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Dolmetschen im Medizintourismus

Anforderungen und Erwartungen an DolmetscherInnen in Deutschland und Österreich

0215
2021
978-3-8233-9472-3
978-3-8233-8472-4
Gunter Narr Verlag 
Katia Iacono

Deutschland und Österreich sind aufgrund ihrer medizinischen Standards beliebte Zielländer für internationale PatientInnen, die nach einer Zweitmeinung zu einer Diagnose bzw. zu einem Therapievorschlag oder einer speziellen medizinischen Behandlung suchen. Der finanzielle und organisatorische Aufwand medizinischer Reisen führt zu hohen Erwartungen der PatientInnen an die Behandlung und an alle beteiligten AkteurInnen. In diesem Kontext werden DolmetscherInnen häufig zu Hauptansprechpersonen der PatientInnen, die sich an sie mit zusätzlichen organisatorischen Wünschen wenden. Dieser Band untersucht die Erwartungen und das erweiterte Anforderungsprofil, mit denen DolmetscherInnen im Medizintourismus in Deutschland und Österreich konfrontiert sind. Er richtet sich an Dolmetscher:innen sowie an ÄrztInnen und VertreterInnen medizinischer Institutionen, die mit DolmetscherInnen zur Überwindung von Sprachbarrieren zusammenarbeiten.

<?page no="0"?> TRANSLATIONSWISSENSCHAFT BAND 15 DOLMETSCHEN IM MEDIZINTOURISMUS Anforderungen und Erwartungen an DolmetscherInnen in Deutschland und Österreich Katia Iacono <?page no="1"?> Dolmetschen im Medizintourismus <?page no="2"?> TRANSLATIONSWISSENSCHAFT · BAND 15 herausgegeben von Klaus Kaindl und Franz Pöchhacker (Universität Wien) Gyde Hansen (Kopenhagen) Christiane Nord (Heidelberg) Hanna Risku (Wien) Christina Schäffner (Birmingham) Robin Setton (Paris) <?page no="3"?> Katia Iacono Dolmetschen im Medizintourismus Anforderungen und Erwartungen an DolmetscherInnen in Deutschland und Österreich <?page no="4"?> © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 1614-5909 ISBN 978-3-8233-8472-4 (Print) ISBN 978-3-8233-9472-3 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0267-4 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 9 1 13 1.1 13 1.2 19 1.3 22 1.4 24 1.5 26 1.5.1 27 1.5.2 28 1.5.3 30 1.5.4 33 1.6 34 1.7 38 1.8 40 1.9 42 2 45 2.1 45 2.1.1 48 2.1.2 49 2.1.3 54 2.1.4 60 2.2 64 2.3 71 2.4 77 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen . . . . . . . . . . . Begriffsdefinition und -abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die wirtschaftliche Bedeutung des Medizintourismus . . . . . . . Der Medizintourismus innerhalb der Europäischen Union . . . Beweggründe für medizinische Reisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das medizintouristische Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art der medizinischen Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . Dienstleistungskette im Medizintourismus . . . . . . . . . . Stakeholder im Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Internet und die Suche nach dem passenden Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . PatientInnentypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtliche Aspekte des Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . Ethik und Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medizin und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Beziehung zwischen ÄrztIn und PatientIn . . . . . . . Institutionelle Kommunikation und Struktur der medizinischen Gespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesprächsformen und Textsorten der medizinischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ethnomedizinische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachbarrieren im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rollen und Aufgaben der DolmetscherInnen in der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sichtbarkeit der DolmetscherInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 2.5 79 2.6 88 2.7 91 3 95 3.1 95 3.1.1 95 3.1.2 97 3.2 105 3.2.1 105 3.2.2 108 3.2.3 109 3.2.4 110 3.2.5 111 3.2.6 112 3.2.7 114 3.2.8 115 3.3 120 4 123 4.1 124 4.1.1 125 4.1.2 131 4.2 141 4.3 147 4.4 153 5 155 5.1 156 5.2 159 5.2.1 160 5.2.2 162 5.2.3 165 5.3 166 Forschung zum Dolmetschen im Medizintourismus . . . . . . . . Professionelles translatorisches Handeln im Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen . . . . . . . . . . . . . . Erwartungen an DolmetscherInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwartungen an die Qualität der Leistung . . . . . . . . . . . Erwartungen an das Aufgabenprofil und an die Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen an DolmetscherInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dolmetschkompetenzmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprach- und Kulturkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Translatorische Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereitungs- und terminologische Kompetenz . . . . . Sachkompetenz und institutionelle Kompetenz . . . . . . Ethische Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozial- und Individualkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Businesskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsdesign der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phase 1 - Ethnografische Feldforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die teilnehmende, verdeckte Beobachtung . . . . . . . . . . Die ethnografischen Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phase 2 - Expertinneninterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phase 3 - Online-Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gütekriterien der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtung: Art der medizinischen Reise . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtung: Erwartete und in Anspruch genommene Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor der medizinischen Reise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Während der medizinischen Reise . . . . . . . . . . . . . . . . . Nach der medizinischen Reise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interviews: Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 5.4 179 5.5 187 5.6 195 6 199 6.1 200 6.2 210 6.3 217 6.4 223 6.5 228 6.6 237 6.6.1 237 6.6.2 242 6.6.3 244 6.6.4 245 6.7 246 7 249 7.1 249 7.2 259 7.2.1 259 7.2.2 266 7.2.3 270 7.2.4 277 7.2.5 281 7.3 285 7.3.1 285 7.3.2 289 7.4 295 7.5 300 Interviews: Erwartungen an die Qualität und Leistungen . . . . Interviews: Anforderungen an DolmetscherInnen . . . . . . . . . . Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rahmenbedingungen: Dolmetschen im Medizintourismus . . . Aufgabenprofil der DolmetscherInnen im Medizintourismus Zufriedenheit mit der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiede zu im Zielland ansässigen anderssprachigen PatientInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen an DolmetscherInnen im Medizintourismus . Weitere thematisierte Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dilemmata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zwischen DolmetscherInnen und medizinischem Personal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Englisch als Lingua Franca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dolmetschen mit neuen Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnisse aus der Online-Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Demografische und allgemeine Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen . . . . Beschreibung der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . PatientInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dolmetschmodus und Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herausforderungen und Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Einstellung zum Dolmetschen im Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweig 2: Nicht im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen Beschreibung der Dolmetschtätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere thematisierte Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt <?page no="8"?> 8 301 8.1 301 8.2 306 8.3 313 8.3.1 313 8.3.2 314 8.3.3 315 8.3.4 316 8.3.5 317 8.3.6 319 8.4 319 8.5 323 329 349 351 353 355 357 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . PatientInnen und Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dolmetschaufträge im Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussfolgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medizintourismus als Untersuchungsgegenstand . . . . . Verändertes Aufgabenprofil der DolmetscherInnen . . . Mehrwert einer dolmetschvermittelten Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenwert des Englischen als Lingua Franca im Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ethische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevanz der Businesskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Implikationen für die Didaktik sowie die transdisziplinäre Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Implikationen für praktizierende DolmetscherInnen und Berufsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 1: Bildung deduktiver Kategorien nach Mayring (2010) . . . . . . . . . . . . . Anhang 2: Bildung induktiver Kategorien nach Mayring (2010) . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> Einleitung DolmetscherInnen, die die Kommunikation zwischen PatientInnen und medi‐ zinischem Personal aus unterschiedlichen Sprach- und Kulturräumen dolmet‐ schen, leisten einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der medizinischen Beratungen bzw. Behandlungen und minimieren etwaige Risiken, die aufgrund von Miss‐ verständnissen entstehen können. In den meisten Fällen zielt die verdolmetschte Kommunikation darauf ab, anderssprachigen Menschen, die der Sprache des Landes, in dem sie leben, nicht mächtig sind, Zugang zum Gesundheitswesen zu ermöglichen. Es handelt sich hierbei in der Regel um Menschen mit Migra‐ tionshintergrund der ersten oder zweiten Generation, die die Landessprache nicht oder nicht ausreichend beherrschen, um ein medizinisches Gespräch vollständig zu verstehen. In unserer globalisierten Gesellschaft gibt es aber auch Situationen, in denen PatientInnen nicht im Land der medizinischen Institution, die sie aufsuchen, wohnhaft sind. Sie reisen aus medizinischen Gründen in ein anderes Land, um sich dort einer Behandlung zu unterziehen. Innerhalb der Europäischen Union werden solche Reisen durch die Richtlinie 2011/ 24/ EU geregelt. Diese Mobilität von PatientInnen wird in der Fachliteratur mit ver‐ schiedenen Termini bezeichnet, die häufigsten im deutschsprachigen Raum sind Medizintourismus, Gesundheitstourismus und PatientInnenmobilität. Für die vorliegende Studie wurde aufgrund ihrer Verbreitung im deutschsprachigen Raum die Bezeichnung Medizintourismus gewählt. In dieser Studie wird davon ausgegangen, dass das Dolmetschen in medizintouristischen Settings einzigartige Merkmale hinsichtlich der Dol‐ metsch(dienst)leistung aufweist und sich daher vom Dolmetschen in anderen medizinischen Settings unterscheidet. So setzt die Inanspruchnahme der benö‐ tigten medizinischen Leistung eine Reise in ein anderes Land voraus, deren Organisation mit Mühen und Aufwand verbunden ist. Darüber hinaus benötigen viele PatientInnen sowohl von den VertreterInnen medizinischer Institutionen als auch von den DolmetscherInnen zusätzliche Dienstleistungen organisatori‐ scher Natur, um die medizinische Reise überhaupt bewältigen zu können. Der finanzielle und organisatorische Aufwand einer solchen Reise beeinflusst die Erwartungen der PatientInnen an die Behandlung sowie an das medizinische Personal und nicht zuletzt an die DolmetscherInnen. Dies führt wiederum zu einer Veränderung des Anforderungsprofils der DolmetscherInnen. In der vorliegenden Studie wird der Medizintourismus in den Zielländern Österreich und Deutschland untersucht. Die Wahl dieser beiden eher höherpreisigen <?page no="10"?> medizintouristischen Zielländer, die über eine gute bis sehr gute medizinische Infrastruktur verfügen, wurde aus folgenden Gründen getroffen: Auf der einen Seite ist davon auszugehen, dass die Bereitschaft, Dolmetschservices in An‐ spruch zu nehmen, und die Erwartungen an alle beteiligten AkteurInnen - auch an die DolmetscherInnen - höher sind, wenn hoch spezialisierte und zumeist kostspielige medizinische Behandlungen angestrebt werden; auf der anderen Seite verfügte die Autorin aufgrund ihrer Dolmetschtätigkeit bereits über einen Zugang zu medizintouristischen Settings in Österreich. Die Forschungsfragen der vorliegenden Studie lauten wie folgt: 1. Wie sieht das translatorische Betätigungsfeld jener DolmetscherInnen aus, die in Deutschland und Österreich im Medizintourismus arbeiten? Was ist anders im Vergleich zum klassischen medizinischen Dolmet‐ schen? 2. Welche Erwartungen und Anforderungen werden von PatientInnen und ÄrztInnen an DolmetscherInnen im Medizintourismus gestellt? Welche zusätzlichen Kompetenzen benötigen sie dafür (z. B. Managementkompe‐ tenzen, unternehmerisches Denken, spezifisch medizintouristisch-insti‐ tutionelles Wissen)? 3. Inwieweit wären DolmetscherInnen bereit, diesen Erwartungen und An‐ forderungen gerecht zu werden? Wären sie bereit, außertranslatorische Aufgaben zu erfüllen und die dazu nötigen Kompetenzen zu erwerben? Dabei werden Erwartungen wie folgt verstanden: • als explizit in der Anfrage und während der Kommunikation geäußerte Bedürfnisse und Wünsche der BedarfsträgerInnen sowie • als nicht direkt kommunizierte Bedürfnisse und Wünsche der Bedarfsträ‐ gerInnen. Als Anforderungen werden in Anlehnung an Risku (2016b: 44) die Vorausset‐ zungen für eine erfolgreiche Dolmetsch(dienst)leistung und somit hauptsäch‐ lich Kompetenzanforderungen verstanden. Die Theorie des translatorischen Handelns (vgl. Holz-Mänttäri 1984) und der pragmatische bzw. soziologische dolmetschwissenschaftliche Ansatz (vgl. u. a. Wadensjö 1998 und Roy 2000) bilden den theoretischen Rahmen der vorlie‐ genden Studie. Im Sinne des translatorischen Handelns werden Dolmetsche‐ rInnen als ExpertInnen verstanden, die den Bedarf ihrer BedarfsträgerInnen analysieren und verbalisieren, ihnen eine bedarfsgerechte Dienstleistung an‐ bieten und zur Erreichung komplexer Ziele mit anderen ExpertInnen, wie 10 Einleitung <?page no="11"?> z. B. dem medizinischen Personal, zusammenarbeiten. In ihrem translatorischen Handeln treten DolmetscherInnen als selbstbewusste ExpertInnen auf und wählen ihre Strategien mit dem Ziel, Verständigung zwischen den Gesprächs‐ teilnehmerInnen zu ermöglichen. Sie sind keine unsichtbaren AkteurInnen: Sie koordinieren die Gespräche, damit alle Beteiligten zu Wort kommen, und klären Missverständnisse, die ungeklärt zu erheblichen medizinischen Folgen führen könnten (vgl. u. a. Baraldi/ Gavioli 2012). Sie vertreten also die Interessen aller Beteiligten, ohne persönliche Vorteile anzustreben und sind somit allparteilich (vgl. Kadrić/ Zanocco 2018). Forschungsziel der vorliegenden Studie ist die Untersuchung des Dolmet‐ schens im Medizintourismus unter Berücksichtigung seiner rechtlichen, wirt‐ schaftlichen und translationswissenschaftlichen Besonderheiten. Aus recht‐ licher Sicht werden der rechtliche Rahmen, die PatientInnenrechte und ÄrztInnenpflichten beleuchtet. Aus wirtschaftlicher Sicht wird der Medizintou‐ rismus als neues Marktsegment für DolmetscherInnen untersucht; im Fokus steht die Analyse des Angebots an translatorischen und außertranslatorischen Dienstleistungen. Aus translationswissenschaftlicher Perspektive wird das Au‐ genmerk auf den Situationskontext und seine Unterschiede zu anderen medi‐ zinischen Settings - auch hinsichtlich der Bedürfnisse und Erwartungen der Beteiligten sowie der Anforderungen an die DolmetscherInnen - gelegt. Die Auseinandersetzung mit den Aufgaben und Arbeitsbedingungen der DolmetscherInnen im Medizintourismus ist sowohl für den translationswissen‐ schaftlichen Diskurs als auch für curriculare und didaktische Überlegungen sowie die weitere Entwicklung des Berufsbilds von Relevanz. Die Erfassung und Beschreibung der Erwartungen der am Situationskontext beteiligten Ak‐ teurInnen sowie der Anforderungen an die DolmetscherInnen helfen, zusätz‐ liche Kompetenzen, welche DolmetscherInnen auf dem Markt benötigen, zu identifizieren und ein umfassendes Kompetenzprofil zu erstellen. Dadurch soll angehenden DolmetscherInnen ein Berufsbild präsentiert werden, das aufgrund der hohen Erwartungen der PatientInnen und VertreterInnen der medizinischen Institutionen in vielen Fällen eine Erweiterung der Dienstleis‐ tungen und eine Veränderung der klassischen Aufgaben und Kompetenzen für DolmetscherInnen mit sich bringt. Die vorliegende Studie geht zuerst näher auf den Medizintourismus ein, da dieser den Rahmen der analysierten dolmetschvermittelten Kommunika‐ tion bildet. In Kapitel 1 folgt auf eine begriffliche Definition des Terminus Medizintourismus eine Auseinandersetzung mit den Besonderheiten des Medi‐ zintourismus aus rechtlicher, wirtschaftlicher und ethischer Sicht. In diesem Zusammenhang werden die grundlegenden Merkmale der betroffenen Patien‐ 11 Einleitung <?page no="12"?> tInnen wie ihre Beweggründe beleuchtet. In Kapitel 2 liegt der Fokus auf dem Dolmetschen in medizinischen und medizintouristischen Settings. Neben einem kurzen Überblick über translationswissenschaftliche Untersuchungen des medizinischen Dolmetschens wird auf die Besonderheiten der medizini‐ schen und nicht medizinischen Kommunikation im Medizintourismus sowie auf das professionelle translatorische Handeln von DolmetscherInnen einge‐ gangen. Kapitel 3 beinhaltet eine erste theoretische Auseinandersetzung mit den Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen in medizinischen und medizintouristischen Settings. Dieser Vorstellung folgt in Kapitel 4 die Erläute‐ rung der in der Studie angewandten Forschungsmethoden, in deren Rahmen auf die einzelnen Forschungsphasen des Forschungsdesigns eingegangen wird. Die weiteren Kapitel der Arbeit beschäftigen sich mit der Analyse der Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung (Kapitel 5), den qualitativen Expertin‐ neninterviews (Kapitel 6) und der explorativen Online-Erhebung (Kapitel 7). In Kapitel 8 folgt eine Zusammenfassung aller erlangten Erkenntnisse und der sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für Forschung, Didaktik und Beruf. Die zwei Anhänge enthalten Auszüge aus der Forschungsdokumentation wie die Dokumentation der Bildung der induktiven und deduktiven Kategorien für die Inhaltsanalyse der Interviews. Eine abschließende Anmerkung zur verwendeten Sprache. In der gesamten Studie werden die Termini DolmetscherInnen und Dolmetschende nicht als Syn‐ onyme verstanden. Als DolmetscherInnen werden Menschen mit einschlägiger Ausbildung, die im Sinne des translatorischen Handelns im Kooperationsgefüge als ExpertInnen auftreten, bezeichnet: Meist sind es ausgebildete Dolmetsche‐ rInnen oder Personen, die über viel Dolmetscherfahrung verfügen und/ oder an einer Qualifizierungsmaßnahme teilgenommen haben. Die Bezeichnung Dolmetschende wird hingegen für Menschen ohne einschlägige Ausbildung und Erfahrung verwendet. Darüber hinaus wurde aus ethischen Gründen beschlossen, bei der Darstellung und Analyse der empirischen Daten auch das Geschlecht der vulnerabelsten InterviewpartnerInnen zu anonymisieren (die/ der PatientIn statt die Patientin oder der Patient), um diese zusätzlich zu schützen. 12 Einleitung <?page no="13"?> 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen Der Begriff Medizintourismus beschreibt ein Phänomen, das zwar in seiner derzeitigen Ausprägung jung und wenig erforscht ist, dennoch reicht die Idee bzw. das Konzept, eine medizinische Reise zu unternehmen, weit in die Vergangenheit zurück. So zog bereits im alten Griechenland die Stadt Epidaurus Leidende aus dem Mittelmeerraum an, die im Thermalwasser der heiligen Stätte des Gottes Asklepius Linderung suchten (vgl. Quast 2009: 14). Generell waren die PilgerInnenfahrten zu den Asklepieia, ehemaligen wichtigen griechischen Heilstätten, die sowohl über ein Sanatorium als auch über einen Tempel verfügten, sehr beliebt. Im heiligen Tempel verbrachten die Reisenden mehrere Nächte in der Hoffnung, dass Asklepios ihnen im Traum die richtige Diagnose stellen oder eine erfolgreiche Behandlungsmethode verraten würde. Ebenso beliebt waren die Reisen zu Thermal- und Badeorten (vgl. Quast 2009: 14), mit denen eine Linderung verschiedener Krankheiten beabsichtigt wurde. Medizinische Reisen bildeten fortan eine Konstante der Geschichte und wurden aus unterschiedlichen Beweggründen unternommen. 1.1 Begriffsdefinition und -abgrenzung Der Medizintourismus wurde in der Translationswissenschaft bis jetzt nur am Rande erwähnt (vgl. Tipton/ Furmanek 2016: 114, Angelelli 2019: 32). Die in den vergangenen Jahren an den österreichischen Universitäten in Wien und Graz verfassten Masterarbeiten (vgl. Ivașcu 2014, Muršič 2015, Chistyakova 2016, Slavu 2017, Weissenhofer 2017, Horová 2018) zeigen jedoch erstes Interesse junger ForscherInnen am Dolmetschen in diesem Marktsegment. ForscherInnen aus den Bereichen Tourismus, Medizin, Wirtschaft und Marketing haben sich hingegen bereits der Erforschung des Medizintourismus gewidmet. Die ver‐ schiedenen Ansätze vorhandener Forschungsarbeiten finden sich nicht nur in den verwendeten Bezeichnungen Medizintourismus und Gesundheitstourismus, sondern auch in deren Definitionen wieder, die je nach Verständnis der zugrun‐ deliegenden Begriffe Medizin, Gesundheit und Tourismus sehr stark variieren. Teilweise wird Medizintourismus mit Gesundheitstourismus (vgl. Berg 2008, Illing 2009) gleichgesetzt, teilweise wird er als Unterbegriff des Gesundheits‐ tourismus gesehen (vgl. Quast 2009, Reisewitz 2015). Eine genaue Definition <?page no="14"?> 1 Illings Definition baut auf der Studie von Parsons (1967: 71) auf. des Terminus Medizintourismus bedarf allerdings einer Abgrenzung vom Be‐ griff des Gesundheitstourismus, wofür zuerst die in den Benennungen Medi‐ zintourismus und Gesundheitstourismus enthaltenen Begriffe erklärt werden sollen. Für den Begriff Tourismus wird in der Regel auf die Definition der Welttourismusorganisation zurückgegriffen: „Tourism is a social, cultural and economic phenomenon which entails the movement of people to countries or places outside their usual environment for personal or business/ professional purposes“ (IRTS 2010: 1). Zu den Motiven für diesen temporären Ortswechsel zählen laut Berg (2008: 3), Experte für Tourismusmanagement, unter anderem Erholung, Regeneration, Heilung sowie Kultur. In der Entscheidung 1999/ 34/ EG der Kommission vom 09.12.1998 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 95/ 57/ EG des Rates über die Erhebung statistischer Daten im Bereich des Tourismus, Anhang 2.1, definiert die Europäische Union Tourismus als „[…] die Tätigkeit von Personen, die zu Orten außerhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen und sich dort höchstens ein Jahr lang zu Urlaubs-, geschäftlichen oder anderen Zwecken aufhalten“ (1999/ 34/ EG, Artikel 2, Absatz 2.1). Unfreiwillige Reisezwecke sind allerdings nicht Teil der Definition: „Ärzt‐ lich verordnete unfreiwillige Aufenthalte in Krankenhäusern und sonstigen medizinischen Einrichtungen, die klinische/ medizinische Behandlungen bieten, sind ausgeschlossen“ (1999/ 34/ EG, Artikel 2, Absatz 2.1). Je nach Auslegung dieser Definition könnte sie anerkannte Tourismusformen wie den Kurtou‐ rismus oder auch Teile des Medizintourismus ausschließen, da nicht eindeutig erläutert wird, wie sich Freiwilligkeit von Unfreiwilligkeit unterscheiden lässt. In vielen Fällen fassen nämlich PatientInnen, die sich trotz unterschiedlicher Beweggründe auf eine medizinische Reise begeben, selbstständig und ohne ärztliche Zuweisung oder Verordnung den Entschluss, eine Reise anzutreten. Außerdem nehmen viele von ihnen im Zielland übliche touristische Angebote in Anspruch. Der Duden bietet für den Terminus Medizin die folgende Definition: „Heil‐ kunde, Lehre vom gesunden und kranken Organismus […], Wissenschaft von den Ursachen, der Heilung und Vorbeugung von Krankheiten“ (Dudenredaktion 2012). Illing, Experte für Gesundheitstourismus, Wirtschaft und Qualitätsma‐ nagement, definiert Gesundheit wie folgt: „als der Zustand der optimalen Leistungsfähigkeit eines Individuums für die Erfüllung der Aufgaben und Rollen, für die es sozialisiert wurde“ (Illing 2009: 8). 1 Er führt an, dass modernere Definitionen des Begriffes allerdings sowohl das medizinisch-wissenschaftliche als auch das biopsychosoziale Modell berücksichtigen. So versteht die medizi‐ 14 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="15"?> nisch-wissenschaftliche Schule Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit und sieht einen Menschen als gesund an, wenn dessen gesamter Körper richtig funk‐ tioniert. Aufgrund von messbaren und empirischen Kriterien kann das Ausmaß der Krankheit beurteilt werden, die eine „messbare Fehlfunktion bestimmter Körperteile“ (Illing 2009: 8) darstellt. Das biopsychosoziale Modell betont hin‐ gegen nicht nur die dichotomische Dimension von Gesundheit oder Krankheit, sondern hebt neben der biologischen Erkrankung auch die psychischen und sozialen Faktoren hervor. In diesem Modell gilt die Gesundheit als „positiver und funktioneller Gesamtzustand im Sinne eines dynamischen biopsychosozialen Gleichgewichtszustandes, der erhalten bzw. immer wieder hergestellt werden muss“ (Illing 2009: 8). Die holistische Dimension der Gesundheit ist auch in den Prinzipien der Weltgesundheitsorganisation festgehalten: „A state of complete physical, social and mental well-being, and not merely the absence of disease or infirmity“ (WHO 1946: 1). Dieses ganzheitliche Verständnis der Gesundheit wird in den meisten Definitionen von Gesundheitstourismus (vgl. Berg 2008, Illing 2009) berücksichtigt, in denen ein temporärer Ortswechsel aus gesundheitlichen Gründen oder zu Heilungszwecken angeführt wird. Für Illing ist das Ziel die Erreichung eines „Gleichgewichtszustandes zwischen körperlichem und seelischem Leistungsvermögen“ (Illing 2009: 49). Berg be‐ tont hingegen die „Erhaltung, Stabilisierung oder die Wiederherstellung der Gesundheit“ (Berg 2008: 39), während Tourismusexperte Claude Kaspar (1996: 55) „das körperliche, geistige und soziale Wohlbefinden“ hervorhebt. Verfolgt wird das Ziel der Genesung an einem fremden Ort durch die Inanspruchnahme medizinischer oder balneologischer Leistungen, therapeutischer Beratung und Betreuung, sportlicher Aktivitäten und gesunder Ernährung (vgl. Berg 2008: 39). Im Rahmen des Gesundheitstourismus erfolgen jedoch weder medizinische Notfallbehandlungen noch geplante Behandlungen, die in erster Linie die Gesundheit wiederherstellen sollen: Gesundheitstourismus hat das Ziel, einen Gleichgewichtszustand zwischen körperli‐ chem und seelischem Leistungsvermögen und den tagtäglichen Anforderungen von Umwelt, Mitwelt und Selbstwelt zu erreichen. Die zur Zielerreichung verwendeten Verfahren (Methoden) sind salutogenetische, medizinische sowie ergänzende und werden an Orten (Spa, Region) abseits vom gewöhnlichen Lebensumfeld angeboten, die durch die behandlerische Kompetenz der dort arbeitenden Fachkräfte wie auch des Gebäudes und der natürlichen Umwelt gekennzeichnet sind. (Illing 2009: 49) Medizinische Behandlungen, die einen Aufenthalt in einem ausländischen Krankenhaus und eine ärztliche Untersuchung im Ausland voraussetzen, sind hingegen dem Medizintourismus zuzuschreiben (vgl. Illing 2009: 6, Quast 2009: 15 1.1 Begriffsdefinition und -abgrenzung <?page no="16"?> 2 Dabei stützt sich Quast auf Rulle (2004: 133). Sowohl Quast als auch Berg verwenden in ihrer Terminologie keine gendergerechte Sprache. 9). In ihrer betriebswirtschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Medizintou‐ rismus definiert ihn Quast wie folgt: Medizintourismus ist ein Synonym für die Begriffe Patienten-, Klinik- und Operati‐ onstourismus und beschreibt die Bewegung von Patienten, die aus unterschiedlichen Gründen medizinische Dienstleistungen an Orten außerhalb ihres gewöhnlichen Umfeldes in Anspruch nehmen, wobei der Aufenthalt die Dauer eines Urlaubes nicht überschreitet und vielfach mit der Nachfrage touristischer Aktivitäten kombiniert wird. (Quast 2009: 6) Medizintourismus kann für Quast einen nationalen oder einen internationalen Charakter aufweisen und in freiwilligen Patiententourismus und staatlichen Operationstourismus unterteilt werden. 2 In der ersten Kategorie sind günstigere Behandlungen im Inland oder Ausland anzuführen, deren Kosten zum größten Teil von den PatientInnen getragen werden. Im staatlichen Operationstourismus sind PatientInnen hingegen aufgrund von Versorgungsengpässen gezwungen, medizinische Dienstleistungen im Ausland zu beziehen, deren Kosten von der Krankenversicherung übernommen werden. Der freiwillige Patiententourismus kann laut Quast wiederum in medizinische Patientenreise und touristische Pati‐ entenreise unterteilt werden, abhängig davon, ob die Reise hauptsächlich aus medizinischen Gründen unternommen oder ob die medizinische Behandlung mit einem Urlaub kombiniert wird (vgl. Quast 2009: 7f.). Differenziert wird des Weiteren zwischen krankheitsorientierten Reisen, die darauf abzielen, einen Krankheitszustand zu bekämpfen, und nicht krankheitsorientierten Reisen, deren Ziel die Durchführung von gründlichen Untersuchungen oder kosmetischen Eingriffen darstellt (vgl. Quast 2009: 7). Beide Behandlungsarten können sowohl ambulant als auch stationär erfolgen. Für Quast ist Gesundheitstourismus eine Unterform des Tourismus und erfolgt präventiv oder aus medizinischen Gründen. Unter den präventiven Gesundheitsreisen finden sich als Sonderformen der Erholungs-, Wellness-, Fitness- und Sportsowie Beauty-Tourismus, wäh‐ rend die medizinische Gesundheitsreise in Rehabilitations-, Kur- und Heilbädersowie Medizintourismus unterteilt werden kann (vgl. Quast 2009: 9ff.). Berg beschreibt den Medizintourismus ebenfalls als spezielle Unterform des Gesundheitstourismus und bezeichnet ihn als Patiententourismus. Dabei geht es um „die selbstbestimmte und bewusste Entscheidung, medizinische Leistungen in einem anderen Land als dem Herkunftsland in Anspruch zu nehmen und diese überwiegend selbst zu bezahlen“ (Berg 2008: 169). Er weist darauf hin, 16 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="17"?> 3 Für die österreichische Rechtsordnung kann § 3 Abs 4 in Verbindung mit § 2 ÄrzteG 1998 herangezogen werden. dass in der Vergangenheit diese Art des Gesundheitstourismus vorwiegend in eine bestimmte Richtung ging - aus dem Ausland nach Deutschland, Österreich, in die Schweiz und USA -, während heutzutage auch BürgerInnen der oben erwähnten Staaten medizinische Reisen in andere Länder unternehmen. In all diesen Definitionen bildet also die Tourismusbzw. Reisekomponente den gemeinsamen Nenner von Gesundheits- und Medizintourismus: In beiden Fällen wird eine gesundheitlich oder rein medizinisch bedingte Reise in ein anderes Land als das Herkunftsland geplant. Im Gesundheitstourismus zielen die in Anspruch genommenen Dienstleistungen auf die Erhaltung oder Förderung der Gesundheit ab. Im Medizintourismus werden hingegen Dienstleistungen angeboten, mit denen die Wiederherstellung der Gesundheit im Rahmen einer medizinischen Leistung beabsichtigt wird. Reisewitz beschreibt ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen Ge‐ sundheits- und Medizintourismus: Im Medizintourismus stellt die geplante Maßnahme eine medizinische Dienstleistung dar, die „Eingriffe in die körper‐ liche Integrität von einer gewissen Schwere“ (Reisewitz 2015: 8) mit sich bringt, und für deren Ausübung ein hohes Maß an fachlicher Qualifikation seitens der Ausführenden erforderlich ist. Medizintourismus ist jene Aktivität von Personen, die sich an einen im Ausland belegenen [sic! ] Ort außer‐ halb ihres gewöhnlichen Umfeldes begeben, um sich dort ohne Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes für einen gewissen Zeitraum aufzuhalten, und die dabei Dienst‐ leistungen in Anspruch nehmen, die in Deutschland als Ausübung der Heilkunde gemäß § 1 Abs. 2 HeilPraktG angesehen werden und deren Notwendigkeit sich nicht erst vor Ort akut ergeben hat. (Reisewitz 2015: 9) Berufe, die diese Qualifikationen aufweisen und in deren Ausübung die oben erwähnten Eingriffe vorgenommen werden dürfen, sind laut Reisewitz in Anlehnung an § 1 Abs. 2 HeilPraktG ÄrztInnen, ZahnärztInnen sowie Heil‐ praktikerInnen. 3 Zu den von ihnen durchgeführten Eingriffen zählen auch plastische bzw. Schönheitsoperationen, da sie einen höheren Schwierigkeitsgrad aufweisen und die durchführenden ÄrztInnen bestimmte Fachkompetenzen benötigen, obwohl die chirurgischen Maßnahmen nicht immer als reine gesund‐ heitswiederherstellende Maßnahmen zu betrachten sind. In seiner Auseinan‐ dersetzung mit den rechtlichen Fragen des Medizintourismus unterscheidet Reisewitz - je nachdem, wann und wo der Entschluss zur Behandlung gefasst wird - zwischen zwei Arten von Behandlungsreisen: Spontanbehandlungen 17 1.1 Begriffsdefinition und -abgrenzung <?page no="18"?> und geplanten Behandlungsreisen (vgl. Reisewitz 2015: 10f.). Im ersten Fall wird der Entschluss erst am Behandlungsort gefasst, d. h., der Zweck der Reise ist nicht die Behandlung; im zweiten Fall wird die Behandlung im Vorfeld geplant. Reisewitz weist darauf hin, dass bei einer geplanten Behandlungsreise die ausgewiesenen Risiken wegen der guten Planungsmöglichkeiten geringer als bei Spontanbehandlungen sind. Auch im englischen Sprachraum verweden die Termini medical tourism und health tourism verwendet. In der Encyclopædia Britannica wird medical tourism mit den Bezeichnungen health tourism, surgical tourism, medical travel und internation travel for the purpose of receiving medical care gleichgesetzt (vgl. Rogers 2016) und als Mobilität von PatientInnen definiert, die eine medizinische Behandlung in einem anderen Land aus unterschiedlichen Gründen in Anspruch nehmen. Connell (2011: 7) verwendet in seinen früheren Werken zum Medizin‐ tourismus den Terminus medical tourism als Überbegriff für etwaige Reisen, bei denen die Gesundheit die wichtigste Rolle spielt und eine Behandlung mit einer gewissen Schwere beabsichtigt wird. In der englischsprachigen Literatur wird allerdings immer wieder die Frage aufgeworfen, ob das Wort tourism adäquat ist. Obwohl der Bezeichnung medical tourism eine Tourismusdefinition als reine Ortsverlegung bzw. PatientInnenmobilität zugrunde liegt, soll das Wort Tourismus auch „pleasure and relaxation“ (Connell 2011: 3) suggerieren. Dabei wird argumentiert, dass diese beiden Komponenten nicht immer im Vor‐ dergrund stehen. So betont Connell (2015: 398) in einem späteren Werk, dass der Terminus medical tourism inadäquat sei, da viele PatientInnen auf medizinisch bedingte Reisen verzichten würden, wenn sie sich der gewünschten Behandlung in ihrem Herkunftsland unterziehen könnten oder dürften. Englischsprachige AutorInnen, die ebenso diese Meinung vertreten, bevorzugen Bezeichnungen wie international medical travel (vgl. Ormond 2015) oder transnational health care (vgl. Botterill et al. 2013 und Connell 2015). Im Rahmen der vorliegenden Studie wird aufgrund seiner Verbreitung im deutschsprachigen Raum der Terminus Medizintourismus verwendet. Die Autorin versteht darunter eine vorübergehende Verlegung des Wohnortes der PatientInnen ins Ausland aus medizinischen Gründen. Im Rahmen des Medizintourismus unterziehen sich PatientInnen entweder einer geplanten gesundheitswiederherstellenden Behandlung, zu der häufig im Herkunfts‐ land kein Zugang besteht, oder suchen nach einer Diagnose für eine seltene und somit schwer diagnostizierbare Krankheit bzw. einer ärztlichen Zweit‐ meinung zu einer Diagnose oder zu einem Therapievorschlag. 18 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="19"?> 4 Weltweit betrachtet befinden sich die führenden medizintouristischen Zieldestinationen in Südostasien (vgl. Kirsch 2017: 8). 5 Eines der Hauptprobleme bei der Erforschung des Medizintourismus liegt vermutlich in der uneinheitlichen Verwendung der Begriffe Gesundheits- und Medizintourismus. Je nach Definition variieren die zu analysierenden Daten sehr stark - und mit ihnen die Ergebnisse der Studien. 1.2 Die wirtschaftliche Bedeutung des Medizintourismus Aufgrund seiner wirtschaftlichen Bedeutung scheint der Medizintourismus das Potenzial zu haben, ein weiteres Marktsegment für DolmetscherInnen zu werden, die im Bereich Medizin arbeiten bzw. ihr Angebot an translatorischen Dienstleistungen diversifizieren möchten. Schon im Jahr 2006 verzeichnete die weltweite Gesundheits- und Medizintourismusindustrie einen Umsatz von über 60 Milliarden Dollar (vgl. Quast 2009: 16). Laut Patients Beyond Borders werden derzeit im Medizintourismus zwischen 74 und 92 Milliarden Dollar erwirtschaftet; 21 bis 26 Millionen PatientInnen aus verschiedenen Ländern geben pro medizinische Reise im Durchschnitt 3.550 Dollar für Untersuchungen, Reise und Transport aus (vgl. PBB 2020). Die in der medizintouristischen Literatur beschriebenen Reisen können so‐ wohl in Richtung günstigere Länder wie Ungarn oder Thailand als auch in Richtung teurere Regionen wie Europa und USA erfolgen. 4 Ausschlaggebend für die Wahl des Reiseziels ist in erster Linie der Grund der Behandlungsreise. In Ös‐ terreich wurden bisher kaum Studien durchgeführt, die den Medizintourismus, wie er in der vorliegenden Studie definiert wird, analysierten und die Anzahl der PatientInnen, die Österreich als Behandlungsort wählen, zentral erfassten. 5 Die meisten Studien betreffen den breiter angelegten Gesundheitstourismus und zielen zumeist darauf ab, das Potenzial für die Tourismusindustrie zu eruieren. Die ermittelten Daten belegen die faktische internationale Präsenz von Patien‐ tInnen in Österreich sowie ihre wirtschaftliche Bedeutung: 2009 machten die gesundheitstouristischen Nächtigungen rund 23% (18 Millionen) der gesamten gewerblichen Nächtigungen (ohne Ferienwohnungen) aus, von denen circa zehn Prozent dem „Medical Wellness-Tourismus“ zuzuordnen waren (vgl. BMWFW 2014: 8). In einer Studie des österreichischen Bundesministeriums für Wissen‐ schaft, Forschung und Wirtschaft wird der „Medical Wellness-Tourismus“ wie folgt definiert: „Der medizinische Aspekt steht im Fokus der Anwendungen und Behandlungen. Auch der Bereich der Privatkuren (Kuraufenthalte, die nicht durch Sozialversicherungsträger finanziert werden) ist diesem Segment zuzuordnen“ (BMWFJ 2011: 3). Statistische Angaben werden vor allem von Krankenhäusern im privaten Sektor präsentiert. So ließen sich 2011 beispiels‐ 19 1.2 Die wirtschaftliche Bedeutung des Medizintourismus <?page no="20"?> weise 11.200 PatientInnen in der Privatklinik Döbling in Wien betreuen, davon kamen etwa zehn Prozent aus dem Ausland (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 3). In den 19 österreichischen Privatkliniken dürften laut österreichischer Wirtschafts‐ kammer acht bis zehn Prozent der Behandelten aus dem Ausland stammen. Diese Gruppe von PatientInnen trägt die Kosten für die gewünschte medizinische Dienstleistung in den meisten Fällen selbst (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 1). Häufig stellen seltene Krankheiten oder komplizierte chirurgische Eingriffe die Gründe für medizinisch bedingte Reisen dar (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 1, Klobassa 2016: 10). In österreichischen Krankenhäusern kann eine starke Präsenz von PatientInnen aus Russland, den arabischen und den GUS-Staaten, Rumänien, der Ukraine, der Schweiz und Weißrussland beobachtet werden (vgl. Klobassa 2016: 38). Zwar ist die finanzielle Situation der PatientInnen nicht in allen Fällen aus‐ schlaggebend für den Entschluss zu einer medizinischen Reise, dennoch gehören die meisten PatientInnen, die sich in Österreich behandeln lassen, der Mittel- und Oberschicht an und bezahlen ihre medizinische Reise aus eigenen Mitteln (vgl. Klobassa 2016: 48ff.). PatientInnen, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, greifen häufig auf Privatinitiativen wie Crowdfunding, Wohl‐ tätigkeitsveranstaltungen u. a. zurück oder machen ihre Ansprüche auf Basis der Patientenmobilitätsrichtlinie (vgl. 1.3) geltend. In der bislang einzigen Studie, die sich speziell dem Medizintourismus in Österreich widmet, präsentiert Klobassa (2016: 18) Österreich als ein weitgehend unbekanntes Land im weltweiten Medizintourismus, das aber aufgrund der sehr guten Qualität der medizinischen Versorgung und der hohen PatientInnensicherheit ein großes Potenzial in dieser Hinsicht aufweist. Im Rahmen ihrer Studie führt Klobassa die Unbekanntheit der medizintouristischen Destination Österreich auf eine fehlende professionelle Werbung zurück, da in Österreich bislang nur Privatkliniken über ausreichend Erfahrung mit PatientInnen dieser Art verfügen und aktiv PatientInnenakquise betreiben. Das Potenzial des Medizintourismus wird in Österreich aufgrund einer nicht professionellen Vermarktung des Angebots nicht ausgeschöpft (vgl. Gotts‐ auner-Wolf 2012: 2). Die österreichischen Krankenhäuser scheinen zu zögern. Die öffentlichen Spitäler konzentrieren sich überwiegend auf die Versorgung der im Inland lebenden Bevölkerung, während die privaten Kliniken durch den zusätzlichen Aufwand - von der Visumbeschaffung bis zur Beauftragung von DolmetscherInnen - von der Betreuung der Gäste abschrecken lassen. Eine wichtige Rolle im Medizintourismus spielen einzelne ÄrztInnen, die auch außerhalb des Landes über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügen, oder Internetportale, die den Behandelten ein umfassendes und spezialisiertes Leis‐ tungsspektrum anbieten (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 2f.). 20 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="21"?> 6 Ein Beispiel für eine gute Vernetzung im Medizintourismus ist die endogap Klinik für Endoprothetik im Klinikum Garmisch-Partenkirchen in Deutschland (vgl. Cassens 2013: 58). Hier werden gelenkersetzende chirurgische Eingriffe durchgeführt. Durch die Zusammenarbeit mit Hotels aus der Umgebung kann für die Unterbringung der Begleitpersonen gesorgt werden. 7 Neben den Fachabteilungen der Kliniken, den WissenschafterInnen, PatientInnenver‐ mittlerInnen, Botschaften und der Hotellerie nennt Kirsch unter anderem auch externe DolmetscherInnen sowie ÜbersetzerInnen. 8 Das für die Volkswirtschaft relevante Gesamtvolumen sollte deutlich höher sein, da zu den medizinischen Ausgaben noch weitere Aufwendungen (Transport, Übernach‐ tungen, Einkäufe und weitere Dienstleistungen der PatientInnen und ihrer Begleitper‐ sonen) für die Dauer des Aufenthaltes dazukommen. Deutschland zählt hingegen zu den beliebtesten medizintouristischen Desti‐ nationen und hat das Potenzial dieses Sektors bereits erkannt (vgl. Spielberg 2009, Grätzel von Grätz 2010). Hier wird der Medizintourismus durch die Bildung von Gesundheitsclustern (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 2) wie jenem der bayerischen Landesregierung Bavaria - Better State of Health begünstigt, das in der Vermarktung des jeweiligen Landes als Anlaufstelle für ausländische PatientInnen von großer Bedeutung ist. 6 Die Vernetzung von Kliniken, Ärz‐ tInnen, Hotels und DienstleisterInnen ist für den Erfolg des Medizintourismus in Deutschland verantwortlich (vgl. Hochschule Bonn-Rhein-Sieg 2016). Das Potenzial des Medizintourismus kann als Wirtschaftsfaktor genutzt werden, wenn eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Bereichen und Ver‐ treterInnen der Gesellschaft vorhanden ist (vgl. Kirsch 2017: 22). 7 Anders als in Österreich werden in Deutschland von verschiedenen Institutionen regelmäßig Studien zum Medizintourismus veröffentlicht. Laut dem Statisti‐ schen Bundesamt Deutschland ließen sich im Jahr 2007 70.898 ausländische PatientInnen in deutschen Kliniken behandeln (vgl. Spielberg 2009), während die Anzahl deutscher StaatsbürgerInnen, die im selben Jahr im Ausland eine Behandlung in Anspruch nahmen, von den deutschen Kassenverbänden auf ca. 300.000 geschätzt wurde (vgl. Reisewitz 2015: 13). Im Jahr 2014 wurden 1,2 Milliarden Euro erwirtschaftet und 251.000 ausländische PatientInnen un‐ terzogen sich stationären bzw. ambulanten Behandlungen in Deutschland, was laut einer Studie der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin einer Steigerung von 4,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entsprach (vgl. Deutsche GesundheitsNachrichten 2016, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg 2016). 8 Laut Juszczak (2008: 6) ließen sich PatientInnen folgender Nationalitäten 2007 in Deutschland am häufigsten behandeln: Auf Platz 1 befinden sich die Niederlande (6.732), gefolgt von Frankreich (5.608), Österreich (4.823), Polen (4.763), Belgien (3.383), Russland (2.807), der Schweiz (2.566), Italien (2.375), Großbritannien 21 1.2 Die wirtschaftliche Bedeutung des Medizintourismus <?page no="22"?> (2.297) und den USA (1.856). Auch zehn Jahre später kommen die meisten PatientInnen noch aus diesen Herkunftsländern (vgl. OperationsKarriere 2018). 1.3 Der Medizintourismus innerhalb der Europäischen Union Auch innerhalb der Europäischen Union reisen PatientInnen aus medizinischen Gründen. In diesem Kontext wird der Medizintourismus vorwiegend als Pati‐ entInnenmobilität bezeichnet. Durch die Einführung der Richtlinie 2011/ 24/ EU - auch Patientenmobilitätsrichtlinie genannt -, die PatientInnen aus der EU, aus dem EWR-Raum sowie aus Liechtenstein, Island und Norwegen den Zugang zur sicheren und qualitativ hochwertigen grenzüberschreitenden Gesundheits‐ versorgung garantiert, wird die PatientInnenmobilität geregelt und begünstigt: Diese Richtlinie zielt darauf ab, Regeln zu schaffen, die den Zugang zu einer sicheren und hochwertigen grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung in der Union er‐ leichtern und die Patientenmobilität im Einklang mit den vom Gerichtshof aufge‐ stellten Grundsätzen gewährleisten und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Gesundheitsversorgung fördern, wobei gleichzeitig die Zuständigkeiten der Mit‐ gliedstaaten für die Festlegung der gesundheitsbezogenen Sozialversicherungsleis‐ tungen und für die Organisation und Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen und medizinischer Versorgung sowie der Sozialversicherungsleistungen, insbeson‐ dere im Krankheitsfall, uneingeschränkt geachtet werden sollen. (RL 2011/ 24/ EU) Die Patientenmobilitätsrichtlinie schafft ein Regelwerk für die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Diese haben eine nationale Kontaktstelle einzurichten, die die BürgerInnen über ihre Ansprüche informieren soll, und sind für die „Fest‐ legung der gesundheitsbezogenen Sozialversicherungsleistungen und für die Organisation und Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen und medizi‐ nischer Versorgung sowie der Sozialversicherungsleistungen […]“ zuständig (RL 2011/ 24/ EU). Durch die Einführung der Patientenmobilitätsrichtlinie wurden PatientInnenreisen in Europa zumindest auf finanzieller Ebene erleichtert, denn die Kosten für die Behandlung in einem anderen EU-Land können bis zu der Höhe erstattet werden, die bei einer ähnlichen Behandlung im Inland angefallen wären (vgl. RL 2011/ 24/ EU bzw. BMG 2016). Bei komplexeren Be‐ handlungen, die ein „erhöhtes Planungsbedürfnis“ (BMG 2016, Pt. 14) aufweisen bzw. einen stationären Aufenthalt erfordern, ist meistens eine Genehmigung einzuholen. Die EU-Richtlinie schreibt vor, dass der Antrag in folgenden Fällen vor der Behandlung einzureichen ist: bei Übernachtungen im Krankenhaus, für Behandlungen mit „Einsatz einer hoch spezialisierten und kostenintensiven 22 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="23"?> medizinischen Infrastruktur oder medizinischen Ausrüstung“ (RL 2011/ 24/ EU, Art. 8 Abs. 2 Buchstabe a) und für Behandlungen mit einem Risiko für die PatientInnen (vgl. RL 2011/ 24/ EU, Art. 8, Abs. 2, Buchstabe b). 14 EU-Länder verlangen einen solchen Antrag vor der Behandlung für die im Artikel 8 Abs. 2 Buchstabe a beschriebenen Eventualitäten; allerdings hat kein einziges dieser 14 Länder die Kriterien für die Kostendeckeng im Rahmen einer Übernachtung in einem Krankenhaus definiert (vgl. Europäische Kommission 2015b: 4ff.). Darüber hinaus haben nur neun Länder spezifiziert, welche Kriterien für die Hochspezialisierung herangezogen werden, obwohl dies laut Richtlinie verlangt wird. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Antrags seitens der Krankenkasse kann je nach Herkunftsland 20 bis 150 Tage betragen (vgl. Europäische Kommission 2015b: 18). Diese Zeitspanne macht die langfristige Planbarkeit der Behandlung schwierig, da für eine Genehmigung in vielen Fällen die genaue Aufstellung der Kosten samt Datum der Behandlungen anzuführen sind. Einer der Gründe für eine positive Entscheidung seitens der Behörde im Herkunftsland sind die Kosten und die Verkürzung von Wartezeiten (vgl. Kirsch 2017: 31), während der Qualitätsfaktor nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Patientenmobilitätsrichtlinie sieht darüber hinaus vor, dass der Mitgliedsstaat, in dem die Behandlung erfolgt, PatientInnen aus anderen Mitgliedstaaten Informationen zur Verfügung zu stellen hat, anhand derer diese eine sachkundige Entscheidung treffen können (vgl. Spickhoff 2015: 17). GesundheitsdienstleisterInnen müssen detaillierte Informationen u. a. zu ihren Preisen und ihrem Zulassungs- oder Registrierungsstatus bereithalten. Dies be‐ deutet aber nicht, dass solche Informationen für PatientInnen mit einer anderen Sprache als jener des Ziellandes ausführlicher sein müssen (vgl. Spickhoff 2015: 17). Aufgrund der dargelegten Beschränkungen stellen die Beantragung und Organisation einer Auslandsbehandlung trotz des erleichterten Zugangs zur medizinischen Versorgung innerhalb der EU für PatientInnen nach wie vor eine große Herausforderung dar. In der von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie zur PatientInnenmobilität namens „Study on Public Service Translation in Cross-border Healthcare“ (vgl. Angelelli 2015) zeigte sich, dass PatientInnen, die der Sprache des Ziellandes nicht mächtig sind, trotz der erwähnten Richtlinie nicht den gleichen Zugang zur Gesundheits‐ versorgung haben wie die im Zielland lebenden Menschen. Die gesetzlichen Bestimmungen der Europäischen Union enthalten keinen expliziten Hinweis auf die Zuständigkeit für die Zurverfügungstellung von Sprachdienstleistungen im Falle einer PatientInnenmobilität, was bedeutet, dass die PatientInnen selbst für die Beauftragung einer/ eines DolmetscherIn oder einer/ eines ÜbersetzerIn 23 1.3 Der Medizintourismus innerhalb der Europäischen Union <?page no="24"?> Sorge zu tragen haben (vgl. Angelelli 2015); darüber hinaus werden Überset‐ zungs- und Dolmetschkosten nicht zurückerstattet. Die fehlende gesetzliche Regulierung der Zuständigkeit sowie die nicht erfolgende Rückerstattung trans‐ latorischer Kosten können in manchen Fällen dazu führen, dass vonseiten der PatientInnen auf professionelle translatorische Leistungen verzichtet wird. Dies kann allerdings die Qualität und den Erfolg der medizinischen Behandlung negativ beeinflussen. 1.4 Beweggründe für medizinische Reisen Die Beweggründe von PatientInnen im Medizintourismus unterscheiden sich hinsichtlich der Behandlung im Vergleich zu inländischen PatientInnen stark. Für Kirsch (2017: 13) bedarf es deswegen neben einer seriösen wissenschaftli‐ chen Untersuchung des Phänomens ebenso einer differenzierten Betrachtung dieser zwei PatientInnengruppen, die durch ihre „unterschiedlichen Motive bei der Auswahl einer Destination, differierenden Bewertungen und Bedürfnisse sowie die weitaus stärkere Heterogenität von Auslandspatienten“ (Kirsch 2017: 14) geprägt sind. In der medizintouristischen Fachliteratur ist bereits eine relativ genaue Beschreibung der Hintergründe medizinischer Reisen zu finden. Berg (2008) identifiziert folgende Beweggründe: • medizinische Leistungen, die im Ausland kostengünstiger und oft sogar qualitativ hochwertiger in Anspruch genommen werden können • PatientInnenmobilität innerhalb der Europäischen Union • Aufstieg vieler Zielländer (wie Thailand) vom Billigtourismusland in Richtung hochwertigen Tourismus • Bestrebung nach Rentabilität seitens der Krankenhäuser und Kliniken • medizinische Unterversorgung in Entwicklungsländern • lange Wartezeiten für chirurgische Eingriffe Illing (2009) und Quast (2009) fügen folgende Gründe für dieses Phänomen hinzu: • aufgrund der Globalisierung der Sozial- und Gesundheitsdienstleister‐ Innen möglich gewordene Behandlungen in einem anderen Staat, für die ein Antrag auf Rückerstattung der Kosten gestellt werden kann • demografische Entwicklung und der damit verbundene Anstieg an Krankheits- und Pflegefällen • restriktive Zuteilungspolitik des Staates und die konsequente Reduktion des Leistungsumfangs der kostenlosen medizinischen Behandlungen 24 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="25"?> 9 Anzuführen wären hier außerhalb des europäischen Kontinentes etwa medizintouris‐ tische Reisen zwischen den USA und Mexiko, Singapur und Malaysia, Ruanda und Burundi (vgl. Connell 2015). • steigender Rationalisierungsdruck auf Krankenhäuser und die damit verbundenen Notwendigkeit, eine Behandlung an einem anderen Ort durchzuführen • Investitionsbereitschaft der Menschen in die Gesundheit • Ausbau von Flughäfen und die sich daraus ergebende vereinfachte Mo‐ bilität Reisewitz (2015: 14ff.) weist weiters darauf hin, dass medizintouristische Reisen nicht nur aufgrund der Reduzierung des Leistungsumfanges der gesetzlichen Krankenversicherung im Herkunftsland und aufgrund der neuen Möglichkeiten internationaler Mobilität, sondern auch zur Vermeidung langer Wartezeiten im Herkunftsland angetreten werden. Neben dem qualitativen Mehrwert der Aus‐ landsbehandlungen werden „Komforterwägungen“ (Reisewitz 2015: 16) sowie das „Streben nach möglichst perfekter körperlicher Konstitution“ (Reisewitz 2015: 17) angeführt. Auch ExpertInnen im medizinischen Bereich befassen sich immer häufiger mit den Ursachen für Medizintourismus. So unterscheidet die „ÄrzteZeitung“ (vgl. Wallenfells 2015) hinsichtlich der Beweggründe für die PatientInnenmobilität drei Typen von medizintouristischen PatientInnen: PatientInnen, die auf eigene Kosten medizinische Behandlungen im Ausland mit höchsten Qualitätsansprüchen verlangen; PatientInnen, die im Ausland kostengünstige Behandlungen in Anspruch nehmen; PatientInnen, die aufgrund langer Wartelisten im Herkunftsland ins Ausland gehen und auf Kassenkosten (z. B. gemäß der Richtlinie 2011/ 21/ EU) diese Eingriffe vornehmen lassen. Diese Differenzierung vernachlässigt aber jene Menschen, die eine Behand‐ lungsreise aufgrund hoch spezialisierter Eingriffe unternehmen - z. B. jene Menschen, die wegen einer bionischen Handprothese nach Wien reisen, da diese Operation in ihrem Herkunftsland nicht durchgeführt wird - und sich dennoch der Patientenmobilitätsrichtlinie bedienen, um eine Teilerstattung der Behandlungskosten zu erhalten. Auch grenzüberschreitende Bewegungen von PatientInnen zwischen Nachbarländern lassen sich immer häufiger beobachten. 9 Darüber hinaus weist Connell (2011 sowie 2015) darauf hin, dass neue Typen von medizinischen Reisenden beobachtet werden können: Menschen, die in Ländern wohnen, in denen gewisse Behandlungen unmöglich oder illegal sind (z. B. Abtreibungen, Fruchtbarkeitsbehandlungen u. a.) sowie Menschen, die zu einem früheren Zeitpunkt ausgewandert sind, aber später aus Kostengründen nur 25 1.4 Beweggründe für medizinische Reisen <?page no="26"?> 10 Der Terminus Produkt wird in Quasts Studie sowie in der vorliegenden Studie nach Kotler et al. (2011) definiert und daher mit Dienstleistung gleichgesetzt. zum Zweck einer bestimmten medizinischen Behandlung (auch einer einfachen Gesundheitsvorsorge) in ihr Herkunftsland zurückreisen. Wie unter 1.3 bereits erwähnt, wurde das medizinische Reisen innerhalb der Europäischen Union mit der Patientenmobilitätsrichtlinie erleichtert. In diesem Zusammenhang fasst Kirsch (2017: 7ff.) die Ergebnisse der Umfrage „Eurobaro‐ meter 2015“ (Europäische Kommission 2015a) zusammen: 5% der Befragten aus allen EU-Ländern unterzogen sich einer spontanen oder geplanten Behandlung in einem anderen EU-Land, fast die Hälfte der Befragten konnte sich solch eine Behandlung innerhalb der EU vorstellen (vgl. Kirsch 2017: 18). 55% der Befragten, die sich keine Behandlung in einem anderen EU-Land vorstellen konnten, gaben als Grund Bequemlichkeit, Angst vor Verständigungsschwierig‐ keiten oder Unsicherheit betreffend die rechtliche Lage an (vgl. Kirsch 2017: 19). Darüber hinaus wurden die häufigsten Gründe für Behandlungen im Rahmen des Medizintourismus (vgl. Kirsch 2017: 19f.) erforscht: die Nichtverfügbarkeit der benötigten Behandlung im Herkunftsland (71%), die höhere Qualität der medizinischen Behandlung im Zielland (53%), der Wunsch nach namhaften SpezialistInnen, die die Behandlung durchführen (38%), sowie die Dringlichkeit der Behandlung (34%). Der Kostenfaktor wurde nur von 23% der Befragten als Reisegrund angegeben, was laut Kirsch der These zu widersprechen scheint, dass Medizintourismus überwiegend in Richtung günstigerer Destinationen verlaufen würde. 1.5 Das medizintouristische Angebot Die Analyse des medizintouristischen Angebots unterscheidet sich je nach De‐ finition des Begriffs Medizintourismus und Ausgangsdisziplin der Forschenden. Berg (2008) und Illing (2009) konzentrieren sich zum Beispiel auf den Gesund‐ heitstourismus in puncto Wellness und beschreiben das umfassende Angebot, das von der Vermittlung der Reise über die Dienstleistungen von Kurorten und Bädern bis zu Beherbergungsmöglichkeiten reicht. Quast (2009) legt ihren Fokus auf den Medizintourismus von Deutschland aus in Richtung anderer Zielländer und analysiert unter anderem dessen Produkt, 10 Infrastruktur und Distributions- und Kommunikationskanäle. Quast (2009: 28ff.) unterteilt das medizintouristische Angebot in primäre, sekundäre und tertiäre Angebote. Das primäre Angebot stellt das eigentliche Produkt dar: die medizinische Leistung. 26 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="27"?> Im sekundären Angebot sind Zusatzprodukte enthalten, die zwar keinen rein medizinischen Zweck erfüllen, aber die Voraussetzung für den Erfolg der medizinischen Reise bilden. Beispiele der Produkte innerhalb dieser Kategorie sind die Klinik mit ihrer Einrichtung und Ausstattung, die Verpflegung, die kürzeren Wartezeiten im Vergleich zu den regulären Behandlungen, die Dolmet‐ schleistungen, die Möglichkeit der Religionsausübung und die Berücksichtigung religiöser und kultureller Traditionen. Das tertiäre Angebot beinhaltet schließ‐ lich ergänzende Produkte wie die Erledigung der Reiseformalitäten für die Betroffenen und deren Begleitpersonen, die Betreuung vor Ort, die Organisation von Taxi- oder Bustransfers sowie Freizeitaktivitäten und Vor- und Nachsorge. 1.5.1 Art der medizinischen Behandlung Die Identifikation der im Medizintourismus angebotenen Behandlungsarten ist nicht nur aufgrund der in zahlreichen Fällen fehlenden statistischen Zent‐ ralerfassung medizintouristischer Daten, sondern auch durch unterschiedliche Auslegungen des Begriffs Medizintourismus relativ schwierig. So ist eine struk‐ turierte Präsentation der Behandlungsarten für das medizintouristische Zielland Österreich aufgrund fehlender Studien kaum möglich. Im Rahmen der Inter‐ views mit vier medizintouristischen Fachexperten, die für die Untersuchung des Medizintourismus in Österreich von Klobassa (2016: 41ff.) geführt wurden, wurden folgende medizinische Bereiche erwähnt, die von ausländischen Pati‐ entInnen häufig angefragt werden: Chirurgie sowie Schönheitschirurgie, Herz- und Lungenchirurgie, viszerale Chirurgie und Onkologie. Darüber hinaus reisen zahlreiche PatientInnen für eine Vorsorgeuntersuchung oder Diagnoseüberprü‐ fung nach Österreich (vgl. Kobassa 2016: 22). In seiner Unterscheidung zwischen dem qualitäts- und dem kostenorientierten Medizintourismus analysiert Berg (2008: 171ff.) die verschiedenen Behandlungsarten. Im qualitätsorientierten Medizintourismus, der Länder wie Deutschland, die Schweiz, Österreich, die skandinavischen Länder oder die USA als Behandlungsorte umfasst, gibt es insbesondere eine Nachfrage für komplizierte Eingriffe, die im Herkunftsland der PatientInnen aufgrund mangelhafter Versorgung oder veralteter Behand‐ lungsmethoden nicht durchgeführt werden können. Die größte Nachfrage gibt es bei schweren Frakturen, Erkrankungen der inneren Organe, Herz-, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sowie kosmetischen Operationen (vgl. Berg 2008: 171ff.). Im kostenorientierten Medizintourismus, der durch eine Bewegung aus den oben genannten reicheren Ländern in Richtung günstigerer medizintouris‐ tischer Zielländer gekennzeichnet ist, unterziehen sich hingegen PatientInnen aus Gründen der Kostenersparnis einer Behandlung in Drittländern: Im Her‐ 27 1.5 Das medizintouristische Angebot <?page no="28"?> kunftsland sind die Kosten der gewünschten Behandlungen zu hoch, weshalb sie sich für eine Behandlung im Ausland entscheiden. In manchen Fällen werden die Kosten sogar von der Krankenversicherung des Herkunftslandes erstattet. Bei dieser Art des Medizintourismus gibt es unter anderem eine Nachfrage für Zahnersatz, Kuren, Augenbehandlungen und Schönheitsoperationen (vgl. Berg 2008: 171ff.). Die vom österreichischen Ministerium für Wissenschaft, For‐ schung und Wirtschaft beauftragte Studie „Gesundheitstourismus in Österreich 2014“ konzentriert sich in erster Linie auf touristische Angebote mit explizitem Gesundheitsbezug in Thermen und Kuranstalten (vgl. BMWFW 2014). Reine medizintouristische Angebote werden von der Studie außer Acht gelassen. Laut einer Umfrage des Eurobarometers 2015 (vgl. Europäische Kommission 2015a, Kirsch 2017: 20) wurden im Jahr 2014 innerhalb der Europäischen Union fol‐ gende Behandlungsarten im Rahmen des Medizintourismus häufig in Anspruch genommen: Onkologie (53% der Befragten), Herzchirurgie (38%), Zahnmedizin (28%), diagnostische Behandlungen (26%), Endoprothetik (Hüftgelenke und Knieprothesen) (19%), Behandlungen von grauem Star (17%). 1.5.2 Dienstleistungskette im Medizintourismus Laut Quast (2009: 31ff.) ist zwischen drei Arten medizinischer Reisen zu differen‐ zieren: Individualreisen, Pauschalreisen und der Inanspruchnahme individueller Angebote. Bei der Individualreise übernehmen die PatientInnen meist selbst die Organisation der Gesamtreise und greifen nur in speziellen Fällen auf die Unterstützung Dritter zurück. Bei der Pauschalreise wird den PatientInnen ein Komplettpaket offeriert, das auch maßgeschneidert sein kann. Im dritten Fall erstellen Reiseagenturen oder andere Vermittlungsinstanzen individuelle Angebote basierend auf den Bedürfnissen der PatientInnen. Unabhängig von der Art der Reise nehmen PatientInnen im Medizintou‐ rismus unterschiedliche Dienstleistungen in Anspruch, damit sie sich der gewünschten medizinischen Behandlung unterziehen können. Die sich daraus ergebende organisatorische Servicekette (vgl. Quast 2009: 31) besteht aus meh‐ reren Dienstleistungen, die vor, während oder nach der medizinischen Reise be‐ nötigt werden. Vor der Reise erfolgen z. B. die Übermittlung von Informationen, die Buchung der Reise sowie der behandlungsrelevanten Termine und die tatsächliche Anreise. Während der Reise werden Dienstleistungen in Anspruch genommen, die mit der Unterkunft und Verpflegung sowie mit der medizi‐ nischen Behandlung im Zusammenhang stehen; in manchen Fällen werden 28 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="29"?> 11 Viele PatientInnen reisen nicht alleine und unternehmen in der Zeit, die nicht für die medizinische Behandlung vorgesehen ist, auch touristische Aktivitäten (Connell 2011: 170). auch touristische Aktivitäten angefragt. 11 Nach der Behandlung erfolgen die Rückreise ins Herkunftsland und eine Nachbetreuung durch die medizinische Einrichtung. Die Erwartungen seitens der PatientInnen an die angebotene medizintouris‐ tische Leistung können je nach Art des betriebenen Medizintourismus stark va‐ riieren. Insbesondere bei Menschen mit einem höheren sozialen Status werden häufig Wünsche beobachtet, deren Erfüllung eine umfangreiche Planung und Koordination der medizinischen Reise erfordern. In seiner Untersuchung russi‐ scher PatientInnen in Deutschland stellt Juszczak (2017: 56) fest, dass von diesen neben den Behandlungsterminen und Check-ups bei verschiedenen Spezialis‐ tInnen auch Transfer- und Übernachtungsmöglichkeiten angefragt werden. Darüber hinaus wünschen sich viele PatientInnen eine Rund-um-die-Uhr-Be‐ treuung durch eine Pflegekraft sowie ein Unterhaltungsprogramm für die Begleitpersonen. In Tab. 1 werden die Erwartungen russischer PatientInnen nach Juszczak (2017: 50f.) zusammengefasst. Starfaktoren Kritische Fak‐ toren Optionale Fak‐ toren Strategische Fak‐ toren (Hohe Wichtigkeit/ hohe Zufriedenheit) (Mittlere Wichtig‐ keit/ hohe Zufrieden‐ heit) (Mittlere bis geringe Wichtigkeit/ hohe Zufriedenheit) Vorbereitung der Unterlagen (u. a. Übersetzung der Dokumente) Kommunikation in russischer Sprache und Dolmetsch‐ dienstleistungen Zimmerausstat‐ tung 24-Stunden-Er‐ reichbarkeit Unterstützung bei der Abrechnung Detaillierte Rech‐ nungsstellung Russischsprachiges Personal in der Klinik Reiseorganisation und Transfers Betreuung durch die VermittlerInnen Nachbetreuung Freizeitgestaltung ChefärztInnenbe‐ handlung Flexibilität Tab. 1: Erwartungen russischsprachiger PatientInnen nach Juszczak (2017: 50f.) 29 1.5 Das medizintouristische Angebot <?page no="30"?> Zu den Erwartungen der PatientInnen mit hoher Wichtigkeit zählen außerdem translatorische Leistungen in Form von Übersetzungen und Dolmetschungen. Obwohl sich Tab. 1 nur auf russische PatientInnen bezieht, ist anzunehmen, dass manche dieser Erwartungen sprach- und kulturübergreifend sind. Andere Erwartungen könnten hingegen vom PatientInnenstatus und von der Auswahl der Destination abhängen (vgl. Kirsch 2017: 14). So weist Spielberg bezogen auf arabische PatientInnen in Deutschland darauf hin, dass viele PatientInnen hohe Erwartungen hegen, neben dem medizinischen Produkt eine Reihe von Dienstleistungen benötigen und sich häufig eine individuelle Rundumbetreuung „einschließlich touristischer Angebote, Rücksichtnahme auf Ernährungs- und religiöse Gewohnheiten, Transfer- und Dolmetscherdienste […]“ wünschen (Spielberg 2009: 2). 1.5.3 Stakeholder im Medizintourismus An der medizintouristischen Servicekette können mehrere Stakeholder betei‐ ligt sein, die über unterschiedliche wirtschaftliche Interessen und Angebote verfügen. Zu diesen zählen laut Klobassa (2016: 11): • Versicherungen, die die Risiken der PatientInnen übernehmen und die Ausführenden der Behandlung versichern • AnbieterInnen von Gesundheitsleistungen • AnbieterInnen von Konferenzen zum Medizintourismus, die den ver‐ schiedenen Stakeholdern Weiterbildungsmaßnahmen und Informations‐ austausch zu aktuellen Marktentwicklungen ermöglichen • Finanzdienstleistungsunternehmen, die die PatientInnen bei der Finan‐ zierung der Reise unterstützen • Reiseagenturen, die die medizinische Reise vermitteln sowie organisieren und die PatientInnen betreuen • verschiedene PatientInnenvermittlungsinstanzen, die als Broker die Ge‐ schäftstransaktionen auf Provisionsbasis ermöglichen Circa 90% der Krankenhäuser in Deutschland, die im Medizintourismus tätig sind, greifen auf PatientInnenvermittlerInnen zurück (vgl. Juszczak 2017: 61). Die Bezeichnung PatientInnenvermittlerIn kann nicht einheitlich definiert werden, da sie sowohl Einzelpersonen, die über Auslandskontakte verfügen, als auch professionelle Agenturen, die MitarbeiterInnen oder Niederlassungen im Ausland haben, oder Reisebüros, die auch Check-ups vermitteln, umfasst (vgl. Juszczak 2017: 61). Klobassa (2016: 18) bezeichnet die PatientInnenvermittler‐ Innen als medical tourism companies, als im Medizintourismus aktive Instanzen, 30 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="31"?> die zwischen den anderen Stakeholdern, insbesondere zwischen AnbieterInnen der medizinischen Behandlung, Kliniken und PatientInnen vermitteln. Im Rahmen ihrer Studie zu den Bedürfnissen internationaler PatientInnen führt Boscher (2017: 115f.), Expertin im Bereich PatientInnenvermittlung, jene Tätigkeiten an, die notwendig sind, damit PatientInnen die gewünschte medi‐ zinische Leistung im Ausland in Anspruch nehmen können. Dazu gehören: • die Kontaktherstellung • die Bearbeitung der Erstanfrage • die Ermittlung der medizinischen Ausgangssituation oder des medizini‐ schen Problems • die Recherchetätigkeit, um die richtige medizinische Einrichtung sowie die passenden SpezialistInnen zu finden • die Sammlung aller Daten und Unterlagen zur Krankengeschichte • die Einholung von Behandlungsangeboten und Kostenvoranschlägen • die Erklärung der Inhalte im Gespräch mit den PatientInnen • die Abklärung finanzieller Angelegenheiten • die Unterstützung bei der Visumbeantragung • die Organisation der Termine • die Organisation der An- und Abreise sowie der Unterkunft Einige dieser Tätigkeiten - in manchen Fällen sogar alle - können von Patien‐ tInnenvermittlerInnen übernommen werden. Sie organisieren und koordinieren wesentliche oder eben alle Bereiche der medizinischen Reise und entlasten dadurch die PatientInnen. In vielen Fällen verfügen sie sowohl im Quellals auch im Zielland über ein Büro sowie über einen starken Internetauftritt in allen für ihren Markt relevanten Sprachen. Boscher (2017) führt an, dass die meisten PatientInnenvermittlerInnen informell arbeiten und sich ihres Netzwerkes im Herkunftsland der PatientInnen bedienen, um die Zielgruppe zu erreichen. Sie stammen zumeist aus dem Herkunftsland der PatientInnen, leben im me‐ dizintouristischen Zielland und sind mit dessen Gesundheitssystem vertraut. PatientInnenvermittlerInnen schließen entweder mit den PatientInnen oder mit Kliniken einen Vertrag ab, der den Umfang der Dienstleistung und deren Hono‐ rierung festlegt (vgl. Boscher 2017: 120ff.). Allerdings ist die reine Vermittlung von PatientInnen sowohl in Deutschland als auch in Österreich problematisch, da ÄrztInnen laut ihrer Berufsordnung keine Provision für die Vermittlung von PatientInnen kassieren dürfen (vgl. Boscher 2017: 122f.). Darüber hinaus wurde in Deutschland die Dienstleistung des reinen Vermittelns für unzulässig und sittenwidrig erklärt, da Vermittlungsinstanzen nicht über das nötige fach‐ lich-medizinische Wissen verfügen, um PatientInnen an angemessene Kliniken 31 1.5 Das medizintouristische Angebot <?page no="32"?> zu vermitteln, und die Gefahr besteht, dass sie nur jene Kliniken, mit denen sie einen Vertrag abgeschlossen haben, weiterempfehlen (vgl. Boscher 2017: 123f.). Diese Umstände führten dazu, dass viele PatientInnenvermittlerInnen ihre Leistung als PatientInnenbetreuung deklarieren und in Rechnung stellen (vgl. Stuckenberg 2018). Zu den wichtigsten Kompetenzen von PatientInnen‐ vermittlerInnen zählt Boscher die Sprach- und Kulturkompetenz (vgl. Boscher 2017: 119). Für ärztliche Gespräche arbeiten einige PatientInnenvermittlerInnen mit DolmetscherInnen zusammen, die sie nach erfolgreicher Vermittlung der medizinischen Reise häufig wieder kontaktieren (vgl. Boscher 2017: 128ff.). In vielen Fällen scheint aber die Qualität der translatorischen Leistung zur Über‐ windung von Sprachbarrieren für PatientInnenvermittlerInnen keine primäre Rolle zu spielen (vgl. u. a. Slavu 2017, Weissenhofer 2017). Alle Stakeholder, die als Teil der medizintouristischen Servicekette fungieren, sind verschiedenen Risiken - u. a. Problemen während des Transports, Unfällen jeglicher Art oder unerwarteten Erkrankungen vor dem Antritt der Reise oder am Behandlungsort - ausgesetzt, die zu einer Behinderung oder Stornierung der Behandlung führen können. So ein Fall kann für alle Beteiligten schwerwiegende Folgen haben, die in vertraglichen Vereinbarungen jedoch geregelt sein können. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass eine plötzliche Erkrankung oder der Tod von PatientInnen ebenso für die DolmetscherInnen erhebliche Schwierigkeiten finanzieller, organisatorischer und psychologischer Natur mit sich bringen. Daher sollten DolmetscherInnen genauso Vorkehrungsmaßnahmen treffen, um in solchen Situationen über eine finanzielle Vorsorge oder einen psychologi‐ schen Selbstschutz (Self-Care-Maßnahmen) zu verfügen. In manchen Fällen können sogar Krankenhäuser, ÄrztInnen oder PatientInnen die Aufgaben der PatientInnenvermittlung oder die Koordination übernehmen. Krankenhäuser spielen im Medizintourismus in Deutschland (vgl. Berg 2008: 173) und Österreich (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 2) eine umstrittene Rolle, da ihnen häufig vorgeworfen wird, mit der Beteiligung am Medizintourismus auf zusätzlichen Profit abzuzielen und ihren eigentlichen Zweck - die nationale Gesundheitsversorgung - aus den Augen zu verlieren. In Deutschland und Österreich haben zwar zahlreiche Krankenhäuser den Medizintourismus als attraktive zusätzliche Einnahmequelle (vgl. Berg 2008: 173) erkannt, allerdings nehmen sie kaum Risiken auf sich, da neue Märkte wie der Medizintourismus nur schwer vorhersehbar sind (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 3). In Deutschland finden sich - insbesondere in großen Städten - zahlreiche Krankenhäuser (vgl. Elsholz 2013: 36f., Klinikum der Universität München 2020, UKE 2020), die internationale PatientInnen anwerben und über international offices verfügen, die den PatientInnen den organisatorischen Aufwand, der mit einer medizinischen 32 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="33"?> Behandlung im Ausland verbunden ist, abnehmen. Auch in Österreich steigt - wie bereits erwähnt - die Zahl privater Krankenhäuser, die ausländische PatientInnen aktiv umwerben und die hochqualitative österreichische Medizin sowie Kultur‐ kompetenz des dort tätigen Personals als Werbefaktor nutzen. So übernimmt PremiQaMed, ein österreichischer Betreiber privater Gesundheitsunternehmen (z. B. Privatklinik Döbling), auf Wunsch internationaler PatientInnen die Planung und Koordination der medizinischen Reise inklusive der Beschaffung des Einrei‐ sevisums, der Hotelreservierung und der Beauftragung von DolmetscherInnen (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 2). Allerdings stellt Klobassa (2016: 49) ein generelles mangelndes Engagement in Österreich fest: „Private Krankenhäuser und Ärzte werben lediglich für sich selber. Dies führt aber nicht zu volkswirtschaftlichen Vorteilen“ (Klobassa 2016: 49). Laut Klobassa ist der Medizintourismus in Öster‐ reich generell durch einen fehlenden gemeinsamen Auftritt der Krankenhäuser und ÄrztInnen geprägt. Krankenhäuser fallen darüber hinaus unter die Zustän‐ digkeit der Bundesländer, was ein Gesamtkonzept zusätzlich erschwert. 1.5.4 Das Internet und die Suche nach dem passenden Angebot Das Internet nimmt mittlerweile eine besonders wichtige Funktion im Rahmen der Informationsbeschaffung ein. Auch im Bereich des Medizintourismus ist eine verstärkte Präsenz von Internetseiten, die entweder als Vermittlungsportale oder als Dokumentationsquellen fungieren, festzustellen (vgl. u. a. Medical Tourism 2020). Mittlerweile nutzen viele medizintouristische PatientInnen das Internet als wichtige Informationsquelle für die Auswahl des ausländischen Behandlungsorts (vgl. Reisewitz 2015: 32, Klobassa 2016: 9). Auch Klinikver‐ zeichnisse stellen eine hilfreiche Informationsquelle dar und ermöglichen zum Teil einen direkten Kontakt zwischen PatientInnen und der ausgewählten me‐ dizinischen Einrichtung. Die Internetauftritte der verschiedenen Einrichtungen unterscheiden sich allerdings sehr stark hinsichtlich des Inhalts, der Qualität und der technischen Aufbereitung (vgl. Juszczak 2017: 56). Rein deutschspra‐ chige Websites erfahren weniger Resonanz als jene, die zumindest auch auf Englisch verfügbar sind. Bei der Gestaltung des Inhalts von Websites für den medizintouristischen Auftritt weist Juszczak (2017: 58) auf die Notwendigkeit hin, nicht nur die Fremdsprache, sondern auch die jeweiligen kulturellen Aspekte zu berücksichtigen. Aus translatorischer Sicht ist der Medizintourismus daher unbedingt als zusätzliches Einsatzgebiet für ÜbersetzerInnen zu sehen. Im Internet kann des Weiteren das Aufkommen zahlreicher Foren (vgl. AINPU 2020) beobachtet werden, die vonseiten der PatientInnen oder von nationalen Verbänden ins Leben gerufen werden und dem informellen Informations- und Er‐ 33 1.5 Das medizintouristische Angebot <?page no="34"?> fahrungsaustausch jener Menschen dienen, die von einer bestimmten Pathologie betroffen sind. Neben detaillierten Berichten über ihr persönliches Leiden und ihre Therapie werden ForennutzerInnen auch Informationen zu und Kontaktdaten von ÄrztInnen sowie anderen DienstleisterInnen wie DolmetscherInnen zur Verfügung gestellt. Diese Foren können als eine Form von Empfehlungsmarketing eingestuft werden und für DienstleisterInnen in diesem Bereich von großem Nutzen sein. Auch Länder oder Städte setzen auf eine verstärkte Internetpräsenz, um ausländische PatientInnen anzuwerben. Als Beispiel dienen die Stadt Wien (Wien Tourismus 2020) und Köln (Köln Tourismus 2020), die auf den jeweiligen Tourismusportalen die hervorragende Medizin der städtischen Krankenhäuser bewirbt. Um die Zielgruppe adäquat anzusprechen, werden auf den erwähnten Seiten die Vorteile der privaten Krankenhäuser wie kurze Wartezeiten, hohe Qualität und attraktive Nebenleistungen - unter anderem nach Bedarf auch die Bereitstellung von DolmetscherInnen - besonders hervorgehoben. Diese vermehrte Internetpräsenz bringt allerdings einige Gefahren mit sich, denn manche Angebote können unseriös sein (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 3). 1.6 PatientInnentypen Je nach Beweggrund für die medizinische Reise ist es möglich, verschiedene Klassifi‐ zierungen der PatientInnen vorzunehmen. Berg (2008: 87ff.) bietet in seinem Modell einen Überblick über unterschiedliche PatientInnentypen. Ausgangsbasis der Klas‐ sifizierung ist die für Marketinganalysen klassische Segmentierung der Nachfrage. Berg hebt dabei das unterschiedliche Potenzial der PatientInnen hinsichtlich ihrer Bereitschaft, die Kosten für Gesundheits- oder medizinische Leistungen selbst zu tragen oder auf die Krankenversicherung zurückzugreifen, hervor (siehe Tab. 2). PatientInnen als präventive Nach‐ fragerInnen • Proaktives Verhalten: präventive Gesundheitsmaßnahmen • Zahlwillig, aber oft nicht zahlfähig PatientInnen als kurative Nach‐ fragerInnen • Gesundheitsleistungen, um eine bereits aufgetretene oder eintretende Krankheit ambulant oder stationär zu behan‐ deln • Wunsch nach alternativen Heilungsmethoden 34 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="35"?> PatientInnen als rehabilitative NachfragerInnen • Postkurative Behandlung (normalweise von Therapeu‐ tInnen, PsychologInnen, SozialarbeiterInnen, ÄrztInnen oder in speziellen Rehabilitationseinrichtungen) • Mehrheit der Leistungen im Angebot der Krankenversi‐ cherung enthalten PatientInnen als NachfragerInnen nach Pflege • Menschen in dauerhaft pflegebedürftigem Zustand; stän‐ dige Betreuung (auch Körperpflege, Ernährung und Haus‐ haltsversorgung) Tab. 2: PatientInnentypen nach Berg (2008: 8) Juszczak und Ebel (2009: 103f.) unterscheiden zwischen den Typen von Patien‐ tInnen ausgehend vom medizintouristischen Angebot und ergänzen die von Berg ermittelten Bedürfnisse und Behandlungen um neue PatientInnentypen (siehe Tab. 3). MedizintouristInnen • Medizinischer Eingriff im Ausland • Die gewählte Klinik kann zwar die Zielgruppe aus medizi‐ nischer Sicht optimal betreuen, deren Angehörigen kann sie aber kein Zusatzprogramm (Hotelbuchung, Freizeitge‐ staltung usw.) anbieten. Low-Care-Pati‐ entInnen • Schnelle Behandlung im Ausland und sofortige Entlassung • Die Nachversorgung kann im Hotel (oft in einem Patien‐ tInnenhotel oder in einer Hotelstation im Krankenhaus‐ verband) stattfinden. Gesundheitstou‐ ristInnen • Präventive Untersuchung bei ÄrztInnen im Ausland (Vor‐ sorgeuntersuchung) Medical-Well‐ ness-Touris‐ tInnen • Wellnessangebote im Hotel • Relevanz eines gesunden Lebensstils • Mögliche Verbindung medizinischer Untersuchungen Business-Health- PatientInnen • ArbeitgeberIn stellt einen Gesundheitscheck als incentive zur Verfügung. • Hotelübernachtung und Rahmenprogramm im Paket ent‐ halten Reha-Patien‐ tInnen sowie An‐ gehörige • Medizinische Behandlung inklusive Nutzung touristischer Angebote an den behandlungsfreien Tagen Chronisch Kranke und An‐ gehörige • Angehörige suchen nach einer Urlaubsmöglichkeit, die mit der Behandlung oder Versorgung einer kranken Person kombiniert werden kann. Tab. 3: PatientInnentypen nach Juszczak und Ebel (2009: 103f.) 35 1.6 PatientInnentypen <?page no="36"?> 12 An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass Mainil zu den KritikerInnen des Begriffs Medizintourismus gehört. Wie einige andere WissenschafterInnen bevorzugt er den englischen Terminus transnational patient mobility. Cohen (2008: 25ff.) führt folgende Begriffe ein, um zwischen TouristInnen und PatientInnen zu unterscheiden: mere tourist, medicated tourist, medical tourist proper, vacationing patient, mere patient. Zur ersten Kategorie des mere tourist gehören jene Menschen, die einfach reisen wollen und keine medizinischen Dienstleistungen während des Urlaubs in Anspruch nehmen. Als medicated tourists gelten reisende Menschen, die sich während des touristischen Aufent‐ haltes einer ungeplanten dringenden Behandlung unterziehen müssen. Zur Gruppe des medical tourist proper zählen jene PatientInnen, die sowohl aus touristischen als auch medizinischen Gründen verreisen. Als vacationing pati‐ ents gelten Personen, die eine Reise hauptsächlich aus medizinischen Gründen unternehmen und während des Auslandsaufenthaltes einige touristische Ange‐ bote in Anspruch nehmen. Die letzte Kategorie der mere patients bezieht sich schließlich auf PatientInnen, die während des Auslandsaufenthaltes nur eine medizinische Behandlung wünschen und kein touristisches Angebot nutzen. Ein komplexeres Bild der MedizintouristInnen skizziert Mainil (2012: 48ff.). 12 Um seine Typologisierung leichter nachzuvollziehen, werden in Tab. 4 die von ihm verwendeten Akronyme kurz erklärt. TBAs Trans-border access seekers PatientInnen, die lange, geplante Reisen unternehmen, zu‐ meist über ausreichende finanzielle Mittel verfügen und sich hoch spezialisierte und qualitative Behandlung er‐ warten, die in ihrem Ursprungsland nicht vorhanden sind oder längere Wartezeiten erfordern CBAs Cross-Border access searchers Menschen, die aus Grenzregionen stammen, oder Men‐ schen, die einer Sprachgruppe angehören, die über mehrere Länder verstreut lebt und Anspruch auf Rückerstattungen oder Förderungen für die Kosten der Behandlung im Aus‐ land haben oder hoch spezialisierte Behandlungen suchen RCAs Receiving con‐ text actors Alle Einrichtungen und AkteurInnen, die für die medizin‐ touristischen PatientInnen am Behandlungsort von Bedeu‐ tung sind SCAs Sending context actors Alle Einrichtungen und AkteurInnen im Ursprungsland der medizintouristischen PatientInnen, wie zum Beispiel Versicherungsgesellschaften oder nationale Behörden Tab. 4: Akronyme für die PatientInnentypen nach Mainil (2012: 57) 36 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="37"?> CBAs und TBAs unterscheiden sich voneinander wegen der Kulturnähe und -distanz. Für Erstere ist die Wahrscheinlichkeit höher, eine medizinische Be‐ handlung in einem Land zu finden, die ihrem Ursprungsland in kultureller Hinsicht entspricht. TBAs bewegen sich hingegen zwischen Regionen mit größeren Kulturunterschieden und haben im Rahmen ihrer medizinischen Reise komplexere Herausforderungen zu meistern. Abb. 1 zeigt die möglichen Kombinationen der oben erwähnten Kategorien. Abb. 1: PatientInnentypen nach Mainil (2012: 57) Die Kategorien 1A, 1B, 2A, 2B, 4A, 4B, 5A und 5B stellen eine heterogene Gruppe dar, deren VertreterInnen aus weit entfernten oder mehr oder weniger benachbarten Ländern stammen (CBAs oder TBAs) und sich in einer privaten oder öffentlichen ausländischen Einrichtung behandeln lassen. Sie können jedoch in allen Fällen auf eine öffentliche oder private Krankenversicherung zurückgreifen. Die PatientInnen der anderen Kategorien können jeweils CBAs 37 1.6 PatientInnentypen <?page no="38"?> oder TBAs sein, haben aber keinen Anspruch auf Rückerstattungen oder För‐ derungen für die Kosten der Behandlung, die in einer privaten oder öffentlichen ausländischen Einrichtung erfolgen kann (vgl. Mainil 2012: 57). Trotz seiner Komplexität zeigt dieses Modell ein facettenreiches Bild der PatientInnen im Rahmen des Medizintourismus und kann sehr hilfreich für ein tieferes Ver‐ ständnis der an dolmetschvermittelten Interaktionen beteiligten AkteurInnen sein, denn auch die kulturelle Nähe oder Distanz zwischen Quell- und Zielland sowie die finanzielle Abwicklung der medizinischen Reise spielen eine wichtige Rolle hinsichtlich der Ermittlung ihrer Erwartungen und Anforderungen an die DolmetscherInnen. 1.7 Rechtliche Aspekte des Medizintourismus PatientInnen, die sich aufgrund einer medizinischen Behandlung ins Ausland begeben, benötigen Schutz: Ihre Grundrechte auf Leben und körperliche Un‐ versehrtheit sowie ihr Selbstbestimmungsrecht sollen gewahrt bleiben (vgl. Reisewitz 2015: 23ff.). Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist in Art. 3 der Charta der Europäischen Union (GRCh) verankert; in Deutschland sind das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zusätzlich in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG festgeschrieben (vgl. Reisewitz 2015: 23ff.). Heileingriffe durch ÄrztInnen - auch eine einfache Blutabnahme, eine medikamentöse Heilbehandlung, phy‐ sikalische Eingriffe oder Impfungen (vgl. Hauer 2014) - stellen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit dar. Für all diese Heileingriffe ist eine gültige Einwilligung notwendig, damit das Selbstbestimmungsrecht der PatientInnen nicht verletzt wird: Jede/ jeder PatientIn „hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob und in welchem Umfang eine medizinische Behandlung an ihm durchgeführt werden soll“ (Reisewitz 2015: 26). Damit diese Entscheidung getroffen werden kann, ist eine genaue Aufklärung über die Chancen und Risiken der vorzuneh‐ menden Behandlung durch die ÄrztInnen notwendig. Falls diese Aufklärungs‐ pflicht verletzt wird, liegt ein Aufklärungsfehler vor. Die Aufklärungspflicht sieht des Weiteren vor, dass PatientInnen auch über Behandlungsalternativen informiert werden, „wenn mehrere übliche Behandlungsmethoden mit unter‐ schiedlichen Folgen, Risiken oder Erfolgschancen zur Verfügung stehen“ (Hauer 2014). Eine mangelhafte Aufklärung durch die ÄrztInnen kann zivilrechtliche Folgen haben und den medizinischen Eingriff rechtswidrig machen (vgl. Haspl 2010). Aus der Verletzung der Aufklärungspflicht können sich daher Schaden‐ ersatzansprüche für die PatientInnen ergeben: „Grundlage für den deliktischen Anspruch ist, dass durch einen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler in abso‐ 38 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="39"?> lute geschützte Rechtsgüter - nämlich Leben und Gesundheit - eingegriffen wird“ (Haspl 2010). Neben der zivilrechtlichen besteht auch eine strafrechtliche Haftung sowohl für die ÄrztInnen als auch für den Krankenanstaltsträger. Insbesondere bei Spontanbehandlungen, die während einer Reise erfolgen, kann es zu Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts kommen, da sich die PatientInnen im Vorfeld nicht immer ausreichend über Risiken und Chancen des Eingriffs informieren können. Darüber hinaus ist das Risiko einer min‐ derwertigen Behandlungsqualität bei einer Spontanbehandlung höher als im Rahmen einer geplanten Behandlungsreise (vgl. Reisewitz 2015: 31ff.). Um die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Aufklärungsfehlern zu reduzieren, muss gewährleistet sein, dass PatientInnen die Aufklärung zur Gänze verstehen. Dies kann in vielen Fällen nur durch die Beauftragung einer/ eines DolmetscherIn erreicht werden. Eine weitere Gefahr stellen Behandlungsfehler dar. Ein Behandlungsfehler tritt auf, wenn nicht der gesamte „Behandlungsvorgang, dem auf die konkrete Maßnahme anzuwendenden fachlichen Standard genügt“ (Reisewitz 2015: 33). Als Behandlungsfehler werden nicht nur Fehler bei operativen Eingriffen, sondern auch falsche Maßnahmen und Entscheidungen seitens der/ des ÄrztIn im Laufe der gesamten Behandlung - von der Anamnese über die Therapie und Prophylaxe bis zur Nachsorge - bezeichnet; dies schließt auch Fehler in der Koordinierung oder in der Befunderstellung ein (vgl. Reisewitz 2015: 33). Bei Eingriffen im Rahmen des Medizintourismus ist eine Berufung auf den minderwertigeren Standard der Behandlung am Behandlungsort nicht ausrei‐ chend. Ein Behandlungsfehler „liegt vielmehr erst vor, wenn die tatsächlich erbrachte medizinische Leistung hinter dem nach dem anzuwendenden Recht maßgebenden Standard zurückbleibt“ (Reisewitz 2015: 33ff.). Falls die Betrof‐ fenen sich noch auf keinen Behandlungsstandard berufen können, werden die Ergebnisse der Grundlagenforschung sowie der angewandten Forschung und die ärztliche Erfahrung herangezogen (vgl. Tanczos/ Tanczos 2010: 61ff.). Im österreichischen Bundesgesetz über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte wird Folgendes festgehalten: Eine/ ein ÄrztIn „begeht einen Behandlungsfehler - der aber noch nicht zu einem Schaden des Patienten führen muss -, wenn er gegen anerkannte Regeln der medizinischen Wissenschaft (§ 49 Abs. 1 ÄrzteG) und der ‚ärztlichen Kunst‘ verstößt“ (Tanczos/ Tanczos 2010: 61ff.). Lassen sich PatientInnen in einem Krankenhaus behandeln, ergeben sich sowohl für die Einrichtung als auch für die behandelnden ÄrztInnen Pflichten. Die PatientInnen schließen im Vorfeld mit dem Krankenhaus einen Behandlungsvertrag ab, in dem der Umfang der medizinischen Leistung festgehalten ist. Für den Behandlungsfehler haften nicht 39 1.7 Rechtliche Aspekte des Medizintourismus <?page no="40"?> nur ÄrztInnen, sondern auch das gesamte während der Behandlung tätige me‐ dizinische Personal sowie die PatientInnen, die zur Bezahlung der Leistung und Mitarbeit im Sinne eines Behandlungserfolgs verpflichtet sind (vgl. Proissl 2014, Abs. 6). Bei Behandlungsfehlern liegt die Besonderheit des Medizintourismus darin, dass die internationale Zuständigkeit des Gerichts im Falle einer Klage der PatientInnen gegen die ÄrztInnen oder das Krankenhaus nicht immer klar ist (vgl. Reisewitz 2015: 39ff.). So wurden im Fall des von Spickhoff (2010: 60) erwähnten Distanzdelikts einem deutschen Bürger, der sich einer medizinischen Behandlung in der Schweiz unterzogen hatte, von einem Arzt Medikamente verschrieben, ohne dass dieser ausreichend über diese aufgeklärt worden war. Als es zu starken Nebenwirkungen kam, reichte der Patient eine Klage gegen den Arzt vor deutschen Gerichten ein. Das Oberlandesgericht in Karlsruhe und der Bundesgerichtshof „bejahten die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte unter dem Aspekt der Tatortzuständigkeit“ (Spickhoff 2010: 60). Der Erfolgsort in der Schweiz galt demnach als Tatort, da der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dort erfolgt war. Missverständnisse, die sich in der Kommunikation mit den ausländischen PatientInnen ergeben, können rechtliche und medizinische Folgen haben. Wenn Basisdiagnose und Dokumentation der Krankengeschichte im Herkunftsland in einer anderen Sprache erstellt werden, besteht immer die Gefahr, dass diese z. B. während der Kontaktaufnahme mit dem medizinischen Personal im Ausland missverstanden werden (vgl. Reisewitz 2015: 28). Darüber hinaus nehmen PatientInnen nicht immer ihre gesamte Dokumentation auf die Reise mit, was sich aber in solch einem Fall als problematisch erweisen kann, da dem medizinischen Personal ein umfassender Überblick über die Krankengeschichte der PatientInnen fehlt (vgl. Reisewitz 2015: 28). In diesem Fall wird es schwierig, etwaige gesundheitliche Risiken der PatientInnen zu berücksichtigen und diese entsprechend in die Behandlung einzuplanen. Auch bezüglich der Nachsorge zu Hause oder im Fall eines enttäuschenden Verlaufs oder Misserfolges der Behandlung müssen medizintouristische PatientInnen und VertreterInnen der medizinischen Institution in der Lage sein, miteinander missverständnisfrei zu kommunizieren (vgl. Illing 2009: 98). 1.8 Ethik und Medizintourismus In Zusammenhang mit dem Medizintourismus rücken auch ethische Fragen insbesondere aus den Bereichen der Sozialethik, der Umweltethik sowie der Medizinethik ins Blickfeld (vgl. Cassens 2013). In der Sozialethik stellt der 40 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="41"?> Zugang zu medizinischer Versorgung ein wichtiges Thema dar. Aus deontolo‐ gischer Sicht scheint es richtig zu sein, dass die nationalen Gesundheitssysteme sich vorwiegend auf die Versorgung der im Inland ansässigen PatientInnen konzentrieren und sozioökonomische Faktoren der PatientInnen keinen Ein‐ fluss auf die Qualität der Behandlung und den Zugang zur Behandlung haben sollen. Das steigende Lebensdurchschnittsalter und die Vorbeugung chronischer oder irreversibler Krankheiten verlangen auch aus utilitaristischer Sicht eine Schwerpunktsetzung auf die im Inland ansässigen PatientInnen (vgl. Cassens 2013: 131). Für die Umweltethik sollten wiederum negative Auswirkungen auf die Umwelt - insbesondere im Rahmen des kostenorientierten Medizintou‐ rismus -nicht außer Acht gelassen werden. So kann laut Cassens (2013: 58) der von PatientInnen produzierte infektiöse Müll nicht überall auf der Welt unter Erfüllung zentraleuropäischer Standards entsorgt werden. Im Bereich der Medizinethik gelten die ärztlichen Pflichten, die nicht nur rechtlicher Natur sind, sondern auch in den jeweiligen nationalen Berufsordnungen festgelegt sind: Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus. Sie dürfen keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit ihren Aufgaben nicht vereinbar sind oder deren Befolgung sie nicht verantworten können. (Deutscher Ärztetag 2015: 2) Auch der Einsatz etwaiger Werbemaßnahmen (beispielsweise für den Medizin‐ tourismus) unterliegt einer strengen Regulierung: „Berufswidrige Werbung ist ÄrztInnen untersagt. Berufswidrig ist insbesondere eine anpreisende, irrefüh‐ rende oder vergleichende Werbung“ (Deutscher Ärztetag 2015: 8). Eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den ethischen Aspekten im Me‐ dizintourismus bedarf des Weiteren einer Diskussion zur Angemessenheit der Bezeichnung Medizintourismus. Wie bereits unter 1.1 thematisiert, lehnen einige insbesondere aus dem medizinischen Bereich stammende ForscherInnen (vgl. Connell 2015) bewusst die Verwendung des Terminus Medizintourismus ab, da für sie eine gewisse Komponente des Genusses und der Entspannung vorhanden sein soll, damit von Tourismus überhaupt die Rede sein kann. Viele PatientInnen reisen aufgrund ihrer Verzweiflung „with no thought of tourism in mind“: These and many similar movements are local and regional, centred on needs rather than wants, of the relatively poor, desperate and frustrated, with family support and loans, and through word of mouth rather than internet connections. These movements have nothing to do with tourism. (Connell 2015: 399) 41 1.8 Ethik und Medizintourismus <?page no="42"?> 13 Vgl. dazu auch Connell 2011: 162. Die VertreterInnen dieser Position argumentieren, dass Forschende und Prak‐ tikerInnen im Bereich Tourismus das Phänomen fast ausschließlich als Markt‐ entwicklung behandeln. Aus diesem Grund werde vorwiegend die Analyse des Angebots, des Vertriebs und der Zielgruppe bevorzugt, während eine Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden Implikationen für die na‐ tionalen Gesundheitssysteme und deren BürgerInnen vernachlässigt werde. Kirsch (2017: 27) verweist in diesem Zusammenhang allerdings auch auf positive Beispiele wie jenes von Kuba, wo die Gewinne aus dem Medizintourismus in das öffentliche Gesundheitswesen investiert werden. 13 Auch das Interesse der Forschenden aus dem medizinischen Bereich liege vielmehr auf der Qualität der Behandlung und auf ethischen Fragen (vgl. Kirsch 2017: 27) und weniger auf der Erarbeitung einer medizintouristischen Strategie. Als häufiger Vorwurf ist zu vernehmen, dass Medizintourismus die Entstehung einer Zwei-Klassen-Medizin fördere (vgl. Connell 2015). Manche KritikerInnen des Terminus Medizintou‐ rismus (vgl. u. a. Connell 2011 sowie 2015, Mainil 2012, Botterill et al. 2013) befürchten, dass sich nationale Gesundheitssysteme in Zukunft stärker auf aus‐ ländische TouristInnen konzentrieren, da diese eine lukrative Einnahmequelle darstellen. Auch ÄrztInnen könnten zunehmend versuchen, sich aufgrund der besseren Verdienstchancen in diesem hochpreisigen Marktsegment zu positionieren. Connell (2015: 400) vertritt die Meinung, dass im Rahmen der allgemeinen Diskussion zum Medizintourismus den wirtschaftlichen Aspekten mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als den ethischen Fragen: Ethical and development issues, at the intersection of political economy and care, have been linked to such activities as stem cell and transplant surgery, fertility treatment and surrogacy, where conventional notions of ‘tourism’ are steeped in irony, some procedures are innovative and risky and others almost literal pilgrimages of last resort. (Connell 2015: 400) 1.9 Kapitelzusammenfassung In der vorliegenden Studie wird der Medizintourismus als Unterbegriff des Gesundheitstourismus verstanden. Er umfasst geplante, vorübergehende Verle‐ gungen des Wohnortes ins Ausland, um dort gesundheitswiederherstellende ärztliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Der in der Bezeichnung Me‐ dizintourismus enthaltene Terminus Tourismus wird also in Anlehnung an die Definition der Welttourismusorganisation als rein temporärer Wohnortwechsel 42 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="43"?> ausgelegt. Weitere relevante Bezeichnungen für den Medizintourismus sind länderübergreifende Gesundheitsversorgung und PatientInnenmobilität. Eine medizinische Reise kann aus verschiedenen Beweggründen unter‐ nommen werden. Meistens zählen dazu Engpässe in der nationalen Gesund‐ heitsversorgung, die Unmöglichkeit, sich vor Ort einer bestimmten hoch spe‐ zialisierten Behandlung zu unterziehen, und das Vorhandensein renommierter ÄrztInnen im Ausland. Anders als in klassischen medizinischen Settings sind medizintouristische PatientInnen nicht am Behandlungsort ansässig und benö‐ tigen ein Gesamtpaket oder zumindest ein erweitertes Angebot an Dienstleis‐ tungen. Häufig treten PatientInnen im Medizintourismus als Privatzahlende auf und stellen hohe Erwartungen an die medizinische Behandlung. Die in Anspruch genommenen Behandlungen sind zumeist spezialisiert und weisen im medizinischen und rechtlichen Sinne eine gewisse „Schwere“ (Reisewitz 2015: 8) auf, da sie Eingriffe in die Unversehrtheit des Körpers bedeuten. Diese Behandlungen sind mit einer Reihe von PatientInnenrechten (u. a. Recht auf Unversehrtheit, Selbstbestimmungsrecht und Recht auf Aufklärung) und ÄrztInnenpflichten (u. a. Aufklärungspflicht) verbunden, die bei Kommunika‐ tionsbarrieren zwischen PatientInnen und ÄrztInnen eine Herausforderung darstellen. Der Medizintourismus hat in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend an wirtschaftlicher Relevanz gewonnen: Jedes Jahr treten Millionen Menschen internationale Reisen an, um sich einer Behandlung im Ausland zu unterziehen. Trotz einer steigenden Tendenz sind die Daten zum Medizintourismus in Deutschland und Österreich nur von begrenzter Aussagekraft: Einerseits fehlt in einigen Fällen nach wie vor eine zentrale Erfassung, andererseits basieren die in Auftrag gegebenen Studien nicht selten auf unterschiedlichen Defini‐ tionen des Medizintourismus und berücksichtigen somit auch PatientInnen, die vorwiegend gesundheitstouristische Reisen (z. B. Wellnessbehandlungen) unternehmen. Auch die Europäische Union hat mittlerweile auf das Phänomen des Medizintourismus reagiert. Durch die Einführung der Richtlinie 2011/ 24/ EU, die eine Teilerstattung der medizinischen Kosten für die Auslandsbehandlung ermöglicht, wurde ein Instrument geschaffen, um die PatientInnenmobilität innerhalb der Europäischen Union einheitlich zu regeln. Am Medizintourismus können neben den AnbieterInnen medizinischer Dienstleistungen (z. B. ÄrztInnen und Kliniken) weitere Stakeholder wie Reise- oder Finanzdienstleistungsunternehmen beteiligt sein. Zu diesen zählen ebenso die sogenannten PatientInnenvermittlerInnen, deren Dienstleistung in der Ver‐ mittlung von internationalen PatientInnen an Kliniken besteht. Da sich die Pa‐ tientInnenvermittlung in einer rechtlichen Grauzone bewegt, deklarieren Ver‐ 43 1.9 Kapitelzusammenfassung <?page no="44"?> mittlerInnen ihre Tätigkeit zumeist als PatientInnenbetreuung. Sie übernehmen verschiedene Tätigkeiten, die für die PatientInnenanwerbung oder -betreuung notwendig sind - wie die Kontaktherstellung, die Sammlung der Dokumenta‐ tion und die Zurverfügungstellung translatorischer Dienstleistungen -, falls die ÄrztInnen eine andere Sprache sprechen als die PatientInnen. So arbeiten PatientInnenvermittlerInnen zum Teil mit ausgebildeten DolmetscherInnen zusammen oder übernehmen selbst translatorische Aufgaben, obwohl sie nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügen. Mangelt es an Verständigung, kann der Erfolg der Behandlung gefährdet sein und das Risiko für PatientInnen und ÄrztInnen steigen. 44 1 Medizintourismus als Marktsegment für DolmetscherInnen <?page no="45"?> 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus Im vorliegenden Kapitel liegt das Augenmerk auf dem Stellenwert der Kommu‐ nikation in der Medizin. In diesem Zusammenhang werden zuerst allgemeine Aspekte behandelt, die für jede Art medizinischer Kommunikation von Relevanz sind: die Beziehung zwischen ÄrztInnen und PatientInnen und die damit verbundenen Asymmetrien, die Struktur von medizinischen Gesprächen, die Gesprächsformen und Textsorten sowie einige ethnomedizinische Aspekte. Dieser Einleitung folgt eine Auseinandersetzung mit der Problematik der Sprachbarrieren im Gesundheitswesen sowie mit den Rollen und Aufgaben von DolmetscherInnen in der medizinischen Kommunikation. Nach diesem einleitenden Überblick, der für jedes medizinische Setting Gültigkeit besitzt, wird der eigentliche Gegenstand dieser Studie behandelt: der Medizintourismus. Der Vorstellung des aktuellen Forschungsstands zum Medizintourismus folgt die Verortung der Tätigkeit von DolmetscherInnen als ExpertInnen in medizin‐ touristischen Settings im Theorierahmen des translatorischen Handelns. 2.1 Medizin und Kommunikation Wie in allen medizinischen Settings findet medizinische Kommunikation in unterschiedlichen medizinischen Institutionen statt. Roat und Crezee (2015: 243) erwähnen folgende relevante Institutionen: private oder öffentliche Kranken‐ häuser, Labors für diagnostische Untersuchungen, ärztliche Praxen, Apotheken und Rehabilitationszentren. Alle Szenarien weisen folgende Triade als gemein‐ samen Nenner auf: PatientIn, ÄrztIn oder Pflegepersonal und DolmetscherIn. Die Besonderheiten dieser Gespräche bestehen laut Roat und Crezee (2015: 243) in ihrer kollaborativen Natur: Alle Beteiligten möchten das gleiche Ziel erreichen - die Wiederherstellung der Gesundheit der/ des PatientIn. Vorausset‐ zung für die Zielerreichung ist die gegenseitige Verständigung, welche in einem mehrsprachigen und mehrkulturellen Kontext nur in jenen Fällen möglich ist, in denen Sprachbarrieren überwunden werden. Falls es zu keiner Verständigung kommt, können die Folgen von Missverständnissen fatal sein (vgl. Roat/ Crezee 2015: 243). Weitere Gesprächsbeteiligte in den medizinischen Institutionen können das Empfangs- und das administrative Personal sein. In so einem Fall handelt es <?page no="46"?> 1 Wenn PatientInnen eine Reise auf sich nehmen, um eine auswärtige ärztliche Praxis oder ein ausländisches Krankenhaus aufzusuchen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie zuvor bereits einige ÄrztInnenbesuche mit Vordiagnosen hinter sich gebracht haben (vgl. Reisewitz 2015: 28). sich überwiegend um institutionelle Kommunikation, die ein gewisses Macht‐ gefälle vom administrativen Personal in Richtung PatientInnen beinhaltet. Die Wirkung einer solchen asymmetrischen Ausgangsposition auf die nachfolgende medizinische Kommunikation wird oft unterschätzt (vgl. Bechmann 2014). Der Erstkontakt mit der medizinischen Institution erfolgt nämlich in den seltensten Fällen mit den ÄrztInnen, die letztendlich die Behandlung durchführen, son‐ dern mit anderen VertreterInnen einer medizinischen Institution oder einer Vermittlungsinstanz. Auf selbst organisierten medizinischen Reisen kann der Erstkontakt durch eine/ einen DolmetscherIn hergestellt werden. Auch diese Interaktionen üben Einfluss auf die medizinische Kommunikation aus, da „das Verhalten dieser Akteure immer zugleich als Spiegel des ärztlichen Verhaltens interpretiert wird“ (Bechmann 2014: 156). Werden die PatientInnen unfreund‐ lich behandelt, wird im schlechtesten Fall auf die Behandlung verzichtet oder diese kein weiteres Mal in Anspruch genommen. Anders als in klassischen medizinischen Settings sind medizintouristische PatientInnen nicht am Behandlungsort ansässig. Sie müssen eine Reise auf sich nehmen, um die medizinische Leistung überhaupt in Anspruch nehmen zu können. Die soziokulturelle Situation der PatientInnen im Medizintourismus entspricht daher nicht unbedingt jener der in der Literatur zum medizini‐ schen Dolmetschen vergleichsweise häufig untersuchten PatientInnen mit Migrationshintergrund (vgl. u. a. Menz et al. 2013, Bührig/ Meyer 2015). Im Medizintourismus genießen die PatientInnen zwar zumeist einen besseren Status (vgl. Juszczak 2017: 56), insbesondere wenn sie sich der Behandlung als PrivatpatientInnen unterziehen, dennoch bleibt die Kommunikation - unab‐ hängig von Status und Sprache der PatientInnen - asymmetrisch. PatientInnen haben in den meisten Fällen sowohl inhaltlich als auch formal einen Nachteil gegenüber den behandelnden ÄrztInnen: Inhaltlich verfügen sie nicht über das benötigte medizinische Wissen (vgl. Bechmann 2014: 129), formal haben sie ein geringeres sprachliches Repertoire (vgl. Bechmann 2014: 211). 1 Je nach Bil‐ dungsgrad, sozialem Status und Herkunft kann der Soziolekt der PatientInnen stark variieren. Manche PatientInnen gelten laut Bechmann (2014: 212ff.) als „schwierige“ PatientInnen. Dazu gehören u. a. PatientInnen mit körperlichen und kognitiven Einschränkungen, Kinder und Jugendliche, PatientInnen aus anderen Kulturkreisen und Religionen. Handelt es sich bei den PatientInnen um 46 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="47"?> 2 Adherence bezieht sich auf die Einhaltung einer ärztlich verschriebenen Therapie. Der früher oftmals verwendete Begriff compliance wird immer häufiger durch adherence ersetzt, da er auf einer weniger paternalistischen und daher weniger autoritären Beziehung zwischen ÄrztInnen und PatientInnen basiert (vgl. Koerfer/ Albus 2015: 117). Kinder oder Menschen mit kognitiven Einschränkungen, sind sowohl ÄrztInnen als auch DolmetscherInnen auf eine Fremdanamnese angewiesen. Manche PatientInnen suchen die ärztliche Praxis oder die medizinische Einrichtung allein auf, andere nehmen Begleitpersonen mit (vgl. Angelelli 2019: 26). Dies kann teilweise kulturelle Gründe haben. Im Medizintourismus ist das Vorhandensein von Begleitpersonen nicht selten, da manche PatientInnen auch aus organisatorischen oder praktischen Gründen mit ihnen reisen. Dies trifft insbesondere auf kleine Kinder zu, die mit auf die Reise gehen müssen, falls die Eltern keine andere Betreuungsmöglichkeit finden. Oft nehmen aber auch FreundInnen oder Verwandte, die über bessere Fremdsprachenkenntnisse - meistens der englischen Sprache - verfügen, an der Reise teil, um die PatientInnen während des Auslandsaufenthaltes sprachlich zu unterstützen. Die gleichzeitige Präsenz mehrerer AkteurInnen, die aktiv am Gespräch beteiligt sind, beeinflusst die Kommunikation erheblich, denn Mehrparteiengespräche sind komplex und erfordern eine „Thematisierung der Sprecherrollenvergabe“ (Menz 2015: 79). Diese SprecherInnenrollenvergabe wird zu einer besonderen Herausforderung, wenn die/ der PatientIn ein Kind ist. In diesen Fällen gibt es verschiedene, auch den ÄrztInnen bekannte Einflussfaktoren, die die Spreche‐ Innenrollenvergabe bestimmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eher die Eltern in den jeweiligen Gesprächsturns angesprochen werden als das Kind, hängt nicht nur von der Wahl der Anrede durch die ÄrztInnen, sondern auch von Einfluss‐ faktoren wie dem Alter des Kindes und der Adressierung im vorangegangenen Turn ab (vgl. Menz 2015: 79). Die herausfordernde Steuerung des Gesprächs seitens der DolmetscherInnen in solchen Situationen scheint von Amatos (2007b) diskursanalytischer Untersuchung von Mehrparteiengesprächen zwi‐ schen einem amerikanischen Arzt und einem italienischen Kind in Begleitung seiner Eltern bestätigt zu werden. Amato stellte fest, dass nicht alle Turns von den DolmetscherInnen wiedergegeben werden, was bewusste Entscheidungen voraussetzt, um die Steuerung des Mehrparteiengesprächs zu ermöglichen. Am häufigsten wurden in den untersuchten Gesprächen die Äußerungen des Arztes gedolmetscht, während an die Dolmetscherin adressierte Äußerungen, Gespräche zwischen dem Arzt und der Mutter sowie Backchannel-Signale, nicht gedolmetscht wurden. Das Gleiche gilt für Gespräche innerhalb der Familie und Kommentare seitens der Familie, welche die adherence  2 betreffen, solange sie keine Meinungsverschiedenheiten enthalten (vgl. Amato 2007b: 31ff.). Falls 47 2.1 Medizin und Kommunikation <?page no="48"?> junge Erwachsene zu behandeln sind, ist die Schilderung der Problematik seitens der Elternteile hingegen kritischer zu hinterfragen und als Delegitimieren zu betrachten (vgl. Menz 2015: 79). 2.1.1 Die Beziehung zwischen ÄrztIn und PatientIn Im Rahmen medizinischer Interaktionen sind ÄrztInnen zumeist formal und inhaltlich mächtiger als ihre PatientInnen (vgl. Bechmann 2014: 129ff., Ange‐ lelli 2019: 44ff.). In dieser asymmetrischen Gesprächssituation, die von zeitli‐ chem Druck und Wissensunterschieden geprägt ist, versuchen PatientInnen als „gleichberechtigte Gesprächspartner“ (Bechmann 2014: 129) akzeptiert zu werden. In der Literatur zur medizinischen Kommunikation werden verschie‐ dene Modelle der ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung vorgestellt, die vom Rol‐ lenverständnis der MedizinerInnen abhängen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen bestehen in der Art der Entscheidungsfindung und der Wahrscheinlichkeit einer compliance oder adherence. Bechmann (2014: 139) beschreibt folgende Beziehungsmodelle: das paternalistische Modell, das abwä‐ gende/ partnerschaftliche Modell, das interpretative Modell, das informative Modell und das partizipative Modell. Im paternalistischen Modell ist die Asym‐ metrie besonders stark ausgeprägt. Die PatientInnen werden als Hilfesuchende gesehen, die die autoritären Entscheidungen der ÄrztInnen zu befolgen haben. Dieses Modell ist durch eine auf das Minimum reduzierte Kommunikation (vgl. auch Koerfer/ Albus 2015: 123) und eine direktive Gesprächsführung (vgl. Bechmann 2014: 132) gekennzeichnet. Am anderen Ende dieses Kontinuums befindet sich das informative Modell. Hier steht die Entscheidungsfindung den PatientInnen zu, während die ÄrztInnen ExpertInnen sind, die ihre thera‐ peutische Dienstleistung zur Verfügung stellen und die PatientInnen beraten sollen. Das abwägende und das interpretative Modell sind durch eine Begeg‐ nung der AkteurInnen auf Augenhöhe gekennzeichnet: In Ersterem werden die Entscheidungen von den ÄrztInnen auf Basis eines kooperativen Dialogs getroffen, während in Letzterem die PatientInnen aufbauend auf der ärztlichen Beratung entscheiden. In der Mitte des Kontinuums befindet sich das partizipa‐ tive Modell, in welchem im Sinne der biopsychosozialen Medizin ein Austausch von Informationen zwischen den Gesprächsteilnehmenden erfolgt und die PatientInnen in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden. „Das Ziel dabei ist es, in einem mehrstufigen Prozess gemeinsam Therapieziele festzulegen und auch gemeinsam zu verantworten“ (Bechmann 2014: 136; Hervorhebungen im Original). Dieses Modell ist auch unter der englischen Bezeichnung shared 48 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="49"?> 3 Obwohl die partizipative Entscheidungsfindung zum Maßstab geworden ist, wird sie nicht von allen PatientInnen bevorzugt (vgl. Bührig/ Meyer 2015: 310). Dies kann auf kulturbedingte und sprachliche Faktoren, aber auch auf persönliche Präferenzen zurückgeführt werden. Generell nimmt beim Umgang mit den verschiedenen Pati‐ entInnen die Kommunikationsfähigkeit der ÄrztInnen eine wichtige Rolle ein (vgl. Bührig/ Meyer 2015: 311). decision making bekannt und ist interaktiver und narrativer als die anderen Modelle des Kontinuums. Der Paradigmenwechsel von der biotechnischen zur biopsychosozialen Me‐ dizin führte auch zu einer neuen Definition der Kommunikationsbasis zwischen ÄrztInnen und PatientInnen (vgl. Kaba/ Sooriakumaran 2007, Koerfer/ Albus 2015: 118). So hat sich die Medizin in den letzten Jahrzehnten vom paternalisti‐ schen Modell verabschiedet und das partizipative Modell, das die/ der PatientIn als „patient-as-person“ (Kaba/ Sooriakumaran 2007: 61) betrachtet, hat sich als Maßstab etabliert. 3 Im partizipativen Modell wird zu PatientInnen sowohl im Rahmen der Anamneseerhebung als auch bei der Exploration der subjektiven Einstellungen der PatientInnen gegenüber den möglichen Behandlungen ein narrativer Zugang gesucht (vgl. Koerfer/ Albus 2015: 118). Ein solcher Zugang kann nicht mehr mithilfe stark interrogativer Interviews gefunden werden, „sondern sie müssen oft erst im Dialog […] aktiv entwickelt und gegebenenfalls je nach Krankheitsverlauf gesprächsweise überprüft und korrigiert werden“ (Koerfer/ Albus 2015: 118). In diesem Zusammenhang heben Elwyn et al. (2012: 1364ff.) folgende drei Schritte, die im Rahmen eines partizipativen Modells berücksichtigt werden sollten, hervor: choice talk, option talk und decision talk. Im ersten Schritt sollen PatientInnen über alle verfügbaren Behandlungsopti‐ onen informiert werden; im zweiten Schritt sollen PatientInnen weiterführende Informationen zu den Optionen erhalten. Im letzten Schritt sollen PatientInnen bei der Entscheidung über die beste Option unterstützt werden. 2.1.2 Institutionelle Kommunikation und Struktur der medizinischen Gespräche Als Form der institutionellen Kommunikation findet die Kommunikation zwi‐ schen ÄrztInnen und PatientInnen in einem kommunikativen Rahmen statt, in dem „bis ins Detail festgelegt [ist], wer was wann und auf welche Weise tut oder unterlässt“ (Kadrić 2009: 149). Das Verhältnis zwischen den Gesprächsteil‐ nehmenden in der institutionellen Kommunikation weist immer eine gewisse Asymmetrie auf. Im Fall der medizinischen Kommunikation ist dies auf einen einfachen Grund zurückzuführen: Während ÄrztInnen „gesund und wissend“ 49 2.1 Medizin und Kommunikation <?page no="50"?> sind, sind PatientInnen „krank und unwissend“ (vgl. Bechmann 2014: 3). Die VertreterInnen der Institution beginnen die Konversation und entscheiden deren Thema und Struktur, während die restlichen Gesprächsteilnehmenden hauptsächlich Fragen zu beantworten haben (vgl. Kadrić 2011: 57). Trotz des partizipativen Modells besitzen ÄrztInnen laut Bechmann (2014: 183) „Vorrechte für interaktive kommunikative Handlungen“. Die Kommunikation mit den Behandelnden ist also unidirektional (vgl. Bechmann 2014: 130), da sie haupt‐ sächlich ärztInnengesteuert ist. Die Richtung der Fragen und Antworten bleibt zumeist dieselbe: Die/ der ÄrztIn fragt, die/ der PatientIn antwortet. Laut Bührig und Meyer (2009: 191) übt jede Institution aufgrund ihrer individuellen Abläufe einen starken Einfluss auf die medizinische Kommuni‐ kation aus. Werden PatientInnen im Krankenhaus von FachärztInnen unter‐ schiedlicher Abteilungen untersucht, müssen mehrere Anamnesen durchge‐ führt werden, denn jede/ jeder ÄrztIn möchte bestimmte Symptome abklären, die möglicherweise nicht im Fokus vorheriger Untersuchungen standen (vgl. Bührig/ Meyer 2009: 191). Abb. 2 veranschaulicht den institutionellen Hand‐ lungsraum im Krankenhaus. Abb. 2: Handlungsraum in der Institution Krankenhaus (Meyer 2004: 52) In diesem Handlungsraum befinden sich verschiedene Pragmeme, die sprach‐ liche und mentale Aktivitäten beinhalten und „zusammengefasst als funktio‐ nale Einheiten eines gesamten Handlungsablaufs, in die Handlungslinien ein‐ zelner Aktanten und in unterschiedliche Sphären eingebettet sind“ (Bührig/ Durlanik/ Meyer 2000: 15). Mehrere Pragmeme zusammen bilden Hyperprag‐ 50 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="51"?> 4 In Abb. 2 liegt der Fokus auf der medizinischen Kommunikation in den rein medizini‐ schen Abteilungen des Krankenhauses. Aus diesem Grund finden nicht medizinische Beteiligte keine Berücksichtigung. meme. Der Aufenthalt beginnt in Anlehnung an Abb. 2 mit der Aufnahme. 4 Daran sind in der Regel keine ÄrztInnen, sondern die Verwaltung und das Pflegepersonal beteiligt. In diesem ersten Pragmem kann medizinische Kom‐ munikation im Rahmen der Erledigung von Aufnahmeformalitäten, Zahlungen oder deren Überprüfungen (im Fall von privat versicherten PatientInnen) und der Begleitung in die Station oder Ambulanz erfolgen. Erst nach der Aufnahme findet die Anamnese statt, bei der die PatientInnen mit ÄrztInnen interagieren und die jeweilige Krankengeschichte erzählen. Es folgt der Verdacht, eine Art Prädiagnose der behandelnden ÄrztInnen, die sich in dieser Phase unter Umständen auch mit ihren KollegInnen konsultieren. Während der darauffol‐ genden Untersuchung kann das Pflegepersonal den ÄrztInnen assistieren. Gewisse Untersuchungen bedingen per Gesetz ein Aufklärungsgespräch, in dem über Risiken, Methoden und Alternativen informiert werden soll (vgl. Bührig/ Meyer 2015: 307); zuweilen muss die Untersuchung wiederholt oder um weitere Abklärungen ergänzt werden. Danach wird ein Befund erstellt, an dem wiederum verschiedene ÄrztInnen (zum Beispiel RadiologInnen) mitwirken können (vgl. Bührig/ Durlanik/ Meyer 2000: 15ff.). Während der Diagnose - dem Ergebnis aus Verdacht, Untersuchung und Befund - werden die PatientInnen wieder stärker kommunikativ einbezogen. Der Diagnose folgt der Therapie‐ vorschlag, der zur Entscheidungsfindung eines Aufklärungsgesprächs bedarf. An der anschließenden Therapie sind neben den PatientInnen und ÄrztInnen auch das Pflegepersonal und etwaiges zusätzliches medizinisches Personal wie DiätassistentInnen und PhysiotherapeutInnen beteiligt. Vor der Entlassung, die inhaltlich ähnlich wie die Aufnahme verläuft, wird meist eine Erfolgskontrolle durchgeführt, in der ebenso das Pflegepersonal involviert sein kann (vgl. Bührig/ Durlanik/ Meyer 2000: 18ff.). Die ärztliche Praxis als medizinische Insti‐ tution verfügt in der Regel nicht über dieselbe Komplexität wie die Institution Krankenhaus und weist aus diesem Grund nur wenige Pragmeme auf (vgl. Bührig/ Meyer 2009: 181ff.). Dennoch kann es auch dort zu einer Kombination mehrerer Pragmeme kommen, falls vor oder nach dem Besuch der Praxis andere SpezialistInnen oder medizinische Institutionen konsultiert werden, die den institutionellen Handlungsraum erweitern. Die Struktur eines medizinischen Gesprächs folgt meist einem bestimmten institutionalisierten Kommunikationsmodell. Die sogenannten Calgary-Cam‐ bridge guides (vgl. vgl. Kurtz et al. 2003: 806, Bechmann 2014: 196ff.) stellen ein für ÄrztInnen entwickeltes Kommunikationsmodell dar, welches mittlerweile 51 2.1 Medizin und Kommunikation <?page no="52"?> als internationaler Maßstab für die evidenzbasierte ärztliche Gesprächsführung gilt. Die Richtlinien beschreiben mehr als 70 Kommunikationsprozesse und sollen den ÄrztInnen insbesondere während der klinischen Ausbildung zeigen, wie die ärztliche Gesprächsführung unter Berücksichtigung der partizipativen Entscheidungsfindung erfolgen sollte (vgl. Kurtz et al. 2003: 805ff., Bechmann 2014: 196ff., Lahmann/ Dinkel 2014). Kurtz et al. (2003: 806) schildern die in den Calgary-Cambridge guides definierten Empfehlungen zur Strukturierung des Gesprächsinhalts und Gesprächsablaufs. ÄrztInnen sollen der Kommunikation mit ihren PatientInnen auf der Basis der folgenden fünf Phasen Struktur verleihen, um eine Beziehung zu den PatientInnen aufzubauen: • Gesprächsinitialisierung • Informationsakquise • körperliche Untersuchung • Befunderklärung und Planung • Gesprächsabschluss Im Zentrum der Kommunikation sollen immer die PatientInnen stehen, was nur durch ein angemessenes Kommunikationsverhalten der ÄrztInnen, das die Pati‐ entInnen involviert, gelingen kann. Je nach Phase variieren das kommunikative Verhalten und die Fragetechnik der ÄrztInnen (vgl. Bechmann 2014: 182ff., Klüber 2015, Spranz-Fogasy/ Becker 2015: 101). Dabei bilden Fragen während der gesamten ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation, insbesondere bei der Infor‐ mationsgewinnung, das Hauptinstrument von ÄrztInnen, um zu gesundheits‐ relevanten Informationen zu gelangen. In der Sprachwissenschaft finden sich verschiedene Klassifikationen von Fragen. Spranz-Fogasy und Becker (2015: 100ff.) unterscheiden zum Beispiel zwischen geschlossenen und offenen Fragen. Geschlossene Fragen ermöglichen nur Ja/ Nein-Antworten und höchstens das Hinzufügen einer Begründung. Offene Fragen bieten hingegen den PatientInnen die Möglichkeit, ihr Wissen einzubringen und sich aktiv am Gespräch zu beteiligen. Sie können in syntaktische Fragen, die mit einem Verb an erster Stelle beginnen, Deklarativsatzfragen, die eine Präsupposition der ÄrztInnen beinhalten, sowie W-Fragen und Präzisierungs- oder Komplettierungsfragen unterteilt werden (vgl. Spranz-Fogasy/ Becker 2015: 101). Präzisierungsfragen nehmen die Aussagen der PatientInnen in der Frage wieder auf, um zusätzliche Informationen zu erhalten und somit das Gesagte zu präzisieren. Bei Komplet‐ tierungsfragen verwenden die ÄrztInnen für die Fragestellung die im Gespräch gewonnenen Informationen und das eigene Fachwissen, um zu überprüfen, ob sie die Situation und den Beschwerdesachverhalt verstanden haben. Die effiziente Fragenformulierung vonseiten der ÄrztInnen ist entscheidend für den 52 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="53"?> Erfolg der medizinischen Kommunikation sowie ihre Fähigkeit, eine partizipa‐ tive Beziehung aufzubauen und aktiv und empathisch zuzuhören (vgl. Hale 2007: 37). Die erste Phase des medizinischen Gesprächs, die Gesprächsinitialisierung, dient dem Aufbau der Beziehung zwischen den AkteurInnen: Dabei werden erste Informationen zu den PatientInnen gesammelt und die institutionellen Rollen für die gesamte Interaktion definiert. Die ÄrztInnen stellen offene Fragen, unter anderem zum Grund für die Konsultation, und zeigen sich durch aktives Zuhören interessiert (vgl. Bechmann 2014: 199). In dieser Phase werden auch etwaige Familienmitglieder, die am Gespräch teilnehmen, involviert (Angelelli 2019: 52). Die zweite Phase ist die Informationsakquise, in der die biomedizini‐ schen Daten, die PatientInnenperspektive und die Hintergrundinformationen erhoben werden. Dabei sollen das Problem und der Bedarf erkannt und die Gesamtsituation analysiert werden, wofür abermals die Technik des aktiven Zuhörens angewendet wird: Die ÄrztInnen konzentrieren sich ganz auf den Redebeitrag der PatientInnen und stellen zuerst offene Fragen, um Symptome und Erwartungen zu erheben, bevor sie zu geschlossenen Fragen übergehen, um „faktisch-objektive Hintergrundinformationen“ (Bechmann 2014: 200) zu erhalten und die Problematik einzugrenzen. „Der Arzt arbeitet in seinen Fragen an den Patienten einen mental gegebenen, aus Ausbildung und Erfahrung ge‐ speisten Symptomkatalog ab und greift jeweils nur bestimmte Anteile der Pati‐ entenantworten auf “ (Bührig/ Meyer 2009: 192). In dieser Phase werden darüber hinaus zahlreiche nonsowie paraverbale Kommunikationsmittel verwendet. Im Alltag werden PatientInnen in medizinischen Gesprächen allerdings relativ bald unterbrochen. Studien (vgl. u. a. Bechmann 2014: 148, Lahmann/ Dinkel 2014: 12) zeigen, dass sie im Schnitt meist nur über 18 Sekunden freier Redezeit verfügen, bevor die ÄrztInnen das Wort ergreifen. In der dritten Phase des medizinischen Gesprächs folgt die körperliche Untersuchung anhand dieser Schritte: „Betrachtung des Patienten, Abtasten, Abklopfen oder Abhören von Körperpartien“ (Spranz-Fogasy/ Becker 2015: 104). In dieser Phase verwenden ÄrztInnen zumeist Imperativsätze, mit denen die PatientInnen zur Ausführung bestimmter Handlungen aufgefordert werden (vgl. Crezee 2013: 48). Im Rahmen von Routine-Check-ups können nun einzelne Sub-Untersuchungen stattfinden: die Messung von Blut- und Pulswerten, die Auskultation, die Perkussion und die Palpation. Die körperliche Untersuchung stellt eine intime Phase dar, bei der die Diskretion aller Beteiligten wichtig ist. Die ÄrztInnen zeigen sich einfühlsam und führen möglicherweise ein zur Ablenkung dienendes Gespräch, um die Untersuchung angenehmer zu gestalten (vgl. Bechmann 2014: 200). In der vierten Phase erfolgen die Befunderklärung und Planung, in der im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung eine Wissensvermittlung unter 53 2.1 Medizin und Kommunikation <?page no="54"?> 5 Eine ausführliche Systematik der ÄrztInnen-PatientInnen-Interaktionen bietet Nowak 2010. Einbeziehung der PatientInnen vorgesehen ist (vgl. Bechmann 2014: 2004). Da Befunde so aufbereitet werden sollen, dass die PatientInnen die Ursachen und Folgen der Krankheit verstehen, wird oft auf unterstützende Medien zurückge‐ griffen, die den PatientInnen die Situation leichter verständlich machen. Die Informationen sind im Vergleich zu anderen Phasen reduziert, häufig gibt es aber Verständnisfragen seitens der Behandelnden, anhand derer überprüft wird, ob die PatientInnen den Gesprächsinhalt verstanden haben. Falls emotionale Themen besprochen werden müssen, werden nonkonfrontative Strategien be‐ vorzugt, die die Verwendung von Metaphern, das Angebot eigener Hypothesen als Fragen, den Verweis auf Dritte, indirekte Ich-Fragen und Pausen beinhalten (vgl. Bechmann 2014: 205). Die Interaktion endet mit dem Gesprächsabschluss, bei dem eine für den institutionellen Kontext angemessene Verabschiedung erfolgt und eventuell die Therapieschritte oder die nächsten Schritte nochmals kurz zusammengefasst werden. Beim Gesprächsabschluss werden PatientInne‐ nentscheidungen verbal bestärkt und möglicherweise schriftliche Therapieziele ausgehändigt, damit die PatientInnen diese später noch einmal nachschlagen können. 2.1.3 Gesprächsformen und Textsorten der medizinischen Kommunikation Während ihrer Tätigkeit im Rahmen der dolmetschvermittelten medizinischen Kommunikation werden DolmetscherInnen mit verschiedenen Gesprächs‐ formen und Textsorten konfrontiert, welche in den meisten Fällen der externen Fachkommunikation - der Kommunikation zwischen Fachpersonen und Pati‐ entInnen - zuzuschreiben sind (vgl. Bechmann 2014: 170ff., Weinreich 2015). Zu den mündlichen Textsorten gehören alle Gesprächsformen des ÄrztInnen-Pati‐ entInnen-Gesprächs (vgl. Weinreich 2015: 394) wie folgt: 5 • das Anamnese- und Erstgespräch • das Aufklärungsgespräch • das Beratungsgespräch • das Überbringen schlechter Nachrichten • das Nachfolge- oder Kontrollgespräch • das Aufnahme-, Visite- und Entlassungsgespräch 54 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="55"?> 6 In Crezee (2013: 44f.) findet sich eine Auflistung möglicher Fragen, die den PatientInnen in diesem Zusammenhang gestellt werden können. 7 In der sprachwissenschaftlichen Literatur (vgl. u. a. Busch/ Spranz-Fogasy 2015) wird häufig davon ausgegangen, dass die Fragen der ÄrztInnen immer bewusst formuliert werden und eine bestimmte Form aufweisen. Andererseits sollten auch jene sprach‐ wissenschaftlichen (vgl. u. a. Sator/ Jünger 2015) oder medizinischen (vgl. u. a. Hlad‐ schik-Kermer 2015) Publikationen nicht außer Acht gelassen werden, in denen fehlende Kommunikationsfähigkeit der ÄrztInnen sowie eine Marginalität der kommunikativen Kompetenz in der medizinischen Ausbildung behandelt werden. 8 Ausführliche Informationen zu Aufklärungsgesprächen und den Herausforderungen beim Dolmetschen finden sich z. B. in Meyer 2000 und 2006. Das Anamnesegespräch stellt in der Regel das Erstgespräch zwischen ÄrztInnen und PatientInnen dar und dient der Erhebung der wichtigsten Daten zur Krankengeschichte sowie zur sozialen Situation der PatientInnen (vgl. Bührig/ Meyer 2015: 305). Im Anamnesegespräch wird in der Regel dem Grund für den ärztlichen Besuch nachgegangen (vgl. Crezee 2013: 44ff.). 6 In der Anamnese kommt häufig eine sogenannte unidirektionale „Fragebatterie“ (Bührig/ Meyer 2015: 306) zum Einsatz: Hierbei formulieren ÄrztInnen ihre Fragen nicht zufällig, sondern sie lenken durch diesen Fragekomplex das Gespräch in eine Richtung, die ihnen ermöglicht, die gewünschten Informationen vonseiten der PatientInnen zu erhalten. 7 Durch diese Fragen sollen die Symptome ermittelt werden (vgl. Crezee 2013: 45). Der Präsentationsstil der PatientInnen während ihres Beschwerdevortrages im Anamnesegespräch (vgl. Spranz-Fogasy/ Becker 2015) kann aufgrund von Sprach- und Kulturbarrieren die Normalitätserwar‐ tungen (vgl. Knapp 1999: 13) der ÄrztInnen enttäuschen. Genauso könnte das systematische Vorgehen der deutschsprachigen ÄrztInnen den Normalitätser‐ wartungen mancher PatientInnen aus anderen Herkunftsländern nicht gerecht werden, da diese auf eine Gesprächseröffnung mittels Small Talk eingestellt sind (vgl. Bührig/ Meyer 2015: 305). In die Beschwerdeschilderung fließen das All‐ tagswissen zu Körper, Krankheit und Gesundheit sowie das semiprofessionelle Wissen der PatientInnen (vor allem im Fall von chronischen Erkrankungen) ein (vgl. Spranz-Fogasy/ Becker 2015: 96). Im Aufklärungsgespräch werden auf Basis der bereits erhobenen Befunde Therapievorschläge gemacht (vgl. Bechmann 2014: 172). 8 Diese Gesprächsform ist aus rechtlichen Gründen sehr wichtig, da ÄrztInnen eine Aufklärungspflicht zu Risiken, Heilungschancen und Alternativen obliegt (vgl. auch 1.7). In der deutschen und österreichischen Rechtsprechung wird auf die Notwendigkeit einer „sprachkundigen Person“ (Bührig/ Meyer 2015: 307) im Rahmen medizinischer Gespräche - ohne weiter auf diese Person einzugehen - hingewiesen. Nach dem Therapievorschlag werden Risiken und Komplikationen der Therapie erläutert, 55 2.1 Medizin und Kommunikation <?page no="56"?> auf deren Basis die PatientInnen zu entscheiden haben, ob sie die Einverständ‐ niserklärung zu einer weiterführenden Therapie unterzeichnen. In dieser Situa‐ tion ist die Beiziehung ausgebildeter DolmetscherInnen im Sinne der ärztlichen Haftung und der Zufriedenheit sowie des Schutzes der PatientInnen essenziell. Diese Gesprächsform ist geprägt von der Kommunikation über die Risiken der Behandlung. Wie Bührig (2001: 115) und Meyer (2005: 1605) aufzeigen, greifen ÄrztInnen auf bestimmte sprachliche Mittel zurück, die ihnen ermöglichen, Ri‐ siken zu thematisieren. So verwenden sie auf Deutsch das Verb „müssen“, um ein neues schwieriges Thema zur Sprache zu bringen: „Ich muss Ihnen sagen“ (Meyer 2005: 1605); das Verb „können“, um mögliche Komplikationen zu beschreiben, zu nennen oder zu erklären: „Sie können eine Lungenentzündung bekommen“ (Meyer 2005: 1605); Temporaladverbien wie „häufig“ oder „normalerweise“, um die Frequenz und die Ernsthaftigkeit zu bestimmen: „Das passiert nicht sehr häufig“ (Meyer 2005: 1605). Hinsichtlich der Dolmetschung ist diese Gesprächs‐ form von fachkommunikativen und terminologischen Herausforderungen ge‐ prägt (vgl. Bührig/ Meyer 2015: 307). Eine weitere Form des Aufklärungsgesprächs bildet das Gespräch zwischen PatientInnen und AnästhesistInnen (vgl. Klüber 2015). Das aus institutionellen und rechtlichen Gründen stark standardisierte Gespräch (vgl. Klüber 2015: 222) ist für die Wahl der richtigen Narkose entschei‐ dend und dient dazu, vor der Verabreichung die Einverständniserklärung der PatientInnen zu erlangen. Auch in dieser Gesprächsform ist die Einwilligung aus rechtlichen Gründen relevant. Das Gespräch wird um einen standardisierten Fragebogen ergänzt, der entweder vor der Interaktion von den PatientInnen oder während der Interaktion von den ÄrztInnen ausgefüllt wird. Falls die PatientInnen den Fragebogen ausfüllen, helfen ihnen die DolmetscherInnen, indem sie den Inhalt vom Blatt dolmetschen. Das Beratungsgespräch ist meist ein zeitaufwändiger, gleichberechtigter Dialog (vgl. Bechmann 2014: 172), der dem Erstgespräch entsprechen kann. Bei dieser Gesprächsform agieren die ÄrztInnen im Sinne des partizipativen Modells und nehmen hauptsächlich eine beratende Rolle ein. Schließlich geht es darum, Wissenslücken durch die aktive Miteinbeziehung der PatientInnen zu füllen (vgl. Bührig/ Meyer 2015: 309). Das Überbringen schlechter Nachrichten - in der medizinischen Literatur auch als bad news delivery bezeichnet - ist eine Gesprächsform, die durch einen hohen Grad an Emotionalität geprägt ist (vgl. Bührig/ Meyer 2015: 308). Während des Überbringens schlechter Nachrichten können kulturell unter‐ schiedliche Vortragsarten (vgl. Bührig/ Meyer 2015: 308, Spranz-Fogasy/ Becker 2015: 109) zu unerfüllten Normalitätserwartungen führen. Für ÄrztInnen stellt das Überbringen schlechter Nachrichten eine komplexe Gesprächsform dar: Die 56 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="57"?> 9 In diesem Zusammenhang sollte darauf hingewiesen werden, dass in vielen Studien zur verdolmetschten medizinischen Kommunikation die untersuchten DolmetscherInnen Laiendolmetschende sind. 10 Eine Ausnahme ist Crezee (2013: 64ff.), die sich in ihrem Buch zum Medizindolmetschen ausführlich mit dem Aufnahmevorgang auseinandersetzt. 11 Als Ausnahme kann das Aufnahmegespräch gesehen werden, das auch vom Empfangs‐ personal in der ärztlichen Praxis oder im Untersuchungslabor geführt werden kann. Mitteilung beginnt mit der Rekapitulation der vorigen Untersuchungen, damit die PatientInnen den Zusammenhang verstehen können: „Bad news werden also nicht expressis verbis mitgeteilt, sondern vor allem über eine stockende Formulierungsweise mit Zögern, Heckenausdrücken oder Pausen vermittelt“ (Spranz-Fogasy/ Becker 2015: 109, Hervorhebungen nicht im Original). Darüber hinaus belegen diskursanalytische Untersuchungen von dolmetschvermittelten Interaktionen, dass DolmetscherInnen schlechte Nachrichten nicht immer kon‐ sequent dolmetschen. 9 So weisen Butow et al. (2013: 251) in ihrer Studie darauf hin, dass schlechte Nachrichten von den DolmetscherInnen häufig getilgt oder abgeschwächt werden. Das Kontroll- und das Folgegespräch sind in der Regel kurze Gespräche, in denen die ÄrztInnen mit kurzen und prägnanten Fragen den aktuellen gesundheitlichen Zustand der PatientInnen eruieren (vgl. Menz 2015: 77). Zu Konflikten kann es kommen, wenn sich die Gesprächsbeteiligten unterschied‐ liche Zeitrahmen für das Gespräch erwarten; von ÄrztInnenseite wird bei einem Kontrollgespräch meist von einer kurzen Unterredung ausgegangen. Aufnahme-, Visite- und Entlassungsgespräche werden in der dolmetschwis‐ senschaftlichen Literatur nur am Rande erwähnt. 10 Dies dürfte darauf zurück‐ zuführen sein, dass diese seltener von ausgebildeten DolmetscherInnen verdol‐ metscht werden. Alle drei Gesprächsformen finden in der Regel innerhalb der Institution Krankenhaus statt, 11 sind besonders stark institutionalisiert (vgl. Bechmann 2014: 172ff.) und haben vor allem bei geplanten stationären und ambulanten chirurgischen Eingriffen eine hohe Bedeutung. Im Fall von geplanten Behandlungen erfolgt das Aufnahmegespräch zu den vereinbarten Zeiten und ist für alle Beteiligten - inklusive DolmetscherInnen - mit weniger Stress verbunden als bei Notaufnahmen (vgl. Crezee 2013: 65). Im Aufnah‐ megespräch sollen die relevanten persönlichen, medizinischen und sozialen Informationen der PatientInnen erhoben werden: Es handelt sich hierbei um eine geplante, zielgerichtete Informationssammlung, bei der die PatientInnen auch die Möglichkeit bekommen, Fragen zu stellen, um gewisse - insbesondere organisatorische - Aspekte zu klären (vgl. Bechmann 2014: 172.). In der Regel wird der/ dem PatientIn das Zimmer bzw. das Bett sowie die Einrichtungsge‐ 57 2.1 Medizin und Kommunikation <?page no="58"?> 12 Im Rahmen des Aufnahmegesprächs werden außerdem ein Anamnesegespräch mit dem Krankenpflegepersonal und ein Anamnesegespräch mit einer/ einem InternistIn, in denen der gesundheitliche Zustand der/ des PatientIn ermittelt wird, geführt. genstände, die während des Krankenhausaufenthaltes relevant sind, erklärt (vgl. Crezee 2013: 65). 12 Das gleichfalls ritualisierte Visitengespräch besteht aus kurzen unidirektionalen und direktiven Fragen, die die ÄrztInnen den PatientInnen stellen, um den gesundheitlichen Zustand während eines statio‐ nären Aufenthaltes - möglicherweise nach einem operativen Eingriff - zu ergründen (vgl. Bechmann 2014: 172). Die Möglichkeiten der PatientInnen zur Redeinitiative sind hier sehr eingeschränkt: Meistens antworten sie auf die von den ÄrztInnen gestellten Fragen, „wobei ein Großteil dieser so gestellt wird, dass sie die Antworten bereits vorwegnehmen“ (vgl. Trubel 2004: 162). Bechmann beschreibt diese Gesprächsform als besonders intim und ärztInnenzentriert. Die Dauer der Visite ist häufig begrenzt, und das Gespräch kann durch Störungen und die Nichteinhaltung essenzieller Gesprächskonventionen wie Begrüßung, Vorstellung und Verabschiedung gekennzeichnet sein (vgl. Menz 2015: 81). Auf‐ grund der Planungsschwierigkeiten von Visitengesprächen ist es nicht immer möglich, eine/ einen DolmetscherIn zur Visite beizuziehen. Im Entlassungsge‐ spräch werden die PatientInnen von den ÄrztInnen verabschiedet. Im Rahmen dieses Gesprächs sollen wichtige Informationen zu Folgeuntersuchungen und Heimmedikationen vermittelt werden (vgl. Bechmann 2014: 173). Eine Art Ent‐ lassungsgespräch wird aber auch zwischen den Angestellten des Krankenhauses und den PatientInnen geführt, in denen neben organisatorischen auch finanzi‐ elle Angelegenheiten angesprochen werden können. Werden die operativen Eingriffe in privaten Einrichtungen durchgeführt, müssen bei der Entlassung die offenen Kosten beglichen sowie weitere Formalitäten erledigt werden. Unter den schriftlichen Textsorten der medizinischen Kommunikation finden sich unter anderem: • der Aufnahmebogen • der Aufklärungsbogen • der Ernährungsplan • der Beipackzettel • der Behandlungsvertrag • der Entlassungsbrief • der ärztliche Brief • der Laborbefund • der Operationsbericht • das FachärztInnengutachten 58 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="59"?> 13 Im Fall von Minderjährigen unterschreiben in der Regel die Eltern (vgl. Crezee 2013: 89). Schriftliche Textsorten können für DolmetscherInnen eine große Herausfor‐ derung darstellen, da sie terminologisch komplex sind (vgl. Weinreich 2015: 400). Auf schriftliche Textsorten kann auch im Rahmen des ÄrztInnen-Patien‐ tInnen-Gesprächs zurückgegriffen werden, falls beispielsweise während des Aufklärungsgesprächs der Aufklärungsbogen oder während des Aufnahme‐ gesprächs oder der Anamnese ein standardisierter PatientInnenfragebogen verwendet wird (vgl. Bechmann 2014: 174). Üblicherweise werden Fragebögen von den DolmetscherInnen vom Blatt gedolmetscht, können aber wie im Fall des Behandlungsvertrags oder des ärztlichen Briefs auch im Nachhinein auf Anfrage übersetzt werden. Aufnahmebögen dienen in der Regel dazu, die wichtigsten persönlichen und versicherungsbezogenen Daten der PatientInnen bei der Aufnahme ins Krankenhaus zu erfassen. Der Aufklärungsbogen - auf Englisch informed consent form oder agreement to treatment form (vgl. Crezee 2013: 89) - dient als Unterstützung während des Aufklärungsgesprächs sowie als schriftliche Bestätigung über die erfolgte Aufklärung und Einwilligung der PatientInnen. Abgesehen von einigen Ausnahmen (die/ der PatientIn ist bewusstlos, ist nicht compos mentis oder steht unter Einfluss von Drogen) ist immer eine schriftliche Einwilligung auf dem Aufklärungsbogen notwendig (vgl. Crezee 2013: 89). 13 Aufgrund seiner rechtlichen Natur ist der Aufklärungs‐ bogen meistens standardisiert und wird den ÄrztInnen von Verlagshäusern zur Verfügung gestellt (vgl. Weinreich 2015: 400). Üblicherweise besteht er im deutschsprachigen Raum aus zwei Teilen, die sich über vier Seiten erstre‐ cken. Der erste Teil dient der Beschreibung des Eingriffs und ist inhaltlich und sprachlich fachlich geprägt; Fachbegriffe werden meistens erklärt. Der zweite Teil besteht aus Fragen, welche die für die Behandlung relevanten Informationen über die PatientInnen erheben sollen, und deren Antworten von den PatientInnen anzukreuzen sind. Der Ernährungsplan (vgl. Weinreich 2015: 394) kann als Textsorte von Bedeutung sein, falls den PatientInnen eine spezielle Diät verschrieben wird, um die Therapie zu unterstützen. Beipack‐ zettel sind eine weitere Textsorte, mit der DolmetscherInnen im Rahmen eines Beratungsgesprächs konfrontiert werden können, falls die ÄrztInnen gewisse Informationen zu Medikamenten, die die PatientInnen aktuell einnehmen, benö‐ tigen. In den Beipackzetteln finden sich Informationen zu „Anwendungsgebiet, Darreichungsform, Gegenanzeigen, Wechselwirkungen, Dosierungsanleitung, Nebenwirkungen, Gegenmaßnahmen zu Über-/ Unterdosierung, Angaben zum Hersteller und Wirkstoff “ (Weinreich 2015: 400). Eine weitere selten themati‐ 59 2.1 Medizin und Kommunikation <?page no="60"?> 14 Rechtlich ist das Verfassen eines ärztlichen Briefs nach einer ambulanten Untersuchung oder Behandlung nicht klar geregelt (vgl. Möller/ Makoski 2015). sierte Textsorte ist der Behandlungsvertrag (vgl. Kletečka-Pulker 2013: 46), der zwischen den VertreterInnen der medizinischen Institution und den Patien‐ tInnen abgeschlossen wird und die rechtliche Grundlage für die Behandlung darstellt. Aus dem Behandlungsvertrag ergeben sich Rechte und Pflichten für alle Beteiligten, weshalb es von großer Relevanz ist, dass PatientInnen den Inhalt genau verstehen, bevor sie den Vertrag unterzeichnen. Dolmetsche‐ rInnen können situationsabhängig den Behandlungsvertrag übersetzen oder vom Blatt dolmetschen. Der Entlassungsbrief wird in der Regel nach einem Krankenhausaufenthalt erstellt und enthält die Eckdaten zum Aufenthalt und zu den durchgeführten Behandlungen. Ärztlicher Brief, Laborbefund, Operationsbericht und FachärztInnengut‐ achten richten sich in erster Linie an FachexpertInnen und fallen daher in den Bereich der internen Fachkommunikation (vgl. Crezee 2013: 53, Weinreich 2015: 394). Diese Textsorten enthalten Zusammenfassungen von medizinischen Gesprächen oder Eingriffen sowie von diagnostischen Untersuchungen und können wie beim ärztlichen Brief Therapievorschläge beinhalten. Sie werden zumeist von der medizinischen Institution nach Abschluss der Therapie bzw. der Behandlung übermittelt. Ebenso können ÄrztInnen nach einer ambulanten Untersuchung oder einem Beratungsgespräch einen ärztlichen Brief verfassen, obwohl dies in der Praxis in Deutschland und Österreich nicht immer der Fall ist (vgl. Möller/ Makoski 2015). 14 Der ärztliche Brief wird von Weinreich (2015: 397) als Kommunikationsmedium zwischen ÄrztInnen beschrieben, dessen Inhalt aus Diagnose und Therapieverlauf besteht. Laut Weinreich werden viel Zeit und strukturiertes Denken benötigt, um einen ärztlichen Brief zu verfassen, da die Informationen kurz, aber kohärent zusammengefasst werden sollen. Letztendlich kann der ärztliche Brief auch für die Kostenabrechnung von Bedeutung sein (vgl. Weinreich 2015: 398). 2.1.4 Ethnomedizinische Aspekte Durch das Modell der partizipativen Entscheidung ist die medizinische Kommu‐ nikation in den vergangenen Jahren dialogischer und narrativer geworden (vgl. Koerfer/ Albus 2015: 118). So können die von den ÄrztInnen gestellten offenen Fragen während der Gesprächsinitialisierung und der Informationsakquise den PatientInnen helfen, das eigene Krankheitsverständnis und die Schmerzwahr‐ nehmung zu kommunizieren oder zu offenbaren. Diese Offenbarungen sind im 60 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="61"?> 15 So darf man sich in Europa über Kopfschmerzen beschweren, aber nicht, wie in Malaysia oder Südchina üblich, darüber, dass „sich sein Penis in den Körper zurückzieht“ (Lalouschek 2008: 32). Sinne der biopsychosozialen Medizin, die nicht nur die dichotomische Dimen‐ sion von Gesundheit oder Krankheit, sondern auch die psychischen und sozialen Faktoren hervorhebt, von enormer Relevanz: „Krankheit und Gesundheit sind im biopsychosozialen Modell nicht als ein Zustand definiert, sondern als ein dy‐ namisches Geschehen“ (Egger 2005: 3). Das Kranksein ist als dynamisch und in einem direkten sozialen und kulturellen Kontext eingebettet zu verstehen (vgl. Domenig 2003: 28). Der kulturelle Kontext kann darüber hinaus vorschreiben, wie sich Kranke zu verhalten haben. In manchen Kulturkreisen verhalten sich zum Beispiel PatientInnen als Kranke, da dies von ihnen erwartet wird: „They have to lie in bed, refuse to do anything for themselves, cry out in pain and so on“ (Crezee 2013: 27). Aus diesem Grund kann es sogar vorkommen, dass die Kranken bestimmten Empfehlungen zu Essgewohnheiten bzw. körperlicher Tätigkeit nicht nachkommen, obwohl ihnen nach einer Operation empfohlen wird, Sport zu treiben (vgl. Crezee 2013: 27f.). In einigen Kulturkreisen gilt darüber hinaus eine Krankheit als Angelegenheit der gesamten Familie: Die Krankheit besitzt eine intersubjektive Dimension und die Familie hat eine Beistandspflicht (vgl. Bechmann 2014: 222f.). Hinsichtlich des narrativen Ansatzes bildet besonders die Schmerzbeschrei‐ bung eine Herausforderung für alle Beteiligten, denn der Kommunikationsstil unterscheidet sich nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern wird auch von kulturbedingten Aspekten beeinflusst (vgl. Menz et al. 2013: 23). So wird der Präsentationsstil u. a. von der Kultur der Sprechenden beeinflusst, die sich in einem ärztlichen Erstgespräch darüber verwundert zeigen könnten, dass die Kommunikation nicht dem Muster eines für sie gewohnten Small Talks folgt. Schmerzen basieren zwar immer auf subjektiven Erfahrungen (vgl. Crezee 2013: 27, Spranz-Fogasy/ Becker 2015: 94f.), aber sie weisen mehrere Dimensionen auf: „Nach dem Dreiebenenmodell menschlichen Verhaltens beinhaltet Schmerz psychologische, physiologische und soziale Aspekte“ (Bergener 1987: 21). Die Schmerztoleranz - aber auch die Meinungsbildung zum Schmerz - ist daher nicht vom Individuum isoliert zu betrachten, sondern wird von soziokulturellen Faktoren beeinflusst. Lalouschek (2008: 31ff.) thematisiert die Kulturgebun‐ denheit sowie die soziokulturelle Dimension von Schmerzbeschreibungen, Beschwerden und Syndromen sowie die Geschlechtsspezifik von Krankheit und Gesundheit. Anhand von Beispielen aus verschiedenen Kulturkreisen zeigt sie den Zusammenhang zwischen Symptomwahl, Symptomdifferenzierung und Krankheitsbeschreibungen. 15 Deutschsprachige PatientInnen weisen in der 61 2.1 Medizin und Kommunikation <?page no="62"?> 16 Laut Bechmann (2014: 221) sind diese Ausdrücke auf die Beobachtung zurückzuführen, dass insbesondere südländische PatientInnen „zu einer oft ungewöhnlich starken und globalen Schmerzäußerung neigen“. Regel unabhängig vom Alter eine relativ hohe Schmerztoleranz auf (vgl. Delli Ponti/ Forlivesi 2005: 198) und klagen seltener und weniger über Schmerzen im Vergleich zu PatientInnen aus dem Mittelmeerraum. Delli Ponti und Forlivesi (2005) führen als Beispiel den Fall eines deutschen Patienten an, der fünf Stunden im Wartesaal der Notaufnahme saß, ohne sich zu beschweren, obwohl die ÄrztInnen, die ihn später untersuchten, seine Lage viel ernster bewerteten als jene anderer PatientInnen aus Italien, Albanien und dem Maghreb, die ihre Schmerzen viel stärker nach außen getragen hatten und daher früher behandelt worden waren. Auch die non- und paraverbale Sprache bei der Schilderung von Schmerzen spiegelt soziokulturelle Aspekte wider: „Patients from some cultures express the fact that they are in pain by yelling, shouting and moaning, whereas people from other cultural backgrounds may have learned to grit their teeth and ‘suffer’ in silence“ (Crezee 2013: 28). Die individuelle Dimension des Schmerzempfindens (vgl. Meyer/ Bührig 2014: 305) und das subjektive, private Krankheitsmodell (vgl. Bechmann 2014: 158) werden also um die kulturbedingte Schmerzkonzeption ergänzt. Daraus kann eine schwer nachvollziehbare Schmerzbeschreibung entstehen, die die Erstellung einer Dia‐ gnose deutlich schwieriger gestaltet. Manche Syndrome gelten in der medizinischen und sprachwissenschaftli‐ chen Literatur als kultur- und genderspezifisch, weshalb sie nur unter Be‐ rücksichtigung des spezifischen (sub-)kulturellen Kontexts verstanden werden können. Um diese Elemente der Beschwerdeschilderung zu verstehen, ist Kulturkompetenz in beiden Sprachen von großer Bedeutung. Ein Beispiel ist das mittel- und südamerikanische susto, ein „Schrecken, der zu Seelenverlust führt“ (vgl. Lalouschek 2008: 33). Oder die cervicale für italienischsprachige Menschen (vgl. Mitzman 2011), die in anderen Ländern nur als steifer Nacken oder Nackenschmerzen beschrieben und nicht unbedingt als ernsthafte Proble‐ matik wahrgenommen wird. Ein weiteres Beispiel für die Kulturgebundenheit von Schmerzen ist das sogenannte Mittelmeer-Syndrom, auch Morbus mediter‐ raneus oder Morbus bosporus genannt, das durch eine exzessive Emotionalität gekennzeichnet ist und eine „erhöhte Somatisierungsneigung und Tendenz zur Somatisierung psychischer Störungen“ (Bechmann 2014: 221) von PatientInnen aus bestimmten Regionen bedeutet. 16 Auch Tabus, die in jeder Gesellschaft existieren und Unterschiede zwischen Sprach- und Kulturkreisen aufweisen, können die ÄrztInnen-Patienten-Kommu‐ nikation beeinflussen. Dazu gehören Krankheiten oder Themen, die besonders 62 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="63"?> mit Sexualität, Tod und menschlichen Sekreten verbunden sind (vgl. Trubel 2004: 48). Was als Tabukrankheit wahrgenommen wird, verändert sich im Laufe der Zeit (vgl. Kautsch 2012). Typische Beispiele für Krankheiten unserer Zeit, die einer gesellschaftlichen Stigmatisierung unterliegen, sind Harninkontinenz, Erektionsstörungen, aber auch depressive Erkrankungen, die Menschen in soziale Isolation zwingen. Bei Tabukrankheiten ist Feingefühl seitens aller Beteiligten notwendig (vgl. Kautsch 2012). Tabus werden häufig durch die Verwendung von Euphemismen zum Ausdruck gebracht (vgl. Trubel 2004: 58). Durch die Kul‐ turkompetenz der DolmetscherInnen können kulturspezifische Tabuisierungen erkannt, behandelnde ÄrztInnen darauf hingewiesen und etwaige Schwierig‐ keiten im Rahmen der Artikulation der Problematik überwunden werden. Ebenso kulturgebunden kann das Überbringen schlechter Nachrichten sein: In manchen Kulturen wird alleine das Reden über schlechte Nachrichten als Gefahr eingestuft, denn das könnte das Schicksal negativ beeinflussen (vgl. Leet et al. 2002). PatientInnen, die nach einem Aufklärungsgespräch keine weiteren Fragen z. B. zu Risiken und Komplikation stellen, haben somit nicht unbedingt ein fehlendes Interesse an ihrer Gesundheit, sondern möchten vielmehr kein Pech anziehen. Bührig und Meyer (2015: 303ff.) relativieren den Fokus, den andere AutorInnen auf die ethnischen und kulturellen Besonderheiten der AkteurInnen legen. So sind sie der Auffassung, dass es keine direkte oder kausale Korrelation zwischen kultureller Zugehörigkeit und Umgang mit Krankheit geben kann, da Schmerzen wie auch ihre Beschreibung immer individuell sind. Selbst wenn eine gewisse Loslösung von kulturspezifischen Krankheitskonzepten sinnvoll erscheint und kulturelle Zugehörigkeit nicht die individuelle Dimension der Schmerzwahrneh‐ mung und -kommunikation überlagern sollte, sollten im Sinne des biopsycho‐ sozialen Modells soziokulturelle Elemente nicht außer Acht gelassen werden. So kann in Bezug auf das oben erwähnte Beispiel des Mittelmeer-Syndroms die Berücksichtigung der soziokulturellen Dimension der Schmerzen dabei helfen, eine besonders emotionale Schmerzensschilderung seitens südländischer PatientInnen angemessen zu interpretieren und diese weder als theatralische Darstellung abzutun noch als akute lebensbedrohliche Situation einzustufen. Illkilic schlägt in diesem Zusammenhang vor, einen Kulturbegriff zu verwenden, „der die Kulturkreise als sich in einem stetigen Wandel befindliche heterogene Bevölkerungsgruppen versteht, die in einer stetigen Interaktion mit anderen Kulturkreisen stehen“ (Illkilic 2010: 35). Sprache, Religion, Traditionen usw. prägen die Wertvorstellungen und weisen oft einen normativen Charakter auf. Interkulturelle Kompetenz kann ÄrztInnen dabei helfen, ethische Konflikte be‐ treffend „die Patientenautonomie, die Familienautonomie, das beste Interesse des Patienten, Leidenslinderung […]“ (Illkilic 2010: 33) zu analysieren und zu lösen. 63 2.1 Medizin und Kommunikation <?page no="64"?> 17 Eine weitere systematische Untersuchung ist jene von Bischoff und Loutan (2004), die sich mit den Sprachbarrieren in den Schweizer Krankenhäusern auseinandersetzt. Bischoff und Loutan (2004: 181) stellen in ihrer Studie fest, dass nur 14% der Kranken‐ häuser häufig DolmetscherInnen einsetzt. In den meisten Fällen wird entweder auf die Verwandten der PatientInnen (79%) oder auf das medizinische Personal (75%) sowie auf das nicht medizinische Personal (43%) zurückgegriffen. 2.2 Sprachbarrieren im Gesundheitswesen Wenn das medizinische Personal und die PatientInnen unterschiedliche Spra‐ chen sprechen, können Probleme in der Kommunikation entstehen, was wie‐ derum einen gravierenden Einfluss auf den Erfolg der Behandlung haben kann. Die Überwindung von Sprachbarrieren im Gesundheitswesen ist aus zweierlei Gründen wichtig: Erstens stellt medizinische Kommunikation „Kommunikation und Medizin zugleich“ (Bechmann 2014: 5) dar, und zweitens können das Recht auf Unversehrtheit und Selbstbestimmung sowie das Aufklärungsrecht nur durch eine missverständnisfreie Kommunikation gewahrt bleiben (vgl. Reisewitz 2015: 23ff.). Zur Analyse der Sprachbarrieren im Gesundheitswesen sollte zuerst ermit‐ telt werden, welche fremdsprachigen PatientInnen sich einer medizinischen Behandlung unterziehen müssen. Hoefert (2008: 107) unterscheidet innerhalb der fremdsprachigen PatientInnen zwischen zwei PatientInnengruppen. In der ersten Gruppe finden sich Menschen mit Migrationshintergrund, die Teil der Bevölkerung des Ziellandes geworden sind. Die zweite Gruppe umfasst hin‐ gegen Menschen, die zwecks einer medizinischen Behandlung im Rahmen des Medizintourismus in das Zielland einreisen. Eine Mehrheit der bisher veröffent‐ lichten Untersuchungen zur medizinischen Kommunikation beschäftigt sich mit jener PatientInnengruppe, die einen Migrationshintergrund aufweist. Eine sys‐ tematische Erfassung der Sprachbarrieren, mit denen diese Gruppe beim Zugang zur medizinischen Versorgung konfrontiert ist, findet sich im deutschsprachigen Raum allerdings nur in wenigen Studien. Eine dieser systematischen transla‐ tionswissenschaftlichen Studien ist jene von Pöchhacker (2000a bzw. 2013: 109ff.) aus dem Jahr 1996, die die Kommunikation mit nicht deutschsprachigen PatientInnen in zehn Wiener Krankenhäusern untersucht. 17 Im Rahmen dieser quantitativen Umfrage wurden ÄrztInnen, TherapeutInnen und Pflegepersonal aus 71 Abteilungen und Kliniken zum Thema Sprachbarrieren befragt. Aus den Antworten ergab sich, dass Kommunikation mit PatientInnen, die nicht Deutsch sprechen, zum Alltag des medizinischen Personals gehört und dass 27 Sprachen verwendet wurden. Während in den gynäkologischen Abteilungen das Ausmaß an Kommunikation mit nicht deutschsprachigen PatientInnen 64 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="65"?> besonders hoch war, fiel der Kommunikationsanteil mit dieser Gruppe in den psychiatrischen Abteilungen deutlich geringer aus. Die Kommunikation mit nicht deutschsprachigen PatientInnen erfolgte bei 7% der Befragten ohne zusätzliche Hilfe, während 90% auf die Hilfe Dritter zurückgriffen. Bei den genannten Dritten handelte es sich meist um Begleitpersonen (häufig die Kinder der PatientInnen), gefolgt von fremdsprachigem Krankenhauspersonal - das häufig das Reinigungs- oder Pflegepersonal und nur selten ÄrztInnen umfasste. Der Einsatz von dolmetschenden Begleitpersonen wurde fast immer als problematisch eingestuft, da diese laut den Befragten keine medizinischen oder terminologischen Kenntnisse besaßen und aufgrund ihrer persönlichen Nähe zu den PatientInnen befangen waren. Hingegen wurde die Einbeziehung des Krankenhauspersonals als Dolmetschende von den Befragten als nicht so problematisch erachtet. Wie Pöchhacker ausführt, bergen diese drei Möglich‐ keiten zur Überbrückung der Sprachbarrieren einige Gefahren, für die in den Krankenhäusern häufig das Bewusstsein fehlt. Zu diesen Gefahren zählen laut Albrecht (2015: 4) Fehlinformationen bei PatientInnen, Fehldiagnosen aufseiten der ÄrztInnen, zusätzliche Untersuchungen und Wiederholungen der Therapie, längere Verweildauer und höhere Behandlungskosten. Sprachbarrieren gibt es nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in ärztlichen Praxen. So beschreibt Leitner (2013) anhand einer Fallstudie, die in einer ärztlichen Praxis in Wien durchgeführt wurde, die zur Überwindung von Sprachbarrieren angewendeten Strategien. Die Studie beleuchtet den Alltag in der Praxis von Dr. Daniela Kasparek in Wien, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, die einen hohen Anteil an PatientInnen mit Migrationshin‐ tergrund (60% der Eltern) aufweist (vgl. Leitner 2013: 144). In ihrer Praxis stellte die Fachärztin eine häufig fehlende adherence seitens der PatientInnen fest, die auf Sprachbarrieren zurückzuführen war. Darüber hinaus waren nicht selten organisatorische Probleme zu bewältigen: Zu viele PatientInnen suchten die Ärztin in den Abendstunden auf, da ihre dolmetschenden Begleitpersonen meist erst zu dieser Tageszeit zur Verfügung standen. Als Lösungsstrategie wurden Organisationsgehilfinnen mit Migrationshintergrund angestellt, die jene Fremdsprachen beherrschten, die von den PatientInnen der Praxis am häufigsten gesprochen wurden. Für die niedergelassene Ärztin erwies sich die Anstellung mehrsprachiger AssistentInnen ohne Dolmetschausbildung, die als Laiendolmetschende fungierten, als kostengünstiger als die Heranziehung ausgebildeter DolmetscherInnen. In ihren Schlussfolgerungen hält Leitner fest, dass diese Lösungsstrategie zwar zufriedenstellender sei als der Einsatz von dolmetschenden Angehörigen, sie könne aber nicht die Arbeit ausgebildeter DolmetscherInnen ersetzen. Parmakerli (2009) berichtet von einem ähnlichen 65 2.2 Sprachbarrieren im Gesundheitswesen <?page no="66"?> 18 Über 85% der PatientInnen sind türkischer Herkunft, 10% stammen aus anderen Ländern und nur ca. 5% der PatientInnen sind Deutsche (vgl. Parmakerli 2009: 159). Beispiel aus Mannheim. Der türkischstämmige Arzt konnte bereits in seiner Kindheit und dann in seiner Studienzeit Dolmetscherfahrung sammeln. Nach dem Abschluss des Medizinstudiums eröffnete er eine ärztliche Praxis in Mann‐ heim, die er als „Migranten-Praxis“ (Parmakerli 2009: 160) bezeichnet, weil sie überwiegend von türkischsprachigen PatientInnen aufgesucht wird. 18 Darüber hinaus ist das gesamte Team - bestehend aus einer Intensivkrankenschwester, einer Diätassistentin, einer Arzthelferin und einer Aushilfe - türkischer Her‐ kunft. Dies ermöglicht eine kompetente Begleitung der ausländischen Patien‐ tInnen, für die auch „kultursensibel gedolmetscht“ (Parmakerli 2009: 162) wird. Wichtiger Entscheidungsfaktor für viele niedergelassene ÄrztInnen hinsichtlich der Konsultierung von ausgebildeten DolmetscherInnen bleiben aber nach wie vor deren hohe Kosten, die von den ÄrztInnen oder von den PatientInnen zu tragen wären (vgl. Leitner 2013: 154). Derzeit werden Dolmetschkosten in Deutschland und Österreich weder von gesetzlichen noch von privaten Krankenversicherungen übernommen (vgl. Spickhoff 2015: 14). Zwei weitere Lösungsstrategien zur Überwindung von Sprachbarrieren in der medizinischen Kommunikation, die häufig umgesetzt werden, sind das Ferndolmetschen und die Verwendung des Englischen als Lingua Franca. In Tab. 5 werden diese Lösungsstrategien zusammengefasst. Dolmetschende Begleitpersonen der PatientInnen Verwandte (auch Kinder), FreundInnen, Bekannte usw. Dolmetschendes mehrsprachiges me‐ dizinisches Personal ÄrztInnen, Krankenschwestern, Kranken‐ pfleger usw. Dolmetschendes mehrsprachiges nicht medizinisches Personal Reinigungspersonal, Küchenpersonal usw. DolmetscherInnen vor Ort Angestellte oder selbstständig tätige Dol‐ metscherInnen DolmetscherInnen aus der Ferne Angestellte oder selbstständig tätige Dol‐ metscherInnen Lingua Franca Alle Gesprächsbeteiligten bedienen sich einer Lingua Franca (häufig Englisch) Tab. 5: Lösungsstrategien zur Überwindung von Sprachbarrieren im Gesundheitswesen 66 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="67"?> 19 In diesem Zusammenhang ist zu beobachten, dass ForscherInnen aus anderen Diszi‐ plinen (vgl. u. a. Hoefert 2008, Reisewitz 2015, Bialk-Wolf et al. 2017) vermehrt dazu neigen, sich ausschließlich auf die Relevanz der Fachsprache oder des Fachwortschatzes Die Vor- und Nachteile der oben dargestellten Möglichkeiten werden in der medizinischen Literatur zur Kommunikation mit fremdsprachigen PatientInnen immer wieder thematisiert (vgl. u. a. Bischoff/ Loutan 2004, Hoefert 2008, Bischoff/ Hudelson 2010, Kaelin et al. 2013, Spickhoff 2015), wobei häufig Kostengründe und rechtliche Grundlagen im Vordergrund stehen. Hoefert (2008: 105ff.) argumen‐ tiert, dass der Einsatz von Begleitpersonen der PatientInnen als Dolmetschende als vorteilhaft zu sehen sei, da sie leicht verfügbar sind und mit den PatientInnen den kulturellen Hintergrund sowie die Kenntnis der Krankenbiografie teilen. Als nachteilig erweisen sich aber deren fehlendes medizinisches Know-how, etwaige Scham und ihr Involviertsein. Diese Einschränkungen oder Probleme auf‐ grund einer Dolmetschung durch Angehörige können dazu führen, dass gewisse Nachrichten abgeschwächt oder überhaupt nicht übermittelt werden. Das mehr‐ sprachige medizinische Personal ist ebenso leicht verfügbar, verursacht keine zusätzlichen Kosten und besitzt das nötige medizinische Know-how. Allerdings ergibt sich für diese Personen, falls sie als Dolmetschende eingesetzt werden, ein Mehraufwand, und es kann sogar zu Loyalitätskonflikten zwischen dem dolmet‐ schenden Personal, das mit den Landsleuten sympathisiert, und dem Krankenhaus als Arbeitsgeber kommen. Das nicht medizinische Personal ist laut Hoefert ebenso kostenneutral, verfügt allerdings weder über medizinisches Know-how, noch ist es stets loyal und in der Lage, die vollständige Wiedergabe des Gesagten zu gewährleisten. Obwohl der Einsatz von Begleitpersonen und nicht medizinischem Personal für den Aufbau einer Beziehung zwischen ÄrztInnen und PatientInnen hilfreich sein kann, bleiben in beiden Szenarien die Probleme der Unparteilichkeit und der fehlenden Koordinationskompetenz der Kommunikation ungelöst. Neben Pöchhackers Studie (2000a) belegen weitere Untersuchungen (vgl. u. a. Kadrić/ Pöchhacker 1999, Pöchhacker 2000b, Bührig/ Meyer 2004, Valero-Garcés 2007, Menz et al. 2013), dass Menschen ohne formale Dolmetschausbildung Inhalt und Handlung der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation erheblich beeinflussen; dies betrifft sowohl Begleitpersonen als auch medizinisches und nicht medizini‐ sches Personal. Ausgebildete DolmetscherInnen werden von Hoefert zwar als neutral, genau und pünktlich beschrieben, allerdings erweisen sich die durch sie entstehenden hohen Kosten als problematisch. Hoefert (2008: 125) und Reisewitz (2015: 3) führen als weitere Schwierigkeit das Beispiel von DolmetscherInnen an, die das notwendige Fachvokabular - d. h., die terminologische Kompetenz - nicht hinreichend beherrschen. 19 Ebenso scheinen manche Medizintourismusexper‐ 67 2.2 Sprachbarrieren im Gesundheitswesen <?page no="68"?> zu konzentrieren und dabei andere Kompetenzen wie beispielweise die Kenntnisse der institutionellen Kommunikation und ihrer Abläufe vernachlässigen (vgl. zu den Kompetenzen Kadrić 2011: 27). tInnen wie Bialk-Wolf et al. (2017: 77) die Vorteile der von ausgebildeten DolmetscherInnen vermittelten Kommunikation nicht zur Gänze zu verstehen und heben neben dem hohen finanziellen Aufwand auch deren angeblich mangelnde Sachkompetenz hervor. Neben den Kosten und der Kompetenzfrage können die Verfügbarkeit und die Wahrnehmung der Dolmetschqualität wei‐ tere Kriterien bei der Wahl einer dolmetschenden Person darstellen. In ihrer Studie zur Verständigung mit anderssprachigen PatientInnen in den Genfer Universitätskrankenhäusern betonen Bischoff und Hudelson (2010: 18), dass das zweisprachige medizinische Personal in der Regel sofort verfügbar ist. Ausgebildete DolmetscherInnen würden erst dann beauftragt, wenn andere Lösungsstrategien (Dolmetschung durch Angehörige, nicht medizinisches oder medizinisches Krankenhauspersonal) fehlgeschlagen sind. Auch Bischoff und Hudelson weisen darauf hin, dass der Einsatz von zweisprachigem medizini‐ schen Personal trotz der sofortigen Verfügbarkeit kritisch zu hinterfragen ist, da es für die Dauer der Dolmetschzeit seiner eigentlichen Tätigkeit nicht nachgehen kann (vgl. Bischoff/ Hudelson 2010: 18). Des Weiteren sollten die Kosten für dessen Weiterbildung berücksichtigt werden, damit die erbrachte Dolmetschleistung bestimmte Qualitätskriterien erfüllt. Eine alternative Lösungsstrategie ist das Ferndolmetschen (vgl. u. a. Braun 2015, Brunson 2015, Havelka 2017, Angelelli 2019). Das Ferndolmetschen wird meistens in Form von Telefondolmetschen oder Videodolmetschen realisiert. Beim Ferndolmetschen nehmen die DolmetscherInnen nicht persönlich an der Kommunikation teil: Sie befinden sich entweder bei einer/ einem der Gesprächs‐ beteiligten oder sind räumlich komplett von den Gesprächsbeteiligten getrennt. Da sich nicht alle Kommunikationsbeteiligten am selben Ort aufhalten, fehlt den DolmetscherInnen der „Überblick“ über die Situation. Besonders im Rahmen des Telefondolmetschens erschwert die fehlende visuelle Komponente die Gesprächskoordination. Weitere Faktoren, die die Verdolmetschung (negativ) beeinflussen können, sind unzuverlässige Technologien und ein „lack of inter‐ personal clues“ (Tipton/ Furmanek 2016: 144). Das Videodolmetschen kompen‐ siert zwar teilweise den „lack of interpersonal clues“ sowie die physische Distanz, dennoch stellt das Bild, das die DolmetscherInnen wahrnehmen, nur einen Ausschnitt des gesamten Geschehens dar (vgl. Havelka 2017: 122). Die Verwendung des Ferndolmetschens als Lösung zur Überwindung von Sprachbarrieren ist aus wirtschaftlicher Sicht besonders effizient (vgl. Braun 2015: 347ff., Tipton/ Furmanek 2016: 143ff.), da die Kommunikation zwischen 68 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="69"?> 20 Die Studie von Locatis et al. (2010) untersucht die dolmetschvermittelte Kommunika‐ tion mit 241 spanischsprachigen PatientInnen in 24 US-amerikanischen medizinischen Einrichtungen. ÄrztInnen und PatientInnen wie üblich stattfinden kann, während Dolmetsche‐ rInnen z. B. mittels Videokommunikation die Gespräche verdolmetschen. In einigen Fällen sind die eingesetzten DolmetscherInnen Angestellte der medi‐ zinischen Einrichtungen (vgl. Angelelli 2019: 71), in anderen Fällen arbeiten sie entweder als angestelltes oder freiberufliches Personal eines externen Unternehmens, das Ferndolmetschdienste anbietet. Locatis et al. (2010) stellen fest, dass Ferndolmetschen generell mehr Akzeptanz bei PatientInnen und ÄrztInnen als bei ausgebildeten DolmetscherInnen findet; letztere bevorzugen eher die physische Präsenz. 20 Brunson (2015) weist darüber hinaus darauf hin, dass die schnelle Verfügbarkeit der eingesetzten DolmetscherInnen von den medizinischen Einrichtungen sehr geschätzt wird. Eine weitere Lösung zur Überbrückung von Sprachbarrieren in der medi‐ zinischen Kommunikation bietet die Verwendung von Englisch als Lingua Franca. Die Sinnhaftigkeit dieser Lösung hängt allerdings überwiegend von den Sprachkenntnissen aller im Gespräch beteiligten Menschen ab. PatientInnen sind nicht immer in der Lage, den ÄrztInnen die benötigten Informationen auf Englisch zu vermitteln, was in der Folge zu einer Fehldiagnose oder zu einer falschen Behandlung führen kann (vgl. Crezee 2013: 13f.). In ihrer Untersuchung der Anforderungen und interkulturellen Erfahrungen bei der Behandlung me‐ dizintouristischer PatientInnen zeigen Bialk-Wolf et al. (2017: 71ff.), dass die Verwendung von Englisch als Lingua Franca keine geeignete Lösung bietet, da keine/ keiner der beteiligten AkteurInnen über einen ausreichenden Wortschatz verfügt, um sich angemessen auf Englisch auszudrücken. Der Erfolg der medi‐ zinischen Behandlung hängt aber von einer einwandfreien Verständigung ab, die nur auf der Basis einer von interkultureller Kompetenz, Sprachkompetenz und Empathie getragenen Kommunikation gewährleistet werden kann (vgl. Bialk-Wolf et al. 2017: 92). In der Diskussion über Sprachbarrieren oft außer Acht gelassen, aber zentral für Krankenhäuser und das medizinische Personal ist die rechtliche Frage, „wer das Risiko zu tragen hat, wenn es zu einem Schaden kommt und wer verantwortlich dafür ist, dass ein Dolmetscher herangezogen werden muss“ (Kletečka-Pulker 2013: 46). Aus rechtlicher Sicht ist es notwendig, dass die PatientInnen vor einer Behandlung aufgeklärt werden, damit sie ihre Ein‐ willigung zu dieser Behandlung geben können. Um dies zu gewährleisten, müssen sich alle am medizinischen Gespräch beteiligten Personen verständigen können - das bloße Aushändigen von schriftlichen Unterlagen kann nicht als 69 2.2 Sprachbarrieren im Gesundheitswesen <?page no="70"?> ausreichend betrachtet werden. Das Aufklärungsrecht sowie die Aufklärungs‐ pflicht sind immer gültig, außer bei medizinischen Notfällen (vgl. Spickhoff 2010: 65). Werden die PatientInnen nicht oder nicht ausreichend aufgeklärt, wird deren Einwilligung zur Behandlung unwirksam, und die behandelnden ÄrztInnen tragen die rechtlichen Folgen (vgl. Kletečka-Pulker 2013: 45). Aus diesem Grund müssen die behandelnden ÄrztInnen feststellen, ob die Pati‐ entInnen sich mit ihnen ausreichend verständigen können, bevor sie mit ihnen den Behandlungsvertrag abschließen. Sprachbarrieren können ebenso die anschließende Behandlung beeinträchtigen, denn auch für diese benötigen ÄrztInnen bestimmte Informationen vonseiten der PatientInnen (vgl. Spickhoff 2010: 66). ÄrztInnen tragen immer die Beweislast, ob die PatientInnen die Erklärungen, die auf Deutsch vorgetragen wurden, verstanden haben, und ob sie die notwendigen Angaben machen konnten. Die sprachliche Situation wird allerdings nicht immer richtig eingeschätzt, denn in manchen Fällen schaffen es PatientInnen mit geringen Deutschkenntnissen, dem medizinischen Personal gegenüber den Eindruck zu vermitteln, dass ihre Sprachkenntnisse für eine erfolgreiche Kommunikation ausreichen (vgl. Bührig/ Meyer 2015: 303). Ergeben sich Behandlungsfehler oder Schäden durch Sprachbarrieren, muss überprüft werden, ob diese hätten vermieden werden können (Kletečka-Pulker 2013: 54). Das Aufklären der PatientInnen kann auch anderen ÄrztInnen überlassen werden, doch tragen die delegierenden ÄrztInnen Anleitungs- und Aufsichtspflichten (vgl. Kletečka-Pulker 2013: 65). Grundsätzlich ist dem nicht medizinischen Personal das eigenständige Aufklären nicht gestattet. Ein für medizintouristische Settings rechtlich relevanter Aspekt ist die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichtes in den Fällen, in denen die Aufklärung einer/ eines ihrer BürgerInnen in einem anderen Land nicht ausreichend war und aufgrund dessen eine Gesundheitsschädigung entstanden ist (vgl. Spickhoff 2010: 60). Der Zusammenhang zwischen Sprachbarrieren und der Wahrscheinlichkeit medizinischer Fehler wird auch von Wasserman et al. (2014: 2) thematisiert. Zu den möglichen Fehlerquellen zählen sie u. a. die Verwendung nicht qualifizierter Dolmetschender (Personen aus dem Familien- und Freundeskreis) und das Zurückgreifen auf medizinisches Personal, das nur über begrenzte Kenntnisse der Sprache der PatientInnen verfügt. Die AutorInnen der Studie weisen auf die Notwendigkeit hin, die Überwindung von Sprachbarrieren aus Sicht des Risiko‐ managements und weniger aus einem humanitären Blickwinkel zu betrachten. Das Gesetz schreibt in Österreich nicht vor, dass nur ausgebildete Dolmet‐ scherInnen beim Aufklärungsgespräch dolmetschen dürfen. Haftungsrechtlich gilt es allerdings zu klären, wer die dolmetschende Person beauftragt hat (vgl. Kletečka-Pulker 2013: 66ff.). Ist das Krankenhaus der Auftraggeber, dann „ist 70 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="71"?> ein etwaiges Fehlverhalten des Dolmetschers dem Träger der Krankenanstalt gem. § 1313a ABGB zurechenbar“ (Kletečka-Pulker 2013: 69). Um die Möglich‐ keit eines Regresses in Anspruch zu nehmen, muss bestimmt werden, ob die dolmetschende Person vom Krankenhaus beauftragt wurde, und ob das Fehlverhalten durch Fahrlässigkeit oder vorsätzlich erfolgte. Wenn externe Dol‐ metscherInnen beauftragt werden, entscheidet die vertragliche Vereinbarung, ob ein Regress möglich ist. Dolmetschen MitarbeiterInnen des Krankenhauses, muss berücksichtigt werden, dass ihr Arbeitsauftrag arbeitsrechtlich nicht die Dolmetschleistung umfasst. Im Fall eines Schadens würde eine bestehende Versicherung diesen nicht decken, da die dolmetschende Person keine geeignete Ausbildung aufweist (vgl. Kletečka-Pulker 2013: 65ff.). „Dies ändert an dem Umstand nichts, dass diese Personen auch als Erfüllungsgehilfen gem. §1313a ABGB dem Träger der Krankenanstalt zuzurechnen sind“ (Kletečka-Pulker 2013: 69). Werden dolmetschende Begleitpersonen eingesetzt, „darf der Arzt auf Richtigkeit und Vollständigkeit der Übersetzung vertrauen, soweit aufgrund der Reaktion des Patienten nicht das Gegenteil offenkundig wird“ (Kletečka-Pulker 2013: 63). Wenn ÄrztInnen bemerken, dass die dolmetschende Person selbst‐ ständig antwortet, ohne die Frage weiterzuleiten, oder dass die Dolmetschzeit viel kürzer als die Redezeit auffällt, sollte davon ausgegangen werden, dass die Dolmetschung nicht korrekt oder unvollständig ist. Abschließend kann festgehalten werden, dass die gängigsten Lösungsstra‐ tegien zur Überwindung von Sprachbarrieren wie der Einsatz einer Lingua Franca und das Dolmetschen durch Angehörige bzw. durch medizinisches und nicht medizinisches Personal nicht ausreichend sind, um PatientInnen- und ÄrztInnensicherheit zu gewährleisten. Die Förderung einer Translationskultur in den Krankenhäusern (vgl. Pöchhacker 2000a, Bührig/ Meyer 2015: 303), durch die eine strategische und reflektierte Überwindung der Sprachbarrieren erfolgen kann, ist in allen medizinischen Settings notwendig. 2.3 Rollen und Aufgaben der DolmetscherInnen in der Kommunikation Werden DolmetscherInnen zur Überbrückung von Sprachbarrieren eingesetzt, stellt sich die Frage, welche Rolle sie in der Kommunikation einnehmen und welche Aufgaben sie übernehmen (dürfen und sollen). Mit dem Rollen‐ verständnis und der Rollenproblematik setzen sich neben der Translationswis‐ senschaft (vgl. dazu Mason 1999, Angelelli 2004 sowie 2008, Allaoui 2005, Hsieh 2008, Hsieh/ Kramer 2012, Mason/ Ren 2012, Pöllabauer 2015) auch die 71 2.3 Rollen und Aufgaben der DolmetscherInnen in der Kommunikation <?page no="72"?> Psychologie und die Soziologie auseinander. Das Rollenverständnis einer Person ist eng mit der Interpretation der eigenen Arbeit oder Tätigkeit verbunden und basiert häufig auf einer Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdwahrneh‐ mungen. Eine Rolle besteht aus jenen Verhaltensweisen und Erwartungen, die in einem bestimmten sozialen Rahmen berücksichtigt werden sollten (vgl. Lee/ Lle‐ wellyn-Jones 2014: 12). Bei der Rollendiskussion wird in der Dolmetschwissen‐ schaft gelegentlich eine metaphorische Sprache verwendet, um zu beschreiben, was beim Dolmetschen gemacht wird (vgl. Roy 2002: 347); so werden Dolmet‐ scherInnen unter anderem als Sprachrohr bezeichnet. Solche metaphorischen Ausdrücke wurden laut Roy vor allem eingeführt, um den kognitiven Prozess - damals Hauptfokus der Dolmetschwissenschaft - zu beschreiben. In Bezug auf DolmetscherInnenrollen haben Metaphern laut Roy zwei Funktionen: On the one hand, these descriptions attempt to convey the difficulty of the simultan‐ eous tasks in interpreting while reminding everyone that the interpreter is uninvolved on any other level; at the same time, the same descriptions encourage interpreters to be flexible, which usually means be involved. While descriptions and standards of ethical practice extensively, sometime exhaustively, list what interpreters should not do, they seldom, if ever, explain what interpreters can do, that is, explain what ‘flexible’ means. Consequently, no one really knows where to draw the line on the involvement of the interpreter. (Roy 2002: 347) Anfang des 21. Jahrhunderts beobachtete Roy, wie ethische Standards und Normen in erster Linie darauf eingingen, was DolmetscherInnen nicht tun dürfen. Das Gegenteilige - was getan werden darf - ließen sie stattdessen außer Acht. Nachstehend wird versucht, einige der bekanntesten Rollenverständnisse zusammenzufassen, auf die in der dolmetschwissenschaftlichen Rollendiskus‐ sion häufig Bezug genommen wird. Eines der ersten Rollenmodelle ist jenes von Jalbert (1998). Dieses beinhaltet folgende Rollenverständnisse: translator, cultural informant, culture broker or cultural mediator, advocate und bilingual professional. DolmetscherInnen mit einer Rolle als translator sorgen für einen rein sprachlichen Transfer. Im Fall des cultural informant helfen DolmetscherInnen dem medizinischen Personal, die PatientInnen besser zu verstehen, indem Erläuterungen kultureller Natur angeboten werden. Beim culture broker werden die Erläuterungen aus dem vorigen Rollenverständnis um die Kulturmittlung ergänzt. Hierbei sollen von den DolmetscherInnen für eine gegenseitige Verständigung aller Beteiligten auch soziokulturelle Hintergründe berücksichtigt werden. DolmetscherInnen, die im Sinne des advocate handeln, vertreten die Interessen der PatientInnen. Bilingual professionals sind durch tiefgreifende institutionelle und medizinische 72 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="73"?> Kenntnisse in der Lage, das Gespräch mit den PatientInnen zu führen und die daraus gewonnenen Informationen anschließend an das medizinische Personal zu übermitteln. Eine ähnliche Unterteilung findet sich im Rollenmodell von Weiss und Stuker (1999: 258), bei dem vier idealtypische Rollen beschrieben werden: die wort‐ wörtliche Übersetzung, die kulturelle Vermittlung, die PatientInnen-Fürsprache und die Co-Therapie. Bei der wortwörtlichen Übersetzung orientieren sich die DolmetscherInnen am Ausgangstext. Dabei geht es um eine rein sprachliche Übertragung des Gesagten, ohne die kulturelle Dimension zu beachten. Dies impliziert, dass kulturbezogene Begriffe oder Elemente, die nur durch Kultur‐ kenntnisse vollständig zu begreifen sind, von den DolmetscherInnen unberück‐ sichtigt bleiben. Die kulturelle Vermittlung ist hingegen auf das Vermitteln sowie Erklären jener sozialen und kulturellen Aspekte, die die Kommunikation beein‐ flussen können, ausgerichtet. DolmetscherInnen orientieren sich weniger am Ausgangstext und können durch die eigene Kulturkompetenz problematische Elemente erklären. Die PatientInnen-Fürsprache ist jenes Rollenkonstrukt, bei dem die DolmetscherInnen die Interessen der PatientInnen vertreten. Dabei wird von ihnen mittels einer freien Dolmetschung eine ausgleichende Funktion ausgeübt, welche das Machtgefälle zwischen den Beteiligten reduziert. Beim Rollenkonzept der Co-Therapie werden die DolmetscherInnen als Teil der The‐ rapie angesehen: Die DolmetscherInnen sind für die Therapie mitverantwort‐ lich, nehmen an der Gestaltung des Behandlungskonzepts teil und intervenieren selbstständig im therapeutischen Gespräch. Ein weiteres Rollenmodell, auf das häufig Bezug genommen wird, sieht folgende vier Rollen vor: conduit, clarifier, culture broker und advocate (vgl. Niska 2002: 133). Bei der Rolle als conduit wird ähnlich wie bei der wortwörtlichen Übersetzung nur gedolmetscht (Niska 2002: 138). DolmetscherInnen, die als clarifier und culture broker agieren, verlassen das Feld des reinen Dolmetschens: Als clarifier werden Erläuterungen angeboten, als culture broker werden insbe‐ sondere soziokulturelle Aspekte erklärt. Als advocate werden ähnlich wie bei der PatientInnen-Fürsprache die Interessen und Rechte der PatientInnen vertreten. In ihrer Untersuchung zum medizinischen Dolmetschen befasst sich Angelelli (2004) mit der Rolle der DolmetscherInnen in medizinischen Settings. Ihr Triangulationsansatz ermöglicht die Berücksichtigung der Perspektiven aller an der Interaktion beteiligten Menschen. In Anlehnung an Wadensjö (1998: 8) zeigt Angelelli auf, dass die medizinische Dolmetschung nicht in einem sozialen Vakuum erfolgt: Sie findet in einer Institution - beispielsweise im Krankenhaus - statt, welche bestimmte Ziele verfolgt. Wie alle anderen Beteiligten nehmen DolmetscherInnen nicht nur sprachlich an der Interaktion teil: 73 2.3 Rollen und Aufgaben der DolmetscherInnen in der Kommunikation <?page no="74"?> […] interpreters who not only participate linguistically, but who also bring to the interpreted communicative event all the social and cultural factors that allow them to co-construct a definition of reality with other co-participants to the interaction. (Angelelli 2008: 150) Je nach Situation können DolmetscherInnen mehrere Rollen einnehmen, die Angelelli mit folgenden Metaphern beschreibt: detectives, multi-purpose bridges, diamond connoisseurs und miners (vgl. Angelelli 2004: 129ff.). Detectives ver‐ suchen beim Dolmetschen gezielte situationsrelevante Informationen von den PatientInnen zu erhalten, auch wenn dies bedeutet, häufiger Fragen zu stellen als normalerweise üblich. Als multi-purpose bridges ermöglichen Dol‐ metscherInnen die gleichzeitige Erreichung der Ziele der PatientInnen und der ÄrztInnen. Dabei können sie in dieser Rolle auf kulturspezifische Elemente hinweisen oder diese sogar glätten, damit sie den Zweck der Interaktion nicht gefährden. DolmetscherInnen als diamond connoiseurs sind in der Lage, über den bloßen Schein einer Aussage hinauszugehen und für den Zweck der Interaktion relevante von nicht relevanten Informationen zu unterscheiden. Miners können schließlich den besten Weg finden, um zu den benötigten Informationen zu ge‐ langen, etwa falls PatientInnen sich während der Interaktion wenig kooperativ zeigen. Ähnlich sieht das Rollenverständnis von Leanza (2005: 170) aus, das auf der Basis einer deskriptiven und wenig normativen Studie erarbeitet wurde. In der Studie, für die Leanza auf die Triangulation zurückgreift, beschreibt er folgende Rollen, die von den DolmetscherInnen, abhängig von ihrer Handha‐ bung kultureller Unterschiede, eingenommen werden: system agent, community agent, integration agent und linguistic agent. Wird in der Rolle des system agent gedolmetscht, werden Erläuterungen insbesondere für PatientInnen an‐ geboten, damit sie die Normen und soziokulturellen Werte der Zielkultur verstehen können. Community agents verfolgen die Kulturmittlung vorwiegend in Richtung des medizinischen Personals, um kulturelle Unterschiede für dieses sichtbar zu machen. Als integration agents unterstützen DolmetscherInnen die PatientInnen, sich in die Zielgesellschaft zu integrieren. Sie übernehmen außerdem die Funktion des welcoming und des support/ follow-up (vgl. Leanza 2005: 186), die außerhalb der dolmetschvermittelten Interaktion zu beobachten ist. DolmetscherInnen, die als linguistic agents handeln, versuchen soweit wie möglich eine unparteiische Rolle einzunehmen. Kulturunterschiede werden nur dann berücksichtigt, wenn diese die Translation betreffen. Für ihre Rollenuntersuchung analysierte Hsieh (2008) das Selbstbild sowie die kommunikativen Ziele und Strategien von medizinischen DolmetscherInnen. Aus den Beobachtungen und Interviews mit den DolmetscherInnen, die an 74 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="75"?> der Studie teilnahmen, wurde deutlich, dass DolmetscherInnen verschiedene Rollen einnehmen, da sie vielfältige Herausforderungen und Probleme in ihrem Alltag zu meistern haben (vgl. Hsieh 2008: 1381). Neben den bereits erwähnten neutraleren Rollen als conduit und advocate nennt Hsieh zwei weitere Rollen: manager und professional. Obwohl die DolmetscherInnen der Studie grundsätzlich neutral handeln wollen, greifen sie - falls notwendig - aktiver in die Interaktion ein, um z. B. die Entstehung einer ÄrztInnen-Patien‐ tInnen-Beziehung zu fördern, Probleme in der Behandlung zu vermeiden oder die Erreichung der kommunikativen Ziele von PatientInnen und VertreterInnen der medizinischen Institution zu ermöglichen (vgl. Hsieh 2008: 1381ff.). Als manager versuchen DolmetscherInnen verschiedene Aufgaben wie jene der Mediation, der Ko-Therapie, der Unterstützung und der Organisation zu erfüllen (vgl. Hsieh 2008: 1375ff.). In der Rolle als professionals (vgl. Hsieh 2008: 1379ff.) setzen DolmetscherInnen verschiedene Strategien ein, um als ExpertInnen wahrgenommen zu werden. Dazu gehören u. a. die Vorstellung vor der Interak‐ tion, das ausgebildete Auftreten sowie die Unterbrechung der Kommunikation im Fall von Missverständnissen. Da die von den DolmetscherInnen zu leistenden Aufgaben sehr komplex sind, wird stets zwischen den Rollen gewechselt. Der gemeinsame Nenner aller Rollenmodelle ist ihre Betrachtung als Kon‐ tinuum. Da die genannten Rollen idealtypische Rollen sind, wird davon aus‐ gegangen, dass sie in der Kommunikation nie einzeln auftreten, sondern in verschiedenen Momenten derselben Interaktion wiederzufinden sind (vgl. Al‐ laoui 2005: 28). Als bahnbrechendes Modell gilt das role-space model von Lee und Llewellyn-Jones (2014), die eine dynamische Rollenkonzeption vorschlagen, die sich im Laufe der Interaktion kontinuierlich entwickelt: „ […] rather than a rule-based description of ‘role’ a more complete and usable notion is that interpreters’ behaviours are governed by the role space they create and inhabit in any given situation“ (Lee/ Llewellyn-Jones 2014: 10). Role-space ergibt sich aus einem kartesischen Koordinatensystem, das folgende drei Achsen besitzt: „the interpreter’s alignment with the interlocutors, the interpreter’s management of the interaction und the interpreter’s ‚presentation of self ‘“ (Lee/ Llewellyn-Jones 2014: 10). DolmetscherInnen können die Länge der drei Achsen abhängig von der Gesprächssituation variieren und somit den Anforderungen, die an sie gestellt werden, gerecht werden. In diesem Modell gibt es daher keine unter‐ schiedlichen Rollenverständnisse, sondern nur ein einziges Rollenverständnis, das sich dynamisch entwickelt und ständig der Situation angepasst wird. Einige der dolmetschwissenschaftlichen Studien zur Rolle der Dolmetsche‐ rInnen basieren auf der Analyse dolmetschvermittelter Situationen, an denen 75 2.3 Rollen und Aufgaben der DolmetscherInnen in der Kommunikation <?page no="76"?> 21 Dies gilt insbesondere für den deutschsprachigen Raum, wo außerhalb von Konferenz‐ settings häufig nicht ausgebildete Dolmetschende eingesetzt werden. nicht ausgebildete Dolmetschende beteiligt sind. 21 Diese Untersuchungen werden nicht selten als Ausgangspunkt für allgemein normative Diskussionen genutzt. Im Rahmen der universitären Dolmetschausbildung sowie im Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen von nicht ausgebildeten DolmetscherInnen ist eine normative Rollendiskussion sinnvoll, da Studierenden zu Beginn ihres Studiums sowie nicht ausgebildeten Dolmetschenden die nötigen Dolmetsch‐ kompetenzen fehlen und dadurch die Wahrscheinlichkeit oder sogar die Gefahr zunimmt, dass sie ihren Zuständigkeitsbereich überschreiten. Abseits dieser Rahmen kann aber eine wertfreie Diskussion zum Thema fruchtbarer sein. Solch eine Diskussion kann z. B. durch die Durchführung deskriptiver Unter‐ suchungen angeregt werden, die die von DolmetscherInnen übernommenen Aufgaben während der Interaktion beschreiben. Als Beispiel dient Angelelli (2004: 44ff.), die in ihrer Untersuchung des medizinischen Dolmetschens die täg‐ liche Arbeit der angestellten DolmetscherInnen im beobachteten Krankenhaus beschreibt, die aus Telefondolmetschen, dialogischem Dolmetschen sowie Über‐ setzungsaufträgen besteht. Darüber hinaus besuchen sie Weiterbildungskurse, nehmen an MitarbeiterInnenbesprechungen teil und müssen ihre Tätigkeiten genau dokumentieren. Aus den Interviews mit diesen Dolmetscherinnen und Dolmetschern zur Wahrnehmung ihrer Rolle wird deutlich, dass die meisten von ihnen mehr als sprachlichen Transfer realisieren. Sie vermitteln zwischen unter‐ schiedlichen Sozio-Kulturkreisen (sie erklären z. B. Realia und die medizinische Fachterminologie in einer patientInnenfreundlichen Sprache) und managen die gesamte Kommunikation zwischen ÄrztInnen und PatientInnen, indem sie den Informationsfluss steuern und beidseitige Verständigung fördern (vgl. Angelelli 2004: 132ff.). Wie die Beispiele der angewandten translationswissenschaftlichen For‐ schung zeigen, findet beim dialogischen Dolmetschen in medizinischen Situa‐ tionen mehr als ein rein sprachlicher Transfer statt. Manche Rollenverständ‐ nisse wie jenes des conduit basieren nämlich auf einer zu stark vereinfachten Sicht der DolmetscherInnentätigkeit: […] interpreting should be understood more broadly, as an activity in its own right, coordinated with and embedded within an ongoing set of actions. In fact, what interpreters do or say is only partially, and sometimes hardly at all, limited to translating other people’s talk. Instead, interpreters’ action manifests a choice between several alternatives available to them at any particular time within the frame of the ongoing activity. These alternatives […] embody interpreters’ moment-by-moment 76 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="77"?> 22 Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Koordination seitens der Dolmetsche‐ rInnen findet sich in Baraldi/ Gavioli 2012. decisions about what role will be the most appropriate in a particular interactional environment. (Bolden 2000: 390) Dazu kommt, dass sowohl eine normative Rollendiskussion als auch gewisse ethische Richtlinien vieler Berufsverbände den beobachteten interaktiven Handlungen widersprechen (vgl. Angelelli 2004, Menz et al. 2013: 25). Dies spiegelt sich ebenfalls im Gebot der Unsichtbarkeit wider, welches von zahl‐ reichen Ausbildungseinrichtungen als anzustrebendes Ideal präsentiert wird (vgl. Menz et al. 2013: 25). Aus diesem Grund ist aus Sicht der Autorin der vorliegenden Studie eine normative Weiterführung der Rollendiskussion für ein postgraduales Zielpublikum nicht zielführend, da sich daraus in erster Linie Interaktionsdilemmata und innere Konflikte bei den DolmetscherInnen ergeben können, wenn sie das Gefühl bekommen, gegen wichtige Prinzipien zu verstoßen. 2.4 Sichtbarkeit der DolmetscherInnen In frühen Studien zur dolmetschvermittelten Kommunikation wurde die tradi‐ tionelle Sicht vertreten, dass DolmetscherInnen in der Kommunikation keine TeilnehmerInnenrolle besitzen und unsichtbar sind bzw. sein sollten. Mit dieser Sichtweise war die Annahme verbunden, dass DolmetscherInnen die Rollen des conduit einnehmen und somit ausschließlich für einen sprachlichen Transfer zuständig sind. Alleine die Tatsache, dass DolmetscherInnen körperlich anwe‐ send sind, macht sie aber sichtbar. Bahnbrechend in diesem Zusammenhang waren die Arbeiten von Wadensjö (1992, 1995, 1998, 2002[1993]), die die aktive Teilnahme von DolmetscherInnen an der Interaktion veranschaulichten: Als co-participant managen und koordinieren sie nämlich die Gespräche. Mit‐ tels Steuerung der Interaktion können sie Missverständnisse verhindern und Kommunikationsprobleme lösen. Laut Wadensjö (1998: 108ff.) koordinieren DolmetscherInnen die Kommunikation sowohl implizit als auch explizit. Eine implizite Koordination findet immer dann statt, wenn die DolmetscherInnen nach jedem Redebeitrag einer/ eines der Gesprächsteilnehmenden das Wort ergreifen. Hingegen kann von expliziter Koordination gesprochen werden, wenn die DolmetscherInnen beispielsweise jene Person, die zuvor gesprochen hat, um eine Erklärung bitten oder Metakommentare abgeben, um eine Aussage genauer zu beleuchten (vgl. Wadensjö 1992 sowie 2002). 22 77 2.4 Sichtbarkeit der DolmetscherInnen <?page no="78"?> Bezogen auf eine Kommunikation, bei der die Beteiligten die jeweils andere Sprache nicht sprechen, stellt Roy (2002) ebenso fest: „[…] the interpreter is the only participant who can logically maintain, adjust, and, if necessary, repair differences in structure […]“ (Roy 2002: 352). DolmetscherInnen können daher laut Roy bestimmte Strategien einsetzen und bilden eine aktive dritte teilnehmende Person, die das Ergebnis der Kommunikation beeinflussen kann. In der dolmetschvermittelten Kommunikation funktioniert z. B. der SprecherIn‐ nenwechsel nicht wie in üblichen Interaktionen. Auch andere AutorInnen (vgl. u. a. Englund Dimitrova 1997: 148ff.) führen an, dass die Gesprächssteuerung der DolmetscherInnen unabdingbar ist, damit alle zu Wort kommen und die Turn-Überlappungen kontrolliert werden können. Die Verwendung von non- und paraverbalen Elementen zur Gesprächssteuerung wird auch in den Studien von Wadensjö (1998: 108ff.), Roy (2002: 352), Hsieh (2008: 1381), Mason (2012: 197f.), Mason/ Ren (2012: 232) sowie Davitti (2013: 187) erwähnt. Anhand ihrer Untersuchung konnten zum Beispiel Mason und Ren (2012: 232) zeigen, dass DolmetscherInnen nicht unsichtbar, passiv und neutral sind, sondern dass sie eine gewisse Macht besitzen, die sich der institutionellen Macht einiger an der Kommunikation Beteiligten entgegenstellt: „Although interpreters often lack institutional power, they may be equipped with power within the exchange as a result of their bilingual and bicultural expertise.“ Diese Macht drückt sich in Anlehnung an Wadensjö (1998: 277f.) in der Umsetzung verbaler und nonverbaler Strategien wie Positionierung und Blick aus, die den Dolmetsche‐ rInnen ermöglichen, Machtverhältnisse auszuverhandeln, zu koordinieren und auszugleichen. Durch ihre Tätigkeit sorgen DolmetscherInnen für empowerment der schwächeren Gesprächsbeteiligten und können im Rahmen der Interaktion Bedeutungen mitkonstruieren (vgl. Mason/ Ren 2012: 232). Auch Davidson spricht sich gegen die Betrachtung von DolmetscherInnen als conduit aus: „in order to negotiate and capture the meaning of an utterance produced within an ongoing discourse, one must be a participant in the discourse itself “ (Davidson 2002: 1275). Die Untersuchung von Angelelli (2004: 132) zeigt, dass DolmetscherInnen auf mehreren Ebenen sichtbar sind und teilweise das Ergebnis der Kommunikation beeinflussen können. Die von ihr beobachtete Sichtbarkeit stellt ein Kontinuum verschiedener Interventionsmaßnahmen dar, die mehr oder weniger Einfluss auf die Textproduktion zu medizinischen oder persönlichen Informationen nehmen können: Die DolmetscherInnen ersetzen die einsprachigen Gesprächs‐ teilnehmenden, verbünden sich mit den PatientInnen oder ÄrztInnen, erklären kulturspezifische Aspekte, äußern Solidarität, üben Macht aus, expandieren oder komprimieren Äußerungen, fragen nach, passen das Register an, steuern 78 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="79"?> den Informationsfluss und die Turns (vgl. Angelelli 2004: 77f.). Grund für diese sichtbaren Interventionsmaßnahmen sind soziale Faktoren und die Not‐ wendigkeit, den Informationsfluss im Gespräch so zu steuern, dass beidseitige Verständigung erlangt werden kann (vgl. Angelelli 2004: 132). Neben der Steuerung der Kommunikation planen DolmetscherInnen Handlungen bewusst, sodass die Ziele des kommunikativen Handelns erfüllt werden können (vgl. Bolden 2000). Die Entscheidungen der DolmetscherInnen werden aber nicht nur von den Turns der anderen Beteiligten direkt beeinflusst, sondern auch von ihrer eigenen Analyse der laufenden Interaktion und der dabei verfolgten Ziele (vgl. Bolden 2000: 415). So können der Wechsel von der ersten zur dritten Person (vgl. Valero-Garcés 2008: 176ff.), um sich beispielsweise vom Gesagten zu distanzieren oder zu schützen (vgl. Bot 2005: 239), und die Umsetzung verschiedener Maßnahmen, um das eigene Gesicht zu wahren (vgl. Merlini 2013: 281f.), als Beispiele für die Sichtbarkeit der DolmetscherInnen während der Kommunikation genannt werden. Diese Erkenntnisse lassen sich mit den Worten Angelellis wie folgt zusammenfassen: Interpreters [who] not only participate linguistically, but [who] also bring to the interpreted communicative event all the social and cultural factors that allow them to co-construct a definition of reality with the other co-participants to the interaction. The interpreters’ views of all of these social factors interact with the parties’ views of those same social factors. Interpreters, as members of society, do more than merely co-construct and interact in the communicative event. They are powerful parties who are capable of altering the outcome of the interaction, for example, by channelling opportunities or facilitating access to information. They are visible co-participants who possess agency. (Angelelli 2008: 150) 2.5 Forschung zum Dolmetschen im Medizintourismus Wie in Kapitel 1 erwähnt, wurde der Medizintourismus bis dato hauptsächlich aus medizinischer (vgl. u. a. Connell 2015, Mainil 2012), wirtschaftlicher und marketingtechnischer (vgl. u. a. Berg 2008, Illing 2009, Quast 2009) sowie rechtlicher (vgl. u. a. Reisewitz 2015) Sicht erforscht. In den meisten Forschungs‐ arbeiten werden die sprachliche Komponente und die Inanspruchnahme trans‐ latorischer Leistungen im Medizintourismus vernachlässigt. Eine Ausnahme bildet die in Delhi durchgeführte ethnografische Studie von Kaspar (2015). Ihre Untersuchung basiert auf der Annahme, dass in jenen Fällen, in denen die ÄrztInnen eine andere Sprache verwenden als die PatientInnen, ein großes Potenzial für Missverständnisse liegt. Mangelnde Sprachkenntnisse stellen aber 79 2.5 Forschung zum Dolmetschen im Medizintourismus <?page no="80"?> 23 An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass die von Kaspar berücksichtigten dolmetschenden Personen nicht ausschließlich ausgebildete SprachdienstleisterInnen sind. 24 Lee beschreibt medical tourists als jene Menschen, „who visit Korea for economical and advanced medical services“ (Lee 2015: 443). für medizintouristische PatientInnen keinen Grund dar, auf eine geplante medizinische Reise zu verzichten. Den Daten von Kaspars ethnografischer Untersuchung kann entnommen werden, dass das Krankenhaus NCR in Delhi seinen PatientInnen circa 20 angestellte sowie selbstständige DolmetscherInnen für verschiedene Sprachen zur Verfügung stellt, wenn sie nicht eigenständig an die Beauftragung von Dolmetschenden gedacht haben. 23 Die Dolmetschenden der Studie übernehmen verschiedene Aufgaben, die über das reine Dolmetschen hinausgehen: Sie holen die PatientInnen vom Flughafen ab, kümmern sich um Unterkunft und bürokratische Angelegenheiten, empfehlen touristische Attrak‐ tionen, sammeln alle medizinischen Unterlagen, vereinbaren Termine für Unter‐ suchungen und begleiten die PatientInnen zu diesen (vgl. Kaspar 2015). Kaspar stellt fest, dass beim Dolmetschen nicht nur zwischen Sprachen, sondern auch zwischen Kulturen vermittelt wird. Wie sie weiter betont, wird die Komplexität des Dolmetschens in medizintouristischen Settings zwar anerkannt, dennoch bleibt der Umfang der Dolmetschleistung unterschätzt. Ihre Forschungsarbeit deutet allerdings eine Erweiterung der von den DolmetscherInnen angebotenen Dienstleistungen aufgrund von neuen Bedürfnissen und Wünschen seitens der PatientInnen an (vgl. Kaspar 2015), die wichtige Erkenntnisse für die vorliegende Untersuchung liefert. Aus translationswissenschaftlicher Sicht beschäftigt sich Lee (2015) mit dem Dolmetschen in medizintouristischen Situationen in Südkorea, einem Land, das im internationalen Vergleich stark auf den Medizintourismus setzt. 24 Lee schildert die Bestrebungen der koreanischen Regierung zur Förderung des Medizintourismus, da dieses Segment als strategisch wertvoll für das wirt‐ schaftliche Wachstum des Landes gilt. Neben der Überwindung institutioneller Barrieren und der Schaffung eines Systems für medizinische Visa wurde vom Staat auch der medical interpreter training course ins Leben gerufen, mit dem höhere Qualitätsstandards im Bereich des medizintouristischen Dolmetschens erreicht werden sollen (vgl. Lee 2015: 445ff.). Da Südkorea eine spezielle Strategie zur Steigerung des Medizintourismus entwickelt hat, in welcher die Kommunikation mit den fremden PatientInnen berücksichtigt wurde, kann Südkorea international als Ausnahme gesehen werden. In Lees quantitativer Befragung von ÄrztInnen, Pflegepersonal und PatientInnen wird allerdings der Medizintourismus nur als Vergleich für die reguläre medizinische Versorgung 80 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="81"?> herangezogen. Lees Ziel besteht darin, aufzuzeigen, dass Sprachbarrieren in öffentlichen Einrichtungen - anders als in privaten Krankenanstalten, die typische Schauplätze des Medizintourismus darstellen - noch immer sehr groß sind. In ihrem Werk zum Dolmetschen im Gesundheitswesen nimmt ebenso Angelelli Bezug auf den Medizintourismus. In diesem Zusammenhang spricht sie von medical tourism und cross-border healthcare (Angelelli 2019: 194). Mit der ersten Bezeichnung sind Reisen in ein anderes Land bzw. in eine andere geographische Region gemeint, die hauptsächlich gesundheitlichen Zwecken dienen und mit denen die Inanspruchnahme einer Behandlung oder eines chirurgischen Eingriffs beabsichtigt wird; die zweite Bezeichnung bezieht sich auf die medizinisch bedingte Mobilität von PatientInnen innerhalb der Europäischen Union. Angelelli berichtet von einigen öffentlichen Krankenhäu‐ sern in Nordamerika, Kinderwunschkliniken in Griechenland und privaten Krankenhäusern in Spanien, die aufgrund der starken Präsenz internationaler PatientInnen über ein DolmetscherInnenteam, das auch videobasiertes Dolmet‐ schen einsetzt, verfügen (Angelelli 2019: 71). Für die Translationswissenschaft von Interesse ist überdies die in Kapitel 1 erwähnte Studie zur PatientInnenmobilität innerhalb der EU (vgl. Angelelli 2015: 91ff.). Die Richtlinie 2011/ 24/ EU, die den gesetzlichen Rahmen für den Medizintourismus innerhalb der EU schafft, enthält keinerlei Vorschriften für medizinische Einrichtungen, nach denen internationale PatientInnen sprachlich unterstützt werden sollen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass medizinische Einrichtungen, die von EU-PatientInnen aufgesucht werden, meist keine trans‐ latorische Leistungen anbieten. Auch für die Übersetzung von schriftlichen Diagnosen und anderen Dokumenten wie Formularen zur Rückerstattung der medizinischen Kosten müssen die PatientInnen selbst aufkommen. Generell herrscht bei den in der Studie befragten Personen Konsens darüber, dass die Verwendung von Englisch als Lingua Franca ein durchaus sinnvolles Mittel zur Kommunikation zwischen medizinischem Personal und internationalen PatientInnen darstellt. Sie gehen offenbar davon aus, dass Englisch sowohl von PatientInnen als auch von VertreterInnen medizinischer Institutionen aus‐ reichend gut beherrscht wird. Des Weiteren wird laut der Studie für die Kom‐ munikation mit Anderssprachigen häufig auf das zweisprachige Personal oder auf Begleitpersonen der PatientInnen zurückgegriffen. Einzig Großbritannien wird in der Studie als Ausnahmeland gesehen, da dort relativ viele medizinische Einrichtungen anderssprachigen PatientInnen professionelle Dolmetschdienst‐ leistungen anbieten. Bei jenen medizinischen Einrichtungen mit translatorischer Leistung handelt es sich meist um Dolmetschleistungen vor Ort oder aus der 81 2.5 Forschung zum Dolmetschen im Medizintourismus <?page no="82"?> Ferne. Laut Angelelli mangelt es sowohl bei den PatientInnen als auch bei den VertreterInnen medizinischer Institutionen an Bewusstsein für die negativen Auswirkungen von Sprachbarrieren. Es werde unterschätzt, dass Sprache und Kultur Hand in Hand gehen und TranslatorInnen einen wichtigen Beitrag zur Überwindung von sprachlichen und kulturellen Barrieren leisten können. Die Studie legt den Schluss nahe, dass die Abwesenheit formaler Sprachdienstleis‐ tungen im Rahmen der EU-PatientInnenmobilität die Gesundheit der Menschen gefährden und den theoretisch möglichen Zugang zur medizinischen Versorgung in einem anderen EU-Land letztendlich unmöglich machen kann. Mögliche Folgen für die betroffenen Institutionen sind nicht eingehaltene Termine, Fehl‐ diagnosen, wiederholte Untersuchungen und andere Probleme, die mittel- und langfristig zu Mehrkosten führen (vgl. Angelelli 2015: 92). In Österreich und Deutschland wurde der Medizintourismus aus translations‐ wissenschaftlicher Sicht bis jetzt nur am Rande erwähnt. So behandelt die Arbeit von Allaoui (2005) zwar nicht explizit das medizintouristische Dolmetschen, doch befindet sich unter den interviewten TranslatorInnen eine Dolmetscherin (DIV), die vorwiegend medizintouristische PatientInnen betreut. DIV ist eine ungarische Dolmetscherin, die in Deutschland lebt und unter anderem im Krankenhaus für ungarische MedizintouristInnen dolmetscht. DIV erzählt, dass sie die PatientInnen „während ihres gesamten Aufenthaltes in Deutschland“ (Allaoui 2005: 91ff.) begleitet. Neben dem Dolmetschen erledigt sie alle anderen Aufgaben, die mit dem Aufenthalt verbunden sind. So koordiniert sie z. B. die Anliegen der deutschen ÄrztInnen und ungarischen PatientInnen, holt diese vom Flughafen ab, kümmert sich um die Terminvereinbarungen und bietet ihnen ihre Unterstützung bei Hotelreservierungen an. Darüber hinaus weiht sie die PatientInnen in die Besonderheiten des alltäglichen Lebens in Hamburg ein, da diese für einen problemlosen Aufenthalt grundlegende Infor‐ mationen wie etwa jene betreffend Transportmittel benötigen. Auftraggeberin von DIV ist eine externe Firma, die die PatientInnenbetreuung für dieses Kran‐ kenhaus übernimmt. Weitere translatorische Leistungen, die für sie anfallen, sind Vom-Blatt-Dolmetschen und Übersetzungen sowohl in medizinischen als auch in touristischen Interaktionen. In diesem Zusammenhang sind verschie‐ dene Gesprächsformen und Textsorten - von PatientInnenbögen bis hin zur Übersetzung von Rechnungen zu Mietkosten für Wohnungen, die bei längeren Aufenthalten benötigt werden - Gegenstand des täglichen translatorischen Handelns. Die Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal ist von großer Bedeu‐ tung: So holt DIV beispielsweise die Medikamente der PatientInnen nicht nur ab, sondern erklärt diesen anschließend basierend auf den Anweisungen des Krankenhauspersonals auch, wie die Medikamente einzunehmen sind. 82 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="83"?> Durch den häufigen direkten Kontakt zwischen der Dolmetscherin und den PatientInnen entsteht eine persönliche Beziehung, die der Dolmetscherin den Zugang zu Informationen, die auch medizinisch relevant sein können, erleich‐ tert. Vor Untersuchungen informiert sie die PatientInnen über die medizinische Versorgung in Deutschland, damit sie ihre Erwartungen den Gegebenheiten anpassen können und nicht enttäuscht werden. Bei unvorhersehbaren Warte‐ zeiten oder anderen Problemen versucht sie die PatientInnen zu beruhigen, denn nur wenn alle Beteiligten sich wohlfühlen, kann die Interaktion zum Erfolg führen. Sie erfüllt allerdings keine Wünsche der PatientInnen, die „sie selbst erfüllen könnten. Selbst wenn diese Tätigkeiten bezahlt würden, gehören sie ihrer Meinung nach ‚nicht einmal‘ zur sozialen Betreuung“ (Allaoui 2005: 95). Allaoui bezeichnet DIV nicht explizit als Dolmetscherin im Medizintourismus, dennoch passt die Beschreibung ihres Tätigkeitsprofils zum medizintouristi‐ schen Handlungsrahmen und bietet erste Anhaltspunkte für Untersuchungen des Dolmetschens in medizintouristischen Settings. In den vergangenen Jahren hat der Medizintourismus das Interesse junger ForscherInnen in der Translationswissenschaft geweckt. Sowohl am Zentrum für Translationswissenschaft in Wien als auch am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft in Graz wurden verschiedene Masterar‐ beiten zum Thema Medizintourismus sowie Gesundheitstourismus verfasst; einige dieser Arbeiten befassen sich - genau wie die vorliegende Studie - mit dem Zielland Österreich (vgl. Ivașcu 2014, Chistyakova 2016, Slavu 2017, Weissenhofer 2017). Andere Arbeiten setzen wiederum ihren Fokus auf medi‐ zintouristische Zielländer wie Slowenien (vgl. Muršič 2015), Tschechien (vgl. Horová 2018) oder Indien (vgl. Kern 2017). Unter den Masterarbeiten, die wie die vorliegende Studie Österreich als Zielland analysieren, ist jene von Ivașcu (2014), die den Medizintourismus von Rumänien nach Österreich untersucht, hervorzuheben. Ivașcu interviewte zehn am Medizintourismus beteiligte Ak‐ teurInnen (Krankenschwestern, Ärzte, DolmetscherInnen und PatientInnen). Die Forschungsfragen betrafen die Gründe für die Auswahl Österreichs als Be‐ handlungsort seitens rumänischer PatientInnen, die Art der Kontaktherstellung zur medizinischen Einrichtung und die Beiziehung ausgebildeter Dolmetsche‐ rInnen. Während einige PatientInnen Österreich aufgrund des guten Rufs seines Gesundheitssystems als Behandlungsort wählen, scheinen andere wiederum wegen des mangelhaften Gesundheitssystems in Rumänien eine medizinische Reise nach Österreich zu unternehmen: „Verzweiflung, Mangel an Vertrauen und Unzufriedenheit mit dem rumänischen Gesundheitssystem treiben die Men‐ schen ins Ausland“ (Ivașcu 2014: 73). Die Betroffenen sind PrivatzahlerInnen und finanzieren die Reise teilweise durch Unterstützung wie Spenden. Sowohl 83 2.5 Forschung zum Dolmetschen im Medizintourismus <?page no="84"?> die DolmetscherInnen als auch die ÄrztInnen werden vor der Reise per E-Mail von den PatientInnen kontaktiert. In ihrer Untersuchung setzt sich Ivașcu auch mit den in diesem Bereich tätigen PatientInnenvermittlungsagenturen ausein‐ ander. Diese verfügen sowohl in Rumänien als auch in Österreich über Büros; ihr Webauftritt (eine Website und eine Facebook-Unternehmensseite) ist mehr‐ sprachig, und ihr Angebot beinhaltet eine Rundumbetreuung der PatientInnen, die auf Anfrage auch um zusätzliche Services wie Sprachdienstleistungen erweitert werden kann. Neben diesen PatientInnenvermittlungsinstanzen gibt es ebenso private medizinische Einrichtungen, die sich an ein internationales Publikum richten und diesem auch eine Art Rundumbetreuung anbieten. Die Strategie zur Überwindung der Sprachbarrieren wird in den meisten Interviews kaum erwähnt. Der rumänische Medizintourismus in Österreich ist ebenso Forschungsgegenstand von Slavu (2017). Für ihre Untersuchung interviewt und beobachtet sie einen nicht ausgebildeten Dolmetscher, der von einer privaten Klinik in Wien damit beauftragt wird, für ihre rumänischen PatientInnen zu dolmetschen. Ähnlich wie Ivașcu führt Slavu in ihrer Arbeit an, dass Patien‐ tInnenvermittlungsinstanzen (Portale, Agenturen, Gesundheitseinrichtungen) sich nicht für die Überwindung von Sprachbarrieren in der ÄrztInnen-Patien‐ tInnen-Kommunikation durch ausgebildete DolmetscherInnen zu interessieren scheinen. Das Rollenverständnis des im Fokus der Untersuchung stehenden Dolmetschers unterscheidet sich stark von jenem ausgebildeter Dolmetsche‐ rInnen: Seine Sichtbarkeit in der Interaktion geht zu weit. „Der Dolmetscher erzählt, spricht und antwortet für die Patientin“ (Slavu 2017: 90), die im Gespräch fast unsichtbar wird. Auch hinsichtlich der Kompetenzen gibt es vor allem aus Sicht der Dolmetschsowie der terminologischen Kompetenz auffallende Unterschiede im Vergleich zu ausgebildeten DolmetscherInnen. Die Studie zeigt einmal mehr, dass zahlreiche Dolmetschkompetenzen notwendig sind, damit die medizinische Kommunikation funktioniert. Dem russischen Medizintourismus in Österreich widmet sich Chistyakovas Untersuchung des Rollenverständnisses der DolmetscherInnen (vgl. Chistyakova 2016). Die an sechs russischsprachige PatientInnen gestellten Interviewfragen zielen darauf ab, durch persönliche Erzählungen erlebter Situationen Einblicke in die Inter‐ aktion mit den DolmetscherInnen zu erhalten. Im Unterschied zu Ivașcu (2014) zeigen die erhobenen Daten, dass die befragten PatientInnen den Einsatz aus‐ gebildeter DolmetscherInnen - insbesondere bei anspruchsvollen Interaktionen - als wichtig erachten. Anforderungen an die DolmetscherInnen umfassen unter anderem ausgezeichnete Sprachkompetenz, Kenntnisse der medizinischen Ter‐ 84 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="85"?> 25 Die Dolmetschausbildung wird von den PatientInnen nur teilweise als wichtig erachtet - wie auch in anderen medizinischen Settings. minologie sowie soziale Kompetenz. 25 Die Erwartungen der PatientInnen an die DolmetscherInnen beziehen sich auch auf die Koordination von Terminen und auf organisatorische Tätigkeiten, die üblicherweise Reisebüros zugeschrieben werden. Mit dem Dolmetschen im russischen Medizintourismus in Österreich am Beispiel einer Vermittlungsinstanz setzt sich auch die Studie von Weissen‐ hofer (2017) auseinander. Die qualitativen Interviews mit der Leiterin einer PatientInnenvermittlungsinstanz, mit zwei PrivatärztInnen und zwei russischen PatientInnen veranschaulichen, welche Anforderungen und Rollenerwartungen an die DolmetscherInnen gestellt werden und welches Aufgabenprofil von ihnen erwartet wird. In ihrer Untersuchung wird darüber hinaus deutlich, dass nicht nur ausgebildete DolmetscherInnen im Medizintourismus tätig sind. So wird ein universitärer Abschluss nicht zwingend vorausgesetzt, und die Ver‐ mittlungsinstanz beauftragt auch Studierende, die die Sprache der PatientInnen sehr gut sprechen. Deutlich wichtiger erscheinen den InterviewpartnerInnen andere Kompetenzen und Fertigkeiten wie medizinische Fachkenntnisse, per‐ fekte Zweisprachigkeit und Sympathie. Laut dem aktuellen Forschungsstand zum Dolmetschen im Medizintourismus haben medizintouristische Settings zwei grundlegende Besonderheiten: • DolmetscherInnen dolmetschen nicht nur ÄrztInnen-PatientInnen-Kom‐ munikation, sondern auch andere Gespräche nicht medizinischer Natur; • DolmetscherInnen werden mit außertranslatorischen Aufgaben neben der Dolmetschtätigkeit konfrontiert. Der erste Aspekt ist darauf zurückzuführen, dass in jeder Phase der Servicekette (vgl. Quast 2009: 31ff. sowie 1.5.2) ein Kommunikationsbedarf vorhanden ist: Bereits vor der medizinischen Reise müssen PatientInnen mit verschiedenen AkteurInnen kommunizieren, um ihre medizinische Reise überhaupt antreten zu können. Auch in der Zeit nach der Rückkehr ins Herkunftsland besteht der Kommunikationsbedarf weiterhin, damit z. B. die PatientInnen die behan‐ delnden ÄrztInnen über den Behandlungserfolg informieren oder mit diesen weitere Schritte planen können. Neben der Kommunikation mit den Vertrete‐ rInnen der medizinischen Institution (ÄrztInnen und Pflegepersonal) kommu‐ nizieren PatientInnen und ihre Begleitpersonen auch mit den VertreterInnen nicht medizinischer Einrichtungen (z. B. Hotels, Restaurants, Behörden). Diese Gespräche sind zumeist organisatorischer Natur und zielen auf die Lösung von Problemen, die während, vor oder nach dem Aufenthalt im Ausland 85 2.5 Forschung zum Dolmetschen im Medizintourismus <?page no="86"?> 26 In diese Tabelle fließen auch die Funktionen des ÄrzInnen-PatientInnen-Gesprächs nach Bechmann (2014: 178ff.) mit ein. entstehen können, ab. Aus inhaltlicher und terminologischer Sicht sind sie meistens wenig herausfordernd, allerdings sind sie für PatientInnen wichtig. Tab. 6 fasst die verschiedenen Arten dolmetschvermittelter Kommunikation im Medizintourismus entlang der Servicekette zusammen. 26 Gesprächsteilnehmende Kommunikativer Zweck Zeitpunkt entlang der Servicekette • PatientInnen und Begleitpersonen • VertreterInnen der medizinischen Insti‐ tution Kontaktherstellung, Ver‐ mittlung sowie Organisa‐ tion der medizinischen Reise oder der Untersu‐ chung Vor der Reise; seltener während oder nach der Reise Diagnostische, informative und beratende (psycho‐ therapeutische) Funktion medizinischer Kommuni‐ kation Vor, während und nach der Reise Lösung von Problemen nicht medizinischer Natur (z. B. Rechnungsbe‐ gleichung, Terminverein‐ barung etc.) Vor, während und nach der Reise Small Talk (phatische Funktion) Während der Reise; sel‐ tener vor oder nach der Reise • PatientInnen und Begleitpersonen • VertreterInnen ver‐ schiedener Einrich‐ tungen wie Hotels, Ferienwoh‐ nungen, Restau‐ rants, Banken, Ge‐ schäfte usw. Kontaktherstellung, Ver‐ mittlung sowie Organisa‐ tion der medizinischen Reise oder der Untersu‐ chung Vor der Reise; seltener während oder nach der Reise Lösung von Problemen nicht medizinischer Natur (z. B. Probleme im Ho‐ telzimmer, Anzeigeerstat‐ tungen etc.) Während der Reise; sel‐ tener vor oder nach der Reise Small Talk (phatische Funktion) Während der Reise; sel‐ tener vor oder nach der Reise Tab. 6: Dolmetschvermittelte Kommunikation im Medizintourismus 86 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="87"?> PatientInnen im Medizintourismus benötigen nicht nur Unterstützung bei der Kommunikation, sondern auch bei der Erledigung administrativer Aufgaben, da sie eine Reise organisieren und während des Auslandsaufenthalts verschie‐ dene Probleme lösen müssen. In jenen Fällen, in denen PatientInnen nicht durch die medizinische Institution oder eine Vermittlungsinstanz unterstützt werden, wenden sie sich an die DolmetscherInnen mit Anfragen betreffend weitere Leistungen. Das potenzielle Leistungsangebot von DolmetscherInnen im Medizintourismus kann in Anlehnung an Quast (2009: 28ff.) aus dolmet‐ schwissenschaftlicher Sicht wie in Abb. 3 unterteilt werden. Abb. 3: Das Leistungsangebot von DolmetscherInnen im Medizintourismus Das primäre Angebot ist die translatorische Leistung der DolmetscherInnen während der medizinischen Behandlung. Je nach Kommunikationssituation und kommunikativem Zweck umfasst die translatorische Leistung konseku‐ tives (mit oder ohne Einsatz von Notizentechnik) oder simultan geflüstertes Dolmetschen der Kommunikation zwischen PatientInnen und VertreterInnen der medizinischen Institution. Werden medizinische Fachtexte (u. a. Diagnosen, Therapiepläne, Medikamentenlisten) in den Gesprächen eingesetzt, so kann zu den translatorischen Leistungen auch Vom-Blatt-Dolmetschen zählen. In der Wartezeit direkt vor, während oder nach der Behandlung kann Stand-by-Dol‐ 87 2.5 Forschung zum Dolmetschen im Medizintourismus <?page no="88"?> 27 Meistens sitzen die DolmetscherInnen zusammen mit den PatientInnen (und ihren Begleitpersonen) im Warteraum der medizinischen Institution und dolmetschen nur bei konkretem Bedarf. metschen zum Einsatz kommen. 27 Zu den sekundären Angeboten, d. h. zu den Tätigkeiten, die nur indirekt dem medizinischen Zweck dienen, aber als Voraussetzungen für eine gelungene Verständigung während der gesamten medizinischen Reise gelten, können translatorische Leistungen wie das Über‐ setzen von medizinischen oder wirtschaftlichen Fachtexten (u. a. Angebote, Behandlungsverträge, Rechnungen) vor und nach der Behandlung und außer‐ translatorische Leistungen wie die Koordination von Terminen, das Follow-up (Nachbereitung) sowie die Führung der Korrespondenz gezählt werden. Tertiäre Angebote sind ergänzende Angebote, die eher der touristischen Komponente des Medizintourismus zugeordnet werden können: die Erledigung der Reisefor‐ malitäten, Empfehlungen bezüglich touristischer Aktivitäten, die Organisation von Transfers und weitere außertranslatorische Leistungen. Der Umfang des Angebots der DolmetscherInnen hängt davon ab, welche Leistungen die medi‐ zinische Institution und/ oder die Vermittlungsinstanz anbieten. Je geringer das Angebot der medizinischen Institution und/ oder der Vermittlungsinstanz ist, desto umfangreicher kann das Angebot der DolmetscherInnen sein. 2.6 Professionelles translatorisches Handeln im Medizintourismus So wie bei jeder Art dolmetschvermittelter Kommunikation ist auch im Medi‐ zintourismus professionelles translatorisches Handeln für die Erreichung des obersten Ziels - die Schaffung gegenseitiger Verständigung - notwendig. In Anlehnung an die Skopostheorie (vgl. u. a. Vermeer 1986) und die Theorie des translatorischen Handelns (vgl. Holz-Mänttäri 1984) beschreibt Kadrić (2009: 15) Translation als eine Tätigkeit, die einerseits vom Zweck der transkulturellen Kommunikation und andererseits vom Vorhandensein von BedarfsträgerInnen und ExpertInnen bestimmt ist. Die BedarfsträgerInnen haben einen Bedarf, den sie nur mit Unterstützung von ExpertInnen erfüllen können. Die ExpertInnen können aufgrund ihrer Expertise den Bedarf der BedarfsträgerInnen, die sich an sie wenden, ermitteln, verbalisieren und erfüllen. Die Präsenz von ExpertInnen ist essenziell für eine optimale Kommunikation (vgl. Holz-Mänttäri 1984: 42). Im Unterschied zu LaiInnen sind TranslatorInnen ExpertInnen, die den Bedarf in seinem Gesamtkontext analysieren und für ein „verständnisorientiertes, kommunikatives transkulturelles Handeln“ (Kadrić 2011: 62) sorgen können. 88 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="89"?> 28 Das Endprodukt der Translation kann insofern als kreativ bezeichnet werden, als dabei „das sach- und kulturbezogene Wissen aktiviert und eigenständige Texte unter Ver‐ wendung des analytisch-synthetisch-evaluativ bereitgestellten Materials produziert“ werden (Kadrić 2009: 26). 29 Alle an der Interaktion beteiligten AkteurInnen können als KundInnen der Dolmet‐ scherInnen betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund ist zu bedenken, dass jede KundInnengruppe bestimmte Erwartungen an die DolmetscherInnen und an deren Dienstleistung stellt (vgl. 3.1). Insbesondere die Erwartungen der Vermittlungsins‐ tanzen unterscheiden sich in mancher Hinsicht von denen anderer KundInnen: Pünkt‐ lichkeit und eine reibungslose Auftragsabwicklung können für sie wichtiger als die translatorische Kompetenz der DolmetscherInnen sein (vgl. Ozolins 2007: 125). Konkret äußert sich das translatorische Handeln als translatorische Leistung - z. B. als Dolmetsch- oder Übersetzungsleistung. Das translatorische Handeln beginnt bereits mit der Beauftragung der/ des TranslatorIn (vgl. Risku 2016a: 45). Bereits während der Auftragsanalyse nutzen die TranslatorInnen ihr Ex‐ pertInnenwissen, um sich „ein gedankliches Bild von der Gesamtsituation“ (Risku 2016a: 46) zu machen und auf dessen Basis den Auftrag anzunehmen oder abzulehnen sowie den Zweck der Interaktion, die gedolmetscht bzw. übersetzt werden soll, zu ermitteln. Dazu braucht es seitens der Translato‐ rInnen ein analytisches, synthetisches, evaluatives und kreatives Vorgehen (vgl. Holz-Mänttäri 1984: 119f., Kadrić 2009: 26). 28 Auch während der tatsächlichen Translationsarbeit erfassen sie den (mündlichen oder schriftlichen) Ausgangs‐ text und seinen Zweck, begreifen seine Essenz und treffen ihre Entscheidungen unter Berücksichtigung der gewünschten Kommunikationsergebnisse. Die von TranslatorInnen als ExpertInnen realisierte Translation ist immer ein zweck- und zielorientierter Akt (vgl. Holz-Mänttäri 1984: 29) und zielt darauf ab, gegenseitige Verständigung zwischen allen an der Interaktion Beteiligten zu ermöglichen. An dolmetschvermittelter medizinischer Kommunikation beteiligt sind Ver‐ treterInnen der medizinischen Institution (z. B. ÄrztInnen, Pflegepersonal) und PatientInnen sowie zuweilen deren Begleitpersonen. Sie sind die Bedarfs‐ trägerInnen, deren kommunikative Bedürfnisse von den DolmetscherInnen als TranslationsexpertInnen erfüllt werden sollen. Die tatsächliche Beauftra‐ gung der DolmetscherInnen kann entweder durch die PatientInnen, die ÄrztInnen oder die Vermittlungsinstanzen (z. B. PatientInnenvermittlungsa‐ genturen, Übersetzungs- oder Dolmetschagenturen) erfolgen. 29 Für die Inan‐ spruchnahme von Dolmetschdienstleistungen im Rahmen einer Individualreise zu medizinischen Zwecken (vgl. 1.5.2) kann davon ausgegangen werden, dass die Beauftragung von DolmetscherInnen zumeist durch die PatientInnen er‐ folgt, die sich entweder direkt an selbstständige DolmetscherInnen oder an eine 89 2.6 Professionelles translatorisches Handeln im Medizintourismus <?page no="90"?> 30 Neben den mit ihren AuftraggeberInnen vertraglich vereinbarten Verpflichtungen sollten DolmetscherInnen als ExpertInnen ebenso gegenüber den anderen an der Interaktion beteiligten Personen bestimmte Verpflichtungen einhalten. Für Mitglieder von Berufsverbänden ist in diesem Zusammenhang der jeweilige Ethikkodex ausschlag‐ gebend. So nennt der österreichische Berufsverband UNIVERSITAS in seiner Ehrenord‐ nung folgende Verpflichtungen: Unvoreingenommenheit, Pünktlichkeit, Qualifikation und Verschwiegenheit (vgl. UNIVERSITAS 2017). Der bundesdeutsche Berufsverband BDÜ (vgl. BDÜ 2014) fügt darüber hinaus die Pflicht hinzu, „Missverständnisse und falsche kulturelle Schlussfolgerungen aufzuklären“. Übersetzungs- oder Dolmetschagentur wenden. Bei Pauschalreisen und im Fall der Inanspruchnahme individueller Angebote, bei denen die jeweiligen Bedürf‐ nisse der PatientInnen berücksichtigt werden, kann eine PatientInnenvermitt‐ lungsagentur oder die medizinische Institution, die z. B. über ein international office verfügt, ein Gesamtpaket anbieten, das auch translatorische Leistungen beinhaltet. Folglich kann sich die PatientInnenvermittlungsagentur oder die medizinische Institution entweder direkt an selbstständige DolmetscherInnen oder an eine Übersetzungs- oder Dolmetschagentur wenden. Beim translatorischen Handeln spielt menschliche Kooperation eine wichtige Rolle, denn diese dient der Erreichung einer „funktionsgerechten Kommunika‐ tion“ (Holz-Mänttäri 1984: 26). Ist das beabsichtigte Gesamtziel komplex, kann eine arbeitsteilige Kooperation zwischen ExpertInnen notwendig sein. In diesem komplexen Handlungsgefüge stellt die Translation eine Teilhandlung dar, mit der die Erreichung von einem „übergeordneten Gesamtziel“ (Holz-Mänttäri 1984: 23) angestrebt wird. Die Kooperation zwischen ExpertInnen bedarf impli‐ ziter oder expliziter Vereinbarungen, in denen die Aufgaben der beteiligten ExpertInnen genau definiert werden. 30 Arbeitsteilige Kooperation bedeutet für TranslatorInnen, dass sie nicht als reine EmpfängerInnen von Befehlen gelten: Sie sind vielmehr gleichberechtigte PartnerInnen, die sich in der Zusammen‐ arbeit als ExpertInnen verhalten, zweckbezogene sowie analytische Entschei‐ dungen treffen, professionelle Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen und die Arbeitsprozesse aktiv mitgestalten (vgl. Prunč 2002: 183ff.). So ist für den Erfolg der medizinischen Behandlung die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten ExpertInnen - den DolmetscherInnen und den VertreterInnen der medizinischen Institution - ausschlaggebend: „Medical practitioners and interpreters should work as a team to achieve optimal results, with each understanding the needs of the other and neither stepping into the other’s role“ (Hale 2007: 61). Im Medizintourismus ist der Kontakt zwischen DolmetscherInnen und den anderen AkteurInnen häufig lang und intensiv. Viele PatientInnen benötigen z. B. mehrere oder mehrtägige Behandlungen. Auch der Kontakt zu den Ver‐ 90 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="91"?> treterInnen der medizinischen Institutionen kann eingehender als in konven‐ tionellen medizinischen Settings sein, falls die DolmetscherInnen häufig für dieselbe medizinische Institution dolmetschen. Dieser intensive Kontakt kann von Vorteil für die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten ExpertInnen sein. Wenn DolmetscherInnen öfter mit einer medizinischen Institution zusammen‐ arbeiten, verfügen sie meist über ein erweitertes institutionelles und fachliches Wissen, das ihr translatorisches Handeln erleichtern kann. So ist im Rahmen einer ersten Zusammenarbeit die Übermittlung relevanter Informationen zum medizinischen Fall und zu den Zielen der Gespräche sowie der Behandlung an die DolmetscherInnen durch die VertreterInnen der medizinischen Institution hilfreich. Im Medizintourismus hat der Bedarf der PatientInnen als BedarfsträgerInnen eine zusätzliche Komponente, da die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der medizinischen Behandlung die Reise in das Behandlungsland ist. Dafür müssen PatientInnen u. a. Termine vereinbaren, unterschiedliche Formulare ausfüllen, administrative Angelegenheiten erledigen, Hotelzimmer buchen; dar‐ über hinaus wünschen sie sich häufig Empfehlungen bezüglich Restaurants und Sehenswürdigkeiten, die sie und/ oder ihre Begleitpersonen besuchen können (vgl. u. a. Allaoui 2005, Ivașcu 2014, Kaspar 2015, Muršič 2015, Chistyakova 2016, Slavu 2017, Weissenhofer 2017, Horová 2018). Dafür benötigen sie in vielen Fällen Unterstützung, da sie weder die Sprache des Behandlungslandes sprechen noch über Netzwerke im Behandlungsland verfügen. Erhalten PatientInnen Unterstützung von Vermittlungsinstanzen oder medizinischen Institutionen, die neben der medizinischen Behandlung weitere Leistungen anbieten, werden Dol‐ metscherInnen nicht unbedingt mit solchen außertranslatorischen Aufgaben betraut. Ist dies nicht der Fall, wenden sich PatientInnen mit solchen Anfragen häufig an die DolmetscherInnen. Als ExpertInnen können DolmetscherInnen entscheiden, ob sie die angefragten Leistungen selbst anbieten, in welchem Umfang sie es tun, oder ob sie lieber mit weiteren ExpertInnen (z. B. Taxiunter‐ nehmen, Reisebüros, ReiseleiterInnen) zusammenarbeiten möchten. 2.7 Kapitelzusammenfassung In der Medizin ist Kommunikation essenziell für den Erfolg der medizinischen Behandlung. Sie findet in unterschiedlichen Institutionen, wie z. B. im Kran‐ kenhaus oder in der ärztlichen Praxis statt. Im Bereich der medizinischen Kommunikation ist insbesondere die ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation für DolmetscherInnen relevant. Dabei handelt es sich um eine asymmetrische 91 2.7 Kapitelzusammenfassung <?page no="92"?> institutionelle Kommunikation, die verschiedene mündliche Gesprächsarten wie das Aufklärungs- oder Beratungsgespräch umfasst. Jede Gesprächsart weist zumeist eine stark vordefinierte Struktur (Gesprächsinitialisierung, Informati‐ onssammlung, körperliche Untersuchung, Befunderklärung, Planung und Ge‐ sprächsabschluss) auf, die die ÄrztInnen nutzen, um im Laufe des Gesprächs eine Beziehung zu den PatientInnen aufzubauen und jene Informationen zu erhalten, die sie für die Diagnoseerstellung oder Formulierung eines Therapievorschlags benötigen. Entlang dieser vordefinierten Struktur stellen sie im Rahmen einer zielgerichteten Kommunikation einerseits bestimmte Arten von Fragen und übermitteln Nachrichten, darunter auch schlechte Nachrichten. Andererseits reflektiert die Art, wie PatientInnen auf die gestellten Fragen antworten, ihr Alltagswissen, ihr semiprofessionelles Wissen und ihre soziokulturellen Werte. In manchen Fällen kann es sein, dass das (Frage-)Verhalten der ÄrztInnen den Normalitätserwartungen der PatientInnen nicht entspricht. So könnten sich PatientInnen zum Beispiel eine Gesprächsinitialisierung in Form von Small Talk erwarten, während sie stattdessen von den ÄrztInnen mit einer gezielten Fragestrategie (Fragebatterie) konfrontiert werden. Die sprachlichen Ausfüh‐ rungen der PatientInnen spiegeln ihre eigenen soziokulturellen Werte und Schemata wider, weshalb die Wahrnehmung und Empfindung von Schmerzen und deren Beschreibung unterschiedlich ausfallen können. Neben PatientInnen und ÄrztInnen können auch andere AkteurInnen wie das Pflege- oder das administrative Personal des Krankenhauses oder der ärztlichen Praxis an der Kommunikation beteiligt sein. Ihre Handlungen beeinflussen ebenso die me‐ dizinische Kommunikation: Eine Empfangsperson, die PatientInnen bei der Aufnahme unhöflich behandelt, kann den Erfolg der späteren ÄrztInnen-Pati‐ entInnen-Kommunikation gefährden. Eine erfolgreiche Verständigung ist in der medizinischen Kommunikation nicht nur für die Behandlung, sondern auch aus rechtlicher Sicht essenziell. Zur Überbrückung von Sprach- und Kulturbarrieren gibt es verschiedene Lösungs‐ strategien: Begleitpersonen oder Angehörige der PatientInnen dolmetschen; zweisprachiges medizinisches oder nicht medizinisches Personal wird einge‐ setzt; alle Beteiligten verwenden eine gemeinsame Sprache (zumeist Englisch als Lingua Franca); ausgebildete DolmetscherInnen dolmetschen vor Ort oder aus der Ferne. Werden DolmetscherInnen eingesetzt, stellt sich die Frage, welche Rollen und Aufgaben diese übernehmen sollen. Dolmetschwissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass DolmetscherInnen meist als sichtbare Beteiligte am Kommunikationskontext handeln: Durch ihr Kommunikationsmanagement und ihre aktive Teilnahme wird der Informationsfluss des Gesprächs gesteuert und Verständigung ermöglicht. 92 2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus <?page no="93"?> Durch ihr professionelles translatorisches Handeln können Dolmetsche‐ rInnen im Medizintourismus den Bedarf der BedarfsträgerInnen ermitteln und für gegenseitige Verständigung sorgen. Den Erfolg der medizinischen Behand‐ lung durch reibungslose Kommunikation können sie durch die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit anderen ExpertInnen (dem medizinischen Personal) ge‐ währleisten. In medizintouristischen Settings kommt allerdings eine zusätzliche Komponente des Bedarfs der PatientInnen ins Spiel. Da der Inanspruchnahme der medizinischen Behandlung eine Reise ins Ausland zugrunde liegt, haben PatientInnen nicht nur während der medizinischen Behandlung und somit wäh‐ rend der medizinischen Kommunikation einen Kommunikations- und Unter‐ stützungsbedarf, sondern sie benötigen auch vor und nach der Reise Leistungen. Manche dieser Leistungen sind translatorischer Natur (z. B. das Übersetzen von medizinischen Dokumenten); andere wiederum sind außertranslatorischer Art (z. B. die Buchung von Terminen oder die Organisation des Transfers). In jenen Fällen, in denen internationale PatientInnen kein Rundumangebot von einer medizinischen Institution oder einer Vermittlungsinstanz erhalten, können sie sich für solche außertranslatorischen Leistungen an DolmetscherInnen wenden. 93 2.7 Kapitelzusammenfassung <?page no="95"?> 1 So definiert Risku (2016b: 44) eine Anforderung als „Bezeichnung für eine Voraus‐ setzung […], die für das kontinuierliche, situativ adäquate Erfüllen einer Aufgabe notwendig ist“. 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen Wie bereits in der Einleitung erläutert, werden im Rahmen der vorliegenden Studie Erwartungen als explizit und nicht explizit kommunizierte Wünsche der BedarfsträgerInnen an die DolmetscherInnen definiert. Als Anforderungen werden wiederum jene Voraussetzungen bezeichnet, die für eine erfolgreiche Dolmetsch(dienst)leistung erfüllt werden müssen. 1 In Kapitel 3 erfolgt anhand ausgewählter dolmetschwissenschaftlicher Literatur eine erste Auseinanderset‐ zung mit den Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen. 3.1 Erwartungen an DolmetscherInnen Erwartungen an DolmetscherInnen sind bereits seit vielen Jahrzehnten For‐ schungsgegenstand der Translationswissenschaft. In der Routledge Encyclo‐ pedia of Interpreting Studies bietet Pöchhacker (2015) einen zusammenfas‐ senden Überblick über die user expectations, die Erwartungen der NutzerInnen, und betont, dass mit NutzerInnen der Dolmetschdienstleistungen alle Bezugs‐ gruppen gemeint sind. Dieser Begriff umfasst also sowohl jene AkteurInnen, die die Dolmetschung in Auftrag geben und für deren Durchführung bezahlen, als auch die sonstigen an der Kommunikation Beteiligten. NutzerInnenerwar‐ tungen beschreibt Pöchhacker (2015: 430) in diesem Zusammenhang als „beliefs about what one is likely to get, or would like to get“. Aus dieser Definition ergibt sich die oft subjektive Dimension der NutzerInnenerwartungen, die von NutzerIn zu NutzerIn und von Setting zu Setting starke Unterschiede aufweisen können. 3.1.1 Erwartungen an die Qualität der Leistung Wie auch für andere dolmetschbezogene Aspekte lag das Augenmerk der ersten dolmetschwissenschaftlichen Untersuchungen (vgl. u. a. Bühler 1986, Kurz 1993, Marrone 1993, Vuorikoski 1998, Kopczyński 1994, Mack/ Cattaruzza 1995, Moser <?page no="96"?> 2 Für ihre Untersuchung hatte Bühler (1986) 16 Qualitätskriterien definiert, die sowohl die sprachliche (wie z. B. logischer Zusammenhang oder grammatikalische und terminolo‐ gische Korrektheit) als auch die außersprachliche Dimension der Textproduktion (wie z. B. ein sicheres Auftreten oder eine angenehme Stimme) berücksichtigten. Anhand des entwickelten Fragebogens bestimmten 47 AIIC-Mitglieder, welche Kriterien für die Qualität der Dolmetschleistungen wichtig waren. Die Schlussfolgerung aus der Studie lautete, dass DolmetscherInnen und ZuhörerInnen die gleichen Erwartungen haben. 3 Während Inhaltstreue, logischer Zusammenhang und terminologische Korrektheit von beiden Gruppen als wichtige Kriterien betrachtet wurden, wurden zum Beispiel die restlichen Kriterien von den NutzerInnen als weniger relevant eingestuft. 4 Eine der bekanntesten Replikationen ist jene von Collados Aís et al. (2011), die zu ähnlichen Ergebnissen kommt. 1996) vorwiegend auf den Erwartungen an die Qualität der Dolmetschleistung in Konferenzsettings; die explizit und nicht explizit kommunizierten Erwar‐ tungen an die DolmetscherInnen standen nicht im Zentrum der Forschung. Wie Reithofer (2014: 21) in ihrer Studie anmerkt, zählen Untersuchungen zu den NutzerInnenerwartungen an eine Verdolmetschung zu den drei üblichen wissenschaftlichen Methoden, mit denen Qualität untersucht wird. In diesem Zusammenhang merkt sie an, dass manche WissenschafterInnen diese Methode kritisch sehen, da sie keine Messung der tatsächlichen Qualität der Dolmetsch‐ leistung ermöglicht - eine hervorragende Dolmetschleistung bedeutet nicht automatisch eine Erfüllung der NutzerInnenerwartungen (vgl. Reithofer 2014: 24). Auch Kalina (2002: 123) hebt die Tatsache hervor, dass NutzerInnen als BedarfsträgerInnen nicht immer wissen, was ihnen nutzt: „How should users know what is good for them? “ Zu den ersten Studien betreffend die Erwartungen an DolmetscherInnen gehören u. a. die Befragungen, die Kurz (1993) auf Basis der von Bühler (1986) verwendeten Kriterien zur Selbstbewertung der Qualität beim Simul‐ tandolmetschen durchführte. 2 Für ihre Studie verwendete Kurz (1993) acht der 16 Kriterien von Bühler und befragte 124 Teilnehmende verschiedener Konferenzen. Aus der Studie ließ sich die Schlussfolgerung ableiten, dass die Er‐ wartungen der DolmetscherInnen und der NutzerInnen nicht immer dieselben sind: So sind DolmetscherInnen viel anspruchsvoller als die NutzerInnen. 3 Eine weitere Erkenntnis ist, dass unterschiedliche NutzerInnengruppen diver‐ gierende Erwartungen aufweisen können. Die Studie von Kurz wurde in den Folgejahren mehrere Male von verschiedenen WissenschafterInnen repliziert. 4 Moser (1996) stellte ebenfalls große Unterschiede zwischen den Erwartungen von NutzerInnen auf der einen und DolmetscherInnen auf der anderen Seite fest. Aus den 201 Interviews mit verschiedenen Konferenzteilnehmenden, die von 94 AIIC-Mitgliedern weltweit geführt wurden, geht hervor, dass die unter‐ 96 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="97"?> 5 Als relevanteste Kriterien wurden eine vollständige und simultane Wiedergabe, rheto‐ rische Fähigkeiten sowie eine lebendige und angenehme Stimme (vgl. Moser 1996: 8) erwähnt. schiedlichen NutzerInnenerwartungen von Faktoren wie Alter, Geschlecht und Konferenzerfahrungen abhängen können. 5 3.1.2 Erwartungen an das Aufgabenprofil und an die Kompetenzen Während die meisten Untersuchungen im Bereich Simultandolmetschen bei Konferenzen die Erwartungen an die Qualität der Dolmetschleistung und somit des produzierten Translats messen, zeigen dolmetschwissenschaftliche Studien zu verschiedenen Settings des Dialogdolmetschens (vgl. u. a. Kuo/ Fagan 1999, Mesa 2000, Pöchhacker 2000a, Edwards et al. 2005, Hale 2007, Kadrić 2009, Schmidt 2013, Tipton/ Furmanek 2016), dass die NutzerInnenerwartungen in besonders hohem Ausmaß auch das Aufgabenprofil der DolmetscherInnen betreffen. Die herangezogenen Untersuchungskriterien unterscheiden sich von jenen für das Simultandolmetschen im Rahmen von Konferenzen und dienen meist zur Bewertung des Verhaltens der DolmetscherInnen als gut oder schlecht (vgl. Pöchhacker 2006: 145ff.). Viele dieser Studien zeigen darüber hinaus eine gewisse Diskrepanz zwischen den Erwartungen der NutzerInnen und dem „Ideal aus Sicht der Translationswissenschaft“ (Schmidt 2013: 45ff.). Für das Dialogdolmetschen bietet die Studie von Kadrić (2009) grundlegende Erkennt‐ nisse. Die von Kadrić befragten RichterInnen hatten bestimmte Erwartungen an die DolmetscherInnen, die von translatorischer Kompetenz, Kulturkompetenz, institutioneller Kompetenz, juristischen Kenntnissen, moralischen und persön‐ lichen Kompetenzen wie „absolut neutrales Verhalten“ (Kadrić 2009: 211) bis zu Vertrauenswürdigkeit und sicherem Auftreten reichten. Darüber hinaus gaben die befragten RichterInnen an, sich von den DolmetscherInnen Kulturmittlung zu erwarten. Unter Kulturmittlung wurde die Erläuterung kulturbedingter Hintergründe, „die sich im Sprachgebrauch der fremdsprachigen Verfahrensbe‐ teiligten manifestieren“ (Kadrić 2009: 210), milieubedingter Ausdrücke für das Gericht sowie die Erklärung der Gerichtssprache für fremdsprachige Personen verstanden (vgl. Kadrić 2009: 210f.). Die Tatsache, dass DolmetscherInnen in dialogischen Situationen mit unter‐ schiedlichen NutzerInnenerwartungen konfrontiert werden, nimmt Hale (2007: 145ff.) zufolge Einfluss auf die Dolmetschleistung. In ihrer Studie wurden Fach‐ leute aus dem medizinischen und rechtlichen Bereich befragt. Trotz der von Hale als niedrig bewerteten Rücklaufquote von 20% pro Bereich (20 Personen aus dem medizinischen und 21 Personen aus dem rechtlichen Bereich) konnten neue 97 3.1 Erwartungen an DolmetscherInnen <?page no="98"?> Erkenntnisse hinsichtlich der Erwartungen an die DolmetscherInnen gewonnen werden. Die an diese Bezugsgruppen gestellten Fragen betrafen Qualifikation (qualifications), Vertrauen (trust), Kompetenzen (assessment of competence), Honorierung (remuneration), Rechte (rights) und Verantwortungsbereiche (res‐ ponsibilities) der DolmetscherInnen (vgl. Hale 2007: 146). Die Gruppe der RechtsexpertInnen legte besonderen Wert auf die Qualifikation. So gaben 33% an, qualifizierte DolmetscherInnen zu bevorzugen, während dies nur für 26,7% der MedizinerInnen von Bedeutung war. Darüber hinaus hielten es zwar 52% der RechtsexpertInnen, aber nur 30% der MedizinerInnen für wichtig, dass DolmetscherInnen über eine universitäre Ausbildung verfügen. Nichtsdestowe‐ niger stellte Qualifikation kein essenzielles Kriterium bei der Beauftragung von DolmetscherInnen durch Dolmetsch- oder Übersetzungsbüros dar. Hale führte diese Ergebnisse auf das mangelnde Bewusstsein bezüglich der Konsequenzen des Einsatzes nicht ausgebildeter DolmetscherInnen zurück. Beide Gruppen gaben an, zur Beurteilung der Kompetenzen der DolmetscherInnen folgende Kriterien zu berücksichtigen: Akzent, Körpersprache, Auftreten, Kohärenz der Äußerungen auf Englisch und vor allem reibungslose Kommunikation („how smooth the exchange was“) (vgl. Hale 2007: 157). Weitere Kriterien stellten das Feedback seitens der KlientInnen, PatientInnen sowie der Begleitpersonen und die eigenen Fremdsprachenkenntnisse dar. Innerhalb der Gruppe der Me‐ dizinerInnen wurden drei zusätzliche Erwartungen festgestellt: das Verständnis bestimmter medizinischer Sachverhalte, die Involvierung/ Distanz der Dolmet‐ scherInnen und die Relevanz der Fragen und Antworten der PatientInnen (vgl. Hale 2007: 158). Qualifikation wurde hingegen nie als Indikator für Qualität genannt. Hinsichtlich des Vertrauens in die DolmetscherInnen zeigten die Ergebnisse die generelle Tendenz, dass das Vertrauen in sie sinkt, wenn sie ihre Unparteilichkeit aufgeben, um die Rolle des mediator oder gatekeeper anzunehmen, und Aussagen verändern (vgl. Hale 2007: 159). Genauigkeit, Unparteilichkeit, Integrität und Professionalität wurden als ausschlaggebende Verantwortungsbereiche der DolmetscherInnen eingestuft (vgl. Hale 2007: 160). Die von Hale befragten NutzerInnen schienen demnach DolmetscherInnen zu bevorzugen, die lediglich den Inhalt der Gespräche in die andere Sprache übertragen und somit als conduit agieren. Im Bereich des Dialogdolmetschens werden NutzerInnenerwartungen häufig mit Rollenerwartungen gleichgestellt (vgl. Tipton/ Furmanek 2016: 136). Die Art und Weise, wie DolmetscherInnen von den anderen Beteiligten wahrgenommen werden, sowie die Rollenerwartungen können den Erfolg der dolmetschver‐ mittelten Kommunikation beeinflussen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn DolmetscherInnen von PatientInnen bloß als Hindernis gesehen werden 98 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="99"?> (vgl. Tipton/ Furmanek 2016: 137). Darüber hinaus können DolmetscherInnen in jenen Institutionen, in denen andere Strategien als der Einsatz ausgebil‐ deter DolmetscherInnen zur Überwindung von Sprachbzw. Kulturbarrieren bevorzugt werden, manchmal lediglich als Kosten- und Zeitfaktor betrachtet werden. Ebenso können die Wahrnehmung der DolmetscherInnen durch die am Gespräch beteiligten Personen und die damit verbundenen NutzerInnener‐ wartungen von unterschiedlichen Faktoren wie Fremdsprachenkenntnissen, gesammelter Erfahrung im Umgang mit DolmetscherInnen und dem Status innerhalb der Institution beeinflusst werden. Die Untersuchung von Hsieh et al. (2013) basiert gleichermaßen auf der Annahme, dass Erwartungen je nach NutzerInnen und deren Spezialisierung stark variieren können. So zeigt die Studie, dass für AllgemeinmedizinerInnen die Schaffung einer nachhaltigen ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung prio‐ ritär sein kann, während für das medizinische Personal in der Notaufnahme Informationen zum momentanen Zustand der PatientInnen wichtiger sein können, da ihr Hauptanliegen die Diagnosefindung darstellt (vgl. Hsieh et al. 2013: 558). In einer ersten Studienphase wurden von Hsieh et al. 39 MedizinerInnen, die bereits Erfahrung im Umgang mit DolmetscherInnen aufwiesen und in fünf verschiedenen Bereichen (Gynäkologie, Onkologie, Notaufnahme, Psychiatrie und Psychologie sowie Pflege) tätig waren, anhand von 14 Einzelinterviews und acht fachspezifischen Fokusgruppen befragt. In der zweiten Studienphase wurde eine Befragung von 293 medizinischen ExpertInnen durchgeführt, deren Umfrage-Items auf Basis der Erkenntnisse aus den vorherigen Befragungen entwickelt worden waren. Die erfassten NutzerInnenerwartungen wurden von den AutorInnen der Studie in drei Dimensionen unterteilt (vgl. Hsieh et al. 2013: 560ff.): interpreter as patient ally, interpreter as health care professional und interpreter as provider proxy. Die erste Dimension (patient ally) beschreibt unter anderem die Fähigkeit, PatientInnen emotional und institutionell sowie außerhalb der medizinischen Interaktion zu unterstützen, deren nonverbales Verhalten zu deuten und ihre Interessen zu vertreten. Die zweite Dimension (health care professional) bein‐ haltet unter anderem die Fähigkeit, unparteiisch zu bleiben und sich emotional nicht involviert zu zeigen sowie die Äußerung der Gesprächsteilnehmenden wortwörtlich, terminologisch und inhaltlich korrekt zu übertragen. Die dritte Dimension (provider proxy) umfasst neben den Kenntnissen der PatientInnen‐ geschichte auch die Fähigkeit, die Qualität der medizinischen Leistung zu garantieren, medizinische Gespräche auf Kurs zu halten und das medizinische Personal in der täglichen Arbeit zu unterstützen. Die AutorInnen der Studie kommen zu dem Schluss, dass die fünf untersuchten Spezialisierungen größere 99 3.1 Erwartungen an DolmetscherInnen <?page no="100"?> 6 Diese stellt eine Art Dolmetschpool dar, der Menschen mit unzureichenden Franzö‐ sisch- oder Englischkenntnissen den Zugang zur medizinischen Versorgung ermögli‐ chen soll. Unterschiede hinsichtlich ihrer Definition der Dimension des patient ally aufweisen. Insbesondere divergieren die Meinungen über die Fähigkeit der DolmetscherInnen, PatientInnen außerhalb der medizinischen Interaktion zu unterstützen und ihre Interessen zu vertreten. So legte das Pflegepersonal auf diese Dimension mehr Wert als das Personal der onkologischen sowie der psychologischen und psychiatrischen Abteilungen: […] nurses place significantly more importance on […] [the] interpreters’ ability to offer emotional support to patients. Mental health providers place less value on assisting patients outside of medical encounters than do all other specialties (except oncology), and less on advocating for the patient than do emergency medicine and nursing. Oncologists place less importance on both these functions of interpreters than do nurses and less importance on advocating for the patient than do physicians of emergency medicine. (Hsieh 2013: 562f.) Auf der einen Seite wird also erwartet, dass sich DolmetscherInnen neutral verhalten und nur die Kommunikation ermöglichen, ohne auf irgendeine Art zu intervenieren; auf der anderen Seite sollen sie aber auch als VertreterInnen der medizinischen Institution handeln und sich somit proaktiv verhalten, indem sie beispielsweise Missverständnisse aufklären. Dieser Gegensatz zeigt, dass sich nicht alle ProbandInnen des Problems bewusst waren, dass vollkommen neutrale DolmetscherInnen, die keine aktive Steuerung der Kommunikation übernehmen, nicht zur Erreichung der Ziele der medizinischen Kommunikation beitragen können. Auch Mesa (2000) widmete sich in ihrer Studie den Erwartungen an die Dol‐ metscherInnen im medizinischen Bereich. Für diese Untersuchung wurden die Erwartungen von ca. 500 NutzerInnen aus Montreal ermittelt, die sowohl durch die DolmetscherInnen der sogenannten Inter-regional Interpreters Bank als auch von Laiendolmetschenden unterstützt worden waren. 6 Die relevanteste Nutz‐ erInnenerwartung seitens der PatientInnen betraf die linguistische Expertise: Sprachbarrieren empfanden sie als grundlegendes Hindernis für den Zugang zur medizinischen Versorgung (vgl. Mesa 2000: 72). Des Weiteren erwarteten sie von den DolmetscherInnen, dass diese das Gesagte genau und inhaltsgetreu in die andere Sprache übertragen und vertraulich behandeln (vgl. Mesa 2000: 72). Die VertreterInnen der medizinischen Institutionen erwarteten sich zudem eine sprachliche und kulturelle Unterstützung während der Kommunikation mit den PatientInnen. Unter der Annahme, dass Kommunikation wichtig für die Diag‐ 100 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="101"?> 7 Eine weitere Erkenntnis aus dieser Studie ist, dass sich die PatientInnen von den DolmetscherInnen nicht nur erwarten, dass sie das Gesagte wiedergeben, sondern auch dass sie Erklärungen zu institutionellen Abläufen liefern. noseerstellung und somit für die richtige Behandlung ist (vgl. Mesa 2000: 73), gaben die Befragten an, dass dieses Ziel nur durch eine inhaltsgetreue, genaue und für die PatientInnen verständliche Dolmetschung erreicht werden kann. Die DolmetscherInnen sollen die VertreterInnen der medizinischen Institution informieren, falls PatientInnen das Gesagte nicht verstehen. Semantische Ver‐ zerrungen, Hinzufügungen und Auslassungen von Informationen wurden als problematisch eingestuft, da sie die Genauigkeit der Dolmetschung gefährden können. Die befragten ÄrztInnen äußerten den prioritären Wunsch, ihre Pati‐ entInnen verstehen zu können und von diesen verstanden zu werden. Nur wenn sie nicht verstanden werden, sollten DolmetscherInnen Entscheidungen im Sinn des partizipativen Kommunikationsmodells treffen (vgl. Mesa 2000: 77). Aus der Studie geht ebenso hervor, dass die VertreterInnen der medizinischen Institution mehr Vertrauen in ausgebildete DolmetscherInnen als in Laiendolmetschende haben. Laut der Studie von Edwards et al. 2005 hat das Vertrauen als Erwartung an die DolmetscherInnen einen besonderen Stellenwert. 7 Nicht alle im Rahmen ihrer Studie interviewten PatientInnen vertrauten auf die Verschwiegenheitspflicht ausgebildeter DolmetscherInnen - aus diesem Grund bevorzugten sie die Hilfe von dolmetschenden Familienmitgliedern oder Bekannten. Das Vertrauen in DolmetscherInnen stieg aber, sobald sich die professionelle Beziehung nicht auf eine einzige Dolmetschung beschränkte, sondern mehrere Dolmetschungen erfolgten. Kuo und Fagan (1999) haben untersucht, wie hoch die Zufrieden‐ heit der NutzerInnen war; zum einen mit der Leistung von ausgebildeten DolmetscherInnen und zum anderen mit der Leistung von Laiendolmetsch‐ enden. Im Rahmen ihrer Arbeit wurden sowohl spanischsprachige PatientInnen eines US-amerikanischen Krankenhauses als auch das Krankenhauspersonal befragt. Die Studie ergab, dass beide NutzerInnengruppen mit den ausgebildeten DolmetscherInnen zufrieden waren. Die Leistungen von dolmetschenden Fa‐ milienangehörigen sagten hingegen eher den PatientInnen zu. Grundsätzlich erwarteten sich die interviewten NutzerInnen von den DolmetscherInnen vor allem Verfügbarkeit, Vertraulichkeit und Genauigkeit. Eine umfangreiche Auseinandersetzung mit den Erwartungen der Vertrete‐ rInnen medizinischer Institutionen an die DolmetscherInnen ist in der Studie von Pöchhacker (2000a) zu finden. Neben der Durchführung translatorischer Aufgaben erwarteten sich die Befragten von den DolmetscherInnen, dass sie darüber hinausgehende Aufgaben erledigen, zum Beispiel das „Aufmerksam‐ 101 3.1 Erwartungen an DolmetscherInnen <?page no="102"?> machen auf Missverständnisse“, das „Ausfüllen von Erhebungsblättern/ -formu‐ laren mit den PatientInnen“, das „Abklären unbestimmter Aussagen durch direktes Nachfragen,“ das „Erklären von Fachausdrücken“, das „Vereinfachen der Ausdrucksweise des Personals“ und das „Zusammenfassen umständlicher Aussagen der PatientInnen“ (Pöchhacker 2000a: 252). Das „Weglassen von nebensächlichen Aussagen zur Vermeidung von Zeitverlust“ wurde nur von einem Drittel der Befragten befürwortet und war somit jene Erwartung, die den niedrigsten Wert erreichte und somit am wenigsten relevant befunden wurde (Pöchhacker 2000a: 252). Weitere Erwartungen umfassten das „Erläutern fremdkultureller Hintergründe und Bedeutungen für das Personal“ und das „eigenständige Formulieren von Mitteilungen auf Ersuchen des Personals“ (Pöchhacker 2000a: 252). Je nach Zuständigkeitsbereich der Befragten stellt Pöchhacker gewisse Unterschiede fest: So erachteten SozialarbeiterInnen Kul‐ turmittlung für besonders wichtig. Für Pflegepersonal, TherapeutInnen und ÄrztInnen schien die Kulturmittlung hingegen weniger wesentlich zu sein (vgl. Pöchhacker 2000a: 254). Pöchhacker befragte die VertreterInnen medizinischer Institutionen außerdem zu den Anforderungen, die an die DolmetscherInnen gestellt werden. In diesem Zusammenhang wurden Diskretion, Neutralität und perfekte Zweisprachigkeit als besonders wichtig erachtet, während eine universitäre Ausbildung und andere Qualifikationen nur eine untergeordnete Rolle spielten (vgl. Pöchhacker 2000a: 248). Die von Allaoui (2005) geführten ExpertInneninterviews mit Dolmetsche‐ rInnen und ÄrztInnen im medizinischen Bereich zeigen auf, welche Aufgaben von den im Krankenhaus eingesetzten DolmetscherInnen erwartet und tatsäch‐ lich durchgeführt wurden. Zu den Aufgaben der DolmetscherInnen zählten aus Sicht der interviewten ÄrztInnen das Dolmetschen, das (neutrale) Vermitteln, die Betreuung, die Übermittlung von Informationen und andere Aufgaben, die von Allaoui nicht weiter spezifiziert werden (vgl. Allaoui 2005: 58ff.). Die interviewten DolmetscherInnen sahen als ihre Aufgaben das Dolmetschen, die Betreuung insbesondere in sozialen Fragen, die Vermittlung von Terminen, die Sprach- und Kulturmittlung sowie die Unterstützung des Krankenhausperso‐ nals und der PatientInnen (vgl. Allaoui 2005: 84ff.). Die von Allaoui interviewten ÄrztInnen waren der Meinung, dass DolmetscherInnen krankenhausinterne und -externe Aufgaben, die Vermittlung von Terminen, die passive Sprachmitt‐ lung während der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation und Kulturmitt‐ lung sowie die PatientInnenbegleitung übernehmen sollen (vgl. Allaoui 2005: 60ff.). Die interviewten DolmetscherInnen hielten wiederum die PatientInnen‐ begleitung, das Klären von PatientInnenfragen, die Sprach- und Kulturmittlung 102 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="103"?> sowie die Vermittlung von Informationen für ihre Zuständigkeitsbereiche (vgl. Allaoui 2005: 87ff.). Viele der oben erwähnten Studien zum Dolmetschen im Gesundheitswesen belegen folglich, dass viele VertreterInnen medizinischer Institutionen von Dol‐ metscherInnen erwarten, dass sie als unsichtbare Anwesende (entsprechend der Rolle des conduit) agieren. Gleichzeitig wird von ihnen aber die Ausführung von Tätigkeiten verlangt, die im Sinne einer unsichtbaren Person nicht möglich sind und einer utilitaristischen Interpretation der Funktion von DolmetscherInnen entsprechen (vgl. u. a. Hsieh/ Kramer 2012). Dieser utilitaristischen Interpreta‐ tion gehen Hsieh und Kramer (2012) in ihrer Untersuchung nach. Obwohl die Dolmetschwissenschaft mittlerweile bewiesen hat, dass DolmetscherInnen sichtbare Teilnehmende sind, die in die Interaktion aktiv eingreifen, um eine „effective, ethical, and culturally sensitive care“ (Hsieh/ Kramer 2012: 158) zu erreichen, glauben laut Hsieh und Kramer VertreterInnen medizinischer Insti‐ tutionen häufig, dass DolmetscherInnen nur ein ihnen unterstelltes Instrument und keine PartnerInnen auf Augenhöhe sind. So sollen sie einerseits neutral und vollständig dolmetschen, andererseits sollen sie Informationen filtern, falls PatientInnen zu lange sprechen und irrelevante Details anführen. Des Weiteren sollen sie den PatientInnen auf Anordnung der VertreterInnen medizinischer Institutionen selbstständig formulierte Fragen stellen und ihnen emotionale Unterstützung anbieten (vgl. Hsieh/ Kramer 2012: 158ff.). Der Status quo im Gesundheitswesen zeigt, dass die Prinzipien des partizipativen Modells oft nicht angewendet werden, da Zeit und Kosten eine enorme Rolle spielen. Die Stimme der PatientInnen scheint in der Realität weniger wichtig zu sein (vgl. Hsieh/ Kramer 2012: 161), da im stressigen Alltag der MedizinerInnen kaum Zeit für die Kommunikation mit PatientInnen bleibt. Die unter 2.5 vorgestellten Studien von Ivașcu (2014), Chistyakova (2016) und Weissenhofer (2017) enthalten relevante Einblicke in die Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen im qualitätsorientierten Medizin‐ tourismus. Ivașcu befragte in ihren Interviews DolmetscherInnen mit Erfah‐ rung im Medizintourismus auch zu außertranslatorischen Erwartungen, die PatientInnen an sie hatten. Eine der interviewten DolmetscherInnen gab an, dass ihre Aufgaben von Anrufen im Auftrag der NutzerInnen über Reservie‐ rungen von Hotelzimmern bis zum Organisieren von Transfers reichten (vgl. Ivașcu 2014: 97). Eine andere Dolmetscherin führte unter den außertrans‐ latorischen Erwartungen Auskünfte zu touristischen Attraktionen, organi‐ satorische Aufgaben wie die Suche nach Verkehrsverbindungen zwischen Flughafen und Stadtzentrum, die Suche nach der passenden medizinischen Ansprechperson oder Institution, das Ermöglichen der Korrespondenz zwi‐ 103 3.1 Erwartungen an DolmetscherInnen <?page no="104"?> schen PatientInnen und ÄrztInnen sowie das Abholen der PatientInnen vom Flughafen an (vgl. Ivașcu 2014: 108f.). Den Interviews ist zu entnehmen, dass weder die PatientInnen noch die zwei Ärzte und zwei Krankenschwestern Wert auf eine adäquate Ausbildung der DolmetscherInnen legten. Auch Chistyakova schilderte ähnliche außertranslatorische Erwartungen an die DolmetscherInnen, die Planung, Koordination und Organisation des Aufent‐ haltes im touristischen und medizinischen Sinne umfassten (vgl. Chistya‐ kova 2016: 72f.). Die PatientInnen wünschten sich neben Informationen zu Sehenswürdigkeiten und Shoppingmöglichkeiten unter anderem auch allgemeine Informationen zu den Gewohnheiten der Ziellandbevölkerung. Dazu kamen die Planung und Organisation der Termine, das Einholen von Kostenvoranschlägen, die Besprechung der medizinischen Vorgeschichte inklusive Übersetzung der Befunde sowie das Abholen und Begleiten zu den medizinischen Untersuchungen. Eine weitere von ihnen erwartete Aufgabe, die bereits in anderen Studien (u. a. Pöchhacker 2000a) behandelt wurde und zwischen translatorischen und außertranslatorischen Leistungen einge‐ ordnet werden kann, betraf die Unterstützung der PatientInnen bei der Aufnahme ins Krankenhaus und beim Ausfüllen von PatientInnenbögen. Weissenhofer (2017) führt in ihrer Arbeit zum russischen Medizintourismus in Österreich an, dass die generellen Erwartungen an DolmetscherInnen im Medizintourismus breitgefächert sein können. Alle von ihr befragten Personen (PatientInnen, Krankenhausangestellte und eine Vertreterin einer PatientInnenvermittlungsinstanz) erachteten die richtige Balance zwischen Mitgefühl und Distanz als besonders relevant. Während die Vermittlungs‐ instanz DolmetscherInnen als ihre Verbündeten betrachtete und sich von ihnen „Mitgefühl, Sympathie und Verantwortungsbewusstsein“ (Weissen‐ hofer 2017: 65) erwartete, wünschten sich die interviewten ÄrztInnen in erster Linie gutes medizinisches Wissen und eine ausreichende Kenntnis des Fachvokabulars; eine derartige Sachkompetenz und terminologische Kompetenz war für die PatientInnen ebenso sehr wichtig. Darüber hinaus wurde angegeben, dass medizinische Inhalte auch für die PatientInnen verständlich gedolmetscht werden sollten und dass sich die PatientInnen durch die DolmetscherInnen einen erleichterten Zugang zur medizinischen Versorgung erwarteten. 104 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="105"?> 3.2 Anforderungen an DolmetscherInnen Den bisher angeführten dolmetschwissenschaftlichen Studien zum Dialogdol‐ metschen in medizinischen und medizintouristischen Settings ist zu entnehmen, dass sich die NutzerInnen von den DolmetscherInnen meist bestimmte trans‐ latorische und außertranslatorische Leistungen erwarten. Damit Dolmetsche‐ rInnen eine qualitative Dolmetsch(dienst)leistung erbringen können, müssen sie aber nicht nur die NutzerInnenerwartungen, sondern auch die eigenen Erwartungen, den Berufsethos und die Eigenschaften des Dolmetschsettings berücksichtigen. Wie bereits von Kalina (2002: 125) festgestellt wurde, ist eine reine Analyse des Dolmetschoutputs nicht ausreichend, um die Qualität der Dolmetschung zu messen. Eine qualitativ hochwertige Dolmetsch(dienst)leis‐ tung kann nur dann gewährleistet werden, wenn DolmetscherInnen über eine Reihe von Kompetenzen (vgl. Pöchhacker 2000a: 244) verfügen. In den folgenden Unterkapiteln wird daher auf die in der Literatur beschriebenen Dolmetschkom‐ petenzmodelle sowie auf die einzelnen Kompetenzen eingegangen, die sowohl zur Vereinbarkeit der NutzerInnenerwartungen mit den eigenen Erwartungen als auch zur Gewährleistung einer qualitativen Dolmetschleistung - unter Berücksichtigung der medizintouristischen Settings - unabdingbar sind. 3.2.1 Dolmetschkompetenzmodelle Dolmetschkompetenzen werden in der dolmetschwissenschaftlichen Forschung entweder in Form von einfachen Auflistungen oder systematisch als komple‐ xere Kompetenzmodelle dargestellt (vgl. u. a. Pöchhacker 2000a, Kalina 1998 und 2002, Albl-Mikasa 2013, Kammer/ Roessler 2013, Havelka 2017). Eines der bekanntesten Kompetenzmodelle ist jenes von Pöchhacker (2000a). In seinem Modell fußt die translatorische Kompetenz auf der Sachkompetenz (die sowohl Kenntnisse über das Fachgebiet als auch die Institution umfasst) sowie auf der Sprach- und Kulturkompetenz. Damit das translatorische Handeln adäquat erfolgen kann, benötigen die DolmetscherInnen ein ausgeprägtes Verständnis der Rolle und der Ethik, die als Stützen für die oben erwähnten Kompetenzen aufzufassen sind (vgl. Pöchhacker 2000a: 45). Durch diese Kompetenzen können DolmetscherInnen vor, während und nach der Interaktion fachgerecht bzw. professionell handeln. Ein umfassenderes Modell, das alle von den DolmetscherInnen verlangten Kompetenzen zusammenfasst, ist das Translationskompetenzmodell von Kammer und Roessler (2013: 54). Dabei (siehe Abb. 4) handelt es sich um 105 3.2 Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="106"?> eine Weiterentwicklung der Kompetenzmodelle von Göpferich (2008: 155) und Risku (1998: 261). Abb. 4: Translationskompetenzmodell nach Kammer/ Roessler (2013: 54) Nach ihrem Modell gibt es drei Ebenen: Beginnend bei der äußeren Ebenen sind vier externe Quadrate zu sehen, die jene Faktoren darstellen, die den Translationsprozess von außen beeinflussen; die mittlere Ebene besteht aus einem großen Rechteck, das vier Phasen - die Makrostrategiebildung, die Informationsintegration, den Dolmetschprozess und die Evaluation - umschließt; die innerste Ebene ist der innere Kreis, der die/ den TranslatorIn mit den eigenen Kompetenzen und der Motivation darstellt. Die Makrostrategiebildung folgt weitgehend Riskus Modell, der übersetzungsbezogene Zieltext wird von Kammer und Roessler lediglich durch den dolmetschbezogenen Zieldiskurs ersetzt. Die Makrostrategiebildung wird jeweils von der Art des Auftrags und der Vorbereitungszeit beeinflusst (vgl. Kammer/ Roessler 2013: 63). Auch der Inhalt der Informationsintegration wird von Kammer und Roessler an das Dolmetschen angepasst: So gilt es, das Thema und die Eigenschaften des Settings zu analysieren und Informationen zu beiden Punkten zu bekommen. Die Erreichbarkeit der/ des RednerIn oder AuftraggeberIn vor der Dolmetschung 106 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="107"?> 8 Kalinas (2002: 126f.) Fokus liegt zwar auf dem Bereich des Konferenzdolmetschens, die meisten Kompetenzen sind aber unabhängig vom Dolmetschmodus von großer Relevanz. und die Möglichkeit, auf Hilfsmittel zurückzugreifen, können die Qualität der Leistung als externe Faktoren beeinflussen (vgl. Kammer/ Roessler 2013: 63). Nach dieser Phase beginnt der eigentliche Dolmetschprozess, der der Maßnah‐ menplanung und Entscheidung in Riskus Modell entspricht. Hier werden die Makro- und Mikrostrategien durch das Aktivieren von Methoden und Diskur‐ sproduktionsschemata umgesetzt. Externe Einflussfaktoren sind die jeweiligen Arbeitsbedingungen, Konventionen und Normen, Setting-Eigenschaften und der vorhandene Zeitdruck (vgl. Kammer/ Roessler 2013: 64). Die letzte und gleichzeitig erste Phase bildet die Evaluation, die der Selbstorganisation in Riskus Modell entspricht. Beim Dolmetschen wird die Leistung selbst- oder aber fremdbewertet, falls externes Feedback eingeholt wird. In dieser Phase reflek‐ tieren DolmetscherInnen über die erbrachten oder zu erbringenden Leistungen und greifen auf Metakognition, Dolmetschmodelle, Ko-Organisation und Be‐ rufsethos/ Selbstbild zurück; Einflussfaktoren sind allfällige Feedbackrückmel‐ dungen und die Aus- oder Weiterbildung (vgl. Kammer/ Roessler 2013: 64). Die innerste Ebene, die sich zwischen den vier Quadraten befindet, besteht aus einem Kreis, der basierend auf den Voraussetzungen Motivation und strate‐ gische Kompetenz die Kompetenzen der DolmetscherInnen in Anlehnung an Göpferich (2008: 155) darstellt: die kommunikative Sprachkompetenz, die Sach- und Fachkompetenz, die Hilfsmittelbenutzungs- und Recherchierkompetenz, die Translationsroutineaktivierungskompetenz und die psychomotorische/ sensorische Kompetenz. Der einzige Unterschied zwischen Göpferichs Modell und jenem von Kammer und Roessler besteht darin, dass die Positionen der Hilfsmittelbe‐ nutzungs- und Recherchekompetenz und der psychomotorischen Kompetenz miteinander vertauscht wurden. Letztere Kompetenz wird um die sensorische Kompetenz erweitert, da neben dem Lesen und Schreiben auch eine adäquate Stimmführung und das Hören von Belang sind (vgl. Kammer/ Roessler 2013: 47). Weitere DolmetschwissenschafterInnen, die sich umfassend mit Dolmetsch‐ kompetenzen auseinandersetzen, sind unter anderem Kalina (2002), 8 Hale (2007), Abril Martí (2006) sowie Tipton und Furmanek (2016). Unter Berücksichtigung der Eigenschaften medizintouristischer Settings und der Erkenntnisse hinsichtlich der Erwartungen und Kompetenzen aus der dolmetschwissenschaftlichen Literatur wird der Fokus in dieser Studie auf folgende Dolmetschkompetenzen für das Dolmetschen im Medizintourismus gelegt: Sprach- und Kulturkompetenz, translatorische und terminologische Kom‐ 107 3.2 Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="108"?> 9 Neben der aktiven Beherrschung der Muttersprache(n) und Fremdsprache(n) soll laut Kadrić (2009: 214f.) ferner explizites Wissen über die Sprache und deren Verwendung vorhanden sein. petenz, Sachkompetenz, institutionelle Kompetenz, ethische Kompetenz, Sozial- und Individualkompetenz sowie Businesskompetenz. 3.2.2 Sprach- und Kulturkompetenz Sprach- und Kulturkompetenz werden in der Dolmetschwissenschaft als Vor‐ aussetzung zur Erlangung von Translationskompetenzen sowie weiteren Dol‐ metschkompetenzen gesehen. Aus diesem Grund wird generell empfohlen, dass diese bereits vor dem einschlägigen Studium vorhanden sein sollten (vgl. Albl-Mikasa 2013: 22). Unter Sprachkompetenz werden die perfekte Be‐ herrschung der Muttersprache sowie die muttersprachähnliche Kompetenz in zumindest einer Fremdsprache verstanden (vgl. Albl-Mikasa 2013: 22); dies schließt die Beherrschung verschiedener Register, diastratischer und diatopi‐ scher Varietäten ein (vgl. Hale 2007: 177, Abril Martí 2006: 667, Tipton/ Furmanek 2016: 24). 9 Sprachbeherrschung beinhaltet laut Kadrić (2009: 214) außerdem „die bewusste Sprachverwendung und die Sensibilisierung für die kulturspe‐ zifische Wahrnehmung der Sprache […]“. Dadurch ist es möglich, sich der kulturgebundenen Besonderheiten der eigenen Sprache bewusst zu werden und kompetent über sprachliche Produkte und deren soziale Bedeutung zu reflek‐ tieren. Kulturkompetenz sowohl hinsichtlich der Muttersprache als auch der Fremdsprache(n) bildet eine Voraussetzung für das Dolmetschen und umfasst nicht nur das Wissen über die Kultur der gesprochenen Sprachen, sondern auch die Fähigkeit, diese Sprachen den kulturellen Konventionen entsprechend zu verwenden (vgl. Kadrić 2009: 214). Auch die nonverbale Dimension der Kommunikation ist eng mit Sprach- und Kulturkompetenz verbunden, da Kommunikation somit auch auf andere Weise als nur mit Worten stattfinden kann (vgl. Kadrić 2011: 13). Wichtige nonverbale Aspekte der Kommunikation umfassen u. a. die Proxemik (die Distanz zwischen den AkteurInnen), den Blickkontakt, den Gesichtsausdruck und die Handgesten (vgl. Crezee 2013: 24) und können nicht nur nach Situationskontext, sondern auch nach kulturellem Hintergrund variieren. So wird Körperkontakt in manchen Kulturkreisen nicht toleriert, und auch Blickkontakt, Gesichtsausdrücke und Handgesten können je nach Kulturkreis unterschiedlich wertbehaftet sein sowie von der sozialen Zugehörigkeit und von Genderkategorien beeinflusst werden. Im Rahmen dolmetschvermittelter Interaktionen zwischen Menschen, die aus verschiedenen Sprach- und Kulturkreisen stammen, können sich kulturbedingte 108 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="109"?> Unterschiede auf der Sprachsowie auf der Denk- und Verhaltensebene manifes‐ tieren (vgl. Kadrić/ Zanocco 2018: 53). So stellt das Wissen über Schmerzdimensi‐ onen, über gesellschaftlich akzeptierte und stigmatisierte Krankheiten, Verhal‐ tensweisen, Tabus und Symptombeschreibung in jedem medizinischen Setting eine wichtige Anforderung an die DolmetscherInnen dar (vgl. u. a. Crezee 2013: 23ff., Spranz-Fogasy/ Becker 2015: 93f.). Damit die Verdolmetschung von den Situationsbeteiligten verstanden werden kann, erfolgt gemeinsam mit dem sprachlichen auch ein kultureller Transfer. „Was und wie in einer gegebenen Si‐ tuation übermittelt wird, ist im weitesten Sinne von der Kulturspezifik geleitet“ (Kadrić/ Zanocco 2018: 54). 3.2.3 Translatorische Kompetenz Unter translatorischer Kompetenz sind in dieser Studie die Dolmetschsowie die Übersetzungskompetenz zu verstehen. Dolmetschkompetenz bedeutet in Anlehnung an Pöchhacker (2000a: 44) „die Fähigkeit der Übertragung von Kom‐ munikationsinhalten“. Überdies schließt sie die Beherrschung verschiedener Dolmetschmodi, die Fähigkeit, einen situationsadäquaten Modus zu wählen, sowie das Wissen über die vorhandenen Technologien zur Unterstützung der eigenen translatorischen Tätigkeit und die damit verbundenen Dolmetsch‐ typologien wie Telefonbzw. Videodolmetschen ein (vgl. Tipton/ Furmanek 2016: 114). Zur Dolmetschkompetenz werden aber auch die Beherrschung und situationsadäquate Verwendung der Notizentechnik (vgl. Hale 2007: 177), mit der für Vollständigkeit und Präzision gesorgt werden kann (vgl. Crezee 2013: 21), und der Einsatz globaler Strategien wie die Décalage beim Simultandolmetschen oder die Steuerung der Kommunikation in dialogischen Situationen gezählt. In gewissen Situationen kann es nützlich sein, das simultane Flüsterdolmet‐ schen einzusetzen, um das Langzeitgedächtnis zu entlasten (vgl. Kutz 2012: 455). Je nach Kontext sind DolmetscherInnen in der Lage, zu entscheiden, wie und in welchem Maß sie die Kommunikation steuern, und welche me‐ takommunikativen Maßnahmen (z. B. Erläuterung von Hintergründen oder Reformulierungen) einzusetzen sind (vgl. Kadrić/ Zanocco 2018: 123f.). Darüber hinaus sind vor allem Strategien hinsichtlich des Textverständnisses und der Textproduktion (wie zum Beispiel die Antizipation) sowie Notfallstrategien, die den DolmetscherInnen ermöglichen, komplizierte Situationen fachgerecht zu lösen, von großer Bedeutung (vgl. Kalina 2002, Zidar 2012). Auch in der Medizin - zumindest im Rahmen der Anamnese - kann so wie beim Gerichtsdolmetschen von „Erzähldolmetschen“ (Kadrić 2009: 216) gesprochen werden, für das die DolmetscherInnen über pragmatisches und 109 3.2 Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="110"?> 10 In diesem Zusammenhang soll hervorgehoben werden, dass den DolmetscherInnen im Bereich Medizin nicht immer ausreichend Vorbereitungsmaterial zur Verfügung gestellt wird. semantisches Verständnis verfügen müssen, da jede am dolmetschvermittelten Gespräch beteiligte Person einen eigenen Erzählstil aufweist. Zum einen geht es um die linguistische Fähigkeit, etwas so zu erzählen, dass auch Menschen, die kein Vorwissen über den Erzählgegenstand besitzen, die Erzählung nachvoll‐ ziehen können; zum anderen können auch psychische Faktoren den Erzählstil der Menschen stark beeinflussen (vgl. Kadrić 2009: 216). Da Dolmetschaufträge im Medizintourismus Übersetzungsleistungen bein‐ halten können, ist neben Dolmetschkompetenz auch Übersetzungskompetenz notwendig. Die Palette an Textsorten, die im Medizintourismus übersetzt werden, reicht von medizinischen (z. B. Befunden, Therapieplänen) bis zu wirtschaftlichen Texten (z. B. Kostenvoranschlägen). 3.2.4 Vorbereitungs- und terminologische Kompetenz Vorbereitungskompetenz ist für die Erbringung von Dolmetschleistungen es‐ senziell. Kutz (2010: 288ff.) listet sehr detailliert die aus neun Teilen bestehende Vorbereitung auf den Dolmetschauftrag auf: So gibt es die organisatorische, fachthematische, sprachliche, translatorische, eigentliche, textuelle, kommuni‐ kative, psychologische und physiologische Vorbereitung. In der organisatori‐ schen Vorbereitung sollen die Eckdaten des Dolmetschauftrages sowie die Unterlagen analysiert und die Arbeitsbedingungen berücksichtigt werden (vgl. Kutz 2010: 299). 10 Während der fachthematischen, sprachlichen und transla‐ torischen Vorbereitung (vgl. Kutz 2010: 300ff.) erfolgen die inhaltliche und terminologische Auseinandersetzung mit dem Fachgebiet. Nach diesen Vorbe‐ reitungsschritten sollen laut Kutz (vgl. 2010: 307ff.) vorbereitende Dolmetschü‐ bungen (eigentliche Vorbereitung), die Analyse der Textunterlagen (textuelle Vorbereitung), der Erwartungsschemata (kommunikative Vorbereitung) sowie des psychischen (psychologische Vorbereitung) und physischen Zustandes der DolmetscherInnen (physiologische Vorbereitung) erfolgen. Die Auseinandersetzung mit dem Fachgebiet wird von Kutz als „sternen‐ weises“ Einlesen (Kutz 2010: 301) beschrieben. Dieses Prozedere, bei dem Wissen gesammelt wird, kann auch im breitesten Sinne als dolmetschorientierte Terminologiearbeit gesehen werden (vgl. Will 2009). Zumeist wird nur die Bedeutung der Terminologiearbeit für Übersetzende hervorgehoben, dennoch ist diese auch für DolmetscherInnen von großer Relevanz. Da DolmetscherInnen in der Regel keine ExpertInnen des jeweiligen Fachbereichs - in diesem Fall 110 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="111"?> 11 Dies erscheint insbesondere in Anbetracht der Tatsache relevant, dass Dolmetsche‐ rInnen von MedizinerInnen manchmal fehlende Kompetenz hinsichtlich medizinischer Inhalte und medizinischer Fachsprache vorgeworfen wird. Aus diesem Grund wird für Dolmetschungen im medizinischen Bereich manchmal das mehrsprachige medi‐ zinische Personal den DolmetscherInnen zur Überwindung von Sprachbarrieren im Gesundheitswesen vorgezogen (vgl. Bialk-Wolf et al. 2017: 77). keine MedizinerInnen - sind, müssen „sie sich die dafür vorauszusetzende spezifische Terminologie erschließen und antizipieren“ (Will 2009: 10) und auf die richtige Art und Weise in die mündliche Textproduktion integrieren. 11 Während der Dolmetschvorbereitung sollten Termini zumindest in Begriffe und Benennungen unterteilt und die zielsprachlichen Entsprechungen unter besonderer Berücksichtigung von Äquivalenzen oder Teiläquivalenzen recher‐ chiert werden. Diese sind insofern wichtig, als terminologische Systeme zweier unterschiedlicher Sprachen in vielen Fällen nicht vollständig übereinstimmen: Nur wenn der Begriff - die Bedeutung eines Terminus - bekannt ist, kann dieser verständigungsorientiert in die andere Sprache gedolmetscht werden. Terminologiearbeit spielt nicht nur während der Dolmetschvorbereitung und der Verdolmetschung, sondern auch nach dem Auftrag im Rahmen der Termi‐ nologieverwaltung eine wichtige Rolle (vgl. Will 2009: 53), da DolmetscherInnen dadurch ihre Effizienz bei sich wiederholenden Aufträgen steigern können. 3.2.5 Sachkompetenz und institutionelle Kompetenz Sachkompetenz bezieht sich insbesondere auf das Wissen, aber genauso auf Informationen über die inhaltliche Ebene der Dolmetschung. Rütten beschreibt Wissen als […] die Gesamtheit von Kenntnissen und Fähigkeiten, die zu einem gegebenen Zeitpunkt so erworben wurden, dass sie in einem bestimmten Kontext oder aufgrund eines aktuellen Bedarfs aufgenommen oder gezielt gefunden und durch Vergleich mit bestehendem Wissen interpretierbar und anwendbar wurden. (Rütten 2007: 21) Wissen hat eine semantische und pragmatische Dimension und umfasst sowohl das deklarative Wissen (z. B. Wissen zu bestimmten Begriffen und Sachinhalten) als auch das prozedurale Wissen (z. B. zu bestimmten Vorgängen und Hand‐ lungsabläufen) (vgl. Rütten 2007: 21). Information ist hingegen Wissen, das auf Papier oder auf dem Computer verfügbar ist, aber von den DolmetscherInnen noch nicht verinnerlicht wurde (vgl. Rütten 2007: 20, Gätjens et al. 2017: 311). Während der Vorbereitung ist es also notwendig, die Lücken im eigenen Wissen zu erkennen und diese mithilfe von entsprechenden Recherchen zu kompen‐ 111 3.2 Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="112"?> sieren (vgl. Göpferich 2008: 148). In der Regel eignen sich DolmetscherInnen vor jedem Dolmetschauftrag spezielles Sachwissen über Gesprächsbeteiligte, den institutionellen Rahmen sowie den Inhalt und Zweck des Gesprächs an, allerdings kann aufgrund des Zeitfaktors oder der Unvorhersehbarkeit von Ge‐ sprächen eine gewisse Spontanität notwendig werden (vgl. Havelka 2017: 147). Je mehr Vorwissen vorhanden ist, desto spontaner können DolmetscherInnen auf unvorhersehbare Ereignisse im Rahmen der Dolmetschung reagieren. In der Medizin stellen vorab zur Verfügung gestellte Informationen zu den Beweg‐ gründen für die medizinische Reise und das Ziel der medizinischen Behandlung einen großen Vorteil für die DolmetscherInnen dar. Werden spezialisierte medizinische Behandlungen benötigt, sind Kenntnisse über das Sachgebiet und ein Grundverständnis der menschlichen Anatomie unabdingbar, um das Gesagte inhaltsgetreu und vollständig wiedergeben zu können (vgl. Tipton/ Furmanek 2016: 152). Crezee (2013: 13) fügt diesen Kenntnissen auch jene über häufige Krankheiten, Beschwerden, Untersuchungen, Behandlungen und prä-operative PatientInnenanweisungen hinzu. Institutionelle Kompetenz meint das Wissen über die Institution, in der die zu dolmetschende Kommunikation stattfinden wird, und deren Abläufe und Ziele (vgl. Hale 2007: 178). Dazu zählt auch das Wissen über möglicherweise vorhan‐ dene Asymmetrien in der Interaktion und über die Rollen, die die AkteurInnen einnehmen. Auch das Wissen um die Eigenschaften der institutionellen Kom‐ munikation - vom Aufbau eines medizinischen Gesprächs, den verschiedenen Gesprächsarten über die vorhandenen Asymmetrien hin zu den Konventionen im Rahmen eines medizinischen Gesprächs - ist für eine erfolgreiche Dolmetschung im medizinischen Bereich von großer Bedeutung (vgl. u. a. Crezee 2013: 14; Bechmann 2014: 183), insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass manche Patientinnen über dieses Wissen nicht verfügen. 3.2.6 Ethische Kompetenz Ethik bildet ein Teilgebiet der Moralphilosophie, das sich mit dem richtigen bzw. gerechten Handeln auseinandersetzt (vgl. Setton/ Prunč 2015: 144). Die bewusst starke Positionierung der ethischen Kompetenz in verschiedenen Kompetenzmodellen unterstreicht die Relevanz der Ethik für die professionelle Dolmetschtätigkeit. Im Kompetenzmodell von Pöchhacker (2000a) stellt sie z. B. eine der zwei tragenden Säulen der notwendigen Kompetenzen dar; für Albl-Mikasa (2013: 63) gehört sie zu den para-process skills, die den gesamten Dolmetschprozess begleiten. Kadrić (2009: 217) beschreibt die ethische Kom‐ petenz als „hohe moralische Einstellung zum Beruf “. Ethik äußert sich also 112 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="113"?> auch in der Professionalität der DolmetscherInnen und ist zwischen den Leis‐ tungsanforderungen und den persönlichen Einstellungen einzuordnen. Ethische Kompetenz schließt daher das, was einige AutorInnen wie Gentile et al. (1996: 68) professional competence nennen, mit ein: […] the ability to maintain a clear focus on the interpreter’s role as an abstract construct, while evaluating each situation and issue and making decisions which are consonant with that role but also take into account and cater for the singularity of each situation. (Gentile et al. 1996: 68) Auf ethische sowie berufsethische Aspekte nehmen die Ethikkodizes der ver‐ schiedenen Berufsverbände Bezug, indem sie die gewünschten, aber auch die unangemessenen Praktiken und Verhaltensweisen ausgebildeter Dolmet‐ scherInnen normativ beschreiben (vgl. Setton/ Prunč 2015: 144). Trotz aller Unterschiede zwischen den Ethikkodizes gibt es gewisse Prinzipien, die als universal betrachtet werden können: Verschwiegenheit (confidentiality), Kom‐ petenz (competence), Integrität (integrity), sowie Neutralität (neutrality) und Inhaltstreue (fidelity) (vgl. Setton/ Prunč 2015: 146). Für Setton und Prunč (2015: 146) stellt Verschwiegenheit eines der obersten Gebote aller ausgebildeten Dol‐ metscherInnen dar. Verschwiegenheit bedeutet, dass der Inhalt des Dolmetsch‐ auftrags sowie persönliche Informationen zu den beteiligten AkteurInnen nicht an Dritte weitergegeben werden dürfen. Kompetenz umfasst die Bereitschaft, eine hochqualitative Leistung zu erbringen. Um eine solche Leistung erbringen zu können, sollten DolmetscherInnen für adäquate Arbeitsbedingungen sowie den Zugang zu den für den Dolmetscheinsatz notwendigen Informationen sorgen (vgl. Setton/ Prunč 2015: 146). Bezüglich der Kompetenz merkt Kadrić (2009: 217) an, dass es im Verantwortungsbereich der DolmetscherInnen liegt, zu entscheiden, ob sie einen Dolmetschauftrag aufgrund ihres vorhandenen Fach‐ wissens annehmen oder ablehnen sollen bzw. wollen. Integrität bedeutet, dass DolmetscherInnen über Ehrlichkeit, Verantwortung und Solidarität verfügen sollen (vgl. Setton/ Prunč 2015: 146) und sie aufgrund moralischer oder ethischer Prinzipien Aufträge ablehnen können, falls diese beispielsweise kriminelles Handeln fördern oder das Leben von Menschen gefährden (vgl. Setton/ Prunč 2015: 146). Integrität kann im weitesten Sinne als „Loyalität zu sich selbst“ (vgl. Prunč 1997: 113ff.) und den eigenen moralischen Prinzipien gesehen werden. Während hinsichtlich der Begriffe Verschwiegenheit, Kompetenz und Integrität ein wissenschaftlicher Konsens herrscht, stellen Inhaltstreue und Neutralität komplexere und kontroverse Themen dar (vgl. Setton/ Prunč 2015: 146). Inhaltstreue wird häufig mit Genauigkeit (accuracy) und Vollständigkeit (completeness) gleichgesetzt (vgl. Setton 2015: 162), doch wird der Begriff nicht 113 3.2 Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="114"?> immer auf dieselbe Weise interpretiert: „[…] fidelity may not be served, and indeed may be destroyed, by ‘just translating’ on the basis of strict linguistic equivalence. On the other hand, different forms of ‘optimisation’ are controver‐ sial to varying degrees“ (Setton 2015: 163). Während in der Dolmetschwissen‐ schaft Konsens darüber herrscht, dass Erklärungen oder Zusammenfassungen in vielen Fällen als unproblematisch gesehen werden können, werden jene Fälle, in denen DolmetscherInnen aggressive Sprache abschwächen oder Aussagen zur Konfliktvermeidung bewusst auslassen, deutlich kritischer gesehen (vgl. Setton 2015: 163). Neutralität ist ein problematischer Begriff, der in dieser Form eher in der dolmetschwissenschaftlichen Literatur als in den Berufskodizes verwendet wird. Neutralität wird manchmal als Unparteilichkeit verstanden. Allerdings ist anzumerken, dass „echte“ Unparteilichkeit nie gegeben ist, da jeder Mensch über eine eigene Meinung verfügt und aus diesem Grund keine neutrale Sichtweise haben kann. Neutralität kann aber als Inhaltstreue und Loyalität gegenüber allen Situationsbeteiligten im Sinne der rotating side-taking (vgl. Gile 2009: 34) interpretiert werden. Dieser Ansicht sind ebenfalls Kadrić und Zanocco (2018: 129f.), die anführen, dass DolmetscherInnen immer im Interesse beider Parteien handeln: Dabei steuern sie die Interaktion auf eine Art und Weise, dass „eine faire Kommunikation ermöglicht wird, ohne dass sie auf ein Ergebnis hinarbeiten“ (Kadrić/ Zanocco 2018: 129f.). Neutralität sollte von DolmetscherInnen so aufgefasst werden, dass diese während des translatorischen Handelns kein persönliches Ziel verfolgen, keine persönlichen Vorteile anstreben und dass sie Abstand zum Gesagten halten sowie etwaige Eingriffe transparent kommunizieren. Ethische Kompetenz ist für DolmetscherInnen wichtig, um ethische Dilem‐ mata zu lösen. Diese können entstehen, wenn Lösungen, die von einem Ethik‐ kodex vorgeschlagen werden, nicht anwendbar sind, oder wenn gar keine Lösungen angeboten werden (vgl. Hale 2007: 129ff.). Angesichts der Präsenz schutzbedürftiger Menschen (vgl. Reisewitz 2015: 23ff.) und eines großen An‐ gebotes unseriöser medizinischer Behandlungen im Medizintourismus (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 3) ist für DolmetscherInnen in solchen Settings eine ausgeprägte ethische Kompetenz wesentlich. 3.2.7 Sozial- und Individualkompetenz Die Qualität der Dolmetschleistung in der Medizin hängt nicht nur von der Leistung der DolmetscherInnen ab, sondern ergibt sich auch aus der Zusam‐ menarbeit aller Beteiligten (vgl. Jacobs et al. 2010). DolmetscherInnen nehmen als sichtbare AkteurInnen an der Kommunikationssituation teil und so sind in 114 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="115"?> diesem pas de trois (Wadensjö 1998: 12) alle gemeinsam für den Erfolg oder den Misserfolg der Kommunikation verantwortlich (vgl. Roy 2000: 124). Ohne den „Schutz der Kabine“ (Kadrić 2011: 52) ist die Rolle von Sozial- und Individu‐ alkompetenz essenziell. Sozial- und Individualkompetenz bedeuten für Kadrić (2011: 28) die Fähigkeit, im Team oder mit anderen Menschen zu arbeiten und der Kommunikationssituation entsprechend zu handeln (vgl. Kadrić 2011: 28). Dazu zählt auch die Fähigkeit, mit an der dolmetschvermittelten Kommunikation sowie an beruflichen Situationen beteiligten AkteurInnen zu interagieren und zusammenzuarbeiten (vgl. Abril Martí 2006: 668). Im medizinischen Bereich ist besonders die Empathie eine unabdingbare Sozial- und Individualkompetenz. Diese sollte sowohl aufseiten des Personals in medizinischen Institutionen als auch aufseiten der DolmetscherInnen gegeben sein, da sie die Vertrauensbildung fördert und den Heilungsprozessen der PatientInnen zugutekommt (vgl. Bialk-Wolf et al. 2017: 92f.). Merlini und Gatti (2015: 143) definieren die Empathie als Fähigkeit, sich in eine andere Person hineinzuversetzen, ihre Sichtweise zu verstehen und somit auf sie Rücksicht zu nehmen. In medizinischen Settings kann Empathie dabei helfen, das wichtigste Ziel, das Wohlbefinden der PatientInnen, zu erreichen (Merlini/ Gatti 2015: 155). Empathie widerspricht keinem der ethischen Grundprinzipien wie der Allparteilichkeit und ist insbesondere in sensiblen Interaktionen von großer Relevanz. Merlini und Gatti schlagen sogar vor, dass DolmetscherInnen, die in medizinischen Settings arbeiten möchten, auf das Vorhandensein von Empathie geprüft werden sollten. 3.2.8 Businesskompetenz DolmetscherInnen treten meist als EinzelunternehmerInnen auf (vgl. Rütten 2007: 91) und haben als solche ihre „wirtschaftliche Aufgabe, die Bereitstellung der Dienstleistung Dolmetschen zur Zufriedenheit des Kunden im Sinne der gelungenen und problemlosen Kommunikation, mit dem Ziel der Gewinner‐ zielung“, zu erfüllen (Rütten 2007: 92). Eine ausgeprägte unternehmerische Kompetenz (vgl. Ziegler 2018: 24) kann daher als Schlüsselkompetenz für DolmetscherInnen angesehen werden. Zur Businesskompetenz gehört das Wissen über die unternehmerische Führung, die Buchhaltung, die Akquise und Bindung von KundInnen sowie die Einhaltung professioneller Standards (vgl. Albl-Mikasa 2012: 86). Observing professional standards and enforcing good working conditions goes hand in hand with thoroughly informing the customer, with negotiations that satisfy both 115 3.2 Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="116"?> parties, and especially with having an awareness of one’s own value. (Albl-Mikasa 2012: 86, Hervorhebungen im Original) Eine gute Selbstorganisation und ein entsprechendes Management des ge‐ samten Translationsprozesses sind Grundvoraussetzungen, um Zeit, Termine und Prioritäten einwandfrei zu verwalten (vgl. Albl-Mikasa 2012: 87). Dolmet‐ scherInnen sind zumeist in mehreren Settings tätig, wodurch zur Dolmetschtä‐ tigkeit im Medizintourismus oft weitere translatorische Einsätze dazukommen, die koordiniert werden müssen. Nur eine erfolgreiche Koordinierung dieser translatorischen Einsätze sichert letztendlich das wirtschaftliche Überleben von DolmetscherInnen. In diesem Zusammenhang bedeutet also Management für DolmetscherInnen „die Optimierung des Einsatzes seiner Zeit und seines Kapi‐ tals zur Erfüllung seiner Aufgabe, gelungene und problemlose Kommunikation zu ermöglichen, zum Zweck der Gewinnerzielung“ (Rütten 2007: 93). Jeder einzelne Dolmetschauftrag kann als translatorisches Projekt betrachtet werden. Bildet das translatorische Projekt einen Teil einer professionell ausge‐ übten beruflichen Tätigkeit, ist eine betriebswirtschaftliche Projektbetrachtung relevant. Wysocki (2007: 4) definiert den Begriff Projekt als „a sequence of unique, complex and connected activities having one goal or purpose that must be completed by a specific date, within budget and according to specification“. Das Project Management Institute versteht unter Projekt „ein zeitlich begrenztes Vorhaben, zur Schaffung eines einmaligen Produktes, einer Dienstleistung oder eines Ergebnisses“ (PMI 2004: 5). Zur Koordinierung und Verwaltung von Dolmetschaufträgen oder Projekten kann die Implementierung eines alle Phasen abbildenden Auftragsbzw. Projektmanagements hilfreich sein (vgl. Ortner 2015: 12ff.). In der Phase der Initiierung wird das Projekt vorbereitet, was durch eine Analyse der Ist-Situation und der Einflussfaktoren sowie durch die Erstellung des Projektauftrages erfolgt. In der Planungsphase werden konkretere Schritte auf Basis der Ergebnisse der Initiierung geplant; dabei werden z. B. Deadlines und Ressourcen definiert. Bei der Durchführung werden die geplanten Schritte umgesetzt. Die Überwachung bzw. Steuerung erfolgt sowohl parallel zur als auch nach der Durchführung des Projektes und dient dazu, die laufenden Prozesse zu beaufsichtigen sowie „notwendige bzw. gewünschte Veränderungen zu identifizieren und umzusetzen“ (Ortner 2015: 12). Projektabschluss bedeutet die Beendigung des Projekts (Abschlussbericht, lessons learned) (vgl. Ortner 2015: 12ff.). Für Ziegler (2018: 25) kann ein entsprechendes Projektmanage‐ ment-Know-how DolmetscherInnen vor allem bei jenen Aufträgen helfen, bei denen die KundInnen alles aus einer Hand bestellen, da diese Aufträge eine enge Zusammenarbeit mit verschiedenen AkteurInnen, Zeit- und Ressourcen‐ management sowie lösungsorientiertes Denken und Handeln erfordern. 116 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="117"?> 12 Tipton und Furmanek (2016) plädieren für eine vierte Phase, die sie in-between events nennen und die in der Zeit zwischen den Untersuchungen erfolgt. Vor der medizinischen Reise Während der medizini‐ schen Reise Nach der medizinischen Reise 1. Auftragsanalyse Erfassung der situativen Einbettung Erfassung der Bedürfnisse der Beteiligten 4. Positionierung im Raum Wahl der richtigen Positio‐ nierung unter Berücksich‐ tigung situativer und kul‐ tureller Faktoren 7.Rechnungslegung Erstellung und Übermitt‐ lung der Rechnung 2. Angebotslegung Übermittlung des Ange‐ bots Erfassung des Auftrags im Auftragsmanagement‐ system 5. Dolmetschleistung Wahl des passenden Dol‐ metschmodus unter Be‐ rücksichtigung der ge‐ samten Situation 8. Nachbereitung Kurze Zusammenfassung des medizinischen Falls Aktualisierung der Termi‐ nologie 3. Fachthematische und sprachliche Vorbe‐ reitung Erstellung der Termino‐ logie Erstellung einer Wirkstoff‐ liste, falls Medikamente be‐ kannt sind 6. Transpa‐ rentes Kommunikati‐ onsmanagement Steuerung der Kommuni‐ kation Ständige Evaluation des kommunikativen Zwecks sowie der Verständlichkeit und Anpassung der Inter‐ aktionsstrategien 9. Medizinisches Follow-up Evaluation der Notwendig‐ keit eines Follow-up 10. Self-Care Überprüfung der Notwen‐ digkeit und Umsetzung von Self-Care-Maßnahmen Tab. 7: Auftragsmanagement im Medizintourismus in Anlehnung an Risku (1998: 261) und Quast (2009: 31) Im Rahmen des Medizintourismus können Projekte in Anlehnung an die Ein‐ teilung der California Healthcare Interpreting Association (vgl. Tipton/ Furmanek 2016: 117) in folgende drei Prozessphasen unterteilt werden: pre-event, event/ interaction time und post-event. 12 Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass 117 3.2 Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="118"?> 13 Neben Risku (2016a) fließen in das erstellte Dolmetschmanagementmodell auch die Erkenntnisse von Kutz (2010: 287ff.) hinsichtlich der Vorbereitung auf einen Dolmetsch‐ auftrag, die Erkenntnisse von Tipton und Furmanek (2016: 117ff.) betreffend die Einteilung der Interaktionen sowie eigene Erkenntnisse, die aus der für die vorliegende Studie durchgeführten Beobachtung gewonnen wurden, mit ein. 14 Dabei sollen die Vorschriften der am 25.05.2018 in Kraft getretenen neuen Daten‐ schutz-Grundverordnung (DSGVO) eingehalten werden, die medizinische Daten als sensible Daten behandeln. zumeist nicht nur eine, sondern mehrere dolmetschvermittelte Interaktionen erfolgen. Wird diese Einteilung mit jener der Servicekette im Medizintourismus (vgl. Quast 2009: 31) kombiniert, kann die folgende, auch im Rahmen der eth‐ nografischen Feldforschung eingesetzte Unterteilung vorgenommen werden: vor der medizinischen Reise, vor Ort, nach der medizinischen Reise. Für die DolmetscherInnen ergeben sich in jeder einzelnen Phase verschiedene zu erledigende Aufgaben. Diese können in Anlehnung an das Modell für das Translationsmanagement von Risku (2016a: 182) wie in Tab. 7 dargestellt werden. 13 Jedes Projekt beginnt schon vor der medizinischen Reise mit einer Anfrage an die DolmetscherInnen, auf die eine organisatorische Vorbereitung, die aus Auftragsanalyse und Angebotslegung besteht, folgt. In der Auftragsanalyse werden die Bedingungen der Auftragssituation und die Bedürfnisse aller Be‐ teiligten sowie der DolmetscherInnen erfasst. Dabei sollen folgende Fragen geklärt werden: Wer sind die Beteiligten? Wo/ warum findet die Interaktion statt? Sind Vorbereitungsmaterialien vorhanden und wie können diese beschafft werden, falls dies nicht der Fall sein sollte? Die Ergebnisse dieser Auftragsana‐ lyse können systematisch in KundInnenkarteien oder KundInnenordnern, die alle Daten der KundInnen (PatientInnen und ÄrztInnen) beinhalten, abgelegt werden. 14 Nach der Auftragsbestätigung beginnt die Vorbereitung auf den Dolmetscheinsatz, bei der sowohl fachthematische als auch sprachliche Aspekte berücksichtigt werden (vgl. Kutz 2010: 300ff.). Einerseits soll die situative Ein‐ bettung des Gesprächs verstanden werden, andererseits soll die Terminologie unter Berücksichtigung einer etwaigen PatientInnendokumentation vorbereitet werden. Wird keine Dokumentation zur Verfügung gestellt, kann ein Gespräch mit den PatientInnen oder mit den ÄrztInnen geführt werden, um Thema und Grund der Interaktion zu eruieren. Die anschließende Durchführung des Dolmetschauftrages vor Ort setzt zusätzliche organisatorische Schritte voraus, damit die Interaktion zum ge‐ wünschten Ziel führt. Dazu ist es wichtig, die Raumkonfiguration zu analysieren (vgl. Tipton/ Furmanek 2016: 119), um eine angemessene Positionierung im Raum einnehmen zu können, sowie den Modus der Dolmetschung zu defi‐ 118 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="119"?> 15 In der Literatur zu dolmetschvermittelten medizinischen Gesprächen werden üblicher‐ weise drei Möglichkeiten der Raumpositionierung der DolmetscherInnen geschildert: neben den PatientInnen, neben den ÄrztInnen oder anderen VertreterInnen der medizinischen Institution sowie in der Mitte, zwischen den Parteien. Jede der drei Raumpositionen lässt Spielraum für eine bestimmte Interpretation hinsichtlich der DolmetscherInnenrolle offen. Für welche Raumposition sich die DolmetscherInnen entscheiden, wird letztendlich von verschiedenen Faktoren wie der Dolmetschart und -medialität beeinflusst: Beim Flüsterdolmetschen wird zum Beispiel die Nähe zu den PatientInnen gesucht (vgl. Felgner 2009: 61), beim Videodolmetschen stehen hingegen kaum Möglichkeiten zur Positionierung zur Verfügung. Des Weiteren finden DolmetscherInnen oft bestimmte Raumkonfigurationen vor Ort vor, die sie nicht verändern können. Die Anzahl an Menschen, die sich im Untersuchungsraum befinden, beeinflusst ebenfalls die Raumpositionierung (vgl. Felgner 2009: 60). Sind mehrere Personen an der medizinischen Kommunikation beteiligt, ist es umso wichtiger, dass die DolmetscherInnen den Überblick über die gesamte kommunikative Situation bewahren. Auch die körperliche Verfassung der PatientInnen ist ein eminenter Faktor (vgl. Felgner 2009: 60): Rollstuhl oder Gehhilfen, Seh- oder Hörbehinderungen können die Entscheidung der DolmetscherInnen, sich an einer bestimmten Stelle im Raum zu positionieren, beeinflussen. nieren. 15 In der dolmetschwissenschaftlichen Literatur (vgl. u. a. Crezee 2013, Tipton/ Furmanek 2016) ist fast immer die Rede vom konsekutiven Dolmet‐ schen, dennoch können DolmetscherInnen aufgrund persönlicher Vorlieben, die auf situationsbedingten Entscheidungen basieren, den Dolmetschmodus wechseln. DolmetscherInnen sollten die Kommunikation (vgl. u. a. Wadensjö 1998, Roy 2000) auf eine transparente Art koordinieren und steuern, sodass sowohl ÄrztInnen als auch PatientInnen zu Wort kommen können. Soziokul‐ turelle Elemente, die ein Problem darstellen könnten, werden geklärt; den Gesprächsbeteiligten sollte aber klar sein, dass etwaige Erklärungen von den DolmetscherInnen stammen (vgl. Tipton/ Furmanek 2016: 120). Nach der medizinischen Reise erfolgt die Rechnungslegung auf Basis des Angebots, welches in der Phase vor der Interaktion übermittelt und bestätigt wurde. Die Daten zu den Interaktionen und zur Terminologie sollten aktualisiert werden, um etwaige Folgeaufträge zu erleichtern. Das Follow-up (Nachsorge nach einer medizinischen Behandlung) kann dolmetschvermittelt erfolgen, ins‐ besondere wenn sich die PatientInnen keiner Lingua Franca bedienen können, um mit der medizinischen Institution zu kommunizieren, oder falls es zu medizinischen Komplikationen gekommen ist. Tipton und Furmanek (2016: 122) empfehlen zusätzlich die Umsetzung von Self-Care-Maßnahmen, die darauf abzielen, den Stress, der durch derartige Aufträge entsteht, zu bewältigen. Nordmo et al. (2017: 30) nennen für das Dolmetschen die emotionale Erschöp‐ fung, die Depersonalisation und das eingeschränkte Erleben von persönlicher 119 3.2 Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="120"?> 16 Weitere Konsequenzen wie das Entstehen eines Entfremdungsgefühls bei Ferndol‐ metschszenarien werden in Havelka 2017 genauer beschrieben. Einflussnahme als Faktoren, die zu psychischen Belastungen führen können. 16 Als eine geeignete Self-Care-Maßnahme bietet sich die Supervision an, die aus Kostengründen jedoch selten von selbstständigen DolmetscherInnen in Anspruch genommen wird. Eine zumeist günstigere Gruppensupervision kann daher eine gute Alternative darstellen. Im Rahmen einer solchen Gruppensuper‐ vision können verschiedene Probleme und Dilemmata, wie jene hinsichtlich der Unsichtbarkeit der DolmetscherInnen oder des Umgangs mit asymmetrischen Machtverhältnissen und Gefühlen, besprochen werden, was einer Psychohy‐ giene gleichkommt. 3.3 Kapitelzusammenfassung Im Rahmen einer Interaktion haben alle AkteurInnen Erwartungen an alle anderen beteiligten Personen einschließlich der DolmetscherInnen. Einige Er‐ wartungen können explizit kommuniziert werden, während andere Erwartugen unbewusst sind und nicht oder nur indirekt geäußert werden. Erwartungen an die DolmetscherInnen seitens der ZuhörerInnen bzw. Gesprächsbeteiligten werden als NutzerInnenerwartungen bezeichnet. Diese können sich sowohl auf die Qualität der Dolmetschleistung als auch auf das Aufgabenprofil der Dolmet‐ scherInnen beziehen. Da Erwartungen immer eine subjektive Komponente - die eigenen Interessen - beinhalten, können sie sehr unterschiedlich ausfallen. Die Erwartungen unterscheiden sich je nach Art der NutzerInnen, die wiederum von Faktoren wie Alter, Spezialisierung, Erfahrung mit DolmetscherInnen, beeinflusst werden können. Translationswissenschaftliche Studien im Bereich Dialogdolmetschen zeigen, dass sich die Erwartungen in dialogischen Settings häufiger auf die Verhaltensweisen und Handlungen der DolmetscherInnen als auf die Qualität der Dolmetschung beziehen. Zu den Erwartungen im Medizintourismus gibt es bislang nur wenige Studien. Diese zeigen allerdings, dass auf PatientInnenseite häufig die Nachfrage nach außertranslatorischen Leistungen besteht, die auf die besonderen Umstände des Medizintourismus zurückzuführen sind: PatientInnen müssen eine Reise organisieren, um die me‐ dizinische Leistung in Anspruch zu nehmen; sie kennen weder die Sprache des Behandlungslandes noch die Besonderheiten des dortigen Gesundheitswesens; sie verfügen zumeist über keine Netzwerke im Behandlungsland. 120 3 Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="121"?> Damit eine qualitative Dolmetsch(dienst)leistung erbracht werden kann, müssen DolmetscherInnen nicht nur NutzerInnenerwartungen, sondern auch eigene Erwartungen, Berufsethos und Eigenschaften der Dolmetschsettings berücksichtigen. Dies erfordert eine Reihe von Kompetenzen: Sprach- und Kulturkompetenz, translatorische Kompetenz, Vorbereitungs- und terminologi‐ sche Kompetenz, Sachkompetenz, institutionelle Kompetenz, ethische Kompe‐ tenz, Sozial- und Individualkompetenz sowie Businesskompetenz. Sprach- und Kulturkompetenz gelten als Voraussetzung für die Ausübung des Dolmetschbe‐ rufs, translatorische Kompetenz als Dolmetsch- und Übersetzungskompetenz ist zudem unabdingbar, damit DolmetscherInnen den Transfer von Informa‐ tionen verständigungsorientiert ermöglichen und die Kommunikation steuern können. Vorbereitungs- und terminologische Kompetenz sind wichtig, um bei der Wiedergabe Genauigkeit gewährleisten zu können. Sachkompetenz und institutionelle Kompetenz beziehen sich auf das Wissen über das Fach und die Institution, in der die Kommunikation erfolgt. Ethische Kompetenz ist unentbehrlich, um Entscheidungen als ExpertInnen zu treffen und in der Inter‐ aktion allparteiisch und transparent zu handeln. Dolmetschen als Interaktion erfordert außerdem Sozial- und Individualkompetenz, damit DolmetscherInnen mit den anderen Gesprächsbeteiligten interagieren und zusammenarbeiten können. Dank Businesskompetenz können DolmetscherInnen ihre Existenz als EinzelunternehmerInnen sichern und ihre translatorischen Projekte (Dol‐ metschaufträge) managen. Durch die strukturierte Einteilung des Auftrags in verschiedene Prozessschritte - vor, während und nach der Reise - können die anfallenden Aufgaben leichter identifiziert und die angebotenen bzw. an‐ gefragten translatorischen Leistungen professionell verwaltet und ausgeführt werden. 121 3.3 Kapitelzusammenfassung <?page no="123"?> 4 Forschungsdesign der Studie Kapitel 4 widmet sich der Beschreibung der Forschungsmethodik, die für die vorliegende Studie angewandt wurde. Für die Auseinandersetzung mit den drei Forschungsfragen - 1. die Ist-Situation des Betätigungsfeldes „Dolmetschen im Medizintourismus“ in Deutschland und Österreich, 2. die Erwartungen und Anforderungen an die DolmetscherInnen und 3. die generelle Bereitschaft, als DolmetscherIn im Medizintourismus tätig zu werden - kamen komplementäre Forschungsmethoden zur Anwendung: Auf eine ethnografische Feldforschung, die eine teilnehmende, verdeckte Beobachtung und Interviews mit den Ge‐ sprächsprotagonistInnen umfasst (siehe Kapitel 5), folgten in einer zweiten Phase Interviews mit ausgebildeten Dolmetscherinnen (siehe Kapitel 6) und in einer dritten Phase eine Online-Erhebung unter ausgebildeten Dolmetsche‐ rInnen in Österreich und Deutschland (siehe Kapitel 7). Abb. 5: Forschungsdesign und Forschungsfragen Abb. 5 zeigt die Modularität des Forschungsdesigns. Jede Forschungsphase baut auf der vorherigen auf und bedient sich der bereits erhobenen Daten, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Die Pfeile, die Forschungsphasen und For‐ schungsfragen verbinden, zeigen, aus welcher Forschungsphase Erkenntnisse zur (Teil-)Beantwortung der jeweiligen Forschungsfragen gewonnen werden konnten. Als Orientierung für die LeserInnen wird diese Grafik auch in den <?page no="124"?> darauffolgenden drei Kapiteln, in denen die Erkenntnisse aus den drei For‐ schungsphasen dargestellt werden, verwendet. Die Farben der Grafik sollen darauf hinweisen, welche Forschungsphase und welche Forschungsfragen Gegenstand des jeweiligen Kapitels sind. Der dunkelste Blauton zeigt den Schwerpunkt des betreffenden Kapitels; hellere Blautöne zeigen, auf welche Forschungsphasen und Forschungsfragen sich die im jeweiligen Kapitel behan‐ delten Daten auswirken; die ausgegrauten Elemente bedeuten, dass sie im Kapitel nicht berücksichtigt werden. 4.1 Phase 1 - Ethnografische Feldforschung Wie in den Kapiteln 1, 2 und 3 dargestellt, liegen bis auf einige Ausnahmen (vgl. Lee 2015 sowie die Masterarbeiten von u. a. Ivașcu 2014, Chistyakova 2016, Slavu 2017, Weissenhofer 2017, Horová 2018) nur wenige Daten zum Dolmetschen im Medizintourismus sowie zu den Erwartungen und Anforderungen an Dolmet‐ scherInnen in medizintouristischen Settings für den behandelten geografischen Raum (Deutschland/ Österreich) vor. Die in den einzelnen Masterarbeiten unter‐ suchten Stichproben der befragten InterviewpartnerInnen sind aufgrund des per definitionem geringeren Umfangs einer Masterarbeit relativ klein und behandeln meist nur Teilaspekte des Medizintourismus, zum Beispiel die Gründe für die Auswahl Österreichs als Behandlungsort seitens rumänischer PatientInnen sowie die Beiziehung ausgebildeter DolmetscherInnen (vgl. Ivașcu 2014, Slavu 2017) und die Untersuchung des Rollenverständnisses der DolmetscherInnen im russischen Gesundheitstourismus in Österreich (vgl. Chistyakova 2016, Weissenhofer 2017). Andere Untersuchungen beleuchten das Dolmetschen im Medizintourismus in Zielländern wie Slowenien (vgl. Muršič 2015) und Tschechien (vgl. Horová 2018), in denen vorwiegend ein kostenorientierter Medizintourismus (vgl. Berg 2008: 171) betrieben wird. Aufgrund der begrenzten Datenbasis wurde für die vorliegende Studie daher beschlossen, die Studie mit einer ethnografischen Feldforschung (Phase 1) zu beginnen. Da die Autorin bereits seit 2013 als Dolmetscherin Zugang zu medizintouristischen Interaktionen hat und regelmäßig für italienischsprachige PatientInnen dolmetscht, wurden einige dieser Dolmetschaufträge für die eth‐ nografische Feldforschung herangezogen. Die betriebene Feldforschung besteht aus einer teilnehmenden Beobachtung sowie aus Interviews mit einem Teil der ProtagonistInnen der beobachteten medizinischen Reisen. 124 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="125"?> 1 Zwecks der Transparenz wird der Ausdruck Dolmetscherin/ Autorin immer dann ver‐ wendet, wenn die Dolmetscherin und die Autorin der vorliegenden Studie die gleiche Person sind. In allen anderen Fällen (z. B., wenn die InterviewpartnerInnen Bezug auf DolmetscherInnen im Allgemeinen nehmen) wird die Bezeichnung DolmetscherInnen verwendet. 4.1.1 Die teilnehmende, verdeckte Beobachtung Beobachtungen stellen in der Dolmetschwissenschaft eine häufig angewandte Methode dar, um dolmetschvermittelte Interaktionen als komplexe, soziale Prozesse zu untersuchen. In der Kultur- und Sozialanthropologie sind Beobach‐ tungen „ein Akt der Kenntnisnahme eines Phänomens und des Sicherns von Eindrücken und Kenntnissen für wissenschaftliche oder andere Zwecke“ (Halbmayer/ Salat 2011: 13, Hervorhebungen im Original), wobei für diese Kenntnisnahme alle menschlichen Sinne eingesetzt werden können. Eine Beob‐ achtung muss also nicht unbedingt nur die Kommunikation zum Gegenstand haben, sondern kann sich auch gewissen Faktoren oder Gegebenheiten widmen. Damit das Beobachtete in weiterer Folge systematisch untersucht werden kann, sind entweder Feldnotizen oder Videobzw. Audioaufnahmen notwendig. Teilnehmende Beobachtungen unterscheiden sich von nicht teilnehmenden Beobachtungen durch den Partizipationsgrad der Forschenden an der Interak‐ tion. In der Dolmetschwissenschaft sind bei teilnehmenden Beobachtungen die/ der AutorIn und die/ der DolmetscherIn dieselbe Person. Da dabei die Gefahr einer subjektiven Interpretation der Daten besteht, wird eine Triangulation durch weitere Forschungsmethoden empfohlen. Die Wahl zwischen verdeckter und offener Beobachtung soll auf Basis einer Gesamtbetrachtung der Situation und der Rahmenbedingungen getroffen werden. Offene Beobachtungen sind aus forschungsethischer Sicht weniger komplex, bergen aber die Gefahr, die Realität zu verfälschen. Verdeckten Beobachtungen wird zwar mehr Objektivität zugeschrieben, sie sind aber nicht immer empfehlenswert, insbesondere wenn der Beobachtungsgegenstand sensible Daten betrifft (vgl. Halbmayer/ Salat 2011: 16). Je nach Forschungsthema und -frage soll darüber hinaus zwischen einer qualitativen und einer quantitativen Beobachtung gewählt werden. Für die vorliegende Studie wurde die Methode der qualitativen, verdeckten, teilnehmenden Beobachtung gewählt. Der Fokus der Beobachtung lag auf den Erwartungen und Anforderungen der ProtagonistInnen von medizinischen Reisen an die Dolmetscherin/ Autorin. 1 Bei den ProtagonistInnen handelte es sich um 25 italienischsprachige PatientInnen und/ oder deren Begleitpersonen (insbesondere bei der Behandlung von kleinen Kindern oder körperlich schwer beeinträchtigten Personen), die zwischen Mai 2016 und April 2017 nach Wien 125 4.1 Phase 1 - Ethnografische Feldforschung <?page no="126"?> 2 An dieser Stelle muss präzisiert werden, dass nicht die Menschen, sondern ihre Erwartungen und Wünsche Gegenstand der Beobachtung darstellten, wodurch die ver‐ deckte Beobachtung aus ethischer Sicht vertretbar erschien. Allerdings musste auf die Beschreibung der GesprächsprotagonistInnen sowie des Beobachtungsfeldes verzichtet werden, um die Privatsphäre aller Beteiligten zu wahren. Darüber hinaus wurden fast die Hälfte der beobachteten PatientInnen und alle beobachteten VertreterInnen der medizinischen Institution im zweiten Teil der Forschungsphase interviewt. Im Vorfeld war ihnen mitgeteilt worden, dass die von ihnen angefragten und in Anspruch genommenen Leistungen beobachtet worden waren. 3 Wie in Kapitel 3 beschrieben, ist diese Gliederung darüber hinaus mit der Einteilung der California HealthCare Interpreting Association vergleichbar, die zwischen pre-event, event/ interaction time und post-event unterscheidet (vgl. Tipton/ Furmanek 2016: 117). 4 Die medizinischen Reisen wurden in unterschiedliche Typen eingeteilt. Auf die Typen und deren Unterschiede wird in Kapitel 5 näher eingegangen. reisten, um sich medizinisch untersuchen und/ oder behandeln zu lassen, und die VertreterInnen der jeweiligen medizinischen Institution. Die an den medi‐ zinischen Reisen beteiligten Personen wussten im ersten Teil von Phase 1 nicht, dass sie beobachtet wurden. 2 Um ihre Privatsphäre zu schützen und gleichzeitig die eigene Dolmetschleistung während der Gespräche nicht zu beeinträchtigen, wurden keine Aufnahmen oder technischen Hilfsmittel verwendet. Die Beob‐ achtung kann als teilnehmend eingestuft werden, da die Autorin als Dolmet‐ scherin an den Gesprächen zwischen den reisenden PatientInnen, ihren Begleit‐ personen und den VertreterInnen der medizinischen Institution beteiligt war. Da das Ziel der Beobachtung nicht die Zählung von Häufigkeiten, sondern die Exploration des Forschungsfeldes war, wurde die qualitative Beobachtung einer quantitativen Beobachtung vorgezogen. Um die im Rahmen der medizinischen Reisen beobachteten Erwartungen und Anforderungen festzuhalten, wurde ein Beobachtungsprotokoll auf Basis des in Kapitel 1 beschriebenen Modells der Servicekette von Quast (2009: 31) erstellt, das nach jeder Dolmetschanfrage und jedem Dolmetscheinsatz von der Dolmetscherin/ Autorin ausgefüllt wurde. Die Servicekette wurde in drei Abschnitte gegliedert: vor, während und nach der medizinischen Reise. 3 Im Beobachtungsprotokoll wurden prioritäre Daten über den Dolmetschauf‐ trag - Zeitraum, Dauer der einzelnen Verdolmetschungen, involvierte Vertrete‐ rInnen der medizinischen Institution und PatientInnen und ob die Rückerstat‐ tung der Kosten gemäß Patientenmobilitätsrichtlinie in Anspruch genommen wurde - notiert. Im Beobachtungsprotokoll wurde jeder/ jedem PatientIn eine Fallnummer (z.B.: Fall 1) zugeteilt; die beiden Ärzte wurden Arzt 1 und Arzt 2 genannt. Im Fall von mehreren medizinischen Reisen seitens der/ des PatientIn wurde dies im Beobachtungsprotokoll angemerkt (z. B. 1. Reise). 4 Tab. 8 zeigt ein Beispiel aus dem Beobachtungsprotokoll. 126 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="127"?> PatientIn: Fall 1 1. Reise im Mai 2016 3 Begleitpersonen RL 2011/ 24/ EU: Nein ARZT 1 Zentrale Vermittlung mit Paket Typ der medizinischen Reise: Typ 1: 3 Tage 1. Tag: ca. 90 Minuten 2. Tag: ca. 8 Stunden 3. Tag ca. 20 Minuten Vorher Erstkontakt und Organisation Personal des Arztes im Her‐ kunftsland nimmt Kontakt mit PatientIn auf, verwaltet die Vermittlung der Reise inkl. der Dolmetscherin/ Autorin Personal im Zielland organi‐ siert die Details der medizini‐ schen Reise Vor Ort Dienstleistungen des Arztes: ärztliche Leistungen Termine, Voruntersuchungen, Vorgespräch, tatsächliche me‐ dizinische (ambulante) Be‐ handlung, Nachuntersuchung Dienstleistungen des Arztes: weitere Leistungen Reise, Hotel, Transfer, Trans‐ port (durch die Mitarbeiterin aus dem Praxismanagement); beglaubigte Übersetzung ins Deutsche der Diagnose, Erstel‐ lung des Behandlungsvertrags, der Reverse und des Entlas‐ sungsbriefs auf Italienisch, Be‐ reitstellung von Übersetzungsund/ oder Dolmetschservices Dienstleistungen der Dol‐ metscherin: translatorische Leistungen Im Paket inkludiert: Dolmetschen während des Vor‐ gesprächs, der OP-Freigabe, der Anamnese, der ambulanten Behandlung, der Nachunter‐ suchung; Vom-Blatt-Dolmet‐ schen (Reverse und Formulare) Dienstleistungen der Dol‐ metscherin: außertranslato‐ rische Leistungen Im Paket inkludiert: Begleitung in die Klinik und Betreuung/ Stand-by während des Tages und der Aufnahme; Vermittlung einer Kollegin für den 3. Tag und Weitergabe der Informationen und Kon‐ taktdaten Dienstleistungen des Kran‐ kenhauses bei stationärer Behandlung Keine stationäre Behandlung 127 4.1 Phase 1 - Ethnografische Feldforschung <?page no="128"?> 5 In diesem Fall wurde nach einer/ einem DolmetscherIn für Italienisch verlangt, obwohl die Muttersprache der Begleitpersonen Rumänisch war, da die Begleitpersonen bereits Nachher Nachbetreuung Nachbetreuung durch das Personal im Herkunftsland: Korrespondenz, Follow-up, Nachsendung von Medika‐ menten, Reservierung weiterer Termine, Rechnungen, Mah‐ nungen, Videoaufnahmen etc. Herausforde‐ rungen Viele zusätzliche Wünsche und zahlreiche spezifische Fragen zu Therapien seitens der Begleitperson: terminologische Schwie‐ rigkeiten Große Verzögerung aufgrund zusätzlicher Fragen Drohungen gegenüber den VertreterInnen der medizinischen Institution seitens der Begleitpersonen Tab. 8: Beispiel aus dem Beobachtungsprotokoll Ein weiterer Fokus lag auf jenen translatorischen und außertranslatorischen Leistungen, die vonseiten der PatientInnen angefragt bzw. von den Ärzten, der Dolmetscherin/ Autorin und dem Krankenhaus angeboten wurden. Mit diesem Aufzeichnungssystem konnten viele der in der medizintouristischen Literatur (vgl. u.a. Berg 2008, Illing 2009, Quast 2009, Reisewitz 2015, Juszczak 2017) behandelten Aspekte berücksichtigt werden, zum Beispiel der Wunsch nach einer Rundumbe‐ treuung oder die Vermittlung sowie die Organisation der medizinischen Reisen. Startpunkt aller medizinischen Reisen war die Beauftragung der Dolmetsch‐ dienstleistung. Zwölf PatientInnen beabsichtigten, sich von Arzt 1 und 13 Patien‐ tInnen von Arzt 2 untersuchen bzw. behandeln zu lassen. Einige PatientInnen unternahmen mehrere medizinische Reisen im Beobachtungszeitraum (BZR); aus diesem Grund ist die Gesamtzahl der unternommenen Reisen (31) höher als die Anzahl der PatientInnen (25). Mit einer einzigen Ausnahme wurden die Patien‐ tInnen zumindest von einer Person und maximal von vier Personen begleitet. Bei Kindern oder Erwachsenen mit Behinderungen waren die Begleitpersonen gleich‐ zeitig die Ansprechpersonen. Mit zwei Ausnahmen sprachen alle PatientInnen sowie Begleitpersonen Italienisch als Muttersprache. Eine Begleitperson (Fall 3) sprach Spanisch, eine andere Begleitperson (Fall 25) Rumänisch als Muttersprache, allerdings konnten bzw. wollten sowohl die betroffenen PatientInnen als auch ihre Begleitpersonen mit der medizinischen Institution auf Italienisch kommuni‐ zieren. 5 Von den 25 PatientInnen stornierten vier die Beauftragung noch vor 128 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="129"?> seit Jahren in Italien gelebt hatten, der italienischen Sprache mächtig waren und die Krankengeschichte der/ des betroffenen PatientIn auf Italienisch kannten. Reiseantritt. Eine weitere Reise erfolgte nach dem Beobachtungszeitraum, daher konnten nur Daten zur Beratung und Organisation vor Reiseantritt gesammelt werden. Jene Fälle, in denen PatientInnen von der Dolmetscherin/ Autorin bereits vor dem Beobachtungszeitraum zu den Untersuchungen und/ oder Behandlungen begleitet wurden, wurden im Beobachtungsprotokoll vermerkt, aber nicht zu den beobachteten Reisen gezählt. Tab. 9 bietet einen Überblick über die medizinischen Reisen, die den Gegenstand der Beobachtung bildeten. Fall Begleit‐ personen Arzt Zeitraum Typ der medizinischen Reise und Fi‐ nanzierung Fall 1 3 Arzt 1 1. Reise: Mai 2016 Typ 1 Fall 2 3, davon 1 Kind Arzt 1 1. Reise: Juni 2016 (1 Reise vor dem BZR) Typ 1 Crowdfunding Fall 3 1 Arzt 1 1. Reise: Juni 2016 (1 Reise vor dem BZR) Typ 1 Fall 4 1 Arzt 2 1. Reise: Juni 2016 (2 Reisen vor dem BZR) Typ 1 2. Reise: Oktober 2016 Fall 5 1 Arzt 2 1. Reise: Mai 2016 Typ 2 2. Reise: Juli 2016 Typ 3 3. Reise: Jänner 2017 Typ 2 Fall 6 1 Arzt 2 1. Reise: Juli 2016 Typ 2 Fall 7 2 Arzt 2 1. Reise: Juli 2016 (3 Reisen vor dem BZR) Typ 1 2 2. Reise: September 2016 Typ 3 RL 2011/ 24/ EU 3 3. Reise: Dezember 2016 Typ 1 5 4. Reise: Februar 2017 Typ 3 RL 2011/ 24/ EU Fall 8 keine Arzt 2 1. Reise: September 2016 Typ 1 Fall 9 2 Arzt 2 1. Reise: September 2016 Typ 2 129 4.1 Phase 1 - Ethnografische Feldforschung <?page no="130"?> Fall 10 1 (Pati‐ entIn von Fall 11) Arzt 2 1. Reise: September 2016 Typ 2 Fall 11 1 (Pati‐ entIn von Fall 10) Arzt 2 1. Reise: September 2016 Typ 2 Fall 12 2 Arzt 2 1. Reise: November 2016 Typ 1 Fall 13 k.A. Arzt 2 Geplante, aber stornierte Reise: November 2016 Typ 1 Fall 14 1 Arzt 1 1. Reise: Oktober 2016 (1 Reise vor dem BZR) Typ 1 Crowdfunding Fall 15 1 Arzt 1 1. Reise: Dezember 2016 (1 Reise vor dem BZR) Typ 1 Crowdfunding Fall 16 2 Arzt 1 1. Reise: Dezember 2016 Typ 1 Fall 17 k.A. Arzt 1 Geplante, aber stornierte Reise: Dezember 2016 Typ 1 Fall 18 k.A. Arzt 2 Geplante, aber stornierte Reise: Jänner 2017 Typ 1 Fall 19 1 Arzt 2 1. Reise: Jänner 2017 Typ 2 Fall 20 k.A. Arzt 2 Nur Einholung von Informa‐ tionen; keine Terminvereinba‐ rung k.A. Fall 21 1 Arzt 1 1. Reise: April 2017 (1 Reise vor dem BZR) Typ 1 Crowdfunding + RL 2011/ 24/ EU Fall 22 2 Arzt 1 1. Reise: April 2017 (1 Reise vor dem BZR) Typ 1 Crowdfunding Fall 23 2 Arzt 1 1. Reise: April 2017 (1 Reise vor dem BZR) Typ 1 Crowdfunding Fall 24 k.A. Arzt 1 1. Reise: September 2017 (im BZR erfolgten nur die Planung der Reise und ein Fernberatungs‐ gespräch) Typ Crowdfunding Fall 25 2 Arzt 1 1. Reise: April 2017 Typ 1 Crowdfunding Tab. 9: Übersicht der medizinischen Reisen im Beobachtungszeitraum 130 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="131"?> 6 Ein Interview wurde auf Wunsch der interviewten Person auf Spanisch geführt. 7 F steht für Fachpersonal und umfasst die beteiligten vier Ärzte, die Krankenschwester und die Mitarbeiterin aus dem Praxismanagement. 4.1.2 Die ethnografischen Interviews Durch die standardisierte Aufzeichnung der angefragten bzw. tatsächlich in Anspruch genommenen Leistungen während, vor und nach der medizinischen Reise konnten viele ausdrücklich geäußerte Erwartungen und Anforderungen an die Dolmetscherin/ Autorin festgehalten werden. In der Einleitung der vor‐ liegenden Studie wurde bereits erwähnt, dass nicht alle Erwartungen und Anforderungen explizit geäußert werden. Zur Erfassung der nicht verbalisierten Erwartungen und Anforderungen an die Dolmetscherin/ Autorin wurde ein Teil der beobachteten GesprächsprotagonistInnen interviewt: acht PatientInnen und in jenen Fällen, in denen die PatientInnen Kleinkinder waren, deren Begleitpersonen sowie sechs VertreterInnen der medizinischen Einrichtungen. Der Zeitraum, in dem alle Interviews von Phase 1 geführt und transkribiert wurden, erstreckte sich von 07.09.2017 bis 04.10.2017. Alle PatientInneninter‐ views erfolgten in italienischer Sprache, während die Interviews mit den Vertre‐ terInnen der medizinischen Institutionen auf Deutsch oder auf Spanisch geführt wurden. 6 Die InterviewpartnerInnen wurden mit folgendem System bezeichnet: P+Nummer für die PatientInnen und F+Nummer für die VertreterInnen der medizinischen Institution. 7 Als InterviewpartnerInnen wurden unter den PatientInnen oder Begleitper‐ sonen nur Personen ausgewählt, deren gesundheitliche Verfassung eine Teilnahme an den Interviews erlaubte. Insgesamt wurden vier PatientInnen oder deren Begleitpersonen von Arzt 1 und vier PatientInnen oder deren Begleitpersonen von Arzt 2 kontaktiert. Sieben Interviews wurden mündlich geführt, während ein Interview in schriftlicher Form im Facebook-Chatroom erfolgte, da der/ die PatientIn aufgrund einer Erkrankung Sprechstörungen aufwies. Von den münd‐ lichen Interviews wurden fünf als Videokonferenz (vier mittels Facebook, eines mittels Skype), eines als Face-to-Face-Interview und eines als Telefoninterview geführt. Von den VertreterInnen der medizinischen Einrichtungen wurden nur jene beobachteten Personen interviewt, die am medizintouristischen Angebot primär (als behandelnder Arzt, Krankenschwester oder Mitarbeiterin aus dem Praxismanagement) beteiligt waren. Das bedeutet, dass z.B. jene ÄrztInnen aus den Krankenhäusern und Laboreinrichtungen, an die die behandelten PatientInnen von Arzt 1 und Arzt 2 überwiesen wurden, ausgeschlossen wurden. In allen sechs Fällen wurden die Interviews von Angesicht zu Angesicht geführt. Tab. 10 fasst die wichtigsten Daten der 14 Interviews zusammen. 131 4.1 Phase 1 - Ethnografische Feldforschung <?page no="132"?> IP Datum Medium Dauer Beruf/ Rolle Arzt Bildung Sprachen Alter F01 08.09.2017 Face-to- Face 14'47'' Kranken‐ schwester Arzt 1 Kranken‐ schwester BKS; DE; EN (Mittel‐ stufe) 36-45 F02 12.09.2017 Face-to- Face 17'01'' Mitarbeiterin aus dem Praxisma‐ nagement Arzt 1 geistesw. BA-Studium DE; EN 26-35 F03 19.09.2017 Face-to- Face 18'10'' Arzt Arzt 1 Medizinstu‐ dium ES; EN; DE 26-35 F04 19.09.2017 Face-to- Face 17'11'' Arzt Arzt 2 Medizinstu‐ dium DE; EN 26-35 F05 25.09.2017 Face-to- Face 26'34'' Arzt Arzt 1 Medizinstu‐ dium DE; EN; FR über 56 F06 04.10.2017 Face-to- Face 12'52'' Arzt Arzt 2 Medizinstu‐ dium DE; EN; FR 46-55 P01a 07.09.2017 Face-to- Face 15'47'' Begleitperson Arzt 1 Matura IT; EN (An‐ fängerIn) unter 25 P01b 07.09.2017 Face-to- Face 15'47'' Begleitperson Arzt 1 Berufsreife‐ prüfung IT; EN (An‐ fängerIn) unter 25 P02 08.09.2017 Videochat (Facebook) 11'54'' PatientIn Arzt 2 Masterstu‐ dium IT; EN (Mit‐ telstufe) 26-35 P03 09.09.2017 Videochat (Facebook) 38'50'' PatientIn Arzt 2 Matura IT; EN (An‐ fängerIn) 36-45 132 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="133"?> P04 11.09.2017 Videochat (Facebook) 11'43'' PatientIn Arzt 1 Masterstu‐ dium RO; IT; EN 26-35 P05 17.09.2017 Videochat (Facebook) 14'48'' Begleitperson Arzt 1 Masterstu‐ dium IT; EN; FR 36-45 P06 21.09.2017 Telefon 14'06'' PatientIn Arzt 2 Matura IT; EN; FR; ES (nur passiv) 36-45 P07 25.09.2017 Chat k.A. PatientIn Arzt 1 Matura IT; EN; DE (Anfän‐ gerIn) 26-35 P08 27.09.2017 Skype 12'15'' PatientIn Arzt 2 Matura IT; EN und DE (Anfän‐ gerIn) 36-45 Tab. 10: Zusammenfassung der Daten der InterviewpartnerInnen 133 4.1 Phase 1 - Ethnografische Feldforschung <?page no="134"?> 8 Aus diesem Grund wurde auch auf Mehrfachauswahlfragen (vgl. Atteslander 2010: 146) verzichtet, die eher für eine schriftliche, stärker strukturierte Befragung passend erschienen. In ersten Testinterviews wurde der Einsatz von Mehrfachauswahlfragen getestet, allerdings kritisierten die interviewten Testpersonen dieses Frageformat: Sie hatten das Gefühl, die Autorin erwartete von ihnen nur bestimmte Antworten und wollte nichts von ihren persönlichen Erfahrungen hören. Von den sechs VertreterInnen der medizinischen Institutionen wurden vier Ärzte (F03, F04, F05 und F06), eine Krankenschwester (F01) und eine Mitar‐ beiterin aus dem Praxismanagement, die eine wichtige administrative und organisatorische Rolle bei der Planung der medizinischen Reise einnahm (F02), interviewt. Auf PatientInnenseite wurden vier PatientInnen (P02, P03, P06, P08) von Arzt 2 und zwei (P04, P07) von Arzt 1 befragt. Des Weiteren wurden zwei Interviews mit Begleitpersonen von PatientInnen von Arzt 1 geführt: Im ersten Fall wurden im Rahmen eines Doppeltinterviews beide Eltern (P01a und P01b) eines Kindes befragt, während im zweiten Fall nur ein Elternteil (P05) befragt wurde. Zur Führung der Interviews wurden zwei Leitfäden erstellt, deren Fragen leicht an die Bedürfnisse der jeweiligen Gruppen angepasst wurden. Für die Konzeption der Interviewleitfäden (vgl. u. a. Flick 1995: 92ff., Atteslander 2010: 131ff., Hale/ Napier 2013: 95ff.) wurden für einen theoriegeleiteten und hypothesengerichteten Ansatz die während der Beobachtung gewonnenen Daten sowie die Erkenntnisse aus der dolmetschwissenschaftlichen Literatur (vgl. u. a. Ivașcu 2014, Lee 2015, Chistyakova 2016, Slavu 2017, Weißenhofer 2017) berücksichtigt. Der Typus des leitfadengestützten, halbstrukturierten Interviews erschien als besonders gut geeignet, um den Gesprächsprotago‐ nistInnen mehr Freiheit in der Erzählung zu gewähren. Darüber hinaus ermöglichte dies der Autorin die „Rekonstruktion subjektiver Theorien“ der GesprächsprotagonistInnen (Flick 1995: 99). Die InterviewpartnerInnen von Phase 1 verfügten aufgrund ihrer Krankengeschichte und einer zum Teil langjährigen Erfahrung mit DolmetscherInnen über einen „Wissensbestand“, der aus „explizit-verfügbaren Annahmen“ (Flick 1995: 100) besteht, die die/ der InterviewleiterIn aktivieren konnte. 8 Die meisten Fragen wurden offen formu‐ liert. Wenn geschlossene Fragen in Form von Ja/ Nein-Fragen gestellt wurden, wurde von den InterviewpartnerInnen immer eine weitere Erklärung für die Ja/ Nein-Antwort verlangt. Der Leitfaden wurde so konzipiert, dass zwei große thematische Blöcke behandelt werden konnten: die Erfahrung der Be‐ fragten im Umgang mit DolmetscherInnen (Block 1) sowie ihre Erwartungen (insbesondere in Form von Aufgaben) und Anforderungen (insbesondere in Form von Kompetenzen) an die DolmetscherInnen (Block 2). Die Fragen zur 134 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="135"?> Erfahrung im Umgang mit DolmetscherInnen wurden mit einem narrativen Ansatz formuliert, wodurch der Leitfaden in Block 1 weniger strukturiert er‐ scheint und eher an ein narratives Interview erinnert. Dieser Ansatz gestattete jedoch die Erkundung von Episoden und die Aktivierung von Erinnerungen seitens der befragten Personen (vgl. Bortz/ Döring 2006: 310). Für die zu Block 2 gehörenden Fragen betreffend die Erwartungen und Anforderungen an die DolmetscherInnen wurden bereits beim konzeptionellen Aufbau des Interviewleitfadens Kategoriensysteme deduktiv gebildet (vgl. Bortz/ Döring 2006: 330), um die spätere Analyse zu vereinfachen. Im Interviewleitfaden wurde zuerst nach allgemeinen Erwartungen der InterviewpartnerInnen an die DolmetscherInnen und anschließend nach den Aufgaben, die Dolmetsche‐ rInnen übernehmen sollen, gefragt. Die thematische Überschneidung der beiden Fragen wurde bewusst gewählt: Durch das explizite Nachfragen nach den Aufgaben der DolmetscherInnen sollten allfällige unbewusste Erwar‐ tungen der PatientInnen und der VertreterInnen medizinischer Institutionen hinsichtlich der Tätigkeiten der DolmetscherInnen aufgedeckt werden. Mög‐ licherweise erkennen BedarfsträgerInnen ihre Erwartungen nicht in allen Fällen als solche und thematisieren diese nicht ausdrücklich, wenn sie danach gefragt werden. Die von den DolmetscherInnen geforderten Kompetenzen wurden nach der Auseinandersetzung mit der dolmetschwissenschaftlichen Literatur (vgl. Kapitel 3) zum Thema wie folgt unterteilt: translatorische Kompetenz, ethische Kompetenz, Sprach- und Kulturkompetenz, Sozial- und Individualkompetenz, Sach- und institutionelle Kompetenz, Vorbereitungs- und terminologische Kompetenz, ethische Kompetenz sowie Businesskompe‐ tenz. Diese Kompetenzen wurden im Interview von der Autorin nicht explizit benannt. Im Interviewleitfaden wurden sie dagegen aufgelistet, sodass sie immer angekreuzt werden konnten, wenn sich die Interviewten darauf be‐ zogen. Die erwarteten Aufgaben wurden im Vorfeld anhand der beobachteten Leistungen in translatorische und außertranslatorische Leistungen unterteilt. Tab. 11 fasst die Fragen beider Interviewleitfäden zusammen. Interview‐ partnerin Hauptfrage Folgefrage Block 1: Umgang mit DolmetscherInnen VertreterInnen der medizini‐ schen Institu‐ tion Sie arbeiten immer wieder mit DolmetscherInnen zusammen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Wenn JA: Für welche Sprachen wurde bereits für Sie gedol‐ metscht? 135 4.1 Phase 1 - Ethnografische Feldforschung <?page no="136"?> PatientInnen War das das erste Mal, dass Sie durch eine/ einen DolmetscherIn mit einer/ einem ausländischen ÄrztIn gesprochen haben? Wenn JA: Wie war die Erfah‐ rung? Wenn NEIN: Welche anderen Er‐ fahrungen haben Sie gemacht? Haben Sie bereits einmal auf Englisch mit einer/ einem auslän‐ dischen ÄrztIn gesprochen? PatientInnen Aus welchen Gründen haben Sie beschlossen, eine/ einen Dolmet‐ scherIn zu suchen? Warum haben Sie nicht auf Eng‐ lisch mit der/ dem ÄrztIn gespro‐ chen? Wurde Ihnen die/ der Dol‐ metscherIn zugeteilt? Wie haben Sie nach DolmetscherInnen ge‐ sucht? PatientInnen Merken Sie einen Unterschied zwischen einer dolmetschver‐ mittelten Interaktion mit Ärz‐ tInnen und einer ohne Vermitt‐ lung? VertreterInnen der medizini‐ schen Institu‐ tion Bevorzugen Sie jene Situationen, in denen Sie Englisch mit den fremdsprachigen PatientInnen reden, oder jene, in denen sie mit‐ tels einer/ eines DolmetscherIn mit den fremdsprachigen Patien‐ tInnen kommunizieren? Warum? Nur Mitarbei‐ terin aus dem Praxismanage‐ ment Welche sind entscheidende Kri‐ terien bei der Suche nach einer/ einem DolmetscherIn? Alle Gab es irgendwann Kommunika‐ tionsprobleme während der dol‐ metschvermittelten Interaktion? Wie können Sie sicher sein, dass DolmetscherInnen genau das dolmetschen, was Sie und die PatientInnen gesagt haben? Wenn JA: Welche Art? Worauf waren sie zurückzuführen? Wenn NEIN: Darf ich fragen, wie Sie sicher sein können? VertreterInnen der medizini‐ schen Institu‐ tion Verwenden Sie Fachtermini, wenn Sie mit PatientInnen spre‐ chen? Merken Sie einen Unter‐ schied in der Verwendung der Fachtermini? Wann verwenden Sie die Fachtermini und wann die eingedeutschten Varianten? Alle Macht es für Sie einen Unter‐ schied, ob die/ der DolmetscherIn Ihre Sprache als Muttersprache spricht oder nicht? 136 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="137"?> Alle Finden Sie die Präsenz der Dol‐ metscherInnen störend? Block 2: Erwartungen, Anforderungen Aufgaben Alle Welche Erwartungen haben Sie an die DolmetscherInnen? Alle Welche Kompetenzen sollten DolmetscherInnen Ihrer Mei‐ nung nach unbedingt haben, wenn sie im medizinischen Be‐ reich arbeiten wollen? Gibt es andere Kompetenzen, die Sie nicht erwähnt haben, da Sie diese als selbstverständlich erachten? Wie stehen Sie zu den sozialen Kompetenzen? Welche sollte sie unbedingt mitbringen? ○ Translatorische Kompetenz ○ Sprach- und Kulturkompe‐ tenz ○ Vorbereitungsbzw. termi‐ nologische Kompetenz ○ Sozial- und Individualkom‐ petenz ○ Sachkompetenz und institu‐ tionelle Kompetenz ○ Ethische Kompetenz ○ Businesskompetenz ○ ____________________ Alle Welche Aufgaben sollen die Dol‐ metscherInnen Ihrer Meinung nach übernehmen? ○ Dolmetschen (mündlich) ○ Übersetzen ○ Korrespondenz ○ Termine buchen/ koordi‐ nieren ○ Stand-by-Betreuung (zum Beispiel während der Be‐ handlung) ○ Verfügbarkeit auch telefo‐ nisch im Fall von Kommuni‐ kationsproblemen ○ Touristische Empfehlungen ○ Hilfe beim Ausfüllen von Formularen ○ Klärung von administrativen Fragen (wie Bezahlung usw.) ○ ____________________ Alle Was würden Sie Universi‐ täten empfehlen, die Dolmet‐ scherInnen ausbilden? Alle Möchten Sie noch etwas hinzu‐ fügen? Tab. 11: Fragen für die ethnografischen Interviews Alle Interviews wurden vor der Durchführung anhand der Checkliste nach Bouchard (1976: 267ff.) überprüft. Für die Erstellung der Transkripte wurde die Transkriptionssoftware f4 verwendet. Es wurde das einfache Transkriptionsre‐ gelsystem (vgl. Kuckartz 2010: 46) in seiner Variante als Minimaltranskript 137 4.1 Phase 1 - Ethnografische Feldforschung <?page no="138"?> 9 Auslassungen aus technischen Gründen oder auf Wunsch der InterviewpartnerInnen. gewählt. Die Redebeiträge wurden wörtlich transkribiert, wobei immer die ge‐ schriebene Standardvariante der jeweiligen Sprachen gewählt wurde. Auch die Interpunktion orientierte sich an der Schriftsprache. Jeder Sprechbeitrag wurde in einem einzigen Absatz und mit einer Zeitmarke zum Satzende dargestellt, um die betreffende Stelle bei der Analyse leichter zu finden. Folgende weitere Zeichen wurden verwendet: / für abgebrochene Sätze oder Wörter (.) ca. 1 Sekunde Pause (..) ca. 2 Sekunden Pause (…) ca. 3 Sekunden Pause Großschreibung für betonte Wörter Gefühle in Klammer z. B. (lacht) / / für Überschneidung (unv.) für unverständliche Textpassagen ((…)) Auslassungen im Transkript 9 ((Name)) Anonymisierung von Eigennamen (z. B. Personen, Institutionen) [ ] Hinzüfung von Informationen zur Verbesserung der Verständlichkeit Für die Analyse der Interviews wurde aufgrund ihrer Strukturiertheit die Aus‐ wertungsmethode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) gewählt. Die qualitative Inhaltsanalyse ermöglicht ein systematisches, regelgeleitetes Vorgehen (vgl. Mayring 2010), bei dem die Bildung eines Kategoriensystems im Mittelpunkt steht. Der Ablauf der Inhaltsanalyse wurde vor Analysebeginn de‐ finiert: Nach Einsichtnahme in alle Unterlagen (Transkripte der Interviews und Notizen der Autorin während der Interviews) und Erstellung eines Memos zur Erfassung etwaiger Auffälligkeiten wurden die deduktiven, theoriegeleiteten Oberkategorien (OK) auf Basis des Interviewleitfadens gebildet (vgl. Anhang 1). Jede Kategorie enthielt eine Definition, eine Bezeichnung, ein Ankerbeispiel und eine Regel, die in den Fällen, in denen das Ankerbeispiel und die Definition nicht eindeutig waren, als Hilfestellungen fungierten. Diese Oberkategorien wurden auf Basis von zwei Interviewtranskripten (ca. 15% des Corpus) validiert. Darüber hinaus wurde festgelegt, dass mehrere Textstellen mit derselben Kategorie codiert werden durften. Der Auflistung der deduktiven Kategorien folgte die Bildung induktiver, empirisch geleiteter Kategorien anhand der Transkripte. Zu diesem Zweck wurden pro Kategorie die entsprechenden Textpassagen gesam‐ 138 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="139"?> melt, paraphrasiert und generalisiert. Durch die wissenschaftliche Reduktion konnte die Bezeichnung der Kategorie gebildet werden (vgl. Anhang 2). Zu den herangezogenen induktiven Kategorien zählten hauptsächlich Unterkategorien (UK), allerdings wurde auch eine Oberkategorie nach dieser Methode gebildet. Die induktiven Kategorien wurden wiederum auf Basis von zwei Interviewt‐ ranskripten (ca. 15% des Corpus) validiert. Das gebildete Kategoriensystem bestand aus folgenden Kategorien: • OK 01 Erfahrung: Häufigkeit und Sprachen • OK 02 Zufriedenheit - UK 02.1 Überprüfung der translatorischen Leistung • OK 03 Bevorzugte Verständigungsart - UK 03.1 Lingua Franca - UK 03.2 DolmetscherInnen • OK 04 Kulturspezifika • OK 05 (Fach-)Sprachverhalten der ÄrztInnen • OK 06 Kommunikationsprobleme • OK 07 DolmetscherInnenauswahl - UK 07.1 Gründe und Kanäle für die Suche - UK 07.2 Allfällige Schwierigkeiten - UK 07.3 Muttersprache als Kriterium - UK 07.4 Translatorische Ausbildung • OK 08 DolmetscherInnen vs. Laiendolmetschende • OK 09 Erwartungen an die DolmetscherInnen • UK 09.1 Partnerschaftliche Zusammenarbeit • OK 10 Kompetenzen der DolmetscherInnen - UK 10.1 Translatorische Kompetenz - UK 10.2 Sprach- und Kulturkompetenz - UK 10.3 Sachkompetenz - UK 10.4 Terminologische Kompetenz - UK 10.5 Sozial- und Individualkompetenz - UK 10.6 Institutionelle Kompetenz - UK 10.7 Ethische Kompetenz - UK 10.8 Businesskompetenz • OK 11 Aufgaben der DolmetscherInnen - UK 11.1 Translatorische Aufgaben Nach der Bildung des Kategoriensystems erfolgte die Codierung unter Verwen‐ dung der Software MAXQDA 12, die eine einfache Zuordnung der markierten Textpassage zu den Oberbzw. Unterkategorien ermöglicht. Der Fertigstellung 139 4.1 Phase 1 - Ethnografische Feldforschung <?page no="140"?> 10 Aus diesem Grund wurden keine Nennungen gezählt. der Codierung folgte der Export aller Codings in Excel, um die weitere Aufbe‐ reitung des Materials für die Analyse zu ermöglichen. Die Liste der Codings enthält den Verweis auf die InterviewpartnerInnen sowie auf die Anfang- und Endzeilen des Transkripts. Tab. 12 zeigt einen Ausschnitt aus den Codings der Interviewtranskripte mit den GesprächsprotagonistInnen für die Oberkategorie Kommunikationsprobleme (OK 06). Doku‐ ment‐ name Code An‐ fang Ende Segment F01 OK 06 Kommuni‐ kations‐ probleme 38 38 F01: ((…)) eine pensionierte Dolmetscherin war, die sich was anderes erwartet hat, was sie im Endeffekt dolmetschen hätte sollen, ok? Irgendwie hat sie es nicht verstanden, oder sie wollte uns nicht verstehen, und wir wollten dann aber andere Bedürfnisse gehabt (.) und sie hat sich aber nicht vorher interessiert, was speziell gebraucht wird, ja? F06 OK 06 Kommuni‐ kations‐ probleme 8 8 F06: Und dann hat eine Übersetzerin, die konnte aber nicht wirklich übersetzen, das war ihre Freundin, und die hat dann über‐ setzt und hat aber keine Ahnung gehabt von medizinischen Fachbegriffen (.) und zufälligerweise war am selben Tag meine russische Übersetzung bei einer Patientin von mir oben hier, und dann habe ich gesagt: Stopp, ich rede nicht jetzt nicht / jetzt nicht weiter, sondern ich hole mir die Überset‐ zerin, da ich merke, das geht’s nirgendshin. Tab. 12: Beispiel für die Codings (Phase 1) Besondere Aufmerksamkeit wurde auf den qualitativen Aspekt der Inhalts‐ analyse gelegt, 10 da qualitative Interviews nicht dazu dienen, ein Phänomen repräsentativ zu quantifizieren, sondern es vielschichtig abzubilden, indem die persönlichen Wahrnehmungen und die „Inhalte der subjektiven Theorie rekon‐ struiert“ (Flick 1995: 100) werden. Alle Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung werden anhand der gebildeten Kategorien für die Inhaltsanalyse in Kapitel 5 dargestellt. 140 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="141"?> 11 Es wurden 15 Dolmetscherinnen interviewt. Ein Interview konnte nicht für die vorlie‐ gende Studie berücksichtigt werden, da sich im Nachhinein herausstellte, dass die betroffene Dolmetscherin nicht im Medizintourismus tätig war. 12 In diesem Zusammenhang war es nicht von Bedeutung, ob die Dolmetscherinnen bislang nur für dieselbe/ denselben PatientIn oder für mehrere unterschiedliche Patien‐ tInnen gedolmetscht hatten. 4.2 Phase 2 - Expertinneninterviews Aufbauend auf den Erkenntnissen von Phase 1 wurden 14 Expertinnen - Dolmetscherinnen, die in Deutschland und Österreich im Medizintourismus dolmetschen - interviewt. 11 Ziel dieser mündlichen Expertinneninterviews war einerseits, den ersten Eindruck des Betätigungsfeldes „Medizintourismus“ um persönliche Erfahrungen zu ergänzen, andererseits weitere Erwartungen und Anforderungen an die DolmetscherInnen zu eruieren. Nach den 14 Interviews war die theoretische Sättigung (vgl. Glaser/ Strauss 1967: 61) erreicht. Acht Interviewpartnerinnen wurden durch das Netzwerk der Autorin ge‐ funden. Die restlichen Interviewpartnerinnen wurden auf Basis des Schnee‐ ballsystems gefunden: Die Mehrheit wurde von bereits interviewten Dol‐ metscherinnen oder von TranslatorInnen aus dem Netzwerk der Autorin weiterempfohlen; eine Dolmetscherin meldete sich nach einem Aufruf in einem TranslatorInnenforum. Als Kriterien für die Auswahl der Interviewpartne‐ rinnen wurden die vorhandene Erfahrung im Medizintourismus, ausreichende Qualifikation und das Vorhandensein von Deutsch in der Sprachkombination festgelegt. Um das Kriterium Erfahrung zu erfüllen, mussten die Interviewpart‐ nerinnen mindestens drei Dolmetscheinsätze im Medizintourismus absolviert haben. 12 Um das Kriterium der ausreichenden Qualifikation zu erfüllen, mussten die Dolmetscherinnen entweder ein translatorisches Studium absolviert haben oder Mitglied in einem anerkannten Berufsverband sein, da der Beitritt zu einem Berufsverband wie dem BDÜ oder UNIVERSITAS die Absolvierung eines einschlägigen Studiums oder ausreichende Berufserfahrung voraussetzt. Eine weitere Voraussetzung für die Auswahl der Interviewpartnerinnen war das Vorhandensein der deutschen Sprache in der Sprachkombination. Dass die Interviewpartnerinnen nur mit Italienisch, Rumänisch oder Russisch in Kombination mit Deutsch arbeiten, ist zufallsbedingt und möglicherweise dem Schneeballsystem geschuldet. Alle Interviews wurden mündlich - entweder persönlich (6) oder via Skype (9) - auf Deutsch geführt. Tab. 13 fasst alle Daten zusammen. 141 4.2 Phase 2 - Expertinneninterviews <?page no="142"?> IP Datum Art Dauer Studienab‐ schluss Weitere Qua‐ lifikationen Sprachen Alter Land D01 29.11.2017 Face-to- Face 22'52'' Dolmetschen keine Deutsch-Ru‐ mänisch über 56 AT D02 29.11.2018 Face-to- Face 18'35'' Konferenz‐ dolmetschen Universitas- Mitglied Deutsch-Ru‐ mänisch 26-35 AT D03* 29.11.2017 Skype 21'40'' Dolmetschen (FH) BDÜ-Mitglied; Gerichtsdol‐ metscherin Deutsch-Rus‐ sisch 36-45 DE D04** 01.12.2017 Skype 30'19'' Lehramt DE/ EN keine Deutsch-Rus‐ sisch 36-45 DE D05 03.12.2017 Skype 18'44'' Konferenz‐ dolmetschen Universitas- Mitglied; Ge‐ richtsdolmet‐ scherin Deutsch-Ita‐ lienisch 46-55 AT D06 04.12.2017 Face-to- Face 17'22'' Konferenz‐ dolmetschen Universitas- Mitglied Deutsch-Ru‐ mänisch 26-35 AT D07 05.12.2017 Skype 37'57'' Chemie BDÜ-Mitglied; Gerichtsdol‐ metscherin Deutsch-Rus‐ sisch über 56 DE D08 06.12.2017 Skype 27'02'' Dolmetschen keine Deutsch-Ita‐ lienisch 36-45 AT D09 06.12.2017 Skype 25'51'' Dolmetschen und Über‐ setzen keine Deutsch-Ita‐ lienisch 46-55 DE 142 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="143"?> D10 13.12.2017 Skype 35'47'' Konferenz‐ dolmetschen Universitas- Mitglied Deutsch-Rus‐ sisch 26-35 AT D11 11.01.2018 Face-to- Face 21'57'' Gespächsdol‐ metschen Universitas- Mitglied Deutsch-Ita‐ lienisch 36-45 AT D12 11.01.2018 Face-to- Face 20'15 Philologie Universitas- Mitglied; Ge‐ richtsdolmet‐ scherin Deutsch-Ru‐ mänisch 46-55 AT D13 16.01.2018 Skype 28'16'' Chemie BDÜ-Mitglied; Gerichtsdol‐ metscherin Deutsch-Rus‐ sisch 46-55 DE D14 17.01.2018 Face-to- Face 28'45'' Dolmetschen Universitas- Mitglied Deutsch-Rus‐ sisch über 56 AT D15 30.01.2018 Skype 30'48'' Konferenz‐ dolmetschen keine Deutsch-Ru‐ mänisch 36-45 AT * Technisches Problem (kein Audio), daher Erstellung eines Gedächtnisprotokolls ** Interview weder transkribiert noch analysiert, da Interviewpartnerin nicht im Medizintourismus tätig Tab. 13: Interviewpartnerinnen der Phase 2 143 4.2 Phase 2 - Expertinneninterviews <?page no="144"?> Der Interviewtyp kann als halbstandardisiertes und leitfadengestütztes Exper‐ tinneninterview (vgl. Flick 1995: 99) mit einem narrativen Ansatz klassifiziert werden und unterscheidet sich aus konzeptioneller Sicht kaum vom Leitfaden der Interviews von Phase 1. Der einzige Unterschied ist die Tatsache, dass die Interviewpartnerinnen aus Phase 2 Expertinnen im Bereich Translation sind und nicht als Gesprächsteilnehmerinnen (keine ethnografischen Interviews) be‐ obachtet wurden. Der halbstandardisierte und leitfadengestützte Interviewtyp wurde auch für diese Teilstudie gewählt, um den Interviewpartnerinnen mehr Freiheit in der Erzählung zu gewähren und somit der Autorin eine „Rekonstruk‐ tion subjektiver Theorien“ zu ermöglichen (Flick 1995: 99). Als Expertinnen im Translationsbereich konnten die interviewten Dolmetscherinnen darüber hinaus Auskunft über subjektiv festgestellte oder vermutete Erwartungen und Anforderungen ihrer KundInnen - der BedarfsträgerInnen - geben. Der Interviewleitfaden bestand in Anlehnung an jenen aus Phase 1 aus zwei großen Blöcken, die offene Fragen enthielten. Im ersten Block wurden Informationen zur Erfahrung im Betätigungsfeld und zu den medizintouristi‐ schen Dolmetschsettings (z. B. Aufklärungsgespräche in der ärztlichen Praxis und/ oder im Krankenhaus) gesammelt. In diesem Zusammenhang wurden auch Fragen zur Zufriedenheit der Interviewpartnerinnen mit Aufträgen im Bereich Medizintourismus gestellt. Mit dem zweiten Block wurden die an sie als Dol‐ metscherinnen in diesem Setting gestellten Erwartungen und Kompetenzanfor‐ derungen erfasst. Die Fragen zu den Tätigkeiten, für die die Dolmetscherinnen bestellt werden, und zu den Erwartungen, die die anderen Gesprächsbeteiligten an sie hatten, wurden bewusst neutral und nicht zielgerichtet formuliert, um die Expertinnen nicht zu beeinflussen. Die Frage zu den Kompetenzanforderungen wurde ebenso bewusst offen und einfach formuliert, da DolmetscherInnen mit translationswissenschaftlichen Fachbegriffen je nach Abschlussjahr und Abschlussstätte ihrer Ausbildung mehr oder weniger vertraut sein können. Der Leitfaden enthielt folgende Fragen: Block 1: Informationen zum Betätigungsfeld • Wie bist du zum Dolmetschen im Medizintourismus gekommen? • Wie oft dolmetschst du im Medizintourismus? Kannst du mir ein wenig von deinen Erfahrungen im Medizintourismus erzählen z.B. - In welchen medizinischen Bereichen und für welche Sprachen dol‐ metscht du? - Seit wann? - Aus welchem Land stammen die PatientInnen? 144 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="145"?> - Wie sieht die finanzielle Lage der PatientInnen aus? - Spielt sich die gedolmetschte Kommunikation hauptsächlich im Krankenhaus oder in einer ärztlichen Praxis ab? - Wirst du von PatientInnen, von ÄrztInnen oder von einer Agentur beauftragt? - Welche Informationen werden dir vor dem Auftrag kommuniziert? - Dolmetschst du konsekutiv oder flüsternd? Dolmetschst du kurze Sätze oder zusammenhängende Erzählungen? Mit oder ohne Notiz‐ entechnik? • Dolmetschst du in diesem Sprachenpaar auch für KassenpatientInnen, Menschen, die in Österreich/ Deutschland leben? - Welche Unterschiede konntest du zwischen dem Dolmetschen für Menschen, die für die Behandlung nach Österreich/ Deutschland reisen, und Menschen, die in Österreich/ Deutschland leben, fest‐ stellen? • Gibt es Kulturspezifika? Sind deine KundInnen anders? • Wie ist die Bezahlung? Verdienst du gut/ besser/ schlechter als in anderen Bereichen? • Was gefällt dir besonders an der Tätigkeit in diesem Bereich? Gibt es Negativa? Was gefällt dir nicht? Block 2: Erwartungen und Anforderungen • Für welche Tätigkeiten wirst du bestellt? - Fallen beim Dolmetschen im Medizintourismus weitere Aufgaben an, die in anderen Dolmetschsettings nicht üblich sind oder nicht angefordert werden? - Musst du auch Aufgaben übernehmen, die mit dem reinen Dolmet‐ schen nichts zu tun haben? Was hältst du von diesen Aufgaben? • Welche Erfahrungen hast du gemacht: Gibt es Erwartungen, die über das Dolmetschen hinausgehen? Was sind deiner Meinung nach die Erwartungen deiner KundInnen (PatientInnen und ÄrztInnen)? - Werden diese Erwartungen explizit von deinen KundInnen kommu‐ niziert? - Hast du in anderen Bereichen andere Erfahrungen gemacht? 145 4.2 Phase 2 - Expertinneninterviews <?page no="146"?> • Was benötigst du konkret, um im Medizintourismus zu dolmetschen? - Sind das ganz bestimmte Kompetenzen? - Waren die in der translatorischen Ausbildung erworbenen Kompe‐ tenzen ausreichend? - Hast du dich für das Dolmetschen in diesem Bereich weitergebildet? Vorträge, Management, Marketing? • Hat dich das Studium auf diese Situationen vorbereitet? • Würdest du anderen KollegInnen empfehlen, auch im Medizintourismus zu dolmetschen? • Möchtest du noch etwas hinzufügen? Nach einer ausdrücklichen Zustimmung der Dolmetscherinnen wurden die Interviews aufgenommen und mithilfe der Software f4 transkribiert. Auch für diese Interviews wurde das einfache Transkriptionsregelsystem (vgl. Kuckartz 2010: 46) in seiner Minimaltranskript-Variante gewählt. Für die Analyse wurde wie für die Interviews aus Phase 1 die Methode der qualitativen Inhaltsana‐ lyse nach Mayring (2010) angewandt. Die meisten Kategorien sind deduktive, theoriegeleitete Oberkategorien (OK), die mithilfe des Interviewleitfadens ge‐ bildet wurden. Nach Einsichtnahme in die gesamten erhobenen Daten wurden außerdem einige induktive Unterkategorien sowie zusätzliche deduktive Un‐ terkategorien gebildet (UK). Folgende Kategorien wurden auf Basis von zwei Interviewtranskripten (ca. 15% des Corpus) validiert: • OK 01 Einstieg in den Medizintourismus • OK 02 Häufigkeit der Einsätze im Medizintourismus • OK 03 Herkunftsland und finanzielle Lage der PatientInnen • OK 04 Angaben zu den Settings - UK 04.1 Englisch als Lingua Franca - UK 04.2 Textsorten und Gesprächsformen - UK 04.3 Kulturspezifika • OK 05 Beauftragung der DolmetscherInnen • OK 06 Informationen zwecks Dolmetschvorbereitung • OK 07 Dolmetschmodus • OK 08 Dolmetschtätigkeit für im Zielland ansässige Anderssprachige - UK 08.1 Unterschiede zur Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus • OK 09 Dolmetschhonorar • OK 10 Positiva des Berufsbilds 146 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="147"?> 13 Diese Kategorie wurde nach dem gleichnamigen Lehrgang am Postgraduate Center der Universität Wien (vgl. ZK 2017) benannt, bei dem der Fokus auf neue Medien und technikbasierte Systeme für das Dolmetschen (unter anderem im Gesundheitswesen) gelegt wird. • OK 11 Negativa des Berufsbilds - UK 11.1 Negative Aspekte des Medizintourismus • OK 12 Nur Dolmetschtätigkeit im Leistungspaket • OK 13 Translatorisches Leistungspaket • OK 14 Erweitertes translatorisches Leistungspaket • OK 15 Besondere Erwartungen im Medizintourismus • OK 16 Anforderungen und Kompetenzen - UK 16.1 Translatorische Kompetenz - UK 16.2 Sprach- und Kulturkompetenz - UK 16.3 Sachkompetenz - UK 16.4 Terminologische Kompetenz - UK 16.5 Sozial- und Individualkompetenz - UK 16.6 Institutionelle Kompetenz - UK 16.7 Ethische Kompetenz - UK 16.8 Businesskompetenz • OK 17 Weiterbildung • OK 18 Studium/ Beruf • OK 19 Attraktivität des Medizintourismus • OK 20 Dilemmata • OK 21 Verhältnis DolmetscherIn/ medizinisches Personal • OK 22 Dolmetschen mit neuen Medien 13 In Anhang 1 und 2 finden sich jeweils ein Auszug aus der Datei zur Bildung der deduktiven sowie induktiven Kategorien nach Mayring (2010). Für die Co‐ dierung wurde die Software MAXQDA 2018 verwendet. Nach Fertigstellung der Codierung wurden alle Codings in Excel exportiert. Die Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews werden anhand der gebildeten Kategorien deskriptiv in Kapitel 6 dargestellt. 4.3 Phase 3 - Online-Erhebung Basierend auf den Erkenntnissen der vorangehenden Forschungsphasen wurde ein Fragebogen für eine explorative Online-Erhebung konzipiert. Ziel der Erhe‐ bung war die Gewinnung weiterer Erkenntnisse zur Forschungsfrage betreffend 147 4.3 Phase 3 - Online-Erhebung <?page no="148"?> die Ist-Situation des Dolmetschens im Medizintourismus in Deutschland und Österreich sowie die generelle Bereitschaft seitens ausgebildeter Dolmetsche‐ rInnen, im Medizintourismus zu dolmetschen. Darüber hinaus wurde eine Online-Erhebung durchgeführt, um die in den vorherigen Forschungsphasen gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen zu überprüfen und zu ergänzen. In einem ersten Planungsschritt sollte eine geeignete Stichprobenziehung definiert werden. Die ursprüngliche Überlegung war, die gewünschte Stich‐ probe - ausgebildete DolmetscherInnen - durch eine gezielte Kontaktaufnahme mit Mitgliedern der größten Berufsverbände Österreichs und Deutschlands (UNIVERSITAS Austria und BDÜ) zu erreichen. Allerdings wurde in der vorangehenden Forschungsphase festgestellt, dass nicht alle Interviewpart‐ nerinnen über eine solche Mitgliedschaft verfügten. Es konnte daher nicht davon ausgegangen werden, dass im Medizintourismus tätige ausgebildete DolmetscherInnen automatisch Mitglieder eines Berufsverbands sind. Eine weitere Herausforderung war die Tatsache, dass zu den Verbandsmitgliedern auch TranslatorInnen gehören, die in anderen Ländern als Deutschland oder Österreich wohnhaft und tätig sind und daher für eine repräsentative Stich‐ probenziehung ungeeignet schienen. Eine weitere Einschränkung für eine gezielte Kontaktaufnahme zur Realisierung einer geschlossenen Befragung stellte die am 25.05.2018 in Kraft getretene neue Datenschutz-Grundverordnung (vgl. DSGVO) dar, die den Zugang zu persönlichen Daten und deren Verwal‐ tung deutlich erschwerte. Auf Basis dieser Vorüberlegungen wurde letztlich beschlossen, eine Online-Erhebung mit offenem Zugang vorzunehmen (vgl. u. a. Bortz/ Döring 2006: 260ff., Atteslander 2010: 166, Zwischenberger 2013). Bei derartigen Online-Erhebungen gelangen die ProbandInnen durch Anklicken eines Links zur Befragung. Dabei wird üblicherweise eine Ad-hoc-Stichprobe (vgl. Bortz/ Döring 2006: 260f.) durchgeführt. Durch den Schneeballeffekt kann die Befragung zwar verbreitet werden, jedoch können Onlinebefragungen mit Schneeballeffekt (vgl. Hale/ Napier 2013: 71ff.) nicht zu den probabilistischen Stichprobenerhebungen gezählt werden: Das macht Rückschlüsse auf die Rück‐ laufquote oder die statistische Aussagekraft (Relevanz, Schwankungen usw.) unmöglich, da die Gesamtpopulation unbekannt ist. Ein weiterer Nachteil von Online-Erhebungen ist, dass jene Menschen ausgeschlossen werden, die weder techniknoch internetaffin sind und daher keinen Zugang zum veröf‐ fentlichten Link haben (vgl. Bortz/ Döring 2006: 261). Auch DolmetscherInnen, die keinen Berufsverbänden angehören und nicht in jenen Dolmetschforen aktiv sind, in denen der Link gepostet wird, werden mit einer derartigen Ver‐ breitungsmethode schwer erreicht. Um eine große Anzahl an ProbandInnen zu 148 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="149"?> 14 In diesem Fall wurde LimeSurvey so konfiguriert, dass das Ausfüllen der Erhebung pro IP-Adresse jeweils nur einmal gestattet war. bekommen, wurde der Link sowohl in den internen Foren der österreichischen und deutschen Berufsverbände als auch in externen, von DolmetscherInnen häufig besuchten Foren und sozialen Netzwerken wie Facebook oder LinkedIn veröffentlicht. Zusätzlich wurde der Link zur Befragung per E-Mail an weitere DolmetscherInnen aus dem Netzwerk der Autorin versendet. Neun Monate vor dem Start der Online-Erhebung wurde ein Artikel im Mitteilungsblatt von UNIVERSITAS (vgl. Iacono 2018a) veröffentlicht, um die Resonanz zu steigern; dadurch sollten DolmetscherInnen auf die bevorstehende Befragung aufmerksam gemacht werden. In der dolmetschwissenschaftlichen Literatur zu dieser Forschungsmethode (vgl. u. a. Hale/ Napier 2013, Zwischenberger 2013) wird auf die Gefahr hinge‐ wiesen, dass bei Online-Erhebungen mit offenem Zugang Mehrfachteilnahmen nicht ausgeschlossen werden können. Trotzdem kann davon ausgegangen werden, dass diese Situation nicht besonders häufig eintritt, da das Ausfüllen eines Fragebogens mit einem gewissen Aufwand verbunden ist (vgl. Hale/ Na‐ pier 2013: 51ff.). 14 Online-Erhebungen unterscheiden sich je nach verwendetem Medium. Sie können sowohl mittels elektronisch versendeter Textdateien als auch mit Internetformularen, die online bearbeitet werden können, durchgeführt werden (vgl. Zwischenberger 2013). Für die vorliegende Studie wurde letztere Option gewählt, da per E-Mail versendete Textdateien bei den ProbandInnen Skepsis betreffend die Wahrung ihrer Anonymität hätten hervorrufen können und zumindest eine rechtliche Grauzone darstellten (vgl. § 107 Abs. 2 TKG 2003). Als Tool für die Erstellung der Online-Erhebung wurde LimeSurvey (3.8) gewählt, eine beliebte und kostenlose Open-Source-Software, deren Nutzung keine spezifischen Informatikkenntnisse voraussetzt (vgl. Zwischenberger 2013). Li‐ meSurvey wird an vielen Universitäten - u. a. am Zentrum für Translationswis‐ senschaft der Universität Wien - zur Durchführung von Online-Erhebungen genutzt. Darüber hinaus wurde LimeSurvey der Autorin auch im Rahmen eines Proseminars am Institut für Pflegewissenschaft zur Durchführung von Onlinebefragungen empfohlen. Durch die Tatsache, dass LimeSurvey auf dem Server des Zentrums für Translationswissenschaft der Universität Wien geh‐ ostet wurde, waren Datenschutz und Datensicherheit gegeben. Die Konzeption der Items wurde sowohl theorieals auch forschungsgeleitet durchgeführt: Erkenntnisse aus der medizintouristischen und dolmetschwissen‐ schaftlichen Literatur, aber auch aus den vorhergehenden Forschungsphasen 149 4.3 Phase 3 - Online-Erhebung <?page no="150"?> wurden für die Formulierung von Fragen und Mehrfachantworten berücksich‐ tigt, so orientierte sich der Aufbau der Items am Aufbau der Fragen der Exper‐ tinneninterviews. Für die Konstruktion der Items wurden Fakten-, Meinungs- und soziodemografische Fragen gewählt (vgl. Raab-Steiner/ Benesch 2012: 46ff.). Diese wurden zumeist als geschlossene Fragen formuliert, die auf Dichotomien, Skalen oder Mehrfachantworten basieren. Offene Fragen wurden so weit wie möglich vermieden, da sie die Motivation der ProbandInnen, den Fragebogen auszufüllen, reduzieren (vgl. Raab-Steiner/ Benesch 2012: 50). Auf zu starke Di‐ chotomien in Form von „Ja/ Nein“ wurde bei Bewertungsfragen verzichtet (vgl. Raab-Steiner/ Benesch 2012: 55), damit die ProbandInnen zu keinen forced choices gezwungen werden. Für die Formulierung von Mehrfachantworten wurde auf die Erkenntnisse aus den vorherigen Forschungsphasen zurückgegriffen, wobei auch immer eine offene Antwortmöglichkeit vorgesehen war („Anderes“), für den Fall, dass die ProbandInnen keine der angebotenen Antworten für zutref‐ fend hielten. Bei Skalenfragen wurden nur die beiden Pole verbal bezeichnet, und es wurde immer eine gerade Zahl für die Abstufungen gewählt, um eine „Tendenz zur Mitte“ unter den ProbandInnen zu vermeiden (vgl. Raab-Steiner/ Benesch 2012: 57). Auf Kontrollfragen wurde verzichtet, da ihre Verwendung in der Fachliteratur umstritten ist, denn diese können sich negativ auf die Motivation der ProbandInnen auswirken. Der offene Link zur Online-Erhebung wurde von einem Einleitungstext begleitet (vgl. Raab-Steiner/ Benesch 2012: 57), in dem die Befragung und ihr Ziel kurz präsentiert und auf die Gewährleistung der Anonymität hingewiesen wurde. In einem nächsten Schritt wurden die ProbandInnen gebeten, demo‐ grafische und allgemeine Daten (Fragen A01 bis A06) anzugeben: Mit diesen Fragen wurden die soziodemografischen Daten, die ausschließlich den Wohnort der DolmetscherInnen, ihr Geschlecht, ihr Alter, die Qualifikation (Studium und/ oder Mitgliedschaft in einem Berufsverband) und die Dolmetschsettings, in denen in der Regel gedolmetscht wird, eruiert. Danach folgte die Einstiegsfrage (F01) - „Dolmetschen Sie für PatientInnen, die aus dem Ausland nach Österreich oder Deutschland NUR wegen der medizinischen Behandlung anreisen? “ -, die die Online-Erhebung in zwei separate Zweige (siehe Tab. 14) teilt. 150 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="151"?> Code Zweig 1 Code Zweig 2 A01-A06 Demografische und allgemeine Daten F01 Einstiegsfrage B101-B108 Beschreibung der Dolmetschtätigkeit B201-B204 Beschreibung der Dolmetschtätigkeit C101-C105 PatientInnen C201-C206 Medizintourismus D101-D105 Dolmetschmodus und Angebot E101-E104 Herausforde‐ rungen und Kom‐ petenzen F101-F103 Allgemeine Einstel‐ lungen zum Dol‐ metschen im Medi‐ zintourismus Z01 Abschlussfrage Tab. 14: Struktur der Online-Erhebung für Zweig 1 und 2 Zweig 1 wurde für jene DolmetscherInnen konzipiert, die bereits im Medizin‐ tourismus tätig waren und die erste Frage mit „Ja“ beantworteten. Zweig 2 wurde hingegen für jene DolmetscherInnen konzipiert, die (noch) nicht im Medizintourismus dolmetschten und die erste Frage mit „Nein“ beantworteten. Der Fragebogen für Zweig 1 enthielt fünf Fragebereiche: • Der Fragebereich Beschreibung der Dolmetschtätigkeit im Medizintou‐ rismus (B101 bis B108) erhebt die von den ProbandInnen ausgeübte Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus und dient dazu, Erfahrung, Häufigkeit der Dolmetscheinsätze, Sprachen, medizinische Bereiche, Auf‐ tragsabwicklung, Setting und Dolmetschvorbereitung zu beschreiben. • Der Fragebereich PatientInnen (Fragen C101 bis C105) soll ein Bild der PatientInnen, für die gedolmetscht wird (Herkunftsländer, finanzielle Lage), zeichnen und mögliche Unterschiede zwischen dem Dolmetschen im Medizintourismus und dem Dolmetschen für Anderssprachige, die in Deutschland und Österreich ansässig sind, aufzeigen. • Der Fragebereich Dolmetschmodus und Angebot (Fragen D101 bis 105) beleuchtet das Angebot der DolmetscherInnen im Medizintourismus, das aus translatorischen und außertranslatorischen Leistungen bestehen kann, sowie die daraus erzielten Honorare. 151 4.3 Phase 3 - Online-Erhebung <?page no="152"?> • Der Fragebereich Herausforderungen und Kompetenzen (Fragen E101 bis 104) widmet sich den Herausforderungen und Kompetenzanforderungen für DolmetscherInnen im Medizintourismus. • Der Fragebereich Allgemeine Einstellung zum Dolmetschen im Medizin‐ tourismus (Fragen F101 bis F103) erfasst die allgemeine Einstellung der ProbandInnen zum Dolmetschen im Medizintourismus. Zweig 2 ist deutlich kürzer und besteht lediglich aus zwei Fragebereichen. Nach der Einstiegsfrage folgen diese Fragegruppen: • Der Fragebereich Beschreibung der Dolmetschtätigkeit (Fragen B201 bis 204) dient der Erhebung der allgemeinen Dolmetschtätigkeit der Proban‐ dInnen (Sprachen, Art von KundInnen, etwaige Tätigkeiten in medizini‐ schen Settings). • Der Fragebereich Medizintourismus (Fragen C201 bis C206) erfasst die potenzielle Bereitschaft und die Gründe, im Medizintourismus tätig zu werden, sowie die Leistungen, die DolmetscherInnen anbieten, und die Kompetenzen, die sie vertiefen würden. Für beide Erhebungen wurde eine Abschlussfrage (Z01) konzipiert, mit der den ProbandInnen die Möglichkeit eingeräumt wurde, der Befragung Kommentare oder weitere Anmerkungen hinzuzufügen. Nach dem ersten Entwurf der Online-Erhebung wurde diese um das Feed‐ back zweier Expertinnen (Dolmetscherinnen) und eines Laien ergänzt. Des Weiteren wurde ein erster Pretest mit einer Dolmetscherin, die im Medizin‐ tourismus arbeitet, durchgeführt, um die für das Ausfüllen des Fragebogens benötigte Zeit zu messen und etwaige Schwächen hinsichtlich der BenutzerIn‐ nenfreundlichkeit aufzudecken. Anschließend wurde der Fragebogen durch eine Augenscheinvalidierung seitens einer Expertin für quantitative Umfragen vom Institut für Pflegewissenschaft validiert und angepasst. Danach erfolgte eine weitere Überprüfung durch eine Dolmetschkollegin, um die Konsistenz der Items und den sprachlichen Ausdruck zu überarbeiten, und schließlich wurde das Online-Layout der Befragung in LimeSurvey gestaltet. Design und Benutzerfreundlichkeit der Online-Erhebung wurden in weiteren Pretests stetig optimiert: Am ersten Online-Pretest nahmen fünf Personen teil; der zweite Online-Pretest wurde mit zwei Personen durchgeführt; am dritten und letzten Pretest waren drei Personen beteiligt. Nach dieser Testphase wurde die Erhebung online veröffentlicht und mittels Schneeballeffekt verbreitet. Die Online-Erhebung erfolgte zwischen 18.09.2018 und 18.10.2018. 152 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="153"?> 15 Dies ist auch in Abb. 5 ersichtlich. Hier ist Phase 1 lediglich mit Phase 2 verbunden: Aus Phase 1 entspringt nämlich keiner der Pfeile, die die Forschungsphasen direkt mit den Forschungsfragen verbinden. 4.4 Gütekriterien der Studie Durch den Einsatz komplementärer Forschungsmethoden wurden subjektive Eindrücke, die während der teilnehmenden Beobachtung entstanden, um ex‐ terne Perspektiven ergänzt: Die Interviews mit den beobachteten Gesprächspro‐ tagonistInnen, die Expertinneninterviews mit den Dolmetscherinnen und die Online-Erhebung verliehen somit der vorliegenden Studie zusätzliche Objekti‐ vität. Zur Sicherstellung der Objektivität bei der Beobachtung (Phase 1), in der die Dolmetscherin/ Autorin persönlich involviert war, wurden ausschließlich an‐ gefragte und von der Dolmetscherin/ Autorin tatsächlich erbrachte Leistungen für die Beobachtung herangezogen und keine weiteren Aspekte analysiert, die bei der Datenanalyse eine subjektive Interpretation hätten auslösen können. Darüber hinaus wurden die Erkenntnisse aus Phase 1 lediglich als Grundlage für die darauffolgenden Phasen genutzt und nicht für Schlussfolgerungen herangezogen, um etwaige Forschungsfragen der Arbeit zu beantworten. 15 Während der gesamten Forschungszeit wurde die Erfüllung der klassischen Gütekriterien der Reliabilität und Validität angestrebt. Während sich die Reliabilität mit der „Genauigkeit, der Exaktheit des Vorgehens“ (Mayring 2002: 141) befasst, bezieht sich die Validität auf die Eignung der gewählten Forschungsmethode. Für die ethnografischen Interviews (Phase 1) und die Expertinneninterviews (Phase 2) wurde die Reliabilität durch die Bildung von deduktiven und induktiven Kategorien gewährleistet, die der Analyse Struktur verleihen. Das war insbesondere für die gesamte Phase 1 zur Sicherstellung von Reliabilität und Validität unabdingbar, weil die Dolmetscherin/ Autorin während der untersuchten Interkationen als teilnehmende Beobachterin und Dolmetscherin handelte, was die Gefahr einer starken Subjektivierung der Dateninterpretation mit sich bringen kann. Durch die Bildung von Kategorien vor der Beobachtung konnte verhindert werden, dass subjektive Aspekte in die Interpretation der Daten miteinbezogen werden. Die deduktiven und induktiven Kategorien wurden anschließend ebenso für die Online-Erhebung von Phase 3 verwendet. Um das Gütekriterium der Validität zu erfüllen, wurde die bisher geleistete Forschung im Bereich Dolmetschen in der Medizin und im Medizin‐ tourismus herangezogen. In der Dolmetschwissenschaft stellen Interviews mit den NutzerInnen - in diesem Fall mit PatientInnen und ÄrztInnen (Phase 1) - eine gängige Methode zur Untersuchung der Erwartungen und Anforderungen an die DolmetscherInnen dar. Darüber hinaus wurden bei der Konstruktion der 153 4.4 Gütekriterien der Studie <?page no="154"?> Leitfäden Interviewfragen berücksichtigt, die in früheren Forschungsarbeiten (vgl. u. a. Pöchhacker 2000a) zum Einsatz gekommen waren. Zur Untersuchung der Erwartungen und Anforderungen aus Sicht der direkt betroffenen Personen erschienen wiederum ExpertInneninterviews (Phase 2) als valide Methode. Dabei ermöglichten offene Fragen eine erste Abbildung der Ist-Situation des Dolmetschens im Medizintourismus. Die Berichte der Interviewpartnerinnen über Settings, Fachbereiche, Situationskontexte und Beteiligte ermöglichten eine Annäherung an den untersuchten Forschungsgegenstand. Die Online-Er‐ hebung (Phase 3) erfasste weitere Erwartungen und Anforderungen an die DolmetscherInnen sowie die generelle Bereitschaft, im Medizintourismus zu dolmetschen. Die Online-Erhebung konnte durch ein Forschungsdesign, das sich auf den Einsatz komplementärer Forschungsmethoden (Feldforschung, Expertinneninterviews und Online-Erhebung) stützt, validiert werden. Darüber hinaus erfolgten vor der tatsächlichen Online-Erhebung eine Augenscheinvali‐ dierung durch eine Expertin und der Einsatz mehrerer Pretests. Die klassischen Kriterien der Reliabilität und Validität wurden um die Be‐ rücksichtigung weiterer Kriterien wie jene der Verfahrensdokumentation (vgl. Anhänge), der argumentativen Interpretationsabsicherung, der Regelgeleitetheit, der Nähe zum Gegenstand und der kommunikativen Validierung ergänzt (vgl. Mayring 2002: 144ff.), um die Aussagekraft der vorliegenden Forschungsarbeit zu verstärken. Alle Verfahrensschritte - von der Auswahl der Interviewpartne‐ rInnen über die Bildung des Kategoriensystems (induktiv und deduktiv) bis hin zur Inhaltsanalyse und Online-Erhebung - wurden stets dokumentiert. Auch die Interpretation basiert ausschließlich auf den Daten, die in den drei Forschungsphasen erhoben wurden, und dem gebildeten Kategoriensystem. Ergänzungen um Erkenntnisse aus der Fachliteratur wurden explizit und nachvollziehbar dargestellt. Auf die Einhaltung der für die Umsetzung der Forschung festgelegten Regeln wurde stets geachtet; etwaige Anpassungen wurden dokumentiert (etwa der Ausschluss eines Interviews aus der Analyse, da die festgesetzten Kriterien von der Interviewpartnerin nicht erfüllt worden waren). Die Nähe zum Gegenstand konnte durch den persönlichen Zugang der Autorin zum Feld als Dolmetscherin und zu den InterviewpartnerInnen als Dolmetschkollegin gewährleistet werden. Kommunikative Validierung war schließlich durch den ständigen Austausch mit den Kolleginnen aus den For‐ schungsseminaren und der Betreuerin gegeben. 154 4 Forschungsdesign der Studie <?page no="155"?> 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung Abb. 6: Ethnografische Feldforschung im Forschungsdesign Das vorliegende Kapitel ist der Darstellung der aus der ethnografischen Feldfor‐ schung (Forschungsphase 1) gewonnenen Erkenntnisse gewidmet. Auf Basis der teilnehmenden verdeckten Beobachtung werden in den ersten drei Unterkapi‐ teln die Art der medizinischen Reise (Unterkapitel 5.1), die Vermittlungsart des medizinischen Angebots (Unterkapitel 5.2) und die beobachteten Erwartungen der PatientInnen sowie der VertreterInnen der medizinischen Institutionen an die Leistungen und Aufgaben der DolmetscherInnen (Unterkapitel 5.3) untersucht. Die Unterkapitel 5.4, 5.5 und 5.6 basieren wiederum auf den Inter‐ views mit den GesprächsprotagonistInnen. Unterkapitel 5.4 befasst sich mit den Rahmenbedingungen der medizinischen Reisen, wobei in den Interviews mit den PatientInnen und ÄrztInnen folgende Aspekte besprochen wurden: die Erfahrung der InterviewpartnerInnen im Umgang mit DolmetscherInnen, ihre Zufriedenheit mit der Dolmetschdienstleistung, die bevorzugte Verstän‐ digungsart, etwaige kulturspezifische Verhaltensweisen, das (Fach-)Sprachver‐ halten der ÄrztInnen, allfällige Kommunikationsprobleme, die angewendeten Kriterien für die DolmetscherInnenauswahl und die Unterschiede zwischen der Leistung von ausgebildeten DolmetscherInnen und Laiendolmetschenden. Un‐ terkapitel 5.5 und Unterkapitel 5.6 setzen sich mit den im Rahmen der Interviews <?page no="156"?> besprochenen Erwartungen und Anforderungen auseinander. In den jeweiligen Einleitungen zu den folgenden Unterkapiteln werden die behandelten Aspekte in Form von Kategorienbäumen dargestellt. In diesen Kategorienbäumen finden sich jene Ober- und Unterkategorien, die nach Mayring (2010) gebildet und zur Inhaltsanalyse verwendet wurden (siehe dazu Kapitel 4). 5.1 Beobachtung: Art der medizinischen Reise Die während des Beobachtungszeitraums erfolgten Reisen weisen einige Unter‐ schiede hinsichtlich der Länge und des Behandlungsaufwandes auf. Für die PatientInnen von Arzt 1 folgten alle medizinischen Reisen demselben Muster: Sie dauerten mindestens drei Tage (die Anreisen oder Abreisen konnten auch früher oder später erfolgen), wobei am ersten Tag die Untersuchung sowie die Operationsfreigabe, am zweiten Tag der ambulante Eingriff und am dritten Tag die Kontrolle erfolgten. Dieses Ablaufmuster ist in Tab. 15 dargestellt. Arzt 1 (Privatarzt) Tage Dolmetschvermittelte Kommunikation wäh‐ rend … Medizinische Reise Typ 1 Tag 1 … der ärztlichen Beratung vor dem Eingriff durch Arzt 1 … der Operationsfreigabe durch den Internisten (und bei Untersuchungen) Tag 2 … des operativen ambulanten Eingriffs durch Arzt 1 (Privatklinik) Tag 3 … des Nachgesprächs und der Kontrolle durch Arzt 1 Tab. 15: Dolmetschvermittelte Kommunikation der PatientInnen von Arzt 1 Die Reisen der PatientInnen von Arzt 2 wurden in drei verschiedene Kategorien unterteilt, je nachdem, ob nur eine Untersuchung (Typ 1), eine Untersuchung einschließlich bildgebender Diagnostik (Typ 2) oder ein chirurgischer Eingriff (Typ 3) erfolgte (siehe Tab. 16). 156 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="157"?> Arzt 2 (Wahl- und Privatarzt) Tage Dolmetschvermittelte Kommunikation wäh‐ rend … Medizinische Reise Typ 1 Tag 1 … der ärztlichen Untersuchung bzw. ambulanten Behandlung in der Arztpraxis (im privaten Kran‐ kenhaus) Medizinische Reise Typ 2 Tag 1 … der ärztlichen Untersuchung bzw. ambulanten Behandlung in der Arztpraxis (im privaten Kran‐ kenhaus) und der bildgebenden Diagnostik und Beratung mit Radiologen (im Labor) Medizinische Reise Typ 3 Tag 1 … der Aufnahme ins private Krankenhaus und Anamnese/ Untersuchungen … des operativen stationären Eingriffs durch Arzt 2 (privates Krankenhaus) Tag 2 oder 3 … der Kontrolluntersuchung durch Arzt 2 in der Arztpraxis (im privaten Krankenhaus) Tag 3 oder 4 … etwaiger weiterer Kontrollen durch Arzt 2 sowie Telefondolmetschen von Kommunikation mit Arzt 2 oder mit dem Krankenhauspersonal Tab. 16: Dolmetschvermittelte Kommunikation der PatientInnen von Arzt 2 Im Rahmen der durchgeführten Feldforschung wurden zwei verschiedene Arten von Vermittlung des medizintouristischen Angebots beobachtet. In beiden Fällen war keine externe Vermittlungsinstanz (weder PatientInnenvermittler‐ Innen noch Übersetzungs- oder Dolmetschbüro) involviert. Das Team von Arzt 1 bot eine für die PatientInnenbedürfnisse maßgeschneiderte Vermittlung der gesamten Reise an. Hierbei handelte es sich um ein Paket, das aus verschie‐ denen Dienstleistungen bestand: Neben den medizinischen wurden touristische Dienstleistungen wie Organisation von Unterkunft und Transfer sowie trans‐ latorische Dienstleistungen wie Dolmetsch- und Übersetzungsservice erbracht. Die PatientInnen nahmen Kontakt mit Arzt 1 durch eine für den Erstkontakt zuständige Mitarbeiterin im Herkunftsland auf, während das Paket durch eine Mitarbeiterin aus dem Praxismanagement im Zielland organisiert wurde. Im Gegensatz dazu nahmen die PatientInnen von Arzt 2 nur die medizinische Dienstleistung in Anspruch und organisierten ihre Reise eigenständig. Der Erstkontakt mit Arzt 2 erfolgte entweder auf Eigeninitiative oder mithilfe der Dolmetscherin/ Autorin, die beauftragt wurde, einen Untersuchungstermin zu vereinbaren und während der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation zu dolmetschen. 157 5.1 Beobachtung: Art der medizinischen Reise <?page no="158"?> Tab. 17 zeigt die angebotenen Dienstleistungen vonseiten der Ärzte und der Dolmetscherin/ Autorin in allen Phasen der Servicekette. DIENSTLEISTUNGEN ARZT 1 Zentrale Vermittlung mit Paket ARZT 2 Keine zentrale Vermitt‐ lung Vorher Erstkontakt und Organisa‐ tion Personal im Herkunfts‐ land nimmt Kontakt mit PatientIn auf, ver‐ waltet die Vermittlung der Reise inkl. der Dolmet‐ scherin/ Autorin. Personal im Zielland or‐ ganisiert die Details der medizinischen Reise. PatientIn nimmt Kon‐ takt mit der Dolmet‐ scherin/ Autorin auf und bittet Sie um Kontaktauf‐ nahme mit Arzt 2. PatientIn nimmt Kontakt mit Arzt 2 auf; dieser emp‐ fiehlt ihr/ ihm, die Dolmet‐ scherin/ Autorin zu beauf‐ tragen. Vor Ort Dienstleis‐ tungen des Arztes: ärztliche Leistungen Termine, Voruntersu‐ chungen, Vorgespräch, tatsächliche medizinische (ambulante) Behandlung, Nachuntersuchung etc. Termine, Voruntersu‐ chungen, Vorgespräch, tat‐ sächliche medizinische (ambulante und statio‐ näre) Behandlung, Nach‐ untersuchung etc. Dienstleis‐ tungen des Arztes: weitere Leis‐ tungen Reise, Hotel, Transfer, Transport etc. Beglaubigte Übersetzung der Diagnose ins Deut‐ sche, Erstellung des Be‐ handlungsvertrags, der Reverse und des Ent‐ lassungsbriefs auf Italie‐ nisch, Bereitstellung von Übersetzungs- und Dol‐ metschservices etc. Keine Dienstleis‐ tungen der Dolmet‐ scherin/ Autorin: trans‐ latorische Leis‐ tungen Im Paket des Arztes inklu‐ diert: Dolmetschen während des Vorgesprächs, der OP-Freigabe, der Ana‐ mnese, der ambulanten Behandlung, der Nachun‐ tersuchung etc. Dolmetschen während der Untersuchung, der OP-Freigabe, der ambu‐ lanten Behandlung, der Nachuntersuchung, wäh‐ rend der Aufnahme und Anamnese im Kranken‐ haus, Vom-Blatt-Dolmet‐ schen des Speiseplans und anderer PatientInne‐ ninformationen, Telefon‐ dolmetschen des Visiten‐ gesprächs etc. 158 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="159"?> Dienstleis‐ tungen der Dolmet‐ scherin/ Autorin: außer‐ translatorische Leistungen Im Paket des Arztes inklu‐ diert: Begleitung in die Klinik und Betreuung/ Stand-by während des Tages und der Aufnahme; Hilfe bei Notfällen und diversen Problemen, Anfragen und Wünschen (touristi‐ sche Empfehlungen, Hin‐ weis auf ReiseleiterIn etc.); bei Verhinderung Vermittlung einer Kol‐ legin für die Teiluntersu‐ chungen etc. Begleitung in die Klinik und Betreuung/ Stand-by während des Tages und der Aufnahme; Hilfe bei Notfällen, und bei di‐ versen Problemen, An‐ fragen und Wünschen (Organisation von Trans‐ port und Hotel, touristi‐ sche Empfehlungen, Hin‐ weis auf ReiseleiterIn etc.); bei Verhinderung Vermitt‐ lung einer Kollegin für die Teiluntersuchungen, Koordinierung der Ter‐ mine, Kontakt mit der administrativen Abteilung des Krankenhauses etc. Dienstleis‐ tungen des Kranken‐ hauses bei stationärer Behandlung Keine stationäre Behand‐ lung Konsil, Untersuchungen vor der OP, Aufnahme, Kostenvoranschlag mit oder ohne S2, PatientIn‐ nenbrief, Entlassungsbrief, Rechnung etc. Nachher Nachbe‐ treuung Nachbetreuung durch das Personal im Herkunfts‐ land: Korrespondenz, Follow-up, Nachsendung von Medikamenten, Re‐ servierung weiterer Ter‐ mine, Rechnungen, Mah‐ nungen, Videoaufnahmen etc. Nachbetreuung in den meisten Fällen durch die Dolmetscherin/ Au‐ torin: Korrespondenz, Follow-up, Klärung von Fragen und Zweifeln, Re‐ servierung weiterer Ter‐ mine, Rechnungen, Mah‐ nungen etc. Tab. 17: Dienstleistungen entlang der Servicekette 5.2 Beobachtung: Erwartete und in Anspruch genommene Leistungen Entlang der Phasen der Servicekette wurden einige Unterschiede zwischen angefragten und nicht angefragten, aber tatsächlich in Anspruch genommenen Leistungen der Dolmetscherin/ Autorin beobachtet. Nachstehend werden alle Leistungen und Aufgaben der Dolmetscherin/ Autorin vor, während und nach der medizinischen Reise erläutert. 159 5.2 Beobachtung: Erwartete und in Anspruch genommene Leistungen <?page no="160"?> 1 Im Laufe der Interviews von Phase 1 stellte sich heraus, dass das Team von Arzt 1 für manche Sprachen mit einer Dolmetschagentur zusammenarbeitete. Lediglich für Italienisch und einige andere Sprachen wurde direkt mit DolmetscherInnen kooperiert. 2 Hierbei handelt es sich um eine Reise, die nach dem Beobachtungszeitraum erfolgte. Das Videodolmetschen ersetzte in diesem Zusammenhang nicht das klassische Dolmet‐ schen vor Ort, sondern wurde als zusätzlicher Service angeboten, um die Machbarkeit der Behandlung im Voraus zu eruieren. 5.2.1 Vor der medizinischen Reise Die Beauftragung der Dolmetscherin/ Autorin, die als Voraussetzung der Leis‐ tungserbringung gilt, erfolgte für die PatientInnen von Arzt 1 durch sein eigenes Personal im Rahmen des angebotenen Gesamtpakets. Dieses stellte eine Art medizintouristischer Rundumbetreuung dar, die unter anderem die Unterbringung im Hotel, den Transfer sowie Dolmetsch- und Übersetzungs‐ dienstleistungen enthielt. Die im Paket des Arztes enthaltenen translatorischen Leistungen wurden durch die Einbeziehung ausgebildeter TranslatorInnen angeboten, die vom Arztpersonal direkt beauftragt und bezahlt wurden. 1 Die Dolmetscherin/ Autorin wurde vor der Behandlung kontaktiert, um ihre Verfüg‐ barkeit im Zeitraum der medizinischen Reise zu überprüfen. Nur in einem Fall hatte die Dolmetscherin/ Autorin bereits vor der Reise einer Patientin (Fall 24) gedolmetscht, da eine Videodolmetschung via Skype erforderlich gewesen war, um vor der Organisation der Reise einige Fragen zur Behandlung direkt mit dem Arzt zu klären. 2 Die PatientInnen von Arzt 2 bezogen von diesem kein Gesamtpaket, sondern nur die medizinische Dienstleistung. Um diese in Anspruch nehmen zu können, beauftragten die PatientInnen selbst die Dolmetscherin/ Autorin, die entweder durch Mundpropaganda (mündlich oder schriftlich, in Foren und Websiten) oder durch den Arzt oder seine Sekretärin weiterempfohlen worden war. Einige der PatientInnen waren nicht in der Lage, den Untersuchungstermin selbst‐ ständig auf Englisch zu reservieren und etwaige Vorfragen zu stellen; in diesen Fällen waren die PatientInnen bereits vor der Behandlung auf die Hilfe der Dolmetscherin/ Autorin angewiesen. In allen anderen Fällen wurde die Dolmet‐ scherin/ Autorin nur beauftragt, um eine translatorische Unterstützung während der Untersuchung und/ oder Behandlung vor Ort zu erhalten. Zahlreiche Pati‐ entInnen benötigten letztendlich eine deutlich umfangreichere Unterstützung durch die Dolmetscherin/ Autorin für die Organisation der medizinischen Reise als ursprünglich erwartet. Die Leistungen der Dolmetscherin/ Autorin reichten von touristischen Empfehlungen, der Buchung von Übernachtungs- und Anrei‐ semöglichkeiten und Taxitransfers bis zur Koordination und Reservierung der Untersuchungstermine. 160 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="161"?> 3 Bei Vorliegen eines gültigen E112(S2)-Formulars kann das Krankenhaus in Österreich einen Teil der Kosten (in der Regel die Kosten für die Unterbringung) über den Auslands‐ fonds der Gebietskrankenkasse abrechnen, die ihrerseits die Kosten der ausländischen Sozialversicherung weiter verrechnet. Weitere Kostenstellen (z. B. betreffend Labor, Anästhesie und OP-Honorar) sind in der Regel von den PatientInnen privat zu tragen (Aufzahlung für die WahlärztInnenbehandlung). Das Projektbzw. Auftragsmanagement in den Fällen von Arzt 2 war komplexer und zeitaufwendiger, da die PatientInnen ihre organisatorischen Fragen zunächst immer an die Dolmetscherin/ Autorin richteten, die diese dann an den Arzt und sein Personal weiterleitete. Zur Gewährleistung eines effizi‐ enten Auftragsmanagements wurden unter anderem Mustervorlagen erstellt, welche die Vermittlung von Informationen (Erreichbarkeit der medizinischen Institution, Preise der angefragten Behandlungen u. a.) erleichterten. Auch im Fall von operativen Eingriffen durch Arzt 2 entstand ein Mehraufwand für die Dolmetscherin/ Autorin, da die PatientInnen während des Beratungs- und Aufklärungsgesprächs wichtige Fragen betreffend Risiken der Behandlung sowie Rückerstattung der Kosten durch die Patientenmobilitätsrichtlinie zu stellen vergessen hatten. Erst im Nachhinein wandten sich diese PatientInnen an die Dolmetscherin/ Autorin, um die Fragen an den Arzt weiterzuleiten. Für die Inanspruchnahme der Kostenerstattung gemäß Patientenmobilitätsrichtlinie musste die Buchhaltungsabteilung des Krankenhauses gesondert kontaktiert werden, um einen entsprechenden Kostenvoranschlag anzufragen. 3 Teilweise war es für die Dolmetscherin/ Autorin notwendig, die zuständigen Ansprech‐ personen der Einrichtungen in Eigeninitiative ausfindig zu machen und zu kontaktieren. Dies ging über die klassische Recherchetätigkeit für Dolmetsch- und Übersetzungsaufträge hinaus und setzte ein proaktives Verhalten sowie hohe Organisationsfähigkeiten voraus. In diesen Kostenvoranschlägen waren die vorläufig berechneten Kosten für den geplanten medizinischen Eingriff aufgeführt. Die tabellarische Auflistung der Kosten bestand aus einer Mischung aus Zahlen und Bezeichnungen sowie medizinischen Abkürzungen, die in vielen Fällen nicht selbsterklärend waren. Die Kostenvoranschläge wurden meistens vom Blatt gedolmetscht, damit die PatientInnen den Inhalt verstehen konnten. In zwei Fällen musste der Kostenvoranschlag des Krankenhauses ins Italieni‐ sche übersetzt werden, um einen Antrag auf Rückerstattung der Kosten im Herkunftsland stellen zu können. In seltenen Fällen war es notwendig, weitere administrative Schritte zu setzen, wie etwa die italienische Botschaft in Wien zu kontaktieren. Letztere musste nämlich nach der Krankenhausentlassung einer/ eines PatientIn alle Rechnungen, die für den Krankenhausaufenthalt und den operativen Eingriff ausgestellt worden waren, abstempeln. Nur solcherart 161 5.2 Beobachtung: Erwartete und in Anspruch genommene Leistungen <?page no="162"?> 4 Nach dem Beobachtungszeitraum wurde z. B. für eine/ einen PatientIn gedolmetscht, die/ der sogar eine weitere Bescheinigung durch die italienische Botschaft in Wien vor dem operativen Eingriff im Ausland benötigte. In diesem Fall musste die Botschaft ein Zertifikat über die Rechtsform des für die beabsichtigte Behandlung gewählten Kran‐ kenhauses ausstellen, das von der italienischen Sozialversicherung benötigt wurde, um die Machbarkeit einer direkten Rückerstattung der Kosten zu eruieren. 5 Während der Durchführungszeit von Phase 1 und Phase 2 war die Datenschutz-Grund‐ verordnung der Europäischen Union noch nicht in Kraft getreten. Aus diesem Grund bestand noch kein Bedarf an einer gesonderten Einwilligung durch die PatientInnen zur Verarbeitung und Archivierung sensibler Daten. validierte Rechnungen werden für die Rückerstattung gemäß Patientenmobili‐ tätsrichtlinie vom italienischen Gesundheitswesen berücksichtigt. Insgesamt wurde beobachtet, dass die Inanspruchnahme der Begünstigungen aus der Patientenmobilitätsrichtlinie mit zahlreichen Hürden verbunden ist: Nur eine/ einer der zwei PatientInnen von Arzt 2, die sich im Beobachtungszeitraum einer chirurgischen Operation unterzogen, erhielt die Rückerstattung der Kosten durch das italienische Gesundheitssystem. 4 Die Vorbereitung auf die Dolmetschaufträge für die PatientInnen von Arzt 1 und von Arzt 2 gestaltete sich ähnlich. Im ersten Fall wurden die relevantesten medizinischen Informationen von Arzt 1 übermittelt, was die terminologische und fachliche Vorbereitung vereinfachte. Im zweiten Fall lagen bei Erstkontakt meist nur die Eckdaten der Untersuchung und der Name der Krankheit vor, wes‐ wegen die Betroffenen von der Dolmetscherin/ Autorin in Eigeninitiative über ihre Krankengeschichte und Symptomatik befragt wurden. Diese Daten wurden anschließend in einem PatientInnenordner auf dem Computer gespeichert, der alle relevanten Informationen aus dem E-Mail-Verkehr enthielt. 5 Zu jeder/ jedem PatientIn wurde eine Medikamentenliste mit Bezeichnung von Arzneimitteln, Wirkstoffen und Anwendungsgebiet erstellt. Somit konnten terminologische Überraschungen während der Dolmetschung minimiert werden. 5.2.2 Während der medizinischen Reise Bei allen medizinischen Reisen lag der Fokus für die Dolmetscherin/ Autorin auf der Erbringung translatorischer Leistungen. Um die verschiedenen Termine wahrnehmen und koordinieren zu können, griff die Dolmetscherin/ Autorin sowohl für die PatientInnen von Arzt 1 als auch für jene von Arzt 2 in manchen Fällen auf die Zusammenarbeit mit KollegInnen zurück. Dies war insbeson‐ dere dann nötig, wenn die Dolmetscherin/ Autorin bereits andere berufliche Verpflichtungen wahrzunehmen hatte. 162 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="163"?> 6 Die PatientInnen von Arzt 1 konnten solche PatientInnenbögen mithilfe der Mitarbei‐ terin im Herkunftsland verstehen und ausfüllen. Zu den translatorischen Leistungen gehörten das Dolmetschen während der Kommunikation mit dem jeweiligen Arzt und den VertreterInnen der medizinischen Institution, das Vom-Blatt-Dolmetschen von Anamnesebögen, Behandlungsverträgen, des Speiseplans bei Krankenhausaufenthalten und das Stand-by-Dolmetschen bei der Aufnahme ins Krankenhaus oder bei Untersu‐ chungen, bei denen auch Italienisch sprechende ÄrztInnen anwesend waren. Der Speiseplan als Textsorte wurde bei stationären Aufenthalten im privaten Krankenhaus beobachtet; dieser bestand aus vier Blättern, auf denen mehrere Speisen pro Mahlzeit und Tag zur Auswahl standen. Darüber hinaus sollte auf etwaige Allergien oder Unverträglichkeiten der PatientInnen hingewiesen werden. Der Speiseplan wurde immer im Rahmen der Aufnahme vom Blatt gedolmetscht. Im Angebotspaket von Arzt 1 waren bereits alle translatorischen Leistungen inkludiert. Einige translatorische Leistungen wie das Übersetzen der Diagnose, der Korrespondenz und weiterer medizinischer Unterlagen wurden jedoch nicht von der Dolmetscherin/ Autorin, sondern von anderen Translatorinnen, unter anderem von einer gerichtlich beeideten Übersetzerin für die italienische Sprache, erbracht. Für die PatientInnen von Arzt 2 fielen neben den oben erwähnten translatorischen Leistungen vor Ort das Übersetzen von Diagnosen, ÄrztInnenbriefen, PatientInnenbögen sowie das Telefondolmetschen während des Krankenhausaufenthaltes an, um die Kommunikation zwischen Patien‐ tInnen und Krankenhauspersonal, aber auch zwischen PatientInnen und dem behandelnden Arzt während der Visite zu ermöglichen. 6 Der Inhalt der translatorischen Leistungen war insbesondere während der präoperativen sowie der diagnostischen Untersuchung vorrangig von einer medizinischen Fachsprache geprägt. Die verdolmetschten Kommunikation dau‐ erte unterschiedlich lange und war durch zahlreiche Pausen zwischen den zu dolmetschenden Gesprächen während der gesamten medizinischen Reise ge‐ kennzeichnet. Die Fälle von Arzt 1 wiesen im Durchschnitt eine gedolmetschte Zeit von zehn Stunden und dreißig Minuten verteilt auf drei Tage auf. Für die PatientInnen von Arzt 2 variierte der translatorische Einsatz je nach Typ der medizinischen Reise: Bei Typ 1 (Untersuchung/ Behandlung) und Typ 2 (Untersuchung/ Behandlung sowie diagnostische Abklärung) wurde im Durch‐ schnitt eine Stunde und dreißig Minuten gedolmetscht, bei Typ 3 (chirurgischer Eingriff) wurden durchschnittlich ca. vier Stunden über einen Zeitraum von einem bis fünf Tage gedolmetscht; davon entfielen ca. dreißig Minuten auf das 163 5.2 Beobachtung: Erwartete und in Anspruch genommene Leistungen <?page no="164"?> Telefondolmetschen. In allen Szenarien gab es aufgrund externer Faktoren, wie z. B. Verspätungen des Arztes bei einer Operation, Wartezeiten. Der Gesamtzei‐ taufwand für die Dolmetscherin/ Autorin war in allen Fällen deutlich höher, als die reine Dolmetschdienstleistung vermuten lassen würde, da ihre Anwesenheit und Hilfe in unterschiedlichen Situationen erwartet wurden. Ein Beispiel war das oben erwähnte Stand-by-Dolmetschen am Tag der medizinischen Behand‐ lung. Die Dolmetscherin/ Autorin begleitete die PatientInnen ca. acht Stunden lang; die Netto-Dolmetschzeit betrug durchschnittlich nur eine Stunde. In dieser Stunde wurden neben den Interaktionen mit dem medizinischen Personal auch Gespräche zwischen PatientInnen sowie Begleitpersonen und anderen Personen verdolmetscht, die als Small Talk klassifiziert werden können. In der restlichen Zeit wurde in fast allen Fällen lediglich Konversation mit der Begleitperson der PatientInnen betrieben oder auf die/ den PatientIn gewartet. In diesem Zu‐ sammenhang soll die psychologische Komponente dieser beiläufigen Gespräche betont werden, da die Dolmetscherin/ Autorin mit dem persönlichen Leidensweg der PatientInnen konfrontiert und von ihnen als eine Art psychologischer Stütze betrachtet wurde. Für mehrtägige Aufenthalte im Krankenhaus (PatientInnen von Arzt 2, Typ 3) erwies sich das Telefondolmetschen als geeignetes Mittel, um die Kommunikation während Visiten oder bei unerwarteten Schwierigkeiten im Krankenhaus zu gewährleisten. Das Telefondolmetschen ermöglichte es, auf der einen Seite die Erwartungen der PatientInnen zu erfüllen und auf der anderen Seite die Rentabilität des Auftrags sowie die zeitliche Koordination aller Aufträge zu gewährleisten. Einige PatientInnen oder deren Begleitpersonen, die keine Rundumbetreuung gebucht hatten, wünschten sich von der Dolmetscherin/ Autorin außertranslato‐ rische Leistungen vor Ort. Dazu zählten touristische Angebote wie der Wunsch nach einer Reiseleitung oder Ausflugsempfehlungen. So hatten die PatientInnen von Arzt 1 vom vermittelnden Personal bereits vor dem Reiseantritt Hinweise auf touristische Attraktionen erhalten, während für die PatientInnen von Arzt 2 die Dolmetscherin/ Autorin die Hauptansprechperson für derartige Auskünfte darstellte. Im Rahmen der beobachteten Reisen der PatientInnen von Arzt 2 wurde die Dolmetscherin/ Autorin neben touristischen und praktischen Infor‐ mationen ebenso um Begleitung in die Apotheke oder in die Bank, um das Vornehmen einer Tischreservierung im Restaurant oder eines Transfers zum Flughafen gebeten. Wurde nach einer Reiseleitung gefragt, wurde den Patien‐ tInnen von der Dolmetscherin/ Autorin eine kompetente Person empfohlen, die diese Dienstleistungen anbot. Beim Dolmetschen achtete die Dolmetscherin/ Autorin besonders auf die Po‐ sitionierung im Raum und auf die Steuerung der Gespräche. Die Positionierung 164 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="165"?> 7 In Fall 25 führten einige Missverständnisse dazu, dass die Begleitpersonen die Dolmet‐ scherin/ Autorin und nicht das Team des Arztes kontaktierten. konnte bei den Beratungs- und Aufklärungsgesprächen fast nie selbstständig gewählt werden, da die Räumlichkeiten schon vordefinierte Konfigurationen aufwiesen. Allerdings versuchte sie stets, eine gewisse Äquidistanz zu wahren, um allen Beteiligten zu signalisieren, dass die Dolmetscherin/ Autorin für ge‐ genseitige Verständigung sorgt und die Anliegen von allen berücksichtigt. Wenn Kinder anwesend waren, war eine hohe Flexibilität wichtig, da diese mit der Dolmetscherin/ Autorin beim Dolmetschen zu interagieren versuchten. So ver‐ suchte ein Kind, der Dolmetscherin/ Autorin den Kugelschreiber wegzunehmen, während ein anderes Kind mit einem Autospielzeug auf dem Notizblock der Dolmetscherin/ Autorin spielen wollte. Die meisten medizinischen Gespräche waren Mehrparteiengespräche, wobei sich die Redebeiträge häufig überlappten; in manchen Fällen gerieten Familienmitglieder sogar in Streit miteinander. Aus diesen Gründen war eine Steuerung der Gespräche häufig unerlässlich, um die turns zu verteilen, Missverständnisse aufzuklären und notwendige Rückfragen zu stellen. PatientInnen, die stationär behandelt wurden, erhielten bei der Entlassung vom Krankenhaus eine Endabrechnung, aus der hervorging, ob die Kosten gleichgeblieben oder höher geworden waren. Letzterer Fall trat im Laufe der ethnografischen Feldforschung nicht ein, da es zu keiner Verlängerung der Krankenhausaufenthaltsdauer der beobachteten PatientInnen gekommen war. 5.2.3 Nach der medizinischen Reise Die Nachbetreuung erfolgte bei den PatientInnen von Arzt 1 mit einer einzigen Ausnahme durch das Ärzteteam oder das Personal im Herkunftsland. 7 Dies bedeutete für die Dolmetscherin/ Autorin, dass sie bei der Klärung von Fragen und bei der Erledigung etwaiger Formalitäten nicht eingebunden werden musste. Die PatientInnen von Arzt 2 wandten sich hingegen auch in der Phase nach der Behandlung an die Dolmetscherin/ Autorin. Hierbei mussten Zweifel und offene Fragen übersetzt und für ein Follow-up telefonisch oder per E-Mail an den Arzt weitergeleitet werden. ÄrztInnenbriefe und Rechnungen mussten übersetzt oder in manchen Fällen nur per E-Mail übermittelt werden. Nur zwei der beobachteten PatientInnen von Arzt 2 konnten die Nachbetreuung mithilfe ihrer Englischkenntnisse selbst übernehmen. Obwohl den PatientInnen kommuniziert worden war, dass die Dolmetscherin/ Autorin nicht Teil des medizinischen Personals des Arztes oder des Krankenhauses war, erwarteten 165 5.2 Beobachtung: Erwartete und in Anspruch genommene Leistungen <?page no="166"?> viele PatientInnen, dass sie dennoch jegliche (An-)Fragen an den Arzt oder das Krankenhaus weiterleitete und sich um eine rasche Antwort bemühte. Da im vordefinierten Leistungsumfang zur Übersetzung der Korrespondenz nach der Behandlung nur eine E-Mail-Anfrage im Preis inkludiert war, musste die Dolmetscherin/ Autorin in manchen Fällen aufgrund der Flut an Fragen seitens der PatientInnen Preise für ihre Dienstleistung(en) nachverhandeln, um größere finanzielle Einbußen zu verhindern. 5.3 Interviews: Rahmenbedingungen Abb. 7: Rahmenbedingungen der dolmetschvermittelten Kommunikation Nur drei interviewte PatientInnen (P04, 1-2; P05, 1-2; P08, 2-2) verfügten vor den beobachteten Gesprächen über keine Erfahrung mit DolmetscherInnen (OK 01). Alle anderen PatientInnen hatten bereits in der Vergangenheit Dolmetsch‐ dienstleistungen für die Sprachkombination Französisch/ Italienisch (P02, 2-2; 166 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="167"?> P03, 2-2; P06, 6-6), Deutsch/ Italienisch (P07, 1-2) und Englisch/ Italienisch (P01, 5-5) in Anspruch genommen. Auch für die VertreterInnen der medizinischen Institutionen stellten dolmetschvermittelte Interaktionen keine neue Situation dar: Vor den Interviews hatten sie bereits Erfahrung mit DolmetscherInnen für folgende Sprachen gesammelt: Arabisch, BKS, Französisch, Italienisch, Mazedo‐ nisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch. Darüber hinaus hatte F03 (16-16) in der Vergangenheit auch translatorische Unterstützung für die Sprachkombination Englisch-Spanisch sowie Englisch-Haitianisch erhalten. F04 (2-2) gab an, fünf bis sechs verschiedene ausgebildete DolmetscherInnen zu kennen, die für seine PatientInnen immer wieder tätig seien. Bis auf die Dolmetscherinnen für Maze‐ donisch und Ukrainisch, für welche F04 die vorhandenen Qualifikationen nicht mit Sicherheit beurteilen konnte, kamen für das Team von Arzt 2 ausgebildete SprachdienstleisterInnen zum Einsatz. Für das Team von Arzt 1 konnte hingegen festgestellt werden, dass üblicherweise mehrsprachiges medizinisches und nicht medizinisches Personal sowie dolmetschende Begleitpersonen der PatientInnen, falls keine der anderen Dolmetschenden verfügbar waren, dolmetschten. Generell waren die mit DolmetscherInnen gemachten Erfahrungen sowohl auf PatientInnenals auch auf ExpertInnenseite überwiegend positiv (OK 02). Grund für die angegebene Zufriedenheit war die Sicherheit, dass die DolmetscherInnen die medizinische Fachterminologie beherrschten (P01, 17- 17), sowie das grundsätzliche Vertrauensklima zwischen den DolmetscherInnen und dem medizinischen Personal (P05, 14-14). Eine/ ein PatientIn (P08, 4-4) berichtete von großer Zufriedenheit mit der bezogenen Dolmetschleistung, da die Dolmetscherin/ Autorin ihrer/ seiner Meinung nach mehr gemacht hatte, als das klassische Berufsprofil hätte vermuten lassen. Damit bezog sie/ er sich auf die wiederholt in Anspruch genommene Hilfe bei der Bewältigung unterschiedli‐ cher Herausforderungen des täglichen Lebens in einem fremden Land. Diese Hilfsstellungen waren zwar vorwiegend mit außertranslatorischen Aufgaben verbunden gewesen, hatten sich aber aus den vorhandenen Sprachbarrieren ergeben: So wurde die Dolmetscherin/ Autorin beispielsweise in einem Fall um rasche Hilfe bei der Deutung von Verkehrsschildern gebeten, als die/ der PatientIn mit dem Auto nach Wien für die Behandlung reiste. Die Tatsache, dass sie/ er via WhatsApp ein Foto des Schilds an die Dolmetscherin/ Autorin sendete und diese ihr/ ihm sofort half, wurde als wichtiger Beitrag bewertet. Auch die VertreterInnen der medizinischen Institutionen zeigten sich im Allgemeinen mit den gesammelten Erfahrungen im Umgang mit DolmetscherInnen zufrieden. Etwaige Unzufriedenheit bei PatientInnen und VertreterInnen medizinischer Institutionen wurde auf folgende Faktoren zurückgeführt: fehlende Distanz und professionelles Verhalten (F02, 30-30; F05, 2-2), unzureichende Sach- oder 167 5.3 Interviews: Rahmenbedingungen <?page no="168"?> 8 Dabei handelte es sich um eine dolmetschende Begleitperson der/ des PatientIn, die diese/ n schützen wollte und ihr/ ihm daher den Inhalt des Gesprächs vorenthielt. 9 Im Beispiel F03, 47-47 erzählt der interviewte Arzt eine Episode, in der er eine dol‐ metschvermittelte Kommunikation, an der ein anderer Arzt beteiligt war, beobachten konnte. terminologische Kompetenz (F03, 6-6 und 10-10; P04, 12-12), nicht getreue Wiedergabe des Gesprächsinhalts (F06, 8-8). 8 Auch der mangelnde Einsatz von Notizen beim Dolmetschen wurde von einer/ einem PatientIn genannt und als Symbol mangelnder Professionalität interpretiert. Mit einer Dolmetscherin haben wir (.) zuerst negative Erfahrungen gehabt, die wollte ihre Meinung halt zu der Sache irgendwie hineinbringen. (F02, 30-30) Non/ non si segnava le cose. Si capiva già dal modo di fare che era (.) diciamo improvvisato. (P02, 10-10) [Die/ der DolmetscherIn] notierte sich nichts. Bereits durch die Vorgehensweise war klar, dass es (.), sagen wir mal, improvisiert war. Um die Unterkategorie der Zufriedenheit besser zu verstehen, wurden die InterviewpartnerInnen gefragt, auf welche Mittel sie zurückgreifen würden, um die translatorische Leistung beim Dolmetschen zu überprüfen. So bildete die Analyse des sprachlichen Feedbacks seitens der GesprächspartnerInnen eine der Methoden zur Überprüfung der Wiedergabe des Gesagten (F03, 47-47). 9 ((…)) entonces veía que el doctor decía algo en el que el paciente debería haber reaccionado así como: ehm, ¿¿qué? ? (F03, 47-47) ((…)) daher merkte ich, dass der Arzt etwas sagte, und der Patient hätte in der Art reagieren sollen wie: ehm, was? ? Stellten ÄrztInnen die passende Frage nach der erfolgten Verdolmetschung (P03, 37-37), gingen einige PatientInnen davon aus, dass diese korrekt sei. Auch die Tatsache, dass nicht behandlungsrelevante Aussagen wie Komplimente in die andere Sprache übertragen worden waren, wurde als Zeichen der Vollständig‐ keit bewertet: Forse per il tipo di risposta che mi dava il medico. (..) Anzi, per il tipo di risposta che mi DAVA il dottore e che tu mi traducevi. (P03, 37-37) Vielleicht durch die Antwort, die mir der Arzt gab. (..) In der 168 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="169"?> Tat, aufgrund der Antwort, die mir der Arzt GAB und deiner Dolmetschung. ((…)) il primo impatto fa molto secondo me. Anche il fatto che traduci / quando c’era lì l’anestesista che dice: oh che bei capelli (P01, 38-38) ((…)) der erste Eindruck macht meiner Meinung nach viel aus. Auch der Umstand, dass du dolmetschst / als der Anästhesist da war und sagte: Schöne Haare Vertrauen spiele in diesem Zusammenhang sowohl für PatientInnen als auch für ÄrztInnen eine wichtige Rolle (F02, 16-16; P01, 33-33; P08, 22-22): Lì vai a fiducia. Ma a parte tante cose che io sapevo già e lui mi ha detto, me le hai riferite in modo perfetto anche in base a quello che avevano detto i medici italiani. Poi per il resto vai a fiducia. Non ho mai avuto (.) il minimo dubbio che tu mi stessi riferendo qualcosa di sbagliato. (P08, 22-22) Man benötigt Vertrauen. Abgesehen von dem, was ich bereits wusste und er mir gesagt hatte, hast du mir die Dinge perfekt weitergegeben, auch in Hinblick auf das, was die italienischen Ärzte gesagt hatten. Auf den Rest vertraut man einfach. Ich hatte nie (.) den kleinsten Verdacht, dass du mir etwas Falsches sagst. Aus den Erzählungen ging hervor, dass Vertrauen entweder schon vorhanden war oder erst im Laufe des ersten Treffens aufgebaut werden musste (P01, 36- 36), was den PatientInnen umso leichter fiel, wenn die DolmetscherInnen ebenso das Vertrauen der ÄrztInnen genossen (P07, 26-26). Beim Kennenlernen spielte demzufolge der erste Eindruck eine relevante Rolle, um die Professionalität der DolmetscherInnen zu erkennen. Einige PatientInnen legten dar, trotz fehlender Kenntnisse der Landessprache gewisse Wörter mit internationalem Charakter (P02, 28-28) erahnen zu können: ((…)) diciamo che anche le lingue straniere / qualcosa comunque si coglie. Poi soprattutto con la mia patologia ho dovuto, diciamo, documentarmi soprattutto su siti. Quindi a forza di documentarmi qualche parola, diciamo, ho imparato. E il senso più o meno dall’espressione facciale eccetera più o meno si riesce un po’ a (.) a capire, però (.) chiaramente è un senso 169 5.3 Interviews: Rahmenbedingungen <?page no="170"?> 10 An dieser Stelle soll angemerkt werden, dass die erwähnte Dolmetscherin während eines Notfalls im Krankenhaus via Telefon zugeschaltet wurde. Es handelte sich dabei um eine nicht geplante medizinische Reise, sondern um eine Spontanbehandlung, bei der die Dolmetschung aus der Ferne erfolgte. Sowohl der Modus als auch die fehlende Vorbereitungsmöglichkeit könnten für das Auftreten von Kommunikationsproblemen ausschlaggebend gewesen sein. 11 In diesem Fall war Italienisch nicht die Muttersprache der dolmetschenden Person. molto generico (lacht) che puoi intuire. (P02, 28-28) ((…)) auch bei Fremdsprachen / irgendetwas schnappt man trotzdem auf. Außerdem musste ich mir vor allem durch, sagen wir, Internetrecherche selbst ein Bild von meiner Krankheit machen. Daher habe ich durch die Recherche einige Worte gelernt. Und von der Mimik usw. kann man den ungefähren Sinn mehr oder weniger (.) ablesen, aber (.) offensichtlich ist der Sinn, den man erahnen kann, nur sehr allgemein (lacht). Dies galt auch für medizinische Begriffe, die einen lateinischen oder griechi‐ schen Stamm aufweisen. Da diese auf Deutsch und Italienisch ähnlich klingen, orientierten sich PatientInnen daran, um die Richtigkeit der Dolmetschung zu überprüfen. Etwaige Kommunikationsprobleme (OK 06) während der Interaktionen wurden von einigen InterviewpartnerInnen auf den Mangel einer oder mehrerer Dolmetschkompetenzen zurückgeführt. So erzählte einer der befragten Ärzte (F05, 17-17) von einer Dolmetscherin, die über keine professionelle Distanz verfügt und ihre Meinung in die Dolmetschung immer wieder einfließen lassen habe. Auf PatientInnenseite wurden als Problemquelle insbesondere nicht ausreichende terminologische und Sprachkenntnisse erwähnt: die fehlende Vorbereitung der DolmetscherInnen (P01, 61-61), 10 die die Zusammenhänge nicht verstanden und die notwendige Terminologie nicht beherrscht hätten; die Schwierigkeiten in der Sprachproduktion (P03, 22-22) oder in der Sprach‐ rezeption (P06, 32-32). 11 In diesem Zusammenhang gaben die betroffenen PatientInnen an, von den DolmetscherInnen häufig unterbrochen worden zu sein und stets Rückfragen erhalten zu haben. Die Folge war, dass sie schließlich versuchten, mit ihren rudimentären Englischkenntnissen ohne DolmetscherIn direkt mit dem medizinischen Fachpersonal zu kommunizieren: ((…)) in Belgio c’è stata una volta in cui lei non riusciva a capire, ma trattando una patologia che io conosco sono riuscita lo stesso a spiegarmi con lui, 170 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="171"?> io, direttamente io. C’è stato un attimo qua in cui lei non capiva cosa volevo dire, ma avevo capito che lei non aveva capito e quindi ho cercato di spiegarmi in inglese con il medico. (P06, 38-38). ((…)) in Belgien ist es einmal passiert, dass sie mich nicht verstehen konnte, aber da es sich um eine mir bekannte Krankheit handelte, konnte ich mich trotzdem mit ihr verständigen, ohne Vermittlung. Es gab einen Moment, in dem sie nicht verstand, was ich sagen wollte, ich aber verstand, dass sie nicht verstanden hatte. Deshalb habe ich versucht, mich auf Englisch mit dem Arzt zu verständigen. Dolmetschvermittelte Kommunikation brachte für die PatientInnen eine wei‐ tere Schwierigkeit mit sich: Falls ihnen im Rahmen der Anamnese weitere Detailfragen einfielen, mussten sie erst auf die Verdolmetschung warten oder versuchen, die DolmetscherInnen zu unterbrechen: No, chiaramente se sono solo io (…) / se io posso parlare col medico faccio tutte le domande che mi vengono in mente. Chiaramente con un’interprete devo cercare di mediare tra il momento in cui lei spiega al medico e il momento in cui io ho in mente la mia idea, per cui è un po’ più complicato. (P06, 32-32) Nein, natürlich, wenn ich alleine bin (…) / wenn ich mit dem Arzt sprechen kann, stelle ich alle Fragen, die mir einfallen. Mit einer Dolmetscherin muss ich versuchen, das Gleichgewicht zu finden, zwischen dem Moment, in dem sie dem Arzt etwas wiedergibt, und dem Moment, in dem ich einen Gedanken habe, was das Ganze etwas komplizierter macht. Als zusätzliche Ursachen für Kommunikationsprobleme wurden die Unvollstän‐ digkeit der Dolmetschung (F04, 14-14), die für die ÄrztInnen eine besondere Herausforderung darstellen kann (besonders wenn relevante fehlende Informa‐ tionen betroffen sind), und die untreue Wiedergabe des Gesagten (F03, 42-42) angegeben. F06 berichtete von einer dolmetschenden Begleitperson einer/ eines PatientIn, die mit der medizinischen Fachsprache überhaupt nicht vertraut gewesen sei. Der Arzt habe sie während des ÄrztInnen-PatientInnen-Gesprächs unterbrechen und durch seine Stammdolmetscherin ersetzen müssen, die sich an dem Tag zufällig im Krankenhaus aufhielt. 171 5.3 Interviews: Rahmenbedingungen <?page no="172"?> 12 Diese Frage wurde den PatientInnen dieser Studie nicht gestellt, da die meisten von ihnen nicht über ausreichende Fremdsprachenkenntnisse verfügten, und es aus diesem Grund unmöglich erschien, dass sie sich ohne Dolmetschvermittlung mit den VertreterInnen der medizinischen Institution verständigen könnten. Und dann hat eine Übersetzerin, die konnte aber nicht wirklich übersetzen, das war ihre Freundin, und die hat dann übersetzt und hat aber keine Ahnung gehabt von medizinischen Fachbegriffen (.) und zufälligerweise war am selben Tag meine russische Übersetzerin bei einer Patientin von mir oben hier, und dann habe ich gesagt: Stopp, ich rede nicht / jetzt nicht weiter, sondern ich hole mir die Übersetzerin, da ich merke, das geht’s nirgends hin. (F06, 8-8) In der dolmetschwissenschaftlichen Literatur wird jenes Problem wiederholt erörtert, dass medizinische Institutionen selten den Einsatz von Dolmetsche‐ rInnen als Strategie zur Überbrückung der Sprach- und Kulturbarrieren wählen. Auch im Laufe der Interviews stellte sich heraus, dass die bevorzugte Verständi‐ gungsart (OK 03) seitens der VertreterInnen der medizinischen Institution nicht die dolmetschvermittelte Kommunikation war. 12 Alleine die Krankenschwester bevorzugte im Umgang mit anderssprachigen PatientInnen eindeutig die dol‐ metschvermittelte Kommunikation: ((…)) mein Englisch / es ist Standardenglisch, ja. Aber der Dolmetscher kann es doch besser ausdrücken als ich. Ich erkläre es dann ordentlich auf Deutsch, und der Dolmetscher erklärt es besser auf den anderen Sprachen. (F01, 10-10) Die meisten interviewten Ärzte gaben stattdessen an, sich lieber auf Englisch mit den PatientInnen zu unterhalten, wenn das Sprachniveau Letzterer ausreichend für eine gegenseitige Verständigung sei (F03, 26-26) oder sie Englisch als Muttersprache hätten (F05, 12-12): ((…)) depende de qué nivel de inglés tengan ellos. (..) O sea, si siento que es un inglés / que se comunican muy bien, prefiero inglés porque allá no hay interf / no hay (..) puente. (F03, 26-26) ((…)) es kommt auf ihr Englischsprachniveau an. (..) Das heißt, wenn ich höre, dass das ein Englisch ist / dass man mit seinem Englisch gut kommunizieren kann, dann rede ich 172 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="173"?> lieber auf Englisch, da es keine Interf / , keine (..) Brücke gibt. ((…)) ich rede eigentlich gerne Englisch mit Englischsprachigen. (F05, 12-12) Generell war es für die interviewten Ärzte von großer Bedeutung, mit den PatientInnen direkt kommunizieren zu können (F06, 6-6). Auch der Wunsch, DolmetscherInnen in gewissen Situationen im Stand-by-Modus verfügbar zu haben, wurde geäußert: Yo creo que idealmente sería tener la opción de empezar en inglés y tener la opción de llamarle a alguien si ves que no funciona. (F03, 28-28) Ich glaube, man sollte im Idealfall die Möglichkeit haben, auf Englisch zu beginnen aber die Option haben, jemanden hinzuzuziehen, wenn es nicht funktioniert. Als besonders störend wurden teilweise jene Situationen empfunden, in denen PatientInnen über geringe Kenntnisse mehrerer Sprachen verfügten: Na ja, am schlimmsten ist, wenn der Patient (.) teilweise Englisch oder teilweise Deutsch spricht und teilweise eine andere Sprache, weil sie dann glauben, sie verstehen, und sie verstehen DOCH nicht und (.) man glaubt, er versteht’s, und dann kommt man darauf, er hat die Hälfte nicht verstanden. Da ist mir lieber, er versteht gar nichts (.) und ich weiß, jede Kommunikation muss über den Übersetzer laufen. (F06, 4-4) Eine weitere Frage, die nur den VertreterInnen der medizinischen Institutionen gestellt wurde, betraf die Kulturspezifika (OK 04) ihrer PatientInnen. Da die im Rahmen der gesamten ethnografischen Feldforschung beobachteten und interviewten PatientInnen demselben Sprach- und Kulturkreis - nämlich dem italienischen - angehörten, wurde durch diese Frage versucht, kulturspezifische Bedürfnisse und Erwartungen zu ermitteln, soweit diese tatsächlich existierten oder zumindest als solche wahrgenommen wurden. Die interviewten Vertrete‐ rInnen der medizinischen Institutionen beschrieben PatientInnen aus südlichen Ländern im Vergleich zu den distanzierteren PatientInnen aus Osteuropa als offene, extrovertierte und laute Menschen (F01, 32-32; F04, 44-44): Sie sind an sich natürlich ein bisschen präsenter und lauter, aber das ist jetzt vom Inhalt, glaube ich, 173 5.3 Interviews: Rahmenbedingungen <?page no="174"?> mit dem verglichen / vielleicht im Gegensatz zu osteuropäischen Ländern, die sind vielleicht ein bisschen, wie soll ich sagen, zurückhaltender. (F04, 44-44) Die mangelnden Fremdsprachenkenntnisse seitens der italienischen Patien‐ tInnen wurden darüber hinaus thematisiert und als Besonderheit bezeichnet (F02, 50-50); diese PatientInnen wurden dadurch insgesamt als betreuungsin‐ tensiver bewertet. Des Weiteren wurden ItalienerInnen als Menschen mit unflexiblen Essensgewohnheiten beschrieben (F02, 50-50), die sehr ängstlich sind (F03, 60-60) und im Untersuchungsraum mit zahlreichen Begleitpersonen erscheinen (F06, 30-30). Westliche PatientInnen seien darüber hinaus bezüg‐ lich der ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung besser aufgeklärt als Menschen aus dem Osten und würden sich daher gegenüber den ÄrztInnen fordernder präsentieren: ((…)) je weiter westlicher, es ist schon mehr aufgeklärt / nicht aufgeklärt, aber vielleicht fordernder und nicht mehr: Ah, das ist der Gott in Weiß oder so. (F04, 46-46) PatientInnen aus arabischen Ländern würden nur widerwillig auf von Frauen gestellte Fragen antworten und hätten ein anderes Zeitgefühl: Ja, aus dem arabischen Raum ist es immer interessant. Weil es ist natürlich ganz anders, (…) das sind die Erfahrungen, also persönlich dann eigentlich nicht, über E-Mail-Verkehr geht’s mir oft so, dass sie Frauen nicht antworten (.) aber zu anfangs, das kann passieren (.) und dass sie sehr / das dauert viel länger / so und so. (F02, 54-54) Einer der interviewten Ärzte gab darüber hinaus an, dass PatientInnen, die an einer gewissen Pathologie leiden, viele Eigenschaften, die über die sprachlichen und kulturellen Grenzen hinausgehen, teilten: Das ist die Pathologie. Das hat nicht mit den Italienern zu tun. (F06, 30-30) Eine weitere Frage, die explizit den VertreterInnen der medizinischen Institu‐ tionen gestellt wurde, war die Frage nach dem (Fach-)Sprachverhalten der ÄrztInnen (OK 05). Hierbei stand insbesondere die Ermittlung etwaiger Ab‐ weichungen bei der Verwendung von Fachtermini und Trivialbezeichnungen (z. B. Gastroskopie/ Magenspiegelung) im Vordergrund. Die Anwesenheit von 174 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="175"?> DolmetscherInnen schien in manchen Fällen das Sprachverhalten des medizini‐ schen Personals zu beeinflussen: ÄrztInnen würden bei dolmetschvermittelten Gesprächen gerne auf die Fachterminologie zurückgreifen und auf Erklärungen in Form von Appositionen oder Paraphrasierungen verzichten, weil sie vor‐ aussetzten, dass die im medizinischen Bereich tätigen DolmetscherInnen die Bedeutung der Fachtermini kannten: ((…)) cuando no hay intérprete, trato de ser mucho más claro y cuando hay intérprete, creo que me confío en que sabe la terminología y ella la puede adaptar al paciente. (F03, 62-62) ((…)) wenn kein Dolmetscher anwesend ist, versuche ich mich, viel deutlicher auszudrücken, wenn aber ein Dolmetscher anwesend ist, glaube ich, vertraue ich darauf, dass er die Terminologie kennt und diese für den Patienten anpassen kann. Pero si hablo directo con un paciente no le diría (.) / no le hablaría (…) / déjeme buscar un buen ejemplo (.) no le diría por ejemplo, algo muy tonto pero no le diría nada más que el pancreas está enfermo, sino le diría: el pancreas, que es la glándula que controla la glucosa como le daría una explicación chiquita de que es el páncreas, para que sepa de que estoy hablando. (.) Y si está el interprete me saltaría esta parte. (F03, 66-66) Aber würde ich direkt mit einem Patienten reden, würde ich ihm nicht sagen (.) / nicht reden (…) / lass mich mal ein gutes Beispiel suchen (.), würde ich nicht zum Beispiel sagen, etwas sehr Banales, aber ich würde einfach nicht sagen: die Bauchspeicheldrüse hat ein Problem, sondern: die Bauchspeicheldrüse, die Drüse, die die Glukose steuert. Ich würde also eine kleine Erklärung hinzufügen, damit er weiß, wovon ich spreche (.) Und wenn der Dolmetscher anwesend ist, dann würde ich diesen Teil überspringen. Während der nicht dolmetschvermittelten Kommunikation könne hingegen eine Senkung des Sprachniveaus manchmal zielführend sein: Prinzipiell ja, wenn man mit Patienten redet, schaltet man um / das ganze Vokabular runter. (F05, 10-10) 175 5.3 Interviews: Rahmenbedingungen <?page no="176"?> Andere Ärzte gaben wiederum an, auf die gezielte Verwendung von Fachter‐ mini, die durch eine Erklärung begleitet werden, zu setzen, um den PatientInnen eine selbstständige Recherche ihrer Pathologie zu ermöglichen: Aber ich find, das ist nicht so schlecht, auch den lateinischen Begriff Patienten manchmal zu sagen und vielleicht auch zu erklären, weil (.) (lacht) / wenn sie irgendwas nachschauen wollen und so weiter, ist es auch einfacher. (F04, 38-38) F04 gab an, dass die Art und Weise, wie die Botschaft sprachlich an die PatientInnen übermittelt werde, auch den DolmetscherInnen überlassen werden könne: Aber vielleicht / mit dem Dolmetscher kann man vielleicht manche Sachen dann sagen oder Einschätzungen bekommen, die man nicht DIREKT den Patienten fragen würde. Wenn Sie jetzt schon einen Patienten kennen würden und wir irgendwie ausmachen würden, na ja, vielleicht sagen Sie das nicht so oder so, kann man vielleicht / ist vielleicht schon eine Änderung des Gesprächs da. (F04, 32-32) Für die Auswahl geeigneter DolmetscherInnen (OK 07) wurden verschiedene Kriterien berücksichtigt. F02, die für die Suche der DolmetscherInnen und die Organisation der medizinischen Reisen für Arzt 1 zuständig war, berichtete von der DolmetscherInnensuche für manche Sprachen durch Übersetzungsbüros (F02, 8-8). Neben ausgebildeten DolmetscherInnen wurde hierbei laut F01 und F02 auch mit nicht ausgebildeten Dolmetschenden zusammengearbeitet, die aus dem Gesundheitsbereich stammten und über bessere medizinische und terminologische Kenntnisse als ausgebildete DolmetscherInnen verfügten (F02, 8-8). Für F01 erwies sich die Suche nach DolmetscherInnen für manche Sprachen allerdings als besonders kompliziert (F01, 42-42), da auf dem Markt entweder keine DolmetscherInnen verfügbar waren oder die verfügbaren Dol‐ metscherInnen keine medizinischen Kenntnisse besaßen. Die interviewten PatientInnen von Arzt 1 erachteten die Anwesenheit von DolmetscherInnen als wichtig und notwendig, da sie der Ansicht waren, dass sie sich alleine in solch 176 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="177"?> 13 An dieser Stelle soll daran erinnert werden, dass das Leistungspaket von Arzt 1 eine/ einen DolmetscherIn umfasste. PatientInnen durften daher das Beratungsgespräch mit dem Arzt nicht ohne DolmetscherInnen führen. Nur wenn keine ausgebildeten Dolmet‐ scherInnen oder dolmetschenden Personen aus dem medizinischen Bereich verfügbar waren, wurde auf dolmetschende Bekannte oder Familienangehörige zurückgegriffen. einer spezifischen medizinischen Kommunikation nicht hätten verständigen können: 13 ((…)) noi abbiamo / / un inglese scolastico entrambi e non medico, cioè se andiamo in giro per la città riusciamo a cavarcela bene in inglese, però a livello medico, visto anche l’importanza di quello che stiamo facendo (.) meglio una cosa più professionale, insomma (.) / che son quelle spese che / adesso era tutto compreso però se non fosse stato sono quelle cose su cui preferiamo spendere/ cioè dei soldi che sappiamo che sono necessari per questa cosa e magari rinunciare ad altro però è una cosa necessaria. (P01, 29- 29) ((…)) wir sprechen / / beide Schulenglisch, aber kein medizinisches Englisch, das heißt wenn wir in der Stadt unterwegs sind, kommen wir gut mit unserem Englisch durch, aber im medizinischen Bereich, angesichts der Wichtigkeit der Sache (.) ist es alles in allem besser, die Sache in professionelle Hände zu legen (.) / das sind Ausgaben, die / jetzt war alles inkludiert, aber wenn dem nicht so gewesen wäre, sind das Dinge, für die wir lieber Geld ausgeben / damit meine ich Ausgaben, von denen wir wissen, dass sie hierfür notwendig sind, und vielleicht ist es notwendig, auf anderes zu verzichten. Für die Suche nach den passenden DolmetscherInnen vertrauten die Patien‐ tInnen von Arzt 2 entweder auf Mundpropaganda (P02, 18-18), oder sie be‐ suchten Internet-Foren (P03, 8-8), die ihre jeweiligen Krankheiten zum Thema hatten und in denen Empfehlungen zu DolmetscherInnen gegeben wurden. Manche PatientInnen entschieden sich aus Prinzip für eine professionelle trans‐ latorische Unterstützung und wollten keine dolmetschenden Begleitpersonen mitnehmen, da diese nicht nur auf der Gefühlsebene zu stark involviert und daher nicht unparteiisch genug gewesen wären, sondern auch Probleme mit 177 5.3 Interviews: Rahmenbedingungen <?page no="178"?> der fachsprachlichen Kommunikation über medizinische Themen hätten haben können: Perché un amico, un conoscente possono parlare il tedesco, però un interprete che conosce i termini medici è TUTTA UN’ALTRA COSA! Cioè, io porto l’amico se devo venire a fare un viaggio di piacere magari ma con la medicina di mezzo, con il dottore di mezzo, ci vuole assolutamente una persona che vada OLTRE la / la conoscenza della lingua. (P08, 14-14) Denn ein Freund, ein Bekannter spricht vielleicht Deutsch, aber ein Dolmetscher, der die medizinische Terminologie kennt, IST ETWAS GANZ ANDERES! Das heißt, ich nehme einen Freund mit, wenn ich vielleicht eine Vergnügungsreise mache, aber wenn es eine medizinische Reise ist, wenn es um den Arzt geht, braucht es auf jeden Fall eine Person, die über MEHR als / als nur Sprachkenntnisse verfügt. Die Muttersprache spielte als Kriterium im Rahmen der DolmetscherInnensuche für die meisten Interviewten eine Rolle: Ihrer Meinung nach könnten feine Nuancen nur dann übertragen werden, wenn die/ der DolmetscherIn die Mut‐ tersprache der PatientInnen spricht (F03, 56-56). Darüber hinaus wurde auch die welcoming-Funktion der DolmetscherInnen (vgl. Leanza 2005: 186), die aus demselben Land der PatientInnen stammen, betont (F04, 24-24): ((…)) irgendwie das Gefühl, ah, da ist ein bisschen zu Hause da oder ein bisserl, sie fühlen sich besser aufgehoben vielleicht, habe ich das Gefühl, als wenn da jemand Fremder ist, also so ist es vielleicht, genauso wie wenn ein Österreicher irgendwohin fährt und irgendein Problem wäre, und da ist ein Österreicher vor Ort. (F04, 26-26) Das Vorhandensein einer translatorischen Ausbildung als Suchkriterium war nicht für alle ausschlaggebend. So gab es InterviewpartnerInnen, für die der translatorische Abschluss die Garantie für sprachliche Perfektion (F05, 25-25) oder zumindest einen zusätzlichen Wert (P08, 34-34) darstellte; andere Inter‐ viewten hielten allgemeine Kommunikationsfähigkeiten für wichtiger (P06, 60-60). Wer bereits Erfahrung sowohl mit DolmetscherInnen als auch mit Laiendolmetschenden (OK 08) gesammelt hatte, bevorzugte Erstere (P02, 42-43). 178 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="179"?> Ihrer Meinung nach hoben sich DolmetscherInnen von Laiendolmetschenden vor allem durch eine höhere terminologische Präzision ab; nur im Fall von dolmetschendem medizinischem Personal war für die VertreterInnen der medi‐ zinischen Institutionen ebenfalls eine hohe Präzision feststellbar (F01, 16-16; F03, 87-87). Die generelle Einstellung zu dolmetschenden Begleitpersonen war aber in fast allen Fällen negativ: Laiendolmetschende fragten ihrer Meinung nach nicht nach, falls Unklarheiten im Gespräch entstanden waren (F01, 20-20), und einer der interviewten Ärzte schätzte ihre Chancen, eine gute Leistung zu erbringen, sogar als sehr gering ein (F05, 4-4). Falls die Laiendolmetschenden zum Familienkreis der PatientInnen gehörten, entstanden - wie auch von einigen PatientInnen bestätigt - in der Kommunikation häufig Schwierigkeiten, da sie zu stark persönlich involviert waren und/ oder nicht dolmetschen konnten (F04, 2-2). 5.4 Interviews: Erwartungen an die Qualität und Leistungen Abb. 8: Erwartungen an die Qualität und Leistungen Bei den Erwartungen an die DolmetscherInnen (OK 09) wurde deren Kompetenz und Professionalität große Bedeutung beigemessen. So sollten sich Dolmet‐ scherInnen laut den InterviewpartnerInnen über das medizinische Angebot der Institution, für die sie dolmetschen, gut informieren und versuchen, die tatsächlichen Bedürfnisse des medizinischen Teams zu verstehen: 179 5.4 Interviews: Erwartungen an die Qualität und Leistungen <?page no="180"?> Er [die/ der DolmetscherIn] soll kompetent sein, er soll sich vor allem informieren, was wir tatsächlich machen oder was unsere Bedürfnisse sind. (F01, 52-52) Eine gründliche Vorbereitung auf den Dolmetscheinsatz setzt laut einigen der interviewten ÄrztInnen voraus, dass auch eine Kontaktaufnahme mit den PatientInnen sowie mit der medizinischen Institution erfolgt, um Informationen zum Inhalt des Treffens und zu den Erwartungen der Gesprächsteilnehmenden zu erhalten. Die Wiedergabe des Gesagten solle inhaltstreu und vollständig sein und einen gewissen Strukturierungsgrad aufweisen: ((…)) que pase el mensaje lo más (.) idéntico a como lo estoy diciendo (..) idéntico. (F03, 72-72) ((…)) dass er die Botschaft so gleich wie möglich, wie das, was ich sage, (.) übermittelt. DolmetscherInnen sollten laut F04 in diesem Zusammenhang die PatientInnen bitten, sich bereits vor der eigentlichen Interaktion zu überlegen, was wann passiert sei, und wie sich das aktuelle Problem darstelle: ((…)) dass sie vielleicht davor mit den Patienten vorbesprechen: Bitte Überlegen Sie sich, (.) wann ist was passiert, was ist jetzt das Problem. Dass es irgendwie strukturiert ist (..) und nicht so ein Wortsalat, und dann das und das und das, sondern dass man da ein bisserl eine Struktur hat, weil da tut sich jeder leichter. (F04, 42-42) Des Weiteren sollten DolmetscherInnen nicht nur als Ansprechperson für alle Beteiligten fungieren (F05, 33-33), sondern auch außertranslatorische Aufgaben übernehmen. So wurde von F02 gefordert, dass DolmetscherInnen sich während der medizinischen Reise um die PatientInnen kümmern und zumindest telefo‐ nisch für Notfälle immer erreichbar sein sollten: ((…)) dass er [der/ die DolmetscherIn] sich in dieser Zeit völlig um sie kümmert, also auch wirklich Verantwortung übernimmt, weil ja die Leute sind praktisch ein bisschen hilflos und sind oft bei uns Leute, die nicht so weit im Ausland waren, gereist sind, das erste Mal unterwegs sind mit Kindern, wo alles neu ist und so, die wirklich auf die Unterstützung angewiesen sind, also da erwarte ich mir in dem Zeitpunkt 180 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="181"?> praktisch, wo dieser Vertrag oder diese Vereinbarung läuft, dass die (.) Verantwortung übernehmen und auch erreichbar sind. (F2, 38-38) Für F02 stellte dies einen besonders wichtigen Punkt dar, da sie für eine reibungslose Organisation der medizinischen Reise verantwortlich war. Von den DolmetscherInnen wurde weiterhin ein professioneller, besonders sensibler Umgang mit den PatientInnen (F05, 23-23) und eine gute Zusammenarbeit mit dem Personal, das die medizinische Institution vertrat, erwartet. Die partner‐ schaftliche Zusammenarbeit wurde von F01 besonders hervorgehoben: Wenn DolmetscherInnen immer wieder für dasselbe medizinische Personal tätig und mit der Routine dieser medizinischen Institution vertraut sind, wollen sich die VertreterInnen der medizinischen Institution darauf verlassen, dass diese beim Dolmetschen mitdenken und das medizinische Personal auf Grundlage des institutionellen Wissens, das sie gesammelt haben, ergänzen und auf etwaige vergessene Informationen hinweisen: Weil es wird auch viel vergessen, auch vom medizinischen Personal, ja. Jetzt, wenn ich dir sage, du sollst es dolmetschen, es gibt viele Sachen, die ich vergesse zu sagen, weil ich das schon am Tag 20-mal vorher gesagt habe, und dann beim 21. Mal vergesse ich einfach drauf. Aber du kennst diesen Ablauf, und dann denkst du daran und sagst, hey, du ((Name)), ist es noch immer so, oder brauchen wir bei dem das? / Weil wir sind immer Menschen, wir vergessen Sachen. (F01, 52-52) DolmetscherInnen sollten laut F01 dabei nicht an die Stelle des medizinischen Personals treten, sondern eine partnerschaftliche Beziehung zwischen den ExpertInnen aus dem medizinischen und translatorischen Bereich fördern, um den Erfolg der Behandlung zu gewährleisten. PatientInnen erwarteten sich von den DolmetscherInnen ausdrücklich, dass sie mit der medizinischen Terminologie und mit dem Thema der Interaktion vertraut sind (P01, 53-53; P03, 57-57; P04, 28-28; P06, 48-48; P07, 16-16). Die translatorische Leistung sollte ihrer Meinung nach verständnisorientiert sein (P08, 38-38): (…) dell’essere il più chiaro possibile nei confronti del paziente, allo stesso tempo nei confronti del medico, ecco. Quello di descrivere bene il sintomo 181 5.4 Interviews: Erwartungen an die Qualität und Leistungen <?page no="182"?> perché più descrivi meglio il sintomo, più il medico ha la possibilità di intervenire e di capire (.) cosa fare, ecco. (P08, 38-38) (…) soll dem Patienten gegenüber so klar wie möglich sein, aber zur gleichen Zeit auch gegenüber dem Arzt. Eine gute Beschreibung des Symptoms, denn je besser das Symptom beschrieben wird, desto eher hat der Arzt die Möglichkeit, einzugreifen und herauszufinden (.), was zu tun ist. Die medizinischen Informationen sollten daher auf eine Art und Weise wieder‐ gegeben werden, dass sie für die PatientInnen verständlich klingen. Dasselbe gelte in die umgekehrte Richtung: Fragen und Zweifel der PatientInnen sollten für die ÄrztInnen verständlich gedolmetscht werden. In diesem Zusammenhang erwähnte eine Patientin den Mehrwert (OK 13), den sie den DolmetscherInnen in einer dolmetschvermittelten Interaktion zuschrieb: Durch die patientInnen‐ verständliche Übertragung der medizinischen Inhalte konnte sie den fremdspra‐ chigen Arzt besser verstehen als ÄrztInnen, die in ihrer Muttersprache mit ihr kommunizierten: ((…)) bene o male le cose, anzi, probabilmente l’interprete me le spiega ancora meglio essendo forse (.) tra i due interlocutori, essendo anche (.) diciamo tra virgolette un po’ dalla parte del paziente, forse riesco meglio a capire l’interprete che il dottore direttamente. (P08, 10-10) ((…)) der Dolmetscher erklärt mir die Dinge, egal ob gute oder schlechte, wahrscheinlich noch besser, weil er vielleicht (.) zwischen den Gesprächspartnern und sagen wir so (.) unter Anführungszeichen auf der Seite des Patienten steht, vielleicht verstehe ich den Dolmetscher besser als den Arzt direkt. Zu den bewussten Erwartungen der PatientInnen an die DolmetscherInnen gehören auch Professionalität und Diskretion. So wurden DolmetscherInnen nicht nur für die Erbringung translatorischer Aufgaben, sondern auch für die Begleitung sowie für die praktische und emotionale Unterstützung vor Ort als eine/ einer der wichtigsten AkteurInnen der medizinischen Reise geschätzt: La figura che da quando tu metti il piede lì, anzi ancora prima da quando tu parti per quest’avventura e finisci l’avventura, la figura che ti è accanto è 182 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="183"?> l’interprete, che comunque (.) ti traduce sì quello che il medico dice, che il medico fa, ma è comunque anche la persona che è accanto a te, che ti aiuta a (.) a capire che cosa sta succedendo. Quindi l’impatto emotivo principale ce l’ha l’interprete e quindi è quello più importante, quello che secondo me fa la differenza. (P05, 4-4) Die Person, die von dem Moment an, in dem du einen Fuß dorthinein setzt, nein, sogar schon davor, von dem Moment, in dem du zu diesem Abenteuer aufbrichst, bis zu dem Moment, in dem es endet, an deiner Seite steht, ist der Dolmetscher, der dir jedenfalls (.) nicht nur das übersetzt, was der Arzt sagt, was er macht, sondern auch die Person ist, die an deiner Seite steht, die dir hilft, zu (.) zu verstehen, was gerade passiert. Den größten emotionalen Einfluss hat der Dolmetscher und er ist somit am wichtigsten, das ist meiner Meinung nach der Unterschied. Neben der Frage zu den Erwartungen an die DolmetscherInnen wurde den Interviewten auch eine Frage zu den Aufgaben, die DolmetscherInnen (OK 11) ihrer Meinung nach übernehmen sollten, gestellt. Die thematische Über‐ schneidung der beiden Fragen wurde bewusst gewählt: Durch das explizite Nachfragen zu den Aufgaben der DolmetscherInnen sollten etwaige unbewusste Erwartungen der PatientInnen und der VertreterInnen medizinischer Institu‐ tionen hinsichtlich der Tätigkeiten der DolmetscherInnen aufgedeckt werden. Innerhalb der interviewten VertreterInnen der medizinischen Institutionen be‐ stand der Konsens, dass die hauptsächliche Aufgabe der DolmetscherInnen die verständigungsorientierte Translation des Interaktionsinhalts bedeute. Für F06 war die Dolmetschtätigkeit von großer Relevanz, denn sie habe eine vertrauens‐ bildende Funktion, die zum Aufbau einer ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung beiträgt (F06, 20-20). Zu den Gesprächsformen, bei denen die Anwesenheit von DolmetscherInnen gewünscht wurde, zählten die PatientInnenaufklärung und die Einverständniserklärung (F05, 14-14), aber auch Visitengespräche, die besondere Relevanz für die PatientInnen aufwiesen, wie jene zum Wechsel des Verbands nach einem chirurgischen Eingriff (F01, 52-52). Neben dem Dolmetschen (F03, 89-89; F04, 52-52; F06, 19-19) wurden das Übersetzen, das Vom-Blatt-Dolmetschen von Befunden und medizinischen Unterlagen sowie die Unterstützung beim Ausfüllen patientInnenbezogener Dokumente, Aufklä‐ rungsbögen (F02, 60-60) und bei der Aufrechterhaltung der E-Mail-Korrespon‐ denz erwähnt (F04, 52-52): 183 5.4 Interviews: Erwartungen an die Qualität und Leistungen <?page no="184"?> ((…)) na ja, wenn, dann muss der Patient mit dem Dolmetscher ausmachen. Das ist mir eigentlich egal. Das ist dann auch vom finanziellen Umfang dann (.) / ich denke mir schon, wenn man sagt: Organisieren eines Termins, vielleicht auch vorab Informationen abholen, also dass man sagt, was braucht der Arzt, was kann ich den Patienten zusätzlich organisieren vorab? (.) Ja, ich mein, die Kommunikation per E-Mail, wenn der Patient das selber nicht machen kann, gehört auch dazu. (..) Was noch zusätzlich? Ja, wie gesagt, es kommt darauf an, wenn es ein Krankenhausaufenthalt ist, kommen mehrere Dinge noch dazu. Dass man da schon sich irgendwie ausmacht, dass man da zu gewissen Zeitpunkten da ist wie beim Verbandswechsel. Das sind wichtige Dinge. Aber ansonsten, glaub ich, war’s das für mich. (F04, 52-52) Die interviewte Krankenschwester betonte den Unterschied zwischen den verschiedenen Formen von Dolmetschleistungen, die ihrer Erfahrung nach in der Medizin üblich wären: Es kommt darauf an. Dolmetschen heißt Dolmetschen plus Patientenbegleitung oder nur für jetzt diese Stunde Dolmetschen. Das ist ein Unterschied. Wie gesagt, wir haben in der Medizin patientenbegleitende Dolmetscher, die Patienten begleiten während dem Aufenthalt, den der Patient DA hat, oder es ist wirklich dieses Gespräch. ((…)) Sie sind da für eine kurze Zeit, da fällt nicht nur das medizinische, da (unv.) ein bisschen Shoppen, Sightseeing, und weiß ich nicht, was dazu. (F01, 78-78). Unter Umständen könne es also auch notwendig sein, dass DolmetscherInnen die PatientInnen zu unterschiedlichen Orten begleiten. Bezug auf diese Art au‐ ßertranslatorischer Aufgaben nahmen vor allem jene VertreterInnen der medizi‐ nischen Institutionen, die den PatientInnen ein Komplett-Dienstleistungspaket angeboten hatten. Die anderen VertreterInnen der medizinischen Institutionen wiesen lediglich darauf hin, dass etwaige außertranslatorische Leistungen wie die Organisation von Terminen für Untersuchungen direkt mit den Dolmetsche‐ rInnen zu vereinbaren wären und vom finanziellen Umfang abhingen. Auch vonseiten der interviewten PatientInnen wurde die Meinung geäußert, dass zu 184 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="185"?> den Aufgaben der DolmetscherInnen nicht nur die mündliche und schriftliche translatorische Leistung, sondern auch die Unterstützung bei der Korrespon‐ denz und beim Ausfüllen jeglicher Unterlagen gehörte (P03, 59-59; P01, 99- 99). DolmetscherInnen leisteten aber laut Aussagen einer/ eines PatientIn (P06, 76-76) auch in der Zeit nach der medizinischen Reise Unterstützung, da sie den Kontakt mit den ÄrztInnen wiederherstellen würden, falls notwendig. P05 erwähnte eine weitere wichtige Aufgabe der DolmetscherInnen - sie sollten die Familien während der Reise unterstützen und die welcoming-Funktion übernehmen: Quindi, sì, io credo che nel turismo medico, noi parliamo di turismo medico, i compiti dell’interprete siano quelli di accogliere la famiglia. (P05, 38-38) Also, ja, ich denke, dass die Aufgabe des Dolmetschers im Medizintourismus, wir sprechen von Medizintourismus, das welcoming der Familie ist. Für P01 konnten die DolmetscherInnen diese welcoming-Funktion unter an‐ derem auch dadurch erfüllen, indem sie beispielsweise die PatientInnen und/ oder deren Begleitpersonen während der Wartezeiten nicht ignorierten, sondern mit ihnen bei einem Kaffee Small Talk betrieben: Poi c’è sempre la parte, diciamo (..) sociale, non so come si dice. Però, almeno per me, ovvio mi fa piacere trovare una persona con cui puoi chiacchierare / non so, anche come noi che abbiamo bevuto il caffè insieme e chiacchieriamo del più e del meno (.) mi fa sicuramente piacere piuttosto che una che adesso non c’è il medico va fuori e sta con il cellulare e non mi bada. (P01, 95-95) Dann ist da auch immer der, wie sagt man (..), soziale Aspekt. Aber, zumindest für mich, ist es sehr schön, eine Person zu haben, mit der ich plaudern kann / zum Beispiel haben wir gemeinsam einen Kaffee getrunken und über alles Mögliche geredet (.) das ist für mich auf jeden Fall angenehmer als eine Person, die sobald der Arzt nicht mehr anwesend ist, hinausgeht, auf dem Handy surft und mich links liegen lässt. Außertranslatorische Leistungen und Aufgaben wie die Unterstützung bei der Organisation von Terminen (P02, 48-49), Transfers und bei der Zusendung 185 5.4 Interviews: Erwartungen an die Qualität und Leistungen <?page no="186"?> 14 Bei diesem Dolmetschauftrag ließ sich die Dolmetscherin/ Autorin durch eine Kollegin vertreten. Das Auto wurde von den Begleitpersonen in einer Parkverbotszone abge‐ stellt, was dazu führte, dass das Auto abgeschleppt wurde. verschiedenster schriftlicher Informationen (P06, 48-48; P08, 28-28) waren für manche PatientInnen von großem Wert. Das Stand-by-Dolmetschen während der medizinischen Kommunikation im Krankenhaus bei ambulanten oder sta‐ tionären Eingriffen sowie im Rahmen der nicht medizinischen Kommunikation zwischen PatientInnen und VertreterInnen anderer Institutionen wurde von den meisten PatientInnen als ein außerordentlich wichtiger Beitrag eingestuft: Obwohl sie in diesem Zusammenhang kaum translatorische Unterstützung benötigten, schätzten sie die Präsenz der DolmetscherInnen, die für eine entspanntere Atmosphäre und für ein Gefühl von Sicherheit sorgten (P05, 22-22 sowie 42-42). So konnte durch die Unterstützung der Dolmetscherin eine unangenehme Situation wie die Abschleppung des Autos durch die Polizei entschärft werden: 14 ((…)) quello che speravo, è che comunque l’interprete fosse sempre vicino a noi, come in passato. Ma comunque è sempre successo. ((…)) Io mi ricordo quando ci hanno portato via la macchina, se non ci fosse stato l’interprete (lacht) ed era una situazione che non c’entrava niente con la patologia di ((Name)). Cioè capisci la valenza che do io al ruolo. (P05, 22-22) ((…)) ich hoffte, dass der Dolmetscher immer bei uns sein würde, wie in der Vergangenheit auch. So wie es immer war. ((…)) Ich erinnere mich als sie unser Auto abgeschleppt haben, wäre da der Dolmetscher nicht gewesen (lacht) und das war eine Situation, die nichts mit der Krankheit von ((Name)) zu tun hatte. Du verstehst also den Wert, den ich dieser Rolle gebe. Wenn die Behandlung wiederholt werden musste, wünschten sich die Patien‐ tInnen häufig dieselben DolmetscherInnen, insbesondere wenn diese ihrer Meinung nach über ausgeprägte soziale Kompetenzen verfügten (P05, 06-06 sowie 38-38). 186 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="187"?> 5.5 Interviews: Anforderungen an DolmetscherInnen Abb. 9: Anforderungen an die DolmetscherInnen Während der Interviews wurden zahlreiche Dolmetschkompetenzen (OK 10) erwähnt. Die translatorische Kompetenz wurde von den meisten Interviewpart‐ nerInnen als selbstverständlich vorausgesetzt. Im Laufe der Interviews wurde mehrfach betont, dass diese einer der wesentlichen Unterschiede zwischen ausgebildeten DolmetscherInnen und Laiendolmetschenden ausmache. Die wahrgenommene translatorische Kompetenz wurde laut den Interviewpartne‐ rInnen in einer vollständigen und treuen Wiedergabe des Inhaltes (F02, 58-58; F03, 72-72; P03, 43-43) und der Fähigkeit, längere Abschnitte zu dolmetschen, ohne die RednerInnen sofort zu unterbrechen, deutlich: 187 5.5 Interviews: Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="188"?> Und dann auch strukturiert sind, also (.) sprich, dass, (.) dass wenn ein Therapiekonzept erklärt wird, dass man nicht alle dreißig Sekunden unterbrochen wird, sondern dass man das einmal erklärt, dass währenddessen sich der Übersetzer Notizen nimmt und die dann in diesem (unv.) abgearbeitet werden. (F06, 14- 14) Für zwei Ärzte stellte die Beherrschung der Notizentechnik eine Voraussetzung für eine vollständige unterbrechungsfreie Wiedergabe des Gesagten dar: ((…)) also mitschreiben, schnell, und dann streichen, ja, ich glaube, das ist ganz gut. So haben Sie immer eine Übersicht. (F04, 58-58) Also, die besten Dolmetscher sind diejenigen, die sich Notizen machen und nach der Reihe alles (.) dann runter (.) systematisch / die Übersetzung machen. (F06, 4-4) Der Einsatz von Notizen während der Dolmetschung wurde auch von P03 (31-31) als Nachweis translatorischer Kompetenz gedeutet. Während Arzt 2 die Notwendigkeit, nicht nach jedem Satz unterbrochen zu werden, damit komplexe Zusammenhänge erklärt werden konnten, hervorhob (F06, 14-14), betonte sein Kollege, dass DolmetscherInnen ÄrztInnen sowie PatientInnen nicht zu lange reden lassen sollten: ÄrztInnen würden das Gespräch auf der Basis der von den PatientInnen erhaltenen Informationen lenken (F04, 42-42), weshalb relevante Informationen möglichst schnell in die andere Sprache übertragen werden sollten. Sowohl P03 als auch F04 erwähnten das Wort Geschwindigkeit in Zusammenhang mit der translatorischen Leistung: F04 (58-58) sprach von Geschwindigkeit in Kombination mit der Notizentechnik, während P03 erklärte, dass die DolmetscherInnen schnell verstehen und handeln sollten, da ÄrztInnen keine langen dolmetschvermittelten Untersuchungen wünschten. Unterbrächen DolmetscherInnen die ÄrztInnen zu häufig und notierten sie die wichtigen Punkte nicht, steige das Risiko, dass diese die Geduld verlören oder dass die für die Untersuchung zur Verfügung stehende Zeit ausgehe: ((…)) la visita purtroppo non può durare più di tanto (.) Sono tre persone che dialogano, non DUE persone che dialogano. (.) E quindi (.) gli interscambi sono maggiori (.). Più interscambi ci sono, più il tempo passa (.) più il tempo che hai a disposizione, che 188 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="189"?> è ristretto per il medico (..) / più il tempo passa e più tu rischi di non dire e chiedere tante cose. Se l’interprete è veloce, come te, tu ti prendi nota, per dirti, (.) certe cose rimangono impresse (.) e sicuramente tutte le domande e tutte le risposte che dai vengono traslate nel minor tempo possibile. (P03, 49-49) ((…)) die Untersuchung kann eine gewisse Dauer leider nicht überschreiten (.) Es sind drei Personen und nicht ZWEI, die miteinander sprechen. (.) Und dadurch (.) gibt es auch mehrere Sprecherwechsel(.). Je öfter der Sprecher wechselt, desto mehr Zeit vergeht (.) Zeit, die du zur Verfügung hast, die dann dem Arzt fehlt (..) / je mehr Zeit vergeht, desto größer das Risiko, Vieles nicht zu sagen oder zu fragen. Wenn der Dolmetscher schnell ist, wie du, du machst zum Beispiel Notizen, (.) gewisse Dinge werden also festgehalten (.) und alle Fragen und Antworten, die du gibst, werden sicherlich in der kürzest möglichen Zeit übersetzt. Translatorische Kompetenz beinhaltete für die Interviewten außerdem folgende Teilkompetenzen: das Stellen von Rückfragen bei Unklarheiten (F01, 20-20), die Koordination und Strukturierung der Interaktion (F05, 37-37), die Verdolmet‐ schung in eine patientInnenverständliche Sprache (F06, 8-8; P03, 29-29; P07, 20-20) und eine gründliche Vorbereitung auf den Dolmetschauftrag (P01, 60-60; P02, 38-38; P03, 31-31; P05, 26-26; P06, 64-64; P08, 12-12): Una volta che sai che devi seguire / infatti un medico, scusa un paziente che ha la patologia ((Name)), ti informi sulle criticità e i termini per riuscire a far capire meglio, tutto qua. Perché se tu dovessi tradurre penso parola per parola quello che dice il professore, senza capire quello che dice, io non capirei niente. (P05, 26-26) Sobald man weiß, dass man / einen Arzt, Verzeihung, einen Patienten begleitet, der die Krankheit ((Name)) hat, recherchiert man die Beschwerden und die Termini, die notwendig sind, um alles besser zu verstehen, das ist alles. Wenn du nämlich all das, was der Doktor sagt, Wort für Wort über- 189 5.5 Interviews: Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="190"?> setzen würdest, ohne zu verstehen, was es bedeutet, würde auch ich nichts verstehen. Der Sprachkompetenz wurde ebenso große Bedeutung zugesprochen: Dolmet‐ scherInnen sollten demnach einwandfreie, perfekte Kenntnisse in beiden Spra‐ chen vorweisen (F4, 58-48; F5, 21-21; P07, 14-14). Kohärenz und Kohäsion wurden als wichtig, grammatische Fehler als eher weniger relevant - solange diese die Verständlichkeit nicht beeinträchtigten - eingestuft (F02, 46-46; F3, 82-83; F06, 17-18; P01, 88-91; P03, 55-55; P06, 55-56; P08, 35-36). Kulturkom‐ petenz wurde ebenso als wichtig bezeichnet, da sie den DolmetscherInnen ermögliche, die AkteurInnen auf Kulturunterschiede aufmerksam zu machen und Missverständnisse rasch zu klären: Und umgekehrt, dass der Übersetzer fähig ist, auch meine Welt jenseits dessen, was man (..) wenn es ein Kultur / oder was weiß ich, manches versteht der Patient nicht so, und es ist gut, dass der Patient Worte findet, die dann übersetzt werden, sodass der Patient verstehen kann. Also dass man nicht klebt an den einzelnen Worten, dass das ein Konzept ist, das man überträgt. (F06, 16-16) Der Sachkompetenz und der terminologischen Kompetenz wurde ein höherer Wert beigemessen: Und dann natürlich die fachlich / dass die / schon, ich glaube, das ist wertvoll und wesentlich, dass die ein Verständnis hat von / von der medizinischen Welt. Das muss jetzt nicht unbedingt sein, dass sie alle Details verstehen, weil ich kann nicht voraussetzen, dass, zum Beispiel, Sie alles wissen über Nervenchirurgie oder was, das lernt man dann eh mit der Zeit. Aber dass man ungefähr ein Verständnis hat über die Therapieformen, die man anspricht, und dass / wenn nicht gegeben ist, dass man zumindest über dies im Vorfeld spricht. (F06, 14-14). Von VertreterInnen der medizinischen Institutionen wurde die Meinung geäu‐ ßert, dass es nicht genüge, nur die Fachterminologie zu kennen, sondern dass neben der Bezeichnung auch die begriffliche Bedeutung klar sein müsse, um sie in einer patientInnenverständlichen Sprache wiedergeben zu können: 190 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="191"?> Aber wenn ich sage: Post-OP, dann dass der Dolmetscher weiß, was eigentlich damit gemeint ist. (F01, 62-62) Die Interpretation der Floskel oder der (…) des Jargons, den der Arzt verwendet, um auch über die unangenehmen oder bedrohlichen Seiten aufzuklären. Das ist das / dann wird es ja interessant, nicht? Das kann man mit sensiblen Worten machen, das kann man mit brutalen Worten machen. (F05, 21-21) Zu den wichtigen Basiskenntnissen zählten das Wissen über Medikamente (F02, 66-66), medizinische Fachgebiete (F03, 74-74) und Zusammenhänge (F04, 14- 14; F05, 19-19; P01, 64-64; P02, 38-38; P03, 59-59; P04, 28-28; P07, 16-16) sowie die Kenntnis der medizinischen Termini, damit der Inhalt der Kommunikation korrekt übermittelt werden könne (F01, 62-62; F05, 2-2 sowie 21-21, F03, 77-78; P01, 53-53; P03, 55-55; P04, 12-12; P06, 48-48; P08, 28-28). Terminologische Kompetenz schließe die Fähigkeit mit ein, die richtige Terminologie auf eine ef‐ fiziente Art und Weise zu recherchieren. DolmetscherInnen als FachexpertInnen sollten wissen, welche Quellen sie für ihre terminologische Vorbereitung nach‐ schlagen können (P03, 39-39). Die Vertiefung der Sach- und terminologischen Kompetenz wurde Ausbildungsstätten und angehenden DolmetscherInnen als Schwerpunkt einer möglichen Weiterbildung im medizinischen Bereich (OK 12) empfohlen (P01, 104-104; P03, 61-61; P06, 80-80; F03, 91-91). Ebenso sollten DolmetscherInnen über ausreichende institutionelle Kompetenz verfügen und mit den Abläufen der medizinischen Institution - Krankenhaus oder ärztlicher Praxis - (F01, 66-66; F04, 14-14) sowie mit der geplanten Behandlung (P04, 32-32; P07, 16-16) vertraut sein, denn nur dadurch gelinge es ihnen, verständi‐ gungsorientiert zu dolmetschen. Um diese Kompetenz zu erwerben, empfahlen die InterviewpartnerInnen den angehenden DolmetscherInnen, ein Praktikum in einer medizinischen Institution zu absolvieren (F06, 26-26; F03, 93-93; F04, 54-54; F05, 43-43; P01, 104-104). Auch die Sozial- und Individualkompetenz gehörten zu jenen Kompetenzen, die als Voraussetzung für die Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus genannt wurden. Diese Kompetenz wurde im Rahmen der Interviews mit folgenden Merkmalen beschrieben: Menschlichkeit (P02, 34-34; P05, 14-14; P08, 30-30), Umgang mit PatientInnen (F02, 14-14; F06, 14-14; P01, 79-79) sowie ÄrztInnen (F04, 48-48; P03, 26-26), Einfühlungsvermögen (F02, 14-14; F02, 40-40), Empa‐ thie (F05, 33-33; P02, 51-51; P06, 48-48), Diskretion (P02, 20-20 sowie 36-36) und Auffassungsgabe (F06, 16-16). Emotionen sollten zwar gezeigt werden, die 191 5.5 Interviews: Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="192"?> DolmetscherInnen sollten aber professionelle Distanz wahren (F02, 14-14; F06, 28-28; P03, 39-39; P05, 24-24). ((…)) da un punto di vista proprio umano, essere discreti soprattutto con determinate patologie, magari, essere una persona discreta, riservata. (P02, 34-34) ((…)) menschlich gesehen sollte man diskret sein, vor allem bei bestimmten Krankheiten, vielleicht diskret und zurückhaltend. Umgang mit den Patienten also freundlicher Patientenumgang, sodass sich dann auch die Patienten wohlfühlen, weil doch auch persönliche / intime Themen sind, wo man halt ums Eck spricht, und (.) dass dann noch sensible Daten sind, also dass man auch sagt: das ist natürlich Verschwiegenheit, das gehört auch dazu. (.) Auch im Umgang, nicht mit mir, das ist nicht so wichtig, das sieht man eh, aber mit Professoren etc., dass man da ein gewisses Level am / am Umgang hat. (F04, 48-48) Ich glaube, das ist eine Auffassungsgabe, man muss sowohl den Patienten verstehen, was er sagt, weil vieles verstehe ich nicht, also ich mein, wenn der Patient zum Beispiel sagt, was weiß ich, er wurde vergewaltigt oder keine Ahnung was, und es liegt eine tiefe Störung da, die der Patient vielleicht wahrnimmt, die vielleicht nicht gesprochen wird, aber das / es ist da und dass / der Übersetzer es wahrnimmt und es mir übersetzt. Also, sprich, dass er eine Empfindungsgabe hat und eine Auffassungsgabe hat über das, was der Patient eigentlich sagen will. Also, das ist oft nicht / das ist oft nicht in den Worten drinnen. Der Patient spricht ja alles Mögliche, aber er spricht oft nicht alles bewusst oder unbewusst, und dass der Übersetzer kontextuell versteht, was der Patient sagen will. (F06, 16-16) In der Medizin sollten DolmetscherInnen den Stellenwert der ÄrztInnen-Pati‐ entInnen-Beziehungen begreifen (F03, 80-80) und ihre sozialen Kompetenzen nutzen, damit diese Beziehung aufgebaut werden könne: 192 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="193"?> Also, ich mag jetzt nicht (.), dass jemand dort sitzt, und ich habe einen Patienten, wo ich eine Beziehung aufbauen will, und das ist eine Person, die keine großartigen sozialen Kompetenzen hat, die kann ja dann das Gespräch nicht zerstören, aber stören. (F04, 50- 50) Für PatientInnen war zudem wichtig, dass sie sich in Anwesenheit der Dolmet‐ scherInnen wohlfühlen (P04, 34-34; P05, 6-6; P05, 38-38; P07, 18-18; P08, 28-28), nicht eingeschüchtert werden und Fragen stellen dürfen, falls sie etwas nicht verstanden haben. In diesem Zusammenhang wurde die Eigenschaft Geduld seitens der DolmetscherInnen als wichtige Kompetenz genannt (P08, 28-28). Darüber hinaus sollten DolmetscherInnen im Medizintourismus gut organisiert und flexibel sein (F04, 48-48), da sich vor allem im Fall von Operationen Verspätungen und Unvorhergesehenes ergeben könnten: Organisatorisches Talent (lacht), dass vielleicht man manchmal schon flexibel sein muss, weil gerade so im medizinischen Bereich nicht immer alles gleich so funktioniert, wie man das vielleicht in einem Büro erwartet, oder eben Situationen entstehen, die (.) die man nicht vorhersehen kann. (F04, 48-48) Die Befragten erachteten die Sozial- und Individualkompetenz als ebenso wichtig wie die translatorische Kompetenz sowie als ausschlaggebendes Kri‐ terium für die DolmetscherInnenauswahl. Soziale Kompetenz wurde darüber hinaus auch in den Empfehlungen für angehende DolmetscherInnen angeführt. DolmetscherInnen in medizintouristischen Settings sollten nie vergessen, dass sie für Menschen dolmetschen, die in ihrem täglichen Leben mit Schmerzen konfrontiert sind (P01, 103-103; P02, 51-51; P04, 44-44 sowie 47-47; P05, 46-46; P06, 80-80; P07, 29-29; P08, 50-50; F02, 64-64). Es sei auch Aufgabe der Universitäten, angehenden DolmetscherInnen beizubringen, professionelle Distanz und Empathie zu vereinbaren: ((…)) non limitarsi a colmare proprio da un punto di vista linguistico ma insegnare anche (.) il modo di porsi, che non deve essere freddo, asettico ma appunto (.) discreto appunto deve essere, bisogna instaurare un minimo di empatia e poi essere discreti nel momento della visita. (P02, 51-51) ((…)) sich nicht nur auf eine sprachliche Rolle zu beschränken, sondern auch 193 5.5 Interviews: Anforderungen an DolmetscherInnen <?page no="194"?> (.) den Auftritt beizubringen, das man nicht kalt und unpersönlich sein soll, sondern eben (.) diskret, man muss ein gewisses Maß an Empathie erreichen und dann bei der Untersuchung diskret sein. P03 (57-57) hob die Fähigkeit der DolmetscherInnen, als Katalysator zu fun‐ gieren und etwaige Spannungen abzubauen, hervor, sodass die kommunikativen Ziele der Interaktion verfolgt werden können. Diese Fähigkeit wurde von P03 als Mediation beschrieben: Se il medico non risponde in maniera adeguata al paziente o il paziente alza i toni di voce, perché è disperato, è psicologicamente provato, e ha delle aspettative, se l’interprete non sa mediare, non riesce a porre dei veti, dei limiti, l’interpretariato cade / la situazione precipita. Si rischia anche di (.) incorrere in un battibecco assurdo tra due persone di lingua diversa. (P03, 67-67) Wenn der Arzt nicht adäquat auf den Patienten reagiert oder der Patient die Stimme erhebt, weil er verzweifelt oder mental mitgenommen ist und bestimmte Erwartungen hat, wenn der Dolmetscher hier nicht vermitteln kann, es nicht schafft, die Situation zu beeinflussen und Grenzen zu setzen, dann scheitert die Dolmetschung / die Situation spitzt sich zu. Dadurch läuft man auch Gefahr (.), in ein Wortgefecht zwischen zwei Personen mit verschiedenen Sprachen zu gelangen. Falls ÄrztInnen im Gespräch die Geduld verlieren oder PatientInnen aufgrund ihrer Verzweiflung lauter würden, könnte durch die Mediation der Dolmet‐ scherInnen eine unnötige Diskussion vermieden und durch ihr Eingreifen in die Interaktion für eine Deeskalation und Wiederherstellung der optimalen Rahmenbedingungen gesorgt werden. Ethische Kompetenz wurde von den InterviewpartnerInnen nur selten ausdrücklich erwähnt. Möglicherweise gingen sie generell davon aus, dass ausgebildete DolmetscherInnen aus berufsethischen Gründen sowohl gegen‐ über dem medizinischen Personal als auch gegenüber den PatientInnen zur Verschwiegenheit verpflichtet wären; insbesondere VertreterInnen der medizi‐ nischen Institution maßen dieser Kompetenz große Bedeutung bei. Neben der Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht (F02, 16-16 sowie 20-20; F04, 48-48) sowohl hinsichtlich der Krankengeschichte als auch der von den ÄrztInnen 194 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="195"?> durchgeführten Behandlungen und Methoden wurde vor allem Wert auf die persönliche Integrität (P06, 54-54) der DolmetscherInnen gelegt. Die Businesskompetenz wurde von den InterviewpartnerInnen nur am Rande erwähnt. Durch ein professionelles Auftreten (F06, 14-14) und gepflegte Klei‐ dung könne die Professionalität der DolmetscherInnen bereits beim ersten Treffen erkannt werden (P01, 36-36; P02, 8-8 sowie 34-34). Außerdem wurden Verlässlichkeit und Präzision (P06, 54-54) sowie Pünktlichkeit (F01, 38-38) in diesem Zusammenhang als wichtige Kompetenzen angeführt. 5.6 Kapitelzusammenfassung Im Rahmen der ethnografischen Feldforschung (Phase 1) wurden Erwartungen und Anforderungen während 20 tatsächlich erfolgter und fünf geplanter, aber im Beobachtungszeitraum stornierter oder noch nicht angetretener medizini‐ scher Reisen beobachtet. Anschließend wurden 14 der beobachteten Gesprächs‐ protagonistInnen interviewt. Durch die teilnehmende verdeckte Beobachtung wurden Einblicke in das Betätigungsfeld Dolmetschen im Medizintourismus gewonnen, die als Ausgangsbasis für Phase 2 dienten. Die daran anschließenden Interviews sollten subjektive Meinungen, die sich aus der direkten Teilnahme der Autorin als Dolmetscherin ergaben, relativieren und eine erste generelle Erfassung von Erwartungen und Anforderungen an DolmetscherInnen ermög‐ lichen. Im Zuge der Beobachtung wurden neben der Vermittlung des medizini‐ schen Angebots und der Art der medizinischen Reise der PatientInnen jene Leistungen, die PatientInnen als auch VertreterInnen medizinischer Institu‐ tionen von der Dolmetscherin/ Autorin erwarteten, beschrieben. Translatorische Leistungen umfassten das Dolmetschen der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommu‐ nikation (Anamnese- und Erstgespräche, Aufklärungsgespräche, Beratungs‐ gespräche, Gespräche zur Überbringung schlechter Nachrichten, Nachfolge- oder Kontrollgespräche, Aufnahme-, Visite- und Entlassungsgespräche) und der nicht medizinischen Kommunikation in unterschiedlichen Situationen (Vom-Blatt-Dolmetschen verschiedener PatientInnenbögen, Übersetzen von ärztlichen Briefen, Diagnosen, Kostenvoranschlägen usw.). Fast alle Patien‐ tInnen benötigten neben translatorischen auch außertranslatorische Dienstleis‐ tungen. Teilweise war dies explizit in der Dolmetschanfrage kommuniziert worden, teilweise wurde dieser Bedarf erst während der medizinischen Reise erkennbar. Folglich könnte angenommen werden, dass es sich bei dem Bedarf um unbewusste Erwartungen handelte. Erfolgte die Vermittlung des medizini‐ 195 5.6 Kapitelzusammenfassung <?page no="196"?> schen Angebots im Rahmen einer Rundumbetreuung, waren die außertrans‐ latorischen Leistungen im vom Team des Arztes angebotenen Gesamtpaket inkludiert. Für jene Menschen, die keine Rundumbetreuung der medizinischen Einrichtung bezogen, stellte die Dolmetscherin/ Autorin die Ansprechperson für etwaige Bedürfnisse dar, die über die reine Translation hinausgingen. Das Spektrum der Anfragen reichte hierbei von der Beschaffung von Informationen zu verschiedensten Themen (Erreichbarkeit der medizinischen Institution, Parkregelungen und Sehenswürdigkeiten der Stadt usw.) über die Mithilfe bei der Reservierung von Unterkünften und Transfermöglichkeiten bis zur Begleitung in die Apotheke. Da die außertranslatorischen Leistungen häufig mit zusätzlichem Aufwand verbunden waren, benötigte die Dolmetscherin/ Autorin ein für sie funktionierendes Translations- und Auftragsmanagement sowie eine argumentative Sicherheit im Rahmen der Preisverhandlungen. Da alle PatientInnen an ernsthaften oder seltenen Krankheiten litten, waren neben der Sachkompetenz, der translatorischen und terminologischen Kompetenz auch ausgeprägte soziale Kompetenzen von Bedeutung. Neben den terminologischen Herausforderungen wurden vor allem die Beantwortung zusätzlicher Fragen und die Koordination zusätzlicher Wünsche und Bedürfnisse der Begleitper‐ sonen, die zu Verzögerungen und dadurch zu einem knappen Zeitplan führten, als Herausforderung empfunden. Die Handhabung von außerordentlichen Si‐ tuationen aufgrund der zum Teil schweren Erkrankungen der PatientInnen waren der Dolmetscherin/ Autorin aus anderen Dolmetschsettings unbekannt gewesen und stellten daher ebenso eine große psychische Herausforderung für sie dar. Anhand der folgenden Interviews konnte das aus der Beobachtung gewon‐ nene Bild ergänzt werden. Darüber hinaus war es möglich, die Erwartungen und Anforderungen detaillierter zu erforschen, da während der Beobachtung angenommen worden war, dass neben bewussten und somit explizit kommuni‐ zierten Erwartungen weitere Erwartungen existierten. Die direkte Frage zu den Erwartungen wurde mit der Angabe von wichtigen Kompetenzen beantwortet; die Grenzen zwischen Erwartungen und Anforderungen schienen also in den Augen der Interviewten zu verschwimmen. Viele der InterviewpartnerInnen erwarteten eine hohe translatorische Kompetenz der DolmetscherInnen (teil‐ weise wurde sogar der Einsatz der Notizentechnik als professionelles Kennzei‐ chen erwähnt). Obwohl einwandfreie Sprachkenntnisse vorausgesetzt wurden, schien eine fehlerfreie Grammatik nicht ausschlaggebend für eine positive Rezeption durch die InterviewpartnerInnen. Neben der translatorischen Kom‐ petenz und der Sprachkompetenz wurde eine profunde Kulturkompetenz in beiden Sprach- und Kulturkreisen als besonders wichtig erachtet, um die Inhalte 196 5 Erkenntnisse aus der ethnografischen Feldforschung <?page no="197"?> der medizinischen Gespräche patientInnenverständlich, aber auch inhaltstreu und vollständig zu dolmetschen und auf etwaige kulturbedingte Missverständ‐ nisse hinzuweisen. Ausgeprägte Kenntnisse der medizinischen Terminologie, des medizinischen Sachgebiets und der Institution waren sowohl für Patien‐ tInnen als auch für VertreterInnen der medizinischen Institutionen von großer Bedeutung. Vor diesem Hintergrund wurde seitens der Interviewten häufig der Wunsch geäußert, solche Kompetenzen als DolmetscherInnen im Rahmen einer Weiterbildung zu vertiefen. Auch der Sozial- und Individualkompetenz wurde von beiden Parteien große Relevanz zugeschrieben: Flexibilität, strukturierte Sprache und Vorgehensweise, Empathie und Menschlichkeit bei gleichzeitiger Bewahrung professioneller Distanz wurden von ihnen als Voraussetzung für eine gute Dolmetschdienstleistung genannt. Hinsichtlich der Aufgaben, deren Erfüllung sich die InterviewpartnerInnen von den DolmetscherInnen erwarteten, widersprachen die ausdrücklich ge‐ nannten Erwartungen der VertreterInnen medizinischer Einrichtungen zum Teil den Erkenntnissen aus den Beobachtungen. Während der Interviews gaben die meisten interviewten VertreterInnen der medizinischen Institutionen an, von den DolmetscherInnen vor allem - wenn nicht sogar nur - das Dolmetschen der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation zu erwarten. Anhand des Vergleichs zwischen diesen Antworten mit den beobachteten Tatsachen konnten unbe‐ wusste Erwartungen festgestellt werden, die außertranslatorische Leistungen betreffen. Dazu gehörten demnach das Ermöglichen der E-Mail-Kommunika‐ tion mit den PatientInnen und die Übersetzung sowie das Vom-Blatt-Dolmet‐ schen verschiedener Dokumente. Das organisatorische Personal hegte gegen‐ über den DolmetscherInnen die Erwartung, während des Auslandsaufenthaltes auch für Notfälle zumindest telefonisch zur Verfügung und den PatientInnen und ihren Begleitpersonen zur Seite zu stehen, falls wichtige Angelegenheiten zu bewältigen waren. Vonseiten der PatientInnen erwiesen sich die Erkenntnisse aus der Beobachtung und den Interviews ebenso als teilweise widersprüchlich. Selbst jene PatientInnen, die im Interview angaben, nur translatorische Leis‐ tungen von den DolmetscherInnen zu erwarten, hatten zuvor in den beobach‐ teten Situationen tatsächlich nach außertranslatorischen Leistungen gefragt oder aufgrund von unerwarteten Ereignissen außertranslatorische Unterstüt‐ zung benötigt. 197 5.6 Kapitelzusammenfassung <?page no="199"?> 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews Abb. 10: Expertinneninterviews im Forschungsdesign Das vorliegende Kapitel soll die Erkenntnisse aus Kapitel 5 ergänzen und im Sinne des mix-methods-approach einen Perspektivenwechsel von den Patien‐ tInnen und VertreterInnen der medizinischen Institutionen zu den Dolmetsche‐ rInnen als ExpertInnen der Translation ermöglichen. Die an dieser Stelle prä‐ sentierten Daten stammen aus den in Phase 2 geführten Expertinneninterviews mit Dolmetscherinnen, die im Medizintourismus tätig sind. Die gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen eine erste genauere Beschreibung des Aufgabenpro‐ fils von SprachdienstleisterInnen im Medizintourismus sowie eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Erwartungen und Anforderungen, die an diese gestellt werden. In den jeweiligen Einleitungen zu den folgenden Unterkapiteln werden die behandelten Aspekte in Form von Kategorienbäumen dargestellt. In diesen Kategorienbäumen finden sich jene Ober- und Unterkategorien, die nach Mayring (2010) gebildet und zur Inhaltsanalyse verwendet wurden (siehe dazu Kapitel 4). <?page no="200"?> 6.1 Rahmenbedingungen: Dolmetschen im Medizintourismus Abb. 11: Rahmenbedingungen für die Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus Der Einstieg als Dolmetscherinnen in den Medizintourismus (OK 1) erfolgte für die meisten Interviewpartnerinnen zufällig, und fand für diese erst in den vergangenen 5-7 Jahren statt. Eine Ausnahme bildete D05, die bereits Ende der 1990er-Jahre ihre ersten Aufträge im Medizintourismus erhalten hatte. Bei den Erstaufträgen handelte es sich entweder um bestehende KundInnen, für die die Dolmetscherinnen bereits in anderen Settings oder bei einer früheren Behandlung gedolmetscht hatten (D01, 5-5), oder um Weiterempfehlungen seitens DolmetschkollegInnen (D02, 5-5; D05, 5-5; D06, 5-5; D15, 5-5) oder Bekannten (D07, 5-5). In manchen Fällen waren die ersten medizintouristischen Dolmetschaufträge privater Natur: Die Interviewpartnerinnen hatten dabei für jemanden aus dem Bekannten- oder Familienkreis gedolmetscht (D08, 5-5; D10, 5-7; D11, 5-5; D14, 5-5). Eine interviewte Dolmetscherin (D09, 5-7) hatte 200 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="201"?> den Vertreter der medizinischen Einrichtung, bei der sie zu einem späteren Zeitpunkt angestellt wurde, wiederum bereits in einem anderen beruflichen Kontext kennengelernt. In allen anderen Fällen wurden die Dolmetscherinnen (D12, 5-5; D13, 5-5) von den PatientInnen kontaktiert, die durch ihre Website oder DolmetscherInnenlisten auf sie aufmerksam geworden waren. Die Frequenz der medizintouristischen Dolmetschaufträge (OK 2) variierte sehr stark von Dolmetscherin zu Dolmetscherin. Für manche stellten Aufträge im Medizintourismus einen hohen Anteil ihrer Gesamtaufträge dar: So beglei‐ tete D15 (9-9) zum Zeitpunkt der Interviews PatientInnen mehrere Male pro Woche zu medizinischen Untersuchungen. Einige Dolmetscherinnen dol‐ metschten bis zu zweimal pro Monat im Medizintourismus, da ihre KundInnen sie für längere Behandlungen benötigten (D01, 9-9; D06, 124-124); andere dol‐ metschten wiederum nur einige Male im Jahr (D05, 5-5; D08, 7-7; 6-7; D11, 7-7). D02 (8-11) und D10 (10-13) dolmetschten zum Zeitpunkt der Interviews nicht mehr im Medizintourismus: Die erste Dolmetscherin hatte ihre Dolmetschtä‐ tigkeit im Medizintourismus aus emotionalen Gründen beendet, schloss aber nicht aus, in Zukunft wieder in diesem Bereich tätig zu werden; die zweite Dolmetscherin hatte in eine Festanstellung als Sprachdienstleisterin gewechselt. D07 (15-15) und D12 (45-45) berichteten während der Interviews von einem massiven Anstieg des Auftragsvolumens im Bereich Medizintourismus, weshalb sie beschlossen hatten, aus organisatorischen Gründen nur mehr Aufträge von StammkundInnen anzunehmen und andere Anfragen abzulehnen. Saisonal bedingt variierte die Häufigkeit der Aufträge von D03 (8-8) stark: So führte sie zum Beispiel an, dass sie in der Regel nur einige Male pro Monat im Medizintourismus dolmetsche, während in den Sommermonaten die Frequenz stark ansteige, da PatientInnen mehr Zeit für chirurgische Eingriffe im Rahmen längerer Aufenthalte im Ausland hätten. Die interviewten Dolmetscherinnen dolmetschten im Medizintourismus mit den Sprachkombinationen Deutsch-Russisch, Deutsch-Rumänisch und Deutsch-Italienisch (OK 3). Für das Sprachenpaar Deutsch-Russisch wurden verschiedene Herkunftsländer angegeben: Neben Russland wurden die Ukraine, Tschetschenien, Usbekistan, Georgien sowie Weißrussland genannt. Aufgrund der schwierigen DolmetscherInnensuche für die entsprechenden Landesspra‐ chen in Deutschland und Österreich wurden laut den interviewten Dolmet‐ scherinnen in solchen Fällen häufig Russisch-DolmetscherInnen beauftragt, da Russisch in den oben genannten Ländern noch immer als Lingua Franca verwendet wird. Auch die finanzielle Lage der russischsprachigen PatientInnen unterscheide sich stark, wie aus den Erzählungen hervorging. Meist seien RussInnen (D01, 16-25) wohlhabend bis sehr wohlhabend, allerdings seien 201 6.1 Rahmenbedingungen: Dolmetschen im Medizintourismus <?page no="202"?> manche KundInnen - insbesondere aus den anderen, oben erwähnten Ländern - finanziell nicht gut situiert: Normale Leute gibt es fast gar nicht. Es gibt entweder richtig reiche Leute oder wohlhabende zumindest, und es gibt Leute, die über verschiedene Stiftungen kommen oder Wohltätigkeitsorganisationen. Die sind normalerweise sehr arm. (D07, 41-45) D07 führte an, dass insbesondere jene PatientInnen, die eine finanzielle Un‐ terstützung erhielten, Berichte über die Ausgaben verfassen und auf diese Ausgaben während des Auslandsaufenthaltes sehr achten müssten. Im Spra‐ chenpaar Rumänisch-Deutsch kamen laut Aussage der Interviewpartnerinnen die KundInnen entweder aus Rumänien (D02, 24-27; D06, 16-19) oder aus Mol‐ dawien (D12, 13-15; D15, 19-21). Während Menschen aus Rumänien teilweise sehr wohlhabend seien, seien die finanziellen Möglichkeiten der Menschen aus Moldawien häufig sehr begrenzt. Im Sprachenpaar Italienisch-Deutsch stammten die PatientInnen beinahe ausschließlich aus Italien (viele auch aus den südlichen Regionen) und wiesen laut Aussage der Dolmetscherinnen un‐ terschiedliche finanzielle Hintergründe auf (D05, 12-15; D09, 22-25). Settings (OK 4) der dolmetschvermittelten medizintouristischen Kommuni‐ kation umfassten sowohl die ärztliche Praxis als auch das Krankenhaus. Laut D01 wurde in manchen Fällen zuerst in der ärztlichen Praxis und anschließend im Krankenhaus gedolmetscht (D01, 31-31). Neben ambulanten Behandlungen wurde auch bei stationären Behandlungen gedolmetscht: Dabei leisteten die Dolmetscherinnen den PatientInnen während der gesamten Aufnahme Unter‐ stützung. Die interviewten Dolmetscherinnen gaben an, sowohl in öffentlichen Krankenhäusern - darunter befänden sich immer wieder Universitätskliniken (D03, 17-18) - als auch in privaten Kliniken zu dolmetschen. Gelegentlich würden sich PatientInnen erst nach der Untersuchung im Krankenhaus für zusätzliche Untersuchungen bei bestimmten ÄrztInnen entscheiden. D10 führte an, dass gut situierte PatientInnen aus Russland in manchen Fällen sogar für einfache Routineuntersuchungen extra nach Österreich reisten (D10, 23-23). D10 erzählte, dass in den meisten Fällen allerdings gezielt medizinische Reisen, die besondere fachliche Untersuchungen (u. a. mit bildgebenden diagnostischen Abklärungen) erforderten, unternommen würden, zumal eine Einreise ins Zielland mit zusätzlichen bürokratischen Hürden verbunden sei, da russische PatientInnen als Nicht-EU-BürgerInnen ein Visum benötigten: Die Russen, die brauchen ein Visum, um nach Deutschland zu kommen. Ein Visum kann nur eine medizinische 202 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="203"?> Einrichtung ausstellen. Ein einfacher Praxisarzt darf das nicht. (D07, 61-61) Manche PatientInnen hätten dichte Programme, die aus mehreren aufeinander‐ folgenden Untersuchungen an einem einzigen Tag bestünden (D10, 25-25), was vor allem im Fall von Verspätungen organisatorische Herausforderungen für die Dolmetscherinnen mit sich brächte. Zu den häufigsten medizinischen Bereichen, in denen die interviewten Dolmetscherinnen tätig waren, zählen für die Sprachkombination Russisch-Deutsch: Chirurgie, HNO, Dermatologie, innere Medizin, Neuro-Chirurgie, Neurologie, Kardiologie, Venenchirurgie, Epilepsie, Dermatologie, Pädiatrie, Psychologie, Augenheilkunde, Schönheits‐ chirurgie; für die Sprachkombination Rumänisch-Deutsch: Gynäkologie, Neu‐ rologie, Psychiatrie, Onkologie, Urologie, Pädiatrie, Autoimmunerkrankungen und Chirurgie; für die Sprachkombination Italienisch-Deutsch: Augenheilkunde und Kinderpsychosomatik, Dermatologie, Kardiologie, Psychotherapie, Onko‐ logie, Neurologie, plastische Chirurgie, Orthopädie-Technik. Als Gründe für eine medizinische Reise wurden unabhängig von der Sprache die Suche nach einer Diagnosefindung oder nach einer Zweitmeinung zu einer Diagnose oder einem Therapievorschlag sowie nach besonderen Behandlungsarten, zu denen PatientInnen im Herkunftsland keinen Zugang ohne längere Wartelisten hätten, oder die gar nicht existierten, angegeben. Die interviewten Dolmetscherinnen mit Sprachkombination Rus‐ sisch-Deutsch beschrieben die russischsprachigen PatientInnen als sehr an‐ spruchsvolle KundInnen: Leider Gottes überträgt sich schon so, wie das Temperament der Russen ist, dass sie glauben: Jetzt komme ich hierher, ich bekomme alles sofort, und ich kann alles bezahlen. (D01, 61-61) Auch hinsichtlich der Verpflegung hegten russischsprachige KundInnen laut den interviewten Dolmetscherinnen besondere Wünsche und Vorlieben, die im Krankenhaus erfüllt werden sollten. So erzählte D07 (117-117) von der Liebe seitens der RussInnen für Brot, das bei keiner Mahlzeit fehlen dürfe. Andererseits hätten viele russischsprachige PatientInnen nach wie vor sehr viel Respekt vor den ÄrztInnen, die noch immer als „Götter in Weiß“ (D03, 43-44) gälten. Die Dolmetscherinnen für die Sprachkombination Rumänisch-Deutsch berichteten wiederum vom fehlenden Vertrauen in die rumänische Medizin und dem Glauben ihrer KundInnen, dass die österreichische Medizin besser sei und alle Abläufe in Österreich reibungslos verliefen: 203 6.1 Rahmenbedingungen: Dolmetschen im Medizintourismus <?page no="204"?> Das Erste, was mir einfällt, ist ihr niedriges Vertrauen in das Gesundheitssystem in Rumänien. Es wird immer so ein Vergleich gemacht, und sie setzen quasi voraus, dass hier alles perfekt und reibungslos abläuft. Und hier werden sie geheilt, und hier ist die Diagnose sicher richtig. Und hier läuft alles gut, im Vergleich zu Rumänien und den Ärzten dort. Also, das ist so die grundsätzliche Einstellung. (D02, 61-61) Respekt gegenüber dem medizinischen Personal wurde ebenso von den Rumä‐ nisch- und Italienisch-Dolmetscherinnen (D12, 43-43; D11, 55-55) beobachtet. So würden ItalienerInnen ÄrztInnen sowie DolmetscherInnen immer wieder mit einer kleinen Aufmerksamkeit überraschen: Die Gastfreundschaft. Ja, man merkt schon, sie sind offen, sie sind sehr offen. (überlegt) Die Techniker, die deutschen Techniker hat / gut, jetzt wissen sie das. Aber die sind natürlich anders gestrickt, und manchmal scherzen wir, und der Techniker wird manchmal überrascht, weißt du? Oder er kriegt ein kleines Geschenk. Was weiß ich. Mandelplätzchen aus Sizilien. Es sind Kleinigkeiten, die einfach den Tag anders machen oder die Person, die das nicht gewohnt ist, positiv überraschen. (D09, 77-77) D05 (59-59) führte an, dass ItalienerInnen meist von vielen Familienangehö‐ rigen zu den Untersuchungen begleitet würden (D05). Auf der rhetorischen Ebene wurden von den Interviewpartnerinnen weitere Unterschiede angespro‐ chen: ((…)) du kennst die Italiener. Und sie reden sehr viel und tun sich schwer, zum Punkt zu kommen, und das ist eine große Schwierigkeit. Also manchmal muss man wirklich eine Richtung geben, damit sie gleich auf den Punkt kommen, weil nicht alle Leute, die da sind, Zeit haben. (D09, 69-69) In den Interviews wurden des Weiteren Unterschiede zwischen dem medizini‐ schen Personal in Österreich und in den Herkunftsländern der PatientInnen beschrieben. So schien die Asymmetrie in der ÄrztInnen-PatientInnen-Bezie‐ hung sowie in der ÄrztInnen-Pflegepersonal-Beziehung in Italien deutlich ausgeprägter als in Österreich (D08, 69-69). D10 (77-77) berichtete, dass Ärz‐ 204 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="205"?> tInnen in Österreich häufig versuchten, russischsprachige PatientInnen direkt anzusprechen und diese zumindest in deren Muttersprache zu begrüßen. Im Ver‐ gleich zu ÄrztInnen in Russland zeigten sie weniger ihre Macht gegenüber den PatientInnen. Darüber hinaus würden von österreichischen ÄrztInnen keine voreiligen Schlüsse im Rahmen der Diagnosefindung gezogen (D10, 77-77). D08 berichtete, dass das medizinische Personal sehr direkt in der Zusammenfassung der PatientInnenproblematik sei. Dies betreffe auch schlechte Nachrichten, die nicht wie in Italien „durch die Blume“ (D08, 45-47) übermittelt würden, was manchmal für die PatientInnen unheimlich wirke: Wir in Italien sagen alles durch die Blume. Das machen auch die Ärzte. Damals in Innsbruck war es auch so. Der Arzt sagt einfach, wie / was Sache ist. Und das habe ich auch jetzt dieses Jahr erlebt. Also, das war für die Familie und für die Verwandtschaft schon ein Schock, weil du das dann auch übersetzen musst. Die glauben, du bist verrückt. Was sagst du mir jetzt? Wenn mir jemand z. B. sagt: Es schaut gar nicht gut aus. Ich empfehle keine weitere Behandlung, weil Sie sterben werden. Ok, und dann übersetzt du das. Und dann plötzlich ist es im Raum natürlich: (..) Was? In Italien würde wahrscheinlich jemand sagen: Uh, es schaut nicht so gut aus. UUUNNDDD es ist anders, zumindest, glaube ich, was ich gesehen habe. (D08, 45-47) Die Beauftragung im Medizintourismus (OK 5) unterschied sich bei den in‐ terviewten Dolmetscherinnen kaum; fast alle wurden von den PatientInnen kontaktiert, beauftragt und bezahlt. Einige Dolmetscherinnen wurden von ihren PatientInnen über ihre Website (D03, 22-22; D07, 51-55) oder durch Mundpropaganda gefunden (D07, 51-55; D15, 26-31). In manchen Fällen wurden Dolmetscherinnen von den ÄrztInnen kontaktiert, allerdings beglichen dann zumeist die PatientInnen die Rechnung für die in Anspruch genommene Dienstleistung (D05, 5-5; D12, 21-23). In diesem Zusammenhang konnte die Beauftragung auch durch international offices von medizinischen Einrichtungen im Namen der PatientInnen erfolgen. Auch im Rahmen einer solchen Beauftra‐ gung erfolgte die Bezahlung durch die PatientInnen (D07, 51-51; D12, 21-23). Fünf Dolmetscherinnen hatten bereits - positive sowie negative - Erfahrungen mit unterschiedlichen Arten von Vermittlungsinstanzen gesammelt. So gaben D02 und D10 an, unter anderem durch PatientInnenvermittlerInnen beauftragt worden zu sein. D10 war fast ausschließlich durch diese beauftragt worden 205 6.1 Rahmenbedingungen: Dolmetschen im Medizintourismus <?page no="206"?> und mit der Auftragsabwicklung zufrieden gewesen; D02 (31-31) hingegen empfand die Arbeitsweise der PatientInnenvermittlungsinstanz, für welche sie nur einmalig tätig gewesen war, als unseriös: Das war eine Vermittlungsagentur, speziell für Medizintourismus aus Rumänien, die aber ziemlich unseriös wirkte. Mit denen habe ich auch nie wieder zusammengearbeitet. Es ist nur zu diesem Auftrag gekommen und dann gar nicht mehr. (D2, 31-31) D05 (15-15) berichtete von einem Community-Interpreting-Pool, der in einem Krankenhaus in Österreich beheimatet sei und sie immer wieder für medizintou‐ ristische Dolmetschaufträge kontaktiere. Auch Übersetzungs- und Dolmetsch‐ büros (D15, 26-31) sowie KollegInnen (D14, 31-31) zählten zu den PatientIn‐ nenvermittlungsinstanzen, die im Laufe der Interviews erwähnt worden waren. Betreffend die Honorare (OK 9) fanden sich in den Interviews unter‐ schiedliche Berechnungsschemata. Manche Russisch-Dolmetscherinnen diver‐ sifizierten ihre Preise auf Grundlage der finanziellen Situation der PatientInnen und verrechneten somit Honorare im gehobenen mittleren Bereich; D01 und D07 merkten dazu an, dass bei sehr wohlhabenden KundInnen noch Spielraum nach oben bestehe (D01, 55-57; D07, 85-88). Auch D10 (87-89) beurteilte die Bezahlung als angemessen. Die Italienisch-Dolmetscherinnen, die ebenso in anderen Settings (bei Gericht und Konferenzen) tätig waren, waren mit den im Medizintourismus erzielten Honoraren zufrieden. Durch ihr Durchsetzungs‐ vermögen im Rahmen der Preisverhandlungen verrechneten auch sie Tarife im gehobenen mittleren Bereich (D05, 62-69; D08, 49-49): ((…)) ich schlage den Preis vor und erkläre, weil / obwohl man, ich glaube, / als Simultandolmetscher wirst du besser gesehen als als Kommunaldolmetscher. Leider, und das wissen wir. Aber ich versuche schon dem Patienten zu erklären, dass es eigentlich eine sehr schwierige Arbeit ist. Das Übersetzen, die Wörter, die Terminologie ist eigentlich ein BRUCHteil. Ja, aber ne. (..) Bis jetzt hat niemand gesagt: Du bist zu teuer. Oder ne, es ist passiert, aber dann habe ich nicht für diese Person gearbeitet. (D08, 49-49) Andere Dolmetscherinnen wie D05 und D13 berichteten wiederum von Hono‐ raren, die niedriger als etwa das gesetzlich geregelte Honorar im Rahmen des Gerichtsdolmetschens seien: 206 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="207"?> Ich versuche mich so weit durchzuschlagen, dass ich auf gleichem Niveau auf beiden Beinen stehe, und mittlerweile klappt das auch, (.) aber natürlich ist man im Gerichtsdolmetschen immer auf einer sicheren Seite und muss nicht verhandeln. Im Großen und Ganzen läuft alles automatisch, per Gesetz, alles vorgegeben. Wenn sich da irgendwelche Differenzen ergeben, dann ist das eher die Ausnahme und ist nicht mehr nennenswert. Und im medizinischen Bereich muss man jede Anfrage speziell beantworten und speziell verhandeln. Das ist natürlich belastend. (D13, 76-76) Die meisten Rumänisch-Dolmetscherinnen erzählten von Honoraren, die schlechter als jene für das Simultandolmetschen von Konferenzen seien (D02, 56-59; D06, 60-69; D12, 47-47), was diese zum Teil aber auch auf ihre nicht vorhandenen Verhandlungskünste im schwierigen psychologischen Umfeld von Krankheit und Schmerz zurückführten: Auch wenn sie wohlhabend sind, bin ich da vom marktwirtschaftlichen Standpunkt nicht sehr (.) fest in meinen Entschlüssen. Ich habe immer Mitleid mit kranken Leuten. Ich könnte auch nie einen hohen Preis bekommen. (D12, 47-47) D09 verlangte niedrigere Preise von den KundInnen, die sie im Rahmen ihrer freiberuflichen Tätigkeit betreute, da sie mit ihrem Gehalt als Angestellte im medizinischen Bereich sehr zufrieden war. In jenen Fällen, in denen die Beauftragung durch eine Vermittlungsinstanz erfolgt war, wurde eine geringere Zufriedenheit seitens der Dolmetscherinnen festgestellt, da die Tarife deutlich niedriger ausfielen. Ein weiterer Aspekt, der in den Interviews thematisiert wurde, betraf die Informationen zum jeweiligen Auftrag (OK 6), die den Dolmetscherinnen kommuniziert wurden. Bei Aufträgen mit direktem Kundenkontakt wurden laut Interviewpartnerinnen in den meisten Fällen wenige Informationen spontan übermittelt, da viele PatientInnen nicht wussten, was sie sagen sollten oder was relevant für die Dolmetscherinnen war (D05, 26-31). Aus diesem Grund mussten die Dolmetscherinnen teilweise proaktiv nach Details zur Vorgeschichte (D08, 25-27; D11, 32-39; D14, 35-35; D15, 35-41), zu den eingenommenen Medika‐ menten (D01, 33-35), Entlassungsbriefen (D03, 23-26) und etwaigen Diagnosen fragen: 207 6.1 Rahmenbedingungen: Dolmetschen im Medizintourismus <?page no="208"?> 1 Die EU-Datenschutzgrundverordnung trat erst nach Führung der Expertinneninter‐ views in Kraft. Mittlerweile müssen DolmetscherInnen in der Medizin weitere Schritte im Rahmen der Aufzeichnung von PatientInneninformationen unternehmen, da diese Informationen sowohl persönliche als auch sensible Daten gemäß der DSGVO dar‐ stellen und deren Verarbeitung und Speicherung eine ausdrückliche schriftliche Ein‐ willigung benötigen. Die Art der Operation. Einseitig, beidseitig, männlich, weiblich, Alter, meistens auch Wohnsitz ((…)) (D14, 35-35) Es gibt viele naive Menschen. Meistens frage ich sie nach genauen Informationen, Entlassungsbriefen. Normalerweise verlange ich danach. (D03, 23-26) Darüber hinaus wurden die PatientInnen von manchen Dolmetscherinnen gefragt, „ob sie irgendwie Hilfe in anderen Angelegenheiten brauchen“ (D06, 26-31). Zur Erfassung der PatientInneninformationen wurde zum Teil auf Vorlagen zurückgegriffen: 1 Ja, ich habe das selber gemacht. Und wenn es Leute sind, die ich nicht kenne, dann schicke ich das als PDF-Datei zum Ausfüllen, wo alle Informationen, persönliche Informationen, Beruf, Wohnsitz, Hauptdiagnose, Nebendiagnosen, und die Heilung oder Behandlung, die schon vorgenommen wurde, und die aktuellen Beschwerden. So sieht das ungefähr aus. (D07, 66-71) Ausreichende Vorab-Informationen wurden generell als unabdingbar für die terminologische und inhaltliche Vorbereitung eingestuft: Sehr wichtig ist mir, dass ich vom Kunden die Grundinformation bekomme, dass ich möglichst genaue Diagnosestellungen habe, Unterlagen, Röntgenbilder, irgendwelche Beschreibungen, welche Behandlung vorher war. Ich bereite mich je nach Fachgebiet extra vor und versuche mir so eine Art (.) Fachthemenvokabelsammlung oder Sonstiges zu machen. (D01, 90-90) War eine Vermittlungsinstanz Auftraggeberin der Dolmetscherin, fielen die zur Verfügung gestellten Informationen manchmal weniger ausführlich aus als bei direkter Beauftragung. Für die von Vermittlungsinstanzen vergebenen Aufträge bekamen D02 (33-33) und D10 (19-19) nur Informationen zu Ort, 208 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="209"?> Uhrzeit, Adresse und ärztlicher Praxis, in der die zu dolmetschende Interaktion stattfinden würde. Die vom Community-Interpreting-Pool kommunizierten Informationen waren laut D05 ebenfalls sehr knapp formuliert (z. B. „Kind mit Epilepsie und es wird nach dem Gendefekt gesucht“ (D05, 35-37)). Die meisten interviewten Dolmetscherinnen wünschten sich mehr Informationen, andere, wie D09, D10 und D13, hatten sich wiederum mit den knappen Details zufrie‐ dengegeben. Für die Vorbereitung hatte es Letzteren genügt, zum Körperbau und zu den gängigen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden recherchieren zu können. Also konnte ich mir z. B. immer anschauen / also, Körperaufbau habe ich immer nachgeschaut. (..) Unterschiedliche Untersuchungsmethoden, die es gibt. Z. B. für diesen speziellen Fall. Weil der Arzt kann immer wieder untersch / der Arzt kann immer mehrere Vorschläge unterbreiten, und die Patienten entscheiden dann selbst. (D10, 63-63) Manche Dolmetscherinnen wollten keine weiteren Details wissen: D09 fühlte sich mit den vielen Details, die ihr die PatientInnen erzählen, überfordert; D13 fühlte sich von zu vielen Informationen gestört: Ich versuche mich vor einer Überflut an Informationen einfach abzuschirmen. (D13, 38-42) 209 6.1 Rahmenbedingungen: Dolmetschen im Medizintourismus <?page no="210"?> 6.2 Aufgabenprofil der DolmetscherInnen im Medizintourismus Abb. 12: Aufgabenprofil der Dolmetscherinnen Die von den interviewten Dolmetscherinnen übernommenen Aufgaben können in drei Kategorien eingeteilt werden, je nachdem, ob das Angebot ausschließlich aus Dolmetschdienstleistungen (OK 12), aus einem translatorischen Paket mit Dolmetschungen und Übersetzungen (OK 13) oder einem erweiterten transla‐ torischen Paket (OK 14), das auch außertranslatorische Dienstleistungen ent‐ hält, bestand. Ausschließlich D05 (78-83) bot reine Dolmetschdienstleistungen an. Sie dolmetschte ganz bewusst nur bei ÄrztInnen-PatientInnen-Kommuni‐ kationen und gab bei über die translatorische Dimension hinausgehenden Anfragen lediglich Empfehlungen (z. B. Restaurants) (D05, 88-89). Ein transla‐ torisches Paket wurde von D03 (45-56; 71-71) angeboten, die auch Aufgaben wie die Vereinbarung von Terminen für etwaige Folgeuntersuchungen und die 210 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="211"?> Ermöglichung und Unterstützung der ÄrztInnen-PatientInnen-Korrespondenz übernahm. Ersttermine wurden hingegen von den PatientInnen oder von deren Bekannten vereinbart: Es gibt im Internet Foren, in denen sich die Patienten austauschen können. Da werden Dolmetscherdaten, aber auch Kontaktdaten der Ärzte ausgetauscht. Dann kümmert sich jemand aus der Familie um die Erstellung des Kontakts auf Englisch. (D03, 70-70) D03 wurde immer wieder um „touristische Empfehlungen“ gebeten: In solchen Fällen leitete sie die Informationen und Kontaktnummern zusätzlicher Dienst‐ leisterInnen wie Taxiunternehmen weiter. D12 übernahm zwar aus zeitlichen Gründen keine Terminvereinbarungen für ihre PatientInnen, neben dem Dol‐ metschen bot sie aber auf Anfrage auch die Übersetzung unterschiedlicher Unterlagen an. Dafür arbeitete sie manchmal mit KollegInnen zusammen, die solche Aufgaben übernehmen konnten: Na ja, in diesen Gesprächen geht es ums Dolmetschen. Manchmal bekomme ich auch Unterlagen zu übersetzen. Über die bin ich nicht sehr froh, denn sie sind schon schwierig. Vor allem ist der Medizinbereich ja sehr schwierig, und man müsste sich wirklich darauf spezialisieren, aber für Rumänisch wäre das zu wenig, wenn man nur in dem Bereich arbeiten würde. Wir haben aber eine Kollegin, deren Mann Arzt ist, und ich verweise einige Leute dann auf sie bzw. hatte ich einmal eine Übersetzung aus dem Rumänischen ins Englische. Das mache ich auch manchmal. (D12, 57-59) D13 (85-95) gab an, ausschließlich Dolmetschdienstleistungen bei Aufklärungs‐ gesprächen (auch mit Unterstützung von Aufklärungsbögen), Anamnesen, psychologischen Gesprächen und im Rahmen von Operationen anzubieten, allerdings fügte sie später hinzu, dass sie auf Anfrage auch Übersetzungen anfertige und „auf ganz große Bitte“ (D13, 85-95) sogar die Korrespondenz übernehme. Darüber hinaus baten sie PatientInnen bereits um Begleitung zu verschiedenen Anlässen; allerdings war das bislang selten der Fall gewesen, da sich PatientInnen normalerweise während des Aufenthalts unabhängig fühlen wollten (D13, 98-99). Die anderen interviewten Dolmetscherinnen boten generell oder zumindest auf Anfrage ein erweitertes translatorisches Paket an, das sogar eine Rundum‐ 211 6.2 Aufgabenprofil der DolmetscherInnen im Medizintourismus <?page no="212"?> betreuung beinhalten konnte. D01 bot neben ausgebildeten Dolmetschdiensten auch eine Reihe von aufwendigeren außertranslatorischen Dienstleistungen an, die üblicherweise von Reisebüros zur Verfügung gestellt werden: Allgemeine Dienstleistungen, Ratschläge. Wo gehe ich hin? Was kann ich tun? Wie geht es schneller und einfacher? Also eigentlich ein bisschen so, fast schon (LACHT) wie vom Reisebüro. Grund (..) Organisation. Ich kümmere mich auch um Transfer. Wenn die Leute vom / vom Flughafen kommen, wenn sie irgendwo hier allein hinfahren müssen, übernehme ich das auch, und zwar deswegen, weil ich ein, zwei russische Fahrer habe, mit denen ich mich zusammenspreche. Und das haben die Russen sehr gerne, dass jemand mit ihnen in ihrer Sprache kommuniziert. Sozusagen einer von uns. Das akzeptieren sie mehr, als wenn man ihnen irgendein Taxi ruft. Also, das habe ich dabei / / (D01, 81-81) Sie vereinbarte die Termine für die medizinischen Untersuchungen (D01, 37- 37), übernahm die Korrespondenz (D01, 79-79), holte die PatientInnen vom Flughafen ab und fuhr mit ihnen ins Krankenhaus oder zur ärztlichen Praxis (D01, 65-65). Bei der Aufnahme half sie ihnen, unterschiedliche Formulare auszufüllen und Formalitäten zu erledigen, und blieb tagsüber bei den Patien‐ tInnen, solange sie das Zimmer belegten. Außerdem bot sie die Dolmetschung bei Gesprächen mit der/ dem InternistIn zwecks OP-Freigabe und bei generellen diagnostischen Abklärungen an. Falls sich der Aufenthalt im Ausland verlän‐ gerte, unterstützte sie die PatientInnen zudem bei der Suche nach einem Hotel oder einem Appartement (D01, 79-79). Je nach Bedarf leitete sie dafür nur die Kontaktdaten und Informationen weiter oder aber übernahm - wie in 80% der Fälle - die komplette Buchung (D01, 83-83). D07 versuchte wiederum die Zahl der außertranslatorischen Aufgaben gering zu halten, bot PatientInnen allerdings auf Wunsch ein Gesamtpaket an (D07, 95-97). Das von ihr beschrie‐ bene Angebot reichte von der Weiterleitung praktischer Informationen über die Abholung - auch in einer Limousine - bis zur Buchung einer Wohnung oder eines Hotels und gegebenenfalls sogar bis zur Zusammenstellung eines touristischen Rahmenprogramms bei längeren Aufenthalten. Das erweiterte Paket von D07 umfasste überdies das proaktive Bearbeiten und Nachverfolgen von Anfragen an die medizinischen Einrichtungen: Also, Übersetzung selber ist da eigentlich ein ganz, ganz mickriger Anteil, denn nämlich muss man erst 212 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="213"?> einmal Anfragen bearbeiten, übersetzen, eine ganze Weile und große Sache. Zweitens muss man diese Anfragen auch im Klinikum oder sonst irgendwo nachvollziehen und nachverfolgen, denn es bringt nichts, wenn ich dort anrufe und frage: Was kann das kosten? Oder ob wir das machen oder nicht. Die sind so vergesslich, und nach zwei Monaten kannst du nachfragen. Sie haben sowieso nichts gemacht. Dann muss man es als Konsument schon verfolgen, und das ist alles unbezahlte Arbeit, denn die Leute wissen noch gar nicht, ob sie kommen oder nicht. Sie wollen nur einmal ein Angebot bekommen. (D07, 17-17) Die außertranslatorischen Leistungen von D02, D06, D08, D15, D10, D11 und D13 waren zwar nicht so umfangreich, allerdings gingen auch die von ihnen übernommenen Aufgaben über die reine Translation hinaus. So übersetzte D02 (67-69) während ihrer Dolmetschaufträge im Medizintourismus immer wieder auch ÄrztInnenberichte und ÄrztInnen-PatientInnen-Korrespondenz und vereinbarte des Öfteren Termine für die PatientInnen. Ähnlich sah das Aufgabenprofil von D06 aus, die sogar die ÄrztInnensuche übernahm (D06, 74-79). Übernachtungsempfehlungen wurden von ihr zwar gegeben, aber die Buchung mussten die KundInnen selbst vornehmen. Auch D08 übernahm vergleichbare Aufgaben wie D02 und D06 und bot neben dem Dolmetschen zudem die Übersetzung von E-Mails sowie die Erledigung bürokratischer Ange‐ legenheiten an, die zum Beispiel mit der Rückerstattung der Kosten auf Basis der Patientenmobilitätsrichtlinie verbunden waren (dabei handelte es sich sowohl um Gespräche als auch um Anträge, um bestimmte Formulare zu erhalten (D08, 55-55)). D15 (75-79) erfüllte ebenso Aufgaben, die über die einfache Translation hinausgingen; etwa indem sie Befunde und Medikamente für die PatientInnen abholte und per Post nach Rumänien sendete. Während ihrer Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus bot auch D10 mehr als nur Translation an: Also, vor allem Begleiten, Dolmetschen, also, in der Interaktion mit dem Spezialisten, genau in dieser Situation, wo sie miteinander sprechen. Das war nur Dolmetschen. Außerhalb von dieser Situation alles. Den kompletten Ablauf. In welchem Raum machen wir die Blutabnahme? Was brauchen wir (.) erklären? Wie viele Stunden darf man nichts essen? Wann darf man 213 6.2 Aufgabenprofil der DolmetscherInnen im Medizintourismus <?page no="214"?> 2 Ähnliches wurde auch in Phase 1 beobachtet. nichts trinken, wenn man Koloskopie macht? Wie nimmt man dieses Medikament ein? Und wenn das jeder Patient macht, erklärt das oft nicht der Arzt, sondern ich selbst. (lacht) (D10, 105-105) D10 war imstande diese Tätigkeiten zu übernehmen, da sie immer wieder mit demselben medizinischen Personal zusammengearbeitet hatte und daher mit den sich wiederholenden Abläufen und Informationen bestens vertraut war. Zusätzliche Aufgaben stellten für sie verschiedene Fachübersetzungen, das Vom-Blatt-Dolmetschen von ärztlichen Briefen und Diagnosen sowie Termin‐ reservierungen dar. Dauerte der Auslandsaufenthalt aus unerwarteten Gründen länger, mussten etwaige Buchungen geändert oder storniert werden: Ja, alles was im Voraus Vorbereitendes war, wenn z. B. ein Aufenthalt länger gedauert hat oder z. B. (.) nach der OP man nicht so schnell sich erholt und noch zwei Tage länger bleiben soll. Z. B. Hotelzimmer canceln oder den Flug umbuchen. Das kann man dann selbst erledigen, wenn es sich zeitlich ausgeht. Aber das kann man auch mit den Kollegen absprechen. (D10, 108-11) D11 (69-75) und D13 (100-105) berichteten von ähnlichen Erfahrungen. D11 erwähnte weitere außertranslatorische Leistungen wie zum Beispiel Hilfestel‐ lung bei der Bedienung des Parkticketautomaten, damit die PatientInnen das Auto in der Stadt parken konnten. 2 D11 nahm des Weiteren explizit auf eine Aufgabe Bezug, die auch von allen anderen Dolmetscherinnen erwähnt wurde: die Überbrückung der Zeit im Wartezimmer oder der Leerzeiten durch Small Talk mit den PatientInnen oder mit deren Begleitpersonen (D11, 85-93). Diese Unterhaltungsfunktion fand sich ebenso im Aufgabenprofil von D14 (35-35), die sogar während einer OP mit Teilnarkose mit den PatientInnen üblicherweise Small Talk betrieb: ((…)) wenn ich im OP dolmetsche, da es nicht nur eine Dolmetschung ist. Ich weiß jetzt nicht, ob das relevant ist, sondern auch ein Unterhaltungsgespräch, um den Patienten oder die Patientin bei Laune zu halten, und damit erleichtere ich dem OP-Team die Arbeit, weil sie auch mit dem Patienten sprechen würden, tun das auch immer. (D14, 35-35) 214 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="215"?> D14 (75-79) und D09 (27-27) gehörten zum medizinischen Team und ihr Aufgabenspektrum umfasste die Rundumbetreuung sowie eine Erweiterung des translatorischen Leistungspaket. Genau wie D10 übermittelten sie medizinische Informationen, mit denen sie aufgrund ihrer Erfahrung als Teil des medizini‐ schen Teams vertraut waren, an die PatientInnen. D14 und D09 berichteten von zahlreichen außertranslatorischen Leistungen neben dem Dolmetschen: Terminreservierung, Transferorganisation, Begleitung zu den Untersuchungen, Small Talk während der OP, Informationen zu Restaurants und Ähnlichem. D14 gab darüber hinaus folgende Aufgaben an: Es fängt einmal an mit der / mit dem E-Mail-Verkehr, mit der Bestellung in die Ordination, mit dem Besprechen des Untersuchungstermins. Und dann sind es mehrere Tätigkeiten. Das Erste ist der Erstbesuch bei uns in der Ordination. Da erfolgt die Untersuchung, wo ich anwesend bin. Selbstverständlich auch das gesamte Aufklärungsgespräch. Das ist also eine gute halbe Stunde durch Dolmetschung, dann eben zum besprochenen Zeitpunkt / manchmal fahren die Patienten wieder zurück nach Russland und kommen dann für die Operation neu wieder her. Dann bin ich schon da in der Früh, wenn sie operiert werden, um 8 Uhr, empfange sie schon und sage ihnen, was zu tun ist, führe sie in den OP, bin dabei beim Umziehen, beim Umkleiden. Manchmal muss ich auch helfen. Das gehört dazu. (D14, 75-79) Das Dolmetschen von ÄrztInnen-PatientInnen-Gesprächen außerhalb ihrer Festanstellung bot D09 hingegen als selbstständige Dolmetscherin an: Es gibt Stammkunden, die mich immer wieder haben wollen, wenn es einen Termin beim Arzt gibt. Es gibt andere, und das sind die meisten, die wollen, dass ich dabei bin, aber am ersten Tag, nur am ersten Tag. Und das ist eine freiberufliche Tätigkeit von mir, weil es sonst passieren würde, dass ich nur noch in der Klinik bin. Und ich arbeite für MEINE Firma. Ich arbeite für die andere Firma. Dafür bezahlt mich die Firma nicht. Die Firma bezahlt mich nicht dafür, dass ich die meiste Zeit in der Klinik, also im anderen Unternehmen, verbringe, das nicht unseres ist. (D09, 31-31) 215 6.2 Aufgabenprofil der DolmetscherInnen im Medizintourismus <?page no="216"?> Im Rahmen ihrer Tätigkeit im Medizintourismus wurden die Dolmetsche‐ rinnen mit verschiedenen Textsorten und Gesprächsformen konfrontiert. Gedolmetscht wurde während der Aufnahmegespräche, der Gespräche zur Diagnosefindung (Erstdiagnose oder Zweitmeinung), der psychologischen Ge‐ spräche, der Check-ups und körperlichen FachärztInnenuntersuchungen, der Anamnese, der Aufklärungsgespräche (auch vor einer Narkose) sowie während der Operationen. Übersetzt oder vom Blatt gedolmetscht wurden insbesondere ärztliche Berichte, Befunde, Medikamenteninformationen und Korrespondenz. Anders als in der Literatur zum medizinischen Dolmetschen angegeben, wurde während der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation nicht immer konsekutiv gedolmetscht (OK 07): So dolmetschte D01 (41-45) für die PatientInnen meist simultan flüsternd und sollten diese die Wiedergabe nicht verstehen, fasste sie den Inhalt noch einmal konsekutiv zusammen. Während der Arzt spricht, mache ich sofort die Übersetzung. Manchmal, wenn ich merke, dass die Patienten das nicht so gut verstehen, mache ich noch einmal eine Konsekutiv-Kurzfassung, um den Inhalt besser rüberzubringen. Aber normalerweise ist mir lieber sofort simultan mit dem Arzt. (D01, 41-45) Für die ÄrztInnen wählte sie hingegen den konsekutiven Modus. Auch D05 (45-47) setzte beide Modi ein, doch dolmetschte sie zumeist flüsternd für die ÄrztInnen und konsekutiv in die Sprachrichtung, für die sie mehr ZuhörerInnen hatte (z. B. die PatientInnen und deren Begleitpersonen). Die anderen Dolmet‐ scherinnen dolmetschten konsekutiv mit einem reduzierten Einsatz von Notizen (D02, 40-49; D07, 73-75; D08, 29-33; D09, 48-51; D10, 65-67; D11, 41-43; D14, 45-47) oder sogar ohne Notizen (D03, 28-30; D06, 36-39; D12, 33-35; D15, 45-45). D02 und D07 führten des Weiteren an, dass sie manchmal - vor allem bei zu langen Redepassagen - in den simultanen Modus wechseln würden: Ich habe eigentlich geflüstert, nur als / weil ich da neben dem Patienten saß, also mit dem Buben und der Familie. Ich saß da neben der Mutter und dem Vater, und da habe ich, als die Ärztin länger gesprochen hat, was zu tun ist, eigentlich geflüstert. (D02, 40-49) 216 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="217"?> 6.3 Zufriedenheit mit der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus Abb. 13: Zufriedenheit mit der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus Die meisten Dolmetscherinnen schienen mit der Dolmetschtätigkeit im Medi‐ zintourismus generell zufrieden zu sein. Als Positiva (OK 10) des Berufsbildes wurden die direkte Kommunikation und der direkte Kontakt mit den Kun‐ dInnen, die in anderen Dolmetschsettings wie bei Konferenzen nicht gegeben sind, genannt (D01, 59-59; D02, 63-63; D05, 72-73; D06, 70-71; D07, 91-91; D08, 51-53; D09, 69-69; D10, 91-91; D11, 63-63; D12, 51-51; D14, 61-61). Auch die Gespräche im Warteraum wurden positiv bewertet (D03, 70-71). D08 hob als zusätzlichen Unterschied zu anderen Dolmetschaufträgen das Feedback, welches sie seitens der GesprächspartnerInnen erhalte, hervor: ((…)) was mir auch sehr gut gefällt: Du kriegst von diesen Kunden immer eine Rückmeldung (..), weil sie natürlich merken: Habe ich verstanden, was der Arzt gesagt hat oder nicht? Und das ist auch sehr schön. Weil, wie gesagt, du bekommst natürlich von der Agentur, wenn du simultan arbeitest / gibt es natürlich diese Umfragen, die sagen: Die Kunden waren zufrieden. Punkt. Also / Oder jemand kommt vom Publikum und sagt: Wow, das war jetzt super. Aber ansonsten, ja, hast du den ganzen Tag übersetzt, und dann gehst du wieder. Also, das gefällt mir schon, also dieses Feedback. (D08, 53-53) 217 6.3 Zufriedenheit mit der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus <?page no="218"?> Direktes Feedback sowie Lob und Komplimente wurden auch von D09 als positiver Aspekt erwähnt (D09, 69-69). Ein weiterer Punkt, der von den meisten Dolmetscherinnen genannt wurde, war die Tatsache, dass sie durch ihre Dol‐ metschtätigkeit Menschen helfen konnten: Dass ich das Gefühl habe, irgendwie zu helfen. Ich weiß, es macht keinen Sinn, aber ich habe dann irgendwie das Gefühl, ich habe jetzt wem geholfen. (.) Und es ist auch sehr angenehm, wenn alles gut läuft. (D06, 70-71) Und in diesem Bereich darf es wirklich von null anfangen und alles zu Ende bringen. Und das bringt eine gewisse Zufriedenheit mit sich, (.) ja wenn alles läuft, wenn alle zufrieden sind, auch in tragischen Fällen, auch wenn nicht alles so perfekt ist. Das sind auch Gesundheit und Leben des Menschen. Trotzdem weiß ich ganz genau und sehe ganz genau, dass ich eine große Hilfe geleistet habe, und das ist für mich eine wichtige Belohnung. (D13, 80-80) Die Abwechslung aufgrund der Vielfalt der Aufträge und die Möglichkeit, in ungewöhnlichen Settings wie im OP-Saal während eines chirurgischen Eingriffs zu dolmetschen, wurden als weitere Positiva angeführt (D10, 91-91; D13, 78-78). Für viele der interviewten Dolmetscherinnen galt das ihnen entgegengebrachte Vertrauen seitens der PatientInnen als besonders bereichernd: ((…)) also, gerade bei Patienten dieses Vertrauen, das sie / sie dir entgegenbringen, das ist zum Teil wirklich großartig. Und wenn sie sich öffnen und sich wohlfühlen, und wenn ich sehe, das macht mir Spaß, dass ich durch Sprache Wohlbefinden erzeugen kann. Das freut mich besonders. Also, das ist der Lustfaktor dran. Dass man durch Sprechen Wohlbefinden, Vertrauen und eine gute Stimmung erzeugen kann. Ja, ja (.) Weil wenn sie nicht verstanden werden würden, wären sie völlig verängstigt, und gerade beim Chirurgen (lacht) hätten sie große, große Bedenken. (D014, 61-61) Darüber hinaus gaben einige Dolmetscherinnen (D05 72-73; D15, 63-63) an, dass sie die Medizin als Fachgebiet besonders interessant fänden und sie die Möglichkeit, sich während der Vorbereitung auf die Dolmetschaufträge und 218 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="219"?> während der Dolmetschaufträge selbst weiterbilden zu können und von neuen Entdeckungen oder seltenen Krankheiten zu erfahren, sehr schätzten. Außer von D11 und D13 wurden von den interviewten Dolmetscherinnen aber auch einige Negativa (OK 11) aufgezählt. So wurde zum Beispiel von einer Russisch-Dolmetscherin die Erwartungshaltung der russischen PatientInnen kritisiert, wonach alles schnell und reibungslos verlaufen müsste, nur weil sie über ausreichende finanzielle Mittel verfügten (D01, 61-61). Die Dolmetscherin ging davon aus, dass es sich dabei um ein Spezifikum ihrer KundInnen handle. Dies wurde allerdings auch von D06 für die von ihr betreuten PatientInnen behauptet (D06, 73-73). Laut D03 (42-42) und D14 (69-69) war diese Haltung typisch für „wohlhabende PatientInnen“. Ein weiteres Negativum stellte die emotionale Belastung für Dolmetscherinnen dar: Da viele Gespräche und Untersuchungen sehr intim und viele Lebensbiografien der PatientInnen von Leiden und Schmerzen geprägt seien, fühlten sich einige Dolmetscherinnen emotional belastet (D02, 13-15; D07, 91-91; D08, 53-53; D10, 97-97): Manchmal denke ich mir, es ist schon eine Last, wenn du nach Hause kommst und das Ganze verarbeiten musst. Natürlich kann ich mit meinem Partner oder Kolleginnen über die Arbeit reden, aber ich würde sicher über so was nicht reden, weil das doch sehr privat ist. Und dann musst du das verarbeiten und sagen: Ok, wie kann ich das besser machen für den Patienten? (D08, 53-53) Die Schmerzerfahrung war für die an den Interviews beteiligten Dolmetsche‐ rinnen nicht immer leicht zu verarbeiten. So war der letzte angenommene Dolmetschauftrag für D02 dermaßen belastend gewesen, dass sie ernsthaft darüber nachdachte, keine weiteren Aufträge in diesem Betätigungsfeld mehr anzunehmen. Darüber hinaus entstand bei vielen das Gefühl, für die Patien‐ tInnen verantwortlich zu sein, da sich diese während des Auslandsaufenthaltes allein in einem fremden Land aufhielten, in dem sie niemand verstehen könne: Mir gefällt nicht, dass du die Leute so nah nimmst, dass du ihre Sorgen, / weißt du, ich bin ihr einziger Ansprechpartner für sie im ganzen Land hier. Sie erzählen mir sehr viele private und intime Sachen, die ich gar nicht hören will. Das interessiert mich nicht. (D07, 91-91) Als Negativa wurden zudem die häufig unstrukturierte Vortragsweise der PatientInnen, die Schwierigkeiten hätten, zum Punkt zu kommen (D09, 69- 219 6.3 Zufriedenheit mit der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus <?page no="220"?> 69), sowie die Monotonie, die nach einigen Jahren auftreten könne (D10, 93-97), angeführt. Diese Aspekte klangen auf den ersten Blick nach einem Wiederspruch zu dem weiter oben genannten Positivum der Abwechslung im medizintouristischen Dolmetschen, könnten aber möglicherweise mit der Spezialisierung in einem bestimmten medizinischen Bereich oder mit sich wiederholenden Aufträgen für die PatientInnen derselben medizinischen Insti‐ tution zusammenhängen. Eine weitere negative Erfahrung bezog sich nicht auf die eigentliche Dol‐ metschtätigkeit im Medizintourismus, sondern auf die generelle Entwicklung des Medizintourismus: Manche der in Österreich (D06), aber auch in Deutsch‐ land (D07) lebenden Dolmetscherinnen kritisierten „das System“ (D06, 117-119), das sich in den vergangenen Jahren verändert hätte: Weil sich mittlerweile das System so geändert hat, dass man nicht mehr den Kunden und die Medizin im Vordergrund stellt, sondern das Geld. Also, die Ärzte sind nur noch (..) an Geld interessiert. Und es ist auch unangenehm, weil die Kunden das spüren und sehen. Und man kann ihnen das dann nicht so wirklich erklären. Und sie sind dann enttäuscht. Wozu habe ich so viel Geld ausgegeben, um nach Österreich zu kommen, mit sehr großen Erwartungen? Und hier wird dann irgendwie das gleiche Spiel gespielt wie in Rumänien, nur halt mit schönen Krankenhäusern. (D06, 117-119) Der Anstieg der Preise für medizinische Leistungen aufgrund einer stärkeren Nachfrage vonseiten ausländischer PatientInnen wurde ebenso von D07 er‐ wähnt (17-17). D12 verwies auf die zuweilen zu beobachtende schlechte Pla‐ nung von Terminen, die für PatientInnen längere Wartezeiten bedeute, sowie die exzessive Verschreibung diagnostischer Abklärungen, die ihrer Meinung nach nicht notwendig seien und dazu führten, dass PatientInnen „gequält werden“ (D12, 53-53). Als besonders negativ empfunden wurden auch die Vermittlungsinstanzen im Medizintourismus. D05 kritisierte in diesem Zusam‐ menhang, dass diese den DolmetscherInnen zu wenig Informationen zum Auftrag übermittelten und dadurch keine gewissenhafte Vorbereitung auf den Einsatz möglich sei: Na ja, was mir am wenigsten dran gefällt, ist eben, und das habe ich in letzter Zeit einbis zweimal erlebt, die Bestellung über Pools, wo man einfach zu wenig Informationen hat, und gar nicht wegen der Bezahlung, 220 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="221"?> sondern die / der Mangel an Informationen. Ja, das ist eher unangenehm. (D05, 75-75) D15 äußerte direkte Kritik gegenüber PatientInnenvermittlungsagenturen, deren VertreterInnen zum Teil auch Dolmetschdienstleistungen im Medizin‐ tourismus anböten. Sie bezeichnete solche Agenturen als „Patientenschlepper“: Im Medizintourismus machen das vor allem die Patientenschlepper. Die haben einen Vertrag mit Krankenhäusern, vor allem den Privatkrankenhäusern, abgeschlossen, und die kassieren was, und dann kassieren sie auch durchs Krankenhaus noch einmal was ((…)). Und da gibt es ganz Kleingedrucktes oder vielleicht überhaupt nicht klein gedruckt, gibt es was für die Patientenschlepper. Ich nenne sie nicht einmal Dolmetscher. (D15, 71-71) Die Praktiken der PatientInnenvermittlungsagenturen wurden also insbeson‐ dere aus ethischen Gründen als problematisch eingestuft, da für sie das Geld an oberster Stelle stehe. Um die Attraktivität des Berufsbilds (OK 19) evaluieren zu können, wurde allen Dolmetscherinnen die Frage gestellt, ob sie ihren KollegInnen empfehlen würden, im Medizintourismus tätig zu werden. Alle Interviewpartnerinnen sprachen sich für eine Empfehlung aus - allerdings mit einigen Vorbehalten oder Präzisierungen. So beschrieb D01 das Betätigungsfeld des Dolmetschens im Medizintourismus als einen guten Markt, DolmetscherInnen würden allerdings „irgendwelche Kontakte“ und „Anknüpfungspunkte“ benötigen, um Aufträge zu erhalten: Ich glaube, dass es wahrscheinlich schon ein ganz guter Markt ist, aber man muss irgendwelche Kontakte haben, Anknüpfungspunkte, um einmal an die Kunden heranzukommen. (D01, 112-112) D02 (111-111) bestätigte darüber hinaus die Attraktivität für den rumänisch‐ sprachigen Markt: Ja, also zumindest mit der Sprachkombination Deutsch- Rumänisch ist das ein produktiver Bereich, sowohl für den Medizintourismus als auch Dolmetschen für rumänische (.) Patienten, die ihren Wohnsitz in Österreich haben. (D02, 111-111) 221 6.3 Zufriedenheit mit der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus <?page no="222"?> 3 D08 war die einzige interviewte Dolmetscherin, die in einer Stadt mittlerer Größe in Österreich lebte. Den italienischsprachigen Markt in Österreich hielt D08 nicht für besonders attraktiv (D08, 92-95), allerdings könnte das auch vom Standort der Dolmet‐ schenden abhängen. 3 Manche Interviewpartnerinnen würden das Dolmetschen im Medizintourismus nur jenen DolmetscherInnen empfehlen, die über be‐ stimmte persönliche Eigenschaften wie die Fähigkeit, mit persönlichen Leidens‐ geschichten umgehen zu können, verfügten (D11 (114-115), D12 (82-83) und D15 (116-117)): ((…)) aber wenn man sehr sensibel ist, dann eher nicht. Denn der Kontakt mit den Patienten ist schon sehr eng. (D03, 73-74) D07 (130-131) merkte diesbezüglich an, dass DolmetscherInnen auch über die notwendige Geduld verfügen müssten, um im Bereich des Medizintourismus dolmetschen zu können. D06 erwähnte hinsichtlich der Attraktivität des Dol‐ metschens im Medizintourismus, dass relativ viele DolmetscherInnen den Bereich nach einer gewissen Zeit wieder verließen: Ja, wobei ich sehr oft von Kollegen höre, die damit aufgehört haben, (.) weil die meisten Aufträge bekomme ich über sie / über Kollegen, die das lange Zeit gemacht haben und die das nicht mehr machen wollen. Und dann geben sie einfach meine Nummer weiter. Aber viele wollen da RAUS. (D06, 117-117) D06 erklärte nicht, warum ihre Kolleginnen nicht mehr im Medizintourismus dolmetschen wollten; eventuell könnte deren Entscheidung mit den oben erwähnten Änderungen im „System“ zusammenhängen. Zum Fachgebiet Medizin und zur medizinischen Fachsprache gingen die Meinungen der Interviewten auseinander. Während einige meinten, dass Dol‐ metscherInnen sich vom Fachgebiet nicht abschrecken lassen sollten, da die Leistung als DolmetscherIn im Medizintourismus mit zunehmender Erfahrung besser werde (D05, 106-107; D07, 133-133), war eine interviewte Dolmetscherin überzeugt, dass „nicht jeder Dolmetscher oder Übersetzer im medizinischen Bereich wirklich die Qualifikation erlangen kann“ (D13, 129-132). Für D14 war es letztendlich von großer Bedeutung, dass ausgebildete DolmetscherInnen und nicht Laiendolmetschende in diesem Bereich tätig werden: 222 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="223"?> Je mehr wir sind, umso höher ist das Niveau. Umso mehr können wir die anderen herausdrängen. Ja, die nur Geld kassieren. (D14, 114-118) 6.4 Unterschiede zu im Zielland ansässigen anderssprachigen PatientInnen Abb. 14: Unterschiede zu im Zielland ansässigen anderssprachigen PatientInnen Im Rahmen der Interviews wurde den Dolmetscherinnen die Frage gestellt, ob sie auch für im Zielland ansässige anderssprachige Menschen im medizini‐ schen Bereich dolmetschten und ob sie Unterschiede zu MedizintouristInnen feststellen konnten (OK 08). D01, D07, D12, D13, D14 und D15 waren für beide PatientInnengruppen als Dolmetscherinnen tätig. So dolmetschte D01 auch für russischsprachige Menschen, die einen Aufenthaltstitel in Österreich hatten und die Unterstützung von DolmetscherInnen für den Zugang zur allgemeinen me‐ dizinischen Versorgung benötigten. Für diese PatientInnen sei die Beauftragung von DolmetscherInnen wichtig, um sich während der medizinischen Gespräche sicher zu fühlen: ((…)) die hier einen Aufenthaltstitel haben und dann trotzdem mit Dolmetschern dorthin gehen, weil diese Leute teilweise Deutsch sprechen, teilweise auch sehr gut Englisch, aber sie sich ohne einen Profidolmetscher nicht sicher fühlen. (D01, 12-23) Die im Zielland ansässigen anderssprachigen PatientInnen machten 50% der medizinischen Kundschaft von D01 (21-21) aus. D13 (53-56) dolmetschte 223 6.4 Unterschiede zu im Zielland ansässigen anderssprachigen PatientInnen <?page no="224"?> regelmäßig für im Zielland ansässige anderssprachige PatientInnen, allerdings handelte es sich bei ihren Aufträgen zumeist um Gespräche mit AmtsärztInnen und dem Personal von Pensionsanstalten. D14 dolmetschte ebenso immer wieder in einer anderen Sprachkombination für ungarische PatientInnen, die in Österreich wohnten und in erster Linie PrivatpatientInnen und keine KassenpatientInnen waren. D06, D08, D09 und D10 verfügten zwar über Dolmetscherfahrung im Rahmen von medizinischen Gesprächen außerhalb des Medizintourismus, Dolmetschaufträge für solche PatientInnen hatten sie aber eher nur in der Vergangenheit übernommen. D06 (42-43) hatte bislang nur für eine einzige rumänischsprachige Kundin, die in Österreich wohnhaft gewesen war und ihre Dolmetschdienste benötigt hatte, gedolmetscht. D08 (7-7) hatte vor ihrem Umzug nach Österreich häufig für AmerikanerInnen in Italien gedolmetscht. D09 (53-53) hatte nur einmal eine italienischsprachige Kundin, die in Deutschland gelebt hatte und der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen war. Außer D06 (44-51), die keine Unterschiede - auch nicht in Bezug auf die Honorare - zwischen diesen beiden PatientInnengruppen feststellte, hoben die anderen Dolmetscherinnen (D01, D07, D08 und D10) vor allem den Unterschied hervor, dass anderssprachige im Zielland ansässige PatientInnen Kenntnisse des inländischen Gesundheitswesens und/ oder der medizinischen Institutionen besäßen, was die Dolmetschung erleichtere: ((…)) die Patienten, die hier bei uns schon leben, sind vielleicht ein bisschen besser informiert. Sie haben schon konkretere Vorstellungen und gehen auch zum Großteil von unseren hiesigen Standards aus. Die Leute, die direkt aus Russland kommen, haben oft ein bisschen andere Erwartungen und andere Vorstellungen, weil sie unser Gesundheitssystem nicht kennen. (D01, 47-47) Medizintouristische PatientInnen benötigten oft mehr Erklärungen zu kultur‐ bedingten Unterschieden und hätten Fragen zu Aspekten des täglichen Lebens. Dieser Umstand mache sie betreuungsintensiver als anderssprachige im Ziel‐ land lebende PatientInnen: Jemand, der jedes Jahr dasselbe / also, eine ähnliche Untersuchung macht und dem das System schon bekannt ist, dem muss man auch weniger erklären, warum es z. B. anders ist, oder weniger Fragen beantworten. (..) vom Medizintourismus / Es ist halt auch diese 224 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="225"?> Komponente, dass alles neu ist. Das ist auch mehr / ja, mehr Fragen, mehr Erklären. Auch viele Fragen zur Kultur, zu (.) was man / Wo kann man shoppen gehen? Was kann man / Wo kann man essen? Was würde man / österreichische Küche, was kann man (.) empfehlen? (D10, 82-85) Im Zielland ansässige anderssprachige PatientInnen seien darüber hinaus meist nicht bereit, höhere Preise zu bezahlen, und würden daher lieber auf kostenlose Dolmetschleistungen zurückgreifen: JA, man muss denen nicht so viel erklären. Sie kennen das System in Deutschland. Sie wissen auch, was das oder dies bedeutet. Ich meine, ich sage das manchmal für sie sogar auf Deutsch, damit sie das besser verstehen. MRT oder so was. Ich übersetze das gar nicht ins Russische, denn das müsste ich dann wieder zurückübersetzen, aber das Problem ist, dass die Russen, die hier leben, lieber Hilfe benutzen, die umsonst ist. Von Verwandtschaft, Bekanntschaft. Nicht so reiche Leute, die / also meine Preise können sie sich nicht mehr leisten. (D07 137-137) Laut D15 (51-57) würden sich anderssprachige im Zielland ansässige Patien‐ tInnen häufig erwarten, kostenlose DolmetscherInnen vom Staat zur Verfügung gestellt zu bekommen: [Die Unterschiede] sind finanzielle. Und die erwarten das auch. Wenn sie hören, sie müssen einen Dolmetscher mitbringen, dann sagen sie: Wieso wird uns das nicht vom Krankenhaus zur Verfügung gestellt? (D15, 51-57) D07 (138-141) gab an, dass medizintouristische PatientInnen nicht nur bereit seien, angemessene Preise für Dolmetschdienste zu bezahlen, sondern auch höhere Erwartungen an die deutsche Medizin hätten. Häufig benötigten sie aber zusätzliche Hilfe, um bürokratische Angelegenheiten zu erledigen, wie z. B. das Ausfüllen von S2-Formularen (D09, 57-57), um die Rückerstattung der Behandlungskosten laut Patientenmobilitätsrichtlinie in Anspruch zu nehmen. Neben mangelnden Kenntnissen über die lokalen Institutionen fehlten ihnen vor allem die persönlichen Netzwerke: 225 6.4 Unterschiede zu im Zielland ansässigen anderssprachigen PatientInnen <?page no="226"?> ((…)) es gibt schon Unterschiede, aber es hängt davon ab, dass die Amerikaner, die ich in Italien betreut habe, eigentlich in Krankenhäusern in ((Name der Stadt)) waren, aber sie leben dort, weißt du, sie haben alles. Die leben, als ob sie in den USA wären. Es ist eine Basis. Die haben Supermärkte. Die haben alles Mögliche. Die sind eigentlich keine (..) Ja, die sind keine Ausländer und die müssen sich auch nicht, ich weiß nicht. ((…)) Aber die haben ihre Familie da gehabt und auch dieses / dieses Netzwerk. Normalerweise, wenn ein Patient aus Italien nach Österreich kommt, kommt er vielleicht mit der Frau oder Schwester, aber dann ist es das schon. Weißt du? Der hat keine Verwandtschaft dort. Der muss pendeln. Es ist ein bisschen anders. ((…)) Trotzdem, du bist in deinem gewohnten Umfeld. (D08, 37-41) Darüber hinaus wollten sich laut D01 medizintouristische PatientInnen nicht um „dieses Drumherum“ (D01, 84-85) kümmern und wünschten sich von den DolmetscherInnen, dass diese die Termine vereinbaren und jegliche Organisa‐ tion übernehmen würden. Die Bezahlung zusätzlicher Leistungen, um dieses „Drumherum“ nicht selbst organisieren zu müssen, stelle für viele PatientInnen - insbesondere bei den wohlhabenden - kein Problem dar. Auch D06 (82-84) gab an, dass die PatientInnen sehr höflich seien und nicht zögern würden, für zusätzliche außertranslatorische Dienste zu bezahlen. D02 tat des Weiteren ihre Meinung kund, dass medizintouristische PatientInnen zumeist einen höheren sozialen Status oder ein höheres Bildungsniveau aufwiesen: Ich glaube auch, was den Sozialstatus betrifft. Also, die, die herkommen, wie gesagt, das waren wohlhabende Familien. Die können sich das leisten. Ich meine, sie (.) können sich eine Dolmetscherin leisten und die Rechnung beim Arzt zahlen, weil sie ja keine Versicherung in Österreich haben. Also das ist schon einmal ganz unterschiedlich. Und vielleicht auch sogar die / ja, (.) der Bildungshintergrund könnte ich mir vorstellen. (D02, 55-55) D13 stellte im Interview fest, dass auch das Verhalten der ÄrztInnen gegenüber im Zielland ansässigen anderssprachigen PatientInnen differiere, da sie nicht so 226 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="227"?> ausführliche Erklärungen wie bei medizintouristischen PatientInnen abgeben würden: Der Zweck der Aktion ist auch anders. (.) Die Ziele des Patienten sind auch andere. (…) Und der Arzt ist natürlich nicht so ausführlich. (D13, 57-62) Ausführliche Erklärungen der ÄrztInnen würden oft zu einer Verkomplizierung der zu dolmetschenden Inhalte beitragen. In diesem Zusammenhang ist folgende Äußerung von D05 von Interesse, die darauf hinwies, dass Laiendolmetschende zwar bei AkutpatientInnen helfen könnten, aber vermutlich mit einem kom‐ plexen diagnostischen Gespräch im Rahmen des Medizintourismus überfordert wären: ((…)) ohne Arroganz nach den zwei Aufträgen, dass ich gesagt habe, das würden die [Laien] nie im Leben schaffen. Das wäre unmöglich. Die können Patienten, Akutpatienten helfen, wenn sie an die Rezeption kommen, im ((Name des Krankenhauses)), und wenn einmal festgestellt werden muss, was das Kind hat, und dass das Kind was braucht, aber diese zwei-, dreistündigen Gespräche zur letzten genetischen Forschung und welches Enzym da grad fehlt, und wie das Ganze funktioniert mit dem Stoffwechsel, und warum das Kind epi / ich glaube, das würden sie einfach nicht schaffen. Das war für mich dann die Erkenntnis, dass ich gesagt habe: Das können im Grunde Laien nicht machen. (D05, 112-112) 227 6.4 Unterschiede zu im Zielland ansässigen anderssprachigen PatientInnen <?page no="228"?> 6.5 Anforderungen an DolmetscherInnen im Medizintourismus Abb. 15: Anforderungen an die DolmetscherInnen Die Erwartungen der PatientInnen im Medizintourismus (OK 15) bezogen sich nach Angabe der Interviewpartnerinnen nicht nur auf die Medizin im Zielland, sondern auch auf die Dienstleistung der DolmetscherInnen. Das anhand der Interviews in Phase 1 skizzierte Bild wurde von den Expertinnen bestätigt: Medizintouristische PatientInnen stellten hohe Erwartungen an die Medizin, die Diagnostik und an das medizinische Gespräch (D10, 119-127; D13, 69-70). Privat zahlende PatientInnen wollten rasch Termine bei bestimmten ÄrztInnen erhalten (D01, 49-51; D15, 81-81), zeigten sich ungeduldig bei langen Wart‐ zeiten (D06, 57-57; D14, 85-85) und wünschten sich reibungslose Abläufe: Sie möchten natürlich, dass alles reibungslos erfolgt. Das hat natürlich nicht nur mit mir zu tun, weil da Ärzte involviert sind, Techniker, technische As- 228 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="229"?> pekte. Also, sie möchten natürlich wieder zufrieden nach Hause fliegen. Das ist nicht immer einfach. Vor allem mit dem Patienten, vor allem wenn z. B. zu wenig Zeit für diesen Aufenthalt eingeplant wird, weil Anprobe [der Prothese] auch ihre Zeit dauert. (D09, 79- 79) Diese generell hohe Erwartungshaltung an die medizinische Reise führe in Folge auch zu hohen Erwartungen an DolmetscherInnen: Sie wollen eine gewisse Sicherheit, sowohl in der Betreuung als auch in der Sprache, und sie erwarten sich schon gewisse Standards, die erfüllt werden sollen. Nicht jetzt jemand, der die Sprache irgendwie kann. Sie sind froh, wenn jemand die Sprache versteht, aber sie erwarten sich schon, dass das wirklich eine genaue, teilweise medizinisch abgeklärte Übersetzung ist. Das ist ihnen schon wichtig, und es kommt sehr rasch zutage, ob jetzt jemand irgendwas übersetzt und erzählt, oder ob jetzt wirklich Frage, Antwort mit direkter Info hier vor sich geht. (D01, 53-53) Die Interviewpartnerinnen gaben an, dass PatientInnen im Medizintourismus häufig über eine gewisse (thematische und terminologische) Expertise hin‐ sichtlich ihrer Krankheiten verfügten. Aus diesem Grund erwarteten sie von DolmetscherInnen dasselbe Wissen und Erklärungen zum Behandlungsablauf (D08, 56-57): Diese Patienten, die nach Österreich für spezielle / eine spezifische Leistung kommen, sind sehr gut vorbereitet. Sie haben jahrelang das Problem und wissen Bescheid darüber. Sie haben so viel gelesen. Sie waren bei so vielen Spezialisten und erwarten sich manchmal, dass wir auch diese Vorbereitung haben, dass wir über das Thema alles wissen, was natürlich auch nicht möglich ist. Also, sie erwarten sich quasi, dass wir auch einen Abschluss in Medizin haben. (..) Das passiert in der Technik nicht immer. Die Ingenieure z. B. haben sehr wohl Verständnis dafür, dass ich einige Begriffe oder einige Techniken nicht kenne, diese Patienten nicht. (D11, 79-79) 229 6.5 Anforderungen an DolmetscherInnen im Medizintourismus <?page no="230"?> Häufig gingen laut den interviewten Dolmetscherinnen die PatientInnen davon aus, dass Terminenvereinbarungen eine Leistung darstellten, die von den Dol‐ metscherInnen automatisch und kostenlos erbracht werde. DolmetscherInnen, die vorwiegend in Konferenzsettings tätig sind, könnte diese Erwartung von‐ seiten der PatientInnen überraschen (D02, 78-81). Manche PatientInnen würden sich erwarten, von den DolmetscherInnen während des Auslandsaufenthaltes rundum betreut zu werden. So erzählte D03 (58-58), dass bei einer Anfrage die PatientInnen von einer 24-Stunden-Betreuung ausgingen. Zu den weiteren erwarteten Leistungen zählte die Nachversorgung, im Rahmen derer die Dol‐ metscherInnen die benötigten Medikamente besorgen oder im Nachhinein entstandene Fragen beantworten würden (D01, 75-75; D06 82-85; D08, 33- 33). D15 gab an, nach den ÄrztInnen-PatientInnen-Gesprächen oft E-Mails zu verfassen, weil die PatientInnen Zweifel hegten oder Fragen zu stellen vergessen hätten. Auch unmittelbar nach dem Gespräch wurden ihr von den PatientInnen häufig Fragen gestellt, falls sie sich den Inhalt nicht merken konnten: Sie vergessen sehr viel. Du hast gedolmetscht, und dann musst du dir noch die Sachen noch ganz genau merken, weil sie dich nachher fragen. Was hat er da gesagt, und was hat er da gesagt? Wie hat er das gemeint? Und dann wurde Medizin verschrieben, und dann wissen die nicht mehr, wie der Arzt das gesagt hat. Dann fragen die mich noch, und es kommt auch nicht so oft, ab und zu, vor, dass ich noch dem Arzt im Nachhinein eine E-Mail schreiben soll, über etwas anderes oder dasselbe Problem. Aber sie haben was vergessen. (D15, 85-85) PatientInnen im Medizintourismus verfügten oft über keinerlei persönliche Netzwerke, weshalb sie die Reise mit ihren Kindern unternehmen müssten, was für die DolmetscherInnen ebenso einen Mehraufwand bedeuten könne. So erzählte D07 von einem Auftrag, bei dem sie sich um ein Kind von Medizintou‐ ristInnen habe kümmern müssen: Da konnte die Mama nicht Englisch, nicht Deutsch, der Papa nicht, das Kind ganz bestimmt schon gar nicht, und dann musst du noch das Kind trösten und Märchen erzählen und weiß ich nicht was, Bonbons geben und so. Das war heftig. Das war fast den ganzen Tag, und da habe ich verstanden, dass es aber eine SEHR schwierige 230 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="231"?> Aufgabe ist, aber ehrlich gesagt: Ich wurde auch sehr gut bezahlt. (D07, 11-11) Moralische Unterstützung war ein weiterer Aspekt, den PatientInnen laut den Interviewpartnerinnen voraussetzten. D02 (75-75) benutzte sogar den Ausdruck „Ärzte-Rolle“, die sich ihrer Meinung nach ihre Kundschaft von ihr erwarte: Ja, man hat ein bisschen diese Ärzte-Rolle. Dieses Beruhigen, Unterstützen. Oder vielleicht habe nur ich so empfunden. Oder vielleicht habe ich mir diese Rolle selber zugeschrieben. (D02, 78-81) Von den interviewten Dolmetscherinnen stellte nur D05 keine besonderen Erwartungen an sie fest. Das könnte allerdings damit zusammenhängen, dass sie die einzige Dolmetscherin war, die nur Dolmetschtätigkeiten und keine darüberhinausgehenden Dienstleistungen in ihrem Paket anbot. Für die Beantwortung der Frage nach den notwendigen Kompetenzen für das Dolmetschen im Medizintourismus (OK 16) wurde in den seltensten Fällen Bezug auf die translatorische Kompetenz genommen. Der Grund könnte darin liegen, dass - wie von D15 (97-97) thematisiert - diese Kompetenz von den Interviewpartnerinnen als Voraussetzung für die Ausübung der Dolmetschtätig‐ keit angenommen wurde. D02 (93-93) und D11 (99-99) betonten die Wichtigkeit von Recherchekompetenz, Dolmetschstrategien und -techniken wie jenen des Konsekutiv- und Flüsterdolmetschens sowie der Notizentechnik. D08 gab an, dass DolmetscherInnen fähig sein müssten, Haupt- und Nebengespräche zu priorisieren und das Gesagte verständnisorientiert zu dolmetschen, da die zu dolmetschenden Interaktionen häufig Mehrparteiengespräche seien: Es gibt keine Triade, sondern du hast auch die Frau, die Schwester, die Kinder dabei, und das macht das Ganze komplizierter, denn alle wollen was sagen, und die verstehen nicht, die hören denselben Satz und verstehen ihn anders. Und ich denke mir: Ok, mit wem rede ich? Und ich muss mich immer fragen: Ok, wer ist jetzt mein Kunde? Also, für wen übersetze ich es? Es gibt auch interne, (.) familiäre Geschichten, die auch rauskommen, nach dem Motto: Ich werde nichts davon wissen. Oder der andere, der sagt: Weißt du, wir waren bei dem anderen Arzt. Das war besser. Sie reden auch darüber, weil sie wissen, dass der österreichische Arzt in dem Fall nicht versteht. (D08, 67-67) 231 6.5 Anforderungen an DolmetscherInnen im Medizintourismus <?page no="232"?> Einwandfreie Sprachkenntnisse wurden von D06 (91-91), D07 (105-105) und D14 (89-89) erwähnt. In Bezug auf die Kulturkompetenz wiesen einige Dolmet‐ scherinnen darauf hin, dass es von großer Bedeutung sei, die Hintergründe der PatientInnen sowie der ÄrztInnen zu verstehen, um ihre Erwartungen zu erfüllen. Dies sei nur dann möglich, wenn DolmetscherInnen aus dem Herkunftsland stammten oder eine gewisse Zeit lang dort gelebt hätten. D12 meinte in diesem Zusammenhang: Und gut ist es auch, wenn man weiß, wie die Zustände in Rumänien sind, damit die Ärzte auch Bescheid wissen, was die Patienten von Rumänien hätten mitbringen können oder was sie dort hätten erfahren können. (D12, 69-69) Die Sachkompetenz wurde ebenso von den interviewten Dolmetscherinnen betont. Kenntnisse der Medizin wurden von beinahe allen Interviewten als Grundvoraussetzung für die Arbeit im Medizintourismus genannt. Einige sahen Basiskenntnisse als ausreichend an, während andere auf profunde Kenntnisse verwiesen (D01, 102-102; D02, 93-93; D05, 95-95; D11, 95-95; D12, 67-69; D13, 136-136; D14, 91-91 und D15, 99-99): Um hier wirklich gut dolmetschen zu können, und dass das auch medizinisch fundiert ist und nicht nur irgendeine Qua-qua-Erklärung. (D01, 102-102) Auch die terminologische Kompetenz, die das Recherchieren, Verstehen, Archi‐ vieren, Memorieren und Anwenden umfasst, wurde in den Interviews häufig erwähnt (D01, 90-90; D02, 85-85; D03, 62-62; D08, 69-69; D09, 97-97; D10, 131-131). Die Sozial- und Individualkompetenz wie der richtige Umgang mit der Kundschaft, Diskretion und professionelle Distanz wurden von den Interview‐ partnerinnen als essenziell beschrieben (D01, 96-96; D02, 97-97; D03, 66-66; D10, 97-97; D15, 105-105): Es gibt Menschen, für die nackte, fremde Menschen ein Problem sind. Für mich ist das kein Problem. Das z. B., oder es ist diese physische Nähe, die für andere Kolleginnen von mir ein Problem darstellen könnte. Das ist für mich keine Hürde. D.h., das ist ganz wichtig (…) Was noch? Freundlichkeit ((…)). (D11, 95-95) 232 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="233"?> Ähnliches gelte für Empathie und Einfühlungsvermögen, die insbesondere bei Kinder als PatientInnen unabdingbar sei (D02 63-63; D05, 95-95; D06, 99-99; D07, 11-11; D08, 81-81; D09, 99-99; D10, 139-139; D11, 113-113; D12, 67-67; D14, 91-91): Aber natürlich kommst du ohne Empathie nicht weiter. Also, Empathie ist schon sehr wichtig, auch weil, weißt du, die erzählen wirklich sehr intime Sachen, und ich glaube / manchmal denke ich mir: Wie würdest du das machen? Das ist Horror. (D08, 81-81) Geduld, Flexibilität gute Laune und Ruhe wurden in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt (D07, 99-99 sowie 103-103; D10, 101-101; D13, 142-142 sowie 144-144; D15 97-97): Geduld hoch 5. Da sind nicht nur sehr verschiedene Leute, da sind auch kranke Leute. Und das ist ein Problem. (D07, 101-101) Die Relevanz der Sozial- und Individualkompetenz für DolmetscherInnen wurde von D10 wie folgt zusammengefasst: ((…)) wenn man die Tätigkeit sich prozentual anschaut. Also, das Dolmetschen ist sicher auch wichtig, aber ich glaube, es sind so 30Prozent von der Tätigkeit. Alles andere verlangt Zeit und Aufwand, also persönlich viel Aufwand, habe ich den Eindruck. Es ist / Also, die Gespräche mit den Patienten / Wenn man den ganzen Tag mit denen verbringt, kann man nicht einfach nicht sprechen. Auch Taktgefühl. Dass man weiß, wann man besser nichts sagt oder es besser ist zu kommentieren oder korrigieren. Menschenkenntnisse. Kommunikativ sein. (D10, 151-151) D13 (136-136) betonte im Interview hingegen, dass DolmetscherInnen diese sozialen Kompetenzen genauso in jedem anderen Arbeitsgebiet benötigen würden. Auf die institutionelle Kompetenz wurde von einigen Dolmetscherinnen explizit eingegangen. So erklärte D03, dass die von ihr gesammelte Erfahrung ihr dabei helfe, „den Ablauf zu kennen“: Somit könne sie den PatientInnen erklären, was und in welcher Reihenfolge erledigt werde (D03, 62-62). Zu den Abläufen der medizinischen Institutionen äußerte sich ebenso D10 (153-153): 233 6.5 Anforderungen an DolmetscherInnen im Medizintourismus <?page no="234"?> Man muss aber wissen, an wen man sich wendet. Das lernt man auch mit der Zeit. Persönliche (.) Ansprechpersonen in bestimmten Bereichen. Z. B. wer ist Buchhaltung? Wer ist Krankenschwester? Wie wechseln sie sich ab? usw. (D10, 153-153) Des Weiteren wurde einer genauen Kenntnis des Gesundheitssystems im Ziel- und Herkunftsland (D12, 71-71; D13, 107-107) große Bedeutung beigemessen. D08 (67-67) hob die Wichtigkeit hervor, dass DolmetscherInnen wissen sollten, wie ÄrztInnen reden. Die Fähigkeit, Netzwerke aufzubauen und Kontakte zu knüpfen, kann nicht nur als Individual- oder Sozialkompetenz, sondern auch als Businesskompetenz, die dazu dienen kann, Aufträge zu akquirieren, gesehen werden: ((…)) ich glaube, man muss schon ein bisschen Organisationstalent haben, man muss Kontakte haben, gute Netzwerke. (D01, 93-94) Zwei Dolmetscherinnen gaben an, dass im Rahmen einer Zusammenarbeit mit Vermittlungsinstanzen „automatisch Kunden vermittelt werden“ (D01, 112-112; D15, 105-105) könnten; andererseits gebe es in solchen Arbeitsverhältnissen neben der Abhängigkeit von der Vermittlungsinstanz den Nachteil, dass die KundInnen nicht eigenständig ausgewählt werden könnten. Des Weiteren sei es im Nachhinein häufig kompliziert, Feedback von den PatientInnen zur transla‐ torischen Dienstleistung oder Betreuung im Sinne einer Qualitätskontrolle zu erhalten: Agenturerfahrung habe ich keine, weil mir das nie sympathisch war, weil man da irgendwie gebunden ist und abhängig. Ich möchte mir die Kunden selbst aussuchen, und (.) mit einer Agentur ist man vielleicht ein bisschen mehr gebunden. Das, glaube ich, hat Vor- und Nachteile. Vielleicht hat man hier öfter, dass automatisch Kunden vermittelt werden. Aber so habe ich für mich selber eine bessere Auswahl und ein besseres Qualitätsmanagement. Das ist mir persönlich wichtig. (D01, 112-112) Eine weitere Businesskompetenz sei die Fähigkeit, (Preis-)Verhandlungen führen zu können (D12, 47-47; D13, 76-76), um Honorare zu erzielen, welche die unternehmerische Existenz sichern. Im medizinischen B2C-Bereich sollten laut D13 Preise immer individuell berechnet und verhandelt werden. In diesem 234 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="235"?> Zusammenhang sei es daher von Vorteil, den Markt zu kennen und gezielte Preisstrategien zu erarbeiten (D13, 117-117 sowie 119-119). D12 merkte an, dass sie sich nicht gerne mit wirtschaftlichen Aspekten der Arbeit auseinandersetze und aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht gerne hohe Preise verlange: Das Problem ist eher ein inneres Problem. Ich habe ja eben deshalb Sprachen studiert, weil ich mich mit den wirtschaftlichen Aspekten nicht so auseinandersetzen möchte und ich / die Kenntnisse, die kann ich mir ja aneignen. Es fehlt nicht an den Kenntnissen, sondern [es liegt] an den inneren Hemmungen. (D12, 80-81) Auch von jenen Dolmetscherinnen, die ein erweitertes translatorisches Paket anboten, erwähnten nicht alle explizit die Bedeutung der Businesskompetenz. Möglicherweise wurde diese Kompetenz genauso wie die Sozial- und Individu‐ alkompetenz und translatorische Kompetenz vorausgesetzt, oder die Interview‐ partnerinnen meinten, dass sie automatisch vorhanden sei: Ja, Organisatorisches, aber ich glaube, das können ziemlich viele. (D10, 141-141) Häufig in der Literatur erwähnt, wurde die ethische Kompetenz jedoch von keiner der interviewten Dolmetscherinnen genannt. Auch in diesem Fall könnte davon ausgegangen werden, dass sie von ausgebildeten DolmetscherInnen vor‐ ausgesetzt wird, da ein Verweis auf ethische Verhaltensnormen in den meisten Berufs- und Ehrenordnungen der Übersetzer- und DolmetscherInnenverbände sowie in zahlreichen dolmetschwissenschaftlichen Uni-Lehrveranstaltungen enthalten ist. Die meisten Dolmetschkompetenzen sollten laut den Interviewpartnerinnen im Rahmen des translatorischen Studiums (OK 18) erworben werden. Während der Studienzeit werde gelernt, komplexe Sachverhalte zu verstehen (D05, 104-105; D13, 128-128) und eine gewisse Eigenverantwortung zu entwickeln, sich zudem thematisch und terminologisch vorzubereiten und sich nicht zu überschätzen (D14, 110-111): ((…)) das Studium hat mich darauf vorbereitet komplexe Sachverhalte zu verstehen, Fachwörter zu verstehen, mich weiterzubilden. (D05, 104-105) Alle Dolmetscherinnen hielten die im Studium erlernten Inhalte (Simultan- und Flüsterdolmetschen, Konsekutivdolmetschen, Einsatz von Notizentechnik usw.) für sehr wichtig. Absolventinnen alter Studienpläne - wie D01 (105-108), die 235 6.5 Anforderungen an DolmetscherInnen im Medizintourismus <?page no="236"?> das Simultandolmetschen in der Kabine und das Erlernen der Fachsprachen während ihres Studiums schätzte - bemängelten das Fehlen von Dialogdolmet‐ schübungen während ihrer Studienzeit. Mehr Übung in dialogischen Settings im Allgemeinen hätten sich aber auch einige der jüngeren Dolmetscherinnen gewünscht (D02, 104-109; D06 104-109): Sie führten diesbezüglich nicht nur ÄrztInnen-PatientInnen-Gespräche an, sondern auch Geschäftsverhandlungen und andere dialogische Situationen mit komplexen Sachverhalten und entspre‐ chend komplexer Fachterminologie, die einen hohen Lerneffekt bieten und zur Professionalisierung der angehenden DolmetscherInnen beitragen würden (D10, 144-145; D11, 103-105). So thematisierte D02 einen weiteren wichtigen Aspekt von Dialogdolmetschübungen mit folgenden Worten: Ja, also ich meine, ich denke, wenn ich das mehr geübt hätte, könnte es besser funktionieren. Ich hatte ja noch nie eine Ausbildung im medizinischen Bereich. Was ich studiert habe, war Konferenzdolmetschen. Der Fokus war ein anderer. Ja, vielleicht mit der Zeit hätte ich doch gelernt, meine sozialen Kompetenzen, auch die anderen Kompetenzen, noch professioneller einzusetzen. Ja, also eine Weiterbildung wäre interessant. (D02, 101-101) Die Simulation dialogischer Dolmetschungen könne angehende Dolmetsche‐ rInnen auf emotional belastende Situationen vorbereiten. D03 (63-64) bedau‐ erte, dass das von ihr absolvierte Studium zu theorielastig gewesen sei, D08 maß hingegen der Auseinandersetzung mit dolmetschwissenschaftlicher Literatur eine wichtige Rolle bei, da sie dadurch bereits im Rahmen ihrer Diplomarbeit mit dem Thema des medizinischen Dolmetschens in Kontakt gekommen sei: ((…)) vielleicht dadurch, dass ich meine Diplomarbeit über das Dolmetschen im medizinischen Bereich verfasst habe. Das hat sicherlich / ich bin mir schon bewusster als andere Kollegen vielleicht. (D08, 84-85) Etwaige fehlende Kompetenzen, die im Rahmen des Studiums nicht erworben wurden, können durch Weiterbildungsmaßnahmen (OK 17) entwickelt werden. Alle Dolmetscherinnen gaben an, sich informell zum Thema Medizin wei‐ terzubilden (D01, 100-100; D03, 67-68; D12, 79-79; D14, 104-107), um die medizinische Terminologie zu erweitern oder von aktuellen Therapien oder Entdeckungen zu erfahren. Dazu dienten nicht nur die fachspezifische Lektüre und der Besuch von Kongressen (D15, 107-107), sondern auch die Arbeit an 236 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="237"?> medizinischen Übersetzungen im Rahmen ihrer medizintouristischen Einsätze (D13, 113-113). D07 (113-113) beteiligte sich darüber hinaus als Vortragende an der Weiterbildung von KollegInnen, die Interesse an dialogischen Aufträgen im Bereich Medizin und Medizintourismus bekundeten. Formalisierte Weiter‐ bildung für den Erwerb fehlender Dolmetschkompetenzen, die im Medizintou‐ rismus relevant sein könnten, spielte nur eine geringe Rolle. D08 (72-73) und D11 (111-111) kritisierten in diesem Zusammenhang das mangelnde Angebot an professionellen Weiterbildungsmaßnahmen. Das Thema der Weiterbildung war auch für jene Dolmetscherinnen von besonderer Bedeutung, die kein einschlägiges Studium absolviert hatten, aber auf Basis einer nachgewiesenen ausreichenden Berufserfahrung die Mitgliedschaft in einem Berufsverband erlangt haben. 6.6 Weitere thematisierte Aspekte Abb. 16: Weitere thematisierte Aspekte 6.6.1 Dilemmata Im Laufe der Interviews wurden verschiedene Dilemmata (OK 20) von den Dolmetscherinnen angesprochen. Teilweise handelte es sich um Aspekte wie die Sichtbarkeit und die professionelle Distanz der DolmetscherInnen, die in der dolmetschwissenschaftlichen Literatur von Relevanz sind und möglicherweise aus normativen Ansätzen in der DolmetscherInnenausbildung entstehen. Die professionelle Distanz stellt einen dieser erwähnten Aspekte dar (D10, 139-139). So gab D02 (63-63) an, bei medizintouristischen Kommunikationen Schwierig‐ keiten zu haben, sich von der Situation zu distanzieren und ihre Gefühle zu verbergen: 237 6.6 Weitere thematisierte Aspekte <?page no="238"?> Es ist auch wichtig, Abstand davon halten zu können. (D10, 139-139) Ich kann mich nicht genug distanzieren. Ich hatte z. B. das erste Mal Tränen in den Augen, als ich die Patientengeschichte von dem Buben gelesen habe. Und dann musste ich mich zusammenreißen beim Dolmetschen. (D02, 63-63) Ähnliches wurde von D06 berichtet: Sie sprach von einem unangenehmen Gefühl, das sie jedes Mal überkomme, wenn eine Therapie nicht die gewünschte Wirkung habe: Und es ist auch sehr angenehm, wenn alles gut läuft. Wenn (.) es nicht / wenn die Eingriffe nicht erfolgreich sind oder nicht alles gut läuft, dann fühlt man sich nicht so gut dabei, aber es ist halt so. Wir können nichts garantieren, und wir begleiten sie einfach. Und so ist das Leben. Aber irgendwie habe ich trotzdem das Gefühl, dass ich geholfen habe, und das tut gut. (D06 71-71) D08 thematisierte des Weiteren das Problem der Neutralität. Sie erinnerte sich an ihren ersten medizintouristischen Dolmetschauftrag, in dessen Rahmen sie für eine Person aus dem Familienkreis gedolmetscht hatte, und betonte, dass Neutralität im Fall persönlicher Involvierung schwer einzuhalten sei (D08, 85-85). Bei professionellen Dolmetschaufträgen, in denen kein persönliches Naheverhältnis zu den PatientInnen vorhanden sei, könne zwar professionelle Distanz eingehalten werden, die häufig im Studium angestrebte Neutralität sei aber trotzdem unmöglich und sogar unerwünscht, da sie zum Verschwinden der Empathie führen könne: Ich glaube nicht, dass man komplett neutral sein kann in solchen Geschichten, weil du irgendwie auch ein Mensch bist, aber dass man versucht, wirklich nicht emotional zu werden und ja, professionell zu sein, so gut es geht ((…)) (D08, 53-53) In den vergangenen Jahren haben sich im Medizintourismus mit den PatientIn‐ nenvermittlerInnen weitere AkteurInnen etabliert, die mitunter Dolmetschauf‐ gaben für PatientInnen übernehmen, was von manchen Interviewpartnerinnen kritisch gesehen wurde. So meinte D14, dass für PatientenvermittlerInnen das 238 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="239"?> Dolmetschen häufig an letzter Stelle komme und ihre Verdolmetschung nur aus einer Zusammenfassung des Gesagten bestehe. Darüber hinaus fehle ihnen in vielen Fällen die professionelle Distanz (87-87): Die Laiendolmetscher sind große Schwestern, sind große Schwestern, die gerne umarmen, gerne streicheln. Und komm, das machen wir schon. Und das erkläre ich dir später. Und das wird schon wieder gut. Da wirst du operiert. Das wird rausgepumpt oder rausgeschnitten, und dann ist alles wieder gut. Und es kommt zu Missverständnissen. (D14, 95-95) Als sichtbare Beteiligte an der Situation empfanden DolmetscherInnen manchmal Schuldgefühle, da sie sich als nicht neutrale Brücke wahrnahmen und daher nicht der in der Ausbildung häufig als ideal vermittelten DolmetscherIn‐ nenrolle des conduit entsprachen. Eine der Interviewpartnerinnen gab in diesem Zusammenhang an: Diese Neutralität muss man lernen. Also, die Informationen, die man bekommt, sollte man einfach so weitergeben, wie sie gekommen sind, und nicht zuerst durch irgendwelche persönlichen Filter geben. (D06, 95-95) Für manche Interviewteilnehmerinnen war es schwierig, eine gleichberechtigte Position im dolmetschvermittelten Gespräch einzunehmen. So erwähnte D07, dass sie in den simultanen Flüstermodus wechsle, wenn ÄrztInnen während der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation ununterbrochen redeten: Dann habe ich keine Wahl. Aber ich kann da nichts entscheiden, leider. Ich bin nur eine Maschine zum Übersetzen. (D07, 75-77) Auch das zuweilen deutlich erweiterte Anforderungsprofil an die Dolmetsche‐ rInnen, die im Rahmen der medizintouristischen Reise häufig zahlreiche über die Translation hinausgehende Aufgaben erfüllen müssen, führte zu einer Reflexion über die eigene Rolle: ((…)) weil du wirklich DIE Ansprechperson in Österreich bist, sozusagen, und die fragen über Bürokratie, wie die Ärzte hier sind, warum sie so direkt sind, warum er das so gesagt hat. Also, es ist schon sehr interessant, aber manchmal denkst du dir: Oh Gott, ich bin NUR die Dolmetscherin! (D08, 27-27) 239 6.6 Weitere thematisierte Aspekte <?page no="240"?> D14 (87-87) gab an, dass für ausgebildete DolmetscherInnen die Dolmetsch‐ leistung die primäre Leistung darstelle, die um zusätzliche außertranslatori‐ sche Dienstleistungen erweitert werden könne. Für DolmetscherInnen solle es deswegen oberste Prämisse sein, sich von den PatientenvermittlerInnen zu distanzieren und nicht mit ihnen verwechselt zu werden (D14, 95-95): Ich glaube, sie haben verstanden, dass wir Dolmetscher keine Vermittler sind. Und wenn jemand sich doch für einen Dolmetscher entscheidet, dann weiß er, dass von uns primär das verlangt wird. (D06, 77-77) Ein weiteres angesprochenes Dilemma war das für DolmetscherInnen unange‐ nehme Gefühl, wenn Gesprächsteilnehmende Blickkontakt mit ihnen und nicht mit der direkt angesprochenen Person aufnahmen, da es für viele selbstverständ‐ lich war, der Person, die gerade redet, in die Augen zu sehen (D07, 25-25). Auch D11 forderte, dass ÄrztInnen und PatientInnen Blickkontakt zueinander und nicht zu den DolmetscherInnen hielten, um die ÄrztInnen-PatientInnen-Bezie‐ hung zu vertiefen. Zudem sollten ÄrztInnen die PatientInnen direkt ansprechen: Die Ärzte oder die Krankenschwestern reden immer mit mir und nie mit dem Patienten, obwohl ich immer versuche, dem medizinischen Personal zu erklären, dass sie bitte mit dem Patienten reden müssten, weil (.) ja / ich es wichtig finde. Ich bin dabei, aber ich bin nicht die Hauptfigur während des Termins, aber sie reden trotzdem mit mir. (D11, 121-121) D14 thematisierte auch die Verwendung der dritten Person beim Dolmetschen und fügte hinzu, dass die grammatikalische erste Person im OP-Saal nicht unbedingt geeignet sei, da sie zu Verwirrung führen könne: Weil es nur Missverständnisse gäbe. Weil es zu direkt / jetzt zwischen dem Arzt und mir / also ich muss sagen / die Patientin / Wenn ich sage: Ich möchte wissen, wie lange die Operation dauert, werden ((Name des Arztes)) oder der Operateur irritiert. Die Patientin möchte wissen, wie lang die Operation dauert, z. B., ist in dem Fall besser. Also man muss es ganz flexibel und situationselastisch anbringen. (D14, 65- 67) 240 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="241"?> Dem Aufbau einer ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung werde in der Medizin generell eine große Bedeutung beigemessen, allerdings werde die Anwesenheit der DolmetscherInnen von manchen ÄrztInnen noch immer als Hindernis gesehen, welches mit erhöhten Kosten und Zeitverlust verbunden sei. So versuchten ÄrztInnen manchmal in einer Mischung aus Englisch, Deutsch und der Muttersprache der PatientInnen mit Letzteren zu kommunizieren: Entweder auf Englisch / Wenn es nicht geht, dann irgendwie halb Russisch, halb Deutsch, aber es kommt trotzdem darauf hinaus, dass es effizienter wird, wenn jeder in der Muttersprache spricht. (D10, 133-137) In Zusammenhang mit der ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung stand auch das Problem der Asymmetrie in der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation; dieses Machtgefälle zwischen ÄrztInnen und PatientInnen sei auch in medizi‐ nischen Gesprächen ohne Sprach- und Kulturbarrieren vorhanden. D08 gab an, dass die Asymmetrie zwischen VertreterInnen der Institution und ihren PatientInnen durch die Sichtbarkeit der DolmetscherInnen und ihre Steuerung der Kommunikation ausgeglichen werden könne: Das ist auch interessant, was eine Dolmetscherin dazu beitragen kann. Es gibt zum Beispiel Patienten, die sehr schüchtern sind. Die wollen fast gar nicht fragen, und dann aber übersetzt du das normal, sage ich mal, und der Patient gewinnt ein wenig Macht. (D08, 57-63) In diesem Kontext wurde von D15 angemerkt, dass sie in jenen Fällen in die Kommunikation eingreife, in welchen sich die PatientInnen in einer Art und Weise ausdrückten, dass die ÄrztInnen sie missverstehen oder ihr Anliegen nicht begreifen könnten. Durch ihren Eingriff in die Interaktion könnten Miss‐ verständnisse vermieden oder aufgeklärt werden, die letztendlich zu höheren Kosten führen könnten: Also, die Patienten sind eigentlich beim Erzählen von deren Problemen nicht so sprachgewandt. Die wissen eigentlich nicht, was sie erzählen sollen. Sie sagen nur: Mein Bauch tut weh. Aber dann hat sich herausgestellt, dass eigentlich der Unterleib wehgetan hat. Und der Bauch hat die ganze Zeit wehgetan. Dann wurde ein Echo, Bauch-Echo, gemacht. Und eigentlich musste es unten gemacht werden. Im Unterleib. Dann musste 241 6.6 Weitere thematisierte Aspekte <?page no="242"?> die Behandlung wiederholt werden, weil sie es nicht so richtig gesagt haben, weil es zwei unterschiedliche Teile des Körpers sind. Ja, und dann kommt auch das Finanzielle wieder ins Spiel. (D15, 91-93) 6.6.2 Verhältnis zwischen DolmetscherInnen und medizinischem Personal Einige Interviewpartnerinnen äußerten sich spontan zur Beziehung zwischen DolmetscherInnen und dem medizinischen Personal (OK 21). Sie bezeichneten die Zusammenarbeit zwischen den translatorischen und medizinischen Exper‐ tInnen als besonders zentral, da DolmetscherInnen von diesen wichtige Infor‐ mationen zum medizinischen Fall und zu den Abläufen der Untersuchung erfahren und sich dadurch bestmöglich auf den Dolmetschauftrag vorbereiten könnten: Die Zusammenarbeit mit den Ärzten, die mir hier wichtige Fragen schon vorab stellen, oder wo ich sie frage und sage: Jetzt haben wir dieses Thema. Was werden wir / Wie werden wir diese Untersuchung machen? Und dann bereite ich mich noch einmal extra auf diese Dinge vor. (D01, 90-90) Wenn DolmetscherInnen immer wieder für dieselben ÄrztInnen dolmetschten, entstehe gegenseitiges Vertrauen (D07, 75-75). Das medizinische Personal könne sich somit auf die Unterstützung der DolmetscherInnen verlassen, die auch eine ergänzende Funktion einnehmen und den PatientInnen anstelle der ÄrztInnen gewisse allgemeine Anweisungen geben könnten, falls diese das vergessen sollten. D14 merkte an, dass die Wertschätzung durch das medizini‐ sche Personal aber nicht immer gegeben sei, da manchmal behauptet werde, jede Person mit guten Fremdsprachenkenntnissen könne DolmetscherInnen ersetzen: Mich ärgert, ganz genau, wenn ich nicht da bin, oder wenn ich die E-Mail nicht schreiben kann: Na, dann macht es halt die Sekretärin, oder dann macht es halt irgendjemand, der ein bisschen Russisch kann. Wir werden das schon schaffen. Nicht bei ((Name des Arztes)), aber in ((Name des Krankenhauses)) ist das so. (D14, 119-119) 242 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="243"?> Ähnlich äußerte sich D08, die der Meinung war, dass DolmetscherInnen nicht immer die richtige Anerkennung erhielten, obwohl ein gut gedolmetschtes ÄrztInnen-PatientInnen-Gespräch einen Gewinn für alle Gesprächsbeteiligte darstelle: Vielleicht suche ich Anerkennung. Teilweise, wenn du in der Station bist: Ah, die Dolmetscherin kommt. Nach dem Motto: Oder ruf mal die Dolmetscherin. Oder ruf mal die Frau Blabla. Und: Wer sind Sie noch mal? Und wenn du sagst, die Dolmetscherin, habe ich manchmal das Gefühl, sie glauben: Brauchen wir das jetzt wirklich? Oder: Ist das wirklich notwendig? Das denke ich mir manchmal so. Vielleicht ein bisschen Anerkennung auch. Aber ich finde, die Leute merken dann, wenn eine / ein Gespräch / also danach merken die Krankenschwester und der Patient sowieso, dass die Dolmetscherin doch sehr hilfreich ist. Ein GUT gedolmetschtes Arztgespräch ist schon / nicht weil ich das, sondern generell rede ich jetzt / Das ist schon ein Gewinn für alle, finde ich. Sogar für die Krankenschwestern, weil, wenn (.) eine Dolmetscherin da ist und die Krankenschwester irgendetwas macht und es schnell geht, und er versteht / der Patient versteht. Es ist schon, statt mit Händen und Füßen. Na, also, ja. Die Anerkennung, ein bisschen mehr Anerkennung. (D08, 71-71) D11 merkte im Lauf des Interviews an, es als störend zu empfinden, wenn ÄrztInnen während der Pausen oder nach der Untersuchung mit ihr Small Talk betrieben. Sie führte das darauf zurück, dass das medizinische Personal die Kommunikation mit den PatientInnen auf das Notwendigste beschränken möchte. Zwischengespräche mit den DolmetscherInnen seien eine Art Ausweg, um nicht ununterbrochen mit den PatientInnen sprechen zu müssen. Darüber hinaus würden immer wieder Fragen zu ihrem Beruf gestellt, die sie als unpassend empfinde, da sie solche Fragen nicht den ÄrztInnen stellen würde: Und dann fragen die Ärzte auch gerne, ob wir / Die sind sehr neugierig. Ob wir in Wien wohnen oder ob wir aus Italien mit dem Patienten mitgeflogen sind. Sie fragen manchmal, was wir beruflich machen. (D11, 123-135) 243 6.6 Weitere thematisierte Aspekte <?page no="244"?> Sie interpretierte solche Fragen nicht nur als reine Neugier, sondern sah diese als Beweis für den Machtunterschied zwischen DolmetscherInnen und medizinischem Personal. 6.6.3 Englisch als Lingua Franca Ein weiterer thematisierter Aspekt war die Verwendung von Englisch als Lingua Franca in der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation; entsprechende Verweise fanden sich an unterschiedlichen Stellen in den Interviews. Viele Ärz‐ tInnen und PatientInnen seien überzeugt, dass sie ihre Beschwerden auch auf Englisch verständlich vorbringen können. In diesem Zusammenhang gab D07 (11-11) an, dass sie in der Vergangenheit ebenfalls dieser Ansicht gewesen sei. Als sie aber selbst während eines Auslandsaufenthaltes mit einem Familienange‐ hörigen dringend eine Klinik aufsuchen musste, begriff sie, dass ihre Fremdspra‐ chenkenntnisse nicht ausreichen würden, um sich auf einem fachsprachlichen Niveau verständigen zu können. D07 meinte, dass möglicherweise zuerst diese Erfahrung gemacht werden müsse, um die translatorische Unterstützung durch DolmetscherInnen schätzen zu lernen. In manchen Einrichtungen sei eine medi‐ zinische Kommunikation auf Englisch als Lingua Franca allerdings üblich. Auch in der medizinischen Einrichtung, in welcher D09 (86-87) angestellt war, wurde auf Englisch mit anderssprachigen PatientInnen kommuniziert, obwohl nicht alle fremdsprachigen PatientInnen über ein gutes Englischniveau verfügten (D09, 87-91). Auch D08 (5-5) hatte als Begleitperson und Familienangehörige die Erfahrung gemacht, dass das medizinische Personal im Rahmen der Kommu‐ nikation über sehr gute Englischkenntnisse verfügte. Als Dolmetscherin musste sie hingegen feststellen, dass ÄrztInnen immer wieder in der Überzeugung, über ausreichend Englischkenntnisse zu verfügen, die Konversation auf Englisch beginnen würden, um Zeit zu sparen. Im Laufe des Gesprächs stellten sie dann aber fest, dass die Sprachkenntnisse der PatientInnen nicht ausreichend seien, und wechselten zurück in die jeweilige Muttersprache: Ich habe schon das Gefühl / das habe ich auch manchmal erlebt / dass die Ärzte Englisch, ein bisschen Englisch, sprechen und es versuchen, nicht? / weil die sagen: Das geht schneller. Die fangen an, zwei Sätze, ok, und dann irgendwann: Wir sammeln das und das. Sie sprechen weiter auf Deutsch oder Italienisch. Diesen Zeitdruck merkt man sicherlich. (D08, 57-57) 244 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="245"?> D10 (15-15) berichtete, dass einige ÄrztInnen, für die sie gedolmetscht hatte, darauf bestanden hatten, auf Englisch mit den PatientInnen zu kommunizieren. Dies führte dazu, dass sie plötzlich in der Sprachkombination Englisch-Russisch und nicht mehr Deutsch-Russisch hatte dolmetschen müssen. Da Englisch zu ihren aktiven Sprachen zählte, waren diese Umstände für sie nicht proble‐ matisch. Ähnliche Erfahrungen wurden auch von D11 (9-11) geschildert, die zwar für das Dolmetschen im Sprachenpaar Deutsch-Italienisch beauftragt worden war, aber während des Auftrags letztendlich in der Sprachkombination Englisch-Italienisch hatte dolmetschen müssen. Englisch als Fremdsprache betreffe nicht nur die zu dolmetschenden Inter‐ aktionen, sondern auch die zu übersetzenden Unterlagen (D12, 57-57). So verfassten ÄrztInnen ihre Briefe und Diagnosen häufig auf Englisch - in der Hoffnung, dass diese im Herkunftsland der PatientInnen so leichter verstanden werden. 6.6.4 Dolmetschen mit neuen Medien Ein weiterer besprochener Aspekt betraf eine sowohl in Deutschland als auch in Österreich voranschreitende Entwicklung: das Dolmetschen mit neuen Medien. Im Lauf des Interviews schilderte D14 die guten Erfahrungen, die eine ihr bekannte Urologin mit Videodolmetschen im Gesundheitswesen zur Überbrü‐ ckung von Sprach- und Kulturbarrieren gemacht hatte: ((…)) Ihr Beispiel war sogar jemand, der sechs Jahre hier lebt, und das Beispiel habe ich dir eh erzählt mit der Computertomografie und der / und der / Was war das andere? Weil er gedacht hat, er hat Krebs und braucht jetzt eine Chemotherapie. Das ist ein gutes Beispiel. Lebt zwar sechs Jahre hier, hat aber in der Aufregung diese beiden Dinge verwechselt, und das konnte ihm in der Muttersprache binnen zwei Minuten / Das ist ein Aufwand von zwei Minuten. Also, dafür, denke ich mir, ist es 100 Mal wert. ((…)) ((Name des Arztes)) kriegt pro sieben Minuten die Leute, und eine Konsekutivdolmetschung braucht doppelt so lange. Das ist so. (D14, 125-129) Trotzdem war D14 davon überzeugt, dass sich der Einsatz des Videodolmet‐ schens in erster Linie für im Zielland ansässige anderssprachige PatientInnen und weniger für den Medizintourismus eignet. 245 6.6 Weitere thematisierte Aspekte <?page no="246"?> 6.7 Kapitelzusammenfassung Im Rahmen von Phase 2 wurden 14 Dolmetscherinnen befragt, die mit den Sprachkombinationen Deutsch-Russisch, Deutsch-Rumänisch und Deutsch- Italienisch im Medizintourismus tätig waren. Die Interviewpartnerinnen ent‐ warfen ein sehr vielfältiges Berufsbild. Die von ihnen betreuten KundInnen unterschieden sich sowohl hinsichtlich ihrer finanziellen Lage als auch der Be‐ weggründe. Bei den PatientInnen handelte es sich um wohlhabende, aber auch weniger wohlhabende Menschen aus dem Ausland, die nach Österreich und Deutschland reisten, um medizinische Behandlungen in Anspruch zu nehmen, die in ihrem Land entweder nicht oder nur auf niedrigem Qualitätsniveau verfügbar waren. Diese KundInnen unterschieden sich von den im Zielland ansässigen Anderssprachigen durch ihre höheren Erwartungen an die medizi‐ nische Leistung und das medizinische Personal sowie an die DolmetscherInnen. Die höhere Erwartungshaltung könnte auch darin begründet sein, dass alle Leistungen im Rahmen der medizinischen Reise von den PatientInnen privat bezahlt wurden. Zu den medizintouristischen Settings, in denen gedolmetscht wurde, zählten die jeweilige ärztliche Praxis, aber auch öffentliche und private Krankenhäuser. Der Schwierigkeitsgrad der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommu‐ nikation ergab sich vor allem durch die fachsprachliche Komplexität der Untersuchung und die Beweggründe der medizinischen Reise. Im Fall von wohlhabenden PatientInnen, die sich einfachen Check-ups in Deutschland und Österreich unterzogen, um schneller Zugang zur medizinischen Versorgung zu bekommen, wiesen der Inhalt und die Terminologie der ÄrztInnen-Patien‐ tInnen-Kommunikation eine geringere Komplexität auf als bei PatientInnen, die eine Zweitmeinung zu einer Diagnose oder einem Therapievorschlag oder spezielle fachmedizinische Behandlungen benötigten. Die interviewten DolmetscherInnen dolmetschten neben der medizinischen Kommunikation auch nicht medizinische Kommunikation während des Small Talk zwischen den von ihnen begleiteten PatientInnen und anderen Menschen. Die relevan‐ testen Unterschiede zwischen den Dolmetscherinnen betrafen ihr jeweiliges Angebot: Während einige ein erweitertes translatorisches Leistungspaket zur Verfügung stellten, das auf Anfrage bis zu einer Rundumbetreuung ausgedehnt werden konnte, beschränkten sich andere auf ein rein translatorisches Angebot. Allerdings gelang es nur einer einzigen Dolmetscherin, ihr Angebot auf transla‐ torische Dienstleistungen zu beschränken. So übernahmen sogar jene Dolmet‐ scherinnen, deren Angebot vorwiegend ein translatorisches Paket umfasste, in den meisten Fällen zumindest die ÄrztInnen-PatientInnen-Korrespondenz und auf Anfrage einige außertranslatorische Aufgaben, z. B. die Vereinbarung von 246 6 Erkenntnisse aus den Expertinneninterviews <?page no="247"?> Untersuchungsterminen. Mit dem Umfang des angebotenen Leistungspakets änderte sich nicht nur der anfallende Aufwand, sondern auch das benötigte Kompetenzprofil der Dolmetscherinnen. Manche Dolmetschkompetenzen wie die translatorische, die ethische und zum Teil die Sprach- und Kulturkompetenz wurden von den Interviewpartnerinnen nicht oder nur am Rande erwähnt, da sie vermutlich vorausgesetzt wurden. Alle Befragten betonten aber die Relevanz von terminologischer Kompetenz, Sachkompetenz, Sozial- und Individualkom‐ petenz sowie institutioneller Kompetenz für die Arbeit im Medizintourismus. Auf die Businesskompetenz wurde lediglich von jenen Dolmetscherinnen Bezug genommen, die auf dem Markt ein erweitertes translatorisches Leistungspaket anboten und daher über eine genauere Marktkenntnis sowie eine höhere organisatorische Kompetenz verfügten. Von einigen Dolmetscherinnen wurde nicht auf die Businesskompetenz eingegangen, obwohl diese insbesondere bei Preisverhandlungen im B2C-Bereich von großer Relevanz sein kann, um den tatsächlichen Gesamtaufwand eines Dolmetscheinsatzes einzukalkulieren und den KundInnen gegenüber zu argumentieren. Denn nur durch eine korrekte Preisgestaltung kann auf lange Sicht die geschäftliche Existenz der Dolmetsche‐ rInnen gesichert werden. Zwar konnten die interviewten Dolmetscherinnen während ihres Studiums translatorische Kompetenz erwerben, die für die Ausübung ihrer Tätigkeit vonnöten ist; andere Kompetenzen wie die Business‐ kompetenz und die Fähigkeit, mit Situationen, die durch die Schmerzen und das Leiden der PatientInnen gekennzeichnet sind, umzugehen und dialogische Kommunikation zu steuern, mussten allerdings nach dem Studium selbstständig erworben werden. Alle Dolmetscherinnen bildeten sich jedoch im Rahmen der Dolmetschvorbereitung terminologisch und inhaltlich weiter. Generell waren die meisten Dolmetscherinnen mit ihren medizintouristischen Aufträgen zufrieden und würden auch KollegInnen dieses Betätigungsfeld empfehlen, wenn diese neben medizinischer Sachkompetenz über gewisse Sozial- und Individualkompetenz, ohne die medizintouristische Dolmetschaufträge kaum zu bewältigen sind, verfügten. 247 6.7 Kapitelzusammenfassung <?page no="249"?> 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung Abb. 17: Online-Erhebung im Forschungsdesign An der offenen, explorativen Online-Erhebung, welche im Zeitraum von 18.09.2018 bis 18.10.2018 durchgeführt wurde, beteiligten sich insgesamt 232 DolmetscherInnen. Nach der Beschreibung der gesamten Stichprobe anhand der demografischen und allgemeinen Daten werden zuerst die Ergebnisse von Zweig 1 (dem Erhebungsteil für im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen) und danach jene von Zweig 2 (dem Erhebungsteil für im Medizintourismus nicht tätige DolmetscherInnen) präsentiert. 7.1 Demografische und allgemeine Daten Die meisten befragten DolmetscherInnen (60,34%, 140 Nennungen) waren in Österreich wohnhaft; weitere 85 TeilnehmerInnen (36,64%) hatten ihren Wohn‐ sitz in Deutschland, während 7 DolmetscherInnen (3,02%) in anderen Ländern wie Italien (2 Nennungen), Belgien, Bulgarien, Ungarn, der Schweiz und den USA (jeweils 1 Nennung) lebten. Abb. 18 zeigt das Wohnsitzland aller befragten DolmetscherInnen. <?page no="250"?> 1 Die/ der DolmetscherIn mit Wohnsitz in Italien begleitete PatientInnen nach Österreich oder Deutschland. Abb. 18: Wohnsitzland der DolmetscherInnen (Zweig 1 und Zweig 2) Von den 232 DolmetscherInnen, die an der Online-Erhebung teilnahmen, waren insgesamt 60 DolmetscherInnen (25,86% der gesamten Stichprobe) im Medi‐ zintourismus tätig; von diesen hatten 26 DolmetscherInnen ihren Wohnsitz in Deutschland, 33 in Österreich und 1 in Italien. 1 Die anderen 172 Dolmet‐ scherInnen (74,14% der gesamten Stichprobe) dolmetschten nicht in diesem Betätigungsfeld. Von ihnen lebten 107 DolmetscherInnen in Österreich, 59 in Deutschland und 6 in den anderen oben erwähnten Ländern. Tab. 18 zeigt die Wohnsitzländer der DolmetscherInnen aus beiden Zweigen der Online-Er‐ hebung. Wohnsitzland und Dolmetschtätigkeit Dolmetschtätigkeit im Medizintou‐ rismus (Zweig 1) Keine Dolmetschtätigkeit im Medizin‐ tourismus (Zweig 2) (25,86% bzw. 60 von 232) (74,14% bzw. 172 von 232) Antwort N Prozent Antwort N Prozent Gesamt 60 100,00% Gesamt 172 100,00% Österreich 33 55,00% Österreich 107 62,21% 250 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="251"?> Deutschland 26 43,33% Deutschland 59 34,30% Sonstiges 1 1,67% Sonstiges 6 3,49% Tab. 18: Wohnsitzland und Dolmetschtätigkeit (Zweig 1 und Zweig 2) Der Frauenanteil unter den Befragten betrug insgesamt 84,91% (197 Nen‐ nungen), während sich der Männeranteil auf lediglich 15,09% (35 Nennungen) der Stichprobe belief (siehe Abb. 19). Diese Geschlechterverteilung (geringer Männeranteil/ großer Frauenanteil) ähnelt somit jener innerhalb der deutsch‐ sprachigen Berufsverbände (vgl. BDÜ 2020). Bei den 60 im Medizintourismus tätigen DolmetscherInnen war das Verhältnis zwischen den Geschlechtern folgendes: 91,67% Frauen (55 Nennungen) und 8,33% Männer (5 Nennungen). Die Geschlechterverteilung bei den 172 DolmetscherInnen, die nicht im Medi‐ zintourismus dolmetschten, sah folgendermaßen aus: 82,55% waren Frauen (142 Nennungen) und 17,44% Männer (30 Nennungen). Abb. 19: Geschlechterverteilung der DolmetscherInnen (Zweig 1 und Zweig 2) Innerhalb der gesamten Stichprobe waren 30,60% der DolmetscherInnen (71 Nen‐ nungen) zwischen 26 und 35 Jahre alt. 25,43% (59 Nennungen) hatten ein Alter zwischen 36 und 45 Jahren, während 22,41% (52 Nennungen) in die Altersgruppe 46 bis 55 Jahre fielen. 19,83% der DolmetscherInnen (46 Nennungen) waren älter als 56 Jahre, während nur 1,72% (4 Nennungen) jünger als 25 waren. Wie Abb. 20 251 7.1 Demografische und allgemeine Daten <?page no="252"?> zeigt, war der Anteil der im Medizintourismus tätigen DolmetscherInnen bei den älteren DolmetscherInnen höher: Am höchsten war ihr Anteil in der Alterskategorie über 56 Jahre (33,33%, 20 Nennungen) sowie in der Alterskategorie 46 bis 55 Jahre (30,00%, 18 Nennungen). An dritter Stelle befand sich die Alterskategorie 36 bis 45 Jahre (20,00%, 12 Nennungen), während in der Alterskategorie 26 bis 35 Jahre relativ wenige DolmetscherInnen im Medizintourismus arbeiteten (16,67%, 10 Nennungen). Keine/ keiner der im Medizintourismus tätigen DolmetscherInnen war jünger als 25 Jahre. Bei den DolmetscherInnen, die nicht im Medizintourismus dolmetschten, machten hingegen die Befragten in der Alterskategorie 26 bis 35 Jahre den größten Anteil aus (35,47%, 61 Nennungen). An zweiter und dritter Stelle folgten die DolmetscherInnen im Alter von 36 bis 45 Jahre (27,33%, 47 Nennungen) sowie von 46 bis 55 Jahre (19,77%, 34 Nennungen). Relativ wenige DolmetscherInnen fielen in die Alterskategorie über 56 (15,12%, 26 Nennungen), und nur 2,33% (4 Nennungen) waren jünger als 25 Jahre. Abb. 20: Altersverteilung der DolmetscherInnen (Zweig 1 und Zweig 2) Um die Qualifikationen aller befragten DolmetscherInnen zu bestimmen, wurden jeweils eine Frage zur Ausbildung und zum abgeschlossenen Studium sowie eine Frage zur Mitgliedschaft in Berufsverbänden gestellt. Die meisten befragten DolmetscherInnen verfügten über ein abgeschlossenes Studium (siehe Tab. 19): 49,57% aller Befragten (115 Nennungen) hatten ein Dolmetschstudium, 29,31% ein Translationsstudium (68 Nennungen) und 22,84% ein Übersetzungsstudium 252 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="253"?> (53 Nennungen) absolviert. 12,93% der DolmetscherInnen verfügten über ein abge‐ schlossenes Sprach- oder Literaturstudium (30 Nennungen), und 15,09% hatten ein anderes akademisches Studium absolviert (35 Nennungen). Bei den im Medizin‐ tourismus tätigen DolmetscherInnen verfügten 41,67% über ein abgeschlossenes Dolmetschstudium (25 Nennungen), 36,67% über ein Translationsstudium (25 Nennungen) und 25,00% über ein Übersetzungsstudium (15 Nennungen). Der Anteil an DolmetscherInnen mit einem abgeschlossenen Sprach- und Literaturstudium (23,33%, 14 Nennungen) sowie einem abgeschlossenen sonstigen akademischen Studium (13,33%, 8 Nennungen) war im Vergleich zu den Befragten ohne Dol‐ metschtätigkeit im Medizintourismus höher. Die nicht im Medizintourismus tätigen DolmetscherInnen verfügten am häufigsten über ein abgeschlossenes Dolmetsch‐ studium (52,33%, 90 Nennungen). Weitere 26,74% der DolmetscherInnen hatten Translation (46 Nennungen) und 22,09% Übersetzen (38 Nennungen) studiert. 12,79% der DolmetscherInnen aus dieser Stichprobe gaben an, über ein sonstiges abgeschlossenes akademisches Studium (22 Nennungen) zu verfügen, während nur 12,21% ein Sprach- oder Literaturstudium (21 Nennungen) abgeschlossen hatten. Ausbildung der DolmetscherInnen Mehrfachantworten möglich Gesamte Stichprobe Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus (Zweig 1) Keine Dolmetschtätig‐ keit im Medizintou‐ rismus (Zweig 2) (100% bzw. 232 von 232) (25,86% bzw. 60 von 232) (74,14% bzw. 172 von 232) Antwort N Pro‐ zent Antwort N Pro‐ zent Antwort N Pro‐ zent Gesamt 232 100% Gesamt 60 100% Gesamt 172 100% Dolmet‐ schen 115 49,57% Dolmet‐ schen 25 41,67% Dolmet‐ schen 90 52,33% Translation 68 29,31% Translation 22 36,67% Translation 46 26,74% Übersetzen 53 22,84% Übersetzen 15 25,00% Übersetzen 38 22,09% Sprach- und Literatur‐ studium 33 14,22% Sprach- und Literatur‐ studium 14 23,33% Sonstiges 22 12,79% Sonstiges 32 13,79% Sonstiges 8 13,33% Sprach- und Literatur‐ studium 21 12,21% Tab. 19: Ausbildung der DolmetscherInnen (Zweig 1 und Zweig 2) 253 7.1 Demografische und allgemeine Daten <?page no="254"?> 2 Die Antworten werden in der Form wiedergegeben, in der sie von den Befragten verfasst wurden. Unter „Sonstiges“ führten die im Medizintourismus tätigen DolmetscherInnen folgende Antworten an: Dipl.-Volksw. Uni Frankfurt, Handelskammerprüfung, IHK-Diplom, Journalistik, Kunstgeschichte, Rechtswissenschaften, Pädagogik und Studium (jeweils 1 Nennung). 2 Bei den nicht im Medizintourismus tätigen DolmetscherInnen wurden folgende abgeschlossenen Studien angegeben: Ag‐ rarwissenschaft (2 Nennungen), akademisches Behördendolmetschen (1 Nen‐ nung), Architektur (1 Nennung), Abschlussprüfung über den Berufsverband (3 Nennungen), Betriebswirtschaft (2 Nennungen), Dipl. Ing (1 Nennung), IHK-Prüfung (1 Nennung), Bachelorstudium in transkultureller Kommunika‐ tion (1 Nennung), internationale Beziehungen (1 Nennung), Journalismus/ PR (1 Nennung), Rechtswissenschaften (1 Nennung), klassische Archäologie (1 Nen‐ nung), Pädagogik (3 Nennungen), Wirtschaft (1 Nennung), ungefähr Studium, generales Diplom (1 Nennung). Die meisten befragten DolmetscherInnen waren Mitglieder in einem Berufs‐ verband (siehe Tab. 20). Insgesamt wiesen nur 21,12% der DolmetscherInnen keine Mitgliedschaft in einem Berufsverband auf (49 Nennungen). Bei der Stichprobe der im Medizintourismus tätigen DolmetscherInnen betrug der Prozentsatz der DolmetscherInnen ohne Mitgliedschaft in einem Berufsverband 23,33% (14 Nennungen). Unter den DolmetscherInnen, die nicht im Medizintou‐ rismus arbeiteten, belief sich der Anteil der Befragten ohne Mitgliedschaft in einem Berufsverband auf 20,35% (35 Nennungen). 254 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="255"?> Mitgliedschaft in einem Berufsverband Mehrfachantworten möglich Gesamte Stichprobe Dolmetschtätigkeit im Medizintou‐ rismus (Zweig 1) Keine Dolmetschtätigkeit im Medizin‐ tourismus (Zweig 2) (100% bzw. 232 von 232) (25,86% bzw. 60 von 232) (74,14% bzw. 172 von 232) Antwort N Prozent Antwort N Prozent Antwort N Prozent Gesamt 232 100% Gesamt 232 100% Gesamt 232 100% Universitas Austria 94 40,52% Universitas Austria 24 40,00% Universitas Austria 70 40,70% Sonstiges 56 24,14% BDÜ 15 25,00% Sonstiges 46 26,74% BDÜ 52 22,41% Keine Mit‐ gliedschaft 14 23,33% BDÜ 37 21,51% Keine Mit‐ gliedschaft 49 21,12% Sonstiges 10 16,67% Keine Mit‐ gliedschaft 35 20,35% ÖVGD 21 9,05% ÖVGD 7 11,67% ÖVGD 14 8,14% Tab. 20: Mitgliedschaft in einem Berufsverband (Zweig 1 und Zweig 2) 255 7.1 Demografische und allgemeine Daten <?page no="256"?> 3 Die Angabe des Fachgebiets „Medizin“ könnte z. B. sowohl auf die Dolmetschtätigkeit in der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation als auch auf die Konferenzdolmetsch‐ tätigkeit hinweisen. Unter „Sonstiges“ wurden folgende Mitgliedschaften angegeben: Adü Nord (Assoziierte Dolmetscher und Übersetzer in Norddeutschland e. V.), AIIC (As‐ sociation internationale des interprètes de conférence), ANITI (Associazione Nazionale Italiana Traduttori e Interpreti), ATA (American Translators Associa‐ tion), ATICOM (Fachverband der Berufsübersetzer und Berufsdolmetscher e. V.), BGSD (Bundesverbandes der Gebärdensprachdolmetscher/ -innen Deutschlands e. V.), CBTI (Belgische Kammer der Übersetzer und Dolmetscher), Ceviri Der‐ negi (Translation & Interpreting Association Turkey), DVÜD (Deutscher Ver‐ band der freien Übersetzer und Dolmetscher), EST (European Society for Translation Studies), ETML (Verband estnischer Diplom-Konferenzdolmetscher und Übersetzer), IG Übersetzerinnen Übersetzer (Interessenvertretung der li‐ terarischen und wissenschaftlichen ÜbersetzerInnen in Österreich), JPT ( Jed‐ nota tlumocniku a prekladatelu - Tschechischer Verband für Dolmetscher und Übersetzer), ÖGSDV (Österreichische Gebärdensprach-DolmetscherInnen- und -ÜbersetzerInnen-Verband), SAPT (Slovenská asociácia prekladatelov a tlmocníkov - The Slovak Association of Translators and Interpreters), SDV (Südtiroler Dolmetscherverband), SPR (Dolmetscher- und Übersetzerverband Russland), TEPIS (The Polish Society of Sworn and Specialized Translators), Plovdiv (Bulgarischer Übersetzer- und Dolmetscherverband), VDÜ (Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke), VKD (Verband der Konferenzdolmetscher im BDÜ) und VVU (Verband allgemein beeidigter Verhandlungsdolmetscher und öffentlich bestellter und beeidigter Urkundenübersetzer in Baden-Württemberg). Die Frage „In welchen Settings dolmetschen Sie in der Regel? “ wurde be‐ wusst gewählt, um die unterschiedlichen Dolmetschsettings (siehe Tab. 21) der befragten DolmetscherInnen zu analysieren. Auf die - in anderen Erhebungen üblichere - Frage nach den Fachgebieten wurde absichtlich verzichtet, da ein Fachgebiet in verschiedenen Dolmetschsettings vorkommen kann und daher keine Details zur eigentlichen Dolmetschtätigkeit bietet. 3 256 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="257"?> Häufige Dolmetschsettings Mehrfachantworten möglich Gesamte Stichprobe Dolmetschtätigkeit im Medizintou‐ rismus (Zweig 1) Keine Dolmetschtätigkeit im Medizin‐ tourismus (Zweig 2) (100% bzw. 232 von 232) (25,86% bzw. 60 von 232) (74,14% bzw. 172 von 232) Antwort N Pro‐ zent Antwort N Prozent Antwort N Pro‐ zent Gesamt 232 100% Gesamt 60 100% Gesamt 172 100% Konferenzen/ Tagungen 130 56,03% Arzt-Patienten-Interak‐ tionen 49 81,67% Konferenzen/ Tagungen 100 58,14% Gericht/ Behörden 112 48,28% Gericht/ Behörden 31 51,67% Gericht/ Behörden 82 47,67% Arzt-Patienten-Interak‐ tionen 103 44,40% Konferenzen/ Tagungen 30 50,00% Schulungen 65 37,79% B2B-Verhandlungen 94 40,52% B2B-Verhandlungen 29 48,33% B2B-Verhandlungen 65 37,79% Schulungen 86 37,07% Schulungen 21 35,00% Arzt-Patienten-Interak‐ tionen 54 31,40% Pressekonferenzen 56 24,14% Pressekonferenzen 17 28,33% Pressekonferenzen 39 22,67% EU/ Internationale Orga‐ nisationen 36 15,52% EU/ Internationale Orga‐ nisationen 8 13,33% EU/ Internationale Orga‐ nisationen 28 16,28% Sonstiges 30 12,93% Sonstiges 2 3,33% Sonstiges 26 15,12% Tab. 21: Häufige Dolmetschsettings (Zweig 1 und Zweig 2) 257 7.1 Demografische und allgemeine Daten <?page no="258"?> DolmetscherInnen, die im Medizintourismus tätig waren, dolmetschten über‐ wiegend in der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation (81,67%, 49 Nen‐ nungen); weitere genannte Settings umfassten Gericht und Behörden (51,67%, 31 Nennungen), Konferenzen und Tagungen (50,00%, 30 Nennungen), B2B-Ver‐ handlungen (48,33%, 29 Nennungen), Schulungen (35,00%, 21 Nennungen), Pressekonferenzen (28,33%, 17 Nennungen) sowie EU und internationale Orga‐ nisationen (13,33%, 8 Nennungen). Konferenzen und Tagungen wurden von im Medizintourismus tätigen DolmetscherInnen nur am dritthäufigsten angeführt, während sie von DolmetscherInnen, die nicht im Medizintourismus tätig waren, am häufigsten (58,14%, 100 Nennungen) genannt wurden. Bei den nicht im Medizintourismus tätigen DolmetscherInnen befand sich das Dolmetschen bei Gericht und Behörden (47,67%, 82 Nennungen) an zweiter Stelle, gefolgt von den Settings Schulungen und B2B-Verhandlungen (jeweils 37,79%, 65 Nennungen), ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation (31,40%, 54 Nennungen), Pressekon‐ ferenzen (22,67%, 39 Nennungen) sowie EU und internationale Organisationen (16,28%, 28 Nennungen). Auch unter den Befragten, die im Medizintourismus nicht tätig waren, dolmetschte beinahe ein Drittel (31,40%, 54 Nennungen) in der ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation. Abb. 21 zeigt den Vergleich zwischen den häufigsten Dolmetschsettings der Befragten von Zweig 1 und 2 der Online-Erhebung. Zu den sonstigen Settings, die von den im Medizintourismus tätigen Dolmet‐ scherInnen angegeben wurden, zählten Politik (1 Nennung) und Kommunalbe‐ reich (1 Nennung). Die Befragten, die nicht im Medizintourismus dolmetschten, arbeiteten ebenso im Kommunalbereich (9 Nennungen), in der Unternehmens‐ kommunikation (6 Nennungen), im Medienbereich (2 Nennungen), in der Politik (3 Nennungen), in der Psychotherapie (2 Nennungen) und in der Wissenschafts‐ kommunikation (1 Nennung). 258 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="259"?> Abb. 21: Dolmetschsettings im Vergleich (Zweig 1 und Zweig 2; Mehrfachantworten möglich) 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen In den folgenden Abschnitten werden die Ergebnisse von Zweig 1 der Online-Er‐ hebung, der für die Befragten mit Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus konzipiert wurde, präsentiert. 7.2.1 Beschreibung der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus Die meisten der in Zweig 1 befragten DolmetscherInnen gaben an, mit dem Dolmetschen im Medizintourismus in den vergangenen 5 Jahren begonnen zu haben (48,33%, 29 Nennungen). 19 DolmetscherInnen (31,67%) dolmetschten das erste Mal im Medizintourismus vor 6 bis 10 Jahren, während 9 Dolmet‐ scherInnen (15,00%) angaben, vor 11 bis 20 Jahren begonnen zu haben. Nur 259 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="260"?> 3 DolmetscherInnen (5,00%) arbeiteten seit über 20 Jahren in diesem Betäti‐ gungsfeld. Tab. 22 veranschaulicht den Beginn der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus für die Befragten von Zweig 1 der Online-Erhebung. Beginn der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus (Zweig 1) Antwort N Prozent Gesamt 60 100,00% In den letzten 5 Jahren 29 48,33% Vor 6-10 Jahren 19 31,67% Vor 11-20 Jahren 9 15,00% Vor mehr als 20 Jahren 3 5,00% Tab. 22: Beginn der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus (Zweig 1) Die Mehrheit der befragten DolmetscherInnen (35,00%, 21 Nennungen) erhielt einmal im Jahr Dolmetschaufträge in medizintouristischen Settings. 18 Dolmet‐ scherInnen (30,00%) waren mehr als einmal im Jahr im Medizintourismus im Einsatz, während lediglich jeweils 5 DolmetscherInnen (8,33%) einmal pro Woche oder mehr als einmal pro Monat beauftragt wurden. 4 DolmetscherInnen (6,67%) dolmetschten einmal pro Monat im Medizintourismus, während 2 DolmetscherInnen (3,33%) mehr als einmal pro Woche medizintouristische Dolmetschaufträge erhielten. 5 Befragte gaben bei der Befragung „Sonstiges“ (8,33%) an und merkten an, Aufträge in diesem Betätigungsfeld nur selten zu erhalten, weshalb die Häufigkeit ihrer Einsätze schwer einzuschätzen sei. Tab. 23 zeigt die Häufigkeit der Dolmetschaufträge für die Befragten von Zweig 1 der Online-Erhebung. Häufigkeit der Dolmetschaufträge im Medizintourismus (Zweig 1) Antwort N Prozent Gesamt 60 100,00% Einmal pro Jahr 21 35,00% Mehr als einmal pro Jahr 18 30,00% Einmal pro Woche 5 8,33% Mehr als einmal pro Monat 5 8,33% 260 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="261"?> 4 Die starke Präsenz von Italienisch als Arbeitssprache in Zweig 1 der Online-Erhebung dürfte vermutlich auf das Netzwerk der Autorin sowie auf die Wahl des Schneeballef‐ fekts als Methode für die Verbreitung des Umfragelinks zurückzuführen sein. Einmal pro Monat 4 6,67% Mehr als einmal pro Woche 2 3,33% Sonstiges 5 8,33% Tab. 23: Häufigkeit der Dolmetschaufträge im Medizintourismus (Zweig 1) Neben der deutschen Sprache enthielt die Sprachkombination der befragten DolmetscherInnen folgende Sprachen (siehe Tab. 24): Die häufigsten Spra‐ chen waren Italienisch (33,33%, 20 Nennungen) und Russisch (25,00%, 15 Nen‐ nungen). 4 Ungarisch (10,00%, 6 Nennungen), Polnisch und Englisch (jeweils 8,33%, 5 Nennungen), Französisch und Griechisch (jeweils 6,67%, 4 Nennungen) sowie Rumänisch (5,00%, 3 Nennungen) lagen mit jeweils mehr als 2 Nennungen im breiten Mittelfeld, während Albanisch, Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch, Bulga‐ risch, Slowakisch, Spanisch, Tschechisch, Ukrainisch, Niederländisch, Türkisch, Armenisch, Dari/ Farsi und Turksprachen jeweils nur 2 bzw. 1 Nennungen und somit einen Anteil von 3,33% bzw. 1,67% verzeichneten. Arbeitssprachen in Kombination mit Deutsch (Zweig 1) Mehrfachantworten möglich Antwort N Prozent Gesamt 60 100,00% Italienisch 20 33,33% Russisch 15 25,00% Ungarisch 6 10,00% Englisch 5 8,33% Polnisch 5 8,33% Französisch 4 6,67% Griechisch 4 6,67% Rumänisch 3 5,00% Bosnisch/ Kroatisch/ / Serbisch 2 3,33% 261 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="262"?> 5 Psychologie stellt im engeren Sinne keinen medizinischen Bereich dar. Die Konzeption der Antwortmöglichkeiten für dieses Item wurde aber auf Basis der typischen Benennungen für Krankenhausabteilungen erstellt, zu denen auch die klinische Psychologie gehört. Bulgarisch 2 3,33% Slowakisch 2 3,33% Spanisch 2 3,33% Tschechisch 2 3,33% Niederländisch 1 1,67% Türkisch 1 1,67% Sonstiges: 7 3,45% Albanisch 2 3,33% Ukrainisch 2 3,33% Armenisch 1 1,67% Dari/ Farsi 1 1,67% Turksprachen 1 1,67% Tab. 24: Arbeitssprachen in Kombination mit Deutsch (Zweig 1) Die im Medizintourismus tätigen DolmetscherInnen waren in unterschiedlichen medizinischen Bereichen im Einsatz (siehe Abb. 22). Der am häufigsten genannte Bereich war die allgemeine Medizin (51,67%, 31 Nennungen), zu der auch allgemeine Gesundheitsuntersuchungen gehörten. Auf Platz zwei folgte die Onkologie (46,67%, 28 Nennungen), gefolgt von der Chirurgie (40,00% 24 Nennungen), der bildgebenden Diagnostik (38,33%, 23 Nennungen), der Neurologie (36,67%, 22 Nennungen) und der inneren Medizin (31,67% 19 Nennungen). Weitere Bereiche mit über 20% Resonanz umfassten die Orthopädie (30,00%, 18 Nennungen), die Gynäkologie und Geburtshilfe (28,33%, 17 Nennungen), die Psychiatrie (28,33%, 17 Nennungen), die Augenheilkunde (26,67%, 16 Nennungen), die Pädiatrie/ Neonatologie (25,00%, 15 Nennungen) und die Psychologie (23,33%, 14 Nennungen). 5 Seltenere Bereiche schlossen die Dermatologie und Urologie (jeweils 11,67%, 7 Nennungen), die Pallia‐ tivmedizin und Pneumologie (jeweils 5,00%, 3 Nennungen) sowie die Zahnmedizin ein (3,33%, 2 Nennungen). Jeweils 1 Nennung verzeichneten die Naturheilkunde, die regenerative Medizin und die Notaufnahme (1,67%). 262 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="263"?> Abb. 22: Medizinische Bereiche der DolmetscherInnen (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) Die AuftraggeberInnen eines Dolmetschauftrags müssen nicht jenen AkteurInnen, die den Auftrag bezahlen, entsprechen. Die meisten DolmetscherInnen im Medizin‐ tourismus wurden von den PatientInnen (73,33%, 44 Nennungen) beauftragt (siehe Abb. 23). Aufträge wurden aber auch häufig durch Personen aus dem Kollegen- oder Bekanntenkreis (40,00%, 24 Nennungen) sowie Übersetzungs- und Dolmetschbüros (38,33%, 23 Nennungen) vergeben. Die Beauftragung durch ÄrztInnen war mit 22 Nennungen die vierthäufigste Beauftragungsart (36,67%). Patientenvermittlungs‐ instanzen wurden in 28,33% (17 Nennungen) der Fälle genannt, während die Auftragsvergabe durch Behörden (3,3%% 2 Nennungen) und Krankenhäuser (5,00%, 3 Nennungen) nur selten erfolgte. Die DolmetscherInnen wurden zumeist durch die PatientInnen entlohnt (83,33%, 50 Nennungen). Die Ergebnisse aus Abb. 23 lassen vermuten, dass PatientInnen die DolmetscherInnen auch in einigen Fällen entlohnen, in denen sie nicht die AuftraggeberInnen sind. So kamen beispielsweise 263 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="264"?> ÄrztInnen nur bei der Hälfte der von ihnen beauftragten Fälle (36,67%, 22 Nen‐ nungen in der Beauftragung zu 18,33%, 11 Nennungen in der Entlohnung) zugleich für die Entlohnung auf. Als weitere für die Entlohnung der DolmetscherInnen zuständige Instanzen wurden von den Befragten Personen aus dem Kollegen- und Bekanntenkreis (16,67%, 10 Nennungen), Krankenhäuser (10,00%, 6 Nennungen), Patientenvermittlungsinstanzen (8,33%, 5 Nennungen) und Behörden (6,67%, 4 Nennungen) angeführt. Abb. 23: Beauftragung und Entlohnung (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) In den meisten Fällen fand die verdolmetschte medizinische Kommunikation im Krankenhaus statt (61,67%, 37 Nennungen). Bei 45,00% fand sie sowohl im Kran‐ kenhaus als auch in der ärztlichen Praxis statt (27 Nennungen). Die ärztliche Praxis wurde von 23 DolmetscherInnen genannt (38,33%). Unter „Sonstiges“ wurden andere Settings wie Labor, geschlossene Psychiatrie, Erstaufnahmeein‐ richtungen, Notariatskanzlei und Konferenzraum erwähnt. Allerdings wurden die beiden letzten Angaben von den Befragten nicht spezifiziert und konnten 264 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="265"?> daher nicht eindeutig interpretiert werden. Tab. 25 zeigt die häufigsten Settings im Medizintourismus. Settings der verdolmetschten medizinischen Kommunikation (Zweig 1) Mehrfachantworten möglich Antwort N Prozent Gesamt 60 100,00% Krankenhaus/ Klinik 37 61,67% Krankenhaus/ Klinik bzw. Arztpraxis 27 45,00% Arztpraxis 23 38,33% Sonstiges 5 8,33% Tab. 25: Settings der verdolmetschten medizinischen Kommunikation (Zweig1) Nicht in allen Fällen erhielten DolmetscherInnen ausreichend Informationen zur Vorbereitung auf ihre medizintouristischen Dolmetschaufträge (siehe Abb. 24). 11 DolmetscherInnen (18,33%) gaben an, Informationen in umfangreichem Maß zur Verfügung gestellt zu bekommen. Immerhin 22 Befragte (36,67%) meinten, die zur Verfügung gestellten Informationen als ausreichend zu empfinden. 15 DolmetscherInnen (25,00%) führten hingegen an, erst dann Informationen zu er‐ halten, wenn sie explizit danach verlangen, während 9 DolmetscherInnen (15,00%) gar keine Informationen erhielten. Unter „Sonstiges“ wurde von einer/ einem Befragten festgehalten, dass je nach Auftrag mehr oder weniger Informationen und dass nur bei Aufträgen durch PatientInnen mehr Informationen übermittelt würden. Eine/ ein DolmetscherIn führte darüber hinaus an, dass die ihr/ ihm zur Verfügung gestellten Informationen nur sehr allgemein seien. 265 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="266"?> 6 Dabei beinhalten die Originalangaben nicht nur die Namen einzelner Länder, sondern auch geografische Regionen und/ oder politische und wirtschaftliche Ländergruppen. Abb. 24: Vorhandene lnformationen zu den Dolmetschaufträgen (Zweig 1) 7.2.2 PatientInnen Die PatientInnen, für die gedolmetscht wurde, stammten aus unterschiedli‐ chen Ländern, die in Tab. 26 nach den Originalangaben der Studienteilnehme‐ rInnen aufgelistet sind. 6 Italien war mit 19 Nennungen das am stärksten ver‐ tretene (31,67%) Herkunftsland, gefolgt von Russland (20,00%, 12 Nennungen), Ungarn (10%, 6 Nennungen) und Polen (8,33%, 5 Nennungen). Ein Vergleich zwischen den Herkunftsländern der PatientInnen (siehe Tab. 26) und den Arbeitssprachen der DolmetscherInnen (siehe Tab. 24) lässt vermuten, dass sich einige PatientInnen einer anderen Sprache als ihrer Muttersprache be‐ dienten, um die angestrebten medizintouristischen Leistungen in Anspruch zu nehmen. Dies dürfte insbesondere für Französisch, Englisch und Russisch gelten, da diese Sprachen in manchen Herkunftsländern der PatientInnen (ehemalige) Amtssprachen, Linguae Francae oder populäre Fremdsprachen sein können. 266 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="267"?> Herkunftsländer der PatientInnen (Zweig 1) Mehrfachantworten möglich Antwort N Prozent Gesamt 60 100,00% Italien 19 31,67% Russland 12 20,00% Ungarn 6 10,00% Polen 5 8,33% Griechenland, GUS-Staaten, Rumänien, Ukraine 3 5,00% Albanien, Bosnien, Bulgarien, Deutschland, Kasachstan, Kosovo, Serbien Slowakei, Tschechien 2 3,33% Afghanistan, Afrikanische Staaten (frühere französische/ belgische Kolonien), Armenien, Aserbaidschanbaltische Länder, Belgien, Chile, ehemalige UdSSR, Iran, Mittelmeerraum, Moldawien, Nie‐ derlande, Österreich, Osteuropa, Persien (Azeri), Spanien, Tsche‐ tschenien, Türkei, USA, Zypern 1 1,67% Tab. 26: Herkunftsländer der PatientInnen (Zweig 1) Im Rahmen der Fragen zu den PatientInnen, für die gedolmetscht wurde, wurde nach einer Einschätzung ihrer finanziellen Situation gefragt (siehe Abb. 25). Die DolmetscherInnen mussten diese durch die Vergabe eines Wertes zwischen „1 - sehr gut“ und „4 - eher schlecht“ bewerten, wobei nur die zwei Pole dieser Ordinalskala verbal bezeichnet wurden. 8 DolmetscherInnen (13,33%) konnten die finanzielle Situation der PatientInnen nicht einschätzen. Während 18 DolmetscherInnen (30,00%) die finanzielle Situation der PatientInnen als „1 - sehr gut“ einstuften, hielten sie lediglich 4 DolmetscherInnen (6,67%) für „4 - eher schlecht“. 16 DolmetscherInnen (26,67%) entschieden sich für Stufe 2 und weitere 14 DolmetscherInnen (23,33%) für Stufe 3 der Skala. Die Durchschnitts‐ einschätzung (Median) der finanziellen Situation der PatientInnen durch die DolmetscherInnen lag letztlich bei „2“. 267 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="268"?> Abb. 25: Finanzielle Situation der PatientInnen (Zweig 1) Abb. 26: Dolmetschtätigkeit für im Zielland ansässige PatientInnen (Zweig 1) 268 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="269"?> 7 Die Frage wurde bewusst allgemein formuliert, um die DolmetscherInnen nicht zu beeinflussen. In der Folgefrage wurden mögliche Unterschiede, die in den Expertin‐ neninterviews angegeben worden waren, zur Auswahl angeboten. Die Mehrheit (63,33%, 38 Nennungen) der DolmetscherInnen dolmetschte medizinische Kommunikation nicht nur im Medizintourismus, sondern auch für anderssprachige in Österreich/ Deutschland ansässige PatientInnen (siehe Abb. 26). Die Frage, ob jene 38 DolmetscherInnen, die auch in klassischen medizini‐ schen Settings tätig waren, Unterschiede zwischen den beiden PatientInnen‐ gruppen (anderssprachigen PatientInnen aus einem anderen Herkunftsland sowie im Zielland ansässigen anderssprachigen PatientInnen) feststellen konnten, wurde von 16 Personen (42,11%) mit „Nein“ und von 20 Personen (52,63%) mit „Ja“ beantwortet. Zwei DolmetscherInnen merkten an, keine Antwort geben zu können, da die Frage ihrer Meinung nach zu allgemein formuliert sei. 7 Von jenen 20 DolmetscherInnen, die Unterschiede zwischen beiden PatientInnengruppen (siehe Tab. 27) feststellten, gaben 16 (80,00%) an, dass PatientInnen im Medizintourismus höhere Erwartungen an die Behand‐ lung stellen würden. Darüber hinaus meinten 7 DolmetscherInnen (35,00%), dass medizintouristische PatientInnen generell über eine höhere Ausbildung oder einen höheren sozialen Status verfügen würden. Jeweils 6 Befragte (30,00%) gaben an, dass PatientInnen im Medizintourismus eine bessere Behandlung von den ÄrztInnen erhalten, aber auch höhere Erwartungen an die Leistungen der DolmetscherInnen stellen würden. Eine/ ein DolmetscherIn hielt fest, dass PatientInnen außerhalb des Medizintourismus selten bereit seien, für eine Dolmetschleistung zu bezahlen und diese als selbstverständ‐ lichen und kostenlosen Service vonseiten des Gesundheitswesens erwarten würden. Unter „Sonstiges“ erwähnten 3 DolmetscherInnen, dass das geringe Vorwissen über das Gesundheitssystem des Ziellandes seitens der medizintou‐ ristischen PatientInnen dazu führe, dass sie betreuungsintensiver und sogar orientierungsloser als andere PatientInnen seien. Eine/ ein DolmetscherIn gab des Weiteren Folgendes an: So wurden medizintouristische PatientInnen als „streitsüchtig“ beschrieben. 269 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="270"?> Unterschiede zwischen PatientInnengruppen (Zweig 1) Mehrfachantworten möglich Antwort N Prozent Gesamt 20 100,00% PatientInnen im Medizintourismus haben höhere Erwartungen an die Behandlung. 16 80,00% PatientInnen im Medizintourismus verfügen generell über eine höhere Ausbildung oder genießen einen höheren sozialen Status. 7 35,00% PatientInnen im Medizintourismus werden von den ÄrztInnen besser behandelt. 6 30,00% PatientInnen im Medizintourismus haben höhere Erwartungen an meine Leistung als Dolmetscherin/ Dolmetscher. 6 30,00% Sonstiges 5 25,00% Tab. 27: Unterschiede zwischen PatientInnengruppen (Zweig 1) 7.2.3 Dolmetschmodus und Angebot Die Mehrheit (90,00%, 54 Nennungen) der im Medizintourismus tätigen Dol‐ metscherInnen dolmetschte konsekutiv während der Kommunikation zwischen medizinischem Fachpersonal und PatientInnen. 38,33% der Befragten (23 Nen‐ nungen) dolmetschte ausschließlich konsekutiv mit und ohne Notizentechnik. 31,67% der TranslatorInnen (19 Nennungen) dolmetschte konsekutiv mit und ohne Notizentechnik, setzte aber in manchen Fällen das simultane Flüsterdol‐ metschen ein. 13,33% der Befragten (8 Nennungen) dolmetschte konsekutiv ohne Notizen, wechselte aber in manchen Fällen ins simultane Flüsterdolmet‐ schen. 6,67% der DolmetscherInnen (4 Nennungen) dolmetschte nur konse‐ kutiv und ohne Notizen, während weitere 6,67% der Befragten (4 Nennungen) ausschließlich simultan dolmetschte. Unter „Sonstiges“ führten 2 Dolmetsche‐ rInnen an, auch simultan zu dolmetschen, falls dies ausdrücklich gewünscht werde. Das Konsekutivdolmetschen erschien in ihren Augen allerdings geeig‐ neter für diese Art von Setting. Tab. 28 zeigt die eingesetzten Dolmetschmodi. 270 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="271"?> Dolmetschmodus (Zweig 1) Antwort N Prozent Gesamt 60 100,00% Konsekutiv, mit und ohne Notizen 23 38,33% Konsekutiv, mit und ohne Notizen, und in manchen Fällen simultan flüsterdolmetschend 19 31,67% Konsekutiv, ausschließlich ohne Notizen, und in manchen Fällen simultan flüsterdolmetschend 8 13,33% Konsekutiv, ausschließlich ohne Notizen 4 6,67% Simultan, flüsterdolmetschend 4 6,67% Sonstiges 2 3,33% Tab. 28: Dolmetschmodus (Zweig 1) Von jenen DolmetscherInnen, die keine Notizen beim Dolmetschen verwen‐ deten, verfügte nur 1 Person über keinen translatorischen Studienabschluss, während weitere 2 ein Sprach- oder Literaturstudium abgeschlossen hatten. Jene 27 (100,00%) DolmetscherInnen, die in manchen Fällen vom Konsekutivin das Simultandolmetschen wechselten (siehe Abb. 27), gaben folgende Gründe für ihre Vorgangsweise an: die Informationsdichte oder -komplexität, welche DolmetscherInnen befürchten lasse, durch das Konsekutivdolmetschen Details zu vergessen oder zu vernachlässigen (48,15%, 13 Nennungen); den Einsatz von Bildern oder Materialien wie schriftlichen Texten (44,44%, 12 Nennungen); die Überlappung mehrerer sprechender Personen (14,81%, 4 Nennungen); die Anwesenheit mehrerer Personen (7,41%, 2 Nennungen). Unter „Sonstiges“ (14,81%, 4 Nennungen) fand sich die Information, dass der Dolmetschmodus gewechselt werde, wenn die Situation dies erfordere, wenn ÄrztInnen mit anderen Personen über die PatientInnen sprechen oder wenn ÄrztInnen den PatientInnen aufgrund von Zeitdruck wenig Gesprächszeit einräumen würden. Lediglich 3 der befragten DolmetscherInnen (11,11%) wechselten laut ihren Angaben unbewusst ins Simultandolmetschen, ohne einen konkreten Grund dafür nennen zu können. 271 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="272"?> 8 Die Antwortmöglichkeit „Dolmetschen“ dürfte keine 100% erhalten haben, da aufgrund der Mehrfachantwortmöglichkeit vermutlich manche DolmetscherInnen vergaßen, den Punkt „Dolmetschen“ zu selektieren. Abb. 27: Gründe für den Wechsel in das Simultandolmetschen (Zweig 1; Mehrfachant‐ worten möglich) Das Leistungsspektrum der im Medizintourismus tätigen DolmetscherInnen umfasste neben dem Dolmetschen weitere translatorische Services wie Über‐ setzen (73,33%, 44 Nennungen) und Telefondolmetschen (33,3%, 20 Nen‐ nungen). 8 Zu den häufigsten angebotenen außertranslatorischen Leistungen zählten die Terminvereinbarung und die Koordination der Termine (50,00%, 30 Nennungen), die Abfassung oder Übersetzung des E-Mail-Verkehrs zwischen ÄrztInnen und PatientInnen (40,00%, 24 Nennungen), die Weitergabe unter‐ schiedlicher Informationen und Empfehlungen touristischer Natur (30,00%, 18 Nennungen), Taxireservierung sowie Hotelsuche oder -buchung (jeweils 18,33%, 11 Nennungen). Weniger häufig wurden eine ÄrztInnensuche (15,00%, 9 Nennungen) und ein Abholservice von der Unterkunft (11,67%, 7 Nennungen) 272 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="273"?> als Leistungen zur Verfügung gestellt. Besonders selten wurden das Videodol‐ metschen (3,33%, 2 Nennungen) und der Abholservice vom Flughafen/ Bahnhof (6,67%, 4 Nennungen) angeboten. Abb. 28 veranschaulicht alle Leistungen, die die DolmetscherInnen aus Zweig 1 im Medizintourismus anbieten. Abb. 28: Angebotene Leistungen (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) Die Zufriedenheit mit den erzielten Honoraren im Medizintourismus (siehe Abb. 29) wurde mithilfe einer Bewertungsfrage ermittelt. Diese basierte auf einer Ordinalskala von „1 - sehr gut“ bis „4 - eher schlecht“, wobei nur die Pole der Skala verbal bezeichnet wurden. Die meisten DolmetscherInnen wählten für die erzielten Honorare im Medizintourismus (43,33%, 26 Nennungen) Stufe 2 der Skala, während die zweithäufigste Wahl (30,00%, 18 Nennungen) auf Stufe 3 fiel. Darüber hinaus empfanden 13,33% der DolmetscherInnen (8 Nennungen) die Bezahlung als „4 - eher schlecht“, und nur 6,67% (4 Nennungen) bewerteten diese mit „1 - sehr gut“. 4 DolmetscherInnen machten diesbezüglich keine Aussage. Die Durchschnittsbewertung (Median) der erzielten Honorare lag bei „2“. 273 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="274"?> Abb. 29: Zufriedenheit mit den Honoraren (Zweig 1) Jene 8 DolmetscherInnen, die die Bezahlung mit „4 - eher schlecht“ einstuften, dolmetschten für PatientInnen, die aus folgenden Ländern stammen: Polen (1 Nennung), Italien (3 Nennungen), Albanien und Kosovo (2 Nennungen), post-sowjetischer Raum bzw. Russland (2 Nennungen), Iran und Afghanistan (jeweils 1 Nennung). Aus dem Vergleich zwischen der Zufriedenheit mit den erzielten Honoraren und dem Wohnsitzland der befragten DolmetscherInnen ergibt sich die in Abb. 30 dargestellte Verteilung. In Österreich und Deutschland war der Prozent‐ satz an DolmetscherInnen, die die erzielten Honorare mit Stufe 1 auf der Skala bewerteten, gleich (jeweils 50,00%, 2 Nennungen). Jene DolmetscherInnen, die ihre Honorare mit Stufe 2 bewerteten, hatten ihren Wohnsitz überwiegend in Österreich (65,38%, 17 Nennungen in Österreich zu 34,62%, 9 Nennungen in Deutschland). Hingegen lebten in Deutschland die meisten DolmetscherInnen, die die Honorare mit Stufe 3 (55,56%, 10 Nennungen in Österreich zu 44,44%, 8 Nennungen in Deutschland) sowie Stufe 4 (25,00%, 2 Nennungen in Österreich zu 75,00%, 6 Nennungen in Deutschland) auf der Skala beurteilten. 274 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="275"?> Abb. 30: Zufriedenheit mit Honoraren und Wohnsitzland der DolmetscherInnen im Vergleich (Zweig 1) Die von den Befragten für die Preisfindung herangezogenen Kriterien unter‐ schieden sich vielfach (siehe Tab. 29). Während 48,33% der DolmetscherInnen (29 Nennungen) die Gesamtstundenanzahl des Auftrages als Bemessungsgrund‐ lage verwendeten, stellten 35,00% (21 Nennungen) nur jene Stunden in Rech‐ nung, die sie tatsächlich dolmetschten. In 41,67% der Fälle (25 Nennungen) wurde die Preisstruktur flexibel gestaltet und je nach KundInnengruppe ange‐ passt. In 11,67% der Fälle (7 Nennungen) wurde mit fixen einheitlichen Tarifen gearbeitet. Eine/ ein DolmetscherIn aus dieser Gruppe erklärte, dass sie/ er mit einem Dolmetschbüro zusammenarbeite und daher kein Verhandlungsspiel‐ raum in der Preisgestaltung möglich sei. Für 15 DolmetscherInnen (25,00%) waren wiederum die tatsächlich angebotenen und von den PatientInnen in Anspruch genommenen Leistungen ausschlaggebend für die Preisgestaltung. Eine/ ein DolmetscherIn führte Folgendes an: [ich] finde eigentlich, dass man einheitliche Tarife haben sollte, aber in der Situation ist es für mich oft deshalb schwierig, da Patienten schon die Kosten der Behandlung tragen müssen … Grundsätzlich wäre ich aber eigentlich für Pauschalen (Kurz- 275 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="276"?> einsatz-Halbtag-Ganztag), terminologisch muss man sich vorbereiten ((…)) Preisfindungskriterien (Zweig 1) Mehrfachantworten möglich Antwort N Prozent Gesamt 60 100,00% Die Gesamtstundenanzahl des Auftrages 29 48,33% Ich differenziere meine Preise je nach KundInnen. 25 41,67% Die Anzahl an Stunden, die ich dolmetsche 21 35,00% Die Leistungen, die ich anbiete 15 25,00% Ich habe einheitliche Tarife. 7 11,67% Sonstiges 2 3,33% Ich habe keine Ahnung. 1 1,67% Tab. 29: Preisfindungskriterien (Zweig 1) In Abb. 31 wurden mittels Kreuztabelle die Kriterien für die Preisfindung mit dem Zufriedenheitswert hinsichtlich der Honorare verglichen. Die Ergebnisse der Grafik könnten darauf hindeuten, dass DolmetscherInnen, die zur Preisfin‐ dung die Gesamtstundenanzahl des Auftrages oder die tatsächlich angebotenen Leistungen heranzogen, zufriedener mit der Bezahlung im Medizintourismus waren als jene DolmetscherInnen, die ihren Preis auf Basis der gedolmetschten Stunden ermittelten. Aufgrund der Mehrfachantworten auf die Frage zu den Kriterien für die Preisfindung ist allerdings eine eindeutige Interpretation der Daten nicht möglich. 276 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="277"?> Abb. 31: Zufriedenheit mit den Honoraren und Preisfindungskriterien im Vergleich (Zweig 1) 7.2.4 Herausforderungen und Kompetenzen Die Herausforderungen, denen DolmetscherInnen im Medizintourismus be‐ gegnen, können vielfältig sein (siehe Abb. 32). Für viele DolmetscherInnen (58,33%, 35 Nennungen) stellten psychologische Faktoren die größte Herausfor‐ derung dar. Mit jeweils 19 Nennungen (31,67%) spielten Herausforderungen terminologischer Natur und Herausforderungen, die sich aus der Asymmetrie der ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung ergeben, eine große Rolle. 14 Dolmet‐ scherInnen (23,33%) sahen die professionelle Distanz zur Dolmetschsituation als beträchtliche Herausforderung, während 12 DolmetscherInnen (20,00%) organisatorische und 11 DolmetscherInnen (18,33%) kulturelle Herausforde‐ rungen anführten. 2 DolmetscherInnen (3,33%) sahen sich im Medizintourismus mit keinen nennenswerten Herausforderungen konfrontiert, während eine/ ein DolmetscherIn, die/ der Englisch als Arbeitssprache hatte, unter der Kategorie „Sonstiges“ Dialekte als besondere Herausforderung angab. 277 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="278"?> Abb. 32: Herausforderungen beim Dolmetschen (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) Die wichtigsten Kompetenzen im Medizintourismus (siehe Tab. 30) waren für die DolmetscherInnen die terminologische (88,33%, 53 Nennungen) sowie die Sachkompetenz (85,00%, 51 Nennungen), gefolgt von der sozialen (78,33%, 47 Nennungen), der translatorischen (71,67%, 43 Nennungen), der Sprach- und Kulturkompetenz (60,00%, 36 Nennungen) als auch der ethischen Kompetenz (56,67%, 34 Nennungen). Im Mittelfeld fanden sich die institutionelle Kompetenz (50,00%, 30 Nennungen) sowie die Recherche- und Vorbereitungskompetenz (40,00%, 24 Nennungen). Die Businesskompetenz wurde als weniger wichtig eingestuft (13,33%, 8 Nennungen). Die Beherrschung der Notizentechnik wurde von 7 DolmetscherInnen als relevante Kompetenz bewertet (11,67%). Wichtige Kompetenzen (Zweig 1) Mehrfachantworten möglich Antwort N Prozent Gesamt 60 100,00% Terminologie 53 88,33% Sachkompetenz 51 85,00% 278 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="279"?> 9 Von jenen DolmetscherInnen, die ihre Zufriedenheit mit den erzielten Honoraren als 1 und 4 einstuften, äußerte niemand den Wunsch, die Businesskompetenz auszubauen. Soziale Kompetenz 47 78,33% Translatorische Kompetenz 43 71,67% Sprach- und Kulturkompetenz 36 60,00% Ethische Kompetenz 34 56,67% Institutionelle Kompetenz 30 50,00% Recherchekompetenz 24 40,00% Businesskompetenz 8 13,33% Notizentechnik 7 11,67% Keine 0 0,00% Tab. 30: Wichtige Kompetenzen (Zweig 1) Auf die Frage, welche Kompetenzen die DolmetscherInnen für den Medizintou‐ rismus gerne ausbauen würden, wurden als häufigste Antworten die Sachkom‐ petenz (56,67%, 34 Nennungen), die terminologische (38,33%, 23 Nennungen) und die institutionelle Kompetenz (28,33%, 17 Nennungen) angegeben. Weitere ausbaufähige Kompetenzen umfassten die Notizentechnik (16,67%, 10 Nen‐ nungen), die ethische (28,33%, 5 Nennungen), die Sprach- und Kulturkompetenz sowie die Businesskompetenz (jeweils 6,67%, 4 Nennungen), 9 die translatorische (5,00%, 3 Nennungen), die Recherche- und Vorbereitungskompetenz sowie die soziale Kompetenz (jeweils 3,33%, 2 Nennungen). 12 DolmetscherInnen (20,00%) gaben an, für den Bereich des Medizintourismus keinerlei Kompetenzen aus‐ bauen zu müssen. Abb. 33 zeigt einen Vergleich zwischen den Kompetenzen, die die befragten DolmetscherInnen für das Dolmetschen im Medizintourismus als wichtig erachteten, und jenen, die sie gerne weiter ausbauen wollten. Generell ist festzustellen, dass die befragten DolmetscherInnen bei einigen Kompetenzen, die sie als besonders wichtig einstuften (translatorische Kompetenz, Sprach- und Kulturkompetenz, Recherchekompetenz und soziale Kompetenz), keinen Ausbaubedarf sahen. 279 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="280"?> Abb. 33: Wichtige und auszubauende Kompetenzen im Vergleich (Zweig 1; Mehrfach‐ antworten möglich) Unter den 4 DolmetscherInnen, die die Businesskompetenz gerne ausbauen wollten, befanden sich keine, die die Zufriedenheit mit den erzielten Honoraren als „1 - sehr gut“ oder „4 - eher schlecht“ eingestuft hatten. Die Ausbaufähigkeit dieser Kompetenz wurde lediglich von jeweils 2 DolmetscherInnen, die die Zufriedenheit mit ihrer Bezahlung mit „2“ und „3“ bewertet hatten, geäußert. Die Mehrheit der in Zweig 1 befragten DolmetscherInnen war nicht der Meinung, dass das von ihnen absolvierte Studium sie auf Dolmetschsettings wie jenes des Medizintourismus vorbereitet habe (siehe Abb. 34): 26 Dolmet‐ scherInnen (43,33%) antworteten auf diese Frage mit einem eindeutigen „Nein“, 19 DolmetscherInnen (31,67%) mit einem „Eher nein“. 12 DolmetscherInnen (20,00%) gaben hingegen als Antwort „Eher ja“ an und nur 1 Dolmetscherin/ Dol‐ metscher (1,67%) beantwortete die Frage mit „Ja“. Eine/ ein DolmetscherIn gab unter „Sonstiges“ an, dass sie/ er vielleicht zu „Eher nein“ tendieren würde. Eine/ ein weitere/ weiterer DolmetscherIn merkte darüber hinaus an, dass mehr Weiterbildungskurse zur Terminologie und zu medizinischen Bereichen wün‐ schenswert wären. 280 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="281"?> Abb. 34: Zufriedenheit mit dem absolvierten Studium (Zweig 1) 7.2.5 Allgemeine Einstellung zum Dolmetschen im Medizintourismus Die Mehrheit (78,33%) der befragten DolmetscherInnen von Zweig 1 der Online-Erhebung arbeitete gerne im Medizintourismus (siehe Abb. 35): 29 DolmetscherInnen antworteten auf die Frage nach ihrer Zufriedenheit mit dem Dolmetschen im Medizintourismus mit einem deutlichen „Ja“ (48,33%) und weitere 18 Befragte mit „Eher ja“ (30,00%). Nur 21,65% der Befragten waren mit dem Betätigungsfeld weniger zufrieden und antworteten auf die Frage nach der Zufriedenheit mit „Eher nein“ (16,67%, 10 Nennungen) oder „Nein“ (5,00%, 3 Nennungen). 281 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="282"?> Abb. 35: Zufriedenheit mit dem Dolmetschen im Medizintourismus (Zweig 1) In zwei weiteren Fragen wurden die Positiva und Negativa des Dolmetschens im Medizintourismus erhoben. Abgesehen von einer einzigen Person, die anführte, aufgrund ihrer geringen Erfahrung in diesem Betätigungsfeld keine kompetente Angabe machen zu können, äußerten sich alle restlichen TeilnehmerInnen zu den beiden Fragen. Zu den positiven Aspekten, die am Medizintourismus geschätzt wurden, zählten die Tatsache, dass bei jedem Auftrag etwas Neues gelernt werden kann (61,67%, 37 Nennungen), das Interesse am Fachgebiet Medizin (60,00%, 36 Nennungen) und die Lust am Dolmetschen (58,33%, 35 Nennungen). 28 DolmetscherInnen (46,67%) gefiel des Weiteren der Kontakt zu den Menschen, während 27 DolmetscherInnen (45,00%) angaben, gerne anderen Personen zu helfen. Für einige Befragte (21,67%, 13 Nennungen) bildete der abwechslungsreiche Charakter der Dolmetschaufträge ein weiteres Positivum des Medizintourismus. 14 DolmetscherInnen (23,33%) sahen in den Aufträgen im Medizintourismus ganz normale Dolmetschaufträge, und eine/ ein Dolmet‐ scher/ In gab an, dass die entsprechende Entlohnung bei medizintouristischen Aufträgen interessant sei (siehe Abb. 36). 282 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="283"?> Abb. 36: Positive Aspekte des Dolmetschens im Medizintourismus (Zweig 1; Mehrfach‐ antworten möglich) Lediglich 7 DolmetscherInnen (11,67%) führten an, keine Negativa im Medizin‐ tourismus feststellen zu können. Die übrigen Befragten nannten unterschied‐ liche Aspekte, die sie an der Arbeit in diesem Bereich stören. Die häufigste Antwort bezog sich auf die Persönlichkeitsstruktur der DolmetscherInnen: 20 DolmetscherInnen (33,33%) gaben an, mit den PatientInnen mitzuleiden, und für 13 DolmetscherInnen (21,67%) war die Arbeit mit leidenden Menschen nicht angenehm. Der hohe Koordinationsaufwand (18,33%, 11 Nennungen), die Betreuung von PatientInnen (15,00%, 9 Nennungen) und der Umgang mit manchen anspruchsvollen wohlhabenden PatientInnen (11,67%, 7 Nennungen) waren weitere Faktoren, die das Wohlgefühl der DolmetscherInnen negativ beeinflussen. Weitere Negativa bildeten der Umgang mit den PatientInnen sei‐ tens der VertreterInnen der medizinischen Institutionen (8,33%, 5 Nennungen) und der intensive persönliche Kontakt zu den PatientInnen (5,00%, 3 Nen‐ nungen), der als unangenehm empfunden wurde. Unter „Sonstiges“ (18,33%, 283 7.2 Zweig 1: Im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="284"?> 11 Nennungen) wurden darüber hinaus folgende negative Aspekte erwähnt: 2 DolmetscherInnen nannten zeitbezogene Probleme wie den hohen Zeitdruck beim medizinischen Gespräch und während der Vorbereitung auf den Einsatz sowie die langen Wartezeiten im Empfangsraum. Weitere 2 DolmetscherInnen führten die unangemessene Bezahlung als Negativum an, und 3 Dolmetsche‐ rInnen hielten fest, manche PatientInnen als unangenehm zu empfinden, doch präzisierten sie ihre Kommentare nicht. Darüber hinaus wurde von einer/ einem DolmetscherIn die Involvierung von PatientInnenvermittlerInnen im Medizin‐ tourismus, die Dolmetschdienstleistungen zu niedrigen Preise anbieten, als negativ bewertet. Weitere erwähnte Aspekte waren die Verwechslung der Dol‐ metscherInnen mit einer Art SekretärIn seitens der KundInnen, das Misstrauen mancher ÄrztInnen gegenüber den DolmetscherInnen sowie die geringe Zahl von Dolmetschaufträgen im Medizintourismus (jeweils eine Nennung). Abb. 37 zeigt alle negativen Aspekte des Dolmetschens im Medizintourismus. Abb. 37: Negative Aspekte des Dolmetschens im Medizintourismus (Zweig 1; Mehrfach‐ antworten möglich) 284 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="285"?> 10 Dass Italienisch auch in Zweig 2 so stark vertreten war, könnte - wie bereits für Zweig 1 vermutet - auf die Verbreitung der Online-Erhebung durch den Schneeballeffekt zurückzuführen sein, da sich im Netzwerk der Autorin viele DolmetschkollegInnen mit Italienisch als Arbeitssprache befanden. 7.3 Zweig 2: Nicht im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen In den folgenden Abschnitten werden die Ergebnisse von Zweig 2 der Online-Er‐ hebung, der für jene Befragten ohne Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus konzipiert wurde, präsentiert. 7.3.1 Beschreibung der Dolmetschtätigkeit Auf die Frage nach den Arbeitssprachen in Kombination mit Deutsch für den Zweig 2 der Online-Erhebung wurde mit überwiegender Mehrheit (50,58%, 87 Nennungen) Englisch an erster Stelle angegeben. Die zweithäufigste Sprache bildete mit 41 Nennungen Französisch (23,84%), gefolgt von Italienisch mit 39 Nennungen (22,67%) und Spanisch mit 18 Nennungen (10,47%). 10 Weitere vertre‐ tene Sprachen waren Russisch (5,81%, 10 Nennungen), Bosnisch/ Kroatisch/ Ser‐ bisch (5,23%, 9 Nennungen), Tschechisch (4,07%, 7 Nennungen), Arabisch und Rumänisch (jeweils 3,49%, 6 Nennungen), Polnisch, Chinesisch und Japanisch (2,91%, 5 Nennungen), Ungarisch (2,33%, 4 Nennungen), Portugiesisch, Slowa‐ kisch und Türkisch (jeweils 1,74%, 3 Nennungen), Dänisch/ Schwedisch/ Norwe‐ gisch/ Finnisch/ Isländisch und Niederländisch (1,16%, 2 Nennungen), Bulgarisch, Estnisch/ Lettisch/ Litauisch und Griechisch (jeweils 0,58%, 1 Nennung). Unter „Sonstiges“ wurden zusätzlich folgende Sprachen angegeben: die deutsche oder österreichische Gebärdensprache (8 Nennungen) Dari/ Farsi (7 Nennungen), Ukrainisch (2 Nennungen), Georgisch (2 Nennungen), Armenisch (1 Nennung) und Mongolisch (1 Nennung). In Tab. 31 sind alle Sprachen der Dolmetsche‐ rInnen von Zweig 2 dargestellt. Arbeitssprachen in Kombination mit Deutsch (Zweig 2) Mehrfachantworten möglich Antwort N Prozent Gesamt 172 100,00% Englisch 87 50,58% Französisch 41 23,84% 285 7.3 Zweig 2: Nicht im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="286"?> Italienisch 39 22,67% Spanisch 18 10,47% Russisch 10 5,81% Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch 9 5,23% Tschechisch 7 4,07% Arabisch 6 3,49% Rumänisch 6 3,49% Polnisch 5 2,91% Chinesisch/ Japanisch 5 2,91% Ungarisch 4 2,33% Portugiesisch 3 1,74% Slowakisch 3 1,74% Türkisch 3 1,74% Dänisch/ Schwedisch/ Norwe‐ gisch/ Finnisch/ Isländisch 2 1,16% Niederländisch 2 1,16% Bulgarisch 1 0,58% Estnisch/ Lettisch/ Litauisch 1 0,58% Griechisch 1 0,58% Sonstiges: 23 13,37% Deutsche/ österreichische Gebärdensprache 8 4,65% Dari/ Farsi 7 4,07 Ukrainisch 2 1,16 Armenisch 1 0,58 Georgisch 1 0,58 Mongolisch 1 0,58 Tab. 31: Wichtige Kompetenzen im Zweig 1Arbeitssprachen in Kombination mit Deutsch (Zweig 2) 286 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="287"?> Die DolmetscherInnen von Zweig 2 der Online-Erhebung arbeiteten für unter‐ schiedliche KundInnen (siehe Tab. 32). FirmenkundInnen und Privatpersonen gehörten mit 124 bzw. 115 Nennungen zu den beiden meistgenannten Kate‐ gorien (72,09% bzw. 66,86%). An dritter Stelle befanden sich Übersetzungs- und Dolmetschbüros (47,67%, 82 Nennungen), gefolgt von KollegInnen als AuftraggeberInnen (38,95%, 67 Nennungen). Unter „Sonstiges“ wurden weitere KundInnentypen angegeben, die wie folgt kategorisiert wurden: Behörden/ Ge‐ richte/ Justizanstalten (12,79%, 22 Nennungen), diverse Einrichtungen wie Kran‐ kenhäuser und Bildungseinrichtungen (6,98%, 12 Nennungen), Vereine und NGOs (4,07%, 7 Nennungen), internationale Organisationen/ Botschaften sowie PolitikerInnen/ Ministerien (jeweils 2,33%, 4 Nennungen) und Notariatssowie Rechtsanwaltskanzleien (0,58%, 1 Nennung). KundInnentypologien (Zweig 2) Mehrfachantworten möglich Antwort N Prozent Gesamt 172 100,00% Privatpersonen 115 66,86% FirmenkundInnen 124 72,09% Übersetzungs- und Dol‐ metschbüro 82 47,67% KollegInnen 67 38,95% Sonstiges: 36 15,52% Behörden/ Gerichte/ Justizan‐ stalten 22 12,79% Diverse Einrichtungen 12 6,98% Vereine/ NGOs 7 4,07% Internationale Organisa‐ tionen/ Botschaften 4 2,33% PolitikerInnen/ Ministerien 4 2,33% Notariats- und Rechtsanwalts‐ kanzleien 1 0,58% Tab. 32: KundInnentypologien (Zweig 2) 287 7.3 Zweig 2: Nicht im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="288"?> 11 Die Antworten werden wie für Zweig 1 der Online-Erhebung in der Form wiederge‐ geben, in der sie von den Befragten verfasst wurden. 66 DolmetscherInnen (38,37%) von Zweig 2 der Online-Erhebung dolmetschten auch für anderssprachige PatientInnen, die in Deutschland oder Österreich lebten. Die Mehrheit der DolmetscherInnen (61,63%, 106 Nennungen) war hingegen nicht in dialogischen medizinischen Settings tätig. Der Vergleich zwischen diesen Daten (siehe Abb. 38) mit jenen zu den Dolmetschsettings (siehe Tab. 21) birgt ein etwas überraschendes Resultat, weil nur 55 DolmetscherInnen das Setting „ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation“ ankreuzten. Abb. 38: Dolmetschtätigkeit für im Zielland ansässige PatientInnen (Zweig 2) Die PatientInnen, für die diese 66 DolmetscherInnen tätig waren, stammten aus den in Tab. 33 aufgelisteten Ländern. 11 288 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="289"?> Herkunftsländer der PatientInnen (Zweig 2) Mehrfachantworten möglich Antwort N Prozent Gesamt 66 100% Afrika/ afrikanische Länder 8 12,12% Italien, Russland 7 10,61% Großbritannien, Frankreich, Spanien 5 7,58% Ukraine 4 6,06% Guinea, Länder mit BKS, Österreich, Ungarn, USA 3 4,55% Asiatische Länder/ Asien, Armenien, Belgien, Dominikanische Repu‐ blik, Kamerun, Kongo, Japan, Rumänien, Tunesien 2 3,03% Algerien, Chile, Dänemark, DR Kongo, Flüchtlinge mithilfe eines tauben Relaisdolmetschers, der die Herkunftssprache be‐ herrscht, französischsprachiges Afrika, Georgien, Ghana, Guate‐ mala, Guinea-Bissau, Irak, Kanada, Kasachstan, Kolumbien, Latein‐ amerika, Luxemburg, Marokko, Mexiko, Moldau, Mongolei, Nigeria, Polen, postsowjetischer Raum, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Tsche‐ chien, Tschetschenien 1 1,52% Tab. 33: Herkunftsländer der PatientInnen (Zweig 2) Werden die Herkunftsländer der PatientInnen mit den Arbeitssprachen der DolmetscherInnen (siehe Tab. 31) verglichen, kann für Zweig 2 - wie zuvor für Zweig 1 - vermutet werden, dass in manchen Fällen eine Lingua Franca zum Einsatz kommt, um Kommunikation zu ermöglichen. 7.3.2 Medizintourismus Die überwiegende Mehrheit (74,42%, 128 Nennungen) der in Zweig 2 der Online-Erhebung befragten DolmetscherInnen äußerte Interesse an Aufträgen im Medizintourismus (siehe Abb. 39): 51,16% der Befragten (88 Nennungen) antworteten auf diese Frage mit „Ja“, 23,26% (40 Nennungen) mit „Eher ja“. Lediglich 25,58% der Befragten zeigten keine Bereitschaft, im Medizintourismus zu dolmetschen, wobei 31 DolmetscherInnen (18,02%) mit „Eher nein“ und 13 (7,56%) mit „Nein“ antworteten. 289 7.3 Zweig 2: Nicht im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="290"?> Abb. 39: Interesse der DolmetscherInnen an Aufträgen im Medizintourismus (Zweig 2) Die 128 DolmetscherInnen, die diese Frage mit „Ja“ oder „Eher ja“ beantwor‐ teten, gaben unterschiedliche Gründe für ihre Bereitschaft an. Diese sind in Tab. 34 zusammengefasst. Gründe für das Interesse der DolmetscherInnen an Aufträgen im Medizintou‐ rismus (Zweig 2) Mehrfachantworten möglich Antwort N Prozent Gesamt 128 100,00% Ich interessiere mich für das Fachgebiet Medizin. 91 71,09% Ich dolmetsche gerne. 90 70,31% Mir gefällt der persönliche Kontakt zu Menschen. 62 48,44% Dolmetschaufträge im Medizintourismus sind für mich ganz normale Aufträge. 45 35,16% Ich helfe gerne. 43 33,59% Sonstiges 9 7,03% Tab. 34: Gründe für das Interesse der DolmetscherInnen an Aufträgen im Medizintou‐ rismus (Zweig 2) 290 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="291"?> 12 Warum die Antwortmöglichkeit „Dolmetschen“ nicht 100% erhielt, könnte auf die Mehrfachantwortmöglichkeit der DolmetscherInnen zurückzuführen sein. Dass einige DolmetscherInnen keine Dolmetschleistung im Medizintourismus anbieten, sollte eine weniger wahrscheinliche Erklärung darstellen. Das allgemeine Interesse am Fachgebiet Medizin (71,09%, 91 Nennungen) sowie am Dolmetschen (70,31%, 90 Nennungen) bildeten die häufigsten Gründe, in diesem Betätigungsfeld dolmetschen zu wollen. Darüber hinaus schätzten 48,44% der DolmetscherInnen (62 Nennungen) den persönlichen Kontakt zu Menschen. Für 45 DolmetscherInnen (35,16%) waren Dolmetschaufträge im Medizintourismus ganz normale Aufträge, wogegen 43 Befragte (33,59%) als einen der Gründe, im Medizintourismus dolmetschen zu wollen, angaben, gerne zu helfen. Unter „Sonstiges“ wurden die höheren Honorare im Vergleich zu anderen medizinischen Settings und die Möglichkeit, das eigene Portfolio zu erweitern und zu diversifizieren, angeführt. Auch das Interesse an einer neuen Herausforderung, da es sich meist um spezielle und anspruchsvolle Behandlungen handle, wurde erwähnt. Jene DolmetscherInnen, die eine Bereitschaft an Aufträgen im Medizintou‐ rismus äußerten, würden neben dem Dolmetschen (98,44%, 126 Nennungen) 12 auch weitere Leistungen anbieten. So würden 97 DolmetscherInnen Überset‐ zungen (75,78%), 79 DolmetscherInnen (61,72%) Telefondolmetschen während des Auslandsaufenthaltes der PatientInnen und 65 Befragte Videodolmetschen (50,78%) als Leistungen zur Verfügung stellen. Darüber hinaus könnten sich zahlreiche DolmetscherInnen vorstellen, außertranslatorische Leistungen an‐ zubieten, zu denen die Abfassung von E-Mails oder Unterstützung beim E-Mail-Verkehr zwischen PatientInnen und VertreterInnen der medizinischen Institution (69,53%, 89 Nennungen), die Terminvereinbarung (53,91%, 69 Nen‐ nungen) sowie die ÄrztInnensuche (35,16%, 45 Nennungen) zählen. Was die organisatorische Unterstützung während der Reise und des Aufenthalts angeht, gab es für die DolmetscherInnen Unterschiede zwischen den vorstellbaren außertranslatorischen Leistungen: Je aufwendiger die außertranslatorischen Leistungen ausfielen, desto geringer schien das Interesse der DolmetscherInnen zu sein. So gaben 36 DolmetscherInnen (28,13%) gerne Tipps und Informa‐ tionen betreffend Hotels, Restaurants etc., aber nur 28 (21,88%) würden die PatientInnen vom Flughafen oder Bahnhof oder von der Unterkunft abholen. 2 DolmetscherInnen fügten als Kommentar hinzu, sich alle seriös wirkenden außertranslatorischen Leistungen vorstellen zu können. Der Vergleich zwischen den Leistungen, die die TeilnehmerInnen an Zweig 1 und 2 der Online-Erhebung anbieten oder anbieten würden (siehe Abb. 40), weist nur beim Video- oder Telefondolmetschen erhebliche Unterschiede auf, da 291 7.3 Zweig 2: Nicht im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="292"?> die befragten DolmetscherInnen von Zweig 2 eine höhere Bereitschaft zeigten, diese beiden Leistungen anzubieten, als die Befragten von Zweig 1. Auch betreffend den Abholservice und die ÄrztInnensuche gingen die Meinungen weiter auseinander. Abb. 40: Tatsächliches (Zweig 1) und potenzielles (Zweig 2) Leistungsangebot im Ver‐ gleich (Mehrfachantworten möglich) Als Kriterien für die Preisfindung, welche die Befragten von Zweig 2 her‐ anziehen würden, dienen Folgende: die Gesamtstundenanzahl des Auftrags (66,41%, 85 Nennungen), die Nettodolmetschstunden (25,78%, 33 Nennungen) und die tatsächlich angebotenen translatorischen oder außertranslatorischen Leistungen (53,13%, 68 Nennungen). 46 DolmetscherInnen (43,75%) würden unterschiedliche Preise je nach KundInnengruppe verrechnen, während 11 Dol‐ metscherInnen (8,59%) vorwiegend auf einheitliche Tarife setzen und keine Un‐ terschiede zwischen BusinesskundInnen und Privatpersonen machen würden. Unter „Sonstiges“ wurden zwei weitere Vorschläge für die Preisfindung ge‐ macht: nach Schwierigkeitsgrad der Dolmetschung (1 Nennung); Pauschalpreise 292 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="293"?> für Kurz-, Halbtags- und Ganztagseinsätze ähnlich der Preisfindung beim Konferenzdolmetschen (1 Nennung). Aus dem Vergleich zwischen den Kriterien für die Preisfindung, die die DolmetscherInnen von Zweig 1 und von Zweig 2 der Online-Erhebung angaben, stachen wenige Unterschiede hervor (siehe Abb. 41). Nur beim Kriterium „Gesamtstundenanzahl“ ist zu sehen, dass eine deutlich höhere Zahl nicht im Medizintourismus tätiger DolmetscherInnen dieses Kriterium heranziehen würde. Abb. 41: Preisfindungskriterien im Vergleich (Zweig 1 und Zweig 2; Mehrfachantworten möglich) Lediglich 2 DolmetscherInnen von Zweig 2 merkten an, dass keine der in den Antwortmöglichkeiten vorgegebenen Kompetenzen weiter ausgebaut werden müsste (siehe Abb. 42). Die häufigste genannte Kompetenz war die Sachkom‐ petenz (79,69%, 102 Nennungen); ihr folgten die terminologische (72,66%, 93 Nennungen) und die institutionelle Kompetenz (54,69%, 70 Nennungen). Eine weitere relativ häufig genannte Kompetenz, die über 25% Resonanz erreichte, war die ethische Kompetenz (27,34%, 35 Nennungen). Bei den Businesskompe‐ tenzen (10,94%, 14 Nennungen), der Recherche- und Vorbereitungskompetenz (11,72%, 15 Nennungen), der Sprach- und Kulturkompetenz (18,75%, 24 Nen‐ 293 7.3 Zweig 2: Nicht im Medizintourismus tätige DolmetscherInnen <?page no="294"?> nungen), der translatorischen Kompetenz (18,75%, 24 Nennungen) und der Notizentechnik (19,53%, 25 Nennungen) sahen die Befragten etwas weniger Handlungsbedarf. Abb. 42: Auszubauende Kompetenzen im Vergleich (Zweig 1 und Zweig 2; Mehrfachant‐ worten möglich) 44 DolmetscherInnen von Zweig 2 zeigten keinerlei Interesse an Aufträgen im Medizintourismus. Als wichtigste Gründe (siehe Abb. 43) für ihre Entscheidung wurden der hohe Koordinationsaufwand (29,55%, 13 Nennungen) und eine ausgeprägte Empathie (25,00%, 11 Nennungen), aufgrund derer sie mit den Menschen zu sehr mitleiden würden, angeführt. Weiters wurde angegeben, dass die Betreuung von PatientInnen als mühsam (18,18%, 8 Nennungen) und der persönliche Kontakt mit ihnen als unangenehm (15,91%, 7 Nennungen) emp‐ funden werde. Weitere 7 DolmetscherInnen (15,91%) gaben an, keine leidenden Menschen sehen zu wollen, während jeweils DolmetscherInnen (11,36%) wohl‐ habende PatientInnen für mühsam hielten und generell den Umgang mit Pati‐ entInnen im Medizintourismus nicht schätzten. Neben den vordefinierten Ant‐ wortmöglichkeiten wurden unter „Sonstiges“ (54,55%, 24 Nennungen) folgende 294 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="295"?> zusätzliche Gründe angegeben: fehlende Medizinkenntnisse (10 Nennungen), fehlendes Interesse am Fachgebiet Medizin (2 Nennungen), finanzielle Überle‐ gungen (5 Nennungen), die momentan ausreichende Auslastung (2 Nennungen) und die Befürchtung, dass es für GebärdensprachendolmetscherInnen schwierig sei, Aufträge in diesem Bereich zu akquirieren, da jedes Land große Unterschiede in der Gebärdensprache (z. B. deutschen und österreichischen Gebärdensprache) aufweise (1 Nennung). Des Weiteren wurde unter „Sonstiges“ angegeben, dass Dolmetschen im Medizintourismus keine Tätigkeit für ausgebildete Dol‐ metscherInnen sei (1 Nennung), dass keine KonferenzdolmetscherInnen für diese Tätigkeit benötigt würden (1 Nennung) und dass kein Interesse bestehe, zusätzliche Leistungen neben dem Dolmetschen anzubieten (1 Nennung). Abb. 43: Gründe für mangelndes Interesse an Aufträgen im Medizintourismus (Zweig 2; Mehrfachantworten möglich) 7.4 Weitere thematisierte Aspekte Die letzte Frage bot den Befragten die Möglichkeit, allfällige Kommentare zu hinterlassen; es wurden 42 Antworten gegeben. Neben dem Wunsch, über die 295 7.4 Weitere thematisierte Aspekte <?page no="296"?> Ergebnisse der Online-Erhebung informiert zu werden, sowie der Enttäuschung seitens einiger DolmetscherInnen, dass die Schweiz nicht Gegenstand der vorliegenden Erhebung war und dass das Gebärdensprachendolmetschen im Medizintourismus nicht untersucht wurde, wurden auch einige persönliche Stellungnahmen abgegeben, auf die im folgenden Abschnitt im Detail einge‐ gangen wird. Drei DolmetscherInnen nahmen auf einen in der vorliegenden Studie bereits thematisierten Aspekt Bezug: den der schwierigen Zusammenarbeit mit den wohlhabenden PatientInnen. Anekdoten wurden mit viel Humor skizziert und reichten von einem männlichen Patienten eines Sanatoriums, der in seiner Suite empört feststgestellt hatte, keinen Wodka im Kühlschrank gefunden zu haben, obwohl er Privatzahler war, über den reichen Ehemann einer afrikanischen Patientin, der sich so benahm „wie unsere europäischen Vorfahren in Afrika zur Kolonialzeit“, bis hin zur Begleitperson eines Patienten, die sich erwartet hatte, dass die/ der DolmetscherIn ihr/ ihm einen Termin für ein Vorstellungsgespräch mit dem Rektor einer Universität organisieren würde. Die offene Antwortmöglichkeit der letzten Frage der Online-Erhebung wurde außerdem genutzt, um über das Vorhandensein von Sprach- und Kulturbar‐ rieren im österreichischen und deutschen Gesundheitswesen zu reflektieren. In diesem Zusammenhang wurde das Fehlen einer Schulung des medizinischen Personals für die Zusammenarbeit mit DolmetscherInnen angemerkt, was sich negativ auf die Kommunikation in der Triade auswirke. Wie in einem Kommentar einer/ eines DolmetscherIn hervorgehoben, bestehe diesbezüglich noch Bedarf nach einer verstärkten Zusammenarbeit in der Ausbildung von MedizinerInnen und TranslatorInnen: Es wäre wünschenswert, dass auch das medizinische Personal besser für dolmetschgestützte Gespräche bzw. den Umgang mit Dolmetschern geschult wäre. Einige der befragten DolmetscherInnen gaben an, dass das medizinische Per‐ sonal bewusst auf den Einsatz von DolmetscherInnen im Glauben, dass die eigenen Fremdsprachenkenntnisse für die Verständigung mit anderssprachigen PatientInnen ausreichen, verzichte. So wurde in einer weiteren Anekdote von einem deutschen Arzt mit Französischschulkenntnissen berichtet, der der Meinung gewesen sei, mit einem französischsprachigen Patienten nach einem Schlaganfall ohne Unterstützung einer/ eines DolmetscherIn kommunizieren zu können: „Er hatte sich gründlich getäuscht, denn die verwaschene Aus‐ sprache des Patienten verstand er nicht“. Um die Verständigung zu ermöglichen, hatte letztendlich jene/ jener DolmetscherIn herangezogen werden müssen, 296 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="297"?> von der/ dem die Anektdote stammte. In einem weiteren Zitat wurde darauf hingewiesen, dass das Dolmetschen für anderssprachige PatientInnen in der Medizin nicht nur von medizinischen Themen, sondern auch von finanziellen sowie wirtschaftlich-rechtlichen Themen geprägt sei: Abgesehen davon, dass KundInnen aus ((Name des Landes)) oder ((Name des Landes)) kommen, dolmetsche ich im medizinischen Bereich immer wieder für KundInnen, deren Verständigungssprache Englisch ist. Die interessanteste Begebenheit war eine Dolmetschung in einem UKH, wo man der englischsprachigen Patientin (einer internationalen Beamtin aus ((Name des Landes)), zur Operation eingeflogen vom Entsendeort in ((Name des Landes)), mit dem Hinauswurf drohte, wenn sie nicht einen Vorschuss auf ihre Krankenhausrechnung bezahlt. Weitere Zitate betrafen die Schwierigkeiten, die sich beim Dolmetschen für Kinder als PatientInnen ergeben, sowie die Wichtigkeit einer schnellen Reak‐ tionsfähigkeit und eines raschen Auffassungsvermögens. Wenn Sachverhalte während einer Dolmetschung von den DolmetscherInnen zu langsam ver‐ standen würden, könne das unangenehme Folgen nach sich ziehen: Ein Patient im Spitalbett, für den ich aus der Gebärdensprache gedolmetscht habe, antwortet auf meine Frage, „Woher kommen Sie? “, „Aus ((Name des Landes))“, zumindest dachte ich es, dass es so zu deuten war. Inzwischen wollte er mir sagen, dass er die Schwester wegen WC bräuchte. Weil jener Patient sehr schnell gebärdet hat, wurde seine Pyjamahose voll, bis ich wirklich wusste, was er meinte! In einigen Anmerkungen wurde zudem auf die besondere Bedeutung verschie‐ dener Kompetenzen wie der Sachkompetenz, der terminologischen Kompetenz und der Sozial- und Individualkompetenz für das Dolmetschen in der Me‐ dizin hingewiesen. Bereits vorhandene Sach- und terminologische Kompetenz schienen für manche DolmetscherInnen für den Entschluss, im Medizintou‐ rismus tätig zu werden, ausschlaggebend gewesen zu sein. So erzählte eine/ ein DolmetscherIn, dass kein Interesse am Medizintourismus bestehe, da der Auf‐ wand für die Einarbeitung in ein neues Fachgebiet (in diesem Fall Medizin) zu hoch sei. In diesem Zusammenhang äußerte eine/ ein weitere/ weiterer Dolmet‐ 297 7.4 Weitere thematisierte Aspekte <?page no="298"?> scherIn den Wunsch nach Weiterbildungskursen im Bereich Terminologie und Medizin. Im Rahmen der Sozial- und Individualkompetenz wurde einmal mehr die Rolle der Empathie unterstrichen: Ich glaube, dass, abgesehen von der professionellen Kompetenz, in diesem Bereich auch sehr viel soziale und emotionale Kompetenz und viel Feingefühl erforderlich sind. Weitere Angaben der befragten DolmetscherInnen beleuchteten positive und negative Aspekte des Dolmetschens im Medizintourismus. Unter den positiven Erfahrungen wurde etwa die Möglichkeit, Menschen mit schweren Lebensge‐ schichten zu helfen und sich dabei nützlich zu fühlen sowie das eigene Leben und die eigene Gesundheit mehr schätzen zu lernen, angeführt. Als negativ wurde hingegen der aus den außertranslatorischen Leistungen resultierende Mehraufwand empfunden: Ich begrenze meine Beziehung zu den Kunden gerne auf das Geschäftliche und lasse mich in der Regel nicht auf „Allround-Aufträge“ ein, bei denen ich als Assistentin, Ratgeberin und Mädchen für alles fungieren soll. Das scheint mir bei dieser Form des Dolmetschens eher schwierig zu sein, daher weiß ich nicht, ob ich es wirklich machen würde. Des Weiteren wurde auf eine besondere Problematik im Rahmen der Honorie‐ rung von Aufträgen eingegangen: In manchen Fällen könne es unklar sein, welche Partei (PatientInnen, ÄrztInnen, PatientInnenvermittlerInnen etc.) für die Beauftragung und welche für die Honorierung der DolmetscherInnen zuständig sei, da in der Medizin die beauftragende Partei nicht immer der vergütenden Partei entspreche: Ich hatte allerdings auch schon den Fall, dass ich einen Patienten zu einer Untersuchung begleitet habe und mir im Nachhinein mitgeteilt wurde, dass das Dolmetschen bei diesem Termin nicht vergütet werden würde, weil man mich angeblich ja gar nicht beauftragt habe! Von zwei DolmetscherInnen wurde der Medizintourismus als Marktsegment gesehen, in dem keine adäquaten Honorare erzielt werden können, da „niemand bereit [ist,] echte Dolmetschertagessätze oder Stundenhonorare zu bezahlen“. 298 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="299"?> Aus Kostengründen werde nur auf internes zweisprachiges medizinisches oder pflegerisches Personal gesetzt, sodass keine ausgebildeten DolmetscherInnen zum Einsatz kommen. Weitere zwei DolmetscherInnen machten von dieser Antwortmöglichkeit Gebrauch, um ethische Dilemmata zu thematisieren. Ein erstes Dilemma betraf die Distanz zwischen DolmetscherInnen und PatientInnen, die ihres Erachtens im Medizintourismus geringer als in anderen Settings sei. Dies treffe besonders in jenen Fällen zu, in welchen die PatientInnen mehrere Behandlungen in Anspruch nehmen und der Kontakt zwischen ihnen und den DolmetscherInnen enger werde: Die Rolle zwischen ich als Dolmetscherin und ich als gute Freundin im fremden Land ist manchmal zu wenig definiert. Vor allem, wenn man die Kunden mehrmals gedolmetscht hat und auf Facebook befreundet ist. Ein mit der Distanz eng verbundenes Dilemma betraf die Neutralität der DolmetscherInnen und zeigt einmal mehr - auch in der Verwendung der Modalverben („darf/ soll“ im folgenden Zitat) -, dass der normative Ansatz in der DolmetscherInnenausbildung zu ethischen Konflikten führen kann: Am schwierigsten ist es, wenn PatientInnen lügen. Denn ich als Sprachrohr darf/ soll nicht intervenieren. Neutral bleiben ist somit eine größere Herausforderung als medizinische Inhalte per se. Einer der Antworten fasste die Essenz des Dolmetschens im Medizintourismus sowie in der Medizin in einem Satz besonders gut zusammen: Ich glaube, dass, abgesehen von der professionellen Kompetenz, in diesem Bereich auch sehr viel soziale und emotionale Kompetenz und viel Feingefühl als Grundlagen für meine Tätigkeit als Dolmetscher - basierend auf Sozial-, Fach-, und Interkultureller Kompetenz, Verlässlichkeit, Korrektheit, Liebe zu Menschen, Hilfsbereitschaft, Respekt und Kontaktfreude - erforderlich sind. 299 7.4 Weitere thematisierte Aspekte <?page no="300"?> 7.5 Kapitelzusammenfassung Im vorliegenden Kapitel wurden die aus der Online-Erhebung erlangten Er‐ kenntnisse erläutert, an der sich insgesamt 232 DolmetscherInnen beteiligt hatten. An Zweig 1 der Online-Erhebung, der für jene DolmetscherInnen, die im Medizintourismus dolmetschten, vorgesehen war, nahmen 60 Personen teil. An Zweig 2 der Online-Erhebung, der für DolmetscherInnen, die nicht im Medizintourismus dolmetschen, konzipiert war, beteiligten sich 172 Personen. Durch die Online-Erhebung konnte eine erste explorative Erhebung des Dol‐ metsch-Betätigungsfeldes Medizintourismus in Deutschland und Österreich durchgeführt werden. Zweig 1 lieferte Teilantworten auf die Frage nach der Ist-Situation des Dolmetschens im Medizintourismus. In diesem Teil wurden daher sowohl Informationen zu medizintouristischen PatientInnen (u. a. Herkunftsland und finanzielle Situationen), für die gedolmetscht wird, als auch Informationen zur Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus (u. a. Beginn und Häufigkeit der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus, Bereiche, Settings, Auftragsvergabe, eingesetzte Dolmetschmodi, angebotene Leistungen, positive und negative Seiten) erfasst. Darüber hinaus bot Zweig 1 Teilantworten auf die Frage zu den Erwartungen und Kompetenzanforderungen an die DolmetscherInnen. Die erfassten Antworten konnten das Bild, das anhand der ethnografischen Feldforschung und der Expertinneninterviews erlangt wurde, ergänzen und schärfen. Zweig 2 bot Antworten auf die Frage nach der prinzipiellen Bereit‐ schaft, im Medizintourismus zu dolmetschen. Neben Informationen zur allge‐ meinen Dolmetschtätigkeit der befragten DolmetscherInnen wurden ebenso das potenzielle Interesse an Aufträgen im Medizintourismus und die Gründe für eine Bereitschaft, in diesem Betätigungsfeld zu dolmetschen, erfasst. Jene DolmetscherInnen, die Bereitschaft dafür zeigten, gaben des Weiteren an, welche Leistungen sie anbieten und welche Kompetenzen sie noch ausbauen würden, um im Medizintourismus tätig zu werden. 300 7 Erkenntnisse aus der Online-Erhebung <?page no="301"?> 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit Im vorliegenden Kapitel werden die Erkenntnisse aus den drei Forschungs‐ phasen zusammengefasst. Das Unterkapitel 8.1 bietet einen Überblick über die Ist-Situation des Medizintourismus in Österreich und Deutschland, während in Unterkapitel 8.2 die Eigenschaften von Dolmetschaufträgen im Medizintou‐ rismus unter Berücksichtigung der Erwartungen und Anforderungen erläutert werden. In den anschließenden Unterkapiteln wird auf die Schlussfolgerungen und Desiderata für Forschung (8.3) und Didaktik (8.4) sowie auf die Implika‐ tionen für praktizierende DolmetscherInnen und Berufsverbände (8.5) einge‐ gangen. 8.1 PatientInnen und Institutionen Zusammenfassend zeichnet die Studie ein sehr heterogenes Bild der Patien‐ tInnen im Medizintourismus in Deutschland und Österreich. So können sich bereits die Beweggründe der PatientInnen, eine medizinische Reise anzutreten, stark unterscheiden: Manche PatientInnen reisen nach Deutschland und Öster‐ reich, um Behandlungen in Anspruch zu nehmen, die in ihren Herkunftsländern nicht verfügbar oder nicht legal sind oder zu lange Wartezeiten mit sich bringen, während andere PatientInnen eine Zweitmeinung zu einer Diagnose oder einem Therapievorschlag durch (renommierte) SpezialistInnen einholen möchten. Eine dritte PatientInnengruppe reist für gewöhnliche Routineuntersuchungen nach Österreich und Deutschland, da sie kein Vertrauen in die medizinischen Standards ihres Herkunftslandes hat. Auch die finanzielle Situation der rei‐ senden PatientInnen fällt sehr unterschiedlich aus. Neben wohlhabenden bis sehr wohlhabenden PatientInnen, die sowohl in der Feldforschung als auch in den Expertinneninterviews und der Online-Erhebung die Mehrheit der Fälle darstellen, unternehmen ebenso PatientInnen, die nur über durchschnittliche oder begrenzte finanzielle Mittel verfügen, eine medizinische Reise. Letztere sind mitunter auf Spenden oder Crowdfunding-Kampagnen angewiesen, um Reise und Behandlung zu finanzieren. Manche der befragten oder beobachteten PatientInnen (EU-BürgerInnen) versuchten zur Finanzierung der Behandlung auf eine Refundierung der Kosten durch die Patientenmobilitätsrichtlinie der Europäischen Union zurückzugreifen, doch traten in einigen Fällen Schwierig‐ keiten bei der Antragsstellung auf. Hinsichtlich Herkunftsländer und Sprachen <?page no="302"?> jener PatientInnen, die medizinisch bedingt nach Deutschland und Österreich reisen, findet sich eine große Vielfalt: Sowohl die interviewten PatientInnen als auch die PatientInnen, die im Rahmen der Expertinneninterviews und der Online-Erhebung beschrieben wurden, stammen überwiegend aus EU-Ländern oder aus dem postsowjetischen Raum, in selteneren Fällen aber auch aus Ländern in Afrika oder Asien. Die Sprache, die zur Kommunikation mit den Ver‐ treterInnen der medizinischen Institutionen verwendet wird, ist nicht in allen Fällen die Muttersprache der PatientInnen. Dies kann mehrere Gründe haben: Manche medizintouristische PatientInnen oder deren Begleitpersonen sind seit vielen Jahren in einem anderen Land als ihrem Geburtsland wohnhaft. Folglich sind sie mit der medizinischen Fachsprache ihres neuen Wohnsitzlandes besser vertraut als mit jener ihres Geburtslandes, und die medizinische Dokumentation der Krankengeschichte der PatientInnen liegt nur noch in der Sprache ihres tatsächlichen Wohnsitzlandes vor. In anderen Fällen stammen PatientInnen aus Ländern (z. B. aus afrikanischen oder asiatischen Ländern), die aufgrund ihrer kolonialen Vergangenheit mehrere Amtssprachen oder eine Lingua Franca wie Englisch oder Französisch aufweisen, oder aus Ländern wie den GUS-Staaten, in denen aufgrund der sowjetischen Vergangenheit auch Russisch gesprochen wird. Bei Vorliegen solcher Gegebenheiten greifen PatientInnen mitunter auch auf diese Sprachen zurück, da dies die Suche nach DolmetscherInnen verein‐ facht. Im Medizintourismus stellen PatientInnen hohe Erwartungen an die Medizin und die MedizinerInnen des Ziellandes. Häufig gehen sie davon aus, dass die medizinischen Standards im Zielland generell besser sind als jene in ihrem Herkunftsland. Darüber hinaus erwarten sich PatientInnen eine qualitativ hochwertige Behandlung, da sie die Dienste der medizinischen Institution als PrivatzahlerInnen und nicht als gewöhnliche KassenpatientInnen in Anspruch nehmen. Häufig haben diese PatientInnen ganz spezielle Anliegen und suchen besonders renommierte ÄrztInnen auf, die als SpezialistInnen ihres Fachgebiets gelten. Je besser die finanzielle Situation der PatientInnen ist, desto schwieriger und anspruchsvoller scheinen diese laut den betroffenen DolmetscherInnen zu sein. Sowohl in den erzählten Anekdoten im Rahmen der qualitativen Expertinneninterviews als auch in den niedergeschriebenen Kommentaren im Rahmen der Online-Erhebung wurde diese PatientInnengruppe immer wieder als kompliziert, betreuungsintensiv und anspruchsvoll beschrieben. Die medizinischen Bereiche, die im Rahmen aller drei Forschungsphasen als für das Dolmetschen im Medizintourismus relevant erachtet wurden, unter‐ scheiden sich stark und reichen von der allgemeinen Medizin, der Onkologie, der Chirurgie und Schönheitschirurgie, der bildgebenden Diagnostik über die 302 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="303"?> 1 In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings die Frage, ob dies auch ein Spezifikum des medizinischen Bereichs im Allgemeinen ist. Neurologie, die Pädiatrie, die Psychiatrie und Gynäkologie bis zur Orthopädie, inneren Medizin und Augenheilkunde. Selten wird die medizinische Reise von den PatientInnen allein angetreten. Meistens reisen sie mit mehreren Begleitpersonen, die häufig auch während der ärztlichen Untersuchung anwesend sind. Manchmal müssen PatientInnen die Reise mit ihren Kindern unternehmen, da PatientInnen im Ausland meist über keine Netzwerke aus dem Familien- und Freundeskreis verfügen, die während ihrer Abwesenheit auf ihre Kinder aufpassen könnten. Die Triade erweitert sich deshalb um die Begleitpersonen, unter denen auch Kinder anwesend sein können. Die zu verdolmetschenden medizinischen Gespräche stellen aus diesem Grund fast immer Mehrparteiengespräche dar, die sich für DolmetscherInnen hinsichtlich der Kommunikationssteuerung als komplex erweisen. Einige der interviewten ÄrztInnen und Dolmetscherinnen erwähnten, dass PatientInnen aus bestimmten Ländern und Kulturkreisen häufiger mit Begleitpersonen reisten. Es ist allerdings fraglich, ob diese Verhaltensweise ein Kulturspezifikum darstellt. Vielmehr scheint die Präsenz von Begleitpersonen ein Spezifikum des Medizintourismus zu sein, da PatientInnen eben eine Reise auf sich nehmen müssen, um die Behandlung überhaupt in Anspruch nehmen zu können: So haben PatientInnen in vielen Fällen aufgrund ihrer ungenügenden Fremdsprachenkenntnisse Angst, allein zu reisen und den Auslandsaufenthalt allein managen zu müssen. 1 In anderen Fällen nutzen sie wiederum die Gelegen‐ heit, im Ausland die medizinischen Angelegenheiten mit einem kurzen Urlaub mit der Familie oder Bekannten zu verbinden. Kulturspezifika finden sich in der Wahrnehmung und in den Erwartungen der AkteurInnen im Medizintourismus sehr häufig. So gaben einige der in‐ terviewten VertreterInnen der medizinischen Institutionen an, kulturspezifi‐ sche Verhaltensweisen zu erkennen: ItalienerInnen wurden als PatientInnen mit besonderen kulinarischen Ansprüchen und mit beschränkten Fremdspra‐ chenkenntnissen beschrieben. SüdländerInnen wurden im Allgemeinen als extrovertierte, theatralische Menschen dargestellt, während osteuropäische PatientInnen als reserviert oder sogar unterwürfig wahrgenommen wurden. Reiche russischsprachige PatientInnen wurden als extrem anspruchsvoll und fordernd beschrieben. Ein interviewter Arzt relativierte allerdings die Rolle von Kulturspezifika, da er Krankheitsspezifika eine größere Bedeutung beimaß: So würden Menschen häufig ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen, wenn sie an derselben Krankheit leiden und ähnliche Leidensgeschichten, 303 8.1 PatientInnen und Institutionen <?page no="304"?> die nicht sprach- und kulturabhängig sind, aufweisen. Auch im Rahmen der Expertinneninterviews wurden die interviewten Dolmetscherinnen gefragt, ob sie Unterschiede zwischen den Verhaltensweisen von deutschen oder ös‐ terreichischen PatientInnen und jenen PatientInnen, für die sie dolmetschen, feststellen können. Einigen Dolmetscherinnen schien die Beantwortung dieser Frage schwerzufallen. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die inter‐ viewten Dolmetscherinnen (Italienerinnen, Rumäninnen und Russinnen) nicht für deutsche oder österreichische PatientInnen dolmetschen, generell über wenige Erfahrungen mit dieser PatientInnengruppe verfügen und sich daher möglicherweise noch nicht mit der Frage der kulturbedingten Unterschiede im PatientInnenverhalten auseinandersetzen konnten. Obwohl eine einheitliche Definition und Klassifizierung von Verhaltensweisen nach kulturspezifischen Mustern weder möglich noch zielführend sind, sollte beachtet werden, dass sich manche Gesprächsteilnehmende dennoch gewisse Verhaltensweisen ihrer Gegenüber zum Teil als „typisch deutsch“, „typisch italienisch“ usw. erklären oder erwarten könnten. Die Folgen solcher stereotyper Wahrnehmungen im Rahmen der Dolmetschung sind nicht zu unterschätzen, da sie zu falschen Interpretationen oder unerwarteten Reaktionen der Gesprächsteilnehmenden führen können (vgl. auch Bührig/ Meyer 2015: 304, Menz 2015: 86, Gießelmann 2016: 4). Die in der Studie der Generaldirektion Übersetzung (vgl. Angelelli 2015) festgestellten Sprach- und Kulturbarrieren werden von der vorliegenden Studie bestätigt. Während der ethnografischen Feldforschung wurde beobachtet, dass die meisten italienischen PatientInnen nur der italienischen Sprache mächtig waren und sich kaum in einer anderen Sprache mit den VertreterInnen der medizinischen Institution unterhalten konnten. Auch die Dolmetscherinnen in den Expertinneninterviews berichteten von massiven Sprachbarrieren seitens der PatientInnen. In vielen Fällen mussten die PatientInnen selbst für die Suche und Beauftragung einer dolmetschenden Person sorgen, da die meisten Vertre‐ terInnen der medizinischen Institutionen keine translatorische Unterstützung anboten. In diesem Kontext kam erschwerend hinzu, dass die PatientInnen die Dolmetsch- und Übersetzungskosten selbst tragen mussten, da diese nicht von ihrer Krankenkasse bzw. vom nationalen Gesundheitssystem zurückerstattet wurden. Die VertreterInnen medizinischer Institutionen verfügten hingegen über gute bis exzellente Kenntnisse der englischen Sprache und manchmal sogar anderer Fremdsprachen. Wie sich in den Interviews mit den Ärzten herausstellte, wären diese grundsätzlich nicht abgeneigt gewesen, die medi‐ zinische Aufklärung auf Englisch durchzuführen, obwohl in der Literatur (vgl. u. a. Crezee 2013: 13f., Kaspar 2015: 2., Bialk-Wolf et al. 2017: 71ff.) das 304 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="305"?> Problem, dass PatientInnen nicht immer in der Lage sind, die angeforderten Informationen in einer Lingua Franca wie Englisch wiederzugeben, und diese Sprachschwierigkeiten auch zu Fehldiagnosen oder falschen Behandlungen führen können, durchaus thematisiert wird. Die hohe Bereitschaft seitens der interviewten Ärzte, auf Englisch zu kommunizieren, schien aber ebenso darauf zurückzuführen zu sein, dass sie sich prinzipiell lieber direkt mit den PatientInnen unterhalten und auf dolmetschende Personen verzichten. Dies zeigte sich auch in den Interviews mit den Dolmetscherinnen: So würden ÄrztInnen immer wieder versuchen, die Konversation auf Englisch zu führen, selbst wenn sie feststellten, dass eine/ ein DolmetscherIn anwesend sei. Dies stellte nicht für alle interviewten Dolmetscherinnen ein Problem dar. So gaben einige Dolmetscherinnen an, den ÄrztInnen entgegenzukommen und zwischen Englisch und der Sprache der PatientInnen zu dolmetschen, ohne für diese Sprachkombination beauftragt worden zu sein. Eine der bevorzugten Lösungs‐ strategien für die Überbrückung der Sprachbarrieren seitens der interviewten VertreterInnen der medizinischen Institutionen ist die Heranziehung zweispra‐ chiger ÄrztInnen oder Pflegekräfte als Dolmetschende, da sie terminologische und inhaltliche Genauigkeit gewährleisten. Die Bevorzugung dieser Vorgehens‐ weise wird auch in der medizinischen Literatur zur dolmetschvermittelten Kommunikation festgestellt (vgl. u. a. Hoefert 2008: 105ff., Bischoff/ Hudelson 2010, Kaelin et al. 2013, Spickhoff 2015). Die Heranziehung von Familienmit‐ gliedern oder Bekannten als Laiendolmetschende wurde von den VertreterInnen medizinischer Einrichtungen hingegen als besonders negativ beurteilt, da ihre Verdolmetschung aufgrund mangelnden medizinischen Wissens sowie man‐ gelnder Dolmetschtechnik (vor allem Gedächtnisleistung) zu ungenau sei. Den meisten interviewten PatientInnen und Begleitpersonen sowie VertreterInnen der medizinischen Institutionen schien bewusst zu sein, dass dolmetschende Familienangehörige oder Bekannte der PatientInnen persönlich zu stark invol‐ viert sind und daher mit Loyalitätsproblemen konfrontiert werden (vgl. dazu Mesa 2000, Hale 2007). Die beobachtete medizinische Kommunikation war fast immer im Sinne des partizipativen Modells gestaltet (vgl. Bechmann 2014: 139). Der in der medizinischen und dolmetschwissenschaftlichen Literatur beschriebene Zeit‐ druck wurde ebenso von den interviewten Dolmetscherinnen erwähnt: Einige berichteten, dass ÄrztInnen häufig auf Englisch kommunizieren wollten, um Zeit zu sparen; andere gaben an, aufgrund eines wahrgenommenen Zeitdrucks die medizinischen Gespräche immer oder fallweise simultan zu dolmetschen. Aufgrund des auch in der Literatur zum Medizintourismus beschriebenen höheren sozialen Status der PatientInnen (vgl. dazu u. a. Berg 2008: 171, Klobassa 305 8.1 PatientInnen und Institutionen <?page no="306"?> 2016: 48ff.) begegnen ÄrztInnen einem aktiveren Frageverhalten seitens der PatientInnen: Bechmanns Feststellung, dass die Richtung der Fragen und Ant‐ worten meistens dieselbe bleibe und ÄrztInnen mehr Fragen als die PatientInnen stellten (vgl. Bechmann 2014: 130), konnte durch die Feldforschung und die Interviews mit den Ärzten nicht bestätigt werden. Auch in den Interviews mit den Dolmetscherinnen wurde mehrfach erwähnt, dass medizintouristische PatientInnen zahlreiche Fragen stellen. Dieses aktivere Frageverhalten führt dazu, dass den medizintouristischen PatientInnen trotz Zeitdrucks von den behandelnden ÄrztInnen mehr Zeit als anderen PatientInnen eingeräumt wird. Während der Interviews mit den vier Ärzten wurden diese zu ihrem (Fach-)Sprachverhalten im Rahmen der medizinischen Kommunikation befragt. So gaben diese an, ihr Sprachverhalten in einer dolmetschvermittelten Kom‐ munikation an die Präsenz der DolmetscherInnen anzupassen, wogegen sie bei einer nicht dolmetschvermittelten Kommunikation eher auf Fachtermini, die für eine Verständigung nicht notwendig erscheinen, verzichteten. Auch die Verwendung von Erklärungen, die die Fachtermini für die PatientInnen verständlich machen, wurde in den Interviews thematisiert: Während einige Ärzte diese generell hinzufügten, glaubten andere, dass sie auf solche verzichten könnten, da DolmetscherInnen ihrer Meinung nach über das notwendige medizinische Wissen verfügen und in der Lage sind, diese Termini zu erkennen und patientInnenverständlich zu dolmetschen. Ein Arzt fügte hinzu, dass Fach‐ termini auf jeden Fall verwendet werden sollten, da dies den PatientInnen eine selbstständige Recherche zu den medizinischen Begriffen nachträglich ermögliche. 8.2 Dolmetschaufträge im Medizintourismus Für die Mehrheit der interviewten Dolmetscherinnen und durch die Online-Er‐ hebung befragten DolmetscherInnen lag der jeweilige Beginn ihrer Dolmetsch‐ tätigkeit im Medizintourismus fünf bis sieben Jahren zurück. Die Häufigkeit der Dolmetschaufträge im Medizintourismus unterschied sich stark: Während einige der interviewten Dolmetscherinnen und durch die Online-Erhebung befragten DolmetscherInnen zahlreiche Anfragen in diesem Betätigungsfeld erhalten und wöchentlich im Medizintourismus dolmetschen, arbeitet die Mehr‐ heit wiederum nur einige Male im Jahr in diesem Bereich. Die Häufigkeit von Dolmetschaufträgen im Medizintourismus kann in manchen Fällen sogar saisonal bedingt variieren. So führten zwei interviewte Dolmetscherinnen an, dass sich PatientInnen in den Sommermonaten eher die Zeit für eine 306 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="307"?> 2 Dolmetschpools werden üblicherweise von Nichtregierungsorganisationen betrieben und bieten kostengünstige Dolmetschdienstleistungen für Menschen mit Migrations‐ hintergrund an. medizinische Reise nehmen könnten. In einigen Fällen wird mehrere Male für dieselbe/ denselben PatientIn gedolmetscht, da sich die Behandlung wiederholt oder mehrere Tage in Anspruch nimmt. In manchen Fällen erfordert das Leiden der PatientInnen oder die Art der Behandlung eine weitere medizinische Reise zu einem späteren Zeitpunkt. Die Kontaktaufnahme der PatientInnen mit den VertreterInnen der medizinischen Institution und den DolmetscherInnen erfolgt zumeist via E-Mail oder Telefon. Entweder kontaktieren die PatientInnen die ÄrztInnen oder die medizinische Institution direkt, oder sie wenden sich zuerst an eine/ einen DolmetscherIn, die/ der den ersten Kontakt herstellt. Für die Suche nach DolmetscherInnen oder ÄrztInnen wird zumeist auf Empfehlungen in Internetforen (PatientInnenforen) und Empfehlungen durch Bekannte und LeidensgenossInnen zurückgegriffen. Falls die PatientInnen in dieser Phase über kein Informationsnetzwerk zu ihrer Krankheit verfügen, sind ebenso Internetrecherchen von großer Bedeutung. Aus der Studie geht hervor, dass DolmetscherInnen im Medizintourismus in den meisten Fällen direkt von den PatientInnen beauftragt werden. Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zu der in der dolmetschwissenschaftlichen Literatur als Standardsituation genannten Beauftragung der DolmetscherInnen in klassischen Settings des Gesundheitswesens durch die medizinische Institution dar (vgl. Havelka 2017: 88). Nur in seltenen Fällen wurden die interviewten bzw. durch die Online-Erhe‐ bung befragten DolmetscherInnen direkt von den medizinischen Institutionen (durch ein international office oder Sekretariat oder durch ÄrztInnen) im Auftrag der PatientInnen kontaktiert. Das bedeutet, dass PatientInnen letztendlich die zahlende Instanz darstellen. Die Online-Erhebung zeigte außerdem, dass in einigen Fällen ebenso KollegInnen oder Bekannte der DolmetscherInnen und in seltenen Fällen Behörden DolmetscherInnen mit Aufträgen betrauen können. Im Rahmen der Interviews mit den Dolmetscherinnen wurden überdies Vermittlungsinstanzen wie Übersetzungs- und Dolmetschbüros, Dolmetschpools oder PatientInnenvermittlerInnen, die Dolmetschaufträge erteilen, genannt. Während Übersetzungs- und Dolmetschbüros in der Regel mit der Beauftra‐ gung von DolmetscherInnen vertraut waren und Wert auf deren Kompetenzen legten, konnte dies für Dolmetschpools 2 und PatientInnenvermittlerInnen nicht immer behauptet werden. Dieses durch die Studie gewonnene Bild von den PatientInnenvermittlerInnen deckt sich in weiten Teilen mit jenem aus der Arbeit von Slavu (2017: 50). PatientInnenvermittlerInnen scheinen meist nur über ein begrenztes medizinisches Fachwissen sowie über eine mangelhafte 307 8.2 Dolmetschaufträge im Medizintourismus <?page no="308"?> translatorische Kompetenz zu verfügen. Sie sind daher nicht immer in der Lage, bei der Vermittlung der medizinischen Leistung sprach- und kulturbe‐ dingte Probleme zu berücksichtigen. Zwei der interviewten Dolmetscherinnen meinten, dass für PatientInnenvermittlerInnen das Dolmetschen bloß eines der vielen angebotenen Services darstelle und es ihnen daher an Bewusstsein für die Komplexität des translatorischen Berufs sowie für die erforderlichen Kom‐ petenzen zur Überwindung von Sprach- und Kulturbarrieren mangele. Auch die professionelle Distanz sei in ihrem Handeln kaum zu finden: So berichtete eine interviewte Dolmetscherin, dass sich PatientInnenvermittlerInnen und Laiendolmetschende wie die „große Schwester“ (D14, 95-95) der PatientInnen verhalten würden. Des Weiteren stellen PatientInnenvermittlerInnen laut zwei interviewten Dolmetscherinnen nur selten Vorbereitungsmaterial und Informa‐ tionen für den Dolmetschauftrag zur Verfügung. Im Rahmen der Beauftragung der DolmetscherInnen nimmt die ausreichende Verfügbarkeit von Vorbereitungsmaterial und Hintergrundinformationen eine bedeutende Rolle ein. Insbesondere in den Fällen, in denen eine Vermittlungs‐ instanz involviert ist, werden den DolmetscherInnen selten genauere Informa‐ tionen zur Krankengeschichte der PatientInnen sowie zum Zweck und Gegen‐ stand des Gesprächs weitergeleitet. Werden DolmetscherInnen hingegen direkt von den PatientInnen beauftragt, erweist sich der Zugang zu den benötigten Informationen meist als deutlich einfacher. Dennoch ist auch in diesen Fällen zumeist ein proaktives Anfordern von Unterlagen und Fakten notwendig. Während die meisten Interviewpartnerinnen aktiv nach zusätzlichen Informa‐ tionen verlangten, gaben einige wenige interviewte Dolmetscherinnen an, dass sie keine zusätzlichen Informationen bekommen wollten, da sie von diesen überfordert seien. In der Online-Erhebung gab ein Viertel der Befragten an, nur auf explizite Anfrage Vorbereitungsmaterial zu erhalten. Die dolmetschvermittelte Kommunikation zwischen PatientInnen und Ver‐ treterInnen der medizinischen Institution kann sowohl im Krankenhaus als auch in der ärztlichen Praxis erfolgen. Einige Interviewpartnerinnen gaben an, dass PatientInnen, die ein Visum für die Einreise benötigten, dieses zumeist über Krankenhäuser des Ziellandes beantragen ließen. Sie suchten daher während ihrer medizinischen Reise selten andere medizinische Einrichtungen auf und würden stattdessen meist direkt im Krankenhaus des Ziellandes behandelt. Dol‐ metschvermittelte Gespräche beschränkten sich für diese PatientInnengruppe folglich zumeist auf Gespräche und Behandlungen im Krankenhaus. Für alle PatientInnengruppen gilt, dass jederzeit weitere Untersuchungen im Laufe des Auslandsaufenthalts kurzfristig oder spontan angefordert werden können. Je nach Untersuchung oder Behandlung werden verschiedene Gesprächsarten 308 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="309"?> gedolmetscht. Beratungs- und Aufklärungsgespräche weisen die längste Dauer auf und können komplex sein; die zumeist kürzeren Aufnahme- und Entlas‐ sungsgespräche stellen gemeinsam mit den Visitengesprächen aufgrund der in größeren Krankenhäusern häufig auftretenden Zeitverzögerungen eine beson‐ dere Herausforderung für die DolmetscherInnen dar. Während der verdolmetschten Gespräche kam sowohl der simultane als auch der konsekutive Dolmetschmodus zum Einsatz. In den beobachteten Dol‐ metschungen wurde bei den Erstgesprächen, der Anamnese, der Aufklärung und bei der Diagnosemitteilung immer konsekutiv mit Notizen gedolmetscht, um die RednerInnen im Redefluss nicht zu unterbrechen und vollständige, inhaltstreue Dolmetschungen zu erlangen (siehe dazu auch z. B. Crezee 2013: 21, Menz 2015: 82). In den Interviews mit den Dolmetscherinnen stellte sich heraus, dass manche der interviewten Dolmetscherinnen aus Zeitgründen die gesamte Interaktion simultan dolmetschen. Auch jene Dolmetscherinnen, die hauptsächlich konsekutiv dolmetschen, wechseln situationsbedingt in den simultanen Modus, wenn der Ausgangstext zu viele Informationen enthält und sie Angst haben, Details zu vergessen, wenn mehrere Menschen gleichzeitig reden oder wenn Bilder oder schriftliche Texte gezeigt werden (vgl. dazu auch Crezee 2013: 21). Der Wechsel in den simultanen Dolmetschmodus verringert laut den Interviewten und Befragten die Gefahr, dass Namen von unbekannten Personen, Krankheiten oder Behandlungen, die schwierig zu notieren sind, ausgelassen oder vergessen werden (vgl. dazu Kutz 2012: 455). Auch in der Online-Erhebung wurde von DolmetscherInnen häufig angegeben, situations‐ bedingt in den simultanen Dolmetschmodus zu wechseln. Allerdings gab nur eine Minderheit der DolmetscherInnen der Online-Erhebung an, ausschließlich simultan zu dolmetschen; eine deutliche Mehrheit dolmetschte konsekutiv mit oder ohne Notizen. Im Medizintourismus gestaltet sich der Kontakt zwischen den Dolmetsche‐ rInnen und anderen Gesprächsbeteiligten meist intensiver als in anderen medi‐ zinischen Settings. Häufig nimmt die Behandlung der PatientInnen mehrere Tage in Anspruch, oder sie müssen für eine erfolgreiche Behandlung mehrere medizinische Reisen unternehmen. Während dieser Reisen stehen PatientInnen und DolmetscherInnen meist in kontinuierlichem Kontakt. Darüber hinaus dolmetschen DolmetscherInnen häufig für dieselbe medizinische Institution und deren VertreterInnen. Durch den engeren Kontakt mit den Beteiligten ergeben sich sowohl Vorals auch Nachteile für die DolmetscherInnen. Zu den Vorteilen kann das anwachsende Wissen über die medizinische Geschichte der PatientInnen und die eingesetzten Behandlungsmethoden der ÄrztInnen gezählt werden. Sowohl in den Interviews mit den VertreterInnen der medizi‐ 309 8.2 Dolmetschaufträge im Medizintourismus <?page no="310"?> nischen Institutionen als auch in den Expertinneninterviews wurde festgestellt, dass DolmetscherInnen, die wiederholt für dieselbe Institution dolmetschten, von den ÄrztInnen und vom Pflegepersonal häufig als Teammitglied wahrge‐ nommen würden: Diese seien mit den durchgeführten Behandlungen und Ab‐ läufen vertraut und könnten dadurch das medizinische Personal sogar ergänzen. Eine solche partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Medizin- und Trans‐ lationsexpertInnen kann wesentlich zum Erfolg der medizinischen Behandlung beitragen (vgl. dazu Hsieh/ Kramer 2012: 162, Tipton/ Furmanek 2016: 122) und das professionelle translatorische Handeln der DolmetscherInnen begünstigen. Darüber hinaus reduziert sich durch den wiederholten Einsatz für dieselbe medizinische Einrichtung oder für dieselben PatientInnen die Vorbereitungszeit der DolmetscherInnen und deren Sachkompetenz kann einfacher auf- und aus‐ gebaut werden. Der durchgehende Kontakt zu den PatientInnen kann aber auch zu einem Nachteil für DolmetscherInnen führen, falls diese Schwierigkeiten haben, die Balance zwischen professioneller Distanz und Empathie zu wahren. Des Weiteren kann es für die DolmetscherInnen zu einer Belastung werden, dass sie von den PatientInnen als Ansprechperson für jegliche mit der medizinischen Reise verbundenen Angelegenheiten betrachtet werden. Die Mehrheit der Dolmetscherinnen gab in den Expertinneninterviews an, zumeist angemessene Honorare zu erhalten. Die meisten Befragten bewerteten zudem die erzielten Honorare in der Online-Erhebung auf einer Skala von „1 - sehr gut“ bis „4 - eher schlecht“ mit einer 2. Insbesondere bei wohlhabenden PatientInnen gelang es den DolmetscherInnen, gute Honorare durchzusetzen. Trotzdem wurden sowohl von den interviewten Dolmetscherinnen als auch von den DolmetscherInnen der Online-Erhebung Fälle thematisiert, bei denen die Honorare nur als befriedigend oder sogar als unbefriedigend beurteilt wurden. Eine Dolmetscherin erzählte im Interview, dass sie Hemmungen habe, angemessene Preise im medizinischen Bereich durchzusetzen, da es ihr aus Mitleid mit den PatientInnen nicht gelinge, hohe Preise zu verlangen. Die Erwartungen der GesprächsteilnehmerInnen an die DolmetscherInnen im Medizintourismus beziehen sich sowohl auf die Qualität der Verdolmetschung als auch allgemein auf das Aufgabenprofil der DolmetscherInnen. Sowohl die interviewten PatientInnen als auch die VertreterInnen der medizinischen Institution erwarteten eine inhaltstreue, vollständige und terminologisch kor‐ rekte Verdolmetschung, die den Aufbau einer ÄrztInnen-PatientInnen-Bezie‐ hung förderte. In vielen Fällen benötigten die VertreterInnen der medizini‐ schen Institution nicht nur eine Dolmetschdienstleistung, sondern auch das Vom-Blatt-Dolmetschen für die Aufnahme im Krankenhaus oder während der Aufklärungsgespräche. In manchen Fällen wurden ebenso Übersetzungen 310 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="311"?> von wichtigen Dokumenten zur Krankengeschichte oder zur Behandlung benö‐ tigt. Einige der interviewten VertreterInnen der medizinischen Institutionen äußerten des Weiteren den Wunsch, dass DolmetscherInnen ein proaktives Verhalten an den Tag legen sollten: So sollten diese laut einer interviewten Krankenschwester eingreifen, wenn sie Missverständnisse in der Kommunika‐ tion erkennen; einer der befragten Ärzte erwartete von den DolmetscherInnen zudem Rückfragen im Fall von Unklarheiten. Überdies wünschten sich die inter‐ viewte Krankenschwester und eine Mitarbeiterin aus dem Praxismanagement eine - bereits zuvor erwähnte - partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den DolmetscherInnen. PatientInnen erwarteten sich von den DolmetscherInnen hingegen häufig eine über das Dolmetschen hinausgehende Unterstützung, wie sie auch in anderen Studien zum Medizintourismus (siehe dazu auch Ivașcu 2014: 67ff., Chistyakova 2016: 73, Slavu 2017: 65) hervorgehoben wurde. In der ethno‐ grafischen Feldforschung wurde beobachtet, dass sich vor allem PatientInnen, die keine Rundumbetreuung durch die medizinische Institution erhielten, son‐ dern sich direkt an die Dolmetscherin/ Autorin wendeten, neben der Dolmetsch‐ leistung häufig Unterstützung bei der Organisation der medizinischen Reise und der Untersuchungen oder Behandlungen während des Aufenthalts wünschten. Dies konnte die Vereinbarung von Terminen, die Buchung von Hotels oder Transfers, die Verfassung der E-Mail-Korrespondenz zwischen den PatientInnen und der medizinischen Institution, das Abholen vom Hotel oder Ankunftsort, die Begleitung zu Ämtern, die Einholung oder Weiterleitung zusätzlicher Informa‐ tionen betreffend medizinische, touristische oder finanzielle Angelegenheiten (z. B. ärztliche Briefe, Empfehlungen zu touristischen Attraktionen, Kostenvor‐ anschläge) sowie in manchen Fällen die ÄrztInnensuche umfassen. Auch für PatientInnen, die ihre medizinische Reise eigenständig organisierten, diente die Dolmetscherin/ Autorin häufig als Hauptansprechperson, da sie in der Regel die einzige Person war, die deren Sprache verstand und sprach. Die interviewten VertreterInnen der medizinischen Institutionen erwarteten ebenfalls, dass Dol‐ metscherInnen als erste Ansprechpersonen für ihre PatientInnen fungieren und über eine gewisse terminliche Flexibilität verfügen, damit sie im Fall von chirurgischen Eingriffen, Visitengesprächen oder etwa Verbandswechsel anwe‐ send sein oder zumindest mittels Telefondolmetschen Unterstützung leisten können. Auf DolmetscherInnenseite wurde mit dieser „Betreuungserwartung“ unterschiedlich umgegangen. Einige der interviewten bzw. befragten Dolmet‐ scherInnen versuchten, den Betreuungsaufwand in Grenzen zu halten, und beschränkten ihre Dienstleistungen auf die reine Verdolmetschung der medi‐ zinischen Kommunikation. Andere DolmetscherInnen stellten wiederum ein erweitertes translatorisches Leistungspaket zur Verfügung und versuchten, 311 8.2 Dolmetschaufträge im Medizintourismus <?page no="312"?> den PatientInnen zusätzliche Dienstleistungen - auch in Zusammenarbeit mit anderen Personen - anzubieten. Diese Personen konnten neben KollegInnen aus der Translationsbranche (z. B. für beglaubigte Übersetzungen) auch Dienst‐ leisterInnen aus anderen Branchen sein (z. B. TaxifahrerInnen für Abholservices oder FremdenführerInnen und ReiseleiterInnen für touristische Informationen). Darüber hinaus gingen einige DolmetscherInnen auf zusätzliche außertransla‐ torische Erwartungen der PatientInnen ein und übernahmen in der Folge diverse außertranslatorische Aufgaben. Für das Dolmetschen im Medizintourismus stellen die Gesprächsteilnehme‐ rInnen zahlreiche Anforderungen an die Kompetenzen der DolmetscherInnen, wie mittels einer spezifischen Frage zu den nötigen Kompetenzen der Dol‐ metscherInnen in den Interviews mit PatientInnen und VertreterInnen der medizinischen Institutionen erhoben wurde. Die Relevanz der Sprach- und Kulturkompetenz, der terminologischen Kompetenz, der Sach- und der insti‐ tutionellen Kompetenz sowie der Sozial- und Individualkompetenz und der ethischen Kompetenz wurde sowohl von den PatientInnen als auch von den VertreterInnen der medizinischen Institutionen hervorgehoben. Auch die inter‐ viewten DolmetscherInnen erachteten diese Kompetenzen als wichtig, während sie der Businesskompetenz eine geringere Bedeutung beimaßen. Allerdings sichert erst eine ausgeprägte Businesskompetenz den DolmetscherInnen deren Existenz als EinzelunternehmerInnen und das optimale Management ihrer translatorischen Projekte (Dolmetschaufträge). In der Online-Erhebung erklärten die meisten Befragten, die nicht im Medizintourismus dolmetschten, ihre Bereitschaft, in diesem Bereich tätig zu werden. Darüber hinaus zeigten sie sich bereit, ihren potenziellen KundInnen in größerem Umfang außertranslatorische Leistungen anzubieten als jene DolmetscherInnen, die bereits im Medizintourismus tätig waren. Allerdings begründeten jene DolmetscherInnen, die kein Interesse am Medizintourismus geäußert hatten, ihre mangelnde Bereitschaft mit dem erweiterten Aufgaben‐ profil und dem damit verbundenen hohen Koordinationsaufwand. Des Weiteren gaben einige DolmetscherInnen dieser Gruppe an, dass sie die Betreuung von PatientInnen als mühsam oder unangenehm empfinden oder sie als sehr empathische Menschen zu stark mit den PatientInnen mitleiden würden. 312 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="313"?> 8.3 Schlussfolgerungen und Ausblick Die Schlussfolgerungen, die aus der durchgeführten Studie gezogen werden können, umfassen unterschiedliche Aspekte, auf die in weiterer Folge einge‐ gangen wird. 8.3.1 Medizintourismus als Untersuchungsgegenstand Die vorliegende Studie stellt einen Beitrag zur Untersuchung des Dolmetschens im Medizintourismus sowie zur Untersuchung der Erwartungen und Anforde‐ rungen an die DolmetscherInnen in diesem Betätigungsfeld dar. Die Untersu‐ chung beschränkte sich auf den „qualitätsorientierten Medizintourismus“ (Berg 2008: 171), in dem anderssprachige PatientInnen in Richtung höherpreisiger Länder mit höheren medizinischen Standards und Kosten reisen, um sich Behandlungen mit einer „gewissen Schwere“ (Reisewitz 2015: 8) und somit einem höheren Risiko im medizinischen und rechtlichen Sinne zu unterziehen. Der Fokus wurde auf diese Art des Medizintourismus gelegt, da davon ausge‐ gangen wurde, dass ein höheres Risiko der medizinischen Behandlung eine größere Wahrscheinlichkeit für die Beauftragung ausgebildeter Dolmetsche‐ rInnen bedeutet. Die Durchführung zusätzlicher Studien im Bereich des kosten‐ orientierten Medizintourismus könnte nicht nur helfen, etwaige Unterschiede hinsichtlich der Erwartungen und Anforderungen an die DolmetscherInnen festzustellen, sondern auch zu untersuchen, ob in solch einem kostenorien‐ tierten Segment des Medizintourismus PatientInnen und VertreterInnen der medizinischen Institutionen überhaupt dazu bereit sind, ausgebildete Dolmet‐ scherInnen zur Überwindung von Sprach- und Kulturbarrieren zu beauftragen. Im Rahmen der vorliegenden Studie konnten aufgrund des begrenzten Rah‐ mens und gewählten Studiendesigns nur Teilaspekte des Medizintourismus erforscht werden. Aus diesem Grund sollte das Dolmetschen im qualitätsori‐ entierten Medizintourismus auf Basis weiterer Studien in anderen Ländern (wie beispielsweise der Schweiz) mit ähnlichen medizinischen Standards und Preisen analysiert werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass das durch diese Studie gewonnene erste Bild um weitere Daten ergänzt oder modifiziert wird. Betreffend den Medizintourismus in Deutschland und Österreich wären des Weiteren quantitative Studien wünschenswert, mit denen die Zahl der im Medizintourismus tätigen ausgebildeten DolmetscherInnen systematisch erfasst wird. Folgende Fragen zur Ist-Situation des Dolmetschens im Medizin‐ tourismus konnten durch die Online-Erhebung nicht beantwortet werden: Wird im Medizintourismus in Österreich und Deutschland auf die translato‐ 313 8.3 Schlussfolgerungen und Ausblick <?page no="314"?> rische Unterstützung von dolmetschenden Personen zurückgegriffen, oder erfolgt die Kommunikation in den meisten Fällen in einer Lingua Franca? Wer dolmetscht im qualitätsorientierten Medizintourismus in Deutschland und Österreich? Werden in erster Linie ausgebildete DolmetscherInnen oder Laiendolmetschende beauftragt? Welche Art von Laiendolmetschenden - Pa‐ tientInnenvermittlerInnen, dolmetschende Angehörige oder dolmetschendes medizinisches oder nicht medizinisches Personals - wird in solchen Fällen eingesetzt? 8.3.2 Verändertes Aufgabenprofil der DolmetscherInnen Das in dieser Studie ermittelte Aufgabenprofil der DolmetscherInnen im Me‐ dizintourismus wird von den Erwartungen der Gesprächsbeteiligten geprägt und kann daher in unterschiedlichem Ausmaß sowohl translatorische als auch außertranslatorische Leistungen umfassen. Die Frage, die sich in diesem Zusam‐ menhang stellt, ist, ob auch DolmetscherInnen in anderen Betätigungsfeldern mit zusätzlichen Erwartungen der KundInnen konfrontiert werden, die letzt‐ endlich zu einer Erweiterung ihres Aufgabenprofils führen können. So zeigt die Studie zum diplomatischen Dolmetschen von Kadrić und Zanocco (2018), dass in der Diplomatie ähnliche Erwartungen an DolmetscherInnen gestellt werden, was die Unterstützung während des Auslandsaufenthaltes betrifft. Kadrić und Zanocco halten fest, dass DolmetscherInnen in der Diplomatie nicht nur translatorische Aufgaben - nämlich die „Verständigung zwischen den Gesprächsparteien“ - übernehmen: […] DolmetscherInnen [sind] im Rahmen ihrer translatorischen Aufgabe nicht nur für die Verständigung zwischen den Gesprächsparteien verantwortlich […], sondern auch für das Wohlbefinden der BesucherInnen, indem sie ihnen ermöglichen, sich in einer fremden Umgebung leichter zurecht zu finden. Unter Umständen sollen DolmetscherInnen auch eine beratende Funktion übernehmen und die Bereitschaft und Fähigkeit zur Perspektivenübernahme unter Beweis stellen. (Kadrić/ Zanocco 2018: 52) Diese Aufgaben erinnern an die welcoming-Funktion in medizinischen Interak‐ tionen, die von Leanza (2005: 186) und auch bei der durchgeführten Feldfor‐ schung sowie den Expertinneninterviews festgestellt wurde. Es sollte daher im Rahmen weiterer Studien untersucht werden, ob sich Gesprächsbeteiligte auch in anderen Settings - z. B. Unternehmensverhandlungen, Schulungen - von den DolmetscherInnen Leistungen, die über die rein translatorische Dienstleistung hinausgehen, erwarten. Da die meisten Studien zum Dialogdolmetschen den 314 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="315"?> Fokus auf die translatorische Leistung legen, wurde das tatsächliche Aufga‐ benprofil von DolmetscherInnen bislang nur am Rande thematisiert. Weitere - insbesondere deskriptive - Untersuchungen in diesem Bereich könnten wertvolle Erkenntnisse zu den Dienstleistungen, die tatsächlich von den Dol‐ metscherInnen angeboten werden, liefern. 8.3.3 Mehrwert einer dolmetschvermittelten Kommunikation In der vorliegenden Studie wurde in allen drei Forschungsphasen festgestellt, dass die klassische Fragerichtung - von den ÄrztInnen zu den PatientInnen - im Rahmen einer dolmetschvermittelten Kommunikation im Medizintourismus häufig nicht eingehalten wird. In dieser Studie wurde davon ausgegangen, dass dies mit der höheren Erwartungshaltung und dem höheren sozialen Status der medizintouristischen PatientInnen zusammenhängt. Vor diesem Hintergrund wäre es wünschenswert, dass ein etwaiger Zusammenhang zwi‐ schen dem aktiveren Frageverhalten der PatientInnen und der Anwesenheit der DolmetscherInnen in zukünftigen Arbeiten näher untersucht wird. Stellen medizintouristische PatientInnen, die sich einer Lingua Franca oder der Sprache des Ziellandes bedienen, ebenso viele Fragen, oder ist ihr Frageverhalten ohne translatorische Unterstützung anders bzw. zurückhaltender? Während der In‐ terviews wurde von den Dolmetscherinnen und einer/ einem PatientIn der Mehr‐ wert, der durch die Anwesenheit von DolmetscherInnen für die PatientInnen entsteht, thematisiert. So erwähnte eine/ ein PatientIn, die/ der translatorische Unterstützung durch die Dolmetscherin/ Autorin führe dazu, dass sie/ er den Arzt aufgrund der von der Dolmetscherin/ Autorin aufbereiteten Information besser verstehe und sich sicherer fühle als in ähnlichen medizinischen Gesprächen im Herkunftsland. Die Äußerung dieser/ dieses PatientIn erinnert in gewissem Ausmaß an das von Mason und Ren (2012) beschriebene empowerment der schwächeren Gesprächsbeteiligten durch die DolmetscherInnen: So können DolmetscherInnen die komplizierten Inhalte der medizinischen Kommunika‐ tion für PatientInnen verständlicher machen und dadurch die Asymmetrie zwischen PatientInnen und ÄrztInnen reduzieren. Um diesen Mehrwert durch DolmetscherInnen zu ergründen, wären Beobachtungen bzw. diskursanalyti‐ sche Studien wünschenswert, in denen dolmetschvermittelte Interaktionen zwischen ÄrztInnen und ihren anderssprachigen PatientInnen mit nicht dol‐ metschvermittelten Interaktionen zwischen ÄrztInnen und gleichsprachigen PatientInnen verglichen werden. Durch die Gegenüberstellung des Sprachver‐ haltens der ÄrztInnen und jenem der PatientInnen in dolmetschvermittelten und nicht dolmetschvermittelten Interaktionen könnte festgestellt werden, 315 8.3 Schlussfolgerungen und Ausblick <?page no="316"?> ob die translatorische Dienstleistung tatsächlich einen Mehrwert in dieser Hinsicht darstellt, und inwieweit medizinische Inhalte von DolmetscherInnen verständlich aufbereitet werden. 8.3.4 Stellenwert des Englischen als Lingua Franca im Medizintourismus Englisch als Lingua Franca in der Medizin kann zu Missverständnissen führen (vgl. u. a. Crezee 2013: 13f., Kaspar 2015: 2, Bialk-Wolf et al. 2017: 71ff.), die wiederum gewisse Gefahren wie Fehldiagnosen, wiederholte Untersuchungen, versäumte Termine oder im schlimmsten Fall Behandlungs- oder Aufklärungs‐ fehler mit sich bringen können (vgl. Angelelli 2015: 92). Trotzdem zeigte sich in den Interviews im Rahmen der ethnografischen Feldforschung und in den Expertinneninterviews, dass die Kommunikation zwischen VertreterInnen der medizinischen Institutionen und den PatientInnen im Medizintourismus teilweise auf Englisch erfolgt. Auch ein Vergleich zwischen den Sprachen der durch die Online-Erhebung befragten DolmetscherInnen und den Herkunfts‐ ländern der PatientInnen zeigt, dass die Verständigungssprache für dolmetsch‐ vermittelte Gespräche nicht unbedingt die Muttersprache der PatientInnen sein muss. In diesen Fällen handelt es sich häufig um eine weitere aktive Sprache der PatientInnen oder eine Lingua Franca (u. a. Englisch, Russisch und Französisch). Die Verwendung des Englischen als Lingua Franca kann aus verschiedenen Gründen bevorzugt werden: Einerseits besteht bei ÄrztInnen häufig der Wunsch, direkt mit den PatientInnen zu kommunizieren, damit eine ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung entstehen kann; andererseits wird Englisch bewusst von ÄrztInnen eingesetzt, um mögliche Missverständnisse aufgrund mangelnder Kompetenzen von Seiten der dolmetschenden Personen zu ver‐ meiden. Darüber hinaus kann auch der Wunsch der ÄrztInnen, die für die Betreuung ausländischer PatientInnen benötigte Zeit in Grenzen zu halten, zum Einsatz des Englischen als Lingua Franca führen. Einige der interviewten Dolmetscherinnen gaben z. B. an, manchmal auf Anfrage der ÄrztInnen auch aus dem Englischen zu dolmetschen, obwohl sie für Deutsch bestellt worden waren. In diesem Zusammenhang wäre es lohnenswert, die Gründe zu unter‐ suchen, warum und in welchem Kontext DolmetscherInnen diesem Wunsch nachkommen oder diesen ablehnen. Dies könnte zu weiteren Erkenntnissen über die Art der Symmetrien/ Asymmetrien und Machtverhältnisse in der Beziehung zwischen DolmetscherInnen und MedizinerInnen führen. 316 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="317"?> 8.3.5 Ethische Implikationen Die ethische Kompetenz wird von den DolmetscherInnen offenbar als selbst‐ verständlich betrachtet - so wurde sie im Laufe der Expertinneninterviews nur am Rande erwähnt. In der Online-Erhebung wurde sie zwar von beinahe 57% der befragten DolmetscherInnen als wichtig eingestuft, jedoch hielten es nur rund 28% der DolmetscherInnen für notwendig, diese Kompetenz weiter auszubauen. Es ist aufgrund dieser Ergebnisse davon auszugehen, dass gewisse grundlegende Komponenten der ethischen Kompetenz wie die Vertraulichkeit oder die Inte‐ grität für DolmetscherInnen eine Selbstverständlichkeit darstellen. Die ethische Kompetenz ist allerdings ein viel komplexeres Konstrukt, das weit über diese Komponenten hinausgeht. Wie in Kapitel 3 dargelegt, bietet ethische Kompe‐ tenz DolmetscherInnen den notwendigen Orientierungsrahmen, um Entschei‐ dungen zu treffen und Lösungen für unvorhersehbare Probleme, die in den Ethikkodizes und in der dolmetschwissenschaftlichen Literatur wenig behandelt werden, zu finden. Ebenso hilft ethische Kompetenz den DolmetscherInnen zu entscheiden, ob und wie sie auf Erwartungen ihrer NutzerInnen eingehen wollen. Als Beispiel kann die in der Literatur (vgl. u. a. Pöchhacker 2000a: 252ff., Hsieh/ Kramer 2012: 158ff.) thematisierte Erwartung von ÄrztInnen dienen: So sollten DolmetscherInnen aus eigenem Antrieb nicht nur zusätzliche Fragen an die PatientInnen richten, um weitere Informationen zu erhalten, sondern auch eigenständig wichtige Details aus den Ausführungen der PatientInnen herausfiltern. Aufgrund ihrer ethischen Kompetenz sollten DolmetscherInnen in der Lage sein, selbstständig zu entscheiden, wie sie mit solchen Erwar‐ tungen umgehen. Im Rahmen einer grundlegenden Auseinandersetzung mit dem breiten Feld der ethischen Kompetenz in der Translationswissenschaft könnte näher auf folgende Fragen eingegangen werden: Was wird von den DolmetscherInnen unter ethischer Kompetenz verstanden? Was gehört nach Meinung der DolmetscherInnen zur ethischen Kompetenz? Welchen konkreten Nutzen können DolmetscherInnen aus der ethischen Kompetenz ziehen? Einige praktizierende DolmetscherInnen beschäftigen sich mit unterschied‐ lichen Dilemmata wie der Unsichtbarkeit und der Neutralität. Diese Dilemmata könnten zumindest zu einem gewissen Teil einem in der DolmetscherInnenaus‐ bildung vermittelten normativen Paradigma zuzuschreiben sein. So beschreiben sich manche DolmetscherInnen noch immer als Sprachrohr, obwohl sie in dolmetschvermittelten Gesprächen als sichtbare Kommunikationsbeteiligte auftreten: Sie sind physisch anwesende AkteurInnen, die am Gespräch - beispielsweise durch die Steuerung der Kommunikation - aktiv teilnehmen (vgl. Wadensjö 1998: 108ff., Roy 2002: 352, Mason 2012: 197f., Mason/ Ren 2012: 232, Davitti 2013: 187). Aus den in den Expertinneninterviews geschilderten 317 8.3 Schlussfolgerungen und Ausblick <?page no="318"?> Verhaltensweisen geht hervor, dass die meisten interviewten Dolmetscherinnen sich im Rahmen der dolmetschvermittelten Kommunikation nicht passiv ver‐ halten. So verlangen sie z. B. aktiv nach Informationen, damit sie eine gute Dolmetschleistung anbieten können. DolmetscherInnen sehen offenbar auch beim Dolmetschen im Medizintourismus sich „selbst als weniger sichtbar als sie es tatsächlich sind“ (Kadrić/ Zanocco 2018: 127). Möglicherweise wird ihr Wunsch, unsichtbar zu sein, von den Neutralitätsprinzipien und von der Rolle als Brücke oder Sprachrohr, die im Bereich des Konferenzdolmetschens als Ideale präsentiert wurden, stark beeinflusst. Im Rahmen der Expertinnenin‐ terviews wurde dies sowohl von Dolmetscherinnen mit einer einschlägigen translatorischen Ausbildung als auch von einer Quereinsteigerin thematisiert. So beschreibt sich eine Dolmetscherin im Interview als Maschine: „Ich bin nur eine Maschine zum Übersetzen“ (D07, 75-77). Durch diesen Satz wird deutlich, dass die normativen metaphorischen Ausdrücke zur Beschreibung der Rolle der DolmetscherInnen noch immer sehr stark verankert sind. Diese Denkweise könnte in manchen Fällen eine Hemmschwelle für DolmetscherInnen dar‐ stellen, in dialogischen Dolmetschsettings bestimmter aufzutreten und die ihnen zustehende Gesprächskoordination zu übernehmen. In diesem Zusammenhang kann auch die Neutralität als problematischer Aspekt gesehen werden. Als TeilnehmerInnen an einer dialogischen Interaktion können DolmetscherInnen nicht vollständig neutral sein, denn sie verfügen wie andere Menschen über ihre eigene Meinung und Gefühle. Eine mangelnde Neutralität auf Meinungsebene lässt DolmetscherInnen denken, sie würden sich nicht professionell genug verhalten. Neutralität ist allerdings ein kontroverses Thema, das im Rahmen des dialogischen Dolmetschens einer anderen Interpretation als im Rahmen des monologischen simultanen Dolmetschens im Rahmen von Konferenzen bedarf (vgl. Angelelli 2004); so sollte Neutralität in dialogischen Situationen vielmehr als Allparteilichkeit verstanden werden (vgl. Kadrić/ Zanocco 2018). In diesem Zusammenhang könnte eine umfassendere Beschreibung der erbrachten trans‐ latorischen und außertranslatorischen Leistungen - unter Berücksichtigung des jeweiligen Situationskontexts - dazu beitragen, dass ausgebildete Dolmet‐ scherInnen ein anderes Selbstbewusstsein als KommunikationsexpertInnen aufbauen. Darüber hinaus würden weitere dolmetschwissenschaftliche Studien zur Funktion der DolmetscherInnen als Katalysator im Rahmen konfliktgeladener dolmetschvermittelter Gespräche einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über deren Sichtbarkeit in der verdolmetschten Kommunikation darstellen. Kadrić und Zanocco beschreiben diese Funktion mit folgenden Worten: 318 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="319"?> Obwohl die Emotionen auch an anderen pragmatischen Aspekten, zum Beispiel an der Stimme und am Gesichtsausdruck, gemessen werden, können DolmetscherInnen bei Gesprächen mit schlechter Stimmung einen bedeutenden Einfluss auf die Kommuni‐ kationssituation ausüben, indem sie negative Emotionen abschwächen und den Fokus auf eine faktische Darlegung der Inhalte legen. (Kadrić/ Zanocco 2018: 122) Dieser Punkt wurde ebenso von einer/ einem interviewten PatientIn themati‐ siert, die/ der DolmetscherInnen als jene Personen sieht, die aktiv für eine Beruhigung spannungsgeladener Interaktionen sorgen können. Letztendlich gewährleistet nur eine sachliche und entspannte Interaktion eine verständi‐ gungsorientierte Kommunikation. 8.3.6 Relevanz der Businesskompetenz Obwohl die Businesskompetenz in den vergangenen Jahren auch in der Dolmetschwissenschaft immer mehr Aufmerksamkeit erfahren hat (vgl. u. a. Albl-Mikasa 2012, Ziegler 2018), scheinen ihr die meisten interviewten Dol‐ metscherinnen und durch die Online-Erhebung befragten DolmetscherInnen wenig Interesse zu schenken. In der vorliegenden Studie wurde am Beispiel des Medizintourismus gezeigt, dass die Businesskompetenz für DolmetscherInnen ausschlaggebend sein kann, um angemessene Honorare zu erhalten und als EinzelunternehmerInnen bestehen zu können. Folgende Fragen könnten in Zusammenhang mit der Businesskompetenz für die dolmetschwissenschaftliche Forschung von Interesse sein: Welche Bedeutung wird der Businesskompetenz beigemessen? Wie wird Businesskompetenz von DolmetscherInnen erworben und gefestigt? Können ausgebildete DolmetscherInnen, die hervorragende translatorische Leistungen erbringen, auch ohne Businesskompetenz erfolg‐ reich sein? Könnte die Anerkennung der Relevanz der Businesskompetenz dazu beitragen, das Image der DolmetscherInnen zu verbessern und ihnen mehr Selbstbewusstsein zu verleihen? 8.4 Implikationen für die Didaktik sowie die transdisziplinäre Zusammenarbeit Im Rahmen der Expertinneninterviews wurde den Dolmetscherinnen die Frage gestellt, ob sie glauben, dass das von ihnen abgeschlossene Studium sie auf Dolmetschsituationen wie jene des Medizintourismus vorbereitet habe. Beinahe alle DolmetscherInnen, die ein akademisches Studium abgeschlossen hatten, verneinten diese Frage. Auch in der Online-Erhebung beantwortete eine große 319 8.4 Implikationen für die Didaktik sowie die transdisziplinäre Zusammenarbeit <?page no="320"?> Mehrheit der Dolmetscherinnen diese Frage mit „Nein“ oder „Eher nein“. Als Ursache für ihre Antwort wurde in den Expertinneninterviews angegeben, dass während der Studienzeit keine Lehrveranstaltungen im Dialogdolmetschen und/ oder keine translationswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Dolmetschen angeboten worden seien. Was die praktischen Dolmetschübungen in der Ausbildung betrifft, herrscht noch immer die Tendenz - teilweise aus finanziellen Gründen -, vorwiegend monologische Dolmetschsettings im Rahmen des Konsekutivdolmetschunterrichts zu bevorzugen (vgl. Ende 2010: 209). Trotz der begrenzten organisatorischen (hinsichtlich nationaler und EU-übergreifender Lehrplankoordination) und finanziellen Möglichkeiten der Universitäten und Fachhochschulen sollte zumindest im Rahmen des Konseku‐ tivdolmetschens mehr Platz für dialogische Dolmetschsituationen geschaffen werden. In dialogischen Dolmetschsituationen können angehende Dolmetsche‐ rInnen eine große Bandbreite an Kompetenzen entwickeln, die sie im späteren Berufsleben für Dolmetschaufträge, die sich nicht auf den Konferenzbereich beschränken, benötigen werden. In ihrem Beitrag zum bilateralen Dolmetschen führt Ende (2000: 210) als Beispiel folgende Kompetenzen und Fertigkeiten an, die im Dialogdolmetschunterricht gefördert werden sollten: die Entwicklung von Sprachkompetenz in beiden Sprachen, die Förderung kommunikativer und interkultureller Kompetenz sowie der Fähigkeit, sich in praxisnahe, fachliche Themen einzuarbeiten. Darüber hinaus sollten im Unterricht der Wechsel zwi‐ schen den Dolmetschmodi und die Verbesserung der Gesprächsführungskom‐ petenz trainiert werden. Im Rahmen dolmetschvermittelter Dialoge entstehen aufgrund der manchmal divergierenden Einstellungen und Erwartungen der Gesprächsteilnehmenden mitunter Spannungen und Konflikte (vgl. 8.3.5), die von den DolmetscherInnen durch den bewussten Einsatz von Lösungsstrategien vermieden oder zumindest vermindert werden können (vgl. Ende 2010: 210). Das Üben dolmetschvermittelter dialogischer Situationen kann Studierende bereits im Studium in die Lage versetzen, über Erwartungen und Anforderungen der Gesprächsteilnehmenden zu reflektieren und zu lernen, selbstbewusst und selbstständig zu entscheiden, welchen der verlangten Erwartungen sie tatsäch‐ lich nachkommen können, sollen bzw. wollen. Durch die Berücksichtigung medizinischer und medizintouristischer Dolmetschsettings könnten sensible Themen behandelt und die Studierenden dabei unterstützt werden, ein situati‐ onsadäquates Gleichgewicht zwischen Empathie und professioneller Distanz zu finden: „An approach based on empathy and critical skills should be encouraged in student training, alongside establishing realistic rules from a multi-dimensi‐ onal perspective based on daily practice“ (Santamaría Ciordia 2017: 273). 320 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="321"?> 3 Hier ging es konkret um Studierende des Masterstudiums „Dolmetschen“ sowie des Studiums „Medizin“ im dritten und vierten Semester. Ein weiterer Aspekt, der in der Didaktik berücksichtigt werden sollte, ist die Zusammenarbeit zwischen Dolmetschstudierenden und Studierenden anderer Disziplinen, denn sowohl TranslatorInnen als auch ExpertInnen aus anderen Disziplinen sind nicht auf eine mögliche bzw. wahrscheinliche zukünftige Zusammenarbeit vorbereitet. So wissen ExpertInnen aus anderen Bereichen häufig nicht, was sie von DolmetscherInnen erwarten können, und wo die Grenzen ihres Zuständigkeitsbereiches liegen. DolmetscherInnen sind hingegen nicht immer mit den Abläufen im Rahmen der jeweiligen institutionellen Kommunikation vertraut, und die von den Gesprächsbeteiligten verfolgten kommunikativen Ziele werden von ihnen nicht in allen Fällen erkannt. In Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen MedizinerInnen und DolmetscherInnen könnten kollaborative, interdisziplinäre Ansätze in der Ausbildung eine valide Lösungsstrategie darstellen, da die Gründe für das fehlende gegenseitige Ver‐ ständnis, das erhebliche Folgen für die medizinische Kommunikation haben kann, ihren Ursprung in den jeweiligen Ausbildungen finden (vgl. Krystallidou et al. 2018: 128). So ist auf der einen Seite die DolmetscherInnenausbildung laut Krystallidou et al. (2018: 128) seit jeher sehr dolmetscherInnenzentriert ausge‐ richtet, während auf der anderen Seite die ÄrztInnenausbildung eher auf die monolinguale ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation fokussiert ist, was an‐ gehenden MedizinerInnen eine spätere Zusammenarbeit mit DolmetscherInnen erschwert. Im Bericht von Krystallidou et al. (2018) zeigt sich zum Beispiel, dass sich das gemeinsame Training von Dolmetsch- und MedizinstudentInnen der Universität Gent positiv auf die verdolmetschte medizinische Kommunikation auswirkte. 3 Gemeinsame Lehrveranstaltungen waren Teil des Curriculums für klinische Kommunikation der medizinischen Fakultät und bestanden aus Vorlesungen, die jede Studierendengruppe in das Spezialgebiet der anderen Gruppe einführten, sowie aus gemeinsamen praktischen Übungen, in denen verdolmetschte medizinische Gespräche simuliert und diskutiert wurden. So übernahmen die Dolmetschstudierenden sowohl die Rolle der PatientInnen als auch die der DolmetscherInnen, während die Medizinstudierenden als ÄrztInnen auftraten (vgl. Krystallidou et al. 2018: 130f.). Am Ende des gemein‐ samen Trainings konnte beobachtet werden, dass die Medizinstudierenden gelernt hatten, sich in den dolmetschvermittelten Gesprächen direkt an die PatientInnen zu wenden, mit ihnen Blickkontakt zu halten und keine dyadischen Kommunikationsversuche mit den DolmetscherInnen zu unternehmen. Dar‐ über hinaus konnten die Medizinstudierenden ihre kommunikativen Ziele klar 321 8.4 Implikationen für die Didaktik sowie die transdisziplinäre Zusammenarbeit <?page no="322"?> vermitteln, sodass diese für die DolmetscherInnen einfacher nachvollziehbar waren (vgl. Krystallidou et al. 2018: 126f.). Die Dolmetschstudierenden hatten die Möglichkeit, die kommunikativen Ziele der MedizinerInnen verstehen zu lernen und darüber hinaus vor allem Erfahrung in medizinischen Settings zu sammeln. An der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz wurde 2008 das Projekt „Dolmetschinszenierungen - ein neuer kritischer und emanzipatorischer An‐ satz“ in der Dolmetschdidaktik durchgeführt (vgl. FTSK 2018), welches auf die Interdisziplinarität der Ausbildung abzielte. Hierbei wurde das Ziel ver‐ folgt, die Studierenden aus dem Masterstudium „Fachdolmetschen in sozialen, medizinischen und juristischen Einsatzbereichen“ praxisorientiert auf Dialog‐ dolmetschsettings vorzubereiten. Die Vorbereitung erfolgte durch die aktive Beteiligung am Studium von ExpertInnen aus anderen Disziplinen. Neben der Praxisorientierung konnte damit auch die Sensibilisierung der ExpertInnen für die Zusammenarbeit mit DolmetscherInnen erreicht werden. Zwar ist die Anbahnung solcher Initiativen mit zahlreichen u. a. curricularen und finanzi‐ ellen Schwierigkeiten verbunden, allerdings zeigen die positiven Ergebnisse des Genter Versuchs (Krystallidou et al. 2018: 126f.) die große Bedeutung solcher Initiativen für die Ausbildung von DolmetscherInnen. Einige Länder wie Deutschland oder Südkorea haben bereits das wirtschaft‐ liche Potenzial des Medizintourismus erkannt. So können die zusätzlichen Einnahmen aus dem Medizintourismus positive Auswirkungen auf die Finan‐ zierung der nationalen Gesundheitssysteme haben (vgl. Lee 2015, Leiter 2018). Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass unsere Gesellschaften immer multikultureller werden und die Anzahl an anderssprachigen Menschen, die Zugang zu medizinischer Versorgung in anderen Ländern suchen, kontinuier‐ lich zunimmt. Um aber in einem solchen Kontext PatientInnen- und ÄrztIn‐ nensicherheit zu gewährleisten, bildet der Einsatz ausgebildeter Dolmetsche‐ rInnen zur Überwindung von Sprachbarrieren eine Voraussetzung. Durch die Schaffung des Universitätslehrgangs (vgl. ULG 2020) „Transkulturelle Medizin und Diversity Care“ an der Medizinischen Universität Wien wurde auch in Österreich ein erster Schritt unternommen, um medizinisches Personal für transkulturelle Probleme zu sensibilisieren. Auf der Website des ULG wird das Qualifikationsprofil der AbsolventInnen folgendermaßen geschildert: Unter Beachtung der PatientInnen-Diversität wird die interkulturelle Kommunikati‐ onsfähigkeit des Fachpersonals im Gesundheitssystem verbessert und die transkul‐ turelle Kompetenz hinsichtlich Prävention, Diagnostik und Therapie, sowie in der Rehabilitation und Palliativmedizin erhöht. (ULG 2020) 322 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="323"?> Im Rahmen des Lehrgangs ist jedoch keine Zusammenarbeit mit ExpertInnen aus der Dolmetschwissenschaft oder dem Dolmetschberuf vorgesehen. Aus‐ gehend vom Curriculum dieses ULG könnte die Schaffung eines weiteren Universitätslehrgangs in Betracht gezogen werden, durch den eine gemeinsame postgraduale Ausbildung von Medizin- und TranslationsexpertInnen ermög‐ licht und eine gegenseitige Sensibilisierung verfolgt wird. 8.5 Implikationen für praktizierende DolmetscherInnen und Berufsverbände In der vorliegenden Studie wurde gezeigt, dass DolmetscherInnen, die im Medizintourismus tätig sind oder tätig werden wollen, mit zahlreichen Heraus‐ forderungen konfrontiert sind. Zu den Erwartungen der Gesprächsbeteiligten und zur Wissens- und Machtasymmetrie, die typisch für die medizinische Kommunikation sind, kommen zusätzliche Erwartungen und Anforderungen, die sich aus der Natur des Medizintourismus ergeben. Einige dieser Erwar‐ tungen betreffen auch außertranslatorische Leistungen, die über die klassische Rollenauffassung der DolmetscherInnen hinaus gehen können. Vor diesem Hintergrund dürften sich manche DolmetscherInnen die Frage stellen, ob sie überhaupt über die translatorischen Leistungen hinausgehen und die von ihren KundInnen angefragten außertranslatorischen Aufgaben übernehmen wollen. Diese Frage könnte insbesondere DolmetscherInnen ohne Erfahrung im Medizintourismus beschäftigen, die für internationale Organisationen oder große Übersetzungs- und Dolmetschbüros dolmetschen und an die Mitwirkung einer organisierenden Vermittlungsinstanz gewöhnt sind. Letztendlich hängt die Vertretbarkeit der Übernahme außertranslatorischer Leistungen auch davon ab, ob diese zusätzlichen Leistungen das translatorische Leistungspaket sinnvoll ergänzen können, entsprechend entlohnt werden und mit dem Berufsethos in Einklang zu bringen sind. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass die Übernahme der ÄrztInnensuche (besonders die Suche nach den passenden ÄrztInnen für die jeweiligen PatientInnen) im rechtlichen Sinne bedenklich ist, da die reine Vermittlung von PatientInnen auf Provisionsbasis in Deutschland und Österreich unzulässig ist (siehe auch 1.5.3). Falls die vermit‐ telnde Person nicht über das nötige fachlich-medizinische Wissen verfügt, um PatientInnen an für ihre Beschwerden oder Bedürfnisse angemessene Kliniken oder MedizinerInnen zu verweisen, besteht die Gefahr, dass nur jene Kliniken oder MedizinerInnen, mit denen ein entsprechender Vermittlungsvertrag abge‐ 323 8.5 Implikationen für praktizierende DolmetscherInnen und Berufsverbände <?page no="324"?> schlossen wurde, weiterempfohlen werden, was sowohl moralisch als auch rechtlich problematisch ist (vgl. Boscher 2017: 123f.). Die Preisgestaltung kann für DolmetscherInnen schwierig sein, wenn im Aufgabenprofil zahlreiche verschiedene translatorische und außertranslatori‐ sche Leistungen inkludiert sind. In diesen Fällen ist eine Orientierung an den Empfehlungen der Berufsverbände nicht mehr möglich, da diese sich vorwiegend auf rein translatorische Leistungen beziehen und zumeist Stunden‐ sätze oder Halbtages- und Ganztagessätze vorschlagen. Bei der Preisgestaltung geht es nicht nur darum, den richtigen Preis zu finden, sondern auch den Mehrwert, der durch alle angebotenen Leistungen für die KundInnen entsteht, hervorzuheben und den KundInnen richtig zu kommunizieren. Aus der im Rahmen dieser Studie durchgeführten Online-Erhebung geht hervor, dass DolmetscherInnen im Medizintourismus unterschiedliche Preisschemata her‐ anziehen. Die Zufriedenheit der DolmetscherInnen mit den erzielten Honoraren hängt allerdings nicht ausschließlich von einem speziellen Preisschema ab. So waren jene DolmetscherInnen aus der Online-Erhebung mit der Bezahlung im Medizintourismus am zufriedensten, die entweder die Gesamtstundenanzahl des Auftrags, die tatsächlich angebotenen Leistungen und/ oder eine flexible, auf die jeweilige KundInnengruppe abgestimmte Preisstruktur als Kriterien zur Preisfindung herangezogen hatten. In diesem Zusammenhang sticht hervor, dass jene DolmetscherInnen, die nicht im Medizintourismus tätig werden wollten, als häufigsten Grund dafür einen zu hohen Koordinationsaufwand angaben. Diese Aussage kann auf verschiedene Arten interpretiert werden: Entweder erscheint der generelle Koordinationsaufwand im Rahmen des Dol‐ metschens bei medizintouristischen Reisen zu hoch, und die DolmetscherInnen wollen sich lieber auf die reine Dolmetschdienstleistung beschränken, oder der Koordinationsaufwand ist im Verhältnis zum tatsächlich honorierten Aufwand zu groß. Falls die zweite Interpretation zutreffen sollte, wäre es umso wichtiger, dass der Mehrwert der außertranslatorischen Leistungen für PatientInnen und ÄrztInnen transparent dargestellt und nicht nur als Verrechnungsgrundlage, sondern auch als Verkaufsargument herangezogen wird. In diesem Kontext kann eine ausgeprägte Businesskompetenz den DolmetscherInnen helfen, die richtigen wirtschaftlichen Entscheidungen zu treffen, damit ihre ExpertInnen‐ leistung dem Aufwand entsprechend entlohnt wird. Im Rahmen der Business‐ kompetenz soll an dieser Stelle noch einmal die Relevanz der Translations‐ managementkompetenz hervorgehoben werden, ohne die DolmetscherInnen aufwendige Dolmetschprojekte nicht effizient verwalten können. Verfügen DolmetscherInnen über diese Kompetenz, können sie ihre Aufträge leichter 324 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="325"?> koordinieren, was sich vermutlich positiv auf den Koordinationsaufwand aus‐ wirkt. DolmetscherInnen, die im Medizintourismus tätig werden wollen, sollten darüber hinaus folgende Herausforderungen dieses Betätigungsfeldes nicht unterschätzen: • Abläufe in der Medizin und im Medizintourismus erfordern zeitliche Fle‐ xibilität. Wie in allen drei Forschungsphasen gezeigt wurde, kommt es im Gesundheitswesen - insbesondere bei Behandlungen in Krankenhäusern - für PatientInnen und somit auch für ihre DolmetscherInnen häufig zu langen Wartezeiten. Unvorhersehbare Ereignisse, wie z. B. Komplika‐ tionen während eines chirurgischen Eingriffs oder zusätzliche Spontan‐ behandlungen, die erst während des Auslandsaufenthaltes beschlossen werden, können ebenso die Dauer des Dolmetschauftrags beeinflussen. • Neben jenen PatientInnen, die sich nur einer Routineuntersuchungen unterziehen, müssen DolmetscherInnen unter Umständen auch für Pati‐ entInnen, die an starken Schmerzen oder unter seltenen oder schwer heil‐ baren Krankheiten leiden, dolmetschen. Dies kann für DolmetscherInnen bedeuten, dass sie mit intensiven Schmerzerfahrungen, bedrückenden Leidensgeschichten und im schlimmsten Fall sogar mit Todesfällen kon‐ frontiert werden. • Medizintouristische PatientInnen verfügen in der Regel über keine Netz‐ werke im Zielland und weisen meist keinerlei Vorwissen über das lokale Gesundheitssystem und dessen Abläufe auf. Die fehlenden Sprach- und Kulturkenntnisse der Gesprächsbeteiligten können zu Frustration, Ver‐ zweiflung und zu stereotypen Meinungen/ Aussagen (vgl. Framson 2011: 22ff.) im Rahmen der Kommunikation führen. Darüber hinaus ist die/ der DolmetscherIn in den meisten Fällen die einzige Ansprechperson, die die PatientInnen bei der Erledigung „trivialer“ Aufgaben unterstützen kann. Das bedeutet, dass der Aufwand für DolmetscherInnen höher als in anderen Dolmetschsettings ausfallen kann. In der vorliegenden Studie wurde überdies die Rolle des Internets als Such- und Kommunikationsinstrument aufgezeigt: Medizintouristische PatientInnen sind internetaffin und suchen in diesem Medium gezielt nach den gewünschten In‐ formationen. DolmetscherInnen sollten daher berücksichtigen, dass eine Inter‐ netpräsenz zur Auftragsakquise von besonderer Bedeutung ist, da sie sonst von medizintouristischen PatientInnen, die eigenständig eine medizinische Reise organisieren, möglicherweise nicht gefunden werden. Auch die Vernetzung mit DolmetschkollegInnen und ExpertInnen aus dem Bereich der Medizin sowie 325 8.5 Implikationen für praktizierende DolmetscherInnen und Berufsverbände <?page no="326"?> die Weiterempfehlung durch Personen, die bereits die Dolmetschdienstleistung der/ des jeweiligen DolmetscherIn in Anspruch genommen haben, stellen Mittel zur Auftragsakquise im Medizintourismus dar. Seit einigen Jahren laufen Versuche, Sprach- und Kulturbarrieren im Ge‐ sundheitswesen durch den Einsatz des Ferndolmetschens zu überwinden. Im Einklang mit den Erkenntnissen aus der dolmetschwissenschaftlichen Literatur (vgl. u. a. Braun 2015, Brunson 2015, Havelka 2017) erscheint der Einsatz von Video- und Telefondolmetschen im Medizintourismus allerdings nur in wenigen Teilbereichen sinnvoll. Auch im Positionspapier des BDÜ (vgl. BDÜ 2018: 1) wird darauf hingewiesen, dass der Einsatz des Video- und Telefondolmetschens den Erwartungen der Gesprächsbeteiligten bei medizinischen Fachgesprächen in den meisten Fällen nicht gerecht werden kann. So sind vor allem Gesprächsarten wie das medizinische Aufklärungsgespräch, „in denen eine rechtlich bindende Einverständniserklärung unterschrieben wird (z. B. Einverständnis zu einer Operation)“ (BDÜ 2018: 2), in hohem Maße von visuellen Informationen ab‐ hängig, die im Rahmen des Video- und Telefondolmetschens entweder nur sehr begrenzt oder überhaupt nicht übermittelt werden können. Werden darüber hinaus die zusätzlichen außertranslatorischen Leistungen berücksichtigt, die bei vielen medizintouristischen Reisen anfallen, scheint das Ferndolmetschen kein geeignetes Mittel zu sein, um für Verständigung zwischen allen Beteiligten zu sorgen. Nichtsdestotrotz kann ein gezielter Einsatz des Telefondolmetschens während des Krankenhausaufenthalts einer/ eines PatientIn sinnvoll sein, falls beispielsweise die DolmetscherInnen nicht rechtzeitig über die genaue Uhr‐ zeit eines wichtigen Visitengesprächs informiert werden können. Der Einsatz des Videodolmetschens zur raschen und unkomplizierten Dolmetschung im Rahmen der Nachbetreuung von PatientInnen kann zweckmäßig sein, wenn es sich um einfache medizinische Gespräche oder die Klärung von Fragen handelt. Für die Berufsverbände der DolmetscherInnen in den Zielländern Deutsch‐ land und Österreich könnte eine aktive Teilnahme am öffentlichen Diskurs zu Dolmetschdienstleistungen im medizinischen Bereich von großer Bedeutung sein. Vorbildinitiativen sind z. B. der Leitfaden des BDÜ zum Dolmetschen im Gesundheitswesen (vgl. BDÜ 2017), anhand dessen versucht wird, die Öffentlichkeit sowie die VertreterInnen der medizinischen Institutionen für den Einsatz ausgebildeter DolmetscherInnen zur Überbrückung von Sprach- und Kulturbarrieren zu sensibilisieren. Für den Medizintourismus fehlt - abgesehen von der Fachgruppe der SprachdienstleisterInnen der Wirtschaftskammer Wien - eine solche Initiative bislang (vgl. Iacono 2018b). Da nationale Wirtschafts‐ organisationen und Privatunternehmen in den vergangenen Jahren verstärkt versuchen, den Medizintourismus als neuen Wirtschaftsfaktor zu präsentieren, 326 8 Zusammenfassende Erkenntnisse und Fazit <?page no="327"?> 4 Siehe dazu auch Kirsch (2017: 28). und aktiv um ausländische PatientInnen werben, scheint es notwendig, dass die Berufsverbände in diesem Kontext auf Risiken von sprach- und kulturbedingten Missverständnissen hinweisen (vgl. Angelelli 2015, Wiener Wirtschaft 2018). Ziel dieser Wirtschaftsorganisationen und Privatunternehmen ist die Positio‐ nierung der jeweiligen Stadt oder des jeweiligen Landes als medizintouristische Zieldestination für PrivatpatientInnen. So lautet ein Werbeaufruf der Wiener Wirtschaft: „Das Ziel dieser Strategie ist es, noch mehr Gäste ins Land zu holen, die gezielt medizinische Therapien aus dem Angebot der privaten Gesundheits‐ einrichtungen suchen“ (Wiener Wirtschaft 2018: 23). Vor diesem Hintergrund ist die Aufklärungsarbeit von Berufsverbänden und Organisationen, die die Interessen der TranslatorInnen vertreten, daher von besonderer Bedeutung, um den wichtigen Beitrag, den DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen zur Überwindung von Sprach- und Kulturbarrieren im Medizintourismus leisten können, hervorzuheben. PatientInnen- und ÄrztInnensicherheit kann nämlich nur dann gewährleistet werden, wenn eine lückenlose Verständigung gegeben ist (vgl. Iacono 2018b). Die Berufsverbände der DolmetscherInnen können aber auch in anderen Bereichen wichtige Aufklärungsarbeit leisten. So ist für VertreterInnen medizinischer Institutionen der Unterschied zwischen Pa‐ tientInnenvermittlerInnen und DolmetscherInnen nicht immer klar, da Pati‐ entInnenvermittlerInnen mitunter auch Dolmetschdienste anbieten. Außenste‐ hende wissen daher oft nicht, dass beide Berufsgruppen die Verständigung zwischen ÄrztInnen und PatientInnen ermöglichen. Als Laiendolmetschende können PatientInnenvermittlerInnen aber in den meisten Fällen nicht für eine lückenlose Verständigung sorgen. Eine der interviewten Dolmetscherinnen bezeichnete PatientInnenvermittlerInnen sogar als „Patientenschlepper“ (D15, 71-71), 4 die vorwiegend die Interessen der zahlenden Partei (medizinischen Institutionen) vertreten und kein Interesse an lückenloser Kommunikation haben. Professionelle DolmetscherInnen vertreten hingegen die Interessen aller an der Kommunikation beteiligten Parteien und handeln stets im Sinne der gegenseitigen Verständigung. Unabhängige, allparteiische DolmetscherInnen sind beiden Gesprächsparteien gegenüber loyal. 327 8.5 Implikationen für praktizierende DolmetscherInnen und Berufsverbände <?page no="329"?> Bibliografie Abril Martí, María Isabel (2006). La Interpretación en los Servicios Públicos: Caracteriza‐ ción como género, contextualización y modelos de formación. Hacia una bases para el diseño curricular. 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Häufigkeit der Einsätze im Medizin‐ tourismus Beginn und Häufigkeit des Dolmetschens im Medizintou‐ rismus D01: Wie oft? Eigentlich jetzt in letzter Zeit ziemlich oft, weil meine Kunden meh‐ rere medizini‐ sche Probleme hatten und ich eigentlich einmal bis zweimal im Monat ((…)) (D01, 17-19) Mit „OK2“ werden Aus‐ sagen markiert, die beschreiben, wann sich der erste Auftrag ergeben hat und wie häufig die Dolmetscherin im Medizintou‐ rismus Aufträge annimmt. OK 03 ded. Herkunfts‐ land und fi‐ nanzielle Lage der Pa‐ tientInnen Herkunftsland und finanzielle Lage der Patien‐ tInnen D01: Meine Pa‐ tienten sind ei‐ gentlich alle aus Russland oder teilweise aus ehemaligen rus‐ sischen Repu‐ Mit „OK3“ werden Aus‐ sagen markiert, die sowohl das Herkunftsland als auch die fi‐ nanzielle Situa‐ <?page no="350"?> bliken. (D01, 35-36) tion der Patien‐ tInnen beschreiben. OK 04 ded. Angaben zu den Settings Angaben zu den Settings, an denen sich die gedolmetschte Kommunika‐ tion abspielt, wie Sprachen, Fachbereiche und Institution (z. B. Arztpraxis, Krankenhaus) D01: Das ist un‐ terschiedlich. Zum Großteil eigentlich vorher schon ein Besuch beim Arzt, wo abge‐ klärt wird, welche Pro‐ bleme gibt es. Dann gibt es weitere Spezial‐ untersu‐ chungen oder einen Kranken‐ hausaufenthalt, wenn not‐ wendig. Aber das meiste läuft schon vorher über einen Facharzt ab. (D01, 83-86) Mit „OK4“ werden Aus‐ sagen markiert, die Angaben zu den Dolmetsch‐ settings ent‐ halten. Darüber hinaus werden folgende „UK“ markiert: UK4.1, UK4.2 und UK4.3, die weitere Infor‐ mationen zu den Settings enthalten UK 04.1 ind. Englisch als Lingua Franca Verwendung von Englisch als Lingua Franca in der medizini‐ schen Kommu‐ nikation Siehe Anhang 2 Mit „UK4.1“ werden Aus‐ sagen markiert, die die Verwen‐ dung des Engli‐ schen als Lingua Franca beschreiben. UK 04.2 ind. Textsorten und Dis‐ kursformen Textsorten und Gesprächs‐ formen, die in den gedol‐ metschten Si‐ tuationen vor‐ kommen Siehe Anhang 2 Mit „UK4.2“ werden Aus‐ sagen markiert, die die Text‐ sorten und Ge‐ sprächsformen der Dolmetsch‐ settings be‐ schreiben. Tab. 35: Bildung deduktiver Kategorien nach Mayring (2010) 350 Anhang 1: Bildung deduktiver Kategorien nach Mayring (2010) <?page no="351"?> Anhang 2: Bildung induktiver Kategorien nach Mayring (2010) Ausschnitt aus der induktiven Ableitung der Unterkategorien nach Mayring, welche zur Inhaltsanalyse der Phase-2-Interviews (Expertinneninterviews) ver‐ wendet wurde. UK4.1 und UK4.2 ergänzen das bereits in Anhang 1 angeführte OK4. Abkürzungen: OK: Oberkategorie UK: Unterkategorie Zeile im Tran‐ skript Aussagen Paraphrase/ Generalisie‐ rung Reduk‐ tion/ Bezeich‐ nung der Kategorie Bestim‐ mung/ Kate‐ gorie 320- 330 D09: Es gibt viele Patienten aus anderen Ländern. Wir haben viele aus Osteuropa, Arabien. Da gibt es eben keine Person wie mich. Die Techniker / die meisten Techniker können Eng‐ lisch. Also, Englisch ist kein großes Problem. ((…)) Und da / ja / Englisch ja / Englisch kann jeder Techniker. Und so wird oft direkt kommuniziert. Wenn es brennt, wenn es heikle Themen gibt, dann holen mich die Tech‐ niker schon. 00: 23: 14 Die Dolmet‐ scherin erzählt, dass viele Pati‐ entInnen mit dem Fachper‐ sonal auf Eng‐ lisch kommu‐ nizieren. Die Verwendung von Englisch als Lingua Franca wird thematisiert. Englisch als Lingua Franca UK 04.1 235- 237 D13: das Aufklärungsgespräch, Anamneseerhebung, Aufklä‐ rungsbögen vielleicht für die Narkose, oder für die bevor‐ stehende Operation, ausfüllen. Überhaupt / Also, es sind auch psychologische Gespräche dabei, Psychotherapien. In den verdol‐ metschten Si‐ tuationen vor‐ kommende Textsorten und Gesprächs‐ formen Textsorten und Ge‐ spräch‐ sformen UK 04.2 Tab. 36: Bildung induktiver Kategorien nach Mayring (2010) <?page no="353"?> Abkürzungsverzeichnis ABGB Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch 1811, JGS 946 Abs. Absatz Art. Artikel ÄrzteG Ärztegesetz, BGBl. I Nr. 169/ 1998 BGBl. Bundesgesetzblatt DSGVO Datenschutz-Grundverordnung (Verordnung (EU) 2016/ 679) EU Europäische Union GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, BGBl. I S. 1546 GRCh Charta der Europäischen Union HeilPraktG Heilpraktikergesetz Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) v. 17.2.1939, RGBl. I 1939, S. 251, zuletzt geändert durch Gesetz v. 23.10.2001, BGBl. I 2001, S. 2702 RL Richtlinie TKG Telekommunikationsgesetz, BGBl. I Nr. 70/ 2003 <?page no="355"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 1: PatientInnentypen nach Mainil (2012: 57) . . . . . . . . . . . . . . . 37 Abb. 2: Handlungsraum in der Institution Krankenhaus (Meyer 2004: 52) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Abb. 3: Das Leistungsangebot von DolmetscherInnen im Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Abb. 4: Translationskompetenzmodell nach Kammer/ Roessler (2013: 54) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Abb. 5: Forschungsdesign und Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . 123 Abb. 6: Ethnografische Feldforschung im Forschungsdesign . . . . . . 155 Abb. 7: Rahmenbedingungen der dolmetschvermittelten Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Abb. 8: Erwartungen an die Qualität und Leistungen . . . . . . . . . . . . 179 Abb. 9: Anforderungen an die DolmetscherInnen . . . . . . . . . . . . . . . 187 Abb. 10: Expertinneninterviews im Forschungsdesign . . . . . . . . . . . . 199 Abb. 11: Rahmenbedingungen für die Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Abb. 12: Aufgabenprofil der Dolmetscherinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Abb. 13: Zufriedenheit mit der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Abb. 14: Unterschiede zu im Zielland ansässigen anderssprachigen PatientInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Abb. 15: Anforderungen an die DolmetscherInnen . . . . . . . . . . . . . . . 228 Abb. 16: Weitere thematisierte Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Abb. 17: Online-Erhebung im Forschungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Abb. 18: Wohnsitzland der DolmetscherInnen (Zweig 1 und Zweig 2) 250 Abb. 19: Geschlechterverteilung der DolmetscherInnen (Zweig 1 und Zweig 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Abb. 20: Altersverteilung der DolmetscherInnen (Zweig 1 und Zweig 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Abb. 21: Dolmetschsettings im Vergleich (Zweig 1 und Zweig 2; Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Abb. 22: Medizinische Bereiche der DolmetscherInnen (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Abb. 23: Beauftragung und Entlohnung (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 <?page no="356"?> Abb. 24: Vorhandene lnformationen zu den Dolmetschaufträgen (Zweig 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Abb. 25: Finanzielle Situation der PatientInnen (Zweig 1) . . . . . . . . . 268 Abb. 26: Dolmetschtätigkeit für im Zielland ansässige PatientInnen (Zweig 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Abb. 27: Gründe für den Wechsel in das Simultandolmetschen (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Abb. 28: Angebotene Leistungen (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Abb. 29: Zufriedenheit mit den Honoraren (Zweig 1) . . . . . . . . . . . . . 274 Abb. 30: Zufriedenheit mit Honoraren und Wohnsitzland der DolmetscherInnen im Vergleich (Zweig 1) . . . . . . . . . . . . . . 275 Abb. 31: Zufriedenheit mit den Honoraren und Preisfindungskriterien im Vergleich (Zweig 1) . . . . . . . . . . . 277 Abb. 32: Herausforderungen beim Dolmetschen (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Abb. 33: Wichtige und auszubauende Kompetenzen im Vergleich (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Abb. 34: Zufriedenheit mit dem absolvierten Studium (Zweig 1) . . . 281 Abb. 35: Zufriedenheit mit dem Dolmetschen im Medizintourismus (Zweig 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Abb. 36: Positive Aspekte des Dolmetschens im Medizintourismus (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Abb. 37: Negative Aspekte des Dolmetschens im Medizintourismus (Zweig 1; Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Abb. 38: Dolmetschtätigkeit für im Zielland ansässige PatientInnen (Zweig 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Abb. 39: Interesse der DolmetscherInnen an Aufträgen im Medizintourismus (Zweig 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Abb. 40: Tatsächliches (Zweig 1) und potenzielles (Zweig 2) Leistungsangebot im Vergleich (Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Abb. 41: Preisfindungskriterien im Vergleich (Zweig 1 und Zweig 2; Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Abb. 42: Auszubauende Kompetenzen im Vergleich (Zweig 1 und Zweig 2; Mehrfachantworten möglich) . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Abb. 43: Gründe für mangelndes Interesse an Aufträgen im Medizintourismus (Zweig 2; Mehrfachantworten möglich) 295 356 Abbildungsverzeichnis <?page no="357"?> Tabellenverzeichnis Tab. 1: Erwartungen russischsprachiger PatientInnen nach Juszczak (2017: 50f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Tab. 2: PatientInnentypen nach Berg (2008: 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Tab. 3: PatientInnentypen nach Juszczak und Ebel (2009: 103f.) . . . . . 35 Tab. 4: Akronyme für die PatientInnentypen nach Mainil (2012: 57) . 36 Tab. 5: Lösungsstrategien zur Überwindung von Sprachbarrieren im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Tab. 6: Dolmetschvermittelte Kommunikation im Medizintourismus . 86 Tab. 7: Auftragsmanagement im Medizintourismus in Anlehnung an Risku (1998: 261) und Quast (2009: 31) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Tab. 8: Beispiel aus dem Beobachtungsprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Tab. 9: Übersicht der medizinischen Reisen im Beobachtungszeitraum 129 Tab. 10: Zusammenfassung der Daten der InterviewpartnerInnen . . . . 132 Tab. 11: Fragen für die ethnografischen Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Tab. 12: Beispiel für die Codings (Phase 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Tab. 13: Interviewpartnerinnen der Phase 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Tab. 14: Struktur der Online-Erhebung für Zweig 1 und 2 . . . . . . . . . . . 151 Tab. 15: Dolmetschvermittelte Kommunikation der PatientInnen von Arzt 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Tab. 16: Dolmetschvermittelte Kommunikation der PatientInnen von Arzt 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Tab. 17: Dienstleistungen entlang der Servicekette . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Tab. 18: Wohnsitzland und Dolmetschtätigkeit (Zweig 1 und Zweig 2) 250 Tab. 19: Ausbildung der DolmetscherInnen (Zweig 1 und Zweig 2) . . . 253 Tab. 20: Mitgliedschaft in einem Berufsverband (Zweig 1 und Zweig 2) 255 Tab. 21: Häufige Dolmetschsettings (Zweig 1 und Zweig 2) . . . . . . . . . . 257 Tab. 22: Beginn der Dolmetschtätigkeit im Medizintourismus (Zweig 1) 260 Tab. 23: Häufigkeit der Dolmetschaufträge im Medizintourismus (Zweig 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Tab. 24: Arbeitssprachen in Kombination mit Deutsch (Zweig 1) . . . . . 261 Tab. 25: Settings der verdolmetschten medizinischen Kommunikation (Zweig1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Tab. 26: Herkunftsländer der PatientInnen (Zweig 1) . . . . . . . . . . . . . . . 267 Tab. 27: Unterschiede zwischen PatientInnengruppen (Zweig 1) . . . . . 270 Tab. 28: Dolmetschmodus (Zweig 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 <?page no="358"?> Tab. 29: Preisfindungskriterien (Zweig 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Tab. 30: Wichtige Kompetenzen (Zweig 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Tab. 31: Wichtige Kompetenzen im Zweig 1Arbeitssprachen in Kombination mit Deutsch (Zweig 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Tab. 32: KundInnentypologien (Zweig 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Tab. 33: Herkunftsländer der PatientInnen (Zweig 2) . . . . . . . . . . . . . . . 289 Tab. 34: Gründe für das Interesse der DolmetscherInnen an Aufträgen im Medizintourismus (Zweig 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Tab. 35: Bildung deduktiver Kategorien nach Mayring (2010) . . . . . . . . 349 Tab. 36: Bildung induktiver Kategorien nach Mayring (2010) . . . . . . . . 351 358 Tabellenverzeichnis <?page no="359"?> Translationswissenschaft herausgegeben von Klaus Kaindl und Franz Pöchhacker Die am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien herausgegebene Reihe versteht sich als offenes, internationales Forum für wissenschaftliche Beiträge zu Forschungsthemen im gesamten Spektrum der Disziplin. Neben zentralen Themenfeldern wie dem Literatur- und Fachübersetzen, dem Konferenz-, Gerichts- und Kommunaldolmetschen sowie dem mehrsprachigen Terminologiemanagement und den damit verbundenen theoretischen, methodischen und didaktischen Ansätzen und Fragestellungen umfasst die Reihe vor allem auch neue Entwicklungen im Zusammenhang mit multimodaler Kommunikation und technologiebasierter Translation. Die in der Reihe erscheinenden Monographien und Sammelbände unterliegen einem Begutachtungsverfahren, um ein möglichst hohes Maß an wissenschaftlicher Qualität wie auch Lesbarkeit zu garantieren. Bisher sind erschienen: Band 1 Hanna Risku Translationsmanagement Interkulturelle Fachkommunikation im Informationszeitalter 3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2016, 288 Seiten €[D] 59,90 ISBN 978-3-8233-6983-7 Band 2 Sonja Pöllabauer “I don’t understand your english, Miss” Dolmetschen bei Asylanhörungen 2005, 484 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6175-6 Band 3 Gyde Hansen Erfolgreich übersetzen Entdecken und Beheben von Störquellen 2006, 310 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6256-2 Band 4 Susanne Göpferich Translationsprozessforschung Stand - Methoden - Perspektiven 2008, XIV, 313 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6439-9 Band 5 Martin Will Dolmetschorientierte Terminologiearbeit Modell und Methode 2009, XVIII, 223 Seiten €[D] 49,00 ISBN 978-3-8233-6506-8 Band 6 Mira Kadric Dialog als Prinzip Für eine emanzipatorische Praxis und Didaktik des Dolmetschens 2011, 184 Seiten €[D] 39,00 ISBN 978-3-8233-6561-7 <?page no="360"?> Band 7 Ángela Collados Aís / Emilia Iglesias Fernández / E. Macarena Pradas Macias / Elisabeth Stévaux (Hrsg.) Qualitätsparameter beim Simultandolmetschen Interdisziplinäre Perspektiven 2011, 353 Seiten €[D] 64,00 ISBN 978-3-8233-6637-9 Band 8 Gerrit Bayer-Hohenwarter Translatorische Kreativität Definition - Messung - Entwicklung 2012, XVIII, 362 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6709-3 Band 9 Karin Reithofer Englisch als Lingua Franca und Dolmetschen Ein Vergleich zweier Kommunikationsmodi unter dem Aspekt der Wirkungsäquivalenz 2013, 308 Seiten €[D] 64,00 ISBN 978-3-8233-6795-6 Band 10 Don Kiraly / Silvia Hansen-Schirra / Karin Maksymski (Hrsg.) New Prospects and Perspectives for Educating Language Mediators 2013, VI, 229 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6819-9 Band 11 Daniela Di Mango The Role of Theory in Translator Training 2018, 440 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8161-7 Band 12 Larisa Cercel / Marco Agnetta / María Teresa Amido Lozano (Hrsg.) Kreativität und Hermeneutik in der Translation 2017, 469 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8074-0 Band 13 Mascha Dabic Dolmetschen in der Psychotherapie Prekäres Gleichgewicht in Vorb., ca. 290 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8234-8 Band 14 Sylvi Rennert Redeflüssigkeit und Dolmetschqualität Wirkung und Bewertung 2019, 204 Seiten €[D] 59,00 ISBN 978-3-8233-8281-2 Band 15 Katia Iacono Dolmetschen im Medizintourismus Anforderungen und Erwartungen an DolmetscherInnen in Deutschland und Österreich 2021, 360 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-8472-4 <?page no="361"?> ISBN 978-3-8233-8472-4 Deutschland und Österreich sind aufgrund ihrer medizinischen Standards beliebte Zielländer für internationale PatientInnen, die nach einer Zweitmeinung zu einer Diagnose bzw. zu einem Therapievorschlag oder einer speziellen medizinischen Behandlung suchen. Der finanzielle und organisatorische Aufwand medizinischer Reisen führt zu hohen Erwartungen der PatientInnen an die Behandlung und an alle beteiligten AkteurInnen. In diesem Kontext werden DolmetscherInnen häufig zu Hauptansprechpersonen der PatientInnen, die sich an sie mit zusätzlichen organisatorischen Wünschen wenden. Dieser Band untersucht die Erwartungen und das erweiterte Anforderungsprofil, mit denen DolmetscherInnen im Medizintourismus in Deutschland und Österreich konfrontiert sind. Er richtet sich an DolmetscherInnen sowie an ÄrztInnen und VertreterInnen medizinischer Institutionen, die mit DolmetscherInnen zur Überwindung von Sprachbarrieren zusammenarbeiten.