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Varianzphänomene der Standardaussprache in Argentinien

Indizien aus Sprachproduktion und -perzeption

0906
2021
978-3-8233-9490-7
978-3-8233-8490-8
Gunter Narr Verlag 
Felix Bokelmann

Das Werk von Felix Bokelmann stellt einen Beitrag zu den Forschungen zur Plurizentrik des Spanischen dar, die untersuchen, ob innerhalb der spanischen Sprache unterschiedliche Standardvarietäten koexistieren und in welchem Verhältnis diese zueinander stehen. Anhand eigens erhobener Sprachproduktions- und Sprachperzeptionsdaten wird der Frage nachgegangen, ob im argentinischen Spanisch eine Standardisierung der Aussprache zu beobachten ist und ob dieser Aussprachestandard einheitlich im gesamten Land gilt oder Phänomene regionaler Variation aufweist.

<?page no="0"?> Felix Bokelmann Varianzphänomene der Standardaussprache in Argentinien Indizien aus Sprachproduktion und -perzeption <?page no="1"?> Varianzphänomene der Standardaussprache in Argentinien <?page no="2"?> Studia philologica Monacensia Edunt Andreas Dufter et Bernhard Teuber Volumen 17 · 2021 Comité scientifique - Advisory Board - Wissenschaftlicher Beirat Lina Bolzoni (Scuola Normale Superiore di Pisa) Anthony Cascardi (University of California at Berkeley) Pedro Cátedra (Universidad de Salamanca) Victoria Cirlot (Universitat Pompeu Fabra, Barcelona) Marie-Luce Démonet (Université François Rabelais, CESR, Tours) Carlos Garatea Grau (Pontificia Universidad Católica del Perú, Lima) Barbara Kuhn (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) Frank Lestringant (Université Paris-Sorbonne) María Jesús Mancho Duque (Universidad de Salamanca) Wolfgang Matzat (Eberhard-Karls-Universität Tübingen) Paulo de Sousa Aguiar de Medeiros (University of Warwick) Wolfram Nitsch (Universität zu Köln) Uli Reich (Freie Universität Berlin) Maria Selig (Universität Regensburg) Elisabeth Stark (Universität Zürich) Collegium consultorum <?page no="3"?> Felix Bokelmann Varianzphänomene der Standardaussprache in Argentinien Indizien aus Sprachproduktion und -perzeption <?page no="4"?> Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2020 von der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen und erfolgreich verteidigt. Gedruckt mit Unterstützung des Förderfonds Wissenschaft der VG WORT © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: CPI books GmbH, Leck ISSN: 2365-3094 ISBN: 978-3-8233-8490-8 (Print) ISBN: 978-3-8233-9490-7 (ePDF) ISBN: 978-3-8233-0299-5 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Umschlagabbildung: Old compass on vintage map selective focus on Argentina, © Dreamstudios / AdobeStock Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> Für meinen Doktorvater und Mentor Prof. Dr. Ulrich Detges (1958-2021) <?page no="7"?> 1 11 2 17 2.1 18 2.2 22 2.3 32 2.4 38 2.5 43 2.6 48 3 59 3.1 60 3.1.1 61 3.1.2 75 3.1.3 76 3.2 83 3.2.1 83 3.2.2 88 3.2.3 98 3.2.4 104 3.3 105 3.3.1 111 3.3.2 120 3.4 125 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten . . . . Das Zeichensystem de Saussures als Grundlage sprachlicher Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionale Variablen - Das phonologische System N. S. Trubetzkoys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normale Varianten im Sinne E. Coserius . . . . . . . . . . . . . . . . . Das soziolinguistische Variablenkonzept W. Labovs . . . . . . . . Varietätenlinguistische Beschreibung sprachlicher Variation Diasystematische Variation, Markiertheit und Salienz von Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Normen, Normalem und Normierung . . . . . . . . . . . . . . . . Die Norm als Richtschnur gesellschaftlichen Handelns - soziale Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein normales Zusammenspiel - zur Koexistenz und Hierarchie von Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die sprachliche Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Konzept des sprachlichen Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkungen und Deskriptionsperspektiven auf die Standardsprachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Merkmale und Funktionen von Standardsprachen . . . Sprechereinstellungen gegenüber der Standardsprachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur perzeptiven Unauffälligkeit des Standards . . . . . . Zur Entstehung von Aussprachestandards . . . . . . . . . . . . . . . . Akkommodation und Sprachdynamik . . . . . . . . . . . . . . Normautoritäten und Modellsprecher . . . . . . . . . . . . . . Standardsprachlichkeit in der vorliegenden Untersuchung . . <?page no="8"?> 4 127 4.1 128 4.2 131 4.3 134 4.4 138 5 143 5.1 144 5.2 147 5.3 152 5.4 156 5.5 166 5.5.1 167 5.5.2 169 5.5.3 170 5.5.4 172 6 179 6.1 181 6.1.1 181 6.1.2 190 6.1.3 196 6.2 200 6.2.1 202 6.2.2 205 6.2.3 207 6.3 209 Zur Koexistenz verschiedener Standardvarietäten - Die Plurizentrik des Spanischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Konzept der Plurizentrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Asymmetrie plurizentrischer Sprachkonstellationen . . . Plurizentrik und das Problem der Nationalstaatlichkeit . . . . . Unterscheidung: Second-Level-Pluricentricity und tertiäre Dialekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo . . . . . . . . . . Die Standardisierung des Kastilischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kolonialzeit als Epoche der Regionalisierung des Spanischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Postkoloniale Entwicklungen und die batalla de la lengua . . Das Spanische auf dem Weg zur Plurizentrik . . . . . . . . . . . . . Die Debatte um eine argentinische (Standard-)Sprache . . . . . Die Epoche des reformismo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Epoche des purismo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versuche der Etablierung eines argentinischen Sprachnormierungsinstituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das ‘argentinische Spanisch’ im Zeitalter der Plurizentrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heranführung an den Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten . . . . . Politisch-historische Ursachen divergierender regionaler Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koloniale Besiedelungsrouten als Grundlage verschiedener Dialektareale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Territoriale Erweiterung und die Epoche der Zuwanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dialektareale Argentiniens als Ausgangspunkt der vorliegenden Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Nordwesten bzw. die Sprachinsel Santiago del Estero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zentrum mit der Provinz Córdoba . . . . . . . . . . . . . Das Litoral mit Stadt und Provinz Buenos Aires . . . . . Zur Methodik - dem Aussprachestandard auf der Spur . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> 7 213 7.1 213 7.2 219 7.2.1 221 7.2.2 222 7.2.3 224 7.2.4 225 7.3 227 7.3.1 229 7.3.2 231 7.3.3 233 7.3.4 234 7.3.5 235 7.4 237 7.4.1 237 7.4.2 239 7.4.3 242 7.4.4 243 8 245 8.1 246 8.2 248 8.3 250 8.3.1 250 8.3.2 253 8.3.3 254 8.3.4 255 8.3.5 256 8.3.6 257 8.3.7 258 8.4 263 8.5 266 8.6 268 8.6.1 269 8.6.2 275 Die phonetische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Datenmaterial der phonetischen Untersuchung . . . . . . . Der prädorso-alveolare Sibilant / s/ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die intervokalische Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die präkonsonantische Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im absoluten Auslaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Trill / R/ bzw. / r/ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . / R/ im absoluten Anlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . / R/ im intervokalischen Wortanlaut . . . . . . . . . . . . . . . / R/ im postkonsonantischen Wortanlaut . . . . . . . . . . . . / r/ in intervokalischer Position im Wortinnern . . . . . . Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . Der postalveolare Frikativ / ʒ/ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im absoluten Anlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In intervokalischer Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im postkonsonantischen Wortanlaut . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . Perzeptive Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden-Gewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau des Fragebogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Strukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erhebung von Metadaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Salienzmessung mittels Schieberegler . . . . . . . . . . . . . . Lokalisierung der Auffälligkeit mittels grafischer Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Explikation der Auffälligkeit mittels Multiple-Choice-Abfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regionale Zuordnung mittels grafischer Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die kontrastive Abfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Audiomaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilnehmerstatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der perzeptiven Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Trill / r/ bzw. / R/ im Anlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Trill / r/ in intervokalischer Position im Wortinnern 9 Inhalt <?page no="10"?> 8.6.3 280 8.6.4 285 8.6.5 286 8.6.6 286 8.6.7 297 8.6.8 307 8.6.9 308 8. 6. 10 314 8. 6. 11 319 9 325 10 331 337 378 383 385 389 Der Trill / R/ im intervokalischen Wortanlaut . . . . . . . Synthetisierende Analyse der Ergebnisse - / R/ bzw. / r/ Der postalveolare Frikativ / ʒ/ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . / ʒ/ im absoluten Anlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . / ʒ/ in intervokalischer Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der prädorsale Sibilant / s/ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . / s/ in intervokalischer Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . / s/ in präkonsonantischer Position . . . . . . . . . . . . . . . . / s/ im absoluten Auslaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit - Zur Existenz von Aussprachestandards in Argentinien . . . . Epilog - Zur Bedeutung von aktuellen Sprachdaten und Perzeptionsabfragen in Forschungen zur Plurizentrik . . . . . . . . . . . . Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Inhalt <?page no="11"?> 1 Bzw. dessen Variation „En todo estás vos. Buenos Aires Ciudad“ (cf. Bayardo 2013: 121). 2 Noch deutlicher wird dies in verschiedenen Adaptionen des Slogans, z. B.: „La ciudad se levanta y se va a dormir con cada uno de nosotros. Sin vos la ciudad no es nada. Por eso en todo lo que hacemos estás vos. Buenos Aires Ciudad” (Bayardo 2013: 121). 3 Ähnlich funktioniert der Wahlspruch Mia san mia der Fußballmannschaft und global agierenden Firma FC Bayern München, der prinzipiell alle Anhänger des Vereins ad‐ ressiert. Durch die Verwendung des dialektalen Personalpronomens wird jedoch ins‐ besondere unter denjenigen die aus der Region München und Oberbayern kommen, zusätzliche Vertrautheit und Familiarität erzeugt. 4 Ehemaliges Personalpronomens der 2. Person Plural; heutzutage: vosotros oder ustedes. 1 Einleitung „Buenos Aires, en todo estás vos“ 1 - so lautet der zentrale Slogan einer Image‐ kampagne der Stadt Buenos Aires aus dem Jahr 2012 wie auch der Untertitel eines Aufsatzes von Rubens Bayardo (2013) zur Funktion von Symbolpolitik im Kontext des wirtschaftlich bedeutenden Kulturmarktes in Argentinien. Eine In‐ terpretationsweise lässt die Bewohner der Hauptstadt Buenos Aires - bzw. ei‐ gentlich alle Leser des Satzes - als unverzichtbaren Bestandteil der Stadt er‐ scheinen. Die Stoßrichtung ist klar: Buenos Aires bietet Interessierten über die sich selbst attestierte Innovationskraft, Kreativität und ihr Kulturangebot den Raum, unmittelbar an der Stadt teilzuhaben und aktiv an ihrer Gestaltung mit‐ zuwirken (Bayardo 2013: 101). Ohne diese Teilhabe ihrer Bürger sei die Stadt nichts, so die Aussage der Kampagne. 2 Zwischenzeitlich wurde sogar eine „En todo estás vos“-Karte angeboten, mit der die Besitzer auf spezielle Dienstleis‐ tungen und Vergünstigungen (etwa in Einkaufszentren oder Museen Buenos Airesʼ) zugreifen konnten. Die Verwaltung des Stadtviertels Belgrano beschreibt den Zweck dieser Maßnahme recht explizit: „Su uso es personal e intransferible y entre sus propósitos, está el convertirse en un símbolo de identificación del ciudadano con la ciudad.“ (Municipalidad Belgrano 2014). Ähnliche Effekte werden durch den Leitspruch, etwas subtiler, auch auf sprachlicher Ebene er‐ zielt. Durch die Verwendung des Personalpronomens vos werden prinzipiell alle, die den Slogan lesen, direkt angesprochen, ob Touristen, Geschäftsreisende oder Einwohner der Stadt. Dennoch wirkt die Symbolkraft der Verwendung des voseo insbesondere auf die Bewohner der Hauptstadt integrativ und erzeugt Vertraut‐ heit und Familiarität (Bayardo 2013: 121). 3 Diese Verwendung von vos  4 als Per‐ sonalpronomen der zweiten Person Singular anstelle von tú ist in Buenos Aires <?page no="12"?> 5 Der voseo ist in verschiedenen Regionen der Hispanophonie verbreitet, allerdings ist seine Verwendung häufig diastratisch oder diaphasisch markiert. In Buenos Aires und seinem sprachlichen Einflussgebiet gilt er in allen Kommunikationssituation als absolut normgerecht und verdrängt auch usted zunehmend als Pronomen der formalen Anrede (Donni de Mirande 2000a: 80). Ausgenommen bleiben wenige Situationen besonderer Ehrerbietung gegenüber Fremden oder hierarchisch höher gestellten Personen. 6 Dies sei auch beim Diccionario integral del español de la Argentina (Tornadú / Plager 2008) der Fall - wie Fernando Alfón (2014: 36) kritisch anmerkt. Auch dort werde der Sprachgebrauch der Mittelschicht Buenos Aires’ als repräsentativ für das gesamte Land angenommen werde. generalisiert, d. h. in allen Kommunikationssituationen absolut normgerecht und stellt ein distinktives Merkmal gegenüber anderen sprachlichen Varietäten des Spanischen dar ( RAE / ASALE 2009: § 4.7 und Kapitel 2). 5 Buenos Aires, en todo estás vos. Der Leitspruch gesteht jedoch noch eine wei‐ tere Lesart zu: Interpretiert man Buenos Aires als Personalisierung, wird die Stadt selbst zum Subjekt und erfährt auf diese Weise eine Art Omnipräsenz, die ihr durch den Leser zugesprochen wird. Tatsächlich ist die Hauptstadt ob der stark zentralisierten Ausrichtung des argentinischen Staates und ihrer Domi‐ nanz im Hinblick auf Demografie, Politik, Wirtschaft und Kultur, gewisser‐ maßen allgegenwärtig (cf. Kapitel 6.1). Allerdings stellt die Gleichsetzung von Buenos Aires mit dem Land Argentinien, die gerade in der Außenansicht häufig stattfindet und sicherlich durch die Dominanz der Hauptstadt bedingt ist, eine Simplifizierung dar. Diese lässt sich auch auf sprachwissenschaftlicher Ebene wiederfinden, wo Studien zum Spanisch in Argentinien bisweilen ausschließlich Phänomene der Hauptstadt beschreiben und die Divergenzen zu anderen Vari‐ etäten des Landes, wenn überhaupt, lediglich am Rande erwähnen (z. B.: Gabriel et. al. 2010, cf. Colantoni / Hualde 2013). 6 Auch dieses Phänomen lässt sich gut anhand des zuvor erwähnten voseo festmachen: Dieses in Buenos Aires etab‐ lierte Phänomen wird bisweilen über sein eigentliches Verbreitungsgebiet hi‐ nausgehend, als emblematisch für das ʻargentinische Spanischʼ bzw. das Spa‐ nisch der ʻRío-de-la-Plata-Staatenʼ empfunden (Oesterreicher 2000). Allerdings unterscheidet beispielsweise Donni de Mirande (2000a: 77) allein in Argentinien insgesamt fünf verschiedene voseo-Typen. Gleichzeitig ist am anderen Ufer des Río de la Plata, in Montevideo (Uruguay), die Koexistenz von pronominalem voseo und tuteo mit nuanciert austarierten Gebrauchsrestriktionen zu be‐ obachten, die eindeutig von der in Buenos Aires üblichen Verwendung diver‐ giert ( RAE / ASALE 2009: § 4.7j-4.7k). Die tatsächliche Ausdehnung der Varietät der Hauptstadt Argentiniens ist ebenso wenig abschließend geklärt, wie die Frage, ob sie tatsächlich alle übrigen Varietäten des Landes im Sinne einer na‐ tional gültigen Standardvarietät zu überdachen vermag (cf. Fontanella de Wein‐ 12 1 Einleitung <?page no="13"?> 7 Einschränkend sei an dieser Stelle erwähnt, dass die perzeptive Varietätenlinguistik eine recht junge Disziplin ist, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Aufsatzes kaum etabliert war. berg 1995 sowie Kapitel 3.2). Auf der einen Seite ist es zwar unbestritten, dass der Varietät Buenos Aires’ vor dem Hintergrund ihrer politischen und kulturellen Dominanz, der großen Sprecheranzahl und der kommunikativen Reich‐ weite der dort beheimateten Medienanstalten, Zeitungen, Verlage und durch das Internet ein im Vergleich zu den übrigen Varietäten des Landes großes Prestige und ein besonderer Status zukommt. Auf der anderen Seite haben verschiedene, insbesondere politisch-historische Faktoren zu einer fast schon folkloristisch etablierten Teilung des Landes in Hauptstadt (la capital) und Inland (el interior) geführt, die der Akzeptanz der Standardvarietät entgegenlaufen könnte (cf. Ka‐ pitel 6.1.1). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich der im wis‐ senschaftlichen Diskurs weithin akzeptierte Status der Varietät Buenos Aires’ als Standardvarietät innerhalb der Plurizentrik des Spanischen konkret ausge‐ staltet (cf. Kapitel 4 und 5). Der beispielsweise von Thompson (1992) verfolgte nationenbasierte Ansatz, wonach die Standardvarietät Buenos Aires’ genau in‐ nerhalb der geografischen Ausdehnungen des argentinischen Nationalstaats gelte, scheint sich ebenso wenig aufrecht erhalten zu lassen wie die weiter oben gestreifte und etwas grobkörnige Definition eines sprachnormativen Zentrums in „Buenos Aires mit den La-Plata-Staaten“ als Teil einer sich konsolidierenden Plurizentrik des Spanischen im Sinne Oesterreichers (2000: 310). María Beatríz Fontanella de Weinberg (1995) verfolgte gegen Ende des vergangenen Jahrhun‐ derts einen anderen Ansatz, indem sie die Ausdehnung der Standardvarietät Buenos Aires’ im argentinischen Staatsgebiet auf empirischer Grundlage zu be‐ schreiben versuchte. Allerdings beschränkte sich ihre Untersuchung auf z. T. veraltete Daten anderer Studien und beleuchtete ausschließlich die Ebene der Sprachproduktion, genauer gesagt, die Verbreitung eines charakteristischen Phänomens der Aussprache der Hauptstadt: des sogenannten yeísmo rehilado, insbesondere in dessen stimmloser Ausprägung als postalveolarer Frikativ [ʃ]. Weder wurden weitere Varianten berücksichtigt, noch die Ebene der Sprach‐ perzeption, also die Frage, ob diese Varianten innerhalb der verschiedenen Re‐ gionen als standardsprachliche Zeichen wahrgenommen werden untersucht, noch in welchem Verhältnis die Varietät Buenos Aires’ zu den übrigen Varietäten des Landes steht. 7 In diesem Sinne bleibt die Untersuchung im Gegensatz zu vielen weiteren Arbeiten der Autorin zwar etwas oberflächlich, ist aber aus konzeptioneller Hinsicht dennoch als Meilenstein der Forschungen zum argen‐ tinischen Beitrag zur Plurizentrik des Spanischen anzusehen, da nicht einfach die nationale Geltung einer dominanten Varietät präsupponiert, sondern nach 13 1 Einleitung <?page no="14"?> der tatsächlichen Ausdehnung dieser Varietät gefragt wird. Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass diese die Varietäten des Inlands zwar in besonderem Maße beeinflusst, sie selbst allerdings nicht im gesamten Staatsgebiet verbreitet ist. Daraus ergibt sich die Frage, ob für das Spanische in Argentinien die Existenz lediglich einer (einzigen) Standardvarietät anzusetzen ist, wenn diese standar‐ disierte Varietät keine Allgemeingültigkeit erfährt. Diese ohnehin nicht trivial zu beantwortende Frage gewinnt dadurch weiter an Komplexität, dass häufig keine aktuellen Sprachdaten der einzelnen Provinzen vorliegen. Die Tragweite dieses Mangels lässt sich an einem Beitrag der Academia Argentina de Letras, der die Unterscheidung zwischen Sprache und Dialekt thematisiert, gut veran‐ schaulichen: „[…] está muy extendida en la Argentina la aspiración de la s agrupada (bosque se pronuncia [bóhke], pasto se pronuncia [páhto] y así con muchas palabras como mosca, costar, trasto, etc.). A medida que nos acercamos a la provincia de Santiago del Estero vamos a notar que estas palabras se pronuncian con un sonido tenso, muy similar al que tiene la s al principio de las palabras (bosque se pronuncia [bóske], pasto se pro‐ nuncia [pásto], etc.). Cerca de las fronteras provinciales va a ir disminuyendo la fre‐ cuencia de una ([h]) y aumentando la de otra ([s]), con una convivencia de las dos en esa franja limítrofe. […]” (AAL 2019) Bei dem zitierten Abschnitt handelt es sich um einen Auszug des Werks Pano‐ rama de nuestra Lengua, das von der Academia Argentina de Letras im Jahr 2014 herausgegeben wurde ( AAL 2014: 13-15). Obiger Auszug wurde als Artikel der Online-Kolumne Recomendaciones y observaciones sobre la lengua des Departa‐ mento de Investigaciones Lingüísticas y Filológicas derselben Institution im Jahr 2019 wiederveröffentlicht. Die Daten dieser im Stile eines aktuellen Reisebe‐ richts verfassten Ausführungen entstammen jedoch einem klassischen Beitrag zur argentinischen Dialektologie, dessen Veröffentlichung bereits über ein halbes Jahrhundert zurückliegt: El español de la Argentina: estudio destinado a los maestros de las escuelas primarias von Berta Elena Vidal de Battini ([1964] 2 1966). In dieser Hinsicht sollte sich die Einschätzung von Fontanella de Wein‐ berg (1976: 69), die das Werk Vidal de Battinis als „unumgänglichen Ausgangs‐ punkt für zukünftige Untersuchungen zum argentinischen Spanisch“ (a. a. O; eigene Übersetzung) beschrieb, als äußerst zutreffend erweisen. Problematisch ist dabei weniger der Rekurs auf ein, zwar in die Jahre gekommenes, aber dafür besonders gelungenes Überblickswerk zum Spanischen in Argentinien. Proble‐ matisch ist vielmehr, dass nach wie vor veraltete Sprachdaten zur linguistischen Beschreibung argentinischer Varietäten, insbesondere der Regionen des Inte‐ 14 1 Einleitung <?page no="15"?> 8 Z. B. in Lipski (1994), Fontanella de Weinberg (1995), Donni de Mirande (2000b), Co‐ lantoni / Hualde (2013). 9 Ein aktualisierter Gesamtüberblick über das Spanische in Argentinien bleibt für den Moment ein Forschungsdesiderat. 10 Eine vollständige Auflistung der Arbeitshypothesen findet sich in Kapitel 6.3. riors, herangezogen werden. 8 Tatsächlich wird auch die vorliegende Untersu‐ chung auf diese Arbeit bezugnehmen, die darin enthaltenen Beobachtungen al‐ lerdings vor dem Hintergrund rezenterer Untersuchungen und durch eigens erhobene Daten aktualisieren. Sie reiht sich damit in eine sehr erfreuliche Ten‐ denz der letzten Jahre ein, nämlich, dass immer mehr Arbeiten einzelne argen‐ tinische Varietäten oder bestimmte Phänomene des Spanisch in Argentinien auf Basis aktueller Daten untersuchen und somit zum Mosaik der Forschungen zum Spanischen in Argentinien beitragen (cf. Kapitel 7). 9 Die vorliegende Arbeit ver‐ steht sich somit als ein Beitrag in ebenjene Richtung und beleuchtet die Frage nach der Einheitlichkeit oder Varianz der Standardaussprache in Argentinien. Untersucht werden dabei die Sprachproduktion und Sprachperzeption in den Provinzen Buenos Aires, Córdoba und Santiago del Estero. Die Auswahl erfolgte zum einen auf Basis von Untersuchungen, die die argentinischen Provinzen vor dem Hintergrund dialektaler Divergenzen in Dialektareale gliedern (cf. Ka‐ pitel 6.2). Zum anderen auf Basis politisch-historischer Gründe, die die Heraus‐ bildung eigenständiger Standardvarietäten bzw. Aussprachestandards als Aus‐ druck regionaler Identität begünstigt haben könnten (cf. Kapitel 6.1). In der vorliegenden Arbeit wird anhand einer phonetischen und einer perzeptiven Analyse untersucht, ob Modellsprecher in öffentlichen Kommunikationssitua‐ tionen mehrheitlich denselben Realisierungstendenzen folgen (cf. Kapitel 7) und ob die etwaig übereinstimmende Varianten wahrnehmungsseitig für diese Si‐ tuationen als normgerecht empfunden werden (cf. Kapitel 8). Eine intraregio‐ nale Übereinstimmung der Realisierungstendenzen der Modellsprecher und eine gleichzeitig standardtypische perzeptive Evaluation dieser Varianten könnte als Indiz für die Existenz eines Aussprachestandards innerhalb der fraglichen Region gewertet werden. Sollten sich im interregionalen Vergleich Un‐ terschiede im Hinblick auf das so gefasste standardsprachliche Variantenin‐ ventar feststellen lassen, so würde dies zunächst einen Hinweis auf eine gewisse Durchlässigkeit der standardsprachlichen Norm im Bereich der Aussprache im‐ plizieren. Würden konkurrierende regionsfremde Realisierungsvarianten zu‐ sätzlich mit standard-atypischen Attributen (Auffälligkeit, Inkorrektheit etc.) belegt, so wäre dies ein Hinweis auf die Konsolidierung unterschiedlicher Aus‐ sprachestandards innerhalb Argentiniens. 10 Auf diese Weise können die phone‐ tische und die perzeptive Analyse auch interessante Hinweise darauf liefern, ob 15 1 Einleitung <?page no="16"?> der Leitspruch Buenos Aires, en todo estás vos auch für den Varietätenraum des Spanisch in Argentinien gilt, oder, ob sich im Gegenteil divergente regionale Aussprachestandards im sogenannten Interior herausgebildet haben, die der je‐ weiligen Sprechergemeinschaft als distinktive Identitätsmarker zur Dominanz der Hauptstadt dienen. Bevor die Ergebnisse der Untersuchungen präsentiert werden, ist es zunächst notwendig, einige fundamentale Konzepte und Theorien, insbesondere aus dem Bereich der Phonologie und Soziolinguistik vorzustellen, die bei der Beantwor‐ tung der Leitfrage eine wichtige Rolle spielen; so etwa die Konzepte der Vari‐ ante, Variable und Varietät, die im folgenden Kapitel 2 aus unterschiedlichen Forschungszugängen heraus diskutiert werden. Weitere Basiskonzepte der Un‐ tersuchung sind die (sprachliche) Norm und der sprachliche Standard (cf. Ka‐ pitel 3), da für den Bereich der Aussprache - im Gegensatz zu anderen Ebenen der Sprache wie Morphologie oder Syntax - in der Regel keine für die gesamte Sprachgemeinschaft allgültigen präskriptiven Regelwerke vorliegen. Das dritte Kapitel bietet eine Erklärung dazu, wie innerhalb von Sprachgemeinschaften trotz der genannten fehlenden präskriptiven Kodifikation gültige Aussprache‐ standards entstehen können. Die Anerkennung nicht kodifizierter Aussprache‐ standards impliziert eine weitere Problematik, nämlich wie diese in das kom‐ plexe Zusammenspiel koexistierender Standardvarietäten in sogenannten plurizentrischen Sprachen integriert werden können. Das Konzept der Pluri‐ zentrik wird im vierten Kapitel theoretisch eröffnet, problematische Aspekte diskutiert, woraufhin in Kapitel 5 konkret auf die aktuelle Situation des Spani‐ schen eingegangen wird. Die Arbeit schließt mit einer Gesamtschau der wich‐ tigsten Ergebnisse und darin enthaltenen Implikationen für die etwaige Koexis‐ tenz unterschiedlicher Aussprachestandards in Argentinien (cf. Kapitel 9) und einem Epilog, der die Bedeutung empirischer Sprachdaten für ein besseres Ver‐ ständnis plurizentrischer Sprachkonstellationen diskutiert (cf. Kapitel 10). 16 1 Einleitung <?page no="17"?> 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten Variation ist jeder Sprache inhärent. Dies zeigt sich an individuell verankerten Sprechweisen (Idiolekte), in regional begrenzten sprachlichen Unterschieden (Di‐ alekte), in Variationsmustern, die mit sozialen Schichten einhergehen (Soziolekte) oder über Unterschiede hinsichtlich des stilistischen Ausdrucks (sprach‐ liche Register). Verschiedene Ausprägungen einer historischen Einzelsprache (cf. Coseriu 1988: 47-48), die mit diesen Dimensionen korrelieren, können als Varietäten bezeichnet werden. Eine Sprache i. o. S. besteht aus mindestens einer, in der Regel aber aus mehreren Varietäten (cf. Berruto ²2004: 189). Varie‐ täten können als Bündel sprachlicher Elemente gedacht werden, beispielsweise von Sprachlauten oder Wörtern. Betrachtet man diese genauer, wird offenbar, dass nicht selten unterschiedliche Elemente dieselbe Funktion erfüllen. Man denke etwa an Synonyme (wie z. B. dt. Pfannkuchen/ Eierkuchen oder sp. coche / carro) oder an regionale Ausspracheunterschiede. Im Falle der Synonyme versprachlichen unterschiedliche Wörter denselben Referenten, im Falle der Aussprache eignen sich verschiedene Lautketten trotz elementarer Unter‐ schiede dazu, dasselbe Wort zu realisieren. So etwa bei dt. Weg oder sp. paz: Weg kann entweder mit [k] oder [ç] im Auslaut, also als [ˈve: k] oder [ˈve: ç], realisiert werden. Das spanische Wort paz kann auf die Laute [θ], [s̺] oder [s̻] enden ([ˈpaθ]/ [ˈpas̺]/ [ˈpas̻]), ohne dass sich dadurch seine Bedeutung verändern würde oder diese verloren ginge. In diesen Fällen stehen den Sprechern also mehrere sprachliche Varianten zur Verfügung, die in paradigmatischer Opposition zu‐ einander stehen: die Realisierung einer Variante impliziert stets den Ausschluss aller anderen potenziell möglichen Elemente. Es findet also eine - bewusste oder unbewusste - Auswahl aus dem Set aller möglichen Elemente statt (cf. Ammon 1995: 64). Dieses Set kann somit als Variable verstanden werden. Variablen wiederum sind abstrakte sprachliche Konstruktionselemente (Krefeld 2010: 56), die spätestens mit dem Strukturalismus (cf. Kapitel 2.1, Kapitel 2.2) zur Be‐ schreibung des Sprachsystems nutzbar gemacht wurden. Die Tatsache, dass einer Variable verschiedene Varianten zugeordnet werden können, kann als Kern sprachlicher Variation verstanden werden (cf. Krefeld 2015: 395). Über die Zusammenschau des Inventars von Varianten bzw. von Variablen lassen sich die Varietäten einer Sprache bestimmen. Jedoch lässt sich nicht jedes Element des Sprachsystems mittels unterschiedlicher Varianten realisieren. Ulrich Ammon <?page no="18"?> 1 Einem Element auf konkreter Ebene entspricht dann exakt ein Element auf abstrakter Ebene. So kann der bestimmte männliche Artikel im Singular und in Subjektfunktion im Deutschen lediglich durch der im Spanischen lediglich durch el ausgedrückt werden. Es handelt sich, dieser Konzeption folgend, jeweils um konstante Elemente der beiden Sprachen. (1995: 65-66) zufolge ist - zumindest für den Bereich der Lexik - das Gegenteil die Regel. Dort sei die Mehrzahl der abstrakten Komponenten des Sprachsys‐ tems in der Regel variationsfrei und diese somit nicht als Variablen, sondern als Konstanten zu bezeichnen. 1 Das Konzept der sprachlichen Konstante ist insbe‐ sondere für den Bereich der Phonetik / Phonologie problematisch (cf. Ka‐ pitel 2.2) und wird daher in der vorliegenden Arbeit nicht verwendet. Was jedoch rechtfertigt die Annahme dieser unterschiedlichen Klassen von Elementen, wie sind sie im Sprachsystem organisiert und welche Beziehungen bestehen zwischen ihnen? In der Linguistik haben sich mehrere Variablenkon‐ zepte etabliert, die vor dem Hintergrund der vorliegenden Fragestellung knapp dargestellt werden. 2.1 Das Zeichensystem de Saussures als Grundlage sprachlicher Variation Grundlegend für das funktionale Variablenkonzept ist zunächst die Erkenntnis, dass Sprachen abstrakte Zeichensysteme sind. Sie stehen einer Vielzahl von Sprachbenutzern zur Verfügung, die auf die Regeln und Elemente des Systems zugreifen können. Dadurch teilen sie dieselbe Sprache, oder besser: dadurch haben sie an derselben Sprache teil. Der Umfang der Teilhabe mag zwar - in Abhängigkeit von divergierender Instruktion und Veranlagung - individuell verschieden sein, jedoch ist das System selbst potenziell für jeden Sprecher in Gänze verfügbar und somit nicht im Individuum zu verorten, sondern im Ge‐ genteil als sozial zu charakterisieren. Zum einen, weil ganze gesellschaftliche Gruppen darauf zugreifen, zum anderen, und das ist noch viel entscheidender, weil sich die Regeln und Elemente des Sprachsystems erst durch die soziale Interaktion der Sprachbenutzer in Form von Konventionen konstituieren und durch beständige Anwendung konsolidieren. Neben dieser sozialen Seite ver‐ fügt das Sprachsystem durchaus auch über eine individuelle Komponente, denn die konkrete Sprachverwendung erfolgt stets in individuellen Akten. In diesen werden die systeminhärenten Regeln und Einheiten durch physisch wahrnehm‐ bare Entitäten der Aussprache, des Schriftbilds oder der gestischen Kommuni‐ kation realisiert. Das Verb realisieren ist hier im Wortsinne zu verstehen: Die 18 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="19"?> 2 Das hier zitierte Werk ist die dritte Auflage der deutschen Übersetzung des Cours de linguistique générale, der im französischen Original erstmals 1916 veröffentlicht wurde. Dabei handelt es sich um Mitschriften der Vorlesungen Ferdinand de Saussures, die von seinen Schülern Charles Bally und Albert Sechehaye angefertigt und posthum veröf‐ fentlicht wurden. 3 Dieses Zitat bezieht sich konkret auf die indogermanistische Arbeit von August Schlei‐ cher, die - so die Kritik - trotz eines systematisiert-sprachwissenschaftlichen Zugangs nicht das eigentliche Sprachsystem zu fassen vermag. 4 In der deutschen Ausgabe etwas unglücklich mit „menschlicher Rede“ übersetzt (cf. Bally / Sechehaye 3 2001: 11, Fußnote 1). abstrakten Bestandteile werden via stellvertretender Elemente in die Wirklich‐ keit versetzt und erscheinen dort als Laute, Lautketten, geschriebene Wörter etc. So vermittelt die Realisierung des Wortes Haus im Deutschen, ob in ge‐ schriebener Form <Haus> oder als Lautkette [ˈhau̯s], beim Rezipienten die Idee eines Hauses, selbst wenn kein konkretes Gebäude adressiert ist. Umgekehrt beim Produzenten: Dort aktiviert die zu vermittelnde Idee eines Hauses zunächst die vorhandenen Möglichkeiten der Versprachlichung, die dann in einem kon‐ kreten Akt realisiert werden. Man könnte auch sagen, die genannten Formen tragen die Bedeutung Haus und die Bedeutung triggert die verbundenen sprach‐ lichen Ausdrucksmöglichkeiten. Zwischen Ausdruck und Bedeutung muss es demnach eine Verbindung geben, die zudem stabil sein muss, da sie beliebig oft und unabhängig von einer konkreten Äußerungssituation oder Konstellation der Kommunikationspartner aufgerufen werden kann. <Haus>/ [ˈhau̯s] und Haus müssen demnach als zusammengehörige Einheit gedacht werden, die im System der deutschen Sprache angelegt sind. Diese Überlegungen gehen in ihrem Kern auf den Genfer Sprachwissen‐ schaftler Ferdinand de Saussure (³2001) 2 zurück. De Saussure ( * 1857, † 1913) war insbesondere von dem Bestreben getrieben, das allen Sprachen zugrundelie‐ gende System detailliert zu erfassen und ins Zentrum sprachwissenschaftlicher Untersuchungen zu stellen. Denn die damals noch junge Linguistik, so seine Kritik, sei nie „über die Natur ihres Untersuchungsobjektes ins reine [sic] [ge‐ kommen]“ (Bally / Sechehaye 3 2001: 4), weshalb zur adäquaten systematischen Beschreibung von Sprachen daher zunächst der Untersuchungsgegenstand - das Sprachsystem - wissenschaftlich beschrieben werden müsse. 3 De Saussure versteht die Sprache (frz. langue) als ein System von Zeichen, das im Sprechen, also der konkreten Äußerung (frz. parole), Anwendung findet. Sowohl das abstrakte System als auch das konkrete Sprechen setzen ein ange‐ borenes Sprachvermögen 4 (frz. langage) des Menschen voraus (Bally / Sechehaye 3 2001: 11-18). Dieses Sprachvermögen besteht unter anderem in der Fähigkeit der Bildung und Interpretation von (Sprach-)Zeichen und der Beherrschung der 19 2.1 Das Zeichensystem de Saussures als Grundlage sprachlicher Variation <?page no="20"?> 5 Zur Illustration verwendet de Saussure das berühmte Papiergleichnis: Zeichenausdruck und Zeicheninhalt seien ebenso untrennbar miteinander verbunden wie zwei Seiten eines Blattes Papier: „Die Sprache ist ferner vergleichbar mit einem Blatt Papier: das Denken ist die Vorderseite und der Laut die Rückseite; man kann die Vorderseite nicht zerschneiden, ohne zugleich die Rückseite zu zerschneiden; ebenso könnte man in der Sprache weder den Laut vom Gedanken noch den Gedanken vom Laut trennen; oder es gelänge wenigstens nur durch eine Abstraktion, die dazu führte, entweder reine Psychologie oder reine Phonetik zu treiben.“ (ibid. 134). 6 Der konkrete Referent, der durch das Zeichen versprachlicht werden kann (das Haus meiner Eltern, das rote Haus, das Haus am Ende der Straße), ist dabei nicht Teil der Zei‐ chenrelationen, sondern wird erst durch die entsprechenden kommunikativen Hand‐ lungen adressiert. 7 Diese Beobachtung gilt selbst für die lautmalerischen Onomatopoetika, was sich daran ablesen lässt, dass dieselben Laute in verschiedenen Sprachen unterschiedlich ver‐ sprachlicht werden: z. B. dt. kuck-kuck, sp. cucú, engl. cookoo. Noch deutlicher sind die Unterschiede bei der Versprachlichung von Geräuschen: dt. knarzen, sp. crujir, engl. groan. notwendigen Produktions- und Perzeptionsprozesse. Wie jedoch sind die sprachlichen Zeichen aufgebaut? Abb. 1 Das Sprachzeichen nach Saussure (Bally / Sechehaye 3 2001: 136) Sprachliche Zeichen umfassen stets ein bezeichnendes (frz. signifiant) und ein bezeichnetes (frz. signifié) Element. 5 Diese Elemente sind - wie am Beispiel Haus gezeigt - wechselseitig miteinander verbunden. Das Bezeichnende <Haus>/ [ˈhau̯s] ruft das Bezeichnete Haus auf und umgekehrt. Die Zuordnung zwischen Ausdruck und Inhalt entsteht qua conventione aus der sprachlich-sozialen In‐ teraktion der Sprecher und muss im Zuge des Spracherwerbs gelernt werden. Ohne die instruierte Verknüpfung von Form und Inhalt bliebe <Haus>/ [ˈhau̯s] im Deutschen ebenso bedeutungslos wie <Knirfel> oder [ˈgɛlf]. Erst die Ver‐ knüpfung von Zeichenform und Zeicheninhalt verleiht sprachlichen Ausdrü‐ cken ihren Gehalt. 6 Diese ist arbiträrer Natur: Es gibt keinen in der Sprache angelegten Grund, warum ein Zeicheninhalt durch einen bestimmten Zeichen‐ ausdruck (und nicht durch einen anderen) repräsentiert sein sollte. 7 Dies wird durch einen Blick in die Versprachlichung derselben Konzepte in verschiedenen 20 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="21"?> 8 Ebenso können sprachliche Werte unterschiedlichen (konventionalisierten) Verwen‐ dungsrestriktionen unterliegen und sich dadurch unterscheiden: als Beispiel führt de Saussure die Wörter engl. sheep und frz. mouton an. Es handelt sich um zwei sprachliche Zeichen, deren Ausdruck <sheep> oder <mouton> mit dem Inhalt, also der Bedeutung ˈSchafˈ verknüpft ist. Jedoch kommt den beiden Zeichen ein unterschiedlicher Wert im jeweiligen Sprachsystem zu, da mouton sowohl auf das (lebendige) Tier als auch auf das Fleisch im Sinne einer zubereiteten Speise verweisen kann. Im Englischen ist dies nicht der Fall, dort kann sheep lediglich auf das Tier verweisen, wohingegen die Speise mit mutton bezeichnet werden muss. Wenn auch Engländer und Franzosen sicherlich ähn‐ liche Ideen von Schafen und von zubereitetem Lammfleisch haben, so versprachlichen sie diese doch auf unterschiedliche Art und Weise. Sprachsystemen leicht verständlich. So wird Haus im Spanischen durch <casa> bzw. [ˈkasa], im Französischen durch <maison> bzw. [ˈmɛzɔ̃] aktualisiert etc., ohne dass es dadurch in einer der Sprachen zu Verständigungsproblemen käme. Es haben sich schlicht unterschiedliche Bezeichnungen herausgebildet, die in den Konventionen der Sprachgemeinschaft verankert sind. Der bisherigen Darstellung folgend wäre die langue eine Ansammlung ver‐ schiedener Sprachzeichen, allerdings noch kein Sprachsystem. Die Systematik beruht auf der geordneten Relation der systeminhärenten Elemente, die durch Ähnlichkeits- und Verschiedenheitsbeziehungen begründet ist. Anders gesagt: Erst durch die gegenseitige Verknüpfung der sprachlichen Zeichen entsteht aus isolierten Sprachzeichen ein Sprachsystem. Um diesen Unterschied zu verdeut‐ lichen, führt de Saussure die ʻsprachlichen Werteʼ ein (cf. Bally / Sechehaye 3 2001: 132-146), die sich am besten anhand eines konkreten Sprachzeichens erklären lassen. So vermittelt <Haus> bzw. [ˈhau̯s] im Deutschen zwar die Bedeutung ʻHausʼ und evoziert dadurch die ʻIdee eines Hausesʼ (in abendländischer Prägung etwa: Von Menschenhand geschaffenes, i. d. R. rechteckiges Gebäude mit vier Wänden und einem Dach), allerdings ist dies lediglich ein Teil der übermittelten Information. Dadurch, dass Haus mit anderen Sprachzeichen verbunden ist, im‐ pliziert die Verwendung des Zeichens gleichzeitig auch eine paradigmatische Auswahl aus einer gegebenen Menge anderer mit diesem Zeichen verbundener systemischer Elemente. So ist Haus über Ähnlichkeits- und Verschiedenheits‐ relationen seiner Bedeutungskomponenten etwa mit Begriffen wie Schloss, Hütte, Baracke, Iglu, Zelt etc. verbunden. In diesem Sinne vermittelt das Haus meiner Eltern neben seiner Grundbedeutung auch, dass es sich bei der Bleibe der Eltern nicht etwa um eine Hütte, ein Schloss oder ein Zelt handelt. 8 Der sprach‐ liche Wert vermittelt in diesem Sinne stets mehr als das sprachliche Zeichen; mehr als die reine Verbindung von Ausdruck und Inhalt. Daraus folgt auch, dass das geordnete relationale Zeichensystem der menschlichen Sprache mehr um‐ 21 2.1 Das Zeichensystem de Saussures als Grundlage sprachlicher Variation <?page no="22"?> 9 Eine Überlegung, die keinesfalls neu ist, sondern bis in die Antike zurückreicht: „Was aber so aus etwas zusammengesetzt ist, daß das Ganze eins ist, aber nicht so wie ein Haufe, sondern wie eine Silbe, hat als Ganzes ein eigenes Sein. Denn die Silbe ist nicht die Buchstaben und ba nicht dasselbe wie b und a […]“ (Aristoteles / Rolfes ( 2 1920: 165). 10 Zur Prager Schule gehören auch weitere namhafte Philologen wie Bohuslav Hav‐ ránek, Bohumil Trnka und Roman O. Jakobson. Es handelt sich um einen Kreis von Linguisten, die allesamt die neuen Erkenntnisse de Saussures nutzbar gemacht haben, um Sprache aus funktional-struktureller Hinsicht genauer zu beschreiben. Obwohl sich viele ihrer Mitglieder mit Fragen der Phonologie auseinandergesetzt haben, wird Tru‐ betzkoy zumeist als Gründer dieser Disziplin angesehen. fasst als die Summe seiner Teile. 9 Saussure verdichtet diese Erkenntnis zu dem bekannten Ausspruch: „Sprache ist eine Form und nicht eine Substanz“ (Bally / Sechehaye 3 2001: 146), wobei sich Sprache hier auf das Sprachsystem, die langue, bezieht. Diese ist ein „Ganzes in sich, […] ein Prinzip der Klassifikation“ und „die Norm aller anderen Äußerungen der menschlichen Rede“ (Bally / Se‐ chehaye 3 2001: 11). 2.2 Funktionale Variablen - Das phonologische System N. S. Trubetzkoys Die Ausführungen de Saussures verdeutlichen, wie Elemente der konkreten sprachlichen Rede mit dem abstrakten System verknüpft sind. Sie sind Ausdruck sprachlicher Zeichen und evozieren einen Zeicheninhalt. Diese Verbindung wird bei de Saussure insbesondere für den Bereich der Lexik offenbar. Hinsicht‐ lich der lautlichen Seite der Sprache wird die Idee des zeichenhaften Sprach‐ systems - trotz eines eigenständigen Phonetik-Kapitels im Cours de linguistique générale - jedoch nicht in letzter Konsequenz umgesetzt. Dies kritisiert auch Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy ( * 1890, † 1938), ein Zeitgenosse de Saussures: „Ferdinand de Saussure, der die Wichtigkeit des Unterschiedes zwischen Sprachge‐ bilde und Sprechakt erkannt und deutlich formuliert hat, erkannte auch das, wie er sich ausdrückte, unmaterielle Wesen des Bezeichnenden der Sprachgebilde. Trotzdem hat auch er die Notwendigkeit der Unterscheidung einer Sprechaktlautlehre von einer Sprachgebildelautlehre nicht ausdrücklich verlangt.“ (Trubetzkoy 3 1958: 8) Trubetzkoy fordert auch für die lautliche Ebene der Sprache eine konsequente Trennung zwischen der konkreten Lautung in einzelnen Sprechakten und dem abstrakten System der Sprachlaute. Die konsequente Etablierung der Spachge‐ bildelautlehre nimmt das Mitglied der Prager Schule in seinem posthum erschie‐ nenen Hauptwerk Grundzüge der Phonologie selbst vor. 10 Grundlegend für dieses 22 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="23"?> 11 Der Begriff Phonologie wurde bereits zuvor in verschiedenen Ansätzen gebraucht, al‐ lerdings hat erst Trubetzkoy diejenige Konzeption der Phonologie geprägt, wie sie auch heute noch weit verbreitet ist (cf. Vachek 1966: 40-41). 12 Der Terminus Phonem war zur Zeit Trubetzkoys bereits etabliert. Erstmals wurde er 1873 von Antoni Dufriche-Desgenettes verwendet, um lautliche Einheiten zu be‐ schreiben, die üblicherweise in einer gegebenen Sprache erscheinen (cf. Joseph 2018: 6). Es war somit als das lautliche Gegenstück zu den Buchstaben auf Schriftebene kon‐ zipiert (ibid.). Auch de Saussure verwendet den Begriff und zwar als die „Summe der akustischen Eindrücke und der Artikulationsbewegungen, der gehörten Einheit und der gesprochenen Einheit, wobei eine [sic] die andere bedingt […]“ (Bally / Sechehaye 3 2001: 46). In diesem Sinne ist das Phonem bereits als abstrakte Einheit angelegt, deren Funktion im Sprachsystem allerdings nicht konsequent im Sinne der - erst später im Cours de linguistique générale etablierten - Zeichentheorie ausdifferenziert wird. Als bedeutungsunterscheidendes Systemelement wurde das Phonem erstmals von Bau‐ douin de Courtenay und Mikołai Krusezewski gedacht (cf. Joseph 2018: 7). Trubetzkoy greift diese Phonemdefinition (allerdings unter direkter Referenz auf Leonard Bloom‐ field) wieder auf, um das Konzept als essenziellen Bestandteil in das phonologische System zu integrieren. 13 Zwei Wörter, die sich lediglich durch einen Laut voneinander unterscheiden können als Minimalpaar bezeichnet werden. Vorhaben sind die nicht trivial zu beantwortenden Fragen: Was bezeichnet ein Laut als Teil eines Sprachzeichens? Und: Wie sind lautliche Zeichen im funkti‐ onalen Sprachsystem angelegt? Diese Fragen stoßen das Tor zu einem For‐ schungsbereich der Sprachwissenschaften auf, an dessen Etablierung Tru‐ betzkoy großen Anteil hat: der Phonologie. 11 Neben den abstrakten Sprachzeichen im Sinne de Saussures wird dafür insbesondere das Konzept der Variable nutzbar gemacht. Über die phonologischen Variablen, die Phoneme, kann erklärt werden, wie formverschiedene, aber (aus systematischer Sicht) funktionsgleiche lautliche Sprachzeichen im System organisiert sind. 12 Phoneme sind abstrakte, vom konkreten Schallereignis losgelöste lautliche Einheiten, die allein über ihre funktionale Stellung im Sprachsystem be‐ schrieben werden können. Sie fungieren als kleinste bedeutungsunterschei‐ dende Elemente der Sprache (Trubetzkoy 3 1958: 36), da sie durch paradigmati‐ sche Substitution in Kontexten maximaler (lautlicher) Ähnlichkeit Bedeutungen verändern können. Etwa im Falle des spanischen Wortpaars van (ʻsie gehenʼ) und pan (ʻBrotʼ), die sich lediglich durch die anlautenden Plosive unterscheiden: [ˈban] : [ˈpan]. 13 Während im Wort pan der bilabiale stimmlose Okklusiv [p] in erster Position der Lautkette steht, erscheint in van an derselben Stelle der ebenfalls bilabiale, aber stimmhafte Obstruent [b]. Da die folgenden Laute [a] und [n] in beiden Wörtern gleichermaßen erscheinen, wird die Bedeutungsun‐ terscheidung durch den phonematischen Kontrast im Anlaut gesichert. Ver‐ tauscht man nun einen der beiden Plosive durch den jeweils anderen, verändert 23 2.2 Funktionale Variablen - Das phonologische System N. S. Trubetzkoys <?page no="24"?> 14 Dies macht ihre Vergleichsgrundlage aus, ohne die es Trubetzkoy zufolge weder Ge‐ meinsamkeiten noch Gegensätze geben kann (cf. Trubetzkoy 3 1958: 60). 15 Die früher gängige Unterscheidung zwischen einfachen und multiplen Vibranten (sp. vibrante simple vs. vibrante múltiple) gilt inzwischen als überholt, da eine Vibration immer ein iteratives Momentum besitzt und demnach niemals aus einem einfachen Zungenanschlag bestehen kann (cf. RAE / ASALE 2011b: § 6.8c). 16 Zwischen Tap und Trill besteht tatsächlich ein qualitativer Unterschied der Artikula‐ tionsart und kein rein quantitativer Unterschied der Artikulationsdauer, da, wie John Catford dies beschreibt, der Tap eher eine „ballistic flick or hit-and-run gesture“ sei, wohingegen der Trill eine „maintained and prolongable posture [and] the vibrations that occur in a trill are aerodynamically imposed on the posture“ darstelle (ibid.: 30). Die Vibration kann durch den sogenannten Bernoulli-Effekt erklärt werden (cf. Catford 1977: 32-33): Das ‘Flattern’ beweglicher Artikulatoren (Zungenspitze, Uvula, Stimm‐ bänder) kann darüber auf Divergenzen des Drucks im Luftstrom zurückgeführt werden. Durch die Annäherung eines Artikulators an einen starren Artikulationsort entsteht eine Engstelle im Vokaltrakt bzw. im Kehlkopf. Passiert nun die ausströmende Atemluft sich somit nicht nur die Gestalt der Lautkette, sondern gleichzeitig die gesamte Wortbedeutung. Aus ʻsie gehenʼ wird ʻBrotʼ und umgekehrt. Somit sind die Laute [p] und [b] im Spanischen dazu geeignet, Bedeutungen zu unterscheiden und können aufgrund dieser Funktion als Phoneme der spanischen Sprache identi‐ fiziert werden. Genauer gesagt lässt sich auf Basis dieser konkreten Beobach‐ tung die Existenz der abstrakten Phoneme / p/ und / b/ deduktiv ableiten, da Phoneme als abstrakte Systemelemente nicht selbst in der konkreten Rede er‐ scheinen können. Sie werden durch (in diesem Fall) die Laute [p] und [b] rea‐ lisiert, und ihre distinktive Funktion in der konkreten Redesituation aktualisiert. Die Laute wiederum kontrastieren über sie charakterisierende artikulato‐ risch-akustische Charakteristika. Sind die Merkmale dazu geeignet, einen pho‐ nematischen Kontrast herzustellen, so können sie als distinktive Merkmale be‐ zeichnet werden. Für das Konsonantensystem des Spanischen sind etwa die Artikulationsart (Plosiv, Frikativ, Nasal etc.), der Artikulationsort (bilabial, la‐ biodental etc.) oder die Stimmbeteiligung (stimmhaft oder stimmlos) potenziell distinktive Merkmale. Im obigen Beispiel - pan : van - teilen [p] und [b] etwa denselben Artikulationsort sowie dieselbe Artikulationsart, 14 unterscheiden sich aber hinsichtlich ihrer Stimmbeteiligung. Im Minimalpaar carro ʻWagenʼ und caro ʻteuerʼ, realisiert als [ˈkaro] und [ˈkaɾo], teilen die Laute [r] und [ɾ] ebenfalls dieselbe Artikulationsstelle (apiko-alveolar) und das Merkmal der Stimmhaf‐ tigkeit, divergieren jedoch hinsichtlich ihrer Artikulationsart: während der Tap-Laut [ɾ] durch einen einzelnen Zungenanschlag an den Zahndämmen ge‐ bildet wird, besteht der Trill-Laut [r] aus einer iterativen Abfolge mehrerer Zungenanschläge ( RAE / ASALE 2011b: § 6.8c). 15 Hier kommt demnach der Ar‐ tikulationsart (Tap vs. Trill) distinktive Qualität zu. 16 24 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="25"?> diese Passage - im Falle von [r] die Engstelle zwischen Zungenspitze und Zahn‐ dämmen -, werden die Luftmoleküle beschleunigt. Diese relativ erhöhte Geschwindig‐ keit erzeugt einen Unterdruck (Bernoulli-Effekt), der die beweglichen Artikulatoren an den unbeweglichen Teil der Stelle ansaugt. Der dadurch entstehende Verschluss staut den nachfolgenden Luftstrom auf, wodurch der Luftdruck wieder ansteigt, bis der Ar‐ tikulator in die entgegengesetzte Richtung bewegt wird. Damit der Effekt eintreten kann, müssen die Artikulatoren ausreichend flexibel sein. Beispielsweise können durch Muskelkontraktion ausgeübte entgegengesetzte Kräfte den Effekt abschwächen oder verhindern. 17 Trubetzkoy (cf. ³1958: 35-36) selbst führt ein formales Argument an. Dadurch, dass gezeigt werden konnte, dass Phoneme lediglich hinsichtlich ihrer phonologisch rele‐ vanten Merkmale kontrastieren und nur diese Merkmale ihren phonologischen Gehalt ausmachen, können Phoneme keine konkreten Sprachlaute sein, da letztere stets mehr als nur distinktive Merkmale enthalten. Dabei kann den konkreten Sprachlauten - trotz der Vermittlung distinktiver Merkmale - nicht selbst die bedeutungsunterscheidende, distinktive Kraft zu‐ kommen. Diese muss auf abstrakter Ebene angelegt sein, da die Sprachlaute (Phone) durch Artikulationsprozesse gebildete, komplexe Schallwellen sind, die lediglich über eine gewisse Zeit und eine bestimmte Distanz hinweg physika‐ lisch mess- und akustisch wahrnehmbar sind. Danach ist der konkrete Laut verklungen, nicht aber die distinktive Funktion, die durch diesen transportiert wurde: Substitutionsexperimente beweisen, dass diese Funktion beliebig oft und mit unterschiedlichen Minimalpaarkonstellationen aktualisiert werden kann, ohne dass dabei dieselben Phone artikuliert würden. Tatsächlich besteht sogar eine relative große Variationstoleranz hinsichtlich der konkreten phonetischen Phonemrealisierung. Die Funktion der Phoneme kann selbst dann noch vermit‐ telt werden, wenn die kontrastierenden Laute Merkmalsmodifikationen er‐ fahren. Beispielsweise kann [p] in pan auch durch den behauchten stimmlosen Plosiv [p h ] ersetzt werden, ohne dass dadurch die Bedeutungsvermittlung be‐ hindert würde ([ˈpan] ʻBrotʼ > [ˈp h an] ʻBrotʼ). Der stimmlose Frikativ / s/ wird insbesondere in intervokalischer Position und in schneller Rede relativ häufig (partiell) sonorisiert ([s], [s̬], [z]) und dennoch problemlos als Repräsentant des stimmlosen Sibilanten / s/ erkannt. Dass unterschiedliche Laute dazu geeignet sind, dieselbe distinktive Funktion zu aktualisieren, ist ein Indiz dafür, dass diese Funktion auf abstrakter Ebene angelegt sein muss und im Konkreten abgerufen wird. Ein weiteres Indiz dafür, dass die distinktive Kraft den abstrakten Pho‐ nemen zukommen muss, ist, dass die Distinktion auch in imaginierter Rede funktioniert, also wenn man sich die Realisierung der Laute lediglich vorstellt, ohne jedoch akustisch messbare Schallwellen zu realisieren oder zu perzipieren. In diesem Fall greift man kognitiv auf das abstrakte lautliche System zu, ohne es in der konkreten Rede zu artikulieren. 17 25 2.2 Funktionale Variablen - Das phonologische System N. S. Trubetzkoys <?page no="26"?> 18 Cf. auch dt. Ross [ˈros] : [ˈʀos] und dt. Ware [va: ʀə] : [va: rə]. Die Phone fungieren demnach als Phonemrepräsentanten, die die abstrakten Systemelemente in der konkreten Rede realisieren und deren distinktive Funk‐ tion im Konkreten aktualisieren. Können sie in Minimalpaaren erscheinen und somit in distinktiver Opposition zueinanderstehen, erhalten die den Kontrast konstituierenden lautlichen Merkmale phonologische Relevanz. Allerdings gibt es in jeder Sprache eine ganze Reihe phonetischer Oppositionen, die aus pho‐ nematischer Sicht als irrelevant gelten können. Trubetzkoy selbst führt als Bei‐ spiel das Zungen- und Zäpfchen-r im Deutschen an: So unterscheiden sich die Lautketten [ˈrot h ] und [ˈʀot h ] zwar nur durch ein einzelnes Phon, da aber die gegenseitige Substitution von [r] durch [ʀ] weder hier noch in irgendeinem anderen Kontext zu einer Bedeutungsveränderung führt, kommt der Opposition [r]: [ʀ] keinerlei phonologische Relevanz zu (Trubetzkoy 3 1958: 31). 18 Allerdings können beide Laute durchaus in distinktiver Opposition zu anderen Lauten stehen. Beispielsweise im Minimalpaar Lot : rot: Sowohl [r] als auch [ʀ] sind dazu geeignet, die angezeigte Bedeutungsveränderung durch die Substitution des Lautes [l] hervorzurufen. Entscheidend ist, dass beide Laute die Bedeutung auf dieselbe Art und Weise verändern. Sie sind demnach nicht Vertreter ver‐ schiedener Phoneme, sondern Stellvertreter ein und desselben Phonems / ʀ/ . Diese koexistierenden Phonemrepräsentanten können als Varianten oder Al‐ lophone bezeichnet werden. Die Phoneme sind demnach sprachliche Variablen, denen (potenziell) verschiedene Realisierungsvarianten zugeordnet werden können. Ulrich Ammon unterscheidet in seiner Beschreibung des Deutschen mit den Konstanten oder Invarianten noch eine weitere Kategorie abstrakter Systemelemente. Unter diesem Begriff werden sprachliche Elemente beschrieben, die keine Auswahl aus unterschiedlichen Varianten zulassen und - in diesem Sinne statisch - lediglich auf eine Art und Weise realisiert werden können (Ammon 1995: 66). Die Konstante ist bei Ammon also das konzeptionelle Gegenstück zur Variable. Allerdings stützen sich dessen Überlegungen insbesondere auf den Bereich der Lexik. Dort mag es zwar eine Reihe von synchronisch invarianten Lexemen geben, allerdings suggeriert der Begriff gleichzeitig auch prospektive Invarianz, die im dynamischen System lebendiger Sprachen in dieser Form nicht existiert. Im Kern ist jedes sprachliche Systemelement aufgrund seiner Zeichen‐ haftigkeit potenziell variabel, selbst wenn es synchronisch nur durch eine ein‐ zige Variante realisiert wird. Für den Bereich der Phonetik / Phonologie ist der Terminus der Konstante ohnehin schlecht geeignet, da die Konzepte Allophone und Realisierungsvarianten Vereinfachungen darstellen. Wie angedeutet, ge‐ 26 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="27"?> 19 In manchen Varietäten koexistieren zudem auch unterschiedliche allophone Realisie‐ rungsvarianten, die sich artikulatorisch, akustisch und perzeptiv deutlich vom Trill un‐ terscheiden und somit als eigenständige Laute wahrgenommen werden. So etwa in Santiago del Estero (Argentinien), wo / r/ häufig als stimmhafter oder stimmloser alveo-palataler Frikativ [ʑ] bzw. [ɕ] realisiert wird. (cf. Kapitel 7.3). stehen sie einen phonetischen Artikulationsspielraum zu und umfassen somit streng genommen niemals nur einen einzigen Sprachlaut. Spricht man also von der Variante oder dem Allophon eines Phonems, so referiert man in Wahrheit auf eine Menge unterschiedlicher Laute, die als verwandte Realisierungsmög‐ lichkeiten auf einem Kontinuum gedacht werden können und von den Spre‐ chern als Spielarten einer Variante erkannt werden. Die lautliche Varianz hängt auf der einen Seite mit anatomisch-artikulatorischen Parametern (Länge der Stimmbänder, Prinzip der Ko-Artikulation von Lauten etc.) zusammen. Auf der anderen Seite ist es aber auch selbst geschulten Sprechern bei maximaler Auf‐ merksamkeit nicht möglich, Sprachlaute iterativ auf exakt dieselbe Art und Weise zu reproduzieren. Im Falle des apiko-alveolaren Trills [r] (z. B. sp. [ˈkaro]), der durch den wiederholten Anschlag der Zungenspitze an die Zahndämme ar‐ tikuliert wird, koexistieren unterschiedliche Artikulationsweisen, die jedoch al‐ lesamt mit derselben Realisierungsvariante, dem Trill [r], identifiziert werden. So lässt sich anhand akustischer Analysen oder mittels Ultraschall (Ri‐ vera-Campos / Boyce 2013, Rivera-Campos 2016) nachweisen, dass der Trill-Laut [r] artikulatorisch keinesfalls invariabel ist oder konstant auf dieselbe Art und Weise realisiert wird. Beispielsweise kann die Variation in einer unter‐ schiedlichen Artikulationsdauer, respektive einer unterschiedlichen Anzahl an Zungenanschlägen bestehen. Diese müssen zudem nicht in jedem Fall zu einem tatsächlichen Kontakt des Apex mit den Alveolen führen, sondern können auch approximantischer Natur sein (c. f. Rivera-Campos 2016: 69). 19 Von Invarianz kann demnach keine Rede sein. Dennoch werden all diese Artikulationsweisen in Bezug auf das Spanische als Realisierungen ein und desselben Allophons wahrgenommen (Rivera-Campos / Boyce 2013). Das Allophon fungiert somit als abstrakte Einheit an der Schnittstelle zwischen Phonetik und Phonologie bzw. zwischen konkreter Rede und abstraktem Sprachsystem. Selbst wenn also Pho‐ neme in synchronischer Betrachtung durch lediglich ein Allophon aktualisiert werden, ist es aus den genannten Gründen auch in diesen Fällen sinnvoll von Variablen und Varianten zu sprechen, da das Konzept der Konstante den Blick auf die tatsächlich vorherrschende lautliche Varianz und perzeptive Variations‐ toleranz verklärt. In derartigen Fällen ergibt es mehr Sinn, diese Konstellation als monoelementare Besetzung potenziell polyelementarer Variablen zu ver‐ stehen, als das Phonem als Konstante zu deklarieren. 27 2.2 Funktionale Variablen - Das phonologische System N. S. Trubetzkoys <?page no="28"?> 20 Es sei an dieser Stelle jedoch bereits vorweggenommen, dass das funktionale System trotz aller Vorzüge nicht dazu geeignet ist, alle Parameter sprachlicher Variation zu erfassen. Strukturalistische Theorien haben den großen Vorteil systematischer Kom‐ paktheit: Auf Basis einer begrenzten Anzahl abstrakter Systemelemente, die funktional relevante Informationen vermitteln, ist es möglich, eine Vielzahl sprachlicher Phänomene und Prozesse allgemein zu erklären. Im phonologi‐ schen System wird dies durch die Prinzipien der Kontrastivität und Rekombi‐ nierbarkeit der Phoneme erreicht. Dort sind lediglich diejenigen Elemente, die funktional kontrastieren und diejenigen lautlichen Merkmale, die den phono‐ logischen Kontrast konstituieren, hinterlegt. Als Elemente größerer Lautketten können Phoneme die Ausdrucksseite sprachlicher Zeichen besetzen. Die Ket‐ tenglieder können dabei auf verschiedenste Weise rekombiniert werden, so dass aus einer endlichen Menge sprachlicher Elemente eine prinzipiell unendliche Menge sprachlicher Zeichen gebildet werden kann. Die Möglichkeiten und Grenzen der Kombinierbarkeit können als Regeln aus dem System abgeleitet werden. Dadurch, dass Phoneme als Variablen konzipiert sind, aus denen Vari‐ anten gewählt werden können, ist - wie das folgende Beispiel der Nasalkonso‐ nanten im Spanischen zeigt - bereits ein großer Teil sprachlicher Variation er‐ klärbar. Über die Beobachtung der Regularitäten und Einschränkungen der Phonemkombination und -artikulation können Asymmetrien der Variablen- und Variantendistribution auf systematische Art und Weise erklärt werden. 20 Im Spanischen existieren drei Nasalphoneme / m, n, ɲ/ , die in Minimalpaaren wie lena [ˈlena] : lema [ˈlema] : leña [ˈleɲa] (ʻKraftʼ : ʻMottoʼ : ʻBrennholzʼ) in distinktiver Opposition zueinanderstehen. Alle drei Laute sind als nasale Kon‐ sonanten zu klassifizieren, die sich lediglich über den Artikulationsort unter‐ scheiden: so wird [n] apiko-alveolar, [m] bilabial und [ɲ] dorso-palatal realisiert. Daneben gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Nasalkonsonanten, die keine phonologischen Oppositionen eingehen können und deren Distribution sehr unterschiedlich ausfällt. So können im absoluten Anlaut drei ([m, n, ɲ]), in prä‐ konsonantischer Silbencoda sieben ([m, ɱ, n̪, n, n j ɲ, ŋ]), in intervokalischer Position drei ([m, n, ɲ]) und im absoluten Auslaut zwei ([n, ŋ]) Nasalkonso‐ nanten erscheinen. Die beschriebene phonologische Opposition von / m, n, ɲ/ ist also nur im Wort- oder Silbenanlaut gültig, da sich nur in diesen Positionen phonologische Minimalpaare identifizieren lassen (cf. Kubarth 2009, Gabriel et. al. 2013b). In präkonsonantischer Position und im absoluten Auslaut sind diese Oppositionen aufgrund zweier unterschiedlicher Phänomene hingegen nicht zu beobachten: In präkonsonantischer Position liegt eine Neutralisierung der Nasalphoneme vor, während im absoluten Auslaut die deutlich geringere 28 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="29"?> 21 Kubarth (2009: 112) setzt als Grund für die geringere Phonemquantität im absoluten Auslaut ebenso wie für die präkonsonantische Position Neutralisierungsprozesse an. Da die im absoluten Auslaut möglichen Varianten jedoch nicht systematisch vorher‐ sagbar sind, sondern in freier Variation zueinanderstehen, erscheint es einleuchtender, eine asymmetrische Verteilung der Variablen als eine Auflösung der zugrundeliegenden Oppositionen anzunehmen. Zumal die geringere Variablenanzahl bereits beim Über‐ gang vom Vulgärlatein zum Romance zu beobachten ist (cf. Gabriel et. al. 2013b: 68). Anzahl möglicher Nasale durch eine ungleiche Verteilung der Nasalphoneme erklärt werden kann. Von den drei genannten Phonemen erscheint in äußer‐ ungsschließender Position lediglich / n/ , das i. d. R. als [n] oder [ŋ] realisiert wird. Das Erscheinen der anderen beiden Nasalphoneme ist in dieser Position syste‐ misch ausgeschlossen, was als unvollständige Verteilung oder defektive Distri‐ bution gewertet werden kann. 21 Die beiden möglichen Varianten [n] und [ŋ] stehen in freier Variation zueinander, da ihr Auftreten nicht durch den unmit‐ telbaren phonetischen Kontext bestimmt ist. Da sie zudem auch nicht in pho‐ nologischer Opposition zueinanderstehen können, ist es aus rein funktionalis‐ tischer Perspektive irrelevant, welche der beiden Varianten realisiert wird. In präkonsonantischer Position zeigt sich ein anderes Bild: Dort lässt sich der gesteigerte Variantenreichtum nicht etwa durch eine entsprechend erhöhte Quantität realisierbarer Nasalphoneme in dieser Position erklären. Ganz im Ge‐ genteil: die phonologische Opposition zwischen / m, n, ɲ/ ist an dieser Stelle vielmehr neutralisiert. Betrachtet man die in präkonsonantischer Position er‐ scheinenden nasalen Konsonanten, so zeigt sich, dass ihr Artikulationsort je‐ weils durch den Artikulationsort des auf sie folgenden Konsonanten vorher‐ sagbar ist. So erscheint vor dentalen Plosiven [t,d] ausschließlich der apiko-dentale Nasal [n̪], nicht aber etwa der bilabiale Laut [m] oder palatales [ɲ] ([ˈkan̪to], *[ˈkamto], *[ˈkaɲto]). Vor labio-dentalem Frikativ [f] kann aus‐ schließlich der labio-dentale Nasal [ɱ], nicht aber beispielsweise [n̪] oder [ŋ] stehen ([ˈeɱfasis], *[ˈen̪fasis], *[eŋfasis]), und so weiter. Daraus folgt, dass das die Nasalphoneme unterscheidende Merkmal des Artikulationsortes an dieser Stelle redundant ist, da es stets durch den Artikulationsort des Folgekonso‐ nanten bestimmt wird. Da das Sprachsystem jedoch nach möglichst großer Kompaktheit strebt und sich dessen Elemente stets über Kontrast und Opposi‐ tion definieren, können die Nasalphoneme in präkonsonantischer Silbenkoda qua definitione nicht mehr als Elemente dieses Systems interpretiert werden. Dennoch erfüllen die tatsächlich realisierten Nasallaute auch in dieser Position weiterhin die phonematische Funktion, Bedeutungen zu unterscheiden, weshalb es im phonologischen System nach wie vor ein abstraktes Element geben muss, in dem diese distinktive Funktion angelegt ist. Trubetzkoy nimmt für solche 29 2.2 Funktionale Variablen - Das phonologische System N. S. Trubetzkoys <?page no="30"?> 22 Die Konzept der Neutralisierung und des Archiphonems eignen sich dazu, Asymmetrien der Variantendistribution und - im Varietätenvergleich - Unterschiede hinsicht‐ lich des Variableninventars zu erklären. Jedoch ist insbesondere die Annahme eines Archiphonems nicht allgemein akzeptiert. So verstehen beispielsweise Quilis und Fern‐ ández ( 15 1996: 9-10) die unterschiedlichen nasalen Realisierungsvarianten in präkon‐ sonantischer Position als Aktualisierungen ein und desselben Phonems Fälle die Existenz eines Archiphonems / N/ an, in dem alle phonologisch rele‐ vanten Merkmale außer dem neutralisierten Merkmal erhalten bleiben. Im vor‐ liegenden Beispiel ist der Gehalt des Archiphonems die konsonantische Nasa‐ lität an sich (cf. Trubetzkoy 3 1958: 71). Da der Artikulationsort des Archiphonems unbestimmt bleibt, wird klar, weshalb in dieser Position mehr Realisierungsvarianten erscheinen können, als in anderen Positionen: Deren Anzahl korreliert mit der Anzahl der im Spanischen möglichen Artikulations‐ stellen für Konsonanten im Silbenanlaut. 22 Das phonematische System Trubetzkoys ist für das Verständnis von sprach‐ licher Variation von großer Bedeutung und für die vorliegende Fragestellung von großer Relevanz. Es ermöglicht, Regelmäßigkeiten intrinsisch bedingter Sprachvariation über Beobachtungen der konkreten Rede im wahrsten Sinne systematisch zu erklären. Allerdings hat das so gefasste Sprachsystem eine große Schwachstelle, die durchaus bewusst in Kauf genommen wird: Allen al‐ lophonen Varianten kommt prinzipiell derselbe Status zu. Jede Variante ist funktional gleichermaßen dazu geeignet, die distinktive Kraft des Phonems in der konkreten Rede zu aktualisieren. Dennoch wird auch in alltäglichen Situa‐ tionen offenbar, dass bestimmten Varianten zusätzliche Funktionen zukommen, etwa wenn sie als charakteristisch für bestimmte Sprechergruppen gelten können oder konventionalisierten Gebrauchsmustern (z. B. im Hinblick ange‐ messener Sprachverwendung) unterliegen. Dieser Unterschied war auch Tru‐ betzkoy bewusst, der dies in den Grundzüge[n] der Phonologie zwar am Rande erwähnt, allerdings offenbar für das gewähnte ʻgrößere Gutʼ des konsistent kon‐ zipierten phonologischen Sprachsystems nicht weiterverfolgt, sondern die Be‐ obachtung den Forschern der sogenannten Kundgabestilistik zur weiteren Un‐ tersuchung nahegelegt: „Bei vielen Völkern unterscheidet sich die Aussprache, die man im öffentlichen Reden verwendet, sehr stark von jener, die man in normalen Gesprächen gebraucht. […] Alle phonologischen Kundgabemittel, die in einer Sprachgemeinschaft zur Kennzeichnung einer bestimmten Sprechergruppe dienen, bilden ein System, und ihre Gesamtheit darf als der Kundgabestil der betreffenden Sprechergruppe bezeichnet werden. Ein Spre‐ cher braucht nicht immer denselben Kundgabestil zu verwenden, sondern bedient sich bald des einen, bald des anderen, je nach dem Inhalt des Gesprächs, nach dem Cha‐ 30 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="31"?> rakter des Hörers, kurz gemäß den in der betreffenden Sprachgemeinschaft herrsch‐ enden Gepflogenheiten.“ (Trubetzkoy 3 1958: 23) Insbesondere die sogenannten fakultativen Varianten lassen eine große Spann‐ breite von Variation zu, die nicht aus dem Sprachsystem heraus erklärt werden kann, sondern außersprachlich motiviert ist. In Bezug auf die Sprachnorm werden allgemeingültige von individuellen fakultativen Varianten unterschieden, wobei als allgemeingültig all jene Varianten gelten, die in der gesamten Sprach‐ gemeinschaft verbreitet sind und nicht als Sprachfehler wahrgenommen werden. Individuelle Varianten hingegen weisen eine eingeschränkte Verbrei‐ tung auf und können beispielsweise hinsichtlich ihrer regionalen oder sozialen Verortung unterschieden werden, wobei stets nur einer der individuellen Vari‐ anten normative Gültigkeit zukommen könne (cf. Trubetzkoy 3 1958: 42). Wei‐ terhin wird die Koexistenz mehrerer allgemeingültiger Varianten angenommen, deren tatsächlicher Gebrauch von Idiosynkrasien, also vom individuellen Gusto der Sprecher abhängt (cf. Trubetzkoy 3 1958: 42-43). Trubetzkoy unterscheidet die fakultativen Varianten sodann hinsichtlich ihrer stilistischen Funktion: Sie können stilistisch relevant oder stilistisch irrele‐ vant sein. Sind sie stilistisch relevant, sind sie dazu geeignet, verschiedene Sprachstile voneinander zu unterscheiden. Dies schließt explizit auch sozial be‐ dingte Unterschiede im Variantengebrauch mit ein, die beispielsweise Rück‐ schlüsse auf „den Grad der Bildung bezw. [sic] die soziale Zugehörigkeit des Sprechers“ zulassen (Trubetzkoy 3 1958: 43). Allerdings - und auch hier zeigt sich das Primat der Systemkonsistenz - spielt es aus rein funktional-strukturalisti‐ scher Sicht keine Rolle, „[o]b nun der Gegensatz zwischen zwei Lauten irgend‐ eine andere Funktion (Kundgabefunktion oder Appellfunktion) besitzt oder nicht - darüber hat nicht die Phonologie im engeren Sinne, sondern die Laut‐ stilistik zu urteilen“ (Trubetzkoy 3 1958: 43). Die stilistischen Varianten sind für Trubetzkoy lediglich interessante Besonderheiten, die aus systematischer Sicht als irrelevant zu gelten haben, selbst wenn ihnen aufgrund ihrer erweiterten Funktionalität ein gewisser Sonderstatus nicht abgesprochen werden kann. Das phonologische System Trubetzkoys bildet bis heute das Fundament um‐ fassender Beschreibungen sprachlicher Variation. Es erklärt einige grundsätz‐ liche Prinzipien wie etwa die Relation von Variablen und Varianten und die paradigmatisch-oppositionelle Grundstruktur des Sprachsystems. Neben inner‐ sprachlich verorteten Variationsparametern werden in der Abhandlung über die Grundzüge der Phonologie noch eine Reihe weiterer variationsbedingender Fak‐ toren benannt, die jedoch aufgrund der eng gesteckten Konzeption Trubetzkoys nicht argumentativ integriert, sondern anderen Forschungstraditionen über‐ lassen werden. Somit ist das Sprachsystem Trubetzkoys aus variations- und va‐ 31 2.2 Funktionale Variablen - Das phonologische System N. S. Trubetzkoys <?page no="32"?> 23 Das hier zitierte Werk enthält die deutsche Übersetzung des 1952 in Montevideo er‐ schienen Aufsatzes „Sistema, norma y habla.“. 24 Große Teile der Überlegungen Coserius beruhen auf Überlegungen Karl Bühlers, ins‐ besondere auf dessen Überlegungen zu Sprechhandlungen und Sprachwerk und dem darin enthaltenen Vierfelderschema (cf. Bühler 2 1965: 48-69). rietätenlinguistischer Sicht und damit auch für die hier avisierte Fragestellung zwar elementar, aber ergänzungsbedürftig. Es erfasst zwar die grundlegenden Prozesse lautlicher Variation auf Systemebene, behandelt aber die kommunika‐ tive Anwendung des Systems und damit zusammenhängende Variationspara‐ meter lediglich am Rande. Für die vorliegende Untersuchung sind jedoch beide Aspekte von besonderer Relevanz: In der phonetischen Analyse werden die Va‐ rianten- und Variablenkonstellationen dreier verschiedener Varietäten des Spa‐ nisch in Argentinien beleuchtet und, über die Korrelation mit Ergebnissen der perzeptiven Analyse untersucht, ob verschiedenen Varianten unterschiedliche Funktionen oder Konnotationen innerhalb der Sprachgemeinschaft zukommen. Hierzu ist das Verständnis des phonologischen Systems zwar essenziell, aller‐ dings muss dieses - wie die folgenden Kapitel zeigen - um weitere Aspekte ergänzt werden. 2.3 Normale Varianten im Sinne E. Coserius Auf eine Problematik des strikt funktional-strukturalistischen Ansatzes, näm‐ liche die Statusdifferenz konkurrierender Varianten, hat der rumänische Philo‐ loge Eugenio Coseriu ( * 1921, † 2002) hingewiesen (Coseriu 1975: 11-102) 23 . Unter expliziter Bezugnahme auf die Überlegungen de Saussures (ibid.: passim, insb. 39-56) und die Konzeption Trubetzkoys (ibid.: 58-62) schlägt Coseriu eine Er‐ weiterung der Dichotomie zwischen abstraktem Sprachsystem und konkreter Rede vor. Diese sei zwar im Kern schon in den Überlegungen de Saussures an‐ gelegt, aber nicht vollständig entwickelt worden. Die binäre Unterscheidung zwischen System und Rede sei simplifizierend, da sie eine Gleichsetzung von Konkretem und Individuellem (Rede) sowie Sozialem und Funktionalem (System) impliziere, die jedoch nicht mit der Sprachwirklichkeit übereinstimme und Aspekte des Sprachlichen ausblende: Auf der einen Seite die konkrete, aber interindividuelle Sprachebene (das Sprachwerk) und auf der anderen Seite eine individuelle, aber abstrakte Komponente, die mit der konkreten Sprachhandlung korreliert bzw. dieser vorausgeht (der Sprechakt). 24 Noch bedeutsamer aus vari‐ ationslinguistischer Sicht ist die Feststellung, dass auch das abstrakte und inte‐ rindividuell gefasste System durch dessen strikte Kopplung mit dem Funktio‐ 32 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="33"?> nalen unzureichend erfasst sei. So könnten einige interindividuell ausgehandelte Regeln oder Distributionsmuster qua definitione nicht als syste‐ matisch gelten, wenn sie - etwa im Bereich der Phonologie - keine Distinktivität aufweisen. Ebenso ließen sich nicht alle Verteilungsmuster der als systematisch definierten Elemente durch das Sprachsystem allein erklären, wie etwa im Falle der unregelmäßigen Verbalparadigmen. Diese Problematiken blieben auch de Saussure und Trubetzkoy nicht verborgen, allerdings wurden sie aus konzepti‐ onellen Überlegungen nicht in die jeweilige Systemtheorie integriert. Coseriu nimmt diese losen Fäden wieder auf und entwickelt daraus eine kohärente Er‐ weiterung des Sprachsystems. In explizitem Anschluss an Hjelmslev und Lotz (cf. Coseriu 1975: 11) zieht er zwischen System und Rede eine weitere Ebene der abstrakten Sprache ein und löst somit sowohl die alte Dichotomie als auch die damit verbundenen Inkohärenzen auf. Coseriu (1975: 11-101) unterscheidet nun zwischen System, Norm und Rede. Die Systemkonzeption Coserius deckt sich weitestgehend mit dem funktionalen Sprachsystem strukturalistischer Prägung. Es umfasst allerdings neben den funktionalen Elementen und deren Verbin‐ dungen auch alle denkbaren Rekombinationsmuster, die zwar hinsichtlich der im System hinterlegten Regeln möglich wären, aber aufgrund fehlender Kon‐ ventionalisierung keine Anwendung finden. Die Ebene der Rede umfasst alle Elemente und Phänomene der konkreten Sprachproduktion, darunter fallen auch Fehlrealisierungen, Interferenzen, Spontanbildungen etc. Die Norm Cose‐ rius definiert sich indes nicht über Funktionalität, sondern über die Sprachge‐ meinschaft, genauer: Über die innerhalb der Gemeinschaft übliche Aktualisie‐ rung des Sprachsystems. Dies lässt sich anschaulich anhand der fakultativen Phonemvarianten der Theorie Trubetzkoys erklären, die in vielen Fällen Dis‐ tributionsmuster aufweisen, die sich durch den Sprachgebrauch etabliert haben und somit als charakteristisch für diese Varietät gelten können. Durch die Ge‐ brauchspräferenzen werden die Varianten in ihrer tendenziellen Erscheinung vorhersagbar und können in diesem Sinne nicht als Instanzen freier Variation abgetan werden (cf. Labov 1964: 164). Zwei - auch von Coseriu angeführte - Merkmale des spanischen Vokalismus sind gut dazu geeignet, dies zu veran‐ schaulichen: die Vokalquantität und der Öffnungsgrad der Vokale. Beide Merk‐ male sind im Spanischen nicht an der Distinktion von Bedeutungen beteiligt und in diesem Sinne nicht phonologisch relevant. Allerdings unterliegen sie quasi-systematischen Distributionsmustern, die sich auch nicht über Phäno‐ mene der Systemstruktur - wie etwa die defektive Distribution - erklären lassen. Die kastilische Standardvarietät umfasst fünf Vokalphoneme / i, e, a, o, u/ , die hinsichtlich der relativen horizontalen und vertikalen Zungenposition im 33 2.3 Normale Varianten im Sinne E. Coserius <?page no="34"?> 25 Das phonologische Vokalsystem des Spanischen kann in verschiedenen Varietäten durchaus unterschiedliche Ausprägungen erfahren. So setzen Gabriel et. al. (2013b: 101) für das andalusische Spanisch acht, für „andenspanische[r] Varietäten“ (ibid.) le‐ diglich drei Vokalphoneme an. Mundraum kontrastieren (vorne vs. hinten bzw. hoch vs. tief). 25 Zur Realisierung der vorderen Vokale / i, e/ ist die Zunge weiter vorne im Mund positioniert als bei der Artikulation von / a/ , welches seinerseits weiter vorne artikuliert wird als die hinteren Vokale / o, u/ . Gleichzeitig ist die Zungenspitze bzw. der post‐ dorsale Zungenbereich zur Realisierung der hohen Vokale / i, u/ stärker ange‐ hoben als zur Realisierung der mittleren Vokale / e, o/ . Bei der Aussprache von / a/ ist die relative Zungenhöhe am niedrigsten, weshalb dieser auch als ʻtiefer Vokalʼ bezeichnet werden kann. Das folgende Schema aus der Nueva Gra‐ mática de la Lengua Española ( NGLE ) zeigt, dass der phonematische Gehalt für jedes der fünf Vokalphoneme anhand der binären Ausprägung der distinktiven Merkmale Zungenhöhe und Zungenposition eindeutig bestimmt werden kann: / i/ / e/ / a/ / o/ / u/ alto + - - - + bajo - - + - - retraído - - + + + Tab. 1 Das phonematische Vokalsystem des Spanischen (RAE / ASALE 2011b: § 3.2b) Die Artikulationsdauer der Vokale ist im Spanischen in der Tat als phonematisch irrelevant zu bezeichnen, da sie nicht zur Bedeutungsdistinktion beiträgt. Nichtsdestotrotz sind die gelängten Varianten [i: , e: , a: , o: , u: ] in der tatsächlichen Sprachverwendung nicht als fakultative Realisierungen der prototypischen Pen‐ dants [i, e, a, o, u] zu bezeichnen, da ihre Verteilung ein bestimmtes Muster aufweist, das ihre Realisierung (für diese Positionen) vorhersagbar macht. So werden Vokale im Auslaut üblicherweise mit einer größeren Artikulationsdauer realisiert als Vokale in anderen phonotaktischen Positionen (cf. Coseriu 1975: 64). Dass dieses Phänomen nicht durch die defektive Distribution der Vokale zu begründen ist, lässt sich dadurch belegen, dass in dieser Position durchaus auch Kurzvokale realisiert werden können. Allerdings sind die gelängten Varianten nicht Teil des (funktionalen) Sprachsystems, da sie nicht an der Etablierung phonologischer Kontraste beteiligt sind. Dieses Varianzphänomen kann somit als quasi-systematisch bezeichnet werden. Das zweite Beispiel, das Coseriu (1975: 64) anführt, der relative Öffnungsgrad der Vokale / e/ und / o/ , ist ebenfalls 34 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="35"?> 26 Für einige Varietäten Ost-Andalusiens wird den offenen vokalischen Allophonen durchaus Distinktivität und somit phonologische Relevanz zugesprochen. In dieser Re‐ gion besteht eine allgemeine Tendenz zur Schwächung von / s/ (von der Aspiration bis hin zur Elidierung), insbesondere in implosiver Position. Diese Schwächung betrifft auch das Morphem {-s} als Pluralmarker bzw. als Distinktionselement der zweiten und dritten Person in Verbalparadigmen. Die / s/ -Schwächung wird häufig von einer Modi‐ fikation der vorhergehenden Vokale begleitet, die sich in einem erhöhten Öffnungsgrad ausdrückt. Dadurch die Elision von implosiven / s/ und der systematischen Modifikation des Öffnungsgrad der Vokale können neue Minimalpaare wie lo mismo [lo mimo] : los mismos [lɔ mimɔ] entstehen, durch die die phonologische Relevanz des Öffnungsgrads der Vokale abgeleitet werden kann (cf. Penny 2000: 123). In letzter Konsequenz würde dies zu einer Erweiterung des phonematischen Vokalsystems dieser Varietäten führen. Andere Autoren (Narbona Jiménez et. al. 2003: 165-169) argumentieren hingegen, dass dieses Schlussfolgerung zu weit führe, da der Plural in der Regel nicht allein durch auslautendes / s/ vermittelt werde, sondern auch durch weitere (morpho)-syntaktische Marker. Der Öffnungsgrad der Vokale sei somit nicht allein für die Bedeutungsdistink‐ tion verantwortlich, und die Annahme eines deutlich komplexeren Vokalsystem daher sowie aus Gründen der Sprachökonomie nicht gerechtfertigt. vom phonetischen Kontext abhängig. Wie die obige Übersicht (cf. Tab. 1) ver‐ anschaulicht, sind diese hinsichtlich der vertikalen Zungenpositionierung weder als hohe noch als tiefe, sondern als mittlere Vokale einzustufen, die un‐ tereinander über die horizontale Zungenpositionierung kontrastieren. Das Va‐ rianteninventar beider Phoneme beinhaltet neben der jeweils prototypischen Realisierungsvariante [e] und [o] je eine weitere Variante, die einen größeren Öffnungsgrad des Mundes impliziert, nämlich offenes [ɛ] und [ɔ]. Wie beim zuvor angeführten Beispiel, der gesteigerten Vokallängung, können die offenen Varianten zumindest im kastilischen Standard keine distinktiven Oppositionen eingehen und sind in dieser Hinsicht somit nicht systematisch. 26 Allerdings ist auch ihr Erscheinen vorhersagbar: [ɛ] und [ɔ] werden in der Regel in geschlos‐ sener Silbe, vor und nach dem multiplen Vibranten / r/ sowie vor (aber nicht nach) dem velaren Frikativ / x/ realisiert. Im Wort beber ʻtrinkenʼ wird daher der erste Vokal aufgrund der offenen Silbenstruktur ( CV ) üblicherweise mit einem geringeren Öffnungsgrad realisiert als der Vokal der zweiten, geschlossenen Silbe ( CVC ): [beˈβɛɾ]. Dasselbe gilt für den Öffnungsgrad der Vokale im Adjektiv corto ʻkurzʼ, das in der Regel als [ˈkɔɾto] realisiert wird. In perro ʻHundʼ wird der gesteigerte Öffnungsgrad sowohl von / e/ als auch von / o/ durch den Trill-Laut [r] getriggert. In pero ʻaberʼ ist dies nicht der Fall. Dort erscheint der Tap [ɾ], der keinen gesteigerten Öffnungsgrad der Vokale impliziert, in intervokalischer Po‐ sition. Aus phonologischer Sicht kontrastieren die beiden Wörter perro und pero daher ausschließlich hinsichtlich der Realisierung des intervokalischen Konso‐ nanten, aus phonetischer Sicht hingegen auch im Hinblick auf den Öffnungs- 35 2.3 Normale Varianten im Sinne E. Coserius <?page no="36"?> 27 Da letzterer jedoch für die Bedeutungsdistinktion irrelevant ist, wird in (weiten) pho‐ netischen Transkriptionen in der Regel lediglich der Kontrast der Konsonanten wie‐ dergegeben: [ˈpeɾo] : [ˈpero]. grades der Vokale: [ˈpɛrɔ] : [ˈpeɾo]. 27 Mit Blick auf den Einfluss des velaren Fri‐ kativs auf die Vokalrealisierung können die Wörter eje und ojo als geeignete Beispiele angeführt werden: [ˈɛxe] bzw. [ˈɔxo]. Bei allen genannten Beispielen handelt es sich nicht um exklusive Realisierungsvarianten, denn die genannten Slots können ebenso gut mit den Allophonen geringeren Öffnungsgrads besetzt werden: [ˈexe] oder [ˈpero]. Der etablierte Sprachgebrauch innerhalb der Sprach‐ gemeinschaft besteht jedoch in der Verwendung der Varianten mit größerem Öffnungsgrad. Obwohl die Distribution dieses Merkmals also eine Regelmäßig‐ keit im Sinne einer üblichen oder durch die Sprachgemeinschaft präferierten Realisierungsvariante aufweist, ist die Opposition zwischen den kontrastierenden Varianten nicht Teil des funktionalen Sprachsystems. Coseriu konnte somit zeigen, dass das funktionale Sprachsystem als Teil der binären Opposition zur konkreten Rede nicht alle Aspekte sprachlicher Variation adäquat erfasst. Die Unterschiede zwischen Norm und System werden insbesondere im Be‐ reich der Phonetik / Phonologie offenbar, zeigen sich aber auch auf anderen Sprachebenen. So führt Coseriu (cf. 1975: 69) für den Bereich der Morphologie beispielhaft Sprachproduktionsfehler beim kindlichen Erstspracherwerb an; konkret bezogen auf die fehlerhafte Flexionsbildung unregelmäßiger Verben (dt. 1. Ps. Sg. Präs. ich fliege - 1. Ps. Sg. Perf. ich flog, aber nicht *ich fliegte, sp. 1. Ps. Sg. Pres. yo ando ʻich geheʼ - 1. Ps. Sg. Indef. yo anduve ʻich bin gegangenʼ, aber nicht *yo andé etc.). Die Flexionsfehler sind Coseriu folgend ein Hinweis darauf, dass das regelmäßige Verbalparadigma auch im Falle unregelmäßiger Verben durchaus im System angelegt sei, aber aufgrund konventioneller Über‐ einkunft nicht aktualisiert wird. Die hier gewählten Beispiele *fliegte und *andé sind im Hinblick auf ihre morphologische Bildung durchaus mögliche Vergan‐ genheitsformen; sie enthalten Tempus und Numerus anzeigende Morpheme, die in anderen Verbalparadigmen funktional dazu geeignet sind, die 1. Person Sin‐ gular im Imperfekt bzw. im Indefinido zu vermitteln (z. B.: {-te}, dt. ich sagte und {-é}, sp. yo hablé); sie haben sich in der Sprachgemeinschaft allerdings nicht in dieser Funktion etabliert. Vor dem Hintergrund derartiger Beobachtungen stellte Coseriu, in Anleh‐ nung an Ideen von Hjelmslev und Lotz, die Frage: „Wo aber sind nun sprachlich diese oder jene in einer Sprache normalen und konstanten, aber funktionell ‚ir‐ relevanten‘ Elemente anzusetzen, zumal sie sich nicht in das System einfügen lassen? “ (Coseriu 1975: 11). Die Antwort folgt auf dem Fuße: „Eben nirgendan‐ ders als in jener dem System vorausgehenden Abstraktion, der von uns so ge‐ 36 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="37"?> 28 „Das System ist nämlich ein Ganzes aus offenen sowie versperrten Wegen, aus verlän‐ gerbaren und nicht verlängerbaren Koordinaten.“ (Coseriu 1975: 71). 29 Das Normkonzept Coserius beschränkt sich demnach auf den üblichen Sprachgebrauch innerhalb einer Sprechergemeinschaft impliziert aber keine reziproken Erwartungs‐ konstellationen oder Korrektheitsideale. Es ist demnach nicht präskriptiv zu verstehen. Normative Präskription diskutiert Coseriu an anderer Stelle unter Zuhilfenahme der Termini corrección und ejemplaridad (cf. Kabatek 2020). 30 Coseriu selbst operiert zwar nicht mit dem Begriff der Variable, unterscheidet aber zwischen den Elementen des Systems (z. B. den Phonemen) und den zugehörigen Va‐ rianten der Norm bzw. der Rede (z. B. konkreten Lauten) (cf. Coseriu 1975: 58). nannten Norm“ (ibid.). Diese Ebene der quasi-systematischen Funktionalität wird zwischen dem funktionalen Sprachsystem und der konkreten Rede ver‐ ortet. Die Norm umfasst alle Varianten, Regeln und Konventionen, die zwar charakteristisch für die betreffende Sprache, aber nicht funktional im struktu‐ ralistischen Sinne sind. Durch das Prinzip und die Regeln der Rekombination sind dort virtuell alle Realisierungsmöglichkeiten, aber auch deren Grenzen an‐ gelegt. 28 Auf der anderen Seite umfasst die Norm alles, was in einer gegebenen Sprache als ʻüblicheʼ und ʻwohlgeformteʼ (und in diesem Sinne als ʻnormaleʼ) Sprachverwendung angesehen werden kann. Damit beinhaltet die Norm auch alle Elemente des Sprachsystems; sie umschließt es gewissermaßen. Die beiden abstrakten Ebenen Norm und System finden in der konkreten Rede ihre An‐ wendung. Neben den system- und normgerechten Realisierungen enthält die Rede zusätzlich system- und normkonträre Fehlrealisierungen, Interferenzen, Spontanbildungen etc. Entsprechend wird die Rede als die größte Dimension der Trias System, Norm und Rede konzipiert. 29 Durch diese theoretische Erwei‐ terung der Konzeption de Saussures können Phänomene sprachlicher Variation deutlich feiner hinsichtlich des ihnen zukommenden Status beschrieben und die Systematik ihrer Distributionsmuster über die Dimension der Norm erfasst werden. Allerdings bleibt auch auf diese Weise ein großer Faktor sprachlicher Variation unberücksichtigt, da auch das Variablenkonzept Coserius eine ent‐ scheidende Größe weitgehend außer Acht lässt: nämlich die Sprachbenutzer selbst. 30 Ab den 1960er Jahren begannen Forscher wie Weinrich, Labov und San‐ koff mit der systematischen Untersuchung dieser Faktoren und zeigten, dass einige Phänomene sprachlicher Variation erst durch ihre Verknüpfung mit so‐ zialen Parametern vollumfänglich beschrieben werden können. 37 2.3 Normale Varianten im Sinne E. Coserius <?page no="38"?> 2.4 Das soziolinguistische Variablenkonzept W. Labovs Das Variablen- und Variantenkonzept im Sinne der Prager Strukturalisten ist geprägt von axiomatischer Kategorienbildung, die der möglichst exakten Dar‐ stellung des Sprachsystems verpflichtet ist. Nicht-funktionale und im Sinne der Agenda ʻstörendeʼ Variationsparameter des tatsächlichen Sprachgebrauchs werden hingegen ausgeklammert (cf. Chambers 2009). Durch das Aufbrechen der binären Opposition zwischen abstraktem System und konkreter Rede löst Coseriu einen Teil der damit zusammenhängenden Probleme auf. Das Zwi‐ schenschalten der Ebene der Norm, die das in einer gegebenen Gemeinschaft übliche Sprachverhalten abbildet, ermöglicht, dass auch non- oder quasisyste‐ matische Regularitäten der Sprachverwendung in die Modellierung integriert werden können, die vom funktionalen System nicht erfasst werden. Allerdings konnte erst die in den 1960er Jahren beginnende soziolinguistische Forschung zeigen, dass die Gebrauchsebene eine deutlich feinere Gliederung aufweist, als es die konzeptuelle Trias Coserius vermuten lässt. Denn einige der Selektions‐ muster funktionieren nicht zu jeder Zeit für die gesamte Sprechergemeinschaft, sondern korrelieren mit bestimmten Kommunikationssituationen bzw. sozialen Parametern. Der entscheidende Schritt ist, den Sprachgebrauch nicht mehr ide‐ alisierend und vereinheitlichend als homogene sprachliche Ebene (Coserius Rede) zu verstehen, sondern als Konglomerat einer Vielzahl individueller und interindividueller Instanzen sprachlicher Interaktion. Erst dadurch wird der Blick frei, auf das konkrete Sprachhandeln von Einzelpersonen oder Spreche‐ rgruppen und die Frage nach dessen Motiviertheit: “AS WE [sic] approach the study of language in its social context, it seems that by the very same steps we enter the study of small differences in language behavior. For many years, the structural analysis of sound systems has enjoyed, and profited by, a kind of bold abstraction from such differences. Small differences within a system have been explained away as ‘free variation’ or ‘social variants,’ [sic] and we have con‐ centrated on the abstract organization of constant features. But to understand the dynamics of such systems, the mechanism of their evolution, and their role in com‐ munity life, it is useful to reverse this attitude.” (Labov 1964: 164) Diesem neuen Ansatz des US -amerikanischen Philologen William Labov fol‐ gend sollten linguistische Analysen unbedingt auch sozialbedingte Unter‐ schiede im Sprachgebrauch berücksichtigen. Davon ausgehend kann beispiels‐ weise untersucht werden, ob die sogenannten ʻfreien Variantenʼ tatsächlich als solche bezeichnet werden können, oder ob diese, soziale Parameter berücksich‐ tigend, vielleicht doch latente Regularitäten aufweisen und in diesem Sinne als 38 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="39"?> 31 Diese Diphthonge wurden ausgewählt, da ihnen mehrere nicht distinktive Varianten zugeordnet werden können, die aus strukturalistischer Sicht perfekte Kandidaten für freie Variation wären. Während sich unter den Einwohnern Martha’s Vineyards also ein relativ großer Variantenreichtum beobachten ließ, weisen die einzelnen Sprecher diesbezüglich eine eher geringere Variationsbreite auf. „Changes in centralization are apparently aspects of a pattern which develops over longer periods of time.” (Labov 1963: 291). 32 Mit zentralisierten Diphthongen meint Labov Varianten von / ai/ und / au/ , bei denen das erste Element des Diphthongs mit einer relativ höheren Zungenposition als [a] realisiert wird. Diejenigen Diphthonge, die [ə] als erstes Element beinhalten, weisen den höch‐ sten Zentralisierungsgrad auf (cf. Labov 1963: 280, Fußnote 18.). Die Zentralisierung wurde in unterschiedlichen lautlichen Kontexten beobachtet und - wenn sie auch durch einige Konstellationen begünstigt zu sein scheint - so unterliegt das Erscheinen der Realisierungsvarianten von / aɪ/ und / aʊ/ keinerlei phonotaktischen Regularitäten. Aus strukturalistischer Sicht müssten diese Fälle demnach als Instanzen freier Variation interpretiert werden. motiviert zu gelten haben. In mehreren empirischen Forschungsarbeiten stellten Labov et. al. fest, dass sprachliche Variation geprägt ist von strukturierter Hete‐ rogenität, die letztlich in der Sprechergemeinschaft verankert ist (Weinreich et. al. 1968: 101). So zeigte Labov über quantitative Frequenzanalysen, dass die Wahrscheinlichkeit des Erscheinens bestimmter Aussprachevarianten über ihre Korrelation mit sozialen Parametern vorhersagbar ist: beispielsweise der Grad der Zentralisierung der Diphthonge / aɪ/ und / aʊ/ auf Martha’s Vineyard (Labov 1963) in Abhängigkeit vom Alter der Sprecher und ihrer Identifikation mit der Inselgemeinschaft, oder verschiedene Realisierungen von / ɹ/ in New York City (Labov 2 2006) mit dem sozioökonomischen Status der Sprecher. In seiner Untersuchung von Sprechern aus Martha‘s Vineyard zeigte Labov, dass ältere Bewohner der Insel die Diphthonge / aɪ/ und / aʊ/ 31 zentralisierter realisierten als viele der jüngeren Insulaner (Labov 1963: 280). Während letztere eine größere Tendenz zur Realisierung von [aɪ]/ [aʊ] aufwiesen - Varianten, die zum Standard des Südosten Neuenglands gezählt werden -, konnte unter den alteingesessenen Sprechern eine Präferenz zur Realisierung von [ɐɪ]/ [ɐʊ] bzw. [əɪ]/ [əʊ] nachgewiesen werden. 32 Interessanterweise realisieren jedoch auch jüngere Sprecher die zentralisierteren Varianten, und zwar genau dann, wenn sie eine starke Bindung zur Insel aufwiesen und für ihre persönliche Zukunft den Verbleib auf dem Eiland planten. Bei einigen dieser Sprecher waren die statistische Neigung zur Realisierung der zentralisierten Varianten sowie der Grad der Zentralisierung bisweilen sogar größer als in der älteren Generation. Labov bewertet dies als Instanzen von Hyperkorrektheit, die sich durch eine gesteigerte Identifikation der Sprecher mit der Insel und damit einhergehend mit einer Präferenz für die charakteristischen Varianten erklären lässt (cf. Labov 39 2.4 Das soziolinguistische Variablenkonzept W. Labovs <?page no="40"?> 1963: 300, Labov 1972a: 30 f.). Für diese eher heimatverbundenen Sprecher sind die inseltypischen Varianten Prestigevarianten, wohingegen diese Beobachtung für jüngere Sprecher, die ihre Zukunft auf dem Festland planen und sich daher weniger mit dem Vineyard identifizieren, nicht gilt. Im Gegenteil: Für diese Gruppe bergen die inseltypischen zentralisierteren Varianten die potenzielle Gefahr, auf dem Kontinent das stigmatisierte Stereotyp des isolierten, rückstän‐ digen Insulaners zu evozieren. Die Frequenz der zentralisierten Varianten ist unter diesen Sprechern daher signifikant niedriger als unter den heimatverbun‐ denen Altersgenossen. Neben ihrer Funktion, als Allophone von / aɪ/ und / aʊ/ in der konkreten Rede Bedeutungen zu unterscheiden, erfüllen die verschiedenen Realisierungsvari‐ anten demnach gleichzeitig soziale Funktionen innerhalb der Sprachgemein‐ schaft. Sie wirken repräsentativ für bestimmte Bevölkerungsgruppen, sind in gruppendynamischer Hinsicht integrativ oder separierend, tragen Prestige oder Stigma etc. Sprachliche Variation - und dies zu erkennen ist ein Verdienst so‐ ziolinguistischer Forschungen - kann also abseits systeminhärenter Regulari‐ täten auch über die Korrelation von Mustern der Variantendistribution mit so‐ zialen Parametern erklärt werden (cf. Labov 1963: 296-298). In denjenigen Fällen, in denen sprachliche Variation über die Korrelation mit außersprachli‐ chen Parametern erklärbar ist und die Distribution der Varianten dadurch zu‐ mindest tendenziell vorhersagbar wird, ist die Annahme der freien Variation von Varianten zurückzuweisen. Wie jedoch fasst Labov das Konzept der sprachlichen Variable und inwieweit divergiert seine Herangehensweise von der der Strukturalisten? Tatsächlich kombiniert Labov für seine Untersuchungen zwei verschiedene Variablentypen, was es ihm ermöglicht, strikt sprachlich-systematische Einheiten mit außer‐ sprachlichen Beobachtungen zu korrelieren und auf diese Art und Weise zu einer synthetisierenden Beschreibung sprachlicher Variation zu gelangen. Er unter‐ scheidet eine systematische Variable (dependant oder linguistic variable) und eine außersprachlich-soziale Variable (independant variable). Die abhängigen Variablen sind abstrakte Variablen des Sprachsystems. Da Labov sowohl in seiner Arbeit zur Sprache auf Martha’s Vineyard als auch bei seiner Analyse der Stratifikation der Sprache in New York City Phänomene der Aussprache unter‐ sucht, kommt die linguistic variable auf den ersten Blick den Phonemen Tru‐ betzkoys konzeptionell recht nahe. Übereinstimmen kann sie mit diesen jedoch nicht, da die Phoneme rein über ihre Funktion im Sprachsystem als kleinste distinktive Einheiten definiert werden. Labov geht es jedoch weniger um die Bedeutungsdistinktion von Wörtern als vielmehr um das Aufdecken sozial mo‐ tivierter Distribution nicht distinktiver Varianten derselben Phoneme. Diesem 40 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="41"?> 33 Ø transkribiert die Elision von / ɹ/ . 34 Die Eingrenzung erfolgt auf Basis von insgesamt vier Kriterien: frequency, immunity from conscious suppression, (status as) unit of a larger structure, (possibility to be) quan‐ tified on a linear scale (cf. Labov 1964: 166). Geiste verschrieben dient die linguistische Variable (R) im Falle der New-York-City-Untersuchung etwa der Analyse der Realisierung des Pho‐ nems / ɹ/ im absoluten Auslaut bzw. im präkonsonantischen Kontext, beispiels‐ weise in fourth floor. Sie gibt die Korrelation der Distribution der Varianten [ɹ] und Ø 33 in präkonsonantischer und finaler Position mit verschiedenen Stile‐ benen und dem sozioökonomischen Status der Probanden wieder. Der Index ist 0, wenn alle Okkurrenzen von / ɹ/ durch die als Standard festgelegte Variante [ɹ] realisiert werden, und 100, wenn alle Okkurrenzen elidiert werden. Die phono‐ logische Variable umfasst in diesem Sinne sowohl phonetische als auch phone‐ mische Einheiten (Labov 1964: 166). Die unabhängigen Variablen beinhalten soziale Parameter wie Alter, Geschlecht, Einkommen oder Bildungsgrad. Die Definition eines eigenen Variablenkonzepts hat für die Untersuchung Labovs Praktikabilitätsgründe und bietet für die statistische Auswertung der Ergebnisse Vorteile. Auf der einen Seite erlaubt sie es dem Explorator das Un‐ tersuchungsobjekt einzugrenzen, wie im vorliegenden Beispiel auf präkonso‐ nantische und äußerungsfinale Okkurrenzen von (R). 34 Zum anderen ermöglicht Labov die Einführung eines Variablen-Werts eine einfachere Darstellung seiner Ergebnisse. Der Variablen-Wert errechnet sich über die statistische Abweichung des Sprechers von einer vorher festgelegten Normal- oder Standardvariante und wird durch den sogenannten (R)-Index ausgewiesen (cf. Chambers 2009: 19-21). Die folgende Tabelle (cf. Tab. 2) verbindet den (R)-Index mit der sozialen Schicht‐ zugehörigkeit der Informanten des New-York-City-Korpus und unterschiedli‐ chen Äußerungssituationen. Je höher der Wert, desto mehr Abweichungen von der postulierten Standardvariante waren innerhalb der Testgruppe zu be‐ obachten. Die verschiedenen Situationen repräsentieren Kommunikationsbe‐ dingungen mit unterschiedlicher Fokussierung auf das Sprachliche. Labov spricht von verschiedenen styles, die in den unterschiedlichen Situationen herrschten (Chambers 2009: 21). Die styles korrelieren mit einem Kontinuum sprachlicher Achtsamkeit, wobei das Vorlesen von Minimalpaaren die größte Achtsamkeit und gleichzeitig die größte Prominenz des zu testenden Merkmals hervorruft, wohingegen bei einem ungezwungenen Gespräch das Sprachliche zugunsten der Inhalte des Gesprächs in den Hintergrund tritt und das zu tes‐ tende Merkmal keine hervorgehobene Stellung einnimmt. 41 2.4 Das soziolinguistische Variablenkonzept W. Labovs <?page no="42"?> 35 Der große Nachteil dieses Index ist, dass die derart präsentierten Daten lediglich einen Ausschnitt der empirischen Ergebnisse wiedergeben. Denn die Größe des dem Index zugrundeliegenden Samples bleibt opak. Wie viele Vorkommnisse von / ɹ/ im vorlie‐ genden Beispiel zu einem Index von (r)-98 im ungezwungenen Gespräch oder von (r)-42 beim Vorlesen von Textpassagen geführt haben, ist nicht ersichtlich. (R)-Index Äußerungssitua‐ tion Unter‐ schicht Arbei‐ ter‐ schicht Mittel‐ schicht Vorlesen von Mini‐ malpaaren 50.5 45 30 Vorlesen einer Wortliste 76.5 65 44.5 Vorlesen eines Textabschnitts 58.5 79 71 Interview 89.5 87.5 75 Ungezwungenes Gespräch 97.5 96 87.5 Tab. 2 (R)-Indizes: drei soziale Klassen, fünf Formalitätsgrade (in: Chambers 2009: 201) Durch diese Art der statistischen Darstellung wird auf einen Blick ersichtlich, dass die Distribution der Varianten nicht nur eindeutig mit dem Formalitätsgrad der Äußerungssituation zusammenhängt, sondern auch über den sozioökono‐ mischen Status der Testgruppen stratifiziert werden kann. Je formeller die Äu‐ ßerungssituation und je höher der sozioökonomische Status, desto weniger Ok‐ kurrenzen der nicht-Standardvariante sind statistisch beobachtbar, und desto niedriger ist der (R)-Index. 35 Empirische soziolinguistische Studien belegen also, dass das strukturalisti‐ sche phonologische System, wie es beispielsweise von Trubetzkoy konzipiert wurde, nicht alle Regelmäßigkeiten sprachlicher Variation adäquat erfasst. Wichtige musterbildende außersprachliche Faktoren, die die asymmetrische Distribution von Varianten erklären, bleiben darin unberücksichtigt. Dies liegt darin begründet, dass Oppositionen, die zwar durchaus regelmäßige Varianten‐ verteilungen aufweisen, sich jedoch nicht durch Distinktivität auszeichnen, nicht Teil des funktionalen Systems sind. Das so konzipierte Sprachsystem ist somit nicht geeignet, außersprachliche Korrelate von Varianten und Variablen zu erfassen und sprachextern motivierte Distributionsmuster zu beschreiben - 42 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="43"?> 36 Dies soll nicht suggerieren, dass es in den Sprachen der Welt überhaupt keine freie Variation gäbe, sie ist nur sehr selten. Ein Beispiel auf lexikalischer Ebene stellt die totale Synonymie dar, wie etwa in dt. anfangen/ beginnen oder sp. comenzar/ empezar. Totale Synonymie zeichnet sich dadurch aus, dass mehrere Wörter exakt dasselbe Kon‐ zept versprachlichen und damit auch keinerlei nuancierte Bedeutungsdifferenzierung vorliegt. Anders verhält es sich im Bereich der gewöhnlichen Synonymie, etwa im Falle von dt. bekommen/ kriegen, dt. fressen / essen / speisen, sp. tomar/ coger. 37 Coseriu unterscheidet zwischen der Struktur und der Architektur einer Sprache. Die Struktur umfasst das funktionale Sprachsystem, aber auch Normen und Regeln des Sprachgebrauchs. Die Architektur bezieht sich auf die unterschiedlichen Varietäten einer Sprache und ihre Verbindungen. etwa, wenn diese mit der Stratifizierung der Sprachgemeinschaft oder dem Alter der Sprecher zusammenhängen. Aufgrund ihrer Regelhaftigkeit können diese Phänomene jedoch gerade nicht einfach als Instanzen freier Variation abgetan werden: 36 Denn - wie Labov zeigen konnte - erfüllen die beiden Allophone von / ɹ/ ([ɹ] und Ø) mehr als nur eine systematische Funktion. Vielmehr konnte er nachweisen, dass ihre Distribution evidenten und beschreibbaren Mustern folgt, die vom Stil der Äußerungssituation und von der sozioökonomisch zu bestimmenden Schichtzugehörigkeit der Sprecher abhängen. Den sprachlichen Varianten kommt also über diese Korrelationsmuster zusätzlich gesellschaft‐ liche Relevanz zu. Ansätze, die die sprachliche Variation umfassend beschreiben wollen, dürfen das abstrakte Sprachsystem daher nicht allein auf das rein funk‐ tionale Netz oppositionell verbundener abstrakter Elemente reduzieren. Sie müssen ebenso die erwähnte strukturierte Heterogenität der Sprache berück‐ sichtigen, wie sie sich aus Parametern ergibt, die nicht Teil dieses Netzes, son‐ dern in der Sprachgemeinschaft verortet sind und sich aus den interaktio‐ nell-kommunikativen Handlungen ihrer Mitglieder ergeben. In diesem Sinne sollte die Sprache nicht als ein homogenes System, sondern als multisystemisch verstanden werden (cf. Bartsch 1987). 2.5 Varietätenlinguistische Beschreibung sprachlicher Variation Dieses Verständnis der Sprache als ein System verschiedener Systeme (cf. Bartsch 1987: 88-89) bezieht sich nicht nur auf die verschiedenen Ebenen der Sprach‐ struktur (Phonologie, Morphologie, Syntax etc.), sondern auch auf die unter‐ schiedlichen Varietäten einer Sprache, die ihre Architektur ausmachen (cf. Co‐ seriu 1976: 21). 37 Varietäten werden - Schmidt und Herrgen (2011: 51) folgend - als „partiell systemisch differente Ausschnitte des komplexen Gesamtsystems 43 2.5 Varietätenlinguistische Beschreibung sprachlicher Variation <?page no="44"?> 38 Ebenso können sie natürlich über ein divergierendes Variableninventar voneinander unterschieden werden, etwa - wie zuvor exemplarisch dargestellt - durch unterschied‐ liche phonematische Vokalsysteme. Einzelsprache [verstanden], auf deren Grundlage Sprechergruppen in be‐ stimmten Situationen interagieren“. Die unterschiedlichen Distributionsmuster ihrer Elemente, also der Variablen und Varianten, korrelieren auf vorhersagbare Art und Weise mit sozialen und funktionalen Merkmalen (cf. Berruto ²2004: 189) und werden zum Beispiel von bestimmten Sprechergruppen oder in be‐ stimmten Kommunikationssituationen verwendet. Eine besondere Rolle in der Wahrnehmung der Sprechergemeinschaft nehmen insbesondere diejenigen Va‐ rietäten ein, deren Elemente typischerweise in bestimmten Regionen verwendet werden. Wie gezeigt werden wird, handelt es sich dabei nicht nur um die dia‐ lektalen Varianten einer Sprache, sondern - im Falle plurizentrischer Sprachen - auch um Elemente divergierender Regionalstandards (cf. Kapitel 3.4). Varietäten sind immer auf außersprachliche Parameter bezogen; sie umfassen in dieser Hinsicht mehr als die elementar-funktionalen Informationen des struk‐ turalistischen Systems. Dabei ist die Schnittmenge der von allen Varietäten ein und derselben Sprache geteilten Varianten stets größer als die Menge der sie unterscheidenden Elemente, was nicht zuletzt die gegenseitige Verständigung unterschiedlicher Sprechergruppen ermöglicht. Um als eigenständige Varietät zu gelten, muss ihr Varianteninventar entweder mindestens eine spezifische (einzelne) Variante oder eine eigene, spezifische Konstellation von Varianten aufweisen (cf. Ammon 1995: 64). 38 Über die Zusammenschau der verschiedenen Varianten einer Varietät kann deren sprachliches Inventar beschrieben werden; divergierende Varianteninventare ermöglichen es, Varietäten voneinander zu unterscheiden. Allerdings weist Berruto (²2004: 190) zu Recht darauf hin, dass die exakte Trennung von Varietäten in der Praxis kaum zu handhaben sei. Zu umfangreich seien dazu die Varianteninventare, zu groß die Schnittmengen und zu vielgestaltig deren soziale und funktionale Distribution. Stattdessen seien „Varietäten als (konventionell bestimmte, unscharf abgegrenzte) Verdichtungen in einem Kontinuum zu verstehen“ (ibid.), die sich zwar nicht durch scharfkan‐ tige Grenzen auszeichnen, allerdings von den Sprechern durchaus auch ohne den minutiösen Vergleich der Varianteninventare „in holistischer Manier“ (Kre‐ feld 2015: 396) identifiziert bzw. wiedererkannt werden können. Dabei gilt auch für Varietäten der aristotelische Grundsatz vom Mehrwert des Ganzen: Varie‐ täten sind mehr als pure Konglomerate von Varianten und Variablen. Sie sind identitätsstiftend und können sozial-kommunikative Funktionen erfüllen. Be‐ sonders deutlich wird dies in diglossischen Sprachsituationen im Sinne Fergu‐ 44 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="45"?> 39 Für Ferguson (cf. 4 1990: 232) liegt eine diglossische Sprachsituation dann vor, wenn zwei Varietäten derselben Sprache in funktional differenzierten Kontexten verwendet werden. 40 Weiterführende Informationen zum Begriff der Salienz bieten beispielsweise: Purschke (2011), Auer (2014) Kiesewalter (2014) oder Krefeld (2015), sowie das Kapitel 2.6. sons 39 , in denen eine high-variety ( HV ) in komplementärer Opposition zu einer low-variety ( LV ) steht. Die HV wird insbesondere in öffentlichen, offiziellen oder formellen Kontexten oder Domänen verwendet, wohingegen die LV in den pri‐ vaten oder informellen Bereich zurückgedrängt wird. Ein bekanntes Beispiel für eine diglossische Sprachsituation findet sich in der deutschsprachigen Schweiz, wo die schweizerdeutschen Dialekte in privaten und informellen Kon‐ texten und ʻStandarddeutschʼ in offiziellen oder formellen Kontexten verwendet wird (cf. Ferguson 4 1990: 234). Auch wenn Varietäten holistisch erkannt werden und ihnen kommunikative Funktionen zugesprochen werden können, sind es aus perzeptiver Hinsicht nicht selten einzelne Varianten, die die Sprecher im wahrsten Sinne aufhorchen lassen. Sie werden als besonders auffällig empfunden und können bei entspre‐ chendem Hintergrundwissen zur Identifikation von Varietäten bzw. zur Diskri‐ mination von Informationen über die Kommunikationspartner dienen. So ist es durchaus möglich, Sprecher anhand einzelner, weniger salienter sprachlicher Merkmale einer bestimmten Region oder sozioökonomisch definierten Gruppe zuzuordnen oder Rückschlüsse auf das Bildungsniveau der Sprecher zu ziehen. 40 Die unterschiedlichen Variablen- und Varianteninventare der Varie‐ täten implizieren jedoch nicht nur elementare Divergenz auf Systemebene oder die bloße Differenz von Verteilungsmustern. Vielmehr zeichnen sich die Varie‐ täten auch durch ein divergentes Set sprachlicher Normen aus (cf. Kapitel 3). Ein konkretes Beispiel soll dazu dienen, die verschiedenen Ebenen der Vari‐ ation zu verdeutlichen: Im Spanischen haben unterschiedliche Sprachwandel‐ prozesse zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert nicht nur zu einer deutlichen Modifikation des Sibilantensystems, sondern auch zu einer Ausdifferenzierung unterschiedlicher Varietäten geführt (cf. RAE / ASALE 2011b). Im Mittelalter koexistierten im sogenannten romance medieval sechs sibilantische Phoneme, die hinsichtlich Artikulationsort, Artikulationsart und der Stimmbeteiligung kontrastierten: die dento-avleolaren Affrikaten / t͡s̪/ und / d͡z̪/ , die apiko-alvoeo‐ laren Frikative / s̺/ und / z̺/ sowie die präpalatalen Reibelaute / ʃ/ und / ʒ/ . Die Phoneme sicherten die Bedeutungsdifferenzierung in Wortpaaren wie deçir : dezir ([deˈt͡siɾ]: [deˈd͡ziɾ]), osso : oso ([ˈos̺o]: [ˈoz̺o]) und fixo : fijo ([ˈfiʃo]: 45 2.5 Varietätenlinguistische Beschreibung sprachlicher Variation <?page no="46"?> 41 Lat. descendere > alt.Sp. deçir ʻherabsteigenʼ; lat. dicere > alt.Sp. dezir ʻsagenʼ; lat. ursus > alt.Sp.: osso ʻBärʼ; lat. auso > alt.Sp. oso ʻich wageʼ; lat. fixus > alt.Sp. fixo ʻfestʼ; lat. filius > alt. Sp. fijo ʻSohnʼ. 42 Sie können heutzutage aus der oszillierenden Schreibweise verschiedener Wörter in alten Schriftzeugnissen rekonstruiert werden (RAE / ASALE 2011a). 43 Der velare Frikativ / x/ ist nicht dem Sibilantensystem zuzuordnen, hat aber seine pho‐ nologische Distinktivität nicht verloren. Aufgrund der skizzierten Entwicklungen exis‐ tieren im heutigen kastilischen Standards Minimalpaare wie casa : caza : caja ([ˈkas̺a], [ˈkaθa], [ˈkaxa]). [fiʒo]). 41 Die Desaffrizierung der Affrikaten zu prädorsodentalen Frikativlauten (/ t͡s̪, d͡z̪/ > / s̪, z̪/ ) im 14.-15. Jh. führte gleichzeitig zu einer Destabilisierung des auf Opposition beruhenden phonologischen Systems (cf. Kapitel 2.2), da der Verlust des okklusiven Moments der Affrikaten zu einer Vergrößerung der Gruppe sibilantischer Frikativlaute und gleichzeitig zu einer größeren lautlichen Nähe der beteiligten phonematischen Elemente führte. Die vier verbliebenen sibilantischen Phoneme / s̺, z̺, s̪, z̪/ unterschieden sich nunmehr lediglich durch ihren Artikulationsort und die Stimmbeteiligung, aber nicht mehr durch ihre Artikulationsart. Durch den geringeren Kontrast wurden Missverständnisse in der alltäglichen Kommunikation häufiger und dadurch die phonematische Op‐ position instabiler. 42 Dieser Stabilitätsverlust brachte weitere nachgeschaltete Sprachwandelprozesse mit sich, die von Region zu Region unterschiedlich aus‐ gestaltet waren und in letzter Konsequenz zu einer Reduktion des sibilantischen Konsonantensystems des Spanischen führten. Im Norden und im Zentrum Spa‐ niens folgte auf die Desaffrizierung eine Entphonologisierung des distinktiven Merkmals der Stimmhaftigkeit zugunsten der jeweils stimmlosen Varianten / s̪/ , / s̺/ und / ʃ/ . Das weiterhin bestehende Problem der lautlichen Nähe von / s̪/ und / s̺/ wurde durch Dissimilationsprozesse aufgelöst. Der Artikulati‐ onsort der dentalen Variante verschob sich weiter nach vorne zum interdentalen Frikativlaut (/ s̪/ > / θ/ ), wohingegen der Artikulationsort des präpalatalen / ʃ/ in Richtung des Gaumensegels verlagert wurde (/ ʃ/ > / x/ ). Die Reduktion des vor‐ mals sechsgliedrigen Systems sibilantischer Konsonanten hatte sich spätestens im 17. Jahrhundert (cf. Hartmann ²2010: 433) zu der noch heute im kastilischen Standard gültigen Opposition zwischen interdentalem / θ/ und apiko-alveo‐ larem / s̺/ konsolidiert. 43 In Andalusien nahm die Reduzierung des Sibilanten‐ systems hingegen einen abweichenden Verlauf, der für die Ausdifferenzierung der verschiedenen Dialektareale des Spanischen von großer Bedeutung sein sollte. Ausgangspunkt war ebenfalls die Desaffrizierung der Affrikaten / t͡s̪/ und / d͡z̪/ . Der Kontrastverlust der verbliebenen sibilantischen Oppositionen führte dort jedoch - im Gegensatz zur Entwicklung im Norden - zu Neutrali‐ sierungsprozessen, die noch vor der Entphonologisierung der Stimmhaftigkeit 46 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="47"?> stattfanden (cf. Hartmann ²2010: 433, RAE / ASALE 2011b: § 5.2d). Nämlich zur Aufhebung der Opposition zwischen dentalen und alveolaren Sibilanten sowohl stimmloser (/ s̪/ : / s̺/ ) als auch stimmhafter Ausprägung (/ z̪/ : / z̺), jeweils zugunsten der dentalen Variante / s̪/ bzw. / z̪/ . Durch die darauffolgende Entstimmung von / z̪/ und / ʒ/ und die Velarisierung von / ʃ/ zu / x/ verblieb im phonologischen System Andalusiens nur mehr ein sibilantisches Element, nämlich das prädorsal realisierte / s̪/ . Das Ergebnis dieses Reduktionprozesses bezeichnet man auch als seseo. In einigen Varietäten insbesondere Westandalusiens fand zusätzlich ein fronting des Artikulationsorts des verbliebenen Sibilanten hin zu einem inter‐ dentalen Frikativ statt. In diesen sogenannten ceceo-Gebieten ist somit aus dem System des romance medieval lediglich das Phonem / θ/ erhalten. Aufgrund des unterschiedlichen Reduktionsverlaufs des Sibilantensystems in Südspanien bil‐ dete sich dort aber keine Opposition zwischen interdentalem / θ/ und prädor‐ salem / s̪/ heraus, sondern stets eine monoelementare Lösung zugunsten der einen oder der anderen Variante. Diese unterschiedlichen Sprachwandelpro‐ zesse erklären einige der Divergenzen vieler Varietäten des Spanischen. In den seseobzw. ceceo-Varietäten Südspaniens und Hispanoamerikas bilden Wort‐ paare vom Typ casar : cazar keine Minimalpaare, sondern werden jeweils auf dieselbe Art und Weise realisiert: [kaˈsaɾ] (ʻjagenʼ & ʻheiratenʼ) in den seseo-Va‐ rietäten und [kaˈθar] im Falle des ceceo. In Lateinamerika gilt der seseo als nahezu generalisiertes Phänomen, dem nur (wenn überhaupt noch) in vereinzelten ru‐ ralen Gebieten der ceceo gegenübersteht (Born et. al. 2014). In Andalusien ist der seseo eine prestigereiche Variante, die vor allem im Westen zu beobachten ist und mit der (ebenfalls prestigereichen) Distinktion zwischen / θ/ und / s/ koexis‐ tiert. Der ceceo - ebenfalls vor allem im Westen verbreitet - gilt hingegen als stigmatisiert (Méndez García de Paredes / Amorós Negre 2016: 249). Auf syste‐ matischer Ebene besitzen die seseobzw. ceceo-Varietäten ein quantitativ klei‐ neres Variableninventar als die Varietäten, die die Distinktion von / s/ und / θ/ bewahrt haben. Von einer Neutralisierung oder Entphonologisierung der Op‐ position zwischen / s/ und / θ/ in den seseo-Gebieten kann jedoch nicht gespro‐ chen werden, da die phonologische Opposition dort niemals bestand. Wie die diachrone Darstellung verdeutlicht, unterscheiden sich die Varietäten mit seseo, ceceo oder Distinktion nicht nur durch ein divergierendes Variable‐ ninventar voneinander, sondern auch durch unterschiedliche prototypische Re‐ alisierungsvarianten des Sibilanten / s/ . Der in Andalusien der Entstimmung vo‐ rausgehende Neutralisierungsprozess des Artikulationsorts hat dazu geführt, dass / s/ nicht als apiko-alveolarer Sibilant [s̺], sondern als prädorso-dentaler Frikativ [s̪] realisiert wird. Diese Variante wurde im Zuge der Kolonialisierung auch nach Hispanoamerika getragen und ist dort als generalisierte Variante an‐ 47 2.5 Varietätenlinguistische Beschreibung sprachlicher Variation <?page no="48"?> zusehen. In Andalusien selbst koexistieren neben dem prädorso-dentalen Fri‐ kativ eine ganze Reihe weiterer Allophone von / s/ , die in Kombination mit der vorherrschenden Variablenkonstellation (seseo / ceceo / Distinktion) als charakte‐ ristisch für bestimmte Teile der Provinz gelten (cf. Narbona Jiménez et. al. 2003: 152 f.). Ein emblematisches Merkmal vieler Varietäten Andalusiens ist jedoch, dass / s/ nicht in allen Kontexten tatsächlich als Sibilant realisiert wird. Im Ge‐ genteil ist die Aspiration des Sibilanten in implosiven Kontexten eines der Cha‐ rakteristika des andalusischen Spanisch. Die Aspiration ist zwar in vielen Vari‐ etäten des Spanischen zu beobachten, allerdings gilt sie häufig als stigmatisiert, da sie mit einem geringeren Bildungsgrad der Sprecher oder mit ʻschlampigerʼ Rede assoziiert wird. In Andalusien, aber auch in Teilen Argentiniens, ist dies nicht der Fall (cf. Donni de Mirande 1987, 2000b, Fontanella de Weinberg 1992a). In Argentinien ist die Aspiration von / s/ zwar auf bestimmte phonotaktische Kontexte begrenzt, dort allerdings (stärker als in Andalusien) vollends in den standardsprachlichen Bereich vorgedrungen (cf. Colantoni / Hualde 2013: 29). Unterschiedliche Realisierungsvarianten können somit nicht nur Varietäten voneinander unterscheiden, vielmehr kann denselben Realisierungsvarianten in unterschiedlichen Varietäten ein unterschiedlicher Status zukommen. Somit lassen sich die Varietäten nicht nur durch unterschiedliche Variablen- und Va‐ rianteninventare voneinander unterscheiden, sondern auch durch unterschied‐ liche evaluative Perzeptionsurteile hinsichtlich bestimmter Varianten. Diese Perzeptionsurteile bilden jeweils unterschiedliche Normenkonstellationen ab und sind insbesondere im Hinblick auf die mögliche Koexistenz verschiedener Standardvarietäten von besonderem Interesse (cf. Kapitel 3). 2.6 Diasystematische Variation, Markiertheit und Salienz von Varianten Wie jedoch kommen die unterschiedlichen Perzeptionsurteile zustande? Einen Ansatzpunkt liefert die Markiertheitstheorie, die auf der Annahme basiert, dass koexistierende Varianten nicht gleichberechtigt sind, sondern ʻmarkiertʼ oder ʻunmarkiertʼ sein können. Aus generischer Sicht handelt es sich bei der Markiertheitstheorie um ein Konzept strukturalistischer Prägung, das erneut auf die Prager Schule zurück‐ zuführen ist (cf. Andrews 2012, Thümmel 5 2016: 417). Kernpunkt der Theorie ist, dass der Kontrast bestimmter Oppositionsstrukturen im Sprachsystem über divergierende Merkmalskonstellationen der Systemelemente konstituiert werden kann. Im Zuge der Beschreibung phonologischer Oppositionen de- 48 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="49"?> 44 Aus phonetischer Sicht können Laute selbstverständlich auch teilweise entstimmt oder teilweise sonorisiert vorliegen, allerdings sind diese Realisierungsvarianten stets einer stimmhaften oder stimmlosen phonologischen Variable zuzuordnen. 45 In Bezug auf die Morphologie gelten, der Theorie Jakobsons folgend, jene Elemente als markiert, deren Erscheinen obligatorisch ist, wohingegen diejenigen Elemente als un‐ markiert gelten, die fakultativ erscheinen können (cf. Andrews 2012: 214). 46 So schlägt etwa Haspelmath (2006) vor, den Terminus gänzlich zu vermeiden, da viele der durch sie erfasste Phänomene genauso gut oder präziser durch andere ebenso etab‐ lierte aber nicht polyseme Termini - wie etwa die Gebrauchsfrequenz - beschrieben werden könnten. finiert Trubetzkoy beispielsweise den Typus der privativen Opposition, dessen Glieder sich dadurch unterscheiden, dass ein Element über ein bestimmtes laut‐ liches Merkmal verfügt, das dem anderen Element fehlt. Klassische Beispiele sind die Nasalität oder die Stimmhaftigkeit von Lauten. So unterscheiden sich die Oppositionsglieder der Phonempaare aus der Klasse der Plosivlaute / p,b/ , / t,d/ , / k,g/ jeweils durch ihre Sonorität, die entweder vorliegt oder eben nicht. 44 Das merkmaltragende (hier: stimmhafte) Element einer Opposition gilt als markiert, wohingegen das merkmallose Element als unmarkiert gilt (cf. Trubetzkoy 3 1958: 67, Andrews 2012: 214). Die so verstandene Markiertheit ver‐ weist also auf die größere strukturelle (hier: lautliche) Komplexität eines Ele‐ ments im Vergleich zu einem anderen Element (cf. Haspelmath 2006: 28). Roman Jakobson erweitert den Anwendungsbereich der Markiertheit und benutzt das Konzept, um semantische Unterschiede morphosyntaktischer Kategorien zu diskutieren. 45 Somit beschränkt sich Markiertheit nicht mehr allein auf das sig‐ nifiant, die Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens, sondern wird auch zur Beschreibung einer unterschiedlichen Ausgestaltung des signifié, des Zeichen‐ inhalts, angewandt (cf. Holenstein 1979, in: Andrews 2012: 213). Neben der un‐ terschiedlichen Komplexität der Elemente referiert der Begriff auch auf eine ganze Reihe weiterer interelementarer Unterschiede. So wird die Markiertheit von Varianten u. a. über ihre formale Explizitheit im Sinne von Präsenz / Absenz, über beobachtbare Schwierigkeiten ihres Erlernens im Spracherwerb oder über die Symmetrie ihrer Distribution definiert (cf. Haspelmath 2006). Die Markiertheitstheorie wurde verschiedentlich kritisiert, insbesondere da der Terminus nicht mehr eindeutig definiert sei (Andersen 1989, Haspelmath 2006). 46 Als Grund hierfür kann die mangelnde terminologische Trennung ver‐ wandter Begriffe wie Merkmalhaftigkeit und Markiertheit, aber auch die Über‐ tragung und Modifikation des Konzepts in unterschiedliche Forschungsdiszi‐ plinen angeführt werden (cf. Ludwig 2001). Henning Andersen fasst das Problem folgendermaßen zusammen: 49 2.6 Diasystematische Variation, Markiertheit und Salienz von Varianten <?page no="50"?> 47 Zur Unterscheidung von historischer Sprache und funktioneller Sprache (cf. Coseriu 1988). 48 Die Begriffe Diatopik und Diastratik übernimmt Coseriu explizit von Leiv Flydal. Neben diesen drei essentiellen Dimensionen wurden noch weitere Variationsebenen disku‐ tiert, die im Diskurs in unterschiedlichem Maße Akzeptanz fanden, wie zum Beispiel die Diamesik (Variation hinsichtlich des Mediums, cf. Berruto 14 2011) oder die Diapolitik (Variation in Abhängigkeit von politischen Entitäten, cf. Zimmermann 2017). Einen Sonderfall stellt die Diachronik dar, die die Variation im Hinblick auf unterschiedliche Sprachstufen fokussiert und nicht vom Diasystem erfasst wird, da dieses ausschließlich synchronisch funktioniert. „It seems that the understanding of the notion markedness has indeed been changing as it was being transplanted from one metatheoretical paradigm to another. As a con‐ sequence, the term has become polysemous in such a way that it no longer clearly distinguishes the phenomenon for which it was coined from other phenomena.” (An‐ dersen 1989: 1) Haspelmath (2006) unterscheidet nicht weniger als zwölf verschiedene konzep‐ tionelle Ausprägungen von Markiertheit, die sich in ihrer Essenz auf die Funk‐ tion von Elementen innerhalb des Sprachsystems und sich daraus ergebender elementarer Divergenzen beziehen. Trotz der terminologischen Problematik ist das Konzept insbesondere im Bereich der Varietätenlinguistik fest etabliert und hat sich dort als durchaus dienlich erwiesen. Ansätze der Varietätenlinguistik, die auf das Konzept der sprachlichen Markiertheit zurückgreifen, verlagern dessen Anwendungsbereich von der Struktur auf die Architektur der Sprache. Sie fokussieren weniger das funktionale Sprachsystem als vielmehr den situativ bedingten Sprachgebrauch. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Modellierung der Sprache als Diasystem. Das Diasystem legt den Fokus auf die Heterogenität historischer Einzelsprachen, die ja, wie gezeigt, als Systeme verschiedener Sys‐ teme verstanden werden können. 47 Grundlegend ist die inhärente sprachliche Variation, die durch divergierende Varianten- und Variableninventare, aber auch durch unterschiedliche Sets von Sprachnormen bedingt ist. Das Diasystem gruppiert die diversen außersprachlichen Variationsparameter zu sogenannten Varietätendimensionen (cf. Koch / Oesterreicher 2 2011: 16) und erlaubt es da‐ durch, Unterschiede zwischen den Varietäten zu kategorisieren und die ver‐ schiedenen Varietäten der Sprache als geordnete Architektur zu erfassen. Die klassischen drei Varietätendimensionen sind: die Variation im Raum (Diatopik), die Variation hinsichtlich der sozio-kulturellen, aber auch sozio-ökonomischen Verortung der Sprecher (Diastratik) und die Variation im Hinblick auf unter‐ schiedliche Sprachstile und Register (Diaphasik) (cf. Coseriu 1988). 48 Der diasystematischen Variation werden, gewissermaßen antithetisch, „mehr oder we‐ 50 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="51"?> niger einheitliche Sprachtraditionen, d. h. syntopische, synstratische und sym‐ phasische Einheiten“ (Coseriu 1988: 50) gegenübergestellt; also Varietäten, die mit einem bestimmten Ort, einem idealisiert einheitlichen sozio-kulturellen Kontext oder mit einem bestimmten Sprachstil korrelieren, d. h. Dialekte, Sprachniveaus und Sprachstile. Wichtig ist, dass die diasystematische Variation i. o. S. lediglich synchronisch, d. h. nur für einen bestimmten Zeitpunkt, unter‐ sucht werden kann. Der diachronische Aspekt sprachlicher Variation lässt sich nicht in die diasystematische Modellierung des Varietätengefüges integrieren. Coseriu weist darauf hin, dass Diatopik, Diaphasik und Diastratik keinesfalls unabhängig voneinander existieren, sondern eine gerichtete Ordnung auf‐ weisen. So könne ein Dialekt gleichzeitig als Sprachniveau funktionieren und ein Niveau als Sprachstil, aber nicht umgekehrt. Peter Koch und Wulf Oester‐ reicher ([1990] 2 2011) greifen die Überlegungen Coserius auf und erweitern die interne Gerichtetheit der diasystematischen Variationsebenen zum Modell der Varietätenkette. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Überlegungen zur konzeptionellen Mündlichkeit / Schriftlichkeit bzw. zur kommunikativen Nähe / Distanz, die die Autoren in die diasystematische Ordnung integrieren (cf. ibid.: 6-19). Die Unterscheidung von konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit nimmt Bezug darauf, dass eine sprachliche Manifestation - unabhängig von ihrem Übertragungskanal - von Phänomenen geprägt sein kann, die tendenziell eher der gesprochenen Sprache oder eher der geschriebenen Sprache zuzu‐ ordnen sind. So wird der geschriebenen Sprache, insbesondere aufgrund der Möglichkeit das Sprachprodukt mehrfach zu prüfen, zu überarbeiten und um‐ zustrukturieren, grundsätzlich eine elaboriertere Sprachwahl, die Tendenz zur Integration (Hypotaxe) und eine größere lexikalische Vielfalt zugeschrieben. Viele Textsorten der Schriftlichkeit erfordern zudem einen recht hohen For‐ malitätsgrad, etwa aufgrund des Rezipientenkreises oder der Größe der zu er‐ wartenden Leserschaft. Der geschriebenen Sprache wird daher tendenziell ein geringerer Grad an diatopisch oder diastratisch geprägter Variation zuge‐ schrieben. Die gesprochene Sprache, auf der anderen Seite, lässt nicht zuletzt aufgrund der zumeist fehlenden Möglichkeit, Gesprochenes erneut zu überar‐ beiten, grundsätzlich einen größeren Variationsspielraum zu. So werden bei‐ spielsweise diatopische und diastratische Varianten häufiger in gesprochener Sprache realisiert, als dass sie verschriftet werden. Zudem weist die medial mündlich realisierte Sprache häufig eine größere Tendenz zur parataktischen Aneinanderreihung sprachlicher Elemente auf. Das Bedeutsame an den Über‐ legungen Kochs und Oesterreichers sind nun weniger diese Beobachtungen als vielmehr die Unterscheidung zwischen einer medialen und einer konzeption‐ 51 2.6 Diasystematische Variation, Markiertheit und Salienz von Varianten <?page no="52"?> ellen Ebene von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Eine ganze Reihe kommuni‐ kativer Instanzen werden zwar medial mündlich, also oral, realisiert, ihre Prä‐ gung ist aber dennoch schriftsprachlich (im obigen Sinne): etwa bei vorgelesenen Texten, zuvor vorbereiteten Vorträgen oder Reden, Predigten, Nachrichtensendungen etc. Auch der umgekehrte Weg ist denkbar: viele medial geschriebene sprachliche Äußerungen weisen charakteristische Elemente der Mündlichkeit auf und können daher als konzeptionell mündlich beschrieben werden: z. B. verschriftete Dialektsprache, Kurznachrichten in Instant-Mes‐ senger-Diensten (WhatsApp, Snapchat, Facebook-Messenger) etc. Die konzep‐ tionelle Mündlichkeit / Schriftlichkeit lässt sich in ein weiteres Modell der Au‐ toren integrieren: die Nähe- und Distanzsprachlichkeit. Diese ist als Kontinuum konzipiert, das sich zwischen den Polen ‚Nähe‘ und ‚Distanz‘ aufspannt und eine besondere Funktion innerhalb der Varietätenkette einnimmt. Im Gegensatz zu Diatopik, Diaphasik und Diastratik wird die Nähe-/ Distanzsprachlichkeit nicht ausschließlich als einzelsprachliche Dimension, sondern gleichermaßen als übereinzelsprachliches Prinzip und in diesem Sinne als universelle Dimension verstanden. Sie fungiert als Referenzrahmen, aus dem sich die interne Ordnung der übrigen Dimensionen ableiten lässt. Grundlegend ist die Einsicht, dass sich jedwede Instanz sprachlicher Kommunikation - sei sie gesprochener oder ge‐ schriebener, formeller oder informeller Natur - im Hinblick auf die zugrunde‐ liegende kommunikative Nähe oder kommunikative Distanz letztlich auf einem Kontinuum verorten lässt. Die konzeptionelle Mündlichkeit ist dabei dem Pol der kommunikativen Nähe, die Schriftlichkeit dem Pol der kommunikativen Distanz zuzuordnen. Das Kontinuum wird als Zielpunkt einer Varietätenkette gedacht, an dem sich auch die übrigen Varietätendimensionen als Kontinua ausrichten: „Die zentrale Stellung der Varietätendimension 1 (‘gesprochen / geschrieben’ [bzw. ʻNäheʼ/ ʻDistanzʼ, F. B.]) ergibt sich ganz offensichtlich daraus, dass sie, als eigentlicher Endpunkt der Varietätenkette, Elemente aller drei anderen Dimensionen sekundär aufnehmen kann […] und dass demzufolge die drei diasystematischen Dimensionen sich in ihrer inneren Markiertheitsabstufung nach dem Nähe / Distanz-Kontinuum ausrichten.“ (Koch / Oesterreicher 2 2011: 16-17) 52 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="53"?> 49 „Así, incluso una persona con estudios superiores puede emplear en un contexto 'fa‐ miliar' una forma diastráticamente marcada como 'inculta', p. ej., tú cantastes etc., sin que esta forma pierda por lo tanto su marca original.” (Oesterreicher 2002: 277, Her‐ vorhebung im Original). 50 In historischen Sprachwandelprozessen, also in der Diachronie, ist der umgekehrte Weg selbstverständlich denkbar. Als Beispiel kann der lunfardo dienen. Dabei handelt es sich um eine, häufig als Gaunersprache bezeichnete, Kontaktvarietät, die im 19. Jh. vor allem in den ärmlichen Vierteln von Buenos Aires gesprochen wurde (cf. Kapitel 6.1.3). Einige der damals klar diastratisch markierten Varianten haben sich aus der Varietätendimen‐ sion der Diastratik herausgelöst und können heutzutage - sofern sie nicht dem Standard zuzuordnen sind - als primär diatopische Varianten der Hauptstadt oder als primär können wir einerseits von gesprochener Sprache im engeren Sinne (linker Teilbereich der Dimension 1 in Abb. 6), andererseits von gesprochener Sprache im weiteren Sinne sprechen (linke Teilbereiche der Dimensionen 1, 2, 3 und 4 in Abb. 6). All dies fassen wir im Folgenden unter dem Begriff ‘Nähebereich’ zusammen: 19 Abb. 6: Der einzelsprachliche Varietätenraum zwischen Nähe und Distanz _________ 18 Cf. auch Berruto 1993a, 10s. 19 Cf. Oesterreicher 1988, bes. 376-378. Bereitgestellt von | Universitaetsbibliothek der LMU Muenchen Angemeldet Heruntergeladen am | 30.10.15 13: 02 Abb. 2 Die Varietätenkette nach Koch / Oesterreicher ( 2 2011: 17) Wie schon bei Coseriu (1988: 50) sind die einzelnen Dimensionen als zusam‐ menhängend zu denken. Sie sind semipermeabel im Sinne einer unidirektional gerichteten Durchlässigkeit, die von unten nach oben funktioniert. So können Elemente aus der untersten Dimension, der Diatopik, sekundär in die nächst‐ höhere Dimension, die Diastratik, einrücken und so weiter. Eine Variante, die primär einem bestimmten Ort im Sprachraum zuzuordnen ist, kann sekundär auch als charakteristisch für eine definierte Sprechergruppe gelten und ebenso in einen bestimmten Sprachstil / in ein bestimmtes Register einrücken (z. B.: gehobene Sprache, sp. habla culta etc.). 49 Der umgekehrte Weg ist jedoch nicht denkbar. So können Elemente, die genuin einem Sprachstil zuzuordnen sind, in der Synchronie nicht einem bestimmten Ort zugeordnet werden. 50 Das grund‐ legend Neue am Ansatz Kochs und Oesterreichers ist, dass das Nähe-Dis‐ 53 2.6 Diasystematische Variation, Markiertheit und Salienz von Varianten <?page no="54"?> diaphasische Varianten der Sprache des Tangos interpretiert werden (Born 2007, Wun‐ derlich 2014, González 2016). 51 Statt kommunikative Nähe / Distanz verwenden Koch / Oesterreichers an vielen Stellen auch das Begriffspaar konzeptionelle Mündlichkeit / Schriftlichkeit. Aufgrund der grö‐ ßeren Klarheit des ersten Begriffspaares wird diesem in der vorliegenden Arbeit wei‐ testgehend Vorzug gegeben. Zur Rezeption des Modells von Koch / Oesterreicher und zur Diskussion um die Annahme einer eigenständigen diamesischen Varietäten der Mündlichkeit / Schriftlichkeit, cf. Sinner (2014: 220-226). tanz-Kontinuum als eigenständige Dimension der Varietätenkette gedacht wird. Das Kontinuum sprachlicher Nähe und Distanz ergibt sich im Wesentlichen aus der Beobachtung, dass Sprecher auf verschiedene Kommunikationsbedin‐ gungen mit unterschiedlichen Versprachlichungsstrategien reagieren (cf. Koch / Oesterreicher 2 2011: 7-14). 51 So können kommunikative Konstellationen zur Vermeidung bestimmter Varianten führen oder deren Realisierung begüns‐ tigen. Die kommunikative Nähe zeichnet sich durch Faktoren wie Privatheit, Vertrautheit der Kommunikationspartner, Emotionalität sowie einen zeitlich wie räumlich begrenzten Kommunikationsradius aus. Die Distanz ist hingegen geprägt durch Faktoren wie Öffentlichkeit der Kommunikationssituation, Fremdheit der Kommunikationspartner und einen relativ erweiterten Kommu‐ nikationsradius. Je nach Ausgestaltung der Kommunikationssituation wählen die Sprecher unterschiedliche Versprachlichungsstrategien. Je eher die Situation als nähesprachlich i. o. S. bezeichnet werden kann, desto eher wird auf Varianten zurückgegriffen, die diatopisch, diastratisch oder diaphasisch markiert sind. Prinzipiell lässt eine Situation, die der kommunikativen Nähe zuzuordnen ist - beispielsweise ein privates Gespräch im familiären Kreis -, andere Strategien zu, als eine Situation, die eher im Bereich der kommunikativen Distanz zu ver‐ orten ist, wie etwa ein öffentliches Interview mit einem unbekannten Kommu‐ nikationspartner. Situationen der kommunikativen Nähe wird tendenziell mit einem geringeren Planungsaufwand, größerer Emotionalität und geringerer Formalität begegnet, wohingegen Situationen der kommunikativen Distanz tendenziell einen höheren Planungsaufwand, eine größere Formalität und eine geringere Emotionalität erfordern (cf. Koch / Oesterreicher 2 2011: 14). Die Nä‐ hesprache ist in diesem Sinne durchlässiger für Elemente mit einer ʻstarkenʼ diatopischen bzw. ʻniedrigenʼ diastratischen und diaphasischen Markiertheit, wohingegen die Distanzsprache eher die Verwendung von Elementen mit einer ʻstarkenʼ diatopischen bzw. ʻhohenʼ diastratischen oder diaphasischen Markiert‐ heit erfordert. Das Nähe-/ Distanz-Kontinuum ist prinzipiell universeller Natur, d. h. übereinzelsprachlich angelegt. Da diese Dimension aber in unterschiedli‐ chen Sprachen unterschiedlich stark ‘ausgelastet’ sein kann, wird sie im Modell ebenfalls als Dimension innerhalb der historischen Einzelsprachen verortet (cf. 54 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="55"?> Koch / Oesterreicher 2 2011: 269). Die Verwendung des Verbs erfordern deutet be‐ reits an, dass das sprachliche Diasystem nicht nur sprachlicher Variation Aus‐ druck verleiht, sondern zugleich auf Sprachnormenkonstellationen und -hie‐ rarchien abzielt. Auch in dieser Hinsicht nimmt das Nähe-/ Distanzkontinuum eine Sonderrolle im Modell ein, denn der eigentliche Referenzpunkt der Mar‐ kiertheit sprachlicher Varianten ergibt sich weniger allein aus deren absoluter Verortung im Nähe-/ Distanzkontinuum, sondern in letzter Instanz aus der re‐ lativen Konformität bzw. Nonkonformität mit dem sprachlichen Standard, der im Modell Kochs und Oesterreichers mit dem Pol der kommunikativen Distanz identifiziert wird. So seien zwar für alle Varietätendimensionen Normen fest‐ stellbar, die das Sprachhandeln der Sprecher anleiteten. Allerdings seien diese in der Regel deskriptiver Natur und in diesem Sinne Ausdruck situationsbezo‐ gener gegenseitiger Erwartungshaltungen von Produzenten und Rezipienten (cf. Koch/ Oesterreicher 2 2011: 18). Den Kommunikationsbedingungen der kom‐ munikativen Distanz könne hingegen die Standardsprache - verstanden als präskriptive Norm - am besten genügen. So sei aufgrund der großen räumlichen Reichweite eine niedrige oder neutrale diatopische Markiertheit wünschens‐ wert. Die Fremdheit der Kommunikationspartner oder die Öffentlichkeit der Kommunikationssituation würden die Selbstdarstellungsmöglichkeiten für den Produzenten rein ins Sprachliche verlagern, wodurch eine hohe diastratische und diaphasische Markiertheit von Vorteil wären. „Diesen Anforderungen ent‐ sprechen nun genau die Merkmale der präskriptiven Norm, die somit in ge‐ wissem Sinne Distanzsprache par excellence ist“ (Koch/ Oesterreicher 2 2011: 19). Einige der fundamentalen Bestandteile der Arbeit Kochs und Oesterreichers sind für die Methodologie der vorliegenden Arbeit von besonderer Bedeutung. Der Zusammenhang zwischen Standardsprachlichkeit und kommunikativer Distanz und die Überlegungen zur konzeptionellen Schriftlichkeit medial münd‐ lich realisierter Äußerungen sind für das Verständnis von Aussprachestandards essenziell. Allerdings sind nicht alle Aspekte der Konzeption vorbehaltlos zu akzeptieren. Dies gilt vor allem für die Unterscheidung deskriptiver und präs‐ kriptiver Standardsprachlichkeit (cf. Kapitel 3.1) und für die konzeptionelle Ausgestaltung von sprachlicher Markiertheit. Die Übertragung des Markier‐ theitskonzepts von der elementaren Struktur des funktionellen Systems auf die Ebene des Sprachgebrauchs ist nicht nur reizvoll, sondern auch für die Erklärung von Standardsprachlichkeit gewinnbringend. Jedoch sollte die Markiertheit dann konsequenterweise nicht mehr als strukturelle Eigenheit von Variablen oder Varianten verstanden und in diesem Sinne kognitive Markiertheit strikt von der Merkmalhaftigkeit der Signifikanten unterschieden werden: Da sich Markiertheit erst durch die relative diasystematische Verortung in Bezug auf die 55 2.6 Diasystematische Variation, Markiertheit und Salienz von Varianten <?page no="56"?> 52 Gaetano Berruto (²2004) argumentiert in eine ganz ähnliche Richtung, nur dass der Autor die Markiertheit ganzer non-Standard-Varietäten über „die Anzahl und Eigenheit der sie charakterisierenden Merkmale, vor allem der Distanz von der Gemeinsprache oder der Standardvarietät“ (ibid.: 190) ableitet. 53 Wulf Oesterreicher zufolge wären diese Elemente jedoch Teil eines eigenen Varietä‐ tenraums. Denn „distanzsprachlich gültige Regelformen […] sind […] selbst wiederum Bezugspunkt für alle im betreffenden Sprachgebiet gültigen diasystematischen Vari‐ anzphänomene, also eben auch für die jeweiligen diatopischen Unterschiede.“ (Oester‐ reicher 2000: 301) Aus diesem Grund können sie auch nicht Teil desselben Varietäten‐ gefüges sein. Allerdings wird nicht ganz klar, welcher normative Status diesen Regelformen zukommt, wenn es an anderer Stelle heißt, dass „in der Regel je Einzel‐ Standardsprache ableitet, kann sie nicht den Varianten selbst inhärent sein, sondern muss aus dem Gebrauch abgeleitet werden. D. h. die Varianten sind nicht per se als stärker oder schwächer markiert zu betrachten, die Markiertheit ist vielmehr situativ bedingt und perzeptiv begründet. Nicht-standardsprach‐ liche Elemente können demnach erst in denjenigen Situationen als markiert erscheinen, in denen Standardsprachlichkeit gefordert ist und der normative Referenzpunkt zur evaluativen Wertung herangezogen wird. Dadurch, dass die Standardsprache als Referenznorm des Varietätengefüges betrachtet wird, scheint es stimmiger, deren Elemente gerade aufgrund dieses rahmengebenden Charakters selbst als unmarkiert zu denken. Die vorliegende Arbeit folgt daher dem Ansatz Thomas Krefelds (2011: 106), demzufolge sich Non-Standard-Vari‐ anten vor dem Hintergrund des unmarkierten Standards abheben (cf. Abb. 3). 52 Sag mir, wo der Standard ist 109 und Perzeption, sie produziert auch Repräsentationen, in denen der erstrebte Standard, weil er schlecht beherrscht wird, als sozial und stilistisch höher stehend bewertet wird, während die aktiv dominante eigene Non-Standardvarietät gleichzeitig womöglich als negativ, d.h. als Substandard eingeschätzt wird. Zu dieser polarisierenden Bewertung hat der standardkompetente Sprecher keinen Anlass. Ihm erscheint der Standard als selbstverständlich, unauffällig, jedoch keineswegs als positiv hervorstechend; es wäre der Situation der aktuellen ‚großen‘ europäischen Sprachgemeinschaften unangemessen, Standardkompetenz als Indiz für soziale Privilegiertheit und Standardgebrauch als stilistisch per se ausgezeichnet anzusehen. Dergleichen sprechergruppenspezifische Divergenzen gelten nicht nur für den Standard, sondern für die Varietäten im Allgemeinen und die Dialekte im Besonderen: Die divergierenden Einschätzungen der Varianten und Varietäten bestimmen die kommunikative Realität und müssen von der Varietätenlinguistik konzeptionell erfasst und empirisch erforscht werden. Ein entsprechendes Modell sollte den Standard als Referenzvarietät ins Zentrum stellen und seine eventuelle, auch multidimensionale Markierung offenhalten, damit auch die einzelsprachliche Existenz komplementärer regionaler bzw. nationaler Standards abgebildet werden kann. In diesem Sinn ist das abschließende Schema zu verstehen, das in seiner sternförmigen Anlage weiterhin den Zusammenhang zwischen zunehmender Standardferne, d.h. starker Markierung, und dimensionaler Eindeutigkeit zum Ausdruck bringen will. Fig. 2: Stärke und dimensionale Eindeutigkeit der Markierung wachsen mit zunehmender Entfernung vom Standard 6 Bibliographie AIS = Jaberg, Karl/ Jud Jakob (1928-1940): Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz, 8 Bde., Zofingen, Ringier. Berruto, Gaetano ( 3 1997): „Le varietà del repertorio“, in: Sobrero, Alberto (Hrsg.), Introduzione all’ italiano contemporaneo. La variazione e gli usi, Roma/ Bari, Laterza, 3-36. Festschrift_V-435AK4.indd 109 21.04.11 11: 05 Abb. 3 Das Sternmodell Krefelds (2011: 106) Die Unmarkiertheit des Standards ist in dieser Konzeption indes keinesfalls dogmatisch festgelegt. Es wird offengelassen, ob und inwiefern Elemente des Standards in historischen Einzelsprachen Markiertheit aufweisen. Dies ge‐ schieht insbesondere im Hinblick auf plurizentrische Sprachkonstellationen, bei denen Elemente fremder regionaler oder nationaler Standards u. U. als markiert wahrgenommen werden können (cf. Krefeld 2011: 106). 53 56 2 Sprachliche Variation - von Varianten, Variablen & Varietäten <?page no="57"?> sprache nur eine Varietät den Modellcharakter einer präskriptiven Norm“ (Koch / Oes‐ terreicher 2 2011: 18) erhält. 54 In diesem Sinne unterscheidet sich der so konzipierte Markiertheitsbegriff deutlich von den zwölf in Haspelmath (2006: 26) kritisierten Verwendungstypen. Am ehesten nahe kommt er der gebrauchsbezogenen Konzeption ‘Situational markedness: markedness as rarity in the world’. Unter diesem Punkt werden diejenigen Markiertheitskonzepti‐ onen zusammengefasst, die sich aus als außergewöhnlich wahrgenommenen Referen‐ tenkonstellationen (‘rarity in the world’) ableiten oder auf einer besonders hohen bzw. niedrigen Gebrauchsfrequenz (‘frequency / rarity in texts’) basieren (cf. ibid.: 34; 45-47). Im Gegensatz zu der zuvor dargelegten Verwendung, wird die Markiertheit allerdings wieder als struktureller Bestandteil sprachlicher Elemente betrachtet. So postulieren manche Theorien, einige Wörter selbst seien markierter als andere, da sie weniger häufig in der gesprochenen / geschriebenen Sprache. verwendet werden. Nicht gemeint ist jedoch eine Markiertheit der Verwendung dieser Wörter. Der Autor weist diese An‐ wendung des Markiertheitskonzepts unter dem Verweis darauf zurück, dass sprachliche Frequenz von verschiedensten Aspekten abhängt und sich daraus daher nicht eindeutig eine Markiertheit sprachlicher Elemente ableiten lasse. Zudem kann das „vollkommen standardkonforme Sprechen“ insbesondere von Sprechern mit eher geringer Standardkompetenz als durchaus markiert wahrgenommen werden „und zwar im Sinne schwer erreichbarer und benei‐ denswerter Korrektheit“ (Krefeld / Pustka 2010: 18). Die sprachliche Markiert‐ heit ist auch in diesem Falle nicht in der elementaren Struktur des Sprachsystems verortet, sondern ergibt sich aus dem Sprachgebrauch. 54 So kann zwar davon gesprochen werden, dass bestimmte Varianten markiert sein können, allerdings erst durch die Korrelation mit dem kommunikativ-situativen Parametern des Sprachgebrauchs. Diese situative Markiertheit von Varianten ist in letzter In‐ stanz auf evaluative Perzeptionsurteile der Mitglieder der Sprachgemeinschaft zurückzuführen: Wie erwähnt und im Folgenden genauer dargelegt, reagieren die Mitglieder der Sprachgemeinschaft auf unterschiedliche Kommunikations‐ situationen mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen an den Sprachge‐ brauch ihrer Interaktionspartner; aber auch mit gespiegelten und letztlich au‐ toreferentiellen Erwartungserwartungen (Luhmann 4 2008: 35), die sich auf den eigenen Sprachgebrauch auswirken. In diesem Sinne erwarten die Sprecher nicht nur ein gewisses Verhalten von ihren Gegenübern, sondern sie erwarten von ihren Kommunikationspartnern zusätzlich eine ähnliche Erwartungshal‐ tung an das eigene Sprachhandeln. Diese Erwartungen hängen zusammen mit den interindividuell ausgehandelten Normen für sprachliches Verhalten, deren Beschaffenheit im folgendem Kapitel behandelt wird. Anschließend werden ei‐ nige fundamentale Konzepte des sprachlichen Standards diskutiert, um da‐ raufhin die Möglichkeiten und Grenzen der Normierung gesprochener Sprache im Speziellen zu beleuchten. 57 2.6 Diasystematische Variation, Markiertheit und Salienz von Varianten <?page no="59"?> 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik Der Forschungsgegenstand Standardsprache wurde und wird innerhalb der De‐ batten in den verschiedenen Forschungszweigen der Linguistik sehr unter‐ schiedlich definiert. Je nach Forschungsansatz und Intention der jeweiligen Au‐ toren können die Definitionen stark voneinander divergieren oder nur fein nuancierte Veränderungen erfahren. Die Definition ist dabei in hohem Maße abhängig von den zugrunde gelegten Definitionen der sprachlichen Norm und der jeweiligen Deskriptionsperspektive auf den Themenkomplex Standard‐ sprachlichkeit. So wird die Konzeption des sprachlichen Standards in einer sprachhistorischen Betrachtung des Standardisierungsprozesses deutliche Di‐ vergenzen aufweisen, beispielsweise zu derjenigen einer perzeptiven Analyse gültiger standardsprachlicher Realisierungsvarianten. Des Weiteren wird die Konzeption von Diskurs- und Forschungstraditionen beeinflusst, in die die je‐ weilige Untersuchung eingebettet ist. So ist der wissenschaftliche Diskurs über lengua culta, lengua estándar oder lengua ejemplar in der Hispanistik geprägt von der im 19. und 20. Jahrhundert andauernden Diskussion über die unidad o diversidad del español und der starken Stellung der Real Academia Española ( RAE ) sowie ihrem sprachpolitischen und lange Zeit sprachpuristischen Wirken. Die vorliegende Arbeit ist nicht der Ort, um die Diskussion detailliert in ihrer historischen Entwicklung und mit Anspruch auf Vollständigkeit aufzu‐ zeigen, allerdings werden einige der wichtigsten Definitionen und Diskussi‐ onsrichtungen dargelegt und im Hinblick auf die vorliegende Forschungsfrage diskutiert. Unabhängig von der exakten definitorischen Ausgestaltung ist un‐ strittig, dass das Konzept der Standardsprachlichkeit aufs Engste verknüpft ist mit dem der sprachlichen Norm. Wie jedoch ist Letztere zu definieren? Zunächst einmal gilt: Sprache ist Kom‐ munikation und Kommunikation ist soziales Handeln. Insofern sind sprachliche Normen auch immer soziale Normen. Sie umfassen eben jenen Teil gesellschaft‐ licher Interaktion, der das sprachliche Handeln, verstanden als eine Teilmenge des sozialen Handelns, betrifft. Um das Wirken sprachlicher Normen zu ver‐ stehen, ist es demnach zunächst angezeigt, genauer zu hinterfragen, was soziale Normen sind, wie diese entstehen und wie sie das gesellschaftliche Handeln bestimmen. <?page no="60"?> 1 Das Wort regula ist ebenfalls ursprünglich ein Werkzeug der antiken Architekten. Es handelt sich dabei um eine Art Lineal, das gebraucht wurde, um die Ebenheit von Flä‐ chen, beispielsweise des Mauerwerks, zu überprüfen. 2 Vergleiche auch Hartung (1987: 331). 3 Gloy (2012: 9-10) weist darauf hin, dass die Verpflichtung nicht mit einem Zwang gleichgesetzt werden könne. Es handele sich - je nach Intensitätsgrad der Gebundenheit einer Handlung - eher um ein Können, Sollen oder Müssen. 4 So bietet die Online-Ausgabe des Brockhaus NE GmbH differenzierte Definitionen des Begriffs Norm für die Fachbereiche Ethik, Mathematik, Petrografie, Recht, Sprachwis‐ senschaft und Technik sowie weiterhin Artikel zur harmonisierten Norm im europä‐ ischen Binnenhandel und zur DIN-Norm. 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung In der Antike bezeichnete der aus dem Lateinischen entlehnte Begriff Norm (< lat: norma) eine Richtschnur oder ein Winkelmaß, das von den Baumeistern verwendet wurde, um beispielsweise den rechten Winkel von Wänden auszu‐ loten. Doch bereits damals wurde norma auch metaphorisch verwendet - als eine Richtschnur im übertragenen Sinne: als etwas Vorbildhaftes oder zu Befol‐ gendes. So bezeichnet Plinius der Jüngere (ca. * 61 n. Chr., † 113 n. Chr.) den griechischen gelehrten Demósthenes (* 384 v. Chr., † 322 v. Chr.) in einem Brief als ‘maßgebende’ Instanz auf dem Gebiet der Rhetorik und in diesem Sinne als Vorbild für die gesprochene Sprache: „sed Demosthenes ipse, ille norma oratoris et regula, num se cohibet et comprimit […]“ (ep. 9, 26, 8; in: Schwerdtner 2015: 136). 1 Die Norm ist somit in erster Näherung ein Referenzpunkt, der Handlungen Anderer anzuleiten vermag. Für Harald Weinrich (²1988) ist sie eine Orientie‐ rungshilfe, die durch „eine gewisse Verläßlichkeit der Verhaltenserwartungen“ (ibid.: 11) das soziale Zusammenleben erleichtert. 2 Die Verlässlichkeit entsteht dabei durch den verpflichtenden Charakter, der den Kern einer jeden Norm ausmacht (cf. Gloy 2012: 8). 3 Normen sind in diesem Sinne immer mit sozialen Gruppen oder ganzen Gesellschaften verknüpft und beeinflussen das Handeln der Gruppenmitglieder. Wird von den Gruppenmitgliedern gegenseitig Norm‐ konformität erwartet, die Missachtung von Normen hingegen (potenziell) sank‐ tioniert, dann sind die Normen in dieser Gruppe gültig. Das Konzept der Norm wird in verschiedenen Forschungsbereichen unter‐ schiedlich definiert, sodass der Begriff bisweilen als „vielseitig“ (Pluder / Spahn 2006: 241), bisweilen als „hochgradig mehrdeutig“ (Sinner 2005: 3) beschrieben wird. 4 Diese Einschätzungen lassen sich auch durch die Normen-Typologie von Interis (2011) bestätigen, der nicht weniger als 19 verschiedene Normklassen differenziert. Je nach Definition handelt es sich um Konventionen, Handlungs‐ vorschriften, Sachnormen oder aber um übliche Handlungen selbst, die als ty‐ 60 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="61"?> 5 Bisweilen können Gemeinschaften auch erst durch die Existenz bzw. die Gültigkeit von Normen entstehen, wie dies etwa bei Religionsgemeinschaften der Fall ist. Denn diese definieren sich nicht nur durch den geteilten Glauben, sondern auch durch die Akzep‐ tanz fundamentaler Normen. pisch für die handelnden Personen gelten. Normen können - in mündlicher oder schriftlicher Form - explizit gesetzt werden oder aber implizit gelten, ohne je tatsächlich formuliert worden zu sein. So unterschiedlich die verschiedenen Ausprägungen auch sein mögen, so ist ihnen doch in der Regel gemein, dass sie menschliche Interaktionsvorgänge anleiten, strukturieren oder beschreiben. Normen können in diesem Sinne als sozio-referenziell beschrieben werden. 3.1.1 Die Norm als Richtschnur gesellschaftlichen Handelns - soziale Normen Normen funktionieren nicht im ʻluftleeren Raumʼ. Sie existieren immer in be‐ stimmten Gemeinschaften; genauer gesagt, sie entstehen aus den Interaktionen der Gemeinschaftsmitglieder: 5 “Social norms (as opposed to, say, legal rules), however, are the unintentional and unplanned outcome of human interaction. We can explain their emergence without any reference to the functions they eventually come to perform.” (Bicchieri / Muldoon 2011: 4) Aufgrund dieses Primats der sozialen Interaktion weist Interis (2011: 434) nicht ganz zu Unrecht darauf hin, dass eine Unterscheidung zwischen Norm und sozialer Norm unnötig sei, da Normen aufgrund der Interaktionsgebundenheit stets an Gesellschaften gebunden und gewissermaßen ‘von Natur aus’ sozial seien. Aus Gründen der argumentativen Klarheit, kann die Unterscheidung bis‐ weilen dennoch hilfreich sein: beispielsweise um - wie im obigen Zitat - zwi‐ schen sozialen Normen und Gesetzen zu unterscheiden oder um Sprachnormen, als Teilmenge der sozialen Normen, anderen Normen gegenüberstellen zu können, die eben gerade nicht auf sprachliches Handeln rekurrieren. Definiert als das Ergebnis sozialer Interaktion, setzt diese Konzeption ein Mindestmaß an Kooperationswillen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder und weiterhin von den Mitgliedern geteilte Identitätsmarker bzw. Werte voraus, auf denen die Ge‐ sellschaft gründet. Normen sind eng mit den Werten der Gemeinschaft verknüpft. Die gesell‐ schaftlichen Werte wiederum entstehen zunächst aus einer kollektiven posi‐ tiven Erfahrung, nämlich, dass die Orientierung des Zusammenlebens an ein‐ zelhandlungsunabhängigen Parametern allen Interaktionsteilnehmenden 61 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung <?page no="62"?> 6 Takahashi (²2004: 172) spricht in diesem Zusammenhang etwas nebulös von ‘techni‐ schen oder gesellschaftlichen Notwendigkeiten’ als Ursprung gemeinsamer Werte. Vorteile bietet. Diese Parameter können Ideen, Grundsätze des Verhaltens oder Ziele sein, die dem Zusammenleben oder gar dem Überleben der Gesellschaft zuträglich sind (cf. Lara 2004: 50). Wird diese Erfahrung von anderen Interak‐ teuren geteilt und werden die Parameter akzeptiert, so finden die Werte inner‐ halb der Gemeinschaft Verbreitung. Sie werden internalisiert, d. h. es findet eine unbewusste Verinnerlichung statt. Die Werte sind dann zu achtende und zu wahrende Grundpfeiler der sozialen Interaktion (cf. Takahashi ²2004: 172). Genau zu diesem Zwecke entstehen Normen, die die Handlungsintentionen der Gesellschaftsmitglieder an den geteilten Werten orientieren und damit nicht mehr nur ihre konkreten Handlungen, sondern auch ihr Verhalten beein‐ flussen. 6 Vor dem Hintergrund der anleitenden Werte wird „ein bestimmtes menschliches V e r h a l t e n, auf das sich die Norm bezieht, […] als gesollt statuiert“ (Kelsen 1979: 23, Hervorhebung im Original). In diesem Sinne sind Normen Instrumente, mit denen gesellschaftlichen Werten Wirklichkeit ver‐ liehen wird (cf. Lara 2004: 50), und somit gleichsam Ursache und Wirkung so‐ zialer Praktiken (cf. Frese 2015: 1328): Sie entstehen aus sozialen Interaktionen heraus und können diese - sobald sie gelten - beeinflussen, indem sie bestimmte Handlungen vorschreiben oder anleiten und andere untersagen oder verbieten. Der Unterschied zwischen Normen und Werten liegt in ihrer Verortung, aber auch in der etwaigen Verknüpfung von Werten mit moralischen oder ethischen Kategorien (ibid.). Ein Mensch hat bestimmte Werte und teilt diese abhängig von äußeren Umständen und inneren Überzeugungen in variablem Umfang mit anderen Menschen. Die Werte sind also im Individuum verortet. In diesem Sinne kann die Floskel ‘die Werte einer Gemeinschaft’ als generalisierte Totum-pro-Parte-Konstruktion gelesen werden, die sich eigentlich auf die je in‐ dividuellen, aber in der Gemeinschaft geteilten Werte bezieht. Aus dieser Wer‐ teschnittmenge kann synthetisierend ein die einzelnen Mitglieder der Gemein‐ schaft vereinendes Identifikationspotential abgeleitet werden. Im Gegensatz zu Werten sind Normen nicht Teil des Individuums. Ein Mensch ‘hat’ keine Normen, vielmehr verhält er sich gegenüber Normen kon‐ form oder nonkonform. Normen wirken zwischen Personen, sind somit Teil des Sozialkonstrukts und als der Gesellschaft (nicht der Gesellschaftsmitglieder) in‐ härent zu bestimmen. Eine ähnliche Position vertritt Hartung (1987), wenn er in seiner Abhandlung zu Sprachnormen Normen als „kollektive[…] Instanz ge‐ genüber dem Individuum“ (ibid.: 329, Hervorhebung im Original) bezeichnet. Werte sind zudem - im Gegensatz zu Normen - häufig moralisch aufgeladen. 62 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="63"?> 7 So beschreibt etwa Alberto Medina, dass ein zentraler Bestandteil der Strategie der königlichen Sprachakademie Spaniens in der Etablierung und Verbreitung standard‐ sprachlicher Normen darin bestand, eine Art „schlechtes Gewissen“ bei sprachlichem Fehlverhalten zu generieren, was als „secularization of a religious disciplinary strategy at the service of a new model of state and nation“ (Medina 2013: 91-92) zu verstehen sei. 8 Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen oder um mehrere Normadressaten handelt. Entscheidend ist, dass sich die Norm an konkrete Individuen richtet. Sie wirken im Zusammenspiel mit moralischen Kategorien wie ʻgutʼ und ʻböseʼ, Normen indes erfahren diese Wertung i. d. R. nicht. Allerdings kann den ein‐ zelnen Handlungen oder deren Akteuren durchaus eine moralische Wertung entgegengebracht werden, und zwar vor dem Hintergrund der geltenden Normen. 7 3.1.1.1 Wie Normen wirken - Setzung, Geltung und Sanktionen Normen wirken also in einer gewissen Gemeinschaft - sie haben dort Geltung. Verliert eine Norm ihre Geltung, so verliert sie auch ihren Normstatus. Was aber bedeutet es konkret, dass eine Norm gilt? Die Geltung besteht in einem „Be‐ folgt-Werden-Sollen“ durch die Mitglieder der Gemeinschaft und macht „ihre spezifische, ideelle Existenz“ aus (Kelsen 1979: 22). In Geltung treten Normen dem Juristen und Philosophen Hans Kelsen zu Folge (cf. 1979: 42) entweder durch einen konkreten Setzungsakt einer dazu ermächtigten Autorität oder aber durch Gewohnheit. Wirksam jedoch werden sie erst durch ihre Anwendung, die in der Billigung normkonformen Verhaltens bzw. in der Missbilligung oder Sanktionierung normkonträren Verhaltens besteht (cf. Kelsen 1979: 3). Dort, wo Normen gelten, wird von den Normsubjekten (cf. Bartsch 1987: 90) deren Befol‐ gung erwartet, Normabweichungen hingegen missbilligt oder bestraft. Ist den Normsubjekten die Gültigkeit der Normen bewusst, so bedeutet dies, dass sie den Handlungen Anderer mit einer bestimmten Erwartungshaltung entgegen‐ treten, nämlich der Erwartung der Normkonformität. Zugleich wird diese hand‐ lungsbezogene Erwartungshaltung vor dem Hintergrund der Kenntnis der gel‐ tenden Normen in die Interaktanten projiziert. Es wird also nicht nur ein bestimmtes Verhalten erwartet, sondern eine gleichgerichtete Erwartungshal‐ tung der anderen gegenüber den eigenen Handlungen antizipiert. Durch diese sogenannten Erwartungserwartungen entsteht Normkonformitätsdruck, der durch die Sanktionierung von Zuwiderhandlungen zusätzlich erhöht werden kann. Dabei beziehen sich Normen nicht immer auf einen konkreten, individuell getätigten Akt. Sie können individueller 8 und konkreter, aber auch genereller und hypothetischer Natur sein. Wenn beispielsweise ein Vater seinen Kindern an einem schönen Sonntag im Mai aufträgt, zunächst die Hausaufgaben zu ma‐ 63 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung <?page no="64"?> chen, bevor sie mit ihren Freunden spielen können, ist dies eine individuelle und konkret gesetzte Norm, wohingegen die Norm ‘Schulkinder müssen ihre Haus‐ aufgaben’ machen eine hypothetische, abstrakte, d. h. nicht konkret gesetzte Norm darstellt. Abstrakte generelle Normen gelten nur mittelbar, und zwar über ihre Aktualisierung in entsprechenden individuellen Normen. Durch das Setzen der individuellen Norm wird der Sinn der abstrakten Norm realisiert und das zugrundeliegende Sollen in Einzelsituationen konkretisiert. Voraussetzung hierfür ist die Anerkennung der abstrakten Norm durch das die konkrete Norm setzende Individuum (cf. Kelsen 1979: 39). Die Bindung abstrakter Normen an konkrete Situationen lässt deren Wandelbarkeit erklären - sie werden in jeder Einzelsituation aufs Neue geprüft und gegebenenfalls modifiziert. Durch viel‐ fache individuelle intentional gleichgerichtete Modifizierungen kann schluss‐ endlich auch die abstrakte Norm Veränderungen erfahren; sie besitzt dann in ihrer alten Form innerhalb der Gesellschaft keine uneingeschränkte Gültigkeit mehr. Somit sind Normen keineswegs als starre Gebilde zu denken. Als Spiegel der Gesellschaft sind sie genauso wandelbar wie die Gesellschaft selbst. So können etwa sozio-politische Veränderungen oder kriegerische Eingriffe zu einer Veränderung der Zusammensetzung der Gemeinschaft führen, was wie‐ derum zu einer Veränderung des sie stabilisierenden Wertesystems führen kann. Ebenso kann wissenschaftlicher oder technologischer Fortschritt dazu führen, dass bis dato gültige Normen obsolet werden. Dieser Prozess der Veränderung der abstrakten Normen oder des Erlöschens ihrer normativen Kraft ist spätes‐ tens dann abgeschlossen, wenn „überhaupt niemand mehr auf die Abweichung einer sozialen Norm mißbilligend reagiert“ (cf. Weinrich 2 1988: 12; vergleiche auch Kelsen 1979: 85). 3.1.1.2 Implizite vs. explizite, deskriptive vs. präskriptive Normen Das explizite Setzen einer Norm stellt einen Willensakt (oder Befehlsakt) dar, der statuiert, dass sich ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen in einer bestimmten Art und Weise verhalten sollen (cf. Kelsen 1979: 21). Unabdingbar für die Gültigkeit des normsetzenden Aktes ist, dass es sich um einen durch geltendes Recht oder gemäß positiver Moral legitimierten Befehlsakt handelt (andernfalls wäre auch jeder Befehl im Zuge von Raub oder Erpressung als Akt der Normsetzung einzustufen (ibid.)). Im Sinne der Sprechakttheorie Searles (1976) ist das Normsetzen ein direktiver Vorgang: Eine Person richtet sich an ein Gegenüber, um auf dieses einzuwirken und ein bestimmtes Handeln zu evo‐ zieren. Eine Norm wird explizit gesetzt, damit sich der Interaktant dementspre‐ 64 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="65"?> 9 Wie zuvor dargestellt ist dieser Akt nur dann erfolgsversprechend, wenn die normset‐ zende Person als (Norm-)Autorität anerkannt ist oder Verfügungsgewalt über das Ge‐ genüber besitzt. Das (explizite) Normsetzen ist also zu denjenigen illokutionären Akten zu zählen, die einer außersprachlichen Vorbedingung unterliegen (Searle 1976: 6). Ebenso denkbar ist selbstverständlich die Überzeugung des Gegenübers im Rahmen einer sich anschließenden Diskussion des Sachverhalts, allerdings wäre das ein dem Normsetzen nachgeschalteter Vorgang. Das Setzen der Norm wäre in diesem Sinne in erster Instanz gescheitert. 10 In der Sprachwissenschaft wird diese Unterscheidung häufig für den normativen Cha‐ rakter sprachlicher Kodizes angewandt. Eine Unterscheidung, die jedoch in mehrfacher Hinsicht problematisch ist und im Kapitel zur sprachlichen Norm erneut aufgegriffen und gesondert diskutiert wird (cf. Kapitel 3.1.3). chend verhält. 9 Allerdings ist das explizite Setzen keine notwendige Bedingung für die Gültigkeit von Normen. Diese können ebenso implizite Gültigkeit er‐ fahren, und zwar dadurch, dass die Gemeinschaft in ihrem Sinne agiert (cf. Bartsch 1987, Weinrich 2 1988, Lara 2004, Garatea Grau 2006, Rivarola 2008, Amorós Negre 2015). Implizite Normen entstehen - auf höherer Abstraktions‐ ebene - durch die kollektive Ausrichtung der Gesellschaft an ihren geteilten Werten und - in konkreten Handlungskontexten - durch gleichgerichtete Syn‐ chronisierungsmechanismen (cf. Schmidt / Herrgen 2011: 26-32), die zu einer Assimilierung des tatsächlichen Verhaltens der Gesellschaftsmitglieder führen. Ein explizites Setzen von Normen ist demnach nur dort notwendig, wo die Syn‐ chronisierungsmechanismen gestört sind oder die zugrunde liegenden gesell‐ schaftlichen Werte (von Teilen der Gemeinschaft) bewusst ignoriert werden. Der Wunsch nach Stabilisierung und Verbreitung des Wertesystems sowie die An‐ tizipation defektiven Verhaltens einzelner Gesellschaftsmitglieder führt dazu, dass in der Praxis eine Vielzahl von Normen explizit gesetzt und etwa in Ge‐ setzestexten oder Regelbüchern veröffentlicht und z. T. mit Informationen oder Anweisungen zu angemessener Sanktionierung verknüpft werden. Neben der Unterscheidung zwischen expliziter und impliziter Norm werden in der Normendiskussion, speziell in der Linguistik, auch präskriptive von des‐ kriptiven Normen unterschieden. 10 Mit präskriptiven Normen sind zumeist ex‐ plizit gesetzte und häufig in verschrifteter Form vorliegende Normen gemeint, die dazu dienen, das Verhalten der Normsubjekte unmittelbar zu beeinflussen, d. h. die ein bestimmtes Verhalten vorschreiben. Mit deskriptiven Normen sind hingegen in einer bestimmten Gesellschaft übliche Verhaltensweisen gemeint (Cialdini et. al. 1991, Bicchieri 2006). Die präskriptive Norm (‘Vorschrift’) refe‐ riert somit auf ein Sollen, die deskriptive Norm (‘Beschreibung’) auf ein Sein. Präskriptive Normen sind den Normsubjekten - eine entsprechende Instruktion vorausgesetzt - aufgrund ihrer Explizitheit häufig bewusst. Bei Konflikten 65 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung <?page no="66"?> 11 Wörtlich spricht die Autorin vom ‘dress-down Friday‘. Im deutschen Sprachraum hat sich dafür der Anglizismus Casual Friday etabliert. Dabei handelt es sich um ein Angebot mancher Arbeitgeber, die an anderen Tagen geltende betriebliche Kleiderordnung am letzten Tag der Arbeitswoche aufzulockern, und legerere Kleidung zuzulassen. können sich die Normsubjekte auf die Norm(-autorität) und den normsetzenden Akt berufen. Das Verhalten V ist falsch, weil es dem zuwiderläuft, was X gesagt hat, was in Y steht oder was durch Z vorgeschrieben wird. Die Wirkung präs‐ kriptiver Normen wird dadurch erhöht, dass Zuwiderhandlungen durch er‐ mächtigte Autoritäten sanktioniert werden können. Als deskriptiv werden diejenigen Normen bezeichnet, die nicht explizit ge‐ setzt werden, sondern sich aus gleichgerichteten sozialen Interaktionsweisen ableiten lassen. Ein Beispiel liefert Shteynberg (2015: 1245), der unter US -Bür‐ gern die Neigung beobachtete, angesichts ihres antizipierten Erscheinens auf einer Fotografie in die Kamera des Fotografen zu lächeln, und zwar selbst dann, wenn sie nicht explizit dazu aufgefordert werden. Dieses Verhalten sei in der US -amerikanischen Gesellschaft so üblich, dass ein Ausbleiben des Lächelns Missbilligung hervorrufen könne, obwohl es selbstverständlich keine Vorschrift für Lächeln auf Fotografien gäbe. Bicchieri (2006: 29) zählt auch gewohnheits‐ mäßige Handlungen und Trends - zum Beispiel im Bereich der Mode - zu den deskriptiven Normen; als Beispiele nennt die Autorin den Casual Friday  11 in Unternehmen oder den in bestimmten Kreisen herrschenden Druck, Geld in Aktien oder Statussymbole zu investieren. Dabei werden deskriptive Normen konzeptionell von sozialen Normen unterschieden. Entscheidend für die Ein‐ ordnung sind die Handlungsmotive der Interaktanten sowie die situationsspe‐ zifischen Erwartungskonstellationen: „What makes a collective behavior a descriptive or a social norm are the expectations and motives of the people involved. […] It is the way we relate to behavioral rules by way of preferences and expectations that gives them their identity as habits, norms, or mere conventions.” (Bicchieri 2006: 29) Der Unterschied liege, weiterhin der Darstellung Bicchieris folgend, nun darin, dass es für die Befolgung sozialer Normen starke Gründe gebe, die die Konfor‐ mität selbst dann als angezeigt erscheinen ließen, wenn sie situationsbezogenem Eigeninteresse zuwiderlaufe; beispielsweise Wohlwollen, Angst vor der Sank‐ tionierung von Non-Konformität oder der Wunsch, legitimen Erwartungen zu entsprechen (Bicchieri 2006: 42). Konformität mit deskriptiven Normen hin‐ gegen erfolge immer im eigenen Interesse, etwa, um das soziale Zusammenleben zu erleichtern oder die eigene Stellung im Sozialgefüge zu wahren oder zu ver‐ bessern (ibid.: 29-30). Zudem wird die Erwartungskonstellation in Situationen 66 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="67"?> 12 Dies gilt solange der Arbeitgeber als Normautorität nicht einschreitet und auch für den Casual Friday eine explizite Norm setzt. 13 Als deskriptiv ist eher der Untersuchungszugang des Explorators zu bezeichnen, der das übliche Verhalten feststellt, beschreibt und daraus eine Norm ableitet. Aus Perspektive der Normsubjekte heraus müsste dieser Normtypus indes als observativ (o. ä.) gelten. deskriptiver Normativität als unilateral beschrieben, da zwar individuelle Er‐ wartungen an die Situation oder den Handlungserfolg bestünden, aber keinerlei Erwartungserwartungen oder andere Art von Zwang (obligation) vorlägen (ibid. 30). Allerdings lassen sich diese gerade im Hinblick auf den beispielhaft ange‐ führten Casual Friday durchaus beobachten. Denn viele Angestellte nehmen das Angebot, einmal wöchentlich legerere Arbeitskleidung zu tragen, sicherlich aus Eigeninteresse gerne an, da es den Formalitätsgrad der Arbeitssituation redu‐ ziert und die Bequemlichkeit erhöht. Allerdings lässt sich aus dem Merkmal Handlung aus Eigeninteresse nicht ableiten, dass die Situation nicht zusätzlich von multilateralen Erwartungshaltungen geprägt ist oder sein kann, da die In‐ terpretation von casual trotz ausbleibender Präskription keinesfalls dem ein‐ zelnen Individuum überlassen ist. Die in diesen Betrieben ansonsten geltende und z. T. schriftlich fixierte Kleiderordnung wird vielmehr durch eine implizit ausgehandelte Normativität ersetzt: Was (noch) als casual und was als nicht (mehr) arbeitsadäquate Bekleidung gelten kann, wird durch Synchronisierungs‐ mechanismen kontinuierlich verhandelt. 12 Die Angemessenheit der eigenen Auswahl wird über den Vergleich mit der Wahl der übrigen Interaktanten ge‐ prüft und bei non-Kongruenz für zukünftige Situationen ggf. modifiziert. Gleichzeitig wird von den übrigen Angestellten ein ähnliches Verhalten er‐ wartet. Bleibt dieses jedoch aus, werden auch die eigenen Restriktionen gelo‐ ckert. Eine dauerhaft ausbleibende gegenseitige Verhaltenssynchronisierung würde dazu führen, dass überhaupt keine Erwartungen mehr an die Wahl der Interaktanten gestellt werden. Dass in den meisten Büros auch ohne explizite Regulierung keine Jogginghosen, Tennissocken in Badeschlappen oder Flip-Flops zu sehen sind, ist auf die implizit ausgehandelten Bekleidungsnormen zurückzuführen. Ebenso wie die übrigen sozialen Normen ist somit auch die Situation des Casual Fridays durchaus geprägt von multilateralen Erwartungs‐ konstellationen: Das Verhalten der Interaktanten wird mit einem mutual aus‐ gehandelten Sollen abgeglichen, das die in diesen Situationen angemessenen Aktionen vorschreibt. Das Unterscheidungsmerkmal zwischen üblichem und gelockertem Dresscode liegt somit weniger in Deskription oder Präskription als vielmehr in der Explizitheit bzw. Implizitheit der gültigen Normen begründet. 13 Im Folgenden wird zur Unterscheidung normativen Charakters daher das letzt‐ genannte Begriffspaar verwendet. Neben der Art ihrer Geltung unterscheiden 67 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung <?page no="68"?> sich die beiden Typen häufig zusätzlich durch divergierende Handlungsspiel‐ räume und unterschiedlichen Konformitätsdruck. So sind im Falle des explizit gesetzten Dresscodes lediglich einige wenige Verhaltensweisen geboten und - im Umkehrschluss - eine Vielzahl von Verhaltensweisen untersagt. Im Falle des gelockerten Dresscodes stehen den Interaktanten hingegen deutlich mehr Op‐ tionen zur Verfügung. Implizite Normen entwickeln sich häufig unter Gleich‐ berechtigten, d. h. in Situationen flacher Hierarchien oder ohne hierarchisches Gefälle. In derartigen Situationen sind die Interaktionsteilnehmer in der Regel nicht als Normautorität dazu ermächtigt, Normen zu setzen oder Sanktionen zu verhängen, weshalb der Konformitätsdruck häufig geringer ist als bei explizit gesetzten Normen. Dennoch haben auch Verstöße gegen implizite Normen po‐ tenzielle Sanktionierungseffekte. Sie sind zunächst einmal auffällig (s. unten) und können die Missbilligung durch das Kollektiv zur Folge haben, wie etwa die negative Wertung des Verhaltens, den Ausschluss aus bestimmten Handlungs‐ kontexten oder als ultima ratio den Ausschluss aus dem Gruppengefüge. Zudem müssen normkonträr Agierende in iterativen Handlungskontexten erwarten, dass die übrigen Interaktanten dieses Verhalten für zukünftige Aktionen anti‐ zipieren und ihr Verhalten entsprechend anpassen. Dies wiederum kann die ei‐ genen Interaktionsmöglichkeiten einschränken und den Interaktionserfolg po‐ tenziell schmälern. Somit liegt die Normkonformität also auch bei diesem Interaktionstypus, entgegen der Darstellung Bicchieris, durchaus im individu‐ ellen Eigeninteresse. In diesem Sinne bleibt auch im Falle impliziter Normen, die eingangs ins Zentrum gestellte Charakteristik des Anleitens von Hand‐ lungen erhalten. Auch implizite Normen setzen dem Sein ein Sollen und sind in ihrem Kern somit ebenfalls als präskriptiv zu denken (cf. Lara 2004: 41). Wie jedoch lässt sich die Existenz von impliziten Normen überprüfen? Häufig wird die Frequenz einer Handlung in einer gegebenen Situation als geeigneter Indi‐ kator angegeben, d. h. die für eine Situation übliche Handlung von Gruppen- oder Gesellschaftsmitgliedern wird als Norm interpretiert (cf. Eichner 1981: 18-21, Kapitel 2.3). In der Tat kann übereinstimmendes situationsspezifisches Verhalten von Gruppenmitgliedern ein gutes erstes Indiz dafür sein, dass dieses Verhalten in der Gruppe so gesollt ist. Allerdings stellt das Verhalten selbst keine Norm, sondern assimiliertes Verhalten dar, das - sofern eine Norm gilt - als Folge der synchronisierten Ausrichtung an gemeinsamen Werten interpretiert werden kann. Zudem ist die Frequenz allein keine hinreichende Bedingung für die Geltung einer Norm, denn verschiedene Umstände können dazu führen, dass sich auch größere Gruppen oder gar Mehrheiten normkonträr verhalten. Dies geschieht beispielsweise im Falle von Normenkollisionen, wo die Konformität mit der einen Norm die non-Konformität einer anderen impliziert, was insbe‐ 68 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="69"?> 14 Beispielhaft sei an Vorgänge der Steuervermeidung bzw. Steuerhinterziehung oder Geldwäsche erinnert, wie sie etwa im Zuge der Veröffentlichung der sogenannten Pa‐ nama Papers im Jahr 2016 publik wurden oder auch an Plünderungen bei sozialen Un‐ ruhen oder Katastrophen. 15 Zudem müsste die Frage beantwortet werden, ab welcher Größenordnung der statisti‐ schen Häufung einer Handlung von einer genügend großen Frequenz gesprochen werden könnte. sondere in Härtefällen, aus Angst oder wenn eine Situationen eine mutmaßlich sanktionsfreie Vorteilsnahme ermöglicht beobachtbar ist. 14 Auch der Umkehr‐ schluss der Frequenz-Bedingung ist nicht zulässig: die geringe Frequenz einer Handlung ist kein Indiz dafür, dass letztere gegen geltende Normen verstößt. 15 Somit kann die statistische Häufung von Handlungsweisen zwar als Hinweis auf existierende Normen einer Gemeinschaft dienen, ist selbst aber weder hin‐ reichende noch notwendige Bedingung für deren Existenz. Ein guter Indikator für Gültigkeit einer Norm ist hingegen der Grad der Auf‐ fälligkeit einer gegebenen Handlung in der Wahrnehmung anderer Gruppen‐ mitglieder; also ihre Salienz. Dieses Konzept ist sowohl für das Verständnis im‐ pliziter Normen im Allgemeinen als auch für die (i. d. R. ebenfalls implizite) Normierung der Aussprache, wie sie für die Fragestellung dieser Arbeit relevant ist, von großer Bedeutung. Der Begriff entstammt der Wahrnehmungspsycho‐ logie und beschreibt im Wesentlichen Figur-Grund-Unterscheidungen (cf. Auer 2014: 9). Einfache Reize wie Striche oder Punkte werden häufig nicht als isolierte Elemente, sondern als figurale und somit bedeutungsvolle Einheit wahrge‐ nommen, die sich vor einem (nicht bedeutungsvollem) Hintergrund abhebt. Dieser Prozess kann Bottom-up stattfinden, indem basale Elemente sukzessive perzipiert und - sofern möglich - zu einer sinnvollen Einheit kombiniert werden, oder Top-down über die ganzheitliche Identifikation der vorhandenen Reize mit bereits bekannten Konzepten bzw. Figuren (cf. Tischler 2015). 69 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung <?page no="70"?> a b Abbildung 10a,b. Die einzelnen schwarzen Punkte ergeben das Bild eines Dalmatiners (Bottom- Up). Ist dies erkannt, erfolgt der Gestaltschluss (bei wiederholter Reizpräsentation (Wiedererkennen) unwillkürlich (auch bei Abb. 10a; Top-Down). Abbildung 11a,b. Eine Drehung des bekannten Vexierbildes bewirkt eine vollständige Re-konzeptualisierung des Wahrnehmungserlebnisses. Aus der Schüssel mit Gemüse wird el hortelano - der Gemüsegärtner mit Kopfbedeckung. Vom Reiz zum Konzept Die Fähigkeit zur bedeutungsgeladenen Prozessierung visueller Stimuli erweist sich als Automatismus, der auch als sogenannter Gestaltschluss das erfahrungsbasierte Wahrnehmungserlebnis Abb. 4 Figur-Grund-Wahrnehmung nach Tischler (2015: 9) So gelingt das Erkennen des Teilabschnitts b) in Abb. 4 zunächst Bottom-up: Über die Zusammenschau der einzelnen schwarzen Punkte ergibt sich die Figur eines Dalmatiners. Ist das Tier einmal erkannt und das Konzept des Dalmatiners ak‐ tiviert, kann die Figur b) in der Folge unmittelbar und wiederholt Top-down identifiziert werden. Sodann ist auch die Identifikation von Teilabschnitt a), der ohne vorherige Aktivierung des Konzepts nur schwerlich zu einer sinnvollen Einheit kombiniert werden kann, als rotierter Ausschnitt derselben Figur mög‐ lich (ibid.: 9-10). Nach erfolgreicher Identifikation kann auch der Teilabschnitt a) in der Folge wiederholt Top-down identifiziert werden. Der nun als Figur interpretierbare Teilabschnitt a) tritt als gestalthafte Einheit aus dem weißen Hintergrund hervor, lässt sich mit erlerntem Weltwissen verknüpfen und inter‐ pretieren. Im Gegensatz zu der zuvor scheinbar unzusammenhängenden An‐ sammlung schwarzer Punkte, springt die Figur ins Auge und ist somit im Wort‐ sinne salient (lat. saliens, ʻspringend, hüpfendʼ). Salienz ist jedoch nicht nur zur Beschreibung der physiologischen Wahrneh‐ mung sensueller Reize relevant, sondern lässt sich ebenso auf die kognitive Wahrnehmung komplexerer Stimuli übertragen (cf. Auer 2014: 9). Auch in de‐ rartigen Fällen liegen Figur-Grund-Relationen vor. Dies lässt sich besonders gut an optischen Täuschungen wie der Penrose-Treppe (cf. Abb. 5) demonstrieren. 70 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="71"?> 16 In der Prototypensemantik werden charakteristische und in diesem Sinne prototypische und randständige Vertreter eines Konzepts unterschieden. So kann der Spatz als pro‐ totypischer Vertreter des Konzepts bzw. mustergültiges Exemplar der Kategorie ‘Vogel’ gelten. Er ist gefiedert, kann fliegen und legt Eier, die er in Nestern ausbrütet. Pinguine und Strauße sind zwar ebenfalls biologisch als Vögel zu klassifizieren, allerdings eher randständige Vertreter der Wirbeltierklasse. So sind sie zwar herausragende Schwimmer bzw. Läufer, allerdings fehlt ihnen das für Vögel charakteristische Merkmal der Flugfähigkeit (cf. Rehbock 5 2016a, Rehbock 5 2016b). Abb. 5 „Flight of Steps“ (Penrose / Penrose 1958: 32) Diese ist nämlich sowohl physiologisch als auch kognitiv salient. Zunächst können die einzelnen Elemente (Striche, Schraffierungen) als komplexes drei‐ dimensionales Bild einer Treppe erkannt werden, die sich als Figur vor dem Hintergrund abhebt. Gleichzeitig ist das Konstrukt jedoch auch salient, weil es mit dem erlernten abstrakten Konzept ‘Treppe’ bricht, das sich durch die wie‐ derholte Wahrnehmung und schlussendlich Kategorisierung einer Vielzahl ver‐ schiedener konkreter Referenten gefestigt hat. Im Laufe unseres Lebens haben wir gelernt, dass eine Treppe eine (in der Regel) stabile Konstruktion ist, die Ebenen unterschiedlicher vertikaler Positionierung miteinander verbindet. Über die Treppe gelangt man von einer Ebene zu einer anderen. Somit erwarten wir von einer Treppe, dass sie sowohl einen Anfang und ein Ende besitzt und man sie sowohl von unten nach oben hinaufals auch von oben nach unten hinab‐ steigen kann. Treppen, die diesen Kriterien genügen, decken sich mit unserem Erfahrungsschatz und sind - sofern sie nicht über weitere besondere Merkmale (Farbe, Material etc.) verfügen - perzeptiv unauffällig. 16 Werden diese katego‐ riellen Erwartungen jedoch durchbrochen, wie im Falle der Penrose-Treppe, die keine unterschiedlichen Ebenen miteinander verbindet und nicht zu enden scheint, so ist dies in unserer Wahrnehmung salient. Ähnlich gelagert ist die Wahrnehmung von menschlichem Verhalten. In kooperativen Gemeinschaften erfüllt normkonformes Verhalten die situationsspezifischen Erwartungen der Interaktanten und ist vor diesem Hintergrund als unauffällig einzustufen: ein Auto, das bei Grün über die Ampel fährt, auf der rechten Seite stehende Nutzer einer Rolltreppe oder die Verwendung der Vergleichspartikel als im Deutschen 71 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung <?page no="72"?> 17 Der Grad der Auffälligkeit ist von einer Reihe individuell unterschiedlich stark ausge‐ prägter Faktoren, etwa der Unterweisung in geltende Normen oder der Aufmerksamkeit der beobachtenden Person abhängig, ebenso können situative Faktoren wie Eile oder ablenkende Ereignisse eine Rolle spielen. zum Ausdruck komparativer Ungleichheit (Hannah ist größer als Leon). Hebt sich ein Verhalten hingegen von dem kollektiv erwarteten Verhalten ab, so wird es als salient wahrgenommen: etwa ein Auto, das bei grünem Signal an der Ampel anhält, auf der linken Seite stehende Rolltreppenbenutzer oder der Aus‐ druck komparativer Ungleichheit vermittels der Vergleichspartikel wie oder als wie im Deutschen (Hannah ist größer (als) wie Leon). 17 Wichtig ist, dass die Auf‐ fälligkeit nicht „dem einzelnen Verhalten an sich zukommt, sondern […] [diesem] als Norm zugeordnet wird bzw. […] eine Norm bezüglich dieses Ver‐ haltens erkennen läßt.“ (Eichner 1981: 49). Das Verhalten tritt somit vor dem Hintergrund der situationsspezifischen kollektiven Erwartungskonstellationen als saliente Handlung hervor. Da soziale Normen mit kollektiven Erwartungskonstellationen korrelieren, kann die Frequenz einer Handlung zwar zunächst als erstes Indiz zur Identifi‐ kation normativer Korrektheit dienen, muss sodann aber über die Auffällig‐ keitswertungen dieser Handlung geprüft werden. Wichtig ist, dass menschli‐ ches Verhalten keinesfalls binär als entweder auffällig oder unauffällig wahrgenommen wird, sondern auf einen Kontinuum mit diesen Polen auch nu‐ ancierte Abstufungen erfahren kann. Um unvoreingenommene Ergebnisse zu erhalten, sollten diese Bewertungen von an der Situation unbeteiligten Gemein‐ schaftsmitgliedern vorgenommen werden. Weiterhin gilt jedoch die Feststellung, dass dort, wo vermeintlich normkont‐ räres Verhalten überhaupt nicht mehr auffällig ist, nicht missbilligt oder sank‐ tioniert wird, keine normative Gültigkeit (mehr) vorliegt. 3.1.1.3 Normen vs. Bräuche, Gebote, Gesetze, Industrienormen und Regeln Wie gezeigt ist der präskriptive Charakter der entscheidende definitorische Be‐ standteil sozialer Normen und somit notwendige Bedingung ihrer Gültigkeit. Ohne explizit gesetzte oder implizit gültige Präskription eines Sollens sollte nicht von einer Norm gesprochen werden. Hinreichend ist diese Bedingung je‐ doch nicht, denn verwandte Konzepte wie Gesetze oder Gebote sind ebenfalls präskriptiv, können jedoch aufgrund ihres speziellen Geltungsbereichs oder der festgelegten Abläufe ihres Entstehens nicht ohne Weiteres mit anderen sozialen 72 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="73"?> 18 Der hier angestrebte Vergleich dient dem besseren Verständnis von Sozialnormen, denen auch die Sprachnormen zuzuordnen sind. Dass einige der zum Vergleich heran‐ gezogenen Konzepte ggf. andere Normtypen darstellen (z. B. Rechtsnorm, moralische Norm etc.), ist vor diesem Hintergrund nicht von Belang. 19 Gesetze können indes vielmehr als Werkzeug interpretiert werden, soziale Normen durchzusetzen und das Verhalten der Gesellschaftsmitglieder zu synchronisieren (cf. Pluder / Spahn 2006: 122). 20 Im Gegensatz zum Verbot, das eine handlungsuntersagende Anweisung darstellt. Normen gleichgesetzt werden. Es ist demnach notwendig, soziale Normen von diesen verwandten Konzepten abzugrenzen. 18 Ebenso wie soziale Normen beruhen auch Bräuche auf der sozialen Interak‐ tion von Mitgliedern einer bestimmten Gruppe. Sie bestehen zumeist aus fest‐ gelegten Handlungsabfolgen und können als das Resultat bestimmter sozialer Normen interpretiert werden (Brockhaus NE GmbH 2018). Beispiele für Bräuche sind etwa das Eierfärben und -suchen an Ostern, das Maibauaufstellen in Teilen Zentral- und Osteuropas oder der feierliche Ablauf einer japanischen Teezere‐ monie. Sie werden in der Regel informell tradiert und haben für diejenigen Per‐ sonen, die an ihnen teilhaben, identitätsstiftende Funktion. Im Gegensatz zu Normen schreiben Bräuche jedoch kein Sollen vor, sie haben keine präskriptive Funktion, sondern sie sind die konventionalisierten Handlungsabfolgen selbst. Gebote und Gesetze weisen zwar den normentypischen präskriptiven Cha‐ rakter auf, allerdings folgen sie in ihrer Entstehung starren Abläufen bzw. weisen einen derart restringierten Geltungsbereich auf, dass sie nicht mehr als gesellschaftliche Normen im oben definierten Sinne bezeichnet werden können. So folgen beispielsweise Entwurf und rechtskräftige Verabschiedung juristi‐ scher Gesetze festgelegten juristischen Vorgaben und Prozederes. Dies beginnt (im Falle von Demokratien) bei der Redaktion des Gesetzes, welche ausschließ‐ lich durch Experten erfolgen kann, über die Setzung durch die Legislative des Staates bis hin zur Anklage von Gesetzesbruch und dem strikten Regeln fol‐ genden Ablauf der Sanktionierung. Man kann hier also keinesfalls von einem „unintentional and unplanned outcome of human interaction“ (Bicchieri / Mul‐ doon 2011: 4) sprechen, der den Autoren zufolge charakteristisch für Sozial‐ normen wäre. 19 Das Gebot ist eine handlungserfordernde Anweisung, 20 deren Legitimation sich aus bestehenden Normen oder Gesetzen oder der Macht bzw. Autorität von Einzelpersonen oder metaphysischen Instanzen ergibt (Brockhaus NE GmbH 2019). Im Gegensatz zu den sozialen Normen müssen Gebote nicht an den Werten der Gesellschaft orientiert sein und besitzen kein identitätsstif‐ tendes Potential. Gesetze und Gebote verknüpfen also Handlungen mit Normen und „treffen Sollensaussagen, die spezifische Anforderungen an das Verhalten der Individuen zum Ausdruck bringen“ (Dietrich 2017: 2). 73 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung <?page no="74"?> 21 Das Institut bietet sogar eine Prüfung zum ‘DIN-Normungsexperten’ an. Besonderer Klärung bedarf zuletzt die Norm im Bereich der Industrie und Technik. Dort wird unter Norm eine auf Vereinbarung beruhende Festlegung von Produktionsmaterialien, -verfahren oder Produktmaßen verstanden. In diesem Sinne sind auch die Normen selbst definiert als ein Produkt, nämlich das schriftlich festgehaltene Ergebnis der Arbeit von Normungsausschüssen. Sie halten Produktions- oder Verfahrensstandards fest (cf. Brockhaus NE GmbH 2017: Normung). Die erste Norm („ DI -Norm 1“) aus dem Jahre 1917 legte bei‐ spielsweise die Maße von Kegelstiften fest und entsprang aus dem Bestreben, die industrielle Produktion vor dem Hintergrund des andauernden ersten Welt‐ krieges zu optimieren (cf. Wertheimer 2012: 9). In Deutschland wurde mit dem Deutschen Institut für Normung ( DIN ) eine eigens darauf spezialisierte Einrich‐ tung geschaffen, die mittlerweile als eingetragener Verein agiert und in ver‐ traglicher Übereinkunft mit der Bundesregierung seit 1975 als einzige nationale Normungsorganisation anerkannt ist. 21 Ähnliche Normungsinstitute gibt es auch in anderen Ländern und auf transnationaler Ebene (cf. das Comité Européen de Normalisation ( CEN ) oder die International Organization for Standardization ( ISO )). Derartige Normen existieren übrigens nicht ausschließlich im Bereich der Industrie, sondern auch in anderen Bereichen, wie etwa der Wissenschaft. So hat sich im Jahr 2017 beispielsweise ein Verbund von elf Bibliotheken zu einer Kooperative zusammengeschlossen, um eine Gemeinsame Normdatei ( GND ) zu erarbeiten. Das Ziel war die Erstellung eines geteilten Kataloges von Metadaten (Tags), um „Entitäten“ (Personen, Werke, Exponate etc.) einheitlich und zeit‐ stabil mit suchrelevanten Informationen versehen zu können ( DNB 2020). Die Norm ist in diesem Kontext stets eine schriftliche Vorgabe, die die Zusammen‐ arbeit verschiedener Akteure regulieren soll: „Eine Norm ist ein Dokument, das Anforderungen an Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren festlegt“ ( DIN 2017). Normen dienen stets der Gleichschaltung von Produktions- und Verfah‐ rensprozessen zur Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit und Marktposition in‐ ternational agierender politischer oder wirtschaftlicher Entitäten oder Akteure. Dabei ist die tatsächliche Anwendung der DIN -Normen „grundsätzlich frei‐ willig. Erst wenn Normen zum Inhalt von Verträgen werden oder wenn der Gesetzgeber ihre Einhaltung zwingend vorschreibt, werden Normen bindend.“ ( DIN 2017). Im Gegensatz zu sozialen Normen fehlt diesen Normen somit die intrinsische präskriptive Komponente. Nichtsdestoweniger können auch ohne die gesetzliche Verankerung bei demjenigen Wettbewerbsnachteile entstehen, der die Norm nicht befolgt, und zwar dann, wenn sich bzgl. des in Frage komm‐ enden Prozesses durch eine genügend große Verbreitung der Norm bereits eine 74 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="75"?> Erwartungshaltung der Interaktionspartner eingestellt hat. Die Normen der verschiedenen Institute für Normierung und Standardisierung stellen somit einen Spezialfall dar, der für die vorliegende Arbeit jedoch von großem Interesse ist, denn Normen in diesem Sinne haben auch den Zweck, (bewusst oder unbe‐ wusst) non-konforme Akteure auszuschließen oder den Markteintritt zu er‐ schweren. So gesehen können Normen auch mit Machthierarchien oder kom‐ merziellen Interessen verknüpft und das Wissen über Normung als Teil des Herrschaftswissen verstanden werden. Weitgehend analog kann ein weiterer Fall institutioneller Normierungsarbeit interpretiert werden, nämlich die expli‐ zite Normierung des sprachlichen Standards (cf. Kapitel 3.2). 3.1.2 Ein normales Zusammenspiel - zur Koexistenz und Hierarchie von Normen In jeder Gesellschaft existiert eine Vielzahl von Normen. Diese können in völlig verschiedenen Bereichen entweder unabhängig voneinander wirken oder aber in Beziehung zueinander stehen. Dort, wo verschiedene Normen Gültigkeit haben, sind diese häufig hierarchisch geordnet. Einige Normen sind dann eher zu befolgen als andere. Anders gesagt: sie besitzen eine größere normative Kraft (Bartsch 1987). Ohne diese hierarchische Strukturierung der Normen würden sich die Normsubjekte in ständigen und bisweilen nicht lösbaren Normkonf‐ likten befinden, da gleichzeitig alle Normen unserer Gesellschaft in gleichem Maße zu befolgen wären. Die Hierarchisierung von Normen lässt sich auf verschiedene Parameter zu‐ rückführen. Als systeminterne Parameter sind etwa der Grad der Spezifizität von Normen und - im Falle abgeleiteter Normen - ihre Deduktionsrichtung zu nennen (cf. Bartsch 1987: 155-156). Systemexterne Parameter hängen mit dem sozialen Machtgefüge der normsetzenden Autorität, der Wahrscheinlichkeit ihrer Sanktionierung und der Stabilität ihrer Anwendung zusammen. Ein wei‐ terer Aspekt ist die Hierarchie der Werte (Meinungsfreiheit, Frömmigkeit, Na‐ turverbundenheit, Produktivität etc.), auf der die Gesellschaft aufbaut und die die Normen zu stabilisieren suchen. Die Hierarchie der sozialen Normen spiegelt sich im Stufenbau des Rechts (cf. Dietrich 2017: 5), wo allgemeine oder für die Rechtsstruktur fundamentale Rechtsnormen über spezifische und weniger fun‐ damentale Gesetze gestellt werden, d. h. eine größere normative Kraft besitzen. So sind die Rechtsnormen der Verfassung i. d. R. über Rechtsnormen einzelner Gesetze zu stellen. Wie das folgende Kapitel zeigt, lässt sich eine solche Hierar‐ chie der Normen auch im Bereich der Sprache beobachten. 75 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung <?page no="76"?> 22 Dieser Verweis auf ein goldenes Zeitalter gilt natürlich zunächst einmal spezifisch für das Spanische. Dort hat sich die königliche Sprachakademie seit ihrer Gründung immer wieder - v. a. aber im 18. und 19. Jh. - auf die Schriftsteller des siglo de oro als norms‐ tiftende Modelle der ‘reinen’ und ‘schönen’ Sprache berufen. Allerdings mag er auch für andere Sprachen gelten, in denen eine Epoche als sprachlich herausragend be‐ trachtet wird. 23 „[…] implica pasar del saber hablar al saber qué se habla.” (Lara 2004: 12). 3.1.3 Die sprachliche Norm Wie die übrigen sozialen Normen haben auch sprachliche Normen ihren Ur‐ sprung in den Werten der Gemeinschaft, genauer gesagt im reflexiven Prozess der Bewertung sprachlichen Handelns, der die Werte der Gemeinschaft mit sprachlichen Erfahrungen in Beziehung setzt: “No nacen [las tradiciones verbales y las normas de corrección; F. B.] del habla es‐ pontánea […], sino de la valoración que hace una sociedad de sus experiencias verbales en relación con los valores apreciados por ella […]” (Lara 2004: 11-12) Die sprachliche Norm selbst ist dabei - der Darstellung Laras (2004: 41) folgend - ein Instrument, mit dem die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft versuchen, die in ihrer historischen Einzelsprache identifizierten Werte in die (Sprach-)Praxis zu übertragen. Derartige Werte können etwa die gegenseitige Verständigung, die Schönheit des Diskurses, die Modellhaftigkeit (in Verbin‐ dung mit einem goldenen Zeitalter) 22 sowie der identitätsstiftende, symbolische Charakter der Sprache für die Sprachgemeinschaft sein (cf. Ludwig 1995, Lara 2004: 12). Letzterer sei gegeben, da die Bewertung der sprachlichen Erfahrungen gleichzeitig immer auch eine Identifizierung mit der Sprache impliziere. Diese Identifizierung habe dabei mindestens zwei Effekte: Zunächst wirke sie grup‐ penbildend, also integrierend nach innen und gleichzeitig segregierend nach außen, außerdem markiere sie den Übergang von reinem Sprachwissen zu einem Sprachbewusstsein. 23 Renate Bartsch (1987) stellt in ihrer Definition die soziale Komponente der sprachlichen Normen ebenso in den Vordergrund, wenn sie diese als „soziale Realität von Begriffen sprachlicher Korrektheit“ bezeichnet, welche „die Koor‐ dination bezüglich der Form und des Gebrauchs der sprachlichen Mittel in einer Sprachgemeinschaft“ sichere (ibid.: 64). Und auch wenn es in dieser Begriffsbe‐ stimmung nicht explizit gemacht wird, so birgt auch diese Definition den iden‐ titätsstiftenden Charakter sprachlicher Normen. Als Stabilisator sprachlicher Korrektheit festigen die sprachlichen Normen nicht nur Form und Gebrauch der sprachlichen Mittel, sondern auch den Zusammenhalt, das ʻwirʼ, der Sprachge‐ meinschaft. In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Wolfdietrich Har‐ 76 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="77"?> tung, für den sprachliche Normen in erster Linie eine orientierende und stabi‐ lisierende Funktion für die Kommunikation in einer Sprach- oder Kommunikationsgemeinschaft erfüllen. Die Sprachnormen definiert er dabei ähnlich der Konzeption Laras als „verdichtete kommunikative Erfahrungen, die durch Bewertungen bzw. den Bezug auf Wertsysteme gefestigt werden“ (Har‐ tung 1987: 328). Jedes Mitglied einer Sprachgemeinschaft entwickelt ein (zumindest intui‐ tives) Verständnis sprachlicher Normen, und zwar unabhängig davon, ob sich diese Person der Existenz von Sprachnormen bewusst ist (cf. Hartung 1987: 317). Dieses Verständnis umfasst Korrektheits- und Angemessenheitsurteile ge‐ genüber fremden, aber auch eigenen Sprachhandlungen in verschiedenen Situ‐ ationen. Ebenso wie soziale Normen sind auch sprachliche Normen geprägt von Erwartungen und Erwartungserwartungen. Im Falle sprachlicher Kommunika‐ tion liegen diese reziproken Erwartungen darin, dass Sprecher A von Sprecher B - ebenso wie B von A - ein grundlegendes Interesse an einer erfolgreichen Kommunikation annimmt; dass beispielsweise die Kommunikation nicht grundlos abgebrochen, sondern im Gegenteil zu einem reibungslosen Informa‐ tionsaustausch beigetragen wird. Gleichzeitig sind sich beide Sprecher aber auch derselben Erwartungshaltung des jeweils anderen bewusst; sie antizipieren also die an sie selbst gerichteten Erwartungen ihres Gegenübers. Diese Erwartungs‐ erwartung liegt im vorliegenden Fall in der Erfahrung begründet, dass der kom‐ munikative Austausch allen Gesellschaftsmitgliedern zuträglich ist. Die kom‐ munikative Interaktion wird somit als geteilter gesellschaftlicher Wert angesehen. Handlungen, die das Zustandekommen und den Ablauf der Kom‐ munikation gefährden, werden als negativ empfunden. Dadurch, dass die In‐ teraktanten wissen, dass das Gegenüber, ähnliche Erwartungen hegt, sofern es kooperativ und rational handelt, werden beide im Regelfall versuchen, störende Handlungen zu vermeiden (cf. Grice 1989: 30). Die Sprache verstanden als Werkzeug der Kommunikation wird dabei besonders dann effizient genutzt, wenn sie selbst nicht in den Vordergrund rückt und sie nicht auffällig und in ihrer Verwendung salient wird. Dies ist wiederum dann der Fall, wenn sie be‐ stehende Sprachnormen nicht verletzt. Auf diese Art und Weise bleibt das Werkzeug unauffällig und im Fokus steht allein der Gegenstand des Gesagten. Es ist daher für die Teilnehmer rational, normkonform zu handeln, zumindest dann, wenn Sprache als reines Kommunikationswerkzeug gebraucht wird. Eine Ausnahme kann eine bewusste Verletzung der Norm aus pragmatischen Gründen darstellen, und zwar dann, wenn die Intention der Sprachhandlung (beispielsweise zu provozieren, die eigene Herkunft oder die Gruppenzugehö‐ rigkeit zu akzentuieren etc.) durch die Verletzung der Norm evoziert werden 77 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung <?page no="78"?> 24 Der Begriff ist bei Rosenberg / Vallentin ebenfalls in Anführungszeichen gesetzt. kann. Auf der anderen Seite kann, beispielsweise aus künstlerischem Antrieb heraus, auch ein Interesse an einer über das übliche Maß hinausgehend elabo‐ rierten, ausgefeilten Sprachverwendung bestehen. Die sprachlichen Normen sind somit - wie die sozialen Normen - als Richtschnur zur verstehen, die zur Auswahl bestimmter Varianten in bestimmten Situationen anleiten. Als solche können sie in Kodizes festgehalten und den Mitgliedern einer Sprachgemein‐ schaft als Regeln vermittelt werden. Die Alternativen werden gegenüber den darin aufgeführten Varianten dann als normverletzende Abweichungen darge‐ stellt (cf. Gloy ²2004: 394). Dabei ist es durchaus möglich, dass mehrere Varianten einer Variable als normgerecht gelten. An dieser Stelle sei erneut unterstrichen, dass innerhalb einer Sprache bzw. innerhalb von Varietäten, eine Vielzahl von Normen koexistieren und zum Teil in Konflikt miteinander stehen. Die im Abschnitt zu sozialen Normen bereits angeschnittene Diskussion über die Unterscheidung zwischen präskriptiven und deskriptiven Normen hat auch in die sprachwissenschaftliche Diskussion Einzug gehalten. In vielen Abhand‐ lungen zur sprachlichen Norm - insbesondere in der Hispanistik - werden diese zwei Normtypen voneinander unterschieden. Die präskriptive Norm wird häufig als regulativer Rahmen der Sprachverwendung gedacht, der von Normautoritäten willentlich gesetzt wird und sprachliche Handlungen mit definierten Korrektheitsidealen verknüpft. Diese Normautoritäten sind häufig explizit dazu ermächtigte Personen oder Personengruppen und arbeiten z. T. für staatlich be‐ triebene oder geförderte Sprachinstitutionen, wie etwa im Falle der französi‐ schen oder spanischen bzw. den hispanoamerikanischen Sprachakademien (Académie française, Academias de la Lengua Española). Die deskriptive Norm indes stellt in vielen Abhandlungen den üblichen Sprachgebrauch einer Ge‐ meinschaft dar. Sie ist nicht institutionalisiert und nicht unbedingt mit Korrekt‐ heitsbegriffen, sondern eher mit der Frequenz von Varianten verknüpft. Sie wird häufig als dichotomes Gegenstück zur präskriptiven Norm gedacht. Rosenberg und Vallentin (2012: 1) beschreiben für die Linguistik sogar einen weitgehenden Konsens der Identifizierung der präskriptiven Norm mit schriftlich fixierten und institutionell verwalteten Soll-Normen einerseits, und der deskriptiven Norm mit nicht schriftlich fixierten Ist-Normen der Sprachgemeinschaft andererseits. Die präskriptive Norm könne somit - weiter der Darstellung der Autorinnen fol‐ gend - mit dem sprachlichen Standard, die deskriptive Norm hingegen mit ‘Sub‐ standards’ 24 verknüpft werden. Diese Definition ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch. 78 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="79"?> 25 Dies gilt auch für den Bereich Spanisch als Fremdsprache (Español como Lengua Extra‐ njera ELE). Noch 1990 wurden lediglich zwei der in Argentinien verfügbaren Lehrwerke in Argentinien selbst verlegt (cf. Acuña et. al. 1993). Die übrigen Textbücher stammen mehrheitlich aus Spanien oder Nordamerika und vermitteln die Normen der peninsu‐ laren Standardvarietät bzw. ein möglichst neutrales Spanisch, das sich vornehmlich an einer mexikanischen Standardvarietät orientiert (cf. Acuña et. al. 1993: 273). Dieses Faktum stellt zusammen mit der restriktiv hegemonialen Sprachpolitik der RAE einen der Gründe dar, warum manche ELE-Lehrer in nicht immersiven Kontexten, beispiels‐ weise argentinische Lehrer in Brasilien, im Unterricht bevorzugt auf die peninsulare Varietät zurückgreifen, obwohl diese weder ihre L1-Varietät ist, noch in der Region besondere Verbreitung findet (cf. Bugel 2012). Zunächst einmal ist die schriftliche Fixierung keine notwendige Bedingung einer präskriptiven Norm. Für den vorschreibenden Charakter der Norm ist nicht entscheidend, dass sie niedergeschrieben ist, vielmehr ist entscheidend, dass das in der Norm festgelegte oder vorgesehene Verhalten explizit eingefor‐ dert und normkonträres Verhalten missbilligt oder sanktioniert wird. Die schriftliche Fixierung von Normen oder von aus ihnen abgeleiteten Regeln ist eine (sprachpolitische) Reaktion auf Normentstehungen oder Normverschie‐ bungen und verfolgt das Ziel, entstandene oder antizipierte Normkonflikte auf‐ zulösen. Voraussetzungen für die explizite Kodifizierung sind sowohl der poli‐ tische Wille als auch eine dazu geeignete institutionelle Infrastruktur. Beides ist jedoch nicht immer gegeben. Man denke hier vor allem an asymmetrisch-plu‐ rizentrische Sprachen, deren Asymmetrie v. a. in einem Ungleichgewicht poli‐ tisch-ökonomischer Machtkonstellationen begründet ist, das sich nicht selten auch auf den Status der unterschiedlichen Varietäten überträgt (cf. Clyne 1992a: 455-456, Clyne 1992d: 4, Muhr 2013a: 12, Kapitel 4.2). Ursache für die Asym‐ metrie ist häufig die Monopolstellung eines Teiles der Sprachgemeinschaft hin‐ sichtlich der Kontrolle von Sprach- und Kulturinstituten und der Produktion didaktischer Materialien. Dies kann dazu führen, dass die so entstehenden prä‐ skriptiv konzipierten Regelwerke für einen Teil der Sprachgemeinschaft - je nach Perspektivierung - nicht mit den tatsächlich gültigen Sprachnormen über‐ einstimmen bzw. die tatsächliche Sprachverwendung den Regelwerken wider‐ spricht (cf. z. B. Acuña et. al. 1993: 247, López García 2010: 98). Dennoch kann aus der Absenz von Normen in präskriptiven Regelwerken nicht unbedingt ein reduzierter Geltungsumfang abgeleitet werden, sofern die Normen von der Sprachgemeinschaft im Alltag befolgt und als gültig empfunden werden. Ein Beispiel: Viele der in Argentinien verwendeten didaktischen Materialien wurden nicht in Argentinien selbst konzipiert, geschrieben und verlegt. 25 Ihre Konzeption war lange Zeit auf eine möglichst von ‘Regionalismen’ befreite Sprachverwendung und / oder auf Gewinnmaximierung im panamerikanischen 79 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung <?page no="80"?> 26 Im Gegensatz zu Normen selbst, können Kodizes und Regelwerke durchaus als de‐ skriptiv oder präskriptiv bezeichnet werden, und zwar in Abhängigkeit von den erho‐ benen Geltungsansprüchen. Präskriptive Regelwerke sind derart konzipiert, dass sie den Nutzern Sprachverwendungen und somit Sprachnormen vorschreiben wollen, des‐ kriptive Regelwerke hingegen beschreiben in einer Sprachgemeinschaft gültige Sprach‐ normen. Das Wesen der Normen selbst bleibt von dieser konzeptionellen Entscheidung unberührt. 27 Muhr (2013: 24) schlägt alternativ den Begriff ‘Schizoglossie’ vor, der jedoch weniger zutreffend erscheint, da nicht eigentlich die Sprache gespalten ist, sondern verschiedene Varietäten der Sprache individuell verankerte Asymmetrien in Evaluation und Anwen‐ dung aufweisen, die zu divergierendem overt und covert Prestigezuweisungen führen. Markt ausgerichtet (López García 2015a, López García 2015b). Letztere erschien gerade dann besonders erwartbar, wenn die Lehrmaterialien möglichst wenige regionale Merkmale enthielten und somit nicht auf eine spezifische Sprechergruppe begrenzt waren. Die in den Werken festgehaltenen Regeln repräsen‐ tieren demnach sprachliche Normen, wie sie in Spanien und großen Teilen der Hispanophonie vorherrschend sind, aber nicht unbedingt das spezifische Nor‐ menbündel, das innerhalb der argentinischen Sprachgemeinschaft Gültigkeit besitzt. Der Effekt ist, dass diese Lehrwerke nicht auf die argentinischen Lerner abgestimmt waren und mit ihrem Einsatz an den argentinischen Schulen eine Varietät gelehrt wurde, die dort außerhalb des Klassenzimmers nicht verwendet wurde (cf. Donni de Mirande 1978). Auch innerhalb der Schulräume bleibt die Anwendung dieser Normen auf die mediale Schriftlichkeit beschränkt. In der Arbeit mit den Lehr- und Textbüchern wird somit eine idealisierte ʻneutraleʼ Varietät des Spanischen verwendet, die in der mündlichen Diskussion der In‐ halte jedoch keine Anwendung findet. María López García (2010) konstatiert: „El manual escribe en una variedad adaptada al contexto escolar los contenidos teóricos que en clase se exponen oralmente con el código desprestigiado” (ibid.: 91). Diese Divergenz zwischen gelehrter und tatsächlich verwendeter Varietät verstehen manche Autoren als eine Art diglossischer Sprachsituation, da die lokale Varietät (verstanden als low-variety) von bestimmten formalen Kommu‐ nikationssituationen ausgeschlossen bleibt (cf. Donni de Mirande 1978, Vitale 2010). Anderen Autoren zufolge können Widersprüche zwischen den Normen präskriptiver Regelwerke 26 und den in der Gesellschaft gültigen Normen zu sprachlicher Schizophrenie  27 oder sprachlichen Minderwertigkeitsgefühlen führen (z. B.: Acuña / Moure 1999, Muhr 2005a, Muhr 2013a, López García 2015a). Die davon betroffenen Sprecher empfinden die regional gültigen Normen als ge‐ genüber den kanonischen, in Kodizes festgelegten Normen, minderwertig, ob‐ wohl erstere genauso Gültigkeit besitzen und bisweilen häufiger angewendet werden als letztere. In Sprecherbefragungen lässt sich dies über inkonsistente 80 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="81"?> 28 Im Hinblick auf die sprachliche Souveränität sind lediglich 8 % aller Teilnehmer der Meinung, die Normen und Kodizes (legislación) für die eigene Sprachverwendung sollten von der RAE vorgegeben werden, wohingegen 79 % diese Aufgabe der AAL zuschreiben. 29 Dies gilt zumindest für die ersten Lehrwerke des Primarbereichs. Später ist eine Be‐ schreibung und Integration in anderen Varietäten üblicher Varianten und Distributi‐ onsregeln gewinnbringend und mit Blick auf den Erhalt der gegenseitigen Verständi‐ gung in der gesamten Hispanophonie sicherlich wichtig. 30 “Mientras que las formas estándares de Río de la Plata y buena parte de Argentina corresponden a formas voseantes del tipo I (voseo pronominal y verbal), los verbos de las consignas de los textos analizados se presentan mayoritariamente en segunda per‐ sona del plural en la variante americana (ustedes) aun cuando las actividades descriptas sean de realización individual.” (López García 2010: 92). Antworten hinsichtlich des Status, der Ästhetik, der Korrektheit etc. der kon‐ kurrierenden Varietäten beobachten, die mit dem overt und covert prestige (Trudgill 1972, Preston 2004) der Varietäten zusammenhängen (cf. u. a. Donni de Mirande 1979, Solé 1992, Acuña / Moure 1999, Acuña / Moure ²2004, Bugel 2012, López García 2013, Llull / Pinardi 2014). So bezeichnen etwa in der Umfrage Carlos Solés (op. cit) 59 % aller Teilnehmer (N = 320) das in Buenos Aires ge‐ sprochene Spanisch als ʻschlechtes Spanischʼ, während gleichzeitig 74 % an‐ geben, dass der Varietät der Hauptstadt nicht weniger Prestige zukäme als an‐ deren Varietäten des Spanischen. 28 Eine relative Mehrheit von 49 % empfindet sogar Stolz gegenüber der eigenen Varietät. Ein konkretes Beispiel für einen derartigen Normenkonflikt sind die in Hispanoamerika bzw. in Spanien gültigen Verbalkonjugationen und Pronominalparadigmen: Während die Varietäten His‐ panoamerikas das sogenannte tratamiento unificado aufweisen, also eine Neutralisierung der zweiten (vosotros) und dritten Person Plural (ustedes) zugunsten von ustedes, ist deren Unterscheidung in Spanien die Norm (vosotros habláis, coméis, escribís vs. ustedes hablan, comen, escriben). Auch in Argentinien existiert die 2. Person Plural in allen gesprochenen wie auch geschriebenen Varietäten de facto nicht. Dennoch enthält - einer Studie von López García (2010) zufolge - auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Mehrheit der argentinischen Schul‐ bücher nach wie vor die in Spanien gebräuchlichen Pronominalparadigmen und die Verbalformen der 2. Person Plural; wenn auch zumeist nicht exklusiv (cf. ibid. 92-93). Allein die Integration dieser Paradigmen impliziert eine defizitäre Eigenständigkeit der regionalen Varietät. 29 Verstärkt wird dies dadurch, dass weitere regional prestigeträchtige, identitätsstiftende Varianten wie der voseo keine Repräsentation in den Werken finden. Im Gegenteil führt die Autorin In‐ dizien dafür an, dass diese bewusst vermieden wurden. 30 Die in den präskrip‐ tiven Lehrwerken enthaltene Varietät stimmt demnach nicht mit der Varietät überein, wie sie Schüler und Lehrer im Klassenzimmer verwenden. Aus argen‐ 81 3.1 Von Normen, Normalem und Normierung <?page no="82"?> 31 Dies macht aus der Sprache indes noch längst keine „Zwangsveranstaltung“ wie Wie‐ gand (1986: 88) befürchtet, denn die Sprecher selbst haben alle Freiheit, die sprachlichen Normen tagtäglich neu zu verhandeln, sie in der kodifizierten Form anzuwenden, oder diese aber abzulehnen und alternative Formen einzubringen. 32 Allerdings weist Amorós Negre (2020: 589) darauf hin, dass auch jedes deskriptiv kon‐ zipierte Regelwerk eine Auswahl und Bevorzugung gewisser Varianten vor anderen Varianten beinhaltet und in diesem Sinne (Parakrama 1995 zitierend) Deskription nie‐ mals eine neutrale Aktivität sein kann. Zudem würden auch normative Regelwerke, unabhängig von ihrer konzeptionellen Ausrichtung, von den Nutzern als präskriptiv wahrgenommen. tinischer Perspektive ist das präskriptiv intendierte Lehrwerk somit eher eine Deskription dessen, was andernorts gültige Norm ist. Wie gezeigt werden konnte, ist die im Normdiskurs vorherrschende Prägung des Attributs präskriptiv problematisch und im Umkehrschluss ist auch das Konzept der deskriptiven Norm nicht weniger problembehaftet. Normen sind per se stets präskriptiv (cf. Lara 2004: 41 sowie Kapitel 3.1.1). Sie können streng oder weniger streng angewendet werden und ebenso eng oder weniger eng ge‐ fasst sein. Sie können entweder eine Handlung vorschreiben oder mehrere gleichberechtigte Handlungsalternativen zulassen und dadurch eine gewisse Durchlässigkeit aufweisen. Ihr essenziell präskriptiver Charakter bleibt von dieser Ausgestaltung jedoch unberührt und zwar unabhängig davon, ob sie ko‐ difiziert sind oder nicht. 31 So gefasst können Normen niemals deskriptiv sein; ganz im Gegensatz zu Aussagen über Normen, die diese beschreiben und auf‐ zeigen, wie und in welchem Umfang eine Norm gilt oder angewendet wird. Die Ungenauigkeiten sind darauf zurückzuführen, dass mit den Begriffen deskriptiv und präskriptiv in der Tat weniger der Charakter der Normen beschrieben wird, sondern vielmehr der Charakter des Traktats oder (Regel-)Werks, in dem sie erfasst werden: Handelt es sich um ein Werk, das den Sprachgebrauch lediglich beschreibt, so kann das Werk an sich als deskriptiv bezeichnet werden; werden darin sprachliche Regeln festgehalten und dient es zur Verbreitung von Hand‐ lungsanweisungen, so kann dem Werk ein präskriptiver Charakter attestiert werden. 32 Wird also von präskriptiven Normen gesprochen, so ist häufig vielmehr die Integration von Normen in präskriptive Regelwerke oder Kodizes gemeint. Sicherlich hat auch die breit rezipierte Normenkonzeption Coserius einen Ein‐ fluss auf diese Entwicklung gehabt. Coseriu begreift die Norm weniger als handlungsanleitend denn vielmehr als in einer Gemeinschaft übliche Hand‐ lungen, was den essenziell präskriptiven Charakter von Normen unterminiert oder zumindest aufweicht. Es erscheint daher - in Anlehnung an beispielsweise Weinrich (²1988: 11), Lara (2004: 61) oder Rivarola (2008: 104) - sinnvoller, zwischen expliziten und 82 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="83"?> 33 Einen kurzen informativen Abriss der Begriffsgeschichte von Standardsprachlichkeit bzw. Standardsprache bietet beispielsweise Zamora Salamanca (2010: 737-742). 34 Im Folgenden ist - sofern nichts Gegenteiliges angegeben - mit Standard stets der sprachliche Standard gemeint. 35 Die beiden Begriffe werden im Folgenden als Synonyme verstanden, die konnotations‐ frei auf das zugrundeliegende linguistische Konzept referieren. impliziten Normen zu unterscheiden. Explizit sind diejenigen Normen, die in Kodizes fixiert und somit von allen Nutzern potenziell nachgeschlagen werden können und in der Regel durch Bildungsinstitutionen in der Sprachgemeinschaft verbreitet werden. Im Gegensatz dazu ist die Geltung impliziter Normen nicht durch Kodifizierung gewährleistet. Sie beruhen stattdessen auf stillschweig‐ ender Übereinkunft und finden durch Synchronisierungsstrategien bzw. Akko‐ modationsmechanismen Verbreitung (cf. Kapitel 3.3.1). Dadurch, dass letztere nicht fixiert sind, kommt diesem Typus von Normativität eine deutlich größere Dynamik zu, die eine größere Variationsbreite erwartbar werden lässt. 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards 3.2.1 Vorbemerkungen und Deskriptionsperspektiven auf die Standardsprachlichkeit Trotz der genannten terminologischen Schwierigkeiten ist die Unterscheidung zwischen deskriptiver und präskriptiver Norm im wissenschaftlichen Diskurs recht weit verbreitet. In der Linguistik wird mit der präskriptiven Norm nicht selten auf einen Sonderfall sprachlicher Normen verwiesen: den sprachlichen Standard. Dieser wird dann als eine Norm verstanden, die - häufig verschriftet in Form präskriptiver Kodizes - die Sprachverwendung der Sprachgemeinschaft vorgibt oder zumindest anleitet. Wie in Bezug auf das Konzept der Norm ko‐ existieren auch im Hinblick auf den sprachlichen Standard eine Vielzahl unter‐ schiedlicher Definitionsvorschläge, die - trotz aller Verschiedenheit - eine Reihe übereinstimmender oder verwandter Merkmale und Funktionen von Standard‐ sprachlichkeit aufweisen. 33 Bevor dieser Definitionskern von Standardsprach‐ lichkeit im folgenden Abschnitt eingehender diskutiert wird, ist es im Sinne der terminologischen Klarheit an dieser Stelle zunächst angezeigt, einige bisweilen synonym verwendete Begriffe zu unterscheiden: Der (sprachliche) Standard  34 und Standardsprachlichkeit sind zentrale lingu‐ istische Konzepte, die in Abhängigkeit von Forschungsperspektive und Er‐ kenntnisinteresse unterschiedlich definiert sein können. 35 Diese nehmen zwar 83 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards <?page no="84"?> 36 So geht das Lehnwort politisch oder auch sp. político auf das griechische Wort polis ‚Stadt‘ und seine Bedeutung auf Überlegungen Aristoteles‘ und Platons zurück, wonach der Mensch ein zoón politikón sei: Ein Tier bzw. Lebewesen der Stadtgemeinschaft und damit - wenn man so möchte - ein soziales Tier der polis. Bezug auf Sprachen und Varietäten und legen Kriterien für deren Klassifikation fest; sie sind jedoch selbst keine Sprachen, Varietäten oder sprachliche Zeichen, sondern theoretische Konstrukte der Sprachwissenschaft. Sie setzen den kon‐ zeptionellen Rahmen für die - ebenfalls linguistische - Beschreibung tatsäch‐ licher Sprachsysteme. Insofern sind Standardsprachlichkeit und der sprachliche Standard zu unterscheiden von Standardsprache, Standardvarietät und dem standardsprachlichen Zeichen (Ammon 1987b). Eine Standardsprache ist eine historische Einzelsprache (cf. Coseriu 1988), die mindestens eine Standardva‐ rietät, bisweilen aber auch mehrere koexistierende Standardvarietäten umfasst (cf. Kapitel 3.4). Standardvarietäten sind zunächst - wie alle übrigen Varietäten - als Bündel sprachlicher Zeichen zu verstehen, die unter Bezugnahme auf sprach‐ externe Parameter gruppiert werden. Die Kriterien, wann eine Varietät oder ein sprachliches Zeichen als standardsprachlich zu identifizieren sind, werden durch die jeweils zugrundeliegende Konzeption von Standardsprachlichkeit festgelegt. Deren konkrete Ausgestaltung ist von einer Reihe unterschiedlicher Faktoren abhängig: Neben der Forschungstradition, in die sich die jeweilige Ar‐ beit einordnet und dem spezifischen Erkenntnisinteresse, ist vor allem der Grad ihrer politischen, kulturellen oder gesellschaftlichen Aspektualisierung ent‐ scheidend (cf. Narvaja de Arnoux / Valle 2010: 1-2). Die von Elvira Narvaja de Arnoux und José del Valle etablierte Begriffstrias lo político, lo cultural, lo social zur Kategorisierung standardsprachlicher Konzeptionen ist zwar nicht ganz glücklich gewählt, da Politisches und Kulturelles erst durch die Existenz des Sozialen ermöglicht werden und somit die drei vorgeschlagenen Kategorien hierarchisch nicht gleichberechtigt sind; 36 versteht man lo social jedoch weniger abstrakt als Interaktion der Mitglieder der jeweiligen Sprachgemeinschaft, so ist die Unterscheidung durchaus gewinnbringend. Sie ermöglicht eine Katego‐ risierung der verschiedenen Ansätze und bietet eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Definitionsausprägungen. Standardsprachen können somit als das Ergebnis politisch gesteuerter prozesshafter Entwicklungen verstanden, ihre Entstehung als kulturelle Leistung der Gesellschaft betrachtet, oder aber als typische Attribuierung standardsprachlicher Zeichen innerhalb einer Sprach‐ gemeinschaft herausgearbeitet werden. Je nach Ansatz rücken unterschiedliche Aspekte der Normativität sowie andere in Frage kommende normative Kräfte und Normierungsmechanismen in den Fokus. 84 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="85"?> 37 Insbesondere der dritte im Sammelband enthaltene Aufsatz Laras „No normas, sino tradiciones“ beschäftigt sich mit der Frage nach den Normagenten, die den Standardi‐ sierungsprozess vorantreiben. Die Standardsprache politisch orientierter Ansätze wird verstanden als ein aus sprachpolitischem Willen heraus offizialisiertes und durch sprachpolitische Maßnahmen gefestigtes Sprachsystem, das für bestimmte Kontexte als verbind‐ lich festgelegt wird und deren Missachtung Sanktionen nach sich ziehen kann. Die klassischen Arbeiten von Heinz Kloss ( 2 1978) oder Einar Haugen (1987) über die Standardisierung von Sprachen weisen beispielsweise ein klar politisches Profil auf. Ebenfalls diesem Bereich zuzuordnen sind Arbeiten, die die sprach‐ lichen Autoritäten und sprachpolitischen Akteure untersuchen, da diese häufig institutionell ermächtigt sind und anderweitige Interaktionsdynamiken inner‐ halb der Sprachgemeinschaft weitgehend ausgeblendet bleiben. Als klassische Beispiele können in diesem Zusammenhang die Arbeiten Ammons (1995, 2003) zum normativen Kräftefeld von Standardsprachen gelten, wohingegen die Auf‐ sätze Laras (2004) sowohl politische als auch soziale Aspekte thematisieren. 37 Politisch orientierte Ansätze untersuchen häufig das Zusammenwirken von Standardsprachen und realpolitischen Entitäten (z. B. Nationalstaaten, Pro‐ vinzen etc.) oder sprachpolitische Maßnahmen (Prozesse der Standardisierung, Sprachgesetze, Lehrpläne etc.) und die darin vorkommenden Akteure (Institu‐ tionen, Kodifizierer, Normagenten etc.). Auch viele Arbeiten zur Plurizentrik verstehen Standardsprachlichkeit in erster Linie aus einer politischen Perspek‐ tive heraus; etwa die Arbeiten Clynes (1989, 1992b, 1992c, 1992d, ²2004) oder Muhrs (2012a, 2013a, 2015), wenngleich einige Ansätze, auch aus der von Rudolf Muhr initiierten Arbeitsgruppe zu Non-Dominant-Varieties ( WGNDV ), durchaus sprachproduktions- oder perzeptionsorientiert sind und daher eher der sozialen Dimension zuzuordnen sind (cf. Méndez García de Paredes / Amorós Negre 2016, Rodrigues / Paiva 2016 sowie Kapitel 4). Wird hingegen das Kulturelle akzentuiert, werden Standardsprachen als ge‐ sellschaftliche Errungenschaften verstanden. Sie werden - etwa im Falle des Spanischen - auf einen festgesetzten literarischen Kanon bezogen, dem eine besondere Ästhetik und Modellhaftigkeit zugesprochen wird und der als Iden‐ titätsmarker der Gesellschaft fungieren soll. Die historische Kodifizierungsstra‐ tegie der Real Academia Española ( RAE ) fußt auf einem zwar politischen Kalkül, lässt sich aber in letzter Instanz einem kulturell orientierten Konzept von Stan‐ dardsprachlichkeit zuordnen. Arbeiten, die das Soziale in den Vordergrund rücken, schärfen den Blick auf Funktionen und Nutzen der Standardsprache innerhalb der jeweiligen Sprach‐ gemeinschaft und untersuchen Sprachgebrauch und -perzeption in intendierter 85 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards <?page no="86"?> 38 Zitiert nach Bartsch (1987: 243). 39 Ein ähnlicher Ansatz ist auch in der Hispanistik weit verbreitet - am prominentesten vielleicht vertreten durch Luis Fernando Lara (2004: 34-38). Die idea de la lengua - unter explizitem Verweis auf Karl Otto Apels Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico aus dem Jahr 1980 - diente ihm als Mittel, um den über Jahrzehnte andauernden Disput über die unidad oder diversidad des Spanischen syn‐ thetisierend und konzilierend in eine diversidad en la unidad aufzulösen. Dabei ist die Idee der Sprache bzw. der abstrakte sprachliche Standard das einende Momentum, das die gemeinsame Sprachkultur bewahrt und dennoch Raum für die Ausgestaltung ei‐ gener Regional- und Nationalstandards zugesteht. Standardverwendung. Diese Perspektive lässt eine größere Dynamik und Vari‐ ationsbreite zu, da multilaterale Interaktionsprozesse innerhalb der Sprachge‐ meinschaft berücksichtigt werden. Dadurch wird das Konzept des Standards weniger statisch gefasst und erlaubt es, auch Standardsprachlichkeit abseits von präskriptiven Kodizes, etwa im Bereich der Aussprache, anzunehmen. Dass diese Perspektivierung zu einer völlig neuen inhaltlichen Qualität der Beschrei‐ bung von Standardsprachlichkeit geführt hat, zeigt die Notwendigkeit der Ein‐ führung alternativer Termini zur Abgrenzung gegenüber dem weit verbreiteten Verständnis von Standardsprachlichkeit im Sinne einer präskriptiv kodifizierten Sprache bzw. Varietät: empirischer Standard (Subbayya 1980 38 Joseph 1987, La‐ meli 2004), Gebrauchsstandard (Hollmach 2007, Elspaß et. al. 2017), Regional‐ standard (Eberenz 1995, Oesterreicher 2000, Spiekermann 2005), regionale Ge‐ brauchsstandards (Berend 2005) etc. Viele dieser Arbeiten sind produktionsorientiert, d. h. sie untersuchen, welche Varianten in standardtypi‐ schen Kommunikationssituationen mehrheitlich verwendet werden. Häufig wird in diesem Zusammenhang der sprachliche Standard weniger als Sprach‐ system denn als idealisiertes Performanzziel konzipiert, an dem sich der (stan‐ dardsprachliche) Sprachgebrauch orientiert, auf den die Sprecher jedoch nicht selbst zugreifen können. Milroy und Milroy ( 4 2012: 17-18) vertreten die Mei‐ nung, dass die Standardsprache eher ein mentales Konzept, eine Idee, denn eine tatsächliche Varietät sei. Als solche fungiere sie als Orientierungspunkt oder Richtschnur, also als Referenznorm, die die Sprecher in intendierter Standard‐ verwendung anleitet: 39 “Strictly speaking, however, standardisation does not tolerate variability. […] There‐ fore it seems appropriate to speak more abstractly of standardisation as an ideology, and a standard language as an idea in the mind rather than a reality - a set of abstract norms to which actual usage may conform to a greater or lesser extent.” (Milroy / Milroy 4 2012: 19) 86 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="87"?> 40 So zeigte Lameli anhand einer stichprobenartigen Untersuchung zweier Tages‐ schau-Sprecher, dass diese im Durchschnitt lediglich in jedem 35. Wort vom Standard abweichen, wohingegen Mitglieder des Mainzer Gemeinderats in etwa jedem 2.-3. Wort von der (gesamtdeutschen) Aussprachenorm abweichen. Dies könnte - wie von Lameli selbst - nun als fehlende Standardkompetenz im Mainzer Gemeinderat interpretiert werden. Allerdings gilt zu berücksichtigen, dass als Messpunkte die Fachaussprache von professionellen Nachrichtensprechern und das Aussprachewörterbuch des Deut‐ schen gewählt wurde. Dies ist nicht ganz unproblematisch, da erstere als Fachaus‐ sprache einer sehr kleinen Sprechergruppe gelten muss und letzteres von der Mehrheit der Sprachgemeinschaft sicherlich nicht als Referenzpunkt für die eigene Sprachver‐ wendung herangezogen wird. Ebenso könnten die Ergebnisse ein Indiz für die Existenz eines regional verankerten Aussprachestandard sein, sofern den distinktiven Varianten positive Perzeptionsurteile entgegengebracht und andere Varianten abgelehnt würden. Ähnlich fasst Helmut Spiekermann (2007) Standardsprachlichkeit auf, wenn er zwischen einem Normstandard - ein abstraktes, variationsfreies sprachliches Konstrukt - und einer Vielzahl tatsächlich existierender regionaler und natio‐ naler Standardvarietäten des Deutschen unterscheidet, die in ihrer Gesamtheit die Standardsprache konstituieren (ibid.: 123-126). Der variationsfreie und ko‐ dexbasierte Standard ist dabei praktisch für keinen Sprecher zu erreichen, wenn auch trainierte, professionelle Sprecher erwartungsgemäß besonders nahe an das Ideal heranreichen (cf. Lameli 2004: 86-93). 40 Alfred Lameli stellte in diesem Zusammenhang fest, dass regionaltypische Abweichungen vom kodifizierten Standard erst ab einem bestimmten Dialektalitätsgrad perzeptiv als salient wahrgenommen werden, wohingegen diese unterhalb dieser ʻPerzeptions‐ schwelleʼ als reines Hochdeutsch bewertet werden (Lameli 2004: 86, 93). Dass je nach Region unterschiedliche Varianten mit ʻRestarealitätʼ unter die Perzepti‐ onsschwelle fallen, erklärt, wie regional divergierende Standardvarietäten ent‐ stehen können (Lameli 2004, Schmidt 2005). Gerade der Bereich der Aussprache, wo derartige Varianten nicht, oder nur selten durch präskriptive Kodizes nivel‐ liert werden, bietet Raum für diese regionale Variation der Standardsprache (cf. Kapitel 3.3 und Kapitel 3.3.1). Ebenfalls an sozialen Dynamiken orientieren sich Arbeiten, die die perzeptive Komponente von Standardsprachlichkeit untersuchen. Diese beleuchten die Frage, was oder welche Varianten die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft als standardsprachlich empfinden und welche mentalen Konzepte mit Standard‐ sprachlichkeit korrelieren (z. B. Korrektheit, Angemessenheit, Unauffälligkeit etc.). Auf Basis dieser Urteile - etwa hinsichtlich Korrektheit oder Salienz - kann Varianten Standardsprachlichkeit zugeschrieben werden, selbst wenn diese nicht in den einschlägigen Kodizes aufgeführt sind. Die perzeptive Varietäten‐ linguistik ist eine noch recht junge Disziplin, die jedoch die Diskurse um Stan‐ dardsprachlichkeit und Plurizentrik gewinnbringend ergänzt. 87 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards <?page no="88"?> Eine weitere, für die vorliegende Arbeit besonders wichtige Betrachtungs‐ weise ist die differenzierende Analyse von Standardsprachlichkeit im Hinblick auf ihre mediale Realisierung. So gehen nicht wenige Autoren davon aus, dass die Dimension der Mündlichkeit durch ihre direkteren Interaktionsdynamiken, die Endgültigkeit von sprachlicher Produktion und die geringere Kodifikation eine größere Variationsbreite im standardsprachlichen Bereich zulässt. Im Ge‐ gensatz zur stark reglementierten Schriftlichkeit wird diese als weniger stark fixiert und kodifiziert und aus diesem Grund als eher durchlässig für diasyste‐ matisch markierte Formen beschrieben. Auf dieser Basis werden Konzepte wie Kolloquialstandards (Lameli 2004: 137), Oralisierungsnormen, empirische Stan‐ dards der Aussprache (Bartsch 1987: 245), pronunciación culta (Álvarez 2005 : 89) oder estándares orales (Amorós Negre / Prieto de los Mozos 2017: 252) ganz be‐ wusst der schriftlichen Standardsprachlichkeit gegenübergestellt (cf. Ka‐ pitel 3.2.4). Welche Kategorisierung von Standardsprachlichkeit auch angelegt wird, die Grenzen verlaufen keinesfalls trennscharf und es ist klar, dass viele Ansätze mehrere Dimensionen vereinen. So muss jedem kommunikationsorientiertem Ansatz ein konzeptioneller Rahmen vorgeschaltet sein, der Standardsprachlich‐ keit allgemein beleuchtet und definiert, welche Attribuierungen als standard‐ typisch gelten können oder welche Kommunikationssituationen standardinten‐ dierten Sprachgebrauch erwartbar machen. Gleichzeitig muss jeder normorientierte Ansatz letztlich auf tatsächlichem Sprachgebrauch beruhen, denn aus diesem können Normen erst abgeleitet oder Varianten für die Kodifi‐ zierung abstrahiert werden (cf. Hollmach 2007: 39). 3.2.2 Merkmale und Funktionen von Standardsprachen Trotz des offenbaren Polymorphismus von Standardsprachlichkeit werden ei‐ nige charakteristische Merkmale und Funktionen von Standardsprachen im wissenschaftlichen Diskurs besonders häufig genannt. Zusammen mit prototy‐ pischen Einstellungen (attitudes) der Sprecher gegenüber dem Standard formen sie den Kern von Standardsprachlichkeit. Zunächst sind sicherlich die Merkmale von Standardsprachen interessant, denn sie erlauben eine weitere Annäherung an das Untersuchungsobjekt. 3.2.2.1 Kodifikation und Invarianz Ein Merkmal, das Standardsprachen besonders häufig zugeschrieben wird, ist ihre Verfasstheit in sprachlichen Kodizes (Stewart 1968, Garvin / Mathiot 1968, Ammon 1986, Bartsch 1987, Spiekermann 2007, und mit Einschränkungen 88 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="89"?> Amorós Negre 2015), das bisweilen zur Annahme der Invarianz von Standard‐ sprachen erweitert wird (Purschke 2011: 36). Das Merkmal der Kodifikation er‐ gibt sich aus den historischen Standardisierungsprozessen im Sinne Klossʼ ( 2 1978) und Haugens (1987). Nach der Auswahl einer bestimmten Varietät muss diese, über die Ansprüche der Alltagskommunikation hinausgehend, für sprach‐ liche Bedarfe verschiedenster Anwendungsfelder ausgebaut werden. So werden beispielsweise Technizismen zur Beschreibung domänenspezifischer, kom‐ plexer Konzepte integriert und ein kompakterer Satzbau angestrebt, der eine größere informationelle Kompaktheit ermöglicht. Gleichzeitig soll die derart elaborierte Varietät zur Überdachung anderer Idiome vorbereitet werden. Da‐ raus leitet sich eine doppelte Notwendigkeit zur Kodifikation dieser Varietät ab: Erstens fixiert sie die im Zuge der Ausbauvorgänge erzielten Ergebnisse und konserviert sie für zukünftige Sprechergenerationen. Zweitens orientiert sie, dadurch, dass den Kodizes allgemeine normative Gültigkeit zugesprochen wird, den Sprachgebrauch der Sprecher unterschiedlicher Varietäten an Gramma‐ tiken, Wörterbüchern und Orthografien. Durch die Verfasstheit in Kodizes stehen potenziell allen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft Nachschlagewerke zur Verfügung, die beispielsweise zur Auflösung von Normkonflikten herange‐ zogen werden können. Wenn die kodifizierten Normen und Elemente im Sprachgebiet Verbreitung finden und schlussendlich internalisiert werden, kann der Prozess der Überdachung als abgeschlossen gelten. In vielen sprachpolitisch orientierten Konzeptionen wird die Kodifikation vor dem Hintergrund des his‐ torischen Standardisierungsprozesses als notwendiges Merkmal von Standard‐ sprachlichkeit gefasst. Die Kodifikation verdient an dieser Stelle besondere Beachtung, denn sie birgt einige Implikationen, die speziell im Hinblick auf die Herausbildung standard‐ sprachlicher Normen im Bereich der Aussprache nicht ganz unproblematisch sind. Wie zuvor dargestellt, mag die Kodifizierung zwar ein notwendiger Schritt im Zuge des historischen Prozesses der Standardisierung einer Sprache sein. Aber müssen sprachliche Varianten in synchronischer Betrachtung notwendi‐ gerweise in Kodizes erfasst sein, um als standardsprachlich gelten zu können? Diese Annahme ist eindeutig zurückzuweisen. Zum einen sind viele der Inno‐ vationen des sprachlichen Standards schon vor ihrer Kodifizierung als stan‐ dardadäquate Varianten innerhalb der Gesellschaft akzeptiert, das heißt, sie sind zum Zeitpunkt ihrer Erfassung in den Regelwerken bereits in die distanzsprach‐ liche Kommunikation aufgestiegen und dort durch Akzeptanz und regelmäßige Anwendung durch die Sprecher etabliert. Tatsächlich ist dieser Status häufig die Voraussetzung ihrer Auswahl durch die Kodifizierer. In diesem Sinne erfolgt die formelle Standardisierung in der Regel retrospektiv und reaktiv: Die Integration 89 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards <?page no="90"?> 41 Auf manche dieser sprachplanerischen Eingriffe, folgt hingegen eine lange - oft Ge‐ nerationen übergreifende Phase - des Normenkonflikts und der Variantenalternation, die darauf hindeuten, dass die neuen Normen noch nicht in der Gesellschaft ange‐ kommen sind. So etwa im Falle der Rechtschreibreform des Deutschen von 1996, die polemische Debatten innerhalb der Sprachgemeinschaft ausgelöst hat und mehrfach nachjustiert werden musste. Der Artikel „Deutsche Rechtschreibreform. Beinahe ein Kulturkampf “ (Dittrich 2016), der von der Online-Redaktion des Goethe-Instituts ver‐ öffentlicht wurde, skizziert die Geschichte der Reform und veranschaulicht, wie nach‐ haltig dieser Normenkonflikt in der Sprachgemeinschaft wirkte und wirkt. 42 In einer frühen Arbeit vertrat Ulrich Ammon die Meinung, dass man erst dann „eini‐ germaßen praktikabel“ von einer Standardsprache sprechen könne, wenn mindestens eine ihrer Varietäten voll standardisiert sei (Ammon 1986: 53). Diese Auffassung revi‐ dierte der Autor selbst ein Jahr später, denn das allenfalls „hoffnungsträchtige[…] Cha‐ rakteristikum“ (Ammon 1987b: 307) der Kodifikation als notwendig definitorischer Be‐ standteil von Standardsprachlichkeit, müsse eingegrenzt werden auf präskriptive kanonische Regelwerke. Und selbst dann könne - wie zuvor festgestellt - die Existenz nicht kodifizierter standardsprachlicher Zeichen bzw. veralteter Kodifikation nicht ab‐ gestritten werden (cf. Ammon 1987b: 313). in die Kodizes ist eine Reaktion auf die bereits zuvor in Sprachgebrauch und Wahrnehmung erlangte Standardhaftigkeit. Bei Varianten, die hingegen aus sprachplanerischen Erwägungen Top-down via Kodifikation als standardadä‐ quat festgelegt werden, ohne dass sie bereits in distanzsprachlicher Kommuni‐ kation etabliert sind, zeigt sich erst im Nachhinein, ob sie als standardsprach‐ liche Zeichen akzeptiert werden. 41 Zum anderen sind keinesfalls alle in Kodizes aufgeführten Varianten tatsächlich als standardsprachlich zu bezeichnen (cf. Ammon 1987b: 313-314). So beinhalten diese zum einen ehemals distanzsprach‐ lich gültige Regelformen, die jedoch im Laufe der Zeit Konnotationsverschie‐ bungen erfahren haben oder schlicht nicht mehr gebräuchlich sind, so dass sie, trotz ihrer Kodifikation, nicht (mehr) als standardsprachlich gelten können. Dieser Aspekt weist auf einen Kerngedanken des Kapitels zur sprachlichen Norm zurück: Normen sind, solange ihnen Gültigkeit zukommt, stets per se präskriptiv und zwar unabhängig davon, ob sie explizit oder implizit gültig sind. Dies gilt in gleichem Maße für die Normen des sprachlichen Standards, deren präskriptiver Charakter keinesfalls allein durch die Integration in präskriptiv konzipierte Regelwerke entsteht. Wie andere soziale Normen sind auch die Normen der Standardsprache nur in dem Maße gültig, wie sie tatsächlich an‐ gewandt werden und ihre Verletzung missbilligt oder sanktioniert wird. Die Kodizes müssen daher stets an den tatsächlichen (standardsprachlichen) Sprach‐ gebrauch der Gesellschaft angepasst werden und sind somit als stets der Sprach‐ entwicklung „hinterhinkend […]“ (Ammon 2017: 17) zu charakterisieren. 42 Vi‐ oleta Demonte erweitert diesen Aspekt des Unvollständigen auf die Standardsprache im Allgemeinen: 90 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="91"?> 43 Auch Thomas Krefeld weist die Annahme einer Invarianz des Standards zurück: „Der varietätenlinguistische ‚Nullpunkt‘ sprachlicher Variation ist nicht Invarianz, sondern vielmehr Unauffälligkeit […] und als solche[r] ein Phänomen der Salienz“ (Krefeld 2015: 398 sowie auch Kapitel 3.2.3.2) 44 „Uniformity in the structural parts of language, however, can be seen as an immediate linguistic goal of standardization as a process.” (Milroy 2001: 534; Hervorhebung im Original). Der Autor folgt somit, obwohl er die Ideologisierung anderer Konzepte ver‐ schiedentlich kritisiert, einer eigenen Ideologie, wonach sprachliche Modelle und, in letzter Instanz, sprachliche Korrektheit in ‘standardsprachlichen Kulturen’ den Spre‐ chergemeinschaften durch Sprachexperten bereitgestellt werden müssten. „[La lengua estándar] es un objeto que por definición está siempre incompleto - en proceso de configuración y pactando consigo mismo -, es susceptible de cambios que dependen más de la voluntad de los usuarios que de propiedades objetivas, y constituye una entidad heterogénea (social, convencional, política, lingüística) tanto en su origen como en sus límites y contenido.” (Demonte 2005: 18-19) Das - häufig unter Bezugnahme auf die Kodifikation - postulierte Merkmal der Invarianz (Ammon 1986) oder Uniformität (Milroy 2001) ist ebenfalls zurück‐ zuweisen. Zwar weisen Standardvarietäten eine deutlich geringere normative Durchlässigkeit bzw. eine deutlich restriktivere Regulation des Sprachgebrauchs auf als andere Varietäten. Allerdings bedeutet dies nicht, dass sie keiner Varianz unterlägen. 43 Varianz ist sowohl innerhalb des Sprachsystems der Standardva‐ rietäten als auch innerhalb der Architektur von Standardsprachen zu be‐ obachten. So ist auf Mikroebene die Realisierung (noch) nicht vollends stan‐ dardsprachlicher Formen bis zu einem gewissen Grad möglich, akzeptabel und perzeptiv unauffällig (cf. Lameli 2004, Schmidt 2005, Purschke 2011 und Ka‐ pitel 3.2.4), und auch das komplexe Varietätengefüge von Standardsprachen ist, wie plurizentrische Sprachen zeigen, keinesfalls invariant. Die Uniformität (oder auch Invarianz) der Standardisierung, wie sie etwa James Milroy (2001) vorschlägt, folgt der strikt politisch orientierten Beschrei‐ bung von Standardsprachlichkeit (ausgehend vom sprachpolitischen Prozess der Standardisierung) und ist in diesem Sinne ideologisch motiviert. 44 Unifor‐ mität wird einer Klasse von Objekten (z. B. Sprachen) auferlegt und durch diesen Akt zu einem Definiens von Standardsprache. Zwar spricht Milroy den Objekten dieser Klasse, also den Sprachen, nicht ihre Variabilität ab; sie sei im Gegenteil ein wesentliches Charakteristikum („the objects concerned […] are in the nature of things, not uniform but variable“ (Milroy 2001: 531; Hervorhebung im Ori‐ ginal). Dies treffe aber per definitionem nicht auf Standardsprachen zu, deren Uniformität auf die Klasse der Objekte der Sprachen aufgesetzt wird. Der derart gefasste sprachliche Standard ist somit eng an das sprachpolitische Handeln von 91 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards <?page no="92"?> 45 „If invariance is taken to be primary in the definition, a number of consequences flow from this - in particular, it becomes contradictory to speak of variation in a standard 'variety' of language, as a standardized variety must be invariant. But in practice many linguists do speak of variation in the 'standard'. We can avoid seeming contradictions here by observing that, according to our primary definition, there cannot be in practical use any such thing as a wholly standardized variety, as total uniformity of usage is never achieved in practice.“ (Milroy 2001: 534) Aufgrund des Primats der Uniformität bleibt Milroy somit ein mehrperspektivischer Zugang zum Konzept des sprachlichen Stan‐ dards - der beispielsweise implizite und explizite Normierung unterscheidet oder Top-down und Bottom-up-Dynamiken integrierend berücksichtigt - verschlossen. 46 Die Stabilität sei - weiter den Autoren folgend - durch Kodifikation, die Flexibilität hingegen durch die Einrichtung eines „apparatus for modification and expansion“ zu erreichen. (Garvin / Mathiot 1968: 367). Normautoritäten gebunden und funktioniert ausschließlich auf der abstrakten Ebene des Sprachsystems. Die Konzeption blendet somit soziale oder empirische Aspekte von Standardsprachlichkeit, wie die Sprachproduktion oder -Perzep‐ tion innerhalb der Sprachgemeinschaft, weitgehend aus. 45 Ein bereits vor über 50 Jahren geprägter Terminus scheint das avisierte Merkmal von Standardsprachlichkeit besser einzufangen. So schreiben Garvin und Mathiot (unter Verweis auf den Prager Strukturalisten Vilém Mathesius) der Standardsprache eine flexible stability zu: “A standard language, in order to function efficiently must be stabilized by appropriate codification; it must at the same time be flexible enough in its codification to allow for modification in line with culture change.” (Garvin / Mathiot 1968: 367) 46 Die Problematik der Bewertung der Merkmale Kodifikation und Invarianz zeigt erneut, wie gewinnbringend die von Narvaja de Arnoux und del Valle (2010) vorgeschlagene Perspektivierung von Standardsprachlichkeit sein kann, denn für sprachpolitisch orientierte Ansätze ist die Kodifikation sicherlich ein gut zu begründendes und notwendiges Merkmal der Konzeption von Standardsprach‐ lichkeit. Sie ist Teil des gesteuerten Standardisierungsprozesses, der das Sprach‐ verhalten von Mitgliedern einer gegebenen politischen Einheit zum Zwecke kommunikativer Effizienz und zur Schaffung eines einenden, identitätsstif‐ tenden Momentums gleichschalten möchte (cf. Milroy / Milroy 4 2012: 19). Auf diese Art weist der Standard eine hohe Fixiertheit und Stabilität auf, die jedoch lediglich in dem Sinne flexibel ist, als dass sie von ermächtigten Kodifizierern von einem Zustand in einen neuen Zustand überführt werden kann. Statt einer flexiblen Stabilität könnte man dem Normenkonstrukt eher eine statische Fle‐ xibilität zuschreiben. Die so definierte Standardsprachlichkeit entsteht qua de‐ finitione erst dadurch, dass Varianten als Teil des Kanons festgelegt werden, und wird so zu einem Werkzeug politischer Macht, das in den Händen staatlich au‐ 92 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="93"?> torisierter Institutionen oder Expertengruppen liegt. Dadurch wird der Sprach‐ gemeinschaft selbst der normative Zugriff auf die Standardsprachlichkeit ent‐ zogen, obwohl der dort zu beobachtende Sprachgebrauch der Ausgangspunkt der Kodifizierung ist. Wie gezeigt ist das Merkmal Kodifikation definitorisch nicht notwendig und vor allem für empirische Untersuchungen synchronischer Prägung, die die tatsächliche Realisierung oder die Perzeption von Varianten untersuchen und nach deren möglicher Standardzugehörigkeit fragen, unge‐ eignet. 3.2.2.2 Überdachung, Überregionalität bzw. kommunikative Reichweite Ein weiteres, häufig angeführtes Kriterium für Standardsprachlichkeit und somit ein Merkmal von Standardsprachen ist ihre Überregionalität (z. B.: Stewart 1968, Dittmar 1973, Gallardo 1978, Spiekermann 2007, Milroy / Milroy 4 2012). Die Überregionalität ist eine notwendige Folge der Überdachung von primären Di‐ alekten (Coseriu 1988), die den historischen Standardisierungsprozess (nach einer Ausbau-, Elaborierungs- und Kodifizierungsphase) abschließt (Kloss 2 1978, Haugen 1987). Die Standardsprache steht den Sprechern aller beteiligten Vari‐ etäten sodann als geteiltes Idiom zur Verfügung und fungiert als gemeinsames Kommunikationsmittel. Umstritten ist, bis zu welchem Grad das Merkmal der Überregionalität erfüllt sein muss, damit von einer Standardsprache gesprochen werden kann. So stellt sich die Frage, ob nicht auch lokale Varietäten mit mini‐ maler geografischer Ausdehnung, etwa durch die Überdachung von Soziolekten und anderweitig definierten Varietäten, als geteilter Referenzpunkt (cf. Ka‐ pitel 3.2.2.3) fungieren können. Im Sinne einer unvoreingenommeneren Argu‐ mentation erscheint es sinnvoll, dem unstrittigen Merkmal der Überdachung das Merkmal der kommunikativen Reichweite an die Seite zu stellen, da dieses auf verschiedenen diasystematischen Ebenen funktioniert, wohingegen Über‐ regionalität auf die Dimension der Diatopik beschränkt bleibt. Dies gilt insbe‐ sondere, wenn die Standardsprachen nicht historisierend hinsichtlich ihrer Ent‐ stehungsgeschichte, sondern in der Synchronie betrachtet werden. Dort überdachen Standardsprachen selbstverständlich nicht nur Dialekte, sondern auch Soziolekte und diaphasische Register (cf. Hollmach 2007: 37, bezugneh‐ mend auf Hillmann 4 1994: 408). 3.2.2.3 Modell- oder Referenzfunktion Im Gegensatz zu den Merkmalen, die einer Sprache wesentlich zukommen, re‐ ferieren die Funktionen der Standardsprache darauf, welche Aufgaben diese in‐ nerhalb der Sprachgemeinschaft übernehmen kann bzw. wie sie dort wirkt (Ma‐ ckey 1989). Eine Kernfunktion von Standardsprachen ist ihre Modell- oder 93 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards <?page no="94"?> Referenzfunktion (Garvin / Mathiot 1968, Gallardo 1978, Bartsch 1987, Coseriu 1990, Oesterreicher 2000, Oesterreicher 2002, Koch / Oesterreicher 2 2011, Krefeld 2011, Amorós Negre 2015). Mit Blick auf seine Funktion in der Sprachgemeinschaft kann der sprachliche Standard als ein Modell der angemessenen oder korrekten Sprachverwendung verstanden werden, das es zu befolgen gilt und auf das sich die Sprecher in Streitfragen berufen können (cf. Ammon 2005b: 33). Die Standardsprache fun‐ giert somit als normativer Referenzpunkt bzw. Referenzbereich. Das Entstehen normativen Drucks auf die einzelnen Sprachbenutzer hängt wiederum von der Konzeption von Standardsprachlichkeit an sich ab. Wird diese abhängig von präskriptiven Kodizes definiert, so wirkt sie als institutionell geschaffenes Pro‐ dukt des Standardisierungsbzw. Kodifizierungsprozesses von oben auf die Sprachgemeinschaft ein (Top-down-Wirkung). Durch ihre Fixierung und ihre Kodifizierung erhält die Referenz- oder Modellvarietät eine gewisse Stabilität. Die Verbreitung in der Sprachgemeinschaft wird durch die Verwendung der Kodizes in Bildungs- und Verwaltungsinstitutionen garantiert und sekundär durch modellgebende Sprachnutzer (Schriftsteller, Journalisten, Moderatoren etc.) gesteigert. Die normative Kraft des präskriptiven Standards entsteht durch das institutionelle Gleichsetzen des kodifizierten Standards mit sprachlicher Korrektheit. Die normative Autorität leitet sich unmittelbar aus der politischen Macht der Institutionen und Normagenten ab. Durch institutionelle Sanktio‐ nierungsmaßnahmen wird die normative Kraft zusätzlich erhöht. Aus diesem Blickwinkel ist die Referenzfunktion unmittelbare Folge sprachpolitischen Han‐ delns. Allerdings ist diese Funktion nicht notwendigerweise mit sprachlichen Kodizes verknüpft. Wie andere Varietäten umfasst auch die Standardvarietät ein Variablen- und Varianteninventar. Ihr Sprachgebrauch wird ebenfalls durch sprachliche Normen angeleitet (ob explizit kodifiziert oder implizit gültig), die etwa mög‐ liche Muster der Rekombination bereitstellen. Dadurch, dass die Standardva‐ rietät aber als geteiltes Kommunikationsmittel für Sprecher unterschiedlicher Varietäten zur Verfügung steht, kommt ihr nicht nur eine größere Reichweite, sondern auch eine hierarchisch höhere Positionierung im Varietätengefüge zu (cf. Gallardo 1978, Koch / Oesterreicher 2 2011). Insofern die Standardsprache die übrigen Varietäten tatsächlich überdacht und in den jeweiligen Sprecherge‐ meinschaften implementiert und akzeptiert ist, kommt ihrem Normensystem in Situationen der kommunikativen Distanz Vorrang vor den Normen der übrigen Varietäten zu. Die Sprecher aller Varietäten orientieren sich an den Normen der Standardvarietät, die - wie später gezeigt wird - aus dynamischen Interakti‐ onsprozessen entstehen (cf. Kapitel 3.3.1) und lediglich optional kodifiziert 94 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="95"?> 47 Altgr.: ὀρθός 'rein, unverfälscht', ἔπος 'Wort, Vers', z. B.: Auer (1997): Begriff der in Analogie zur Orthografie auf die korrekte Aussprache referiert. In der vorliegenden Arbeit werden statt Orthoepie die vermeintlich zugänglicheren Begriffe Aussprache‐ standard bzw. Standardaussprache verwendet. werden. Somit ist die Referenzfunktion auch für Standardkonzeptionen, die die soziale Interaktion in den Vordergrund stellen, von großer Bedeutung. Die Sta‐ bilisierung des gültigen Varianten- und Variableninventars erfolgt jedoch über Synchronisierungsmechnismen innerhalb der gesamten Sprachgemeinschaft (cf. Kapitel 3.3.1). Was tatsächlich als standardsprachlich zu gelten hat, wird in einer Vielzahl singulärer Kommunikationssituationen innerhalb der Sprachge‐ meinschaft tagtäglich ausgehandelt. Hier entscheidet sich, welche Varianten für die Sprecher (unterschiedlicher Dia- und Soziolekte) die wesentlichen Charak‐ teristika von Standardsprachlichkeit erfüllen (größere Reichweite, Elaboriert‐ heit etc.) und daher einen Mehrwehrt in Situationen kommunikativer Distanz bieten. Viele gleichgerichtete Sprachhandlungen können sodann zur Stabilisie‐ rung oder Veränderung von Normen führen. Die normative Kraft entsteht somit durch den Konformitätsdruck mit den Sprachhandlungen anderer Mitglieder der Sprachgemeinschaft in diesen Kommunikationssituationen. In letzter In‐ stanz fungieren auch hier Modellsprecher und -schreiber, denen eine besondere Expertise zugesprochen wird, als sprachliche Vorbilder. Sie dienen - etwa im Falle von Normenkollisionen bzw. von Sprachkonflikten - als Referenzpunkt, der die Sprachverwendung der Sprecher anleitet. Sehr prägnant bringt dies Ul‐ rich Ammon auf den Punkt: „Modellsprecher oder -schreiber bzw. die von ihnen hervorgebrachten Modelltexte sind standardnormsetzend in dem Sinn, dass sich Normautoritäten, z. B. Lehrer, aber auch Normsubjekte, bei Richtigkeitsurteilen mit Aussicht auf Erfolg darauf berufen können: ‚Marietta Slomka spricht aber so! ‘, ‚Günter Grass schreibt das‘, ‚So steht es im Spiegel! ‘.“ (Ammon 2005b: 33) Dies gilt umso mehr für diejenigen Sprachebenen, die keiner (allgemeingültigen) Kodifizierung unterliegen, wie etwa für den Bereich der Aussprache. Diese wird nur selten durch präskriptive Kodizes erfasst, die sich - so sie doch existieren - häufig an bestimmte Berufsgruppen richten. Die normative Kraft der Ausspra‐ chekodizes darf für die Gesamtheit der Sprachgemeinschaft indes als deutlich geringer gelten als diejenige von Grammatiken und Orthografien. Auch Peter Auer spricht der so genannten Orthoepie 47 eine geringere Bedeutung zu: „[I]hr zu folgen, ist eigentlich nur (noch) für Nachrichtensprecher sinn- und presti‐ gevoll, weder für Politiker, Journalisten oder Universitätsprofessoren, noch für 95 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards <?page no="96"?> 48 Die Rolle der Normautoritäten und Modellsprecher, sowie dafür in Frage kommenden Berufsbzw. Personengruppen werden in Kapitel 3.3.2 diskutiert. Schauspieler“ (Auer 1997: 136). 48 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Aussprache grundsätzlich keine Standardisierung erfahren kann. Da sie allerdings im We‐ sentlichen von der institutionellen Kodifizierung ausgenommen bleibt, ergibt sich ihre Normativität weitestgehend über dynamische Interaktionsprozesse innerhalb der Sprachgemeinschaft. 3.2.2.4 Integrativ, separierend, identitätsstiftend Die integrierende und die separierende Funktion beschreiben Wirkungsweisen, die die Standardsprache innerhalb der Sprachgemeinschaft oder aber nach außen gegenüber anderen Sprachgemeinschaften aufweist. Sie wirkt vereinend, da sie Sprechern verschiedener Varietäten als geteiltes Kommunikationsme‐ dium zur Verfügung steht und diese erst dadurch zu Mitgliedern einer gemein‐ samen Sprachgemeinschaft macht (cf. Garvin 1959: 29). Der Standardsprache kommt in diesem Sinne auf der einen Seite ein identitätsstiftendes, gemein‐ schaftsbildendes Momentum zu (cf. Bartsch 1987, Lara 2004, Plewnia / Rothe 2009). Auf der anderen Seite wirkt die Standardsprache nach außen hin sepa‐ rierend, indem sie mit ihrer Entstehung in Opposition zu anderen Sprachen tritt und die Sprecher von ihr nicht überdachter Dialekte aus der neu entstandenen Sprachgemeinschaft ausschließt. Die integrative bzw. separierende Funktion erklärt, warum eine gemeinsame Sprache zum Beispiel im Zuge der Entstehung neuer politischer Entitäten oder der Verschiebung politischer Grenzen von derart großer Bedeutung ist. Hier kann die geteilte Standardsprache der hete‐ rogenen und historisch nicht unbedingt verbundenen Gesamtheit der Bürger einen gemeinsamen Marker geteilter Identität bieten. Dies ist vor allem in den‐ jenigen Fällen, in denen der politische Raum mehrere Kulturräume umfasst, von besonderer Bedeutung. Allerdings wirkt die separierende Funktion keinesfalls ausschließlich nach außen, da die Funktion der Überdachung selbstverständlich nicht zu einer automatischen Verbreitung standardsprachlicher Kompetenz in‐ nerhalb der Sprachgemeinschaft führt: Dialektsprecher werden nicht dadurch zu Sprechern der neuen, gemeinsamen Standardvarietät, dass ihre Dialekte nach linguistischer Prüfung auf die Standardsprache zu beziehen sind. Die Standard‐ varietät muss, im Gegenteil, von den Mitgliedern der überdachten Sprachge‐ meinschaften aktiv gelernt werden; ob über Akkommodationsmechanismen oder über die Instruktion durch Bildungseinrichtungen. Die vertikale Reich‐ weite innerhalb der verschiedenen Sprachgemeinschaften ist somit vom Zugang der Sprecher zu den standardsprachlichen Normen und den sie vermittelnden 96 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="97"?> 49 Im regionalen Maßstab kann diese Überlegung gleichermaßen auch für Dialekte gelten. Durch die größere Reichweite von Standardvarietäten, die Merkmale des Ausbaus und der Implementierung sowie ihre institutionelle Verbreitung, kann die kulturelle Ver‐ wurzelung der Standardvarietäten aber als konzentrierter oder - um im Bild Gallardos zu bleiben - tiefgreifender betrachtet werden. Institutionen, aber auch von der Akzeptanz des Standards innerhalb der Sprach‐ gemeinschaft abhängig. Als wichtiger Faktor für die Verbreitung der Standard‐ sprache sind auch die Massenmedien zu nennen, die die Reichweite standard‐ sprachlicher Sprachprodukte deutlich erhöhen. Dieser Faktor spielt insbesondere für die dynamisch gefasste Standardsprachlichkeit und den Aus‐ sprachestandard eine entscheidende Rolle. Über das Radio, das Fernsehen und das Internet erfahren die Sprachprodukte der Modellsprecher überregionale Verbreitung und können über die unterschiedlichen Kommunikationskanäle prinzipiell ortsunabhängig abgerufen werden. Ob sich die so verbreiteten sprachlichen Muster allerdings tatsächlich zu einem Aussprachestandard ent‐ wickeln, hängt davon ab, ob sie innerhalb der Sprachgemeinschaft in Situationen kommunikativer Distanz Verbreitung finden und ob sie als adäquat für diese Kontexte empfunden werden. 3.2.2.5 Kulturelle Verwurzelung und Urbanität Ein weiteres Merkmal, das als charakteristisch für Standardsprachen gilt und diese von anderen Idiomen unterscheidet, ist ihre Verwurzelung in der kultur‐ ellen Tradition der Sprechergemeinschaft (sp. arraigo, cf. Gallardo 1978: 91-93). Dies kann sich auch in den Einstellungen der Sprecher gegenüber der Stan‐ dardsprache spiegeln, wenn diese als kulturelle Errungenschaft der Gemein‐ schaft angesehen wird. Die Standardisierungsgeschichte des Spanischen ist ein gutes Beispiel hierfür: Im Zuge des historischen Standardisierungsprozesses wurden namhafte Schriftsteller des siglo de oro als Vorbilder für einen guten und elaborierten Sprachgebrauch herangezogen und auf diese Weise die Kodizes ge‐ schickt mit hoch geschätzten literarischen Werken verknüpft. In diesem Sinne ist das Merkmal der kulturellen Verwurzelung eine synchronische Eigenschaft mit historischem Verweis (cf. Gallardo 1978: 92). Als Gegenbeispiel führt Gal‐ lardo das Esperanto an, das viele Eigenschaften einer Standardsprache aufweise, aber in keiner historischen Tradition verwurzelt und deshalb noch weit entfernt vom Status einer globalen Standardsprache sei. Das Merkmal des arraigo ist eng mit der identitätsstiftenden Funktion der Standardsprache verknüpft, da die Mitglieder der Sprachgemeinschaft durch ihre Teilhabe an der Standardsprache auch automatisch an der gemeinschaftlich geschätzten Kultur teilnehmen, aus der diese erwachsen ist. 49 97 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards <?page no="98"?> 50 Sofern diese über die entsprechende standardsprachliche Kompetenz und - im Hinblick auf das inhaltliche Verständnis - über die notwendige Sachkenntnis verfügen. 51 Einen Überblick zu Forschungen zu Sprechereinstellungen bietet Vandermeeren (²2005). Ein weiteres häufig angeführtes Merkmal von Standardsprachen, ihre Urba‐ nität, hängt ebenfalls direkt mit ihrer gesellschaftlichen Verwurzelung zu‐ sammen. Standardsprachen existieren in urbanen Gesellschaften, da sich ins‐ besondere dort die kommunikativen Notwendigkeiten herausgebildet haben, die durch das Werkzeug ‘Standardsprache’ am besten bedient werden können, etwa die dialektübergreifende Kommunikation oder die Vermittlung komplexer Inhalte mit großer Informationsdichte etc. (cf. Garvin 1959, Garvin / Mathiot 1968, Gallardo 1978, Fontanella de Weinberg 1992b). Dass dieser Bedarf gerade im urbanen Kontext besonders groß ist, ergibt sich aus der komprimierten He‐ terogenität der Städte: Personen divergierender Herkunft interagieren in Kom‐ munikationssituationen unterschiedlichen Komplexitätsgrads miteinander. Ins‐ besondere administrative, juristische oder wissenschaftliche Kommunikationsvorgänge erfordern eine Sprache, die die komplexen Inhalte möglichst dicht bündelt und allen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft potenziell Zugang zu diesen Informationen ermöglicht. 50 Urbanität ist als Entstehungskriterium für Standardsprachen zu verstehen, sie ist allerdings kein Kriterium für deren Gültigkeit oder Verbreitung. Das Merkmal der Überregionalität von Standard‐ sprachen verlangt geradezu, dass diese auch rurale Räume umspannen, was in Zeiten von Massenmedien und vernetzten Gesellschaften deutlich schneller vonstattengehen dürfte als früher. 3.2.3 Sprechereinstellungen gegenüber der Standardsprachlichkeit Neben den genannten Merkmalen und Funktionen sind auch die Einstellungen interessant, mit denen die Sprecher dem Standard begegnen. Sie sind für die Bestimmung standardsprachlicher Elemente von elementarer Bedeutung und funktionieren nach Natividad Hernández Muñoz auf drei Ebenen: “Language attitudes comprises cognitive, affective and conative dimensions. The first refers to the beliefs and the social significance associated with languages and groups of speakers, the second, to feelings and emotions, and the third to the predisposition to act.“ (Hernández Muñoz 2015: 229) 51 Die Erhebung von Sprechereinstellungen ist keinesfalls trivial, da diese häufig Vorurteile abbilden (Preston 2004: 40), die sich bisweilen nicht auf die Sprache oder einzelne Varianten beziehen, sondern häufig Gemeinplätze gegenüber so‐ 98 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="99"?> 52 Dabei korrelieren attitudes nicht unbedingt mit einem bestimmten Verhalten: „[…] stu‐ dies of co-variation of normative beliefs / attitudes and behavior show that there may not be a relation between what people claim they should or would do, and what they in fact do.“ (Bicchieri / Muldoon 2011: 6). Eine gute Strategie diese Problematik zu um‐ gehen, ist die indirekte Abfrage von Einstellung, durch mit dem Zielparameter zusam‐ menhängende Sekundärparameter, etwa die Ermittlung der Korrektheit bzw. Adäquat‐ heit einer sprachlichen Variante über deren Frequenz oder Salienz. Vergleiche auch die Gegenüberstellung des direct und indirect approach in Garrett (²2005: 1252). zialen Gruppen abbilden (cf. Boughton 2006, in: Lam / Grantham O'Brien 2014: 152). 52 Allerdings spielen die Sprechereinstellungen bei der Bestimmung stan‐ dardsprachlicher Zeichen eine große Rolle. Wie also müssen sprachliche Zei‐ chen oder ganze Varietäten von den Sprechern wahrgenommen werden, damit sie auch aus perzeptiver Hinsicht als standardsprachlich identifiziert werden können? 3.2.3.1 Korrektheit und Angemessenheit Standardsprachen werden in aller Regel mit ʻKorrektheitʼ assoziiert (Stewart 1968, Dittmar 1973, Milroy / Milroy 4 2012, Ammon 1987a, Lope Blanch 1993, Krefeld / Pustka 2010). Im Falle kodifizierter Standardsprachlichkeit ist die Kor‐ rektheit qua definitione festgelegt. Ausgewählte Varianten werden von norma‐ tiven Akteuren in Kodizes als korrekte Sprachverwendung fixiert und über Bil‐ dungseinrichtungen an die Sprachgemeinschaft weitergegeben. Sanktionierungsmaßnahmen sowie tatsächliche oder vermeintliche Nachteile bei Nichtbefolgung (etwa im Hinblick auf Leistungsbewertung, Einstellungs‐ chancen etc.) stützen das derart etablierte kodifizierte Normsystem. Aufgrund des defizitären Charakters der sprachlichen Kodizes, die auf der einen Seite auch veraltete Varianten enthalten können und auf der anderen Seite nicht alle von der Sprachgemeinschaft in standardsprachlicher Verwendung integrierten Ele‐ mente umfassen (cf. Ammon 1987b: 313-314 und Kapitel 3.2.2.1), lässt sich Kor‐ rektheit von Varianten jedoch nicht allein aus ihrer Repräsentation in sprach‐ lichen Kodizes ableiten. Zudem ist Korrektheit zwar ein typisches, aber kein exklusives Merkmal von Standardsprachlichkeit, denn auch die Sprachverwen‐ dung in Dialekten, Soziolekten oder anderen Varietäten wird durch Normen regiert, deren Befolgung mit Korrektheitsidealen assoziiert und deren Verlet‐ zung missbilligt wird. Entsprechend können auch nicht-standardsprachlichen Varianten Korrektheitsbewertungen zukommen. Dennoch ist Korrektheit ein essenzielles Charakteristikum der Standardsprache, das als Voraussetzung für die Überdachung von Dialekten und als Grundlage für die Referenzfunktion angesehen werden kann. Denn dadurch, dass die Standardvarietät Mitgliedern unterschiedlicher Sprechergemeinschaften als geteiltes Kommunikationsmittel 99 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards <?page no="100"?> 53 Dieser Interessensausgleich verschiedener Subgruppen der heterogenen Sprachge‐ meinschaft ist so bedeutsam, dass der Standard von einigen Autoren auch als ‘Koiné’ bezeichnet wird, einer überregionalen Kompromissvarietät (compromise dialect; Siegel 1985: 365) also, die aus einer Situation des interdialektalen Sprachkontakts entstanden ist (cf. auch Mangado Martínez 2007 oder Amorós Negre / Prieto de los Mozos 2017). Brown (2020) argumentiert in einem kürzlich erschienen Artikel, dass es sich bei Stan‐ dardisierung und Koineisierung um zwei sprachwissenschaftliche Konzepte handelt, die zwar i. d. R. in unterschiedlichen linguistischen Forschungsfeldern Anwendung finden, aber große Schnittmengen aufweisen, da beide Prozesse Konvergenzphänomene un‐ terschiedlicher Varietäten beinhalten bzw. durch diese bedingt sind (cf. ibid.: 22). Wie auch in der vorliegenden Arbeit argumentiert wird (cf. u. a. Kapitel 3.3.1 & 3.3.2), weist auch Brown an verschiedenen Stellen auf die Bedeutung der Berücksichtigung und Unterscheidung von Top-down induzierter und Bottom-up entwickelten Sprach‐ wandelbzw. Normierungsprozesse hin. in distanzsprachlichen Kommunikationssituationen dient, kann angenommen werden, dass diese das etablierte standardsprachliche Normensystem als korrekt akzeptieren. Denn nicht zuletzt impliziert das Befolgen der standardsprachli‐ chen Normen in vielen Fällen den Ausschluss von konkurrierenden Normen und Varianten der muttersprachlich erlernten Sprachsysteme. Aus perzeptiver Hin‐ sicht ist die Korrektheit des Standards auf diese distanzsprachliche Kommuni‐ kationssituationen zu begrenzen, wo er als Verkehrssprache für Sprecher un‐ terschiedlicher Varietäten fungiert. 53 Denn mag ihre Korrektheit zwar ein essenzielles Charakteristikum standardsprachlicher Zeichen sein, so kann der Standard in bestimmten Kommunikationssituationen aus pragmatischer Sicht dennoch durchaus die falsche Wahl sein. Dies gilt für diejenigen Register bzw. Situationstypen, in denen die Standardvarietät nicht als normativer Referenz‐ punkt fungiert; d. h. insbesondere für informelle Situationen der Nähesprache. Dort gelten völlig andere Erwartungs- und damit auch Normenkonstellationen, die anderen sozio-kommunikativen Bedarfen Rechnung tragen. In derartigen Situationen, etwa bei einem Kartenspiel in der Stammkneipe, kann die (konti‐ nuierliche) Verwendung des Standards hochgestochen und somit situativ wenig angemessen wirken. Während im nähesprachlichen Bereich verschiedenste Va‐ rietäten als angemessen gelten können, da diese situativen Kontexte vom Wir‐ kungsbereich der Normativität des Standards ausgenommen bleiben, werden mit steigender Distanzsprachlichkeit dialektale und andere diasystematisch markierte Elemente immer weiter zurückgedrängt. Je näher eine Kommunika‐ tionssituation also dem Pol der kommunikativen Distanz steht, desto eher wird die Verwendung des Standards erwartet oder sogar eingefordert (cf. Koch / Oes‐ terreicher 2 2011). Eine abweichende Sprachwahl bricht mit diesen Erwartungen und wird entsprechend als auffällig oder unangemessen bewertet. Sie ist dann in der Sprecherwahrnehmung salient. Die Korrektheit der Standardsprache kor‐ 100 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="101"?> 54 Daher wurde verschiedentlich vorgeschlagen den Begriff der Korrektheit etwa durch Beispielhaftigkeit (sp. ejemplaridad, cf. Coseriu 1990: 45-48) zu ersetzen oder das Kor‐ rekte (sp. lo correcto) durch das Rechte zu ergänzen (sp. recto, Mangado Martínez 2007: 52-53). 55 Der umgekehrte Fall, die Stigmatisierung von Sprachformen, folgt mitunter einem ähn‐ lichen Muster. Hier werden negative Vorurteile gegenüber Gruppen auf die von ihnen verwendeten Sprachformen übertragen. Einen derartigen Prozess beobachten beispiels‐ weise Llull / Pinardi (2014: 54) in den Ergebnissen einer Umfrage unter Sprechern aus reliert also in Bezug auf die Sprachwahl mit situativer Angemessenheit für for‐ melle, d. h. distanzsprachliche, Kontexte (cf. Milroy / Milroy 4 2012) und in Bezug auf die Perzeption der Varianten mit Unauffälligkeit (cf. Krefeld 2011, sowie Kapitel 3.2.4). 54 3.2.3.2 Prestige Ein weiteres Attribut, das Standardsprachen häufig zugesprochen wird, ist ihr Prestige innerhalb der Sprachgemeinschaft (cf. Garvin / Mathiot 1968, Gallardo 1978, Donni de Mirande 1978, Bartsch 1987, Coseriu 1990). Die Sprecher weisen der Standardvarietät einen hohen Wert zu, der mitunter in Stolz oder akzentu‐ ierte Sprachloyalität münden kann (Garvin / Mathiot 1968, Nader 1968, Gallardo 1978). Der kulturelle Wert und damit das Prestige des Standards lassen sich un‐ mittelbar aus den genannten Merkmalen und Funktionen und durch die erwei‐ terten Möglichkeiten, die sie ihren Sprechern bieten, ableiten (cf. Coseriu 1990: 59). Überdachung und Überregionalität erweitern den Kommunikationsradius der Sprecher beträchtlich. Der elaborierte Code des Standards ermöglicht höhere Präzision und informationelle Kompaktheit und ist für einige Berufszweige un‐ abdingbare Grundvoraussetzung (z. B. Journalismus, Wissenschaften, Schrift‐ stellerei etc.). Auf diese Weise ist der Standard äußerst nützlich für die Kom‐ munikation in distanzsprachlichen Kommunikationssituationen und die standardsprachliche Kompetenz nicht selten eine der Schlüsselkompetenzen, die den Sprechern die Tür zu bestimmten Betätigungsfeldern öffnet. Aber kommt dem Standard oder seinen Elementen aus diesem Grund bereits selbst Prestige zu? Es scheint sich eher so zu verhalten, dass das Prestige der Stan‐ dardsprache „indexikalisch“ auf die Sprecher verweist, die den Standard be‐ nutzen (Milroy 2001: 532). Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Berufsfelder, in denen diese Personen agieren, häufig mit Weltgewandtheit, Ruhm, hohem Einkommen o. ä. assoziiert werden. Diese Attribute könnten - weiterhin der Argumentation James Milroys (ibid.) folgend - sekundär im Sinne einer meto‐ nymischen Relation auf die Varietät übertragen werden. Das Prestige der Stan‐ dardsprache stellt daher zu einem gewissen Grad eine stereotype Übertragung des Prestiges der Sprechergruppen dar, die den Standard verwenden. 55 Durch 101 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards <?page no="102"?> Buenos Aires: Negative Bewertungen von Varietäten / Varianten wurden besonders häufig denjenigen Sprechergruppen zugesprochen, die in den amerikanischen Binnen‐ migrationsbewegungen zur argentinischen Hauptstadt besonders stark vertreten waren. Die Ursache der negativen Bewertung der Sprachformen könnte - so die Hy‐ pothese der Autorinnen - somit ursächlich mit der Bewertung der Migrationsbewe‐ gungen zusammenhängen. 56 Diese Sprecher können den Standard allerdings aus denselben Gründen heraus als etwas nur schwer oder überhaupt nicht zu erreichendes Ideal verstehen (cf. Ka‐ pitel 3.2.3.3). 57 Weiterführende Informationen zum Konzept der Non-Dominant-Varieties bietet Muhr (2013a: 11-12) sowie das Kapitel 4.2. diese Assoziation von Prestige mit Standardsprachlichkeit wird die Erlangung standardsprachlicher Kompetenz aus dieser Perspektive heraus bisweilen als Möglichkeit angesehen, den sozialen Status der Sprecher innerhalb der Sprach‐ gemeinschaft zu steigern (cf. Gallardo 1978: 99). Dies gilt gerade auch für Spre‐ cher mit geringerer Standardkompetenz, die dazu führen kann, dass der Stan‐ dard „als sozial und stilistisch höher stehend bewertet“ wird (Krefeld 2011: 109). 56 Folgerichtig nimmt das Prestige des Standards in dem Maße ab, in dem die Kompetenz der Sprecher zunimmt: Je barrierefreier der Zugriff auf die Stan‐ dardsprache erfolgt, desto unbewusster ist den Sprechern die Sprachwahl und desto weniger stark wird das Prestige auf die Sprache übertragen. Für standard‐ kompetente Sprecher ist der Standard, obwohl dessen kommunikativer Mehr‐ wert unberührt bleibt, somit „keineswegs […] positiv hervorstechend“ (ibid.). Peter Trudgill weist zudem darauf hin, dass die offen kommunizierte Bewer‐ tung sprachlicher Varianten nicht immer mit der tatsächlichen Sprachverwen‐ dung und der evaluativen Perzeption von Varianten übereinstimmen muss: „[…] there are hidden values associated with non-standard speech […] these values are there, but they are values which are not usually overtly expressed. They are not values which speakers readily admit to having, and for that reason they are difficult to study.” (Trudgill 1972: 183-184) Dieses Konzept des covert prestige lässt sich von Non-Standardvarianten gut auf nicht kodifizierte Standardvarianten übertragen. Es greift immer dann, wenn Sprecher gewissen Varianten eine positive Wertung zuschreiben, obwohl sich diese nicht mit der institutionellen Evaluation deckt, bzw. diese nicht im kodi‐ fizierten Normenkanon enthalten ist. Häufig lassen sich derartige Sprecherein‐ stellungen bzgl. Non-Dominant-Varieties  57 plurizentrischer Sprachen ermitteln. Diese Varietäten fungieren für ihre Sprecher bereits als Standardvarietäten, sind aber aus sprachpolitischen Gründen (noch) nicht als solche akzeptiert. Die für sie charakteristischen Varianten können für die Sprecher daher prestigeträchtig 102 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="103"?> 58 Allerdings lässt sich auch der umgekehrte Fall beobachten, dass Sprecher angeben, re‐ gionale Varianten zu benutzen, obwohl sich diese in der tatsächlichen Sprachverwen‐ dung nicht nachweisen lassen. Vermutlich ist dies eine Strategie, eine größere Nähe zu den regionalen Peers zu kreieren (ibid.). sein und beispielsweise regionale Identität vermitteln, obwohl sie nicht in den Kodizes und didaktischen Lehrwerken repräsentiert sind (cf. Kapitel 3.1.3). In diesen Fällen liegt ein Normenkonflikt zwischen den Bottom-up entwickelten und den Top-down vermittelten standardsprachlichen Varianten vor. Aufgrund der politischen Macht und des kulturellen Prestiges des kodifizierten Standards können die Sprecher bei direkter Abfrage eine Scheu entwickeln, die regionalen Varianten als positiv zu bewerten, ihre Verwendung negieren etc., obwohl sie in alltäglichen Kommunikationssituation selbstverständlich darauf zurück‐ greifen (Trudgill 1972). 58 3.2.3.3 Unerreichbarkeit Standardsprachlichkeit wird nicht ausschließlich mit positiven oder neutralen Wertungen begegnet. Insbesondere diejenigen Sprecher, die nicht von den nütz‐ lichen oder gewinnbringenden Merkmalen und Funktionen des Standards pro‐ fitieren können, nehmen bisweilen eine eher negative Einstellung zur Stan‐ dardvarietät ein. Dies liegt daran, dass die standardsprachliche Kompetenz zwar auf der einen Seite als Schlüssel zum gesellschaftlichen Aufstieg gesehen werden kann, auf der anderen Seite kann der fehlende oder unzureichende Zugang zur Standardsprache ebenso als Barriere wahrgenommen werden. Diese Sprechereinstellung hängt somit unmittelbar mit der nach innen gerichteten, separierenden Funktion des Standards und dem Zugang der Sprachgemeinschaft zur Standardsprache zusammen. Sie führt dazu, dass vollkommene Standardkon‐ formität mitunter als „schwer zu erreichende und beneidenswerte Korrektheit“ wahrgenommen wird (Krefeld / Pustka 2010: 18, unter Verweis auf Pustka 2007). Unerreichbarkeit kann - wie im obigen Abschnitt - als Sprechereinstellung gegenüber der Standardsprache kategorisiert werden, sie kann aber auch eine konzeptionell bedingte, notwendige Folge der Definition von Standardsprach‐ lichkeit darstellen. Dies ist besonders bei Ansätzen zu beobachten, die weniger den tatsächlichen Sprachgebrauch innerhalb der Sprachgemeinschaft fokus‐ sieren, sondern einen (mehr oder minder strikt) normtheoretischen Zugang zu Standardsprachlichkeit eröffnen. In solchen Fällen wird der Standard häufig als idealisiertes Produkt sprachpolitischen Handelns konzipiert, das den Sprechern durch präskriptive Kodifikation einen Handlungsrahmen vorschreibt. Dieser kann jedoch in der standardintendierten Sprachproduktion selbst von ge‐ 103 3.2 Das Konzept des sprachlichen Standards <?page no="104"?> 59 Obschon Berufssprecher deutlich näher an den kodifizierten Standard herankommen als der Rest der Sprachgemeinschaft und ihnen dessen Realisierung „fast perfekt“ ge‐ lingt (Schmidt / Herrgen 2011: 68), bleibt dieser selbst für die trainierten Sprecher ein de facto unerreichbares Idealkonstrukt - und das obwohl sich die Aussprachewörter‐ bücher aus der Sprachverwendung dieser Sprecher speisen. Für den Großteil der Sprachgemeinschaft bleibt der so gefasste (Aussprache-)Standard hingegen eindeutig unerreichbar; zumindest, wenn mit Erreichbarkeit absolute Normkonformität gemeint ist. schulten Sprechern nicht in Gänze erreicht werden. So schreibt etwa Spieker‐ mann unter Bezugnahme auf das Deutsche: „Geht man von der in den Wörterbüchern, Aussprachewörterbüchern und Gramma‐ tiken kodifizierten Sprachform aus und nennt diese ‚Standard‘, dann muss man sie als theoretisches Konstrukt bezeichnen. Tatsächlich wird es niemanden geben, der diesen Standard perfekt beherrscht. Selbst geschulte Sprecher wie Schauspieler oder Nach‐ richtensprecher sind nicht in der Lage, einen völlig variationsfreien oder von regio‐ nalen Einflüssen unberührten Standard zu artikulieren.“ (Spiekermann 2007: 123) 59 Dies gilt insbesondere für den Bereich der Aussprache, wo, insofern überhaupt kodifizierte Regeln vorliegen und diese gelehrt werden, der normative Anspruch und die normative Kraft deutlich geringer ist (cf. Krech 1996, Auer 1997). 3.2.4 Zur perzeptiven Unauffälligkeit des Standards „Die fehlende Wahrnehmung von Auffälligkeiten, die […] durchaus nicht in Invarianz begründet sein muss, ist ein zuverlässiger Indikator für die Standardhaftigkeit eines Merkmals und insofern sehr nützlich für die Erfassung von Regionalstandards.“ (Kre‐ feld 2015: 399) Die perzeptive Unauffälligkeit des Standards kann nicht ohne Weiteres in die bisher angelegte Kategorisierung (Merkmale bzw. Funktionen von Standard‐ sprachen sowie Sprechereinstellung gegenüber der Standardsprache) eingrup‐ piert werden. Sie ist zwar mit Sprechereinstellungen verknüpft, stellt aber selbst keine Einstellung dar. Vielmehr handelt es sich um die sensorisch-kognitive Verarbeitung konkreter Reize (Perzepte), die mit Erwartungen an die vorlie‐ gende Kommunikationssituation abgeglichen werden; etwa hinsichtlich des konkreten Sprachlautes [ʃ] als Realisierung der Variable / ʒ/ . In der Regel werden klassische soziolinguistische Abfragemethoden (Likert-Skala, Matched-Guise-Technique o. ä.) angewandt, um die Bewertungen der Pro‐ banden zu elizitieren. Der quantifizierende Vergleich derartiger Abfragen lässt dann wiederum Rückschlüsse auf den Status der übergeordneten Variablen zu. 104 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="105"?> Unauffälligkeit lässt sich jedoch ebenso wenig als Merkmal von Standardspra‐ chen bestimmen, da diese in holistischer Wahrnehmung durchaus als auffällig empfunden werden können (Krefeld 2015). Allerdings kann aus den genannten Funktionen und Merkmalen von Standardsprachen abgeleitet werden, dass die standardsprachlichen Varianten die Anforderungen distanzsprachlicher Kom‐ munikationssituationen am besten erfüllen und somit die erwartbare und un‐ auffällige Sprachwahl darstellen (cf. Demonte 2005, Krefeld 2011, Auer 2014). Durch die Prozesse des Ausbaus und der Elaboration eröffnen die Varianten der Standardsprache eine möglichst präzise und kompakte Informationsvermitt‐ lung. Als geteiltes Kommunikationsmittel für Sprecher unterschiedlicher Sprachgemeinschaften enthält die Standardsprache zudem wenige Varianten mit eingeschränktem Kommunikationsradius oder spezifischen Konnotationen. In diesem Sinne kann die Standardsprache als unmarkierter Hintergrund ver‐ standen werden, vor dem andere Varianten als salient hervortreten und im Hin‐ blick auf ihre Verortung im Diasystem hin als markiert beschrieben werden können (cf. Kapitel 2.6). Dadurch sind die Standardvarietäten allerdings nicht von den übrigen Varietäten abgekoppelt. Tatsächlich rücken regelmäßig neue Varianten in den standardsprachlichen Bereich vor und beginnen, immer mehr den standardsprachlichen Funktionen zu genügen und die standardsprachlichen Merkmale zu erfüllen. Mit zunehmendem Gebrauch in standardsprachlichen Kommunikationssituationen werden sie zur erwartbaren Sprachwahl und daher auch selbst perzeptiv unauffällig. Am Randbereich zur Standardsprachlichkeit ist zudem eine gewisse Durchmischung mit den übrigen Varietäten anzu‐ nehmen, denn nicht alle standardsprachlichen Elemente erfüllen alle Merkmale und Funktionen in demselben Maße oder sind für alle Sprecher gleich unauf‐ fällig. So akzeptiert beispielsweise Purschke innerhalb „nationale[r] Oralisie‐ rungsnormen einen begrenzten Bestand an perzeptiv unauffälligen / akzeptierten Regionalismen“ (Purschke 2011: 36). Diese Varianten erfüllen einige Anforde‐ rungen an die Standardsprachlichkeit wie etwa Korrektheit und Prestige, aller‐ dings nicht das Merkmal der Überregionalität und sind somit noch als Regio‐ nalismen gekennzeichnet. Regionalismen im standardsprachlichen Bereich können allerdings auch ein Indiz für die Koexistenz verschiedener Standardva‐ rietäten im Sinne der Plurizentrik sein (cf. Kapitel 3.4 und Kapitel 4). 3.3 Zur Entstehung von Aussprachestandards Als Teilbereich des sozialen Kommunikationssystems Sprache ist auch die Aus‐ sprache durch Normen geregelt und von normativen Erwartungskonstellati‐ 105 3.3 Zur Entstehung von Aussprachestandards <?page no="106"?> 60 Mit erstem Begriff wird ein besonderer Bereich des Sprachsystems der Standardvarietät, nämlich der Bereich der Aussprache, in den Mittelpunkt gestellt, wohingegen der zweite Terminus einen besonderen Bereich der Aussprache beschreibt, nämlich den standar‐ disierten Teil. Es handelt sich also um eine unterschiedliche Perspektivierung desselben Gegenstands, weshalb beide Begriffe weitestgehend synonym verwendet werden können. 61 Álvarez (2005) verwendet alternativ auch die Begriffe buena pronunciación, pronuncia‐ onen beeinflusst. Die Aussprache betrifft damit den phonetischen bzw. phono‐ logischen Bereich der Sprache, also das Inventar der dort anzusiedelnden Varianten (Phone und Allophone) und Variablen (Phoneme, ggf. Toneme etc.), sowie die Prozesse und Normen, die mit deren Realisierung zusammenhängen. Davon zu unterscheiden sind Phänomene der medial mündlichen Realisierung von Sprache, die zwar auch auf Phänomene der gesprochenen Sprache Bezug nehmen, jedoch nicht (ausschließlich) den Bereich der Sprachlaute, sondern alle Ebenen der Sprache betreffen können; also etwa auch Syntax, Morphologie etc. Wie im Folgenden argumentiert wird, können sich auch in diesem Bereich Referenznormen herausbilden, die für die Bewertung angemessener bzw. kor‐ rekter Sprachverwendung orientierend sind und für Situationen kommunika‐ tiver Distanz modellbildend wirken. Nonkonforme Realisierungsvarianten können dann vor dem Hintergrund der Referenznorm im Hinblick auf ihre diasystematische Verortung interpretiert werden. Diese Normen werden - je nach argumentativer Zuspitzung - als Aussprachestandard oder Standardaussprache bezeichnet. 60 Weitere gebräuchliche Bezeichnungen sind Oralisierungsnorm (Schmidt / Herrgen 2011) und (seltener) Orthoepie (cf. Auer 1997 sowie Ka‐ pitel 3.2.2.3), die jedoch weniger geeignet erscheinen: Mit Oralisierungsnorm wird der spezielle normative Charakter des Aussprachestandards nicht vollends erfasst, da es sich ja gerade nicht um eine von vielen Normen im Bereich der Aussprache handelt, sondern um diejenige Referenznorm, die dort die Funkti‐ onen der Standardsprache zu realisieren vermag. Der Begriff Orthoepie hingegen verlagert das Konzept zu sehr in den Bereich der Kodifikation, die, wie zuvor diskutiert, keine Voraussetzung für Standardsprachlichkeit ist. In diesem Sinne stellt die Orthoepie lediglich einen Teilbereich des Aussprachestandards dar. Gänzlich ungeeignet ist hingegen die Bezeichnung gesprochener Standard, da auf diese Weise nicht der Bereich der Aussprache, sondern die medial gespro‐ chene Realisierung der Standardsprache in den Fokus gerückt wird. Die Über‐ legungen gelten analog für die im spanischsprachigen Diskurs vorgeschlagenen Termini: estándar oral (Carbó et. al. 2003, Amorós Negre / Prieto de los Mozos 2017), estándar fonético (Ávila 2003), pronunciación estándar (Álvarez 2005) und norma ortofónica/ pronunciación normativa (Colantoni / Hualde 2013). 61 106 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="107"?> ción culta, pronunciación correcta, die aufgrund des wertenden Charakters nicht als ge‐ nerischer Terminus in Frage kommen. 62 „Im gesprochenen Standarddeutsch gilt der Dativ generell nicht mehr als umgangs‐ sprachlich.“ (ibid.) Aussprachestandards unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Restriktion bzw. ihre normative Kraft bisweilen deutlich von den Normen anderer Ebenen des Standards. Sie weisen einen geringeren Grad der Kodifikation auf und sind durchlässiger für diatopisch markierte Varianten, Kurzformen etc. Diese grö‐ ßere Durchlässigkeit scheint auf den ersten Blick allgemein auf die medial mündliche Realisierung von Standardvarietäten zuzutreffen, wie ein Beispiel aus dem Deutschen belegt. So urteilt die Duden-Redaktion hinsichtlich des Kasus-Gebrauchs nach wegen, dass die Verwendung von wegen mit Dativ in medialer Mündlichkeit als standardadäquat bewertet werden muss, wohingegen die Präposition in einem geschriebenen Text in der Regel mit Genitiv erscheinen sollte (Dudenredaktion 2017). 62 Dieses normative Zugeständnis ist als Reaktion auf eine erhöhte Frequenz der Verbindung von wegen mit Dativ in der gespro‐ chenen Sprache zu verstehen. Auch divergierende Sprechereinstellungen können bisweilen auf das Medium der Realisierung zurückgeführt werden. Als Beispiel kann eine Umfrage unter Lehrkräften in Buenos Aires dienen. Während mit Blick auf die medial geschriebene Sprache eine große Unsicherheit hin‐ sichtlich der Korrektheit der voseo-Formen vorherrscht, kann ihre Korrektheit in der gesprochenen Sprache als unstrittig gelten (López García 2010: 92). Ein Grund für die größere Durchlässigkeit mag die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes sein: Wird eine medial mündlich realisierte Variante als salient wahr‐ genommen, so besteht - sofern das Gesagte nicht als Aufzeichnung vorliegt - nicht die Möglichkeit, im Text zurückzuspringen und etwaige Normabwei‐ chungen nochmals zu überprüfen. Etwas zugespitzt könnte man formulieren: Gesprochenes kann man nicht rot unterstreichen. Auch das Unterbrechen des Gegenübers zum Zwecke der Diskussion der infrage stehenden Variante würde in nicht wenigen Fällen als schwerer kommunikativer Affront aufgefasst werden. Allgemein scheint im Hinblick auf die gesprochene Sprache eine ge‐ ringere Sanktionierungsneigung der Normautoritäten vorzuliegen. Sofern es sich nicht um eine einstudierte Rede handelt, ist auch die Vorbereitungszeit und die Planungstiefe gesprochener Sprache geringer als bei einem geschriebenen Text vergleichbarer Formalität (cf. Koch / Oesterreicher 2 2011: 6-14). Wie alle Ebenen der Sprache ist jedoch auch der spezifisch sprechsprachliche Bereich der Aussprache Normen unterworfen, die das Sprachhandeln der Spre‐ cher anleiten. Dass diese den Sprechern auch bewusst sind, lässt sich etwa durch Fehlartikulationen belegen, die in autokorrektiven Verfahren berichtigt werden. 107 3.3 Zur Entstehung von Aussprachestandards <?page no="108"?> 63 „Nothing served to ‘assemble’ related vernaculars more than capitalism, which, within the limits imposed by grammars and syntaxes, created mechanically reproduced print-languages capable of dissemination through the market. These print-languages laid the bases for national consciousnesses […].“ (Anderson 4 2016: 44). In diesem Fall bemerken die Sprecher, dass die Realisierung eines Lautes oder einer Lautkette (z. B. eines Wortes) nicht konform mit den üblichen Ausspra‐ chekonventionen erfolgt ist und korrigieren sich selbst durch eine entsprechend modifizierte Aussprache. Explizite sprachliche Korrekturen durch Normautori‐ täten (Eltern, Lehrer, etc.) sind ein weiteres Indiz für gültige Aussprachenormen. Diese Instanzen können ihre Kinder bzw. Schüler darauf hinweisen, ‘nicht so schlampig zu sprechen’ oder ‘den Mund richtig aufzumachen’. In diesen Fällen führen Fehlartikulationen zu einem Bruch mit den kommunikativen Erwar‐ tungen Anderer. Die korrektive Intervention der Autoritäten verfolgt demnach das Ziel, die Sprachverwendung an gültige Normen anzupassen. Derartige Aus‐ sprachenormen sind auf allen Ebenen des Diasystems und für Situationen un‐ terschiedlichen Formalitätsgrads zu beobachten: in Dialekten ebenso wie in Gruppensprachen, in Situationen kommunikativer Nähe ebenso wie in Situati‐ onen kommunikativer Distanz. Insbesondere in intendierter Standardverwen‐ dung kann jedoch von einer großen Aufmerksamkeit der Sprecher auf die sprachlichen Formen ausgegangen werden, da die angesprochene Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes auch Irreversibilität impliziert. Aber kann auch für die Aussprache die Existenz einer Referenznorm angenommen werden, die die zuvor dargelegten standardsprachlichen Merkmale und Funktionen erfüllt? Zunächst lässt sich festhalten, dass die Aussprachewörterbücher, manuales de pronunciación etc. nicht dem Kernbereich der Kodifikation angehören, dem vor allem Grammatiken und Orthografien zuzuordnen sind, die im Zuge der historischen Standardisierungsprozesse als erste entstehen (cf. Tacke 2020). Dies hängt, Überlegungen Andersons ( 4 2016: 42-46) aufgreifend, in besonderem Maße mit der Bedeutung des print-capitalism für die Entstehung bzw. Konsoli‐ dierung eines Nationalbewusstseins und, eng damit verbunden, von Standard‐ varietäten zusammen. 63 Der Zweck der Kodizes ist es, die medial geschriebene Sprachverwendung zu stabilisieren und gleichzuschalten und damit eine mög‐ lichst große Einheitlichkeit und Verbreitung der Sprachprodukte zu ermögli‐ chen. Da sie direkt auf die Sprachnutzer einwirken sollen, sind diese in der Regel präskriptiv konzipiert. Ebenfalls in den Kernbereich fallen die Wörterbücher, denen eine implizite Präskription zukommt, die weniger durch konkrete An‐ weisungen und Regeln als vielmehr durch die zielgerichtete Verteilung evalua‐ tiver Attribute auf die Lemmata (popular, vulgar, colloquial etc.) entsteht und durch die ein bestimmter Teil des Gesamtwortschatzes aus dem standardsprach‐ 108 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="109"?> 64 Erst im Jahr 2018 hat die Real Academia Española mit dem Libro de estilo de la lengua española según la norma panhíspánica ein normatives Werk veröffentlicht, das Muster einer korrekten Aussprache vorschreiben möchte. Es folgt einer präskriptiven Grund‐ ausrichtung und ist als „manual de pronunciación accesible al gran público“ konzipiert. Um letzteren Anspruch gerecht zu werden, wird im Werk auf eine z. T. vereinfachte Darstellungsweise zurückgegriffen. Etwa wird auf die Verwendung von IPA-Symbolen zur phonetischen, wie phonologischen Transkription von Lauten verzichtet (cf. ibid.: 211-216). Diese Maßnahme kontrastiert jedoch damit, dass fachsprachliche Termini an vielen Stellen ohne weitere Erläuterungen beibehalten werden. Es darf daher bezweifelt werden, dass das Stilbuch tatsächlich von einer breite Leserschaft rezipiert wird. Gleich‐ zeitig wird der Nutzen des Werkes für die Berufssprecher der Massenmedien, die explizit ebenfalls Normsubjekte dieses Werkes sind und an verschiedenen Stellen direkt adres‐ siert werden (cf. z. B. ibid.: 228-229; 238-239; 266 etc.) durch diese Maßnahmen einge‐ schränkt. Zu dieser Einschätzung kommt auch Franz Lebsanft (2020: 640): , der offen‐ kundig ernüchtert feststellt: „[…] it shamefully silences the tradition of this normative genre [stylebooks; F. B.] in the mass media. It affirms the pluricentric orientation of the Spanish Academies, but its recommendations are often rather useless.“ Insgesamt dürfte der tatsächliche normative Einfluss des Werkes demnach gering sein, zumal das Stil‐ buch durch den panhispanischen Ansatz - der auch regionalen und impliziten Normen Raum lässt - trotz der präskriptiv, wertenden Grundausrichtung eine große normative Durchlässigkeit aufweist (cf. auch: Tacke 2020: 566). lichen Verwendungsbereich ausgeschlossen wird. Die Attribuierungen beruhen zwar auf Beobachtungen des tatsächlichen Sprachgebrauchs der Sprachgemein‐ schaft, sind aber in höchstem Maße abhängig von der sprachpolitischen Agenda der Normierungsinstitute. Als Beispiel kann die über weite Strecken sprachre‐ gulierende Arbeit der Real Academia Española dienen, die den Sprachgebrauch in Hispanoamerika bis ins späte 20. Jahrhundert hinein als ‘Deviation’, ‘miss‐ bräuchliche Sprachverwendung’ oder ‘Laster’ (cf. Méndez García de Paredes 2012: 284-285), sah und lexikalische Elemente der lateinamerikanischen Varie‐ täten grundsätzlich in den Bereich der Regionalismen verortet hat: diccionario de argentinismos, diccionario de colombianismos etc. (cf. Zimmermann 2013: 108 sowie Kapitel 5.5). Kodizes, die nicht dem Kernbereich der Kodifikation zuzuordnen sind, ent‐ stehen im Standardisierungsprozess in der Regel deutlich später und haben we‐ niger präskriptiven Charakter. 64 Ihre normative Kraft ist ungleich geringer und entsprechend größer ist der Spielraum für distanzsprachliche Varianzphäno‐ mene, da durch die fehlende bzw. weniger restriktive top-down Wirkung der Kodizes interindividuelle Synchronisierungsprozesse einen größeren Raum in der Entwicklung von Normativität einnehmen können. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Aussprache, der in der Regel kaum kodifiziert ist. So gibt es zwar in vielen Sprachen Aussprachewörterbücher, allerdings haben diese zu‐ 109 3.3 Zur Entstehung von Aussprachestandards <?page no="110"?> 65 So hält beispielsweise Eva Maria Krech für das Deutsche fest: „Die Kodifizierung der deutschen Standardaussprache hatte und hat zu keiner Zeit das Ziel, eine bestimmte Aussprache vorzuschreiben. Auf der Basis genauer Beobachtungen des Sprechge‐ brauchs und der Hörererwartung ist es jedoch möglich und angezeigt, Aussprache‐ formen zu empfehlen, die sich in bestimmten, ausgewählten, öffentlichen Situationen als kommunikationsgünstig erwiesen haben.“ (Krech 1996: 38). Dieses Zitat ist umso bedeutender, als dass die Kodifizierung der Aussprache im Deutschen ungleich stärker verfolgt wurde als etwa im Spanischen. Dort wurden der Phonetik und Phonologie erst in der jüngsten Ausgabe der Akademie-Grammatik ein größerer Raum eingeräumt. Die dortigen Ausführungen richten sich aber in Duktus und Themenauswahl eindeutig eher an Sprachexperten, als an das Gros der Sprachgemeinschaft (RAE / ASALE 2011b). 66 Dies gilt, da die Kodizes häufig nicht alle Mitglieder der Sprechergruppe adressieren (cf. z. B. Nachrichtensprecher der ARD oder des Bayerischen Rundfunks) und sich bei weitem nicht alle Mitglieder der genannten Berufsgruppen einem etwaig existenten Kodex verpflichtet fühlen (cf. Hollmach: a. a. O.). meist eindeutig deskriptiven Charakter. 65 Die Deskription umfasst dann die für bestimmte Regionen, Sprechergruppen oder Stilebenen charakteristischen Aus‐ sprachevarianten, ohne diese als modellhaft darzustellen oder gar vorzu‐ schreiben. Diejenigen Aussprachekodizes, die präskriptiv konzipiert sind, richten sich üblicherweise an einen stark eingegrenzten Adressatenkreis - etwa Schauspieler, Synchronsprecher, Rundfunk- und Fernsehmoderatoren etc. (cf. Bartsch 1987: 245). Die Normen regeln zudem lediglich den Sprachgebrauch in den spezifischen mit dem Beruf zusammenhängenden Kommunikationssituati‐ onen. Doch selbst innerhalb dieses sehr spezifischen Geltungsbereichs muss der Wirkungsgrad der präskriptiven Kodizes weiter relativiert werden (cf. Auer 1997, cf. Hollmach 2007). 66 Die explizit standardisierten, kodifizierten Ausspra‐ chenormen erfüllen daher, trotz der großen Strahlkraft ihrer Normsubjekte, nicht das standardsprachliche Merkmal der Überdachung, da der Kodex nicht als allgemeingültige Referenznorm der Sprachgemeinschaft fungiert. Zudem konkurrieren sie in dieser Domäne mit den Sprachprodukten anderer Modell‐ sprecher, die sich nicht an den Kodizes orientieren, aber von der Sprachgemein‐ schaft als ebenso vorbildhaft wahrgenommen werden (cf. Kapitel 3.3.2). Auf‐ grund der fehlenden Allgemeingültigkeit der Kodizes in der Sprachgemeinschaft und des relativ größeren Variantenreichtums, ist die normative Referenz - ge‐ rade auf Ebene der Aussprache - eher als ein Bereich denn als ein Fixpunkt anzusehen (cf. Bartsch 1987: 245). Die gültige Referenznorm weist an ihren Rändern zu den verschiedenen Bereichen des Diasystems eine größere Durch‐ lässigkeit für markierte Elemente auf als andere Ebenen der Standardsprache. Welche Varianten als noch standardadäquat oder als bereits zu stark markiert zu gelten haben, wird zum einen durch die Orientierung an Modellsprechern abgestimmt, zum anderen aber auch in einer Vielzahl interindividueller oder 110 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="111"?> intergruppaler Interaktionsprozesse in distanzsprachlichen Kommunikations‐ situationen ausgehandelt. 3.3.1 Akkommodation und Sprachdynamik Wie gezeigt existieren im Bereich der Aussprache Referenznormen, an denen sich das Sprachhandeln der Mitglieder der Sprachgemeinschaft orientiert, die jedoch nicht (in Gänze) mit etwaig existierenden Kodizes übereinstimmen müssen (Altmann / Ziegenhain 3 2010: 54, Lameli 2010: 391). Die im Bereich der Aussprache gültigen Regelwerke wie Aussprachewörterbücher, manuales de pronunciación o. ä. richten sich entweder an eine bestimmte Rezipientengruppe oder sie sind deskriptiv konzipiert. Ansätze, die den Aussprachestandard aus‐ schließlich mit orthoepischen Regelwerken gleichsetzen, greifen daher zu kurz. Ebenso wenig kann der Aussprachestandard schlicht als medial mündliche Re‐ alisierung des kodifizierten (schriftsprachlichen) Standards verstanden werden, wie Ludwig Eichinger festhält: „Das [der Aussprachestandard im orthoepischen Sinne; F. B.] ist […] ein normatives Konzept, das nicht nur der möglichen Dynamik, die zu Veränderungen der Norm führt, nicht Rechnung trägt, sondern eigentlich viel zentraler der Tatsache, dass sich in un‐ seren alltagssprachlichen Verhältnissen zweifellos Normen spezifisch sprechsprach‐ lichen Handelns herausgebildet haben.“ (Eichinger 2005: 370) Wie aber kommt es zur Herausbildung dieser Normen sprechsprachlichen Han‐ delns, und wie entsteht die flexible Stabilität (Garvin / Mathiot 1968: 367) des Standards, ohne dass zumindest ein Teil der Normen in präskriptiver Kodifika‐ tion vorliegen muss? Einen guten Ansatzpunkt zur Beantwortung dieser Fragen bieten die Modelle der Sprachdynamik von Schmidt / Herrgen (2011) sowie die auf Howard Giles (2016a) zurückgehende Communication Accommodation Theory ( CAT ). Beide Ansätze beleuchten, wie kommunikative Interaktion zu Veränderungen im Sprachsystem und im Normengefüge der Sprechergemeinschaft führen kann. Während jedoch CAT vornehmlich in der konkreten Realisierungssituation verhaftet bleibt und dort sprachliche Assimilations- oder Dissimilationsprozesse sowie deren motivationale Ursachen beleuchtet, fokussiert das Modell der dy‐ namischen Sprache von Jürgen Erich Schmidt und Joachim Herrgen die Wir‐ kung derartiger Prozesse in unterschiedlichen Klassen von Kommunikationssi‐ tuationen; zunächst in interindividueller Kommunikation, sodann aber auch in der Kommunikation innerhalb und zwischen Sprechergruppen und schließlich 111 3.3 Zur Entstehung von Aussprachestandards <?page no="112"?> 67 Einige konkrete Anwendungsbeispiele des CAT-Frameworks berücksichtigen zwar durchaus sozio-interaktive Kontexte, die ihrerseits relevant für Veränderungen des Sprachsystems sein können, wie etwa Perzeptionsurteile und Sprechereinstellungen (cf. Gasiorek 2016, Dragojevic et. al. 2016); allerdings ist der Kernbereich der Theorie klar auf Anpassungsmechanismen in Einzelsituationen abgestimmt. 68 In expliziter Opposition zu der semi-dynamischen Konzipierung von Sprache, wie sie etwa in der Theorie de Saussures (Bally / Sechehaye 3 2001: 104-106) enthalten ist. Dort wird das Sprachsystem mit einem Schachspiel verglichen, dessen Veränderungen stets Zug um Zug stattfinden. Gewisse Aspekte des Systems sind dort vorgegeben, wie die Spielfeldgröße und die Zugmöglichkeiten der Figuren. Eine tatsächliche Dynamik stellt sich jedoch nicht ein, denn mit jedem Zug ändert sich zwar das komplexe System und die Handlungsoptionen des Gegenübers sowie zukünftige eigene Handlungsmöglich‐ keiten. Allerdings überführen die Züge das System von einem stabilen Status in den nächsten, ohne dass Aspekte wie Gleichzeitigkeit oder Unterbrechungen, wie sie in vielen sprachlichen Kommunikationssituationen vorkommen, möglich wären. im Hinblick auf die gesamte Sprachgemeinschaft bzw. auf das Sprachsystem. 67 Die Konzepte beleuchten somit unterschiedliche Abstraktionsebenen und Ef‐ fekte sprachlicher Interaktion und bieten in Kombination ein recht umfassendes Bild der Prozesse der sprachlicher Interaktion und des sprachlichen Wandels, die auch für die Herausbildung von Aussprachestandards essenziell sind. Beide Ansätze sind im Kern stets auf konkrete Kommunikationsbedingungen in Einzelsituationen zurückzuführen, auf die die Sprecher mit bestimmten Ver‐ sprachlichungsstrategien reagieren und in denen sie als Mitglieder von sozialen Gruppen bzw. von Sozialkategorien agieren (cf. Hillmann 4 1994, in Hollmach 2007: 37). In diesem Geiste definieren Schmidt und Herrgen Sprachen als echt dynamische Systeme 68 , deren Dynamik sich zunächst aus ihrer „immanenten Zeitlichkeit“ ergibt (Schmidt / Herrgen 2011: 25). Sprachliche Interaktion er‐ streckt sich stets über einen bestimmten Zeitraum und wird von über die Zeit hinweg akkumuliertem, individuellem sowie kollektivem Sprachwissen be‐ dingt. Neben der zeitlichen Komponente ist die Dynamik des Sprachsystems aus Rückkopplungen der Interaktanten abzuleiten. Diese reagieren unmittelbar auf Sprachhandlungen ihrer Gegenüber, senden bewusst oder unbewusst Feedback‐ signale und beeinflussen so den weiteren Fortgang der Kommunikation. „Die Interagierenden schreiten nicht von Synchronie zu Synchronie, die ihnen vor‐ gegeben wäre. Was sie tun, ist, dass sie ihre komplexen und differenten sprachlichen Wissenssysteme aktiv und interaktiv ʻsynchronisierenʼ.“ (Schmidt / Herrgen 2011: 28) Die Synchronisierung meint in erster Annäherung einen Abgleich der eigenen Sprachwahl mit derjenigen der Interaktionspartner, der vor dem Hintergrund der individuellen Interpretation der Kommunikationssituation durchgeführt wird. Wie jede Art sozialer Interaktion sind auch kommunikative Handlungskontexte 112 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="113"?> geprägt von Erwartungen und Erwartungserwartungen der Interaktanten gegen‐ über der Situation, aber auch gegenüber den Handlungen der Kommunikations‐ partner. Daraus entstehen situationsbezogene Prädispositionen der Interak‐ tanten, die als Handlungsneigungen vor dem Hintergrund des situativen Settings verstanden werden können. Die Prädispositionen bilden zusammen mit individu‐ ellem Sprach- und Weltwissen den kommunikativen Rahmen, der das Sprach‐ handeln der Sprecher zusammen mit den gültigen Sprachnormen steuert. Diese Faktoren bestimmen gleichzeitig die initiale Neigung (initial orientation) zu kom‐ munikativen Akkommodationsprozessen (cf. Dragojevic et. al. 2016: 44). Wie sehr Sprecher zu Beginn einer Kommunikation zu Assimilations- oder Dissimilations‐ prozessen im Hinblick auf die Sprachwahl ihrer Gegenüber geneigt sind, hängt sehr von der Ad-Hoc-Interpretation der Kommunikationsbedingungen und den sprachpragmatischen Zielsetzungen ab. Relevante prädispositionsbedingende Pa‐ rameter können beispielsweise Erkenntnisse oder stereotype Annahmen über Herkunft und Status der Kommunikationspartner (cf. Palomares et. al. 2016) oder der Grad der gegenseitigen Bekanntheit sein (cf. Koch / Oesterreicher 2 2011). Ebenso beeinflussen situative Kommunikationsbedingungen, wie etwa der Öf‐ fentlichkeits- oder Formalitätsgrad, die Rezipientenanzahl oder die räumliche Distanz zwischen den Kommunikationspartnern das Sprachhandeln der Interak‐ tanten (cf. Koch / Oesterreicher 2 2011). Die sprachpragmatische Zielsetzung hängt damit zusammen, wie die Kommunikationspartner aufeinander (ein-)wirken möchten, etwa im Hinblick auf das zukünftige Handeln oder die Interpretation der Kommunikationssituation. So kann ein ungezwungenes Gespräch mit bekannten Personen aus derselben Region und in einem privaten Umfeld dazu führen, dass die Interaktanten eher dazu geneigt sind, dialektale Varianten zu integrieren bzw. Dialekt zu sprechen. Die Prädispositionen dürfen jedoch nicht als statisch interpretiert werden. Sie können beispielsweise durch saliente Perzepte, also eine als auffällig empfun‐ dene Sprachwahl der Interaktionspartner oder durch Veränderungen des situ‐ ativen Settings, zu jedem Zeitpunkt Modifikationen erfahren (cf. Schmidt / Herrgen 2011: 25-26). Im gewählten Beispiel kann dies etwa dadurch ausgelöst werden, dass eine fremde Person zum Gespräch hinzustößt, die po‐ tenziell oder erwiesenermaßen des Dialektes nicht mächtig ist. Durch die neue Konstellation der Kommunikationspartner kann die fortdauernde Verwendung dialektaler Varianten von nun an den Erfolg und / oder die Effizienz der Kom‐ munikation behindern. Sofern die Interaktanten kooperativ agieren, kann der Abbau dialektaler Merkmale oder die explizite Erläuterung dialektaler Varianten hingegen eine geeignete Strategie sein, dieser Veränderung zu begegnen. Aus pragmatischen Gründen können sich die Interaktanten allerdings auch zur De‐ 113 3.3 Zur Entstehung von Aussprachestandards <?page no="114"?> 69 Die Begriffe der Kooperation und der Defektion sind aus dem klassischen Gefange‐ nendilemma (cf. Kuhn 2019) entnommen, wenn auch die Situationen nicht ganz ver‐ gleichbar sind, da es sich bei einer face-to-face-Kommunikation nicht um eine Zug-um-Zug-Abfolge handelt und die Handlung der Kommunikationspartner unmit‐ telbar beobachtbar sind. Dennoch sind sie gut geeignet, um strategisches Handeln von Interaktanten zu beschreiben. 70 Einige recht anschauliche Beispiele für derartige Akkommodationsprozesse im Spani‐ schen dokumentiert Elena Méndez García de Paredes (2020: 507-508) in einer Unter‐ suchung des Sprachgebrauchs im andalusischen Fernsehsender Canal Sur Televisión. 71 Allerdings lassen sich über eine Vielzahl gleichgerichteter kommunikativer (Ver-)Handlungen der Sprecher situationstypische Verhaltensmuster für gegebene Si‐ tuationskonstellationen ableiten, die den Sprechern durchaus bewusst sind. 72 Somit brechen diese Ansätze mit Konzeptionen, die Sprachen in der geschilderten Tra‐ dition de Saussures als semi-dynamische Systeme konzipieren, in denen die Sprecher tatsächlich Zug um Zug agieren, ohne währenddessen aufeinander einzuwirken (cf. Bally / Sechehaye 3 2001: 104-106). fektion entscheiden, also nicht-kooperativ agieren, was hier wiederum zu einer Verstärkung dialektaler Merkmale führen kann, um dem Außenstehenden den Zugang zur Gruppenkommunikation zu erschweren oder die divergente regio‐ nale Herkunft der Kommunikationsteilnehmer zu unterstreichen. 69 So wählen Sprecher mitunter bewusst sprachliche Varianten aus, um divergierende oder konvergente Gruppenzugehörigkeiten in den Fokus zu rücken oder zu ver‐ schleiern. Die Auswahl bzw. Perzeption dialektaler Elemente aktiviert regional verankerte Gruppenidentitäten bzw. macht diese im kommunikativen Setting salient. Durch die Vermeidung dialektaler Merkmale bleibt diese Kategorie in der Situationswahrnehmung hingegen verborgen, sofern sie nicht durch sons‐ tige non-verbale Indikatoren getriggert wird (Palomares et. al. 2016: 125). 70 Anpassungen der eigenen Sprachwahl und der kommunikativen Strategien fußen auf dem stetigen Abgleich der eigenen situativen Erwartungen sowie dem eigenen Sprachhandeln mit demjenigen der Kommunikationspartner. 71 Anpas‐ sungen und gegenseitige Beeinflussung sind jederzeit möglich und nicht etwa davon abhängig, welcher Sprecher ‘gerade am Zug’ ist. 72 So können Signale des Unverständnisses oder des Missfallens zu einer unmittelbaren Modifikation der gewählten sprachlichen Mittel führen und beispielsweise Regionalismen oder gruppenspezifische Ausdrücke in vermeintlich verständlichere Zeichen trans‐ poniert werden. Auch der auf Basis der Ersteinschätzung festgelegte kommu‐ nikative Rahmen wird stetig nachjustiert bzw. vervollständigt (cf. Dragojevic et. al. 2016: 45). Die eigentliche Dynamik der Kommunikation besteht also nicht in einem Nacheinander von Handlungsabfolgen, sondern in der kontinuierli‐ chen und gleichzeitigen Interpretation kommunikativer Signale vor dem Hin‐ tergrund situativer Erwartungen (cf. Schmidt / Herrgen 2011: 28, Dragojevic 114 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="115"?> et. al. 2016: 44) und der dadurch etwaig ausgelösten Adaptation der gewählten kommunikativen Strategien und sprachlichen Mittel. Diese Anpassungen in konkreten Handlungskontexten stellen die Schnittstelle zwischen der dynami‐ schen Sprache und CAT dar. In der Konzeption Schmidts und Herrgens werden die Akkomodationsprozesse als Synchronisierungen auf Mikroebene be‐ zeichnet. Sie bestehen in einem „Abgleich von Kompetenzdifferenzen im Per‐ formanzakt mit der Folge einer Stabilisierung und / oder Modifizierung der be‐ teiligten aktiven und passiven Kompetenzen“ (Schmidt / Herrgen 2011: 28). Im Gegensatz zu CAT , die vornehmlich an den Auslösern der Anpassungen sowie an zugrunde liegenden Prozessen interessiert ist, bietet die Theorie der Sprach‐ dynamik eine Erklärung dafür, wie Akkommodationsprozesse in konkreten Kommunikationssituationen in letzter Instanz auch Einfluss auf das gesamte Sprachsystem haben können. Die Synchronisierungen sind grundsätzlich punktueller und individueller Natur und beziehen sich zunächst auf konkrete Kommunikationssituationen und den Bereich der Idiosynkrasie (Mikroebene). Viele gleichgerichtete Syn‐ chronisierungsstrategien können auf individueller Ebene zu Anpassungen des sprachlichen Wissens und situationsbezogener sprachlicher Strategien führen. Auf interindividueller oder sozialer Ebene können viele Mikrosynchronisie‐ rungen Effekte auf das Normgefüge der Sprachgemeinschaft und das Varietä‐ tensystem der Sprache haben (Mesobzw. Makroebene). Allerdings bedarf die Konzeption der dynamischen Sprache an dieser Stelle einer argumentativen Zuspitzung: Was die Sprecher im kommunikativen Austausch tatsächlich und regelmäßig realisieren, korreliert keinesfalls ausschließlich mit dem sprachli‐ chen Können (z. B.: Umfang und Ausgestaltung des Variablen-/ Varianteninven‐ tars, Kenntnis von Rekombinationsnormen etc.), sondern insbesondere auch mit der situationsbedingten Auswahl aus koexistierenden Versprachlichungsopti‐ onen. Insofern sind es nicht nur Kompetenzdifferenzen, die vor dem Hintergrund der gegebenen Kommunikationssituationen abgeglichen werden und das indi‐ viduelle Sprachwissen im Performanzakt stabilisieren oder modifizieren, son‐ dern vor allem Selektionsdifferenzen im Rahmen kommunikativer Strategien. Beide Aspekte lassen sich recht plastisch an einer Anekdote von Howard Giles veranschaulichen: “From my formative years in Wales, I had noted, when in high school, that my dis‐ tinctive Cardiff accent […] would shift to a more South Welsh brogue when talking with other spectators at a rugby game, and then to a more Standard English with my peers at college who hailed from the south of England. I wondered, in fact, whether I was a mere ʻlinguistic chameleonʼ, later discovering that I was decidedly not on my own! ” (Giles 2016b: 1) 115 3.3 Zur Entstehung von Aussprachestandards <?page no="116"?> 73 Wohingegen die short-term accommodation lediglich das gewohnheitsbedingte Sprach‐ handeln beeinflusst. Die Sprachwahl des Autors erfolgt in den beschriebenen Situationen in klarer Abhängigkeit vom kommunikativen Rahmen, d. h. dem Ort (rugby game bzw. college), aber auch den Kommunikationspartnern (other spectators bzw. my peers […] from the south of England). Auf den ersten Blick scheint es tatsächlich so, als würden die Akkommodationen ausschließlich dem Ausgleich vorhan‐ dener Kompetenzdifferenzen dienen: Von den anderen Besuchern der Rugby-Matches wird die Kenntnis hauptstadtspezifischer Varianten entweder nicht erwartet oder deren Unkenntnis diagnostiziert. Dasselbe gilt für die Sprachwahl des Autors im Kreise der College-Peer-Groups aus dem Süden Eng‐ lands. In beiden Fällen reduziert der Autor die Verwendung spezifischer, Spezi‐ alwissen erfordernder Varianten (distinctive Cardiff accent) und wechselt zu einer weniger spezifischen, zugänglicheren Sprachverwendung (South Welsh brogue, a more Standard English). Tatsächlich ist die Vermeidung der Spezifika, die nicht im Kompetenzbereich der übrigen Interaktanten liegen, jedoch nur ein Teil des geschilderten Anpassungsprozesses. Denn durch die Reduktion von Regionalismen allein entsteht noch kein South Welsh brogue oder more Standard English, sondern allenfalls ein neutral accent (non Cardiff accent) oder non regi‐ onal English. Die Frage aber, welche Varianten (noch) als Identitätsmarker ge‐ eignet oder erforderlich sind, um tatsächlich eine spezifisch südwalisische Va‐ rietät zu konstituieren und welche Varianten dafür (schon) als zu stark regionalsprachlich oder als zu standardsprachlich zu gelten haben, ist keine Frage der Kompetenz, sondern eine gruppenspezifische Selektion aus einem Pool möglicher Varianten. Dasselbe gilt - in Bezug auf das Peer-Group-Bei‐ spiel - auch für den Grad der Annäherung an das Standard-Englisch bzw. das zulässige Maß dialektaler Varianten im College-Kontext. Diese elementar-se‐ lektive Ausgestaltung der Varietäten muss über einen längeren Zeitraum hinweg in interaktiven Kommunikationsvorgängen ausgehandelt werden und erfordert ebenso kommunikative Akkommodationsprozesse der Interaktanten. Bezogen auf den einzelnen Sprecher kann dieser Prozess als Mikrosynchronisie‐ rung (Sprachdynamik, Schmidt / Herrgen 2011: 29-30) oder long-term accom‐ modation ( CAT ; Dragojevic et. al. 2016: 39) bezeichnet werden. In beiden Fällen wird eine Veränderung im individuellen Sprachsystem angenommen. Während jedoch die Mikrosynchronisierung eine Modifikation des Sprachwissens postu‐ liert, wird im Rahmen des CAT eine Adaptation der idiosynkratischen Sprach‐ verwendung angenommen („permanent changes to a person’s speech“; ibid.) 73 . 116 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="117"?> Was aber motiviert die Sprecher zu einer Anpassung ihres sprachlichen Ver‐ haltens? Gemäß des CAT -Frameworks bedient die kommunikative Akkommo‐ dation zwei Hauptziele: erstens die Sicherung des gegenseitigen Verständnisses und der Effizienz der Kommunikation (Kompetenzabgleich - cognitive motive) und zweitens die Stabilisierung bzw. Modifizierung sozialer Distanz und ge‐ teilter sozialer Identität (Selektionsabgleich - affective motive). Es handelt sich somit um Optimierungsstrategien, die entweder die Funktionalität des kommu‐ nikativen Werkzeugs Sprache oder die Positionierung der Interaktanten im So‐ zialgefüge betreffen (cf. Dragojevic et. al. 2016: 41-42). Die Anpassung kann bewusst oder unbewusst erfolgen und sowohl in einer Annäherung als auch in einer Dissimilation der kommunikativen und sprachlichen Strategien bestehen sowie integrierenden oder separierenden Zielen dienen (cf. Dragojevic et. al. 2016: 37). Als konkrete Beispiele werden das Angleichen der Lautstärke, des Tempos oder der untermalenden Gestik und Mimik, aber auch Alternationen in der Verwendung oder Vermeidung bestimmter Varianten oder gar Varietäten genannt (ibid.: 37). Damit individuelle, situationsbezogene Optimierungsstrategien das Sprach‐ system oder das Sprachverhalten ganzer Gemeinschaften beeinflussen können, ist also zunächst die nachhaltige Modifikation des Sprachhandelns bzw. -wissens einzelner Sprecher erforderlich. Verfolgen nun unterschiedliche Individuen der‐ selben Gruppe dieselben Synchronisierungsstrategien, so kann dies zur Heraus‐ bildung bzw. Veränderung gruppenspezifischer Normen führen. Diese Anpas‐ sungsprozesse, die Individuen innerhalb von Gruppen vollziehen, werden in der Theorie der Sprachdynamik als Mesosynchronisierungen bezeichnet (cf. Schmidt / Herrgen 2011: 31). Je länger die Gruppenzugehörigkeit, je höher die Interaktionsdichte und je größer die individuell empfundene Relevanz der In‐ teraktionen, desto wahrscheinlicher sind Synchronisierungseffekte auf Meso‐ ebene. „Mesosynchronisierungen wirken […] für einen begrenzten Ausschnitt der kom‐ plexen dynamischen Gesamtsprache immer integrierend. Sie sind für die Herausbil‐ dung gruppen- und situationsspezifischer sprachlicher Konventionen verantwortlich. Auf die Gesamtsprache bezogen wirken sie divergierend in dem Maße, in dem die Gruppen, die situationsspezifische Mesosynchronisierungen vornehmen, sprachli‐ ches Sonderwissen entwickeln“ (Schmidt / Herrgen 2011: 31-32) Diese Effekte lassen sich gut am Beispiel der Jugendsprache veranschaulichen, die in besonderem Maße nach Expressivität strebt und identitätsstiftenden Cha‐ rakter besitzt. Die Mitglieder dieser Kommunikationsgruppen haben demnach eine besonders hohe Motivation zur Kreierung bzw. Wahrung geteilter Identi‐ 117 3.3 Zur Entstehung von Aussprachestandards <?page no="118"?> tätsmarker. Diese dienen sowohl der Affirmation der Gruppenzugehörigkeit nach Innen als auch der Abgrenzung gegen ʻOutsiderʼ nach außen. Da in diesem speziellen Fall die Zugehörigkeit zur Gruppe natürlicherweise befristet ist, un‐ terliegt die Gruppenzusammensetzung stetigem Wandel. Die Abgrenzung ge‐ genüber Außenstehenden findet daher nicht nur in der Synchronie gegenüber anderen Sprechergruppen, sondern auch in der Diachronie gegenüber Genera‐ tionen ehemaliger Jugendlicher statt. Obwohl auch deren Sprachverwendung zu ihrer jeweiligen Zeit für die Gruppenmitglieder unbestreitbar als splendid, dufte, fett oder endgeil galt, ist diese für die aktuelle Generation von Jugendlichen gewissermaßen naturgemäß altbacken, out oder hässlich (cf. Janetzko / Krones 2008). Wie jedoch entsteht die Modifikation des gruppenspezifischen Sprach‐ wissens und des sprachlichen Inventars? Wird ein neues Lexem in der Gruppe verwendet, so reagieren die Gruppenmitglieder in vielen verschiedenen Einzel‐ situationen auf diese Neuerung und senden den Innovationstreibern Feedback‐ signale zu. Positive Reaktionen auf Spontanbildungen können zu einem Beibe‐ halten der Neuerung in der Idiosynkrasie der Innovationsurheber und ggf. zu einer Modifikation und anschließenden Stabilisierung des jeweils individuellen Sprachwissens führen. Wird der Neologismus von anderen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft übernommen und in deren Sprachgebrauch ebenfalls durch Mikrosynchronisierungen stabilisiert, so kann dies auf Mesoebene zu einer Mo‐ difikation des gruppenspezifischen Sprachwissens bzw. der gruppenspezifi‐ schen Normen führen. Beständige negative Reaktionen hingegen führen zu einer Aufgabe der Neuerung. Dabei muss die Innovation keinesfalls in den gruppensprachlichen Grenzen verhaftet bleiben: Dadurch, dass sprachliche Netzwerke nicht isoliert existieren, sondern ihre Mitglieder über multiple Grup‐ penzugehörigkeiten miteinander verbunden sind, können Neuerungen über dieselben Stabilisierungs- und Modifizierungsmechanismen auch in das spezi‐ fische Sprachwissen bzw. Normgefüge anderer Gruppen eindringen. Dies ge‐ schieht natürlich nur, wenn die Neuerung den sprachlichen Bedürfnissen an‐ derer Gruppen in demselben Maße oder auf andere Weise dienlich erscheint, also einen - wie auch immer gearteten - kommunikativen Mehrwert für die Mitglieder darstellt. In letzter Konsequenz können viele gleichgerichtete Meso‐ synchronisierungen auch zu einer Veränderung des gesamtsprachlichen Sys‐ tems führen, in diesem Fall zu einer Veränderung des Lexikons der Gesamt‐ sprache. In der Theorie der Sprachdynamik entstehen Veränderungen, die das gesamte Sprachsystem einer historischen Einzelsprache betreffen, jedoch vornehmlich im Rahmen von Makrosynchronisierungen. Diese sind definiert als „Synchron‐ isierungsakte, mit denen die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft sich an einer 118 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="119"?> gemeinsamen Norm ausrichten“ (Schmidt / Herrgen 2011: 32). An Makrosyn‐ chronisierungen nehmen entweder die gesamte Sprachgemeinschaft oder aber zumindest sprecherreiche Großgruppen teil, ohne dass die beteiligten Indivi‐ duen in persönlichem Kontakt zueinander stehen müssen. Der Begriff der ge‐ meinsamen Norm ist an dieser Stelle nicht ganz unproblematisch. Als soziale Konstrukte haben Sprachgemeinschaften stets gemeinsame Normen und auch die gesamte Sprachgemeinschaft einer historischen Einzelsprache orientiert sich keinesfalls nur an einer einzelnen Norm. Ihre Interaktionen werden von einer Vielzahl sozialer wie sprachlicher Normen bedingt, die das Zusammen‐ leben im Allgemeinen und die Kommunikation im Speziellen anleiten. In der weiteren Argumentation sprechen die Autoren, unter Bezugnahme auf das Deutsche, von einer „zentrale[n] Norm, die zuvor in einem genuin schreib‐ sprachlichen Prozess entwickelt worden war“ (Schmidt / Herrgen 2011: 32), und unterscheiden daraufhin Makrosynchronisierungen in Bezug auf die „neuhoch‐ deutsche Schriftsprache“ und „Formen massenmedialer Mündlichkeit, an denen, wenn auch überwiegend rezeptiv, Großgruppen teilnehmen (z. B. bundesdeut‐ sche, österreichische und schweizerdeutsche Varianten der Standardsprech‐ sprache)“ (ibid.). Mit Blick auf die Schriftsprache ist klar, dass die Orientierung also an den präskriptiven Normen der standardsprachlichen Kodizes erfolgt. Wie jedoch die rezeptive Teilhabe an „Formen massenmedialer Mündlichkeit“ im Sinne des sprachdynamischen Konzepts die Entstehung von Aussprache‐ standards erklären kann, wird indes nicht expliziert. Tatsächlich ist die Kon‐ zeption Schmidts und Herrgens aber sehr gut dazu geeignet diese Prozesse zu erklären, allerdings findet diese Art der Synchronisierung weniger im Bereich der Makroebene statt: Da in Bezug auf die Aussprache keine allgemeingültigen präskriptiven Kodizes vorliegen, die für die gesamte Sprachgemeinschaft oder auch nur für Großgruppen gültig wären, unterliegt die Referenznorm im Bereich der Aussprache offenbar einer anderen Dynamik als diejenige der Schrift‐ sprache. Als normative Referenz dient hier die Sprachverwendung von Per‐ sonen, die regelmäßig und erwiesenermaßen erfolgreich in distanzsprachlichen Kontexten agieren. Grundvoraussetzung für die modellstiftende Funktion dieser Sprechergruppen ist zunächst eine einigermaßen große sprachliche Homoge‐ nität unter diesen Modellsprechern. Die übereinstimmende Sprachwahl von Modellsprechern stiftet die gemeinsame (Referenz-)Norm, auf die sich die übrigen Mitglieder der Sprachgemeinschaft „bei Richtigkeitsurteilen mit Aussicht auf Erfolg […] berufen können“ (Ammon 2005b: 33; cf. Kapitel 3.2.2.3). Allerdings machen die sprachlich geschulten Berufssprecher, für die u. U. tatsächlich ex‐ plizite Kodizes gelten, nicht allein die Gruppe der Modellsprecher aus. Sie stellen innerhalb der massenmedialen Mündlichkeit vielmehr eine im Wortsinne be‐ 119 3.3 Zur Entstehung von Aussprachestandards <?page no="120"?> sonders prominente Minderheit dar, sind jedoch nicht die alleinige normative Referenz. Denn die Gruppe der Modellsprecher ist nicht nur heterogen, sondern auch in ihrer Zusammensetzung variabel und die ʻMitgliedschaftʼ eher an sprachliche Expertise und Erfahrung mit distanzsprachlicher Kommunikations‐ situation denn an eine artikulatorische Ausbildung geknüpft (cf. Kapitel 3.3.2). Ebenso wenig ist die Referenznorm der Aussprache auf die Massenmedien be‐ schränkt; so kann ein Vortrag an einer Universität, eine Podiumsdiskussion von Schriftstellern etc. für die Rezipienten im Saal ebenso modellstiftend wirken wie die Anmoderation eines Nachrichtensprechers in den Tagesthemen. Im Gegen‐ satz zum präskriptiven Standard der Schriftsprache können im Bereich der Aus‐ sprache somit nicht nur unterschiedliche Sprecher als modellbildend wahrge‐ nommen werden, sondern durch regionale Mesosynchronisierungen jeweils unterschiedliche Varianten mit Restarealität (cf. Kapitel 3.2.1) in die standard‐ sprachliche Sprachverwendung aufrücken, die aufgrund der fehlenden allge‐ meingültigen präskriptiven Kodizes nicht Top-down nivelliert werden. Somit besteht die eigentliche Dynamik des Aussprachestandards einerseits in den Mikro- und Mesosynchronisierungen innerhalb der Gruppe der Modellsprecher und andererseits in Synchronisierungen der Individuen der Sprachgemeinschaft in distanzsprachlichen Kommunikationssituationen. Für letztere ist die norma‐ tive Referenz im Bereich der Aussprache zweigliedrig. Sie besteht in Makro‐ synchronisierungen an den Modellsprechern der massenmedialen Mündlich‐ keit, aber gleichzeitig in Mikro- und Mesosynchronisierungen, in denen ausgehandelt wird, welche der Varianten innerhalb der Sprachgemeinschaft als standardadäquat empfunden und verwendet werden. Die vorbildhafte Sprache der Modellsprecher ist somit der normative Hintergrund, vor dem die alltägliche distanzsprachliche Kommunikation stattfindet. Durch die fehlende Präskription und die variable Zusammensetzung der Modellsprecher ist der Aussprachestan‐ dard durchlässiger für Bottom-up Modifikationen und diasystematisch latent markierte Varianten. 3.3.2 Normautoritäten und Modellsprecher Die Theorien zur Sprachdynamik bzw. zur kommunikativen Akkommodation zeigen, dass prinzipiell alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft Ausgangs‐ punkt für Sprachwandelprozesse und Veränderungen im Normgefüge sein können. Dennoch nehmen einige Mitglieder der Sprachgemeinschaft eine her‐ vorgehobene Rolle ein. Ulrich Ammon hat ein sogenanntes Kräftefeld entwi‐ ckelt, das vier bzw. fünf verschiedene Akteure unterscheidet, die an der Ent‐ wicklung standardsprachlicher Normen beteiligt sind: Normautoritäten, 120 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="121"?> Sprachexperten, Kodifizierer, Modellsprecher bzw. -schreiber sowie, erst in spä‐ teren Versionen und konzeptionell im Hintergrund verortet, die Sprecherge‐ meinschaft an sich (cf. Ammon 1995, 2003, 2004, ²2005a, 2005b, 2017). Insbeson‐ dere die Rolle der Modellsprecher ist vor dem Hintergrund der vorliegenden Untersuchung von besonderen Interesse. Ihr normatives Wirken ist aus den ge‐ nannten Gründen gerade im Bereich der Aussprache besonders einflussreich. Bei der ersten Gruppe sprachnormativer Akteure, den Normautoritäten, han‐ delt es sich um Personen, die aufgrund persönlicher Bindung, via institutioneller Ermächtigung oder auf Basis sozialer Hierarchiegefüge auf die Sprachverwen‐ dung anderer Sprecher einwirken können, beispielsweise Eltern, Freunde, Vor‐ gesetzte, Lehrende (an Schulen, Universitäten etc.), Lektoren etc. Insbesondere die Normautoritäten von Berufswegen sind im Kräftefeld von besonderer Be‐ deutung, da sie nicht nur zur sprachlichen Korrektur ermächtigt, sondern in der Regel auch dazu verpflichtet sind und Sprachnormen über sanktionierende Maßnahmen durchsetzen können (cf. Ammon 2003: 3). Zudem hängt die Ver‐ breitung standardsprachlicher Normen im hohen Maße von den Sprachnor‐ mautoritäten (insbesondere den Lehrkräften) ab. Gleichzeitig nehmen diese Personen auch immer eine normative Auswahl vor; es werden also nicht unbe‐ dingt alle aktuell kodifizierten Normen vollständig an die Normsubjekte wei‐ tergegeben (cf. Ammon 2003: 3-4). Diese Auswahl kann unbewusst, aber auch bewusst im Sinne eines Widerstands gegen Sprachneuerungen geschehen (er‐ neut ist die Orthografiereform des Deutschen ein gutes Beispiel). Der Einfluss der Sprachnormautoritäten ist dahingehend restringiert, dass er nur kontext‐ bedingt erfolgen kann und auf diejenigen Situationen begrenzt ist, in denen ihre Autorität von den Normsubjekten akzeptiert ist: für Lehrende in der Schule, für Lektorierende im Zuge des Lektoratsvorgangs etc. Der Versuch von Lehrenden, außerhalb der Schule (bzw. außerhalb des Schulkontextes) im Sinne einer ex‐ pliziten Präskription normativ auf die Lernenden einzuwirken, wird hingegen von eher überschaubarem Erfolg gekrönt sein. Die Sprachnormautoritäten sind in der Sprachvermittlung auf sprachliche Kodizes und Lehrwerke angewiesen. Sie geben ihnen die zu vermittelnden Re‐ geln und Varianteninventare vor und können in Zweifelsfällen zum Zwecke der Beweisführung vorgelegt werden. An ihrer Gestaltung sind die Normautori‐ täten nur dann beteiligt, wenn sie gleichzeitig auch der Gruppe der Kodifizierer angehören. Kodifizierer beobachten das Sprachverhalten der Sprachgemein‐ schaft und wählen, auf Basis zuvor definierter Kriterien, diejenigen Formen und Rekombinationsmuster aus, die ihrer Erkenntnis nach für die formelle Kom‐ munikation geeignet sind. Mit der Kodifikation setzt diese Gruppe die Korrekt‐ heit von Sprachformen fest. Die Kodifizierer sind in der Regel ausgebildete 121 3.3 Zur Entstehung von Aussprachestandards <?page no="122"?> 74 Andernfalls würden auch Kopisten, Protokollanten, Sachbearbeiter etc. zum erwei‐ terten Kreis der Modellsprecher zählen, denn auch diese weisen berufsbedingt einen gesteigerten schriftlichen Ausstoß auf. Allerdings fehlt dieser Gruppe der Aspekt der anerkannten Sprachästhetik, der den Modellschreibern zuteilwird. Sprachwissenschaftler und somit eine Teilgruppe der Sprachexperten. Letztere beobachten und beschreiben ebenfalls den Sprachgebrauch in der Sprachge‐ meinschaft, allerdings in allen kommunikativen Kontexten und ohne das Pri‐ märziel, Regeln des Sprachgebrauchs in präskriptiv konzipierten Kodizes zu fi‐ xieren. Die Sprachexperten können jedoch erwiesenermaßen direkten Einfluss auf die Arbeit der Kodifizierer nehmen, etwa durch explizite und fundierte Kritik, die dann u. U. in Neuauflagen der Kodizes berücksichtigt werden kann (cf. Ammon 1995: 78, Muhr 2013a: 13-14). In der Regel erfolgt der Einfluss aber eher indirekt durch sprachbeschreibende wissenschaftliche Arbeiten, auf die die Kodifizierer zugreifen können und die auch die Variantenauswahl beeinflussen. In Bezug auf die Aussprache ist die Arbeit der Kodifizierer aufgrund des einge‐ schränkten Wirkungskreises der Kodizes von nachgeschaltetem Interesse. Dort spielt eine weitere Gruppe aus Ammons Kräftefeld von Standardsprachlichkeit eine weitaus größere Rolle: die Modellsprecher bzw. -schreiber, die von Ammon (2017) selbst als die „vielleicht fundamentalsten Standardnorm-setzenden In‐ stanzen“ (ibid.: 11) bezeichnet werden. Es handelt sich um Personen, denen eine besonders gute und ausgefeilte Sprachverwendung zugesprochen wird und die im Zuge des Kodifikationsprozesses, aber auch im Rahmen der institutionellen Verbreitung der Standardsprache als Vorbilder dienen. In Bezug auf die Schrift‐ sprache sind in erster Linie Schriftsteller zu nennen, sodann auch Essayisten oder Journalisten, mithin Personen, die nicht nur von Berufs wegen viel schreiben, sondern denen auch eine reflektierte Sprachverwendung und ein be‐ sonders gepflegter Ausdruck zugesprochen wird. 74 Mit Blick auf das Spanische wurden im Zuge des historischen Standardisierungsprozesses, aber auch im Rahmen weiterer Kodifikationsmaßnahmen des 18.-20. Jahrhunderts insbeson‐ dere die Schriftsteller des siglo de oro als Quellen für den gepflegten Sprachge‐ brauch herangezogen. Ihnen kam eine dreifache Funktion zu: Erstens lieferten sie vorbildhafte Textfragmente, die den übrigen Sprachbenutzern als Orientie‐ rungspunkt für wohlgeformtes Sprachhandeln dienen sollten, zweitens konnten (und können) sich die Kodifizierer bei der Verteidigung der Variantenauswahl auf das Ansehen und den Einfluss der Autoren berufen und dadurch ihre Aus‐ wahl rechtfertigen, und drittens trug ihr individuelles Prestige auch dazu bei, das Prestige der fixierten Sprachnormen zu gewährleisten. Die Modellschreiber oder -sprecher dienen jedoch nicht nur den Kodifizierern, sondern auch den übrigen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft als Referenzpunkt, etwa im Zuge 122 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="123"?> von Kodifikationskritik oder bei Normenkollisionen. Im Hinblick auf das Spa‐ nische wurde und wird neben den genannten Autoren des siglo de oro auch immer wieder die Sprachverwendung der personas cultas oder gente culta bzw. etwas allgemeiner die habla culta als Instanz des guten Sprachgebrauchs iden‐ tifiziert, insbesondere im Zuge der Debatte um die unidad y diversidad de la lengua (cf. Kapitel 5.4). Die personas cultas sind Personen, die ein hohes Bil‐ dungsniveau erreicht haben und von denen eine gute Sprachverwendung an‐ genommen wird. Für den Bereich der Aussprache verhält es sich analog: Personen, die durch ihren Beruf in der Sprachverwendung geschult sind (d. h. Berufssprecher wie Nachrichtensprecher, Moderatoren, Schauspieler, Synchronsprecher etc.), wird in der Regel eine gute Sprachverwendung attestiert (Bartsch 1987, Ávila 2003, 2004, Lara 2004, Lameli 2004, Schmidt / Herrgen 2011, etc. ). Dasselbe gilt für Personen, die einen hohen Bildungsgrad erreicht haben und viel mit Sprache arbeiten und / oder häufig in distanzsprachlichen Kommunikationssituationen sprechen. So wirkt das sprachliche Prestige von Schriftstellern oder Journalisten nicht etwa nur im Bereich der geschriebenen Sprache, sondern wird auch auf die gesprochene Sprache übertragen (cf. Acuña / Moure 1999, Ávila 2003, López García 2013). Der fünfte und letzte Akteur des sprachnormativen Kräftefeldes, die Sprachgemeinschaft, ist in der Konzeption Ammons eher passiv im Hinter‐ grund verortet und wurde bezeichnenderweise in frühen Arbeiten nicht in die schematische Darstellung integriert (cf. Ammon 1995, 2003), was später jedoch korrigiert wurde: 3 uneingeschränkt Standard. Sämtliche normsetzende Instanzen sind unscharf abgegrenzt, ihr normsetzendes Gewicht ist meist unklar, und ihre Setzungen können sich teilweise widersprechen. Schon deshalb besteht zwischen Standard und Nonstandard ein breiter Übergangssaum - unbeschadet einer großen Menge eindeutiger Standard- und Nonstandardformen (z.B. die Schokolade bzw. der Schoklad, ich danke Ihnen bzw. ich danke Sie usw.). Den folgenden Vorschlag der wichtigsten normsetzenden Instanzen habe ich vorgelegt in Ammon 1995 (73-82) und nachträglich mehrfach modifiziert (z.B. Ammon 2003). Normautoritäten: Korrekturen Sprachkodex Modellsprecher/ -schreiber: Modelltexte Sprachexperten: Fachurteile Normautoritäten: Korrekturen Sprachkodex Modellsprecher/ -schreiber : Modelltexte Sprachexperten: Fachurteile Bevölkerungsmehrheit (Kodifizierer) Soziales Kräftefeld einer Standardvarietät Die Modelltexte sind Sach- und Prosatexte öffentlichen Sprachgebrauchs, die von anderen normsetzenden Instanzen als sprachlich mustergültig anerkannt sind. In modernen Gesellschaften werden sie meist verfasst oder dargeboten von Berufsschreibern (Journalisten, Sach- und belletristische Prosaautoren) bzw. Berufssprechern (z.B. Nachrichtensprecher in Abb. 6 Soziales Kräftefeld einer Standardvarietät nach (Ammon 2004: 3) 123 3.3 Zur Entstehung von Aussprachestandards <?page no="124"?> 75 Sinner nimmt in seiner Kritik auf die häufig als homogen empfundene Sprache der personas cultas Bezug. Die genannten Kritikpunkte (Variation und Inkonsistenzen im Sprachgebrauch) gelten sicherlich für die Sprachverwendung aller Sprechergruppen. Dennoch können über quantifizierte Beobachtungen durchaus gleichgerich‐ tete Realisierungstendenzen und Synchronisierungsstrategien von Gruppen abgeleitet werden. Dabei kann - mit Blick auf die cultos - durch Prestigeübertragung ein Refe‐ renzbereich für vorbildhafte Sprachverwendung entstehen. Die Sprachgemeinschaft oder Bevölkerungsmehrheit ist in erster Linie rezeptiv als Normsubjekte und als Untersuchungsobjekt der Sprachexperten am Kräfte‐ feld beteiligt. Vor dem Hintergrund der zuvor beschriebenen Dynamik der Ent‐ stehung sprachlicher Normen sollte ihre Beteiligung jedoch weiter in den Vor‐ dergrund gerückt werden. So entstehen sprachliche Veränderungen zunächst durch Innovationen einzelner Sprecher, erfahren dann über Synchronisierungs‐ prozesse innerhalb der Sprachgemeinschaft Verbreitung und können bei ent‐ sprechender attestierter Eignung bis in Kommunikationssituationen der Dis‐ tanzsprache vorrücken. Die Kodifizierung findet dann sekundär statt. Die Sprachgemeinschaft hat auf diesem Wege direkten Einfluss auf die Standard‐ sprache und somit auch auf das Kräftefeld. Gleichzeitig hängt auch das Wirken der übrigen Akteure unmittelbar von der Akzeptanz ihres Sprachhandels bzw. sprachnormativen Handelns durch die Sprachgemeinschaft ab, da die kodifi‐ zierten Regeln nur in dem Maße gültige standardsprachliche Normen sein können, wie sie tatsächlich Anwendung erfahren. Ein weiteres Problem des Modells Ammons ist, dass das Wirken der genannten Akteure, aber auch der Standardsprache als Kommunikationsmittel, situativen Restriktionen unter‐ liegt. So ist der Einfluss der Normautoritäten auf bestimmte Handlungskontexte und Personenkonstellationen (Lehrer-Schüler, Eltern-Kind, aber nicht Lehrer-Eltern oder Eltern-Supermarktkassierer) begrenzt; der Einfluss der Ko‐ difizierer hängt von institutionalisierten Handlungsabläufen der Normsetzung ab und der Einfluss der Wissenschaftler ist davon abhängig, wie stark sie rezi‐ piert werden. Dasselbe gilt für die Modellsprecher, deren sprachliche Aufmerk‐ samkeit und Vorbildfunktion ebenfalls situativ bedingt ist und deren Sprach‐ verwendung ebenso Variationsphänomene und Inkonsistenzen aufweist wie die Sprache anderer Sprecher (cf. Sinner 2012: 58-61). 75 Das Kräftefeld ist demnach gut geeignet, um die wesentlichen Akteure Top-down gerichteter Standardisie‐ rungsprozesse zu erfassen, allerdings fehlt dem Modell die kommunikativ-situ‐ ative Kontextualisierung. Standardsprachlichkeit ist im Wesentlichen für Situ‐ ationen kommunikativer Distanz relevant, und auf eben jene Situationen beschränkt sich auch das Wirken der Akteure. Zudem werden in dem Modell dynamisch stattfindende Bottom-up Prozesse der Standardisierung von Sprach‐ 124 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="125"?> 76 In einem Artikel über den Zusammenhang von Standardisierung und Koineisierung plädiert auch Josh Brown für die stärkere Berücksichtigung von Bottom-up Prozessen bei der Beschreibung von Standardsprachen bzw. -varietäten (Brown 2020). 77 Manche Autoren haben vorgeschlagen, Gebrauchsstandards oder explizite Standards von der kodifizierten Standardvarietät zu unterscheiden (z. B. Berend 2005, Amorós Negre / Prieto de los Mozos 2017). In der vorliegenden Arbeit wird diese Einteilung nicht übernommen, da Standardsprachlichkeit auf diese Weise zu stark institutionszentriert gefasst wird. Die sprachlichen Kodizes sind eine ausschnittartige Fixierung eines Teils von Standardsprachlichkeit innerhalb einer gegebenen Sprachgemeinschaft. Die Aus‐ wahl der Varianten, die Größe des Ausschnitts (Welche randständigen Formen gelten gerade noch oder schon als standardsprachlich? ), die Häufigkeit der Aktualisierung der Kodizes, die Aufnahme von (Ko-)Varianten etc. sind Fragen, die in erster Linie sprach‐ politischer Natur sind, die aber nicht eigentlich etwas mit dem tatsächlichen Status dieser Formen innerhalb der Sprachgemeinschaft zu tun haben. Dass die Gremien über‐ haupt über die Aufnahme einer neuen Variante diskutieren, spricht in vielen Fällen eher formen nicht ausreichend erfasst. Insbesondere im Hinblick auf die Standard‐ aussprache sollte die regelmäßige standardintendierte Sprachproduktion und die evaluative Perzeption von Varianten in distanzsprachlichen Kommunikati‐ onssituation eine größere Berücksichtigung finden. 76 3.4 Standardsprachlichkeit in der vorliegenden Untersuchung Vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Arbeit und ihrer Fokussierung auf den Bereich der Aussprache wird der sprachliche Stan‐ dard im Folgenden aus einer strikt synchronischen Perspektive heraus als Re‐ ferenznorm verstanden, der die Mitglieder der Sprachgemeinschaft in inten‐ dierter Standardsprache (lies: intendierter Standardverwendung; cf. Lameli 2004: 234, Spiekermann 2007: 125) im Sinne eines ʻPerformanzzielsʼ zu entsprechen versuchen. Die Referenznorm wird über dynamische Akkommodations- und Synchronisierungsprozesse ausgehandelt. Über diese kontinuierlich ablaufenden interindividuellen und sozialen Adaptationsmechanismen wird auch die Eignung sprachlicher Varianten für distanzsprachliche Kommunikationssitua‐ tionen innerhalb der Sprachgemeinschaft abgeklärt. Die standardadäquaten Va‐ rianten und Variablen lassen sich analytisch zu einer Standardvarietät ver‐ dichten. Die Standardzugehörigkeit von Varianten lässt sich einerseits über ihren regelmäßigen Gebrauch in Situationen kommunikativer Distanz (Fre‐ quenzkriterium) und andererseits über die Akzeptanz dieser Varianten (Perzep‐ tionskriterium) in ebendiesen Kontexten bestimmen (cf. Amorós Negre 2015: 91). 77 Dabei können im Sinne der o. g. Merkmale und Funktionen von Standard‐ sprachlichkeit diejenigen Varianten als standardadäquat und akzeptiert gelten, 125 3.4 Standardsprachlichkeit in der vorliegenden Untersuchung <?page no="126"?> dafür, dass die Variante im Sprachhandeln der Sprechergemeinschaft bereits in den standardsprachlichen Bereich vorgerückt ist. denen perzeptive Unauffälligkeit zukommt. Vor dem Hintergrund der fehlenden präskriptiven Kodifikation, lässt sich durch diesen Ansatz auch die größere re‐ gionale Diversifizierung des Standardsprachlichen im Bereich der Aussprache erklären. 126 3 Sprachlicher Standard im Spannungsfeld zwischen Fixiertheit und Dynamik <?page no="127"?> 1 Zum Begriff der Staatsnation cf. Kloss 1987, Gardt ²2004. 2 Dabei gilt für Standardvarietäten im Speziellen, was für Varietäten im Allgemeinen gilt. Als Systeme einer gemeinsamen Sprache weisen sie zwar eine Reihe divergierender Merkmale auf, über die sie unterschieden werden können, die Anzahl geteilter Vari‐ anten ist jedoch ungleich größer. In den Diskussionen zur Plurizentrik wird aus den geteilten Varianten und Normen der verschiedenen Standardvarietäten bisweilen eine standardsprachliche Hypernorm abgeleitet, die die Einheit der gemeinsamen Standard‐ sprache gewährleistet (Donni de Mirande 1978: 485, Lara 2004: 68, Mangado Martínez 2007: 46-49, Lebsanft et. al. 2012: 11) 4 Zur Koexistenz verschiedener Standardvarietäten - Die Plurizentrik des Spanischen Viele der sprecherreichen Sprachen der Welt sind plurizentrische Sprachen; das heißt, sie verfügen über mehr als eine Standardvarietät und teilen in der Regel einige Charakteristika, die begünstigend auf die Herausbildung unterschiedli‐ cher Referenznormen wirken: Neben einer großen Sprecherzahl ist vor allem die weite räumliche Ausdehnung über unterschiedliche Kulturräume und / oder Staatsnationen 1 hinweg charakteristisch. Im Gegensatz zu monozentrischen Sprachen existiert in plurizentrischen Sprachen nicht eine einzelne Referenz‐ norm, an der sich die gesamte Sprachgemeinschaft orientiert, sondern es ko‐ existieren mehrere unterschiedliche Regionalstandards, die jeweils nur in einem bestimmten Teil des Sprachraums Gültigkeit besitzen. 2 Dies gilt zum Beispiel für das Deutsche, das Englische oder das Spanische (zum Spanischen cf. Kapitel 5.4). Da das Konzept der Plurizentrik untrennbar mit dem Konzept des sprachlichen Standards verbunden ist, lassen sich auch hier die zuvor beschriebenen Strömungen in der Beschreibung von Standardsprachlichkeit wiederfinden. So un‐ terscheiden sich Ansätze der Plurizentrik, die auf einer (sprach-)politisch ori‐ entierten Konzeption von Standardsprachlichkeit beruhen, bisweilen sehr deut‐ lich von soziolinguistisch-empirischen Ansätzen; und zwar sowohl im Hinblick auf die theoretische Modellierung von Plurizentrik als auch hinsichtlich der Analyse konkreter Varietätenkonstellationen und der daraus resultierenden Er‐ gebnisse. In seiner traditionellen Fassung referiert der Terminus Plurizentrik auf koexistierende nationale Standardvarietäten, die zumindest in Teilen explizit kodifiziert vorliegen (cf. Kloss 2 1978, Clyne 1992a, Muhr 2012a und auch Ka‐ pitel 4.2). Diesen Ansätzen liegt eine klare politische Aspektualisierung von Standardsprachlichkeit zugrunde. Jedoch werden gerade in der jüngeren Ver‐ <?page no="128"?> 3 Zum Beispiel im Falle des Serbischen (Kyrillisch) und des Kroatischen (Latein), deren Status als eigenständige Sprachen oder als Varietäten einer Sprache umstritten ist (cf. Clyne ²2004: 296-297). 4 Zum Beispiel Hindi (Hinduismus) und Urdu (Islam), die gleichzeitig auch unterschied‐ liche Schriftsysteme aufweisen: Devangari (Hindi) und Arabisch (Urdu) (cf. Clyne ²2004: 296-297). gangenheit immer häufiger plurizentrische Sprachkonstellationen unter der Be‐ teiligung von sub- oder supranationalen oder nicht (vollständig) kodifizierten Standardvarietäten diskutiert (cf. zum Spanischen z. B.: Hernández Muñoz 2015, Méndez García de Paredes / Amorós Negre 2016). 4.1 Zum Konzept der Plurizentrik Der Begriff Plurizentrik geht auf William A. Stewart (1968) zurück. In seinem Aufsatz A sociolinguistic typology for describing national multilingualism behan‐ delt der US -Amerikaner die verschiedenen Typen nationaler Mehrsprachigkeit inklusive ihrer jeweiligen Charakteristika und Herausforderungen mit dem Ziel, ein Inventar von Techniken und Termini zur Beschreibung von staatlichem Bi- oder Multilingualismus zu etablieren. In diesem Geiste führt Stewart auch die Unterscheidung zwischen monozentrischer und polyzentrischer Standardisie‐ rung ein. “The standardization of a given language may be monocentric, consisting at any given time of a single set of universally accepted norms, or it may be polycentric, where different sets of norms exist simultaneously.” (Stewart 1968: 534, Kursivsetzung im Original). Dabei versteht der Autor die Standardisierung nicht nur als Prozess, sondern auch als eines von vier binären Attributen einer Sprache, die vorhanden oder nicht vorhanden sein können und die der typologischen Beschreibung verschie‐ dener Sprachsysteme dienen. Standardization wird als die Kodifizierung und Akzeptanz von Normen definiert, die den korrekten Sprachgebrauch innerhalb der Sprachgemeinschaft anzeigen. Die Plurizentrik kann Stewart zufolge das Ergebnis divergenter Kodifizierung sein oder in der nicht vollständigen Erneu‐ erung von Normbündeln bestehen. Sie kann aber auch durch die Herausbildung sprachlicher Unterschiede bedingt werden, die mit politischen oder kulturellen Identitäten verknüpft sind, z. B. unterschiedliche Alphabete, 3 oder Unterschiede die Konfessionszugehörigkeit 4 betreffend kodieren (cf. Stewart 1968: 534). In diesem Sinne ist bereits bei Stewart nicht nur der formale Prozess der Standar‐ 128 4 Zur Koexistenz verschiedener Standardvarietäten - Die Plurizentrik des Spanischen <?page no="129"?> disierung mono- oder polyzentrisch, sondern auch dessen Ergebnis, nämlich die standardisierte Sprache selbst, die divergierende Normbündel bzw. unterschied‐ liche standardisierte Varietäten aufweist. Dabei liegt dem Ansatz Stewarts keine rein politische Perspektivierung von Standardsprachlichkeit zugrunde, viel‐ mehr gesteht er durchaus die Kombination einer institutionell-präskriptiven und einer sozial-interaktiven Normativität von Standardsprachlichkeit zu. So unterscheidet er in einer Fußnote zwischen formal und informal standardiza‐ tion: Während die formelle Standardisierung in der Kodifizierung von Normen besteht, drückt sich die informelle Standardisierung in einer Normalisierung des Sprachverhaltens im Sinne einer Orientierung an prestigeträchtigem, modell‐ haftem Sprachgebrauch aus; etwa an der Sprache lokaler Eliten. Die informelle Standardisierung bestehe dabei in „more or less automatic adjustments which are made in terms of uncodified but socially preferred norms of usage.” (Stewart 1968; cf. Kapitel 3.3.1). Dadurch können - wie nachfolgend argumentiert wird - einige der Probleme der fortdauernden Debatte um das Konzept der Plurizentrik aufgelöst werden (cf. Kapitel 4.2). Der Germanist Heinz Kloss ( 2 1978) greift das Konzept knapp zehn Jahre später in einer Arbeit über germanische Kultursprachen wieder auf und folgt dabei in weiten Teilen den Überlegungen Stewarts. Auch in seiner Konzeption ergeben sich plurizentrische Konstellationen aufgrund der Koexistenz „einander kultu‐ rell und oft auch politisch selbstständig gegenüberstehen[der]“ (ibid.: 66) Zentren innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Allerdings identifiziert Kloss diese Zentren stärker mit politischen Entitäten als dies bei Stewart ursprünglich der Fall war: „Hochsprachen sind besonders dort häufig plurizentrisch, d. h. weisen mehrere gleichberechtigte Spielarten auf, wo sie die Amts- und Verwaltungs‐ sprachen mehrerer größerer unabhängiger Staaten ist [sic] […]“ (Kloss 2 1978: 67). Den Terminus Spielart bezieht Heinz Kloss auf Labovs speech variety, und auch im weiteren Verlauf des Textes scheint dieser am ehesten mit dem Begriff der Varietät übereinzustimmen. Wie Stewart unterscheidet Kloss explizit zwi‐ schen der Existenz „regionaler Spielarten“ (ibid.) der Hochsprache auf der einen Seite und der Akzeptanz derselben auf der anderen Seite. Letztere sei etwa im Englischen besonders ausgeprägt, wohingegen sie im Französischen nahezu di‐ ametral entgegengesetzt gering sei (cf. Kloss 2 1978: 67). In der Folge wird das Konzept immer stärker an Nationalstaaten gebunden, insbesondere durch die Arbeiten von Michael Clyne in den 1980er und 1990er Jahren, dessen konzeptionelle Ausrichtung im Beitrag „Pluricentricity: National 129 4.1 Zum Konzept der Plurizentrik <?page no="130"?> 5 Auch zuvor wurde das Thema verschiedentlich aufgegriffen, ohne allerdings derart großen Widerhall zu erfahren wie die Arbeiten Clynes (cf.: Gallardo 1978, Fontanella de Weinberg 1983, Clyne 1984, Polenz 1988, Heger 1989). 6 Die Konzeption Kloss‘, auf die Clyne explizit Bezug nimmt, war indes ursprünglich etwas breiter angelegt: Die Zentren wurden primär kulturell gefasst und erst sekundär mit politischen Entitäten identifiziert. Ihre Verknüpfung mit nationalen Varietäten war zunächst nicht so absolut, wie dies durch den Sammelband und die Beiträge Clynes suggeriert wird. 7 Eines der wenigen Beispiele für eine (zumindest weitgehend) symmetrische plurizent‐ rische Sprache ist das Portugiesische; zumindest unter der Prämisse, dass diese Sprache mit dem europäischen und dem brasilianischen Portugiesisch aktuell lediglich zwei Standardvarietäten besitzt (cf. Soares da Silva 2016: 20). Variety“ besonders offenbar wird. 5 Explizit bezugnehmend auf Heinz Kloss - allerdings offenbar in Unkenntnis des Beitrags von Stewart - heißt es dort: „The term pluricentric(ity) indicates that a language has more than one centre, i. e. several centres, each providing a national variety with its own norms. The term was first employed by Kloss (1978: 66-67)” (Clyne 1989: 358). Diese national‐ staatlich orientierte Konzeption findet auch in dem von Michael Clyne (1992c) herausgegebenen und breit rezipierten Sammelband Pluricentric Languages. Differing norms in different nations Anwendung, worin verschiedene Sprachen im Hinblick auf ihre pluri- oder monozentrische Ausgestaltung hin untersucht werden. 6 Eine wichtige Erkenntnis, die aus den Beiträgen offenbar wird, ist, dass die plurizentrische Sprachen konstituierenden nationalen Varietäten häufig nicht gleichberechtigt sind, sondern einer hierarchischen Asymmetrie unter‐ liegen. 7 Dieser bereits bei Stewart und Kloss implizit angelegte Gedanke (formal vs. informal standardization; Existenz vs. Akzeptanz regionaler Spielarten) wird von Clyne et. al. aufgegriffen und durch die Identifizierung konkreter Parameter dieser asymmetrischen Konstellationen gewinnbringend erweitert. Die Un‐ gleichheit der beteiligten Standardvarietäten wird grundsätzlich auf zwei Rela‐ tionen zurückgeführt: auf die Relation zwischen Sprache und Identität auf der einen Seite und auf diejenige zwischen Sprache und Macht auf der anderen Seite. Erstere begünstigt die Herausbildung unterschiedlicher sprachlicher Zentren (cf. Clyne 1992d: 1), während letztere durch die Übertragung außersprachlicher Machthierarchien zu einer ‘Hackordnung’ (pecking order) zwischen den Varie‐ täten führt (cf. Clyne 1992a: 455; cf. Kapitel 4.2). In der jüngeren Vergangenheit hat vor allem der österreichische Germanist Rudolf Muhr durch Aufsätze und durch die Herausgabe verschiedener Sammel‐ bände die Forschungen zur Plurizentrik vorangetrieben (cf. u. a. Muhr 2005, 2013b, Muhr / Marley 2015a, Muhr 2016). Im Zentrum seines Forschungsinter‐ esses stehen vor allem die nicht dominanten Varietäten plurizentrischer Spra‐ 130 4 Zur Koexistenz verschiedener Standardvarietäten - Die Plurizentrik des Spanischen <?page no="131"?> 8 Beispielsweise das Somali, das erst 2017 in die Liste plurizentrischer Sprachen integriert wurde (Muhr 2017b). 9 Neben der Veränderung politischer Gebiete (Kolonialisierung, Grenzverschiebung, po‐ litische Teilung) führt Clyne (²2004: 296) tiefgreifende Veränderungen der Sprachge‐ meinschaft (z. B. Migrationsbewegungen) als weiteren Faktor für die Ausgestaltung von Plurizentrik an. Die von Ulrich Ammon (2005a) vorgeschlagene Unterscheidung zwi‐ schen einem split-off und parallel development ist in dieser Trennschärfe hingegen we‐ niger geeignet, da auch im Falle einer Abspaltung bereits zuvor parallele Entwicklungen stattgefunden haben können, die jedoch erst durch die politische Trennung standard‐ sprachliche Funktionen übernehmen bzw. entsprechende Status-Zuschreibungen er‐ halten (zu Funktion und Status: cf. Mackey 1989). chen. Im Jahr 2010 wurde unter der Leitung Muhrs die International Working Group on Non-Dominant Varieties of Pluricentric Languages ( WGNDV ) ins Leben gerufen, die regelmäßig Konferenzen zum Thema organisiert und Publikationen erarbeitet. Durch diese Forschungsintensivierung gelang es dem Forscherver‐ bund, Plurizentrik auch für solche Sprachen nachzuweisen, die lange Zeit als monozentrisch galten, wenngleich häufig Asymmetrien zwischen den betei‐ ligten Standardvarietäten zu beobachten sind. 8 4.2 Die Asymmetrie plurizentrischer Sprachkonstellationen Die Asymmetrie plurizentrischer Sprachkonstellationen hängt nicht nur mit der (sprach-)politischen Macht normativ wirkender Institutionen, sondern auch mit der politischen und kulturellen Macht der Staaten zusammen, denen die Stan‐ dardvarietäten zuzuordnen sind. Tatsächlich lässt sich die historische Entwick‐ lung der Plurizentrik von Sprachen nicht selten auf Verschiebungen politischer Hierarchien und Machtkonstellationen zurückführen. Als klassisches Beispiel kann der Zusammenbruch von Kolonialreichen gelten, der den hegemonial-im‐ perialistischen Einfluss des ‘Mutterlandes’ auf die Kolonien beendet. 9 Mit dem Ende der politischen Einheit wird nicht nur das globale politische Machtgefüge neu austariert, sondern auch die Sprache als wichtiger Identitätsträger neu zur Diskussion gestellt. Denn durch den Verlust des Einflusses auf die ehemaligen Kolonialgebiete kann das ‘Mutterland’ nicht mehr in demselben Maße auf die Sprachpolitik und die Sprachplanung in den neuen Ländern zugreifen, wie dies zuvor der Fall war. Das Ende der politischen Hegemonie führt aus dieser Sicht auch zu einem Ende der sprachpolitischen Hegemonie. Die abnehmende nor‐ mative Kraft einer monozentrisch wirkenden Standardvarietät bietet den regi‐ onalen Varietäten größeren Raum zu impliziten, aber auch zu expliziten Nor‐ mierungsprozessen standardsprachlicher Formen. Nicht selten entwickelt sich 131 4.2 Die Asymmetrie plurizentrischer Sprachkonstellationen <?page no="132"?> 10 Der Begriff dominant variety geht zurück auf Michael Clyne, der den dominanten Va‐ rietäten other varieties gegenüberstellte (cf. Clyne 1992a). Spätestens mit den Arbeiten von Muhr (2012b) hat sich als Gegenbegriff jedoch der Begriff non-dominant variety etabliert. 11 Und selbst im Hinblick auf die beiden dominanten Varietäten könnte man sicherlich die Frage stellen, ob deren Status tatsächlich derart unangefochten ist, oder, ob sich dort nicht auch schon plurizentrische Sprachkonstellationen entwickelt haben; etwa im auch in den neu entstandenen Staaten ein Interesse an einem normativen Zugriff auf die Sprache oder zumindest an einer Akzeptanz sprachlicher regionaler Al‐ leinstellungsmerkmale als Träger einer divergenten Identität. Das Ende der po‐ litischen Einheit und der sprachnormativen Deutungshoheit führt dabei aller‐ dings nicht zwingend zur Herausbildung gleichberechtigter Regionalstandards im Sinne einer symmetrischen Plurizentrik. Denn der Status der beteiligten Standardvarietäten hängt nicht zuletzt auch mit machtdeterminierenden Para‐ metern zusammen, die mehrheitlich nicht mit der Sprache selbst, sondern mit der politischen Entität verknüpft sind, der die Varietät zuzuordnen ist: z. B. po‐ litischer Einfluss, militärische Stärke, wirtschaftliche Kraft, kultureller Ausstoß, Größe des Landes bzw. der Region, Anzahl der Einwohner etc. Zudem spielen der historische Ursprungsort der Sprache und das Vorhandensein einer sprach‐ normativen Tradition bzw. sprachnormativer Institute in den Ländern eine Rolle (cf. Clyne 1992a, Muhr 2012a). Diese Parameter tragen zu einem außersprachlich bedingten Hierarchiegefälle zwischen den ehemals zusammengehörigen Nati‐ onen bei, das auf die assoziierten Varietäten übertragen wird und in eine Asym‐ metrie der beteiligten Standardvarietäten münden kann. Tatsächlich ist die Asymmetrie in plurizentrischen Sprachkonstellationen die Regel. Sie drückt sich in der Koexistenz einer oder mehrerer dominanter (Standard-)Varietäten ge‐ genüber nicht-dominanten Varietäten aus. 10 Neben den genannten Statusdiver‐ genzen in der Wahrnehmung der Sprachgemeinschaft weisen dominante Vari‐ etäten in der Regel einen größeren Grad expliziter Kodifizierung auf. Diese Tendenz hängt direkt mit dem genannten Asymmetrieparameter des Vorhan‐ denseins sprachnormativer Infrastruktur zusammen. Diese ist im Sprachraum der nicht-dominanen Varietäten häufig weniger stark ausgebaut, was die Er‐ stellung endonormativer Regelwerke erschwert. Der Gegensatz zwischen Do‐ minanz und Nicht-Dominanz ist in diesem Kontext als graduell zu verstehen. So koexistieren in Bezug auf das Englische zwei dominante Standardvarietäten (American English vs. British English ) mit einer ganzen Reihe als nicht-dominant klassifizierter Standardvarietäten (etwa in Australien, Neuseeland, Indien, Sin‐ gapur, Südafrika etc.) und Varietäten mit unklarem Status (etwa auf Malta oder Vanuatu) (cf. Muhr 2020). 11 Mit Blick auf das Deutsche werden - zumindest 132 4 Zur Koexistenz verschiedener Standardvarietäten - Die Plurizentrik des Spanischen <?page no="133"?> Hinblick auf das schottische oder irische Englisch bzw. das Englisch in Kanada oder den Südstaaten der Vereinigten Staaten. 12 So diskutiert Berend (2005) unter Rückverweis auf Ammon (1995) und Auer (1997) die Koexistenz vier unterschiedlicher regionaler Gebrauchsstandards medialer Mündlich‐ keit im Deutschen der Bundesrepublik Deutschland (in Norddeutschland, im Südosten, im Südwesten und in der südlichen Mitte). Diese werden als regionale Referenznormen für den Bereich der intendierten Standardaussprache verstanden, die jedoch gleichzeitig auch in informellen Registern wirksam seien. nationenorientierten Ansätzen der Plurizentrik folgend - drei dominante Stan‐ dardvarietäten (Deutschlands, Österreichs und der Schweiz) identifiziert, die in den genannten Ländern offizielle Amtssprachen sind und für die jeweils eine zumindest partielle, endonormative Kodifizierung vorliegt (‘Vollzentren’, in der Terminologie Ammons (2017: 18-20)). Daneben gibt es jedoch mehrere Länder oder Regionen, in denen Deutsch zwar Amtssprache ist, bei denen sich die re‐ gionaltypischen Varianten jedoch vornehmlich auf die Lexik beschränken und für die keine Kodifizierung vorliegt (etwa die sogenannten ‘Halbzentren’ Liech‐ tenstein, Luxemburg oder Südtirol). Zudem existieren in Rumänien, Namibia oder Argentinien deutschsprachige Sprachgemeinschaften, deren Varietäten zwar lexikalische Besonderheiten aufweisen, die allerdings weder offiziellen Status noch Kodifikation genießen (‘Viertelzentren’) (cf. ibid.). Ob eine derartige Einteilung, die die Plurizentrik über die Koppelung an politische Entitäten ei‐ nerseits und an die Kodifizierung der Standardvarietäten andererseits im dop‐ pelten Sinne politisch konzipiert, dazu geeignet ist, empirisch beobachtbare und somit de facto existente (regional-)standardsprachliche Normen zu integrieren, kann zumindest als fraglich gelten (cf. Kapitel 4.3): Zum einen sind die Ausdeh‐ nung von Sprachräumen und diejenige politischer Entitäten häufig nicht de‐ ckungsgleich, 12 wenn auch gerade Nationalstaaten über wirkmächtige infra‐ strukturelle Werkzeuge zur Verbreitung standardsprachlicher Normen verfügen. Zum anderen werden auf diese Art und Weise die Dynamik der Sprache und insbesondere dadurch entstandene, implizite standardsprachliche Normen häufig vernachlässigt, da diese in den offiziellen Kodizes (noch) nicht repräsentiert sind. Wenn es jedoch gelingt, sprachpolitische und empirisch ori‐ entierte Ansätze in der sprachwissenschaftlichen Debatte um die Plurizentrik nicht als dichotomisch zu begreifen, sondern zu verschränken und daraus For‐ derungen an die Sprachpolitik abzuleiten, so kann dies für die beteiligten Sprachgemeinschaften (insb. der nicht dominanten Varietäten) gewinnbringend sein. Gleichzeitig würden beide Entwicklungsrichtungen standardsprachlicher Normativität (institutionell-präskriptiv und sozial-interaktiv) berücksichtigt werden und somit ein realistischeres Bild des tatsächlich gültigen Normenge‐ füges entstehen. Dazu bedarf es einer Vielzahl empirisch orientierter Studien, 133 4.2 Die Asymmetrie plurizentrischer Sprachkonstellationen <?page no="134"?> 13 Wenn auch bei Stewart die Bindung von Plurizentrik an Staatsnationen aufgrund der integrierten Möglichkeit einer informellen Standardisierung nicht so stark konzeptio‐ nell festgelegt war. die die tatsächliche Sprachproduktion und -perzeption unterschiedlicher Sprachgemeinschaften möglichst umfassend beleuchten, um das jeweilige re‐ gional gültige standardsprachliche Varianten- und Normeninventar zu erfassen und zu vergleichen. Gleichzeitig braucht es aber auch Initiativen, die auf eine Berücksichtigung dieser Varianten in den Kodizes der Sprache hinarbeiten, um so letzten Endes eine sprachpolitische Offizialisierung dieser standardsprachli‐ chen Formen zu erwirken. 4.3 Plurizentrik und das Problem der Nationalstaatlichkeit Wie gezeigt ist die Plurizentrik praktisch seit ihrer Genese an das Konzept der Staatsnation gebunden, obwohl die Problematik dieser Verknüpfung bereits früh offenbar wurde, etwa im Hinblick auf die Einordnung des Serbischen und des Kroatischen innerhalb des Staates Jugoslawien oder des Deutschen in der Deut‐ schen Demokratischen Republik (cf. Stewart 1968, Clyne 1989, 1992b, ²2004). 13 Auch Rudolf Muhr, selbst Vertreter eines an Nationen gebundenen Konzepts der Plurizentrik, konstatiert die „[e]rheblichen Schwierigkeiten“, die die Definition von an Staaten gebundenen, „nationale[n] Varietäten“ impliziere (Muhr 1997: 58). Die konzeptionelle Anbindung von Plurizentrik an Staatsnationen lässt sich auf mindestens zwei Faktoren zurückführen, zunächst auf die Konzipierung des sprachlichen Standards selbst: Wird Standardsprachlichkeit als rein sprachpo‐ litisch und werden Standardsprachen als das Ergebnis politisch gesteuerter Standardisierungsprozesse gedacht, ist die Verknüpfung mit Nationalstaaten naheliegend, da dort die sprachpolitische Agenda festgelegt wird und Entschei‐ dungen sprachnormative Institutionen oder das Bildungssystem betreffend ge‐ fällt werden. Je mehr jedoch Sprachgebrauch, Perzeption und Sprechereinstel‐ lung berücksichtigt werden, desto weniger sinnvoll erscheint die konzeptionelle Verzahnung von Plurizentrik und Staatsnationen. Für den Geltungsbereich der Normen - im Sinne ihrer Anwendung und Akzeptanz - sind weniger künstlich gezogene Nationengrenzen entscheidend als kollektives Identitätsempfinden. Unbestritten ist dabei, dass die Nationalität ein wichtiger, einender Parameter für das komplexe, multifaktorielle Identitätsempfinden in urbanen Gesell‐ schaften ist. Dies gilt zumindest für demokratische Nationen, die die Interessen ihrer Bürger, ebenso wie weitere wichtige Parameter wie Traditionen, Bräuche, Werte, aber auch Religionen oder Sprachen bündeln (cf. Gardt ²2004). Allerdings 134 4 Zur Koexistenz verschiedener Standardvarietäten - Die Plurizentrik des Spanischen <?page no="135"?> 14 Neben der politischen und wirtschaftlichen Kraft nennt der mexikanische Autor weitere Faktoren, die den Ausstrahlungsradius beeinflussen können: der Einfluss des Verlags‐ wesens, die Verbreitung durch audiovisuelle Medien und ihr kulturelles Prestige (ibid.). müssen diese Parameter nicht unbedingt und nicht ausschließlich an Nationen gebunden sein, auch wenn dies häufig der Fall ist und wie Anderson ( 4 2016: 44) feststellt, die Entwicklung von Nationalbewusstsein eng mit der Entstehung des print-capitalism moderner Schriftsprachen zusammenhängt. Die identitätsstiftenden Parameter können allerdings ebenso in gemeinsamen Kulturräumen wirken, wodurch sich auch der Gegenbegriff der Kulturnation erklärt (cf. Gardt ²2004). Kulturräume können intra- oder supranationale Aus‐ dehnung aufweisen und sind häufig beständiger als die Nationen, mit denen sie zusammenhängen. Denn diese können etwa durch kriegerische Konflikte, aus wirtschaftlichen Gründen, durch politische Spaltungen bzw. Zusammen‐ schlüsse abrupte Veränderungen erfahren, die nicht unmittelbar auf die Kultur- oder Sprachgemeinschaften einwirken müssen. So haben sich in Lateiname‐ rika - der Darstellung Luis Fernando Lara (2002) folgend - bereits vor und während der Kolonialzeit verschiedene Kulturräume entwickelt (Mexiko, die Küstenregionen des nördlichen und zentralen Südamerikas oder die Río de la Plata-Region), in denen sprachnormative Pole entstanden seien. Diese Pole, die Lara letztendlich in Städten verortet, hätten durch spätere politische und wirt‐ schaftliche Entwicklung im Hinblick auf ihre Anzahl und Reichweite weitere Modifikationen erfahren. Insgesamt definiert er fünf Sprachpole (Barcelona, Madrid, Buenos Aires, Bogotá und Mexiko-Stadt), die die Entwicklung des Spa‐ nischen beeinflussen und deren Referenznormen auf die spanischsprachigen Territorien ausstrahlen. 14 Zudem führt das beschriebene machtpolitische Hie‐ rarchiegefälle von Staatsnationen und die damit zusammenhängende Asym‐ metrie der Varietäten dazu, dass nicht alle genannten Faktoren der Herausbil‐ dung von Plurizentrik für alle Nationen in demselben Maße gelten. Beispielsweise ist bei in mehreren Nationalstaaten verbreiteten Standardvarie‐ täten der Zugriff auf Standardisierungs- und Kodifikationswerkzeuge häufig ungleich verteilt. So hat mit Blick auf das Spanische die Real Academia Española auch nach der Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Staaten noch lange Zeit monozentrisch die Sprachpolitik der gesamten Hispanophonie bestimmt. Im Hinblick auf global orientierte Kulturarbeit und das Fremdsprachengeschäft gilt die Vorherrschaft Spaniens und damit des kastilischen Standards bis heute, da das Instituto Cervantes nach wie vor das einzige global ausgerichtete Kul‐ turinstitut zur Förderung und Verbreitung der spanischen Sprache ist. Initia‐ tiven zur Bildung analoger Einrichtungen in anderen Ländern oder Regionen verliefen im Sande oder wurden geschickt verhindert. Zuletzt ließ sich das bei 135 4.3 Plurizentrik und das Problem der Nationalstaatlichkeit <?page no="136"?> 15 Einen jeweils tendenziösen Überblick über die Kontroverse in der Germanistik bieten Schrodt (1997) und Muhr (1997). der Gründung des Servicio Internacional de Evaluación de la Lengua Española beobachten (cf. Kapitel 5.4). Diese sprachpolitischen Barrieren können zwar die Ausgestaltung nationaler Standardvarietäten mit expliziter Kodifizierung be‐ einträchtigen oder verhindern, das bedeutet jedoch nicht, dass sich im Sprach‐ gebrauch bzw. der Kommunikation der Sprachgemeinschaften nicht trotzdem regional, national oder supranational gültige standardsprachliche Normen he‐ rausbilden können, sei es durch informelle Standardisierung (Stewart 1968), im‐ plizite Normierung (Lara 2004) oder Synchronisierungsmechanismen (Schmidt / Herrgen 2011). Die enge Verknüpfung des Konzepts der Plurizentrik mit Staatsnationen ist vielerorts kritisiert worden. In der germanistischen Linguistik wurde mit der Pluriarealität ein - inhaltlich in weiten Teilen gleichgerichteter - Gegenbegriff zur Plurizentrik vorgeschlagen, der bis heute gelegentlich Anwendung findet (cf. Wolf 1994, (teilweise) Ammon 1995, Pohl 1997, Berend 2005, Elspaß et. al. 2017, Niehaus 2017, Elspaß et. al. 2017). 15 Dieser akzeptiert die Annahme ver‐ schiedener koexistierender Standardvarietäten, weist jedoch die Kopplung an Staatsnationen zurück, da diese eine Simplifizierung tatsächlicher sprachlicher Realitäten darstelle. Weder könne man davon ausgehen, dass die Varianten der national gefassten Standardvarietäten tatsächlich in allen Fällen im gesamten nationalstaatlichen Territorium verbreitet seien, noch dass sie von politischen Demarkationslinien begrenzt würden (cf. Pohl 1997, Elspaß et. al. 2017). Ebenso könnten Standardvarietäten supranational mehrere Staaten umfassen oder sub‐ national in kleinräumigeren Regionen eines Staatsgebietes Verbreitung finden. Da zudem nicht für jede Standardvarietät ein spezifisches Zentrum ausgemacht werden könne (z. B. für das Deutsche in Deutschland), sei es besser von Pluria‐ realität als von Plurizentrik zu sprechen. So berechtigt die Einwände inhaltlich auch sein mögen, so wenig geeignet erscheint der vorgeschlagene Gegenbegriff. Erstens kann jede historische Einzelsprache dadurch, dass sie verschiedene Va‐ rietäten (insbesondere Dialekte) überdacht, als pluriareale Sprache bezeichnet werden. Durch die Überdachung subsumiert sie verschiedene Dialektareale, und zwar ganz unabhängig davon, ob ihr verschiedene Standardvarietäten zuge‐ ordnet werden können. In diesem Sinne ist nicht jede historische Einzelsprache eine plurizentrische Sprache, aber jede historische Einzelsprache ist eine pluri‐ areale Sprache. Zum Zweiten ist der Begriff des Sprachareals ein besetztes Kon‐ zept, das im Bereich der Dialektologie etabliert ist und dort die räumliche Aus‐ dehnung von Dialekten (eben als Dialektareale) beschreibt (Muhr 2017a). Somit 136 4 Zur Koexistenz verschiedener Standardvarietäten - Die Plurizentrik des Spanischen <?page no="137"?> führt die Prägung des Begriffs Pluriarealität keinesfalls zu einer intuitiveren Vermittlung des Kerns von Plurizentrik, nämlich der Koexistenz verschiedener Standardvarietäten. Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, dass Elspaß und Kol‐ legen zur Beschreibung des Konzepts der Pluriarealität auf die Paraphrase „im Sinne einer ‚regionalen Plurizentrizität‘“ (2017: 89) zurückgreifen. Drittens er‐ setzt der Begriff einen georeferenziell verwendeten Begriff, das Zentrum, durch einen anderen, das Areal. Zwar können die Vertreter des Konzepts der Pluria‐ realität berechtigterweise anführen, dass nicht alle Varianten der Standardva‐ rietät in der gesamten Staatsnation Verbreitung finden. Allerdings ist die areale Verbreitung der verschiedenen Varianten des standardsprachlichen Inventars ebenso wenig in allen Fällen deckungsgleich. Ein übereinander liegendes Iso‐ glossenbündel aller Varianten einer Standardvarietät, das das standardsprach‐ liche Areal umfasst, ist gleichermaßen als Idealisierung zu betrachten, wie die Annahme, dass die geografische Verbreitung aller Varianten mit der Ausdeh‐ nung eines Staatsgebiets übereinstimme. Wie zuvor bereits erwähnt hat Luis Fernando Lara im spanischsprachigen Diskurs einen weiteren Alternativvorschlag zum Begriff der Plurizentrik ein‐ gebracht. Er versteht die koexistierenden Standardvarietäten als überregional wirkende Pole, die wie die Pole eines Magneten auf die übrigen Varietäten an‐ ziehend oder abstoßend wirken (c. f. Lara 2002: 52-53). Die multipolaridad (etwa: ‘Vielpoligkeit’) soll der Dynamik der Irradiation sprachlicher Normen stärkeren Ausdruck verleihen, konnte sich jedoch im Diskurs nicht durchsetzen. Die im Zuge dieser Debatte adressierten inhaltlichen Bedenken haben durchaus ihre Berechtigung. Da aber mittlerweile selbst die Vertreter der nati‐ onenorientierten Plurizentrik konstatieren, dass „die Rede von nationalen Va‐ rianten […] eine Vereinfachung“ (Ammon 2017: 7) darstellt und „[…] dass es zahlreiche Sprachen und Sprachsituationen innerhalb der plurizentrischen Sprachen gibt, in denen das Konzept der Nationalstaatlichkeit zu kurz greift" (Muhr 2017a: 25), ist die Prägung eines Gegenbegriffs auch nicht mehr unbedingt notwendig. Stattdessen könnte die bestehende Problematik dadurch aufgelöst werden, dass die Komponente Zentrum konzeptionell von ihrer georeferen‐ ziellen Funktion befreit wird: Anstatt das Konzept per definitionem an Nationen, Regionen oder Städte zu binden, kann es ebenso in das abstrakte Normengefüge der Sprache verlegt werden. So verstanden wirken bei plurizentrischen Spra‐ chen unterschiedliche Referenznormen innerhalb des Normengefüges der Sprache eine gravitative Kraft auf die übrigen Varietäten der Sprache aus. Dies würde eine Rückbesinnung auf das Sprachliche und die Ursprünge der Pluri‐ zentrik im Sinne Stewarts implizieren, der die Koexistenz unterschiedlicher Normbündel als Voraussetzung für die Plurizentrik ansah (op.cit.). Gleichzeitig 137 4.3 Plurizentrik und das Problem der Nationalstaatlichkeit <?page no="138"?> 16 Michael Clyne gebraucht ein ganz ähnliches Bild, um auf standardnahe Varietäten Bezug zu nehmen: “In Austria as in Germany, there is a continuum of varieties with Umgangssprache (colloquial language) as a medium range based on dialects but gravi‐ tating towards Standard.” (Clyne 1992b: 125; Kursivierung im Original, eigene Fett‐ setzung). ließe sich dieses Verständnis von Plurizentrik gut mit etablierten Konzepten wie dem Diasystem oder der Varietätenkette in Einklang bringen, bei denen der Standard als Referenzpunkt diasystematischer Variation fungiert (cf. Koch / Oesterreicher 2 2011: 237-238). Die so definierten Zentren funktionieren im Wesentlichen wie die Pole Laras, allerdings als Gravitationspunkte im nor‐ mativen Gefüge der Sprache. 16 Die Loslösung des Zentrums von seiner Geor‐ eferenzialität bedeutet indes nicht, dass die areale Ausdehnung des Standards oder die Zentren seiner Irradiation innerhalb der Sprachgemeinschaft nicht se‐ kundär analysiert werden und somit Aussagen über die Verortung der fraglichen Varietät getroffen werden könnten. Auf Basis empirischer Daten der Sprach‐ produktion und -perzeption kann die Gültigkeit der Referenznorm durchaus für geografische Areale oder Punkte (z. B. Städte), Kulturräume oder politische Ver‐ waltungseinheiten getestet und die Referenznorm einem bestimmten Ort oder einem Netz von Ortspunkten zugeordnet werden; dies allerdings lediglich in dem Sinne, als dass die Norm dort Gültigkeit erfährt bzw. im Sinne einer pro‐ totypischen Übertragung einer Varietät auf eine Nation, Region oder bestimmte Sprechergemeinschaft. Der Ort des oder der Standards bleibt das abstrakte Nor‐ mengefüge der entsprechenden Sprache. Dies ist gerade für das Spanische in Argentinien interessant: Hier kann die Standardisierung des Spanischen der Hauptstadt Buenos Aires als mittlerweile unstrittig gelten, unklar ist jedoch ihr Einflussbereich bzw. ihre Reichweite. Manche Autoren übertragen diese Stan‐ dardvarietät auf die Nation im Sinne eines ʻargentinischen Spanischʼ (Lipski 1994, Gabriel 2012), andere wiederum sehen sie als charakteristisch für einen noch größeren, mehrere Staatsnationen umfassenden Río de la Plata-Raum (Oesterreicher 2000, Lebsanft 2007), wiederum andere identifizieren sie als Stan‐ dardvarietät, die in einigen, aber nicht allen Regionen Argentiniens Gültigkeit erfahre (Fontanella de Weinberg 1983, 1995). 4.4 Unterscheidung: Second-Level-Pluricentricity und tertiäre Dialekte Für das Konzept der Plurizentrik ist die Akzeptanz nicht kodifizierter regionaler standardsprachlicher Normen nicht unproblematisch. Dies hängt nicht nur mit 138 4 Zur Koexistenz verschiedener Standardvarietäten - Die Plurizentrik des Spanischen <?page no="139"?> 17 In seiner segmentalen phonetischen Analyse untersucht Alfred Lameli die quantifi‐ zierte Abweichung von der im Aussprachewörterbuch kodifizierten Standardaus‐ sprache und korreliert diese Dialektalitätswerte sodann mit Perzeptionsurteilen. So ausgefeilt die Methodik im Detail ist, so problematisch erscheint die Erhebung von Dialektalitätswerten über die Korrelation mit dem Aussprachewörterbuch des Deut‐ schen, dessen normative Gültigkeit für den Großteil der Sprachgemeinschaft bezweifelt werden darf und das aus diesem Grund als messtheoretischer Nullpunkt wenig geeignet erscheint (cf. Lameli 2004). der ʻgenerischenʼ Verknüpfung des Konzepts mit Nationalstaaten zusammen, sondern auch mit der Tatsache, dass sprachliche Varianten keinesfalls binär als standardsprachlich oder nicht-standardsprachlich zu kategorisieren sind. In vielen Fällen müssen sie im Sinne einer graduellen Einordnung auf einem Kon‐ tinuum zwischen Non-Standard-Standard bzw. Dialekt-Standard bewertet werden. Die Varianten können dann als vollends oder aber auch als mehr oder weniger standardsprachlich bewertet werden (cf. Auer 1997, Spiekermann 2005, Krefeld 2011). So weisen manche Varianten eine gewisse Restarealität auf, die in bestimmten Gebieten des Sprachraums unterhalb der Wahrnehmungs‐ schwelle liegt, in anderen Gebieten jedoch als salient wahrgenommen wird (cf. Lameli 2004, Schmidt 2005). In diesem Sinne kann der Standard im o. g. Konti‐ nuum nicht nur als Pol, sondern auch als Bereich (Bartsch 1987: 245) oder Spektrum (Hollmach 2007: 33-34) verstanden werden. Dieses Spektrum er‐ streckt sich zwischen absoluter Standardsprachlichkeit und perzeptiv (gerade) noch als standardsprachlich identifizierter Formen. Die Definition des stan‐ dardsprachlichen Pols hängt direkt von der Konzeptionierung von Standard‐ sprachlichkeit ab. Je nach Ansatz können beispielsweise Integration in stan‐ dardsprachliche Kodizes oder perzeptive Unauffälligkeit als Kriterien angelegt werden. Das untere Extremum des standardsprachlichen Bereichs unterliegt der Variabilität intendierter standardsprachlicher Sprachproduktion und der Eva‐ luation durch eine heterogene Sprachgemeinschaft und kann daher nur schwer‐ lich als Grenze im Sinne eines Wertes angegeben werden, obwohl durchaus Methoden dazu konzipiert wurden (cf. Lameli 2004). 17 Zur Auflösung dieser Problematik wurde verschiedentlich - insbesondere innerhalb der WGNDV - die Differenzierung unterschiedlicher Ebenen der Plurizentrik diskutiert (Clyne 1992a, Muhr 1997, Muhr / Marley 2015b, Méndez García de Paredes / Amorós Negre 2016, Rodrigues / Paiva 2016, Muhr 2017a). Einer ‘Plurizentrik der ersten Ebene’ wird dann eine weitere, zweite Ebene un‐ tergeordnet. Dadurch sollte zunächst zwischen einem über nationale Varietäten ausdifferenzierten plurizentrischen Sprachraum (erste Ebene) und weiteren nicht-nationalen Varianzphänomenen des Standards (zweite Ebene) unter‐ schieden werden. So konstatiert Rudolf Muhr: 139 4.4 Unterscheidung: Second-Level-Pluricentricity und tertiäre Dialekte <?page no="140"?> 18 Um dem Vorwurf des Sprachnationalismus vorzubeugen, werden als Synonyme Deutschländisch, Österreichisches Deutsch und Schweizerisches Deutsch angeboten (cf. Muhr 1997: 49). 19 Dies bedeutet jedoch nicht, dass der geschriebene Standard nicht auch regional gefärbte Varianten enthielte, wie die divergierenden Formen der Auxiliare haben bzw. sein in der Perfektbildung mit Verben wie sitzen, stehen oder liegen im Deutschen, der loísmo oder laísmo im Spanischen oder lexikalische Varianten mit regionaler Ausdehnung zeigen. Die Durchlässigkeit insgesamt ist allerdings als deutlich geringer einzuschätzen. „Ohne Zweifel gibt es innerhalb der nationalen Varietäten noch eine regionale Glie‐ derung [standardsprachlicher Sprachformen; F. B.], die jedoch sekundär ist, da diese Regionen durch die jeweilige nationale Variante der Standardsprache überdacht werden.“ (Muhr 1997: 53). Der Autor unterscheidet sodann zwischen den nationalen Vollvarietäten erster Ebene: Bundesdeutsch, Österreichisch, Schweizerisch; 18 auf zweiter Ebene zwi‐ schen Norddeutsch, Süddeutsch und Ostdeutsch (Deutschland), Ostösterrei‐ chisch, Westösterreichisch und Vorarlbergisch (Österreich) sowie Westschwei‐ zerisch und Ostschweizerisch (Schweiz) (cf. Muhr 1997: 49). Die Unterscheidung verschiedener Ebenen der Plurizentrik ist gewinnbrin‐ gend, um der Variation im standardorientierten Sprachgebrauch gerecht zu werden. Somit können auch standardsprachliche Normen erfasst und berück‐ sichtigt werden, die durch die dynamischen Prozesse der Synchronisierung im‐ plizite Normierung erfahren, ohne die ebenfalls gültigen Normen der präskrip‐ tiven Kodizes auszublenden. Die Annahme einer mehrstufigen Plurizentrik ist in dieser Hinsicht auch sinnvoll, um regional gültige Aussprachenormen er‐ fassen zu können, da - wie diskutiert - die fehlende allgemeingültige Kodifi‐ kation der Aussprache und die Variabilität der Gruppe der Modellsprecher in diesem Bereich zu einer vergleichsweise größeren Dynamik im standsprachli‐ chen Normgefüge führen: Standardsprachliche Formen der Aussprache werden nicht kodifiziert und gelehrt, sondern entstehen durch die dynamische Interak‐ tion der Mitglieder der Sprachgemeinschaft. Dadurch zeichnet sich der Aus‐ sprachestandard durch eine deutlich größere Variationsbreite aus, als dies beim schriftlichen Standardgebrauch zu beobachten ist. Letzterer unterliegt dem un‐ mittelbaren normativen Einfluss der Kodizes und von nivellierenden Sanktio‐ nierungseffekten, wohingegen die regionale Begrenztheit der Mesosynchroni‐ sierungen des Aussprachestandards zu einer größeren Durchlässigkeit von Varianten mit Restarealität führt. 19 In diesem Sinne weist die sekundäre Ebene der Plurizentrik stets eine relativ geringere Verbreitung auf, ohne, dass dadurch der ersten Ebene automatisch eine nationale Geltung zukommen muss. 140 4 Zur Koexistenz verschiedener Standardvarietäten - Die Plurizentrik des Spanischen <?page no="141"?> Die regionalen Aussprachestandards sind gültige Referenznormen distanz‐ sprachlicher Kommunikation und dürfen keinesfalls mit tertiären Dialekten verwechselt werden (cf. Oesterreicher 2000: 296, 301). Der Begriff der tertiären Dialekte geht zurück auf Eugenio Coseriu. In einem 1988 erschienen Artikel über das Verhältnis der Standardsprache zu Dialekten, stellt Coseriu fest, dass die Standardsprache nicht als invariant oder statisch zu bezeichnen ist. Sie erfahre im Gegenteil Differenzierungen durch ihre geografische Verbreitung und den dadurch entstehenden Kontakt mit lokal oder regional begrenzten diatopischen Varietäten: „[Dadurch entstehen] neue diatopische Unterschiede […] und zugleich neue syntopi‐ sche Einheiten, die man tertiäre Dialekte nennen kann. Diesem Begriff würde z. B. im Falle des Spanischen nicht mehr das Andalusische als Form des Kastilischen, sondern die andalusische Form des exemplarischen Spanisch, der spanischen Standardsprache entsprechen.“ (Coseriu 1988: 52; Hervorhebung im Original) Wie jedoch lassen sich diese diatopischen Unterschiede im Sinne tertiärer Dia‐ lekte von regionaler Variation der Standardvarietät im Sinne einer mehrstufigen Plurizentrik unterscheiden? Tertiäre Dialekte sind Interferenzerscheinungen, die durch den Kontakt der Standardvarietät mit Dialekten oder anderen Non-Standard-Varietäten entstehen. Sie können aus strikt normativer Sicht als Performanzdefizit in intendierter Standardverwendung verstanden werden. Standardsprachliche Varianten werden dann auf lautlicher Ebene durch Pro‐ zesse wie die Assimilation und Dissimilation beeinflusst. Auf lexikalischer Ebene können beispielsweise Lücken im standardsprachlichen Inventar durch dialektale Varianten ergänzt werden. Allgemeiner kann daher auch von Sprach‐ kontaktphänomenen zwischen Standard- und Non-Standard-Varietäten gespro‐ chen werden, die auf lange Sicht zu einer gegenseitigen Beeinflussung der be‐ teiligten Systeme führen können. Im Gegensatz zu den tertiären Dialekten sind die Varianten regionaler Standardvarietäten hingegen stets selbst Realisierungs‐ ziel und gleichzeitig Bezugspunkt diasystematischer Variation (cf. Oesterreicher 2000: 300-305). Damit tatsächlich von Plurizentrik zweiter Ebene gesprochen werden kann, muss daher der Status sprachlicher Varianzphänomene anhand diverser Kriterien überprüft werden, die sich aus den Konzepten des Standards und der Plurizentrik ableiten lassen. So müssen die regionalen Varianten inner‐ halb der Teilgruppe der Sprachgemeinschaft in Situationen kommunikativer Distanz etabliert und akzeptiert sein, d. h. sie müssen in diesen Situationen eine hohe Frequenz aufweisen und perzeptiv unauffällig sein. Dass die Varianten tatsächlich Realisierungsziel für die Mitglieder der Sprachgemeinschaft sind, ließe sich durch etwaige Formen der Hyperkorrektheit belegen, wobei diese 141 4.4 Unterscheidung: Second-Level-Pluricentricity und tertiäre Dialekte <?page no="142"?> 20 Felix Tacke (2020: 559) sieht im Bereich der Aussprache aufgrund der Absenz präskrip‐ tiver Regelwerke und im Gegensatz zum schriftsprachlichen Bereich die Möglichkeit zu einer plurizentrischen Selbstregulierung (pluricentric self-regulation) gegeben. 21 Historischer Prozess der Neutralisierung der für den kastilischen Standard charakte‐ ristischen Distinktion zwischen / s/ und / θ/ zugunsten von / s/ . insbesondere zu Beginn der Standardisierung einer Variante zu beobachten sind. Sind diese Kriterien erfüllt, können die fraglichen Varianten als standardsprach‐ lich gelten. Damit jedoch tatsächlich ein normatives Zentrum zweiter Ordnung entsteht, reicht es nicht aus, dass potenziell regionaltypische Standardformen den genannten Kriterien genügen. Gleichzeitig müssten konkurrierende stan‐ dardsprachliche Varianten eine geringere Frequenz sowie höhere Auffällig‐ keitswerte aufweisen und ggf. zusätzlich mit anderweitigen standardfernen At‐ tribuierungen (Regionalität, Inkorrektheit, Unangemessenheit etc.) belegt werden. Mit Hilfe der Second-Level-Pluricentricity kann der häufig festgestellten grö‐ ßeren Varianz des Standards im Bereich der Aussprache innerhalb der Pluri‐ zentrik und gleichzeitig den dynamischen Prozessen des Sprachwandels Rech‐ nung getragen werden. 20 Mit Blick auf das Spanische wurden bereits erste Studien zur Second-Level-Pluricentricity durchgeführt (Méndez García de Pa‐ redes / Amorós Negre 2016, Amorós Negre / Prieto de los Mozos 2017). Unter‐ sucht wurde, ob sich in Andalusien eine implizit gültige Regionalnorm entwi‐ ckelt hat, die sich in die Plurizentrik des Spanischen integrieren ließe; allerdings mit negativem Befund. Den genannten Studien zufolge existieren in der Provinz zwar weitverbreitete Sprachverwendungsmuster in Situationen kommunika‐ tiver Distanz, die vom kastilischen Standard abweichen (z. B. seseo  21 oder die Aspiration von / s/ ), allerdings erfüllen diese Varianten trotz ihrer hohen Fre‐ quenz nicht die Kriterien der Second-Level-Pluricentricity, da für die Region atypische Varianten ebenfalls häufig zu beobachten sind. So ist neben dem für das Andalusische typischen seseo, auch die für den kastilischen Standard cha‐ rakteristische Distinktion zwischen / s/ und / θ/ frequent. Zudem zeigt die Studie, dass selbst in der Idiosynkrasie gebildeter Sprecher beide Varianten koexis‐ tieren. Beide Indizien deuten darauf hin, dass die regionaltypische Variante zwar als angemessen für Situationen kommunikativer Distanz gelten kann, die exo‐ normative Variante dadurch allerdings keineswegs aus dem standardsprachli‐ chen Bereich verdrängt wurde. In diesem Sinne ist die intendierte Standardaus‐ sprache in Andalusien zwar durchlässiger für die Verwendung des seseo, allerdings ist diese Variante nicht dazu geeignet einen alternativen Ausspra‐ chestandard zu konstituieren. 142 4 Zur Koexistenz verschiedener Standardvarietäten - Die Plurizentrik des Spanischen <?page no="143"?> 1 De iure und de facto. 2 In Abhängigkeit von den zugrundliegenden Parametern der Variation kann die dia‐ lektale Gliederung völlig unterschiedlich ausfallen. Germán Coloma (2013) bestimmt beispielsweise auf der Basis von acht phonetisch-phonologischen Merkmalen (wie etwa seseo, yeísmo oder Aspiration von / s/ ) 16 großräumige Dialektareale, wie die Zona Andaluza Occidental, Centroamericana oder Rioplatense. Dabei versteht sich von selbst, dass eine zusätzliche Integration weiterer Parameter - beispielsweise morphosyntak‐ tischer Phänomene wie dem leísmo, dem loísmo dem dequísmo, dem doblado de clíticos etc. - eine Modifikation der Einteilung erforderlich machen würde. 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo Laut dem Jahresbericht des Instituto Cervantes aus dem Jahr 2020 rangiert das Spanische gemessen an der Anzahl der Muttersprachler mit 489 Millionen Spre‐ chern auf dem zweiten Platz der am meisten gesprochenen Sprachen der Welt, direkt nach dem chinesischen Mandarin (cf. Fernández Vitóres 2020). Spanisch ist die offizielle 1 Amtssprache in 21 Ländern (ibid.). Die spanische Sprachge‐ meinschaft bildet somit einen ausgedehnten Kommunikationsraum, in dem trotz der weiten geografischen Verbreitung, der großen Sprecheranzahl, der Vielzahl beteiligter Kulturräume und involvierter Staatsnationen nach wie vor „totale Interkomprehension“ (Oesterreicher 2000: 297; Hervorhebung im Ori‐ ginal) gegeben ist. Das gegenseitige Sprachverstehen potenziell aller Mitglieder der spanischen Sprachgemeinschaft impliziert jedoch keinesfalls sprachliche Homogenität. Die spanische Sprache verfügt über eine Reihe unterschiedlicher Dialektareale 2 und über sozial bzw. stilistisch zu bestimmende Varietäten. Das Spanische gilt zudem als eine plurizentrische Sprache, der unterschiedliche Standardvarietäten zugeordnet werden können. Dieser Status ist das Ergebnis unterschiedlicher und z. T. langanhaltender Prozesse im Bereich von Politik und Gesellschaft sowie regional unterschiedlicher sprachlicher Einflussfaktoren und Innovationen, die zu divergierender Sprachentwicklung geführt haben. Als wichtigste Faktoren der externen Sprachgeschichte auf dem Weg zur Pluri‐ zentrik sind die arabische Herrschaft über große Teile der iberischen Halb‐ insel, die sogenannte Reconquista, die Kolonialisierung Hispanoamerikas und sodann die Unabhängigkeit der hispanoamerikanischen Nationalstaaten zu nennen. Relevante Aspekte dieser historischen Entwicklungen werden im Fol‐ genden in der gebotenen Kürze dargestellt. <?page no="144"?> 3 Als wichtige Etappen sind der Vertrag von Cabreros (1206) oder das berühmte Poema de Mío Cid zu nennen, ebenso wie die sprachpolitischen Maßnahmen von König Ferdi‐ nand dem III. (Kastilisch wird offizielle Kanzleisprache) oder von Erzbischof Raimund bzw. König Alfons dem X. (Übersetzerschule von Toledo) - (cf. Bossong 2006: 1337, Neumann-Holzschuh 2014: 22). 4 Als Mozaraber werden diejenigen Bewohner der iberischen Halbinsel bezeichnet, die sich unter der arabischen Herrschaft sprachlich und kulturell assimilierten, jedoch ihre christliche Religion bewahrten (Bossong 2006: 1336). 5.1 Die Standardisierung des Kastilischen Die Standardisierung des Spanischen beginnt mit der Reconquista (718-1492), der ʻRückeroberungʼ der von Arabern und maurischen Stämmen ab 711 ero‐ berten Gebiete im Süden und im Zentrum der iberischen Halbinsel durch eine Allianz christlicher Völker und Königreiche des Nordens (u. a. Asturien, Kasti‐ lien, León und Galizien). Die sprachliche Heterogenität der christlichen Kom‐ battanten stellte im Hinblick auf die Koordination des militärischen Feldzuges, aber auch für die Organisation der Neubesiedelung eroberter Landstriche, ein nicht zu unterschätzendes Hindernis dar, das Geschwindigkeit und Effizienz des Unternehmens hemmte und das alltägliche Zusammenleben erschwerte. Für den militärischen Erfolg war jedoch eine möglichst reibungslose und präzise Kommunikation entscheidend, die ein geteiltes Kommunikationsmittel erfor‐ derlich machte, das schlussendlich durch die vorherrschenden Machtverhält‐ nisse bestimmt wurde: „Da Kastilien im Laufe der Zeit die Führungsrolle bei der Reconquista übernahm, kam es zu einer Ausbreitung des Kastilischen insbesondere zu Lasten der asturisch-leone‐ sischen und der navarro-aragonesischen Varietäten sowie zu deren gradueller Über‐ dachung und Marginalisierung.“ (Neumann-Holzschuh 2014: 20) Die ersten Schritte des Prozesses der Standardisierung des Kastilischen (Aus‐ wahl und Überdachung; cf. Kapitel 3.2) erfolgten also nicht im Zuge einer ziel‐ gerichteten sprachpolitischen Agenda, sondern waren Nebenwirkung militär‐ ischer-politischer Hierarchien innerhalb der christlichen Zweckgemeinschaft (cf. Hernández ²2010: 359). Tatsächliche sprachpolitische Maßnahmen zur Stan‐ dardisierung des Kastilischen wurden erst deutlich später - insbesondere wäh‐ rend der Regentschaft von Alfons X., ʻdem Weisenʼ (* 1221, † 1284), ergriffen. 3 Im 13. Jahrhundert können die Prozesse des Ausbaus und der Implementierung als abgeschlossen gelten, da das Kastilische in Wort und Schrift zur Sprache der Literatur, der Wissenschaften und der Verwaltung aufsteigt (cf. Neumann-Holz‐ schuh 2014: 21). Aufgrund von „sprachlichen Ausgleichsprozessen“ mit den üb‐ rigen Dialekten des Nordens und dem Mozarabischen 4 wird dem castellano zudem 144 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="145"?> 5 Auf sprachlicher Ebene ist die Religionszugehörigkeit in erster Linie für die Wahl der Schriftsprache entscheidend, wobei das Schriftromanische und -arabische (im Gegen‐ satz zum Schrifthebräischen und -lateinischen) nicht ausschließlich auf die jeweilige Religionsgemeinschaft beschränkt war. Im Gegensatz zu den verschrifteten Varietäten, war die Wahl der gesprochenen Umgangssprache durch z. T. komplex ausgestaltete un‐ mittelbare Netzwerke bestimmt (cf. Bossong 2006: 1335). 6 Der unmittelbare sprachliche Einfluss des Hebräischen ist deutlich weniger stark aus‐ geprägt, da seine Verbreitung - im Gegensatz zum Arabischen und zum Romanischen - auf die Religionsgemeinschaft der Juden beschränkt blieb, wohingegen der individuelle Bilingualismus mit dem Sprachenpaar Romanisch-Arabisch in Ál-Andalus recht weit verbreitet war (Bossong 2006: 1334). Allerdings waren viele Juden der iberischen Halb‐ insel mehrsprachig und einige von ihnen als Sprachexperten an der Verschriftung des romanischen und später an der Standardisierung des Kastilischen beteiligt, etwa durch ihre Arbeit in den Übersetzerschulen von Toledo (cf. Bossong 2006: 1335). 7 Allerdings bleibt mit dem Emirat Granada bis zum Jahr 1492 eine arabische Enklave auf der iberischen Halbinsel geduldet, mit der Auflage, Tribute an das Königreich Kastilien zu leisten (cf. Bossong 2006: 1340). eine „relative Einheitlichkeit […] in den rückeroberten Gebieten“ zugesprochen (ibid.: 21-22). Die von den Arabern beherrschten Gebiete des Südens hingegen - Al-Ándalus genannt - werden in dieser Zeit nachhaltig durch die kulturelle Strahlkraft Bagdads, aber auch durch das lange Zeit fortbestehende Neben- und Miteinander von Christentum, Islam und Judentum beeinflusst, das als „welthis‐ torisch“ einzigartig und „nirgendwo sonst […] so sehr prägend für Geschichte und nationale Identität wie in Spanien“ beschrieben wird (Bossong 2006: 1333). 5 Sprachliche Zeugnisse dieses Einflusses finden sich insbesondere im Bereich der Toponymie und der Lexik (z. B. Wissenschaft und Technik, Landwirtschaft etc.) und verbreiteten sich über Sprachkontaktphänomene zwischen den roman‐ ischen Varietäten und dem Mozarabischen auf der gesamten Halbinsel (z. B.: alambique 'Destillierkolben', zanahoria 'Karotte', azafrán 'Safran', ajedrez 'Schach'; cf. Bossong 2006: 1334-1338, Neumann-Holzschuh 2014: 21-22). 6 Diese spezielle Situation sowie die lange Zeit andauernde arabische Regentschaft ist für die Entwicklung der andalusischen Identität von großer Bedeutung. Die arabi‐ sche Herrschaft endet - nach mehr als fünf Jahrhunderten kultureller Blüte und kriegerischer Auseinandersetzungen - mit der Rückeroberung Sevillas im Jahre 1248. 7 Die Reconquista kann somit als Ursache der geografischen Verbreitung des Kastilischen auf der iberischen Halbinsel gesehen werden. Als mittlerweile prestigebehaftetes und ausgebautes Idiom des toleda‐ nischen Hofes wird das Kastilische um das Jahr 1500 zur Referenznorm aller übrigen hispano-romanischen Dialekte, wodurch der Standardisierungsprozess als abgeschlossen gelten kann (cf. Oesterreicher 2000: 298). Von besonderer Be‐ deutung ist in diesem Zusammenhang auch die erste Grammatik des Spani‐ 145 5.1 Die Standardisierung des Kastilischen <?page no="146"?> 8 Detaillierte Informationen zur Geschichte des Kastilischen bzw. der spanischen Sprache bietet insbesondere Menéndez Pidal ( 2 2007). schen, die Gramática de la lengua castellana von Antonio de Nebrija, die im Jahre 1492 veröffentlicht wird. Dabei handelt es sich um ein primär didaktisch kon‐ zipiertes Lehrwerk (cf. Calvo Fernández / Esparza Torres 1993, Esparza Torres 2000), das Lateinlernenden grammatische Kategorien durch eine konsequente muttersprachliche (d. h. kastilische) Terminologie näherbringen sollte. Gleich‐ zeitig markiert dessen Veröffentlichung jedoch auch den Beginn der Kodifika‐ tion des kastilischen Spanisch und somit einen wichtigen Meilenstein in der Geschichte des (historischen) Standardisierungsprozesses des Spanischen (cf. Rojinsky 2010: 93). Das Werk trägt zudem auch sprachpolitische Bedeutung, da es erstmals einen „imperialen Anspruch“ (Bossong 2006: 1333, cf. auch Her‐ nández ²2010: 360) des Kastilischen eröffnet. In der Gramática de la lengua cas‐ tellana heißt es wörtlich: „[…] siempre la lengua fue compañera del imperio; y de tal manera lo siguió, que juntamente començaron, crecieron y florecieron, y despues junta fue la caida de ent‐ rambos” (Nebrija [1492] 1980: 97, in: Neumann-Holzschuh ²2010: 617) David Rojinsky warnt allerdings davor das „compañera del imperio cliché“ (2010: 94, Hervorhebung im Original) allzu hoch zu hängen. So habe der Terminus Imperium zu Zeiten Nebrijas keinerlei territoriale Expansion impliziert, sondern stattdessen auf Macht und Souveränität innerhalb eines gegebenen Territoriums referiert (Rojinsky 2010: 95). Wenngleich das Werk zudem unter den Zeitge‐ nossen Nebrijas zunächst wenig Gehör gefunden hat (cf. Martínez 2013), so kam dem Kastilischen mit der Veröffentlichung einer formalen Grammatik (als erste romanische Vernakularsprache) und eines Orthografiesystems ein besonderer Status zu (cf. Rojinsky 2010, Tacke 2020). Durch die direkte Affiliation dieser Varietät mit dem Zentrum einer in der Entstehung begriffenen Weltmacht wurde dieser Status zusätzlich gestärkt. Denn das Jahr 1492 markiert mit der Landung Kolumbus’ in der Karibik bzw. auf dem amerikanischen Kontinent auch den Beginn einer global-imperialisti‐ schen Politik und der kolonialen Expansion des Königreichs. 8 Spätestens im Zuge der sich anschließenden Kolonialisierung wird das Kastilische dadurch auch zur Sprache des Imperiums im heutigen Wortsinne, wenn auch die kolo‐ niale Expansion keinesfalls eine einfache Übertragung der in Europa etablierten Standardvarietät auf den amerikanischen Kontinent impliziert. 146 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="147"?> 9 Manche Autoren setzen vor der Phase der Koineisierung noch eine Phase des Multidi‐ alektalismus an, in der die verschiedenen Dialekte der europäischen Siedler in einer Art ʻBabel’ koexistierten, ehe die Phase der gegenseitigen Assimilation zu einer Koiné be‐ ginnt (cf. Elizaincín 2003: 1038). 5.2 Die Kolonialzeit als Epoche der Regionalisierung des Spanischen Granda (2001) bestimmt in seiner von ihm selbst als ʻidealisiertʼ (cf. ibid.: 96) bezeichneten Beschreibung der historischen Evolution des Spanischen in His‐ panoamerika drei aufeinanderfolgende Phasen: 1.) Koineisierung, 2.) Regiona‐ lisierung 3.) weitere Ausdifferenzierung durch lokal bzw. regional begrenzt stattfindende Sprachwandelprozesse. 9 Koineisierung nimmt darauf Bezug, dass als Basis der Entwicklung der his‐ panoamerikanischen Varietäten nicht etwa eine bestimmte spanische Varietät - d. h. auch nicht der kastilische Standard -, sondern stattdessen eine Verkehrs‐ sprache bzw. Ausgleichsvarietät gelten kann. Es wird angenommen, dass sich diese Koiné bereits während der Reconquista des Südens der iberischen Halb‐ insel, vor allem aber im Zuge der Kolonialisierung Amerikas unter Siedlern und Seefahrern herausgebildet hat (cf. Donni de Mirande 2006: 12). Obschon in dieser Varietät viele regionale Merkmale ausgeglichen werden, wird ihr eine andalu‐ sische bzw. südspanische Prägung zugeschrieben. Der tatsächliche Grad des an‐ dalusischen Einflusses ist umstritten und Gegenstand einer fortwährenden De‐ batte (cf. Valle 1998). Es können jedoch einige Faktoren angeführt werden, die den Erhalt von in Andalusien gebräuchlichen Varianten zumindest begünstigt haben dürften: So stellten Andalusier in den ersten drei Dekaden der Kolonialisierung mit einem Anteil von rund einem Drittel die Mehrheit aller spanischen Siedler und auch die Gruppe der Seefahrer bestand neben einigen Basken und Portugiesen vor allem aus Andalusiern (Boyd-Bowman 1956: 1158, Boyd-Bowman 1967: 44). Diese Dominanz wurde spätestens mit der Gründung der Casa de la Contratación im Jahre 1503 in Sevilla offizialisiert: Ab diesem Zeitpunkt wurde praktisch der gesamte wirtschaftliche Austausch zwischen Spanien und den Kolonien über die andalusische Hafenstadt abgewickelt, was einer stärkeren Kontrolle der ein‐ gehenden und ausgehenden Güter dienen sollte (cf. Elliott 1984: 289). Zudem wurde Sevilla per königlichem Dekret das Exklusivrecht zugesprochen, die so‐ genannten Carreras de las Indias abzuwickeln. Damit war es den amerikanischen Häfen untersagt, Schiffe anlegen zu lassen, die nicht von Sevilla aus in See ge‐ stochen waren (cf. Menéndez Pidal 2 2007: 1060). Dadurch, dass alle Überfahrten aus einer einzigen Stadt erfolgten und die Passage wetterbedingt auch nicht das 147 5.2 Die Kolonialzeit als Epoche der Regionalisierung des Spanischen <?page no="148"?> 10 Die Reduktion des Sibilantensystems gilt in Andalusien bereits zu Beginn des 15. Jahr‐ hunderts als abgeschlossen (cf. RAE / ASALE 2011a: § 5.2d), während der Beginn der für das Kastilische charakteristische fronting Prozesse des prädorsalen Sibilanten / s̻/ > / θ/ erst auf Mitte des 16. Jahrhunderts angesetzt wird (cf. Hartmann ²2010: 433). ganze Jahr über möglich war, kam es nicht selten vor, dass ausreisewillige Siedler in der Hafenstadt mehrere Monate auf eine Gelegenheit zur Überfahrt warten mussten (Penny 2000: 140, Menéndez Pidal 2 2007: 1061). Die numerische Über‐ legenheit der andalusischen Siedler und Seeleute sowie der lange Aufenthalt in Andalusien führten dazu, dass Siedler anderer Regionen in intensiven Kontakt mit der andalusischen Varietät kamen, der den Erhalt südspanischer Varianten in der Herausbildung der Koiné sicherlich begünstigt hat. Menéndez Pidal ( 2 2007: 1061) spricht in diesem Zusammenhang etwas romantisierend von einem ʻersten Bad im Andalucismoʼ, das zu einer sprachlichen und kulturellen Annä‐ herung der heterogenen Siedlergruppen geführt habe. Auf sprachlicher Ebene wird beispielsweise das eingliedrige Sibilantensystem mit prädorsalem / s/ (seseo) oder die Tendenz zur Aspiration des Sibilanten insbesondere in implo‐ siver Position auf andalusischen Einfluss zurückgeführt (Menéndez Pidal 2 2007: 1064-1068 sowie 1084-1085). 10 Somit teilen bereits die ersten Varietäten des amerikanischen Spanisch einige Varianten, die sie vom kastilischen Standard unterscheiden. Die im Laufe der Jahrhunderte in Hispanoamerika entstehenden Dialektareale sind jedoch durch eine ganze Reihe weiterer Faktoren bedingt, die von Region zu Region unter‐ schiedlich ausgestaltet sind. Als wichtigste Parameter der Regionalisierung sind der Zeitpunkt und die Routen der Erschließung des Besiedelungsgebietes, die Herkunft der Siedler, lokale bzw. regionale Einflussfaktoren (insbesondere Sprachkontakt mit indigenen Sprachen, Kontinuität der Siedlungen etc.) sowie Kontakthäufigkeit und -intensität zu unterschiedlichen Regionen und Sprechergruppen der Halbinsel zu nennen. Ein vermehrter Kontakt zu den Seeleuten wird mit einer Assimilation der lokalen Varietät an das Andalusische bzw. die meridionale Koiné in Verbindung gebracht, wohingegen eine enge Bindung an den Verwaltungsapparat eher mit einer größeren Nähe zur vom kastilischen Hof ausstrahlenden Standardvarietät korreliert (cf. Menéndez Pidal 2 2007: 1107). Andere Autoren wie John M. Lipski (1994: 47) verweisen jedoch darauf, dass die sprachliche Entwicklung in den Hochlandregionen vielgestaltiger und, im Ge‐ gensatz zu den Küstenregionen, nicht in demselben Maße vom Einfluss einer bestimmten Region geprägt war. Zwar ist für die im Inland befindlichen Ver‐ waltungszentren der Kolonien (Städte mit Real Audiencias, Hauptstädte der Vi‐ zekönigreiche Peru und Mexiko etc.) ein stärkerer Einfluss des Kastilischen an‐ zunehmen, der durch den engeren Kontakt zur Krone erklärt werden kann (cf. 148 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="149"?> 11 Mit Ausnahme der Eroberung der Gebiete des heutigen Perus in der Epoche von 1520-1539, bei der altkastilische Siedler die Teilnehmer aus Andalusien gemäß den Daten Peter Boyd-Bowmans (1963: 186-187) um exakt eine Person übertreffen (297 Siedler aus Andalusien gegenüber 298 Siedlern aus Altkastilien). Summiert man beide Kastilien liegt ihr Anteil bei 36,17 %. Im noch jungen Lima stellen jedoch wieder die Siedler aus Andalusien den größten Anteil. Fasst man erneut beide Kastilien zu‐ sammen ergibt sich jedoch auch hier ein wieder nahezu ausgeglichenes Verhältnis (69 Andalusier, gegenüber 70 Siedlern aus Alt- und Neu-Kastilien). Elliott 1984: 291). Allerdings machen selbst dort die Siedler der beiden Kastilien insbesondere in der Phase der Koineisierung nur selten die Mehrheit oder den vorherrschenden Anteil der Gesamtbevölkerung aus (Boyd-Bowman 1956, 1963). 11 Zudem lassen sich viele der Phänomene, die in den Hochebenen Hispa‐ noamerikas verbreitet sind, nicht oder nicht ausschließlich durch peninsularen Einfluss erklären, sondern werden auf indigene Sub- oder Adstrateinflüsse zu‐ rückgeführt, insbesondere des Aimaras, Guaranís, Nahuátls und Quechuas (cf. Vidal de Battini 2 1966, Thompson 1992, Lipski 1994). Die viel diskutierte und vornehmlich auf phonetischen Divergenzen beruhende Unterscheidung zwi‐ schen den tierras altas und den tierras bajas (Henríquez Ureña 1921, Rosenblat ²2016) ergibt sich daher eher durch die größere sprachliche Nähe der Küsten‐ gebiete zueinander, die wiederum auf eine verstärkte Kontaktintensität zum Süden der iberischen Halbinsel, insbesondere über die mehrheitlich aus Süd‐ spanien stammenden Seeleute zurückzuführen ist (cf. Menéndez Pidal 2 2007: 1091). Neben der Herkunft der Siedler sind auch der Zeitpunkt der Besiedelung, der Grad der Isolation einer Region bzw. die Kontakthäufigkeit zum Mutterland und die Besiedelungsrouten von großer Relevanz. Zunächst wird in Abhängigkeit vom Besiedelungszeitpunkt und von der Kontakthäufigkeit eine andere Ent‐ wicklungsstufe von in Spanien stattfindenden Sprachwandelprozessen in die Kolonien getragen bzw. wird diese Entwicklung mehr oder minder stark an die Entwicklung in Europa assimiliert. Als Beispiele können die bereits erwähnte Reduktion des Sibilantensystems oder semantische bzw. morphosyntaktische Modifikationen im Bereich der Anredeformen und Personalpronomina gelten, deren unterschiedlicher Verlauf u. a. die Differenzierung von Varietäten mit voseo oder tuteo bedingt (cf. RAE / ASALE 2009: § 16.15o-§ 16.15v). Unterschied‐ liche Besiedelungsrouten, über die ein Gebiet erschlossen wird, können wie‐ derum Hinweise auf die Siedlerkonstellation geben und somit ggf. regional‐ sprachliche Unterschiede erklären. Die genaue Ausgestaltung der hispanoamerikanischen Dialektareale ist Ge‐ genstand fortdauernder Diskussionen (cf. z. B.: Canfield 1981, Kubarth 1987, Moreno Fernández 1993, Lipski 1994, 6 2009, García Mouton 2001, Coloma 2013, 149 5.2 Die Kolonialzeit als Epoche der Regionalisierung des Spanischen <?page no="150"?> Quesada Pacheco 2014). Für die vorliegende Fragestellung nach der Standard‐ variation innerhalb Argentiniens ist die areale Gliederung des Landes von großer Bedeutung. Zwar impliziert die Existenz unterschiedlicher Dialektareale keinesfalls die Herausbildung unterschiedlicher Standardvarietäten, jedoch bieten sie einen guten Ausgangspunkt zur Untersuchung von Phänomenen der Standardvariation, da die auf dialektaler Ebene distinktiven Systemkompositi‐ onen und -realisierungen durchaus in den standardsprachlichen Bereich der je‐ weiligen Regionen vorrücken können. Und zwar genau dann, wenn sie in in‐ tendierter Standardverwendung frequent sind und als perzeptiv geeignet für die standardsprachliche Kommunikation empfunden werden. Sie bieten den Spre‐ chern dann zudem regional verankertes identitätsstiftendes Potenzial, das durch die Standardisierung weiter gefestigt würde. Letzteres ist insbesondere im Nachgang des Zusammenbruchs des spanischen Kolonialreichs von großer Be‐ deutung, als die neugegründeten Staaten vor der großen Herausforderung standen, sich nicht nur eine Verfassung, ein Staatssystem und eine Gerichts‐ barkeit zu geben, sondern ihre Bewohner auch im Hinblick auf eine gemeinsame Identität zu Staatsbürgern zu machen (cf. Charlip 2015: 529). Insbesondere in Argentinien sollte die Sprache ins Zentrum der Debatte um die Schaffung einer nationalen Identität rücken. Während der Kolonialzeit ist jedoch noch nicht von einer Differenzierung auf Standardebene auszugehen: „Von der Eroberung und Kolonisation Amerikas bis ins 19. Jahrhundert hinein war die Beantwortung der Frage nach dem sprachlichen Standard […] unstrittig: es handelte sich einfach um die Norm des Spanischen im Mutterland.“ (Oesterreicher 2000: 297) Dies hängt auf der einen Seite damit zusammen, dass sich in dieser Zeit kein ausreichend stark abgegrenzter, alternativer Kulturraum herausgebildet hätte, mit dem sich divergierende Sprachverwendungen korrelieren ließen. Auf der anderen Seite fehlten bis ins 19. Jahrhundert hinein sprachpolitische Akteure, die die regionalen Varianten propagieren und mit positiven Assoziationen ver‐ knüpfen, sodass diese als Anker regionaler Identität fungieren könnten. Kul‐ tureller und auch sprachlicher Orientierungspunkt bleibt während der gesamten Kolonialzeit Spanien und damit als normativer Referenzpunkt der gesamten Hispanophonie die Standardvarietät Kastiliens. Mag die Frage nach dem sprachlichen Standard zwar aus linguistischer Sicht in der Tat unstrittig gewesen sein, so war die sprachliche Hegemonie des kas‐ tilischen Hofes in Hispanoamerika keinesfalls naturgegeben. Sie ist vielmehr ab dem 18. Jahrhundert mit wirkmächtigen sprachpolitischen Maßnahmen ver‐ 150 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="151"?> 12 Zwar wurden auch in der Zwischenzeit eine Vielzahl sprachnormativer Werke in Spa‐ nien und im europäischen Ausland veröffentlicht, allerdings sind diese weniger Teil der oben skizzierten sprachhegemonialen Agenda. Einen Überblick bietet z. B.: Neu‐ mann-Holzschuh (²2010: 618-623). 13 Bereits zuvor hatte die Real Academia ein Wörterbuch (Diccionario de Autoridades - 1726-1739) und eine Orthografie (Ortografía - 1741) veröffentlicht (cf. RAE 2019). 14 Tatsächlich präskriptiven Charakter erhalten die Regelwerke der RAE erst mit der Grammatik von 1880. In dieser erscheint erstmals ein eigenes Kapitel zu den Unarten des Sprachgebrauchs (Vicios de la Dicción), das auch in allen Folgeauflagen und Neu‐ knüpft. 12 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die 1713 gegründete Real Academia Española. Deren Motto limpia, fija, da esplendor, dazu als Logo ein Schmelztiegel über offenem Feuer, lassen die Agenda recht unver‐ blümt offenbar werden: Dem Spanischen soll wieder derselbe Glanz verliehen werden, der ihm im sogenannten ‘goldenen Zeitalter’ (16.-17. Jh.) kultureller Blüte und weitgehend unangefochtener politischer Macht attestiert wurde. Der divergente Sprachgebrauch in den verschiedenen Ecken des Königreiches soll dazu, so ist der Schmelztiegel zu verstehen, eingeschmolzen und in eine ein‐ heitliche Form gegossen werden. In diesem Sinne sollen den Sprechern in Eu‐ ropa, vor allem aber auch in Übersee, Normen und Regeln des ʻreinenʼ Sprach‐ gebrauchs vermittelt werden. Politisch ist die Gründung der Akademie als ein Instrument gedacht, das zur Gewährleistung der internen Kohäsion des weit‐ läufigen Imperiums beitragen soll. Die einheitliche Sprache dient in diesem Zu‐ sammenhang als Ausweis einer gemeinsamen Kultur und damit einer kollek‐ tiven Identität. Wörtlich heißt es in den Akademie-Statuten von 1715: „Siendo el fin principál […] desterrando todos los errores, que en sus vocablos, en sus modos de hablar, ò en su construcción há introducido la ignorancia, la vana afectación, el descuído, y la demasiáda libertad de innovár” (RAE 1715: 11) Über die Statuten wird der korrekte und gute Sprachgebrauch explizit an das Zentrum imperialer Macht geknüpft, wodurch die seit Ende des 15. Jh. beste‐ hende sprachpolitische Doktrin fortgesetzt wird. Das Kastilische soll - neben der christlichen Religion - als wichtigster gruppenbildender und identitätsstif‐ tender Faktor alle Bewohner des Königreichs einen. Eine der Hauptaufgaben der RAE ist daher seit ihrer Gründung die Herausgabe präskriptiver Kodizes wie Wörterbücher, Orthografien oder Grammatiken. Die 1771 erschienene erste Akademie-Grammatik wurde von Karl III . offizialisiert und für den Schulun‐ terricht vorgeschrieben (cf. Neumann-Holzschuh ²2010: 624). 13 Diese Verbind‐ lichkeit galt im gesamten Königreich, was die normativen Werke der Real Aca‐ demia Española per königlichem Dekret auch in den Kolonien zum Referenzwerk guten Sprachgebrauchs machte. 14 151 5.2 Die Kolonialzeit als Epoche der Regionalisierung des Spanischen <?page no="152"?> erscheinungen bis zum Esbozo de una Nueva Gramática Española im Jahre 1973 behan‐ delt wird (cf. Méndez García de Paredes 2012: 284). Dieses nun nicht mehr beschrei‐ bende, sondern viel mehr anklagende Kapitel, kann als Wandel der Doktrin der RAE gelesen werden und ist die Folge der radikalen Veränderungen der politischen Bege‐ benheiten und des schwelenden Disputs um die Deutungs- und Gestaltungshoheit über die spanische Sprache. 5.3 Postkoloniale Entwicklungen und die batalla de la lengua Der Zusammenbruch des spanischen Kolonialreichs führte nicht nur zu weit‐ reichenden Veränderungen auf der politischen Weltkarte bzw. der geopoliti‐ schen Kräfteverhältnisse. Mit ihr einher ging auch eine drastische Veränderung des normativen Kräftefelds der spanischen Sprache. Die bis dahin unstrittige Monozentrik und der damit verbundene exklusive institutionelle Zugriff spa‐ nischer Einrichtungen auf die Standardsprache war plötzlich nicht mehr durch die politische Einheit des Imperiums wie selbstverständlich vorausgesetzt. Mit Ende der kolonialen Herrschaft über Hispanoamerika ist das Spanische in kurzer Zeit von der Sprache einer global agierenden Weltmacht zur Sprache vieler un‐ abhängiger Staaten geworden. Diese wiederum stehen mit der Unabhängigkeit vor einer denkbar schwierigen Aufgabe, nämlich der Definition und Organisa‐ tion des neuen Staatsgebildes und der Schaffung einer nationalen Identität: “Independence brought more questions than answers for the former colonists. […] Everything was in question: the boundaries and names of new nations; the inclusi‐ veness and rights of citizenship; the forms of government; the cultural norms and identity of new nations.” (Charlip 2015: 529) Paradoxerweise bietet gerade die gemeinsame Sprache nun ein differenzie‐ rendes Potenzial gegenüber dem ehemaligen ʻMutterlandʼ: Trotz aller sprachli‐ cher Gemeinsamkeiten und der gemeinhin als hohes Gut empfundenen Mög‐ lichkeit der interkontinentalen Verständigung kann gerade der häufig stigmatisierte divergente Sprachgebrauch in den ehemaligen Kolonien nun als Ausweis regionaler, aber auch nationaler Identität dienen. Dazu notwendig ist allerdings dessen Aufwertung durch sprachpolitische Maßnahmen und die Ver‐ wendung durch sprachliche Modellsprecher und -schreiber. Eine schwierige Aufgabe, die vor allem in Argentinien forciert wird. Für Spanien wiederum im‐ pliziert die mögliche regionale Ausdifferenzierung des Spanischen eine weitere empfindliche Beschränkung des Einflusses auf die ehemaligen Kolonien in Übersee, die nicht zuletzt auch wirtschaftliche Interessen tangieren würde, da die gemeinsame Sprache nicht nur ein wichtiges Kommunikationsmittel ist, das die internationale politische Kooperation, den gesellschaftlichen Austausch und 152 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="153"?> 15 Dem Vorschlag Marcos Rohena-Madrazo (2015) folgend wird das Ergebnis der Neutra‐ lisierung der ehemals bestehenden Opposition zwischen / ʝ/ und / ʎ/ (yeísmo) mit / ʒ/ annotiert. Diese Annotation wird für die Region Buenos Aires vorgeschlagen und hier die wirtschaftliche Zusammenarbeit erleichtert. Sie ist gleichsam prestigeträch‐ tiges Aushängeschild hispano-europäischer Kultur, die umso stärker wirkt, je mehr sie auch in den amerikanischen Nationen als gemeinsames und in diesem Sinne panhispanisches Kulturgut verstanden wird. Zudem eröffnet die Sprache mit zunehmender Alphabetisierung der Bevölkerung einen nicht zu unter‐ schätzenden Markt für Druckerzeugnisse mit enormem Wachstumspotenzial. Divergente Sprachentwicklungen oder im schlimmsten Fall Sprachspaltungen könnten somit zu einer empfindlichen Reduktion des Marktpotenzials führen. „La lengua aparece […] no sólo como símbolo cultural, sino como la superficie misma para la constitución de un mercado de los bienes simbólicos homologable al capita‐ lismo-mundo moderno, y se convierte así en divisa común, objeto de posesión, deseo y regulación.” (Ennis / Pfänder 2013: 71) Vor diesem Hintergrund entwickelt sich im 19. und 20. Jahrhundert ein z. T. po‐ lemisch geführter Disput, der sich zwischen den Extrempositionen der Schaf‐ fung eigenständiger Sprachen in den neuen amerikanischen Nationen und dem Erhalt der eurozentrischen Einheit des Spanischen bewegt. Die sprachsepara‐ tistische Haltung wird im internationalen Vergleich in Argentinien insbeson‐ dere Mitte des 19. Jahrhunderts besonders stark vertreten (cf. Blanco 1993, 1999 sowie Kapitel 5.5); tatsächlich war Argentinien sogar die einzige Nation des ehemaligen spanischen Kolonialreichs, in der die Kreierung einer eigenen Na‐ tionalsprache ernsthaft diskutiert und bisweilen mit Vehemenz eingefordert wurde (cf. Vidal de Battini 2 1966: 22). Die Fürsprecher des Erhalts des status quo ante hingegen verweisen auf die nach wie vor bestehende kulturelle Verbindung zu Spanien, die durch die gemeinsame Geschichte und Sprache bestünde und nicht so einfach gekappt werden dürfe. Zwischen diesen beiden Polen eröffnet sich ein Spannungsfeld, aus der eine über Jahrzehnte hinweg geführte Debatte um die unidad y variedad de lengua erwächst. Intermediäre Positionen streben etwa die Konsolidierung einer pan‐ amerikanischen Standardvarietät in Koexistenz zum kastilischen Standard oder gar die Etablierung eines allgemeingültigen panhispanischen Standards an, der den Sprachgebrauch gebildeter Sprecher beider Kontinente berücksichtigen sollte. Die panamerikanische Position wurde etwa vom späteren argentinischen Präsidenten Domingo Faustino Sarmiento vertreten, der eine Orthografie-Re‐ form mit möglichst enger Phonie-Grafie-Bindung auf der Basis in Hispanoame‐ rika verbreiteter Varianten (z. B. seseo, yeísmo  15 etc.) anstrebte. Der Reformvor‐ 153 5.3 Postkoloniale Entwicklungen und die batalla de la lengua <?page no="154"?> allgemein übernommen, wenn auf den yeísmo in den verschiedenen Varietäten Argen‐ tiniens Bezug genommen wird. 16 Auch wenn Bello sich selbst davon freispricht: „Pero no es un purismo supersticioso lo que me atrevo a recomendarles. El adelantamiento prodigioso de todas las ciencias i las artes, la difusión de la cultura intelectual, i las revoluciones políticas, piden cada día nuevos signos para expresar nuevas ideas, i la introducción de vocablos flamantes, to‐ mados de las lenguas antiguas i extranjeras, ha dejado ya de ofendernos, cuando no es manifestación innecesaria, o cuando no descubre la afectación i mal gusto de los que piensan engalar así lo que escriben.“ (Arrossi 2010: 134). schlag, der Etymologie und etablierte Schreibtraditionen ganz bewusst außer Acht ließ und insbesondere auf die Aktualisierung didaktischer Materialien in amerikanischen Schulen abzielte, konnte sich jedoch nicht final durchsetzen (cf. Cichon 2007). Deutlich erfolgreicher war die Gramática de la lengua castellana destinada al uso de los americanos (1847) von Andrés Bello, die dem manchet‐ halben befürchteten Auseinanderdriften der spanischen Sprache eine überregi‐ onale panhispanische Norm entgegenstellt, explizit aber lediglich die Sprecher in Hispanoamerika adressiert (cf. Neumann-Holzschuh ²2010: 624). Das Werk wurde bereits im 19. Jahrhundert mehrfach neu aufgelegt und gilt als „die be‐ deutendste spanische Grammatik dieses Jahrhunderts“ (ibid.). Es integriert zwar einige hispanoamerikanische Varianten der gebildeten Oberschicht, folgt jedoch bisweilen einem stark restriktiven Ansatz und puristischen Duktus, der dem Kastilischen, als normativ orientierende Varietät, eine besondere Position zu‐ gesteht (cf. Ennis 2008: 138-143). 16 Etwa dadurch, dass den „ʻdesviacionesʼ ame‐ ricanas“ ein eigenes Kapitel gewidmet (Stepanov 2004: 21), und - um ein kon‐ kretes Beispiel zu nennen - der auf dem amerikanischen Kontinent weitverbreitete und im Río de la Plata-Raum generalisierte voseo, als unerträg‐ liche Entstellung der Sprache („corrupción insoportable“) gebrandmarkt wird (Arrossi 2010: 133). Auf der anderen Seite markiert das viel rezipierte Werk für die Sprachgemeinschaften in Hispanoamerika dennoch eine normative Zeiten‐ wende. Obwohl es nicht eine oder mehrere spezifische amerikanische (stan‐ dardsprachliche) Normen postuliert oder beschreibt, sondern eine gemeinsame Norm in der habla culta der gesamten Hispanophonie anstrebt, so verlagert es doch die Deutungshoheit über das gemeinsame sprachliche Erbe, also die nor‐ mative Autorität, von Spanien nach Amerika (cf. Ennis / Pfänder 2013: 69). Die Grammatiken der RAE , die im 19. Jahrhundert erschienen, gelten hingegen als „wenig neuerungsfreudig […]“ und entsprechend wenig einflussreich (Neu‐ mann-Holzschuh ²2010: 626). Das ändert sich erst gegen Ende des 19. Jahrhun‐ derts, als zum einen mit der Grammatik von 1880 und der darin enthaltenen Stigmatisierung divergierenden Sprachgebrauchs eine zunehmend inkriminie‐ rende Sprachkritik der RAE beginnt und zum anderen die Königliche Sprach‐ 154 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="155"?> 17 Ein vollständiger Bruch mit Spanien oder der Real Academia Española wurde dabei keineswegs angestrebt, im Gegenteil: Zwar erfolgt die Gründung der Akademie im Geiste einer im Argentinien des späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts weit verbrei‐ teten politischen Strategie, die in einer Aufwertung von kulturellen wie sprachlichen Elementen des ländlichen, kreolisch geprägten Raumes zur Stiftung einer nationalen Identität bestand (cf. Glozman / Lauria 2012, Lauria 2012). Allerdings war sie dennoch durchaus auch dem Bestreben verschrieben, die sprachliche Einheit mit Spanien und den übrigen hispanoamerikanischen Staaten zu wahren (cf. Lauria 2012). In diesem Sinne war das Ziel der Akademie weniger, sich sprachlich von Spanien zu lösen oder eine endonormative Sprachpolitik zu verfolgen, als vielmehr generisch argentinische Varianten herauszuarbeiten und deren Gebrauch zu fördern (cf. ibid.: 17). 18 Diesen Status behielt die AAL bis Ende des 20. Jahrhunderts bei. Im Jahre 1999 wurde sich schlussendlich auch in eine academia correspondiente überführt (cf. ASALE 2019). akademie Spaniens mit der Gründung amerikanischer Akademien - beginnend mit der Academia Colombiana de la Lengua 1871 - ihren hegemonial-normativen Geltungsanspruch in Hispanoamerika institutionalisiert (cf. Valle 2012: 180). Mit diesem Vorhaben besetzt sie gleichzeitig ein sprachnormatives Vakuum, da, ob‐ wohl die Sprache in den politischen Überlegungen der noch jungen hispanoa‐ merikanischen Nationen durchaus eine Rolle spielte, bis zu diesem Zeitpunkt kaum konkrete sprachpolitische Maßnahmen ergriffen, geschweige denn ver‐ gleichbare sprachnormative Institutionen gegründet wurden. Die neuen Sprach‐ akademien Hispanoamerikas füllen diese Lücke. Sie werden größtenteils als academias correspondientes gegründet und waren als solche der Real Academia satzungsgemäß untergeordnet (cf. RAE 1927: 16-18). So blieb dieser beispiels‐ weise das Recht vorbehalten, die vorgeschlagenen amerikanischen Aka‐ demie-Mitglieder zu bestätigen oder abzuweisen und somit direkten Einfluss auf deren grundsätzliche institutionelle Ausrichtung zu nehmen. Diese Hierar‐ chie wird auch in deren Bezeichnung als sucursales correspondientes, als Filialen der königlichen Akademie, deutlich (cf. RAE 1927: 15). In Argentinien führte das Vorhaben der RAE jedoch nicht nur zu öffentlichen Kontroversen, sondern auch zur Gründung einer alternativen Akademie (Academia Argentina de Cien‐ cias y Letras, gegr. 1873), die unabhängig von der königlich spanischen Sprach‐ akademie agierte und über die Förderung einer ʻargentinischen Kulturʼ das so‐ genannte spanische Erbe durch eine eigene lokale und irgendwann nationale Identität ablösen wollte (cf. Kapitel 5.5). 17 Diese Entwicklung erklärt auch, warum die heutige Sprachakademie, die der RAE nahestehende Academia Ar‐ gentina de Letras ( AAL ) - im hispanoamerikanischen Vergleich erst relativ spät (1931) gegründet wurde. Zudem war sie nicht als academia correspondiente, son‐ dern als assoziierte Akademie verfasst und blieb als solche - neben der Aka‐ demie Uruguays als einzige Sprachakademie des Spanischen - satzungsmäßig von der RAE unabhängig. 18 Die tatsächliche sprachpolitische Arbeit der ameri‐ 155 5.3 Postkoloniale Entwicklungen und die batalla de la lengua <?page no="156"?> kanischen Akademien wurde nach den Vorgaben der academia madre ausge‐ richtet: So kam ihnen in dieser Zeit vornehmlich die Aufgabe zu, den regionalen Sprachgebrauch zu beschreiben und ihre Beobachtungen an die königliche Aka‐ demie zu übermitteln. Als tertium comparationis zu allen auf diese Weise be‐ schriebenen Varietäten dient dabei stets die von der RAE in Sprachkodizes fix‐ ierte Referenznorm des kastilischen Standards. Die so entstandenen deskriptiven Kodizes der Varietäten des amerikanischen Spanisch, die ʻismo-Wörterbücherʼ, können in diesem Sinne weniger als erste Kodifizierungen von gerade entstehenden Regionalstandards verstanden werden denn als ein‐ deutiger Ausweis der hegemonial monozentrischen Sprachpolitik der Real Aca‐ demia zu dieser Zeit. Durch die Attribuierung argentinismo, peruanismo, mexi‐ canismo etc. wird den amerikanischen Varianten, unabhängig von deren Formalitätsgrad, Gebrauchsrestriktionen oder Registerzugehörigkeit, eine ein‐ deutig diatopische Markierung zugeschrieben, die erst unter Rückbezug auf die in diesem Sinne monozentrisch wirkende kastilische Referenznorm möglich ist. Gleichzeitig umweht diese Attribute eine Aura sprachlicher Unzulänglichkeit. Dies führte dazu, dass einige regionalsprachlich etablierte Varianten, die bis in den standardsprachlichen Bereich vorgerückt waren, dennoch offiziell als stig‐ matisiert galten und sich in den davon betroffenen Sprechergemeinschaften da‐ durch Gefühle sprachlicher Unsicherheit oder gar ‘sprachliche Schizophrenie’ (Muhr 2005a, 2013a) entwickeln konnte, die bis ins späte 20. oder frühe 21. Jahr‐ hundert nachwirken sollte (Donni de Mirande 1978, López García 2010, Amorós Negre 2012). Die -ismo-Markierungen wurden insbesondere für lexikalische Elemente verwendet, aber auch auf etablierte morphosyntaktische Phänomene wie etwa den voseo oder den yeísmo rehilado angewandt. Insgesamt ist das Spa‐ nische im 19. Jh. (und bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein) ins‐ besondere aufgrund des Widererstarkens der Real Academia Española als ein‐ deutig monozentrische Sprache anzusehen. Trotz einiger Versuche, alternative Kodizes für den amerikanischen Sprachraum zu etablieren, blieb doch der kas‐ tilische Standard in dieser Zeit die Referenznorm für alle Varietäten des Spani‐ schen. 5.4 Das Spanische auf dem Weg zur Plurizentrik Die relativ starre normative Monozentrik der spanischen Sprache beginnt, zu‐ mindest mit Blick auf die offizielle Sprachpolitik und das öffentliche Sprach‐ handeln von Normautoritäten, erst Mitte des 20. Jahrhunderts langsam zu brö‐ ckeln, bis sie Anfang des 21. Jahrhunderts durch eine offiziell plurizentrische 156 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="157"?> 19 Carla Amorós Negre (2020: 587) beschreibt bereits für das 19. Jahrhundert eine graduell fortschreitende Abschwächung der puristisch-präskriptiven Doktrin der RAE, die erst‐ mals 1917 in einer offiziellen Akademie-Grammatik spürbar wird. Ein tatsächlicher Paradigmenwechsel im Sinne einer Abkehr von der monozentrisch ausgerichteten Sprachpolitik findet indes erst deutlich später statt. Sprachpolitik der Sprachakademien des Spanischen abgelöst wird. 19 Der tat‐ sächliche Sprachgebrauch in den einzelnen Regionen sowie die Sprecherein‐ stellungen innerhalb der Sprachgemeinschaft deuten jedoch daraufhin, dass sich das Spanische de facto bereits früher zu einer plurizentrischen Sprache entwi‐ ckelt hatte (Fontanella de Weinberg 1992b, Thompson 1992, Oesterreicher 2000, Lara 2002). Diese ist jedoch vor allem im 20. Jahrhundert noch als stark asymmetrisch zu charakterisieren, d. h. dem dominanten kastilischen Standard stehen mehrere nicht-dominante (Standard-)Varietäten gegenüber. Die starke Asymmetrie kann als Widerhall, der über Jahrhunderte restriktiv monozentri‐ schen Sprach- und Bildungspolitik des spanischen Staates bzw. der Real Aca‐ demia Española interpretiert werden. Der kastilische Standard wurde als einzig korrekte und prestigeträchtige Varietät kodifiziert, propagiert und unterrichtet, wohingegen im Alltag übliche (und de facto standardsprachliche) Varianten als errores, abusos, desviaciones oder gar vicios stigmatisiert wurden (cf. Arrossi 2010). Diese Stigmatisierung hat - ebenso wie die -ismo-Markierungen - zur Herausbildung sprachlicher Unsicherheiten und von Minderwertigkeitsge‐ fühlen innerhalb der Sprechergemeinschaften der nicht dominanten Varietäten beigetragen, die bis heute fortwirken (cf. Chiquito / Quesada Pacheco 2014). Sie lassen sich u. a. über die Ergebnisse von Sprecherbefragungen ablesen. So kommt den lokalen (Standard-)Varietäten ein covert prestige zu, das sich in der lediglich indirekten positiven Evaluation oder durch inkonsistente Bewer‐ tungen der eigenen Varietät ausdrückt (cf. Solé 1992 sowie Kapitel 3.1.3). Aller‐ dings scheint diese Tendenz aktuell von der älteren zur jüngeren Generation hin nachzulassen. Offenbar wird den regionalen Standardvarietäten mittlerweile auch offen Wertschätzung entgegengebracht (cf. Llull / Pinardi 2014). Die pluri‐ zentrische Wende im Sinne einer Entwicklung von einer starren Monozentrik hin zur offiziellen Anerkennung regionaler Standardvarietäten durch die sprachnormativen Institutionen hat sicherlich zu dieser Entwicklung beige‐ tragen. Diese Wende ist das Ergebnis des sich festigenden, divergenten Sprachge‐ brauchs in intendierter Standardverwendung und einer seit Mitte des 20. Jahr‐ hunderts stärker werdenden Position innerhalb der Gruppe der Normakteure, der offenkundigen Vielfalt und Variation des Spanischen auf standardsprachli‐ cher Ebene ein stärkeres sprachnormatives Gewicht zu verleihen. Als Beispiel 157 5.4 Das Spanische auf dem Weg zur Plurizentrik <?page no="158"?> kann der Congreso de Academias von 1951 dienen, der auf Initiative des mexi‐ kanischen Präsidenten von der dortigen Akademie einberufen wurde (cf. Valle 2012: 181). Eines der Hauptziele des Kongresses war, neben einer größeren Ver‐ einheitlichung des Lexikons und einer Aktualisierung des Verwendungsberei‐ ches sogenannter Amerikanismen, eine größere Einbeziehung der amerikani‐ schen Akademien in sprachnormative Prozesse. Im Nachgang des Kongresses wurde die sogenannte Comisión Permanente gegründet, aus der später die Aso‐ ciación de Academias de la Lengua Española ( ASALE ; gegr. 1959) hervorging. Im II Congreso de Academias (1959) schlossen sich namhafte spanische Wissen‐ schaftler wie Rafael Lapesa den Forderungen nach einer größeren Integration der amerikanischen Akademien und der Berücksichtigung extrapeninsularer Normen in der Kodifizierung an. Im I Congreso de Instituciones Hispánicas (1964) formulierte der spanische Sprachwissenschaftler Diego Catalán in diesem Geiste: “Ninguna comunidad hispanohablante toleraría semejante atentado a su tradición lingüística; las varias modalidades de español culto existentes no pueden ser consi‐ deradas ni tratadas como meras 'hablas dialectales' o 'patois', en relación con el español peninsular oficial o con el español ejemplar.” (Diego Catalán; in: Amorós Negre 2012: 133) Dieses Zitat zeigt, dass die totale Überdachung aller hispanischer Varietäten, wie sie Oesterreicher noch für die Kolonialzeit konstatiert hatte, spätestens ab dem 20. Jahrhundert in dieser Form nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Stattdessen haben sich eigenständige standardsprachliche Referenznormen ent‐ wickelt, die - so die implizite Forderung - auch durch die Sprachnormautori‐ täten akzeptiert werden müssten. Gleichzeitig setzt Catalán damit bereits die Agenda für eines der größten Projekte der hispanistischen Linguistik im 20. Jahrhundert. Im Rahmen des Programa Interamericano de Enseñanza de Idi‐ omas ( PILEI ) sollte die sogenannte habla culta der größten bzw. wichtigsten Städte Spaniens und Hispanoamerikas untersucht werden, um Gemeinsam‐ keiten und Unterschiede standardorientierter Sprachverwendung herauszuar‐ beiten. Paradoxerweise zeichnet sich mit Juan Manuel Lope Blanch ausge‐ rechnet einer der vehementesten Verfechter einer panhispanischen Norm für die Koordination des Projektes verantwortlich (cf. Lope Blanch 1991, 1993, 2002). Das vom ihm koordinierte und im PILEI integrierte Proyecto de estudio de la norma lingüística culta de las principales ciudades de Iberoamérica y de la Península Ibérica sollte ursprünglich als Beweis für die Einheitlichkeit der Sprachverwendung der gebildeten Sprecher dienen, war aber gleichzeitig für die Entwicklung des wissenschaftlichen Diskurses um die Plurizentrik des Spani‐ 158 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="159"?> 20 Wie sehr der unidad-Diskurs des in Madrid geborenen Lope Blanchs ideologisch auf‐ geladen war, zeigt das folgende Zitat: „Claro está que, si todos tenemos los mismos derechos de propiedad, también tendremos los mismos deberes de servidumbre leal. Ésta nos obliga a sacrificar nuestras peculiaridades lingüísticas, locales o aun nacionales, en aras de la unidad panhispánica.“ (Lope Blanch 1993: 271). Damit fordert der Autor nicht weniger, als den hispanoamerikanischen Sprachgemeinschaften die sprachliche und sprachnormative Hoheit über ihren eigenen Sprachgebrauch zu entziehen und die zunehmend bröckelnde Hegemonialstellung der Real Academia Española wiederher‐ zustellen. schen von großer Bedeutung. Durch diese Untersuchungen wurden nicht nur Sprachdaten von Sprechern möglicher Irradiationszentren regionaler Standard‐ varietäten erhoben, sondern auch der regionalen Variation standardnaher Kom‐ munikation im wissenschaftlichen Diskurs zu einer prominenteren Position verholfen. Lope Blanch selbst verfolgte dabei jedoch eine puristische, mono‐ zentrische Agenda: „Me parece preciso, indispensable, que nos convenzamos de que existe una norma de corrección, de ejemplaridad, a la cual debemos tratar de aproximarnos todos […]. Porque lo que creo que hay que corregir básicamente son los casos de anomalías divergentes, […] de desviaciones particulares que puedan poner en verdadero peligro la unidad del idioma.” (Lope Blanch 1993: 266-267, Hervorhebung im Original). Als explizites Beispiel der zu korrigierenden Tendenzen führt der Autor den yeísmo rehilado in Argentinien an, der es dort ʻskandalöserweiseʼ sogar bis in die norma culta von Universitätsprofessoren geschafft habe. Damit wird die empi‐ rische Evidenz der Standardzugehörigkeit des Phänomens zwar explizit aner‐ kannt, jedoch nicht im Sinne einer Gleichberechtigung der unterschiedlichen Sprachgemeinschaften der spanischen Sprache weitergedacht. Stattdessen sollten die vom normativen Kanon abweichenden Merkmale der habla culta der unterschiedlichen Regionen korrigiert und an eine idealisierte panhispanische Sprachnorm angepasst werden. Diese wiederum solle sich an der geschriebenen Sprache orientieren. Damit ist offenkundig, dass das normative Zentrum dieser Idealnorm in Madrid verankert sein muss, von wo aus die Real Academia Es‐ pañola die sprachlichen Normen (insbesondere der Schriftsprache) unter Rück‐ griff auf spanische Modellschreiber kodifiziert und propagiert. 20 Tatsächlich gab es jedoch - bereits 15 Jahre vor Veröffentlichung dieser Arbeit Lope Blanchs - selbst innerhalb der Real Academia Española erste Tendenzen zur Öffnung der Kodizes für divergente standardsprachliche Formen in den hispanoamerikani‐ schen Ländern. So werden in dem 1973 veröffentlichen Esbozo de una Nueva Gramática Española (Comisión de Gramática 1973) erstmals hispanoamerikani‐ sche Regelformen, die soziales Prestige und große Verbreitung genießen, in eine 159 5.4 Das Spanische auf dem Weg zur Plurizentrik <?page no="160"?> 21 Selbst Lope Blanch (2002: 33) nimmt neun Jahre nach dem zuvor zitierten Artikel eine konziliantere Position ein, wenn er nun für Fälle prestigeträchtiger Standardrealisie‐ rungen wie den yeísmo rehilado eine pluralidad de normas innerhalb der panhispani‐ schen Idealnorm vorsieht. grammatikalische Arbeit der Real Academia integriert. Obschon es sich dabei explizit lediglich um die Skizze einer neuen Grammatik, nicht aber um eine offizielle Akademie-Grammatik handelt, so wird auch diesem Werk durchaus normative Wirkung zugesprochen (cf. Kleineidam / Schlör 1989: 132-133). Es ist somit bereits Teil eines stattfindenden und wirksamen Paradigmenwechsel in der sprachnormativen Arbeit von RAE und ASALE und somit Bestandteil der zwar langsamen, aber doch stetigen Abkehr von einer rein eurozentrischen Sprachnormierung (cf. Amorós Negre 2012). Vermutlich gingen die Neuerungen den amerikanischen Akademien jedoch noch nicht weit genug; zumindest wurde die Ernennung des Werkes zur ersten offiziellen Akademie-Grammatik nach 1931 durch ihren Widerstand verhindert (cf. Tacke 2011). Im Nachgang an den bereits erwähnten Sammelband Clynes (1992c) rückt das Konzept der Plu‐ rizentrik verstärkt in den Mittelpunkt sprachwissenschaftlicher Diskussionen und bereichert dort insbesondere auch die Debatte um Einheit oder Vielfalt des Spanischen um einen neuen Blickwinkel. Spätestens ab Beginn des 21. Jahrhun‐ derts kann die Plurizentrik des Spanischen als weitgehend anerkannt gelten, wenn auch ihre genaue Ausgestaltung Gegenstand fortdauernder Diskussionen bleibt. 21 So versteht Bierbach (2000) die Herausbildung einer plurizentrischen Sprachsituation im Spanischen als einen Prozess, der zwar schon recht weit fortgeschritten, jedoch noch nicht abgeschlossen ist. Insbesondere mit Blick auf Argentinien sieht die Autorin viele der angelegten Kriterien für die Herausbil‐ dung einer alternativen standardsprachlichen Referenznorm erfüllt (divergie‐ rende Varianten, positive sprachliche Autoevaluation, große Reichweite der Va‐ rietät). Aus ihrer Argumentation lässt sich jedoch an verschiedenen Stellen entnehmen, dass weniger die Existenz unterschiedlicher Standardvarietäten an‐ gezweifelt wird, als dass die Autorin vielmehr das Konzept einer asymmetri‐ schen Plurizentrik ablehnt (cf. Bierbach 2000: 159-160). Viele der von ihr vor‐ gebrachten Kritikpunkte können in der Zwischenzeit jedoch ohnehin als überholt gelten, beispielsweise die Inexistenz hispanoamerikanischer Kodizes und der damals noch exonormative Charakter von Akademiegrammatik und -wörterbuch, der durch die Gemeinschaftsproduktionen von ASALE und RAE und den angesprochenen Paradigmenwechsel in dieser Form sicherlich nicht mehr vorliegt (cf. Amorós Negre 2012). Wulf Oesterreicher (2000) postuliert die Koexistenz von mindestens vier Standardvarietäten: Neben der kastilischen Standardvarietät nennt der Autor drei sich konsolidierende, großflächige Regi‐ 160 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="161"?> 22 Die Begriffe Polyzentrik und Plurizentrik nehmen Bezug auf dasselbe Phänomen und werden meist als Synonyme verstanden, die sich lediglich hinsichtlich ihrer morpho‐ onalstandards in Hispanoamerika; nämlich „Mexiko, Buenos Aires mit den La-Plata-Staaten und ein Spanisch der Andenstaaten“ (ibid.: 310). So fortschritt‐ lich die genaue Benennung hispanoamerikanischer Standardareale auch ist, so bleiben mit Blick auf deren Auswahl einige Dinge ungeklärt. Die Methodik Oes‐ terreichers, „phänomenbezogen […] von kleinräumig-nationalen Gebieten“ (ibid.: 308) ausgehend, gültige Standardformen zu beschreiben und so deren ex‐ akte Verbreitung zu analysieren - ist grundsätzlich sicherlich ein guter Ansatz. Allerdings bleibt unklar, wie die genaue Ausdehnung der Großzonen untersucht wird und wie das Konzept der Plurizentrik allgemein mit geopolitischen Ent‐ itäten verknüpft wird. Denn die Konzeption ist weder rein nationenbezogen, da etwa Buenos Aires als normatives Zentrum integriert ist und ein supranatio‐ naler ʻAndenstandardʼ angenommen wird, noch handelt es sich um ein pluria‐ reales Modell, da doch in allen Fällen auf Nationalstaaten verwiesen wird. Im Hinblick auf das ‘Spanisch’ der Andenstaaten stellt sich zudem die Frage, wie einem derart heterogenen Sprachgebiet mit divergierenden sprachlichen Normen, vor allem zwischen dem Inland und den Küstengebieten, Rechnung getragen werden kann (cf. Thompson 1992, Álvarez / Chumaceiro 2014). Der zuvor erwähnte und wenige Jahre später von Luis Fernando Lara (2004: 96) vor‐ gebrachte Vorschlag fasst die Plurizentrik des Spanischen als ein Konstrukt, dass aus mehreren hierarchisch angeordneten Normebenen besteht. Unterhalb einer geteilten Idee der Sprache (ibid.: 35-38) und allgemeinen literarischen und or‐ thografischen Normen gäbe es diesem Ansatz folgend eine Ebene, auf der di‐ verse regionale und nationale (Standard-)Normen gültig sind. Diese Referenz‐ normen würden im Sinne sprachnormativer Pole auf die unterschiedlichen Sprachgemeinschaften ausstrahlen und deren Sprachhandeln anleiten. Eine ge‐ naue Ausarbeitung dieser Vielpoligkeit wird zwar nicht vorgenommen, aller‐ dings zeigt sich verschiedentlich, dass zumindest für Mexiko und Argentinien die Gültigkeit nationaler Standardnormen angenommen wird. In der offiziellen Akademie-Grammatik von 2009, der Nueva Gramática de la Lengua Española ( NGLE ), wird die Plurizentrik offenbar ähnlich gedacht, wenn‐ gleich eine Plurizentrik zweiter Ebene nicht explizit zugestanden wird: „[…] la norma tiene hoy carácter policéntrico. La muy notable cohesión lingüística del español es compatible con el hecho de que la valoración social de algunas construc‐ ciones pueda no coincidir en áreas lingüísticas diferentes. No es posible presentar el español de un país o de una comunidad como modelo panhispánico de lengua.” (RAE / ASALE 2009: XLII) 22 161 5.4 Das Spanische auf dem Weg zur Plurizentrik <?page no="162"?> logischen Bildung unterscheiden. Heinz Kloss (²1978: 66) weist allerdings auch auf in‐ haltliche Unterschiede hin, die die Präfixe pluri- (lat. ‚mehrere‘) und poly- (gr. ‚viele‘) suggerierten. So würde eine plurizentrische Sprache „mehr als ein“ Zentrum aufweisen, eine polyzentrische (oder multizentrische) Sprache hingegen mindestens drei, also „viele“ Zentren. Wie später Ulrich Ammon (cf. 2005a: 1536) kritisiert Heinz Kloss zudem die etymologisch hybride und daher unsaubere Bildung des Terminus Polyzentrik, der ein griechisches Präfix mit einem aus dem Lateinischen entlehntem Stamm kombiniert (cf. Kloss 2 1978: 67). 23 Dabei ist die Real Academia zwar vom Sockel der Monozentrik zurückgetreten, hat aber nicht unbedingt ihre Krone abgenommen. Bei allem Fortschritt in der Bewertung der Sprachwirklichkeit innerhalb der Hispanophonie und trotz allem Fortschritts im Hin‐ blick auf die Gleichberechtigung der Akademien, ist die Real Academia immer noch als federführende Kraft zu beschreiben. Sie stellt wichtige Funktionäre der ASALE, be‐ stimmt über deren Haushalt und der Verlagsort des ersten Bandes der gemeinsamen Grammatik ist die spanische Hauptstadt Madrid (der des Zweiten: Barcelona). Die Plu‐ rizentrik des Spanischen wird also weiterhin von Spanien aus durch die Real Academia orchestriert (cf. auch Méndez García de Paredes 2014: 252). Dieser kurze Abschnitt ist das Ergebnis eines geradezu revolutionären Paradig‐ menwechsels der sprachnormativen Arbeit der Real Academia Española. Der über viele Jahrhunderte hinweg stigmatisierte, divergierende Sprachgebrauch der Varietäten Hispanoamerikas wird nun nicht mehr exonormativ bewertet und auf sprachliche Normen einer Standardvarietät bezogen, deren geografische Ausdehnung sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr mit den normativen An‐ sprüchen ihrer Institutionen deckt. Die Sprachakademie des kastilischen Hofes tritt somit vom Sockel der Monozentrik zurück und eröffnet den amerikanischen Varietäten damit die Möglichkeit auch im offiziellen Normenkanon des Spani‐ schen den Platz einzunehmen, der ihnen im tatsächlichen Sprachgebrauch be‐ reits zukommt; denjenigen vollwertiger Standardvarietäten innerhalb einer ge‐ meinsamen plurizentrischen Sprache. Dieser Wandel betrifft dabei keinesfalls ausschließlich die Prosa eines sprachnormativen Werkes, sondern hat Auswir‐ kungen auf das gesamte Normen- und Normautoritätengefüge der spanischen Sprache. Dies zeigt sich daran, dass die NGLE als erste Akademie-Grammatik nicht allein von der RAE , sondern als Gemeinschaftsprojekt mit der ASALE entwickelt und herausgegeben wurde. 23 Dennoch atmet auch die neue Grammatik an manchen Stellen noch den Geist der Vergangenheit, wie der unmittelbar darauffolgende Satz belegt: „Tiene, por el contrario, más sentido describir pormenorizadamente las numerosas estructuras que son compartidas por la mayor parte de los hispanohablantes […] y mostrar las opciones particulares que pueden proceder de alguna variante, sea del español americano o del europeo. Cuando estas opciones resultan comunes, y hasta 162 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="163"?> ejemplares, en áreas lingüísticas específicas, deben ser descritas como tales.” (RAE / ASALE 2009: XLII) Der Absatz zeigt, dass ganz im Sinne des Diskursmusters der unidad de la lengua zum einen lediglich diejenigen Strukturen in den Kanon aufgenommen werden sollen, die vom ‘größten Teil der Spanischsprecher’ verwendet werden, was die Akzeptanz kleinräumiger Standards konzeptionell erschwert. Zum anderen wird dem europäischen Standard eine idealisierte panamerikanische Varietät antithetisch gegenübergestellt, die in dieser Form nicht existiert. Dies impliziert zumindest zwei Probleme: Zum Ersten bedürfen sprachliche Formen keinesfalls einer Sprechermehrheit, um als exemplarisch gelten zu können, und zum Zweiten stellt die Annahme einer einheitlichen amerikanischen Varietät des Spanischen, trotz der Existenz einiger in Hispanoamerika generalisierter Phä‐ nomene wie etwa dem tratamiento unificado, eine ideologisch motivierte Ver‐ einfachung sprachlicher Realitäten dar. So fortschrittlich die gleichberechtigte Zusammenarbeit von ASALE und RAE und die (scheinbar) gleichberechtigte Integration distanzsprachlich gültiger Regelformen amerikanischer Varietäten (z. B. des voseo, der trotz seines ʻMinderheitenstatusʼ durchaus in der Grammatik repräsentiert ist) auch sein mögen, so verhaftet bleibt das Werk bisweilen in alten Denkmustern (cf. Tacke 2011, Méndez García de Paredes 2012). Dennoch bedeutet die plurizentrische Wende der RAE einen großen Schritt hin zu einer symmetrischeren Ausgestaltung des standardsprachlichen Normengefüges im Spanischen. Um diese Entwicklung fortzuführen, bedarf es, ganz im Sinne des Ansatzes Laras, einer detaillierteren Beschreibung der regional wirkenden Stan‐ dardvarietäten. Denn die NGLE funktioniert im Sinne einer supranationalen Sprachpolitik, die standardsprachliche Normen für die gesamte Sprachgemein‐ schaft definiert, ohne aber die regionalen Standardvarietäten genauer zu be‐ schreiben. Sie integriert zwar auch regional etablierte Varianten, wie etwa den voseo oder den loísmo, allerdings werden nicht unbedingt alle Phänomene im vollem Umfang erfasst und wissenschaftliche Debatten diesbezüglich bewusst ausgeblendet (cf. RAE / ASALE 2009: XLIII ). Es bedarf daher weiterer sprach‐ wissenschaftlicher Untersuchungen, die in die Sprachgemeinschaften ʻhinein‐ zoomenʼ, um weitere Erkenntnisse über die Standardvariation auf allen Ebenen der Sprachdynamik beizusteuern; sowohl im Bereich der Sprachproduktion als auch im Bereich der Sprachperzeption. Die Ergebnisse könnten sodann im Sinne einer Second Level Pluricentricity beschrieben und durch endonormative Sprachbeschreibungen offizialisiert werden. Die bereits erwähnten Arbeiten der WGNDV von Hernández Muñoz (2015) oder Méndez Garcia de Paredes und Amorós Negre (2016) gehen etwa in diese Richtung. 163 5.4 Das Spanische auf dem Weg zur Plurizentrik <?page no="164"?> 24 „[…] la gramática escolar argentina es impermeable a los discursos pluricéntricos vi‐ gentes desde el surgimiento de la Nueva política lingüística panhispánica y […] la razón detrás de la norma escolar es la necesidad económica de los grandes grupos en posesión de las editoriales escolares.“ (López García 2020: 95, Hervorhebung im Original). 25 Der Artikel und die darauffolgenden Diskussionen haben Fernando Alfón (2014) dazu bewogen eine durchaus tendenziöse Chronik der Debatten um die Hoheit über die spa‐ nische Sprache (soberanía lingüística) zu verfassen, die insbesondere Ereignisse des frühen 21. Jahrhunderts fokussiert. So fortschrittlich die NGLE nach über 250 Jahren sprachpuristischen Wirkens der RAE auch sein mag, sind doch weitere sprachpolitische Maßnahmen erfor‐ derlich, um die gewachsenen Hierarchien der verschiedenen Standardvarietäten tatsächlich weiter abzubauen (cf. Borrego Nieto 2013, Méndez García de Paredes 2014). Abseits der sprachnormativen Kodizes bedarf es beispielsweise einer Re‐ form der Lehrerausbildung und einer Erneuerung der didaktischen Materialien, die die plurizentrische Wende über die Bildungseinrichtungen auch in die Sprachgemeinschaften trägt (cf. López García 2017). Vor dem Hintergrund des offiziellen Umschwungs der Normierungsinstitute erscheint die Zeit günstig, die plurizentrische Wende auch dort voranzutreiben. Doch obwohl dies für das argentinische Schulsystem seit geraumer Zeit gefordert wird (cf. z. B. Donni de Mirande 1978, López García 2010), scheinen die ökonomischen Hürden und Zwänge der Lehrbuchproduktion so groß zu sein, dass eine konsequente Aus‐ richtung der didaktischen Materialien an den wissenschaftlichen Erkenntnis‐ stand zur Plurizentrik des Spanischen nach wie vor nicht in Sicht ist (cf. López García 2015b, 2020). 24 Ein erster Schritt in diese Richtung wurde hingegen un‐ längst in Mexiko getan, wo die Plurizentrik des Spanischen im Textbuch für die Sekundarstufe (Español II .) des Jahres 2018 nicht nur integriert, sondern auch explizit thematisiert wurde (cf. Díaz Aguilar et. al. 11 2018: 122 f.). Eine weitere Maßnahme - die Einrichtung ausgleichender Kulturinstitutionen als Gegenge‐ wicht zum Instituto Cervantes, die mit Nachdruck reklamiert wurde - scheint indes wieder in weite Ferne gerückt zu sein. Forderten im Jahr 2013 noch mehr als 165 Schriftsteller, Intellektuelle und Wissenschaftler, darunter auch bekannte Linguisten wie José del Valle oder Angela di Tullio, die Schaffung einer derar‐ tigen Einrichtung im Sinne der Erlangung sprachlich-kultureller Souveränität (cf. Agoff et. al. 2013) 25 , so wird die Schaffung eines internationalen Zertifikati‐ onssystems zur Feststellung von Sprachkompetenzen im Spanischen als Schritt in genau die entgegengesetzte Richtung interpretiert. Konkret geht es um die Gründung des Servicio Internacional de Evaluación de la Lengua Española ( SIELE ) durch das Instituto Cervantes sowie die Universidad Nacional Autónoma de México, die Universidad de Salamanca und die Universidad de Buenos Aires ( UBA ) im Jahr 2016. Silvina Friera (2016), eine der Unterzeichnerinnen des Auf‐ 164 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="165"?> 26 Unlängst ist unter der Ägide von Sebastian Greußlich und Franz Lebsanft (2020) ein weiterer Sammelband zur Plurizentrik des Spanischen erschienen, der neue Beiträge zur Debatte bündelt, die verschiedene Perspektiven auf das Thema eröffnen (u. a. aus den Bereichen der perzeptiven Varietätenlinguistik und der Medienlinguistik). rufs von 2013, bezeichnet diesen in einem Zeitungskommentar als einen gra‐ vierenden Eingriff in die sprachliche Selbstbestimmung Lateinamerikas, der auch den politischen und ökonomischen Interessen der Region zuwiderlaufe (cf. auch Giardinelli 2016). Die beteiligten Institutionen sehen das naturgemäß etwas anders und betonen die internationale Ausrichtung des SIELE und dessen Förderung sprachlicher Vielfalt und regionaler Varietäten (cf. SIELE 2019, Uni‐ versidad de Salamanca 2019). Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch, dass durch die Etablierung des SIELE das in Argentinien bereits bestehende Zertifi‐ kationssystem Certificado de Español: Lengua y Uso ( CELU ) ausgehebelt wurde. Dieses wurde einige Jahre zuvor vom Konsortium Español como Lengua Se‐ gunda y Extranjera ( ELSE ), einem Zusammenschluss verschiedener Universi‐ täten des Landes eingerichtet, um dem monopolistischen Zertifikationssystem des Instituto Cervantes eine Alternative gegenüberzustellen. Auf dessen Home‐ page heißt es: „Argentina cuenta con una certificación de español de validez internacional: el CELU […]. Es un certificado de dominio del español como lengua extranjera que pueden obtener todos los extranjeros cuya primera lengua no sea el español […]. El CELU es el único examen reconocido oficialmente por el Ministerio de Educación y el Ministerio de Relaciones Exteriores y Culto de la República Argentina.“ (ELSE 2020a) Die Unterschrift der UBA unter das vornehmlich vom Instituto Cervantes vo‐ rangetriebene Zertifikationssystem SIELE wirkt somit nicht nur gegen ein be‐ reits etabliertes Zertifikationssystem in Argentinien. Sie konterkariert dadurch im Grunde zudem die sprachpolitischen Bemühungen von zwei Dritteln der nationalen argentinischen Universitäten sowie des argentinischen Staates um eine Stärkung sprachlicher und sprachpolitischer Souveränität in Argentinien (cf. ELSE 2020b) - und das, obwohl die UBA selbst Mitglied des Konsortium ELSE ist. Die Ausgestaltung der Plurizentrik des Spanischen ist also weder in der the‐ oretischen Diskussion noch, wenn es um die konkrete Umsetzung sprachpoli‐ tischer Maßnahmen geht, abschließend geklärt. 26 Die mit diesem Themenkom‐ plex zusammenhängenden Problematiken und Diskussionen führen im Kern einen über Jahrhunderte hinweg geführten Disput über die Einheit und Vielfalt des Spanischen fort, der schon in der Vergangenheit in Argentinien mit beson‐ 165 5.4 Das Spanische auf dem Weg zur Plurizentrik <?page no="166"?> 27 Die Unterscheidung zwischen den Strömungen reformismo, purismo und einer posición de equilibrio entstammt Blanco (1999). derer Schärfe geführt wurde (cf. Ennis 2008) und dessen Ursprünge bis in die Kolonialzeit zurückreichen. 5.5 Die Debatte um eine argentinische (Standard-)Sprache Argentinien gilt als das amerikanische Land, in dem die Debatte um sprachliche Souveränität nach der Unabhängigkeit von Spanien am vehementesten geführt wurde (cf. Vidal de Battini 2 1966: 21, Blanco 1999). Vor allem zur Zeit des Re‐ formismo, also in den ersten Dekaden nach der Unabhängigkeit von Spanien, war eine der Hauptaufgaben des Staates, neben der Schaffung einer politischen Organisation, dessen heterogene Bürgerschaft über gemeinsame identitätsstif‐ tende Symbole und eine eigenständige Kultur zu vereinen, also eine eigenstän‐ dige ʻargentinidadʼ herauszuarbeiten. 27 Neben den klassischen Symbolen staat‐ licher Souveränität wie einer Nationalflagge, einer Hymne etc. spielt die Sprache - gerade bei Staaten, die aus einem Dekolonialisierungsprozess heraus entstanden sind - eine besondere Rolle: Fungiert die Sprache zu Kolonialzeiten als Kohäsionsmittel des gesamten Imperiums, muss sie sodann eine multifunk‐ tionale Rolle einnehmen. Im besten Fall eint sie die Bürger der neuen Staaten und wirkt gleichzeitig gegenüber den anderen Staatsnationen differenzierend, ohne dabei den großen Vorteil der uneingeschränkten gegenseitigen Verstän‐ digung in der gesamten Sprachgemeinschaft zu gefährden. Im Hinblick auf die Debatte in Argentinien werden, je nach politischer Agenda, die drei genannten Kernziele unterschiedlich stark verfolgt. Die Extremposition einer auf maximale sprachliche Differenzierung ausgerichteten Strategie besteht in der Forderung nach einer eigenen argentinischen Nationalsprache, die sich entsprechend sprachlich weiter von den anderen Varietäten des Spanischen entfernen muss und eines eigenen Normenkanons bedarf. Die entgegengesetzte Position des Erhalts der politischen, kulturellen und sprachlichen Bande zum sogenannten ʻMutterlandʼ besteht im Aufrechterhalten des status quo ante. Klassisch inter‐ mediäre Positionen, die gleichzeitig Kohäsion nach innen und Differenzierung nach außen anstreben, bestehen etwa in der Forderung der Akzeptanz regionaler Varianten bei Erhalt der sprachlichen Einheit oder in der Etablierung eines pan‐ amerikanischen Standards als Gegengewicht zum Kastilischen. 166 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="167"?> 28 Seit 1837 versammeln sich die Mitglieder in dem sogenannten ‘Salon Literario’, einem Hinterzimmer der Librería Argentina ihres Mitstreiters Marcos Sastre und gründeten dort die Asociación del Mayo. Die Jahreszahl der Generación del '37 verweist auf dieses Ereignis. 29 Was wenig überrascht, nachdem dieser bereits einige Jahre zuvor bereits für die komp‐ lette ‘Scheidung’ der Argentinier von der spanischen Sprache und Kultur plädierte. So 5.5.1 Die Epoche des reformismo Einige der wichtigsten Vertreter der separatistischen Position sind der soge‐ nannten Generación del '37 zuzuordnen (z. B. Juan Bautista Alberdi, Esteban Echeverría, Juan María Gutiérrez, Domingo Faustino Sarmiento etc.). Diese in erster Linie politische Bewegung vereinigt Politiker, Intellektuelle und Kultur‐ schaffende, die teilweise bereits an der Revolución del Mayo von 1810 beteiligt waren, die die Unabhängigkeit Argentiniens eingeläutet hat. Ziel war es, diesen Prozess der Loslösung auf politischer, aber auch auf kultureller und damit auch auf sprachlicher Ebene fortzuführen. Politisch ging es um nicht weniger, als die durch Spanien eingeführte Monarchie durch eine demokratische Staatsordnung zu ersetzen, die sich am französischen, aber auch am angelsächsischen Modell orientieren sollte. Elemente des kolonialen Erbes sollten durch originär argen‐ tinische Varianten ersetzt werden, was nicht zuletzt auch eine kulturelle und sprachliche Emanzipation von Spanien erforderlich machte. Eine für die Gene‐ ración del '37 typische Argumentation vertritt etwa Juan Bautista Alberdi in einer im Salon Sastre 28 vorgetragenen Rede: „Nuestra lengua aspira a una emancipación, porque ella no es más que una faz de la emancipación nacional, que no se completa por sola emancipación política […] El pueblo fija la lengua, como fija la ley; y en este punto ser independiente, ser soberano, es no recibir su lengua sino de sí propio.” ( Juan Bautista Alberdi, in: Lojo 2011: 93) Sicherlich nicht unbewusst verwendet der Jurist und Schriftsteller dabei das Verb fijar, das auch im Leitspruch der Real Academia Española enthalten ist. Alberdi fordert auf diese Weise nicht nur eine sprachliche Loslösung, die nicht zuletzt durch eine stärkere Annäherung an das Französische und den französi‐ schen Humanismus erfolgen soll (cf. Ennis 2008, Lojo 2011). Er begehrt gleich‐ zeitig die Rückgewinnung der sprachnormativen Deutungshoheit, die durch eine Emanzipation von der Real Academia Española auf der einen Seite und durch endonormative Normierungsanstrengungen auf der anderen Seite zu er‐ reichen sei. Aus ähnlichen Beweggründen wies ein weiteres Mitglied der Be‐ wegung, der Schriftsteller und Rektor der Universidad de Buenos Aires Juan María Gutiérrez, seine Ernennung zum académico correspondiente extrangero der RAE im Jahr 1875 zurück. 29 Es sei aufgrund der Sprachwirklichkeit in Argenti‐ 167 5.5 Die Debatte um eine argentinische (Standard-)Sprache <?page no="168"?> forderte er in der Eröffnungsrede des berühmten Salón Literario der Generación del 1837: „Nula, pues, la ciencia y la literatura españolas, debemos nosotros divorciarnos completamente con ellas, y emanciparnos a este respecto de las tradiciones peninsu‐ lares, como supimos hacerlo en política, cuando nos proclamamos libres.“ (in: Ennis 2008: 143). 30 Ein anderer Mitstreiter der Generación del '37, Juan Bautista Alberdi, akzeptierte zwar seine Nominierung, aber erhielt niemals seine Ernennungsurkunde, da sie wohl auf dem Postweg irgendwo in Argentinien verloren gegangen ist (cf. Barcia 2002: 12). 31 So übernimmt Echeverría in seinen Cartas a un amigo ganze Passagen aus den Leiden des jungen Werther, um diese sodann an die argentinische Wirklichkeit anzupassen. Dort wird aus Lotte Luisita und aus mitteldeutschen Hügeln und Wäldern werden die weiten Steppen der Pampa (cf. Myers 2010). 32 „El único legado que los americanos pueden aceptar y aceptan de buen grado de la España, porque es realmente precioso, es el del idioma; pero lo aceptan a condición de mejora, de transformación progresiva, es decir, de emancipación.” (Echeverría 1958, in: Blanco 1992: 41). nien, speziell des multilingualen Buenos Aires schlichtweg unmöglich, die Rein‐ heit und Eleganz des Kastilischen zu festigen, wie es die Statuten und die Kodizes der königlichen Akademie forderten. 30 Denn die Annahme der Ernennung im‐ pliziere die Konformität mit der katholischen und monarchischen Tradition Spaniens, die sich - so die Argumentation Gutiérrez‘ - für einen Vertreter der Intellektuellen eines laizistisch-liberalen Staates verbiete und für Südameri‐ kaner sogar ‘gefährlich’ werden könnte (Ennis 2008: 145-147). Eine eher inter‐ mediäre Position nimmt hingegen Esteban Echeverría ein, für den die argenti‐ nische Kultur nicht durch eine abrupte Loslösung von der spanischen Sprache entstehen kann, sondern aus dieser erwachsen müsse. Zu diesem Zweck integ‐ riert der Dichter Topoi mit argentinienspezifischer Relevanz (wie etwa die Wüste; cf. Kapitel 6.1.3) in seine Werke und folgt Modellen der Ästhetik, die nicht etwa im siglo de oro, sondern in der französischen Romantik oder in den Werken Goethes wurzeln (cf. Myers 2010, Lojo 2011). 31 Einen sprachlichen oder kulturellen Bruch mit Spanien lehnt Echeverría jedoch entschieden ab. Gerade auf sprachlicher Ebene akzeptiert der Autor im Gegenteil eine enge Verbindung zu Spanien als Ausgangspunkt amerikanischer Emanzipation. 32 Diese - und in diesem Punkt stimmt Echeverría mit Alberdi überein - müsse sich insbesondere auf das Recht zur sprachlichen Selbstbestimmung konzentrieren (cf. Ennis 2008: 113-114). In diesem Sinne kann Echeverría, obwohl er der Strömung des Re‐ formismo zuzurechnen ist, durchaus als Vorreiter einer erst später verstärkt verbreiteten Position angesehen werden, die eine Synthese aus sprachlicher Einheit und sprachlicher Eigenständigkeit anstrebt (cf. Blanco 1993: 337, Ka‐ pitel 5.5.4). Eine ebenfalls intermediäre Position nimmt der Politiker und Schrift‐ 168 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="169"?> 33 Gouverneur des Gran Chaco von 1878-1879, Divisionsgeneral des argentinischen Heeres und Autor. 34 Litoral bezieht sich auf die Küstenregionen, die an den Río de la Plata bzw. den Atlantik grenzen (sp. litoral ʻKüstengebiet)ʼ. In der argentinischen Dialektologie wird der Begriff traditionellerweise verwendet, um auf das Dialektareal zu verweisen, das unter dem sprachlichen Einfluss der Hauptstadt Buenos Aires steht (cf. Vidal de Battini 2 1966). steller Lucio Victor Mansilla 33 ein, der die Schaffung eines Wörterbuchs fordert, das sowohl amerikanische als auch europäische Varianten in sich vereinen solle und somit von Mexiko bis Feuerland Anwendung finden könnte (cf. Lojo 2011: 94). Obwohl das Wörterbuch offenbar lediglich für den amerikanischen Konti‐ nent gedacht war, zeugt der Wille auch typisch europäische Varianten zu in‐ tegrieren dennoch von einer eher konservativen sprachpolitischen Grundhal‐ tung. War die Zeit des Reformismo noch stark von der politischen Unabhängigkeit und der Nationenbildung geprägt und dominierten im Hinblick auf die Sprachdebatte vor allem emanzipative, segregierende Positionen, so wird die darauffolgende Epoche des Purismus vor allem durch den starken Zuzug von Einwanderern ab etwa 1880 bestimmt. Zu dieser Zeit waren bis zu 30,3 % der Gesamtbevölkerung Argentiniens (cf. Germani 1962, in: Fontanella de Weinberg 1978: 6) und zeitweise nahezu 70 % der Einwohner Buenos Airesʼ nicht in Ar‐ gentinien geboren (cf. Fontanella de Weinberg 1978: 5 sowie Kapitel 6.1.3). 5.5.2 Die Epoche des purismo Vor dem Hintergrund des starken Zuzugs nach Argentinien und der Konzent‐ ration der Zuwanderung auf die großen Städte des Litorals 34 befürchteten viele (sprach-)politische Akteure dieser Zeit, dass das Spanische in Argentinien durch den Sprachkontakt mit den Migrationssprachen so stark ʻverunreinigtʼ werden könne, dass eine Sprachspaltung zu befürchten sei; dies gilt insbesondere mit Blick auf die Hauptstadt Buenos Aires, wo viele Einwanderer der ersten Gene‐ ration des Spanischen nicht mächtig sind oder lediglich rudimentäre Kenntnisse besitzen. Selbst unter den Einwanderern derselben Nationalität kommt es bis‐ weilen zu Verständigungsproblemen; insbesondere unter den italienischen Mi‐ granten, die die zahlenmäßig stärkste Gruppe darstellen. Da die italienische Standardsprache zu dieser Zeit noch im Entstehen begriffen ist und noch keine Allgemeingültigkeit im Land erlangt hat und die Zuwanderer aus verschiedenen Dialektzonen des Landes stammen (cf. Solé 1992, Gabriel et. al. 2013a), verfügen die Einwanderer häufig über keine gemeinsame Varietät außer der noch zu er‐ lernenden Fremdsprache Spanisch. Aufgrund der fehlenden sprachlichen Kom‐ petenz sind Sprachkontaktphänomene wie Interferenzen, Entlehnungen oder 169 5.5 Die Debatte um eine argentinische (Standard-)Sprache <?page no="170"?> Codeswitching an der Tagesordnung (cf. Fontanella de Weinberg 1978: 16). Aus dieser Situation heraus entsteht auch das Cocoliche, eine Mischvarietät aus Spa‐ nisch und Italienisch, die in manchen Vierteln als Verkehrssprache etabliert war (cf. Cancellier 2001, Kailuweit 2007 sowie Kapitel 6.1.3). Vor diesem Hintergrund wird die Forderung nach einer stärkeren Orientierung des mündlichen wie schriftlichen Sprachgebrauch an der bewährten kastilischen Standardvarietät laut, um dem divergenten Sprachgebrauchs Einhalt zu gebieten. Dieser Strömung gehört der Schriftsteller und spätere Rektor der Universidad de Buenos Aires Ricardo Rojas an, der die zunehmende ‘Verunreinigung’ der Sprache auf die ungebildeten ‘Einwandererhorden’ zurückführt, die nach Ar‐ gentinien kämen: "La corrupción babélica de una lengua es cosa muy distinta de los cambios inherentes a su propia evolución vital. […] lo que pasa entre nosotros, por influjo de la horda cosmopolita en su mayoría analfabeta, es la deformación de las palabras castizas, el abuso del extranjerismo, estridente, el empleo absurdo de las preposiciones, la intro‐ ducción de sonidos extraños a la música de nuestra lengua." (Ricardo Rojas 1909, in: Glozman / Lauria 2012: 39) Die Lösung dieses Problem besteht Ricardo Rojas zufolge darin, dass die Spani‐ schlehrkräfte der Grundschule, ein von migrationsbedingten Verunreinigungen („corrupción cosmopólita“) befreites Spanisch lehren sollten (cf. ibid.). In der Praxis würde dies freilich eine Rückbesinnung auf die Normen der Real Aca‐ demia Española bedeuten, die dann auch in der mündlichen Unterweisung der argentinischen Schüler angewandt werden müssten. Weitere Autoren, die dem Purismus zuzuordnen sind, sind beispielsweise der Schriftsteller Arturo Capde‐ vila, der Direktor der Biblioteca Nacional de Buenos Aires Paul Groussac oder Ernesto Quesada, académico correspondiente extrangero der RAE (cf. Blanco 1993: 336). 5.5.3 Versuche der Etablierung eines argentinischen Sprachnormierungsinstituts Die Diskussion um die ʻReinheit der Spracheʼ führte auch zu einer Debatte um die Notwendigkeit der Einrichtung einer eigenen sprachnormativen Infrastruktur, insbesondere da Argentinien im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der His‐ panophonie zur Wende zum 20. Jahrhundert noch keine eigene Sprachakademie besaß, obwohl die Real Academia Española bereits 1870 zu entsprechenden Gründungen in den hispanoamerikanischen Staaten aufgerufen hatte (cf. RAE 1927). Allein, dieser Vorschlag stieß in Argentinien auf wenig Gegenliebe; ganz 170 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="171"?> im Gegenteil. Einige Intellektuelle aus dem Umfeld der Generación del '37 nahmen den Aufruf zum Anlass tatsächlich eine Akademie zu gründen, die allerdings nicht im Sinne der Real Academia als academia correspondiente arbeitete, sondern einer ganz eigenen Agenda folgte. So verfolgte die bereits erwähnte Academia Argen‐ tina de Ciencias y Letras (gegr. 1873) vielmehr das Ziel, die nationale argentini‐ sche Kultur zu fördern, sie aus verschiedenen Disziplinen heraus zu beleuchten und ihr nach außen hin mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Notwendiger Teil dieses Ansatzes war nicht zuletzt auch die kulturelle Emanzipation von Spanien zur Schaffung einer eigenständigen Nationalidentität. Stellte die Academia Argentina de Ciencias y Letras in diesem Sinne zwar in der Tat ein Gegengewicht zur Real Academia Española dar, so bedeutet dies nicht, dass diese das Ziel verfolgte, die sprachnormative Deutungshoheit im Land zu übernehmen und regulativ auf den Sprachgebrauch einzuwirken (cf. Glozman / Lauria 2012, Lauria 2012). Ihr Wirken war stattdessen eher auf die Beschreibung des Sprachgebrauchs in Argentinien hin ausgerichtet, im Gegensatz zu den übrigen Sprachakademien jedoch nicht zum Zwecke der Meldung von Besonderheiten an die Königliche Akademie Spaniens. Ihr wichtigstes Projekt, die Erstellung eines eigenständige Wörterbuchs zur Be‐ schreibung der Lexik in Argentinien, wurde vielmehr verfolgt, um Literaten als Referenzwerk zu dienen und somit die Entwicklung eines genuin-argentinischen literarischen Kanons zu unterstützen. Im Zentrum des Interesses standen dabei insbesondere diejenigen lexikalischen Elemente, die mit der kreolischen Kultur zusammenhingen (cf. Glozman / Lauria 2012: 16-17). Bereits nach nur sechs Jahren wurden das Wirken der Akademie und damit auch die Arbeit am Wörterbuch, das bis dahin bereits über 4 000 Wörter und etwa 500 idiomatische Wendungen ent‐ hielt, jedoch wieder eingestellt (cf. Barcia 2002: 10-11). Der Vorschlag der RAE , amerikanische Sprachakademien zu errichten, sollte jedoch nur wenig später eine erneute Polemik in Argentinien auslösen. Im Jahr 1899 antwortete der Arzt Juan Antonio Argerich mit einem bissigen Beitrag für die Zeitung La Nación auf eine öffentliche Befürwortung dieser Initiative durch den Dichter Rafael Obligado (einem Gründungsmitglied der Akademie von 1873) in der Tageszeitung La Prensa: Die Gründung einer Filiale der RAE in Argentinien - so Argerich - würde nationales Hoheitsrecht aushöhlen und zu einer Art Vasallenverhältnis führen. Stattdessen sollte in Argentinien eine unabhängige Sprachakademie gegründet werden, die mit der Ausarbeitung eines eigenen Wörterbuches betraut werden sollte (cf. Barcia 2002, Glozman / Lauria 2012). Dass diese Kontroverse über die beiden größten Tageszeitungen Argentiniens ausgetragen wurde, zeigt zum einen die Reichweite der Thematik und lässt zum anderen Rückschlüsse auf das öffent‐ 171 5.5 Die Debatte um eine argentinische (Standard-)Sprache <?page no="172"?> 35 Die akzentuierte Bedeutung der Tageszeitungen in derartigen Debatten beschreibt Juan Antonio Ennis in einem unlängst erschienen Beitrag (2020). So sei die argentinische Ta‐ gespresse des späten 19. Jahrhunderts nicht nur als öffentlicher Raum insbesondere poli‐ tischer, aber auch sprachideologischer Debatten zu denken, vielmehr trete jede Tageszei‐ tung - neben ihrer Rolle als Informationsmedium - auch als politischer Akteur in Erscheinung (ibid. 121). 36 “Es curioso verificar la casi inexistencia de menciones a la creación y a los proyectos de la Academia en la prensa local y en las revistas culturales del medio argentino. […] Su vida se diluir á [sic] con el andar del tiempo, hasta el punto de que ninguna referencia a ella existe en investigaciones y panoramas sobre labores de su campo.” (ibid.). liche Interesse an den Diskussionen um die Sprache in Argentinien zu. 35 Später unternommene Versuche zur Gründung einer argentinischen Akademie waren zunächst nicht erfolgreich und auch die, auf das persönliche Bestreben der In‐ fantin Isabella von Spanien hin im Zuge der 100-Jahr-Feier Argentiniens (1910) gegründete Academia Argentina de la Lengua, Correspondiente de la Real hatte nur wenige Jahre bestand. Ihre Hauptaufgabe sollte die Erstellung eines Diccio‐ nario de Argentinismos sein. Im Gegensatz zu den lexikografischen Bestrebungen der ersten Akademie kann dieses Vorhaben jedoch keineswegs als ein Projekt gesehen werden, das generisch argentinische Varianten positiv besetzen und Au‐ toren als Nachschlagewerk dienen sollte. Im Gegenteil handelt es sich um einen klar eurozentrischen Ansatz, der die ʻAbsonderlichkeitenʼ des amerikanischen bzw. argentinischen Sprachgebrauchs im Vergleich zum kastilischen Standard dokumentieren sollte. Allerdings stieß die Arbeit der Academia Argentina de la Lengua insgesamt auf derart geringes Interesse, dass bis heute nicht einmal das offizielle Datum ihrer Auflösung überliefert ist (cf. Barcia 2002: 18-19). 36 Im Jahr 1931 wurde schließlich die bis heute bestehende Academia Argentina de Letras ( AAL ) auf Initiative des damaligen argentinischen Präsidenten José Félix Uriburu als academia asociada gegründet. Sie blieb damit zwar satzungs‐ mäßig unabhängig von der Real Academia Española, ihre Hauptaufgabe bestand allerdings über lange Zeit lediglich darin, dieser bei der Aktualisierung ihrer offiziellen Wörterbücher und -grammatiken zuzuarbeiten; die eigenständige endonormative Arbeit wurde erst mit Beginn des 21. Jahrhunderts intensiviert (cf. Glozman 2012, sowie Kapitel 5.5.4). 5.5.4 Das ‘argentinische Spanisch’ im Zeitalter der Plurizentrik Das 20. Jahrhundert ist in Argentinien - wie auch in der übrigen Hispanophonie bzw. in der hispanistischen Linguistik - von einer grundsätzlichen Tendenz zur Synthetisierung von Reformismo und Purismo geprägt. Aus den bisher zumeist konträr vertretenen Polen der variedad, im Sinne der Forderung der Akzeptanz 172 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="173"?> 37 Ein weiteres Zitat, dass diese Agenda Borges belegt, bietet Fontanella de Weinberg: „Nosotros quisiéramos un español dócil y venturoso, que se llevara bien con la apasi‐ onada condición de nuestros ponientes y con la infinitud de dulzura de nuestros barrios y con el poderío de nuestros veranos y nuestras lluvias y con nuestra pública fe” (Borges 1928; in: Fontanella de Weinberg 1992c: 65). 38 Derartige Gegensätze können als ein Grund für die Entstehung ambivalenter Sprach‐ einstellungen der Argentinier zu ihren regionalen Varietäten angeführt werden (cf. Kapitel 3.1.3). verschiedener unabhängiger (Standard-)Varietäten, und der unidad, im Sinne einer zumeist eurozentrischen Monozentrik, erwächst der Leitspruch der vari‐ edad en la unidad. Mehr und mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass eine multipolare oder plurizentrische Interpretation der Sprachwirklichkeit des Spa‐ nischen mit der Idee einer von allen Sprechern geteilten Sprache durchaus ver‐ einbar ist. Wie gezeigt wird, ist diese Sichtweise im 21. Jahrhundert sogar aka‐ demiefähig. Ein wichtiger Bestandteil dieser Entwicklung ist, vor allem aus sprachpolitischer Perspektivierung, die Kodifizierung oder integrale Deskrip‐ tion der regionalen Varietäten. Ein bedeutsamer Vertreter der synthetisierenden Position in Argentinien ist der bekannte Schriftsteller Jorge Luis Borges, der zugespitzt auf eine rhetorische Frage formuliert: „Qué zanja insuperable hay entre el español de los españoles y el de nuestra conver‐ sación argentina? Yo les respondo que ninguna venturosamente para la entendibilidad general de nuestro decir. Un matiz de diferenciación sí lo hay: matiz que es lo bastante nítido para que en él oigamos la patria“ (Borges 1928; in: Blanco 1993: 338). Mit dieser Nuance (matiz) meint Borges die regionalen argentinischen Vari‐ anten, die der Schriftsteller über positive Assoziationen und die Verknüpfung mit identitätsstiftenden Entitäten aufzuwerten versucht. 37 Im vorliegenden Fall funktioniert dies über den positiv aufgeladenen Begriff der patria, der die regi‐ onalen, differenzierenden sprachlichen Merkmale in letzter Instanz mit der Na‐ tion verknüpft. Durch das Prestige, das dem bekannten Literaten selbst zu‐ kommt, und seiner doppelten Rolle als Sprachexperte und Modellschreiber, trägt er selbst zur Aufwertung der regionalen Varietät bei, ohne dabei konkrete sprachpolitische Maßnahmen zu deren Kodifizierung einzufordern. Die regio‐ nalen Varianten stellen, wie Borges im selben Atemzug expliziert, gemessen an der Anzahl von allen Sprechern geteilten Elementen, indes keinerlei Gefährdung für die gegenseitige panhispanische Verständigung dar; selbst dann nicht, wenn sie von der Real Academia Española oder ihr nahestehenden Autoren als abusos, vicios oder später als argentinismos bezeichnet werden (cf. Kapitel 5.4). 38 173 5.5 Die Debatte um eine argentinische (Standard-)Sprache <?page no="174"?> Erste handfeste Initiativen zur Fixierung eines ‘argentinischen Spanisch’ lassen sich jedoch bereits zu Beginn des 20. Jahrhundert beobachten, wenn auch ihre Bedeutung vor dem Hintergrund der hegemonialen sprachnormativen Do‐ minanz der RAE sicherlich relativiert werden muss. Insbesondere dem Werk von Lucien Abeille, Idioma Nacional de los Argentinos, aus dem Jahre 1900 wird eine große Bedeutung zugesprochen. Zwar wird dieses kontrovers diskutiert, da es von Rassentheorie durchsetzt ist und als wissenschaftlich ungenau gilt; für die Entwicklung der Debatte über das Spanische in Argentinien ist es jedoch umso wichtiger, da darin einige regional oder national verbreitete Varianten bereits als gültige Regelformen identifiziert werden (cf. Ennis 2008: 162-179). So wird etwa der zu dieser Zeit von der RAE als vicio beschriebene yeísmo re‐ hilado als regional verbreitete Variante gesehen, die nach und nach auch in for‐ male Register (lengua literaria) Einzug hält. Ebenfalls im Gegensatz zur Real Academia wird auch die Verwendung des voseo als legitim angesehen, obgleich sie im Gegensatz zum yeísmo rehilado nicht dem literarischen, sondern dem familiären Register zugeordnet wird (cf. Ennis 2008: 178). In diesem Sinne finden sich im Werk Abeilles, bei aller Kritik, bereits Hinweise auf eine Standardisie‐ rung bestimmter Varianten. Die Gründung des sprachwissenschaftlichen Instituts der Universidad de Bu‐ enos Aires (1922) stellt einen weiteren Meilenstein der endozentrischen Normie‐ rungsanstrengungen dar (cf. Blanco 1999, Glozman / Lauria 2012). Das Institut verfolgte nicht nur das Ziel, die Beschreibung lokaler und regionaler Varietäten und Varianten des Spanischen in Argentinien zu intensivieren, sondern auch aktiv Einfluss auf die Sprach- und Bildungspolitik des Landes zu nehmen (Degi‐ ovanni/ Toscano y García 2010: 194-195). Mit Nachdruck verfolgt wurden diese Ziele jedoch erst unter der Leitung von Amado Alonso, der das Institut am längsten als Direktor leitete (1927-1946) und - im Gegensatz zu seinem Vor‐ gänger Américo Castro - Forschungsthemen wie die argentinische Dialektologie tatsächlich ins Curriculum integrierte. Neben seiner Arbeit als Institutsvorstand und Philologe übte Alonso auch außerhalb der Universität in seiner Funktion als Verleger und Herausgeber mehrerer sprachwissenschaftlicher Reihen einen maß‐ geblichen Einfluss auf die wissenschaftliche Beschreibung des Spanischen in Ar‐ gentinien und den Status seiner regionalen Varietäten aus (cf. Degiovanni/ Tos‐ cano y García 2010, Sesnich 2019). Ab den 1960er Jahren nimmt die Anzahl wissenschaftlicher Arbeiten zum regionalen Sprachgebrauch in Argentinien auch an anderen Universitäten merklich zu (cf. Vidal de Battini 2 1966, Donni de Mi‐ rande 1978, Fontanella de Weinberg 1992b). Dazu zählen sowohl Beschreibungen unterschiedlicher diasystematischer Varietäten, aber auch Reflexionen über deren jeweiligen Status im Normengefüge (insbesondere mit Blick auf den standard‐ 174 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="175"?> 39 Gallardo selbst hatte den Forschungen zur impliziten Normierung des Spanischen durch einen recht bissigen Kommentar in Richtung RAE sicherlich neuen Schwung verliehen: „Hay que recalcar que la noción de corrección gramatical no se refiere aquí al conjunto de normas por lo general conservadoras y poco realistas de nuestra gramática tradi‐ cional, sino al conjunto de obligaciones y restricciones que operan de hecho en una co‐ munidad lingüística y que dependen en cada caso de los modelos de uso cuya codifica‐ ción los hablantes aceptan como válida.” (Gallardo 1978: 98). nahen Sprachgebrauch, die sogenannte habla culta). Vergleichsweise früh werden dabei auch Beiträge aufgegriffen und nutzbar gemacht, die für die Entwicklung des Konzepts der Plurizentrik im Allgemeinen, aber auch speziell hinsichtlich dessen Diskussion im Bereich der Hispanistik von großer Bedeutung sind. Bei‐ spielsweise der Beitrag Stewarts (1968), der die Idee einer plurizentrischen Stan‐ dardisierung entwickelte, oder die Kriterien für Standardsprachlichkeit nach Gal‐ lardo (1978). So wird, diese Arbeiten aufgreifend, in verschiedenen Artikeln der Status argentinischer Varietäten unabhängig von deren Repräsentation in den offiziellen Kodizes der RAE diskutiert und der Grad der Fixierung regionaler Merkmale im Sprachgebrauch gebildeter Sprecher und in Situationen kommuni‐ kativer Distanz untersucht; im Zentrum des Interesses steht in diesem Zusam‐ menhang insbesondere die prestigeträchtige Varietät Buenos Airesʼ, deren Stan‐ dardisierung - trotz fehlender expliziter Kodifizierung - bis Ende des 20. Jahrhunderts als abgeschlossen gilt. 39 So weist etwa Fontanella de Weinberg (1992b: 429) in ihrem Aufsatz „La estandarización del español bonaerense“ die Gültigkeit verschiedener klassischer Standardkriterien nach und plädiert für die Akzeptanz einer plurizentrischen Standardisierung dieser Varietät. Für diese Ein‐ schätzung auschlaggebend sind die dem zitierten Aufsatz Gallardos (1978) ent‐ stammenden Charakteristika einer regional-historischen Verankerung, des Aus‐ baus sowie zentrale Funktionen von Standardsprachen, die durch die Varietät geleistet würden, nämlich die Referenzfunktion, sowie des Prestiges und der In‐ tegration (cf. Kapitel 3.2.2). In einem anderen Artikel desselben Jahres („Una va‐ riedad lingüística en busca de su propia identidad: el español bonaerense a lo largo del siglo XX “) prüft die Autorin (1992c) zusätzlich die identitätsstiftende Funk‐ tion der Varietät. Sie verfolgt dabei mit der Präsentation ausgewählter Zitate ver‐ schiedener Akteure des 20. Jahrhunderts eine klare und explizit dargelegte Agenda: „[…] me propongo […] mostrar cómo a lo largo del siglo XX el español bonaerense ha ido buscando una identidad propia, en lo que constituye inequívo‐ camente un proceso de estandarización policéntrica” (ibid.: 64). Als besonders emblematisch kann in diesem Zusammenhang das Zitat der Schriftstellerin María Esther de Miguel gelten, die sich in einem Kommentar in der Tageszeitung La 175 5.5 Die Debatte um eine argentinische (Standard-)Sprache <?page no="176"?> Nación kritisch über ein von einem Verlag in Quilmes publiziertes Buch äußert, das von einer Fremdsprache ins Spanische übersetzt worden ist: „La traducción es buena; por cierto con los inevitables españolismos. Pero no se puede dejar de señalar una desgraciada expresión, para colmo repetida: 'hijo de la primera cama'. ¿Es posible que en una edición impresa en Quilmes[Localidad del gran Buenos Aires] no se la haya podido sustituir por la correcta entre nosotros: 'hijo del primer matrimonio'? (La Nación, 7-IV-1991)” (Fontanella de Weinberg 1992c: 73; Hervorhe‐ bungen im Original). Besonders interessant ist die Verwendung des Begriffs españolismos. Hier wird die typischerweise von der RAE verwendete -ismo-Attribuierung zur Kenn‐ zeichnung abnormer regionaler Sprachverwendung in umgekehrter Richtung angewandt. Als normkonträr gegenüber der eigenen Varietät wird in diesem Fall die europäische Variante empfunden. Für eine derartige Betrachtungsweise ist die Existenz einer eigenen Referenznorm unabdingbar, vor deren Hinter‐ grund die abweichende Sprachverwendung als salient erscheint. Dieses Zitat kann entsprechend nicht nur als Indiz für die Standardisierung des Spanischen Buenos Airesʼ gelten, es zeigt auch, dass die ehemals kategorisch gültige kasti‐ lische Norm im vorliegenden Fall keine Anwendung mehr findet (españolismo, la correcta entre nosotros). Stattdessen wird eine klare Grenze zwischen der ei‐ genen Sprechergruppe (nosotros) und ʻden Anderenʼ etabliert, die in der Tat als Indiz für die Existenz einer plurizentrischen Standardisierung des Bonaerense gelesen werden kann. Die Academia Argentina de Letras spielt im Hinblick auf die endonormative Standardisierung im 20. Jahrhundert eine untergeordnete Rolle, wenn auch die fortschreitende Fixierung der Referenznorm im Sprachgebrauch durchaus in ihrem offiziellen Mitteilungsorgan, dem Boletín de la Academia Argentina de Letras ( BAAL ), festgehalten wird: „En la Argentina, los hablantes cultos generalmente aceptan el voseo, el seseo, el yeísmo y ciertos debilitamientos articulatorios; todos rasgos de antigua data nacional ( J. C.Ghiano, BAAL, XLV, 1980: 199 y 202)” (Blanco 1994: 114). In diesen Sinne ist für das Spanische in Argentinien eine implizite Kodifizierung (cf. Garatea Grau 2006, Rivarola 2008) anzusetzen, die erst spät durch RAE und AAL teilweise offizialisiert wurde. Die meisten deskriptiven Kodizes, die die argentinische Sprachakademie bis heute herausgegeben hat, sind jedoch erst im 21. Jahrhundert und somit nach der plurizentrischen Wende der RAE ent‐ standen. Somit lässt sich ein Zusammenhang zwischen der liberaleren Sprach‐ 176 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="177"?> 40 Oesterreicher prognostiziert diese Konsolidierung bereits in einem Beitrag, der zur Jahrhundertwende und damit noch vor der offiziellen Anerkennung der Plurizentrik durch die RAE veröffentlicht wurde (Oesterreicher 2000: 310). Letztere dürfte diese Entwicklung weiter stabilisieren. 41 Mechthild Bierbach (2000: 163-164) sieht die Frage nach einer möglichen Plurizentrik des Spanischen grundsätzlich kritisch. Sie beschreibt Argentinien als ein Land, in dem verschiedene Kriterien für eine plurizentrische Sprachsituation als erfüllt gelten können, ohne dass sich jedoch „symbolische Repräsentationen“ (ibid. 163) entwickelt hätten. Wie die Autorin später expliziert, ist damit weniger eine identitätsstiftende Re‐ ferenznorm als vielmehr das Fehlen endozentrischer sprachnormative Kodizes gemeint, die in der Tat erst nach Erscheinen des Artikels in zunehmenden Maße entstehen. politik der RAE und den zunehmenden Kodifizierungsanstrengungen der AAL herstellen. War die Plurizentrik des Spanischen Anfang dieses Jahrhunderts noch um‐ stritten, so dürfte sie seit der beschriebenen offiziellen Anerkennung durch die RAE als weitgehend akzeptiert gelten. Der Grad ihrer internen Symmetrie bzw. Asymmetrie hingegen bleibt Gegenstand fortdauernder Diskussionen, aller‐ dings darf aufgrund der beschriebenen Entwicklung eine fortschreitende Ak‐ zeptanz und Konsolidierung der anerkannten Standardvarietäten erwartet werden. 40 Unklar bleibt jedoch weiterhin der tatsächliche Geltungsbereich der Regionalstandards sowie die Frage, an welcher Referenznorm sich diejenigen Regionen Hispanoamerikas orientieren, die nicht von einer regionalen Stan‐ dardvarietät überdacht werden. Argentinien galt in dieser Hinsicht bereits ver‐ gleichsweise früh als ein Land, in dem sich eine regionale Standardvarietät ent‐ wickelt habe (cf. z. B.: Fontanella de Weinberg 1983, Blanco 1992, Thompson 1992) oder in dem zumindest einige der Kriterien für eine plurizentrische Sprachsituation als erfüllt gelten können (cf. Bierbach 2000). 41 In der Regel wird Buenos Aires als Zentrum angegeben, von dem aus die Standardvarietät in das gesamte Land oder gar darüber hinaus ausstrahlt (Thompson 1992, Fontanella de Weinberg 1992b, Fontanella de Weinberg 1995, Oesterreicher 2000), wobei die tatsächliche geografische Ausdehnung der Varietät häufig über politische Entitäten präsupponiert und nicht aus empirischen Daten abgeleitet wird. Von den genannten Arbeiten untersucht lediglich Fontanella de Weinberg (1995) die tatsächliche Verbreitung der Varietät im Staatsgebiet. Die Autorin sieht in Buenos Aires das unumstrittene Irradiationszentrum, das die Sprachverwendung in ganz Argentinien beeinflusst und führt als Nachweis die Entwicklung des yeísmo rehilado an, der im 18. Jahrhundert noch ausschließlich für die Region Buenos Aires belegt war und, mit expliziter Ausnahme Santiago del Esteros, bis Ende des 20. Jahrhunderts in den urbanen Zentren aller Dialektareale des Landes Verbreitung gefunden habe. Allerdings wird nicht immer klar, ob sie darin eine 177 5.5 Die Debatte um eine argentinische (Standard-)Sprache <?page no="178"?> Annäherung regionaler Normen an die Standardvarietät der Hauptstadt oder eine zunehmende Ausdehnung eines konsistenten Standards ins Inland hinein sieht. Ein Beispiel: In Misiones lässt sich - auch in intendierter Standardver‐ wendung und in distanzsprachlichen Kommunikationssituationen - nach wie vor die Beibehaltung der phonematischen Opposition zwischen dem palatalen Lateral / ʎ/ und dem postalveolaren Frikativ / ʒ/ beobachten (cf. Viva Misiones 2017). Das rehilamiento ist also in dieser Provinz durchaus verbreitet, allerdings liegt im Gegensatz zur Varietät Buenos Airesʼ keine Neutralisierung dieser Op‐ position, und damit kein yeísmo vor (cf. z. B. Donni de Mirande 1985, Lipski 1994). Die Verbreitung des rehilamiento allein ist hingegen nicht als Indiz für die Gültigkeit der Standardvarietät in dieser Region zu werten, kann aber durchaus als Sprachkontaktphänomen der regionalen Varietät mit der Standardvarietät der Hauptstadt interpretiert werden. Ob die Sprecher sich aber tatsächlich an der Referenznorm Buenos Airesʼ orientieren und ggf. sogar eine Verbreitung des yeísmo auch in diese Regionen prognostiziert werden kann, bedarf einer er‐ neuten Prüfung anhand aktueller perzeptiver und phonetischer Daten. Für die Provinz Santiago del Estero, für die eine recht ähnliche Variantenkonstellation wie diejenige in Misiones beschrieben wurde, liefern die nachfolgend präsen‐ tierten Analysen der vorliegende Untersuchung neue Erkenntnisse. Im vorhergehenden Abschnitt zur Sprachgeschichte wurde gezeigt, wie sich das Spanische im Laufe mehrerer Jahrhunderte von einer eindeutig monozent‐ rischen zu einer plurizentrischen Sprache entwickelt hat. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass heutzutage nicht nur verschiedene Standardvarietäten koexis‐ tieren, sondern die Plurizentrik auch von sprachnormativen Akteuren und In‐ stitutionen offiziell anerkannt ist. Daraus folgt allerdings nicht, dass allen be‐ teiligten (Standard-)Varietäten derselbe Status zuteilwürde. Tatsächlich haben, neben weiteren kulturhistorischen Gründen, insbesondere das Jahrhunderte überdauernde sprachnormative Monopol der spanischen Sprachakademie, die institutionelle Stigmatisierung regional gültiger Regelformen sowie eine immer noch nachwirkende hegemoniale Sprach- und Kulturpolitik Spaniens zu einer asymmetrischen Plurizentrik geführt, in der dem kastilischen Standard bzw. - mit Blick auf die Normierungsinstitute - der Real Academia Española (cf. Greußlich 2015) - bei allem Fortschritt nach wie vor ein besonderer Status zu‐ kommt (cf. Méndez García de Paredes 2014). Es bedarf einer Vielzahl weiterer empirischer Studien, um die Fragen zu klären, welche weiteren Varietäten als Standardvarietäten des Spanischen gelten können, welche Ausdehnung ihnen zu kommt etc. 178 5 Weltsprache Spanisch: unidad, variedad, pluricentrismo <?page no="179"?> 1 Die genannten Regionen sind dabei lediglich eine mögliche Auswahl. Die angelegten Kriterien hätten auch die Auswahl anderer Regionen möglich gemacht, beispielsweise Misiones oder Corrientes, die einen relativ starken Einfluss des Guaraní und des Por‐ tugiesischen aufweisen. Allerdings wird diesen Regionen nicht dieselbe dialektale Ei‐ genständigkeit zugeschrieben, wie Santiago del Estero und auch nicht dieselbe starke 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob im Spanischen in Argentinien die Existenz eines Aussprachestandards nachgewiesen werden kann und falls ja, ob dieser zusätzlich regionalen Varianzphänomenen unterworfen ist oder gar verschiedene Standardaussprachen koexistieren. Die Untersuchung wurde in zwei Analyseschritten durchgeführt. Der erste Schritt, die phonetische Analyse, beobachtet die Produktionsseite der Sprache: Wie wird in verschiedenen Re‐ gionen Argentiniens gesprochen und lassen sich interregionale Unterschiede hinsichtlich der Aussprache in Situationen kommunikativer Distanz feststellen? In einem zweiten Schritt - der perzeptiven Analyse - wird daraufhin untersucht, ob etwaige Divergenzen in der Aussprache hörerseitig unterschiedlich beurteilt werden. Der Fokus liegt hier auf der Perzeption im Sinne einer evaluativen Wahrnehmung der gesprochenen Sprache: Wie wird die Aussprache von an‐ deren Sprechern bewertet? Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden - vor dem Hintergrund des zu erwartenden Analyseumfangs und des vorgege‐ benen Rahmens - nicht alle Regionen des argentinischen Staatsgebietes unter‐ sucht. Stattdessen wurde eine Auswahl getroffen, die auf Basis unterschiedlicher Indikatoren besonders interessante Ergebnisse erwartbar werden ließ: Die Aus‐ wahl der Regionen Buenos Aires, Córdoba und Santiago del Estero erfolgte im Wesentlichen nach zwei Kriterien: Zum einen mussten die Varietäten der Re‐ gionen einen genügend großen sprachlichen Abstand auf lautlicher Ebene auf‐ weisen, sich zum anderen aber auch durch außersprachliche, etwa historisch bedingte, kulturelle und politische Unterschiede auszeichnen, die eine diver‐ gierende und differenzierende Identitätsbildung erwartbar machten. Auf dieser Basis könnten regionalen Varianten als wichtige Identitätsträger mit nach außen hin separierender, nach innen hin integrierender Wirkung fungieren und somit als Basis einer eigenen Standardvarietät dienen. Zur Überprüfung dieser Krite‐ rien wurden Arbeiten zur externen und internen Sprachgeschichte des Spani‐ schen in Argentinien sowie zur dialektalen Gliederung des Landes herange‐ zogen. 1 <?page no="180"?> regionale Identitätswahrung wie sie für Córdoba beschrieben wird (cf. die nachfol‐ genden Kapitel 6.1 und Kapitel 6.2). Abb. 7 Politische Karte Argentiniens (Hogweard 2015) Die drei ausgewählten Regionen erfüllen die angelegten Auswahlkriterien in besonderem Maße: Sie werden in den Arbeiten zur dialektalen Gliederung des Landes in der Regel unterschiedlichen Regionen zugeordnet und weisen gleich‐ zeitig spezifische historisch-kulturelle Charakteristika auf, die für die Sprecher 180 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="181"?> 2 Ein sehr anschaulicher Beleg hierfür, sind die Reisechroniken des Schriftstellers und Journalistin Martín Caparrós (2014), der sich als gebürtiger Hauptstädter auf einen mo‐ natelangen Roadtrip in die Provinzen des Inlands begeben hat, um der Frage nachzu‐ spüren, was dieses Interior überhaupt sei. 3 Zu diesem Wirtschaftszweig zählt das Wirtschaftsministerium das audiovisuelle Seg‐ ment (Kino & Fernsehen), das phonografische Segment (Musikindustrie und Radio), das Verlagswesen und anderes (etwa Grafikdesign, Fotografie etc.). Die Stadt beheimatet 460 Verlage, die 60 % aller in Argentinien herausgegebenen Bücher veröffentlichen, zudem 19 Tageszeitungen, fünf öffentliche Fernseh- und ca. 80 Radiosender (cf. Minis‐ terio de Hacienda 2018: 39). Dabei hat das Verlagswesen in Buenos Aires Tradition und eine Reichweite, die weit über die Landesgrenzen hinausweist. Dies hängt nicht zuletzt ein regional verankertes identitätsstiftendes Potenzial schaffen könnten (cf. Ka‐ pitel 6.2). So wird Santiago del Estero in den dialektologischen Arbeiten häufig als ‘Sprachinsel’ oder ‘Enklave’ mit für das Land einzigartigen sprachlichen Charakteristika bezeichnet (cf. Vidal de Battini 2 1966, Canfield 1981, Kubarth 1987, Lipski 1994, Donni de Mirande 1996, Rojas 2000). Diese Einschätzungen lassen sich auf Sprachkontaktphänomene mit dem in der Region stark präsenten Quechua und die langwährende politische und wirtschaftliche Isolation der Provinz ab Ende des 17. Jahrhunderts zurückführen. Im Gegensatz zu Santiago del Estero sind die anderen beiden Regionen, Buenos Aires und Córdoba, poli‐ tische und wirtschaftliche Schwergewichte des Landes. Sie stehen in traditio‐ neller Opposition zueinander, die bis in die Gegenwart immer wieder aktuali‐ siert wird. Buenos Aires kann, selbst im Vergleich mit Córdoba, eine absolute politische, wirtschaftliche und demografische Dominanz zugesprochen werden. Nicht zuletzt deswegen wird die Hauptstadt im Rest des Landes nicht immer mit positiven Assoziationen belegt. Vor dem Hintergrund der starken Zentralisie‐ rung des Staates in der Hauptstadt kann dies bisweilen sogar in eine wahrge‐ nommene Spaltung des Landes zwischen Buenos Aires und dem sogenannten Interior führen. 2 6.1 Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten 6.1.1 Politisch-historische Ursachen divergierender regionaler Identität Die Stadt Buenos Aires ist das unumstrittene politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. Als Hauptstadt ist sie Sitz der wichtigsten poli‐ tischen Organe, aber auch eines Großteils der Medienanstalten, Zeitungen und Verlage. 3 Durch deren große Strahlkraft und Reichweite ist die Varietät der 181 6.1 Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten <?page no="182"?> damit zusammen, dass Buenos Aires in den 1930er Jahren, von der Buchmarktkrise in Spanien profitierend, zum bedeutendsten Zentrum des Verlagswesen der spanischspra‐ chigen Welt aufstieg (cf. Sesnich 2019). 4 Bis zu ihrer Ernennung zur autonomen Bundeshauptstadt im Jahr 1880, war die Stadt Buenos Aires Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Seit 1880 kommt diese Rolle der Stadt La Plata zu. 5 Nimmt man die Ciudad Autónoma und die Partidos del Gran Buenos Aires zusammen, sind 31,92 % der Bevölkerung auf gerade einmal 0,1 % des Territoriums vereint (ibid.). 6 Etwas zugespitzt formuliert George Pendle: „[…] Buenos Aires was no more than a sad little outpost of the Empire.” (Pendle 1962: 495). Hauptstadt im Alltag nahezu aller Argentinier präsent. Buenos Aires beherbergt wichtige Institutionen wie die Academia Argentina de Letras oder die renom‐ mierte Universidad de Buenos Aires und einige weitere staatliche und private Hochschulen. Durch ihren Hafen, der über lange Zeit die wirtschaftliche Leis‐ tung der Stadt dominierte, sowie die demografische und kulturelle Vielschich‐ tigkeit hat sie den Ruf einer weltgewandten Stadt inne. Die Provinz Buenos Aires ist stark auf die autonome Hauptstadt Buenos Aires hin ausgerichtet. 4 Ausweis dieser Orientierung ist nicht zuletzt auch die offizielle Unterteilung der Provinz in das sogenannte Gran Buenos Aires und das Inland (cf. INDEC 2018). Im Gran Buenos Aires lebt die Mehrheit der Einwohner der Provinz: 9 916 715 gegenüber 5 708 369 Personen, die das Interior bewohnen (cf. INDEC 2010). Es umfasst 24 Bezirke, die dem Einzugsgebiet der Hauptstadt zu‐ gerechnet werden, offiziell aber nicht der Administration der Ciudad Autónoma de Buenos Aires unterstehen. Zusammen mit den 2 890 151 Bewohnern der Hauptstadt selbst liegt der Anteil von Stadt und Provinz Buenos Aires an der Gesamtbevölkerung (40 117 096 im Jahr 2010) bei rund 46 %. Somit lebt fast jeder zweite Argentinier in einem Gebiet, das lediglich 8,22 % der Fläche des gesamten Territoriums ausmacht. 5 Wie ein Artikel der Zeitung El Economista belegt, do‐ minieren Stadt und Provinz Buenos Aires auch die wirtschaftliche Leistung des Landes: Im Jahr 2016 generierten sie zusammen mehr als 50 % des Bruttoin‐ landsproduktes Argentiniens (o. A. 2017). In der beinahe 500 Jahre währenden Geschichte seit ihrer kolonialen Er‐ schließung kam der Region an der Mündung des Río de la Plata allerdings nicht immer eine derartige Dominanz zu, ganz im Gegenteil: Bis Mitte des 18. Jahr‐ hunderts waren sowohl die Mehrheit der Bevölkerung als auch der Wirtschafts‐ kraft in den Regionen des Inlands des heutigen Argentiniens angesiedelt (cf. Sawers 1996: 17). Buenos Aires hingegen nahm eine im wahrsten Sinne des Wortes randständige Rolle ein, 6 da für die Planungen der Spanier für den süd‐ lichen Teil Südamerikas vor allem die ertragreichen Silbervorkommen von Po‐ tosí von strategischer Bedeutung waren. Diese durften zudem bis ins 18. Jahr‐ 182 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="183"?> 7 Die in Peru benötigten Güter (Wolle, Maulesel, Rinder etc.) sollten kostengünstiger über die näher gelegenen Städte des Nordens geliefert werden, wohingegen das Handels‐ verbot für den Seeweg dem Zwecke der effizienteren Überwachung des Kolonialhandels durch die Krone dienen sollte. 8 Die Errichtung des Vizekönigreichs führte dabei jedoch keineswegs zur Schaffung eines geeinten Kulturraums, der als ‘Vorstufe’ der argentinischen Nation interpretiert werden könnte. Im Gegenteil: „When […] Buenos Aires became the seat of administration of a new Spanish vice-royalty that stretched from the Andes to the Atlantic, the people in the east and west of the country were not united. This development merely reversed the relative importance of Beunos Aires [sic] and the Andean towns. Buenos Aires grew in prosperity, while the western towns declined.” (Pendle 1962: 495). hundert hinein nicht über den Hafen Buenos Airesʼ verschifft, sondern ausschließlich über Lima nach Spanien ausgeführt werden. Der Puerto Santa María del Buen Ayre blieb hingegen bis 1602 für den Güterexport gesperrt. Gleichzeitig war der Stadt auch der direkte Handel mit dem Verwaltungsdistrikt Alto Perú verboten, der aus ökonomischen Gründen nördlicheren Städten wie Tucumán und Córdoba vorbehalten war (cf. Morse 1984: 93, Menéndez Pidal 2 2007: 1060). 7 Der Bevölkerung von Buenos Aires blieb somit vor allem der legale Handel kleinerer Mengen Vieh und Getreide über den beschwerlichen Landweg mit im heutigen Brasilien angesiedelten portugiesischen Händlern oder aber die deutlich lukrativere und daher oft präferierte Variante des contrabando, des il‐ legalen Schmuggelns von Gütern über den Seeweg, um ein Einkommen zu er‐ zielen (cf. Sawers 1996: 20). Erst mit der Aufhebung der Handelsbeschrän‐ kungen, den rückläufigen Fördermengen der Minen Potosís und der Gründung des Vizekönigreichs Río de la Plata (1776) gewann die Hafenstadt zunehmend an Bedeutung (cf. Tittor / Petersen 2018: 31). Mit Ernennung von Buenos Aires zur Hauptstadt des Vizekönigreichs Río de la Plata wurde das Kräfteverhältnis im Cono Sur (ʻSüdkegelʼ) praktisch auf den Kopf gestellt (cf. Pendle 1962). 8 Gravitationspunkt wirtschaftlicher und politi‐ scher Macht waren nun nicht mehr die Anden-nahen Regionen, die bis dato vom Silberhandel Potosís profitieren konnten. Stattdessen erlebte Buenos Aires einen raschen Aufstieg, der sich insbesondere in der turbulenten Zeit nach der Unab‐ hängigkeit Argentiniens im Jahre 1810 bzw. 1816 konsolidieren sollte. Diese Zeit zwischen 1810 und 1880 war eine Phase politischer Instabilität, die geprägt war von Unruhen und kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Konflikte drehten sich im Kern um die Frage nach der Art der Organisation der neu entstehenden Nation. Während die sogenannten ‘Unitarier’ ein aus einer starken Hauptstadt Buenos Aires heraus zentral regiertes Land anstrebten, forderten die ‘Födera‐ listen’ weitgehende Autonomie für die Provinzen des Inlands. Der wohl emb‐ lematischste Ausweis der zunehmenden Zäsur zwischen Hauptstadt und Inland 183 6.1 Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten <?page no="184"?> ist die Zurückweisung des föderalistisch geprägten Verfassungsentwurfs durch Buenos Aires im Jahr 1852, der wohl aus einer „Furcht vor der Dominanz der Provinzen des Landesinneren“ (König 2010: 414) heraus motiviert war. Mit der Verfassung sollte der Prozess der Nationenbildung etwa 40 Jahre nach der Un‐ abhängigkeit final abgeschlossen, freier Handel im gesamten Territorium ga‐ rantiert und den Provinzen weitgehende Unabhängigkeit zugeschrieben werden. Sie wurde schlussendlich im Jahr 1853 von allen Provinzen der argen‐ tinischen Konföderation außer Buenos Aires bestätigt, das deren Verabschie‐ dung mit dem Austritt aus dem Bündnis quittierte (cf. Romero 2009). Erst im Jahr 1861, eine knappe Dekade später, erfolgte - vornehmlich aus wirtschaftlichen Beweggründen heraus - die Wiedervereinigung, nachdem schließlich auch Buenos Aires die Verfassung von 1853 akzeptierte; allerdings in einer ihr zuträglichen, modifizierten Form (cf. Romero 2009: 92, König 2010: 464). Diese erhielt nun aufgrund der besseren Verhandlungsposition und des politischen „Gewichts der Hafenstadt […] eine[n] gewissen zentralistischen Zug“ (König 2010: 464). Als tatsächliches Ende der Konflikte zwischen Unita‐ riern und Föderalisten wird in der Regel jedoch erst der Beginn der Präsident‐ schaft Alejo Julio Argentino Rocas (1880-1886) angesetzt, die unter dem Motto paz y administración stand (cf. König 2010: 516). Durch ihn wird Buenos Aires zur Hauptstadt der Republik Argentinien ernannt, was die antithetische Oppo‐ sition Buenos Aires-Inland jedoch nicht etwa auflöst, sondern vielmehr offizi‐ alisiert, da die Stadt im selben Zuge administrativ der gleichnamigen Provinz entbunden und zur autonomen Hauptstadt der Bundesrepublik (Capital Fe‐ deral) erkoren wird. Neben der Vorherrschaft hinsichtlich Demografie und Öko‐ nomie kommt der Stadt seitdem auch eine administrative Sonderrolle zu. Der Konflikt zwischen Unitariern und Föderalisten wirkt bis in die Gegenwart fort. So zitiert die Tageszeitung El País den im Oktober 2019 gewählten Präsidenten Argentiniens, Alberto Fernández, bei seiner ersten öffentlichen Rede in diesem Amt in Tucumán mit den folgenden Worten: „'Necesitamos recuperar la dignidad', dijo. Añadió que Argentina sería 'un país gober‐ nado por un presidente y 24 gobernadores' y que construiría 'una auténtica Argentina federal'.” (González 2019). Allerdings ist der Gegensatz zwischen Inland und Hauptstadt kein rein poli‐ tisch-historisches Phänomen. Er wurde durch das literarische Schaffen des Jour‐ nalisten, Autors und späteren Präsidenten Domingo Faustino Sarmiento auch 184 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="185"?> 9 Weitere Beispiele dieser Opposition aus der rezenteren Literatur finden sich in Karen Douglas Alexanders (2006) Artikel „Voices from the Interior. ‘La Memoria Privada de Los Pueblos’“, der zwei Autorinnen aus Córdoba bzw. Tucumán zu Wort kommen lässt. Deren Perspektiven auf die jeweilige Region, ihre Bewohner und Kultur, kreieren ein Gegengewicht zur Dominanz der Hauptstadt und den Bestrebungen der nationalen Zentralisierung. Gleichsam sind sie Evidenz dafür, dass die Dichotomie bis in die Ge‐ genwart fortbesteht. 10 Gemeint ist damit vor allem Frankreich. zu einem Teil nationaler Folklore erhoben (cf. Agüero 2017). 9 Sein im Jahre 1845 aus dem chilenischen Exil heraus veröffentlichtes Werk Facundo o Civilización y barbarie, zählt zu den bedeutendsten Klassikern argentinischer Literatur des 19. Jahrhunderts (cf. Cichon 2007: 247) und hat den politischen wie kulturellen Diskurs in Argentinien nachhaltig geprägt (cf. Svampa 2010). Darin beschreibt der Autor, bisweilen polemisch und überzeichnend, den Kontrast zwischen dem Urbanen und dem Ländlichen als eine Dichotomie mit den Polen Zivilisation und Barbarie. Das Werk bietet einen politisch motivierten, bisweilen von Ras‐ senidiologie durchsetzten und programmatischen Blick auf das Argentinien des 19. Jahrhunderts. Der Ort der Zivilisation und der Zukunft ist für Sarmiento die Stadt, die Barbarei ist das Rurale, das Ländliche, wo die Ablehnung des Zivili‐ sierten, die Vermischung der Rassen und der Einfluss des Indigenen wie ein „Hemmschuh des Fortschritts“ wirke (König 2010: 533-534). Die dünne Bevöl‐ kerungsdichte und die fehlende Infrastruktur machten zudem eine Verände‐ rungen dieses Zustands praktisch unmöglich: „¿Dónde colocar la escuela para que asientan a recibir lecciones, los niños diseminados a diez leguas de distancia en todas direcciones? Así, pues, la civilización es del todo irrealizable, la barbarie es normal […]” (Sarmiento 2009: 39) Das Urbane hingegen sei Zivilisation und Zivilisation sei Fortschritt, wenngleich diese nicht allen Städten in gleichem Maße zugestanden wird, denn auf allen Städten laste das Gewicht der Barbarie des Inlands. Lediglich Buenos Aires habe, bedingt durch die Immigration zivilisierter Bürger aus Europa und insbesondere durch seine kulturelle wie intellektuelle Assimilation an das europäische Denken und die europäische Kultur Europas, 10 die Voraussetzungen sich dieser Entwicklung zu entziehen; (cf. Sarmiento 2009: 83). Sarmiento verfolgt in seinem essayistischen Werk eine klare politische Agenda. Er sieht die Zentralisierung des Landes in der Hauptstadt als notwendige Bedingung für die Befriedung der schwelenden Konflikte zwischen Unitariern und Föderalisten und die erfolg‐ reiche Nationenbildung. Buenos Aires wird gleichsam als Ort der (europäischen) 185 6.1 Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten <?page no="186"?> 11 Auch die Stiftung einer nationalen Identität kann in programmatischer Konsequenz nur über die Kultur der Hauptstadt und aus der Hauptstadt heraus erfolgen. Sarmiento nimmt dabei, wie Peter Cichon richtig festhält, in Kauf, drei konstitutive Elemente der argentinischen Nation abzuschreiben: die spanischen Wurzeln, die Gauchos der Pampas und die indigene Bevölkerung (Cichon 2007: 247). 12 Wörtlich heißt es an der angegebenen Stelle: „Muy distinguidos abogados han salido de allí [de la Universidad de Córdoba, F. B.]; pero literatos, ninguno que no haya ido a rehacer su educación en Buenos Aires y con los libros modernos. Esta ciudad docta no Kultur und als Zentrum und Motor des nationalen Fortschritts gedacht. 11 Der Stadt am Río de la Plata wird also erneut eine Sonderrolle zugesprochen, die der Autor über einen Vergleich mit der zweitgrößten Stadt des Landes intensiviert. Als Vergleichsobjekt dient ihm Córdoba, so wie er dessen Entwicklung in etwa bis zum Jahr 1816 wahrgenommen hat. Sarmiento zeichnet einen Kontrast an‐ tithetischer Trennschärfe, der aufgrund seines Bildreichtums und handwerkli‐ chen Geschicks zu einem Teil national-folkloristisch tradierten Wissens ge‐ worden ist und immer wieder aufs Neue aufgegriffen wurde (cf. Malanca de Rodríguez Rojas 1984, Agüero 2017). Dem zukunftsgewandten Buenos Aires wird Córdoba als zwar durchaus zivilisierter, da städtischer, Raum gegenüber‐ gestellt. Im Gegensatz zur Hauptstadt wird Córdoba aber als ein auf sich selbst bezogener Hort des Konservativen und der Frömmigkeit beschrieben. Sarmiento greift in diesem Zuge sicherlich nicht unbedacht auf das Attribut claustral (lat. claudēre ʻschließenʼ > claustralis ʻklösterlichʼ) zurück, um die Stadt zu be‐ schreiben. Dieses festigt subtil den Kontrast der in sich verschlossenen Stadt im Inland, die räumlich durch zwei künstliche Seen begrenzt wird und deren Phy‐ siognomie durch die Kuppeln der Klöster und Konvente bestimmt wird und der durch ihren Hafen weltwärts orientierten Stadt am Río de la Plata. Gleichzeitig wird Córdoba auch als ciudad docta beschrieben, als ʻStadt des Wissensʼ; das Erkenntnisinteresse etwa der durch Jesuiten gegründeten Universität be‐ schränke sich jedoch weitestgehend auf altertümliche Disziplinen wie Theo‐ logie, Philosophie und Rechtswissenschaften. Dabei wird den Bewohnern eine starke und positive Identitätsbindung an ihre Stadt und Córdoba eine gewisse Selbstgenügsamkeit attestiert: „Córdoba no sabe que existe en la tierra otra cosa que Córdoba; ha oído, es verdad, decir que Buenos Aires está por ahí; pero si lo cree, lo que no sucede siempre, pregunta: ʻ¿Tiene universidad? , pero será de ayer; veamos ¿cuántos conventos tiene? ¿Tiene paseo como éste? Entonces no es nadaʼ.” (Sarmiento 2009: 120) Kunst und Kultur, wie sie die Hauptstadt prägten, suche man dort indes verge‐ bens (cf. ibid. 119). 12 Der kontrastreiche Vergleich der beiden größten Städte des Landes zeigt, dass es Sarmiento weniger darum geht, eine Opposition zwischen 186 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="187"?> ha tenido hasta hoy teatro público, no conoció la ópera, no tiene aún diarios, y la im‐ prenta es una industria que no ha podido arraigarse allí.”. 13 Sie gehört damit zu den zehn ältesten Universitäten auf den amerikanischen Konti‐ nenten. 1886 passt die Universität ihre Statuten an die Ley Avellaneda an und wird zu einer nationalen Universität, der Universidad Nacional de Córdoba und erhält damit ihren heutigen Namen (Universidad Nacional de Córdoba 2016). Urbanität und Ruralem zu schaffen, sondern zwischen Buenos Aires als Zentrum der (argentinischen) Zivilisation und dem rückständig-barbarischen Interior. In dieser Schärfe lässt sich der Kontrast freilich nicht aufrechterhalten, weder zwischen der Hauptstadt und dem Inland noch zwischen den beiden größten Städten des Landes. Denn, wie etwa Agüero (2017) festhält, entwickelt Córdoba auch im 17. bis 19. Jahrhundert - also in der Epoche, auf die auch Sarmiento Bezug nimmt - mit der bereits 1613 gegründeten Universidad de Córdoba 13 und dem 1699 etablierten Bistum eine durchaus große Strahl- und Anziehungskraft. Aufgrund der zentralen Lage zwischen der Hochebene Perus und den Küsten des Río de la Plata kam ihr zudem, insbesondere bis zur Gründung des Vizekö‐ nigreichs Río de la Plata 1776, als Knotenpunkt von Verkehr und Handel eine große wirtschaftliche Bedeutung zu (cf. Agüero 2017: 22). Dies führen auch Ma‐ lanca de Rodríguez Rojas (1984: 473-474) und Karen Douglas Alexander (2006: 8) an, wenn sie Córdoba zwar einen grundsätzlichen Konservatismus und eine ausgeprägt religiös orientierte Identität zuschreiben, gleichzeitig jedoch ihre Rolle als aufstrebendes regionales Handelszentrum und den ‘revolutionären Geist’ („inquietud revolucionaria“, Malanca de Rodríguez Rojas: op.cit.) der Stadt unterstreichen. Die sarmentinische Beschreibung blendet wirtschaftliche As‐ pekte oder die positive Anziehungskraft religiöser Zentren hingegen aus und fokussiert das Statische der Stadtentwicklung, etwa indem die Geschichte der Universidad de Córdoba beschrieben wird, die - zumindest in den ersten knapp anderthalb Jahrhunderten ihres Bestehens - in der Tat sehr gut geeignet ist, der Provinz ein angestaubtes Image zu verleihen: Seit ihrer Gründung durch den Jesuiten-Orden im Jahr 1613 verblieb die Universität bis zum Jahr 1791 strikt in den Händen der Geistlichen. Ihr Curriculum blieb auf die klassischen Fächer der Theologie und Philosophie beschränkt. Erst mit Gründung der Fakultät für Rechts- und Sozialwissenschaften im Jahr 1791 wurde der Lehrplan erweitert (cf. Universidad Nacional de Córdoba 2019). Dass sich das Narrativ der Rück‐ ständigkeit für das 19. Jahrhundert hingegen keinesfalls aufrechterhalten lässt, erwähnt zwar auch Sarmiento selbst, geht jedoch nicht weiter auf die folgenden Entwicklungen ein, da sie der eigenen Agenda offenbar nicht zuträglich er‐ scheinen: 187 6.1 Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten <?page no="188"?> „Hacia los años 1816, el ilustrado y liberal, Deán Fuentes logró introducir en aquella antigua Universidad, los estudios hasta entonces tan despreciados: Matemáticas, Idi‐ omas vivos, Derecho público, Física, Dibujo y Música. La juventud cordobesa empezó, desde entonces, a encaminar sus ideas por nuevas vías, y no tardó mucho en dejarse de sentir los efectos de lo que trataremos en otra parte, porque por ahora; sólo carac‐ terizo el espíritu maduro, tradicional, que era el que predominaba.” (Sarmiento 2009: 121) Eine andere Lesart ist, dass Córdoba - obwohl Stadt des Interior - als Sitz einer der wenigen Universitäten in Lateinamerika im Bildungssektor in Wahrheit einen Entwicklungsvorsprung gegenüber der Hauptstadt aufwies. Die Rück‐ ständigkeit Buenos Airesʼ in diesem Bereich war den politischen Akteuren dabei nicht nur bewusst, ihre Behebung stand offenbar mit konkreten Ideen auf der politischen Agenda. So berichtet Malanca de Rodríguez Rojas (1984: 463) in diesem Zusammenhang von dem (erfolglosen) Versuch der Verlegung der Uni‐ versität Córdoba nach Buenos Aires im 18. Jahrhundert. Tatsächlich aufgelöst werden konnte die Problematik jedoch erst im Jahr 1821 mit der Gründung der Universidad de Buenos Aires, die somit zweitälteste Universität Argentiniens ist. Das obige Zitat Sarmientos greift zudem noch eine weitere Entwicklung in Córdoba vorweg, die etwa 100 Jahre nach der im Zitat beschriebenen Reform Fuentes’ bzw. etwa 70 Jahre nach Erscheinen des Facundos stattfinden sollte: die sogenannte Reforma Universitaria de Córdoba (1918). Nach mehreren Tagen bis‐ weilen gewalttätiger Proteste gelang es Studierenden, unterstützt durch ver‐ schiedene gesellschaftliche und politische Gruppen, eine weitreichende Reform der Universität durchzusetzen, die weniger auf das Curriculum als vielmehr auf die universitären Strukturen abzielte und in den übrigen Universitäten des Landes Widerhall finden sollte. Sie führte zu einer weitgehenden Säkularisie‐ rung der Bildungseinrichtungen und zu einer größeren Mitsprache der Studier‐ enden. Auch in dieser Hinsicht kann Córdoba als durchaus fortschrittliche und im Wortsinne voranschreitende Stadt angesehen werden. Im 20. Jahrhundert sollte die Opposition zwischen Buenos Aires und Córdoba noch ein weiteres Mal im Mittelpunkt der politischen Entwicklungen stehen, als General José Felix Uriburu 1930 von Córdoba ausgehend die Regierung von Hipólito Yrigoyen mit Militärgewalt absetzte. Allerdings handelt es sich bei diesem Putsch nicht eigentlich um einen Konflikt, der aus der Rivalität der beiden größten Städte des Landes entstanden wäre, sondern eher um einen Konflikt zwischen zwei politischen Lagern: den Verfechtern einer - vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise 1929 insbesondere von konservativen Kräften als problematisch kostspielig beschriebenen - Sozialpolitik des Präsi‐ denten Yrigoyens auf der einen Seite und einer religiös-konservativen Politik 188 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="189"?> 14 Eine totale Isolierung der Region, wie sie die Sprachwissenschaftlerin Vidal de Battini (²1966: 79), ab der Gründung der Stadt Córdoba im Jahr 1573 ansetzt, dürfte für diese frühe Phase der Kolonialisierung sicherlich übertrieben sein. Denn bis ins 17. Jahrhun‐ dert hinein fungierte die Stadt als Ausgangspunkt weiterer Stadtgründungen, war bis 1699 Sitz des Bistums Tucumáns und bis 1700 die Hauptstadt der Gobernación del Tu‐ cumán. Allerdings führte, die wirtschaftliche Rezession und der Verlust der politischen und religiösen Institutionen durchaus zu einer zunehmenden Isolierung, die sich jedoch erst ab dem 17. Jahrhundert und nur graduell vollzogen haben dürfte (cf. Lobato / Su‐ riano 2 2004: 77). nationalistischer Prägung auf der anderen Seite, die von General Uriburu und seine Gefolgsleute angestrebt wurde (cf. Rock 1991: 6-9, Lobato / Suriano 2 2004: 339). Dadurch, dass sich jedoch die national-konservative Politik besonders in Córdoba und die soziale Strömung Yrigoyens besonders in Buenos Aires durch‐ setzte, wird die Dichotomie Sarmientos zwischen dem katholisch-konservativen Córdoba und der progressiven Hauptstadt ein weiteres Mal aktualisiert. Der dritten Region, die zur Untersuchung herangezogen wird - Santiago del Estero -, kommt im aktuellen politischen und wirtschaftlichen Kräftefeld des Landes eine eher untergeordnete Rolle zu. Statistisch ordnet sie sich mit ca. 875 000 Einwohnern ( INDEC 2010) und einer Fläche von gut 136 000 km² im Mittelfeld ein. Gegründet bereits im Jahr 1553 kann die Stadt Santiago del Estero darauf verweisen, die älteste dauerhaft besiedelte Stadt des heutigen Argenti‐ niens zu sein (cf. Lipski 1994: 165). Sie war Ausgangspunkt zahlreicher Expedi‐ tionen und Stadtgründungen (cf. Lobato / Suriano 2 2004: 48-49), weshalb ihr im Jahr 2002 gesetzeshalber der Titel Ciudad Madre de Ciudades y Cuna del Folklore zugesprochen wurde (Ley 25.681). Bis ins 17. Jahrhundert hinein war sie für die koloniale Erschließung des Nordwesten des heutigen Argentiniens von zent‐ raler Bedeutung und kann als Hauptstadt der Gobernación del Tucumán - für diese Zeit - durchaus als politisches Zentrum des Nordens bezeichnet werden. Insbesondere im 16. Jahrhundert war die Stadt als Zulieferer der Silberminen von Potosí, neben der Stadt Tucumán, wichtiger Handelspartner des Alto Perú (cf. Lobato / Suriano 2 2004: 62-63); zunächst durch die Bereitstellung von Baum‐ wolle und Textilien, später auch von Rindern und Lasttieren (cf. Mörner 1984: 203). Nach und nach wurde diese Funktion jedoch von den aufstrebenden Städten Córdoba und Tucumán übernommen (cf. Lobato / Suriano 2 2004: 62-63), sodass sich die Handelsroute etwas weiter nach Westen verlagerte und Santiago del Estero schlussendlich nicht mehr in die Nord-Süd-Achse des Handels integ‐ riert war. 14 Mit der Verlagerung der Handelsgravitation nach Buenos Aires ver‐ schärfte sich die Situation für die Provinz weiter. Insbesondere der Rückgang der Fördermengen aus den Silberminen und der damit einhergehende Verlust der Bedeutung Potosís (ab ca. 1620) sowie die Gründung des Vizekönigreichs 189 6.1 Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten <?page no="190"?> 15 Mit 1,1 % Beteiligung am Bruttoinlandsprodukt rangiert die Provinz heutzutage zu‐ sammen mit Jujuy auf dem viertletzten Platz; vor Tierra del Fuego und San Luis mit jeweils 1 %. Formosa, Catamarca und La Pampa kommen auf jeweils 0,8 %; auf dem letzten Platz dieses Rankings rangiert La Rioja mit 0,6 % (o. A. 2017). Río de la Plata im Jahre 1776 wirkten verstärkend auf diesen Prozess. Wie vielen anderen Regionen des Inlands gelang es Santiago del Estero nicht, auf die ver‐ änderten Bedingungen zu reagieren, wodurch die Region zunehmend an wirt‐ schaftlicher Bedeutung einbüßte (cf. Gallo 1986: 200). 15 Dessen ungeachtet wird der Region eine starke regionale Identität zugespro‐ chen, die nicht zuletzt auch durch ihre indigene Bevölkerung und deren Sprache und Kultur geprägt wird. Mit Beginn der Entwicklung des argentinischen Staates waren kulturelle Ausprägungen und identitätsstiftende Momente, die im Regionalen und Ruralen verankert waren, zwar relativ starken Diffamie‐ rungstendenzen ausgesetzt, allerdings hat das Quechua in der Region eine sta‐ bile Vitalität aufgewiesen. Manche Beobachter prognostizieren dem Quechua in der Region entgegen dem allgemeinen Trend des Rückgangs von Minderhei‐ tensprachen sogar eine positive Entwicklung (cf. Kapitel 6.2.1). Der sprachliche Einfluss des Quechua hat - neben weiteren Faktoren - dazu geführt, dass die Region in Arbeiten zur dialektalen Gliederung Argentiniens nicht selten als Sprachinsel mit einzigartigen sprachlichen Charakteristika beschrieben wird. 6.1.2 Koloniale Besiedelungsrouten als Grundlage verschiedener Dialektareale „En las campañas de Córdoba […], predomina la raza española pura, y es común en‐ contrar en los campos, pastoreando ovejas, muchachas tan blancas, tan rosadas y her‐ mosas, como querrían serlo las elegantes de una capital. En Santiago del Estero, el grueso de la población campesina habla aún la quichua, que revela su origen indio. […] En la campaña de Buenos Aires, se reconoce todavía el soldado andaluz; y en la ciudad, predominan los apellidos extranjeros.” (Sarmiento 2009: 34) Diese Reisebeobachtungen entstammen einmal mehr dem Facundo von Do‐ mingo Faustino Sarmiento. Die benannten regionalen Unterschiede korrelieren mit unterschiedlichen außersprachlichen Entwicklungen, die für die Sprachge‐ schichte des Spanischen in Argentinien von besonderer Bedeutung sind. Sie referieren zum einen auf divergierende Besiedelungsrouten und Siedlerkontin‐ gente (la raza española pura, el soldado andaluz), mit denen die zentralen und nördlichen Gegenden des heutigen Argentiniens auf der einen Seite und die Region um den Río de la Plata auf der anderen Seite dem spanischen Kolonial‐ 190 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="191"?> 16 Tatsächlich wurde die erste Siedlung am Río de la Plata das Fort Sancti Spiritus, bereits im Jahr 1527 gegründet, allerdings weniger mit einer strategischen Besiedelungsabsicht der spanischen Krone, sondern aus taktischen Überlegungen schiffbrüchiger oder vom Kurs abgekommener Mitglieder anderer Expeditionen (Konetzke 1983: 378-380). 17 Die in der Literatur verfügbaren Daten divergieren; während beispielsweise Vidal de Battini ( 2 1966) oder Lewis (2001) die Expeditionsstärke mit 1500 Kolonisatoren angeben, spricht der Zeitzeuge Ulrich Schmidel (2010) von mehr als 2500 Männern, die sich „nach Rio della Plata in Westindien“ aufgemacht hätten (ibid.: 41). Weitere Quellen, die Mar Langa Pizarro (2010) zusammengetragenen hat, geben die Teilnehmerzahl mit 1800 bzw. 2200 an. 18 Bei dieser Quelle handelt es sich um den Reisebericht von Ulrich Schmidel, der als Landknecht und Soldat selbst Mitglied der Expedition von Pedro de Mendoza gewesen ist. Der Text wurde 1567 verfasst und erstmals 1599 veröffentlicht. Die vorliegende Ausgabe von 2010 stellt eine Übertragung aus dem Frühneuhochdeutschen dar und orientiert sich an einer Veröffentlichung von 1889. reich eingegliedert wurden. Die fremdländischen Nachnamen (apellidos extranjeros), die in Buenos Aires zu vernehmen sind, sind zum anderen ein Verweis auf den seit Gründung der Stadt vergleichsweise hohen Anteil ausländischer Siedler in Buenos Aires (cf. Boyd-Bowman 1963, Konetzke 1983); möglicher‐ weise ist es aber auch bereits ein Hinweis auf die zu dieser Zeit beginnende und sich zum Ende des 19. Jahrhunderts intensivierende Einwanderungsepoche, die insbesondere die Demografie (und Sprache) der Hauptstadt und des Litorals verändert hat. Der Hinweis auf Santiago del Estero unterstreicht den großen Einfluss der indigenen Bevölkerung auf die Herausbildung von Kultur und Sprache in der Region. Das heutige Argentinien wurde historisch über drei primäre Expeditions‐ routen erschlossen (cf. Lobato / Suriano 2 2004: 48): 1. Von Spanien über den direkten Seeweg zur Mündung des Río de la Plata. 2. Vom Vizekönigreich Peru zu den Gebieten des heutigen Tucumán und Santiago del Estero. 3. Vom Vizekönigreich Peru über Chile in die Region Cuyo. Die Kolonialgeschichte des Río de la Plata-Raums beginnt im Jahr 1535 im süd‐ spanischen Andalusien. 16 Von Cádiz aus sticht Pedro de Mendoza mit einer Flotte von 14 Schiffen und wohl etwa 2000 Siedlern und Soldaten in See und erreicht noch im selben Jahr die Mündung des Río de la Plata. Die Angaben zur genauen Expeditionsgröße variieren zwischen 1500 und 2650 Kolonisatoren (cf. Konetzke 1983: 386), und auch zur genauen Zusammensetzung der Expedition liegen keine verlässlichen Daten vor. 17 Bekannt ist jedoch, dass das Kommando vornehmlich in Händen der aus dem andalusischen Almería stammenden Adelsfamilie de Mendoza lag (Schmidel / Aymoré 2010: 9) 18 , weshalb auch die Mehrzahl der 191 6.1 Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten <?page no="192"?> 19 Von den 900 von Peter Boyd-Bowman in den Archiven des Consejo de Indias in Sevilla identifizierten Teilnehmern der Expedition Mendozas stammen 368 aus Andalusien. Bis 1539 wird der Anteil von andalusischen Siedlern am Río de la Plata mit 41,3 % ange‐ geben, gefolgt von den beiden Kastilien die zusammen 24,6 % ausmachen (cf. Boyd-Bowman 1963: 188). 20 Immer wieder waren Siedler und Entdecker den Gerüchten von einem weißen König, in dessen Reich sich Bergketten voller Gold und vor allem Silber befänden, in die Mün‐ dung des (daher so benannten) Río de la Plata gefolgt (cf. Romero 2009: 23). 21 „[ Juan de Ayolas, ein weiterer Hauptmann und späterer Gründer von Asunción; F. B.] musterte das Volk und fand, dass von 2500 Mann, so ausgefahren, nicht mehr denn 560 noch am Leben und vorhanden waren. Die anderen alle waren abgestorben und meis‐ tenteils durch den Hunger umgekommen.“ (Schmidel / Aymoré 2010: 66). Siedler aus Südspanien gestammt haben dürfte (cf. Boyd-Bowman 1963: 188). 19 Gestützt wird diese Annahme von den von Lafuente Machain zusammengetra‐ genen (allerdings ebenfalls explizit unvollständigen) Aufstellungen derjenigen Siedler, die zwischen 1535 und 1580 den Río de la Plata erreichten (cf. Konetzke 1983). Von 1708 gelisteten Personen waren 772 Personen Andalusier, 574 ent‐ stammten dem Zentrum sowie 294 dem Norden der iberischen Halbinsel. 68 weitere Personen kamen aus sonstigen Regionen des spanischen Imperiums (Konetzke 1983: 430). Der Anteil der Andalusier liegt diesen Daten folgend somit bei 45,02 %; Menéndez Pidal (²2007: 759) gibt ihren Anteil sogar mit 48 % an. Da auch die Mehrheit der Seeleute im 16. Jahrhundert aus Südspanien stammte (Boyd-Bowman 1956: 1158-1159, 1963: 172, 1967: 37), kann von einer insgesamt starken südspanischen Prägung der Expedition ausgegangen werden. Den hohen Erwartungen an die Expedition zum Trotz sollte die erste Grün‐ dung Buenos Airesʼ als Puerto de Santa María del Buen Ayre im Jahre 1536 jedoch keine Erfolgsgeschichte werden. Denn den ʻKonquistadorenʼ gelang es anfangs nicht, genügend Nahrung zu produzieren, und auch der zunächst friedliche Kontakt zur autochthonen Bevölkerung, den Querandíes, schlug bereits nach kurzer Zeit in kriegerische Auseinandersetzungen um. 20 Nach einer schweren Hungersnot, der weit mehr als die Hälfte der Expeditionsteilnehmer zum Opfer fiel, sah sich de Mendoza dazu gezwungen, die Befestigung aufzugeben. 21 Mit nurmehr 400 Männern folgte er den Flusslauf des Río Paraná weiter ins Lan‐ desinnere, um 1537 das Fort Nuestra Señora de la Asunción zu errichten. Asun‐ ción entwickelte sich in dieser Zeit - neben Santiago del Estero - zum wich‐ tigsten Ausgangspunkt für Expeditionen und Stadtgründungen auf dem Gebiet des heutigen Argentinien, darunter auch die Expedition Juan de Garays, die zur zweiten Gründung Buenos Airesʼ im Jahre 1580 führte. Diese wurde nun nicht mehr mehrheitlich von Soldaten und Siedlern aus Spanien, sondern von in His‐ panoamerika geborenen Nachkommen der ersten Siedler (Criollos oder Mes‐ 192 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="193"?> 22 Vidal de Battini ( 2 1966: 30-32) berichtet von einer Expeditionsstärke von 60 Teilneh‐ mern, die aus 50 Kreolen und zehn Spaniern bestand. 23 Bezeichnend ist nicht nur, dass die von der Krone angeordneten Überfahrten z. T. nicht mit (genug) Personal und Siedlern besetzt werden konnten, sondern auch, dass der Kontakt zur Region bisweilen für mehrere Jahre komplett abriss: „Pero no era posible ejecutar esa real orden [de mandar dos carabelas al Río de la Plata; F. B.], de modo que otra vez, durante algunos años, la provincia del Río de la Plata quedó incomunicada con la madre patria.“ (Konetzke 1983: 403) und „[…] por un decenio no se realizara ninguna acción de socorro para los habitantes de aquellas provincias.” (Konetzke 1983: 407). tizos) durchgeführt. 22 Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Besiedelung und der enttäuschten Erwartungen im Hinblick auf das Ressourcenpotenzial der Region nahm die Popularität der Missionen an den Río de la Plata rasch ab. Selbst durch die Krone initiierte oder durch königliche Erlässe unterstützte Überfahrtsiniti‐ ativen scheiterten an zu geringen Teilnehmerzahlen oder legten unterbesetzt von Spanien ab (cf. Konetzke 1983). 23 Nach Entdeckung der Silbervorkommen von Potosí 1545 verlor die Region am ‘Silberfluss’ noch weiter an strategischer Bedeutung und Attraktivität. Somit kann der Austausch mit und der Zustrom von Personen aus Spanien und insbesondere Kastilien im 16. und 17. Jahrhundert im Vergleich zu anderen Küstenregionen Hispanoamerikas als relativ gering eingeschätzt werden. Vor dem Hintergrund der zuvor präsentierten Daten und der allgemein gültigen Migrationsmuster im 16. Jahrhundert (cf. Boyd-Bowman 1956, 1963, 1967, 1976, sowie Menéndez Pidal 2 2007), kann die, für die amerika‐ nischen Küstenregionen typische, Koiné südspanischer Prägung als Basis der Varietät von Buenos Aires angesetzt werden. Die beiden anderen zuvor genannten Besiedelungsrouten erschließen die Ge‐ biete des heutigen Argentiniens nicht direkt von Spanien aus, sondern über das Vizekönigreich Peru. Zum einen über die Anden-Kordilleren in die Region Cuyo, von wo aus weite Teile der westlichen Gebiete des heutigen Argentiniens erschlossen und Städte wie Mendoza (1562), San Juan de la Frontera (1562) oder San Luis de Loyola (1593) gegründet wurden (ibid.), und zum anderen über die Quebrada de Humahuaca in die Region des heutigen Tucumáns. Ein Ziel des Vorstoßes gen Süden war es, eine Verbindung zwischen Peru und dem Río de la Plata zu etablieren, um eine nachhaltige Kolonialisierung des Gebietes zu er‐ möglichen (cf. Igareta 2012: 250). Zudem konnten nicht alle Kolonisatoren Perus durch das dort etablierte Encomienda-System, der Versklavung bzw. Ausbeutung der indigenen Bevölkerung, für ihre Auslagen entschädigt und ihre Dienste vergütet werden (cf. Lobato / Suriano 2 2004: 53, Fradkin / Garavaglia 2009: 25). Hierzu bedurfte es der Erschließung neuer Landstriche und Ressourcen südlich der Quebrada de Humahuaca, weshalb die Siedlungsmissionen von wichtiger regional-strategischer Bedeutung für das Vizekönigreich Peru waren. Diesem 193 6.1 Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten <?page no="194"?> 24 Einige Autoren diskutieren zwar die Möglichkeit einer präkolonialen Verbreitung des Quechuas bis zu den Gebieten des heutigen Santiago del Esteros, vorherrschende und traditionelle Theorie ist jedoch die Annahme einer Verbreitung als Folge der Eroberung des Südens der Anden (cf. Avellana 2012: 238). 25 Für diese Zeit (Censo 2001) wird die Einwohnerzahl der Provinz mit 804 457 angegeben. Der Anteil der Quechua sprechenden Bevölkerung rangiert somit bei 7,46 %-12,43 % (INDEC 2001). Zweck verschrieben startete Pedro Núñez de Prado im Jahr 1549 eine Expedition von Potosí aus mit dem Ziel, eine neue Stadt als Startpunkt weiterer Expediti‐ onen und Besiedelungsmissionen zu gründen. Aufgrund fortdauernder territo‐ rialer Streitigkeiten mit dem Gouverneur von Chile konnte das Vorhaben nach drei lediglich temporären Stadtgründungen (Barco I- III ) erst im Jahr 1553 ab‐ geschlossen werden: Unter der Leitung des aus Chile hinzugestoßenen Francisco de Aguirre wurde Barco III schließlich etwas weiter nördlich vom ursprüngli‐ chen Standort unter dem Namen Santiago del Estero neu gegründet. Neben Asunción ist die Stadt das zweite große Zentrum sekundärer Besiedelungs‐ routen innerhalb des Gebiets des heutigen Argentiniens. Von ihr ausgehend werden u. a. die Städte San Miguel de Tucumán (1555), Córdoba (1573) und Lerma en el Valle de Salta (1582) gegründet (cf. Lobato / Suriano 2 2004: 49-55). Die von Peru ausgehenden Expeditionen bestanden neben Kreolen und spani‐ schen Siedlern aus einer Vielzahl Indigener, die dem Unterfangen als billige Ar‐ beitskräfte dienen sollten. Dies hatte zum Nebeneffekt, dass auch die Verkehrs‐ sprache des Inkareichs, das Quechua, in Richtung Süden transportiert wurde (cf. Avellana 2012: 238). Sie diente innerhalb der Gobernación del Tucumán bis ins 18. Jahrhundert hinein als offizielle Sprache der Katechese. 24 Vor allem die länd‐ lichen Gebiete der Region Santiago del Estero weisen noch heutzutage eine starke indigene Prägung auf, die sich unter anderem in einem verbreiteten Bi‐ lingualismus der Bevölkerung ausweist. Mit Blick auf die Vitalität des Quechuas in Argentinien unterschied Censabella (2000: 28) vor 20 Jahren drei verschie‐ dene Sprechergruppen: 1.) bolivianische und peruanische Einwanderer, 2.) in‐ digene Sprecher (sog. colla) und 3.) Kreolen, die das quichua santiagueño spre‐ chen. Dass letztere sich zur Etablierung einer eigenen Kategorie eignen, zeigt die große Bedeutung des Quechuas in der Region. Bezugnehmend auf verschie‐ dene Quellen taxiert Avellana (2012: 236) die Größe dieser letzten Gruppe zum Ende des 20. Jahrhunderts auf etwa 60 000-100 000 Sprecher. 25 Als Gründe für die Herausbildung einer eigenen Varietät des Quechuas in Santiago del Estero sind insbesondere die große politische Bedeutung der Stadt im 16.-18. Jahrhun‐ dert, ihre zentrale Rolle im Handels- und Städtenetzwerk der Region und der dadurch bedingte Kontakt diverser indigener Sprechergruppen zueinander zu 194 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="195"?> 26 Obschon auch in diesem Kontingent Andalusier und Siedler anderer Regionen häufig vertreten waren, ist der Anteil von Kastiliern und Riojanos deutlich höher. So machen bis 1559 die beiden Kastilien in Lima mit 33 % den größten Siedleranteil aus (Boyd-Bowman 1967: 50), wenn auch unter den neuen Siedlern die zwischen 1540 und 1559 nach Peru insgesamt kamen, erneut Andalusier den größten Anteil stellten (Boyd-Bowman 1967: 49). nennen. Die so entstandene Varietät wird entweder wie von Censabella als quichua santiagueño oder als cinchay sureño bezeichnet und in den Forschungen zum Quechua unter dem Kürzel QIIC geführt (cf. Avellana 2012: 235). Aus his‐ panistischer Sicht wird der Einfluss des Quechuas in der Region als ein wichtiger Faktor in der Herausbildung der Dialektareale Argentiniens und als ein Grund dafür gesehen, warum der Region Santiago del Estero nicht selten eine Sonder‐ rolle zugesprochen wird (cf. Kapitel 6.2.1). Die Siedler aus dem Vizekönigreich Peru, ob über die Quebrada de Huma‐ huaca oder über die Kordilleren von Chile nach Argentinien kommend, waren - neben amerikanischen Kreolen oder Spaniern, die bereits lange Zeit in Hispa‐ noamerika lebten - mehrheitlich Personen aus Kastilien, León oder La Rioja (cf. Vidal de Battini 2 1966: 32, Donni de Mirande 1991: 51, Menéndez Pidal 2 2007: 759). 26 Insbesondere dem aus Chile kommenden Kontingent wird ein hoher An‐ teil kastilischer Siedler attestiert. Im Gegensatz zu den Siedlungen am Río de la Plata, wo der andalusische Einfluss auf den Erhalt der beschriebenen meridio‐ nalen Koiné begünstigend wirkte, führt der größere Anteil nordspanischer Siedler in den von Peru aus besiedelten Regionen tendenziell zu einem gegen‐ teiligen Effekt. Auf sprachlicher Ebene schreibt Menéndez Pidal - bezugneh‐ mend auf die Epoche von 1554-1617 - sowohl der Audiencia de Lima als auch der Audiencia de Charcas einen ausgeprägteren sprachlichen Konservatismus zu: „La Audiencia de Lima (el actual Perú) es la región más conservadora de América. Mantiene la -s final; la d por lo común se pierde sólo en la terminación -ado; la ll se mantiene su pronunciación lateral en toda la sierra y en las provincias costeras del Sur […]. La Audiencia de Charcas (Bolivia y Noroeste de la Argentina […]), salvo en su parte costeña, parece ser tan conservadora como el Perú, y aún más, por dominar en ella más la conservación de la ll” (Menéndez Pidal 2 2007: 1102-1103). Die unterschiedlichen Siedlerkontingente und Besiedelungsrouten führen im Hinblick auf die Basis der argentinischen Dialektareale somit zu einer ersten Differenzierung eines nördlichen und eines südlichen Dialektraums. Der ver‐ gleichsweise große Grad der Isolation beider Gebiete trägt zusätzlich zur He‐ rausbildung eines Spanisch bei, das konservativ-archaische Züge trägt bzw. In‐ 195 6.1 Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten <?page no="196"?> novationen vergleichsweise spät übernimmt. Dies gilt für die Regionen des Nordens in noch stärkerem Maße als für die tendenziell innovativere Küsten‐ region des Litorals (cf. Fontanella de Weinberg 1992a). Die grundsätzlich nach Norden gerichtete Orientierung Tucumáns im 16. und 17. Jahrhundert und dessen Integration in das Handelsnetzwerk der Vizekönigreichs Peru tragen zu einer Konsolidierung dieser Tendenz bei. Ein Beispiel für den etwas innovativeren Zug der Region des Litorals ist die Aspiration des Sibilanten / s/ in Coda-Position, welche dort bereits im 16. Jahr‐ hundert verbreitet war und sich im 17. Jahrhundert generalisierte. In den Re‐ gionen des Nordens gibt es lediglich vereinzelte Belege der / s/ -Schwächung im 16. Jahrhundert; ab dem 18. Jahrhundert ist sie dort diastratisch als ein Phä‐ nomen der Unterschicht markiert (cf. Fontanella de Weinberg 1992a). Durch den größeren Anteil nord- und zentralspanischer Siedler und begünstigende Ad‐ strateinflüsse indigener Sprachen (cf. Lipski 1994) bleibt im Norden zudem die Realisierung des multiplen Vibranten / r/ als assibilierter Frikativ [ʑ] bzw. [ɕ] und die Distinktion zwischen / ʎ/ und / ʝ/ länger erhalten. Sie können gleichsam als konservative Züge der Region gelesen werden. So gilt die Spirantisierung des Vibranten für nordspanische Provinzen wie La Rioja oder Navarra im 16. Jahr‐ hunderts als charakteristisch (cf. Donni de Mirande 1991: 47). Und auch der yeísmo, die Neutralisierung von / ʎ/ und / ʝ/ zugunsten von / ʝ/ , setzt sich im Nordwesten erst im 19. Jahrhundert und damit hundert Jahre später als in Buenos Aires durch (cf. Fontanella de Weinberg 1992a). 6.1.3 Territoriale Erweiterung und die Epoche der Zuwanderung Neben den wirtschaftlichen Konsequenzen und ihrem Einfluss auf die Heraus‐ bildung der Dialektareale führt die periphere Lage der Region am Río de la Plata zudem zu einem vergleichsweise langsamen Bevölkerungswachstum. Auch das übrige Siedlungsgebiet erfährt trotz der Gründung des Vizekönigreichs Río de la Plata bis Anfang des 19. Jahrhunderts kaum nennenswerte Erweiterungen. Erst nach der Unabhängigkeit von Spanien rückt die Besiedelung bisher uner‐ schlossener Landstriche - insbesondere zwischen Mendoza und Feuerland - in den Fokus der Politik. Von besonderer Bedeutung ist die sogenannte Campaña del Desierto des Generals Juan Manuel Rosas. Dieser militärische Feldzug, der ab ca. 1832 gegen nomadisch lebende indigene Stämme der Pampa und Nordpata‐ goniens angestrengt wurde, verfolgte das Ziel, der Provinz Buenos Aires neuen Siedlungsraum zu erobern und die Grenzregion zu befrieden (cf. Lynch 1985: 196 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="197"?> 27 Einen kritischen Blick auf die historiografische Aufarbeitung und die euphemistische Bezeichnung der Kampagne bietet Bartolomé (1985). 28 Wörtlich schreibt Alberdi: “¿Qué nombre daréis, qué nombre merece un país compuesto de doscientas mil leguas de territorio y de una poblacion de ochocientos mil habi‐ tantes? - Un desierto. […] ese país es la República Argentina; y cualquiera que sea su constitucion, no será otra cosa por muchos años que la constitucion de un desierto. Pero, ¿cuál es la constitucion que mejor conviene al desierto? - La que sirve para hacerlo desaparecer; la que sirve para hacer que el desierto deje de serlo en el menor tiempo posible, y se convierta en país poblado. Luego este debe ser el fin político, y no puede ser otro, de la constitucion argentina y en general de todas las constituciones de Sud-América.” (Alberdi 2017: 140). 617). 27 Spätestens durch den von Juan Bautista Alberdi geprägten Leitspruch gobernar es poblar rückt die territoriale Erweiterung und, damit einhergehend, die Landnahme riesiger, weitgehend unbesiedelter Flächen in den Fokus des strategisch-politischen Interesses. 28 Unter dieser Devise werden in den fol‐ genden Dekaden eine ganze Reihe neuer Siedlungen gegründet (z. B. Azul (1832) oder Chivilcoy (1854)) oder, wie im Falle von Bahía Blanca, bestehende Außen‐ posten bevölkert. Sie legte aber auch das konzeptionelle Fundament für die spä‐ tere Einwanderungspolitik, die Anreize für die (europäische) Immigration setzte, die das Land zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhunderts nachhaltig ver‐ ändern sollte (cf. Fontanella de Weinberg 1992a: 367). Zu diesem Zeitpunkt ist die Vorherrschaft Buenos Airesʼ bereits ausgeprägt, was dazu führt, dass die Eroberung und Besiedelungen der Pampa und Patagoniens weitestgehend von dort aus organisiert und mit Ressourcen und Siedlern bedient wurden. Dies er‐ klärt auch, warum das die Hauptstadt umschließende Dialektareal des Litorals eine derart große Ausdehnung und relative Einheitlichkeit aufweist (cf. Ka‐ pitel 6.2.3). Das Ende des 19. Jahrhunderts ist somit sowohl für die weitere Entwicklung des argentinischen Staates, aber auch für die sprachliche Entwicklung des Spa‐ nischen in Argentinien von besonderer Bedeutung. Es ist geprägt von der massiven Einwanderung aus Europa, insbesondere aus Italien. Wird die Einwohnerzahl Argentiniens für das Jahr 1869 noch mit 1 736 490 angegeben, so steigt diese bis zum Jahr 1895 - also etwa eine Generation später - auf bereits 3 956 000; im Jahr 1914 zählt das Land bereits 7 885 237 Bewohner (cf. Gallo 1986: 363). Zwischen 1869 und 1914 - d. h. in weniger als 50 Jahren - hat sich die Bevölkerung somit mehr als vervierfacht. Als Hauptgrund für das Wachstum sind Migrationsströme zu nennen. Zwi‐ schen 1871 und 1914 wanderten 5 917 259 Personen nach Argentinien ein, wovon sich 3 194 875 dauerhaft niederließen (ibid.). Damit verzeichnet Argentinien am Übergang zum 20. Jahrhundert nach den USA den weltweit zweitgrößten Zuzug 197 6.1 Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten <?page no="198"?> 29 Die Zahlen die Fontanella de Weinberg zitiert, beziehen sich auf einen leicht divergierenden zeitlichen Ausschnitt, der jedoch das zuvor angegebene Zeitfenster umfasst. Zwi‐ schen 1821 und 1932 wandern dieser Quelle zufolge 6 450 000 Personen nach Argentinien ein, im Falle der USA sind es gar 32 244 000 Menschen. von Migranten (cf. Carr-Saunders 1936, in: Fontanella de Weinberg 1978: 6). 29 Re‐ lativ betrachtet sind die Auswirkungen auf die argentinische Demografie jedoch als ungleich größer einzuschätzen, da der Migrationsanteil in den Vereinigten Staaten zwischen 1870 und 1930 nicht mehr als 15 % der Gesamtbevölkerung aus‐ machte (11,4 %-14,4 %), wohingegen dieser Wert in Argentinien zwischen 12,1 % und 30,3 % oszilliert (cf. Germani 1962, in: Fontanella de Weinberg 1978: 6). In der Hauptstadt Buenos Aires steigt er zwischenzeitlich sogar auf fast 70 % (Fonta‐ nella de Weinberg 1978: 5). Diese starken Veränderungen in der Bevölkerungs‐ struktur bringen nicht nur große politische Herausforderungen und gesellschaft‐ liche Spannungen mit sich (cf. Gallo 1986: 369-371). Sie führen auch zu kulturellen und sprachlichen Kontaktphänomenen; insbesondere mit der zahlenmäßig größten Migrantengruppe, den Einwanderern aus Italien (cf. Ennis 2015). Als Hauptursache dieser Entwicklung können neben den bewusst gesetzten An‐ reizen der argentinischen Politik die politischen und wirtschaftlichen Entwick‐ lungen in Europa genannt werden. Im Hinblick auf Italien sind die politische In‐ stabilität (Unabhängigkeitskriege), innere gesellschaftliche Spannungen und die wirtschaftliche Stagnation im sogenannten Mezzogiorno als Motiv vieler Italiener zu nennen, die Reise an den Río de la Plata anzutreten. Ihr Anteil an der Gesamt‐ migration nach Argentinien lag im Jahr 1895 bei 50,1 % und 1914 immerhin noch bei 40,6 %, gefolgt von Spaniern mit 20,2 % bzw. 36,3 % (cf. Lobato / Suriano 2 2004: 308). Der Großteil der Zuwanderung konzentrierte sich auf die Städte des Lito‐ rals (Buenos Aires, Rosario, Santa Fe etc.), deren Anteil an der Gesamtbevölke‐ rung im angezeigten Zeitraum von 48 % auf 72 % stieg. Die Einwanderer der ersten Generation sahen sich dabei nicht nur mit dem Problem konfrontiert, in der neuen Heimat Arbeit zu finden und die Landessprache zu erlernen: Da der sprachliche Standardisierungsprozess in Italien zu diesem Zeitpunkt noch nicht weit fortge‐ schritten war und die Migranten unterschiedlichen Regionen und damit auch Di‐ alektzonen entstammten (cf. Solé 1992, Gabriel et. al. 2013a), scheitert die Kom‐ munikation oft selbst unter Landsleuten (cf. Fontanella de Weinberg 1978: 16). Auf diese Weise entwickelt sich in der Hauptstadt eine Verkehrssprache, die als Mischvarietät zwischen dem Italienischen und dem Spanischen verstanden werden kann: das Cocoliche (cf. Kailuweit 2007, Ennis 2015). Begünstigend auf die Herausbildung dieser Verkehrssprache wirkte sicherlich auch die sprachliche Nähe des Italienischen und des Spanischen und die dadurch bedingte teilweise Intelligibilität (cf. Fontanella de Weinberg 1978: 15-16). Auch der berühmte Lun‐ 198 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="199"?> fardo, der oft als ʻSprache der Gauner und des Tangosʼ verklärt wird, ist stark durch italienischen Einfluss geprägt (Born 2007, Conde 2011, Wunderlich 2014, Conde 2016, González 2016). Über diesen wurden einige italienische Elemente (v. a. der Lexik) in die Standardvarietät der Hauptstadt integriert, beispielsweise birra (it.: birra; ʻBierʼ), cana (ven. cana; ʻGefängnisʼ, ʻPolizistʼ), escuñar (neap.: scug‐ nare ʻzerstörenʼ, ʻruinierenʼ) (Wunderlich 2014: 46-48). Der italienische Einfluss zeigt sich jedoch auch auf anderen sprachlichen Ebenen, etwa in Tonhöhenver‐ läufen der F0-Frequenz, die die Varietät Buenos Airesʼ mit einigen italienischen Varietäten (z. B. Neapels oder Pisas) teilt und die in der Hispanophonie selten oder einzigartig sind (cf. Gabriel et. al. 2013a). So lässt sich im Spanischen Buenos Airesʼ ebenso wie im Italienisch Neapels ein pränuklearer Tonakzent in Deklara‐ tivsätzen ausmachen. In diesen Fällen erfolgt der Anstieg der F0-Frequenz und das Erreichen des Tönhöhengipfels jeweils innerhalb der betonten Silbe des Satzes, wohingegen in den meisten Varietäten des Spanischen die höchste Frequenz erst nach der betonten Silbe erreicht wird (ibid.: 106-107). Mutmaßlich sind diese Be‐ tonungsmuster entweder über Konvergenzphänomene (cf. Colantoni/ Gurlekian 2004) oder aber Interferenzen beim L2-Erwerb der italienischen Muttersprachler zunächst in den ärmeren Vierteln der Stadt entstanden und fanden von dort aus‐ gehend dann weitere Verbreitung (cf. Gabriel et. al. 2013a). Neben den rein sprachlichen Auswirkungen führte die massive Immigration nach Argentinien auf der Ebene des (sprach-)politischen Diskurses dazu, dass die Debatte über die argentinische Identität (cf. Delaney 2014) sowie die sprach‐ liche Unabhängigkeit bzw. die unidad y variedad del español neu entfacht wurde (cf. Blanco 1992, 1993 sowie Kapitel 5.5.2). So wurden die soeben beschriebenen Sprachkontaktphänomene als Defekte des Spanischen gesehen, auf die viele Autoren mit der Forderung nach einem stärkeren Sprachpurismus reagierten und entsprechende sprachpolitische Maßnahmen forderten. In anderen Re‐ gionen - insbesondere des Inlands - waren die Effekte der Einwanderungswelle indes weniger stark ausgeprägt. Malanca de Rodríguez Rojas (1984: 476) sieht dies, bezugnehmend auf Córdoba, als einen Grund für den Erhalt der grund‐ sätzlich konservativeren Kultur und auch eines stärkeren sprachlichen Konser‐ vativismus im Sinne einer Bewahrung hispanischer (lies: kastilischer) Ideale. Auch Santiago del Estero war, aufgrund der geringeren politischen und wirt‐ schaftlichen Bedeutung der Stadt, kein attraktives Ziel für die nach Verbesse‐ rung der eigenen wirtschaftlichen Situationen strebenden Migranten. Die Mi‐ grationsbewegungen tragen somit zu einer weiterführenden Konsolidierung der argentinischen Dialektareale im Sinne einer Differenzierung zwischen Litoral und den übrigen Arealen bei. 199 6.1 Externe Sprachgeschichte der untersuchten Varietäten <?page no="200"?> 30 Tatsächlich nehmen auch viele aktuelle Arbeiten zur dialektalen Gliederung auf diese Pionierarbeit Bezug und stützen nicht selten auch Argumentationen auf die mittler‐ weile über 70 Jahre alten Daten Vidal de Battinis. Die Erhebung aktueller Sprachdaten stellt somit ein wichtiges Forschungsdesiderat für das Spanisch in Argentinien dar. 6.2 Dialektareale Argentiniens als Ausgangspunkt der vorliegenden Analyse Die dialektale Gliederung eines Landes beschreibt die geografische Ausdehnung unterschiedlicher Dialektareale, die über regional divergierende Variablen- und Variantenkonstellationen bestimmt werden können. Die Grenze zwischen ver‐ schiedenen Variablenrealisierungen wird als Isoglosse bezeichnet. In der Regel unterscheiden sich zwei Gebiete über mehrere divergierende Variablen bzw. Variablenrealisierungen verschiedener sprachlicher Ebenen, sodass die Grenzen häufig in einem Isoglossenbündel bestehen. Die geografische Verortung der Isoglossenbündel stellt immer eine Idealisierung dar, da die Isoglossen nicht in allen Fällen und entlang des gesamten angenommenen Grenzverlaufs exakt aufeinander liegen und die Grenzregionen häufig Übergangsbereiche darstellen, in denen u. U. mehrere Realisierungsvarianten verbreitet sind. Sprachliche Va‐ rietäten sind jedoch lediglich ein Faktor der Identitätsbildung. Diese geschieht beispielsweise auch über die Selbstidentifikation der Individuen mit Kultur‐ räumen oder politischen Entitäten, die Personen zu Bürgern einer Stadt, einer Provinz oder einer Nation vereinen. Obwohl also die tatsächliche Ausdehnung der Dialektareale über die Grenzen der politischen Einheiten hinausgehen können, können letztere als durchaus geeignete Basis von Untersuchungen ge‐ wählt werden. Die Pionierarbeit der arealen Gliederung des Spanischen in Argentinien wurde von Berta Elena Vidal de Battini geleistet. Ihre Ergebnisse basieren auf langjährigen Untersuchungen und wurden erstmals im Jahre 1964 in einem vollständigen Band veröffentlicht. Dabei hatte die Autorin nicht eigentlich die dialektale Kartierung des Landes im Sinn. Das Ziel war vielmehr, die regionalen Varietäten in all ihren Facetten zu beschreiben, häufige Fehler zu benennen und daraus Ratschläge und didaktisches Material für einen verbesserten Grund‐ schulunterricht abzuleiten. Dennoch ist aus diesem Vorhaben das bis dato ein‐ flussreichste Werk der argentinischen Dialektologie entstanden (cf. Ogilvie 1987, Fontanella de Weinberg 2000c), auf dessen umfangreiches Korpus bei der Beschreibung der regionalen Varietäten Argentiniens bis heute Bezug ge‐ nommen wird (z. B. in Colantoni / Hualde 2013). 30 Die Gliederung erfolgt in erster Linie auf Basis phonetischer bzw. phonologischer Divergenzen, zum Teil aber auch auf Grundlage - mal mehr, mal weniger genau ausgearbeiteter - sprach‐ 200 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="201"?> licher Charakteristika anderer Ebenen; etwa der Lexik oder von unterschiedli‐ chen Sub- und Adstrat-Einflüssen (indigene Sprachen, Sprachen der Einwan‐ derer, Portugiesisch Brasiliens etc.). Für die vorliegende Untersuchung sind die Arbeiten zur dialektalen Gliederung von großer Bedeutung, da sie die wich‐ tigsten Unterschiede der Varietäten des Spanisch in Argentinien beschreiben. Die dialektalen Unterschiede, die dabei auf phonetischer Ebene festgestellt werden, könnten wiederum Ausgangspunkt für die Entwicklung unterschied‐ licher Aussprachestandards sein. Aufgrund ihrer großen Bedeutung für die dialektologischen Forschungen in Argentinien wird im Folgenden zunächst die Einteilung Vidal de Battinis dar‐ gestellt und mit aktuelleren Arbeiten zur dialektalen Gliederung Argentiniens und Hispanoamerikas verglichen. Vidal de Battini unterscheidet fünf Dialekt‐ areale (cf. Vidal de Battini 2 1966: 75-80): 1. región del litoral (Buenos Aires, Santa Fe, Entre Ríos, La Pampa und Pa‐ tagonien) 2. región guaranítica (Misiones, Formosa, Chaco, Corrientes) 3. región del noroeste (u. a. Jujuy, Salta, Tucumán, Santiago del Estero) 4. región cuyana (Mendoza, San Juan) 5. región central (Córdoba, San Luis) Die wichtigsten Variablen, die zur Einteilung herangezogen werden, sind: • Intonationsmuster: z. B. entonación del litoral, entonación guaranítica etc. • Realisierungsvarianten des Trills / r/ : assibiliert vs. vibrantisch • Realisierungsvarianten des Sibilanten / s/ : Abschwächungsphänomene vs. Erhalt der sibilantischen Qualität • yeísmo vs. Distinktion zwischen / ʝ/ : / ʎ/ sowie divergierende Realisie‐ rungsvarianten bzw. Neutralisierungsergebnisse • Morphologische und syntaktische Variationsphänomene: z. B. leísmo und loísmo • Lexikalische Divergenzen unterschiedlicher Provenienz Im Folgenden werden die Charakteristika der drei Dialektareale genauer dar‐ gestellt, denen die analysierten Regionen zugerechnet werden: das Litoral mit der Metropole Buenos Aires, die Region des Zentrums, in das die Stadt Córdoba integriert ist, sowie die Region des Nordwestens mit Santiago del Estero. Da‐ raufhin werden weitere, aktuellere Arbeiten zur dialektalen Gliederung des Landes bzw. zu den Varietäten dieser Regionen herangezogen. Die Erkenntnisse dieser vornehmlich dialektologischen Arbeiten waren ein Parameter für die 201 6.2 Dialektareale Argentiniens als Ausgangspunkt der vorliegenden Analyse <?page no="202"?> 31 Wörtlich heißt es: „En Santiago del Estero se pronuncia una s peculiar, muy tensa y silbante, que comúnmente llamamos en el país ese santiagueña.” (ibid.). Auswahl der Regionen und boten Hinweise auf möglicherweise geeignete Va‐ riablen für die phonetische und perzeptive Untersuchung. 6.2.1 Der Nordwesten bzw. die Sprachinsel Santiago del Estero Von den drei Regionen nimmt Santiago del Estero in der Beschreibung Vidal de Battinis eine besondere Rolle ein: „Santiago del Estero es una isla lingüística en el país. Su población es mestiza, pero es la única que ha conservado el quichua de la vieja catequización. Son características propias del habla de Santiago la pronunciación de su s, tensa y sibilante mantenida en toda posición, y la diferenciación de la y y la ll: y castellana; ll como y rehilada. En otros aspectos participa de la modalidad general del español del Noroeste.” (Vidal de Battini 2 1966: 79, Hervorhebung im Original) Die Provinz Santiago del Estero unterscheidet sich also im Hinblick auf die Re‐ alisierung des Sibilanten / s/ sowie im Hinblick auf ihre Distinktion der Pho‐ neme / ʝ/ : / ʎ/ (bzw. grafematisch <y>: <ll>) deutlich von den übrigen Regionen des Dialektareals des Nordwestens. Die Realisierung des Sibilanten / s/ weise einen besonders hohen Friktionsanteil auf, der - Vidal de Battini (1966: 104) folgend - in Argentinien als emblematisch für diese Varietät gelten könne. 31 Demgegenüber können die Varianten der Distinktion (<ll> realisiert als [ʒ] und <y> realisiert als [ʝ]) als nahezu einzigartig für den gesamten hispanoamerika‐ nischen Sprachraum beschrieben werden. Lediglich in der Sierra del Ecuador lasse sich dieselbe Variantenverteilung beobachten. Wie Santiago del Estero sei auch dieses Gebiet durch einen ausgeprägten Bilingualismus mit den Sprachen Quechua und Spanisch geprägt (ibid.: 121). Für den Rest der Zone des Nord‐ westens wäre, im Gegensatz zu Santiago del Estero, eine - bisweilen starke - Aspiration von / s/ in implosiver Position sowie der yeísmo (mit unterschiedli‐ chen Neutralisierungsergebnissen) charakteristisch (ibid.: 78-79). Einige andere Merkmale teilt Santiago del Estero hingegen durchaus mit dem Rest des Areals: die sogenannte entonación del esdrújulo (d. h. eine Betonung auf der drittletzten Silbe), die assibilierte Realisierung von / r/ als [ɕ] bzw. [ʑ], sowie eine von vielen Archaismen und Quechismen geprägte Lexik. Ob der deutlichen Unterschiede, die nicht nur den phonetischen, sondern auch den phonologischen Bereich be‐ treffen, und ihrer Charakterisierung als ‘Sprachinsel’ ist es verwunderlich, dass für die Provinz kein eigenes Dialektareal angesetzt wird. In späteren Darstel‐ 202 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="203"?> 32 Der Nachsatz „como hasta ahora se ha hecho“ mutet in diesen Zusammenhang etwas seltsam an, da der Autorin offenbar zwar die dialektologischen Arbeiten Lincoln Can‐ fields (1981) oder Hugo Kubarths (1987) nicht bekannt waren, die Arbeiten Lipskis (1994) und Donni de Mirandes (1996) aber durchaus in der Bibliografie erscheinen. In allen wird Santiago del Estero explizit oder implizit einem eigenständigen Dialektareal zugeordnet oder als Enklave kategorisiert. 33 So schreiben die Autoren (a. a. O.) bezugnehmend auf den yeísmo bzw. die Distinktion in Santiago del Estero: „Poco se sabe tanto acerca de los detalles de la realización acústica de estos fonemas como del estatus actual del mantenimiento de la oposición en los distintos estratos sociales, dada la falta de estudios experimentales y / o sociolingüísticos al respecto. Las pocas observaciones existentes coinciden en apuntar que hay signos de fusión de ambos fonemas (por ejemplo, Lipski 1994: 172-173)”. lungen einiger anderer Autoren wird dies z. T. korrigiert (cf. Canfield 1981, Ku‐ barth 1987, Lipski 1994, Donni de Mirande 1996). Im Beitrag von Elena M. Rojas aus dem Jahr 2000 wird Santiago del Estero dann zwar wieder in die Region des Nordwestens eingegliedert, allerdings nicht etwa aufgrund neuer linguistischer Erkenntnisse, sondern, ganz im Gegenteil, begründet durch eine mangelnde ak‐ tuelle Datenbasis: „Dentro de la región noroeste, probablemente se hubiera justificado tratar por sepa‐ rado la provincia de Santiago del Estero, que presenta rasgos lingüísticos diferenciales. Sin embargo, la carencia de estudios de base detallados que permitan profundizar en el tema nos llevó a incluirla en la región noroeste como hasta ahora se ha hecho.” (Fontanella de Weinberg 2000c: 34) 32 Auch in rezenteren Arbeiten wird die Sonderstellung Santiago del Esteros stets aufs Neue hervorgehoben, ohne dass für diese Feststellung aktuelle Daten er‐ hoben worden wären (cf. Colantoni / Hualde 2013: 22). 33 Im Hinblick auf die Untersuchung der möglichen Koexistenz verschiedener Aussprachestandards in Argentinien erscheint die Provinz Santiago del Estero, deren Status als ‘Sprachinsel’ in verschiedenen sprachwissenschaftlichen Ar‐ beiten explizit oder implizit wieder aufgegriffen wird, als besonders interessant. Dieser Sonderstatus sowie die Unsicherheit ihrer Einordnung im Rahmen der dialektalen Gliederung des Landes machen sie zu einem reizvollen Untersu‐ chungsobjekt. Gleichzeitig kann die Erhebung neuer phonetischer Daten einen kleinen Beitrag zur Linderung des Fehlens aktueller Beschreibungen der Vari‐ etät dieser Region beitragen. Zwar erfolgt diese nicht im Sinne einer vollum‐ fassenden Analyse einer großen und geografisch verteilten Sprechergruppe, sondern im Sinne eines stichprobenartigen Ausschnitts; ihre Ergebnisse bieten jedoch, vor allem vor dem Hintergrund der seit den 1960er Jahren fast schon gebetsmühlenartig wiederholten Realisierungstendenzen der Region, überra‐ 203 6.2 Dialektareale Argentiniens als Ausgangspunkt der vorliegenden Analyse <?page no="204"?> 34 Auch wenn es durchaus Initiativen und Institute zur Förderungen der indigenen Kultur in der Region gibt, z. B. die Asociación Investigadores en Lengua Quechua unter der Ägide von Jorge R. Alderetes und Lelia Ines Albarracín (cf. Alderetes 2010). schende Erkenntnisse. Gleichsam lässt die Auswahl der Sprecher und die Reich‐ weite ihrer Sprachprodukte durchaus Rückschlüsse auf Mesosynchronisie‐ rungen in Situationen kommunikativer Distanz zu. Die genannten historischen Bedingungen (Bipolarität zwischen politisch bedeutsamen Zentrum bis ins 17. Jh. und der sich anschließenden weitgehenden Isolation, sowie der verhält‐ nismäßig starke indigene Einfluss) könnten durchaus zu einer starken Identi‐ tätsbindung an die Region geführt haben. Dadurch, dass der historisch-politi‐ sche Einfluss vornehmlich zur Kolonialzeit wirksam war, dürften mutmaßlich insbesondere traditionelle und konservative Elemente eine große Rolle spielen. Ganz in diesem Sinne weist auch der erst zu Beginn diesen Jahrhunderts ver‐ liehene Titel ‘Mutter der Städte und Wiege der Folklore’, der wie der Slogan eines Werbebanners wirkt, in die Vergangenheit. Und auch auf sprachlicher Ebene wird Santiago del Estero ein relativ starker Konservatismus zuge‐ schrieben, der sich etwa durch die als typisch für das Santiagueño bezeichneten Merkmale des Sibilantenerhalts in allen phonotaktischen Positionen und die Wahrung der Distinktion zwischen / ʝ/ : / ʎ/ auszeichnet. Die genannten Faktoren könnten zu einer relativ starken Resistenz gegen die Übernahmen von aus der Hauptstadt ausstrahlenden Varianten geführt und die in dynamischen Interak‐ tionsprozessen begründete Festigung regionalsprachlicher Varianten begüns‐ tigt haben und somit als Fundament eines alternativen Aussprachestandards wirken. Beobachtungen von Lelia Inés Albarracín und Jorge Ricardo Alderetes (2005: 125) deuten darauf hin, dass bei der regionalen Identitätsbildung der vor‐ nehmlich kreolischen Sprechergemeinschaft die vom Quechua beeinflusste re‐ gionale Varietät des Spanischen möglicherweise eine größere Rolle spielt als die indigene Sprache oder Kultur selbst. 34 „Desde un punto de vista sociolingüístico, un aspecto muy importante es el hecho de que la comunidad quechuahablante de Santiago del Estero es una población criolla que ha internalizado el discurso hegemónico de desprecio al aborigen y de allí la ausencia de todo tipo de reivindicación étnica.” (Albarracín / Alderetes 2005: 125). Das Quechua nimmt vor dem Hintergrund dieser Beobachtung eine ambivalente Stellung ein. Es wird zwar stereotyp mit ‘Armut’ und ‘dem Ländlichen’ assozi‐ iert, fungiert aber bisweilen nach wie vor noch als die Verkehrssprache, als die es einst in die Region getragen worden war. So hätten Einwanderer aus dem arabischen Raum oder Angehörige des Judentums aus ‘kommunikativen Grün‐ den’ zwar die Sprache ‘mit Leichtigkeit’ erlernt, ohne dabei jedoch weitere Ele‐ 204 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="205"?> 35 Die Autoren nennen beispielhaft mangelnde Ressourcen des in den 1980er Jahren ein‐ gerichteten Lehrstuhl Cátedra de Lingüística Regional Quichua-Castellano, veraltete Grammatiken sowie einen fehlenden Unterricht des Quechua an öffentlichen Schulen (mit Ausnahme einer einzigen Schule im Departamento Figueroa (cf. Albarracín / Al‐ deretes 2005: 125-126)). 36 Gemäß der Schätzungen der Sprecherzahlen von Albarracín / Alderetes (2005) und den Einwohnerzahlen des Censo 2010 (INDEC 2010) ist die Sprache unter 18 % der Ein‐ wohner verbreitet mente der Quechua-Kultur zu übernehmen (cf. Albarracín / Alderetes 2005: 125). Dass der Sprache trotz der beschriebenen abwertenden Einstellung ge‐ genüber dem Indigenen, einer negativen Regionalentwicklung und einer Reihe wenig erfolgreicher gegensteuernder sprachpolitischer Maßnahmen 35 im 20. Jahrhundert dennoch eine recht große Vitalität zukommt, könnte für ein covert prestige des quichua santiagueño sprechen. 36 Mit Blick auf die zukünftige Entwicklung des Quechua spricht Aldo Leopoldo Tévez (2015) in einem für die Zeitung El Liberal verfassten Kommentar sogar von einer Trendwende, die auf eine Reihe - diesmal erfolgreicherer - sprachfördernder Maßnahmen, v. a. Sprachkurse in verschiedenen Provinzen des Landes und internationales wis‐ senschaftliches Interesse im 21. Jahrhundert, zurückzuführen sei. Hinsichtlich der Gesamtbevölkerung Santiago del Esteros könnte nun gerade die regionale Varietät des Spanischen als vereinendes identitätsstiftendes Momentum fun‐ gieren, die zwar vom Quechua beeinflusst, aber dennoch Teil der kreolischen Kultur Argentiniens ist. Auf der anderen Seite könnte die im nationalen Vergleich politisch und wirt‐ schaftlich relativ untergeordnete Bedeutung der Provinz auch dazu beitragen, dass sich vor allem junge Sprecher von dem Ideal des Konservativen entfernen und sich eher an den urbanen Zentren, allen voran Buenos Aires, und ihren vermeintlichen sozioökonomischen Aufstiegsmöglichkeiten orientieren. 6.2.2 Das Zentrum mit der Provinz Córdoba Die región central mit den Provinzen San Luis und Córdoba kann als Über‐ gangszone gedacht werden, die, vor allem an den Randgebieten, graduelle Über‐ einstimmungen mit den Charakteristika der sie umgebenden Dialektareale auf‐ weisen kann: „Consideramos las Provincias de Córdoba y San Luis, como una gran zona de límites abiertos, intermedia, de transición, entre el Noroeste, la región de Cuyo y la del Litoral.” (Vidal de Battini 2 1966: 80) 205 6.2 Dialektareale Argentiniens als Ausgangspunkt der vorliegenden Analyse <?page no="206"?> 37 Unter Rückgriff auf Daten, die von der CONICET-Stipendiatin (Consejo Nacional de Investigaciones Científicas y Técnicas) Patricia Supisiche erhoben wurden. 38 Die von u. a. von Donni de Mirande (1991: 59) beschriebene von Buenos Aires ausgeh‐ ende Verbreitung des yeísmo rehilado auf das Landesinnere ist unumstritten. Mit Blick auf die Realisierungsvarianten des Vibranten / r/ bzw. / R/ scheint die Variantenvertei‐ lung weniger mit einer mehr oder weniger starken Anpassung an die Varietät der Hauptstadt zusammenzuhängen als vielmehr mit dem Streben nach ausreichend großen phonetisch / phonologischen Kontrast. Denn die assibilierten Varianten und die Reali‐ sierungsvarianten des yeísmo rehilado weisen eine recht große lautliche Nähe zuei‐ nander auf, die sogar zu Verständigungsproblemen führen kann, die durch die Über‐ nahme des Trill-Lautes in das entsprechende Varianteninventar umgangen werden können. Auch Donnie de Mirande weißt an mehreren Stellen darauf hin, dass die Ver‐ breitung des Trills in Argentinien in auffälligem Maße mit derjenigen des stimmhaften Beiden Provinzen dieser Zone wird eine jeweils eigene tonada, also regionsspe‐ zifische Intonationsmuster zugesprochen: die tonada cordobesa und die tonada puntana (San Luis). Die Region des Zentrums zeichnet sich durch einen gene‐ ralisierten yeísmo, die Aspiration des Sibilanten / s/ in implosiver Position und eine assibilierte Realisierung des Vibranten / r/ aus. Dem Areal wird zudem eine recht große sprachliche Einheitlichkeit im morphologischen, syntaktischen und lexikalischen Bereich zugesprochen (cf. Vidal de Battini 2 1966: 80). In späteren Arbeiten zur dialektalen Gliederung Argentiniens wird die Provinz Córdoba entweder ebenfalls einer Zentralregion zugeordnet oder aber in das Litoral mit eingegliedert, so zum Beispiel in Kubarth (1987) oder (implizit) in Coloma (2013). Viramonte de Avalos (2000) aktualisiert die Daten Vidal de Battinis mit einer Präzisierung hinsichtlich des Vibranten / r/ , der in der Region eine stratifizierte Verteilung aufweise. 37 Die Stratifizierung erfolgt auf Basis sozioedukativer Fak‐ toren nach den drei klassischen Schichten (ʻhochʼ, ʻmittelʼ und ʻniedrigʼ). Die as‐ sibilierte Realisierung, die Vidal de Battini noch als charakteristisch für die Re‐ gion identifiziert hatte, sei demnach typisch für die niederen und höheren Strata, wohingegen der Trill [r] sowohl im mittleren als auch im höheren Stratum zu finden sei. Dies könnte ein Hinweis auf einen fortschreitenden Sprachwandel im Sinne einer zunehmenden Verdrängung der assibilierten Variante und einer Annäherung an die prototypische Realisierung von / r/ sein. Daraus ließe sich gleichsam eine größere Annäherung an die Varietät des Litorals ableiten, was allerdings durch das Faktum konterkariert wird, dass die assibilierte Variante nach wie vor in der habla culta der Oberschicht Verwendung findet. Im Hinblick auf den yeísmo in der Provinz spricht zwar auch Viramonte de Avalos (2000) von einem generalisierten yeísmo, nimmt aber auch an dieser Stelle soziolinguisti‐ sche Präzisierungen vor. So sei der yeísmo rehilado in der sozioökonomischen Unterschicht unterrepräsentiert, während in der Oberschicht 21 % einen yeísmo ohne rehilamiento verwendeten (ibid.: 165). 38 206 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="207"?> yeísmo rehilado (oder žeísmo) übereinstimme: „La isoglosa de la / r/ vibrante coincide en gran medida, según los datos existentes, con la del zeísmo.” (Donni de Mirande 1985: 48; cf. ebenso Donni de Mirande 1991: 47). 39 Besonders plakativ zeigt sich das Gesagte an einem Zitat des Schriftstellers Arturo Capdevilas: „Por mi parte, respondo de mi generación. Allá en mi noble Córdoba amá‐ bamos a España” Malanca de Rodríguez Rojas (1984: 480). 40 Daneben rechnet Vidal de Battini noch die Provinzen Santa Fe, Teile Entre Ríos, La Pampa, Patagonien und Uruguay (mit z. T. eigenen Varianten) zum Litoral. Für die Auswahl der Provinz Córdoba waren jedoch nicht nur sprachliche Divergenzen zur Varietät Buenos Airesʼ ausschlaggebend, sondern auch die ak‐ zentuiert (positive) Selbstwahrnehmung ihrer Bewohner und die historische Rivalität der Provinz zu Buenos Aires. Die Wahrnehmung des ‘Wir’ und des ‘An‐ deren’ ist vermutlich in keiner anderen regionenbasierten Opposition innerhalb Argentiniens derart ausgeprägt wie zwischen der Bundeshauptstadt und Cór‐ doba. Die Selbstwahrnehmung und der der Stadt häufig zugeschriebene Kon‐ servatismus könnten dazu beitragen, dass sprachliche Innovationen aus der Hauptstadt (trotz einer relativ großen räumlichen Nähe) weniger schnell oder gar nicht adaptiert werden. Dies konnte bereits an der, für eine Großstadt relativ späten Adaption des rehilamiento gezeigt werden (cf. Fontanella de Weinberg 1995: 193) und könnte sich nun im Hinblick auf die sich ausbreitende Entstim‐ mungstendenz des yeísmo rehilado / ʒ/ > / ʃ/ wiederholen. Der Stadt wird daher ein ʻHispanismusʼ im Sinne einer stärkeren Orientierung an (den sprachlichen Idealen) Kastilien(s) nachgesagt, der sicherlich auch dadurch gestützt wird, dass die Varietät Córdobas in deutlich geringerem Maße von Sprachkontaktphäno‐ menen geprägt ist. 39 So ist sie auf der einen Seite deutlich weniger stark von den Einwanderungsströmen im 19. Jahrhundert tangiert gewesen als etwa Buenos Aires, hat auf der anderen Seite aber auch keine derart starke indigene Prägung erfahren wie etwa Santiago del Estero. 6.2.3 Das Litoral mit Stadt und Provinz Buenos Aires Wie Santiago del Estero kommt auch dem Litoral, das u. a. die Stadt und Provinz Buenos Aires umfasst, 40 in der klassischen Darstellung Vidal de Battinis eine Sonderrolle zu; wenn auch aus anderen Gründen: „Es la región más extensa y más europeizada de la República. Su núcleo es la populosa y cosmopolita Buenos Aires, poderoso centro de cultura, cuya irradiación domina el territorio. El habla de Buenos Aires de extraordinaria complejidad y variabilidad, por sí sola justificaría un estudio particular.” (Vidal de Battini 2 1966: 76). 207 6.2 Dialektareale Argentiniens als Ausgangspunkt der vorliegenden Analyse <?page no="208"?> 41 Bezugnehmend auf die Studie Dinámica social de un cambio lingüístico, die die Autorin selbst im Jahre 1979 im Verlag der Universidad Nacional Autónoma de México veröf‐ fentlicht hat. 42 Diese Beobachtung hatte Donni de Mirande (2000a) bereits in Bezug auf die Entstim‐ mung des yeísmo unter jungen Sprechern in Rosario gemacht, die - im Gegensatz etwa zur Elision von / s/ - keinesfalls als stigmatisiert zu gelten habe (cf. ibid. 71-73). Das Litoral zeichne sich - relativ einheitlich - durch eine entonación porteña, den yeísmo rehilado und die Realisierung von / r/ als Trill [r] aus. Die Verteilung der Realisierungen von / s/ hingegen wird als stratifiziert beschrieben. Im nied‐ rigen Stratum sei eine erhöhte Tendenz zur Elision von / s/ beobachtbar, wohin‐ gegen in der sozioökonomischen Oberschicht der Erhalt des Sibilanten ausge‐ prägt sei. In silbenschließender Position sei die Aspiration von / s/ jedoch in allen Schichten verbreitet (ibid.). Wobei die Aspiration in der Oberschicht insbeson‐ dere in präkonsonantischer Position (und vor allem vor [k] und [t]) üblich sei (cf. Vidal de Battini 2 1966: 102). Die Region zeichne sich zudem durch einen - mit wenigen lokalen Ausnahmen - generalisierten stimmhaften yeísmo rehilado aus, wobei die Autorin bereits eine zunehmende Verbreitung der stimmlosen Variante unter den Jugendlichen der Stadt Buenos Aires beobachtet (ibid.: 119). In einem späteren Werk zeigt Fontanella de Weinberg, dass dieser Sprachwandel vor allem von Frauen mittleren Alters vorangetrieben werde (cf. Fontanella de Weinberg 2000a: 40) 41 . Heutzutage kann die stimmlose Variante [ʃ] geschlech‐ terübergreifend als vorherrschende yeísmo-Realisierung der Gruppe der unter 30-Jährigen der Mittel- und Unterschicht angesehen werden. Für diese Gruppe kann der Prozess der Entstimmung [ʒ] > [ʃ] auch aus phonetischer Sicht als vollständig abgeschlossen gelten (cf. Rohena-Madrazo 2013). Daten aus der vor‐ liegenden perzeptiven Analyse bestätigen diese Beobachtung und zeigen, dass die stimmhafte Variante in dieser Gruppe bisweilen schon als veraltet wahrge‐ nommen wird (cf. Kapitel 8). In der älteren Generationen und der Oberschicht hingegen ist die stimmhafte Variante auch heutzutage noch weit verbreitet und der phonetische Prozess der Entstimmung dort weniger stark fortgeschritten (cf. Rohena-Madrazo 2013: 56). Rohena-Madrazo weist aber explizit darauf hin, dass beide Varianten als standardadäquat zu gelten haben, da sie sich zwar noch stilistisch, aber nicht (mehr) im Hinblick auf ihr Prestige oder ihre normative Korrektheit unterscheiden ließen. Ihre Realisierung hinge demnach eher mit phonetisch regierten Faktoren wie der Sprechgeschwindigkeit und der Koordi‐ nation von Artikulationsbewegungen (ibid.) bzw. der phonotaktischen Position ihres Erscheinens (cf. Rohena-Madrazo 2015) zusammen, als mit divergierendem Prestige oder Stigma. 42 208 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="209"?> 43 Die Kategorisierung Patagoniens als eigenständiges Dialektareal wird insbesondere durch die Sprache der mittleren und niedrigen Strata gerechtfertigt: Während die so‐ genannte habla culta im Wesentlichen mit derjenigen der región bonaerense überein‐ stimme, seien in der dialektalen Sprachverwendung einige Charakteristika zu be‐ obachten, die im Einflussgebiet der Hauptstadt selten oder überhaupt nicht vorkämen (etwa der yeísmo ohne rehilamiento, assibiliertes / r/ oder die intervokalische Aspiration von / s/ (cf. Fontanella de Weinberg 2000b: 213). Im Hinblick auf die Abtrennung des Litorals von der Region Buenos Aires‘ hingegen, spielt eher die Frequenz einiger Rea‐ lisierungsvarianten, wie etwa die Elision von auslautendem / s/ eine Rolle (cf. Fontanella de Weinberg 2000c: 34). Die Ausdehnung des Dialektareals des Litoral bleibt auch in späteren Arbeiten zur dialektalen Gliederung zumeist unverändert. Allerdings schlagen Fontanella de Weinberg (2000a, 2000b) und Donni de Mirande (2000a) vor, das Gebiet zu unterteilen und das sprachliche Einflussgebiet der Hauptstadt genauer zu be‐ stimmen. Im Gegensatz zu den meisten anderen dialektalen Gliederungen werden dadurch Santa Fe und Patagonien aus dem Dialektareal der Hauptstadt ausgegliedert und konstituieren jeweils eigene Areale. 43 Die wesentlichen Aus‐ sprachemerkmale des Areals Buenos Airesʼ decken sich mit der Darstellung Vidal de Battinis, abgesehen von der bereits erwähnten graduell voranschrei‐ tenden Ausbreitung der entstimmten yeísmo-Variante [ʃ], die nun nicht mehr nur in der Aussprache jüngerer Frauen sondern auch in der jüngerer Männer weit verbreitet sei (cf. Fontanella de Weinberg 2000a: 40). 6.3 Zur Methodik - dem Aussprachestandard auf der Spur Die Untersuchung, ob in Argentinien bzw. in Buenos Aires, Córdoba und San‐ tiago del Estero verschiedene Aussprachestandards koexistieren, ist mehrstufig angelegt. Mittels einer phonetischen Analyse wird untersucht, ob Modellspre‐ cher bestimmte Phoneme in Situationen kommunikativer Distanz tendenziell auf dieselbe Art und Weise realisieren oder ob sich Unterschiede in ihren Rea‐ lisierungstendenzen feststellen lassen (cf. Kapitel 7). Der Vergleich erfolgt zu‐ nächst intraregional, also unter Sprechern ein und derselben Region, und sodann interregional zwischen Modellsprechern der verschiedenen Regionen. Die Exis‐ tenz von Unterschieden auf phonetischer Ebene ist für den Nachweis verschie‐ dener Aussprachestandards zwar notwendig, jedoch keinesfalls hinreichend. Damit es sich tatsächlich um verschiedene Aussprachestandards handelt, müssen die distinktiven Varianten zusätzlich mit regional divergierenden Per‐ zeptionsurteilen belegt werden. Zu diesem Zweck werden die Regionen unter‐ scheidende Realisierungstendenzen anderen Mitgliedern der drei Sprecherge‐ 209 6.3 Zur Methodik - dem Aussprachestandard auf der Spur <?page no="210"?> 44 Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die (archaischen) Affirmationsbzw. Negationspartikel in den britischen und amerikanischen Parlamenten (aye und nay), die dort hoch frequent, in den meisten anderen Kontexten jedoch ungebräuchlich sind und genau aus diesem Grund in der Wahrnehmung anderer Mitglieder der Sprach‐ gemeinschaft als salient erscheinen. meinschaften mittels eines Online-Fragebogens zur Bewertung vorgelegt. Auf phonetischer Seite ist das Hauptkriterium für die Standardzugehörigkeit einer Variante eine sprecherübergreifend hohe Frequenz. Im Hinblick auf die Perzep‐ tion ist es hingegen die geringe Salienz der in Frage kommenden Variante. Va‐ rianten, die innerhalb der Gruppe von Modellsprechern einer Region eine hohe Frequenz aufweisen und gleichzeitig von anderen Mitgliedern derselben Sprach‐ gemeinschaft nicht als salient wahrgenommen werden, werden als standard‐ adäquat verstanden. Hochfrequente, jedoch gleichzeitig saliente Varianten könnten beispielsweise auf Varianten einer Fachaussprache hinweisen. 44 Die bisherigen Ausführungen lassen folgende Rückschlüsse auf die Ausge‐ staltung von Aussprachestandards zu: 1. Der phonetische Bereich einer Sprache weist Normen auf, an denen sich die Sprecher in intendierter Standardverwendung orientieren (Ausspra‐ chestandard). 2. Der Aussprachestandard ist selten allgemeingültig kodifiziert und wird nicht institutionell in der Gesellschaft verbreitet; dadurch gesteht er mehr Raum für Variation zu. 3. Er wird demnach nicht Top-down vorgeschrieben, sondern entsteht über Synchronisierungsprozesse der Mitglieder der Sprachgemeinschaft. Dabei wird er stets aufs Neue ausgelotet und modifiziert. 4. Innerhalb seines Geltungsbereichs und in Situationen kommunikativer Distanz wird ein Abweichen von dieser Norm als auffällig empfunden und evoziert ggf. sekundäre Korrektheitsurteile. 5. Als Orientierungspunkt der Synchronisierungsprozesse dienen übereinstimmende Realisierungstendenzen von Sprechern mit sprachlicher Ex‐ pertise, sprachnormativer Autorität, hohem Bildungsgrad und großer Erfahrung im sprachlichen Handeln in Situationen distanzsprachlicher Prägung (Modellsprecher). 6. Je mehr dieser Sprecher in Situationen kommunikativer Distanz in ihren Realisierungstendenzen eines Phonems übereinstimmen, desto fixierter ist die Aussprache dieses Phonems. 210 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="211"?> 45 In diesen Sinne bietet die folgende Beobachtung von Colantoni und Hualde einen guten Ansatzpunkt zur Unterscheidung zweier Aussprachestandards, allerdings müsste die Vermutung der Annahme der Standardzugehörigkeit der Aspiration von / s/ im Spani‐ schen Buenos Aires’ noch durch entsprechende Perzeptionsurteile bestätigt werden: „A este respecto es interesante notar que aunque la aspiración de / s/ es ciertamente más común en el español andaluz y caribeño que en el bonaerense, la observación de la pronunciación de los locutores de radio y televisión puede llevar a la opinión contraria, ya que los profesionales de radio y televisión andaluces y caribeños tienden a suprimir la aspiración, mientras que los argentinos mantienen la aspiración preconsonántica en este estilo. Hay, pues, normas ortofónicas diferentes en las diferentes variedades his‐ panas.” (Colantoni / Hualde 2013: 29). 7. Je mehr Phonemrealisierungen innerhalb einer Region als fixiert in diesem Sinne gelten können, desto wahrscheinlicher ist die Existenz eines (regionalen) Aussprachestandards. 8. Sind im interregionalen Vergleich Unterschiede in den allophonen Reali‐ sierungstendenzen feststellbar, so sind die divergierenden Varianten po‐ tenziell dazu geeignet, verschiedene Aussprachestandards zu konstitu‐ ieren. 9. Die Annahme der Existenz eines oder mehrerer Aussprachestandards kann über die perzeptiven Bewertungen dieser Varianten durch einen größeren Ausschnitt der Sprachgemeinschaft gestützt oder negiert werden. 10. Ein Aussprachestandard ist dann wahrscheinlich, wenn für eine Region charakteristische Varianten intraregional überwiegend mit standardty‐ pischen Attributen (Unauffälligkeit, Korrektheit etc.), abweichende Vari‐ anten indes mit entsprechenden standardfernen Bewertungen belegt werden. 45 11. Werden regional-atypische Varianten mit ähnlichen Attributen wie regi‐ onal-typische Varianten belegt, oder, frequente regionale Varianten mit standardatypischen Attributen versehen, so kann dies als Indiz gegen die Annahme eines Aussprachestandards gewertet werden. 12. Unterschiedliche Aussprachestandards sind demnach dann wahrschein‐ lich, wenn für verschiedene Regionen unterschiedliche Realisierungsva‐ rianten als standardzugehörig und jeweils konkurrierende Varianten als standardatypisch beurteilt würden. Die phonetische Analyse ist segmental angelegt und untersucht Realisierungen bestimmter Phoneme im Hinblick auf intrawie interregionale Unterschiede. Die suprasegmentale Ebene der Aussprache, also die Prosodie und allgemeiner die Intonation, ist hingegen nicht Teil der Analyse. Dies hat mehrere Gründe: So ist die Phonem-Allophon-Zuordnung aufgrund ihrer Funktionalität und ihrer Stabilität sehr gut dazu geeignet, „identitätsstiftenden und solidarisierenden 211 6.3 Zur Methodik - dem Aussprachestandard auf der Spur <?page no="212"?> 46 So könnte untersucht werden, ob die Unterschiede, die die Varietäten Córdobas und Buenos Aires’ etwa im Hinblick auf die Tonemkonstellationen und prosodische Para‐ mater (Vokalquantität) in affirmativen Deklarativsätzen aufweisen, ebenfalls im Hin‐ blick auf die Evaluation situativer Adäquatheit integriert werden (cf. Donni de Mirande 1986, Colantoni / Hualde 2013). Anliegen [zu] genügen“ (Lameli 2004: 40). Dadurch, dass sich die Unterschiede auf einzelne Elemente zurückführen lassen, entsteht ein maximaler Kontrast im Sinne klar definierter Oppositionen. Unterschiede auf suprasegmentaler Ebene, die durchaus an der Distinktion von Varietäten beteiligt sind, sind hingegen - insbesondere für nicht phonetisch geschulte Hörer - deutlich schwerer zu fassen. Dies gilt umso mehr, als diese in nicht-tonalen Sprachen in nur wenigen Fällen bedeutungsunterscheidend wirken, etwa auf Satzebene zur Unterschei‐ dung einer interrogativen von einer affirmativen Bedeutung. Die Intonation ist jedoch entscheidend an der Diskursstrukturierung, der Unterscheidung der Mo‐ dalität einer Äußerung und an pragmatischen Sprachhandlungen beteiligt: „To sum up, intonation is active at many different levels of communication, in areas deemed purely linguistic as well as those considered more peripheral to linguistic inquiry. However, since the intonational expression of many functional levels occurs simultaneously, it is not possible to understand the expression of one level without an taking into account the way the others are expressed.” (Grice ²2006: 787) Ein Vergleich der Intonationsmuster verschiedener Varietäten des Spanischen in Argentinien, wie er bereits verschiedentlich durchgeführt wurde (Fontanella de Weinberg 1966, 1971, Kabatek 2005, Santos Figueiredo 2011), kann sicherlich zu interessanten Ergebnissen führen. Inwieweit diese intonatorischen Diver‐ genzen jedoch tatsächlich mit Standardsprachlichkeit assoziiert werden (cf. Bartsch 1987: 8, Lara 2004: 49), ist aufgrund der beschriebenen Multifunktiona‐ lität der Intonation schwer zu beurteilen. Die Beantwortung dieser Frage muss nicht zuletzt aus Machbarkeitsgründen anderen Untersuchungen vorbehalten bleiben. 46 212 6 Heranführung an den Untersuchungsgegenstand <?page no="213"?> 1 Der Annotation Marcos Rohena-Madrazo (2015) folgend wird das Ergebnis der Neut‐ ralisierung der ehemals bestehenden Opposition zwischen / ʝ/ und / ʎ/ (yeísmo) mit / ʒ/ dargestellt. Diese Annotation wird für die Region Buenos Aires vorgeschlagen und hier allgemein übernommen, wenn auf den yeísmo in den verschiedenen Varietäten Argen‐ tiniens Bezug genommen wird. 7 Die phonetische Analyse 7.1 Zum Datenmaterial der phonetischen Untersuchung Das phonetische Korpus umfasst 4196 analysierte Token, 543: 49 Minuten un‐ tersuchtes Audiomaterial und ist qualitativer Natur. Es dient dazu, Realisie‐ rungstendenzen ausgewählter Modellsprecher aus verschiedenen Regionen Ar‐ gentiniens in Situationen kommunikativer Distanz aufzuzeigen und somit regionalen Divergenzen der intendierten Standardverwendung nachzuspüren. Zu diesem Zweck wurden öffentliche Redebeiträge ausgewählt und im Hinblick auf die Realisierung des Sibilanten / s/ (cf. Kapitel 7.2), des Trills / R/ bzw. / r/ (cf. Kapitel 7.3) sowie des postalveolaren Frikativs / ʒ/ (cf. Kapitel 7.4) untersucht. 1 Diese Phoneme sind in der Hispanophonie im Allgemeinen, aber auch in den Varietäten Argentiniens im Besonderen, häufig Varianzphänomenen unter‐ worfen. Ihre regional unterschiedlichen allophonen Ausprägungen sind - wie in Kapitel 6.2 ausgeführt - bei der Gliederung des Landes in verschiedene Dia‐ lektareale mitentscheidend und somit dazu geeignet, verschiedene Aussprache‐ standards zu konstituieren. Die Redebeiträge entstammen öffentlich zugängli‐ chen Videos, die auf Online-Video-Plattformen eingestellt wurden, zum Teil aber bereits zuvor im Fernsehen ausgestrahlt worden waren. Es handelt sich in der Mehrheit um spontansprachliche bis semi-spontansprachliche Äußerungen aus Interviews oder Diskussionsrunden bzw. Anmoderationen oder Vorträgen. Das Thema der jeweiligen Sendung spielte bei der Auswahl der Beiträge keine Rolle, allerdings musste das Programmformat dem Kriterium informativer Se‐ riosität genügen. Somit sind beispielsweise humoristische Inhalte oder affek‐ tierte Beiträge ausgeschlossen. Durch diese Kriterien der Beitragsauswahl weist die Kommunikationssituation bereits eine hohe distanzsprachliche Prägung auf: ein hoher Grad an Öffentlichkeit, Fremdheit der Kommunikationspartner, eine geringe emotionale Beteiligung sowie eine sehr große zeitliche Distanz (Archi‐ vierung der Beiträge). Die physische Distanz zu den Rezipienten ist hingegen als bivalent zu beschreiben: Es handelt sich in der Mehrzahl der Fälle um <?page no="214"?> 2 Aus den genannten Gründen unterliegt dieses Versuchsdesign nicht dem klassischen, von Labov (cf. 1972b: 113) beschriebenen Beobachterparadoxon: Viele Untersuchungen zur spontanen gesprochenen Sprache benötigen Sprachdaten natürlicher Sprachver‐ wendung, also aus Situationen, in denen sich die Sprecher nicht beobachtet fühlen. Allerdings macht die wissenschaftliche Beschreibung dieser Sprache, die systematische Erhebung von Sprachdaten und damit die Beobachtung des Sprachverhaltens durch einen Explorator erforderlich. Durch die bloße Anwesenheit dieses Explorators kann hingegen die natürliche Spontansprachlichkeit durch die (nicht auszuschließende) Ver‐ lagerung der Aufmerksamkeit der Sprecher von der ‘Nachricht’ auf den ‘Code’ ( Ja‐ kobson) nicht mehr als vorausgesetzt gelten. Wenn den Sprechern zusätzlich bewusst ist, dass nicht nur sie oder ihr Verhalten, sondern tatsächlich ihre Sprache analysiert wird, kann sicherlich nicht mehr von natürlich spontansprachlichen Äußerungen ge‐ sprochen werden. 3 Der Informant ohne Hochschulabschluss hatte zunächst ein Studium begonnen, dieses aber zugunsten einer Karriere im Medienbereich abgebrochen. Er arbeitet nun bereits face-to-face-Kommunikation, die dialogisch oder gegenüber einem physisch präsenten Publikum stattgefunden hat. Durch die zusätzliche Emission in Funk und Fernsehen und die nachträgliche Verbreitung im Internet strahlt die Kom‐ munikation jedoch weit über die eigentliche Äußerungsumgebung hinaus. Da es sich nicht um heimliche Aufnahmen handelt, ist davon auszugehen, dass den Sprechern die kommunikative Reichweite bewusst war, ebenso die Möglich‐ keiten der Konservierung und Weiterverbreitung des aufgezeichneten Mate‐ rials. Es kann also in allen Fällen eindeutig von Situationen kommunikativer Distanz gesprochen werden, deren sprachliche Anforderungen am besten durch die Standardvarietät bedient werden können (cf. Koch / Oesterreicher 2 2011 sowie Kapitel 3.2). Die Verwendung zuvor aufgezeichneten, öffentlich verfüg‐ baren Materials hat den großen Vorteil - etwa im Vergleich zu Sprachlaborsi‐ tuationen und elizitierter Rede -, dass die Sprecher zwar mit großer sprachlicher Sorgfalt agieren, jedoch nicht wissen, dass ihre Sprache selbst zu einem späteren Zeitpunkt zum Untersuchungsgegenstand linguistischer Analysen wird. Der Fokus der Aufmerksamkeit liegt somit klar auf dem Inhalt, nicht etwa auf der Form der Äußerung. Das heißt, die Aussprache der Informanten dürfte aufgrund der zuvor dargestellten Kommunikationsbedingungen zwar intendiert stan‐ dardkonform sein, ohne dass aber die Aufmerksamkeit auf die Aussprache durch die Anwesenheit eines linguistisch geschulten Beobachters übersteuert würde. Es kann in diesem Sinne von Instanzen natürlicher - d. h. alltäglicher - Stan‐ dardsprache ausgegangen werden. 2 Diese Annahme wird zusätzlich durch die Definition der Gruppe der Modellsprecher bestärkt: Mit einer Ausnahme be‐ sitzen alle Sprecher einen Hochschulabschluss, zwei der analysierten Personen haben zudem promoviert oder habilitiert. 3 Der Großteil arbeitet als Schriftsteller, Wissenschaftler, Journalisten oder Radiobzw. Fernsehmoderatoren, es wurden 214 7 Die phonetische Analyse <?page no="215"?> seit vielen Jahren als Moderator in Funk und Fernsehen und ist Autor eines Buches und mehrerer Kurzgeschichten. 4 Diese Angabe bezieht sich auf das Alter der Person bei Aufnahme bzw., falls diese In‐ formation nicht vorliegt, bei Veröffentlichung der Audioquelle. Sofern der Analyse von Gewährspersonen mehrere Videos zugrunde liegen und diese verschiedenen Jahren entstammen, wird das Alter als Spanne angegeben. aber auch studierte Wirtschaftsprüfer sowie ein Politiker und Jurist zur Analyse herangezogen. Tatsächlich übt die große Mehrheit gleich mehrere der ge‐ nannten Berufe aus. Somit sind die Gewährspersonen nicht nur hoch gebildet, sondern sie weisen auch einen beruflichen Bezug zur Sprache auf und sind es (aufgrund ihrer Profession, ihrer Ausbildung etc.) gewohnt, vor Publikum zu sprechen; ob in Fernsehbzw. Radiosendungen oder in Präsenzsituationen. Sie sind somit in derartigen Kommunikationssituationen erfahren oder wurden sogar dafür geschult, weshalb etwaige Nervositätseffekte gering sein dürften. Ihre Ausbildung und ihre beruflichen Tätigkeiten lassen eine weitgehend stan‐ dardkonforme Sprachverwendung in Situationen kommunikativer Distanz er‐ wartbar erscheinen. Zusätzlich sind sie dem Personenkreis zuzurechnen, dem einer Umfrage unter den Bewohnern von Buenos Aires zufolge eine gute oder sehr gute Sprachverwendung zugesprochen wird (cf. Acuña / Moure 1999: 1517 f.). Die Auswahl der konkreten Gewährspersonen erfolgte auf Basis der genannten Kriterien nach dem Zufallsprinzip und nach Verfügbarkeit geeig‐ neter Redebeiträge. Insgesamt wurden 16 Sprecher analysiert; jeweils fünf davon sind in der Stadt Buenos Aires bzw. der Provinz Córdoba geboren und weitere sechs in der Provinz Santiago del Estero. Das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Gewährpersonen beträgt 8: 8. Das Alter der Informanten zum Aufnahmezeitpunkt bewegt sich zwischen 30 und 72 Jahren, das Durchschnitts‐ alter beträgt rund 50 Jahre. 4 Code Provinz Alter Ge‐ schlecht Ausbildung Beruf bsas_ef Buenos Aires 54 F Universitätsab‐ schluss Schriftstellerin bsas_mc Buenos Aires 55-57 M Universitätsab‐ schluss Dozent, Journalist, Schriftsteller bsas_fa Buenos Aires 47-49 M Universitätsab‐ schluss Psychologe, Schrift‐ steller bsas_ec Buenos Aires- 45-52 F Universitätsab‐ schluss Psychologin, Schrift‐ stellerin 215 7.1 Zum Datenmaterial der phonetischen Untersuchung <?page no="216"?> Code Provinz Alter Ge‐ schlecht Ausbildung Beruf bsas_bs Buenos Aires 70-72 F Universitätsab‐ schluss Dozentin, Journa‐ listin, Schriftstellerin cor_dls Córdoba 62 M Universitätsab‐ schluss Jurist, Politiker cor_cs Córdoba 60 F Habilitation Politologin, Profes‐ sorin, Schriftstellerin cor_jc Córdoba 48 M Sekundarstufe Journalist, Mode‐ rator, Schriftsteller cor_sb Córdoba 57-63 F Habilitation Professorin, Schrift‐ stellerin cor_vb Córdoba 42-43 F Universitätsab‐ schluss Politologin sde_ep Santiago del Es‐ tero 30 M Universitätsab‐ schluss Moderator, Soziologe sde_rp Santiago del Es‐ tero 46 M Universitätsab‐ schluss Journalist, Wirt‐ schaftsprüfer sde_gor Santiago del Es‐ tero 30 M Universitätsab‐ schluss Wirtschaftsprüfer sde_mdc Santiago del Es‐ tero 48 F Universitätsab‐ schluss Dozentin, Radiomo‐ deratorin sde_po Santiago del Es‐ tero 47 F Universitätsab‐ schluss Dozentin, Wirt‐ schaftsprüferin sde_bm Santiago del Es‐ tero 38-39 M Universitätsab‐ schluss Moderator, Wirt‐ schaftsprüfer Tab. 3 Metadaten der Gewährspersonen der phonetischen Analyse Wenig überraschend stand für die Varietät Buenos Aires aufgrund des großen kulturellen und medialen Angebots und der damit zusammenhängenden Infra‐ struktur am meisten geeignetes Audiomaterial in ausreichender Qualität zur Verfügung. Mit Blick auf Córdoba und insbesondere Santiago del Estero hin‐ gegen gestaltete sich die Materialgewinnung deutlich anspruchsvoller. Dies liegt 216 7 Die phonetische Analyse <?page no="217"?> nicht zuletzt auch an den Qualitätskriterien, denen die Videos genügen mussten: Sie sollten nicht nur formale distanzsprachliche Kommunikationssituationen abbilden und für eine phonetische Analyse ausreichend Audiodaten beinhalten, sondern auch genügend Metadaten zu Aufnahmezeitpunkt und den interagierenden Sprechern bereitstellen. Das Problem der Verfügbarkeit geeigneten Au‐ diomaterials stellt sich jedoch nicht nur hinsichtlich der zu untersuchenden Provinz, sondern vor allem auch hinsichtlich der Gewährspersonen. So sollte pro Person so viel Audiomaterial zur Verfügung stehen, dass das Analyseziel von 25 Token je Phonem und phonotaktischer Position (s. u.) erreicht werden konnte. Dies war jedoch nicht in jedem Fall möglich, weshalb für Santiago del Estero eine sechste Gewährsperson in das Korpus aufgenommen wurde, um dennoch eine annähernd ausgeglichene Anzahl von Token je Region zu errei‐ chen. Die analysierten Token und das zur Verfügung stehende Audiomaterial verteilen sich wie folgt auf die drei Regionen: Abb. 8 Datenmaterial der phonetischen Analyse Die allophonen Realisierungsvarianten von / s/ , / r/ bzw. / R/ sowie / ʒ/ wurden in Abhängigkeit von ihrem phonetischen Kontext untersucht. Für jedes Phonem sollten nach Möglichkeit 25 Okkurrenzen in äußerungsöffnender Position, in intervokalischer Position, in prä- und postkonsonantischem Kontext sowie in äußerungsschließender Position erzielt werden. Aufgrund systematischer Dis‐ tributionsbeschränkungen der Phoneme war dieses Ziel lediglich für das 217 7.1 Zum Datenmaterial der phonetischen Untersuchung <?page no="218"?> Phonem / s/ erreichbar. Die anderen Phoneme weisen bezüglich ihrer Verteilung hingegen mehr oder minder starke Einschränkungen auf: Beispielsweise kann der postalveolare Frikativ / ʒ/ zwar am Anfang eines Wortes, in intervokalischer Position und - an Wortgrenzen - in postkonsonantischer Position erscheinen, allerdings ist er von der Silbencoda und somit auch von der äußerungsfinalen Position ausgeschlossen. Die folgende Tabelle (cf. Tab. 4) gibt einen Überblick über die Analysepositionen mit jeweils einem Beispiel. Auf die zugrunde lie‐ genden Ursachen wird in den jeweiligen Unterkapiteln kurz eingegangen. Die ausgegrauten Beispiele wurden in der phonetischen Untersuchung zwar be‐ rücksichtigt, werden jedoch in der sich anschließenden Präsentation der Ergeb‐ nisse ausgespart, da keine nennenswerten inter- oder intraregionalen Realisie‐ rungsdivergenzen zu beobachten waren: / s/ / r/ / R/ / ʒ/ |_V [|soi̯] Soy - [| realmẽn̪te] real‐ mente [|ʒo] Yo V_V [mesa] mesa [pɛrɔ] perro [larealiðað] la rea‐ lidad [kaʒɔ] calló / cayó V_C [ɛste] este - - - C_V [kansaðo] can‐ sado - - [ɛlʒan̪to] el llanto V_| [mesas|] mesas - [kan̪tar|] cantar - Legende: | = phonetische Pause; V = Vokal; C = Konsonant; _ = zu analysierende Position Tab. 4 Überblick über die phonotaktischen Analysepositionen Die Distributionsbeschränkungen der Phoneme, die unterschiedliche Verfüg‐ barkeit geeigneten Audiomaterials sowie die zusätzliche Gewährsperson für die Varietät der Region Santiago del Estero bedingen eine leicht uneinheitliche To‐ kenverteilung. So führt die hohe Frequenz des Phonems / s/ und dessen Er‐ scheinen in allen beobachteten phonotaktischen Positionen dazu, dass für alle Regionen das Analyseziel von 625 Token erreicht werden konnte. Durch die sechste Gewährsperson wurde dieses Ziel im Falle von Santiago del Estero sogar übertroffen. Im Falle der Phoneme / r/ und / ʒ/ , die eine allgemein geringere Fre‐ quenz aufweisen, konnte der zusätzliche Informant die geringere Menge zur Verfügung stehender Audiodaten indes nicht ausgleichen. Bei diesen Phonemen 218 7 Die phonetische Analyse <?page no="219"?> 5 Elena Rojas (2000: 147) weist jedoch darauf hin, das im Norden Jujuys und in einigen Gegenden Saltas / s/ apiko-alveolar realisiert würde und eine starke sibilantische Qua‐ lität aufweise, die an die Varietät Santiagos erinnere. In der vorliegenden phonetischen Analyse konnte indes keine apiko-alveolare Okkurrenz von / s/ nachgewiesen werden. wurde in allen Regionen die für jeden Sprecher maximal mögliche Anzahl an Realisierungsokkurrenzen in das Korpus aufgenommen. Abb. 9 Aufschlüsselung der Tokenanzahl je Region Hinsichtlich der Phonemrealisierungen konnten unter den analysierten Ge‐ währspersonen bisweilen deutliche Unterschiede belegt werden, die sowohl intraals auch interregionaler Natur sein können. Da die Unterschiede zum Teil von der phonotaktischen Position des Lautes abhängen, wird die folgende Aus‐ wertung vor dem Hintergrund des jeweiligen phonetischen Kontexts präsen‐ tiert. In den einleitenden Abschnitten der Kapitel 7.2, 7.3 und 7.4 werden den Ergebnissen noch jeweils einige erläuternde Bemerkungen zu den Phonemen und ihren prototypischen Realisierungen sowie zu Ergebnissen ausgewählter anderer Studien vorangestellt. 7.2 Der prädorso-alveolare Sibilant / s/ Der Sibilant / s/ wird in Argentinien üblicherweise als prädorso-alveolarer Sibi‐ lant charakterisiert. 5 Diese Variante [s̻] kann in Südspanien und Hispanoame‐ 219 7.2 Der prädorso-alveolare Sibilant / s/ <?page no="220"?> 6 Zum Spanischen von Madrid, Chile etc. (cf. Colantoni / Hualde 2013: 29). 7 Donni de Mirande (1987) beobachtet mit Bezug auf die Aussprache in Rosario (Santa Fe) eine ähnliche Verteilung der drei Varianten s-Erhalt, Aspiration und Elision, wobei die Aspiration und Elision von / s/ insbesondere vor Konsonanten oder Pause stärker ausgeprägt ist, als dies - mit Bezug auf eine Studie von Terrell aus dem Jahr 1979 - für die Varietät Buenos Aires‘ festgestellt wurde. rika als generalisiert gelten (cf. Gabriel et. al. 2013b: 63) und stellt ein differenzierendes Merkmal zum kastilischen Standard und vor allem zu zentralbzw. nordspanischen Varietäten dar. Die Divergenzen sind die unmittelbare Folge unterschiedlich verlaufender Reduktionsprozesse des Sibilantensystems im Spa‐ nischen des 15.-16. Jahrhunderts (cf. Kapitel 2.5), wobei die Verbreitung der prädorsalen Variante in Hispanoamerika durch den starken andalusischen Ein‐ fluss zu Beginn der Kolonialisierung begünstigt wird (cf. Kapitel 5.2). In einigen Varietäten lässt sich jedoch - mit der Aspiration von / s/ in bestimmten phone‐ tischen Kontexten - eine Abweichung von dieser prototypischen Variante fest‐ stellen; vor allem in Andalusien, der Karibik sowie - mit Ausnahme einiger Hochlandgebiete - in weiten Teilen Lateinamerikas (cf. Lipski 1984). In prä‐ konsonantischer Coda-Position erscheint der Sibilant häufig in aspirierter, also gehauchter Form, wobei das Merkmal 'Artikulationsort' in diesem Fall neutra‐ lisiert ist. So wird vor velaren Konsonanten (z. B. in sp. casco ‘Helm’) tendenziell als velarer Frikativ [x] ausgesprochen, wohingegen beispielsweise vor dentalen Konsonanten (z. B. in este ‘diese / r/ s’) lediglich eine partielle Annäherung an den Artikulationsort stattfindet und / s/ eher als palataler Frikativ [ç] realisiert wird. Häufig handelt es sich bei den verschiedenen allophonen Neutralisierungser‐ gebnissen um Frikative mit einem eher schwach ausgeprägtem Friktionsanteil. Die Abschwächung kann bisweilen sogar zu einer vollständigen Elision des Lautes führen. Dieses Phänomen ist - abseits der genannten Regionen - auch in den unteren Strata weiterer Sprechergemeinschaften beobachtbar, wo es je‐ doch aufgrund der Assoziation mit einem niedrigen Bildungsgrad häufig als stigmatisiert gilt. 6 Im Gegensatz dazu gilt die Aspiration in der argentinischen Hauptstadt und ihrem Einflussgebiet in präkonsonantischer Position als hoch‐ frequent und absolut standardkonform (cf. Terrell 1978, Colantoni / Hualde 2013), wohingegen sie vor Vokalen oder einer Pause deutlich weniger frequent ist (Terrell 1978) 7 bzw. in intervokalischer Position als stigmatisiert gilt (cf. Lipski 1994: 169). Die Aspiration von / s/ ist im gesamten argentinischen Territorium verbreitet, allerdings wird traditionellerweise Santiago del Estero als letzte Bas‐ tion des konsequenten Erhalts der sibilantischen Qualität von / s/ präsentiert (cf. Vidal de Battini 2 1966: 79, Kapitel 6.2.1). In vielen Arbeiten wird diese Einschät‐ zung - in der Regel unter Rückgriff auf die klassischen Beobachtungen Vidal de 220 7 Die phonetische Analyse <?page no="221"?> 8 Im Hinblick auf die Auswertung folgt die Arbeit der Darstellungskonventionen von Terrell (1978), Lipski (1994) sowie Donni de Mirande (2000b). Battinis - wiederholt (Donni de Mirande 1985, Donni de Mirande 2000b, Fon‐ tanella de Weinberg 2000c, Colantoni / Hualde 2013, AAL 2019). Die Ergebnisse der vorliegenden phonetischen Analyse deuten jedoch in eine andere Richtung. Zumindest für den Bereich der intendierten Standardaussprache kann der Topos der Sibilantentreue in Santiago del Estero in dieser Form nicht mehr aufrecht‐ erhalten werden. In der folgenden Analyse wird in einer weiten phonetischen Transkription zwischen Erhalt der sibilantischen Qualität und Schwächung der sibilantischen Qualität unterschieden, die zwischen sibilantischer und aspirierter Realisierung sowie der Elision des Lautes, nicht aber zwischen unterschiedlichen Varianten dieser Kategorien differenziert. So werden unter der Kategorie Aspiration pha‐ ryngale [h], palatale [ç] und velare [x] Varianten etc. subsumiert. Auch die Ka‐ tegorie Sibilant enthält verschiedene Varianten beispielsweise sowohl die stimmhafte [z] als auch simmlose [s] Realisierung von / s/ . 8 Im Zuge der phone‐ tischen Analyse selbst wurden diese Varianten zwar unterschieden, da sich aber keine Auffälligkeiten im Hinblick auf ihre Verteilung ergaben, kann die detail‐ lierte Aufschlüsselung in der Folge entfallen. Die Darstellung beschränkt sich ebenso auf diejenigen phonotaktischen Positionen, bei denen inter- oder intra‐ regionale Divergenzen festgestellt werden konnten, namentlich: die intervoka‐ lische, die präkonsonantische Position und den absoluten Auslaut. 7.2.1 Die intervokalische Position In intervokalischer Position (V_V) kann die Realisierung von / s/ als prädorso-al‐ veolarer Sibilant [s̻] für alle drei Regionen als prototypische Realisierungsvari‐ ante bezeichnet werden. Regionenübergreifend wurden von 400 Okkurrenzen 380 (95,00 %) auf diese Art und Weise realisiert. Allerdings lässt sich unter den Gewährspersonen aus Córdoba eine leicht erhöhte Tendenz zur Schwächung des Sibilanten beobachten: Gut jede zehnte Okkurrenz von / s/ wird als Aspira‐ tion realisiert (13 / 125; 10,40 %). Dieser Wert liegt damit, wenn auch auf einem allgemein niedrigen Niveau, deutlich über den Referenzwerten der beiden an‐ deren Regionen. Zum Vergleich: Unter den Informanten aus Buenos Aires und Santiago del Estero liegt dieser Wert bei 0 % (0 / 125) bzw. 3,33 % (5 / 150). 221 7.2 Der prädorso-alveolare Sibilant / s/ <?page no="222"?> Abb. 10 / s/ in intervokalischer Position Interessanterweise setzt sich diese größere Tendenz zur Abschwächung des Si‐ bilanten unter den Informanten aus Córdoba in den übrigen phonotaktischen Positionen weiter fort. 7.2.2 Die präkonsonantische Position In präkonsonantischer Position (V_C), d. h. nach einem Vokal und vor einem Konsonanten, ist die Aspiration von / s/ die am häufigsten zu beobachtende Re‐ alisierungsvariante aller Gewährspersonen. Von 400 untersuchten Realisie‐ rungen des Sibilanten sind 332 aspiriert (83,00 %). Dabei weisen die Gewährspersonen aus Buenos Aires eine größere Geschlossenheit auf als die Infor‐ manten aus Córdoba oder Santiago del Estero. Unter den Informanten der Hauptstadt kann die Aspiration in dieser Position mit 94,40 % (118 / 125) als pro‐ totypisch beschrieben werden. Das Ergebnis deckt sich somit mit früheren Stu‐ dien, nach denen die Aspiration in präkonsonantischer Position im Spanischen von Buenos Aires weit verbreitet ist (cf. Terrell 1978, Donni de Mirande 1987, Fontanella de Weinberg 2000a). Allerdings übertrifft der Aspirationsanteil die Referenzwerte früherer Studien zur Realisierung des Sibilanten in Buenos Aires bzw. der Region des Litorals deutlich. In der Studie von Terrell (1978) sind 80 % der wortinternen präkonsonantischen Vorkommnisse über alle Strata hinweg aspiriert, in Donni de Mirandes (1987) Studie zur Varietät von Rosario (Santa 222 7 Die phonetische Analyse <?page no="223"?> 9 Der prozentuale Wert hätte in dieser Position noch höher ausfallen können. Allerdings ist einer der Informanten aus Santiago del Estero als ‘Ausreißer’ zu charakterisieren, der in seinen Realisierungstendenzen deutlich von den übrigen Informanten aus seiner Heimatregion abweicht und stattdessen eher den Tendenzen der Sprecher aus Buenos Aires folgt. Für diesen Sprecher ließ sich im phonetischen Korpus keine einzige Ok‐ kurrenz einer sibilantischen Realisierung von / s/ in präkonsonantischer Position nach‐ weisen. Fe) liegt dieser Wert bei 81,22 %. Im präkonsonantischen Kontext kann die As‐ piration demnach nicht nur als absolut normgerecht bezeichnet werden, ihre Standardkonformität scheint sich zudem über die Jahre weiter konsolidiert zu haben. Unter den Gewährspersonen aus Córdoba fällt der Anteil aspirierter Re‐ alisierungen etwas geringer aus; zugunsten einer weitergehenden Abschwä‐ chung des Sibilanten. In 84,80 % (106 / 125) wird / s/ dort aspiriert, in weiteren 10,40 % (13 / 125) elidiert. Unter den Informanten aus Santiago del Estero nimmt der prozentuale Anteil aspirierter Realisierungen verglichen mit den übrigen Regionen weiter ab, verbleibt aber auf allgemein hohem Niveau: 72 % (108 / 150) der Okkurrenzen sind aspiriert realisiert. Im Gegensatz zu den Ergebnissen aus Córdoba erfolgt die Abnahme allerdings nicht einer weiteren Abschwächungs‐ tendenz, sondern zugunsten des Erhalts der sibilantischen Qualität. Immerhin jedes vierte Vorkommnis von / s/ wird von den Gewährspersonen aus Santiago del Estero als dorso-alveolarer Sibilant [s̻] realisiert (39 / 150; 26,00 %). 9 Damit ist der Erhalt des Sibilanten in Santiago del Estero zwar deutlich häufiger zu be‐ obachten als in den beiden anderen Regionen, die bis ins 21. Jahrhundert hinein wiederholten Ergebnisse Vidal de Battinis aus den 1960er Jahren bestätigen sich hingegen nicht. Die Aspiration von / s/ in präkonsonantischer Position kann - auf Basis der Ergebnisse der phonetischen Stichprobe - für alle drei Regionen als absolut normgerecht für Situationen kommunikativer Distanz gelten. 223 7.2 Der prädorso-alveolare Sibilant / s/ <?page no="224"?> Abb. 11 / s/ in präkonsonantischer Position 7.2.3 Im absoluten Auslaut Die größere Tendenz zur Abschwächung des Sibilanten unter den Sprechern Córdobas setzt sich auch im absoluten Auslaut (V_ |) fort. Im Gegensatz dazu weisen sowohl die Gewährspersonen aus Santiago del Estero als auch aus Buenos Aires eine einheitliche Tendenz zum Erhalt des Sibilanten auf. Interessan‐ terweise ist diese unter den Sprechern aus Buenos Aires sogar ausgeprägter als unter den Sprechern aus Santiago. Auch an dieser Stelle zeigt sich also, dass der Mythos der ‘absoluten / s/ -Loyalität’ der Santiagueños einer Aktualisierung be‐ darf. Gleichzeitig bestätigen die Ergebnisse die Studien von Fontanella de Wein‐ berg (2000a) und Donni de Mirande (1987), wonach lediglich die präkonsonan‐ tische Aspiration des Sibilanten als normgerecht gelten kann, wohingegen die Aspiration im Auslaut ebenso wie die Elision (in beiden phonotaktischen Posi‐ tionen) als normkonträr oder gar stigmatisiert (cf. Fontanella de Weinberg 2000a: 39) bezeichnet werden muss. Die in allen drei Regionen übliche Realisie‐ rungsvariante ist in dieser Position erneut der prädorso-alveolare Sibilant [s̻]: 89,50 % (358 / 400) aller Okkurrenzen werden auf diese Art und Weise realisiert. Die analysierten Sprecher aus Buenos Aires und Santiago del Estero weisen mit 95,20 % (119 / 125) und 94,67 % (142 / 150) eine sehr große Einheitlichkeit hin‐ sichtlich ihrer Realisierungstendenzen auf. Im Gegensatz dazu ist im Teilkorpus 224 7 Die phonetische Analyse <?page no="225"?> 10 In der Regel wird / s/ als stimmloser prädorso-alveolarer Sibilant, mit einigen wenigen Variationen wie Sonorisierungen (14 / 625) und leichte Verschiebungen des Artikulati‐ onsortes, fronting bzw. backing (3 / 625), realisiert. Córdobas etwas mehr als jede Vierte der 125 analysierten Okkurrenzen des Si‐ bilanten entweder aspiriert 8,00 % (10 / 125) oder elidiert 12,80 % (16 / 125). Abb. 12 / s/ im absoluten Auslaut 7.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse Die Untersuchung der Realisierungstendenzen des Sibilanten / s/ konnte mit Blick auf die Analyseregionen einige interessante Ergebnisse zu Tage fördern. Für die analysierten Sprecher aus Buenos Aires konnte eine sehr große Ein‐ heitlichkeit in allen untersuchten phonotaktischen Positionen belegt werden. In keinem Kontext liegt der prozentuale Anteil der vorherrschenden Realisie‐ rungsvariante (ob sibilantisch oder aspiriert) bei unter 94 %. Mit Ausnahme der präkonsonantischen Position wird / s/ prototypischerweise sibilantisch reali‐ siert; dies gilt auch für die zuvor nicht detailliert aufgeschlüsselten Kontexte des absoluten Anlauts (125 / 125; 100 %) und der postkonsonantischen Position (125 / 125; 100 %). 10 Unmittelbar vor einem Konsonanten ist indes die Aspiration des Sibilanten die am häufigsten zu beobachtende Realisierungsvariante. Auch hier weisen die Modellsprecher eine hohe Übereinstimmung auf: 94,40 % (118 / 125) aller Okkurrenzen von / s/ werden in dieser Position aspiriert. Addiert 225 7.2 Der prädorso-alveolare Sibilant / s/ <?page no="226"?> man die Werte aller dominanten allophonen Realisierungsvarianten, also die Aspiration vor einem Konsonanten und die sibilantische Realisierung in den übrigen Positionen, und misst deren Anteil an der Gesamtheit aller Okkurrenzen von / s/ , so lässt sich daraus die Übereinstimmung der Modellsprecher im Hin‐ blick auf ihre dominanten Realisierungstendenzen ablesen. Dieser Wert kann bei hoher Übereinstimmung als Hinweis auf und bei niedriger Übereinstimmung als Indiz gegen die Existenz eines Aussprachestandards gelesen werden. Die Gewährspersonen aus der Hauptstadt weisen demnach eine Übereinstimmung von 97,92 % (612 / 625) auf. Dieser Wert fällt mit Blick auf die Modellsprecher der übrigen Regionen etwas niedriger aus, liegt aber immer noch bei über 90 %: für Córdoba beträgt 90,56 % (566 / 625), für Santiago del Estero 92,01 % (656 / 713). Somit stimmen also auch die analysierten Sprecher dieser Regionen in ihren Realisierungstendenzen im Wesentlichen überein, allerdings lässt sich mit Blick auf Córdoba eine größere Tendenz zur Schwächung und hinsichtlich Santiago del Estero eine größere Tendenz zum Erhalt der sibilantischen Qualität be‐ obachten. Hierbei sind insbesondere die präkonsonantische Position und der absolute Auslaut interessant, die Indizien auf zwei divergente Entwicklungen offenbaren. In Santiago del Estero steht der dominanten Realisierungsvariante in vor‐ konsonantischer Position, der Aspiration, eine relativ starke Tendenz zum Er‐ halt der sibilantischen Qualität gegenüber. Während zwar 72,00 % (108 / 150) aller Okkurrenzen in dieser Position aspiriert sind, wird immerhin jede vierte Okkurrenz sibilantisch realisiert (25,33 %, 38 / 150). Vor dem Hintergrund der dieser Region üblicherweise attestierten Tendenzen zur Sibilanten-Treue (Vidal de Battini 2 1966, AAL 2019) ist dieses Ergebnis zunächst einmal überraschend. Es scheint sich nicht etwa eine allgemeine intraregionale Tendenz zur Ab‐ schwächung von / s/ entwickelt zu haben, stattdessen kann dieses Ergebnis als eine graduelle Annäherung an die Aussprachenorm der Hauptstadt gelesen werden. Diese These lässt sich dadurch bestärken, dass der vorherrschenden Realisierungsvariante im absoluten Auslaut, dem Erhalt des Sibilanten (94,67 %; 142 / 150), keine konkurrierende allophone Variante gegenübergestellt ist. Die wenigen Okkurrenzen von Aspiration (3 / 150; 2,00 %) oder Elision (5 / 150; 3,33 %) sind zu vernachlässigen. Dafür spricht auch, dass die Mehrzahl der Ge‐ währspersonen sowohl sibilantische als auch aspirierte Varianten aufweisen. Lediglich eine Gewährsperson (sde-bm), die auch im folgenden Abschnitt von Relevanz sein wird, realisiert keine sibilantische Variante: 226 7 Die phonetische Analyse <?page no="227"?> Abb. 13 / s/ in präkonsonantischer Position (Santiago del Estero) Die Daten der Modellsprecher aus Córdoba lassen indes eine andere Interpre‐ tation zu. Hier setzt sich die in präkonsonantischer Position nachgewiesene Tendenz zur stärkeren Abschwächung des Sibilanten auch im absoluten Auslaut weiter fort. Die intraregionalen Inkonsistenzen sind somit eher nicht auf eine Anpassung an die Aussprachetendenzen der Hauptstädter zurückzuführen, son‐ dern können als ein Hinweis auf eine größere Durchlässigkeit des Aussprache‐ standards für Abschwächungsprozesse von / s/ gelesen werden. 7.3 Der Trill / R/ bzw. / r/ Im Spanischen gibt es zwei rhotische Konsonanten, die jedoch lediglich in einer einzigen phonotaktischen Position auf systematischer Ebene kontrastieren: / r/ , der in der Regel durch multiple Anschläge der Zungenspitze an die Alveolen gebildet wird, und / ɾ/ , für den ein einfacher Zungenanschlag an die Zahndämme charakteristisch ist. Im Folgenden werden die Phoneme mit den in der Phonetik etablierten Termini Tap für / ɾ/ und Trill für / r/ bezeichnet. Die Opposition zwi‐ schen Tap und Trill ist lediglich in intervokalischer Position im inneren eines Wortes phonematisch; d. h. sie stehen nur in dieser Position in bedeutungsun‐ terscheidender Opposition zueinander (caro : carro, pero : perro etc.). In allen anderen Kontexten ist dieser Kontrast neutralisiert. Dies kann auf phonemati‐ scher Ebene durch das Archiphonem / R/ ausgedrückt werden. Das phonetische 227 7.3 Der Trill / R/ bzw. / r/ <?page no="228"?> 11 Die präkonsonantische Position (V#_C) ist aus Distributionsbeschränkungen von der Analyse ausgeschlossen, da auf / R/ am Anfang eines Wortes kein weiterer Konsonant folgen kann. Neutralisierungsergebnis ist von der jeweiligen phonotaktischen Position des Lautes abhängig und daher für viele Kontexte tendenziell vorhersagbar. Am Wortanfang erfolgt die Aufhebung zugunsten des Trills, in allen anderen Posi‐ tionen - mit Ausnahme der bereits diskutierten intervokalischen Position im Wortinneren - ist das übliche Neutralisierungsergebnis der Tap (cf. Gabriel et. al. 2013b). Zwar kann dort ebenfalls der Trill realisiert werden, etwa um eine grö‐ ßere Emphase zu vermitteln, allerdings ist dies nicht die Regel (ibid.). Da die prototypische Realisierung von / R/ nicht nur von der phonotaktischen Position abhängt, sondern offenbar auch mit der morphosyntaktischen Dimension kor‐ reliert, wird diese im Folgenden zur Definition der Analysepositionen integriert. Konkret geht es um die Kategorie des Wortanlautes in intervokalischer Position und nach einem Konsonanten, wo die Realisierung des Trills (oder dessen assi‐ bilierter Variante) erwartbar ist. 11 Die soeben dargestellten Realisierungsvari‐ anten von / r/ bzw. / R/ und / ɾ/ und ihre Verteilung über die verschiedenen Posi‐ tionen geben grundsätzlich in der Hispanophonie vorherrschende Realisierungstendenzen wieder. Allerdings lassen sich in verschiedenen Varie‐ täten Varianzphänomene feststellen: So ist beispielsweise in manchen Varietäten des karibischen Spanisch, etwa auf Kuba, eine Neutralisierung der Liquide in silbenschließender Position zu beobachten. Dort ist der Kontrast zwischen / l/ und / R/ aufgehoben, häufig zu‐ gunsten des Laterals [l]. Tatsächlich war diese Neutralisierung im 18. Jahrhun‐ dert auch im Spanischen Buenos Aires’ weit verbreitet, im Zuge der Standardi‐ sierung der Varietät ab Anfang des 19. Jahrhunderts setzte sich jedoch nach und nach der Erhalt der phonematischen Opposition durch (cf. Fontanella de Wein‐ berg 1992b). Ein weiteres Varianzphänomen, das bis heute in einigen Varietäten (insbesondere der Andengebiete) zu beobachten ist, ist die Assibilierung des Trill-Lautes. Dabei weicht die für [r] charakteristische apikale Vibration einer für sibilantische Laute typischen Friktion mit hoher Energiebündelung im oberen Frequenzbereich. Diese entsteht durch die Perturbation des Luftstromes zwischen dem hinteren Bereich der Alveolen bzw. dem vorderen Bereich des Palatums und dem Zungenrücken. Je nachdem, ob in der Lautbildung eine Vib‐ ration der Stimmbänder involviert ist oder nicht, entsteht dabei der stimmhafte postalveolare Frikativ [ʑ] oder das stimmlose Pendant [ɕ] (cf. Gabriel et. al. 2013: 73-74). Diese Realisierungsvarianten von / r/ bzw. / R/ wurden für einige Re‐ gionen Nord- und Zentralargentiniens beschrieben (cf. Kapitel 6.2) und konnten auch in der vorliegenden phonetischen Analyse identifiziert werden. Eine de‐ 228 7 Die phonetische Analyse <?page no="229"?> 12 Aufgrund der geringen Frequenz von / R/ in dieser Position konnte das Analyseziel von 25 Token / Gewährsperson nicht erreicht werden. Es wurden daher jeweils so viele Ok‐ kurrenzen in das Korpus aufgenommen, wie im Audiomaterial der jeweiligen Person insgesamt zu beobachten waren. taillierte Aufstellung der verschiedenen Realisierungen von / ɾ/ wird an dieser Stelle nicht vorgenommen, da diesbezüglich keine intra- oder interregionalen systematischen Divergenzen festgestellt wurden. Die Darstellung konzentriert sich daher im Folgenden auf die verschiedenen allophonen Realisierungsvari‐ anten des Trills und ihre statistische Verteilung auf die drei Analyseregionen. Für das phonetische Korpus wurde auch hier eine weite Transkription gewählt, die den Unterschied zwischen stimmhafter und stimmloser Assibilierung nicht berücksichtigt und lediglich zwischen Trill, Tap und assibilierter Realisierung unterscheidet. Seltenere allophone Varianten, die sich weder durch die multi‐ plen Anschläge des Trills noch die hit-and-run-gesture des Taps (cf. Catford 1977, Kapitel 2.2) auszeichnen, allerdings auch keine Assibilierung aufweisen (z. B. approximantisches [ɹ], plosivisches [t] oder die den Affrikaten ähnliche Variante [t͡ ɾ ] im Konsonantencluster tr), werden in der Kategorie ‘Sonstiges’ ge‐ führt. 7.3.1 / R/ im absoluten Anlaut Mit Blick auf die Okkurrenzen von / R/ im absoluten Anlaut (|_V) lassen sich deutliche interregionale Divergenzen feststellen. Für die Modellsprecher aus Buenos Aires und Córdoba kann der Trill [r] als prototypische Realisierungs‐ variante beschrieben werden, wohingegen unter den Gewährspersonen aus Santiago del Estero die assibilierte Variante vorherrschend ist. Im absoluten Anlaut konnten für Buenos Aires 26 der insgesamt 29 Okkurrenzen als Trill-Laute identifiziert werden (89,66 %). 12 Unter den Sprechern Córdobas liegt dieser Wert mit 86,36 % (19 / 22) auf ähnlich hohem Niveau. Deutlich anders ver‐ hält es sich jedoch unter den Sprechern Santiago del Esteros. Dort wurde we‐ niger als die Hälfte der analysierten Okkurrenzen (24 / 58; 43,38 %) als Trill aus‐ gesprochen. Stattdessen realisieren die Gewährspersonen mehrheitlich die assibilierte Variante (56,90 %; 33 / 58). 229 7.3 Der Trill / R/ bzw. / r/ <?page no="230"?> Abb. 14 / R/ im absoluten Anlaut Scheinen die Werte auf den ersten Blick auf eine recht ausgeglichene Verteilung beider Varianten hinzudeuten, so offenbart die intraregionale Detailanalyse ein völlig anderes Bild; denn tatsächlich sind alle 24 Vorkommnisse von [r] auf ein und denselben Sprecher zurückzuführen sind. Interessanterweise handelt es sich um dieselbe Person (sde-bm), die bereits im Zuge der Beschreibung von / s/ in präkonsonantischer Position als ʻAusreißerʼ identifiziert werden konnte. 230 7 Die phonetische Analyse <?page no="231"?> Abb. 15 / R/ im absoluten Anlaut (Santiago del Estero) Statistisch wirkt sich dies jedoch nur in der äußerungsöffnenden Position derart deutlich auf das intraregionale Gesamtergebnis aus, was darauf zurückzuführen ist, dass für diesen Sprecher überdurchschnittlich viel geeignetes Audiomaterial zur Verfügung stand und das Analyseziel von 25 Okkurrenzen lediglich für diese Person erreicht wurde. Konnte die größere Tendenz zur Aspiration von / s/ unter den Gewährsper‐ sonen aus Santiago del Estero noch als ein Indiz für eine Annäherung an die Aussprachenorm der Hauptstadt gedeutet werden, so weisen die Ergebnisse von / R/ im absoluten Anlaut offenbar in die entgegengesetzte Richtung: Ledig‐ lich eine einzige Person folgt hier den Aussprachetendenzen der Hauptstadt. Ein Hinweis darauf, dass es sich dabei tatsächlich um eine bewusste Anpassung handeln könnte, bietet - neben den statistischen Indikatoren - auch die per‐ zeptive Analyse (cf. Kapitel 8.6.1). 7.3.2 / R/ im intervokalischen Wortanlaut In intervokalischer Position an Wortgrenzen (V#_V; z. B. in la relación) zeigt sich ein ähnliches Bild wie im absoluten Anlaut. Erneut ist der multiple Vibrant [r] die dominante allophone Realisierungsvariante für die Sprecher aus Buenos Aires und Córdoba, wohingegen unter den Modellsprechern aus Santiago del Estero die assibilierte Variante vorherrschend ist. In der Detailanalyse können jedoch zwei größere Unterschiede bezüglich der zuvor beschriebenen Position festgehalten werden: 231 7.3 Der Trill / R/ bzw. / r/ <?page no="232"?> Abb. 16 / R/ im intervokalischen Wortanlaut Erstens wirkt sich der Informant sde-bm aufgrund der gleichmäßigeren Vertei‐ lung der Okkurrenzen auf die Sprecher statistisch nicht mehr so stark auf das intraregionale Ergebnis Santiago del Esteros aus, wenn auch erneut alle Okkur‐ renzen des Trills auf diese Person zurückzuführen sind. Von den insgesamt 131 Vorkommnissen von / R/ in dieser Position stehen 106 (80,92 %) assibilierten Realisierungen 22 Okkurrenzen des Trills (16,79 %) gegenüber. 232 7 Die phonetische Analyse <?page no="233"?> Abb. 17 / R/ im intervokalischen Wortanlaut (Santiago del Estero) Zweitens ist unter den Sprechern aus Buenos Aires der Trill mit 84,80 % (106 / 125) zwar nach wie vor die dominante Realisierungsvariante, allerdings nicht mehr in dem Maße wie dies im absoluten Anlaut zu beobachten war. Im‐ merhin 13,60 % (17 / 125) der Vorkommnisse von / R/ , die sich über alle Sprecher verteilen, werden stattdessen als Tap realisiert. Unter den Informanten aus Cór‐ doba ist die Abschwächung des Trills zu einem Tap zwar auch zu beobachten, allerdings mit einem deutlich geringerem Anteil: 90,91 % (100 / 110) der Okkur‐ renzen werden als Trill, 5,45 % (6 / 110) als Tap realisiert. 7.3.3 / R/ im postkonsonantischen Wortanlaut Die bisherigen Tendenzen wiederholen sich auch für den postkonsonantischen Wortanlaut (C#_V; z. B.: en relación). Erneut kann der Trill als prototypisch für Buenos Aires und Córdoba, die Assibilierung hingen als charakteristisch für Santiago del Estero gelten. Die prozentuale Übereinstimmung der Sprecher aus Santiago del Estero bleibt dabei in etwa gleich (79,20 %; 99 / 125), wobei erneut alle Trill-Realisierungen (22 / 125; 17,60 %) auf sde-bm zurückzuführen sind. 233 7.3 Der Trill / R/ bzw. / r/ <?page no="234"?> Abb. 18 / R/ im postkonsonantischen Wortanlaut Mit Blick auf Buenos Aires setzt sich die Tendenz zur Abschwächung des Trills zu einem Tap in präkonsonantischer Position leicht akzentuiert fort. 76,07 % (89 / 117) aller Okkurrenzen von / R/ werden in dieser Position als Trill realisiert, fast jede fünfte Okkurrenz hingegen als Tap (27 / 117; 23,08 %). Unter den Ge‐ währspersonen aus Córdoba kann hingegen eine Zunahme des prozentualen Anteils der dominanten Realisierungsvariante [r] verzeichnet werden (99 / 106; 93,40 %). Für beide Regionen kann jedoch [r] uneingeschränkt als dominante und damit produktionsseitig normgerechte Realisierungsvariante gelten. Die nachfolgend dargestellten Ergebnisse von / r/ in intervokalischer Position im Wortinnern deuten zudem darauf hin, dass die Abschwächung des Trills zu einem Tap eher als idiosynkratische Varianzphänomene, denn als distinktive Varianten divergierender Aussprachestandards zu interpretieren sind. 7.3.4 / r/ in intervokalischer Position im Wortinnern Im Wesentlichen setzen sich die bis dato dargestellten Tendenzen in intervoka‐ lischer Position im Wortinnern (V_V) fort, der einzigen Position, in der / r/ in phonematischer Opposition zu / ɾ/ steht. Weiterhin realisieren die Modellspre‐ cher aus Buenos Aires und Córdoba mehrheitlich den Trill [r], wohingegen die Sprecher aus Santiago del Estero eine der assibilierten Varianten artikulieren. Im Gegensatz zum postkonsonantischen Wortanlaut ist jedoch diesmal der An‐ 234 7 Die phonetische Analyse <?page no="235"?> teil der Trill-Realisierungen unter den Hauptstädtern größer als unter den Ge‐ währspersonen aus Córdoba. Erneut sind für Santiago del Estero alle Okkur‐ renzen des multiplen Vibranten auf die Gewährsperson sde-bm zurückzuführen. Abb. 19 / r/ in intervokalischer Position im Wortinnern 7.3.5 Zusammenfassung der Ergebnisse Die vorhergehenden Analysen haben gezeigt, dass es hinsichtlich der Realisie‐ rungstendenzen des Trills / r/ bzw. / R/ deutliche Unterschiede zwischen den Sprechern der drei fokussierten Regionen gibt; und zwar unabhängig davon, ob die phonematische Opposition zwischen Tap und Trill aufrechterhalten oder neutralisiert ist. Die Sprecher aus Buenos Aires und Córdoba realisieren mehr‐ heitlich den Trill-Laut [r], wohingegen die Sprecher aus Santiago del Estero mehrheitlich eine der assibilierten Varianten, zumeist den stimmhaften alveo-palatalen Frikativ [ʑ], artikulieren. Interessanterweise ist der prozentuale Anteil der prototypischen Realisierungsvariante unter den Gewährspersonen aus Córdoba höher als derjenige der Modellsprecher aus Buenos Aires. Sum‐ miert man die Okkurrenzen des Trills für alle zuvor dargestellten Positionen (d. h. für / R/ und / r/ gleichermaßen) und misst deren Anteil an der Anzahl aller allophoner Realisierungen, so ergibt sich für Córdoba eine Übereinstimmung von 90,17 % (312 / 346). Unter den Sprechern aus Buenos Aires liegt dieser Wert bei immerhin noch 84,56 % (334 / 395). Dass der Anteil der dominanten Realisie‐ 235 7.3 Der Trill / R/ bzw. / r/ <?page no="236"?> rungsvariante in Santiago del Estero mit insgesamt 74,58 % (308 / 413) deutlich geringer ist als in den anderen beiden Regionen, ist auf den Ausreißer sde-bm zurückzuführen: Rechnet man diesen einen Informanten heraus, so liegt der prozentuale Anteil der assibilierten Realisierung bei 95,06 % (308 / 324). Die Daten der Gewährspersonen aus Córdoba weichen demnach von den Beschreibungen Viramonte de Avalos (2000: 165) ab, die eine Koexistenz der assibilierten und der vibrantischen Variante im sozioedukativ hohem Stratum festgestellt hat. Diese lässt sich in den vorliegenden Daten indes nicht nach‐ weisen. Stattdessen können die hohen Übereinstimmungswerte der Gewähr‐ spersonen aus Córdoba als Hinweis auf eine Verdrängung dieser Variante aus dem standardsprachlichen Bereich der Aussprache gelesen werden. Wobei sich die geringere Durchlässigkeit der Norm an dieser Stelle durch die Koexistenz des standardsprachlichen Trills mit der verdrängten, assibilierten Variante in anderen non-Standard Varietäten desselben Sprachraums erklären lässt (cf. Vidal de Battini 2 1966: 80, 112-114 sowie, Viramonte de Avalos 2000: 165, Co‐ lantoni / Rafat 2013: 83). Diese größere Einheitlichkeit könnte also dem Be‐ streben der Modellsprecher geschuldet sein, sich von der nurmehr als ‘rural’ oder nicht-standardadäquat empfundenen assibilierten Variante abzugrenzen und aus diesem Grund stärker auf eine deutliche Realisierung des Trills zu achten. Da die assibilierte Variante in Stadt und Provinz Buenos Aires denselben Quellen folgend weniger bis gar nicht verbreitet ist, ist dieses Bestreben dort entsprechend weniger stark ausgeprägt und die Norm entsprechend durchläs‐ siger. Einige Autoren beschreiben einen Zusammenhang zwischen der Realisierung von / R/ bzw. / r/ und des Neutralisierungsergebnisses des yeísmo (cf. Donni de Mirande 1985, Colantoni / Rafat 2013): In denjenigen Regionen, in denen die as‐ sibilierten Varianten verbreitetet sind, dominiert demnach häufig ein yeísmo ohne rehilamiento, in der Regel realisiert als prädorsaler Frikativ bzw. Approxi‐ mant [ʝ] bzw. [j]. Im Gegensatz dazu ist in denjenigen Regionen mit yeísmo rehilado in der Regel auch der Trill-Laut [r] die vorherrschende Realisierungs‐ variante von / r/ bzw. / R/ . Hauptgrund dafür ist die akustische Nähe der - pho‐ netisch als postalveolarer Frikativ [ʑ] bzw. [ɕ] zu klassifizierenden - assibilierten Varianten und den etwas weiter hinten im Mundraum artikulierten ebenfalls postalveolaren bzw. präpalatalen yeísmo-Varianten [ʒ] und [ʃ]. Diese phoneti‐ sche Nähe kann zu Missverständnissen führen, weshalb beide allophonen Rea‐ lisierungsvarianten in der Regel nicht in ein und derselben Varietät erwartbar sind. Colantoni und Rafat (2013) folgend, ist die zunehmende Verbreitung des yeísmo rehilado somit folgerichtig einer der Hauptgründe für den gleichzeitigen Rückgang der assibilierten Variante. Mit Blick auf die Region Santiago del Estero 236 7 Die phonetische Analyse <?page no="237"?> 13 Diese Angabe basiert auf einer vergleichsweise geringen Anzahl an Belegstellen, die allerdings durch die Statistiken der übrigen phonotaktischen Positionen bestätigt wird. 14 Der ‘Ausreißer’ aus Santiago del Estero spielt im Falle von / ʒ/ keine so entscheidende Rolle wie in den vorherigen Datensätzen. Seine Realisierungstendenzen stimmen für dieses Phonem mit denjenigen der übrigen Sprecher dieser Region überein. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die dominante Realisierungsvariante der untersuchten Sprecher aus Santiago del Estero in diesem Fall auch in Buenos Aires gebräuchlich ist. ließe sich vor dem Hintergrund der Dominanz der assibilierten Variante also vermuten, dass ein yeísmo ohne rehilamiento das vorherrschende Neutralisie‐ rungsergebnis des yeísmo sein müsste. Die Ergebnisse der phonetischen Analyse deuten indes in eine andere Richtung. 7.4 Der postalveolare Frikativ / ʒ/ Der postalveolare Frikativ / ʒ/ ist das Neutralisierungsergebnis der ehemals be‐ stehenden Opposition zwischen / ʎ/ und / ʝ/ (yeísmo rehilado) und wird ge‐ meinhin als das emblematische Merkmal des Spanisch in Argentinien be‐ schrieben (cf. z. B. Pustka 2021). / ʒ/ kann nur im Anlaut von Wörtern bzw. Silben erscheinen und muss dabei zudem immer vor einem Vokal stehen (cf. Gabriel et. al. 2013b: 66). Das Phonem weist somit eine eingeschränkte Distribution auf den absoluten Anlaut, die intervokalische Position sowie (an Wortgrenzen) die postkonsonantische Position auf. 7.4.1 Im absoluten Anlaut Die Daten für den absoluten Anlaut (|_V) offenbaren eine Besonderheit, die die untersuchten Sprecher aus Buenos Aires deutlich von den Gewährspersonen aus den übrigen Provinzen unterscheidet: Im Gegensatz zu den anderen Mo‐ dellsprechern weisen sie mit zwei affrizierten Allophonen eine weitere Artiku‐ lationskategorie auf, die sich relativ gleichmäßig über alle Informanten verteilt. Lassen sich in Córdoba noch vereinzelte Okkurrenzen dieser Allophone be‐ obachten, so sind diese unter den analysierten Sprechern Santiago del Esteros nicht auszumachen. Letztere weisen zudem eine große Einheitlichkeit hinsicht‐ lich ihrer Präferenz für die Realisierung des stimmlosen Frikativs [ʃ] auf. 13 Unter den Gewährspersonen aus Córdoba können hingegen sowohl der stimmhafte als auch der stimmlose Frikativ als gebräuchlich beschrieben werden. 14 Die fol‐ gende Abbildung bietet zunächst einen interregional vergleichenden Einblick in die Verteilung der allophonen Realisierungsvarianten: 237 7.4 Der postalveolare Frikativ / ʒ/ <?page no="238"?> Abb. 20 / ʒ/ im absoluten Anlaut Die nachfolgende Detailuntersuchung der Provinz Buenos Aires offenbart, dass, obschon zwei Sprecher eine größere Tendenz zur Realisierung einer der Affri‐ katen aufweisen, diese Realisierungsvarianten doch unter allen Gewährsper‐ sonen gebräuchlich sind. [d͡ʒ] [ʒ] [t͡ʃ] [ʃ] [ʝ]/ [j] Gesamt bsas-bs 4 4 5 12 0 25 bsas-ec 1 2 8 8 0 19 bsas-eo 1 4 2 5 5 17 bsas-fa 11 3 9 2 0 25 bsas-mc 7 1 17 0 0 25 Total 24 14 41 27 5 111 Tab. 5 Mikroanalyse Buenos Aires: / ʒ/ im absoluten Anlaut Aufgrund der Verbreitung der Affrikaten weisen die Modellsprecher aus Buenos Aires in dieser Position ein breiteres Spektrum gebräuchlicher Realisierungs‐ varianten als die Gewährspersonen der übrigen Regionen. Bemerkenswert ist zudem, dass keine der Gewährspersonen eine allophone Variante eindeutig be‐ 238 7 Die phonetische Analyse <?page no="239"?> vorzugt. Wählt man allerdings eine geringere Vergrößerungsstufe und fasst je‐ weils die stimmhaften ([d͡ʒ] bzw. [ʒ]) und stimmlosen ([t͡ʃ] bzw. [ʃ]) Varianten zusammen, so lässt sich durchaus eine Präferenz für ein Variantenpaar ausma‐ chen: [d͡ʒ]/ [ʒ] [t͡ʃ]/ [ʃ] [ʝ]/ [j] Gesamt Gesamt 38 68 5 111 %-Anteil 34,23 % 61,26 % 4,50 % 100,00 % Tab. 6 Mikroanalyse Buenos Aires: / ʒ/ im absoluten Anlaut (gruppiert) Die Aufstellung zeigt, dass unter den Gewährspersonen der Hauptstadt der yeísmo rehilado (zusammengenommen: 95,50 %; 106 / 111) als vorherrschende Kategorie allophoner Realisierungsvarianten gelten kann, wobei eine relativ klare Tendenz zur Realisierung der stimmlosen Variante zu beobachten ist (61,26; 68 / 111). Auch in den beiden anderen Regionen ist jeweils ein yeísmo mit rehilamiento dominant: In Córdoba mit einer leichten Präferenz für die stimm‐ hafte, in Santiago del Estero für die stimmlose Variante. 7.4.2 In intervokalischer Position Verglichen mit dem soeben dargestellten absoluten Anlaut lassen sich in inter‐ vokalischer Position (V_V) einige Unterschiede hinsichtlich der Realisierung von / ʒ/ beobachten. Dabei wurden gleichermaßen wortinterne wie wortverbin‐ dende Kontexte integriert (calle ʻStraßeʼ, me llamo ʻich heißeʼ). Die Sprecher der drei untersuchten Regionen realisierten / ʒ/ dabei mehrheitlich als postalveo‐ laren Frikativ, also [ʒ] oder [ʃ], wobei das Verhältnis von stimmhafter zu stimm‐ loser Variante von Region zu Region bisweilen stark variiert. Während die In‐ formanten aus Santiago del Estero eine klare Präferenz für den stimmlosen Frikativ [ʃ] aufweisen (115 / 143; 80,42 %), lässt sich unter den Modellsprechern aus Buenos Aires und Córdoba verglichen mit dem absoluten Anlaut eine Zu‐ nahme des prozentualen Anteils der stimmhaften Variante [ʒ] feststellen. So realisieren die Gewährspersonen aus der Hauptstadt in 59,20 % (74 / 125) der Fälle den stimmhaften postalveolaren Frikativ [ʒ], wohingegen der Anteil der stimmlosen Variante 36 % (45 / 125) beträgt. Zudem kann - ebenfalls verglichen mit dem absoluten Anlaut - ein reduziertes Inventar üblicher Realisierungsva‐ rianten attestiert werden. Die affrizierten Allophone [d͡ʒ] und [t͡ʃ], deren pro‐ zentualer Anteil in äußerungsöffnender Position bei über 55 % liegt, kommen in intervokalischer Position nur sehr vereinzelt vor (2 / 125; 1,6 %), sie werden in 239 7.4 Der postalveolare Frikativ / ʒ/ <?page no="240"?> der folgenden Darstellung in der Kategorie ‘Sonstiges’ geführt. Bzgl. der Reali‐ sierungstendenzen der Informanten aus Córdoba konnte ebenfalls eine Zu‐ nahme des prozentualen Anteils der stimmhaften Variante [ʒ] registriert werden (80 / 125; 64 %). Somit unterscheiden sich die untersuchten Sprecher aus Córdoba und Buenos Aires deutlich von den Sprechern aus Santiago del Estero, wo der stimmlose Frikativ die klar dominante Realisierungsvariante ist. In anderer Hin‐ sicht jedoch stimmen die Realisierungstendenzen der Informanten aus Córdoba wiederum mit denjenigen aus Santiago del Estero überein: Sie realisieren etwas mehr als jede zehnte Okkurrenz von / ʒ/ nicht als yeísmo rehilado, sondern als palatalen Approximanten [j] oder Frikativ [ʝ]. Unter den Gewährspersonen aus Córdoba sind dies 12,80 % (16 / 125), unter denjenigen aus Santiago del Estero 13,99 % (20 / 143). Im Unterschied dazu fällt der prozentuale Anteil der palatalen Varianten für Buenos Aires mit 3,20 % (4 / 125) nicht ins Gewicht. Abb. 21 / ʒ/ in intervokalischer Position Viele klassische Arbeiten zur dialektalen Gliederung Argentiniens, aber auch rezentere Veröffentlichungen beschreiben die besondere Art der Distinktion in intervokalischer Position in Santiago del Estero als einen Sonderfall (cf. Ka‐ pitel 6.2.1), deren Herausbildung in der Regel auf den Einfluss des Quechua zu‐ rückgeführt wird und die in einem stimmhaften rehilamiento allerdings ohne Neutralisierung bestehe (cf. Vidal de Battini 2 1966, Canfield 1981, Donni de Mi‐ rande 1985, Fontanella de Weinberg 1995, Donni de Mirande 2000b, Caravedo 2001, Colantoni / Hualde 2013, Rosenblat ²2016). Ángel Rosenblat beschreibt das 240 7 Die phonetische Analyse <?page no="241"?> 15 Z. B.: sde-bm: mayo [maʃo], fallo [faʃo]; sde-msdz: ellos [eʃɔs], vaya [baʃa]; sde-rp: allá [aʃa], mayor [maʃɔɾ], sde-po: apoyo [apɔʃo]; orgullo [oɾɣuʃo]; sde-gr: Cuyo [kuʃo], se llame [seʃame]; sde-ep: ellos [eʃɔs], haya [aʃa]. Phänomen wie folgt: „Los indios de Santiago del Estero pronuncian žajta (de llacta), žuqui (de lluqui) […] y también el español regional ha hecho ž su ll española, pero no su y.” (Rosenblat ²2016: 126, Hervorhebung im Original). Aus phonematischer Sicht bleibt somit die im kastilischen Standard ehemals beste‐ hende Opposition zwischen / ʎ/ : / ʝ/ (cf. RAE / ASALE 2011b: § 6.4c.; § 6.4n) in modifizierter Form aufrechterhalten, nämlich als / ʒ/ : / ʝ/ bzw. / ʃ/ : / ʝ/ , wobei or‐ thografisches <ll> auf lautlicher Ebene mit den postalveolaren Frikativen / ʒ/ korreliert und <y> durch palatales / ʝ/ repräsentiert wird. Colantoni und Hualde (2013) weisen allerdings darauf hin, dass diese Unterscheidung lediglich mehr oder minder stark („en mayor o menor medida“ (ibid.: 22)) aufrechterhalten werde und dass es trotz der prekären Datenlage Hinweise gebe, die auf ein Ver‐ schmelzen der beiden Phoneme hindeuteten (ibid.). Die Daten der vorliegenden Untersuchung stützen letztere Annahme, da sich für alle untersuchten Gewähr‐ spersonen Okkurrenzen von [ʃ] sowohl als (lautliche) Realisierung von <ll> als auch von <y> nachweisen lassen. 15 Auf der anderen Seite sind alle Vorkomm‐ nisse von palatalem [ʝ] als Realisierungen von orthografischem <y> zu identi‐ fizieren. Somit sind die Ergebnisse tatsächlich ein Hinweis darauf, dass aktuell eine Neutralisierung der Opposition stattfindet und diese in intendierter Stan‐ dardverwendung gebildeter Sprecher bereits weit fortgeschritten ist. Allerdings findet die Entphonologisierung nicht zugunsten des stimmhaften postalveo‐ larem Frikativ [ʒ], sondern zugunsten des stimmlosen Pendants [ʃ] statt. Ein Grund dafür könnte der von der Hauptstadt ausstrahlende Prozess der Entstim‐ mung von / ʒ/ sein, höchstwahrscheinlich wirkt jedoch auch die weite Verbrei‐ tung des assibilierten Vibranten auf diese Entwicklung zumindest verstärkend. Denn die stimmlose Variante weist diesem gegenüber einen deutlich größeren Abstand auf und trägt somit zur sicheren Unterscheidung von Minimalpaaren wie etwa porro (ʻLauchʼ, ʻJointʼ) und pollo (ʻHuhnʼ) bei. [ʒ] [ʃ] [ʝ]/ [j] Gesamt sde-bm 2 23 0 25 sde-ep 2 19 3 24 sde-gr 0 20 5 25 sde-msdz 0 12 7 19 241 7.4 Der postalveolare Frikativ / ʒ/ <?page no="242"?> [ʒ] [ʃ] [ʝ]/ [j] Gesamt sde-po 3 19 3 25 sde-rp 1 22 2 25 Total 8 115 20 143 Tab. 7 Mikroanalyse Santiago del Estero: / ʒ/ in intervokalischer Position 7.4.3 Im postkonsonantischen Wortanlaut In postkonsonantischer Position weist das Phonem / ʒ/ eine deutlich einge‐ schränktere Verteilung auf: Es erscheint dort vor allem, wenn es gleichzeitig den Wortanfang besetzt (z. B. al llegar ʻim Moment des Eintreffensʼ). Das wortinterne postkonsonantische Erscheinen von / ʒ/ ist hingegen selten (z. B. enyesar ʻein‐ gipsenʼ) (Gabriel et. al. 2013b: 66) und konnte im Korpus nicht nachgewiesen werden. Die folgende Darstellung beschränkt sich daher auf den postkonso‐ nantischen Wortanlaut (C#_V). In diesem Kontext ließen sich in grober Annä‐ herung ähnliche Realisierungstendenzen feststellen wie in den übrigen Positi‐ onen, wenn auch bei deutlich geringer Tokenanzahl. Unter ‘Sonstiges’ sind - wie schon im Fall der intervokalischen Position - affrizierte Realisierungsvari‐ anten aufgeführt. Abb. 22 / ʒ/ im postkonsonantischen Wortanlaut 242 7 Die phonetische Analyse <?page no="243"?> 16 In den beiden übrigen Positionen liegt dieser Wert bei jeweils unter 5 %. Unter den Sprechern aus Buenos Aires ist erneut der yeísmo rehilado vorherr‐ schend - bei Präferenz für die stimmhafte Variante [ʒ] (34 / 65; 52,31 %). Auffällig ist der vergleichsweise hohe Anteil der palatalen Realisierungen [ʝ] oder [j] (12,31 %; 8 / 65). 16 Interessanterweise sind sieben der acht Okkurrenzen auf ein und denselben Sprecher (‘bsas-fa’) zurückzuführen. Die genauere Betrachtung offenbart, dass alle sieben Okkurrenzen in postkonsonantischer Position im Ei‐ genamen des peruanischen Schriftstellers Mario Vargas Llosa zu finden sind, der insgesamt elf Mal realisiert wird: einmal mit stimmlosem postalveolarem Frikativ [ʃ], drei Mal mit stimmhaftem [ʒ] und sieben Mal mit palatalem Frikativ [ʝ]. Da derselbe Sprecher lediglich in zwei weiteren Fällen eine der palatalen Varianten realisiert, ist es wahrscheinlich, dass der Grund für den ungewöhnlich hohen Anteil palataler Realisierungen möglicherweise durch das Bestreben mo‐ tiviert ist, den Namen des Peruaners gemäß der peruanischen Norm oder zu‐ mindest nicht ʻargentinischʼ auszusprechen. Mit Blick auf die Gewährspersonen aus Santiago del Estero und Córdoba setzen sich die bis dato festgestellten Realisierungstendenzen auch in postkon‐ sonantischer Position weiter fort. Unter den Informanten aus Córdoba ist erneut die stimmhafte Variante vorherrschend, wohingegen unter den Modellspre‐ chern aus Santiago del Estero wieder die stimmlose Variante dominiert. 7.4.4 Zusammenfassung der Ergebnisse Die phonetische Analyse konnte im Hinblick auf die Realisierungstendenzen des postalveolaren Frikativs / ʒ/ einige interessante Befunde zu Tage fördern. Insbesondere die Ergebnisse der intervokalischen Position sind überraschend, da die stimmlose Variante [ʃ] unter den Gewährspersonen aus Santiago del Es‐ tero wider Erwarten die größte Verbreitung aufweist. Dies ist zunächst uner‐ wartet, da Buenos Aires als Ursprung und Motor des Lautwandels von / ʒ/ zu / ʃ/ gilt und die Vermutung daher naheliegt, dass der Wandel dort am weitesten fortgeschritten sein müsste. Dies gilt umso mehr, als dass in phonetischen Un‐ tersuchungen nachgewiesen werden konnte, dass der Entstimmungsprozess für einige Sprechergruppen tatsächlich bereits als abgeschlossen gelten kann (Rohena-Madrazo 2013, 2015). Weiterhin konterkariert das Ergebnis frühere Studien, wonach Santiago del Estero als eine der wenigen argentinischen Re‐ gionen ohne Yeísmo gilt, in der eine palatale Variante / ʝ/ in phonematischer Opposition zu einem stimmhaften postalveolaren Frikativ / ʒ/ steht (cf. Colan‐ toni / Hualde 2013). Tatsächlich konnte für alle Gewährspersonen die Aufhe‐ 243 7.4 Der postalveolare Frikativ / ʒ/ <?page no="244"?> 17 Grundsätzlich werden die affrizierten Varianten des yeísmo rehilado eher mit den vom Guaraní beeinflussten Varietäten Paraguays und Nordostargentiniens in Verbindung gebracht (cf. z. B. Vidal de Battini 2 1966). Mit Blick auf Buenos Aires erkennt Donni de Mirande (1981: 404) einen italienischen Einfluss, denn die Variante sei vor allem bei Kindern von Einwandern aus Norditalien (Piemont, Friaul, Genua etc.) nachzuweisen. bung dieser Opposition nachgewiesen werden, allerdings nicht zugunsten von / ʒ/ , sondern zu dessen stimmlosem Pendant / ʃ/ . Die von Colantoni / Hualde (2013: 22) geäußerte Vermutung, wonach sich in der Region ein Sprachwandel im Sinne einer Aufhebung der phonematischen Opposition vollziehe, kann somit gestützt werden. Dass diese zugunsten der stimmlosen Variante erfolgt, hängt sicherlich auf der einen Seite mit dem entsprechenden Sprachwandel‐ prozess in Buenos Aires zusammen, der Vorbildcharakter für diese Entwicklung gehabt haben dürfte. Auf der anderen Seite ist jedoch anzunehmen, dass die Koexistenz einer assibilierten Variante von / r/ bzw. / R/ diese Entwicklung zu‐ sätzlich begünstigt haben dürfte. Ebenfalls überraschend ist der starke Anteil affrizierter Varianten im Anlaut unter den Gewährspersonen aus Buenos Aires. So beschreibt Donni de Mirande (1981, 2000b) diese Allophone als insgesamt sporadisch vorkommende Vari‐ anten, die wenn sie realisiert werden, vor allem die Position des absoluten An‐ laut besetzten. Gleichzeitig wurden die Affrikaten aber auch als typisch für die intervokalische Position (Donni de Mirande 1981) oder als phonotaktisch un‐ abhängig (Donni de Mirande 1980, 1981) beschrieben. 17 Es bedarf sicherlich wei‐ terer Studien zu diesem Phänomen, die vorliegenden Daten könnten jedoch auf eine Zunahme der Verbreitung in formalen Kommunikationssituationen hin‐ deuten. Inwieweit die in der phonetischen Analyse festgestellten Unterschiede tat‐ sächlich dazu geeignet sind, unterschiedliche Aussprachestandards zu differen‐ zieren, wird im Folgenden im Rahmen einer perzeptiven Analyse hinterfragt. Als in diesem Sinne distinktive Varianten würden sie dann fungieren, wenn sie als kaum oder nur wenig salient wahrgenommen würden, wohingegen kon‐ kurrierende Varianten mit entsprechend entgegengesetzten Salienzwertungen belegt werden müssten. 244 7 Die phonetische Analyse <?page no="245"?> 8 Perzeptive Analyse In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat die Perzeptionsforschung innerhalb der Varietätenlinguistik und der Dialektologie einen immer größeren Raum eingenommen. Mittlerweile herrscht im wissenschaftlichen Diskurs weitge‐ hend Konsens darüber, dass für eine umfassende Beleuchtung von Varietäten und Varianten sowohl Daten der Sprachproduktion als auch der Sprachperzep‐ tion Berücksichtigung finden sollten. Fokussiert erstere den Produzenten von Sprachmaterial, so rückt letztere den Rezipienten, also den Empfänger der sprachlichen Reize und Zeichen, in das Zentrum des Interesses. Dabei ist mit Perzeption nicht bloß die sensuelle Wahrnehmung und zerebrale Verarbeitung sprachlicher Reize gemeint; häufig impliziert der Begriff auch über die bloße Wahrnehmung hinausgehende kognitive Prozesse des perzipierten Sprachma‐ terials wie etwa Assoziation oder auch Evaluation. Assoziativ findet eine Ver‐ knüpfung von „sprachlichen Zeichen […] und […] damit abgerufenen sprachli‐ chen und nicht-sprachlichen kognitiven Repräsentationen bzw. Wissensbeständen“ (Krefeld / Pustka 2014: 9) statt, die etwa die Zuordnung be‐ stimmter sprachlicher Varianten zu Sprechergruppen ermöglicht (z. B. hinsicht‐ lich diatopischer oder diastratischer Kriterien). Eine Evaluation kann hinsicht‐ lich der Adäquatheit der Zeichenauswahl durch den Produzenten und vor dem Hintergrund geltender Erwartungen und gültiger Normen stattfinden. Bei der Untersuchung einer möglichen Koexistenz verschiedener Aussprachestandards spielt vor allem der perzeptiv-evaluative Aspekt eine große Rolle. Als Basiska‐ tegorie der nachfolgenden Perzeptionstests ist jedoch, im Einklang mit der zu‐ grundeliegenden Konzeption von Standardsprachlichkeit, die Bewertung der Salienz sprachlicher Varianten der Evaluation sprachlicher Korrektheit vorge‐ schaltet. Ausgehend vom Sternmodell Krefelds (2011: 109 sowie Kapitel 2.6), wonach die Varianten der Standardvarietät im Sprecherempfinden als unauf‐ fällig charakterisiert werden können, wurde der Grad der Auffälligkeit der in der phonetischen Analyse herausgearbeiteten allophonen Realisierungsvari‐ anten untersucht. <?page no="246"?> 1 Herzlichen Dank Herrn Dominik Leiner für die stets schnelle und unkomplizierte Un‐ terstützung bei der Erstellung des Fragebogens. 8.1 Methodik Die Onlinebefragung wurde auf www.soscisurvey.de (Leiner / Leiner 2019) er‐ stellt und zwischen Oktober 2016 und April 2017 durchgeführt und dient der Eruierung der perzeptiven Evaluation verschiedener Aussprachevarianten durch die Einwohner der Provinzen Buenos Aires, Córdoba, Santiago del Estero sowie der Stadt Buenos Aires. 1 Gegenstand der Befragung ist die Aussprache der Ge‐ währspersonen aus der phonetischen Analyse. Daraus werden den Teilnehmern diejenigen allophonen Realisierungsvarianten zur Bewertung präsentiert, die gemäß den im vorherigen Kapitel ausgeführten Befunden distinktives Potenzial in der Ausprägung verschiedener Aussprachestandards haben könnten. Wäh‐ rend die phonetische Analyse die Aussprache einer klar definierten Gruppe von Modellsprechern in Situationen kommunikativer Distanz beleuchtete, richtet sich die perzeptive Analyse nun prinzipiell an alle Bewohner der genannten Re‐ gionen (cf. Kapitel 8.2). Die Realisierungsvarianten werden in isolierenden und in kontrastiven Abfragen getestet. In isolierender Abfrage wird den Informanten lediglich ein Audiosample angeboten, das die Realisierung einer zu testenden allophonen Variante enthält. Der Stimulus steht dabei für sich, d. h. er wird keinem weiteren Audio-Input gegenübergestellt. Mit der isolierenden Abfrage wird die allgemeine Salienz der Variante getestet. Die Testung wurde mittels eines virtuellen Schiebereglers durchgeführt, der die Angabe eines Wertes zwi‐ schen den Polen llamativa (min. = 0) und no llamativa (max. = 100) ermöglichte. Welche Variante, d. h. welcher konkrete Einzellaut des Audiostimulus abgefragt wird, bleibt für die Probanden unbekannt. Ob sich die Befragten mit ihrem Sali‐ enzurteil tatsächlich auf die analysierte Variante beziehen, wird - ebenso wie Gründe für die Auffälligkeitswertung - über nachgeschaltete Rückfragen ge‐ testet (cf. Kapitel 8.3). Über die Ergebnisse des Salienztests werden Hinweise auf die potenzielle Standardaffinität von Varianten abgeleitet. Eine Gegenprobe zu diesem Urteil bieten die kontrastierenden Abfragen. Bei diesen Fragen werden den Probanden mehrere Stimuli gleichzeitig präsentiert, die jeweils unterschied‐ liche allophone Realisierungsvarianten desselben Phonems in Kontexten größt‐ möglicher Ähnlichkeit enthalten (cf. Kapitel 8.4). Die Teilnehmer konnten sich die vorgelegten Stimuli beliebig oft anhören; die Anordnung der Audiodateien erfolgte nach dem Zufallssystem. Im Gegensatz zu den isolierenden Abfragen wurde in den kontrastierenden Abfragen nicht allgemein die Salienz der Stimuli elizitiert, sondern im Rahmen einer Multiple-Choice-Frage um eine Zuordnung 246 8 Perzeptive Analyse <?page no="247"?> 2 Es wurden lediglich einige relevante Metadaten wie Geburtsort, Alter, Geschlecht etc. erhoben (cf. Kapitel 8.3.2), allerdings keinerlei Daten wie etwa Name, E-Mail-Adresse oder IP-Adresse aufgezeichnet, die eine Identifizierung der Probanden möglich machen würde. 3 Die Rechteinhaber haben dabei jeweils der Nutzung der Audiodateien zum Zwecke dieser wissenschaftlichen Erhebung zugestimmt. der Audiodateien zu Kommunikationssituationen unterschiedlichen Formalitäts‐ grads gebeten. Somit wird die Standardnähe der jeweiligen Variante - neben ihrer Salienz - über einen zweiten Indikator (Formalitätsadäquatheit) abgefragt. Die Entscheidung, einen Online-Fragebogen zu verwenden, erfolgte aus ver‐ schiedenen Gründen. Einer davon ist die große Reichweite, die der Fragebogen über die Aktivierung privater und sozialer Netzwerke und Institutionen (z. B. Verteiler von Universitäten und Kulturinstitute etc.) und die weitere Verbreitung über das Schneeballprinzip erhält. Diese Befragungsvariante kann zudem als ressourcenschonend bezeichnet werden, da die Probanden selbst den (virtu‐ ellen) Befragungsraum aufsuchen und somit langwierige Reisen durch das Lan‐ desinnere entfallen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Probanden selbst den Be‐ fragungszeitpunkt bestimmen können, da dieser nicht von der Anwesenheit des Explorators abhängig ist. Gleichzeitig werden durch dessen Abwesenheit an‐ sonsten möglicherweise auftretende, verzerrende Effekte minimiert und die ab‐ solute Anonymität der Befragung garantiert. 2 Ein weiterer Grund sind die tech‐ nischen Möglichkeiten des Abfrage-Tools: Zunächst eröffnet die Einbettung von Audiostimuli und ihre Verknüpfung mit verschiedenen Fragearten die Möglich‐ keit, Samples der phonetischen Untersuchung zu präsentieren und den Pro‐ banden zur Testung vorzulegen. Dadurch ist gewährleistet, dass dasselbe Sprachmaterial einmal aus produktionsorientierter und ein weiteres Mal aus perzeptionsorientierter Perspektive beleuchtet wird. 3 Die verschiedenen Abfra‐ gearten (Mehrfachauswahl, grafische Markierung (z. B. auf Landkarten), Skala-Fragen etc.) können an die Bedürfnisse der Befragung angepasst und mit sogenannten Filtern gekoppelt werden. Diese bestehen in einem PHP -Script, das vor bestimmte Fragen gesetzt wird und die bis zu diesem Zeitpunkt gege‐ benen Antworten scannt. Je nachdem, wie ein Teilnehmer auf eine bestimmte Frage geantwortet hat, kann dieser sodann zu einer Nachfrage weiter-, oder eben an dieser vorbeigeleitet werden. Auf diese Art und Weise werden für den Teil‐ nehmer unnötige Fragen vermieden und die Effizienz des Fragebogens erhöht. Der Proband sieht also nur die Fragen, die ihn tatsächlich betreffen. Ein letzter großer Vorteil der Online-Befragung ist die Verfügbarkeit der Ergebnisse in strukturierter und digitaler Form. Das nachträgliche Aufbereiten und händische Einpflegen der Antworten in eine Datenbank entfallen somit. 247 8.1 Methodik <?page no="248"?> 8.2 Probanden-Gewinnung Die Probandengewinnung für die perzeptive Analyse erfolgte über verschiedene Kommunikationskanäle. Als Kernzielgruppe wurden zunächst Personen defi‐ niert, die in den Provinzen Buenos Aires, Córdoba und Santiago del Estero geboren sind oder dort aktuell leben. Um jedoch möglicherweise gewinnbrin‐ gende Vergleichswerte zu erhalten, wurden Probanden anderer Provinzen nicht von vornherein ausgeschlossen. Deren Antworten wurden zwar nicht in die statistische Auswertung zur Prüfung der Koexistenz unterschiedlicher Ausspra‐ chestandards in den drei genannten Regionen integriert, allerdings lieferten auch die Antworten der Teilnehmer anderer Regionen - insbesondere Kom‐ mentare auf offene Fragen - gewinnbringende Hinweise. Des Weiteren sollten mit Blick auf die Verteilung des Fragebogens mögliche Multiplikatoren-Effekte dieser Teilnehmer mit Rückwirkung auf die fokalen Regionen nicht blockiert werden. Ein wichtiger Startpunkt der Probandengewinnung waren bereits be‐ stehende persönliche Kontakte in Argentinien. Dabei handelt es sich um circa 30 Personen, die aus autorspezifisch-biografischen Gründen mehrheitlich in den Provinzen Buenos Aires und Misiones sowie der Ciudad Autónoma de Buenos Aires beheimatet sind. Aufgrund der persönlichen Verbindung zum Autor herrschte in dieser Gruppe eine vergleichsweise große Bereitschaft den Frage‐ bogen z. B. in virtuellen wie analogen sozialen Netzwerken zu streuen oder wei‐ tere Personen über andere Kommunikationswege zur Teilnahme zu bewegen. Die sozialen Netzwerke spielten in der Probandengewinnung auch darüberhi‐ nausgehend eine große Rolle. So wurde der Link zum Fragebogen in verschie‐ denen ausgewählten Gruppen veröffentlicht. Als notwendiges Auswahlkrite‐ rium diente dabei ein Bezug des Gruppen-Themas zu Argentinien oder zu einer der drei genannten Erhebungsregionen. Insgesamt wurde der Link in 33 Face‐ book-Gruppen geteilt, beispielhaft genannt seien an dieser Stelle die Gruppen „Cursos, Seminarios, Capacitaciones, Córdoba Argentina“, „argentinos radi‐ cados en alemania“ oder auch „ OFREZCO / NECESITO : SANTIAGO DEL ES‐ TERO “. Neben Facebook wurden auch wissenschaftliche soziale Netzwerke wie Research Gate oder Academia verwendet, um Kontakt zu potenziellen Teilneh‐ mern aufzubauen. Außerhalb der sozialen Netzwerke waren insbesondere Ein‐ richtungen mit einer thematischen Nähe zum Forschungsprojekt von großer Relevanz, beispielsweise Institutionen, die den deutsch-argentinischen Aus‐ tausch fördern, sowie Schulen und vor allem Universitäten und Angehörige bzw. Stipendiaten des Consejo Nacional de Investigaciones Científicas y Técnicas ( CO‐ NICET ). Durch die Streuung des Teilnahmelinks im Kollegium, in den eigenen Lehrveranstaltungen und über private Kommunikationskanäle wurden diese 248 8 Perzeptive Analyse <?page no="249"?> 4 Zum Befragungsende (April 2017) entsprach das umgerechnet in etwa 60 bzw. 30 Euro. 5 Diese Statistik umfasst auch Aufrufe durch Suchmaschinen oder wiederholte Aufrufe einzelner Nutzer. Gruppen zu den wichtigsten Multiplikatoren des Projekts. Dieser Multiplika‐ toren-Effekt führt auch dazu, dass die Mehrzahl der Teilnehmer aus dem oberen Bildungsspektrum stammen, also einen Hochschulabschluss haben oder pro‐ moviert bzw. habilitiert sind (cf. Kapitel 8.5). Neben der Probandengewinnung in Argentinien wurden auch die Mitglieder der argentinischen Gemeinschaft in Deutschland (argentinische Kulturvereine, Facebook-Gruppen etc.) gebeten sich an der Verbreitung des Fragebogens zu beteiligen. Als Anreiz zur Partizipation wurde den Befragten die Möglichkeit zur Teil‐ nahme an einem Gewinnspiel angeboten. Hierüber wurden die Gewährsper‐ sonen bereits vor Beginn der Befragung informiert, die Gewinnspielteilnahme war jedoch erst nach deren Beendigung möglich. Voraussetzung für eine Teil‐ nahme war, neben dem Kriterium der Volljährigkeit, dass die Interessierten auf mindestens 75 % der ihnen gestellten Fragen tatsächlich mit einer Eingabe (als Text oder per Mausklick) reagiert haben. Auf diese Art und Weise verfolgte das Gewinnspiel mehrere Ziele: Es sollte potenzielle Probanden zur Teilnahme an der Befragung motivieren und gleichzeitig die Abbrecherrate reduzieren. Durch die Teilnahmevoraussetzung von mindestens 75 % beantworteten Fragen wird ein einfaches ‘Durchklicken’ zum Zwecke der Gewinnspielteilnahme ver‐ mieden. Dadurch ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass einzelne Personen die Sorgfalt bei der Beantwortung der Fragen hintanstellen, um möglichst schnell zum Gewinnspiel zu gelangen. Allerdings konnten derartige Verhaltensmuster nachträglich anhand der im Datensatz aufgezeichneten Verweildauer pro Frage und der Gesamtdauer der Befragung isoliert und die entsprechenden Frage‐ bögen aussortiert werden (s. u.). Die Teilnahme am Gewinnspiel erfolgte über die Angabe einer gültigen E-Mail-Adresse, die in einer separaten Datei, d. h. unabhängig von den Daten des Fragebogens, abgespeichert wurde. Auf diese Art und Weise bleib die Anonymität der Befragung gewährleistet. Unter allen Teilnehmern wurden einmal 1000 argentinische Pesos und zweimal 500 argen‐ tinische Pesos verlost. 4 Insgesamt wurde die Online-Befragung 6240 Mal aufgerufen. 5 In 1663 Fällen wurde der Fragebogen bearbeitet, d. h. es wurde mindestens die zweite Seite des Fragebogens aufgerufen. 833 Teilnehmer haben den Fragebogen vollständig be‐ antwortet. Zur Analyse wurden jedoch auch unvollständig beantwortete Fra‐ gebögen herangezogen, sofern diese folgende Kriterien erfüllten: es musste mindestens ein Audiostimulus bewertet worden sein, die Teilnehmer durften in ihren Bewertungen maximal 2,9-mal so schnell gewesen sein wie der Durch‐ 249 8.2 Probanden-Gewinnung <?page no="250"?> 6 Neben den von den Teilnehmern selbst eingespeisten Informationen, wurden im Hin‐ tergrund des Fragebogens zur Qualitätssicherung und zur Vorbereitung der weiteren Analyse der Antworten zusätzliche Daten erhoben. Dabei handelt es sich ausnahmslos um befragungsinterne technische Daten, die entweder der Strukturierung des Daten‐ materials dienen oder das Antwortverhalten der Probanden (z. B. Verweildauer pro Seite, Fragenabfolge, max. erreichte Seite etc.) widerspiegeln. Befragungsexterne Daten, d. h. solche die beispielsweise auf den Aufenthaltsort der Probanden oder deren tech‐ nisches Equipment (wie Browser, Betriebssystem o. ä.) rekurrieren, wurden aus Daten‐ schutzgründen nicht erhoben. 7 Variablenkonstellation meint in diesem Kontext, das Erscheinen eines bestimmten Pho‐ nems in einem gegebenen phonotaktischen Kontext. schnitt derjenigen, die den Fragebögen komplett absolviert haben und sie mussten mindestens 50 % der ihnen gestellten Fragen beantwortet haben. Ins‐ gesamt haben 1001 Fragebögen diese Kriterien erfüllt (cf. Kapitel 8.5). 8.3 Aufbau des Fragebogens 8.3.1 Allgemeine Strukturierung Der Online-Fragebogen besteht aus einer Einleitung, der Abfrage von Meta‐ daten der Probanden, dem Hauptteil mit den Fragen zu den Audiostimuli inkl. der Nachfragen zu den Gründen der Bewertung sowie einem Schlussteil. In der Einleitung wurde das Forschungsprojekt inhaltlich und institutionell knapp verortet, die während der Befragung zu erledigenden Aufgaben vorgestellt und die durchschnittliche Dauer der Befragung angegeben. Ebenso Teil der Einlei‐ tung war der Hinweis auf das Gewinnspiel am Ende der Befragung. 6 Im Hauptteil der Befragung erfolgte die Testung der potenziell distinktiven Realisierungsvarianten. Dabei wurde den Teilnehmern jeweils nur ein Aus‐ schnitt der Gesamtbefragung zur Bearbeitung vorgelegt, da Pre-Test-Verfahren zuvor gezeigt hatten, dass die Bewertung aller Stimuli zu einer zu großen Be‐ fragungsdauer und einer dadurch signifikant erhöhten Abbrecherquote geführt hätte. Die Informanten wurden daher zufällig in Versuchsgruppen aufgeteilt. Für jede Variablenkonstellation 7 wurden drei Gruppen gebildet: Je eine Ver‐ suchsgruppe bewertete in einer isolierenden Versuchsanordnung einen Sti‐ mulus, der eine der zu testenden allophonen Varianten enthält; beispielsweise die vibrantische Realisierung [r] von / r/ im absoluten Anlaut in dem Satz real‐ mente un amigo de la casa. Eine weitere Gruppe bewertete, ebenfalls nicht kon‐ trastiv, eine weitere allophone Variante desselben Phonems; im gewählten Bei‐ spiel die assibilierte Realisierung von / r/ als [ɕ] in dem Satz realmente nos e 250 8 Perzeptive Analyse <?page no="251"?> 8 Der Stimulus erhält mit dem Verzögerungslaut [e: ] einen deliberativen Charakter, auf den an entsprechender Stelle der Darstellung gesondert eingegangen wird (cf. Ka‐ pitel 8.6.1.2). 9 Den Teilnehmern wurden in der kontrastiven Befragung alle Stimuli der isolierenden Abfrage gegenüberstellend und in diesem Sinne kontrastiv präsentiert. Die Reihenfolge der Audiodateien wird bei jedem Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip ausgelost. 10 Die Kodierung YAO steht für ‘yeísmo in äußerungsöffnender Position’. Die Kodie‐ rungen werden im Folgenden lediglich dort aufgeführt, wo sie der Präsentation des Fragebogens oder der besseren Unterscheidbarkeit der unterschiedlichen Abfragen dienlich sind und werden so übernommen, wie sie in der Online-Befragung angelegt waren. 11 Das Kürzel RAO steht für ‘/ R/ in äußerungsöffnender Position‘ satisface. 8 Eine dritte Versuchsgruppe bewertete beide Stimuli in kontrastiver Gegenüberstellung. 9 Jede Gewährsperson wurde pro Variablenkonstellation le‐ diglich einer der Versuchsgruppen zugeordnet und danach zum nächsten Fra‐ genblock weitergeleitet. Insgesamt beinhaltet der Fragebogen sechs verschie‐ dene Variablenkonstellationen: / ʒ/ im absoluten Anlaut ( YAO ) 10 , / R/ im absoluten Anlaut ( RAO ) 11 , / r/ bzw. / R/ in intervokalischer Position, / s/ in inter‐ vokalischer Position, / ʒ/ in intervokalischer Position sowie / s/ in präkonsonan‐ tischer Position und im absoluten Auslaut. Die zufällige Verteilung der Gewähr‐ personen auf die Testgruppen erfolgte in allen Fällen über ein Verfahren, das als ʻUrnenziehung ohne Zurücklegenʼ bezeichnet wird. Jede Variablenkonstellation kann als Urne oder Lostrommel gedacht werden, die - anstatt mit Zetteln oder Loskugeln - mit den zu testenden allophonen Realisierungsvarianten sowie der kontrastierenden Abfrage gefüllt ist. Im obigen Beispiel von RAO sind dies die allophonen Varianten [r], [ɕ] sowie [r] vs. [ɕ] (kontrastiv). Erreicht eine Ge‐ währsperson der Onlinebefragung nun die Urne RAO , so zieht sie einen Vari‐ anten-Zettel (bzw. eine Abfrage), beantwortet die zugehörige Frage und legt sie neben die Urne. Wird beispielsweise zunächst die kontrastive Abfrage beant‐ wortet, verbleiben für die nächste Gewährsperson lediglich die Zettel ʻ[r]ʼ und ʻ[ɕ]ʼ in der Urne. Die nächste Person zieht dementsprechend nicht mehr aus drei, sondern nurmehr aus zwei Varianten, beantwortet die Abfrage und legt den Zettel wieder neben die Urne. Die nun nachfolgende Person kann somit nur noch den zuletzt verbliebenen Zettel ziehen. Auch sie beantwortet die zugehö‐ rige Frage und legt den Zettel neben die Urne. Da diese nun vollständig geleert ist, wird sie wieder mit allen Zetteln neu befüllt und die nächste Person zieht wieder aus der vollständig gefüllten Urne; im Fall von RAO geschieht dies also nach jedem dritten Teilnehmer. Da die Anzahl kontrastierender allophoner Re‐ alisierungsvarianten in Abhängigkeit von der Variablenkonstellation variiert, werden pro Konstellation auch bei gleicher Anzahl an Befragten verschieden 251 8.3 Aufbau des Fragebogens <?page no="252"?> 12 Ein ähnliches Verfahren wird auch bei der Variablenkonstellation / r/ in intervokalischer Position und / s/ in präkonsonantischer Position und im Anlaut angewandt. viele Urnendurchgänge erreicht. Durch das Losverfahren ohne Zurücklegen ist jedoch gesichert, dass jeder Stimulus einer jeden Urne von annähernd gleich vielen Gewährspersonen bewertet wird. Ebenso wird sichergestellt, dass die Teilnehmer der Online-Befragung stets nur einer isolierenden oder der kon‐ trastiven, nicht aber beiden Abfragen zugeordnet werden. Die Reihenfolge der Urnen rotiert zufällig, um Reihenstellungseffekte zu vermeiden. Selbst wenn ein Teilnehmer mehrmals an der Befragung teilnehmen sollte, wird er daher - auf‐ grund der zufälligen Zuordnung zu den Versuchsgruppen und der rotierenden Frageblöcken - ausreichend wahrscheinlich nicht denselben Fragebogen beant‐ worten wie zuvor. / ʒ/ (#_V) "yeísmo-ao" Zufällige Rotation / r/ & / R/ (V_V) 'vibrant-vv' / ʒ/ (V_V) "yeísmo-vv" / s/ (V_C & V_#) 'sibilant-vcas' / R/ (#_V) "vibrant-ao" / s/ (V_V) "sibilant-vv" Abb. 23 Perzeptive Befragung - Anordnung der Frageblöcke Von der Rotation ausgenommen blieb die Urne mit den Abfragen zu den Reali‐ sierungsvarianten des Phonems / ʒ/ in äußerungsöffnender Position ( YAO ), da dieses die meisten zu testenden Allophone aufweist. Diese Variablenkonstella‐ tion erscheint am Anfang einer jeden Befragung und weist eine intern komple‐ xere Struktur auf als die übrigen Abfragen. In diesem Fall ziehen die Gewährspersonen zwei Zettel. Der erste Zettel entscheidet, ob sie einer stimmhaften Variante mit rehilamiento (žeísmo), einer stimmlosen Variante mit rehilamiento (šeísmo), der yeísmo-Variante ohne rehilamiento oder der Kontrollgruppe zuge‐ lost werden. Über den zweiten Zettel wird die zu testende Artikulationsart aus‐ gelost, also bestimmt, ob den Gewährspersonen eine affrizierte oder eine frika‐ tivische Variante zugeteilt wird. Um auch hier eine Gleichverteilung zu erreichen, enthält die Urne auch für die yeísmo-Variante und die Kontrollgruppe jeweils zwei Zettel, allerdings mit demselben Wert. 12 252 8 Perzeptive Analyse <?page no="253"?> / ʒ/ (#_V) "yeísmo-ao" Wert 1: Yeísmo-Typ 1 Šeísmo Wert 2: Artikulationsart frikativisch (YAO01) Zettel ablegen 2 1 affriziert (YAO02) Zettel ablegen 2 Žeísmo Wert 2: Artikulationsart frikativisch (YAO03) Zettel ablegen 2 1 affriziert (YAO04) Zettel ablegen 3 Yeísmo Wert 2: Artikulationsart Zettel ablegen 2 1 approximantisch (YAO05) 4 Kontrollgruppe Wert 2: Artikulationsart Zettel ablegen 2 1 Gegenüberstellung (YAOk) Abb. 24 Interne Urnenstruktur / ʒ/ im absoluten Anlaut 8.3.2 Erhebung von Metadaten Vor der eigentlichen Befragung wurden einige Daten zum biografischen Hin‐ tergrund der Teilnehmer erhoben, um perzeptive Urteile mit außersprachlichen Gruppenzugehörigkeiten korrelieren zu können (etwa Altersgruppen, Bil‐ dungsgrad etc.; cf. Kapitel 8.5). Von besonderer Relevanz für die vorliegende Untersuchung ist die regionale Herkunft der Probanden. Über einen Kreuzver‐ gleich wurde untersucht, wie Personen aus den drei im Fokus stehenden Pro‐ vinzen typische Realisierungsvarianten ihrer eigenen, aber auch der anderen Regionen beurteilen. Folgende Informationen wurden erhoben: Alter und Ge‐ schlecht sowie der Geburts- und Wohnort (inkl. der Wohndauer) der Probanden, der höchste erzielte Bildungsabschluss sowie die aktuelle Beschäftigung der Be‐ 253 8.3 Aufbau des Fragebogens <?page no="254"?> 13 Der Begriff llamativa erfährt keine nähere Explikation, d. h. die Informanten mussten für sich selbst entscheiden, ob ihrer Meinung nach Auffälligkeiten in Bezug auf die Aussprache vorliegen. Von einer näheren Erläuterung des Begriffs wurde bewusst ab‐ gesehen, um die Informanten in ihrer Antwort nicht zu beeinflussen und die explika‐ tiven Textteile möglichst knapp zu halten. Die Bezeichnung der Pole wurde aufgrund der dieser Arbeit zu Grunde liegenden Standarddefinition ausgewählt, der zufolge eine standardkonforme bzw. standardnahe Sprachverwendung perzeptiv unauffällig ist. 14 Anbieterseitig wurde im Datensatz des Fragebogens der auf der Skala eingestellte Wert immer ‘+ 1’ abgespeichert, da aus technischen Gründen ‘0’ als Ergebnis unzulässig ist. Die neutrale Cursorposition (50 %) wird im Hintergrund also mit dem Wert ‘51’ abge‐ speichert. Der minimale Wert der Skala ist entsprechend 1, der maximale Wert 101. Dies wurde bei der Analyse der Daten berücksichtigt. fragten. Außerdem wurde der Geburtsort der Eltern der Informanten abgefragt, der u. U. Hinweise darauf bieten kann, wie sehr die Gewährspersonen in der jeweiligen Region verwurzelt sind. Gibt ein Proband an, dass er selbst, seine Eltern oder ein Elternteil aus einem anderen Land stammen, so wird das Her‐ kunftsland durch eine Nachfrage erhoben. 8.3.3 Salienzmessung mittels Schieberegler Die erste Frage aller isolierenden Stimulusbewertungen ist die Salienzmessung mittels eines grafischen Schiebereglers. Bei dieser Abfrageart werden die Infor‐ manten mittels der Frage ¿Cómo le parece la pronunciación? dazu aufgefordert, die im Stimulus präsentierte Aussprache zunächst allgemein hinsichtlich ihrer Auffälligkeit zu bewerten. Die Abfrage wurde von folgender Aufgabenstellung begleitet: Por favor, mueva el marcador conforme a su opinión acerca de la pro‐ nunciación del enunciado. Zu diesem Zweck kann der Schieberegler zwischen den Polen llamativa und no llamativa bewegt werden. 13 Standardmäßig ist dieser Regler genau in der Mitte verortet. Sobald die Gewährspersonen den Regler mittels Klickens oder Verschiebens aktivieren, erscheint eine Prozentangabe. Wird der Regler lediglich aktiviert, ohne verschoben zu werden, wird der Wert mit 50 % angegeben. Der Prozentwert sinkt gegen 0 %, wenn der Regler in Rich‐ tung des Pols llamativa bewegt wird und steigt entsprechend in Richtung des Pols no llamativa bis auf 100 % an. 14 Da die Bewertung von Sprache im Allge‐ meinen und der Aussprache im Besonderen nicht unabhängig von der Kommu‐ nikationssituation geschehen kann - verschiedene Varianten können in ver‐ schiedenen Situationen mehr oder weniger auffällig sein -, werden den Teilnehmern stets der Beruf des Sprechers oder der Sprecherin sowie die grobe Äußerungssituation genannt. Zum Beispiel: Entrevista de una escritora para la mediateca de una página web. Bei dieser Zusatzinformation wurde in allen Fällen 254 8 Perzeptive Analyse <?page no="255"?> darauf geachtet, dass durch die Angaben keine Rückschlüsse auf die regionale Herkunft oder die Identität des Sprechers gezogen werden konnten, um die Probanden nicht in ihrer Wertung zu beeinflussen. Die Audiodatei konnte von den Teilnehmern mittels eines Flash-Players beliebig oft abgespielt werden. Wird der Schieberegler auf einen Wert größer 50 % eingeloggt, ist die Abfrage beendet und die Befragung wird mit dem nächsten Frageblock fortgesetzt. Wählt die Gewährsperson hingegen einen Wert unter 50 %, gilt der Stimulus als auf‐ fällig. In diesen Fällen erfolgen weitere Nachfragen, um zu eruieren, welcher Teil des Audiosignals die Auffälligkeit getriggert hat und welche Gründe dafür vorliegen. Abb. 25 Fragebogenaufbau - Abfrage mittels Schieberegler 8.3.4 Lokalisierung der Auffälligkeit mittels grafischer Positionierung Hat eine Gewährsperson einen Audiostimulus mit unter 50 % bewertet, so wird sie zu einer Nachfrage weitergeleitet, die die gesprochene Äußerung in ver‐ schrifteter Form präsentiert. Mittels eines grafischen Positionierungstools ist es nun möglich, den Teil oder die Teile der Äußerung zu markieren, die als auffällig wahrgenommen wurden. Wird der Zeiger der Computer-Maus über die Grafik bewegt, erscheint ein Kreissymbol, welches durch einen Mausklick fixiert werden kann. Durch ein erneutes Klicken in eine bereits gesetzte Markierung kann die Fixierung wieder aufgehoben und der Marker verschoben werden. 255 8.3 Aufbau des Fragebogens <?page no="256"?> Technisch betrachtet ist die verschriftete Äußerung eine Bilddatei, die im Hin‐ tergrund über die Festlegung von Bildkoordinaten in verschiedene Bereiche unterteilt ist. Jeder Bereich entspricht dabei entweder einer Silbe bzw. im Falle des unmittelbaren phonetischen Umfelds der zu untersuchenden Realisierungs‐ variante einem Laut. Somit kann exakt nachgewiesen werden, welcher Teil der Aussprache vom Informanten als auffällig erachtet wurde und damit, ob tat‐ sächlich die Aussprache der im Fokus stehenden Phonemrealisierungen aus‐ schlaggebend für die Bewertung des Stimulus waren. Die Probanden hatten auch hier die Möglichkeit, sich das Audiosample beliebig oft anzuhören. Abb. 26 Fragebogenaufbau - grafische Positionierung auf <rr> 8.3.5 Explikation der Auffälligkeit mittels Multiple-Choice-Abfrage Wird in der grafischen Positionierung eine Markierung vorgenommen, haben die Befragten daraufhin in einer Multiple-Choice-Frage die Möglichkeit, den Grund der Auffälligkeitswertung genauer zu spezifizieren. Auf die Frage ¿En qué sentido la pronunciación le parece llamativa? werden den Umfrageteilnehmern folgende Auswahlmöglichkeiten angeboten: 256 8 Perzeptive Analyse <?page no="257"?> 1. Es típica del habla de otra región. 2. Se trata de una pronunciación descuidada. 3. La pronunciación me parece incorrecta. 4. Otro Auf die Auswahloption 4.) folgt eine offene Texteingabe, mittels derer die Ge‐ währspersonen den Stimulus frei kommentieren können. Die nuancierte Differenzierung zwischen 2.) und 3.), die jeweils eine nicht normgerecht Aussprache implizieren, ist vor allem deshalb sinnvoll, da als auf‐ fällig empfundene dialektale Varianten, sofern sie nicht als ausschließlich ‘re‐ gional’ wahrgenommen werden (Antwortoption 1), bisweilen eher mit sprach‐ ästhetischen Attributen wie ‘schön’, ‘angenehm’, ‘unschön’, ‘unangenehm’ etc., als mit Korrektheitsattributen ‘korrekt’ oder ‘inkorrekt’ belegt werden. Die Auswahl einer dieser beiden Optionen impliziert gleichzeitig einen Ausschluss der zu testenden Variante aus dem standardsprachlichen Inventar, da diese den zuvor definierten standardsprachlichen Attributen widersprechen. Abb. 27 Fragebogenaufbau - Multiple-Choice-Frage 8.3.6 Regionale Zuordnung mittels grafischer Positionierung Haben die Befragten eine diatopische Markiertheit festgestellt, wurden sie in einer wiederum nachgeschalteten Abfrage darum gebeten, die mögliche Herkunft des Sprechers auf einer Landkarte Argentiniens zu markieren. Dabei konnten sie be‐ liebig viele Orte kennzeichnen, aus denen - ihrem Empfinden nach - die Spre‐ 257 8.3 Aufbau des Fragebogens <?page no="258"?> cherin oder der Sprecher des Stimulus stammen könnte. Auf der Karte sind die 24 Regionen Argentiniens eingezeichnet und farblich unterschiedlich hervorge‐ hoben. Ebenso verzeichnet ist die autonome Stadt Buenos Aires. Durch das Zu‐ lassen einer Mehrfachauswahl wird gewährleistet, dass auch die überregionale Verbreitung einer Variante Ausdruck finden kann. Mittels der geografischen Zu‐ ordnung wird eruiert, ob bestimmte Realisierungsvarianten als prototypisch für eine bestimmte Region gelten können. Abb. 28 Fragebogenaufbau - grafische Positionierung (Ausschnitt) 8.3.7 Die kontrastive Abfrage Das bisher vorgestellte Befragungsprozedere beschränkt sich auf die isolier‐ enden Abfragen. In den kontrastiven Kontrollgruppen wurde hingegen auf die nachgeschalteten Rückfragen verzichtet, da hier der Fokus der Gewährsper‐ sonen bereits über den Kontrast der Realisierungsvarianten auf die zu testenden Allophone gelenkt wird. Dort wurden den Befragten im Rahmen einer Mul‐ tiple-Choice-Frage alle Stimuli der fraglichen Variablenkonstellation gleich‐ 258 8 Perzeptive Analyse <?page no="259"?> zeitig präsentiert. Die Reihenfolge der Audiodateien variiert bei jedem Teil‐ nehmer nach dem Zufallsprinzip. Die Probanden wurden darum gebeten, die verschiedenen Stimuli hinsichtlich der Adäquatheit der Aussprache Kommuni‐ kationssituationen unterschiedlichen Formalitätsgrads zuzuordnen: Konversa‐ tion zu Hause, Vorstellungsgespräch, regionale Nachrichtensendung, nationale Nachrichtensendung. Die konkrete Fragestellung lautete: „Según su opinión ¿para qué situación o para qué lugar es adecuada la pronunciación de las muestras? ”. Ziel war es, die bis dato über Salienzurteile erlangten Befunde über einen weiteren Parameter, nämlich die situative Adäquatheit, zu überprüfen. Eine Mehrfachauswahl war hierbei zulässig: sowohl die Auswahl mehrerer Situati‐ onen für ein und dasselbe Audiosample als auch die Zuordnung mehrerer Au‐ diosamples zu ein und derselben Situation. Abb. 29 Fragebogenaufbau - kontrastive Abfrage Die ersten beiden Antwortoptionen Conversación en casa und Entrevista de tra‐ bajo sind Situationen mit eingeschränktem Kommunikationsradius. Es handelt sich jeweils um face-to-face-Kommunikation mit einer niedrigen Teilnehmer‐ zahl. Das Gespräch zu Hause stellt eine informelle, private Situation dar, die i. d. R. auch eine gewisse Vertrautheit der Kommunikationspartner impliziert und bei der die Aussprache bzw. die sprachliche Form im Allgemeinen nicht von besonderer Relevanz ist. Es handelt sich um eine nähesprachliche Kommunika‐ tionssituation, auf die die Sprecher mit einem vergleichsweise geringem sprach‐ 259 8.3 Aufbau des Fragebogens <?page no="260"?> 15 Wörtlich heißt es: „Our data show that in the context of a job interview, regional accent presence alone was enough to trigger negative impressions of those speakers” (Rakić et. al. 2011: 877). lichen Planungsaufwand und reduzierter Formalität reagieren (cf. Koch / Oes‐ terreicher 2 2011: 12-13). Diasystematisch markierte Varianten sind in derartigen Kommunikationssituationen aufgrund der geringeren normativen Erwartungs‐ haltung der Interaktanten tendenziell eher zulässig. Die zweite Auswahloption, das Vorstellungsgespräch, stellt ebenfalls eine Situation mit eingeschränkter Rezipientenanzahl dar, allerdings weist diese eine deutlich divergierende kom‐ munikative Prägung auf: Weder findet das Gespräch in vertrautem Umfeld statt, noch sind sich die Kommunikationsteilnehmer im Regelfall bekannt. Ein hoher Grad an Affektiertheit oder Expressivität ist daher nicht erwartbar. Zudem müssen die Bewerber davon ausgehen, dass potenziell alle Facetten ihres Auf‐ tretens Einfluss auf den Ausgang des Bewerbungsverfahrens haben könnten. Dies kann Faktoren wie etwa situationsadäquates Verhalten, sicheres Auftreten, aber auch eine angemessene Sprachwahl beinhalten. Gleichzeitig liegt der Fokus der Kandidaten auf einer möglichst guten und professionellen inhaltlichen Prä‐ sentation, von der nicht durch diasystematisch markierte Varianten abgelenkt werden soll. Tatsächlich können, wie Rakić und Kolleginnen (2011) in einer Studie zur Kommunikationssituation ‘Bewerbungsgespräch’ im Deutschen zeigen, ziehen regional markierte non-Standard-Varianten nicht nur Aufmerk‐ samkeit auf sich, sondern sie werden bisweilen auch mit einer geringeren Kom‐ petenz der Bewerber assoziiert. 15 Auch wenn diese (mögliche) Verknüpfung si‐ cherlich nicht allen Kandidaten bewusst oder bekannt ist, lässt diese aufgrund der größeren distanzsprachlichen Prägung einen deutlichen höheren Grad der Formalität, an sprachplanerischem Aufwand und sprachlicher Reflektiertheit erwarten als ein Gespräch zu Hause. Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Situationen handelt es sich bei den Folgenden nicht um face-to-face-Kommunikation, sondern um Instanzen mas‐ senmedialer Mündlichkeit (Schmidt / Herrgen 2011). In beiden Fällen sind es in‐ formative Nachrichtensendungen, einmal mit regionaler (noticiero regional) und einmal mit nationaler Reichweite (noticiero nacional). Durch diese Unterschei‐ dung wird geprüft, ob bestimmten Varianten eher eine überregionale bzw. na‐ tionale Normadäquatheit zugesprochen werden kann, bzw. ob umgekehrt an‐ dere Varianten auf den regionalen Kontext beschränkt bleiben. Dies ist besonders mit Blick auf die Varianten der Gewährspersonen der Hauptstadt in‐ teressant, da dieser Varietät nicht nur eine große Verbreitung zukommt, sondern diese auch in der Außenwahrnehmung häufig als nationale Varietät bzw. als ʻdas argentinische Spanischʼ präsentiert bzw. verstanden wird. Dies liegt zum einen 260 8 Perzeptive Analyse <?page no="261"?> 16 So gibt es in vielen Ländern zahlreiche Schulen und Institute, die entsprechende Lehr‐ in der demografischen, wirtschaftlichen und politischen Vormachtstellung der Hauptstadt begründet, zum anderen aber auch in der damit zusammenhän‐ genden Tatsache, dass fast alle Sender mit nationaler Reichweite dort ihren Hauptsitz haben und ein Großteil ihrer potenziellen Hörerschaft in Stadt und Provinz Buenos Aires ansässig ist. Es ist daher anzunehmen, dass regionale Charakteristika eher dann zulässig sind, wenn sie mit dieser Region verknüpft sind. Die interessante Frage, die sich nun stellt, ist, ob dieses Zugeständnis nur von den Bewohnern dieser Region selbst gemacht wird, sich aber die Bewohner des Inlands - insbesondere vor dem Hintergrund der konfliktiven Historie des Landes - eine ‘neutrale’ Variante wünschen, oder ob umgekehrt einige Vari‐ anten des Inlands auch von den Hauptstädtern als geeignet für Nachrichten‐ sendungen mit nationaler Reichweite wahrgenommen werden In beiden Fällen sind der Grad der Öffentlichkeit und damit die Anzahl der möglichen Rezipienten wie auch die kommunikative Reichweite im Sinne räum‐ licher Distanz deutlich erweitert. Sind die beiden ersten Situationen jeweils mit einer begrenzten Anzahl an Rezipienten und geschlossenen Räumen assoziiert, so geht die Zahl der Zuhörer einer regionalen Nachrichtensendung deutlich über die Zahl hinaus, die dem alltäglichen Diskurs eines Sprechers folgen. So errei‐ chen die noticieros über die audiovisuellen Medien eine Hörerschaft, die über ein sehr großes Sendegebiet verstreut ist. Durch die mögliche Reproduktion im Internet ist eine regionale Nachrichtensendung dabei übrigens zwar immer noch für die jeweilige Region konzipiert, erreicht aber potenziell ein sogar internati‐ onales Publikum. Dadurch, dass zwischen Produzenten und Rezipienten kein visueller Kontakt bzw. im Falle der Fernsehsendung zumindest keine visuelle Interaktion möglich ist und zwischen Produzenten und Publikum in der Mehrzahl keine persönliche Bekanntschaft vorliegt, rückt für die Rezip‐ ienten auch die sprachliche Form in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Denn über diasystematisch markierte Varianten aber auch über paraverbale Parameter lassen sich potenziell neue Informationen über die Produzenten ableiten. Sen‐ derseitig besteht hingegen - insbesondere in formalen Kommunikationssitua‐ tionen - ein Interesse, möglichst wenige Varianten zu verwenden, die die Auf‐ merksamkeit vom Inhaltlichen ablenken könnten. All dies führt zu einem, verglichen mit dem Vorstellungsgespräch, nochmals gesteigerten Planungsauf‐ wand im Hinblick auf den sprachlichen Ausdruck. Hinzu kommt, dass Nach‐ richtensprecher ʻSprachprofisʼ im Wortsinne sind: Sprache ist ein essenzieller Teil ihres Berufes und in vielen Fällen haben die Sprecher entsprechende Fort‐ bildungen oder Studiengänge belegt. 16 Ihre Äußerungen richten sich an ein 261 8.3 Aufbau des Fragebogens <?page no="262"?> gänge anbieten. In Argentinien existiert beispielsweise der Studiengang locución na‐ cional der unter anderem im Instituto Superior de Enseñanza Radiofónica oder der ETER - Escuela de Comunicación belegt werden kann. 17 Dass es auch innerhalb des Typus Nachrichtensendungen bisweilen starke Unter‐ schiede und es in argentinischen Nachrichtensendungen häufig auch ein Abweichen von der reinen sachlichen Berichterstattung, etwa hin zu einem eher informellen Dialog zweier Sprecher gibt, soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Dies stellt aber kein grundsätzliches Problem dar, da Nachrichtensendungen innerhalb der Kategorie Radiobzw. Fernsehsendungen sicherlich dennoch einen stark ausgeprägten Grad an Formalität oder Seriosität aufweisen und bei der Auswahl der Audioquellen auf die formelle Prägung der Redebeiträge geachtet wurde. breites Publikum, werden häufig aufgezeichnet und über Jahre hinweg archi‐ viert. Durch die Explikation des Texttypus Nachricht in regionale Nachrichten‐ sendung beispielsweise im Gegensatz zu der ebenfalls denkbaren, aber weniger restriktiven Auswahloption regionale Fernsehsendung, soll erzielt werden, dass in der Vorstellung dieser Kommunikationssituation ein gesteigerter Grad der Formalität mitschwingt. Dies geschieht durch die bei Nachrichtensendungen üblicherweise erwartbare gesteigerte Seriosität im Vergleich zu beispielsweise humoristischen oder affektierten Beiträgen in Satiresendungen oder Sportre‐ portagen. 17 Hervorgehoben sei an dieser Stelle auch der identitätsstiftende Cha‐ rakter von Regionalsendern und Regionalsendungen einerseits und die produ‐ zentenseitig (beispielsweise zum Zwecke der Bindung einer Stammhörerschaft) sicherlich stets vorhandene Appellation an regionale Gemeinsamkeiten, die sich im Falle einer regionalen Nachrichtensendung auch in sprachlichen Charakte‐ ristika ausdrücken können. An dieser Stelle ist durchaus ein gewisser Spielraum zur Verwendung regionaler sprachlicher Charakteristika vorhanden, und zwar in dem Maße, in dem die fraglichen Varianten innerhalb der Region als für die öffentliche Vermittlung sachlicher Ereignisse adäquat wahrgenommen werden. Die Option noticiero nacional teilt die wesentlichen Charakteristika der Kom‐ munikationssituation einer regionalen Nachrichtensendung. Die vorhandenen Unterschiede sind mehrheitlich gradueller Natur, etwa was die kommunikative Reichweite anbelangt. Allerdings lassen sich auch qualitative Unterschiede be‐ obachten. Dadurch, dass es sich um nationale Nachrichtensendungen handelt, werden exklusive regionale Charakteristika weiter in den Hintergrund gerückt. Der Ausschluss eines Stimulus aus formellen Gesprächssituationen kann als ein Indiz gegen die Standardzugehörigkeit des zu untersuchenden Merkmals gewertet werden, da Standardvarietäten aufgrund der ihnen zugesprochenen Attribute und Funktionen (wie Prestige und Elaboriertheit) sowie ggf. institu‐ tionell zugewiesener Korrektheitswerte in besonderem Maße für formelle Situ‐ 262 8 Perzeptive Analyse <?page no="263"?> 18 Hierfür wurde die schriftliche Genehmigung der Rechteinhaber eingeholt, die es er‐ laubte, das Audiomaterial zum Zwecke der wissenschaftlichen Befragung zu reprodu‐ zieren. 19 Zur Erhebung der Salienzwerte zweier Varianten von / ʒ/ im absoluten Anlaut (Abfragen YAO01 und YAO04) wurden zusätzliche Äußerungsfragmente von zwei weiteren Spre‐ chern hinzugezogen. Da das phonetische Korpus bereits für drei der fünf zu testenden Allophone jeweils eine Okkurrenz innerhalb des Personalpronomens Yo im absoluten Anlaut enthielt, wurde dieses zum Zwecke der größeren Vergleichbarkeit um zwei Ok‐ kurrenzen der übrigen Allophone ergänzt. Die Sprecher der Ersatzfragmente sind dabei derselben Berufsgruppe zuzuordnen wie die Sprecher, die im Zuge der phonetischen Analyse dieser Allophone untersucht wurden und auch die Audioquelle blieb identisch (Audiovideoteca de Buenos Aires). ationen geeignet sind. Der Befund muss jedoch durch das Ergebnis des Salienz‐ tests und die Daten der phonetischen Analyse zusätzlich abgesichert werden. 8.4 Das Audiomaterial Das Audiomaterial der perzeptiven Analyse besteht aus Äußerungsfragmenten, die dem Korpus der phonetischen Analyse entnommen sind. 18 Für die Konzep‐ tion der vorliegenden Untersuchung war es von großer Bedeutung, dass au‐ thentisches Material gesprochener argentinischer Standardsprache bewertet wird. Auf ein Einsprechen von Sätzen oder Minimalpaaren unter Laborbedin‐ gungen wurde daher bewusst verzichtet. 19 Dies führt auf der einen Seite dazu, dass es sich bei den Stimuli um Instanzen natürlicher intendierter Standardver‐ wendung handelt, wie sie alltäglich vorkommt. Auf der anderen Seite war es aus diesem Grund nicht immer möglich, allophone Realisierungsvarianten anhand von Minimalpaaren im engeren Sinne zu testen, da nicht für jeden Modellspre‐ cher Instanzen desselben Wortes vorliegen. Die kontrastierenden Stimuli stellen somit eine größtmögliche Annäherung an das Ideal der Minimalpaare dar. In der Regel kommen die Allophone in unterschiedlichen morphologischen Vari‐ anten derselben Wörter vor; in einigen Fällen konnte die Ähnlichkeit zumindest über das Auftreten innerhalb desselben Wortstamms erreicht werden. Während darauf geachtet wurde, dass das unmittelbare phonetische Umfeld (vorhergeh‐ ender bzw. nachfolgender Lauttyp, aber auch Pausen etc.) stets identisch blieb, findet aufgrund des spontansprachlichen Charakters freilich eine Variation des lexikalischen Umfelds statt. Die im Fragebogen verwendeten Audiostimuli sind daher aus zwei Gründen bewusst kurz gehalten: zum einen, um der zu untersuchenden Phonemrealisierung möglichst wenige weitere Varianten an die Seite 263 8.4 Das Audiomaterial <?page no="264"?> 20 Wie sich in der perzeptiven Analyse herausgestellt hat, kam - erwartbarerweise - dem verbliebenen Verzögerungslaut [eː] zwar noch eine gewisse Salienz zu, allerdings in deutlich geringerem Maße als dem hier fokussierten assibilierten Vibrant [ɕ] im Anlaut des Samples. zu stellen, und zum anderen, damit weitere Aspekte, wie zum Beispiel der se‐ mantische Inhalt, möglichst wenig ins Gewicht fallen. Das Audiomaterial entstammt in der Mehrzahl dem Angebot unterschiedli‐ cher YouTube-Channels. Bei der Auswahl der Quellvideos wurde zwar neben den genannten Kriterien (Sprechergruppen und Formalitätsgrad) auch auf eine ausreichende Qualität der Audiospuren geachtet, allerdings können einige Pa‐ rameter (Lautstärke, Hintergrundrauschen etc.) des Signals bisweilen deutlich variieren. Diese Variation ist zum Teil bedingt durch den Ort und das Equipment der Aufzeichnung oder die Größe und damit die Informationsdichte der Audio-Datei. Zum Teil wurden die Aufzeichnungen in Aufnahmestudios, zum Teil aber auch im Freien durchgeführt. Bei Letzteren sind daher mitunter Stör‐ geräusche (vorbeifahrende Autos, Vogelgezwitscher etc.) zu vernehmen, andere Aufzeichnungen wurden mit Musik hinterlegt. Bei den im Fragebogen verwen‐ deten Samples wurde darauf geachtet, dass möglichst keine nicht-sprachlichen Schallereignisse vom eigentlichen Sprachsignal ablenken. Zusätzlich konnten manche Störgeräusche mit Hilfe technischer Hilfsmittel reduziert werden: So wurde mittels des Programms Audacity das Hintergrundrauschen vermindert und die Dateien hinsichtlich ihrer Lautstärke angeglichen, was insbesondere für die kontrastive Abfrage von großer Bedeutung war. Hierzu wurden die im Pro‐ gramm enthaltenen Filtereffekte Rauschenverminderung und Normalisieren ver‐ wendet. In einem Fall ( RAO - realmente nos e satisface) wurde das Sprachsignal des Audiofragments selbst bearbeitet, um eine Pause und das deliberative Füll‐ wort este zu entfernen, die die Sprecherin zwischen nos und satisface eingefügt hatte. Da der Fokus der perzeptiven Analyse auf dem absoluten Anlaut lag, blieb die perzeptive Wertung der getesteten Phonemrealisierung davon unbeein‐ flusst. In der gekürzten Version des Samples ist die Tilgung nicht wahrzu‐ nehmen, da diese zwischen zwei absoluten Pausen (d. h. ohne In- oder Exspira‐ tionsanteil oder kontinuierliche Hintergrundgeräusche wie etwa Musik) auftrat und somit restlos gelöscht werden konnte. Ziel war es, die Länge des Samples möglichst kurz zu halten und mögliche weitere Aufmerksamkeitstrigger zu ent‐ fernen. Der ebenso deliberative Verzögerungslaut [eː] musste indes beibehalten werden, da aufgrund von Assimilierungseffekten der nachfolgende stimmlose Sibilant [s] in satisface teilweise sonorisiert ist und ein Löschen des vorhergeh‐ enden Lautes zu einem unnatürlichen Klang des Sibilanten geführt hätte. 20 264 8 Perzeptive Analyse <?page no="265"?> Abb. 30 Frage RAO02 - assibilierter Vibrant [ɕ] - Quelldatei: sde-po2.wav (ungekürzt) Abb. 31 Frage RAO02 - assibilierter Vibrant [ɕ] - Quelldatei: sde-po2.wav (gekürzt) In einer weiteren Abfrage ( RVV 02 - era este relacionado) musste este in seiner Funktion als deliberatives Füllwort hingegen erhalten bleiben: Zum einen steht este dort nicht zwischen zwei absoluten Pausen, wodurch ein unbemerktes Ent‐ fernen des Wortes aufgrund der Formantenübergänge praktisch unmöglich ist. Zum anderen folgt die in dieser Abfrage fokussierte assibilierte Variante von / R/ unmittelbar auf das Wort este. Eine Tilgung des Füllwortes würde somit 265 8.4 Das Audiomaterial <?page no="266"?> die unmittelbare Nachbarschaft des Fokusphonems und damit unter Umständen auch dessen Perzeption beeinflussen. Abb. 32 Frage RVV02 - assibilierter Vibrant [ʑ] - Quelldatei: sde-rp2.wav 8.5 Teilnehmerstatistik Die Gewährspersonen der insgesamt 1001 Fragebögen lassen sich anhand ver‐ schiedener Parameter gruppieren. Von besonderer Relevanz sind zunächst die Geburtsprovinz und die Provinz des aktuellen Wohnortes (Wohnprovinz), so‐ dann aber auch Alter, Geschlecht sowie der erreichte Bildungsabschluss. Die folgenden Tabellen schlüsseln die Befragten nach den genannten Kriterien auf. Mit Blick auf die Herkunft der Befragten spiegelt sich die demografische Do‐ minanz der Hauptstadt und die Dichte von Bildungs- und Kulturinstituten (cf. Kapitel 8.2) auch in der Teilnehmendenstatistik wieder. Geburtsprovinz Wohnprovinz Ciudad Autónoma de Buenos Aires 259 198 Buenos Aires 195 194 Córdoba 186 265 Misiones 74 66 266 8 Perzeptive Analyse <?page no="267"?> Geburtsprovinz Wohnprovinz Santa Fe 63 42 Santiago del Estero 51 56 Sonstige 173 180 Total 1001 1001 Tab. 8 Regionale Herkunft der Gewährspersonen Die größte Teilnehmergruppe hinsichtlich der Geburtsprovinz stammt aus der Stadt bzw. Provinz Buenos Aires, gefolgt von Probanden aus Córdoba. Die Re‐ gion Santiago del Estero hingegen liegt mit 51 Gewährspersonen lediglich auf dem sechsten Platz. Bedauerlicherweise war es nicht möglich, mehr Teilnehmer aus dieser Region zu gewinnen. Durch die Aufteilung der Probanden auf ver‐ schiedene Fragegruppen wird eine statistische Auswertung der Perzeptionsur‐ teile unmöglich, nichtsdestotrotz sind die Antworten dieser Gruppe von großem Wert, müssen aber letztendlich als Indizien behandelt werden. Es bedarf in diesem Zusammenhang weiterer Untersuchungen mit einer größeren Anzahl an Gewährspersonen, um die festgestellten Tendenzen zu bestätigen oder zu widerlegen. Geordnet nach aktueller Wohnprovinz bilden die Informanten aus Córdoba die größte Gruppe. Die Mehrzahl der Befragten hat mindestens einen Hochschulabschluss erreicht, allerdings gibt es auch einige Gewährspersonen mit Sekundarschulabschluss. Das sozioedukativ niedrige Stratum bleibt im Sample jedoch unterrepräsentiert. Anzahl Hochschulabschluss 407 Sekundarschule 307 Promotion oder höher 211 Sonstiges 61 Keine Antwort 10 Primarschule 5 Total 1001 Tab. 9 Sozioedukative Stratifizierung der Gewährspersonen 267 8.5 Teilnehmerstatistik <?page no="268"?> Bezüglich des Alters der Informanten überwiegen die mittleren Altersgruppen zwischen 18 und 45 Jahren; mit Blick auf das Geschlecht haben deutlich mehr Frauen als Männer an der Umfrage teilgenommen. Anzahl Weiblich 678 Männlich 283 Keine Antwort 39 Sonstiges 1 Total 1001 Tab. 10 Geschlecht der Gewährspersonen 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse Die Präsentation der Ergebnisse der perzeptiven Analyse erfolgt geordnet nach Variablenkonstellation, Abfrageart und dem getesteten Stimulus. Es werden dabei stets zunächst die Ergebnisse der isolierenden Abfragen vorgestellt und abschlie‐ ßend mit dem Befund der kontrastiven Analyse verglichen. Bei der Präsentation der Daten werden neben der statistischen Auswertung ergänzend Kommentare aus den offenen Texteingaben herangezogen. Diese werden unverändert, d. h. in‐ klusive etwaiger Rechtschreib- oder Formatierungsfehler, übernommen. Auf eine Markierung dieser Fehler mithilfe von ʻ[sic! ]ʼ wird verzichtet. Neben dem Wort‐ laut der Kommentare wird stets eine kodierte Referenz auf den Informanten ge‐ geben, aus der relevante Informationen wie Geschlecht, Alter und die Herkunft der Gewährsperson abgelesen werden können. Die Kodierung folgt dabei dem Schema: [Fragebogennummer]_[Geschlecht]_[Alter]_[Kürzel der Herkunftsre‐ gion]. Die Regionskürzel werden im Abkürzungsverzeichnis aufgeschlüsselt. In den tabellarischen Aufstellungen der isolierenden Abfragen wird zunächst stets die Geburtsprovinz und sodann die Anzahl der Gewährspersonen ange‐ führt, die die Frage jeweils beantwortet haben. Die folgenden Spalten geben an, wie viele dieser Personen den Gesamtstimulus mittels des grafischen Schieber‐ eglers als auffällig oder unauffällig markiert haben. Anschließend wird über‐ prüft, inwieweit diese Auffälligkeitswertungen mit der allophonen Realisie‐ rungsvariante des zu testenden Phonems zusammenhängt; wie oft also die Befragten, den Teil des Stimulus, der diese Variante enthält, als Grund für die 268 8 Perzeptive Analyse <?page no="269"?> 21 Aufgrund der geringen Anzahl an Okkurrenzen in postkonsonantischer Position, wird diese in der perzeptiven Analyse nicht berücksichtigt. empfundene Auffälligkeit angegeben haben. Dieser Wert wird als on_focus Wert bezeichnet. Damit die Interpretation der statistischen Daten besser nachvollzogen werden kann, wird der tabellarischen Aufstellung stets auch ein Spektrogramm des Audiosamples zur Seite gestellt, das mithilfe des Programms Praat erstellt wurde und Auskunft über die phonetische Realisierung der jeweiligen Satzfrag‐ mente transportiert. 8.6.1 Der Trill / r/ bzw. / R/ im Anlaut In der phonetischen Analyse konnte gezeigt werden, dass die größten interre‐ gionalen Unterschiede hinsichtlich der Realisierung der rhotischen Konso‐ nanten in den phonotaktischen Positionen festzustellen sind, wo diese üblicherweise als Trill-Laute realisiert werden: also im absoluten Anlaut, am Wort‐ anfang 21 sowie im Wortinnern in intervokalischer Position. Dort werden anstatt der prototypischen Variante [r] in manchen Varietäten (z. B. in Santiago del Es‐ tero) die assibilierten Varianten [ʑ] oder [ɕ] realisiert. Zur Analyse des Trills in äußerungsöffnender Position wurden den Pro‐ banden zwei verschiedene Stimuli zur Bewertung angeboten: Zum einen das Satzfragment realmente un amigo de la casa, una eminencia ( RAO 01), in dem das initiale / R/ als Trill [r] realisiert wird, und zum anderen das Fragment realmente nos e satisface ( RAO 02), das von einem assibilierten Vibranten [ɕ] im Anlaut eingeleitet wird. 8.6.1.1 Der Trill [r] ( RAO 01) Das Satzfragment realmente un amigo de la casa, una eminencia entstammt einer Sendung der Serie Forum Jurídico Fiscal, die sich mit wechselnden Themen der Wirtschaft Argentiniens befasst und über die Videoplattform YouTube Verbrei‐ tung findet (Forum Jurídico Fiscal 2014b). Der 39 Jahre alte Sprecher (sde-bm) des Satzfragments ist in der Provinz Santiago del Estero geboren, hat einen Hochschulabschluss als Contador Público Nacional und ist zugleich Moderator der Serie. Es handelt sich um eben jenen Modellsprecher, der in der phonetischen Analyse der Sprecher Santiago del Esteros als ʻAusreißerʼ bezeichnet wurde, da er in seiner Aussprache deutlich von den anderen Sprechern der Region ab‐ weicht. Der abgefragte Stimulus enthält eine deutliche Realisierung des Trills im Anlaut, die im folgenden Spektrogramm gut zu erkennen ist: 269 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="270"?> Abb. 33 Der Trill [r] im Anlaut - Quelldatei: sde-bm1.wav Regionenübergreifend wurde die Abfrage RAO 01 von 250 Teilnehmern beant‐ wortet. Lediglich elf (4,40 %) davon bewerten die Realisierung von / R/ als auf‐ fällig (on_focus-Wertung), davon entstammen fünf Personen aus den unter‐ suchten Provinzen Buenos Aires, Córdoba und Santiago del Estero. Gemessen am Anteil der Befragten aus den Analyseregionen (182 / 250) ergibt sich daraus ein prozentualer on_focus-Wert von 2,75 % (5 / 182). Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus %on_focus Buenos Aires 54 49 5 0 0,00 Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 72 57 15 3 4,17 % Córdoba 46 30 16 1 2,17 % Santiago del Es‐ tero 10 7 3 1 10,00 % Total 182 143 39 5 2,75 % Tab. 11 Salienzwerte des Trills [r] im Anlaut (Fokus-Regionen) Im Hinblick auf die Gründe für die Salienzwahrnehmung des Vibranten wurde in der Multiple-Choice-Nachfrage am häufigsten eine regionale Markiertheit festgestellt. Sechs der elf Teilnehmer aller Regionen, die den Vibranten als auf‐ 270 8 Perzeptive Analyse <?page no="271"?> 22 Buenos Aires wurde drei Mal genannt, La Rioja, Entre Ríos Santiago del Estero und Corrientes je ein Mal. 23 „no suena natural, suena imitada” (7694_M_34_CATA). 24 „vocabulario inusual“ (7497_F_20_CORD), „Enunciado poco usable en coloquio comun“ (2908_F_54_BSAS) oder schlicht „exagerada“ (4909_F_21_BSAS). fällig gekennzeichnet haben, haben diese Antwortoption gewählt. Als mögliche Herkunftsregion des Sprechers wurde Buenos Aires am häufigsten genannt. 22 Zwei Informanten bewerten die Aussprache in Bezug auf den Vibranten als ʻschlampigʼ, allerdings ohne diese Auswahl weiter zu begründen. Besonders in‐ teressant ist jedoch der bereits in Kapitel 7.3.1 erwähnte Kommentar eines In‐ formanten aus Catamarca, der die Aussprache als ‘unnatürlich’ und ‘imitiert’ wahrnimmt. 23 Für die meisten Befragen, die den Stimulus als auffällig bewertet haben, war weniger die Realisierung von / R/ als vielmehr lexikalische oder prosodische Gründe ausschlaggebend für die Bewertung. Aus den Nachfragen geht hervor, dass insbesondere die Verwendung des Lexems eminencia als ungewöhnlich empfunden wird. 24 Besonders interessant ist der Kommentar einer 41-Jährigen Teilnehmerin aus der Hauptstadt Buenos Aires, die den Stimulus sogar als si‐ tuativ unangemessen bewertet: „Es muy porteña (y yo soy porteña, pero resulta muy regional si es un locutor nacional)” (4886_F_41_ CABA ). Die Informantin bezieht sich in ihrem Kommentar auf die Aussprache der Wörter amigo, casa und eminencia und nimmt dabei vermutlich auf die Intonation des Satzes Bezug. In einem anderen Kommentar wird die Aussprache übrigens interessanterweise als „[…] típica pronunciación cordobesa“ (4522_F_22_ CORD ) beschrieben. Der Kommentar der Teilnehmerin aus der Hauptstadt bezieht sich zwar nicht auf den zu testenden Vibranten im Anlaut der Äußerung, bestätigt jedoch die an‐ genommene normative Erwartungshaltung gegenüber der Gruppe der Modell‐ sprecher, insbesondere in Kommunikationssituationen mit überregionaler Reichweite: Die Informantin verweist nicht nur auf die perzipierte regionale Prägung der Äußerung, sondern drückt zugleich die Erwartung an Moderatoren der überregionalen audiovisuellen Medien aus, in ihrer Aussprache diatopisch markierte Elemente nach Möglichkeit zu vermeiden. Interessant ist dabei, dass der Sprecher des Audiostimulus (sde-bm) wie erwähnt nicht aus Buenos Aires stammt, sondern in Santiago del Estero geboren ist und dort - zum Zeitpunkt dieser Untersuchung - auch wohnt und arbeitet. In dessen Abweichung von den allgemeinen Realisierungstendenzen der Modellsprecher aus Santiago del Es‐ tero ist eine intendierte Annäherung an die Aussprachenorm der Hauptstadt zu sehen, die ihm - wie der zitierte Kommentar belegt - offenbar auch recht gut gelingt. Allerdings zeigt die Anmerkung des Informanten aus Catamarca, dass 271 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="272"?> diese Assimilation durchaus auch als ‘intendiert’ wahrgenommen werden kann. Sowohl der Versuch der Anpassung des Sprechers als auch die negative Wertung der Informantin können als Indizien für die Existenz eines Aussprachestandards in Buenos Aires gesehen werden. 8.6.1.2 Die assibilierte Realisierungsvariante [ɕ] ( RAO 02) Die Bewertung des zweiten Stimulus, der zur Untersuchung von / R/ im Anlaut herangezogen wurde, bietet ein komplett anderes Bild. Die Assibilierung des Vibranten stellt für die Teilnehmer aller Regionen eine - verglichen mit der prototypischen Trill-Variante - eindeutig markierte Realisierungsvariante dar. Bewertungsgrundlage ist das Satzfragment realmente nos e satisface, das von der 47 Jahre alten und aus Santiago del Estero (sde-po) stammenden Präsidentin des Wirtschaftsbeirats CPCESE (Consejo Profesional de Ciencias Económicas de San‐ tiago del Estero) realisiert wurde (Forum Jurídico Fiscal 2013d). Das Spektro‐ gramm zeigt sehr deutlich, dass in der Realisierung von / R/ als [ɕ] keinerlei Vibrationsanteil mehr vorhanden und die Assibilierung somit absolut ist. Dies ist daran zu erkennen, dass das für den Trill charakteristische periodische Ab‐ wechseln zwischen Vokoid und durch den Zungenanschlag bedingter Okklusion (cf. Abb. 33; Segment [r]) ausbleibt und einer für Sibilanten typischen Friktion im hohen Frequenzbereich weicht (cf. Abb. 34; Segment [ɕ]). Abb. 34 Der assibilierte Vibrant [ɕ] im Anlaut - Quelldatei: sde-po2.wav (gekürzt) Die Frage RAO 02 wurde von insgesamt 276 Teilnehmern bearbeitet, von denen 121 (43,84 %) die Realisierung von / R/ als auffällig bewerten; der Auffälligkeits‐ 272 8 Perzeptive Analyse <?page no="273"?> wert ist damit knapp zehn Mal höher als in Abfrage RAO 01. Dies lässt sich auch in der Detailbetrachtung der fokussierten Regionen beobachten, wo für alle Provinzen um ein Vielfaches höhere on_focus-Prozentwerte vorliegen als in Ab‐ frage RAO 01. Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus % on_focus Buenos Aires 46 20 26 18 39,13 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 60 20 40 29 48,33 % Córdoba 67 21 46 37 55,22 % Santiago del Es‐ tero 16 8 8 4 25,00 % Total 189 69 120 88 46,56 % Tab. 12 Salienzwerte des assibilierten Vibranten [ɕ] im Anlaut (Fokus-Regionen) Hier erreicht Córdoba mit 55,22 % (37 / 67) den höchsten Wert. Am niedrigsten ist dieser Wert unter den Teilnehmern aus Santiago del Estero, wobei auch dort die Realisierungsvariante als salient einzustufen ist: Immerhin vier der 16 Teil‐ nehmer bewerten diese Realisierung als auffällig und das, obwohl die Sprecherin (sde-po) aus der Region Santiago del Estero stammt und die assibilierte Variante nicht nur Teil des regionalen Varianteninventars, sondern auch die dominante Realisierungsvariante der analysierten Modellsprecher der Region ist. Eine 47-Jährige Informantin aus Santiago del Estero begründet ihre Auffälligkeits‐ wertung mit der überregionalen Reichweite der Sendung, aus der der Stimulus extrahiert wurde. In ihrem Kommentar bezeichnet sie die Aussprache unter Be‐ zugnahme auf die assibilierte Variante von / R/ im Anlaut als zwar regionsty‐ pisch, aber gleichzeitig als markiert und damit nicht angemessen für die kom‐ munikative Reichweite eines YouTube-Kanals: „Es típica de nuestra región pero al subirla a You Tube debería ser neutral“ (6199_F_47_ SADE ). Offenbar wirkt die Variante zwar als regionaler Identitätsträger (típica de nuestra región), wird aber als ungeeignet für überregionale Kommunikationssituationen empfunden, was sich auch durch die nachfolgend dargestellte kontrastive Gegenüberstel‐ lung bestätigen lässt. Die hohe Salienz des assibilierten Vibranten entspringt für die meisten Gewährspersonen einer diatopischen Markiertheit. Von den 121 Befragten aller Regionen geben 108 an, es handele sich um eine regionale Besonderheit. Die Aussprache wird dabei mehrheitlich im Norden Argentiniens 273 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="274"?> verortet, wobei die meisten Teilnehmer gleich mehrere Regionen angeben. Mit Abstand am häufigsten wird die Region La Rioja (64 / 108) als möglicher Ur‐ sprungsort der Sprecherin genannt. 36 Teilnehmer ordnen die Sprecherin San‐ tiago del Estero zu, gefolgt von 32 Nennungen der Region Catamarca. Jedoch wird die Aussprache nicht ausschließlich als regional empfunden: Immerhin jeder Zehnte (12 / 121) gibt in der Multiple-Choice-Abfrage an, es handele sich um eine ʻschlampigeʼ Aussprache, für vier Teilnehmer ist sie ʻinkorrektʼ. 8.6.1.3 Die kontrastive Gegenüberstellung ( RAO k) Abb. 35 / R/ im absoluten Anlaut - kontrastive Gegenüberstellung Die kontrastive Gegenüberstellung der Stimuli bestätigt die Ergebnisse der iso‐ lierenden Abfragen. Während es zwar durchaus überrascht, dass die assibilierte Variante trotz ihrer großen Salienz als adäquat für die Kommunikationssituation Bewerbungsgespräch empfunden wird, findet doch im Wesentlichen eine Ver‐ teilung der beiden Stimuli auf die unterschiedlichen Typen von Nachrichten‐ sendungen statt. Diese Verteilung ist für alle Regionen eindeutig: Während der Trill als adäquat für Nachrichtengensendungen nationaler Reichweite emp‐ funden wird, wird die assibilierte Variante eindeutig in den regionalen Bereich zurückgedrängt. Dass diese Variante dort aber ebenso für distanzsprachliche Kommunikationssituationen geeignet erscheint, bestätigt ebenfalls die Befunde der isolierenden Abfragen, wonach die Mehrheit der Informanten [ɕ] als regi‐ onale Variante, aber eben nicht als ʻschlampigʼ oder ʻinkorrektʼ empfunden haben. Auf der anderen Seite lässt sich aus den Daten der Gewährspersonen aus 274 8 Perzeptive Analyse <?page no="275"?> Santiago del Estero kein Hinweis für die Existenz eines eigenständigen Regio‐ nalstandards ableiten: Zum einen wird die konkurrierende Variante, der mul‐ tiple Vibrant, trotz seiner geringen Frequenz als unauffällig wahrgenommen, zum anderen kommt der produktionsseitig vorherrschenden Variante eine re‐ lativ hohe Frequenz zu. 8.6.2 Der Trill / r/ in intervokalischer Position im Wortinnern Der Trill / r/ kann lediglich innerhalb eines Wortes und nur in intervokalischer Stellung in phonematischer Opposition zum Tap-Laut / ɾ/ stehen. / r/ wird dabei graphematisch durch die Geminate <rr> repräsentiert, wohingegen / ɾ/ durch <r> verschriftet wird. In den übrigen Positionen ist diese Opposition neutrali‐ siert. Allerdings wird im Wortanlaut in der Regel ebenfalls der multiple Vibrant [r] bzw. die in der fraglichen Varietät vorherrschende allophone Realisierungs‐ variante (z. B.: [ɕ] oder [ʑ]) realisiert. Die phonetische Analyse konnte zeigen, dass die beiden genannten Variablenkonstellationen keine wesentlichen Unter‐ schiede aufweisen, weshalb diese beiden Fragenblöcke in der Onlinebefragung zusammengelegt wurden. Die Verteilung erfolgt dabei analog zur Verteilung in Abfrage YAO (cf. Kapitel 8.3). Die Befragten werden zunächst der Teilgruppe ʻWortinternʼ oder ʻWortanlautʼ und sodann einem konkreten Stimulus bzw. der Kontrollgruppe zugelost. Im Frageblock r VV werden den Gewährspersonen die Stimuli muy buen cierre sowie cuando cierre el ejercicio und im Frageblock RVV die Satzfragmente en la relación con los demás sowie era este relacionado vorge‐ legt. 8.6.2.1 Der Trill [r] (r VV 01) Zur Untersuchung der Perzeption von / r/ in intervokalischer Position im Wort‐ innern, wurde den Umfrageteilnehmern der Audiostimulus muy buen cierre zur Bewertung vorgelegt, der die prototypische Realisierung als multipler Vibrant [r] enthält. Der Stimulus entstammt derselben informativen YouTube-Sendung aus der bereits das Audiosample für die Abfrage RAO 01 extrahiert wurde (Forum Jurídico Fiscal 2014b). Der Stimulus wird erneut vom Moderator der Sendung (sde-bm) realisiert. Auch dieses Audiofragment ist gekennzeichnet von einer sehr deutlichen Artikulation des multiplen Vibranten, der durch vier An‐ schläge der Zungenspitze an die Zahndämme realisiert wird. 275 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="276"?> Abb. 36 Der Trill [r] in intervokalischer Position - Quelldatei: sde-bm1.wav Erneut ist die Realisierung des multiplen Vibranten [r] für die Mehrheit der Befragten unauffällig. Regionenübergreifend bewerten lediglich sechs der 130 Gewährspersonen (4,62 %) diese Realisierung von / r/ als auffällig. In der Detailanalyse der fokussierten Regionen zeigt sich jedoch, dass sich unter den Teilnehmern aus Santiago del Estero ein erhöhter Auffälligkeitswert feststellen lässt. Die höhere Salienz unter diesen Befragten fällt zwar ins Auge, ist aber aufgrund der geringeren Teilnehmerzahl nicht statistisch belastbar (2 / 7; 28,57 %). In den übrigen Fokus-Regionen rangiert die prozentuale on_focus-Auf‐ fälligkeit zwischen 0 % (Stadt und Provinz Buenos Aires) und 7,69 % (Córdoba). 276 8 Perzeptive Analyse <?page no="277"?> Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus %on_focus Buenos Aires 28 24 4 0 0,00 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 33 26 7 0 0,00 % Córdoba 26 19 7 2 7,69 % Santiago del Es‐ tero 7 2 5 2 28,57 % Total 94 71 23 4 4,25 % Tab. 13 Salienzwerte des Trills [r] in intervokalischer Position (Fokus-Regionen) In der Multiple-Choice-Nachfrage zu den Gründen der Auffälligkeitswertung zeigt sich, dass der Trill für die wenigen Probanden, die ihn überhaupt als auf‐ fällig eingestuft haben, am ehesten diatopisch markiert ist. Vier der sechs Teil‐ nehmer haben sich für diese Auswahloption entschieden; drei davon geben als mögliche Herkunft Buenos Aires an, ein weiterer Informant Mendoza. Die beiden übrigen Gewährspersonen äußern sich jeweils in offenen Kommentaren zur Realisierung von / r/ und beziehen dabei konträre Positionen: Ein Informant aus Catamarca hebt die besonders gute Aussprache von / r/ hervor - „Buena pronunciación de la ‚rr‚“ (7622_M_26_ CATA ) - wohingegen ein Teilnehmer aus Santiago del Estero den Vibranten trotz der vergleichsweise vielen Zungenan‐ schläge und der starken Intensität der Realisierung paradoxerweise und mut‐ maßlich im Vergleich mit der assibilierten, regionstypischen Variante als eher schwach oder unbetont wahrnimmt; „pronunciacion debil de la erre“ (6194_M_29_ SADE ). 8.6.2.2 Die assibilierte Realisierungsvariante [ʑ] (r VV 02) Zur Bewertung der Assibilierung des Vibranten wurde den Sprechern der Sti‐ mulus cuando cierre el ejercicio vorgelegt, der die Realisierungsvariante [ʑ] ent‐ hält. Das Satzfragment wurde - wie schon der Stimulus in Abfrage RAO 02 - von der 47-Jährigen Präsidentin des CPCSE (sde-po) realisiert und entstammt ebenfalls dem YouTube-Format Forum Jurídico Fiscal (2013b). Die Sprecherin ar‐ tikuliert / r/ in diesem Fall jedoch nicht mit gleichbleibend starker Stimmbetei‐ ligung sondern als teilweise entstimmten Frikativ, der in enger phonetischer Transkription auch als [ʑ̥] angegeben werden kann. Die Unterschiede zur Trill-Variante sind auch hier deutlich zu erkennen: Die assibilierte Variante 277 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="278"?> weist erneut die für Frikative typische Konzentration der Energie im oberen Frequenzbereich auf; die rhythmischen Zungenanschläge der Trill-Variante bleiben aus. Abb. 37 Der assibilierte Vibrant [ʑ] in wortinterner intervokalischer Position - Quell‐ datei: sde-po6-bm7.wav Wie schon bei der Analyse von / r/ im Anlaut lassen sich für die assibilierte Variante auch in intervokalischer Position deutlich höhere Auffälligkeitsurteile ablesen als für den Trill. Die Abfrage r VV 02 wurde von insgesamt 135 Teilneh‐ mern beantwortet, wovon 78 (57,78 %) die assibilierte Realisierung von / r/ als auffällig bewerten. Mit Blick auf die Provinz und die Stadt Buenos Aires sowie auf Córdoba ist auffällig, dass dieser Salienz-Wert den des Anlautes jeweils noch übertrifft. Unter den Informanten aus der Hauptstadt sind es 61,29 % (19 / 31) und von den Teilnehmern aus Córdoba bewerten drei Viertel (18 / 24) die Realisie‐ rung von / r/ als llamativa. Bei den Umfrageteilnehmern aus der Provinz Buenos Aires liegt der Wert zwar etwas niedriger (15 / 34; 44,12 %), allerdings immer noch auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Mit Blick auf Santiago del Estero muss das Ergebnis ob der geringen Rücklaufquote erneut relativiert werden, allerdings setzt sich auch hier der im Anlaut beobachtete Trend fort. 278 8 Perzeptive Analyse <?page no="279"?> Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus %on_focus Buenos Aires 34 15 19 15 44,12 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 31 7 24 19 61,29 % Córdoba 24 3 21 18 75,00 % Santiago del Es‐ tero 8 5 3 2 25,00 % Total 97 30 67 54 55,67 % Tab. 14 Salienzwerte des assibilierten Vibranten [ʑ] in wortinterner intervokalischer Po‐ sition (Fokus-Regionen) Unter den qualitativen Begründungen der Auffälligkeit der assibilierten Vari‐ ante dominieren diejenigen, die ihr eine regionale Prägung zuschreiben. Als häufigster Referenzpunkt wird dabei der Norden Argentiniens genannt: „La pronunciación es del norte y / o noroeste argentino“ (5784_M_68_ CABA ), „Es del norte de Argentina, zona rural.” (6862_F_22_ CORD ) oder „La pronunciación de la RR , que tambien es tipica del Norte de Argentina” (6055_F_43_ CABA ). Diese Wahrnehmung bestätigen sich auch durch die Nachfragen zur Auffällig‐ keitswertung: 70 Informanten bewerten den Stimulus aufgrund der regionalen Prägung des assibilierten Vibranten als auffällig. Dem gegenüber stehen ledig‐ lich wenige Informanten, die die Realisierung als ʻschlampigʼ (n = 4) oder ʻin‐ korrektʼ (n = 3) empfinden. Die Ergebnisse der grafischen Lokalisierung der Herkunft der Sprecherin zeigen, dass die Mehrzahl der Umfrageteilnehmer die Aussprache mit nördlichen Regionen assoziieren, wobei das Feld von La Rioja mit 34 Nennungen angeführt wird. Es folgen Santiago del Estero (20), Salta (18), Catamarca (17) und Jujuy (12). Von besonderem Interesse ist allerdings ein qualitativer Kommentar, der auf einen Aspekt abzielt, der nicht durch die Kategorien der Multiple-Choice-Ab‐ frage abgedeckt ist: die Interkomprehension: „no comprendí la palabra cierre, oí ‚oye‘“ (8113_F_35_ BSAS ). Wenngleich der Kommentar auf eine Informantin aus der Hauptstadt zurückzuführen ist, so spricht er doch für die in Kapitel 7.4 zum postalveolaren Frikativ / ʒ/ geäußerte Vermutung, eines möglichen Zusam‐ menhangs der Präferenz der Modellsprecher Santiago del Esteros zur Realisie‐ rung des entstimmten Variante des yeísmo rehilado [ʃ] und der Existenz des assibilierten Vibranten in dieser Region. Offenbar kann die lautliche Nähe von 279 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="280"?> [ʒ] und [ʑ], wie im beschriebenen Fall, tatsächlich zu Missverständnissen und einer Verwechslung der Phoneme / r/ und / ʒ/ führen. Es bedarf sicherlich wei‐ terer Untersuchungen, um diese Vermutung zu bestätigen, wobei auch hinter‐ fragt werden müsste, ob ähnlich geartete Missverständnisse auch im Falle der beiden entstimmten Varianten [ʃ] und [ɕ] zu beobachten sind. 8.6.2.3 Die kontrastive Gegenüberstellung (r VV k) Die kontrastive Gegenüberstellung bestätigt die bis dato festgestellten Ergeb‐ nisse. Erneut wird die assibilierte Variante zwar in den regionalen (bzw. im Falle von Córdoba auch privaten Bereich) verortet. Sie wird dort aber durchaus als geeignet dazu empfunden, den Ansprüchen an formale Kommunikationssitua‐ tionen Genüge zu tun. Abb. 38 / r/ in wortinterner intervokalischer Position - kontrastive Gegenüberstellung 8.6.3 Der Trill / R/ im intervokalischen Wortanlaut 8.6.3.1 Der Trill [r] ( RVV 01) Als Stimulus zur Bewertung des Trills im intervokalischen Anlaut wurde den Umfrageteilnehmern das Satzfragment en la relación con los demás präsentiert, das von einer 50-Jährigen Schriftstellerin und Psychologin aus der Hauptstadt 280 8 Perzeptive Analyse <?page no="281"?> Buenos Aires (bsas-ec) realisiert wurde. Das Fragment entstammt einem Inter‐ view für eine Online-Mediathek der Stadt Buenos Aires und findet auch über die Plattform YouTube Verbreitung (Audiovideoteca de Escritores 2011c). Da sich die bis dato festgestellten Tendenzen auch im intervokalischen Anlaut fort‐ setzen, werden sie im Folgenden nicht mehr in derselben Detailtiefe wie in den vorhergehenden Abschnitten beschrieben. Abb. 39 Der Trill [r] im intervokalischen Wortanlaut - Quelldatei: bsas-ec1.wav Im Spektrogramm ist der multiple Zungenanschlag des Trills im Wort relación gut erkennbar, wenngleich er weniger stark ausgeprägt ist, als dies in der Aus‐ sprache des Informanten ʻsde-bmʼ der Fall war. Dennoch bestätigen die Ergeb‐ nisse der Befragung die geringe Salienz des Trill-Lauts. Von 125 Befragten, die die Frage RVV 01 insgesamt beantwortet haben, bewerten lediglich drei (2,40 %) diese Realisierungsvariante als auffällig. Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus % on_focus Buenos Aires 29 23 6 0 0,00 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 31 29 2 0 0,00 % Córdoba 17 15 2 1 5,88 % Santiago del Es‐ tero 7 6 1 1 14,29 % Total 84 73 11 2 2,38 % Tab. 15 Salienzwerte des Trills [r] im intervokalischen Wortanlaut (Fokus-Regionen) 281 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="282"?> Die niedrige Salienz wird durch offene Kommentare weiter gefestigt. So gibt die einzige Gewährsperson aus Córdoba, die die Realisierung des Vibranten als auf‐ fällig erachtet hat, als Grund für die Markierung die allgemein gute Artikulati‐ onsweise der Sprecherin an: „[Me parece llamativa; F. B.] En la buena pronun‐ ciación de las palabras“ (8337_F_19_ CORD ). 8.6.3.2 Die assibilierte Variante ( RVV 02) Die assibilierte Variante in intervokalischer Position an Wortgrenzen ist im Sti‐ mulus era este relacionado repräsentiert, der einem Interview mit einem 46-Jäh‐ rigen Wirtschaftsprüfer (sde-rp) für die YouTube-Sendung Forum Jurídico Fiscal (2013a) entstammt. In dem Äußerungsfragment erscheint die assibilierte Vari‐ ante als Anlaut des Partizips relacionado und folgt auf den Diskursmarker este (cf. Kapitel 8.4). Abb. 40 Der assibilierte Vibrant [ʑ] im intervokalischen Wortanlaut - Quelldatei: sde-rp2.wav Der, durch die Pause und den Diskursmarker erzeugte, deliberative Charakter der Äußerung wird von den Umfrageteilnehmern durchaus wahrgenommen und bisweilen auch direkt thematisiert. Dies wird sowohl durch die grafische Markierung der auffälligen Satzteile als auch durch qualitative Kommentare bestätigt. So begründet etwa eine 26-Jährige Teilnehmerin aus Tucumán ihre Auffälligkeitsbewertung mit dem Hinweis auf das typische Füllwort este: „me parece que es una tipica muletilla ‚este‘“ (6497_F_26_ TUCU ) und auch andere Gewährspersonen beziehen sich auf den Diskursmarker als Hinweis auf eine 282 8 Perzeptive Analyse <?page no="283"?> 25 „No es neutral“ (6199_F_47_SADE) bzw. “Manifiesta duda en la construcción.” (7587_F_61_CORD). 26 Dies beinhaltet auch die Sprechpause selbst, die in der grafischen Positionierung durch „…“ dargestellt wurde. Am zweithäufigsten wurden die Wörter era oder este ausgewählt, deren Elemente jedoch von lediglich 18 Informanten markiert wurden. gewisse Unsicherheit des Sprechers in der Satzrealisierung oder als nicht neut‐ rale Redeweise. 25 Trotz der Salienz des Füllwortes und der Sprechpause, ist es jedoch nicht der deliberative Charakter des Stimulus, der die größte Aufmerk‐ samkeit erzeugt: Regionenübergreifend wurde die Frage RVV 02 von 133 Teilnehmern beant‐ wortet. Mehr als jeder Vierte davon (38 / 133; 28,57 %) bewertet die assibilierte Realisierung von / R/ als auffällig. Damit wurde dieses Segment mehr als doppelt so häufig als Grund für die Auffälligkeitswertung angegeben wie die übrigen Elemente der Äußerung. 26 Unter den Informanten aus Buenos Aires (Stadt und Provinz) ist der Salienzwert sogar noch ein wenig höher, was als weiteres Indiz für die fehlende Normkonformität der assibilierten Variante gewertet werden kann. Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus % on_focus Buenos Aires 18 8 10 7 38,89 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 31 12 19 13 41,94 % Córdoba 29 9 20 8 27,59 % Santiago del Es‐ tero 7 4 3 1 14,29 % Total 85 33 52 29 34,12 % Tab. 16 Salienzwerte des assibilierten Vibranten [ʑ] im intervokalischen Wortanlaut (Fokus-Regionen) Erneut ist Santiago del Estero diejenige Provinz der analysierten Regionen, deren Gewährspersonen den geringsten on_focus-Prozentsatz aufweisen. Hier bewertet lediglich eine der sieben Befragten den assibilierten Vibranten als auf‐ fällig. Diese Teilnehmerin liefert zudem in einem offenen Textkommentar wei‐ tere Informationen für den Grund dieser Bewertung. Durch die Markierung der Auswahloption Se trata de una pronunciación descuidada in der Mul‐ 283 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="284"?> 27 “No es neutral” (6199_F_47_SADE). 28 Vergleiche hierzu auch den Kommentar der Teilnehmerin (8113_F_35_BSAS) in der Abfrage rVV01. tiple-Choice-Abfrage, bewertet sie die Aussprache zunächst als ʻschlampigʼ, um diese Aussage daraufhin durch einen freien Textkommentar weiter als ʻnicht neutralʼ zu präzisieren. 27 Für eine Teilnehmerin aus Córdoba stellt die assibilierte Variante sogar einen Phonemwechsel dar. Der Kommentar dieser Informantin unterstreicht zudem erneut die akustische Nähe der assibilierten Variante zum stimmhaften yeísmo rehilado: „Por el cambio del fonema ʻrʼ que es pronunciado como ʻyʼ“ (4635_F_27_ CORD ). 28 Die Analyse der Antworten auf die nachge‐ schaltete Multiple-Choice-Frage zeigt, dass die Aussprache erneut weniger als ʻschlampigʼ (3 / 38) oder gar ʻfalschʼ (1 / 38), sondern erneut eher als ʻregionalʼ (35 / 38) empfunden wird. 8.6.3.3 Die kontrastive Gegenüberstellung ( RVV k) Die soeben präsentierten Befunde decken sich mit den Resultaten der kontrastiven Gegenüberstellung. Auch hier wird die assibilierte Realisierungsvariante wieder im regionalen Bereich verortet, wo sie als durchaus adäquat für formelle Kommunikationskontexte empfunden wird. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Kontrollgruppen wird der Stimulus interessanterweise jedoch of‐ fenbar als weniger geeignet für Jobinterviews empfunden, was jedoch dem de‐ liberativen Charakter der Äußerung geschuldet sein könnte. Abb. 41 / R/ im intervokalischen Wortanlaut - kontrastive Gegenüberstellung 284 8 Perzeptive Analyse <?page no="285"?> 8.6.4 Synthetisierende Analyse der Ergebnisse - / R/ bzw. / r/ Vergleicht man nun die Ergebnisse der beiden Abfragen im Hinblick auf die vibrantische Realisierung von / r/ bzw. / R/ in intervokalischer Position (r VV 01 und RVV 01) synthetisierend, so zeichnet sich ein recht ähnliches Bild ab: In Stadt und Provinz Buenos Aires ist der Trill-Laut [r] mit einem on_focus-Prozentwert von jeweils 0 % (0 / 121) absolut unauffällig. Unter den Gewährspersonen aus der Provinz Córdoba ist dieser Wert lediglich moderat höher. Zusammengenommen haben 43 Informanten aus dieser Region entweder r VV 01 oder RVV 01 beant‐ wortet, wovon 6,98 % (3 / 43) den Trill-Laut [r] als auffällig bewertet haben. Am höchsten ist der Salienzwert unter den Teilnehmern aus Santiago del Estero, wo von 14 Befragten ebenfalls drei die Realisierung des Vibranten als auffällig er‐ achten. Dies entspricht einem Prozentsatz von 21,43 %. Interessanterweise er‐ geben die perzeptiven Bewertungen der assibilierten Variante in intervokali‐ scher Position (r VV 02 und RVV 02) für diese Region ein ganz ähnliches Bild: Drei der insgesamt 15 Teilnehmer bewerten auch hier die allophone Realisie‐ rungsvariante als salient. Es zeichnet sich also ein eher diffuses Bild ab, in dem weder die eine noch die andere Realisierungsvariante klar bevorzugt wird. Ein Indiz für einen eigenen Aussprachestandard kann mit Blick auf die allophonen Realisierungen von / R/ beziehungsweise / r/ demnach nicht abgeleitet werden. Produktionsseitig ist die assibilierte Variante unter den analysierten Modell‐ sprechern zwar eindeutig vorherrschend, wobei einer der Sprecher (sde-bm) auch eine besonders klare und durchgängige Realisierung des Trills aufweist, die bisweilen sogar als hyperkorrekt empfunden wird. Hätte sich allerdings mit der dominanten Variante der Modellsprecher tatsächlich eine distinktive Vari‐ ante eines trennscharfen Aussprachestandards entwickelt, so sollten dessen Sa‐ lienzwerte deutlich niedriger ausfallen als diejenigen der konkurrierenden Va‐ riante. Dies ließ sich indes nicht bestätigen. Im Gegenteil klassifizierten mehrere Befragte die regionaltypische Variante als ʻnicht neutralʼ, was als weiteres Indiz gegen deren Standardzugehörigkeit gewertet werden kann. Allerdings könnten die Realisierungstendenzen des ʻAusreißersʼ u. U. ein Hin‐ weis auf eine fortschreitende Verbreitung der Aussprachenorm Buenos Aires‘ in der Region Santiago del Estero sein. Aufgrund der geringen Rücklaufquote aus der Region bedarf es allerdings weiterer Untersuchungen, die diese Be‐ obachtungen bestätigen oder widerlegen. Weiterhin dafür spricht jedoch, dass sich im Hinblick auf die Realisierungsvarianten des Sibilanten / s/ ähnliche In‐ dizien feststellen lassen (cf. Kapitel 8.6.8). Mit Blick auf die Wahrnehmung der assibilierten Variante in den anderen beiden Provinzen ergibt sich hingegen ein recht einheitliches Bild: Sie ist nicht nur produktionsseitig niederfrequent, sondern gleichzeitig auch perzeptions‐ 285 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="286"?> seitig in hohem Maße salient. Von den Befragten aus Córdoba bewerten 49,06 % (26 / 53) die assibilierte Realisierungsvariante als auffällig. Eine Zugehörigkeit dieser Variante zur Standardaussprache ist somit auszuschließen. Ähnlich ver‐ hält es sich bei den Befragten aus Stadt und Provinz Buenos Aires, wo 47,37 % (54 / 114) die assibilierte Variante als llamativa bewerten. Betrachtet man in diesem Zusammenhang lediglich die Antworten von den in der Hauptstadt ge‐ borenen Umfrageteilnehmern, so steigt der on_focus-Prozentsatz sogar auf über 50 % an: Von 62 Befragten begründen 32 ihre Auffälligkeitswertung des jewei‐ ligen Stimulus mit der assibilierten Realisierung des Vibranten (51,61 %). 8.6.5 Der postalveolare Frikativ / ʒ/ Eines der wohl charakteristischsten Merkmale des Spanischen in Argentinien ist der yeísmo rehilado, also die Realisierung von <y> bzw. <ll> als postalveolarer Frikativ [ʒ] bzw. [ʃ]. Diese Variante wird zwar vor allem mit der Hauptstadt Buenos Aires assoziiert, ist aber in vielen Regionen weit verbreitet. Die phone‐ tische Analyse der Modellsprecher aus Santiago del Estero, Córdoba und Buenos Aires konnte zeigen, dass das rehilamiento unter den Modellsprechern aller Re‐ gionen die dominante Realisierungsart ist. Dennoch ließen sich einige interre‐ gionale Unterschiede feststellen; wie etwa die größere Tendenz zur Affrizierung von / ʒ/ im absoluten Anlaut unter den Gewährspersonen der Hauptstadt oder eine größere Neigung zur Realisierung der stimmlosen Variante unter den Mo‐ dellsprechern aus Santiago del Estero. Mit der perzeptiven Analyse wurde ge‐ testet, ob diesen Varianten interregional divergente Perzeptionsurteile zuge‐ sprochen werden. 8.6.6 / ʒ/ im absoluten Anlaut Zur Untersuchung des postalveolaren Frikativs in äußerungsöffnender Position wurden insgesamt fünf verschiedene Realisierungsvarianten berücksichtigt. Die ersten beiden Abfragen enthalten jeweils einen Audiostimulus, der eine stimm‐ lose postalveolare Realisierungsvariante enthält, entweder als Frikativ [ʃ] ( YAO 01) oder als Affrikate [t͡ʃ] ( YAO 02). Die Abfragen YAO 03 und YAO 04 präsentierten den Umfrageteilnehmern jeweils deren stimmhafte Pendants [ʒ] bzw. [d͡ʒ], und mit Abfrage YAO 05 wird schließlich die Salienz des palatalen Approximanten [j] getestet. Da dessen affrizierte Realisierungsvariante [d͡ʝ] in der phonetischen Analyse nicht identifiziert werden konnte, ist sie aus der per‐ zeptiven Analyse ausgeklammert. Allen präsentieren Stimuli ist gemein, dass sie mit dem Wort Yo ‚Ich‘ beginnen. Insgesamt haben 657 Teilnehmer eine der 286 8 Perzeptive Analyse <?page no="287"?> 29 Lediglich ein Teilnehmer aus der Provinz Misiones markierte diese Variante als auffällig. isolierenden Abfragen ( YAO 01- YAO 05) mit nicht-kontrastivem Stimulus be‐ antwortet, 235 Teilnehmer wurden der gegenüberstellenden Abfrage ( YAO k) zugeordnet. 8.6.6.1 Der stimmlose postalveolare Frikativ [ʃ] ( YAO 01) Die Abfrage YAO 01 testet die Perzeption von [ʃ] im absoluten Anlaut des Satzes Yo creo que eso empezó como oral. Das Satzfragment ist Teil eines Interviews mit einer 44-Jährigen Schriftstellerin (bsas-vf), das in einer Online-Mediathek der Stadt Buenos Aires in Bild und Ton vorliegt (Audiovideoteca de Escritores 2013). Der Stimulus enthält eine weitere potenziell saliente Variante, nämlich die Realisierung des stimmlosen Plosivs / k/ im Wort como als stimmhafter Fri‐ kativ [ɣ]. Allerdings ist die Sonorisierung und auch Spirantisierung der stimm‐ losen Plosive ein Phänomen, das in der gesamten Hispanophonie - insbesondere in schneller Rede - häufig zu beobachten ist und das auch von den Teilnehmern der vorliegenden Online-Befragung nicht als auffällig wahrgenommen wurde. 29 Abb. 42 Der Frikativ [ʃ] im Anlaut (šeísmo) - Quelldatei: bsas-vf1.wav Die Frage YAO 01 wurde regionenübergreifend von insgesamt 110 Teilnehmern beantwortet, wovon lediglich fünf den initialen Frikativ als auffällig bewertet haben. Dies entspricht einem Prozentsatz von 4,55 %. Drei dieser fünf Teil‐ nehmer entstammen einer der fokussierten Regionen: 287 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="288"?> Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus %on_focus Buenos Aires 19 16 3 0 0,00 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 36 30 6 1 2,78 % Córdoba 20 12 8 0 0,00 % Santiago del Es‐ tero 5 3 2 2 40,00 % Total 80 61 19 3 3,75 % Tab. 17 Salienzwerte des Frikativs [ʃ] (šeísmo) im Anlaut (Fokus-Regionen) In der Detailauswertung der Gründe für die Salienzwertungen ist vor allem der Kommentar der oder des Befragten aus der Hauptstadt Buenos Aires auffällig. Dieser Teilnehmer identifiziert die Aussprache zwar mit der eigenen Region, empfindet sie aber zugleich als diastratisch markiert: „pronunciación de ʻyʼ propia de CABA y ciertos sectores sociales“ (3821_kA_kA_ CABA ). Leider wird die diastratische Markierung in diesem Fall nicht weiter spezifiziert. Allerdings spielt die Verknüpfung von Realisierungsvarianten des Frikativs / ʒ/ mit sozialen Parametern auch bei weiteren, noch folgenden Fragen eine Rolle. 8.6.6.2 Die stimmlose postalveolare Affrikate [t͡ʃ] ( YAO 02) Mit der Abfrage YAO 02 wurde die Perzeption der stimmlosen affrizierten Va‐ riante [t͡ʃ] getestet. Der Unterschied zur Realisierungsvariante aus YAO 01 ist der stimmlose apiko-dentale Plosiv [t], der dem frikativischen Anteil der Affri‐ kate unmittelbar vorausgeht. Er ist im nachfolgenden Spektrogramm am verti‐ kalen Balken, dem burst, gut ersichtlich. Diese Art der Realisierung von / ʒ/ steht derjenigen der später im Stimulus folgenden Affrikate / t͡ʃ/ in mucho akustisch sehr nahe. Der Audiostimulus Yo en general tengo una relación de mucho placer entstammt dem Interview einer 49 Jahre alten Schriftstellerin und Psychologin aus der Hauptstadt Buenos Aires (bsas-ec) und ist ein Fragment eines Beitrags für die Audiovideoteca de Escritores der Stadt Buenos Aires (Audiovideoteca de Escritores 2011c). 288 8 Perzeptive Analyse <?page no="289"?> Abb. 43 Die Affrikate [t͡ʃ] (šeísmo) im Anlaut - Quelldatei: bsas-ec1.wav Der Stimulus wurde regionenübergreifend von insgesamt 109 Umfrageteilneh‐ mern bewertet, wobei die Auffälligkeitswerte der zu testenden Realisierungs‐ variante nur unwesentlich höher liegen: lediglich 5,50 % (6 / 109) der Befragten haben angegeben, die stimmlose Affrikate im Anlaut als markant zu empfinden. Diese Variante ist somit, ebenso wie das frikativische Pendant [ʃ], für die Mehr‐ heit der Teilnehmer nicht salient. Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus % on_focus Buenos Aires 23 17 6 2 8,70 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 26 18 8 1 3,85 % Córdoba 27 21 6 2 7,41 % Santiago del Es‐ tero 6 3 3 0 0,00 % Total 82 59 23 5 6,10 % Tab. 18 Salienzwerte der Affrikate [t͡ʃ] (šeísmo) im Anlaut (Fokus-Regionen) Die Schwankungen der perzeptiven Wertung unter den Befragten aus Santiago del Estero sind - YAO 01 und YAO 02 vergleichend - zwar bemerkenswert, müssen vor dem Hintergrund der geringen Stichprobe allerdings vernachlässigt 289 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="290"?> 30 „Es una pronunciación marcadamente de clase alta“ (7785_M_33_BSAS). Eine weitere Teilnehmerin bemerkt in ihrer Anmerkung zwar eine bestimmte Markiertheit der Re‐ alisierungsvariante, ohne diese jedoch näher bestimmen zu können: „Me llama la aten‐ ción la pronunciación de la ""Y"" en ""Yo"", no estoy segura del motivo.“ (5999_F_22_SAFE). werden. In absoluten Zahlen sind die Veränderungen nicht größer als diejenigen in den übrigen Regionen. Interessanterweise wurde auch für diese Variante in einem offenen Textkommentar eines Teilnehmers eine diastratische Markiert‐ heit des Lautes angegeben; dieses Mal jedoch mit einer genaueren Spezifizie‐ rung: Die Aussprache wird eindeutig der ʻOberschichtʼ zugeordnet, was für den fortgeschrittenen Status des Lautwandels / ʒ/ > / ʃ/ spricht. 30 8.6.6.3 Der stimmhafte postalveolare Frikativ [ʒ] ( YAO 03) Zur Testung der stimmhaften postalveolaren Realisierungsvariante [ʒ] wurde den Befragten der Audiostimulus Yo no soy enemigo präsentiert. Es handelt sich um ein Fragment eines Fernsehinterviews mit einem 63-Jährigen aus Córdoba stammenden Politiker und Anwalt (cor-dls), das landesweit ausgestrahlt wurde und anschließend über die Videoplattform YouTube weitere Verbreitung fand (Tribuna de Periodistas 2012). Der Unterschied zwischen der stimmlosen und der stimmhaften Realisierungsvariante des postalveolaren Frikativs ist deutlich am Sonoritätsbalken im unteren Frequenzbereichs des Lauts [ʒ] erkennbar (cf. Abb. 42 und Abb. 44). Abb. 44 Der Frikativ [ʒ] (žeísmo) im Anlaut - Quelldatei: cor-dls1.wav 290 8 Perzeptive Analyse <?page no="291"?> 31 „pronunciación marcada de clase alta“ (7872_F_32_CABA). Die Frage wurde von insgesamt 114 Umfrageteilnehmern beantwortet, und auch diese Realisierungsvariante ist für die Mehrzahl der Teilnehmer unauffällig. Le‐ diglich 5,26 % (6 / 114) der Befragten bewerten [ʒ] als llamativa. Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus % on_focus Buenos Aires 29 23 6 0 0,00 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 16 9 7 2 12,50 % Córdoba 23 18 5 1 4,35 % Santiago del Es‐ tero 6 4 2 0 0,00 % Total 74 54 20 3 4,05 % Tab. 19 Salienzwerte des Frikativs [ʒ] (žeísmo) im Anlaut (Fokus-Regionen) Unter den Teilnehmern aus den Fokusregionen lässt sich ein leicht erhöhter Salienzwert unter den Befragten aus der Hauptstadt Buenos Aires beobachten, der jedoch vermutlich eher mit der geringeren Stichprobe zusammenhängt. Wie schon in Abfrage YAO 02 findet sich auch bei dieser Frage wieder ein offener Textkommentar, der der Variante eine diastratische Markiertheit zuweist und dieses Mal die stimmhafte und frikativische Variante der ‘Oberschicht’ zu‐ ordnet. 31 8.6.6.4 Die stimmhafte Affrikate [d͡ʒ] ( YAO 04) Im Stimulus der Abfrage YAO 04 ist der absolute Anlaut durch die stimmhafte Affrikate [d͡ʒ] besetzt. Das Satzfragment Yo leo literatura española entstammt einem Interview eines 49-Jährigen Schriftstellers und Psychologen aus der Hauptstadt Buenos Aires (bsas-cg) für die Audiovideoteca der Stadt (Audiovide‐ oteca de Escritores 2011a). In enger phonetischer Transkription könnte die Af‐ frikate auch als teilweise entstimmt [d̥ ͡ʒ] dargestellt werden, da die Vibration der Stimmbänder bei Realisierung des Plosivs nur schwach ausgeprägt ist. Al‐ lerdings ist die Realisierung der gesamten Affrikate - gemessen am Anteil der Stimmbeteiligung - als stimmhaft zu bewerten und somit geeignet dafür, als Testvariante für die sonore affrizierte Variante von / ʒ/ im Anlaut zu fungieren. 291 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="292"?> Abb. 45 Die Affrikate [d͡ʒ] (žeísmo) im Anlaut - Quelldatei: bsas-cg1.wav Die Frage wurde von insgesamt 108 Umfrageteilnehmern beantwortet, von denen lediglich vier Personen (3,70 %) die Realisierung von / ʒ/ als auffällig emp‐ finden. Wie schon in den anderen drei Abfragen zum postalveolaren Frikativ im Anlaut liegt der on_focus-Prozentwert damit bei deutlich unter 10 %. Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus %on_focus Buenos Aires 20 14 6 1 5,00 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 30 25 5 1 3,33 % Córdoba 16 9 7 0 0,00 % Santiago del Es‐ tero 2 1 1 0 0,00 % Total 68 49 19 2 2,94 % Tab. 20 Salienzwerte der Affrikate [d͡ʒ] (žeísmo) im Anlaut (Fokus-Regionen) Die on_focus-Auffälligkeit ist auch unter den Teilnehmern der analysierten Re‐ gionen entsprechend gering. Lediglich eine Gewährsperson aus der Provinz Buenos Aires und eine weitere aus der Hauptstadt markieren die einleitende Affrikate als auffällig. Erneut wird die Realisierungsvariante dabei als Variante der Oberschicht identifiziert: „La pronunciación de ʻyoʼ me suena de clase alta“ 292 8 Perzeptive Analyse <?page no="293"?> (7864_F_27_ CABA ). Der Kommentar einer Informantin aus der Provinz Buenos Aires diagnostiziert indes eine - verglichen mit der idiosynkratischen und of‐ fenbar präferierten Realisierungsvariante - divergente Aussprache von / ʒ/ und suggeriert gleichzeitig einen Ausschluss der Affrikate aus dem eigenen imagi‐ nierten Sprachraum: „la 'y' es diferente a la que yo pronuncio en mi variante rioplatense“ (4944_F_25_ BSAS ). 8.6.6.5 Der palatale Approximant [j] ( YAO 05) Die letzte nicht kontrastive Abfrage zur Realisierung von / ʒ/ im absoluten An‐ laut ( YAO 05) testet die Auffälligkeit des palatalen Approximanten [j]. Als Sti‐ mulus dient das Satzfragment Yo creo que aquí se confunde un poco el tema eines 46-Jährigen Wirtschaftsprüfers aus Santiago del Estero (sde-rp), das einem In‐ terview für das Forum Jurídico Fiscal (2013d) entnommen wurde. In der nach‐ folgenden Abbildung ist gut zu erkennen, dass diesem Allophon - im Gegensatz zu den anderen beschriebenen Realisierungsvarianten - das für Frikative (und Affrikaten) charakteristische Reibungsgeräusch im oberen Frequenzbereich fehlt. Abb. 46 Der Approximant [j] (yeísmo) im Anlaut - Quelldatei: sde-po2-bm3-rp5.wav Da im Gegensatz zu den vorhergehenden Abfragen nicht zwischen einer frika‐ tivischen und einer affrizierten Variante unterschieden wurde und somit auf die Bildung von untergeordneten Testgruppen verzichtet werden konnte, weist diese Abfrage eine vergleichsweise höhere Teilnehmerzahl auf. Insgesamt wurde der Stimulus von 216 Befragten bewertet, wovon 19 Teilnehmer die Re‐ alisierung von / ʒ/ als auffällig markiert haben. Mit 8,80 % ist demnach auch der Auffälligkeitswert der approximantischen Realisierungsvariante kaum höher als für die frikativischen oder affrizierten Allophone. Allerdings kommt dem 293 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="294"?> 32 „Es un córdobes muy marcado” (6566_F_23_CORD), „Es típica del habla de esta región (Córdoba).“ (4579_F_28_BSAS); “Suena más como la entonación de la provincia de Cor‐ doba argentina” (4490_F_26_CABA). 33 „parece una pronunciación de la región del norte argentino“ (5159_F_29_CABA), „PA‐ RECE ALGUIEN DE OTRO PAIS O SEGURAMENTE ME RESULTA LLAMATIVA DEBIDO A QUE TIENE UN ACENTO NO COMUN EN BUENOS AIRES, LA RE‐ GION DONDE VIVO.” (3271_M_25_TUCU). Interessanterweise empfindet ein anderer Informant die Aussprache explizit als korrekt: „me parece correcta la pronunciación“ (6519_M_30_TUCU). 34 Ein Informant gibt, unter Verweis auf unterschiedliche Teile des Stimulus, das hohe Sprechtempo als Grund für die Bewertung an, das sicherlich auch als Auslöser der Spi‐ Gesamtstimulus eine deutlich erhöhte Salienz zu. 134 der 216 Probanden be‐ werteten das gesamte Satzfragment als auffällig, wobei die Befragten mehrheit‐ lich eine diatopische Markierung als Grund dieser Bewertung angeben (95 / 134; 70,90 %). Die meisten der Befragten beziehen ihre Zuordnung allerdings nicht (ausschließlich) auf den Approximanten im Anlaut, sondern auf mehrere wei‐ tere Äußerungsteile und nehmen eine allgemeine regionale Prägung der Aus‐ sprache des Modellsprechers wahr. Die exakte Zuordnung fällt den Gewähr‐ spersonen jedoch offenbar schwer: Die Provinz, der das Sample am häufigsten zugeordnet wird, ist dabei nicht die tatsächliche Herkunftsprovinz des Spre‐ chers - Santiago del Estero -, sondern Córdoba. Hinzu kommen drei Befragte, die zwar keine grafische Markierung einer Provinz vorgenommen haben, deren offene Texteingaben aber eine Zuordnung zu eben dieser Provinz erlauben. 32 Insgesamt wird Córdoba von 31 Gewährspersonen als Geburtsprovinz des Spre‐ chers angenommen (32,63 %; 31 / 95), wobei interessanterweise lediglich eine dieser 31 Gewährspersonen selbst aus der Provinz Córdoba stammt. Ein offener Textkommentar legt hierbei nahe, dass die Intonation für diese Zuordnung aus‐ schlaggebend gewesen sein könnte: “Suena más como la entonación de la pro‐ vincia de Cordoba argentina” (4490_F_26_ CABA ). Als zweithäufigste Her‐ kunftsprovinz wird Santiago del Estero genannt (12 / 95; 12,63 %); auch hier stammt nur einer dieser Befragten selbst aus der zugeordneten Region. Neben den genannten Zuordnungen zu bestimmten Provinzen des Landes wurde der Sprecher auch etwas allgemeiner in den Norden Argentiniens verortet oder gar als Ausländer wahrgenommen. 33 Wie der Stimulus in Abfrage YAO 01, weist auch die hier getestete Audiodatei die Okkurrenz einer Spirantisierung des stimmlosen Plosivs / k/ , realisiert als [ɣ], auf. Das Wort creo, das diese Variante enthält wurde insgesamt von 10,65 % (23 / 216) der Befragten als auffällig mar‐ kiert. Ihm kommt somit sogar eine größere Salienz zu als dem palatalen Appro‐ ximanten im Anlaut. 34 Die Gründe für die Bewertung des Stimulus sind also vielschichtig und der palatale Approximant lediglich einer von verschiedenen 294 8 Perzeptive Analyse <?page no="295"?> rantisierung gelten kann. („Parece pronunciar demasiado rápido y unir siglas que se deberían oír más separadas.”; 4192_M_33_CABA). Triggern, dem in der Gesamtbetrachtung aber offenbar keine gesteigerte Salienz zukommt. Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus % on_focus Buenos Aires 45 13 32 5 11,11 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 60 24 36 5 8,33 % Córdoba 42 17 25 0 0,00 % Santiago del Es‐ tero 12 5 7 4 33,33 % Total 159 59 100 14 8,80 % Tab. 21 Salienzwerte des Approximanten [j] (yeísmo) im Anlaut (Fokus-Regionen) Mit Blick auf die Fokusregionen ist der Anteil von Auffälligkeitswertungen unter Befragten aus Santiago del Estero del Estero am höchsten. Interessant ist auch ein qualitativer Kommentar eines Teilnehmers aus dieser Region, der sich auf die Aussprache von / ʒ/ bezieht: “La primera letra Y, se esta pronunciando como vocal, cuando deberia sre pronunciada como consonante.” (6194_M_29_ SADE ). Der Proband drückt mit diesem Kommentar nicht nur die persönliche Präferenz für den yeísmo rehilado aus, vielmehr ist diese Aussage auch ein Hinweis auf eine normative Erwartungshaltung („debería sre pronun‐ ciada“), der der Modellsprecher in diesem konkreten Fall nicht entspricht. Diese Einstellung deckt sich mit den Ergebnissen der phonetischen Analyse, in der eine der Varianten des yeísmo rehilado, nämlich der stimmlose postalveolare Frikativ [ʃ], als eindeutig dominante Realisierungsvariante der Modellsprecher aus Santiago del Estero identifiziert werden konnte. 8.6.6.6 Die kontrastive Gegenüberstellung ( YAO k) Die kontrastive Gegenüberstellung ergibt ein interessantes Bild, da regionen‐ übergreifend jeweils derselbe Stimulus als geeignet für die jeweilige Realisie‐ rungssituation empfunden wird. So werden die beiden affrizierten Varianten jeweils für Situationen mit eingeschränkter kommunikativer Reichweite emp‐ 295 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="296"?> 35 Aufgrund der größeren Anzahl getesteter Varianten muss auf die Datenbeschriftung zur Wahrung der Übersichtlichkeit der Darstellung verzichtet werden. funden, wobei [t͡ʃ] mehrheitlich einer häuslichen Unterhaltung zugeordnet wird, wohingegen das stimmhafte Pendant [d͡ʒ] als eher geeignet für die Situation des Bewerbungsgesprächs empfunden wird. Der palatale Approximant [j] wird klar in den regionalen Bereich verortet, wohingegen die stimmhafte Variante des yeísmo rehilado [ʒ] nationalen Nachrichtenformaten zugeordnet wird. Interes‐ sant ist die Verteilung der Zuordnung des stimmlosen postalveolaren Frikativs [ʃ]. Dieser wird in allen Regionen am zweithäufigsten nationalen Nachrichten‐ kontexten zugeordnet; außer in Santiago del Estero, also gerade derjenigen Re‐ gion, in der diese Realisierungsvariante unter den Modellsprechern klar domi‐ niert. Dies lässt sich erneut als Indiz gegen die Existenz eines eigenständigen Aussprachestandards interpretieren, da die produktionsseitig dominante Vari‐ ante als weniger geeignet für Situationen mit gesteigerter kommunikativer Reichweite empfunden wird als Varianten, die deutlich weniger frequent sind. Mit Blick auf die Provinz Buenos Aires werden die stimmlosen Varianten sowohl dem häuslichen Bereich als auch nationalen Nachrichtensendungen zugeordnet, was als Ausweis des stattfindenden Sprachwandelprozess gelesen werden kann. Abb. 47 / ʒ/ im absoluten Anlaut - kontrastive Gegenüberstellung 35 296 8 Perzeptive Analyse <?page no="297"?> 8.6.7 / ʒ/ in intervokalischer Position Im Gegensatz zum absoluten Anlaut sind die affrizierten Varianten [d͡ʒ] und [t͡ʃ] in intervokalischer Position zu vernachlässigen: Ihr produktionsseitiger Anteil an der Anzahl der Gesamtokkurrenzen beträgt lediglich 0,76 % (3 / 393). Aus diesem Grund wurden den Befragten der perzeptiven Analyse zur Testung von / ʒ/ in intervokalischer Position lediglich drei allophone Realisierungsvari‐ anten zur Bewertung vorgelegt: der stimmlose postalveolare Frikativ [ʃ], sein stimmhaftes Pendant [ʒ] sowie der palatale Frikativ [ʝ]. Bei den verwendeten Stimuli handelt es sich jeweils um Realisierungen des Satzfragments con ella (ʻmit ihrʼ). Das Sample der stimmlosen Variante [ʃ] entstammt dem Interview einer 54-Jährigen Schriftstellerin aus Buenos Aires (bsas-eo; Audiovideoteca de Escritores 2011b), wohingegen die beiden anderen Varianten [ʒ] und [ʝ] dem Fernsehinterview eines 62 Jahre alten Anwalts und Politikers aus Córdoba ent‐ nommen wurden (cor-dls; Tribuna de Periodistas 2012). Bei genauerer Betrach‐ tung der Ergebnisse fällt zunächst auf, dass unter den Befragten aller Regionen und für alle Stimuli vergleichsweise höhere Auffälligkeitswerte vorliegen. Dieses Phänomen kann auf die relativ kurze Dauer der Stimuli zurückgeführt werden. 8.6.7.1 Der stimmlose post-alveoare Frikativ [ʃ] ( YVV 01) In Abfrage YVV 01 wird die Perzeption des stimmlosen postalveolaren Frikativ [ʃ] getestet, dessen stimmlose Realisierung im nachfolgenden Spektrogramm sehr gut an der fehlenden voice bar im unteren Frequenzbereich zu erkennen ist. Diese Variante wird häufig als charakteristisch für die Hauptstadt Buenos Aires beschrieben, ist jedoch auch die frequenteste Variante der untersuchten Modellsprecher aus Santiago del Estero. 297 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="298"?> Abb. 48 Der Frikativ [ʃ] (šeísmo) in intervokalischer Position - Quelldatei: bsas-eo1.wav Wie bewerten nun aber die Teilnehmer der perzeptiven Analyse diese Variante? Die Frage YVV 01 wurde insgesamt von 196 Gewährspersonen beantwortet, von denen 44 (22,45 %) die stimmlose Variante [ʃ] als auffällig erachten. Sie wird damit von mehr als jedem fünften Befragten als salient eingestuft. In der De‐ tailanalyse der Fokusregionen zeigt sich, dass die Verteilung dabei jedoch recht unterschiedlich ausfällt. Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus %on_focus Buenos Aires 39 30 9 7 17,95 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 43 36 7 5 11,63 % Córdoba 35 16 19 14 40,00 % Santiago del Es‐ tero 13 6 7 5 38,46 % Total 130 88 42 31 23,85 % Tab. 22 Salienzwerte des Frikativs [ʃ] (šeísmo) in intervokalischer Position (Fokus-Re‐ gionen) Die Aufstellung zeigt, dass die stimmlose Variante unter den Befragten aus Stadt und Provinz Buenos Aires deutlich niedrigere Auffälligkeitswerte erreicht als 298 8 Perzeptive Analyse <?page no="299"?> 36 Dies gilt umso mehr, als dass sich ähnliche Indizien auch bereits aus den perzeptiven Wertungen der assibilierten Variante ableiten ließen. 37 „Voz de fumador” (8362_M_20_CORD), „Quizá una persona mayor” (6549_M_44_CABA), „la textura de la voz” (7666_F_30_CABA) 38 „muy marcada la elle“ (8111_F_kA_BSAS) oder „Es una persona que marca mucho la ʻllʼ más de lo normal […]” (7132_F_25_RINE). unter den Teilnehmern aus den Provinzen Córdoba oder Santiago del Estero: 17,95 % (7 / 39) sind es unter den Gewährspersonen aus der Provinz und 11,63 % (5 / 43) unter den Befragten aus der Stadt Buenos Aires. Mit Blick auf die Provinz Córdoba spiegelt sich die vergleichsweise geringere Tendenz der Modellspre‐ cher zur Realisierung der entstimmten Varianten auch in den Werten der per‐ zeptiven Analyse: Tatsächlich ist der Auffälligkeitswert mit 40,00 % (14 / 35) unter den Befragten dieser Provinz am höchsten. Interessanterweise lässt sich eine derartige Korrelation unter den Gewährspersonen aus Santiago del Estero nicht beobachten. Obwohl die entstimmte Variante dort produktionsseitig im regionalen Vergleich den höchsten Anteil der allophonen Realisierungsvari‐ anten einnimmt, kommt dieser Variante gleichzeitig dennoch ein hoher Auffäl‐ ligkeitswert zu. Dies ist trotz der geringen Anzahl an Befragten ein weiteres Indiz gegen die Existenz eines konsistenten und distinkten Aussprachestandard in der Region. 36 Die Nachfragen zu den Gründen dieser Einschätzungen zeigen, dass die Mo‐ tive zwar recht unterschiedlich sein können - einige Befragte verweisen auf aus dem Stimulus deduzierte persönliche Charakteristika der Sprecherin oder stimmliche Qualitäten, 37, andere machen die Markiertheit des Lautes explizit 38 - für eine Mehrheit ist die Variante jedoch erneut diatopisch markiert. 23 der 44 Befragten (52,27 %), die die Realisierung von / ʒ/ als auffällig empfunden haben, begründen ihre Bewertung mit einer regionalen Prägung der Variante. So identifiziert beispielsweise eine Teilnehmerin aus Córdoba eine „pronuncia‐ ción de Buenos Aires“ (8394_F_19_ CORD ), und für einen Teilnehmer aus der Provinz Buenos Aires handelt es sich um die „[…] forma Porteña de hablar es‐ pañol” (4485_M_54_ BSAS ). Eine weitere Befragte aus der Hauptstadt bewertet die Variante als distinktiv zwischen dem Inland und ʻRegionen wie Buenos Airesʼ, wobei unklar bleibt, wo diese imaginierte Grenze tatsächlich verläuft „es tipica de algunas regiones de argentina como Buenos Aires pero en el interior del pais no usan el sonido / sh/ para ʻllʼ“ (7489_F_55_ CABA ). Diese Einschätzung ist besonders interessant, da die Befragte der Variante [ʃ] eine regionale Varie‐ täten differenzierende Qualität zuschreibt und diese gleichzeitig als identitäts‐ stiftend für die eigene Region empfindet. Die Ergebnisse von perzeptiver und phonetischer Analyse und die genannten offenen Kommentare sind somit ein 299 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="300"?> 39 Etwas aus der Reihe fällt der offene Textkommentar einer Gewährsperson aus der Pro‐ vinz Buenos Aires, die die Variante überraschenderweise nicht dem eigenen Umfeld zuordnet: „la “y” me parece que esta pronunciada de una manera llamativa, no me parece que sea alguien de la variante rioplatense, mucho menos de capital federal“ (4941_kA_kA_BSAS). In der nachgeschalteten Zuordnungsfrage der Aussprache zu einer Provinz nimmt die Gewährsperson jedoch keine weiteren Spezifizierungen vor. Möglicherweise interpretiert diese Gewährsperson, das was andere Teilnehmer als sehr starke Realisierung des <ll> beschrieben haben, als eine Instanz der Hyperkorrektheit. klares Indiz für die Existenz eines Aussprachestandards in Buenos Aires und die Standardzugehörigkeit der stimmlosen Variante. 39 Gleichsam stellen sie ein Indiz gegen einen einheitlichen Aussprachestandard der Provinzen Buenos Aires und Córdoba dar, da der in Buenos Aires frequenten und standardadä‐ quaten Variante in letztgenannter Provinz hohe Auffälligkeitswerte zukommen. 8.6.7.2 Der stimmhafte postalveolare Frikativ [ʒ] ( YVV 02) Zur Untersuchung der Bewertung der stimmhaften Variante des yeísmo rehilado [ʒ] in intervokalischer Position wurde den Gewährspersonen ebenfalls das Satz‐ fragment con ella präsentiert, das in diesem Fall dem Fernsehinterview eines Anwalts und Politikers aus Córdoba entstammt. In enger phonetischer Tran‐ skription müsste diese Realisierung als teilweise entstimmt angegeben werden ([ʒ̥]), da es sich um eine intermediäre Realisierungsvariante auf einem Konti‐ nuum zwischen vollständiger Stimmhaftigkeit und vollständiger Stimmlosigkeit handelt (cf. RAE / ASALE 2011b: § 6.4k). Die Entstimmung ist zwar akustisch messbar, auditiv jedoch kaum wahrnehmbar. Dass der Laut tatsächlich anders wahrgenommen wird als die stimmlose Variante, zeigen auch die Ergebnisse der perzeptiven Analyse. 300 8 Perzeptive Analyse <?page no="301"?> Abb. 49 Der Frikativ [ʒ̥] (žeísmo) in intervokalischer Position - Quelldatei: cor-dls1.wav Die Frage YVV 02 wurde von insgesamt 203 Teilnehmern beantwortet, von denen lediglich 29 (14,29 %) den postalveolaren Frikativ als auffällig bewerten. Damit liegt dieser Wert deutlich unter demjenigen der Abfrage YVV 01 (22,45 %). Aus den fokussierten Regionen haben 143 Gewährspersonen auf die Frage ge‐ antwortet, von denen 17 Teilnehmer (11,89 %) den Laut [ʒ̥] als salient erachten. Der stimmhaften Variante kommen somit regionenübergreifend geringere Sa‐ lienzwerte zu als dem stimmlosen postalveolaren Frikativ, wobei die Auffällig‐ keitswerte in den Fokusregionen relativ nah beieinander liegen: 301 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="302"?> 40 „Una LL del habla de Ciudad de Buenos Aires, un tanto fuerte” (5124_M_40_ENRI) Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus %on_focus Buenos Aires 38 33 5 4 10,53 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 53 44 9 6 11,32 % Córdoba 38 22 16 6 15,79 % Santiago del Es‐ tero 14 11 3 1 7,14 % Total 143 110 33 17 11,89 % Tab. 23 Salienzwerte des Frikativs [ʒ̥] (žeísmo) in intervokalischer Position (Fokus-Re‐ gionen) Der niedrigste Wert ist mit 7,14 % (1 / 14) unter den Teilnehmern aus Santiago del Estero zu beobachten, etwas mehr als doppelt so groß ist er unter den Teil‐ nehmern aus Córdoba (15,79 %; 6 / 38). Die Salienzwerte von Stadt (11,32 %; 6 / 53) und Provinz Buenos Aires (10,53 %; 4 / 38) ordnen sich dazwischen ein. Die Re‐ alisierungsvariante kann somit aus perzeptiver Hinsicht für alle Regionen als normgerecht erachtet werden, wenn sie auch unter den Modellsprechern aus Santiago del Estero produktionsseitig keine Anwendung findet. Mit Blick auf die Gründe für die Auffälligkeitswertungen der Variante wird erneut mehrheitlich eine diatopische Markiertheit angegeben, die klar an die Region Buenos Aires geknüpft ist. Von den 29 Befragten, die [ʒ] als auffällig bewertet haben, geben zwölf an, die Aussprache sei typisch für eine bestimmte Region - acht dieser zwölf Teilnehmer nennen dabei die Region Buenos Aires. Hinzuzuzählen ist zudem ein Proband aus Entre Ríos, dessen Zuordnung sich nicht über die grafische Positionierung, sondern über einen offenen Textkom‐ mentar ergibt. 40 Lediglich einer einzigen Person gelang es, die Aussprache kor‐ rekt der Herkunftsprovinz des Sprechers (Córdoba) zuzuordnen. Addiert man dazu diejenigen Teilnehmer, die nicht <ll> sondern einen anderen Satzteil als auffällig markiert haben, so wird Córdoba lediglich vier Mal, Buenos Aires hin‐ gegen zehn Mal genannt. Dies kann als Indiz für die fast schon ikonische Ver‐ knüpfung der Varianten des yeísmo rehilado mit der Hauptstadt Buenos Aires gelten. Erneut findet sich unter den Textkommentaren ein Hinweis auf den stattfindenden Sprachwandel / ʒ/ > / ʃ/ . So bewertet ein 26-Jähriger Teilnehmer 302 8 Perzeptive Analyse <?page no="303"?> 41 „por la claridad con la que habla“ - (6225_F_25_SADE). aus der Hauptstadt Buenos Aires die Realisierungsvariante als ‘antiquiert’: „esa pronunciación de la / LL / esta quedando antigua.“ (8037_M_26_ CABA ). Die Detailauswertung offenbart jedoch noch weitere Besonderheiten. So be‐ gründet beispielsweise eine Teilnehmerin aus Santiago del Estero ihre Auffäl‐ ligkeitswertung dadurch, dass es sich um eine besonders klare Artikulation des Sprechers handele. 41 Die Aussprache wird in diesem Falle offenbar gerade auf‐ grund dieser Klarheit als salient wahrgenommen „[…] möglicherweise „[…] im Sinne schwer erreichbarer und beneidenswerter Korrektheit […]“ (Kre‐ feld / Pustka 2010: 18) oder eines erstrebenswerten Artikulationsvorbilds. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Kommentar das Prestige der Standardvarietät Buenos Airesʼ transportiert, das diese offenbar auch in denjenigen Regionen genießt, in denen ihr noch keine vollumfängliche Gültigkeit zukommt. Für eine Teil‐ nehmerin aus der Stadt Buenos Aires ist die Realisierung des Lautes mit einer bestimmten, allerdings nicht näher definierten sozioökonomischen Klasse ver‐ knüpft: „También me hace pensar en una clase social determinada“ (7830_F_27_ CABA ). También bezieht sich in diesem Fall auf die von dieser In‐ formantin in der Multiple-Choice-Abfrage gegebene Zuordnung der Aussprache zur Region Corrientes im Osten des Landes. 8.6.7.3 Der palatale Frikativ [ʝ] ( YVV 03) Das Satzfragment con ella, das den Befragten zur Bewertung des palatalen Fri‐ kativs [ʝ] vorgelegt wurde, wurde von demselben Sprecher produziert wie das Satzfragment aus Abfrage YVV 02. Tatsächlich entstammt es sogar derselben Aufnahmen; beide Realisierungen trennen lediglich etwas mehr als 17 Se‐ kunden, wobei der palatale Frikativ [ʝ] dem postalveolaren Frikativ [ʒ] voraus‐ geht. Ob in diesem Fall allerdings eine Autokorrektur des Sprechers hin zur standardkonformen Variante [ʒ] vorliegt, kann aus den Daten der phonetischen Analyse allein nicht abgeleitet werden. Allerdings liefert die perzeptive Analyse Indizien, die diese These stützen. 303 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="304"?> Abb. 50 Der palatale Frikativ [ʝ] (yeísmo) in intervokalischer Position - Quelldatei: cor-dls1.wav Die Abfrage YVV 03 wurde regionenübergreifend von insgesamt 203 Teilneh‐ mern beantwortet, von denen 77 (37,08 %) den Frikativ [ʝ] als auffällig bewerten. Damit ist diese Realisierungsvariante für mehr als jeden dritten Teilnehmer sa‐ lient. Unter den Gewährspersonen der Fokusregionen ist dieser Wert mit 39,86 % (57 / 143) noch leicht höher. Am höchsten ist der prozentuale on_focus-Anteil unter den Gewährspersonen aus der Hauptstadt Buenos Aires, wo der Laut von 44,90 % (22 / 49) der Befragten als auffällig markiert wurde. Unter den Teilnehmern aus der Provinz Buenos Aires ist der Prozentsatz mit 41,30 % (19 / 46) lediglich unwesentlich geringer und auch unter den Teilnehmern Córdobas erreicht er mit 36,59 % (15 / 41) ein vergleichsweise hohes Niveau. Ein anderes Bild zeichnet sich indes unter den Probanden aus Santiago del Estero ab, wo lediglich einer der sieben Befragten die Realisierung von [ʝ] als auffällig einstuft. Aufgrund der geringen Teilneh‐ merzahl sind zwar keine allgemeingültigen Rückschlüsse möglich, allerdings deckt sich diese Tendenz mit den Ergebnissen der phonetischen Analyse, wo die 304 8 Perzeptive Analyse <?page no="305"?> 42 Insgesamt ist der produktionsseitige Anteil der palatalen Varianten [j] bzw. [ʝ] an der Gesamtzahl der in der phonetischen Analyse erhobenen Okkurrenzen von / ʒ/ mit 9,78 % (68 / 695) äußerst gering. Aufgeschlüsselt nach den einzelnen Provinzen ist der Anteil in Santiago del Estero mit 17,24 % (30 / 174) am höchsten, gefolgt von Córdoba (9,55 %; 21 / 220) und Buenos Aires (5,65 %; 17 / 301). 43 „no me parece incorrecta pero la variante me llamó la antecion por lo marcado del fonema” (8113_F_35_BSAS). 44 „Se trata de una cuestión regional y modos de pronunciación. Ni mejores ni peores, solo distintos“ (6231_F_22_RINE). palatale Variante eine vergleichsweise größere Verbreitung erfährt als in den übrigen Regionen. 42 Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus % on_focus Buenos Aires 46 22 24 19 41,30 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 49 20 29 22 44,90 % Córdoba 41 20 21 15 36,59 % Santiago del Es‐ tero 7 3 4 1 14,29 % Total 143 65 78 57 39,86 % Tab. 24 Salienzwerte des palatalen Frikativ [ʝ] (yeísmo) in intervokalischer Position (Fokus-Regionen) Für eine deutliche Mehrheit der aus den Fokus-Regionen stammenden Gewähr‐ spersonen (49 / 57; 85,96 %), die den Frikativ als auffällig empfunden haben, ist dieser diatopisch markiert. Wobei mit 24,56 % (14 / 57) ein vergleichsweise hoher Anteil der Befragten die Realisierung als ʻschlampigʼ bewertet. In lediglich drei Fällen wird sie als inkorrekt erachtet. Als angenommene Herkunftsregion des Sprechers wurde am häufigsten (n = 14) die tatsächliche Herkunftsregion Cór‐ doba genannt, gefolgt von La Rioja (n = 12) sowie Salta und Santiago del Estero (n = 9). Die offenen Kommentare bestärken diese Angaben: So bemerken zwei Teilnehmerinnen, dass die Variante zwar nicht inkorrekt, aber aufgrund einer allgemeinen 43 bzw. diatopischen 44 Markiertheit dennoch auffällig sei. Eine wei‐ tere Teilnehmerin aus Santa Fe - das üblicherweise demselben Dialektareal wie Buenos Aires zugerechnet wird - assoziiert die Variante mit gehobenem sozi‐ alem Prestige: „Pareciera ser de una persona con estatus social elevado.“ 305 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="306"?> (6064_M_27_ SAFE ). Dabei ist besonders interessant, dass offenbar unterschied‐ lichen Realisierungsvarianten von / ʒ/ eine diastratische hohe Markiertheit zu‐ gesprochen wird. Sie werden assoziiert mit ʻbestimmten sozialen Schichtenʼ ([ʃ] in YAO 01, [ʒ] in YVV 02) oder aber mit der ʻOberschichtʼ ([t͡ʃ], [ʒ] & [d͡ʒ] in YAO 02, YAO 03 & YAO 04), während gleichzeitig ein Befragter der stimmhaften Variante [ʒ] eine gewisse ʻAntiquiertheitʼ zuschreibt ([ʒ] in YVV 02). Dieses eher diffuse Bild ist als Ausdruck des stattfindenden Sprachwandels zu interpretieren, wobei sowohl aus den Daten der phonetischen als auch der perzeptiven Analyse ersichtlich wird, dass beiden Variante des yeísmo rehilado als absolut normge‐ recht gelten können und als Teil eines aus Buenos Aires ausstrahlenden Aus‐ sprachestandards zu sehen sind. Den palatalen Realisierungsvarianten kommt hingegen in allen untersuchten Regionen eine produktionsseitig niedrigere Fre‐ quenz und eine wahrnehmungsseitig größere Salienz zu. Besonders signifikant ist dabei die Angabe eines Teilnehmers aus der Hauptstadt Buenos Aires, der von der Aussprache von / ʒ/ als [ʝ] in intervokalischer Position auf einen aus‐ ländischen Sprecher schließt: „parecería un extranjero pronunciando la elle y la a en conjunto“ (6980_M_63_ CABA ). Dieser Kommentar ist ein weiterer Hinweis darauf, dass diese Realisierungsvariante nicht zum Varianteninventar des Aus‐ sprachestandards von Buenos Aires zu zählen ist. Ein Indiz dafür, dass dieser Aussprachestandard offenbar aber nicht in der gesamten Nation Gültigkeit er‐ fährt, liefert der offene Textkommentar eines 18-Jährigen Teilnehmers aus der Provinz Misiones, der die yeísmo Variante ohne rehilamiento als ʻgut, aber wenig verbreitetʼ beschreibt. Daraus kann im Umkehrschluss abgeleitet werden, dass dieser Sprecher die Varianten des yeísmo rehilado als defizitär wahrnimmt: „pro‐ nuncia bien la ll algo poco común en algunas zonas de la Argentina“ (4410_M_18_ MISI ). Mit Blick auf Santiago del Estero zeigen einige Textkom‐ mentare sowie das Vorhandensein dieser Variante in den Realisierungsten‐ denzen fast aller (5 / 6) Modellsprecher, dass die palatalen Varianten in distanz‐ sprachlichen Kommunikationssituationen durchaus noch (gelegentlich) realisiert werden, allerdings offenbar allmählich von den Varianten des yeísmo rehilado verdrängt werden. Eine diachrone Studie könnte diesbezüglich sicher‐ lich interessante Ergebnisse zu Tage fördern. 8.6.7.4 Die kontrastive Gegenüberstellung ( YVV k) Die Probanden der kontrastiven Befragung bewerten die stimmlose Rehi‐ lado-Variante sowie palatales [ʝ] vor allem als geeignet für private Kontexte. Für formelle Kontexte mit eingeschränktem Kommunikationsradius werden sie je‐ doch als weniger geeignet empfunden. Als absolut normgerecht für alle Kom‐ munikationssituationen, die der kommunikativen Distanz zugeordnet werden 306 8 Perzeptive Analyse <?page no="307"?> 45 Aufgrund der größeren Anzahl getesteter Varianten, muss auf die Datenbeschriftung zur Wahrung der Übersichtlichkeit der Darstellung verzichtet werden. können, erweist sich lediglich der stimmhafte postalveolare Frikativ [ʒ]. Beson‐ ders einheitlich verhalten sich in dieser Bewertung die Befragten aus Córdoba. Für sie ist das stimmlose Pendant klar markiert und lediglich für regionale oder private Kontexte geeignet. Vor dem Hintergrund der bis dato präsentierten Er‐ gebnisse der perzeptiven wie auch phonetischen Analyse kann daher davon ausgegangen werden, dass die stimmlose Variante noch nicht in den standard‐ sprachlichen Bereich der Aussprache in Córdoba vorgerückt ist. Die kontrastive Befragung der Sprecher aus Santiago del Estero lässt aufgrund der geringen Teilnehmeranzahl und der relativ gleichmäßigen Verteilung der Bewertungen keine eindeutigen Rückschlüsse zu. Abb. 51 / ʒ/ in intervokalischer Position - kontrastive Gegenüberstellung 45 8.6.8 Der prädorsale Sibilant / s/ Die Daten der phonetischen Analyse zeigen, dass / s/ unter den Modellsprechern aller drei Fokusregionen als prädorsaler Sibilant realisiert wird, der in präkon‐ sonantischer Position Abschwächungserscheinungen erfährt, die von Region zu Region unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. In Buenos Aires ist die Aspiration des Sibilanten vor einem weiteren Konsonanten die Regel, während in Santiago del Estero eine größere Tendenz zum Erhalt der sibilantischen Qua‐ lität festgestellt werden konnte. Unter den Modellsprechern Córdobas hingegen ließ sich eine Tendenz zur weiteren Abschwächung von / s/ aufzeigen, die bis hin zu einer vollständigen Tilgung des Lautes führen kann. Diese Tendenz zeigt 307 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="308"?> sich sowohl in vorkonsonantischer Position als auch zwischen zwei Vokalen oder im absoluten Auslaut, während die Aspirationsneigung in Buenos Aires auf den präkonsonantischen Kontext beschränkt bleibt. Mit der perzeptiven Analyse wird untersucht, ob diese tendenziellen Unterschiede auch mit unter‐ schiedlichen Bewertungen der divergierenden Realisierungsvarianten korre‐ lieren. Dazu wurden die intervokalische und präkonsonantische Position sowie der absolute Auslaut untersucht. In den Abfragen zu erstgenannter Position er‐ scheint / s/ in Coda-Position jeweils vor dem Wort años: in SVV 01 im Satzfrag‐ ment a veces años - realisiert als Sibilant [s] - und in Abfrage SVV 02 in en estos dos años, wo der Laut aspiriert erscheint. 8.6.9 / s/ in intervokalischer Position 8.6.9.1 Erhalt der sibilantischen Qualität von / s/ ( SVV 01) Das Satzfragment a veces años enthält gleich zwei Realisierungen von / s/ in intervokalischer Position. Beide sind im Wort veces enthalten. Der Stimulus ent‐ stammt einem Interview mit einer 50-jährigen Schriftstellerin und Psychologin (bsas-ec) aus der Hauptstadt Buenos Aires (Audiovideoteca de Escritores 2011c). Da beide Stimuli ( SVV 01 & SVV 02) jeweils eine Okkurrenz des Sibilanten an der intervokalischen Wortgrenze zu años enthalten, liegt dort zunächst der Fokus der Auswertung, da dort die Vergleichbarkeit beider Stimuli, aber auch der Kontrast in der gegenüberstellenden Abfrage ( SVV k) am stärksten ausge‐ prägt ist. Ergänzend werden jedoch auch die Ergebnisse für die wortinterne intervokalischen Okkurrenz in veces hinzugezogen. Die folgenden tabellari‐ schen Aufstellungen folgen daher einer - verglichen mit den vorhergehenden Fragen - leicht divergenten Datenaufbereitung. 308 8 Perzeptive Analyse <?page no="309"?> Abb. 52 Sibilantisches / s/ in intervokalischer Position - Quelldatei: bsas-ec1.wav Die Abfrage SVV 01 wurde regionenübergreifend von 268 Gewährspersonen bearbeitet, wovon 31 (11,57 %) angegeben haben, die Realisierung von wortaus‐ lautendem / s/ in veces als auffällig zu empfinden; unter den 186 Informanten aus den Fokus-Regionen liegt dieser Wert mit 12,37 % (23 / 186) auf einem ähnlich hohen Niveau. Zieht man noch die Werte des zweiten Sibilanten des Stimulus hinzu, so kann die sibilantische Realisierung in intervokalischer Position als insgesamt unauffällig bezeichnet werden. Geburtsprovinz An‐ zahl unauf‐ fällig auf‐ fällig [s]1 <veces años> [s]2 <veces años> Buenos Aires 52 35 17 7,69 % (4 / 52) 15,38 % (8 / 52) Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 62 42 20 6,45 (4 / 62) 8,06 % (5 / 62) Córdoba 56 33 23 0,00 % (0 / 56) 14,29 % (8 / 56) Santiago del Es‐ tero 16 11 5 0,00 % (0 / 16) 12,50 % (2 / 16) Total 186 121 65 4,30 % 12,37 % Tab. 25 Salienzwerte des sibilantischen / s/ in intervokalischer Position (Fokus-Regionen) 309 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="310"?> 46 „Sobrepronunciación de la ‘s’” (4914_M_26_BSAS). Die leicht erhöhten Salienzwerte der zweiten Okkurrenz von / s/ sind offenbar auf eine Resyllabierung zurückzuführen, die von einigen Gewährspersonen als Verschmelzung der Aussprache der Wörter veces und años bezeichnet wird. Für einen Informanten aus Córdoba ist diese Verschmelzung gerade vor dem Hin‐ tergrund der öffentlichen Äußerungssituation problematisch: „Al responder y estar siendo escuchada por muchas personas la ligación entre 'a veces_años' no ayuda mucho en la comprensión oral“ (4614_M_27_ CORD ). Für eine weitere Teilnehmerin aus der Hauptstadt Buenos Aires kommt der Aussprache durch diese Verbindung eine größere Affektiertheit zu: „suena afectada por la cadencia y unión de palabras“ (3828_F_69_ CABA ). In diesen beiden Fällen ist die Auffäl‐ ligkeitsmarkierung also weniger auf die sibilantische Qualität von / s/ zurück‐ zuführen, sondern auf prosodische Parameter. In eine ähnliche Richtung weist ein Kommentar eines Teilnehmers aus der Provinz Buenos Aires, der die Reali‐ sierung als „überbetont“ bezeichnet. 46 Eher überraschend ist hingegen der Kom‐ mentar eines Probanden aus Catamarca, der als Grund für seine Auffälligkeits‐ wertung eine - trotz des intervokalischen Erscheinens - fehlende Aspiration des Sibilanten angibt: „Esperaría la aspiración de la ‚-s‘ de ‚veces‘“ (7566_M_43_ CATA ). Möglicherweise empfinden beide Teilnehmer die Reali‐ sierung des Sibilanten als überakzentuiert oder hyperkorrekt, was auf die bereits angesprochene prosodische Verschmelzung von / s/ und / a/ zurückzuführen sein könnte. In diese Richtung argumentiert zumindest noch eine weitere Teilneh‐ merin aus der Provinz Buenos Aires, allerdings unter Verweis auf das zweite / e/ in veces und auf das / s/ im absoluten Auslaut: „La pronunciación me resulta afectada. Se nota quien habla hace un esfuerzo para pronunciar todos los sonidos de la cadena y que este ejercicio no es habitual en su pronunciación.” (7656_F_28_ BSAS ). Insgesamt ist die sibilantische Realisierung in intervokalischer Position für die Teilnehmer der untersuchten Regionen jedoch perzeptiv unauffällig und damit absolut standardgemäß. Regionenspezifische Divergenzen lassen sich an dieser Stelle nicht ableiten. 8.6.9.2 Schwächung der sibilantischen Qualität ( SVV 02) Ein etwas anderes Bild zeichnet sich bei der Analyse der Ergebnisse der Abfrage SVV 02 ab. Der Stimulus mit dem Satzfragment en estos dos años enthält ebenfalls das Wort años, dem in diesem Fall ein aspiriertes / s/ , realisiert als [h], vorausgeht. Der Ausschnitt enthält jedoch noch weitere Okkurrenzen des Sibilanten / s/ : zwei in präkonsonantischer Position (estos dos) und eine im absoluten Auslaut (años). 310 8 Perzeptive Analyse <?page no="311"?> 47 Potenziell auffällig war zudem die frikativierte Realisierung des Plosivs / d/ als [θ] in dos, die jedoch mit einem Salienzwert von 4,87 % (13 / 267) nicht weiter ins Gewicht fällt. Die erhöhte Quantität der Vokale in años wird im Folgenden diskutiert. Beim ersten Vorkommnis in präkonsonantischer Position bleibt die sibilantische Qualität noch erhalten, wohingegen bei der zweiten Okkurrenz eine Aspiration zu beobachten ist. Im absoluten Auslaut wird / s/ dann wieder auf prototypische Art und Weise artikuliert ([s]). Insofern folgt die Sprecherin grundsätzlich den dominanten Realisierungstendenzen der analysierten Sprecher der drei unter‐ suchten Regionen (cf. Kapitel 7.2). Die Aspiration in intervokalischer Position weicht indes von diesen Tendenzen ab. Das Satzfragment wurde von einer pro‐ movierten Politikwissenschaftlerin aus Córdoba (cor-vb) im Zuge eines Inter‐ views für einen Anbieter audiovisueller Inhalte realisiert und auf YouTube ver‐ öffentlicht (cf. virtuamediacomar 2013). Die aspirierte Realisierung des Sibilanten in intervokalischer Position befindet sich an den Wortgrenzen zwi‐ schen dos und años. 47 Wie bereits in Stimulus SVV 01 liegt auch in diesem Fall eine Resyllabierung vor. Das auslautende / s/ in dos besetzt gleichzeitig auch den Anlaut des folgenden Wortes años. Interessanterweise wird dieser Aspekt - im Gegensatz zur sibilantischen Variante in SVV 01 - von den Umfrageteilnehmern nicht thematisiert, was ein Hinweis darauf ist, dass die Realisierungsvariante selbst, also die Aspiration des Sibilanten, die Aufmerksamkeit triggert. Abb. 53 Aspiration von / s/ in intervokalischer Position - Quelldatei: cor-vb1.wav Die Abfrage wurde von insgesamt 267 Umfrageteilnehmern bewertet, wovon 53 Befragte (19,85 %) die intervokalische Aspiration als auffällig bewertet haben. Unter den Teilnehmern aus den Fokus-Regionen weisen Stadt und Provinz Buenos Aires die höchsten Salienzwerte auf, wohingegen dieser Wert unter den Befragten aus Córdoba und Santiago del Estero bedeutend niedriger ausfällt. 311 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="312"?> 48 Demgegenüber bewerten lediglich acht Befragte die Aussprache als schlampig und nur zwei Gewährspersonen charakterisieren sie als inkorrekt. Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus %on_focus Buenos Aires 59 16 43 21 35,59 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 65 20 45 13 20,00 % Córdoba 43 26 17 5 11,63 % Santiago del Es‐ tero 16 7 9 2 12,50 % Total 183 69 114 41 22,40 % Tab. 26 Salienzwerte der Aspiration von / s/ in intervokalischer Position (Fokus-Re‐ gionen) Ein offener Kommentar einer Teilnehmerin legt nahe, dass der Wert für die Befragten aus Córdoba leicht höher einzuschätzen ist. Die Befragte gab dabei an, die Aspiration von / s/ als auffällig wahrzunehmen, hat aber in der grafischen Positionierung den folgenden Vokal / a/ als auffälligen Satzteil markiert: „Hay aspiración de ʻsʼ“. (6595_F_55_ CORD ). Zählt man diese Teilnehmerin hinzu, so steigt der Salienz-Wert moderat auf 13,95 % an. Erneut ist der vorherrschende Grund der Salienz die diatopische Markiertheit des Lautes. Insgesamt 40 der 53 Gewährspersonen mit Auffälligkeitswertung (75,47 %) haben - unter Verweis auf das auslautende / s/ in veces - die Antwortoption Es típica del habla de otra región gewählt. 48 Bei der Zuordnung der Aussprache zu einer bestimmten Region Argentiniens ergibt sich allerdings keine klare Tendenz: Am häufigsten (n = 10) wurde die Sprecherin nach Santa Fe verortet, gefolgt von San Juan und dem Chaco (n = 7) sowie von Catamarca, Entre Ríos, Formosa, Mendoza und Santiago del Estero mit jeweils fünf Nennungen. Paradoxerweise finden sich unter den am häufigsten genannten Regionen Vertreter aller klassischer Dialektareale Ar‐ gentiniens nach Vidal de Battini (²1966), mit Ausnahme desjenigen, aus der die Sprecherin tatsächlich stammt (región central mit Córdoba und San Luis). Mit Bezug auf die offenen Kommentare ist die Notiz einer Teilnehmerin aus Córdoba besonders interessant, die den Stimulus korrekterweise der eigenen Region zu‐ geordnet hat und ergänzt: „Es de mi región, pero sonaría llamativa en un medio de alcance nacional“ (6863_F_26_ CORD ). Für diese Sprecherin ist die aspirierte 312 8 Perzeptive Analyse <?page no="313"?> Variante in intervokalischer Position demnach für überregionale distanzsprach‐ liche Äußerungskontexte ungeeignet. Somit kontrastiert diese Aussage mit den Befunden der beiden empirischen Analysen: Denn tatsächlich korreliert die in Córdoba produktionsseitig vorherrschende Tendenz zu einer vermehrten Ab‐ schwächung des Sibilanten mit einer perzeptionsseitig geringeren Salienz dieser Variante; im Gegensatz zu den Gewährspersonen aus Buenos Aires, wo die in‐ tervokalische Aspiration von / s/ als stigmatisiert gilt. Ganz in diesem Geiste kommentiert eine Teilnehmerin aus der Hauptstadt relativ unverblümt: „es poco cultivada por ser universitaria“ (5249_F_55_ CABA ). Mit Blick auf Santiago del Estero spiegelt sich die produktionsseitig leicht erhöhte Tendenz zum Erhalt von / s/ nicht in den Daten der perzeptiven Analyse, wo die intervokalische As‐ piration - bei erneut geringer Teilnehmerzahl - keine erhöhten Salienzwerte hervorruft. 8.6.9.3 Die kontrastive Gegenüberstellung ( SVV k) Die soeben präsentierten Ergebnisse der isolierenden Abfragen bestätigen sich auch in der kontrastiven Gegenüberstellung der beiden Stimuli, die von insge‐ samt 289 Teilnehmern beantwortet wurde, wovon 203 den Fokusregionen ent‐ stammen. Wie in der isolierenden Abfrage SVV 02 zeigt sich, dass die aspirierte Variante klar im regionalen Bereich verortet ist. Mit Ausnahme der Teilnehmer aus Santiago del Estero wird diese Variante häufiger als adäquat für regionale Nachrichtensendungen beurteilt. Für die Teilnehmer aus Stadt und Provinz Buenos Aires erscheint die aspirierte Realisierung als für nationale Nachrich‐ tensendungen ungeeignet, sie wird klar in den regionalen Bereich verortet. Von besonderem Interesse - insbesondere vor dem Hintergrund der bisherigen Be‐ funde aus phonetischer und perzeptiver Analyse - ist die Wertung der Befragten aus der Provinz Córdoba: Unter den Teilnehmer dieser Region wird der Stimulus mit intervokalischer / s/ -Schwächung eindeutig als adäquater für überregionale distanzsprachliche Kommunikationskontexte erachtet als der Stimulus mit / s/ -Erhalt. Dieser wird mehrheitlich in den privaten, häuslichen Bereich verortet. Auf Basis aller bis dato vorgestellten Ergebnisse lässt sich für diese Provinz demnach eine deutlich größere normative Durchlässigkeit für die Schwächung des Sibilanten in intervokalischer Position ableiten. Die Befunde für die Provinz Santiago del Estero müssen vor dem Hintergrund der geringeren Probandenzahl zwar als Indizien bewertet werden, allerdings lässt sich die grö‐ ßere Sibilantentreue, die diese Region traditionellerweise zugesprochen wird, aus den vorliegenden Daten nicht ableiten; weder aus der Perspektive der Sprachproduktion noch aus perzeptiver Hinsicht. 313 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="314"?> Abb. 54 / s/ in intervokalischer Position - kontrastive Gegenüberstellung 8. 6. 10 / s/ in präkonsonantischer Position 8. 6. 10.1 Erhalt der sibilantischen Qualität von / s/ ( SVC 01) Zur Bewertung des Erhalts der sibilantischen Qualität von / s/ in präkonsonan‐ tischer Position wurde den Umfrageteilnehmern das Satzfragment un gusto nuevamente vorgelegt. Der Satz wurde von der 48-Jährigen Präsidentin des CPCES (sde-po) im Rahmen eines monologischen Beitrags für einen Beitrag des Forums Jurídico Fiscal (2014a) realisiert. Die sibilantische Qualität der Realisie‐ rung von / s/ im Wort gusto ist gut an der Energiekonzentration im oberen Fre‐ quenzbereich zu erkennen. 314 8 Perzeptive Analyse <?page no="315"?> Abb. 55 Sibilantisches / s/ in präkonsonantischer Position - Quelldatei: sde-po-bm2.wav Die Abfrage SVC 01 wurde regionenübergreifend von 130 Umfrageteilnehmern bearbeitet, wovon lediglich 11 Teilnehmende (8,46 %) die Realisierung des Sibi‐ lanten als auffällig erachten. In der Detailbetrachtung der Fokusregionen ist der höchste Prozentwert unter den Teilnehmern aus der Hauptstadt Buenos Aires festzustellen, wo er bei 12,90 % (4 / 31) liegt. Im Vergleich zu den Auffälligkeits‐ werten anderer Abfragen liegt dieses Maximum damit auf einem eher niedrigen Niveau. Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus % on_focus Buenos Aires 25 23 2 0 0,00 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 31 22 9 4 12,90 % Córdoba 27 16 11 2 7,41 % Santiago del Es‐ tero 8 6 2 1 12,50 % Total 91 67 24 7 7,69 % Tab. 27 Salienzwerte des sibilantischen / s/ in präkonsonantischer Position (Fokus-Re‐ gionen) 315 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="316"?> 49 Als inkorrekt wird diese Realisierungsvariante von niemanden wahrgenommen. Von den elf Probanden, die die Aussprache als auffällig empfinden führen sieben dies auf eine regionale Markiertheit zurück. Als mögliche Herkunftsregion der Sprecherin wird Buenos Aires mit drei Nennungen am häufigsten genannt, ge‐ folgt von Santiago del Estero mit zwei Nennungen. Eine ʻschlampigeʼ Aus‐ sprache empfindet lediglich eine Befragte aus der Hauptstadt Buenos Aires: 49 „No aspira la ‘s’, pero la pronunciación es absolutamente correcta igualmente” (6152_F_40_ CABA ). Die prototypische Realisierung von / s/ als Sibilant ist in‐ nerhalb der Sprachgemeinschaft in Buenos Aires in vorkonsonantischer Posi‐ tion somit zwar ungebräuchlich, sie kann allerdings dennoch als vollkommen normkonform gelten. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass sie in der Hispanophonie weit verbreitet und Teil der kanonischen Normen der RAE ist. Daraus lässt sich auch ableiten, dass der / s/ -Schwächung in Buenos Aires ein weniger starker ikonischer, identitätsstiftender Charakter zukommt als den Va‐ rianten des yeísmo rehilado. Dies dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass die Abschwächung des Sibilanten lange Zeit stigmatisiert war und sich erst nach und nach und auch nur für die präkonsonantische Position als normativ zulässig stabilisierte. Mit Blick auf Santiago del Estero zeigt sich er‐ neut, dass dem Erhalt des Sibilanten offenbar keine gesteigerte normative Er‐ wartungshaltung entgegengebracht wird. Dies lässt sich aus den Daten der phonetischen Analyse ablesen, aber auch aus den bisherigen Ergebnissen der perzeptiven Untersuchung in intervokalischer und präkonsonantischer Position und wird durch einen offenen Textkommentar zusätzlich gestützt: „La manera en que pronuncia el ‘st’ en gusto, ya que lo destaca.” (6344_M_16_ SADE ). Die genannten Befunde bestätigen sich auch durch die Ergebnisse der zweiten iso‐ lierenden Abfrage SVC 02. 8. 6. 10.2 Schwächung der sibilantischen Qualität ( SVC 02) Zur Überprüfung der Auffälligkeitswertungen der Abschwächung der sibilan‐ tischen Qualität von / s/ in präkonsonantischer Position wurde den Umfrage‐ teilnehmern der Stimulus el gusto de la lectura vorgelegt, in dem der Sibilant in aspirierter Form vorliegt. Das Satzfragment wird von der 49-Jahre alten Schrift‐ stellerin und Psychologin aus der Hauptstadt Buenos Aires (bsas-ec) realisiert, die auch bereits Quelle der Stimuli der Abfragen YAO 02 und RVV 01 war (Au‐ diovideoteca de Escritores 2011c). 316 8 Perzeptive Analyse <?page no="317"?> Abb. 56 Aspiration von / s/ in präkonsonantischer Position - Quelldatei: bsas-ec1.wav In der obigen Abbildung (cf. Abb. 56) ist mit Blick auf die Realisierung von / s/ im Wort gusto eine deutlich geringere Energiekonzentration im oberen Fre‐ quenzbereich zu erkennen, als dies im Stimulus der Abfrage SVC 01 beobachtet werden konnte, die aber dennoch stärker ausgeprägt ist als beim behauchten [h]. Tatsächlich ist der Artikulationsort der Aspiration teilweise assimiliert. Die Realisierung findet etwas weiter vorne im Mundraum statt, weshalb der Laut als palataler Frikativ [ç] transkribiert werden kann. Diese partielle Assimilation ist typisch für die aspirierte Realisierung des Sibilanten in Buenos Aires. Die Abfrage SVC 02 wurde von insgesamt 126 Gewährspersonen beant‐ wortet, wovon lediglich vier (3,17 %) die Realisierungsvariante als auffällig emp‐ finden. Die präkonsonantische Aspiration kann also als insgesamt unauffällig beschrieben werden. Der ihr zukommende Salienzwert ist sogar geringer als die sibilantische Realisierung in der zuvor diskutierten Abfrage SVC 01. Allerdings sind beide Werte mit unter 10 % sehr niedrig und damit beide Varianten wenig salient. Interessant ist, dass zwei der vier Personen, die diese Variante als auf‐ fällig empfinden, aus Santiago del Estero entstammen. Der hohe Prozentsatz von 25 % ist auf die geringe Teilnehmeranzahl von Gewährspersonen dieser Re‐ gion zurückzuführen. Vergleicht man jedoch die absoluten Zahlen aus den Ab‐ fragen SVC 01 und SVC 02, so kann die Salienz beider Varianten als in etwa gleichwertig beschrieben werden, zumal eine Teilnehmerin unter Verweis auf <gu> und <s> in <gusto> auf die Prosodie des Stimulus verweist: „[es llamativa; F. B.] el modo de hacer énfasis y pausar la frase a la vez“ (6225_F_25_ SADE ). 317 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="318"?> 50 „Se nota claro y bien pronunciado” (5159_F_29_CABA), “Voz tranquila” (7875_F_21_CHUB), “es natural” (4544_F_32_CORD) und “Voz cálida” (6957_F_20_SALT). Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus %on_focus Buenos Aires 24 21 3 0 0,00 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 33 28 5 0 0,00 % Córdoba 24 19 5 1 4,17 % Santiago del Es‐ tero 8 3 5 2 25,00 % Total 89 71 18 3 3,37 % Tab. 28 Salienzwerte der Aspiration von / s/ in präkonsonantischer Position (Fokus-Re‐ gionen) Der Befund einer geringen Salienz der aspirierten Realisierungsvariante wird auch durch die Detailauswertung der Fragebögen deutlich. Kein einziger der offenen Kommentare der Befragten thematisiert die Aspiration des Sibilanten. Indes heben vier Teilnehmer unterschiedlicher Provenienz positive Aspekte des Stimulus hervor. 50 Vergleicht man die Ergebnisse von SVC 01 und SVC 02, so zeigt sich, dass beide Varianten ähnlich bewertet werden. Weder die eine noch die andere Variante erscheint den Befragten besonders auffällig. Auch im regionalen Vergleich fallen die Unterschiede eher gering aus. Es scheint sich somit um zwei normativ und perzeptiv gleichberechtigte Realisierungsvarianten zu handeln. Die phonetische Analyse belegt jedoch, dass die aspirierte Variante in den Re‐ alisierungstendenzen der Modellsprecher regionenübergreifend klar bevorzugt wird. 8. 6. 10.3 Die kontrastive Gegenüberstellung ( SVC k) Die eher geringe Salienz der beiden getesteten Realisierungsvarianten lässt sich auch der kontrastiven Gegenüberstellung entnehmen, wo - im Gegensatz zu den sonstigen Abfragen - keine eindeutige Zuordnung der beiden Stimuli im standardnahen Bereich mit großer kommunikativer Reichweite vorgenommen wird. Interessant ist jedoch, dass die sibilantische Variante deutlich weniger stark im häuslichen Bereich vertreten ist, was wohl ihre produktionsseitig ge‐ 318 8 Perzeptive Analyse <?page no="319"?> 51 ‘AS’ codiert in diesem Fall die äußerungsschließende Position, also den absoluten Aus‐ laut. ringere Frequenz spiegelt. Es zeigt sich, dass sowohl die im regionalen Aus‐ sprachestandard etablierte Variante als auch die in Argentinien allgemein we‐ niger frequente, aber in der Hispanophonie weit verbreitete sibilantische Realisierung als standardadäquat empfunden werden. Abb. 57 / s/ in präkonsonantischer Position - kontrastive Gegenüberstellung 8. 6. 11 / s/ im absoluten Auslaut Zur Analyse der perzeptiven Wahrnehmung der allophonen Varianten des Si‐ bilanten im absoluten Auslaut wurde den Umfrageteilnehmern ein Stimulus präsentiert, bei dem der Sibilant vollständig realisiert wird und ein weiterer, bei dem eine vollständige Tilgung des Konsonanten zu beobachten ist. Die beiden Satzfragmente der Abfragen SAS 01 51 und SAS 02 enden dabei jeweils auf die Wörter las elecciones (ʻdie Wahlenʼ). 8. 6. 11.1 Erhalt der sibilantischen Qualität von / s/ ( SAS 01) Der Stimulus der Abfrage SAS 01 - debieran haber sido las elecciones - entstammt erneut einem Interview der Präsidentin des CPCSE (sde-po) für Format Forum 319 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="320"?> Jurídico Fiscal (2013c). Der Sibilant / s/ im Auslaut des Satzes, wird als prädorsaler Frikativ mit eindeutig sibilantischer Qualität realisiert. Abb. 58 Sibilantisches / s/ im absoluten Auslaut - Quelle: sde-po3-bm4.wav In der phonetischen Analyse konnte gezeigt werden, dass in allen analysierten Regionen eine klare Präferenz zur vollständigen Realisierung des Sibilanten im Auslaut vorherrscht. Diese Tendenz wird durch die perzeptive Analyse bestätigt: Die Auffälligkeitswerte des Sibilanten sind in dieser Position erwartungsgemäß gering. Von 126 Teilnehmern, die den Stimulus bewertet haben, bewertet ledig‐ lich eine Person aus der Region San Luis die Realisierung von / s/ als auffällig. Das entspricht einem Prozentsatz von 0,79 %. Geburtsprovinz Anzahl unauf‐ fällig auffällig on_focus %on_focus Buenos Aires 21 19 2 0 0,00 % Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 33 28 5 0 0,00 % Córdoba 29 20 9 0 0,00 % Santiago del Es‐ tero 6 5 1 0 0,00 % Total 89 72 17 0 0,00 % Tab. 29 Salienzwerte der sibilantischen Realisierung von / s/ im absoluten Auslaut (Fokus-Regionen) 320 8 Perzeptive Analyse <?page no="321"?> 52 Der Gesamtsatz lautete: „El día de mañana doce de mayo debieran haber sido las elec‐ ciones, pero en virtud de que no ha habido otra agrupación, por cuanto han considerado la matrícula de que tenemos que tener un segundo mandato […]”. Die Mehrzahl der Teilnehmer, die den Stimulus als auffällig erachten, gibt als Grund der Auffälligkeit die Verbalphrase debieran haber sido an. Diese Satzkon‐ struktion ist in der Tat etwas ungewöhnlich, grammatikalisch jedoch möglich, wenn auch die Korrektheit der Zeitenfolge für die Teilnehmer aufgrund des fragmentarischen Charakters des Satzes nicht überprüfbar war. 52 Wie in den anderen Abfragen wurde die Aufmerksamkeit der Befragten durch die Einlei‐ tung der Abfrage explizit auf die Aussprache gelenkt: Zunächst durch die Über‐ schrift (¿Cómo le parece la pronunciación? ) und sodann durch die Anweisungen zur Beantwortung der Frage (Por favor, mueva el marcador conforme a su opinión acerca de la pronunciación del enunciado). Der Malus einer möglichen Salienz der etwas ungewöhnlichen Konstruktion der Verbalphrase wurde zugunsten des Bonus der größtmöglichen Übereinstimmung des direkten phonetischen Um‐ felds von / s/ im Auslaut in Kauf genommen. Die Bewertung des Gesamtstimulus bewegt sich in einem Bereich, der auch bei anderen Stimuli zu beobachten war (23,26 %; 30 / 129), und auch bezüglich der Konstruktion lässt sich keine unge‐ wöhnliche Salienz beobachten. 23 der 129 Teilnehmer markierten einer der Silben der Verbalformen debieran haber sido, was einem Prozentsatz von 17,83 % entspricht, wobei eine Teilnehmerin auf eine besondere Korrektheit der Phrase hinweist („es una forma muy correcta de decirla y acá se dice de otra manera“ 3038_F_34_ CABA ). Die erwartungsgemäß niedrige Salienz des Sibilanten im Auslaut, wird daher nicht im besonderen Maße von dieser Konstruktion beein‐ flusst. 8. 6. 11.2 Aspiration von / s/ ( SAS 02) Der Stimulus der Abfrage SAS 02 después de las elecciones entstammt einem In‐ terview mit einer promovierten Politikwissenschaftlerin aus Córdoba (cor-vb), das zunächst von einem regionalen Fernsehsender ausgestrahlt und anschlie‐ ßend auf der Videoplattform YouTube veröffentlicht wurde (virtuamediacomar 2013). Das Satzfragment enthält vier Okkurrenzen des Sibilanten / s/ unter an‐ derem in präkonsonantischer, intervokalischer und auslautender Position, die allesamt aspiriert realisiert werden. Der Stimulus kann somit als eine Instanz der / s/ -Schwächung im Allgemeinen interpretiert werden. Im Folgenden werden zunächst nur die Ergebnisse der äußerungsschließenden Position vorgestellt; die Ergebnisse der übrigen Positionen werden sodann vergleichend hinzuge‐ zogen. 321 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="322"?> Abb. 59 Aspiration von / s/ im absoluten Auslaut - Quelle: cor-vb1.wav Zunächst ist die hohe Salienz des Gesamtstimulus hervorzuheben. Dieser wird von 80 der 126 Befragten (63,49 %) als insgesamt salient empfunden. Durch die nachgeschaltete grafische Markierung der Auffälligkeit wird deutlich, dass diese Auffälligkeit zu einem großen Teil durch allophone Realisierungsvarianten von / s/ erzeugt wird. Darunter die zu testende aspirierte Variante im Auslaut, auf die 23,81 % (30 / 126) der Nennungen fallen. Geburtsprovinz An‐ zahl unauf‐ fällig auf‐ fällig [h]1 <las_elec‐ ciones> [h]2 <elec‐ ciones_#> Buenos Aires 23 7 16 30,43 % (7 / 23) 21,74 % (5 / 23) Ciudad Autó‐ noma de Buenos Aires 34 10 24 17,65 % (6 / 34) 5,88 % (2 / 34) Córdoba 27 10 17 18,52 % (5 / 27) 29,63 % (8 / 27) Santiago del Es‐ tero 5 1 4 20,00 % (1 / 5) 60,00 % (3 / 5) Total 89 28 61 21,35 % 20,22 % Tab. 30 Salienzwerte der Aspiration von / s/ - Vergleich der intervokalischen und aus‐ lautenden Position (Fokus-Regionen) Mit Blick auf den Salienzwert der Aspiration sticht zunächst die Region Santiago del Estero - bei erneut kleiner Stichprobe - hervor. Drei der fünf Befragten markierten den auslautenden Sibilanten als auffällig. Tatsächlich ist das Er‐ 322 8 Perzeptive Analyse <?page no="323"?> gebnis noch eindeutiger, da ein vierter Proband aus dieser Region das grafische Markierungswerkzeug zwar auf den Vokal <e> gesetzt hat, seine Auswahl je‐ doch mit der perzipierten Schwächung von / s/ im Auslaut begründet: „No pro‐ nuncia la letra "s" en elecciones: dice ʻeleccioneʼ“ - 7412_M_34_ SADE ). Tat‐ sächlich empfinden also vier der fünf Befragten aus Santiago del Estero die Schwächung im Auslaut als auffällig. Diese ist für die Befragten somit salienter als / s/ -Schwächung in intervokalischer Position (las elecciones), die lediglich von einem Teilnehmer markiert wurde. Für die Befragten aus der Stadt Buenos Aires verhält es sich umgekehrt. Dort ist die Aspiration in intervokalischer Position (17,65 %; 6 / 34) interessanterweise deutlich salienter als die Schwächung am Äußerungsende (5,88 %; 2 / 34). Der tatsächliche Salienzwert dürfte dort sogar noch etwas höher liegen, berücksich‐ tigt man, dass weitere sechs Befragte, den auf die Aspiration folgenden vokali‐ schen Anlaut von (las) elecciones als auffällig empfinden. Möglicherweise liegt hier erneut eine Übertragung der Salienz der Aspiration von / s/ auf das durch die Aspiration interferierte Segment (hier: / e/ ) vor, wie sie bereits in Abfrage SVV 02 und im Falle des Teilnehmers aus Santiago del Estero (7412_M_34_ SADE - s. o.) belegt werden konnte. Der Befund der größeren Salienz der / s/ -Schwächung lässt sich durch die offene Texteingabe einer Teilnehmerin aus Buenos Aires weiter bestärken, die das auslautende / s/ vor dem Hintergrund der übrigen Instanzen der / s/ -Schwä‐ chung offenbar als nicht aspiriert wahrnimmt: „se escucha levemente como ‚despuejdelasjeelecciones‘“ (6055_F_43_ CABA ). Dass im Fragment después de lediglich der zweite Sibilant als aspiriert wahrgenommen wird, ist damit zu er‐ klären, dass der Intonationsgipfel der prosodischen Phrase genau auf diese Silbe fällt, wodurch die Aspiration prominenter wird. Der erste Sibilant bleibt vor diesem Hintergrund eher unauffällig, zumal die Aspiration in präkonsonanti‐ scher Position in Buenos Aires wie gezeigt die Regel ist. Der höhere Auffällig‐ keitswert der Aspiration in intervokalischer Position an den Wortgrenzen von las elecciones im Vergleich zum absoluten Auslaut lässt sich durch die für Buenos Aires beschriebene Stigmatisierung der / s/ -Schwächung in prävokalischen Kon‐ texten begründen (cf. Lipski 1994: 169). Mit Blick auf die Teilnehmer aus der Provinz Buenos Aires ist die intervokalische / s/ -Schwächung in diesem Stimulus mit einem Wert von 30,43 % (7 / 23) nahezu ebenso salient wie diejenige im ab‐ soluten Auslaut (27,74 %; 5 / 23). Hinsichtlich der Gewährspersonen aus Córdoba bestätigt sich erneut die vergleichsweise größere normative Durchlässigkeit der / s/ -Schwächung in prävokalischen Kontexten. Hier erscheint die intervo‐ kalische Aspiration mit 18,52 % (5 / 27) weniger salient als diejenige im absoluten Auslaut (29,63 %; 8 / 27). 323 8.6 Ergebnisse der perzeptiven Analyse <?page no="324"?> 53 Wie aus Kapitel 8. 6. 10.2 hervorgeht, ist die präkonsonantische Aspiration von dieser Wertung ausgenommen. 8. 6. 11.3 Die kontrastive Gegenüberstellung ( SAS k) Die Ergebnisse der kontrastiven Versuchsanordnung sind ebenso als grund‐ sätzliche Bewertung einer Instanz des / s/ -Erhalts gegenüber einer Instanz der / s/ -Schwächung zu interpretieren. Das Resultat ist eindeutig: Die aspirierte Variante wird klar in den regionalen Bereich und die häusliche Kommunikation verortet, für Kontexte größerer Formalität oder größerer kommunikativer Reichweite wird die Variante- unter den Befragten aller fokussierter Regionen - hingegen als weniger adäquat eingeschätzt. 53 Abb. 60 / s/ im absoluten Auslaut - kontrastive Gegenüberstellung 324 8 Perzeptive Analyse <?page no="325"?> 9 Fazit - Zur Existenz von Aussprachestandards in Argentinien Die phonetische und die perzeptive Analyse konnten einige Divergenzen hin‐ sichtlich des Sprachgebrauchs und der Sprachwahrnehmung in den Provinzen Buenos Aires, Córdoba und Santiago del Estero belegen. Einige davon waren in dieser Form erwartbar, andere sind hingegen überraschend. Die Daten ermög‐ lichen Rückschlüsse auf die Existenz von Aussprachestandards in Argentinien und bieten gleichzeitig einen regionenspezifischen Einblick in den aktuellen Sprachgebrauch von Modellsprechern in distanzsprachlichen Kommunikationssituationen. Als wichtigstes Ergebnis kann zunächst festgehalten werden, dass in den drei untersuchten Regionen kein einheitlicher Aussprachestandard anzusetzen ist: Zu divergierend sind die produktionsseitig beobachtbaren Aus‐ sprachetendenzen der Modellsprecher und zu unterschiedlich die Perzeptions‐ urteile durch weitere Mitglieder der jeweiligen Sprachgemeinschaften. Somit kann für das Spanische in Argentinien auch kein einheitlicher Aussprachestan‐ dard mit nationaler Gültigkeit angesetzt werden, der von Buenos Aires aus auf das Inland ausstrahlt. Die intraregionalen Übereinstimmungen der Modelspre‐ cher und der Umfrageteilnehmer stellen allerdings ein starkes Indiz für die Existenz von Aussprachestandards (mit je eigenen Charakteristika) für Buenos Aires und Córdoba dar. Hinsichtlich Santiago del Estero lässt sich dieser Befund auf Basis der vorliegenden Daten nicht wiederholen. Dort präsentiert sich ein eher diffuses Gesamtbild, das in Teilen auf eine Annäherung an die Standard‐ aussprache der Hauptstadt hindeutet, aufgrund der geringen Teilnehmerzahl jedoch nur als Indiz gewertet werden kann. In Stadt und Provinz Buenos Aires werden die untersuchten Phoneme / r/ , / s/ und / ʒ/ von den analysierten Modellsprechern mit großer Übereinstimmung realisiert. Gleichzeitig können die gebräuchlichen Varianten als perzeptiv unauffällig gelten, während ungebräuchliche Varianten - mit Aus‐ nahme des / s/ -Erhalts in präkonsonantischer Position - als eher salient wahr‐ genommen werden. Größere Schwankungen ließen sich auf den ersten Blick hinsichtlich des postalveolaren Frikativs / ʒ/ beobachten, die jedoch bei ge‐ nauerer Betrachtung auf eine größere Durchlässigkeit der Norm zurückgeführt werden können. Diese schreibt nicht die Realisierung einer speziellen allo‐ phonen Variante des Phonems / ʒ/ vor, sondern diejenige einer Variantenklasse: Als normgerecht können dort die Varianten des yeísmo rehilado gelten, also [ʒ] <?page no="326"?> 1 Zum Beispiel in Abfrage YVV02 (cf. Kapitel 8.6.7.2), in der die stimmhafte Variante in einem offenen Textkommentar als altertümlich beschrieben wurde: „esa pronunciación de la / LL/ esta quedando antigua.“ (8037_M_26_CABA) 2 Im absoluten Anlaut bleibt jedoch auch die palatale Variante unauffällig, was mutmaß‐ lich auf das in dieser Position erweiterte Varianteninventar zurückzuführen ist. und [ʃ], sowie im Anlaut zusätzlich die affrizierten Varianten [d͡ʒ] und [t͡ʃ]. Die Daten des unlängst erschienenen Buches von Melanie Würth (2019) sowie die Beobachtungen Rohena-Madrazos (2013) deuten darauf hin, dass sich die Normadäquatheit dieser Allophone in Zukunft ändern und die stimmhafte Va‐ riante zunehmend aus dem standardsprachlichen Bereich verdrängt werden könnte. In den hier vorliegenden Daten lassen sich zwar ebenfalls vereinzelte Indizien für diese Entwicklung finden, 1 allerdings können sowohl die stimm‐ haften als auch die stimmlosen Varianten als normgerecht bezeichnet werden. Die palatalen yeísmo-Varianten [j] bzw. [ʝ] sind hingegen niederfrequent und erreichen hohe Auffälligkeitswerte. Sie sind somit nicht Teil des standard‐ sprachlichen Inventars von Buenos Aires. 2 Interessant ist in diesem Zusam‐ menhang zudem, dass nahezu alle Varianten des yeísmo rehilado von einzelnen Gewährspersonen der perzeptiven Analyse als typische Varianten der Ober‐ schicht bezeichnet werden, was die Interpretation zusätzlich stützt, da der Aus‐ sprachestandard typischerweise von diesem Stratum ausstrahlt bzw. in diesem Stratum Gültigkeit erfährt. Dass die Varianten dennoch vereinzelt als salient und im genannten Sinne diasystematisch markiert wahrgenommen werden, mag an der empfundenen „beneidenswerten Korrektheit“ (Krefeld / Pustka 2010: 18) des Sprachgebrauchs umfassend standardkompetenter Mitglieder der Sprachgemeinschaft liegen. Die assibilierten Varianten von / r/ bzw. / R/ müssen ebenfalls aus dem standardsprachlichen Inventar Buenos Airesʼ ausgeschlossen werden. Sie sind produktionsseitig äußerst selten und wahrnehmungsseitig hoch salient. Mit Blick auf den Sibilanten / s/ bestätigen sich die Ergebnisse bis‐ heriger Studien: In intervokalischer Position ist die Aspiration dieses Lautes eindeutig salient und somit aus dem standardsprachlichen Bereich auszu‐ schließen, wohingegen die Aspiration in präkonsonantischer Position absolut normgerecht ist. Allerdings - und dies ist interessant - kommt der Aspiration dabei kein gleichermaßen identitätsstiftender, ‘ikonischer’ Status zu wie den Varianten des yeísmo rehilado. Dies lässt sich daraus ableiten, dass die konkur‐ rierende, sibilantische Variante trotz ihrer geringen Frequenz gleichermaßen als standardzugehörig zu identifizieren ist und sich die Aspiration auf einen ein‐ zigen phonotaktischen Kontext beschränkt. Für die Provinz Córdoba kann ebenfalls von der Existenz eines Aussprache‐ standards ausgegangen werden. Dieser weist mit demjenigen der Hauptstadt 326 9 Fazit - Zur Existenz von Aussprachestandards in Argentinien <?page no="327"?> 3 Ein Forschungsdesiderat für zukünftige Arbeiten bleibt die Untersuchung der Wahr‐ nehmung der graduell fortschreitenden / s/ -Schwächung bis hin zur kompletten Elision des Sibilanten. Unter Umständen werden den verschiedenen Abschwächungsstufen verschiedene Perzeptionsurteile entgegengebracht. große Schnittmengen auf, unterscheidet sich jedoch in zwei Punkten deutlich davon. Die vorliegenden Daten können dahingehend interpretiert werden, dass es sich um ein und dieselbe Standardlautung (A) mit zwei regionalen Ausprä‐ gungen (Aʼ und Aʼʼ) handelt. Die Ko-Existenz zweier normativer Zentren mit je eigenen Aussprachestandards lässt sich aus den vorliegenden Daten hingegen nicht ableiten. Auf welchen Beobachtungen beruhen diese Schlussfolgerungen konkret? Zunächst ist auf der einen Seite zwar festzuhalten, dass, mit Ausnahme von / ʒ/ , stets eine Übereinstimmung der dominanten Realisierungsvarianten der Modellsprecher beider Regionen vorliegt. Auf anderen Seite jedoch lassen sich auch statistische Unterschiede auf Perzeptions- und Produktionsebene nach‐ weisen. Dies betrifft vor allem / s/ in intervokalischer Position sowie / ʒ/ in in‐ tervokalischer Position sowie im absoluten Anlaut. So ist die Aspiration von / s/ in Córdoba häufiger zu beobachten und gleichzeitig deutlich weniger salient als in Buenos Aires, was damit zusammenhängen mag, dass die intervo‐ kalische / s/ -Schwächung in Córdoba weniger stigmatisiert und damit in der Standardlautung eher zulässig als in Buenos Aires. Die Norm in Córdoba weist gegenüber dieser Realisierungsvariante offenbar eine größere Durchlässigkeit auf, als dies in der der Hauptstadt der Fall ist. 3 Auf der anderen Seite ist sie jedoch deutlich restriktiver hinsichtlich der Realisierung des Phonems / ʒ/ . Der Laut‐ wandel der Entstimmung (/ ʒ/ > / ʃ/ ), der seinen Ursprung in der Hauptstadt hat und von dort aus ins Landesinnere ausstrahlt, ist in Córdoba deutlich weniger weit fortgeschritten als in Buenos Aires und wird zugleich als auffällig emp‐ funden. Auch wenn sich unter den Modellsprechern produktionsseitig verein‐ zelte Okkurrenzen von [ʃ] sowie der palatalen Varianten [j] und [ʝ] beobachten lassen, ist die stimmhafte Variante [ʒ] klar vorherrschend. Wahrnehmungsseitig kann einzig letztere Variante als unauffällig bezeichnet werden. Die Realisie‐ rungstendenzen von und die Perzeptionsurteile gegenüber / ʒ/ konstituieren somit eine weitere Divergenz zwischen den Ausprägungen des Aussprache‐ standards in Buenos Aires und Córdoba. Mit Blick auf Santiago del Estero sprechen die Daten - ganz im Gegensatz zu den anderen beiden Regionen - sowohl gegen die Existenz eines konsistenten regionalen Aussprachestandards als auch gegen die Gültigkeit eines regionen‐ übergreifenden Standards, der aus der Provinz Buenos Aires bis nach Santiago 327 9 Fazit - Zur Existenz von Aussprachestandards in Argentinien <?page no="328"?> 4 Aufgrund des geringen Umfangs der Stichprobe sind diese Ergebnisse als Indizien zu lesen, die zukünftiger Validierung oder Negierung bedürfen. ausstrahlt. 4 Allerdings ließen sich durchaus Hinweise darauf finden, dass sich dies in nicht allzu ferner Zukunft ändern könnte. Gegen die Existenz eines ei‐ genen Standards spricht, dass die in der Region dominanten Realisierungsvari‐ anten keineswegs in allen Fällen als unauffällig perzipiert werden (etwa die Schwächung von / s/ in präkonsonantischer Position oder die assibilierte Reali‐ sierung von / r/ ). Auf der anderen Seite werden jedoch auch in der Region wenig gebräuchliche Varianten nicht immer als salient empfunden. Als Beispiel kann der multiple Vibrant [r] angeführt werden, der in Santiago del Estero trotz seiner geringen Frequenz als eher unauffällig wahrgenommen wird. Die deutlichen interregionalen Unterschiede hinsichtlich der dominanten Realisierungsvari‐ anten und die hohen Salienzwerte der assibilierten Varianten [ɕ] und [ʑ] für / r/ bzw. / R/ unter den Probanden aus Buenos Aires und Córdoba stellen klare Indizien gegen die Existenz einer Regionen überspannenden Standardlautung dar. Somit ist auf Basis der vorliegenden Daten sowohl die Annahme einer kon‐ sistenten Normierung eines regionalen Aussprachestandards in Santiago del Estero als auch die Gültigkeit eines aus einer anderen Region ausstrahlenden Standards im Bereich der Aussprache zu negieren. Allerdings konnte die pho‐ netische Analyse Ergebnisse zu Tage fördern, die der traditionellen tradierten Beschreibung der Varietät dieser Provinz widersprechen und vor diesem Hin‐ tergrund von besonderem Interesse sind: Zum einen ist die Sibilantentreue, zu‐ mindest unter den analysierten Modellsprechern dieser Region, keinesfalls derart ausgeprägt, wie sie seit der Arbeit von Vidal de Battini (²1966) - und häufig bezugnehmend auf deren Daten - bis in die Gegenwart dargestellt wird. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit deuten hingegen eher darauf hin, dass aktuell ein Sprachwandel vonstattengeht und in distanzsprachlichen Kontexten bereits relativ weit fortgeschritten ist. Dieser besteht in einer größeren Tendenz zur Abschwächung des Sibilanten in präkonsonantischen Kontexten und ist somit - auch vor dem Hintergrund der eindeutigen Präferenz für den ent‐ stimmten yeísmo rehilado - als ein Hinweis auf eine zunehmende Annäherung an den Aussprachestandard Buenos Airesʼ zu lesen. Der entscheidende Hinweis besteht darin, dass alle Gewährspersonen in dieser Position vornehmlich eine aspirierte Variante von / s/ realisieren, gleichzeitig aber (mit Ausnahme des ʻAusreißersʼ) deutlich mehr sibilantische Realisierungen aufweisen als die Mo‐ dellsprecher der übrigen Regionen. Dies kann so interpretiert werden, dass ihre Aussprache zwar noch von der traditionellen Sibilantentreue geprägt ist, sich jedoch in zunehmendem Maße davon entfernt. Das zweite überraschende 328 9 Fazit - Zur Existenz von Aussprachestandards in Argentinien <?page no="329"?> 5 Z. B.: sde-bm: mayo [maʃo], fallo [faʃo]; sde-msdz: ellos [eʃɔs], vaya [baʃa]; sde-rp: allá [aʃa], mayor [maʃɔɾ], sde-po: apoyo [apɔʃo]; orgullo [oɾɣuʃo]; sde-gr: Cuyo [kuʃo], se llame [seʃame]; sde-ep: ellos [eʃɔs], haya [aʃa]. Faktum betrifft das Realisierungsergebnis des yeísmo in Santiago del Estero: Wie in Kapitel 7.4.2 ausgeführt, wird die Region klassischerweise, aber auch in jün‐ gerer Zeit, als eine Provinz beschrieben, in der ein rehilamiento ohne yeísmo zu beobachten sei. In diesem Sinne bliebe die aus dem kastilischen stammende Op‐ position zwischen / ʎ/ : / ʝ/ in modifizierter Form aufrechterhalten, nämlich als / ʒ/ : / ʝ/ , wobei der Digraph <ll> i. d. R. mit dem stimmhaften Frikativ / ʒ/ und das Graphem <y> mit palatalem / ʝ/ korreliert. Die im Zuge der phonetischen Analyse erhobenen Daten stützen indes die Mutmaßung von Colantoni und Hualde (2013: 22), die trotz expliziert prekärer Datenlage auf eine mögliche Ver‐ schmelzung der beiden Phoneme hinweisen. Im Rahmen der phonetischen Ana‐ lyse konnten tatsächlich für alle untersuchten Gewährspersonen aus Santiago del Estero Okkurrenzen von / ʒ/ sowohl als Realisierung von <ll> als auch von <y> nachgewiesen werden. 5 Die Ergebnisse sind somit ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Opposition dephonologisiert wird und dass dieser Prozess im intendierten Standard gebildeter Sprecher bereits weit fortgeschritten ist. Über‐ raschenderweise und erneut entgegen der traditionellen Darstellung findet diese Neutralisierung allerdings nicht zugunsten des stimmhaften postalveo‐ laren Frikativ / ʒ/ , sondern zugunsten des stimmlosen Pendants / ʃ/ statt. Ein Grund dafür könnte der von der Hauptstadt ausstrahlende Prozess der Entstim‐ mung von / ʒ/ sein; höchstwahrscheinlich begünstigt jedoch auch die weite Ver‐ breitung des assibilierten Vibranten in der Region diese Entwicklung zusätzlich (cf. Kapitel 7.3.5 & 7.4.2). Insgesamt scheint sich in der intendierten Standard‐ verwendung in Santiago del Estero ein Prozess der Annäherung an den Aus‐ sprachestandard Buenos Airesʼ zu vollziehen, der jedoch noch nicht abge‐ schlossen ist. Wenn also die vollkommene Gleichsetzung des Spanisch in Argentinien mit dem Spanisch von Buenos Aires eine - nur allzu oft zu beobachtende - Verein‐ fachung darstellt, so bestätigt sich der Slogan „Buenos Aires - en todo estás vos“ (cf. Kapitel 1) mit Blick auf die im Zuge dieser Untersuchung erhobenen Daten dann doch wieder. So muss die Annahme eines einheitlichen, von Buenos Aires ausstrahlenden Aussprachestandard für die drei analysierten Regionen auf der einen Seite zwar zurückgewiesen werden, auf der anderen beeinflussen deren standardsprachliche Normen die Aussprache der untersuchten Modellsprecher aller Regionen nachweislich. Im Falle von Santiago del Estero deuten die Daten - sowohl hinsichtlich der offenbar zunehmenden Tendenz zur Abschwächung des Sibilanten / s/ als auch mit Blick auf die Präferenz zur Realisierung des stimm‐ 329 9 Fazit - Zur Existenz von Aussprachestandards in Argentinien <?page no="330"?> losen postalveolaren Frikativs [ʃ] - auf eine fortschreitende Annäherung der regionalen Standardaussprache an die Normen der Hauptstadt. In Córdoba ist letztere Variante zwar wenig verbreitet, allerdings wird deren stimmhaftes Pen‐ dant [ʒ] eindeutig den palatalen Varianten vorgezogen, die in der Region noch lange Zeit dominierten. In diesem Sinne ist die Hauptstadt tatsächlich in den Realisierungstendenzen aller Modellsprecher präsent, ohne dass ihre Normen in allen Regionen gleichermaßen Gültigkeit erführen. 330 9 Fazit - Zur Existenz von Aussprachestandards in Argentinien <?page no="331"?> 10 Epilog - Zur Bedeutung von aktuellen Sprachdaten und Perzeptionsabfragen in Forschungen zur Plurizentrik Neben der Analyse spezifischer Aspekte des Spanischen in Argentinien, wurden im einleitenden Theorieteil einige fundamentale Konzepte diskutiert und vor dem Hintergrund des perzeptiv-empirischen Analysezugangs auf den Prüfstand gestellt. Im Zentrum stehen dabei die Konzepte der sprachlichen Norm, des sprachlichen Standards und der Plurizentrik, die als zusammenhängend zu ver‐ stehen sind und sich gegenseitig bedingen (cf. insb. Kapitel 3.1.3, 3.2 und 4). Es wurde dafür plädiert, über die Synthese bereits erprobter Ansätze in der Analyse interindividueller und sozialer Kommunikation (v. a.: dynamische Sprache, Communication-Accommodation-Theory, Second-Level-Pluricentricity) zu einem Verständnis von sprachlichen Standards zu gelangen, das die komplexen Dynamiken von kommunikativer Interaktion aber auch von Normierungsprozessen besser berücksichtigt. Dieser Ansatz kann insbesondere für die Unter‐ suchung plurizentrischer Sprachkonstellationen äußerst gewinnbringend sein. Denn zur Eruierung der beteiligten Standardvarietäten und zur Auslotung ihres Verhältnisses innerhalb der Architektur der Gesamtsprache ist es unbedingt er‐ forderlich, den sprachlichen Standard nicht als statisches Konstrukt und das ausschließliche Produkt sprachpolitischer und sprachplanerischer Maßnahmen zu begreifen, sondern als das Ergebnis multifaktorieller, dynamischer Prozesse. Es wurde gezeigt, dass - neben regulativen und regulierenden Maßnahmen, die durch sprachplanerische Institutionen und über den Bildungsapparat Verbrei‐ tung finden - die direkte und indirekte Interaktion der Mitglieder der Sprach‐ gemeinschaft für die Herausbildung und Ausgestaltung des standardsprachli‐ chen Normengefüges von entscheidender Bedeutung sind. Dies gilt grundsätzlich für alle Bereiche der Sprache, wird aber in besonderem Maße dort offenbar, wo der Sprachgebrauch nicht oder weniger stark reguliert wird. So konnte in der vorliegenden Untersuchung des Spanisch in Argentinien gezeigt werden, dass die Aussprache in distanzsprachlichen Kommunikationssituati‐ onen durch reziproke Erwartungskonstellationen der Gemeinschaftsmitglieder regiert wird, die auf die Existenz standardsprachlicher Normen hindeuten. Dabei bleibt unbestritten, dass den in Kodizes fixierten offizialisierten Regel- und Va‐ rianteninventare eine besondere normative Kraft zukommt. <?page no="332"?> 1 Cf. die ausführliche Argumentation in Kapitel 3.1. Mit Blick auf das standardsprachliche Normengefüge lassen sich bei ge‐ nauerer Betrachtung zwei adversativ verlaufende Richtungen der Standardisie‐ rung feststellen. Auf der einen Seite die Standardisierung von unten nach oben („bottom-up“), bei der sich sprachliche Formen durch Akkommodations- und Synchronisierungsprozesse in der Sprechergemeinschaft verbreiten, bis sie schließlich (sofern sie ausreichende Reichweite und Akzeptanz erfahren) als standardsprachlich gelten können. Und auf der anderen Seite die Standardisie‐ rung von oben nach unten („top-down“), bei der sprachliche Formen durch po‐ litische Entscheidungsträger bzw. ermächtigte oder gebilligte Kodifizierer als standardsprachlich definiert werden. Ihre Implementierung (Haugen 1987) in der Sprechergemeinschaft erfolgt sodann durch präskriptiv konzipierte Kodizes und den Bildungsapparat (cf. Kapitel 3.3). Obwohl beide Standardisierungswege in jeweils entgegengesetzter Richtung verlaufen, so weisen sie dennoch Inter‐ dependenzen auf: Auf der einen Seite haben neu zu kodifizierende sprachliche Varianten im Falle der Top-Down-Kodifizierung häufig bereits zuvor durch dy‐ namische Interaktionsprozesse eine ausreichend große Verbreitung und Ak‐ zeptanz innerhalb der Sprachgemeinschaft erreicht, um für die distanzsprach‐ liche Kommunikationssituation als geeignet zu erscheinen (cf. Kapitel 3.2.2). Des Weiteren ist der historische, top-down initiierte Standardisierungsprozess Voraussetzung für die Bildung einer supradialektalen Sprechergemeinschaft und für die Etablierung einer standardsprachlichen Kultur, innerhalb derer sich die Merkmale und Funktionen der Standardvarietät als gewinnbringend und erstrebenswert etablieren. Auf der anderen Seite sind die bottom-up Dynamiken nicht ausschließlich durch reziproke Akkomodationsmechanismen in Instanzen interindividueller Kommunikation bestimmt; sie geschehen auch immer vor dem Hintergrund gültiger Kodizes und dem Sprachhandeln von Sprachautori‐ täten, die sich ihrerseits an den normativen Regelwerken orientieren. Aufgrund der Komplexität der beschriebenen Prozesse und des adversativen Charakters der Standardisierungswege erscheint es gewinnbringend, ja vielleicht sogar notwendig, auf terminologischer Ebene, von einer klassischen Dichotomie der (hispanistischen) Linguistik abzurücken: der Unterscheidung zwischen deskrip‐ tiven und präskriptiven Normen. Diese verstellt nicht nur den Blick auf die Komplexität und Dynamik des standardsprachlichen Normgefüges, sondern sie eröffnet auch einen irreführenden Gegensatz, der nicht mit der tatsächlichen Funktionsweise von Normen in Gesellschaften in Einklang zu bringen ist. Normen sind, insofern sie Gültigkeit erfahren, stets präskriptiv und zwar un‐ abhängig von der Art ihrer Entstehung bzw. Setzung. 1 Die Unterscheidung zwi‐ 332 10 Epilog - Empirische Daten und Perzeptionsabfragen in Forschungen zur Plurizentrik <?page no="333"?> schen Deskription und Präskription kann dennoch sinnvoll sein, allerdings nur dann, wenn es darum geht, die Konzeption sprachlicher Kodizes voneinander abzugrenzen. Denn diese können in der Tat beschreibend oder vorschreibend konzipiert sein, und zwar in dem Sinne, als dass sie entweder den üblichen Sprachgebrauch erfassen oder aber das sprachliche Verhalten steuern sollen. Die sprachlichen Normen selbst sind, jedoch auch in denjenigen Fällen, in denen der Sprachgebrauch lediglich beschrieben wird, stets als präskriptiv zu bezeichnen. Denn sie leiten das sprachliche Handeln der Sprechergemeinschaft an und führen durch diese gleichschaltende Funktion erst dazu, dass das Sprachhandeln als charakteristisch für diese Gemeinschaft beschrieben werden kann. Diver‐ genzen in der Idiosynkrasie der Sprecher, pragmatische Strategien, Normen‐ konflikte und nicht zuletzt die Zugehörigkeit der Sprecher zu verschiedenen Netzwerken mit z. T. divergenten Normenkonstellationen führen dazu, dass der wesenhaft präskriptive Charakter von Normen dennoch keinesfalls zu sprach‐ licher Homogenität führt. Die Dichotomie deskriptive vs. präskriptive Normen führt jedoch nicht nur zu einer Vergrößerung der ohnehin schon bestehenden Probleme der termino‐ logisch exakten Abgrenzung verwandter Normenkonzepte und ihrer Klassifi‐ kation, sie erschwert zudem die realistische Beschreibung plurizentrischer Sprachkonstellationen. Denn wird die Zweiteilung akzeptiert, so ist die Frage, welche Regel- und Variantenbündel dem Bereich der Deskription und welche dem Bereich der Präskription zuzuordnen sind, eine rein sprachpolitische, die durch (häufig staatlich ermächtigte) Normautoritäten beantwortet wird. Die Deutungshoheit über die Sprache wird also exklusiv in die Hände der sprach‐ normierenden Akteure und Institutionen verlagert, die über Wissen, Ermächti‐ gung, Werkzeuge und Infrastruktur verfügen, sprachnormative Kodizes zu er‐ stellen und über ihre präskriptive bzw. deskriptive Ausrichtung zu entscheiden. Dabei spielen neben sprachplanerischen Überlegungen nicht selten politische und ökonomische Aspekte eine Rolle (cf. Kapitel 4.2). Wie lassen sich die genannten Probleme nun auflösen? Bei allen Problemen des Gegensatzes zwischen präskriptiven und deskriptiven Normen, vermittelt dieser dennoch einen durchaus wahren Kern: Nämlich, dass im Normengefüge Hierarchien bestehen (cf. Lara 2004). Wenn Normen etwa in Regelwerken fixiert sind, werden sie institutionalisiert und etwa im Bildungskontext mit einem Evaluationsbzw. Sanktionierungssystem verknüpft. Der normative Druck auf die Mitglieder der Sprechergemeinschaft, sprachlich konform zu agieren, wird somit für bestimmte Situationen erhöht. Dies bedeutet indes nicht, dass sie we‐ senshaft anders funktionieren, als andere Normen, die sich in der Gesellschaft verbreitet haben, ohne in Regelwerke oder Kodizes fixiert worden zu sein. Sie 333 10 Epilog - Empirische Daten und Perzeptionsabfragen in Forschungen zur Plurizentrik <?page no="334"?> nehmen lediglich in ihrem Geltungsbereich eine relativ erhöhte Stellung ge‐ genüber anderen Normen ein, die nicht institutionell verstärkt werden. Dies jedoch geschieht nicht allein durch Kodifizierung und Sanktionierung, sondern ist immer noch abhängig von der Akzeptanz der übrigen Mitglieder der Sprach‐ gemeinschaft. Um den beiden skizzierten Wegen der Standardisierung Rech‐ nung zu tragen, ohne dabei den Blick auf das Normengefüge zu verzerren bietet es sich an, zwischen expliziten und impliziten Normen zu unterscheiden, wie es (ebenfalls explizit oder implizit) bereits verschiedentlich vorgeschlagen wurde (u. a. Stewart 1968, Gallardo 1978, Weinrich 2 1988, Lara 2004, Amorós Negre 2015). Es obliegt der Sprachwissenschaft sich durch die Erhebung aktueller Sprachdaten und die Abfrage perzeptiver Evaluationsurteile der Sprecherge‐ meinschaft den tatsächlich gültigen und stets präskriptiv wirksamen Normen‐ konstellationen anzunähern. Diese Ergebnisse sollten sodann im Zuge regel‐ mäßiger Aktualisierungen der Kodizes (seien diese präskriptiv oder deskriptiv orientiert) berücksichtigt werden. Diese differenzierte Unterscheidung mag auf den ersten Blick spitzfindig er‐ scheinen, sie ist allerdings insbesondere im Kontext plurizentrischer Sprach‐ konstellationen von außerordentlicher Bedeutung. Denn bleiben bei deren Be‐ schreibung empirische Untersuchungen und damit implizit gültige Normen ausgeklammert, so führt dies nicht selten dazu, dass (z. T. ehemals bestehende) Asymmetrien politischer oder ökonomischen Macht oder der demografischen Verteilung der Sprechergemeinschaft auf sprachlicher Ebene aktualisiert bzw. wiederbelebt werden, obwohl sich dies nicht durch den tatsächlichen Sprach‐ gebrauch begründen lässt. Dies ist insbesondere in Sprachgemeinschaften der Fall, bei denen der Zugang zu sprachnormierender Infrastruktur (kodifizierende Institutionen, Verlagswesen etc.) asymmetrisch verteilt ist. Ein Beispiel hierfür ist das Spanische: Die bis heute währende Dominanz der Real Academia Espa‐ ñola erklärt sich im Grunde aus den in der Kolonialgeschichte begründeten Asymmetrien zwischen Spanien und den Ländern Hispanoamerikas. Sie begann erst ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu bröckeln und wird nun auch durch die offiziellen Akademie-Veröffentlichungen des 21. Jahrhunderts nach und nach aktiv abgebaut. Tatsächlich hatten sich aber im Sprachgebrauch in den einzelnen Ländern bereits deutlich früher eigene distanzsprachliche Regel‐ formen herausgebildet, die jedoch lange Zeit in den offiziellen Kodizes unbe‐ rücksichtigt blieben oder aktiv zurückgedrängt wurden. Die Folge waren ekla‐ tante Normenkonflikte zwischen explizit und implizit gültigen standardsprachlichen Normen und mit der fehlenden Akzeptanz der Sprachau‐ toritäten einhergehende Problematiken innerhalb der Sprechergemeinschaft, 334 10 Epilog - Empirische Daten und Perzeptionsabfragen in Forschungen zur Plurizentrik <?page no="335"?> die von sprachlicher Unsicherheit bis hin zu sprachlichen Minderwertigkeits‐ gefühlen führten (cf. das Beispiel Argentinien in Kapitel 5.3). Die Asymmetrien plurizentrischer Sprachkonstellationen wurden relativ früh erkannt. Bereits Michael Clyne (1992c) unterscheidet in seinem den For‐ schungsbereich nachhaltig prägenden Sammelband zwischen dominanten und anderen Varietäten und zählt Gründe für ihre Entstehung auf. Die empirische Untersuchung der beteiligten Sprachnormkonstellationen wurde jedoch erst und zuvorderst durch die Forschergemeinschaft zu den nicht-dominanten Va‐ rietäten plurizentrischer Sprachen um den Österreicher Rudolf Muhr ( WGNDV ; Muhr 2005b, Muhr 2012b, Muhr 2013b, Muhr 2016, Muhr / Marley 2015a, Muhr / Meisnitzer 2018, Muhr / Thomas 2020) vorangetrieben. Allerdings bedarf es einer Vielzahl weiterer empirischer Studien, die in verschiedenen Aus‐ schnitten gegebener Sprachgemeinschaft Sprachproduktion und -perzeption untersuchen. Die vorliegende Arbeit versteht sich als bescheidener Beitrag ganz in diesem Geiste. 335 10 Epilog - Empirische Daten und Perzeptionsabfragen in Forschungen zur Plurizentrik <?page no="337"?> Bibliografie Academia Argentina de Letras (AAL) (Hrsg.) 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Vizekönigreich Río de la Plata 183, 187, 190, 196 Argerich, Juan Antonio 171 Aristoteles 44, 84 Auer, Peter 95, 133 Australien 132 Ayolas, Juan de 192 Bally, Charles 19 Bartolomé, Miguel A. 197 Bartsch, Renate 76 Bayardo, Rubens 11 Bello, Andrés 154 Berruto, Gaetano 44, 56 Bicchieri, Cristina 66, 68 Bierbach, Mechthild 160, 177 Bloomfield, Leonard 23 Bolivien 195 Potosí 182f., 189, 193f. Borges, Jorge Luis 173 Boyd-Bowman, Peter 149, 192 Brasilien 79, 183, 201 Brown, Josh 100, 125 Bühler, Karl 32 Canfield, Lincoln 203 Caparrós, Martín 181 Capdevila, Arturo 170, 207 Castro, Américo 174 Catalán, Diego 158 Catford, John Cunninson 24 Chile 191, 194f., 220 Cichon, Peter 186 Clyne, Michael 85, 129-132, 138, 160, 335 Colantoni, Laura 211, 236, 241, 244, 329 Coloma, Germán 143, 206 Coseriu, Eugenio 32ff., 36ff., 43, 50f., 53, 82, 141 CPCESE 272 de Courtenay, Baudouin 23 Demonte, Violeta 90 Demósthenes 60 de Saussure, Ferdinand 19, 21f. Deutsche Demokratische Republik 134 Deutschland 74, 133, 136, 138, 140 de Weinberg, Fontanella 208 Donni de Mirande, Nélida Esther 12, 203, 206, 208f., 220, 222, 224, 244 Dufriche-Desgenettes, Antoni 23 Echeverría, Esteban 167f. Ecuador 202 England 115 Ennis, Juan Antonio 172 Erzbischof Raimund von Toledo 144 Ferdinand III., König von Kastilien und Leon 144 Ferguson, Charles Albert 45 Fernández, Alberto Ángel 184 Fernández, Joseph A. 30 Flydal, Leiv 50 Fontanella de Weinberg, María Beatriz 13f., 173, 175, 177, 198, 209, 224 Friera, Silvina 164 Fuentes, Gregorio 188 Gallardo, Andrés 97, 175 Garay, Juan de 192 Garvin, Paul L. 92 Giles, Howard 111, 115 Gloy, Klaus 60 Granda, Germán de 147 Grass, Günther 95 379 Register <?page no="380"?> Greußlich, Sebastian 165 Groussac, Paul 170 Gutiérrez, Juan María 167 Hartung, Wolfdietrich 62, 77 Haspelmath, Martin 49f., 57 Haugen, Einar 85, 89 Havránek, Bohuslav 22 Hernández Muñoz, Natividad 98, 163 Herrgen, Joachim 43, 111f., 115, 119 Hjelmslev, Louis 33, 36 Hualde, José Ignacio 211, 241, 244, 329 Indien 132 Infantin Isabella von Spanien 172 Instituto Cervantes 135, 143, 164f. Interis, Matthew 60f. Irland 133 Italien 197f., 244 Neapel 199 Pisa 199 Südtirol 133 Venedig 199 Jakobson, Roman Ossipowitsch 22, 49, 214 Jugoslawien 134 kA_ 288 Kanada 133 Kelsen, Hans 63 Kloss, Heinz 85, 89, 129f., 162 Koch, Peter 51, 53ff. Kolumbien Bogotá 135 Kolumbus, Christopher 146 Krech, Eva Maria 110 Krefeld, Thomas 56, 91, 245 Krusezewski, Mikołai 23 Kuba 228 Kubarth, Hugo 29, 203, 206 Labov, William 37-41, 43, 129, 214 Lameli, Alfred 87, 139 Langa Pizarro, Mar 191 Lara, Luis Fernando 76f., 82, 85f., 135, 137f., 161, 163 Lebsanft, Franz 109, 165 Lewis, Daniel K. 191 Liechtenstein 133 Lipski, John M. 148, 203 Llull, Gabriela 101 Lope Blanch, Juan Manuel 158ff. López García, María 80f. Lotz, John 33, 36 Luxemburg 133 Machain Lafuente, Ricardo de 192 Malanca de Rodríguez Rojas, Alicia 187f., 199 Malta 132 Mansilla, Lucio Victor 169 Mathiot, Madeleine 92 Medina, Alberto 63 Méndez García de Paredes, Elena 114, 163 Mendoza, Pedro de 191f. Menéndez Pidal, Ramón 148, 192, 195 Mexiko 135, 161, 164, 169 Mexiko-Stadt 135 Universidad Nacional Autónoma de México 164, 208 Vizekönigreich Mexiko 148 Miguel, María Esther de 175 Milroy, James 86, 91f., 101 Milroy, Lesley 86 Muhr, Rudolf 80, 85, 130, 132, 134, 139, 335 Namibia 133 Narvaja de Arnoux, Elvira 84, 92 Nebrija, Antonio de 146 380 Register <?page no="381"?> Neuseeland 132 Núñez de Prado, Pedro 194 Obligado, Rafael 171 Oesterreicher, Wulf 13, 51, 53-56, 158, 160, 177 Österreich 133, 138, 140 Paraguay 244 Asunción 192, 194 Pendle, George 182 Peru 149, 187, 195 Alto Perú 183, 189 Audiencia de Lima 195 Lima 149, 183, 195 Vizekönigreich Peru 148, 183, 191, 193, 195f. Pinardi, Carolina 101 Platon 84 Plinius der Jüngere 60 Purschke, Christoph 105 Quesada, Ernesto 170 Quilis, Antonio 30 Rafat, Yasaman 236 Río de la Plata 12, 81, 135, 138, 143, 154, 169, 182, 187, 190-193, 195f., 198 Rivarola, José Luis 82 Rocas, Alejo Julio Argentino 184 Rohena-Madrazo, Marcos 153, 208, 213, 326 Rojas, Elena M. 203, 219 Rojas, Ricardo 170 Rojinsky, David 146 Rosas, Juan Manuel 196 Rosenberg, Katharina 78 Rosenblat, Ángel 240 Rumänien 133 Sankoff, David 37 Sarmiento, Domingo Faustino 153, 167, 184-190 Sastre, Marcos 167 Saussure, Ferdinand de 19-23, 32f., 37, 112, 114 Schleicher, August 19 Schmidel, Ulrich 191 Schmidt, Jürgen Erich 43, 111f., 115, 119 Schottland 133 Schweiz 45, 133, 140 Searle, John R. 64 Sechehaye, Albert 19 Singapur 132 Sinner, Carsten 124 Slomka, Marietta 95 Solé, Carlos 81 Spanien 46, 79f., 135, 143ff., 147, 149-155, 158, 162, 166ff., 171, 178, 182f., 191ff., 196, 207, 334 Almería 191 Andalusien 34f., 46f., 114, 141ff., 145, 147ff., 191f., 195, 220 Asturien 144 Barcelona 135, 162 Cádiz 191 Galizien 144 Kastilien 144f., 149f., 192f., 195, 207 La Rioja 195f. León 144, 195 Madrid 135, 159, 162, 220 Navarra 196 Sevilla 145, 147, 192 Toledo 144f. Universidad de Salamanca 164 Spiekermann, Helmut 87, 104 Sprachakademien Academia Argentina de Ciencias y Letras 155, 171 Academia Argentina de la Lengua 172 Academia Argentina de Letras 14, 81, 381 Register <?page no="382"?> 155, 172, 176, 182 Academia Colombiana de la Lengua 155 Academia Nacional de Letras de Uruguay 155 Asociación de Academias de la Lengua Española 158, 160, 162f. Real Academia Española 59, 63, 79, 81, 85, 109, 135, 151, 154f., 157, 159f., 162ff., 167, 170-178, 316, 334 Stewart, William A. 128ff., 134, 137, 175 Südafrika 132 Supisiche, Patricia 206 Takahashi, Hideaki 62 Terrell, Tracy D. 220, 222 Tévez, Aldo Leopoldo 205 Thompson, Robert W. 13 Trnka, Bohumil 22 Trubetzkoy, Nikolai Sergejewitsch 22-26, 29-33, 40, 42, 49 Trudgill, Peter 102 Tullio, Angela di 164 Uriburu, José Félix 172, 188f. Uruguay 12, 207 USA 79, 133, 197f. Valle, José del 84, 92, 164 Vallentin, Rita 78 Vandermeeren, Sonja 98 Vanuatu 132 Vargas Llosa, Mario 243 Vidal de Battini, Berta Elena 14, 189, 191, 193, 200ff., 206f., 209, 221, 223, 312 Viramonte de Avalos, Magdalena 206, 236 Wales 115f. Weinrich, Harald 37, 60, 82 Wiegand, Herbert Ernst 82 Würth, Melanie 326 Yrigoyen, Hipólito 188 Zamora Salamanca, Francisco José 83 382 Register <?page no="383"?> Abkürzungsverzeichnis AAL Academia Argentina de Letras ASALE Asociación de Academias de la Lengua Española BSAS Buenos Aires CABA Ciudad Autónoma de Buenos Aires CAT Communication Accommodation Theory CATA Catamarca CELU Certificado de Español: Lengua y Uso CEN Comité Européen de Normalisation CHUB Chubut CONICET Consejo Nacional de Investigaciones Científicas y Técnica CORD Córdoba CPCESE Consejo Profesional de Ciencias Económicas de Santiago del Es‐ tero DIN Deutsches Institut für Normung ELE Español como Lengua Extranjera ELSE Español como Lengua Segunda y Extranjera ENRI Entre Ríos GND Gemeinsame Normdatei ISO International Organization for Standardization kA_ keine Angabe MISI Misiones NGLE Nueva Gramática de la Lengua Española RAE Real Academia Española RINE Río Negro SADE Santiago del Estero SAFE Santa Fe <?page no="384"?> SALT Salta SIELE Servicio Internacional de Evaluación de la Lengua Española TUCU Tucumán UBA Universidad de Buenos Aires WGNDV Working Group on Non-Dominant Varieties of Pluricentric Languages 384 Abkürzungsverzeichnis <?page no="385"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Das Sprachzeichen nach Saussure (Bally / Sechehaye 3 2001: 136) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Abb. 2 Die Varietätenkette nach Koch / Oesterreicher ( 2 2011: 17) . 53 Abb. 3 Das Sternmodell Krefelds (2011: 106) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Abb. 4 Figur-Grund-Wahrnehmung nach Tischler (2015: 9) . . . . . 70 Abb. 5 „Flight of Steps“ (Penrose / Penrose 1958: 32) . . . . . . . . . . . . 71 Abb. 6 Soziales Kräftefeld einer Standardvarietät nach (Ammon 2004: 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Abb. 7 Politische Karte Argentiniens (Hogweard 2015) . . . . . . . . . 180 Abb. 8 Datenmaterial der phonetischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . 217 Abb. 9 Aufschlüsselung der Tokenanzahl je Region . . . . . . . . . . . . 219 Abb. 10 / s/ in intervokalischer Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Abb. 11 / s/ in präkonsonantischer Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Abb. 12 / s/ im absoluten Auslaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Abb. 13 / s/ in präkonsonantischer Position (Santiago del Estero) . . 227 Abb. 14 / R/ im absoluten Anlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Abb. 15 / R/ im absoluten Anlaut (Santiago del Estero) . . . . . . . . . . . 231 Abb. 16 / R/ im intervokalischen Wortanlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Abb. 17 / R/ im intervokalischen Wortanlaut (Santiago del Estero) . 233 Abb. 18 / R/ im postkonsonantischen Wortanlaut . . . . . . . . . . . . . . . 234 Abb. 19 / r/ in intervokalischer Position im Wortinnern . . . . . . . . . . 235 Abb. 20 / ʒ/ im absoluten Anlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Abb. 21 / ʒ/ in intervokalischer Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Abb. 22 / ʒ/ im postkonsonantischen Wortanlaut . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Abb. 23 Perzeptive Befragung - Anordnung der Frageblöcke . . . . . 252 Abb. 24 Interne Urnenstruktur / ʒ/ im absoluten Anlaut . . . . . . . . . 253 Abb. 25 Fragebogenaufbau - Abfrage mittels Schieberegler . . . . . . 255 Abb. 26 Fragebogenaufbau - grafische Positionierung auf <rr> . . . 256 Abb. 27 Fragebogenaufbau - Multiple-Choice-Frage . . . . . . . . . . . . 257 Abb. 28 Fragebogenaufbau - grafische Positionierung (Ausschnitt) 258 Abb. 29 Fragebogenaufbau - kontrastive Abfrage . . . . . . . . . . . . . . 259 Abb. 30 Frage RAO02 - assibilierter Vibrant [ɕ] - Quelldatei: sde-po2.wav (ungekürzt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 <?page no="386"?> Abb. 31 Frage RAO02 - assibilierter Vibrant [ɕ] - Quelldatei: sde-po2.wav (gekürzt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Abb. 32 Frage RVV02 - assibilierter Vibrant [ʑ] - Quelldatei: sde-rp2.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Abb. 33 Der Trill [r] im Anlaut - Quelldatei: sde-bm1.wav . . . . . . . 270 Abb. 34 Der assibilierte Vibrant [ɕ] im Anlaut - Quelldatei: sde-po2.wav (gekürzt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Abb. 35 / R/ im absoluten Anlaut - kontrastive Gegenüberstellung 274 Abb. 36 Der Trill [r] in intervokalischer Position - Quelldatei: sde-bm1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Abb. 37 Der assibilierte Vibrant [ʑ] in wortinterner intervokalischer Position - Quelldatei: sde-po6-bm7.wav . 278 Abb. 38 / r/ in wortinterner intervokalischer Position - kontrastive Gegenüberstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Abb. 39 Der Trill [r] im intervokalischen Wortanlaut - Quelldatei: bsas-ec1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Abb. 40 Der assibilierte Vibrant [ʑ] im intervokalischen Wortanlaut - Quelldatei: sde-rp2.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Abb. 41 / R/ im intervokalischen Wortanlaut - kontrastive Gegenüberstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Abb. 42 Der Frikativ [ʃ] im Anlaut (šeísmo) - Quelldatei: bsas-vf1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Abb. 43 Die Affrikate [t͡ʃ] (šeísmo) im Anlaut - Quelldatei: bsas-ec1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Abb. 44 Der Frikativ [ʒ] (žeísmo) im Anlaut - Quelldatei: cor-dls1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Abb. 45 Die Affrikate [d͡ʒ] (žeísmo) im Anlaut - Quelldatei: bsas-cg1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Abb. 46 Der Approximant [j] (yeísmo) im Anlaut - Quelldatei: sde-po2-bm3-rp5.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Abb. 47 / ʒ/ im absoluten Anlaut - kontrastive Gegenüberstellung 296 Abb. 48 Der Frikativ [ʃ] (šeísmo) in intervokalischer Position - Quelldatei: bsas-eo1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Abb. 49 Der Frikativ [ʒ̥] (žeísmo) in intervokalischer Position - Quelldatei: cor-dls1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Abb. 50 Der palatale Frikativ [ʝ] (yeísmo) in intervokalischer Position - Quelldatei: cor-dls1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Abb. 51 / ʒ/ in intervokalischer Position - kontrastive Gegenüberstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 386 Abbildungsverzeichnis <?page no="387"?> Abb. 52 Sibilantisches / s/ in intervokalischer Position - Quelldatei: bsas-ec1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Abb. 53 Aspiration von / s/ in intervokalischer Position - Quelldatei: cor-vb1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Abb. 54 / s/ in intervokalischer Position - kontrastive Gegenüberstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Abb. 55 Sibilantisches / s/ in präkonsonantischer Position - Quelldatei: sde-po-bm2.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Abb. 56 Aspiration von / s/ in präkonsonantischer Position - Quelldatei: bsas-ec1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Abb. 57 / s/ in präkonsonantischer Position - kontrastive Gegenüberstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Abb. 58 Sibilantisches / s/ im absoluten Auslaut - Quelle: sde-po3-bm4.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Abb. 59 Aspiration von / s/ im absoluten Auslaut - Quelle: cor-vb1.wav . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Abb. 60 / s/ im absoluten Auslaut - kontrastive Gegenüberstellung 324 387 Abbildungsverzeichnis <?page no="389"?> Tabellenverzeichnis Tab. 1 Das phonematische Vokalsystem des Spanischen (RAE / ASALE 2011b: § 3.2b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Tab. 2 (R)-Indizes: drei soziale Klassen, fünf Formalitätsgrade (in: Chambers 2009: 201) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Tab. 3 Metadaten der Gewährspersonen der phonetischen Analyse . 215 Tab. 4 Überblick über die phonotaktischen Analysepositionen . . . . . 218 Tab. 5 Mikroanalyse Buenos Aires: / ʒ/ im absoluten Anlaut . . . . . . . 238 Tab. 6 Mikroanalyse Buenos Aires: / ʒ/ im absoluten Anlaut (gruppiert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Tab. 7 Mikroanalyse Santiago del Estero: / ʒ/ in intervokalischer Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Tab. 8 Regionale Herkunft der Gewährspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Tab. 9 Sozioedukative Stratifizierung der Gewährspersonen . . . . . . . 267 Tab. 10 Geschlecht der Gewährspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Tab. 11 Salienzwerte des Trills [r] im Anlaut (Fokus-Regionen) . . . . . 270 Tab. 12 Salienzwerte des assibilierten Vibranten [ɕ] im Anlaut (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Tab. 13 Salienzwerte des Trills [r] in intervokalischer Position (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Tab. 14 Salienzwerte des assibilierten Vibranten [ʑ] in wortinterner intervokalischer Position (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . 279 Tab. 15 Salienzwerte des Trills [r] im intervokalischen Wortanlaut (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Tab. 16 Salienzwerte des assibilierten Vibranten [ʑ] im intervokalischen Wortanlaut (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . 283 Tab. 17 Salienzwerte des Frikativs [ʃ] (šeísmo) im Anlaut (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Tab. 18 Salienzwerte der Affrikate [t͡ʃ] (šeísmo) im Anlaut (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Tab. 19 Salienzwerte des Frikativs [ʒ] (žeísmo) im Anlaut (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Tab. 20 Salienzwerte der Affrikate [d͡ʒ] (žeísmo) im Anlaut (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 <?page no="390"?> Tab. 21 Salienzwerte des Approximanten [j] (yeísmo) im Anlaut (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Tab. 22 Salienzwerte des Frikativs [ʃ] (šeísmo) in intervokalischer Position (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Tab. 23 Salienzwerte des Frikativs [ʒ̥] (žeísmo) in intervokalischer Position (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Tab. 24 Salienzwerte des palatalen Frikativ [ʝ] (yeísmo) in intervokalischer Position (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . 305 Tab. 25 Salienzwerte des sibilantischen / s/ in intervokalischer Position (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Tab. 26 Salienzwerte der Aspiration von / s/ in intervokalischer Position (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Tab. 27 Salienzwerte des sibilantischen / s/ in präkonsonantischer Position (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Tab. 28 Salienzwerte der Aspiration von / s/ in präkonsonantischer Position (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Tab. 29 Salienzwerte der sibilantischen Realisierung von / s/ im absoluten Auslaut (Fokus-Regionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Tab. 30 Salienzwerte der Aspiration von / s/ - Vergleich der intervokalischen und auslautenden Position (Fokus-Regionen) 322 390 Tabellenverzeichnis <?page no="391"?> Orbis Romanicus Studia philologica Monacensia Edunt Andreas Dufter et Bernhard Teuber Bisher sind erschienen: Band 1 David Klein Medienphantastik Phantastische Literatur im Zeichen medialer Selbstreflexion bei Jorge Luis Borges und Julio Cortázar 2015, IV, 209 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-6986-8 Band 2 Benjamin Meisnitzer Das Präsens als Erzähltempus im Roman Eine gedruckte Antwort auf den Film 2016, 306 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8001-6 Band 3 Elisabeth Kruse La recepción creadora de la tradición mística en la lírica de Dámaso Alonso ¿Un poeta metafísico moderno? 2016, 277 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-6995-0 Band 4 Anna Marcos Nickol El teatro de la guerra Raum, Krieg und Theater bei Juan Benet 2016, 300 Seiten €[D] 69,- ISBN 978-3-8233-8050-4 Band 5 Kurt Hahn Mentaler Gallizismus und transkulturelles Erzählen Fallstudien zu einer französischen Genealogie der hispanoamerikanischen Narrativik im 19. Jahrhundert 2017, 414 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8052-8 Band 6 Martina Bengert Nachtdenken Maurice Blanchots „Thomas l’Obscur“ 2017, 340 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8045-0 Band 7 Johanna Vocht/ David Klein / Gerhard Poppenberg (edd.) (Des)escribir la Modernidad - Die Moderne (z)erschreiben: Neue Blicke auf Juan Carlos Onetti 2019, 233 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8101-3 Band 8 Thomas Scharinger Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit Zur Präsenz des Italienischen, seinem Einfluss auf das Französische und zur Diskussion um das françois italianizé 2018, 719 Seiten €[D] 138,- ISBN 978-3-8233-8160-0 Band 9 Laura Linzmeier Kontaktinduzierter Lautwandel, Sprachabbau und phonologische Marker im Sassaresischen 2018, 625 Seiten €[D] 108,- ISBN 978-3-8233-8141-9 Band 10 Martina Bengert/ Iris Roebling-Grau (edd.) Santa Teresa Critical Insights, Filiations, Responses 2019, 360 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8246-1 <?page no="392"?> Band 11 Jörg Dünne/ Kurt Hahn/ Lars Schneider (Hrsg.) Lectiones difficiliores - Vom Ethos der Lektüre 2019, 664 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8258-4 Band 12 Christoph Hülsmann Initiale Topiks und Foki im gesprochenen Französisch, Spanisch und Italienisch 2019, 329 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8301-7 Band 13 Mattia Zangari Tre storie di santità femminile tra parole e immagini Agiografie, memoriali e fabulae depictae fra Due e Trecento 2019, 150 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8360-4 Band 14 Manfred Bös Transzendierende Immanenz Die Ontologie der Kunst und das Konzept des Logos poietikos bei dem spanischen Dichter Antonio Gamoneda 2020, 395 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8340-6 Band 15 Johanna Vocht Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion noch nicht erschienen Band 16 Aurelia Merlan Romanian in the Context of Migration noch nicht erschienen Band 17 Felix Bokelmann Varianzphänomene der Standardaussprache in Argentinien Indizien aus Sprachproduktion und -perzeption 2021, 392 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8490-8 <?page no="393"?> ISBN 978-3-8233-8490-8 Das Werk von Felix Bokelmann stellt einen Beitrag zu den Forschungen zur Plurizentrik des Spanischen dar, die untersuchen, ob innerhalb der spanischen Sprache unterschiedliche Standardvarietäten koexistieren und in welchem Verhältnis diese zueinander stehen. Anhand eigens erhobener Sprachproduktions- und Sprachperzeptionsdaten wird der Frage nachgegangen, ob im argentinischen Spanisch eine Standardisierung der Aussprache zu beobachten ist und ob dieser Aussprachestandard einheitlich im gesamten Land gilt oder Phänomene regionaler Variation aufweist.