Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht
Eine qualitative Untersuchung zum Unterrichtserleben von Französisch- und Spanischlernenden am Ende der Sekundarstufe I
0713
2020
978-3-8233-9408-2
978-3-8233-8408-3
Gunter Narr Verlag
Julia Fritz
Französisch und Spanisch gehören nach Englisch zu den beliebtesten Schulfremdsprachen in Deutschland. Dennoch lernen immer weniger SchülerInnen die zweite Fremdsprache bis zum Abitur. Die vorliegende Dissertationsschrift geht der Frage nach, wie SchülerInnen ihren Französisch- bzw. Spanischunterricht erleben. Anhand von vier Fallanalysen rekonstruiert die Autorin, welche Bedeutung SchülerInnen dem Lernen der zweiten Fremdsprache am Ende der Sekundarstufe I zuschreiben. Damit liefert die Arbeit wichtige Erkenntnisse für die romanistische Fremdsprachenforschung und Lehrerbildung.
<?page no="0"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidak�k Julia Fritz Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht Eine qualita�ve Untersuchung zum Unterrichtserleben von Französisch- und Spanischlernenden am Ende der Sekundarstufe I <?page no="1"?> Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Julia Fritz Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht Eine qualitative Untersuchung zum Unterrichtserleben von Französisch- und Spanischlernenden am Ende der Sekundarstufe I GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. 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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Zur aktuellen Situation des Französisch- und Spanischunterrichts in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.1 Das Unterrichtsfach Französisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.1.1 Schulsprachenpolitische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . 19 2.1.2 Entwicklung der Lernerkontingente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.2 Das Unterrichtsfach Spanisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.2.1 Schulsprachenpolitische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . 26 2.2.2 Entwicklung der Lernerkontingente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.3 Standortbestimmung: Französisch und Spanisch am Ende der Sekundarstufe I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick . . . . . . . . . 35 3.1 Zum Stellenwert der Schülersicht in der empirischen Forschung . . . 36 3.2 Die Schülersicht in der pädagogischen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.2.1 Die Lehrkraft und das Lehrer-Schüler-Verhältnis . . . . . . . . . 40 3.2.2 Unterrichts- und Lerninhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.2.3 Leistungsbewertung und Zensuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.3.4 Zur Bedeutung sozialer Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung . . 51 3.3.1 Die Abwahl der zweiten Fremdsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.3.2 Die Fremdsprachenlehrkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.3.3 Unterrichtsgestaltung und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3.3.4 Schwierigkeitsgrad des Faches und Leistungsentwicklung 62 3.3.5 Nützlichkeit und Anwendbarkeit der Fremdsprache . . . . . . 65 3.3.6 Der Einfluss des Geschlechts auf die Wahrnehmung von Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenunterricht . . . . . 68 3.3.7 Wahrnehmung des Fremdsprachenunterrichts im Vergleich der Jahrgangsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 <?page no="6"?> 6 Inhalt 3.4 Das Unterrichtserlebnis: Begriffsbestimmung und Konzeptualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.5 Zwischenresümee und Schlussfolgerungen für die empirische Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 II. EMPIRIE - KONZEPTION UND DURCHFÜHRUNG DER STUDIE 4. Methodologie und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4.1 Zielsetzung und Fragestellungen der empirischen Untersuchung . . . 83 4.2 Methodologische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4.3 Zugang zum Forschungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.4 Methoden der Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.4.1 Bildgestützte Kurzaufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4.4.2 Gruppendiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4.4.3 Narratives Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 4.5 Auswertung der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.5.1 Die dokumentarische Methode als rekonstruktives Auswertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.5.2 Auswertung der Gruppendiskussionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4.5.3 Auswertung der narrativen Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.5.4 Modifikation des methodischen Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . 112 4.6 Auswahl der dargestellten Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 III. EMPIRISCHE BEFUNDE - DIE SICHT DER LERNENDEN AUF IHREN FREMDSPRACHENUNTERRICHT 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5.1 Die Gruppe „Stadion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5.1.1 Zusammensetzung der Gruppe und Gesprächsverlauf . . . 119 5.1.2 „Besser eine Sprache ganz viel als beide nur so ein bisschen“ - Haltungen zum Erlernen mehrerer Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . 120 5.1.3 „ Na Französisch ist eine ziemlich schwere Sprache “ - die Lernbarkeit von Französisch im Vergleich zu Englisch . . . . . 126 5.1.4 „ Aufgaben, da muss man immer dasselbe machen “ - Lehrwerkkritik und mangelnde Unterstützung im Unterricht 132 5.1.5 „Und dann musstest du irgendwie das ganze Blatt können“ - Unterrichtsinhalte ohne Lebensweltbezug . . . . . . . . . . . . . . . 136 5.1.6 „Aber ansonsten ist der Unterricht HIER besser als im vorherigen Jahr“ - Streben nach Partizipation und guten Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 <?page no="7"?> Inhalt 7 5.1.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.2 Die Gruppe „Katze“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5.2.1 Zusammensetzung der Gruppe und Gesprächsverlauf . . . 151 5.2.2 „Der Großteil der Bevölkerung kann schon Englisch“ - Haltungen zum Erlernen mehrerer Sprachen . . . . . . . . . . . . 152 5.2.3 „ Einfach ein Fach “ - Haltungen zum Fach Spanisch . . . . . . 158 5.2.4 „ Man kann so selbst aussuchen, was man wie macht “ - positive Unterrichtserlebnisse im Spanischunterricht . . . . 164 5.2.5 „ Die haben halt ANDERS berichtet “ - muttersprachliche Lehrkräfte im Spanischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 5.2.6 „ So ein paar Sachen schon verstehen “ - Beurteilung des aktuellen Lernstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5.2.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ - Französischlernen als vergebliches Streben nach Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6.1.1 Fallporträt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6.1.2 „Ich wollte eigentlich schon immer Französisch machen“ - Pias Wunsch, Französisch zu lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 6.1.3 „ Durchhalten“ und „durchkämpfen “ - Distanzierung vom Fach Französisch als Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 6.1.4 „ Das hat mich dann schon ein wenig runtergedrückt “ - negative Lernerlebnisse und Misserfolge im Unterricht . . 200 6.1.5 „ Es ist dann halt immer so der ständige Ablauf “ - monotone Unterrichtsgestaltung und uninteressante Themen . . . . . . 207 6.1.6 „ Also ich kann mich ein BISSCHEN verständigen “ - Pias Selbsteinschätzung und Zukunftsperspektiven . . . . . . . . . . 212 6.1.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6.2 Fallrekonstruktion Max: „ Meine Motivation gegenüber dem Spanischunterricht ist lehrerabhängig “ - Spanischlernen als Streben nach Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 6.2.1 Fallporträt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 6.2.2 „Man hat es eigentlich so spielerisch gelernt, in der fünften und sechsten Klasse“ - Rekonstruktion der ersten beiden Lernjahre Spanisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 6.2.3 „ Und dann kam in der achten Klasse dieser große Bruch“ - der Einfluss der Lehrperson auf die Bezugnahme zum Fach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 <?page no="8"?> 8 Inhalt 6.2.4 „ In der sechsten und fünften Klasse waren wir ihre Vorzeigeklasse “ - Max’ Wahrnehmung des veränderten Lehrer-Schüler-Verhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 6.2.5 „ Themen, die uns so in der Realität nicht betreffen “ - fehlende Identifikationsmöglichkeiten mit den Inhalten im Spanischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 6.2.6 „ Dann brauche ich auch manchmal meine Bestätigung “ - Max’ Selbstkonzept als Fremdsprachenlerner . . . . . . . . . . . . 243 6.2.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 IV. RESÜMEE UND AUSBLICK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 7.1 Fachliche Bezugnahme als dynamischer Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . 256 7.2 Englisch als lingua franca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 7.3 Lehrerkompetenzen und Lehrerhandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 7.4 Inhalte und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 7.5 Kompetenzerleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 8.1 Einordnung der Ergebnisse in aktuelle fremdsprachendidaktische Diskurse und Implikationen für die unterrichtliche Praxis . . . . . . 289 8.1.1 Professionsforschung und Lehrerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . 289 8.1.2 Motivation und Kompetenzentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 8.1.3 Mehrsprachigkeit und Sprachenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 8.2 Kritische Reflexion des Forschungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 8.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 9. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 10. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 10.1 Transkriptionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 10.2 Fremdsprachendidaktische Studien zur Erforschung der Schülersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 10.3 Bildgestützter Kurzaufsatz I (Pia) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 10.4 Bildgestützter Kurzaufsatz II (Max) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 11. Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 12. Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 <?page no="9"?> 9 Abkürzungsverzeichnis Engl. Englisch Frz. Französisch ges. gesamt GeS Gesamtschule Gr. Griechisch GS Grundschule GY Gymnasium HS Hauptschule Ital. Italienisch Jg. Jahrgang Jgst. Jahrgangsstufe Lat. Latein m männlich RS Realschule Ru. Russisch Spa. Spanisch Stud. Studierende Stud.-J. Studienjahr SuS SchülerInnen TN TeilnehmerInnen w weiblich <?page no="11"?> 11 Vorwort Die Fertigstellung dieser Arbeit ist das Ergebnis einer langen, spannenden Reise, auf der mich zahlreiche Menschen begleitet und unterstützt haben. Folgt man einem Zitat Goethes, so lässt sich zwar wahrhafte Dankbarkeit mit Worten nicht ausdrücken, dennoch möchte ich den Versuch unternehmen, die Hilfe und den Zuspruch einiger dieser Menschen hier angemessen zu würdigen. Ohne die Offenheit und Bereitwilligkeit der vielen Jugendlichen, ihre persönlichen Geschichten mit mir zu teilen, wäre diese Studie nicht möglich gewesen. Ihnen sowie den Lehrkräften, die mir die Türen zu ihren Klassenzimmern geöffnet haben, gilt zuvorderst ein aufrichtiges Dankeschön. Zu besonderem Dank bin ich meiner Doktormutter Prof. Dr. Hélène Martinez verpflichtet. Sie gab mir nicht nur den entscheidenden Anstoß für das Thema meiner Arbeit, sondern bestärkte mich mit ihrem Vertrauen, meinen Weg als Nachwuchswissenschaftlerin zu beschreiten. Während der fünf Jahre an ihrem Lehrstuhl bin ich nicht nur beruflich, sondern auch persönlich gereift. Unvergessen bleibt unser Marathontreffen zur Besprechung des Manuskripts in Kassel mit Kaffee, Kuchen und qualmenden Köpfen. Ich möchte ebenso Prof. em. Dr. Michael K. „Mitch“ Legutke danken, der stets mehr für mich war als mein Zweitgutachter. Durch seinen Enthusiasmus, sein Interesse an meiner Arbeit, seine klugen Fragen und Hinweise sowie den sanften Druck hat er maßgeblich zum Vorankommen meiner Dissertation beigetragen. Allen TeilnehmerInnen des GCSC Forschungskolloquiums „Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung“ der Justus-Liebig-Universität Gießen sei gedankt für den regen Austausch sowie die Möglichkeit, mein Dissertationsprojekt während des gesamten Forschungsprozesses regelmäßig zur Diskussion zu stellen. Insbesondere Dr. habil. David Gerlach hat durch seinen kritischen Blick auf die Daten geholfen, meine Wahrnehmung für so manche „Fokussierungsmetapher“ zu schärfen. Dass er jederzeit für all meine forschungsmethodischen Fragen mit Rat und Tat zur Verfügung stand, weiß ich sehr zu schätzen. Besonderer Dank gilt meinen „Freundolleginnen“ Sophie Engelen, Frédérique Moureaux-Abu Marheil, Dr. Tanja Prokopowicz, Anna Schröder-Sura und Nevena Stamenkovic für das sorgfältige Korrekturlesen, die vielen schönen, gemeinsamen Erlebnisse in und außerhalb der Uni sowie die unzähligen wertvollen Gespräche über die „Diss“, aber auch über ganz irdische Themen wie die Fußball-Bundesliga oder den letzten Tatort. <?page no="12"?> 12 Vorwort Von ganzem Herzen danke ich meiner Familie dafür, dass sie mir durch ihre liebevolle Zuwendung, das Nachfragen und Zuhören, das Aufmuntern und Trösten ermöglichte, so manchen Ballast abzuwerfen und Turbulenzen zu überstehen, dass sie mir von Kindesbeinen an das Gefühl vermittelte, all meine Träume und Ziele verwirklichen zu können, und dass sie einen Ort geschaffen hat, an dem ich mich immer aufgehoben, verstanden und zu Hause fühlen konnte. Der wichtigste Weggefährte auf meiner Reise war Matthias Bunzel, der mich während dieser intensiven Zeit in so manches Abenteuer entführte und mich den Schreibtisch immer wieder für einige Stunden oder Tage vergessen ließ. Ohne ihn wären die zurückliegenden Jahre nicht halb so bunt, aufregend und erfüllend gewesen. Er und unser gemeinsamer Sohn August sorgen dafür, dass auch das Leben nach der „Diss“ niemals langweilig wird. <?page no="13"?> 13 I. Grundlagen und theoretischer Bezugsrahmen <?page no="15"?> Wir glauben, Erfahrungen zu machen, aber die Erfahrungen machen uns. (Eugène Ionesco, französisch-rumänischer Schriftsteller) 1. Einleitung Mit der aus dem Europäischen Jahr der Sprachen 2001 stammenden Forderung „Muttersprache plus zwei“ formuliert der Europarat das sprachenpolitische Ziel der Mehrsprachigkeit möglichst aller BürgerInnen der Europäischen Union. Doch trotz zunehmender Migrationsbewegungen sowie einer wachsenden plurikulturellen und damit plurilingualen Gesellschaft ist in privaten wie auch beruflichen Kontexten eine verbreitete Tendenz des Englischen als lingua franca zu beobachten, die auch in schulsprachenpolitischen Zusammenhängen ihren Niederschlag findet. Zahlreiche Initiativen und Maßnahmen wurden seit 2001 auf den Weg gebracht, um schulisches sowie außerschulisches (Fremd-) Sprachenlernen zu fördern und die Vielfalt der europäischen Sprachen neben der Dominanz des Englischen zu erhalten. Der Blick auf den institutionalisierten Fremdsprachenunterricht zeigt jedoch, dass diese Forderung in Deutschland auch 18 Jahre später vielfach noch ungelebter Traum ist und die SchülerInnen in der Sekundarstufe I und II im Durchschnitt nur 1,3 bzw. 1,4 Fremdsprachen lernen (vgl. Eurydice 2013: 65), sodass Bär (2017: 89) von „einer Zweisprachigkeit (bei Berücksichtigung der qualitativen Komponente in vielen Fällen auch […] einer Anderthalbsprachigkeit)“ spricht. So muss in Bezug auf die eingangs dargestellte Forderung „Muttersprache plus zwei“ konstatiert werden, dass entsprechende Bemühungen im schulischen Kontext bislang noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse hervorgebracht haben. Doch trotz der Suche nach möglichen Ursachen und Begründungszusammenhängen besteht keine Einigkeit hinsichtlich der Rolle des Fremdsprachenunterrichts. Wie erfolgreich die Schulen in der Vermittlung von Fremdsprachen sind, ist allerdings umstritten. Einerseits gibt es ernsthafte Zweifel an der Effizienz des gängigen schulischen Fremdsprachenunterrichts (Bleyhl, 2005; Meyer, 2001; Tschirner, 2004), andererseits wurde aber auch vor übertriebenen Erwartungen an die schulischen Möglichkeiten beim Erwerb einer zweiten Fremdsprache gewarnt (Lightbown, 2000). (Niggli et al. 2007: 473 f.) Empirische Studien, die sich mit dem Problem der Abwahl der zweiten Fremdsprachen beschäftigen, finden sich insbesondere in der Einstellungs- und Motivationsforschung (vgl. u. a. Düwell 1979; Cronjäger 2009; Venus 2017b). Die bishe- <?page no="16"?> 16 1. Einleitung rigen, vor allem quantitativen Untersuchungen haben das Erleben im Unterricht als einen wichtigen, vielleicht den entscheidenden Faktor für die Erklärung von Einstellungs- und Motivationsunterschieden (vgl. Meißner et al. 2008) herausgearbeitet. Dennoch mangelt es bislang an Untersuchungen zu den Fremdsprachenlernerfahrungen, in denen die SchülerInnen selbst zu Wort kommen. Hieraus ergibt sich ein Desiderat für qualitative Forschungsarbeiten. Einen tieferen Zugang zu den individuellen Erlebnisweisen und Innenansichten zu ermöglichen, die sich mittels sprachlich eher reduzierter Fragebogenskalen kaum operationalisieren und „abfragen“ lassen, stellt das Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit dar. Das Erkenntnisinteresse richtet sich auf die Rekonstruktion des Unterrichtserlebens von SchülerInnen sowie deren Deutungen und Bewertung am Ende der Sekundarstufe I. Die so gewonnenen Erkenntnisse versprechen die sich bislang offenbarenden Tendenzen quantitativer Untersuchungen inhaltlich zu vertiefen und zu differenzieren. Damit versteht sich das Dissertationsprojekt als Anschlussforschung, die mittels Einzelfallbetrachtungen einen Beitrag leistet, um besser zu verstehen, welchen Einfluss Fremdsprachenlernerfahrungen auf das Lernen einer zweiten Fremdsprache Französisch oder Spanisch nach Englisch sowie die Bezugnahme zum Fach haben. Wenngleich immer wieder davon die Rede ist, Spanisch verdränge unter den romanischen Sprachen die traditionelle Schulfremdsprache Französisch 1 , unterliegen Französisch und Spanisch als zweite bzw. dritte Fremdsprachen nach Englisch doch einem vergleichbaren Bedingungsgefüge. Die Einbeziehung von Französisch und Spanisch in die empirische Untersuchung soll so zum einen erstmals Ergebnisse im Bereich des Spanischunterrichts aus Lernersicht und zum anderen neue Einblicke und Erklärungsansätze hinsichtlich der Probleme, die beide Fächer gleichermaßen zu betreffen scheinen, liefern. Aufbau der Arbeit Im ersten Teil der Arbeit werden zunächst wesentliche Grundlagen sowie der theoretische Bezugsrahmen umrissen. Um die Spezifik der zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch zu beleuchten, bietet das erste Kapitel einen Überblick über die aktuellen schulsprachenpolitischen Rahmenbedingungen. Darüber hinaus kommt mithilfe statistischer Daten die Entwicklung der Lernerzahlen zur Darstellung, die sowohl Tendenzen im Verlauf der letzten Jahre als auch über die Jahrgangsstufen hinweg abbildet. Diese machen das Phänomen der Abwahl besonders deutlich, sodass im Anschluss an die nach Fächern ge- 1 Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung titelt bspw. 2013: „Spanisch läuft Französisch an Schulen in NRW den Rang ab“ (vgl. Martens 2013). <?page no="17"?> 1. Einleitung 17 trennten Ausführungen ein Vergleich der beiden zweiten Fremdsprachen am Ende der Sekundarstufe I folgt. Die vorliegende Studie untersucht den Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht. Der Forschungsüberblick (Kap. 3) greift diesen Begriff auf, wobei die Auseinandersetzung mit dem Terminus „Schülersicht“ verdeutlicht, dass diesem je nach Fachdisziplin ganz unterschiedliche theoretische Konzeptionen zugrunde liegen und dementsprechend auch die (empirischen) Zugänge zum Teil stark variieren. Diese Herangehensweisen sowie zentrale Ergebnisse entsprechender Forschungsarbeiten werden vorgestellt und diskutiert. Mit dem Kapitel 3.2 ist der Pädagogik als Bezugswissenschaft ein eigenes Unterkapitel gewidmet, da in der fremdsprachendidaktischen Forschung in Deutschland die Anzahl an Arbeiten zum schulischen Fremdsprachenlernen aus der Perspektive der Lernenden noch überschaubar ist. Vor diesem Hintergrund plädiert auch Trautmann (2007: 197) dafür, „erziehungswissenschaftliche und insbesondere schulpädagogische Erkenntnisse stärker als bislang zu berücksichtigen“. Den verschiedenen Zugängen zur Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung (vgl. Kap. 3. 3) ist gemein, dass sie die Wahrnehmungen der Lernenden in Bezug auf Fremdsprachen und Fremdsprachenunterricht erheben. Um jedoch die Prozessdimension dieser Wahrnehmungen stärker in den Blick zu nehmen, ergibt sich die Notwendigkeit, die vorliegenden Zugänge um den des Unterrichtserlebens zu erweitern. Der Begriff „Unterrichtserlebnis“ wird in verschiedenen Arbeiten zwar immer wieder genannt, jedoch nicht hinreichend definiert. Um eine theoretisch hergeleitete und begründete Konzeptualisierung als Grundlage für die empirische Untersuchung vorzunehmen, rückt Kapitel 3.4 diesen Begriff in den Mittelpunkt. Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit den methodologischen und methodischen Grundlagen der Untersuchung. Das Erkenntnisinteresse und die Forschungsfragen (Kap. 4. 1) legen eine methodologische Verortung der explorativen Fallstudie im qualitativen Forschungsparadigma nahe, die im Kapitel 4.2 begründet wird. An die Beschreibung des Forschungsfeldes, d. h. der teilnehmenden Schulen (Kap. 4. 3), schließt sich eine ausführliche Erläuterung des Forschungsdesigns an, wobei die Methoden der Datenerhebung (Kap. 4. 4) und Datenauswertung (Kap. 4. 5) sowohl theoretisch hergeleitet und betrachtet als auch in ihrer konkreten Umsetzung im Rahmen der Untersuchung dargelegt werden. Die empirischen Ergebnisse der vier Fallanalysen, anhand derer das kollektive (Kap. 5. 1 und 5. 2) sowie individuelle Unterrichtserleben (Kap. 6. 1 und 6. 2) rekonstruiert werden, kommen im Teil III der Arbeit zur Darstellung. Die Fallrekonstruktionen orientieren sich dabei jeweils an fünf für das Unterrichtserleben und die Bezugnahme zum Fach besonders relevanten Passagen bzw. Themen. Diese zeigen, dass in den Daten auch über die Einzelfälle hinweg bestimmte <?page no="18"?> 18 1. Einleitung Muster und Phänomene immer wieder zum Ausdruck kommen. Die fallübergreifende, komparative Ergebnisdarstellung (Kap. 7) greift diese auf, sodass über den Fallvergleich die zentralen, für das Unterrichtserleben der SchülerInnen relevanten Dimensionen herausgearbeitet und unter Einbezug weiterer Fälle des Gesamtsamples illustriert werden. Im abschließenden Kapitel 8 werden die Ergebnisse der Studie vor dem Hintergrund vorliegender Erkenntnisse zur Schülersicht diskutiert und in aktuelle fremdsprachendidaktische Diskurse eingeordnet. In diesem Sinne wird hier auch der Versuch unternommen, Perspektiven, Desiderate und Fragestellungen für zukünftige Anschlussforschung zu eröffnen sowie Implikationen sowohl für die Unterrichtspraxis als auch für die Lehrerbildung abzuleiten. Der letzte Blick in der Arbeit richtet sich „zurück nach vorn“. Mit der Reflexion des Forschungsprozesses (Kap. 8. 2) wird insofern der Versuch unternommen, verschiedene Entscheidungen im Verlauf der Untersuchung einer kritischen Bewertung zu unterziehen und damit gleichzeitig mögliche Fallstricke sowie Lösungsansätze für die weitere Forschung offenzulegen. <?page no="19"?> 2. Zur aktuellen Situation des Französisch- und Spanischunterrichts in Deutschland Die Frage, wie SchülerInnen die beiden zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch lernen, hängt nicht zuletzt davon ab, unter welchen schulischen Voraussetzungen dies geschieht. Insofern sollen zunächst die bildungspolitischen Rahmenbedingungen sowie die Entwicklung der Lernerzahlen betrachtet werden, um die aktuelle Situation des Französisch- und Spanischunterrichts zu beleuchten und damit eine erste Einordnung ihrer Stellung im fremdsprachlichen Fächerkanon vorzunehmen. 2.1 Das Unterrichtsfach Französisch Die sogenannte Krise des Französischunterrichts, wie sie in den zurückliegenden Jahren immer wieder ausgerufen wurde, stellt keineswegs ein Phänomen der 2000er Jahre dar. Bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lassen sich zum Teil deutliche Verluste in Bezug auf die Lernerzahlen feststellen, die nicht zuletzt auf bildungspolitische Entscheidungen und damit einhergehend eine Verschlechterung der Bedingungen des Französischunterrichts zurückzuführen sind. Die folgenden Darstellungen sollen diese Entwicklungen aus einer historischen sowie länderübergreifenden Perspektive skizzieren. 2.1.1 Schulsprachenpolitische Rahmenbedingungen Vergleicht man die Bildungsangebote, Projekte und Initiativen zur Förderung der verschiedenen schulischen Fremdsprachen, ist auf die privilegierte Stellung des Französischen hinzuweisen, die in der 2004 verabschiedeten „Strategie zur Förderung der Partnersprache“ explizit festgehalten wurde (vgl. KMK 2013a: 9). Aufgrund bilateraler Abkommen 2 zwischen den beiden Ländern genießt die Sprache insofern staatliche Unterstützung, als sich die Bundesregierung verpflichtet hat, durch vielfältige Maßnahmen die Zahl der Französischlernenden zu erhöhen. Diese reichen von der Einrichtung deutsch-französischer Kinder- 2 Der Élysée-Vertrag vom 22. Januar 1963 umfasst auf dem Gebiet des Erziehungswesens und der Jugendfragen auch Bemühungen den Sprachunterricht betreffend. Am 22. Januar 2019 wurde dieser mit dem Vertrag von Aachen erneuert. <?page no="20"?> 20 2. Zur aktuellen Situation des Französisch- und Spanischunterrichts in Deutschland gärten und Gymnasien sowie der Möglichkeit, das deutsch-französische Abitur abzulegen, über Aus- und Fortbildungsangebote im Rahmen des deutsch-französischen Lehreraustauschs bis hin zur regelmäßigen Durchführung eines deutsch-französischen Tages an Schulen sowie der im Abstand von zwei bis drei Jahren stattfindenden Treffen zwischen den deutschen Kultusministern, den Recteurs d’Académies und dem französischen Bildungsminister (vgl. KMK 2013a: 4 f.). Die Möglichkeit, über staatlich geförderte schulische und außerschulische Austauschprogramme sehr früh mit der französischen Kultur und Sprache in Kontakt zu kommen, lässt sich insofern als ein Alleinstellungsmerkmal unter den Sprachenfächern hervorheben. Betrachtet man die historische Entwicklung des Französischen als Unterrichtsfach in Deutschland, ist festzuhalten, dass es bereits seit dem 19. Jahrhundert beinahe an allen höheren Schulen flächendeckend unterrichtet wurde und unter allen modernen Fremdsprachen die größten Unterrichtsanteile verzeichnen konnte. Mit der Einführung der freien Fremdsprachenwahl Anfang des 20. Jahrhunderts trat jedoch die englische Sprache in immer stärkere Konkurrenz zur französischen und überholte diese nur wenig später (vgl. Reinfried 2012: 178) - eine Entwicklung, die spätestens mit der Verabschiedung des Düsseldorfer Abkommens der Ministerpräsidenten im Jahr 1955 besiegelt wurde. Das Abkommen regelte die verbindliche Sprachenfolge am Gymnasium. Mit Ausnahme des altsprachlichen Gymnasiums, an dem Latein für den Beginn des Fremdsprachenunterrichts vorgesehen war und erst ab der siebten Jahrgangsstufe eine moderne Fremdsprache folgte, sollte an den anderen beiden gymnasialen Schulformen, dem neusprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium, mit Englisch begonnen werden. 3 Ausnahmeregelungen, die einen Beginn mit Französisch oder Latein als erster Fremdsprache vorsahen, waren nur sehr vereinzelt möglich. Andere moderne Fremdsprachen, z. B. Italienisch, Russisch oder Spanisch, fanden im Düsseldorfer Abkommen keine Erwähnung (vgl. Christ 1991: 103). Verstärkt wurde diese Regelung einige Jahre später im Rahmen des Hamburger Abkommens von 1964, das auch für die Haupt- und Realschulen Englisch als erste Fremdsprache bestimmte 4 . Während also beinahe alle SchülerInnen in 3 Dass sich Fürsprecher des Französischen lange Zeit einzig auf sprachenpolitischer Ebene für eine Gleichberechtigung mit dem Englischen eingesetzt haben, statt „auf Unterrichtserfolge zu verweisen oder die Schönheit und Nützlichkeit der Sprache zu dokumentieren“ (Freudenstein 1997: 102), wird von Kritikern als ein Grund für die Schwächung des Französischunterrichts angenommen. 4 Während heute beinahe 100 % der Schülerschaft Englisch lernen, liegt die Zahl für Französisch an Hauptschulen bundesweit bei unter 1 %, an Realschulen bei ca. 25 % (vgl. Frings 2006a: 157). <?page no="21"?> 2.1 Das Unterrichtsfach Französisch 21 dieser Zeit Englisch lernten und am Gymnasium als zweite Fremdsprache in der Regel Latein gelehrt wurde, erhielten die wenigsten Lernenden Unterricht in einer anderen modernen Fremdsprache. Die Novellierung des Hamburger Abkommens 1971, nach der die erste Fremdsprache eine lebende Fremdsprache oder Latein sein sollte, änderte an dieser Dominanz recht wenig (vgl. ebd.: 102 ff.). Als ein wichtiger Eingriff, der die Entwicklung des Unterrichtsfaches Französisch schon zeitig in hohem Maße beeinflusst hat, muss demnach die bundesweit beinahe flächendeckende Verbreitung des Englischen als erste Fremdsprache ausgemacht werden (vgl. u. a. Meißner 1992). Die Einführung der reformierten Oberstufe Anfang der 1970er Jahre (vgl. u. a. Klenner 1975; Keller 1977; Christ 1978), die damit verbundene Erweiterung des Sprachenangebots bei gleichzeitiger Reduzierung des Stundenkontingents 5 sowie die weitgehende Wahlfreiheit von Fächern in der Oberstufe brachten für die Fremdsprachen Einbußen zugunsten der Fächer Biologie und Gesellschaftswissenschaften (Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde) mit sich (vgl. Keller 1977: 21), mehr Konkurrenz zwischen den Sprachen sowie für das Fach Französisch einen Verlust von etwa einem Drittel der Lernerschaft in der gymnasialen Oberstufe (vgl. Christ 1991: 107). Und obwohl die Überlegungen zu einem Grundkonzept für den Fremdsprachenunterricht (KMK 1994: 40) für möglichst viele SchülerInnen Anreize und Möglichkeiten schaffen sollten, zwei, drei oder mehr Fremdsprachen zu erlernen, ergibt sich spätestens seit dem Schuljahr 2004/ 05 ein deutliches Mehr an Lernzeit zugunsten des Faches Englisch, nachdem in allen Bundesländern schrittweise die erste Fremdsprache ab der dritten Jahrgangsstufe mit in der Regel zwei Wochenstunden in das obligatorische Fächerangebot aufgenommen wurde 6 . SchülerInnen, für die sich nach der Primarstufe eine acht- oder neunjährige Schullaufbahn am Gymnasium anschließt, genießen so in der Regel zwischen acht und zehn oder mehr Jahre Englischunterricht, während sich für den Französischunterricht ein langfristiger Trend abzeichnet, Einsparungen an den Stundentafeln vorzunehmen (vgl. Reinfried 2008: 150) und das Fach häufig nach vier oder fünf Jahren wieder abgewählt werden kann. Dieses auf die Lernzeit bezogene Übergewicht wird noch verstärkt, betrachtet man bei einem Vergleich beider Sprachen die für MuttersprachlerInnen des Deutschen vermeintlich höhere Lernökonomie des Englischen, die zugleich eine schnellere Kommunikationsfähigkeit erlaubt. Dass Französisch schwer erlernbar erscheint (vgl. Reinfried 2008: 150), wird also nicht zuletzt dadurch begünstigt, dass es unter weniger optimalen Bedingungen als die erste Fremdsprache 5 In den Grundkursen wurden die Wochenstunden auf drei, in der Oberstufe am neusprachlichen Gymnasium auf vier bis fünf Stunden reduziert (vgl. Reinfried 2012: 181). 6 In sechs Bundesländern beginnt der Fremdsprachenunterricht verpflichtend sogar ab der ersten Klasse (vgl. KMK 2013b: 5). <?page no="22"?> 22 2. Zur aktuellen Situation des Französisch- und Spanischunterrichts in Deutschland Englisch unterrichtet wird, zumal Kinder häufig „grammatische Kategorienbildung erst am Gegenstand der 2. Fremdsprache - nicht oder weniger an der Muttersprache - kennen[lernen]“ (Meißner 1997: 19). Zwar existiert in allen Bundesländern die Möglichkeit, Französisch - als einzige obligatorische Fremdsprache neben Englisch - bereits in der Grundschule zu belegen 7 . Dennoch wird dem Übergewicht des Englischen sprachenpolitisch nach wie vor wenig entgegengesetzt und so bleibt darauf zu verweisen, was Christ bereits vor beinahe vierzig Jahren konstatiert: Eine wirkungsvolle Diversifizierung des Fremdsprachenunterrichts ist allerdings nur dann durchführbar, wenn eine Bewußtseinsänderung in der Öffentlichkeit stattfindet, wenn die Betroffenen davon überzeugt werden, daß Diversifikation des Fremdsprachenunterrichts sinnvoll ist. (Christ 1980: 205) 2.1.2 Entwicklung der Lernerkontingente Als erste, zweite oder dritte Fremdsprache stellt Französisch nach Englisch das Fremdsprachenfach mit den meisten Lernenden (vgl. KMK 2013a: 12). Betrachtet man die jährlich erscheinenden Zahlen des Statistischen Bundesamtes der letzten Jahre für Französisch (vgl. Abb. 1), so ist festzustellen, dass die Bedeutung des Faches - gemessen am Zuwachs der Lernerzahlen - scheinbar insgesamt zugenommen hat. Der Anteil der SchülerInnen, die Französisch lernen, ist an allgemeinbildenden Schulen von 16,9 % im Schuljahr 2003/ 04 auf 18,5 % im Schuljahr 2013/ 14 gestiegen. Im Jahr 2009/ 10 belegten insgesamt sogar 1.694.173 SchülerInnen das Fach Französisch, was einem Anteil von 19 % entspricht. Dieser Zuwachs ist vor allem durch die gestiegenen Lernerzahlen in der Sekundarstufe I an Gymnasien zu erklären (vgl. KMK 2013a: 15). 7 Im Saarland ist seit dem Schuljahr 1992/ 93 in den Jahrgangsstufen 3 und 4 Französisch flächendeckend Pflichtfach, in Baden-Württemberg wird seit dem Schuljahr 2003/ 04 in den Grundschulen am Oberrhein flächendeckend Französisch ab der ersten Jahrgangsstufe unterrichtet. In Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen können Grundschulen Französischunterricht als Alternative zu Englisch anbieten. In den übrigen Ländern kann Französisch ergänzend zur Pflichtfremdsprache Englisch in der Grundschule angeboten werden (vgl. KMK 2013a: 12). <?page no="23"?> 2.1 Das Unterrichtsfach Französisch 23 Abbildung 1: Entwicklung der Lernerzahlen für das Fach Französisch an allgemeinbildenden Schulen in Prozent 1 Abbildung 2: Vergleich der prozentualen Lernerzahlen für das Fach Französisch an Gymnasien nach Jahrgangsstufen in den Schuljahren 2004/ 05 und 2013/ 14 (G8/ G9) Schuljahr 2004/ 05 05/ 06 06/ 07 07/ 08 08/ 09 09/ 10 10/ 11 11/ 12 12/ 13 13/ 14 SuS Sek II Gym. ges. 701.644 732.643 758.478 767.472 851.678 895.812 953.999 916.224 894.175 869.454 SuS Sek II Gym. Frz. 254.325 254.093 250.049 242.339 282.314 284.995 290.967 281.102 271.816 261.182 SuS Sek II Gym. Frz. in % 36,2 34,7 33,0 31,6 33,1 31,8 30,5 30,7 30,4 30,0 Tabelle 1: Entwicklung der Lernerzahlen für das Fach Französisch in der Sekundarstufe II an Gymnasien 1 Die nachfolgenden Abbildungen und Tabellen beziehen sich, so nicht anders gekennzeichnet, auf die jährlich veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 11: Bildung und Kultur - Reihe 1: Allgemeinbildende Schulen) und können auf den Seiten von Destatis entnommen und nachvollzogen werden (vgl. Statistisches Bundesamt 2003-2014a). Einbezogen wurden jeweils die statistischen Zahlen der letzten 10- 15 Jahre vor Beginn der Datenerhebung. 16,92 17,69 17,91 18,81 18,48 18,84 19,02 18,76 18,82 18,69 18,48 2003/ 04 2004/ 05 2005/ 06 2006/ 07 2007/ 08 2008/ 09 2009/ 10 2010/ 11 2011/ 12 2012/ 13 2013/ 14 16,92 17,69 17,91 18,81 18,48 18,84 19,02 18,76 18,82 18,69 18,48 2003/ 04 2004/ 05 2005/ 06 2006/ 07 2007/ 08 2008/ 09 2009/ 10 2010/ 11 2011/ 12 2012/ 13 2013/ 14 Abbildung 1: Entwicklung der Lernerzahlen für das Fach Französisch an allgemeinbildenden Schulen in Prozent 8 Am Gymnasium wird Französisch in allen Bundesländern traditionell als zweite Fremdsprache ab der sechsten oder siebten Klasse unterrichtet, kann aber gleichermaßen auch als dritte Fremdsprache ab der Jahrgangsstufe 8 bzw. 9 angeboten werden. 9 Immer häufiger wird die Möglichkeit wahrgenommen, Französisch als zweite oder gar erste Fremdsprache bereits ab Klasse 5 zu lernen (vgl. ebd.: 13). Waren es im Schuljahr 2004/ 05 noch 4,4 % (12.307 SchülerInnen), die Französisch am Gymnasium ab der Klassenstufe 5 lernten, stieg die Zahl bis zum Schuljahr 2013/ 14 auf 6,05 % (16.818 Lernende). In der Jahrgangsstufe 6 erhöhte sich die Zahl sogar um 31 % von 54.947 (20,58 %) auf 142.750 Lernende (51,38 %) (vgl. Abb. 2). 8 Die nachfolgenden Abbildungen und Tabellen beziehen sich, so nicht anders gekennzeichnet, auf die jährlich veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 11: Bildung und Kultur - Reihe 1: Allgemeinbildende Schulen). Sie können auf den Seiten von Destatis entnommen und nachvollzogen werden (vgl. Statistisches Bundesamt 2003-2014a). Einbezogen wurden jeweils die statistischen Zahlen der letzten 10-15 Jahre vor Beginn der Datenerhebung. 9 Da die empirischen Daten im Rahmen der vorliegenden Untersuchung allesamt an Gymnasien erhoben wurden und damit den Forschungskontext markieren, beschränken sich die nachfolgenden Darstellungen weitgehend auf den gymnasialen Bildungsgang. Auf die Wahl- und Abwahl-möglichkeiten der anderen Schulformen, wie Gesamt-, Real und Hauptschulen, wird daher verzichtet. <?page no="24"?> 24 2. Zur aktuellen Situation des Französisch- und Spanischunterrichts in Deutschland Abbildung 1: Entwicklung der Lernerzahlen für das Fach Französisch an allgemeinbildenden Schulen in Prozent 1 Abbildung 2: Vergleich der prozentualen Lernerzahlen für das Fach Französisch an Gymnasien nach Jahrgangsstufen in den Schuljahren 2004/ 05 und 2013/ 14 (G8/ G9) Schuljahr 2004/ 05 05/ 06 06/ 07 07/ 08 08/ 09 09/ 10 10/ 11 11/ 12 12/ 13 13/ 14 SuS Sek II Gym. ges. 701.644 732.643 758.478 767.472 851.678 895.812 953.999 916.224 894.175 869.454 SuS Sek II Gym. Frz. 254.325 254.093 250.049 242.339 282.314 284.995 290.967 281.102 271.816 261.182 SuS Sek II Gym. Frz. in % 36,2 34,7 33,0 31,6 33,1 31,8 30,5 30,7 30,4 30,0 Tabelle 1: Entwicklung der Lernerzahlen für das Fach Französisch in der Sekundarstufe II an Gymnasien 1 Die nachfolgenden Abbildungen und Tabellen beziehen sich, so nicht anders gekennzeichnet, auf die jährlich veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 11: Bildung und Kultur - Reihe 1: Allgemeinbildende Schulen) und können auf den Seiten von Destatis entnommen und nachvollzogen werden (vgl. Statistisches Bundesamt 2003-2014a). Einbezogen wurden jeweils die statistischen Zahlen der letzten 10- 15 Jahre vor Beginn der Datenerhebung. 16,92 17,69 17,91 18,81 18,48 18,84 19,02 18,76 18,82 18,69 18,48 2003/ 04 2004/ 05 2005/ 06 2006/ 07 2007/ 08 2008/ 09 2009/ 10 2010/ 11 2011/ 12 2012/ 13 2013/ 14 16,92 17,69 17,91 18,81 18,48 18,84 19,02 18,76 18,82 18,69 18,48 2003/ 04 2004/ 05 2005/ 06 2006/ 07 2007/ 08 2008/ 09 2009/ 10 2010/ 11 2011/ 12 2012/ 13 2013/ 14 Abbildung 2: Vergleich der prozentualen Lernerzahlen für das Fach Französisch an Gymnasien nach Jahrgangsstufen in den Schuljahren 2004/ 05 und 2013/ 14 (G8/ G9) Während im Bereich der Sekundarstufe I bis zur achten Jahrgangsstufe zwischen den Schuljahren 2004/ 05 und 2013/ 14 ein konstanter Anstieg zu verzeichnen ist, stagniert der Anteil der Französischlernenden 2013/ 14 in Klasse 9 bei ca. 59 %. Dies entspricht einem Rückgang von 8,8 % im Vergleich zum Jahr 2004/ 05, was sehr wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass Französisch seltener als dritte Fremdsprache nach Englisch und Latein gewählt wird. Der Französischunterricht in der Sekundarstufe II bildet in aller Regel eine Fortführung des in der Sekundarstufe I begonnenen Unterrichts in Form von Grund- und Leistungskursen bzw. in Kursen auf grundlegendem und erhöhtem Anforderungsniveau 10 . Hier lässt die Grafik (Abb. 2) jedoch einen drastischen Negativtrend erkennen. Der Rückgang der Lernerzahlen verschiebt sich zwar zwischen den beiden ausgewählten Schuljahren von der elften in die zehnte Jahrgangsstufe, was im Zusammenhang mit der Umstellung von G9auf G8-Jahrgänge in zahlreichen Bundesländern zu interpretieren sein dürfte. Dennoch wird das Fach Französisch nach Beendigung der Sekundarstufe I in der gymnasialen Oberstufe immer häufiger abgewählt - ein Trend, der im Vergleich der beiden Schuljahre noch zugenommen hat (vgl. Abb. 2). Ein Blick auf die Daten in der nachfolgenden Tabelle, die die bundesweite Entwicklung der Lernerzahlen innerhalb von zehn Jahren (2004/ 05-2013/ 14) auflistet, bestätigt das zunehmende Abwahlverhalten der SchülerInnen. Mit Ausnahme eines kurzen Zwischenhochs von 33,1 % im Schuljahr 2008/ 09, das 10 Ausnahmen ergeben sich bei Lernenden, die beim Eintritt in die Oberstufe noch keine zweite Fremdsprache nachweisen können, sodass in einigen Ländern „Französisch in der Einführungsphase auch als neu einsetzende Zweite oder Dritte Fremdsprache angeboten“ (KMK 2013a: 14) wird. <?page no="25"?> 2.2 Das Unterrichtsfach Spanisch 25 sich möglicherweise auf einen sogenannte Doppeljahrgang im Saarland - in dem das Französische insgesamt einen besonders hohen Stellenwert genießt - zurückführen lässt, fallen die Belegzahlen in der Sekundarstufe II stetig ab. Schuljahr 2004/ 05 05/ 06 06/ 07 07/ 08 08/ 09 09/ 10 10/ 11 11/ 12 12/ 13 13/ 14 SuS Sek II Gym. ges. 701.644 732.643 758.478 767.472 851.678 895.812 953.999 916.224 894.175 869.454 SuS Sek II Gym. Frz. 254.325 254.093 250.049 242.339 282.314 284.995 290.967 281.102 271.816 261.182 SuS Sek II Gym. Frz. in % 36,2 34,7 33,0 31,6 33,1 31,8 30,5 30,7 30,4 30,0 Tabelle 1: Entwicklung der Lernerzahlen für das Fach Französisch in der Sekundarstufe II an Gymnasien Es bleibt also zu konstatieren, dass das Fach von den SchülerInnen der Sekundarstufe II weiterhin aus den Stundenplänen gestrichen wird, sobald die erforderliche Anzahl an Mindest-Lernjahren erfüllt ist. Darüber hinaus lassen sich u. U. mit einer neu beginnenden Fremdsprache in der Oberstufe bessere Noten erzielen - ein Umstand, der die Abwahl der zweiten Fremdsprache am Ende der Sekundarstufe I noch attraktiver machen dürfte. Bevor genauer mögliche Gründe für das Abwahlverhalten erläutert sowie entsprechende Forschungsarbeiten vorgestellt werden, soll zunächst in Form einer kontrastierenden Darstellung die aktuelle Situation des Unterrichtsfaches Spanisch in den Blick genommen werden. 2.2 Das Unterrichtsfach Spanisch Schenkt man den Reden um den vermeintlichen Boom des Unterrichtsfaches Spanisch und dem Klagen so manch besorgter Französischlehrkraft Glauben, könnte man meinen, eine Welle des Spanischen erfasse derzeit die schulische Fremdsprachenlandschaft und würde dem Französischen als zweiter Fremdsprache den Rang ablaufen. Und auch in der fachwissenschaftlichen Diskussion bildet sich dieser vermeintliche Hype ab, wenn dort bspw. der „Virus der Hispanophilie“ beschworen wird (vgl. u. a. Bernecker 2006; Bär 2012). Doch rein statistisch betrachtet, fällt das Fach Spanisch an Gymnasien weit hinter Englisch, Französisch und Latein zurück. Der nachfolgende Blick auf die schulsprachen- <?page no="26"?> 26 2. Zur aktuellen Situation des Französisch- und Spanischunterrichts in Deutschland politischen Rahmenbedingungen und die Entwicklung der Lernerzahlen soll helfen, die aktuelle Situation des Faches besser einzuordnen. 2.2.1 Schulsprachenpolitische Rahmenbedingungen Ohne Zweifel hat die Attraktivität der spanischen Sprache in den vergangenen Jahren zu einem Aufschwung und einer damit verbunden höheren Nachfrage, Spanisch zu lernen, geführt. Als Weltsprache neben Englisch, Chinesisch und Hindi öffnet ihre Beherrschung Kontaktmöglichkeiten zu einer Vielzahl an SprecherInnen und „deckt in politischer, wirtschaftlicher, literarischer und kultureller Hinsicht ein breites Interessenspektrum ab“ (Weller 1995: 635). Zudem gilt Spanisch als eine Sprache, die im Anfangsunterricht eine schnelle Progression und Lernerfolge ermöglicht (vgl. Christ 2004: 75), sodass ihre steigende Beliebtheit keineswegs verwundert. Dennoch stand die Einführung und Entwicklung des Unterrichtsfaches unter ganz anderen Vorzeichen als die des Französischen und blickt vergleichsweise auf eine eher kurze Tradition zurück. Erst mit dem Ende des Ersten Weltkrieges rückte das Spanische als Weltsprache ins Bewusstsein der Deutschen. Aufgrund sich intensivierender Beziehungen zu den spanischsprachigen Ländern sowie der wirtschaftlichen Entwicklung Lateinamerikas stieg auch das Interesse am Erlernen der spanischen Sprache. Im Unterschied zum Französischen richtete sich der Fokus jedoch von Beginn an vor allem auf den praktischen Gebrauch: „Man lernt Spanisch nicht zum Zwecke philologischer Studien, sondern zur Erreichung von Sprachkenntnissen für die spätere Tätigkeit als Kaufmann, Fabrikant, Ingenieur usw.“ (Steinhilb 1985: 38) An Schulen spielte das Spanische im Fächerkanon zunächst keine Rolle. Im Jahr 1919 an einigen preußischen Schulen mit nur wenigen Wochenstunden als Wahlfach eingeführt (vgl. ebd.: 47 f.), wurde die Sprache nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an deutschen Schulen wieder abgeschafft. Implementiert wurden lediglich die Fremdsprachen Englisch und Französisch im Westen sowie Russisch in Ostdeutschland. Während dann die Reform der gymnasialen Oberstufe in den 1970er Jahren für den Französischunterricht eine deutliche Schwächung bedeutete, verhalf sie der Fremdsprache Spanisch schließlich zu ihrem Platz an deutschen Schulen (vgl. Christ 2003: 14). Dennoch verliefen die Anfänge des Spanischunterrichts eher schleppend - nicht zuletzt wegen der im Spanien der 1960er und 1970er Jahre anhaltenden Franco-Diktatur und einem damit verbundenen Negativ-Image der spanischen Sprache (vgl. Steinhilb 1985: 51 ff.). Im Gegensatz zur staatlich unterstützten Einrichtung und Förderung des Französischunterrichts lässt sich die Einführung des Unterrichtsfaches Spanisch vor allem auf die Bemühungen des im Rahmen des 1970 stattfindenden Philo- <?page no="27"?> 2.2 Das Unterrichtsfach Spanisch 27 logentages gegründeten Deutschen Spanischlehrerverbandes (DSV) (vgl. Bernecker 2006: 155) zurückführen, der u. a. „[d]ie Einführung des Spanischen als 2. und 3. Wahlpflichtfremdsprache in der 7. und 9. Klasse der Gymnasien und Gesamtschulen“ (Steinhilb 1985: 86) forderte. Begleitet wurden diese Bestrebungen jedoch von einer allgemeinen Kritik, „den Fremdsprachenunterricht mit dem Argument wieder zu beschneiden, er sei ein Selektionsinstrument, das gebildete Kreise privilegiere und Chancengleichheit verhindere“ (Bernecker 2006: 156). Wenngleich diese Schwierigkeiten alle Fremdsprachen gleichermaßen betrafen, galten sie jedoch besonders für Spanisch und Französisch, weil „sich eine weitverbreitete Kritik gegen die zweite Fremdsprache als Voraussetzung für das Normalabitur richtete“ (ebd.). Die Veränderungen im Zuge der Neugestaltung der Oberstufe erschwerten in den 1990er Jahren die Bedingungen des Spanischunterrichts aufgrund administrativer Vorgaben erneut. Diese betrafen u. a. „Festlegungen von Mindestzahlen für Lerngruppen […], Bestimmungen hinsichtlich des Lateinunterrichts bei gleichzeitiger Einschränkung der Zahl der Wochenstunden [sowie] den Leistungskurs Spanisch, der nur noch in einer begrenzten Zahl von Kombinationen möglich sein sollte“ (ebd.). Die im Verlauf der darauffolgenden Jahre sukzessive Vorverlegung der ersten und zweiten Fremdsprache sowie die bereits angesprochene Attraktivität der Sprache zusammen mit dem Einsatz des Deutschen Spanischlehrerverbandes und anderer Interessensverbände haben jedoch letztlich auch den Stellenwert des Spanischen gestärkt. Als schulische Fremdsprache kann Spanisch traditionell als „klassische“ Tertiärsprache - also dritte oder vierte Schulfremdsprache - hinter Englisch, Französisch und/ oder Latein bezeichnet werden. So ist das Erlernen der spanischen Sprache in der Grundschule in keinem Bundesland für den obligatorischen Fremdsprachenunterricht vorgesehen. Es bestehen aber fakultative Angebote in Form von Arbeitsgemeinschaften sowie die Möglichkeit bilingualen Unterrichts ab der ersten Klasse an ausgewählten Grundschulstandorten (vgl. Michel 2006: 29). 11 In der Vergangenheit wurde Spanisch zumeist erst ab der Klassenstufe 8 (G8- Jahrgang) bzw. 9 (G9-Jahrgang) oder als spät einsetzende Fremdsprache in der Oberstufe gewählt. Dass das Fach jedoch immer häufiger als zweite Fremdspra- 11 In Hessen sind für den fakultativen herkunftssprachlichen Unterricht (z. B. Spanisch) zusätzlich zur ersten Fremdsprache ein bis zwei Wochenstunden vorgesehen. Bilinguale Angebote existieren an zwei Schulen ab Klasse 1. Voraussetzung dafür ist, dass sich die Lerngruppe aus 50 % SchülerInnen mit Muttersprache und 50 % aus Kindern mit Deutsch als Muttersprache zusammensetzen muss. (vgl. KMK 2013a: 39 ff.) <?page no="28"?> 28 2. Zur aktuellen Situation des Französisch- und Spanischunterrichts in Deutschland che ab Klasse 5, 6 oder 7 12 gewählt wird, hat auch weitreichende Konsequenzen für den Bedarf an Lehrkräften. So hat die Nachfrage nach Spanisch an deutschen Schulen und die dadurch entstandene „Versorgungslücke“ auch zu steigenden Studierendenzahlen geführt. Immer mehr StudienanfängerInnen entscheiden sich - vor allem im Gymnasialbereich - für ein Lehramtsstudium mit dem Fach Spanisch (vgl. Weiß et al. 2011: 9). Dieser „Aufstieg“ von einer dritten zur zweiten Fremdsprache verändert seine Rolle im fremdsprachlichen Fächerkanon „von der Zielsprache zur Brückensprache “ (Bär 2012: 246, Hervorh. im Orig.) bzw. „von einer Nehmersprache zu einer Gebersprache“ (ebd.). Während das Spanische in dritter Position bislang auf Vorkenntnisse in den vorgelernten Fremdsprachen Englisch und Französisch zurückgreifen konnte, kommt ihm nun als erste romanische Sprache nach Englisch zunehmend die Verantwortung zu, im Sinne der Mehrsprachigkeitsdidaktik auf das vergleichende Lernen weiterer (romanischer) Fremdsprachen vorzubereiten und motivationale Voraussetzungen zu schaffen, die sowohl für das Fach Spanisch als auch für eine mögliche dritte oder vierte Fremdsprache lernförderlich wirken. Dass Spanisch immer häufiger in den Stand der zweiten Fremdsprachen erhoben wird, bleibt nicht folgenlos für das Verhältnis zu seiner romanischen Nachbarsprache Französisch und hat in der Vergangenheit zu einem wachsenden Konkurrenzdenken zwischen Vertretern beider Fächer geführt (vgl. u. a. Weller 1995: 635). Die steigende Beliebtheit des Spanischen gehe - so die Befürchtungen der frankophilen Vertreter - auf Kosten des Französischen, dessen Prestige - bis in die 1980er Jahre weit über dem des Spanischen liegend - in der Öffentlichkeit zusehends abnehme (vgl. Caspari & Rössler 2008: 62 ff.). Ob und inwieweit tatsächlich von einer solchen Konkurrenz zwischen Französisch und Spanisch auszugehen ist, soll ein genauerer Blick auf die Entwicklung der Belegzahlen klären. 2.2.2 Entwicklung der Lernerkontingente Lernten im Schuljahr 2014/ 15 mehr als 7,4 Millionen SchülerInnen Englisch, was einem Anteil von 86,9 % an allgemeinbildenden Schulen entspricht, waren es für das Fach Französisch immerhin 18,4 % (ca. 1,5 Millionen Lernende), gefolgt von Latein mit 8,2 %. Nur knapp 5 % (404.183 SchülerInnen) belegten das Fach Spanisch (vgl. Tab. 2). 12 Einzig in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und dem Saarland kann Spanisch nicht als zweite Fremdsprache gewählt werden. <?page no="29"?> 2.2 Das Unterrichtsfach Spanisch 29 Anzahl (absolut) Anteil in % 2004/ 05 2014/ 15 2004/ 05 2014/ 15 Englisch 7.477.881 7.274.027 77,7 86,9 Französisch 1.702.243 1.535.600 17,7 18,4 Latein 739.570 688.625 7,7 8,2 Spanisch 213.357 404.183 2,2 4,8 Tabelle 2: SchülerInnen nach ausgewählten erlernten Fremdsprachen in den Schuljahren 2004/ 05 und 2014/ 15 an allgemeinbildenden Schulen (Statistisches Bundesamt 2016: 21) Wie lässt sich angesichts dieser Verteilung und des deutlichen Rückstandes der Belegzahlen nun der (vermeintliche) Boom des Spanischen erklären? Betrachtet man die in der Grafik dargestellten Zuwachsraten für das Fach Spanisch, wird deutlich, dass sich die prozentualen Lernerzahlen zwischen den Schuljahren 2004/ 05 und 2014/ 15 von 2,2 % auf 4,8 % mehr als verdoppelt haben (vgl. Tab. 2). Bei einem Blick auf die absoluten Zahlen sind für das Fach Spanisch im Vergleich zu den Sprachenfächern Englisch, Französisch und Latein jedoch die geringsten Lernerzahlen festzustellen, sodass es eben weniger die absoluten als vielmehr die prozentualen Werte sind, die dieses Wachstum ausmachen. Bär spricht insofern nicht zu Unrecht relativierend von einem „Boom der prozentualen Werte“ (Bär 2012: 241). Dennoch macht sich der Aufschwung des Faches Spanisch gegenüber Französisch in der Sekundarstufe II besonders bemerkbar. Musste das Französische innerhalb von zehn Jahren einen Verlust an Lernenden von 6,2 % hinnehmen, konnte der Fremdsprachenunterricht Spanisch um beinahe 5 % zulegen (vgl. Abb. 3). Dies dürfte nicht zuletzt an seiner zunehmenden Bedeutung als neu einsetzende Fremdsprache in der Oberstufe liegen. <?page no="30"?> 30 2. Zur aktuellen Situation des Französisch- und Spanischunterrichts in Deutschland Abbildung 3: Entwicklung der Lernerzahlen für Französisch und Spanisch in der Sekundarstufe II an Gymnasien in Prozent 36,2 34,7 33 31,6 33,1 31,8 30,5 30,7 30,4 30 13,2 14,6 14,9 15,6 16,9 17,5 17,8 18,2 18,3 18,1 2004/ 05 2005/ 06 2006/ 07 2007/ 08 2008/ 09 2009/ 10 2010/ 11 2011/ 12 2012/ 13 2013/ 14 Französisch Spanisch Anzahl (absolut) Anteil in % 2004/ 05 2014/ 15 2004/ 05 2014/ 15 Englisch 7.477.881 7.274.027 77,7 86,9 Französisch 1.702.243 1.535.600 17,7 18,4 Latein 739.570 688.625 7,7 8,2 Spanisch 213.357 404.183 2,2 4,8 Tabelle 2: SchülerInnen nach ausgewählten erlernten Fremdsprachen in den Schuljahren 2004/ 05 und 2014/ 15 an allgemeinbildenden Schulen (Statistisches Bundesamt 2016: 21) Abbildung 3: Entwicklung der Lernerzahlen für Französisch und Spanisch in der Sekundarstufe II an Gymnasien in Prozent Dass das Fach Spanisch auch über alle Jahrgangsstufen hinweg steigende Belegzahlen vorweisen kann, verdeutlicht die nachfolgende Grafik, die einen Vergleich der Lernerzahlen zwischen den Schuljahren 2004/ 05 und 2013/ 14 abbildet. Auch die bereits angesprochene zunehmende Bedeutung des Faches als zweite Fremdsprache lässt sich anhand der Werte ablesen. So stieg bspw. die Zahl der Spanischlernenden in Klasse 6 von 3.277 (1,23 %) im Schuljahr 2004/ 05 beinahe um das Fünffache auf 15.904 (5,72 %) im Schuljahr 2013/ 14 (vgl. Abb. 4). Spanisch wird nicht nur immer häufiger, sondern auch immer früher gewählt. <?page no="31"?> 2.3 Standortbestimmung: Französisch und Spanisch am Ende der Sekundarstufe I 31 Abbildung 4: Vergleich der prozentualen Lernerzahlen für das Fach Spanisch an Gymnasien nach Jahrgangsstufen in den Schuljahren 2004/ 05 und 2013/ 14 (G8/ G9) Anzahl der Nennungen Gründe für die Abwahl des Faches Französisch 257 schlechte Zensuren / schlechte Leistungen / Wissenslücken / bin nicht so gut / komme nicht gut zurecht 224 Französisch ist (zu) schwer 172 schlechter Unterricht / schlechte Vermittlung / Unterricht macht keinen Spaß / mag das Fach nicht / Unterricht interessiert mich nicht / Unterricht ist langweilig / schlechte Lehrer 65 ziehe Englisch vor / Englisch ist wichtiger / Englisch ist Weltsprache / Englisch ist leichter 40 sprachlich nicht begabt 36 wähle nichtsprachliche Fächer / ziehe naturwissenschaftliche Fächer vor 33 ziehe Spanisch vor / Spanisch ist wichtiger 31 Ablehnung gegenüber Franzosen und der Sprache Tabelle 3: Gründe für die Abwahl des Faches Französisch (Bittner 2003: 343) 5 6 7 8 9 10/ E 11/ Q1 12/ Q2 13 2004/ 05 0,09% 1,23% 2,22% 2,85% 9,28% 8,49% 16,38% 11,50% 10,35% 2013/ 14 (G8 & G9) 0,47% 5,72% 6,87% 14,96% 15,82% 23,47% 16,67% 14,93% 12,17% 0,00% 5,00% 10,00% 15,00% 20,00% 25,00% Abbildung 4: Vergleich der prozentualen Lernerzahlen für das Fach Spanisch an Gymnasien nach Jahrgangsstufen in den Schuljahren 2004/ 05 und 2013/ 14 (G8/ G9) Auch als dritte bzw. neu einsetzende Fremdsprache kann das Fach Spanisch im Vergleich zu Französisch deutlich zulegen, wie die Zahlen belegen. Dennoch lassen sich in der Sekundarstufe II gleichermaßen Abwahltendenzen beobachten. Und auch wenn sich der Höchstwert im Schuljahr 2013/ 14 (23,47 %) im Vergleich zum Schuljahr 2004/ 05 (16,38 % in der Jahrgangsstufe 11) um ein Jahr nach vorne in die Jahrgangsstufe 10 verschiebt, sind die rückläufigen Lernerzahlen gleichermaßen alarmierend. Dabei unterscheiden die Statistiken nicht zwischen den SchülerInnen, die das Fach als fortgeführte Fremdsprache lernen, und denen, die es als neu einsetzende Fremdsprache belegen. Es muss also davon ausgegangen werden, dass die Abwahlzahlen für Spanisch als zweite Fremdsprache in der Realität noch höher sind. 2.3 Standortbestimmung: Französisch und Spanisch am Ende der Sekundarstufe I Der Blick auf die bildungspolitischen Rahmenbedingungen der Fremdsprachen Französisch und Spanisch sowie auf die Entwicklung ihrer Lernerkontingente erlaubt eine erste Standortbestimmung der beiden Fächer. Es kann festgehalten werden, dass die Obligatorik und die Vorverlegung der zweiten Fremdsprache mit einem Beginn ab Klasse 5 bzw. 6 am Gymnasium insgesamt zu einer Stärkung des Französisch- und Spanischunterrichts geführt haben, sodass mitnich- <?page no="32"?> 32 2. Zur aktuellen Situation des Französisch- und Spanischunterrichts in Deutschland ten von einer Krise die Rede sein kann. Die insgesamt steigenden Lernerzahlen für beide Sprachen zeichnen ein überwiegend positives Bild. Neben dem Englischen, das unverändert und unangefochten die stärkste Position unter den fremdsprachlichen Fächern einnimmt, scheinen Französisch und Spanisch jedoch nur schwer zu bestehen. Trotz der Modifikation des Hamburger Abkommens 1971, nach welcher alle lebendigen Fremdsprachen als erste Fremdsprache denkbar und möglich wären, verstetigt sich die Dominanz des Englischen als lingua franca . Die Tatsache, dass nur an einer Schulform, dem Gymnasium, überhaupt zwei Fremdsprachen verbindlich gelernt werden müssen, befördert diese Dominanz zusätzlich und sorgt für eine große Konkurrenz unter den übrigen Schulfremdsprachen (vgl. Bär 2017: 89). Während sich dieses ungleiche Kräfteverhältnis in der Sekundarstufe I noch weniger bemerkbar macht und die Lernerzahlen in den vergangenen Jahren hier insgesamt relativ stabil geblieben sind, muss für die gymnasiale Oberstufe konstatiert werden, dass die bestehenden Wahl- und Abwahlmöglichkeiten vor allem in der Sekundarstufe II zu einem erheblichen Einbruch der Belegzahlen führen. Dies betrifft Französisch und Spanisch gleichermaßen, sodass Bär (ebd.: 93) gar von „einem langsamen (aber ziemlich sicheren) Aussterben der zweiten Fremdsprache(n) in der gymnasialen Oberstufe“ spricht. So zeigt u. a. das Beispiel Hessen, dass nur diejenigen SchülerInnen in der Sekundarstufe II (Qualifikationsphase) eine zweite Fremdsprache belegen müssen, die keine zweite Naturwissenschaft oder Informatik wählen. Dabei muss diese zweite Fremdsprache nicht der entsprechen, die in der Sekundarstufe I gelernt wurde. Auch eine neu einsetzende Fremdsprache kann in der Jahrgangsstufe 11 hinzugenommen werden (vgl. Martinez 2005: 65 f.), was vor allem ein Argument für Lernende mit schlechteren Leistungen in der bisherigen zweiten Fremdsprache bilden dürfte. Als ein wesentlicher Faktor zur Erklärung der hohen Abwahlraten - Hessen steht an dieser Stelle stellvertretend für eine bundesweit verbreitete Praxis - müssen daher die fächerbezogenen Kombinationsmöglichkeiten in der Oberstufe herangezogen werden. Die Fortführung eines Faches ist eng an die bislang erzielten sowie die in der Sekundarstufe II zu erwartenden Leistungen, und damit vor allem Noten geknüpft. Im Zweifel bedeutet eine schlechte Note am Ende der Klasse 10 bzw. 11 im Fach Französisch oder Spanisch also auch das Ende für das Erlernen dieser Fremdsprachen - unabhängig davon, ob das fachliche Interesse möglicherweise höher ist als an den alternativ zur Wahl stehenden Naturwissenschaften oder einer neuen Fremdsprache. Auch Überlegungen im Zuge der Diskussion um die Rückkehr von G8 zu G9, dass „in der gymnasialen Oberstufe ggf. nicht mehr zwei Fremdsprachen von den Schülerinnen und Schülern belegt werden müssen, sofern die Pflichtzeit bereits im Sekundarbereich I erfüllt <?page no="33"?> 2.3 Standortbestimmung: Französisch und Spanisch am Ende der Sekundarstufe I 33 worden ist“ (Bär 2017: 91), schwächen die Position der zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch und erschweren deren Weiterlernen zusätzlich. Obwohl die Regelung, zwei moderne Fremdsprachen bis zum Abitur zu belegen, längst sprachenpolitische Realität an deutschen Schulen sein könnte, besteht in vielen Bundesländern nach wie vor die Möglichkeit fort, auch ohne zweite Fremdsprache in der Oberstufe das Abitur abzulegen. Mit der Begründung, die Anforderungen in der gymnasialen Oberstufe senken zu wollen, schaffte zuletzt das Bundesland Sachsen die verpflichtende zweite Fremdsprache ab (vgl. SMK 2018). Und wenngleich von offizieller Seite gerne die breite Öffentlichkeit oder der Elternbzw. Schülerwille für derlei Entscheidungen angeführt werden (vgl. Christ 1991: 104; Meißner 1997: 14), können die politischen Entscheidungsträger hier nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Dennoch darf die Suche nach einem Ausweg aus den rückläufigen Lernerzahlen nicht bei der Begründung durch ausschließlich externe Faktoren aufhören. Vor diesem Hintergrund scheint es umso wichtiger, neben den vorgegebenen Fächerkombinationen auch die unterrichtlichen Bedingungszusammenhänge als Ursache für das hohe Abwahlverhalten in den Blick zu nehmen. Auch wenn für das Fach Spanisch bislang keine empirischen Studien vorliegen, sei an dieser Stelle u. a. auf die Untersuchung von Bittner (2003) verwiesen: Im Rahmen der quantitativen Fragebogenstudie gaben die befragten OberstufenschülerInnen schlechte Zensuren, den Schwierigkeitsgrad des Faches sowie Kritik an der Unterrichtsgestaltung als häufigste Gründe für die Abwahl des Französischen an. Diese Faktoren können als unterrichtsimmanent eingeordnet werden und sind insofern veränderbar. Als Desiderat seiner Untersuchung leitet Bittner den Bedarf und die Notwendigkeit ab, durch Anschlussstudien „weitere Zusammenhänge zwischen der Unterrichtsgestaltung und dem Wahlbzw. Abwahlverhalten“ (ebd.: 352) in den Blick zu nehmen. Nur so sind letztlich entsprechende Ansätze abzuleiten, die einer Fortführung der romanischen (zweiten) Fremdsprachen den Weg bereiten. Denn „[a]nders als Fächer aus dem Bereich der Obligatorik wie Mathematik oder Englisch müssen der Französischwie auch der Spanischunterricht in besonderer Weise immer wieder ihre Lerner gewinnen“ (Meißner 2011: 62). Eng verbunden mit den Erklärungsversuchen für das Abwahlverhalten ist die Frage, was SchülerInnen über das Lernen der Fremdsprachen Französisch und Spanisch denken. So verfolgt das nachstehende Kapitel das Ziel, einen Überblick über vorliegende Studien zu geben, die die Perspektive der SchülerInnen auf (Fremdsprachen-)Unterricht und Fremdsprachenlernen untersuchen. <?page no="35"?> 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick Das Interesse an der Fragestellung, wie SchülerInnen fremde Sprachen lernen, ist keineswegs neu. Eingeleitet durch die kognitive Wende und eine zunehmende Lernerzentrierung in den 1980er Jahren (vgl. Bausch et al. 1982) richtet sich der Blick von nun an stärker auf das Individuum und die in ihm ablaufenden Prozesse beim (Sprachen-)Lernen. Subjektorientierte Forschungsansätze werden intensiviert (vgl. u. a. House 1998; Vollmer 1998). Dennoch wissen wir verhältnismäßig wenig darüber, was SchülerInnen über ihren Fremdsprachenunterricht denken. Während in der allgemeinen Pädagogik in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Publikationen zum Thema „Schule und Unterricht aus Schülersicht“ entstanden 13 , bleibt das Potenzial entsprechender Fragestellungen in der Fremdsprachendidaktik noch weitgehend ungenutzt, sodass Trautmann (2014: 78) pointiert: „Trotz vielfacher Berufung auf die Tradition der Lernerorientierung gibt es bisher nur wenige Untersuchungen zur Binnensicht von Lernenden.“ Arbeiten, deren Erkenntnisinteresse sich auf die Erforschung der Schülersicht richtet, liegen - sowohl in der pädagogischen als auch fremdsprachendidaktischen Forschung - zum Teil sehr unterschiedliche Konzeptionen zugrunde. Je nach Fachdisziplin und Forschungstradition variiert dabei stark, auf welchen theoretischen Annahmen und empirischen Zugriffen die gewonnenen Erkenntnisse jeweils beruhen. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, stärker zu differenzieren, worauf Aussagen über die Schülersicht im Einzelnen beruhen, sowie transparent zu machen, zu welchem Zweck diese erhoben wird. Kaum eine Studie thematisiert, was im Einzelnen unter der „Sicht“ oder „Perspektive“ der Lernenden verstanden wird. Diese Termini werden - sicher nicht zuletzt aufgrund ihrer weiten Verbreitung im Alltag - als selbstverständlich angenommen und als bekannt vorausgesetzt, sodass die dahinterliegenden theoretischen Annahmen nicht hinterfragt werden und man vergeblich nach entsprechenden Definitionen oder Konzeptualisierungen sucht. Auch Walter und Walter machen diese begriffliche Vagheit zum Gegenstand der Diskussion, wenn sie fragen, was genau wir durch die Ergebnisse entsprechender Forschungsarbeiten über die Schülersicht eigentlich erfahren: 13 Eine Synopse von Studien zu Schule und Unterricht aus Schülerperspektive (1980-2009) legt Behrens (2011: 21 ff.) vor. <?page no="36"?> 36 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick Ist es Schülerwissen über Lehrpersonen und Unterricht, das auf Beobachtungen beruht? Sind es (affektiv bestimmte) Einstellungen oder Vorurteile? Sind die entsprechenden Aussagen der Schülerinnen und Schüler von nur teilweise bewussten Motiven gesteuert? Oder artikulieren sich in ihnen rational begründete Urteile oder sorgfältig abgewogene Intentionen? (Walter & Walter 2014: 70) Eine wichtige Grundlage auf dem Weg zu einer begrifflichen Annäherung bietet Fromm, der unter der subjektiven Sicht von Lernenden „die Gesamtheit der Beziehungen, die Schüler zwischen ihren Erfahrungen (oder Wahrnehmungen) herstellen“ (1987: 3) fasst. Durch den Terminus „Wahrnehmung“ wird vor allem der individuelle und subjektive Charakter hervorgehoben, der dem Begriff „Sicht“ - oder auch „Perspektive“ - inhärent ist. Demnach geht es weniger um die Frage, ob die Schüleräußerungen auf Beobachtungen beruhen, rational begründet sind oder ob es sich um (affektiv bestimmte) Einstellungen oder Vorurteile handelt (s. o.). Zentral für das Verständnis der Sichtweisen von Schüler- Innen sind ihre Erfahrungen bzw. die Wahrnehmung aller in Bezug auf Schule und Unterricht für sie relevanten Merkmale. 3.1 Zum Stellenwert der Schülersicht in der empirischen Forschung Die Erhebung der Schülerperspektive spielt vor allem dort eine zentrale Rolle, wo es um die Qualität, Qualitätsentwicklung und -sicherung von Schule und Unterricht geht (vgl. u. a. Dreesmann 1982; Fromm 1987; Petillon 1987; Czerwenka et al. 1990; Fichten 1993; Clausen 2002; Ditton 2002; Bocka 2003; Klieme & Rakoczy 2003; Grewe et al. 2007; Piskol 2008; Berger et al. 2013; Hüls & Schneider 2015). Sie gilt als wichtiger Indikator und Ansatzpunkt für die Verbesserung der Unterrichtsqualität, obwohl die empirische Erforschung der Wirksamkeit von Unterricht jahrzehntelang einzig über die Messung der objektiven Schülerleistung erfolgte. „Die Berücksichtigung von Schülerurteilen [war] nicht vorgesehen, weder bei der Behandlung der Frage, welches Ziele von pädagogischen Bemühungen sein können, noch bei der Reflexion über wünschenswerte Maßnahmen und Verhaltensweisen des Lehrers.“ (Hofer 1981: 49) Bis heute sind die Aussagekraft und der Mehrwert der Lernersicht in der Forschungsdiskussion nicht unumstritten. Dabei wird deren Gültigkeit ebenso kritisch hinterfragt wie ihr Stellenwert gegenüber anderen, vermeintlich objektiveren, wissenschaftlichen Perspektiven. 14 So wird Kindern und Jugendlichen u. a. die Fähigkeit ab- 14 Eine wertvolle Zusammenschau derjenigen Argumentationslinien, die der Schülersicht mit Skepsis begegnen und vor einer Überbewertung warnen, gibt Bocka (2003: 46 ff.) <?page no="37"?> 3.1 Zum Stellenwert der Schülersicht in der empirischen Forschung 37 gesprochen, „sich geeignet zu Unterricht äußern zu können“ (Holl 2007: 27). Sie, so die Kritik, würden über ein anderes, eigenes altersspezifisches Begriffssystem verfügen, das sich von dem Erwachsener deutlich unterscheide. Eine Verständigung über Unterricht sei „jedoch erst auf der Grundlage eines gemeinsamen Sprachgebrauchs möglich“ (Bocka 2003: 46). Dementsprechend müsse sehr sorgfältig rekonstruiert werden, was genau einzelne Begrifflichkeiten für die SchülerInnen bedeuten. Die Validität der rekonstruierten Aussagen sei anschließend anhand vieler Beispiele und Gegenbeispiele zu überprüfen (vgl. ebd.). Ferner bestehen Zweifel an der Genauigkeit und Gültigkeit von Schüleraussagen, die vor allem durch Beobachtungsfehler und Phänomene wie soziale Erwünschtheit (vgl. Czerwenka et al. 1990: 31 f.) oder den ‚Dr. Fox’-Effekt begründet werden, d. h., dass „eine Lehrperson durch charismatisches und blenderisches Auftreten Befriedigung und ein der Realität nicht entsprechendes positives Gefühl des Gelernthabens bei den Hörern bewirken kann“ (Hofer 1981: 53, zit. nach Ditton 2002: 264). Dieser Kritikpunkt ist jedoch insofern zu relativieren, als im Rahmen entsprechender Studien diesbezüglich nur kurzfristige Effekte erfasst wurden (vgl. Stolz 1997: 138). Außerdem basieren die Meinungen der Schüler- Innen weniger auf individuell-persönlichen Präferenzen oder (Vor-)Urteilen als vielmehr auf der Grundlage der durch ihre schulische Sozialisation bedingten Erwartungsmuster. Vor diesem Hintergrund ist „die These, dass sich Schüler bei der Wahrnehmung oder Bewertung ihrer Lehrer auf längere Sicht von blenderischem Auftreten beeindrucken lassen, nicht sonderlich überzeugend“ (Ditton 2002: 264). Zudem stellt das Problem der sozialen Erwünschtheit kein rein schülerspezifisches Phänomen dar, sondern kann gleichermaßen bei Unterrichtsbeobachtungen durch externe Personen und Befragungen von Lehrkräften auftreten (vgl. Holl 2007: 27 f.). Auch die Untersuchung von Clausen (2002: 186) zeigt, dass es bei einem Vergleich der drei Perspektiven die eine mit der „Unterrichtswirklichkeit“ übereinstimmende Sichtweise nicht gibt. So hänge die Frage nach der Brauchbarkeit und Berechtigung einer der Datenquellen - ob externe BeobachterInnen, Lehrende oder Lernende - vor allem von der verfolgten Fragestellung ab. Für die Schülersicht fasst er zusammen: Eine Erhebung der Schülersicht gewinnt ihre Bedeutung durch die vergleichsweise engen Zusammenhänge zu Leistung und Interesse bzw. deren Entwicklung. Die Wahrnehmung der Schüler hat für die Entwicklung der Schüler die größte Bedeutung. Für in ihrer explorativen Studie zur Unterrichtsqualität aus Schülersicht. Im Rahmen einer Metaanalyse vorliegender Untersuchungen macht sie im Wesentlichen drei Bereiche aus, die die Grenzen der Lernerperspektive aufzeigen sollen. Unter den Punkten „Sprache“, „Gültigkeit“ und „Bedeutung“ subsumiert sie verschiedene Probleme, die sich bei der Erfassung von Schülermeinungen ergeben. <?page no="38"?> 38 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick eine neutrale wissenschaftlich-differenzierende Betrachtung des Unterrichtsgeschehens sind Schülerurteile aufgrund der Tendenz zur affektiv geprägten generalisierenden Beurteilung weniger geeignet. (ebd.: 188) Wenn die Übereinstimmung zwischen externen BeobachterInnen, Lernenden und Lehrenden in der Beurteilung von Unterricht so gering ist, wie die Studie von Clausen nahelegt, liefert dieser Befund gleichzeitig ein zentrales Argument für die Berücksichtigung und stärkere Beachtung aller, auch der Sichtweisen der SchülerInnen. Denn gerade weil sich die Perspektiven so voneinander zu unterscheiden scheinen, kommt eine differenzierte Einschätzung von Unterricht nicht ohne die Auffassungen der Lernenden aus. Die Aussagekraft von direkten, unmittelbaren Schülerurteilen über die Effektivität und Wirksamkeit von Unterricht ist insgesamt deutlich höher einzuschätzen als durch die Anwendung von Tests. Zudem lassen sie sich auch einfacher erheben (vgl. Hofer 1981: 50). Für die Erhebung subjektiver, schülerbezogener Wahrnehmungsdaten gegenüber externen BeobachterInnen spricht ferner ihr höherer Erklärungswert, da sie „auch die heterogenen Erfahrungen einzelner Gruppenmitglieder abzubilden“ (Clausen 2002: 43) vermögen und sich die Erfahrungen der Lernenden mit Schule, Unterricht und Lehrkräften in der Regel auf einen längeren Zeitraum beziehen: „Schüler kennen Lehrkräfte sowohl im Vergleich mehrerer Fächer als auch im Vergleich über die Schulzeit hinweg. Ihre Aussagen können sich auf Wahrnehmungen über einen längeren Zeitraum und auf die Erfahrungen in unterschiedlichen Situationen stützen.“ (Ditton 2002: 264) Und auch wenn die Schüleraussagen im Vergleich zu Lehrenden und externen BeobachterInnen ein vergleichsweise geringeres Abstraktions- und Reflexionsniveau aufweisen mögen, sind es doch die Lernenden, die als HauptakteurInnen von Schule und Unterricht maßgeblich an deren Gestaltung beteiligt sind. Sie als ExpertInnen für Unterricht zu betrachten und ihre Sichtweisen für die Evaluation von Unterricht zu berücksichtigen (vgl. u. a. Helmke et al. 2009: 98; Walter & Walter 2014: 71) erscheint in diesem Zusammenhang nur konsequent. Unterricht ist als Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden zu begreifen. „Das Verständnis von Prozeßen [sic] der Interaktion zwischen Lehrern und Schülern im Unterricht erfordert Einsichten in die subjektive Sicht der Schüler, in ihre Erlebens- und Urteilsprozesse.“ (Hofer 1981: 50) Dies impliziert, beide Wirkungsrichtungen, d. h. LehrerIn - SchülerIn und SchülerIn - LehrerIn, in den Blick zu nehmen. So kann in der Konsequenz auch erst dann glaubhaft von lerner- und schülerorientiertem Unterricht die Rede sein, wenn die AdressatInnen desselben mit ihren Bedürfnissen, Erfordernissen, Erwartungen und Wünschen stärker zu Wort kommen und danach gefragt wird, wie sie ihren Unterricht wahrnehmen und erleben: „The notion of how the student experiences the lesson is critical <?page no="39"?> 3.2 Die Schülersicht in der pädagogischen Forschung 39 to engagement and success in participating in learning […].“ (Hattie 2012: 140) Den Unterricht an den Erwartungen der SchülerInnen zu orientieren und ihre Interessen ernst zu nehmen setzt voraus, die Lernenden bei der Konzeption und Bewertung von Unterricht mit einzubeziehen (vgl. Bocka 2003: 41 f.). Dass die Bedeutung der Schülersicht lange Zeit relativiert und als unbrauchbar eingeschätzt wurde, gilt insofern heute als überholt (vgl. ebd.: 51 f.). Dennoch ist sie als Informationsquelle für die Evaluation von Unterricht noch vergleichsweise unterrepräsentiert (vgl. Kämpfe 2009: 151). Auch wenn es bei der vorliegenden Studie nicht um die Erforschung der Unterrichtsqualität geht, erscheint eine stärkere Berücksichtigung der Schülersicht dennoch vielversprechend, birgt sie doch die Chance, Aussagen darüber treffen zu können, wie die Lernenden als HauptakteurInnen des Fremdsprachenunterrichts diesen wahrnehmen und erleben. 3.2 Die Schülersicht in der pädagogischen Forschung Studien, die sich mit der Erfassung der Schülersicht beschäftigen, verfolgen verschiedene Ansätze und fokussieren jeweils unterschiedliche Merkmale von Unterricht. Diese reichen von sehr allgemeinen, eher unterrichtsübergreifenden, schulbezogenen Aspekten bis hin zu fachspezifischen Merkmalen und der Lehrperson. Einen empirischen Zugang zur Sicht bzw. Wahrnehmung von SchülerInnen liefert die pädagogische Klimaforschung 15 , welche „die Schülerwahrnehmung als konstituierendes Merkmal des Unterrichts- und Schulklimas in das Zentrum ihrer Forschungstätigkeit“ (Lenske 2016: 74) rückt. Dabei wird nach Schul-, Klassen- und Unterrichtsklima differenziert. Während mit dem Begriff „Schulklima“ alle subjektiv bedeutsamen Merkmale gemeint sind, „die sich auf die ganze Schule als Organisationseinheit beziehen“ (Eder 2002: 215), geht es bei der Erforschung des Klassenklimas 16 um Fragen, die „die sozialen Beziehungen zwischen Lehrern und Schüler/ innen bzw. der Schüler/ innen untereinander, die Erwartungen hinsichtlich Leistungen und Verhalten, die Art und Weise, wie Lehr-/ Lernprozesse ablaufen“ (ebd.), betreffen. Der Begriff „Unterrichtsklima“ umfasst sowohl eine klassenspezifische als auch eine lehrer- und fachspezifische 15 Kritik am Begriff „Klima“ kommt aufgrund der theoretischen Verankerung und der verwendeten Analysemethoden aus der Unterrichts- und Evaluationsforschung (vgl. Helmke 2015: 52 f.), wo dafür plädiert wird, ihn „zugunsten der neutraleren Bezeichnung Wahrnehmung“ (Gruehn 2000: 88 f.) fallen zu lassen. 16 Nach Grewe (2017: 548) findet sich bei der Operationalisierung des Klassenklimas in Befragungen am häufigsten eine Einteilung in die drei Bereiche Lehrer-Schüler-Verhältnis, Schüler-Schüler-Verhältnis sowie Merkmale des Unterrichts und der Schule. <?page no="40"?> 40 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick Komponente. Daraus ergibt sich bei der Erforschung eine Fokussierung auf die subjektiven Lernerfahrungen in einem bestimmten Fach, mit einer bestimmten Lehrkraft (bzw. aus allen Fächern mit allen Lehrkräften) im Kontext einer bestimmten Klasse (vgl. ebd.). Dabei stellen quantitative Forschungsdesigns, bei denen im Rahmen von standardisierten Fragebogenstudien die Unterrichtsqualität über einzelne oder mehrere wahrgenommene Unterrichtsmerkmale erfasst wird, die wohl häufigste Erhebungsform dar (vgl. Wagner 2008: 6). Im Folgenden werden die Ergebnisse zentraler allgemeinpädagogischer Untersuchungen, deren Erkenntnisinteresse sich auf die Erforschung von unterrichtsbezogenen Merkmalen aus Schülersicht richtet, zusammengetragen. 3.2.1 Die Lehrkraft und das Lehrer-Schüler-Verhältnis Die Frage, wie SchülerInnen ihren Unterricht wahrnehmen, ist untrennbar verbunden mit der Wahrnehmung ihrer Lehrkraft. In zahlreichen Forschungsarbeiten wird dieser Zusammenhang deutlich hervorgehoben 17 (vgl. u. a. Lüdtke 1971; Hofer 1981; Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982; Haecker & Werres 1983; Petillon 1987; Apel 1997; Haselbeck 1999). Kein anderer Faktor scheint den Lernerfolg so nachhaltig zu beeinflussen wie die Lehrkraft (vgl. Hattie 2008). Entsprechend wenig überrascht es, dass Schule, Unterricht, Lerninhalte sowie die Beliebtheit eines Faches in erster Linie über die Lehrperson beurteilt werden und auch das Interesse an einem bestimmten Schulfach maßgeblich von der jeweiligen Lehrkraft abhängt. „[G]uter Unterricht [ist] oft gleichbedeutend mit einem als gut eingeschätzten Lehrer.“ (Bocka 2003: 73) In seiner Untersuchung zum Thema Schülerurteile über LehrerInnen und mögliche Langzeitwirkungen kann Stolz (1997: 157) sogar einen „negativen Zusammenhang zwischen den Studienfächern der befragten Studierenden […] und dem Unterrichtsfach der beschriebenen Lehrpersonen“ nachweisen. 18 Erleben die Studierenden eine in ihren Augen schlechte Lehrkraft, wählen sie vergleichsweise selten das entsprechende Studienfach. Alarmierend ist, dass am häufigsten Lehrpersonen fremdsprachlicher Fächer als negativ beschrieben werden (41 %). Bei den männlichen Befragten ist es sogar über die Hälfte (53 %) (vgl. ebd.). Insgesamt werden von den Studierenden überwiegend Lehrkräfte als negativ beschrieben, die sie im Alter zwischen 15 und 17 Jahren und damit in der gymnasialen Mittelbzw. Oberstufe unterrichteten (vgl. ebd.: 153). Dies 17 Für einen detaillierten Überblick über Untersuchungen zur lehrerbezogenen Schülerperspektive im deutschsprachigen Raum vgl. Holl 2007. 18 In Kurzaufsätzen sollten die Studierenden die beste oder schlechteste Lehrkraft aus ihrer Schulzeit beschreiben. In der Mehrheit entschieden sie sich für die Darstellung der schlechtesten Lehrkraft. <?page no="41"?> 3.2 Die Schülersicht in der pädagogischen Forschung 41 deckt sich mit den Ergebnissen der Studie von Czerwenka et al. (1990: 133), die auf eine deutliche Verschlechterung der Beurteilungen im Verlauf der Jahrgangsstufen hinweisen. Während äußere Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Aussehen der Lehrkraft eine eher untergeordnete Rolle für die Lernenden spielen (vgl. Ditton 2002: 267), nehmen Faktoren wie z. B. Fach- und Methodenkompetenz, Persönlichkeit, Unterrichtsstil sowie das Verhältnis zwischen Lehrperson und Lernenden großen Einfluss auf die Unterrichtswahrnehmung. In der Schulklimaforschung werden die o. g. Merkmale immer wieder unter den Wahrnehmungsdimensionen des Love theme und Mastery theme subsumiert: In dieser Beurteilungsdimension [Love theme, Anm. d. Verf.] kommen Aspekte zum Ausdruck wie Wärme (Lehrkraft ist ‚menschlich‘, verständnisvoll, den Schülern zugeneigt), soziale Kompetenz (weiß, was in der Klasse und bei den Schülern vorgeht, kennt ihre Wünsche, Ängste, Befürchtungen) und Wunscherfüllung (nimmt Rücksicht auf Wünsche und Probleme der Schüler, ist flexibel). Als zweite Hauptdimension steht daneben das sog. ‚mastery theme‘, das die Aspekte des fachlichen Könnens, der Qualität des Unterrichts, der Disziplin sowie der Durchsetzungsfähigkeit der Lehrkraft beinhaltet. (ebd.) Mastery theme Wenn sich Lernende über ihre Lehrkräfte äußern 19 , beziehen sie sich besonders häufig auf deren methodisch-didaktische Kompetenzen (vgl. u. a. Fichten 1993: 133; König 2007: 22). Dies mag nicht zuletzt in dem Zusammenhang zwischen der Kompetenz der Lehrperson und dem Lernerfolg der SchülerInnen begründet liegen. So ist empirisch belegt, dass neben allgemeinen fachunabhängigen Merkmalen vor allem die methodischen Kompetenzen von Lehrenden Einfluss auf die Lernentwicklung und Schülerleistungen nehmen: Hierzu gehören eine interessante, klare, verständliche und vernetzte Präsentation neuer Inhalte und Konzepte, die Aktivierung des vorhandenen Vorwissens der Schüler, das Evozieren kognitiv anspruchsvoller Tätigkeiten, die Kultivierung eines diskursiven Unterrichtsstils, der Einsatz geeigneter Repräsentationsformen, die Förderung der Bewusstheit für das eigene Lernen sowie die Vermittlung von Strategien zur Strukturierung und Elaboration des Unterrichtsgegenstands. (Lipowski 2006: 64) 19 In Bezug auf die methodisch-didaktischen Kompetenzen der Lehrkraft lassen sich Abweichungen zwischen den Schularten feststellen, was Bocka (2003: 154) unter den Kategorien „Instruktion“ und „Schüleraktivierung“ fasst. Von SchülerInnen am Gymnasium werden diese Themenbereiche in Bezug auf ihre Vorstellungen von gutem Unterricht deutlich häufiger angesprochen als von Lernenden an der Hauptschule, woraus sich schließen lässt, dass diese Aspekte eine größere Bedeutung für GymnasiastInnen haben. <?page no="42"?> 42 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick Wie die Untersuchung von Czerwenka et al. (1990: 126) deutlich macht, äußern sich Lernende über ihre Lehrkräfte oft in Form negativer Beschreibungen. Dabei ist die methodische Kompetenz eine der zentralen Kategorien, auf die die Befragten zur Beschreibung von schlechten Lehrkräften Bezug nehmen. Auch wahrgenommener didaktischer Inkompetenz ist ein bedeutsamer Stellenwert in den Urteilen zuzuschreiben, d. h. ein Lehrer wird dann von Schülern als schlecht bezeichnet, wenn er ihnen aufgrund mangelnder Planungsfähigkeit, unzureichender Lernhilfen, unverständlicher Erklärungen und fehlender motivationaler Anreize die Bewältigung ihrer Aufgaben zu erschweren scheint, nach Schülermeinung also die Hauptaufgabe seiner beruflichen Tätigkeit verfehlt. (Stolz 1997: 171) Besonders negativ wird von Lernenden außerdem ein zu hohes Tempo im Unterricht und damit verbunden mangelnde Zeit für die Klärung von Verständnisschwierigkeiten beurteilt. Dem Wunsch, dass der zu behandelnde Stoff so lange erklärt und wiederholt wird, bis alle SchülerInnen ihn verstanden haben, steht oft ein wahrgenommener Zeitdruck entgegen, zu viele Themen in einem Schuljahr bewältigen zu müssen. Dies führt zu Frustration bei den Lernenden, da sie das Gefühl haben, ihre Schwierigkeiten würden nicht ernst genommen und die Bewältigung der Inhalte sei wichtiger als ihr Lernerfolg (vgl. Haselbeck 1999: 110 f.; Bocka 2003: 138 f.). SchülerInnen erwarten von Lehrpersonen, dass sie den Stoff, vor allem schwierige Sachverhalte, anschaulich und verständlich erklären (vgl. Kanders et al. 1996: 63). So könne nicht nur Verständnisschwierigkeiten und Lernhindernissen vorgebeugt, sondern auch der Lernaufwand bei hohem Lernzuwachs gering gehalten werden (vgl. Haselbeck 1999: 110). Vor allem für GymnasiastInnen scheint das pädagogische Engagement der Lehrkraft, d. h. wie diese sich für die Erreichung der Lern- und Lehrziele einsetzt und die Lernentwicklung unterstützt, von besonderer Wichtigkeit (vgl. König 2007: 23). Sie beklagen häufiger das mangelnde pädagogische Engagement der Lehrkräfte und erleben bezüglich des Unterstützungsverhaltens von leistungsschwächeren Lernenden ein größeres Defizit als Lernende anderer Schulformen (vgl. ebd.: 24), weshalb sie sich dementsprechend mehr Geduld mit lernschwachen SchülerInnen wünschen (vgl. Apel 1997: 136). SchülerInnen kritisieren, dass ihre Interessen zu wenig Berücksichtigung fänden, der Unterricht oft nicht praxisorientiert sei und einem immer gleichen Ablauf folge. Starre Methodenkonzepte, reproduktive Arbeitsformen sowie mechanische, sinnleere Tätigkeiten würden zu Langeweile führen und Enttäuschung hervorrufen (vgl. Haselbeck 1999: 116 f.). Langeweile sei das am stärksten empfundene Problem im Schulalltag, wobei dies weniger im Desinteresse an den Unterrichtsinhalten begründet liege als vielmehr in der methodischen Gestaltung des Unterrichts durch die Lehrkraft (vgl. Fichten 1993: 132). Wird <?page no="43"?> 3.2 Die Schülersicht in der pädagogischen Forschung 43 der Unterricht als monoton, methodisch wenig flexibel, dirigistisch und auf die Lehrkraft zentriert erlebt, schränke dies die Möglichkeiten der Mitbestimmung und des selbstständigen Lernens stark ein (vgl. Hagstedt 1980: 38 f.; Haecker & Werres 1983 94 f.; Fichten 1993: 133). Der Wunsch, mehr einbezogen und zum Mitmachen angeregt zu werden 20 , geht einher mit der Forderung nach variierenden, aktivierenden Unterrichtsmethoden. Nach Meinung der SchülerInnen würden durch mehr eigenständiges Arbeiten im Unterricht auch das Interesse und die Freude der Lernenden steigen. Alternative Formen der Unterrichtsgestaltung, so z. B. Spiele und Wettkämpfe, Lernen außerhalb der Schule, Projektwochen und Praktika sowie die Durchführung von Versuchen und Arbeit im Sprachlabor, werden positiv hervorgehoben (vgl. Czerwenka et al. 1990: 90). Auch wenn dies größere Lernanstrengungen bedeutet, bevorzugen SchülerInnen einen solchen Unterricht und erfüllen die Pflichten mit mehr Bereitschaft (vgl. Bocka 2003: 141 ff.). Diesbezüglich scheint sich in den Wünschen und Schülerwahrnehmungen nur wenig geändert zu haben, bedenkt man, dass bereits die Arbeit von Hagstedt (1980: 38 f.) zu Beginn der 1980er Jahre zu vergleichbaren Ergebnissen kommt: Wenn SchülerInnen etwas am Unterricht verändern könnten, würden sie hinsichtlich der Aufgaben, Methoden und Lernorte insgesamt mehr Abwechslung bevorzugen. Was das Wissen und die fachliche Kompetenz von Lehrkräften aus Schülersicht betrifft, liegen nur wenige empirische Erkenntnisse vor. Betrachtet man die vorliegenden Studien zu guten oder schlechten LehrerInnen, äußern sich die Befragten vergleichsweise selten zur wahrgenommenen Fachkompetenz (vgl. Czerwenka et al. 1990: 126; Stolz 1997: 164). Für SchülerInnen scheint die methodische Kompetenz von Lehrkräften demnach deutlich wichtiger als ihr fachliches Wissen zu sein. Ein möglicher Erklärungsansatz könnte sein, dass die Lernenden mit der fachlichen Kompetenz ihrer Lehrkräfte zufriedener sind als mit anderen Aspekten. So weist Hofer (1981: 52) darauf hin, „daß sich Lehrer im fachlichen Bereich durchaus dem Idealbild ihrer Schüler nähern“. Dagegen seien in Bezug auf die emotionale Zuwendung, d. h. die Persönlichkeit und das Lehrer-Schüler-Verhältnis, Differenzen zwischen dem Real- und Wunschbild erkennbar (vgl. ebd.; Kanders et al. 1996: 62). Themen, die das Lehrer-Schüler-Verhältnis betreffend besonders oft angesprochen werden, sind Kontrolle und Disziplinierungsmaßnahmen im Unterricht (vgl. u. a. Haselbeck 1999: 341 f.). So wird in Arbeiten zur Lehrer-Schüler-Interaktion das Klassenmanagement, d. h. inwiefern Lehrkräfte in der Lage 20 In der empirischen Studie von Kanders et al. (1996: 63 f.) geben nur 5 % der SchülerInnen am Gymnasium an, dass ihre Lehrkräfte eine Mitwirkung der Lernenden am Unterrichtsgeschehen zulassen. <?page no="44"?> 44 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick sind, „Interaktionsprozesse im Klassenzimmer in einer lerndienlichen Weise zu organisieren und zu steuern“ (Ophart & Thiel 2017: 247), neben Instruktion und Motivierung als eine weitere Basisdimension der Unterrichtsqualität operationalisiert. Dabei zählen die Arbeit mit Normen, Regeln, Prozeduren sowie der Aufbau eines erwünschten Verhaltens ebenso zu den zentralen Anforderungen wie die Steuerung von Unterrichtsprozessen und der Umgang mit Störungen (vgl. ebd.: 250 ff.). SchülerInnen erwarten von ihren Lehrenden, dass sie sich durchsetzen können, für Disziplin sowie eine geordnete und ruhige Atmosphäre im Klassenzimmer sorgen. Die Befunde von Walter und Walter (2014: 143 f.) deuten darauf hin, dass „die Herstellung, Sicherung und Aufrechterhaltung der akademischen Rahmung des Unterrichts“ für Lernende sogar zu den wichtigsten Aufgaben der Lehrperson zählen. Allerdings ist hier zwischen den unterschiedlichen Schulformen zu differenzieren. Die Aspekte Durchsetzungsvermögen und Disziplinierung scheinen dem Erlebensbereich von GymnasiastInnen gegenüber anderen Schulformen weniger zugehörig, da diese Themen von ihnen deutlich seltener hervorgebracht werden. Am Gymnasium wird Durchsetzungsvermögen nur dort als positiv bewertet, wo es dazu dient, Unterrichtsstörungen zu unterbinden und einen reibungslosen Unterrichtsverlauf zu gewährleisten (vgl. König 2007: 23). Lernende der Hauptschule stellen die Demonstration von Autorität und Macht offenbar weniger in Frage und neigen eher dazu, diese zu legitimieren (vgl. ebd.: 24). Zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen Haecker und Werres (1983: 82 f.): „Entsprechend stellen Hauptschüler signifikant bzw. sehr signifikant seltener fest, daß der Lehrer herumkommandiert, zuviel redet, nur seine Meinung gelten läßt, einige Schüler bevorzugt oder den Laissez-faire- Stil praktiziert“. In der Folge nehmen die Autoren eine größere Zufriedenheit seitens der HauptschülerInnen an. Love theme Werden SchülerInnen nach ihrer Meinung zu Lehrenden gefragt, nehmen sie häufig Bezug auf das persönliche Verhältnis zu diesen. Da schulisches Lernen in erster Linie durch die unmittelbare Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden geprägt ist, sind es auch diese sozialen Beziehungen, die in der Wahrnehmung der SchülerInnen konstituierende Bedeutung für ihre Lern- und Leistungsentwicklung haben. Die Jugendlichen sind in vielfacher Hinsicht - nicht zuletzt im Rahmen der Leistungsbewertung - auf ihre Lehrenden angewiesen. Dieser im institutionellen Rahmen Schule gegebenen Abhängigkeit von Lehrpersonen sind sie sich durchaus bewusst. So erklärt sich auch, dass sie Interesse an einem sachlich-distanzierten Verhalten sowie klaren Autoritätsverhältnissen äußern. Auch die Gleichbehandlung aller Lernenden, Gerechtigkeit und dass Lehrkräfte ihre Position nicht gegen die SchülerInnen verwenden, sind für sie <?page no="45"?> 3.2 Die Schülersicht in der pädagogischen Forschung 45 von herausragender Bedeutung (vgl. Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982: 36 f.; Czerwenka et al. 1990: 128; Kanders et al. 1996: 61). Der Unterricht müsse stets ein angstfreier Raum sein, in dem Fehler zugelassen werden (vgl. Bocka 2003: 145). Nutzen LehrerInnen ihre übergeordnete Stellung gegenüber den Lernenden aus, wird dies als Machtmissbrauch wahrgenommen, der sich bspw. durch Anschreien, Bloßstellen, Demütigungen, ungerechte Beschuldigungen oder unangemessene Strafen äußert (vgl. Holtappels 1987: 133 ff.; Sochatzky 1988: 116; Stolz 1997: 164 ff.; Haselbeck 1999: 341 f.). SchülerInnen am Gymnasium scheinen Kritik, Drohungen, Beleidigungen und Beschimpfungen härter und belastender zu empfinden als Lernende anderer Schulformen, was Apel auf deren vermeintlich höheres Sprachvermögen zurückführt (vgl. Apel 1997: 137). Erfahrungen mit autoritären Lehrkräften, bei denen die Lernenden das Gefühl erleben, der Willkür ihrer Lehrperson ausgeliefert zu sein, stören die Lehrer-Schüler-Beziehung nachhaltig und führen zu Unzufriedenheit, Frustration und dauerhaften emotionalen Spannungen (vgl. Haselbeck 1999: 341 f.). Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Stolz, wonach SchülerInnen „ein hohes Ausmaß an Lenkung/ Dirigierung bei gleichzeitiger emotionaler Zurückweisung“ (Stolz 1997: 170) schlechten Lehrkräften als charakteristisches Merkmal zuschreiben. Dass Lernende sich vor allem im Falle unzureichender Gerechtigkeitserfahrungen - wie Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner SchülerInnen - zu diesem Thema äußern, lässt darauf schließen, dass Gerechtigkeit erst dann für die Lernenden bedeutsam wird, wenn sie nicht als gegeben vorausgesetzt werden kann (vgl. Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982: 35; Czerwenka et al. 1990: 128). Positiv erlebte soziale Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden hingegen „sind für Schüler eine wichtige Bedingung für ihr Interesse an einem Schulfach und für ihre Zufriedenheit mit ihrer Situation in der Schule“ (Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982: 34). Auch für das Unterrichtsengagement scheint die Lehrer-Schüler-Beziehung von besonderer Bedeutung zu sein. So sind Lernende mit einem positiven Verhältnis zu ihrer Lehrkraft bei einem Thema, das sie nur wenig interessiert, eher bereit mitzuarbeiten (vgl. Fichten 1993: 130). Lehrpersonen sollten freundlich und humorvoll sein, Verständnis zeigen, ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihren SchülerInnen pflegen, im Falle von (Lern-)Schwierigkeiten Fördermöglichkeiten bereitstellen, bei Konflikten mit anderen Lernenden eingreifen oder Hilfestellungen bieten und sich großzügig zeigen (vgl. u. a. Nölle 1993: 171; Haselbeck 1999: 338 f.; Holl 2007: 381). In der Realität, so legen die Ergebnisse von Bocka (2003: 145 f.) nahe, erleben SchülerInnen ihre Lehrkräfte häufig als zu streng und ungerecht. Vor diesem Hintergrund lässt sich - neben dem Interesse an Subjektneutralität seitens der Lehrkräfte - der gleichzeitige Wunsch nach einem gewissen Subjektbezug erklären: <?page no="46"?> 46 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick Die Lehrer sollen auf sie als konkrete Subjekte eingehen, ihre je konkreten Probleme, Bedürfnisse und Erfahrungen berücksichtigen, sich selbst als konkrete Person und nicht nur als „Rollenträger“ in den Unterricht einbringen und so positiv erlebbare, persönliche Beziehungen herstellen. Daher werden Lehrer, die in den Augen der Schüler »kalt« sind und sich im Unterricht „wie Maschinen“ verhalten, ausgesprochen kritisiert. (Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982: 35 f.) Lernende suchen also nach einer gewissen Ambivalenz bei ihren LehrerInnen. Sie erwarten Autorität, wollen oder können diese aber nur anerkennen, wenn „sie die Lehrer als Person (d. h. ihre persönlichen, sozialen und fachlichen Fähigkeiten und Eigenschaften) akzeptieren“ (Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982: 37 f., Hervorh. im Orig.) können. Hier überlagern sich die beiden Beurteilungsdimensionen Mastery theme und Love theme: D ie Lehrperson soll streng, aber auch nett, durchsetzungsfähig, aber auch verständnisvoll sein. Denner et al. (2002: 52) sprechen in diesem Zusammenhang auch von der idealisierten Rollenerwartung des „demokratische[n] Führer[s]“. Probleme entstehen in der Lehrer-Schüler-Beziehung demnach gleichermaßen mit allzu autoritären Lehrkräften wie auch mit solchen, denen es an Durchsetzungsvermögen mangelt (vgl. Haselbeck 1999: 341 f.). 3.2.2 Unterrichts- und Lerninhalte Werden SchülerInnen nach ihrer Meinung zu gutem Unterricht befragt, beziehen sich ihre Äußerungen eher selten auf Lerninhalte (vgl. u. a. Bocka 2003: 71). Nur wenn diese für die Lernenden besonders ansprechend sind und sich von den sonstigen, eher rezipierenden Unterrichtsaktivitäten unterscheiden, werden explizit Aussagen dazu getroffen (vgl. Hildebrand-Nilshon 1980: 54). Lerninhalte scheinen insgesamt weniger wichtig als die Lehrperson und deren Unterrichtsmethoden. Inhalte und die Auseinandersetzung mit diesen werden im Rahmen der Untersuchung von Hagstedt (1980: 28) in den Aussagen der Lernenden als „weiße Flecken“ regelrecht ausgeklammert, sodass der Autor gar von „einer demonstrierten Gleichgültigkeit gegenüber dem Lerngegenstand“ spricht. Dabei liegt die Vernachlässigung des Lerngegenstandes in der Schülerperspektive für Hagstedt vor allem in dem häufigen Wechsel der Unterrichtsinhalte begründet. Die Methoden, Umgangs- und Präsentationsformen, die Art und Weise, wie jemand unterrichtet, hingegen seien sehr viel beständiger als die Themen im Unterricht. Während SchülerInnen bei Desinteresse oder Langeweile in Bezug auf die Inhalte abschalten können, falle es ihnen sehr viel schwerer, sich den unterrichtsmethodischen Entscheidungen ihrer Lehrkräfte zu entziehen. Außerdem unterscheide sich die Bedeutung der Unterrichtsinhalte dahingehend, dass aus der Sicht der Lernenden die Auswahl der Themen und Materialien Sache der Lehrenden sei und sie sich <?page no="47"?> 3.2 Die Schülersicht in der pädagogischen Forschung 47 dafür nicht zuständig fühlen. Die Unterrichtsplanung und -durchführung sei für die Lehrenden sehr viel präsenter als für die Lernenden. Sie sind in ständiger Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand, wohingegen die SchülerInnen ggf. nur punktuell bei der Erarbeitung und Aneignung aktiv werden (vgl. ebd.: 30 f.). Bocka (2003: 135) begründet das weitgehende Fehlen von Schüleräußerungen zu den Unterrichtsinhalten u. a. damit, dass diese von den Lernenden als überwiegend langweilig, zu abstrakt, schwer und theoretisch wahrgenommen werden, wobei der Fremdsprachenunterricht in fächerübergreifenden Untersuchungen als positive Ausnahme erscheint, Sprachkenntnisse und landeskundliche Themen hingegen bei den SchülerInnen als interessant und nützlich gelten, sofern diese abwechslungsreich vermittelt werden (vgl. ebd.: 136; Huth & Schröder 1992: 24). Eine Ursache für sinkendes Interesse an den Inhalten ist die fehlende Freude am Lernen; nimmt diese ab, steigt die Gleichgültigkeit gegenüber den Lerninhalten (vgl. Nölle 1993: 171). Mädchen äußern sich insgesamt etwas positiver. Sie haben mehr Freude und finden den Unterricht interessanter als ihre männlichen Altersgenossen: „Fast ein Viertel der Jungen, aber nur 14,3 % der Mädchen bringen zum Ausdruck, dass ihnen die Schule keinen Spaß macht.“ (Czerwenka et al. 1990: 198) Dementsprechend schätzen die Mädchen sich selbst auch als aufmerksamer ein und bringen eine größere Bereitschaft auf, „den Wert und Nutzen dessen, was sie im Unterricht alles lernen, zu akzeptieren“ (Haecker & Werres 1983: 61). Auch in anderen Studien kritisieren die befragten SchülerInnen an den Inhalten vorwiegend, dass diese uninteressant seien. Die Menge der Themen, die als unbrauchbar oder unnütz für das gegenwärtige und spätere Leben eingeschätzt wird, sei zu hoch (vgl. u. a. Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982; Haecker & Werres 1983; Haselbeck 1999; Denner et al. 2002). Da die Inhalte den Bedürfnissen der Lernenden häufig nicht gerecht würden, wünschen sie sich einen stärkeren Praxisbezug sowie transparente, alltagsnahe, lebensrelevante Themen, die sich auf die Bewältigung des Alltags- und künftigen Berufslebens vorbereiten. 21 Allerdings bleibt dieser Wunsch zumeist unspezifisch, da keine konkreten Äußerungen dazu getroffen werden, was interessant für sie ist. Aus der insgesamt zu großen Stoffmenge resultiert häufig Überlastung und Überforderung, wobei die SchülerInnen in Fächern, denen sie eine große Lernrelevanz 21 Den Wunsch nach einem interessanteren und freudbetonteren Unterricht äußern Lernende schulformunabhängig (vgl. Apel 1997: 136). Die Studie von Haecker und Werres (1983: 64) deutet jedoch an, dass Lernende am Gymnasium signifikant unzufriedener sind als an Hauptschulen. Ihre Interessen fänden demnach weniger Berücksichtigung, weil die Lehrperson alleine über die Planung und Durchführung des Unterrichts bestimme. Deshalb geben sie öfter an, keinen Spaß zu haben, im Unterricht abzuschalten, schlechter mitzukommen und weniger zu lernen. <?page no="48"?> 48 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick zuschreiben, wie Mathematik oder Deutsch, schwierige Inhalte und ungeeignete Methoden eher hinzunehmen scheinen (vgl. Haselbeck 1999: 77 f.). Neben einer Stoffreduzierung und Konzentrierung auf das Wesentliche plädieren die Lernenden für größere Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten bei der Auswahl der Themen (vgl. Fichten 1993: 28 f.; Haselbeck 1999: 104 ff.). Um den Unterricht aufzulockern, sollte außerdem eine größere Flexibilität im Umgang mit dem vorgeschriebenen Curriculum ermöglicht werden (vgl. Bocka 2003: 135 ff.). Die Auswahl der schulisch verordneten Themen empfinden die Lernenden als willkürlich und ungerecht, was aus ihrer Sicht dazu führe, dass diejenigen SchülerInnen, „deren besondere Interessen zufällig mit den angebotenen Inhalten übereinstimmen“ (Huth & Schröder 1992: 24), bevorzugt würden. Dennoch scheint es, als ob das Problem der Langeweile und der Wunsch nach Abwechslung „mehr ein Methodenproblem als ein Inhaltsproblem“ (Bocka 2003: 138) darstellen. 3.2.3 Leistungsbewertung und Zensuren In vielen Studien, die die Sicht von Lernenden auf Schule und Unterricht erfassen, spiegelt sich der zentrale Stellenwert der Leistungsmessung bereits in der Häufigkeit ihrer Erwähnung wider. Dabei ist das Verhältnis von SchülerInnen zu Noten durchaus ambivalent. Dem Streben nach guten Zensuren stehen ein immenser Druck und die negativen Folgen schlechter Schulleistungen entgegen. Die Abhängigkeit von positiven Bewertungen ist den Lernenden uneingeschränkt bewusst und bestimmt ihr Verhältnis zu Schule und Unterricht maßgeblich (vgl. Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982: 23). 52,5 % der Befragten thematisieren in der Studie von Czerwenka et al. (1990: 110 f.) bei der Beschreibung von Schule den Aspekt der Leistungsbeurteilung. Bemerkenswert ist hier wiederum die Zahl derer, die sich ablehnend oder kritisch dazu äußern. So sind die Hälfte der Äußerungen negative Stellungnahmen, während sich nur 41 der befragten 1.212 Lernenden eindeutig positiv über Leistungskontrollen und -beurteilungen aussprechen. In der Studie von Haselbeck (1999: 140 f.) ist es ebenfalls nur eine Minderheit der SchülerInnen, die über positive Erfahrungen hinsichtlich des Leistungsaspektes berichtet. Und auch wenn in der Untersuchung von Apel (1997: 126) alle Befragten über zu viel Stress und Leistungsdruck klagen, legen die Ergebnisse von Haecker und Werres (1983: 71) unter Verweis auf frühere Arbeiten nahe, dass sich SchülerInnen am Gymnasium hinsichtlich der Anforderungen und Mitbestimmung bei der Leistungsprüfung und -beurteilung insgesamt negativer äußern als Lernende anderer Schulformen. Während zwischen der Selbsteinschätzung der SchülerInnen und ihrem Gesamturteil über Schule ein signifikanter Zusammenhang besteht, lässt sich dieser <?page no="49"?> 3.2 Die Schülersicht in der pädagogischen Forschung 49 zwischen der Selbsteinschätzung und dem Urteil über schulische Leistungsbewertung nicht ausmachen. Sowohl Lernende, die sich insgesamt als durchschnittlich einschätzen (63,1 %), als auch diejenigen, die ihre Schulleistungen als über- (23,2 %) oder unterdurchschnittlich (13,7 %) bewerten (vgl. Czerwenka et al. 1990: 103), stehen den Modalitäten der schulischen Leistungsbewertung kritisch gegenüber (vgl. ebd.: 111). Als auffällig betonen die Autoren auch die signifikante Abhängigkeit zwischen Schulunzufriedenheit bzw. Freude an der Schule und dem Urteil über Zensuren. Lernende, die gerne zur Schule gehen, thematisieren Noten deutlich seltener (7,2 %) als unzufriedene SchülerInnen, von denen fast die Hälfte negativ gegenüber dem schulischen Zensuren- und Leistungsmessungssystem eingestellt ist. Gründe hierfür liegen u. a. in der Erwartung von Misserfolg sowie dem erzeugten Leistungsdruck (vgl. u. a. Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982; Haecker & Werres 1983; Czerwenka et al. 1990; Haselbeck 1999). Der Wunsch oder Zwang, gute Noten - auch und vor allem im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft - erreichen zu wollen bzw. müssen, wird als große Last empfunden, da sich mit ihnen auch soziale Anerkennung oder deren Ausbleiben verbinden. Die Rolle der Eltern kann diesen Druck noch verstärken (vgl. Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982: 27 f.; Bocka 2003: 130). SchülerInnen erfahren Notengebung auch immer als eine Form der Bewertung ihrer Person, sodass sie auch Einfluss auf das Selbstbild und Selbstwertgefühl der Lernenden nehmen und deshalb Versagensangst auslösen kann. Besonders bedenklich erscheint dies vor dem Hintergrund, dass die Selbstzuschreibung der Noten im Widerspruch zu der Aussagekraft von Zensuren über die Lernenden als Personen mit ihren eigentlichen Fähigkeiten und menschlichen Qualitäten steht (vgl. Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982: 25 f.; Czerwenka et al. 1990: 116 f.). Als negativ wird außerdem die empfundene Einschränkung der Freizeit genannt, die aus einem Übermaß an benötigter Lernzeit resultiere (vgl. Haselbeck 1999: 132). Bocka (2003: 130) spricht davon, dass die viele häusliche Lernarbeit - in Form von schriftlichen Hausaufgaben sowie die Vorbereitung auf Leistungskontrollen - sogar noch problematischer sei als die eigentliche Benotung. Auch die Häufigkeit, die Ankündigungs- und Durchführungspraxis, die Dauer sowie die Transparenz und Fairness der Leistungsüberprüfung werden angemahnt (vgl. Czerwenka et al. 1990: 117; Bocka 2003: 123). So äußern die SchülerInnen vielfältige Vorschläge zur Reduzierung des Noten- und Leistungsdrucks, die sich u. a. auf die Organisation und Terminierung von Arbeiten beziehen: maximal ein bis zwei Tests pro Woche, die zwei bis drei Wochen im Voraus bekannt gegeben werden sollten (vgl. Bocka 2003: 123). Vermieden werden sollten aus Sicht der Lernenden auch Situationen, in denen durch die Leistungsüberprüfung, z. B. in Form mündlicher Tests oder öffentliche Notenbekanntgabe, Schamgefühle entstehen oder die Lernenden blamiert werden könnten (vgl. ebd.: 130). <?page no="50"?> 50 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick Wenn Zensuren zu einer Art Tauschwert geraten oder ihrem eigentlichen Zweck enthoben werden, stößt dies auf Kritik bei SchülerInnen. Lernen diene demnach nicht mehr primär einem Wissens- oder Kompetenzzuwachs, sondern werde einzig auf das Erreichen einer guten Zensur reduziert, weshalb das Gelernte danach wieder vergessen werden könne (vgl. Czerwenka et al. 1990: 116 ff.). Auch dass Tests und Leistungskontrollen als Instrument der Disziplinierung und Verhaltenskorrektur eingesetzt werden, verstößt in den Augen der Lernenden gegen den intendierten Sinn schulischer Leistungsbewertung (vgl. Haselbeck 1999: 335). Dennoch lassen sich in keiner der Studien Hinweise darauf finden, dass SchülerInnen eine komplette Abschaffung der Noten wünschen. 3.3.4 Zur Bedeutung sozialer Beziehungen Die Schule wird von Jugendlichen als sozialer Raum erlebt, der das Treffen von Freunden und Kennenlernen neuer Menschen ermöglicht (vgl. u. a. Nölle 1995: 115; Denner et al. 2002: 52). Eine intakte und gut funktionierende Klassengemeinschaft stellt insofern für SchülerInnen 22 einen sehr wichtigen Aspekt von Schule dar (vgl. Bocka 2003: 132), der Einfluss auf das Lernen, die Schulleistung, das Verhalten und die Persönlichkeitsentwicklung nimmt (vgl. Grewe 2017: 547). Obwohl einige der Studien zum Klassenklima aus Schülersicht bereits einige Jahre zurückliegen, zeichnen deren Ergebnisse ein überwiegend positives Bild bezüglich des Auskommens und sozialen Miteinanders von SchülerInnen (vgl. u. a. Kanders et al. 1996: 66). In der Untersuchung von Haecker und Werres (1983: 84 f.) geben mehr als 80 % der Befragten an, sich immer oder oft mit anderen zu vertragen, Freude am Zusammensein mit den KlassenkameradInnen zu empfinden und sich nie oder sehr selten von diesen allein gelassen zu fühlen. Häufig werden Freunde und KlassenkameradInnen sogar als die wichtigsten Bezugspersonen genannt, die wesentlichen Einfluss auf das eigene Wohlergehen im schulischen Kontext nehmen. Werte wie Kompromissbereitschaft, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit, Vertrauen, gegenseitige Achtung sowie ein partnerschaftlicher Umgang prägen das Verständnis einer funktionierenden Klassengemeinschaft (vgl. Haselbeck 1999: 345). Dennoch gibt es einen geringen Anteil an SchülerInnen (4 %), der dieses positive Urteil hinsichtlich des Zusammenhalts und der Hilfsbereitschaft nicht teilt und angibt, sich stets oder oft ausgeschlossen zu fühlen (vgl. Haecker & Werres 1983: 86). Andere Studien sprechen sogar von 12,8 % der Lernenden, die 22 Czerwenka et al. (1990: 197) kommen unter Verweis auf frühere Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Mädchen sich häufiger über das Verhältnis zu anderen äußern und dass ihnen mit 24,4 % positive soziale Beziehungen in der Klasse wichtiger sind als Jungen (16,6 %). <?page no="51"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 51 über negative soziale Erfahrungen in der Schule berichten (vgl. Czerwenka et al. 1990: 139). Diese beziehen sich zumeist auf Streit und Aggressionen (ebd.) sowie unfaires Verhalten, z. B. Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund des Aussehens, der Nationalität, einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit oder wenn bei Fehlern gelacht wird. Aus einer solchen Außenseiterposition wieder herauszukommen empfinden die Betroffenen aufgrund fehlender Unterstützung als sehr schwer (vgl. Bocka 2003: 132 f.). Auch SchülerInnen, die als „zu gut“ oder „zu schlecht“ aus der Klassengemeinschaft herausstechen, erfahren häufig Stereotypisierungen und damit soziale Abwertung (vgl. Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982: 48 f). Dies führe zu einem Dilemma zwischen der sozialen Norm der Klassengemeinschaft einerseits und der schulisch vorgegebenen, formalen Konkurrenzstruktur andererseits. Der Wunsch, besser zu sein als die anderen, kollidiert mit dem Interesse an freundschaftlichen und kooperativen Beziehungen in der Klasse. Diese beiden Pole verlangen von den Lernenden ein ständiges Austarieren, um weder das Verhältnis zu MitschülerInnen zu gefährden noch im Vergleich der Leistungen zu unterliegen. Für Schüler können sich vielfältige Probleme aus der Konkurrenzstruktur im Klassenverband ergeben: die Angst vor dem Unterliegen in der Konkurrenz mit den anderen Schülern; die Abhängigkeit des Selbstwertgefühls als Person und der eigenen beruflichen und sozialen Zukunftsperspektiven von der relativen Stellung in der Leistungshierarchie; der Verlust der sozialen Bezüge zu anderen Schülern, den Konkurrenzstrukturen mit sich bringen können etc. (Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982: 43). Besonders nachdenklich stimmen die Ergebnisse einiger Langzeitstudien, die die Entwicklung des Klassenklimas über mehrere Jahrgangsstufen hinweg untersuchen und zu dem Ergebnis kommen, dass die Lernenden mit zunehmendem Alter mehr Konkurrenz in der Klasse wahrnehmen. Da das Klima von deutschen SchülerInnen im internationalen Vergleich deutlich schlechter eingeschätzt wird, ist dies jedoch nicht ausschließlich entwicklungspsychologisch, sondern vor allem durch schulische Faktoren zu begründen (vgl. Grewe 2017: 550 f.). 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung In der fremdsprachendidaktischen Forschung im deutschsprachigen Raum finden sich Arbeiten zur Schülersicht vergleichsweise seltener als in der Pädagogik. So plädiert auch Edmondson (1996a: 81) dafür, die Erfahrungen und Einsichten der Lernenden in der Fremdsprachendidaktik und in der Fremdsprachenpolitik als Evaluationskriterien für das Produkt Fremdsprachenunterricht ernster zu <?page no="52"?> 52 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick nehmen. Darüber hinaus verfolgen sie andere Ansätze. Der Zugang zur Schülersicht erfolgt hier insbesondere über die Erforschung attitudinaler und affektiver Faktoren beim Fremdsprachenlernen (vgl. u. a. Düwell 1979; Hermann-Brennecke 1983; Meißner et al. 2008; Cronjäger 2009; Venus 2017b) sowie Studien zu subjektiven Theorien (vgl. Kallenbach 1996) bzw. beliefs (vgl. Rück 2009) oder zur Bildungsgangforschung (vgl. u. a. Trautmann 2014; Bauer 2015). Alle drei Forschungsstränge sollen nachfolgend kurz skizziert werden. Erforschung attitudinaler und affektiver Faktoren Den Versuch einer Auseinandersetzung mit den Begriffen „affektive“ und „attitudinale“ Faktoren unternimmt Finkbeiner. Sie verweist auf eine „Tradition der Vermischung von Konstrukten“ (2001: 355). Infolge der terminologischen Vagheit relativiert sie die Möglichkeit einer eindeutigen und trennscharfen Definition. Vielmehr könne es sich bei Definitionsversuchen deshalb nur um eine Annäherung an Vorstellungen über diejenigen Konstrukte handeln, die „im Moment von der scientific community am ehesten mit den Begriffen attitudinal und affektiv assoziiert werden“ (ebd.). Sie fordert insofern dazu auf, „zu explizieren, was wir untersuchen, wenn wir von affektiven und attitudinalen Faktoren sprechen“ (ebd.). Riemer (2001: 379) kritisiert bei der Erforschung affektiver Faktoren, dass häufig nicht trennscharf zwischen Einstellungen, Orientierungen, Motivationen und Motiven unterschieden wird, was einen Überblick über dieses Forschungsgebiet erschwert. Auch Venus weist auf Überlappungen des Faktors Einstellungen mit anderen Konzepten hin und konstatiert, „dass der Motivationsbegriff Einstellungen zu verschiedenen Einstellungsobjekten umfasst, d. h., Einstellungen werden hier als ein der Motivation untergeordnetes Konzept begriffen“ (Venus 2017a: 123). Als wegweisend für die Erforschung der attitudinalen und affektiven Faktoren beim Fremdsprachenlernen ist die Fragebogenstudie von Düwell (1979) anzuführen, dessen Forschungsinteresse sich auf die Motivation, die Einstellungen sowie das Interesse von SchülerInnen im Französischunterricht der Sekundarstufe I ab Klasse 7 richtet. Eine spätere, jedoch in Erkenntnisinteresse und Forschungsmethodik vergleichbare Untersuchung bildet die europäische Vergleichsstudie Mehrsprachigkeit fördern. Vielfalt und Reichtum Europas in der Schule nutzen (MES) von Meißner et al. (2008), welche die Lernerfahrungen sowie Einstellungen und Haltungen von SchülerInnen zweier Jahrgangsstufen gegenüber verschiedenen Sprachen quantitativ erforscht. Venus (2017b), die ebenfalls im Rahmen einer quantitativen Fragebogenstudie die Einstellungen von bayerischen SchülerInnen an Gymnasien und Realschulen untersucht, geht darüber hinaus den Zusammenhängen dieser Einstellungen mit dem Lernerfolg <?page no="53"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 53 sowie im Hinblick auf Unterschiede zwischen bestimmten Gruppen (z. B. Geschlecht oder Sprachenfolge) nach. In einem engen Zusammenhang mit der Schülersicht steht ebenso die individuelle Lernervariable Motivation, die neben der Sprachlerneignung als einer der „ big two“- Faktoren für erfolgreiches Fremdsprachenlernen gilt (vgl. Ellis 2004). Riemer nennt als die beiden Hauptstränge der Motivationsforschung Inhalts- und Prozesstheorien, wobei sich die Forschung bislang vor allem „mit den Beweggründen von Lernenden für das Fremdsprachenlernen und damit verbundenen Willensbildungsprozessen als mit motivationalen Prozessen im Verlauf des Fremdsprachenlernens befasst “ (Riemer 2016: 267). Gerade Letztere, die Prozesstheorien, sind jedoch von Interesse, wenn es bspw. um Abwahlentscheidungen in Bezug auf die zweiten Fremdsprachen geht. Einem solchen Ansatz folgt in der romanistischen Fremdsprachenforschung zuletzt Hoffmann (2017), die in ihrer qualitativen Fallstudie mithilfe eines halbstrukturierten, leitfragenorientierten Interviews die Motive und Motivationsprozesse von FranzösischschülerInnen der elften Jahrgangsstufe in Berlin untersucht. Obwohl die Berücksichtigung von Emotionen beim Fremdsprachenlernen in der Vergangenheit immer wieder als Desiderat formuliert wurde, beschränken sich bisherige Ansätze in der Emotionsforschung weitgehend auf den affektiven Faktor Angst, insbesondere im Hinblick auf die mündliche Sprachproduktion (vgl. Riemer 2016: 268 f.). Besonders hervorzuheben ist insofern die Arbeit von Cronjäger (2009), die mittels eines Längsschnittdesigns die Intensität, die Bedingungen und Wirkungen sowie Veränderungen von Unterrichtsemotionen (Freude, Stolz, Ärger, Angst, Langeweile) während eines Schuljahres zu vier unterschiedlichen Messzeitpunkten untersucht. Betrachtet man die forschungsmethodologischen Konzeptionen, die diesen Untersuchungen zugrunde liegen, fällt auf, dass die Mehrzahl der Arbeiten, die sich mit der Erforschung affektiver Faktoren beschäftigen, quantifizierende Ansätze verfolgen. Daneben existieren jedoch auch Studien, die im qualitativen Forschungsparadigma zu verorten sind. Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien Besonders hervorzuheben ist hier das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (vgl. Kallenbach 1996; Grotjahn 1998; Kolb 2007), das einen explorativen Zugang zu den individuellen Sichtweisen der SchülerInnen auf das Erlernen fremder Sprachen ermöglicht. Durch die Anwendung dieses aus der Sozialpsychologie stammenden Forschungsprogramms (vgl. Groeben et al. 1988) auf den Kontext des Fremdsprachenlernens gelingt es, Einsichten in die individuellen Vorstellungen und Überzeugungen von Lernenden - d. h. „ihre jeweils subjektiv erlebten, empfundenen und ‚verarbeiteten‘ Erfahrungen im Umgang <?page no="54"?> 54 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick mit Fremdsprachenlernen“ (Kallenbach 1996: 75) - zu gewinnen. Die individuellen Sichtweisen von OberstufenschülerInnen erhebt Kallenbach mittels eines dreischrittigen Verfahrens aus Interview, Fragebogen und Struktur-Lege-Technik. 23 Damit unterscheidet sich ihre Studie in Bezug auf die theoretische Konzeption, die der Schülersicht zugrunde gelegt wird. Denn anders als bei den zuvor genannten Arbeiten geht es bei diesem Ansatz nicht um die empirische Messung bzw. Erforschung affektiver Lernervariablen, sondern um „komplexe Wissenskonstrukte, die der/ die einzelne aus der persönlichen Erfahrung im Umgang mit Fremdsprachen in und außerhalb der Schule aufbaut“ (ebd.: 49). Martinez (2008: 98) verweist in ihrer Studie auf das Forschungsprogramm Subjektive Theorien als den „am weitesten ausgearbeitete[n] Ansatz zur Rekonstruktion der subjektiven Sicht von Lernenden“. Aktuelle fremdsprachendidaktische Studien (vgl. u. a. Trautmann 2014; Bauer 2015) wählen bei der Erfassung der Lernerperspektive zunehmend qualitativ-rekonstruktive Forschungsansätze, die der Bildungsgangforschung (vgl. Decke-Cornill et al. 2007) zuzuordnen sind. Diese betont die Prozesshaftigkeit von subjektiven Bildungsgängen sowie die biografische Dimension des Lernens und ist damit besonders geeignet, bildungsbezogene Entwicklungsverläufe in den Blick zu nehmen (vgl. Kallenbach 2007: 217). Bildungsgangforschung Meyer bezeichnet die Bildungsgangforschung als „research on learner development and educational experience “ (Meyer 2009: 1), die „mit der Konzentration auf den Gang der Bildung die Perspektive der Lernenden [betont]“ (ebd., Hervorh. im Orig.). Als Fragestellungen der Bildungsgangforschung formuliert Meyer folgende Schwerpunkte: • Uns interessiert Bildung als ein sozialisatorischer Prozess, in dem sich das Selbst entwickelt, mit Krisen, Regressionen, Brüchen, Entwicklungsschüben und Aufbrüchen. • Uns interessieren die Perspektiven, die sich für die Selbstregulation des Lernens unter der Bedingung institutionalisierter Lehre eröffnen. • Uns interessiert, wie sich Heranwachsende in diesen Lehr-Lern-Situationen verhalten, wie sie ihre Lernaufgaben deuten und welche Sinnkonstruktionen sie mit dem Unterricht verbinden. 23 Eine ausführliche Darstellung der Anwendung des Forschungsprogramms Subjektive Theorien sowie seiner Adaptionen in der Fremdsprachenforschung findet sich in Kallenbach (1996) sowie Martinez (2008). <?page no="55"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 55 • Uns interessiert, ob und wie die Heranwachsenden Entwicklungsaufgaben , die gesellschaftliche Anforderungen und Beschränkungen mit individuellen Bedürfnissen, Interessen und Fähigkeiten vermitteln, wahrnehmen und bearbeiten. • Uns interessiert, wie die Heranwachsenden nicht nur Wissen und Können, sondern zugleich auch die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zu verantwortlichem Handeln für eine Welt entwickeln, die zunehmend komplexer und schwieriger wird. (ebd., Hervorh. im Orig.) So richtet sich bspw. das Erkenntnisinteresse der Arbeit von Trautmann auf die Rekonstruktion subjektiver Erlebnisweisen und die Frage, „wie Fremdsprachenlernen/ -erwerb von Schülerinnen und Schülern subjektiv erfahren und bewältigt wird“ (2014: 10), um Bedingungen des Gelingens bzw. Misslingens der Anforderung Fremdsprachenlernen herauszuarbeiten. Ähnlich gelagert ist die Herangehensweise von Bauer, die in ihrer Arbeit „ die Erfahrungen der Lernenden sowie ihre daraus resultierende Bezugnahme zur englischen Sprache sowie zu den Fachgegenständen des Englischunterrichts“ (2015: 104, Hervorh. im Orig.) rekonstruiert. Beide Ansätze zeigen die Potenziale rekonstruktiver Forschungsansätze auf, sind jedoch eher in der anglistischen Fremdsprachendidaktik zu verorten. Vergleichbare Untersuchungen aus der Didaktik der romanischen Sprachen liegen bislang nicht vor. Wie deutlich wurde, verfolgen Studien, deren Erkenntnisinteresse auf die Erforschung der Lernerperspektive gerichtet ist, zum Teil unterschiedliche Ansätze und sind damit in ihren methodischen Zugängen nur bedingt vergleichbar. Dennoch liefern sie wichtige Einsichten in die subjektiven Sichtweisen von SchülerInnen. Ein Überblick über zentrale Ergebnisse der Arbeiten zur Schülersicht soll daher Gegenstand der nachfolgenden Kapitel sein. 3.3.1 Die Abwahl der zweiten Fremdsprache Neben der Notwendigkeit einer kritischen Hinterfragung der bildungspolitischen Rahmenbedingungen (vgl. Kap. 2) legen die vorliegenden empirischen Untersuchungen 24 nahe, dass die Abwahl des Faches Französisch auch vor dem Hintergrund des erlebten Unterrichts zu diskutieren ist. Auch Meißner (1997: 19) mahnt an, dass monokausale Begründungszusammenhänge zu kurz greifen, um diese Entwicklungen hinreichend zu erklären, und verweist auf die Notwendigkeit, die Motive für die Hinzu- oder Abwahl von Fremdsprachen in der 24 Obwohl das zentrale Erkenntnisinteresse dieser Arbeiten nicht direkt in der Erfassung der Unterrichtswahrnehmung besteht (vgl. Tabelle Fremdsprachendidaktische Studien zur Erforschung der Schülersicht im Anhang), lassen sich dennoch Erkenntnisse über die Sicht der Lernenden auf ihren Fremdsprachenunterricht ableiten. <?page no="56"?> 56 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick Sekundarstufe II genauer zu erforschen. 25 Neben einer Reihe anderer Fragestellungen wirft auch er die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen konkreten Unterrichtserlebnissen und dem Abwahlverhalten von SchülerInnen auf. Die Ursachen für die Entscheidung gegen eine bestimmte Fremdsprache scheinen vor allem in (schulischen) Lernerfahrungen begründet: Während bei Eintritt in die Sekundarstufe und zu Beginn des Fremdsprachenunterrichts schulisches und berufliches Nützlichkeitsdenken dominieren, treten nun [am Ende der Sekundarstufe I, Anm. d. Verf.] die Auswirkungen der persönlichen Begegnung mit dem fremdsprachlichen Medium in den Vordergrund. (Hermann-Brennecke & Candelier 1993: 240) Auch Schumann und Poggel (2008: 114) argumentieren, dass der Rückgang der Schülerzahlen nicht dem mangelnden Interesse der Jugendlichen an Frankreich und den FranzösInnen, „sondern eher der Methodik des Französischunterrichts und den Frustrationserlebnissen beim Erlernen der französischen Sprache geschuldet ist“. Nur die Hälfte der SchülerInnen (53,3 %) gibt an, Französisch gern zu lernen; 41 % verneinen dies. Etwa ein Drittel der Lernenden (36,7 %) lernt Französisch nur aufgrund der Obligatorik einer zweiten Fremdsprache (vgl. ebd.: 116). Venus (2017b) kann in ihrer Arbeit zeigen, dass mehr als 60 % der SchülerInnen nach der Schulzeit Französisch nicht weiterlernen wollen. 26 Entgegen den bereits angesprochenen Befürchtungen einer vermeintlichen Bedrohung des Französischen durch andere (Schul-)Fremdsprachen 27 verdeutlichen die Ergebnisse von Bittner, der im Rahmen einer quantitativen Fragebogenstudie an Hamburger Gymnasien dem Zusammenhang zwischen Unterrichtsgestaltung und Wahlverhalten am Ende der Sekundarstufe I nachgeht (vgl. Tab. 3), dass „[s]chlechte Zensuren, ein hoher Schwierigkeitsgrad des Faches und bisweilen Unzufriedenheit mit der Unterrichtsgestaltung“ (2003: 347) zu den wichtigsten Gründen gehören, die zur Abwahl des Faches führen. 25 Wenngleich Meißner (1997: 14) auf bereits vorhandene Arbeiten verweist, plädiert er für eine aktualisierte empirische Überprüfung. 26 Bei der Interpretation dieses Wertes ist zu berücksichtigen, dass in der Stichprobe von Venus eine ungleiche Verteilung der Geschlechter vorliegt (39,9 % männlich, 60,1 % weiblich). 27 Nur 5 % der befragten SchülerInnen geben in der Untersuchung an, dass sie Französisch abwählen, um sich auf Englisch zu konzentrieren. Für das Fach Spanisch liegt dieser Wert sogar nur bei 2,5 % (vgl. Bittner 2003: 344). <?page no="57"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 57 Anzahl der Nennungen Gründe für die Abwahl des Faches Französisch 257 schlechte Zensuren / schlechte Leistungen / Wissenslücken / bin nicht so gut / komme nicht gut zurecht 224 Französisch ist (zu) schwer 172 schlechter Unterricht / schlechte Vermittlung / Unterricht macht keinen Spaß / mag das Fach nicht / Unterricht interessiert mich nicht / Unterricht ist langweilig / schlechte Lehrer 65 ziehe Englisch vor / Englisch ist wichtiger / Englisch ist Weltsprache / Englisch ist leichter 40 sprachlich nicht begabt 36 wähle nichtsprachliche Fächer / ziehe naturwissenschaftliche Fächer vor 33 ziehe Spanisch vor / Spanisch ist wichtiger 31 Ablehnung gegenüber Franzosen und der Sprache Tabelle 3: Gründe für die Abwahl des Faches Französisch (Bittner 2003: 343) Gleiches zeigt die Untersuchung von Düwell (1979: 100). Als häufigste Gründe für sinkendes Fachinteresse werden von den Lernenden der zehnten Jahrgangsstufe „Monotonie in der Methode/ keine ansprechenden Themen“, „Es wird immer schwerer/ Leistungen lassen nach“ sowie „Zur Person des Lehrers“ genannt. Beide Studien verdeutlichen, dass sich trotz des großen zeitlichen Abstandes die Gründe, die für sinkendes Interesse genannt werden, ähneln und dass es vor allem unterrichtsimmanente Faktoren sind, die für die Abwahl des Faches Französisch den Ausschlag geben. Im Folgenden soll deshalb genauer dargestellt werden, was die Lernenden im Einzelnen über diese Faktoren denken. Da in beinahe allen Studien auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern sowie im Vergleich der Jahrgangsstufen hingewiesen wird, greifen die UnterKapitel 3.3. 6 und 3. 3. 7 diese Diskurse auf. 3.3.2 Die Fremdsprachenlehrkraft Obwohl die Frage, was einen ‚guten Fremdsprachenlehrer‘ ausmacht, in der Vergangenheit kaum gestellt wurde (vgl. Königs 2014: 71), betont Edmondson (1996a: 76), welch bedeutsame Rolle der Lehrkraft beim Fremdsprachenlernen zukommt und dass sie „sowohl positive als auch negative motivationelle Wirkungen haben kann“. Ob der Französischunterricht Spaß macht, hängt von der Lehrperson ab. 85,3 % der befragten SchülerInnen stimmten dieser Aussage in der Studie von Venus (2017b) voll und ganz oder eher zu. Wenn Studierende ihren Fremdsprachenunterricht rückblickend als interessant bewerten, tun sie <?page no="58"?> 58 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick dies vor allem im Zusammenhang mit der Persönlichkeit oder Qualifikation der Lehrkraft (vgl. Macht & Schröder 1976: 280). Kallenbach (1996: 179) kommt in einer Zusammenschau von Bedingungsfaktoren, die das Fremdsprachenlernen beeinflussen, zu dem Ergebnis, dass die Haltungen von SchülerInnen maßgeblich von externen Faktoren beeinflusst werden und die Lehrperson dabei den größten Einfluss auf Lerndispositionen, -bereitschaften und -erfolg sowie auch langfristige Einstellungen nimmt. Aus Sicht der SchülerInnen liegt demnach der eigene Lernerfolg maßgeblich in der Verantwortung der Lehrkräfte: Lernen wird nicht als genuine und ausschließliche Aktivität der Schüler/ innen aufgefaßt, sondern wird immer wieder in das Spannungsfeld Lehrer/ in - Schüler/ in gestellt. Es entsteht dabei ein stark lehrerzentriertes Vermittlungsmodell, in dem das Gelernte als Abbild des Gelehrten erscheint: Die Lehrerin muß den Stoff (A) und auch Interesse (B) ‚rüberbringen‘, so der häufigste Ausdruck. (ebd.: 183) Wie wichtig im Fremdsprachenunterricht verständliche Lehreräußerungen sowie konkrete Arbeitsanweisungen und transparente Erwartungen seitens der Lehrperson sind, zeigt auch die Studie von Cronjäger (2009: 235), die einen Zusammenhang zwischen wahrgenommener Unverständlichkeit der Lehrkraft und dem Erleben von Ärger im Fremdsprachenunterricht herstellt. Dies führt sie vor allem auf das in der Folge nicht erfüllte Bedürfnis der Lernenden, sich selbst als kompetent wahrzunehmen, zurück. SchülerInnen wünschen sich deshalb insbesondere für den Fremdsprachenunterricht, dass sich ihre Lehrkräfte Zeit für Verständnisschwierigkeiten nehmen (vgl. Kallenbach 1996: 182). Sind die Lernenden zufrieden mit der Erklärungskompetenz ihrer Lehrkräfte und zeichnet sich der Unterricht durch Klarheit, eine hohe Verständlichkeit und eine positive Fehlerkultur aus, wirkt sich dies positiv auf die Leistungsmotivation, das Lerninteresse sowie die Bedeutsamkeit, die der Fremdsprache beigemessen wird, aus (vgl. Holder 2005: 243; Klieme et al. 2006: 44). SchülerInnen erwarten von ihren Lehrkräften in Bezug auf Sprechtempo, Aussprache und Nähe zur Alltagssprache eine nahezu perfekte, authentische Beherrschung der Fremdsprache. So ist die Mehrzahl der Lernenden auch an einem einsprachigen Unterricht interessiert (vgl. Kallenbach 1996: 181 f.). Wenn im Unterricht überwiegend die Zielsprache als Unterrichtssprache verwendet und in Diskussionen auf die deutsche Sprache verzichtet wird, scheint sich dies positiv auf die Wahrnehmung des Fremdsprachenunterrichts und das Wahlverhalten am Ende der Sekundarstufe I auszuwirken (vgl. Bittner 2003: 347). Einer ausschließlichen Verwendung der Zielsprache stehen die SchülerInnen hingegen kritisch gegenüber (vgl. u. a. Düwell 1979: 121). Die Ergebnisse der fächerunabhängigen Studie von Czerwenka et al. (1990: 90) bestätigen, dass die Lernenden den Fremdsprachenunterricht kritisieren, wenn „Englisch oder Fran- <?page no="59"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 59 zösisch als Unterrichtssprache in dem betreffenden Fach“ verwendet wird. Insbesondere bei der Vermittlung von Unterrichtsinhalten wie Grammatik wird die konsequente Einsprachigkeit im Französischunterricht als problematisch wahrgenommen. Lernende erwarten von ihren Lehrkräften, dass diese vor allem bei der Klärung von Verständnisschwierigkeiten und Fragen übersetzen und auf die deutsche Sprache zurückgreifen (vgl. Bittner 2003: 346). Die zuvor dargestellte Dichotomie „streng, aber auch nett“ in Bezug auf die Erwartungen an die Lehrperson kann durch fremdsprachendidaktische Studien unterstrichen werden. Neben einer konsequenten und energischen Unterrichtsführung sollten Lehrkräfte aus Sicht der SchülerInnen geduldig sein, auf einzelne SchülerInnen eingehen sowie abwechslungsreiche, auflockernde und freudbetonte Lernphasen einplanen, zu denen sie bspw. fremdsprachige Lieder, Filme oder ein gemeinsames „typisches“ Frühstück zählen (vgl. Hermann-Brennecke & Candelier 1993: 243 f.; Kallenbach 1996: 183; Küster 2007: 217 f.). Einer Vermittlung kultureller Aspekte - zu denen sie u. a. Essensgewohnheiten und Begrüßungsformeln sowie Musik, Literatur und geschichtliche Themen zählen - stehen sie jedoch gleichzeitig mit einer gewissen Skepsis gegenüber, da man kulturspezifische Einsichten nur durch authentische Erfahrungen im Zielsprachenland erwerben könne (vgl. Kallenbach 1996: 176). Umso wichtiger sei es deshalb, dass Lehrpersonen möglichst viele eigene, persönliche Erlebnisse aus den Zielsprachenländern und mit deren SprecherInnen in den Unterricht einbringen könnten (vgl. ebd.: 182). Vor allem auf die motivationale Entwicklung der SchülerInnen können sich Kontakte der Lehrkraft ins Ausland positiv auswirken 28 (vgl. Klieme et al. 2006: 44). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die fremdsprachendidaktische Forschung bislang zu wenig Antworten auf die Frage hervorgebracht hat, welche Auswirkungen die Lehrperson auf die individuellen Einstellungen der Lernenden hat, sodass Finkbeiner (2001: 369 f.) fordert, „[d]ie Wirkungen von Unterrichtsstil und Lehrerrolle […] auf attitudinale und affektive Faktoren von Fremdsprachenlernenden zu untersuchen“. 3.3.3 Unterrichtsgestaltung und Methoden Eine mitteilungsbezogene, kommunikative Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts sowie eine hohe mündliche Orientierung werden von den Lernenden positiv bewertet (vgl. Bittner 2003: 348). Die Probanden in der Studie von Kallenbach (1996: 185) gaben jedoch an, mehr idiomatische Ausdrücke und Rede- 28 Positiv auf die Motivation der Lernenden wirkt sich ebenso aus, wenn sich die Lehrperson „über fachdidaktische Fragen auf dem Laufenden hält, indem sie etwa eine fachdidaktische Zeitschrift bezieht“ oder „eine Funktion als Ausbilder, Mentor oder Betreuer (von Junglehrerinnen und -lehrern, Praktikantinnen und Praktikanten) ausübt“ (Klieme et al. 2006: 44). <?page no="60"?> 60 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick wendungen sowie Füllwörter, die auf authentische Kommunikationssituationen im Ausland vorbereiten, zu vermissen. Wird das freie Sprechen im Unterricht zu wenig oder nicht hinreichend gefördert, sinkt das Interesse der SchülerInnen am Französischunterricht (vgl. Düwell 1979: 105). Umso alarmierender sind insofern die Ergebnisse von Bittner über die anhaltende Vernachlässigung der Mündlichkeit in der Unterrichtspraxis. So gab mehr als ein Drittel der befragten SchülerInnen an, dass Diskussionen und freies Sprechen seltener als einmal in der Woche Unterrichtsgegenstand seien (vgl. Bittner 2003: 348). Vieles deutet also darauf hin, dass die in der DESI-Videostudie von Klieme et al. (2006) belegten geringen Sprechzeiten der Lernenden im Englischunterricht 29 auch für den Unterricht der zweiten Fremdsprachen anzunehmen sind. Damit wird der Unterricht dem Wunsch der Lernenden nach mehr Aktivitäten zur Förderung des Sprechens nicht gerecht: Mehrere der älteren Schülerinnen und Schüler bemängelten, dass Sprachspielerisches, szenisches Spiel, und Rollenspiele zu wenig Raum fänden. Ihnen würden zu selten anreizstarke Sprechimpulse und Gelegenheiten zum Sprechenüben in der Zielsprache geboten, hieß es sinngemäß. Die Siebt- und Achtklässler forderten ‚endlich sprechen zu lernen‘. (Sambanis 2009: 10) Mehr als zwanzig Jahre nach Erscheinen der Arbeit von Düwell scheint sich in Bezug auf die Mündlichkeit insofern wenig geändert zu haben. Möglicherweise wird diese Vernachlässigung in der Sekundarstufe II jedoch ein Stück weit aufgehoben, zieht man die Studie von Beckmann hinzu. Hier gaben die OberstufenschülerInnen an, dass die wahrgenommene Priorität im Fremdsprachenunterricht beim Sprechen und Schreiben liege. Dies entspricht zumindest in Teilen den Wünschen der Lernenden, deren bevorzugte Kompetenzbereiche im Bereich des Sprechens und Hörverstehens liegen (vgl. Beckmann 2016: 316). Nach Aussagen der SchülerInnen bildet das Hörverstehen den Kompetenzbereich, der im Fremdsprachenunterricht am wenigsten Berücksichtigung findet (vgl. ebd.: 238ff.). Die Vernachlässigung der Mündlichkeit im Französischunterricht geschieht häufig zugunsten von Grammatikvermittlung (vgl. Bleyhl 1999: 252 ff.; Reinfried & Kosch 2003: 24; Küster 2007: 215), wobei diese bei SchülerInnen eher unbeliebt ist (vgl. Piepho 1976: 123; Düwell 1979: 105; Kallenbach 1996: 198). Die Dominanz der Grammatikarbeit im erlebten Unterricht steht der Relevanz, die SchülerInnen diesem Lerngegenstand zuordnen, diametral gegenüber (vgl. Küster 2007: 220). Ein Drittel der Lernenden, die das Fach Französisch abwäh- 29 Insgesamt betrug die Sprechzeit der beobachteten Lehrkräfte bei über 50 %, die der Lernenden lag bei gerade einmal 23,5 %, wobei wiederum mehr als die Hälfte dieser Sprechzeit auf Ablesen (z. B. Vorlesen), Wiederholen, Nachsprechen oder Äußerungen in der Muttersprache entfällt (vgl. Klieme et al. 2006: 48). <?page no="61"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 61 len, weil sie es als zu schwer empfinden, führen dies auf Schwierigkeiten im grammatischen Bereich zurück (vgl. Bittner 2003: 349 f.). Auch in der Studie von Freudenstein wirkt sich ein zu hoher Stellenwert von Grammatik im Unterricht negativ auf die Motivation zum Weiterlernen aus (vgl. Freudenstein 1997: 104). Dabei ist den SchülerInnen bewusst, dass aufgrund der Progression im Bereich Grammatik schnell Wissenslücken entstehen und Zusammenhänge verloren gehen können (vgl. Kallenbach 1996: 199). Ein anderes Bild zeigt sich hingegen für den Bereich des Wortschatzlernens. Während sich zu viel Grammatik im Fremdsprachenunterricht negativ auf das Wahlverhalten auszuwirken scheint, gilt für Wortschatzarbeit eher das Gegenteil. Findet diese im Unterricht eine große Berücksichtigung, zeigen sich positive Effekte auf die Bereitschaft, die Fremdsprache fortzuführen (vgl. Bittner 2003: 345). Eine monotone, stereotype Unterrichtsgestaltung, d. h. immer wiederkehrende Abläufe und Methoden im Fremdsprachenunterricht sind wesentliche Aspekte, die von SchülerInnen beklagt werden (vgl. Fichten 1993: 130 f.; Kallenbach 1996: 180). Hier decken sich also die Ergebnisse mit denen der zuvor beschriebenen fächerunabhängigen Studien. Monotonie in der Methode wird - neben nicht ansprechenden Themen - als häufigste Ursache für sinkendes Interesse und fehlende Motivation im Französischunterricht angegeben (vgl. Düwell 1979: 100), sodass der Französischunterricht am Ende der Sekundarstufe I zahlreiche Lernende verliert. Doch scheint dies insbesondere für den Französischunterricht zu gelten, denn SchülerInnen nehmen in Bezug auf die methodische Gestaltung auch Unterschiede zwischen den zu erlernenden Fremdsprachen wahr. Für das Fach Spanisch als dritte Fremdsprache wird die höhere Lernökonomie und -effizienz bei der Unterrichtsgestaltung sehr positiv bewertet. Der Unterricht folge einer schnelleren Progression, sei systematischer und das Vorwissen der Lernenden werde viel stärker mit in den Unterricht einbezogen (vgl. Kallenbach 1996: 222 f.). Mehr als die Hälfte der befragten Zehntklässler (53 %) bevorzugen Englisch gegenüber dem Französischunterricht und begründen ihre Entscheidung neben dem eigenen fortgeschrittenen Lernniveau und den interessanteren Themen damit, dass er methodisch besser und abwechslungsreicher sei und man eher folgen könne (vgl. Düwell 1979: 145). Doch wenngleich der Englischunterricht in der Wahrnehmung der Lernenden häufig positiver abschneidet als das Fach Französisch, scheinen auch hier aktivierende Methoden eines kommunikations- und handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts vernachlässigt zu werden. So deckt sich die Unterrichtswahrnehmung der Lernenden weitgehend mit den Unterrichtsbeobachtungen und -analysen von Zydatis: <?page no="62"?> 62 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick In den meisten Gymnasialklassen zeichnet sich der Englischunterricht über große Strecken der Unterrichtszeit durch ein erhebliches Maß an Variationsarmut aus. Der Unterrichtsalltag wird im Wesentlichen vom Skript des lehrergesteuerten, „erarbeitenden“ Unterrichtsgesprächs (nach dem kleinschrittigen „PING-PONG“-Modell der Lehrer/ Schüler-Interaktion) oder vom ebenfalls lehrergeleiteten Skript der „gelenkten“ induktiven Regelfindung einer stark formgebundenen Grammatikarbeit geprägt (nach dem Dreischritt: Präsentation von Beispielsätzen, Erarbeitung einer Regel, Einüben der Struktur). In beiden Vorgehensweisen dominieren im Prinzip der anfängliche Frontalunterricht und eine sich daran anschließende Einzel- oder Stillarbeit. (Zydatis 2007: 392 f.) Als besonders eintönig beurteilen die Lernenden im Fremdsprachenunterricht Lehrbucharbeit und grammatische Übungen, die als stupide und nervig empfunden werden (vgl. Kallenbach 1996: 185). In der Studie von Küster (2007: 216) stimmen weniger als 5 % der Befragten der Aussage, das Lehrwerk wirke modern und ansprechend, völlig zu. Nur 9 % bewerten die Übungen im Lehrwerk als vielfältig. Dies bestätigt auch die Pilotstudie von Börner (2000) an der Uni Hamburg, bei denen Fremdsprachenstudierenden zwei bzw. drei Aufgaben in den Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch zur Bearbeitung vorgelegt wurden. Diese zeigt hinsichtlich der Lösungshaltung, dass Grammatikaufgaben formal, schematisch und mechanisch gelöst und als nicht sehr lernförderlich empfunden werden: „Zweifellos gehen viele Lerner in hohem Maße strategisch an das Üben heran, aber es sind Strategien des formalen Lösens, weniger des inhaltlichen Verarbeitens oder des Verstehens grammatischer Regularitäten.“ (Börner 2000: 335) Angestrebt wird folglich nicht Verarbeitungstiefe, sondern Verarbeitungsökonomie (vgl. ebd.: 334). Vor diesem Hintergrund überrascht auch nicht, dass SchülerInnen sprachenübergreifend und unabhängig von ihrer Einstellung gegenüber dem Fremdsprachenlernen mehr kognitivierende Unterrichtsverfahren, d. h. eine stärkere Bewusstmachung sprachlicher Strukturen sowie regelmäßiges und strukturiertes Üben vermissen (vgl. Hermann-Brennecke & Candelier 1993: 243 f.). 3.3.4 Schwierigkeitsgrad des Faches und Leistungsentwicklung Wie bereits angedeutet, bilden die eigenen schlechten Zensuren bzw. Leistungen - beide Begriffe werden von den Lernenden synonym verwendet (vgl. Bittner 2003: 343 f.) - sowie der wahrgenommene Schwierigkeitsgrad des Faches wesentliche Gründe für sinkendes Fachinteresse und die Abwahl des Faches Französisch (vgl. u. a. Düwell 1979; Hermann-Brennecke & Candelier 1993; Bittner 2003). Zwischen der Französisch-Note und der Bereitschaft, das Fach abzuwählen, besteht ein hochsignifikanter Zusammenhang, was Hermann-Brennecke <?page no="63"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 63 und Candelier (1993: 243) wie folgt begründen: „Anders ausgedrückt, verspürt jemand, der in dieser Sprache nicht gerade reüssiert, auch keine große Neigung, sich weiterhin Mißerfolgserlebnissen auszusetzen.“ Bei der Bewertung des Französischen spielen aus der Sicht von SchülerInnen die steigende Progression in der Grammatik, die Aussprache und der Wortschatz sowie damit verbundene Herausforderungen eine ebenso große Rolle wie enttäuschte Erwartungen, sich Französisch leichter und interessanter vorgestellt zu haben. Nachlassende Leistungen werden häufig über die steigende Schwierigkeit der Sprache erklärt (vgl. Düwell 1979: 105 f., 115). Dabei ist der Begriff „Schwierigkeit“ (vgl. u. a. Serra Borneto) nicht unproblematisch, wird er doch selten präzise definiert. In Abgrenzung zu dem Begriff „Lernbarkeit“ 30 schlägt Sigott vor: Unter Schwierigkeit soll hingegen der mutmaßliche, informell beobachtete oder erfahrene Lernaufwand verstanden werden, den das Erlernen einer Fremdsprache oder Aspekte einer Fremdsprache einem Lerner oder einer Gruppe von Lernern abverlangt. Aussagen über die Schwierigkeit können von Einzelpersonen direkt geäußert oder von Wissenschaftlern mittels Fragebogen erhoben werden. Aussagen zur Schwierigkeit von Fremdsprachen erhalten eine subjektive Komponente. Sie haben ihren Ursprung zumindest teilweise in der persönlich verspürten Anstrengung, die der Erwerbsprozeß dem Lerner abverlangt. (Sigott 1993: 26, Hervorh. im Orig.) Auch Cronjäger (2009: 239) sieht in dem Schwierigkeitsempfinden der Lernenden einen wichtigen Indikator für Abwahlentscheidungen in der Oberstufe. Besonders nachdenklich stimmt, dass die Einschätzung der wahrgenommenen Schwierigkeit bereits im ersten Lernjahr signifikant steigt und gleichzeitig Einfluss auf das Angsterleben der SchülerInnen nimmt. Dass sich hier eine deutliche Diskrepanz gegenüber dem Einsetzen der Fremdsprache Französisch abzeichnet, zeigt auch die Befragung von Caspari (2005: 12). In ihrer Interviewstudie an neun Berliner Grundschulen mit Französisch als erster Fremdsprache wird der höhere Schwierigkeitsgrad im Vergleich zur englischen Sprache hier noch als herausfordernd und etwas im positiven Sinne Besonderes gesehen. Das Erlernen von Fremdsprachen wird von den SchülerInnen als langwieriger Prozess betrachtet. Im fortgeschrittenen Lernprozess sind die Fremdsprachen in der Wahrnehmung der Lernenden schneller abrufbar und erscheinen ihnen 30 Als Lernbarkeit bezeichnet Sigott (1993: 26) „die Höhe des Lernaufwandes, definiert als Verhältnis von erforderlicher Lernzeit zu durch objektive Messung ermitteltem Sprachkompetenzniveau“. Da es hier jedoch um die subjektiv empfundene Wahrnehmung der Lernenden gehen soll, wird auf Darstellungen im Sinne der Lernbarkeit von Fremdsprachen oder eine differenzierte linguistische Betrachtung verzichtet (vgl. dazu u. a. Gauger 1981; Sigott 1993; De Florio-Hansen 1995; Meißner 1998; Klein 2002). <?page no="64"?> 64 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick leichter (vgl. Kallenbach 1996: 205). So erklärt sich auch, dass die Verfügbarkeit des Englischen insgesamt als besser eingeschätzt wird als für die nachgelernte französische oder spanische Sprache 31 , über deren Gebrauch und Anwendung die SchülerInnen noch stärker nachdenken müssen (vgl. ebd.: 207). Dass Englisch im Vergleich zu Französisch von der Mehrheit der SchülerInnen als leichter eingeschätzt (vgl. Venus 2017a: 132) und aus diesem Grund am Ende der Sekundarstufe I bevorzugt wird, dürfte also nicht zuletzt am fortgeschrittenen Lernniveau in der zuerst gelernten Sprache liegen (vgl. Düwell 1979: 134 f.). Auf die schwierige Position der zweiten Fremdsprachen, insbesondere des Französischen nach Englisch, verweist auch Beckmann in ihrer Arbeit: Während 59 % der Spanischlerner (überwiegend S3 [Spanisch als dritte Fremdsprache, Anm. d. Verf.]) angeben Spanisch zu einem früheren Zeitpunkt zu belegen, wenn sie noch einmal wählen könnten, geben dies nur knapp 20 % der Französischlerner (überwiegend F2 und F3 [Französisch als zweite und dritte Fremdsprache, Anm. d. Verf.]) an. (Beckmann 2016: 339) 32 Die Folgen eines erhöhten Schwierigkeitsempfindens beschränken sich dabei nicht nur auf die betreffende Fremdsprache, sondern können auch Konsequenzen für das Erlernen weiterer Fremdsprachen mit sich bringen. Als häufigsten Grund, keine zusätzlichen Sprachen lernen zu wollen, geben die befragten SchülerInnen in der Untersuchung von Hermann-Brennecke und Candelier (1993: 242) an, zusätzliche Belastungen vermeiden zu wollen (71 %), oder äußern die Befürchtung, „eine solche Herausforderung nicht mehr zu schaffen, weil sie sich persönlich überfordert fühlen (53,9 %)“. Dennoch sehen die Lernenden auch Vorteile, die das Erlernen einer dritten oder vierten Fremdsprache begünstigen können. Spanischlernende, die das Fach als dritte Fremdsprache belegen, profitieren von ihren Vorkenntnissen aus dem Französischunterricht und erleben so eine schnellere Progression (vgl. Beckmann 2016: 340). Dass sie außerdem bei deren Einsetzen bereits älter sind, wirkt sich positiv auf den Lernprozess aus, 31 Dennoch zeigen die Ergebnisse Sigotts (1993: 151) in Bezug auf die Lernbarkeit von Französisch für deutsche MuttersprachlerInnen eine Verbesserung mit zunehmender Lernzeit. Während die Französischlernenden in der achten Jahrgangsstufe noch deutlich schlechter abschnitten als die gleichaltrigen EnglischschülerInnen, war der Anstieg in den Testergebnissen von der achten zur elften Jahrgangsstufe für Französisch signifikant stärker als im Bereich Englisch. Auch wenn die Lernbarkeit von Englisch nach vier Jahren noch besser zu beurteilen ist als für Französisch, verringert sich dieser Unterschied mit zunehmender Lernzeit. 32 Da die überwiegende Mehrheit der befragten Spanischlernenden das Fach als dritte Fremdsprache belegt, lässt die Untersuchung keinen Vergleich zwischen Französisch und Spanisch als zweite Fremdsprachen zu (vgl. Beckmann 2016: 340). <?page no="65"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 65 weil sie in der Lage sind, Fremdsprachen nun bewusster und zielgerichteter zu lernen (vgl. Kallenbach 1996: 223). Ein viel diskutierter Aspekt im Hinblick auf die Leistungsbeurteilung und -bewertung im Fremdsprachenunterricht ist der Umgang mit Fehlern seitens der Lehrkräfte. Sowohl für die Förderung der Motivation als auch für das Erleben positiver Emotionen im Fremdsprachenunterricht spielt die Art und Weise des Umgangs mit sprachlich nicht korrekten Äußerungen der Lernenden eine entscheidende Rolle. Wenn SchülerInnen eine positive Feedbackkultur empfinden und Fehler als Möglichkeit zum eigenen Lernen wahrnehmen, scheint dies - unabhängig von der sprachlichen Korrektheit ihrer Äußerungen - förderlich für das Erleben positiver Emotionen wie Stolz. Dieses Erleben dürfte sich dabei nicht nur als förderlich für zukünftige Unterrichts- und insbesondere Redebeiträge von Schülern, sondern auch für den allgemeinen Aufmerksamkeitsgrad im Unterrichtsgespräch herausstellen, da damit die von Bleyl (2005) als ‚inhaltsleer‘ und damit potentiell langeweileerzeugend kritisierte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht […] verhindert werden dürfte. (Cronjäger 2009: 236) 3.3.5 Nützlichkeit und Anwendbarkeit der Fremdsprache Die bislang dargestellten, aus Schülersicht relevanten unterrichtsimmanenten Merkmale sind für Edmondson wichtige, aber dennoch kurzfristige motivationale Einflussfaktoren beim Fremdsprachenlernen. Für ihn liegt der bedeutsamste Einflussfaktor in der Wahrnehmung der Anwendbarkeit fremdsprachlicher Kenntnisse: „Es geht um die Wahrnehmung der Relevanz der Fremdsprache für mich, es geht um die Auswirkung dieser Sprache auf mein Leben, es geht darum, wie notwendig die Fremdsprache bei der Verwirklichung anderer Ziele ist.“ (Edmondson 1996a: 80) Und in der Tat spielt die wahrgenommene Nützlichkeit und Anwendbarkeit auch für Wahl- und Abwahlentscheidungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. 33 Der Wunsch nach mehr außerunterrichtlichen Möglichkeiten zur Verwendung der Zielsprache, z. B. in Form von Reisen (mög- 33 Ohne Zweifel ist Edmondson zuzustimmen, wenn er die Einsicht in die persönliche Bedeutsamkeit der Fremdsprache als wichtigen Einflussfaktor hervorhebt. Dennoch muss hier einschränkend darauf hingewiesen werden, dass es sich bei seinen ForschungsteilnehmerInnen ausschließlich um Studierende des Studiengangs Sprachlehrforschung handelte, deren Perspektive auf und Zugang zu Fremdsprachen gewiss eine andere ist als die von Schülerinnen und Schülern. Die Lehrperson und Unterrichtsgestaltung mögen zeitlich betrachtet über die schulische Laufbahn hinweg für das Weiterlernen von Fremdsprachen an Bedeutung verlieren, dennoch sind sie gerade beim Übergang von der Sekundarstufe I in die Oberstufe von zentraler Wichtigkeit. <?page no="66"?> 66 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick lichst mit der Klasse), bestand in einer Befragung von Englischschülerinnen und -schülern bei fast 70 % (vgl. Apelt & Koernig 1994b: 245). Das Beherrschen von Fremdsprachen im Allgemeinen (vgl. Kallenbach 1996: 172; Küster 2007: 213) und der französischen Sprache im Besonderen (vgl. u. a. Düwell 1979: 79; Bittner 2003: 344; Schumann & Poggel 2008: 116 f.) wird von den SchülerInnen zwar als nützlich für die schulische und berufliche Zukunft eingeschätzt, dennoch fallen die Werte in Bezug auf die Wichtigkeit und Nützlichkeit, Französisch zu lernen, insgesamt negativer aus: Im Hinblick auf das Fremdsprachenlernen fällt beispielsweise auf, dass die Werte (M = 3. 57, s = 0. 62) für „Es ist wichtig, Sprachen zu lernen, um mit Menschen aus anderen Ländern kommunizieren zu können“ sehr hoch sind, während sie für das gleiche Item in Bezug auf das Französischlernen geringer (M = 2. 71, s = 0. 90) ausfallen. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Wert für „Sprachen zu lernen, ist wichtig für meine Zukunft“ (M = 3. 27, s = 0. 77) im Vergleich zu „Französisch zu lernen, ist wichtig für meine Zukunft“ (M = 2. 36, s = 0. 89). (Venus 2017a: 132) Vor allem diejenigen, die Französisch abwählen möchten, zeigen sich enttäuscht darüber, „wie wenig sie Französisch im In- und Ausland oder im schulischen Bereich verwenden können“ (Hermann-Brennecke & Candelier 1993: 245), und bewerten die Sprache „als ‚nicht anwendbar‘, ‚entbehrlich‘, ‚lebensfern‘, ‚verständigungsungeeignet‘ und ‚berufsuntauglich‘“ (ebd.). In einer quantitativen Fragebogenstudie zum Frankreichbild deutscher Jugendlicher der Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen gaben nur 13,5 % der Befragten an, regelmäßig in Kontakt mit französischen MuttersprachlerInnen zu stehen, 52,5 % verneinten die Frage nach Kontakten vollständig (vgl. Schumann & Poggel 2008: 115). Setzt man diese Zahlen in Bezug zu der Studie von Venus (2017b), wird deutlich, dass Französisch hier hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt: Etwa zwei Drittel der Lernenden würden gerne Kontakte mit Menschen des Landes knüpfen (68,8 %), 60,3 % hätten gerne Freunde im Zielsprachenland (vgl. Venus 2017a: 131). Erkennen die Lernenden die steigenden Anwendungsmöglichkeiten der französischen Sprache, wirkt sich dies auch positiv auf ihre Motivation und ihr Interesse am Französischunterricht aus (vgl. Düwell 1979: 98 f.). Wenngleich Düwell zuzustimmen ist, dass „die integrative Motivation im Lernenden nicht aufkommen kann, solange dieser mit der anderen Sprachgemeinschaft noch nicht in häufigen Kontakt getreten ist“ (ebd.: 109), kann dieses Argument beinahe 40 Jahre später jedoch nicht mehr gelten. Vor allem vor dem Hintergrund der technischen Möglichkeiten und einer zunehmenden Mobilität eröffnen sich auch für den Fremdsprachenunterricht heute zahlreiche Wege, die Anwendbarkeit und Nützlichkeit des Französischen außerhalb des Unterrichts erfahrbar zu machen. Dass jedoch die Ermöglichung von Kontakten zu Sprecherinnen und <?page no="67"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 67 Sprechern der Zielsprache im Fremdsprachenunterricht nicht per se zu einem größeren Interesse am Fach führt, zeigt die Schweizer Studie von Niggli et al.: Schülerinnen und Schüler aus Klassen, die angaben, im Unterricht auch Kontakte zu Menschen aufgenommen zu haben, welche die Zielsprache sprechen, äusserten - bei Kontrolle des Anfangsniveaus - am Ende des Jahres ein signifikant geringeres Interesse am Fach im Vergleich mit Schülerinnen und Schülern, in deren Unterricht diese fachdidaktische Strategie eine geringere Rolle spielte. (Niggli et al. 2007: 495) Mögliche Gründe liegen für die Autoren in dem u. U. zu hohen Komplexitätsgrad bei der Durchführung von Austauschkontakten sowie dem Streben der Jugendlichen nach selbstbestimmt bzw. autonom hergestellten sozialen Kontakten statt durch Lehrkräfte gesteuerten kommunikativen Beziehungen. Als erwartungswidrig erwies sich ebenso der Effekt des Arbeitens mit authentischen, lebensnahen Medien und Materialien im Fremdsprachenunterricht, was auf eine mangelhafte Passung mit dem Lernniveau der SchülerInnen zurückgeführt wird (vgl. ebd.: 495 f.). Obwohl die zu geringe Anwendungsorientierung des Englischunterrichts von Lernenden häufig auch bemängelt wird (vgl. Zydatis 2007: 136), bleiben Französisch und Spanisch aus Sicht der Lernenden hinter dem Englischen zurück, wenn es um die Nützlichkeit von (Fremd-)Sprachen geht (vgl. u. a. Beckmann 2016: 350). Aufgrund seiner höheren Sprecherzahlen und seiner Präsenz im Alltag wird der Beherrschung der englischen Sprache der größte Stellenwert zugeschrieben (vgl. Macht & Schröder 1976: 287; Kallenbach 1996: 169 ff.; Beckmann 2016: 235) 34 , was dazu führt, dass eine Mehrzahl von SchülerInnen das Erlernen der englischen Sprache der französischen vorzieht (vgl. Düwell 1979: 134 f.; Meißner et al. 2008: 105). Meißner et al. kommen gar zu dem Schluss, dass Englisch vor diesem Hintergrund „nicht länger mehr als eine (normale) Fremdsprache unter anderen gelten kann“ (2008: 160). Knapp 84 % der befragten Studierenden sprechen sich in der Untersuchung von Burk et al. (2001: 123) für das Englische als schulische Eingangsfremdsprache aus; nur 3,7 % würden Französisch als erste Fremdsprache bevorzugen. Doch auch wenn die Lernenden Englisch favorisieren und es nicht für realistisch halten, „dass alle EU-Bürger zwei Fremdsprachen lernen und die gewünschte Mehrsprachigkeit aktiv leben“ (Gnutzmann et al. 2012: 81), geht die Überzeugung einer lingua franca Englisch 34 Interessant ist jedoch, dass dies vor allem für den Fall einer Sprachenwahl Französisch als zweite Fremdsprachen nach Englisch gilt. Lernen die SchülerInnen Französisch als erste Fremdsprache, schätzen sie die Nützlichkeit dieser Fremdsprache sogar noch deutlich positiver ein als diejenigen, die Englisch als erste Fremdsprache gewählt haben. Spanisch profitiert von seiner Position als dritte Fremdsprache und erzielt insgesamt bessere Werte als Französisch als zweite oder dritte Fremdsprache (vgl. Beckmann 2016: 232 ff.). <?page no="68"?> 68 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick nicht so weit, dass diese für sie als alleinige Verkehrssprache in Europa vorstellbar wäre. SchülerInnen, die das Fach Französisch gegenüber Englisch bevorzugen, geben dafür als häufigsten Grund an, dass ihnen die Sprache besser gefalle bzw. schöner sei (vgl. Düwell 1979: 136). Die ästhetische Dimension zählt also in der Wahrnehmung der Lernenden zu den positiv hervorzuhebenden Aspekten der französischen Sprache (vgl. u. a. Macht & Schröder 1976: 288; Schumann & Poggel 2008: 117; Caspari 2005: 12; Venus 2017a: 131). Die Auffassung, dass es sich beim Französischen um eine schöne Sprache handelt, deren Klang die Lernenden mögen, nimmt offenbar im Verlauf der Sekundarstufe I sogar noch zu (vgl. Hermann-Brennecke & Candelier 1993: 249; Bittner 2003: 344). Insgesamt scheinen die romanischen Sprachen bei SchülerInnen gegenüber dem Englischen, dessen Aussprache eher als trocken wahrgenommen wird, in diesem Punkt positiver abzuschneiden (vgl. Kallenbach 1996: 168). 3.3.6 Der Einfluss des Geschlechts auf die Wahrnehmung von Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenunterricht Verschiedene allgemeinpädagogische Studien kommen bei einem geschlechterbezogenen Vergleich der Lernerperspektive zu dem Ergebnis, dass es in Bezug auf die Unterrichtswahrnehmung insgesamt weniger Unterschiede als Gemeinsamkeiten zwischen Jungen und Mädchen gibt (vgl. u. a. Haecker & Werres 1983: 69; Bocka 2003: 179), sodass „das Urteil über die Schule nicht von der Geschlechtszugehörigkeit abhängig zu sein“ (Czerwenka et al. 1990: 198) scheint. Und obwohl hinsichtlich der Frage, ob das Geschlecht beim Fremdsprachenlernen einen Einfluss hat, die überproportional hohen Abwahlzahlen der Jungen eine eindeutige Sprache zu sprechen scheinen, bestätigen sich die vermeintlichen Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in Bezug auf die Wahrnehmung von Fremdsprachenlernen und -unterricht nicht zwangsläufig. 35 Beispielsweise wird in der Untersuchung von Kallenbach (1996: 192) das Geschlecht als Einflussfaktor seitens der Befragten nur zweimal erwähnt, was darauf hindeutet, dass es für die Lernenden keine besondere Relevanz für das eigene Fremdsprachenlernen besitzt. Auch die Forderung nach einem geschlechterdifferenzierenden Fremdsprachenunterricht, in dem „Jungenthemen“ gleichermaßen Berücksichtigung finden wie „Mädchenthemen“ (vgl. z. B. Schoolmann-Dogan 2007; Bonin 2009), ist zu überdenken, wenn man die Ergeb- 35 An dieser Stelle sollen jedoch weder das geschlechtsspezifische Sprachlernverhalten von Jungen und Mädchen noch Unterschiede in Bezug auf die Leistungs- und Kompetenzentwicklung diskutiert werden (vgl. dazu u. a. die Metastudie von Schmenk 2002 sowie Fuchs 2013 und Böttger 2014). <?page no="69"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 69 nisse der Studie von Apelt und Koernig betrachtet, nach denen die Interessen und Vorlieben von Jungen und Mädchen gleichermaßen vielgestaltig und geschlechtsunspezifisch sind: Auch wenn ein Großteil der „Mädchen-Themen“ einen allgemein sensibleren, emotionaleren Charakter zu tragen scheint, und trotz des erwartungsgemäßen ersten Ranges bei den „Jungen-Themen“ [Computer/ Technik, Anm. d. Verf.], darf nicht übersehen werden, daß es im Prinzip (mit geringen Abweichungen) die gleichen Themen sind, die den Jungen und Mädchen besondere Freude bereiten. (Apelt & Koernig 1994a: 167) Signifikante Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen stellt Düwell (1979: 209) nicht über die gesamte Stichprobe hinweg fest, sondern lediglich im Bereich der instrumentellen Motivation in der achten Jahrgangsstufe der Gesamtschule, sodass diese nicht durch die Geschlechtszugehörigkeit allein erklärbar sind. Und auch wenn Mädchen sprachliche Fächer im Allgemeinen (vgl. Sambanis 2009: 10) und Französisch im Besonderen eher zu bevorzugen scheinen, ihre Leistungsbereitschaft höher einschätzen (vgl. Holder 2005: 299) und sie im Rahmen der MES-Studie (vgl. Meißner et al. 2008: 150) in jeder der untersuchten Zonen eine positivere Einstellung zum Fremdsprachenlernen aufweisen als ihre männlichen Altersgenossen, ist zu vermuten, dass sich diese Unterschiede möglicherweise mit zunehmendem Alter der Lernenden relativieren. So zeigt die Untersuchung von Beckmann, dass das Geschlecht in der Oberstufe keinen signifikanten Einfluss auf die Einstellung zum Erlernen der Fremdsprache, die instrumentellen oder integrativen Orientierungen 36 sowie die Zielsetzungskompetenz der SchülerInnen hat (vgl. Beckmann 2016: 316). Fuchs, die die geschlechterspezifische Wahrnehmung des Faches Englisch untersucht, kommt zu dem Ergebnis, dass sich Unterschiede zwischen den Sichtweisen der Jungen und Mädchen nicht oder nur mit sehr geringen Effektstärken nachweisen lassen (vgl. Fuchs 2013: 326). Sowohl in Bezug auf die wahrgenommene Schwierigkeit als auch Abwechslung im Englischunterricht unterscheiden sich Jungen und Mädchen nicht. Geschlechtsbezogene Unterschiede zeigten sich nur bei den bevorzugten Sozialformen. Während die Mädchen eher kooperative Arbeitsformen präferieren, mögen die Jungen vor allem wettbewerbsorientierte Lernarrangements (vgl. ebd.: 322). Die Ergebnisse von 36 Die Konstrukte der instrumentellen und integrativen Orientierung bei Beckmann basieren auf der Attitudes and Motivation Test Battery (AMTB) von Gardner und Lambert (1972) und beziehen sich auf die attitudinale Ausrichtung der Lernziele. Lernende, die vor allem aus praktischen Erwägungen eine Sprache lernen, handeln demnach eher instrumentell, wohingegen sich integrativ orientierte Sprachenlernende durch ein sehr hohes Interesse an der Kultur der Zielsprache auszeichnen. Beide Orientierungen schließen sich jedoch nicht aus, sondern können auch gemeinsam auftreten (vgl. Beckmann 2016: 316). <?page no="70"?> 70 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick Fuchs zeigen auch, dass Jungen sich im Vergleich zu Mädchen im Englischunterricht kompetenter wahrnehmen, und bestätigen damit die Befunde von Holder (2005: 298). Unterschiede zwischen den Fremdsprachen bestehen insofern, als es im Französischunterricht die Mädchen sind, die über höhere Fähigkeitsselbstkonzepte verfügen. Während Fuchs und Holder dem Englischunterricht die gleiche Attraktivität für Jungen wie Mädchen bescheinigen, widerlegt Heinzmann (2009) in ihrer Studie mit Schweizer Grundschülern diese Geschlechtsneutralität. Bereits nach acht bis neun Monaten zeigten sich die Mädchen signifikant motivierter im Fach Englisch: „In sum, the girls enjoy their English lessons more, they feel less overburdened and less anxious to make mistakes, they learn English because they enjoy hearing or speaking it more so than the boys and they expend more effort.“ (ebd.: 28) Dass vor allem die Wahrnehmung des Sprachenfaches Französisch von Geschlechterstereotypen geprägt ist, zeigen die Untersuchungen von Christ (1996) sowie auf internationaler Ebene 37 Williams et al. (2002). Denn was, so Fuchs (2013: 319 f.), durch die Präsenz der englischen Sprache im Alltag für den aktuellen Englischunterricht überwunden scheint - dass sprachliche Fächer eher als weiblich attribuiert werden -, haftet dem Französischunterricht nach wie vor noch stärker an. Schüler, die sich bei der Kurswahl in der Sekundarstufe II für vermeintlich geschlechtsuntypische Fächer wie Französisch entscheiden, haben das Gefühl, unter Rechtfertigungsdruck zu geraten und mit geschlechtsstereotypen Hänseleien rechnen zu müssen (vgl. Christ 1996: 23). Und auch in der Studie von Williams et al. tendierten die befragten britischen Jungen dazu, Deutsch zu lernen, weil die Sprache im Gegensatz zu Französisch eher männlich konnotiert sei (vgl. Williams et al. 2002: 520). Schmenk (2002) beobachtet im Rahmen ihrer Metastudie Geschlechtsspezifisches Fremdsprachenlernen? Zur Konstruktion geschlechtstypischer Lerner- und Lernbilder in der Fremdsprachenforschung darüber hinaus auch seitens der Forschenden eine stark stereotypisierende Tendenz. Selbst wenn deren Untersuchungsergebnisse einen weiblichen Fremdsprachenvorteil nicht bestätigen, werden - ungeachtet aller Inkonsistenzen und mangelnder Nachweise - Erklärungen angeführt, die die These des erfolgreicheren weiblichen Geschlechts beim Fremdsprachenlernen reproduzieren (vgl. ebd.: 94 ff.) und einen Zusammenhang zwischen dem weiblichen Image der französischen Sprache und den hohen Zahlen von Frauen in Französischkursen und/ oder (besseren) Leistungen von Fremdsprachenlernerinnen herstellen (vgl. ebd.: 37 Da es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine auf den deutschen Schulkontext beschränkte Untersuchung handelt, wird auf die Darstellung internationaler Studien weitgehend verzichtet. Für eine weiterführende Lektüre sei an dieser Stelle u. a. auf die Arbeiten von Sunderland (1995), Carr & Pauwels (2006) sowie Kissau (2008) verwiesen. <?page no="71"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 71 55 f.). Die Forscherin dekonstruiert die These einer weiblichen Superiorität beim Fremdsprachenlernen (ebd.: 118 ff.) und kommt zu dem Schluss, daß die dargestellten Forschungsarbeiten zur Rolle des Geschlechts beim Fremdsprachenlernen weder den Prozeß des Fremdsprachenlernens noch Eigenschaften oder (Lern-) Verhaltensweisen von erfolgreichen bzw. weniger erfolgreichen Fremdsprachenlernern oder gar mögliche Zusammenhänge zwischen beidem erhellen können. (Schmenk 2002: 96, Hervorh. im Orig.) Dass geschlechtsstereotype Vorstellungen keinen Einfluss auf das Fremdsprachenlernen haben, zeigt auch Heinzmann (2009). Die Annahme, die vermeintliche weibliche Überlegenheit schwäche die Motivation der Jungen, Englisch zu lernen, und stärke gleichzeitig die der Mädchen, konnte nicht bestätigt werden. 50 % der befragten Jungen geben an, der Aussage, Mädchen seien bessere Fremdsprachenlernende als sie selbst, überhaupt nicht zuzustimmen; 12,5 % bejahen diese Aussage. Und obwohl die Mädchen mit 34 % häufiger ihre Zustimmung ausdrücken, bleibt dies ohne Auswirkung auf ihre Motivation: A belief that girls are better at language learning than boys is neither significantly correlated with girls’ motivation to learn English (rs=-.06) nor does it significantly contribute to their language learning motivation (separate regression analysis conducted with girls), but the weak relationship that exists is still a negative one. Consequently, a belief in their superior language learning capabilities does not positively affect girls’ motivation to learn English. (Heinzmann 2009: 30) 3.3.7 Wahrnehmung des Fremdsprachenunterrichts im Vergleich der Jahrgangsstufen Empirische Untersuchungen bestätigen den Eindruck zahlreicher Fremdsprachenlehrkräfte, dass „die Anfangsmotivation relativ schnell nachlasse bis zu dem absoluten Tiefpunkt in Klasse 11, in der sich die Schülerinnen und Schüler zu fast gar nichts mehr bewegen ließen“ (Caspari 2008: 23). Jüngere SchülerInnen scheinen demnach noch deutlich motivierter zu sein. Die Akzeptanz des Fremdsprachenunterrichts war in der fünften Klasse am größten. Fast 40 % der Schüler/ innen bezeichneten die Fremdsprache als ihr Lieblingsfach. In Klasse 7 waren es nur noch 10 %, in den achten Klassen mit 20 % im Gesamtdurchschnitt wieder etwas mehr. (Sambanis 2009: 10) Für das Fach Französisch belegen bereits die Ergebnisse von Düwell, dass die Zahl der SchülerInnen, deren Motivation, Französisch zu lernen, abgenommen hat, im Vergleich der Jahrgangsstufen zunimmt. Zieht man die Ergebnisse ak- <?page no="72"?> 72 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick tuellerer Studien hinzu, wird deutlich, dass sich an diesen Tendenzen wenig geändert hat. Die MES-Studie wie auch die Untersuchungsergebnisse von Beckmann zeigen, dass die Anzahl an SchülerInnen, die keine weitere Fremdsprache lernen wollen, von der Jahrgangsstufe 5 über die Klasse 9 bis hin zur Oberstufe signifikant steigt (vgl. Beckmann 2016: 345). Ein Drittel der Befragten gibt in der Untersuchung von Küster (2007: 220) an, Französisch „abgeschrieben“ zu haben. Zwar lässt sich anhand des Schemas (vgl. Abb. 5) ablesen, dass die Motivation von knapp drei Viertel aller Lernenden nach dem ersten Lernjahr konstant bleibt oder sogar zunimmt - in der zehnten Klasse gilt dies jedoch nur noch für weniger als zwei Drittel der Schülerschaft. Abbildung 5: Entwicklung der Motivation zwischen den Jahrgangsstufen 8 und 10 im Fach Französisch (vgl. Düwell 1979: 110) 2 Abbildung 6: Überblick über die Methoden der Datenerhebung 1. Auf den Tischen liegen verschiedene Bildkarten aus. Welche Karte entspricht am ehesten dem, was Sie persönlich mit dem Französisch-/ Spanischunterricht verbinden? Wählen Sie eine oder mehrere Karten aus. 2. Was sehen Sie? Beschreiben Sie die Karte(n), die Sie ausgewählt haben, und erklären Sie, warum Sie sich für diese entschieden haben. Inwiefern steht dieses Bild/ stehen diese Bilder für Ihr Verhältnis zum Französisch-/ Spanischunterricht? Abbildung 7: Aufgabenstellung für die bildgestützten Kurzaufsätze 2 Bei der Interpretation der Werte muss berücksichtigt werden, dass die Zahl der ausgewerteten Antworten bei der Untersuchung variiert. Die Gruppe der achten Jahrgangsstufe ist mit 544 befragten SchülerInnen deutlich größer als die Vergleichsgruppe der zehnten Klasse (294 SchülerInnen). 37% 28% 35% Jahrgangsstufe 8 Erhaltung Abnahme Zunahme 27% 43% 30% Jahrgangsstufe 10 Erhaltung Abnahme Zunahme Narrative Interviews Erhebung der Fremdsprachenlernbiografie sowie subjektiver Lernerlebnisse und Unterrichtserfahrungen Bildgestützte Kurzaufsätze Gruppendiskussionen Erhebung der individuellen Meinungen zum Unterricht der zweiten Fremdsprache Erhebung der Gruppenmeinungen zum Erlernen der zweiten Fremdsprache Abbildung 5: Entwicklung der Motivation zwischen den Jahrgangsstufen 8 und 10 im Fach Französisch (vgl. Düwell 1979: 110) 38 Vergleicht man nun die Zahlen der Zu- und Abnahme genauer, fällt auf, dass in der achten Klassenstufe mit 34,9 % mehr Lernende angeben, motivierter als zu Beginn des Französischunterrichts zu sein, als diejenigen, die bereits weniger motiviert als am Anfang waren. Zwei Jahre später ist es nur noch ein Drittel (30,2 %), das einen Anstieg der Motivation verzeichnen kann, während knapp die Hälfte der Lernenden eine Abnahme der eigenen Motivation feststellt. Betrug dieser Wert in der achten Klasse, d. h. im zweiten Lernjahr bereits 28,3 %, stiegen die Zahlen in der Klassenstufe 10 weiter auf 43,1 % (vgl. Düwell 1979: 110). Eng verbunden mit der Abnahme der Motivation ist die Bereitschaft zum Erlernen weiterer Fremdsprachen, die mit zunehmender Sprachlernerfahrung ebenfalls abnimmt. Die in der Studie von Düwell (1979: 120) befragten 38 Bei der Interpretation der Werte muss berücksichtigt werden, dass die Zahl der ausgewerteten Antworten bei der Untersuchung variiert. Die Gruppe der achten Jahrgangsstufe ist mit 544 befragten SchülerInnen deutlich größer als die Vergleichsgruppe der zehnten Klasse (294 SchülerInnen). <?page no="73"?> 3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung 73 Zehntklässler schätzen ihre Lernbereitschaft und ihren Lernerfolg im Fach Französisch insgesamt negativer ein als die Lernenden der achten Jahrgangsstufe. Dass Französisch mit zunehmender Lernzeit in der Wahrnehmung der Lernenden schlechter abschneidet als Englisch, verdeutlichen u. a. die Ergebnisse der MES-Studie. Sinkendes Interesse sowie die abnehmende Leistungsbereitschaft sind bei den Französischlernenden in der neunten Klasse deutlich ausgeprägter als im Fach Englisch (vgl. Meißner et al. 2008: 105). Dies bestätigt auch die Studie von Beckmann. Während in der Oberstufe 57,01 % der EnglischschülerInnen „bereit sind, freiwillig überdurchschnittlich viel Arbeit in das Erlernen der Fremdsprache zu investieren“ (Beckmann 2016: 242), sind es im Französischunterricht beinahe nur halb so viele (30,13 %). Das Fach Spanisch, für das 51 % der SchülerInnen bereit sind, freiwillig zusätzliche Arbeit zu investieren, schneidet besser ab (vgl. ebd.). Es ist sehr wahrscheinlich, dass hier ein Zusammenhang mit der wahrgenommenen Nützlichkeit der verschiedenen Fremdsprachen besteht. Während in den hessischen Stichproben der MES-Studie 98 % der Fünftklässler angaben, Englischlernen sei nützlich, waren es in der Jahrgangsstufe 9 immerhin noch 90 %. Demgegenüber liegt der Wert für Französisch in der neunten Klasse bei nur 33 % (vgl. Meißner et al. 2008: 69). Zusätzlich erschwert sicher auch das spätere Einsetzen des Französischen bzw. der zeitliche Vorsprung im Englischen die Position der zweiten Fremdsprache. Düwell (2002: 177) spricht in diesem Zusammenhang von motivationalen Interferenzen: „Das lernende Subjekt bildet in einem solchen auf mehrere Sprachen bezogenen Lernprozess Präferenzen für z. B. eine (oder zwei) Sprache(n), was demotivierende Folgen für die verbleibende(n) Sprache(n) haben kann.“ Der Lernfortschritt in der ersten Fremdsprache Englisch wird als Maßstab für das Erlernen der zweiten oder weiteren Fremdsprachen angelegt. Dabei wird der vermeintlich höhere Schwierigkeitsgrad der romanischen Sprachen Spanisch und Französisch oftmals als frustrierend wahrgenommen. Dies bedeutet, daß der Lernende, z. B. in Klasse 8, im Englischunterricht die Fremdsprache bereits relativ komplex anwenden kann, während er sich im Französischunterricht noch sehr stark in der lehrwerkbezogenen Anfangsphase befindet. Die größere Anwendungsmöglichkeit der englischen Sprache, die aus dem Lernvorsprung resultiert, dürfte dabei die Lernmotivation für den Erwerb dieser Sprache anregen und gleichzeitig die Lernmotivation der Schüler im Fach der zweiten Fremdsprache (hier Französisch) hemmen. (Düwell 1979: 215) Ohne Zweifel ist die sinkende Motivation jedoch auch ein Ergebnis des Unterrichts selbst, da das Bild des Französischunterrichts in der Jahrgangsstufe 9 signifikant gegenüber dem des Englischunterrichts, welches positiv bleibt, verliert (vgl. Meißner et al. 2008: 104). Hier bestätigt die MES-Studie die Ergebnisse von Düwell. Während in der achten Klasse 40,9 % der Befragten den <?page no="74"?> 74 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick Englischunterricht interessanter als den Französischunterricht bewerten, sind es in der Jahrgangsstufe 10 bereits 53 %. Umgekehrt sinkt die Zahl derer, die den Französischunterricht interessanter als den Englischunterricht einschätzen, von 28,3 % in Klasse 8 auf 20,4 % in Klasse 10 (vgl. Düwell 1979: 144). Auch wenn der Schwierigkeitsgrad der Fremdsprachen im Verlauf der Jahrgangsstufen deutlich höher wahrgenommen wird, schneidet Französisch gegenüber Englisch hier besser ab. Fast zwei Drittel (64,1 %) der in der Studie von Hermann-Brennecke und Candelier (1993: 250) befragten 518 SchülerInnen empfinden Englisch in der Jahrgangsstufe 8 schwerer als zu Beginn. Nur 33,9 % geben an, dass Englisch leichter sei. Im Fach Französisch halten 52,8 % der fortgeschrittenen Lernenden die Sprache für schwerer, 45,3 % für leichter. Insgesamt kommen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass Französischlernende im Hinblick auf die erwartete Lernbarkeit der Sprache weniger enttäuscht sind als in Englisch. Der Blick auf die Wahrnehmung des Fremdsprachenunterrichts über die Jahrgangsstufen hinweg weist insofern auf Veränderungen hin. Deutlich wird, dass sich die Motive für die Wahl oder Abwahl einer bestimmten Fremdsprache im Laufe der Sekundarstufe I sowie der Einfluss von unterrichtsexternen hin zu unterrichtsimmanenten Faktoren verschieben: Während bei Eintritt in die Sekundarstufe und zu Beginn des Fremdsprachenunterrichts schulisches und berufliches Nützlichkeitsdenken dominieren, treten nun die Auswirkungen der persönlichen Begegnung mit dem fremdsprachlichen Medium in den Vordergrund. (Hermann-Brennecke & Candelier 1993: 240) Durch die voranstehenden Darstellungen wurde deutlich, dass die Einstellungen zum Fremdsprachenlernen, das Interesse, die Leistungsbereitschaft und die Motivation im Fremdsprachenunterricht von zahlreichen, auch außerunterrichtlichen Faktoren (z. B. schulsprachenpolitische Rahmenbedingungen, Auslandsaufenthalte, Familie etc.) beeinflusst werden. Dennoch sind es vor allem unterrichtsimmanente, im Rahmen des schulischen Fremdsprachenunterrichts gemachte Lernerfahrungen, die Einfluss auf die Sprachlernhaltung nehmen. Zwischen Merkmalen der schulischen Lernumwelt (z. B. Vertrauen in die Lehrperson, Fach- und Unterrichtskompetenz der Fremdsprachenlehrkraft, Leistungsdruck im Fremdsprachenunterricht, Konkurrenzstreben und Anerkennung durch MitschülerInnen) und den verschiedenen motivationalen Orientierungen bestehen stärkere Wechselwirkungen, als dies bei Merkmalen der familiären Lernumwelt (z. B. Fremdsprachenkenntnisse der Mutter, Stellenwert des Fremdsprachenunterrichts für die Eltern sowie Häufigkeit der Konflikte wegen ungenügender Schulleistungen) der Fall ist (vgl. Holder 2005: 162 ff.). Es konnte außerdem gezeigt werden, dass sich die Bewertung des Unterrichts im Verlauf der Sekundarstufe I verschlechtert, weshalb Caspari (2008: 22) die <?page no="75"?> 3.4 Das Unterrichtserlebnis: Begriffsbestimmung und Konzeptualisierung 75 Abwahl der zweiten Fremdsprache Französisch auch als „Ergebnis von mehreren Jahren erlebten Unterrichts“ bewertet. Auch Meißner et al. stellen die Sprach(en)lernerfahrung in der Jahrgangsstufe 9 als den Faktor heraus, der den größten Einfluss auf die Sprachlernhaltung hat: „Die positivsten Attitüden waren bei jenen Schülern zu beobachten, die auch ein positives Unterrichts- und Lernerlebnis nachwiesen.“ (Meißner et al. 2008: 79, Hervorh. d. Verf.) Nachfolgend soll deshalb der Begriff „Unterrichtserlebnis“ näher beleuchtet werden. 3.4 Das Unterrichtserlebnis: Begriffsbestimmung und Konzeptualisierung Erklärungsansätze, die bei der Begründung individueller Unterschiede beim Fremdsprachenlernen mit dem Lernbzw. Unterrichtserlebnis argumentieren und/ oder es als Forschungsdesiderat benennen, tauchen in der Literatur immer wieder auf (vgl. u. a. Kallenbach 1996: 191; Edmondson 1997: 102 ff.; Meißner 1997: 19; Burk et al. 2001: 119; Caspari 2008: 22; Bär 2012: 249; Beckmann 2016: 351). In der MES-Studie erfolgt die Beschreibung und Interpretation des Unterrichtserlebnisses über die Formulierung von sechs Items, die zu dem Index „Die Wahrnehmung des Unterrichts der belegten Fremdsprachen“ zusammengefasst werden (vgl. Meißner et al. 2008: 85). Anhand einer vierstufigen Skala müssen die Lernenden ihre Zustimmung zu diesen Aussagen einschätzen: 1. Im Unterricht mache ich echte Fortschritte. 2. Die Übungen sind langweilig. 3. Der Unterricht macht mir immer ein bisschen Angst. 4. Ich mag die Art, wie der Lehrer diese Sprache unterrichtet. 5. Die Sprache interessiert mich wenig. 6. Ich bin froh, diese Sprache zu lernen. (ebd.: 49) Die Zusammenstellung dieser Items zeigt, welche Vorannahmen in die Definition des Konstrukts „Unterrichtserlebnis“ eingeflossen sind. Wie in der Forschung zum Schul- und Unterrichtsklima spielt auch hier die Wahrnehmung der Lernenden eine zentrale Rolle. Berücksichtigt werden sowohl die Wahrnehmung unterrichtsmethodischer Aspekte (Item 2), der Lehrperson (Item 4), die Selbsteinschätzung (Item 1), das emotionale Erleben (Item 3) sowie die Einstellung zu einer bestimmten Fremdsprache bzw. zum Erlernen derselben (Item 5 und 6), wobei zu hinterfragen bleibt, ob die Aussagen der Items 5 und 6 wirklich dem Unterrichtserlebnis oder eher anderen Faktoren zuzurechnen sind. Doch wenngleich die Auswahl dieser Items durchaus nachvollziehbar erscheint, bleibt ungeklärt, worauf diese beruht. Gleichzeitig werden an dieser <?page no="76"?> 76 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick Stelle die Grenzen eines quantitativen Vorgehens bei der Erforschung des Unterrichtserlebnisses deutlich. Denn obwohl bspw. die Beantwortung des vierten Items darüber Auskunft gibt, ob den SchülerInnen die Art der Lehrkraft beim Unterrichten der Fremdsprache gefällt, liefert es keine tieferen Einsichten, was den Lernenden genau daran gefällt. Wenn man sich dem Unterrichtserlebnis der Lernenden nähern will, ist dies also nicht hinreichend über vordefinierte Items möglich, da ein solches auf Vorannahmen der Forschenden basierendes Verständnis zu kurz greift. Nun ging es bei der MES-Studie nicht in erster Linie darum, das Unterrichtserlebnis zu erforschen, sondern die Einstellungen der SchülerInnen zu erfassen. Trotzdem wird die zentrale Bedeutung des Unterrichtserlebens bei der Erklärung von Einstellungsunterschieden als eines der zentralen Ergebnisse der Studie hervorgehoben (s. o.), sodass eine nähere Beschäftigung mit dem Konstrukt unerlässlich erscheint. Auch Beckmann nennt „das Unterrichtserlebnis der Schüler und Studierenden“ (Beckmann 2016: 9) als einen wichtigen Aspekt ihres Erkenntnisinteresses, macht in ihrer Untersuchung jedoch nicht explizit, wie sie das Unterrichtserlebnis konzeptualisiert. So lässt der Fragebogen ein Konstrukt „Unterrichtserlebnis“ vermissen und es kann nur angenommen werden, dass die Fragengruppe 9 des Schülerfragebogens auf die Erfassung des Unterrichtserlebnisses abzielt. 39 Hier werden die Lernenden zunächst gebeten, die Priorisierung von Kompetenzen bzw. Unterrichtsgegenständen in allen belegten Schulfremdsprachen einzuschätzen und die Antwortalternativen „Hörverstehen, Leseverstehen, Schreiben, Sprechen, Grammatik und kulturelle Aspekte des Landes der Zielsprache“ (ebd.: 154) entsprechend ihrer Berücksichtigung im Unterricht zu sortieren. Im Anschluss an diese Frage sollen die Lernenden einschätzen, inwiefern die Prioritäten, die im Unterricht gesetzt werden, mit ihren Interessen übereinstimmen (vgl. ebd.). Das Verständnis, welches Beckmann bei der Interpretation des Unterrichtserlebnisses zugrunde legt, entspricht hier also der Frage, ob der Fremdsprachenunterricht den eigenen Interessen - im Sinne von (Kompetenz-) Zielen - gerecht wird. Damit sei stellvertretend auf zwei quantitativ ausgerichtete Fragebogenstudien aus dem Bereich der fremdsprachendidaktischen Forschung verwiesen, die mit dem Begriff des Unterrichtserlebnisses arbeiten, diesen jedoch nicht genauer definieren. Für eine präzise Begriffsbestimmung soll ein Rückgriff auf die Pädagogik weiterhelfen, wo die terminologische Auseinandersetzung bereits auf eine viel längere Tradition zurückblickt. 39 Der Einleitungssatz „Nun geht es nicht um Ihre eigenen Prioritäten, sondern darum, wie Sie Ihren Fremdsprachenunterricht wahrnehmen.“ (Beckmann 2016: 154) deutet darauf hin, dass es hier um die Frage geht, wie die SchülerInnen ihren Fremdsprachenunterricht erleben. <?page no="77"?> 3.4 Das Unterrichtserlebnis: Begriffsbestimmung und Konzeptualisierung 77 Historisch und systematisch betrachtet lassen sich die Termini „Erleben“ oder „Erlebnis“ im Bereich der Lebensphilosophie verorten und finden bereits Erwähnung in den Arbeiten von Nietzsche und Dilthey (vgl. Reinhold et al. 1999: 135). Eine Zusammenschau der Verbreitung, Verwendung und Entwicklung des Begriffs legt Klaas (2013) vor. 40 Dabei verweist er auf die Unterscheidung von „Erlebnis“ und „Erleben“. Während Letzteres demnach als Erlebensstrom die „fortwährende Auseinandersetzung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt meint, stellt das Erlebnis ein singuläres Ereignis innerhalb dieses Erlebensstroms dar“ (Klaas 2013: 218). Dass er für seine Studie den Begriff des Erlebens zugrunde legt, begründet er damit, dass nicht „die singuläre Episode, sondern der Erlebensstrom“ (ebd.: 222) im Fokus stehe. Neben dieser temporären Differenzierung erscheint der zweite Aspekt seiner begrifflichen Auseinandersetzung noch wichtiger. Klaas spricht unter Bezugnahme auf das Lexikon der Pädagogik „vom Erlebnis als besonders einschneidende, existentiell bedeutsame Episode des Erlebens“ (Klaas 2013: 218, Hervorh. d. Verf.). Erlebnisse zeichnen sich also ferner dadurch aus, dass wir sie als besonders eindrückliche und einprägsame Erfahrungen mit einem hohen emotionalen Beiklang wahrnehmen (vgl. Schöndorf 1995: 25 f.). Auch Clausen hebt diesen Punkt hervor: Unter Umständen wird die Unterrichtswahrnehmung der Schüler auch durch einzelne kritische Unterrichtsereignisse geprägt, besonders eindrucksvolle Unterrichtsepisoden, die bei der Beurteilung erinnert werden (vgl. u. a. Weinstein, 1985). (Clausen 2002: 189, Hervorh. d. Verf.) Aus dieser Perspektive betrachtet, stellt die Bedeutungszuweisung und Beurteilung der Episode(n) durch die Lernenden ein weiteres zentrales Merkmal des Unterrichtserlebnisses dar. War in den bislang zitierten Studien von Unterrichtswahrnehmung die Rede, war damit zumeist eine wie auch immer geartete subjektive Bewertung durch die Lernenden impliziert. Folgt man jedoch dem Ansatz von Schenz (2007: 172), gilt es hier zu differenzieren: „Das Erlebnis als Erleben und Beurteilen der eigenen Wahrnehmungen beinhaltet ein Gefühl.“ Zum Erlebnis wird eine Wahrnehmung demnach erst dann, wenn sie emotional geordnet, beurteilt und ihr eine Bedeutsamkeit für das eigene Handeln zugeschrieben wird (vgl. ebd.: 171). Damit unterscheidet sich Schenz auch von Reinhold et al. (1999: 135), nach denen Erlebnisse sowohl bewusst oder unbewusst, reflektiert oder auch unreflektiert sein können. Die voranstehenden Erläuterungen dienten dazu, zentrale Merkmale des Begriffs „Erlebnis“ herauszuarbeiten, welche die Grundlage für eine Definition des Unterrichtserlebnisses in dieser Arbeit bilden. So lassen sich Unterrichtserlebnisse als individuell bedeutsame Wahrnehmungen begreifen, die auf kritischen 40 Vgl. dazu auch ausführlich Neubert (1990). <?page no="78"?> 78 3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick oder besonders eindrucksvollen Ereignissen innerhalb des (Fremdsprachen-) Unterrichts basieren und vom Lernenden emotional geordnet sowie einer subjektiven Beurteilung unterzogen werden. Dabei können sowohl singuläre Ereignisse - im Sinne von Erlebnissen - als auch länger andauernde oder wiederkehrende Episoden - im Sinne eines Erlebensstroms - von Bedeutung für die SchülerInnen sein, sodass hier, wenn von Unterrichtserlebnissen die Rede ist, unabhängig von ihrer zeitlichen Dauer beide Formen impliziert sind. 3.5 Zwischenresümee und Schlussfolgerungen für die empirische Studie Der Vergleich vorliegender Studien, die ein Erkenntnisinteresse an den Sichtweisen der SchülerInnen auf (Fremdsprachen-)Lernen und (Fremdsprachen-) Unterricht formulieren, zeigt, dass dabei die Perspektive der Lernenden mit ihren Unterrichtswahrnehmungen in den Fokus gerückt wird. Im Rahmen von vorwiegend quantitativen Studien wurden affektive Faktoren (Einstellungen, Motivation, Emotionen etc.) als Ergebnisse des Fremdsprachenlernprozesses zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhoben. Der dynamische Prozess, d. h. die Entwicklungen und Veränderungen, die diesen Ergebnissen zugrunde liegen, wurden hingegen nur bedingt erfasst. Es liegen kaum Antworten vor, aufgrund welcher Bedingungen sich die Motivation, das Interesse bzw. die Einstellungen in die eine oder andere Richtung entwickeln, welche Faktoren auf die fachliche Hin- oder Abwendung in den individuellen Schülerbiografien einwirken und welche Rolle in diesem Prozess Unterrichtserlebnisse spielen. Die subjektiven Lernerfahrungen im Fremdsprachenunterricht und wie SchülerInnen diese interpretieren, bleiben bislang, wenn es um die Erklärung von Einstellungsunterschieden geht, als deren Ursache häufig unberücksichtigt. Doch nur wenn der Blick auf die fachbezogene Erlebnisgeschichte der Lernenden gerichtet wird, kann es gelingen, eben diese individuellen Bedingungszusammenhänge aufzudecken. Es fehlt demnach an empirischen Studien, die nicht nur das Wahlbzw. Abwahlverhalten sowie die Schülersicht zu unterschiedlichen Zeitpunkten erheben, sondern auch die Ursachen stärker mit in den Blick nehmen. Zwecks Erarbeitung einer umfassenden Strategie zur Senkung der Abwahlquote sind umfangreiche zusätzliche Studien erforderlich, die weitere Zusammenhänge zwischen der Unterrichtsgestaltung und dem Wahlbzw. Abwahlverhalten aufzeigen. (Bittner 2003: 352) Hier erweist sich der Zugang über das individuelle Unterrichtserleben der SchülerInnen als besonders anschlussfähig und verspricht insofern neue Erkennt- <?page no="79"?> 3.5 Zwischenresümee und Schlussfolgerungen für die empirische Studie 79 nisse. Indem die Frage gestellt wird, wie die Lernenden ihren Fremdsprachenunterricht wahrnehmen, ergeben sich durchaus Überschneidungen zu bereits vorhandenen Arbeiten zur Schülersicht (vgl. Kap. 3. 3). Anders als in diesen Studien wird hier hingegen vielmehr die Prozessdimension und damit das Erfahrungswissen der Lernenden betont, was gleichzeitig eine andere methodische Herangehensweise erforderlich macht. Diese soll im nachfolgenden Kapitel näher erläutert werden. <?page no="81"?> II. Empirie - Konzeption und Durchführung der Studie <?page no="83"?> 4.1 Zielsetzung und Fragestellungen der empirischen Untersuchung 83 4. Methodologie und Methoden 4.1 Zielsetzung und Fragestellungen der empirischen Untersuchung Wie in Kapitel 3 deutlich wurde, haben die bisherigen, vor allem quantitativen Fragebogenstudien das Erleben im Unterricht als einen wichtigen, vielleicht den entscheidenden Faktor für die Erklärung von Einstellungs- und Motivationsunterschieden herausgearbeitet. Dennoch mangelt es bislang an Studien zum Unterrichtserleben, in denen die individuellen Sichtweisen der SchülerInnen in den Mittelpunkt gerückt werden. Dabei sollten diese neben den Lehrenden und externen BeobachterInnen gleichermaßen als ExpertInnen für Unterricht betrachtet werden und als solche zu Wort kommen (vgl. Nölle 1995: 22). „Auch Erklärungen für das Handeln von Schülern sind nur dadurch zu erschließen, daß deren subjektive Wahrnehmungen analysiert und dadurch Hinweise auf ihr subjektives Erleben, Erfahren, Handeln und Denken gewonnen werden.“ (ebd.: 23) Zu verstehen, wie SchülerInnen das Erlernen der zweiten Fremdsprache erleben, um Abwahlentscheidungen besser nachvollziehen zu können, stellt insofern das Ziel der vorliegenden Untersuchung dar. Der Fokus richtet sich damit auf die Bezugnahme zur zweiten Fremdsprache Französisch und Spanisch, wobei hier besonders interessiert, welche Prozesse der fachbezogenen Abwendung sich in den Äußerungen dokumentieren und wie diese mit der Bezugnahme zur zweiten Fremdsprache bzw. zum Erlernen derselben einhergehen. Was bedeutet es für die Jugendlichen, eine zweite Fremdsprache zu lernen, welche Ziele verfolgen sie dabei? Welchen Nutzen und welche Relevanz schreiben sie dem Erlernen und Beherrschen einer zweiten Fremdsprache zu? Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, welche Erwartungen und Vorstellungen sie vom Lernen einer zweiten Fremdsprache haben. Indem die Fremdsprachenlernerfahrungen der SchülerInnen in den Blick genommen werden, soll es gelingen, das Unterrichtserleben der Lernenden sowie deren Deutungen und Bewertungen zu erfassen. Hier interessiert, welchen einprägsamen Erlebnissen aus dem Unterricht sie rückblickend eine Bedeutung zuschreiben und welche Unterrichtserlebnisse der Bezugnahme zum Fach zugrunde liegen. Daraus ergeben sich folgende zentrale, die Forschung leitende Fragestellungen: <?page no="84"?> 84 4. Methodologie und Methoden • Wie erleben SchülerInnen ihren Französischbzw. Spanischunterricht? - Welche Unterrichtserlebnisse bewerten sie als bedeutsam? - Wie werden diese Erlebnisse und deren Wirkung von den SchülerInnen gedeutet? • Welche Bedeutung schreiben SchülerInnen dem Lernen der zweiten Fremdsprache Französisch und Spanisch am Ende der Sekundarstufe I zu? • Wie entstehen und verlaufen Prozesse der fachbezogenen Abwendung? - Welche Auswirkungen haben die Lernerfahrungen für die SchülerInnen? - Welche Rolle spielen in diesem Prozess individuelle Unterrichtserlebnisse? 4.2 Methodologische Vorüberlegungen Um die Erfahrungswelt der Lernenden aus ihrer Perspektive zugänglich zu machen und einen tieferen Zugang zu den individuellen Erlebnisweisen und Innenansichten zu ermöglichen, wurde ein qualitativ-exploratives Vorgehen gewählt. Gerade wenn es um die Erhebung subjektiver Sichtweisen geht, lässt sich die Entscheidung für eine qualitative Fallstudie zunächst in Abgrenzung zum quantitativen Forschungsparadigma begründen: Statt uns auf immer abstraktere Generalisierungen zu konzentrieren, die wir mit immer größeren Datenerhebungen zu finden hoffen, sollten wir versuchen, in intensiven Fallstudien Material zu sammeln, das Aussagen über konkrete Wirklichkeit und Wahrnehmungen dieser Wirklichkeit durch konkrete Personen zuläßt. (Abels 1975: 330, zit. nach Lamnek 2010: 284) Während sich mit quantitativen Fragebogenstudien auch sehr große Datenmengen bewältigen und repräsentative Aussagen mit einer größeren Reichweite generieren lassen, ermöglichen Einzelfallstudien ein ganzheitliches Bild des beobachteten Phänomens zu zeichnen und dabei „möglichst alle für das Untersuchungsobjekt relevanten Dimensionen in die Analyse einzubeziehen“ (Lamnek 2010: 273). Bei der Erforschung der Schülersicht bringen geschlossene Fragebogenformate darüber hinaus den Nachteil mit sich, dass die Schülerantworten anhand eines theoretischen, relativ eng auf die Forscherperspektive bezogenen Konstrukts ermittelt werden (vgl. Nölle 1993: 65 f.). Man erhält demnach ausschließlich Antworten, die bereits im Denkhorizont des Fragers waren (vgl. Czerwenka et al. 1990: 28). Auch Bocka (vgl. 2003: 51) weist auf die Gefahr hin, dass durch die vorher festgelegten Antwortmöglichkeiten in quantitativen Fragebogenstudien möglicherweise Originalität und Individualität der Schülermeinungen verloren gehen und Spezifisches der Schülersicht nicht erfragt werde, zumal sich indivi- <?page no="85"?> 4.2 Methodologische Vorüberlegungen 85 duelle Erlebnisse und Lernerfahrungen mittels Fragebögen kaum operationalisieren und „abfragen“ lassen. Jedenfalls erfährt man aus solchen Untersuchungen wenig über die alltäglichen Verstehens- und Handlungsmuster, die als subjektive Sichtweisen von Schule einen Teil des pädagogischen Handlungsfeldes repräsentieren. (Nölle 1993: 65 f.) So finden sich zur Erforschung der Schülersicht vermehrt auch qualitative Untersuchungen mit offeneren Befragungsformen (vgl. u. a. Behrens 2011; Trautmann 2014; Palowski et al. 2014; Otto 2015). Diese erlauben vollkommen freie Aussagen der Lernenden, ohne individuelle Meinungen einzuschränken oder vorwegzunehmen. Denn darin gerade besteht das Ziel der Erhebung von Schülermeinungen: „neue Perspektiven und bisher nicht beachtete Ansichten zu finden“ (Bocka 2003: 59). Vor allem in Bezug auf den Unterricht der zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch liegen bislang kaum Studien vor, die Erkenntnisse liefern, wie die Jugendlichen das schulische Fremdsprachenlernen erleben. Insofern ermöglicht ein qualitativer Forschungsansatz, dieses weitgehend unbeforschte Feld zu untersuchen (vgl. Rosenthal 2014: 18). Die so gewonnenen Erkenntnisse vermögen die sich bislang offenbarenden Tendenzen quantitativer Untersuchungen inhaltlich zu vertiefen und zu differenzieren. Die Studie verfolgt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Statt nach gemeinsam auftretenden Variablen über viele Fälle hinweg zu suchen und statistisch belegbare Zusammenhänge zwischen diesen Variablen herzustellen (vgl. ebd.: 21 f.), zeichnet sich die vorliegende qualitative Untersuchung vor allem durch die detaillierte Betrachtung von Einzelfällen sowie die Konzentration auf einen spezifischen Bereich der Alltagswelt - das Erleben unterrichtlichen Fremdsprachenlernens - aus. Das Ziel dabei ist es, „die Konstruktion der Wirklichkeit zu rekonstruieren“ (Meuser 2011: 140), welche die SchülerInnen in und mit ihren Handlungen vollziehen. Wirklichkeitsbzw. Sinnkonstruktionen sind den jeweiligen AkteurInnen jedoch in der Regel nicht bewusst, sodass es sich bei dem Wissen über ihre habitualisierte Alltagspraxis um ein implizites Wissen handelt. Obwohl es nicht ohne weiteres möglich ist, dieses Wissen nach Aufforderung zu verbalisieren, kann es über Methoden der empirischen Forschung zugänglich gemacht und rekonstruiert werden (vgl. ebd.: 141). Hypothesen und Theorien werden demnach nicht vorab formuliert, sondern erst im Verlauf der Auseinandersetzung mit dem empirischen Datenmaterial generiert (vgl. Bennewitz 2013: 47), indem die Interaktion und Handlungspraxis bzw. das Erfahrungswissen, das für diese Alltagspraxis konstitutiv ist, rekonstruiert wird (vgl. Bohnsack 2014: 12). Der Sinn, den die SchülerInnen dem Erlernen der zweiten Fremdsprache zuschreiben, kann also am ehesten dann zugänglich gemacht <?page no="86"?> 86 4. Methodologie und Methoden werden, wenn es gelingt, die entsprechenden Erfahrungen aus dem Unterricht, auf denen die Bezugnahme zum Fach beruht, zu rekonstruieren. Dass ein solcher, eher sozialwissenschaftlicher Ansatz durchaus anschlussfähig für fremdsprachendidaktische Forschungsarbeiten ist, stellt die Arbeit von Bauer unter Beweis. Die Fallrekonstruktionen ihrer Studie zeigen, „dass ein empirischer Zugang zu den tieferliegenden Sichtweisen der Lernenden es ermöglicht, Prozesse des Fremdsprachenlernens nicht lediglich mithilfe von psychologischen bzw. psycho-linguistischen und kognitiven Kategorien (wie z. B. Motivation, Kompetenz) zu erfassen, sondern diese auch in ihrer sozio-kulturellen und vor allem biographischen Dimension zu betrachten“ (Bauer 2015: 361 f.). In der vorliegenden Studie geht es um ein Verstehen des Alltagshandelns der SchülerInnen, weshalb ihren persönlichen Ansichten und Meinungen methodologisch mit einer größtmöglichen Offenheit zu begegnen ist (vgl. Flick 2011a: 27). Für den Forschungsprozess schließt dies eine möglichst unvoreingenommene Haltung der Forscherin gegenüber dem Forschungsgegenstand ein. Unvoreingenommenheit ist dabei jedoch keineswegs gleichzusetzen mit Beliebigkeit. Bei qualitativer Forschung handelt es sich nicht um theorielose Forschung. Sowohl bei der Einarbeitung in das Forschungsfeld und damit verbunden bei der Entwicklung und Präzisierung der Fragestellung als auch für die Datenauswertung, bei der das Vorwissen einen Hintergrund bietet, um die Ergebnisse stets an die Theorie rückzubinden, dient die Kenntnis relevanter vorangegangener Forschungen als Ergänzung zu dem Prinzip der Offenheit. Gerade aufgrund der notwendigen Offenheit im Forschungsprozess bleibt die Reflexivität der Forscherin eine weitere wichtige Bezugsnorm. Nur so kann eine größtmögliche Transparenz und intersubjektive Nachvollziehbarkeit gewährleistet werden. Ohne Zweifel ist die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der zentrale Wert, wenn es darum geht, die Güte einer qualitativen Forschung zu beurteilen. Dies bezieht sich auch darauf, dass die Anzahl der Fälle, die Auswahl und Gestaltung der Methoden und die Abstimmung der Methoden auf den zu untersuchenden Gegenstand von allen Kollegen und Kolleginnen, die guten Willens sind, nachvollzogen werden können. Zu dieser Nachvollziehbarkeit gehört auch, dass alle wichtigen Entscheidungen in den Forschungsberichten dargestellt werden und im Falle eines Falles auch nachgeprüft werden können. (Reichertz 2007: 200) Um diesem Gütekriterium Rechnung zu tragen, sollen alle methodischen Entscheidungen, die im Zuge der Datenerhebung und -auswertung getroffen wurden, nachfolgend dargestellt und begründet werden. <?page no="87"?> 4.4 Methoden der Datenerhebung 87 4.3 Zugang zum Forschungsfeld Bereits vor der Datenerhebung waren im Sinne eines selektiven Samplings (vgl. Kelle & Kluge 2010: 50) verschiedene Kriterien ausschlaggebend, die die Wahl der teilnehmenden Schulen beeinflussten und die Größe des Samples damit begrenzten. Aufgrund der unterschiedlichen sprachenpolitischen Rahmenvorgaben sollte die Hauptstudie überregional und in verschiedenen Bundesländern durchgeführt werden. Damit die Daten miteinander in Beziehung gesetzt werden können und um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, sollten die Kooperationsschulen jeweils Französisch und Spanisch als zweite Fremdsprachen anbieten. Außerdem war es wichtig, dass die Lernenden bereits auf einige Jahre Fremdsprachenunterricht zurückblickten, sodass die Untersuchung am Ende der Sekundarstufe I in der zehnten bzw. elften Jahrgangsstufe 1 durchgeführt wurde. Der Zeitpunkt der Befragungen wurde so gewählt, dass die Entscheidung, ob die zweite Fremdsprache in der Sekundarstufe II weitergeführt wird oder nicht, unmittelbar bevorstand oder kürzlich getroffen wurde. Die Suche nach geeigneten Kooperationsschulen verlief weitgehend über persönliche Kontakte. So konnten im Rahmen der Hauptstudie drei Gymnasien in Hessen, Sachsen und Thüringen für eine Zusammenarbeit gewonnen werden, wobei diese jeweils in einer Groß-, Mittel- und Kleinstadt mit SchülerInnen aus einem eher ländlichen Einzugsgebiet gelegen waren. Alle drei Schulen zeichneten sich durch ein sprachliches Profil aus. 4.4 Methoden der Datenerhebung Für die Erforschung der Lernersicht sind in den zurückliegenden Jahren unterschiedliche methodische Zugänge gewählt worden. So konstatiert Bocka (2003: 60): „Sie [die Schülersicht, Anm. d. Verf.] kann spontan oder aufgefordert, schriftlich oder mündlich anhand strukturierter oder unstrukturierter Verfahren mit offenen oder geschlossenen Instrumenten erhoben werden.“ In der vorliegenden Studie wurde bei der Wahl der Erhebungsmethoden auf das Prinzip der Methodentriangulation zurückgegriffen (vgl. Flick 2011b: 107). Um möglichst unterschiedliche Perspektiven auf das zu untersuchende Phänomen zu eröffnen, ein umfassendes Bild des Forschungsgegenstandes zu zeichnen und einander ergänzende Ergebnisse zu erzielen (vgl. ebd.: 49), wurden Grup- 1 Die Pilotstudie wurde in der elften Jahrgangsstufe an einem beruflichen Gymnasium durchgeführt. Diese entspricht der Einführungsphase in Klasse 10 am allgemeinbildenden Gymnasium. <?page no="88"?> 88 4. Methodologie und Methoden pendiskussionen, eine offene Form der schriftlichen Befragung und narrative Interviews eingesetzt. Alle ausgewählten Datenerhebungsinstrumente konnten im Rahmen einer Pilotstudie in einer Französischklasse der Jahrgangsstufe 11 eines beruflichen Gymnasiums erprobt werden. So sollten zunächst wichtige Erkenntnisse in Bezug auf das gewählte Forschungsdesign gewonnen sowie Entscheidungen für den weiteren Forschungsprozess getroffen werden. Nach sorgfältiger Sichtung des Datenmaterials aus der Pilotstudie wurden die Erhebungsinstrumente zum Teil nochmals leicht modifiziert, indem insbesondere die Gesprächsimpulse und Fragestellungen für die narrativen Interviews sowie die Gruppendiskussionen auf ihren erzählgenerierenden Charakter überprüft und entsprechend angepasst wurden. Abbildung 5: Entwicklung der Motivation zwischen den Jahrgangsstufen 8 und 10 im Fach Französisch (vgl. Düwell 1979: 110) 2 Abbildung 6: Überblick über die Methoden der Datenerhebung 1. Auf den Tischen liegen verschiedene Bildkarten aus. Welche Karte entspricht am ehesten dem, was Sie persönlich mit dem Französisch-/ Spanischunterricht verbinden? Wählen Sie eine oder mehrere Karten aus. 2. Was sehen Sie? Beschreiben Sie die Karte(n), die Sie ausgewählt haben, und erklären Sie, warum Sie sich für diese entschieden haben. Inwiefern steht dieses Bild/ stehen diese Bilder für Ihr Verhältnis zum Französisch-/ Spanischunterricht? Abbildung 7: Aufgabenstellung für die bildgestützten Kurzaufsätze 2 Bei der Interpretation der Werte muss berücksichtigt werden, dass die Zahl der ausgewerteten Antworten bei der Untersuchung variiert. Die Gruppe der achten Jahrgangsstufe ist mit 544 befragten SchülerInnen deutlich größer als die Vergleichsgruppe der zehnten Klasse (294 SchülerInnen). 37% 28% 35% Jahrgangsstufe 8 Erhaltung Abnahme Zunahme 27% 43% 30% Jahrgangsstufe 10 Erhaltung Abnahme Zunahme Narrative Interviews Erhebung der Fremdsprachenlernbiografie sowie subjektiver Lernerlebnisse und Unterrichtserfahrungen Bildgestützte Kurzaufsätze Gruppendiskussionen Erhebung der individuellen Meinungen zum Unterricht der zweiten Fremdsprache Erhebung der Gruppenmeinungen zum Erlernen der zweiten Fremdsprache Abbildung 6: Überblick über die Methoden der Datenerhebung Für die ausgewählten Datenerhebungsmethoden (vgl. Abb. 6) liegen - mit Ausnahme der bildgestützten Kurzaufsätze - bereits zahlreiche Veröffentlichungen vor, die ausführliche Einblicke in deren Methodologie und Forschungspraxis geben. Dennoch sollen nachstehend einige wesentliche Anmerkungen zur Auswahl der Methoden sowie konzeptionelle Überlegungen folgen, um das gewählte Vorgehen im Rahmen der vorliegenden Arbeit transparent und nachvollziehbar zu machen. 4.4.1 Bildgestützte Kurzaufsätze Die Idee, bei der Datenerhebung eine Form der offenen, schriftlichen Befragung einzusetzen, entstand in einem Vorgespräch mit einer Lehrerin, in deren Klasse ich die Pilotstudie durchführte. Diese gab zu bedenken, dass sich womöglich nicht alle SchülerInnen im Rahmen der Gruppendiskussionen öffnen und einige Meinungen so u. U. verloren gehen würden. Es war mir jedoch wichtig, in Ergänzung zu den auf mündlicher Kommunikation basierenden Daten aus den Gruppendiskussionen auch die Perspektive von zurückhaltenden Lernenden <?page no="89"?> 4.4 Methoden der Datenerhebung 89 zu erfassen. Auch den SchülerInnen, die andere Ansichten als die Mehrheit der Gruppe vertreten und diese nicht öffentlich kundtun wollen, sollte eine Möglichkeit der Meinungsäußerung geboten werden. So bestand die Annahme, dass einige SchülerInnen eher bereit wären, sich schriftlich zu äußern. Darüber hinaus steht den Lernenden bei der Erstellung schriftlicher Texte mehr Zeit zur Verfügung als in spontanen mündlichen Kommunikationssituationen, sodass u. U. ein anderer, tieferer Reflexionsgrad erreicht werden kann. Da die Forschungsfragen insbesondere die individuelle Perspektive der SchülerInnen auf ihren Fremdsprachenunterricht in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses stellen, sollten mithilfe der bildgestützten Kurzaufsätze Einblicke in die Innenansichten gewonnen werden. Dabei erschien eine offene Form der Befragung geeignet, um den Lernenden bei der Darstellung ihrer Sichtweisen einen möglichst großen Freiraum zu lassen. Ich entwickelte deshalb eine schriftliche Aufgabenstellung, in deren Rahmen sich die SchülerInnen mit ihrem Verhältnis zum Fremdsprachenunterricht Französisch bzw. Spanisch auseinandersetzen sollten (vgl. Abb. 7) 2 . Bilder dienten dabei als Impuls und sollten helfen, die Schreibbereitschaft der Teilnehmenden zu erhöhen. 1. Auf den Tischen liegen verschiedene Bildkarten aus. Welche Karte entspricht am ehesten dem, was Sie persönlich mit dem Französisch-/ Spanischunterricht verbinden? Wählen Sie eine oder mehrere Karten aus. 2. Was sehen Sie? Beschreiben Sie die Karte(n), die Sie ausgewählt haben, und erklären Sie, warum Sie sich für diese entschieden haben. Inwiefern steht dieses Bild/ stehen diese Bilder für Ihr Verhältnis zum Französisch-/ Spanischunterricht? Abbildung 7: Aufgabenstellung für die bildgestützten Kurzaufsätze Wenngleich es sich beim Einsatz von text- oder bildgestützten Schüleraufsätzen nicht um eine klassische bzw. weit verbreitete Methode zur Datenerhebung handelt, ist dieses Verfahren keineswegs neu. Vergleichbare Ansätze finden sich bereits in anderen Studien zur Schülersicht, in denen es darum geht, möglichst spontane Schüleräußerungen zu erfassen (vgl. u. a. Höhn 1967; Reinert & Heyder 1983; Sochatzy 1988; Czerwenka et al. 1990; Nölle 1993; Apel 1997; Bocka 2003). Die Arbeit mit dieser Methode bietet den Vorteil, dass die Lernenden mit derlei Aufgaben aus dem Unterricht vertraut sind und sie offen genug ist, gleichzeitig eine Vielzahl an Antwortmöglichkeiten zuzulassen, bei denen die SchülerInnen ihre unterschiedlichen individuellen Erfahrungen einbringen können (vgl. Bocka 2003: 54 f.). Dabei sollten die Bilder einerseits so gewählt 2 Den Lernenden wurde die Option eingeräumt, sich auch für mehrere Karten zu entscheiden. Außerdem war es möglich, dass mehrere SchülerInnen die gleiche Karte auswählten. <?page no="90"?> 90 4. Methodologie und Methoden sein, dass sie deutlich auf die Forschungsfrage hinführen und andererseits bestimmte Antworten nicht zwingend hervorrufen (vgl. ebd.: 53). Damit eine ausreichend große Auswahl bestand, wurden 50 unterschiedliche Bildkarten ausgesucht, denen sich zu etwa gleicher Anzahl eher positive, negative oder neutrale Konnotationen zuschreiben lassen. 3 Um einer rein subjektiven oder vermeintlich willkürlichen Auswahl durch die Forscherin entgegenzuwirken, wurden die Bilder im Sinne einer intersubjektiven Validierung mit anderen NachwuchswissenschaftlerInnen eines Forschungskolloquiums diskutiert. Da die Bearbeitung der schriftlichen Aufgabe parallel zu den von mir durchgeführten Gruppendiskussionen stattfand 4 , wurde vonseiten der Schule ein zweiter Raum zur Verfügung gestellt. Es wurde darauf geachtet, dass die Aufsicht durch eine unbeteiligte, schulfremde Person übernommen wurde, damit die SchülerInnen ohne die Anwesenheit der Lehrperson frei ihre Karte(n) auswählen und die Texte schreiben konnten. Den Lernenden wurde im Vorfeld mitgeteilt, dass die Aufsätze weder bewertet noch ihrer Lehrkraft vorgelegt würden. In Ergänzung zu den beiden Datenerhebungsverfahren Gruppendiskussion und narratives Interview dienten die bildgestützten Kurzaufsätze in erster Linie einem Einstieg in das Thema und der Orientierung im Feld. Durch dieses Vorgehen sollten vielfältige Einblicke in die Perspektive der Jugendlichen gewonnen werden, wobei sich den schriftlichen Texten vor allem Haltungen, Einstellungen und Überzeugungen entnehmen ließen, die erste Hinweise auf die Bezugnahme zur zweiten Fremdsprache lieferten. Weil sich auf der Grundlage der entstandenen Texte bereits Prozesse der fachbezogenen Hinbzw. Abwendung andeuteten, bildeten sie im weiteren Forschungsprozess eine geeignete Basis für nachfolgende Sampling-Entscheidungen, die Auswahl der InterviewteilnehmerInnen betreffend. Damit handelt es sich bei den bildgestützten Kurzaufsätzen um einen wichtigen methodischen Zwischenschritt. Während die Texte im Rahmen der Datenerhebung zunächst halfen, InterviewpartnerInnen zu gewinnen und auszuwählen, dienten sie bei der Datenauswertung vor allem dazu, die Fallanalysen der narrativen Interviews zu ergänzen und die Interpretationen zu stützen. Denn wenngleich eine gewisse Steuerung durch die vorgegebenen Bilder nicht abzusprechen ist, lieferten die Texte wertvolle und differenzierte Einblicke in die Sichtweisen der SchülerInnen. So zeigte sich bei der Sichtung der Aufsätze, dass die Anteile, in denen sich die Lernenden auf das ausgewählte Bild bezogen, häufig deutlich geringer waren als die Äußerungen, die sich unmittelbar auf die 3 Zur Verfügung standen insgesamt etwa 150 Bildkarten aus dem Gesellschaftsspiel DIXIT (vgl. Roubira 2008), die auf eine Anzahl von 50 reduziert wurden. 4 Für die Bearbeitung der Aufgabe hatten die SchülerInnen ca. 45 Minuten Zeit, was sich in allen Fällen als ausreichend erwies. Im Anschluss wechselten die Gruppen. <?page no="91"?> 4.4 Methoden der Datenerhebung 91 im Unterricht gemachten Erfahrungen bezogen. Für die einzelfallspezifischen Fallrekonstruktionen sollte deshalb keinesfalls auf die schriftlichen Aussagen verzichtet werden. Als sekundäre Daten sind die Aufsätze zwar nicht unmittelbarer Gegenstand der Datenauswertung, sie bilden aber in einem deskriptiven Sinne die Grundlage für die Fallporträts der beiden Lernenden Max und Pia (vgl. Kap. 6. 1. 1 und 6. 2. 1). 4.4.2 Gruppendiskussion Die Gruppendiskussion als rekonstruktive Datenerhebungsmethode Wenn es um die Erhebung der Schülerperspektive geht, eignet sich das Gruppendiskussionsverfahren in besonderer Weise, lassen sich doch mit ihm als qualitative Methode der Datenerhebung „komplexe Einstellungs-, Wahrnehmungs-, Gefühls-, Bedürfnis-, Orientierungs- und Motivationsgeflechte von Menschen und Gruppen aus bestimmten sozialen Kontexten“ (Kühn & Koschel 2011: 33) erheben. Je nach Erkenntnisinteresse werden verschiedene Zielsetzungen unterschieden, die jeweils eigene Implikationen für die Planung und Durchführung der Datenerhebung mit sich bringen. So reichen die Einsatzmöglichkeiten von der Erkundung der Meinungen und Einstellungen einzelner Gruppenmitglieder bis zur Erforschung gruppenspezifischer Verhaltensweisen oder der Prozesse, die zur Bildung einer bestimmten Gruppenmeinung führen (vgl. Lamnek 2010: 376 f.). Darüber hinaus können Gruppendiskussionen helfen, „Einblicke in die verschiedenen Aspekte und Dimensionen eines Problems zu gewinnen, um das Untersuchungsfeld besser strukturieren zu können“ (Lamnek 2005: 71). Insofern ermöglichte das Verfahren im Fall der vorliegenden Untersuchung sowohl einen ersten Überblick über zentrale inhaltliche Bezugspunkte der Lernenden, um wichtige Entscheidungen in Bezug auf die Auswahl der zu analysierenden Interviews zu treffen, als auch einen Zugang zu den kollektiv geteilten, gemeinsamen (Unterrichts-)Erfahrungen der Lernenden und der Frage, welche Bedeutung sie dem Erlernen der zweiten Fremdsprache am Ende der Sekundarstufe I zuschreiben. Sinn- und Bedeutungszuschreibungen, Lebensorientierungen usw. entstehen primär in sozialer Interaktion und bilden sich auf der Grundlage gemeinsamer oder strukturidentischer Erfahrungen (vgl. Lamnek 2010: 389 f.). Sie können deshalb auch nicht in individueller Isolierung, in der sie in der Realität gar nicht auftreten, erhoben werden. Denn gemeinsames Erleben wird „dort am umfassendsten zur Artikulation gebracht, wo diejenigen sich zusammenfinden, denen dieses gemeinsam ist“ (Bohnsack 2013: 377 f., Hervorh. im Orig.). Hier bietet <?page no="92"?> 92 4. Methodologie und Methoden das Gruppendiskussionsverfahren einen Vorteil gegenüber Einzelinterviews, entspricht es doch am ehesten in Ablauf und Struktur „zumindest phasenweise einem ‚normalen‘ Gespräch“ (Loos & Schäffer 2001: 13) und erlaubt somit einen Zugang zu den kollektiven Orientierungen von Gruppen, indem die Äußerungen der Diskutierenden aufeinander aufbauen, sich bestätigen, ergänzen und berichtigen (vgl. Lamnek 2005: 60). Dabei beschränkt sich die Gültigkeit dieser Aussagen keineswegs auf die Situation der Gruppendiskussion selbst, da Gruppenmeinungen nicht erst in der Situation der Diskussion entstehen, sondern dort lediglich aktualisiert werden und „sich in der Realität unter den Mitgliedern des betreffenden Kollektivs bereits ausgebildet“ (Mangold 1973: 240, zit. nach Lamnek 2010: 390) haben. Die Analyse der Daten lässt demnach gleichermaßen auch valide Ergebnisse zu, „die auf Phänomene jenseits der Diskussion verweisen, auf Erfahrungsräume und kollektive Orientierungsmuster von ‚Großgruppen‘ wie etwa Milieu, Geschlecht oder Generation“ (ebd.: 392). Nach Bohnsack (2014: 113) sind solche „ ‚konjunktive[n] Erfahrungsräume‘ dadurch charakterisiert, dass ihre Angehörigen, ihre Träger durch Gemeinsamkeiten des Schicksals, des biographischen Erlebens, Gemeinsamkeiten der Sozialisationsgeschichte miteinander verbunden sind“. Übertragen auf den Kontext der vorliegenden Arbeit kann die gemeinsame Erfahrung des schulischen Französischbzw. Spanischlernens hier als ein solcher konjunktiver Erfahrungsraum begriffen werden. Damit das gemeinsame Erleben in der Gruppendiskussion verhandelt werden kann, gilt es, Selbstläufigkeit und ein diskursives Einpendeln auf Erlebniszentren zu ermöglichen. Erst dann repräsentiert sich der gemeinsame konjunktive Erfahrungsraum (vgl. Bohnsack 2013: 379), d. h., erst wenn die Teilnehmenden herausgefunden haben, ob und wo diese gemeinsamen Erfahrungen liegen und eine Lebendigkeit und Selbstläufigkeit des Diskurses gewährleistet ist, bilden sich Diskussionshöhepunkte, sogenannte Fokussierungsmetaphern heraus, die sich durch eine besonders hohe metaphorische und interaktive Dichte auszeichnen und die spätere Grundlage für die Datenauswertung bilden (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 92). Anzahl und Zusammensetzung der Gruppen Bei der Entscheidung über die Anzahl der zu führenden Gruppendiskussionen sind stets „Charakteristika der zu untersuchenden Population, die zugrunde liegende Forschungsfrage, die angestrebte Art der Analyse, der beabsichtigte Grad an Strukturiertheit sowie forschungsökonomische Faktoren“ (Morgan 1997, zit. nach Lamnek 2010: 399) zu berücksichtigen. Lamnek gibt an, dass mit einer Anzahl von zwei bis fünf Gruppendiskussionen die meisten Forschungsziele erreicht werden können (ebd.). Da jedoch sowohl Jungen- und Mädchengruppen <?page no="93"?> 4.4 Methoden der Datenerhebung 93 als auch Französisch- und Spanischlernende gleichermaßen einbezogen werden sollten und um über eine ausreichende Datenbasis für die Analyse zu verfügen, wurden insgesamt zwölf Gruppendiskussionen durchgeführt. Hinsichtlich der geeigneten Anzahl von DiskussionsteilnehmerInnen variieren die Zahlen zwischen drei und zwanzig Personen, wobei sich Vor- und Nachteile sowohl bei zu großen als auch zu kleinen Gruppen ergeben (vgl. ebd.: 395 f.). Da sich keine begründeten Auffassungen über eine optimale Gruppengröße finden lassen und das Gelingen oder Nicht-Gelingen der Diskussionen von weiteren Faktoren abhängt, orientierte sich die Anzahl der SchülerInnen an den anwesenden Mädchen und Jungen in der Klasse. Pro Lerngruppe wurden jeweils zwei Gruppen gebildet, wobei die kleinste Diskussion aus vier Teilnehmern, die größte aus 14 Teilnehmerinnen bestand. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Menschen „ihre milieubedingt affine Art und Weise des Erlebens“ (Lamnek 2010: 391) am ehesten unter ihresgleichen, also dort hervorbringen, wo sie auf gemeinsame Erfahrungen, auf kollektiv geteilte Hintergründe blicken. Insofern strukturiert die Zusammensetzung der Gruppe maßgeblich die Ergebnisse der Untersuchung mit (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 94). Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, auf Realgruppen, d. h. in der sozialen Wirklichkeit bereits bestehende Gruppen zurückzugreifen. Außerdem wurde im Hinblick auf eine entspannte und vertraute Gesprächsatmosphäre auf eine klassen- oder jahrgangsübergreifende Zusammensetzung der Gruppen verzichtet, sodass sich alle teilnehmenden SchülerInnen aus dem Unterrichtsalltag kennen und davon ausgegangen werden kann, dass sie über eine gemeinsame Erfahrungsbasis verfügen. Lamnek (2005: 105) verweist in Bezug auf die Homogenität oder Heterogenität der Gruppen auf mögliche Gefahren und liefert damit im Fall der vorliegenden Studie ein Argument für die Durchführung geschlechterhomogener Gruppendiskussionen. Er verdeutlicht an einem Beispiel, wie falsche Gruppenzusammensetzungen die erhobenen Daten beeinflussen bzw. verfälschen können, und kommt zu dem Schluss, dass sich die divergierenden Standpunkte verschiedener Gruppen möglicherweise besser untersuchen und analysieren lassen, wenn man diese getrennt voneinander befragt. Vor dem Hintergrund der ambivalenten Forschungslage, den Einfluss des Geschlechts auf die Unterrichtswahrnehmung betreffend, wurden die Lernenden in geschlechterhomogene Gruppen eingeteilt. Wenngleich im Rahmen der Datenauswertung keine Geschlechtstypik herausgearbeitet werden soll, dokumentieren sich kollektive Orientierungen im Rahmen von geschlechterhomogenen Gruppen dennoch möglicherweise besser. Auch Geschlechter(re)konstruktionen bzw. -inszenierungen aufgrund der Anwesenheit des jeweils anderen Geschlechts sollten so vermieden werden. <?page no="94"?> 94 4. Methodologie und Methoden Durchführung der Gruppendiskussionen Der Zeitpunkt der Datenerhebung wurde so gewählt, dass das erste Schulhalbjahr bereits abgeschlossen war und die Entscheidung, die zweite Fremdsprache weiterzuführen oder abzuwählen, unmittelbar bevorstand oder bereits getroffen wurde. Die Gruppendiskussionen fanden während einer Doppelstunde statt, sodass pro Diskussion mit den Jungen- und Mädchengruppen jeweils ca. 45 Minuten Zeit zur Verfügung standen. Die Gespräche fanden in einem separaten Klassenraum statt. Die Anordnung der Tische wurde - entsprechend der Teilnehmerzahl - so gestaltet, dass sich alle SchülerInnen anschauen konnten. Alle Gruppendiskussionen wurden videografiert, um bei der Transkription der Daten die Zuordnung der Personen zu den Gesprächsbeiträgen zu erleichtern. Die Kamera stand dabei hinter der Diskussionsleiterin, sodass alle Personen erfasst wurden. Es wurde streng darauf geachtet, dass die Gespräche in Abwesenheit der jeweiligen Lehrkraft geführt wurden und keinerlei äußere Störfaktoren die Gespräche beeinträchtigen. Ergänzend zu den im Vorfeld ausgeteilten Informationsbriefen wurden die SchülerInnen zu Beginn der Gruppendiskussionen nochmals auf die Freiwilligkeit und Anonymität der Untersuchung hingewiesen sowie über den Ablauf der Gespräche informiert. Auch die Regeln der Diskussion machte ich noch einmal transparent, indem ich darauf hinwies, dass es keine richtigen und falschen Antworten gebe und es nicht mein Ziel sei, sie nacheinander „abzufragen“. Ich teilte ihnen mit, dass sie miteinander ins Gespräch kommen und diskutieren sollten und ich an ihrem Meinungsaustausch interessiert sei. Ich informierte die SchülerInnen auch darüber, dass ich offene Fragen stellen und mich danach vorerst zurückhalten würde und dass sie so miteinander sprechen sollten, wie sie es normalerweise auch tun würden. Bevor ich dann die erste Frage stellte, bat ich die SchülerInnen, sich kurz vorzustellen und mitzuteilen, wie lange sie die zweite Fremdsprache schon lernten und warum sie sich damals für diese entschieden hätten. Die Vorstellungsrunde diente zum einen dem Kennenlernen und sollte zum anderen im Sinne eines Aufwärmens den Einstieg in die anschließende Diskussion erleichtern und eine Gewöhnung an die Kamera im Raum erzielen. Die Hauptaufgabe der Forschenden während der Diskussionen besteht vor allem darin, die Interaktion zwischen den GesprächsteilnehmerInnen zu initiieren und aufrechtzuerhalten. Bohnsack nennt in diesem Zusammenhang acht zentrale Prinzipien für die Leitung von Gruppendiskussionen, die bei der Durchführung der Gespräche berücksichtigt wurden und im Folgenden kurz skizziert werden sollen: <?page no="95"?> 4.4 Methoden der Datenerhebung 95 • Um einen Eingriff in die Verteilung der Redebeiträge zu verhindern, wurden Fragen und Interventionen immer an die gesamte Gruppe und nicht an Einzelpersonen gerichtet. 5 • Alle Fragen initiierten ausschließlich Themen, ohne dabei Propositionen 6 vorzugeben und den Gesprächsverlauf so in eine bestimmte Richtung zu lenken. • Um der wissenssoziologisch begründeten, methodologischen Grundhaltung der Fremdheit im Forschungsfeld gerecht zu werden und damit ausführliche und detaillierte Ausführungen zu evozieren, wurden die Fragen möglichst erzählgenerierend und offen gestellt. • Bei der Diskussionsleitung wurde bewusst auf Zurückhaltung geachtet. Nachfragen erfolgten erst nach Erlöschen des aktuellen Diskurses, wobei keine Teilnehmer- oder Moderationsfunktion eingenommen wurde. • Bevor neue Themen durch die Diskussionsleitung initiiert wurden, hatten immanente Nachfragen bezogen auf ein bereits angesprochenes Thema Priorität. • Erst nachdem alle für die Gruppe relevanten Themen besprochen worden waren, begann die Phase der exmanenten Nachfragen, bezogen auf für die Forscherin relevante, aber noch nicht behandelte Themen. • Vor dem Ende der Diskussion wurden durch die Forscherin wahrgenommene Widersprüchlichkeiten oder Inkonsistenzen in den Darstellungen angesprochen (vgl. Bohnsack 2013: 380 ff.). Die Themen, die in der Diskussion zur Sprache kommen, sollen von den Gruppen selbst gewählt werden. Dennoch ist ein gewisses Maß an Standardisierung insofern unverzichtbar, als eine thematische Vergleichbarkeit Voraussetzung für eine komparative Analyse der Diskurse ist (vgl. ebd.). Deshalb wurde ausgehend vom Forschungsinteresse für die Eingangsfrage sowie Nachfragen eine Liste mit Rahmenthemen und Fragen erstellt, die eine gewisse Strukturierung vorgeben, dabei aber ein höchstes Maß an Offenheit und Flexibilität garantieren. Nach Beendigung der Gruppendiskussionen wurde stets ein Gedächtnisprotokoll angefertigt, das Anmerkungen und wichtige Notizen zur Interviewsituation, zu zentralen Themen sowie sonstigen Auffälligkeiten und Besonderheiten enthielt. 5 Die Rolle der sog. Schweiger - Personen, die sich kaum oder gar nicht an der Diskussion beteiligen - wird bei Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014: 100 f.) als unproblematisch für den empirischen Zugang zu den kollektiven Orientierungen eingeschätzt. Das Schweigen sei entweder als völlige Zustimmung oder aber vollständige Ablehnung der Gruppenmeinung zu interpretieren. In beiden Fällen habe es für die Erhebung keine Konsequenzen. Ein Zugang zu den Meinungen dieser SchülerInnen wurde über die bildgestützten Kurzaufsätze ermöglicht. 6 Bohnsack bezeichnet mit Propositionen, orientiert an Harold Garfinkel (1961), Unterstellungen oder Feststellungen von Orientierungen und Haltungen, die in alltäglichen Darstellungen oder Beschreibungen impliziert sind (vgl. Bohnsack 2013: 384). <?page no="96"?> 96 4. Methodologie und Methoden 4.4.3 Narratives Interview Wenngleich sich in Gruppendiskussionen zahlreiche individuelle Meinungen und biografische Erzählungen finden, gelangt die Methode dort an ihre Grenzen, wo es um die Erhebung individueller Biografien, Entscheidungsprozesse oder Haltungen geht (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 93). Da die vorliegende Untersuchung jedoch auch auf die Erforschung des individuellen, fachbezogenen Unterrichtserlebens abzielt, wurden die Gruppendiskussionen durch stärker auf das Individuum fokussierende narrative Interviews ergänzt. Ein solches multimethodisches Vorgehen erlaubt es, das Unterrichtserleben der Lernenden aus einer kollektiven sowie individuellen Perspektive zu beleuchten. Das narrative Interview als Methode der Datenerhebung in der rekonstruktiven Sozialforschung Das narrative Interview zählt vor allem in den Erziehungswissenschaften zu den bevorzugten Methoden der Datenerhebung und kommt insbesondere in Forschungsarbeiten zur Anwendung, deren Erkenntnisinteresse biografisch orientierten Fragestellungen bzw. subjektiven Erfahrungswelten gilt (vgl. Jakob 2013: 219). Dies ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass „sich mit diesem Erhebungsverfahren nicht nur die Perspektiven und Orientierungen , sondern auch die Erfahrungen , aus denen diese Orientierungen hervorgegangen sind“ (Nohl 2017: 3, Hervorh. im Orig.), erheben lassen. Dabei ermöglicht das narrative Interview, anhand der erzählten lebensgeschichtlichen Darstellungen Veränderungs- und Wandlungsprozesse der interviewten Personen im Verlauf der Lebensgeschichte zu rekonstruieren (vgl. Jakob 2013: 220). Wenngleich es in dieser Arbeit nicht um die Rekonstruktion komplexer biografischer Lebensverläufe gehen soll, erscheint die Methode des narrativen Interviews angesichts des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes angemessen, da sie „ den Blick auf individuelle und kollektive Lern- und Bildungsprozesse “ (ebd., Hervorh. im Orig.) eröffnet. So hilft der (lern-)biografische Blick auf einen spezifischen Ausschnitt der Lebensbzw. Bildungsgeschichte der Jugendlichen - das Unterrichtserleben in den Fächern Französisch und Spanisch - dabei, Einsichten in die höchst individuellen, unterrichtlichen Lernerfahrungen der SchülerInnen sowie einen Zugang zu Prozessen der fachbezogenen Hin- oder Abwendung zu gewinnen. Um den Lernenden und ihren persönlichen Erfahrungen mit einer größtmöglichen Offenheit zu begegnen und den Gesprächsverlauf sowie die Themen und Antworten der SchülerInnen nicht durch die Vorgaben der Forscherin einzuschränken, wird beim narrativen Interview bewusst auf eine Vorstrukturierung des Interviews in Form eines Leitfadens verzichtet, sodass hier die Aufforderung zur Narration, zum Erzählen von Er- <?page no="97"?> 4.4 Methoden der Datenerhebung 97 innerungen und Erfahrungen im Vordergrund steht (vgl. Friebertshäuser & Langner 2013: 440). Lucius-Hoene und Deppermann (2004: 9) sprechen von der „Narrativierbarkeit“ der Forschungsfrage als wichtiger Voraussetzung für den Einsatz des narrativen Interviews. Erzählen bedeute, die einem zeitlichen Wandel unterliegenden Prozesse und Entwicklungen - „wie alles gekommen ist“ (ebd.) - sprachlich zur Darstellung zu bringen. Erzählt werden könne demnach nur, „was eine lebensgeschichtliche Dimension mit einer zeitlichen Entwicklungsgestalt“ (ebd.: 293) besitze und als „ Erlebnis- und Erfahrungsgeschichte “ (ebd., Hervorh. im Orig.) darstellbar sei. Dass es sich bei der Bezugnahme zu einem Fach um eine eben solche Erlebnis- und Erfahrungsgeschichte handelt, liegt in der Tatsache begründet, dass sie im Verlauf der Sekundarstufe I in der Regel Veränderungen und Entwicklungen unterworfen ist. Bedingt durch unterrichtliche Erlebnisse und Lernerfahrungen wandeln sich Interessen und Einstellungen. Dabei vermag das Verfahren des narrativen Interviews eben nicht nur die äußeren Ereignisse, d. h. was die SchülerInnen im Unterricht erlebt haben, zu erfassen, sondern gleichermaßen der Frage nach dem Wie nachzugehen. So werden auch individuelle Interpretationen eines Ereignisses sowie dessen Auswirkungen auf die weitere Lerngeschichte sichtbar: „Nicht nur der ‚äußerliche‘ Ereignisablauf, sondern auch die ‚inneren Reaktionen‘, die Erfahrungen des Biographieträgers mit den Ereignissen und ihre interpretative Verarbeitung in Deutungsmustern gelangen zur eingehenden Darstellung.“ (Schütze 1983: 285) Wichtigster Ausgangspunkt für ein Gelingen narrativer Interviews und eine der zentralen erzähltheoretischen Grundannahmen biografischer Forschungsansätze ist die „Nähe“ von erlebter und erzählter Lebensgeschichte. 7 Diese Nähe lässt sich am besten in unvorbereiteten Erfahrungsberichten, sogenannten Stegreiferzählungen erzielen, die eine solche Eigendynamik entwickeln, dass „die in der Gegenwart wirksamen Strategien der Selbstdarstellung nicht ausgeblendet werden, aber zumindest zeitweise in den Hintergrund treten“ ( Jakob 2013: 224). Die Befragten müssen dazu gebracht werden, zurückliegende Ereignisse in ihrer Abfolge so zu reproduzieren, wie sie sich in der Vergangenheit zugetragen haben, was die Verwendung möglichst erzählgenerierender Fragestellungen nahelegt. 7 Dem Vorwurf, das ursprüngliche Erleben eines Ereignisses und seine spätere autobiografische Thematisierung im Interview, d. h., objektive Realität und subjektive Erzählung würden hier gleichgesetzt, kann entgegnet werden, dass es keineswegs darum geht, vergangene Ereignisse aus den Erzählungen der interviewten Personen unreflektiert abzubilden (vgl. Nohl 2005: 11). Vielmehr liegt der Fokus auf der Frage, „welche Erlebnisse für die Befragten selbst biographisch relevant sind, wie sie diese Erlebnisse damals und heute deuten und wie sie versuchen, ihr Leben in einen Sinnzusammenhang einzubetten, d. h. in ein Konstrukt, das wir Biographie nennen“ (Rosenthal 2002: 138). <?page no="98"?> 98 4. Methodologie und Methoden Durch die Erhebung solcher spontanen Erzählungen müsste folglich eine engere Verbindung zwischen der aktuellen Kommunikation einerseits und dem damaligen Erleben und den damaligen Handlungsorientierungen des Erzählers andererseits zu erreichen sein als mit anderen Befragungsformen. (Küsters 2006: 23) Vergangenes Erleben lässt sich also besonders präzise in Erzählungen wiedergeben (vgl. ebd.: 25), während deskriptive, aber vor allem argumentative und evaluative Textsorten dazu weniger geeignet sind (vgl. Nohl 2012: 20). Begründungen für vergangene Verhaltensweisen und Werturteile oder Einschätzungen zu erlebten Ereignissen sind häufig zeitlich überformt, sodass sie u. U. stark von ursprünglichen oder tatsächlichen Handlungsmotiven abweichen können. Auch eine weitere, damit eng verbundene Überlegung legt die Verwendung narrativer Interviews nahe: Wenn SchülerInnen in der Interviewsituation mitteilen, dass sie das Erlernen der französischen Sprache als sehr schwer empfinden oder sie den Unterricht langweilig finden, erfahren wir etwas über ihre Überzeugungen, Haltungen oder Einstellungen gegenüber dem Sprachenlernen. Derlei Aussagen geben uns jedoch noch keine Auskunft darüber, welche Erfahrungen aus dem Unterricht möglicherweise zu dieser Auffassung geführt haben. Auch diese Hürde lässt sich nur überwinden, indem Erhebungsinstrumente und Befragungsformen entsprechend angepasst werden: Wenn wir uns nicht damit zufrieden geben wollen, nur etwas über die übersituativen Einstellungen und Alltagstheorien der Befragten zu erfahren, […] sondern wenn wir rekonstruieren wollen, was Menschen im Laufe ihres Lebens erlebt haben, und wie dieses Erleben ihre gegenwärtigen Perspektiven und Handlungsorientierungen konstituiert, dann empfiehlt es sich, Erinnerungsprozesse und deren sprachliche Übersetzung in Erzählungen hervorzurufen. (Rosenthal 2005: 141) Durchführung der narrativen Interviews Die narrativen Interviews fanden jeweils einen bis wenige Tag(e) nach den Gruppendiskussionen statt, sodass Zeit bestand, einen groben Überblick über die Texte der Lernenden zu gewinnen und die Videoaufnahmen der aufgezeichneten Gruppengespräche zu sichten. Auf der Grundlage der erhobenen Daten wählte ich SchülerInnen aus, die durch ihre Aussagen in den Gruppendiskussionen und/ oder bildgestützten Kurzaufsätzen besonders auffielen, weil sich in ihren Äußerungen Prozesse der fachbezogenen Abwendung dokumentierten. 8 Die Durchführung der Interviews orientierte sich an den nachfolgend dargestellten fünf Phasen (vgl. Abb. 8). Um ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen 8 Da die Angabe der persönlichen Daten bei der schriftlichen Befragung freiwillig war, lagen mir nicht alle Kontakte potenzieller GesprächspartnerInnen vor. <?page no="99"?> 4.4 Methoden der Datenerhebung 99 Forscherin und den Interviewten herzustellen und so eine wichtige Grundvoraussetzung für das Gelingen des Gesprächs zu schaffen, wurde vor dem eigentlichen Interview ausreichend Zeit in die Erklärung der Rahmenbedingungen investiert. Nachdem die SchülerInnen bereits in der ersten Erhebungsphase über die Hintergründe der Untersuchung aufgeklärt worden sind, erhielten sie noch einmal in kurzer Form einige wesentliche Informationen zu den Zielen des persönlichen Gesprächs. Da es für die Jugendlichen u. U. schwierig sein kann, aus dem Stegreif über eine bestimmte Phase ihres Lebens zu erzählen, die sich auf Erfahrungen in einem speziellen Unterrichtsfach bezieht, oder sie vielleicht ein Interview im Sinne eines Frage-Antwort-Prinzips erwarten, wurde auch der Interviewablauf (u. a. die bewusste Zurückhaltung der Interviewerin im ersten Teil des Interviews) im Vorfeld kurz skizziert. Abbildung 8: Phasen des narrativen Interviews (in Anlehnung an Reinders 2012: 92) Ich möchte heute noch einmal mit Ihnen über Ihren Spanisch-/ Französischunterricht sprechen. Mich interessiert dabei, wie für Sie persönlich das Lernen dieser Sprache verlaufen ist und welche Erfahrungen Sie in den vergangenen Jahren mit dem Lernen dieser Sprache gemacht haben. Ich möchte Sie deshalb bitten, einmal auf diese Zeit zurückzublicken und mir von Beginn an bis zum heutigen Tag möglichst alles zu erzählen. Zu besonderen Erlebnissen können Sie auch gern eine ausführlichere Geschichte erzählen. Für mich ist alles das interessant, was Ihnen wichtig ist. Abbildung 9: Erzählaufforderung aus dem narrativen Interview Französisch Spanisch TN Gruppendiskussionen (m/ w) Kurzaufsätze Einzelinterviews (m/ w) TN Gruppendiskussionen (m/ w) Kurzaufsätze Einzelinterviews (m/ w) Pilotstudie 8 7 15 2 3 - - - - - A-Stadt 8 (Gruppe Schloss) 8 (Gruppe Bühne) 16 - 1 7 (Gruppe Ahorn) 9 (Gruppe Amsel) 16 1 2 B-Stadt 4 (Gruppe Stadion) 10 (Gruppe Leiter) 14 1 1 11 (Gruppe Biber) 5 (Gruppe Birke) 16 - - C-Stadt 10 (Gruppe Bahnhof) 9 (Gruppe Dach) 19 - - 10 (Gruppe Koala) 14 (Gruppe Katze) 24 3 Tabelle 4: Übersicht über die erhobenen Daten Erklärungsphase Die InterviewteilnehmerInnen erhalten allgemeine Informationen zum Ziel der Untersuchung, Datenschutz und Interviewablauf. Thematische Einstiegsphase Mit der erzählgenerierenden Eröffnungsfrage werden die InterviewteilnehmerInnen zum Erzählen eines bestimmten Abschnitts der Lebensgeschichte (die eigene auf das Frach Französisch/ Spanisch bezogene Entwicklung) aufgefordert. Haupterzählung Die InterviewteilnehmerInnen erzählen von Beginn an alle für sie relevanten Erfahrungen und Erlebnisse, die sie in Bezug auf das Fach Französisch/ Spanisch als bedeutsam erachten. Nachfragephase Die Nachfragephase untergliedert sich in immanente, auf die vorangehende Erzählung der Interviewperson bezogene Fragen sowie exmanente, bislang nicht angesprochene, aber für das Forschungsinteresse wichtige Fragestellungen. Bilanzierungsphase Die interviewte Person wird um eine abschließende Einschätzung des Gesprächs gebeten. Abbildung 8: Phasen des narrativen Interviews (in Anlehnung an Reinders 2012: 92) Aufgrund der Sensibilität, die das Thema für die Lernenden mit sich bringt, wurde zudem noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass alle Gesprächsinhalte streng vertraulich behandelt und die Lehrkräfte keine Auskunft darüber erhalten würden. Die Gründe für die Auswahl der SchülerInnen wurden gegen- <?page no="100"?> 100 4. Methodologie und Methoden über den betreffenden Personen nicht näher ausgeführt. Diesbezügliche Informationen beschränkten sich darauf, dass bestimmte Aussagen aus den Gruppendiskussionen oder schriftlichen Texten besonders interessant erschienen. So sollte ausgeschlossen werden, dass das Gespräch vonseiten der Forscherin in eine bestimmte Richtung gelenkt wird und die interviewten Personen verstärkt auf Aspekte Bezug nehmen, die von der Forscherin als Gründe für ihre Auswahl dargestellt wurden, andere Sachverhalte hingegen vernachlässigt oder ganz ausgeblendet werden. Zugunsten einer Offenheit des Gesprächsverlaufs wurde insofern auf die Erläuterung von Sampling-Strategien bewusst verzichtet. Die Qualität der Eingangsfrage, die in Form eines erzählgenerierenden Stimulus zu formulieren ist, hat entscheidenden Einfluss auf die sich anschließende Haupterzählung der interviewten Person (vgl. Küsters 2006: 44). Ursachen für das Misslingen oder Scheitern von narrativen Interviews liegen häufig in der Erzählaufforderung begründet. Gerade in den ersten Interviewversuchen haben nachgestellte Paraphrasierungen oder Erläuterungen der Frage gezeigt, dass sie eher zu Verunsicherung der Befragten führen als für Klarheit sorgen. Auch Warum-Fragen sind dringend zu vermeiden. Denn obwohl diese vermeintliche Handlungsschemata der Person aufzeigen sollen, rufen sie eher Begründungen, Bewertungen oder Erklärungen hervor, wie sie beispielsweise zur nachträglichen Legitimation des eigenen Handelns dienen (vgl. ebd.: 63). Geeignete erzählgenerierende Stimuli zielen hingegen auf die Darstellung zeitlicher Verläufe ab, wobei vor der Interviewdurchführung genau zu reflektieren ist, ob die gesamte Biografie oder nur bestimmte Phasen der Lebensgeschichte zur Rede gebracht werden sollen. Da der Interessenfokus im Fall der vorliegenden Untersuchung einen definierten Abschnitt der Lebensgeschichte fokussiert, wurde darauf verzichtet, mit einer auf die gesamte Biografie abzielenden Eingangsfrage zu beginnen. Insofern beschränkte sich der erzählgenerierende Stimulus auf das Unterrichtserleben der zweiten Fremdsprache (vgl. Abb. 9). Um den Einstieg in die Erzählung zu erleichtern, wurde ein Anfangspunkt vorgeschlagen, der zeitlich noch vor dem interessierenden Abschnitt liegt (vgl. Lucius-Hoene & Deppermann 2004: 296). Durch die Formulierung „von Beginn an “ konnten die SchülerInnen den Anfangspunkt ihrer Erzählung selbst definieren. Je nach Relevanzsetzung wurden demnach schon Erlebnisse aus der Zeit vor Einsetzen der zweiten Fremdsprache erzählt oder es fanden sich Erzählanfänge, die sich auf die Wahlentscheidung bzw. den Anfangsunterricht bezogen. <?page no="101"?> 4.4 Methoden der Datenerhebung 101 Ich möchte heute noch einmal mit Ihnen über Ihren Spanisch-/ Französischunterricht sprechen. Mich interessiert dabei, wie für Sie persönlich das Lernen dieser Sprache verlaufen ist und welche Erfahrungen Sie in den vergangenen Jahren mit dem Lernen dieser Sprache gemacht haben. Ich möchte Sie deshalb bitten, einmal auf diese Zeit zurückzublicken und mir von Beginn an bis zum heutigen Tag möglichst alles zu erzählen. Zu besonderen Erlebnissen können Sie auch gern eine ausführlichere Geschichte erzählen. Für mich ist alles das interessant, was Ihnen wichtig ist. Abbildung 9: Erzählaufforderung aus dem narrativen Interview Hat die interviewte Person nach eventuellen Rückfragen die Haupterzählung begonnen, ist darauf zu achten, ihren Erzählfluss nicht zu unterbrechen. Auch wenn diese in einzelnen Interviews bereits zu Beginn vielmehr als sehr knapper Bericht gestaltet war, wurde zunächst nicht korrigierend eingegriffen. Die wichtigste Aufgabe der interviewenden Person besteht hier in der Bestärkung des Erzählens durch Aufrechterhalten des Blickkontakts, aktives Zuhören, unterstützende Gesten sowie nicht-direktive Hörer-Signale (vgl. Hopf 2007: 356). Längere Pausen des Innehaltens oder Nachdenkens müssen von der interviewenden Person genauso ausgehalten werden wie Unverständlichkeiten. Beides bedarf einer gewissen Übung. Denn schnell ist man versucht, durch spontane Rück- oder Nachfragen, wie sie in alltäglichen Gesprächen üblich sind, zu reagieren. Da jedoch auch kleinste Nachfragen den Verlauf der Erzählung stören können, wurden Punkte in der Erzählung, die Anlass für Rückfragen boten, zunächst nur notiert und auf den anschließenden Nachfrageteil verschoben (vgl. Küsters 2006: 58 f.). Da die Länge der Stegreiferzählung sehr stark variierte und zum Teil nur wenige Minuten dauerte, musste in den Interviews mitunter eine größere Steuerung vorgenommen werden. Auch Trautmann (2007: 47) stößt in seiner Untersuchung mit Fremdsprachenlernenden der Oberstufe auf ähnliche Probleme und hinterfragt kritisch, ob „man seine Fremdsprachenlerngeschichte ähnlich wie seine Lebensgeschichte erzählen“ könne. Er kommt zu dem Schluss, dass im Einzelfall eine stärkere Strukturierung des Interviews vorzunehmen ist. Durch weitere erzählgenerierende Fragen in der vierten Phase konnte diesen Schwierigkeiten begegnet werden. So wurden zunächst durch gezieltes Nachfragen bestimmte Phasen oder Situationen aufgegriffen, die in der Stegreiferzählung erwähnt, aber nicht ausgeführt wurden. Nach generalisierenden Bewertungen in der Haupterzählung sollten diese durch die Erzählung einer beispielhaften Situation konkretisiert und veranschaulicht werden (vgl. Hopf 2007: 356). 9 Auch Lücken, Brüche, 9 Fischer-Rosenthal und Rosenthal (vgl. 1997: 146 f.) unterscheiden drei Typen des narrativen Nachfragens: solche zum Ansteuern einer Lebensphase, einer benannten Situation sowie einer Beleg-Erzählung zu einem Argument. <?page no="102"?> 102 4. Methodologie und Methoden Widersprüche oder andere Auffälligkeiten in der Haupterzählung wurden in erzählgenerierenden Nachfragen aufgegriffen und sollten durch die interviewte Person expliziert werden (vgl. Küsters 2006: 59 ff.). Themen, die bis zum Abschluss des immanenten Nachfrageteils noch nicht angesprochen wurden, wurden durch exmanente Fragen angesteuert. Diese bezogen sich beispielsweise auf besonders positive oder negative Erlebnisse wie auch auf Gründe für die Wahl oder Abwahl einer bestimmten Fremdsprache. Auch auf Themen aus der Gruppendiskussion oder den schriftlichen SchülerInnentexten wurde individuell durch Nachfragen Bezug genommen. Im abschließenden Bilanzierungsteil hatten die Lernenden die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen, und wurden gebeten, ihrerseits resümierend eine Gesamteinschätzung des Gesprächs vorzunehmen. 4.5 Auswertung der Daten 4.5.1 Die dokumentarische Methode als rekonstruktives Auswertungsverfahren Die dokumentarische Methode hat sich zu einer der zentralen Auswertungsmethoden rekonstruktiver Sozialforschung entwickelt (vgl. Bohnsack et al. 2007b: 9) und findet inzwischen auch in der Fremdsprachendidaktik immer öfter Anwendung (vgl. Bonnet 2012; Tesch 2016). Für die Interpretation von Gruppendiskussionen eignet sie sich in besonderem Maße, wurde sie doch ursprünglich für deren Auswertung entwickelt. Aber auch für die Auswertung von (narrativen) Interviews hat sich das Verfahren in der Forschungspraxis etabliert (vgl. Nohl 2012: 9), sodass es im Rahmen der vorliegenden Untersuchung die Möglichkeit bietet, unterschiedliche Datensorten mit derselben Auswertungsmethode zu interpretieren und so die Vergleichbarkeit der Daten sicherzustellen. Das Hauptanliegen der dokumentarischen Methode besteht darin, Erfahrungen von Individuen und Gruppen zu rekonstruieren und so Aufschluss über die Handlungsorientierungen der jeweiligen Personen zu geben (vgl. Nohl 2007: 2). Dabei sind mit Orientierungen Sinnmuster gemeint, die uns in der Regel nicht reflexiv zugänglich sind, jedoch unser handlungspraktisches Wissen maßgeblich bestimmen und handlungsleitend sind. Es handelt sich somit um Prozessstrukturen, die sich in homologer Weise in unterschiedlichen Handlungen, also auch in Sprechhandlungen und Darstellungen, reproduzieren. Diese Sinnmuster sind in die Handlungen eingelassen und werden nicht explizit in Form von Themen angesprochen. (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 295) <?page no="103"?> 4.5 Auswertung der Daten 103 Ein konstitutives Merkmal der Arbeit mit der dokumentarischen Methode ist die Unterscheidung zwischen dem begrifflich explizierbaren bzw. kommunikativ generalisierten Wissen und dem handlungspraktischen, impliziten bzw. konjunktiven Wissen (vgl. ebd.: 281). Entsprechend diesen beiden Wissensformen werden in Bezug auf sprachliche Äußerungen zwei Sinnebenen unterschieden, der immanente und der dokumentarische Sinngehalt. Während Ersterer die unmittelbare, wörtliche Bedeutung des Gesagten meint, also auf das kommunikativ generalisierte Wissen abhebt, bezeichnet der dokumentarische Sinngehalt das, was in den Äußerungen implizit über die Orientierungen und deren Entstehungszusammenhang zum Ausdruck kommt (vgl. Kleemann et al. 2013: 159). Der Zugang zu den Orientierungen von Individuen oder Gruppen erfolgt über die Identifikation dieses impliziten, handlungsleitenden Orientierungswissens. Bei der dokumentarischen Interpretation geht es also darum, „das, was (wörtlich) gesagt wird, also das, was thematisch wird, von dem zu unterscheiden, wie ein Thema, d. h. in welchem Rahmen es behandelt wird.“ (Bohnsack et al. 2007b: 15, Hervorh. im Orig.) Die Rekonstruktion dieses Orientierungsrahmens von Gruppen oder auch Individuen ist der zentrale Gegenstand der dokumentarischen Interpretation (vgl. ebd.). Während sich mit Bourdieus Habituskonzept, auf das sich auch Bohnsack bezieht, grundlegende Orientierungen bzw. Haltungen rekonstruieren lassen 10 , werden in der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an Kramer et al. (2009: 51) ausschließlich die für die zweite Fremdsprache spezifizierten grundlegenden Haltungen fokussiert. 11 Dies erscheint insofern unerlässlich, als der Zugang zu den Orientierungen der SchülerInnen, vorgegeben durch die spezifische, fremdsprachendidaktische Fragestellung, das Erkenntnisinteresse und das erhobene Datenmaterial, thematisch begrenzt ist. Es wird also ein Ausschnitt dieser grundlegenden Haltungen bzw. des handlungsleitenden impliziten Wissens in den Blick genommen, sodass die kollektiven und individuellen Orientierungsrahmen jeweils nur fokussiert auf das Erlernen der zweiten Fremdsprachen erfasst werden (vgl. ebd.). Durch diese inhaltliche Dimensionierung des Forschungsgegenstands werden im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit mit der Frage nach dem rekonstruierten Orientierungsrahmen der SchülerInnen bei der Analyse insbesondere folgende Aspekte berücksichtigt: 10 Bourdieu unterscheidet z. B. für gesellschaftliche Großgruppen zwischen den verschiedenen Habitus-Typen der Distinktion, Anpassung und Notwendigkeit (vgl. Bourdieu 1999, zit. nach Kramer et al. 2009: 51). 11 Für ihr Konzept des individuellen Orientierungsrahmens gehen die Autoren davon aus, dass sie diesen analytisch „jeweils nur fokussiert auf Schule, Bildung und schulische Selektion erfassen und nur an einigen Stellen von dieser Fokussierung auf generelle Selbst- und Welthaltungen schließen“ (Kramer et al. 2009: 51 f.) können. <?page no="104"?> 104 4. Methodologie und Methoden • Stellenwert und Relevanz der zweiten Fremdsprache • Bezugnahme zur zweiten Fremdsprache und zum Erlernen derselben (Prozesse der fachbezogenen Hin- oder Abwendung) • Bedeutung von Unterrichtserlebnissen (welchen Faktoren wird die Verantwortung für diese Prozesse zugeschrieben? ) • Leistungs- und Anspruchsniveau beim Erlernen der zweiten Fremdsprache Für die Interpretation der Daten lagen insgesamt 14 Gruppendiskussionen, 120 Kurzaufsätze und 14 Interviews vor (vgl. Tab. 4), wobei vier Kernfälle rekonstruiert wurden (vgl. Kap. 4. 6). Nachfolgend soll deshalb dargelegt werden, wie die verschiedenen Datensätze im Einzelnen ausgewertet wurden, welche Sampling-Entscheidungen der getroffenen Auswahl zugrunde lagen und welchen Stellenwert die verschiedenen Datensätze im Hinblick auf die Beantwortung der Forschungsfragen einnehmen. Französisch Spanisch TN Gruppendiskussionen (m/ w) Kurzaufsätze Einzelinterviews (m/ w) TN Gruppendiskussionen (m/ w) Kurzaufsätze Einzelinterviews (m/ w) Pilotstudie 8 7 15 2 3 - - - - - A-Stadt 8 (Gruppe Schloss) 8 (Gruppe Bühne) 16 - 1 7 (Gruppe Ahorn) 9 (Gruppe Amsel) 16 1 2 B-Stadt 4 (Gruppe Stadion) 10 (Gruppe Leiter) 14 1 1 11 (Gruppe Biber) 5 (Gruppe Birke) 16 - - C-Stadt 10 (Gruppe Bahnhof) 9 (Gruppe Dach) 19 - - 10 (Gruppe Koala) 14 (Gruppe Katze) 24 3 Tabelle 4: Übersicht über die erhobenen Daten 4.5.2 Auswertung der Gruppendiskussionen Bei der dokumentarischen Textinterpretation werden systematisch vier Analyseschritte durchlaufen. Die Unterscheidung zwischen immanentem und dokumentarischem Sinngehalt wird durch die beiden Arbeitsschritte der formulierenden und reflektierenden Interpretation vollzogen. Ergänzt werden diese <?page no="105"?> 4.5 Auswertung der Daten 105 durch die Fall- oder Diskursbeschreibung sowie eine abschließende Typenbildung (vgl. Bohnsack 2014: 136). Formulierende Interpretation Die Auswahl der zu interpretierenden Passagen orientiert sich an verschiedenen Kriterien. Berücksichtigt werden vor allem jene Abschnitte, die für die Ausgangsfragestellung und das Erkenntnisinteresse besonders relevant erscheinen. Gleichzeitig wird auf Passagen geachtet, die thematisch vergleichbar mit Passagen anderer Diskussionen sind, um fallübergreifende komparative Analysen zu ermöglichen. Eine dritte Auswahlstrategie bezieht sich auf die Suche nach „Fokussierungsmetaphern“ bzw. Erlebnis- und Orientierungszentren, in denen die zentralen Orientierungen der Gruppe besonders prägnant zum Ausdruck kommen (vgl. Bohnsack 2007: 233). Derlei interaktive und dichte Textstellen im Diskurs zeichnen sich z. B. durch die Intensität des Gesprächs, hohe Selbstläufigkeit, rasche Sprecherwechsel oder die auffallend lange Behandlung eines bestimmten Themas aus (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 293). Auf der Grundlage dieser Überlegungen wurden jeweils fünf Passagen der zu interpretierenden Gruppendiskussionen ausgewählt. Bei der formulierenden Interpretation verbleibt die Forschende auf der Ebene des immanenten Sinngehaltes und stellt die Frage nach dem Was , d. h. sie reformuliert das, was die Erforschten wörtlich mitgeteilt haben (kommunikatives Wissen). Ziel der formulierenden Interpretation ist es, sich zunächst einen Überblick über den thematischen Verlauf der Diskussion zu verschaffen. Dazu werden die einzelnen Passagen mithilfe von Ober- und Unterthemen strukturiert. Im zweiten Schritt der formulierenden Interpretation erfolgt eine detaillierte Reformulierung des Inhaltes. Den einzelnen Themenbereichen werden inhaltliche Zusammenfassungen hinzugefügt und vermerkt, ob das jeweilige Thema durch die Interviewerin oder die Gruppe selbst initiiert wurde (vgl. Bohnsack 2014: 136 f.). Unklare Formulierungen und metaphorische Redewendungen fließen als wörtliche Zitate ein, da sie häufig erst im Zuge der darauffolgenden reflektierenden Interpretation verständlich werden (vgl. Przyborski & Wohlrab- Sahr 2014: 294). Die ausführliche Paraphrasierung des Gesagten zielt zum einen auf die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Interpretation ab, indem versucht wird, das wörtlich Gesagte allgemein verständlich wiederzugeben. Zum anderen wird hier die analytische Trennung zwischen immanentem und dokumentarischem Sinngehalt garantiert, sodass die erste, sich meist unmittelbar erschließende Sinnebene der Äußerungen im nächsten Schritt, der reflektierenden Interpretation, nicht mehr zusätzlich berücksichtigt werden muss (vgl. ebd.). <?page no="106"?> 106 4. Methodologie und Methoden Reflektierende Interpretation Im Zuge der reflektierenden Interpretation geht es nun um die Frage, welche impliziten Orientierungen der Gruppe sich in den Diskussionen dokumentieren. Dazu werden der Orientierungsrahmen sowie die Diskursorganisation rekonstruiert. Die Fragen, die sich die Interpretin dabei zu beantworten sucht, lauten in etwa: Was zeigt sich hier über den Fall? Welche Bestrebung und/ oder welche Abgrenzungen sind in den Diskursbewegungen impliziert? Welches Prinzip, welcher Sinngehalt kann eine derartige Äußerung motivieren, hervorbringen? Welches Prinzip kann mir zwei oder gar mehr (thematisch) unterschiedliche Äußerungen als Ausdruck desselben zugrunde liegenden Sinns verständlich machen? (Przyborski 2004: 55) Der Orientierungsrahmen markiert dabei die Grenzen des konjunktiven Erfahrungsraums der Gruppe und eröffnet den Interpretierenden einen Zugang zu deren kollektiven Orientierungen bzw. Haltungen. Der sogenannte positive Horizont umfasst das kollektive Wollen, die positiven Ideale oder Ziele bzw. die Richtung, auf den eine Orientierung zustrebt. Hier stellt sich bspw. die Frage, wonach die SchülerInnen beim Erlernen der zweiten Fremdsprache streben. Der positive Horizont wird begrenzt von einem negativen Gegenhorizont , der anzeigt, wovon sich eine Orientierung abgrenzt, welche Personen, Handlungen, Positionen, welche Entwicklung, Richtung oder welcher Ausgang abgelehnt werden. So fiel in den Daten bspw. auf, dass bestimmte Lehrpersonen, -methoden, aber auch Unterrichtsinhalte häufig abgelehnt werden. Das dritte Element, das Enaktierungspotenzial , beschreibt die Einschätzung der zur Verfügung stehenden Umsetzungs- oder Durchführungsmöglichkeiten und praktischen Verwirklichung im Alltagshandeln (vgl. ebd.; Kleemann et al. 2013: 161), also die Perspektiven, die die Lernenden nennen, um ihre Ziele zu erreichen. Die Darstellung von Erlebnisprozessen erfolgt innerhalb dieses Rahmens, wobei „in den auf unterschiedliche Situationen und Lebensbereiche der Gruppe bezogenen Erlebnisdarstellungen ein vergleichbares, ein ‚homologes‘ (Orientierungs-)Muster immer wieder reproduziert wird“ (Bohnsack 2014: 138). Die Suche nach diesen den Orientierungsrahmen markierenden Strukturmerkmalen wird ergänzt durch eine sequenzielle Analyse der Diskursstruktur. Ob eine Orientierung von den Gruppenmitgliedern tatsächlich geteilt wird, lässt sich nur feststellen, indem die Abfolge der Äußerungen bzw. Diskursbewegungen analysiert wird. An dieser Stelle wurde also die interaktive Bezugnahme der SchülerInnen genauer in den Blick genommen, um „die dramaturgische Entwicklung des Diskurses mit ihrem dramaturgischen Höhepunkt“ (Bohnsack 2014: 141) herauszuarbeiten. Dazu bedarf es der Berücksichtigung mindestens dreier Sinneinheiten. Denn erst „[w]enn die Reaktion auf die erste Sequenz dem homologen <?page no="107"?> 4.5 Auswertung der Daten 107 Rahmen des Falles entsprechen sollte, dann ist zu erwarten, dass diese Reaktion in der dritten Sequenz ratifiziert wird. Ein homologer Rahmen liegt also nur dann vor, wenn dieser in allen drei Sequenzen geteilt wird“ (Nohl 2013: 281). Wenngleich auf eine ausführliche Darstellung der Terminologie aller vorstellbaren Diskursbewegungen an dieser Stelle verzichtet wird 12 , seien doch die wichtigsten drei Interaktionszüge, auf die auch bei der Ergebnisdarstellung immer wieder Bezug genommen wird, kurz benannt: Der Beginn eines Diskurses wird stets markiert durch eine Proposition , die erste Erwähnung eines Orientierungsgehalts, das erste Anreißen eines Sinnzusammenhangs. Wird dieser in der Folge aus- oder weiterbearbeitet, d. h. wird der Orientierungsgehalt der ersten Aussage mit Argumenten oder Beispielen belegt oder vertieft, wird von einer Elaboration gesprochen. Den Abschluss des diskursiven Dreischritts bildet die Konklusion . Kommt die Gruppe zur Beendigung des Themas, lassen sich verschiedene Formen der Konklusion differenzieren, die Aufschluss geben, ob es sich um eine „echte“ Konklusion handelt, in der die gemeinsam geteilte Orientierung abschließend Ausdruck findet, oder um eine rituelle Konklusion, die einen Themenwechsel zur Folge hat und dokumentiert, dass eine bestimmte Orientierung nicht geteilt wird (vgl. Przyborski 2004: 59 ff.). Bereits auf der Ebene der reflektierenden Interpretation kommt der komparativen Analyse als übergreifende Interpretationstechnik eine bedeutsame Rolle zu. Durch fallinterne komparative Analysen sucht die Forscherin nach homologen Sinnstrukturen, die sich über die verschiedenen Themen hinweg im Diskurs dokumentieren und immer wieder innerhalb desselben Orientierungsrahmens bearbeitet werden. Nur so kann überprüft werden, ob das Orientierungsmuster in unterschiedlichen Situationen der Alltagspraxis von genereller Relevanz ist (vgl. Bohnsack 2007: 238). Die Frage nach der Gültigkeit einer solchen Struktur beantwortet sich aus dieser Perspektive also nicht über ihre Häufigkeit, sondern darüber, dass ihre Reproduktionsgesetzlichkeit nachgewiesen wird. (Wohlrab-Sahr 1994: 273, zit. nach Bohnsack 2014: 238) Fallbeschreibung In der Fallbeschreibung erfolgt schließlich die zusammenfassende, dichte Darstellung der Gesamtgestalt des Falls. Damit werden die Ergebnisse der Textinterpretation sowie die einzelnen Arbeitsschritte für die Öffentlichkeit nachvollziehbar gemacht (vgl. Bohnsack 2014: 52). Bezug nehmend auf die formulierende und reflektierende Interpretation werden die dramaturgische Entwicklung des Diskursverlaufs der interpretierten Passagen sowie die Diskursstruktur be- 12 Vgl. dazu die Arbeit von Przyborski (2004). <?page no="108"?> 108 4. Methodologie und Methoden schrieben. Anhand ausgewählter Textstellen werden die zentralen Orientierungen der Gruppe sowie markante Rahmenkomponenten (positive und negative Gegenhorizonte) herausgearbeitet und pointiert dargelegt (vgl. ebd.: 141 ff.). Eine Diskursbeschreibung wird umso runder und dichter, je umfassender es gelingt, die Beschreibung der Orientierungsmuster und Rahmenkomponenten („Inhalt“) einerseits und die Beschreibung von Dramaturgie und Diskursorganisation andererseits („Form“) in einer Gesamtcharakteristik des Falles verschmelzen zu lassen. (ebd.: 142) Da im Diskurs die Elemente der Alltagserfahrung noch einmal prozesshaft abgearbeitet werden, treten hier auch die Prozesse der kollektiven Erlebnisverarbeitung besonders deutlich hervor. Die kollektiven Orientierungen - als deren Resultat - lassen sich nur dann in adäquater Weise rekonstruieren, wenn die Fallbeschreibung auch dem Diskursverlauf folgt (vgl. ebd.), weshalb sich die Fallrekonstruktionen im Sinne einer sequenziellen Analyse am Gesprächsverlauf der Diskussionen orientieren. Im Zuge der Fallbeschreibung wird also der die Gruppe konstituierende Orientierungsrahmen so rekonstruiert, wie er prozesshaft in der Gruppendiskussion entfaltet wurde. Dabei bleibt die Gesamtcharakteristik des Falls in seiner Komplexität oberster Bezugspunkt der Darstellungen (vgl. ebd.: 143). Typenbildung Die komparative fallübergreifende Analyse gilt als wichtiges Prinzip für die empirische Fundierung der Interpretation. Durch das Hinzuziehen empirischer Vergleichsfälle soll zum einen die Standortgebundenheit 13 der Forscherin methodisch kontrolliert und reflektiert werden (vgl. Bohnsack 2007: 236). Zum anderen lässt sich erst durch den Vergleich und die Abgrenzung der einzelnen Orientierungsrahmen die Interpretation der Einzelfälle validieren und die charakteristische Spezifik der Gruppe herausarbeiten. Die Erhöhung der Validität einer Fallanalyse ist also nicht nur an die zunehmende empirische Fundierung des jeweiligen Falles selbst, sondern auch an die zunehmende empirische Fundierung der Vergleichshorizonte gebunden, indem an die Stelle gedankenexperimenteller Vergleichshorizonte empirische, also andere empirische Fallanalysen treten. (Bohnsack 2014: 139, Hervorh. im Orig.) Die Auswahl der zu vergleichenden Fälle orientiert sich an dieser Stelle der Analyse an dem Prinzip der minimalen Kontrastierung (vgl. Przyborski & Wohl- 13 Die Standortgebundenheit meint die individuelle, durch den eigenen soziokulturellen Kontext geprägte Sichtweise der Forscherin, die ein intuitives Verstehen des fremden Untersuchungskontextes verhindert (vgl. Kleemann et al. 2013: 18). <?page no="109"?> 4.5 Auswertung der Daten 109 rab-Sahr 2014: 302). Das Tertium Comparationis , also das den Vergleich strukturierende Dritte, bildet das gemeinsame Thema (vgl. Bohnsack 2007: 235). In der vorliegenden Studie bestand damit ein erster Schritt der fallübergreifenden komparativen Analyse darin, thematisch vergleichbare Passagen anderer Diskussionen auszuwählen und daraufhin zu untersuchen, in welch unterschiedlicher Art und Weise die SchülerInnen das gleiche Thema bearbeiten. Zu diesen fallübergreifend thematisierten Aspekten zählen neben dem Vergleich der zweiten Fremdsprachen Französisch bzw. Spanisch mit der ersten Fremdsprache Englisch bspw. Erfahrungen beim Erlernen der zweiten Fremdsprache, die die Lehrkraft, die Wahl der Unterrichtsmethoden und Inhalte sowie das Erleben der eigenen Kompetenz betreffen. Die komparative Analyse ermöglicht es insofern nicht nur, das Spezifische eines Falls zu rekonstruieren, sondern ebenso fallübergreifende Muster herauszuarbeiten (vgl. Bauer 2015: 139). Die abschließenden Schritte der sinn- und soziogenetischen Typenbildung gehen über den Einzelfall hinaus und streben die Generierung einer oder mehrerer Typiken an. Auf der Ebene der sinngenetischen Typenbildung geht es zunächst darum, gemeinsame Orientierungsmuster der Fälle herauszuarbeiten, um so zu einer Abstraktion des Orientierungsrahmens zu gelangen (vgl. Nentwig-Gesemann 2007: 292 f.). Dieses homologe Muster stellt schließlich die Basistypik dar, die es nun durch weitere fallinterne und fallübergreifende Vergleiche zu spezifizieren gilt (vgl. ebd.: 294). Während zuvor das fallübergreifend gefundene, gemeinsame Thema das diesen Vergleich strukturierende Tertium Comparationis bildete, erfolgt der Vergleich nun anhand des fallübergreifend abstrahierten Orientierungsrahmens bzw. Typus. Die soziogenetische Typenbildung zielt auf die Frage nach der Entstehung von Orientierungen ab (vgl. Bohnsack 2007: 231 f.). Hier wird „nach dem Erfahrungshintergrund, genauer nach dem spezifischen Erfahrungsraum , innerhalb dessen die Genese einer Orientierung, eines Habitus zu suchen ist“ (ebd.: 232, Hervorh. im Orig.), gefragt. Mittels weiterer komparativer Analysen wird auf dieser Ebene beantwortet, wofür die in den einzelnen Typen herausgearbeiteten Orientierungen typisch sind und im Rahmen welcher sozialen Zusammenhänge und Hintergründe sie zu verstehen sind. Dafür muss das Tertium Comparationis , die Bezugsdimension, mit deren Hilfe man die Fälle nun vergleicht, systematisch variiert werden. Die Forscherin ändert die Blickrichtung und betrachtet die Fälle aus einer neuen Perspektive. Dabei ergeben sich zwischen den gemeinsamen Fällen eines Typus Unterschiede. Auf der Grundlage dieser Unterschiede ergeben sich nun aber wieder Gemeinsamkeiten mit einzelnen Fällen anderer Typen, sodass eine zweite Typik entwickelt werden kann usw. Die Auswahl dieser neuen Bezugsdimensionen richtet sich zum einen nach den Forschungsinteressen, zum anderen nach der Auswahl des Samples (vgl. Nohl 2012: 53 f.). <?page no="110"?> 110 4. Methodologie und Methoden 4.5.3 Auswertung der narrativen Interviews Wie bei der dokumentarischen Interpretation von Gruppendiskussionen werden auch bei der Analyse narrativer Interviews die Arbeitsschritte der formulierenden und reflektierenden Interpretation sowie der Typenbildung unterschieden. Da auf diese bereits ausführlich eingegangen wurde (vgl. Kap. 4. 5. 2), beschränke ich mich im Folgenden auf eine kontrastierende Beschreibung der Besonderheiten und Abweichungen zu dem zuvor erläuterten Vorgehen. Formulierende Interpretation Die Auswahl der zu analysierenden Passagen erfolgt auf der Grundlage eines thematischen Verlaufs, der einen Überblick über das Interview ermöglicht. Neben den Passagen, in denen sich die Interviewten besonders engagiert und ausführlich einzelnen Themen widmen, werden die Eingangspassagen der Interviews analysiert, da hier die (Lern-)Biografie in einer Weise erzählt wird, „die möglichst wenig durch die Forschenden und möglichst weitgehend durch die Erforschten strukturiert ist“ (Nohl 2012: 40). Darüber hinaus wurden für das Forschungsinteresse besonders relevante Passagen ausgewählt, z. B. zu besonders einprägsamen Unterrichtserlebnissen, Haltungen zur zweiten Fremdsprache oder Prozessen der fachbezogenen Hin- oder Abwendung. Bei der formulierenden Feininterpretation wurden die ausgewählten Passagen schließlich in Form von Ober- und Unterthemen untergliedert sowie deren Inhalte paraphrasiert. Reflektierende Interpretation Der Schritt der reflektierenden Interpretation bedient sich für die formale Interpretation zunächst an Elementen der Narrationsstrukturanalyse (vgl. Schütze 1983). Die Textsortentrennung dient dabei der Unterscheidung zwischen atheoretischem, konjunktivem Wissen einerseits und theoretischem, kommunikativem Wissen andererseits. Erzählungen und Beschreibungen zeichnen sich in erster Linie dadurch aus, Handlungs- und Geschehensabläufe, also „das ‚atheoretische‘ und ‚konjunktive Wissen‘, das in die Handlungspraxis zugleich eingelassene und diese orientierende Wissen der Interviewten, zu erheben“ (Nohl 2012: 43). Argumentationen und Bewertungen enthalten dagegen „vornehmlich Motive und Gründe für Handlungs- und Geschehensabläufe […], die der Plausibilisierung gegenüber den Interviewer(inne)n dienen“ (ebd.), was dem theoretischen, kommunikativen Wissensbereich entspricht. So kommt Nohl zu dem Schluss: Da es in der qualitativen Bildungs- und Sozialforschung nicht um jenen kommunikativen, von allen ohnehin geteilten und gewussten Teil des Wissens geht, sondern um das unbekannte konjunktive Wissen, stützt sich die Interpretation semantischer Ge- <?page no="111"?> 4.5 Auswertung der Daten 111 halte dann vor allem - jedoch nicht ausschließlich - auf das konjunktive Wissen, wie es in Erzählungen und Beschreibungen, soweit sie im Vordergrund der Schilderung liegen, artikuliert wird. (ebd.: 44) Die sich anschließende semantische Interpretation geht neben der Rekonstruktion des Orientierungsrahmens und der damit verbundenen Suche nach einander begrenzenden Gegenhorizonten und dem Enaktierungspotenzial mit einer komparativen Sequenzanalyse einher. Die Forscherin sucht dabei in den Daten nach der „implizite[n] Regelhaftigkeit von Erfahrungen und de[m] in dieser Regelhaftigkeit liegenden dokumentarischen Sinngehalt“ (ebd.: 45). Dies setzt voraus, dass sich bei der Analyse der einzelnen Textabschnitte innerhalb eines Falls über mehrere (erzählte) Handlungen hinweg Kontinuitäten auffinden lassen, die den ersten Abschnitt mit dem zweiten und weiteren Abschnitten verbinden. Es wird versucht, eine Klasse von homologen, funktional äquivalenten Anschlussäußerungen zu bestimmen (vgl. ebd.: 46). Gleichzeitig ist die Rekonstruktion des Orientierungsrahmens an Vergleichshorizonte gebunden, um die einseitig an den Standort der Forschenden gebundene Interpretation methodisch zu kontrollieren und zu reflektieren 14 (vgl. ebd.: 49). Die Art und Weise, wie, das heißt in welchem Orientierungsrahmen, ein Thema in einem Interview bearbeitet wird, lässt sich also am besten rekonstruieren, wenn man andere Interviewtexte daneben halten kann, in denen dasselbe Thema in kontrastierenden Orientierungsrahmen behandelt wird. (Nohl 2005: 9) Im Sinne einer minimalen Kontrastierung wird also nach Fällen gesucht, in denen das gleiche Thema innerhalb unterschiedlicher Orientierungsrahmen bearbeitet wird. In der vorliegenden Untersuchung wurde zum Zwecke der Validierung für die komparative Sequenzanalyse als Tertia Comparationis auf Themen und Probleme zurückgegriffen, die von den SchülerInnen im Interview fallübergreifend angesprochen wurden und damit für das Unterrichtserleben relevant erschienen. Daneben fanden sich jedoch auch weitere, individuelle Aspekte, wie bspw. das Verhältnis zwischen dem Selbst und der Lerngruppe. Diese wurden in den Einzelfalldarstellungen herausgearbeitet. Typenbildung Wie bei der dokumentarischen Interpretation von Gruppendiskussionen wird auch hier zwischen den beiden Ebenen der sinngenetischen und soziogenetischen Typenbildung unterschieden. Diese wurden im Kapitel 4.5.2 bereits ausführlich vorgestellt. Da sie in der vorliegenden Untersuchung nicht zur An- 14 Darüber hinaus ermöglichte es der Austausch, differente Lesarten zu generieren und damit die eigene Subjektivität zu reflektieren (vgl. Fichten & Dreier 2003). <?page no="112"?> 112 4. Methodologie und Methoden wendung kommen (vgl. Kap. 4. 5. 4), wird auf ihre detaillierte Erläuterung an dieser Stelle verzichtet. 4.5.4 Modifikation des methodischen Vorgehens Das Anliegen der Arbeit ist es, vertiefte Erkenntnisse zum Unterrichtserleben von Französisch- und SpanischschülerInnen am Ende der Sekundarstufe I zu erlangen und deren Sichtweisen mithilfe eines qualitativ-explorativen Forschungsdesigns zugänglich zu machen. Unter Rückgriff auf die dokumentarische Methode wird das Unterrichtserleben für vier Einzelfälle - zwei Gruppendiskussionen und zwei Interviews - rekonstruiert. Die Entscheidung, bei der Interpretation der Daten auf diese Auswertungsmethode zurückzugreifen, ermöglicht die Rekonstruktion impliziter Wissensbestände (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 189). So gelingt es, die für die zweite Fremdsprache spezifizierten grundlegenden Orientierungen herauszuarbeiten. Die Zuordnung der Orientierungen zu spezifischen Erfahrungsräumen bzw. die Frage, ob es sich dabei um migrations-, alters-, generations-, geschlechts- oder milieutypische Orientierungen handelt, steht im Fall der vorliegenden Untersuchung nicht im Vordergrund, zumal es an weiteren notwendigen Vergleichsdimensionen, wie z. B. unterschiedlichen Jahrgangsstufen oder Schulformen, mangelt. Vielmehr interessieren bei der Analyse und Interpretation der Gruppendiskussionen primär die rekonstruierten Orientierungen und die zugrundeliegenden fremdsprachlichen Unterrichtserfahrungen. Im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse wird der Fokus insofern auf eine differenzierte Darstellung der Fallrekonstruktionen gerichtet und auf eine Typenbildung verzichtet. Stattdessen dient die fallübergreifende Zusammenschau (vgl. Kap. 7) dazu, die Ergebnisse der Einzelfallrekonstruktionen abschließend noch einmal zusammenzuführen und im Sinne einer komparativen Analyse unter Berücksichtigung weiterer Fälle des Gesamtsamples Muster herauszuarbeiten, die für das Unterrichtserleben der Französisch- und Spanischlernenden von Bedeutung sind. Bereits auf dieser Stufe der Interpretation, der fallübergreifenden komparativen Analyse (vgl. Kap. 4. 5. 2 und 4. 5. 3), wird „das Verallgemeinerungspotenzial von der fallspezifischen Besonderheit abgehoben" (Bohnsack 2007: 234 f.), indem die Aufmerksamkeit auf die Gemeinsamkeiten der untersuchten Fälle gerichtet wird. Gleichzeitig stellt dieser Schritt eine methodische Kontrolle der Standortgebundenheit der Forscherin sicher (vgl. ebd.: 235) und dient der empirisch begründeten Theoriebildung (vgl. Kelle & Kluge 2010: 58). Der Verzicht auf die in der dokumentarischen Interpretation vorgesehenen Arbeitsschritte der sinngenetischen und/ oder soziogenetischen Typenbildung stellt ein Abweichen von der dokumentarischen Methode dar, wie es auch in <?page no="113"?> 4.6 Auswahl der dargestellten Fälle 113 anderen fremdsprachendidaktischen Arbeiten zu finden ist (vgl. u. a. Bauer 2015; Bracker 2015). Bracker (2015: 106) verweist mit Blick auf „die vielfältigen Gegenstandsbereiche und Disziplinen, in denen sie bereits forschungspraktisch zur Anwendung kam“, auf die grundsätzliche Offenheit der Methode sowie vor dem Hintergrund der Gegenstandsangemessenheit auf die Möglichkeit, „dass sich die Methode je nach Forschungsfeld und gegenstandstheoretischen Überlegungen forschungspraktisch ausrichten lässt“ (ebd.). So ist auch die Auswahl der dargestellten Fälle, d. h. die Kombination der verschiedenen Datensätze (Gruppendiskussion und Interview), in der dokumentarischen Methode so nicht vorgesehen, sind diese für eine Typenbildung doch nur begrenzt vergleichbar. Dennoch stellt die Integration der unterschiedlichen Erhebungsmethoden und Datensorten eine Form der Triangulation (vgl. Flick 2010: 281) und Validierung dar, um „das interessierende Phänomen in seiner Vielschichtigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven [zu] erfassen“ (Flick 2011b: 43) und zu verallgemeinerbaren Befunden zu gelangen. Sie leistet damit einen Beitrag für die Gültigkeit und Reichweite der Ergebnisse. Vor dem Hintergrund der Komplexität des Forschungsgegenstandes und der zugrundeliegenden Forschungsfragen ist die beschriebene methodische Modifikation insofern für das Generieren von Erkenntnissen nicht als nachteilig, sondern als notwendig und gegenstandsangemessen zu bewerten. 4.6 Auswahl der dargestellten Fälle Die Auswertung der Daten mittels der dokumentarischen Methode erfordert eine intensive interpretative Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial, weshalb bereits vor den eigentlichen Analysen eine Eingrenzung der Fälle vorzunehmen war. Dafür wurden zunächst die Video- und Audioaufnahmen aller Gruppendiskussionen und Interviews gesichtet und Notizen zu deren Verlauf angefertigt. Dabei zeigte sich, dass sich die Qualität der Gesprächsdaten zum Teil deutlich unterschied und sich nicht alle Diskussionen und Interviews gleichermaßen für die Weiterarbeit eigneten. Beispielsweise entfaltete sich vor allem in Klassen, die aufgrund von Schulwechseln, Klassenzusammenlegungen o. Ä. nicht über eine gemeinsame, mehrjährige Lerngeschichte verfügten, häufig keine Selbstläufigkeit, sodass die Diskussion immer wieder durch Eingriffe der Interviewerin in Gang gebracht und gesteuert werden musste. Für die detaillierte Analyse kamen insofern nur Fälle in Frage, die in Bezug auf ihre Selbstläufigkeit und interaktive bzw. metaphorische Dichte eine ausreichende Basis boten. Um für die Forschungsfragen und das Forschungsfeld relevante Fälle in die Datenauswertung einzubeziehen, spielten bei der Fallauswahl noch weitere <?page no="114"?> 114 4. Methodologie und Methoden Kriterien eine zentrale Rolle. Dabei wurde eine Kombination von verschiedenen Sampling-Strategien genutzt. Nach dem Prinzip einer bewusst heterogenen Auswahl sollte das Sample so angelegt sein, dass sich ein möglichst ausgewogenes Verhältnis aller vertretenen Merkmalskombinationen wiederfindet, wobei weniger statistische Repräsentativität als vielmehr die Abbildung der Varianz und Heterogenität des Forschungsfeldes angestrebt wurde (vgl. Kelle & Kluge 2010: 52). Folgende Kriterien wurden dabei zugrunde gelegt: • mindestens eine Gruppendiskussion oder ein Interview aus jeder an der Studie beteiligten Schule • jeweils eine Gruppendiskussion und ein Interview mit männlichen und weiblichen Lernenden • jeweils eine Gruppendiskussion und ein Interview für die Fächer Französisch und Spanisch • keine zwei Gruppendiskussionen/ Interviews derselben Klasse Neben diesen formalen Kontrastkriterien wurden für die weitere Auswertung der Daten Auswahlentscheidungen im Sinne eines theoretical sampling (vgl. ebd.: 47 f.) getroffen. Nun ging es darum, Fälle zu finden, die große Ähnlichkeiten aufweisen (Methode der Minimierung), und dabei Gruppendiskussionen und Interviews einzubeziehen, in denen sich Prozesse der fachbezogenen Abwendung zeigten. Auf dieser Basis wurden für die detaillierten Fallrekonstruktionen zwei Gruppendiskussionen sowie zwei Interviews ausgewählt. Diese wurden vollständig transkribiert. 15 Die weiteren Datensätze dienten schließlich dazu, die Interpretationen zu stützen, und wurden in der fallübergreifenden Ergebnisdarstellung berücksichtigt. Bei der Auswahl der Interviews wurde darüber hinaus darauf geachtet, dass sich die Prozesse der fachbezogenen Abwendung trotz guter Leistungen in der zweiten Fremdsprache zeigten. Vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Arbeit sind diese SchülerInnen von besonderem Interesse, da bei ihnen davon ausgegangen werden kann, dass die Ursachen für Prozesse der fachbezogenen Abwendung weniger auf die Verschlechterung der eigenen Leistungen zurückzuführen sind, sondern vor allem in unterrichtsimmanenten Faktoren begründet liegen. In den nachfolgenden Kapiteln sollen nun die Ergebnisse der empirischen Analysen dargestellt werden. Dies geschieht in zwei Schritten. Zunächst werden die beiden Fallrekonstruktionen der Gruppen „Stadion“ (Kap. 5. 1) und „Katze“ (Kap. 5. 2) präsentiert. Den Falldarstellungen stehen dabei jeweils einige Erläuterungen zur Zusammensetzung der Gruppe sowie dem Diskursverlauf 15 Eine Übersicht über das angewandte Transkriptionssystem findet sich im Anhang. <?page no="115"?> 4.6 Auswahl der dargestellten Fälle 115 voran. Anhand von fünf ausgewählten Passagen werden dann die Prozesse der fachlichen Bezugnahme nachvollzogen und der kollektive Orientierungsrahmen der Gruppe rekonstruiert. Im Anschluss an diese Darstellungen folgen schließlich die Fallrekonstruktionen der Französischschülerin Pia (Kap. 6. 1) und des Spanischschülers Max (Kap. 6. 2). Diesen stehen Fallporträts voran, in denen die Lernenden kurz vorgestellt und auf der Grundlage der bildgestützten Kurzaufsätze ihre Haltungen zum Unterricht der zweiten Fremdsprache aufgezeigt werden. Die Ergebnisse der Fallanalysen basieren auf den Einzelinterviews, wobei deren Interpretation ausreichend Raum gegeben werden soll, um das methodische Vorgehen möglichst transparent und nachvollziehbar zu machen. Dabei wurden jeweils fünf Themen identifiziert, die sich im Verlauf der Datenauswertung als zentral für das Unterrichtserleben der beiden Lernenden herauskristallisiert haben. An diesen orientieren sich die einzelnen Unterkapitel, bevor in einer zusammenfassenden Betrachtung noch einmal deren Einfluss auf die Bezugnahme zur zweiten Fremdsprache diskutiert wird. Wichtig ist dabei, hinsichtlich der Reichweite der Schüleraussagen stets im Blick zu behalten, dass es nicht um die Rekonstruktion faktischer Geschehensabläufe (vgl. Trautmann 2007: 49) geht, sondern hier die Sicht der Lernenden zum Ausdruck kommt. Es muss demnach bei allen Aussagen offenbleiben, ob die rekonstruierten Unterrichtserlebnisse tatsächlich auch die faktische Unterrichtswirklichkeit widerspiegeln. Dennoch ist das subjektive Erleben der Lernenden als solches ernst zu nehmen und danach zu fragen, welchen Einfluss es auf die individuellen Lernbiografien nimmt. <?page no="117"?> III. Empirische Befunde - die Sicht der Lernenden auf ihren Fremdsprachenunterricht <?page no="119"?> 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 5.1.1 Zusammensetzung der Gruppe und Gesprächsverlauf Die Gruppe besteht aus vier Schülern, wobei der Klasse zwei weitere Jungen angehören, die am Tag der Datenerhebung nicht anwesend sind. Sie besuchen die zehnte Klasse eines Gymnasiums in Sachsen und sind zwischen 15 und 16 Jahre alt. An der Schule können sich die Lernenden zwischen drei Profilen entscheiden, die ab der neunten Klassenstufe angeboten werden: ein sprachliches, naturwissenschaftliches sowie gesellschaftswissenschaftliches. Unabhängig vom gewählten Profil gilt für alle das Lernen zweier Fremdsprachen als verpflichtend. Ab der sechsten Klasse können die SchülerInnen zwischen Französisch und Spanisch als zweiter Fremdsprache nach Englisch wählen. Wird das sprachliche Profil belegt, steht Russisch als dritte Fremdsprache ab Klasse 8 zur Auswahl. In der Sekundarstufe II kann dann entweder die zweite oder die dritte Fremdsprache weitergeführt werden. SchülerInnen mit natur- oder gesellschaftswissenschaftlichem Profil müssen die zweite Fremdsprache fortsetzen. Das Fach Englisch ist für alle Lernenden bis zum Abitur obligatorisch. Die Gruppendiskussion wird in dem Klassenzimmer, in dem normalerweise auch der Französischunterricht stattfindet, durchgeführt. Sie dauert insgesamt 40 Minuten, ist relativ selbstläufig, sodass ich wenig eingreifen muss. Auf die Impulse und Fragen antworten die Schüler meist ausführlich. Sie lassen sich in der Regel ausreden, nehmen aufeinander Bezug und vertreten dabei ihre jeweiligen Positionen. Es kommt im Diskursverlauf kaum zu oppositionellen oder divergenten Beiträgen, weshalb beinahe alle Passagen mit einer Synthese enden. BMF1 1 nimmt in der Diskussion eine Sonderstellung ein. Er beteiligt sich deutlich weniger als seine Mitschüler und paraphrasiert häufig am Ende eines Themas das, was bereits gesagt wurde. In seinen Redebeiträgen finden sich insofern kaum eigene Standpunkte. Zudem sind diese auffällig oft durch Abbrüche 1 Aufgrund der Vielzahl an TeilnehmerInnen in den Gruppendiskussionen wurde auf eine Pseudonymisierung durch Namen verzichtet. Stattdessen entsprechen die Kürzel der Zuordnung zu den verschiedenen Städten (A/ B/ C), dem Geschlecht (M/ W), dem Fach Französisch oder Spanisch (F/ S) sowie der Teilnehmerzahl in der Gruppe (1-14). <?page no="120"?> 120 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens gekennzeichnet. Dennoch genießt er den Respekt der anderen, wird von ihnen direkt angesprochen und nach seiner Meinung gefragt. 5.1.2 „Besser eine Sprache ganz viel als beide nur so ein bisschen“ - Haltungen zum Erlernen mehrerer Sprachen Die Einstiegsfrage in allen Gruppendiskussionen fokussiert die Haltungen der SchülerInnen zum Thema Mehrsprachigkeit. Sie werden mit der Forderung des Europarates „Muttersprache plus zwei“ konfrontiert und werden gebeten, ihre persönlichen Meinungen zu dieser zu äußern. Obwohl damit bereits ein Thema vorgegeben wird, impliziert dieser Impuls noch keinen propositionalen Gehalt und dient als Gesprächseinstieg gezielt dazu, auf der expliziten Wissensebene Bewertungen hervorzurufen und gleichzeitig eine gewisse Vergleichbarkeit zwischen den Diskussionen zu ermöglichen. Im Verlauf der ersten Passage ist zu beobachten, wie sich die Positionen der Jungen verändern. Zunächst diskutieren sie die Vorteile, die das Beherrschen mehrerer Sprachen mit sich bringt. BMF4: Ähm, mich würde irgendwie erstmal so interessieren, wie das gerade so ist in Mittelschulen oder so. Da weiß ich es nicht, wie es ist, ob die das auch lernen müssen. Also wir hier am Gymnasium müssen es ja lernen und also aus meiner Sicht, also aus meiner Sicht jetzt, würde ich sagen, das finde ich sehr gut. Weil wir müssten es eh machen und ich finde, das ist ziemlich praktisch, wenn man mehrere Sprachen lernen kann. Also es ist eigentlich super. Und vielleicht ist es auch, wenn man später mal einen Job sucht und dann vielleicht mit anderen, na wenn man halt international irgendwo ist und vielleicht Leute aus Brasilien kommen oder sowas und halt dann hat man auch einen Vorteil, wenn es halt alle, die aus der EU oder sowas kommen, können, dann haben die halt alle einen Vorteil. Das ist auch ganz praktisch. I: Mhm. BMF2: Ja, ich finde es eigentlich, naja, da ich jetzt schon zwei Sprachen kann neben, na okay eigentlich drei Sprachen kann neben Deutsch, ist das eigentlich ganz gut für mich. Muss ich nichts Weiteres machen. Äh, aber ich glaube, daran wird sich (.), das wird nicht hinklappen hingehen, na wird nicht klappen so. Weil wenn Frankreich/ Also ich kenn sehr viele Franzosen jetzt so aus dem Internet und so und die weigern sich irgendwie Englisch und sowas zu lernen. Die können wirklich nur Französisch. Und/ BMF3: Habe ich gestern drüber diskutiert sogar. [63-83] <?page no="121"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 121 BMF4 beginnt sofort, das Thema Mehrsprachigkeit innerhalb des schulischen Bezugsrahmens zu verhandeln. Obwohl die Frage der Interviewerin nicht auf das Erlernen von Sprachen in der Schule abzielt, verortet er es institutionell und bezieht die Forderung des Europarates auf die eigene Lerngruppe, statt sich zu Beginn bspw. über gesellschaftliche oder sprachenpolitische Dimensionen von Mehrsprachigkeit zu äußern. Die Vermittlung von Sprachen zur Erreichung des Ziels „Muttersprache plus zwei“ ist damit für ihn eine Aufgabe der Schule, obwohl er nicht sicher ist, ob dies gleichermaßen für SchülerInnen an der Realschule gilt. Hinsichtlich seiner persönlichen Haltung, die Forderung „sehr gut“ zu finden, betont BMF4, dass es sich dabei um seine Sicht handele („und also aus meiner Sicht, also aus meiner Sicht jetzt“), was darauf hindeutet, dass er hier seinen eigenen Standpunkt gegenüber den antizipierten konträren Meinungen seiner Mitschüler deutlich machen möchte. Er begründet seine Position jedoch zunächst nicht mit den Möglichkeiten, die das Beherrschen mehrerer Sprachen bietet, sondern damit, dass er in der Schule dazu verpflichtet sei, zwei Sprachen zu lernen („müssten es eh machen“), und er die Maßgabe insofern bereits erfülle. Die Obligatorik der zweiten Fremdsprache an Gymnasien - er verwendet zweimal das Modalverb „müssen“ - wird vor dem Hintergrund des Ziels gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit für ihn legitimiert, wenngleich er es dennoch als Zwang empfindet. Auch für die Zukunft entwirft er ein hypothetisches Szenario einer internationalen Begegnungssituation, in der ihm das Sprechen mehrerer Sprachen vorteilhaft erscheint. Trotzdem zeigt sich implizit, dass er davon wenig überzeugt und seine Aussage möglicherweise von dem Phänomen sozialer Erwünschtheit überlagert ist. Die positiven Wertungen, die er vornimmt, sind jeweils von einschränkenden Adverbien bzw. Adjektiven begleitet („ziemlich praktisch“, „eigentlich super“, „ganz praktisch“) und auch der gehäufte Gebrauch der Partikel „halt“ und des Adverbs „vielleicht“ schwächen das vermeintliche Potenzial, das er beschreibt, zusätzlich ab.yy Auch BMF2 formuliert sein grundsätzliches Einverständnis zu der Forderung „Muttersprache plus zwei“, da er dieser mit seinen Sprachkenntnissen („eigentlich drei Sprachen kann neben Deutsch“) bereits entspreche und „nichts Weiteres machen“ müsse. Es ist davon auszugehen, dass er bei seiner Selbsteinschätzung auch die schulischen Fremdsprachen hinzuzählt, sodass für ihn eine Sprache zu können nicht heißt, diese auf muttersprachlichem Niveau zu beherrschen, sondern dazu bereits Grundkenntnisse ausreichend sind. Dennoch dokumentiert sich in der dreimaligen Verwendung des Adverbs „eigentlich“ ein innerer Widerspruch bzw. Zweifel, den er schließlich auch zum Ausdruck bringt („wird nicht klappen so“). BMF2 nimmt Bezug auf die mangelnde Sprachlern- <?page no="122"?> 122 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens bereitschaft der „Franzosen“, da diese sich weigern würden, „irgendwie Englisch und sowas zu lernen“, wobei er eigene Kontakte als Beleg dafür anführt. Wenn das Ziel des Europarats also verfehlt würde, dann der „Franzosen“ wegen, wobei er diese hier als vermeintlich homogene Sprachgemeinschaft generalisiert. Auch wenn BMF3 nicht explizit seine Meinung äußert, zeigt sich doch in seiner Äußerung - dass er gestern erst über dieses Thema diskutiert habe - implizit Zustimmung zu dem vorhergehenden Redebeitrag. Denn er führt keine gegenteilige Position an, sondern lässt die seiner Mitschüler unkommentiert stehen. Die Schüler scheinen der Forderung nach gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit also zunächst grundsätzlich positiv gegenüberzustehen, wobei sich ihre Argumente vor allem darauf beziehen, dass sie dieser mit ihren eigenen erlernten Sprachen bereits entsprechen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung, bspw. über die Vorteile von Mehrsprachigkeit in Europa, bleibt zunächst aus. Vielmehr zeigt sich, dass die Schüler außerhalb der schulischen Rahmung kaum konkrete Vorstellungen von der Realisierung einer mehrsprachigen Gesellschaft haben und nur wenig überzeugt davon sind. Diese Zweifel setzen sich im weiteren Verlauf der Passage fort. BMF3: An sich, man braucht Französisch, also Französisch als dritte Sprache in Europa zu können, ist anscheinend dann wirklich wichtig, weil Franzosen ja - wie eben schon gesagt - kaum was anderes sprechen. Das einzige Unfaire in die Richtung ist halt, dass wenn alle Englisch lernen würden, dann könnten sich auch alle einfach so sprechen, das/ äh unterhalten. Das heißt, wenn man einführen würde, dass die Schüler mehr Englisch lernen, dann bräuchte man keine französische Sprache. Aber so funktioniert es eigentlich auch ja. I: Mhm. BMF1: Ich denke auch, dass neben Deutsch auch zwei Sprachen wichtig sind, da es in vielen Teilen der Welt auch Französisch gibt, wie zum Beispiel Kanada jetzt glaube ich. Deswegen, wenn man auf Reisen geht oder ähm was Geschäftliches vorhat, kann man ähm/ Wenn ein Geschäftsführer nur Französisch reden kann, auch ein Vorteil ist, auf Französisch zu reden. Deswegen finde ich, dass man ähm zwei Sprachen lernen sollte. (..) [94-107] BMF3 macht in seinem Redebeitrag deutlich, dass Französisch für ihn nicht den Wert einer Verkehrssprache habe, sondern in Europa vor allem deshalb gelernt werde, weil „Franzosen“ - wieder eine Generalisierung der gesamten französischen Bevölkerung - kaum eine andere Sprache beherrschen würden. Indem er Französisch „als dritte Sprache in Europa“ bezeichnet, verortet er sie implizit <?page no="123"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 123 hinter seiner Muttersprache Deutsch und Englisch als erster Fremdsprache. Hier zeigt sich, dass BMF3 kein persönliches Motiv hat, Französisch zu lernen und er der Sprache für sich selbst keine Bedeutung oder Relevanz zuschreiben kann. Auch das Adverb „anscheinend“ verdeutlicht, dass ihm der Grund, warum er Französisch lernt, nicht klar ist, sondern er nur vermutet, dies habe mit der mangelnden Sprachlernbereitschaft der FranzösInnen zu tun. Die eigentliche lingua franca ist in seiner Vorstellung Englisch, sodass ihm Französisch überflüssig und unnötig erscheint, da es einfacher wäre, „wenn alle Englisch lernen würden“. Obwohl er die aktuelle Situation akzeptiert („Aber so funktioniert es eigentlich auch ja“), zeigt sich in der Verwendung des Adverbs „eigentlich“ eine Einschränkung. Ohne inhaltlich Bezug auf BMF3 zu nehmen, erfolgt durch BMF1 eine Validierung, die jedoch mit einem Kontextwechsel einhergeht. Französisch werde auch in anderen Ländern außerhalb Europas gesprochen. Außerdem könne die Sprache auf Reisen oder in beruflichen Zusammenhängen von Bedeutung sein. Die Zustimmung scheint insofern eher BMF4 oder BMF2 zu gelten, denn er bewertet es als Vorteil, Französisch zu beherrschen, und spricht sich für das Erlernen von zwei Fremdsprachen aus. Es fällt auf, dass er durch die Zahl zwei gewissermaßen eine Einschränkung vornimmt, d. h. eine dritte oder weitere Fremdsprache(n) in seinen Überlegungen keine Rolle zu spielen scheinen. Dennoch könnte dies möglicherweise an der Fragestellung der Interviewerin als auch an den gegenwärtigen schulischen Rahmenbedingungen liegen. Auffällig sind die häufigen Satzabbrüche und Partikel („ähm“) und dass er im Grunde keine neuen inhaltlichen Aspekte hervorbringt, sondern im Wesentlichen wiederholt, was bereits gesagt wurde. Es bleibt deshalb zu prüfen, inwieweit für BMF1 von einem geteilten Erfahrungswissen ausgegangen werden kann. In der Diskussion folgen nun Validierungen und Elaborationen des vorherigen Redebeitrags von BMF3, in denen das Thema Französisch vs. Englisch von der Gruppe weiter ausgearbeitet wird. BMF4: Ähm also ich finde deine Idee gut. Hey du, (lacht) halt dass es vielleicht praktisch wäre/ Oh ich sage die ganze Zeit praktisch irgendwie. (.) Ähm na wenn man halt ganz viel Englisch lernt und dafür weniger die andere, weil man es dann gut kann und dann halt kann man eine Sprache sehr gut und dann reicht das. Also besser eine Sprache ganz sehr als beide nur so ein bisschen, finde ich auch eine gute Idee. BMF3: Zumal man Englisch sowieso lernt, wenn man sich mit Medien beschäftigt. Also wenn man im Internet unterwegs ist, lernt man auf Dauer sowieso Englisch, weil man durch/ BMF4: / Aber nicht sprechen. <?page no="124"?> 124 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens BMF3: Na aber du siehst ja Leute, die es sprechen. Du siehst Videos, in denen es Leute sprechen, wenn nicht alles auf Deutsch ist. Und im Endeffekt hast du, weil ja alle das als Weltsprache können, teilen sie sich damit auch am besten mit. Und dadurch findest du im Internet am meisten Stoff dafür. Und deswegen ist es eigentlich kein Problem. BMF2: Ja, da stimme ich eigentlich BMF3 zu. Das ist eigentlich total cool, wenn wir jetzt einfach alle Sprachen abschaffen würden und halt nur Englisch sprechen würden. Aber das würde halt genauso wie bei Stalin oder Hitler sein, (lachend) dass die nur ihre Sprache haben wollen. Und das würde halt nicht klappen. Jeder will seine eigene Sprache sprechen. Aber ich bin eigentlich dafür, dass es nur Englisch geben würde. Das wäre cool. (.) [112-133] BMF4 stimmt der Äußerung von BMF3 zunächst zu. Seine Bewertung, „dass es vielleicht praktisch wäre“, könnte sich möglicherweise darauf beziehen, dass es nützlicher bzw. zweckmäßiger wäre, mehr Englisch zu lernen, oder dass Englisch in seiner Lebenswelt viel häufiger auftrete und deshalb für die eigene Praxis relevanter sei. Dabei wechselt er von der ersten Person Singular zu dem Indefinitpronomen „man“ und generalisiert so seine Aussage. Das heißt, er bezieht sie einerseits nicht nur auf sich, sondern geht davon aus, dass dies für alle Menschen zutreffe, und stellt andererseits Englisch nicht nur über das Französische, sondern auch über andere Sprachen („wenn man halt ganz viel Englisch lernt und dafür weniger die andere“). In Bezug auf das Sprachlernverständnis von BMF4 zeigt sich, dass er den Erfolg beim Sprachenlernen über die investierte Lernzeit misst. Je mehr man eine Sprache lerne, desto besser beherrsche man sie. Dies setze jedoch gleichzeitig voraus, dass man andere Sprachen weniger lerne. In seiner Vorstellung scheint es demnach nicht möglich, mehrere Sprachen gleichzeitig auf einem hohen Niveau zu lernen und zu verfügen, da er als negativen Vergleichshorizont zu sehr guten Kompetenzen in einer Sprache anführt, „beide nur so ein bisschen“ zu können. Vielmehr gehe das Erlernen einer zweiten Sprache zulasten der ersten. An dieser Stelle scheint sich zu bestätigen, dass die positive Bewertung von BMF4 zu Beginn der Passage zu relativieren ist und er dem Erlernen mehrerer Fremdsprachen eher kritisch gegenübersteht. In der Folge legt BMF3 ein weiteres Argument für die Stärkung des Englischen vor. Aus seiner Sicht unterstützte die Auseinandersetzung mit Medien das Erlernen der englischen Sprache. Hier deutet sich an, dass sich sein Fremdsprachenlernkonzept für das Englische deutlich von dem anderer Sprachen unterscheidet. Die rezeptive Auseinandersetzung („du siehst ja Leute, die es sprechen“) genüge, um Englisch zu lernen. Außerdem verwendet er das Adverb <?page no="125"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 125 „sowieso“, was impliziert, dass das Lernen gewissermaßen automatisch und beiläufig, ohne die Notwendigkeit eigenen Zutuns erfolge. Als günstige Lernvoraussetzung bzw. Bedingungen für das Erlernen werden hier seine Präsenz, Verfügbarkeit und der Zugang zur Sprache betont. Weder Französisch noch eine andere Sprache scheinen vergleichbare Voraussetzungen zu erfüllen. Aufgrund seiner Präsenz in den Medien sei Englisch „eigentlich kein Problem“. Er geht davon aus, dass dies für alle Menschen gelte, da „alle das als Weltsprache können“ und sich insofern „damit auch am besten“ ausdrücken könnten. Obwohl BMF3 nicht grundsätzlich die Berechtigung anderer Sprachen in Frage stellt, beruft sich BMF2 auf diesen und findet es „eigentlich total cool, wenn wir jetzt einfach alle Sprachen abschaffen würden und halt nur Englisch sprechen würden“. Nach dem vorherigen Vorschlag, mehr Englisch und weniger andere Sprachen zu lernen, bezieht sich BMF2 nun allgemein auf die Existenz und Legitimität verschiedener Sprachen. Zwar vergleicht er diese Idee mit den Vorstellungen in Diktaturen („das würde halt genauso wie bei Stalin oder Hitler sein“) und zweifelt an deren Umsetzbarkeit, trotzdem wiederholt er, dass er „eigentlich dafür“ sei, „dass es nur Englisch geben würde“. Unklar bleibt jedoch, ob er damit für die Abschaffung aller Sprachen allgemein plädiert oder sich nur auf den schulischen Kontext bezieht. I: Das wäre gut? Ich hab es akustisch/ BMF2: Ja, das wäre gut. BMF4: Das wäre nicht gut, wenn es nur Englisch geben würde. BMF2: Na/ BMF4: Die anderen Sprachen klingen zum Beispiel schön und da hat man ja so eine nationale Identität dahinter und so. Und wenn man mehrere Sprachen lernt, dann merkt man, dann lernt man auch mehr wieder in einer Kultur. Das ist vielleicht auch praktisch. Also man lernt die Kultur. Die Kultur ist in Französisch so ähnlich wie in Deutschland. In Frankreich ist es so ähnlich wie in Deutschland. Aber so wie/ Die leben ja schon ein bisschen anders. / / Lernt man auch im Unterricht kennen./ / [135-148] Auf die Nachfrage der Interviewerin bestätigt BMF2 noch einmal seine Aussage, woraufhin BMF4 sich jedoch von einer Abschaffung aller anderen Sprachen wieder distanziert. Indem er auf den Klang der „anderen Sprachen“ verweist, nennt er - ohne dass deutlich wird, auf welche Sprachen er hier rekurriert - einen Vorteil des Französischen gegenüber dem Englischen, die ebenso wie die nationale Identität verloren gingen, würde man alle anderen Sprachen abschaffen. Darüber hinaus ermögliche der Unterricht, kulturelle Aspekte kennenzulernen sowie kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen. Neben <?page no="126"?> 126 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens der Vermittlung der Sprache wird der Unterricht hier also auch zum Lernort für Kultur erklärt, woraus sich nun Argumente für das Erlernen verschiedener Fremdsprachen ergeben. BMF4 trägt in dieser Passage durchaus ambivalente Positionen vor. Während er sich zu Beginn noch uneingeschränkt positiv zum Erlernen mehrerer Fremdsprachen äußert, beschreibt er später die Vorteile, sich auf eine Sprache zu fokussieren. Schließlich unternimmt er den Versuch einer thematischen Konklusion im Modus einer Synthese, indem er versucht, den gegenläufigen Diskurs abzuschließen. Die Bedeutung der englischen Sprache als Weltsprache bzw. lingua franca kommt in diesem Diskussionsabschnitt in den Redebeiträgen aller Schüler vor. Das Erlernen und Beherrschen von Englisch gilt als selbstverständlich und wird nicht in Frage gestellt. Auch dessen Präsenz im Alltag wird betont. Demgegenüber wird die französische Sprache sowohl in ihrer allgemeinen als auch persönlichen Bedeutung nachrangig bewertet. Obwohl zu Beginn der Passage das Beherrschen mehrerer Fremdsprachen noch von allen positiv bewertet wird, lässt sich herausstellen, dass die Schüler Französisch in erster Linie aufgrund externer Faktoren lernen, d. h. weil sie in der Schule eine zweite Fremdsprache lernen müssen und weil aus ihrer Sicht die Menschen in Frankreich kaum eine andere Sprache als die eigene sprechen. Persönliche Motive werden nicht erkennbar, sondern nur generalisierend in Bezug auf zukünftige berufliche Perspektiven hervorgebracht. Für ihr gegenwärtiges Leben hat die Sprache scheinbar keine Relevanz. Vor diesem Hintergrund plädieren sie zwar mehrheitlich für eine stärkere Fokussierung auf das Fach Englisch, um diese Sprache sehr gut zu beherrschen. Uneinigkeit besteht aber hinsichtlich der gänzlichen Abschaffung der zweiten Fremdsprache Französisch. 5.1.3 „Na Französisch ist eine ziemlich schwere Sprache“ - die Lernbarkeit von Französisch im Vergleich zu Englisch Da bereits im ersten Abschnitt der Gruppendiskussion neben den Einstellungen zu Mehrsprachigkeit gleichermaßen Haltungen zur französischen Sprache zum Ausdruck kommen, richtet sich die nächste Frage noch einmal konkret auf die Einschätzung und Bewertung der zweiten Fremdsprache. I: Ja also ich mache vielleicht gleich weiter. In Ihrem Fall ist sozusagen die zweite Fremdsprache jetzt Französisch. Ähm und deswegen auch meine Frage so wie bewerten Sie diese Sprache ganz allgemein? Sie haben es in Ansätzen schon gesagt, aber nochmal jetzt wirklich bezogen (..) auf die (.) auf die Sprache, wie bewerten Sie die? <?page no="127"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 127 BMF4: Ähm okay, also mir fällt gerade schwierig was hier halt haben mit diesen ganzen Zeitformen. Wenn man, also die schreiben wir jetzt immer auf, aber wenn man das reden müsste, das können wir noch überhaupt nicht. Halt so die immer umzustellen und dann noch das zu reden, da muss ich eher so nachdenken. Also das mache ich nicht so intuitiv. Keine Ahnung. Ähm ja. Ähm, aber man kann, also wenn man, also ich denke, man muss ziemlich viel sprechen und wenn man sie, also deswegen beials ich beim Austausch war, konnte ich hinterher viel flüssiger Englisch sprechen. Also ich war nur eine Woche da, aber halt wenn man es viel spricht, dann denke ich, kann man es / / relativ schnell auch ganz okay so reden/ / , dass es normal klingt. Ähm ja. BMF3: / / Englisch? Du hast Englisch gesagt/ / BMF2: Du hast gesagt, dass du dann Englisch besser konntest. BMF4: Oh. Französisch. [204-223] Obwohl die Frage der Interviewerin noch nicht auf das Unterrichtsgeschehen abzielt, bezieht sich BMF4 sofort auf den aktuellen Französischunterricht und die Einschätzung seiner sprachlichen Kompetenzen. Dabei fällt auf, dass er zuerst thematisiert, was ihm schwerfällt. Sein Blick auf Französisch ist damit defizitorientiert. Die Formulierung „mit diesen ganzen Zeitformen“ deutet darauf hin, dass es aus seiner Sicht viele Zeitformen sind und sowohl Grammatik als auch die Fertigkeit des Schreibens in seiner Wahrnehmung den Unterricht zu dominieren scheinen. Die Verwendung des Konjunktivs („müsste“) sowie die Forderung „man muss ziemlich viel sprechen“ im Zusammenhang mit der Mündlichkeit im Unterricht sprechen dafür, dass diese aus seiner Sicht zu wenig Raum erhält. Außerdem wechselt BMF4 häufig zwischen der ersten Person Singular („also mir fällt gerade schwierig“), der ersten Person Plural („das können wir noch überhaupt nicht“) sowie dem Indefinitpronomen „man“ („man muss ziemlich viel sprechen“). Obwohl er sich auf seine Schwierigkeiten bezieht, agiert er hier immer wieder als Sprecher der Gruppe. Er scheint demnach überzeugt davon, dass die genannten Schwierigkeiten alle Lernenden betreffen. Als negativen Gegenhorizont beschreibt er das Nachdenken und die fehlende Intuition beim Sprechen, was er als hinderlich empfindet. Gleichzeitig zeigt diese Äußerung seinen Anspruch einer spontanen und intuitiven Sprachanwendung. Als positiven Vergleichshorizont zum Französischunterricht, in dem wenig gesprochen werde, erzählt er von dem Sprachaustausch, der es ihm bereits nach einer Woche ermöglicht habe, flüssiger zu kommunizieren. Abschließend fasst er generalisierend („wenn man“, „kann man“) zusammen, dass ein hoher Anteil an mündlicher Interaktion und Übung zu schnellen Sprachlernerfolgen führe („relativ schnell auch ganz okay so reden, dass es normal klingt“). <?page no="128"?> 128 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens Für seinen Versprecher - Englisch zu sagen, aber Französisch zu meinen - gibt es zwei verschiedene Erklärungsansätze: Da die Gruppe zuvor sehr viel über Englisch gesprochen hat, ist BMF4 möglicherweise noch immer davon beeinflusst. Andererseits ist auch denkbar, dass er sich verspricht, weil er in Gedanken sein Französischlernen mit dem Englischlernen vergleicht, wo es ihm besser gelingt, sich mündlich frei und spontan zu äußern. BMF2: Okay gut. Weil es hätte auch sein können, dass du dann besser Englisch könntest. (Lachen) So war es bei mir. Ähm ja. Also von Anfang an stimme ich ihm zu. Dass die Zeitformen und so Probleme sind. Aber das ist ja in jeder Sprache so. Ich habe mal Leute gefragt, die kein Deutsch können und die meinten, Deutsch wäre fürchterlich. BMF3: Dabei ist das übelst einfach eigentlich. BMF2: Das mit na ja, das kriegen die halt auch nicht hin und gegen Französisch habe ich eigentlich nicht viel. (.) Es ist so wie jede Sprache halt. Was soll man gegen Sprachen haben. (…) BMF3: (räuspert sich) (..) Joa, ich denke gegen eine Sprache etwas zu haben ist schwer, weil ähm da ist ja nichts weiter dran eigentlich außer dem Sinn der Kommunikation. Ähm, was mich an Französisch ein bisschen stört, ist das, also allgemein an Fremdsprachen halt, wenn man im Unterricht es am Anfang nicht schafft richtig aufzupassen und sich im Unterricht ordentlich zu beteiligen, bekommt man Wörter und sowas und Begebenheiten im Französischen nicht mit und kann dann später nicht mal eine Aufgabenstellungen verstehen, die man zwei Jahre später gesagt bekommt. Also das ist ein bisschen negativ an aber allgemein an allen Fremdsprachen. Ansonsten ist an Französisch nicht mehr auszusetzen als an jeder anderen Sprache. I: Mhm. BMF1: Ich bin auf auf BMF3 s Meinung. Äh ja. Du verstehst mich. Na Französisch ist eine ziemlich schwere Sprache und man muss äh sehr vieles beachten. Dass es ähm äh viele Zeitformen gibt, die man äh benutzen muss, sonst verstehen die Franzosen uns glaube ich nicht. Man muss auch ziemlich flüssig reden. Man muss immer die Silben zusammenhängen, damit es flüssiger klingt, sonst klingt das immer so abgestanden. Das ist auch ziemlich schwierig. Ähm auch wenn man auch etwas verpasst, ist es auch sehr ziemlich schwer nachzuholen. Deswegen finde ich Französisch eine ziemlich schwere Sprache. (..) [225-254] BMF2 greift den Versprecher von BMF4 für sich als Tatsache auf. Dies lässt Rückschlüsse auf ein nicht-geteiltes Erfahrungswissen zu, nach dem BMF2 vermutlich beim Austausch in Frankreich überwiegend Englisch gesprochen und <?page no="129"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 129 dementsprechend zwar seine Kompetenzen in der englischen, nicht aber in der französischen Sprache verbessert hat. Im Anschluss folgt zwar eine Validierung der Aussage von BMF4, doch relativiert er diese zugleich, indem er - vermutlich in Anspielung auf die grammatikalischen Schwierigkeiten im Allgemeinen - „die Zeitformen und so“ („die Zeitformen und so“) in allen Sprachen als Problem ausmacht. Damit stellt er Französisch allen anderen Sprachen gleich und führt das Deutsche, welches andere Personen „fürchterlich“ fänden, als Beleg für seine Bewertung an. Diese hätten die gleichen Schwierigkeiten beim Erlernen einer fremden Sprache („kriegen die halt auch nicht hin“). Französisch ist nach Meinung des Schülers BMF2 demnach eine Sprache wie jede andere, weshalb man auch „nicht viel“ gegen diese haben könne. Damit deutet er zwar an, durchaus einige Vorbehalte gegen Französisch zu hegen, denn er sagt hier nicht, er habe nichts gegen die Sprache. Dennoch äußert er sich nicht explizit negativ über Französisch. Auch BMF3 bestätigt die Aussage von BMF2, äußert sich zwar nicht eindeutig positiv, aber führt fort, dass man Sprachen gegenüber nicht negativ eingestellt sein könne, da sie ja schließlich nur „dem Sinn der Kommunikation“ dienten und „an Französisch nicht mehr auszusetzen“ sei als an anderen Sprachen. Kritikpunkte benennt er erst, als er auf das Fremdsprachenlernen zu sprechen kommt, wobei er zweimal betont, sich hier auf Fremdsprachen im Allgemeinen zu beziehen. Aufpassen und sich beteiligen bilden für BMF3 wichtige Voraussetzungen, den Anschluss im Unterricht nicht zu verpassen und so später zumindest über die notwendigen Grundlagen zu verfügen, um die Aufgabenstellungen zu verstehen. Dieses Problem schreibt er jedoch weniger dem Zuständigkeitsbereich der Schule als sich selbst bzw. den Lernenden allgemein zu („wenn man im Unterricht es am Anfang nicht schafft“). Damit werden diese allein verantwortlich für ihren Lernerfolg gemacht. BMF1 beruft sich auf die Meinung von BMF3 und scheint sich diesem anzuschließen. Dennoch handelt es sich nicht wirklich um eine Validierung, denn die Aspekte, die BMF1 anführt, werden von BMF3 zuvor nicht angesprochen. So sei Französisch eine schwere Sprache, in der man „sehr vieles beachten“ müsse. Das Modalverb „müssen“ steht hier vor allem im Zusammenhang mit sprachlicher Korrektheit. Das heißt, hier offenbart sich die aus seiner Sicht zwingende Notwendigkeit der richtigen Verwendung der verschiedenen Zeitformen sowie einer guten Aussprache („ziemlich flüssig reden“, „immer die Silben zusammenhängen“). Als negativen Gegenhorizont und Konsequenz formuliert er das Scheitern der Kommunikation, da er glaubt, sonst nicht verstanden zu werden („sonst verstehen die Franzosen uns glaube ich nicht“, „sonst klingt das immer so abgestanden“). Auch hier geht es primär wieder um Schwierigkeiten im mündlichen Bereich. Erst am Ende seines Redebeitrags nimmt er noch einmal Bezug auf die Äußerung von BMF3 und paraphrasiert diese, ohne zusätzliche <?page no="130"?> 130 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens Aspekte oder diesbezüglich eigene Erfahrungen zu ergänzen, sodass hier offenbleibt, ob er tatsächlich diese Meinung vertritt oder sich aus anderen Gründen BMF3 anschließt. Ohne dass es in der Frage der Interviewerin angeregt wird, beginnt die Gruppe erneut die englische Sprache als Vergleichshorizont einzubeziehen. BMF4: Also ich finde sie auch irgendwie viel schwerer als Englisch zu / / lernen/ / . BMF2, BMF3: / / Mhm (bejahend)/ / BMF4: Also sie geht viel langsamer zu lernen, finde ich. Also wenn ich jetzt nach den vielleicht, also wir haben ja schon seit der Fünften Englisch, aber jetzt, was ich Englisch kann / / und in Französisch kann/ / BMF3: / / seit der Dritten/ / BMF4: Was? BMF3 Seit der Dritten. Entschuldigung für die Unterbrechung. BMF4: Seit der Dritten ja. In der Grundschule hatten wir auch schon ganz kurz Englisch, aber das hat nichts / / gebracht so richtig./ / BMF3: / / Frau Hartmann 2 ./ / BMF4: (lacht) Ähm naja, also da kann ich mich viel besser unterhalten, könnte ich mich in Englisch, kann ich in Französisch nicht. In Franzin Englisch kann ich lange Texte in einer relativ kurzen Zeit schreiben. In Französisch muss ich ganz viel nachschauen im Online-Wörterbuch oder Wörterbuch oder so halt und das richtig zu konjugieren manchmal und so. Ähm ja. (..) BMF3: Man muss dazu halt sagen, dass im Englischen anscheinend alles Unwichtige sozusagen rausgestrichen wurde einfach. Also wenn du sagst im Englischen, äh ich gehe, du gehst, er sie es geht. Äh he goes, she goes, it goes und das passt dann irgendwie und dann musst du halt im Französischen und Deutschen in allen möglichen Fällen noch alles umkonjugieren und alles Mögliche. Und im Englischen, die sagen einfach, ja es würde halt scheiße klingen, aber du/ wenn er gehe, das passt. Das reicht. (Lachen) Im Französischen gibt es sogar (hebende Stimme) mehr Fälle als im Deutschen glaube ich? / / Weiß ich nicht./ / BMF4: / / Mhm (verneinend)/ / BMF3: Also, es ist schwerer auf jeden Fall. (.) Ach nee, das war Russisch mit den mehr Fällen. Da ist es. [258-294] 2 Alle Namen von Personen und Orten, auf die in den Gruppendiskussionen und Interviews Bezug genommen wird, wurden zum Zwecke der Anonymität pseudonymisiert. <?page no="131"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 131 BMF4 bewertet die Lernbarkeit des Französischen deutlich schwieriger als im Englischen - was die beiden Schüler BMF2 und BMF3 sofort bestätigen - und bezieht sich dabei auf die investierte Lernzeit sowie die Selbsteinschätzung seiner aktuellen Kompetenz. So kommt er zu dem Schluss, dass Französisch aus seiner Sicht viel langsamer zu lernen sei, wobei er die Lernjahre im Fach Englisch aus der Grundschulzeit nicht hinzuzählt. Obwohl die Klasse in der Sekundarstufe I nur ein Jahr länger Englisch lernt als Französisch, schätzt er seine Kompetenzen sowohl im Schriftlichen als auch Mündlichen höher ein. In Bezug auf das Sprechen verbessert er sich und verwendet für das Englische den Konjunktiv („könnte ich mich in Englisch“), für das Französische hingegen den Indikativ („kann ich in Französisch nicht“). Möglicherweise bezieht er sich hier auf außerschulische Situationen, die er mit der englischen Sprache noch nicht erlebt hat - weshalb seine Äußerung hypothetisch bleibt -, mit der französischen hingegen - aufgrund vergangener Erlebnisse - sicher ist, dass er es nicht gut kann. Bei der Einschätzung seiner schriftlichen Kompetenzen zieht er nun wieder temporale Parameter heran, d. h., obwohl er nicht unbedingt bessere Texte auf Englisch schreiben kann, veranlasst ihn die Tatsache, dass er dort „lange Texte in einer relativ kurzen Zeit schreiben“ kann, zu der Schlussfolgerung, dass dies auch besser sei als in Französisch, wo er Unsicherheiten im Umgang mit den sprachlichen Mitteln verspürt („nachschauen im Online-Wörterbuch“, „richtig zu konjugieren“). Das Problem scheint hier also nicht das Schreiben längerer Texte zu sein, sondern fehlende Lexik sowie Unsicherheiten in der Orthografie oder Grammatik. BMF3 schließt mit einer Elaboration an die Einschätzung von BMF4 an und versucht die Wahrnehmung, die dieser in Bezug auf sein eigenes Sprachenlernen äußert, aufgrund eines Vergleichs der beiden Sprachen zu erklären. Die Schwierigkeiten beim Konjugieren von Verben im Französischen gebe es im Englischen gar nicht. Seine Reflexion über Sprache zeugt hier zwar von einem gewissen Maß an Sprachbewusstheit, dennoch scheint er nicht über ein tieferes Verständnis für die Struktur der Sprachen als System zu verfügen, denn es gelingt ihm nicht, die entsprechenden Regelmäßigkeiten genauer zu explizieren („das passt dann irgendwie“, „umkonjugieren und alles Mögliche“). Und obwohl seine Vermutung, dass ebenso „mehr Fälle als im Deutschen“ existieren, von BMF4 verneint wird, resümiert er, dass es „auf jedem Fall“ schwerer sei. Die Schüler bewerten Französisch in dieser Passage zunächst sehr neutral, als eine Sprache wie jede andere und äußern keinerlei negative Aspekte. Schwierigkeiten existieren aus ihrer Sicht in jeder Sprache, weshalb es keine Unterschiede zwischen Französisch und anderen Fremdsprachen gebe. Für alle Fremdsprachen gelte, dass es schwierig sei, dem Unterricht folgen zu können, wenn man erst einmal den Anschluss verpasst habe. Dort, wo sich die Diskussionsbeiträge jedoch auf die Anwendung und das Erlernen der französischen Sprache bezie- <?page no="132"?> 132 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens hen, kommen durchaus Unterschiede und wahrgenommene Schwierigkeiten zum Ausdruck, die insbesondere aus dem Vergleich zum Englischen resultieren. Englisch sei leichter zu lernen, wobei mit leichter vor allem der scheinbar schnellere Lernfortschritt gemeint ist. Die Probleme, die beim Lernen des Französischen genannt werden, beziehen sich in erster Linie auf das Sprechen sowie Unsicherheiten in den Bereichen Wortschatz, Grammatik und Aussprache sowie auf den korrekten Sprachgebrauch. Im Zusammenhang mit dem Fach Englisch wird das Thema sprachliche Korrektheit nicht genannt. Dies überrascht insofern, als auch im Fach Englisch Fehler, Fehlerkorrektur und sprachliche Richtigkeit zum Unterrichtsalltag gehören dürften, diese von den Schülern jedoch nicht als problematisch wahrgenommen werden. 5.1.4 „Aufgaben, da muss man immer dasselbe machen“ - Lehrwerkkritik und mangelnde Unterstützung im Unterricht Auf die Frage der Interviewerin, was für die Gruppe guter Französischunterricht sei, diskutieren die Jungen zunächst über die Notwendigkeit von Strenge, Disziplin und Härte als Voraussetzung für den eigenen Lernerfolg. Dabei weichen sie immer wieder vom eigentlichen Thema ab und diskutieren auch über Unterrichtserlebnisse aus anderen Fächern. Schließlich eröffnet BMF4 ein neues Thema, das sich auf die erlebte Unterrichtspraxis im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Aufgaben bezieht und von der Gruppe als negatives Beispiel für den Französischunterricht weiterbearbeitet wird. BMF4: Ah, was ich auch noch hab, ähm wenn man/ Das finde ich irgendwie komisch. Ich weiß nicht, ob das so ist in Französisch. Aber es gibt Aufgaben, da muss man immer dasselbe machen bei ganz vielen Wörtern. BMF3: Oh ja. (Stöhnt und nimmt die Hände vor das Gesicht.) BMF1: Mhm (bejahend). BMF4: Immer. Also das ist irgendwie einfach. Sehr einfach (lachend). Und dann hat man das gemacht und dann danach kommt übelst die komplexe Aufgabe. Ich weiß nicht, ist das/ Ich glaube, das ist so gewollt oder so, aber finde das irgendwie komisch. Am Anfang ist es ganz einfach und dann kommt übelst das Schwere danach. Also hätte, sollte man vielleicht gleich das dann kombinieren irgendwie. Also nicht zuerst vielleicht ein Verb die ganze Zeit anpassen, erstmal an ich du er sie es und dann noch etwas ganz anderes hinzufügen in der nächsten Aufgabe, dass es richtig schwer wird. Also das ist komisch. Das ist jedenfalls bei uns in den Arbeitsheften immer so. [527-542] <?page no="133"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 133 Obwohl BMF4 nicht sicher ist, ob es sich dabei um ein grundsätzliches Phänomen im Französischunterricht handelt, kommt er auf ein bestimmtes Aufgabenformat zu sprechen, das aus seiner Sicht charakteristisch für den eigenen Französischunterricht ist. Dabei grenzt er sich negativ von der Monotonie dieser Aufgaben („immer dasselbe machen bei ganz vielen Wörtern“) ab, was von BMF3 und BMF1 sofort ratifiziert wird. In der Anschlussäußerung von BMF4 beschreibt er genauer, was ihn bei der Bearbeitung der Aufgaben stört. Dabei wird deutlich, dass er sich auf typische Grammatikübungen („immer“) bezieht, deren Progression in Bezug auf die steigende Komplexität und Schwierigkeit („Am Anfang ist es ganz einfach und dann kommt übelst das Schwere danach.“) ihm nicht sinnvoll erscheint. In der mehrfachen Verwendung des Adjektivs „komisch“ dokumentiert sich die Ablehnung dieser Formate, wobei diese Abgrenzung vor allem darin begründet scheint, dass für ihn nicht ersichtlich wird, warum die Übungen in dieser Form erfolgen („Ich weiß nicht, ist das/ Ich glaube, das ist so gewollt oder so“) und inwiefern überhaupt ein Zusammenhang zwischen ihnen besteht („etwas ganz anderes hinzufügen in der nächsten Aufgabe, dass es richtig schwer wird“). Als Enaktierungspotenzial schlägt er vor, die Übungen besser miteinander zu verbinden, wobei durch den Konjunktiv („wäre“) und das Adverb „irgendwie“ ersichtlich wird, dass seine Vorstellungen vage bleiben und er nicht auf konkrete Musterbeispiele aus dem Unterricht zurückgreifen kann. Im weiteren Diskussionsverlauf erfolgt eine Elaboration durch BMF3, der die Aussage von BMF4 validiert und anschließend weiter ausführt. BMF3: Das stimmt. Bei Zeitformen mussten wir erst alle konjugieren, je nach Person und dann in irgendeine Zeitform stecken, von der wir noch nie etwas gehört haben. BMF4: Mhm (bejahend). (.) I: Das habe ich nicht verstanden. BMF3: Wir mussten äh letztes Schuljahr glaube ich an manchen Stellen Verben nehmen und in die Personen konjugieren, ich du er sie es. Das war der erste Teil, der einfache. Da hatten wir 50.000 Verben und haben die alle danach schön eingeordnet. Und die zweite Aufgabe war dann, die alle in irgendwelche Zeitformen zu stecken, die irgendwo im Buch hinten standen, die keiner wusste wie die war. Keiner wusste, wie die funktionieren. Aber wir mussten es halt machen. Ja. (..) Da ist der Lernfaktor auch recht gering. (Lachen) BMF4: Recht gering. (lacht) (.) [544-558] Die Art und Weise, wie sich BMF3 hier über die Übung von Zeitformen äußert, gibt Aufschluss darüber, dass er damit keine kommunikativen Anlässe verbindet bzw. keinen kommunikativen Nutzen erkennt. Auf der sprachlichen Ebene <?page no="134"?> 134 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens zeigt sich dies über eine große Distanz. Er kann weder die Zeitformen benennen („irgendeine Zeitform“, „irgendwelche Zeitformen“, „irgendwo im Buch“), noch weiß er, wie diese gebildet werden, wobei er hier für die gesamte Klasse spricht („wir“, „keiner“). Die Anwendung reduziert er auf das Verb „stecken“, was einer rein mechanischen Anpassung bzw. Konjugation der Verben in die geforderten Zeitformen gleichkommt. Indem er von „50.000 Verben“ spricht, übertreibt er mit großer Sicherheit und spielt gleichzeitig auf das ständige, stupide und monotone Einüben der sprachlichen Mittel an. Das Konjugieren von Verben als Übung ist jedoch weniger Gegenstand seiner Kritik, denn den ersten Teil bewertet er als „einfach“ und „schön“. Vielmehr distanziert er sich von der Übung unbekannter bzw. neuer Zeitformen. Die Spracharbeit scheint reduziert auf die Einübung der richtigen Konjugationsformen, wobei sich weder deren Bildung noch der kommunikative Zweck hinter der Grammatik für die Lernenden erschließen. Obwohl der weitere Verlauf der Diskussion zunächst den Anschein erweckt, BMF2 würde hier mit einer Antithese den aufgeworfenen Orientierungsrahmen der Gruppe verlassen, kommt es letztlich zu einer Synthese in Bezug auf das Thema der Passage. BMF2: Nein, da muss ich dem BMF3 widersprechen, weil (.) das war eigentlich so etwas was ich schon gesagt habe, dass sowas total knallhart ist. Wir haben zwei Blätter bekommen vollgeschrieben mit Verben und die musste man halt alle lernen und dadurch konnte man halt viel besser lernen. Also der Lernfaktor, wie du gesagt hast, ist eigentlich ziemlich hoch. Aber der / / Spaß ist eher gering./ / BMF3: / / Stimmt, der Lernfaktor ist ja/ / wenn es keiner versteht. (lacht) BMF4: Nein, aber wenn du die Aufgabe hast und die erste Aufgabe, dafür hast du fünf Minuten Zeit, machst die in einer Minute, wartest ewig. Dann ist die zweite Aufgabe. Du hast wieder fünf Minuten Zeit, brauchst aber zehn, schaffst es nicht und lernst es nicht. BMF3: Weil die zweite voll schwer ist und du sie nicht verstehst und sie dir keiner erklärt. (…) BMF2: Achso, darum ging es. BMF4: Mhm (bejahend). BMF3: Hör mir halt mal zu. BMF2: Na ich hab irgendetwas von Lernfaktor gehört, da/ (Lachen) BMF4: Lernfaktor. (lacht) (5) (BMF2 schaut auffordernd zu BMF1) BMF1: Mir fällt nichts mehr ein. (Lachen) BMF3: Alles, was du sagen wolltest, wurde bereits genannt. BMF1: Ja. (..) [560-589] <?page no="135"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 135 BMF2 äußert expliziten Widerspruch gegenüber BMF3. Dennoch geht aus seiner Äußerung hervor, dass er BMF3 und BMF4 in dem zuvor Gesagten inhaltlich eigentlich nicht widerspricht. Denn während diese sich über die Sinnhaftigkeit und das Verstehen der zu bearbeitenden Aufgaben äußern, bearbeitet er letztlich ein anderes Thema. Er betont, dass dieses Vorgehen im Unterricht ein Beispiel dafür sei, dass man mit Härte („knallhart“) und Zwang „viel besser lernen“ könne. Die Verwendung der beiden Modalverben („musste“, „konnte“) zeigt in diesem Zusammenhang, dass BMF2 eine Verbindung zwischen der von außen auferlegten Pflicht und dem eigenen Lernerfolg herstellt und diese positiv bewertet. Härte führe zwar dazu, dass der Unterricht keinen Spaß mache, doch dafür sei der Lernertrag deutlich höher. BMF3 und BMF4 differenzieren in der Folge noch einmal, dass es ihnen um das Nicht-Verstehen der Aufgaben sowie mangelnde Zeit und fehlende Unterstützung gehe. Implizit zeigt sich, dass die Schüler die grammatischen Inhalte - hier Zeitformen - zwar verstehen wollen und - wie anhand der leichteren, ersten Übungen zu erkennen ist - die Bereitschaft mitbringen, im Unterricht mitzuarbeiten. Aufgrund der zu steilen Progression und der Verständnisprobleme gelingt es ihnen jedoch offenbar nicht, bei komplexeren Aufgaben positive Lernerlebnisse zu erzielen bzw. sich selbst als sprachlich kompetent zu erleben. Erfolgreiches Lernen setzt aus ihrer Sicht die erfolgreiche Bewältigung der Aufgaben voraus („schaffst es nicht und lernst es nicht“). Dies scheitert jedoch an der zur Verfügung stehenden Zeit, die nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Schwierigkeitsgrad der Aufgabe stehe. In Bezug auf das Sprachlernverständnis der Schüler wird hier gleichzeitig deutlich, dass sie der Lehrkraft die Verantwortung für die eigenen Lernprozesse zuschreiben und sich selbst eher in eine passive Haltung begeben. Zwar bearbeiten sie die gestellten Aufgaben, doch werden sie darüber hinaus nicht aktiv. Vielmehr warten sie auf die nächsten Anweisungen oder darauf, dass ihnen schwierige Aufgaben erklärt werden. Inwieweit sie selbstständig bereit sind, mehr Zeit oder Unterstützung einzufordern, bleibt fraglich. Auffällig ist dabei, dass sie sich nicht - wie in anderen Passagen zuvor - auf eine bestimmte Lehrkraft beziehen, sondern sehr allgemein über diese Wahrnehmung sprechen. Möglicherweise handelt es sich hier um ein Thema, das unabhängig von der Lehrperson als generelles Problem im Französischunterricht betrachtet wird. Das Einlenken von BMF3 („Achso, darum ging es.“) sowie die Tatsache, dass BMF1 dem nichts mehr hinzuzufügen hat, wirken wie eine Ratifizierung der vorherigen Aussagen. Trotz der grundsätzlichen Lernbereitschaft der Jungen scheint es den Französischlehrkräften hier nicht zu gelingen, die Schwächen der Unterrichtsmaterialien aufzufangen, um so den (Lern-)Bedürfnissen der Gruppe gerecht zu werden und Transparenz in Bezug auf die Lerninhalte und Lehrmethoden herzustellen. <?page no="136"?> 136 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens 5.1.5 „Und dann musstest du irgendwie das ganze Blatt können“ - Unterrichtsinhalte ohne Lebensweltbezug Die Schüler diskutieren in der vorangehenden Passage sehr allgemein, was für sie guter Fremdsprachenbzw. Französischunterricht ist, und nehmen dabei zum Teil schon Bezug auf Inhalte aus dem Unterricht. Um noch weitere konkretere Situationen und Beispiele zu erfragen, versucht die Interviewerin durch eine Nachfrage eine Fokussierung auf wichtig erscheinende Unterrichtsinhalte zu initiieren. Damit interveniert sie und beeinflusst den Diskussionsverlauf in Form einer Relevanzsetzung. Dennoch ist die Frage so offen formuliert, dass die Schüler selbstständig entscheiden können, wie das Thema behandelt wird bzw. welche Erfahrungen erzählt werden. I: Dann stelle ich vielleicht die nächste Frage. Ähm also ich habe gerade ja schon so ein bisschen gefragt, ähm was für Sie guter Fremdsprachenunterricht oder guter Französischunterricht ist. Aber vielleicht nochmal in Bezug auf die Inhalte, also was ist Ihnen oder was erscheint Ihnen im Französischunterricht besonders wichtig? (…) BMF2: Ein guter Lehrer. (.) BMF3: Inhalte im Unterricht. Lehrer? (Lachen) (6) [591-598] Ohne direkten Bezug auf die Frage zu nehmen, bringt BMF2 in seiner Antwort hervor, dass ihm ein guter Lehrer im Französischunterricht besonders wichtig erscheint, lässt dabei jedoch offen, was eine gute Lehrkraft auszeichnet. Dies könnte zum einen als Fazit der vorangegangenen Passage gedeutet werden oder zeigen, dass die Lehrkraft aus seiner Sicht maßgeblich dafür verantwortlich ist, was inhaltlich im Unterricht passiert. Indem BMF3 die Antwort „Ein guter Lehrer“ in Beziehung zur Frage nach Inhalten im Unterricht setzt, widerspricht er jedoch nicht der eigentlichen Aussage von BMF2. Grundsätzlich scheint er übereinzustimmen, dass eine gute Lehrkraft wichtig sei. Vielmehr greift er korrigierend in den thematischen Verlauf der Diskussion ein und beendet damit das aufgeworfene Thema. Mit der darauffolgenden längeren Pause von 6 Sekunden bestätigt die Gruppe dieses Ende. BMF4: Also irgendwie, wir hatten jetzt letztes Jahr über Guadeloupe und diese Inseln da/ Ich weiß nicht, das gehört wahrscheinlich zum Lehrplan. (lachend) Aber/ BMF2: (schüttelt den Kopf) Das hat keinen interessiert, meinst du. BMF4: Also das war jetzt nicht so. Also vielleicht die/ Was man da so an Grammatik mitgemacht hat, war okay. Aber das Thema selber war irgendwie so komisch. Und wir MUSSTEN da die Geschichte von diesen, von diesen Inseln lernen. Also / / ich hab da jetzt nicht so./ / <?page no="137"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 137 BMF3: / / Ja, das war so ein ganzes Blatt (zeigt mit der Hand die Größe) (unv.)/ / BMF4: Die sind da irgendwo. Auch wenn ich so die Geschichte allgemein über diese Inseln, die da sind, so ungefähr weiß/ Ja, das hat mich ÜBERHAUPT NICHT interessiert. (Lachen) Weil ich damit überhaupt nichts zu tun hatte. Also das fand ich schlecht als Inhalt halt, wo man überhaupt nichts mit zu tun hat. Eher nicht so. Also eher etwas, was wo man mehr in Kontakt ist und deswegen, deswegen das vielleicht gerne macht. I: Mhm. BMF3: Ich denke, man/ Also ähm Geschichte anderer Länder und so etwas ist an sich etwas Interessantes, weil da sind teilweise viel interessantere Sachen passiert als in Deutschland. (.) Ein ziemlich gutes Beispiel ähm Asien. Das zum Beispiel auch. Aber in Französisch mussten wir irgendwie/ hatten wir irgendwie, hatten wir so ein GANZES Blatt voll (zeigt mit der Hand die Größe), was in Guadeloupe da PASSIERT ist mit dem, mit dem/ dass die früher Getreide angebaut haben und dass dann irgendwie die Weißen kamen und die Schwarzen versklavt haben. Und dann hat ein Weißer die befreit und sowas. Und dazu/ BMF4: / / Aber mit Jahreszahlen./ / BMF3: / / hatten wir ein/ / GANZES BLATT (zeigt mit der Hand die Größe). Und dann musstest du irgendwie das ganze Blatt können. Weil du so in der Leistungskontrolle vorgehen hättest vorgehen können. Das heißt, es bringt ja eigentlich schon mal nichts über Guadeloupe etwas zu wissen. Aber du musst es können, weil du keine schlechte Note haben willst. Da ist es dann eigentlich besser, in der Zeit Verben und sowas zu lernen, weil dann lernst du wenigstens wie man spricht. Weil wenn du mal nach Frankreich GEHST, dann bringt dir weniger das Wissen, wie Guadeloupe ist als wie du spr-, wie du richtig Verben konjugierst. [600-636] Die Einführung des neuen Themas wird von BMF4 initiiert, der beginnt, von einer landeskundlichen Unterrichtseinheit - den Inseln von Guadeloupe - aus dem vergangenen Schuljahr zu erzählen. Seine Unsicherheit, warum dieses Thema im Französischunterricht behandelt wurde, und das Mutmaßen, dass es wohl zum Lehrplan gehöre, zeigen, dass die Gründe für die Bearbeitung des Unterrichtsthemas nicht bekannt bzw. nicht transparent zu sein scheinen. An dieser Stelle kommt zum Ausdruck, dass die Schüler auf die Wahl dieses Themas keinen Einfluss hatten. Es werden zunächst auch keine sprachlich-inhaltlichen Aspekte der landeskundlichen Unterrichtseinheit benannt. Vielmehr wird die Behandlung des Themas auf angenommene curriculare Vorgaben zurückgeführt. <?page no="138"?> 138 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens Das anschließende Lachen signalisiert möglicherweise bereits eine erste Distanzierung von diesem Thema, die durch die Konjunktion „aber“ verstärkt wird. BMF2 unterbricht BMF4 in seinen Ausführungen, wobei diese Unterbrechung zugleich eine Fortsetzung des mit „aber“ eingeleiteten Einwandes darstellt. Auf die Frage der Interviewerin nach wichtig erscheinenden Inhalten kommt zunächst zur Sprache, was als nicht wichtig bzw. nicht interessant erscheint. In der ablehnenden Haltung gegenüber dem Thema dokumentiert sich also ein negativer Gegenhorizont. BMF2 übernimmt hier außerdem die Rolle des Sprechers für die Gruppe, indem er seine Aussage nicht nur auf sich selbst, sondern auf alle Schüler bezieht und für die gesamte Gruppe spricht („keinen interessiert“). Dies deutet auf eine Sicherheit hin, mit seiner Meinung auch die der Mitschüler zu vertreten, sodass ein gemeinsamer Erfahrungsraum sowie eine geteilte Orientierung vermutet werden kann. BMF4 führt seinen zuvor begonnenen und durch BMF2 unterbrochenen Satz fort und bestätigt zunächst die Aussage von BMF2 („das war jetzt nicht so“). Hier deutet sich an, dass die Jungen über gemeinsame Erfahrungen verfügen. Dass anhand des landeskundlichen Themas Guadeloupe Grammatik erarbeitet wurde, wird nicht hinterfragt oder kritisiert, sondern stößt grundsätzlich auf Akzeptanz („war okay“). Und obwohl BMF4 die Geschichte der Inseln noch „so ungefähr weiß“, wird das Lernen dieser Inhalte entschieden abgelehnt. Er betont im Verlauf mehrfach, dass der Bezug zur Geschichte der Inseln u. a. aufgrund der persönlichen Distanz vollkommen fehle, weshalb er das Thema uninteressant und „schlecht“ fand. Er verleiht dieser Überzeugung besonderen Ausdruck, indem er sein Nicht-Einverständnis dreimal mit „überhaupt nicht(s)“ steigert. Der zuvor aufgeworfene negative Gegenhorizont wird hier also durch das Lernen-Müssen lebensweltlich distanter Themen weiter ausgearbeitet. Gleichzeitig werden Themen, zu denen man einen persönlichen Bezug herstellen kann, als etwas Positives dargestellt. Es wird jedoch nicht näher ausgeführt, für welche Themen das beispielsweise zutrifft. Es erfolgt eine Weiterbearbeitung des Themas durch BMF3 und BMF4. BMF3 bringt zum Ausdruck, dass das Lernen der Geschichte Guadeloupes anhand eines ganzen Blattes mit Jahreszahlen nichts bringt. Das „ganze Blatt“ tritt als Fokussierungsmetapher hervor, welches von BMF3 insgesamt viermal genannt und von einer übertriebenen Geste mit der Hand begleitet wird. Denn der angedeutete Umfang des zu lernenden Blattes ist dabei um einiges größer als ein normales DIN-A4-Blatt. Die ausladende Geste mit der Hand kann insofern als Zeichen dafür gelesen werden, dass BMF3 den Umfang der zu lernenden Fakten als völlig übertrieben empfand. Die Beschreibung des Blattes erfolgt vor allem im Zusammenhang mit dem Modalverb „müssen“. Dessen Verwendung lässt darauf schließen, dass sich die <?page no="139"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 139 Gruppenmitglieder eher als passive Unterrichtsteilnehmer und weniger als aktive (Mit-)Gestalter wahrnehmen. Was über Guadeloupe gelernt werden musste, wird auf die Bedeutung eines Blattes reduziert. Sie erinnern sich nicht in erster Linie an die Inhalte oder das Wissen, sondern den Zwang, dieses Blatt zu lernen, das von jeder inhaltlichen Bedeutung losgelöst erscheint. Der einzige Grund, dieses „ganze Blatt“ zu lernen, sind die drohenden schlechten Noten. Das unnütze Wissen über Guadeloupe sowie schlechte Noten im Falle des Nicht-Lernens können als weitere Komponenten des negativen Gegenhorizonts gelesen werden. Die Geschichte anderer Länder wird als etwas Interessantes dargestellt und gilt damit als Ausdruck des positiven Horizonts. Positiv bewertet wird auch das Lernen von Verben, da man so lerne zu sprechen. Interessant ist die Selbstkorrektur, die BMF3 am Ende seiner Äußerung vornimmt. Es ist zu vermuten, dass er eigentlich „wie du sprichst“ sagen wollte. Stattdessen korrigiert er sich selbst und beendet seine Aussage damit, dass man bei einem Aufenthalt in Frankreich wissen müsse, wie man Verben richtig konjugiert. Hierin dokumentiert sich, dass für das Kommunizieren in der französischen Sprache vor allem ein richtiger, d. h. korrekter Sprachgebrauch wichtig sei. BMF2: Also ich stimme BMF3 teilweise zu. (lacht) (.) Er meinte halt, dass die Geschichte von dort halt nicht so wichtig ist. Aber aus der Geschichte halt kann man die Fehler lernen. (BMF3 nickt heftig mit dem Kopf) Und zwar halt jetzt nicht (lacht)/ BMF4: Oh nein ey. BMF3: (lachend) Wahrscheinlich lerne ich die Fehler aus der Geschichte von Guadeloupe. BMF2: Aus Guadeloupe. Nicht nur aus Guadeloupe. Sondern wir haben noch gar nicht über die Geschichte Frankreich Deutschland halt auf Französisch gesprochen. Das was wir lernen halt einfach so ein bisschen übersetzen. Das wäre toll. (.) Und ja, das war glaube ich mal Thema der letzten zwei Jahre, aber das haben wir nie gemacht und deshalb kommen wir/ Das erste Geschichtsthema, was wir halt in Französisch haben, ist halt über die Karibik und das war halt nicht so (.) toll halt. So hat man Geschichte und Französisch irgendwie schon mal (.) verdorben. (lacht) [638-653] BMF2 stimmt den vorangehenden Ausführungen zu, sodass man von einem geteilten Orientierungsrahmen zwischen ihm, BMF3 und BMF4 ausgehen kann. Dennoch nimmt er in Bezug auf die Orientierung eine Differenzierung vor, indem er auf die Möglichkeit verweist, aus Fehlern in der Geschichte lernen zu können. Auffällig ist die Art und Weise, wie er seine Zustimmung äußert. Statt <?page no="140"?> 140 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens sich direkt an BMF3 zu wenden und zu sagen „Ich stimme dir zu“, spricht er von BMF3 in der dritten Person Singular, indem er dessen Namen nennt. Möglicherweise richtet sich seine Aussage hier an die anwesende Forscherin, weshalb unklar bleibt, ob es sich bei der Idee des Lernens aus Fehlern in der Geschichte wirklich um eine Überzeugung oder einen Gemeinplatz handelt, den es vor dem Hintergrund sozialer Erwünschtheit zu relativieren gilt. Bevor er seinen Redebeitrag weiter ausführen kann, wird BMF2 von BMF4 und BMF3 unterbrochen. BMF4 äußert unmittelbar Widerspruch („Oh nein ey“), den BMF3 seinerseits durch eine ironische Bemerkung fortführt. So zweifeln sie an, „Fehler aus der Geschichte von Guadeloupe“ lernen zu können. Was jedoch zunächst den Eindruck erweckt, hier läge eine antithetische Diskursstruktur vor, löst sich durch die nachstehenden Erläuterungen von BMF2 in einer synthetischen Zwischenkonklusion auf. Denn BMF2 bestätigt den positiven Horizont, dass Geschichte etwas Interessantes sei, was zuvor bereits durch BMF3 geäußert wurde. Dessen Elaboration wird nun in Form einer Exemplifizierung weiterbearbeitet, indem auf die Geschichte Frankreichs und Deutschlands als mögliches Beispiel für ein interessantes geschichtliches Thema verwiesen wird. Das Erlebnis mit dem geschichtlichen Thema Guadeloupes wird als negativer Horizont validiert. Dies habe insgesamt auch negative Konsequenzen für die Einstellung zum Thema Geschichte und Französisch. Die Verwendung des Wortes „verdorben“ erscheint als weitere Fokussierungsmetapher, die darauf hindeutet, dass Französisch und Geschichte für die Schüler im Laufe der Zeit schlecht bzw. ungenießbar geworden sind. Dies impliziert jedoch, dass es eine Zeit gab, in der dies nicht der Fall war, in der sie Französisch und Geschichte als etwas Genießbares wahrgenommen haben. Es bestätigt sich insofern, dass geschichtliche Themen im Französischunterricht grundsätzlich als geeignet angesehen werden. Die Umsetzung im erlebten Unterricht verhindert jedoch, dass diese ursprünglich positive Wahrnehmung noch Bestand hat. Das heißt, die Einschätzung der Realisierungsmöglichkeiten, das Enaktierungspotenzial, fällt wenig optimistisch aus. BMF3: Aber wir wissen jetzt, dass Guadeloupe wie ein Schmetterling aussieht. BMF2: Ja (lacht) BMF1: (lachend) Wie ein Schmetterling. BMF2: (lachend) Das mussten wir jede jede Stunde sagen. / / BMF3 Ja / / Dass Guadeloupe wie ein Schmetterling aussieht. BMF3: Ich hab mir sogar gemerkt, was Schmetterling heißt. / / Papillon./ / BMF2: / / Papillon/ / (Lachen) <?page no="141"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 141 BMF1: Na ja, ich finde auch (.) dass ähm dass Geschichte in Frankreich sehr wichtig ist. Aber man sollte sich nicht spezifizieren. Also es ist ein schönes Thema, da man neue Verben lernt. Aber wenn man alles wissen sollte über Guadeloupe, dann bringt das ja nichts. Man sollte doch lieber die neuen Vokabeln lernen äh die dort, die man braucht, um etwas zu erzählen. Also zum Beispiel etwas Geschichtliches. Guadeloupe ist ja auch ein gutes Beispiel. Aber was wir letztes Jahr gemacht haben, ist dass wir alles lernen mussten. Alle Informationen. Das fand ich nicht so gut. (.) Ja. [655-674] Das Thema wird noch einmal aufgerollt, indem die vorangehende Sequenz beendet und die folgende neu begonnen wird. Als (ein) Ergebnis der Unterrichtseinheit zu Guadeloupe betont BMF3, die Gruppe wisse nun, dass die Insel aussehe wie ein Schmetterling. BMF2 validiert diese Anschlussproposition. Dass er dabei lacht, zeigt, dass ihn dieses Wissen eher belustigt. BMF1 äußert sich in dieser Passage zum ersten Mal und wiederholt ebenfalls lachend die Aussage von BMF3 („Wie ein Schmetterling“). Hier ist jedoch noch nicht klar, ob er sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht geäußert hat, weil er den Orientierungsrahmen der Gruppe vollständig teilt oder sich davon distanziert. Der propositionale Gehalt wird durch BMF2 weiterbearbeitet, indem er auf das regelmäßige Wiederholen eines Satzes im Unterricht verweist („Dass Guadeloupe wie ein Schmetterling aussieht“). Dieser Satz musste jede Stunde gesagt werden. Obwohl es in der Unterrichtseinheit eigentlich um die Geschichte der Inseln ging, wird hier ein anderer Aspekt hervorgehoben: dass Guadeloupe wie ein Schmetterling aussieht und Schmetterling auf Französisch papillon heißt. Alle Interaktionszüge werden hier durch das Lachen der Gruppenmitglieder begleitet, was ihre Distanz zu diesem vermeintlich nebensächlichen Wissen signalisiert. Den Abschluss der Passage bildet die thematische Konklusion durch BMF1, der sich zuvor nur an einer Stelle geäußert hat, sodass bis zu diesem Zeitpunkt nicht klar ist, inwieweit hier von einem der Gruppe gemeinsamen, geteilten Erfahrungswissen ausgegangen werden kann. Auch er bewertet die Geschichte Frankreichs als Unterrichtsthema positiv, wobei dies vor allem dem Lernen neuer Verben diene. Da er diesen Zusammenhang nicht näher ausführt, entsteht der Eindruck, dass es sich weniger um seine Meinung handelt, sondern er hier eine vorherige Aussage von BMF3 aufgreift und diese wiederholt. Auch die Forderung, neue Vokabeln zu lernen, „um etwas zu erzählen“, und dass er es ablehnt, alle im Unterricht vermittelten Informationen auswendig zu lernen, sind Aussagen, die bereits in den Äußerungen seiner Mitschüler enthalten waren. Indem er das Gesagte reformuliert, bestätigt er zwar die der Gruppe gemeinsamen <?page no="142"?> 142 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens Erfahrungen. Es bleibt jedoch fraglich, wie reflektiert die Auseinandersetzung mit dem eigenen Unterrichtserleben im Fach Französisch von BMF1 tatsächlich ist. Seine Konklusion fasst zusammen, welches Verhältnis die Jungen zu den Themen im Französischunterricht haben: Inhalte werden stets daran gemessen, ob sie dem Zweck der Kommunikation in der Zielsprache dienen. Werden sie dem nicht gerecht, stehen die Schüler ihnen ablehnend gegenüber. Im Hinblick auf die Interpretation der vorliegenden Passage kann zusammenfassend festgehalten werden, dass eine kritische Distanz zu den Inhalten des Französischunterrichts besteht. Danach gefragt, was ihnen im Französischunterricht wichtig erscheint, nehmen die Schüler Bezug auf ein Thema aus dem vergangenen Schuljahr, das ihnen nicht wichtig erscheint, und entwerfen somit einen negativen Gegenhorizont. Dieser ist gekennzeichnet durch einen Zwang des Lernens von Inhalten, zu denen kein persönlicher Bezug hergestellt werden kann. Das sinnentleerte Lernen landeskundlicher Fakten wird von der Gruppe als unnütz empfunden und abgelehnt. Dabei scheint ihnen dieses erworbene Wissen vor dem Hintergrund des Ziels fremdsprachlicher Diskursfähigkeit nicht förderlich zu sein. Ihren positiven Gegenhorizont machen die Schüler an einer hohen und möglichst fehlerfreien mündlichen Kommunikationsfähigkeit im Französischen fest, für die das Lernen von sprachlichen Mitteln besonders wichtig sei. Auch geschichtliche Themen werden als Teil des positiven Gegenhorizonts hervorgebracht, wobei insbesondere die Geschichte zwischen Frankreich und Deutschland von Interesse scheint und von den Gruppenmitgliedern insgesamt als sehr positiv bewertet wird. Dies müsse jedoch mit einer kommunikativen Ausrichtung des Unterrichts sowie einem größeren Lebensweltbezug einhergehen. Geschichtliche Themen stoßen dann auf Zustimmung, wenn sie dazu dienen, sprachliche Mittel zu lernen, um kommunizieren zu können. Die Bezugnahme der Gruppe zum Fach Französisch richtet sich insofern auch auf eine gewisse Kosten-Nutzenbzw. Kosten-Wirksamkeits-Analyse, bei der Lerninhalte stark anhand ihres kommunikativen Outcomes bewertet werden. Während sich in der Passage also sowohl positive als auch negative Gegenhorizonte dokumentieren, finden sich jedoch keine Realisierungsbzw. Umsetzungsmöglichkeiten (Enaktierungen) der Orientierung im Unterrichtsalltag. Es fehlt demnach an Lerngelegenheiten, deren kommunikatives Potenzial für die Schüler eindeutig erkennbar wird. Dem Interesse an geschichtlichen Themen steht deren Umsetzung im Unterricht entgegen, sodass die von den Schülern beschriebene Unterrichtseinheit zu Guadeloupe als verpasste Chance des Französischunterrichts betrachtet werden kann. <?page no="143"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 143 5.1.6 „Aber ansonsten ist der Unterricht HIER besser als im vorherigen Jahr“ - Streben nach Partizipation und guten Leistungen Um zu erfassen, was die Schüler am Ende der Sekundarstufe I über das Lernen der französischen Sprache denken, richtet sich eine der letzten Fragen explizit auf das Thema Einstellungen und Motivation. Obwohl die Frage auf die Beschreibung derselben abzielt und damit weniger erzählgenerierend ist, werden im weiteren Verlauf der Diskussion dennoch Zusammenhänge zwischen Unterrichtserleben und Motivation deutlich. I: Mhm, okay. Ähm ich sehe gerade, dass die Zeit ganz schön voranschreitet, aber mich würde noch eine Sache interessieren und zwar ähm was das Thema Einstellungen und Motivation betrifft. (Lachen) Also wie ähm würden Sie die bei Ihnen beschreiben? BMF3: (atmet hörbar tief durch). Also dieses, DIESES Schuljahr ist es mir eigentlich fast schon gleichgültig. Im Endeffekt musst du halt jede Stunde diese Vokabeln da können. Wobei wir das bisher noch nicht gemacht hatten. Ich denke, sobald das anfängt, jede wirklich jede Stunde mit Lernen zu werten, ändert sich das ein bisschen ins Negative. Aber ansonsten ist der Unterricht HIER besser als im vorherigen Jahr, weil hier die Lehrerin halt neu ist und auch sehr anders ist als die vorherigen und auch motivierter. Und da macht es auch mehr Spaß. Vorher (.) war es eher so, dass (.) sie sagt etwas, ich weiß nicht, was sie gesagt hat. Ja dann macht man irgendwelche Aufgaben. Ich weiß nicht, was alle gerade machen. Und da ist dann die Motivation komplett hin und sie erklärt es teilweise auch auf Deutsch, worum es geht. Das verbessert die Motivation. BMF2: Ja. Ich stimme BMF3 vollkommen zu. (lacht) BMF3: (lachend) Wie oft willst du das denn noch sagen, Alter? [691- 709] Ohne dass explizit danach gefragt wird, äußert BMF3, dass „es“ - Französisch - ihm in diesem Jahr „eigentlich fast schon gleichgültig“ sei. Die Betonung, dass er sich dabei auf das aktuelle Schuljahr („dieses, DIESES Schuljahr“) bezieht, impliziert, dass er Französisch in der Vergangenheit eine größere Bedeutung beigemessen hat als in diesem Jahr. Der Gebrauch zweier Adverbien („eigentlich fast“) relativiert jedoch seine Aussage, kein Interesse mehr an Französisch zu haben. Das heißt, das Fach ist für ihn bis zu diesem Zeitpunkt zwar wesentlich unwichtiger und belangloser geworden, aber es scheint einen Einflussfaktor zu geben, der bislang noch verhindert, dass es zur endgültigen Aufgabe und Ab- <?page no="144"?> 144 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens wendung kommt. Allein die neue Lehrerin bewirkt, dass er den gegenwärtigen Unterricht dennoch „besser als im vorherigen Jahr“ bewertet. Obwohl die Klasse bislang erst wenige Male bei der neuen Lehrkraft Unterricht hatte und er sie noch nicht lange kennt, birgt allein die Tatsache, dass sie „neu ist und auch sehr anders ist als die vorherigen und auch motivierter“, gleichzeitig eine neue Chance für den Unterricht. BMF3 grenzt sich von der Praxis des Französischunterrichts, wie er ihn in der Vergangenheit erlebt hat, negativ ab. Er resümiert, dass der gesamte Unterricht letztlich auf das Beherrschen von Vokabeln reduziert sei, die er nur aufgrund von Leistungskontrollen lernen müsse. Obwohl dies seit dem letzten Lehrerwechsel noch nicht vorgekommen sei, bewertet er dieses Vorgehen unabhängig von der Lehrkraft als negativ. Dass er sich aufgrund von Verständnisschwierigkeiten vorher häufig nicht aktiv am Unterrichtsgeschehen habe beteiligen können, beklagt er als für die Motivation hinderlich. Auch hier wird die neue Lehrerin als Hoffnungsträgerin für die eigenen Partizipationsmöglichkeiten betrachtet, da sie für Erklärungen „teilweise auch auf Deutsch“ zurückgreife und er so besser folgen könne. BMF2: Französisch motiviert mich dieses Jahr überhaupt nicht. Weil wir haben Französisch dieses Jahr halt Mittwoch die ersten beiden Stunden und Freitag die nullte Stunde. BMF3: Das okay, ja gut. Das stimmt. BMF2: Und ich weiß nicht. Französisch ist jetzt nicht das interessanteste Fach. Und ähm, da bin ich halt in der nullten Stunde Französisch/ Dann haben wir die ersten beiden Sport und dann in der vierten Stunde fühle ich mich als ob der ganze Tag schon rum ist. BMF3: Einfach weil die ersten/ Weil Französisch in der ersten Stunde zieht da so: : lang hin. BMF2: Ja, das versaut irgendwie den Tag so mit / / Französisch anzufangen./ / BMF3: / / Wenn man es irgendwie übersteht/ / , ist es in Ordnung, aber ansonsten/ BMF4: (lacht) [711-728] Durch BMF2 erfolgt eine neue Relevanzsetzung, indem er das Thema Motivation in einen Zusammenhang zur Unterrichtszeit stellt. Obwohl es sich hier nicht um konjunktives, sondern kommunikatives Wissen handelt, zeigt seine Äußerung, dass das Fach Französisch in den ersten Unterrichtsstunden am Tag negative Auswirkungen auf seine Unterrichtswahrnehmung hat. Denn auch wenn BMF2 hier Französisch explizit nicht als „das interessanteste Fach“ bewertet, richtet sich seine eigentliche Ablehnung nicht gegen das Unterrichtsfach Französisch im Allgemeinen oder grundsätzlich gegen die nullte Stunde, <?page no="145"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 145 sondern ausschließlich dagegen, Französisch so früh am Tag lernen zu müssen. Dabei betont er, wie zuvor BMF3, dass der Zustand fehlender Motivation das aktuelle Schuljahr betreffe. Er stellt die frühen Unterrichtszeiten als negativen Gegenhorizont zu vorhergehenden Schuljahren dar, in denen das Fach Französisch im Stundenplan anders positioniert war. BMF3 validiert die Aussage von BMF2. Auch für ihn scheint „Französisch in der ersten Stunde“ insofern problematisch zu sein, als für ihn der Eindruck entsteht, die Unterrichtszeit erstrecke sich über eine längere Zeit als tatsächlich der Fall. Unklar bleibt, inwiefern das Lachen von BMF4 Zustimmung oder Distanzierung von diesem Orientierungsgehalt bedeutet. Da er in der Diskussion jedoch sonst immer wieder seine eigene Meinung vertritt und auch Gegenpositionen einnimmt, handelt es sich bei seiner Reaktion vermutlich um eine Ratifizierung des zuvor Gesagten. BMF1 initiiert im Folgenden ein neues Thema und versucht, nach den genannten negativen Aspekten nun positive Gesichtspunkte („aber ich finde“) hinsichtlich seiner Motivation hervorzuheben. In der gesamten Diskussion ist diese Stelle eine der wenigen, in denen er den Verlauf eigeninitiativ beeinflusst, sodass ihm das neue Thema besonders wichtig zu sein scheint. Erst am Ende seiner Aussage fühlt er sich offenbar verpflichtet, noch einmal die Frage nach den Unterrichtszeiten aufzugreifen und dazu Stellung zu beziehen, sodass die Gruppe nun zwei Themen parallel verhandelt. BMF1: Ähm, aber ich finde dieses Schuljahr schön, da man/ Durch die neue Lehrerin, weiß man nicht, was man macht. Deswegen zum Beispiel, durch die neue Lehrerin/ Da man letztes Schuljahr nichts verstanden hat, finde ich es sehr gut. Das motiviert jetzt mich ein bisschen. Dass ich, ähm jetzt nachholen kann, was ich verpasst habe. Äh ja. Was wollte ich noch sagen? (..) Ähm, ach ja genau. Das mit den Stunden. Weil wenn man den Stundenplan verlegt, wäre es auch viel besser, dass man ähm sich darauf einstellt, dass man jetzt Französisch hat. Nicht immer die erste Stunde gleich Französisch. Das versaut ganz den Tag. Deswegen finde ich, dass man den Stundenplan besser verlegen sollte. I: Mhm. BMF3: Wobei, es ist auch nicht viel besser, sich erste bis fünfte Stunde darauf zu freuen, in der sechsten und siebten Französisch zu haben. BMF1: Es muss mehr so in der Mitte. [736-750] Während BMF2 und BMF3 die frühen Unterrichtszeiten als einen die Motivation in diesem Schuljahr negativ beeinflussenden Faktor herausstellen, nimmt BMF1 das Schuljahr aufgrund der neuen Lehrerin als „schön“ wahr. Der Lehrerwechsel bietet für ihn die Chance, wieder aktiv am Unterrichtsgeschehen teilzunehmen und verpasste Inhalte nachzuholen. Obwohl die Lehrerin den Schülern noch <?page no="146"?> 146 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens weitgehend unbekannt ist, hat er die Hoffnung, dass er im Vergleich zum letzten Schuljahr wieder mehr versteht. BMF1 bewertet seine Motivation demnach in Abhängigkeit von den eigenen Partizipationsmöglichkeiten im Unterricht. Die Aussicht, sich am Unterricht beteiligen zu können, wirkt sich positiv auf seine Unterrichtswahrnehmung aus. Hinsichtlich der Unterrichtszeit validiert er die Aussagen von BMF2 und BMF3. Er spricht sich für eine Veränderung des Stundenplans aus, wobei sich seine Argumentation nicht auf mögliche Vorteile für das Fach Französisch stützt, sondern sich alleine auf die negativen Folgen für den gesamten Tag bezieht („Das versaut ganz den Tag“). Damit wiederholt er beinahe wortwörtlich die Äußerung von BMF2, ohne diese jedoch weiter zu elaborieren oder zu differenzieren. Insofern bleibt unklar, inwieweit es sich hier wirklich um eine geteilte Orientierung handelt. Auch seine Forderung, Französisch müsse „mehr so in die Mitte“, bleibt ohne Belegerzählung und scheint sich ausschließlich auf die Differenzierung von BMF3 zu beziehen, in der dieser auch ablehnt, „in der sechsten und siebten Französisch zu haben“. Nachdem BMF3 das von BMF1 neu eingeführte Thema zunächst nicht aufgreift und weiterbearbeitet, ist es nun BMF4, der sich in dieser Passage erstmalig äußert und wie BMF1 seine Hoffnung im Zusammenhang mit dem Lehrerwechsel äußert. BMF4: Ähm bei mir ist die Motivation/ Also im letzten Schuljahr war sie auch nicht so gut. Aber ich hoffe, dass sie jetzt wieder besser wird. Wir hatten jetzt ja erst zwei Stunden. Aber ich glaube mal, jetzt wird es wieder gut. Ja. Letztes Schuljahr hatte ich zum Beispiel keine Motivation, weil da war ich schlecht. Also früher war ich in Französisch eher gut. Da stand ich so also eher auf Eins. Also Eins bis Zwei. Und im letzten Schuljahr kam die Lehrerin zu mir: „Oh Philipp Drei plus geht doch.“ Ja gut. (lacht) Na das war halt dann eher nicht so gut. Aber ich glaube mal, jetzt könnte ich vielleicht wieder besser werden und dann auch mehr Motivation haben wieder mehr zu lernen. (.) Vielleicht. Ja. I: Mhm. (.) BMF2: Ja, also da stimme ich BMF4 eigentlich zu. Das ist einfach, wenn man gut ist und gute Noten bekommt, fühlt man sich einfach viel besser. Aber wenn man halt gute Noten bekommt und halt der Unterricht leicht ist, lernt man halt nicht so gut. Also das ist schon paradox. Und wenn man dann halt, wenn der Unterricht schwer ist und man schlechte Noten bekommt, ist die Motivation halt weg und dann muss man sich entscheiden. Will man halt entweder halt gut sein und nichts lernen oder halt <?page no="147"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 147 schlecht sein und lernen. Weil ich hab jetzt die Verben ich glaub drei Tage lang gelernt und trotzdem konnte ich es dann zum Schluss nur auf eine Zwei schaffen. / / Und ja./ / BMF4: / / Kamst du dran? / / BMF2: Nee, aber durch die Punkte dann. Hab ich durchgerechnet. [752- 774] BMF4 bewertet seine eigene Motivation im vergangenen Schuljahr als „auch nicht so gut“. Er erwähnt zwar nicht explizit die neue Lehrerin als Grund für die Aussicht auf Besserung, doch die Formulierung, „jetzt ja erst zwei Stunden“ gehabt zu haben, legt nahe, dass er sich damit auf diese bezieht. Wie auch BMF1 verbindet er die Hoffnung auf eine Verbesserung der Motivation also mit der neuen Lehrkraft. Doch während die Lehrerin für BMF1 die Chance bietet, dem Unterricht wieder besser folgen zu können, ist es für BMF4 vielmehr das Erreichen guter Noten, auf das sein Streben gerichtet ist. Nachdem er im letzten Schuljahr seinen eigenen Leistungsansprüchen nicht gerecht werden konnte, die Lehrerin ihn aber nicht zu besseren Ergebnissen anspornte, verspricht er sich durch die neue Lehrkraft eine Steigerung seiner Leistungen und damit auch mehr Motivation. Auffällig ist, dass er als Kontrastfolie, also als negativen Gegenhorizont, das vergangene Schuljahr heranzieht, dem eine frühere Zeit gegenübersteht, in der er sich selbst als „eher gut“ einschätzt. Auf diese frühere Zeit sind sein Streben und Handeln ausgerichtet („wieder besser“, „wieder gut“, „wieder mehr zu lernen“). Die Anschlussäußerung von BMF2 beginnt mit einer Ratifizierung. Voraussetzung für ein positives Gefühl im Unterricht sei es, gut zu sein und gute Noten zu bekommen. Dennoch scheint ihm dieser Zustand unmöglich und unerreichbar, denn er stellt zwei Szenarien gegenüber, die er als „paradox“ bezeichnet. Aus seiner Sicht gebe es ausschließlich die Option, gute Noten zu bekommen, wenn der Unterricht „leicht“ sei. Dabei definiert er jedoch nicht genauer, was leicht in diesem Zusammenhang für ihn bedeutet. Dies impliziere außerdem, dass man „nicht so gut“ bzw. „nichts“ lerne. Wenn der Unterricht jedoch „schwer“ sei, lerne man zwar etwas, bekomme aber schlechte Noten, was zur Folge habe, dass die Motivation verloren gehe. Dennoch bezieht er sich nur auf das Lernen und nicht auf das Können, d. h., es bleibt unklar, ob der schwere Unterricht aus seiner Sicht nur eine höhere Lernbereitschaft bewirkt oder auch tatsächlich zu höheren Kompetenzen führt. Auf diese Einschätzung folgt eine Belegerzählung, in der er schildert, „drei Tage lang gelernt“, es aber trotzdem nur auf eine Zwei geschafft zu haben. Hier dokumentiert sich, dass er den Lohn für das Lernen sowie die Einschätzung des eigenen Könnens vor allem über Noten misst und eine Zwei für ihn keine zufriedenstellende Zensur für die erbrachten Lernan- <?page no="148"?> 148 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens strengungen darstellt. Auch BMF2 strebt eigentlich nach Lernfortschritt sowie guten Leistungen und ist bereit, dafür zu lernen. Aufgrund der eigenen Lernerfahrung geht er jedoch davon aus, dass beides gleichzeitig unmöglich sei. BMF2 spricht hier - wie im Folgenden BMF3 - von Verben, die gelernt werden müssen. Auch an zahlreichen Stellen im Interview zuvor nehmen die Schüler immer wieder Bezug auf das Lernen von Verben. Die große Bedeutung, die die Schüler diesen zuweisen, zeigt, wie stark der Fokus im Französischunterricht auf der Grammatik zu liegen scheint. BMF3: Es ist halt wirklich ein wichtiger Faktor. Weil, je besser du ein Fach kannst, desto besser ist die Motivation darin eigentlich. Und je mehr du in einem Fach, also in einem Themengebiet lernst, dann kannst du es auch für andere Themengebiete nutzen. Also wenn du in Französisch die Verben kannst und da eine Zwei bekommst, dann kannst du dann in Vorträgen das, was du an Verben gelernt hast, anwenden. Und dann bist du auch viel besser. Nur wenn du in Verben eine Fünf hast und dann Vorträge machst, dann bekommst du auch eine Fünf, weil du schon all die Verben nicht kannst und den Rest dazu auch nicht. Also (.) wie gut man ist, ist eindeutig wichtig für die Motivation und da wir vorher recht schweren Unterricht hatten und das da niemand konnte, war die Motivation echt / / gering./ / BMF4: / / Schwer? / / BMF3: Na ja. BMF4: Komm. BMF3: ICH fand es schwer. (unv.) (Lachen) Manche können es gar nicht hier. BMF2: Marcel. BMF3: Mhm (bejahend). (.) BMF1. BMF1: (meldet sich) Definit. (..) [776-795] Auch BMF3 validiert die Abhängigkeit der Motivation von dem eigenen Können, wobei er die Aussage verallgemeinernd auf alle Fächer bezieht. Er elaboriert das Thema weiter, indem er auf die Sequenzialität von (fremdsprachlichen) Lernprozessen Bezug nimmt. Demnach sei es besonders wichtig, über die sprachlichen Mittel zu verfügen, um diese in verschiedenen kommunikativen Zusammenhängen anwenden zu können. Gelinge dies nicht, bringe dies automatisch schlechte Zensuren mit sich. Auch hier sind es erneut Verben, die als Beispiel herangezogen und als besonders wichtig herausgestellt werden. Das Beherrschen derselben habe unmittelbare Auswirkungen auf das Halten von Vorträgen. Dass hier ausgerechnet eine Form des monologischen Sprechens angeführt wird, könnte daran liegen, dass diese erst jüngst eine Rolle im Unter- <?page no="149"?> 5.1 Die Gruppe „Stadion“ 149 richt gespielt hat. Da die Wenn-dann-Kausalität von BMF3 hier jedoch eher wie eine generalisierende Überzeugung wirkt, die auf eigenen Erfahrungen basiert, ist es wahrscheinlich, dass die Schüler in der Vergangenheit regelmäßig Vorträge gehalten haben, was wiederum die Frage nach dem Stellenwert mündlicher Interaktion im Französischunterricht aufwirft. BMF3 verbleibt mit seiner Äußerung im schulischen Rahmen. Denn Verben und Vorträge sind für ihn „Themengebiete“, so als handele es sich dabei um in sich geschlossene, voneinander unabhängige inhaltliche Bereiche. Er verknüpft diese nicht mit außerschulischen Kommunikationsmöglichkeiten, sondern einzig mit den Noten, die man im Unterricht für die erbrachten Leistungen erhält. Aufgrund des „schweren“ Unterrichts habe jedoch niemand über die entsprechenden Kompetenzen verfügt, sodass die Motivation gering gewesen sei. An dieser Stelle bezieht er sich auf den vorherigen Französischunterricht („vorher“) und spricht für die gesamte Klasse („niemand“). Während die Aussage von BMF2 zuvor offenließ, ob der schwere Unterricht sich auch positiv auf das Beherrschen der französischen Sprache auswirke oder nur die Lern- und Anstrengungsbereitschaft steigere, verweist BMF3 nun hier darauf, dass der schwere Unterricht keinen Lernzuwachs bringe. Ohne dass er konkretisiert, was für ihn „schwer“ bedeutet, betrachtet er diesen dennoch als Ursache für das fehlende Können, was wiederum sinkende Motivation nach sich ziehe. Obwohl BMF4 die Schwierigkeit des Unterrichts infrage stellt, folgen durch BMF3 und BMF2 Exemplifizierungen, die den Diskurs in Form einer Synthese abschließen sollen. Als Beweis für BMF3 s Einschätzung führen sie die mangelnden Kompetenzen zweier Mitschüler an, was von BMF1, der selbst genannt wird, bestätigt wird und zum Ende der Passage führt. 5.1.7 Zusammenfassung Die fachliche Bezugnahme der Gruppe Stadion wird im Wesentlichen innerhalb des schulischen Rahmens verhandelt. Es finden sich kaum Hinweise auf außerunterrichtliche Erlebnisse mit der französischen Sprache, sodass es den Schülern auch nicht gelingt, eine persönliche Beziehung zu dieser Sprache herzustellen. Vorteile des Lernens von Französisch für eine potenziell mögliche, aber ungewisse berufliche Zukunft werden zwar erkannt, verbleiben aber auf einer abstrakten Ebene ohne individuelle Bezüge. Damit wird Französisch in erster Linie als Unterrichtsfach betrachtet und weniger als Sprache, die Zugänge zu Lebenswelten außerhalb der Schule ermöglicht. Dennoch sind sie der Sprache gegenüber insgesamt positiv eingestellt. Anders verhält es sich mit der englischen Sprache, deren Bedeutung von den Schülern aufgrund ihrer Verbreitung in der Welt sowie ihrer Präsenz im <?page no="150"?> 150 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens (eigenen) Alltag deutlich höher bewertet wird. Diese Einschätzung hat auch Auswirkungen auf das Sprachlernkonzept der Jungen. Englisch lerne man gewissermaßen beiläufig, da man der Sprache vor allem in den Medien ständig begegne. Auf der Grundlage der eigenen Kompetenzen, die im Englischen höher eingeschätzt werden als im Französischen, beurteilen sie die Lernbarkeit der zweiten Fremdsprache als schwerer. Auch auf der sprachstrukturellen Ebene sei Englisch im Vergleich zum Französischen leichter zu lernen. Den Französischunterricht erleben die Schüler insgesamt als Herausforderung. Trotz der eigenen Bemühungen schaffen sie es jedoch aus ihrer Sicht häufig nicht, dieser gerecht zu werden. Sowohl in Bezug auf die Inhalte als auch hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung entspreche der Französischunterricht nicht ihren Interessen und (Lern-)Bedürfnissen, obwohl sie bemüht seien, mitzuarbeiten und gute Leistungen zu erzielen. Dabei richtet sich die Kritik zum einen auf die Unterrichtsmaterialien, aber zugleich auf die Lehrkraft, die keine strukturierteren Lerngelegenheiten schaffe, die ihnen bessere Lernerfolge ermöglichen. Immer wieder wird das Streben nach kommunikativer Kompetenz thematisiert, wobei sich diese für die Jungen vor allem auf Mündlichkeit bezieht. Das häufige Rekurrieren auf Verben und das Konjugieren derselben vermittelt den Eindruck, dass grammatische Inhalte im Unterricht nicht nur einen hohen Stellenwert hatten, sondern sich diese Unterrichtserfahrung gleichsam auf die Orientierung der Gruppe auswirkt, da die Jungen sprachliche Korrektheit als besonders wichtig einschätzen. Obwohl ihnen das Streben nach guten Leistungen gemeinsam ist und sie die Möglichkeit, sich selbst als kompetent zu erleben, als Voraussetzung für die eigene Motivation betrachten, fällt auf, dass die Schüler keine Eigeninitiative zeigen, selbst Verantwortung für ihr Lernen zu übernehmen, indem sie bspw. aktiv versuchen, Einfluss auf das Unterrichtsgeschehen zu nehmen. Hier kommt der Lehrkraft eine entscheidende Rolle zu. Veränderungen erhoffen sie sich durch Lehrerwechsel, ohne selbst den Unterricht kritisch zu hinterfragen oder aktiv mitgestalten zu wollen. Den Lernerfolg, ihre Lernbereitschaft, die Beteiligung am Unterricht wie auch ihre Motivation ordnen sie in erster Linie dem Verantwortungsbereich der Lehrkraft zu. Trotz negativer Lernerlebnisse aus vergangenen Schuljahren und obwohl sie die neue Lehrkraft noch nicht lange kennen, zeigen sich die Jungen optimistisch und gewillt, ihre Leistungen wieder zu steigern. Die Beiträge von BMF1 enthalten insgesamt kaum eigene Positionen. So bleibt an vielen Stellen unklar, inwieweit er über ein geteiltes Erfahrungswissen mit der Gruppe verfügt. <?page no="151"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 151 5.2 Die Gruppe „Katze“ 5.2.1 Zusammensetzung der Gruppe und Gesprächsverlauf Mit 14 Schülerinnen ist die Gruppe „Katze“ diejenige mit den meisten Teilnehmerinnen und bildet insofern auch einen Kontrast zu der sehr kleinen Gruppe „Stadion“. Die Mädchen besuchen ein hessisches Gymnasium und befinden sich im ersten Jahr der Oberstufe, der sogenannten Einführungshase, wobei erst die Leistungen der Qualifikationsphase im zweiten und dritten Jahr der Oberstufe in das Abitur eingehen. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung absolvieren sie im Fach Spanisch das fünfte Lernjahr. Die Entscheidung, Spanisch fortzuführen oder abzuwählen, steht kurz bevor. Die Schule hat von allen drei teilnehmenden Kooperationsschulen die stärkste Ausrichtung auf die Förderung von Fremdsprachen. Neben Angeboten für bilingualen Sachfachunterricht, bei denen Englisch als Unterrichtssprache eingeführt wird, wählen die SchülerInnen als zweite Fremdsprache ab Klasse 6 Französisch, Latein oder Spanisch. Mit Eintritt in die achte Jahrgangsstufe können sie neben anderen Wahlfachangeboten (wie z. B. Biologie, Chemie, Informatik, Darstellendes Spiel und Sport) zusätzlich eine dritte Fremdsprache aus dem voranstehend genannten Angebot oder Chinesisch beginnen. Darüber hinaus existieren zahlreiche Auslandsprogramme. Die Schule nimmt regelmäßig am Bundeswettbewerb Fremdsprachen teil und bietet parallel zum Abitur das Ablegen des international anerkannten Schulabschlusses International Baccalaureate Diploma an. Die Gruppendiskussion findet im Januar 2016 in der zweiten Unterrichtsstunde statt und dauert insgesamt 41 Minuten. Sie verläuft sehr selbstläufig, sodass wenige Impulse und erzählgenerierende Nachfragen in der Regel ausreichen, um die Diskussion zu initiieren bzw. aufrechtzuerhalten. Im Verlauf der Diskussion wird deutlich, dass die Schülerinnen, obwohl sie aufgrund von Schulwechseln zum Teil nicht von Beginn an zusammen unterrichtet wurden, über gemeinsame Erfahrungshintergründe verfügen. Dies zeigt sich vor allem in den überwiegend inkludierenden Modi der Diskursorganisation. Es fällt auf, dass sich vier Mädchen kaum oder gar nicht an der Diskussion beteiligen. Aus ihren nonverbalen Verhaltensweisen (Nicken, Lachen etc.) lässt sich zwar häufig Zustimmung schlussfolgern, dennoch wurden zwei der sogenannten Schweigerinnen in einem anschließenden Interview persönlich befragt, um deren Meinungen gleichermaßen zu berücksichtigen und Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Zurückhaltung in der Diskussion auf konträre Positionen, vergleichbare Meinungen oder Indifferenz zurückzuführen ist. <?page no="152"?> 152 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens 5.2.2 „Der Großteil der Bevölkerung kann schon Englisch“ - Haltungen zum Erlernen mehrerer Sprachen Den Einstieg in die Diskussion bildet - wie in allen Gruppengesprächen - die Abfrage von Meinungen zur Forderung des Europarats „Muttersprache plus zwei“, wodurch Haltungen zum Erlernen mehrerer Fremdsprachen erfasst werden sollen. Nach einer Rückfrage, was dies im Fall zweier Muttersprachen bedeuten würde, diskutieren die Schülerinnen zunächst über die Lernbarkeit mehrerer Fremdsprachen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. CWS1: Noch eine, okay. Aber ich glaube, für viele ist das halt relativ schwer, wenn man halt schon mit zwei Muttersprachen zum Beispiel aufwächst oder auch Eltern, die jetzt nicht in der Schule waren, die dann noch, sage ich mal, zu zwingen so in Anführungszeichen, nochmal zwei zu lernen, ist vielleicht dann im Alter schwerer. Und ich denke mal, für die Schüler ist es halt leichter, für uns. Aber jetzt für Ältere, dass man dann die Voraussetzungen hat, ist vielleicht bisschen schwerer. CWS10: Also ich finde, wenn man als Kind schon zwei Muttersprachen lernt, das macht dem Kind eigentlich gar nichts aus, sondern man lernt das automatisch mit und ich finde das eigentlich gut, dass man Sprachen lernt, weil ich finde, von allen ähm im Unt/ ähm (..) CWS8: Fächern und Kursen? CWS10: Fächern, genau, (Lachen) ist/ also sind die Sprachen irgendwie so, finde ich, am/ (.) haben die den größten Nutzen. CWS9: Also das System an sich ist ja NICHT schlecht, aber es müsste halt richtig umgesetzt werden, also ich von mir kann nicht behaupten, dass ich Spanisch jetzt perfekt sprechen kann nach meinen/ (Gelächter) Also das erwartet ja auch keiner. Aber dass ich mich jetzt mit einem Spanier unterhalten könnte, ich glaube, das wäre jetzt (.) für uns alle noch zu hoch. Deswegen. [21-46] Die Relevanzsetzung, die CWS1 vornimmt, hebt zu Beginn auf die Grenzen der Lernbarkeit mehrerer Sprachen ab. So zeigt sich, dass sie - noch bevor Möglichkeiten gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit erörtert werden - Zweifel in Bezug auf das Ziel „Muttersprache plus zwei“ hegt, das aus ihrer Sicht für viele Menschen schwer zu erreichen sei. Als Beispiel nennt sie Personen, die bereits mit zwei Muttersprachen aufwachsen, woraus ersichtlich wird, dass individuelle Mehrsprachigkeit von ihr beim Sprachenlernen eher als Hindernis denn als Chance begriffen wird. Vor allem ältere Menschen solle man nicht zwingen, Sprachen zu lernen. Die Obligatorik wird demnach als negativer Gegenhorizont <?page no="153"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 153 abgelehnt. Den Schwierigkeiten, im Alter Fremdsprachen zu lernen, stellt sie als Vergleichshorizont „die Schüler“ gegenüber, die es aus ihrer Sicht leichter haben, Sprachen zu lernen. Dies scheint für sie selbstverständlich („halt“) zu sein. Auf der dokumentarischen Sinnebene kann hier festgehalten werden, dass Sprachenlernen für sie sehr stark institutionell gerahmt und eng mit der schulischen Sphäre verknüpft ist. Die Schule bietet der eigenen Gruppe („die Schüler“, „für uns“) die nötigen Voraussetzungen, während dieser Zugang „Eltern, die nicht in der Schule waren“, verwehrt bleibt. Die Schülerin CWS10 vertritt in einem oppositionellen Beitrag die Ansicht, man lerne zwei Muttersprachen automatisch mit, wobei sie von „man“ spricht und unklar bleibt, inwieweit sie mit der generalisierenden Aussage auch sich selbst meint. Dennoch verhandelt auch sie das Thema Sprachenlernen ganz deutlich im schulischen Rahmen. Als Fächer haben Sprachen in der Schule aus ihrer Sicht den größten Nutzen, d. h., Sprachenlernen und die Forderung „Muttersprache plus zwei“ werden durch CWS10 als Auftrag der Schule bestätigt, sodass sich an dieser Stelle die Wertschätzung des schulischen Fremdsprachenlernens als positiver Horizont festhalten lässt. In der Folge wird das Thema von CWS9 weiterbearbeitet. Sie validiert den positiven Horizont, wobei sich dies auf der sprachlichen Ebene nicht affirmativ durch positive Bewertungen zeigt, sondern durch die Einschätzung „nicht schlecht“. Die Forderung des Europarats bezeichnet sie als „System“, das nach ihrer Meinung jedoch in der Realität scheitert, da es nicht richtig umgesetzt werde („müsste halt“). Es bleibt zwar hier noch offen, von wem es richtig umgesetzt werden müsste und welche Gründe dieses Scheitern hat. Deutlich wird jedoch, dass sie auf Grenzen beim Erreichen des Ziels und damit auf eine Enaktierungsbzw. Realisierungsproblematik hinweist. Denn die mangelnde sprachliche Kompetenz verhindere es, sich mit MuttersprachlerInnen unterhalten zu können, und dient insofern als Beleg für ihre zuvor genannten Vorbehalte gegenüber dem Ziel des Europarats. Bei dieser Exemplifizierung führt sie zunächst sich selbst („ich von mir“) und darauffolgend die gesamte Lerngruppe („für uns alle“) als Beispiel an, um ihre Sichtweise zu untermauern. Indem sie für die Gruppe spricht, scheint sie sich auf atheoretisches, kollektiv geteiltes Wissen zu beziehen. Implizit wird also die Schule für dieses Scheitern verantwortlich gemacht. CWS6: Ja und für viele ist es bestimmt schwer, da manche ja keine Fremdsprachen können, so wie ich. Dann hakt es schon bei Englisch und dann noch Spanisch, das ist auch nicht so ganz (lachend) prickelnd. Und dann erwarten die halt/ Das ist jetzt bei mir nicht so schlimm mit drei Sprachen wegen den zwei Muttersprachen, aber trotzdem ist das doof, weil Sprachen nicht so mein Gebiet sind. (lacht) <?page no="154"?> 154 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens CWS7: Ja, ich glaube, das ist als Idee einfach eigentlich ganz schön, aber das so zu verpflichten wird halt irgendwie schwer, weil man das ja dann auch nicht bei jedem so richtig nachweisen kann, ob das dann auch wirklich gesprochen wird oder gesprochen werden kann und ja. [44-53] CWS6 bestätigt die zuvor angesprochenen Schwierigkeiten und bearbeitet das Thema weiter, indem sie mangelnde Sprachlerneignung als weiteren Hinderungsgrund für das Ziel „Muttersprache plus zwei“ („es“) anführt, wobei als „zwei“ hier die schulischen Fremdsprachen Englisch und Spanisch herangezogen werden. Auch sie betrachtet damit Schule als den primären Ort für Sprachenlernen. Auffällig ist, dass sie sich selbst trotz zweier Muttersprachen mangelnde Sprachlerneignung attestiert („da manche ja keine Fremdsprachen können, so wie ich“, „Sprachen nicht so mein Gebiet“) und nicht erkennt, über welche Potenziale sie damit verfügt. Die metaphorische Verwendung des Hakens beim Erlernen des Englischen weist darauf hin, dass sie den Eindruck hat, es gehe nicht voran. Spanisch wird damit zur zusätzlichen Belastung. Sprachen werden hier als streng voneinander getrennte Aufgaben betrachtet. Möglichkeiten, die bereits gelernten Sprachen sowie die noch zu lernenden füreinander fruchtbar zu machen, werden nicht erkannt, sodass Sprachenlernen in der Vorstellung von CWS6 additiv erfolgt. Auch CWS7, die die Forderung als „Idee“ bezeichnet, bestätigt die Vorstellung, mehrere Sprachen zu beherrschen, als positiven Horizont, führt jedoch nicht aus, warum sie diese „ganz schön“ findet. Als negativen Gegenhorizont nennt sie jedoch, wie bereits CWS1 zu Beginn der Passage, den verpflichtenden Charakter. Als Begründung für diese Haltung bringt sie das Kriterium der Messbarkeit und Evaluation im Zusammenhang mit Sprachen ins Spiel, da nicht überprüfbar sei, inwieweit die Menschen die Forderung des Europarats auch wirklich erfüllen würden, d. h., nicht gesellschaftliche, institutionelle oder kulturelle Faktoren werden als mögliche Ursachen für Umsetzungsschwierigkeiten angeführt, sondern die Überprüfbarkeit. Betrachtet man den Diskursverlauf bis zu diesem Punkt, kann festgehalten werden, dass sich die Mädchen weitgehend einig über die Befürwortung der Forderung „Muttersprache plus zwei“ sind. Dennoch lassen sich keinerlei Belege oder Beispielerzählungen für diese Haltung finden. Stattdessen werden eher die (eigenen) fehlenden Umsetzungsmöglichkeiten genannt, sodass individuelle Mehrsprachigkeit als schöne Idee oder ein gutes System betrachtet wird, ohne dass es jedoch Konsequenzen für das eigene Sprachenlernen hat. Infolge dieser scheinbar wenig stabilen Orientierung wendet sich erstmalig eine Schülerin gegen die bis dahin vertretenen Positionen der Gruppe. <?page no="155"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 155 CWS5: Ja, also ich dachte, der Sinn der Sache ist ja bestimmt, dass eben sich alle auf der Welt besser unterhalten können oder sowas. Aber heutzutage lernt ja sowieso fast in jedem Land jeder Englisch, deswegen können ja fast alle Englisch und man kann sich einfach auf Englisch unterhalten, dann braucht man eigentlich nicht noch die Sprache, die sie eigentlich sprechen. I: (…) Was sagen die anderen dazu? CWS4: (…) Also ich finde, generell ist das keine schlechte Idee, aber für UNS/ Wir haben ja einen Vorteil dafür, dass wir in die Schule gehen und das lernen und WIR haben ja schon Schwierigkeiten, jetzt so fließend reden zu können. Ich glaube, das können hier die wenigsten von uns. Und wenn das jeder können muss/ Für andere ist das ja noch schwieriger, weil die Zeit fehlt. Und auch generell sich das selbst beizubringen, ist ja auch nicht so einfach. [55-68] CWS5 bringt einen neuen propositionalen Gehalt ein, indem sie auf die Bedeutung von Englisch als lingua franca verweist. Sie bezieht sich dabei jedoch nicht auf die europäische Ebene, sondern auf die ganze Welt. Der „Sinn der Sache“ - womit sie die Forderung „Muttersprache plus zwei“ meinen dürfte - bestehe aus ihrer Sicht darin, dass sich alle Menschen besser miteinander verständigen können. Dazu reiche allerdings das Englische, was als „einfach“ konnotiert ist. Die Totalität und Absolutheit, die der englischen Sprache hier beigemessen wird („fast in jedem Land jeder Englisch“, „fast alle“), führt dazu, dass weitere Sprachen scheinbar unnötig werden und keine andere Sprache als lingua franca in Frage kommt. Die Annahme, Englisch mache es überflüssig, die jeweilige Landessprache zu beherrschen, zeigt, dass die kulturelle Dimension von Sprache nicht erkannt wird und CWS5 ein sehr funktionales Verständnis von Sprache verinnerlicht hat. Ohne dass CWS4 auf den Beitrag von CWS5 eingeht, wiederholt sie - zum Teil wörtlich - verschiedene Aspekte, die von anderen Schülerinnen bereits genannt wurden. Sie spricht überwiegend in der ersten Person Singular („ich finde“, „Ich glaube“) und Plural („für UNS“, „WIR haben“, „die wenigsten von uns“), insgesamt bleiben ihre Äußerungen jedoch auf einer verallgemeinernden Ebene und ohne neuen Orientierungsgehalt. Auf ihre Äußerung wird in der Folge auch nicht eingegangen, stattdessen bestimmt der vorhergehende Beitrag von CWS5 den weiteren Diskurs. CWS1: Das stimmt eigentlich nicht so ganz, weil also ich kenne viele Leute, die kein Englisch können und auch in der Schule waren und das gelernt haben, aber es wie wir, denke ich mal, Spanisch auch nicht mehr wirklich später in kaum zehn Jahren können wirklich. Es gibt, ich <?page no="156"?> 156 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens denke mal, der Großteil der Bevölkerung kann schon Englisch, also man kann sich verständigen, aber halt dann jetzt von auszugehen halt, dass die ganze Welt wirklich Englisch kann und dass man jetzt, egal, wo man hinreist, sich verständigen kann, ist halt ein bisschen schwerer und ich glaube eher so gerade Indien, China, also die haben ja da auch (.) Mandarin? und Indien hat ja eigene Sprachen. (lacht) Auf jeden Fall, ich glaube da, dass man sich da vielleicht jetzt auch gerade, weil da halt das System anders ist oder die Schulen, dass man sich da vielleicht nicht gerade mit vielen Leuten auf Englisch unterhalten kann. CWS7: Ja, aber man lernt ja dann nicht gleich Chinesisch (lachend) oder? CWS1: Naja, die wachsen halt/ (lachend) Ich meine zum Beispiel Indonesien halt. Da wächst man jetzt mit (.) °Indonesisch°? Das ist doch die Sprache da, oder? (W? : Mhm (bejahend)). Ja. Und ich glaube, viele/ Also es gibt ja viele Kinder, die jetzt nicht zur Schule gehen oder so, die halt Englisch niemals lernen werden. [74-91] Es folgt eine oppositionelle Äußerung von CWS1, die der These widerspricht, dass alle Menschen Englisch können. Sie führt dabei als Beispiel Personen an, die sie selbst kennt und die, obwohl sie Englisch in der Schule gelernt haben, es nach „kaum zehn Jahren“ nicht mehr beherrschen. Sie prognostiziert das Gleiche für die eigene Lerngruppe, wobei sie nicht nur von sich selbst spricht, sondern von „wir“ und damit für alle annimmt, dass sie Spanisch nicht mehr beherrschen werden. CWS1 stimmt zu, dass für große Teile der Bevölkerung durchaus gilt, sich mit Englisch verständigen zu können; damit bestätigt sie auch als Orientierungsgehalt die lingua franca Englisch. Dennoch gibt sie zu bedenken, dass dies in einigen Teilen der Welt nicht selbstverständlich sei. Mit Indien und China, die sie beispielhaft aufzählt, ist sie sich zwar nicht sicher, generalisiert aber, „gerade, weil da halt das System anders ist oder die Schulen, dass man sich da vielleicht nicht gerade mit vielen Leuten auf Englisch unterhalten kann“. Nach der rhetorischen Frage von CWS7, man lerne „ja dann nicht gleich Chinesisch (lachend)“, versucht CWS1 durch eine Exemplifizierung erneut, ihre zuvor getätigte Äußerung zu belegen. Die Wahl der Länder, die sie hier und auch zuvor tätigt, zeigt jedoch, dass es ihr nicht um einzelne Fallbeispiele geht. Denn sie ist sich gar nicht sicher, wie die Sprachensituation in den einzelnen Ländern wirklich aussieht. Hier dokumentiert sich, dass sie das Thema Sprachenlernen in anderen Ländern ebenso wie in Deutschland an die Institution Schule rückbindet bzw. in deren Verantwortungsbereich rückt und Schule als zentralen Ort betrachtet, der Sprachenlernen ermöglicht. Außerhalb der Schule <?page no="157"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 157 scheint sie hingegen keine Möglichkeiten zu sehen, Sprachen zu lernen bzw. Spanisch anzuwenden. Bevor die Passage endet, entfaltet sich eine dialogische Gesprächssituation zwischen CWS6 und CWS1, in der Letztere versucht, ihre Meinung zu verteidigen, dass das Beherrschen der englischen Sprache nicht überall auf der Welt eine Selbstverständlichkeit darstelle. CWS6 erzählt von ihren Eltern und deren Aufenthalt in Frankreich, welche sie als Beispiel dafür anführt, dass man sich auch ohne Englisch oder die Landessprache verständigen kann. CWS6: Ja, aber die haben/ CWS1: Weißt du, was ich meine? CWS6: Ja, aber die haben dafür ja eine andere Sprache gelernt, zum Beispiel meine Eltern, die können auch kein Englisch, die können nur Russisch, meine Mutter kann auch (Polnisch? ) noch dazu und Latein. CWS1: Ja schon klar, aber es ging ja halt da drum, weil (Name von CWS5) ja meinte, dass man sich halt auch mit Englisch dann überall eigentlich unterhalten kann. Weil es eigentlich jeder/ CWS6: Ja, aber man kriegt es ja trotzdem irgendwie hin. Meine Eltern waren in Frankreich, da kann eh die Hälfte kein Englisch (Lachen) und/ CWS1: Aber das meine ich ja. Dass halt nicht jeder Englisch kann. CWS6: Ja und da haben die sich auf Polnisch unterhalten oder auf Deutsch, da wirst du halt mit Deutsch doof angeguckt wegen Frankreich und so. Aber (lacht) es geht ja trotzdem. CWS1: Ja, das meinte ich ja, dass halt, wie du gerade gesagt hast, dass das in Frankreich zum Beispiel jetzt nicht so viele Englisch können. CWS10: Also ich finde es gut, dass wir so eine Weltsprache haben, weil es ja auch eigentlich/ Also Englisch, das finde ich jetzt nicht so schwer, aber ich finde, so gehen auch teilweise einige Sprachen einfach verloren und das sollte es eigentlich nicht geben. [96-117] Es fällt auf, dass die Beiträge der beiden Sprecherinnen zunächst oppositionell scheinen, sie jedoch eigentlich aneinander vorbeireden; deutlich wird dies durch die häufige Verwendung der Zustimmungspartikel „ja“, begleitet von der Konjunktion „aber“, in deren Folge Einwände hervorgebracht werden. Beide Mädchen vertreten letztlich die Ansicht, dass man sich auch ohne die englische Sprache verständigen könne. Während für CWS1 von Beginn an klar ist, dass sie sich diesbezüglich einig sind, bestätigt CWS6 ihre Zustimmung nicht. Stattdessen beendet CWS10 die Passage mit einer thematischen Konklusion, die durch Brüche gekennzeichnet ist, aber als abschließende Bekräftigung der Orientierung der Gruppe gelesen werden kann. Ohne dass sie ihre Aussage begründet, äußert sie sich positiv in Bezug auf das Englische als Weltsprache. Damit bekräftigt sie <?page no="158"?> 158 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens zunächst die Bedeutung von Englisch als lingua franca , wobei aus ihrer Aussage „gut, dass wir so eine Weltsprache haben“ nicht hervorgeht, ob sie sich auf den gesellschaftlichen oder den schulischen Kontext im Sinne des Lernens bezieht. Gleichzeitig schätzt sie Englisch als „nicht so schwer“ ein, was sich sehr wahrscheinlich auf die Lernbarkeit der Sprache bezieht. Hier wäre denkbar, dass sie implizit andere Sprachen als Vergleichshorizont heranzieht, die sie potenziell oder aufgrund eigener Erfahrungen, z. B. mit dem Lernen des Spanischen, als schwerer beurteilt. Gleichzeitig weist sie auf die Grenzen oder Gefahren des Englischen als Weltsprache hin, da es andere Sprachen gefährde. Mit der Ablehnung einer zu starken Dominanz des Englischen zeigt sich ein negativer Gegenhorizont als Orientierungsgehalt. Unklar bleibt jedoch, ob sie eine Bedrohung in Bezug auf die Existenz oder das Erlernen anderer Sprachen vermutet und worin sie diese begründet sieht. Wahrscheinlich ist, dass sie sich mit dem Adverb „so“ auf einen der beiden vorher genannten Aspekte bezieht und damit als mögliche Ursache entweder meint, dass Englisch leichter zu erlernen sei oder dass es sich um eine Weltsprache handelt. 5.2.3 „Einfach ein Fach“ - Haltungen zum Fach Spanisch Die zweite Frage der Interviewerin zielt darauf ab, den Stellenwert, den die Schülerinnen Spanisch beimessen, zu erkunden. Um eine größtmögliche Offenheit zu gewährleisten und eigene Relevanzsetzungen der Lernenden zuzulassen, wurde bewusst nicht konkretisiert, ob sie sich dabei auf die Sprache oder den Unterricht beziehen. Damit waren sowohl Antworten denkbar, die sich bspw. auf außerunterrichtliche oder berufliche Perspektiven beziehen, als auch Antworten den aktuellen Spanischunterricht betreffend. I: (…) Gut, dann kommen wir vielleicht zu der Sprache, die Sie jetzt hier als zweites lernen, nämlich Spanisch und mich würde interessieren, was bedeutet es für Sie, so Spanisch zu lernen? CWS9: Das ist eigentlich nur noch ein Muss, (lachend) muss ich ehrlich sagen. (Lachen) Also anfangs ging man schon mit Elan rein, aber ähm (.) wir hatten jetzt mehrere Lehrerwechsel und jeder Lehrer wollte dann irgendwie was anderes und hat erwartet, dass man das schon können MUSS und so sind halt über die Jahre einige Lücken entstanden, die manche Lehrer dann einfach nicht verstehen und einfach drauf aufbauen, obwohl da eigentlich gar nichts ist und deswegen ist das eigentlich nur noch (.) ein Fach, wo man hingehen muss und (.) das einfach abwählt. So ist es jetzt für mich. <?page no="159"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 159 CWS7: Ja, also ich glaube, wenn das/ Ich weiß jetzt nicht, wie es den anderen geht, aber bei uns sind/ Also in unserem früheren Spanischkurs war es halt so, dass wir wirklich sehr oft Lehrerwechsel hatten und dadurch halt auch irgendwie immer so das Thema immer hintendran gerutscht ist und man dann auch irgendwie mit dem Niveau irgendwie immer weiter nach hinten gerutscht ist, weil man einfach so viel aufholen musste mit jedem Lehrer dann nochmal und dadurch ist das alles irgendwie verlorengegangen auch irgendwie so ein bisschen der Spaß dran. (.) Ja.[119-139] Durch die Schülerin CWS9 wird das Thema unmittelbar im schulischen Rahmen verortet, sodass auch im weiteren Verlauf der Passage vor allem die Bedeutung des Faches Spanisch diskutiert wird. In ihrer Antwort wird deutlich, dass CWS9 auf die Frage negativ Bezug nimmt, also darauf eingeht, inwiefern Spanisch für sie keinerlei Bedeutung (mehr) hat. Damit wendet sie sich von dem Fach, das sie abwählen wird und zu dem sie sich insofern nur noch gezwungen sieht, ab. Es zeigt sich, dass sich diese Abwendung als Prozess vollzogen haben muss, da sie zahlreiche temporale Bezüge herstellt („über die Jahre“) und dabei zwischen „anfangs“ und „nur noch“ unterscheidet: Von dem „Elan“, mit dem sie den Anfangsunterricht verbindet, ist im Laufe der Zeit nichts mehr übrig geblieben. Insofern leitet die Konjunktion „aber“ unmittelbar den Bruch bzw. die Veränderung ein. Als Ursache dafür nennt sie die häufigen Lehrerwechsel, da mit den verschiedenen Lehrkräften auch jeweils unterschiedliche Erwartungen einhergehen. Aus ihrer Sicht besteht das Hauptproblem in der Diskrepanz zwischen lehrerseitig erwarteter und tatsächlicher Kompetenz der Lernenden. Das Anknüpfen an nicht vorhandenes Vorwissen („einige Lücken“, „obwohl da eigentlich gar nichts ist“) geht mit der Enttäuschung darüber einher, dass die Lehrpersonen Lücken nicht erkennen und entsprechend berücksichtigen. Auf der sprachlichen Ebene wird dies durch die zweimalige Verwendung der Partikel „einfach“ emotional verstärkt. Während sie in ihrem Beitrag zunächst generalisierend auf das Indefinitpronomen „man“ zurückgreift, wechselt sie am Ende in die erste Person Singular („So ist es jetzt für mich.“). Dies könnte ein Anzeichen dafür sein, dass sie bewusst nur für sich spricht, in dem Wissen, dass hier keine kollektiv geteilten Erfahrungsbestände vorliegen. Dennoch erfolgt durch CWS7 eine Validierung des vorangegangenen Orientierungsgehalts, d. h., Lehrerwechsel werden auch von ihr als Problem dargestellt, von dem sie sich negativ abgrenzt. Gleichzeitig differenziert sie hier zwischen zwei Gruppen, nämlich einem <?page no="160"?> 160 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens „uns“, zu dem sie sich selbst zählt, und „den anderen“, über sie sie jedoch keine Aussage treffen kann, da diese offenbar in Bezug auf das Thema Lehrerwechsel über ein anderes Erfahrungswissen verfügen. Dennoch spricht sie generalisierend bzw. für einen Teil der Lerngruppe („wir“, „man“) davon, dass neben den bereits genannten Aspekten „auch irgendwie“ Thema und Niveau „hintendran gerutscht“ bzw. „weiter nach hinten gerutscht“ seien. Die parallele Satzstruktur und auch die ähnliche Wortwahl sind hier besonders auffällig. Es entsteht der Anschein, dass beide Aspekte eng miteinander verbunden sind und als unmittelbare Folgen der zahlreichen Lehrerwechsel wahrgenommen werden. Während das Verb „rutschen“ eigentlich eine Abwärtsbewegung nach unten impliziert, verwendet CWS7 das Adverb „hinten“. Es liegt nahe, dass sie damit auf Lerninhalte rekurriert, die allmählich in den Hintergrund geraten sind, und darauf, dass sich gleichzeitig das Lernniveau bzw. der Lernstand der Klasse kontinuierlich verschlechtert hat. An dieser Stelle häuft sich der Einsatz des Adverbs „immer“, was dazu führt, dass ihre Aussage einen verallgemeinernden Charakter bekommt und der Eindruck entsteht, als habe dieses Gefühl angedauert oder sich häufig wiederholt. Obwohl sie - anders als die Schülerin CWS9, die darüber klagt, dass vorhandene Lücken nicht thematisiert werden - dafür die Notwendigkeit verantwortlich macht, Lerninhalte aufholen zu müssen („so viel aufholen musste mit jedem Lehrer dann nochmal“), führt der Unmut darüber auch bei ihr dazu, dass der Spaß verloren gegangen sei. Ihre Erklärung ist dabei gekennzeichnet durch die häufige Verwendung des Adverbs „irgendwie“ („irgendwie immer so das Thema“, „irgendwie mit dem Niveau“, „irgendwie immer weiter nach hinten“, „alles irgendwie verlorengegangen“, „auch irgendwie so ein bisschen der Spaß dran“), so als könne sie selbst nicht mehr genau nachvollziehen, wie es dazu kam. CWS10: Also ich sehe Spanisch jetzt nicht so wirklich als Last, obwohl es vielleicht jetzt nicht immer Spaß macht im Unterricht oder so. Also ich werde auch Spanisch weitermachen in der zwölf, weil mir Naturwissenschaften einfach nicht liegen. Und deswegen bin ich auch eher so der Sprachentyp und deswegen machen mir die Sprachen auch viel mehr Spaß. CWS11: Ja, also für mich ist es eigentlich was ganz/ Also es ist ein ganz netter Zusatz. (Lachen) Man kann so die Grundsachen, das ist ganz schön, aber ähm (zeigt und schaut zu CWS10) wie du jetzt schon gesagt hast, du hast jetzt bei den Naturwissenschaften bisschen Probleme, <?page no="161"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 161 machst dann eher Sprachenbereich. Bei mir ist es so, mir liegen die Naturwissenschaften und dann denke ich mir: Okay, ich mache Englisch weiter, das kann ich und dann brauche ich Spanisch da nicht. Also es/ Ja, es ist ganz nett, ich kann es ein bisschen, aber ich muss es jetzt nicht weitermachen. CWS6: (..) Für mich ist es eine Zeugnisnote. Hauptsache durch. (Lachen) CWS9: Das dachte ich mir auch. (Lachen) [139-154] Auch CWS10 verbleibt im weiteren Diskursverlauf innerhalb des schulischen Rahmens, ihr Beitrag verhält sich jedoch oppositionell zu den vorausgegangenen. Sie wendet sich davon ab, dass Spanisch eine Last sei, wobei dies so wörtlich zuvor nicht gesagt wird und es sich damit um ihre Interpretation der vorherigen Beiträge handelt. Während der Prozess der fachbezogenen Abwendung zuvor mit dem Spaß beim Spanischlernen in Verbindung gebracht wird, bestätigt sie diesen Zusammenhang nicht, geht aber auch nicht näher darauf ein, welche Bedeutung Spanisch für sie hat. Stattdessen erfolgt eine Relevanzsetzung, das Thema Abwahl der zweiten Fremdsprache betreffend. Im Gegensatz zu CWS9 gibt sie an, Spanisch weiter zu lernen, wobei sie nicht damit argumentiert, dass sie das Fremdsprachenlernen sinnvoll findet, sondern damit, dass ihr die Naturwissenschaften nicht liegen. Es handelt sich insofern um eine Form der Vermeidung, der die Entscheidung zugrunde liegt, Spanisch weiterzuführen, um etwas anderes nicht belegen zu müssen. Auch ihre Selbsteinschätzung („eher so der Sprachentyp“) beruht auf dieser Argumentation, denn sie schlussfolgert diese aus der Tatsache, dass ihr „Naturwissenschaften einfach nicht liegen“. Diese Einteilung deutet hier auf eine diametrale Vorstellung bestimmter Neigungen oder Eignungen hin, die sich aus ihrer Sicht gegenseitig ausschließen und letztlich auch den Spaß am Lernen des jeweiligen Gegenstands beeinflussen („deswegen machen mir die Sprachen auch viel mehr Spaß“). Diese Auffassung wird durch die Schülerin CWS11 bestätigt. Auch sie trifft die Entscheidung gegen Spanisch aufgrund ihrer naturwissenschaftlichen Neigung. Trotz ihrer prinzipiell positiven Haltung („ein ganz netter Zusatz“, „es ist ganz nett“) setzt sie Spanisch in der Oberstufe nicht fort („aber ich muss es jetzt nicht weitermachen.“). Die Ausschließlichkeit der beiden Bereiche Sprachen und Naturwissenschaften, die sich hier in den Äußerungen der Schülerinnen dokumentiert, scheint durch die vorgegebenen Wahlbzw. Abwahlmöglichkeiten noch begünstigt und verstärkt zu werden, da die Lernenden dieses Entweder-oder als Orientierungsgehalt implizit reproduzieren. Anhand des Vergleichs mit dem Fach Englisch lässt sich ablesen, dass dieses eine zusätzliche Konkurrenz für das Spanische darstellt und auch hier wieder die Selbsteinschätzung der <?page no="162"?> 162 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens eigenen Kompetenz ausschlaggebend für die Wahl bzw. Abwahl ist. Während sie sich selbst im Englischen bereits als kompetent bewertet („das kann ich“), fällt ihre Einschätzung für das Spanische deutlich geringer aus („Man kann so die Grundsachen“, „ich kann es ein bisschen“). Daraus schließt sie, das Spanische nicht zu brauchen, so als mache das Beherrschen der einen Sprache die andere überflüssig. Dabei bleibt offen, ob sie sich auf das Spanische als Kurs oder Sprache bezieht, d. h. darauf, dass das Kurssystem keine obligatorische zweite Fremdsprache vorsieht oder sie keine Notwendigkeit einer zweiten Fremdsprache für ihre Zukunft sieht. CWS6 reduziert die Sprache in ihrer Bedeutung noch weiter, indem sie diese nicht mehr als Fach betrachtet, sondern Spanisch mit einer Zeugnisnote gleichsetzt. Damit spricht die Schülerin ihr nicht nur jede Relevanz und Funktion in außerschulischen Zusammenhängen ab, sie negiert auch jegliche Zielsetzungen beim Erlernen der Sprache, die über das Durchkommen hinausgehen. Dass sie mit dieser Haltung keine Einzelmeinung vertritt, zeigt die Validierung durch CWS9, deren Aussage als vollkommene Zustimmung betrachtet werden kann. Nachdem sich die Schülerin CWS1 noch einmal nach der Ausgangsfrage erkundigt hat, folgt eine kurze dialogische Sequenz mit CWS9, die durch die erste Aussage von CWS1 indirekt angesprochen wird. CWS1: Können Sie die Frage noch einmal wiederholen? I: Was es für Sie bedeutet, Spanisch zu lernen. (Lachen) CWS1: (…) Also ich mag die Sprache. Deswegen kann ich jetzt nicht sagen, dass es für mich zum Beispiel wie bei der CWS9 halt jetzt unbedingt eine Last ist oder so. CWS9: Nein, nein. Last ist es ja nicht unbedingt. (Lachen) Ich sage ja einfach nur, dass es für mich einfach ein Fach ist. Also ich habe jetzt keinen besonderen Spaß. CWS1: Ja, das meine ich halt. CWS9: Es ist einfach ein Fach, wo ich eine gute Note haben will und gut ist. CWS1: Ja, also mir macht halt die Sprache Spaß und deswegen will ich es auch halt weitermachen wie die CWS10. Und ich finde es halt eigentlich (.) ganz schön, die Sprache zu sprechen, also mir macht das eigentlich auch Spaß, je nachdem auch halt, wie jetzt der Unterricht abläuft, also was man jetzt gerade behandelt oder so. (..) Aber an sich finde ich eigentlich schon ganz (.) gut. Ich weiß nicht, habe ich die Frage beantwortet? [156-174] Die Art und Weise, wie die beiden Schülerinnen hier aufeinander Bezug nehmen, zeigt, dass sich hier kein gemeinsamer Orientierungsgehalt finden lässt. <?page no="163"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 163 Während CWS9 bei ihrer Haltung bleibt, Spanisch sei für sie nur ein Fach, an dem sie „keinen besonderen Spaß“ habe und mit dem sie sonst nichts verbinde, bewertet CWS1 die Sprache außerhalb des schulischen Rahmens. Sie sagt, dass sie Spaß am Spanischen habe und es schön finde, die Sprache zu sprechen, d. h., die Bedeutung der Fremdsprache wird hier im Gegensatz zu den vorangegangenen Beiträgen in außerunterrichtlichen Zusammenhängen verhandelt. Spanisch ist hier mehr als ein Fach, sodass auch die Fortführung der Fremdsprache nicht in Verbindung mit dem Unterricht steht. Der Spaß ist zwar auch abhängig davon, welche Themen im Unterricht behandelt werden, aber die grundsätzliche Haltung gegenüber der Sprache ist so positiv, dass die Wahrnehmung des Unterrichts relativiert wird. I: Ja, wenn Sie von der Frage abweichen, ist auch kein Problem. Mir geht es einfach nur darum, dass Sie ins Gespräch kommen und (.) ich ein bisschen was erfahre. CWS8: Ich meine, es ist ja ganz schön, wenn man das mal gelernt hat und so ein paar Sachen zum Beispiel in Liedern oder so versteht oder wenn man nach Spanien geht so sagen kann: "Mama, ich kann uns da vielleicht ein BISSCHEN (lachend) durchbringen, durch das Land", aber jetzt auch nicht so sonderlich. Aber jetzt ist das ehrlich gesagt, auch nur noch ein Fach für mich, das ich brauche, um das Abi irgendwie zu (lachend) bestehen, weil ich wahrscheinlich die (lachend) anderen Naturwissenschaften abwählen werde. CWS7: Ja, also ich meine, die Sprache an sich ist ja schön und es hat mir auch ein bisschen geholfen, als ich in Mexiko war, dass man sich da irgendwie ein bisschen verständigen konnte, aber da war es halt/ (.) Ich habe mich damals mit einem Taxifahrer unterhalten und man (lachend) hat halt gemerkt, dass der irgendwie bei jedem zweiten Wort gelacht hat und ich saß dann da so, dachte mir so (lachend): Ja, so schlecht kann es jetzt eigentlich nicht sein. (Lachen) Aber es ist halt auch, ja, schön, dass man halt weiß, dass man vielleicht so ein paar Grundlagen kann, um sich irgendwo noch zu verständigen. [178-194] Für CWS8 scheinen in Bezug auf die Bedeutung des Spanischen beide Sphären - die schulische als auch die außerschulische - eine Rolle zu spielen. Einerseits beurteilt sie die Sprache als „ganz schön“ und nennt Beispiele für deren kommunikativen Nutzen auf verschiedenen Ebenen: Sie sieht einen Mehrwert, Lieder verstehen zu können oder als Sprachmittlerin im Zielsprachenland für die Mutter zu agieren - Erfahrungen, die sie vermutlich selbst schon gemacht hat und die hier als ein Streben nach kommunikativer Partizipation einen positiven Horizont bilden. Ihre Selbsteinschätzung in Bezug auf die eigene Kompe- <?page no="164"?> 164 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens tenz ist dabei trotzdem eher defizitorientiert („ein paar Sachen“, „vielleicht ein BISSCHEN“, „nicht so sonderlich“), ohne dass sie begründet, warum sie sich so einschätzt. Gleichzeitig deutet sich auf der sprachlichen Ebene an, dass sich die Bedeutung des Spanischen für sie im Laufe der Zeit verändert haben muss, wenn sie von „[a]ber jetzt“ bzw. „nur noch ein Fach“ spricht. Insofern reduziert auch sie diese auf ein Fach, das für das Bestehen des Abiturs notwendig ist. Ihre Entscheidung für Spanisch ist insofern eigentlich eine gegen die alternativ zur Auswahl stehenden Naturwissenschaften. Auch bei CWS7 dominiert ein defizitorientierter Blick auf die eigenen sprachlichen Kompetenzen im Spanischen. Sie erzählt von einem Erlebnis in Mexiko, bei dem sie das Lachen des Taxifahrers auf die Qualität ihrer sprachlichen Äußerungen bezieht. Obwohl sie eigentlich zufrieden mit der eigenen sprachlichen Leistung scheint, lässt sie sich von dem Lachen verunsichern und hinterfragt als Reaktion darauf ihr Sprachniveau („Ja, so schlecht kann es jetzt eigentlich nicht sein“). Ihr Fazit beansprucht schließlich finale Qualität und kann damit als thematische Konklusion der Passage gelesen werden. Indem sie das Beherrschen von „so ein paar Grundlagen“ als schön bewertet, diese Aussage jedoch von relativierenden Adverbien und Partikeln („vielleicht“, „irgendwo“, „halt“) begleitet wird, bringt sie einen zentralen Orientierungsgehalt auf den Punkt: Die Selbsteinschätzung der Schülerinnen geht nicht über ein grundlegendes Niveau hinaus. Die eigene Kompetenz wird eher als defizitär eingeschätzt, womit sich die Gruppe jedoch offenbar zufriedengibt, ohne nach einer Verbesserung zu streben. 5.2.4 „Man kann so selbst aussuchen, was man wie macht“ - positive Unterrichtserlebnisse im Spanischunterricht Um die Prozesse, welche die Bezugnahme zum Fach Spanisch beeinflussen, noch genauer zu ergründen, richtet sich eine immanente Nachfrage der Interviewerin auf die damit einhergehenden Unterrichtserlebnisse. Mit der Fokussierung von Erlebnissen, die besonderen Spaß bereitet haben, soll zunächst eine Ausschärfung dessen vorgenommen werden, was von der Gruppe als positiv wahrgenommen wird. I: (…) Sie haben davon gesprochen, dass der Spaß teilweise verlorengegangen ist beziehungsweise Sie haben gesagt: "Naja, das kommt darauf an, was im Unterricht gemacht wird." Also was macht denn im Spanischunterricht Spaß? Wenn Sie so zurückdenken? CWS6: °(Gruppenarbeit? )°(Lachen) I: Sagen Sie es laut. <?page no="165"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 165 CWS6: (lachend) Gruppenarbeit. I: Gruppenarbeit? Aha. CWS7: Ja, auch irgendwie halt so Themen mit halt Spaß irgendwie bearbeiten, halt nicht, dass das so strikt ist so: die Grammatikübung, die Grammatikübung, sondern einfach irgendwie so lernen mit (lachend) Spaß halt. (..) Hört sich so kindergartenhaft an, aber das ist halt einfach so, dass man dadurch halt mehr Interesse dran hat, weil das nicht einfach so(.) einfach nur schwarz auf weiß irgendwas ist, sondern man das halt einfach wirklich lernt mit °Freude°. [196-213] Als propositionaler Gehalt wird von CWS6 das Thema Gruppenarbeit eingebracht, das jedoch von den Mitschülerinnen zunächst nicht weiterbearbeitet und erst später erneut aufgegriffen wird. Stattdessen stellt CWS7 Spaß bei der Bearbeitung von Themen als erstrebenswert heraus. Ohne dass sie genau benennt, wie dieser Spaß hergestellt werden könne („irgendwie“), scheint dennoch die Art und Weise, wie die Unterrichtsinhalte erarbeitet werden, für die Freude am Lernen relevanter als das Thema selbst. Grammatikübungen, die als strikt wahrgenommen werden, grenzt sie davon negativ ab, sodass das strenge, auf sprachliche Korrektheit ausgerichtete, formbezogene Üben von Grammatik als Beispiel für Unterricht herangezogen wird, der keinen Spaß bereitet und die Freude am Lernen verhindert. Trotzdem gilt Spaß für sie als wichtige Voraussetzung für Interesse. Für diese Haltung rechtfertigt sich CWS7, denn Spaß wird als etwas dargestellt, was scheinbar in der Schule keinen Platz hat, sondern eher im Kindergarten verortet wird („Hört sich so kindergartenhaft an“). Es folgen verschiedene Beispiele von Enaktierungen, die zum Teil auf vergangenen Unterricht zurückgehen, aber auch allgemeingültige Vorschläge sind, wie aus der Sicht der Schülerinnen Spaß im Unterricht gewährleistet werden kann. CWS6: Länderbezogen, oder? Also mir hat am meisten länderbezogen Spaß gemacht, weil ich dann auch Interesse an dem Land gezeigt habe, zum Beispiel Mexiko oder so. Dann fiel es mir einfacher, für die Sachen Texte rauszuschreiben oder was dazu zu lernen. Aber hätten wir so normale Texte schreiben müssen, dann wäre die Lust auch schon (lachend) weggewesen. CWS1: Und halt Themen, die einen selbst vielleicht manchmal betreffen, also jetzt nicht irgendwelche, die jetzt, sagen wir mal, wo man vielleicht gar keine Verbindung mit sich selbst sieht, sondern halt was/ zum Beispiel Länder fand ich auch ganz interessant. Oder halt irgendwas Aktuelles, was man dann bearbeiten kann. CWS9: Ja, ich finde auch, also Grammatik gehört jetzt nicht unbedingt dazu (.) was Spaß macht. Man muss es halt machen, aber okay. Ich <?page no="166"?> 166 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens finde so Sachen wie jetzt zum Beispiel, was jetzt demnächst ansteht, machen wir so eine spanische Werbung, das finde ich eigentlich auch ganz interessant, weil das halt nicht so strikt jetzt am Unterricht ist, sondern auch so freies Arbeiten. Man kann so selbst aussuchen, was man wie macht und nicht einfach nur stumpf da sitzen und halt die Aufgaben machen, die der Lehrer einem gibt. (…)[215-231] Was CWS6 zunächst als Frage formuliert, kann als Exemplifizierung dessen betrachtet werden, was CWS7 zuvor noch unspezifisch beschreibt: Der Fremdsprachenunterricht mache dann Spaß, wenn landeskundliche Themen bearbeitet werden, da dies dazu führe, dass sie auch Interesse am Lerngegenstand - hier Mexiko - aufbringen könne. An dieser Stelle zeigt sich, dass sich diese Voraussetzungen auch positiv auf die Einstellung zum Lernen bzw. die Lernbereitschaft auswirken („Dann fiel es mir einfacher“). Denn ihrem Beispiel für eine positive Lernhaltung stellt sie das Schreiben „normale[r] Texte“ gegenüber, das ihr Unlust bereitet habe. Wenngleich hier offenbleibt, was sie unter normalen Texten versteht und was demzufolge unnormale Texte charakterisiert, zeigt sich, dass die Bearbeitung landeskundlicher Themen für sie etwas Besonderes im Spanischunterricht darstellt. Auch schülerrelevante, lebensnahe Themen werden genannt („Themen, die einen selbst vielleicht manchmal betreffen“), wobei die Schülerin CWS1 dafür kein konkretes Beispiel aus dem eigenen Unterricht benennt. Möglich ist, dass sie sich entweder bislang noch keine Gedanken darüber gemacht, welche Themen im Spanischunterricht für sie selbst relevant sind, oder aber, dass es keine besonderen Unterrichtserlebnisse gibt, die ihr in Erinnerung sind und angeführt werden könnten. Dennoch lehnt sie solche Themen ab, „wo man vielleicht gar keine Verbindung mit sich selbst sieht“. Auch hier bleibt offen, inwiefern es im Unterricht Erlebnisse gab, die dieser Haltung zugrunde liegen. Am Ende ihres Beitrags validiert CWS1 den zuvor aufgeworfenen Orientierungsgehalt, dass die Bearbeitung landeskundlicher Themen als Möglichkeit für Spaß im Fremdsprachenunterricht betrachtet wird. Außerdem nennt sie aktuelle Themen als weiteres Beispiel, erläutert jedoch auch hier nicht näher, was sie darunter im Einzelnen genau fasst. Bezugnehmend auf den ersten Beitrag der Passage grenzt sich auch CWS9 negativ von Grammatik im Spanischunterricht ab, wobei sie gleichzeitig hinzufügt, dass man es „halt machen“ müsse. Darin dokumentiert sich eine Akzeptanz auch derjenigen Unterrichtsinhalte, die zwar weniger oder keinen Spaß machen, jedoch als obligatorisch und notwendig erachtet werden. Das positive Beispiel („eine spanische Werbung“) bewertet sie als „interessant“. Obwohl sie sich auf andere Unterrichtsinhalte bezieht, stellt sie damit bereits zum zweiten Mal - <?page no="167"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 167 nach CWS6 - eine Verbindung zwischen Spaß und Interesse im Unterricht her, sodass für die Schülerinnen beide in einem engen Zusammenhang zu stehen scheinen. Sie begründet ihre Sicht damit, dass solche Unterrichtsinhalte „freies Arbeiten“ und eine größere Eigenverantwortung bzw. selbstständiges Arbeiten („selbst äh aussuchen, was man wie macht“) ermöglichen. Als negativen Gegenhorizont stellt sie demgegenüber ein Bild von Unterricht, der als „strikt“ charakterisiert wird und in dem aufgrund der seitens der Lehrkraft vorgegebenen Aufgaben keine Eigenaktivität möglich wird („einfach nur stumpf da sitzen“). Sie nimmt damit eine aktive Lernhaltung ein und erwartet vom Unterricht die Möglichkeit zur Partizipation und Autonomie. Aufgrund einer Pause greift die Interviewerin erneut in den Diskussionsverlauf ein und versucht anhand von drei immanenten Nachfragen weitere Belegerzählungen der Schülerinnen hervorzurufen. Das Aneinanderreihen mehrerer Fragen birgt die Gefahr, dass einige davon unbeantwortet bleiben. Anhand der nachfolgenden Beiträge zeigt sich jedoch, dass die Lernenden letztlich trotzdem auf alle drei Gesprächsimpulse Bezug nehmen. I: Mhm (bejahend). (…) Vielleicht können Sie mir noch ein bisschen genauer erzählen ähm, (.) was Sie schon gesagt haben, länderbezogen, also wie liefen diese Unterrichtseinheiten ab? Was war das Besondere daran, also was hat Ihnen Spaß gemacht? CWS7: Also bei dem einen hatten wir wieder Südamerika war das und da hatten wir eben/ Das war so eine Art Projektarbeit, also so eine Gruppenarbeit, wo man sich halt selber auch teilweise die Kultur eines jeweiligen Landes eben in Südamerika anschauen musste und da hat man halt eine Mappe dann fertiggestellt und konnte sich dadurch halt so das Land besser (.) zu sich bringen in dem Sinne. CWS10: Und wir mussten auch aus/ Also zudem auch noch/ Also ich glaube/ Ich weiß gar nicht, wann das genau war, aber Präsentationen machen. Auch wenn es auf Spanisch war, fand ich, hat das eigentlich trotzdem Spaß gemacht, weil man sich trotz/ Also man konnte sich ja mit dem Land auseinandersetzen, man musste halt nur die Texte auf Spanisch übersetzen, das war jetzt kein großes Problem für mich persönlich. [233-247] Durch die Erzählung von einer Unterrichtseinheit zum Thema Südamerika wird erneut ein landeskundliches Thema aufgegriffen und hier in Bezug auf die Unterrichtsmethode konkretisiert. Dass es sich dabei um eine Projektarbeit handelte, in der die Lernenden in Gruppen zusammengearbeitet haben, wird positiv bewertet, denn obwohl CWS7 davon spricht, dass die Kultur des jeweiligen Landes erarbeitet werden „musste“, und sie damit die Obligatorik hervorhebt, zeigt sich im Kontrast des Modalverbs „konnte“, dass sie diese Unterrichtseinheit als <?page no="168"?> 168 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens Möglichkeit begreift, sich selbstständig mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich auf diese Weise dem Land und seiner Kultur anzunähern. CWS10 validiert den aufgeworfenen Orientierungsgehalt, indem sie sich zwar an eine andere Unterrichtseinheit erinnert, in der Präsentationen erstellt werden sollten. Jedoch bestätigt sie Landeskunde als Themenbereich, der Spaß im Fremdsprachenunterricht mit sich bringt. Auch bei ihr ist es die individuelle Auseinandersetzung mit einem Land, die nicht als Verpflichtung, sondern Möglichkeit erkannt wird („man konnte sich ja mit dem Land auseinandersetzen“). Die Tatsache, dass sie den Spanischunterricht hier als freudvoll erlebt, scheint für sie eher unerwartet und ungewöhnlich („trotzdem Spaß gemacht“). An dieser Stelle wird implizit deutlich, dass sie Unterrichtsaktivitäten, die in der Zielsprache realisiert werden, eigentlich nicht mit Spaß verbindet. Für die Vorbereitung der Präsentation übersetzt sie Texte aus dem Deutschen ins Spanische, was sie für sich persönlich nicht als „großes Problem“ bewertet. Damit grenzt sie sich einerseits von der Gruppe ab. Gleichzeitig zeigt sich, dass hier das Erleben der eigenen Kompetenz im Unterricht mit einer positiven Unterrichtswahrnehmung einhergeht. CWS6: / / Ja/ / CWS1: / / Ich glaube/ / CWS6: Sorry, mach du. CWS1: Zur ähm/ Ja das Schönste war auch, dadurch, dass man in Gruppen gearbeitet hat, dass man halt nicht jeder für sich in Stillarbeit da das Ganze, also ich glaube, diese Länder bearbeiten musste, sondern dass man halt mit anderen reden konnte: Wie bauen wir das auf? Oder was ist das Interessante? Was tun wir jetzt in die Präsentation, was ist jetzt nicht so interessant und lässt man halt weg? CWS6: Ja und zu irgendwie/ Wir haben auch noch eine Städtepräsentation gemacht, das war damals auch ganz cool. Oder wir haben auch versch-/ Also bei Mexiko haben wir, glaube ich, angefangen: Was wisst ihr über Mexiko und dann halt eine Mindmap erstellt und dann wurden verschiedene Themen rausgepickt und dann konnten/ konnte man dazu arbeiten und dann halt mussten wir halt dann einfach/ weil man im Internet dann auch nachsuchen konnte und auch gleich auf spanischen Seiten, sodass man nichts übersetzen musste oder man deutsche Seiten und dann auf Spanisch übersetzt hat und das dann einfacher fiel, weil man selbst dann es besser verstanden hat, was der Text bedeutet. CWS10: Also ich glaube, generell kann man so sagen, dass das nicht so viel Spaß macht, wenn der Lehrer irgendwas erklärt und die Schüler schreiben es ab und lernen es dann, sondern einfach, wenn Lehrer und <?page no="169"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 169 Schüler sich so ein bisschen austauschen können und dann auch nochmal Schüler gemeinsam so ein bisschen arbeiten können, so. Und das macht so am meisten Spaß. [249-247] Auch im weiteren Verlauf der Diskussion dokumentiert sich das Einpendeln auf einen gemeinsamen Orientierungsgehalt deutlich. Es folgen Validierungen und Elaborationen durch CWS1 und CWS6, in denen das zuvor behandelte Thema weiterbearbeitet wird. Der Fokus auf landeskundliche Inhalte sowie das selbstständige Arbeiten in Gruppen werden von beiden Schülerinnen als positive Aspekte im Spanischunterricht bestätigt („Ja das Schönste war auch“). In dem Beitrag von CWS1 zeigt sich dies besonders deutlich anhand der konträren Verwendung der Modalverben „müssen“ und „können“: Während die Stillarbeit abgelehnt wird („musste“), steht dieser der Austausch mit anderen gegenüber („mit anderen reden konnte“). Die Möglichkeit, in kooperativer Zusammenarbeit gemeinsam, eigenverantwortlich und selbstständig Entscheidungen über die Gestaltung des anzufertigenden Produkts zu treffen, gilt für die Schülerinnen als erstrebenswert. Ähnlich wie die Schülerin CWS10 stellt auch CWS1 das Übersetzen von spanischen Internetseiten als für sie leichte Aufgabe dar und begründet dies damit, dass die deutschen Texte leichter zu verstehen seien. Doch auch das Recherchieren auf spanischen Seiten wird von ihr als Erleichterung erkannt, da „man nichts übersetzen musste“. In Bezug auf die Orientierung der Schülerinnen kann hier festgehalten werden, dass sie insbesondere Unterrichtserlebnisse als positiv erinnern, in denen Aufgaben leicht zu bewältigen erscheinen und sie sich selbst als kompetent erleben. Nachdem durch die Thematisierung unterschiedlicher Unterrichtseinheiten und damit über die verschiedenen Diskursbewegungen hinweg dieselben Orientierungsgehalte mehrfach wiederholt worden sind, schließt CWS10 die Passage mit einer thematischen Konklusion im Modus einer Generalisierung. Sie fasst noch einmal zusammen, dass lehrerzentrierte Formen des Unterrichtens abgelehnt werden und den Schülerinnen stattdessen neben einer ausgewogenen Lehrer-Schüler-Interaktion insbesondere das selbstständige und kooperative Arbeiten im Unterricht Spaß bereitet. 5.2.5 „Die haben halt ANDERS berichtet“ - muttersprachliche Lehrkräfte im Spanischunterricht Nach der vorangehenden Passage, in der die Schülerinnen über Aspekte diskutieren, die ihnen im Spanischunterricht Spaß bereiten, leiten sie - ohne dass es von der Interviewerin angestoßen wird - selbstständig ein neues Thema <?page no="170"?> 170 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens ein. Dabei erfolgt der Übergang so fließend, dass das neue Thema in gewisser Hinsicht als Elaboration noch immer im Zusammenhang mit positiven Unterrichtserlebnissen gelesen werden kann. CWS9: Also ganz am Anfang unserer Spanischzeit hatte ICH jetzt mit ein paar anderen noch Frau García und sie war halt selbst Spanierin. (.) Und so hatte sie uns auch immer so (.) ein bisschen so (.) TYPISCHE spanische Sachen erzählt, nicht so wie jetzt Lehrer, die jetzt zwar (lachend) Spanischlehrerin studiert haben oder sonstiges (.) ähm, die hat dann auch so, sage ich mal, Insider so gesagt wie das in ihrer Region ist und alles. Und das war eigentlich schon ganz spannend. I: Mhm. CWS10: Auch bei der gleichen Lehrerin kann ich mich erinnern, dass wir auch viel/ Also wir haben, glaube ich, Städte gemalt, um das dann auch zu beschreiben. Wir hatten Gedichte und alles und das ist auch einfach viel besser zu lernen, was wir jetzt bei den ganzen Lehrerinnen, die nur Spanisch gelernt hatten, nicht hatten. [319-331] CWS9 beginnt ihre Erzählung mit dem Verweis darauf, dass sie diesen Erfahrungsraum nur mit einigen Mitschülerinnen teilt und sie nur mit diesen aufgrund der gemeinsamen Spanischlehrerin durch gemeinsame Erlebniszusammenhänge verbunden ist. Indem sie sich an den Anfangsunterricht bei einer bestimmten Lehrperson erinnert und deren Muttersprachlichkeit als zentrales Merkmal hervorhebt, entwirft sie einen positiven Horizont. Die Muttersprache ermöglicht dieser Lehrerin „TYPISCHE spanische Sachen“ und „Insider“ in den Unterricht einzubringen, was die Schülerin als spannend und authentisch bewertet. Damit weist die Lehrkraft ein Alleinstellungsmerkmal auf, das sie von anderen Lehrkräften unterscheidet. Der Muttersprachlerin werden alle anderen Lehrpersonen gegenübergestellt, die Spanisch studiert haben. Durch das einschränkende Adverb „zwar“ zeigt sich, dass CWS9 das Studium nicht als Möglichkeit betrachtet, dieses Wissen zu erlangen bzw. zu kompensieren. Im Vergleich mit der muttersprachlichen Lehrkraft wird hier also ein Defizit postuliert. Dieser negative Horizont wird von der Schülerin CWS10 bestätigt. Auch aus ihrer Sicht weisen alle Lehrkräfte, die keine MuttersprachlerInnen sind („bei den ganzen Lehrerinnen“), ein Defizit auf, da sie „nur Spanisch gelernt“ haben. Daneben bewertet sie den Unterricht bei der Muttersprachlerin anhand verschiedener Beispiele („Städte gemalt“, „Gedichte und alles“) generalisierend als „viel besser zu lernen“. Die Muttersprache der Lehrerin scheint also für die Schülerinnen nicht nur spannender, sondern ebenso positive Effekte auf die wahrgenommene Lernbarkeit der Sprache zu haben. <?page no="171"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 171 Auch CWS1, die zwar in der Vergangenheit einer anderen Spanischlerngruppe als CWS10 und CWS9 angehörte und damit eigentlich nicht über ein geteiltes bzw. gemeinsames Erfahrungswissen verfügt, validiert hier trotzdem das gleiche Unterrichtserleben. CWS1: Ja, an der Stelle, also wir hatten bis jetzt auch drei Lehrerinnen und zwei von denen waren halt/ kamen aus Span- oder Lateinamerika beziehungsweise. Und ähm die kon- Also wir hatten die halt/ Drei, vier/ CWS6: (unv.) CWS1: Drei Jahre. Und dadurch ähm war es halt wie bei dem anderen Kurs, dass sie halt Insider oder/ Die haben halt ANDERS berichtet wie jetzt jemand, der das nur erlernt und der nur über halt das Land auch nur Informationen sammelt. Ist halt schon ein Unterschied, wenn man da aufwächst oder halt wirklich weiß, wie es da ist halt. Anstatt nur aus dem Internet das dann zu suchen. Und das war dann vorteilhafter, dass sie dann auch wirklich Landsleute waren. [335-346] Auch ihre Lerngruppe hatte in der Vergangenheit Spanischunterricht bei Muttersprachlerinnen. Infolge dieser Erfahrungen bestätigt CWS1 den Unterschied zwischen nicht-muttersprachlichen und muttersprachlichen Lehrpersonen, die CWS1 wie zuvor bereits CWS9 als „Insider“ sowie „Landsleute“ bezeichnet. Diese Lehrerinnen gelten also als Mitglieder einer Gruppe, die über ein spezifisches, authentisches Erfahrungswissen („wirklich“) und damit eine Expertise verfügt und der nicht-muttersprachliche Lehrkräfte insofern nicht angehören. Dem Aufwachsen im Ausland sowie dem Wissen darüber, „wie es da ist“, stellt sie das Sammeln von Informationen aus dem Internet gegenüber, sodass hier Erfahrungswissen mit einem angeeigneten Wissen konkurriert und nicht-muttersprachliche Personen dieses Defizit („nur erlernt“, „nur Informationen sammelt“, „nur aus dem Internet“) kaum oder gar nicht kompensieren können („nur“). Offenbar gelingt es nicht-muttersprachlichen Lehrkräften aus Sicht der Schülerinnen nicht ausreichend, persönliche Auslandserfahrungen in den Unterricht einzubringen, da ihr scheinbar ausschließlich angelesenes Wissen weniger überzeugend bewertet wird. Nach einer Rückfrage der Interviewerin, ob alle Schülerinnen bereits über Erfahrungen mit muttersprachlichen Lehrkräften verfügen, die von der Gruppe bejaht wird, folgt eine Elaboration von CWS7, die ihrerseits die gemeinsamen, strukturidentischen Erfahrungen mit muttersprachlichen Lehrkräften bestätigt, sodass hier insofern ein kollektiver Orientierungsgehalt vorliegt. <?page no="172"?> 172 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens CWS7: Ja, es ist/ war halt die/ Unsere erste Lehrerin war halt eben Muttersprachlerin, kam halt aus Spanien und da war es irgendwie auch, dass man, glaube ich, mehr Interesse gezeigt hat, weil man wirklich weiß, dass die Person von daher kommt und auch wirklich viel zu erzählen hat, was nicht nur die Sprache angeht, sondern auch die Kultur. Und bei den anderen Lehrern war es dann meistens so, dass es Referendare waren und die dann ihre Methoden mitgebracht haben und (genervtes Seufzen) dann immer/ (Gelächter) Also man merkt halt schon, wie das ankommt, weil es ist wirklich, dass dann mehr auf diese Methoden Acht genommen wird als wirklich auf das Thema. Und das ist dann eben das, was so verlorengegangen ist so ein °bisschen°. (…) I: Wie meinen Sie das? Sie haben gerade alle auch gelacht, mit den Methoden, können Sie mir das noch ein bisschen genauer erklären? CWS9: Ja. Referendare halten sich ja noch strikt an den Lernan den Lehrplan und so. Und WOLLEN dann auch ihre Methoden, die sie im Studium kennengelernt haben, DURCHSETZEN, aber vergessen dann irgendwie, was der Sinn dahinter ist. Die wollen einfach nur ihre Methode durchgebracht haben und so geht/ blieb das Thema dann meistens einfach auf der Strecke und man hatte dann einfach nur noch verwirrte Schüler am Ende (lachend) da sitzen. Aber (.) so eine Lehrerin beziehungsweise ein oder zwei Lehrerinnen hat das dann einfach nicht interessiert, die haben dann einfach mit ihrem Lehrplan weitergemacht. Und ich glaube, so sind auch ziemlich viele (Gelächter) Lücken, die wir hier haben, entstanden. [370-391] Die Auswirkungen der Muttersprachlichkeit werden nun ausgeweitet auf die Lernhaltung. Das authentische Erfahrungswissen der Lehrkraft in Bezug auf die spanische Sprache und Kultur erzeuge bei den Lernenden („man“) ein größeres Interesse, was sie durch die zweimalige Verwendung des Adverbs „wirklich“ zusätzlich bekräftigt. Die Gruppe der anderen Lehrkräfte, die zuvor nicht näher beschrieben wurden, werden durch CWS7 nun konkretisiert, d. h. nicht mehr nur in Bezug auf ihre Muttersprache, sondern über ihren Ausbildungsstatus kategorisiert. Den muttersprachlichen Lehrkräften, die den positiven Horizont der Gruppe markieren, werden nun ReferendarInnen gegenübergestellt. Die aufkommende Unruhe sowie das Gelächter können als Validierung des negativen Gegenhorizonts durch die Gruppe interpretiert werden. Die Schülerinnen scheinen sich hier wie selbstverständlich zu verstehen, sodass sich der gemeinsame Erfahrungshorizont sehr deutlich offenbart. Als Außenstehende wird die Interviewerin, der das implizite Wissen der Gruppe nicht unmittelbar zugänglich ist, direkt angesprochen, um ihr das Gesagte verständlich zu machen: Die <?page no="173"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 173 Unterrichtspraxis der ReferendarInnen zeichne sich vor allem dadurch aus, dass Methoden das Thema dominieren („mehr auf diese Methoden Acht genommen wird als wirklich auf das Thema“). Durch diese Verschiebung sei etwas „verlorengegangen“, wobei nicht ganz deutlich wird, worauf sich CWS7 mit „das ist dann eben das“ bezieht. Es kann jedoch festgehalten werden, dass sich in dieser Äußerung eine Veränderung in der Bezugnahme zum Fach Spanisch dokumentiert, die auf den Lehrerwechsel bzw. die Unterschiede zwischen muttersprachlichen Lehrkräften und ReferendarInnen zurückgeführt wird. Auf Nachfrage der Interviewerin erfolgt eine Elaboration durch CWS9, die genauer auf den erlebten Unterricht bei den ReferendarInnen eingeht. Sie bestätigt deren Fokussierung auf Unterrichtsmethoden zulasten der -inhalte als negativen Horizont und unterstellt ihnen implizit ein unreflektiertes Unterrichtshandeln („vergessen dann irgendwie, was der Sinn dahinter ist“). Ihre Wortwahl („DURCHSETZEN“, „durchgebracht“) deutet darauf hin, dass die Perspektive der Lernenden dabei aus ihrer Sicht unberücksichtigt blieb und sich der Mehrwert der Methoden für sie nicht erschloss. Auch hier ist es wieder die nicht-muttersprachliche Lehrkraft, die dazu führt, dass die Themen im Spanischunterricht im Laufe der Zeit in den Hintergrund geraten („blieb das Thema dann meistens einfach auf der Strecke“). In der Folge beschreibt CWS9 die negativen Auswirkungen dieses Prozesses, deren Ergebnis „verwirrte Schüler“ und die entstandenen Lücken sind, wobei sie hier nicht für sich alleine, sondern generalisierend für die Gruppe spricht. Seitens der Lehrkräfte seien diese Probleme nicht ernst genommen worden. Hier fällt auf, dass sie dies auf mangelndes Interesse zurückführt und nicht darauf, dass es die Lehrpersonen nicht bemerkt hätten. Implizit zeigt sich die Forderung, dass die Lehrkräfte die Lücken eigentlich zur Kenntnis nehmen und entsprechend reagieren müssten. Stattdessen machen sie jedoch einfach weiter mit „ihrem Lehrplan“, von welchem sie sich damit zweimal abgrenzt und ihn eindeutig nicht als relevantes Referenzdokument für die Lernenden betrachtet. Gleichzeitig lässt das Adverb „noch“ vermuten, dass die starke Orientierung am Lehrplan für sie spezifisch für die Gruppe der ReferendarInnen ist, wohingegen der Unterricht erfahrener Lehrkräfte weniger daran orientiert sei. Der parallele Diskursmodus setzt sich auch in den weiteren Redebeiträgen fort, wenn sowohl CWS10 als auch CWS1 und CWS5 die Unterschiede zwischen MuttersprachlerInnen und ReferendarInnen bestätigen und weiter herausarbeiten. Besonders auffällig ist dabei, dass die Mädchen häufig generalisierende Aussagen treffen („man“, „Muttersprachler“, „Referendare“), was auf kollektiv geteilte Erfahrungen und Wissensbestände hindeutet. <?page no="174"?> 174 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens CWS10: Also aus meiner Erfahrung jetzt auch aus anderen Fächern wie Englisch oder so. Wir haben/ Also momentan haben wir eine Lehrerin, die macht einfach, was/ worauf sie Lust hat und das/ der Englischunterricht macht auch einfach Spaß dadurch. (.) Sie hält sich auch nicht so/ Also klar, sie hält sich daran, aber sie macht das eher so, um uns zu helfen, damit wir einfach besser werden auch für die Oberstufe und alles. Und ich habe auch an Referendaren, gerade in dem Sprachenbereich, so gemerkt, dass sie einfach wirklich, wie Lisa schon meinte, richtig strikt nach dem Lehrplan gehen und wenn es heißt, wir müssen ein Buch lesen, dann machen sie das auch und weichen da eigentlich gar nicht ab und (.) das ist halt immer so ein bisschen blöd. CWS1: Ja, das stimmt, also vor allem Referendare, die die Sprache nicht fließend sprechen oder halt keine Muttersprache als die Sprache haben, merkt man halt extrem, dass die sich nur an ihre, wie gesagt, Methoden und Lehrpläne halten. Und halt ähm (lachend) Lehrerinnen, die jetzt die Sprache wirklich (.) von klein auf gelernt haben, weichen da eher so ein bisschen ab. (lacht) Weil sie halt selbst wissen, wie man es am besten lernt. Und das können sie halt auch dann am besten halt rüberbringen. CWS5: Ja, ich fand auch, dass man das gemerkt hat, also den Unterschied zwischen Referendaren und jetzt wirklich Muttersprachlern und sowas, weil bei Muttersprachlern, die haben dann auch darauf geachtet, was man vielleicht wirklich braucht und was wichtig ist. Bei den Referendaren war es halt oft so, dass man so/ dass die so nach dem Motto mit so Spiel und Spaß irgendwie Grammatik lernen oder so, dann hat man irgendwelche Sachen gemacht oder Spiele gespielt und am Ende der Stunde waren die (lachend) Spiele irgendwie total langweilig, man hat nichts kapiert. Dann war man entweder in den Arbeiten schlecht oder musste es sich dann zu Hause selber beibringen oder so, deswegen/ Ja. [393-417] Ein am Lehrplan orientierter Unterricht wird als „strikt“ und „blöd“ abgelehnt, während im Gegensatz dazu andere Fächer bzw. eine Englischlehrerin als Beispiele für einen Unterricht angeführt werden, der sich offenbar nicht oder weniger am Lehrplan orientiert („die macht einfach, was/ worauf sie Lust hat“) und infolge dieser Abkehr von den normativen Vorgaben mehr Spaß mache. Der Lehrplan wird insofern nicht als Möglichkeit der Rechenschaftslegung begriffen, sondern vielmehr wird das davon abweichende Unterrichtshandeln als Hilfestellung und Unterstützung verstanden („um uns zu helfen, damit wir einfach besser werden auch für die Oberstufe“). <?page no="175"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 175 Die Orientierung der ReferendarInnen am Lehrplan und an bestimmten methodischen Konzeptionen wird von CWS1 auf deren fehlende muttersprachliche Kompetenzen zurückgeführt. Das heißt, der Lehrplan und die Methoden werden hier als Kompensation wahrgenommen, die das muttersprachliche Defizit aus ihrer Sicht ausgleichen sollen. Obwohl muttersprachliche Lehrkräfte Spanisch als Erstsprache erwerben und diese nicht - wie die SchülerInnen - als Fremdsprache lernen, besteht die Annahme, dass sie aufgrund ihrer Muttersprachlichkeit „am besten“ wissen, wie man die Sprache lernt. Die Muttersprache scheint aus der Sicht der Schülerin demnach die wichtigste und einzige Voraussetzung, die Sprache zu unterrichten, wodurch ein Studium obsolet scheint. Durch eine Exemplifizierung in dem Beitrag von CWS5 treten die wahrgenommenen Unterschiede zwischen den Lehrkräften noch deutlicher hervor. Wenn die zu starke Fokussierung auf Unterrichtsmethoden der ReferendarInnen bereits vorher kritisiert wurde, werden diese nun zusätzlich als „langweilig“ und nicht zielführend („man hat nichts kapiert“) bewertet. Die fehlende Einsicht in das Unterrichtshandeln der ReferendarInnen wird durch die mehrfache Verwendung der Adverbien „irgendwie“ bzw. „irgendwelche“ noch verstärkt. Demgegenüber hätten muttersprachliche Lehrkräfte viel mehr darauf geachtet, „was man vielleicht wirklich braucht und was wichtig ist“. Im weiteren Verlauf der Diskussion verbleiben die Schülerinnen thematisch bei der Beschreibung der ReferendarInnen und benennen weitere Aspekte, von denen sie sich negativ abgrenzen. Dazu zählen bspw. sprachliche Unsicherheiten wie fehlender Wortschatz. CWS4: Bei den Referendaren war auch das Problem/ Zwar konnten die natürlich viel mehr und besser Spanisch als wir, aber teilweise hat auch das Vokabular gefehlt, (.) also nicht bei ALLEN, aber bei manchen schon und das war dann (.) ein bisschen problematisch. I: Wie hat sich das bemerkbar gemacht? CWS6: Wenn wir Vokabeln nachgefragt haben/ CWS1: Ja CWS6: "Ähm wir müssen jetzt auch erstmal nachgucken." Und das gefühlt bei jeder (lachend) zweiten Frage. CWS7: (Gelächter) Ja, dann war der Computer dann halt immer an, die Internetseite war schon (lachend) aufgerufen und das ging/ eigentlich konnte man, wenn man dann eine Vokabelfrage hatte, eigentlich (.) wäre es logischer, wenn man selbst nach vorne geht und einfach eintippt, weil es (lachend) auf das Gleiche rauskommt. CWS1: Und halt ähm das hat man gemerkt bei zum Beispiel halt durch die Mutterspra- Muttersprachler konnte man viele Vokabeln, die man <?page no="176"?> 176 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens einfach (.) UNBEWUSST, sage ich mal, irgendwann dazugelernt hat. Und wenn man halt jetzt zu einer (.) angelernten Spanischsprecherin geht und ähm halt was fragt, war halt der Fall jetzt, dass wir oder dass ich das WORT kannte, aber sie halt meinte zum Beispiel, es ist falsch oder so. Und ich mir SICHER war, da halt die Muttersprach-, -sprachlerin uns das beigebracht hat und somit hatte ICH zum Beispiel jetzt das Vokabelwissen, was (.) der Person dann gefehlt hat oder so. Oder man merkt es halt schon, dass man viel über/ (..) bei den Lehrern ähm, die das halt angelernt haben, kommt das sofort raus und da muss man halt/ wie die CWS6 gesagt hat, erst nachgucken können auch die Schüler dann theoretisch halt machen die ganze Zeit. Und (.) machen wir auch. (lacht) [419-447] Die Mädchen erwarten von ihren Spanischlehrkräften, dass diese auf Vokabelfragen kompetent antworten können. Das Lachen, das sowohl die Aussage von CWS6 als auch die von CWS7 begleitet, macht deutlich, dass hier die Autorität der Lehrkraft bzw. deren fachliche Kompetenz in Frage gestellt wird. Kommt die Spanischlehrkraft ihrer Aufgabe - in diesem Fall dem Übersetzen von unbekannten Wörtern - nicht nach, erwägen die Lernenden insofern als Konsequenz die Aberkennung ihrer Legitimation. Gleichzeitig wird hier erkennbar, dass das selbstständige Nachschlagen von Vokabeln für die Schülerinnen offenbar nicht zur alltäglichen Unterrichtspraxis gehört und sie darin eine zentrale Aufgabe der Lehrperson sehen. CWS1 bestätigt diesen Orientierungsgehalt und stellt anhand einer Exemplifizierung den sprachlichen Unsicherheiten der nicht-muttersprachlichen Lehrkräfte erneut die MuttersprachlerInnen als positiven Horizont gegenüber, bei der die Gruppe auch implizit neuen Wortschatz dazulernt. Aufgrund eines entsprechenden Unterrichtserlebnisses stellt sie sich an dieser Stelle sogar über die anderen Lehrkräfte, denen dieses Vokabelwissen scheinbar fehlt. CWS10: (Gelächter) Also bei/ (.) Es muss zwar jetzt nicht so sein, aber ich glaube, also so nach meiner Erfahrung war das so, dass wir bei den Muttersprachlern irgendwie einen viel besseren Schnitt hatten bei den Arbeiten. Und dann bei den Referendaren ging das halt schon ein bisschen mehr runter. Es muss zwar nicht daran liegen, aber es könnte vielleicht auch ein Faktor sein. CWS6: Ich fand, der Redefluss war auch irgendwie anders. Also es wurde uns anders beigebracht. Also man hat gemerkt, sie kann es und sie redet einfach und es macht ihr Spaß, so zu (lachend) reden, weil es ja eben ihre Sprache ist und so ist es uns auch einfacher gefallen, ihr zuzuhören. Also mir fällt es zum Beispiel in Englisch total einfach, <?page no="177"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 177 ihr zuzuhören. Ich verstehe die Hälfte nicht, aber ich verstehe, was sie meint. (lacht) Und also es ist angenehm dann zuzuhören und man versteht es auch und dann versucht sie auch, auf einen Bezug zu nehmen und sonst machen das Lehrer immer nur so generell. "Ja, hier habt ihr das Thema, so funktioniert das." Oder baut auch nicht den Schüler irgendwie ein. (…) [450-464] Am Ende der Passage wird schließlich auch die Leistung der Gruppe in einen Zusammenhang mit der Lehrkraft gestellt. Dabei geht es jedoch nicht um eine bestimmte Lehrerin, sondern wieder ist generalisierend die Rede von einer Personengruppe, „den Muttersprachlern“. Bei diesen mache der Unterricht nicht nur mehr Spaß, sondern auch die Selbsteinschätzung in Bezug auf die eigene Kompetenz fällt positiver aus. Auch in der Konklusion, die von CWS6 hervorgebracht wird, werden die positiven Aspekte der muttersprachlichen Lehrkraft und damit deren Vorteile gegenüber nicht-muttersprachlichen Lehrpersonen noch einmal betont. Dabei sind es vor allem die Authentizität und der Spaß, welche die Muttersprachlerin auszeichnen („es macht ihr Spaß, so zu (lachend) reden, weil es ja eben ihre Sprache ist“) und die Lernbarkeit scheinbar positiv beeinflussen („einfacher gefallen, ihr zuzuhören“). Auch die aktuelle Englischlehrerin wird als positives Beispiel hervorgehoben. Hier gelingt, was im Spanischunterricht offenbar nicht erreicht wird, d. h., partielles Nichtverstehen wird nicht als Hindernis, Ausdruck fehlenden Könnens oder entstandener Lücken bewertet, sondern als Teil des Lernprozesses akzeptiert. Das Gefühl, der Lehrerin gut folgen zu können („total einfach, ihr zuzuhören“, „angenehm dann zuzuhören“), wirkt sich insofern förderlich auf ihr Lernen aus. Gleichzeitig attestiert sie dem Unterricht der Englischlehrerin eine größere Schülerorientierung, die anderen Lehrkräften aus ihrer Sicht fehlt. 5.2.6 „So ein paar Sachen schon verstehen“ - Beurteilung des aktuellen Lernstands Die Schülerinnen äußern Zweifel daran, dass sie in zehn Jahren noch in der Lage sein werden, das im Spanischunterricht Gelernte anzuwenden, weshalb die Interviewerin eine immanente Nachfrage stellt, die sich auf eine Selbsteinschätzung der eigenen Kompetenz bezieht. Damit soll die Diskussion auf den aktuellen Lernstand gelenkt werden soll. Die Nachfrage kann insofern als Eingriff in den Gesprächsverlauf betrachtet werden, bietet aber dennoch die Möglichkeit für eigene Relevanzsetzungen der Schülerinnen. <?page no="178"?> 178 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens I: Und wenn Sie jetzt den aktuellen Stand nehmen? Was haben Sie das Gefühl, was Sie im Spanischunterricht gelernt haben? (Gelächter) CWS9: Ja, so Grundlagen und gefühlt vierhundertmal Subjuntivo, Indefinido und Imperfecto und trotzdem kann es keiner. (Gelächter) (..) CWS7: Ja, also ich meine (.) eigentlich so, wenn man (.) ein gewissen Maß an Vokabular hat, dürfte es nicht wirklich schwer sein, sich irgendwie mit irgendjemandem im Urlaub zu verständigen. Also das hat bei mir letztes Jahr eigentlich ganz gut geklappt, obwohl man halt irgendwie selbst die ein oder andere Vokabel nicht wusste, aber man hat irgendwie so drum rum geredet oder konnte halt irgendwie ein Handzeichen geben und da geht es dann halt auch einfach und ich glaube, wenn man eben sich auch irgendwie versucht anzustrengen, dann klappt das oft besser, als wenn man da so lustlos auch schon in diese Konversation startet. (..) [622-635] Durch die Aufzählung dreier grammatischer Themen („Subjuntivo, Indefinido und Imperfecto“) wird deutlich, dass das Erleben des Spanischunterrichts von einer starken Grammatikzentrierung geprägt ist. Dabei differenziert die Schülerin CWS9 zwischen Lernen und Können. Denn obwohl diese Themen im Unterricht offenbar gelernt worden sind, betont sie, dass es dennoch niemand beherrsche. Die Anzahl „vierhundertmal“ beschreibt sie als ein Gefühl, das ihre subjektive Wahrnehmung der häufigen Wiederholung der genannten grammatischen Themen zum Ausdruck bringt. Die Übertreibung verdeutlicht gleichzeitig ihre Distanzierung bzw. den Überdruss, den sie dabei empfindet. CWS7 widerspricht mit ihrem oppositionellen Beitrag, indem sie nicht auf die angesprochene Grammatik eingeht und die Relevanzsetzung von CWS9 damit negiert. Stattdessen stellt sie dieser den Wortschatz als bedeutsamer gegenüber und relativiert so implizit den Stellenwert grammatischer Strukturen. Diese Haltung, die sie generalisiert („man“), belegt sie mit einer selbst erlebten Urlaubserfahrung. Das heißt, ein außerunterrichtliches Erlebnis führt hier zu der Überzeugung, dass kommunikatives Gelingen trotz fehlender Vokabelkenntnisse möglich ist („die ein oder andere Vokabel nicht wusste“), da es ihr gelingt, durch kompensatorische Kommunikationsstrategien das Gespräch aufrechtzuerhalten und ihre kommunikative Absicht auszudrücken. Bereits an dieser Stelle zeigen sich die verschiedenen Erfahrungshintergründe, die in der Gruppe zu unterschiedlichen Haltungen führen. CWS5 bittet die Interviewerin um die Wiederholung ihrer Fragestellung. Statt jedoch auf bereits erworbene Kompetenzen im Spanischunterricht einzugehen, bringt sie das Gefühl zum Ausdruck, „ga: r nichts“ zu können. <?page no="179"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 179 CWS5: Was genau war die Frage nochmal? (Lachen) I: (lacht) Was Sie jetzt das Gefühl haben, was Sie im Spanischunterricht gelernt haben. Weil Sie gesagt haben, Sie glauben, in zehn Jahren ist da, sind da nur noch die Basics, die Grundlagen, aber was Sie jetzt, Stand jetzt, das Gefühl haben, in Spanisch gelernt zu haben. CWS5: Also wenn ich jetzt in den Spanischunterricht reingehe, dann habe ich immer eigentlich das Gefühl, dass ich ga: r nichts kann. (Gelächter) CWS9: Willkommen im Klub. CWS5: Also irgendwie Text lesen und dann verstehe ich eigentlich jedes zweite Wort nicht und dann auch den ganzen Text nicht. Von daher, ja. (Gelächter) Wird da auch nicht so viel übrig bleiben in zehn Jahren. [637-651] Indem sie sich auf ihre Selbstwahrnehmung im Unterricht bezieht, verbleibt sie im schulischen Rahmen und bewertet ihre Kompetenzen im Spanischen anhand ihrer erlebten Schwierigkeiten bei der Rezeption von Texten. Das partielle Nicht-Verstehen, das zuvor im Englischunterricht als unproblematisch dargestellt wurde, führt hier zu einer negativen Selbsteinschätzung und dementsprechend zu der Auffassung, dass auch in zehn Jahren „nicht so viel übrig bleiben“ wird. Damit distanziert sie sich von der Schülerin CWS7 und bestätigt den Orientierungsgehalt einer negativen Selbsteinschätzung von CWS9. CWS1: Das ist bei mir jetzt nicht SO. Also ähm meinen Stand halt jetzt würde ich schon als (..) ja (.), °was heißt°/ okay auch halt. Also wir haben viele spanische Freunde, mit denen kann ich mich schon unterhalten, wenn ich es halt will. (Gelächter) CWS9: (lachend) Ja, wenn. CWS1: Ja, die können halt auch Deutsch. (lacht) Auf jeden Fall halt würde ich schon nicht sagen, dass ich jetzt in den Spanischunterricht gehe und halt NICHTS kann. Weil (.) ähm wie gesagt, durch die Freunde weiß ich halt mittlerweile: Okay, ich kann es eigentlich schon (.) mehr als halt jetzt nur Hola oder Que tal? oder so. Ähm (.) und (…) ja: : (.) (lacht) °Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll°. Also ich würde uns jetzt nicht als super gut bezeichnen alle, aber jetzt auch nicht vom Stand von den Sechserklassen oder so, die gerade mal ein Jahr haben. Also ich würde schon sagen, dass wir, wenn wir wirklich überlegen relativ viel können, für jetzt Schüler, die keine Muttersprachler sind. CWS5: Also meine Schwester, die waren ja in Chile und deswegen kommen halt auch so/ also waren schon dreimal so Freunde von ihr aus Latein- <?page no="180"?> 180 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens amerika bei uns. Und dann ist es halt immer, dass sie fragen, ob ich Spanisch kann und dann sagt meine Schwester meistens, dass ich es halt in der Schule seit vier Jahren habe, dann fangen die immer an, mit mir zu reden und dann, ja, schwenke ich meistens auf (lachend) Englisch um, weil ich nichts verstehe. Von daher (.) ja (.) denke ich, (lachend) ist nicht so gut. (…) [653-666] CWS1 verlässt wiederum den unterrichtlichen Bezugsrahmen und erzählt von außerschulischen Kontakten mit spanischsprachigen Freunden. Diese Kontakte ermöglichen es ihr, in der Zielsprache kommunikativ aktiv zu werden, sodass sie sich selbst als kompetent erlebt. Durch die Erlebnisse mit den Freunden verfügt sie über das Bewusstsein, sich verständigen zu können, und kommt dementsprechend zu der Schlussfolgerung, dass die gesamte Lerngruppe über ein gewisses Maß an sprachlichen Kompetenzen verfüge („relativ viel können“). Offen bleibt, ob sie bei dieser Einschätzung die Anstrengungsbereitschaft der Lernenden als Voraussetzung dieses Könnens sieht oder sich auf die Reflexion des eigenen Lernstandes bezieht („wenn wir wirklich überlegen“). Als Bezugsnorm wählt sie den Anfangsunterricht der sechsten Klasse sowie muttersprachliche Personen, mit denen sie die eigene Lerngruppe vergleicht. Ohne dass sie sich dazu äußert, was sie im Spanischunterricht konkret gelernt hat, erkennt sie damit dennoch einerseits deutlich den Lernfortschritt gegenüber den sechsten Klassen an und distanziert sich andererseits von dem Anspruch, ein muttersprachliches Niveau zu erreichen („für jetzt Schüler, die keine Muttersprachler sind“). Die Schülerin spricht dabei für die gesamte Lerngruppe, d. h., der Spanischunterricht habe sie alle dazu befähigt, sich zu verständigen, aber aufgrund ihrer außerschulischen Kontakte ist sie sich dessen bewusst, worin ein Unterschied zu den anderen, die nicht über entsprechende Kontakte verfügen, besteht. Dass außerschulische Kontakte jedoch nicht per se zu einer besseren Selbsteinschätzung führen, zeigt das Beispiel von CWS5, die sich bereits zuvor negativ in Bezug auf das Unterrichtserleben geäußert hat. Auch außerhalb des Unterrichts gelingt es ihr nicht, die Situation mit Freunden ihrer Schwester dazu zu nutzen, die spanische Sprache anzuwenden und sich als kompetent zu erleben. Ihr defizitärer Blick auf die eigene sprachliche Kompetenz dokumentiert sich hier erneut in der Formulierung „nichts“. Auch hier ist es wieder das Nicht-Verstehen, das dazu führt, dass der Rückgriff auf Englisch als Kompensation genutzt wird. CWS6: Also zu CWS1 mit dem Sechserniveau. Also ich denke schon, dass ich (lachend) eher auf dem Sechserniveau bin. (Lachen) Wenn mich jetzt jemand ansprechen würde auf Spanisch könnte ich wirklich nur mit diesen / / Que tal? und/ / <?page no="181"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 181 CWS9: / / Basics. Ja./ / CWS6: irgendwann dann, wenn ich nicht mehr weiter weiß Puedo ir al baño? (Lachen) Und dann wirklich nur die Sachen, die man sechste Klasse gelernt hat, die man dann nochmal benutzt hat und die man seitdem nicht mehr vergessen hat, weil man sich immer noch darüber lustig macht, dass es das Einzige ist, was man kann. (Lachen) CWS8: Also ich meine, ich könnte, glaube ich, schon so, wenn mich jemand anspricht, so ein paar Sachen schon verstehen, um was es im Gespräch geht, aber so SCHNELL, wie die dann auch reden, also wenn man sich manche Filme oder so anguckt, dann denkt man sich ja auch: Ja, wie soll ich denn da überhaupt was davon verstehen, außer den, das erste Wort im zweiten Satz irgendwie mal so kurz. Ja okay, geht also darum, dass du aufs Klo musst, aber jetzt genau irgendwie mehr verstehe ich davon auch nicht. [675-691] Die Äußerung von CWS6 lässt sich innerhalb des außerschulischen Bezugsrahmens verorten, der jedoch hypothetisch bleibt. Denn sie verwendet den Konjunktiv, was zeigt, dass sie vermutlich nicht über außerschulische Erlebnisse in der Zielsprache Spanisch verfügt. Ihr Erfahrungshintergrund beschränkt sich auf den Unterricht, sodass ihr die Möglichkeit der authentischen Sprachverwendung und das Erleben der eigenen Kompetenz in einer realen Sprachbegegnungssituation fehlen. Dementsprechend fällt ihre Selbsteinschätzung auch sehr negativ aus. Sie vergleicht sich mit Sechstklässlern und rekurriert als Beleg auf sprachliche Ausdrücke, die aufgrund ihrer Banalität ihr geringes Niveau verdeutlichen sollen. Die Frage ¿Puedo ir al baño? , eine typische Klassenraumphrase, dient hier als Beispiel für Sätze, die bereits zu Beginn eingeführt worden sind und aufgrund ihrer häufigen Wiederholung immer noch im Gedächtnis sind, die aber offenbar von der Schülerin auch als Ausweg genutzt werden, um sich bestimmten Unterrichtssituationen zu entziehen („wenn ich nicht mehr weiter weiß“). Dass sie diese Sätze aus dem ersten Lernjahr noch weiß, führt sie jedoch nicht auf den Unterricht oder ihre anfängliche Haltung zum Erlernen des Spanischen zurück. Vielmehr dient ihr dieses Wissen dazu, sich darüber lustig zu machen, und kann insofern als Form der Distanzierung bewertet werden. Auch in dem Beitrag von CWS8 deutet die Verwendung des Konjunktivs in Verbindung mit zwei Kognitionsverben („ich meine, ich könnte, glaube ich“) auf eine Unsicherheit in Bezug auf die Selbsteinschätzung hin. Es scheint an entsprechenden unterrichtlichen oder außerschulischen Gelegenheiten zu mangeln, ihre Kompetenzen zu überprüfen und darüber zu reflektieren. Wieder wird das Nicht-Verstehen als Problem eingestuft, wobei das Verstehen von Filmen als Beispiel und Vergleich für reale Kommunikationssituationen herangezogen <?page no="182"?> 182 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens wird. Ihr Anspruch beim Filmschauen ist ein möglichst genaues Verstehen, was jedoch aufgrund der hohen Sprechgeschwindigkeit nicht gelingt und weshalb sie die Schlussfolgerung zieht, dass ihr auch in Gesprächssituationen ein Verstehen kaum möglich erscheint. Die angesprochenen Probleme und damit die negative Selbsteinschätzung als Orientierungsgehalt bestätigt CWS10 durch eine Exemplifizierung, indem sie von erlebten Schwierigkeiten beim Hörverstehen im Spanischunterricht erzählt. CWS10: Und die reden teilweise ja noch langsam für ihre Verhältnisse, wenn die unsere/ Das sind ja meistens so Höraufgaben, die wir halt vorgespielt bekommen. Die reden ja teilweise schon langsam und dann versteht man irgendwie trotzdem nichts. (.) Aber so generell würde ich jetzt so sagen, wenn mir jemand sagt: "Schreib bitte einen Text im Präsens oder so Perfekt." So DIESE Zeitformen kann ich, aber kommt es dann wie Subjuntivo, Indefinido und so und dann muss ich da mich erstmal ein bisschen reinarbeiten, bevor ich dann irgendwas schreiben könnte. Da wird es halt irgendwie so kompliziert dann. CWS6: Die FORMEN, die kann ich jetzt, aber ich weiß nicht, wann ich sie VERWENDEN muss. Ich könnte auch sagen, ja bei GEFÜHLEN und so, aber dann, wenn ich es wirklich anwenden muss im Text so, das sich wirklich nicht auf das Subjuntivo bezieht, wenn ich jetzt einen Text über Schule schreibe und aus Versehen muss da ein Subjuntivo rein, dann würde ich da auch kein Subjuntivo hinschreiben, weil ich es dann einfach nicht hinkriege. [693-705] Das Gefühl, „nichts“ zu verstehen, das bereits CWS5 formuliert hat, wird hier wiederholt. CWS10 betont zweimal, dass die Geschwindigkeit der Hörtexte im Unterricht sehr langsam sei. Damit schmälert sie implizit die eigenen kommunikativen Fähigkeiten in realen Gesprächssituationen, von denen sie annimmt, dass dort deutlich schneller gesprochen wird. Anschließend eröffnet sie ein neues Thema, indem sie wie zu Beginn der Passage CWS9 auf verschiedene Zeitformen Bezug nimmt. Weder Inhalte, Textsorte noch kommunikative Absicht scheinen für sie beim Schreiben von Texten relevant. Stattdessen werden die zu schreibenden Texte nach den erforderlichen Zeitformen bewertet, sodass hier eine starke Formorientierung deutlich wird. Vor allem der Subjuntivo bzw. dessen Anwendung wird dabei erneut als Problem dargestellt. In der sich anschließenden Äußerung von CWS6 bestätigt sich diese Einschätzung. Besonders auffällig ist, dass sie zwischen explizitem Sprachwissen, über das sie nach eigener Einschätzung verfügt, und der Anwendung des Subjuntivo unterscheidet. Während sie also Formen und Auslöser benennen kann, gelingt ihr der Transfer beim Schreiben von Texten nicht. <?page no="183"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 183 CWS7: Ich glaube, es ist halt auch so, dass diese ganzen Grundlagen und alles einigermaßen sitzen, weil man halt in der Sechsten und der Siebten noch regelmäßige Vokabeltests geschrieben hat und die dann halt auch immer aufgefrischt hat und dann mit einem Vokabeltest halt auch Vokabeln kamen, die man jetzt gerade nicht hatte, sondern auch frühere. Und dadurch ist das halt länger im Gedächtnis geblieben und dadurch, dass wir das jetzt halt nicht mehr machen, (.) gerät das halt in Vergessenheit und ich glaube, deshalb fällt es manchen auch schwer, halt eben daran nochmal anzuknüpfen, weil es eben so weit weg ist. Und es halt nicht immer wieder aufgefrischt wird. (…) CWS9: Ja, ich glaube auch, also wenn man jetzt nicht die Aufgabe bekommt: "Ja, lernt das", dann setzt sich keiner von uns freiwillig zu Hause hin und lernt Spanischvokabeln. Nur um es aufzufrischen. Auch wenn es teilweise besser wäre, weil man dann einfach mehr und größeres Spektrum an ähm Vokabular hat, um einen Text zu schreiben. Wobei ich glaube, dass jetzt so das VERSTEHEN besser ist als selbst sprechen. Also ich könnte mehr verstehen als sprechen. [707-721] Ohne auf ihre Vorrednerin einzugehen, attestiert CWS7 der Gruppe zumindest Grundlagen, wodurch sie sich von der Haltung derjenigen Schülerinnen mit einer sehr defizitorientierten Selbsteinschätzung distanziert. Diese Grundlagen bestehen für sie insbesondere aus Vokabelkenntnissen der ersten beiden Lernjahre, die sich aus ihrer Sicht von den darauffolgenden Jahren unterscheiden. Das Erleben der sechsten und siebten Klasse sei demnach viel stärker durch Vokabeltests geprägt, die den Lernfortschritt garantierten („immer aufgefrischt“, „länger im Gedächtnis geblieben“). Aufgrund der nunmehr fehlenden Tests entstünden Lücken, die nur schwer aufholbar seien. Hier dokumentiert sich, dass das Lernen bzw. die Initiierung des Lernens dem Aufgabenbereich der Lehrenden zugeschrieben wird. Dieser Orientierungsgehalt wird durch CWS9 validiert. So sei die explizite Aufforderung der Lehrperson eine wichtige Voraussetzung für die Bereitschaft zum Lernen, denn niemand lerne, „[n]ur um es aufzufrischen“. Das heißt, trotz der Einsicht, dass das selbstständige Lernen zur Verbesserung der eigenen kommunikativen Ausdrucksmöglichkeiten beitragen würde, wird einer potenziell möglichen, aber unrealistischen Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit gewissermaßen die Notwendigkeit obligatorischer Lernaufträge gegenübergestellt. Darüber hinaus nimmt die Schülerin am Ende auch noch einmal Bezug auf das zuvor mehrfach angesprochene Verstehen in der Zielsprache und betont, dass ihr dies besser gelinge als zu sprechen, womit sie sich ebenfalls von dem Nicht-Verstehen anderer Schülerinnen abgrenzt. Dennoch fällt auf, dass auch sie bei ihrer Selbsteinschätzung wieder den Kon- <?page no="184"?> 184 5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens junktiv benutzt („könnte mehr verstehen als sprechen“). Diese Zweifel bzw. Unsicherheit hinsichtlich der eigenen Kompetenz offenbaren sich im Verlauf der Passage also mehrfach. 5.2.7 Zusammenfassung Dem Erlernen mehrerer Sprachen stehen die Schülerinnen insgesamt positiv gegenüber. Sie haben jedoch keine konkreten Vorstellungen davon, wie individuelle als auch gesellschaftliche Mehrsprachigkeit in der Praxis realisiert und nutzbar gemacht werden können. Es fehlt den Schülerinnen an entsprechenden Erfahrungen, sodass sie deren Umsetzbarkeit mit einer gewissen Skepsis gegenüberstehen. Darüber hinaus wird das Sprachenlernen eindeutig dem Zuständigkeitsbereich der Schule zugeordnet und weniger als individuelle und lebenslange Aufgabe betrachtet. Auch das Gelingen oder Misslingen beim Erlernen von Fremdsprachen führen die Mädchen insofern auf die schulischen Rahmenbedingungen zurück. Im Verlauf der Gruppendiskussion treten verschiedene Faktoren hervor, die die Bezugnahme zum Fach Spanisch stark beeinflussen. Wie bereits in der Gruppe Stadion ist auch hier die Lehrperson besonders prägend. Darüber hinaus sind die vorgegebenen Wahlbzw. Abwahlmöglichkeiten (hier Spanisch neben Englisch und den Naturwissenschaften), das Kompetenzerleben der Schülerinnen sowie außerschulische Erlebnisse zu nennen. Auffällig ist, dass die fachliche Bezugnahme häufig in konkurrierenden Haltungen Ausdruck findet und sich nicht durchgängig kollektiv geteilte Orientierungen dokumentieren. Diese treten, wie die parallele Diskursorganisation verdeutlicht, am ehesten dort auf, wo es um Lehrkräfte und Unterrichtsinhalte geht. Muttersprachliche und nicht-muttersprachliche Lehrkräfte scheinen sich als Gegensatz gegenüberzustehen. Die Abgrenzung von nicht-muttersprachlichen Lehrkräften und insbesondere ReferendarInnen erfolgt also vor allem über den Vergleich mit muttersprachlichen Lehrkräften. Insbesondere in Bezug auf sprachliche und kulturelle Authentizität scheinen Erstere überlegen, wobei die Muttersprachlichkeit sie in den Augen der Schülerinnen unabhängig von anderen Kompetenzen per se zu besseren Lehrkräften macht. Im Spanischunterricht werden vor allem solche Erlebnisse positiv bewertet, die Partizipation und das Erleben der eigenen Kompetenz ermöglichen. Hier werden überwiegend verschiedene Beispiele für landeskundliche bzw. kulturelle Inhalte und Projektarbeit thematisiert. Danach gefragt, wie sich die Schülerinnen im Spanischen selbst einschätzen, sind sie jedoch nicht in der Lage, ihre erreichten Kompetenzen klar zu benennen. Die Meinungen der Mädchen divergieren zwischen eher positiven und negativen Selbsteinschätzungen, was <?page no="185"?> 5.2 Die Gruppe „Katze“ 185 auf unterschiedliche Erfahrungshintergründe zurückgeführt werden kann. Die Schülerinnen verlassen den schulischen Rahmen nur an wenigen Stellen. Außerschulische Bezüge finden sich kaum, d. h., Einsichten in die Möglichkeiten der spanischen Sprache zeigen sich für gegenwärtige oder zukünftige Perspektiven nur in wenigen Einzelmeinungen. Denn diejenigen, die über außerunterrichtliche Erlebnisse verfügen, äußern sich in der Tendenz auch selbstbewusster in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten. Schülerinnen, die ihre Einschätzung hingegen ausschließlich innerhalb des schulischen Rahmens ausarbeiten, vermuten häufig nur, was sie möglicherweise könnten, bzw. übertragen ihre Schwierigkeiten und Misserfolge aus dem Unterricht auf reale Kommunikationssituationen. Hier scheint es an entsprechenden Gelegenheiten zu fehlen, das eigene Können erfahrbar zu machen und die eigene Kompetenz in authentischen Kontexten zu erleben. Obwohl hinsichtlich der Wahl oder Abwahl des Faches keine Einigkeit besteht, offenbart die Diskussion, dass die Schülerinnen von einem dualistischen Verständnis von sprachlicher oder naturwissenschaftlicher Neigung ausgehen, die sich gegenseitig ausschließen. Durch die institutionell vorgegebenen Wahl- oder Abwahlmöglichkeiten werden diese Annahmen scheinbar noch verstärkt, sodass das Fach Spanisch sowohl zu den Naturwissenschaften als auch zur ersten Fremdsprache Englisch in Konkurrenz steht. <?page no="187"?> 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „Au revoir français“ - Französischlernen als vergebliches Streben nach Kompetenz 6.1.1 Fallporträt Zum Zeitpunkt des Interviews, im Sommer 2014, ist Pia 17 Jahre alt und besucht die elfte Klasse eines beruflichen Gymnasiums. Das Interview dauert 27 Minuten, wobei Pia die Eingangserzählung besonders offen und ausführlich gestaltet und auch auf Nachfragen immer wieder von konkreten Erlebnissen aus dem Französischunterricht erzählt. Bemerkenswert ist Pias bildgestützter Kurzaufsatz, in dem sie ihr Verhältnis zum Französischunterricht besonders drastisch schildert. Auf der Grundlage ihres Textes soll nachfolgend ihre Einstellung zum Französischlernen skizziert werden. Pias letzte Zeugnisnote im Fach Französisch sind 14 Punkte, dennoch möchte sie die Sprache in der Oberstufe nicht fortführen und beschreibt in ihrem bildgestützten Kurzaufsatz Französisch als „großes Grauen“ und „Qual“ 3 . Dabei geht ihre ablehnende Haltung so weit, dass sie unabhängig von ihren Leistungen auch für die Zeit nach der Schule ausschließt, die Sprache weiterlernen oder anwenden zu wollen: „Ich kann noch so gut sein. Französisch und ich werden in diesem Leben keine Freunde.“ Ihr Verhältnis zum Französischlernen scheint insofern nachhaltig gestört. Wie stark sich ihre Haltung verändert hat, verdeutlicht sie, indem sie das frühere - auch außerschulische - Interesse am Lernen der Sprache ihrer jetzigen Einstellung gegenüberstellt: Dienstag die ersten zwei Stunden Französisch sind ganz schlimm. Allein wenn ich meine Lehrerin schon höre, habe ich keine Lust mehr. Müde und lustlos sitze ich dann da. Früher habe ich diese Sprache echt geliebt, war auch selbst in Frankreich, so dass ich viel von der Sprache lernen konnte. Aber mit dem Alter kommt die Lustlosigkeit und mit ihr der Kampf um eine gute Note. 3 Die nachfolgenden Zitate und Textauszüge sind alle Pias bildgestütztem Kurzaufsatz entnommen (vgl. Anhang). <?page no="188"?> 188 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Die Ursachen für die negative Bezugnahme zum Fach Französisch sieht sie einerseits in ihrem Alter („Aber mit dem Alter kommt die Lustlosigkeit“), aber gleichzeitig auch bei unterrichtlichen Faktoren. Die Abneigung gegenüber ihrer Lehrkraft geht so weit, dass bereits deren Stimme einen negativen Einfluss auf ihre Motivation und Lernbereitschaft hat. Das Streben nach guten Zensuren empfindet Pia als „Kampf “. Die Pflicht des Vokabellernens begleitet sie auch am Wochenende und greift damit in ihre Freizeit ein, was sie als störend empfindet. Darüber hinaus beklagt sie die sich wiederholenden Unterrichtsinhalte. Damit nennt Pia bereits in ihrem Text verschiedene unterrichtliche Faktoren, die aus ihrer Sicht das Lernen der französischen Sprache negativ beeinflussen und die durch die Interpretation des Interviews noch weiter auszuarbeiten sind. Die guten Leistungen, die Pia im Fach Französisch erzielt, führen nicht dazu, dass sie die Sprache weiterlernen möchte. Ihre Abwendung vom Fach lässt sich insofern nicht vor dem Hintergrund ihrer Zensuren oder externer bzw. sprachenbezogener Ursachen erklären. Auch die große Diskrepanz zwischen der anfänglich überdurchschnittlich positiven Einstellung („diese Sprache echt geliebt“) zu der nun vorliegenden Ablehnung nicht nur des Faches, sondern auch der Sprache lassen Pia im Sample als besonderen Fall erscheinen, der die Frage aufwirft, wie sich der Prozess der fachbezogenen Abwendung im Verlauf der Sekundarstufe I gestaltet und inwiefern Erlebnisse aus dem Französischunterricht diesen beeinflussen. 6.1.2 „Ich wollte eigentlich schon immer Französisch machen“ - Pias Wunsch, Französisch zu lernen Auf den offenen Erzählimpuls im Interview, von ihren Unterrichtserlebnissen im Fach Französisch von Beginn bis in die Gegenwart zu erzählen, folgt Pias Eingangserzählung, die zeitlich mit der Wahl der Fremdsprache Französisch einsetzt, d. h. noch vor den ersten Unterrichtserfahrungen. Diese Relevanzsetzung wird nicht durch die Forscherin, sondern seitens der Interviewten vorgenommen und weist auf deren Bedeutung für Pia hin: Ja also (.) in der fünften Klasse konnte man es sich ja so aussuchen ob ich Französisch mache oder Russisch und ich wollte eigentlich schon immer Französisch machen weil mich halt Fremdsprachen halt echt interessiert haben und ähm (.) ja dann waren wir halt auch im Urlaub in Tunesien und da haben die halt immer Französisch gesprochen und dann wollte ich das unbedingt auch lernen, weil ich wollte es dann halt meinen Eltern so richtig zeigen, dass ich das dann auch kann. (lacht)[44-49] <?page no="189"?> 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 189 Sie betont, dass es ihr Wunsch war, Französisch zu lernen. Nicht die Eltern, Französisch lernende Geschwister oder Freunde haben diese Wahl beeinflusst, sondern sie selbst hat diese Entscheidung getroffen. Deutlich wird dies auch durch den Wechsel des Pronomens im ersten Satz. Während sie generalisierend auf die Möglichkeit in der fünften Klasse hinweist, zwischen Französisch und Russisch zu wählen („konnte man es sich ja so aussuchen“), wäre zu erwarten, dass sie den Satz auch mit dem Indefinitpronomen fortsetzt, also aussuchen, ob man Französisch macht oder Russisch. Sie wechselt jedoch in die erste Person Singular, bezieht diese Wahl also einzig auf sich und hebt damit die persönliche, eigene Entscheidung hervor. Während andere interviewte SchülerInnen bei der Wahl der zweiten Fremdsprache das Modalverb „müssen“ verwenden (vgl. Gruppe Stadion) und damit die Obligatorik derselben hervorheben, spricht Pia von „können“, also von einer Möglichkeit, die sich ihr bietet. „[S]chon immer“ stand der Wunsch, Französisch zu lernen, für Pia fest. Es gibt keine Erinnerung an eine Zeit vor diesem Wunsch. Demnach gibt es auch keinen festen Zeitpunkt, zu dem sie sich für diese Fremdsprache entschieden hat, kein Abwägen zwischen verschiedenen Fremdsprachen, keinen Zweifel oder die Überlegung, eventuell eine andere Sprache zu lernen. Dennoch ist die Argumentation, die Pia als Plausibilisierung gegenüber der Forscherin hervorbringt („weil mich halt Fremdsprachen halt echt interessiert haben“), zunächst nicht schlüssig, da diese Begründung genauso für Russisch sprechen könnte. Es muss also noch andere Gründe für Französisch geben, die jenseits des von ihr explizierten kommunikativen Wissens liegen. Auffällig ist die wiederholte Verwendung der Modalpartikel „halt“, wodurch sie ihr Interesse an Fremdsprachen als feststehende, selbstverständliche Tatsache darstellt, die deshalb aus ihrer Sicht nicht weiter begründet oder diskutiert werden muss und von der Interviewerin so akzeptiert und hingenommen werden soll. Durch die nachfolgende Erzählung eines Urlaubserlebnisses in Tunesien - von dem nicht klar ist, ob es sich zeitlich bereits vor Beginn der zweiten Fremdsprache oder danach ereignete - liefert Pia im Modus der Argumentation noch einen weiteren Grund für ihre Wahl: Französisch zu beherrschen, um es den Eltern zu beweisen („das unbedingt auch lernen, weil ich wollte es dann halt meinen Eltern so richtig zeigen, dass ich das dann auch kann“). Dabei lässt die wiederholte Verwendung des Adverbs „auch“ drei Lesarten zu. Einerseits könnte es darauf hindeuten, dass die Eltern ebenfalls Französisch sprechen und Pia es genauso gut können möchte wie diese. Eine zweite Lesart könnte sein, dass sie hier implizit Bezug auf eine weitere Person nimmt, die jedoch nicht näher benannt wird. Möglich ist drittens, dass sie sich darauf bezieht, neben anderen Dingen „auch“ Französisch zu können. Eine endgültige Deutung der Passage ist an dieser Stelle noch nicht möglich, weshalb die Interpretation anhand weiterer <?page no="190"?> 190 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Textstellen überprüft werden soll. Da Pia ihre Eltern zwar retrospektiv als Motiv anführt, warum sie sich für Französisch entschieden hat, jedoch keine Belegerzählung dafür folgt und diese auch im Verlauf des Interviews keine Erwähnung mehr finden, kann deren Einfluss relativiert werden. Der Wunsch nach Anerkennung dokumentiert sich jedoch - wie zu zeigen sein wird - noch mehrfach. Pias Wunsch, Französisch zu lernen, drückt sich in diesem Abschnitt insbesondere auch in der dreimaligen Verwendung des Modalverbs „wollen“ aus, wobei dieses Wollen auf ein Können, d. h. auf die Beherrschung der französischen Sprache gerichtet ist. Diese bildet damit einen positiven Horizont. Das Streben nach Kompetenz und Entwicklung ist wesentlich für Pias Bezugnahme zum Fach Französisch. Gleichzeitig wird deutlich, dass sich dieser Wunsch vor allem auf einen außerschulischen Kontext bezieht. Alle Argumente, die sie hervorbringt - weil sie Fremdsprachen interessieren, weil sie mit ihrer Familie im Urlaub war und weil sie ihren Eltern zeigen wollte, dass sie „das dann auch kann“ -, liegen außerhalb der Schule, sodass zwei Sphären kontrastiert werden: die Schule als Ort, der einen Zugang zum Erlernen der französischen Sprache ermöglicht, und auf der anderen Seite eine außerschulische Welt, wo die Beherrschung der Sprache eine Möglichkeit bietet, die Sprache als Kommunikationsmittel anzuwenden und sein Können unter Beweis zu stellen. Pia stellt insofern bereits zu Beginn einen persönlich-individuellen Bezug zum Französischlernen her, der sie von anderen SchülerInnen unterscheidet und zeigt, dass die Sprache für sie mehr bedeutet als ein Schulfach unter vielen anderen. Da Pia zu Beginn der Eingangserzählung, als sie über die Wahl der zweiten Fremdsprache spricht, ihre Eltern als Motiv für das Französischlernen nennt, richtet sich eine der immanenten Nachfragen später im Interview noch einmal auf ebendiese Äußerung: I: Und ähm ganz am Anfang hast du gesagt, ja das wolltest du dann auch unbedingt können äh können mit Französisch (.) diese Erfahrung in Tunesien. das heißt, dass deine Eltern dann auch Französisch gesprochen haben quasi, / / oder/ / P: / / Nee/ / die haben absolut KEIN Französisch gesprochen, also die sind mit Fremdsprachen nicht so und ähm mein BRUDER hat mich eigentlich angespornt. Der ist ja (.) acht Jahre älter als ich und der hat dann (.) Spanisch gelernt und, (lacht) da habe ich mir so gedacht: „GUT, der hat/ der kann jetzt Spanisch und was kann ich so lernen, und also ich war dann/ ich bin halt immer schon so gewesen, (.) welchen Nutzen kann ich halt daraus schlagen, weil nach Spanien (.) ja okay hat mich jetzt nicht so gereizt, aber Frankreich liegt ja schon näher an Deutschland, kann ich dann auch mal hinfahren und alles und wenn <?page no="191"?> wir eh in Tunesien sind und das da immer gesprochen wird, weil wir sind auch eine Zeit lang/ Wir sind glaube ich 10 Jahre hintereinander immer nach TUNESIEN und dann ist das schon cool, wenn du dann so nach so zwei drei JAHREN du Kenntnisse hast und dann schon mal so was VERSTEHEN kannst. Aber so GUT verstehen konnte ich es nun auch wieder nicht, weil dann halt auf diese grundlegenden Dinge nicht eingegangen worden sind halt. (.) wie ich halt schon erzählt hatte mit in der Einkaufs(.)boutique da. 4 (lacht) (..) Wo ich überhaupt nicht wusste, was die von mir wollten halt und das fand ich dann halt auch irgendwie schon schade. Sieben Jahre und war halt nichts. (lacht)[163-179] Pia betont, dass ihre Eltern „absolut KEIN Französisch gesprochen“ haben und auch keine besondere Neigung für Fremdsprachen vorleben bzw. ihr vorgeben. Aus ihrer Antwort geht hervor, dass sie Französisch nicht gewählt hat, weil bereits ihre Eltern Französisch sprechen, sodass diese Lesart nun ausgeschlossen werden kann. Auch ihr Bruder lernt kein Französisch, sondern Spanisch. Sie entscheidet sich also bewusst für das Lernen einer Sprache, bei der sie vonseiten der Familie keine Unterstützung oder Hilfe erwarten kann. Damit unterscheidet sie sich von zahlreichen anderen Lernenden, die als Wahlmotiv den Wunsch der Eltern oder die Aussicht auf Unterstützung durch ältere Geschwister angeben. Der acht Jahre ältere Bruder habe sie „angespornt“, was hier jedoch nicht heißt, er habe sie explizit animiert, Französisch zu lernen. Vielmehr fühlt sie sich angespornt, etwas anderes zu lernen als er. Damit ist der Bruder als negativer Gegenhorizont zu lesen, von dem Pia sich bewusst abgrenzt („da habe ich mir so gedacht: ‚GUT, der hat/ der kann jetzt Spanisch und was kann ich so lernen‘“). Sie sucht nach Alternativen und ist dabei besonders auf den „Nutzen“ der Sprache orientiert. Durch die Nähe Deutschlands zu Frankreich sowie die zahlreichen Urlaube in Tunesien erscheint ihr das Lernen der französischen Sprache erstrebenswert. Nach einigen Lernjahren über ausreichende Kenntnisse zu verfügen, um im Urlaub die Sprache verstehen zu können, ist „cool“ und damit Teil ihres positiven Horizonts. Erneut zeigt sich hier ihr Streben nach Kompetenz und Entwicklung im Fach Französisch. Gleichzeitig nimmt sie Bezug auf die fehlenden Realisierungsmöglichkeiten innerhalb des Französischunterrichts bei der Erreichung ihres Ziels. Pia misst die Qualität des Französischunterrichts an ihrem Erfolg bei außerschulischen Erlebnissen. Die Verständigungsschwierigkeiten, die sie beim Einkaufen in Tu- 4 Pia nimmt hier Bezug auf eine ihrer Äußerungen in der vorangegangenen Gruppendiskussion, wo sie von einer Situation berichtet, in der sie sich in einem Einkaufszentrum völlig verloren gefühlt hat und das Gefühl hatte, sie wäre nach so vielen Jahren Französischunterricht nicht einmal in der Lage, sich ein Brötchen zu kaufen. 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 191 <?page no="192"?> 192 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens nesien hat, führt sie darauf zurück, dass der Unterricht auf die „grundlegenden Dinge nicht eingegangen“ ist. Sie fühlt sich nicht ausreichend auf reale Begegnungen in der Zielsprache vorbereitet und beklagt diese Diskrepanz zwischen Unterricht und außerschulischer Lebenswelt. Vor dem Hintergrund ihres Strebens nach sprachlicher Kompetenzentwicklung und gemessen an der investierten Lernzeit von sieben Jahren bewertet sie den Unterricht als enttäuschend, da dieser es ihr nicht ermöglicht, in außerschulischen Kontaktsituationen sprachlich angemessen zu interagieren („Sieben Jahre und war halt nichts.“). Dem Unterricht gelingt es nicht, ihren Erwartungen gerecht zu werden. 6.1.3 „Durchhalten“ und „durchkämpfen“ - Distanzierung vom Fach Französisch als Prozess Nachdem Pia in der Eingangserzählung ihre Motive für die Wahl des Französischen dargelegt hat, folgt eine Beschreibung, in der sie ihre Erinnerungen an den Anfangsunterricht Französisch schildert. und (.) ja dann hatten wir fünfte sechste halt so eine Lehrerin die war jetzt eigentlich nicht so eine Französischlehrerin, die hat dann immer nur so ein paar Vokabeln gemacht und das fand ich eigentlich auch altersgerecht und alles und hat auch noch total Spaß gemacht. [49-51] Die fünfte und sechste Klasse bilden eine Episode scheinbar homologer Lernerfahrungen, die hier zusammengefasst zur Darstellung kommen. Dabei nimmt sie sofort Bezug auf ihre Lehrerin in dieser Zeit, woraus hervorgeht, dass sich ihr Erleben sehr stark an der Person der Lehrkraft orientiert, die „nicht so eine Französischlehrerin“ gewesen sei. In dieser Formulierung zeigt sich, dass Pia ein bestimmtes Bild einer vermeintlich typischen Französischlehrkraft als Vergleichshorizont mitbringt. Ohne dass deutlich wird, worauf ihre Vorstellungen beruhen, konkretisiert sie diese im Anschluss implizit. Der damalige Unterricht habe sich vor allem dadurch ausgezeichnet, dass er „altersgerecht“ gewesen sei, „noch total Spaß gemacht“ habe und „nur so ein paar Vokabeln gemacht“ worden seien. Dies entspricht Pias Vorstellung eines freudbetonten, guten Fremdsprachenunterrichts. Die Formulierung „und alles“ impliziert, dass sie in den Lernjahren bei dieser Lehrkraft insgesamt zufrieden war. Die Beschreibung der ersten Lehrerin scheint also als positiver Horizont auf, der am negativen Gegenhorizont einer in ihrer Vorstellung typischen Französischlehrerin ausgearbeitet wird. Aus ihrer Sicht zeichnet sich der Unterricht bei einer normalen Französischlehrkraft also durch sehr viel Vokabelarbeit aus, er ist nicht altersgerecht und macht keinen Spaß. Aufgrund späterer Lernerlebnisse scheint Pia die erste Lehrerin nicht nur deutlich positiver zu bewerten als andere. Es kommt zum <?page no="193"?> Ausdruck, dass ihr Bild von Französischlehrerinnen insgesamt negativ ausfällt und die erste Lehrerin für sie eine Ausnahme darstellt. An dem Wechsel der Personalpronomen von der ersten Person Plural zu „ich“ lässt sich ablesen, dass es sich bei der Bewertung um ihre persönliche Haltung handelt, mit der sie sich möglicherweise von dem Kollektiv der Klassengemeinschaft abgrenzt. Das Adverb „noch“ deutet allerdings darauf hin, dass der Spaß im Unterricht bald beendet sein könnte. Und dann ab der Siebten kam dann eine richtig STRENGE Lehrerin. Und dann musste man dann schon echt (.) ja (.) einen Gang zurückschalten mit der ähm (.) mit dem Nichtaufpassen. Da musste man dann schon echt SEHR aufpassen und für die Noten dann halt ARBEITEN (.) und (..) ja das war ja dann auch so okay soweit. [51-54] Bereits hier fällt auf, dass sich die Einteilung der erzählten Lernepisoden an den zeitlichen Abschnitten der Jahrgangsstufen und Lehrkräfte orientiert. Die Lehrpersonen strukturieren Pias Erinnerungen an ihren Französischunterricht vor, Lehrerwechsel markieren Veränderungen des erinnerten Unterrichts, sodass deren starker Einfluss deutlich wird. Auch hier ist es wieder die Lehrerin, die als Erstes genannt wird, um die Episode zu beginnen. So ist die „richtig STRENGE Lehrerin“ - deren Unterricht eine hohe Aufmerksamkeit und Arbeit erfordert - in der siebten Klasse Auslöser eines ersten Wandels in Bezug auf Pias Unterrichtserleben. Die erhöhten Anforderungen schreibt sie demnach nicht dem steigenden Schwierigkeitsgrad oder anspruchsvolleren Unterrichtsinhalten zu, sondern macht die neue Lehrerin dafür verantwortlich. Während die Anforderungen in den ersten beiden Lernjahren in ihrer Wahrnehmung also vergleichsweise niedrig gewesen seien, müsse man nun deutlich mehr mitarbeiten, um gute Noten zu erhalten. Pia erwähnt hier erstmalig Noten, an denen sie ihre (schulische) Handlungspraxis - aufpassen und arbeiten - ausrichtet. Dieses Streben nach guten Noten tritt nun neben den zu Beginn geäußerten Wunsch, die Sprache zu beherrschen und möglichst hohe Kompetenzen zu erreichen. Während ihr Motiv also zuvor eher auf die außerschulische Sphäre gerichtet war, erscheint Französisch nun in erster Linie als Unterrichtsfach, in dem es um das Erreichen möglichst guter Noten geht, die den Lohn der Lernanstrengungen bilden. Auch wenn sie in dieser Passage die Strenge der Lehrerin, den arbeitsintensiven Unterricht und die damit einhergehenden höheren Anforderungen explizit betont, werden diese von Pia akzeptiert („das war ja dann auch so okay soweit“). Dennoch zeigt sich in dieser Bewertung gegenüber dem Unterricht der fünften und sechsten Klasse eine Veränderung der fachlichen Bezugnahme. Während dieser noch Spaß gemacht habe, sei der Unterricht in der siebten Klasse nur 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 193 <?page no="194"?> 194 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens noch „okay“. Die Distanzierung vom Französischunterricht, die sich hier dokumentiert, zeigt sich jedoch nicht nur auf der Ebene der Bewertung, sondern gleichermaßen pronominal. Während sie zuvor vor allem in der ersten Person Singular bzw. Plural spricht, verwendet sie nun das Indefinitpronomen „man“ und spricht hier als Teil der Lerngruppe. Damit stellt sie generalisierend heraus, dass die beschriebenen Veränderungen aus ihrer Sicht für alle SchülerInnen Auswirkungen haben. Aber dann hat sie halt immer wieder, jedes Jahr fast zur gleichen Zeit immer den gleichen Stoff gesagt, und IMMER wieder das GLEICHE und dann hat es irgendwann mal halt zum Hals rausgehangen. [55-56] Durch die Konjunktion „[a]ber“ relativiert Pia das zuvor Gesagte. Ihre vorangegangene Bewertung, in der sie Französisch noch als in Ordnung einschätzt, aber bereits ihre Distanzierung ausdrückt, wird zusätzlich verstärkt. Gleichzeitig stellt die Verwendung von „aber“ einen weiteren Wendepunkt dar, der eine neue Episode einleitet. Im Unterschied zu den vorangehenden Schilderungen wird dieser Wendepunkt nun zwar nicht durch einen Lehrerwechsel eingeleitet, aber auch hier bestimmt die Lehrerin wieder das Unterrichtserleben. In dieser Phase zeigen sich Veränderungsprozesse, die insbesondere durch Monotonie in der Unterrichtsgestaltung ausgelöst werden. Diese kommt auf der sprachlichen Ebene sehr deutlich zum Ausdruck: „immer wieder, jedes Jahr“, „fast zur gleichen Zeit immer den gleichen Stoff“, „IMMER wieder das GLEICHE“. Ein Schuljahr gleicht dem anderen, der Stoff wird mehrfach wiederholt, ohne dass inhaltlich etwas Neues gelernt wird. Dies hat zur Folge, dass „es“ - ob Französisch als Sprache oder der Unterricht, bleibt hier offen - „zum Hals rausgehangen“ habe, womit sie ausdrückt, des monotonen Unterrichtsgeschehens überdrüssig zu sein, es satt zu haben bzw. nicht mehr ertragen zu können. Und dann kam halt auch der viele Nachmittagsunterricht. Das war dann halt auch (.) sehr anstrengend und da wurden ja auch dann die Klassen gemischt. (.) Und ähm (..) ja, das war irgendwie dann nicht so toll, weil dann halt immer die Störenfriede dabei waren und da musste man sich dann halt schon echt durchkämpfen. [60-63] Der Nachmittagsunterricht und die Zusammenlegung der Klassen in Französisch erschweren das Französischlernen als externe, nicht beeinflussbare Faktoren zusätzlich. Der Unterricht wird nun als „sehr anstrengend“ und „nicht so toll“ beschrieben. Pia grenzt sich von der Gruppe der „Störenfriede“, zu denen sie sich selbst nicht zählt und die sie bei der Umsetzung ihrer Lernziele behindern, ab. Als wahrgenommene Durchführungsmöglichkeit, um ihr Ziel, Französisch zu lernen, zu erreichen, entwirft Pia die Handlungsoption des „Durchkämpfens“. <?page no="195"?> In dieser Metapher kommen zum einen die starken äußeren Widerstände zum Ausdruck, gegen die sie sich durchsetzen und gegen die sie ankämpfen muss, als auch die große Mühe und Anstrengung, die dieser „Kampf “ erfordert. Sie spricht hier generalisierend („man“), was dafür sprechen könnte, dass sie die genannten Aspekte grundsätzlich für alle Lernenden als problematisch erachtet. Die erste Episode, die länger bzw. ausführlicher erzählt wird - der Unterricht wird jahrgangsweise stark gerafft beschrieben - und die während dieser eher als enttäuschend beschriebenen Unterrichtsjahre positiv hervorscheint, stellt ein außerunterrichtliches Erlebnis dar. Die Erzählung markiert auch insofern eine Besonderheit, als Pia nach einer längeren Passage, in der sie ihr eigenes Erleben eher distanziert durch die überwiegende Verwendung des Pronomens „man“ schildert, wieder in die erste Person Singular wechselt, was zum einen auf eine größere persönliche Involviertheit hindeutet und zum anderen ihre eigene Position gegenüber den anderen MitschülerInnen hervorhebt. Aber eigentlich hatte ich dann noch Elan bis zur neunten Klasse (.) und/ weil halt, da war ich ja dann auch in (.) in Frankreich und hab eine Reise gemacht und das war auch echt TOLL, weil in Frankreich bekommt man dann einfach so viel mit von der Sprache und dann fühlt man sich einfach so richtig (.) ähm (..) ja (.) man fühlt sich halt richtig GUT, wenn man sich/ weil du halt da mitreden kannst und (.) die Franzosen sind ja sowieso, wenn du einmal Französisch gesprochen hast, dann belabern (lachend) die dich ja sowieso damit voll. Und Englisch wollen die/ Also eine andere Fremdsprache sprechen die ja sowieso da nicht so gerne, und ich war auch bei einer echt coolen Familie, die dann halt auch immer mit Übersetzer gearbeitet hat und so. Und das war auch echt eine schöne Erfahrung in Frankreich und das hat mich dann eigentlich noch so angespornt bei mir, die nächsten zwei Jahre dann durchzuziehen auf der Regelschule 5 und (.) nochmal richtig Gas zu geben und so hab ich das dann halt auch gemacht. [63-73] In Frankreich „mitreden“ zu können und die Möglichkeit, viel von der Sprache mitzubekommen, bewertet Pia als „toll“, wobei sie diese Einschätzung nicht ausschließlich auf sich bezieht, sondern generalisiert („man“) und damit im Allgemeinen als wertvolle Möglichkeit betrachtet. In der Betonung dieser positiven Erfahrung hebt sie das Kommunizieren und Interagieren in der Zielsprache sowie das Gefühl, sich selbst als sprachlich kompetent zu erleben, als positiven Horizont gegenüber dem monotonen, durch Störenfriede und Nachmittagsunterricht erschwerten schulischen Lernen hervor. Während der Unterricht nichts 5 Hier: Realschule. 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 195 <?page no="196"?> 196 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Neues für sie bieten kann, sondern Jahr für Jahr die gleichen Inhalte besprochen werden, fühlt sie sich durch die immersive Erfahrung mit der französischen Sprache „richtig GUT“. Einmal mehr kommt hier insofern die Differenz zwischen außerschulischer und schulischer Sphäre zum Ausdruck, die einander scheinbar unvereinbar gegenüberstehen. Im schulischen Raum bleibt ihr nur das Ankämpfen gegen die äußeren Widerstände, um ihre Orientierung, hohe sprachliche Kompetenzen zu erwerben und sich weiterzuentwickeln, zu realisieren. Anders als im Unterricht kann sie in Frankreich nun nicht nur Neues lernen, sondern sich selbst auch als kompetente Sprecherin verwirklichen und ihrem Ziel damit sehr viel näher kommen als in der Schule. Hier unterschiedet sich Pia von anderen Fremdsprachenlernenden (vgl. Gruppe Katze), denen es in vergleichbaren Sprachkontaktsituationen nicht gelingt, ein Kompetenzerleben in der Zielsprache zu erreichen. Dass „die Franzosen“ - sie generalisiert hier - kein Englisch oder eine andere Fremdsprache sprechen wollen, nimmt sie wahr, bewertet es aber nicht so wie andere SchülerInnen negativ, sondern stellt dies als allgemeingültige und unabänderliche Tatsache („sowieso“) fest und ist gewillt, auf Französisch mitreden zu können. Obwohl „belabern“ eher negativ konnotiert ist, zeigt das anschließende Lachen, dass sie sich davon nicht gestört fühlt, sondern es als reizvoll und nutzbringend empfindet, dass „die Franzosen“ so auf sie einreden, wenn sie mit ihnen auf Französisch spricht. Verständigungsschwierigkeiten werden nicht als Barriere oder Hemmnis wahrgenommen, sondern mithilfe von Übersetzung durch die französische Gastfamilie überbrückt und gelöst. Insgesamt wird der Frankreichaufenthalt als „schöne Erfahrung“ bewertet, die Pia dazu motiviert, die nächsten zwei Jahre „durchzuziehen auf der Regelschule“ und „nochmal richtig Gas zu geben“. Das außerschulische Erlebnis trägt also dazu bei - allen äußeren schulischen Hindernissen zum Trotz -, das Französischlernen in der Realschule zu einem Ende zu bringen, d. h. weiter zu lernen und sich anzustrengen. Von dem Unterricht ist zu diesem Zeitpunkt nichts mehr zu erwarten, jedoch könnte danach vielleicht eine neue, bessere Etappe beginnen. Das Adverb „nochmal“ drückt hier die Bereitschaft bzw. Motivation zum Weiterlernen aus, die zuvor unterbrochen wurde und damit schon abhandengekommen war, nun aber wieder neu aufgenommen wird. Die fachliche Bezugnahme ist hier also kein linearer Prozess, sondern ständigen Veränderungen unterworfen, die durch äußere Einflussfaktoren zu einer Abwendung, aber - wie in diesem Fall - auch Anstieg führen kann. Der Beginn der Passage deutet die drohende negative Entwicklung allerdings bereits an: Dann habe ihr „Elan bis zur neunten Klasse“ angehalten, wobei das Adverb „noch“ erneut als Zeichen dafür gelesen werden kann, dass dieser Zustand möglicherweise in Kürze beendet sein könnte. <?page no="197"?> Während Pia sich zuvor bereits von verschiedenen Aspekten des schulischen Raums negativ abgrenzt (z. B. Monotonie in der Unterrichtsmethode, Nachmittagsunterricht, Störenfriede), unterzieht sie Schule auch in Bezug auf die Förderung einer kritischen Bewertung. Aber ich (.) ähm (.), man wurde halt nicht so gut gefördert auf der Schule, also weil halt dann immer das Gleiche kam, was man dann halt schon kannte und dann hat man halt auch schnell die Lust verloren. [73-75] Während Pia sich selbst als motivierte Schülerin betrachtet, beklagt sie die fehlende Förderung seitens der Schule. Da man nichts Neues lernen könne, sondern immer wieder Inhalte wiederholt würden, die man schon kenne, verliere man die Lust. Auffällig ist an dieser Stelle der Wechsel von der Ich-Form zum Indefinitpronomen „man“ („man wurde“, „was man“, „dann hat man“). Obwohl der aus der ständigen Wiederholung im Unterricht resultierende Motivationsverlust aus ihrer Sicht für alle Lernenden zutrifft, bezieht sie die ausbleibende Förderung jedoch vor allem auf sich selbst. Diese Interpretation kann durch die nachfolgende Passage gestützt werden, da sie ihre Erzählung in der ersten Person Singular fortsetzt und ihre Konsequenzen aus der ausbleibenden Förderung darlegt. Die Schule kommt ihrer Aufgabe, alle Lernenden gleichermaßen zu fördern, aus Pias Perspektive nicht nach, da sie als sehr gute Schülerin keine hinreichende Förderung erhält. Offen bleibt, ob sie sich bei „der Schule“ auf diese Schule im Gegensatz zu anderen Schulen bezieht oder allgemein auf alle Schulen im Vergleich zu Lernmöglichkeiten außerhalb der Schule, wo eine Förderung eher möglich erscheint. Und dann habe ich mir auch so überlegt, mal ähm (.) nachmittags irgendwo einen Kurs zu belegen Französisch. Aber das hätte dann zeitlich halt nicht geklappt wegen Sport und so und das fand ich dann halt doof. [75-77] Aufgrund der fehlenden Förderung in der Schule sucht Pia nach zusätzlichen Kursangeboten, um nach dem Unterricht am Nachmittag Französisch zu lernen. Enaktierungsmöglichkeiten werden außerhalb der Schule entworfen, können jedoch aufgrund fehlender zeitlicher Ressourcen nicht in die Tat umgesetzt werden. Auch wenn Pia die Unterstützung bzw. Förderung von dritter Seite durch einen Kurs erhofft, ist sie selbst es, die aktiv wird, die die Initiative ergreift, über das geforderte schulische Lernen hinaus nach Lernmöglichkeiten zu suchen. Dies deutet erneut auf ihr großes Interesse an der französischen Sprache hin, welches über das schulische Streben nach guten Noten hinausgeht. So bedauert 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 197 <?page no="198"?> 198 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens sie, dass sie für die Erreichung ihres Ziels die Möglichkeit eines zusätzlichen Sprachkurses nicht wahrnehmen kann. Obwohl sie die Handlungsmöglichkeiten, die sie außerhalb der Schule sieht, nicht verwirklichen kann, sucht Pia - statt zu resignieren und trotz der bereits erlebten Enttäuschungen innerhalb der Schule - das Gespräch mit ihrer Lehrerin. Und dann bin ich halt aber auch zu meiner Lehrerin mal gegangen, und die hat gesagt (imitiert eine andere Stimme): „NEE, wir machen das so wie ich will.“ Und die hatte dann auch keinen Bock auf Französisch und das war dann halt ähm so eine Lehrerin, die ihre Rente gesehen hat. Und. „Ist jetzt egal, was die Lehräh die Schüler machen. Hauptsache ich habe dann meine Kohle und fertig ist es.“ Und (.) ja dann haben wir uns dann zehnte Klasse noch so durchgekämpft. (unv.) [77-82] Pia expliziert zwar nicht näher, was sie selbst sagt, gibt aber die ablehnende Reaktion der Lehrerin („NEE, wir machen das so wie ich will“) wieder. Damit wird implizit deutlich, dass sie vermutlich ihre eigenen Erwartungen, Vorstellungen und Wünsche in Bezug auf das Französischlernen vorbringt, aber auch dieser weitere Versuch, etwas zu verändern, erfolglos bleibt. Die Lehrerin wird von Pia als kurz vor der Rente und für ihr Unterrichtsfach Französisch unmotiviert dargestellt. Sie interessiere sich nicht für die Lernenden, sondern übe ihren Beruf aus Pias Perspektive in erster Linie des Geldes wegen aus. Die Haltung der Lehrerin hat auch Konsequenzen für Pias Bezugnahme zum Fach, denn sie gibt an, dass sich die SchülerInnen („wir“) in der zehnten Klasse „noch so durchgekämpft“ haben. Das schulische Französischlernen wird zum Kampf, der gegen die widrigen äußeren Umstände des Unterrichts unter Aufwendung von viel Mühe und Kraft geführt wird. Auf diese Metapher rekurriert Pia hier bereits zum zweiten Mal. Diesmal bezieht sie sich jedoch nicht nur auf sich selbst, sondern spricht in der dritten Person Plural aus einer kollektiven Perspektive heraus. Sie agiert hier als Sprecherin der Gruppe. Darin dokumentiert sich implizit ihre Überzeugung, dass ihre MitschülerInnen diese Sichtweise teilen. Da Pia in der Eingangserzählung mehrfach das Thema Lust bzw. Motivation anspricht und bemerkt, dass diese irgendwann abhandengekommen sei, zielt eine der Fragen im immanenten Nachfrageteil darauf ab, ob Pia ihren Motivationsverlust zeitlich genauer einordnen kann. Mit der Frage, ob es sich dabei um einen Prozess oder einen festen Zeitpunkt gehandelt habe, wird zwar eine Relevanzsetzung vorgegeben, dennoch reicht Pias Beitrag über eine bloße Beantwortung dieser Frage hinaus. <?page no="199"?> I: Und dann hast du davon gesprochen, du ja, (.) irgendwann hattest du keine Lust mehr. Aber war das so ein PROZESS oder würdest du sagen (.) ähm du kannst genau sagen ab wann das so war? P: Nee ich glaub das war so ein schleichender Prozess weil ja halt dann immer wieder das Gleiche kam und ich war ja immer so eine die ganz ganz viel lernen wollte und ganz ganz viel von einer Sprache und alles und das merk ich ja auch in Englisch als wir zum Beispiel da will ich ja auch (unv.) in Französisch ja sowieso und (.) ja (lacht) ich will ich (.) mein Französisch ist ja auch nicht SCHLECHT oder so ich bin ja auch recht GUT aber (.) man verliert dann halt die Lust daran (.) und ich will halt aber auch jetzt nicht/ Also im Unterricht jetzt Französisch macht mir überhaupt keinen Spaß. Aber wie zum Beispiel ich hab ja auch noch die Gastfamilie im Hintergrund und wir (.) kontaktieren uns dann halt immer mal per E-Mail und so und mein Papa war ja auch mal in Frankreich und dort und ja (.) DA setze ich dann Französisch schon ein. Also es hat mir schon was gebracht die Sprache und es ist ja nicht so als würde ich jetzt sagen ich habe überhaupt keinen Bock mehr, aber ich habe halt keinen Bock mehr das so STUR auswendig zu lernen und im Unterricht dann halt das ähm (.) ja da fehlt mir halt dann diese diese Lockerheit im Unterricht. Den Prozess beurteilt sie als schleichend und auch wenn ihre Argumentation („weil ja halt dann immer wieder das Gleiche kam“) eine Bewertung aus heutiger Sicht darstellt, bestätigt die nachfolgende Äußerung die schrittweise Enttäuschung, die sich bereits in der Eingangspassage offenbarte. Sie beschreibt sich selbst als Schülerin, „die ganz ganz viel lernen wollte“, und spezifiziert diese Entwicklungsorientierung insbesondere auf Sprachen („ganz ganz viel von einer Sprache“). Dass sie jeweils zweimal „ganz“ zur Steigerung ihrer Aussage verwendet, zeigt, wie wichtig ihr die Betonung ihres Interesses bzw. ihrer Lernbereitschaft ist. Der monotone Unterricht steht dieser Haltung jedoch entgegen und verhindert damit ihre Zielerreichung. Als Vergleichshorizont für ihre Einstellung zum Französischlernen benutzt sie das Fach Englisch, für das sie auch viel lernen möchte. Für Französisch gilt dies jedoch bedingungs- und voraussetzungslos („sowieso“). Pia betont, dass der Motivationsverlust nicht im Zusammenhang mit ihren Leistungen in Französisch stehe. Dies bedeutet gleichzeitig, dass für sie schlechte Leistungen zwar ein möglicher Grund wären, die Lust am Französischlernen zu verlieren, für sie treffe das jedoch nicht zu. Besonders auffällig ist, dass Pia auch hier wieder eine Trennung der Sphären Schule und außerschulischer Lebenswelt vornimmt. Auch in Bezug auf ihre Motivation differenziert sie zwischen dem Lernen der französischen Sprache im 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 199 <?page no="200"?> 200 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Unterricht („Also im Unterricht jetzt Französisch macht mir überhaupt keinen Spaß.“) und deren Verwendung im Zielsprachenland. Sowohl per Mail mit der Gastfamilie als auch in Frankreich gibt sie an, die Sprache einzusetzen. Abermals liegt Pias Enaktierungspotenzial damit außerhalb des Unterrichts. So sagt sie nicht, dass der Französischunterricht zu ihrer sprachlichen bzw. persönlichen Entwicklung beigetragen habe, sondern schreibt dies der Sprache selbst sowie dem Kontakt mit dieser im Zielland zu. Die Lockerheit, die sie als positiven Horizont beschreibt, fehlt ihr im Unterricht. Ihr stellt sie das sture Auswendiglernen entgegen, von dem sie sich abgrenzt. Unterrichtliche Faktoren, die Pias Distanzierung vom Fach beeinflusst haben, sollen nachfolgend durch die Analyse weiterer Textstellen genauer zur Darstellung kommen. 6.1.4 „Das hat mich dann schon ein wenig runtergedrückt“ - negative Lernerlebnisse und Misserfolge im Unterricht Nach der zehnten Jahrgangsstufe wechselt Pia die Schule. Mit dem Schulwechsel und der neuen, dritten Französischlehrerin beginnt abermals eine neue Episode in ihrer Eingangserzählung. Das nun folgende Lernerlebnis ist nach dem Auslandsaufenthalt das zweite, über das sie ausführlicher erzählt. Dabei handelt es sich diesmal um eine schulische Begebenheit, und zwar um eine der ersten Unterrichtssituationen mit der neuen Lehrerin. Dann kamen wir hier auf die Schule, (.) und das war dann schon meine dritte Französischlehrerin (lachend) und, die ist ja dann nochmal GANZ anders. (.) (lacht) Das ist halt echt nur ein dummer Zufall und dafür kann die Frau Hartwig eigentlich auch nichts, aber ich saß dann halt so da, und man kannte die alle noch nicht, alle ganz neu und dann hat, das hat sie bis jetzt auch nur ein EINZIGES Mal gemacht bei mir und NIE wieder und dafür (.) (lachend) ich weiß nicht (.) dafür hasse ich sie schon ein wenig. Und da waren wir haben wir halt im Buch so gelesen und dann ähm sollten wir halt so einen ZIEMLICHEN Text übersetzen (.) und (.) ja, ich war dann halt dran und ich war dann total aufgeregt und, (.) wusste nicht was ich sagen sollte und habe mich immer verhaspelt und dann kamen halt hinten immer dann noch solche Kommentare und (.) dann habe ich dann halt ma: l/ (.) Ich weiß gar nicht welche Note das war, aber für mich war das halt schon ein etwas schlechter Einstieg in Französisch, weil ich dann halt immer auf Eins stand. Ich bin ja auch so eine gute Schülerin, will halt immer das Bestmögliche haben und bin dann halt auch ehrgeizig und ja. (.) Das hat mich dann schon ein wenig runtergedrückt. Und dann (.) sitzt man dann so da: : <?page no="201"?> in Französisch, so die ersten beiden Stunden und dann (.) ja: : kommt das dann halt so, diese Keine-Bock-Phase und (.) (unv.) ist dann das Freitag so spät und das war dann eher nicht so. Und wir waren ja auch gewohnt vom anderen Unterricht, dass wir halt sehr viel SELBSTSTÄNDIG arbeiten. Und da musste man dann halt schon viel mitmachen. Und dann war das dann auch ein ganz anderes Anforderungsniveau. Und dann hat man sich dann schon so gedacht: „Och man.“ (lacht) [82-99] Pia betont, dass mit dem Schulwechsel „schon“ ihre dritte Französischlehrerin verbunden sei, was zum einen darauf hindeutet, dass sie drei verschiedene Lehrkräfte als viel oder mehr als erwartet empfindet, und zum anderen ein Ausdruck ihres Unbehagens darüber sein könnte. Die erste Veränderung, auf die sie im Zusammenhang mit dem Schulwechsel Bezug nimmt, ist also die Lehrkraft und nicht Unterrichtsinhalte, erhöhte Anforderungen oder der Schwierigkeitsgrad. Hier bestätigt sich abermals die große Bedeutung, die den verschiedenen Lehrerinnen im Hinblick auf Pias Unterrichtserleben zukommt. Obwohl sie das Erlebnis, von dem sie erzählt, als singuläres Ereignis und „dummen Zufall“ bewertet und die Schuld eigentlich nicht bei der Lehrerin sieht („dafür kann die Frau Hartwig eigentlich auch nichts“), führt es dazu, dass sie die Lehrerin „ein wenig“ hasst. Von der Lehrerin, die sie in diese unangenehme Situation gebracht hat, grenzt sie sich damit negativ ab. Hier liegt scheinbar ein Widerspruch vor, der zunächst kaum zu verstehen ist. Denn wenn Pia der Lehrerin nicht die Schuld an dem Vorfall gibt, sollte sie diese auch nicht hassen. Aufgrund dieser wenig schlüssigen Argumentation kann davon ausgegangen werden, dass es nicht die Persönlichkeit der Lehrerin ist, wegen der sie negativ eingestellt ist, sondern dass es das Erlebnis selbst ist, was sie zu dieser Bewertung veranlasst. Ausgerechnet dieses extrem starke, negative Gefühl des Hasses beschreibt sie lachend und schwächt es durch „ein wenig“ ab. Möglicherweise ist Pia diese Wortwahl gegenüber der Forscherin unangenehm. Es könnte jedoch auch heißen, dass ihr eine solch ablehnende Haltung zwar leidtut, ihr Selbstkonzept als Französischlernerin aber so stark erschüttert ist, dass das Ereignis die Beziehung zur Lehrerin bereits am Anfang nachhaltig belastet und zerstört. Dies stützt die Interpretation, dass der eigentliche Grund für Pias Unbehagen nicht die Lehrerin ist, sondern das Gefühl, das sie in der Unterrichtssituation erlebt. Denn da die Klasse neu zusammengesetzt ist und die Lernenden von verschiedenen Schulen kommen, kennen sie sich größtenteils noch nicht. Für Pia bringt diese neue Situation Verunsicherung mit sich. Beim Übersetzen eines anspruchsvollen Textes ist sie so aufgeregt, dass sie nicht weiß, was sie sagen soll. Sie verhaspelt sich und bekommt eine aus ihrer Sicht schlechte Note. Auch wenn sie sich nicht mehr an die Zensur erinnern kann, ist ihr - der sehr guten und ehrgeizigen Schülerin - 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 201 <?page no="202"?> 202 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens der schlechte Start noch genau in Erinnerung. Dass sie nicht mehr weiß, welche Note sie erhalten hat, lässt darauf schließen, dass es nicht das Resultat war, das sie so negativ erlebt hat, sondern vielmehr das Erlebnis der Prüfungssituation selbst. Dieses Erlebnis habe sie „runtergedrückt“, was hier im doppelten Sinne gelesen werden kann: Zum einen hat sich durch die schlechte Zensur ihr Notendurchschnitt verschlechtert, zum anderen - und das erklärt vielleicht noch besser ihre heftige Reaktion - hat es auch sie persönlich bedrückt, da es ihr nicht gelungen ist, den eigenen Erwartungen gerecht zu werden. Insbesondere die Reaktionen ihrer MitschülerInnen („dann kamen halt hinten immer dann noch solche Kommentare“) tragen scheinbar dazu bei, dass es ihr nicht gelingt, angstfrei in der Fremdsprache zu agieren, und sie sich zusätzlich verunsichert fühlt. Unmittelbar nach der Schilderung dieses Ereignisses äußert sich Pia über ihre Haltung zum Unterricht in dieser Zeit, sodass Pia das negative Erlebnis in einen Zusammenhang zu ihrer Lernbereitschaft rückt. Die Lernerin Pia, die zuvor noch eigeninitiativ nach außerschulischen Lernangeboten gesucht hat, inszeniert sich nun dasitzend, als passive Teilnehmerin am Französischunterricht. Diese persönliche Distanz wird verstärkt durch die Verwendung des Indefinitpronomens „man“, die Unlust und Langeweile auf der parasprachlichen Ebene durch die Dehnung von Vokalen. Auch die Bewertung, die sie vornimmt („eher nicht so“), ist - wenn auch durch das Adverb „eher“ leicht abgeschwächt - negativ, sodass der Französischunterricht in den ersten beiden Stunden bzw. am Freitagnachmittag neben der „Keine-Bock-Phase“ als ein das Lernen zusätzlich erschwerender Einflussfaktor wahrgenommen wird. Obwohl Pia nicht expliziert, was genau sie mit dem „anderen Unterricht“ meint, eröffnet sie hier einen Vergleichshorizont eines Unterrichts, in dem sehr viel selbstständig gearbeitet werde. Unklar bleibt, auf welchen Unterricht sich die Textstelle bezieht. Eine mögliche Lesart wäre, dass sie sich auf den Französischunterricht an ihrer alten Schule bezieht. Da sie jedoch kurz zuvor ihren Unmut über den späten Nachmittagsunterricht geäußert hat und in der ersten Person Plural spricht, legt ein zweiter, wahrscheinlicherer Interpretationsansatz nahe, dass sich Pia hier auf andere Unterrichtsfächer nach dem Schulwechsel bezieht. Die Anforderungen im Hinblick auf selbstständiges Arbeiten, die Mitarbeit sowie das gestiegene Niveau in den anderen Fächern führen dazu, dass sie Französisch als hohe Belastung wahrnimmt. Auch wenn diese Textstelle hier nicht eindeutig interpretiert werden kann, ist dennoch festzustellen, dass sich Pias Wahrnehmung des Französischunterrichts noch einmal deutlich von der vorherigen unterscheidet. Es gelingt ihr nicht mehr, sich für das Lernen der Sprache zu motivieren, da der Unterricht von ihr nicht mehr als Möglichkeit betrachtet wird, ihr Streben nach hohen sprachlichen Kompetenzen zu realisieren. <?page no="203"?> Das negative Erlebnis mit der Französischlehrerin scheint für Pias Bezugnahme zum Fach von besonderer Bedeutung zu sein. Eine der immanenten Nachfragen soll deshalb weitere Erzählungen über möglicherweise einschneidende Unterrichtserlebnisse initiieren. I: […] und ähm, du hast diese eine Situation genannt, mit dem ähm Lesen und Übersetzen. Gab es noch andere Situationen die du irgendwie so als total unangenehm oder als SCHWIERIG ähm für dich empfunden hast? P: Zum Beispiel ähm mussten wir in der Regelschule mal einen Vortrag halten, über irgend so ein (..) ich weiß gar nicht mehr was das war. Also auf jeden Fall war es ein Vortrag und der war echt GRAUSAM, weil ich hatte da/ (.) Also ich war da drei Wochen krank und dann kam ich und (.) ich wusste ja, dass wir/ Also ich wusste so drei Tage vorher mit dem Vortrag, dass wir den halten mussten (.) u: nd also, ich war dann nicht so auf dem Stand meiner Noten und ich war die Einzige, die eine Note WENIGER hatte (.) und es war ja eigentlich nur so eine Übungssache und die hat mir auch VERSICHERT, dass das alles NICHT auf Note ist und alles. Und (.) ja, da bin ich dann halt vor und (.) wusste halt nicht so wirklich, was ich darüber reden sollte. Weil wenn dir drei Wochen Sprachunterricht fehlt, dann (.) rostest du ja schon sozusagen ja schon ein bisschen ein und bist dann immer UNSICHER. „Hab ich das jetzt richtig ausgesprochen? “ Oder so. Und das ist halt auch nicht LEICHT und (.) das Ding war halt auch, dass ich das dann aus dem KOPF machen musste, und das war dann auch TOTAL schwer. Weil sie hat dann (.) teilweise auch Erwarthoch/ hohe Erwartungen gestellt, die ich ja eigentlich zum Teil auch wollte, aber (.) halt (.) ich konnte mich nicht so wirklich darauf vorbereiten. Wenn man halt drei Wochen krank war. Und (.) ja, dann hat sie mir dann erstmal (lachend) die Vier reingedrückt. Und (.) hat dann (.) so das GANZE Schuljahr dann ein WACHsames Auge auf mich gehabt. „Na was macht sie denn? “ Und ähm ja das war dann echt unangenehm halt. (.) Ja, das fand ich dann halt (lachend) nicht so schön. (..)[247-266] Pia erzählt von einem zweiten Unterrichtserlebnis, das ihr in negativer Erinnerung geblieben ist. Der Vortrag wird hier personifiziert und mit einer extrem negativen Bewertung versehen („der [Vortrag] war echt GRAUSAM“). Der Duden schlägt hier verschiedene Lesarten vor, von denen die folgenden für Pia zutreffend sein könnten: sehr schlimm, hart; (umgangssprachlich) sehr schwer zu ertragen; wie eine Art Pein empfunden. Auch wenn sie sich nicht mehr an das Thema erinnert, kann sie die Umstände dieses Ereignisses noch genau rekonstruieren. In der Erzählung wird deutlich, dass es sich auch bei diesem 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 203 <?page no="204"?> 204 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens zweiten Unterrichtserlebnis um eine Situation der mündlichen Leistungskontrolle handelt, in der es ihr es wieder nicht gelingt, sich selbst als kompetent zu erleben. Sie beschwert sich jedoch weniger über die Person der Lehrkraft, sondern in erster Linie über die Umstände, die es ihr erschwert haben, gute Leistungen zu zeigen. Denn Pia muss trotz ihrer dreiwöchigen Fehlzeit einen Vortrag halten und erhält - entgegen der Ankündigung, dieser diene nur der Übung und nicht der Evaluation - eine Vier. Pia sagt jedoch nicht, „ich habe eine Vier bekommen“, sondern dass die Lehrerin ihr „die Vier reingedrückt“ habe. Durch das Lachen, von dem ihre Aussage begleitet wird, distanziert sie sich von dieser Bewertung. Implizit wird hier deutlich, dass sie die Note nicht akzeptiert, sie ungerechtfertigt findet und diese auch nicht ihrer tatsächlichen Leistung entspricht. Vielmehr wurde ihr die Vier von außen aufgezwungen bzw. zugemutet. In der Folge fühlt sie sich von der Lehrerin unter ständiger Beobachtung, was sie als „echt unangenehm“ und „nicht so schön“ empfindet. Damit grenzt sie sich von dem Verhalten der Lehrerin negativ ab. Es sind jedoch nicht deren hohe Erwartungen, die sie für sich ablehnt. Vielmehr möchte sie diesen entsprechen, doch die ausbleibende Anerkennung ihrer eigentlichen Leistungen, die fehlenden Möglichkeiten, diese unter Beweis zu stellen, und die anhaltende Beobachtung durch die Lehrerin stellen für ihr Selbstbild als sehr gute Fremdsprachenlernerin ein Problem dar. Dass sich Pia nach drei Wochen fehlendem Sprachunterricht „eingerostet“ fühlt, zeigt, dass sie aus ihrer Sicht normalerweise eine gewisse sprachliche Flexibilität und Beweglichkeit mitbringt. Dennoch bereitet es ihr Schwierigkeiten, sich nach ihrem Fehlen nicht vorbereitet haben zu können und „dass [sie] das dann aus dem KOPF machen musste“. Implizit wird hier deutlich, dass Pias Sprachenlernen im schulischen Raum durch ein großes Bedürfnis geprägt ist, sich sicher zu fühlen. Auch die richtige Aussprache scheint für sie im Unterricht von großer Bedeutung („und bist dann immer UNSICHER, hab ich das jetzt richtig ausgesprochen“). Die Anwendung der französischen Sprache scheint für sie im schulischen Kontext sehr stark mit einem focus-on-form -Ansatz verknüpft zu sein, während sie in außerschulischen Kommunikationssituationen nicht erwähnt, sich Gedanken über den korrekten Sprachgebrauch zu machen, und es ihr scheinbar gelingt, sich auf den Inhalt ihrer Äußerungen zu fokussieren. Auch das nächste Erlebnis, das sie schildert, bezieht sich auf Situationen im Unterricht, in denen Pia scheitert bzw. in denen es ihr nicht gelingt, sich selbst als sprachlich kompetent zu erleben. Ähm (.) was noch. (.) Ach ja, ich fand irgendwie auch so, die also die hat auch viel mit Hörtexten gearbeitet, was die Frau Hartwig ja auch macht in der Schule, (.) aber ich find (..) äh, dass sie sie zu <?page no="205"?> wenig ANHÖREN, also die spielen das meistens nur ein bis zweimal ab, wie in Englisch. In Englisch ist es klar. Weil Englisch haben wir ja schon mehr- (mehrfach) und mehr Stunden und alles und da ist es OKAY, wenn man das zweimal hört. Aber in FRANZÖSISCH einfach nicht. Und (.) man hat au: ch ä: hm wenig zu tun gehabt mit dem HÖREN ähm mit dem Hörverständnis. Man hat sich eher so auf das Lese- Lese-Schreib-Verständnis (sehr leise) da so, ähm konzentriert und deswegen war das auch an manchen Stellen einfach nur tota: l/ (..) Ja da war ich halt auch ÜBERFORDERT, wenn die dann so schnell sprechen halt. Und (.) dann wird das nur zweimal abähm gespielt und ja (.) da sitzt man dann halt da (lacht) und fragt sich so: „Warum hat man das eigentlich all die Jahre nicht so GEÜBT? “ Halt, weil (.) das ist ja eigentlich AUCH wichtig wie die Franzo-/ Also die Franzosen VERLANGSAMEN ja nicht die Sprache, wenn sie merken dass du jetzt aus Deutschland kommst. Die die sprechen ja ganz normal weiter, wie an der Kasse oder so und dann (.) ja stehst du da ratter (lachend) ratter ratter okay, ähm das ist dann halt schon blöd gewesen also man sollte mehr auf Hörverständnis eingehen. [267-280] Pia beschreibt, welchen Stellenwert die Kompetenz des Hörverstehens einnimmt, und vergleicht die Unterrichtspraxis zunächst mit der des Englischunterrichts. Dort ist für sie klar, dass Texte nur einbis zweimal abgespielt werden, denn in Englisch haben sie „mehr Stunden“ und sind möglicherweise auch vertrauter mit Aufgaben und Übungen zum Hörverstehen. Interessant ist, dass sie ihre Aussage nicht damit begründet, dass Englisch leichter sei, wie es in den Gruppendiskussionen häufig erwähnt wird, sondern die Quantität der Lernzeit ihre Argumentation stützt. Die geringere Lernzeit in Französisch wird damit implizit als Problem angeführt, welches das Hörverstehen im Unterricht erschwert. Darüber hinaus stellt Pia fest, dass diese Kompetenz auch insgesamt zu kurz komme und stattdessen eher das Lesen und Schreiben im Fokus stünden. Während sie in dieser Passage auffällig häufig das Indefinitpronomen „man“ verwendet, spricht sie nur an einer Stelle von sich in der ersten Person Singular („da war ich halt auch ÜBERFORDERT“), wobei sie das Gefühl, sich überfordert zu fühlen, besonders betont. Es gelingt ihr also nicht, die Anforderungen zu bewältigen und sich selbst im Unterricht als kompetent zu erleben. Der Unterricht, der den Weg hin zu der Erreichung ihres Ziels ebnen soll, bietet keinerlei Umsetzungsmöglichkeiten, was sie explizit beklagt („Warum hat man das eigentlich all die Jahre nicht so GEÜBT? “). Implizit grenzt sie sich vom Französischunterricht ab und bringt erneut die fehlenden Enaktierungsmöglichkeiten desselben zum Ausdruck. Etwas widersprüchlich ist dabei ihr Wunsch, beim Hörverstehen 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 205 <?page no="206"?> 206 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Texte mehr als zweimal vorgespielt zu bekommen, obwohl sie selbst feststellt, dass „Franzosen“ nicht langsamer sprechen, „wenn sie merken dass du jetzt aus Deutschland kommst“. Dennoch zeigt sich auf der Ebene des dokumentarischen Sinngehalts, dass sie sich durch den Unterricht nicht ausreichend auf reale Kommunikationssituationen vorbereitet fühlt, was sie durch ein Beispiel („wie an der Kasse“) belegt. Die Onomatopoetika („ratter (lachend) ratter ratter“) unterstreichen ihr bemühtes Nachdenken bzw. ihren Verstehensprozess in diesem Moment und zeigen, dass es ihr schwerfällt, das Gehörte zu verstehen bzw. frei und spontan zu interagieren. Die Unvereinbarkeit des Französischunterrichts mit Pias Ziel, fließend Französisch zu sprechen, kommt in dieser Passage insofern besonders deutlich zum Ausdruck. Auf die Frage nach weiteren schwierigen oder unangenehmen Situationen beschreibt sie Erlebnisse im Zusammenhang mit Leistungskontrollen im Unterricht. Nee, ich denke da waren keine weiteren. Also na ja, bis auf halt (unv.) (lacht) halt wenn das halt/ Da gab halt mal so fiese Lehrer, wie so: „Ihr macht das jetzt übers Wochenende und Montag schreiben wir dann eine Arbeit.“ Und dann ist einfach dein ganzes Wochenende hinüber und dann sitzt du da und/ (.) Ich bin ja eigentlich eine ganz zuverlässige Schülerin, aber an manchen Wochenenden hatte ich dann einfach keine Lust und dann sitzt man so vor der Arbeit und denkt sich so: „Mm: : h, (lachend) das weiß ich nicht.“ Und dann macht man sich dann halt schon irgendwie einen Kopf: „Warum hast du die jetzt nicht so gelernt ein paar? Du hättest dir ja mal fünf Minuten Zeit nehmen können.“ Aber das ist ja dann meistens so weil/ sozusagen halt auch irgendwie blöd, wenn deine Lehrerin weiß, was du eigentlich echt für Potenzial hast und welche Erwartungen die an dich hat und dann erfüllst du die halt einfach nicht. Das ist dann halt auch irgendwie unangenehm, weil wenn du dann die Arbeit zurückbekommst und dann kommt so ein strafender Blick (lacht) (.) Das war dann schon na ja. [289-300] Obwohl Pia in dieser Passage nicht explizit über den Französischunterricht spricht, eröffnet sich hier dennoch ein Zugang zu ihrem Selbstbild als Lernende. Sie schätzt sich als „eigentlich eine ganz zuverlässige Schülerin“ ein, die den Erwartungen ihrer Lehrkräfte stets gerecht werden möchte. Durch das Adverb „eigentlich“ sowie die Verwendung des Adjektivs „ganz“ verleiht sie ihrer Aussage allerdings eine gewisse Einschränkung, die sie im Anschluss selbst bestätigt, da sie „an manchen Wochenenden“ nicht motiviert ist zu lernen. Doch diese mangelnde Lernbereitschaft bewertet sie selbst als kritisch, wenn es ihr in der Folge nicht gelingt, ihr eigentliches „Potenzial“ zu zeigen. Wenn sie in Tests <?page no="207"?> feststellt, dass sie Dinge nicht weiß, bereue sie, sich keine Zeit genommen und nicht gelernt zu haben. Das Lernen im Zusammenhang mit Leistungskontrollen wird von ihr jedoch nicht als relevant für einen Wissenszuwachs oder Kompetenzerwerb betrachtet, sondern dient vor allem dem Zweck, Anerkennung durch die Lehrkraft zu erhalten. Sich nicht kompetent zeigen zu können, den an sie gestellten Erwartungen nicht gerecht zu werden, ihre LehrerInnen so zu enttäuschen und negatives Feedback zu erhalten, empfindet sie als „irgendwie unangenehm“. Das Streben nach Anerkennung ist somit neben dem Streben nach hoher sprachlicher Kompetenz wesentlich für Pias Bezugnahme zum Fach Französisch. 6.1.5 „Es ist dann halt immer so der ständige Ablauf“ - monotone Unterrichtsgestaltung und uninteressante Themen Von dem Unterricht in der elften Klasse grenzt sich Pia ab, indem sie in der Eingangserzählung u. a. über Lerninhalte spricht und diese als für ihren Lerntyp ungeeignet ablehnt. Und dann auch ganz viele Vokabeln. Ich bin überhaupt nicht so der Lerntyp, hab die dann immer so gezählt und als ich dann so (lachend) bei 120 oder so immer und da musste ich mich dann echt durchquälen. Und (atmet hörbar durch) so stures Vokabellernen ist halt nicht so. (..) Ich lerne das halt eher wenn die sprechen halt und (.) durch Zuhören und so bin ich so der Lerntyp. Und immer dieses gezwungene Auswendiglernen macht dann halt auch keinen Spaß. [99-103] Der Fokus auf das sture Auswendiglernen von sehr vielen Vokabeln, die Pia sogar zählt, führt dazu, dass sie sich „durchquälen“ muss - was nach „durchkämpfen“ eine weitere Steigerung darstellt. Denn anders als beim Durchkämpfen, welches eine aktive Haltung und einen gewissen Willen impliziert, betont das Verb „durchquälen“ die großen Mühen und das Leiden. Das Lernen - insbesondere von Vokabeln - entbehrt jeder Freiwilligkeit und Freude („immer dieses gezwungene Auswendiglernen macht dann halt auch keinen Spaß“) und ist zu einer Qual avanciert. Diese wird von einem tiefen Durchatmen begleitet, das einem Seufzen nahekommt. Pia stellt nicht die Auswahl der Vokabeln infrage, sondern beklagt, dass diese Form des Lernens nicht ihrem Lerntyp entspricht, da sie eher durch Zuhören lerne und ihr durch den Zwang auch der Spaß fehle. Dies deutet auf ein Lernverständnis hin, das u. a. auf Freiwilligkeit und Autonomie basiert. Pia möchte selbstständig und selbstbestimmt lernen, was ihr durch die vorgegebenen Vokabeln sowie die Art und Weise des Lernens („stures 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 207 <?page no="208"?> 208 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Vokabellernen“) unmöglich erscheint. Offenbar gelingt es ihr jedoch auch nicht, alternative Lernwege für sich zu etablieren, um die geforderten Vokabeln zu lernen. Nachdem sie im Zusammenhang mit dem Vokabellernen fehlenden Spaß thematisiert hat, geht es nun um den Verlust des Interesses. Und wenn man dann halt den Unterricht auch so ein bisschen trocken vermittelt, dann (.) hat man dann auch kein Interesse mehr daran. Weil in der Regelschule hat sie ja dann ab und zu nochmal so auf KULTUR geachtet, wie zum Beispiel Crêpes gebacken oder ähm dann hat sie mal, (.) da war sie/ Sie war ja selber in Frankreich ganz lange, dann hat sie mal davon erzählt und so halt Einblicke gegeben. Das fand ich dann halt schon recht spannend. Und wie ich da halt schon in dem Interview gesagt hatte, dass man da vielleicht mehr darauf ACHTEN sollte, im Französischunterricht die französische Kultur den Kindern näher zu bringen, weil (.) dann verlieren sie halt das INTERESSE, weil (.) ich zum Beispiel hatte dann nur noch so/ Das ist jetzt einfach nur eine SPRACHE und dann hinter der Sprache steckt ja noch viel viel mehr, die KULTUR und so und die habe ich dann halt nicht KENNENGELERNT in den ganzen Jahren so wirklich. Und dann hatte ich irgendwie dann kein keine Lust mehr und hab dann halt einfach so gesagt ja du machst deine Note noch, also arbeitest ganz viel für deine Eins und dann ist es abgeschlossen. (..) Ja. (…) [103-115] Generalisierend stellt sie dem jetzigen, „trockenen“, monotonen Französischunterricht den spannenden, auf kulturelle Aspekte ausgerichteten Französischunterricht an der Realschule gegenüber, der Einblicke in die französische Kultur sowie persönliche Erfahrungen der Lehrerin ermöglicht. Wenn der Unterricht es verpasst, den SchülerInnen die Kultur näherzubringen, führe dies zum Verlust des Interesses, was nicht nur für sie selbst, sondern allgemein gelte. Um diesen Zusammenhang zu veranschaulichen, nimmt sie auf ihren eigenen Fall Bezug. Da der Unterricht ihr nicht die Möglichkeit geboten hat, die französische Kultur kennenzulernen, hatte sie irgendwann - wieder kann sie nicht genau sagen wann - keine Lust mehr. Was von dem zu Beginn geäußerten Ziel, Französisch zu können, übrig bleibt, ist nur noch das Streben nach einer guten Note, um das Kapitel Französisch abzuschließen. Das außerschulische Interesse an der Sprache sowie das Streben nach möglichst hohen sprachlichen Kompetenzen scheinen ihr an dieser Stelle abhandengekommen zu sein. Da Pia in ihrer Eingangserzählung äußert, man verliere das Interesse, wenn der Unterricht trocken ist, bezieht sich die immanente Nachfrage der Interviewerin auf diese Aussage mit der Bitte, genauer zu erklären, was sie genau mit „trocken“ meint. In ihrer Beschreibung wird deutlich, dass es vor allem die <?page no="209"?> monotone, sich ständig wiederholende Unterrichtsgestaltung ist, die dazu führt, dass man das Interesse verliert. I: Ja. Du hast auch gesagt, dass äh jetzt der Unterricht so trocken ist. Also vielleicht kannst du nochmal/ (.) Also was meinst du mit (.) mit trocken? P: Na ja: : zum Beispiel, es ist dann halt immer so der ständige Ablauf. Wir fangen heute an mit dieser Lektion und dann behandeln wir das jetzt und (.) bab bab bab bab bab. Und (.) danach kommen auch gleich die Vokabeln und die müsst ihr dann lernen bis dahin und das ist IMMER so gewesen, bei JEDER Lektion, immer wieder jeden Tag und dann (atmet hörbar ein) denkt man sich dann einfach nur so: (.) „Man kann doch mal so was AUFLOCKERNDES machen“. Das klaut ja jetzt nicht die Zeit vom UNTERRICHT. Das ist doch schön. Und (.) wenn/ (.) Ich finde auch dieses STURE nach Lektionen gehen nicht so schön, weil manche interessiert das halt wie gesagt nicht und dann sollte der Lehrer schon so auch auf die Mehrheit dann achten, (.) was die so will (..) ja (..) deswegen. (..) [323-333] Durch die fünfmalige Wiederholung einer Interjektion („bab“), die eine mechanische, stupide und monotone Stimmung erzeugt, die Betonung der Wörter „immer wieder“ und „jeder“ sowie das hörbare Durchatmen wird ihre Ablehnung dessen zusätzlich verstärkt. Gleichzeitig verleiht sie der Aussage eine gewisse Haltung der Resignation, so als gäbe es keine Alternativen und auch keine Aussicht auf Veränderung mehr. Implizit wird auch deutlich, dass sich ihre Wahrnehmung der Gestaltung des Französischunterrichts stark am Lehrwerk orientiert, da sie von „Lektion“ spricht. Aus den Lektionen ergibt sich, was gelernt wird und der dazugehörige Wortschatz. Die Interessen der Lernenden bleiben dabei jedoch unberücksichtigt. Diesem „sture[n] nach Lektionen gehen“ stellt sie auflockernde, die Interessen der Mehrheit berücksichtigende Ausstiege aus dem Lehrwerk als positiven Gegenhorizont gegenüber. Sie sagt, dass solche Phasen keine verlorene Unterrichtszeit seien, wodurch implizit ihre Annahme deutlich wird, die Lehrkraft versuche das Buch abzuarbeiten und vermeide Auflockerndes, um keine Zeit zu verlieren. I: Das hatten wir auch am Freitag das Thema. Ich glaub, da hast du auch gesagt, ähm ja: „Und dann mache ich das Lehrbuch auf und dann habe ich schon kein Bock mehr wenn ich die Inhalte sehe, das gefällt mir überhaupt nicht.“ Also, vielleicht kannst du mal ein Beispiel nennen, was Inhalte waren oder immer noch sind, wo du sagst, das interessiert mich nicht. Da mache ich das Lehrbuch auf und habe schon keinen Bock mehr. 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 209 <?page no="210"?> 210 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens P: Ähm (.) Zum Beispiel was war denn das? Ah ja, also zum Beispiel wenn man jetzt einen Text aufschlägt und dann also ein Buch aufschlägt und dann (.) zwei Seiten lang nur Text ist. Das ist dann einfach nur so überfordernd. (lacht) Also ich weiß auch nicht, das das ging eigentlich (.) so ums Schulsystem, das war eigentlich auch schon recht interessant, aber (.) die haalso die Problematik dabei war aber was anderes. Das war irgendwie um Praktikum und (.) dass sie ähm (.) dass sie gerade in der Schule nicht so gut ist und so. (.) Und ich fand das eher uninteressant. Also ich würde dann mehr eigentlich mehr so über das eigentliche Bildungssystem erfahren statt (.) wie die jetzt Stress haben die Schüler dort. Also das hat mich jetzt nicht so interessiert. Und (.) das INTERESSANTESTE Thema in dem Buch kam natürlich erst in Lektion ZEHN und die haben wir natürlich nicht gemacht. (lacht) Das war nämlich Reisen: (.) Und sie hatte ja (.) ähm am Ende des Schuljahres dann mal gefragt, weil wir ja dann kein Französisch, weil wir ja dann EH kein Französisch mehr haben ja, (.) ob wir/ was wir denn jetzt für eine Lektion anfangen wollen. Und dann konnte ich es ENDLICH mal SAGEN. (lacht) Wir ähm haben das aber nur kurz angeschnitten und da hat man halt auch gemerkt, dass einem auch die Grundlagen fehlen. Wenn ich zum Beispiel aus Stichpunkten Sätze zu machen also sofort ja frei dann halt auch. Da ist man auch total unsicher vor ANDEREN, vor allem zu reden, weil man traut sich das dann doch schon nicht ähm wenn man jetzt vielleicht die falsche AUSSPRACHE hat oder die Endungen sind ja dann auch immer so ein bisschen verzwickt in Französisch (.) u: nd (.) ja: (…) das war dann ja. (..) [335-358] Obwohl nach einem konkreten Beispielthema, d. h. nach Inhalten gefragt wird, bezieht sich Pia zunächst auf die Gestaltung („zwei Seiten lang nur Text“) der einführenden Lehrwerktexte. Offenbar sind es aus ihrer Sicht vor allem die Präsentation und Darbietung der Inhalte, die zu Überforderung führen. Darüber hinaus erzählt sie von zwei Beispielen, die jeweils als verpasste Chancen des Unterrichts gelten können. Das Potenzial der Themen, die sie interessieren, wie z. B. das Bildungssystem in Frankreich oder Reisen, bleibt ungenutzt, da sie im Unterricht nicht behandelt werden. Das aus ihrer Sicht interessanteste Thema befand sich am Ende des Buches in Lektion 10 und wurde nicht behandelt. Die zweimalige Verwendung des Adverbs „natürlich“ zeigt, dass dies für Pia vorhersehbar und zu erwarten war. Es passt in ihr Bild vom Fach Französisch, das durch Enttäuschungen geprägt ist. Implizit drückt sie damit aus, dass sie dem Französischunterricht nach all ihren Erfahrungen über die Jahre hinweg jegliches Enaktierungspotenzial abspricht. Die Lehrerin fragt <?page no="211"?> erst am Ende des Schuljahres, welche Lektion die Klasse noch anfangen wolle, was Pia darauf zurückführt, dass die meisten SchülerInnen „ja dann EH kein Französisch mehr haben“ - so als sei das Nicht-Fortführen der Fremdsprache die Voraussetzung für die Lehrkraft, sich an den Interessen der Lernenden zu orientieren, und als sei dies zuvor nicht möglich gewesen. Die Aussage, „END- LICH mal SAGEN“ zu können, was sie wolle, klingt wie eine Art Befreiung, die sich am Ende einer langen Zeit des vergeblichen Wartens schließlich doch noch bietet. Dennoch empfindet sie auch diese Möglichkeit als weitere Enttäuschung, da das Thema nur kurz behandelt wird und es ihr Probleme bereitet, aufgrund fehlender Grundlagen frei und vor anderen zu sprechen. Folglich ist es wieder ein Unterrichtserlebnis, das sich auf Mündlichkeit bezieht, und wieder ist es die Unsicherheit zu sprechen und die Angst, dabei Fehler zu machen. Der Unterricht verwehrt ihr eine angstfreie Atmosphäre sowie die Möglichkeit, sich selbst als kompetent zu erleben. Da Pia in der Eingangspassage bereits zu Beginn ihren Wunsch betont, Französisch zu lernen, und den Unterricht als Enaktierungspotenzial, d. h. Durchführungsmöglichkeit betrachtet, die eigene Orientierung zu verwirklichen, sollen im Nachfrageteil auch ihre anfänglichen Erwartungen an den Französischunterricht fokussiert werden. An den Unterricht, ä: hm (.) na ja erstmal anfangs niedrige. (lacht) weil es ist ja halt schon eine neue Sprache und so, aber (..) mich hat es dann auch nach einer Weile genervt, weil ich halt sehr SCHNELL Sprachen lernen kann und meine Mitschüler (.) waren dann immer so ein bisschen ZURÜCK und ich habe mich damit dann schon UNTERFORDERT gefühlt. Und dann waren halt meine Erwartungen von Jahr zu Jahr immer höher und (.) ich hab sie dann ganz hoch gestellt, aber das konnte die dann halt nicht erfüllen so wirklich. Weil (.) die dann, alle anderen nicht mitkamen und ich wollte eigentlich (.) ähm die Sprache (.) fast FLIEßEND lernen und hab mir dann halt auch überlegt, ab der achten Klasse oder so mal ein Auslandsjahr in Frankreich zu machen. Weil von einem Klassenkamerad die Schwester war dann in Frankreich studieren und das fand ich dann halt auch sehr interessant, und hab mir auch so überlegt ja Französisch-Lehramt wäre ja auch cool wenn du das mal machst. Aber es hat ja dann wie gesagt nachgelassen und (.) ja, hat meine Erwartungen dann nicht erfüllt und dann lässt du dann DAS liegen und widmest dich dann anderen Dingen. [198-209] Ihr Selbstbild als schnelle Sprachenlernerin arbeitet sie anhand des Vergleichs mit ihren langsameren MitschülerInnen aus, die im Hinblick auf die Verwirklichung ihres Ziels als hinderlich und damit Enaktierungsprobleme auftreten. 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 211 <?page no="212"?> 212 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Der zunehmenden Unterforderung und Monotonie im Unterricht diametral entgegengesetzt sind ihre Erwartungen, die „von Jahr zu Jahr“ steigen. Obwohl sie ihre schwächeren MitschülerInnen im Modus einer Argumentation dafür verantwortlich macht, dass ihre Erwartungen nicht erfüllt werden können, wird implizit deutlich, dass sie dieses Problem allein auf sich selbst bezieht und sich damit auch isoliert von allen anderen wahrnimmt. Indem sie sagt, dass „alle anderen nicht mitkamen“ und „die“, d. h. ihre Lehrerin, ihre Erwartungen dann nicht erfüllen konnte, spricht sie sämtlichen am Unterrichtsprozess beteiligten Personen jegliches Enaktierungspotenzial ab und stellt anschließend kontrastiv Enaktierungsmöglichkeiten dar, die bei ihr selbst liegen. Um Französisch fließend zu lernen, erwägt sie ab der achten Klasse, „ein Auslandsjahr in Frankreich zu machen“ oder sogar ein Lehramtsstudium aufzunehmen. Beide Optionen beziehen sich damit auf ihr eigenes Handeln und liegen zudem außerhalb des Fremdsprachenunterrichts. Dass sie diese jedoch verwirft, liegt zum einen vermutlich an der zeitlichen Distanz, zum anderen aber auch an der Brüchigkeit ihrer Orientierung. Pia gibt an, sich anderen Dingen gewidmet zu haben, da ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden. Dabei ist interessant, dass sie in Bezug auf diese Entscheidung hier das Pronomen wechselt. Durch die zweite Person Singular („dann lässt du dann DAS liegen und widmest dich dann anderen Dingen“) verleiht sie der Aussage eine gewisse Kausalität bzw. Gesetzmäßigkeit, so als ob ihre Entscheidung auch auf andere Menschen übertragbar wäre. Denn sie sagt nicht, „ich habe mich dann anderen Dingen gewidmet“, wodurch sich die Aussage ausschließlich auf ihre eigene Person beziehen würde. Die Metapher, etwas „liegen zu lassen“, verdeutlicht, dass sie Französisch nicht fortführt, sondern es abschließt und ihm zugunsten anderer Dinge keine weitere Beachtung schenkt. Den persönlichen Bezug verliert Französisch sprachlich und sinnbildlich auch dadurch, dass hier nur noch von einem „das“ die Rede ist. Unklar bleibt hier, ob sie sich mit „das“ auf die Sprache oder ausschließlich auf Französisch als Unterrichtsfach bezieht, dem sie nun andere Fächer vorzieht. 6.1.6 „Also ich kann mich ein BISSCHEN verständigen“ - Pias Selbsteinschätzung und Zukunftsperspektiven Da Pia im Laufe des Interviews Möglichkeiten des Französischlernens erwähnt, die nach Beendigung ihrer Schulzeit, d. h. noch in der Zukunft liegen, fragt die Interviewerin, über welche Zukunftsperspektiven und -vorstellungen sie nachdenkt, wenn sie keinen Unterricht mehr haben wird. <?page no="213"?> I: Aber kannst du dir das jetzt noch vorstellen? Also ich meine, die Schulzeit ist ja irgendwann vorbei und (.) theoretisch könntest du ja trotzdem noch sagen, okay, das mit dem Unterricht hast du jetzt abgeschlossen, aber du magst die französische Sprache nach wie vor so, dass du es mal weitermachen willst. Also wie ist das quasi ähm für die Zukunft für dich mit dem Französisch? Wie wird es weitergehen, wenn du jetzt keinen Unterricht mehr hast? P: Also (.) muss ich erstmal sehen, also ich freu mich ja (lachend) erstmal, dass ich keinen Französischunterricht mehr habe, dass ich mich dann halt irgendwie selber weiterbilden kann. Aber (.) ich sag mal, momentan ist es auch (.) ähm, (.) es sind ja dann Ferien und so und ich denk halt mal schon, dass ich da noch ein bisschen die Sprache lerne. Vor allem durch die Familie halt, weil nächstes Jahr fahre ich dann wahrscheinlich auch wieder nach Frankreich zum Sportaustausch und das ist halt auch immer schön. Und ich versuche halt die/ dass ich das halt nicht so vergesse die Sprache. (.) Aber ich glaube, die Motivation diese das FLIEßEND zu lernen ist gerade irgendwie flöten gegangen. Vielleicht kommt es ja nach ein paar Jahren aber (.) erstmal nicht. (lacht)/ / [211-224] Dass sie noch keine konkreten Vorstellungen und Pläne hat, welche Rolle die französische Sprache in der Zukunft für sie spielen wird, und diese bislang nur vorläufig sind, zeigt der wiederholte Einsatz des Adverbs „erstmal“. Dabei überwiegt die Freude über die Aussicht, keinen Französischunterricht zu haben. Sie distanziert sich somit nicht von der Sprache, sondern vom Unterricht, was diesen erneut als negativen Gegenhorizont erscheinen lässt, von dem sie sich abgrenzt. Auch wenn sie auf der Ebene des kommunikativen Sinngehalts äußert, die Motivation, Französisch zu können, d. h. fließend zu lernen, sei „flöten gegangen“, und die zu Beginn herausgearbeitete Orientierung damit brüchig erscheint, zeigt sich an ihrer Handlungspraxis implizit, dass Pia weiterhin an dieser Orientierung außerhalb der Schule festhält. Denn trotz der Freude über das nahende Ende des Französischunterrichts erwägt sie, bereits in den Ferien die Sprache weiterzulernen. Auch auf den bevorstehenden Auslandsaufenthalt im Rahmen eines Sportaustauschs freut sie sich und zeigt ein Bemühen, die französische Sprache nicht zu vergessen („versuche halt die/ dass ich das halt nicht so vergesse die Sprache“). Sie selbst bzw. eigene, außerschulische Weiterbildungsmöglichkeiten bilden ihr Enaktierungspotenzial. Das institutionalisierte Fremdsprachenlernen scheint für sie abgeschlossen und ihre Zukunft in Bezug auf das Weiterlernen der Sprache verhandelt sie ausschließlich innerhalb einer außerschulischen Rahmung. 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 213 <?page no="214"?> 214 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Da Pia zu Beginn des Interviews als Ziel formuliert, Französisch fließend sprechen zu können, richtet sich eine Nachfrage der Interviewerin auf eine Einschätzung dessen, was sie aus ihrer Sicht bislang tatsächlich gelernt habe, d. h. inwieweit sie dieses Ziel erreichen konnte. I: Und so grundsätzlich, wenn du auf die Zeit zurückblickst ähm was meinst du hast du jetzt für dich gelernt? P: Hm (..) naja also ich kann mich ein BISSCHEN verständigen, also das finde ich schon mal gut dass ich so ein bisschen einen Plan habe was die da (.) so reden. Ähm (..) Es gab ja auch eine Zeit lang da war ich so richtig verrückt nach französischen Texten und hab dann halt immer Liedertexte gesucht und hab mir die angehört und hab die dann halt auch übersetzt (.) u: : nd (.) das war schon richtig COOL also (..) ja das hat eigentlich schon viel gebracht dass ich mich dann schon verständigen kann im Urlaub halt und ja (.) ich denke das gibt dann auch immer noch so einen Anstoß noch so reireisen zu gehen. (.) Weil wenn ich jetzt GAR nichts so in Tunesien/ weil (.) die Tunesier können ja auch kaum Englisch oder so und dann stehst du dann da und weißt halt nicht was du RE: DEN sollst und dann ist das schon gut. (.) Also es hat mir schon gewisse Grundlagen gelegt. [230-241] Sie gibt an, sich „ein BISSCHEN verständigen“ zu können, „ein bisschen einen Plan“ zu haben und „gewisse Grundlagen“ gelegt zu haben. Damit räumt sie implizit ein, dass sie noch weit von ihrem Ziel entfernt ist, die Sprache flüssig zu beherrschen. Nach einer kurzen Sprechpause wechselt sie das Thema und kommt zurück auf ihr Enaktierungspotenzial. Dass sie selbstständig Lieder sucht und deren Texte angehört und übersetzt, zeigt, dass sie sich wieder ausschließlich auf außerschulische Tätigkeiten ihrer eigenen Person bezieht. Da sie diese Durchführungsmöglichkeiten in Bezug auf ihre Zielerreichung als erfolgreich einschätzt („das war schon richtig COOL also (..) ja das hat eigentlich schon viel gebracht“), werden andere Personen nicht benötigt. Bei der Bewertung ihrer sprachlichen Kompetenz bzw. dessen, was sie meint für sich gelernt zu haben, fällt auf, dass sie sich nicht an schulischen Parametern wie Unterrichtsinhalten oder Noten orientiert, sondern an ihren Möglichkeiten, sich in der außerschulischen Welt - im Urlaub - verständigen zu können. Das Gefühl, im Urlaubsland die Zielsprache sprechen zu können bzw. die nötigen Grundlagen zu beherrschen, bewahrt sie davor, nicht zu wissen, „was du RE: DEN sollst“, und trägt dazu bei, auch weiterhin verreisen zu wollen. Der Wechsel aus der Ich-Perspektive in die zweite Person Singular lässt sich möglicherweise damit begründen, dass dieses Problem aus ihrer Sicht nicht nur sie betrifft, sondern grundsätzlicher Natur ist. <?page no="215"?> 6.1.7 Zusammenfassung Pias Selbstbild als Französischlernerin zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich als ehrgeizige und zuverlässige Schülerin betrachtet, die besonders gerne und schnell Fremdsprachen lernt. Sie bringt aus ihrer Sicht einen hohen Lernwillen auf, Französisch fließend zu beherrschen. Sie strebt nach hoher sprachlicher Kompetenz und Entwicklung, wobei für sie die mündliche Kommunikation im Vordergrund steht, da sie insbesondere für das Mündliche immer wieder Beispiele hervorbringt. Für Pia ist es von Bedeutung, sich selbst als kompetent zu erleben, in der Fremdsprache interagieren zu können und den Erwartungen, die von außen - z. B. durch ihre Lehrkräfte, aber auch in Begegnungen mit Sprechern der Zielsprache - an sie gestellt werden, gerecht zu werden. Ihre Bezugnahme zum Fach Französisch ist im Verlauf der Sekundarstufe I zahlreichen Veränderungen unterworfen, die durch verschiedene unterrichtliche, aber auch außerunterrichtliche Erlebnisse beeinflusst werden. Die Schule bildet für Pia zu Beginn der Sekundarstufe I den geeigneten Lernort, um ihr Ziel zu erreichen. In der Eingangspassage dokumentieren sich jedoch besonders deutlich die durch Unterrichtserlebnisse enttäuschten Erwartungen, sodass sie sich im Laufe der Sekundarstufe I zunehmend von der Sprache distanziert und Französisch an persönlicher Bedeutung für sie verliert. Sie nimmt Französisch mehr und mehr nur noch als Unterrichtsfach wahr und ihre Einstellung zum Erlernen der Sprache verschlechtert sich kontinuierlich. Der Unterricht wird ihrem Wunsch und dem Bedürfnis nach individueller Förderung nicht gerecht. Weder inhaltlich noch methodisch bietet das Fach bei den verschiedenen Lehrkräften das, was Pia sich vorstellt bzw. erhofft. Ihre Versuche, auf die Gestaltung des Unterrichts Einfluss zu nehmen, scheitern, sodass Wünsche und Vorstellungen der Lernenden über die Jahre unberücksichtigt bleiben. Pia erlebt in mündlichen Leistungserhebungen wiederholt ein Gefühl der Enttäuschung und des Scheiterns. Obwohl es in realen Kommunikationssituationen im Zielsprachenland für sie keine Rolle zu spielen scheint, Fehler zu machen, gelingt es ihr im Unterricht nicht, ihre Unsicherheit und die Angst vor Fehlern abzulegen. Die unerfüllten Erwartungen, zahlreichen Enttäuschungen und negativen Unterrichtserlebnisse führen letztlich dazu, dass sie das Interesse und die Lust am Fach verliert, sich „durchkämpft“ und „durchquält“, bis es vorbei ist und sie Französisch abwählen kann. Auch auf der sprachlichen Ebene wird ihr Frust deutlich. Pias gesamte Eingangserzählung durchzieht die auffällig häufige Verwendung des Modalpartikels halt . In beinahe jedem Satz findet es sich mindestens einmal, gelegentlich auch noch häufiger. Die Aussagen über ihre Lernerfahrungen klingen damit resignierend. Hier zeigt sich als dokumentarischer Sinngehalt, dass Pia die ent- 6.1 Fallrekonstruktion Pia: „ Au revoir français “ 215 <?page no="216"?> 216 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens täuschten Erwartungen durch den Französischunterricht im Laufe der Zeit akzeptiert, so als bliebe ihr keine andere Möglichkeit. Ihre Wortwahl ist auffällig negativ konnotiert. So verwendet sie in Bezug auf den Französischunterricht Wörter wie „Hass“, „grausam“, „durchkämpfen“ und „durchquälen“. Die Bewertungen, die sie vornimmt, lassen auf einen Prozess der fachlichen Ablehnung schließen. In der fünften und sechsten Klasse habe Französisch „noch total Spaß gemacht“. Dies verändert sich hin zu einer neutralen Bewertung („okay“) und endet damit, dass das Fach ihr „zum Hals raushängt“, sie die „Lust verloren“ habe, bis es ihr schließlich „überhaupt keinen Spaß“ macht. Pia sieht keine Chance bzw. Umsetzungsmöglichkeiten, ihre eigenen Ziele, Französisch fließend zu sprechen, sich stetig weiterzuentwickeln und so Anerkennung zu erhalten, innerhalb des institutionellen schulischen Französischunterrichts zu verwirklichen. Das Einzige, das von ihrem anfänglichen Ziel, Französisch zu beherrschen, übrig bleibt, ist der Ehrgeiz, das Fach mit einer guten Note abzuschließen. Sie wendet sich vom Unterricht ab. Infolge der Monotonie, des Stillstands, der eigenen Unsicherheit und fehlenden Anerkennung durch die Lehrerin sucht sie nach Umsetzungsmöglichkeiten außerhalb des Unterrichts und bei sich selbst. Im Gegensatz zum schulischen Lernen gelingt es Pia dort eher, sich als kompetent zu erleben und positive Erfahrungen mit der französischen Sprache zu sammeln. Die Auslandsaufenthalte und auch ihre außerschulischen Aktivitäten, wie z. B. das Übersetzen von Liedern, bereiten ihr Freude. Die außerschulische Sphäre wird so zum alternativen und eigentlichen Lernraum, weil dieser ihr die Möglichkeiten bietet, die der Französischunterricht nicht bereithält: angstfrei zu kommunizieren und sich als kompetent zu erleben. 6.2 Fallrekonstruktion Max: „Meine Motivation gegenüber dem Spanischunterricht ist lehrerabhängig“ - Spanischlernen als Streben nach Anerkennung 6.2.1 Fallporträt Das Interview mit Max findet im Sommer 2015 zwei Wochen vor dem Beginn der Ferien nach Unterrichtsschluss statt. Zu diesem Zeitpunkt ist Max 16 Jahre alt und besucht die zehnte Klasse eines Gymnasiums in einer Kleinstadt. In der fünften Klasse konnte sich Max zwischen Französisch, Latein oder Spanisch als zweite Fremdsprache entscheiden. Die gewählte Sprache wird verbindlich bis zur zehnten Klasse fortgeführt. In der Jahrgangsstufe 9 haben die Schüler- <?page no="217"?> 6.2 Fallrekonstruktion Max 217 Innen die Möglichkeit, im Wahlpflichtbereich mit einer dritten Fremdsprache zu beginnen. In der Sekundarstufe II kann die zweite oder dritte Fremdsprache fortgesetzt, aber auch noch einmal mit einer neuen Fremdsprache, Russisch, begonnen werden. Englisch belegen alle SchülerInnen als erste Fremdsprache obligatorisch bis zur zwölften Klassenstufe. Das Interview dauert 32 Minuten und zeichnet sich durch eine hohe Selbstläufigkeit der Redebeiträge aus. Max äußert sich insgesamt kritisch zum Spanischunterricht. Das Bild, das er sich als Schreibimpuls für den Kurzaufsatz auswählt, deutet darauf hin, dass er selbst ein ambivalentes Verhältnis zum Spanischlernen hat, das ihn von seinen MitschülerInnen unterscheidet: „Die Anderen laufen vor Spanisch weg und haben keine Lust darauf. Ich jedoch hätte eine positive Einstellung, aber die gegebenen Umstände sorgen für das Gegenteil.“ 6 Er fühlt sich nicht als Teil der Gruppe, konstruiert ein Selbstbild, das ihn isoliert erscheinen lässt, und definiert die Differenz zu den „Anderen“ über die Einstellung zum Spanischlernen. Er entwirft einen Gegenhorizont, indem er die Motivation seiner MitschülerInnen als niedrig, seine eigene Haltung jedoch eigentlich positiv einschätzt. Diese wird jedoch durch „die gegebenen Umstände“ behindert und ins Gegenteil verkehrt. Die Umstände für die ablehnende Haltung zum Fach Spanisch weist er dem Verantwortungsbereich der Schule zu: „Ich denke, dass durch die Probleme, die uns von der Schule in den Weg gelegt wurden, viel Potenzial verloren gegangen ist.“ Die Kritik, die er formuliert, richtet sich damit zunächst explizit an die Institution Schule. Dieser gibt er die Schuld an seiner defizitären Einstellung zum Spanischlernen. Darüber hinaus fällt auf, dass auch die Lehrkraft sowohl in seiner Bildwahl als auch in dem entsprechenden Text eine zentrale Rolle spielt. Der Hahn, der auf dem Bild als militärischer Befehlshaber in Uniform dargestellt wird, wirkt sehr dominant. Er symbolisiert für Max die Lehrperson. Dazu schreibt er: „Meine Motivation gegenüber dem Spanischunterricht ist lehrerabhängig. Ist meine Motivation nicht vorhanden, sind meine Leistungen auch dementsprechend. Ich bräuchte jemanden, der es interessant gestaltet und seine Autorität dazu nutzt, mich zum Spanischlernen zu animieren. Dafür steht der Hahn.“ Als unmittelbare Bedingung, sich für das Spanischlernen motivieren und gute Leistungen erzielen zu können, nennt Max den Lehrer. Lernbereitschaft stellt er demnach nicht intrinsisch bzw. aufgrund von Interesse für die Sprache her, sondern setzt eine interessante Unterrichtsgestaltung sowie strenges Auftreten der Lehrkraft für die eigene Motivation voraus. Dass er ein solches Setting „bräuchte“, zeigt, dass er aus seiner Sicht keine Spanischlehrkraft hat, 6 Die nachfolgenden Zitate und Textauszüge sind alle Max’ bildgestütztem Kurzaufsatz entnommen (vgl. Anhang). <?page no="218"?> 218 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens die diese Voraussetzungen erfüllt und es damit schafft, ihn für das Lernen der Sprache zu motivieren. Sowohl seine Einstellung und Motivation als auch seine Leistungen im Fach Spanisch stellt Max in einen unmittelbaren Zusammenhang zu den schulischen Rahmenbedingungen und unterrichtlichen Faktoren. Insofern eignet sich die Analyse seines Falls besonders, um Prozesse seiner fachlichen Bezugnahme zu rekonstruieren und Aussagen über den Einfluss des erlebten Unterrichts auf dieselbe treffen zu können. 6.2.2 „Man hat es eigentlich so spielerisch gelernt, in der fünften und sechsten Klasse“ - Rekonstruktion der ersten beiden Lernjahre Spanisch Max beginnt seine Darstellung direkt mit den Erinnerungen an die Zeit in der fünften Klasse, als er anfing Spanisch zu lernen. Noch bevor er auf die Sprache, das Lernen oder den Unterricht zu sprechen kommt, berichtet er zunächst von den externen Rahmenbedingungen. I: Genau, also wie schon gesagt, ich würde gerne heute nochmal mit Ihnen über den Spanischunterricht sprechen. (M: Mhm) Und Ihre ganz persönlichen Erfahrungen, sozusagen, aus dieser Zeit mir anhören. Insofern würde ich Sie einfach bitten, nochmal zurück zu gehen, zu ganz am Anfang, als Sie angefangen haben mit Spanischlernen. (M: Mhm) Und mir einfach bis heute zu erzählen, wie diese Zeit so für Sie verlaufen ist. M: Ja, also ich habe ja in der fünften Klasse mit Spanisch angefangen. Und da ging es dann los. Wir waren erst, also wir wurden/ Zum ersten Mal war das ab der fünften Klasse. Und zum ersten Mal wurden wirklich nach Klassen/ Also wir waren eine reine Spanisch-Klasse. Es gab jetzt nicht so, dass es dann in Kurse ging, oder so. Und das war halt am Anfang, also ich weiß noch, dass wir ziemlich überfüllt waren. Wir waren, glaube ich, 28 oder 29 Schüler, von Anfang an. Und das Problem ist, wir haben jetzt nicht so große Räume und unten die Räume sind ziemlich eng. Ja. Da geht das/ da war das dann ziemlich voll. [1-17] Max geht zunächst nicht näher auf seine Motive für die Wahl des Spanischen als zweite Fremdsprache oder vorherige, z. B. außerschulische Begegnungen mit dieser Sprache ein. Mögliche Gründe hierfür könnten sein, dass nicht er selbst diese Entscheidung getroffen hat, sondern seine Eltern Spanisch für ihren Sohn auswählten. Eine zweite denkbare Lesart wäre auch, dass er sich nicht mehr daran erinnern kann oder es ihm nicht wichtig erscheint. Für ihn stellt <?page no="219"?> der Beginn des Spanischunterrichts in der fünften Klasse den Startpunkt seiner Fremdsprachenlerngeschichte dar („Und da ging es dann los.“). Max betont, dass in seinem Jahrgang „zum ersten Mal“ an seiner Schule ab der fünften Jahrgangsstufe zweite Fremdsprachen angeboten wurden und sich die Zusammensetzung der Klassen nach der gelernten Sprache richtete. Diese Relevanzsetzung lässt erkennen, dass für Max der frühe Beginn der zweiten Fremdsprache ab Klasse 5 eine Besonderheit darstellt, die für sein Verhältnis zum Spanischlernen von Bedeutung ist. Mit knapp 30 Schülern waren die Räumlichkeiten für den Sprachunterricht „ziemlich eng“ und „ziemlich voll“, was er als „Problem“ empfindet. In Bezug auf sein Verhältnis zum Spanischlernen zeigt sich eine erste, durch die institutionellen Faktoren der Schule bedingte Rahmung. Es wird implizit deutlich, dass er das Fremdsprachenlernen Spanisch klar in der Schule verortet und aus seiner Sicht die äußeren Bedingungen zu Beginn nicht optimal waren. Auffällig ist, dass Max, obwohl ich ihn nach seinen „ganz persönlichen Erfahrungen“ frage, bereits nach dem ersten Satz von dem Personalpronomen „ich“ in die erste Person Plural wechselt und diese Erzählperspektive im weiteren Verlauf dominiert. Insofern scheint die Gemeinschaft der Klasse im Zusammenhang mit dem Spanischlernen von Bedeutung für ihn zu sein, was an weiteren Textstellen noch zu überprüfen und belegen sein wird. Im Anschluss an diese Passage beschreibt Max den Spanischunterricht der fünften und sechsten Klasse. Nun sind es die Inhalte sowie die Unterrichtsgestaltung, die den Bezugsrahmen bilden. Es dokumentiert sich, dass die ersten beiden Lernjahre für Max eine Zeitspanne darstellen, die er als Etappe homologer Erlebnisse betrachtet: Und es war auch am Anfang, kann ich mich noch dran erinnern, dass wir sehr viele, sehr viele Lieder/ Und ich habe es auch immer ganz positiv/ Spanisch war so, das hat einem Spaß gemacht. Es war zwar immer mit ein bisschen Aufwand verbunden, mit Liedern lernen, ABC, aber man hat es eigentlich so spielerisch gelernt, in der fünften und sechsten Klasse. [18-22] Den Erfahrungsraum des Anfangsunterrichts konstruiert Max als positiven Horizont, wobei er das spielerische Lernen und das Lernen von Liedern zwar „mit ein bisschen Aufwand verbunden“ betrachtet, er diese Zeit aber insgesamt „ganz positiv“ bewertet. Implizit kontrastiert Max die ersten beiden Lernjahre mit dem Unterricht der höheren Jahrgangsstufen. Indem er hier in der Vergangenheitsform spricht („Spanisch war so, das hat einem Spaß gemacht“), eröffnet er einen Gegenhorizont zur Gegenwart. Es zeigt sich, dass diese positive Wahrnehmung für den jetzigen Unterricht in dieser Form nicht mehr zutrifft und in den folgenden Jahren Spanisch aus seiner Sicht nicht mehr spielerisch gelernt wurde. 6.2 Fallrekonstruktion Max 219 <?page no="220"?> 220 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens In der nächsten Passage beginnt Max über seine erste Spanischlehrerin zu sprechen, die konstitutiv für den Erfahrungsraum der ersten beiden Lernjahre und deren positive Einschätzung ist. Diese Relevanzsetzung kann als Zeichen für den engen Zusammenhang zwischen Max’ Unterrichtswahrnehmung und der Lehrperson gelesen werden. Da hatten wir jetzt noch unsere/ Da haben wir die Frau Mendez gehabt. Das ist eine reine/ Das ist eine Muttersprachlerin. Die hat das/ Ja, und, was am Anfang mich so ein bisschen gestört hat, sie hat so, sie wusste noch nichts. Sie war auch ein bisschen mit der Situation überfordert, weil sie vorher, glaube ich an der Universität unterrichtet hat. Und dann jetzt mit einer fünften Klasse Spanisch anzufangen, da mussten wir dann halt erstmal Lieder lernen. Da konnte man nichts mit den Vokabeln anfangen. Aber wir haben (lachend) halt gesungen, ja. Und das war dann am Anfang. War ein bisschen, ein bisschen verwirrend teilweise. Aber jetzt, wenn ich so nachdenke und mir die Lieder nochmal/ Weiß ich/ Ich kann teilweise heute noch manche Lieder. Das war/ Ja, dann haben wir/ Wir hatten auch in Spanisch Auftritte gehabt, zum Beispiel gibt es von unserer Schule aus so einen Abend, da stellen die Schüler halt ihre Talente vor, vor den Eltern. Das heißt (Name der Schule)-Abend. Weil, das ist ja unser Begründer Gründer der Schule. Und da hatten wir auch Auftritte, oder/ Ach irgendeinen Abend auf jeden Fall, haben wir auch so ein spanisches Lied gesungen, und so und hatten unsere Auftritte. Das war auch ganz okay. Das war auch so, ja, ich weiß nicht. Ein bisschen mehr, als der Unterricht immer so ein bisschen. [22-40] Dass sich Max zu Beginn dieses Abschnitts selbst korrigiert und von dem Possessivpronomen „unsere“ - das eine größere Nähe der Klasse zur Lehrerin ausdrückt - zum distanzierten „die Frau Mendez“ wechselt, deutet bereits auf das ambivalente Verhältnis zur Lehrkraft voraus, das es im weiteren Verlauf der Analyse noch herauszuarbeiten gilt. Der erste Aspekt, auf den er sich bei ihrer Beschreibung bezieht, ist die Muttersprachlichkeit, wobei das Adjektiv „reine“ als Vergleichshorizont zu anderen Spanischlehrkräften gedeutet werden kann, die in der Regel keine MuttersprachlerInnen und damit in Bezug auf die Zielsprache nicht „rein“ sind. Er entwirft in gewisser Weise implizit ein muttersprachliches Ideal der Fremdsprachenlehrkraft. Trotz der insgesamt positiven Bewertung der ersten beiden Lernjahre gibt er nun an, dass ihn die scheinbare Überforderung der Lehrerin „am Anfang so ein bisschen gestört hat“. Diese Überforderung führt er auf ihre vorherige Lehrtätigkeit an der Universität zurück. Für Max ergibt sich ein Unterschied zwischen <?page no="221"?> erwachsenen und jungen Fremdsprachenlernenden, denen die Lehrkraft jedoch zunächst nicht gerecht werden kann. Aufgrund ihrer Unsicherheit, „mit einer fünften Klasse Spanisch anzufangen“, „mussten“ Lieder gelernt werden, deren Mehrwert für Max zunächst nicht erkennbar scheint. Zum einen bewertet er es als „ein bisschen verwirrend“, zum anderen sagt er: „Da konnte man nichts mit den Vokabeln anfangen“. Hier ergeben sich zwei mögliche Lesarten: Erstens könnte der Wortschatz der Lieder aus Max’ Perspektive wenig nützlich gewesen sein, um diesen in authentischen Kommunikationssituationen anzuwenden. Zweitens ist denkbar, dass die Lieder zwar auswendig gelernt, aber die enthaltenen Vokabeln weder verstanden noch im Unterricht inhaltlich erarbeitet und gelernt wurden. Dennoch betont er rückblickend („Aber jetzt“), dass er „teilweise heute noch manche Lieder“ könne, was offenbar nun das Lernen von damals rechtfertigt. Obwohl Max nicht darüber spricht, welche Kompetenzen er durch das Singen der spanischen Lieder erworben hat, wird ein Anwendungsbezug („Ein bisschen mehr, als der Unterricht immer so ein bisschen.“) über die Schulauftritte hergestellt. Spanisch wird als ein „Talent“ konstruiert, das vor den Eltern vorgetragen wird. Da Max über die Auftritte einen Sinn für das Lernen der Lieder herstellen kann, bewertet er diese Praxis positiv („ganz okay“). Als neuer temporärer Erfahrungsraum („Und danach“) wird die siebte Jahrgangsstufe eröffnet, die Max als Gegenhorizont zu dem spielerischen Anfangsunterricht der ersten beiden Lernjahre aufwirft. Hier zeigt sich der prozesshafte Charakter, der Max’ Bezugnahme zum Fach Spanisch inhärent ist. Und danach ging es eigentlich mehr so in dieses theoretische, dieses theoretische Spanisch über. Da haben wir dann angefangen zu/ Ja, da ging es dann los mit dem vielen Vokabeln lernen, Grammatik und so. Und da wurde es dann eigentlich so ein bisschen langweiliger. So in der siebten Klasse. Aber das hat jetzt, war jetzt nicht so ein Fach, was mich jetzt nicht mehr interessiert hätte. [40-45] Max’ Unterrichtswahrnehmung ist an dieser Stelle durch einen ersten Wandel gekennzeichnet, wobei es sich weniger um einen konkreten Wendepunkt - wie im Fall eines Lehrerwechsels - als um einen Übergang nach einer bestimmten Lernzeit handelt. „[D]ieses theoretische Spanisch“ drückt aus, dass es aus seiner Perspektive fortan vor allem um die Vermittlung von Sprachwissen „mit dem vielen Vokabeln lernen, Grammatik und so“ geht und die kommunikative, praktische Ausrichtung des Unterrichts weitgehend fehlt. Dass Max diesen Wandel negativ erlebt, dokumentiert sich in mehrfacher Hinsicht. Den Satzbeginn („Da haben wir dann angefangen zu/ “) gestaltet er zunächst durch eine Aktiv-Konstruktion, bricht diesen aber ab und beginnt seine Aussage erneut, diesmal jedoch durch eine neutralere Ausdrucksweise („Ja, da ging es dann los“), welche die 6.2 Fallrekonstruktion Max 221 <?page no="222"?> 222 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Distanz der Lernenden zu den Veränderungen verdeutlicht. Nicht die aktive Auseinandersetzung der Klasse mit Lerninhalten prägt den Unterricht, vielmehr werden die neuen Inhalte als etwas wahrgenommen, worauf sie keinen Einfluss haben. Diese Interpretation wird zum einen gestützt durch die attributive Verwendung des Pronomens „dieses“, das hier eine negative Wertung impliziert, zum anderen auf der Ebene des immanenten Wortsinns: „da wurde es dann eigentlich so ein bisschen langweiliger“. Die Langeweile ist unmittelbare Folge der theoretischen, auf sprachliche Mittel fokussierten Ausrichtung des Spanischunterrichts. Auffällig ist, dass Max diese Aussage durch das Adverb „eigentlich“ und das Indefinitpronomen „bisschen“ zweifach abschwächt. Damit verdeutlicht er, dass, obwohl der Unterricht langweiliger wurde, er trotzdem noch nicht das Interesse am Fach Spanisch verloren hat. Implizit zeigt sich an dieser Stelle, dass für ihn Langeweile im Unterricht in der Regel eine wesentliche Ursache für den Verlust des Interesses am Fach bildet. Im Zusammenhang mit seiner persönlichen Bezugnahme zum Fach Spanisch ergeben sich auf der Ebene des dokumentarischen Wortsinns zwei Lesarten: 1. Es gibt durchaus andere Fächer, in denen Max infolge von Langeweile das Interesse verliert. 2. Obwohl andere MitschülerInnen das Interesse am Fach Spanisch verlieren, trifft dies auf ihn nicht zu. Für die zweite Lesart spricht, dass Max hier auf die erste Person Singular zurückgreift und sich insofern von der Klasse und dem Wir, was er sonst sehr häufig verwendet, abgrenzt. Gleichzeitig wird deutlich, dass der schulische Kontext weiterhin den Bezugsrahmen bildet, innerhalb dessen Max sein Verhältnis zum Spanischlernen entwirft. Spanisch ist weniger eine Sprache , die ihm kommunikative Möglichkeiten eröffnet, sondern in erster Linie ein Fach , das seinen Platz in der Schule hat. 6.2.3 „Und dann kam in der achten Klasse dieser große Bruch“ - der Einfluss der Lehrperson auf die Bezugnahme zum Fach Und dann kam in der achten Klasse dieser große Bruch, wo wir dann einen neuen Lehrer bekommen haben. Das war erst ein Referendar, der hatte zwar seine/ Der hatte zwar studiert und alles, aber sein Referendariat sollte der trotzdem bei uns machen. [45-48] Während Max den Wandel im Spanischunterricht der siebten Klasse als einen Übergang wahrnimmt, der sich in erster Linie auf die veränderten Unterrichtsinhalte bezieht, spricht er in Bezug auf die achte Klasse nun von einem „großen Bruch“ - ein Einschnitt, der einen Wendepunkt für das Spanischlernen darstellt. „Groß“ könnte sich hier darauf beziehen, dass es neben diesem großen <?page no="223"?> Bruch auch andere kleinere Brüche gegeben hat. Denkbar wäre jedoch auch, dass Max die Heftigkeit dieses Einschnitts hervorheben möchte. Markiert wird dieser Bruch durch einen Lehrerwechsel, d. h., die Person des Lehrers wird in einen unmittelbaren Zusammenhang zu dem Wendepunkt gerückt. Als zweite Dimension, die sein Unterrichtserleben strukturiert („und danach“, „und dann“ etc.), tritt hier nun also zu der temporalen eine personale Dimension hinzu. Im Vergleich zu der ersten Spanischlehrerin, die sich in Max’ Wahrnehmung vor allem dadurch auszeichnet, dass sie Muttersprachlerin ist, wird als erstes Merkmal des neuen Lehrers dessen Status als Referendar erwähnt. Er eröffnet damit einen Kontrast zwischen der ersten und zweiten Lehrkraft, wobei die Relevanzsetzung - der neue Lehrer als Berufsanfänger - als Gegenhorizont zu der Muttersprachlichkeit der ersten Lehrerin gelesen werden kann. Dass der neue Lehrer ein Berufsnovize ist, der trotz seines Studiums noch nicht über ausreichende Praxiserfahrungen verfügt, dokumentiert sich bereits hier in der Verwendung der Adverbien „erst“ und „zwar“. Ungeachtet der Tatsache, dass der Referendar noch nicht genügend vorbereitet ist, in Max’ Klasse zu unterrichten, wird er dieser zugewiesen. Diese Entscheidung beruht jedoch nicht auf dessen eigener Wahl oder Freiwilligkeit, sondern ist fremdbestimmt („sollte“). Die Art und Weise, wie Max sich in dieser Passage über den Lehrerwechsel äußert, lässt auf seine kritische Haltung schließen. Aus seiner Sicht war dieser Wechsel sowohl für die Klasse, das Spanischlernen als auch für den jungen Lehrer ungünstig, was er in der nachfolgenden Sequenz zum Ausdruck bringt. Und da saß am Anfang unsere Spanischlehrerin auch noch mit drin und musste häufig eingreifen, weil er ein paar Fehler reingehauen hat. Dann, nach zwei Wochen schon, ist sie nicht mehr, saß sie nicht mehr mit drin. Und der war mit einer siebten Klasse oder achten Klasse, war der TOTAL überfordert. Und auch ALLEINE gelassen, wirklich. Da hatten/ Also man kann Mitleid mit uns haben, aber man kann auch (lachend) Mitleid mit ihm haben. Weil er, er ist ja da auch, ja, ziemlich überfordert gewesen. Und wenn ich jetzt heute so/ Er kriegt es aber immer noch nicht so hin. (.) [48-56] Der Referendar wird von Max zunächst nicht als neuer Lehrer anerkannt, denn er spricht noch immer von „unsere Spanischlehrerin“, wodurch er eine größere persönliche Bezugnahme und Zugehörigkeit zu dieser herstellt. Wieder wird ein Kontrast zwischen den beiden Lehrkräften eröffnet, denn die Spanischlehrerin ist diejenige, die als richtige, kompetente Lehrperson („musste häufig eingreifen“) dem unerfahrenen, inkompetenten Anfänger („weil er ein paar Fehler reingehauen hat“) gegenübergestellt wird. Dabei geht Max zwar hier noch nicht näher darauf ein, um welche Art von Fehlern - sprachliche oder methodisch-di- 6.2 Fallrekonstruktion Max 223 <?page no="224"?> 224 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens daktische - es sich handelt. Doch wie sich an späterer Stelle im Interview zeigt, sieht er in beiden Bereichen größere Probleme. Es ist dennoch fraglich, ob Max die Fehler ohne die Anwesenheit der Spanischlehrerin und deren Eingreifen überhaupt bemerkt hätte, zumal er keinerlei Beispiele dafür folgen lässt. Er verwendet das Modalverb „müssen“, so als sei sie gezwungen und habe keine andere Wahl, als Einfluss auf den Unterricht zu nehmen. Die Einflussnahme führt dazu, dass Max dem neuen Lehrer nicht zutraut, selbstständigen Unterricht durchzuführen. Diese Haltung zeigt sich auch, wenn er sagt: „Dann, nach zwei Wochen schon, ist sie nicht mehr, saß sie nicht mehr mit drin.“ Obwohl die Klasse von dem Referendar unterrichtet wird und er damit die eigentliche Bezugsperson darstellen müsste, richtet Max seinen Fokus auf die Lehrerin, statt über den Lehrer zu sprechen. Warum sagt er also nicht z. B., dass der neue Lehrer nach zwei Wochen schließlich alleine unterrichtete? Er bringt implizit zum Ausdruck, wie wichtig und notwendig die Anwesenheit der Lehrerin für ihn ist und dass diese nun aus seiner Sicht viel zu früh („nach zwei Wochen schon“) entfalle. In der Folge kommt es zur völligen („TOTAL“) Überforderung des jungen Lehrers, wobei Max diese vor allem in der Jahrgangsstufe („mit einer siebten Klasse oder achten Klasse“) begründet sieht. Dass er sich nicht nur auf die eigene achte Klassenstufe zum Zeitpunkt des Lehrerwechsels bezieht, sondern zwei Jahrgänge nennt, könnte heißen, dass er sich entweder infolge eines Versprechers selbst korrigiert oder aber auch die siebte Jahrgangsstufe als Schwierigkeit für (junge) Lehrkräfte betrachtet. Möglicherweise ist sich Max retrospektiv der besonderen Herausforderungen dieses Alters bewusst, insofern als die Pubertät aus seiner Sicht größere, insbesondere pädagogische Anforderungen an den unerfahrenen Lehrer stellen. Die Verantwortung für die Überforderung des Referendars sieht er nicht allein bei diesem, sondern auch bei externen, jedoch nicht näher benannten Personen, denn er formuliert und betont, dass der Lehrer „ALLEINE gelassen“ wurde. Es ist auffällig, dass Max hier die Perspektive der Lehrkraft einnimmt, obwohl es - initiiert durch die Erzählaufforderung - eigentlich um seine persönliche Lerngeschichte gehen sollte. Noch deutlicher wird dieser Perspektivwechsel, wenn er sagt: „Da hatten/ Also man kann Mitleid mit uns haben, aber man kann auch (lachend) Mitleid mit ihm haben. Weil er, er ist ja da auch, ja, ziemlich überfordert gewesen.“ Während er nicht begründet, warum man Mitleid mit der Klasse haben könnte, nennt er als Grund aufseiten des Lehrers noch einmal dessen Überforderung, d. h., auch wenn er sich von dessen fehlender Unterrichtspraxis negativ abgrenzt, versucht er die Überforderung durch externe Faktoren zu rechtfertigen und bedauert die Situation des jungen Lehrers. Dennoch führt er die sinkende Lern- und Leistungsbereitschaft der Klasse letztlich auf ihn zurück: <?page no="225"?> Ja, und den hatten wir dann ein Jahr lang und da ging es dann bergab. Da ging es dann auch mit unseren Noten/ Weil es hat keiner mehr aufgepasst. Es war einfach so eine FREIstunde, die man so hatte. Ach, man hat jetzt wieder Spanisch, dadurch/ Man hat auch gemerkt, wie es so an auch so an/ (.) Ja, wie soll ich sagen, (…) diesen Stellenwert verloren hat; bei den Anderen auch. Sonst war es immer: „Oh cool, wir haben jetzt Spanisch! “ Und jetzt: „Ach, schon wieder Spanisch. Könnte man nicht irgendwas Sinnvolles dafür machen? “ und so. Das war dann echt KRASS. Also dieser Bruch, das war dann wirklich/ [56-64] Ohne dass Max im ersten Satz der Passage genauer bezeichnet, was „dann bergab“ ging, nennt er als Zeitraum für diesen Prozess das Lernjahr mit dem neuen Spanischlehrer und stellt somit einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Lehrperson und Bezugnahme zum Fach her. Zwar führt er die darauffolgende Aussage nicht zu Ende („Da ging es dann auch mit unseren Noten/ “), aber ist es wahrscheinlich, dass er auf eine damit verbundene Verschlechterung der Zensuren abhebt, die er wiederum auf die mangelnde Aufmerksamkeit und Mitarbeit der Lernenden zurückführt. Implizit wird deutlich, dass es - als Voraussetzung für gute Noten - im Unterricht gilt aufzupassen. Ist dies nicht gegeben, sind sinkende Leistungen die Folge. Die Verantwortung für entsprechende Zensuren sieht er demnach bei den SchülerInnen. Die Bezugnahme zum Fach sowie die Lern- und Leistungsbereitschaft hingegen hängen für ihn vor allem von der Lehrperson ab. Er vergleicht Spanisch mit einer „FREIstunde“, also mit einer Stunde, in der der Unterricht ausfällt und kein Lernen stattfindet. Das Fach habe seinen „Stellenwert verloren“, d. h., in seiner Bedeutung und Wichtigkeit ist es gesunken. Einen positiven Gegenhorizont bildet der frühere, mit Vorfreude verbundene Spanischunterricht („Sonst war es immer: ‚Oh cool, wir haben jetzt Spanisch! ‘“), der dem Unterricht der achten Klasse als unnötige, sinnentleerte Belastung („Und jetzt: ‚Ach, schon wieder Spanisch. Könnte man nicht irgendwas Sinnvolles dafür machen? ‘ Und so.“) gegenübersteht. Dabei verwendet er sowohl das Indefinitpronomen „man“ als auch die erste Person Plural („wir“), sodass er sich hier („bei den Anderen auch“) in die Rolle des Sprechers der Klassengemeinschaft hebt. Das Fach Spanisch wird von allen - nicht nur von ihm - in seiner Bedeutung geringer eingeschätzt als noch zu Beginn. In den Darstellungen der achten Jahrgangsstufe fällt auf, dass er - im Gegensatz zu denen der ersten beiden Jahre sowie der siebten Klasse - keine Aussagen zu Unterrichtsinhalten macht. Der Bruch wird allein aufgrund des neuen Lehrers und dessen Überforderung mit der Klasse konstruiert - unabhängig von Inhalten, erworbenen sprachlichen Kompetenzen, dem Schwierigkeitsgrad des Faches oder der wahrgenommenen Nützlichkeit und Anwendbarkeit der spanischen Sprache. 6.2 Fallrekonstruktion Max 225 <?page no="226"?> 226 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Da Max diese Phase als „Bruch“ hinsichtlich seiner Bezugnahme zum Fach Spanisch ausmacht, sich aber in dieser Passage allein auf die Darstellung des Spanischlehrers beschränkt und keine Aussagen zum Unterricht macht, bitte ich ihn, durch eine erzählgenerierende immanente Nachfrage seine Erinnerungen an den Unterricht genauer auszuführen. I: Mich würde nochmal interessieren, also diese Zeit bei dem Lehrer, wo Sie sagen, da gab es den Bruch. M: Ja. I: Vielleicht können Sie mir noch ein bisschen mehr erzählen, wie der UNTERRICHT war, so. Was hat das ausgemacht? M: Ja, es war halt, er war verunsichert. Das hat man gemerkt. Der kam schon in die Klasse rein, hat da herumgestottert. Dann, sein Spanisch war echt (…) ja, wie soll ich es nennen? Ti: efgründig schlecht. Abgrundtief. Und es war halt auch so/ Er hat halt so/ Wir haben ihn dieses Jahr in Bio, er kann einfach nicht dieses Erklären. Er fing dann/ Er wusste halt auch nicht, auf welchem Stand wir waren. Unsere Spanischlehrerin hat es halt immer so gemacht, wenn wir nicht wussten, was Stuhl zum Beispiel heißt/ Oder sie hat mit uns normal Spanisch geredet und wusste ja, welche Vokabeln wir nicht können. Und da ging es halt um Stuhl, hat sie halt einen Stuhl hochgehalten. Also sie hat es halt mit Händen und Füßen gemacht. Es war halt lustig, so. Oder wenn es laut und leise, hat sie halt laut gesprochen, oder rumgebrüllt, oder leise. Das war irgendwie/ Aber er kam dann, hat sich vorne hingestellt, als wären wir, als wären wir wirklich so ein Studienseminar, wo alle drin sitzen und der Professor erklärt vorne. Aber er hat nicht VERSTÄNDlich erklärt. Weil wir es nicht verstanden haben. Wir haben es einfach nicht verstanden. [163-185] Obwohl die Nachfrage auf den Unterricht abzielt, bezieht sich Max auf die Lehrperson bzw. deren wahrgenommene Kompetenzen. Die Erinnerungen an den Unterricht sind in erster Linie Erinnerungen an die Lehrkraft, sodass erneut deutlich wird, wie stark Max’ Unterrichtserleben durch die Lehrkraft bestimmt wird. Dabei grenzt er sich wieder negativ von dem neuen Spanischlehrer ab. Dass Max ihn als „verunsichert“ beschreibt, kann im Kontext bzw. als Folge seiner Überforderung interpretiert werden. Denn im Gegensatz zu einer unsicheren Person, deren mangelnde Selbstsicherheit eher eine grundsätzliche Eigenschaft darstellt, wird Verunsicherung erst durch externe Faktoren hervorgerufen. Bereits die Begegnung mit der Klasse bewirkt, dass der Lehrer „herumgestottert“ hat, was auf ein gestörtes Lehrer-Schüler-Verhältnis schließen lässt. Als Partikel ist „schon“ hier im Sinne einer Verstärkung der <?page no="227"?> Aussage zu lesen, d. h., bereits beim Hereinkommen in die Klasse ist seine Unsicherheit spürbar. Als weiterer wesentlicher Aspekt in Max’ Unterrichtswahrnehmung ist das „abgrundtief “ schlechte Spanisch des Lehrers zu nennen, wobei er zunächst lange nach einer Formulierung sucht („Dann, sein Spanisch war echt (…) ja, wie soll ich es nennen? “). Seine anschließende Einschätzung kommt demnach nicht spontan, sondern wohlüberlegt. Diese korrigiert er selbst noch einmal von „[t] i: efgründig schlecht“ zu „abgrundtief “, was einer Steigerung im maximal möglichen, negativen Sinne entspricht. In einem der wichtigsten Kompetenzbereiche, den sprachlichen Kompetenzen, wird dem Lehrer hier also mit einer emotional extrem negativen Färbung jegliche Legitimation abgesprochen. Als dritten Punkt spricht Max die methodisch-didaktischen Kompetenzen des Lehrers an. Auffällig ist, dass er dafür ins Präsens wechselt („Und es war halt auch so/ Er hat halt so/ “) und auf anderen Lernerfahrungen im Fach Biologie mit dem gleichen Lehrer rekurriert, d. h., er bezieht die Aussage nicht nur auf das Fach Spanisch, sondern betrachtet „dieses Erklären“ als übergeordnete Kompetenz, die ihm in allen Fächern als sehr wichtig erscheint, diesem Lehrer aber fehle. Durch die Partikel „einfach“ verstärkt er seine Aussage und drückt damit implizit aus, nicht daran zu glauben, dass der Lehrer diese Kompetenz noch erwerben könne. Wie wichtig Max implizit das Prinzip der Lernerorientierung erscheint, wird im darauffolgenden Abschnitt deutlich. Wieder bildet die vorherige Spanischlehrerin einen positiven Gegenhorizont gegenüber dem neuen Spanischlehrer, dem aus Max’ Sicht das Wissen über den Lernstand der Klasse fehlt („Er wusste halt auch nicht, auf welchem Stand wir waren.“), was es ihm unmöglich macht, auf die Bedürfnisse der Lernenden einzugehen. Damit fehlt ihm eine weitere wichtige Fähigkeit, die Lernausgangslage der SchülerInnen zu diagnostizieren. In jeder Hinsicht schneidet die Spanischlehrerin im Vergleich besser ab. Denn sie spricht mit der Klasse „normal Spanisch“, kann den Lernstand der Klasse einschätzen („wusste ja, welche Vokabeln wir nicht können“) und es gelingt ihr, sich mithilfe verschiedener Methoden („mit Händen und Füßen“) verständlich zu erklären, was Max als „lustig“ bewertet. Durch die Konjunktion „Aber er“ leitet er zur Darstellung des Spanischlehrers über, der einen negativen Gegenhorizont darstellt. Ohne dass Max über universitäre Erfahrungen verfügt, vergleicht er den Lehrer mit einem „Professor“ und die Klasse mit einem „Studienseminar“. Dadurch verdeutlicht er, dass Lehrpersonen aus seiner Sicht über andere Kompetenzen als ProfessorInnen verfügen sollten und ihm der Unterricht des jungen Lehrers dem Lernort Schule nicht angemessen erscheint. Dies dokumentiert sich auch in der Distanz, die er zwischen Lehrkraft und Klasse herstellt und die gleichzeitig eine hohe Lehrerzentriertheit 6.2 Fallrekonstruktion Max 227 <?page no="228"?> 228 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens des Unterrichts nahelegt: Vorne steht der Lehrer („hat sich vorne hingestellt“, „erklärt vorne“) und erklärt, während die Lernenden „drin sitzen“ und nichts verstehen. Dieses Nicht-Verstehen bildet hier eine Fokussierungsmetapher. In drei Sätzen betont Max sowohl durch seine Intonation als auch durch die Partikel „einfach“ - welches in diesem Kontext regelrecht resignierend klingt - („Aber er hat nicht VERSTÄNDlich erklärt.“ Weil wir es nicht verstanden haben. Wir haben es einfach nicht verstanden.“), dass die Erklärungen des Lehrers nicht bei den SchülerInnen ankommen. Auffällig ist die Art und Weise, wie Max den Kausalsatz einleitet, denn die Kausalität wird umgekehrt. Zu erwarten wäre die Aussage wie folgt: Weil er es nicht verständlich erklärt hat, haben wir es nicht verstanden. Indem er die Sätze jedoch tauscht, liefert er gewissermaßen einen Beweis für seine Einschätzung. Dass der Lehrer über mangelnde didaktische Kompetenzen verfügt, zeige sich darin, dass es der Lerngruppe nicht möglich ist, die Erklärungen des Lehrers zu verstehen. Möglicherweise richtet sich Max damit an die Forscherin und versucht seiner Aussage Plausibilität bzw. eine höhere Glaubwürdigkeit verleihen. Auch der Rückgriff auf die Muttersprache Deutsch im Spanischunterricht führt nicht zum Erfolg, was Max in der nächsten Passage zum Ausdruck bringt. Und er hat auch nicht dann übersetzt. Und irgendwann hat er gemerkt, dass es unruhig wurde, wir nicht zugehört haben. Da hat er dann komplett auf Deutsch geredet. Und da ist ja der Sinn des Fremdsprachenlernens kaputt. Wenn man dann anfängt, Deutsch zu reden. (…) Dann haben wir halt, ja, wir haben halt mit einem Ohr zugehört, weil es Deutsch war, weil wir es verstanden haben, aber haben eigentlich ganz was anderes gemacht. (…) [185-191] Dass die Klasse Verständnisprobleme hat und der Lehrer trotzdem nicht „übersetzt“, also auf die deutsche Sprache zurückgreift, führt aus Max’ Perspektive zu Unruhe und sinkender Aufmerksamkeit. Implizit zeigt sich hier, dass es aus seiner Sicht hilfreich wäre, wenn Lehrkräfte übersetzen würden, d. h., der Rückgriff auf die Muttersprache bietet für ihn im Spanischunterricht eigentlich eine mögliche Hilfestellung, wenn etwas nicht verstanden wird. Die Reaktion des Lehrers, „komplett auf Deutsch“ zu reden, bildet jedoch einen Teil des negativen Gegenhorizonts, da so „der Sinn des Fremdsprachenlernens kaputt“ ist. Diese Metapher des kaputten Fremdsprachenlernens deutet auf Max’ Überzeugung hin, dass der Fremdsprachenunterricht, in dem die Lehrkraft ausschließlich Deutsch spricht, nicht intakt bzw. gescheitert ist und so nicht funktionieren kann. Die Verwendung der deutschen Sprache führt zwar dazu, dass die Klasse wieder zuhört, aber sie tut dies nur „mit einem Ohr“, d. h. nur halb und ohne echte Aufmerksamkeit. Der Wechsel der Sprache führt zwar zum Verstehen <?page no="229"?> („zugehört, weil es Deutsch war, weil wir es verstanden haben“). Das allein führt allerdings nicht zu höherer Mitarbeit („aber haben eigentlich ganz was anderes gemacht“) oder zur Initiierung von Lernprozessen. Auch hier spricht Max wieder in der ersten Person Plural, also als Teil der gesamten Lerngruppe. Für ihn trägt der neue Lehrer aufgrund der fehlenden methodisch-didaktischen sowie sprachlichen Kompetenzen die Verantwortung für die sinkende Lernbereitschaft der gesamten Klasse. Neben den aus Max’ Perspektive mangelnden Kompetenzen des jungen Lehrers deutet er eine weitere Schwierigkeit das Lehrer-Schüler-Verhältnis betreffend an. Der Status des Lehrers als Referendar, den Max bereits zu Beginn erwähnt hat, ohne jedoch zu explizieren, was dieser für ihn impliziert, findet nun erneut Erwähnung. Er war halt auch noch ein Referendar. Er hatte halt auch keinen so, ich sage jetzt mal, so hohen Stellenwert, wie ein Lehrer. Es hat ihn halt nicht so jemand ernst genommen (…) richtig, von der Klasse jetzt, ja. (…) Das war halt das Problem. Und wenn keiner zuhört, versteht es keiner. Er kann es nicht verständlich machen und so, das ist dieser Teufelskreislauf so. [223-228] Indem Max dem Referendar als Vergleichshorizont einen „Lehrer“ gegenüberstellt, wird deutlich, dass ReferendarInnen für ihn „noch“ keine richtigen bzw. autorisierten Lehrkräfte darstellen und Erstere in der Hierarchie und in Bezug auf ihre Autorität unter einem „Lehrer“ zu stehen scheinen. Während er Lehrkräften einen „hohen Stellenwert“ bescheinigt, spricht er dem Referendar diese ab, was er hier jedoch einzig auf den von außen festgelegten Status als Berufsanfänger und nicht auf dessen Kompetenzen zurückführt. Dies hat zur Folge, dass ihn niemand „ernst genommen“ hat. Auffällig ist, dass Max hier weder in der ersten Person Singular noch in der ersten Person Plural spricht, sondern von „jemand“ und nach einer längeren Sprechpause sogar von „der Klasse“. Zur Klasse besteht auf der sprachlichen Ebene keinerlei Verbindung, d. h., er bezeichnet sie nicht als ‚meine‘ oder ‚unsere‘. Es bleibt fraglich, ob er sich an dieser Stelle als Teil der Klasse betrachtet oder ob er damit eine Distanz zur Lerngruppe herstellt, weil er die Geringschätzung des Referendars eigentlich nicht teilt. Seine Positionierung innerhalb der Klassengemeinschaft soll deshalb an weiteren Textstellen noch überprüft werden. Die häufige Verwendung des Modalpartikels „halt“ in vier aufeinanderfolgenden Sätzen unterstreicht, wie persistent und unabänderlich die Wahrnehmung des jungen Lehrers für Max in dieser Phase zu sein scheint. Mit der Metapher „Teufelskreislauf“ drückt er die unangenehme und scheinbar ausweglose Lage aus, an der er der Klasse gleichermaßen eine Verantwortung zu- 6.2 Fallrekonstruktion Max 229 <?page no="230"?> 230 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens schreibt („wenn keiner zuhört, versteht es keiner“) wie dem Referendar („Er kann es nicht verständlich machen“), da beide Verhaltensweisen einander bedingen. Neben seiner eigenen Wahrnehmung des Unterrichts nimmt Max in der Eingangserzählung auch immer wieder die Perspektive des jungen Lehrers ein und spricht von „Mitleid“ für diesen. Dass er trotz der eigenen Enttäuschung über diese Unterrichtszeit Anteilnahme und Empathie zeigt, wirft die Frage auf, warum er das tut. I: Und (…) nochmal auf den anderen Lehrer. Da haben Sie gesagt, (…) man hätte Mitleid mit ihm haben können, aber auch mit Ihnen. B: Ja. I: (…) Also, wie meinen Sie das? B: Naja, (.) er kam von der Universität, frisch studiert, als Lehrer (.) und wurde gleich in so eine achte Klasse mit pubertären Mädchen und Jungs reingeworfen, die/ (.) In der achten Klasse ist ja sowieso dieser Bock auf Schule so am Tiefpunkt. Und (…) da wurde er da einfach REINgehauen. Zwei Wochen oder zwei Monate, oder drei Wochen, egal wie lang, es war einfach viel zu kurz, wurde da zwar noch hospitiert, bei ihm hinten. Aber dann (…) war SCHLUSS. Er wurde einfach (lachend) alleine gelassen. [325-338] Aus Max’ Sicht wurde der Referendar, der „von der Universität, frisch studiert“ an der Schule ankam, in die Klasse „reingeworfen“ bzw. „REINgehauen“. Aufgrund der verwendeten Sprache dokumentiert sich sehr stark die wahrgenommene Passivität des neuen, berufsunerfahrenen Novizen, denn dieser ist nicht in die Klasse gegangen oder kam in die Klasse, sondern wurde von anderen Personen unfreiwillig und in gewisser Hinsicht auch gewaltsam in diese Situation gebracht. Geworfen werden bzw. reingehauen zu werden heißt, dass sein Zugang zur Klasse nicht allmählich und behutsam erfolgte. Er wurde nicht herangeführt oder begleitet, sondern unvorbereitet mit der neuen Klasse konfrontiert. Die Motivationsprobleme der Klasse führt er nicht auf den Referendar, sondern auf die Pubertät und die damit verbundenen Schwierigkeiten zurück, da er eine achte Klasse mit „pubertären Mädchen und Jungs“, deren Motivation für Schule am Tiefpunkt ist, als nicht geeignet für Berufsanfänger hält. Diese Interviewstelle stützt die Interpretation, dass Max die Schuld für den Bruch nicht allein bei dem Referendar, sondern vor allem in der mangelhaften Vorbereitung durch die Schule sieht. Max betrachtet die Tatsache, dass dem Lehrer nicht genügend Zeit (zweimal „viel zu kurz“) der Begleitung gewährt wird, als problematisch. Er nennt drei verschiedene Zeiträume zwischen Wochen und Monaten. Obwohl er sich nicht genau erinnert, wie lange der Unterricht durch Hospitationen begleitet wird, sei <?page no="231"?> es letztlich „egal wie lang“. Denn unabhängig von einer bestimmten Zeit kommt das Ende für Max sehr plötzlich („Aber dann (…) war SCHLUSS.“) und zu früh, da der Referendar nach dieser Zeit noch nicht ausreichend vorbereitet ist. Der Übergang zu einem eigenverantwortlichen Unterricht ist kein Prozess und für die Lernenden nicht transparent. Die Sprechpause zeigt, dass er kurz nachdenken muss und für dieses Ende selbst keine plausible Erklärung hat. Der Lehrer wurde aus seiner Sicht „einfach (lachend) alleine gelassen“, was auf die fehlende Unterstützung hindeutet, die dieser eigentlich noch benötigt hätte. Die wiederholte Verwendung der Partikel „einfach“ („einfach reingehauen“, „einfach viel zu kurz“, „einfach allein gelassen“) bewirkt eine emotionale Verstärkung der Aussage, worin sich dokumentiert, dass er diese Praxis ablehnt. Max scheint mit der Ausbildungspraxis von ReferendarInnen vertraut, was sich im Folgenden vor dem Hintergrund der beruflichen Tätigkeit seiner Eltern erklärt. Und, (.) ja, dieses, das hat sich halt auf sein/ Ja, ich weiß nicht. Vielleicht hätte man ihm mal sagen müssen, wie man da (.) praktisch unterrichtet. Weil ich denke, einfach es ist etwas anderes, wenn man da vor der Klasse steht, als wenn man jetzt es in der Theorie beim Studium dran hatte, oder (.) inwieweit, das weiß ich jetzt nicht genau. Aber (…) ja. (…) Meine Eltern sind auch Lehrer und die haben auch gesagt, dass die halt auch beim Studium da begleitet wurden. (…) Äh halt dann in ihren, in ihren Praxisjahren. Da wurde dann halt auch die Stunde noch ausgewertet und, ich weiß nicht, wie oft das mit ihm gemacht wurde. Aber auf jeden Fall viel zu kurz. (.) Und das/ (.) Da könnte man Mitleid mit IHM haben, dass er in so eine Situation REIN- GEWORFEN wurde. [338-348] Die Vorwürfe, die er implizit an die Schule richtet, setzen sich in dieser Passage fort. Er sieht eine Kluft zwischen der an der Universität vermittelten Theorie und dem Unterricht an der Schule. Diese Diskrepanz schreibt er aber nicht dem Lehrer zu. Die Ursachen für die mangelnden Kompetenzen sieht er in dessen Ausbildung („vielleicht hätte man ihm mal sagen müssen, wie man da (.) praktisch unterrichtet“). Denn aus Max’ Sicht wurde der junge Lehrer während des Studiums nicht ausreichend auf die praktische Lehrtätigkeit vorbereitet. Auch wenn der Erfahrungsraum Universität für ihn unbekannt ist, greift er auf ein Wissen zurück, über das er durch die berufliche Lehrtätigkeit seiner Eltern verfügt. Es ist wahrscheinlich, dass ihn die Probleme mit dem jungen Lehrer so beschäftigten, dass er diese zu Hause gegenüber seinen Eltern thematisiert. Die Begleitung, die seine Eltern während des Studiums und „in ihren Praxisjahren“ u. a. in Form von Auswertungsgesprächen erfahren haben, vergleicht er mit der Ausbildung des Referendars. Die Unterrichtsstunden auszuwerten erscheint 6.2 Fallrekonstruktion Max 231 <?page no="232"?> 232 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens ihm sinnvoll und wichtig, doch seinem Lehrer scheint es an entsprechenden Reflexionen zu mangeln. Nach der Einschätzung der Lehrerperspektive kommt er auf die Klasse zu sprechen. Er gerät jedoch ins Stocken, macht Pausen und bricht die Sätze ab. Er überlegt also sehr genau über die Fortsetzung seiner Darstellungen nach und kommt schließlich darauf zu sprechen, dass er neben dem Lehrer auch die Lernenden als Opfer einer dritten Instanz, der Schule, sieht. Aber dass WIR dann so(.) so (…) dieses, dass wir dann auf dieses/ (.) Dass WIR dann kein WISSEN mehr vermittelt bekommen haben und dass das an UNS wieder aus/ experimentiert wurde. Und dass er da/ Ja, dass wir dann so einfach im STICH gelassen wurden, und dass es ja egal war. „Ja, dann lernen sie halt nichts, oder so.“ Ich weiß es nicht, (.) wie das/ Was da in den Köpfen vorging. Und das fand ich dann wieder schade, weil, (.) wie gesagt, es sind dann unsere Leistungen total abgekackt. [349-355] Dass die SchülerInnen „kein WISSEN mehr vermittelt bekommen“, ist zwar eigentlich dem Lehrer zuzuschreiben, doch die eigentliche Schuld trägt die Schule, da sie ihrer Aufgabe der Wissensvermittlung nicht nachkommt und stattdessen „wieder“ mit der Klasse „experimentiert“. Diese Metapher deutet darauf hin, dass Max die Lernenden als Versuchsobjekte, vergleichbar mit einem Laborversuch wahrnimmt, was im Gegensatz zu einer erprobten und bewährten Unterrichtspraxis steht, die ihnen vorenthalten wird, und es nun bereits zum wiederholten Male der Fall sei, dass auf ihre Kosten Neuerungen ausprobiert werden, von denen er sich implizit distanziert. Nicht nur der Lehrer wurde allein gelassen, sondern auch die Klasse wurde „im STICH gelassen“. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Wohl der Schüler- Innen, die nichts lernen können, ist als negativer Horizont zu lesen. Die sich verschlechternden Leistungen sind für Max eine Konsequenz des Im-Stich-gelassen-Werdens. Hier dokumentiert sich das Bedauern über diese Entwicklungen, da er gerne gelernt hätte und gerne gefördert worden wäre. 6.2.4 „In der sechsten und fünften Klasse waren wir ihre Vorzeigeklasse“ - Max’ Wahrnehmung des veränderten Lehrer-Schüler-Verhältnisses In der Eingangserzählung thematisiert Max den erneuten Lehrerwechsel nach dem Schuljahr mit dem Referendar, der in seinem Unterrichtserleben mit einer neuen Etappe („Und danach“) einhergeht. Besonders prägend für diese Zeit sind die sich verschlechternden Leistungen im Fach Spanisch sowie das veränderte <?page no="233"?> Lehrer-Schüler-Verhältnis, die für ihn in einem engen Zusammenhang zu stehen scheinen. Und danach (.) danach sind unsere Leistungen so runter gegangen, dass wir dann/ Im nächsten Jahr darauf hatten wir wieder unsere Lehrerin, unsere normale. In der Neunten, letztes Jahr. Und die hatte dann keinen Bock mehr auf uns gehabt. Wir waren dann, denke ich mal, scheiße zu ihr, sie war aber auch scheiße zu uns. Und (…) dann gingen halt auch unsere Leistungen/ Ich hatte persönlich vorher in der fünften, sechsten, so eine Eins oder eine Zwei immer so. Weil ich halt nicht so Vokabeln gelernt habe, aber dann doch mir immer irgendwas (lachend) aus den Fingern gezogen habe. Und dann, in der sechsten/ Und dann in der achten Klasse, dann bei ihm (.) ja, er hat halt (Schulgong) auch so total einfache Arbeiten geschrieben. Da war es dann immer eine Zwei. Aber dann, als wieder das Niveau angestiegen ist, in der neunten Klasse, da hatte ich dann nur noch Dreien gehabt. Da ging es dann NUR noch durchweg mit Dreien halt. Auch gar nichts anderes mehr. Und (…) ja, das war dann bisschen Kacke. Und da hat man dann auch so diese Lust verloren, irgendwie mal. Weil, selbst, wenn man sich mal angestrengt hatte, oder so, war es trotzdem ihr nicht gut genug. Sie hat dann auch plötzlich so hohe Erwartungen gehabt, weil sie, sie war halt SAUER auf den und auf uns hat sie das ein bisschen projiziert. Weil wir haben (..) wir haben das viel nicht geschafft, im Stoff und das musste sie dann nachholen und musste dann, quasi in ein Schuljahr anderthalb Schuljahre reinquetschen, theoretisch. Und das wurde dann vom Stoff her nicht so gut. Und (.) das hat sie dann bisschen angekotzt. Und sie war auch häufig so genervt und (.) ist dann nur so rein mit dem Thema, mit dem Motto „Gleich wieder raus aus unserer Klasse“, weil wir haben sie gestresst. [64-87] Max’ erste Relevanzsetzung sind die Leistungen, die nach dem Lehrerwechsel „runter gegangen“ seien. Er bricht den Satz jedoch ab, um eine Hintergrundkonstruktion einzuleiten, in der er ausführt, dass die Gruppe in der neunten Klasse wieder von der vorherigen Spanischlehrerin unterrichtet wurde („darauf hatten wir wieder unsere Lehrerin, unsere normale“). Er bezeichnet die Lehrerin als „unsere normale“, während er in Bezug auf den vorherigen Lehrer das Possessivpronomen an keiner Stelle verwendet. Implizit kommt zum Ausdruck, dass die Lehrerin Max’ Bezugsnorm einer „normalen“ Spanischlehrkraft - das Adjektiv verwendet er im Zusammenhang mit ihr bereits zum zweiten Mal - darstellt, anhand derer er andere vergleicht und beurteilt. Diesen Maßstab konnte der Referendar nie erfüllen, sodass Max das Lernjahr mit ihm nur 6.2 Fallrekonstruktion Max 233 <?page no="234"?> 234 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens als einen vorübergehenden Ausnahmezustand betrachtet. Einen persönlichen Bezug - wie zu der Lehrerin - konnte er zu diesem nie herstellen. Dennoch hat sich das Verhältnis zwischen Spanischlehrerin und der Klasse gewandelt, wobei die ablehnende Haltung auf Gegenseitigkeit beruht („Wir waren dann, denke ich mal, scheiße zu ihr, sie war aber auch scheiße zu uns.“). Der relativierende Einschub („denke ich mal“) impliziert eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich des Verhaltens der Klasse. Denkbar wäre hier, dass er aufgrund der Ablehnung der Lehrkraft davon ausgeht, dass die Ursachen für ihr Verhalten bei den Lernenden liegen müssten. Die eigentliche Verantwortung für die Probleme mit der Lehrerin schreibt er aber dem vorherigen Lehrer zu: „sie war halt SAUER auf den und auf uns hat sie das ein bisschen projiziert“. Dass Max diese Aussage als Tatsache darstellt, könnte bedeuten, dass die Lehrerin den SchülerInnen gegenüber ihren Unmut offen geäußert hat. Für diese Interpretation spricht, dass er den versäumten Unterrichtsstoff des achten Jahrgangs, den sie nachholen muss, als Argument für ihre Verärgerung anführt, und unwahrscheinlich ist, dass diese Erklärung von ihm selbst stammt („wir haben das viel nicht geschafft, im Stoff und das musste sie dann nachholen und musste dann, quasi in ein Schuljahr anderthalb Schuljahre reinquetschen, theoretisch.“). Die metaphorische Verwendung des Verbs ‚reinquetschen‘ verdeutlicht hier die strikte und obligatorische Verpflichtung eines Lehrplans, der innerhalb eines Schuljahres abgearbeitet werden muss. Wenn dieser Plan nicht erfüllt wird, führt dies dazu, dass man den Unterrichtsstoff „theoretisch“ reinquetschen, d. h. nachholen muss, obwohl es eigentlich zu viel ist und nicht passt bzw. in der Praxis nicht umsetzbar ist. Dass die Lehrerin von der Klasse „genervt“ und „gestresst“ ist, „gleich wieder raus aus“ der Klasse will, d. h. das Lehrer-Schüler-Verhältnis eine negative Entwicklung erfährt, scheint für Max vor allem im Zusammenhang mit den äußeren Zwängen zu stehen. Neben der Beziehung zur Lehrkraft, über die Max in der ersten Person Plural spricht, thematisiert er die Leistungen, die sich in der neunten Klasse verschlechtern. Zunächst erwähnt er zweimal „unsere Leistungen“, bricht diesen Gedanken jedoch in beiden Fällen ab und beginnt erst in der ersten Person Singular ausführlich über diesen Aspekt zu sprechen. Dadurch offenbart sich, dass es sich um ein Thema handelt, das ihn ganz persönlich betrifft, und dass er einen Unterschied zwischen sich und der Klasse ausmacht. Leistungen - dies lässt sich als dokumentarischer Sinngehalt festhalten - sind für Max vor allem gleichbedeutend mit Noten, nicht Kompetenzen. Er spricht nicht darüber, was er zu diesem Zeitpunkt bereits konnte, oder darüber, was ihm sehr schwer fiel, sondern misst seine Leistungen anhand seiner Noten, die in den vorherigen Schuljahren stets besser waren („Ich hatte persönlich vorher in der fünften, sechsten, so eine Eins oder eine Zwei immer so“). Seine guten Noten führt er aber nicht <?page no="235"?> auf seine Lern- oder Anstrengungsbereitschaft zurück, sondern darauf, dass er sich in der fünften und sechsten Klasse „immer irgendwas (lachend) aus den Fingern gezogen“ und der Lehrer in der achten Klasse „total einfache Arbeiten geschrieben“ habe. In der neunten Klasse bei einem gestiegenen Niveau gelingt es ihm jedoch nicht mehr, gute und sehr gute Leistungen zu erzielen. Fraglich ist, was Max genau mit dem gestiegenen Niveau meint, denn er verwendet das Adverb „wieder“. Möglicherweise haben die Anforderungen also nicht unmittelbar etwas mit dem Lerngegenstand zu tun. Das höhere Niveau könnte vielmehr in einem Zusammenhang zu der Spanischlehrerin stehen, welche die Klasse wieder übernimmt. Dass er sich über die mittlerweile konstant befriedigenden Leistungen ärgert, zeigt, dass er eigentlich einen höheren Anspruch hat und sich mit einer Drei nicht zufriedengeben will. Das Streben nach guten Noten ist für Max in erster Linie ein Streben nach Anerkennung durch die Lehrerin, was sich durch die Betonung, dass es „ihr nicht gut genug“ ist, zeigt. Seine Anstrengungsbereitschaft schätzt er zwar selbst als nicht konstant ein, doch wenn er sich bemüht, erwartet er dafür ein positives Feedback. Trotz seiner Bemühungen wird er nicht entlohnt und sein Wunsch nach Anerkennung bleibt unerfüllt. Max spricht nun nicht mehr von sich in der ersten Person Singular, sondern wechselt zu dem Indefinitpronomen „man“ („Und da hat man dann auch so diese Lust verloren“). Er nimmt also eine Generalisierung vor, die sich sowohl ausschließlich resümierend auf ihn als auch auf andere MitschülerInnen beziehen könnte. Für Max bildet die sinkende Lust eine unmittelbare Folge der ausbleibenden Anerkennung. Seine Bezugnahme zum Fach Spanisch richtet sich demnach weniger auf das Erreichen möglichst hoher sprachlicher Kompetenzen, sondern ist vielmehr durch das Verhältnis zur Lehrperson bestimmt, von der er Förderung, Unterstützung und Anerkennung erwartet. Besonders deutlich tritt diese Haltung im immanenten Nachfrageteil zutage, wo Max in einer Passage erneut auf das Lehrer-Schüler-Verhältnis zu sprechen kommt. Und (…) dann, sie hat halt immer so uns/ In der sechsten und fünften Klasse waren wir ihre Vorzeigeklasse, hat sie uns immer GELOBT und hat die Schüler, die schlecht waren, immer HOCH gepusht, wieder, dass die halt gut werden. Und da LIEF das auch. Und dann, in der neunten Klasse war es ihr scheiß egal und da hat sie uns dann jede Stunde eine Predigt gehalten, dass sie so enttäuscht von uns ist. Und es war auch immer so eine negative Stimmung. Und man dachte immer: „Ja, was mache ich jetzt hier überhaupt noch? “ Und dann kam sie auch (…) dann immer rein und äh hat dann auch die schlechten Schüler noch mehr runtergemacht. Und da war es dann egal, wenn da zwei Schüler mit Fünf sitzenbleiben. Ist ihr egal. Sie hat halt auch dann dramatisiert. Weißt Du, eine Fünf, 6.2 Fallrekonstruktion Max 235 <?page no="236"?> 236 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens ja, in Spanisch - das hat, den meisten hat es nichts ausgemacht. Aber sie hat dann halt so gedacht, das wäre das ENDE der Welt, oder so. Ja. (…) Das war so dieser Verlauf. [310-322] Die Zeit in der fünften und sechsten Klasse ist von Stolz und Anerkennung der Lehrerin geprägt („ihre Vorzeigeklasse“, „uns immer GELOBT“). Leistungsschwächere SchülerInnen werden von ihr so unterstützt, dass sich deren Leistungen wieder verbessern, was Max als wirksam bewertet („Und da LIEF das auch.“). Durch das Adverb „da“ wird jedoch bereits angedeutet, dass hier ein Vergleichshorizont eröffnet wird. Dem Lehrerverhalten der ersten beiden Lernjahre von früher als positivem Horizont stellt Max die Haltung derselben Spanischlehrerin in der neunten Klasse gegenüber, die den negativen Gegenhorizont bildet. Dieser ist charakterisiert durch ständige Ermahnungen aufgrund der Enttäuschung der Lehrerin („jede Stunde eine Predigt gehalten, dass sie so enttäuscht von uns ist“), „eine negative Stimmung“ sowie die Gleichgültigkeit der Lehrerin hinsichtlich schlechter Leistungen („Und da war es dann egal, wenn da zwei Schüler mit Fünf sitzenbleiben. Ist ihr egal.“). Max spricht an dieser Stelle nicht von sich selbst und auch nicht von sich als Teil der Gruppe („die schlechten Schüler“, „zwei Schüler“, „den meisten“), d. h., dass ihn die Herabsetzungen und das Tadeln der Lehrerin vermutlich gar nicht selbst betroffen haben. Dennoch wird deutlich, dass Max diese Praxis ablehnt. Es ist ihm wichtig, dass die Lehrperson alle, auch die leistungsschwächeren SchülerInnen, angemessen fördert. Die mangelnde Unterstützung bringt Konsequenzen für Max’ Lernbereitschaft mit sich, denn seine Unzufriedenheit führt zu Resignation und bewirkt, dass die Sinnhaftigkeit des Spanischlernens ins Wanken gerät („Und man dachte immer: ‚Ja, was mache ich jetzt hier überhaupt noch? ‘“). Die Verwendung des Adverbs „immer“ sowie des Pronomens „man“ verleiht der Aussage eine generalisierende Wirkung, d. h., die Distanzierung vom Fach stellt nicht nur einen kurzfristigen Zustand dar, sondern scheint von länger anhaltender Dauer. 6.2.5 „Themen, die uns so in der Realität nicht betreffen“ - fehlende Identifikationsmöglichkeiten mit den Inhalten im Spanischunterricht Neben den Lehrpersonen thematisiert Max in der Eingangserzählung auch die Unterrichtsinhalte: Ja, es war einfach kein schöner Unterricht mehr. Es war mehr so aus dem Buch abschreiben und (.) dann fing sie an noch mit (.) Vokabeltests. Das hat sie vorher NIE gemacht, Vokabeln/ Und dann meinte sie, wir müssen jetzt wieder Vokabeln lernen. Und weil vorher, in der sechsten, <?page no="237"?> siebten Klasse hat man das immer so freiwillig gemacht, weil es EIN- FACHE Vokabeln waren. So: „Wie heißt du? Wo kommst du her? “ und so, die man jetzt auch im Sprachgebrauch braucht. [87-93] Der Unterricht der achten Klasse sei „kein schöner Unterricht mehr“ gewesen. Dies impliziert, dass er Spanisch vorher - im Gegensatz zum Fortgeschrittenenunterricht - offenbar positiver erlebt hat. Damit bildet der Unterricht des achten Jahrgangs einen negativen Gegenhorizont zum Anfangsunterricht. Neben dem Verhältnis zur Lehrerin haben sich aus seiner Sicht auch die Inhalte im Verlauf der Jahrgangsstufen verändert. Neben dem Abschreiben aus dem Lehrbuch und den neu eingeführten Vokabeltests äußert er sich vor allem über die Wortschatzarbeit. Im Vergleich zur Freiwilligkeit in den vorherigen Lernjahren nimmt er Vokabellernen nun als Pflicht wahr („Und dann meinte sie, wir müssen jetzt wieder Vokabeln lernen.“). Von diesem durch die Lehrerin und die Tests auferlegten Zwang grenzt er sich negativ ab und stellt das Vokabellernen der ersten Lernjahre als positiv gegenüber. Seine Argumentation, dass Vokabeln freiwillig gelernt werden, wenn sie einfach sind, bringt er generalisierend („man“) hervor. Auf der dokumentarischen Sinnebene wird durch die Beispiele, die Max anführt, deutlich, dass für ihn die Lernbarkeit des Wortschatzes sowie die Lernbereitschaft in erster Linie vom kommunikativen Nutzen der neuen Vokabeln abhängig sind und die Anwendbarkeit im alltäglichen Sprachgebrauch bei der Wortschatzarbeit in der achten Klasse fehlt. Sowohl an dieser Stelle im Interview als auch in vorangegangenen Passagen stellt Max immer wieder einen Zusammenhang zwischen dem Lernen von Vokabeln und den sprachlichen Fähigkeiten her, sodass sich in Bezug auf sein Sprachlernverständnis ablesen lässt, welch großen Stellenwert Max Vokabeln beim Spanischlernen zuschreibt. Was für den Wortschatz gilt, stellt er ebenso für die Themen im Unterricht fest. Auch diese misst er daran, inwiefern sie in der Realität anwendbar sind und mit der eigenen Lebenswelt zu tun haben: Aber jetzt so, (.) ist ja Spanisch in unseren Lehrbüchern ist es, finde ich, ein bisschen (.) realitätsfremd teilweise. Wir lernen über Themen, die uns so in der Realität nicht betreffen. [93-96] Max bewertet das Lehrbuch in Spanisch als „ein bisschen (.) realitätsfremd teilweise“. Auch wenn das Adverb „teilweise“ seine Aussage abschwächt, bestätigt er diese im nächsten Satz als Vertreter der Klasse in der ersten Person Plural und verallgemeinert seine Bewertung, dass nicht nur die Lehrwerke realitätsfremd seien, sondern ebenfalls die Themen, die gelernt werden. Im Anschluss beginnt er eine Belegerzählung, in der er den Spanischunterricht mit dem Fach Englisch vergleicht und einige Beispielthemen anführt, an die er sich erinnert. 6.2 Fallrekonstruktion Max 237 <?page no="238"?> 238 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens In Englisch sind es so Themen, die sind aktuell. Die betreffen uns. (.) Auch so mit äh/ Auch so zum Beispiel, da hatten wir Freundschaft und sowas dran, Pubertät, so in der achten Klasse. New Yo: rk, was einen halt so auch so voll so vom Hocker haut, weil es mal etwas anderes ist. Aber in Spanisch, da lernst du/ Ja, da heißen sie jedes Jahr gleich und wir haben in der neunten Klasse ein Buch gelesen über eine, (.) das war so ein Heftchen und das hatte 30 Seiten, die hat ihr (.) äh Haustier verloren (.) und musste es wiederfinden. (.) Da ging das GANZE Buch drum. Ja und war, das war, das war so sinnlos und das liest ja auch keiner, weil es so Baby ist. Da kommt man sich dann auch ein bisschen verarscht vor, irgendwie, wenn einem so ein Buch vorgelegt wird. (lachend) Und (..) ja, dann, (.) dann ja und das hat mich dann halt auch so ein bisschen dann gestört, dass ich dann auch nicht mehr so viel mit Spanisch dann zu tun hatte. [96-108] Ohne dass nach seinen Fremdsprachenlernerfahrungen im Fach Englisch gefragt wird, vergleicht Max die Themen mit denen im Spanischunterricht. Im Englischunterricht gelinge es, aktuelle, schülerorientierte, altersgerechte und abwechslungsreiche Themen (z. B. Freundschaft, Pubertät, New York) zu behandeln, für die er sich begeistern kann („was einen halt so auch so voll so vom Hocker haut“). Den Spanischunterricht erlebt er dagegen als nicht altersgerecht und monoton. Mit der Bemerkung „da heißen sie jedes Jahr gleich“ spielt er vermutlich darauf an, dass jedes Schuljahr dieselben Protagonisten im Lehrwerk zu finden sind, sodass Abwechslung fehlt. Damit bezieht sich auch der zweite Aspekt, den er in Bezug auf den Spanischunterricht anführt, unmittelbar auf das Lehrbuch, was für eine starke Lehrwerkzentriertheit des Unterrichts spricht. Doch auch der Ausstieg aus dem Lehrwerk durch eine Lektüre in der neunten Klasse scheint zu misslingen. Max kann keinen persönlichen Bezug zu der Geschichte herstellen und empfindet den Inhalt des Buches als nicht altersgerecht („weil es so Baby ist“), was auf eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen den Inhalten im Unterricht einerseits und den intellektuellen Anforderungen und Erwartungen der SchülerInnen andererseits hindeutet. Er fühlt sich in seiner Lernerrolle nicht ernst genommen („Da kommt man sich dann auch ein bisschen verarscht vor“), was dazu führt, dass er „dann auch nicht mehr so viel mit Spanisch dann zu tun hatte“. Spanisch scheint also zuvor durchaus eine größere Rolle für ihn gespielt zu haben, sodass sich hier - bedingt durch den fehlenden Bezug zu den Themen im Spanischunterricht - ein Prozess der fachlichen Abwendung vollzieht. Die Bedeutung interessanter Lerninhalte als Voraussetzung für die Wortschatzarbeit hebt er noch ein weiteres Mal hervor. <?page no="239"?> Wenn man jetzt irgendwas lernt, keine Ahnung, über/ (.) Was hatten wir jetzt neulich, Mexiko, oder so, was einen nicht so interessiert. Dann nutzt man die Vokabeln ja auch nicht so richtig. [109-111] Dass Max kein Interesse an dem vermutlich landeskundlichen Thema Mexiko zeigt, überrascht insofern, als er mit New York zuvor ein ebenfalls landeskundliches Thema benennt, das ihn im Englischunterricht begeistert hat. In beiden Fällen handelt es sich um Orte, die Max noch nicht persönlich bereist hat, sodass sich hier die Frage stellt, warum ihm New York offenbar dennoch sehr viel interessanter erscheint als Mexiko. Eine mögliche Lesart wäre, dass die Ursachen nicht in dem Thema, sondern der Unterrichtsgestaltung bzw. den Inhalten, die anhand des Themas erarbeitet werden, begründet liegen. Diese Interpretation soll anhand der folgenden Textstelle überprüft werden. Als ich Max im immanenten Nachfrageteil des Interviews genauer nach dem Unterricht und den Aufgaben bei dem jungen Spanischlehrer frage, bezieht er sich zunächst auf sein Erleben während der achten Klasse und beschreibt den typischen Ablauf einer Unterrichtseinheit im Präteritum. Meistens war es so Text durchlesen. Erst ein großer Text, am Anfang der Unit. Und dazu dann halt Aufgaben. Dazu hat dann das Stoffgebiet aufgebaut. Und dann kam noch die Grammatik im Text dran und dann war die Unit meistens vorbei. Also es war so ein Text über ein Thema. Dann haben wir erst mal das/ [201-204] Das Lesen eines Textes zu Beginn der Lektion bildet den Ausgangspunkt einer Unterrichtseinheit. Dabei konkretisiert er im zweiten Satz hinsichtlich des Umfangs der Texte, dass er diese als groß wahrnimmt. Interessant ist, dass er dabei das englische Wort für Lektion verwendet, obwohl er über den Spanischunterricht spricht, was darauf hindeuten könnte, dass seine Identifikation mit bzw. persönliche Bezugnahme zum Fach Englisch höher einzuschätzen ist. Das Adverb „meistens“ spricht dafür, dass der Unterricht sehr häufig diesem monotonen Muster folgt. Er spricht jedoch nicht von der Auseinandersetzung mit dem Text oder dessen Inhalten, sondern davon, dass es „dazu dann halt Aufgaben“ gibt. Die Partikel „halt“ verleiht der Aussage einen resignierenden Eindruck sowie eine gewisse Unabänderlichkeit. Aus Max’ Sicht ist nicht das Thema dem Text übergeordnet, sondern der Aufbau des „Stoffgebiets“ orientiert sich ebenso an dem einführenden Text wie die zu erlernende Grammatik. Max erkennt, dass sich der Text vor allem auf einen rein sprachbezogenen Lerninhalt bezieht („ dann kam noch die Grammatik im Text dran “). Dass er nicht über Inhalte oder Kompetenzen spricht, vermittelt den Eindruck, dass sich die Funktion der Lektionen scheinbar in der Bearbeitung von Aufgaben sowie der Präsentation 6.2 Fallrekonstruktion Max 239 <?page no="240"?> 240 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens von Grammatik erschöpft („dann war die Unit meistens vorbei“). Auch auf der sprachlichen Ebene kommt der sich ständig wiederholende, monotone Ablauf durch die Verwendung der temporalen Adverbien („erst“, „Und dazu dann“, „Dazu hat dann“, „Und dann kam“, „und dann“) zum Ausdruck. Beim erneuten Versuch, diese Erfahrung zu konkretisieren, wird ihm das wiederkehrende Ablaufschema scheinbar bewusst, sodass er den Ablauf noch einmal anhand eines konkreten Unterrichtsbeispiels zur Bekräftigung der zuvor getätigten Äußerung erzählt. Dabei wechselt er in die zweite Person Plural im Präsens. Das ist immer so. Das ist auch dieser rhythmische Ablauf, du liest einen Text, zum Beispiel jetzt über Mexiko. Dann behandelst du Mexiko kurz, Hauptstadt und so, Einwohnerzahl. Dann irgend noch so ein Geso einen Brauch dort. Dann lernst du die Grammatik, die im Text stand und dann ist die Unit meistens vorbei. (…) Ja, und dann wird eine Klassenarbeit geredet und gesprochen, ach, (lachend) geschrieben. Ja. (…) Und das ist/ (.) Es ist halt auch dieser langweilige Ablauf schon. Man weiß meistens, was kommt. Und (…) das ist in Englisch zum Beispiel jetzt nicht so. [204-212] Während Max zuvor in der Vergangenheit spricht und sich auf den Unterricht bei dem jungen Lehrer bezieht, resümiert er nun, dass „dieser rhythmische Ablauf “ auch auf den aktuellen Spanischunterricht zutrifft („Das ist immer so.“), und erwähnt die Unterrichtseinheit zu Mexiko als stellvertretendes Beispiel. Das Behandeln dieses Themas beschränkt sich auf die kurze Besprechung landeskundlicher Fakten („Hauptstadt und so, Einwohnerzahl“). Obwohl auch kulturelle Aspekte Gegenstand des Unterrichts zu sein scheinen, positioniert sich Max diesen gegenüber eher distanziert („irgend noch so ein“, „dort“). Auch hier zeigt sich, dass die Funktion des im Unterricht behandelten Textes auf das Erlernen der Grammatik reduziert wird, wonach die Lektion beendet und eine Klassenarbeit geschrieben wird. Die häufige Verwendung des Adverbs „dann“ verdeutlicht erneut die monotone Struktur des Unterrichtsablaufs, dessen Vorhersehbarkeit zu Langeweile führt. Im Vergleich zum Fach Englisch bleibt hier das eigentliche Potenzial des landeskundlichen bzw. (inter-)kulturellen Themas Mexiko ungenutzt, was die Interpretation stützt, dass die Enttäuschung eher auf die Unterrichtsgestaltung als auf das Thema selbst zurückzuführen ist. Da Max bereits in der Eingangserzählung sein Unterrichtserleben im Fach Spanisch dem im Fach Englisch gegenüberstellt, soll eine der immanenten Nachfragen im zweiten Teil des Interviews erneut auf diesen Vergleich fokussieren. So soll herausgearbeitet werden, warum er sich mit kulturellen Inhalten im Englischunterricht mehr identifizieren kann als beispielsweise mit einem vergleichbaren Thema wie Mexiko. Doch noch bevor die eigentliche Frage gestellt <?page no="241"?> werden kann, beginnt Max zu sprechen und versucht sich an ein Thema zu erinnern, bei dem interessantes Sachwissen vermittelt wurde. Er macht dabei einige Pausen und bricht seine Sätze ab, bevor er von einer weiteren Unterrichtseinheit erzählt, die ihm in Erinnerung geblieben ist. I: Mhm (bejahend). (…) Sie haben auch noch gesagt, dass im Spanischunterricht immer Themen behandelt wurden, (…) ja, die eigentlich mit der Realität, oder mit Ihrem Leben überhaupt nichts zu tun hatten. M: Ja. I: Also Mexiko haben Sie angesprochen. Aber vielleicht nochmal, weil Sie auch den Vergleich mit dem Englischunterricht gebracht haben/ M: Ah, ich weiß nicht, ich kann mich jetzt an Spanisch/ (…) Es haben irgendwie/ Ich habe jetzt keine Unit so im Kopf, die äh (…) jetzt wirklich, wo man äh auf/ Wo man irgendwelches Sachwissen dazu noch bekommen hat. Zum Beispiel, was einen so interessiert. Jetzt Mexiko, das war jetzt eigentlich ein Thema, das hat einen wieder ein BISSCHEN interessiert. Aber sonst hat man halt so einen Text, zum Beispiel eine Unit, da ist jemand ins Ferienlager gefahren und da, (.) dann wurde halt nicht so gelernt, so ja, wo kann man denn mal ins Ferienlager hinfahren, sondern da ging es dann gleich: „Was heißt Pferd auf Spanisch? Was heißt reiten auf Spanisch? Was heißt diese Aktivitäten auf Spanisch? “ Und so, das war dieser eine Text wieder den man durchgelesen hat, mit dem übers Ferienlager gehen und ach, und dann war es das. Und dann hatten wir noch Madrid dran. Das wurde halt auch ziemlich RUNTER gebrochen. Man hat dann zwar diese ähm/ Das hat SIE dann wieder gemacht. Das mussten wir dann in der neunten Klasse nachholen. Oder wir hatten es in der Neunten. Aber auf jeden Fall ging es dann wieder um diesen, ja, wie das jedes Jahr geht es um ein und dieselbe Person. (lachend) Und das ist dann auch irgendwie komisch. (.) [230-254] Max bezieht sich hier wieder auf Lektionen („Unit“), was bestätigt, dass sich sein Unterrichtserleben zum einen sehr stark am Lehrwerk orientiert und dass er den englischen Begriff unit für Lektion zuvor nicht nur mit dem spanischen Wort unidad verwechselt hat, sondern ihm grundsätzlich die englische Variante geläufiger ist. Interessantes Sachwissen zu lernen wäre für ihn das eigentliche Ziel im Fremdsprachenunterricht, wofür er jedoch keine Beispiele aus dem eigenen Spanischunterricht findet. Außerdem lässt sich Max’ passive Lernhaltung daran ablesen, dass er davon spricht, Sachwissen zu „bekommen“. Wissen wird hier nicht erarbeitet, sondern von der Lehrperson oder durch das Lehrwerk vermittelt. Das zuvor erwähnte Thema Mexiko wird hier nun im Vergleich zu anderen Inhalten im Spanischunterricht relativierend als eines dargestellt, das „einen 6.2 Fallrekonstruktion Max 241 <?page no="242"?> 242 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens wieder ein BISSCHEN interessiert“. „Aber sonst“ leitet im Folgenden einen Gegensatz ein, der signalisiert, dass interessante Themen die Ausnahme sind und in der Regel aus seiner Sicht uninteressante Inhalte behandelt werden. Er erzählt von einer Unterrichtseinheit bzw. Lektion, in der das Thema Ferienlager behandelt wurde. Doch statt sich über reale Reisemöglichkeiten auszutauschen und authentische Gesprächsanlässe zu schaffen, beschränken sich die Unterrichtsinhalte auf die Lektüre eines Lehrwerktextes sowie traditionelle Spracharbeit. Die Aufzählung der drei Beispiele zum Wortschatz („Was heißt Pferd auf Spanisch? Was heißt reiten auf Spanisch? Was heißt diese Aktivitäten auf Spanisch? “) deuten auf den mechanischen Ablauf und die Monotonie der Unterrichtsgestaltung hin, über welche Max mit der Interjektion „ach“ seinen Unmut zum Ausdruck bringt. Bei der Erinnerung an ein weiteres Unterrichtsbeispiel, das Thema Madrid, fällt Max auf, dass dieses in der neunten Klasse bei der anderen Spanischlehrerin gewesen sein muss, d. h. Probleme in Bezug auf die Inhalte unabhängig von der Lehrkraft zu bestehen scheinen. Das Thema Madrid wird in mehrfacher Hinsicht als negativ dargestellt. Mit der Figur im Lehrwerk findet keine Identifikation statt. Vielmehr erzeugt die Konfrontation mit derselben Person über Jahre hinweg Monotonie. Er findet es „komisch“ und lacht, womit er sich gleichzeitig distanziert, weil ihm unklar ist, warum das Thema Madrid an den Lehrwerkprotagonisten gebunden ist. Darüber hinaus kritisiert Max die starke Vereinfachung bzw. Banalisierung der Inhalte. Ja und es wird halt auch alles ziemlich einfach gehalten. Man braucht jetzt kein großes Vokabular. Und das ist halt im Englischunterricht jetzt nicht so. Man muss halt die Fachtermini dann wissen. Und im Spanisch braucht man das/ Wird das halt auch alles ziemlich einfach gehalten, das stört mich halt. Weil wir haben ja Englisch zwar schon dritte, vierte Klasse gehabt, aber das kann man jetzt nicht zählen. Aber Spanisch seit der fünften Klasse, da kann man doch langsam auch mal was von uns erwarten, oder? Und uns auch was Ordentliches beibringen, finde ICH jetzt. Also das sind auch Erwartungen, so wenn du dann halt liest, dass (.) jemand sein Haustier verloren hat und das sucht, so in der neunten Klasse. Und dann sind das noch so einfache Sachen, wo du dir denkst, „Das könnte jetzt auch meine Schwester in der sechsten Klasse lesen.“ Das, (.) ja, war irgendwie voll komisch. [255-266] Max sagt an zwei Stellen, dass im Spanischunterricht „alles ziemlich einfach gehalten“ werde, und stellt dem die deutlich höheren Erwartungen im Fach Englisch gegenüber. Diese bilden einen positiven Gegenhorizont, denn Max möchte eigentlich auch im Spanischunterricht mehr lernen, will gefördert und gefordert <?page no="243"?> werden und lehnt die zu geringe Progression ab. Dass er die englische Sprache bereits seit der Grundschule lernt, ist für ihn kein Argument („aber das kann man jetzt nicht zählen“) dafür, dass die Ansprüche im Spanischunterricht geringer sind. Seine Äußerung deutet an, dass er durch das Grundschulenglisch keine nennenswerten Lernfortschritte gemacht habe, sodass die investierte Lernzeit in beiden Sprachenfächern vergleichbar ist. Gemessen an den Lernjahren sollten deshalb auch im Spanischunterricht die Erwartungen höher sein. Er formuliert den Wunsch, die Lehrenden sollten der Klasse „was Ordentliches beibringen“, wobei ordentlich hier als etwas Sinnvolles und Lebensnahes interpretiert werden kann, was aus seiner Sicht fehlt. Als Beleg dafür erzählt er erneut von der Lektüre. Die Inhalte sind weder dem Lernstand noch dem Alter der Lernenden angemessen, was dazu führt, dass sich Max vom Spanischunterricht enttäuscht zeigt. 6.2.6 „Dann brauche ich auch manchmal meine Bestätigung“ - Max’ Selbstkonzept als Fremdsprachenlerner Neben den verschiedenen Unterrichtserlebnissen ist in Max’ Darstellungen auch zentral, wie er selbst sich als Fremdsprachenlerner wahrnimmt. Besonders deutlich wird dies jedoch erst im immanenten Nachfrageteil. Und, ich war auch immer so einer, ich habe mich manchmal, (.) manchmal/ Also meine Leistungen waren nie so konstant. Manchmal habe ich mich angestrengt und manchmal nicht. Aber wenn ich mich anstrenge und so, mich in so eine Sache reinlege, dann brauche ich auch manchmal meine Bestätigung dafür, dass das gut war. Und das hat sie einfach nicht gegeben. Sie hat dann/ Sie fand das dann immer scheiße und nur ihre Lieblingsmädchen, die haben IMMER ihre Einsen bekommen. Und ihre Jungs haben immer ihre Vieren und Fünfen bekommen und ich habe eine Drei bekommen. Halt so war das dann. (…) [287-295] Auf die Einleitung „ich war immer so einer“ folgt eine Selbsteinschätzung, wobei er den Satz zunächst abbricht und einen anderen Gedanken aufgreift, der seine Leistungen thematisiert. Diese seien nie konstant gewesen, was er darauf zurückführt, dass er sich manchmal „angestrengt [hat] und manchmal nicht“. Aus seiner Sicht sind gute Leistungen also abhängig von seiner Anstrengungsbereitschaft. Wenn er sich engagiert und im Unterricht anstrengt, dann braucht er dafür eine „Bestätigung dafür, dass das gut war“. Diese Bestätigung besteht für ihn jedoch nicht im Erwerb sprachlicher Kompetenzen bzw. dass er selbst Fortschritte macht. Anerkennung für seine Anstrengungsbereitschaft erwartet er von der Lehrkraft, wobei sogar eine gewisse Notwendigkeit für ihn besteht. 6.2 Fallrekonstruktion Max 243 <?page no="244"?> 244 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Denn er sagt nicht, dass er sich Bestätigung wünscht oder diese erhalten möchte, sondern dass er sie braucht, also sie für ihn essenziell ist und dass er sie für sich benötigt. Dennoch hat die Spanischlehrerin ihm diese Bestätigung „einfach nicht gegeben“. Die Partikel „einfach“ erzeugt hier eine emotionale Verstärkung seiner Enttäuschung über diesen Umstand. Seine Aussage klingt resignierend, d. h., egal was er versucht, es reicht nicht, um ein positives Feedback zu erhalten. Dass er zunächst nur von Bestätigung und erst am Ende von Zensuren spricht, zeigt, welch hohen Stellenwert er der Anerkennung durch die Lehrkraft beimisst und dass er Noten weniger als eine Form der Bewertung wahrnimmt, die Aussagen über den Leistungsstand der Lernenden geben, sondern als Zeichen der Bestätigung und Anerkennung durch die Lehrerin. In Max’ Augen scheint die Spanischlehrkraft ihren „Lieblingsmädchen“ gute Noten nur aus Gründen der Sympathie zu geben und nicht für gute Leistungen. Da er nicht von anderen Mädchen als ihren Lieblingsmädchen spricht, bleibt offen, ob er sich auf einige bestimmte Mädchen bezieht oder der Meinung ist, dass für die Lehrerin alle Mädchen aufgrund ihres Geschlechts Lieblingsmädchen sind. Bei den Jungs scheint es jedenfalls keine Lieblinge zu geben. Im Gegenteil, es klingt sogar eher so, als bekämen alle Jungs per se aufgrund ihres Geschlechts Vieren und Fünfen. Bei dieser Einteilung der Klasse in „ihre Lieblingsmädchen“ und „ihre Jungs“ zählt er sich zu keiner der beiden Gruppen („und ich“) und kann sich aufgrund seiner Zensur nicht zuordnen („habe eine Drei bekommen“). Er konstruiert hier ein Ich, das allen anderen gegenübersteht, wobei die Einteilung in Gruppen nicht nach Leistungen, sondern Geschlecht, Note und Sympathie bei der Lehrerin erfolgt. Da er zuvor überwiegend in der ersten Person Plural und damit als Teil der Gruppe gesprochen hat, fällt die Abgrenzung von der Klasse hier besonders auf. Diese Praxis stellt er als unveränderlich dar („Halt so war das dann“). Wie wichtig für Max die Rolle der Lehrperson bzw. das Verhältnis zur Lehrkraft für das eigene Lernen ist, zeigt sich auch in der folgenden Passage, in der er von einem Erlebnis aus dem Spanischunterricht des laufenden Schuljahres erzählt. Und dieses Jahr zum Beispiel hatten wir noch eine andere ja wieder, eine andere Lehrerin. Und die hat (.) ähm/ (…) Da habe ich jetzt auch durch mein Mexiko-Projekt/ Das war so ein Austausch übers Internet mit denen halt geschrieben und Videos ausgetauscht, über (Name der Stadt) eine Präsentation. Und äh, da habe ich mich auch reingehangen und DA habe ich auch meine Bestätigung bekommen. Da habe ich dann auch gute Noten für bekommen. Und noch und nöcher. Und dann, die eine Sache <?page no="245"?> wollte sie nicht bewerten, aber weil es bei uns, bei meiner Gruppe, so gut war, hat sie uns doch noch eine Eins dafür gegeben. Und das ist halt dann SCHÖN, weil man dann auch merkt, dass man dem Lehrer nicht scheiß egal ist. Und dass die Lehrer halt auch WOLLEN, dass man gut ist. [295-305] Der Erzählabschnitt wird durch einen erneuten Lehrerwechsel eingeleitet, was zeigt, dass sich Max’ Unterrichtserleben stark an der Lehrkraft orientiert. Obwohl er zunächst beginnt, über die Lehrerin zu sprechen, bricht er den Satz ab und erzählt in der ersten Person Singular weiter, was hier im Vergleich zu der sonst häufig verwendeten ersten Person Plural besonders auffällt. Obwohl es sich um eine Gruppenarbeit handelt, spricht er nicht von sich als Teil der Gruppe, sondern stellt zu dem Unterrichtsprojekt einen persönlichen Bezug her („mein Mexiko-Projekt“), was darauf hindeutet, dass er sich diesmal mit den Lerninhalten zum Thema Mexiko identifizieren kann und eine hohe Lernbereitschaft für das Projekt mitbringt. Er betont, dass er sich „auch reingehangen“ habe, d. h., im Vergleich zu früheren Unterrichtsaktivitäten, bei denen Max sich zwar ebenso engagiert gezeigt, aber keine Anerkennung bekommen habe, erhält er diesmal („DA“) die entsprechende Bestätigung. Indem er von „meine Bestätigung“ spricht, dokumentiert sich, wie wichtig für ihn persönlich die positive Rückmeldung der Lehrerin ist. Bestätigung bedeutet für Max hier in erster Linie gute Noten zu bekommen, wobei er sogar deutlich mehr gute Noten erhält („noch und nöcher“, „die eine Sache wollte sie nicht bewerten“) als erwartet. Von der ersten Person Singular und dem Erzählen dieses positiven Unterrichtserlebnisses wechselt Max nun wieder die Perspektive, indem er das Indefinitpronomen „man“ verwendet und eine generalisierende Bewertung vornimmt. Gute Noten zu bekommen bezeichnet er als „SCHÖN“. Die Begründung, die er für diese Einschätzung liefert, bezieht sich jedoch nicht darauf, dass man eine Bestätigung für seine erbrachten Leistungen erhält. Auch dass er durch das Projekt viel gelernt hat, spielt bei seiner abschließenden Bewertung keine Rolle. Vielmehr sind die guten Noten aus seiner Sicht „SCHÖN, weil man dann auch merkt, dass man dem Lehrer nicht scheiß egal ist“. Das persönliche Interesse und die Wertschätzung der Lehrperson scheinen für Max noch wichtiger als die Honorierung seiner erbrachten Leistungen und sind damit Teil seiner Orientierung. Aus dem Vergleich der beiden Lehrerinnen lässt sich schließen, dass Max aus der Anerkennung durch die Lehrperson eine Bestätigung als Lerner bzw. als Person erfährt. Für ihn ist zentral, dass sich Lehrende für alle SchülerInnen interessieren und sich für deren Vorankommen einsetzen. Das Verhalten der gegenwärtigen Lehrerin kann insofern als positiver Horizont gelesen werden, 6.2 Fallrekonstruktion Max 245 <?page no="246"?> 246 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens während Max die fehlende Anerkennung durch die vorherige Lehrerin als Desinteresse wertet und diese Praxis als negativen Horizont gegenüberstellt. Im letzten Interviewabschnitt werden exmanente Nachfragen gestellt, die sich u. a. auf Aussagen aus dem bildgestützten Kurzaufsatz beziehen. Da Max darin ein ambivalentes Verhältnis zum Fremdsprachenunterricht Spanisch beschreibt, fokussiert eine der Fragen seine aktuelle Einstellung zum Spanischlernen. Er beginnt jedoch zunächst in der Wir-Perspektive vor allem über die neue Lehrerin und das Verhältnis zu ihr zu sprechen. Ja, ich muss sagen, am Anfang des Schuljahres, war es echt, da war es nur Spanisch. Da war es langweilig und wenig praxisnah. Weil wir halt wieder eine neue Lehrerin hatten. Dann musste man sich wieder drauf einstellen. Dann hatten wir wieder diese eine Zeitform, die man seit der Achten nicht beigebracht/ In der Achten nicht war, die wir in der Neunten gemacht haben und jetzt wieder gemacht haben. (…) Ja, (stöhnend) das war dann wieder (…) langweilig. [424-430] Bereits im ersten Satz eröffnet Max einen temporären Erfahrungsraum, der sich auf den Beginn des aktuellen Schuljahres bezieht und gleichzeitig anzeigt, dass sich im Verlauf der Jahrgangsstufe vermutlich noch Veränderungen vollziehen. Die Bedeutung des Faches bewertet er als „nur Spanisch“, was auf eine sehr niedrige Bezugnahme bzw. Gleichgültigkeit hindeutet. Den Unterricht beschreibt er als „langweilig und wenig praxisnah“, die neue, noch unbekannte Lehrerin erfordert, dass „man sich wieder drauf einstellen“ musste. Da bereits einige Lehrerwechsel hinter ihm liegen, weiß er, dass diese erfahrungsgemäß die Herausforderung mit sich bringen, sich an die neue Person gewöhnen zu müssen. Sie wirkt für Max nicht motivationsfördernd, sondern als Hemmnis für seine fachliche Bezugnahme, was vor dem Hintergrund der großen Bedeutung, die Max der Lehrperson und der Beziehung zu dieser beimisst, zu interpretieren ist. Die häufige Verwendung des Adverbs „wieder“ in vier aufeinanderfolgenden Sätzen impliziert, dass mit dem Lehrerwechsel keine Neuerungen oder Innovationen einhergehen. Auch „diese eine Zeitform“, die bereits seit der achten Klasse eine Rolle spielt, verstärkt die Langeweile und Monotonie, was durch Max’ Stöhnen besonders hervorgehoben wird. Nachdem er seinen nachfolgenden Satz in der ersten Person Singular begonnen hat, bricht er diesen ab, um über die Lehrerin und die Klasse zu sprechen, die aus seiner Sicht Schuld an seiner geringen Motivation zu dieser Zeit haben. Die Lehrerin sorge zu wenig für Disziplin und auch die Klasse habe ihn negativ beeinflusst. Nach einem weiteren Satzabbruch („Es war dann halt, ja/ “) kommt er schließlich wieder auf sich zu sprechen. <?page no="247"?> Dann habe ich halt auch/ Dann war bei der Lehrerin war halt auch wenig Disziplin und man hat sich halt auch von der Klasse mit runterziehen lassen. Es war dann halt, ja/ Ich hatte auch, ehrlich gesagt, kein Bock. Also ist jetzt nicht so, dass ich jetzt, wenn einer sagt: „Wir bauen jetzt mal Scheiße“, dass ich da mitmache, oder so. Aber es war einfach, meine Motivation war nicht gut. Aber jetzt zum Ende des Schuljahres, da hat man sich/ Habe ich mich an sie gewöhnt gehabt, wusste jetzt langsam, wie sie tickt. Und habe dann eben auch mich in die Sachen reingekniet, mit dem Mexiko-Projekt und so und habe da jetzt auch mich von einer Drei auf eine Zwei wieder hochgearbeitet. [430-439] Obwohl Max versucht, die Gründe für seine Motivationsprobleme bei anderen Personen zu suchen, merkt er schließlich an, dass er selbst es ist, der „kein Bock“ hat, und revidiert das zuvor Gesagte, da er eben kein Schüler sei, der sich von anderen negativ beeinflussen lässt. Er grenzt sich hier einerseits erneut ab, sagt aber auch, dass er keine Motivation zum Spanischlernen aufbringen kann. Durch die Konjunktion „Aber“ wird ein Gegensatz eingeleitet, der klarstellt, dass sich bis zum Ende des Schuljahres daran etwas geändert hat. Der gegenwärtige Spanischunterricht stellt insofern einen Vergleichshorizont zum Beginn des Schuljahres dar, da er nun sowohl mehr Anstrengungsbereitschaft mitbringt als auch eine bessere Note erzielt hat. Ausgelöst wird dieser Wandel dadurch, dass er die Lehrerin nun besser kennt. Er korrigiert sich selbst von „hat man sich“ zu „habe ich mich an sie gewöhnt“, wodurch er sich von der Klasse abgrenzt und seine eigene Perspektive bewusst hervorhebt. Für Max ist es wichtig zu wissen, „wie sie tickt“, d. h. ihre Verhaltensweisen zu kennen. Transparenz und eine gewisse Vorhersehbarkeit ihres Verhaltens sind zentrale Voraussetzungen für seine Lernbereitschaft. Da er die Lehrerin nun kenne, habe er sich „in die Sachen reingekniet“, d. h. sich wieder intensiv mit den Inhalten des Spanischunterrichts auseinandergesetzt und „von einer Zwei auf eine Drei wieder hochgearbeitet“. Die Bezugnahme zum Fach Spanisch hat sich insofern im Vergleich zum Beginn des Schuljahres verbessert. Die Lehrerin mit ihren Verhaltensweisen zu kennen und einschätzen zu können hat dazu geführt, dass Max’ Indifferenz („nur Spanisch“) überwunden scheint und er sich nun wieder mit dem Fach und seinen Inhalten befasst. Um die eigentlichen Gründe für seine geringe Motivation, über die er zunächst keine Aussage trifft, genauer zu erläutern, erzählt Max ausführlich von einem Unterrichtserlebnis, das sich zu Beginn des Schuljahres zwischen ihm und der Lehrerin zugetragen hat. 6.2 Fallrekonstruktion Max 247 <?page no="248"?> 248 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens Und, (.) ja, das war dann halt auch/ Am Anfang des Schuljahres war es halt auch so, (.) das war so eine Aktion mit IHR. Da hatte sie mir/ (…) Also ich hatte/ Ich hatte/ Sie hatte/ Also ich war krank. (.) Und dann hat sie in der nächsten Stunde darauf eine Arbeit geschrieben. Und äh ich wusste es nicht, ich musste die dann nachschreiben. (.) Und ähm da hatte ich vorher, ich hatte noch einen Spicker vom letzten Jahr, hatte mir den durchgelesen. Und hab ihn dann einfach in meine Federmappe gelegt. Aber sie stand die GANZE Zeit hinter mir, (.) während der Arbeit. Und dann habe ich halt meine Federmappe aufgemacht, habe meine Stifte reingelegt, sie hat das dann gesehen und da habe ich eine Sechs bekommen. Und da dachte ich mir so, dass das ganz schön unfair ist, weil sie hat ja GE- SEHEN, dass ich nicht gespickt habe, also. (.) Und das, (.) ja, da habe ich dann halt auch/ Und da war dann halt auch meine Motivation unten. Und da dachte ich mir so: „Ja, eine Sechs - da wieder auf eine gute Note zu kommen“, und jetzt habe ich es doch wieder geschafft, eine Zwei zu bekommen. Und das macht mich so ein bisschen stolz und, (.) ja, obwohl die meisten in der Klasse einfach nur noch keinen Bock hatten. [439-455] Der Beginn der Erzählung ist durch zahlreiche Satzabbrüche gekennzeichnet. Es gelingt Max nicht, sich auf eine Erzählperspektive festzulegen, sodass er zwischen sich und der Lehrerin als möglichen Agens wechselt („Also ich hatte/ Ich hatte/ Sie hatte/ Also ich war krank.“). Schließlich pendelt er sich auf die Darstellung seiner Sichtweise ein und erzählt von einer Arbeit, die er aufgrund von Krankheit nachschreiben musste. Um deutlich zu machen, dass er dabei keinen Betrugsversuch unternommen hat, sagt er, dass der Spicker bereits aus dem vorherigen Schuljahr stammte und er während der Arbeit nicht auf diesen zurückgegriffen habe. Da die Lehrerin direkt hinter ihm stand, müsse sie das auch gesehen haben, sodass er die Sechs, die er erhält, als nicht gerechtfertigt („unfair“) bewertet. Max erzählt jedoch nicht von diesem Ereignis, um sich negativ über seine Lehrerin zu äußern, sondern stellt dieses Erlebnis in einen Zusammenhang zu seiner Motivation. Implizit wird hier deutlich, dass er zwar auf der immanenten Sinnebene zuvor den langweiligen Unterricht bemängelt, dass viel bedeutsamer für seinen Motivationsabfall aber die schlechte Zensur ist, die er direkt am Schuljahresbeginn erhält. Die Chancen, bei dieser Ausgangsnote in der Zukunft bessere Ergebnisse zu erreichen, schätzt er als gering ein und ist deshalb nun „so ein bisschen stolz“, dass er es „doch wieder geschafft“ hat. Dass er die positive Emotion Stolz hier auf ein geringes Maß reduziert, klingt wie eine Entschuldigung, so als müsse er sich für dieses Gefühl schämen. Der Grund für seinen Stolz sind nicht unbedingt seine erreichten Leistungen im Fach Spanisch, sondern dass er es geschafft hat, „obwohl die meisten in der <?page no="249"?> Klasse einfach nur noch keinen Bock hatten“. Die negative Einstellung seiner MitschülerInnen scheint für sein eigenes Lernen ein Hindernis darzustellen, das er überwinden muss. Er positioniert sich erneut im Sinne eines Ich vs. die Anderen und emanzipiert sich von der dominierenden geringen Lernbereitschaft der Klasse. Diese Emanzipation von der Klassengemeinschaft gelingt ihm scheinbar jedoch erst zum Ende der Sekundarstufe I. Max spricht zuvor davon, stolz auf seine erreichten Leistungen zu sein, äußert sich jedoch bis zum Ende des Interviews nicht über seine Kompetenzen im Spanischen. Deshalb richtet sich die letzte der exmanenten Nachfragen auf die subjektive Einschätzung seiner sprachlichen Kompetenzen. I: (…) Ja. Und was können Sie? Also haben Sie das Gefühl, in Spanisch (…) so, also vom Können her, das erreicht zu haben, (…) dass Sie sagen: „Da bin ich stolz“, oder (…) „Da bin ich froh“? M: Na, ich denke, dass es/ In Spanisch ist es so, wenn man jetzt in Spanien/ Wir fahren auch manchmal in den Urlaub nach Spanien. Ähm da (.) ist es so, wenn man mit einem Muttersprachler redet. Es ist eine Fremdsprache. Und die Aussprache ist nicht so, wie im Englischen. Man muss ja auch das R rollen und das, das liegt nicht jedem. Und ich denke, dass da häufig so eine (.) so eine, so eine Hürde im KOPF ist. Dass man da jetzt sagt: „Ja, ich, ich frage ihn lieber auf Englisch, weil Englisch ist für ihn auch eine Fremdsprache.“ Also ich rede jetzt mit in Muttersprache mit ihm, so auf so einem gebrochenen Spanisch. Also ich, ich denke nicht, dass ich äh (..) sehr viel in Spanisch kann und dass ich/ Weil wie gesagt, die Themen waren eben nicht praxisnah. (.) Dass ich jetzt, also (.) ich könnte, denke ich mal (…) also so nach dem Weg fragen, oder so. Die einfachsten Dinge. Das (.) oder auch mich mit jemanden normal unterhalten. Aber es würde jetzt keine hochwertige Konversation, denke ich mal voll rauskommen, so wie es in Englisch jetzt rauskommen würde. Da wäre ich, glaube ich, einfach zu unsicher und mir würden dann die Vokabeln fehlen, weil wir eben auch in den letzten Jahren sehr wenig geredet haben, (.) im Unterricht jetzt speziell, (.) auf Spanisch. [552-573] Obwohl ich auch hier wieder nach seiner persönlichen Einschätzung des eigenen Könnens frage, greift Max zunächst auf das Indefinitpronomen „man“ zurück. Da er sich jedoch bei seinen Darstellungen auch auf eigene Urlaubserlebnisse in Spanien bezieht und schließlich auch in die erste Person Singular wechselt, können seine generalisierenden Aussagen zu Beginn als persönliche Überzeugungen interpretiert werden. 6.2 Fallrekonstruktion Max 249 <?page no="250"?> 250 6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens „[W]enn man mit einem Muttersprachler redet“, besteht aus Max’ Sicht die Notwendigkeit sprachlicher Richtigkeit, deren größte Schwierigkeit die Aussprache darstellt. Wieder vergleicht er hier die spanische mit der englischen Sprache, die ihm näher und vertrauter erscheint. Die Gelegenheit zu authentischer Kommunikation im Zielsprachenland erkennt er nicht als Chance oder Herausforderung, sondern nimmt die eigene sprachliche Kompetenz in der Fremdsprache als defizitär war („auf so einem gebrochenen Spanisch“), die „so eine Hürde im KOPF ist“. Diesem Hindernis weicht er bei der Konfrontation „mit einem Muttersprachler“ lieber aus, indem er auf Englisch zurückgreift, eine Sprache, die für beide eine Fremdsprache ist. Anders als Pia gelingt es Max nicht, den Wert sprachlicher Kontakte außerhalb des Unterrichts für das eigene Spanischlernen zu erkennen und zu nutzen. Sein Kompetenzniveau schätzt er sehr niedrig ein. Er könne „[d]ie einfachsten Dinge“ sowie sich „mit jemanden normal unterhalten“, wohingegen er in Englisch in der Lage sei, eine „hochwertige Konversation“ zu führen. Beide Einschätzungen bleiben jedoch hypothetisch, da er jeweils den Konjunktiv verwendet und weder erlebte Beispiele für gelungene noch für misslungene Kommunikationssituationen in den beiden Sprachen anbringt. Grundlage für seine Einschätzung ist der Spanischunterricht, da ihm aufgrund des seltenen Sprechens in den vergangenen Jahren die Vokabeln fehlten und die Themen „eben nicht praxisnah“ gewesen seien. 6.2.7 Zusammenfassung Hinsichtlich Max’ Bezugnahme zum Fach Spanisch lässt sich zusammenfassend festhalten, dass er bei seinen Darstellungen beinahe ausschließlich innerhalb des schulischen Rahmens verbleibt, d. h., Spanisch stellt für ihn in erster Linie ein Fach in der Schule dar. In außerschulischen Zusammenhängen äußert er sich kaum über das Lernen der Sprache. Obwohl er durch private Urlaube in Spanien bereits außerschulische Kontakte zu einem Zielsprachenland hatte, tragen diese nicht dazu bei, dass Max der Fremdsprache einen persönlichen Stellenwert jenseits des Unterrichts zuschreibt. Sein Unterrichtserleben wird stark beeinflusst und dominiert von der Lehrperson. Im Verlauf der Sekundarstufe I erlebt er verschiedene Lehrkräfte, wobei er in allen Phasen das Verhältnis zu diesen in den Fokus rückt und mit den Lehrerwechseln zu Beginn immer negative Erlebnisse verbindet. So lassen sich Prozesse der Abwendung finden, wenn Max kein positives Feedback erhält, sowie Prozesse der Hinwendung, wenn ihm die Lehrkraft Anerkennung zuteilwerden lässt. Für seine Lern- und Anstrengungsbereitschaft erwartet er gute Noten. Diese spiegeln jedoch nicht das Erreichen bestimmter Leistungen wider, <?page no="251"?> sondern sind vor allem ein Ausdruck von Anerkennung durch die Lehrkraft. Nur über diese äußeren Anreize gelingt es ihm, sich extrinsisch zum Spanischlernen zu motivieren. Max’ Orientierung ist nicht auf das Erreichen möglichst hoher sprachlicher Kompetenzen, sondern auf Anerkennung durch die Lehrkraft gerichtet. Max möchte gefördert und gefordert werden. Beide Aspekte zählen für ihn zu den Hauptaufgaben einer Lehrkraft, die stets darum bemüht sein sollte, alle Lernenden gleichermaßen zu unterstützen. Obwohl er nicht zu den leistungsschwachen Schülern gehört und in der Klasse aufgrund seiner besseren Leistungen gegenüber anderen Jungen eine Sonderrolle einnimmt, spricht er auffallend oft in der ersten Person Plural und positioniert sich somit als Teil der Klassengemeinschaft. Viel seltener spricht er von sich selbst, was zeigt, dass für ihn die Zugehörigkeit zur Gruppe zentral ist. Es scheint schwer für Max, seine Lernerrolle unabhängig von den anderen zu definieren, weshalb der Stolz über seine guten Leistungen am Ende der zehnten Jahrgangsstufe vor allem darin begründet liegt, dass er es geschafft hat, sich hier nicht von anderen SchülerInnen und deren negativer Einstellung beeinflussen zu lassen. Es gelingt ihm nicht, von diesen unabhängig einen individuellen Bezug zum Spanischlernen herzustellen. Wesentlich für Max’ Bezugnahme zum Fach Spanisch sind neben der Lehrkraft auch die Unterrichtsgestaltung und Inhalte, die er mit dem Englischunterricht kontrastiert. Aufgrund des fehlenden Lebensweltbezuges, nicht altersgemäßer Themen, einer Banalisierung der Inhalte, einer Dominanz der Vermittlung von Sprachwissen sowie der Monotonie infolge immer gleicher Unterrichtsverläufe schneidet der Spanischunterricht nicht nur in seiner Bewertung schlechter ab als das Fach Englisch. Max schätzt auch seine Kompetenzen im Englischen deutlich höher ein als in der spanischen Sprache, was er jedoch nicht auf die Lernzeit, sondern die unterschiedlich hohen Erwartungen und die Gestaltung des Unterrichts zurückführt. 6.2 Fallrekonstruktion Max 251 <?page no="253"?> IV. Resümee und Ausblick <?page no="255"?> 7. Fallübergreifende Ergebnisdarstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens Im Anschluss an die dokumentarische Interpretation sollen die Ergebnisse der Fallrekonstruktionen nun im Hinblick auf ihre Gemeinsamkeiten verglichen und in einer abschließenden fallübergreifenden Betrachtung zusammengeführt werden. Denn obwohl sich die dargestellten vier Fälle in ihrer Bezugnahme zur zweiten Fremdsprache jeweils unterscheiden, zeigt der Fallvergleich, dass es bestimmte Themen und Muster gibt, die über die Einzelfälle hinweg immer wiederkehren und insofern für das Unterrichtserleben der zweiten Fremdsprachen von zentraler Bedeutung sind (vgl. Abb. 10). Diese sollen nachfolgend zur Darstellung kommen. Abbildung 10: Dimensionen des Unterrichtserlebens © Libellud, Illustration: Marie Cardouat Unterrichtserleben Fachliche Bezugnahme als dynamischer Prozess Englisch als lingua franca Kompetenzerleben Lehrerkompetenzen und Lehrerhandeln Inhalte und Methoden Abbildung 10: Dimensionen des Unterrichtserlebens Ziel ist es dabei, unter Hinzuziehung weiterer Fälle des Gesamtsamples die in den Gruppendiskussionen und Interviews herausgearbeiteten Aspekte noch einmal zu fokussieren, um deren Bandbreite im Datenmaterial darzustellen und zu zeigen, welche Dimensionen des Unterrichtserlebens die fachliche Bezugnahme zur zweiten Fremdsprache wesentlich beeinflussen. Zu diesem Zweck <?page no="256"?> 256 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens wurden anhand der für alle Interviews und Gruppendiskussionen erstellten thematischen Verläufe wiederkehrende Themen und Muster identifiziert und die entsprechenden Datenauszüge mithilfe der dokumentarischen Methode interpretiert. Auf eine detaillierte Analyse der Passagen wird in diesem Kapitel jedoch verzichtet. Obwohl diese Fälle also nicht in Gänze zur Darstellung kommen, dienen die gewählten Auszüge als Ankerzitate, die als besonders charakteristisch für das beschriebene Phänomen zu beurteilen sind und insofern einer besseren Veranschaulichung der herausgearbeiteten Dimensionen des Unterrichtserlebens dienen. 7.1 Fachliche Bezugnahme als dynamischer Prozess Wenn SchülerInnen über ihren erlebten Unterricht sprechen, finden sich in den Darstellungen zahlreiche zeitliche Bezüge. Der Blick zurück impliziert stets das Differenzieren zwischen bestimmten Etappen, Zeitpunkten und Veränderungsprozessen, sodass die zeitliche Dimension das Unterrichtserleben maßgeblich mitbestimmt. Es ist auffällig, dass die Lernenden bestimmte Abschnitte - seien es Jahrgangsstufen, Lehrerwechsel oder bestimmte Unterrichtseinheiten - stets in Beziehung zu ihren Haltungen setzen. Veränderungen im Unterricht gehen also immer auch mit einer Veränderung der Bezugnahme zum Fach einher. Wesentlich für das Unterrichtserleben in der zweiten Fremdsprache erscheint, dass sich deren Bedeutung sowie das Verhältnis zum Lernen derselben im Laufe der Jahre stark verändern. Sowohl in den Gruppendiskussionen als auch in den Interviews fällt das Vergleichen im Sinne eines „Jetzt vs. Früher“ auf, wobei sich häufig ein Bruch nach den ersten beiden Lernjahren vollzieht, der mit einer Abwendung von der zweiten Fremdsprache einhergeht. Die Ergebnisse bestätigen damit die vorliegenden Studien, die eine Verschlechterung der Einstellungen und Motivation im Verlauf der Sekundarstufe I aufzeigen (vgl. Kap. 3. 3. 7). In den Darstellungen, wie es schließlich zur Veränderung der positiven Haltungen kommen konnte, zeigen sich jedoch Unterschiede zwischen den Fällen. Während Pia bspw. nachlassendes Interesse am Fach und schwindende Lernbereitschaft eher als (schleichenden) Prozess beschreibt, benennt Max klare Zeitpunkte, die aus seiner Sicht ausschlaggebend für den Wandel waren. Dennoch verlaufen diese Prozesse der fachbezogenen Abwendung in der Regel nicht linear. Sie lassen sich vielmehr als oszillierend beschreiben, d. h., positive Unterrichtserlebnisse - singuläre Ereignisse oder episodische Phasen - können sich förderlich auf die Bezugnahme zum Fach auswirken und hinsichtlich <?page no="257"?> 7.1 Fachliche Bezugnahme als dynamischer Prozess 257 des Erlernens der zweiten Fremdsprache durchaus zu einem Wiederanstieg der Leistungsbereitschaft und Haltungen führen. Die SchülerInnen begegnen der zweiten Fremdsprache zunächst mit einer großen Offenheit und Neugier, sodass zu Beginn u. a. der Neuigkeitsgrad der zweiten Fremdsprache eine Rolle für die positive Wahrnehmung des Faches spielt. Auch während der ersten beiden Lernjahre wird das Unterrichtserleben überwiegend positiv dargestellt (vgl. Fallrekonstruktionen Pia, Max), d. h., insbesondere im Anfangsunterricht dominieren aus der Perspektive der Lernenden spielerische Lernformen, Spaß und Abwechslung. Ja, also es ist/ am Anfang war die Motivation noch sehr groß, eine neue Sprache, es ist toll. Klar, dann hat man natürlich auch die erste Lehrerin, die hat das natürlich auch sehr gefördert und uns auch gefordert. Also das war toll, es hat Spaß gemacht, man hatte wirklich das Gefühl, man taucht in diese Kultur irgendwie ein. [Tamara, Spanisch] Darüber hinaus geben die Lernenden an, im Anfangsunterricht noch einfache und wirklich wichtige Dinge gelernt zu haben - das Alphabet, sich vorzustellen, nach dem Weg zu fragen etc. Entsprechend werden auch die Bedeutung der Fremdsprache, die Motivation und das eigene Engagement in den ersten Lernjahren deutlich höher eingeschätzt. BWF6: Also bei mir war die Motivation auch am Anfang noch also noch da. Als wir noch die Grundvokabeln gelernt haben und ähm auch was wirklich wichtig ist. Aber das ist immer weiter gesunken und mittlerweile habe ich fast gar keine Motivation mehr und ja, (atmet hörbar durch) auch wenn es doof klingt, ich zähl mittlerweile die Jahre bis ich dann kein Französisch mehr habe, (lachend) weil ich mach das auch nur weiter mit Französisch, weil ich weiß, wenn ich eine andere Fremdsprache anfangen würde, wäre das wahrscheinlich genauso. Da würde mir nach einer gewissen Zeit die Motivation fehlen und ich zieh das jetzt durch, damit ich dann mein Abi habe. Aber ansonsten (.) freiwillig ist das jetzt nicht mehr. [Gruppe Leiter, Französisch] Anhand des positiven Gegenhorizonts des Anfangsunterrichts wird das Unterrichtserleben der darauffolgenden Lernjahre herausgearbeitet. Die ersten Lernjahre dienen demnach als Vergleichshorizont für den Fortgeschrittenenunterricht, von dem sich die SchülerInnen jedoch aufgrund einer veränderten Unterrichtspraxis negativ abgrenzen. AMS6: Dass wir nichts Grundlegendes gelernt haben. Also schon (.) das Vokabular und so, ist ja klar. Aber so dass man jetzt weiß, wie <?page no="258"?> 258 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens bestellt man genau was zu essen, was gehört sich, wenn man in Spanien/ weil es gibt da ja auch so Gepflogenheiten und so. Dass man/ was man jetzt nicht unbedingt am Esstisch machen sollte (.) und so weiter halt. Dass du sowas gar nicht gelernt hast, sondern das geht vielleicht/ fünfte, sechste ging es vielleicht ein bisschen so darum. Nach dem Weg fragen. Wie alt bist du? Wo kommst du her? Bla bla bla. Und dann kriegst du ja nur noch stumpf Grammatik. (.) Und ja (..) War jetzt nicht so geil. [Gruppe Ahorn, Spanisch] Aus den Äußerungen der Lernenden geht hervor, dass sie den Anfangsunterricht durchaus kommunikativ und kompetenzorientiert erleben. Die Wahrnehmung der darauffolgenden Lernjahre ist jedoch sehr stark geprägt von grammatikorientiertem Unterricht, der aus Sicht der Befragten nicht zum Erlernen der Fremdsprache beträgt, sondern dieses vielmehr behindert und zu einer Abwendung vom Fach führt. CWF4: Ja, weil ich glaube, am Anfang lernt man halt wirklich die Sprache und nach einer Zeit nur noch so die Grammatik. Und dann ist das nicht mehr so spannend wie wenn man neue Wörter lernt und wirklich so lernt sich so miteinander zu unterhalten. […] CWF2: Ja, das war so der erste/ so erstes Jahr Französisch war jetzt net so: : / da hat man nicht so viel gemacht. Da hat man eher nur erst mal so ein paar Vokabeln gelernt und dann so „Ich wohne in Deutschland.“ (Lachen) Also nichts Ernsthaftes eigentlich und danach war es halt so/ das war wie ein SCHOCK eigentlich, dass man von total easy auf totale Grammatik nur gegangen ist. Ich glaub, das war es eher. Oder dass man sich halt vorstellt „Ach eine neue Sprache, die lerne ich mal so nebenbei.“ Aber dann merkt man, dass es halt doch ziemlich viel Arbeit ist. […] CWF5: Ja also bei mir war es eigentlich so, wo es dann angefangen hat mit dieser Grammatik, die so ganz komisch war. (Lachen) Also wo man so ganz viele Wörter dann auswendig lernen musste, die man eigentlich so nie gebraucht hat, wenn man jetzt so gesprochen hat normal. Und da dachte ich mir „Ja, das brauche ich ja eigentlich nicht, wenn ich so normal Französisch rede.“ Und da habe ich dann irgendwie abgeschaltet. [Gruppe Dach, Französisch] Darüber hinaus zeigt der Fallvergleich, dass im Verlauf der Jahrgangsstufen die Progression im Unterricht sowie der Lernfortschritt abnehmen oder erhebliche <?page no="259"?> 7.1 Fachliche Bezugnahme als dynamischer Prozess 259 Wissensbzw. Könnensdefizite entstehen, weil man irgendwann den Anschluss verpasst habe. In der Folge kommt es zur Resignation. […] aber sie hat natürlich auch versucht, das/ die Lücken, die wir hatten, irgendwie zu schließen. Dadurch ist dann der Rest, den wir eigentlich hätten machen sollen, ist nicht mehr so wirklich/ sind wir nicht mehr so dazu gekommen. Und dann ist irgendwie alles (lachend) in die Brüche gegangen, weil wir dann auch nicht mehr so viel verstanden haben und wir dann auch irgendwie alle das Gefühl hatten, der Spanischunterricht kommt nicht voran, wir lernen nicht mehr so viel, das bringt nichts. Und, ja, das war dann/ irgendwie ist es dann, wie so eine Dominokette, einfach alles umgefallen so. [Tamara, Spanisch] Sowohl im Interview mit Tamara als auch in der Gruppe „Leiter“ findet sich der Vergleich mit dem Dominoeffekt. Der fehlende Fortschritt, die vermeintlich nicht mehr aufholbaren Lücken bzw. das Gefühl des Nicht-Verstehens oder Nicht-Könnens sowie die damit einhergehende Unzufriedenheit und sinkende Motivation im Unterricht bedingen sich gegenseitig und bilden schließlich eine Kette von Ereignissen, die nicht mehr aufgehalten werden könne. BWF7: Also ich für meinen Teil muss sagen, am Anfang hatte ich echt Lust auf Französisch. Aber wir hatten halt jetzt in letzter Zeit/ also wir hatten jetzt in der achten Klasse eine Lehrerin, die halt sehr (.) merkwürdig war, sage ich jetzt einfach mal. Und ähm durch die Lehrer, die einem dann halt nichts beibringen, verliert man dann einfach die Motivation beziehungsweise wenn man ein Thema jetzt einfach nicht verstanden hat und es darauf immer weiter aufbaut, wie jetzt zum Beispiel die Zeitformen/ also ich bin froh, dass wir die jetzt gerade noch einmal wiederholen, weil ich habe da absolut nichts verstanden. Und ähm wenn dann halt auf einem Thema aufgebaut wird, was man nicht versteht, dann sinkt halt auch einfach die Motivation. Weil dann sitzt man hinten und denkt „Redet mal weiter. Ich hab keine Ahnung.“ (lacht) BWF3: Ja also anfangs, da war halt der Reiz da, dass man etwas Neues lernt und dass ja alles gut und schön ist und für mich, also die ersten drei Jahre, die waren okay. Das hat mir halt Spaß gemacht und alles. Aber dann kam halt immer dieser ständige Lehrerwechsel und dann wusste man nicht mehr, wer von was jetzt redet und wenn man dann ein Thema nicht verstanden hat und es zum anderen ging und das in den Texten dran kam, hat man das nicht verstanden. Also, also hier Dominoeffekt. Und das macht dann halt auch keinen Spaß mehr und somit sinkt dann auch die Motivation. Also die Motivation steigt halt so einen Schritt, <?page no="260"?> 260 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens wenn man etwas verstanden hat und wenn man das nächste Thema nicht verstanden hat, dann sinkt sie zwei Schritte wieder. Also (.) das ist immer so ein bisschen doof. [Gruppe Leiter, Französisch] In den Daten zeigt sich fallübergreifend ein deutlicher Motivationsverlust im Zusammenhang mit dem eigenen Lernfortschritt im Verlauf der Jahrgangsstufen. Fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse zeichnen sich durch das Phänomen der Sequenzialität aus: „sie bauen aufeinander auf; es kann nichts ‚abgelegt‘ werden“ (Düwell 2002: 167). Gelingt es den SchülerInnen nicht, der Progression im Unterricht zu folgen und damit Lernerfolge zu erzielen, entstehen erhebliche Wissensbzw. Könnensdefizite, die eine Partizipation am Unterrichtsgeschehen be- oder verhindern. In der Folge kommt es zur Resignation und zum Motivationsverlust. Insbesondere das letzte Lernjahr der Sekundarstufe I wird dann nur noch als bloße Pflichterfüllung wahrgenommen, an dessen Ende die Abwahl der zweiten Fremdsprache steht. Es ist sehr viel (räuspert sich), na ja, ja, fast Langeweile, also es ist/ Man macht es, weil man es machen muss, weil man das weitermachen/ ja, weil man es muss. Aber es ist jetzt nicht so der eigene Antrieb da. Also es ist, ja, es ist immer so ein Hoch und Tief, es ist so, wenn man neue Grammatikformen lernt, denkt man sich, okay, ja, das machst du jetzt, das lernst du dir jetzt, das/ Es ist nur noch ein halbes Jahr jetzt, dann ist es fertig. Und, ja, so ist es eigentlich. [Tamara, Spanisch] Dennoch finden sich in den Daten auch Beispiele für ein positives Unterrichtserleben trotz einer negativen Bezugnahme zum Fach Französisch oder Spanisch. Projektbezogene Unterrichtseinheiten (Gruppe „Katze“) sind hier ebenso zu nennen wie neue Lehrpersonen (Gruppe „Stadion“) oder auch Aufenthalte im Zielsprachenland durch Austauschprogramme (Pia, Max). Die Bezugnahme verläuft also nicht linear, sondern ist Veränderungen unterworfen, die sich sowohl negativ als auch positiv auswirken können. 7.2 Englisch als lingua franca In beinahe allen Gruppendiskussionen wird das Thema Mehrsprachigkeit vor dem Hintergrund des Englischen als lingua franca im Vergleich zu anderen Fremdsprachen diskutiert. Dabei spielen verschiedene Gesichtspunkte eine Rolle. <?page no="261"?> 7.2 Englisch als lingua franca 261 Nützlichkeit und Anwendbarkeit der Fremdsprachen Wenngleich die Lernenden auch positive Aspekte des Beherrschens mindestens zweier Fremdsprachen hervorbringen, werden diese jeweils sehr stark an ihrer Nützlichkeit und Anwendbarkeit gemessen, d. h. danach, wo und wie häufig sie gesprochen werden. Insofern ist das Einpendeln auf das Englische als wichtigste Sprache besonders auffällig. Immer wieder finden sich in den Daten Bezüge zur ersten Fremdsprache Englisch, wenn es um das Erlernen des Französischen oder Spanischen geht. Damit knüpfen die Ergebnisse an vorliegende Studien an, die das Englische aus Sicht der SchülerInnen anderen Fremdsprachen gegenüber im Vorteil sehen (vgl. Kap. 3. 3. 5). Die Dominanz des Englischen und dessen kommunikative Reichweite sind den SchülerInnen häufig aufgrund von eigenen, insbesondere außerschulischen Erfahrungen bewusst. Während die englische Sprache für die SchülerInnen auch in ihrer Freizeit allgegenwärtig erscheint, wird der mangelnde oder gänzlich fehlende Kontakt sowohl für Französisch als auch Spanisch als Hindernis dargestellt, die jeweilige Sprache zu lernen. Die Auseinandersetzung mit der englischen Sprache in außerschulischen Zusammenhängen führt also nicht nur zu der Auffassung, dass diese Sprache wichtiger sei, sondern auch zu der Annahme, dass man sie leichter bzw. sogar beiläufig lerne (vgl. Gruppe „Stadion“). AWS8: Es ist auch angenehmer zu lernen Englisch, weil man kann es sich halt wirklich auch herleiten von diesen ganzen Einflüssen von außerhalb. Spanisch (..) AWS5: Hat man keine Einflüsse. AWS8: Ne: : . Da ist es halt/ Da musst du es dann wirklich auswendig lernen. Da kannst du es nirgendwo herleiten oder dir mit irgendwelchen Eselsbrücken merken. Da musst du es dann halt wirklich lernen. [Gruppe Amsel, Spanisch] Das Wissen darum, dass Englisch heutzutage in allen Teilen der Welt von fast allen Menschen gesprochen und gelernt wird, führt zu der Ansicht, dass das Beherrschen dieser Sprache unabdingbar sei. Ihr wird als Weltsprache gegenüber anderen Sprachen auch die Priorität eingeräumt. […] und da habe ich mir gesagt, okay, da komme ich sowieso weiter. Es sprechen mehr Leute Englisch, ich bin bisher auch privat, wenn ich irgendwo im Urlaub war, bin ich immer mit Englisch irgendwo vorangekommen. Also ich war auch mal in Asien, da haben sie/ haben die Leute auch eher Englisch gesprochen (lachend) als Spanisch. Und dann ist es für mich eigentlich immer mehr in den Vordergrund gerückt. [Tamara, Spanisch] <?page no="262"?> 262 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens Die angesprochene Dominanz verhindert gleichzeitig, dass neben dem Englischen auch das Beherrschen weiterer (Fremd-)Sprachen als wertvoll erachtet wird. Hier zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen den Haltungen der Lernenden und dem ausgegebenen Ziel des Europarats „Muttersprache plus zwei“. Sprachlicher Vielfalt zu begegnen impliziert für viele SchülerInnen nicht Kenntnisse in möglichst mehreren Sprachen, sondern mache im Gegenteil den Rückgriff auf die englische Sprache als lingua franca notwendig . Dementsprechend wird auch vorausgesetzt, dass andere Menschen dieser Sprache mächtig sind. AMF3: Und selbst wenn man einmal im Leben Französisch bräuchte, könnte man das eigentlich zu neunzig Prozent wieder durch Englisch ausgleichen, wenn man einfach Englisch spricht. AMF1: Ja. AM6: Ja außer du hast halt das Pech, du hast so ein paar stolze Franzosen, (lachend) die mit dir kein Englisch reden. AMF3: (lachend) Das stimmt. AMF1: Pech gehabt wenn die kein Englisch können. AMF3: Na ja gut. AMF8: Dann haben sie was falsch gemacht. AMF1: Ja. [Gruppe Schloss, Französisch] Die Lernenden wägen regelrecht zwischen den Sprachen und deren Nutzen ab. Dabei wird dem Beherrschen mehrerer Fremdsprachen auf einem grundlegenden Niveau das Erreichen sehr guter Englischkompetenzen gegenübergestellt, so als sei es nicht möglich, die verschiedenen Schulfremdsprachen gleichermaßen erfolgreich zu lernen, und als gehe das Erlernen jeder weiteren Fremdsprache neben dem Englischen zulasten dieser. Als erstrebenswert gilt vielmehr eine möglichst hohe sprachliche Kompetenz im Englischen, die weitere Fremdsprachenkenntnisse gewissermaßen verzichtbar macht und zu einer Vernachlässigung derselben führt. AWF7: Ja, aber (.) ich meine, Englisch wird ja (.) fast überall gesprochen, wenn man sich jetzt darauf spezialisiert oder das halt noch mehr lernt, (.) dass man das dann auch richtig beherrscht, dann würde ich auch sagen, könnte man auch mit Englisch überall mit jedem kommunizieren. Wenn da jetzt das jeder auch können würde dann. AWF2: Ja, das sehe ich auch so. Also Englisch ist schon am wichtigsten. Vor allem weil man ja bei uns sieht, dass die meisten nicht wirklich etwas für Französisch machen und dann ist das eigentlich/ (Lachen) oder es halt nicht gut können nach den Jahren. Und dann ist es halt <?page no="263"?> auch irgendwie sinnlos, weil die werden es dann später eh nicht anwenden, weil es ihnen egal ist. Die denken sich halt auch „Englisch, Englisch ist ja auch das wichtigste“. Also das sehe ich auch so. AWF3: Ja, also ich denke das auch, dass Englisch Pflicht ist. Weil es wird ja auch an jeder Schule angeboten als weiteres Hauptfach. Und (.) Französisch oder eine andere Fremdsprache, denke ich, ist eigentlich gar nicht so wichtig, wenn du Englisch gut beherrschst. [Gruppe Bühne, Französisch] Der englischen Sprache wird - häufig auch unabhängig von den beruflichen Zukunftsvorstellungen der SchülerInnen - als lingua franca eine besondere Bedeutung beigemessen. Demgegenüber werden die zweiten Fremdsprachen viel stärker an ihren zukünftigen Verwendungsmöglichkeiten (berufliche Auslandsaufenthalte etc.) gemessen und bewertet. AWF8: Wir brauchen Französisch später eigentlich so gesehen nicht. Zumindest die meisten von uns brauchen es nie wieder. AWF6: Also so sehe ich das nicht. (Lachen) Also ich finde Französisch, das ist wirklich ein Fach, das lerne ich für mich. Auch wenn man das immer so sagt, man lernt für sich selber, aber (.) ja bei Französisch sehe ich das wirklich so. Weil man weiß vielleicht später nicht, was im Beruf so ist. Also es kann ja sein, ein Unternehmen muss vertreten werden in Frankreich oder so und ja, dann hat man vielleicht die Chance, wenn man in Französisch mehr machen kann. So sehe ich das. AWF7: Aber dann kannst du auch sagen, wenn du dann Spanisch machst und musst aber ein Unternehmen in Frankreich vertreten, dann kannst du es ja auch nicht machen, obwohl du eine zweite Fremdsprache hast. AWF6: Ja: : . (Lachen) I: Ja, ich habe ja jetzt nach Französisch gefragt, also (.) AWF7: Ja, gut das geht auch umgekehrt. Wenn du Französisch kannst, kannst du auch kein Unternehmen in Spanien vertreten, sage ich jetzt mal. Also in Englisch kommst du (..)/ In Frankreich kann man auch Englisch sprechen und in Spanien auch und (.) überall (lachend). (.) Also so sehe ich das jetzt. AWF3: Also ich bin der Meinung, dass es Ansichtssache/ Also manche bringt es weiter im späteren Leben und manche brauchen es einfach nie wieder und (..) dafür kann man sich ja jetzt entscheiden, ob man es abwählt oder ob man es weitermacht. [Gruppe Bühne, Französisch] Aus der Sicht vieler SchülerInnen werden diese jedoch nach der Schule keine Relevanz mehr haben, sodass sie sich auf andere Fächer konzentrieren. 7.2 Englisch als lingua franca 263 <?page no="264"?> 264 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens Der Spanischaustausch ist erst für die neunte und das heißt, vorher brauchte ich das noch nicht, außer IN der Schule. Und dann denke ich mir halt, okay, andere Sachen, die brauche ich noch mal später für das Leben, wie Naturwissenschaften, weil ich in die Richtung gehen möchte. Und dann ist/ Spanisch ist/ für die Schule ist das schön, wenn ich das da kann, das ist toll, aber dann brauche ich es sonst nicht mehr. Ja. [Tamara, Spanisch] AMF7: Na ja aber du lernst doch auch lieber für Englisch und Deutsch / / oder für Mathe anstatt für Französisch./ / AMF8: / / Ja sicher, das ist ja das./ / (…) Die Fächer, die eben dann auch einen großen Nutzen für uns haben. AMF? : Ja genau. AMF8: Dafür tun wir natürlich auch etwas, aber (.) Französisch (..) ja (..) (lacht) [Gruppe Schloss, Französisch] Wahl, Abwahl und Obligatorik Die Priorisierung des Englischen wird neben anderen Faktoren, wie der sich selbst zugeschriebenen Fremdsprachenlerneignung, schlechten Leistungen sowie fehlendem Interesse an Fremdsprachen, auch als Argument gegen die Obligatorik einer zweiten Fremdsprache an Schulen angeführt. Als Alternativen schlagen die Lernenden verschiedene Optionen vor. Neben der Möglichkeit einer vorgezogenen Abwahl werden ebenso eine generelle Freiwilligkeit für die zweite Fremdsprache bzw. die Verlagerung in die Freizeit erwogen. BWF4: Also ich sehe das ein bisschen anders, weil ähm ich bin auch mit zwei verschiedenen Sprachen aufgewachsen. Und ähm in der Schule dann halt auch noch Englisch und da - also ich spreche halt jetzt schon drei Sprachen und Französisch war dann für mich so ein bisschen zu viel und ich finde, man sollte einfach die Wahl haben. Wenn man Französisch lernen möchte, dann kann man das als Kurs machen und ähm man sollte nicht so verpflichtet sein. Vor allem nicht bis zum Abitur das durchziehen zu müssen. BWF6: Ähm ich finde, ich hab ziemliche Probleme mit den Sprachen. Ich bin totalüberhaupt kein Sprachentalent. Ich kann einfach irgendwie mit den Vokabeln und alles nicht umgehen. Englisch finde ich gut, dass wir das lernen, weil das ist wirklich wichtig. Ähm dass wir Französisch angefangen haben zu lernen, finde ich eigentlich auch. Aber man sollte nach dem Grundwortschatz so eine Gruppenteilung machen oder so etwas. Oder dann entscheiden dürfen, ob man aufhört. Weil ich habe jetzt schon echt Probleme mit den manchen Fachwörtern oder so etwas und <?page no="265"?> ähm mir würde es mehr helfen, wenn ich eher das Sprechen weiter üben würde. Dass ich mich mal im Urlaub verständigen kann. Aber für mehr brauche ich die Sprache eigentlich nicht. [Gruppe Leiter, Französisch] In einigen Gruppen gehen die Überlegungen sogar so weit, die Stunden, die für das Lernen der zweiten Fremdsprache vorgesehen sind, zugunsten des Englischunterrichts abzuschaffen. Den Lernenden gelingt es häufig nicht, die Vorteile des Erlernens mehrerer Sprachen zu erkennen bzw. die Kenntnisse in beiden schulischen Fremdsprachen füreinander fruchtbar zu machen, sodass es in der Folge zu einer Abwendung von der zweiten Fremdsprache zugunsten des Wunsches einer Intensivierung des Englischen kommt. AMF3: Aber ich denke mal eher, die zwei oder drei Stunden, die wir jetzt Französisch immer die Woche hatten, hätten wir eher auf Englisch noch konzentrieren sollen. AMF1, AM4, AM6, AM8: Ja AMF6: Das finde ich auch. AMF8: Wir hatten auch immer sehr viele Französischstunden, was ich (.) nicht unbedingt gut fand. AMF4: Da könnte jetzt hier wahrscheinlich jeder Zweite hier fließend Englisch sprechen oder so. AMF1: Ja. AMF6: Das finde ich auch. [Gruppe Schloss, Französisch] Die Möglichkeit, die zweite Fremdsprache am Ende der Sekundarstufe I abzuwählen, stellt für viele SchülerInnen gleichzeitig das Ende der Beschäftigung mit dem Erlernen von Fremdsprachen überhaupt dar. Spätestens nach dem Abitur räumen sie anderen Fremdsprachen neben dem Englischen keine Relevanz mehr ein und zeigen sich überzeugt, dass sie die erworbenen Kenntnisse nicht mehr gebrauchen, sondern stattdessen schnell vergessen werden. Keine große Rolle (lacht). Also ich denke, wenn ich mit der Schule fertig bin, oder wenn ich gar keinen Spanischunterricht mehr habe, ja, dann werde ich vielleicht noch so Kleinigkeiten können, ja. Also so, die man halt ganz am Anfang gelernt hat, ja, so die festen Sätze, ne. Und ich glaube, mehr werde ich dann auch nicht mehr können. Und das wird dann irgendwie immer weniger werden. Und, ja. [Clara, Spanisch] AMF7: Ja und wir haben es ja jetzt auch, wir können ja uns jetzt entscheiden nach der Zehnten, ob wir jetzt auf Russisch wechseln (.) ja und was hat es dann gebracht. Dann haben wir jetzt fünf Jahre Französisch gehabt, können nichts. Dann machen wir noch zwei Jahre Russisch, aber / / das vergessen wir ja danach auch wieder/ / 7.2 Englisch als lingua franca 265 <?page no="266"?> 266 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens AMF6: / / Da können wir dann auch wieder nichts./ / AMF7: Das vergessen wir dann in zwei Jahren auch / / wieder/ / AMF8: / / Ja/ / AMF7: und in den zwei Jahren, in denen wir jetzt Russisch lernen, vergessen wir das ganze Franzö[s(? )]ischzeug, weil es uns nicht interessiert, weil wir es auch nicht mehr/ AMF1: Weil man es auch nicht braucht. AMF7: Und, (.) das ist halt sinnlos irgendwo vom Schulsystem auch allgemein. [Gruppe Schloss, Französisch] Darüber hinaus stehen die zweiten Fremdsprachen nicht nur in einem Wettbewerb zur ersten Fremdsprache Englisch. In vielen Bundesländern ergibt sich durch die vorgegebenen Wahl- und Abwahlmöglichkeiten eine zusätzliche Konkurrenz zu anderen Fächergruppen wie den Naturwissenschaften, sodass das Weiterführen der zweiten Fremdsprache eine Erhöhung des Stundenvolumens und damit einen erheblichen Mehraufwand in der Oberstufe mit sich bringen würde. Also ich habe überlegt, klar, macht man es weiter, macht man es nicht, muss man ja. Zudem, also ich will alle drei Naturwissenschaften weitermachen, das heißt, Spanisch wären zusätzliche Stunden, das heißt, ich müsste das wirklich wollen. [Tamara, Spanisch] Damit bestätigen die vorliegenden Ergebnisse, dass sich im Hinblick auf die Dominanz des Englischen trotz aller Bemühungen seitens des Europarats um eine mehrsprachige europäische Gesellschaft aus der Sicht der SchülerInnen kaum etwas verändert hat. In Bezug auf das Fremdsprachenlernen dokumentiert sich hier noch immer ein auf das Englische fokussierter Habitus, der zwar im fremdsprachendidaktischen Diskurs längst überwunden scheint, in den Köpfen der SchülerInnen jedoch weiterhin Bestand hat. Der zunehmenden sprachlichen Diversität begegnen sie mit dem umso größeren Willen, ihre Englischkenntnisse zu verbessern, was negative Konsequenzen für das Erlernen der zweiten und weiterer Fremdsprachen hat. 7.3 Lehrerkompetenzen und Lehrerhandeln In allen Fallrekonstruktionen spielt die Lehrkraft eine zentrale Rolle für das Unterrichtserleben und die Bezugnahme zum Fach. Die Erinnerungen der Lernenden orientieren sich häufig an der jeweiligen Lehrkraft, sodass diese auch maßgeblich das Erzählen bestimmter Episoden strukturieren. <?page no="267"?> 7.3 Lehrerkompetenzen und Lehrerhandeln 267 Ähm ja. Da/ bei wem hatten wir denn noch? Ich überlege gerade. (lachend) Ich ordne es immer so auch den Lehrern zu ein bisschen. [Tobias, Französisch] Dass Lehrkräfte im Laufe der Jahre häufig wechseln, wird als äußerst problematisch bewertet und sowohl als Grund für abnehmendes Interesse, für das Entstehen von Wissenslücken als auch für die Verschlechterung der Leistungen angeführt. Die durch Lehrerwechsel verursachten Brüche erfordern immer wieder eine Zeit des Übergangs, die für die Lernenden in verschiedener Hinsicht mit einer Neuorientierung verbunden ist. So habe jede Lehrkraft andere Erwartungen und eine andere Art zu unterrichten, was eine gewisse Zeit der Gewöhnung erfordere. Auch in Bezug auf das Lernniveau bestehe häufig das Problem, dass ein bestimmtes Können vorausgesetzt werde, ohne dass die Lernenden nach eigener Einschätzung darüber verfügen, oder aber viel Lernzeit mit dem Aufholen von „Lücken“ verbracht werde (vgl. Gruppe „Katze“). Neben den Lehrerwechseln gibt es aus Sicht der Lernenden jedoch auch individuelle Unterschiede zwischen den fremdsprachlichen Lehrkräften, die Auswirkungen auf die Bezugnahme zum Fach haben. Die Kontraste, die innerhalb ihrer Äußerungen hervortreten, manifesteren sich auf verschiedenen Ebenen. Bezugnehmend auf die Beurteilungsdimensionen aus der pädagogischen Forschung (vgl. Kap. 3. 2. 1) lässt sich auf der didaktisch-inhaltlichen Ebene ( Mastery theme ) vor allem die Sprachbeherrschung als zentraler Aspekt des fachlichen Könnens hervorheben. Entscheidend für die Qualität des Unterrichts ist zudem die Authentizität der Lehrkraft. Gleichzeitig spielen auch fachübergreifende Kompetenzen, wie die Herstellung von Disziplin und das Durchsetzungsvermögen, eine Rolle für die Wahrnehmung des Fremdsprachenunterrichts. Auf der Beziehungsebene ( Love theme ) thematisieren die Lernenden ihren Wunsch nach Förderung und einer positiven Feedback-Kultur. Sprachliche Kompetenz Besonders deutlich zeigt sich die Bedeutsamkeit der Lehrperson in dem Vergleich zwischen muttersprachlichen Lehrkräften und ReferendarInnen, die für die Befragten zwei extreme Gegensätze darstellen. Allerdings scheint es sich dabei um ein Phänomen zu handeln, das überwiegend das Fach Spanisch betrifft. Muttersprachliche Lehrkräfte werden in den Gruppendiskussionen und Interviews mit den FranzösischschülerInnen insgesamt nur ein einziges Mal thematisiert, was jedoch auch darauf zurückzuführen ist, dass diese weniger von muttersprachlichen Lehrpersonen unterrichtet wurden. Die Muttersprachlichkeit der hispanophonen Lehrkräfte wird grundsätzlich positiver wahrgenommen und führt zu einer größeren Akzeptanz bei den Ler- <?page no="268"?> 268 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens nenden. Sowohl in der Gruppe „Katze“ als auch in der Gruppe „Amsel“ geben die Mädchen an, dass ihre Lernbereitschaft aufgrund des besseren Klangs der Sprache und der besseren Verständlichkeit höher sei. Das Zuhören und Verstehen im Unterricht der MuttersprachlerInnen wird insgesamt als angenehmer wahrgenommen. AWS4: Auch zuzuzuhören, wenn sie so Spanisch gesprochen hat. Weil ein Muttersprachler spricht ja nochmal anders als jemand der das so gelernt hat und dann hört man ja auch eher zu und das KLINGT ja auch viel besser und so. (.) Nicht so/ wenn man/ wenn einer vorne steht und überlegt selbst noch, (lachend) wie er das jetzt formulieren soll. AWS6: Ja, bei mir war das auch das Problem, als wir dann einen anderen Lehrer bekommen haben, der halt die Sprache GELERNT hat, da habe ich das überhaupt nicht verstanden, weil der komplett anders gesprochen hat. Die Aussprache war komplett anders. Deswegen/ da habe ich schon Probleme mit gehabt. [Gruppe Amsel, Spanisch] Die andere, ungewohnte, neue Aussprache des nicht-muttersprachlichen Lehrers wird hier nicht als mögliche sprachliche Varietät wahrgenommen und als solche neutral bewertet, sondern im Vergleich zu der vorherigen, muttersprachlichen Lehrkraft als weniger klangvoll und schön eingeschätzt. Die individuellen Unterschiede in der Sprachverwendung stellen insofern für die Lernenden ein einschneidendes Unterrichtserlebnis dar, das ihre Bezugnahme zum Fach negativ beeinflusst. Sie orientieren sich stark am sprachlichen Vorbild der muttersprachlichen Lehrkraft, sodass der Lehrerwechsel hier eine umso größere Herausforderung darstellt. Obwohl die sprachlichen Unterschiede, die Notwendigkeit, sich an eine neue sprachliche Varietät zu gewöhnen, und die damit einhergehenden schülerseitigen Probleme grundsätzlich ebenso mit einer anderen muttersprachlichen Lehrkraft denkbar wären, werden sie hier als Defizit des nicht-muttersprachlichen Lehrers bewertet. Es wird nicht nur deutlich, dass die SchülerInnen die eigenen Schwierigkeiten auf die vermeintlich unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzen der Lehrkraft zurückführen, sondern auch, dass sie Fremdsprachenlehrenden die Rolle als Fremdsprachenlernende aberkennen und von ihnen eine muttersprachengleiche Expertise erwarten. Jedes Abweichen von der „Norm“ muttersprachlicher Personen wird als Mangel betrachtet. Dementsprechend haben sie auch für sprachliche Unsicherheiten kein Verständnis (vgl. auch Gruppe „Katze“). Der Einsatz der deutschen Sprache im Fremdsprachenunterricht wird durchaus ambivalent diskutiert. Einerseits grenzen sich die Lernenden von Lehrkräften, die mehr Deutsch als in der Zielsprache sprechen, negativ ab (vgl. Fall- <?page no="269"?> 7.3 Lehrerkompetenzen und Lehrerhandeln 269 rekonstruktion Max). Gleichzeitig lehnen sie jedoch auch die ausschließliche Verwendung der Zielsprache ab. Und dann habe ich/ In der sechsten Klasse habe ich angefangen. Da war es dann eine Muttersprachlerin, die ich hatte. Und die hatte halt im ganzen Unterricht viel Spanisch geredet, also auch wenig auf Deutsch ERKLÄRT und alles. Da fing dann, ich sage jetzt mal, das Dilemma, eigentlich (lachend) schon an. [Clara] Dass der Zielsprache als Objekt und Medium eine doppelte Funktion zukommt (vgl. Düwell 2002: 166), stellt für die Lernenden insofern ein Problem dar, als sie sich der Bedeutsamkeit des lehrerseitigen sprachlichen Inputs zwar durchaus bewusst sind, dies jedoch zu Verständnisschwierigkeiten und in der Folge zu Frustration führen kann. Authentizität Besser schneiden die muttersprachlichen Lehrkräfte auch hinsichtlich der Präsentation und Vermittlung von Unterrichtsinhalten ab. Die Muttersprache mache sie zu ExpertInnen ihres Faches, sodass sie hier gewissermaßen als die idealen Lehrpersonen angesehen werden (vgl. Gruppe „Katze“). Aus Sicht der SchülerInnen ist es ein Unterschied, ob jemand in der Kultur, über die er spricht, aufgewachsen ist oder ob es sich um angelesenes Wissen handelt. Die Muttersprachlichkeit gilt demnach als Garant für Authentizität, wohingegen es nicht-muttersprachlichen Lehrpersonen aus Sicht der SchülerInnen nicht gelingt, über das Einbeziehen eigener Erfahrungen mit der zielsprachigen Kultur Authentizität herzustellen. Für die Lernenden und ihre Bezugnahme zum Fach scheinen diese Erfahrungen jedoch von besonderem Interesse. Also (räuspert sich) wir hatten nicht mehr das Gefühl, das ist jetzt irgendwie/ Ja, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber irgendwie/ Das war nicht mehr authentisch irgendwie. Also es war, ja/ Ich weiß nicht, also es ist wie wenn irgendein/ keine Ahnung, irgendjemand einem versucht, was beizubringen, was er nicht irgendwie selbst mal erfahren hat quasi. Ja, also es ist wie ein Turner versucht irgendwie einem Basketball beizubringen, das funktioniert nicht. [Tamara, Spanisch] Hier zeigt sich, wie wichtig neben den sprachlichen Kompetenzen das Wissen um kulturspezifische Besonderheiten der zielsprachigen Länder ist. Sind die Lehrkräfte nicht in der Lage, eigene, „echte“ Erfahrungen in den Unterricht einzubeziehen, bleibt die zweite Fremdsprache für die Lernenden lediglich ein Schulfach, dessen Inhalte als zu abstrakt wahrgenommen und für sie nicht vorstellbar oder erfahrbar werden. <?page no="270"?> 270 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens Durchsetzungsfähigkeit und Disziplin Auffällig ist, dass zahlreiche der positiven Eigenschaften von Lehrkräften anhand von Unterrichtserlebnissen mit muttersprachlichen Lehrkräften verhandelt werden. Negative Aspekte arbeiten die Befragten hingegen häufig anhand von Erfahrungen mit ReferendarInnen aus (vgl. Fallrekonstruktion Max, Gruppe „Katze“). Dies betrifft auch die Durchsetzungsfähigkeit von Lehrkräften. Diese wird in den Gruppendiskussionen und Interviews immer wieder zur Sprache gebracht, wobei Strenge eine wichtige Voraussetzung für die Lernbereitschaft der SchülerInnen scheint. Sowohl die Aufmerksamkeit im Unterricht als auch die Auseinandersetzung mit den Lerninhalten hängen demnach maßgeblich von dem Auftreten der Lehrkraft ab. AWS7: Es war/ Das kann man ihm aber auch nicht übel nehmen, weil er halt wirklich noch am Anfang war. Deswegen. AWS4: / / Er war halt noch Referendar./ / AWS8: Aber er hat sich Mühe gegeben. AWS7: / / Genau./ / AWS8: / / Es hat nur/ / halt KEINER mitgemacht, weil ihn halt keiner/ AWS6: / / Er konnte/ / AWS? : / / Er konnte/ / sich auch nicht durchsetzen, ja: : . AWS8: Die Frau Mendez ist halt dann doch schon so ein Typ, der auch mal (.) / / laut wird/ / AWS5: (lachend)/ / Spanisches Temperament hat/ / . AWS7: (lachend) Ja: . AWS8: Der Herr Gerhardt der ist dann halt hm: : naja (.) ein bisschen/ Er war ein bisschen schlafmützig. AWS4: Der macht halt das für sich (lachend) und ob da einer zuhört oder nicht ist dem halt auch egal. (.) Und dann hatten wir die Frau Ludwig. AWS5: Ja und die ist halt naja (..) auch so ein Mäuschen. AWS6, AWS7: Ja. AWS4: Ich hab nur / / Angst die klappt um/ / AWS6: / / Die spricht halt auch nicht laut/ / . AWS4: Irgendwann, ich sag es euch, klappt die um. AWS6: (lacht) (…) AWS4: °Naja° (..) Ja: : , die sind alle nett gewesen. Aber man will ja auch etwas lernen. AWS5: Es kommt auch darauf an, ob sich der Lehrer halt Respekt verschaffen kann oder / / nicht/ / . AWS7: / / Genau/ / . <?page no="271"?> 7.3 Lehrerkompetenzen und Lehrerhandeln 271 AWS5: Und wenn man halt da so eine (.) so ein MÄUSCHEN hat oder so einen gutmütigen jungen Mann, (lacht) ähm naja, dann passen die meisten halt nicht auf. Dann wird es langweilig, weil derjenige kann sich nicht durchsetzen, er gestaltet den Unterricht nicht gut und dann (.) macht man halt einfach nichts. [Gruppe Amsel, Spanisch] Während die Jugendlichen einerseits vielfach die Obligatorik der zweiten Fremdsprache ablehnen, verlangen sie andererseits im Unterricht nach einem gewissen Zwang durch die Lehrkraft. So werden beispielsweise auch Vokabeltests als Voraussetzung dafür genannt, regelmäßig Wortschatz zu lernen. Werden diese in der Unterrichtspraxis nicht regelmäßig eingesetzt, sinken die Bereitschaft zu lernen und auch der Lernfortschritt (vgl. Gruppe „Katze“). Pia, für die Französisch im Laufe der Sekundarstufe I stets mehr war als nur ein Unterrichtsfach, lehnt den verpflichtenden Charakter beim Erlernen der Sprache dagegen ab. Aufgrund ihres Strebens nach einer kompetenten Sprachverwendung lernt sie Französisch freiwillig und für sich. Dies impliziert auch, dass sie die Verantwortung für ihre Lernprozesse bei sich selbst sieht und dementsprechend selbstbestimmt lernen möchte. Ebenso in den Bereich des Mastery theme fallen Äußerungen der Lernenden, in denen es um die Herstellung von Disziplin geht. So grenzen sie sich von Lehrkräften ab, die nicht in der Lage sind, eine störungsfreie Lernatmosphäre herzustellen, bzw. Störungen nicht sanktionieren. BMS4: Na allgemein war sie halt sehr GROSSzügig. Sie hatte die Klasse nicht so wirklich im Griff und hat halt alles so durchgehen lassen (.) und ja wie gesagt und hat halt sich nicht so um die bemüht, die sich (.) ähm eher für die Sprache interessiert haben, sondern hat sich eher darum bemüht, dass die anderen, die nicht so richtig Spanisch machen wollen, dass die halt für sich (.) IHR Ding machen und die anderen nicht mit stören. (..) BMS2: Sie war halt irgendwo auch sehr inkonsequent. Also eine Lehrerin, die sich sozusagen nicht richtig durchsetzen konnte. Weil wenn irgendjemand gequatscht hat oder so, das hat sie auch teilweise nicht unterbunden. Und so HAUSAUFGABEN oder sowas, das hat sie dann auch irgendwann nicht mehr wirklich interessiert, ob man die jetzt macht oder nicht, ob die auf Note waren oder nicht. (..) U: : : nd ja und teilweise konnte man auch im Prinzip während der Arbeit AUFstehen, zu den anderen gehen, auf das Blatt gucken, sich wieder hinsetzen, (lachend) das hat sie nicht wirklich gestört. <?page no="272"?> 272 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens BMS6: (Das ist) gar nicht weiter aufgefallen, wenn man mal einfach so ein bisschen durch die Klasse gelaufen ist und so. Das war irgendwie so normal. [Gruppe Biber, Spanisch] Diagnostische Kompetenzen und Förderung Sowohl die Fallanalyse der Gruppe „Stadion“ als auch die Fallrekonstruktion Max zeigen, dass die SchülerInnen beim Erlernen der zweiten Fremdsprache nach Partizipation und Anerkennung streben. Inwieweit ihnen dies gelingt, hängt aus ihrer Sicht wesentlich von der Förderung und Unterstützung der Lehrkräfte ab, sodass sich damit entsprechend positive oder auch negative Auswirkungen auf das Unterrichtserleben ergeben. Auf der Ebene des Love theme wird verstärkt das Thema Gleichbehandlung aller Lernenden angesprochen, was an die Ergebnisse allgemeinpädagogischer Studien anknüpft (vgl. Kap. 3. 2. 1). Die Befragten erwarten von ihren Lehrkräften hohe diagnostische Kompetenzen, d. h., dass diese bei der Diagnose und Evaluation von Leistungen individuelle Unterschiede erkennen und bei der Planung und Durchführung ihres Unterrichts entsprechend berücksichtigen. Unabhängig davon sollten jedoch alle SchülerInnen die gleiche Aufmerksamkeit und Wertschätzung erhalten. Insbesondere die Förderung von lernschwächeren SchülerInnen wird als Wunsch formuliert. BWF7: […] Und das ist dann halt doof, wenn die Lehrer denken, wenn halt drei vier Leute das verstanden haben, dass es dann halt alle verstanden haben und dass die dann sagen, ja cool, ich brauch keine Übungsstunde mehr dazu zu machen. Also ich finde, Lehrer sollten sich halt auch wirklich auf alle Schüler konzentrieren und jetzt nicht nur auf ihre Lieblingsschüler, weil das ist sonst ziemlich mies. BWF6: Ja, ich finde es halt auch immer sehr schwer, dass Lehrer ganz oft schon denken, dass man das gelernt hat oder so und das voraussetzen und ähm dann nicht noch einmal wiederholen. Und ja, dann die schwächeren Schüler halt immer weiter nach hinten rutschen und die wirklich nur ihre guten Schüler fördern. Das finde ich halt nicht gut. BWF2: Also bei mir persönlich war das zum Beispiel auch so, dass äh wir eine Lehrerin hatten, die mich so gut wie nie drangenommen hat, hatte ich so das Gefühl. Und ähm jetzt seitdem wir Frau Schulze haben, merke ich das auch, dass sie/ Also es ist einfach ein anderes Gefühl, wenn man drangenommen wird. Auch wenn man das halt falsch macht oder die Antwort nicht weiß, aber dass man einfach weiß, dass der Lehrer sich für einen interessiert und einem helfen möchte. [Gruppe Leiter, Französisch] <?page no="273"?> 7.4 Inhalte und Methoden 273 Wie in dem Datenauszug deutlich wird, hängt das Unterrichtserleben der Lernenden also auch davon ab, inwieweit es den Lehrkräften gelingt, allen Schüler- Innen mit deren individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen gleichermaßen gerecht zu werden. Eine angstfreie Lernatmosphäre ist dabei ebenso notwendig wie ein konstruktiver Umgang mit Fehlern oder Nicht-Wissen. Die Schülerinnen grenzen sich in der Gruppendiskussion negativ von unzureichender Wiederholung und Übung im Unterricht ab, die wiederum aus Fehlannahmen über den erreichten Lernstand seitens der Lehrkräfte resultieren. Ihre Erwartungshaltung ist darauf ausgerichtet, dass Lehrpersonen die Lücken und Verständnisprobleme der Lernenden erkennen, was hier jedoch nicht zu gelingen scheint. Wenngleich es sich bei der diagnostischen Kompetenz eher um einen fachübergreifenden als einen genuin die zweiten Fremdsprachen betreffenden Aspekt handelt, scheint er dennoch für die befragten SchülerInnen bedeutsam und muss als solcher für das Unterrichtserleben gleichermaßen als konstitutiv betrachtet werden. 7.4 Inhalte und Methoden Hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung offenbaren die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, dass das Unterrichtserleben der SchülerInnen auch 40 Jahre nach der Studie von Düwell (1979) noch immer wesentlich durch Monotonie in der Methode sowie wenig ansprechende Themen bestimmt wird. Monotone Unterrichtsgestaltung und fehlende Mitbestimmung Dem Unterricht in den zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch scheint eine Verlaufsstruktur bzw. ein Verlaufsmuster zugrunde zu liegen, das die befragten SchülerInnen als vorhersehbar, wenig abwechslungsreich und ermüdend wahrnehmen. Es fällt auf, dass die befragten Lernenden hier zwischen der ersten Fremdsprache Englisch und dem Unterricht in der zweiten Fremdsprache unterscheiden. Dies zeigt sowohl die Fallrekonstruktion von Max als auch die nachfolgende Äußerung in einer Gruppendiskussion mit Französischlernerinnen. Auch hier erfolgen Vergleiche mit dem Englischunterricht, der dahingehend offenbar mehr Variation und Vielfalt bietet. AWF5: Französisch ist auch irgendwo immer wieder dasselbe Schema. Du liest einen Text. Du beantwortest Fragen zu diesem Text und dann ist die Lektion abgeschlossen. Im Englischunterricht kommt dann doch immer mal noch ein bisschen was anderes als im Französischen. (Gruppe Bühne, Französisch) <?page no="274"?> 274 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens Dies betrifft sowohl ganze Unterrichtssequenzen als auch einzelne Unterrichtsstunden. Von dieser Routine und dem immer wiederkehrenden, gleichen Ablauf grenzen sich die Lernenden negativ ab. Dies geht häufig einher mit einer passiv-erduldenden Lernhaltung, d. h., die SchülerInnen nehmen sich nicht als aktive, den Lernprozess eigenverantwortlich mitgestaltende Individuen wahr, sondern sie erleben den Unterricht als einen von der Lehrperson bestimmten und fest vorgegebenen Raum, auf den sie keinen Einfluss haben. Dies macht auch Tamara deutlich. Und es ist halt immer/ es ist eine Routine drin, die immer wieder kommt und es ist immer wieder das Gleiche. Ja, das/ Es ist einfach dieses Routinierte, es ist immer das Gleiche und jetzt kommt das und jetzt das und jetzt machen wir noch das. Und, ah, da ist ja noch was Organisatorisches, gut, dann machen wir das noch und jetzt noch schnell die Hausaufgaben und dann ist fertig. [Tamara, Spanisch] Stattdessen wünschen sich die Befragten vielfältigere Lernsettings, die mehr Abwechslung bieten und so ein Einlassen auf die Sprache ermöglichen. Dabei werden insbesondere Formen des Offenen Unterrichts, wie Freiarbeit oder Projektarbeit genannt (vgl. Gruppe „Katze“), bei denen ihnen Planungs- und Entscheidungsprozesse selbst überlassen werden. Selbstständige und kooperative Lernformen werden dementsprechend einem lehrerzentrierten Unterricht vorgezogen. Na ja, das ist, wenn/ Ab und zu mal ist diese Routine nicht da, sondern dann gehen wir zum Beispiel in Gruppenarbeiten, heißt, wir besprechen dann zusammen in der Gruppe irgendein Thema. Ab und zu mal haben wir es sogar, dass wir so eine Art, ja, Puzzle oder so was machen, so Stunden gibt es auch, die dann auch mehr Spaß machen oder so. Aber es ist/ Dann ist halt einfach nicht die Routine da, sondern/ also man kann sich dann auf nichts vorbereiten, sondern muss sich da auch wirklich mal drauf einlassen, auf die Sprache. Und das ist halt sonst nicht da. [Tamara, Spanisch] Schriftlichkeit vs. Mündlichkeit Die SchülerInnen äußern sowohl in den Gruppendiskussionen als auch in den Einzelinterviews immer wieder, dass ihnen die mündliche Kompetenz beim Fremdsprachenlernen am wichtigsten erscheint. Vor dem Hintergrund der außerunterrichtlichen Verwendungsmöglichkeiten der Sprachen räumen sie dem Sprechen gegenüber anderen Kompetenzen eindeutig den Vorrang ein, da sie insbesondere für das Schreiben von Texten kaum oder keine Notwendigkeit <?page no="275"?> 7.4 Inhalte und Methoden 275 sehen. Die Priorisierung von Kompetenzbereichen erfolgt also anhand ihrer vermeintlichen Nützlichkeit in authentischen Sprachbegegnungssituationen. Weil ich finde es besser, wenn ich viel reden kann in Französisch, als wenn ich das/ also wenn ich so flüssig reden kann und mich vielleicht mit einem Franzosen unterhalten könnte, anstatt wenn ich die ganzen Texte so ganz sauber schreiben könnte. [Tobias, Französisch] CMS1: […] Wenn wir so einfach nur sprechen würden, anstatt diese reine Textproduktion die ganze Zeit, das wäre dann auch wichtiger. Weil ich werde nie ein Summary oder sowas auf Spanisch schreiben müssen. Das bezweifle ich. Aber wenn ich mal nach Spanien fahre oder so, dann muss man da reden können. [Gruppe Koala, Spanisch] AWF6: Also ich finde es wichtig, dass man lernt, die Sprachen zu sprechen und zu verständigen, weil es bringt einem ja nichts, wenn man einen Text im Buch übersetzen kann und dann bist du im Urlaub und kannst dich mit niemandem unterhalten, weil du es einfach nicht kannst. Und das finde ich halt wichtig. [Gruppe Bühne, Französisch] Obwohl die SchülerInnen diesem Lernbereich den größten Stellenwert beimessen, sehen sie sich in der Unterrichtswirklichkeit dem Primat der Schriftlichkeit ausgesetzt. Die Datenauszüge zeigen, dass sich die SchülerInnen gegenüber dem Schreiben von Texten oder Textzusammenfassungen bzw. dem Übersetzen von Texten jeweils negativ abgrenzen. Die Fokussierung schriftlicher Kompetenzen wird als Lernzeit bewertet, die auf Kosten der Mündlichkeit geht und dazu führt, dass das Sprechen im Unterricht nicht genügend berücksichtigt wird. CMF9: Also ich denke, nach vier oder fünf Jahren sind die meisten oder eigentlich alle immer noch nicht in der Lage einen Muttersprachler zu verstehen, weil wir auch viel zu wenig damit gearbeitet haben. Und wenn man sich mal anguckt wie schnell die reden, wie kompliziert das teilweise ist. Und das ist ja eigentlich das Ziel, dass man sich mit Muttersprachlern unterhalten kann und das ist eigentlich das (.) was wir am wenigsten gelernt haben. [Gruppe Bahnhof, Französisch] Die Priorisierung der Mündlichkeit geht einher mit einer höheren Lernbereitschaft. So zeigt sich, dass Unterrichtsinhalte, die einen hohen kommunikativen Nutzen in außerschulischen Verwendungssituationen haben, positiver wahrgenommen werden und dementsprechend auch die Lernbereitschaft höher eingeschätzt wird. Also (.) ich weiß nicht, ob das nur für mich so ist, aber irgendwie, wenn ich beim Lernen dann weiß, ja, das kann ich in der Realität dann <?page no="276"?> 276 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens irgendwann halt auch mal mich da unterhalten, dann bin ich auch gewillt, das zu lernen, weil ich dann wirklich so sprechen kann. [Tobias, Französisch] Grammatikorientierung Der Unterricht in der zweiten Fremdsprache - das offenbaren die Ergebnisse der Untersuchung - scheint nach wie vor von einer hohen Grammatikorientierung bestimmt zu sein, sodass der Zusammenhang zwischen dem Übergewicht grammatischer Inhalte und der negativen Bezugnahme zum Fach (vgl. Kap. 3. 3. 3) bestätigt werden kann. Vor allem Vergangenheitszeitformen, das Auswendiglernen verschiedener Konjugationsformen und das stupide, scheinbar nicht enden wollende Üben derselben werden angesprochen. I: Wir sind schon voll beim Französischunterricht. Deswegen auch gleich die Anschlussfrage. Also welche Inhalte im Französischunterricht finden Sie denn wichtig? AMF8: Passé composé würde ich sagen. (Lachen) Passé composé ist sehr wichtig. AMF7: Das ist das Einzige, was wir können. [Gruppe Schloss, Französisch] Die Frage nach Inhalten im Französischunterricht ist offen formuliert und zielt nicht auf bestimmte sprachliche Mittel ab. Dennoch nennt AMF8 mit dem passé composé eine Zeitform und stellt damit Grammatik als einen zentralen Gegenstand im Französischunterricht heraus. Aufgrund ihres großen Stellenwerts im Unterricht wird hier auf deren Wichtigkeit geschlossen. Das Lachen und die nachfolgende Aussage von AMF7 unterstreichen jedoch die Ironie, die zum Ausdruck gebracht wird. Denn das Beherrschen der Zeitform wird hier nicht als wertvoll betrachtet, sondern zeigt vielmehr, dass das eigene Können geringgeschätzt wird. Der Fallvergleich zeigt allerdings, dass sich hier Unterschiede ergeben. Während sich die Lernenden von der Grammatikorientierung insgesamt abgrenzen, lassen sich die ablehnenden Haltungen auf verschiedene Erfahrungshintergründe zurückführen. Insbesondere von engagierten und leistungsstärkeren Schüler- Innen wird Grammatik als Lernhemmnis betrachtet, da ihre ständige Wiederholung zu Stagnation führe. Die wahrgenommene Dominanz grammatischer Themen bewirke demnach ein Ungleichgewicht, das dazu führt, dass andere Themen aus Sicht der Lernenden vernachlässigt werden und das Vorankommen behindert wird. <?page no="277"?> 7.4 Inhalte und Methoden 277 AWS5: Und (.) auch dieses Jahr, wir haben sooft die gleichen Zeitformen wiederholt. Irgendwann kann man es ja. Und immerzu dieses Wiederholen und immer wieder kommt es in der Arbeit dran. Man kommt halt nicht vorwärts. Das finde ich jetzt nicht so gut. [Gruppe Amsel, Spanisch] Grammatik wird auch dann als besonders frustrierend wahrgenommen, wenn die aufgewendete Lernzeit nicht zum erwünschten Lernerfolg führt und mit schlechten Zensuren einhergeht. AMS3: (lachend) Wir haben über zwei Jahre lang versucht zwei verschiedene Zeitformen zu lernen. (Lachen) (..) AMS5: °Pretérito und indefinido°. AMS6: Und es kann immer noch keiner. (Lachen) Das ist ja das Schlimme. AMS2: (lachend) Es wird glaube ich schon schwer, die Namen noch auf die Reihe zu kriegen. AMS6: Nee, das, das war ja das Heftigste dann, dass es letztendlich hieß, ja das ist jetzt das Letzte und jeder hat sich gefreut, dass es halt endlich mal vorbei ist, weil du hast halt immer wieder schlechte Noten kassiert für diese (.) zwei scheiß Zeitformen, die du letztendlich/ Was war es? Irgendwie begonnene Vergangenheit und abgeschlossene Vergangenheit irgendwie sowas? (.) Wo du dir dann gedacht hast „Ja, jetzt ist es vorbei, jetzt kommt was Neues und dann kriegst du wieder gute Noten.“ Und dann haben wir das ZWEI Jahre lang so durchgezogen, wo du dann halt dasitzt und denkst dir „Hm“. Jetzt hat auch keiner mehr Bock das nochmal zu lernen, wenn du es schon nicht kannst. Ja. Und das war dann so der Hauptbruchpunkt in Spanisch. [Gruppe Ahorn, Spanisch] Obwohl Grammatik also offenbar einen großen Stellenwert einnimmt, resümieren die Lernenden häufig, dass sie die Grammatik nicht anwenden können, selbst wenn sie die Formen beherrschen (vgl. Gruppe „Katze“). Damit offenbart sich eine Diskrepanz zwischen explizitem und implizitem Grammatikwissen. Das Wissen über Regeln und Formen bleibt ein träges Wissen, das nicht angewendet werden kann, da dessen Kontextualisierung in kommunikativen Handlungssituationen offenbar für die Lernenden nicht deutlich bzw. erfahrbar wird. Ich denke, das Problem ist, dass wir die Grammatik zwar gemacht haben, wir können sie theoretisch. Aber wenn ich das jetzt mit dem Englischunterricht zum Beispiel vergleiche, ist die Anwendung irgendwie auf der Strecke geblieben, ja? Also die mündliche Anwendung irgendwie, es ist/ Wir sind nie dazu gekommen, dass mal wirklich da das zu begreifen, das/ wofür wir das jetzt benutzen, wofür wir das jetzt gemacht <?page no="278"?> 278 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens haben. Und dann ist es nach der Arbeit/ Wir haben es vor der Arbeit gelernt, da ging es dann auch und danach haben wir es halt nicht mehr gebraucht, weil wir ein neues Thema angefangen haben. Dann ist es auf der Strecke geblieben und wir haben es dann auch nicht mehr benutzt, also ja, so. [Tamara, Spanisch] Erneut wird der Vergleich zum Englischlernen hergestellt, wo der Unterricht eher themenorientiert sei und Grammatik nur gelernt werde, wenn es für den jeweiligen Lerninhalt wichtig sei. Diese Verknüpfung scheint für Tamara im Spanischunterricht nicht ersichtlich, sodass Grammatik ein abstrakter Lerngegenstand bleibt, der einzig für die Leistungsüberprüfung von Bedeutung ist und schließlich in Vergessenheit gerät. Fallübergreifend lässt sich festhalten, dass grammatische Inhalte im Unterricht sehr häufig als eigenständige Lernziele und nicht als Mittel zum Erreichen kommunikativer Kompetenzen betrachtet werden, sodass deren Sinnhaftigkeit und Funktion den Lernenden nicht ausreichend bewusst wird. Es fehlt ihnen an Transparenz, welche die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Themen sowie die Funktionalität der Grammatik deutlich werden lässt. AMS4: Ja aber trotzdem. Sie haben ja nebenBEI dann noch den normalen Stoff durchgezogen und dann kam halt mal kurz über (.) ja Verniedlichungsformen mal nebenbei eine Stunde und dann noch eine Stunde zu irgendwas ganz anderem wieder und das zusammenhanglos. Dann wurde es gleich in einer Klassenarbeit abgefragt und so. Das hat mich jetzt ein bisschen gestört. [Gruppe Ahorn, Spanisch] Relevanz der Themen Auffällig ist ebenso das Interesse der Lernenden an geschichtlichen, politischen und kulturellen Fragestellungen in Bezug auf die verschiedenen Zielsprachenländer, die aus ihrer Sicht in der Unterrichtswirklichkeit jedoch häufig keine oder zu wenig Berücksichtigung finden. Stattdessen scheinen vielen Themen der außerschulische Bezug und damit die Relevanz für das eigene Leben zu fehlen (vgl. Gruppe „Stadion“). Auch im Rahmen von Unterrichtseinheiten, die lebensnahe Inhalte thematisieren, wünschen sich die Lernenden einen noch größeren Bezug zu ihren individuellen Interessen. In der Diskussion der Gruppe „Leiter“ wird deutlich, wie eine Reduzierung des Themas Berufe auf Spracharbeit und eine Leistungssituation dazu führt, dass das Potenzial der Einheit nicht ausgeschöpft und den Erwartungen der Schülerinnen nicht gerecht wird. BWF7: Ich fand es noch gut als wir uns mit den einzelnen Berufen beschäftigt haben. Also dass wir so wissen, was man so in Frankreich <?page no="279"?> 7.4 Inhalte und Methoden 279 werden kann. Beziehungsweise wie was man dafür jetzt braucht. Beziehungsweise wie man sich halt auch bewerben würde. Oder was wir halt einfach für Vorstellungen haben. Dass wir das halt auch mal auf Französisch oder so gemacht haben. Wobei ich finde, da hätte man auch noch ein bisschen was an der Unterrichtsweise ändern können. Anstatt dass wir dann einfach nur einen Vokabeltest über die Berufsbezeichnungen schreiben. (lacht) (..) BWF2: Und auch noch angeunangekündigt. (lacht) (Lachen) (..) I: Was ändern? BWF7: Ähm, indem man halt einfach ähm uns die Möglichkeit gibt, dass wir (.) also wir hatten die Möglichkeit, uns dann einen Beruf selber rauszusuchen ähm über den wir dann halt einen Aufsatz geschrieben haben als Klassenarbeit. Aber ähm (.) wir hatten halt vorher im Unterricht die Möglichkeit (.) also die Aufgabe, ein Plakat darüber zu machen. Aber ansonsten haben wir halt nicht weiter über das was uns jetzt wirklich interessiert geredet, sondern halt nur eher über Berufe wie Multimediadesigner. Aber (..) ich spreche da jetzt nur für mich, aber ich persönlich werde jetzt kein Multimediadesigner. Das heißt, ich würde halt eher empfehlen, dass wir halt auch lebensnahe Berufe nehmen. Also welche, die uns jetzt halt auch wirklich interessieren würden. (..) Wo wir halt auch was mit anfangen können. So. BWF3: Also da hätte man was ausbauen können. Da hätte man zum Beispiel die Zeit nutzen können, die für andere Themen/ also die, wo Themen nicht so notwendig gewesen wären. Weil Beruf ist ja schon so eine Sache, das ist Zukunft und das baut ja so ein bisschen auf und ähm da hätte man sich schon ein bisschen mehr Zeit nehmen können dafür. Weil das geht uns alle was an. Und ja. [Gruppe Leiter, Französisch] Andererseits würden Lerninhalte immer wieder in Kontexte eingebettet, die nicht altersgemäß, zu konstruiert und damit wenig glaubhaft und ansprechend seien. So wird bspw. das induktive Erarbeiten von Grammatik anhand von Lehrwerktexten abgelehnt, wenn sich die Textfunktion darauf beschränkt und die inhaltliche Auseinandersetzung im Hintergrund steht (vgl. Fallrekonstruktion Max). Hier werden deduktive Verfahren, die eine selbstständige Anwendung des grammatischen Phänomens ermöglichen, bevorzugt. AMS6: Dieser krampfhafte Realitätsbezug bei allem, was wir im Buch gemacht haben. Du hast irgendeine Vergangenheitsform, heiden theoretisch und du brauchst irgendeinen krampfhaften Realitätsbezug, der dir UNBEDINGT irgendwas suggerieren soll. (.) Das war so nervig. (..) I: Wie meinen Sie das? <?page no="280"?> 280 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens AMS6: Na ja, man man lernt jetzt nicht einfach/ Was ja auch teilweise gut ist, weil es ja wahrscheinlich auch ein (.) psychologischer Aspekt für das Lernen ist, dass man es halt mit etwas äh impliziert dann im realen Leben. Aber du lernst irgendeine Vergangenheitsform. Dann hast du da tausendmal irgendeinen Pablo stehen, der irgendwas macht (Lachen) und sollst das dann da einsetzen. Wo du dir dann einfach denkst „Ja, warum schreiben wir nicht einfach mal das Grundgerüst auf und bilden dann selber Sätze oder sowas“. (..) Ja, aber das, das kotzt mich bei jeder Sprache an (.), dass man so einen unbedingten Realitätsbezug braucht. Egal bei was. AMS4: Ich finde den auch teilweise überhaupt nicht altersgerecht. (.) / / Also ich meine/ / AMS6: / / Ja, das Buch./ / AMS4: wir sind sechzehn und da, da lesen wir ein Buch über eine, die ihr Haustier verloren hat oder das sucht, aber zehn Jahre alt ist oder so. Keine Ahnung, das finde ich irgendwie überhaupt nicht passend. [Gruppe Ahorn, Spanisch] Für die zweiten Fremdsprachen ergibt sich zudem das Problem, dass die Inhalte sowie die Methodik der Vermittlung weitgehend identisch mit der ersten Fremdsprache Englisch ablaufen und damit auch in Bezug auf die behandelten Themen Wiederholungen auftreten. Diese Überschneidungen, die sich mit anderen Fächern ergeben, mindern den Grad der Neuigkeit (vgl. Düwell 2002: 169) beim Fremdsprachenlernen, was sich wiederum auf das Interesse und die Motivation auswirken kann. […] es sind halt auch die Themen, die mich jetzt nicht so interessieren, wo wir drüber sprechen, wo wir schon/ eben wo drüber gesprochen haben in fast allen Fächern. [Tamara, Spanisch] 7.5 Kompetenzerleben Wesentlich für das Unterrichtserleben ist nicht zuletzt das Erleben der eigenen Kompetenz, was im Zusammenhang mit ihrem Bedürfnis nach Erfolgserlebnissen und der damit verbundenen Selbstwirksamkeitserwartung steht (vgl. u. a. Schwarzer & Jerusalem 2002: 42 f.). Wenn es den Lernenden gelingt, sich selbst als kompetent zu erleben, wirkt sich dies positiv auf die Bezugnahme zum Fach aus. Fehlt es jedoch an Möglichkeiten, sich in der Zielsprache als kompetent zu erleben, äußert sich dies in einer wahrgenommenen Sprachlosigkeit und führt zu negativen Selbsteinschätzungen. Dabei lassen sich verschiedene Kontexte <?page no="281"?> 7.5 Kompetenzerleben 281 differenzieren. Denn wie sich die Lernenden selbst und ihre Kompetenzen wahrnehmen, wird auf unterschiedlichen Ebenen sichtbar. Die Fallrekonstruktion Pia zeigt, dass dazu sowohl der Unterricht als auch außerschulische Kommunikationssituationen, in denen die SchülerInnen die Fremdsprachen anwenden, zählen. Darüber hinaus ist auch für das Kompetenzerleben in der zweiten Fremdsprache erneut der Vergleich zum Englischen zentral, wie u. a. die Fallrekonstruktion Max deutlich macht. Unterrichtliches Kompetenzerleben Vielen Lernenden gelingt es im Unterricht der zweiten Fremdsprache nicht, das Gelernte erfolgreich anzuwenden und sich dabei selbst als kompetente Sprachhandelnde zu erleben. Bei der Bearbeitung von Aufgaben werden ihnen immer wieder ihre Defizite bewusst. Das Gefühl, im Unterricht nichts zu verstehen und nicht folgen zu können, führt zu einem negativen Selbstbild (vgl. Gruppe „Katze“). Unterschiede ergeben sich jedoch in der Art und Weise, wie diese mangelnden Kompetenzen attribuiert werden. So zeigt bspw. der Datenauszug der Gruppe „Schloss“, dass die schlechten Leistungen im Fach Französisch auf die fehlende Lernbereitschaft zurückgeführt werden und aus Sicht der Schüler mit mehr Engagement auch bessere Leistungen zu erzielen wären. AMF7: Ja und vor allem wir setzen uns ja auch nicht wirklich für das Fach ein. Ich meine von den/ Wie viel sind wir? 26 Schüler 27 in der Französischklasse (.) können vielleicht drei oder vier (..) ja (..)/ AMF6: / / Übertreib nicht/ / AMF7: / / ein bisschen was/ / (Lachen) und der Rest kann (.) ja so viel wie man nach einem halben Jahr eigentlich könnte, wenn man sich mal anstrengt in der Sprache und wir können (.) also wir haben halt echt nichts drauf muss man sagen (.) ehrlicherweise. [Gruppe Schloss, Französisch] In anderen analysierten Fällen wird dagegen im Unterricht ein Streben nach Kompetenz (Pia), Partizipation (Gruppe „Stadion“) und Anerkennung (Max) deutlich. Der Wunsch und das Bemühen, sich am Unterricht zu beteiligen, sich adäquat ausdrücken zu können, scheitern jedoch vielfach an den nicht ausreichenden sprachlichen Ressourcen, was wiederum einen negativen Einfluss auf das Erleben des Unterrichts und die fachliche Bezugnahme hat. Diese Diskrepanz zwischen Ausdrucksabsicht und den eigenen sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten führen zu Frustration, wie der nachfolgende Interviewausschnitt verdeutlicht. Die Antwort zu kennen und auf Deutsch antworten zu können, jedoch nicht in der Lage zu sein, auf Spanisch zu antworten, empfindet Clara als „peinlich“. Dem Streben nach Partizipation im Unterricht stehen die wahrge- <?page no="282"?> 282 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens nommenen sprachlichen Schwierigkeiten entgegen, sodass sie ihre Ausdrucksabsicht nicht umsetzen kann. Ihr fehlt es an Gelegenheiten, das eigene Können im Unterricht anzuwenden. C: Ah ja, manchmal ist das halt so, wenn man den ganzen Unterricht halt nicht weiß, wie man sich ausdrücken soll. Und dann eigentlich halt die ganze Zeit nur da rumsitzt, und versucht irgendwie klarzukommen. Und dann der Lehrer einen irgendwie halt dran nimmt. Und du dann auf Spanisch antworten sollst, nur gar nicht weißt, was du ANTWORTEN sollst. Also auf Deutsch könntest du SOFORT antworten. Aber auf Spanisch weißt du es halt nicht. Ich kaich muss dann immer mir erst die Wörter zusammensuchen. Vielleicht dann auch noch im Wörterbuch nachgucken. Und dann/ Das ist dann halt immer so schwierig. Und dann wenn man dann da so sitzt, und man weiß nicht, was man SAGEN soll. Das ist dann halt schon so peinlich, wenn man sich dann nicht ausdrücken kann. (.) I: Ja, also/ C: Obwohl man es eigentlich in einer anderen Sprache könnte. [Clara, Spanisch] Die wahrgenommenen Schwierigkeiten zeigen sich sowohl im Mündlichen als auch im Schriftlichen. Auffällig ist dabei, dass viele Lernende am Ende der Sekundarstufe I Probleme im Bereich der sprachlichen Mittel Wortschatz und Grammatik benennen, wo ihnen wesentliche Grundlagen fehlen. Das Fehlen bestimmter Grundlagen kann auch in der folgenden Textpassage als Fokussierungsmetapher identifiziert werden. Die an die Lernenden gestellten Aufgaben dienen dabei als Maßstab, der vorgibt, was sie können sollten. Die Einschätzung der eigenen Kompetenzen richtet sich dabei einzig auf die vorhandenen Defizite. BMS7: Ja und ich finde auch wenn wir Texte schreiben müssen, merkt man halt wie viel uns fehlt einfach an grundlegenden Vokabeln, die eigentlich jeder in den letzten drei Jahren hätte mitbekommen sollen und dass es halt schon schwer fällt, mal einen Text über 100 Wörter zu schreiben. So, das geht halt gar nicht so einfach, wenn einem so viel fehlt. (4) BMS2: Das mit den einfachen Vokabeln ist halt so die Sache. Die fehlen halt teilweise schon (unv.) und dann kommen halt so die Verbformen, so Indefinialso halt so die Verbformen, die wir in letzter Zeit so hatten und dann wird das Ganze halt se: : hr schwer für die meisten. (..) So sieht auch teilweise der Durchschnitt bei den meisten aus. (Lachen) [Gruppe Biber, Spanisch] <?page no="283"?> 7.5 Kompetenzerleben 283 Die Diskrepanz zwischen den an die Lernenden gestellten Aufgaben im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht und den eigenen Kompetenzen findet bei den befragten SchülerInnen immer wieder Erwähnung, sodass diese als wesentlich für das Unterrichtserleben am Ende der Sekundarstufe I herausgestellt werden kann. Es gelingt ihnen aus ihrer Sicht kaum, den Anforderungen gerecht zu werden und in den entsprechenden kommunikativen Aufgaben angemessen zu agieren. CMS3: Ja ich würde auch vielleicht sagen, dass man eher so Alltagssachen mal besprechen sollte, (.) weil wir eigentlich immer nur über so komplexe Sachen diskutieren. Also am Anfang der Stunde ist es meistens so, dass wir irgendein Thema haben und dann sollen wir darüber diskutieren und wir wissen halt quasi GAR keine Vokabeln. (Lachen) CMS1: (lachend) Stimmt. CMS3: Und dann sitzen alle nur da rum und sind total ruhig obwohl wir eigentlich darüber reden sollen. (.) Ja. [Gruppe Koala, Spanisch] Wie zuvor bereits Clara spricht CMS3 hier davon, im Unterricht „rumzusitzen“. Sie grenzen sich davon negativ ab, im Unterricht nicht aktiv werden zu können, doch aufgrund ihrer wahrgenommenen Defizite schaffen sie es nicht, ihren eigenen Ansprüchen und Rollenerwartungen zu entsprechen. Außerschulisches Kompetenzerleben Auslandsaufenthalte bieten den Lernenden die Möglichkeit, als fremdsprachlich Handelnde aktiv zu werden und dabei außerhalb des Unterrichts, in realen Kommunikationssituationen die erworbenen Kompetenzen zu erproben. Wie die Fallrekonstruktion Pia zeigt, wirken sich die Auslandsaufenthalte und Kontakte zu SprecherInnen der Zielsprache förderlich auf ihr Sprachenlernen sowie ihre Motivation aus. In der Gruppe „Katze“ führen die unterschiedlichen Erfahrungshintergründe dazu, dass sich in Bezug auf das Kompetenzerleben kein gemeinsamer Orientierungsgehalt feststellen lässt. Auch hier gelingt es Lernenden mit außerschulischen Sprachkontakten offenbar besser, sich selbst als kompetent zu erleben. Als maximal kontrastiver Fall im Gesamtsample lässt sich die Gruppe „Schloss“ gegenüberstellen. Anhand des Datenauszugs aus einer Gruppendiskussion mit Französischschülern wird deutlich, dass Sprachlernerfahrungen im Zielsprachenland die Kompetenzentwicklung sowie Haltungen der SchülerInnen nicht per se positiv beeinflussen. Der Datenauszug offenbart ein Erlebnis im Rahmen eines schulischen Auslandsaufenthalts. Obwohl dieser Gelegenheiten bietet, die Zielsprache in authentischen Sprachbegegnungssituationen anzuwenden, bleibt das kommunikative Bemühen der Schüler ohne Erfolg. <?page no="284"?> 284 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens AMF1: In Frankreich habe ich mich wirklich bemüht Französisch zu sprechen. AMF6: Ja, ich nicht. AMF2: Selbst wenn ich versucht habe, eine Bestellung auf Französisch zu machen, haben die mir immer auf Englisch geantwortet. AMF1: Ja, das war/ das war schlimm. AMF6: (lachend) Weil sie gesehen haben, dass wir es nicht konnten. AMF1: Ja, selbst wenn man dachte, dass mal etwas richtig gesagt wird, haben die eben sofort gewusst, man ist Tourist, haben auf Englisch geantwortet und dann merkt man halt, ja okay, es bringt nichts, dann kann ich gleich Englisch reden. / / S? : (bejahend) Mhm/ / Und dann redet man halt Englisch. Und deswegen/ AMF6: Wir finden es wahrscheinlich alle nicht so wichtig. [Gruppe Schloss, Französisch] Erfolgreiches Sprachhandeln bedeutet für sie, z. B. in der Zielsprache verstanden zu werden, eine französische Antwort zu erhalten oder nicht als Tourist erkannt zu werden. Doch auch auf eine vermeintlich richtige französische Äußerung erhalten die Schüler eine englische Antwort, was als kommunikatives Scheitern oder Misserfolg verstanden wird. Es gelingt den Schülern insofern nicht, sich selbst als sprachlich kompetent zu erleben, ein kommunikatives Gelingen bzw. Erfolge in der Fremdsprache zu erzielen und über den Auslandsaufenthalt eine persönliche Beziehung zu der Sprache herzustellen. Auch die Reflexion dieser Erfahrung im Unterricht bleibt offenbar aus, sodass das negative Erlebnis zu einer Priorisierung des Englischen sowie der Schlussfolgerung führt, dass Englisch als Fremdsprache ausreiche. Der Nutzen der französischen Sprache wird hingegen trotz authentischer Sprachbegegnungssituationen im Zielsprachenland nicht erkannt. Obwohl sich in der nachfolgenden Passage aus einer Diskussion mit Spanischschülern kein gemeinsamer Orientierungsgehalt findet, lässt sie Rückschlüsse auf das Potenzial von schulischen Austauschprogrammen zu. AMS4: Was MIR halt so ein bisschen diese Motivation wieder zurückgebracht hat war der Austausch. Der war letztes Jahr. Und da habe ich dann schon gemerkt, dass das Spanisch in der Schule mich schon also ein bisschen weiterbringt. Ich habe zwar viele Wörter auch nachgegoogelt (lacht), also in den Gastfamilien als wir da waren, aber ich muss sagen, es hat mich/ also es hat mich sehr weitergebracht. Und da fand ich es eben sehr schade, dass da nur die Hälfte der Klasse mitgenommen wurde. Weil (.) das hätte glaube ich ALLEN ein bisschen was gebracht. Selbst/ Man, man denkt ja erst, man kann überhaupt kein <?page no="285"?> 7.5 Kompetenzerleben 285 Spanisch, wenn man so im Unterricht dasitzt, der Lehrer fragt einen so Vokabeln oder so und man kann sie einfach nicht. Aber dann kommt man schon mit den einfachsten Sachen weiter und entwickelt sich dann auch sehr weiter (.) IN solchen PROJEKTEN und das war halt das Gute an Spanisch, dass man halt (.) auch gesehen hat, wie es richtig dort gesprochen wurde. (..) Also im Land jetzt. AMS2: Na ich war ja auch bei dem Austausch dabei und muss sagen, (.) ich habe eigentlich großteils auch während dieses Austauschs einfach nur Englisch gesprochen. (lacht) AMS7: Ich auch. Also/ AMS4: Ich musste/ °In meiner Gastfamilie musste ich Spanisch sprechen°. AMS2: Na das war bei MIR nur gegenüber den Eltern. AMS4: Ja na klar. AMS2: Weil der Partner und auch der Bruder, die konnten ja alle Englisch. Da hat man dann auch so überlegt: „Warum sollte man jetzt Spanisch reden, (lachend) wenn es einfacher geht? “ AMS7: Der hat halt einfach immer für die Mutter übersetzt oder so. Oder sie hat mit Händen und Füßen gestikuliert. [Gruppe Ahorn, Spanisch] In der Äußerung von AMS4 wird das negative Kompetenzerleben im Unterricht dem kommunikativen Gelingen im Zielsprachenland gegenüberstellt. Der Austausch bewirkt, dass der Schüler sich außerhalb des Unterrichts als sprachlich erfolgreich und damit kompetent wahrnimmt. Auch den Unterricht bewertet er infolge dieser Erfahrung rückblickend als hilfreich. Damit verfügen derlei außerschulische Erlebnisse nicht nur über das Potenzial, ein Bewusstsein für das eigene Können zu schaffen und damit die positive Selbstwahrnehmung der SchülerInnen zu stärken, sondern auch die Attribuierung dieser Erfolgserlebnisse auf das schulische Spanischlernen zu forcieren. Gleichzeitig muss festgestellt werden, dass die Befragten in realen Sprachbegegnungssituationen häufig nur dann auf die zweite Fremdsprache zurückgreifen, wenn es die Situation erfordert, d. h. ein Gespräch auf Englisch nicht möglich ist, weil das Gegenüber diese Sprache nicht beherrscht. Die Vorteile der Zielsprache sind für die SchülerInnen insofern nicht erkennbar, als sie deren kulturellen Wert offenbar außer Acht lassen. Im Vordergrund steht einzig das Gelingen der Kommunikation. Dabei erscheint die englische Sprache als die vermeintlich leichtere Alternative. <?page no="286"?> 286 7. Fallübergreifende Ergebnis darstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens Kompetenzvergleich zwischen den Sprachen Es fällt auf, dass die SchülerInnen nicht nur die Sprachen (vgl. Kap. 7. 2), sondern auch ihre Kompetenzen in den beiden erlernten Schulfremdsprachen vergleichen, wenn es um das Unterrichtserleben und die Bezugnahme zum Fach geht. Dabei ist zumeist das Englische die Sprache, in der sie sich selbst besser einschätzen. Viele Lernende fühlen sich im Englischen kompetenter, sodass die erste Fremdsprache stets eine Alternative zur zweiten Fremdsprache darstellt, die das Gelingen der Kommunikation aus ihrer Sicht sicherstellt. Aber ansonsten fühle ich mich zu diesem Zeitpunkt jetzt nicht in der Lage, irgendwo nach Spanien zu fahren und mich selbst soweit (räuspert sich), ja, zurechtzufinden, dass ich jetzt sagen kann, das läuft flüssig. Also ich kann mir zum Beispiel/ Essen funktioniert, Wasser und ein belegtes Brot (lacht), aber ansonsten ist es eher schwer. Genauso dann auch zum Beispiel im Hotel, da: sowas, würde ich jetzt auch nicht sagen, dass ich da mich so sicher fühle, dass ich nicht auch mal auf das Englische rüber switchen würde. Ja. [Tamara, Spanisch] Während sie das Gefühl haben, in der ersten Fremdsprache auch komplexere Zusammenhänge darstellen bzw. sich zu anspruchsvolleren Themen äußern zu können, beklagen sie im Französischen und Spanischen die Diskrepanz zwischen Mitteilungsabsicht und den ihnen zur Verfügung stehenden sprachlichen Ressourcen. […] aber es ist irgendwie/ es fällt eigentlich leichter über Themen zu sprechen, also es ist/ Ich schätze, es liegt tatsächlich am Vokabular, das bei Spanisch irgendwie nicht so leicht fällt wie jetzt in Englisch, weil man an die Sprache auch nicht so gewöhnt ist. Also ich weiß zum Beispiel von mir selbst, dass einfach (räuspert sich), wenn ich irgendwie Lieder höre oder so, davon man schon einen ganz großen Background bekommt oder dadurch, dass ich schon in Austauschen mitmachen konnte schon sehr früh hier an der Schule (räuspert sich), ja, man einfach sehr früh Vokabular mitbekommt, sehr viele verschiedene Vokabeln auch und das in Spanisch halt einfach nicht da ist. Also man hat die Basic-Sachen, mit denen geht es auch, man kann sich auch verständigen. Aber wenn es dann so ein bisschen in die Tiefe geht, fällt auch selbst das Umschreiben schwer. Also da ist wirklich (räuspert sich)/ die Vokabeln, es ist schon ein Problem, muss ich sagen. [Tamara, Spanisch] Immer wieder rekurrieren die befragten SchülerInnen bei der Einschätzung ihrer vorhandenen Kompetenzen in der zweiten Fremdsprache auf Grundla- <?page no="287"?> 7.5 Kompetenzerleben 287 gen oder „Basics“. Eine Konversation mit MuttersprachlerInnen erscheint vielen dabei unmöglich, wenngleich zahlreiche Lernende offenbar noch gar nicht über außerschulische Erfahrungen in der Zielsprache verfügen bzw. es ihnen an authentischen Sprachbegegnungssituationen im Rahmen des Unterrichts fehlt (vgl. Gruppe „Katze“). Insbesondere im Bereich der mündlichen Kompetenzen sowie in Bezug auf Sprachrichtigkeit werden Unterschiede zwischen dem Englischen und den zweiten Fremdsprachen deutlich. Die Verwendung des Französischen und Spanischen erfordert vielfach ein größeres Nachdenken über die Sprache, das einhergeht mit einer Angst vor Fehlern, die im Fach Englisch weniger präsent zu sein scheint (vgl. Gruppe „Stadion“, Fallrekonstruktion Max). Der Datenauszug aus der Gruppe „Schloss“ zeigt, dass die Schüler aus ihrer Sicht über ein implizites Sprachwissen verfügen und sich in der Sprachverwendung als kompetent einschätzen. AMF3: Ja oder auch im Unterricht, man lernt so ewig viele Zeitformen und irgendwie im Französischen hat man irgendwie kein Sprachgefühl für entwickelt so wie in Englisch. Ich meine auch, für mich ist es jetzt so (.) ich weiß nicht wie man die ganzen Zeitformen in Englisch bildet. Ich habe einfach ein Sprachgefühl dafür entwickelt und (.) das funktioniert halt zum größten Teil. AMF8: Da gibt es halt eben auch Grundsätze, die man eigentlich besitzt nach den ganzen Jahren, vor allem auch weil wir es eben so früh gelernt haben. Im Englischen kann man dann eben auch die leichtesten Wörter rausballern (.) und dann stimmt das schon zum größten Teil. Aber im Französischen, wenn ich da einen Satz bilden müsste(.), dann ist das nicht unbedingt so einfach. (.) Weil ich auch das Vokabular nicht unbedingt besitze. [Gruppe Schloss, Französisch] Bei Tobias führt der Vergleich der Kompetenzniveaus in beiden Sprachen gar zu einer Distanzierung vom Französischen, obwohl er angibt, zunächst über eine durchaus positive Selbsteinschätzung verfügt zu haben. Infolge der fehlenden Kompetenzentwicklung verschlechtert sich sein Selbstbild als Französischlerner, sodass er dessen Anwendung zugunsten des Englischen gänzlich aufgibt. Also ich habe mich zumindest halt nicht weiterentwickelt beim Reden. Früher dachte ich halt, dass ich das ganz gut kann so. Aber jetzt denke ich eher so, ich kann es nicht so gut. Und ich kann halt auch nicht, also/ Beziehungsweise ich traue mich es gar nicht so oft zu probieren, Französisch zu sprechen. Früher hatte ich eher so das Selbstbewusstsein, ja, du bekommst das hin, du kannst es. Und jetzt eher, na ja. <?page no="288"?> Also Englisch könnte ich zum Beispiel viel besser. Und deswegen probiere ich es auch gar nicht mehr (Schulgong) so oft, irgendwie Französisch zu sprechen bei irgendwas. Ja. [Tobias, Französisch] Die wahrgenommene Kompetenz bzw. das Nicht-Erleben der eigenen sprachlichen Kompetenz wirkt sich insofern nachteilig auf die Bezugnahme zur zweiten Fremdsprache aus, was durch das positive Kompetenzerleben in der ersten Fremdsprache noch verstärkt wird. <?page no="289"?> 8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse Nachdem in den voranstehenden Kapiteln die Ergebnisse der Datenauswertung präsentiert wurden, sollen diese nun noch einmal im Kontext bereits vorhandener Forschung eingeordnet und diskutiert sowie sich eröffnende Forschungsperspektiven aufgezeigt werden (Kap. 8. 1). Da der Forschungsprozess auch immer eine Reise voller Erkenntnisse und Einsichten bedeutet, werden dieser Weg sowie damit einhergehende wichtige methodische und methodologische Entscheidungen und Verfahren noch einmal kritisch reflektiert (vgl. Legutke 2016: 387) sowie im Hinblick auf die Reichweite und die Grenzen der Untersuchung betrachtet (Kap. 8. 2). Ein Plädoyer für die stärkere Zusammenarbeit von Forschung und Praxis (Kap. 8. 3) bildet schließlich den Abschluss der Arbeit. 8.1 Einordnung der Ergebnisse in aktuelle fremdsprachendidaktische Diskurse und Implikationen für die unterrichtliche Praxis 8.1.1 Professionsforschung und Lehrerbildung Im Vergleich zu anderen Forschungszweigen der Fremdsprachendidaktik handelt es sich bei der Lehrerbildungsforschung um ein bislang noch wenig bearbeitetes Feld, das sich erst allmählich zu entwickeln beginnt (vgl. Legutke & Schart 2016: 11). Die Notwendigkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit Fragen der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrkräften kann vor dem Hintergrund der empirischen Ergebnisse unterstrichen werden. Bezogen auf die Professionalisierungsdebatte wirft die Arbeit eine Reihe von Fragen auf, von denen einige Aspekte besonders hervorzuheben sind. Aus den Ergebnissen der Untersuchung geht hervor, dass die Lehrkraft eine entscheidende Bezugsgröße darstellt, wenn es um das Unterrichtserleben der Lernenden geht. Die Erfahrungen der befragten SchülerInnen orientieren sich sehr stark an den jeweils unterrichtenden Lehrkräften, sodass ihre Darstellungen maßgeblich durch Lehrerwechsel strukturiert werden. Brüche, aber auch eine Verbesserung der Bezugnahme zum Fach können durch neue Lehrpersonen ausgelöst werden. Dies knüpft an die Befunde verschiedener Studien an, die den Zusammenhang zwischen Lehrperson und Lernerfolg belegen (vgl. Hattie 2008). <?page no="290"?> 290 8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse Bislang unberücksichtigt blieb jedoch der Einfluss von Lehrerwechseln, der im Rahmen der vorliegenden Untersuchung aufgezeigt werden konnte. So zeigte sich fallübergreifend, dass Lehrerwechsel die SchülerInnen vor neue Herausforderungen stellen, die sich durch Unterschiede in Bezug auf die fachlichen und methodischen Kompetenzen sowie persönlichen Eigenschaften der Lehrpersonen ergeben. Offenbar werden Fachlehrerwechsel nicht so vorbereitet, koordiniert und gestaltet, dass für die Lernenden ein Anknüpfen an Bekanntes garantiert wird, d. h., neben einer gründlichen Diagnose des aktuellen Lernstandes der SchülerInnen mangelt es auch an der Auseinandersetzung mit vorherigen methodischen Unterrichtsprinzipien und Fragen des Klassenmanagements sowie fachinterner Kooperation. Bei der Analyse der Daten zeigte sich in verschiedenen Fällen ein Zusammenhang zwischen Lehrerwechseln und der Frustration oder Resignation im Unterricht der zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch. Mangelnde Lernfortschritte führten die SchülerInnen häufig auf Lehrerwechsel zurück. Für die unterrichtliche Praxis ergibt sich daraus ein dringender Handlungsbedarf, der einen bewussteren Umgang mit Übergängen erfordert, um unabhängig von den unterrichtenden Lehrkräften mehr Kontinuität zu gewährleisten. In der fremdsprachendidaktischen Forschung treffen diese Ergebnisse auf eine Leerstelle. Um diese zu füllen, ist das Phänomen von Fachlehrerwechseln mitsamt seinen Auswirkungen für die Lernenden durch empirische Begleitforschung in zukünftigen Arbeiten genauer zu untersuchen. So sollten dringend Antworten gefunden werden, welche Maßnahmen es bei Übergängen durch Fachlehrerwechsel im Einzelnen zu berücksichtigen gilt und wie SchülerInnen optimal auf eben diese vorbereitet werden können, um ein nahtloses Weiterlernen der Fremdsprache sicherzustellen und eine Abwendung vom Fach zu vermeiden. Darüber hinaus wäre bspw. im Rahmen von Langzeitstudien mit Vergleichsgruppen zu überprüfen, ob und inwieweit sich durch eine größere Kontinuität in Lerngruppen ohne Lehrerwechsel messbare Unterschiede hinsichtlich der Kompetenzentwicklung sowie der Einstellungen zum Fremdsprachenlernen zeigen. Mit Blick auf das Rahmenmodell von Legutke und Schart (2016: 18), die von vier Dimensionen professioneller Kompetenz ausgehen, offenbaren die Befunde der Arbeit die zentrale Bedeutung der Dimension „Sprache, Literatur und Kultur“. Die Kritik der SchülerInnen an der Banalität der Inhalte bzw. Themen, die an deren Lebenswelt vorbeigehen, lässt den Eindruck entstehen, dass es den Lehrenden trotz des im Studium erworbenen Fachwissens vielfach nicht gelingt, „sprach-, literatur- und kulturwissenschaftliche Wissenskomponenten in unterrichtliches Handeln zu überführen“ (ebd.: 20), d. h. Unterrichtsinhalte zielgruppenspezifisch auszuwählen und schülerorientiert aufzubereiten. Folg- <?page no="291"?> 8.1 Einordnung der Ergebnisse 291 lich gilt es, die erste Phase der Lehrerausbildung stärker als bislang zum Gegenstand empirischer Forschung zu machen und kritisch zu hinterfragen, ob und inwieweit sich Lehramtsstudierende im Rahmen des Studiums (ausreichend) mit Inhalten und Textsorten auseinandersetzen, die den Besonderheiten des Unterrichtens der zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch gerecht werden und für deren Vermittlung geeignet sind. Gleiches scheint - auch das legen die Ergebnisse der Arbeit nahe - für das interkulturelle Erfahrungswissen der Lehrenden zu gelten, das im Unterricht aus Sicht der Lernenden zu wenig Berücksichtigung findet. Obwohl die befragten SchülerInnen das Einbringen eigener, persönlicher Erfahrungen der Lehrkräfte im Fremdsprachenunterricht als zentral einschätzen, stellen die Spanischlernenden 7 hier ein Defizit der nicht-muttersprachlichen Lehrpersonen im Vergleich zu deren muttersprachlichen KollegInnen fest. Aus diesen Ergebnissen leiten sich Implikationen und Fragestellungen ab, die insbesondere die Lehrerausbildung betreffen: Neben der Herausforderung, die oben beschriebene Differenz zwischen Professionswissen und -können zu überwinden, gilt es, den Stellenwert des (interkulturellen) Erfahrungswissens gegenüber dem Fachwissen im Studium kritisch zu überprüfen und das Bewusstsein für die enge Verknüpfung von Kultur und Sprache beim Fremdsprachenlehren und -lernen zu schärfen. Dies gilt umso mehr, als zu hinterfragen ist, inwieweit es Studierenden (im Rahmen verkürzter Auslandsaufenthalte) während des Studiums überhaupt noch gelingt, ausreichend lebensweltliche, interkulturelle Erfahrungen zu sammeln, die zur Entwicklung ihrer professionellen Kompetenz beitragen. Aufenthalte in einem Zielsprachenland sollten insofern ebenso wie deren gezielte Vor- und Nachbereitung als integraler und unverzichtbarer Bestandteil des Studiums etabliert werden. Dass die methodische Monotonie seitens der Lernenden für die beiden Zielsprachen Französisch und Spanisch immer wieder bemängelt wird, knüpft an die von Legutke und Schart formulierte Notwendigkeit eines didaktischen Handlungsrepertoires an, das eine Befreiung von den aus Methoden, Lehrwerken und Traditionen erwachsenen Einengungen ermöglicht (vgl. Legutke & Schart 2016: 23). Für die fremdsprachendidaktische Forschung bedeutet dies, sich verstärkt der Öffnung von Unterricht in den zweiten Fremdsprachen zuzuwenden sowie im Rahmen von Aktionsforschungsprojekten die Unterrichtspraxis zu ergründen, alternative Ansätze zu erproben und damit zu einer Entwicklung des Unterrichts beizutragen. Darüber hinaus macht die vorliegende Studie deutlich, wie wichtig aus Sicht der Lernenden die sprachlichen Fähigkeiten von Lehrkräften für deren profes- 7 Da die Lerngruppen der befragten FranzösischschülerInnen nicht von muttersprachlichen Lehrkräften unterrichtet wurden, lassen sich diesbezüglich keine Aussagen treffen. <?page no="292"?> 292 8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse sionelle Kompetenz sind. Auch hier nehmen die Befragten bei ihren nicht-muttersprachlichen Lehrpersonen Defizite gegenüber den MuttersprachlerInnen wahr. Dieses Ergebnis ist insofern zu unterstreichen, als in der fremdsprachendidaktischen Forschung bislang weitgehend unberücksichtigt blieb, welche möglichen Folgen die Tatsache, dass nicht-muttersprachliche Lehrkräfte in einem ihnen mehr oder weniger ‚fremden‘ Medium kommunizieren, für den Unterricht hat (vgl. Schocker-v. Ditfurth 2001: 76). Obwohl der native speaker in der Fremdsprachendidaktik als gängiges Leitbild längst überwunden und vom Ideal des intercultural speaker abgelöst wurde (vgl. u. a. Rauschert 2014: 104 ff.), besteht in den Köpfen der befragten SchülerInnen die Vorstellung fort, native speaker seien aufgrund ihrer kulturellen und sprachlichen Überlegenheit per se die besseren Fremdsprachenlehrkräfte. Dies knüpft an die Arbeiten von Medgyes (1994) sowie Allright und Bailley (1991: 102, zit. nach Schocker-von Ditfurth 2001: 77 f.) an: Die Beobachtung, dass nicht-muttersprachliche Lehrkräfte sich als reduzierte Persönlichkeiten erleben, wirke sich demnach negativ auf die Lehrer-Schüler-Interaktion aus, da non-native speakers einen strengeren Umgang mit Fehlern pflegten und seltener auf offene Formen des Unterrichts zurückgriffen, um die Kontrolle über die Interaktionsprozesse im Klassenzimmer zu behalten. In der Lehrerausbildung kann diesem Problem u. a. mit einer veränderten Sprachpraxis begegnet werden. Die Sprachkompetenz als zentrales Element der Ausbildung zu begreifen und dabei besonderen Wert auf die sprechsprachliche Kompetenz zu legen (vgl. Christ 2002: 55) setzt voraus, auch die unterrichtsbezogenen Fremdsprachenkompetenzen, die bislang in der Ausbildung noch weitgehend vernachlässigt und nicht überprüft werden (vgl. Meißner 2002: 106 f.), entsprechend zu fördern. Es wird davon ausgegangen, dass der Nachweis eines C1-Niveaus genügt, um die Zielsprache unterrichten zu können. Mit Blick auf die Ergebnisse der Arbeit ist dieser Annahme jedoch mit Skepsis zu begegnen. Trotz der im Studium erworbenen Sprachkompetenz scheint es den Lehrkräften nicht zu gelingen, die Fremdsprache so zu verkörpern, dass sie für die SchülerInnen im Klassenzimmer lebendig und erfahrbar wird, also nicht abstrakter Lerngegenstand bleibt. Daraus leitet sich die Frage ab, ob und inwieweit die universitäre Sprachpraxisausbildung in den romanischen Sprachen die Entwicklung einer berufsbezogenen Fremdsprachenkompetenz hinreichend im Blick hat. Reimann et al. (2018) kommen in ihrer Untersuchung an der Universität Duisburg- Essen (n=95) zu dem Ergebnis, dass sich die Lehramtsstudierenden insgesamt sprachlich auf ihre berufliche Tätigkeit als Französischbzw. Spanischlehrende vorbereitet fühlen, jedoch die „zu geringe Möglichkeit des freien Sprechens“ (ebd.: 45) beanstanden. Hier lohnen eine überregionale Ausweitung der Stichprobe sowie die Befragung von BerufsanfängerInnen, die die sprachpraktische Vorbereitung auf die Lehrtätigkeit vor dem Hintergrund erster eigener schulischer <?page no="293"?> Erfahrungen beurteilen können. Auch der Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Sprachniveau und der berufsspezifischen Fremdsprachenkompetenz bedarf dringend einer genaueren Untersuchung. Erste Ansätze für ein theoriebasiertes Kompetenzmodell in der Primarstufe sowie Sekundarstufe I liefert das Schweizer Projekt „Berufsspezifische Sprachkompetenzprofile für Lehrpersonen für Fremdsprachen“ (vgl. Kuster et al. 2014). Im Rahmen eines empirisch abgesicherten Kompetenzmodells gilt es dann, dieses zu spezifizieren und in der sprachpraktischen und -didaktischen Lehrerausbildung stärker zu integrieren. Angesichts der vermehrten Kritik an ReferendarInnen, die die Lernenden in den Befragungen äußern, ist ebenfalls auf die noch immer defizitäre Forschungslage hinsichtlich der zweiten Phase der Lehrerausbildung hinzuweisen (vgl. Gerlach & Steininger 2016). Wie erleben LehramtsanwärterInnen diese Phase ihrer Ausbildung? Wie gelingt ihnen der Übergang vom Studium in den Lehrberuf ? Wie bewerten sie ihre Kompetenzentwicklung in dieser Zeit und welchen spezifischen Herausforderungen begegnen sie beim Unterrichten der zweiten Fremdsprachen? Empirische Begleitstudien müssen gerade hier ansetzen, um diese Forschungslücke zu schließen und einen wichtigen Beitrag zur Optimierung der Professionalisierung angehender Fremdsprachenlehrkräfte zu leisten. Die Unterschiede, die von den SchülerInnen auf verschiedenen Ebenen zwischen der ersten Fremdsprache Englisch und den zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch wahrgenommen werden, deuten darauf hin, dass hier auch in Bezug auf die professionelle Kompetenz von Lehrkräften zu differenzieren ist, d. h. die besonderen Erfordernisse beim Unterrichten zweiter Fremdsprachen sowie die institutionellen Rahmenbedingungen stärker zu berücksichtigen sind. Auch Meißner et al. (2008: 166) sprechen davon, dass eine zweite Fremdsprache anders gelernt und gelehrt werden müsse als die erste. Die damit einhergehenden Herausforderungen sind bei der Ausbildung von Französisch- und Spanischlehrkräften dringend mitzudenken und in sinnvolle Lernkontexte zu überführen. Dies gilt jedoch gleichermaßen für die Ausbildung von Englischlehrkräften, die häufig „nur über nutzbare Kenntnisse in einer Sprache, nämlich Englisch verfügen“ (Schröder 2009: 83, Hervorh. im Original) und damit möglicherweise nur bedingt in der Lage sind, wichtige intersprachliche Transferprozesse beim Fremdsprachenlernen zu fördern. 8.1.2 Motivation und Kompetenzentwicklung Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen die große Bedeutsamkeit des Kompetenzerlebens für die Lernenden. Anknüpfend an die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (1985), die den engen Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis nach Kompetenz und der intrinsischen Motivation nachgewiesen haben, 8.1 Einordnung der Ergebnisse 293 <?page no="294"?> 294 8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse lassen sich damit auch Bezüge zur Lernerautonomie- und Motivationsforschung herstellen. Das Kompetenzerleben stellt einen entscheidenden Faktor für erfolgreiches Sprachenlernen dar, doch gerade hier benennen die befragten SchülerInnen Defizite. Den Lernenden fehlt es an Gelegenheiten, sich im Fremdsprachenunterricht sowie außerhalb des Unterrichts als kompetent zu erleben, d. h. ihr fremdsprachliches Können in den an sie gestellten Aufgaben anzuwenden und sich im Hinblick auf die Anforderungen verschiedener Lern- und Kommunikationssituationen als handlungsfähig zu erleben. Dementsprechend fallen die Selbsteinschätzungen der befragten Lernenden häufig negativ aus. Sie sind statt auf das eigene Können auf die vorhandenen Defizite in der Sprachbeherrschung gerichtet. Das Gefühl, den Anschluss verpasst zu haben bzw. nicht über das erforderliche Kompetenzniveau zu verfügen, wird in der Untersuchung von den befragten SchülerInnen immer wieder zum Ausdruck gebracht. Die Auswertung der Daten verdeutlicht, dass hier erhebliche Unterschiede zwischen der ersten Fremdsprache Englisch und den zweiten Fremdsprachen bestehen. Das heißt, sowohl das Kompetenzerleben als auch die Selbsteinschätzungen der befragten SchülerInnen fallen für Englisch tendenziell besser aus. Theorien, Methoden und bisherige Ergebnisse der Motivationsforschung beschränken sich zumeist auf die L2 Englisch 8 und greifen für die Erklärung dieser intraindividuellen, sprachenspezifischen Unterschiede deshalb hier zu kurz. Wenngleich das Phänomen der motivationalen Interferenz (vgl. Düwell 2002) einen Erklärungsansatz bietet, ist die Aufmerksamkeit in der Motivationsforschung künftig noch stärker auf die Unterschiede zwischen dem Lernen erster, zweiter oder weiterer Fremdsprachen zu richten, um diese besser verstehen und überwinden zu können. Das von Dörnyei (2009) im Zusammenhang mit der L2 Englisch entwickelte L2 Motivational Self System klammert bspw. bei der Beschreibung der drei Komponenten Ideal L2 Self, Ought-to L2 Self und L2 Learning Experience andere, bereits vorgelernte (Fremd-)Sprachen und deren Einfluss aus. Gerade der Einfluss der ersten Fremdsprache Englisch erscheint jedoch mit Blick auf die vorliegenden Ergebnisse beim Erlernen weiterer Fremdsprachen in der Schule von großer Bedeutung. Ob Dörnyeis L2 Motivational Self System ohne Weiteres auf das institutionalisierte Lernen zweiter Fremdsprachen im schulischen Kontext übertragbar ist oder vielmehr von einem möglicherweise differenten, L3-spezifischen Motivational Self System auszugehen ist, bedarf deshalb noch einer empirischen Überprüfung. 8 Riemer und Wild (2016: 6) verweisen auf eine Meta-Studie, die zu dem Ergebnis kommt, „dass sich knapp 73 % der Arbeiten der L2-Motivationsforschung auf die L2 Englisch beziehen“. <?page no="295"?> Ferner ergeben sich Forschungsperspektiven für die fremdsprachendidaktische Lernerautonomie- und Motivationsforschung, die nach den Ursachen für das negative Kompetenzerleben fragen, d. h. die im Individuum ablaufenden Prozesse genauer erfassen, um Maßnahmen abzuleiten, die diesem Empfinden entgegenwirken, Misserfolgserlebnisse verringern und zu einer Stärkung des L3-Selbstkonzeptes im schulischen Kontext beitragen können. Zu untersuchen wäre bspw. die Passung zwischen der Kompetenzentwicklung und den im Unterricht verfügbaren Lerngelegenheiten. Inwieweit stellt der Unterricht Räume bereit, die positive Kompetenzerfahrungen sowie ein selbstständiges und selbstgesteuertes Fremdsprachenlernen ermöglichen? Was kann das Klassenzimmer im Unterricht der zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch mit seinen unterschiedlichen Spielformen beitragen, um ein möglichst positives Erleben der Fremdsprache zu unterstützen? Auch die eingesetzten Aufgabenformate wären dahingehend zu überprüfen, ob sie durch die Förderung der durch ihre Bearbeitung angestrebten Kompetenzen auch das Kompetenzerleben der SchülerInnen begünstigen und unter den Bedingungen von Unterricht ausreichend Gelegenheiten für Erfolgserlebnisse bieten. Fremdsprachliche Begegnungssituationen außerhalb des Unterrichts - auch das verdeutlichen die Ergebnisse der Untersuchung - bedürfen einer gezielten Begleitung, damit deren Potenziale in möglichst hohem Maße genutzt werden können. In ihrem empirisch hergeleiteten Vorschlag eines phasenorientierten Modells für Schüleraustauschfahrten benennt Fellmann (2015) verschiedene Möglichkeiten für die Vor- und Nachbereitung sowie einer erlebten und reflektierten Begegnung. Diese im Kontext des Englischen entwickelten Maßnahmen bieten eine hilfreiche Orientierung. Vor dem Hintergrund der lingua franca Englisch erscheint ihre Erweiterung für die zweiten Fremdsprachen jedoch notwendig. Die Entwicklung und Erprobung entsprechender Aufgaben, die in der Vor- und Nachbereitung des Auslandsaufenthalts sowie vor Ort dazu anregen, neben dem Englischen bewusst auf die Zielsprachen Französisch bzw. Spanisch zurückzugreifen, bieten die Chance, einen reflektierten Umgang mit fremdsprachlichen Begegnungssituationen zu fördern. Die o. g. Ergebnisse, die die Studie zum Kompetenzerleben liefert, werfen auch Fragen nach der Evaluation von Lernprozessen bzw. -fortschritten der SchülerInnen auf. Möglichkeiten zur Reflexion von Lernerfahrungen und Lernerfolgen sind dabei ebenso bedeutsam wie das lehrerseitige Feedback- und Korrekturverhalten im Französisch- und Spanischunterricht. In den Befragungen zeigen die Lernenden große Schwierigkeiten, ihr fremdsprachliches Können einzuschätzen, oder beurteilen dieses tendenziell eher negativ. Nur selten wird es in Kompetenzen ausgedrückt, sodass sich Defizite im Bereich der Evaluation und Beurteilung des Könnens offenbaren. In ihrem Modell, das den Motiva- 8.1 Einordnung der Ergebnisse 295 <?page no="296"?> 296 8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse tionsprozess beim Fremdsprachenlernen beschreibt, zeigt Riemer (2010: 171) die Bedeutung der Evaluation von Lernfortschritten für den Aufbau bzw. Erhalt von Motivation auf. Aus Sicht der Lernenden mangelt es jedoch im Unterricht an solchen Gelegenheiten. Damit ihnen die positive Entwicklung ihrer fremdsprachlichen Kompetenzen bewusst wird, müssen diese Evaluationsprozesse im Unterricht gezielt angeleitet und durch entsprechende Aufgaben initiiert werden. Vor allem im Bereich der Mündlichkeit, die den Untersuchungsergebnissen zufolge im Verlauf der Sekundarstufe I zunehmend vernachlässigt scheint, lohnt die Berücksichtigung solcher Reflexionsphasen in besonderem Maße. Denn Aufgaben, bei denen die Lernenden angehalten werden, sich in der Fremdsprache zu äußern und gleichzeitig die Entwicklung ihrer mündlichen Kompetenz bewusst zu machen, versprechen insofern eine Stärkung der Sprechkompetenz im doppelten Sinne (vgl. Martinez 2014: 157). Mit dem Verweis auf empirische Studien bewerten Bausch und Kleppin (2016: 409) „ein selbstständiges und bewusstes Auseinandersetzen mit den eigenen Fehlern, die Reflexion über Fehlerschwerpunkte und ihre Ursachen“ als Chance, das Interesse der Lernenden am Erlernen der Fremdsprachen zu erhöhen. Dies setzt jedoch auch ein entsprechendes Korrektur- und Rückmeldeverhalten der Lehrkräfte voraus. Auf die zentrale Bedeutung von Feedback für den Lernfortschritt beim Fremdsprachenlernen wurde in der Vergangenheit immer wieder verwiesen (vgl. u. a. De Florio-Hansen 2014; Grotjahn & Kleppin 2017). Liegen mit der DESI-Studie (vgl. Klieme et al. 2006) sowie Arbeiten zum Korrektur- und Rückmeldeverhalten von Lehrkräften (vgl. u. a. Lenhard 2016) aktuelle Befunde zum Umgang mit Fehlern im Englischunterricht vor, mangelt es an vergleichbaren Arbeiten für den Unterricht der zweiten Fremdsprachen. Mit der Arbeit von Abel (2018) liegt eine Studie vor, die das Aussprachekorrektur- und -feedbackverhalten von Französischlehrkräften untersucht. Das Fehlen eines klaren Ausspracheschulungs- und Feedbackkonzepts, das die TeilnehmerInnen der Untersuchung beklagen, wirft die generelle Frage auf, wie Lehrkräfte das Können ihrer SchülerInnen evaluieren und mit deren Fehlern umgehen. Mit der Orientierung an nationalen Bildungsstandards, der Abkehr vom Fehlerquotienten und einer damit einhergehenden neuen Evaluationskultur bietet sich die Chance einer höheren Fehlertoleranz, die auch und vor allem im Hinblick auf Mehrsprachigkeitsansätze gefordert wird (vgl. Bausch & Kleppin 2016: 409). Ob und in welchem Maße diese Neuerungen Eingang in die Praxis gefunden haben und bereits umgesetzt werden, bedarf einer empirischen Überprüfung. Wie haben Fremdsprachenlehrkräfte diesen Paradigmenwechsel erlebt und wie wurden sie darauf vorbereitet? Wie haben sie ihr Feedback- und Korrekturverhalten an die neuen Bedingungen angepasst? Welchen Herausforderungen <?page no="297"?> sehen sie sich diesbezüglich gegenüber? Neben diesen die Sichtweise der Lehrkräfte betreffenden Fragen sollten ebenso die unterrichtliche Praxis sowie die Schülerperspektive in den Blick genommen werden. Welche Fehler werden korrigiert? Wie und wann werden diese korrigiert? Wie nehmen die Lernenden die lehrerseitigen Rückmeldungen wahr und inwieweit betrachten sie diese als wirksam für ihre Kompetenzentwicklung? Diese Fragen erscheinen vor allem deshalb so dringend, weil in ihrer Beantwortung insbesondere für die zweiten Fremdsprachen ein großes Potenzial zu vermuten ist. Denn mit Blick auf die Abwahlgründe vieler SchülerInnen, die sich am Ende der Sekundarstufe I aufgrund schlechter Zensuren gegen die zweite Fremdsprache entscheiden, vermögen eine veränderte Feedbackkultur und Fehlerkorrektur einen Beitrag für ein verbessertes Kompetenzerleben der Lernenden zu leisten, ihre Motivation zum Fremdsprachenlernen zu erhöhen, eine Abwahl des Faches zu verhindern und damit möglicherweise die Position der zweiten Fremdsprachen langfristig zu stärken. Dies impliziert, auch Testsituationen lehrer- und lernerseitig verstärkt als Lernchancen zu begreifen und als Diagnoseinstrument für die Unterrichtsplanung und -entwicklung zu nutzen (vgl. Caspari 2014). 8.1.3 Mehrsprachigkeit und Sprachenpolitik Die Dominanz des Englischen als lingua franca - das zeigen die Ergebnisse der Studie - ist zunächst nicht nur gesellschaftlich als faktische Realität anzuerkennen (vgl. Fäcke 2015: 39), sondern auch als entscheidender Faktor für das Erlernen der zweiten Fremdsprachen und damit das Unterrichtserleben in den Fächern Französisch und Spanisch hervorzuheben. Die Diskrepanz auf sprachenpolitischer Ebene zwischen der europäischen Forderung „Muttersprache plus zwei“ und der kommunikativen Realität „Muttersprache plus Englisch“ 9 (vgl. Jakisch 2015: 22) spiegelt sich auch in den Haltungen der befragten SchülerInnen wider. Englisch wird vielfach als ausreichend betrachtet, hohe kommunikative Kompetenzen in der ersten Fremdsprache seien sinnvoller als geringe oder durchschnittliche Kenntnisse in mehreren Fremdsprachen. Die mediale und kulturelle Präsenz des Englischen erhöht zusätzlich für viele Lernende die Einsicht in die Notwendigkeit sowie die Bereitschaft des Erlernens dieser Fremdsprache. Zudem wird die investierte Lernzeit in der 9 Die hinter diesem Begriff stehende „Normalitätsannahme“ einsprachiger SchülerInnen mit Deutsch als einziger Muttersprache ist zwar für den Großteil der an der Untersuchung beteiligten Lernenden zutreffend, bedarf vor dem Hintergrund einer zunehmend multilingualen Schülerschaft mit mehr als einer oder anderen Muttersprache/ n jedoch einer kritischen Reflexion. 8.1 Einordnung der Ergebnisse 297 <?page no="298"?> 298 8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse zweiten Fremdsprache insofern in Frage gestellt, als diese potenziell zusätzliche Zeit für das Erlernen des Englischen biete. Doch bei aller Berechtigung, dem Englischen als lingua franca einen prominenten Stellenwert im schulischen Fächerkanon einzuräumen 10 , greift eine Beschränkung auf das Englische als „Verkehrssprache und ‚Sesam öffne dich‘ für alle Bereiche des Zusammenlebens der europäischen Staaten“ (Christ 1989: 22) zu kurz. Die Funktion des Englischen bzw. des Englischunterrichts, als gateway to languages „auf den parallelen oder aber späteren Erwerb weiterer Fremdsprachen und den Umgang mit anderen als anglophonen Kulturen“ (Schröder 2009: 75) vorzubereiten, scheitert an der verbreitet geringen Bereitschaft der Lernenden, sich während der Schulzeit, aber auch über diese hinaus mit zweiten, dritten oder weiteren Fremdsprachen auseinanderzusetzen. Die erste Fremdsprache Englisch entfaltet insofern vielmehr die Wirkung einer blocking language oder „Killersprache“ (ebd.: 71), was die in der Vergangenheit bereits vielfach diskutierte Frage der Sprachenfolge aufwirft. Dies gilt umso mehr, als die Studie von Macht (2000) belegt, dass sich eine Vorverlegung der zweiten Fremdsprache Französisch vor Englisch positiv auf die Kompetenzentwicklung des Französischen auswirkt, ohne die des Englischen zu beeinträchtigen. Neben der Tatsache, dass sich ein Frühbeginn beim Französischlernen besonders positiv auf den Erwerb einer individuellen Mehrsprachigkeit sowie die Schulung der Aussprache auswirkt, erreichen SchülerInnen mit Französisch als erster Fremdsprache am Ende der Sekundarstufe I das gleiche festgelegte Abschlussniveau B1 im Englischen wie Kinder, die Englisch als erste Fremdsprache lernen (vgl. Caspari 2008: 19). Auch auf die Einstellungen in der zweiten Fremdsprache hat eine veränderte Sprachenfolge positive Auswirkungen, wie die Studie von Venus (2017b: 318) nahelegt. In künftigen Forschungsarbeiten wäre insofern zu untersuchen, ob eine geänderte Sprachenfolge, d. h. Französisch oder Spanisch vor Englisch, auch einen positiven Einfluss auf das Unterrichtserleben der SchülerInnen hat. Wenngleich es in der vorliegenden Studie nicht primär um die Motive für die Abwahl von Französisch oder Spanisch ging, äußerten die befragten Schüler- Innen auch immer wieder Gründe für ihre Entscheidungen. Ein höheres Stundenvolumen bei Fortführung der zweiten Fremdsprachen oder die Aussicht auf bessere Noten durch den Neubeginn einer anderen Fremdsprache sind aus der Perspektive der Lernenden nachvollziehbare, pragmatische Überlegungen, die die Attraktivität einer zweiten fortgeführten Fremdsprache neben dem Engli- 10 Laut Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08. 12. 2011 wird dem Englischen als lingua franca sowie der „Anwendung vor allem der ersten Fremdsprache als Arbeitssprache im bilingualen Sachfachunterricht“ (KMK 2011: 2) eine besonders große Bedeutung beigemessen. <?page no="299"?> schen mindern. Häufig sind also auch externe Faktoren, wie universitäre Zulassungsbeschränkungen bzw. der Numerus clausus, von großer Bedeutung, die das Weiterlernen von Fremdsprachen zusätzlich beeinflussen. Sprachenpolitisch ist es insofern nach wie vor als äußerst problematisch einzuschätzen, wenn durch die Abwahl der zweiten und den Neubeginn einer dritten Fremdsprache bessere Noten für das Abitur in Aussicht stehen oder es ausreicht, nur eine Fremdsprache in der Oberstufe fortzuführen. Die Lernenden vergleichen nicht nur die Fremdsprachen, sondern auch den Unterricht und ihre Kompetenzen in beiden Sprachen. Ihre Selbsteinschätzung fällt dabei zumeist zugunsten des Englischen aus, da sie sich in dieser Sprache sicherer fühlen. Während sie sich am Ende der Sekundarstufe I im Englischen bereits über komplexe Sachverhalte ausdrücken können, werden die im Französischen oder Spanischen vergleichsweise großen Defizite beklagt, da sie sich nicht in der Lage fühlen, über die Themen, die sie interessieren, zu kommunizieren. Der Rückgriff auf die zweite Fremdsprache führt aus ihrer Sicht häufig entweder nicht zu den gewünschten kommunikativen Erfolgen oder sie wird aufgrund der alternativen Sprache Englisch gar nicht verwendet. Auch diese Erfahrungen haben zur Folge, dass die Sprachen nicht als gleichwertig wahrgenommen werden, sondern das Englische priorisiert wird. Diese Befunde sprechen dafür, dass das Nebeneinander und vor allem Nacheinander der Fremdsprachen das Problem der motivationalen Interferenz (vgl. Düwell 2002) verstärken - mehr noch, dass „das getrennte Lernen und Unterrichten von Sprachen und das unterschiedliche Prestige der Sprachen eines Individuums tendenziell die Ausbildung des Bewusstseins einer mehrsprachigen und mehrkulturellen Kompetenz […] behindern“ (Caspari 2017: 211). Wenngleich also das Primat des Englischen als lingua franca anzuerkennen ist, ist die immer wieder vielfach beschworene Konkurrenz zwischen Französisch und Spanisch demnach vielmehr eine zwischen Englisch und den zweiten Fremdsprachen, aus der sich die Frage ergibt, wie diese neben Englisch bestehen können. Die Anwendungsmöglichkeiten der zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch sind vielen SchülerInnen ebenso wie die Vorteile mehrsprachiger Kompetenzen häufig nicht bewusst und wenn, dann richten sich diese nur vage auf noch ungewisse berufliche Perspektiven. Es genügt demnach nicht, auf mögliche zukünftige Vorzüge der Kenntnis mehrerer Sprachen zu verweisen. Die Potenziale eines mehrsprachigen Repertoires müssen möglichst früh, auch für ihr gegenwärtiges Leben bewusst und erfahrbar gemacht werden. Wo diese Einsicht gelingt, ist auch die Bezugnahme zum Fach positiver. So finden sich in den Ergebnissen der Untersuchung durchaus Sichtweisen, welche die Dominanz des Englischen kritisch hinterfragen und den Mehrwert von Kompetenzen in verschiedenen (Fremd-)Sprachen für die eigene (berufliche) Zukunft erkennen. 8.1 Einordnung der Ergebnisse 299 <?page no="300"?> 300 8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse Um diese Unterschiede in den Haltungen innerhalb einer Lerngruppe besser zu verstehen, sind empirische Studien nötig, die die zugrundeliegenden Ursachen genauer beleuchten und der Frage nachgehen, wie das Bewusstsein für mehrsprachige Kompetenzen aller SchülerInnen stärker gefördert werden kann. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen bereits nach den ersten Lernjahren einen Bruch erkennen, was wiederum im Verantwortungsbereich des Unterrichts selbst liegt. Neben bekannten Ansätzen und Vorschlägen wie einer veränderten Sprachenfolge (vgl. u. a. Meißner et al. 2008), einem Gesamtsprachencurriculum (vgl. u. a. Hufeisen 2011), Überlegungen zur durchgängigen Sprachbildung (vgl. Caspari 2017) sowie Neuregelungen für eine gymnasiale Oberstufe mit zwei fortgeführten Fremdsprachen (vgl. Bär 2017), die ohne Zweifel weitergedacht und -verfolgt werden sollten, ist zu diskutieren, inwieweit auch die Methodik des Unterrichts in den zweiten Fremdsprachen grundsätzlich kritisch geprüft und neu geordnet werden sollte. Sprachenvernetzendes und sprachenübergreifendes Lernen 11 (vgl. u. a. ThILLM 2006; Candelier et al. 2009; Hallet 2015) fördert die Nutzung von Synergieeffekten zwischen den verschiedenen Einzelsprachen und damit die systematische Ausbildung individueller Mehrsprachigkeitsprofile. Die Berücksichtigung der beiden transversalen Kompetenzen Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz in den Nationalen Bildungsstandards für die Sekundarstufe II (vgl. KMK 2012) ist dabei ein wichtiger Schritt, dessen Umsetzung in der Praxis durch entsprechende Unterrichtskonzepte noch in den Anfängen steckt und einer empirischen Begleitforschung bedarf. Hier ist auch das Fach Englisch gefragt. So heißt es bspw. im Kernlehrplan des Landes Nordrhein-Westfalen zu den Aufgaben und Zielen des Englischunterrichts, einen Beitrag zur Ausbildung individueller Mehrsprachigkeitsprofile zu leisten sowie die Basis für das Erlernen von weiteren (Fremd-)Sprachen zu bilden (vgl. MSW NRW 2007: 12). Vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse ist zu hinterfragen, ob dies bislang gelingt. Zur Beantwortung der Frage, inwieweit der Englischunterricht diesem Anspruch gerecht wird bzw. werden kann, bedarf es im Rahmen weiterer Untersuchungen einer empirischen Überprüfung. Erste Ansätze, die aufzeigen, wie sich eine engere Vernetzung des Englisch- und Spanischunterrichts unterrichtspraktisch gestalten lässt, liegen vor (vgl. u. a. Leitzke-Ungerer et al. 2012; Grünewald & Sass 2014). Sie machen deutlich, dass es nicht darum geht, „Unterschiede zwischen den Sprachen bzw. den beiden Fächern zu relativieren oder gar zu negieren, sondern die Schülerinnen und 11 Das Bundesland Thüringen führte zum Schuljahr 2019/ 20 in der Klassenstufe 9 an Gymnasien ein neues Wahlpflichtfach „Sprachen und Sprachenlernen“ ein (vgl. TMBJS 2018). <?page no="301"?> Schüler gemäß dem Motto ‚Same same but different‘ sowohl für Gemeinsamkeiten[,] aber auch für entscheidende Kontraste zu sensibilisieren“ (Grünewald & Sass 2014: 36). Darüber hinaus sollten auch die wahrgenommenen Unterschiede zwischen dem Erlernen der ersten und zweiten Fremdsprache sowie die damit einhergehenden Kompetenzunterschiede Teil der Reflexion über Sprachenlernen werden. Auch mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze, wie bspw. interkomprehensionsbasierte Verfahren (vgl. u. a. Bär 2009; Prokopowicz 2017), versprechen eine gezieltere Nutzung bereits vorhandener sprachlicher Ressourcen, um insbesondere die rezeptiven zielsprachigen Kompetenzen zu fördern. Gleichzeitig müssen sich der Französisch- und Spanischunterricht durch ein neues Profil vom Englischunterricht abheben. Dafür sprechen die Befunde der Arbeit, denn sie zeigen, dass durch die Folie des Englischunterrichts zu viele methodische als auch inhaltliche Redundanzen entstehen, die als ermüdend und wenig motivierend wahrgenommen werden. Anders als Englisch wird die zweite Fremdsprache eben nicht als lingua franca wahrgenommen und gelernt, was in der Unterrichtsentwicklung künftig mehr zu berücksichtigen ist. So sind bspw. die Themen im Unterricht der zweiten Fremdsprachen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen, um Redundanzen zu vermeiden, und die Inhalte noch stärker als bislang an den kommunikativen Bedürfnissen der Lernenden auszurichten, um sie auf die Bewältigung lebensweltlich bedeutsamer Handlungssituationen vorzubereiten. Dann wäre zu untersuchen, inwieweit eine schnellere Progression möglich und eine Verbesserung der Unterrichtswahrnehmung sowie Selbsteinschätzung der SchülerInnen die Folge wäre. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls auf die Rolle der Lehrwerke im Unterricht der zweiten Fremdsprachen hinzuweisen. Aus den interpretierten Daten geht hervor, dass das Lehrbuch als Leitmedium nach wie vor eine zentrale Rolle einnimmt und die Inhalte sowie die Progression im Unterricht maßgeblich mitbestimmt. Die verbreitete Unzufriedenheit der Lernenden erfordert jedoch ein Umdenken, mangelt es doch offenbar häufig an authentischen, altersgerechten und die Lernenden ansprechenden Themen. Insofern stellt sich die Frage, ob die Lehrwerke die o. g. bestehenden Differenzen zwischen dem Lernen der ersten und zweiten Fremdsprache möglichweise begünstigen und verstärken. Ein Blick auf die Lehrwerkforschung offenbart, dass Lehrwerke und ihr Einsatz im Unterricht trotz ihrer zentralen Stellung bislang nur wenig erforscht sind (vgl. Elsner 2016). Zukünftig wäre zu untersuchen, inwieweit bspw. die Lehrwerke der ersten Fremdsprache Englisch sowie der zweiten Fremdsprachen inhaltlich und methodisch aufeinander abgestimmt sind. Entsprechende Defizite und Reserven sind aufzudecken und in der Lehrwerkentwicklung zu berücksichtigen. Auch die Frage, inwieweit mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze Einzug in neuere Lehrwerkgenerationen gefunden haben, bedarf einer dringenden Untersuchung. 8.1 Einordnung der Ergebnisse 301 <?page no="302"?> 302 8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse 8.2 Kritische Reflexion des Forschungsprozesses Um dem Gütekriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit Rechnung zu tragen, sind neben der Offenlegung der Bedingungen von Aufbau und Ablauf der Untersuchung auch eine selbstkritische Betrachtung möglicher Einschränkungen und Probleme vonnöten (vgl. Steinke 2000: 325). Diese im Forschungsprozess auftretenden critical incidents dienen während der Datenerhebung und -auswertung als Grundlage für reflektierte Modifikationen des methodischen Vorgehens (vgl. Prokopowicz 2017: 341). Sie sind aber auch für die Einordnung und Bewertung der entstandenen Ergebnisse unabdingbar. Gleichzeitig können die hier gesammelten Erfahrungen als Ausgangspunkt für Lösungsansätze in künftigen Forschungsprojekten fruchtbar gemacht werden. Trotz der Berücksichtigung forschungsethischer Fragestellungen während des gesamten Forschungsprozesses und des Credos, die Verantwortung gegenüber den an der Untersuchung beteiligten Personen stets an erster Stelle zu berücksichtigen, ist die Menge der erhobenen Daten einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Legutke und Schramm (2016: 109) weisen darauf hin, „dass es angesichts der von den Forschungspartnern investierten Zeit und Mühe nicht gerechtfertigt erscheint, Daten zu erheben, die anschließend nicht ausgewertet werden“. Qualitative Verfahren bergen die Gefahr, verhältnismäßig schnell schwer zu bewältigende Datenmengen zu erzeugen, in deren Folge sogenannte Datenfriedhöfe entstehen (vgl. Brüsemeister 2008: 146 f.). Gleichzeitig verlangt das Sampling eine gewisse Sättigung, die bei der Datenerhebung mitzudenken ist.Die Sichtung des Materials und die Erstellung thematischer Verläufe führten schließlich zu der Einsicht, dass nicht alle SchülerInnentexte, Interviews und Gruppendiskussionen gleichermaßen geeignet für die Datenauswertung waren. Das heißt, aufgrund der Fallauswahl sowie der Qualität der Daten erfuhren nicht alle Daten die gleiche Berücksichtigung. Gerade die Anzahl der erhobenen SchülerInnentexte wirft vor dem Hintergrund ihres im Rahmen der Untersuchung weitgehend ungenutzten Potenzials Fragen auf, wie die Forscherin der Verantwortung gegenüber den SchülerInnen hier besser hätte gerecht werden können. Obwohl anfangs auch die Texte der an den ausgewählten Gruppendiskussionen beteiligten Personen in die Datenauswertung einbezogen werden sollten, zeigte sich im Laufe des Forschungsprozesses, dass eine detaillierte Auswertung durch eine einzige Forscherin nicht praktikabel gewesen und die dokumentarische Methode an ihre Grenzen gestoßen wäre. Ein Fragebogen zur Erhebung der Einstellungen wäre unter forschungsökonomischen Gesichtspunkten eine denkbare Alternative gewesen, um einen Einstieg ins Feld zu ermöglichen und eine Grundlage für die Auswahl der InterviewteilnehmerInnen <?page no="303"?> 8.2 Kritische Reflexion des Forschungsprozesses 303 zu gewinnen. Dennoch zeigen die entstandenen Produkte, dass diese zusätzliche Form der Datenerhebung Einsichten in die zum Teil sehr persönlichen Sichtweisen der Lernenden ermöglicht, die sich durch Fragebögen nicht erheben lassen. Vieles spricht also dafür, das Instrument der bildgestützten, offenen SchülerInnenbefragung weiterzudenken, weiterzuentwickeln und eine Auseinandersetzung mit geeigneten Auswertungsverfahren anzustoßen. Auf die Potenziale und Grenzen der Schülersicht wurde bereits im Kapitel 3.1 ausführlich eingegangen. Mit Verweis auf die vorgestellten Ergebnisse sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Lernenden durchaus in der Lage sind, sich differenziert und reflektiert zu ihrem erlebten Unterricht zu äußern, und sie mit ihren Sichtweisen insofern als ExpertInnen für Unterricht anzuerkennen und ernst zu nehmen sind. Gleichzeitig stößt die Konzentration auf die Schülersicht dort an ihre Grenzen, wo es um Aussagen über die Unterrichtswirklichkeit geht. Die Ergebnisse offenbaren die subjektive Realität der SchülerInnen, erheben jedoch keineswegs den Anspruch einer objektiven „Wahrheit“. Dies impliziert, dass sie auch nicht „als Bloßstellung oder Abstrafung der Lehrkräfte“ (Grewe et al. 2007: 182) zu verstehen sind. Vielmehr kann und sollte die Sicht der Lernenden gezielt als Instrument der Unterrichtsentwicklung begriffen werden (vgl. Kap. 8. 3). Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen in vielen Bereichen die Probleme des Unterrichts in den zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch auf, was nicht zuletzt auch auf das Sampling zurückzuführen ist. So wurden gezielt Interviews und Gruppendiskussionen zur Darstellung gebracht, bei denen sich Prozesse der fachbezogenen Abwendung erkennen lassen. Dieser Entscheidung lag das Bestreben zugrunde, das Phänomen der Abwahl im Zusammenhang mit dem Unterrichtserleben der SchülerInnen genauer zu untersuchen. Obwohl damit generalisierbare Erkenntnisse gewonnen werden konnten, die wesentlich für das Unterrichtserleben im Französisch- und Spanischunterricht sind, lässt die Beschränkung auf eine begrenzte Fallzahl, wie sie für qualitative Untersuchungen unabdingbar ist, auch die Grenzen im Hinblick auf die Reichweite der Studie deutlich werden. Denn auch wenn in den vorliegenden Daten positive Lernerfahrungen und Prozesse der fachbezogenen Hinwendung herausgearbeitet werden konnten, die zeigen, dass bereits zahlreiche Ansätze im Unterricht Anwendung finden, die die Bezugnahme zum Lernen der zweiten Fremdsprachen positiv beeinflussen, war es im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht möglich, diese ohne Zweifel ebenso wichtige Perspektive durch zusätzliche Fallanalysen kontrastierend einzubeziehen. <?page no="304"?> 304 8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse 8.3 Ausblick Auffällig ist die verbreitete Unsicherheit und Unkenntnis einiger an der Untersuchung beteiligter Lehrkräfte in Bezug auf die Meinungen ihrer SchülerInnen. So zeigten Gespräche am Rande der Untersuchung sowie das große Interesse an den Ergebnissen der Arbeit, dass bei der Evaluation, Reflexion und Entwicklung des eigenen Unterrichts die Schülerperspektive weitgehend unberücksichtigt bleibt. Offenbar wissen die Lehrkräfte häufig überhaupt nicht, was ihre Lernenden über den Unterricht denken. Nach wie vor liegt das „Beurteilungsmonopol“ vielfach bei den Lehrkräften. Differenziertes SchülerInnenfeedback kann jedoch einen wesentlichen Beitrag leisten, die Lernenden in Bezug auf die Unterrichtsplanung und -durchführung noch stärker mit in die Verantwortung zu nehmen, um ihre Motivation und damit auch die Bedeutung der zweiten Fremdsprachen in den Köpfen der SchülerInnen zu stärken. Neben verschiedenen Ansätzen, die das Instrument des Fragebogens zur Evaluation des Unterrichts einsetzen 12 , bietet auch die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zur Datenerhebung genutzte Methode der bildgestützten, schriftlichen SchülerInnenbefragung die Möglichkeit, die Sichtweisen der Lernenden zu erfassen und als Ausgangspunkt für die Reflexion über das eigene Sprachenlernen zu nutzen. Wie lerne ich Fremdsprachen? Warum lerne ich Fremdsprachen? Welche Bedeutung haben die Fremdsprachen für mich? Wie erlebe ich den Fremdsprachenunterricht? Diese und weitere Fragestellungen können und sollten im Unterricht thematisiert werden, um ein Nachdenken über Sprachen und Sprachenlernen anzuregen und damit die Sprachlernbewusstheit der SchülerInnen gezielt zu fördern. Jakisch weist zu Recht darauf hin, dass Bemühungen zur Förderung der Mehrsprachigkeit alle am Fremdsprachenlernen Beteiligten einbeziehen müssen: „Denn was aus fremdsprachendidaktischer Perspektive als erstrebenswert gilt, muss von den Akteuren des schulischen Handlungsfeldes nicht zwangsläufig in gleicher Weise begrüßt werden.“ ( Jakisch 2015: 21) Umso wichtiger erscheint hier deshalb auch die enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis. Schülerwahrnehmungen des Unterrichts können ein wichtiger Ansatzpunkt zur Verbesserung der Unterrichtsqualität sein, wenn die Daten entsprechender Untersuchungen nicht nur für Forschungszwecke verwendet, sondern auch den Lehrkräften zur Verfügung gestellt werden. (Ditton 2002: 283) 12 Stellvertretend sei hier auf das Projekt „SEfU - Schüler als Experten für Unterricht“ verwiesen, ein onlinebasiertes Feedback-System für LehrerInnen, das vom Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur entwickelt wurde (vgl. Kämpfe 2009). <?page no="305"?> 8.3 Ausblick 305 In diesem Sinne versteht sich auch die vorliegende Studie als datengestütztes und datenbegründetes Plädoyer für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis. Denn nur wenn es gelingt, die für beide Seiten gleichermaßen drängenden Fragen gemeinsam anzugehen, lassen sich Antworten finden, von denen alle am Fremdsprachenlernen, -lehren und -forschen beteiligten Personen profitieren können. <?page no="307"?> 8.3 Ausblick 307 9. 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Anmerkungen zu parasprachlichen, nicht-verbalen oder gesprächsexternen Ereignissen (lachend) lachend gesprochen Mhm Hörersignale Wesent- Abbruch eines Wortes / Abbruch eines Satzes / / oder/ / überlappende Redebeiträge (Wort) Unsicherheit bei der Transkription BWF? Unsicherheit bei dem Sprecher/ der Sprecherin (.) Pause, ca. 1 Sekunde (..) Pause, ca. 2 Sekunden (…) Pause, ca. 3 Sekunden (4) Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert <?page no="330"?> 330 10. Anhang 10.2 Fremdsprachendidaktische Studien zur Erforschung der Schülersicht AutorIn, Jahr Erkenntnisinteresse Fremdsprache(n) Bildungsgang Jg.-stufe Methodischer Zugang Macht; Schröder, 1976 Sprachlernerfahrung, Sprachlernbedürfnis und Einstellung zu Fremdsprachen Engl., Frz., Gr., Ital., Lat., Ru., Spa. Stud. - Fragebogen Piepho, 1976 Einstellungen zum Fremdsprachenlernen Engl. GeS 7, 9 Fragebogen Düwell, 1979 Motivation, Einstellungen, Interesse von Fremdsprachenlernenden Frz., Engl. GeS, GY 8, 10 Fragebogen Hermann-Brennecke; Candelier, 1993 Gründe für das Wahl-/ Abwahlverhalten; Fremdsprachelernerfahrungen Engl., Frz., Lat. HS, RS, GeS, GY 8 Fragebogen Apelt; Koernig, 1994 Affektivität im Fremdsprachenunterricht Engl. GeS, GY 7-10 Fragebogen, Interview Edmondson, 1996 Fremdsprachliche Lernerfahrungen & Motivation sprachen-übergreifend Stud. - Lernbiographien Kallenbach, 1996 Subjektive Theorien über das Fremdsprachenlernen Engl., Frz., Lat., Ru., Spa. GY 12 Interview Börner, 2000 Lernermeinungen zu Grammatikübungen Engl., Frz., Ital., Port., Spa Stud. - Laut-Denk-Protokolle; Interview Burk et al., 2001 Meinungen zu schulischen Fremdsprachen & Lernerlebnisse Engl., Frz., Ru., Spa Stud. - Fragebogen Bittner, 2003 Gründe für das Wahl-/ Abwahlverhalten; Fremdsprachelernerfahrungen Frz. GY 10 Fragebogen Caspari, 2005 Motive für die Wahl von Frz. als 1. FS Frz. GS 3 Interview Holder, 2005 Fähigkeitsselbstkonzept & Leistungsmotivation Engl., Frz. Schweiz 5-9 Fragebogen Klieme et al., 2006 Wahrnehmung der Unterrichtsqualität Engl. HS, RS, GeS, GY 9 Fragebogen Küster, 2007 Schülermotivation und Unterrichtsalltag Frz. GY 9-11 Fragebogen Niggli et al., 2007 Fachdidaktische Determinanten von Leistung und Interesse im Fremdsprachenunterricht Frz. Schweiz 8 Fragebogen Zydatis, 2007 Einstellungen zum Fremdsprachenlernen & -unterricht Engl. GY, RS 10 Fragebogen Meißner et al., 2008 Einstellungen & Motivation zum Fremdsprachenlernen Engl., Frz., Spa. HS, RS, GeS, GY 5, 9 Fragebogen Schumann & Poggel, 2008 Frankreichbild deutscher Jugendlicher Frz. GeS, Gym. 7-10 Fragebogen Cronjäger, 2009 Emotionales Erleben im Französischunterricht Frz. GY 6 Fragebogen Heinzmann, 2009 Geschlechterstereotype, Motivation und Fremdsprachenlernen Engl. Schweiz 3 Fragebogen Sambanis, 2009 Stärken und Schwächen des Fremdsprachenunterrichts Engl., Frz. HS, RS 5,7,8 Fragebogen Gnutzmann et al. 2012 Einstellungen zu Englisch als Verkehrssprache in Europa Engl. Stud. - Fragebogen Fuchs, 2013 Geschlechterunterschiede, Motivation, Selbstkonzept, Interesse Engl. RS 8, 9 Fragebogen Trautmann, 2014 Fremdsprachliche Identitätskonstruktion Engl., Frz., Spa. GeS, GY 11-13 Interview Bauer, 2015 Sinnkonstruktion beim Englischlernen Engl. GY 11-13 Interview Beckmann, 2016 Einstellungen zum Fremdsprachenlernen Engl., Frz., Spa. GY, Stud. 12, 13 Fragebogen Hoffmann, 2017 Motivation, Motivationsprozesse Frz. GY 11 Interview Venus, 2017 Einstellungen zum Französischlernen Frz. GY, RS 8-10 Fragebogen <?page no="331"?> 10.2 Fremdsprachendidaktische Studien zur Erforschung der Schülersicht 331 10.2 Fremdsprachendidaktische Studien zur Erforschung der Schülersicht AutorIn, Jahr Erkenntnisinteresse Fremdsprache(n) Bildungsgang Jg.-stufe Methodischer Zugang Macht; Schröder, 1976 Sprachlernerfahrung, Sprachlernbedürfnis und Einstellung zu Fremdsprachen Engl., Frz., Gr., Ital., Lat., Ru., Spa. Stud. - Fragebogen Piepho, 1976 Einstellungen zum Fremdsprachenlernen Engl. GeS 7, 9 Fragebogen Düwell, 1979 Motivation, Einstellungen, Interesse von Fremdsprachenlernenden Frz., Engl. GeS, GY 8, 10 Fragebogen Hermann-Brennecke; Candelier, 1993 Gründe für das Wahl-/ Abwahlverhalten; Fremdsprachelernerfahrungen Engl., Frz., Lat. HS, RS, GeS, GY 8 Fragebogen Apelt; Koernig, 1994 Affektivität im Fremdsprachenunterricht Engl. GeS, GY 7-10 Fragebogen, Interview Edmondson, 1996 Fremdsprachliche Lernerfahrungen & Motivation sprachen-übergreifend Stud. - Lernbiographien Kallenbach, 1996 Subjektive Theorien über das Fremdsprachenlernen Engl., Frz., Lat., Ru., Spa. GY 12 Interview Börner, 2000 Lernermeinungen zu Grammatikübungen Engl., Frz., Ital., Port., Spa Stud. - Laut-Denk-Protokolle; Interview Burk et al., 2001 Meinungen zu schulischen Fremdsprachen & Lernerlebnisse Engl., Frz., Ru., Spa Stud. - Fragebogen Bittner, 2003 Gründe für das Wahl-/ Abwahlverhalten; Fremdsprachelernerfahrungen Frz. GY 10 Fragebogen Caspari, 2005 Motive für die Wahl von Frz. als 1. FS Frz. GS 3 Interview Holder, 2005 Fähigkeitsselbstkonzept & Leistungsmotivation Engl., Frz. Schweiz 5-9 Fragebogen Klieme et al., 2006 Wahrnehmung der Unterrichtsqualität Engl. HS, RS, GeS, GY 9 Fragebogen Küster, 2007 Schülermotivation und Unterrichtsalltag Frz. GY 9-11 Fragebogen Niggli et al., 2007 Fachdidaktische Determinanten von Leistung und Interesse im Fremdsprachenunterricht Frz. Schweiz 8 Fragebogen Zydatis, 2007 Einstellungen zum Fremdsprachenlernen & -unterricht Engl. GY, RS 10 Fragebogen Meißner et al., 2008 Einstellungen & Motivation zum Fremdsprachenlernen Engl., Frz., Spa. HS, RS, GeS, GY 5, 9 Fragebogen Schumann & Poggel, 2008 Frankreichbild deutscher Jugendlicher Frz. GeS, Gym. 7-10 Fragebogen Cronjäger, 2009 Emotionales Erleben im Französischunterricht Frz. GY 6 Fragebogen Heinzmann, 2009 Geschlechterstereotype, Motivation und Fremdsprachenlernen Engl. Schweiz 3 Fragebogen Sambanis, 2009 Stärken und Schwächen des Fremdsprachenunterrichts Engl., Frz. HS, RS 5,7,8 Fragebogen Gnutzmann et al. 2012 Einstellungen zu Englisch als Verkehrssprache in Europa Engl. Stud. - Fragebogen Fuchs, 2013 Geschlechterunterschiede, Motivation, Selbstkonzept, Interesse Engl. RS 8, 9 Fragebogen Trautmann, 2014 Fremdsprachliche Identitätskonstruktion Engl., Frz., Spa. GeS, GY 11-13 Interview Bauer, 2015 Sinnkonstruktion beim Englischlernen Engl. GY 11-13 Interview Beckmann, 2016 Einstellungen zum Fremdsprachenlernen Engl., Frz., Spa. GY, Stud. 12, 13 Fragebogen Hoffmann, 2017 Motivation, Motivationsprozesse Frz. GY 11 Interview Venus, 2017 Einstellungen zum Französischlernen Frz. GY, RS 8-10 Fragebogen <?page no="332"?> 332 10. Anhang 10.3 Bildgestützter Kurzaufsatz I (Pia) Abbildung 10: Dimensionen des Unterrichtserlebens © Libellud, Illustration: Marie Cardouat Unterrichtserleben Fachliche Bezugnahme als dynamischer Prozess Englisch als lingua franca Kompetenzerleben Lehrerkompetenzen und Lehrerhandeln Inhalte und Methoden © Libellud, Illustration: Marie Cardouat Auf meinem Bild sieht man ein aufgeschlagenes Buch, worauf ein Ritter mit Pferd steht. In dem Buch taucht ein großes, dunkles Loch auf, aus dem ein Arm eines Monsters erscheint. Der Ritter bleibt erstaunt. Obwohl ich in Französisch auf 1 stehe, ist es jedoch ein großes Grauen für mich. Wenn ich höre, dass wieder über 100 Vokabeln gelernt werden müssen, könnte ich abtreten. Denn dann muss ich mich das ganze Wochenende mit rumschlagen, da ich im Hinterkopf die ganze Zeit die Vokabeln habe. Dienstag die ersten zwei Stunden Französisch sind ganz schlimm. Allein wenn ich meine Lehrerin schon höre, habe ich keine Lust mehr. Müde und lustlos sitze ich dann da. Früher habe ich diese Sprache echt geliebt, war auch selbst in Frankreich, so dass ich viel von der Sprache lernen konnte. Aber mit dem Alter kommt die Lustlosigkeit und mit ihr der Kampf um eine gute Note. Ich identifiziere mich deshalb mit dem Ritter, der bewaffnet in den Kampf zieht. Vor ihm das große Loch der Leere. Das Monster symbolisiert für mich die grausame Seite dieser Sprache. Ich kann noch so gut sein. Französisch und ich werden in diesem Leben keine Freunde. Französisch habe ich abgewählt und freue mich schon auf <?page no="333"?> 10.4 Bildgestützter Kurzaufsatz II (Max) 333 die nächsten zwei Schuljahre ohne diese Sprache. Ich ziehe vom Schlachtfeld und gönne ihr den Sieg, liebend gerne sogar. Anfangs war diese Sprache ein Kinderspiel, aber nach 7 Jahren hängt es mir zum Halse raus. Vor allem weil sich der Unterrichtsstoff ständig wiederholt. Kurz gesagt, für manch einen mag die Sprache genial sein, aber für mich ist sie eine Qual. In zwei Wochen heißt es „Au revoir français“. Auf dass ich Französisch nur im Notfall benutzen muss. 10.4 Bildgestützter Kurzaufsatz II (Max) © Libellud, Illustration: Marie Cardouat © Libellud, Illustration: Marie Cardouat Ich habe das Bild gewählt, in dem man einen Hahn und sechs Küken sieht. Diese befinden sich vor einem halb aufgebrochenen Ei im Hintergrund. In diesem Ei befindet sich ein Junge, der heraus „lunzt“. Mit diesem Jugendlichen würde ich mich identifizieren. Meine Motivation gegenüber dem Spanischunterricht ist lehrerabhängig. Ist meine Motivation nicht vorhanden, sind meine Leistungen auch dementsprechend. Ich bräuchte jemanden, der es interessant gestaltet und seine Autorität dazu nutzt, mich zum Spanischlernen zu animieren. Dafür steht der Hahn. Die Anderen laufen vor Spanisch weg und haben keine Lust darauf. <?page no="334"?> 334 10. Anhang Ich jedoch hätte eine positive Einstellung, aber die gegebenen Umstände sorgen für das Gegenteil. Ich denke, dass durch die Probleme, die uns von der Schule in den Weg gelegt wurden, viel Potenzial verloren gegangen ist. <?page no="335"?> 10.4 Bildgestützter Kurzaufsatz II (Max) 335 11. Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Entwicklung der Lernerzahlen für das Fach Französisch an allgemeinbildenden Schulen in Prozent . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Abbildung 2: Vergleich der prozentualen Lernerzahlen für das Fach Französisch an Gymnasien nach Jahrgangsstufen in den Schuljahren 2004/ 05 und 2013/ 14 (G8/ G9) . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Abbildung 3: Entwicklung der Lernerzahlen für Französisch und Spanisch in der Sekundarstufe II an Gymnasien in Prozent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Abbildung 4: Vergleich der prozentualen Lernerzahlen für das Fach Spanisch an Gymnasien nach Jahrgangsstufen in den Schuljahren 2004/ 05 und 2013/ 14 (G8/ G9) . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Abbildung 5: Entwicklung der Motivation zwischen den Jahrgangsstufen 8 und 10 im Fach Französisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Abbildung 6: Überblick über die Methoden der Datenerhebung . . . . . . . . . 88 Abbildung 7: Aufgabenstellung für die bildgestützten Kurzaufsätze . . . . . . 89 Abbildung 8: Phasen des narrativen Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Abbildung 9: Erzählaufforderung aus dem narrativen Interview . . . . . . . . 101 Abbildung 10: Dimensionen des Unterrichtserlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 <?page no="336"?> 336 11. Abbildungsverzeichnis 12. Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Entwicklung der Lernerzahlen für das Fach Französisch in der Sekundarstufe II an Gymnasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Tabelle 2: SchülerInnen nach ausgewählten erlernten Fremdsprachen in den Schuljahren 2004/ 05 und 2014/ 15 an allgemeinbildenden Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Tabelle 3: Gründe für die Abwahl des Faches Französisch . . . . . . . . . . . . . . . 55 Tabelle 4: Übersicht über die erhobenen Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 <?page no="337"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidak�k Französisch und Spanisch gehören nach Englisch zu den beliebtesten Schulfremdsprachen in Deutschland. Dennoch lernen immer weniger SchülerInnen die zweite Fremdsprache bis zum Abitur. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, wie SchülerInnen ihren Französischbzw. Spanischunterricht erleben. Anhand von vier Fallanalysen rekonstruiert die Autorin, welche Bedeutung SchülerInnen dem Erlernen der zweiten Fremdsprache am Ende der Sekundarstufe I zuschreiben und welche Dimensionen des Unterrichtserlebens die Bezugnahme zum Fach beeinflussen. ISBN 978-3-8233-8408-3
