einmal außersprachlichen Fähigkeit fällt zeitlich (bis zum Alter von 6 Jahren) zusammen mit der Entwicklung von Gedächtnisprozessen wie ei‐ detischer (bildhafter) Metaphorik und inzidentem Lernen (ebd.). Auch Szagun (2002) macht deutlich, dass im komplexen Zusammenspiel von kogni‐ tiver Entwicklung und der Entwicklung von Wortbedeutung außersprachliche Ent‐ wicklungen zwangsläufig dem sprachlichen und Bedeutungserwerb vorangehen und dass Begriffe sich außersprachlich vor- und als Basis von Wortbedeutungen heraus‐ bilden. Die Argumentationslinie in der Diskussion der Beziehung zwischen kognitiver 3.2 Wortschatz- und Bedeutungserwerb 135 <?page no="137"?> und sprachlicher Entwicklung ist die, dass ein Begriff bereits vor seinem adäquaten sprachlichen Ausdruck vorhanden ist, dass also bereichsspezifisches, begriffliches Wissen vor dem dazugehörigen adäquaten Ausdruck erworben wird: „Begriffe oder kognitive Schemata gehen ihrer formal-sprachlichen Markierung voraus“ (ebd.: 40). Das heißt, dass im Gedächtnis der Kinder erst „eine allgemeinere kognitive Umstruk‐ turierung in einem Inhaltsbereich - z. B. Zeit oder Kausalität - stattfindet, die viele einzelne Begriffe beeinflußt und [dann in Folge] den Erwerb der angemessenen sprach‐ lichen Ausdrücke ermöglicht“ (ebd.: 41). Das Entstehen eines neuen Begriffs löst beim Kind sozusagen die Suche nach dem dazugehörigen richtigen sprachlichen Ausdrucks‐ mittel förmlich aus: „Das ist der Moment, in dem es für ein neues sprachliches Aus‐ drucksmittel, das in der Erwachsenensprache auch vorher schon angeboten wurde, aufnahmefähig wird“ (ebd.). Dass die kognitive Entwicklung also Vorläufer der sprach‐ lichen Bedeutungsentwicklung ist, konnte auch bereits empirisch nachgewiesen werden (Szagun 2002). Jedoch ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem sich das Ver‐ hältnis auch umkehren kann, sodass „sich Begriffsbildung und Wortschatzbzw. Be‐ deutungserwerb wechselseitig [verstärken und …] die eine dem anderen vorausgehen oder aber nachfolgen [kann]“ (Kilian 2016b: 87). Dazu, wie sich nun genau die Wortbedeutungsentwicklung vollzieht, gibt es ver‐ schiedene Theorien, die sich zunächst auf Ansätze zur Bedeutungsbeschreibung be‐ zogen, heutzutage aber stärker auf Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie be‐ ruhen. Zunächst ging man im Rahmen der Merkmalstheorien davon aus, dass die Wortbedeutung als sukzessiver Erwerb einzelner distinktiver („kritischer“) Bedeu‐ tungsmerkmale immer weiter präzisiert wird. Eine der einflussreichsten Theorien, die Semantic Feature Hypothesis, stammte hier von Clark (1973), nach der die Bedeu‐ tung eines Wortes in kleinere Komponenten (features, Merkmale) segmentiert werden kann, die ein Kind nach und nach lernt. Die Entwicklung des Wortschatzes ist dann gekennzeichnet durch die schrittweise Speziali‐ sierung der Wortbedeutung durch Ausbau der distinktiven („kritischen“) Merkmale und durch die Annäherung der Ordnung der Merkmale eines Wortes sowie überhaupt der lexi‐ kalisch-semantischen Struktur des Wortschatzes an die konventionelle Ordnung derselben in der Erwachsenenbzw. - aus schulischer Sicht - in der Standardsprache. (ebd.: 91) Dies führt, wie bereits erwähnt, in Zwischenetappen auch zu Übergeneralisierungen (z. B. Kuh auch für ‚Pferde, Schafe, Hund‘): Das Kind kann zwar zwischen den Tieren unterscheiden, hält die Unterschiede aber nicht für die Verwendung des Wortes Kuh für relevant (Kilborn 2002: 24). Das Problem dieser Theorie ist das Problem der Merk‐ malstheorie (vgl. Kap. 2.2.2): Viele Wörter sind nicht in Merkmale analysierbar. Zudem sind keine Voraussagen über die zuerst erlernten Merkmale treffbar (ebd.: 24 f.) und die Theorie impliziert ferner die falsche Annahme, dass Kinder nach und nach die Merk‐ male der „Erwachsenen-Bedeutung“ lernten. Die Empirie zeigt aber, dass Kinder Wör‐ tern eigene, kinderspezifische Merkmale und eine eigene „Kinder-Bedeutung“ zu‐ weisen, die für sie vorübergehend psychologisch real ist und in der kognitiven 3 Erwerb und Vermittlung 136 <?page no="138"?> Strukturierung der Erfahrung der Kinder begründet liegt, und dass die entwicklungs‐ mäßigen Merkmale demnach nicht zwangsläufig den definitorischen Merkmalen eines Wortes entsprechen. Die „Kindermerkmale“ eines Wortes bleiben dabei nicht stabil, sondern bilden ein unkoordiniertes System vieler, unstabiler Merkmale, wofür auch die Kontextabhängigkeit des Verstehens von Wörtern spricht (Szagun 2002: 42 ff.). Szagun resümiert daher: „Insgesamt sind Merkmalstheorien des Wortbedeutungser‐ werbs unzureichend, weil sie unzulängliche entwicklungsmäßige Annahmen über die Art der Bedeutungsmerkmale und über die psychologischen Erwerbsprozesse machen“ (Szagun 2002: 45). Eine weitere Theorie zum Bedeutungserwerb, von Rosch (1975), richtete sich nach der Prototypentheorie (Kap. 2.2.3) und ging davon aus, dass Kinder zuerst die pro‐ totypischen und Basismitglieder einer Kategorie (goodnes-of-fit) lernen würden (Kil‐ born 2002: 25). Die Ausdrucksseite von Wörtern ist diesem Ansatz nach im mentalen Lexikon mit relativ unscharf umrissenen Konzepten verknüpft […], die gleichsam holistisch perzeptuelle, distinktive, funktionale u. a. Merkmale in einer symboli‐ schen Repräsentation eines jeweils besten Vertreters einer Kategorie versammeln und im Zuge der Wortschatzentwicklung zunehmend auf konventionelle prototypische Konzepte ausgerichtet werden. (Kilian 2016b: 92) Relevant sind dabei Merkmale in ihrer prototypisch kategorisierenden Funktion. Aktuell (Szagun 2002) wird die Annahme verfolgt, dass Bedeutungserwerb auf be‐ griffliche Umstrukturierungen im begrifflichen Weltwissen zurückzuführen ist: Ein Begriff stellt dabei eine inhaltsspezifische kognitive Struktur dar, die häufig durch ein einzelnes Wort symbolisiert wird. Durch wechselnde, immer neue Erfahrungen und deren Verallgemeinerung verändert sich das begriffliche Wissen und damit die Begriffs‐ struktur (Umstrukturierung) - und die je aktuelle Begriffsstruktur entspricht dann der je aktuellen Bedeutungsstruktur. Dabei bilden sich Begriffe aus Erfahrungen, d. h. aus der Interaktion des Subjekts mit der (dinglichen, sozialen, kulturellen, sprachlichen) Um‐ welt und aus subjektivem Erleben (Gefühle, Willenszustände). Somit bilden sich Begriffe erst allmählich in aufeinanderfolgenden Schritten der Strukturierung und Umstruktu‐ rierung zum Erwachsenenbegriff. Zum Begriffsaufbau gehören dabei mit Bezug zur ko‐ gnitiven Entwicklung: 1. psychologische Prozesse der Interaktion mit der Umwelt (mit Piaget als Prozesse 1. der Assimilation [Aufnahme von Teilen der Umwelt in eine jeweils existierende Begriffsstruktur] und Prozesse der Akkommodation [Angleichung einer Struktur an die Umwelt] zu bezeichnen), 2. psychologische Prozesse der internen Strukturierung und Umstrukturierung, 2. 3. aufeinanderfolgende Begriffsstrukturen im Verlauf der Entstehung eines jewei‐ 3. ligen Begriffs (Szagun 2002: 45 ff.). 3.2 Wortschatz- und Bedeutungserwerb 137 <?page no="139"?> Hypothesen über kindliche Begriffskriterien und deren Relationen zueinander sind also aus dem (vermuteten) Weltwissen bei Kindern abzuleiten, nicht aus dem System der Erwachsenensprache (ebd.: 48). Das bedeutet, dass Kinder und Erwachsene ein Wort plausiblerweise mit unter‐ schiedlichen Bedeutungen verwenden. Dies hat vermutlich wiederum Einfluss auf die Begriffs- und Bedeutungsentwicklung des Kindes, denn das Sprachangebot der Er‐ wachsenen in natürlichen Unterhaltungen erhält dadurch mindestens zwei Funk‐ tionen: 1. Entweder kann die Benennung durch Erwachsene eine Quelle der Begriffsbil‐ 1. dung werden: „Kinder mögen Gegenstände als zu einem Begriff gehörig klassi‐ fizieren, weil Erwachsene sie gleich benennen. […] Wenn Erwachsene Gegen‐ stände nicht gleich benennen, die Kinder vielleicht als gleich klassifiziert haben, so mag dies zur Unterscheidung von Kategorien beitragen“ (Szagun 2002: 50); 2. Oder aber Erwachsene bieten Begriffe an, „die nur sprachlich vermittelt werden 2. können, weil sie nicht gegenständlich sind. Dies betrifft Begriffe über komplexe Sachverhalte und über Unanschauliches. […] Diese Art von Einfluß der Sprache Erwachsener wird immer wirksamer je weiter die Sprachentwicklung fort‐ schreitet, [sic] und je abstrakter die Begriffe und Wortbedeutungen werden, die Kinder erwerben“ (ebd.). Semantische Entwicklung ist in dieser Perspektive ein Teilaspekt der kognitiven Ent‐ wicklung (ebd.: 51). Bedeutungserwerb als lexikalisch-semantische Spracharbeit ist damit die einzelsprachspezifische (Re-)Konstruktion von Bedeutung aus dem Input von anderen: „Lautstoff “ und „Bedeutungsstoff “ der sprachlichen Umwelt werden mitein‐ ander zunächst situativ verknüpft, ehe schließlich das konventionell mit bestimmten sprachlichen Trägerstrukturen („Signifiants“) konzeptuell Verknüpfte (das „Signifié“ im Sinne de Saussures) erkannt wird (Kilian 2016b: 87) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bedeutungserwerb als eine „Semantisierung von perzeptuell Erworbenem“ (Kilian 2016b: 90) anzusehen ist, wobei auf 1) die sinnliche Wahrnehmung des Referenten 2) der Aufbau einer mentalen Repräsentation folgt, die dann 3) assoziativ mit einer sprachlichen (symbolischen) Ausdrucksform verknüpft wird (ebd.: 88). Dies geschieht zunächst im so genannten fast mapping, einer Art lexikali‐ schem Schnappschuss. „Dieser lexikalische Schnappschuss wird dann nach und nach as‐ similierend und akkommodierend und unter dem Einfluss von interaktiv gesteuerten und ungesteuerten Inputs verfeinert“ (ebd.). Dabei gibt es eine Reihe von lexikalischen Be‐ schränkungen (constraints), z. B. „die Annahme, daß es für jedes Objekt genau einen Namen gibt“ oder „die Annahme, daß sich Wörter auf ganze Objekte beziehen und nicht nur auf einen Teil oder auf eine Eigenschaft“ (Rothweiler/ Meibauer 1999: 21). Es ist dabei umstritten, ob diese constraints angeboren sind oder erworben werden. Jedenfalls führen die beschriebenen erfahrungs- und input-basierten Prozesse dazu, dass Bedeutungser‐ werb mehr ist als nur der Erwerb bzw. die (Re-)Konstruktion der konventionellen Wort‐ 3 Erwerb und Vermittlung 138 <?page no="140"?> bedeutung innerhalb einer Sprachgemeinschaft, sondern auch der Erwerb individueller Assoziationen (Kilian 2016b: 89). Wortbedeutungen sind damit phylogenetisch nichts anderes als Produkte einer im weitesten Sinne kritischen Auseinandersetzung des Menschen mit der ihn umgebenden Welt, in deren Verlauf der Mensch den Welt-„Sachen“ Merkmale zuschreibt und die wichtigsten und unter‐ scheidenden (distinktiven) von ihnen ins Wort holt. (ebd.: 90) Wenn bislang pauschal von Bedeutungserwerb die Rede war, so ist streng genommen zu differenzieren mindestens danach, a) ob ein Wort in seiner Bedeutung rezeptiv oder produktiv erworben wird und b) welcher Wortart das Wort angehört. Da es offenbar leichter ist, ein Wort rezeptiv wiederzuerkennen, auch wenn dessen Bedeutung noch nicht umfassend gelernt wurde, als ein Wort produktiv zu verwenden, ist der rezeptive Wortschatz eines Menschen stets deutlich größer als der produktive. Hierbei ist auch die Wortartenzugehörigkeit entscheidend: Als erstes werden Substantive, und hier‐ unter die Konkreta, erlernt, da deren Referenzfunktion deutlich erkennbar ist; es folgt der Erwerb von Wörtern mit kontextuell-referenzieller Funktion (nein, bitte, guck mal). Nach den dann folgenden Verben und Adjektiven als letzte der referenzseman‐ tischen Wortarten erwerben Kinder im späten Vorschulalter syntaktische Funktions‐ wörter wie Kopulaverben und Konjunktionen und dann erst relativ spät Phraseolo‐ gismen (Kilian 2016b: 102; Günther 2002: 178). Ein Blick auf das Erlernen der Bedeutungsrelationen zwischen Wörtern zeigt (Kilian 2016b: 98), dass zunächst syntagmatische Relationen (Ball und rollen, Apfel und essen) und dann im Zuge der Wortschatzerweiterung paradigmatische Relationen erlernt werden. Unter Verknüpfung mit Bekanntem werden Einsichten in lexikalisch-semantische Rela‐ tionen wie Sachfelder, Wortfelder, Synonymie, Antonymie usw. aufgebaut und es wird gelernt, dass verschiedene Wörter aus verschiedenen Perspektiven auf denselben Sach‐ verhalt/ Gegenstand verweisen können. Schon ab dem Alter von zwei Jahren etwa kann ein Kind so z. B. eine männliche Person zugleich als Mann und Koch betrachten. Die Bedeutung eines Wortes ist demnach „ein Ergebnis von Wahrnehmungs- und Denkprozessen sowie von Beziehungen zu anderen Wörtern des Sprachsystems“ (Schlemmer 1988: 860). Mit dem Schuleintritt und dem beginnenden Schriftspracherwerb verändern sich dann das begriffliche Lernen und der Bedeutungserwerb noch einmal grundlegend, da beides von unmittelbarem Erleben und direkten Erfahrungen entkoppelt wird (ebd.: 98 f.) und sich das relationale Wortwissen zur Vernetzung der Einträge im mentalen Lexikon deutlich ändert. Nach Müller (1994) gibt es fünf verschiedene Formen, wie sich Wörter im Gedächtnis unter Rückbezug auf weitere assoziierte Wörter festigen: Durch „Koordinationen, Kollokationen, Subordinationen, Synonyme [… und] Antonyme“ verflechten sich neu erlernte Wörter mit bereits bekannten Begrifflichkeiten (ebd.: 13); es bilden sich „Wortnetze“ (Kühn 2007: 159), die, so Müller, mit unterschiedlichen Per‐ spektiven auch im Unterricht beleuchtet werden sollen. Kühn (2007: 159 ff.) systema‐ tisiert ähnlich wie Müller die Art und Weise, wie sich Wörter im Gedächtnis festigen, 3.2 Wortschatz- und Bedeutungserwerb 139 <?page no="141"?> stellt jedoch sieben Kategorien auf: Sachfelder, schematische Zusammenhänge, Kollo‐ kationsfelder, Wortvernetzung, Wortfamilien, Bewertungsnetze und Assoziationsnetze als mögliche Arten der Wortnetzverknüpfung. Oft wird zudem davon ausgegangen, dass durch die Schule und insbesondere durch Leseerfahrungen neue Wörter mit ihren Bedeutungen quasi beiläufig erworben werden, was plausibel ist angesichts der Tatsache, dass man tatsächlich nur recht selten - und wenn, dann v.a. in fachsprachlichen Kontexten - mit expliziten Bedeutungserklärungen konfrontiert wird. Der Lesekontext sowie die Rolle der Leseerfahrung spielen hierbei sicherlich eine entscheidende Rolle, wobei der Zusammenhang zwischen Wortschatz-/ Bedeutungserwerb und Leseverstehen wechselseitig ist: Einerseits kann der Kontext (Satz- und Textzusammenhang) helfen, die Bedeutung neuer Wörter zu erschließen, aber andererseits kann und soll (schulisch) das Bedeutungswissen zu Schlüsselwörtern oft auch zur Erschließung eines Textes genutzt werden. Problematisch bei dieser Sichtweise ist jedoch, „dass lexikalische (wörtliche, kontextfreie) Bedeutung und Äußerungs- oder Kon‐ textbedeutung [bzw. kontextnahe und kontextferne Wortbedeutung] nicht unterschieden werden“ (Haß 2018: 34); zudem hilft nicht jeder Kontext bei der lexikalischen Bedeutungs‐ erschließung, durch den Kontext wird nicht immer dieselbe Bedeutung erschlossen und der Kontext ermöglicht oft nur ein fast mapping, eine partielle Repräsentation und kein spezifiziertes (‚tiefes‘) Konzept eines Wortes (ebd.). Eine aktuelle empirische, schulische Überprüfung der Relevanz des Kontextes (auf Basis eines eigenen Schichtenmodells des Kontextes für schriftbasierte Texte) für das Erschließen von Wortbedeutungen in Lese‐ texten von Haß (2018) hat die theoretischen Bedenken bestätigt. Die Studie ergab, dass der Kontext für die Bedeutungserschließung nur dann hilfreich ist, wenn es sich um „schwere“ Wörter handelt, die Hauptthema eines Textes sind. Dies gilt tendenziell in en‐ zyklopädisch-erklärenden Texten, die sich also für wortschatzdidaktische Zwecke gut eignen (Haß 2018: 61). Die primäre Strategie von Lesern, die die Bedeutung eines schweren Wortes aus dem Kontext erschließen wollen, ist in diesen Fällen die Suche nach koreferenziellen Ausdrücken möglichst nah um das Wort herum auf Satz- oder Absatz‐ ebene. Nicht-koreferenzielle Wörter tragen nur dann zur Semantisierung eines Wortes bei, wenn sie sich entweder klar einer bekannten semantischen Relation (Hypero-/ Hypo‐ nymie, Antonymie, Komplementarität) zuordnen lassen oder wenn sie als Elemente eines zugehörigen Wissens-Frames interpretiert werden können. Letzteres erlaubt eine tiefe semantische Klärung des Wortes, wenn der Frame differenziert und breit verbalisiert oder aber dem Rezipienten bekannt ist. „Eine ‚tiefe‘, spezifische Semantisierung scheint auf Verallgemeinerung vieler Textvorkommen eines Wortes oder sogar auf metasprachliche Reflexion angewiesen zu sein“ (ebd.: 62). Tendenziell bleibt es aber bei einer flachen Se‐ mantik (fast mapping) der zuvor unbekannten Wörter, da auch die Kontextausdrücke in der Regel neue schwere Wörter enthalten. Das aufschlussreiche Fazit der Studie lautet demnach, dass der Kontext für das Verständnis eines einzelnen Wortes „viel weniger leistet als ihm oft zugetraut wird“ (ebd.). Hilfreich ist ein Kontext nur dann, wenn er viele koreferenzielle Ausdrücke enthält, die „den zugehörigen Frame vollständig, explizit und in mehreren oder gar in vielen Sätzen [entfalten]“ (ebd.). 3 Erwerb und Vermittlung 140 <?page no="142"?> Übung 320a Diskutieren Sie das Verhältnis von Wahrnehmung/ Begriffsbildung und Wort‐ schatzerwerb (von kognitiver und sprachlicher Entwicklung). Übung 320b Erläutern Sie, inwiefern die Objektpermanenz wichtig für den Wortschatzerwerb ist. Übung 320c Definieren Sie die Begriffe Übergeneralisierung und Untergeneralisierung mit Per‐ spektive auf Wortschatzerwerb als Bedeutungserwerb. Übung 320d Halten Sie die Modellierung des Bedeutungserwerbs nach Clark als schrittweisen Erwerb merkmalssemantischer/ distinktiver Merkmale für plausibel? Begründen Sie. Übung 320e Diskutieren Sie die Rolle des (z. B. Lese-)Kontextes für den Erwerb von Bedeu‐ tungswissen. Übung 320f Erklären Sie den Unterschied sowie den Zusammenhang von „Erwachsenenbe‐ griffen“ und „Kinderbegriffen“. 3.2.1 Alter, Wortschatzumfang und Wortschatztiefe In der Literatur finden sich z. T. höchst unterschiedliche Zahlen zum Wortschatzum‐ fang in Abhängigkeit vom Alter und von der Frage nach dem rezeptiven vs. produk‐ tiven Wortschatz. Die im Folgenden genannten Zahlen sind daher als grobe, überindi‐ viduelle Näherungswerte zu betrachten, von denen individuell starke Abweichungen zu erwarten sind. Es wird bisweilen davon ausgegangen, dass Schülerinnen und Schüler bereits ab einem Wortschatzumfang von 1 000-2 000 Wörtern flüssig sprechen können (Ekinci-Kocks 2013: 27; Apeltauer 2008: 245). Dies entspricht vom Umfang her dem in didaktischen Kontexten verwendeten Begriff des Grundwortschatzes, mithilfe dessen sich bis zu 90 % der Inhalte standardsprachlicher Texte verstehen lassen sollen. Mit etwa 2 000 wei‐ teren Wörtern soll die Textverständnis-Quote auf 95 % steigen. In der Regel, zumindest als Erstsprachler, beherrschen Schülerinnen und Schüler bereits bei Schuleintritt erheb‐ lich mehr Wörter als den Grundwortschatz. So wird der produktive Wortschatz eines monolingualen Schülers bei Schuleintritt auf etwa 3 000-6 000 Lexeme geschätzt (zum Vergleich: bei Dreijährigen auf 500-1 600); der rezeptive sogar schon auf 9 000-14 000 3.2 Wortschatz- und Bedeutungserwerb 141 <?page no="143"?> Lexeme (vgl. Juska-Bacher/ Jakob 2014: 63; Kilian 2016b: 95; Neugebauer/ Nodari 2017: 90; Selimi 2014: 39; Ulrich 2016b: 34). Nach Schuleintritt entwickelt sich der Wortschatz dann kontinuierlich und in großem Umfang; Steinhoff (2009: 14) spricht hier von einem regel‐ rechten „Wortschatzmarathon“: Pro Schuljahr werden, so Schätzungen, aufgrund des Umgangs mit der Schriftsprache 1 000-3 000 Wörter neu hinzugelernt, wobei sich der Erwerb im Laufe der Jahre verlangsamt. Der Primarstufe kommt daher eine besondere Bedeutung für den Wortschatzerwerb zu. Kinder sollen dann im Alter von 15 Jahren über einen produktiven Wortschatz im Umfang eines Erwachsenen verfügen (Günther 2002: 171). Dabei wird Erwachsenen ein produktiver Mitteilungswortschatz von ca. 6 000-20 000 Lexemen sowie ein weit größerer rezeptiver Verstehenswortschatz von ca. 40 000-100 000 Lexemen attestiert (Steinhoff 2013: 13; Kilian 2016b: 95). (Zum Ver‐ gleich: Der Wortschatz der deutschen Standardsprache wird, ohne Einbezug der Fach‐ sprachen, auf 300 000-500 000 Lexeme geschätzt, Ulrich 2016b: 33). Der Erwerb des Wort‐ schatzes ist bis zum Schulalter gut erforscht, aber es gibt wenige Daten ab dem Alter von sieben Jahren. Dies hängt u. a. mit dem starken Wortschatzanstieg und der Reorganisa‐ tion des Wortschatzes durch den Zugang zur Schriftsprache zusammen; zudem gibt es schon bei Schuleintritt große interindividuelle Kompetenzunterschiede zwischen den Kindern in der Quantität und Qualität des Wortschatzes. Grund hierfür sind unter‐ schiedliche Voraussetzungen in Hinblick auf biologische, sozioökonomische und andere Umgebungsfaktoren wie Sozialisation und Bildungsniveau der Eltern, Bildungsange‐ bote, literarische Sozialisation in Familie und Kindergarten, persönliche Interessen und Vorlieben usw. (Ekinci-Kocks 2013: 22; Mathiebe 2018: 62; Polz 2016b: 366), sodass die Streuung bis zum Ende des Grundschulalters größer wird: „Gegenwärtig ist daher weder klar, über welchen rezeptiven und produktiven Wortschatz Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe verfügen, noch in welcher Tiefe die Wörter semantisch vernetzt sind“ (Mathiebe 2018: 63). Hierbei muss auch bedacht werden, dass Wortschatzkompetenz nicht allein im Kennen und Verstehen einzelner Wörter besteht, sondern elementar auch das Verstehen von Wörtern im Kontext anderer Wörter und komplexer Äußerungen ist (Ekinci-Kocks 2013: 22). Was die Wortschatztiefe/ -qualität angeht, zu der es weit weniger empirische Er‐ hebungen als zum Wortschatzumfang gibt, so sind bei Schuleintritt auch in diesem Bereich bereits viele Aspekte entwickelt: Wortbedeutungen sind zunehmend ausdiffe‐ renziert, Kinder kennen alle Wortbildungstypen und flektieren tendenziell korrekt und auch bezüglich der Vernetzung kennen sie z. B. hochfrequente Hyperonyme (Kannen‐ gieser 2012: 226; Komor/ Reich 2008: 56), wobei insbesondere für Letzteres (Vernetzung) das Schuleintrittsalter eine „interessante Bruchstelle“ ( Juska-Bacher/ Jakob 2014: 64) darstellt (Umstrukturierung in Richtung des mentalen Lexikons Erwachsener; stärkere semantische als, wie zuvor, phonetisch-phonologische Zugriffsweise). Jedoch ist die Wortschatzkompetenz nicht aller Schülerinnen und Schüler ausreichend für eine er‐ folgreiche Schulteilnahme: Während rund ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler über einen gut differenzierten Wortschatz verfügt, befinden sich 23 % auf einem Niveau der Wortschatzentwicklung, mit dem sie im schulischen Alltag schnell an die Grenzen 3 Erwerb und Vermittlung 142 <?page no="144"?> stoßen; 6 % erreichen nicht einmal die unterste Niveaustufe, da es ihnen schwerfällt, einfache Basisobjekte korrekt zu benennen. Sie können relevante Handlungen lediglich mit einfachen Worten umschreiben. Somit verfügt insgesamt ein Drittel der Schüle‐ rinnen und Schüler zur Einschulung über einen im Vergleich zum Alter rudimentären Wortschatz, der sich auf alltagsnahe Basisobjekte und Umschreibungen von einfachen Handlungen beschränkt (Moser/ Berweger/ Stamm 2005: 66-70, 74; vgl. ähnlich Alber 2016: 122). Da ein differenzierter (nicht nur bildungssprachlicher) Wortschatz für das schulische Lernen jedoch von großer Bedeutung ist, müssen diese Schülerinnen und Schüler demnach gleich zu Beginn der Schullaufbahn mit erschwerten Bedingungen zurechtkommen und große Herausforderungen bewältigen, für die ihnen die Voraus‐ setzungen eigentlich fehlen. Das Wortschatzniveau entwickelt sich zwar aufgrund des schulischen Umfelds und neuen Inputs schnell weiter, aber es gibt keine Chancen‐ gleichheit bei den Startbedingungen. 3.2.2 Wortschatz- und Bedeutungserwerb in der Zweitsprache Nachvollziehbarerweise erwerben nicht alle Kinder ihren Wortschatz und ihr Bedeu‐ tungswissen gleich schnell und auf dieselbe Art und Weise - und sie erlernen auch nicht denselben Wortschatz. So gibt es etwa Unterschiede in schichtenspezifischen Re‐ pertoires in Abhängigkeit von soziolinguistischen Parametern wie „Bildungs‐ nähe/ -ferne des Elternhauses“ als sprachlich-sozialisierende Lernumgebung, jedoch gibt es hierzu nur wenige und fast nur ältere Arbeiten (Kilian 2016b: 100-104). Besser erforscht ist hingegen die Situation des Wortschatzerwerbs der auch schulisch rele‐ vanten Gruppe der Sprecherinnen und Sprecher, die Deutsch als Zweitsprache spre‐ chen. Ehe auf Ergebnisse hierzu eingegangen wird, soll kurz und resümierend mit McEl‐ vany et al. (2016) auf andere Faktoren für interindividuelle Unterschiede im Wortschatz- und Bedeutungserwerb eingegangen werden. So lassen sich empirisch international wie auch national positive Zusammenhänge zwischen dem sozialen fa‐ miliären Hintergrund und der rezeptiven sowie produktiven Wortschatzentwicklung von Kindern belegen. Speziell für Deutschland konnte gezeigt werden, dass Wort‐ schatzunterschiede, die mit dem sozialen Hintergrund korrelieren, bereits zu Beginn des Kindergartens vorliegen und während der Kindergartenzeit stabil bleiben oder sogar zunehmen. Neben dem sozialen Status (hoher sozialer Status = bessere Wort‐ schatzkompetenz) gibt es weitere familiäre Umwelteinflüsse, wie etwa den sprachli‐ chen Input der Eltern oder die Familiensprache, die den Wortschatzerwerb beein‐ flussen. Bezüglich des Faktors Geschlecht zeigt die Forschung kaum Unterschiede in der Wortschatzquantität zwischen Mädchen und Jungen. Es stellt sich aber die Frage nach geschlechtsbedingten Unterschieden in der Wortschatzqualität. Hier gibt es empirische Hinweise auf unterschiedliche Lieblingswortschätze bei Kindern wie Er‐ wachsenen, die aus unterschiedlichen Interessen, Hobbys, Lesepräferenzen (bzgl. Thema wie Genre) usw., d. h. aus unterschiedlichem Input bzw. aus unterschiedlicher 3.2 Wortschatz- und Bedeutungserwerb 143 <?page no="145"?> Wahrnehmung und unterschiedlichem Erinnern der Wörter resultieren und die dann etwa beim Schreiben geschlechtsspezifisch genutzt werden. „Diese [Unterschiede] könnten wiederum bedeutsam für die Rezeption und Verarbeitung schulrelevanter In‐ formationen und Aufgaben sein (z. B. wenn Jungen ein Wort wie «Profit» häufiger kennen als Mädchen und dieses Wort Teil einer Mathematikaufgabe ist)“ (McElvany et al. 2016: 46). Generell aber lassen sich geschlechtsspezifische Differenzen eher für den Bereich der Wortschatzproduktion als den der Rezeption nachweisen (ebd.: 47). Eine aktuelle Studie von McElvany et al. (2016) zur Untersuchung der Bedeutung von Wör‐ tern als der zentralen Wortschatzkenntnisdimension konnte zwischen Mädchen und Jungen keine statistisch signifikanten Wortschatzunterschiede bzgl. der Wortschatz‐ quantität nachweisen; bzgl. der Qualität hatten Jungen bei männlich konnotierten Wörtern Vorteile, Mädchen bei weiblich konnotierten Wörtern; es gab keine Verste‐ hensunterschiede bei neutralen Wörtern (McElvany et al. 2016: 51 ff.). Abb. 322a gibt einen Einblick in das Verständnis der Studie von weiblich bzw. männ‐ lich konnotierten Wörtern: Weiblich konnotiert Männlich konnotiert ▸ Emotionen, Expressivität und Introspek‐ ▸ tion (z. B. Warmherzigkeit, Empfindsam‐ keit, Einfühlsamkeit) ▸ Femininität, Attraktivität ▸▸ Kleidung und Mode ▸▸ Gemeinschaftsorientierung, Freund‐ ▸ schaften, Fürsorglichkeit ▸ Unterwürfigkeit ▸▸ Abergläubigkeit ▸▸ Haushalt, kochen ▸▸ „Weiche“ Themen wie z. B. Tiere, Musik, ▸ Puppen, basteln ▸ Kompetenz und Instrumentalität ▸▸ Maskulinität ▸▸ Stärke, Dominanz, Aggressivität ▸▸ Individualität, Unabhängigkeit, Selbstbe‐ ▸ hauptung, Durchsetzungsvermögen, Selbstvertrauen ▸ Unternehmungslust, Abenteuer, Mut ▸▸ Sport ▸▸ „Technische“ Themen/ Hobbies wie Bau‐ ▸ steine, Computer, Konsolen, Internet, Fachbegriffe aus Sach- und Fachbüchern ▸ Wirtschaft, Politik, Geschichte ▸ Abb. 322a: Literaturbasierte Indikatoren für eine geschlechtsspezifische Konnotation von Wör‐ tern (McElvany et al. 2016: 49) Alber (2016) präzisiert in ihrer Studie zu Drittklässlern die gefundenen Wortschatzun‐ terschiede zwischen starken und schwachen Schülerinnen und Schülern quantitativ wie qualitativ: Während die Differenz in der Verarbeitungsgeschwindigkeit gering ist, weist sie deutliche Unterschiede in Wortschatzumfang und -tiefe nach. Beim Wort‐ schatzumfang erfasst sie einen erheblichen - nicht altersbedingten! - Entwicklungs‐ unterschied zwischen der Gruppe der besten und der schwächsten Schülerinnen und Schüler von im Mittel 5,7 Jahren (ebd.: 121 f.) Nach diesem kurzen Einblick in verschiedene Faktoren und Prädiktoren des Wort‐ schatzerwerbs wird im Folgenden der bereits umfassender untersuchte und didaktisch aufbereitete Faktor „Zweitsprache“ ( Jiang 2000; Ender 2007; Peleki 2008; Michalak 2009; Ekinci-Kocks 2013) fokussiert. 3 Erwerb und Vermittlung 144 <?page no="146"?> Der Wortschatzerwerb im Deutschen als Zweitsprache verläuft trotz unterschiedli‐ cher Erwerbskontexte ähnlich wie der Wortschatzerwerb in der Erstsprache, wenn auch mitunter zeitversetzt (Merten 2012: 53). Hierbei beeinflusst die Erstsprache aber den Wortschatz- und Bedeutungserwerb in der Zweitsprache, nicht zuletzt, weil beim Wortschatzerwerb in der Zweitsprache auf die in der Erstsprache bereits entwickelten Konzepte zurückgegriffen werden kann: Mit Jiang (2000) lässt sich der Prozess in drei Phasen beschreiben: In der ersten Phase enthält der Lexikoneintrag zu einem neuen Lexem nur die phonologischen Informa‐ tionen, eventuell auch noch die orthographischen. Da über die Bedeutung des Lexems nichts bekannt ist, wird versucht über die Übersetzungsäquivalenz aus der Erstsprache eine erste Orientierung zu bekommen. Typisch für diese Phase ist, dass das neue Wort kaum gebraucht wird, da noch nicht genügend Informationen über das Wort bekannt sind. Abb. 322b: Der Prozess des Wortschatzerwerbs in drei Schritten (Jiang 2000: 54) Mit zunehmender Erfahrung in der Zweitsprache findet auch eine immer stärker wer‐ dende Verbindung zwischen dem Lexem in der Erst- und in der Zweitsprache über die Übersetzungsäquivalenz statt. In dieser (zweiten) Phase werden semantische und syn‐ taktische Informationen immer mehr aus der Erstsprache in die Zweitsprache über‐ tragen und in das neue Lexem integriert. Der Eintrag im mentalen Lexikon wird immer weiter vervollständigt, auch wenn die Informationen teilweise noch nicht zutreffend sind. Morphologische Informationen werden jedoch nicht übertragen, da diese für ge‐ wöhnlich sprachspezifisch und daher anfällig für Übertragungen sind (vgl. Jiang 2000: 51 f.). Trotz der Parallelität der Erwerbsprozesse in Erst- und Zweitsprache zeigen empi‐ rische Studien, dass das Ergebnis sich insofern deutlich unterscheidet, als viele zweit‐ sprachige Kinder einen geringer ausgeprägten Wortschatz aufweisen. Der Migrations‐ hintergrund beeinflusst also den Umfang des Wortschatzes (vgl. Apeltauer 2 2017: 307 ff.): Zweitsprachlerinnen und -sprachler verfügen bei Schuleintritt zwar über grundlegende Wortschatzkenntnisse in Deutsch, besitzen aber nicht automatisch den Wortschatz, „wie er für muttersprachlich deutsche Schülerinnen und Schüler als normal vorausgesetzt wird“ (Merten/ Kuhs 2012b: 11). Es besteht weitgehend Konsens darüber, dass der Wortschatz in der Zweitsprache bei Schuleintritt in den meisten Fällen geringer ist als bei Schülerinnen und Schülern mit deutscher Erstsprache. Man ver‐ 3.2 Wortschatz- und Bedeutungserwerb 145 <?page no="147"?> mutet, dass die kurze Kontaktzeit und die damit einhergehenden geringeren Erwerbs‐ möglichkeiten Ursachen dafür sind (vgl. Müller 2015: 127; Webersik 2015: 109). Und Alber (2016: 119) weist in ihrer Studie zu Drittklässlerinnen und -klässler nach, dass Deutsch-Erstsprachlerinnen und -sprachler „einen deutlich größeren Wortschatzum‐ fang [haben] und […] bessere Fähigkeiten in der Vernetzung der Einträge im mentalen Lexikon (Wortschatztiefe) [zeigen]“ als Schülerinnen und Schüler mit DaZ. Den Un‐ terschied beziffert sie auf immerhin rund 2,5 Schuljahre. Dabei schneiden die Erst‐ sprachlerinnen und -sprachler in allen Variablen der Wortschatztiefe besser ab als die Zweitsprachlerinnen und -sprachler und signifikant im Bereich Syntax. Andere Studien zu englischsprachigen Kindern zeigen auf, dass Kinder, die nicht monolingual auf‐ wachsen, sondern auch noch eine andere als die Amtssprache sprechen, in Wort‐ schatztests und in der Bewertung der Qualität geschriebener Texte deutlich schlechter als die monolingual aufwachsenden Kinder abschneiden (Mathiebe 2018: 212 f.). Dabei lassen sich auch positive Korrelationen zwischen Erst- und Zweit‐ sprache nachweisen: Ein gut entwickelter Wortschatz in der Erstsprache übernimmt nicht nur eine wichtige Funktion im Rahmen der Identitätsbildung eines Kindes, son‐ dern hat eine positive Auswirkung auf den Erwerb der Zweitsprache (Mand 2012: 162). Allerdings lässt sich in der Mehrheit der Fälle gut dokumentiert nachweisen, dass bi‐ linguale Kinder in beiden Sprachen über einen quantitativ geringeren Wortschatz als monolinguale verfügen. Daraus wird geschlussfolgert, dass für Deutsch-Zweitsprach‐ lerinnen und -sprachler (v. a. bildungssprachliche) Wortschatzförderung für schuli‐ schen Erfolg elementar ist, da der Wortschatz in der Schule nicht nur für die Kommu‐ nikation im Schulalltag notwendig, sondern auch Bedingung ist für den Wissenserwerb über das Lesen, Schreiben und Hörverstehen (Selimi 2014: 20; McElvany et al. 2016: 47, 50). Zweisprachig aufwachsende Kinder können sich aber auch außerhalb der Schule nicht in allen Bereichen des Lebens gleich gut verständigen wie monolinguale. Wird z. B. zu Hause nur die (nicht-deutsche) Erstsprache gesprochen, so beherrscht das Kind vermutlich sämtliche Lexeme zum Thema „Badezimmer“ in seiner Erstsprache. Wenn es keinen Anlass dazu gibt, auch in der Zweitsprache über das Zähneputzen oder Ähn‐ liches zu sprechen, beherrscht das Kind in seiner Zweitsprache den Wortschatz dieses Themengebiets vermutlich nicht. Gerade auch herkunftskulturspezifischen Wortschatz kennen DaZ-Kinder oft nur in ihrer Herkunftssprache und können daher nicht auf Deutsch über ihre Kultur sprechen, wenn Wörter z. T. auch unübersetzbar sind, weil es kein deutsches Pendant gibt (etwa bei unterschiedlichen oder inexistenten Ver‐ wandtschaftsbezeichnungen im Deutschen, die es im Türkischen aber gibt) (Ekinci-‐ Kocks 2013: 33 f., 42 f.) (vgl. Kap. 2.8). Domänenspezifischer Wortschatzerwerb und -gebrauch kann jedoch auch anders‐ herum verlaufen, sodass das Kind sich in gewissen Bereichen nur in der Zweitsprache verständigen kann. Je nach individueller Sprachbiographie, Sprachumgebung und Sprachgebrauchsnotwendigkeit sind die Wortschätze in der Erstsprache und in der Zweitsprache Deutsch also unterschiedlich erworben und ausgestaltet. Damit ist 3 Erwerb und Vermittlung 146 <?page no="148"?> zwangsläufig eine große Spannweite von möglichen Wortschatzkompetenzen in den jeweils erworbenen Sprachen möglich (Merten/ Kuhs 2012b: 10). Hierauf bzw. auf den Umgang hiermit wie mit (inter-)kulturellen Implikationen dieser Zweitsprachkonstel‐ lation wird in didaktischer (Förder-)Perspektive in Kap. 3.6.6 zurückzukommen sein. Übung 322a Diskutieren Sie mögliche Gründe, warum Wortschatzumfang und insbesondere auch Wortschatztiefe bei Zweitsprachlern in der Zweitsprache geringer ausge‐ prägt sind als bei Erstsprachlern. Literatur Günther 2002; Haß 2018; Jiang 2000; Kilborn 2002; Kilian 2016b; Löbach 2000; McElvany et al. 2016; Popov 1994; Rothweiler/ Meibauer 1999; Seiler/ Wannemacher 1985; Szagun 1983, 2002. 3.3 Didaktische Ziele Aus dem bisher Gesagten zum ungesteuerten Wortschatz- und Bedeutungserwerb er‐ geben sich Konsequenzen für die schulisch gesteuerte, didaktische Begleitung der fort‐ gesetzten Wortschatzaneignung, für die hier zunächst die zentralen Ziele formuliert werden, ehe die Fragen nach den Lerngegenständen und didaktischen Ansätzen und Methoden beantwortet werden. Das oberste Ziel, wie bereits angesprochen, ist die Vermittlung von rezeptiver wie produktiver lexikalisch-semantischer Wortschatzkompetenz. Dies meint das pro‐ blemlose Zugreifenkönnen auf das mentale Lexikon bei der Worterkennung (word recognition) und Wortfindung (word retrieval) (Ulrich 2011a: 188) als einer Quer‐ schnittskompetenz in Bezug auf das Hör- und Leseverstehen wie das Sprechen und Schreiben (Kap. 3.1). Mit Ulrich (2015a: 32 f.) kann man Wortschatzkompetenz demnach als die Kombination aus Wortschatzumfang und einer ungestörten, zügigen Verfüg‐ barkeit bzw. Abrufbarkeit der im mentalen Lexikon abgespeicherten Lexeme verstehen - oder anders und ergänzend formuliert, immer noch mit Ulrich (2016a: 132), als die Fähigkeit eines Menschen, auf eine ausreichend große Zahl mit jeweils ausreichenden Informationen versehener Lexeme im mentalen Lexikon zugreifen zu können, die für kognitives und kommunikatives Handeln die Voraussetzung sind. Eine erworbene um‐ fassende Wortschatzkompetenz ermöglicht einerseits abstraktes Denken auf hohem Niveau, andererseits rasches und volles Verstehen mündlicher wie schriftlicher Äuße‐ rungen sowie einen geschmeidigen, situationsangemessenen Ausdruck im Gespräch und beim Schreiben. Wortschatzarbeit, die in diesem Sinne die Wortschatzkompetenz fördern will, muss sich also nicht nur auf die quantitative Wortschatzerweiterung (Ver‐ mitteln neuer Wörter), sondern auch auf die Förderung der sicheren Abrufbarkeit und 3.3 Didaktische Ziele 147 <?page no="149"?> situationsangemessene Verwendung richten. Hierbei optimiert das Aktivieren bzw. „Nachzeichnen“ der semantischen Beziehungen bzw. Netze (Verknüpfungen) von Le‐ xemen im mentalen Lexikon zu anderen Lexemen (zwischen Synonymen, Antonymen, Ober- und Unterbegriffen) durch deren Bewusstmachung die Verfügbarkeit bzw. den Zugriff auf das semantische Lexikon und verfeinert damit die Textrezeptionskompe‐ tenz und steigert das Ausdruckspotenzial (Kühn 2007: 161; Ulrich 2011a: 183). Entscheidend für einen schnellen Abruf von Lexemen ist rezeptiv (beim Hören und Lesen) wie produktiv (beim Sprechen und Schreiben) das so genannte Priming, die Voraktivierung oder Bereitstellung einer lexikalischen Vorauswahl, die etwa durch ein vorgegebenes Thema angestoßen werden kann. Damit sind als Bestandteile der Wort‐ schatzkompetenz zwei Teilziele der schulischen Wortschatzarbeit zu nennen und zu definieren: die Wortschatzerweiterung und die Wortschatzvertiefung als Arbeit an den semantischen Netzen. Aus semantischer Perspektive ist hierbei vor allem die explizite, angeleitete Wortschatzvertiefung interessant, zumal sich die Wortschatzer‐ weiterung oft und alltäglich ohnehin beiläufig, unbemerkt und ohne bewusste Kon‐ trolle bei der Begegnung mit neuen Wörtern beim Lesen und Zuhören vollzieht - aber dabei eben oft nur eine oberflächliche Bedeutung erfasst: Wortschatzerweiterung ist ein kumulativer Lernprozess, bei dem Kontextinformationen und Informationen über die semantischen Strukturen des Lexikons […] sich gegenseitig ergänzen und gemeinsam dafür sorgen, dass zunächst recht vage Vorstellungen von Wortbedeutungen und Wortverwendungen immer genauer werden. Wortschatzerweiterung ist wie alles Lernen als aktiver Prozess der Informationsverarbeitung zu verstehen. (Ulrich 2006a: 823) Diese beiläufige, implizite Entwicklung der Wortschatzkompetenz sollte in der Schule systematisch und zielorientiert mithilfe expliziter Wortschatzarbeit gefördert werden. Das Ziel der angeleiteten Wortschatzentwicklung im Sinne der Wortschatzerweiterung ist der Aufbau eines umfangreichen rezeptiven Verstehenswortschatzes und produk‐ tiven Ausdruckswortschatzes (Ulrich 2011b: 14). Mit zunehmendem Alter und dem Sinken der Anzahl an unbekannten Lexemen er‐ folgt dann eine qualitative Veränderung des Wortschatzes und der Wortschatzent‐ wicklung, die man als Wortschatzvertiefung bezeichnet und die die didaktischen Be‐ mühungen aufgreifen sollten (Ulrich 2016b: 40): Die Didaktik sollte ihren Blick von einer quantitativen (Erweiterung) auf eine qualitative (Vertiefung) Perspektive um‐ stellen und „Wörternetze statt Grundwortschätze“ (Kühn 2007: 161 f.) thematisieren und vermitteln. Dabei geht es darum, die Art der Beziehung zwischen Wortschatzelementen, die Gruppierungen bzw. Gruppie‐ rungsmöglichkeiten von Wortschatzelementen und die Wortschatzelementen zuschreibbaren Attribute systematisch zu reflektieren und für den Aufbau einer lexikalisch-semantischen Kompetenz zu nutzen. (Bachmann-Stein/ Stein 2016: 46 f.) Bei dieser angeleiteten Wortschatzvertiefung werden exemplarisch Verwendungs‐ weisen und Bedeutungen bereits bekannter Lexeme um Bedeutungsfacetten und 3 Erwerb und Vermittlung 148 <?page no="150"?> -nuancen präzisiert und die Kernbedeutung wird um differenzierte semantische Merk‐ male angereichert und um Lesarten (inkl. etwa Metaphern und Metonymien), die Verstärkung ihrer Verflechtung im lexikalischen Netzwerk (qualitative Veränderung des Lexeminventars im mentalen Lexikon) bzw. Nebenbedeutungen ergänzt. Dadurch entstehen, bildlich gesprochen, „radiale“, sich strahlenförmig ausbreitende Lesarten- Strukturen um die zumeist zuerst erlernte Kernbedeutung herum (vgl. Ulrich 2006c: 826 f.). Diese Entwicklung einer „Sensibilisierung für die Mehrdeutigkeit der Lexeme“ (Ulrich 2016b: 40) und ihrer Lesarten vollzieht sich oft nicht beiläufig, sondern muss durch (exemplarische) gezielte reflektierende Wortschatzarbeit angeleitet und begleitet werden. Schulische Wortschatzvertiefung ist demnach die Bewusstmachung und dif‐ ferenzierte Strukturierung der bereits vorhandenen lexikalisch-semantischen Struk‐ turen im mentalen Lexikon (Kilian 2016c: 133). Es kann sich dann demnach derjenige differenziert ausdrücken, der nicht nur viele Wörter, sondern vor allem viele Bedeu‐ tungen und Bezüge eines Wortes kennt und nutzt (Ulrich 2011a: 183). Im Kontext des Versuchs der empirischen Messung von Wortschatztiefe ver‐ sucht man deren einzelne Aspekte zu operationalisieren und somit zu spezifizieren. Hierbei unterteilt man Wortwissen mit Nation (2001: 27) wie folgt (vgl. auch Abb. 330a) in die unterschiedlichen Komponenten des Wissens, d. h. in die Form, die Bedeutung und die Verwendung eines Wortes. Zum Wissen um die Bedeutung gehört dabei a) der Zusammenhang von Form und Bedeutung (rezeptiv: Welche Bedeutung signalisiert die Wortform? ; produktiv: Welche Wortform kann die Bedeutung übertragen? ), b) Konzept und Referenz (rezeptiv: Was gehört zu dem Konzept? ; produktiv: Auf welche Aspekte bezieht sich das Konzept? ), c) Assoziationen (rezeptiv: Mit welchen anderen Wörtern wird dieses Wort assoziiert? ; produktiv: Welche Wörter können dieses Wort ersetzen? ) (vgl. Mathiebe 2018: 55). Form gesprochen rezeptiv Wie hört sich das Wort an? produktiv Wie wird das Wort ausgesprochen? geschrieben rezeptiv Wie sieht das Wort aus? produktiv Wie wird das Wort geschrieben und buchstabiert? Wortteile rezeptiv Welche Teile des Wortes sind wieder‐ erkennbar? produktiv Welche Teile des Wortes sind für seine Bedeutung relevant? Bedeutung Form und Bedeu‐ tung rezeptiv Welche Bedeutung signalisiert die Wortform? produktiv Welche Wortform kann die Bedeutung übertragen? Konzept und Refe‐ renz rezeptiv Was gehört zu dem Konzept? 3.3 Didaktische Ziele 149 <?page no="151"?> produktiv Auf welche Aspekte bezieht sich das Konzept? Assoziationen rezeptiv Mit welchen anderen Wörtern wird dieses Wort assoziiert? produktiv Welche Wörter können dieses Wort er‐ setzen? Verwendung Grammatische Funktionen rezeptiv In welchen Situationen tritt das Wort auf ? produktiv In welchen Strukturen muss dieses Wort verwendet werden? Kollokationen rezeptiv Welche Wörter oder Worttypen treten in Zusammenhang mit diesem auf ? produktiv Welche Wörter oder Worttypen müssen mit diesem verwendet werden? Bedingungen der Verwendung (Re‐ gister, Häufigkeit, …) rezeptiv In welcher Situation, wann und wie oft wird dieses Wort erwartet? produktiv In welcher Situation, wann und wie oft kann dieses Wort verwendet werden? Abb. 330a: Bereiche des Wortwissens (Mathiebe 2018: 55, [übersetzt] nach Nation 2001: 27) Wortschatzerweiterung und -vertiefung sind dabei nur theoretisch, nicht aber empi‐ risch (vgl. Mathiebe 2018: 56 f.) klar zu trennen; in der Praxis bedingen sie sich gegen‐ seitig, da am selben lexikalisch-semantischen Netz gearbeitet wird und dadurch die lexikalisch-semantischen Strukturen (um)strukturiert und bewusst gemacht werden. „Je mehr und je differenzierter ein Lerner Lexeme und Vernetzungen kennt [Wort‐ schatzvertiefung], desto leichter wird es für ihn sein, neue Lexeme aufzunehmen [Wortschatzerweiterung], da diese nicht beliebig, sondern in bestehende Strukturen des mentalen Lexikons eingeordnet werden“ (Pohl 2016: 193). Gleichzeitig ist die Unterscheidung zwischen bekanntem und unbekanntem Wort‐ schatz wegen der Mehrdeutigkeit unserer Wörter zu grob. Wer einerseits viele Lexeme kennt, kann die Bezüge zwischen ihnen besser herstellen; wer andererseits über ein tiefes Wissen um die Bedeutung(sstrukturen und -netze) von Lexemen verfügt, dem fällt es leichter, an die bestehenden Netze neue Wörter anzudocken: „Mit erfolgreicher Sensibilisierung für die semantischen Strukturen des Lexikons gelingt auch das ‚bei‐ läufige‘ Wortschatzlernen beim Lesen viel besser“ (Ulrich 2011a: 189). Ob die Wort‐ schatzabrufgeschwindigkeit (Wortflüssigkeit) zur Wortschatzbreite oder eher zur Wortschatztiefe zählt, ist daher auch umstritten (Mathiebe 2018: 56 f.). Damit ist Wortschatz- und Semantikförderung immer die Förderung lexikalisch-se‐ mantischer Strukturen und keine Einzelwort-Vokabellern-Förderung (Kilian 2011: 165). 3 Erwerb und Vermittlung 150 <?page no="152"?> Mit Ulrich (2013: 35, 2016b: 43) kann man die Ziele schulischer Wortschatzarbeit im Bereich Wortschatzerweiterung und -vertiefung wie folgt detailliert zusammen‐ fassen: 1. Beherrschung eines möglichst umfangreichen rezeptiven und produktiven 1. Wortschatzes; 2. möglichst detaillierte Kenntnis der Bedeutungsprofile der Lexeme mit 2. ihren Haupt- und Nebenbedeutungen sowie den jeweiligen semantischen Merk‐ malen; 3. Einsicht in die Prozesse der Bedeutungserweiterung und der Metaphern- 3. und Metonymienbildung; 4. Durchschauen des semantischen Beziehungsnetzes eines Lexems im Le‐ 4. xikon, d. h. Sensibilisierung für Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen mehreren Lexemen und ihren Lesarten; 5. Beherrschen der Sprechhandlungen/ Sprechakte und der Handlungsse‐ 5. quenzen/ Skripts, in denen ein Lexem gewöhnlich verwendet wird; 6. Abruf situationsangemessener Audrücke aus dem mentalen Lexikon; 6. 7. Kenntnis und Beachtung der Gebrauchsbedingungen eines Lexems mit Blick 7. auf seine Konnotationen (z. B. mundartliche oder gruppensprachliche Verwen‐ dung oder Zugehörigkeit zu Fachsprachen, Gebundenheit an Mündlichkeit/ Schriftlichkeit, Stil); 8. möglichst umfassende analytische und konstruktive Wortbildungskompe‐ 8. tenz. Weitere Unterziele einer semantikorientierten reflexiven Wortschatzarbeit sind: ▸ Wortschatzbewusstheit (lexical awareness) als Fähigkeit zur Reflexion über ▸ die Semantik (Ulrich 2011a: 188); ▸ stilistische Sensibilisierung (Aufmerksamkeit für Bedeutungsnuancen); ▸▸ Sprachkritik an eigenem und fremdem Wortgebrauch (etwa an Euphemismen, ▸ Unwörtern, Plastikwörtern …, vgl. etwa Kilian 2016a) und ▸ Einblick in Sprachgeschichte und Etymologie im Sinne des Bedeutungswan‐ ▸ dels. Auch die Entwicklung einer „Bereitschaft und Fähigkeit [… auf Seiten der Schülerinnen und Schüler], semantische Unklarheiten durch Nutzung von Hilfsmitteln (Nachschla‐ gewerken) zu beseitigen“ (Ulrich 2016b: 43), also das Lernen von Techniken der selbst‐ ständigen Erschließung unbekannter Wörter, ist Ziel einer semantikorientierten Wort‐ schatzarbeit - und damit also die kompetente Wörterbucharbeit, die nicht nur Korrekturzwecken dient, sondern der Arbeit am eigenen Sprachstil (Recherche von Synonymen, Antonymen usw.) im Sinne eines Ideen-Inputs für die eigene Textpro‐ duktion (Beil/ Czernay 2013: 82; Merten 2016b: 348). Schule kann dabei angesichts des umfangreichen deutschen Wortschatzes und der begrenzten Schulstunden natürlich immer nur exemplarisch an ausgewählten Bei‐ 3.3 Didaktische Ziele 151 <?page no="153"?> spielen arbeiten, damit aber Schülerinnen und Schüler für Bedeutungsphänomene und -probleme sensibilisieren, Erschließungsstrategien (Mathiebe 2018: 214) und Ana‐ lysemethoden vermitteln sowie das Sprachgefühl und intuitive Sprachwissen in ex‐ plizite Sprachbewusstheit überführen (Schlemmer 1988: 860). Der Erwerb von Stra‐ tegien lexikalisch-semantischen Lernens, „die den Schülerinnen und Schülern die Strukturiertheit des Wortschatzes sowie seine Flexibilität in Form von Neu- und Um‐ strukturierungen bewusstmachen“, erleichtert es ihnen zugleich, „selbstgesteuert er‐ folgreich ihren Wortschatz zu erweitern und zu vertiefen“ (Kilian 2016c: 138). Übung 330a Fassen Sie die zentralen Ziele der schulischen Wortschatzarbeit zusammen. Übung 330b Nennen Sie Beispiele/ Teilziele für Bedeutungswissen im Bereich der Wortschatz‐ tiefe. Übung 330c Inwiefern fördert explizite Wortschatzarbeit in der Schule auch das beiläufige (in‐ zidentelle) Wortschatzlernen (etwa beim Lesen)? Literatur Kilian 2011, 2016c; Kuhs/ Merten 2015; Kühn 2007; Pohl/ Ulrich 2 2016a; Ulrich 2011a, 2011b, 2014, 2016a, 2016b. 3.4 Wortschatzarbeit in Curricula 3.4.1 Nationale Curricula: KMK-Bildungsstandards und länderspezifische Lehrpläne Curricula und Lehrpläne sind zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger als eine bildungspolitisch-juristische Instanz bzw. Bezugsgröße für Lehrende, die verbindliche Inhalte oder Kompetenzen festlegt und bestimmten Entwicklungsphasen und Niveaus der Lernerinnen und Lerner zuordnet. Betrachtet man das Verhalten von Lehramtsan‐ wärterinnen und -anwärtern, so wird deutlich, dass (z. B. in Hausarbeiten und Unter‐ richtsentwürfen) auf Curricula zumeist lediglich aus genau solch einer juristischen Legitimationsperspektive referiert wird: Inhalte, Themen und Kompetenzen von Lern‐ settings werden mit Rekurs darauf, dass „das ja so in den Curricula vorgegeben ist“, begründet - und nicht etwa mit der fachdidaktischen Bedeutung dieser Inhalte, Themen und Kompetenzen; es fehlt also ein Bezug auf die eigentlich relevante Ebene, die die Aufnahme in die Curricula ausgelöst hat. Doch sollten Curricula und ihre Inhalte 3 Erwerb und Vermittlung 152 <?page no="154"?> fachdidaktisch - und nicht etwa durch Tradition o. dgl. - fundiert und legitimiert sein. Aus Perspektive der Curriculumentwicklung ist es die Aufgabe der Didaktik, theore‐ tische Konzepte und empirische Ergebnisse der Grundlagenforschung in Curricula zu überführen und zu gewährleisten, dass Curricula sich im Gleichschritt mit Kompe‐ tenzen und Anforderungen entwickeln und eine fachlich-fachdidaktische, keine juris‐ tische Instanz darstellen: Die fachdidaktische Diskussion sollte nicht den Curricula folgen, sondern ihnen vorangehen. Doch auch wenn hier der Stellenwert von Curricula aus theoretischer Perspektive relativiert wurde, haben sie dennoch einen großen realen Einfluss und eine „hohe Re‐ gelungsreichweite“ „als Norminstanzen und Quelle für inhaltliche Standards“ (Plewnia 2006: 12, 11) sowie als verbindliches Steuerungsinstrumenten von Unterricht(s- und Schulentwicklung) - nicht zuletzt, weil sie nicht nur Grundlage von Stundenplanungen und individuellen Lehrkraftentscheidungen, sondern weil sie generell Ausgangspunkt der Entwicklung der in Deutschland bildungspolitisch genehmigungspflichtigen Schulbücher sind. Damit haben Curricula eine enorme Breitenwirkung bzw. sind, wie Plewnia (2006: 12) es formuliert, „mittelbar überraschend wirkmächtig“. Was nicht in Curricula aufgenommen wird, hat deutlich weniger Chancen, in Schulbüchern aufge‐ griffen und im Unterricht thematisiert zu werden. Wenn Ulrich klagt, der Deutschun‐ terricht sei bis in die Gegenwart hinein als eher „wortschatzarbeitsabgewandt“ (Ul‐ rich 2016c: 15) zu bezeichnen, hat dieser Befund zentral etwas damit zu tun, dass lexikalisch-semantische Wortschatzarbeit in den Curricula stark unterrepräsentiert ist und Wortschatz keine eigene, explizite Kategorie unter den vier traditionellen cur‐ ricularen Säulen des Deutschunterrichts („Sprechen und Zuhören“, „Schreiben“, „Lesen - Umgang mit Texten und Medien“, „Reflexion über Sprache/ Sprache und Sprachge‐ brauch untersuchen“) einnimmt, sondern quer zu diesen sprachlichen Teilfertigkeiten liegt (vgl. Kap. 1.2.2). Semantik (und wenn, dann nur lexikalische Semantik! ) und Wort‐ schatzarbeit sind in den bundesdeutschen Lehrplänen wenig präsent und finden - auch gerade deshalb - schulisch kaum statt - und wenn, dann fast nur in der Primarstufe (Grundwortschatz, Wortfelder) (Steinhoff 2013: 12). Dies überrascht für die jüngeren Curricula allein schon deshalb, weil der Hessische Lehrplan bereits 1996 explizit darauf hinwies, dass ein Wortschatz-Förderbedarf bei DaZ-Kindern (u. a. auch mit Verweis auf fehlenden Wortschatz in der Herkunftssprache) wie auch bei Deutsch-als-Erst‐ sprache-Kindern bestehe; deren Wortschatz-Defizite (in Umfang wie Differenziertheit) wurden hier auf reduzierte Spracherfahrungen aufgrund von veränderten Familien‐ strukturen und verstärktem Medienkonsum zurückgeführt und in Relation zu einer „eng an Sprache gebundene[n] kognitive[n] Entwicklung“ gesetzt (nach Willenberg 2016: 511). Im Folgenden sollen dennoch die KMK-Bildungsstandards sowie ausgewählte län‐ derspezifische Lehrpläne daraufhin untersucht werden, inwiefern sie lexikalisch-se‐ mantische Arbeit im Deutschunterricht verankern oder zumindest in ihrer Ausrichtung auf ein „mittleres Maß zwischen Präzision und Abstraktheit“ (Plewnia 2006: 11) An‐ knüpfungspunkte hierfür bieten. 3.4 Wortschatzarbeit in Curricula 153 <?page no="155"?> Primarstufe Willenberg (2016) zeigt für den Bereich der Primarstufe, dass sich in den Lehrplänen wenig Konkretes (die Schüler und Schülerinnen sprechen einen „altersgemäßen Wort‐ schatz“) und linguistisch Fundiertes zur Wortschatzarbeit und Semantik findet: Wort‐ schatz wird v. a. auf einen Grundwortschatz reduziert, der lediglich in den Kontext des Rechtschreibunterrichts eingebettet ist; eine Wortschatzsammlung nach semanti‐ schen Gesichtspunkten wird nicht angestrebt, auch wenn man implizit Hinweise auf eine Sammlung von Sachwortschätzen für „sachbezogene Gespräche“ in diese Richtung in‐ terpretieren könnte. Darüber hinaus gibt es wenige Hinweise auf kommunikative und morphologische Ansätze, dass sich Schüler und Schülerinnen Wortbedeutungen er‐ schließen sollen, indem sie die Wörter durchgliedern und verändern (ebd.: 510 f.). Der einzige Lehrplan mit einer systematischen Wortschatzerziehung stammt laut Willen‐ berg aus Bayern; hier finden sich die vier linguistisch fundierten Bereiche der Morpho‐ logie, Wortfelder, Redensarten als übertragene Sprechweisen (inkl. Einbezug von Sprich‐ wörtern anderer Kulturen) und Fremdwörter in wichtigen aktuellen Gebieten (ebd.: 511 f.). Die KMK-Bildungsstandards für die Primarstufe (2004) erwähnen die Erschlie‐ ßung von Wortbedeutungen im Lesekontext, Wortfelder als Grundlage für die Themen von Schreibaufgaben, inhaltliche Nuancen von Wörtern im Kommunikationszusam‐ menhang sowie Wortbildung als Hilfe für die Rechtschreibung (ebd.: 512). Hier wird deutlich, wie lexikalisch-semantisches Wissen stützende Funktionen für andere sprachliche Kompetenzen bzw. Teilbereiche des Deutschunterrichts über‐ nehmen und dass der Wortschatz der Schülerinnen und Schüler sich weiter in Richtung eines bildungssprachlichen Wortschatzes entwickeln soll. Diese dienende Perspek‐ tive findet sich auch in den Lehrplänen der Sekundarstufe I wieder, wenn etwa die Verwendung eines zunehmend differenzierten Wortschatzes inklusive gebräuchlicher Fremdwörter sowie ein erweitertes Fachvokabular in den Zusammenhang des Argumentierens gestellt werden. Weitere indirekte Anknüpfungspunkte bzw. Begrün‐ dungen für die Notwendigkeit von Wortschatzarbeit finden sich im Bereich der Stil- und Sprachanalyse, des Leseverstehens (u. a. bei Sachtexten), wenn Bedeutungsnu‐ ancen und Fachsprache erfasst werden sollen, oder bei der Textproduktion, wenn Bedeutungsfelder als inhaltliche Grundlage für den Schreibunterricht dienen. Aus mo‐ tivationalen Gründen wird dabei zum Teil explizit auf sprachliche Kontexte aus der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler verwiesen (Werbesprache, Sprache in E-Mails und SMS, Sexualität und Sprache, Schimpfwörter) (ebd.: 512 f.). Während es angesichts der Textsorte und der Kompetenzorientierung, die mit per‐ formance standards statt content standards einhergeht, verständlich ist, dass in den Lehrplänen keine konkreten - gar methodischen - Förderhinweise gegeben werden, überrascht, dass die Gliederung des Bereiches Wortschatz/ Semantik keinen sprach‐ wissenschaftlichen Kategorien folgt (ebd.: 512) und es damit an Systematik fehlt. Insgesamt kommt Willenberg zu dem Ergebnis, dass die Qualität der Lehrpläne im Bereich Wortschatz/ Semantik länderabhängig sehr unterschiedlich ist - als vorbildlich bezeichnet er Bayern, Hessen und Sachsen-Anhalt -, dass aber generell die Lehrpläne 3 Erwerb und Vermittlung 154 <?page no="156"?> der Hauptschule, auch die diesbezüglichen KMK-Bildungsstandards, dem Thema viel zu wenig Aufmerksamkeit widmen und „echte Problemfälle“ (ebd.: 514) darstellten, da empirische Ergebnisse nahelegen, dass insbesondere Hauptschüler einen Wort‐ schatz-Förderbedarf haben: In der DESI-Studie blieben 71,4 % der teilnehmenden Hauptschülerinnen und Hauptschüler im Bereich Wortschatz unter dem geforderten Leistungsniveau 1 (ebd.). Gymnasiale Sekundarstufe I Die Lehrpläne der gymnasialen Sekundarstufe I der 16 Bundesländer hat Plewnia (2006) auf die Fragen hin analysiert, „an welchen Positionen, in welchem Umfang, in welcher Gewichtung und mit welchen Inhalten der Themenkomplex Wort/ Wortschatz/ Wort‐ kunde vertreten ist“ (ebd.: 13). Er stellt vorab die These auf, dass Schule und Wissen‐ schaft/ Linguistik einen unterschiedlichen Zugriff auf den Gegenstand bzw. die Bedeu‐ tung von Wort und Wortschatz hätten: Während die Linguistik verschiedenste Perspektiven einnehme, fokussiere die zentrale schulische Thematisierung von Wör‐ tern und Wortschatz im Deutschunterricht die Rechtschreibung (schulische Wörter‐ bücher sind Rechtschreibwörterbücher); semantische Aspekte nach der Wortbedeu‐ tung, die man erfragen und nachschlagen kann, würden v. a. in Zusammenhang mit Fremdwörtern in den Blick genommen; in der Unterstufe müssten zudem Bedeu‐ tungsbeziehungen beschrieben und Synonyme sowie sinnverwandte Wörter gesucht werden und es werde an einer lexikalischen Registerspezifik und allgemein am Wort‐ schatzausbau gearbeitet; sprachgeschichtliche und etymologische Themen kämen höchstens vereinzelt vor, insgesamt dominiere bei der schulischen Beschäftigung mit Wortschatz die Trias aus Orthographie, Wortsemantik und Wortbildung (ebd.: 12). Sein Versuch der Fundierung dieser These durch die Analyse der relativ heterogenen 16 Lehrpläne ergibt drei zentrale Ergebnisse: 1. insgesamt nimmt der Themenbereich keinen großen Raum ein - auch in rela‐ 1. tiver Gewichtung im Vergleich zu anderen Themen kommt das Thema Wort‐ schatz recht kurz; 2. die wenigen Ausführungen in den Lehrplänen verbleiben zudem relativ unspe‐ 2. zifisch - es gebe dadurch zwar viele Spielräume für die Lehrkräfte, aber es werde wenig inhaltlich garantiert; 3. in den Lehrplänen dominiere eine relativ konservative Betrachtungs- und Be‐ 3. schreibungsweise, die wenig von den linguistischen Perspektiven auf Wort‐ schatz aufnehme und bei der Trias aus Orthographie, Wortsemantik und Wort‐ bildung verharre. Das pointierte Fazit lautet: „Wortkunde in den Lehrplänen: wenig, unspezifisch, tradi‐ tionell“ (Plewnia 2006: 14), zudem gebe es eine „Hierarchisierungsunsicherheit“ dazu, welche Themen sinnvoll in welcher Progression aufgegriffen würden; die Binnenstruk‐ turierung semantischer Themen sei nicht immer plausibel, die Gliederung nicht kohä‐ rent, die Zuordnung zu einzelnen Themen erfolge nach intransparenten und teils wider‐ 3.4 Wortschatzarbeit in Curricula 155 <?page no="157"?> sprüchlichen Kriterien. Hieraus leitet Plewnia die Forderung nach mehr Stringenz, sorgfältigerer Gliederung und besserer inhaltlicher Genauigkeit der Lehrpläne im Wort‐ schatz-Bereich ab, die für den Bereich Wortkunde höhere explizite Anteile und eine prä‐ zisere Ausgestaltung einbringen müssten (ebd.: 17). Konkret tauchen für den Bereich der Wortsemantik in den verschiedenen Lehrplänen dabei folgende Themen explizit-begrifflich auf (insb. am Beispiel Sachsen-Anhalt und Hamburg): Wortbedeutung, Mehrdeutigkeit, Bedeutungsbeziehungen, Synonyme, Ober‐ begriffe, Homonyme, Wortfeld, Denotation, Konnotation, Wortgeschichte, sprachliche Bilder, Stilschichten, Stilfärbungen, zeitliche, räumliche sowie fach- und sondersprach‐ liche Kennzeichnungen, Modewörter, Schlagworte. Es bleibt damit festzuhalten, dass sich länderspezifische Lehrpläne wie auch die KMK-Bildungsstandards wenig explizit zu dem Bereich Wortschatz/ Semantik äußern; zumeist verbleibt es bei der wenig aussagekräftigen Forderung nach „umfangreichem“ und „differenziertem“ Wortschatz inklusive umgangssprachlicher und idiomatischer Wendungen (Wortschatzbreite). Wortschatzvertiefung - und damit im engeren Sinne semantische Fragen im Zusammenhang mit einem sprachreflexiven Zugriff auf Wort‐ schatz und Semantik - finden sich kaum (vgl. auch Mathiebe 2018: 86 f.). Ein Beispiel wäre der Lehrplan Nordrhein-Westfalens, der für die Klasse 9 Kenntnisse in Bezug auf Funktion, Bedeutung und Funktionswandel von Wörtern sowie die Reflexion und Be‐ wertung der Beobachtungen einfordert. In der Sekundarstufe II, die ohnehin recht sprachfern und stärker literaturaffin ausgerichtet ist, sucht man nach semantischen Themen weitgehend vergeblich, lediglich Fachwortschatz wird tendenziell erwähnt und eingefordert, aber eine ausgeprägte Wortschatzkompetenz wird ansonsten eher als mitgebracht vorausgesetzt. Viele Ziele der Wortschatzarbeit können aber aus den Vorgaben der Lehrpläne abge‐ leitet bzw. diesen als impliziert unterstellt werden. So kann die geforderte Untersuchung des Sprachwandels zum Beispiel die Analyse von Bedeutungsveränderungen impli‐ zieren, die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Bedeutungen von Wörtern sowie sprachlichen Bildern und übertragenem bzw. metaphorischem Sprachgebrauch umfasst ggf. die Untersuchung von Bedeutungserweiterungen, die Beschäftigung mit Gliederungsmöglichkeiten des Wortschatzes führt zur Beschäftigung mit semantischen Be‐ ziehungsnetzen, die Forderung nach angemessenem Sprachgebrauch impliziert se‐ mantische Abwägungen usw. Methodisch wird oft, wenn auch zum Teil im Kontext der Rechtschreibung, die Nutzung von Wörterbüchern oder Nachschlagewerken einge‐ fordert. Eine themenorientierte Integration lexikalisch-semantischer Wortschatzarbeit in alle Kompetenzbereiche ist durch die Lehrpläne also zwar selten explizit und diffe‐ renziert ausgeführt, oft aber curricular nahtlos anschließbar. Die fehlende Explizitheit und Verbindlichkeit semantischer Themen bedeutet aber gleichzeitig, dass Wortschatz‐ arbeit durchaus vernachlässigt werden könnte, wenn die Lehrkräfte persönlich keine Notwendigkeit für eine explizite und systematische Wortschatzarbeit sehen, etwa wenn sie davon ausgehen, dass die implizite Erweiterung und Vertiefung des Wort‐ schatzes beim Lesen und Hören für die Entwicklung eines umfangreichen und diffe‐ 3 Erwerb und Vermittlung 156 <?page no="158"?> renzierten Wortschatzes ausreicht und die explizite Förderung zu viel Zeit einnimmt. Hier nimmt die Lehrkräfteausbildung eine entscheidende Rolle ein, in der die Relevanz expliziter Wortschatzarbeit für die Entwicklung von Sprachkompetenzen vermittelt werden muss. Übung 341a Analysieren Sie, wie schon in Aufgabe 122a, die KMK-Bildungsstandards und die für Sie relevanten länderspezifischen Kernlehrpläne in Hinblick auf explizites und implizites Vorkommen der Themen „Semantik“ und „Wortschatz(arbeit)“. Verglei‐ chen Sie Ihre jetzigen Ergebnisse mit denen aus Aufgabe 122a und überlegen Sie, inwiefern Sie nach der bisherigen Bearbeitung dieses Bandes und der Einarbeitung in die Semantik einen anderen Blick auf das Thema haben und zu anderen Er‐ gebnissen gekommen sind. 3.4.2 Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen Die bisher analysierten Curricula waren Lehrpläne für Deutsch-Erst- und -Zweit‐ sprachler, die oft explizit einen erhöhten Wortschatzarbeitsbedarf insbesondere bei Kindern mit Migrationshintergrund andeuten. Der Gemeinsame Europäische Refe‐ renzrahmen für Sprachen (GER 2001) ist hingegen ein Rahmencurriculum für das Fremdsprachenlehren und -lernen (nicht speziell des Deutschen), das sich europa‐ weit durchgesetzt hat, sprachliche Teilkompetenzen modelliert und ausführlich zu Zwecken des Lehrens, Lernens und Beurteilens in differenzierten Skalen für verschie‐ dene Niveaus (A1-C2) beschreibt. Semantische Fragen werden zwar nur sehr rand‐ ständig und undifferenziert erwähnt und behandelt, da die Struktur des Referenzrah‐ mens v. a. nach den Teilfertigkeiten des Hörens, Sprechens, Lesens und Schreibens gegliedert ist und der hierzu quer liegende Bereich des Wortschatzes jeweils weniger sichtbar enthalten ist; aber im Kapitel zur theoretischen Modellierung „kommunika‐ tiver Sprachkompetenzen“ setzt der GER zunächst auf einer ersten Ebene der Unter‐ gliederung eine linguistische, eine soziolinguistische und eine pragmatische Kompe‐ tenz an und unterteilt die linguistische Kompetenz sodann unter anderem in eine lexikalische und eine separate, explizit so benannte semantische Kompetenz (neben einer grammatischen, phonologischen, orthographischen und orthoepischen Kompe‐ tenz). Zur lexikalischen Kompetenz zählt das Wissen um feststehende Wendungen, Ein‐ zelwörter sowie grammatische Elemente als geschlossene Wortklassen. Die lexikali‐ sche Kompetenz einer Sprecherin oder eines Sprechers lässt sich dann anhand des vorhandenen Wortschatzspektrums und der Wortschatzbeherrschung von einer nied‐ rigsten (A1) bis zur höchsten (C2) Stufe beurteilen und beschreiben. Exemplarisch seien für diese beiden Bereiche die Bewertungsskalen des GER (2001: 112 f.) aufgeführt, die deutlich machen, dass bereits hier elementare semantische Aspekte und Kompetenzen 3.4 Wortschatzarbeit in Curricula 157 <?page no="159"?> vor dem pragmatisch-funktionalen Hintergrund ihrer souveränen und angemessenen Anwendung (Sprachhandlungskompetenz) miterfasst werden: Wortschatzspektrum C2 Beherrscht einen sehr reichen Wortschatz einschließlich umgangssprachlicher und idiomatischer Wendungen und ist sich der jeweiligen Konnotation bewusst. C1 Beherrscht einen großen Wortschatz und kann bei Wortschatzlücken problemlos Umschreibungen gebrauchen; offensichtliches Suchen nach Worten oder der Rück‐ griff auf Vermeidungsstrategien sind selten. Gute Beherrschung idiomatischer Aus‐ drücke und umgangssprachlicher Wendungen. B2 Verfügt über einen großen Wortschatz in seinem Sachgebiet und in den meisten all‐ gemeinen Themenbereichen. Kann Formulierungen variieren, um häufige Wieder‐ holungen zu vermeiden; Lücken im Wortschatz können dennoch zu Zögern und Um‐ schreibungen führen. B1 Verfügt über einen ausreichend großen Wortschatz, um sich mit Hilfe von einigen Umschreibungen über die meisten Themen des eigenen Alltagslebens äußern zu können wie beispielsweise Familie, Hobby, Interessen, Arbeit, Reisen, aktuelle Ereig‐ nisse. A2 Verfügt über einen ausreichenden Wortschatz, um in vertrauten Situationen und in Bezug auf vertraute Themen routinemäßige alltägliche Angelegenheiten zu erledigen. Verfügt über genügend Wortschatz, um elementaren Kommunikationsbedürfnissen gerecht werden zu können. Verfügt über genügend Wortschatz, um einfache Grundbedürfnisse befriedigen zu können. A1 Verfügt über einen elementaren Vorrat an einzelnen Wörtern und Wendungen, die sich auf bestimmte konkrete Situationen beziehen. Wortschatzbeherrschung C2 Durchgängig korrekte und angemessene Verwendung des Wortschatzes. C1 Gelegentlich kleinere Schnitzer, aber keine größeren Fehler im Wortgebrauch. B2 Die Genauigkeit in der Verwendung des Wortschatzes ist im Allgemeinen groß, ob‐ gleich einige Verwechslungen und falsche Wortwahl vorkommen, ohne jedoch die Kommunikation zu behindern. B1 Zeigt eine gute Beherrschung des Grundwortschatzes, macht aber noch elementare Fehler, wenn es darum geht, komplexere Sachverhalte auszudrücken oder wenig ver‐ traute Themen und Situationen zu bewältigen. A2 Beherscht einen begrenzeten Wortschatz in Zusammenhang mit konkreten Alltags‐ bedürfnissen. A1 Keine Deskriptoren verfügbar Abb. 342a: GER-Skalen zur lexikalischen Kompetenz (GER 2001: 112 f.) 3 Erwerb und Vermittlung 158 <?page no="160"?> Die zusätzlich angesetzte semantische Kompetenz „umfasst die Fähigkeit Lernender, sich der Organisation von Bedeutung bewusst zu sein und diese zu kontrollieren.“ Hierzu zählt der GER auch „grammatische Semantik“ als „Bedeutung grammatischer Elemente, Kategorien, Strukturen und Prozesse“ sowie pragmatische Semantik als „lo‐ gische Beziehungen wie Folgerung, Präsupposition, Implikation usw.“ (GER 2001: 116). Wie sich diese Kompetenzen dann, sprachdidaktisch operationalisiert und in eine Ent‐ wicklungsbzw. Erwerbsprogression gebracht, als quer liegende lexikalisch-semanti‐ sche Wortschatzfähigkeiten in den Niveaubeschreibungen des GER wiederfinden, soll am Beispiel der die einzelnen sprachlichen Teilfertigkeiten zusammenfassenden GER-Globalskala (GER 2001: 35) verdeutlicht werden: Auf den niedrigsten Niveaus (A1/ 2, „Elementare Sprachanwendung“) geht es v. a. um die Beherrschung von Alltagswortschatz („vertraute, alltägliche Ausdrücke“) und hoch‐ frequenten Ausdrücken, die in relevanten Handlungszusammenhängen unmittelbare Bedeutung für beginnende Fremdsprachenlernende haben, d. h. es geht etwa um Wort‐ schatz für die persönliche Selbstdarstellung (z. B. Informationen zur Person und zur Familie, Einkaufen, Arbeit, nähere Umgebung). Die mittleren Niveaus (B1/ 2), definiert als „Selbstständige Sprachanwendung“, be‐ tonen weiterhin die persönliche Relevanz des beherrschten Wortschatzes („wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht“), nehmen aber auch einer‐ seits bereits erste Fachsprachenkenntnisse in den Blick, wo es um „persönliche Inter‐ essengebiete“ und eigene Spezialgebiete geht, und andererseits auch bildungssprach‐ lich-funktionalen Wortschatz, wenn das Berichten (über Erfahrungen und Ereignisse), das Beschreiben (von Träumen, Hoffnungen und Zielen) sowie das Erklären und Be‐ gründen (von Plänen und Ansichten) thematisiert werden. Insgesamt zeigt sich dem‐ nach eine qualitative Progression vom Wortschatz für konkrete hin zum Wortschatz für abstrakte Themen und generell eine Ausweitung auf ein breites Themenspektrum, was eine deutliche quantitative Wortschatzerweiterung bedeutet. Auf den Niveaus C1/ 2 („Kompetente Sprachverwendung“) wird dann neben einem breiten Wortschatz („ohne öfter deutlich erkennbar nach Worten suchen zu müssen“), der die Variation der lexikalischen Mittel bei der Kommunikation über komplexe Sach‐ verhalte garantieren soll, insbesondere auch vertieftes semantisches Wissen etwa um implizite Bedeutungen erwartet. Hiermit einher geht eine hohe semantische Präzision auch in der eigenen Sprachproduktion der Lerner und Lernerinnen („genau ausdrücken und auch bei komplexeren Sachverhalten feinere Bedeutungsnuancen deutlich ma‐ chen“). Die kommunikativen und damit Wortschatzdomänen haben sich nun vom pri‐ vaten Bereich gänzlich in den öffentlichen verlagert („Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen Leben oder in Ausbildung und Studium wirksam und flexibel gebrau‐ chen“), was eine ausgebildete Registerkompetenz verlangt. Um einen solchen Lernfortschritt in einer Fremdsprache zu begleiten und zu fördern, bieten sich prinzipiell die beiden Möglichkeiten, entweder von der Form (Grammatik) zur Bedeutung zu kommen - oder umgekehrt; da die Lerner und Lernerinnen ohnehin beides erlernen müssen, sind beide Vorgehensweisen legitim. In der Praxis scheint es 3.4 Wortschatzarbeit in Curricula 159 <?page no="161"?> vielen Lehrenden jedoch - vermutlich aus kommunikativen wie motivationalen Gründen - sinnvoller, beim Sprachlehren von der Semantik auszugehen und von der Organisation der Bedeutung zur Form (Grammatik) zu kommen (GER 2001: 116). Da davon auszugehen ist, dass die kognitive Organisation des Wortschatzes und die Spei‐ cherung von Redewendungen usw. unter anderem von den kulturellen Eigenschaften der Sprachgemeinschaft(en) abhängen, in denen ein Mensch aufgewachsen und sozia‐ lisiert worden ist und in denen sein Lernen stattgefunden hat (GER 2001: 25), plädiert der GER u. a. für ein Vorgehen bei der Vermittlung von Wortschatzerweiterung, das auf einer „mehr oder weniger systematische[n] Auseinandersetzung mit der unterschied‐ lichen Verteilung der semantischen Merkmale in der L1 und der L2 (kontrastive Se‐ mantik)“ basiert (GER 2001: 147; vgl. Kap. 2.8 zur Bedeutung im sprachlich-kulturellen Vergleich). Literatur GER 2001; Plewnia 2006; Willenberg 2016. 3.5 Gegenstände der Wortschatzarbeit Mit Blick auf die Ziele der Wortschatzerweiterung wie der Wortschatzvertiefung stellt sich gleichermaßen die Frage nach der Wortschatzauswahl, die zum Gegenstand des Unterrichts gemacht wird. Während hier bezüglich der Wortschatzerweiterung und des unüberschaubar großen, potenziell zu thematisierenden Wortschatzes des Deut‐ schen über die „Problematik des ‚Grundwortschatzes‘“ (Merten 2016c; vgl. zur Diskus‐ sion mit Blick auf DaZ-Schülerinnen und -Schüler auch Ekinci-Kocks 2013) und die „Grundwortschatzsackgasse“ (Kühn 2007: 161) diskutiert wird, stellt sich die Frage be‐ züglich der Wortschatzvertiefung nach der Auswahl der stets nur exemplarisch im Unterricht aufzugreifenden Wortauswahl. Hierbei spielen morphologische, morphosyntaktische und semantische Kriterien (v. a. der Polysemie, vgl. Ulrich 2015b) eine Rolle; dabei sind grundsätzlich sowohl ein‐ fache wie komplexe Wörter als auch Wortgruppen bzw. Phraseologismen und Sprichwörter/ Redensarten (vgl. hierzu etwa Stein 2016; Mückel 2015; Kleinbub 2015; Bergerová 2011; Gündoğu 2007; Kühn 2005) ein lohnenswerter Gegenstand der Wort‐ schatzarbeit wie insbesondere der semantischen Reflexion. Sinnvoll ist es dabei, die Wörter und Wortgruppen möglichst im Rahmen eines konkreten Kontextes - und damit textgebunden - aufzugreifen und nicht vereinzelt, sondern in Zusammenhang mit ganzen Wörternetzen. Diese können Sachfelder (z.B. Flughafen, Startbahn etc.), ‚Frames and Scripts‘ (z.B. Mit dem Flugzeug fliegen: Das Flugzeug rollt auf die Startbahn, startet, hebt ab etc.), Kollokati‐ onsfelder (z.B. einen Flug buchen etc.), Wortfelder (z.B. starten, landen etc.), Wortfamilien (z.B. Flug, Flieger, fliegen etc.), Bewertungsnetze (z.B. Flugzeug, Kiste etc.) sowie Assozia‐ 3 Erwerb und Vermittlung 160 <?page no="162"?> tionsnetze (z.B. Ferien, Sonne, Urlaub etc.) umfassen. Die Wortschatzarbeit kann sich auf eines oder auch auf mehrere dieser Felder beziehen und demnach den Wortschatz der Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Zielsetzungen weiterentwickeln (Stein‐ hoff 2013: 13f.). Während sich für die Wortschatzerweiterung eher das Erstellen von Wortfamilien sowie von Wort- und Sprachfeldern anbietet, können unter anderem die Bewertungsnetze geeignete Gegenstände der wortschatzvertiefenden Sprachreflexion darstellen. Aus dem Gegenstand des Wortfeldes können jedoch auch „stilistische Nu‐ ancen, Sprachschichten und Eigenarten von Gruppensprachen […] abgeleitet werden“ (Willenberg 2016: 509). Zudem können Aspekte des uneigentlichen Sprechens (Meta‐ phern, Ironie) thematisiert werden (ebd.): Hinsichtlich der Wortschatzvertiefung sind vor allem Lexeme bedeutsam, die „lexikalisierte denotative und konnotative, metaphorische, metonymische und assoziative semantische Potenziale“ (Kilian 2016c: 133) aufweisen und somit das gesamte Bedeutungsspektrum eines Lexems umfassen. Dabei können Lexeme und Bedeutungen merkmalssemantisch wie nach der Prototypentheorie synchron wie diachron beschrieben werden. Mit Blick auf Sprachwandel als semantischen Wandel können Prozesse der Entstehung und Funktion von Polysemie, der Bedeutungserweite‐ rung, -verengung, -verbesserung, -verschlechterung und -übertragung sowie syntagma‐ tische ([In-]Kompatibilität) und paradigmatische (Synonymie, Antonymie, Hyper‐ onymie) Beziehungen fokussiert werden (Polz 2016b: 364). In diesem Zusammenhang ist für die Wortschatzauswahl und semantische Reflexion auch interessant, welcher Varietät bzw. welchem Register die im Unterricht thema‐ tisierten Wortschätze angehören: neben standardsprachlichem Wortschatz kann es oft sinnvoll sein, gruppenspezifische Wortschätze (z. B. aus der Jugendsprache, aus Dialekten, vgl. etwa Turgay 2012; Neuland 2016) aufzugreifen, um etwa Phänomene der Konnotation, der Metaphernbildung usw. zu reflektieren. Auch die Thematisierung von bildungs- und fachsprachlichen Wortschätzen ist im Rahmen der Vermittlung von Rezeptionskompetenz wie situationsangemessenem produktiven Sprachgebrauch relevant. Fachwortschätze sollten dabei möglichst immer im fachlichen Kontext be‐ handelt werden, damit das neu Erlernte nicht inhaltsleer bleibt und Schülerinnen und Schüler lernen, dass fachliche Begriffe für eine päzise Ausdrucksweise elementar und geeigneter sind als passe-partout-Wörter. Solch eine Wortschatzarbeit am Bildungs- und Fachwortschatz sollte daher am besten immer fächerübergreifend organisiert werden (zum Fachwortschatz vgl. Kilian 2010; Kilian 2015; Kuhs 2015; Schellenberg 2016). Im Kontext von Bildungs- und Fachsprache bietet sich zudem die Thematisierung von fremdsprachlichem Wortschatz und seiner Semantik an, insbesondere mit ver‐ gleichendem Blick auf Bedeutungsbeziehungen (Synonyme, Differenzen in Denotation und Konnotation, lexikalische Lücken …) sowie mit Blick auf domänenspezifische Wortfelder, die ihren Wortschatz oft aus einer speziellen Fremdsprache beziehen (Eng‐ lisch als Sprache des Sports, Italienisch im Bankenwesen, Französisch bezüglich Mode usw.). Tendenziell sollten die Themenfelder, aus denen der unterrichtlich thematisierte Wortschatz stammt, jedoch einen hohen kommunikativen und handelnden Ge‐ 3.5 Gegenstände der Wortschatzarbeit 161 <?page no="163"?> brauchswert für die Schülerinnen und Schüler haben, da Wortschatz dann zur echten Kommunikationsbasis und es notwendig wird, Wortschatz rezeptiv wie produktiv wieder zu aktivieren (Selimi 2014: 55). Sprachreflexiv und sprachgeschichtlich können Fremdwörter natürlich auch vertiefend mit einem Fokus auf Etymologie behandelt werden. Vor dem Hintergrund des Ziels, den produktiven Ausdruckswortschatz zu fördern, ist es zudem sinnvoll, textsortenspezifische oder -typische Kollokationen bzw. soge‐ nannte „Textprozeduren“ (Bachmann/ Feilke 2014) zu vermitteln, die einen situations‐ angemessenen und damit kompetenten Ausdruck ausmachen. Übung 350a Besorgen Sie sich ein Schulbuch Ihrer jeweilgen Schulform und analysieren Sie es in Hinblick auf die vorkommenden Themen und Wortfelder sowie in Hinblick auf die explizit semantisch aufgegriffenen Aspekte/ Phänomene. Führen Sie da‐ nach eine vergleichbare Analyse mit einem fremdsprachlichen Schulbuch (z. B. Englischbuch für deutsche Schülerinnen und Schüler) durch und vergleichen Sie die Ergebnisse: Werden vergleichbare oder unterschiedliche Themen- und Wort‐ felder, semantische Phänomene sowie sprachliche Register aufgegriffen? Literatur Polz 2016b; Selimi 2014; Ulrich 2013, 2014. 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit Natürlicher Wortschatzerwerb führt vom fremden zum eigenen Gebrauch, d. h. von der Rezeption zur Produktion. Unterricht sollte diesen Weg demnach ebenfalls gehen und Möglichkeiten bieten, diesen Verlauf vom Hören bzw. Lesen und Verstehen über das Bewusstmachen zum Sprechen und Schreiben zu führen (Steinhoff 2013: 23). Hatch und Brown (1995: 415) haben dies in ihren fünf Schritten des Wörterlernens prä‐ zisiert: 1. Konfrontation mit dem neuen Wort während des Hörens/ Lesens 1. 2. Abgleich des neuen Wortes mit dem eigenen Vorrat und Wissen im mentalen 2. Lexikon 3. (bei Einordnungsproblemen) die Bedeutung des Wortes in Erfahrung bringen 3. (hier könnte z. B. Wörterbucharbeit ansetzen) 4. Eingliederung und Verfestigung der neuen Erfahrungswerte im mentalen Le‐ 4. xikon 5. produktive Verwendung des Wortes (vgl. Ulrich 2016b: 43 ff.). 5. 3 Erwerb und Vermittlung 162 <?page no="164"?> Reines Auswendiglernen reicht demnach für die spätere produktive Anwendung oft nicht aus (Feilke 2009: 10). Ein ähnliches Modell wie das von Hatch und Brown (1995) stellt der didaktische Dreischritt zur Wortschatzerweiterung nach Kühn (2000) dar (vgl. Feilke 2009; Kühn 2007): 1. Semantisierung: rezeptive Konfrontation mit neuen Wörtern z. B. in Texten, 1. Wörterlisten und Wörterbüchern: Wörter werden aus authentischen Texten heraus mithilfe unterschiedlicher Entschlüsselungstechniken (Wortbildungsre‐ gularitäten, Wörterbücher) isoliert (z. B. durch Herausschreiben) und reflektiert. 2. Vernetzung: der Gebrauchswert der isolierten Lexeme wird in einer 2. „Wörter-Werkstatt“ in Form netzwerkartiger Gruppierungen untersucht, ge‐ ordnet und ggf. ergänzt (Diagramme, Wortbilder, Wortigel/ Assoziogramme, Mindmaps). 3. Reaktivierung: Die rezeptiv gewonnenen, reflexiv bewusst gemachten und auf 3. ihren Gebrauchswert hin untersuchten Wörter und Wendungen werden in an‐ deren Kontexten und eigenen Texten intentions-, adressaten- und situations‐ spezifisch verwendet und so im Langzeitgedächtnis verankert. Anders formuliert: Auf eine Bedeutungsvermittlung in Gebrauchssituationen folgt eine Festigung und Einsicht in Wortbildungsprinzipien (Balsliemke et al. 2015: 221). Beide Vorgehen lösen die aktuelle wortschatzdidaktische Forderung ein, dass Wörter nicht wahllos und aus dem Kontext gerissen gelernt und dass Ausdrucksweisen in vorliegenden Texten nicht isoliert betrachtet werden dürfen bzw. können sowie dass bewusstes und unbewusstes Lernen miteinander verbunden werden müssen und be‐ sonders erfolgreich sind, indem das mentale Abspeichern der neuen Wörter durch die Reflexion des Wortgebrauchs unterstützt wird (Ulrich 2016d: 21 f.). Schulische Wortschatzarbeit dient aber nicht nur dem Erlernen neuer Wörter (Wort‐ schatzerweiterung), sondern vor allem auch der Aktivierung von Verbindungen im mentalen Lexikon, was wiederum eine Erhöhung der Abrufgeschwindigkeit sowie eine tiefere Verankerung (als bei kontextloser Erarbeitung) der Wörter mit ihren Bedeu‐ tungen im Gedächtnis durch die produktive Anwendung garantiert (ebd.). Auch dies wird durch die beiden skizzierten Ansätze gewährleistet. Generell wird damit in der aktuellen wortschatzdidaktischen Diskussion die Wort‐ schatzarbeit im Dienste der Wortschatzerweiterung wie der -vertiefung dem Bereich der Sprachreflexion zugeschlagen und das explizte, bewusste und bewusstmachende, entdeckende, aus (Kon-)Texten erarbeitende Wortschatzlernen als Ergänzung des im‐ pliziten, unbewussten Wörter- und Bedeutungslernens gefordert, da das Modellieren von Bedeutungsstrukturen und Netzwerkbereichen des mentalen Lexikons die Qualität der Wortschatzverarbeitung wesentlich heben und das Behalten verbessern kann (Ekinci-Kocks 2013: 70 f.; Selimi 2015: 254 f.). Für solch einen reflektierenden Um‐ gang mit Wortschatz und Semantik bieten sich verschiedene, oft nicht strikt vonein‐ ander abgrenzbare Ansätze oder Prinzipien der (semantikorientierten, textbezogenen 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 163 <?page no="165"?> und sprachkritischen) Wortschatzarbeit an, die im Folgenden, nach einer kurzen Ver‐ tiefung der Diskussion um explizte vs. implizite Wortschatzarbeit, vorgestellt werden. Übung 360a Suchen Sie sich einen alters- und schwierigkeitsangmessenen Text für eine spe‐ zifische Schulform und Jahrgangsstufe, den Sie im Deutschunterricht mit einer Klasse als Basis für Wortschatzarbeit behandeln würden. Wählen Sie zwei Wörter, die Sie als für die Schüler tendenziell unbekannt oder schwierig zu verstehen er‐ achten und skizzieren Sie, wie Sie die Bedeutung dieser Wörter im Unterricht nach dem didaktischen Dreischritt nach Kühn erarbeiten würden. 3.6.1 Explizite vs. implizite Wortschatzarbeit Die explizite Wortschatzarbeit nahm in den letzten Jahrzehnten im erstsprachlichen Deutschunterricht keine bedeutende Rolle ein. Ulrich (2016c: 15) bezeichnet den Deutsch‐ unterricht bis in die Gegenwart hinein als eher „wortschatzarbeitsabgewandt“, da ins Zentrum des sprachreflexiven Deutschunterrichts bislang die syntaxorientierte Gram‐ matik und Rechtschreibung gestellt wurde. Die Sprachreflexion war somit satzdominiert, „Wörter und Wortformen spielen [in der Vergangenheit] fast ausschließlich im Hinblick auf deren Stellung und Funktion im Satz eine Rolle“ (Merten/ Kuhs 2012b: 7). In weiten Teilen der Sprachdidaktik ging man davon aus, dass die meisten Schülerinnen und Schüler im Regelfall von zu Hause aus über einen angemessenen Wortschatz verfügen (ebd.). Darüber hinaus verließ man sich auf die Auffassung, dass die natürliche Wort‐ schatzentwicklung keiner zusätzlichen expliziten Förderung im Unterricht bedarf. Die Annahme, dass der Wortschatz beim Lesen und Hören automatisch und beiläufig erwei‐ tert und gefestigt wird, dominierte den Deutschunterricht. Vor allem in der Sekundar‐ stufe wurde häufig eine explizite Wortschatzarbeit für zweitrangig oder sogar überflüssig gehalten (ebd.: 15). Darüber hinaus wurden und werden zum Teil immer noch weitere Argumente gegen eine explizite und systematische Wortschatzarbeit angeführt: Es wird darauf verwiesen, dass die Zahl der zu behandelnden Lexeme viel zu groß sei und diese deshalb nicht im Einzelnen behandelt werden könnten (Ulrich 2016b: 39). Die vielen Ver‐ wendungsweisen und Nebenbedeutungen einzelner Lexeme seien viel zu komplex und deshalb kaum zu erfassen (vgl. ebd.); zudem sei der Zeitaufwand im Unterricht zu hoch, wenn die Wortschatzarbeit wirklich Folgen für den Sprachgebrauch der Schülerinnen und Schüler haben solle (ebd.: 40). Dagegen benötigten andere Formen der Wortschatzerwei‐ terung weniger Lehranstrengungen und Unterrichtszeit als explizite und reflexive Wort‐ schatzuntersuchungen. Demnach reiche die beiläufige Aufnahme von neuen Wörtern beim Hören und Lesen und die anschließende Verwendung beim Sprechen und Schreiben aus (Ulrich 2011b: 20). Eine genauere Begutachtung der aufgeführten Argumente kann diese jedoch entkräften. Wortschatzerweiterung findet zwar beim Lesen und Hören statt, allerdings geschieht das individuell sehr unterschiedlich und meistens nur unvoll‐ kommen, sodass zwischen den Schülerinnen und Schülern hohe Wortschatzdifferenzen 3 Erwerb und Vermittlung 164 <?page no="166"?> entstehen und sich Defizite entwickeln können (vgl. Ulrich 2016b: 40). Für Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache oder mit Sprachförderbedarf hat es besonders negative Folgen, wenn auch bei ihnen unausgesprochen von der impliziten Wortschatz‐ erweiterung ausgegangen wird (vgl. Merten/ Kuhs 2012b: 15). Erwartet wird, „dass die Schülerinnen und Schüler Informationen aus dem Kontext aufnehmen und sich hieraus eine Textbedeutung ableiten“ (ebd.). Studien aus der Fremdsprachendidaktik belegen je‐ doch, dass aus dem Kontext erschlossene Wörter nur kurzfristig behalten und nicht „ge‐ lernt“ werden. Folglich kann nicht vorausgesetzt werden, dass die Schülerinnen und Schüler diese Wörter beherrschen; dafür wäre zusätzliche explizite Wortschatzarbeit not‐ wendig (vgl. ebd.: 16). Außerdem lesen die Schülerinnen und Schüler ohne expliziten Wortschatzfokus nur flüchtig und sind auf den Inhalt der Texte ausgerichtet (Ulrich 2016c: 40). Damit sie auch die sprachlichen Formulierungen beachten, müssen sie dafür sensibilisiert werden. Lenkt man die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler ge‐ zielt auf die Wörter und die genaue Wahrnehmung von Bedeutungsnuancen, kann „die Fähigkeit, Kontextinformationen beim Lesen aufzunehmen und auszuwerten [und] sie zum ‚Erraten‘ der Wortbedeutungen und Lesarten zu nutzen“, verbessert werden (Ulrich 2011b: 20). Nur so (unterstützt) kann implizite Wortschatzerweiterung gelingen. Explizite und systematische Wortschatzarbeit kann dabei selbstverständlich nicht den gesamten Schülerwortschatz erfassen, sondern muss an ausgewählten Beispielen erfolgen. Exemplarisches Lernen mit der Hoffnung auf Transfereffekte ist auch in anderen Zusammenhängen selbstverständlich und kein Grund, auf Lernanstöße zu verzichten (Ulrich 2016b: 40). Es ist somit deutlich empfehlenswert, einen Teil der Un‐ terrichtszeit für die Untersuchung und Reflexion von Wortschatz zu verwenden, um an ausgewählten Beispielen etwa die Mehrdeutigkeit von Lexemen zu analysieren. Schülerinnen und Schülern fällt es anschließend oft leichter, Nebenbedeutungen und metaphorische Gebrauchsweisen von Lexemen zu erfassen (vgl. ebd.). Die detaillierte Untersuchung ausgewählter Lexeme mit ihren verschiedenen Lesarten sowie die Ana‐ lyse einiger weniger lexikalischer Netzwerkregionen lenken nicht nur die Aufmerk‐ samkeit auf Funktion und Wirkung von Sprache, sondern schärfen die Sinne für die grundlegende Leistung der Lexeme bei jeder Form sprachlicher Kommunikation. Eine solche Wortschatzarbeit vermittelt nicht nur deklaratives Wissen über Sprache, son‐ dern steigert die Sprachkompetenz, das Können beim Verstehen anderer und beim Sichverständlichmachen (Ulrich 2011b: 20 f.). Deshalb sollte die Förderung der Wortschatzkompetenz im Deutschunterricht ex‐ plizit und systematisch erfolgen. Die Auffassung, dass beiläufige Wortschatzerweite‐ rung und -vertiefung für eine angemessene Entwicklung der Wortschatzkompetenz von Schülerinnen und Schülern ausreicht, wird daher heute nicht mehr ernsthaft ver‐ treten. 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 165 <?page no="167"?> Übung 361a Wortschatzlernen verläuft, was die absolute Mehrheit der Wörter angeht, unge‐ steuert, beiläufig, inzidentell, was sich allein aus dem Umfang an zu lernendem Wortschatz und der geringen unterrichtlichen Zeit, die zur Verfügung steht, ergibt. Resümieren Sie die Argumente, die dennoch für eine explizite, systematische Wortschatzarbeit sprechen. 3.6.2 Textorientierte Wortschatzarbeit „Den hohen Stellenwert der Textorientierung“ (Turgay 2015: 186) und der Berücksich‐ tigung des Kontextes im Rahmen der Wortschatzarbeit betonen fast alle Sprachdidak‐ tiker: Wortschatzarbeit sollte von den Texten ausgehen (Lesen) und wieder zu Texten zurückführen (Schreiben). Bei der textorientierten Wortschatzarbeit (Hoffmann 2016; Ulrich 2015a), im Gegensatz zu „kontext-isolierte[n] Einzel-Wort-Übungen“ (Pohl 2016: 161) wie wort- oder satzbezogenen Einsetzungs- und Ergänzungsaufgaben oder dem Auswendiglernen von Definitionen, werden gleichermaßen und gemeinsam die Textwie die Wortschatzkompetenz gefördert. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Wort‐ schatz- und Textkenntnisse grundsätzlich miteinander einhergehen. So kann beispiels‐ weise das Wissen über Texte maßgeblich zur Erweiterung und Vertiefung des Wortschatzes beitragen, denn „Textwörter sind Wörter in kommunikativer Funktion“ (Hoffmann 2016: 143) und der Text bietet den Kontext und die Möglichkeit zur Seman‐ tisierung unbekannter Wörter. Wortschatzarbeit mit Texten ist dabei also eine induk‐ tive, kommunikativ und sprachhandelnd am Gebrauchskontext der Wörter orientierte statt deduktiv, sprachsystematisch, strukturalistisch und lexikologisch konzipierte Un‐ terrichtsform. Im Kontext von Textarbeit wird den Schülerinnen und Schülern deutlich, dass Wortschatzarbeit kein Selbstzweck ist, sondern bei der Rezeption und Produktion von Texten hilft. Hierbei ist es sinnvoll, die Schülerinnen und Schüler mit verschie‐ denen Textsorten zu konfrontieren, sodass sie verschiedene Kontexte und Register kennenlernen, in denen Wörter verschieden vorkommen und verschiedene Bedeu‐ tungen haben können. Hierdurch können Schülerinnen und Schüler ihren Wortschatz erweitern und vertiefen (vgl. Polz 2016b: 371), zumal viele Wörter und Wortverbin‐ dungen (Einzellexeme wie Wortschatzbereiche), insbesondere Fachwortschatz, oft textsortentypisch auftreten. So gibt es typischen Wortschatz für Wetterberichte (auffrischende Südwestwinde, anhaltende Niederschläge), für Todesanzeigen (ent‐ schlafen, heimgehen) oder für Märchen (Hexe, Riese) (Hoffmann 2016: 144 f.) - und damit typische semantische Phänomene wie etwa Euphemismen o. dgl. Nach Hoffmann (ebd.: 147) ist der Blick bei textorientierter Wortschatzarbeit auf drei Ebenen zu richten: 3 Erwerb und Vermittlung 166 <?page no="168"?> 1. die Ebene der Konnexion, auf der man nach textgrammatischen Aspekten fragt 1. und insbesondere die Verwendung von Konnexionswörtern wie Kon- und Sub‐ junktionen, Artikelwörtern, Pro-Formen, Synonymen, Antonymen oder Hyper‐ onymen und Hyponymen untersucht; 2. die Ebene der Referenz, die den Bezug der Wörter etwa danach untersucht, ob 2. es sich um Konkreta oder Abstrakta handelt, ob sie auf statische (Gegenstände, Lebewesen, Zustände) oder dynamische Objekte (Ereignisse, Vorgänge) refe‐ rieren, welche Wörter in einem textthematischen Zusammenhang stehen und zum Beispiel thematische Reihen (Topik-/ Isotopieketten) bilden usw.; 3. die Ebene der Konsequenz, die die Textwörter betrifft, die den themen- und 3. partnerbezogenen Sinn eines Textes (einer Texthandlung oder Teilhandlung) signalisieren. Zu reflektieren und zu analysieren ist demnach in einer textorientierten Wortschatz‐ arbeit nicht nur die Bedeutung eines Einzelwortes, sondern seine kommunikative Funktion für die Aussage und Gesamtfunktion sowie die stilistische Gestaltung des Textes. Es kann demnach gefragt werden, welche Textwörter als Indikatoren von Textfunktionen und Kommunikationsbereichen fungieren (und hierfür typisch sind) und welche Wörter themenentfaltungstypisch sind (ebd.: 149). Hoffmann (2016: 153 ff.) legt hier eine Typologie von Aufgaben vor, die die einzelnen Aspekte von Text‐ kompetenz im Verhältnis zur Wortschatzkompetenz fördern. Ein Beispiel für eine sprachreflexive, text- und zugleich handlungsorientierte Wort‐ schatzarbeit in der Sekundarstufe I am Beispiel einer Fußballanalyse präsentiert Leim‐ brink (2015). Noch stärker um im engsten Sinne (v. a. lexikalisch-)semantische Aspekte kümmert sich der ebenfalls sprachreflexive Ansatz der semantikorientierten Wortschatzarbeit (Pohl 2016), der sich immer auch als Textarbeit versteht, Lexeme „in ihrer Textbezo‐ genheit und in ihrer kognitiven Realität im mentalen Lexikon beachtet“ (vgl. ebd.: 159), dem übergeordneten Ziel der Ausbildung kommunikativer Kompetenz verpflichtet (ebd.: 161) und vor allem dem wortschatzdidaktischen Ziel der Wortschatzvertiefung zuzuordnen ist. 3.6.3 Semantikorientierte Wortschatzarbeit Ausgehend von der These, dass die meisten Denkprozesse mittels Sprache verlaufen und sprachliche Formen nur dann einen kommunikativen Wert haben, wenn sie bedeutungs‐ haltig sind, zielt der Ansatz der semantikorientierten Wortschatzarbeit auf die semanti‐ sche Kompetenz der Lernerinnen und Lerner, d. h. auf a) das Bedeutungswissen und b) die Kompetenz, das Bedeutungswissen aktivieren zu können, um das Verstehen und Produzieren von sinnvollen Äußerungen ebenso zu ermöglichen wie „das Erkennen und Einordnen von Bedeutungsrelationen, die sprachliche Bezugnahme auf die Welt und die Fähigkeit, Sätze nach ihrem Sinn und Wahrheitsgehalt zu beurteilen“ (Schwarz/ Chur 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 167 <?page no="169"?> 2004: 17). Das Lernen neuer Wörtern ist dabei immer zu verstehen als Einfügen eines Lexems in bestehende Strukturen, Ordnungen und Netze im mentalen Lexikon und damit als aktiver, kreativer Konstruktionsprozess; kontext-isolierte Einzel-Wort- Übungen sind demnach wenig dienlich, da sie das sinnvolle Andocken neuer semanti‐ scher Informationen an schon vorhandene Informationen im mentalen Lexikon er‐ schweren (Pohl 2016: 161 f.). Auch aus dieser Perspektive ist der wortschatzdidaktische Dreischritt nach Kühn eine sinnvolle Vorgehensweise, die idealerweise in schulische Handlungskontexte eingebettet werden sollte, damit die kommunikative Funktion der semantischen Merkmale - etwa im Rahmen von Beschreibungen, Erzählungen, Argu‐ mentationen - deutlich wird (Pohl 2016: 162). Mit Bezug auf die Semantik von Einzellexemen und die Komplexität der Lexemse‐ mantik nimmt die semantikorientierte Wortschatzarbeit vor allem folgende Aspekte in den Blick (Pohl 2016: 163-193 mit groben Unterrichtsideen): ▸ die denotative Bedeutung/ den prototypischen denotativen Semantikkern (im ▸ Alltagswissen, nicht im Sinne einer wissenschaftlichen Begriffsbildung), ▸ konnotative Bedeutungen, ▸▸ soziokulturelles Hintergrundwissen, ▸▸ präsuppositive Bedeutungen, ▸▸ lexikalische Mehrdeutigkeiten von Lexemen, ▸▸ metaphorische und metonymische Lesarten, ▸▸ Techniken der Bedeutungserschließung. ▸ Im Rahmen der Beschäftigung mit der denotativen Bedeutung kann man im Deutschunterricht etwa definitorische Merkmale herausarbeiten (unter Rückgriff auf Wörterbücher, merkmalssemantisch usw.) oder Unterschiede in der Denotation zwi‐ schen verschiedenen Sprechergruppen thematisieren (etwa der Begriff Arbeiter in Wörterbüchern unterschiedlicher gesellschaftlicher Systeme). Die konnotative Bedeutung kann u. a. als Stilmerkmal in Texten aufgegriffen werden, wobei verschiedene Konnotationsarten und Gebrauchsbedingungen bespro‐ chen werden können, etwa: ▸ die emotionale Höhenlage von Lexemen (scherzhaft, zärtlich, ironisch, beleidi‐ ▸ gend …) ▸ die kommunikative emotional-bestimmte Ebene des Sprachgebrauchs (normal-, ▸ umgangssprachlich, gehoben, salopp, vulgär …) ▸ die indizierten „Funktionsbereiche“ (Alltagsrede, Wissenschaft …) bzw. typi‐ ▸ schen Textsorten ▸ die soziale Geltung des Lexemgebrauchs (jugendspezifisch, familiär, fachsprach‐ ▸ lich …) ▸ die regionale Bindung des Lexemgebrauchs (dialektal, regional, Helvetismus …) ▸▸ die zeitliche Bindung des Lexemgebrauchs (Archaismus, Neologismus, konkrete ▸ Epochenzugehörigkeit …), der „politische Geltungsbereich“ (BRD, DDR …) 3 Erwerb und Vermittlung 168 <?page no="170"?> Unter dem soziokulturellen Hintergrundwissen sind die Bedeutungsanteile zu verstehen, „die nicht mit der denotativen Bedeutung identisch sind, sondern aus dem gesellschaftlichen Umgang, aus den gesellschaftlichen Erfahrungen mit den Denotaten erwachsen“ (Pohl 2016: 170). Hierbei geht es um den Kulturkontext einer sozialen Sprechergruppe mit gemeinsamen kultur-historischen Traditionen, die die denotative Bedeutung um soziokulturelle Mitbedeutungen ergänzen. Diese zu reflektieren, kann etwa bei der Interpretation älterer literarischer Texte aus unbekannteren bzw. ver‐ blassten soziokulturellen Zusammenhängen und damit bei der Rekonstruktion des his‐ torischen Textsinns bzw. bei der Ermittlung einer historischen Lesart helfen. Pohl (2016: 170) bringt das Beispiel der soziokulturellen Mitbedeutungen zum Lexem Bürgermeister in Fontanes Novelle „Mathilde Möhring“, die etwa wie folgt zu beschreiben seien: ‚Pflichterfüllung im Sinne des Königtums‘, ‚Festhalten an preußischen Tugenden‘, ‚Vi‐ siten als Teil der Amtsobliegenheiten‘, ‚herrschaftliche Wohnungseinrichtung‘ usw. Deutschunterricht muss hier Bedeutungsunterschiede zur heutigen Alltagsbedeutung aufzeigen, die sich aus gewandelten soziokulturellen Hintegründen ergeben haben. In diesen Bereich gehört etwa auch soziokulturelles Bedeutungswissen zu zeitlich oder kulturell unterschiedlicher Farbsymbolik, zu Festlichkeiten u.ä. Mit der präsuppositiven Bedeutung sind Bedeutungsanteile zu Voraussetzungen gemeint, die der Produzent einer Aussage implizit macht und die der Rezipient rekon‐ struieren muss. Für den Deutschunterricht sind zumindest die Präsuppositionen rele‐ vant, die an die Lexemsemantik gebunden sind und die bei Unkenntnis zu Ausdrucks‐ mängeln (z. B. Tautologien) oder Missverstehen führen können. Hierzu gehören etwa ▸ mediale Präsuppositionen: ▸ ein Buch kaufen [Präsupposition: mit Geld] ▸ soziokulturelle Präsuppositionen: ▸ sich verloben, heiraten [tradierte Präsupposition: Personen verschiedenen Ge‐ schlechts] ▸ Temporalitäts-Präsuppositionen: ▸ aufhören zu X-en [Präsupposition: X wurde vorher getan] Hinsichtlich der Mehrdeutigkeit von Lexemen geht es darum, „Lerner semantisch zu sensibilisieren und ihr Lexemwissen um oft nur minimale Bedeutungsunterschiede aus‐ zudifferenzieren“ (Pohl 2016: 177), vor allem mit Blick auf die rezeptive Texterschlie‐ ßung. Hierfür bietet es sich bezüglich der Beschreibung und Darstellung bzw. Erarbei‐ tung mit Schülerinnen und Schülern an, sich von einer Kernbedeutung schrittweise über spezifizierende Bedeutungselemente hin zu kontextspezifischen Bedeutungsvarianten/ Lesarten vorzuarbeiten, etwa für die über 50 Bedeutungsvarianten des Verbes gehen. Hierfür kann man entweder Bedeutungsangaben aus Wörterbüchern zusammen‐ tragen: 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 169 <?page no="171"?> gehen 1: Willst du mitfahren oder lieber [zu Fuß] gehen? ‘sich in aufrechter Haltung auf den Füßen schrittweise fortbewegen’ gehen 2: Ich bin den Weg in einer Stunde gegangen. ‘eine bestimmte Strecke gehend [1] zurücklegen’ gehen 3: Auf dem Pflaster geht es sich schlecht. g. + sich, unpers.: ‘in bestimmter Weise zu begehen sein’ gehen 4: Wir gehen heute Abend essen. ‘sich [in bestimmter Absicht] irgendwohin begeben’ gehen 5: Er geht immer gut gekleidet. ugs.: ‘sich in bestimmter Weise kleiden’ gehen 6: Die Machine geht. ‘in bestimmter Weise in Bewegung sein; funktioniert; ist in Betrieb’ gehen 7: Wie geht es dir? Es geht. unpers.: ‘sich in einer bestimmten Lage/ Verfassung befinden’ Abb. 363a: Bedeutungen von gehen (Pohl 2016: 177) Oder man stellt die Teilbedeutungen in einem so genannten Wortstern dar, wie zum Beispiel zum Verb ziehen (einen Wagen ziehen, die Notbremse ziehen, an einer Zigarette ziehen, Draht ziehen, Tee ziehen lassen, ein Ziehen im Arm, ein ziehender Kamin …): 3 Erwerb und Vermittlung 170 <?page no="172"?> Abb. 363b: Wortstern ziehen (Ulrich 2006d: 8) Durch Wortsterne lernen Schülerinnen und Schüler, diese Art von semantischen Be‐ ziehungen bewusster wahrzunehmen. In Anlehnung an Erkenntnisse der Entwick‐ 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 171 <?page no="173"?> lungspsychologie zum bewussten Erkennen von Mehrdeutigkeiten schlägt Pohl vor, Darstellungen wie den Wortstern erst in der Sekundarstufe II einzuführen (2016: 180). Eine andere Möglichkeit der Thematisierung von Mehrdeutigkeit kann darauf ab‐ zielen, typische Modelle von Polysemie zu vermitteln wie etwa (ebd.): ▸ Modell A: Prozess - Person, die diesen Prozess ausübt - Ort - Zeitraum: ▸ Die Wache ist verantwortungsvoll durchzuführen. - Die Wache kann Auskunft geben. - Die Wache ist ein Bau aus der Gründerzeit. - Die Wache geht von 6.00- 18.00 Uhr. ▸ Modell B: Gebäude - Institution - Personal: ▸ 2009 wurde die Universiät gebaut. - Die Universität muss den Etat umstellen. - Die gesamte Universität nahm an der Feier teil. Zielrichtung bei den lexikalischen Mehrdeutigkeiten wie auch bei den metaphori‐ schen und metonymischen Lesarten als ein weiterer, spezieller Aspekt von Mehr‐ deutigkeit ist die Verbesserung des rezeptiven Textverstehens, wobei bei der Reflexion von Metaphern und Metonymine noch stärker der Aspekt der semantisch-stilistischen Textwirkung herauszuarbeiten ist. Bei den Metaphern geht es vor allem um die Expli‐ zierung des Zusammenhangs von Ursprungs-/ Spender- und Ziel-/ Empfängerbereich bzw. der Wissens-Frames, die die Metapher miteinander verbindet. Um das Meta‐ phernverstehen zu fördern, kann man Schülerinnen und Schüler gezielt im Wortschatz nach Metaphern suchen lassen und die Ursprungs- und Zielbereiche mit ihren ge‐ meinsamen Merkmalen (semantischen Ähnlichkeitsbeziehungen) herausarbeiten lassen. Unter dem Aspekt der Techniken der Bedeutungserschließung (Semantisie‐ rungstechniken), bei denen es um das Erschließen der denotativen wie auch einer kul‐ turspezifischen Bedeutung gehen kann, versammelt sich ein ganzes Set an Möglich‐ keiten der systematischen Bedeutungserschließung bzw. -vermittlung. Es wurde v. a. aus der Fremdsprachendidaktik übernommen und gibt insbesondere den Lehrkräften einen Überblick, wie Schülerinnen und Schüler bei der Bedeutungserschließung un‐ terstützt werden können. Als „kulturneutrale, identifizierende Semantisierungstech‐ niken“ (Pohl 2016: 186), die im Gegensatz zu reinen Visualisierungen durch Anschau‐ ungsobjekte sprachlich funtkionieren, nennt Pohl (ebd.: 186 ff.): ▸ Die Erschließung der Semantik über Wortbildungsregularitäten (Dorffeuerwehr ▸ ‚Feuerwehr, die zu einem Dorf gehört/ aus Dorfbewohnern besteht‘) ▸ Zuordnung zu einer Synonymengruppe (Podium: Podest, Bühne) ▸▸ Angabe eines generalisierenden Ober- oder Unterbegriffs ▸▸ Paraphrasen des zu semantisierenden Lexems ▸▸ Nennung von Antonymen ▸▸ Semantisierung von Fremdwörtern durch äquivalente deutsche Entsprechungen ▸▸ Erläuterung von Fachwörtern über Wörterbuchdefinitionen ▸▸ Einbettung von zu semantisierenden Lexemen in Kollokationen (usuelle Ver‐ ▸ bindungen) (stapfen: durch den Sand/ Schnee stapfen) 3 Erwerb und Vermittlung 172 <?page no="174"?> ▸ Ermittlung der phraseologischen Bedeutung bei Idiomen (jmd. hat Schwein ‚jmd. ▸ hat unverhofft Glück‘) ▸ Angabe des Zweckzusammenhangs/ einer Finalkonsequenz (Cursor: Einen ▸ Cursor braucht man, um auf dem Desktop eine bestimmte Stelle aufzusuchen.) ▸ Angabe einer Kausalkonsequenz (Ursache - Wirkung, Grund - Folge) (sich ge‐ ▸ nieren: Er geniert sich, weil er einen Fehler gemacht hat.) ▸ Angabe der Temporalkonsequenz (ein Donnern: Nach dem Blitzen folgt bei Ge‐ ▸ wittern meist ein Donnern.). Kulturspezifische Semantisierungstechniken sollen den Lernerinnen und Lernern kul‐ turspezifische gesellschaftlich konventionalisierte Wortbedeutungen näherbringen, z. B. was in einer Kultur als (un)höflich gilt. Pohl nennt hierzu folgende Techniken (2016: 189 ff.): ▸ Anbindung eines erklärungsbedürftigen Lexems an einen konkreten kulturspe‐ ▸ zifischen Kontext (Höflich ist, wenn man einem alten Menschen über die Straße hilft.) ▸ Einbringen eines erklärungsbedürftigen Lexems in ein System von kulturspe‐ ▸ zifischem Oberbegriff und kulturspezifischen Unterbegriffen („Großzügig ist ein Ausdruck zur positiven Charakterisierung von Personen, wie auch freundlich, sympathisch, humorvoll […]: Großzügige Menschen sind freigiebig, tolerant; sie setzen sich über Unwichtiges hinweg und sind spendabel“ [Müller 1994: 54].) ▸ Prototypische Aufgliederung des Denotatsbereichs (Ferien/ Urlaub - in Deutsch‐ ▸ land wäre prototypisch das Merkmal ‚Auslandsreise‘, ‚schönes Wetter‘, ‚Meer‘…) ▸ Nachzeichnen einer historischen Bedeutungsentwicklung (Familie: Eltern, die ▸ miteinander verheiratet sind, und ihr(e) Kind(er); früher meist die gesamte Ver‐ wandtschaft; heutzutage auch unverheiratete und gleichgeschlechtliche Paare) ▸ Nennung konnotativer Bedeutungselemente ▸▸ Vermittlung soziokulturellen Hintergrundwissens ▸▸ Beim Gebrauch von Lexemen im übertragenen Sinn oder bei Phraseologismen: ▸ kontextsemantische Einbettung und Erläuterung der kulturspezifischen Über‐ tragungsmotivik ▸ Aufgreifen kulturspezifischer Gegenthemen. ▸ Alle genannten Techniken eignen sich als Übungsformen im Deutschunterricht, mit Hilfe derer das Definieren, das Erschließen aus dem Kontext, das Assoziieren, das Um‐ schreiben usw. eingeübt werden können. Der Förderung der kognitiven Stukturierung dienen Übungsformen zum Zu-, Unter-, Überordnen, Aussondern, Vergleichen, Rei‐ henbilden usw. Das Ziel muss es schließlich sein, dass die Schülerinnen und Schüler diese Semantisierungstechniken selbstständig für den Eigenerwerb von Lexemen und Bedeutungswissen nutzen können (Pohl 2016: 192). Die hier bisher genannten Aspekte zielten vor allem auf die Bedeutung einzelner Lexeme ab und sind damit v. a. der Wortschatzerweiterung zuzuordnen. Für einen 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 173 <?page no="175"?> Deutschunterricht, der die Wortschatzvertiefung in den Blick nimmt, sind hingegen weitere und andere Aspekte zu erörtern, die die mannigfaltigen semantischen Ver‐ netzungen und Vernetzungsstrukturen im mentalen Lexikon berücksichtigen, d. h., die die semantischen Pfade zwischen den semantischen Merkmalen verschiedener Lexeme ins Bewusstsein rücken, aktivieren, wiederholen und verstärken und die die Begriffe damit optimal aus dem mentalen Lexikon abrufbar machen (Pohl 2016: 193- 217). Zu diesen Ordnungsstrukturen (als Alltags-, nicht wissenschaftliches Klassifi‐ zierungswissen) zählen etwa die bereits hinlänglich erwähnten Relationen wie Ober-/ Unterbegriff, Teil/ Ganzes, Ursache/ Wirkung, funktionale Ähnlichkeit, Bestandteile desselben Ablaufs usw. Auch dieser Ansatz fördert - durch begriffliches Assoziieren und Ordnen - die produktiven wie rezeptiven (textbezogenen) sprachlichen Kompe‐ tenzen der Schülerinnen und Schüler. Als für den Unterricht geeignete Aspekte dieser semantischen Vernetzungen und Ordnungsstrukturen sowie Möglichkeiten zu deren Thematisierung und Visualisie‐ rung nennt Pohl (2016: 195-217) ▸ Assoziogramme ▸▸ Sachfeld-Vernetzungen ▸▸ Vernetzungen, die auf Äquivalenz, Opposition und Hierarchie beruhen ▸▸ Bewertungsvernetzungen ▸▸ Vernetzungen von Lexemen mit verhaltenssteuernder Funktion ▸▸ Kollokationsnetze ▸▸ Semantische Wortfelder. ▸ Assoziogramme versammeln, ggf. in Assoziationsnetzen, semantisch benachbarte Lexeme zu einem Kernlexem. Da diese Assoziationen individuell unterschiedlich sind, bieten sie einen guten Ausgangspunkt dafür, um mit Schülerinnen und Schülern Un‐ terschiede der individuellen mentalen Lexika zu thematisieren und aufzuzeigen, dass und wie diese - aufgrund unterschiedlicher (z. T. kulturbedingter) Lebens- und Welt‐ erfahrungen, Gewohnheiten und Bewertungen - unterschiedlich strukturiert sind. Damit die Assoziationen (Einzelwörter sowie feste oder freie Wortgruppen) nicht be‐ liebig verlaufen, muss eine „funktional-kommunikative Einbettung der sprachlichen Ausdrücke in semantisch relativ konkrete Zusammenhänge angestrebt werden“ (Pohl 2016: 196 f.). Dies wäre zum Beispiel im Rahmen einer Sammel- und Planungsphase für eine Schreibaufgabe gegeben. Sachfeld-Vernetzungen beruhen auf Welt- und Sachwissen und referieren dem‐ nach auf individuell-subjektiv und soziokulturell-erfahrungsbasiert (statt logisch-sys‐ tematisch) wahrgenommene Sachzusammenhänge der Wirklichkeit. Schülerinnen und Schüler können in diesem Kontext etwa onomasiologische Zusammenstellungen von Wortmaterial ordnen, das archisemantische Merkmal bestimmen und Gliederungskri‐ terien eines Sachfeldes erarbeiten, etwa Äquivalenz, Opposition, Hierachie, räumliche, zeitliche, sequenzielle und dependenzielle Ordnungen usw. Da jedoch weniger seman‐ tische (z. B. Konnotation) denn sachliche Kriterien die Gliederung eines Sachfeldes be‐ 3 Erwerb und Vermittlung 174 <?page no="176"?> stimmen, sollte man Sachfelder aber vor allem als Grundlage für weitergehende se‐ mantische Sichtungen nutzen, etwa den sprachhistorischen Nachvollzug von Sachfeldumstrukturierungen und Bedeutungswandel anhand der Beschäftigung mit Einträgen in älteren Wörterbüchern. Wenn Vernetzungen, die auf Äquivalenzen, Oppositionen und Hierarchie beruhen, untersucht werden, stehen „Subnetze“ sachfeldartiger Vernetzungen und insbesondere semantische Phänomene wie Synonymie, Antonymie und Hyponymie/ Hyperonymie im Blickpunkt. Bei der Auseinandersetzung mit Synonymengruppen etwa sollten Schülerinnen und Schüler den gemeinsamen semantischen Kern sowie semantische Unterschiede (Konnotationen, euphemistische, emotional-expressive Funktion usw.) von Lexemen - und damit potenziell unterschiedliche kommunikative Funktionen - herausfinden, die ihnen die Textrezeption erleichtern und die sie dann im Rahmen der Textproduktion auch als Reservoir für eine stilistische Varianz nutzen können. Die Beschäftigung mit Synonymen und auch Antonymen und anderen Op‐ positions- und Hierarchierelationen dient dabei sowohl der Wortschatzerweiterung wie der -vertiefung, wobei Aspekte der Wortbildung (Prä- und Suffixe, die eine Oppo‐ sition ausdrücken, wie il-/ ir-/ im- oder -los, -frei u. ä.) gut in die Wortschatzarbeit inte‐ griert werden können. Die Auseinandersetzung mit Hierarchierelationen wie Über-, Unter- und Nebenordnung als kognitive Operationen sind etwa hilfreich mit Blick auf Fachsprachen und die Fähigkeit zu klassifizieren bzw. Klassifikationskriterien zu er‐ kennen und nachzuvollziehen. Hierbei können Schülerinnen und Schüler sowohl klas‐ sifikatorische Untergruppen und Beispiele zu einem Oberbegriff oder umgekehrt Ober‐ begriffe zu Beispielen suchen, wobei ebenfalls semantische mit morphologischen Aspekten der Wortbildung (Klassifikationskriterien, Wortfamilien, semantische Rela‐ tion zwischen den Bestandteilen von Komposita) verbunden werden sollten (Garagen‐ dach ‚Dach auf einer Garage‘, Spitzdach ‚Dach, das spitz ist‘ usw.). Darüber hinaus können mit Blick auf die Textproduktion Analogierelationen (Teil-Ganzes, Produ‐ zent-Produkt, Gegenstand-Funktion/ Merkmal usw.) in Zusammenhang mit ihren pro‐ totypischen Vertextungsmustern thematisiert werden. Unter dem Aspekt der Bewertungsvernetzungen können Wertungen und Ge‐ fühlswerte von Lexemen aufgegriffen werden, etwa a) „Wertwörter, deren Gesamtbe‐ deutung ein verdichtetes Werturteil darstellt (z. B. hässlich, schön als Ausdruck ästhe‐ tischer Wertung)“, b) „Lexeme, die neben der denotativen Bedeutung Wertungen/ Gefühlswert [und damit positive oder negative Gefühle] zum Ausdruck bringen“ (z. B. Freund, Feind, mütterlich), c) Wortbildungsaffixe, die Wertungen/ Gefühlswert trans‐ portieren (zer-reden, super-fleißig, Zigarren-fritze) (Pohl 2016: 208). In diesem Zusam‐ menhang kann man zum Beispiel Texte daraufhin untersuchen, ob Lexeme bestimmte/ dieselben Emotionen oder Wertungen transportieren, wobei deutlich gemacht werden sollte, „dass Bewertungen z. B. je nach sozialer [und kultureller] Gruppe differieren können (Spinne: vgl. Wertung/ Gefühlswert bei Zoologen vs. Hausfrauen)“ (ebd.: 209). Mit Blick auf die Textproduktion müssen sich die Schülerinnen und Schüler vergegen‐ 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 175 <?page no="177"?> wärtigen, dass ihre Wortwahl (evtl. nicht intendierte) Wertungen suggerieren und Emotionen hervorrufen kann. Als Vernetzungen von Lexemen mit verhaltenssteuernder Funktion be‐ zeichnet Pohl Phänomene, wenn in der denotativen Bedeutung eines Lexemes seman‐ tische Merkmale repräsentiert sind, „die konkretes Verhalten von Menschen steuern“ (2016: 209) - sozusagen als Handlungs- oder Verhaltensprogramm, das direkt mit se‐ mantischen Merkmalen abgespeichert wird, sodass „Wörter unterschiedliche ‚Areale‘ unseres Gehirns aktivieren (Verben oder auch Nomen für Werkzeuge aktivieren bei‐ spielsweise motorische Areale)“ (ebd.). Demnach wäre direkt im mentalen Lexikon mit abgespeichert, wie man mit bezeichneten Denotaten umgeht, dass man z. B. Autos fahren, waschen, reparieren, lackieren, tunen usw. kann, dass man Bäume pflanzen, er‐ klettern, zersägen usw. kann. „Syntagmatisch betrachtet handelt es sich um Hand‐ lungs-Kollokationen“ (ebd.). Hierzu gehören geordnete Schemata, so genannte Skripts (vgl. Kap. 2.2.4), als standardisierte Handlungsabfolgen. Die Reflexion solcher Skripts hilft den Schülerinnen und Schülern etwa beim Verständnis von Texten, in denen Skript-Wissen (Ablaufschemata) vorausgesetzt und nicht expliziert wird. Bei der The‐ matisierung solcher Skripts wird der Wortschatz wie ggf. das Sachwissen erweitert und das lexemsemantische Wissen vertieft, „wenn in einem kommunikationsorientierten Deutschunterricht auch die jeweilig neu zu erwerbenden Lexeme zu Rollen, Requisiten und Phasenabfolgen semantisch geklärt werden“ (ebd.: 212). Während die genannten Vernetzungen über Denkprozesse hergeleitet werden, sind Kollokationsnetze Vernetzungen, die aufgrund von semantisch-syntaktischen Be‐ ziehungen zwischen Lexemen in einem Syntagma/ einer Redekette bestehen. Es handelt sich also um Lexeme, die oft miteinander kombiniert werden oder sogar feste Verbin‐ dungen eingehen, z. B. Katze und schnurren. Dabei kann ein Lexem in zahlreichen Kol‐ lokationen auftreten. Das Wissen um Kollokationsnetze entlastet Schülerinnen und Schüler bei der Textproduktion, da es sprachliche Musterformulierungen bereitstellt. In Gegensatz zu diesen syntagmatischen Relationen stellen semantische Wort‐ felder paradigmatische Relationen von Lexemen mit gemeinsamen semantischen Merkmalen in einem gemeinsamen Sachbereich dar. Innerhalb von Wortfeldern lassen sich wieder Verhältnisse der Synonymie, Antonymie, Hypo-/ Hyperonymie usw. un‐ tersuchen. Solche Wortfelder bauen sich im Laufe der (auch schulischen) sprachlichen Sozialisation immer weiter auf. Im Unterricht lassen sich onomasiologische Samm‐ lungen und semantische Differenzierungen mit dem Ziel der Wortschatzerweiterung wie der -vertiefung anfertigen. Kognitionspsychologisch gesehen sind diese Wortfelder sicherlich nicht, wie oft schulisch suggeriert, wortartenhomogen, sondern komplex und mehrdimensional bzw. lediglich „Substrukturen semantisch komplexer Netz‐ werke“ (Pohl 2016: 217). Daher kann die Arbeit an wortartenhomogenen Wortfeldern im Unterricht als Vorarbeit für die Arbeit an solchen komplexeren semantischen Netz‐ werken gesehen werden. Pohl (2016: 215 f.) präsentiert folgendes Beispiel zum verbalen Kernlexem schreiben, das mit Lernenden erarbeitet werden könne und einen Einblick in die funktionale Ordnung im mentalen Lexikon ermöglicht: 3 Erwerb und Vermittlung 176 <?page no="178"?> Abb. 363c: Komplexes semantisches Netzwerk zum Kernlexem schreiben (Pohl 2016: 216) Solch eine Bewusstmachung semantischer Netzwerke erleichtert die Aufnahme neuer Lexeme (Wortschatzerweiterung) und das störungsfreie Abrufen (zielsichere Auffinden) geeigneter Lexeme im Rezeptions- und Produktionsprozess. Die Arbeit mit einfacher strukturierten traditionellen Wortfeldern funktioniert gut vorbereitend und mit Bezug auf konkrete (auch literarische) Texte. Über die hier genannten Aspekte hinaus diskutiert Pohl (2016: 217-221) noch die unterrichtliche Thematisierung nichtsprachlicher Präsentationstechniken von seman‐ tischen Komplexzusammenhängen wie etwa Piktogramme und andere bildliche Ver‐ anschaulichungen, Gestik, Mimik, Pantomime usw. Insgesamt ist es der Anspruch der semantikorientierten Wortschatzarbeit, den Schü‐ lerinnen und Schülern die im Normalfall unbewusst und „blitzschnell“ ablaufenden Prozesse der Bedeutungszuordnung ebenso bewusst zu machen wie die dabei zum Teil auftretenden Probleme. Diese bestehen darin, dass nämlich Lexeme, die der Lernende zu kennen meint, von deren Semantik er oder sie aber eventuell nur eine vage Vor‐ stellung hat, nicht nachgefragt, damit aber auch nicht umfänglich verstanden oder nicht korrekt benutzt werden. Das letztliche Ziel ist dabei ein autarker Lernender, 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 177 <?page no="179"?> der seine Lernprozesse selbst organisiert, der unbekannte Wörter mit Semantisierungsver‐ fahren selbst erschließen kann, der unbekannte zu bekannten Lexemen und Vernetzungen in Beziehung setzt, der mit dem Wörterbuch semantisieren kann, der in der Lage ist sein sub‐ jektives mentales Lexikon selbst auszubauen usw. Zu beachten ist, dass verschiedene Zugänge zur Semantik angeboten werden, um den verschiedenen Lernertypen gerecht zu werden (ko‐ gnitive, visuelle, akustische, auch motorische, denen man z. B. mit Sprachspielen entgegen‐ kommt) und um den subjektiv-objektiven Charakter semantikorientierter Wortschatzarbeit zu berücksichtigen. (Pohl 2016: 221) Übung 363a Führen Sie (als Sachanalyse) eine Analyse der Polysemie des Verbes gehen durch, indem Sie möglichst viele Beispielsätze mit verschiedenen Bedeutungen von gehen zusammenstellen (Ich gehe in die Kirche. Die Uhr geht nach. Er ist von uns ge‐ gangen. …). Entscheiden Sie sich dann für eine Visualisierung der polysemen Struktur und erstellen Sie diese (Assoziogramm, Wortstern …). Überlegen Sie sich schließlich, wie Sie diese Polysemie in einer konkreten Unterrichtsstunde in der Sekundarstufe I mit Schülerinnen und Schülern reflektieren (induktiv/ deduktiv, Visualisierung, Phasierung …). 3.6.4 Kritische Wortschatzarbeit Die kritische Wortschatzarbeit stellt eine weitere wesentliche, wenngleich noch wenig etablierte Form der Wortschatzarbeit dar, die insbesondere seit den 1970ern im Umkreis des „Kritischen Deutschunterrichts“ entwickelt wurde und heute ihren Platz (zumin‐ dest unsystematisch) im Kontext der Reflexion über Sprache und der Debatte um Sprachbewusstheit und reflexiven Sprachgebrauch hat (Kilian 2016a: 330 f.). Während man semantikorientierte Sprachkritik vor allem aus der Öffentlichkeit, etwa von der Debatte um politisch korrekten Sprachgebrauch (wie z. B. die Vermeidung der Lexeme Neger, Zigeuner), von der Kritik an Euphemismen (z. B. in der Politikersprache wie Nullwachstum) und solchen Aktionen wie der Wahl zum (Un-)Wort des Jahres, kennt, bezieht sich die unterrichtliche Wortschatzkritik nicht auf Personen und die Geißelung von deren Sprachgebrauch, sondern vor allem auf das Ziel der Wortschatzvertiefung und der Sprachreflexion. Die kritische Wortschatzarbeit ist als eine „sprachdidaktisch modellierte und unterrichtsmethodisch arrangierte Sprachkritik im Bereich der Lexik und der lexikalischen Semantik zum Zweck des sprachlichen Lernens und der sprach‐ lichen Bildung“ (Kilian 2016a: 330) zu verstehen. Gegenstände sind dabei zum Beispiel ▸ „die Kritik der kommunikativen und kognitiven Leistung eines Lexems ([…] z. B. ▸ die Kritik der Arbitrarität der Beziehung zwischen Sprachzeichen und Perzept bzw. außersprachlichem Referenten), ▸ die Kritik der morphologischen Struktur eines Lexems (z. B. die Kritik der Wort‐ ▸ bildung unkaputtbar), 3 Erwerb und Vermittlung 178 <?page no="180"?> ▸ die Kritik lexikalisch-semantischer Normen (z. B. die Kritik der Normen, die in ▸ der deutschen Gegenwartssprache den Gebrauch des Wortes Zigeuner in seinen verschiedenen Lesarten und in verschiedenen Diskursen steuern), ▸ die Kritik eines Wortgebrauchs in einer bestimmten Kommunikationssituation ▸ (z. B. die Kritik des Gebrauchs des Wortes Zigeuner in einer öffentlichen politi‐ schen Rede).“ (Kilian 2016a: 330) Insbesondere die letzten beiden Aspekte sind dabei im Kontext der Beschäftigung mit Semantik interessant, jedoch fehlt es bislang noch an sprachdidaktischen Ansätzen, die die kritische Wortschatzarbeit sprachtheoretisch, sprachdidaktisch und methodisch systematisch modellieren (ebd.: 332; vgl. allerdings Niehr/ Funken 2009). Kilian sieht als übergeordnetes Ziel einer kritischen Wortschatzarbeit die „Befähigung zur Kritik der Sprachnormen zum Zweck eines bewussten, gar mündigen produktiven und re‐ zeptiven kritischen Umgangs mit lexikalisch-semantischen Einheiten“ an. Hier bedürfe es einer begründeten kritischen „Auseinandersetzung mit lexikalisch-semantischen Strukturen, mit lexikalisch-semantisch konzeptualisierten ‚Weltansichten‘, mit lexika‐ lisch-semantischen Ähnlichkeiten und Unterschieden im Rahmen der inneren und äu‐ ßeren Mehrsprachigkeit“ (ebd.: 332 f.). Mit Blick auf die Sprachverwendung ermöglicht dies zum Beispiel die Bewertung varietätenspezifisch normativ sanktionierter Wort‐ auswahlen; mit Blick auf die Sprachbildung verschafft dies den Schülerinnen und Schülern eine Einsicht in „Sprache sowohl als Naturphänomen wie auch als Artefakt […,] als Trägerstruktur des menschlichen Wissens und Erkennens und […] als stofflich und formal symbolisierte ‚Weltansicht‘, die in Distanz gestellt werden kann und muss zur scheinbar wirklichen Welt“ (ebd.: 333) - sodass das Verhältnis von Sprache/ Wort‐ schatz und Welt bzw. soziokulturell ansozialisierter Weltansicht kritisch (z. B. in Me‐ tapherkomplexen) hinterfragt werden kann. Schülerinnen und Schüler sollen dazu be‐ fähigt werden, „auf wissenschaftlichem Wege einen sprachkritisch gefertigten Standpunkt einzunehmen und eine Stellungnahme zu erarbeiten“ (ebd.: 334). Damit bleibt schulische kritische Wortschatzarbeit sicherlich nicht immer wertfrei, sondern tendiert zu sprachlicher Normierung - etwa wenn in der Auseinandersetzung mit po‐ pulistischem oder rassistischem Sprachgebrauch dieser als unangemessen oder wenn in Auseinandersetzung mit Sprach(normen)wandel, feministischer Sprachkritik und Political Correctness die Wörter Fräulein und Neger als nicht mehr angemessen be‐ wertet werden. Zentral für kritische Wortschatzarbeit ist demnach eine Auseinander‐ setzung a) mit einem linguistisch fundierten Begriff von „Sprachnorm(en)“ im Ver‐ hältnis zu „Sprachsystem“ und „Sprachgebrauch“ (als unterschiedliche Existenzweisen von Sprache) sowie b) mit verschiedenen sprachzeichentheoretischen, lexikologischen und semantiktheoretischen Aspekten von Wörtern bzw. Sprachzeichen, Lexemen, Be‐ deutungen und Begriffen (ebd.: 334-339). Kilian hält kritische Wortschatzarbeit auf sprachspielerische Weise zwar bereits für durchführbar mit Kindern im Vorschul- und Primarstufenalter, hält sie „im engeren Sinne eines kritischen Hinterfragens gruppen- oder bereichsspezifisch konventioneller Sprachnormen“ mit Blick auf entwicklungspsychologische Erkenntnisse aber grund‐ 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 179 <?page no="181"?> sätzlich erst für geeignet ab den Sekundarstufen. Methodisch schlägt er die Arbeit an denotativen und designativen Funktionen in Abgrenzung zu konnotativen Bedeu‐ tungen sprachlicher Zeichen sowie die Arbeit mit assoziativen Stereotypen (Deutscher > ordentlich; Franzose > Weintrinker …) und Phraseologismen (Ein Mann: ein Wort; eine Frau: ein Wörterbuch) vor, um die semantisch manifestierten historisch und kul‐ turell geprägten Weltsichten herauszuarbeiten und kritisch zu hinterfragen. Hierzu eignen sich ebenso Analysen von konzeptuellen Metaphern (z. B. Sport als kriegerische Auseinandersetzung: Angriff, Verteidigung, Strum, Sieg, Gegner, schlagen, vernichten …), Tabuwörtern und Euphemismen (Preisanpassung für ‚Preiserhöhung‘) (ebd.: 340-345). Darüber hinaus ist kritische Wortschatzanalyse in Zusammenhang mit der Ausein‐ andersetzung etwa mit politischen Reden sehr gut und sinnvoll textorientiert durch‐ zuführen. Schließlich gewährleistet auch nur solch eine sprachkritische Wortschatz‐ arbeit in konkreten (textlichen und kommunikativen) Kontexten eine Beurteilung der Angemessenheit der Wortwahl und das Ziel, dass Sprachkritik nicht rezeptives, pas‐ sives Wissen bleibt (Niehr/ Funken 2009: 139). Übung 364a Diskutieren Sie die Fragen, ob es aus semantischer Sicht a) „Unwörter“ auf Sprach‐ systemebene oder nur auf Sprachgebrauchsebene geben kann, b) eine objekti‐ vierbare Sprachkritik gibt oder nur Geschmacksurteile. Beziehen Sie in Ihre Dis‐ kussion den Begriff der historisch wandelbaren und varietätenabhängigen Sprachnorm sowie konkrete Beispiellexeme wie Neger, Zigeuner, Humankapital, (Du) Opfer, Fräulein und Nullwachstum mit ein. Übung 364b Recherchieren Sie im Internet nach den sog. Unwörtern der letzten Jahre (www. unwortdesjahres.net/ ), suchen Sie sich eines für eine unterrichtliche sprachkriti‐ sche Reflexion heraus und überlegen Sie Lernziele, die Sie mit Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II erarbeiten wollen. Machen Sie sich zudem Gedanken über eine konkrete unterrichtliche Umsetzung (Stundenplanung), die auch die Aktion „Unwort des Jahres“ und die Homepageinformationen zu Krite‐ rien usw. berücksichtigen kann. Übung 364c Vor einiger Zeit erschienen Neuauflagen von Klassikern der Kinder- und Jugend‐ literatur, die bestimmte, mittlerweile negativ konnotierte Wörter wie Zigeuner vermieden bzw. ersetzten, so z. B. Negersprache und Negerkönig in Astrid Lind‐ grens „Pippi Langstrumpf “ durch Taka-Tuka-Sprache und Südseekönig. Sie wollen „Pippi Langstrumpf “ im Deutschunterricht mit Ihrer Klasse lesen. Auf welche Ausgabe greifen Sie zurück? Begründen Sie. (Wie) Würden/ könnten Sie ggf. die Wortersetzung explizit thematisieren und für kritische (und sprachhistorische) Wortschatzarbeit fruchtbar machen? Diskutieren Sie. 3 Erwerb und Vermittlung 180 <?page no="182"?> 3.6.5 Weitere Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit Über die drei genannten Ansätze der Wortschatzarbeit hinaus gibt es weitere umfas‐ sendere oder auch kleinere Ansätze und konkrete Methoden einer Wortschatzarbeit, die auf die Förderung der lexikalisch-semantischen bzw. Wortschatzkompetenz der Schülerinnen und Schüler abzielen und die im Folgenden eher summarisch aufgezählt denn detailliert erläutert werden. Vorwegzuschicken ist, dass diese didaktischen Vorschläge nicht als empirisch wirksam evaluiert gelten können. Denn obwohl die Sprachdidaktik generell in den letzten Jahren einen Aufschwung an empirischen Interventionsstudien zur Wirksam‐ keit von Förderansätzen erlebt hat, gilt dies noch nicht für die Wortschatzarbeit, die, wie bereits gesagt, lange von der Deutschdidaktik vernachlässigt wurde und innerhalb derer erst in jüngster Zeit von einer Wortschatzwende oder gar einem Paradigmen‐ wechsel hin zur Wortschatzfokussierung gesprochen wird. Mit Kleinbub (2016: 503) und Kilian (2016d: 524 f., 2011: 173) ist daher zu konstatieren, dass es aktuell quasi weder sprachwissenschaftlich und sprachdidaktisch fundierte, empirisch standardisierte Tests zur Ermittlung und Aussage über die Ausprägung von Wortschatzkompetenz von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I noch empirisch gesicherte Er‐ kenntnisse zur Effektivität bestimmter Methoden, Aufgaben(typen), Arbeitsformen und Arbeitsmedien im Rahmen der Förderung der lexikalisch-semantischen Kompe‐ tenz gibt. Daher weiß man aktuell insgesamt viel zu wenig über „lexikalisch-semanti‐ sche Kompetenzen, den Umfang und die Tiefe des mentalen Lexikons von Schülerinnen und Schülern und deren Auswirkungen auf sprachliches Lernen und sprachliche Bil‐ dung“ (Kleinbub 2016: 503). Man weiß nicht einmal empirisch gesichert, „ob und ggf. mit welchen Methoden die Erweiterung und Vertiefung des Wortschatzes im Deutsch‐ unterricht als Lernziel tatsächlich verfolgt wird“ (ebd.). Ebenso wenig gibt es eine em‐ pirische, „wissenschaftlich fundierte Modellierung dessen, was je nach Lernalter und Leistungsgruppe als Mindeststandard einer lexikalisch-semantischen Kompetenz gelten könnte“ (Kilian/ Isermann 2010: 34). Eine Ausnahme als empirisch evaluierte Wortschatzfördermaßnahme bildet das so genannte „Robuste Wortschatztraining“, das explizit der bildungssprachlichen Wortschatzarbeit gewidmet ist und das von Kurtz (Kurtz 2012; Vasylyeva/ Kurtz 2015) in Anlehnung an Beck/ Mc Keown/ Kucan (2008) und deren Arbeiten schon aus den 1980er Jahren für den englischsprachigen Raum entwickelt wurde. Bei der intensiven, in den Unterricht integrierten Wortschatzarbeit sollen für eine Dauer von drei bis fünf Wochen vor allem die (jeweils wenigen ausgesuchten) lexikalischen (bildungssprach‐ lichen) Einheiten geübt werden, mit denen Schüler kaum Erfahrungen haben und die sie daher beim Lesen auch nur schwer erkennen und verstehen können. Zielgruppe des Robusten Wortschatztrainings sind vor allem Schüler (der 3. und 4. Klasse), die nur einen geringen Zugang zur Bildungssprache haben. Besonders Schüler, deren Eltern einen niedrigen sozioökonomischen Status und/ oder einen Migrations‐ hintergrund haben, sind davon betroffen (Kurtz 2012: 72 f.) Ziel des Programmes ist der „Ausbau eines quantitativ und qualitativ tragfähigen Bildungswortschatzes“ (Kurtz 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 181 <?page no="183"?> 2012: 77) sowie die Förderung des Erwerbs von Bildungssprache. Die Auswahl des Zielwortschatzes unterliegt dabei folgenden Kriterien: 1. komplexerer Wortschatz oder nicht die einfachste Art, etwas auszudrücken 1. (öffnen vs. aufmachen) 2. Orientierung an der Schriftsprache 2. 3. domänenunspezifisch (Eigenschaft, Ursache) 3. 4. konzeptuell reich, d.h.: abstrakte Konzepte beinhaltend (Eigenschaft, Störung, 4. ermitteln, zumal), in übertragenen Bedeutungen verwendet bzw. mit verschie‐ denen semantischen Rahmen (Ruhe, steigen, Stärke) oder zu einem gehobenen Register gehörend (Duft, distanzieren, divers, dennoch) 5. Funktionswörter (schließlich, völlig) 5. 6. Metaphern (im Dunklen tappen) 6. 7. Antonyme (nass - trocken) 7. 8. Idiome (Angsthase) bzw. Phraseologismen (jemanden im Stich lassen) 8. 9. Mehrworteinheiten (reflexive Verben [sich verringern], Komposita, Einheiten 9. mit Rektion mittels Präposition [handeln von, froh über, Interesse an], Kombina‐ tionen dieser Möglichkeiten [sich beziehen auf], Kollokationen [Wert ermitteln, dicke Freunde] sowie Funktionsverbgefüge [an Bedeutung gewinnen]) Bei der Durchführung im Unterricht muss die Lehrkraft dann den jeweiligen Trai‐ ningswortschatz nach diesen Kriterien sowie möglichst in Anbindung an aktuelle Sach- und Lektürethemen und das Schul- und Klassengeschehen zusammenstellen. Im Rahmen einer Zeitspanne von zwei bis drei Wochen läuft das Training dann nach fol‐ gendem groben Schema ab, das textorientiert ist und von der Rezeption zur Produktion und Reflexion voranschreitet: ▸ dem Zielwort im Zusammenhang begegnen (z. B. Textarbeit mit beiläufiger kon‐ ▸ textnaher Bedeutungserklärung der Zielwörter) ▸ das Zielwort aussprechen und in seiner Grundbedeutung erfassen ▸▸ mit dem Zielwort spielerisch-produktiv umgehen, es in verschiedenen syntak‐ ▸ tischen Konstruktionen und Wortformen, mit verschiedenen Rektionsmustern und Wortfamilienmitgliedern verwenden ▸ weitere Bedeutungskomponenten (und Konnotationen) thematisieren/ ▸ erwerben ▸ Abgrenzung zu anderen konkurrierenden Wörtern für ein genaueres Ver‐ ▸ ständnis der Zielwörter. Ziel ist die umfängliche Erschließung des Wortes in Bedeutung und Gebrauch sowie seine Verfestigung im Sinne eines vernetzten, tief verstandenen Wortschatzes. Hierbei wird von einer Sammelphase zu einer Vertiefungsphase übergangen, wobei eine Pro‐ gression von sehr kontextgebundenem über weitgehend kontextnahes Vorgehen zu kontextfernem/ dekontextualisiertem und abstraktem Umgang mit Wörtern angestrebt wird. 3 Erwerb und Vermittlung 182 <?page no="184"?> Das Robuste Wortschatztraining hat damit gewisse Ähnlichkeiten mit generellen, evidenzbasierten Prinzipien der (bildungssprachlichen) Wortschatzarbeit, die sich u. a. in Metaanalysen als wirksam erwiesen haben (Philipp/ Efing 2018: 209 f.): 1. Wortbedeutungen direkt, d. h. explizit, z. B. mittels einer eindeutigen Definition 1. vermitteln. Es ist sinnvoll, den Schülerinnen und Schülern diese Definitionen unmittelbar vor dem Lesen/ Schreiben zur Verfügung zu stellen, die Lexeme dem Entwicklungsstand der Heranwachsenden entsprechend auszuwählen und - mit Blick auf die Wortschatztiefe und -breite - Diskussionen im Klassenverband über Wortbedeutungen zu führen und damit Gelegenheit zur Sprachreflexion zu geben. 2. Wiederholter Kontakt und Mehrfachbegegnung in einem sinnvollen Kontext 2. (statt isoliertes Wortschatzlernen). So lässt sich auch der Gebrauchswert des Registers der Bildungssprache erfahren. 3. Wortbedeutungsstrategien vermitteln. Hierunter fallen vor allem a) das 3. Nutzen von Hinweisen aus dem Kontext, b) die morphologische Analyse sowie c) die Erhöhung der Bewusstheit für die Bedeutung polysemer Lexeme. Es geht im weitesten Sinne also darum, die Schülerinnen und Schüler sowohl durch eine linguistische Analyse auf Wortebene als auch eine Analyse des Kontextes dazu zu befähigen, selbstständig unvertraute Lexeme zu erschließen. 4. Neue Lexeme schreibend weiterverarbeiten. Diese Art der Wortschatzarbeit 4. erhöht zudem die Textqualität. 5. Neue Lexeme über extensives Lesen selbstständig erwerben lassen (indirektes 5. Lernen). Einen quasi-natürlichen Erwerb von Lexemen durch aktives Lesen bildet das extensive Lesen. Kennzeichnend hierfür ist, dass Heranwachsende die Bedeutung neuer Lexeme durch Inferenzen oder Bedeutungserschließungsstra‐ tegien autonom leisten. Aus Sicht der Forschung bietet sich dieses vorausset‐ zungsreiche Vorgehen allerdings nur bei Personen an, die ihrerseits bereits viele Texte mit anspruchsvollem Vokabular lesen. Dazu, wie die konkrete Umsetzung von semantikorientierter Wortschatzarbeit in einer jeweiligen Unterrichtsstunde aussehen sollte, unterbreitet Ulrich (2016e: 553 f.) einen Vorschlag, den er als idealtypische Abstraktion einer Muster-Unterrichtsstunde an‐ sieht: Der Unterricht sollte demnach mit einem motivierenden Einstiegstext (Text als Sprache in Funktion) beginnen, aus dem zu untersuchende Lexeme herausgefiltert würden. Deren Besonderheiten würden daraufhin analysiert. Anschließend würde wei‐ teres Sprachmaterial, etwa unter Hinzuziehen von Wörterbüchern, in Wörterlisten oder Clustern gesammelt und durch Kontextproben semantisch bestimmt. Die zusammenge‐ suchten Lexeme würden dann systematisch geordnet, d. h., die semantischen Strukturen des Lexikons würden nachgezeichnet und schließlich graphisch veranschaulicht. Schließ‐ lich würden die Lexeme (und erworbenen Kenntnisse) angewendet, d. h., entweder in vorgegebene Texte (Lückentexte, Textfragmente) eingebettet und/ oder in selbststän‐ diger Textproduktion eingebaut. 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 183 <?page no="185"?> Neben solchen konkreten Trainingskonzepten und textbasierter Wortschatzarbeit in Einzelstunden ist eine gezielte Arbeit mit Wörterbüchern (Merten 2016b; Kühn 1987, 1998, 2001) sinnvoll im Rahmen der Ausbildung semantischen Wissens, wenn die Wörterbücher genutzt werden, um Wortbedeutungen und Wortvernetzungen zu er‐ schließen und hiermit produktiv weiterzuarbeiten. In diesem Zusammenhang können sich Schülerinnen und Schüler auch individuelle Wortschätze aneignen, die in ver‐ schiedensten Kommunikations- und Lebenssituationen hilfreich sind (Merten 2016c: 83). Hierfür sind dann aber nicht die in Schulen zumeist verbreiteten Rechtschreib‐ wörterbücher heranzuziehen, sondern etwa Fremdwörterbücher, Synonymenwörter‐ bücher, Bedeutungswörterbücher usw. Diese können über den Bereich der Sprachre‐ flexion hinaus zum Beispiel bei der Textproduktion verwendet werden, um beim Schreiben oder Überarbeiten nach alternativen Formulierungen zu suchen, bei der Pla‐ nung, um Wortfelder zusammenzustellen, oder beim Lesen, um die Bedeutung unbe‐ kannter Wörter zu klären, insbesondere bei der Erschließung mehrdeutiger Wörter (Polysemie). Vor diesem Hintergrund und Potenzial der Wörterbücher fordert Kühn (1987: 116) „ein integratives Konzept onomasiologischer und semasiologischer Frage‐ stellungen“, in dem Wörterbucharbeit nicht auf isolierte Wörterbuchstunden reduziert wird, sondern Schülerinnen und Schüler dazu befähigt werden, Wörterbücher konti‐ nuierlich selbstständig zu benutzen (Kühn 2001: 21 ff.). Durch solch eine semantikori‐ entierte Wortschatzarbeit mit Wörterbüchern wird der Wortschatz nicht nur erweitert, sondern vor allem auch vertieft. Heutzutage bietet es sich an, hierbei im Deutschunterricht nicht nur mit Print-, son‐ dern auch mit digitalen (online-)Wörterbüchern zu arbeiten (vgl. hierzu wie generell zur Einbindung neuer Medien in die Wortschatzarbeit Kilian 2016e.) Als einzelne Methoden, Aufgabentypen und Visualisierungstechniken einer auf die Semantik bzw. Semantisierung eines Lexems abzielenden Wortschatzarbeit (zur Bedeutungsermittlung, -abgrenzung usw.) werden in der Literatur folgende genannt, die auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind und hier nur überblicksartig aufgelistet werden; viele davon arbeiten mit einer für Schülerinnen und Schüler leichter erfass‐ baren (Ulrich 2014: 46) Visualisierung semantischer Beziehungen und Strukturen, die durch Gruppierungen u. ä. die den Wortschatzelementen zuschreibbaren Attribute sys‐ tematisch reflektierbar macht (Bachmann-Stein/ Stein 2016: 46 f.): ▸ Suchen/ Sammeln (ggf. mithilfe des Wörterbuchs) von Synonymen, Anto‐ ▸ nymen, Hyponymen, Hyperonymen usw. ▸ Kollokationsprobe: Ermittlung möglicher Satzkontexte für ein Wort, u. a. ▸ durch Einsetzübungen (Lückentexte usw.) (Bachmann-Stein/ Stein 2016: 47); hierzu gehört auch die Untersuchung der Verträglichkeit und Unverträglichkeit von Lexemen (Ulrich 2014: 51) ▸ Kommutationsprobe (Austausch des betreffenden Wortes gegen verwen‐ ▸ dungsähnliche Wörter desselben Wortfeldes): Ermittlung, welche Faktoren die Kontextverteilung steuern; Prüfung, ob die Wörter in den Kontext passen, ob sie Synonyme sind, ob sich die Satzbedeutung ändert, ob der Satz akzeptabel 3 Erwerb und Vermittlung 184 <?page no="186"?> bleibt oder nicht (erkennbar werden so syntaktische (Un-)Vereinbarkeit, syn‐ tagmatische Solidaritätsbeziehungen, paradigmatische Beziehungen) und es werden gemeinsame und trennende semantische Merkmale herausgearbeitet (Schlemmer 1988: 856) ▸ Morphologische Wortschatzarbeit als Analyse der Wortbildungsstuktur: ▸ Studien zeigen, dass Leser, die in der Lage sind, den Wortstamm innerhalb eines Lexems zu erkennen (analytische Wortbildungskompetenz), eine bessere Deko‐ diergenauigkeit und höhere Dekodiergeschwindigkeit haben und dass gute Leser sich beim Semantisieren gegenüber schwachen „vor allem durch einen raschen, kontextunabhängigen Zugriff auf Wortbedeutungen auszeichnen, wo‐ hingegen sich schwache viel stärker am Kontext orientieren“ (Bangel 2015: 125). Wichtig hierbei ist „die Eigenständigkeit des Lerners beim Semantisierungspro‐ zess“, denn in diesem Fall wird die Wortbedeutung tiefer verarbeitet und stärker vernetzt, als wenn die Bedeutung vorgegeben wird. Didaktisch werden also v. a. Erschließungsstrategien benötigt, „die eine hohe Eigenaktivität auf Basis bereits bestehender Wissensstrukturen der Lernenden erfordern“; hierfür bietet sich „bei komplexen Wörtern vor allem die Analyse der morphologischen Struktur an, um eine erste Idee von der Wortbedeutung zu bekommen, die dann anhand des jeweiligen Textkontextes konkretisiert werden muss“ (ebd.: 128). ▸ Bildung neuer Wörter aus vorhandenem Wortmaterial als Unterstützung der ▸ Sprachreflexion (Römer 2015: 6) ▸ die Erstellung von Wortschatzkarten, die Informationen nicht nur zur Pho‐ ▸ nologie, Morphologie, Orthographie und Semantik enthalten, sondern auch Re‐ densarten und ggf. Wortformen aus Herkunfts- und Fremdsprachen und die ggf. in Verknüpfung mit dem Fachunterricht eingesetzt werden können (Alber 2016: 125) ▸ das Erstellen von Wortfeldern sowie kontrastive merkmalssemantische Ana‐ ▸ lysen innerhalb von Wortfeldern (bspw. „Sitzmöbel“, „Trinkgefäße“, „Gewässer“ usw.) ▸ das Erstellen von Clustern: Cluster sind im Prinzip Rekonstruktionen des men‐ ▸ talen Lexikons und sie ermöglichen hypothetische Eindrücke von lexikalisch-se‐ mantischen Strukturen im mentalen Lexikon von Schülerinnen und Schülern und indizieren Ordnungsprinzipien, Kompetenzen und Schwierigkeiten (Kilian 2011: 171). Damit sind Cluster geeignet als Basis für die Wortschatzförderung im Sinne eines textuell gestützten Ausbaus (Wortschatzerweiterung wie -vertiefung) „der individuell angelegten lexikalisch-semantischen Relationen im […] Sinne von Wort-, Sach- und Handlungsfeldern“, da sie im Gegensatz zu isoliertem Wort‐ schatzlernen die Strukturen des mentalen Lexikons aktivieren (ebd.: 174). ▸ das Erstellen von Begriffsnetzen: Ein Begriffsnetz, auch Concept-Map ge‐ ▸ nannt, ist eine Gedächtnis-Landkarte. Es stellt Begriffe und Beziehungen bild‐ haft in nicht linearer Verzweigung dar. Dabei dient es, wie die Mind-Map, der kognitiven Zusammenfassung und Strukturierung, geht aber über die Mind- 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 185 <?page no="187"?> Map hinaus, indem das begriffliche Beziehungsgeflecht dargestellt wird. Als Grundmethode werden den Schülerinnen und Schülern Begriffe als Wortliste oder auf Kärtchen vorgegeben, die diese zu einem Begriffsnetz ordnen und mit Verbindungslinien versehen, die benannt werden: Abb. 365a: Begriffsnetz (Selimi 2014: 129) ▸ Lesartensterne nachzeichnen: hierbei müssen Schülerinnen und Schüler ▸ konkrete Sätze abstrakteren Bedeutungsbeschreibungen (etwa der Verben ziehen und fahren) zuordnen, erfahren so die Mehrdeutigkeit von Lexemen und können darüber reflektieren (Ulrich 2011a: 189-194) Abschließend sei eine Liste von „Lerntechniken“ von Selimi (2014) präsentiert, die neben „Lerntechniken“ und Methoden allerdings nicht ganz trennscharf zum Teil auch einfach Themen und Ziele einer semantikorientierten Wortschatzarbeit versammelt, die aber interessant ist, weil sie die Methoden und Themen einzelnen Jahrgangsstufen zuordnet: Lerntechniken Schuljahr (SJ) Wortbedeutungen im Kontext vernetzen Kiga-5. Schuljahr Begriffe aus dem Kontext erschließen und ordnen Kiga-5. Schuljahr Arbeit mit Ober- und Unterbegriffen Kiga-5. Schuljahr 3 Erwerb und Vermittlung 186 <?page no="188"?> Lerntechniken Schuljahr (SJ) Den Wortschatz über den Rhythmus üben und festigen Kiga-5. Schuljahr Den Wortschatz mit semantischen Wortlisten erweitern 1.-5. Schuljahr Den Wortschatz durch Textpräsentationen festigen ab 2. Schuljahr Den Wortschatz mit Wortfamilien und Wortfeldern systematisch fes‐ tigen 3.-9. Schuljahr Mit Antonymen und Synonymen bewusst umgehen 3.-9. Schuljahr Texte mit Schlüsselwörtern entschlüsseln 4.-9. Schuljahr Zusammensetzungen und Ableitungen entschlüsseln 4.-9. Schuljahr Umgang mit Fachwortschatz und Fachtexten 4.-9. Schuljahr Den Wortschatz mit Mindmap und Cluster strukturieren und erwei‐ tern 4.-9. Schuljahr Wortbeziehungen mit Begriffsnetz und Advance Organizer visuali‐ sieren 5.-9. Schuljahr Wortzusammenhänge und Strukturlegetechnik erklären 5.-9. Schuljahr Feine Unterschiede der Vieldeutigkeit von Wörtern erkennen 5.-9. Schuljahr Redewendungen bewusst aufnehmen 5.-9. Schuljahr Metaphern bewusst anwenden 5.-9. Schuljahr Abb. 365b: „Lerntechniken“ der Wortschatzarbeit (Selimi 2014: 54) Je nach im Rahmen der Wortschatzarbeit fokussierter Varietät können die Methoden mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in den Zielen spezifisch variieren. So ließe sich zum Beispiel das Ziel der Wortschatzvertiefung und der inneren Mehrspra‐ chigkeit bzw. Sprachdifferenzbewusstheit durch Thematisierung jugendsprachlicher Semantik (vgl. Kap. 2.5.3) angehen, etwa indem die semantische Breite (Polysemie) und vielfältige Gebrauchsweise sowie die kontextuelle Wirkung des Lexems cool mit all seinen konnotativen und stilistischen Varianten und Verwendungsregeln reflektiert und bezüglich der Kontext- und Adressatenangemessenheit beurteilt würde. Die damit angepeilte Ausbildung einer Sprachhandlungskompetenz in Abhängigkeit von der je‐ weiligen sozialen Situation ließe sich etwa durch Übersetzungsübungen zwischen Ju‐ gend- und Standardsprache oder dadurch erreichen, dass jugendsprachliche Synonyme zu standardsprachlichen Ausdrücken gesucht werden müssen und umgekehrt (z. B. zu cool, absicken, schwänzen) (vgl. Pohl 2016: 167) oder dass Schülerinnen und Schüler für Sätze mit jugendsprachlicher Lexik und Semantik passende Verwendungskontexte konstruieren müssen, in denen ein Lexem jeweils eine andere Bedeutung im Rahmen seiner Polysemie erhält. 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 187 <?page no="189"?> Übung 365a Konzipieren Sie eine Unterrichtsstunde oder Unterrichtsreihe (Lernziele, Themen, Progression, Methoden), in der Schülerinnen und Schüler lernen, ein Wörterbuch für semantische Fragestellungen (z. B. Wortfelder, semantische Relationen wie Synonymie, Antonymie …) zu nutzen. Recherchieren Sie hierfür zunächst ein Wörterbuch, das Sie zu diesen Zwecken für geeignet halten. 3.6.6 Methodische Ansätze der kultursensiblen Wortschatzarbeit für Schülerinnen und Schüler mit DaZ Während die Wortschatzarbeit für Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Erst‐ sprache lange vernachlässigt wurde, gibt es zur (interkulturellen) Wortschatzarbeit von Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweit- (oder Fremd-)sprache erheblich mehr Arbeiten und eine längere didaktische Tradition (vgl. etwa Luchtenberg 2000; Kühn 2006; Ender 2007; Merten/ Kuhs 2012b; Ekinci-Kocks 2013, 2015; Ekinci/ Pohlig 2015; Magdeburg/ Peyer 2016; Merten 2016a). Einerseits sollte Wortschatz hier, schon bei jungen Kindern im Kindergartenalter, implizit, mit sog. inzidentellen Verfahren und möglichst unter Einbezug des Eltern‐ hauses (Ekinci-Kocks 2013: 1), gefördert werden, etwa durch gezielte dialogische In‐ teraktion, indem Erzählanlässe geboten, Gesprächsbeiträge ermöglicht und Anknüp‐ fungspunkte geschaffen werden oder indem das, was das Kind macht, verbalisiert wird oder sprachfördernde Fragen gestellt werden, die in Spielanlässen oder Aktivitäten auftretende natürliche Interaktionen als Möglichkeiten für vielfältigen Wortschat‐ zinput nutzen (Vogt et al. 2015: 95 f.). Ergänzend müssen intentionale Verfahren expliziter Wortschatzarbeit hinzutreten, indem z. B. direkte gegenständliche oder bildliche Veranschaulichungen in Verbindung mit Zeigegesten, Bezügen oder Analogien einbezogen werden, Pantomimen präsentiert werden o. ä. (Ekinci-Kocks 2013: 70, 77). Nach Apeltauer ( 4 2017) spielen mit Blick auf DaZ-Schülerinnen und -Schüler drei Faktoren eine wichtige Rolle bei der Auswahl und Vermittlung von neuen Wörtern: Wiederholungen, Emotionen und Zukunftstauglichkeit. Um neue Wörter in einer Zweitsprache vollständig zu erlernen, braucht es a) etwa acht bis zehn Wieder‐ holungen, um ein Wort phonologisch wiedererkennen und produzieren zu können; b) über 20 Wiederholungen, um eine erste Idee seiner Semantik zu bekommen, und c) mehr als 50 Wiederholungen, bis das Wort selbstständig gebraucht werden kann (vgl. Apeltauer 4 2017: 316; Merten/ Kuhs 2012b: 23). Wiederholungen alleine reichen aber nicht, wenn der Schüler das neue Wort semantisch nicht für zukunftstauglich bzw. -relevant hält. Schließlich tragen auch Emotionen dazu bei, ob und wie schnell ein neues Wort gelernt wird. Versucht man jemanden etwas zu erklären, kennt aber nicht das präzise Wort, um den Sachverhalt/ Gegenstand zu beschreiben, erfährt es dann aber im Anschluss, dann kann diese eine Situation schon ausreichen, damit das neue Wort dauerhaft abgespeichert wird (Apeltauer 4 2017: 316 f.). Darüber hinaus hilft es auch 3 Erwerb und Vermittlung 188 <?page no="190"?> Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweitsprache, über die Semantik zu re‐ flektieren, indem „Bedeutungen und Gebrauchsweisen einzelner Wörter mit anderen Wörtern verglichen und voneinander abgegrenzt werden“ (Apeltauer 4 2017: 316). Auch Roche und Suñer (2017: 159 f.) weisen daher darauf hin, dass explizite Wort‐ schatzarbeit nicht nur auf eine quantitative Erweiterung abzielen, sondern auch die Qualität der Wörter berücksichtigen sollte (Wortschatztiefe). Darüber hinaus geben sie konkrete Hilfestellungen bzw. Methoden, so genannte Semantisierungshilfen. Bilder‐ karten, die Nutzung von Objekten im Klassenraum oder die Darstellung durch Mimik und Gestik dienen einer nonverbalen Semantisierung. Verbale Semantisierungen bestehen etwa in der Nennung von Synonymen, Antonymen, Oberbegriffen oder Hy‐ ponymen, um ein Wort zu beschreiben. Unterstützend sollten die zu erlernenden Wörter in einen erfahrbaren Handlungskontext eingebettet werden, um die Nachhal‐ tigkeit des erworbenen Wortschatzes zu sichern (vgl. Roche/ Suñer 2017: 164). Dies verhindert auch ein wenig produktives Vermitteln von isolierten Einzelwörtern, das lediglich für rezeptive Fähigkeiten beim Hören und Lesen sinnvoll sein kann, nicht aber mit dem Ziel, die Wörter auch beim Sprechen oder Schreiben aktivieren zu können (Neugebauer/ Nodari 2017). Insbesondere polyseme Lexeme sind sinnvoll nur kontext‐ bezogen zu vermitteln (etwa beim [Vor-]Lesen eines Buches, unterstützt durch das Zeigen auf verständnisfördernde Bilder). Damit erweist sich auch ein reines Auswen‐ diglernen von Wortbedeutungen als ungeeignet und unnatürlich. Lediglich in spezi‐ ellen Fällen, wenn etwa die Lehrkraft einzelne Wörter, z. B. Fachbegriffe, fokussieren möchte, bietet sich ein sprachliches Hervorheben und Erläutern, verbunden mit dem nachträglichen Anfertigen einer Wörterliste, an, die dann dem langfristigen und sys‐ tematischen Abspeichern und Unterscheiden (nach Wortart und Funktion im Satz) dient; hiermit können der Wortschatz wie das Weltwissen erweitert werden (Ekinci-Kocks 2013: 44). Wichtig generell ist eine möglichst große Methodenvielfalt, die dazu führt, dass Kinder Freude an der Wortschatzarbeit haben (Ekinci-Kocks 2013: 70; Ulrich 2013: 44 ff.). Hierzu zählen im Vorschulalter z. B. Verknüpfungen von Wortschatzarbeit und handlungsorientierten (Spiel-)Situationen und Bewegungsanlässen, gemeinsames Reimen oder Singen mit Bewegung, da sich Reime und Musik positiv auf den Wort‐ schatzerwerb auswirken (Ekinci-Kocks 2013: 87). Als weitere Herangehensweisen und Methoden zur Semantisierung, die zum Teil identisch im erstsprachlichen Unterricht anzutreffen sind, sind überblicksartig zu nennen (Ekinci-Kocks 2013; Kühn 2010; Ulrich 2013): ▸ zur Entfaltung des Verstehens- und Mitteilungswortschatzes im Rahmen einer idea‐ ▸ lerweise textorientierten Wortschatzarbeit (Arbeit an authentischen Sachwie li‐ terarischen (Kon-)Texten und Textsorten als Ausgangspunkt): Wörter aus dem Textumfeld erschließen/ Kontext befragen (Textebene), Wörter in Sätzen be‐ stimmen und das Zusammenspiel zur Satzbedeutung (Satzebene), Wörter auf‐ schlüsseln (Wortebene), Umschreibung von Bedeutungen mithilfe anderer Wörter (Paraphrasierung), Erklärung durch Assoziationen, Erklärung über die Klassifi‐ 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 189 <?page no="191"?> kation (Drohne - gehört zu den Bienen), über die Einbettung von Ausdrücken in passende Kontexte (Satzbildung, Lückentexte, Ersatzproben), über kontextuelle (Un-)Verträglichkeitsprüfungen (Kollokationen, z. B. eingefleischter Junggeselle), über die Erarbeitung semantischer Merkmale und Merkmalsbündel, über die Zu‐ sammenstellung von Lexemen nach ihren semantischen Beziehungen (Syno‐ nymie, Bedeutungsähnlichkeit, Antonyme, Über-/ Unterordnung …), über klassi‐ sche Begriffsdefinitionen (Genus proximum und Differentia specifica), Reihenbildung, Klassifizierung, Assoziierung, über morphologisch-etymologische Erklärungen, über den Vergleich von guten/ schlechten Exemplaren einer Kate‐ gorie, Kern- und Nebenbedeutung eines Lexems, über die Beschreibung fester Handlungsmuster und des dabei verwendeten Sprachmaterials (nach scripts und frames) ▸ Arbeit an Wörternetzen statt nur an Wortfeldern ▸▸ generell sinnfällig (z. B. bildlich) darstellen/ Wort-Bild-Zuordnung (Sehen, ▸ Wahrnehmen), mit systematischen sprachlichen Erläuterungen versehen (Denken/ Wissen), in einen Situations- und Handlungszusammenhang einbetten (Erleben) ▸ bewegungsorientierte Wortschatzarbeit als Unterstützung des Bedeutungser‐ ▸ werbs, da das Speichern eines Wortes besonders gut in Verbindung mit einer Eigenaktivität gelingt, die bedingt, dass Assoziationen und Emotionen mit dem Wort verknüpft werden und das Behalten und Abrufen erleichtert wird ▸ musikorientierte Wortschatzarbeit durch Lieder und Reime zu bestimmten ▸ Wortfeldern und unter Einbezug der Herkunftssprachen ▸ sprachkontrastive Bedeutungserklärungen im mehrsprachigen Herkunftsspra‐ ▸ chenunterricht: Übersetzungen, Wortähnlichkeiten zwischen Mutter-/ Fremd‐ sprache, Internationalismen, Verben des Sagens Für Deutsch-Zweitsprachler ist es schwer, einem Unterricht zu folgen, dessen Wort‐ schatz auf Deutsch-Erstsprachler ausgerichtet ist, daher schlägt Ekinci-Kocks (2013: 69) eine systematische Wortschatzarbeit am sog. funktionalen Wortschatz vor. Das heißt: Bei der Auswahl der „Wortthemen“ der zu vermittelnden Wörter sollte neben der reinen Vorkommenshäufigkeit der Lexeme im Deutschen darauf geachtet werden, dass die thematischen Wortfelder, nach denen gelernt wird, nach kommunikativ-prag‐ matischen Faktoren (wie Benutzer, Situation, Thema, Handlungsmuster) ausgesucht werden. Dies bedeutet einerseits, dass sie altersgerecht und alltagsrelevant sind, aus der unmittelbaren Umwelt der Kinder (auch aus deren Herkunftskultur) stammen und den Interessen der Kinder entsprechen; dies bedeutet aber auch andererseits, dass schon frühzeitig bildungssprachlicher Wortschatz mit berücksichtigt und der Grundwort‐ schatz Schritt für Schritt ausgebaut wird mit Bezug zu den Unterrichtsthemen der Grundschule, damit die Lernenden dem Unterricht folgen und sich aktiv an ihm betei‐ ligen und die Aufgaben erledigen können (Ekinci-Kocks 2013: 7, 20, 29 f.). Wortschatz‐ lernen an Wortfamilien und Wortfeldern in altersangemessenen, relevanten Kontexten (funktionaler Wortschatz) wird so ein handlungsorientiertes Sprachgebrauchslernen, das 3 Erwerb und Vermittlung 190 <?page no="192"?> die Schülerinnen und Schüler zur Bearbeitung bestimmter kommunikativer Aufgaben befähigt (ebd.: 31; Steinhoff 2009: 7 f.). Als besondere „Stolpersteine für DaZ-Lerner“, die der Unterricht explizit zu thematisieren hat, gelten dabei geläufige Wortverbindungen (Kollokationen), Phraseologismen/ Redewendungen, mehrdeutige (polyseme) Wörter sowie abstrakte Wörter (Ekinci-Kocks 2013: 75 f.). Empirisch lässt sich jedoch auch nachweisen, dass für den Wortschatzerwerb nicht nur eine generelle inhaltliche, sondern die individuelle Relevanz der Wörter ent‐ scheidend für den Lernerfolg ist (Ekinci-Kocks 2013: 26). Zudem sollte im Rahmen des semantischen Wortschatzlernens in einer Zweit- oder Fremdsprache ein deutlicher Akzent auf die Vermittlung der kulturellen „Aufladung“ eines Lexems gelegt werden. Es sollten also kulturelle Spezifika und Unterschiede zwischen dem Deutschen und der Herkunftssprache explizit reflektiert werden, zumal DaZ-Kinder gerade herkunfts‐ kulturspezifischen Wortschatz oft nur in ihrer Herkunftssprache kennen und daher nicht auf Deutsch über ihre Kultur sprechen und zumal sie so neben ihrem Wortschatz auch ihr Weltwissen erweitern können (ebd.: 28, 33 f., 43 ff.). Von einem kultursensiblen Wortschatzunterricht profitieren Erstwie Zweit‐ sprachler durch eine gesteigerte Sprachbewusstheit (Beil/ Czernay 2013: 65), da hier Aspekte der Wortschatzvertiefung angesprochen werden. Denn im kultursensiblen Wortschatzunterricht sollten zwangsläufig sowohl die Denotation als auch Konnota‐ tionen und polyseme Bedeutungen thematisiert werden, da davon auszugehen ist, „dass mit einer Semantisierung, die nur auf denotative Wortbedeutung eingeht, beim Lerner die falsche begriffliche Gleichsetzung des fremdsprachlichen und des muttersprachli‐ chen Lexems unterstützt wird“ (Avdić 2011: 263). Und polyseme Nebenbedeutungen auszuschließen würde z. B. bedeuten, bei dem Lexem gehen nicht die zentrale Bedeu‐ tung in Aussagen wie Wie geht es dir? oder Das geht nicht. zu vermitteln. Daher ist es für die Erschließung der denotativen wie der konnotativen und der polysemen Ne‐ benbedeutungen wichtig, die Lexeme in kulturell authentischem Umfeld zu präsen‐ tieren. Unter dem Begriff der interkulturellen Wortschatzarbeit, der mit dem der kul‐ tursensiblen/ kultursensitiven Wortschatzarbeit weitgehend identisch ist, präsen‐ tiert Kühn (2006) verschiedene Ideen mit dem Ziel einer „linguistic awareness of cul‐ ture“ (ebd.: 55) bei den Schülerinnen und Schülern. Hiermit gemeint ist das Ziel, das Fremde und das Eigene in Beziehung zueinander zu bringen, statt nur das Fremde zu rezipieren, es sollen kultur- und gesellschaftliche Konzepte, die mit dem Wortgebrauch verknüpft sind, aufgedeckt und beschrieben werden, „um so eine tolerantere Einstel‐ lung dem Fremden gegenüber und eine kritischere Einstellung der eigenen Kultur ge‐ genüber zu erreichen“ (Kühn 2006: 57). Was z. B. Moschee bedeutet, muss demnach durch die Erklärung des religiösen Stel‐ lenwertes und der religiösen Praktiken im Islam erläutert werden; eine einfache Über‐ setzung als ‚Gotteshaus‘ wäre mehr oder weniger aussagelos (ebd.: 53). Im Fokus steht also eine Reflexion über kulturelle Aspekte der Semantik im eigenen und fremdkulturellen Kontext; Kühn spricht hier neben „interkultureller Wortschatz‐ 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 191 <?page no="193"?> arbeit“ auch von „konfrontativer Semantik“ (ebd.). Für ältere Lernerinnen und Lerner besonders interessant und unterrichtlich ertragreich sind dabei sowohl Wörter mit gesellschaftspolitischer Brisanz (Moschee, Kopftuch, Heirat) wie auch Alltagswortschatz (begrüßen, Teppich, erwachsen sein). In beiden Bereichen sind die Lexeme tendenziell dann besonders kulturspezifisch brisant mit Blick auf potenzielle Missverständnisse, wenn man sie gewissermaßen als „kulturspezifische Homonymien oder Polysemien“ bezeichnen kann, „deren kulturspezifische Bedeutungen erst aus dem Kontext er‐ schließbar werden“ (ebd.). Im einem gewissen Kulturraum gilt ein Mädchen z. B. even‐ tuell schon als erwachsen und darf heiraten, wenn es die ersten Monatsblutungen hatte - nach deutschem Recht und deutscher Kultur wäre solch ein Mädchen weder er‐ wachsen noch heiratsfähig. Mit Heringer können solch brisante Wörter als „Hot‐ words“ bezeichnet werden, deren Bedeutung man nicht sinnvoll in einem Wörterbuch nachschlagen kann. Hotwords sind Wörter, die in der Geschichte, im gesellschaftlichen Leben eine besondere Rolle spielen, Wörter, an denen Argumentationen und Emotionen hängen, positiver oder negativer Art. Natürlich geht es bei der Analyse eines Hotwords nicht um das Äußere des Worts, sondern vor allem um seinen Gebrauch, um seine Bedeutung im weitesten Sinne. (Heringer 2004: 174) Die Auswahl und Semantisierung solcher Hotwords gehört gerade für den Bereich des Alltagswortschatzes notwendigerweise zu einer kultursensiblen, interkulturellen Sprach- und Wortschatzarbeit, „da Kommunikationspartner wie Leser in diesem Be‐ reich wenig Kulturspezifisches unterstellen“ (Kühn 2006: 68). Das Ziel von semanti‐ scher Sprachreflexion über Hotwords sind dann nicht etwa scheinbar objektive Bedeutungen im Sinne denotativer Bedeutungserklärungen, sondern möglichst differenziert[e] Bedeutungsbeschreibungen, aus denen ersichtlich werden sollte, wer diese Wörter mit welchen Einstellungen und Bewertungen gebraucht. (ebd.: 69) Methodisch könnte man solche Hotwords im Rahmen von Textarbeit an literarischen oder Sachtexten reflektieren und in einem interkulturellen Wörterbuch zusammen‐ stellen, dessen Definitionen die Schülerinnen und Schüler schreiben. Beipiele für solche kultursensitiven Wörterbuchbeiträge finden sich bei Kühn (2006: 111-115). Das Er‐ gebnis solch einer kultursensiblen und konfrontativen Semantikarbeit wäre das Auf‐ decken kultur- und gesellschaftlich verankerter Konzepte hinter selbst alltäglichen Begriffen des Grundwortschatzes, die auf den ersten Blick als kulturneutral wahrge‐ nommen werden. Dies wiederum bedeutete einen Abschied von Ethnozentrismus und kultureller Voreingenommenheit und würde kommunikativen Missverständnissen in interkultureller Kommunikation vorbeugen (ebd.: 101 ff.). Ein Einsatz, der deutliche Schnittmengen zur sprachkritischen Wortschatzarbeit (kritischen Semantik) aufweist, lässt sich problemlos auch bei einem weiter gefassten Kulturbegriff anwenden, der sich nicht auf Kulturen von Ländern oder Sprachgemein‐ schaften, sondern beispielsweise auf politische Kulturen/ Systeme und ideologieabhän‐ gigen Sprachgebrauch bezieht. Hier könnte man etwa die Bedeutung von Freiheit und 3 Erwerb und Vermittlung 192 <?page no="194"?> Demokratie in der BRD vs. DDR oder die Bedeutung von Sozialismus, Marktwirtschaft, Kapitalismus in verschiedenen Parteien untersuchen. Übung 366a Erstellen/ Formulieren Sie einen Arbeitsauftrag an Schülerinnen und Schüler zur kulturkontrastiven Erstellung zweier kultursensibler Wörterbucheinträge zu den Lexempaaren Freitag/ Sonntag bzw. Moschee/ Kirche aus Perspektive der muslimi‐ schen und der christlichen Kultur. Sie können den Schülerinnen und Schülern darin die Möglichkeit zur externen Recherche (Internet …) anbieten. Verfassen Sie vier der insg. acht möglichen (Freitag/ Sonntag aus muslimischer bzw. christlicher Sicht, Moschee/ Kirche aus muslimischer bzw. christlicher Sicht) Wörterbuchein‐ träge selber. 3.6.7 Analysekriterien für Lehrmaterial zur semantikorientierten Wortschatzarbeit Eine Lehrkraft, die sich entscheidet, semantikorientiert über Wortschatz zu reflek‐ tieren, muss das Rad nicht immer neu erfinden, sondern kann zum Teil auf bestehende Materialien (u. a. in Lehrwerken) zurückgreifen. Dafür sollten diese jedoch vorher kri‐ tisch analysiert werden mit Blick auf die Passung der eigenen Zielsetzung zur Zielset‐ zung und Vorgehensweise des Lehrmaterials. Folgende Fragen können als Kriterien für solch eine Analyse herangezogen werden: ▸ Was ist die Zielgruppe des Materials? (Alter, Erst-/ Zweit-, Fremdsprachler) ▸▸ Werden neben einfachen auch komplexe Wörter und Wortgruppenlexeme be‐ ▸ handelt? ▸ Unterstützt das Material eher implizite oder explizite Wortschatzarbeit? ▸▸ Was ist im Schwerpunkt das Ziel der vorliegenden Materialien: Wortschatzer‐ ▸ weiterung oder Wortschatzvertiefung sowie die rezeptive oder produktive Wort‐ schatzkompetenz? Wird demnach eher handlungsorientiert oder reflexiv vor‐ gegangen? ▸ Folgt das Material eindeutig einem bestimmten Konzept oder methodischen ▸ Ansatz? (Textbasierte, semantikorientierte, sprachkritische, kultursensible Wortschatzarbeit, Robustes Wortschatztraining) ▸ Ist erkennbar, ob das Material einem bestimmten linguistischen Semantik-Mo‐ ▸ dell verpflichtet ist (Merkmals-, Prototypensemantik …)? ▸ Ist die Wortschatzarbeit systematisch angelegt und verankert oder findet sie ▸ singulär statt? ▸ Welchem Sprachregister (Standard-, Bildungs-, Fachsprache …) und welchen ▸ thematischen Wortfeldern gehört der geförderte Wortschatz an - und passt dies zu Zielsetzung und Zielgruppe? In Zusammenhang mit welchen Textsorten wird der Wortschatz behandelt? 3.6 Ansätze und Methoden der Wortschatzarbeit 193 <?page no="195"?> ▸ Werden explizit Strategien zum (später selbstgesteuerten) lexikalisch-semanti‐ ▸ schen Lernen vermittelt (z. B. Wortbildungsanalyse)? Wird die Arbeit mit Wör‐ terbüchern angeleitet? ▸ Wird im Rahmen von Sprachreflexion die Struktur des Wortschatzes und der ▸ Wortschatzvernetzung, mithin die Struktur des mentalen Lexikons, bewusst ge‐ macht (z. B. durch Visualisierungen)? Welche semantischen Relationen (Poly‐ semie, Synonymie, Antonymie, Hypo-/ Hyperonymie …) werden explizit the‐ matisiert? ▸ Werden neben der denotativen Bedeutung auch konnotative und (inter)kultu‐ ▸ relle Bedeutungsaspekte reflektiert? ▸ Wird neben der synchronen Perspektive auch Sprachwandel als Bedeutungs‐ ▸ wandel thematisiert? ▸ Werden Einflüsse von Fremd- und Herkunftssprachen auf die Bedeutung the‐ ▸ matisiert? ▸ … ▸ Übung 367a Analysieren Sie ein exemplarisches Schulbuch oder Wortschatzfördermaterial nach den o. g. Kriterien und überlegen Sie, ob Sie die Kriterienliste noch ergänzen würden. Literatur Hoffmann 2016; Kilian 2007, 2008, 2016; Kurtz 2012; Pohl 2016; Polz 2016b; Selimi 2014; Ulrich 2013, 2014. 3 Erwerb und Vermittlung 194 <?page no="196"?> Lösungshinweise Übung 112a: Wörterbuchtyp: Bedeutungswörterbuch zur deutschen Standardsprache der Gegenwart. Beispiel: Duden - Bedeutungswörterbuch ( 5 2018); zum semantischen Gebrauch, jedoch keine reinen Bedeutungswörterbücher, etwa: Duden - D10 Deut‐ sches Universalwörterbuch ( 8 2015); WAHRIG Deutsches Wörterbuch ( 8 2008); PONS Großes Schulwörterbuch Deutsch (2014). Übung 122a: - Übung 123a: siehe Kapitel 1.2.4 Übung 124a: Die Beherrschung des bildungs- und einschlägigen fachsprachlichen Wortschatzes erleichtert das Verstehen von Fachtexten und mündlicher fachlicher Un‐ terrichtskommunikation und damit den Wissenserwerb. Zudem erleichtert sie das prä‐ zise Sprechen und Schreiben über die fachlichen Zusammenhänge und damit die Wis‐ sensreproduktion und -weiterverarbeitung. Übung 125a: zum Beispiel: Verbesserung anderer sprachlicher Kompetenzen (rezeptiv, produktiv, reflexiv); Zeitersparnis für fachliches Lernen; Verbesserung/ Erleichterung des Erwerbs fachlicher Kompetenz und generell der Wissensaneignung; Erhöhung der Sprachbewusstheit/ Einsicht in semantische Tiefenstrukturen. Übung 211a: Die beiden graphischen Darstellungen lassen sich etwa wie folgt in De‐ ckung miteinander bringen (vgl. Abb. LÖSa) Abb. LÖSa: Kombinierte Darstellung der Modelle von Ogden und Richards und von de Saussure (nach Roelcke 217: 28) Übung 212a: „Es regnet! “ - Darstellungsfunktion: Hinweis auf Niederschlag; Aus‐ drucksfunktion: Missbehagen des Sprechenden; Appellfunktion: Bitte um Schutz (Re‐ genschirm). Übung 213a: Semasiologische Fragerichtung - zum Beispiel im Rahmen des Bedeu‐ tungserwerbs oder des Nachschlagens einer Bedeutung anhand eines Bedeutungswör‐ <?page no="197"?> terbuchs, der Klärung unbekannter Wörter bei der Interpretation eines historischen Quellentextes oder im Rahmen eines mehrsprachigen Lerntandems. Onomasiologische Fragerichtung - etwa im Falle des Erwerbs von Wortschatz durch den Gebrauch eines Bildwörterbuchs oder der Erschließung einer fachlichen Nomenklatur anhand einer Graphik oder Abbildung. Übung 213b: Die aufwendige Suche nach dem „Spunk“ entspricht einer semasiologi‐ schen, die Benennung des zuvor unbekannten Käfers einer onomasiologischen Frage‐ stellung. - Zu einer Didaktisierung: Probieren Sie es aus (gehen Sie dabei jedoch nicht zu „verkopft“ vor)! Übung 213c: „Ceci n’est pas une pipe“ weist darauf hin, dass es sich hier um keine echte Pfeife, sondern lediglich um die Abbildung einer Pfeife handelt; es liegt hier ein ikonisches Zeichen vor. Übung 213d: Für das Wort Wal können zwei Bedeutungen mit unterschiedlicher In‐ tension angegeben werden, die jeweils die gleiche Extension aufweisen: ‚Säugetier, das ständig im Wasser lebt und über ein Blasloch verfügt‘ und ‚Säugetier, das ständig im Wasser lebt und über ein Blasloch verfügt sowie eine horizontale Schwanzflosse hat‘. - Der umgekehrte Fall, also eine bestimmte Intension bei verschiedener Extension, lässt sich beispielsweise anhand des evolutionsbiologischen Entstehens und Aussterbens von Arten erörtern. Übung 221a: Die Praxis zeigt, dass die diversen Definitionsarten in der Studienliteratur (wie auch in wissenschaftlichen Aufsätzen und Monographien) oftmals nicht sauber voneinander getrennt, sondern gerne miteinander kombiniert erscheinen; dabei treten auch immer wieder definitorische Schwächen zutage: Seien Sie also durchaus selbst‐ bewusst und beurteilen Sie Definitionen stets kritisch! Übung 222a: Eine Abgrenzung der verschiedenen Wortfelder ist zum Teil nicht mög‐ lich, etwa im Falle der Substantivs Mutter, das sowohl im Wortfeld der Verwandt‐ schaftsbeziehungen als auch in demjenigen zu Frau im gegenwärtigen Deutsch in Er‐ scheinung tritt. Einige der lexikalischen Einheiten sind semantisch nicht genau voneinander zu unterscheiden, sondern überlappen sich in ihren Bedeutungen, so zum Beispiel Lebensgefährtin und Freundin (in einem Kasten) oder sprechen und reden. An‐ dere lexikalische Einheiten lassen Lücken erkennen, beispielsweise lügen als Bezeich‐ nung für absichtliche Handlung, neben der kein Ausdruck für eine entsprechende un‐ absichtliche Handlung besteht. - Für die theoretische Diskussion des Wortfeldes bedeutet dies, dass sowohl die semantische Abgrenzbarkeit ganzer Wortfelder als auch die Vollständigkeit und Unterscheidbarkeit ihrer lexikalischen Einheiten zu hinter‐ fragen sind bzw. linguistisch differenziert betrachtet werden müssen. Übung 222b: 1) Die Merkmale bzw. Seme [Lebewesen], [Mensch] und [verwandt] gelten jeweils für sämtliche Verwandtschaftsbezeichnungen: Sie tragen nicht zur Un‐ terscheidung von einzelnen Bedeutungen bei. 2) Demgegenüber unterscheiden sich die Lösungshinweise 196 <?page no="198"?> Sememe bzgl. der Seme [männlich] und [weiblich], jedoch ist hier in Bezug auf zutref‐ fend, nicht zutreffend oder indifferent nur der Ansatz eines der beiden Seme erforderlich. 3) Schließlich erscheint das Merkmal [Plural] obsolet, da es für kein Semem signifikant ist - der Ausweis als indifferent bzgl. der Seme [männlich] bzw. [weiblich] ist hinrei‐ chend. In der folgenden Abbildung sind die entbehrlichen Seme grau unterlegt; das Sem [verwandt] wurde als gemeinsames bzw. konstituierendes Merkmal des Wort‐ feldes beibehalten; ebenso das Merkmal [männlich] auf Kosten des Merkmals [weib‐ lich] (vgl. Abb. LÖSb). Lexeme Merkmale Verwandter Eltern Vater Mutter Geschwister Bruder Schwester Kind Sohn Tochter Onkel Tante Cousin Cousine Neffe Nichte [Lebewesen] + + + + + + + + + + + + + + + + [Mensch] + + + + + + + + + + + + + + + + [verwandt] + + + + + + + + + + + + + + + + [direkt verwandt] (-) + + + + + + + + + - - - - - - [gleiche Generation] 0 - - - + + + - - - - - + + - - [älter] 0 + + + 0 0 0 - - - + + 0 0 - - [männlich] 0 0 + - 0 + - 0 + - + - + - + - [weiblich] 0 0 - + 0 - + 0 - + - + - + - + [Plural] 0 + 0 0 + 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Abb. LÖSb: Reduktion der Semanalyse von Verwandtschaftsbezeichnungen. Abb. LÖSb: Reduktion der Semanalyse von Verwandtschaftsbezeichnungen. + = Merkmal trifft zu, - = Merkmal trifft nicht zu, O = Indifferent in Bezug auf Merkmal Übung 223a: Während die Diskussion von Prototypen und Stereotypen im Bereich von Konkreta wie Baum, Möbel oder Trinkgefäß verhältnismäßig leicht fällt, ergeben sich im Falle der Abstrakta Vernunft, Freiheit oder Demokratie rasch Schwierigkeiten: Prototypen- und Stereotypensemantik stoßen hier an Grenzen. Übung 224a: Elemente des Skripts „Persönliche Begegnung“: (Mindestens) zwei Per‐ sonen, die einander (mehr oder weniger) bekannt sind und (jemanden bzw. sich) in einer bestimmten Situation oder an einem bestimmten Ort einfinden und treffen. Übung 224b: Elemente der Skripts „Zielschuss“: Person, Zielgegenstand, Ort, Waffe oder Sportgerät und (jemanden oder etwas) treffen. - Die Gemeinsamkeit der beiden Skripts besteht in dem Verb treffen und dessen reflexiver Verwendungsweise: (je‐ manden bzw. sich) gegenüber (jemanden bzw. etwas) treffen. Übung 230a: „Zukünftiges“: z. B. Ich fahre demnächst in Urlaub. vs. Ich werde in Urlaub fahren.; „Modalität“: Am Wochenende schneit es vielleicht. vs. Am Wochenende könnte es schneien. Lösungshinweise 197 <?page no="199"?> Zukünftiges kann man zum Beispiel lexikalisch, etwa durch Adverbien oder andere Konstruktionen (morgen, demnächst, in den nächsten Sommerferien), als zukünftig dar‐ stellen, oder aber grammatisch durch das Tempus Futur. Gleiches gilt für modale As‐ pekte: Vermutungen können lexikalisch (eventuell, vielleicht) oder grammatisch (durch den Konjunktiv) ausgedrückt werden. Übung 241a: Die Bedeutung ‚Vogelkäfig‘ steht in einem historischen Zusammenhang mit der Bedeutung ‚Landwirt‘ bzw. dessen Behausung (ahd. būr ‚Wohnungʼ; vgl. Paul 10 2002: 138). Vor diesem Hintergrund besteht hier zwar nicht aus Sicht der Gegen‐ wartssprache, wohl aber aus sprachgeschichtlicher Perspektive Polysemie. Zwischen den beiden Bedeutungen von Tau besteht hingegen keine historische Verwandtschaft; angesichts von zwei etymologisch verschiedenen Ausdrücken liegt hier somit auch in sprachgeschichtlicher Hinsicht Homonymie vor. Übung 241b: Die Wörter Lerche und Lärche werden verschieden geschrieben, aber gleich gesprochen: Es handelt sich hier um Homophonie. Demgegenüber wird modern als Verb auf der ersten und als Adjektiv auf der zweiten Silbe betont: In diesem Falle besteht Homographie. Übung 241c: Die Ausdrücke Samstag und Sonnabend werden in verschiedenen Ge‐ genden des deutschen Sprachraums gebraucht und stellen somit sog. regionale Du‐ bletten dar. Das Wort Hund ist wertneutral, das Wort Köter hingegen als abschätzig anzusehen; hier herrscht also nur Synonymie hinsichtlich der denotativen, nicht aber in Bezug auf die konnotative Bedeutung. Übung 241d: - Übung 242a: Hyponyme Wörter weisen eine größere Intension auf als deren entspre‐ chende Hyperonyme, da sie im Vergleich hierzu weitere (die Art unterscheidende) Merkmale (zu der gegebenen Gattung) aufweisen. In der Regel zeichnen sich hyponyme Wörter gegenüber hyperonymen Wörtern durch eine geringere Extension (Denota‐ tion) aus, da es meist weniger Vertreter einer Art als solche einer Gattung gibt. - Es sind hier jedoch auch Ausnahmen möglich: Dies ist etwa bei den Wörtern Lebewesen und Existenzform der Fall, bei denen sich Lebewesen auf die bekannte Existenzform auf Kohlenstoffbasis bezieht, während andere Existenzformen, etwa auf der Basis von Si‐ licium, denkbar, jedoch nicht nachgewiesen sind (vgl. die Debatte um den sog. „Koh‐ lenstoffchauvinismus“: Sagan, Carl: The Cosmic Connection. Doubleday: Anchor, 1973, 47). Übung 242b: Hyperonyme Wörter (wie zum Beispiel Lebewesen) können analog zu Synonymen anstelle entsprechender Hyponyme (in diesem Falle etwa Tier) verwendet werden, nicht aber umgekehrt; somit gilt hier das Verhältnis der Synonymie lediglich zum Teil. Übung 243a: Das Wortpaar ledig und verheiratet wird hier zum einen als antonym und zum anderen als komplenym aufgefasst: Während zunächst eine Erwartungshaltung Lösungshinweise 198 <?page no="200"?> mit komplenymer Interpretation aufgebaut wird, wird diese dann durch eine antonyme Interpretation durchbrochen. Übung 243b: Die determinierenden Glieder in den Termini Oberbegriff und Unterbe‐ griff bzw. in Verbandsbegriff und Teilbegriff beziehen sich begriffstheoretisch auf Hy‐ peronymie bzw. Meronymie und stehen somit quer zu der hierarchischen Ordnung des terminologischen Systems. Übung 251a: Die Textstelle kann allein vor dem Hintergrund einer historisch engeren Bedeutung des Ausdrucks Fräulein angemessen interpretiert werden: Indem Margarete darauf hinweist, dass sie kein Fräulein sei, gibt sie zu erkennen, dass sie nicht von (adeligem) Stand ist und somit keiner Begleitung von Faust bedarf bzw. dessen Angebot ausschlägt. Übung 251b: Das Adjektiv geil wird bereits im Althochdeutschen unter der positiven Bedeutung ‚üppig, nahrhaft‘ gebraucht und erfährt im Laufe der Zeit eine Veränderung zu der negativen Bedeutung ‚(sexuell) erregt, triebhaft‘. Erst mit Ende des 20. Jahrhun‐ derts kehrt sich diese Entwicklung dann sehr rasch um, indem das Wort geil wiederum unter der neutral oder positiv konnotierten Bedeutung ‚gut, hervorragend‘ Verwen‐ dung findet. Es liegt in diesem Falle also eine zirkuläre Entwicklung einer sich zunächst denotativ verengenden und dabei konnotativ verschlechternden und wieder denotativ erweiternden und dabei konnotativ verbessernden Bedeutung vor. Übung 251c: Einige mögliche Ursachen für den Wandel von Bedeutungen sind unter anderem: a) Erhöhter Benennungsbedarf (vgl. die fachlichen Spezifikationen von Wurzel); b) Veränderungen im Gesellschaftssystem (etwa im Ständesystem bei Frau); c) Veränderung der Sach- und Lebenswelt (etwa im Falle von Marschall); d) Bedeu‐ tungsänderungen bei anderen Wörtern (etwa bei Magd im Anschluss an die Bedeu‐ tungsänderung von Frau); e) Bedarf nach aufwertenden Bezeichnungen (zum Beispiel bei der Anrede Herr); f) Bedürfnis nach bildhafter Ausdrucksweise, insbesondere auch im Falle von erhöhter Abstraktion (vgl. noch einmal den metaphorischen Gebrauch von Wurzel); g) Bedürfnis nach bekräftigenden Bezeichnungen (etwa im Falle von geil). Übung 251d: In der deutschen Standardsprache ist das Wort Mädchen neutral (das Wort Magd dagegen eher negativ) und das Wort Dirne als Ergebnis einer Bedeutungs‐ verschlechterung negativ konnotiert. In den deutschen Dialekten zeigen beide Be‐ zeichnungen dagegen bis in das 20. Jahrhundert hinein eine neutrale (ggf. positive) Konnotation: Hier hat somit in beiden Fällen kein Wandel der konnotativen Bedeutung stattgefunden. Übung 252a: - Übung 252b: Die fachlexikalischen Komposita, die auf das Determinatum -röhre enden, weisen auf die Gestalt des bezeichneten technischen Gerätes hin; andere Bil‐ dungen, die auf -gleichrichter enden, auf dessen Funktion, und weitere schließlich, die Lösungshinweise 199 <?page no="201"?> auf -diode enden, auf deren technische Ausstattung. Innerhalb dieser Gruppen, in denen also verschiedene Aspekte des Geräts im Vordergrund stehen, herrschen jeweils ver‐ schiedene Differenzierungsgrade, die sich in etwa an der Zahl der Kompositionsglieder ablesen lassen. Übung 252c: a) Bereich des (menschlichen) Körpers; b) Bereich der (menschlichen) Intelligenz und Psyche; c) Bereich der Alltagsmechanik. Übung 253a-c: - Übung 253d: z. B.: Schülerinnen und Schüler erhalten Einsicht in die transportierte subkulturelle Bedeutung der Männlichkeit; Einsicht in Prozesse der Neosemantisierung und der potenziellen Rückwirkung auf die Semantik der Begriffe in der Standard‐ sprache. Übung 253e: - Übung 254a: Während Bedeutungswandel sich tendenziell ungeplant und ungesteuert allmählich vollzieht, ist die semantische Verwandlung ein Prozess, dem ein bewusster Eingriff in die Lexemsemantik zugrunde liegt, der bei der Übernahme eines Wortes aus einer Spenderin eine Geheimsprache aktiv vorgenommen wird. Dennoch ist die Un‐ terscheidung nicht immer trennscharf, da auch Geheimsprachen dem Sprachwandel unterliegen und sich hier Bedeutungen allmählich verschoben haben können. Auch im Falle von Jugendsprachen sind semantische Verschiebungen gegenüber der Standard‐ sprache oft an der Grenze zwischen natürlichem und gelenktem Bedeutungswechsel zu verorten. Übung 254b: - Übung 254c: Beide Varietäten bewerten und beleidigen so stark andere Personen- (gruppen), weil es sich um Gruppensprachen handelt, deren Ziel die Abgrenzung nach außen und die Identitätsstiftung nach innen ist. Jugendsprache greift dabei im Gegen‐ satz zu Geheimsprachen auf die semantische Veränderung standardsprachlicher Wörter (Opfer, Schwuler) und z. B. auf scherzhafte Mehrfachkomposita zurück (Bröt‐ chen-über-der-Spüle-Aufschneider), während Geheimsprachen stärker auf „Fremd‐ wörter“ aus Spendersprachen sowie auf bildhafte Komposita (galmenguffer, plauderer, briketthuster) zurückgreifen. Generell ist die Bildhaftigkeit und Metaphorik aber eine Parallele beider Varietäten. Übung 260a: In der deutschen Standardsprache lauten die Imperative von sag und schreib der grammatischen Regel nach sage! und schreibe! Eine Verwendung von sag und schreib ohne Flexionsendung ist dabei nicht möglich, sodass die Morpheme als gebunden aufzufassen sind. Die Imperativformen sag! und schreib! ohne Flexionsen‐ dungen sind nicht in der Standard-, wohl aber in der Umgangssprache möglich, sodass die Morpheme sag und schreib hier durchaus als frei charakterisiert werden können. Die Entscheidung hängt also von der zugrunde gelegten Varietät des Deutschen ab. Lösungshinweise 200 <?page no="202"?> Übung 261a: Uhrendieb: Beute; Trickdieb: Verfahren; Ladendieb: Tatort; Gelegenheits‐ dieb: Häufigkeit; Taschendieb: Beutevorkommen; Palmendieb: Fachbezeichnung für eine auf dem Land, unter Palmen lebende Krebsart. Übung 261b: Im Falle von der Junge entsprechen Genus und Sexus einander; bei das Mädchen (in oberdeutschen Dialekten auch Mädle oder Maidli) handelt es sich um eine Verniedlichungs- oder Diminutivform, die im Deutschen immer ein Neutrum darstellt (vgl. aber die Maid, wo das feminine Genus erhalten ist). Übung 261c: Der Kerngedanke besteht hier darin, dass durch den Gebrauch von genus- und sexuskongruenten Bezeichnungspaaren die Existenz von beiden natürlichen Ge‐ schlechtern bewusst gemacht und bewusst gehalten wird. Übung 261d: Die Genussysteme europäischer Sprachen lassen sich in ihrer Gesamtent‐ wicklung etwa wie folgt einander gegenüberstellen (vgl. Abb. LÖSc): Deutsch, Russisch Femininum Maskulinum Neutrum Romanische Sprachen Femininum Maskulinum Skandinavische Sprachen Genus commune Neutrum Englisch kein Genus (Relikte) Abb. LÖSc: Genussysteme in europäischen Sprachen: Beispiele Übung 262a: Einwertige Verben: stehen, frieren, schlafen; zweiwertige Verben: versu‐ chen, entdecken, hassen; dreiwertige Verben: entwenden, schenken, verzeihen. Übung 262b: In dem Satz Es schneit. ist die Position vor dem Verb durch ein Pronomen besetzt, das auf kein reales Agens verweist, sondern nur das Satzglied des Subjekts bildet, um einen grammatisch richtigen bzw. vollständigen Satz in deutscher Sprache zu bilden; so ist etwa die Bildung des Satzes Die Wolke regnet. grammatisch nicht kor‐ rekt. Da das Verb regnen (wie die Verben schneien oder blitzen) also keine Rolle im Sinne eines Agens fordert, ist es als nullwertig anzusehen. Übung 263a: Nachdem Karlchen Clärchen kennengelernt hatte [1. Plusquamperfekt], war er sofort in sie verliebt [2. Präteritum]. Heute hat er ihr deshalb wieder Blumen gekauft [3. Perfekt] und macht ihr damit wie immer eine große Freude [4. Präsens]. Aber falls er dies irgendwann einmal vergessen haben wird [6. Futur II], wird sie ihm sicher nicht böse sein [5. Futur I]. Übung 263b: Karlchen und Clärchen kennen sich schon einige Jahre [Rhema 1]. Karlchen [Thema 1a] ist in Berlin geboren und studiert dort an der Technischen Universität [Rhema 2a]. Clärchen [Thema 1b] stammt aus Hamburg und ist für ihr Studium an der Humboldt-Universität nach Berlin gezogen [Rhema 2b]. Beide [Thema 2ab] lieben die Metropole Berlin sehr und möchten dort nach ihrem Studium weiter arbeiten [Rhema 3]. Lösungshinweise 201 <?page no="203"?> - Während in Beispiel (1) eine Verkettung aus Themata und Rhemata festgestellt werden kann, handelt es sich in Beispiel (2) um eine wiederholte Aufnahme ein und desselben Rhemas (ganz oder in Teilen), das wiederholt zu einem eigenen Thema wird. Übung 263c: In Beispiel (3) wird zunächst mit dem Fragepronomen wer nach dem Subjekt gefragt: „Wer liebt Clärchen? “; in der Antwort wird die Frage mit Nennung des Rhemas Karlchen im Subjekt beantwortet: „Karlchen liebt Clärchen.“ In Beispiel (4) wird dagegen mit dem Pronomen wen nach dem Objekt gefragt: „Wen liebt Karlchen? “; in der Antwort erscheint dann Clärchen als Rhema im Objekt des Satzes „Clärchen liebt Karlchen.“ Im Deutschen kann also auch ein Rhema als Subjekt oder Objekt zu Beginn eines Aus‐ sagesatzes erscheinen. Übung 263d: Die Textbausteine für die Packungsbeilage zu einem Medikament sind nach dem Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln, dem sog. Arzneimittelgesetz von 1976/ 2009, gesetzlich geregelt: Name des Präparates, Zusammensetzung, Darrei‐ chungsform, Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Warnhinweise / Vorsichtsmaß‐ nahmen für die Anwendung, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Dosierungsanlei‐ tung / Art und Dauer der Anwendung, Anwendungsfehler und Überdosierung, Hinweise und Angaben zur Haltbarkeit. Der Vorteil für Produzenten und Rezipienten besteht in deren (juristisch verbindlicher) Vollständigkeit und Übersichtlichkeit (und damit in deren Verlässlichkeit). Übung 264a: a) jemanden unter die Haube bringen - verheiratete Frauen trugen früher eine Kopfbedeckung; b) auf dem Holzweg sein - ein Weg zur Abfuhr von Holz führte früher in den Wald hinein, aber nicht hindurch; c) mit Kind und Kegel - uneheliche Kinder wurden früher als Kegel bezeichnet, eheliche als Kinder (in einem engeren Sinne). Übung 264b: - Übung 264c: Tolstoi regt mit seiner Abweisung an, eine sprichwörtliche Lebensweis‐ heit anhand eines lebensnahen Beispiels zu veranschaulichen. Diese Übung kann auch im Deutschunterricht erfolgreich eingesetzt werden, um die sprachliche Kreativität von Schülerinnen und Schülern zu fördern. Übung 271a: a) Wüstenschiff: Schwanken auf See und bei Bewegung des Tiers; b) Redefluss: Dahinströmen eines Gewässers und der Worte eines Menschen; c) Erleuch‐ tung: Klarheit und Deutlichkeit, die durch das Licht wie auch durch einen Gedanken geschaffen wird (vgl. auch die englische Bezeichnung enlightment für die Zeit der Auf‐ klärung). Übung 271b: a) Berlin regiert die Republik: Berlin als Sitz der Regierung; b) Heinz trank drei Flaschen: Flasche als Behältnis von (alkoholischen) Getränken; c) Karlchen singt gerne die Beatles: die Gruppe der Beatles als Komponisten zahlreicher Popsongs. Lösungshinweise 202 <?page no="204"?> Übung 271c: a) Zeitliche Beziehung: hier der frühere Zustand (Traubensaft) anstelle des späteren (Wein); b) Numerische Beziehung: das Pronomen im Plural (wir) anstelle desjenigen im Singular (ich) - Pluralis Majestatis (Plural der Hoheit) bzw. Pluralis Mo‐ destiae (Plural der Bescheidenheit); c) Art/ Gattungs-Beziehung: Art (Brot) für Gattung (Nahrungsmittel) oder Gattung (Raubkatze) für Art (Tiger). Übung 280a: - Übung 280b: Vgl. www.deutsch-perfekt.com/ deutsch-lesen/ diese-zehn-woerter-gibt -es-nur-im-deutschen (zuletzt gesehen am 17.01.2020). Übung 280c: - Übung 310a: Wortschatzbreite meint den quantitativen Wortschatzumfang/ die An‐ zahl an bekannten Lexemen; Wortschatztiefe meint die qualitative Ebene des Wissens um verschiedene Bedeutungsebenen eines Lexems und seine semantischen Relationen zu anderen Lexemen. Der Zusammenhang besteht in einer gegenseitigen Beeinflus‐ sung; beim Fremdsprachenlernen ist die Wortschatztiefe der Haupteinflussfaktor auf den Wortschatzumfang/ das Lernen neuer Wörter. Übung 310b: Es gibt verschiedene qualitative Ebenen des Wortwissens (der Wort‐ schatztiefe), es gibt nicht nur die beiden Möglichkeiten, ein Wort (nicht) zu kennen, sondern die Aspekte differieren etwa nach den von Nagy/ Scott (2000: 269-284) und Juska-Bacher/ Jakob (2014: 59) genannten. Übung 310c: Wortschatzbreite/ Wortschatztiefe; rezeptiv/ produktiv; Abrufgeschwin‐ digkeit; Fähigkeit, unbekannte Lexeme analysieren, verstehen und lexikalisch abspei‐ chern zu können; Fähigkeiten in den Bereichen der Begriffsbildung, des Bedeutungs‐ wissens, der Kenntnisse über die grammatische Bedeutung von Funktionselementen (Konnektoren und deren adäquater Einsatz usw.), Wortbildungswissen. Übung 310d: - Übung 320a-f: - Übung 322a: z. B. geringerer Input in der Zweitsprache, wenn die Erstsprache Famili‐ ensprache ist (weniger Möglichkeiten zu inzidentellem Lernen, dadurch weniger Ver‐ wendungskontexte und weniger Möglichkeit, Wortschatztiefe als kontextabhängig un‐ terschiedliche Bedeutungen zu erwerben); da die Wortschatztiefe den Wortschatzumfang (Erwerb neuer Wörter) beeinflusst, verstärkt die geringere Kompetenz in der Wort‐ schatztiefe den Nachteil beim Wortschatzumfang. Übung 330a: Wortschatzerweiterung und Wortschatzvertiefung inkl. Erhöhung der Abrufgeschwindigkeit; Erlernen von Erschließungsstrategien zum selbstgesteuerten Bedeutungserfassen Übung 330b: Sensibilisierung für/ Kenntnis von Nebenbedeutungen/ Lesarten, Vernet‐ zungen mit anderen Lexemen; Bewusstmachung semantisch-lexikalischer Strukturen Lösungshinweise 203 <?page no="205"?> im mentalen Lexikon; Einsicht in die Prozesse der Bedeutungsveränderung/ -erweite‐ rung usw. Übung 330c: explizite Wortschatzarbeit erleichtert das Andocken neuer Lexeme an bestehende semantische Netze Übung 341a: - Übung 350a: - Übung 360a: - Übung 361a: Inzidentelles Wortschatzlernen geschieht individuell sehr unterschied‐ lich und meistens nur unvollkommen, sodass zwischen Schülerinnen und Schülern hohe Wortschatzdifferenzen entstehen und sich Defizite (oberflächliches Bedeutungs‐ wissen, schnelleres Vergessen) entwickeln können; insb. Benachteiligungen von DaZ-Schülerinnen und -Schülern kann durch explizite Wortschatzarbeit vorgebeugt werden; Schülerinnen und Schülern fällt es im Anschluss an explizite Wortschatzarbeit oft leichter, selbstgesteuert Nebenbedeutungen und metaphorische Gebrauchsweisen von Lexemen zu erfassen und aus dem Kontext zu erschließen Übung 363a: - (vgl. als Hilfe für die Sachanalyse Wörterbucheinträge sowie ggf. www-gewi.uni-graz.at/ gralis-alt/ 6.Educarium/ 2003-2004/ Lex.%20Kategorie_BKS%20 WS/ Polysem.htm, 17.01.2020) Übung 364a-b: - Übung 364c: - (ggf. Argumentationshilfen unter https: / / efraimstochter.de/ 8-Der-Suedseekoenig-und-die-Taka-Tuka-Sprache.htm#content, 17.01.2020) Übung 365a: - Übung 366a: - Übung 367a: - Lösungshinweise 204 <?page no="206"?> Literatur Adamzik, Kirsten ( 2 2016): Textlinguistik: Grundlagen, Kontroversen, Perspektiven. Berlin, Boston: de Gruyter (de Gruyter Studium). Aitchison, Jean ( 2 1994): Words in the Mind. An Introduction to the Mental Lexicon. 2 nd ed. 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Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft Tatjana Jesch Fachdidaktik Deutsch Eine Einführung 2020, 264 Seiten €[D] 19,99 ISBN 978-3-8233-6900-4 e ISBN 978-3-8233-7900-3 BUCHTIPP Diese Deutschdidaktik verbindet Sprach- und Literaturdidaktik unter Beachtung des Zweitspracherwerbs. Sie bietet eine multimedial ausgerichtete Systematik zur Orientierung in den Anforderungsbereichen des Faches Deutsch. Zudem nimmt das Lehrbuch eine schulstufenübergreifende Perspektive ein, die von der Vorschulzeit aus über die Primarstufe bis hin zur Sekundarstufe II reicht. Phasen und Formen der Lese- und literarischen Sozialisation sowie der Leseförderung werden, einschlägigen wissenschaftlichen Modellen folgend, von Schulstufe zu Schulstufe variiert. Dies geht einher mit Einblicken in die deutschdidaktische Empirie. Darüber hinaus werden Erkenntnisse der englischsprachigen Forschung zum Schrift-, Bildungs- und Fachspracherwerb sowie zum Leseverstehen aufgegriffen. Stärkere Aufmerksamkeit als üblich erfährt hier die Dual-Coding-Theorie, der zufolge Textrezeption unter Ansprache aller Sinne geschieht. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 9797-0 \ Fax +49 (0)7071 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="224"?> Semantik stellt ein zentrales Teilfach der allgemeinen und der germanistischen Sprachwissenschaft dar und ist gleichzeitig ein wich�ges Feld der Sprachdidaktik - sowohl im Hinblick auf Lernende der Erstals auch auf Lernende der Fremd- oder Zweitsprache. Die schulische Relevanz betrifft verschiedene Bereiche des Deutschunterrichts, besonders wichtig ist die Semantik aber für die Wortschatzarbeit an allen Schulformen und in allen Klassenstufen. Diese findet in der Einführung daher besondere Berücksichtigung. Der Band hat das Ziel, angehende oder bereits berufstätige Lehrerinnen und Lehrer in die linguistische Semantik einzuführen und sie unter einer didaktischen Perspektive mit zentralen Theorien, Modellen, Methoden und Ergebnissen vertraut zu machen. Dabei wird vor allem die migra�onsbedingte Heterogenität unter Schülerinnen und Schülern in Deutschland mit berücksich�gt. ISBN 978-3-8233-8379-6