eBooks

Projektmanagement

0720
2011
978-3-8385-2388-0
UTB 
Prof. Dr. Franz Xaver Bea
Prof. Dr. Steffen Scheurer
Sabine Hesselmann

Durch welche Merkmale ist ein Projekt gekennzeichnet? Was versteht man unter einer Hitrate? Und welche Funktion hat ein Meilenstein? Antworten auf diese Fragen geben die Autoren in der 2. Auflage des Titels Projektmanagement. Das Buch zeigt den >>State of the Art<< des Projektmanagement auf und setzt innovative Impulse zur Weiterentwicklung. Neu ist die Darstellung eines engen Zusammenhangs von Projekt und Strategischem Management. Die drei Autoren greifen zudem aktuelle Diskussionen auf: unter anderem zu den Themen Projektmanagement-Assessment, Critical Chain- und Agiles Projektmanagement. Zahlreiche Beispiele sowie Fragen und Antworten erleichtern Studierenden die Verständniskontrolle und ermöglichen ihnen eine schnelle Anwendbarkeit. Zudem ist der Titel auch für Praktiker geeignet, die ihren Wissensstand zum Projektmanagement aktualisieren wollen. >>Die Bände >Strategisches Management<, >Organisation<, >Projektmanagement< aus der Reihe Grundwissen der Ökonomik ergänzen sich und können als Einheit angesehen werden. Diese unternehmerischen Handlungsfelder sind häufig sehr eng miteinander verzahnt und es bestehen Wechselabhängigkeiten zwischen ihnen.<< Prof. Dr. Heinz Schelle, Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement

<?page no="1"?> UTB 2388 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Farmington Hills facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink Verlag · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Orell Füssli Verlag · Zürich Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh Verlag · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK/ Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Oakville vdf Hochschulverlag AG an der ETH · Zürich <?page no="2"?> Grundwissen der Ökonomik Betriebswirtschaftslehre Herausgegeben von F.X. Bea · Tübingen M. Schweitzer · Tübingen <?page no="3"?> Franz Xaver Bea Steffen Scheurer Sabine Hesselmann Projektmanagement 2., überarbeitete und erweiterte Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN 978-3-8252-2388-5 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urh e berrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 1. Auflage Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2008 © 2., überarbeitete und erweiterte Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2011 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="5"?> Vorwort der Herausgeber Für Studierende und Praktiker ist es erfahrungsgemäß eine große Hilfe, wenn ihnen das Wissen eines Faches in einer knappen, systematisch aufbereiteten und leicht fasslichen Form dargeboten wird. Gleichzeitig müssen sie die Gewissheit haben, dass die Inhalte dem gegenwärtigen Erkenntnisstand entsprechen. Diesem Ziel dienen die Uni-Taschenbücher (UTB), die wir in der Reihe „Grundwissen der Ökonomik: Betriebswirtschaftslehre“ herausgeben. Die Themen der Einzeltitel sind so gewählt, dass sie den gesamten Wissensbereich der modernen Betriebswirtschaftslehre abdecken. Als Autoren konnten Hochschullehrer gewonnen werden, die dank der Verschiedenheit von Alter, Herkunft und Wissenschaftsauffassung die Gewähr dafür bieten, dass der Charakter der Reihe von keiner bestimmten Schulrichtung geprägt, sondern ein getreues Abbild der Wissenschaftsvielfalt in der Betriebswirtschaftslehre geboten wird. Eine Besonderheit der Reihe besteht darin, dass Bände, bei denen es sich vom Gegenstand her anbietet, durch Arbeitsbücher ergänzt werden. Diese Studienhilfen dienen vor allem der Vertiefung theoretischer Erörterungen, der Einübung von Wissen und der Anwendung des Erlernten auf praktische Fälle. Mit diesem Konzept ist zugleich die Chance verbunden, die Tätigkeit von Dozenten didaktisch und methodisch zu unterstützen und sie von Arbeiten zu befreien, deren Erledigung zwangsläu g zu Lasten vordringlicher Aufgaben ginge. Der Leser sei abschließend auf zwei Titel der Reihe hingewiesen, die wir als Basis-Lehrangebote konzipiert haben: die dreibändige „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ und das neue „BWL-Lexikon“. Die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, von einem Expertenteam verfasst, bildet die Klammer um die Einzeltitel der Reihe und bezweckt eine systematische und branchenunabhängige (allgemeine) Einführung in das Fach. Ergänzend ermöglicht das neue UTB-Lexikon mit über 2000 Stichwörtern für alle Titel der Reihe eine kurze und leicht fassliche Klärung von Einzelproblemen. Es kann als fallweise Suchhilfe oder begleitend im laufenden Lernprozess eingesetzt werden. Tübingen, Mai 2011 F. X. Bea M. Schweitzer <?page no="6"?> Einführung 1 Zielgruppe Dieses Buch wendet sich an drei Zielgruppen: (1) Studenten, die sich mit den Grundlagen und den vertiefenden Aspekten des Projektmanagements insgesamt oder mit einzelnen Aspekten des Projektmanagements gezielt auseinandersetzen wollen. (2) Praktiker, die eine Aktualisierung ihres Wissensstandes zum Projektmanagement anstreben. (3) Forscher, die durch kritische Reflexion der hier vorgestellten, in sich geschlossenen Konzeption des Projektmanagements Impulse für die Weiterentwicklung ihres Forschungsgebietes erhalten können. 2 Aufbau Das Buch besteht aus vier Teilen: (1) Der erste Teil „Projektmanagement und Unternehmensführung“ bietet eine Einführung in den Gesamtzusammenhang des Buches: Aufgrund der zunehmenden Komplexität und Dynamik der Unternehmensumwelt bekommt das Projektmanagement im Zuge des „Managements des Wandels“ eine ganz neue strategische Bedeutung. Projektmanagement entwickelt sich weg von der reinen Abwicklungsmethodik für einzelne Projekte hin zu einer umfassenden Führungskonzeption. Das Projektmanagement wird somit eingesetzt, um wichtige Ziele der Unternehmensführung zu erreichen: Eine erfolgreiche strategische Unternehmensentwicklung Die Steigerung des Unternehmenswertes Daraus ergeben sich zwei wichtige Aufgabenfelder des Projektmanagements: Die Planung, Umsetzung und Kontrolle jedes einzelnen Projektes durch ein systematisches Einzelprojektmanagement <?page no="7"?> VIII · Einführung Die Planung, Umsetzung und Kontrolle der Gesamtheit aller Projekte durch ein systematisches Multiprojektmanagement Während es sich beim Management eines einzelnen Projektes („Management von Projekten“) um eine eher operative Aufgabenstellung handelt, beinhaltet das Multiprojektmanagement sowohl strategische als auch operative Aufgaben. Je größer der Anteil von Projekten am Gesamtumsatz eines Unternehmens wird, desto stärker beeinflussen die Projekte die strategische Ausrichtung des Unternehmens („Management durch Projekte“). Werden Projekte als „Kern des Geschäftes“ verstanden und deshalb alle Führungsfunktionen auf das Projektmanagement ausgerichtet, so geht man sogar noch einen Schritt weiter auf dem „Entwicklungskontinuum des Projektmanagements“: Es entsteht ein „projektorientiertes Unternehmen“. Der weitere Aufbau des Buches folgt diesen Entwicklungsschritten des Projektmanagements. (2) Der zweite Teil „Management von Projekten“ befasst sich mit der effizienten Abwicklung von Projekten. Er beginnt mit der Darstellung der Projektorganisation, da mit ihrer Hilfe wichtige Rahmenbedingungen für die konkrete Arbeit im Projekt festgelegt werden und sie somit die Basis für ein effizientes Management von Projekten liefert. Im Mittelpunkt stehen die Phasen des Managements von Projekten: Projektstart mit Projektvorbereitung und Kick-Off-Meeting Zielpräzisierung Projektplanung mit Projektstrukturplanung, Arbeitsaufwandsplanung, Projektablaufplanung, Projektterminplanung, Projektressourcenplanung und Projektkostenplanung Projektumsetzung Projektkontrolle Projektabschluss Zudem werden zwei begleitende Prozesse näher betrachtet: Das Qualitätsmanagement in Projekten sowie das Chancen- und Risikomanagement in Projekten. (3) Der dritte Teil „Management durch Projekte“ beschäftigt sich verstärkt mit der strategischen Seite des Projektmanagements: Wie tragen Projekte zur strategischen Unternehmensentwicklung und zur Wertsteigerung des gesamten Unternehmens bei? Wie wählt man aus einer Vielzahl von Projekten die „richtigen“ Projekte im Sinne der Unter- <?page no="8"?> Einführung · IX nehmensstrategie aus? Wie kann die gesamte Projektlandschaft in einem Unternehmen erfolgreich geplant, umgesetzt und kontrolliert werden? Welche Rahmenbedingungen sind dafür notwendig? (4) Der vierte Teil widmet sich dem „projektorientierten Unternehmen“. Die Entwicklung zu einem projektorientierten Unternehmen stellt eine adäquate unternehmerische Antwort auf eine Situation mit sehr hoher Umfeld- und Unternehmensdynamik und einem hohen Anteil von Projekten am Gesamtgeschäft dar. Die Führungsfunktionen, wie z.B. die Organisation oder die Unternehmenskultur, werden hierbei systematisch auf die Erfordernisse des Projektmanagements ausgerichtet. Dieser Schritt hängt aufs Engste mit dem gezielten Aufbau der notwendigen Kompetenzen im Unternehmen zusammen. Dazu gehören sowohl organisationale Kompetenzen als auch persönliche Kompetenzen des einzelnen Mitarbeiters. Ein projektorientiertes Unternehmens kann somit als Prototyp einer „lernenden Organisation“ verstanden werden. In diesem Teil des Buches werden daher die Zusammenhänge zwischen Projektmanagement und Wissensmanagement näher beleuchtet. Wichtigstes Ziel einer solchen Entwicklung hin zum „projektorientierten Unternehmen“ ist der Aufbau von besonders nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen im Sinne von Strategieinnovationen, die auf einer unternehmensweiten strategischen Kompetenz beruhen. Nach einer Diskussion dieser Wettbewerbsvorteile endet dieser Teil mit einem Ausblick auf mögliche Weiterentwicklungen des Projektmanagements. Das Entwicklungskontinuum des Projektmanagements dient als „Wegweiser“ durch das Buch und leitet als Logo den jeweiligen Teil ein: Projektorientiertes Unternehmen Projektorientiertes Unternehmen Management durch Projekte Management durch Projekte Management von Projekten Management von Projekten Projektorientiertes Unternehmen Projektorientiertes Unternehmen Management durch Projekte Management durch Projekte Management von Projekten Management von Projekten <?page no="9"?> X · Einführung 3 Empfehlungen für die Benutzung Wir haben uns zum Ziel gesetzt, das Spektrum des Projektmanagements in seiner ganzen Breite aufzuzeigen und die einzelnen Aspekte und Elemente in eine geschlossene Konzeption einzufügen. Trotz der Geschlossenheit ist es für den Leser ohne weiteres möglich, einzelne Teile separat zu bearbeiten, insbesondere die verschiedenen Themen in Teil 2, wie z.B. die Projektstrukturplanung und die Projektkostenplanung. In Teil 3 bauen die Abschnitte inhaltlich teilweise aufeinander auf, z.B. gibt es jeweils ein Grundlagenkapitel zu den Themen „Strategische Unternehmensentwicklung“ (Abschnitt 2) und „Wertsteigerungsmanagement“ (Abschnitt 3), deren Lektüre für das weitere Verständnis der Ausführungen zum Multiprojektmanagement in Abschnitt 4 empfehlenswert ist. Grundsätzlich weisen die einzelnen Teile die folgende identische Struktur auf: (1) Einführung mit einem Logo (2) Hauptteil mit optischer Hervorhebung von Definitionen, Kernaussagen, Praxisbeispielen und einer Zusammenfassung (3) Schluss mit Fragen zur Wiederholung, die anhand der Abschnittsangaben eine Überprüfung des Wissens ermöglichen Fragen zur Vertiefung, die dem Leser weitere Zusammenhänge und offene Probleme erschließen Literaturempfehlungen, welche die wichtigste Literatur zum intensiven Studium sachlich geordnet umfassen 4 Veränderungen gegenüber der ersten Auflage Die Neuauflage haben wir genutzt, um das Lehrbuch auf den neuesten Stand des Wissens zu bringen. Die in mehreren Buchbesprechungen gewürdigte Innovation unseres Buches, nämlich die Verzahnung von Projektmanagement und Strategischem Management, haben wir noch stärker zur Geltung gebracht. Auch haben wir aktuelle Diskussionen aufgegriffen. Zu nennen sind v.a. folgende Themen: Projektmanagement-Assessment, Critical Chain-Projektmanagement, Agiles Projektmanagement sowie Professionalisierung des Projektmanagements durch das Projektmanagementoffice. <?page no="10"?> Einführung · XI 5 Die Verfasser Das Buch wurde von uns in mehrjähriger Teamarbeit geschrieben. Es basiert auf Erfahrungen, die in jahrelanger praktischer Projektarbeit und -beratung gesammelt wurden. Zudem sind Erfahrungen aus einer langen Reihe von Lehrveranstaltungen mit Studenten und Praktikern in die Arbeit eingeflossen. Sehr gespannt waren wir auf die Rezensionen der ersten Auflage unseres Buches. Unter der Vielzahl durchweg wohlwollender Buchbesprechungen seien zwei hervorgehoben: Professor Dr. Heinz Schelle in „Projekt Management aktuell“ 1/ 2009 und Professor Dr. Heinz K. Stahl in der FAZ vom 08.12.2008. Beiden Verfassern danken wir für die gründliche und konstruktive Besprechung unserer Arbeit. Wir haben uns bemüht, in der vorliegenden zweiten Auflage die Ratschläge zur Verbesserung des Buches aufzugreifen. Für Hinweise und Vorschläge zur Verbesserung der nunmehr zweiten Auflage bedanken wir uns im Voraus. Unserem früheren Verleger, Herrn Professor Dr. von Lucius, danken wir für die erneut angenehme und fruchtbare Zusammenarbeit. Ebenso danken wir unserem neuen Lektor, Herrn Dr. Jürgen Schechler, für den guten Start unserer Zusammenarbeit. Professor Dr. Franz Xaver Bea (geb. 1937): Früherer Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Planung und Organisation, an der Universität Tübingen. Forschungsschwerpunkte: Strategisches Management, Projektmanagement, Organisation. e-mail: franz-xaver.bea@uni-tuebingen.de Dr. Steffen Scheurer (geb. 1963): Diplom-Kaufmann und Bankkaufmann. Verschiedene Lehrtätigkeiten; seit 1988 Berater und Trainer mit den Themenschwerpunkten: Strategisches Management, Wertsteigerungsmanagement, Controlling und Projektmanagement. e-mail: steffen.scheurer@ub-scheurer.de <?page no="11"?> XII · Einführung Sabine Hesselmann (geb. 1969): Diplom-Kauffrau und Bankkauffrau. Frühere Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Professor Bea; verschiedene Lehrtätigkeiten; Mitarbeiterin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg; seit 2000 Beraterin und Trainerin mit den Themenschwerpunkten: Strategisches Management, Controlling und Projektmanagement. e-mail: sabine.hesselmann@gmx.de <?page no="12"?> Inhaltsübersicht Einführung Teil 1: Projektmanagement und Unternehmensführung .........1 Teil 2: Management von Projekten...........................................31 Teil 3: Management durch Projekte .......................................463 Teil 4: Das projektorientierte Unternehmen..........................715 Literaturverzeichnis ..................................................................771 Stichwortverzeichnis ................................................................789 <?page no="13"?> XIV · Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Teil 1: Projektmanagement und Unternehmensführung .......................... 1 1 Projektmanagement im Wandel ............................................................ 2 2 Projektmanagement als Führungskonzeption ...................................... 7 2.1 Merkmale einer Führungskonzeption .......................................................... 7 2.2 Ziele des Projektmanagements .................................................................... 11 2.2.1 Strategische Unternehmensentwicklung ........................................ 12 2.2.2 Steigerung des Unternehmenswertes ............................................. 13 2.3 Aufgaben des Projektmanagements............................................................ 16 2.4 Methodik des Projektmanagements............................................................ 17 2.4.1 Aufgaben einer Methodik des Projektmanagements ................... 18 2.4.2 Die Führungsregelkreise des Projektmanagements ..................... 19 3 Das Entwicklungskontinuum des Projektmanagements .................... 22 4 Aufbau des Buches .............................................................................. 26 5 Zusammenfassung .............................................................................. 28 * Fragen zur Wiederholung ...............................................................................30 * Fragen zur Vertiefung .....................................................................................30 * Literaturempfehlungen ...................................................................................30 Teil 2: Management von Projekten ..........................................................31 1 Grundlagen des Managements von Projekten .................................... 32 1.1 Begriff „Projekt“............................................................................................ 32 1.1.1 Merkmale von Projekten .................................................................. 32 1.1.2 Arten von Projekten ......................................................................... 35 1.2 Aufgaben des Managements von Projekten .............................................. 38 1.3 Phasen des Managements von Projekten................................................... 41 1.3.1 Vorteile der Phaseneinteilung.......................................................... 41 1.3.2 Die einzelnen Phasen........................................................................ 43 <?page no="14"?> Inhaltsverzeichnis · XV 2 Projektorganisation.............................................................................. 49 2.1 Grundlagen ..................................................................................................... 49 2.1.1 Begriff der Projektorganisation ....................................................... 49 2.1.2 Ziele der Projektorganisation .......................................................... 51 2.2 Organisationseinheiten ................................................................................. 53 2.2.1 Projektauftraggeber ........................................................................... 55 2.2.2 Projektleiter ........................................................................................ 56 2.2.2.1 Rolle des Projektleiters .................................................................. 56 2.2.2.2 Führung in Projekten..................................................................... 57 2.2.3 Projektcontroller................................................................................ 60 2.2.4 Projektteam ........................................................................................ 61 2.2.4.1 Zusammenstellung des Projektteams ......................................... 61 2.2.4.2 Probleme in Teams ........................................................................ 63 2.3 Projektaufbauorganisation............................................................................ 64 2.3.1 Modelle der Projektaufbauorganisation ......................................... 65 2.3.1.1 Stabs-Projektorganisation ............................................................. 66 2.3.1.2 Matrix-Projektorganisation ........................................................... 67 2.3.1.3 Reine Projektorganisation............................................................. 69 2.3.2 Auswahl des passenden Organisationsmodells ............................ 71 2.4 Projektablauforganisation............................................................................. 72 2.4.1 Aufbau von Projektphasenplänen .................................................. 73 2.4.2 Beispiele für Projektphasenpläne .................................................... 76 2.4.3 Kritische Würdigung von Projektphasenplänen........................... 80 2.5 Projektorganisation als Selbstorganisation................................................. 82 2.5.1 Projekte als selbstorganisierende Systeme ..................................... 82 2.5.2 Die Bedeutung der Projektkultur.................................................... 85 3 Vorselektion von Projekten.................................................................. 89 3.1 Notwendigkeit der Vorselektion ................................................................. 89 3.2 Machbarkeitsstudie ........................................................................................ 90 3.2.1 Aufgaben ............................................................................................ 90 3.2.2 Teilstudien .......................................................................................... 91 <?page no="15"?> XVI · Inhaltsverzeichnis 4 Projektstart........................................................................................... 95 4.1 Projektvorbereitung....................................................................................... 96 4.1.1 Vertragsverhandlungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer........................................................................... 97 4.1.2 Der Projektauftrag ............................................................................ 99 4.1.3 Projektumfeldanalyse ...................................................................... 100 4.1.4 Planung des Projektmanagementsystems .................................... 105 4.2 Kick-Off-Meeting ........................................................................................ 108 5 Zielpräzisierung.................................................................................. 111 5.1 Funktionen von Zielen ............................................................................... 111 5.2 Anforderungen an Ziele ............................................................................. 113 5.3 Formulierung von Zielen ........................................................................... 115 5.4 Beziehungen zwischen Zielen.................................................................... 119 5.5 Prozess der Zielpräzisierung ...................................................................... 120 5.5.1 Bedeutung der Ziele für die Projektauswahl ............................... 121 5.5.2 Zielpräzisierung in der Projektstartphase .................................... 122 5.5.3 Zielpräzisierung in der Projektplanungsphase ............................ 124 5.5.4 Umgang mit Zielen in der Projektumsetzungsphase ................. 125 5.5.5 Bedeutung der Ziele in der Projektabschlussphase.................... 127 6 Projektplanung ................................................................................... 129 6.1 Aufgaben der Projektplanung .................................................................... 129 6.2 Planungstechniken ....................................................................................... 133 6.3 Teilprozesse der Projektplanung ............................................................... 134 6.4 Projektstrukturplanung ............................................................................... 138 6.4.1 Arten von Projektstrukturplänen.................................................. 138 6.4.2 Elemente des Projektstrukturplans............................................... 140 6.5 Arbeitsaufwandsplanung ............................................................................ 142 6.5.1 Ermittlung des Arbeitsaufwands .................................................. 142 6.5.2 Expertenschätzungen ..................................................................... 146 6.5.2.1 Die Einzel- und Mehrfachbefragung ........................................ 147 6.5.2.2 Die Delphi-Methode ................................................................... 148 6.5.2.3 Die Schätzklausur......................................................................... 148 6.5.3 Multiplikatormethode ..................................................................... 149 <?page no="16"?> Inhaltsverzeichnis · XVII 6.5.4 Parametrische Methode.................................................................. 150 6.5.4.1 COCOMO .................................................................................... 151 6.5.4.2 Function Point Analysis .............................................................. 155 6.6 Projektablaufplanung .................................................................................. 157 6.6.1 Grundlegende Vorgehensweise..................................................... 157 6.6.2 Die Netzplantechnik als Methode der Ablaufplanung .............. 159 6.6.2.1 Grundbegriffe ............................................................................... 159 6.6.2.2 Arten von Netzplänen................................................................. 162 6.6.2.3 Die Arbeit mit einem Netzplan ................................................. 167 6.6.2.3.1 Strukturanalyse und Entwurf des Netzplans .......................... 168 6.6.2.3.2 Zeitanalyse ................................................................................... 168 6.6.2.3.3 Optimierung des Netzplans ...................................................... 173 6.6.2.3.4 Nutzung für die Projektsteuerung und -kontrolle ................. 175 6.6.2.4 Kritische Würdigung.................................................................... 175 6.7 Projektterminplanung ................................................................................. 177 6.7.1 Geschwindigkeitsdiagramm........................................................... 178 6.7.2 Terminliste........................................................................................ 178 6.7.3 Zeitfixierter Balkenplan .................................................................. 180 6.7.4 Vernetzter Balkenplan .................................................................... 182 6.7.5 Netzplan............................................................................................ 182 6.8 Projektressourcenplanung .......................................................................... 183 6.8.1 Personalplanung .............................................................................. 184 6.8.1.1 Ermittlung des Ressourcenbedarfs ........................................... 185 6.8.1.2 Ermittlung der verfügbaren Kapazität...................................... 187 6.8.1.3 Vergleich von Kapazität und Bedarf......................................... 188 6.8.1.4 Ressourcenoptimierung............................................................... 189 6.8.2 Sachmittelplanung ........................................................................... 192 6.8.3 Materialplanung ............................................................................... 194 6.8.4 Finanzplanung.................................................................................. 195 6.9 Projektkostenplanung ................................................................................. 197 6.9.1 Aufgaben der Projektkostenplanung............................................ 197 6.9.2 Besonderheiten der Projektkostenplanung ................................. 199 6.9.2.1 Hohe Bedeutung indirekter Leistungsbereiche ....................... 201 6.9.2.2 Lebenszyklusorientierung ........................................................... 202 6.9.2.3 Kundenorientierung..................................................................... 204 6.9.3 Bausteine einer „Integrierten Projektkostenplanung“ ............... 204 6.9.3.1 Prozesskostenrechnung............................................................... 205 6.9.3.1.1 Ziele der Prozesskostenrechnung ............................................ 205 <?page no="17"?> XVIII · Inhaltsverzeichnis 6.9.3.1.2 Methodik der Prozesskostenrechnung .................................... 205 6.9.3.1.3 Kritische Würdigung der Prozesskostenrechnung ................ 211 6.9.3.2 Life Cycle Costing ........................................................................ 212 6.9.3.2.1 Ziele des Life Cycle Costing ..................................................... 212 6.9.3.2.2 Vorgehensweise des Life Cycle Costing .................................. 212 6.9.3.2.3 Kostenmanagement im Rahmen des Life Cycle Costing...... 214 6.9.3.3 Target Costing .............................................................................. 215 6.9.3.3.1 Ziele des Target Costing............................................................ 215 6.9.3.3.2 Vorgehensweise des Target Costing ........................................ 216 6.9.3.4 Zusammenfassende Beurteilung der vorgestellten Bausteine ................................................................ 224 6.9.4 Integrierte Projektkostenplanung ................................................. 224 6.9.4.1 Modell der integrierten Projektkostenplanung........................ 224 6.9.4.2 Praktisches Beispiel...................................................................... 226 6.9.4.3 Die einzelnen Schritte der integrierten Projektkostenplanung .................................................................. 227 6.9.4.4 Kritische Würdigung des Modells der integrierten Projektkostenplanung .................................................................. 239 7 Projektumsetzung...............................................................................242 7.1 Aufgaben der Projektumsetzung............................................................... 242 7.2 Teilprozesse der Projektumsetzung .......................................................... 243 7.3 Projektinformationsmanagement .............................................................. 244 7.3.1 Aufgaben und Ziele ........................................................................ 244 7.3.2 Mündliche Kommunikation .......................................................... 247 7.3.2.1 Formale Kommunikation ........................................................... 248 7.3.2.2 Informale Kommunikation ........................................................ 249 7.3.3 Schriftliche Kommunikation ......................................................... 250 7.3.3.1 Reporting ....................................................................................... 250 7.3.3.2 Dokumentation ............................................................................ 253 7.3.3.3 IT-gestützter Datenaustausch und virtuelle Zusammenarbeit........................................................................... 255 7.3.4 Projektmarketing ............................................................................. 256 7.4 Änderungs- und Konfigurationsmanagement......................................... 257 7.4.1 Änderungsmanagement.................................................................. 259 7.4.2 Konfigurationsmanagement .......................................................... 260 7.5 Vertrags- und Nachforderungsmanagement ........................................... 264 7.5.1 Vertragsmanagement ...................................................................... 264 7.5.2 Nachforderungsmanagement ........................................................ 266 <?page no="18"?> Inhaltsverzeichnis · XIX 8 Projektkontrolle ..................................................................................269 8.1 Aufgaben der Projektkontrolle .................................................................. 269 8.2 Kontrolle der einzelnen Zieldimensionen ............................................... 273 8.2.1 Leistungskontrolle ........................................................................... 275 8.2.1.1 Leistungsfortschritt ...................................................................... 275 8.2.1.2 Subjektive Leistungsschätzung................................................... 278 8.2.1.3 Messung anhand einer quantitativen Größe............................ 280 8.2.1.4 0/ 50/ 100%-Methode .................................................................. 280 8.2.1.5 Meilensteinmethode..................................................................... 281 8.2.2 Terminkontrolle............................................................................... 282 8.2.2.1 Zeitlicher Fortschritt.................................................................... 282 8.2.2.2 Terminliste..................................................................................... 284 8.2.2.3 Balkenplan ..................................................................................... 284 8.2.2.4 Netzplan ........................................................................................ 286 8.2.2.5 Meilenstein-Trendanalyse ........................................................... 286 8.2.3 Kostenkontrolle ............................................................................... 289 8.2.3.1 Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit......................................... 289 8.2.3.2 Diagramm der kumulierten Ist- und Plankosten .................... 290 8.2.3.3 Zeit-/ Kosten-Trenddiagramm................................................... 293 8.2.3.4 Kosten-Trenddiagramm.............................................................. 293 8.2.3.5 Kontrolle in der „Integrierten Projektkostenrechnung“ ....... 295 8.2.3.5.1 Charakter der Kostenkontrolle ................................................. 296 8.2.3.5.2 Struktur und Vorgehensweise bei der Kostenkontrolle ........ 299 8.3 Ganzheitliche Kontrolle mit Hilfe der Earned Value-Technik ............ 302 8.3.1 Grundbegriffe der Earned Value-Technik .................................. 302 8.3.2 Vorgehensweise bei der Earned Value-Technik......................... 303 8.3.3 Kritische Würdigung der Earned Value-Technik....................... 309 9 Projektabschluss ................................................................................. 310 9.1 Aufgaben des Projektabschlusses.............................................................. 310 9.2 Teilprozesse des Projektabschlusses......................................................... 312 9.2.1 Überleitungs- und Erhaltungsplan................................................ 313 9.2.2 Endabnahme der Projektergebnisse ............................................. 314 9.2.3 Projektauswertung........................................................................... 316 9.2.4 Projektinterne Abschlussbesprechung im Team ........................ 318 9.2.5 Abschlussgespräche mit den wichtigsten Stakeholdern ............ 320 9.2.6 Abschlussbericht und Fertigstellung der Projektdokumentation................................................................................. 321 <?page no="19"?> XX · Inhaltsverzeichnis 10 Begleitende Prozesse des Managements von Projekten ....................324 10.1 Qualitätsmanagement in Projekten ........................................................... 325 10.1.1 Grundlagen des Qualitätsmanagements ...................................... 325 10.1.2 Ansätze des Qualitätsmanagements ............................................. 328 10.1.3 Der Prozess des Qualitätsmanagements in Projekten ............... 329 10.1.3.1 Qualitätsplanung........................................................................... 331 10.1.3.2 Qualitätslenkung........................................................................... 336 10.1.3.3 Qualitätssicherung........................................................................ 338 10.1.3.4 Qualitätsverbesserung ................................................................. 339 10.1.4 Total Quality Management in Projekten...................................... 340 10.2 Risiko- und Chancenmanagement ............................................................ 344 10.2.1 Begriffe „Risiko“ und „Chance“................................................... 344 10.2.2 Arten von Risiken und Chancen................................................... 345 10.2.3 Der Prozess des Chancen- und Risikomanagements ................ 348 10.2.3.1 Chancen- und Risikoidentifikation............................................ 352 10.2.3.2 Chancen- und Risikoanalyse....................................................... 359 10.2.3.3 Chancen- und Risikobewertung................................................. 376 10.2.3.4 Chancen- und Risikogestaltung ................................................. 377 10.2.3.4.1 Arten von Risikostrategien........................................................ 377 10.2.3.4.2 Umsetzung der Risiko- und Chancenstrategien ..................... 384 10.2.3.5 Chancen- und Risikoüberwachung ........................................... 385 10.2.4 Organisatorische Verankerung des Chancen- und Risikomanagements ........................................................................ 386 11 Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements ...................................................................388 11.1 Projektmanagement-Assessment............................................................... 390 11.1.1 Anforderungen an Projektmanagement-Assessments............... 391 11.1.2 Vergleich bestehender Projektmanagement- Assessmentmodelle ......................................................................... 393 11.1.3 COACH PM - ein Beispiel für ein situationsbezogenes Projektmanagement-Assessmentmodell ...................................... 394 11.2 Projektmanagementstandards .................................................................... 402 11.2.1 Funktionen von Standards............................................................. 402 11.2.2 Ausgewählte Projektmanagementstandards ................................ 403 11.2.2.1 PMBOK-Guide ............................................................................ 403 11.2.2.2 ICB ................................................................................................. 407 11.2.2.3 PRINCE2 ...................................................................................... 411 <?page no="20"?> Inhaltsverzeichnis · XXI 11.2.3 Verbreitung und Schwerpunkte der Standards........................... 415 11.2.4 Unternehmenseigene Standards .................................................... 418 11.3 Alternative Vorgehensmodelle .................................................................. 419 11.3.1 Critical Chain-Projektmanagement............................................... 420 11.3.1.1 Die „Theory of Constraints“ als Grundlage des Konzeptes............................................................................... 420 11.3.1.2 Definitionen und Ziele des Critical Chain- Projektmanagements ................................................................... 421 11.3.1.3 Grundsätze des Critical Chain-Projektmanagements............. 422 11.3.1.4 Implikationen für das Multiprojektmanagement .................... 426 11.3.1.5 Kritische Würdigung des Konzeptes ........................................ 427 11.3.2 Agiles Projektmanagement ............................................................ 429 11.3.2.1 Grundlagen agiler Entwicklungen ............................................. 429 11.3.2.2 Das Agile Manifest und agile Grundprinzipien ...................... 430 11.3.2.3 „Scrum“ als Beispiel für ein agiles Modell ............................... 434 11.3.2.4 Kritische Würdigung agiler Projektmanagement-Ansätze .... 436 11.4 Professionalisierung des Projektmanagements durch das PMO.......... 440 11.4.1 Der Aufbau organisationaler Kompetenzen im Projektmanagement ........................................................................ 441 11.4.2 Die Aufgaben des PMO im Management von Projekten......... 444 12 Zusammenfassung ............................................................................447 * Fragen zur Wiederholung .............................................................................45 1 * Fragen zur Vertiefung ...................................................................................45 8 * Literaturempfehlungen .................................................................................46 2 Teil 3: Management durch Projekte ......................................................463 1 Grundlagen des Managements durch Projekte ..................................464 2 Unternehmensentwicklung durch Projekte........................................466 2.1 Theoretische Grundlagen der Unternehmensentwicklung ................... 467 2.1.1 Wandel als Bedingung und Ziel der strategischen Unternehmensentwicklung ............................................................ 467 2.1.2 Modelle der Unternehmensentwicklung...................................... 468 2.1.2.1 Gestaltungsorientierte Modelle .................................................. 469 2.1.2.1.1 Market-based View of Strategy................................................. 469 2.1.2.1.2 Resource-based View of Strategy ............................................. 471 <?page no="21"?> XXII · Inhaltsverzeichnis 2.1.2.1.3 Kombinierte gestaltungsorientierte Ansätze........................... 480 2.1.2.2 Evolutionäre Modelle .................................................................. 482 2.1.2.2.1 Grundaussagen ........................................................................... 482 2.1.2.2.2 Die St. Galler Schule .................................................................. 484 2.1.2.2.3 Entwicklungsorientiertes Management von Probst, Klimecki und Eberl .................................................................... 491 2.2 Gestaltungsempfehlungen für ein Management durch Projekte.......... 495 3 Wertsteigerung durch Projekte........................................................... 501 3.1 Theoretische Grundlagen des Wertsteigerungsmanagements .............. 502 3.1.1 Aufgaben des Wertsteigerungsmanagements.............................. 502 3.1.2 Investitionsrechenverfahren .......................................................... 502 3.2 Ermittlung von Entscheidungswerten auf Gesamtunternehmensebene .............................................................................................. 508 3.2.1 Der Zukunftserfolgswert ............................................................... 508 3.2.2 Varianten der wertorientierten Unternehmensführung............. 512 3.2.3 Das Shareholder-Value-Konzept nach Rappaport .................... 513 3.2.4 Entscheidungswerte auf der Basis von Realoptionen................ 518 3.2.5 Der Economic Value Added-Ansatz nach Stern/ Stewart .................................................................................. 520 3.3 Ermittlung von Entscheidungswerten auf Projektebene ...................... 525 3.3.1 Überblick .......................................................................................... 525 3.3.2 Der Projektwertbeitrag als Entscheidungswert auf Projektebene .............................................................................. 526 3.3.3 Übertragung der gesamtunternehmensbezogenen Ent scheidungswerte auf die Projektebene ......................................... 531 3.3.4 Grundstruktur einer wertorientierten Projektwirtschaftlichkeitsrechnung .................................................................. 538 3.3.4.1 Bestimmung des Kalkulationszinsfusses .................................. 539 3.3.4.2 Ermittlung der Projekt-Free Cash-flows .................................. 540 3.3.4.2.1 Indirekte Cash-flow-Berechnung ............................................. 541 3.3.4.2.2 Direkte Cash-flow-Berechnung ................................................ 542 4 Multiprojektmanagement ................................................................... 551 4.1 Phasen des Multiprojektmanagements ..................................................... 551 4.2 Die Rolle des Projektmanagementoffice im Rahmen des Multiprojektmanagements .......................................................................... 554 4.3 Multiprojektplanung .................................................................................... 557 <?page no="22"?> Inhaltsverzeichnis · XXIII 4.3.1 Strategische Multiprojektplanung ................................................. 557 4.3.1.1 Vorgehensweise ............................................................................ 557 4.3.1.2 Grundlagen der strategischen Multiprojektplanung ............... 560 4.3.1.3 Analyse der strategischen Eignung von Projekten ................. 563 4.3.1.3.1 Einordnung der strategischen Projekte in die Balanced Scorecard .................................................................... 563 4.3.1.3.2 Vorteile der Balanced Scorecard .............................................. 566 4.3.1.4 Planung der Wertentwicklung von Projekten.......................... 567 4.3.1.4.1 Merkmale des Projektwertbeitrages ......................................... 567 4.3.1.4.2 Interne Cash-flow-Rechnung.................................................... 568 4.3.1.4.3 Ableitung der Planungsdaten aus einer Projektkostenrechnung........................................................................... 572 4.3.1.4.3.1 Vorgehensweise ................................................................. 572 4.3.1.4.3.2 Planung der Kosten........................................................... 575 4.3.1.4.3.3 Zahlungswirksamkeit der Kosten.................................... 578 4.3.1.4.3.4 Berechnung der Operating Cash-flows .......................... 580 4.3.1.4.4 Einzelprojektwertbeitrag auf Basis des Discounted Free Cash-flow............................................................................ 582 4.3.1.4.5 Einzelprojektwertbeitrag auf Basis von Realoptionen .......... 584 4.3.1.5 Vorauswahl und Kombination von Projekten ........................ 591 4.3.1.5.1 Grundlagen der Projektauswahl ............................................... 591 4.3.1.5.2 Die Nutzwertanalyse als Methode der Projektauswahl ......... 593 4.3.1.5.3 Strategische Projektnetze als Ergebnis der vorläufigen Projektauswahl ....................................................... 598 4.3.1.6 Bewertung der strategischen Projektnetze ............................... 599 4.3.1.6.1 Qualitative Bewertung durch die Portfoliomethode ............. 600 4.3.1.6.2 Quantitative Bewertung durch den Projektnetzwertbeitrag........................................................................................... 606 4.3.1.7 Auswahl des strategischen Projektnetzes ................................. 611 4.3.2 Operative Multiprojektplanung..................................................... 612 4.3.2.1 Aufgaben der operativen Multiprojektplanung ....................... 612 4.3.2.2 Multiprojektressourcenplanung ................................................. 614 4.3.2.2.1 Aufgaben der Multiprojektressourcenplanung ....................... 615 4.3.2.2.2 Erfolgsbedingungen der Multiprojektressourcenplanung..... 617 4.3.2.2.3 Organisatorische Verankerung der Multiprojektressourcenplanung...................................................................... 619 4.3.2.3 Multiprojektsynergieplanung ...................................................... 625 4.3.2.3.1 Arten von Abhängigkeiten ........................................................ 625 4.3.2.3.2 Planung von Synergieeffekten .................................................. 627 4.3.3 Die Aufgaben des Projektmanagementoffice (PMO) im Rahmen der Multiprojektplanung ........................................... 633 <?page no="23"?> XXIV · Inhaltsverzeichnis 4.4 Multiprojektumsetzung............................................................................... 634 4.4.1 Organisation der Multiprojektumsetzung ................................... 634 4.4.1.1 Multiprojektlenkungsausschuss ................................................. 634 4.4.1.2 Projektmanagementoffice (PMO) ............................................. 637 4.4.1.3 Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Organisationseinheiten ............................................................... 638 4.4.2 Aufgaben der Multiprojektumsetzung ......................................... 639 4.4.2.1 Entwicklung einheitlicher Projektmanagementstandards ........................................................................................ 640 4.4.2.2 Bereitstellung einer einheitlichen und aktuellen Datenbasis ..................................................................................... 641 4.4.2.3 Projektunterstützung und Projektkoordination ...................... 643 4.4.2.4 Aufbau von Projektmanagement-Know how ......................... 646 4.4.2.5 Multiprojektsynergie- und Multiprojektänderungsmanagement .................................................................................. 650 4.4.2.6 Durchführung von Projektmanagement-Assessments .......... 651 4.5 Multiprojektkontrolle .................................................................................. 652 4.5.1 Der Kontrollgegenstand................................................................. 652 4.5.2 Strategische Multiprojektkontrolle................................................ 655 4.5.2.1 Strategische Überwachung.......................................................... 656 4.5.2.2 Strategische Prämissenkontrolle ................................................ 657 4.5.2.3 Strategische Durchführungskontrolle ....................................... 658 4.5.3 Operative Multiprojektkontrolle ................................................... 659 4.5.3.1 Aufgaben der operativen Multiprojektkontrolle ..................... 659 4.5.3.2 Multiprojektreporting .................................................................. 661 4.5.3.3 Multiprojektabweichungsanalyse ............................................... 665 4.5.3.3.1 Aufgaben von Abweichungsanalysen ...................................... 665 4.5.3.3.2 Projektstrukturanalysen ............................................................. 666 4.5.3.3.3 Ressourcenabweichungen.......................................................... 668 4.5.3.3.4 Leistungsabweichungen ............................................................. 672 4.5.3.3.5 Terminabweichungen................................................................. 675 4.5.3.3.6 Kostenabweichungen................................................................. 678 4.5.3.3.7 Wirtschaftlichkeitsabweichungen ............................................. 683 4.5.3.4 Prozess und Instrumentarium der operativen Multiprojektkontrolle................................................................... 692 4.5.3.4.1 Multiprojektsteuerung................................................................ 692 4.5.3.4.2 Zusammenhang zwischen der strategischen und der operativen Multiprojektkontrolle ............................................. 694 4.5.3.4.3 Organisation der Multiprojektkontrolle .................................. 695 4.5.3.4.3.1 Aufgaben der Organisationseinheiten ............................ 696 <?page no="24"?> Inhaltsverzeichnis · XXV 4.5.3.4.3.2 Die Aufgaben des Projektmanagementoffice im Rahmen der Multiprojektkontrolle ............................ 699 4.5.3.4.4 Multiprojektkontrollcockpit ...................................................... 701 5 Zusammenfassung .............................................................................705 * Fragen zur Wiederholung .............................................................................709 * Fragen zur Vertiefung ...................................................................................711 * Literaturempfehlungen .................................................................................713 Teil 4: Das projektorientierte Unternehmen..................................... 715 1 Einführung ......................................................................................... 716 2 Neuausrichtung der Führungsfunktionen im projektorientierten Unternehmen....................................................... 718 2.1 Strategische Planung im projektorientierten Unternehmen.................. 718 2.2 Strategische Kontrolle im projektorientierten Unternehmen ............... 719 2.3 Organisation im projektorientierten Unternehmen................................ 721 2.4 Unternehmenskultur im projektorientierten Unternehmen.................. 723 3 Aufbau organisationaler Projektmanagementkompetenz..................726 3.1 Das projektorientierte Unternehmen als lernende Organisation ......... 726 3.2 Projekte als Bausteine des Wissensmanagements................................... 730 3.3 Wissensmanagement in Projekten ............................................................ 731 4 Aufbau persönlicher Projektmanagementkompetenz ........................736 4.1 Anforderungen an Projektleiter................................................................. 736 4.2 Die Bedeutung der Personalentwicklung................................................. 740 4.2.1 Kompetenzprofile ........................................................................... 740 4.2.2 Entwicklung von Kompetenzen ................................................... 744 5 Die Aufgaben des PMO im Rahmen eines projektorientierten Unternehmens .....................................................749 5.1 Schaffung von strukturellen Rahmenbedingungen ................................ 751 5.2 Stärkung des strategischen Denkens und Handelns in Projekten........ 752 5.3 Schaffung von sozialen Rahmenbedingungen ........................................ 753 5.4 Schaffung von kulturellen Rahmenbedingungen.................................... 754 <?page no="25"?> XXVI · Inhaltsverzeichnis 6 Wettbewerbsvorteile eines projektorientierten Unternehmens ..........755 6.1 Wettbewerbsvorteile durch Empowerment der Projektteams ............. 756 6.2 Wettbewerbsvorteile durch den Aufbau einer strategischen Kompetenz ................................................................................................... 760 7 Zukunftsvision einer projektorientierten Unternehmensentwicklung ................................................................ 761 8 Zusammenfassung .............................................................................767 * Fragen zur Wiederholung .............................................................................769 * Fragen zur Vertiefung ...................................................................................769 * Literaturempfehlungen .................................................................................770 Literaturverzeichnis ................................................................................ 771 Stichwortverzeichnis...............................................................................789 <?page no="26"?> Teil 1: Projektmanagement und Unternehmensführung 1 Projektmanagement im Wandel 2 Projektmanagement als Führungskonzeption 3 Das Entwicklungskontinuum des Projektmanagements 4 Aufbau des Buches 5 Zusammenfassung <?page no="27"?> 2 · Projektmanagement im Wandel 1 Projektmanagement im Wandel In der Geschichte der Menschheit spielen Aufgaben, die den Charakter von Projekten annehmen, eine beachtliche Rolle. Zu nennen sind z.B. der Bau der Pyramiden oder des Suez-Kanals, die Bekämpfung von Krankheiten oder die Organisation einer Friedenskonferenz. In den vergangenen Jahrzehnten hatten insbesondere technisch ausgerichtete Infrastrukturprojekte, wie der Bau von Staudämmen und Straßen, Bedeutung erlangt. Mit den Raumfahrtprogrammen rückte das Projektmanagement dann endgültig in die Nähe der industriellen Entwicklung und Fertigung. Die Beschäftigung mit Projekten war oftmals primär eine Angelegenheit von Ingenieuren. Aus diesem Grunde wurde die Netzplantechnik lange Zeit als Synonym für Projektmanagement angesehen. Eine solch eingeschränkte Sichtweise des Projektmanagements wird den heutigen Herausforderungen nicht mehr gerecht. Dies wird deutlich, wenn ein Blick auf die Trends geworfen wird, mit denen sich Unternehmen zunehmend auseinandersetzen müssen. Diese Trends führen zu einer deutlich erhöhten Komplexität im unternehmerischen Umfeld. Sie äußert sich in einer immer größer werdenden Anzahl von Einflussfaktoren auf ein Unternehmen und in deren weltweiten Vernetzung. Zusätzlich unterliegen diese Einflussfaktoren auch noch einer erhöhten Veränderungsdynamik. In Abb. 1-1 werden exemplarisch einige dieser makroökonomischen, gesellschaftlichen und technologischen Trends dargestellt (vgl. Hofmann/ Rollwagen/ Schneider [Deutschland] sowie Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit [Megatrends]). Werden diese Trends detaillierter betrachtet, fällt auf, dass es sich immer wieder um dieselben grundlegenden Faktoren handelt, die diese Trends beeinflussen: das Wissen, die weltweite Vernetzung sowie die zunehmende Dynamik des Wandels. Der Faktor Wissen treibt maßgeblich die technologische Entwicklung voran; diese findet inzwischen jedoch nur noch selten lokal abgegrenzt statt. Mit der schnell zunehmenden Digitalisierung aller Bereiche der Gesellschaft, die eng mit wirtschaftlichen Tätigkeiten verbunden sind, wird eine weltweite Vernetzung von Wirtschaft und Gesellschaft immer stärker zur Normalität. Mit dieser globalen Vernetzung nehmen jedoch auch die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Wechselwirkungen zu. Dies führt zu einer zunehmenden Dynamik des Wandels in allen Lebensbereichen, damit natürlich auch im Bereich des Wirtschaftens. <?page no="28"?> Projektmanagement im Wandel · 3 Makroökonomische Trends Gesellschaftliche Trends Technologische Trends Globalisierung bei gleichzeitiger Wahrung lokaler Zusammenhänge Wachsende politische und gesellschaftliche Vernetzung weltweit Informations- und Kommunikationstechnologie als Schrittmachertechnologie Weltweite Verteilung von Expertenwissen Kulturelle Vielfalt Internet 2.0 bestimmt zunehmend technologische Trends Herausbildung lokaler Wissenscluster, die über Ländergrenzen hinweg im Wettbewerb stehen Wachsende persönliche Mobilität Schnellere Produktlebenszyklen durch laufenden technologischen Fortschritt Erstarken der BRIC- Staaten, insbesondere der asiatischen Staaten Zunehmende Individualisierung des Einzelnen Technologisches Expertenwissen liegt global verteilt vor Erhöhte wirtschaftliche Dynamik durch wechselseitige Vernetzung der Volkswirtschaften Mündiger und zeitnah informierter und engagierter Bürger, Konsument und Arbeitnehmer Technologische Innovationen bestimmen zunehmend über den Geschäftserfolg Weltweiter Kampf um knappe Ressourcen Zunehmende Ausbildung von Spezialwissen Zunehmende Konvergenz von Technologien … Globale Vernetzung des Wissens über gemeinsame Plattformen … … Abb. 1-1: Makroökonomische, gesellschaftliche und technologische Trends Zugleich entwickelt sich Wissen durch die globale Vernetzung wesentlich schneller, so dass Wettbewerbsvorteile, die auf exklusivem Wissen aufbauen, immer schneller erodieren. Dies zeigt sich bspw. an den sich verkürzenden Produktlebenszyklen in vielen technologiegetriebenen Branchen. Damit sind verstärkt Lösungen gefordert, die es erlauben, das Wissen von Spezialisten oder von kooperierenden Partnerunternehmen flexibel, in immer wieder wechselnden Zusammenstellungen und zeitlich begrenzt in die eigenen Wertschöpfungsketten zu integrieren. Sogar die direkte Einbeziehung der Kundenintelligenz in <?page no="29"?> 4 · Projektmanagement im Wandel die Entwicklung neuer Produkte im Rahmen eines über das Web 2.0 organisierten offenen Entwicklungsprozesses ist mittlerweile denkbar. Verbesserung der Kundennähe, Steigerung der Innovationsfähigkeit bei gleichzeitiger Senkung der Entwicklungskosten sind die Herausforderungen zur Sicherung von Wettbewerbsvorteilen. Um diese Herausforderungen erfolgreich meistern zu können, spielt offensichtlich in Zukunft die Flexibilisierung der Organisation und der konkreten Arbeitssituation eine wesentliche Rolle für das Attrahieren der benötigten Wissensträger. Der Trend weist hier weg von festen und dauerhaften Arbeitsverhältnissen hin zu flexiblen, zeitlich begrenzten und bedarfsorientierten Engagements der Wissensträger. Insgesamt ist wohl davon auszugehen, dass sich sowohl Wissen als auch die zugehörigen Wissensträger schneller, flexibler und weltweit vernetzter entwickeln werden als in der Vergangenheit. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass aus diesen Trends steigende Anforderungen an die Fähigkeiten von Unternehmen erwachsen: Offenheit, Marktnähe und Kundenorientierung werden immer stärker gefordert. Die zentrale Herausforderung der strategischen Unternehmensführung muss vor diesem Hintergrund wohl als „Management des Wandels“ verstanden werden. Im Umgang mit dem Wandel spielen unternehmerische Kompetenzen wie Flexibilität, Kreativität, Innovationsfähigkeit und -bereitschaft, aber auch Geschwindigkeit und Entscheidungsfähigkeit eine wichtige Rolle. Gemäß dem Gedanken des „strategischen Fit“ müssen Unternehmen mit dem Aufbau von entsprechenden Kompetenzen, Strukturen und Prozessen reagieren, um erfolgreich mit diesen Veränderungen umgehen zu können (vgl. z.B. Bea/ Haas [Management] 16ff.). Diesen Ansprüchen sind die klassischen Organisationsmodelle nicht gewachsen. Stattdessen verspricht die Organisation des Geschäftes im Rahmen von Projekten einen adäquaten Umgang mit den ständig wachsenden Herausforderungen durch Umwelt und Kunden. Hierauf verweist auch die Studie „ Deutschland im Jahr 2020“ der Deutsche Bank Research. Diese Studie sieht in einer „Projektwirtschaft“ ein mögliches neues Wertschöpfungsmuster für die Bewältigung der beschriebenen Herausforderungen (vgl. Hofmann/ Rollwagen/ Schneider [Deutschland]). Diese Sichtweise wird auch von der HAYS-Studie zur betrieblichen Projektwirtschaft aus dem Jahr 2009 gestützt (vgl. Abb. 1-2 und 1-3). In ihr wird eine Vielzahl von externen und internen Ursachen für die Einführung einer betrieblichen Projektwirtschaft in Unternehmen genannt, die einen engen Bezug zu den oben beschriebenen Trends und Herausforderungen aufweisen (vgl. Rump/ Schabel/ Alich/ Groh [Betriebliche Projektwirtschaft]). <?page no="30"?> Projektmanagement im Wandel · 5 Angaben in % Mehrfachnennungen möglich N=217 Zunahme der Komplexität von Produkten und Dienstleistungen Marktdruck und Erfordernisse (z.B. Nähe zum Kunden) Kostendruck (daher Nutzung von unternehmensinternen Potentialen) Nutzung von Synergien zwischen Fachbereichen und Niederlassungen Kürzere Innovationszyklen bzw. -druck Flexibilisierung der Arbeitswelt Keine Angabe 6 56 50 48 41 33 60 Abb. 1-2: Externe Ursachen für die Einführung einer betrieblichen Projektwirtschaft (Quelle: Rump/ Schabel/ Alich/ Groh [Betriebliche Projektwirtschaft] 14) Projekte sind vom Charakter her zunächst kleinere, äußerst flexible Einheiten, die geradezu prädestiniert dafür sein können, mit schnellem Wandel und Komplexität umzugehen. Modelle der Projektorganisation ermöglichen zudem eine Objektorientierung anstelle der Funktionsorientierung sowie die Möglichkeit der fachübergreifenden Zusammenarbeit in einer teamorientierten Projektgruppe. Es findet somit eine Überwindung der tayloristischen Arbeitsteilung statt. Doch damit nicht genug: Wird der Gedanke des „strategischen Fit“ konsequent zu Ende gedacht und zugleich das „Management des Wandels“ als zentrale Herausforderung der strategischen Unternehmensführung angenommen, kann dem Projektmanagement eine ganz neue strategische Bedeutung beigemessen werden. Allerdings muss hierzu das Verständnis des Projektmanagements über das reine „Management von Projekten“ hinaus erweitert werden. Die Notwendigkeit zur Erweiterung der Sichtweise ergibt sich einerseits durch die Tatsache, dass in einem Unternehmen, das den geschilderten Umfeldbedingungen mit einem vermehrten Einsatz von Projekten begegnet, zunehmend <?page no="31"?> 6 · Projektmanagement im Wandel mehrere Projekte gleichzeitig geplant, durchgeführt und kontrolliert werden müssen, die meist auf dieselben Ressourcen zurückgreifen. Je größer der Anteil des Projektgeschäftes am Umsatz wird, desto mehr gewinnt dieses Projektgeschäft an strategischer Bedeutung: Die Struktur des Projektportefeuilles des Unternehmens bestimmt zunehmend die strategische Entwicklung des gesamten Unternehmens. Angaben in % Mehrfachnennungen möglich N=217 Bessere Bewältigung von komplexen Frage- und Aufgabenstellungen Nutzung der Kompetenzen und des Know-hows aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen Neue Produkte und Dienstleistungen lassen sich über Projektteams besser entwickeln Steigerung der Innovationsfähigkeit Schaffung einer höheren Flexibilität Keine Angabe 4 42 50 55 74 79 Abb. 1-3: Interne Ursachen für die Einführung einer betrieblichen Projektwirtschaft (Quelle: Rump/ Schabel/ Alich/ Groh [Betriebliche Projektwirtschaft] 15) Andererseits ist die strategische Erweiterung der rein operativen Sichtweise auf das Projektmanagement sinnvoll, da Projekte in zunehmendem Maße gezielt zur Umsetzung von Strategien eingesetzt werden. Strategien sind „Maßnahmen zur Sicherung des langfristigen Erfolgs eines Unternehmens“ ( Bea/ Haas [Management] 54). Mit ihrer Hilfe soll ein Fit zwischen den Anforderungen der Umwelt und den Stärken und Schwächen des Unternehmens erreicht werden. Bei Fragen der strategischen Unternehmensentwicklung handelt es sich somit i.d.R. um schlecht strukturierte, komplexe und aufgrund der vielfältigen Verflechtungen der verschiedenen Einflussfaktoren fortlaufend um neuartige Pro- <?page no="32"?> Merkmale einer Führungskonzeption · 7 blemstellungen. Zum Charakter strategischer Steuerungsprobleme und den daraus resultierenden Konsequenzen vgl. Scheurer [Steuerung]. Genau diese Charakteristika werden typischerweise Projekten zugeschrieben: Neuartigkeit, Einmaligkeit, eine beachtliche Größe bzw. Bedeutung sowie ein hoher Grad an Komplexität zeichnen Projekte aus (vgl. S. 32). Schon allein der Projektcharakter strategischer Aufgabenstellungen spricht daher dafür, Projekte im Rahmen der strategischen Unternehmensentwicklung gezielt zu nutzen. Auf der Grundlage eines „Managements von Projekten“ entwickelt sich somit ein „Management durch Projekte“ mit einem originär strategischen Charakter. Das Projektmanagement befindet sich im Wandel: Während es früher vorrangig als Methodik zur möglichst effizienten Abwicklung einzelner Projekte eingesetzt wurde, gewinnt es in den letzten Jahren zunehmend Relevanz für die Unternehmensführung. Wir können noch einen Schritt weitergehen: Wird Projektmanagement als Mittel der strategischen Unternehmensführung begriffen und systematisch in diesem Sinne ins Unternehmen eingebettet, können besonders nachhaltige Wettbewerbsvorteile erzielt werden. Wie stark die strategische Rolle des Projektmanagements bei einem Unternehmen ausgeprägt sein sollte, kann nicht allgemein beantwortet werden. Vielmehr hängt dies von der Situation des Unternehmens ab. Generell gilt: Je stärker die Umwelt- und Unternehmensdynamik ist, in der sich das Unternehmen befindet, und je mehr Anteile des Gesamtumsatzes über Projekte abgewickelt werden, umso ausgeprägter sollte das Projektmanagement in die strategische Unternehmensentwicklung eingebettet werden. Wir schlagen in diesem Zusammenhang ein „Entwicklungskontinuum des Projektmanagements“ vor. Dies wird in Abschnitt 3 vorgestellt. Zuvor soll allerdings im folgenden Abschnitt 2 noch unser Verständnis des Projektmanagements als „Führungskonzeption“ beschrieben werden. 2 Projektmanagement als Führungskonzeption 2.1 Merkmale einer Führungskonzeption Im vorigen Abschnitt wurde die historische Entwicklung des Projektmanagements ausgehend von antiken Großvorhaben bis hin zur industriellen Entwicklung und Fertigung kurz geschildert. Dabei wurde klar, dass Projektmanagement geschichtlich gesehen zunächst als eine stark einzelprojektbezogene Abwicklungsmethodik verstanden werden muss. <?page no="33"?> 8 · Projektmanagement als Führungskonzeption Erst in neuerer Zeit, sicher auch wesentlich beschleunigt durch die Globalisierung, gewinnt Projektmanagement einen zunehmend strategischen Charakter. Diese Entwicklung des Projektmanagements lässt sich nicht mehr zurückdrehen, im Gegenteil, sie wird sich eher weiter beschleunigen. Aus diesem Grunde ist es u.E. höchste Zeit, Projektmanagement neu im Kontext der Unternehmensführung zu interpretieren. Wir betrachten Projektmanagement aus diesem Grund als Führungskonzeption. Eine Führungskonzeption beschreibt die grundsätzliche Ausrichtung der Unternehmensführung bei der zielorientierten Gestaltung des Unternehmens. Sie äußert sich in den Zielen, den Aufgaben und den Methoden der Führung. Wird das Projektmanagement als Führungskonzeption verstanden, so bedeutet dies, dass die Ziele, die Aufgaben und die Methoden des Projektmanagements unmittelbar mit der strategischen Entwicklung des Unternehmens verknüpft werden müssen. Ein solch umfassendes Verständnis von Projektmanagement ist schon aus praktischen Erwägungen nahezu unumgänglich. Da in der Praxis davon auszugehen ist, dass immer höhere Umsatzanteile über Projekte abgewickelt werden, reicht ein Verständnis von Projektmanagement, das nur auf die Abwicklung eines einzelnen Projektes fokussiert ist, nicht mehr aus. Ein umfassenderer Projektmanagement-Ansatz ist vielmehr notwendig. Dies gilt umso mehr, als nicht nur die Unternehmensentwicklung immer mehr von den Projekten abhängt, sondern auch das Unternehmensergebnis bzw. das Wertsteigerungspotenzial des gesamten Unternehmens. Damit wird deutlich, dass der stark ingenieurwissenschaftliche Ansatz des Projektmanagements durch einen ökonomischen Ansatz ergänzt werden muss. Erst in den letzten Jahren sind einige originär betriebswirtschaftlich ausgerichtete Abhandlungen zum Projektmanagement erschienen (z.B. das Lehrbuch von Corsten/ Corsten/ Gössinger [Projektmanagement]). Allerdings wird in der Mehrzahl dieser Bücher der Schwerpunkt der Betrachtung ebenfalls auf einzelne Projekte und deren Abwicklung mittels eines Phasenkonzepts gelegt. Mit einem Phasenkonzept und dem Entwurf von Instrumenten, welche die Abwicklung der einzelnen Phasen unterstützen, soll die Durchführung von Projekten systematisiert und effizienter gemacht werden. Auch aus ökonomischer Sicht steht somit zumeist lediglich die Frage der Projekteffizienz im Mittelpunkt. Die effiziente Durchführung von Projekten ist und bleibt natürlich immer richtig und wichtig, allein diese Betrachtungsweise reicht angesichts der <?page no="34"?> Merkmale einer Führungskonzeption · 9 geschilderten Entwicklung nicht mehr aus. Neben der Frage der Effizienz des Einzelprojektes stellt sich zunehmend die Frage nach der Effektivität der gesamten „Projektlandschaft“ eines Unternehmens. Wirtschaftliches Denken und Handeln lässt sich generell durch die zwei Ziele der Effektivität und der Effizienz beschreiben: Effizienz Bei der Effizienz handelt es sich um die Relation von aktuellem Output zu aktuellem Input; hier steht also die Sicherung der Wirtschaftlichkeit bei der Umsetzung operativer Planungen im Vordergrund. Effektivität Die Effektivität bezeichnet das Verhältnis von aktuellem zu erwünschtem Output und kann somit als Leitlinie für die langfristige strategische Ausrichtung eines Unternehmens dienen. Hofer/ Schendel ([Strategy] 2) verdeutlichen den Unterschied zwischen Effektivität und Effizienz sehr anschaulich: Effektivität bedeutet, die richtigen Dinge zu tun („to do the right things“), während Effizienz heißt, die Dinge richtig zu tun („to do the things right“). (1) Projekteffizienz Die Projekteffizienz rückt die Sicherung der Wirtschaftlichkeit im Zuge der operativen Umsetzung eines Projektes in den Vordergrund. Das Projekt selbst und seine Durchführung werden bei dieser Betrachtung zunächst nicht grundlegend in Frage gestellt. Aus diesem eher operativ angelegten Aspekt der Wirtschaftlichkeit ergeben sich folgende Aufgaben: Durchführung von Soll-Ist-Vergleichen Aus den Projektzielen ergeben sich die Soll-Größen für die Kontrolle. Konkretisiert werden diese Größen in der Projektplanung. Für die effiziente Durchführung eines Projektes spielen insbesondere die drei Zieldimensionen „Kosten“, „Zeit“ und „Leistung“ eine wichtige Rolle, die miteinander das „Magische Dreieck der Projektsteuerung“ bilden (vgl. Abb. 1-4). <?page no="35"?> 10 · Projektmanagement als Führungskonzeption Kosten Zeit Leistung Kosten Zeit Leistung Abb. 1-4: Magisches Dreieck der Projektsteuerung Durchführung von Soll-Wird-Vergleichen Mit einer Planfortschrittskontrolle werden ab Projektbeginn die Ziele mit den aufgrund von Erfahrungswerten abgeleiteten Prognosen der Zielerreichung verglichen. Auf der Grundlage dieser Soll-Wird-Vergleiche lassen sich rechtzeitig Korrekturmaßnahmen einleiten, falls Abweichungen festgestellt werden. (2) Projekteffektivität Effektivität fragt danach, ob ein Unternehmen auf dem richtigen Weg ist. Im Sinne der Projekteffektivität sollte vom Projektstart an über die gesamte Projektlaufzeit hinweg bis zum Projektabschluss laufend die Frage gestellt werden, ob das betreffende Projekt grundsätzlich zur Erreichung der Unternehmensziele beiträgt. Entscheidend dabei ist, dass die Sicherstellung der Projekteffektivität in jeder Phase des Projektablaufes zu Konsequenzen für das betrachtete Projekt, evtl. aber auch für andere Projekte des Projektportefeuilles führen kann. Mit anderen Worten: Auch ein bereits laufendes Projekt muss aus dieser Perspektive immer wieder von neuem in Frage gestellt werden. Die Ausrichtung an der Effektivität als strategischer Variante der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung verlangt die Wahrnehmung folgender Aufgaben: Auswahl von Projekten Um jene Projekte auszuwählen, die am besten zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen, ist ein systematischer Auswahlprozess von Projekten auf der Grundlage von strategischen und ertragswirtschaftlichen Kriterien erforderlich. <?page no="36"?> Ziele des Projektmanagements · 11 Entscheidung über Abbruch oder Weiterführung eines laufenden Projektes In der Praxis werden laufende Projekte nur selten vollständig abgebrochen. Allerdings findet seit einigen Jahren im Zuge der Shareholder-Value- Orientierung und der Konzentration auf Kernkompetenzen eine stärkere Diskussion um die Desinvestition als eigene strategische Alternative statt. Damit dürfte bei entsprechenden Voraussetzungen zukünftig ein Projektabbruch auch eher möglich werden. Analyse abgeschlossener Projekte Nach Projektabschluss sollte ein letzter Soll-Ist-Vergleich durchgeführt werden (Projektnachkalkulation), um die Einhaltung der Kosten- und Leistungsziele und somit die Erreichung des geplanten Erfolgsbeitrages zu überprüfen. Aus dieser abschließenden wirtschaftlichen Betrachtung können sich Änderungen für zukünftige Projekte ergeben, wie z.B. eine Anpassung bisheriger Prognoseverfahren für den Ansatz von Planwerten. Die Dokumentation und Analyse von positiven und negativen Erfahrungen bei einem Projekt stellen wichtige Grundlagen für organisationales Lernen dar Wir fassen zusammen: Ein umfassend fundierter ökonomischer Ansatz des Projektmanagements muss neben Antworten auf die effiziente Abwicklung eines einzelnen Projektes auch Antworten zur strategischen Unternehmensentwicklung durch eine Vielzahl von Projekten liefern. Dies kann nur dann gelingen, wenn Projektmanagement als umfassende Führungskonzeption verstanden wird. In den folgenden Abschnitten zeigen wir detaillierter, welche Ziele und welche Aufgaben dem Projektmanagement zukommen, wenn dieses als Führungskonzeption interpretiert wird. Zudem wird aufgezeigt, welche methodischen Konsequenzen sich daraus für das Projektmanagement ergeben. 2.2 Ziele des Projektmanagements Versteht man Projektmanagement als Führungskonzeption, so wird das Projektmanagement zu einem Instrument der Unternehmensführung. Die grundlegende Aufgabenstellung der Unternehmensführung besteht darin, das Unternehmen so in seiner Umwelt zu positionieren, dass es ihm dauerhaft gelingt, sich erfolgreich weiterzuentwickeln und überdurchschnittliche Rentabilitäten zu erzielen. Konkretisiert wird diese Aufgabenstellung über die strategische Ausrichtung des Unternehmens sowie über die Steigerung des Unternehmenswertes. Wir unterscheiden also zwei Ziele des Projektmanagements: Strategische Unternehmensentwicklung Steigerung des Unternehmenswertes <?page no="37"?> 12 · Projektmanagement als Führungskonzeption Im Folgenden wird geprüft, welchen Beitrag das Projektmanagement zur Verwirklichung dieser Ziele leisten kann. 2.2.1 Strategische Unternehmensentwicklung Grundlage für ein Verständnis des Projektmanagements als Führungskonzeption ist die Tatsache, dass in der Praxis ein zunehmender Anteil der unternehmerischen Aktivitäten über Projekte abgewickelt wird. Für die Dynamik des Unternehmens ist es somit von entscheidender Bedeutung, ob die Projekte eher zufällig nach Maßgabe ihres zeitlichen Anfalls in Angriff genommen und umgesetzt werden, oder ob die Wahl bestimmter Projekte von der Absicht zur strategischen Entwicklung des gesamten Unternehmens beeinflusst wird. Da eine eher zufällige Abwicklung von Projekten weder aus wertorientierter Sicht noch aus Sicht der strategischen Unternehmensentwicklung sinnvoll ist, muss Projektmanagement zunehmend mit der übergeordneten Sichtweise der Unternehmensführung verknüpft werden. Konkret bedeutet dies, dass sich Projektmanagement neben der Aufgabenstellung der Einzelprojektabwicklung auch aus diesem Grunde der Aufgabe eines Multiprojektmanagements stellen muss. An die Stelle einer eher zufallsbehafteten Abwicklung sukzessiv auftretender Projekte muss die gezielte Auswahl eines Projektportefeuilles treten. Dieses Projektportefeuille sollte das Ergebnis eines Auswahlprozesses sein, der sich systematisch an qualitativen und quantitativen Kriterien einer strategischen Unternehmensentwicklung ausrichtet. Eine derartige Zusammenstellung eines Projektportefeuilles, das letztlich wesentlichen Einfluss auf die Ausrichtung der strategischen Unternehmensentwicklung hat, und die parallele Umsetzung einer Vielzahl solch strategischer Projekte im Rahmen eines systematischen Multiprojektmanagements verleihen dem Projektmanagement einen originär strategischen Charakter. Wie bereits dargelegt, liegt die Herausforderung des Projektmanagements nicht nur in der Zusammenstellung eines strategieorientierten Projektportefeuilles, sondern zugleich in der Bildung einer Kombination von Projekten, die mittelbis langfristig zu einer aus Sicht des Kapitalmarktes notwendigen Wertsteigerung des Unternehmens beiträgt. <?page no="38"?> Ziele des Projektmanagements · 13 2.2.2 Steigerung des Unternehmenswertes (1) Nachhaltiger Shareholder Value Die Steigerung des Unternehmenswertes hat in den letzten Jahren als Unternehmensziel stark an Bedeutung gewonnen. Insbesondere die Internationalisierung der Kapitalmärkte kann als Grund für diese Entwicklung angeführt werden: Der erhöhte Kapitalbedarf, der sich aus dem verstärkten globalen Wettbewerb ergibt, zwingt die Unternehmen, Eigenkapital auf den internationalen Kapitalmärkten zu akquirieren. Gerade im angloamerikanischen Raum handelt es sich bei den potenziellen Investoren um institutionelle Anleger, wie Pensionskassen und Investmentfonds, die selbst unter hohem Wettbewerbsdruck stehen. Um zu verhindern, dass das ihnen anvertraute Kapital wieder abgezogen wird, sind sie gezwungen, möglichst attraktive Anlagemöglichkeiten zu suchen. Daher konkurrieren die Unternehmen weltweit um das knappe Kapital der Investoren. Eine Orientierung der Unternehmensentwicklung an den Interessen der Anleger steht daher für viele Unternehmen außer Frage. Als Konsequenz orientieren sich immer mehr Unternehmen an der Leitidee der wertorientierten Unternehmensführung. Somit sind alle unternehmerischen Entscheidungen an der Wertsteigerung des Unternehmens auszurichten. Bezogen auf das Projektmanagement liegt ein Projekterfolg dann vor, wenn Projekte zur Steigerung des Unternehmenswertes beitragen. Damit stellt sich natürlich die Frage, was unter der Steigerung des Unternehmenswertes zu verstehen ist. Ob der Wert eines Unternehmens gesteigert wird, kann nicht unabhängig von der daran interessierten Zielgruppe beantwortet werden. Da sich aus den dargestellten Rahmenbedingungen die Eigentümer eines Unternehmens als eine besonders wichtige Zielgruppe mit starken Interessen am Unternehmen ableiten lassen, wird meist der Barwert aller zukünftigen Netto-Zahlungen an die Anteilseigner - oder mit anderen Worten: der Shareholder Value als Maßstab gewählt. Allerdings ist die Konzentration auf die Interessen der Eigner des Unternehmens nicht unumstritten: Im Rahmen des Stakeholder-Ansatzes wird gefordert, auch andere Interessengruppen, die in irgendeiner Form von der Unternehmung betroffen sind, einzubeziehen (vgl. Freeman [Stakeholder]). In der Tat ist von potenziellen Interessenkonflikten zwischen den Eigentümern und anderen Stakeholdern, wie den Mitarbeitern oder der Öffentlichkeit, auszugehen. <?page no="39"?> 14 · Projektmanagement als Führungskonzeption Allerdings kann es für kein Unternehmen sinnvoll sein, auf die Dauer wider die Interessen seiner Mitarbeiter und Kunden zu handeln. Man kann diese Bezugsgruppen vielmehr auch als „Quelle langfristiger Cash-flows“ verstehen, die eine Steigerung des Unternehmenswertes überhaupt erst ermöglichen ( Rappaport [Shareholder Value] 9). Aus diesem Grunde sind in Theorie und Praxis zunehmend Ansätze zu finden, die von einem Ausgleich unterschiedlicher Interessenlagen, insbesondere ökonomischer, ökologischer und sozialer Interessen ausgehen, um so einen nachhaltigen Shareholder Value zu generieren (vgl. Rauschenberger [Shareholder Value] 12). Abb. 1-5 verdeutlicht die Idee eines solchen nachhaltigen Shareholder Value. Ökonomische Performance Ökologische Performance Soziale Performance Nachhaltiger Shareholder Value Abb. 1-5: Nachhaltiger Shareholder Value (Quelle: Rauschenberger [Shareholder Value] 13) Damit kann auch die Bewertung eines Projektes nicht isoliert nur nach Wertsteigerungskriterien erfolgen, sondern muss um einen strategischen Aspekt ergänzt werden. So kann ein Projekt auf den ersten Blick zwar einen negativen Wertbeitrag erbringen, aber dem langfristigen Aufbau von Kernkompetenzen dienen und somit dennoch sinnvoll im Sinne einer nachhaltigen Unternehmenswertsteigerung sein. Beispielhaft seien Projekte zur Erforschung zukunfts- Wir gehen im Weiteren von einem stakeholder-orientierten Ansatz aus, dessen Zielsetzung in einer nachhaltigen Steigerung des Unternehmenswertes liegt. <?page no="40"?> Ziele des Projektmanagements · 15 trächtiger Technologien oder zunächst verlustbringende Pilotprojekte zur Öffnung neuer Märkte genannt. Wir fassen zusammen: In der Praxis werden unternehmerische Aktivitäten zunehmend über Projekte abgewickelt. Projekten kommt damit ein immer größeres Gewicht hinsichtlich der Steigerung des Unternehmenswertes zu. Projektmanagement kann sich vor diesem Hintergrund nicht mehr nur auf die effiziente Abwicklung von einzelnen Projekten beschränken. Neben einem wirtschaftlichen Vollzug von Projekten gewinnt in erster Linie die Auswahl von wertsteigernden Projekten an Bedeutung. Werden im Sinne der Wertsteigerung des Unternehmens bereits die „falschen“ Projekte ausgewählt, kann dieser Fehler auch durch eine noch so wirtschaftliche Abwicklung dieser Projekte nicht mehr, oder mindestens nur noch sehr bedingt, korrigiert werden. Projektmanagement solchermaßen als Instrument der Unternehmensentwicklung und Unternehmenswertsteigerung verstanden, verfolgt damit zwei wesentliche Ziele: Die Zusammenstellung und das Management eines Projektportefeuilles, mit dem die strategische Entwicklung des Unternehmens gefördert werden kann. Die Zusammenstellung und das Management eines Projektportefeuilles, mit dem sich eine aus Sicht des Kapitalmarktes notwendige Wertsteigerung des Unternehmens erzielen lässt. Diese beiden Ziele liegen im weiteren Verlauf dieses Lehrbuches sowohl der Betrachtung der theoretischen Grundlagen als auch der Darstellung der konkreten Umsetzungsaktivitäten des Projektmanagements zugrunde. (2) Nonprofit-Organisationen Es ist zu beachten, dass es eine Vielzahl von Unternehmen gibt, bei denen die Wertsteigerung keine nennenswerte oder überhaupt keine Rolle spielt. Diese Unternehmen werden als Nonprofit-Organisationen bezeichnet. Bei ihnen steht die Bedarfsdeckung durch die Bereitstellung eines Leistungsprogramms im Vordergrund. Erscheinungsformen von Nonprofit-Organisationen sind z.B. Vereine, Verbände, Gewerkschaften, Genossenschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, Naturschutzorganisationen, Kirchen, religiöse Gemeinschaften, Wohlfahrts- und caritative Organisationen, staatliche Krankenhäuser, Theater, Schulen, Universitäten und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Bei diesen Unternehmen verlangen die zunehmende Komplexität und Dynamik der Unternehmensumwelt genauso wie bei den gewinnorientierten Unternehmen den vermehrten Einsatz von Projekten als wesentliche Instru- <?page no="41"?> 16 · Projektmanagement als Führungskonzeption mente der Unternehmensentwicklung. Als Beispiel seien die Universitäten genannt, die mit neuen Studiengängen und Lehrmethoden sowie länder- und fachübergreifenden Forschungsprojekten auf die zunehmende Internationalisierung und wachsende gesellschaftliche Relevanz des Bildungssystems reagieren. Für das Projektmanagement von Nonprofit-Organisationen ergeben sich aus der Unterordnung des Wertsteigerungsziels unter das Ziel der strategischen Entwicklung unterschiedliche Konsequenzen: 1. Das Management von Projekten (Teil 2, S. 31ff.) ist im Wesentlichen zielunabhängig konzipiert und insofern behalten die Aussagen zu den Phasen des Managements von Projekten und zur Projektorganisation auch für Projekte von Nonprofit-Organisationen ihre prinzipielle Gültigkeit. 2. Beim Management durch Projekte (Teil 3, S. 464ff.) steht die Projektwahl im Vordergrund. Diese wiederum ist im Wesentlichen determiniert von den Zielen, die von der Nonprofit-Organisation verfolgt werden. Da bei Nonprofit-Organisationen das Ziel der Wertsteigerung entfällt, müssen die Methoden der Projektauswahl stärker an der erwünschten Entwicklung der Organisation ausgerichtet werden. Die Beachtung der Kostenvorgaben ist dabei meist eine wichtige Rahmenbedingung. Beispiel: Die Prioritäten im Rahmen des Bedarfsplanes für Verkehrsprojekte der öffentlichen Hand werden wesentlich vom Ergebnis einer Kosten-Nutzen- Rechnung bestimmt. In die Nutzenschätzung können dabei öffentliche Güter wie Reduktion von Verkehrsunfällen und Verbesserung der Umweltqualität einfließen. 2.3 Aufgaben des Projektmanagements Aus den Zielsetzungen des Projektmanagements leiten sich in einem nächsten Schritt auch die Aufgabenstellungen des Projektmanagements als Führungsfunktion ab. Die Aufgaben liegen in der Planung, Umsetzung und Kontrolle jedes Einzelprojektes durch ein systematisches Einzelprojektmanagement sowie in der Planung, Umsetzung und Kontrolle der angestrebten strategischen Unternehmensentwicklung und Unternehmenswertsteigerung durch ein systematisches Multiprojektmanagement. In dieser Form sind die Aufgaben noch relativ abstrakt formuliert. Im Kern geht es aber um die Einführung und Umsetzung eines systematischen Planungs- <?page no="42"?> Methodik des Projektmanagements · 17 und Steuerungsprozesses sowohl auf der Ebene des gesamten Projektportefeuilles als auch auf der Ebene des Einzelprojektmanagements. Planung, Umsetzung und Kontrolle sind auf das Engste miteinander verbunden. Umsetzung und Kontrolle werden häufig unter den Begriff „Steuerung“ subsumiert. Mit der Planung sollen vorlaufend komplexe Probleme soweit strukturiert und durchdacht werden, dass sie einer Lösung zugeführt werden können. Mit der Steuerung wird dann versucht, die Realisierung der geplanten Problemlösungen sicherzustellen. Hierzu sind i.d.R. Korrektur- und Anpassungsmaßnahmen notwendig, da sich die Realität oftmals nicht plangemäß verhält. Projektmanagement als Führungskonzeption hat sich somit geordneter und systematisch aufgebauter Planungs- und Steuerungsprozesse zu bedienen, um die zugrunde liegenden Zielsetzungen der strategischen Unternehmensentwicklung und Wertsteigerung zu erreichen. Daher werden wir uns in diesem Lehrbuch eng an diese grundlegende Planungs- und Steuerungssystematik halten: In Teil 2 des Lehrbuchs stellen wir die Abwicklung von Einzelprojekten in den Phasen Planung, Umsetzung und Kontrolle dar. In Teil 3 des Lehrbuches befassen wir uns mit der Planung, Umsetzung und Kontrolle des Projektportefeuilles. 2.4 Methodik des Projektmanagements Die Methodik des Projektmanagements ist eng verknüpft mit den Aufgaben des Projektmanagements und den zu deren Umsetzung benötigten systematischen Planungs- und Steuerungsprozessen. Im Rahmen der Planungs- und Steuerungsphasen kommt eine Vielzahl von Einzelmethoden zur Anwendung. Um die Betrachtung dieser Einzelmethoden soll es an dieser Stelle jedoch noch nicht gehen. Diese werden im direkten Bezug zu den jeweiligen Fragestellungen des Einzelprojektmanagements bzw. des Multiprojektmanagements in Teil 2 (Management von Projekten) bzw. in Teil 3 (Management durch Projekte) dargestellt. Vielmehr soll an dieser Stelle eine übergeordnete Methodik in Form der „Führungsregelkreise des Projektmanagements“ vorgestellt werden. Dieser Methodik liegt wiederum die Vorstellung von Projektmanagement als Führungskonzeption zugrunde. Damit wird klar, dass diese übergeordnete Metho- <?page no="43"?> 18 · Projektmanagement als Führungskonzeption dik die Planung und Steuerung von Projekten ganzheitlich, und zwar ausgehend vom Einzelprojekt bis hin zur Multiprojektplanung und Multiprojektsteuerung umfassen muss. Bevor diese Führungsregelkreise vorgestellt werden, soll im Folgenden zunächst noch auf die generellen Aufgaben einer Methodik eingegangen werden. Die generellen Aufgabenstellungen einer Methodik gelten für die übergeordnete Methodik der Führungsregelkreise des Projektmanagements ebenso wie für die Summe aller einzelnen Methoden, die wir in Teil 2 und Teil 3 des Lehrbuches noch darstellen werden (S. 133f., S. 591ff.). 2.4.1 Aufgaben einer Methodik des Projektmanagements Eine Methodik des Projektmanagements stellt eine Vorgehensweise dar, die es erlaubt, die Vielzahl aller im Zusammenhang mit dem Projektmanagement anfallenden Aufgaben zu strukturieren und mit der Bereitstellung von Techniken deren Lösung zu unterstützen. Zugleich erlaubt die Anwendung einer Methodik gleichsam die checklistenartige Abarbeitung der anfallenden Aufgabenstellungen und verhindert damit das Vergessen wichtiger Aufgabenbestandteile. Durch die systematische Bearbeitung der mit dem Projektmanagement verbundenen Aufgabenstellungen mittels einer allgemein bekannten Projektmanagementmethodik werden die Bearbeitungsschritte zudem intersubjektiv überprüfbar und somit für alle Beteiligten transparent und nachvollziehbar. Mit der Transparenz der Aufgabenabwicklung wird zugleich die Voraussetzung für einen arbeitsteiligen Abwicklungsprozess geschaffen. Dies ist gerade im Hinblick auf das Projektmanagement von besonderer Bedeutung, da es sich beim Projektmanagement typischerweise um eine Querschnittsaufgabe handelt. Es müssen i.d.R. solche Aufgaben bearbeitet werden, die einen abgestimmten Lösungsansatz über eine Vielzahl von Fachabteilungen bzw. Funktionsbereiche hinweg verlangen. Damit rückt zugleich eine weitere Funktion einer Projektmanagementmethodik in den Mittelpunkt: Querschnittsaufgaben verlangen nach einem hohen Abstimmungsgrad zwischen den beteiligten Fachbereichen und damit nach einer einheitlichen Kommunikationsgrundlage. Die Methodik des Projektmanagements dient der Abwicklung des Projektmanagements. Sie umfasst Regeln zur Durchführung der einzelnen Managementaktivitäten und Techniken zur Lösung von Managementaufgaben. <?page no="44"?> Methodik des Projektmanagements · 19 2.4.2 Die Führungsregelkreise des Projektmanagements Die wesentlichen Aufgaben, die sich aus dem Verständnis des Projektmanagements als Führungskonzeption ergeben, haben sowohl einen effektivitätsorientierten als auch einen effizienzorientierten Charakter. Projektmanagement soll mithelfen, die erwünschte Unternehmensentwicklung umzusetzen sowie die erwartete Wertentwicklung des Unternehmens zu erzielen. Mit der Zielsetzung der Wertsteigerung rückt zugleich die möglichst rentable Abwicklung jedes Einzelprojektes mit in den Fokus. Die Aufgabenstellungen sind im Grunde untrennbar miteinander vernetzt. Wir stellen die effizienzorientierte und damit stärker operativ orientierte Abwicklung des Einzelprojektes in Teil 2 dar, gefolgt vom effektivitätsorientierten, strategisch ausgerichteten Multiprojektmanagement in Teil 3 des Buches. In der Realität des Projektmanagements sind diese Aufgabenstellungen jedoch nicht so trennscharf voneinander abzugrenzen. Vielmehr gibt es immer wieder wechselseitige Beziehungen zwischen der strategischen und der operativen Ebene des Projektmanagements, insbesondere dann, wenn es um die Sicherstellung der Projektwertbeiträge geht. Diese wechselseitige Vernetzung zwischen den unterschiedlichen Aufgabengebieten des Projektmanagements wollen wir nicht aus dem Auge verlieren. Aus diesem Grunde führen wir Führungsregelkreise des Projektmanagements ein: Während sich die in Teil 2 und Teil 3 dargestellte Projektmanagementmethodik unmittelbar mit der Strukturierung und Lösung der strategischen und operativen Projektaufgaben beschäftigt, konzentrieren sich die hier vorgestellten Führungsregelkreise auf den Zusammenhang zwischen der strategischen und operativen Projektebene. Letztlich erfolgt über die Führungsregelkreise die Verzahnung zwischen einem Management von Projekten und dem Management durch Projekte i.S. einer ganzheitlichen Führungskonzeption. Dies wird über die systematische Rückkopplung von Planung, Umsetzung und Kontrolle unter Berücksichtigung von Effektivitäts- und Effizienzkriterien erreicht. Dies ist zugleich ein wesentliches Merkmal für eine primär an der Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Führungskonzeption „Projektmanagement“. Abb. 1-6 zeigt die Führungsregelkreise des Projektmanagements, die im Folgenden näher beschrieben werden sollen. <?page no="45"?> 20 · Projektmanagement als Führungskonzeption Umsetzung der Projektplanung Erfassung von Ist-Projektdaten Durchführung eines Soll-Ist-Vergleichs (Abweichungsanalyse) Konsequenzen aus den Abweichungen Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Durchführungskontrolle Gesamtunternehmensplanung Planung der Unternehmensentwicklung Planung der Wertentwicklung Entscheidung für ein Projektportfeuille Änderung der Gesamtunternehmensplanung, evtl. Projektabbruch Einzelprojektplanungen (Vorgabe von Soll-Daten) Änderung der Einzelprojektplanung Sukzessiver Planungsfortschritt Durchführung eines Soll-Wird-Vergleichs (Planfortschrittskontrolle) Strategische Überwachung Strategische Überwachung Strategische Prämissenkontrolle Umsetzung der Multiprojektplanung Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Ebene Operative Ebene Abb. 1-6: Führungsregelkreise des Projektmanagements (1) Der obere dunkler unterlegte Teil des Systems von Regelkreisen zeigt die strategische Ebene des Managements durch Projekte. Die erste Aufgabenstellung besteht in der Auswahl der „richtigen“ Projekte. Dabei sind zwei Aspekte für die Bildung des Projektportefeuilles entscheidend: 1. Die Ausrichtung des Projektportefeuilles an der angestrebten Entwicklung des gesamten Unternehmens 2. Die Ausrichtung an der angestrebten Wertsteigerung des Unternehmens In einem zweiten Schritt muss dann die Umsetzung dieses Projektportefeuilles auf der Multiprojektebene so erfolgen, dass eine koordinierte Überführung der Vielzahl von Projekten von der Multiprojektebene auf die Ebene der Einzelprojektplanung möglich wird. Hier findet dann zugleich der Übergang in das operativ angelegte Management von Projekten statt. Diese Ebene ist durch den hell unterlegten Teil des Systems von Regelkreisen gekennzeichnet. <?page no="46"?> Methodik des Projektmanagements · 21 (2) Auf der operativen Ebene geht es v.a. um die effiziente Abwicklung jedes einzelnen Projektes. In diesem Zusammenhang spielen die Regelkreise im hell unterlegten Teil der Abbildung eine entscheidende Rolle, insbesondere der durchgezogene Regelkreis, der bei den Einzelprojektplanungen und dem sukzessiven Planungsfortschritt beginnt. (a) Entscheidend für die Sicherung der Wirtschaftlichkeit der Projektab-wicklung ist das Durchlaufen eines ersten Kontrollzyklus' noch im Planungsstadium des Projektes (gestrichelte Pfeile). Hier zeigen sich im Rahmen einer Planfortschrittskontrolle bereits erste wichtige Abweichungen, die möglicherweise noch korrigiert werden können, während dies im Stadium der bereits konkret gewordenen Projektumsetzung nur noch schwer oder gar nicht mehr möglich ist. Fallen die Abweichungen sehr nachhaltig aus, stellt sich bereits in diesem sehr frühen Stadium der Projektabwicklung die Frage nach einem Projektabbruch oder gar nach strategischen Konsequenzen für das gesamte Projektportefeuille. Hier zeigt sich die enge Verknüpfung zwischen operativer und strategischer Ebene des Projektmanagements. Werden eher kleinere Abweichungen festgestellt, können diese durch Änderungen der Einzelprojektplanung in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen noch korrigiert werden. Möglicherweise ist jedoch parallel zur Korrektur der Einzelprojektplanung zusätzlich auch auf der Ebene der Multiprojektplanung eine Anpassung vorzunehmen. (b) Auch der durchgezogene Regelkreis, der bei der Umsetzung der Einzelprojektplanung beginnt und einen Soll-Ist-Vergleich sowie eine Abweichungsanalyse enthält, trägt zur Sicherung der Projekteffizienz bei. Allerdings werden Wirtschaftlichkeitsabweichungen hier erst zu einem späteren Zeitpunkt in der Projektumsetzung erkannt und sind damit entsprechend schwieriger zu korrigieren. Zusätzlich stellt sich selbst zu diesem relativ späten Zeitpunkt in der Projektabwicklung bei entsprechend großen Abweichungen die strategische Frage nach einem Projektabbruch bzw. nach einer Änderung der Gesamtunternehmensplanung. Das gesamte System von Regelkreisen des Projektmanagements wird von einer strategischen Kontrollfunktion begleitet, die v.a. auf der strategischen Multiprojektebene zusätzlich dafür sorgt, dass über das miteinander vernetzte Management durch Projekte und Management von Projekten die Entwicklung des gesamten Unternehmens auf dem angestrebten Wege verbleibt. Bei genauerer Betrachtung dieser strategischen Kontrollfunktion wird sich an späterer Stelle <?page no="47"?> 22 · Das Entwicklungskontinuum des Projektmanagements (S. 652ff.) nochmals der enge Zusammenhang zwischen operativem und strategischem Projektmanagement zeigen. Im weiteren Verlauf des Buches werden wir immer wieder auf die Führungsregelkreise als übergeordnete Methodik zurückgreifen, um zu erläutern, welche Regeln für die Durchführung der Managementaktivitäten sinnvoll erscheinen. Zudem werden wir verschiedene Techniken vorstellen, die zur Unterstützung dieser Managementaktivitäten eingesetzt werden können (vgl. die Zusammenstellung in den Tabellen auf S. 135, S. 274, S. 332, S. 351). 3 Das Entwicklungskontinuum des Projektmanagements Bereits im ersten Abschnitt wurde auf die zunehmende Veränderungsdynamik und Komplexität des unternehmerischen Umfeldes hingewiesen, nicht zuletzt bedingt durch die sich immer schneller entwickelnde Globalisierung der Wirtschaft. Daraus ergibt sich für die Unternehmensführung die Notwendigkeit, „den Wandel zu managen“. An dieser Stelle wurde bereits der Gedanke des „strategischen Fit“ eingebracht, nach dem die Unternehmensführung eine Abstimmung zwischen den Umweltanforderungen, den Unternehmensstrategien und den unternehmerischen Strukturen, Prozessen und Kompetenzen herstellen sollte. Diese Abstimmung hängt davon ab, wie stark die Dynamik im Umfeld eines Unternehmens tatsächlich ist. So ist es durchaus vorstellbar, dass bestimmte Branchen und damit auch die darin befindlichen Unternehmen bisher noch kaum von der Globalisierung tangiert sind. Zudem besteht kein genereller Grund für global ausgerichtete Strategien. Es kann durchaus auch Sinn machen, sich strategisch auf bestimmte regionale Nischen auszurichten. Mit anderen Worten: Welche unternehmerischen Strukturen, Prozesse oder Kompetenzen aufzubauen sind, muss jede Unternehmensführung situationsabhängig selbst entscheiden. Dies bezieht sich natürlich auch auf die Ausgestaltung des Projektmanagements. Die Entscheidung für eine bestimmte Form der Projektorientierung im Unternehmen kann von der reinen Einzelprojektabwicklung bei einem eher sporadischen Auftreten einzelner Projekte bis hin zur Umgestaltung des gesamten Unternehmens zu einem projektorientierten Unternehmen zum gezielten Aufbau von Wettbewerbsvorteilen in dynamischen Unternehmensumfeldern reichen. Aus diesem Grunde schlagen wir ein Entwicklungskontinuum des Projektmanagements mit verschiedenen Schritten der <?page no="48"?> Methodik des Projektmanagements · 23 Projektorientierung in einem Unternehmen vor. Diese Zusammenhänge sind in Abb. 1-7 dargestellt. Umfeldbedingungen • globaler Wettbewerb • hohe Wettbewerbsintensität • starker Druck auf die Margen • kürzere Technologielebenszyklen • erhöhte Flexibilitätsanforderungen vom Kunden • … Wettbewerbsstrategische Ausrichtung • globaler Anbieter • Technologieführer • herausragende Qualitätsstandards • Systemanbieter und -integrator • hohes Kostenbewusstsein •... Fit ! Entwicklungskontinuum des Projektmanagements Zukunftsvision einer projektorientierten Unternehmensentwicklung Projektorientiertes Unternehmen Projektorientiertes Unternehmen Management durch Projekte Management durch Projekte Management von Projekten Management von Projekten Anforderungen an die Unternehmen • Wertsteigerung • Markt- und Kundennähe • Flexibilität • Offenheit und Transparenz • Innovationskraft • Lernfähigkeit • … Umfeldbedingungen • globaler Wettbewerb • hohe Wettbewerbsintensität • starker Druck auf die Margen • kürzere Technologielebenszyklen • erhöhte Flexibilitätsanforderungen vom Kunden • … Wettbewerbsstrategische Ausrichtung • globaler Anbieter • Technologieführer • herausragende Qualitätsstandards • Systemanbieter und -integrator • hohes Kostenbewusstsein •... Fit ! Entwicklungskontinuum des Projektmanagements Zukunftsvision einer projektorientierten Unternehmensentwicklung Projektorientiertes Unternehmen Projektorientiertes Unternehmen Management durch Projekte Management durch Projekte Management von Projekten Management von Projekten Anforderungen an die Unternehmen • Wertsteigerung • Markt- und Kundennähe • Flexibilität • Offenheit und Transparenz • Innovationskraft • Lernfähigkeit • … Abb. 1-7: Situativer Ansatz des Projektmanagements Welche Ausprägung des Projektmanagements zu einer bestimmten Umfeld- und Unternehmenssituation passt, kann nicht generell festgelegt werden. Es gibt allerdings einige grundlegende Zusammenhänge: Je globaler das Geschäft in einer Branche abläuft, je know how-intensiver Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens sind, desto stärker unterliegen diese Unternehmen der weltweit vernetzten Veränderungsdynamik der Märkte. Je höher die Umweltdynamik und Komplexität des eigenen Geschäftes, desto proaktiver sollte sich das Management auf den Weg von der Abwicklung einzelner Projekte zu einem projektorientierten Unternehmen machen. Dabei wird der jeweilig letzte Entwicklungsschritt des Projektmanagements nicht etwa ersetzt, sondern vielmehr mit neuen Strukturen und Prozessen komplementär ergänzt. Insofern fußt ein „Management durch Projekte“ immer auch <?page no="49"?> 24 · Das Entwicklungskontinuum des Projektmanagements auf einem „Management von Projekten“. Ebenso werden in einem projektorientierten Unternehmen die Prozesse und Methoden aus den vorausgehenden Entwicklungsstufen übernommen und durch weitere projektorientierte Anpassungen des Führungssystems ergänzt. Es handelt sich bei diesen Schritten also eher um sukzessive Entwicklungen auf einem Kontinuum als um definierbare „Stufen“. Insofern ist es auch schwierig, eine genaue Abgrenzung zwischen den einzelnen Entwicklungsstufen des Projektmanagements vorzunehmen. Dass dies im Folgenden trotzdem versucht wird, ist nicht zuletzt den didaktischen Notwendigkeiten eines Lehrbuches geschuldet. Es sei allerdings bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der geneigte Leser sich nicht zu wundern braucht, wenn er beispielsweise bei der Darstellung des „projektorientierten Unternehmens“ Argumente findet, die ihm schon bei der Darstellung des „Managements von Projekten“ in leicht variierter Form begegnet sind. Bestimmte Kennzeichen eines projektorientierten Unternehmens können beispielsweise bereits bei einem „Management durch Projekte“ angelegt, aber noch nicht umfassend und mit voller Konsequenz umgesetzt worden sein. Trotz aller Abgrenzungsschwierigkeiten soll mit Abb. 1-8 nun der Versuch gemacht werden, den einzelnen Entwicklungsschritten des Projektmanagements unterschiedliche Schwerpunkte zuzuordnen. Projektorientiertes Unternehmen Projektorientiertes Unternehmen Management durch Projekte Management durch Projekte Management von Projekten Management von Projekten Zukunftsvision einer projektorientierten Unternehmensentwicklung Einzelprojektabwicklung Beitrag der Projekte zur rentabilitätsorientierten und strategischen Unternehmensentwicklung Sukzessive Anpassung der Führungsfunktionen zur Unterstützung des wachsenden Projektgeschäftes Vollständige Neuausrichtung der Führungsfunktionen an einem reinen Projektgeschäft Fokus Projektorientiertes Unternehmen Projektorientiertes Unternehmen Management durch Projekte Management durch Projekte Management von Projekten Management von Projekten Zukunftsvision einer projektorientierten Unternehmensentwicklung Einzelprojektabwicklung Beitrag der Projekte zur rentabilitätsorientierten und strategischen Unternehmensentwicklung Sukzessive Anpassung der Führungsfunktionen zur Unterstützung des wachsenden Projektgeschäftes Vollständige Neuausrichtung der Führungsfunktionen an einem reinen Projektgeschäft Fokus Abb. 1-8: Entwicklungskontinuum des Projektmanagements Die einzelnen Entwicklungsschritte werden im Folgenden grob skizziert: <?page no="50"?> Methodik des Projektmanagements · 25 (1) Management von Projekten Das Management von Projekten befasst sich auf der Einzelprojektebene mit der möglichst effizienten Abwicklung dieser Projekte. In diesem Zusammenhang kann zwischen einem institutionalen und einem funktionalen Aspekt unterschieden werden. Bei der institutionalen Betrachtungsweise geht es um - wie der Name schon sagt - die Institutionen des Projektmanagements. Sie umfassen im Wesentlichen die Zuständigkeit für die Projektverantwortung, die Zuordnung von Mitarbeitern zu einem Projekt sowie die Modalitäten des Planungsablaufs, insbesondere die zeitliche und sachliche Koordination von Teilplänen. Die funktionale Betrachtungsweise richtet den Blick auf die Managementaufgaben. Wir wählen im Folgenden diesen Blickwinkel und unterscheiden folgende Phasen des Managementprozesses: Projektstart mit der Projektvorbereitung Zielpräzisierung Planung einzelner Projekte Umsetzung einzelner Projekte Kontrolle einzelner Projekte Projektabschluss Diese Phasen des Managements von Projekten werden eingehend in Teil 2 dieses Lehrbuches dargestellt. Sie werden von den beiden Begleitprozessen, dem Qualitätsmanagement sowie dem Chancen- und Risikomanagement, flankiert. Das Management von Projekten hat in der Fachliteratur zwar bereits eine große Resonanz gefunden, der Schwerpunkt der Betrachtungen liegt jedoch zumeist auf den methodischen Fragestellungen der Projektabwicklung. Wir wollen mit diesem Lehrbuch die bisher weniger beachteten ökonomischen Fragestellungen (z.B. die Projektkostenplanung) etwas genauer beleuchten. (2) Management durch Projekte Im Rahmen des Managements durch Projekte wird Projektmanagement zum Bestandteil der Unternehmensführung. Projekte werden als Mittel der Unternehmensentwicklung und als Mittel der Steigerung des Unternehmenswertes gesehen. Projektmanagement wird so zu einem systematischen Multiprojektmanagement, das sich insbesondere mit der Planung, der Umsetzung und der Kontrolle eines ganzen Projektportefeuilles beschäftigt. In den letzten Jahren haben bereits verschiedene Themen des Managements durch Projekte in der Literatur Beachtung gefunden, ein geschlossener Ansatz <?page no="51"?> 26 · Aufbau des Buches liegt u. E. jedoch noch nicht vor. Wir wollen mit diesem Lehrbuch einen Ansatz des Projektmanagements vorstellen, der sich als Führungskonzeption versteht und der zugleich die Türe für weitere Entwicklungen öffnet. (3) Das projektorientierte Unternehmen Das projektorientierte Unternehmen greift die Grundgedanken aus dem Management durch Projekte auf und führt sie weiter fort. Hier werden Projekte als „Kern des gesamten Geschäfts“ gesehen. Aus diesem Grunde erfolgen eine projektorientierte Weiterentwicklung der Führungssubsysteme sowie die Initiierung einer projektorientierten Unternehmenskultur. Darüber hinaus zeichnen sich projektorientierte Unternehmen durch eine weitestgehende Entscheidungsdezentralisierung und durch ein umfassendes Empowerment der Projektteams aus. Zudem gewinnt die Entwicklung einer lernenden Organisation zum Aufbau organisationaler und persönlicher Kompetenzen in Sachen Projektmanagement zunehmende Bedeutung. Wir werden in diesem Lehrbuch aufzeigen, wie sich Unternehmen zu projektorientierten Unternehmen entwickeln können und welche Wettbewerbsvorteile hiervon zu erwarten sind. Zuletzt werden wir in Form einer Zukunftsvision noch einen Ausblick auf eine denkbare weitere Entwicklungsstufe des Projektmanagements wagen. 4 Aufbau des Buches Der Aufbau des Buches folgt dem eben beschriebenen Entwicklungskontinuum des Projektmanagements. In Teil 2 wird das Management von Projekten beschrieben. In Teil 3 wird das Management durch Projekte dargestellt. In Teil 4 finden sich die Ausführungen zum projektorientierten Unternehmen. Die Teile 2 und 3 gehorchen im Grunde derselben planungs- und steuerungsorientierten Logik im Aufbau. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen jeweils die Planung, Umsetzung und Kontrolle von Einzelprojekten bzw. eines gesamten Projektportefeuilles. Alle Sachverhalte, die im Rahmen des Managements von und dem Management durch Projekte dargestellt werden, sind natürlich auch für das projektorientierte Unternehmen relevant, werden dort jedoch durch die speziellen Rahmenbedingungen des projektorientierten Unternehmens ergänzt. Die Klammerfunktion über alle Entwicklungsstufen des Projektmanagements bilden die Führungsregelkreise des Projektmanagements, die aufzeigen, wie Einzel- und Multiprojektmanagement miteinander vernetzt sind. Abb. 1-9 zeigt diesen Gesamtzusammenhang nochmals auf. <?page no="52"?> Aufbau des Buches · 27 Umsetzung der Projektplanung Erfassung von Ist-Projektdaten Durchführung eines Soll-Ist-Vergleichs (Abweichungsanalyse) Konsequenzen aus den Abweichungen Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Durchführungskontrolle Gesamtunternehmensplanung Planung der Unternehmensentwicklung Planung der Wertentwicklung Entscheidung für ein Projektportfeuille Änderung der Gesamtunternehmensplanung, evtl. Projektabbruch Einzelprojektplanungen (Vorgabe von Soll-Daten) Änderung der Einzelprojektplanung Sukzessiver Planungsfortschritt Durchführung eines Soll-Wird-Vergleichs (Planfortschrittskontrolle) Strategische Überwachung Strategische Überwachung Strategische Prämissenkontrolle Umsetzung der Multiprojektplanung Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Ebene Operative Ebene Führungsregelkreise des Projektmanagements Projektorientiertes Unternehmen Projektorientiertes Unternehmen Management durch Projekte Management durch Projekte Management von Projekten Management von Projekten Projektplanung Aufgaben des Projektmanagements Entwicklungskontinuum des Projektmanagements Teil 2 Teil 3 Teil 4 Multiprojektplanung Anpassung der Führungssubsysteme Empowerment der Projektteams Lernende Organisation Multiprojektumsetzung Projektumsetzung Multiprojektkontrolle Projektkontrolle Umsetzung der Projektplanung Erfassung von Ist-Projektdaten Durchführung eines Soll-Ist-Vergleichs (Abweichungsanalyse) Konsequenzen aus den Abweichungen Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Durchführungskontrolle Gesamtunternehmensplanung Planung der Unternehmensentwicklung Planung der Wertentwicklung Entscheidung für ein Projektportfeuille Änderung der Gesamtunternehmensplanung, evtl. Projektabbruch Einzelprojektplanungen (Vorgabe von Soll-Daten) Änderung der Einzelprojektplanung Sukzessiver Planungsfortschritt Durchführung eines Soll-Wird-Vergleichs (Planfortschrittskontrolle) Strategische Überwachung Strategische Überwachung Strategische Prämissenkontrolle Umsetzung der Multiprojektplanung Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Ebene Operative Ebene Führungsregelkreise des Projektmanagements Projektorientiertes Unternehmen Projektorientiertes Unternehmen Management durch Projekte Management durch Projekte Management von Projekten Management von Projekten Projektplanung Aufgaben des Projektmanagements Entwicklungskontinuum des Projektmanagements Teil 2 Teil 3 Teil 4 Multiprojektplanung Anpassung der Führungssubsysteme Empowerment der Projektteams Lernende Organisation Multiprojektumsetzung Projektumsetzung Multiprojektkontrolle Projektkontrolle Abb. 1-9: Aufbau des Buches <?page no="53"?> 28 · Zusammenfassung 5 Zusammenfassung (1) Projektmanagement im Wandel Projektmanagement befindet sich im Wandel und muss aufgrund der Umfeldbedingungen als umfassende Führungskonzeption interpretiert werden. (2) Projektmanagement als Führungskonzeption Eine Führungskonzeption beschreibt die grundsätzliche Ausrichtung der Unternehmensführung bei der zielorientierten Gestaltung des Unternehmens. Sie äußert sich in den Zielen, den Aufgaben und den Methoden der Führung. (a) Ziele des Projektmanagements Projektmanagement i.S. einer Führungskonzeption dient folgenden Zielen: Strategische Entwicklung des Unternehmens Wertsteigerung des Unternehmens (b) Aufgaben des Projektmanagements Aufgabe des „Managements von Projekten“ ist die Planung, Umsetzung und Kontrolle jedes Einzelprojektes durch ein systematisches Einzelprojektmanagement. Aufgabe des „Managements durch Projekte“ ist die Unterstützung der Unternehmensentwicklung durch eine systematische Zusammenstellung eines wertsteigernden Projektportefeuilles und durch konsequentes Multiprojektmanagement. (c) Methodik des Projektmanagements Die Methodik des Projektmanagements dient der Abwicklung des Projektmanagements. Sie umfasst Regeln zur Durchführung der einzelnen Managementaktivitäten und Techniken zu deren Unterstützung. Die übergeordnete Methodik zur Verbindung der effektivitäts- und effizienzorientierten Aufgabenbereiche des Projektmanagements stellen in der vorliegenden Führungskonzeption „Projektmanagement“ die Führungsregelkreise des Projektmanagements dar. (3) Entwicklungskontinuum des Projektmanagements Das Entwicklungskontinuum des Projektmanagements zeigt situationsabhängige Entwicklungsstufen des Projektmanagements auf. Diese sind eng <?page no="54"?> Zusammenfassung · 29 miteinander verbunden und bauen aufeinander auf. Die einzelnen Stufen sind: Management von Projekten Management durch Projekte Projektorientiertes Unternehmen Zukunftsvision einer projektorientierten Unternehmensentwicklung. <?page no="55"?> 30 · Fragen zur Wiederholung und zur Vertiefung Fragen zur Wiederholung 1. Aus welchen Gründen befindet sich das Projektmanagement im Wandel? (1) 2. Was ist unter „Management von Projekten“ zu verstehen und welche Aufgaben sind mit ihm verbunden? (3) 3. Erläutern Sie den Begriff „Management durch Projekte“ und beschreiben Sie die Aufgaben, die mit ihm verbunden sind. (3) 4. Was wird unter dem Entwicklungskontinuum des Projektmanagements verstanden? (3) Fragen zur Vertiefung 1. Was unterscheidet das „Projektmanagement als Führungskonzeption“ vom bisherigen Projektmanagementverständnis? 2. Welches Verständnis von Projektmanagement liegt vor, wenn in der Netzplantechnik der Kern des Projektmanagements gesehen wird? 3. Beschreiben und vergleichen Sie die Führungsregelkreise des Projektmanagements (Abb. 1-6). 4. Durch welche besonderen Merkmale zeichnet sich ein projektorientiertes Unternehmen aus? 5. Wie verbinden die Führungsregelkreise des Projektmanagements das Management durch Projekte mit dem Management von Projekten? Literaturempfehlungen Bea , F.X. u. J. Haas : Strategisches Management. 5. A., Stuttgart 2009. Patzak , G. u. G. Rattay : Projektmanagement: Leitfaden zum Management von Projekten, Projektportfolios, Programmen und projektorientierten Unternehmen. 5. A., Wien 2009. Schelle, H.: Projekte zum Erfolg führen: Projektmanagement systematisch und kompakt. 6. A., München 2010. <?page no="56"?> Teil 2: Management von Projekten Projektorientiertes Unternehmen Management durch Projekte Management von Projekten 1 Grundlagen des Managements von Projekten 2 Projektorganisation 3 Vorselektion von Projekten 4 Projektstart 5 Zielpräzisierung 6 Projektplanung 7 Projektumsetzung 8 Projektkontrolle 9 Projektabschluss 10 Begleitende Prozesse des Managements von Projekten 11 Professionalisierung des Projektmanagements 12 Zusammenfassung <?page no="57"?> 32 · Grundlagen des Managements von Projekten 1 Grundlagen des Managements von Projekten Das „Management von Projekten“ beschäftigt sich mit der effizienten Abwicklung einzelner Projekte. Im Entwicklungskontinuum des Projektmanagements repräsentiert das Management von Projekten den ersten Schritt der Projektorientierung in einem Unternehmen und bildet damit die Basis für alle weiteren Aktivitäten des Projektmanagements. Für die erfolgreiche und effiziente Abwicklung eines Projektes muss zunächst die Projektorganisation ausgewählt und konkretisiert werden. Zudem bedarf es einer klaren, systematischen Vorgehensweise für die Abarbeitung des Projektes vom Projektstart bis zum Projektabschluss. Teil 2 in diesem Lehrbuch folgt diesen Erfordernissen. Zunächst werden wir in Abschnitt 1 auf die grundlegenden Begriffe, die Aufgaben und die Phasen des Managements von Projekten eingehen. In Abschnitt 2 folgen grundlegende Ausführungen über die Projektorganisation. Abschnitt 3 ist der Vorselektion von Projekten gewidmet. In den Abschnitten 4 bis 9 werden die einzelnen Phasen des Managements von Projekten vom Projektstart über die Planung und Kontrolle bis hin zum Projektabschluss vorgestellt. Dabei wird jeweils auf die Aufgabenstellungen in den einzelnen Phasen und auf Techniken eingegangen, die man zur Unterstützung der jeweiligen Phase einsetzen kann. Abschnitt 10 ist zwei Begleitprozessen gewidmet, die das gesamte Projekt flankieren: Dem Qualitätsmanagement und dem Umgang mit Chancen und Risiken. In Abschnitt 11 werden Möglichkeiten zur Professionalisierung und Weiterentwicklung des Projektmanagements in einer Organisation aufgezeigt. Beginnen wir mit den Grundbegriffen des Projektmanagements: Was zeichnet ein Projekt aus? 1.1 Begriff „Projekt“ 1.1.1 Merkmale von Projekten In der Literatur finden sich zahlreiche Versuche, den Begriff „Projekt“ zu definieren. Geht man auf den lateinischen Ursprung des Wortes zurück (proiectum = das nach vorn Geworfene), so werden bereits wesentliche Merkmale von <?page no="58"?> Merkmale von Projekten · 33 Projekten sichtbar. Heute werden in wissenschaftlichen Publikationen v.a. folgende Projektmerkmale hervorgehoben: Zielvorgabe, zeitliche Befristung, Neuartigkeit, Einmaligkeit, Komplexität, spezifische Organisation (vgl. dazu Beck [Projektorganisation] 42ff.). Im Rahmen der DIN-Norm 69901-5 wird der Projektbegriff definiert. Danach ist ein Projekt ein „Vorhaben, das im Wesentlichen durch die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, wie z.B. Zielvorgabe, zeitliche, finanzielle, personelle oder andere Begrenzungen, projektspezifische Organisation.“ Allerdings wird mit dieser DIN-Normierung den Definitionsversuchen kein Ende bereitet, da diese Definition auch Fragen aufwirft. So wird etwa nicht geklärt, was unter einer „projektspezifischen Organisation“ zu verstehen ist. Wir definieren: Ein Projekt ist ein Vorhaben, das zeitlich befristet ist, sich durch Neuartigkeit und Einmaligkeit auszeichnet sowie eine beachtliche Größe und einen hohen Grad an Komplexität aufweist. Zerlegen wir diese Definition in die einzelnen Bestandteile, erhalten wir folgende fünf Merkmale von Projekten: 1. Zeitliche Befristung Für ein Projekt ist von Anfang an ein Termin für den Projektabschluss vorgesehen. Zwar ist jede Aufgabe irgendwann einmal beendet, aber für ein Projekt ist das Ende der Projektarbeit geplant. Bei näherer Betrachtung ist jedoch das Projektende nicht immer ohne weiteres auszumachen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Projekt in eine laufende Produktion übergeht, etwa wenn das Projekt „Entwicklung eines neuen Produktes“ zu einer sich daran anschließenden Produktion führt. Damit verknüpft ist eine gewisse Instabilität, denn es müssen Ressourcen bereitgestellt werden, über deren Verfügbarkeit am Projektende neu disponiert werden muss. Daraus ergeben sich auch entsprechende Konsequenzen für die Gestaltung der Projektorganisation. 2. Neuartigkeit Ein Projekt stellt eine neue Herausforderung dar, da es sich nicht um einen wiederholten Routinevorgang handelt, sondern um ein Eindringen in ein <?page no="59"?> 34 · Grundlagen des Managements von Projekten mehr oder weniger unbekanntes Terrain. Der Beschaffung von Informationen über das Projekt ist daher besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Mit dem hohen Innovationsgehalt von Projekten ist ein hohes Risiko untrennbar verbunden. 3. Einmaligkeit Ein Projekt stellt ein einmaliges Vorhaben dar; es unterscheidet sich insofern von den Routineaufgaben. Einzelne Aktivitäten im Rahmen dieses Vorhabens können dabei durchaus Routinecharakter haben. Wird dieses Vorhaben wiederholt, verliert es den Projektcharakter und wird zur Routine. Nicht selten ist eine Routineaufgabe aus einem Projekt hervorgegangen. Als Beispiele seien genannt: Die Entwicklung von Individualsoftware zur Standardsoftware oder die Vermarktung der Erkenntnisse aus dem Gang einer Tochtergesellschaft an die Börse bei der Firma Jenoptik für die Beratung von börsenwilligen Unternehmen. 4. Größe Da ein Projekt ein spezifisches Management, v.a. einen spezifischen Planungsprozess und eine eigene Projektorganisation verlangt, muss eine bestimmte Größenordnung vorliegen, welche diesen Einsatz rechtfertigt. Die Grenzziehung lässt sich verständlicherweise nicht exakt vornehmen. Dieses Merkmal ist relativ in dem Sinne zu sehen, dass es auf die Verhältnismäßigkeit zum gesamten Aufgabenbereich eines Unternehmens ankommt. 5. Komplexität Ein Projekt besteht aus verschiedenen voneinander abhängigen Teilaufgaben, die aufeinander abzustimmen sind. Ihre Wahrnehmung wird auf verschiedene Personen aus unterschiedlichen Fachgebieten befristet übertragen. Mit dem Merkmal der Komplexität verbunden ist ein hoher Schwierigkeitsgrad. Die genannten fünf Merkmale eines Projektes zeichnen sich durch eine gewisse Unschärfe aus. Der Übergang von der Routineaufgabe, also einer regelmäßig durchzuführenden Tätigkeit, zu einem Projekt ist fließend. Es bedarf also einer fallspezifischen Betrachtung, um eine Grenzziehung vorzunehmen. Als Beispiel für ein Projekt kann die Entwicklung eines neuen Automobiltyps betrachtet werden. Der Prototyp des Fahrzeugs muss einer Reihe von Anforderungen genügen. Dazu gehören u.a. Design, Fahreigenschaften, Ausstattung, Sicherheit, Kraftstoffverbrauch, Emissionswerte. Dementsprechend sind Fahrwerk, Aufbau und Motor aufeinander abzustimmen. Dieser Prozess findet bereichsübergreifend statt und stellt insofern eine Aufgabe mit hoher Komplexität dar. Diese <?page no="60"?> Arten von Projekten · 35 Aufgabe ist zudem zeitlich befristet, da der Prototyp irgendwann in Serie geht. Die Merkmale der Neuartigkeit, der Einmaligkeit und der Größe liegen auf der Hand. 1.1.2 Arten von Projekten Die Welt der Projekte ist überaus vielfältig. Wir wählen drei Kriterien, mit deren Hilfe sich Projekte grundlegend klassifizieren lassen (vgl. auch Beck [Projektorganisation] 59ff.): (1) Projektinhalt (2) Verhältnis von Auftraggeber und Auftragnehmer (3) Aufgaben von Projekten Zu (1): Projektinhalt Projektart Beispiele Verbesserung der Infrastruktur Brücke, Autobahn, Tunnel, ICE-Trasse Industrieanlagen Bohrfeld, Hüttenwerk, Flughafen, Fabrikanlage, Kraftwerk Luft- und Raumfahrt A 380 von Airbus, Apollo-Programm Forschung und Entwicklung Entwicklung einer neuen Produktart, z.B. einer neuen Chip-Generation, eines neuen Automobiltyps, eines neuen Medikamentes, eines neuen Werkstoffes Kunst und Kultur Film-, Musik- und Theaterproduktionen, Ausstellungen, Festivals, Verfassen eines Lehrbuchs Gründung von Institutionen Gründung einer Universität, einer Bibliothek, einer Fertigungsstätte Unternehmensinterne Problemlösung Reorganisation, Sanierung, Einführung der flexiblen Arbeitszeit, eines neuen IT- Systems, Entwicklung einer Software, Standortverlagerung, Rechtsformänderung Abb. 2-1: Arten von Projekten nach dem Projektinhalt <?page no="61"?> 36 · Grundlagen des Managements von Projekten Zu (2): Verhältnis von Auftraggeber und Auftragnehmer Nationale Projekte, internationale Projekte (Auftraggeber und Auftragnehmer stammen aus verschiedenen Ländern, die Projektleitung ist international zusammengesetzt, wesentliche Projektleistungen werden im Ausland erbracht) Private Projekte, öffentliche Projekte (Auftraggeber ist die öffentliche Hand, z.B. Behörden, Gemeinden, Regierungen) Eigenauftragsprojekt (Auftraggeber und Auftragnehmer sind identisch), Fremdauftragsprojekt (der Auftraggeber kommt von außerhalb des Unternehmens). Beide Projektarten werden auch als interne und externe Projekte bezeichnet. Es gibt Unternehmen, deren Produktionsprogramm in der Abwicklung von Fremdauftragsprojekten besteht. Zu nennen ist etwa der Anlagenbau. Zu (3): Aufgaben von Projekten Nach den Aufgaben von Projekten lassen sich strategische und operative Projekte unterscheiden. Beide Arten von Projekten lassen sich nach folgenden Abgrenzungsmerkmalen beschreiben: Zielausrichtung Strategische Projekte sind an übergeordneten Zielen, wie der Sicherung des langfristigen Erfolges, der Existenz des Unternehmens oder der Entwicklungsfähigkeit des Unternehmens, ausgerichtet. Diese Zielausrichtung wird auch als Effektivität bezeichnet. Operative Projekte dienen der richtigen Umsetzung der im Tagesgeschäft anfallenden Entscheidungen, sind also an der Effizienz orientiert. Bezugszeitraum Strategischen Projekten liegt ein längerer Betrachtungszeitraum zugrunde, während operative Projekte kurzfristig zu lösenden konkreten Umsetzungsaufgaben dienen. Dem entsprechend sind strategische Projekte einer sehr viel stärkeren Dynamik unterworfen, als dies bei operativen Projekten der Fall ist. Grad der Detailliertheit Strategisch orientierte Projekte befassen sich mit der grundsätzlichen Ausrichtung eines Unternehmens. Dem entsprechend sind diese Projekte zunächst weniger operationalisierbar, Projektziele und Projektaufgaben nicht vollständig detaillierbar. Je stärker Projekte operationalisierbar sind, Projektziele und Projektaufgaben eindeutig und detailliert beschrieben werden können, desto eher handelt es sich um operative Projekte. <?page no="62"?> Arten von Projekten · 37 Strukturqualität der Probleme Während sich strategische Projekte i.d.R. durch eine hohe Komplexität auszeichnen, also schlecht strukturierte Projektprobleme erfassen, handelt es sich bei operativen Projekten um gut strukturierte, d.h. relativ einfache und gut abgrenzbare Probleme. Grad der Informationspräzision Strategische Projekte sind aufgrund ihres langfristigen Charakters und ihrer Dynamik auf langfristige Prognosen angewiesen. Zudem sind neben Informationen über das Unternehmen auch die Informationen über die relevante Umwelt des Unternehmens mit einzubeziehen. Oftmals handelt es sich bei den benötigten Informationen um qualitative und wenig konkrete Informationen. Operative Projekte zeichnen sich dagegen durch eine konkrete, präzisere Informationslage aus, in der sich das Projektproblem oftmals sogar vollständig quantitativ beschreiben lässt. Grad des Problemumfanges Durch strategische Projekte wird versucht, die langfristige Entwicklung des gesamten Unternehmens gedanklich vorwegzunehmen, während sich operative Projekte nur auf die gedankliche Vorwegnahme einzelner genau abgegrenzter Problemfelder beziehen. Umweltbezug Strategische Projekte beschreiben den langfristig erfolgreichen Entwicklungspfad für ein Unternehmen. Dies kann nur unter Einbeziehung der für das Unternehmen relevanten Umwelt gelingen. Strategische Projekte sind deshalb durch ein viel höheres Maß an Außenorientierung gekennzeichnet als operative, d.h. in sich geschlossene Umsetzungsprojekte. Nicht alle Projekte der Realität lassen sich nach diesen Kriterien trennscharf als strategische oder operative Projekte einordnen. Für jedes Kriterium kann vielmehr ein Ausprägungskontinuum als Grundlage für den Aufbau eines Projektprofils definiert werden, anhand dessen eine Einordnung von unterschiedlichen Aufgabenstellungen möglich wird. Je weiter sich die untersuchten Projekte dem einen oder dem anderen Extrem des Profils nähern, desto eher handelt es sich um ein strategisches oder operatives Projekt. Bei dieser Abgrenzung geht es letztlich auch nicht um eine scharfe Trennung zwischen strategischen und operativen Projekten. Diese ist schon deshalb nicht sinnvoll, weil die Umsetzung der Unternehmensstrategie letztlich immer über eine Konkretisierung strategischer Projekte mittels einer Vielzahl operativer Projekte abläuft. Strategieimplementierung besteht darin, strategische Projekte <?page no="63"?> 38 · Grundlagen des Managements von Projekten so in operative Projekte zu überführen, dass über die Abwicklung aller Projekte letztlich die strategische Ausrichtung des Unternehmens gewährleistet wird. Letztlich sind also strategische und operative Projekte ohnehin ineinander verzahnt. In diesem Lehrbuch werden zwei Hauptteile unterschieden: „Management durch Projekte“ und „Management von Projekten“. Im vorliegenden Teil 2 „Management von Projekten“ werden primär die operativen Fragen des Projektmanagements, in Teil 3 „Management durch Projekte“ v.a. die strategischen Aspekte des Projektmanagements, insbesondere des Multiprojektmanagements, beschrieben. Trotz dieser Zweiteilung gehen wir jedoch von einer engen Verknüpfung von strategischen und operativen Projektaspekten aus. Dieses wechselseitige Verhältnis wird immer wieder verdeutlicht. 1.2 Aufgaben des Managements von Projekten Wir haben die Steigerung des Unternehmenswertes als wichtige Zielsetzung des Projektmanagements identifiziert. Das Management von Projekten trägt mit einer effizienten Planung, Umsetzung und Kontrolle der einzelnen Projekte zur Wertsteigerung bei: Die geplanten Wertbeiträge der Einzelprojekte sind mittels einer systematischen Vorgehensweise zu realisieren. Methodisch stehen somit sowohl verschiedene Planungstechniken als auch laufende Soll-Wird- und Soll-Ist-Vergleiche im Zuge des sukzessiven Planungs- und Realisierungsfortschritts des Projektes im Mittelpunkt der Betrachtung. Der Steuerungszyklus, der diesen Vergleichen zugrunde liegt, ist in den „Führungsregelkreisen des Projektmanagements“ in Abb. 2-2 dargestellt. Der obere dunkler unterlegte Teil der Führungsregelkreise zeigt strategisch ausgerichtete Aufgaben im Zuge der Steuerung, die im Rahmen des „Managements durch Projekte“ angegangen werden sollen. Im „Management von Projekten“ bewegen wir uns im unteren Teil der Regelkreise, der weiß unterlegt ist. Dabei handelt es sich um die operative Ebene, bei der v.a. die effiziente Abwicklung jedes einzelnen Projektes im Vordergrund steht. Wir unterscheiden hier zwei Regelkreise: (1) Der erste Regelkreis mit den gestrichelten Pfeilen zeigt einen ersten Kontrollzyklus während des Planungsstadiums des Projektes: Bei der Projektplanung wird in verschiedenen iterativen Schritten vorgegangen, indem bei den Teilprozessen unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte bei der <?page no="64"?> Aufgaben des Managements von Projekten · 39 Planung gelegt werden (z.B. Planung des Ablaufs, der Termine und der Ressourcen). Bei jedem Planungsschritt ergibt sich ein genaueres Bild des geplanten Projektes. Zudem erfolgt die Projektplanung „vom Groben zum Detail“, d.h. der Detailliertheitsgrad der Planung nimmt im Zeitverlauf zu. Man kann die ursprünglichen Ziele und Planungen mit den Werten der neuen, detaillierteren Planung vergleichen und Abweichungsanalysen durchführen sowie das Projekt nach bestimmten Prioritäten optimieren. Umsetzung der Projektplanung Erfassung von Ist-Projektdaten Durchführung eines Soll-Ist-Vergleichs (Abweichungsanalyse) Konsequenzen aus den Abweichungen Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Durchführungskontrolle Gesamtunternehmensplanung Planung der Unternehmensentwicklung Planung der Wertentwicklung Entscheidung für ein Projektportfeuille Änderung der Gesamtunternehmensplanung, evtl. Projektabbruch Einzelprojektplanungen (Vorgabe von Soll-Daten) Änderung der Einzelprojektplanung Sukzessiver Planungsfortschritt Durchführung eines Soll-Wird-Vergleichs (Planfortschrittskontrolle) Strategische Überwachung Strategische Überwachung Strategische Prämissenkontrolle Umsetzung der Multiprojektplanung Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Ebene Operative Ebene Abb. 2-2: Führungsregelkreise des Projektmanagements Diese Planfortschrittskontrolle ist besonders wichtig, da man viele Abweichungen in der späteren Umsetzung nur schwer oder auch gar nicht mehr in den Griff bekommen kann, denn oftmals ist es hier bereits schlicht zu spät für Korrekturmaßnahmen. Manchmal zeigt sich bereits in der Planung, dass die ersten Annahmen unrealistisch waren. Bei sehr nachhaltigen und starken Abweichungen kann es sogar sinnvoll sein, das gesamte Projekt in Frage zu stellen, was je nach Umfang und Bedeutung des Projektes gewichtige strategische Auswirkungen nach sich ziehen kann. An dieser <?page no="65"?> 40 · Grundlagen des Managements von Projekten Stelle wird die Verknüpfung zwischen der strategischen und der operativen Ebene des Projektmanagements sehr deutlich. (2) Der zweite Regelkreis beginnt ebenfalls bei den Planungen für das einzelne Projekt, umspannt jedoch auch die Umsetzung dieser Planung, in der dann tatsächliche Ist-Daten anfallen, die mit den ursprünglich geplanten Soll-Daten verglichen werden können. Naturgemäß werden hier Abweichungen erst zu einem späteren Zeitpunkt erkannt. Je nach Bedeutung der Abweichung können sich drei Konsequenzen aus den Abweichungen ergeben: Man ergreift korrigierende Steuerungsmaßnahmen, um den Ist-Wert zu beeinflussen. Man ändert die Einzelprojektplanung. Hat die Abweichung lediglich Auswirkungen auf das einzelne Projekt, werden die Soll-Werte in der Planung geändert. Wirkt sich die Abweichung jedoch auch auf andere Projekte aus, sind Steuerungsmaßnahmen auf der Multiprojektebene notwendig. Bei sehr einschneidenden Abweichungen geht man auf die Ebene der Gesamtunternehmensplanung zurück und betrachtet die Abweichung vor diesem Hintergrund. Hier kann sich sogar die strategische Frage nach einem Projektabbruch stellen. Die angesprochenen Soll-Ist- und Soll-Wird-Vergleiche beziehen sich v.a. auf die Dimensionen „Kosten“, „Zeit“ und „Leistung“, die miteinander das „Magische Dreieck der Projektsteuerung“ bilden (vgl. Abb. 2-3). Unter „Leistung“ werden sowohl der Umfang als auch die Qualität der zu erbringenden Leistung zusammengefasst. Die drei Dimensionen wirken stark interdependent: Will man beispielsweise ein Projekt in kürzerer Zeit fertig stellen, so zieht dies entweder einen höheren Ressourceneinsatz und somit höhere Kosten nach sich oder es müssen Abstriche bei der Endleistung in Kauf genommen werden. So kann eine Zeitverknappung bei einem Produktentwicklungsprojekt eine schlechtere Qualität aufgrund von Zeiteinsparungen bei Testläufen oder eine Einschränkung der Funktionalitäten des Produktes verursachen. In den Abschnitten 6 - 8 dieses Teils, also den Abschnitten zur Planung, Umsetzung und Kontrolle von Projekten, werden verschiedene Methoden vorgestellt, die der Steuerung von Projekten dienen. Die meisten Verfahren zielen darauf ab, eine der oben dargestellten Dimensionen „Kosten“, „Zeit“ oder „Leistung“ genauer zu verfolgen. Aufgrund der starken Abhängigkeiten ist je- <?page no="66"?> Phasen des Managements von Projekten · 41 doch über die Steuerung der einzelnen Dimension hinaus zusätzlich eine integrierte Betrachtung über alle drei Dimensionen hinweg sinnvoll: Hierfür eignet sich insbesondere die Earned Value-Analyse, die detailliert auf S. 302ff. dargestellt wird. Kosten Zeit Leistung Quantität Qualität Kosten Zeit Leistung Kosten Zeit Leistung Quantität Qualität Abb. 2-3: Magisches Dreieck der Projektsteuerung 1.3 Phasen des Managements von Projekten 1.3.1 Vorteile der Phaseneinteilung Um ein Projekt möglichst effizient abwickeln zu können, hat es sich als zweckmäßig erwiesen, für das Management einen systematischen Prozess, also eine logische Abfolge verschiedener Aktivitäten, festzulegen. Dieser Prozess stellt eine grundlegende Vorgehensweise dar, mit der die Vielzahl von Aufgabenstellungen rund um das Projektmanagement strukturiert werden kann. Deren Abwicklung wird durch spezifische Methoden unterstützt. Ein solcher systematischer Projektablauf erleichtert die Realisierung eines Projektes, da hierbei schrittweise, systemorientiert und schematisch vorgegangen wird. <?page no="67"?> 42 · Grundlagen des Managements von Projekten (1) Schrittweises Vorgehen Projekte sind komplex und oft weit in die Zukunft gerichtet. Aus beiden Merkmalen ergibt sich, dass die meisten Projekte mit starken Risiken behaftet sind. Eine rein synoptische, d.h. eine langfristige und relativ starre Planung wird deshalb dem Planungsgegenstand nicht gerecht. Es bietet sich daher eine eher inkrementale Vorgehensweise an, ein Vorgehen in einzelnen Schritten, das zu einer zunehmenden Einengung des Problemfeldes (vom Groben zum Detail) führt. Auf diese Weise wird das Risiko reduziert und eine Flexibilität bei der Planung erreicht. (2) Systemorientiertes Vorgehen Da Projekte sowohl eine hohe Komplexität aufweisen als auch einen stark innovativen Charakter haben, müssen sie in den Gesamtzusammenhang des Unternehmens eingebettet werden. Dies erfolgt durch ein systemorientiertes Vorgehen. Ein System ist ein Gefüge von Elementen und deren Beziehungen zueinander. Systeme stehen einerseits in Beziehung zu ihrem Umsystem und lassen sich andererseits in Subsysteme zerlegen. Die systemorientierte Betrachtungsweise wird besonders deutlich bei öffentlichen Großprojekten, wie beispielsweise dem Projekt „Stuttgart 21“ mit einer radikalen Umgestaltung des Hauptbahnhofs. Sie tangieren viele Bereiche unserer Gesellschaft und regen auch die aktive Beteiligung vieler Interessengruppen an. Das Projektmanagement muss diesem Umstand Rechnung tragen durch eine entsprechende Zusammensetzung des Projektteams und Gestaltung der Projektplanung und -umsetzung. Projektteams sollten interdisziplinär zusammengesetzt sein. Bestimmte Projektteammitglieder können die Interessen von gesellschaftlichen Gruppen wahrnehmen. Eventuell sollten externe Stakeholder in ein Projektteam einbezogen werden, wie etwa bei der Planung einer Universitätsklinik Ärzte, Pfleger und Patienten. (3) Schematisches Vorgehen Für das Management von Projekten ist eine Vorgehensweise notwendig, die bestimmte zeitlich und sachlich abgegrenzte Ablaufschritte festlegt. Innerhalb dieser Schritte können bestimmte Managementtechniken zum Einsatz kommen, die in den Abschnitten 4 - 10 vorgestellt werden. Das Vorgehen nach einem Schema bringt folgende Vorteile mit sich: Es findet eine Komplexitätsreduktion statt, d.h. die Vorgehensweise wird vereinfacht. <?page no="68"?> Phasen des Managements von Projekten · 43 Es wird ein Zwang zu einer geordneten Vorgehensweise bei der Strukturierung eines Projektes ausgeübt. Der Ablaufprozess wird für Externe besser durchschaubar und damit kontrollierbar. Es werden die Grundlagen für eine Arbeitsteilung bei der Abwicklung des Planungsprozesses gelegt. 1.3.2 Die einzelnen Phasen Die vielfältigen Aufgaben des Projektmanagements, die in einem Projekt anfallen, werden in diesem Lehrbuch in die folgenden Phasen eingeteilt: Phasen des Projektmanagementprozesses: Projektstart Zielpräzisierung Projektplanung Projektumsetzung Projektkontrolle Projektabschluss Begleitende Prozesse: Qualitätsmanagement Risiko- und Chancenmanagement Diese Phasen des Managementprozesses schließen sich nicht notwendigerweise linear genau in dieser Reihenfolge aneinander an, sondern in der Realität bestehen häufig wechselseitig rekursive Vernetzungsbeziehungen zwischen den verschiedenen Phasen. Diese Interdependenzen ergeben sich durch die hohe Komplexität strategischer Projekte und ihre starke Verknüpfung mit der Entwicklungsdynamik der unternehmerischen Umwelt. Diese rekursive Vernetzung der verschiedenen Phasen wird in Abb. 2-4 dargestellt. Hierbei liegt die von Ulrich und Probst entwickelte Methodik des vernetzten Denkens zur Lösung komplexer Probleme zugrunde (vgl. Ulrich/ Probst [Anleitung]). (1) Die beiden Phasen des Projektstarts und des Projektabschlusses markieren die Anfangs- und Endpunkte des Projektes und sind als solche einmalige Ereignisse, die kaum Interdependenzen mit anderen Phasen aufweisen. Ein <?page no="69"?> 44 · Grundlagen des Managements von Projekten gelungener Projektstart stellt allerdings eine wichtige Grundlage für alle weiteren Phasen und somit für den Gesamterfolg des Projektes dar. Er benötigt daher eine sorgfältige Vorbereitung, in der die wichtigsten Rahmenbedingungen für das Projekt geklärt werden, wie beispielsweise die Formulierung und Konkretisierung des Projektauftrags, die Zusammenstellung des Projektteams und eine erste grundlegende Projektumfeldanalyse. Projektplanung Projektumsetzung Zielpräzisierung Projektkontrolle Projektstart Projektabschluss Qualitätsmanagement Chancen- und Risikomanagement Projektplanung Projektumsetzung Zielpräzisierung Projektkontrolle Projektstart Projektabschluss Projektplanung Projektumsetzung Zielpräzisierung Projektkontrolle Projektstart Projektabschluss Qualitätsmanagement Chancen- und Risikomanagement Abb. 2-4: Die Phasen des Projektmanagementprozesses (2) Die Zielpräzisierung wird in der einschlägigen Literatur oftmals als Teilaufgabe im Verlauf des Projektstarts gesehen. Wir haben uns jedoch dazu entschieden, der Zielpräzisierung aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für den Projekterfolg und ihres stark projektbegleitenden Charakters eine eigene Phase zu widmen: Zu Beginn des Projektes verständigen sich alle Beteiligten auf die grundlegenden Gesamtprojektziele, doch aufgrund der hohen Komplexität und Dynamik im Projektverlauf ist es häufig nicht möglich, zum Projektstart bereits alle Detailziele festzulegen, die zur Errei- <?page no="70"?> Phasen des Managements von Projekten · 45 chung dieser obersten Projektziele notwendig sind. Die Detailziele entwickeln sich vielmehr im Laufe des Projektes weiter, sie füllen die grundlegenden Gesamtprojektziele „mit Leben“. Unter Umständen können sich während des Projektes auch grundlegende Änderungen der übergeordneten Projektzielsetzung ergeben. In diesem Fall ist es besonders wichtig, diese Änderungen wahrzunehmen, sie zu thematisieren, mit den Beteiligten zu diskutieren und sie in der Planung, Umsetzung und Kontrolle des Projektes zu berücksichtigen. (3) Vor diesem Hintergrund zeigt sich auch der iterative Charakter der Projektplanung: Wenn sich Projektziele im Projektverlauf konkretisieren oder sich auch verändern können, dann kann somit auch die Planung nicht ein Mal zu Beginn des Projektes erfolgen und von da an für den gesamten Projektverlauf feststehen, sondern es besteht eine wechselseitige Beziehung zwischen dem Fortschreiten der Projektplanung und der Entwicklung der Projektziele. Einerseits können sich Zieländerungen auf die Projektplanung auswirken. Andererseits werden Zielanpassungen oftmals auch erst dann notwendig, wenn die Projektplanung voranschreitet und beispielsweise festgestellt wird, dass ein Teil der Planung wohl doch nicht realistisch war und die Ziele daher nicht wirklich erreichbar erscheinen. Eine solche Zielanpassung ist nicht unproblematisch und muss gut abgestimmt sein (insbesondere mit dem internen Projektauftraggeber und dem externen Kunden), da die Ziele als Soll-Größe für die Bewertung des Projekterfolgs dienen und somit eine wichtige Grundlage für die Projektsteuerung darstellen. (4) Die Projektplanung ist allerdings nicht nur mit der Zielpräzisierung vernetzt, sondern genauso mit der Projektumsetzung: Bei sehr komplexen Problemen ist ein detaillierter Vorentwurf zur Lösung des Projektproblems bei Projektbeginn nur eingeschränkt möglich. Durch die Umsetzung der Planung werden schrittweise Ergebnisse erzielt, die am Projektproblem und den bisherigen Lösungsansätzen gespiegelt werden sollten. Beispielsweise kann ein Teilergebnis einen vollkommen anderen Lösungsansatz nahe legen und somit erneute Planungen notwendig machen. (5) Diese Erkenntnisse schlagen sich nun auch in der Projektkontrolle nieder: Da die Zielpräzisierung, die Projektplanung und die Projektumsetzung stark miteinander verknüpft sind, kann sich auch bei den Kontrollinhalten eine gewisse Dynamik ergeben. Die Projektkontrolle muss somit stark in den ständigen Kommunikationsprozess eingebunden sein, in dem die Projektleistungen entstehen. Diese Erkenntnis kann eine grundlegende Konsequenz für die Organisationsform der Kontrolle zeitigen: Bei sehr dynamischen <?page no="71"?> 46 · Grundlagen des Managements von Projekten Projekten kann diese Aufgabe wahrscheinlich kaum noch über Controller in eigenen organisatorischen Einheiten, die nicht dem Projektteam angehören, wahrgenommen werden. Der Kontrollcharakter ändert sich somit von einer Fremdkontrolle hin zu einer stärkeren Selbstkontrolle. (6) Die Frage nach der Verwirklichung der Projektziele spielt insbesondere beim Projektabschluss eine Rolle: Ein geordneter, systematischer Projektabschluss dient der Reflexion des gesamten Projektes, v.a. der Frage nach den Stärken und Schwächen sowie nach übergeordneten Erkenntnissen, die in Zukunft auch für andere Mitarbeiter von Bedeutung sein könnten („Lessons Learned“). Diese Erkenntnisse für das Gesamtunternehmen zu sichern und verfügbar zu machen, ist ein entscheidender Schritt des Wissensmanagements in Unternehmen. Ein „schleichendes“ Projektende birgt die Gefahr in sich, dass die Lösungen aus der einzigartigen Kombination des Wissens in genau diesem Projektteam nach Auflösung des Projektes unwiederbringlich verloren gehen. Besonders wichtig ist in diesem Fall der überlegte weitere Einsatz der Projektmitarbeiter mit ihren Erfahrungen innerhalb der Organisation, aber auch eine systematische, praxisorientierte Dokumentation der Ergebnisse. (7) Der vorgestellte Projektmanagementprozess wird von zwei Querschnittsaufgaben begleitet: Dem Qualitätsmanagement und dem Risiko- und Chancenmanagement. (a) Qualitätsmanagement Qualität verlangt die Übereinstimmung des Projektergebnisses mit den Anforderungen der Stakeholder, insbesondere des Kunden. Beim Projektstart müssen die ersten grundlegenden Anforderungen in Form übergeordneter Projektziele zwischen den Beteiligten geklärt und festgelegt werden. Die Phase der Zielpräzisierung widmet sich sehr stark den Anforderungen des Kunden, indem die übergeordneten Ziele analysiert und konkretisiert werden. In der Projektplanung, -umsetzung und -kontrolle spielt die Qualität der Leistung eine wichtige Rolle als eine Dimension des „magischen Dreiecks“: Veränderungen der Qualität wirken sich sofort auf die anderen beiden Dimensionen „Zeit“ und „Kosten“ aus et vice versa. Ein erfolgreicher Projektabschluss hängt zum Großteil davon ab, inwieweit es gelungen ist, die Anforderungen des Kunden tatsächlich zu erfüllen. Um diese Aufgaben in den verschiedenen Phasen des Projektmanagementprozesses erfüllen zu können, ist eine systematische Vorgehensweise, ein <?page no="72"?> Phasen des Managements von Projekten · 47 eigener Managementprozess mit dem Schwerpunkt „Qualität“ notwendig. Allerdings können die Phasen dieses Begleitprozesses zeitlich und inhaltlich nicht genau den Phasen des übergeordneten Projektmanagementprozesses zugeordnet werden. Aus diesem Grunde behandeln wir das Qualitätsmanagement als eigenständigen begleitenden Prozess (Abschnitt 10.1). Auf diese Weise können alle qualitätsbezogenen Themen zusammenhängend dargestellt werden. (b) Risiko- und Chancenmanagement Ebenso werden wir mit der systematischen Berücksichtigung von Chancen und Risiken im Managementprozess umgehen. Jedes Projekt beinhaltet Chancen und Risiken, wobei man sich im Alltag meist mehr mit den Risiken als mit den Chancen beschäftigt. Diese Fokussierung ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass Risiken i.d.R. auch emotional als „Gefahr“ empfunden werden. Wir plädieren jedoch für ein gleichwertiges Chancen- und Risikomanagement, da sich durch das Ergreifen von Chancen positive Auswirkungen auf den Projektwertbeitrag ergeben und auch Risiken vermieden werden können. Abb. 2-4 auf S. 44 zeigt den Projektmanagementprozess mit den beiden begleitenden Prozessen „Qualitätsmanagement“ sowie „Chancen- und Risikomanagement“. Selbstverständlich können die vielfältigen logisch zusammenhängenden Aufgaben des Projektmanagements auch in andere Phasen untergliedert werden. Verschiedene bekannte Projektmanagement-Standards sind entlang des Projektmanagementprozesses aufgebaut (vgl. Abschnitt 11, S. 402ff.), wobei der Prozess jeweils individuell definiert wird. 1.) Die DIN-Norm 69901-2: 2009-01 unterscheidet beispielsweise fünf Prozesse: Initialisierung Definition Planung Steuerung Abschluss Die verschiedenen inhaltlichen Themen, wie z.B. das Qualitäts- oder das Risikomanagement, werden in der Norm dann den einzelnen Phasen zugeordnet. <?page no="73"?> 48 · Grundlagen des Managements von Projekten 2.) Der „Guide to the Project Management Body of Knowledge” (PMBOK- Guide) wird vom amerikanischen „Project Management Institute” (PMI) herausgegeben. Dort werden fünf übergeordnete Prozessgruppen definiert: Initiierung (Initiating) Planung (Planning) Ausführung (Executing) Überwachung und Steuerung (Monitoring and Controlling) Abschluss (Closing) Insgesamt werden 42 verschiedene Prozesse unterschieden, die diesen fünf Prozessgruppen zugeordnet werden. 3.) Auch die bekannte Projektmanagement-Methode PRINCE2 orientiert sich am Projektmanagementprozess. Es werden hier sieben Prozesse unterschieden: Vorbereiten eines Projektes (Starting up a Project) Initiieren eines Projektes (Initiating a Project) Lenken eines Projektes (Directing a Project) Steuern einer Phase (Controlling a Stage) Managen der Produktlieferung (Managing Product Delivery) Managen der Phasenübergänge (Managing Stage Boundaries) Abschließen eines Projekts (Closing a Project) Die verschiedenen Prozessdefinitionen betonen unterschiedliche Aspekte des Projektmanagements und legen somit eigene Schwerpunkte. Im weiteren Verlauf des Lehrbuches wird die Phasendefinition aus Abb. 2-4 zugrunde gelegt. Nach diesem ersten Überblick über den Projektmanagementprozess wollen wir uns nun detailliert mit der Projektorganisation beschäftigen: Die Projektorganisation stellt die Grundlage für ein effizientes Management von Projekten dar, denn mit ihrer Hilfe werden wichtige Rahmenbedingungen für die konkrete Arbeit im Projekt festgelegt. Es sei darauf hingewiesen, dass sich die im Folgenden zu erörternde Projektorganisation im Wesentlichen auf das Management eines einzelnen Projektes bezieht. Die Anforderungen an die Projektorganisation im Rahmen eines Multiprojektmanagements werden in Teil 3, S. 554ff. erörtert. Dabei wird insbesondere auf die Rolle des Projektmanagement-Office (PMO) eingegangen. <?page no="74"?> 49 · Projektorganisation 2 Projektorganisation 2.1 Grundlagen Die Gestaltung der Organisation eines Projektes ist von entscheidender Bedeutung für dessen Erfolg. Zahlreiche Projektfehlschläge sind auf mangelnde Klarheit in der Verteilung von Aufgaben und Befugnissen zurückzuführen. Nach Madauss ([Projektmanagement] 86) scheitern viele Projekte „nicht etwa an mangelnder fachlicher Kompetenz der am Projekt beteiligten Mitarbeiter, sondern an dem organisatorischen Durcheinander“. Hinzu kommt, dass häufig die Eigenarten eines Projektes bei der Ausgestaltung seiner Organisation nicht genügend berücksichtigt werden. Derartige Schwächen sind letztlich im „Dilemma der Projektorganisation“ begründet. Was verbirgt sich dahinter? Projekte sind zeitlich befristet, Unternehmen dagegen auf eine dauerhafte Existenz ausgerichtet. Projekte bringen folglich eine gewisse Unruhe in die ansonsten relativ stabilen Strukturen und gleichförmigen Abläufe des Unternehmens. Es stellt sich daher die Frage, wie der „Fremdkörper Projektorganisation“ in das bestehende Organisationsgefüge eingegliedert werden kann. Eine mögliche Antwort besteht darin, das Unternehmen gänzlich auf die Anforderungen der Projekte auszurichten, eine andere ist die Abwicklung des Projektes im Rahmen der gegebenen Struktur. Die zweite Lösung würde die Stabilität des Bestehenden zwar unberührt lassen, die wirkungsvolle Durchführung des Projektes freilich beeinträchtigen. Bei der ersten Variante würde zwar den Anforderungen an das Projekt optimal entsprochen, das Unternehmen wäre jedoch einer beträchtlichen Unruhe ausgesetzt. Das Dilemma der Projektorganisation besteht demnach im Spannungsfeld von Wechsel und Dauerhaftigkeit. Aus ihm erwächst aber auch die innovative Kraft dieser Organisationsform. Was versteht man nun unter einer Projektorganisation? 2.1.1 Begriff der Projektorganisation Die Organisation ist ein von der Unternehmung geschaffenes System von Regeln, um gemeinsame Ziele zu verfolgen, in welcher Ordnung aber auch von selbst entstehen kann ( Bea/ Göbel [Organisation] 7). <?page no="75"?> 50 · Projektorganisation Auch ein Projekt benötigt ein solches System von Regeln, daher werden wir im Folgenden die Bestandteile dieser Definition auf Projekte übertragen: (1) Die Projektorganisation als „geschaffenes System von Regeln“ umfasst die Aufbau- und die Ablauforganisation. Bei der Aufbauorganisation steht die Verteilung von Aufgaben und Kompetenzen auf Stellen im Mittelpunkt. Die Ablauforganisation beschäftigt sich dagegen mit den Prozessen, die zur Erledigung einer Aufgabe notwendig sind. Den beiden Gestaltungsbereichen der Projektorganisation sind die Abschnitte 2.3 und 2.4 gewidmet. Für die Wahrnehmung der Aufgaben sind Organisationseinheiten notwendig. Die wichtigsten Organisationseinheiten im Projektmanagement werden vorlaufend in Abschnitt 2.2 dargestellt. (2) Die Mitglieder einer Organisation, in diesem Fall eines Projektes, verbindet ein gemeinsamer Zweck, nämlich die Erreichung eines Ziels. Allerdings ist hierbei nicht gesagt, dass eine Organisation lediglich einen einzigen Zweck verfolgt oder dass die Organisationsmitglieder nicht auch eigenen Zielen nachgehen, die nicht in jedem Fall kompatibel mit den Organisationszielen sind (vgl. Schreyögg [Organisation] 9). Hieraus ergeben sich wichtige Aufgaben für den Projektleiter: Im Rahmen der Zielpräzisierung steht die Harmonisierung der Ziele der Beteiligten im Mittelpunkt, zudem nehmen die Kommunikation und Information sowohl intern im Projektteam als auch in das Unternehmen hinein und über die Unternehmensgrenzen hinaus eine zentrale Stellung ein. Im nächsten Abschnitt 2.1.2 werden wir uns zudem mit den übergeordneten Zielen beschäftigen, die aus strategischer Sicht mit Hilfe der Projektorganisation verfolgt werden sollen. (3) Ein weiteres Merkmal der Organisation betrifft die Selbstorganisation. Innerhalb des Projektes kann „Ordnung auch von selbst entstehen“, ein Projekt stellt also ein selbstorganisierendes System dar. Diese Erkenntnis hat wichtige Konsequenzen für das Verständnis von Projekten in einer Organisation sowie für die Arbeit des Projektleiters. Mit der Betrachtung der Beziehung zwischen Projektorganisation und Selbstorganisation werden wir die Ausführungen zur Projektorganisation in Abschnitt 2.5 abschließen. Die hohe Flexibilität und Schlagkraft, die dem Projektmanagement zugeschrieben werden, resultieren größtenteils aus der besonderen zwischenmenschlichen Arbeitsform: Im Projektmanagement spielen der einzelne Mitarbeiter und gruppendynamische Prozesse im Projektteam eine herausragende Rolle. Die gewünschten innovativen Lösungen basieren auf dem Know how des Einzelnen bzw. der neuartigen Kombination des Know how in der Gruppe. Somit <?page no="76"?> Ziele der Projektorganisation · 51 sind die Offenheit und Motivation jedes Mitarbeiters, sein spezifisches Wissen in die Gruppenlösung einzubringen, erfolgsentscheidend. Zur sozialen Komponente des Projektmanagements mitsamt Teambildung und -entwicklung gibt es aufgrund ihrer Bedeutung im Projektmanagement eine Fülle von Literatur (z.B. Hansel/ Lomnitz [Projektleiter], Kellner [Projekt- Mitarbeiter], Sprenger [Projektgruppen] oder Kapitel in verschiedenen Lehrbüchern, wie Schelle [Projekte] 67ff., Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 176ff. et passim oder Kuster u.a. [Projektmanagement] 219ff.). Wir werden die soziale Komponente v.a. im Rahmen der Erläuterung der Rolle des Projektleiters und des Projektteams sowie des Abschnitts 2.5 „Projektorganisation als Selbstorganisation“ thematisieren. Die Projektorganisation stellt ein Führungsinstrument dar, d.h. sie wird zur Führung von Projekten zielorientiert eingesetzt. Wir haben uns bereits in Teil 1 mit den strategischen Zielen beschäftigt, die mit Hilfe des Projektmanagements verfolgt werden. Nun stellt sich die Frage, wie die Projektorganisation zur Verwirklichung dieser Ziele beitragen kann. 2.1.2 Ziele der Projektorganisation Als Führungsinstrument muss eine Organisation dazu beitragen, die Ziele des Unternehmens in optimaler Weise zu unterstützen. Wir haben zwei Ziele des Projektmanagements identifiziert: Die Förderung der strategischen Unternehmensentwicklung und die Steigerung des Unternehmenswertes. Wir können davon ausgehen, dass eine Organisation zur Erreichung dieser beiden übergeordneten Ziele des Projektmanagements optimal beiträgt, wenn die folgenden Ziele der Projektorganisation verfolgt werden (vgl. die Übersicht in Bea/ Göbel [Organisation] 12ff.): Effizienz der Ressourcennutzung Eine wesentliche Aufgabe der Organisation besteht darin, Voraussetzungen für eine effiziente Ressourcennutzung zu schaffen. Dies gilt nicht nur für Maschinen, Gebäude und Arbeitskräfte, also die klassischen Produktionsfaktoren, sondern auch für das Wissen, das gerade bei Projekten eine besondere Rolle spielt. Die Projektmanagement-Methodik wurde in besonderem Maße dazu entwickelt, die Effizienz der Ressourcennutzung zu erhöhen. Verringerung des Koordinationsbedarfs Im Rahmen der Projektorganisation wird den beteiligten Mitarbeitern i.d.R. eine höhere Autonomie zugestanden. Die beteiligten Linienabteilungen sind <?page no="77"?> 52 · Projektorganisation durch solche Teammitglieder vertreten, die Aufgaben im Team eigenverantwortlich erledigen; Schnittstellen werden somit reduziert. Die Einführung eines unternehmensweiten Projektphasenplans trägt zur Klärung der Schnittstellen zwischen Projektteam und Linienorganisation bei. Steigerung der Entscheidungsqualität Die interdisziplinäre Zusammensetzung des Teams ermöglicht, dass Probleme aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und erörtert werden: Viele Entscheidungen werden direkt im Projektteam getroffen, in dem Spezialisten aus allen beteiligten Fachbereichen miteinander an der Problemlösung arbeiten. Für übergeordnete Entscheidungen, die der Projektauftraggeber trifft, erarbeitet das Projektteam i.d.R. eine Entscheidungsvorlage mit ganzheitlichen Lösungsalternativen. Förderung der Motivation Projekte bieten günstige Voraussetzungen für eine Steigerung der Motivation des einzelnen Mitarbeiters: Der Beitrag zur Zielerreichung des Teams kann aufgrund der Zerlegung der Gesamtaufgabe in Arbeitspakete dem Einzelnen relativ genau zugerechnet werden. Zudem werden in Projekten meist höchst innovative Aufgaben bewältigt, was bei Spezialisten i.d.R. zu einer intrinsischen Motivation, also einer Motivation durch die Arbeit selbst, führt. Auch die Arbeit im Team wirkt auf die meisten Menschen motivationssteigernd; gerade ein gemeinsames Wir-Gefühl kann die Teammitglieder zu herausragenden Leistungen beflügeln. Steigerung der Lern- und Innovationsbereitschaft Projekte werden i.d.R. mit der Absicht auf den Weg gebracht, etwas Neues sowohl im Hinblick auf das Endprodukt wie auch in Bezug auf die Organisation des Leistungsprozesses zu wagen. Dieser Grundgedanke muss in der Projektorganisation ihren Niederschlag finden. Dies ist insbesondere dann gewährleistet, wenn folgenden Unterzielen entsprochen wird: (a) Sicherstellung des in den Projektteams erworbenen Wissens (Beachtung der Gefahr des Wissensverlustes bei der Teamauflösung nach Projektende), (b) Förderung der Kollektivierung des individuellen Wissens (Aufforderung der Mitarbeiter zur Kommunikation), (c) Belohnung von Risiko- und Innovationsbereitschaft (Vermeidung von Sanktionen bei Misserfolgen). <?page no="78"?> Ziele der Projektorganisation · 53 Verstärkung der Kunden- und Marktorientierung Ein Projekt dient der Erstellung einer spezifischen Leistung, die ein interner oder externer Kunde in Auftrag gegeben hat. Es handelt sich hierbei um eine speziell auf den jeweiligen Kunden zugeschnittene Lösung. Um die Projektziele zu erreichen, sind meist direkte und intensive Kontakte des Projektteams mit dem Kunden notwendig. Normalerweise kommt es im Projektverlauf zu Änderungen, die gemeinsam mit dem Kunden bewältigt werden müssen. Erhöhung der Flexibilität Projekte stellen eine Antwort auf die höhere Dynamik der Umwelt dar, da ein Projektteam aufgrund der Delegation von Verantwortung, der Dezentralisation der Entscheidung und der Übertragung von Kompetenzen schneller auf Veränderungen reagieren kann. Diese Flexibilität betrifft zum einen das Verhältnis des Unternehmens zum Markt, zum anderen das Verhältnis des Projektteams zur Linienorganisation. Steigerung des Grades der Partizipation von Stakeholdern an Entscheidungen Der Erfolg von Projekten hängt oftmals in besonderem Maße von der Unterstützung durch die wichtigsten Stakeholder ab. Im Rahmen der Projektumfeldanalyse werden die Erwartungen und Befürchtungen der Stakeholder antizipiert und in die weitere Projektplanung und -umsetzung einbezogen. Diese Ziele der Projektorganisation tragen in unterschiedlichem Maße zur Förderung der strategischen Unternehmensentwicklung und zur Steigerung des Unternehmenswertes bei. Während die Effizienz der Ressourcennutzung ausschließlich als Instrument zur Steigerung des Unternehmenswertes angesehen werden kann, werden mit Hilfe der anderen organisatorischen Ziele beide strategischen Unternehmensziele verfolgt. Wir kommen nun zu den Elementen der konkreten Organisationsgestaltung, mit deren Hilfe diese Ziele erreicht werden sollen. Zunächst werden wir uns mit den Organisationseinheiten der Projektorganisation beschäftigen, denen die Verantwortung für die Ausführung der notwendigen Aufgaben zugewiesen wird. Anschließend betrachten wir die beiden Gestaltungsbereiche der Projektorganisation: Die Projektaufbauorganisation und die Projektablauforganisation. 2.2 Organisationseinheiten Die Aufgaben im Rahmen der Projektorganisation werden von Organisationseinheiten wahrgenommen. Die kleinste selbständig handelnde Organisations- <?page no="79"?> 54 · Projektorganisation einheit ist die Stelle. Sie ist mit bestimmten Zuständigkeiten ausgestattet. Die einzelnen von einer Projektstelle wahrzunehmenden Aufgaben, ihre Befugnisse und ihre Einordnung in die Aufbauorganisation werden in einer Stellenbeschreibung festgehalten. Charakteristisch für die Projektorganisation ist, dass einzelne Personen Inhaber verschiedener Stellen sein können. So kann ein Linienmitarbeiter gleichzeitig Mitglied in verschiedenen Projektteams sein. Dies kann zu Schwierigkeiten führen, da eine Person somit unterschiedliche „Rollen“ innehat. Eine Rolle beinhaltet die Summe der Erwartungen des Umfelds an den Inhaber einer bestimmten Stelle. Rollen sind grundsätzlich personen-unabhängig. Für die Wahrnehmung verschiedener Rollen durch eine Person sprechen verschiedene Argumente, z.B. dient der damit verbundene Konflikt der eigenen Entwicklung und die Konstellation ermöglicht einen schnelleren Informationsfluss aufgrund der Mitgliedschaft in verschiedenen Projekten (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 144ff.). Abb. 2-5 bietet einen Überblick über die wichtigsten Organisationseinheiten im Einzel- und Multiprojektmanagement. Organisationseinheiten im Einzelprojektmanagement Organisationseinheiten im Multiprojektmanagement Projektauftraggeber (Abschnitt 2.2.1) Projektmanagement-Office (PMO) (Teil 3, Abschnitt 4.2 und Teil 4, Abschnitt 5) Projektlenkungsausschuss / Steering Committee (2.2.1) Projektleiter (2.2.2) Projektcontroller (2.2.3) Projektteam (2.2.4) Projektmanagement-Office (PMO) (11.4) Multiprojektlenkungsausschuss (MPL) (Teil 3, Abschnitt 4.4.1.1) Abb. 2-5: Organisationseinheiten im Projektmanagement Für die Projektorganisation von besonderer Bedeutung ist der Projektleiter. Wir werden uns daher verstärkt seiner Rolle im Projekt zuwenden. Er wird vom Projektauftraggeber eingesetzt. Die Durchführung des Projektes obliegt dann dem Projektteam. Die organisatorischen Einheiten und ihre Aufgaben werden nun im Folgenden beschrieben. <?page no="80"?> Projektauftraggeber · 55 Beim Multiprojektmanagement müssen noch zusätzliche Organisationseinheiten eingerichtet werden. Diese Organisationseinheiten sollen eine Brücke zwischen der primären Unternehmensorganisation und der sekundären Projektorganisation schlagen. Ihre Aufgaben werden in Teil 3 und Teil 4 im Rahmen des Multiprojektmanagements bzw. des projektorientierten Unternehmens erläutert. Das Projektmanagement-Office kann jedoch bereits im Rahmen des Managements von Projekten eine wichtige Rolle bei der Professionalisierung und Weiterentwicklung des Projektmanagements spielen. Dieser Aspekt wird in Abschnitt 11.4 vertieft. 2.2.1 Projektauftraggeber Grundsätzlich unterscheidet man interne und externe Auftraggeber. Externe Auftraggeber gibt es vor allem bei Kundenprojekten: Hier wird der Kunde als (externer) „Auftraggeber“, das Unternehmen, in dem das Projekt abläuft, als „Auftragnehmer“ bezeichnet. Bei externen Projekten formuliert der externe Auftraggeber die Anforderungen an das Projekt i.d.R. in einem sog. Lastenheft, das aus einer Zusammenstellung der an den Auftraggeber zu erbringenden Leistungen besteht (zum Lastenheft und zum Pflichtenheft vgl. S. 124 und S. 125). Interne Auftraggeber sind für jedes Projekt unverzichtbar: Mindestens ein Mitarbeiter aus dem (Top-)Management des eigenen Unternehmens initiiert das Projekt und erteilt den Projektauftrag. Er steckt die wichtigsten Ziele ab und gibt die finanziellen Mittel für das Projekt frei. Zudem nimmt er auch Kontroll- und Steuerungsfunktionen wahr und vertritt die Projektinteressen auf übergeordneter Ebene nach außen. Bei tiefer gehenden Konflikten oder grundlegenden Projektkrisen stellt er eine wichtige Stelle zur Schlichtung dar und unterstützt den Projektleiter bei allen unerwarteten Problemen größeren Ausmaßes. Bei sehr großen und/ oder für das gesamte Unternehmen sehr bedeutenden Projekten reicht meist eine Person als Auftraggeber nicht aus: Es wird ein sog. Projektlenkungsausschuss (oder auch Steering Committee) ins Leben gerufen, in dem mehrere Entscheider miteinander als Gremium die Rolle des Auftraggebers wahrnehmen. Im Rahmen des Multiprojektmanagements gibt es i.d.R. noch ein weiteres Gremium, das auf Gesamtunternehmensebene als Projektauftraggeber fungieren kann: Der Multiprojektlenkungsausschuss. Dieser Ausschuss hat eine strategische Funktion, indem er über Projekte entscheidet, mit deren Hilfe die angestrebte strategische Ausrichtung des gesamten Unternehmens verwirklicht <?page no="81"?> 56 · Projektorganisation werden soll. Die Rolle dieser speziellen Art von Lenkungsausschüssen wird in Teil 3 (S. 635ff.) umfassend erklärt. 2.2.2 Projektleiter 2.2.2.1 Rolle des Projektleiters Der Projektleiter konkretisiert, führt und steuert das Projekt. Er ist verantwortlich für die Erfüllung des Projektauftrags und damit für die Erreichung der Projektziele unter den gegebenen Rahmenbedingungen. Insofern ist der Projektleiter verpflichtet, den internen Auftraggeber laufend über den Projektfortschritt zu informieren. Die Erfolgschancen des Projektleiters werden entscheidend bestimmt vom Grad der Unterstützung durch die Unternehmensleitung und der damit verbundenen Entscheidungskompetenz. In der Projektstartphase bereitet der Projektleiter die Projektplanung und -umsetzung insbesondere durch die Konkretisierung des Projektauftrags vor. Im Idealfall stellt er das geeignete Team für die Aufgabenerfüllung zusammen. Er führt die Projektmitarbeiter, koordiniert die Projektplanung und -umsetzung, er übernimmt in Zusammenarbeit mit dem Projektcontroller die Steuerung des Projektes, betreibt das Projektmarketing und berichtet an die zuständigen Stellen. Anhand dieser umfangreichen Aufgaben wird deutlich, dass ein Projektleiter ein „Unternehmer im Unternehmen“ ist (vgl. auch S. 736ff.). Um seine Rolle auszufüllen, benötigt er neben einer guten Kenntnis der Projektmanagementmethoden exzellente kommunikative und zwischenmenschliche Fähigkeiten. Gleichzeitig muss er mit den strategischen Zielen des Unternehmens und den innerbetrieblichen Abläufen gut vertraut sein. Nicht zuletzt braucht er noch eine stabile Basis an Fachwissen. Einen großen Teil der Kommunikation des Projektleiters nimmt die Interaktion mit der Linienorganisation des Unternehmens ein. Hier ist es von Vorteil, wenn der Projektleiter gut vernetzt ist. Daneben gilt es im Besonderen, die Schnittstellen zwischen Projektteam und Kunden sowie diejenigen zum Projektmanagementoffice und zum Auftraggeber zu pflegen. Natürlich muss sich der Projektleiter auch um die Schnittstellen und die Arbeitsatmosphäre innerhalb des Projektteams kümmern, kurzum: Ihm kommt die Führungsrolle im Projekt zu. <?page no="82"?> Projektleiter · 57 2.2.2.2 Führung in Projekten Die ureigenste Aufgabe eines Projektleiters liegt in der Führung des Projektteams. Führung ist sehr umfassend. Die meisten Aufgaben, die einer Geschäftsführung auf der Ebene des gesamten Unternehmens zukommen, fallen im Projekt auch dem Projektleiter zu. An dieser Stelle wird deutlich, weshalb es manchmal für alle Beteiligten schwierig sein kann, wenn der „beste Fachspezialist“ zum Projektleiter ernannt wird. Wir haben gesehen, welches Kompetenzprofil ein erfolgreicher Projektleiter benötigt: Der Projektleiter muss viele Rollen in einer Person verkörpern, z.B. die des Moderators, Konfliktmanagers, Teamentwicklers, Politikers und des Maklers zwischen den Interessen des Unternehmens und des Projektteams. In nahezu jedem Lehrbuch für Projektmanagement finden sich ganze Kataloge mit Anforderungen an einen Projektleiter, die insgesamt eher einen „Projekt-Supermann“ beschreiben als eine reale Person. Weshalb sind diese unterschiedlichen Fähigkeiten und Kompetenzen überhaupt von Nöten? Dies ist zum Großteil auf die Spezifika der Projektarbeit zurückzuführen (vgl. Böck/ Reiff [Führungsinstrumente] 162, Spalink [Führung] 209f., Kuster u.a. [Projektmanagement] 203f.): Das Projektteam wird von Anfang an nur für eine begrenzte Zeit eingerichtet. Daraus erwachsen Unsicherheiten für die Projektmitarbeiter. In manchen Organisationsmodellen verfügt der Projektleiter nicht über formale Macht in Form von klaren Weisungsbefugnissen. Das Team wird zur Lösung der komplexen Projektaufgabe interdisziplinär zusammengestellt, d.h. die Mitglieder werden i.d.R. aus verschiedenen Unternehmensbereichen, Fachgebieten und Hierarchieebenen zusammengezogen. Je nach Art des Projektes handelt es sich dabei entweder um Spezialisten auf hohem Niveau, die der Projektleiter koordinieren und integrieren muss, oder um relativ heterogene Gruppen in Bezug auf Profession und Qualifikation. Die Teammitglieder verstehen sich meist zunächst vorrangig als Vertreter ihrer Abteilungen in der Linienorganisation. Die Teammitglieder kennen sich oft zu Beginn des Projektes noch nicht und haben ihre eigenen individuellen Ziele und Motive für ihre Mitarbeit im Projekt. Die Projektarbeit zeichnet sich meist durch hohen Zeit-, Kosten- und Erfolgsdruck aus und ist durch häufige Änderungen geprägt. <?page no="83"?> 58 · Projektorganisation Die Arbeit erfordert insbesondere kreative Techniken statt bekannter Arbeitsformen und relativ flexible Kommunikations- und Informationsprozesse. Insgesamt benötigen die Projektmitarbeiter oftmals andere Kompetenzen und Kenntnisse als für eine Arbeit in der Linie. Der Einstieg ins Projekt ist durch wesentlich geringere Transparenz und Stabilität gekennzeichnet. Sowohl für die Projektmitarbeiter als auch den Projektleiter besteht eine erhöhte Unsicherheit. Die Ausgangssituation macht deutlich, wie wichtig die aktive Gestaltung und Steuerung der internen Beziehungen im Team und auch der sich im Projektverlauf ergebenden Gruppenprozesse sind. Zunächst hat der Projektleiter ja noch keine funktionierende Gruppe, sondern „eine mehr oder weniger bunt zusammengewürfelte Menge von unterschiedlich motivierten Experten“ vor sich ( Böck/ Reiff [Führungsinstrumente] 163). Der Projektleiter hat daher die Aufgabe, den Teambildungsprozess zu begleiten und zu unterstützen. Welcher Führungsstil eignet sich nun am besten, um die vielfältigen Aufgaben des Projektmanagements erfolgreich zu erfüllen? Mit der Frage nach „dem richtigen Führungsstil“ beschäftigt sich die Wissenschaft schon seit langem und es wurden die verschiedensten Antworten gegeben. Zunächst lassen sich die klassischen Führungsstile von autoritär bis kooperativ in einem Kontinuum darstellen (vgl. Abb. 2-6). Betrachtet man den Charakter des Projektmanagements als eher partizipative Führungskonzeption (vgl. Teil 3), so passen der autoritäre und patriarchalische Führungsstil weniger zur übergeordneten Zielsetzung. Tendenziell wird der Projektleiter wohl eher als „primus inter pares“ auftreten und so stärker eine beratende Funktion einnehmen (vgl. Diethelm [Projektmanagement 1] 47). Viele Autoren plädieren grundsätzlich für eine situative Führung, die beispielsweise von den Aufgaben, der Art der Entscheidungen, dem Druck zum jeweiligen Zeitpunkt, den Strukturen im Projektteam und von den Erwartungen der Teammitglieder abhängt (vgl. z.B. Burke [Projektmanagement] 391ff., Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 290ff. oder Spalink [Führung] 216). Allerdings stellt sich hierbei die Frage, inwieweit eine autoritäre Führungskraft tatsächlich in der Lage ist, bei Bedarf auf einen partizipativen Führungsstil umzuschalten, oder inwieweit ein grundsätzlich kooperativer Manager zum Patriarch werden kann, wenn seine Umwelt das von ihm erwartet. Eine Führungskraft ist eine individuelle Persönlichkeit und kann sich mit einem so grundlegenden Verhaltensmuster wie dem Führungsstil wahrscheinlich nur bis zu einem bestimmten Grad den Erwartungen anderer und der Situation anpassen. <?page no="84"?> Projektleiter · 59 Vorgesetzter entscheidet und ordnet an Vorgesetzter entscheidet; er ist aber bestrebt, die Untergebenen von seinen Entscheidungen zu überzeugen, bevor er sie anordnet Vorgesetzter entscheidet; er gestattet jedoch Fragen zu seinen Entscheidungen, um durch deren Beantwortung deren Akzeptierung zu erreichen Vorgesetzter informiert seine Untergebenen über seine beabsichtigten Entscheidungen; die Untergebenen haben die Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern, bevor der Vorgesetzte die endgültige Entscheidung trifft Die Gruppe entwickelt Vorschläge; aus der Zahl der gemeinsam gefundenen und akzeptierten möglichen Problemlösungen entscheidet sich der Vorgesetzte für die von ihm favorisierte Die Gruppe entscheidet, nachdem der Vorgesetzte zuvor das Problem aufgezeigt und die Grenzen des Entscheidungsspielraumes festgelegt hat Die Gruppe entscheidet; der Vorgesetzte fungiert als Koordinator nach innen und nach außen autoritär patriarchalisch beratend konsultativ partizipativ delegativ Entscheidungsspielraum des Vorgesetzten Entscheidungsspielraum der Gruppe Autoritärer Führungsstil Kooperativer Führungsstil Abb. 2-6: Führungsstile (Quelle: Bea [Führung] 8 nach Tannenbaum/ Schmidt) Patzak/ Rattay halten daher den „authentischen Führungsstil“ für den erfolgversprechendsten: Authentische Persönlichkeiten sind sich ihrer eigenen inneren Werte bewusst und handeln in Übereinstimmung mit diesen Werthaltungen, wie z.B. Akzeptanz und Respekt, Vertrauen, Toleranz und Offenheit für Neues. Die Mitarbeiter spüren, dass hier die Aussagen und das konkrete Verhalten mit den eigenen inneren Haltungen übereinstimmen, und engagieren sich aufgrund dieser glaubwürdigen Botschaften meist außergewöhnlich stark. Umgekehrt fühlen sich die Mitarbeiter durch doppeldeutige Botschaften irritiert, z.B. wenn Führungskräfte radikale Sparpläne durchsetzen und sich selbst andererseits höhere Privilegien zugestehen oder das eigene Engagement von Führungskräften in intensiven Arbeitsphasen nicht ausreichend erscheint (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 382ff.). Eine besonders wichtige Thematik im Rahmen der Führung ist die Ausrichtung des Teams auf die übergeordneten Projektziele. Zunächst müssen alle Projektmitarbeiter wissen, welche Bedeutung die zu lösende Aufgabe und das Projekt für das gesamte Unternehmen haben. Diese Einordnung ist besonders unter dem Aspekt der Teambildung nötig, denn die Dringlichkeit und die Bedeutung der Aufgabe geben dem Team seine Daseinsberechtigung und tragen somit auch stark zur Motivation bei. Im Einzelnen sind dann klare Zielvereinbarungen notwendig, damit die Projektziele auch in das individuelle Zielsystem <?page no="85"?> 60 · Projektorganisation des einzelnen Projektmitarbeiters eingehen. Um bei der Zielvereinbarung adäquat agieren zu können, sollte sich der Projektleiter bereits im Zuge der Projektvorbereitung mit den individuellen Zielen der potenziellen Mitarbeiter beschäftigen (vgl. die Projektumfeldanalyse S. 100 und die Zielpräzisierung in der Projektstartphase S. 111). Als Merkmal einer Organisation wurde ihr Charakter als selbstorganisierendes System angesprochen. Geht man davon aus, dass in einem Projekt selbstorganisierende Prozesse stattfinden, so ergeben sich daraus Konsequenzen für die Rolle und die Führung des Projektleiters. Wir werden daher in Abschnitt 2.5 die Zusammenhänge beschreiben und Gestaltungsempfehlungen ableiten. Allerdings muss sich jeder Projektleiter bewusst sein, dass er allein ohne sein Team nicht erfolgreich sein kann, denn für die Lösung der Projektaufgabe sind die spezifische Kombination des Wissens der Teammitglieder und auch ihr Arbeitseinsatz notwendig. Die Zusammenstellung des Projektteams stellt somit einen entscheidenden Erfolgsfaktor des Projektes dar. Da dieses Buch sich besonders mit der betriebswirtschaftlichen Sicht auf Projekte beschäftigt, greifen wir im Folgenden eine aus diesem Blickwinkel besonders wichtige Rolle auf: Die Rolle des Projektcontrollers. 2.2.3 Projektcontroller Der Begriff des Controlling ist in der betriebswirtschaftlichen Literatur recht weit gefasst. Dem Controlling werden i.d.R. vier Funktionen zugesprochen (vgl. Scheurer [Führungsfunktion] 32): Informationsversorgungsfunktion: Aus dieser Sicht steht die Beschaffung und Aufbereitung von Informationen für das Management im Vordergrund. Koordinationsfunktion: Diese Perspektive stellt die Koordination der verschiedenen Führungssubsysteme, insbesondere aber die Koordination von Planung und Kontrolle in den Mittelpunkt. Rationalitätssicherung der Führung: Controlling hilft, die Wollensund/ oder Könnensdefizite des Managements auszugleichen, um so trotz der vorhandenen Rationalitätsdefizite ökonomisch rationales Handeln sicherzustellen. Erfolgszielbezogene Steuerung: Aus dieser Sichtweise stehen die konsequente Zielausrichtung und die Sicherung der angestrebten Ertragsziele im Mittelpunkt. <?page no="86"?> Projektteam · 61 Hier wird deutlich, dass es beim Projektcontrolling nicht nur um die Planung und Kontrolle von Kosten geht, sondern dass dem Controlling auch eine besondere Dienstleistungs- und Unterstützungsfunktion für alle Projektmanagementaufgaben zukommt. Zudem hat der Projektcontroller die wichtige Aufgabe, die Verbindung zwischen Projektcontrolling und Multiprojektcontrolling und/ oder Unternehmenscontrolling sicherzustellen (vgl. die verschiedenen Führungsregelkreise in Abb. 2-2 auf S. 39). Der Projektcontroller stellt somit eine wichtige Stütze des Projektleiters dar und begleitet die Planungs-, Steuerungs- und Kontrollprozesse, also den gesamten Managementprozess vom Projektstart bis zum Abschluss des Projektes. Seine Aufgabe besteht insbesondere darin, Abweichungen vom Projektplan frühzeitig wahrzunehmen und Vorschläge für korrigierende Eingriffe zu formulieren. Zur Erfassung von Planabweichungen muss der Controller geeignete Kennzahlen und Messverfahren entwickeln (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 408ff., Friedl [Controlling]). Auch in der Definition der DIN-Norm 69901-5: 2009-01 wird deutlich, dass es hierbei um die Gesamtheit der Projektziele geht und nicht nur um das Kontrollobjekt „Kosten“: Hier wird Projektcontrolling definiert als „Sicherstellung des Erreichens aller Projektziele durch Ist-Datenerfassung, Soll-Ist-Vergleich, Analyse der Abweichungen, Bewertung der Abweichungen gegebenenfalls mit Korrekturvorschlägen, Maßnahmenplanung, Steuerung der Durchführung von Maßnahmen“. Eine der wichtigsten Aufgaben des Projektcontrollers ist es somit, den Projektleiter zum richtigen Zeitpunkt mit aktuellen, transparenten Informationen zu unterstützen. Somit schafft er die Grundlage für fundierte Entscheidungen des Projektleiters. Eine umfassende Analyse und Erläuterung der Aufgaben des Projektcontrollers findet sich bei Fiedler [Controlling] 11ff. 2.2.4 Projektteam 2.2.4.1 Zusammenstellung des Projektteams Um die Projektaufgabe zu erstellen, sind i.d.R. Teammitglieder mit den unterschiedlichsten fachlichen Kompetenzen notwendig. Bestimmte Rollen sind in den meisten Teams anzutreffen, wie z.B. ein Projektcontroller oder ein Qualitätsmanager. Meist fungieren Teammitglieder als Vertreter ihrer Abteilung in der Stammorganisation, wie dem Einkauf, der Produktion oder dem Vertrieb. Sie übernehmen dann die Aufgaben, die zu ihrem Kompetenzprofil passen. <?page no="87"?> 62 · Projektorganisation Je nach Art des Projektes werden differenziertere Rollen benötigt, wie z.B. in einem IT-Projekt Systemanalytiker und Programmierer aus der Entwicklung. Was macht nun den Unterschied zwischen einem Projektteam und einer sonstigen Arbeitsgruppe aus? „Simply stated, a team is more than the sum of its parts“ ( Katzenbach/ Smith [Teams] 112). Für Katzenbach/ Smith ([Teams] 112f.) wird ein „echtes“ Team dadurch charakterisiert, dass 1. eine kleine Anzahl von Personen miteinander arbeitet, 2. die komplementäre Fähigkeiten haben und die 3. sich einem gemeinsamen Zweck, gemeinsamen Leistungszielen und einer gemeinsamen Vorgehensweise bei ihrer Arbeit verpflichten, 4. für die sie sich sowohl individuell als auch gemeinsam verantwortlich fühlen. Richtet man ein Projektteam ein, so erhofft man sich i.d.R. eine höhere Motivation zu Höchstleistungen der Teammitglieder durch den Gruppeneffekt, insbesondere durch das Wir-Gefühl und die gegenseitige Ergänzung der verschiedenen Fähigkeiten. Dazu der Organisationspsychologe Lutz v. Rosenstiel ([Sozialtechniken] 8): „Aus der Organisationspsychologie wissen wir: Nichts erhöht so sehr die Bindung, wie das Gefühl, dass die eigenen beruflichen Ziele gefördert werden.“ Bei der Zusammensetzung eines Projektteams spielen zunächst fachliche Kompetenzen eine wichtige Rolle, um die Erreichung der Projektziele auf der sachlichen Ebene zu ermöglichen. Doch nicht minder wichtig sind die methodischen Kompetenzen, wie z.B. Beherrschung der Techniken zur Problemlösung, Planung oder Entscheidungsfindung, sowie die sozialen Kompetenzen der Beteiligten, beispielsweise eine grundlegende Offenheit für die Ideen anderer und Fähigkeiten zur Kommunikation. Nach Patzak/ Rattay ([Projektmanagement] 180) sollten für ein erfolgreiches Projektteam jene Projektmitarbeiter ausgewählt werden, „die gemeinsam für das konkrete Projekt fachlich, kommunikativ und kapazitätsmäßig in der Lage sind, den Anforderungen des Gesamtprojekts zu entsprechen“. Darüber hinaus ist noch zu prüfen, ob weitere Personen aufgrund ihrer direkten Betroffenheit durch die Projektergebnisse am Projekt mitwirken sollten. Durch die Gegenüberstellung der sich ergebenden Beteiligungsbedürfnisse und -erfordernisse wird der Auswahlprozess für die Teambesetzung wesentlich <?page no="88"?> Projektteam · 63 transparenter: Es werden „Key Player“ identifiziert, die aufgrund ihrer Erfahrung sowie ihrer fachlichen Qualifikation unverzichtbar für das Projekt erscheinen. Gleichzeitig können aber auch motivierte „Freiwillige“ mit eingebunden werden, wenn deren fachliche und soziale Qualifikationen zur Aufgabe des Teams passen. Bei der Besetzung von Stellen in einem Projektteam wird i.d.R. formloser vorgegangen, als dies bei Linienstellen der Fall ist. Der Projektleiter erarbeitet in Zusammenarbeit mit dem Projektmanagementoffice Vorschläge bezüglich der zu beteiligenden Fachbereiche und auch bezüglich der einzubindenden Personen. Oftmals muss die endgültige Auswahl jedoch dem jeweiligen Linienvorgesetzten überlassen werden, wenn das Teammitglied als Repräsentant seines Fachbereichs fungiert. Der Projektleiter hat somit meist nur eine eingeschränkte Freiheit bei der Besetzung des Teams; er muss vielmehr häufig Mitarbeiter ins Projektteam integrieren, die er nicht für wirklich geeignet hält oder die zunächst wenig Motivation für die Projektarbeit mitbringen (vgl. Böck/ Reiff [Führungsinstrumente] 171). Die Größe eines Projektteams hängt zum überwiegenden Teil von situativen Faktoren wie der Größe, der Art und der Komplexität des Projektes sowie von den organisatorischen Rahmenbedingungen (z.B. verfügbare Ressourcen) und der jeweiligen Branche ab, denn daraus ergibt sich die Anzahl der Fachbereiche, die am Projekt zu beteiligen sind (vgl. Madauss [Projektmanagement] 90f. und 98f.). 2.2.4.2 Probleme in Teams Bei der Suche nach der „idealen“ Besetzung des Projektteams sollte man sich neben der inhaltlichen und organisatorischen Thematik mit den Persönlichkeiten der potenziellen Teammitglieder und ihren Beziehungen zueinander beschäftigen. Es gibt Aspekte, die sich gerade zu Projektbeginn sehr negativ auf die Arbeitsfähigkeit des Teams auswirken können. Eventuell sollte über eine andere Zusammensetzung des Teams nachgedacht werden, falls sehr starke Konflikte zu erwarten sind. Ist dies nicht möglich oder die Bearbeitung des Konfliktes sogar Teil des Projektes, so sollte sich der Projektleiter bereits vor dem Kick-Off-Meeting mit möglichen Entwicklungen beschäftigen, um bei Schwierigkeiten eine Vorstellung von sinnvollen Lösungen zur Verfügung zu haben. Führungsprobleme können sich beispielsweise ergeben durch Unterschiede in den Fähigkeiten der Mitarbeiter, Unterschiede in der hierarchischen Zuordnung der Teammitglieder im Rahmen der Primärorganisation, <?page no="89"?> 64 · Projektorganisation „offene Rechnungen“, also alte Konflikte zwischen den Mitgliedern, die Notwendigkeit zur Vertretung der Politik der entsendenden Primärorganisation; hier ist zu bedenken, dass bei der Auflösung des Projektteams i.d.R. ein Wiedereinstieg in die ursprüngliche Organisation angestrebt wird, fehlendes Engagement bei zwangsverpflichteten Teammitgliedern (vgl. Kraus/ Westermann [Projektmanagement] 175ff.). Sie verhalten sich häufig als Trittbrettfahrer. Diese wiederum können ihre Kollegen anstecken. Bei der Auswahl stellt sich somit grundsätzlich die Frage, ob sich zwischen den Beteiligten wirklich eine kommunikative und vertrauensvolle Atmosphäre entwickeln kann, die für den Erfolg des Projektes doch so wichtig ist (vgl. Wastian/ Braumandl/ v. Rosenstiel [Psychologie]). 2.3 Projektaufbauorganisation Im Rahmen der Aufbauorganisation wird die Art und Weise der Verteilung der einzelnen Projektaufgaben auf die Aufgabenträger und der anschließenden Koordination geregelt. Die Aufbauorganisation befasst sich mit der Zerlegung und Verteilung von Aufgaben und Kompetenzen sowie der Koordination von Aufgaben und Aufgabenträgern. Das Ergebnis ist die formale Organisationsstruktur der Unternehmung ( Bea/ Göbel [Organisation] 288). Parameter der Gestaltung der Organisationsstruktur stellen die Spezialisierung, die Delegation und die Koordination dar. Mit der Spezialisierung wird der Grad der Arbeitsteilung in einem Projekt festgelegt. Durch die Delegation werden Kompetenzen von der Geschäftsführung, vom Multiprojektlenkungsausschuss und dem Projektmanagementoffice auf den Projektleiter und vom Projektleiter auf die Projektteammitglieder übertragen. Der Koordination kommt die Aufgabe zu, die durch Spezialisierung und Delegation erfolgte Zerlegung des Projektes zu einer gemeinsamen Aufgabenerfüllung zusammenzuführen. Die genannten drei Gestaltungsparameter können unterschiedlich kombiniert werden; das Ergebnis sind unterschiedliche Modelle der Projektorganisation. <?page no="90"?> Projektaufbauorganisation · 65 2.3.1 Modelle der Projektaufbauorganisation Wir werden die folgenden Grundmodelle vorstellen: Stabs-Projektorganisation, Matrix-Projektorganisation, Reine Projektorganisation. Diese Grundmodelle lassen sich nach dem Grad der organisatorischen Verselbständigung des Projektes, also dem Grad der Unabhängigkeit der Projektorganisation von der Linienorganisation, unterscheiden. Der Projektleiter hat somit mehr oder weniger Verantwortung und Kompetenzen sowie das gesamte Projektteam einen mehr oder weniger ausgeprägten Freiheitsgrad (vgl. Litke [Projektmanagement] 69). Abb. 2-7 stellt ein Kontinuum dar, auf dem die verschiedenen Modelle entsprechend angeordnet sind. 0 100% Grad der Selbständigkeit des Projektes Reine Projektorganisation Matrix- Projektorganisation Stabs- Projektorganisation Abb. 2-7: Modelle der Projektorganisation nach dem Grad der organisatorischen Selbständigkeit des Projektes Die verschiedenen Organisationsmodelle legen insbesondere das Verhältnis zwischen Projekt- und Linienorganisation fest. Verschiedene moderne Trends in der Managementpraxis haben zur Entwicklung neuer Organisationsmodelle beigetragen. Kulturmanagement, Lean Management, Total Quality Management, Business Reengineering, Liberation Management und Corporate Social Responsibility sind einige der bekannten Schlagworte der letzten Jahre. Aus ihnen sind neuere Organisationsmodelle hervorgegangen, die in Wechselwirkung zum Projektmanagement stehen. Eines dieser Modelle werden wir im Zusammenhang mit der projektorientierten Unternehmung genauer beleuchten: Die Lernende Organisation (S. 726ff.). <?page no="91"?> 66 · Projektorganisation 2.3.1.1 Stabs-Projektorganisation Bei der Stabs-Projektorganisation werden Projektstäbe in die ansonsten unveränderte Organisation eines Unternehmens eingebettet (vgl. Abb. 2-8). Unternehmensleitung Beschaffung Produktion Absatz Vorteile + Einfache organisatorische Umsetzung + Flexibler Personaleinsatz + Stab als Vermittlungsinstanz + Relativ hohe Akzeptanz der erarbeiteten Lösungen - Problem der Verantwortungsübernahme - Fehlende Identifikation mit Projekt - Verlängerte Reaktionszeit - Spannungsverhältnis Stab-Linie Nachteile Projekt A Abb. 2-8: Stabs-Projektorganisation Der für das Projekt verantwortliche Stab besitzt keine Weisungsbefugnis gegenüber den Linienstellen; seine Aufgaben liegen im Bereich der Informationsweitergabe, Koordination und Entscheidungsvorbereitung. Dieses Modell wird daher auch als „Einfluss-Projektmanagement“ bezeichnet. Dieser Einfluss gelingt aber nur dann, wenn der Mitarbeiter im Stab über eine hohe fachliche Kompetenz in Verbindung mit persönlicher Ausstrahlung und über ausgeprägte Führungs- und Kommunikationsfähigkeiten verfügt. Falls der Projektleiter nicht in der Lage ist, diesen Einfluss geltend zu machen oder er von der Instanz, an die der Stab angegliedert ist, bei Schwierigkeiten kaum oder gar nicht unterstützt wird, treten schnell Autoritätsverluste und damit verbundene Motivationsprobleme auf. Vorteile: Die einfache organisatorische Umsetzung ist der Hauptvorteil der Stabs- Projektorganisation. Dazu kommt die hohe Flexibilität hinsichtlich des Einsatzes der Mitarbeiter: Sie können ohne Schwierigkeiten gleichzeitig in verschiedenen Projekten eingesetzt werden (vgl. Litke [Projektmanagement] 71). Eventuell können die Stäbe auch den ersten Kontakt mit dem neuen Organisationselement „Projekt“ als eine Art Vermittlungsinstanz erleichtern. Die Akzeptanz der <?page no="92"?> Projektaufbauorganisation · 67 erzielten Arbeitsergebnisse in den Linienabteilungen ist relativ hoch, da es sich um Kompromisse zwischen den Linieninteressen handelt. Nachteile: Der größte Nachteil der Stabs-Projektorganisation besteht darin, dass niemand die volle Verantwortung für das Projekt tragen und somit ein Erfolg oder Misserfolg niemandem tatsächlich zugerechnet werden kann. Dies kann auch dazu führen, dass sich das Projektteam und auch die Linienvorgesetzten nicht wirklich mit dem Projekt identifizieren. Die Überwindung von Schwierigkeiten über Abteilungsgrenzen hinweg wird dadurch erschwert (vgl. Litke [Projektmanagement] 71). Der Projektleiter hat nicht die Befugnisse, um gegen Widerstände der Linienorganisation anzugehen. Die Entscheidungen werden in den Linieninstanzen gefällt, die aber meist nicht intensiv in das betreffende Projekt eingebunden sind. Oftmals baut sich auch ein Spannungsverhältnis zwischen Stab und Linie auf. Denn während die Linienvorgesetzten das Gefühl haben, Einfluss zu verlieren, hat der Stab den Eindruck, nicht genug Entscheidungskompetenz zu besitzen. Zudem müssen für das Vorankommen im Projekt häufig Kompromisse gesucht werden, was den Projektfortschritt stark verzögern kann. In der Praxis finden sich verschiedene Ausprägungen der Stabs-Projektorganisation: Projekt-Stäbe können unmittelbar der Unternehmensleitung, aber ebenso gut tiefer angesiedelten Instanzen zugeordnet sein. Ihr personeller Umfang kann von einem bis zu vielen Stabsmitarbeitern reichen, die ihrerseits die Stabstätigkeit in Voll- oder Teilzeit ausüben. 2.3.1.2 Matrix-Projektorganisation Eine Matrixorganisation liegt grundsätzlich dann vor, wenn gleichzeitig zwei Gliederungsmerkmale zur Anwendung kommen. Im Falle der Matrix- Projektorganisation werden die Kompetenzen zwischen einem funktionsorientierten und einem projektorientierten Leitungssystem aufgeteilt (vgl. Abb. 2-9). Der Projektleiter verfügt über Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse bezüglich des Projektes, die Linieninstanz bezüglich der Wahrnehmung von Funktionen, d.h. die Mitarbeiter bekommen Anweisungen von zwei Instanzen, dem Projektleiter und dem Linien-/ Fachvorgesetzten. Der Projektleiter ist somit zuständig und verantwortlich für die Abstimmung sämtlicher projektbezogener Aktivitäten. Er wird dabei durch Projektmitarbeiter aus der Linie unterstützt, die in Voll- oder Teilzeit für das Projekt arbeiten. Ihre Linienvorgesetzten tragen die Verantwortung für die fachlichen Aufgaben im Projekt. <?page no="93"?> 68 · Projektorganisation Unternehmensleitung Beschaffung Produktion Absatz Vorteile + Mehr Verantwortungsgefühl + Keine Unsicherheit für Mitarbeiter + Gezielte Übertragung von Spezialwissen + Flexibler Personaleinsatz - Konfliktpotenzial wegen Doppelunterstellung - Übergenaue Dokumentation - Herumreichen des „Schwarzen Peters“ Nachteile Projekt A Projekt B Unternehmensleitung Beschaffung Produktion Absatz Vorteile + Mehr Verantwortungsgefühl + Keine Unsicherheit für Mitarbeiter + Gezielte Übertragung von Spezialwissen + Flexibler Personaleinsatz - Konfliktpotenzial wegen Doppelunterstellung - Übergenaue Dokumentation - Herumreichen des „Schwarzen Peters“ Nachteile Projekt A Projekt B Abb. 2-9: Matrix-Projektorganisation Der Projektleiter kann auf diese Weise den Projektfortschritt vorantreiben, während die Linieninstanzen auf einen möglichst effizienten Ressourceneinsatz und eine adäquate inhaltliche Aufgabenbearbeitung achten. Die Verantwortung wird somit aufgeteilt und Kompetenzen überschneiden sich. Auf diese Weise wird ein Konfliktpotenzial institutionalisiert, das die Matrix-Organisation kennzeichnet. Dieser Konflikt soll allerdings nicht dazu führen, dass sich die Weisungsberechtigten bei jeder zu diskutierenden Frage in endlose Debatten verwickeln. Ziel ist vielmehr eine kooperative Zusammenarbeit, in der es zwar zu Meinungsdifferenzen kommen kann, diese aber einvernehmlich gelöst werden, um gemeinsam neue, kreative Lösungen zu erarbeiten. An dieser Stelle wird deutlich, dass eine Matrix-Projektorganisation nur dann optimale Ergebnisse liefern kann, wenn eine entsprechende Matrix-Kultur herrscht, die für die erforderliche Kompromissbereitschaft im Interesse des Projektes sorgt. Vorteile: Für die Matrix-Projektorganisation spricht ein stärker ausgeprägtes Verantwortungsgefühl des Projektleiters und seines Teams. Im Vergleich zur reinen Projektorganisation haben die Mitarbeiter den Vorteil, dass sie nicht aus der Linienorganisation herausgelöst werden: Sie haben die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes nach Projektende, sie sind in neue Entwicklungen an ihrem angestamm- <?page no="94"?> Projektaufbauorganisation · 69 ten Arbeitsplatz involviert und die Kontinuität der fachlichen Weiterbildung lässt sich leichter gewährleisten. In der Matrix-Projektorganisation lassen sich Erfahrungen gut von einem Projekt auf ein anderes übertragen. Außerdem gestaltet sich der Personaleinsatz flexibel; die Mitarbeiter können gleichzeitig in mehreren Projekten mitwirken (vgl. Litke [Projektmanagement] 74). Nachteile: Nachteilig kann sich die Doppelunterstellung der Mitarbeiter auswirken, falls keine entsprechende Matrix-Kultur herrscht. Die intendierten Konflikte können dazu führen, dass sich die Mitarbeiter absichern wollen und somit alles übergenau dokumentieren. Erfolge und Misserfolge lassen sich nur schwerlich zuordnen und es kann somit zum „Herumreichen des Schwarzen Peters“ kommen. 2.3.1.3 Reine Projektorganisation Die Projekte werden aus der Linie ausgegliedert und somit zu selbständigen Elementen der Organisationsstruktur, die von den Projektleitern in voller Verantwortung geleitet werden. Die Projektmitarbeiter werden vollständig dem jeweiligen Projekt zugeteilt und für die Dauer des Projektes fachlich und personell dem Projektleiter unterstellt (vgl. Abb. 2-10). Der hohe Stellenwert des Projektes wird in der Organisationsstruktur zum Ausdruck gebracht. Nicht selten wird das Team auch räumlich zusammengefasst. Die Reine Projektorganisation beinhaltet die stärkste Ausrichtung des Unternehmens auf die Anforderungen eines Projektes. Die weitestgehende Ausprägung der Reinen Projektorganisation besteht in der Gründung eines eigenständigen Unternehmens für die Durchführung eines (Groß-)Projektes, etwa in Form einer Projekt-GmbH. Vorteile: Vorteilhaft ist die höhere Motivation und Identifikation der Mitarbeiter mit dem Projekt; mit einer Reinen Projektorganisation wird das Wir-Gefühl des Projektteams am stärksten gefördert. Der Projektleiter wird zum „Unternehmer im Unternehmen“, denn er trägt die volle Verantwortung und kann viele projektbezogene Entscheidungen eigenständig treffen. Die eindeutige Weisungsbefugnis des Projektleiters erleichtert die Lösung von Problemen und eine schnelle Reaktion auf Veränderungen. <?page no="95"?> 70 · Projektorganisation Unternehmensleitung F&E Vorteile + Hohe Motivation und Identifikation + Eindeutige Weisungsbefugnis + „Unternehmer im Unternehmen“ - Probleme bei der Akzeptanz des Projektergebnisses - Schwierige Wiedereingliederung der Mitarbeiter nach Projektende Nachteile Personal Marketing Finanzen Projekt A Beschaffung Produktion Absatz Projekt B Beschaffung Produktion Absatz Unternehmensleitung F&E Vorteile + Hohe Motivation und Identifikation + Eindeutige Weisungsbefugnis + „Unternehmer im Unternehmen“ - Probleme bei der Akzeptanz des Projektergebnisses - Schwierige Wiedereingliederung der Mitarbeiter nach Projektende Nachteile Personal Marketing Finanzen Projekt A Beschaffung Produktion Absatz Projekt B Beschaffung Produktion Absatz Abb. 2-10: Reine Projektorganisation Nachteile: Es muss mit einem Mangel an Akzeptanz der Projektergebnisse in den Funktionsbereichen gerechnet werden. Außerdem kann es zum Projektende Probleme bei der Wiedereingliederung der Mitarbeiter in die Funktionsbereiche geben. Die daraus resultierende Unsicherheit für den Mitarbeiter kann zu erhöhter Fluktuation führen, wenn es im Vorfeld versäumt wird, gemeinsam Zukunftsperspektiven zu erarbeiten. Bei der Reinen Projektorganisation stellt die Wahl des Projektleiters eine besonders wichtige und erfolgskritische Aufgabe dar. Die drei vorgestellten Grundformen der Projektorganisation müssen für den Einsatz in der Praxis möglichst passgenau auf die Situation im Unternehmen zugeschnitten werden. Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Form ist z.B. von der Höhe des Risikos, der Komplexität und der Dringlichkeit der Projekte abhängig. Ein besonders wichtiger Faktor für einen nachhaltigen Erfolg der Projektorganisation ist die Abstimmung mit der herrschenden Unternehmenskultur. <?page no="96"?> Projektaufbauorganisation · 71 2.3.2 Auswahl des passenden Organisationsmodells Nachdem wir uns die drei vorgestellten Grundformen der Projektorganisation verdeutlicht haben, stellt sich die Frage, wie das „richtige“ Modell ausgewählt wird. Es gibt nicht den „one best way of organizing“, also keine ideale Organisationsform, die grundsätzlich zu empfehlen wäre. Die Eignung der Modelle hängt von der jeweiligen Situation ab, die vom Entscheidungsträger nur eingeschränkt beeinflusst werden kann. Ausschlaggebend sind zum einen die äußeren Rahmenbedingungen, wie z.B. der Grad der Umweltdynamik, die Qualifikation des Personals, die bestehende Unternehmenskultur oder die Anzahl und Art der gleichzeitig zu bearbeitenden Projekte. Zum anderen spielen individuelle Projektspezifika eine entscheidende Rolle, z.B. die Art, Neuartigkeit und Komplexität der Projektaufgabe, die Projektgröße und auch die Projektdauer. In der Organisationstheorie beschäftigt sich der „situative Ansatz“ mit den Zusammenhängen zwischen Situation und Organisationsstruktur. Abb. 2-11 zeigt das erweiterte Grundmodell dieses Ansatzes. Situation der Organisation Formale Organisationsstruktur Verhalten der Organisationsmitglieder Effizienz der Organisation Situation der Organisation Formale Organisationsstruktur Verhalten der Organisationsmitglieder Effizienz der Organisation Abb. 2-11: Erweitertes Grundmodell des situativen Ansatzes (In Anlehnung an: Kieser/ Walgenbach [Organisation] 215) Eine bestimmte Situation legt eine bestimmte formale Organisationsstruktur nahe. Diese Struktur zieht ein bestimmtes Verhalten der Mitarbeiter nach sich. Dieses Verhalten bestimmt zum Großteil den Erfolg der jeweiligen Organisation. Die Kunst besteht also darin, einen Fit zwischen der jeweiligen Situation und der Struktur herzustellen, um ein Verhalten der Organisationsmitglieder zu initiieren, das zur Erfüllung der Unternehmensziele beiträgt. Daraus folgt, <?page no="97"?> 72 · Projektorganisation dass jedes Projekt daraufhin überprüft werden sollte, welche Struktur in der jeweiligen Situation am erfolgsversprechendsten erscheint. Auch wenn man sich z.B. grundsätzlich für eine Matrix-Projektorganisation entschieden hat, kann es Projekte geben, für die sinnvollerweise eine andere Form gewählt werden sollte. Es wurden bereits einige Kriterien genannt, die bei der Entscheidung für ein bestimmtes Organisationsmodell herangezogen werden können. Tendenziell ergeben sich die folgenden Empfehlungen: (1) Die Stabs-Projektorganisation eignet sich nur bedingt für komplexe Vorhaben, sondern eher für kleinere Projekte mit geringem Risiko, die nicht zeitkritisch sind. Auch wenn der größte Teil des Projektes einen bestimmten Bereich betrifft und andere Abteilungen lediglich unterstützend wirken, kann diese Organisationsform sinnvoll sein. Ein weiteres Einsatzgebiet liegt in Projekten, deren Projektziel in der Erarbeitung von organisationsweiten Kompromissen liegt, beispielsweise im Bereich der Organisationsentwicklung. (2) Die Matrix-Projektorganisation bietet sich v.a. bei einer hohen Anzahl laufender Projekte und bei stark abteilungsübergreifenden Projekten, also bei ausgeprägter Interdisziplinarität an. Zudem eignet sich diese Organisationsform, wenn vorrangig relativ ähnliche Projekte bearbeitet werden, z.B. unter Verwendung einer bestimmten Technologie. (3) Die Reine Projektorganisation eignet sich besonders für sehr komplexe, neuartige Aufgaben von besonderer strategischer Bedeutung und mit hohem Risiko sowie starkem Zeitdruck. Mit der Festlegung der Aufbauorganisation wurde geklärt, wer welche Aufgaben und Kompetenzen hat und welches Verhältnis zwischen Projekten und Linienabteilungen herrschen soll. Der nächste Schritt besteht nun in der Umsetzung der Aufgabe in einer sachlichen, zeitlichen und räumlichen Abfolge. Während die Aufbauorganisation eher statisch angelegt ist, steht nun der dynamische Aspekt der Arbeit im Vordergrund. 2.4 Projektablauforganisation Ablauforganisation ist die raum-zeitliche Strukturierung von Prozessen. Unter einem Prozess versteht man eine zusammenhängende Folge von Tätigkeiten, die einen Kundennutzen erzeugen ( Bea/ Göbel [Organisation] 329 und 395). <?page no="98"?> Projektablauforganisation · 73 Die Ablauforganisation vollzieht sich in zwei Schritten: Zunächst wird ein erster grober Phasenablauf mit den wichtigsten Arbeitsschritten über einen Projektphasenplan definiert; darauf aufbauend erfolgt in der Projektplanung die detaillierte Ablaufplanung der zu erledigenden Aufgaben, z.B. mit Hilfe eines Netzplans. Projektphasenpläne werden häufig standardisiert in einem Unternehmen eingesetzt, wenn ein großer Teil der Unternehmenstätigkeit in der Durchführung von Projekten eines bestimmten Typs besteht. Sie haben daher einen projektübergreifenden Charakter, während die konkrete Ablaufplanung wesentlich stärker operativ ausgerichtet ist. Sie wird in Abschnitt 6.6, S. 157ff., genauer erläutert. 2.4.1 Aufbau von Projektphasenplänen „Projektphasen unterteilen den Projektlebenszyklus in zeitlich zusammenhängende Abschnitte und spiegeln so den Projektverlauf mit den inhaltlichen Aktivitäten aus Sicht der jeweiligen Organisation wider. Abhängig von den Anforderungen der jeweiligen Projektart, Branche oder Organisation können diese Aktivitäten verschieden unterteilt werden“ (DIN 69 901-2: 2009-01). Ein Projektphasenplan stellt somit die Grundlage für die detaillierte Ablaufplanung dar. Jede Phase besteht aus bestimmten Arbeitsschritten, denen sinnvolle Methoden und Tools zur Unterstützung bei der Erledigung der Aufgaben zugeordnet werden. Abb. 2-12 verdeutlicht diesen Zusammenhang anhand eines Beispiels für einen Phasenplan. Jede Phase wird durch Erreichung eines Meilensteins abgeschlossen. Ein Meilenstein ist nach DIN 69 900: 2009-01 ein „Schlüsselereignis“, also ein „Ereignis besonderer Bedeutung“. Meilensteine sind durch bestimmte geplante Projektergebnisse und einen Plantermin gekennzeichnet. <?page no="99"?> 74 · Projektorganisation Projektvorbereitung Konzeption Spezifikation Realisierung Implementierung Systemoptimierung Projekt Arbeitsschritte Methoden Tools Projektvorbereitung Konzeption Konzeption Spezifikation Spezifikation Realisierung Realisierung Implementierung Implementierung Systemoptimierung Systemoptimierung Projekt Arbeitsschritte Methoden Tools Abb. 2-12: Zusammenwirken von Projektphasen, Arbeitsschritten, Methoden und Tools (In Anlehnung an: Winkelhofer [Projekt-Methoden] 15) Stellen wir uns vor, der Phasenplan aus Abb. 2-12 würde zum folgenden Beispielsprojekt gehören: Ein Unternehmen ist auf die Programmierung von Software spezialisiert und bekommt den Auftrag, eine Datenbanklösung für eine Bank zu erarbeiten. Mit der Datenbank soll es möglich sein, alle Informationen zu einem bestimmten Kunden zu verwalten und überblicksartig zusammenzufassen. Dies kann insbesondere dann schwierig sein, wenn hierfür auf unterschiedliche Systeme zugegriffen werden muss, wie z.B. auf Daten einer kooperierenden Bausparkasse oder einer Fondsverwaltung. Aufgrund der technischen Möglichkeiten soll nun auch die gesamte Korrespondenz mit dem Kunden digitalisiert vorliegen, so dass jeder befugte Bankmitarbeiter jederzeit einen Überblick über alle notwendigen Informationen gewinnen kann. Zudem soll darauf geachtet werden, dass die Datenbank mit der vorhandenen Hardware einsetzbar ist. Das Projekt könnte mit dem Meilenstein „Projektauftrag erteilt“ beginnen, der den Start der Konzeptionsphase markiert. Am Ende der Konzeptionsphase stehen mehrere alternative Vorschläge für die Grundkonzeption, aus denen der erfolgversprechendste Vorschlag ausgewählt wird. In der Spezifikationsphase werden zusammen mit dem Kunden die genauen Anforderungen an das zu entwickelnde System ausgearbeitet. Der Meilenstein am Ende dieser Phase ist erreicht, wenn eine schriftliche Dokumentation dieser Anforderungen (detaillierte Systemspezifikation mitsamt Umsetzungsplanung) vorliegt. Die Realisierungsphase beinhaltet die konkrete Umsetzung der Spezifikationen in Form von entsprechender Software, die Integration von Software und Hardware sowie verschiedene Tests zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des gesamten Systems. Meilenstein am Ende dieser Phase könnte eine ausgefeilte Systemdokumentation sein, die später als Grundlage für das Verfassen einer Bedienungs- <?page no="100"?> Projektablauforganisation · 75 anleitung, aber auch für Anpassungen und Änderungen im Laufe der Nutzung des Systems dient. In der folgenden Phase der Implementierung wird die Software beim Kunden eingesetzt. Dazu sind i.d.R. auch ergänzende Schulungsmaßnahmen notwendig. Der Meilenstein könnte mehrere Projektergebnisse umfassen: „Bank mit Software ausgestattet“ und „Betroffene Mitarbeiter geschult“. Im Anschluss an das eigentliche Projekt wird das System genutzt; dabei können sich neue Anforderungen oder Ideen zur Optimierung des Systems ergeben. Die Meilensteine spielen im Projektverlauf eine besonders wichtige Rolle: Zum einen dienen sie als eine Art „Entscheidungsstation“, an der die Weiterführung des Projektes und die weitere Vorgehensweise überprüft werden können. Zum anderen bilden sie prägnante „Kontrollpunkte“, an denen der Stand des Projektes bezüglich Kosten, Terminen und Leistung gut der ursprünglichen Planung gegenübergestellt werden kann. Die Meilensteine werden uns daher im Zuge der operativen Planung, Umsetzung und Kontrolle von Projekten noch an verschiedenen Stellen begegnen. Zur Vorbereitung der Arbeit im Projektteam durchdenkt der Projektleiter das zugrunde liegende Projektproblem und überlegt, welche Phasen für das jeweilige Projekt sinnvoll wären. Falls vorhanden, greift er auf den Norm-Phasenplan des Unternehmens für Projekte dieser Art zurück und legt ihn der weiteren Projektarbeit zugrunde. Dieser Schritt bedeutet eine enorme Arbeitserleichterung, denn die Kommunikation wird wesentlich effizienter, da er sich bezüglich der Phasen, der Verantwortlichkeiten, der Methoden und der Tools klar auf die Norm-Vorgehensweise beziehen kann. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Teammitglieder den Standard-Phasenplan kennt, wenn es sich um ein für das Unternehmen „typisches“ Projekt handelt. Im oben beschriebenen Beispielsprojekt wäre die Erstellung von Datenbanklösungen für Banken das Haupttätigkeitsfeld des Unternehmens. Da jedoch jede Lösung individuell und sehr komplex ist, wird sie in Projektform erarbeitet. Um die Arbeit im Projekt zu erleichtern und einen bestimmten Qualitätsstandard zu sichern, wurde daher ein Norm-Phasenplan erarbeitet, der nun jedem Projekt dieser Art zugrunde gelegt wird. Jeder Mitarbeiter, der in einem solchen Projekt arbeitet, weiß daher genau, wie der grobe Ablauf aussieht, welche Meilensteine es gibt und welche Methoden und Tools im Projektverlauf genutzt werden. Der Projektleiter kann sich somit auf die Frage konzentrieren, ob für das jeweilige Projekt spezifische Besonderheiten zu beachten sind, die eine Ergänzung oder eine Abweichung vom festgelegten Vorgehen erfordern. Natürlich muss ein Norm-Phasenplan auf einer relativ hoch aggregierten Ebene bleiben, da er <?page no="101"?> 76 · Projektorganisation auf eine Vielzahl ähnlicher Projekte passen soll. Daher kann es notwendig sein, dass der Projektleiter noch einen Detaillierungsschritt unternimmt und beispielsweise die genaue Ausprägung von anzuwendenden Techniken und Tools festlegt, falls verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl vorhanden sind. Außerdem muss er die Zeitpläne erstellen oder anpassen. Auf diese Weise hat das Projektteam schon von Anfang an eine konkrete Vorstellung vom zeitlichen und methodischen Rahmen. 2.4.2 Beispiele für Projektphasenpläne Entsprechend der Tatsache, dass es viele unterschiedliche Projektarten gibt, die verschiedene Vorgehensweisen erfordern, wurde auch eine Vielzahl von Phasenmodellen entwickelt. Zur Illustrierung werden im Folgenden einige Varianten dargestellt: (1) Ein sehr allgemeines Phasenkonzept wird von Rinza ([Projektmanagement] 44) vorgestellt: Er differenziert den gesamten Projektablauf in eine Konzeptionsphase Definitionsphase Realisierungsphase Verwendungsphase Im Bereich Softwareentwicklung gibt es bekannte allgemeine Modelle, die häufig als Basis für die unternehmensindividuelle Beschreibung des Norm- Phasenplans verwendet werden. Im Softwarebereich spielt neben dem V- Modell insbesondere das Wasserfallmodell eine wichtige Rolle. Dieses Modell und eine Weiterentwicklung werden im Folgenden dargestellt (vgl. Hansen/ Neumann [Wirtschaftsinformatik] 364ff.). (2) Die ursprüngliche Fassung des Wasserfall-Modells weist die folgenden Phasen auf: Anforderungsanalyse Entwurf Implementierung Test Wartung Dieses Modell hat einen sequenziellen Charakter: Jede Phase wird explizit abgeschlossen, bevor die nächste Phase beginnen darf. Dies hat bei der doch sehr komplexen Entwicklungsthematik im Softwarebereich zur Folge, dass Fehler <?page no="102"?> Projektablauforganisation · 77 i.d.R. erst sehr spät erkannt werden. Zudem kann der Kunde erst in späteren Phasen den Nutzen der Entwicklung beurteilen, wenn greifbare Ergebnisse vorliegen. Boehm ([Software]) erweitert das Wasserfall-Modell daher, indem er Rückkopplungen zwischen den Phasen vorsieht, die direkt aufeinander folgen (vgl. Abb. 2-13). Problemanalyse Validierung Systemspezifikation Validierung Grobentwurf Validierung Feinentwurf Validierung Implementierung Validierung Integration Validierung Installation Validierung Betrieb und Wartung Validierung Projektauftrag, Grobplan Systemspezifikation (Pflichtenheft) Datenmodell Systemarchitektur Algorithmische Struktur der Systemkomponenten Programme und Dokumentation Endprodukt Betriebsfähige Produktversion Problemanalyse Validierung Systemspezifikation Validierung Grobentwurf Validierung Feinentwurf Validierung Implementierung Validierung Integration Validierung Installation Validierung Betrieb und Wartung Validierung Projektauftrag, Grobplan Systemspezifikation (Pflichtenheft) Datenmodell Systemarchitektur Algorithmische Struktur der Systemkomponenten Programme und Dokumentation Endprodukt Betriebsfähige Produktversion Abb. 2-13: Erweitertes Wasserfall-Modell nach Boehm (Quelle: Hansen/ Neumann [Wirtschaftsinformatik] 368) Zur Erkennung von Fehlern wird im Anschluss an jede Phase eine Validierung eingeplant, in der die Ergebnisse der Phase geprüft und abgenommen werden. Zeigen sich hier Fehler, ist zur Korrektur ein Rücksprung in die vorherige Phase möglich. <?page no="103"?> 78 · Projektorganisation Bei sehr umfangreichen Softwareprojekten zeigte sich in der Realität jedoch, dass Fehler und erkannte Schwachstellen häufig Änderungen in der Anfordungsspezifikation nach sich zogen und somit ein Rücksprung in wesentlich frühere Phasen notwendig wurde. Auf der Grundlage der neuen Erkenntnisse sollten die Phasen dann noch einmal durchlaufen werden. (3) Boehm entwickelte aufgrund dieser Erfahrungen ein iteratives Modell zur Softwareentwicklung: Das Spiralmodell. Er versucht, bei diesem Modell alle Änderungen zu berücksichtigen, die sich aufgrund eines höheren Wissensstandes durch Erfahrungen, aber auch u.a. durch Marktveränderungen ergeben. Durch die geplanten wiederholten Durchläufe im Uhrzeigersinn ergeben sich Zyklen mit jeweils gleichen Schrittfolgeprozessen: Festlegung von Zielen, Lösungsvarianten, Nebenbedingungen und Einschränkungen Erarbeitung und Beurteilung von Lösungsvarianten, Erkennen und Beseitigen von Risiken Entwicklung und Validierung des Produkts der nächsten Stufe Planung der nächsten Phasen Die Vorteile des Spiralmodells liegen in der rechtzeitigen Entdeckung von Fehlern und der Erarbeitung und Beurteilung von Lösungsvarianten. Abb. 2-14 zeigt das Spiralmodell nach Boehm . (4) In den letzten Jahren hat zudem eine neue Vorgehensweise in der Softwareentwicklung an Bedeutung gewonnen: Das Agile Projektmanagement. Da es sich hierbei jedoch um eine grundlegend veränderte Herangehensweise an Projekte handelt, wird sie in Abschnitt 11 bei den alternativen Vorgehensmodellen eingehend betrachtet (S. 429ff.). Die betrachteten Softwareentwicklungsprozessmodelle werden häufig beim Entwurf von unternehmenseigenen Phasenplänen zugrunde gelegt. Häufig orientiert man sich auch an Standard-Vorgehenskonzepten, wie dem „V- Modell ® XT“, das mittlerweile für den gesamten öffentlich-rechtlichen Bereich von Bedeutung ist. Eine detaillierte Beschreibung des Modells findet sich auf der Homepage der Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik unter http: / / www.v-modell-xt.de. <?page no="104"?> Projektablauforganisation · 79 Abb. 2-14: Spiralmodell nach Boehm (Quelle: Hansen/ Neumann [Wirtschaftsinformatik] 371) Prototyp 1 Prototyp 2 Prototyp 3 Operationaler Prototyp Vorgehensmodell Risikoanalyse Risikoanalyse Risikoanalyse Komponententest Validierung der Spezifikation Systemspezifikation Entwicklungsplan Integration und Integrationstest Architekturentwurf Validierung und Verifikation des Entwurfs Lebenszyklusplan Abnahmetest Integration und Test Implementierung Planung der nächsten Phasen Installation Feinentwurf Festlegung von Zielen, Lösungsvarianten, Nebenbedingungen und Einschränkungen Erarbeitung und Beurteilung von Lösungsvarianten, Erkennen und Beseitigen von Risiken Entwicklung und Validierung des Produkts der nächsten Stufe Kumulative Kosten Projektfortschritt <?page no="105"?> 80 · Projektorganisation In Theorie und Praxis wird der Einsatz von Projektphasenplänen kontrovers diskutiert. Welche Vor- und Nachteile können Projektphasenplänen zugeschrieben werden? 2.4.3 Kritische Würdigung von Projektphasenplänen Die Nutzung von Phasenmodellen verspricht folgende Vorteile (vgl. Schelle [Projekte] 234ff., Eckrich [Umsetzung] 45): Ein Phasenmodell beinhaltet ein geordnetes, systematisches Vorgehen. Auf diese Weise können komplexe Projekte überschaubarer und beherrschbarer werden. Zudem entspricht die Aufteilung eines Problems in zeitlich aufeinander folgende Schritte dem intuitiven Verhalten des Menschen beim Lösen komplexer Fragestellungen. Ein Phasenmodell zwingt die am Projekt Beteiligten dazu, das Projekt nach dem Prinzip „schrittweise vom Groben zum Detail“ anzugehen: Auf diese Weise kann der Gefahr entgegengewirkt werden, bereits am Anfang des Projektes eine spezielle Detailfrage sehr zeitintensiv zu diskutieren. Mit Hilfe eines Phasenmodells kann man ein erhebliches Erfahrungspotenzial unternehmensweit nutzbar machen. Die Meilensteine bieten eine gute Grundlage für die Beurteilung und Überwachung des Projektfortschritts bezüglich Kosten, Zeit und Leistung. Die Projektabwicklung wird somit transparenter. Durch die intensive Überprüfung der Meilensteinergebnisse können Fehler und Verzögerungen frühzeitiger erkannt und für die weitere Arbeit berücksichtigt bzw. bereinigt werden. Das Erreichen eines Meilensteins stellt eine Zäsur im Projektablauf dar. Dies ermöglicht neben einer Kontrolle des Projektstatus auch eine Überprüfung der bisher gesetzten Prämissen, z.B. bezüglich der Marktlage. Vielleicht müssen die bisherigen Ziele revidiert oder der weitere Projektverlauf geändert werden; evtl. erweist es sich sogar als sinnvoll, das Projekt abzubrechen. Die Meilensteine ermöglichen also sequenzielle Entscheidungen. Auf diese Weise wird das Projektrisiko erheblich reduziert. Die Orientierung an einem Phasenmodell erleichtert den Projektmitarbeitern die Einarbeitung in das Projekt. Dies gilt auch für externe Berater. Die Projektbeteiligten haben eine gemeinsame Basis für ihre Arbeit. Jeder Mitarbeiter weiß, wie ein Projekt dieser Art generell abläuft, welche Methoden gewöhnlich zugrunde gelegt und welche Tools verwendet werden. Es müssen lediglich Ergänzungen, Detaillierungen oder Abweichungen genauer disku- <?page no="106"?> Projektablauforganisation · 81 tiert werden. Die Kommunikation innerhalb des Projektteams wird also stark erleichtert. Zudem können durch die Standardisierung den Mitarbeitern wertvolle Hilfestellungen in Form von Leitfäden, Beispielen, Handbüchern, Empfehlungen zur Verfügung gestellt werden. Das einheitliche Vorgehen erstreckt sich auch auf die Projektberichterstattung (Reporting) und wirkt sich somit positiv auf die Effizienz der Entscheidungsträger bei der Überwachung des Projektes aus. Der Einsatz von Phasenmodellen wird allerdings in den letzten Jahren heftig diskutiert. Die Gegner führen hierbei folgende Nachteile an (vgl. Schelle [Projekte] 236f., Olfert [Projektmanagement] 79): Die Projektrealität wird in den Phasenmodellen idealisiert, insbesondere wird meistens davon ausgegangen, dass alle Aktivitäten streng sequenziell ablaufen. Eine parallele Abarbeitung von Aufgaben bzw. eine zeitliche Trennung von bestimmten Aufgaben sind jedoch an der Tagesordnung. Auch Phasenrücksprünge gehören zur gängigen Praxis, beispielsweise könnte in der Testphase ein schwerwiegendes Problem entdeckt werden, das einen Rücksprung in die Konzeptionsphase nach sich zieht. Eine Standardisierung führt immer zum Verlust von Individualität. Spezielle Belange des Projektes oder des Unternehmens können nicht immer ausreichend berücksichtigt werden. Wird ein Modell in einem Unternehmen zu starr verfolgt, kann es aufgrund der fehlenden Flexibilität Probleme bei der Projektabwicklung geben. Zur Anwendung der Modelle sollten die Mitarbeiter geschult werden, was einen entsprechenden Aufwand mit sich bringt. Zum Teil sind die Modelle relativ abstrakt; die fehlende Anschaulichkeit macht es den Mitarbeitern häufig schwer, einen Zugang zu den Modellen zu finden und sich detailliert mit ihnen zu beschäftigen. Diese drei Argumente sind zum Teil grundlegende Kritikpunkte an Modellen schlechthin. Das Realproblem wird bei Modellen durch Abstraktion auf die für die Erfassung des Problems wesentlichen Informationen reduziert. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Kritikpunkte in jedem Fall gegen die Verwendung von Phasenmodellen sprechen müssen. Beispielsweise kann die parallele und überlappende Ausführung von Aufgaben sehr sinnvoll und effizient sein. Dies spricht jedoch nicht automatisch gegen ein Phasenkonzept, sondern eher dafür, denn gerade bei einer stärkeren Parallelisierung der Entwicklungsprozesse gewinnen Meilensteine für die Planung und <?page no="107"?> 82 · Projektorganisation Überwachung an Bedeutung. Sie dienen dann als wichtige „Synchronisations- und Kontrollpunkte“ (Schmelzer/ Buttermilch [Produktentwicklung] 53). Schelle betont zudem die Notwendigkeit, Phasenmodelle nicht bürokratisch zu handhaben, sondern eine gewisse Flexibilität bei der Anwendung zuzulassen, z.B. beim Übergang von einer zur nächsten Phase bei nicht ganz fertig gestellten Arbeitsergebnissen. Selbstverständlich muss dabei auf die endgültige Fertigstellung geachtet werden (vgl. Schelle [Projekte] 237f.). Zur Verfolgung des Projektfortschritts sind Meilensteine und ein systematisches Vorgehen unerlässlich. Bei einer gewissen Sensibilität für die möglichen Problemfelder der Phasenmodelle (z.B. im Rahmen einer gut vorbereiteten Einführung mit intensiven Schulungen) können sie dem Anwender gute Dienste i.S. der vorher ausgeführten Vorteile leisten. Projektphasenpläne stellen somit ein grundlegendes Instrument der Ablauforganisation in Projekten dar. Um das Thema Projektorganisation abzuschließen, soll nun der Zusammenhang zwischen der Projektorganisation und der Selbstorganisation hergestellt werden. Bei der Definition der Projektorganisation wurde erklärt, dass innerhalb eines Projektes „Ordnung auch von selbst entstehen kann“. Wir werden nun untersuchen, welche Konsequenzen sich aufgrund dieser Sichtweise für die Projektorganisation ergeben können. 2.5 Projektorganisation als Selbstorganisation 2.5.1 Projekte als selbstorganisierende Systeme Eine Organisation - so haben wir festgestellt - ist ein System von Regeln, um gemeinsame Ziele zu verfolgen. In Organisationen entsteht Ordnung aber auch sowohl „selbstbestimmt“ durch die Organisationsmitglieder als auch „von selbst“ durch die Eigendynamik des jeweiligen Systems. Ohne bewusste menschliche Planung entstehen „spontan“ bestimmte Regelmäßigkeiten und Muster (vgl. Bea/ Göbel [Organisation] 185ff. und die dort angegebenen Quellen). Der Sozialwissenschaftler Friedrich August von Hayek ([Freiburger Studien] 33ff.) charakterisiert eine spontane Ordnung folgendermaßen: Es handelt sich um eine abstrakte und komplexe Ordnung. Diesen Formen der Ordnung liegen ähnliche allgemeine Ordnungsprinzipien zugrunde, ihre konkreten Manifestationen können sich jedoch stark unterscheiden. Die konkrete Ausprägung der Ordnung wird durch eine Vielzahl von Umständen bestimmt, die eine einzelne Person jedoch niemals alle kennen kann. <?page no="108"?> Projektorganisation als Selbstorganisation · 83 Eine spontane Ordnung wird nicht von jemandem „gemacht“, sondern sie bildet sich ohne Absicht aus der Summe der Handlungen der Individuen (polyzentrische Ordnung). Ausschlaggebend für die Bildung solcher Ordnungen sind abstrakte Regeln, die einen Teil des Verhaltens der Einzelelemente beherrschen. Ein Teil des Verhaltens wird jedoch auch von den ganz konkreten Umständen des einzelnen Elements bestimmt und weicht insofern vom Verhalten der anderen Elemente ab. Die Gesamtordnung entsteht somit aufgrund der teilweise geregelten, teilweise aber auch auf die unmittelbar individuellen Umstände abgestimmten Verhaltensweisen der Einzelelemente. Regeln für eine spontane Ordnungsbildung müssen allgemein sein und dem Einzelnen die Möglichkeit lassen, sich selbst seine Position im Gesamtmuster zu schaffen. Überträgt man diese Charaktermerkmale auf Projekte als soziale und selbstorganisierende Systeme, dann ergeben sich weit reichende Konsequenzen für die Führung in Projekten: Grundlage für die Bildung spontaner Ordnungen in Projekten sind relativ abstrakte Regelungen: Einerseits sollen sie einen verbindlichen Handlungsrahmen für die Teammitglieder schaffen, andererseits aber auch genügend Freiraum für den Einzelnen lassen, sich ständig an neue Umstände anzupassen, die von vorneherein in ihrer Entwicklung überhaupt nicht voraussehbar waren. Unter spontanen Ordnungen i.S. eines Projektes sind qualitativ vollkommen neue Lösungen komplexer Projektprobleme zu verstehen, die sich in einem rein synoptischen Planungsakt so nur schwer ergeben könnten. Voraussetzung hierfür ist, dass alle Teammitglieder ihr ganz spezifisches Wissen in eine Problemlösungsmethodik mit einbringen, die so offen ist, dass Abstimmungen i.S. eines spontanen Gesamtmusters zustande kommen können. Auch die Unternehmenskultur bzw. die spezifische Projektkultur stellt ein abstraktes Regelwerk dar. In der Projektkultur kommt das Selbstverständnis eines Teams deutlich zum Ausdruck: „Teams bestehen aus Menschen. Menschen bilden Kulturen und diese Kulturen helfen ihnen, Beziehungen zu definieren, Rollen zu bestimmen und Normen zu setzen. Kultur vermittelt Sinn, und ohne Sinn sind Menschen keine Menschen“ ( Deal [Unternehmenskultur] 28). Selbstorganisationsprozesse vollziehen sich in sozialen Systemen durch Kommunikation. Um das „Grundmaterial“ für das Ablaufen solcher Pro- <?page no="109"?> 84 · Projektorganisation zesse sicherzustellen, sollte somit für eine projektspezifisch sinnvolle Informationsvielfalt gesorgt werden. Aus diesen Erkenntnissen leiten sich konkrete Gestaltungsaufgaben des Projektleiters ab: Die Ergebnisse eines Projektes ergeben sich als Mischung aus bewusster Gestaltung und spontan entstandenen Ordnungsprozessen, die nicht unmittelbar intendiert waren. Eine der wichtigsten Aufgaben des Projektleiters besteht daher darin, die Rahmenbedingungen für das Projektteam so zu gestalten, dass kreative Selbstorganisationsprozesse im Rahmen der Projektarbeit ablaufen können. Um diese Prozesse kanalisieren zu können, sind relativ abstrakte Regeln notwendig. Beim Aufstellen der Regeln dürfte es einfacher und weniger einschränkend sein, zu beschreiben, was vermieden werden soll (negative Abgrenzung), als zu erklären, was genau wie zu tun ist (positiv formulierte Regelsetzung). Auf diese Weise könnten Freiräume für spontane Musterbildungen geschaffen und gleichzeitig die Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten des einzelnen Teammitglieds eingeschränkt werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass die spontanen Ordnungen Lösungen hervorbringen, die besser zur jeweiligen Situation passen als direkte Steuerungseingriffe. Die Projektkultur stellt ebenfalls ein abstraktes Regelwerk mit kanalisierender Wirkung auf die selbstorganisierenden Prozesse dar. Im nächsten Abschnitt werden wir darauf eingehen, wie der Projektleiter gestaltend auf die Projektkultur einwirken kann, beispielsweise durch konkretes Vorleben der von ihm bevorzugten Werte. Für die selbstorganisierenden Prozesse hat die Kommunikation eine herausragende Bedeutung. Der Projektleiter sollte daher darauf achten, dass die Informationsvielfalt im Team gegeben ist, beispielsweise durch eine möglichst interdisziplinäre Zusammensetzung des Teams und durch ein intensives Beziehungsmanagement. Diese Aspekte der Selbstorganisation wirken sich auch positiv auf ein anderes Organisationsmodell aus, das heute immer mehr an Bedeutung gewinnt: Die „Lernende Organisation“. Die Zusammenhänge zwischen Projektorganisation und der Lernenden Organisation werden in Teil 4, S. 726, detailliert erläutert, wenn wir das „Projektorientierte Unternehmen“ beschreiben, das quasi als Prototyp einer Lernenden Organisation verstanden werden kann. In den bisherigen Ausführungen wurde an mehreren Stellen auf die herausragende Bedeutung der Projektkultur im Zusammenhang mit der Kanalisierung <?page no="110"?> Projektorganisation als Selbstorganisation · 85 der selbstorganisierenden Prozesse im Projektteam hingewiesen. Wir wollen daher im nächsten Abschnitt auf die Bedeutung der Kultur in einem Projekt eingehen. 2.5.2 Die Bedeutung der Projektkultur Im Folgenden soll das Phänomen „Projektkultur“ betrachtet werden: Wir wollen untersuchen, wie sich eine solche Projektkultur auf den Projekterfolg auswirken kann und inwieweit es möglich ist, gestaltend auf sie einzuwirken. Die Frage der Gestaltbarkeit der Projektkultur stellt sich insbesondere vor dem Hintergrund ihrer Bedeutung als abstraktes Regelwerk mit kanalisierender Wirkung auf die Prozesse der Selbstorganisation im Team. Die Unternehmenskultur ist „die Gesamtheit von im Laufe der Zeit in einer Unternehmung entstandenen und akzeptierten Werten und Normen, die über bestimmte Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensmuster das Entscheiden und Handeln der Mitglieder einer Unternehmung prägen“ ( Bea/ Haas [Management] 491). Innerhalb der Unternehmenskultur bilden sich verschiedene Subkulturen in bestimmten Teilbereichen oder -systemen eines Unternehmens, z.B. in der Forschung und Entwicklung oder im Controlling. Auch in Projekten entwickeln sich i.d.R. aufgrund der intensiven Arbeit im Team eigenständige Subkulturen. Der direkte Kontakt zum Kunden mit seiner eigenen Unternehmenskultur kann zur Ausprägung einer eigenständigen Projektkultur beitragen (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 375). (1) Wirkungen der Projektkultur Welche Wirkungen gehen nun von einer eigenständigen Projektkultur aus? Es ist grundsätzlich mit positiven und negativen Effekten zu rechnen (vgl. Bea/ Haas [Management] 509ff.). Als positive Wirkungen sind zu nennen: Koordination (gemeinsames Orientierungsmuster) Integration (Wir-Gefühl) Motivation (Engagement für das Projekt) Repräsentation (Positives Erscheinungsbild eines Projektes) (a) Koordinationswirkung: Die Projektkultur erzeugt ein einheitliches Orientierungsmuster, das die Abstimmung zwischen den Projektteammitgliedern <?page no="111"?> 86 · Projektorganisation vereinfacht. Die Unsicherheit des einzelnen Teammitglieds bezüglich des Verhaltens der anderen Teammitglieder wird reduziert, d.h. man kann ein bestimmtes Verhalten der anderen erwarten. (b) Integrationswirkung: Die Projektkultur vermittelt dem einzelnen Teammitglied Solidarität und damit eine Rollensicherheit. Es entsteht ein intensives Wir-Gefühl, ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl zu einer sozialen Gruppe. (c) Motivationswirkung: Das Wir-Gefühl kann zu Höchstleistungen beflügeln. (d) Repräsentationswirkung: Das Projektteam hat durch seine Kontakte zum Kunden, aber auch zur eigenen Linienorganisation eine gewisse Außenwirkung. Von engagierten Projektteams können positive Erwartungen der Umwelt geweckt werden, die sich z.B. bei Kunden günstig auf den Absatzerfolg und das Image des gesamten Unternehmens auswirken können. In der Linienorganisation kann das Interesse an Projektarbeit steigen, so dass es grundsätzlich zu positiven Effekten für die Rekrutierung von Personal in Projekten kommen kann. Doch die Projektkultur hat nicht nur positive Wirkungen, sondern sie kann auch zu Schwierigkeiten führen: Konformitätsdruck Selbstüberschätzung Reduktion der Umweltsensibilität Wahrnehmungsfilterung (a) Konformitätsdruck: Durch den starken Gruppenzusammenhalt entsteht ein relativ hoher Gruppendruck, d.h. gruppenkonformes Verhalten wird gefördert. Es kann eine Tendenz entstehen, abweichende Problemsichten zu unterdrücken und zwar sowohl durch eine Selbstkontrolle gegenüber Abweichungen vom Gruppenkonsens als auch durch einen direkten Gruppendruck gegenüber potenziellen Abweichlern von der Gruppennorm. Janis ([Groupthink] 335ff.).hat für die Probleme eines hohen Gruppendrucks auch den Begriff „Groupthink“ (Gruppenbefangenheit) geprägt. (b) Selbstüberschätzung: Das Team neigt durch die hohe Gruppenkohäsion zu einer „Illusion der Unverwundbarkeit“ ( Janis [Groupthink] 337). Diese unrealistische Einschätzung führt i.d.R. zu einem übertriebenen Optimismus und hoher Risikoneigung. <?page no="112"?> Projektorganisation als Selbstorganisation · 87 (c) Reduktion der Umweltsensibilität: Die allgemeine Euphorie kann dazu führen, dass sich das Team abkapselt und den Bezug zur Realität und zur Umwelt verliert. (d) Wahrnehmungsfilterung: Das teameigene Normen- und Wertesystem schiebt sich unbemerkt zwischen das Projekt und seine Umwelt. Auf diese Weise behindert es das rechtzeitige Erkennen von relevanten Umweltveränderungen. Janis ([Groupthink] 338f.) führt hier z.B. Stereotype an, die man über Nicht-Gruppenmitglieder ausbildet. Grundsätzlich kann eine relativ hohe Eigenständigkeit einer Projektkultur auch Probleme mit der bestehenden Linienorganisation mit sich bringen: Beispielsweise kann es zu Konflikten kommen, wenn die Unternehmenskultur durch ein stark hierarchisches Denken geprägt ist, also durch vertikale Informations- und Weisungsflüsse und durch eine eher autoritäre Führung (vgl. Kraus/ Westermann [Projektmanagement] 148ff.), während in einem Projektteam weitgehende Hierarchiefreiheit herrschen sollte. Nur ohne hierarchische Grenzen ist ein freier Fluss von Informationen, ein wirkliches Zusammenhörigkeitsgefühl und eine Offenheit für die Ideen des anderen möglich. Dies gilt für viele weitere partizipative Elemente der Projektarbeit, die sich auch in der Projektkultur widerspiegeln. Dieser grundsätzliche Konflikt zwischen Unternehmenskultur und Projektkultur sollte insbesondere dann thematisiert werden, wenn die Unternehmensführung eine Entscheidung zur Einführung eines systematischen Projektmanagements trifft. Es zeigt sich an dieser Stelle sehr deutlich, dass sich diese Entscheidung nicht nur auf die Erweiterung der bestehenden Organisation durch eine neue Form der Sekundärorganisation beschränkt, sondern eine grundlegende Veränderung der „Führungskonzeption“ mit sich bringt (vgl. S. 57). (2) Gestaltung der Projektkultur Betrachten wir das Verhältnis der spezifischen Projektkultur zu den anderen Subkulturen im Unternehmen, insbesondere zu den fachspezifischen Kulturen in der Linie, so kann man drei Arten von Projektkulturen unterscheiden (vgl. Sprenger [Projektgruppen] 178f.): Isolierte Projektkultur: Das Projektteam kapselt sich stark von den fachspezifischen Kulturen in seiner Umgebung ab und nimmt somit kaum noch Außenimpulse auf. Gegenläufige Projektkultur: Die Wertesysteme des Projektteams und der Linienabteilungen unterscheiden sich stark und führen zu Konflikten. <?page no="113"?> 88 · Projektorganisation Autonome Projektkultur: Eine autonome Projektkultur ist sowohl durch eine hohe interne Stabilität und als auch durch die Fähigkeit der schnellen Aufnahme und Berücksichtigung von Außenimpulsen in der Projektarbeit gekennzeichnet. Es stellt sich nun die Frage, inwieweit man eine Projektkultur zielgerichtet beeinflussen kann. Der Projektleiter hat einige Möglichkeiten, um die Projektkultur in einer bestimmten Art und Weise zu prägen: Bereits mit der Auswahl der Projektteammitglieder lässt sich auf eine bestimmte Entwicklung der Projektkultur Einfluss nehmen. Der Projektleiter setzt durch das konsistente Vorleben der von ihm angestrebten Werte von Anfang an wichtige Zeichen für das gesamte Team. Diese Werte können insbesondere über die Entwicklung und Verwendung bestimmter Symbole vermittelt werden (vgl. Schein [Organizational Culture]). Dazu gehören (a) Riten und Rituale, wie die Gestaltung der Projektteamsitzungen, Feiern für das Erreichen wichtiger Projektabschnitte oder für private Anlässe, (b) Mythen und Geschichten, wie die Sammlung und Dokumentation von Episoden und Anekdoten rund um das Projekt, die den speziellen Pioniergeist, die Erfolge und Krisen des Teams widerspiegeln, (c) Corporate Identity, z.B. durch einen eigenen Projektraum, ein Logo oder die Kleidung des Projektteams, (d) Wahrgenommene Atmosphäre und Leistungen, wie die spezifische Sprache des Projektteams oder gelebte Werte wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Zudem kann der Projektleiter das sichtbare Normen- und Wertesystem entsprechend gestalten, soweit keine bindenden Vorgaben von Seiten des Gesamtunternehmens existieren. Hier sind meist größere Spielräume vorhanden, da es zwar allgemeine Führungsgrundsätze, Verhaltensrichtlinien und Standards gibt, diese jedoch für den speziellen Fall entsprechend konkretisiert und zugeschnitten werden müssen. Besonders formale und informale Spielregeln, die den Umgang innerhalb des Projektteams bestimmen, können entscheidend durch den Projektleiter geprägt werden, und zwar schon durch die Art, wie sie zustande kommen. Beispielsweise kann ein eher autoritärer Projektleiter versuchen, möglichst alle Spielregeln selbst aufzustellen und sie dem Projektteam dann als verbindlich zu präsentieren. Diese Vorgehensweise verspricht aufgrund des grundsätzlich partizipativen Charakters des Projektmanagements und der Tatsache, dass man niemals alle <?page no="114"?> Notwendigkeit der Vorselektion · 89 Spielregeln antizipieren kann, wenig Erfolg. Mit einer gemeinsamen Festlegung der wichtigsten Spielregeln im Kick-Off-Meeting gäbe der Projektleiter dagegen andere Signale; dabei sollte er sich im Vorfeld entsprechende Grundvorstellungen zurechtgelegt haben, die seine angestrebten Werte konsistent wiedergeben. Das Verhältnis des Teams zu den Kulturen der Umwelt, insbesondere der Fachbereiche, kann in den Sitzungen thematisiert werden (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 377ff.). Bildet sich im Projektverlauf eine stark isolierte Projektkultur, so sollte der Projektleiter durch symbolische Handlungen entsprechende Zeichen setzen, mit denen er den Willen zur Veränderung und die Offenheit als Wert einbringt. Die Entwicklung einer gegenläufigen Projektkultur kann dann für beide Seiten befruchtend sein, wenn es gelingt, die sich ergebenden Konflikte konstruktiv zu lösen (vgl. Sprenger [Projektgruppen] 178f.). Hier ist die Fähigkeit des Projektleiters gefragt, die übergeordnete „Metaebene“ einzunehmen, um den Konflikt entsprechend zu erkennen und dann zu vermitteln. Grundsätzlich sollte der Projektleiter darauf achten, dass sich keine Projektkultur bildet, die mit den wichtigsten Normen und Werten der übergeordneten Unternehmenskultur nicht vereinbar ist. Dazu ist es notwendig, mit dem Team das Projekt in den größeren Sinnzusammenhang des Gesamtunternehmens einzuordnen und auf diese Weise den Zweck des Projektes transparent zu machen. Es erscheint also möglich und auch sinnvoll, prägend auf die Projektkultur einzuwirken, um über die gemeinsamen Werte Einfluss auf die selbstorganisierenden Prozesse im Team zu nehmen. Im Anschluss an diese grundlegenden Betrachtungen zur Projektorganisation wollen wir nun die einzelnen Phasen des Managements von Projekten detailliert beleuchten. Vor dem eigentlichen Projektstart muss jedoch geprüft werden, ob das Projekt überhaupt machbar erscheint und ob die Durchführung aus Sicht des Unternehmens wirklich sinnvoll ist. 3 Vorselektion von Projekten 3.1 Notwendigkeit der Vorselektion Ein Unternehmen hat i.d.R. nur knappe Ressourcen zur Verfügung. Geldmittel, Personal, Sachmittel und Material müssen so eingesetzt werden, dass sie am besten i.S. der Unternehmensziele wirken. Das bedeutet, dass nur solche Projekte durchgeführt werden sollten, die möglichst gut zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen. Mit diesem Themengebiet werden wir uns in Teil 3 <?page no="115"?> 90 · Vorselektion von Projekten eingehend beschäftigen, da es sich hierbei um die Verbindung zwischen Projektmanagement und strategischer Unternehmensführung, also das sog. „Management durch Projekte“ handelt. Zuvor ist zu prüfen, ob das Projekt grundsätzlich durchführbar ist oder ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Projekt bei erstem Anschein unwirtschaftlich ist oder wichtige Voraussetzungen für dessen Verwirklichung fehlen. Dies ist die Aufgabe der Machbarkeitsstudie. Die Vorselektion soll verhindern, dass ein aussichtsloses Projekt überhaupt in Angriff genommen wird. 3.2 Machbarkeitsstudie 3.2.1 Aufgaben Mit Hilfe der Machbarkeitsstudie, auch als Durchführbarkeitsstudie oder als „feasibility study“ bezeichnet, soll geklärt werden, ob ein Projekt aus heutiger Sicht grundsätzlich „machbar“ erscheint. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Projekt aus technischen wirtschaftlichen rechtlichen ökologischen sozialen risikobezogenen Aspekten als durchführbar einzustufen ist. Grundlage für die Überprüfung dieser Erfordernisse ist zunächst einmal eine möglichst genaue Beschreibung des Projektes. Hierzu gehört eine erste Beschreibung der Projektziele, der Projektaufgaben, der einzusetzenden Technologien, der benötigten Ressourcen sowie des Projektzeitrahmens. Diese Beschreibung ermöglicht eine erste Abschätzung der mit dem Projekt verbundenen Auszahlungsströme. Ergänzend hierzu ist eine Marktanalyse vorzunehmen, die über die Abschätzung von Preisen, Absatzmengen, Absatzkosten sowie weiterer prognostizierter Rahmenbedingungen wie Zins-, Währungs- und Inflationsentwicklungen eine erste grobe Bestimmung der Projekteinzahlungen zulässt (vgl. Corsten / Corsten/ Gössinger [Projektmanagement] 12). Darüber hinaus ist die weitere und engere Projektumwelt zu beschreiben. In Summe sollen im Rahmen der Machbarkeitsstudie über die Beschreibung des Projektes und seiner Umwelt die wesentlichen Projekteinflussfaktoren ermittelt werden. Zudem werden in einem ersten, in diesem Stadium noch ganz <?page no="116"?> Machbarkeitsstudie · 91 bewusst grob gehaltenen Planungsschritt die wesentlichen Planungsprämissen erarbeitet und so die wahrscheinlichen Konsequenzen der Projektdurchführung für das Unternehmen beleuchtet. Insbesondere sollen durch diese erste Grobplanung jene Eigenschaften des Projektes oder der Projektumwelt identifiziert werden, die das Projekt von vornherein unwirtschaftlich oder eine Projektdurchführung vollkommen unmöglich machen würden. Insofern dient die Machbarkeitsstudie auch einer ersten Risikoanalyse des Projektes. 3.2.2 Teilstudien Die Prüfung der grundsätzlichen Projektdurchführbarkeit erstreckt sich auf mehrere Bereiche; dem entsprechend unterscheiden wir verschiedene Teilstudien. Teilstudien der Machbarkeitsstudie: Technische Studie Wirtschaftlichkeitsstudie Rechtliche Studie Ökologische Studie Sozialstudie Risikostudie (1) Technische Studie Sie befasst sich mit der technischen Realisierbarkeit eines Projektes. Ihr kommt im Rahmen der Machbarkeitsstudie eine besondere Bedeutung zu, da technische Gesichtspunkte den Projektrahmen entscheidend bestimmen (Stand der Technik als Engpassfaktor). Aus den Ergebnissen der technischen Studie leiten sich wichtige Schlüsse für die Verfahrenswahl ab; verschiedene Produktionsverfahren erfordern wiederum unterschiedliche Produktionsmittel. Soll bspw. eine Brücke über den Bosporus gebaut werden, so sind genaue Kenntnisse über Tragekraft, Reißfestigkeit, Kälteempfindlichkeit von Werkstoffen unabdingbar. Aus diesen Werkstoffeigenschaften leiten sich maßgebliche Einschränkungen für die Brückenkonstruktion und daraus wiederum für die Gestaltung der Bauarbeiten ab. Im Rahmen der technischen Studie sind überdies die natürlichen Merkmale alternativer Projektstandorte zu untersuchen. Dazu rechnen etwa: Klima (Niederschlag, Temperaturen, Wind), Luftreinheit und Bodenbeschaffenheit. Um erneut auf das Beispiel der Bosporusbrücke zurückzukommen: Hier wäre bezüglich der natürlichen Merkmale v.a. zu untersuchen, ob die <?page no="117"?> 92 · Vorselektion von Projekten Bodenbeschaffenheit und Anfälligkeit für Erdbeben ein derartiges Bauvorhaben zulassen. Ein wesentlicher Aspekt im Rahmen der technischen Studie ist der Beherrschungsgrad der im Projekt zum Einsatz kommenden Technologie. Für die Risikostruktur des Projektes ergibt sich ein deutlicher Unterschied zwischen einem Routineprojekt, in dem eine schon oft erprobte Technologie zum Einsatz kommt, und einem Innovationsprojekt mit vollkommen neuartiger Technologie. Diese Einschätzung ist natürlich dann am besten möglich, wenn bereits ein ausgefeiltes Lastenheft des Kunden vorliegt, in dem die technischen Anforderungen an die zu erstellenden Projektergebnisse genau beschrieben sind. Viele Ausschreibungen von Aufträgen erfolgen bereits auf der Grundlage eines Lastenheftes, allerdings kann die Beschreibung ungenau ausfallen. Dies kann beispielsweise darauf zurückgeführt werden, dass dem Kunden die technischen Spezialkenntnisse für die Umsetzung seiner Wünsche fehlen. Eine wichtige Herausforderung besteht für das Projektteam somit darin, die Anforderungen des Kunden in ihre unternehmensspezifische, technische Sprache zu übersetzen. Bei diesem Arbeitsschritt entsteht das sog. „Pflichtenheft“ (vgl. S. 124f.). Ungenügende Aufmerksamkeit für technische Feinheiten oder eine ungenügend exakte Beschreibung der technischen Projektbesonderheiten im Lastenheft kann sich u.U. als äußerst folgenschwer für ein Projekt erweisen: Kosten- und Terminvorgaben werden überschritten, mitunter muss das Projekt abgebrochen werden, nachdem bereits beträchtliche Investitionen vorgenommen worden sind. Zur Durchführung der technischen Studie werden Fachleute aus ingenieur- und naturwissenschaftlichen Disziplinen benötigt: Elektrotechnik, Maschinenbau, Bauwesen, Statik, Luft- und Raumfahrttechnik, Informatik, Optik, Akustik, Biologie, Chemie, Meteorologie usw. (2) Wirtschaftlichkeitsstudie Die Wirtschaftlichkeitsstudie umfasst eine Kapazitätsstudie, eine Zeitstudie sowie eine Marktstudie. Die Aufgabe der Kapazitätsstudie besteht in der Prüfung, ob Sachmittel und Personal sowie die erforderliche finanzielle Ausstattung in ausreichendem Maße vorhanden sind. <?page no="118"?> Machbarkeitsstudie · 93 Da Projekte i.d.R. nach einem vorgegebenen Zeitplan abzuwickeln sind, ist der vorgegebene Zeitrahmen in einer Zeitstudie auf Realisierbarkeit zu überprüfen. Aus den Grobplanungen hinsichtlich der benötigten Ressourcen und deren zeitlichem Einsatz ergeben sich erste Prognosen der projektbezogenen Auszahlungen. Diesen Auszahlungen ist eine Prognose der projektbezogenen Einzahlungsströme gegenüberzustellen. Diese lassen sich aus der Marktstudie gewinnen. Zusammenfassend sollte im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsstudie durch die Gegenüberstellung der Ein- und Auszahlungsströme eine erste Grobschätzung der Projektwirtschaftlichkeit ermöglicht werden. Für eine endgültige Abschätzung der Wirtschaftlichkeit eines Projektes muss diese Gegenüberstellung der Zahlungsströme allerdings noch mit einer Risikoabschätzung im Hinblick auf die tatsächliche Realisierbarkeit der Zahlungsströme kombiniert werden. (3) Rechtliche Studie Die Gestaltung eines Projektes wird mitunter erheblich durch rechtliche Rahmenbedingungen eingeschränkt. Daher ist der Rechtsstudie im Rahmen der Machbarkeitsstudie besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Projektalternativen werden daraufhin untersucht, ob sie die gesetzlichen Bestimmungen, Auflagen, Vorschriften erfüllen. Wesentliche Rechtsgebiete sind u.a.: Baurecht Umweltrecht Wettbewerbsrecht Arbeits- und Sozialrecht Steuerrecht Mit der Rechtsstudie verbunden sind Anfragen bei Genehmigungsbehörden wie etwa dem TÜV. (4) Ökologische Studie Mit der zunehmenden Verknappung aller natürlichen Ressourcen und dem parallel wachsenden Anspruch der Gesellschaft auf nachhaltiges Wirtschaften kommt der Untersuchung der ökologischen Konsequenzen eines Projektes immer größere Bedeutung zu. Unter Umständen reicht die formale Einhaltung umweltrechtlicher Vorschriften für eine erfolgreiche Projektdurchführung nicht mehr aus, insbesondere dann, wenn mit dem Projekt <?page no="119"?> 94 · Vorselektion von Projekten gegen ökologische Werte der Gesellschaft verstoßen wird. Zu denken ist etwa an die eventuelle Strahlenbelastung, die mit der Errichtung einer Mobilfunkanlage verbunden ist. Insofern bietet es sich an, eine gesonderte Studie zu den ökologischen Auswirkungen des Projektes durchzuführen. (5) Sozialstudie Im Rahmen einer Sozialstudie ist zu prüfen, ob gesellschaftliche Rahmenbedingungen gegen eine Durchführung des Projektes sprechen. Dies kann bspw. dann der Fall sein, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen von einem Projekt besonders betroffen sind. Denkbar wäre bspw. der Einsatz von Hochtechnologien in Gebieten, die noch von eher archaisch geprägten Einwohnern besiedelt sind, oder der Bau von Staudämmen, der zu umfangreichen Umsiedlungen führen würde. Auch Vorbehalte, die sich aus religiösen Gründen gegen bestimmte Projekte ergeben könnten, sollten in diesem Zusammenhang überprüft werden. (6) Risikostudie Da nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die prognostizierten Zahlungsströme wie erwartet realisiert werden können, sollte eine systematische und strukturierte Analyse der mit der Projektdurchführung verbundenen Risiken vorgenommen werden (vgl. Abschnitt 10.2). Soll das Projekt im Ausland realisiert werden, empfiehlt sich zusätzlich eine gesonderte Analyse des speziellen Länderrisikos (zu den Verfahren der Länderrisikoanalyse vgl. Corsten/ Corsten/ Gössinger [Projektmanagement] 13). Am Ende der Durchführbarkeitsstudie steht eine Entscheidung für oder gegen die grundsätzliche Weiterverfolgung eines Projektes. Fördert die Machbarkeitsstudie die Erkenntnis zu Tage, dass das Projekt grundsätzlich nicht durchführbar erscheint oder unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht sinnvoll realisiert werden kann, wird das Projekt nicht weiterverfolgt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass alle bis zu diesem Zeitpunkt bereits entstandenen Kosten für die Grobplanung des potenziellen Projektes verloren sind. Gerade für Unternehmen, die v.a. im Großprojektgeschäft tätig sind, wie bspw. Unternehmen der Bauindustrie oder des Anlagenbaus, stellt sich somit aus ökonomischen Gründen bereits im Vorfeld die Frage, bei welchen Projekten es sich für das Unternehmen überhaupt lohnt, eine Machbarkeitsstudie durchzuführen. Hier wird die so genannte Hitrate zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor, der das gesamte Unternehmensergebnis maßgeblich mit beeinflussen kann. Die Hitrate setzt den Anteil der Projekte, für die schlussendlich ein Zuschlag von Seiten des Kunden erzielt wurde, in Beziehung zur Anzahl aller Pro- <?page no="120"?> Machbarkeitsstudie · 95 jekte, für die ein Angebotsverfahren eingeleitet wurde. Werden Angebote für zu viele Projekte erstellt und kommt es anschließend nur vereinzelt zu Projektzuschlägen für das Unternehmen, können die vorlaufenden Planungskosten für die erstellten Durchführbarkeitsstudien bereits so hoch sein, dass sie von den letztlich realisierten Projekten und deren Wertbeiträgen nicht mehr überkompensiert werden können. Zeigt die Machbarkeitsstudie, dass das Projekt sowohl durchführbar als auch wirtschaftlich sinnvoll erscheint, wird das Projekt nach strategischen Kriterien untersucht: Inwieweit wird das Projekt zu einer Verwirklichung der strategischen Unternehmensziele beitragen? Die genaue Methodik für diesen Auswahlprozess wird in Teil 3 in Abschnitt 4.3.1 (S. 557ff.) eingehend erläutert. Nach der grundsätzlichen Entscheidung für die Durchführung des Projektes beginnen wir nun mit dem Prozess des Managements von Projekten: Projektstart Zielpräzisierung Projektplanung Projektumsetzung Projektkontrolle Projektabschluss Begleitende Prozesse: Qualitätsmanagement Chancen- und Risikomanagement 4 Projektstart Die erste Phase des operativen Projektmanagementprozesses beinhaltet die Vorbereitung des Projektes bis hin zum offiziellen Start im Zuge eines Kick-Off-Meetings. Der Projektstart stellt einen wichtigen Erfolgsfaktor für das gesamte Projekt dar, denn zu Projektbeginn wird die inhaltliche und methodische Ausrichtung des ganzen Projektes festgelegt. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die Projektvorbereitung mehr Zeit in Anspruch nimmt als die Durchführung des Projektes selbst. <?page no="121"?> 96 · Projektstart Beispiel: Die Planungsvorbereitung des Projektes Stuttgart 21 dauerte insgesamt 15 Jahre. Ein Hauptgrund für diese überaus lange Zeit der Vorbereitung ist insbesondere in der politischen Brisanz des Projektes zu sehen. 4.1 Projektvorbereitung Zur Projektvorbereitung gehören die folgenden Aufgaben: Aufnahme der Vertragsverhandlungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer (bei externen Projekten) Formulierung und Erteilung des Projektauftrags Erste Analyse des Projektumfelds Planung des Projektmanagementsystems In den meisten Fällen findet zum offiziellen Projektstart ein sog. Kick-Off- Meeting statt, zu dem die wichtigsten Projektbeteiligten, insbesondere das Projektteam, der interne Auftraggeber sowie ein Vertreter des Projektmanagementoffice, eingeladen werden. Die Vorbereitung eines Projektes hängt im Detail davon ab, wie die Entscheidung für das Projekt zustande gekommen ist. Wurden alle Schritte der Projektauswahl von der Machbarkeitsstudie über die Ableitung von quantitativen und qualitativen Kriterien zur Projektbewertung aus strategischer Sicht bis zur systematischen Entscheidung für eine bestimmte Kombination von Projekten durchgeführt (vgl. S. 495ff.), so liegen bereits viele fundierte Informationen über das zukünftige Projekt vor. Bei Kundenprojekten ging dem Projekt evtl. bereits ein Akquisitionsprojekt voraus, in dem erste Planungen als Grundlage für das Angebot erfolgten. Ist dies nicht der Fall, so besteht die erste Aufgabe im Zuge der Projektvorbereitung in der Sammlung von Informationen mit dem notwendigen Detailliertheitsgrad. Bei externen Projekten beginnen die Vertragsverhandlungen mit dem Kunden oftmals bereits vor dem offiziellen Projektstart. An dieser Stelle werden die wichtigsten Eckpfeiler für die spätere Ertragssituation festgelegt, obwohl der Informationsstand zu diesem Zeitpunkt häufig noch nicht sehr weit gediehen ist. Hier kommt es stark darauf an, wie konkret die Anforderungen des Kunden bereits vorliegen, d.h. wie genau die zu erstellende Leistung im Lastenheft spezifiziert wurde. <?page no="122"?> Vertragsverhandlungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer · 97 4.1.1 Vertragsverhandlungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer Die Gestaltung der Verträge mit dem Kunden kann über den wirtschaftlichen Erfolg eines Projektes entscheiden. Zu diesem frühen Zeitpunkt ist es wichtig, die Rahmenbedingungen für das Projekt entsprechend anzulegen, denn hier werden die Weichen für das gesamte Projekt gestellt. Ziel eines Vertrages ist es, alle entscheidenden Rechte und Pflichten der Vertragsparteien formal und inhaltlich festzulegen. Es geht in diesem frühen Stadium darum, bei der Gestaltung des Vertrages Kompromisse beider Parteien bezüglich essenzieller Bestandteile des Vertrags festzuschreiben und dabei Freiheitsgrade für die Projektplanung und - umsetzung zu erhalten. Je nach Größe des Projekts und der beteiligten Unternehmen werden die Gestaltung, der Abschluss und die Abwicklung von Verträgen entweder durch eine eigene Stabsstelle, durch den Projektleiter mit Unterstützung von Experten, wie z.B. der Rechtsabteilung oder auch durch externe Firmen vollzogen (vgl. Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 406ff.). Wir werden uns mit dem Vertragsmanagement detailliert im Rahmen der Projektumsetzung beschäftigen (S. 264ff.). Hier sollen lediglich die Grundzüge angesprochen werden, da diese Thematik bereits bei der Projektvorbereitung eine entscheidende Rolle spielen kann. Viele Lösungen, für die Projekte ins Leben gerufen werden, sind sehr komplex und weisen viele Schnittstellen zu anderen Systemen auf, z.B. zur technischen Umgebung beim Kunden. Zu Projektbeginn ist es daher oftmals extrem schwierig, die Anforderungen genau zu spezifizieren, so dass sich im Laufe des Projektes nahezu zwangsläufig Änderungen ergeben. Doch selbst, wenn sich der Auftraggeber über die Anforderungen an das Produkt absolut im Klaren ist, können Kommunikationsprobleme zwischen den Parteien zu Änderungen führen: Das Pflichten- und das Lastenheft wurden vielleicht nicht mit der notwendigen Sorgfalt zusammengestellt oder es ergeben sich auch bei größten Anstrengungen Missverständnisse durch Unklarheiten in der Formulierung (vgl. Abschnitt 5: Zielpräzisierung). Manchmal erkennt der Kunde auch erst im Laufe der Projektumsetzung anhand der Projektergebnisse, wie die gewünschte Leistung konkret aussehen sollte. Zudem können sich während der Projektlaufzeit beispielsweise neue Auflagen von Behörden oder technologische Neuerungen ergeben, die im Projekt berücksichtigt werden müssen. <?page no="123"?> 98 · Projektstart An dieser Stelle wird deutlich, dass der Umgang mit Änderungen ein wichtiger Bestandteil des Vertrages sein sollte, denn es muss klar sein, welche wirtschaftlichen Konsequenzen sich aus den Änderungen ergeben und welche Partei sie im jeweiligen Fall zu tragen hat. Beispielsweise könnten sich durch umfassende Änderungswünsche des Kunden hohe Kosten und auch ein erheblicher Terminverzug des Lieferanten ergeben. Falls der Kunde daran interessiert wäre, den Lieferanten in diesem Fall für den verspäteten Liefertermin zur Rechenschaft zu ziehen, besteht das Ziel des Lieferanten dann in der Abwehr der sich daraus ergebenden Forderung. Aus Sicht des Lieferanten können die Vereinbarung einer systematischen Vorgehensweise bezüglich der Änderungen sowie die Übernahme zusätzlich entstehender Kosten entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg des gesamten Projektes sein. Jeder Vertrag sollte die folgenden Mindestbestandteile enthalten (vgl. Corsten/ Corsten/ Gössinger [Projektmanagement] 17f.): Genaue und detaillierte Leistungsspezifikation Festlegung einer eventuellen Selbstbeteiligung des Auftraggebers Auskunfts- und Informationspflichten sowie die Verschwiegenheitspflicht der beiden Seiten Fragen des Urheberrechts Art und Umfang der Ressourcen, die für die Durchführung des Projektes notwendig sein werden Eventuell Unterauftragsvergabe Festlegung des Preises Festlegung der Konditionen (Bedingungen der Leistungsabgabe und der Leistungsannahme sowie Zahlungsbedingungen) Regelungen für den Streitfall (z.B. Gerichtsstand, Garantien) An dieser Stelle fällt auf, dass einige der genauen Regelungen erst im Zuge der detaillierten Projektplanung festgelegt werden können. Deshalb sollte sowohl der Gestaltung als auch dem Abschluss und der Abwicklung von Verträgen eine systematische Vorgehensweise zugrunde liegen. Dieser Prozess, das Vertragsmanagement, wird im Rahmen der Projektumsetzung in Abschnitt 7, S. 264ff., vorgestellt. Der Vertrag kann jedoch in den seltensten Fällen als praktikable Grundlage für die konkrete Projektarbeit dienen, denn er ist i.d.R. in juristischer Fachsprache gehalten. Daher benötigt jedes Projekt einen Projektauftrag. <?page no="124"?> Der Projektauftrag · 99 4.1.2 Der Projektauftrag Der Projektauftrag bildet die Basis für die Arbeit des Projektteams: Alle wichtigen Aspekte und Rahmenbedingungen werden in einer für alle Betroffenen verständlichen Sprache zusammengefasst. Nicht jedem Projekt liegt ein konkreter Vertrag mit einem Kunden zugrunde. Dies trifft beispielsweise für interne Projekte, wie Organisationsentwicklungs- oder Prozessverbesserungsprojekte zu. Dennoch braucht das Projektteam für seine Arbeit eine möglichst konkrete Beschreibung der Wünsche des Auftraggebers und der Ausgangslage des Projektes sowie eine Zusammenstellung der bisher verfügbaren Informationen. Dies ist insbesondere für einen Projektleiter wichtig, der bisher noch keine Berührungspunkte mit dem neuen Projekt hatte und nun mit der Umsetzung des Projektes betraut wird. Für alle weiteren Aufgaben der Projektvorbereitung, wie die Zusammenstellung des Projektteams, eine erste Projektumfeldanalyse und die Planung des Vorgehens im Projektmanagement, benötigt er eine genaue Vorstellung von der zu lösenden Aufgabe, den Projektzielen aus Sicht des Auftraggebers sowie vom momentanen Status des Projektes. Zu einem vollständigen Projektauftrag gehören daher (vgl. Stöger [Projektmanagement] 59) eine Darstellung der Ausgangs- und Problemlage Beschreibung der groben Projektziele Klärung der Position des Kunden im Projekt und eine Beschreibung des Kundennutzens grobe Darstellung der wichtigsten Projektphasen mit Meilensteinen und Terminen kurze Darstellung der Projektorganisation, insbesondere der wichtigsten Rollen im Projekt (Projektauftraggeber, Projektleiter, Projektteam) sowie der Entscheidungs- und Berichtsgremien grobe Kostenschätzung Zusammenstellung aller Stakeholder des Projektes (z.B. Lieferanten, externe Institutionen) Auflistung der wichtigsten Risiken und Chancen Genehmigung durch den Projektauftraggeber Annahme des Projektauftrags durch den Projektleiter Bei dieser Aufzählung wird deutlich, dass viele Informationen zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich noch nicht vollständig zur Verfügung stehen, z.B. über die Projektorganisation. In der Realität bekommt der Projektleiter zunächst mündliche und schriftliche Informationen über das Projekt und erstellt den <?page no="125"?> 100 · Projektstart Projektauftrag im Zuge der Projektvorbereitungsphase oftmals selbst. Oder er bekommt einen Projektauftrag, der noch nicht ganz vollständig ist, und ergänzt die weiteren notwendigen Informationen. Die Aufgabe des Projektleiters im Verlauf der Projektvorbereitung besteht somit darin, diesen groben Rahmen aufzuspannen und nach Möglichkeit so mit Leben zu füllen, dass dem Projektteam alle notwendigen Informationen für seine Arbeit zur Verfügung stehen und somit die Grundlage für die Planung und die Umsetzung des Projektes geschaffen wurde. Am Ende der Projektvorbereitung sollte der Projektauftrag so weit formuliert sein, dass der interne Auftraggeber ihn unterschreiben und das Projekt somit für die Übernahme durch das Projektteam freigeben kann. Erfahrene Projektmanager legen großen Wert auf einen unterschriebenen Projektauftrag, um die grundsätzliche Übereinstimmung bezüglich der wichtigsten Eckpfeiler des Projektes zu Projektbeginn zu dokumentieren. Diese Vorgehensweise ist sehr zu empfehlen, denn eine realistische Erfolgsbeurteilung im Projektverlauf und bei Projektende ist nur möglich, wenn die ursprünglichen Ziele und Rahmenbedingungen klar erfasst sind. Zudem kann sich der Projektleiter mit einem formalen Projektauftrag der Unterstützung und des Engagements des Auftraggebers versichern (vgl. Burke [Projektmanagement] 137). Ein klar formulierter Projektauftrag stellt einen wichtigen Erfolgsfaktor für das gesamte Projekt dar. Auch der Umgang mit „unangenehmen“ Themenfeldern, wie beispielsweise der Ablauf von Entscheidungsprozessen, sollte geklärt sein, bevor das Team seine Arbeit aufnimmt (vgl. Winkelhofer [Projekt-Methoden] 41). Alle Beteiligten geben auf der Basis des Projektauftrags ihr „Commitment“ zum Projekt ab und gehen somit eine Leistungsverpflichtung mit innerem Engagement ein. Die direkten Projektbeteiligten sind besonders wichtige Stakeholder eines Projektes. Die systematische Gestaltung der Beziehungen zu den Stakeholdern stellt einen wichtigen Erfolgsfaktor eines Projektes dar. Wir werden uns nun mit einer Methode beschäftigen, die dem Projektleiter und dem Projektteam einen proaktiven Umgang mit den Erwartungen und Befürchtungen der wichtigsten Stakeholder ermöglicht: Die Projektumfeldanalyse. 4.1.3 Projektumfeldanalyse Der Erfolg eines Projektes hängt zum größten Teil davon ab, wie sich die Beziehung des Projektes zum Projektumfeld gestaltet. Insbesondere die Unterstützung des Projektes durch die wichtigsten Stakeholder kann für die Erreichung <?page no="126"?> Projektumfeldanalyse · 101 der Projektziele ausschlaggebend sein. Diese Unterstützung ist nur dann dauerhaft gesichert, wenn die Projektziele mit den Zielen dieser Personen vereinbar sind und sie einen konkreten Nutzen aus dem Projekt erwarten können (vgl. Menz/ Stahl [Stakeholderkommunikation] 3ff.). Vor einer genaueren Planung sollte sich der Projektleiter daher mit der Frage beschäftigen, welchen unternehmensinternen und -externen Einflussfaktoren das Projekt unterliegen könnte, die zu einem Großteil die hohe Komplexität und Dynamik in Projekten verursachen. Sie sollten daher möglichst frühzeitig und umfassend erfasst werden, um ihre potenziellen Entwicklungen und Konsequenzen abschätzen und daraus entsprechende Maßnahmen ableiten zu können. Eine solche Umfeldanalyse ist bereits eine wichtige Grundlage für ein erfolgreiches Chancen- und Risikomanagement (vgl. Abschnitt 10.2). Bei einer Umfeldanalyse kann folgendermaßen vorgegangen werden: Abgrenzung des Projektes Stakeholderanalyse Analyse sonstiger Einflussfaktoren Ableitung von Maßnahmen zur Gestaltung der Umfeldbeziehungen (1) Abgrenzung des Projektes Als Basis für eine sinnvolle Abgrenzung des Projektes und aller Aufgaben, die dazu gehören, sollten zunächst die Interaktionen und Beziehungen zwischen Projekt und Projektumfeld untersucht werden. Abb. 2-15 zeigt als innersten Kern das Projekt. Das Projekt ist umgeben von verschiedenen Umweltsegmenten, die man nach dem Grad der Nähe zum Projekt in zwei Kategorien untergliedern kann: In ein Engeres Projektumfeld: Auftraggeber, Projektmanager, Lieferanten, Projektmitarbeiter, Gesamtunternehmen. Weiteres Projektumfeld: Gesellschaft, Politische Instanzen, Behörden, Natur, technologische Entwicklung, Finanzmarkt, gesamtwirtschaftliche Entwicklung. (2) Stakeholderanalyse Ausgehend von den in Abb. 2-15 beschriebenen Umweltsegmenten können die direkt bzw. indirekt am Projekt Beteiligten identifiziert und im Hinblick auf ihre speziellen Projektinteressen analysiert werden. Diese Personen werden auch Stakeholder genannt: <?page no="127"?> 102 · Projektstart Als Stakeholder (stake = ein mit Risiko verbundener Einsatz) können Bezugsgruppen, Interessengruppen, Anspruchsgruppen bezeichnet werden, die von der Unternehmung, in diesem Fall vom Projekt, betroffen sind. Sie verfolgen deshalb ein gewisses Interesse gegenüber dem Unternehmen (vgl. Göbel [Verantwortung] 140ff.). Projekt Engeres Projektumfeld Projektmanager Lieferanten Auftraggeber Projektmitarbeiter Gesamtunternehmen Weiteres Projektumfeld Gesellschaft Politische Instanzen Behörden Natur Technologische Entwicklung Finanzmarkt Gesamtwirtschafliche Entwicklung Projekt Engeres Projektumfeld Projektmanager Lieferanten Auftraggeber Projektmitarbeiter Gesamtunternehmen Weiteres Projektumfeld Gesellschaft Politische Instanzen Behörden Natur Technologische Entwicklung Finanzmarkt Gesamtwirtschafliche Entwicklung Abb. 2-15: Das Projekt und sein Umfeld Die Einstellung der verschiedenen Personen bzw. Interessengruppen zum Projekt und auch ihre Bedeutung für das Projekt können sich sehr unterschiedlich gestalten. Daher besteht der nächste Schritt in einer systematischen Zusammenstellung der verschiedenen Stakeholder, ihrer jeweiligen Einstellung zum Projekt, ihren individuellen Zielen mit Relevanz für das Projekt und ihrer potenziellen Bedeutung (vgl. Abb. 2-16). Am besten versucht man, sich möglichst gut in die jeweilige Person hineinzuversetzen und dann ihre Erwartungen und Befürchtungen bezüglich des Projektes zu erfassen. Erst dann wird der Entwurf von sinnvollen Maßnahmen für ein systematisches Management dieser Beziehungen möglich. <?page no="128"?> Projektumfeldanalyse · 103 Personen, Interessengruppen Einstellung zum Projekt Projektrelevante Ziele Bedeutung, Macht, Einfluss (1-5) + Erwartungen - Befürchtungen Maßnahmen, Strategien Abb. 2-16: Stakeholderanalyse (In Anlehnung an: Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 98) (3) Analyse sonstiger Einflussfaktoren Neben den Stakeholdern mit ihren persönlichen Interessen können weitere sachliche Einflussgrößen ein Projekt beeinflussen. Exemplarisch sei hier auf Faktoren aus dem weiteren Unternehmensumfeld, wie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die technologische Entwicklung in der jeweiligen Branche oder auch auf politische Veränderungen hingewiesen. Diese Faktoren sind ebenso wie die Stakeholderinteressen zu analysieren und auf ihre Auswirkungen auf das Projekt hin zu untersuchen. Abb. 2-17 beschreibt eine Reihe von sachlichen Einflussfaktoren sowie verschiedene Projekt-Stakeholder und ihre möglichen unterschiedlichen Interessen. (4) Ableitung von Maßnahmen zur Gestaltung der Umfeldbeziehungen In Abb. 2-16 zur Stakeholderanalyse wurde bereits eine Spalte für die Sammlung von Ideen für Maßnahmen vorgesehen. Sofern die Maßnahmen etwas mit den Menschen im Umfeld des Projektes zu tun haben, gehören sie zum Themengebiet „Projektkommunikation und Projektmarketing“ (vgl. S. 244ff.). Während sich die Projektkommunikation eher an die projektinternen Stakeholder richtet, beschäftigt sich das Projektmarketing vorwiegend mit projektexternen Stakeholdern und zielt darauf ab, den Bekanntheitsgrad des Projektes zu erhöhen und sein Image zu verbessern (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 105). <?page no="129"?> 104 · Projektstart Projekt XYZ Auftraggeber - Transparenz über Stand und Fortschritt des Projektes - Zuverlässigkeit von Terminen, Kosten und Leistungen - Umweltschutz - Erzeugung regenerativer Energie - Klimatische Entwicklung (Klimawandel) Natur - Transparenz über Entwicklungsstand und Effizienz des Projektes - Beitrag zur Wertsteigerung des Unternehmens - Beitrag zur strategischen Unternehmensentwicklung Gesamtunternehmen - Kommunikative und vertrauensvolle Atmosphäre - Günstige Arbeitsplatzperspektive - Erfolgsbeteiligung Projektmitarbeiter - Termintreue - Kostentreue - Leistungstreue - Gute Kontakte mit Linienabteilungen - Motiviertes und effizientes Projektteam - Niedriger Krankenstand - Einbindung des Projektes in die Strategie des Gesamtunternehmens Projektmanager - Zuverlässigkeit der Lieferbeziehungen - Absicherung von Risiken - Faire Preisgestaltung - Zusicherung der Vertraulichkeit - Reibungslose Logistik Lieferanten - Schaffung von Arbeitsplätzen - Regionale Wirtschaftsförderung - Geringe Beeinträchtigung der Wohnqualität - Steuereinnahmen - Subventionen - Sicherheit am Arbeitsplatz Behörden/ Politik/ Gesellschaft - Konjunkturelle Entwicklung - Finanzmarktentwicklung - Arbeitsmarkt Gesamtwirtschaftliche Entwicklung - Technologischer Fortschritt durch Konkurrenz - Staatliche Förderung bestimmter Technologien (z.B. Umwelttechnik) - Staatliche Behinderung bestimmter Technologien (z.B. Atomkrafttechnologie) Technologische Entwicklung Projekt XYZ Auftraggeber - Transparenz über Stand und Fortschritt des Projektes - Zuverlässigkeit von Terminen, Kosten und Leistungen - Umweltschutz - Erzeugung regenerativer Energie - Klimatische Entwicklung (Klimawandel) Natur - Transparenz über Entwicklungsstand und Effizienz des Projektes - Beitrag zur Wertsteigerung des Unternehmens - Beitrag zur strategischen Unternehmensentwicklung Gesamtunternehmen - Kommunikative und vertrauensvolle Atmosphäre - Günstige Arbeitsplatzperspektive - Erfolgsbeteiligung Projektmitarbeiter - Termintreue - Kostentreue - Leistungstreue - Gute Kontakte mit Linienabteilungen - Motiviertes und effizientes Projektteam - Niedriger Krankenstand - Einbindung des Projektes in die Strategie des Gesamtunternehmens Projektmanager - Zuverlässigkeit der Lieferbeziehungen - Absicherung von Risiken - Faire Preisgestaltung - Zusicherung der Vertraulichkeit - Reibungslose Logistik Lieferanten - Schaffung von Arbeitsplätzen - Regionale Wirtschaftsförderung - Geringe Beeinträchtigung der Wohnqualität - Steuereinnahmen - Subventionen - Sicherheit am Arbeitsplatz Behörden/ Politik/ Gesellschaft - Konjunkturelle Entwicklung - Finanzmarktentwicklung - Arbeitsmarkt Gesamtwirtschaftliche Entwicklung - Technologischer Fortschritt durch Konkurrenz - Staatliche Förderung bestimmter Technologien (z.B. Umwelttechnik) - Staatliche Behinderung bestimmter Technologien (z.B. Atomkrafttechnologie) Technologische Entwicklung Abb. 2-17: Sachliche Einflussfaktoren und Stakeholder (In Anlehnung an: Baganz [Projektabwicklung] 168) Zur Erreichung dieser Ziele ist es notwendig, systematisch projektbegleitende Maßnahmen einzuplanen, durchzuführen und ihren Erfolg zu überwachen. Es zeigt sich also, dass es sich hier um eine umfangreiche Aufgabenstellung handelt, für die auch entsprechende Ressourcen eingeplant werden sollten. Die Maßnahmen, die im Rahmen der sachlichen Analyse angedacht wurden, fließen im weiteren Verlauf in die Planung des Projektes ein. Die Umfeldanalyse wurde bisher im Zuge der Projektvorbereitung vom Projektleiter durchgeführt, um ein erstes Gefühl für wichtige Einflussgrößen und mögliche Hindernisse zu bekommen. Vielleicht erkennt er im Zuge dieser Analyse, dass er über seine bisherigen Planungen hinaus noch weitere Personen ins Projektteam einbeziehen sollte, die stellvertretend die Interessen betroffener Gruppen wahrnehmen. Denkbar wäre beispielsweise eine Einbeziehung der Kundeninteressen durch einen Vertriebsmitarbeiter oder Key-Account-Manager, die Berücksichtigung von Lieferanteninteressen über einen Einkäufer oder sogar durch die direkte Integration von Kundenbzw. Lieferantenmitarbeitern in das Projektteam selbst. <?page no="130"?> Planung des Projektmanagementsystems · 105 Da es sich bei der Umfeldanalyse jedoch um eine Momentaufnahme handelt, die sich durchaus relativ schnell verändern kann, ist es notwendig, die Analyse projektbegleitend immer wieder zu aktualisieren. Beispielsweise könnte man die Analyse zu Beginn jeder Projektphase wiederholen, um Änderungen erkennen und adäquat reagieren zu können (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 205). Die Projektumfeldanalyse bietet eine gute Basis für eine projektprozessbegleitende Selbstreflexion des Projektstandes und für die Erklärung möglicher Einflussfaktoren auf die Entwicklung des Projektes. Sie fördert das Bewusstsein für die soziale Vernetzung des Projektes (vgl. Boos [Projektmanagement] 74). Ein weiterer Schritt der Projektvorbereitung besteht in der Planung der übergeordneten Vorgehensweise im Rahmen des Projektes und in der Definition der Rahmenbedingungen für die Projektarbeit, also in der Planung des Projektmanagementsystems. 4.1.4 Planung des Projektmanagementsystems Die Führung dient der zielorientierten Gestaltung. Damit dies möglich ist, müssen einige Rahmenbedingungen und Konventionen für die Projektarbeit schon vor dem eigentlichen Projektstart geregelt werden. Der Projektmanager legt damit wichtige Bestandteile der Vorgehensweise im Projekt fest. Folgende Instrumente der Führung sind hierbei von besonderer Bedeutung: Planung, Kontrolle und Steuerung Organisation Information und Kommunikation (1) Planung, Kontrolle und Steuerung Vor dem eigentlichen Projektstart ist eine Vordefinition eines ersten groben Projektablaufs mit den wichtigsten Arbeitsschritten notwendig. In der Praxis erfolgt diese Grobplanung über einen Projektphasenplan, mit dem wir uns bereits in Abschnitt 2.4 (S. 73) im Rahmen der Projektablauforganisation beschäftigt haben. Oftmals werden im Unternehmen Norm-Phasenpläne für Projekte erarbeitet, die den Kern der Geschäftstätigkeit betreffen, z.B. für Produktentwicklungsprojekte. Der Projektleiter kann nun in der Vorbereitung des Projektes auf diesen Norm-Phasenplan zurückgreifen und untersuchen, inwieweit diese Vorgehensweise auf das konkrete Projekt passt. Viele Prozesse sind noch projektspezifisch zu konkretisieren oder zu ergänzen, wie z.B. <?page no="131"?> 106 · Projektstart die Gestaltung des Steuerungsprozesses in Bezug auf Kosten, Zeit und Leistung: Wer plant und kontrolliert wann was? Wie werden die Abweichungen analysiert? Wer sucht nach Maßnahmen zur Korrektur von Abweichungen? Wer entscheidet über diese Maßnahmen? Kurzum: Es geht um die praktische Ausgestaltung der Steuerungsregelkreise in Abb. 2-2, S. 39. die Planung der projektbegleitenden Prozesse, also des Qualitätsmanagements sowie des Chancen- und Risikomanagements: Wie laufen hier Planung, Umsetzung und Kontrolle konkret mit welchen Maßnahmen zu welchen Zeitpunkten ab? die Planung wichtiger Prozesse, die sich auf die konkrete Arbeit im Team beziehen, z.B. das Beschaffungsmanagement, Personalmanagement, Konfigurationsmanagement. Die Kommunikation mit dem Projektteam wird sich auf dieser Grundlage wesentlich einfacher gestalten, denn der Projektleiter kann davon ausgehen, dass die Mehrheit seiner Teammitglieder den Norm-Phasenplan mit den vorgeschlagenen Methoden und Tools kennt. So kann er in der Kick-Off-Veranstaltung insbesondere auf die Projektspezifika abheben und seine Vorschläge zu ihrer Gestaltung mit den Experten aus dem Projektteam eingehend diskutieren, falls dies notwendig sein sollte. Zudem erstellt er auf der Grundlage des Norm-Phasenplanes einen ersten groben Zeitplan, damit das Projektteam beim Kick-Off-Meeting einen grundlegenden Eindruck der zur Verfügung stehenden Zeiträume für die einzelnen Phasen bekommt und ihre Realisierbarkeit einschätzen kann. Es wird allerdings auch Fälle geben, bei denen der Projektleiter nicht auf einen unternehmensspezifischen Norm-Phasenplan zurückgreifen kann, insbesondere bei internen Projekten, die in dieser Form im Unternehmen erstmalig durchgeführt werden und nicht zur „normalen“ Geschäftstätigkeit des Unternehmens gehören. Er könnte in diesem Fall beispielsweise Vorschläge aus der Literatur zur Unterstützung heranziehen und diese auf die Besonderheiten des konkreten Projektes zuschneiden. (2) Organisation Im Zuge der Projektvorbereitung muss geklärt werden, wie die Aufbauorganisation des Projektes konkret gestaltet sein soll: Mit der Festlegung der Organisationsstruktur werden Verantwortungen und Kompetenzen auf Aufgabenträger verteilt. Wir haben verschiedene Organisationsmodelle für Projekte kennen gelernt, die sich nach dem Grad der Unabhängigkeit der Projektorganisation von der Linienorganisation unterscheiden (S. 65). <?page no="132"?> Planung des Projektmanagementsystems · 107 Die Wahl der passenden Organisationsform hängt von der jeweiligen Situation ab. Für jedes einzelne Projekt sollte geprüft werden, ob es innerhalb der bestehenden Projektorganisation durchgeführt werden sollte, denn je nach Projektart und -ziel kann es auch sinnvoll sein, für das Projekt eine abweichende Struktur zu schaffen. Beispiel: Ein Unternehmen entwickelt kundenspezifisch zugeschnittene Software. Der größte Teil seiner Unternehmenstätigkeit läuft daher in Projektform ab und es hat dafür eine Matrixprojektorganisation eingeführt. Nun soll ein Projekt zur Verbesserung der Prozesse in der Forschung und Entwicklung initiiert werden. Ergänzend zur bestehenden Matrixprojektorganisation wird in diesem speziellen Fall aufgrund der unternehmensspezifischen Gegebenheiten dieses interne Projekt nun in Form der Stabs-Projektorganisation in der Nähe des Leiters der Forschungs- und Entwicklungsabteilung angesiedelt. Vor dem eigentlichen Projektstart muss zudem geklärt werden, wer wichtige Kontroll- und Steuerungsmaßnahmen übernimmt, z.B. ob ein eigener Projektlenkungsausschuss die Aufgaben des Projektauftraggebers übernehmen sollte, da das Projekt einen besonders abteilungsübergreifenden Charakter aufweist. Zudem müssen die Eskalationswege festgelegt werden, die der Projektleiter beschreiten kann, wenn es zu stärkeren Abweichungen von der Projektplanung, zu grundlegenden Veränderungen oder zu Konflikten kommt. Die betreffenden Stellen müssen dann mit jenen Personen besetzt werden, die für die jeweilige Aufgabe notwendig sind, und es muss geklärt werden, welche Aufgabe genau in wessen Aufgabenbereich fällt. Zum Teil sind solche Rollenbeschreibungen im organisationsweiten Projektmanagement-Handbuch hinterlegt. Wichtig ist bei diesen organisatorischen Entscheidungen, dass Verantwortung, Kompetenzen und Aufgaben der jeweiligen Stelle klar geregelt sind. Die wichtigsten Eckpunkte müssen nun im Detail festgelegt werden: Welche Gremien oder Stellen sind wie besetzt, wie oft kommen sie zusammen, welche Themen werden dort behandelt, welche Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und Aufgaben hat das jeweilige Gremium bzw. die Stelle? Wie könnte die Arbeitsaufteilung innerhalb des Projektteams aussehen? Wer trifft im Projekt welche Entscheidungen? In welchem Fall sind Abstimmungen und Eskalationen notwendig? Und zu guter Letzt steht die Besetzung des Projektteams an: Welche Personen sollten in das Projektteam eingebunden sein (vgl. Abschnitt 2.2.4)? Lassen sich mit diesem Projektteam die Projektziele aus fachlicher und zwischenmenschlicher Sicht realisieren? Gibt es noch einen besonders wichtigen Stakeholder, der im Projektteam berücksichtigt werden sollte? <?page no="133"?> 108 · Projektstart (3) Information und Kommunikation Zum Projektbeginn müssen Regelungen zur Berichterstattung und Dokumentation des Projektes getroffen werden. Außerdem muss es Rahmenbedingungen für die Kommunikation innerhalb des Projektteams geben, wie z.B. die Vereinbarung eines wöchentlichen Regeltermins (Jour fixe) die Einrichtung eines gemeinsamen Projektlaufwerks die Festlegung der Sprache, die innerhalb des Projektes genutzt wird (schriftlich und mündlich) Auch die Kommunikation mit den wichtigsten Stakeholdern muss einbezogen werden. Auf die Information und Kommunikation gehen wir im Detail im Rahmen der Projektumsetzung ein (S. 244ff.). 4.2 Kick-Off-Meeting „Die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung“ ( Foerster [Wirklichkeit] 40), d.h. jedes Individuum konstruiert sich mit seinem ganz eigenen Wahrnehmungsapparat, mit seinen eigenen Ansichten und seinen ureigenen Zielen seine eigene, höchst subjektive Realität. Das obige Zitat stammt von Heinz von Foerster , einem Vertreter des „Radikalen Konstruktivismus“. Die radikalen Konstruktivisten, zu denen auch Ernst von Glasersfeld , Humberto Maturana oder Francisco Varela zählen, gehen auf Basis von erkenntnistheoretischen und neurophysiologischen Untersuchungen davon aus, dass die reale Welt zwar existent, jedoch nicht direkt erkennbar ist (vgl. Foerster [Wirklichkeit] 39ff. und Varela [Zirkel] 304f.). Mit anderen Worten: Es wird behauptet, dass es keine „objektive Wahrheit an sich“, sondern nur relative Wahrheiten gibt, die mit dem wahrnehmenden Individuum unauflösbar verknüpft sind. Dieser Einstieg in das Thema „Kick-Off-Meeting“ ist sicherlich etwas ungewöhnlich, soll aber aufzeigen, mit welcher Grundhaltung ein Projektleiter in das erste offizielle Treffen mit seinem Team gehen sollte. Wenn wir nämlich diese Grundgedanken auf das Projektmanagement übertragen, müssen wir davon ausgehen, dass es auch bezüglich des Projektproblems keine objektive Wahrheit gibt und somit jedes Mitglied eines Projektteams sein eigenes, subjektives, von seinen Erfahrungen und Ansichten geprägtes Bild des Projektproblems hat. Dies wäre einerseits positiv, da jedes Teammitglied somit eine vollkommen neue und unterschiedliche Sicht auf das Projektproblem mitbrächte und auf diese Weise sehr innovative und neuartige Lösungen entstehen können. Ande- <?page no="134"?> Kick-Off-Meeting · 109 rerseits gäbe es zunächst aber keinerlei Konsens und jedes Teammitglied würde gemäß seines subjektiven Konstruktes seine Teile der Projektlösung angehen, was letztendlich zu einem vollständigen Chaos führen könnte. Was in einer Gruppe als „wahre Konstruktion“ gelten soll, kann nur durch soziale Übereinstimmung, also durch Konsensbildung mit den anderen Individuen der Gruppe, und durch Überprüfung des praktischen Nutzens der gemeinsamen Konstruktion zur realen Problemlösung festgestellt werden. Wir können aus dieser philosophischen Grundidee eine wichtige Erkenntnis über einen wichtigen Erfolgsfaktor des Projektmanagements in der Praxis gewinnen: Zunächst müssen alle Beteiligten in einem gemeinsamen „sozialen Konstruktionsakt“ ein gemeinsames Bild des Projektproblems gewinnen, anschließend müssen auch die möglichen Lösungsansätze gemeinsam konstruiert werden. Hieraus ergibt sich unmittelbar, dass in Projekten nicht nur eine hohe inhaltliche Komplexität, sondern auch eine starke soziale Komplexität vorliegt. Jedes Teammitglied sollte sein „Konstrukt“ von der Wirklichkeit gleichberechtigt einbringen können. Die wichtigste Aufgabe des Projektleiters zu Projektbeginn läge somit darin, die projektinterne Kommunikation zu fördern, aufrecht zu erhalten und sie so zu strukturieren, dass ein gemeinsames Konstrukt als Grundlage für die Projektarbeit entstehen kann. Er hilft also bei der Übersetzung der unterschiedlichen Wirklichkeitskonstruktionen. In Abschnitt 2.5 haben wir uns mit der Selbstorganisation in Projekten beschäftigt und festgestellt, dass sich qualitativ vollkommen neue Lösungen komplexer Projektprobleme ergeben können, wenn man dem Team Freiräume für die Bildung spontaner Ordnungen einräumt. Kombinieren wir diese theoretischen Erkenntnisse, also die gleichzeitige Einbeziehung der unterschiedlichsten individuellen Wirklichkeitskonstruktionen und die Sicherung der Freiheit zur Entfaltung einer spontanen Ordnung, dann kann ein neues Systemwissen des Teams entstehen, das über den Wissensbestand jedes einzelnen Teammitglieds hinausreicht. Dieses Systemwissen kann letztendlich zu wichtigen Vorteilen führen, die man sich durch den Einsatz von Projektmanagement aus strategischer Sicht erhofft: Die Situationskompetenz und -flexibilität nimmt zu, die Lernfähigkeit steigt und es ergibt sich schlussendlich eine stärkere und kreativere Problemlösungsfähigkeit des Teams. Was heißt das jetzt konkret für den Projektleiter bei der Gestaltung der Kick- Off-Veranstaltung? Die Projektstartsitzung bietet die Möglichkeit, die Weichen für eine förderliche Projektkultur und somit für die Verwirklichung der positi- <?page no="135"?> 110 · Projektstart ven Effekte der Teamarbeit zu stellen, auf die das Projektmanagement in besonderem Maße setzt. Welche inhaltlichen Themen sollten in einer Kick-Off-Veranstaltung (auch Projektstart-Besprechung oder Start-up-Meeting genannt) besprochen werden? Das wichtigste Thema ist die Klärung der Projektziele mit den Beteiligten. Die Ziele des Kunden und des internen Auftraggebers müssen dem Team transparent sein. Je nach Projekt kann es sinnvoll sein, dass auch Vertreter des Kunden oder weitere wesentliche Stakeholder in die Kick-Off-Veranstaltung integriert werden. Ansonsten nehmen an der Veranstaltung gewöhnlich der Projektleiter, das Projektteam, das Projektmanagementoffice und der interne Auftraggeber teil. Die Projektmitglieder müssen grundsätzlich die Möglichkeit haben, alle Zielkonflikte, Unklarheiten oder Befürchtungen anzusprechen, die sie aufgrund ihrer Erfahrungen, durch Gerüchte oder einfach wegen ihrer eigenen individuellen Zielsetzungen sehen. Hier ist der Projektleiter im Rahmen seiner Führungsrolle in besonderem Maße gefordert, denn die Verständigung über die Projektziele ist ausschlaggebend für den Projekterfolg. Der nächste Abschnitt „Zielpräzisierung“ widmet sich ausführlich dem Umgang mit Zielen in einem Projekt. Zudem werden alle Themen besprochen, die in der Projektvorbereitung geklärt oder in Angriff genommen wurden. Einige der Themen werden lediglich vorgestellt, wie die Rahmenbedingungen technischer Art (Projektlaufwerk o.ä.) oder die Regeln zur Berichterstattung an die nächste Instanz, andere werden grundlegend diskutiert und bearbeitet, wie beispielsweise die interne Aufgabenverteilung im Team oder die Projektumfeldanalyse. Eine Tagesordnung für eine Kick-Off-Veranstaltung könnte folgendermaßen aussehen: (1) Vorstellung der Teilnehmer mit der beruflichen Verbindung zum Projekt sowie den Erwartungen an die Projektarbeit und das Kick-Off-Meeting (2) Einführung in das Projekt: Der Projektauftrag mit den wichtigsten Rahmenbedingungen und Diskussion über die Projektziele (3) Durchführung der Projektumfeldanalyse und einer Risikoanalyse (evtl. auch später im Zuge des Einstiegs in die Projektarbeit) (4) Vorstellung des Phasenmodells mit den zeitlichen Vorstellungen für die einzelnen Phasen und den Meilensteinen, Diskussion (5) Einführung in die konkrete Arbeit: Organisatorische und technische Arbeitsvoraussetzungen (z.B. Projektlaufwerk, Dateibenennung/ Konfigurationsmanagement), Beschaffungsmanagement, Personalmanagement) <?page no="136"?> Funktionen von Zielen · 111 (6) Teambildung: Aufstellen von Teamregeln (z.B. Pünktlichkeit, Handyverbot in Sitzungen) und Entscheidungsregeln, Verteilung wichtiger Rollen (z.B. Moderator für größere Sitzungen), Festlegen des Informations- und Kommunikationssystems (z.B. Wie oft finden Projektteamsitzungen statt? Wer wird grundsätzlich von wem über was informiert? ) (7) Einstieg in die Arbeit des Teams: Annäherung an die Projektaufgabe, erster Entwurf eines Projektstrukturplans, genauere Planung für die nächste Projektphase, Verteilung konkreter Aufgaben, Vereinbarung der nächsten Schritte. Neben den inhaltlichen Themen sollte beim Kick-Off-Meeting darauf geachtet werden, dass genügend Zeit und Raum für informelle Gespräche eingeplant wird, damit die Teammitglieder sich besser kennen lernen können. Dies wirkt i.d.R. motivationsfördernd und trägt zu einem guten Arbeitsklima in der Gruppe während der gesamten Projektlaufzeit bei (vgl. Spalink [Führung] 214). Nicht jedes Projekt wird mit einem Kick-Off-Meeting begonnen, z.T. gibt es einen „schleichenden Beginn“. Dies mag bei Projekten, in denen relativ unkomplizierte Sachverhalte bearbeitet werden, noch sinnvoll erscheinen; sobald jedoch die Teamkomponente eine Rolle spielt (und das ist im Projektmanagement nahezu immer der Fall, da es ja per definitionem für komplexe Sachverhalte mit hohem Innovationscharakter eingesetzt wird), sollte unbedingt die Zeit für eine Projektstartveranstaltung investiert werden. Insbesondere die Möglichkeit der gemeinsamen Zielklärung rechtfertigt diese Investition, denn durch Missverständnisse und Konflikte können sich im Projektverlauf weit reichende und grundlegende Problemfelder ergeben. Mit dem systematischen Umgang mit Zielen werden wir uns im Folgenden beschäftigen. 5 Zielpräzisierung 5.1 Funktionen von Zielen Projektziele sind i.d.R. bei Projektbeginn nicht präzise und endgültig formuliert, sie müssen vielmehr ständig überprüft werden. Beispiel für ein Projektziel am Beginn der elektromobilen Zukunft: Entwicklung einer alltagstauglichen Batterie für ein Familienauto, die für 800 Kilometer Strom bereitstellt. Dieses recht vage formulierte Ziel bedarf der Präzisierung, wenn es die Funktionen von Zielen erfüllen soll. So ist z.B. zu klären, ob ein Akku auf der Basis der Lithium-Ionen-Technik oder ob eine Batterie in Verbindung mit einem Verbrennungsmotor (Hybridtechnik) oder der Akku als ausschließlicher Energielieferant entwickelt werden soll. <?page no="137"?> 112 · Zielpräzisierung Ziele haben im Rahmen des Managements eine herausragende Bedeutung, denn Führung ist zielorientierte Gestaltung. Ziele stellen „Aussagen über erwünschte Zustände dar, die als Ergebnisse von Entscheidungen eintreten sollen“ ( Bea [Entscheidungen] 338). In den DIN-Normen zum Projektmanagement wird unter einem Projektziel (englisch: project scope/ goal) die „Gesamtheit von Einzelzielen, die durch das Projekt erreicht werden“ (DIN 69 901-5: 2009-01), verstanden. Ziele erfüllen im Rahmen des Managements unterschiedliche Funktionen (vgl. Bea/ Haas [Management] 72f. und Kupsch [Unternehmungsziele] 1ff.): Entscheidungsfunktion Koordinationsfunktion Motivationsfunktion Informationsfunktion Kontrollfunktion Legitimationsfunktion (1) Entscheidungsfunktion Im Rahmen einer systematischen Entscheidungsfindung dienen Ziele als Kriterien zur Bewertung von Alternativen. Jede Alternative wird daraufhin überprüft, inwieweit sie zur Erfüllung der einzelnen Ziele beiträgt. (2) Koordinationsfunktion Bei komplexen und dynamischen Projekten ist es notwendig, die verschiedenen Teilaktivitäten der einzelnen Teammitglieder zu integrieren und auf ein gemeinsames Ziel hin auszurichten. Ziele stellen quasi den „roten Faden“ vom Projektstart bis zum Projektabschluss dar. (3) Motivationsfunktion Der Wille zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels trägt wesentlich dazu bei, dass ein Wir-Gefühl im Projektteam entsteht und somit die positiven Effekte der Teamarbeit zum Tragen kommen können. (4) Informationsfunktion Ziele informieren die Projektmitarbeiter, aber auch die Kollegen im Unternehmen sowie die Unternehmensumwelt über die künftigen Aktivitäten. Hierbei ist besonders auf die Kommunikation der Ziele zu achten. <?page no="138"?> Anforderungen an Ziele · 113 (5) Kontrollfunktion Ziele dienen als Soll-Größen in der Projektkontrolle und -steuerung. Ohne Ziele fehlen die Vergleichsgrößen, eine Kontrolle wird somit unmöglich. Ziele stellen insofern die einzige Möglichkeit dar, den Erfolg eines Projektes tatsächlich zu messen. Vielleicht hält diese Tatsache nicht selten davon ab, konkrete Ziele zu formulieren, wenn im Unternehmen keine entsprechende Kultur zum Umgang mit Fehlern und Abweichungen herrscht. (6) Legitimationsfunktion Das Ziel gibt dem Team seine Daseinsberechtigung. Gerade interne Projekte initiieren oftmals einen Wandel im Unternehmen: Es entstehen neue Lösungen oder Vorgehensweisen, die in der letzten Projektphase in die Linie transferiert werden sollen. Die Kollegen in der Linie stehen diesen Veränderungen und somit dem gesamten Projekt zunächst meist skeptisch gegenüber (zum „organisatorischen Konservatismus“ vgl. Kieser/ Hegele [Kommunikation]). Das Projektteam füllt die abstrakten Projektziele nun mit Leben. Die Teammitglieder können durch ihren engagierten Einsatz den Zielen und dem gesamten Projekt ein besonderes Gewicht und eine hohe Glaubwürdigkeit unter den Kollegen verleihen, wenn die Verfolgung der Ziele auch tatsächlich vom Management unterstützt wird und somit keine widersprüchlichen Signale an die Kollegen gesendet werden. 5.2 Anforderungen an Ziele Die beschriebenen Funktionen von Zielen verdeutlichen bereits, dass die Einbindung des einzelnen Mitarbeiters in die Projektentscheidung für die Erreichung der Ziele eine wesentliche Rolle spielt: Um die Vorteile des Projektmanagements, wie Flexibilität und Kundennähe, tatsächlich realisieren zu können, liegt der Schlüssel in einer weitgehenden Entscheidungs- und Verantwortungsdelegation an den Projektleiter und das Projektteam. Diese Delegation funktioniert jedoch nur dann im Sinne des Gesamtunternehmens, wenn der einzelne Projektmitarbeiter entsprechende Ziele verfolgen kann und will. Für das „Können“, also die Fähigkeit, die Unternehmensziele zu verfolgen, müssen zunächst alle Beteiligten die gleiche Vorstellung von den Projektzielen haben. Wir haben gesehen, dass dies vor dem Hintergrund der Erkenntnisse des „Radikalen Konstruktivismus“ nicht selbstverständlich ist (S. 108). Wenn man von der Prämisse ausgeht, dass wir alle unser eigenes Konstrukt von „der Wirklichkeit“ und bestimmten Situationen haben, wird klar, wie wichtig hier eine offene und gleichberechtigte Kommunikation ist. <?page no="139"?> 114 · Zielpräzisierung Das „Wollen“, also die Motivation, spiegelt eine andere Facette der Einbindung des Einzelnen in die Zielfindung und -präzisierung wider: Jeder einzelne Projektbeteiligte hat als Individuum seine eigenen Ziele. Im Projektteam bedeutet dies, dass die Harmonisierung der Projektziele aus Sicht des Gesamtunternehmens und des einzelnen Projektmitarbeiters entscheidend und somit eine wichtige Führungsaufgabe im Projekt ist. Der Projektleiter sollte sich im Vorfeld mit den individuellen Erfahrungen, der Situation und den konkreten Erwartungen des jeweiligen Mitarbeiters auseinander setzen. Auf dieser Grundlage kann er persönliche Anreize für den einzelnen Mitarbeiter abschätzen und entsprechend einsetzen (z.B. durch das Aufzeigen eines weiterführenden Karrierepfads in Verbindung mit dem Projekt). Diese Anreize werden i.d.R. an persönliche Zielvereinbarungen gekoppelt. Hier bringt der Einsatz der Projektmanagement-Methodik einen erheblichen Vorteil mit sich: Der Projektmitarbeiter übernimmt eigene Arbeitspakete, die er selbständig bearbeitet. Er erlebt somit seinen Beitrag zur Erreichung der Projektziele sehr konkret, der Projektleiter kann die Leistungen des Mitarbeiters relativ genau beurteilen und ihm ein konstruktives Feedback geben. Auch die Ziele anderer Personen, die vom Projekt tangiert sind, spielen für den Erfolg des Projektes eine wichtige Rolle: Wir haben bereits die Projektumfeldanalyse kennen gelernt, die insbesondere der Analyse der Ziele der einzelnen Projektbeteiligten und der Ableitung von entsprechenden Strategien gilt (S. 100). Ziele besonders wichtiger Stakeholder sollten mit in die Zielsetzung des Projektes einfließen. Eine erste Berücksichtigung individueller Zielsetzungen sollte bereits in der Projektstartphase erfolgen, doch wie alle Ziele können sich auch Individualziele im Laufe der Zeit verändern. Es ist also notwendig, Ziele als Ergebnisse eines projektbegleitenden, gemeinsamen Zielpräzisierungsprozesses zu begreifen. Zwei weitere Argumente sprechen dafür, dass Ziele nicht einmalig vorgegeben werden, sondern einem laufenden, wechselseitigen Abstimmungsprozess unterliegen, wenn ein Projekt erfolgreich sein soll: Die Komplexität und die Dynamik von Projekten. Komplexität: Bei sehr komplexen Projekten ist die Formulierung der Ziele zu Projektbeginn meist relativ schwierig. Insbesondere strategische Projekte weisen teilweise Ziele auf einem sehr abstrakten Niveau aus, wie z.B. „den Aufbau von Kernkompetenzen im Unternehmen“. Solche Ziele eröffnen einen relativ verschwommenen Zielraum, in dem die Teilziele unterschiedliche Beziehungen <?page no="140"?> Formulierung von Zielen · 115 zueinander aufweisen können. Beispielsweise können zwei Teilziele konfliktär sein und sich somit gegenseitig behindern. Auf die Analyse der Zielbeziehungen werden wir noch genauer eingehen (S. 119). Dynamik: In der Regel ergeben sich im Projektverlauf wichtige Änderungen, die sich gravierend auf die Ziele auswirken können. Beispielsweise können die bisherigen Projektziele durch Gesetzesänderungen grundlegend in Frage gestellt werden. Beispiel: Die Subventionen für Solarstromprojekte werden gekürzt. Zudem ändert der Kunde oftmals die Zielsetzungen im Projekt. Dies kann kleinere Änderungen im technischen Bereich oder sogar die gesamte übergeordnete Zielsetzung betreffen. Wichtig ist hierbei, dass sich diese Zielveränderungen nicht „schleichend“ vollziehen, denn dann können die Ziele die oben dargestellten Funktionen nicht mehr erfüllen. Schleichende Zielveränderungen machen eine erfolgreiche Projektarbeit unmöglich, da die Projektplanung und -steuerung auf die Erreichung von Zielen ausgerichtet ist, die bereits nicht mehr gelten. Hier helfen nur Klarstellungen, um die Projektplanung und -steuerung wieder systematisch an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Die Formulierung von Zielen muss daher bestimmten Anforderungen genügen. 5.3 Formulierung von Zielen Damit Ziele ihre Funktionen erfüllen können, sind bei ihrer Formulierung einige Regeln zu beachten. Zunächst sollte jedes Ziel vollständig formuliert sein. Dabei ist jedes Ziel durch den Zielinhalt, den Zeitbezug, den sachlichen Geltungsbereich und das Zielausmaß gekennzeichnet (vgl. Heinen [Einführung] 98ff.). (1) Beim Zielinhalt handelt es sich um die Größe, die beeinflusst werden soll. Hier können wir strategische und operative Projektziele unterscheiden: Während bei strategischen Projektzielen der Beitrag des Projektes zur Verwirklichung der Strategie des Gesamtunternehmens im Mittelpunkt steht (z.B. Kernkompetenzen, Marktführerschaft), handelt es sich bei operativen Projektzielen <?page no="141"?> 116 · Zielpräzisierung meistens um die drei Größen des Magischen Dreiecks, also Kosten, Zeit und Leistung. Diese Zielgrößen tragen dann mittelbar zur Erreichung der übergeordneten strategischen Ziele bei. Im Zuge des Prozesses der Zielpräzisierung wird „vom Grobem zum Detail“ vorgegangen: Die Projektziele werden in verschiedenen Schritten konkretisiert und operationalisiert bis hin zu den detaillierten Anforderungen an das Projektergebnis. Dabei spielt als Ausgangspunkt die „Projektvision“ als oberste strategische Zielsetzung eine wichtige Rolle. Abb. 2-18 verdeutlicht eine solche Zielhierarchie. Projektvision (oberste strategische Zielsetzung): Wieso ist dieses Projekt für unser Unternehmen von Bedeutung? Welches ist das wesentliche Ziel des Projektes? Strategische Projektziele (z.B. Finanz-, Kunden-, Prozessziele und interne Lernziele): Was sind die Ziele des Projektes aus strategischer Sicht? Operative Projektziele (Kosten, Zeit und Leistung): Welches sind die wesentlichen Rahmenbedingungen für das Projekt und welche Anforderungen werden an das Projektergebnis gestellt? Abb. 2-18: Zielhierarchie Abb. 2-19 zeigt eine Zielhierarchie am Beispiel eines Projektes zur Qualitätsverbesserung. (2) Mit dem Zeitbezug wird festgelegt, bis wann das Ziel erreicht, also das Projekt erfolgreich beendet sein soll oder bestimmte vorgegebene Teilaufgaben mit jeweiligen Teilzielen (Meilensteine) abgearbeitet sein sollen. <?page no="142"?> Formulierung von Zielen · 117 „Die Unternehmensorganisation soll nach den wesentlichen Kernprozessen ausgerichtet werden“ „Wir wollen die Qualität unserer Leistungen umfassend verbessern. Wir führen Total-Quality- Management ein! “ „Verbesserungen in der Organisation“ „Stärkere Markt- und Umfeldorientierung“ „Verbesserungen in der Produktion“ „Die durchschnittliche Durchlaufzeit soll um 30% verkürzt werden“ „Die Produktivität in der Auftragsabwicklung soll um 20% gesteigert werden“ Vision Strategische Projektziele Operative Projektziele Abb. 2-19: Zielhierarchie eines umfassenden Projektes zur Qualitätsverbesserung (In Anlehnung an: Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 122) (3) Der sachliche Geltungsbereich konkretisiert das Betätigungsfeld, für welches das Ziel realisiert werden soll. So könnte beispielsweise ein internes Projekt zur Verbesserung der Prozesse in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung oder der Personalabteilung ins Leben gerufen werden. (4) Mit dem Zielausmaß wird festgelegt, wie stark der Zielinhalt verändert werden soll. Hierbei werden oft konkrete Werte vorgegeben, v.a. für Kosten, die nicht überschritten werden dürfen (Budgetgrenzen). Je nach Art des Zieles kann das Zielausmaß aber auch relativ vage formuliert sein, wie z.B. „Minimierung“ oder „Maximierung“ einer bestimmten Zielgröße oder noch verschwommener als „Erreichen eines befriedigenden Ausmaßes“ (Satisfizierung). Gerade interne Verbesserungsprojekte starten oft mit relativ schwammig formulierten Zielen, wie „Verbesserung von Prozessen“, deren Erreichung sich in dieser ersten Fassung nur schwer kontrollieren lässt. Abb. 2-20 enthält in einer Übersicht die vier wichtigsten Fragen, die beantwortet werden müssen, damit ein Ziel vollständig definiert ist. <?page no="143"?> 118 · Zielpräzisierung Zielinhalt Welche Größe soll beeinflusst werden? (z.B. Gewinn) Fixierung Ziel Zeitbezug In welcher Periode soll ein Ziel verwirklicht werden? Sachlicher Geltungsbereich Für welches Betätigungsfeld soll das Ziel gelten? Zielausmaß Wie hoch ist das gewünschte Ausmaß des Zielinhaltes? Extremierung Satisfizierung Minimierung Maximierung Abb. 2-20: Vollständige Definition eines Ziels Die vollständige Beschreibung eines Ziels reicht jedoch allein noch nicht aus, um ein Ziel so zu gestalten, dass es eine motivierende Wirkung entfaltet. Ziele sollen deshalb klar und eindeutig, aktuell, logisch und emotional widerspruchsfrei, positiv formuliert, messbar, also in absoluten oder relativen Werten quantifizierbar, erreichbar und aktiv beeinflussbar, realistisch und gleichzeitig anspruchsvoll sowie lösungsneutral sein. Greifen wir hier einige Anforderungen heraus, die nicht auf den ersten Blick selbsterklärend erscheinen: (1) „Logisch und emotional widerspruchsfrei“ heißt zum einen, dass die Ziele den strategischen Unternehmenszielen und der herrschenden Unternehmenskultur entsprechen sollten, zum anderen sollte ein Ziel bei Erreichung nicht als überflüssig oder sinnlos empfunden werden. (2) Bei „aktiv beeinflussbar“ steht der eigene Beitrag zur Zielerreichung im Vordergrund: Liegt die Verwirklichung dieses Ziels tatsächlich (mit) in meiner Hand? <?page no="144"?> Beziehungen zwischen Zielen · 119 (3) Die „Lösungsneutralität“ betont, dass Ziele keine Lösungen sind und auch keine Wege zur Lösung beinhalten sollten. Ein Ziel könnte beispielsweise sein, beim Bau einer Straße eine Bahnlinie zu überwinden. Eine genaue Aufgabendefinition würde dagegen eine Lösungsalternative vorschreiben, wie „Erstellung eines Straßentunnels an der Stelle XY“ (vgl. Winkelhofer [Projekt-Methoden] 125). Der qualitative Unterschied zwischen dem Ziel und der Aufgabenstellung ist hier klar zu sehen: Beim Ziel stehen dem Projektteam verschiedene Möglichkeiten offen, wie z.B. der Bau einer Brücke, bei der Aufgabendefinition ist diese Entscheidung bereits gefallen. Die Regeln zielen u.a. darauf ab, dass der Erfolg des Projektes tatsächlich gemessen werden kann. Der Projektstatus kann erst anhand des Erreichungsgrads von operationalen Zielen festgestellt werden. Operationale Ziele ermöglichen also ein fundiertes Feedback für das Projektteam und dokumentieren den Projekterfolg zum Schutz gegen Nachforderungen des Auftraggebers (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 119). Zur Operationalisierung müssen die Ziele im Projektverlauf von einer übergeordneten, strategischen Ebene bis hin zu konkreten Anforderungen präzisiert werden. Zur Zielpräzisierung sind insbesondere die Beziehungen zwischen den Zielen zu untersuchen. 5.4 Beziehungen zwischen Zielen Man unterscheidet drei Arten von Beziehungen zwischen Zielen (vgl. Kupsch [Unternehmungsziele] 26ff.): Interdependenzrelationen Präferenzrelationen Instrumentalrelationen (1) Interdependenzrelationen geben an, ob und in welcher Form die Realisierung eines Zieles die Verwirklichung anderer Ziele beeinflusst. Wir unterscheiden komplementäre, konkurrierende und neutrale Ziele. Komplementäre Ziele fördern sich gegenseitig, während bei konkurrierenden Zielen ein Zielkonflikt vorliegt. Diese Relationen spielen im Projektmanagement auf zwei Ebenen eine wichtige Rolle: Zum einen kann es zu Zielkonflikten innerhalb eines Projektes kommen, zum anderen sind die Ziele verschiedener Projekte zueinander in Beziehung zu setzen. So macht es z.B. wenig Sinn, ein Projekt zur Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit zu starten, wenn gleichzeitig ein radikales Kostenminimierungsprogramm angefahren wird, <?page no="145"?> 120 · Zielpräzisierung das auch die freiwilligen Zulagen der Mitarbeiter betrifft. Die Glaubwürdigkeit des einen Projektes kann hier durch ein anderes untergraben werden. (2) Präferenzrelationen stellen Aussagen dar, ob und in welchem Umfang ein Ziel der Erreichung eines anderen Zieles vorgezogen oder nachgeordnet wird. Präferenzen müssen insbesondere bei Zielkonflikten festgelegt werden. In den seltensten Fällen können mit den beschränkten Ressourcen alle Ziele gleichzeitig im gewünschten Ausmaß verfolgt werden. Daher muss eine Entscheidung getroffen werden, welches Ziel vorrangig verfolgt werden soll. Wir haben bereits beim Magischen Dreieck des Projektmanagements gesehen, dass die drei wichtigsten operativen Projektziele „Kosten“, „Zeit“ und „Leistung“ grundsätzlich in einem Konflikt stehen. (3) Instrumentalrelationen begründen ein Ziel-Mittel-Verhältnis zwischen Zielen. Unterziele sind Mittel zur Erreichung von Oberzielen. Instrumentalrelationen spielen eine besonders wichtige Rolle bei der Entwicklung von operationalen Kriterien, anhand derer das Projekt und der Projektfortschritt bewertet und nachgewiesen werden können. Hierfür muss das festgelegte Oberziel in „handhabbare“ Unterziele zerlegt werden. Im Prozess der Zielpräzisierung, den wir im nächsten Abschnitt erläutern werden, kommt der Analyse aller drei Beziehungsarten eine wichtige Bedeutung zu. Allerdings lassen sich diese Analysen keiner bestimmten Phase zuordnen, sondern sie sind auf jeder Konkretisierungsstufe und bei Zieländerungen auch mehrfach innerhalb einer Phase durchzuführen. In allen Phasen werden Ziele definiert oder verändert. Sie sind zunächst auf ihre Verträglichkeit untereinander zu untersuchen (Analyse der Interdependenzrelationen). Anschließend erfolgt eine Gewichtung der Ziele (Analyse der Präferenzrelationen). Hat man sich auf bestimmte Ziele geeinigt, sollen die Ziele konkretisiert werden, d.h. man leitet aus den Oberzielen operationalere Unterziele ab (Analyse der Instrumentalrelationen). 5.5 Prozess der Zielpräzisierung Ziele verändern und konkretisieren sich im Verlauf eines Projektes. In Abb. 2-21 wird ein idealtypischer Zielpräzisierungsprozess im Projektverlauf dargestellt. Je nach Projektart kann dieser Prozess ausführlicher oder auch einfacher gestaltet sein. In den folgenden Abschnitten betrachten wir die Zielpräzisierung in den einzelnen Projektphasen im Detail. <?page no="146"?> Prozess der Zielpräzisierung · 121 Grobziele Projektabschluss Projektumsetzung Projektplanung Unsicherheit der Ziele Projektstart Strategischer Auswahlprozess Feinziele Kick-Off-Meeting Verabschiedete Ziele Systematisches Änderungsmanagement M1 M2 M3 Entscheidung für das Projekt Projektauftrag und Lastenheft Pflichtenheft Zur Meilensteinentscheidung: Sind die Ziele noch richtig? Statusreport: Können wir die Ziele erreichen? Zeit M = Meilenstein Grobziele Projektabschluss Projektumsetzung Projektplanung Unsicherheit der Ziele Projektstart Strategischer Auswahlprozess Feinziele Kick-Off-Meeting Verabschiedete Ziele Systematisches Änderungsmanagement M1 M2 M3 Entscheidung für das Projekt Projektauftrag und Lastenheft Pflichtenheft Zur Meilensteinentscheidung: Sind die Ziele noch richtig? Statusreport: Können wir die Ziele erreichen? Zeit M = Meilenstein Abb. 2-21: Prozess der Zielpräzisierung in Projekten (In Anlehnung an: Schelle [Projekte] 92) 5.5.1 Bedeutung der Ziele für die Projektauswahl Vor dem eigentlichen Projektbeginn steht die strategisch sinnvolle Auswahl von Projekten im Mittelpunkt: Man entscheidet sich für die Initiierung und Durchführung jener Projekte, von denen man den größtmöglichen Beitrag zur Verwirklichung der Unternehmensstrategie erwartet. Dieser Beitrag wird beispielsweise mit Hilfe einer Nutzwertanalyse abgeschätzt, bei der die Ziele auf Gesamtunternehmensebene eine wichtige Rolle als Entscheidungskriterien spielen (S. 593ff.). Bei der Bewertung der Projektalternativen wird dabei deutlich, welche strategischen Ziele mit einem Projekt in welchem Ausmaß verfolgt werden können. <?page no="147"?> 122 · Zielpräzisierung In Teil 3 befassen wir uns mit dem Management durch Projekte. Dabei geht es insbesondere um die Frage, welche Projekte gewählt werden sollen. Die Antwort hängt im Wesentlichen vom Zielsystem des Unternehmens ab. Wir rücken zwei Ziele in den Vordergrund: Die Unternehmensentwicklung durch Projekte und die Wertsteigerung durch Projekte. 5.5.2 Zielpräzisierung in der Projektstartphase In der Projektstartphase arbeitet der zukünftige Projektleiter konsequent daran, die strategischen Ziele für die konkrete Arbeit zu präzisieren. Die klare Identifikation und Berücksichtigung der individuellen Ziele der Projektbeteiligten ist i.d.R. ausschlaggebend für den Projekterfolg. Abb. 2-22 verdeutlicht diesen Schritt der Harmonisierung der individuellen und projektbezogenen Ziele. Projektziele individuelle Ziele: Projektleiter individuelle Ziele: Management, Auftraggeber individuelle Ziele: Mitarbeiter individuelle Ziele: Kunden, Anwender, Nutzer individuelle Ziele: Subauftragnehmer Abb. 2-22: Abstimmung von individuellen und projektbezogenen Zielen (Quelle: Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 124) Auf diese Weise nähert sich der Projektleiter den verschiedenen Zielen an, analysiert potenzielle Zielkonflikte und klärt die Rahmenbedingungen für das Projekt. Ihm kommt eine Mittlerfunktion zwischen der strategischen Ebene (Geschäftsführung und Auftraggeber) und der operativen Ebene (Projektteam) zu, denn er initiiert den Informationsaustausch zwischen den beiden Ebenen und spielt durch die Art der Vermittlung auch bei der Interpretation der jeweiligen Informationen eine wichtige Rolle (vgl. Mente [Zielbildung] 128). Mit seinen <?page no="148"?> Prozess der Zielpräzisierung · 123 Erkenntnissen versucht er, das Projekt möglichst sinnvoll zu gestalten, z.B. durch eine entsprechende Zusammenstellung des Projektteams, durch ein klärendes Gespräch mit dem internen Auftraggeber über seine Vorstellungen oder durch die Aufnahme von Zielen wichtiger Stakeholder als Erfolgsfaktoren für das Projekt. Diese Maßnahmen beruhen allerdings zunächst lediglich auf den Überlegungen einer einzigen Person. Im Kick-Off-Meeting werden diese Überlegungen auf das gesamte Projektteam ausgeweitet. Der offizielle Projektstart ist eine wichtige Gelegenheit, um sich zusammen mit dem internen Auftraggeber auf ein gemeinsames Konstrukt des Projektproblems und der Projektziele zu einigen und die Ziele anschließend zu konkretisieren. Zu dieser Klärung gehört eine genaue Untersuchung der Zielbeziehungen, wie sie in Abschnitt 5.4 erläutert wurde. Zudem hat es sich bewährt, explizit „Nicht-Ziele“ zu formulieren, also Graubereiche bewusst auszugrenzen, die andere Projektbeteiligte als Teil des Projektes sehen könnten (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 123). Stellen wir die einzelnen Schritte zur Zielpräzisierung in der Projektstartphase übersichtlich zusammen: (1) Erste Zielanalyse im Rahmen der Vorbereitung des Projektes durch den Projektleiter (ggf. in Abstimmung mit wichtigen Stakeholdern): Analyse der Zielinterdependenzen mit Hilfe einer Umfeldanalyse Analyse der Präferenzen durch Gewichtung Analyse der Ziel-Mittel-Verhältnisse, also Operationalisierung der strategischen Zielsetzungen (2) Möglichst vollständige und motivierende Formulierung der Ziele für den Projektauftrag und die Vorstellung beim Kick-Off-Meeting (3) Gemeinsame Zielanalyse mit dem Projektteam auf der Grundlage der Zielvorstellungen der wichtigsten Stakeholder (auch der Projektteammitglieder selbst) (4) Einigung auf ein gemeinsam zu verfolgendes Zielsystem und eine gemeinsame Projektvision (5) Dokumentation des Zielsystems im Projektauftrag Mit dem Kick Off-Meeting sollten alle Fragen bezüglich der wichtigsten Ziele des Projektes so weit geklärt sein, dass der Projektauftrag vom internen Auftraggeber durch Unterschrift erteilt und vom Projektleiter durch Unterschrift übernommen werden kann. Er stellt die Grundlage für den systematischen Umgang mit den im Projekt zu erbringenden Leistungen dar. <?page no="149"?> 124 · Zielpräzisierung Bei externen Projekten gehört für die Planung des Leistungsumfangs i.d.R. ein weiteres Dokument zum offiziellen Projektbeginn: Das Lastenheft. Das Lastenheft ist die „vom Auftraggeber festgelegte Gesamtheit der Forderungen an die Lieferungen und Leistungen eines Auftragnehmers innerhalb eines (Projekt-)Auftrags“ (DIN 69 901-5: 2009-1). Der Kunde beschreibt darin möglichst genau seine Vorstellungen bezüglich des Projektes, also sowohl die groben Ziele des Projektes aus seiner Sicht als auch seine konkreten Feinziele. Typische Anforderungen an ein Projekt zur Entwicklung eines neuen Produktes könnten etwa folgendermaßen aussehen (vgl. Burke [Projektmanagement] 59f.): Das Produkt hat eine bestimmte Funktion in einer bestimmten Geschwindigkeit auszuführen. Das Produkt muss in einer genau definierten Umgebung funktionieren. Das Produkt muss bestimmten Standards und Normen entsprechen. Bei der Fertigung des Produktes dürfen lediglich nach bestimmten Qualitätsnormen zertifizierte Zulieferer eingebunden werden. Bei der Gestaltung des Produktes müssen bestimmte ergonomische Erkenntnisse berücksichtigt werden. Das Produkt muss energiesparend sein. Das Design muss so angelegt sein, dass die spätere Wartung und mögliche Reparaturen möglichst zeit- und kostensparend erledigt werden können. Der Preis darf xx Euro nicht überschreiten. Das Projekt muss bis zum 01.09.2012 abgeschlossen sein. Das Lastenheft wird dem Projektteam übergeben. Es dient ihm als Grundlage für die weitere Arbeit. 5.5.3 Zielpräzisierung in der Projektplanungsphase In der Projektplanungsphase arbeitet das Projektteam an den Ideen, wie die Anforderungen des Lastenheftes genau umgesetzt werden sollen. Es erstellt, sozusagen als Antwort auf das Lastenheft des Kunden, ein Pflichtenheft. Während also das Lastenheft auf den Auftraggeber zurückgeht, stammt das Pflichtenheft vom Projektteam. Nun werden konkrete Maßnahmen zur Zielerreichung ausgearbeitet, es handelt sich also um eine sehr operative Ebene der Ziele. <?page no="150"?> Prozess der Zielpräzisierung · 125 Das Pflichtenheft umfasst nach DIN 69 901-5: 2009-01 die „vom Auftragnehmer erarbeiteten Realisierungsvorgaben auf der Basis des vom Auftraggeber vorgegebenen Lastenheftes.“ Die Gliederung des Pflichtenhefts entspricht weitgehend der des Lastenhefts, allerdings wird das Pflichtenheft explizit um zwei Themen erweitert: Die Kosten und die Termine mit den geplanten Meilensteinen (vgl. Helmke [Lasten- & Pflichtenheft] 156). Bei externen Projekten werden i.d.R. die Preise anstatt der Kosten angegeben. Um zu prüfen, inwieweit die Vorstellungen der beiden Parteien nun tatsächlich übereinstimmen, sollte sich anschließend der Auftraggeber mit dem Pflichtenheft beschäftigen und den Inhalt bestätigen. Dieses abgestimmte Pflichtenheft stellt dann eine verbindliche Vereinbarung zwischen dem Kunden und dem Auftragnehmer dar. Im Zuge der Projektplanung wird das Projekt mit Hilfe eines Projektstrukturplans in kleinere Einheiten, die sog. Arbeitspakete, zerlegt. Diese Arbeitspakete dienen als Grundlage für genauere Schätzungen und für die Übertragung klarer Verantwortlichkeiten für einzelne Aufgaben im Projekt. Mit diesem Schritt sind die zu erbringenden Leistungen im Projekt genau festgelegt. Gegen Ende der Planungsphase können bereits die ersten Änderungen auftauchen, mit denen das Projektteam umgehen muss. Dieses Thema ist allerdings schwerpunktmäßig der Projektumsetzungsphase zuzuordnen. 5.5.4 Umgang mit Zielen in der Projektumsetzungsphase In der Projektumsetzungsphase geht es vor allen Dingen darum, die Ziele wie geplant zu erreichen. Dabei gibt es verschiedene Kontrollarten (vgl. Bea/ Haas [Management] 247f.): Die Ergebniskontrolle, also den klassischen Soll-Ist-Vergleich: Wo stehen wir gerade im Vergleich zur ursprünglichen Planung? Die Planfortschrittskontrolle (Soll-Wird-Vergleich): Können wir aus heutiger Sicht die ursprüngliche Planung halten? Die Prämissenkontrolle (Wird-Ist-Vergleich): Stimmen alle Annahmen noch, die wir unserer Planung zugrunde gelegt haben, bzw. haben sich die Dinge so entwickelt, wie wir es bisher dachten? Ein systematisches Projektmanagement bietet für diese Kontrollarten große Vorteile: Man kann die Meilensteine als Anhaltspunkte für die weitere Zielerrei- <?page no="151"?> 126 · Zielpräzisierung chung zugrunde legen (Planfortschrittskontrolle) oder auch als Zäsur sehen, um eine übergeordnete Perspektive zur Überprüfung der Prämissen und der Sinnhaftigkeit der Ziele einzunehmen (Prämissenkontrolle). Regelmäßige Projektstatusberichte ermöglichen einen Überblick über den aktuellen Projektstand und dienen somit dem Soll-Ist-Vergleich (Ergebniskontrolle). Die regelmäßige Durchführung dieser unterschiedlichen Kontrollen ist außerordentlich wichtig für den Erfolg des Projektes, denn nur auf der Grundlage eines „klaren Blicks“ auf die aktuelle Situation ist es möglich, passende Steuerungsmaßnahmen zu initiieren. Kommt es zu Abweichungen, müssen sie zunächst analysiert werden: Worauf ist die Abweichung zurückzuführen und welche Bedeutung hat sie für das gesamte Projekt? Diese Aufgabe ist an sich bereits nicht trivial (wir werden in Abschnitt 8 verschiedene Methoden erläutern, die diesem Zweck dienen), allerdings steigert sich in der Realität der Schwierigkeitsgrad meist noch: Im Laufe der Projektumsetzung ergeben sich gewöhnlich Änderungen, d.h. die Soll-Größe wird im Projektverlauf verändert. Dieses Problem soll anhand eines praktischen Beispiels verdeutlicht werden: Ein Kunde gibt die Entwicklung einer Stereoanlage in Auftrag. Eine konkrete Anforderung dabei war, eine neue, besonders innovative blaue Schrift für das Display zu entwickeln. Nachdem er die blaue Schrift zum ersten Mal gesehen hat, revidiert er die Anforderung und hätte nun doch lieber eine dunkelgelbe Schrift, da sie wesentlich besser lesbar ist. Die von der Entwicklung der blauen Schrift abgeleiteten Sollgrößen sind somit überholt. Es stellt sich nun die Frage, wie mit dieser Änderung der Anforderungen umgegangen wird. Die Umsetzung einer neuen Anforderung kann mit unterschiedlichem Aufwand einhergehen, der sich auf die benötigte Zeit und die Kosten auswirkt. Nehmen wir an, die Änderung im Beispiel sei recht aufwändig und trotz Einsatz aller verfügbaren Kräfte würden sechs Wochen zur Umsetzung benötigt. Der ursprüngliche Endtermin des Projektes ist somit nicht mehr zu halten, was aber nicht auf ein „schlampiges“ Projektmanagement beim Auftragnehmer, sondern auf die relativ späten Änderungswünsche des Kunden zurückzuführen ist. Natürlich treibt der Einsatz aller verfügbaren Entwickler für sechs Wochen auch die Kosten des Projektes in die Höhe. Um eine sinnvolle Grundlage für die weiteren Verhandlungen mit dem Kunden zu gewinnen und diese Tatsachen in einem eventuellen späteren Streitfall wirklich nachweisen zu können, muss mit dieser Änderung professionell und systematisch umgegangen werden. Diese Stelle des Verhandlungsprozesses ist für den gesamten Wertbeitrag des Projektes äußerst sensibel: Wenn bei aufwändigen Änderungen der Preis nicht entsprechend nachverhandelt wird, wirkt sich das i.d.R. aufgrund der „explodierenden“ Kosten äußerst negativ auf den Wertbeitrag aus, im <?page no="152"?> Prozess der Zielpräzisierung · 127 schlimmsten Fall wird jetzt sogar Wert vernichtet! Oder der Kunde könnte wegen der Verzögerung Regressansprüche an den Auftragnehmer richten. Bereits bei den Vertragsverhandlungen muss darauf geachtet werden, dass solche Änderungsfälle vorkommen können. Aufgrund dieser herausragenden Bedeutung eines systematischen Änderungsmanagements und eines entsprechenden Umgangs mit den Verträgen werden wir uns mit diesen Themen in Abschnitt 7 „Projektumsetzung“ ausführlich beschäftigen. An die Projektumsetzung schließt sich die Phase des Projektabschlusses an. Auch hier sind die Projektziele von Bedeutung. 5.5.5 Bedeutung der Ziele in der Projektabschlussphase Die Projektabschlussphase dient insbesondere der Reflexion und der Abschlussbewertung des Projektes. Bei beiden Aufgaben spielen die Ziele eine wichtige Rolle: Um den Erfolg des Projektes beurteilen zu können, müssen die Ergebnisse mit den Zielen verglichen werden. Dies erfolgt, wie in der Projektumsetzungsphase erläutert, zwar schon im Laufe des Projektes, doch am Projektende stellt sich die übergeordnete Frage: Haben wir alle Ziele erreicht, die wir uns für dieses Projekt gesteckt hatten? Hier spielen sowohl finanzorientierte als auch kunden-, prozess- oder lernorientierte Ziele eine Rolle, während im Projektverlauf meist vorrangig auf die drei operativen Dimensionen „Kosten“, „Zeit“ und „Leistungsumfang/ Qualität“ fokussiert wird. Auch die Änderungen im Projektverlauf sind für diese Beurteilung zu berücksichtigen. Außerdem stellt sich für jeden einzelnen Stakeholder die Frage, ob mit dem Projekt tatsächlich seine Ziele verwirklicht wurden. Für die Motivation der Projektmitarbeiter hat dies eine hohe Bedeutung: Wie erfolgreich war unsere Arbeit im Projektteam insgesamt und welchen Anteil hatte ich daran? Dies ist ein wichtiger Grund für einen formalen Projektabschluss, bei dem die einzelnen Projektmitarbeiter die Möglichkeit haben, ihre Eindrücke, Meinungen und Erlebnisse offen zu diskutieren sowie ein Feedback vom internen Auftraggeber, vom Projektmanagementoffice und vom Projektleiter zu bekommen. Das offene Feedback des Projektleiters sollte dabei eher in einem Gespräch unter vier Augen stattfinden, sobald es um persönlichere Inhalte geht. Im Vorfeld eines solchen Projektabschlussgesprächs sollte man sich klarmachen, dass hier nicht nur Kritik offen angesprochen, sondern dass auch Anerkennung zum Ausdruck gebracht werden sollte. Oftmals konzentriert man sich in der Hektik des Alltagsgeschäfts auf die kritischen Punke und vergisst, gute Leistungen anzuerkennen. Langfristig erfolgreiche Projektmanager sind sich <?page no="153"?> 128 · Zielpräzisierung bewusst, dass ein Projekt eine Teamleistung darstellt, die sie allein nicht erbringen könnten. Ein weiterer Grund für einen formalen Projektabschluss liegt im großen Potenzial für das Wissensmanagement eines Unternehmens: Große Teile des im Zuge des Projektes durch das Projektteam erarbeiteten Wissens sollen auch nach Auflösung des Projektteams dem Unternehmen zur Verfügung stehen. Beispielsweise können Empfehlungen für ähnliche Projekte ausgearbeitet werden, um aus Fehlern und Erfolgen zu lernen, die wichtigsten Ergebnisse des Projektes mit früheren Projekten verglichen und so ein Trend ermittelt werden, Ansprechpartner für bestimmte innovative Themengebiete definiert und im Unternehmen bekannt gemacht werden. Auf diese Weise kann ein Projekt dazu beitragen, die Ziele des nächsten Projektes zu erreichen. Das Thema „Projektabschluss“ wird noch ausführlich behandelt (S. 310ff.). Im Anschluss an das Thema „Zielpräzisierung“ wenden wir uns im nächsten Abschnitt der nächsten großen Phase im Management von Projekten zu: Der Projektplanung. <?page no="154"?> Aufgaben der Projektplanung · 129 6 Projektplanung 6.1 Aufgaben der Projektplanung Die Projektplanung stellt einen systematischen Prozess der Analyse und Strukturierung eines Projektes dar. Dieser Prozess dient insbesondere der Reduktion der Komplexität der Planungsaufgabe. Er zielt somit darauf ab, die Unsicherheit zu reduzieren, die Effizienz zu erhöhen, die Ziele genauer zu verstehen und somit den Anforderungen des Auftraggebers besser gerecht zu werden sowie eine Grundlage für die Projektumsetzung und -kontrolle zu schaffen (vgl. Kerzner [Projektmanagement] 387). Die Qualität der Projektplanung übt einen entscheidenden Einfluss auf die Erreichung der Kosten-, Zeit- und Leistungsziele aus. Diese Aussage soll am Beispiel der Festlegung, Entstehung und Beeinflussbarkeit der Kosten im gesamten Projektlebenszyklus verdeutlicht werden. Zu Beginn des Projektes sind nur wenige Ideen zur Verwirklichung vorhanden, die zukünftigen Kosten sind also noch stark beeinflussbar. Je weiter man in der Projektplanung voranschreitet, umso mehr Entscheidungen werden getroffen und umso weniger können die später anfallenden Kosten noch beeinflusst werden. Es erfolgen in der Planung beispielsweise Festlegungen auf bestimmte Produktdesigns oder Fertigungsverfahren, die erst in späteren Projektphasen tatsächlich Kosten nach sich ziehen. In Abb. 2-23 werden diese Zusammenhänge verdeutlicht. Das Kostenvolumen des Projektes wird größtenteils von jenen Entscheidungen bestimmt, die in den frühen Projektphasen, v.a. in der Projektplanung, getroffen werden. Dies trifft auch auf eventuelle Fehlerbehebungskosten zu, die bei einer entsprechend genauen und vollständigen Projektplanung wahrscheinlich zu einem Großteil vermeidbar gewesen wären. Im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass ein höherer Planungsaufwand in den frühen Projektphasen sich meist sehr positiv auf den gesamten Projekterfolg auswirkt. Beispielsweise können der Realisierungs- und Erprobungsaufwand und auch der spätere Wartungsaufwand erheblich verringert werden. <?page no="155"?> 130 · Projektplanung Kosten Lebenszykluszeit Beeinflussbarkeit Entstehung Festlegung Abb. 2-23: Festlegung, Entstehung und Beeinflussbarkeit der Kosten im Lebenszyklus (In Anlehnung an: Coenenberg/ Fischer/ Günther [Kostenrechnung] 543) Außerdem ist es oftmals möglich, die Projektlaufzeit zu verkürzen und so z.B. bei Produktentwicklungsprojekten das Produkt früher auf den Markt zu bringen. Eine entsprechende Intensität und Sorgfalt der Planung kann sich auch positiv auf den gesamten Lebenszyklus auswirken, d.h. das genauere Treffen der Kundenwünsche oder eine höhere Qualität können eine verlängerte Lebensdauer eines Produktes zur Folge haben (vgl. Burghardt [Projektmanagement] 76). Diese Wirkungen werden in Abb. 2-24 veranschaulicht. Aufwand Erhöhter Planungsaufwand Reduzierter Realisierungs- und Erprobungsaufwand Reduzierter Wartungsaufwand Ist Soll Definition Entwurf Realisierung Erprobung Einsatz Zeit Vorverlegter Einsatzzeitpunkt Verlängerte Lebensdauer Aufwand Erhöhter Planungsaufwand Reduzierter Realisierungs- und Erprobungsaufwand Reduzierter Wartungsaufwand Ist Soll Definition Entwurf Realisierung Erprobung Einsatz Zeit Vorverlegter Einsatzzeitpunkt Verlängerte Lebensdauer Abb. 2-24: Wirkung einer Erhöhung des Planungsaufwands (In Anlehnung an: Burghardt [Projektmanagement] 77) <?page no="156"?> Aufgaben der Projektplanung · 131 Betrachtet man die Stellung der Projektplanung im Zusammenhang mit der Projektumsetzung und Projektkontrolle, so sollen in der Projektplanung möglichst realistische Sollvorgaben für den weiteren Projektverlauf ermittelt werden. Diese Vorgaben betreffen den Umfang und die Qualität der Arbeitsleistung die Termine, zu denen die Arbeitsleistung erbracht sein muss den notwendigen Ressourceneinsatz die Kosten die Einzelschritte der Projektdurchführung (Projektablauf) Im Laufe des sukzessiven Projektfortschritts werden diese Vorgaben als Soll- Daten den im Rahmen der Projektumsetzung gewonnenen Ist-Daten gegenübergestellt. Um die Vorgehensweise plastisch zu erläutern, wird im Folgenden auf die Führungsregelkreise zurückgegriffen, die in Abb. 2-25 nochmals dargestellt sind. Uns interessiert hierbei jetzt insbesondere der untere hell unterlegte Teilbereich (der obere dunkel gekennzeichnete Bereich beinhaltet die Multiprojektebene und ist daher in Teil 3 genauer beschrieben). Werden im Rahmen der Projektumsetzung Soll-Ist-Abweichungen festgestellt, so folgt eine detaillierte Abweichungsanalyse. Je nach Stärke der Konsequenzen, die sich aus der Abweichung ergeben, werden unterschiedliche Maßnahmen ausgelöst: Oftmals genügen korrigierende Steuerungsmaßnahmen im Rahmen der weiteren Projektdurchführung, um die Ist-Werte den Soll-Werten anzunähern. Reicht dies nicht aus, muss der gesamte Plan des Projektes überarbeitet werden. Häufig wirken sich Änderungen in einzelnen Projekten auch auf andere Projekte aus. Ein klassisches Beispiel hierfür sind Ressourcenverschiebungen zwischen Projekten. Daher können auch korrigierende Steuerungsmaßnahmen auf der Multiprojektebene notwendig werden. Eventuell ergeben sich aus der Abweichung auch Konsequenzen, welche die Sinnhaftigkeit des gesamten Projektes in Frage stellen. Beispielsweise kann eine Fehlplanung dazu führen, dass das Projekt nicht mehr den geplanten Wertbeitrag erbringt oder sogar Wert vernichtet. Das Projekt muss nunmehr erneut auf strategischer Ebene überprüft werden, denn vielleicht ist ein Abbruch des Projektes, auch in dieser fortgeschrittenen Phase, sinnvoller als eine Weiterführung. In Abb. 2-25 ist noch ein weiterer Regelkreis zu sehen (gestrichelte Linie), der bei der Einzelprojektplanung ansetzt: Die Planfortschrittskontrolle. Hierbei handelt es sich um einen laufenden Soll-Wird-Vergleich, d.h. man vergleicht auf der Grundlage gemachter Erfahrungen die Zielgröße (Soll) mit Wirkungsprognosen (Wird) der späteren Zielerreichung. Auf diese Weise sollen eventuell <?page no="157"?> 132 · Projektplanung auftauchende Störgrößen möglichst frühzeitig erkannt werden. Dies kann zu Änderungen in der Einzelprojektplanung, eventuell aber auch in der übergeordneten Gesamtunternehmensplanung führen. Umsetzung der Projektplanung Erfassung von Ist-Projektdaten Durchführung eines Soll-Ist-Vergleichs (Abweichungsanalyse) Konsequenzen aus den Abweichungen Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Durchführungskontrolle Gesamtunternehmensplanung Planung der Unternehmensentwicklung Planung der Wertentwicklung Entscheidung für ein Projektportfeuille Änderung der Gesamtunternehmensplanung, evtl. Projektabbruch Einzelprojektplanungen (Vorgabe von Soll-Daten) Änderung der Einzelprojektplanung Sukzessiver Planungsfortschritt Durchführung eines Soll-Wird-Vergleichs (Planfortschrittskontrolle) Strategische Überwachung Strategische Überwachung Strategische Prämissenkontrolle Umsetzung der Multiprojektplanung Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Ebene Operative Ebene Abb. 2-25: Die Führungsregelkreise des Projektmanagements An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass eine Projektplanung natürlich immer mit Ungewissheit behaftet ist, da eine Planung auf die Erreichung von Zielen in der Zukunft abzielt. Auf die sich daraus ergebenden Problemfelder und entsprechenden Methoden wird aufgrund ihrer großen Bedeutung in Theorie und Praxis in einem eigenen Abschnitt (Abschnitt 10.2) eingegangen. Hier soll nur erwähnt sein, dass ein erster Projektplan auf der Grundlage von relativ vielen Annahmen zustande kommt und somit zunächst lediglich ein erstes grobes Bild liefern kann. Mit dem Projektfortschritt nimmt die Sicherheit über bestimmte Sachverhalte zu, d.h. die Projektplanung hat einen iterativen Charakter und wird daher mehrfach überarbeitet und angepasst. <?page no="158"?> Planungstechniken · 133 6.2 Planungstechniken Die Projektplanung wird unterstützt durch den Einsatz von Planungstechniken. Die Anwendung einer Technik im Rahmen eines IT-Programmes wird häufig als „Tool“ bezeichnet. Planungstechniken stellen strukturierte und formalisierte Instrumente zur Erleichterung und Verbesserung von Wahrnehmungs- und Denkprozessen dar, die bei der Planung zu bewältigen sind. Sie übernehmen eine instrumentale und eine organisatorische Funktion (vgl. Bea/ Haas [Management] 58ff.). Instrumentale Funktionen: Erleichterung des Planungsprozesses Verbesserung des Planungsprozesses Organisatorische Funktionen: Arbeitsteilung bei der Durchführung des Planungsprozesses Transparenz des Planungsprozesses Kontrolle des Planungsprozesses (1) Instrumentale Funktionen Unter den instrumentalen Funktionen ist die Erleichterung und Verbesserung des Planungsprozesses zu verstehen, d.h. mit einer Planungstechnik wird gewissermaßen die gefühlsbetonte Intuition des Planenden durch die in der Technik enthaltene vorgedachte Rationalität ergänzt und z.T. sogar ersetzt. Allerdings geht die Intuition des Planenden auch beim Einsatz von Planungstechniken nicht vollkommen verloren: Zum einen wird bereits die Auswahl der „richtigen“ einzusetzenden Technik zum Großteil von Intuition getragen, zum anderen sind auch für die Nutzung der Technik das eigene „Bauchgefühl“ und individuelle Überlegungen gefragt, die gesamte Planung läuft lediglich wesentlich systematischer ab. (2) Organisatorische Funktionen Planungstechniken haben insofern eine organisatorische Bedeutung, als sie eine Arbeitsteilung im Rahmen der Lösung eines Planungsproblems, eine Verbesserung der Transparenz des Planungsprozesses und damit eine Kontrolle der Planung ermöglichen. <?page no="159"?> 134 · Projektplanung Die Arbeitsteilung zielt insbesondere darauf ab zu verhindern, dass bewusst oder unbewusst bestimmte, vom Planenden erwünschte Planungsergebnisse herbeigeführt werden. Die Transparenz des Planungsprozesses wird v.a. durch die Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte erhöht. Die Ergebnisse werden für Dritte nachvollziehbar. Die Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung für die Kontrolle und Steuerung im weiteren Projektverlauf. Mit dem Einsatz von Planungstechniken sind allerdings auch Gefahren verbunden: Sie bestehen in einer blinden Anwendung einer Technik und damit einem Verlust an Kritikfähigkeit gegenüber den Ergebnissen. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn der Einsatz von Planungstechniken durch IT- Systeme unterstützt wird, da die Technik sehr komplex ist. Eine gewisse „kritische Distanz“ ist notwendig, um zu überprüfen, inwieweit die Ergebnisse tatsächlich plausibel erscheinen. Zudem besteht die eigentliche Herausforderung bei den meisten Techniken in der Interpretation der Ergebnisse und der Ableitung von Konsequenzen, für die sowohl eigene rationale Überlegungen als auch Kreativität notwendig sind. Die in Frage kommenden und in Abb. 2-26 genannten Planungstechniken werden im Folgenden genauer beschrieben und jenen Teilprozessen der Projektplanung zugeordnet, zu denen sie thematisch gehören. Manche Planungstechniken, wie z.B. die Netzplantechnik, sind nur schwer einem bestimmten Teilprozess zuzuordnen, da mehrere Aufgabengebiete mit ihnen abgedeckt werden. Wir werden dies dann bei den jeweiligen Techniken gesondert ansprechen. Die Kontrolltechniken werden im Zusammenhang mit der Kontrolle erörtert (vgl. S. 274), Techniken des Qualitätsmanagements auf S. 332 und Techniken des Risiko- und Chancenmanagements auf S. 351f. 6.3 Teilprozesse der Projektplanung Die Projektplanung stellt einen systematischen Prozess der Analyse und Strukturierung eines Projektes dar. Dieser Prozess besteht aus verschiedenen Teilprozessen, bei denen unterschiedliche Themenbereiche im Vordergrund stehen, die sich an den jeweiligen Objekten der Planung orientieren: Was muss für eine erfolgreiche Durchführung eines Projektes alles geplant werden? <?page no="160"?> Teilprozesse der Projektplanung · 135 Teilprozesse der Projektplanung Planungstechniken Strukturplanung Projektstrukturpläne (Abschnitt 6.4) Arbeitsaufwandsplanung Expertenschätzungen (6.5.2) Multiplikatormethode (6.5.3) Parametrische Methode (6.5.4) Beispiele für spezielle Techniken in der Softwareentwicklung: COCOMO II (6.5.4.1), Function Point Analysis (6.5.4.2) Ablaufplanung Listen zur Ablaufplanung (6.6.1) Balkenpläne (6.7.3; 6.7.4) Netzpläne (6.6.2) Terminplanung Geschwindigkeitsdiagramm (6.7.1) Terminliste (6.7.2) Zeitfixierter Balkenplan (6.7.3) Vernetzter Balkenplan (6.7.4) Netzplan (6.7.5) Ressourcenplanung - Personal Ermittlung des Ressourcenbedarfs auf Arbeitspaketebene und aggregiert pro Mitarbeitergruppe mit gleicher Qualifikation (Belastungsdiagramm) (6.8.1.1) Detaillierte oder pauschale Kapazitätsermittlung (6.8.1.2) Ressourcenvergleich und -optimierung (6.8.1.3, 6.8.1.4) - Sachmittel Sachmittelplanung auf Arbeitspaketebene und aggregiert (6.8.2) Kapazitätsermittlung (z.B. mit Belegungsplan) Ressourcenvergleich und -optimierung (6.8.2) - Material Materialplanung auf Arbeitspaketebene und aggregiert (6.8.3) Materialplanung und -optimierung für den gesamten Produktlebenszyklus - Finanzen Projektspezifische Finanz- und Liquiditätsplanung (6.8.4) <?page no="161"?> 136 · Projektplanung Kostenplanung Prozesskostenrechnung (6.9.3.1) Life Cycle Costing (6.9.3.2) Target Costing (6.9.3.3) Integrierte Projektkostenplanung (6.9.4) Abb. 2-26: Übersicht über Planungstechniken Abb. 2-27 beschreibt die Teilprozesse der Projektplanung. Strukturplanung Arbeitsaufwandsplanung Ablaufplanung Terminplanung Ressourcenplanung Kostenplanung Vorkopplung Rückkopplung Strukturplanung Arbeitsaufwandsplanung Ablaufplanung Terminplanung Ressourcenplanung Kostenplanung Vorkopplung Rückkopplung Abb. 2-27: Teilprozesse der Projektplanung (1) Die Basis für alle weiteren Planungsaktivitäten ist der Projektstrukturplan, denn mit seiner Hilfe durchdringt der Planende die Aufgabenstellung und übersetzt sie in handhabbare Arbeitspakete. (2) Der nächste Schritt besteht in der Planung des Arbeitsaufwands, der mit den jeweiligen Aufgaben verbunden ist: Wie viel Arbeitszeit wird die Bewältigung der Aufgabe wohl benötigen? Über welche Zeiträume wird sie sich hinziehen (Abschätzung der Dauer)? (3) Anschließend sollten die Aufgaben in einen zeitlichen und logischen Ablauf gebracht werden. Dies geschieht durch die Ablaufplanung. (4) Auf dieser Grundlage können nun Aussagen zu Terminen erarbeitet werden. An dieser Stelle werden die Interdependenzen zwischen den Teilprozessen besonders deutlich, denn meist steht ein mit dem Kunden vereinbarter Endtermin im Raum, der unbedingt eingehalten werden soll. Dass <?page no="162"?> Teilprozesse der Projektplanung · 137 dieser Termin bei den bisherigen Planungsaktivitäten ohne Probleme im ersten Anlauf erreichbar ist, wird wohl eher die Seltenheit sein. Normalerweise ergibt sich hier eine Rückkopplung zu den anderen Plänen, denn beispielsweise versucht man, Aktivitäten zu parallelisieren. Hier ist es allerdings sinnvoll, bereits den nächsten Planungsschritt mit einzubeziehen: Die Ressourcenplanung. (5) Um die Möglichkeiten zur Optimierung richtig einschätzen zu können, sind die Quantität und die Qualität der notwendigen Ressourcen entscheidend: Welche Ressourcen stehen in welchem Ausmaß wann mit welchen Qualifikationen zur Verfügung? Gibt es besonders knappe Ressourcen, die einen Engpass darstellen werden? Können Aktivitäten überhaupt parallelisiert werden, wenn dabei z.B. auf dieselbe Ressource zurückgegriffen wird, d.h. kann diese Ressource den geplanten Aufwand für beide Aufgaben in diesem Zeitraum überhaupt bewältigen? Falls es hier zu grundlegenden Schwierigkeiten kommt, ist es durchaus möglich, dass man bis auf den Projektstrukturplan zurückgeht und beispielsweise eine andere Technologie einsetzt, um eine Engpassressource zu vermeiden, oder das gesamte Arbeitspaket an einen Subunternehmer vergibt. (6) Der letzte Schritt in der Projektplanung besteht in der Planung der Kosten des Projektes. Die Kosten hängen von vielen Rahmenbedingungen ab, denen man sich in den anderen Planungsschritten bereits angenähert hat. Vor allem der geplante Aufwand der einsetzbaren Ressourcen schlägt direkt als Kosten zu Buche. Auch hier sind Rückkopplungen zu den anderen Planungsschritten möglich: Vielleicht hat man eine nahezu optimal erscheinende Lösung erarbeitet, die jetzt allerdings so teuer ist, dass der geplante Wertbeitrag des Projektes empfindlich schrumpft. Bei der Optimierung können alle bisherigen Pläne einbezogen werden. Je kleiner und übersichtlicher ein Projekt ist, umso leichter ist es, bei den einzelnen Planungsschritten die vor- und nachgelagerten Aktivitäten intuitiv zu berücksichtigen. Zudem arbeitet man in der Projektplanung „vom Groben zum Detail“, d.h. die erste Projektplanung wird i.d.R. noch auf einer relativ hoch aggregierten Ebene stattfinden, um erste Tendenzaussagen für die grundlegenden Entscheidungen ableiten zu können. Dieser erste Plan wird dann in weiteren Planungsrunden iterativ verfeinert, bis ein umfassender und detaillierter Plan entsteht. Im Zuge der Umsetzung ergeben sich neue Informationen, die in den Projektplan eingearbeitet werden müssen, um ihre Auswirkungen auf das Projekt sinnvoll abschätzen zu können. Die Aktualität des Projektplans und die Möglichkeit, die neue Variante mit der ursprünglichen Planung zu vergleichen, stellt eine <?page no="163"?> 138 · Projektplanung wichtige Voraussetzung für die Projektsteuerung dar. Diesem Thema werden wir uns im Zuge der Projektkontrolle in Abschnitt 8 zuwenden. Die nächsten Abschnitte sind jeweils einem der Teilprozesse der Planung gewidmet. Es werden die Aufgaben des jeweiligen Teilprozesses und jene Planungstechniken erörtert, die zur Unterstützung der jeweiligen Aufgabe sinnvoll eingesetzt werden können. 6.4 Projektstrukturplanung Die Aufgabe der Projektstrukturplanung besteht darin, die Gesamtaufgabe in einzelne Elemente zu zerlegen (DIN 69901-2: 2009-01). Ein Projektstrukturplan soll eine gute Übersicht über das Projekt in seiner Gesamtheit und über die Einzelaufgaben ermöglichen , die Vollständigkeit der Einzelaufgaben sicherstellen, als Grundlage für die Arbeitsteilung im Projekt dienen, indem Arbeitspakete definiert werden, die sich an einen eindeutig Verantwortlichen delegieren lassen und die Basis für die notwendige Koordination bei Schnittstellen zwischen den Arbeitspaketen bilden. Der Projektstrukturplan dient somit als Grundlage für alle weiteren Pläne und wird daher auch als „Plan der Pläne“ bezeichnet. 6.4.1 Arten von Projektstrukturplänen Es lassen sich vier verschiedene Verfahren der Gliederung unterscheiden, die unterschiedlich gegliederte Projektstrukturpläne ergeben (vgl. DIN 69901-3: 2009-01 und Litke [Projektmanagement] 92ff.): Die objektorientierte Gliederung Die funktionsorientierte Gliederung Die phasenorientierte Gliederung Die gemischte Gliederung (1) Bei der objektorientierten Gliederung erfolgt die Strukturierung nach den einzelnen Bestandteilen (Objekten), die für das Projekt benötigt werden (vgl. Abb. 2-28). Dieses Verfahren wird meist dann benutzt, wenn das Projekt die Herstellung eines Produktes zum Ziel hat, wie beispielsweise den Bau eines Hauses oder die Erstellung eines Softwareprogramms. Die Zer- <?page no="164"?> Projektstrukturplanung · 139 legung erfolgt dann nach der technischen Struktur des zu erstellenden Produktes. FOTOKAMERA Software Elektronik Optik Steuerung Kommunikation Bedienerschnittstelle USB Infrarot WLAN Gehäuse Abb. 2-28: Objektorientierter Projektstrukturplan (2) Entwirft man einen funktionsorientierten Projektstrukturplan, so wird das Projekt in einzelne Verrichtungen zerlegt, die für die Verwirklichung des Projektes notwendig sind (vgl. Abb. 2-29). Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn das Projekt Aspekte umfasst, die über die Herstellung eines Produktes hinausgehen, wie z.B. eine erfolgreiche Markteinführung oder die Erschließung von Beschaffungsmärkten. FOTOKAMERA Entwicklung Software / Elektronik Fertigung Marketing / Vertrieb Konstruktion Mechanik Konzeption Software Implementierung Software Test Software Test Einzelmodule Test Software- System … Abb. 2-29: Funktionsorientierter Projektstrukturplan <?page no="165"?> 140 · Projektplanung (3) Bei einem phasenorientierten Projektstrukturplan (auch ablauforientierter PSP genannt) werden die Phasen des jeweiligen Vorgehensmodells der Strukturierung zugrunde gelegt (vgl. Abb. 2-30). Projektphasenpläne wurden bereits in Abschnitt 2.4.2 vorgestellt. FOTOKAMERA Entwicklung Realisierung Abnahme Planung Software Gehäuse Elektronik Prototyp I Prototyp II … Abb. 2-30: Phasenorientierter Projektstrukturplan (4) Im Rahmen einer gemischten Vorgehensweise werden die o.g. Verfahren nach praktischer Zweckmäßigkeit kombiniert (vgl. Abb. 2-31). Besonders sinnvoll erscheinen hier die Gliederung nach Objekten in den höheren Ebenen und eine weitere Aufspaltung nach Verrichtungen in den unteren Ebenen. Diese Methode hat sich aus den Bedürfnissen der Praxis heraus entwickelt und ermöglicht die vollständige Erfassung aller Arbeiten, die im Rahmen des Projektes zu erledigen sind. Da die Erstellung eines Projektstrukturplans meist sehr zeit- und arbeitsintensiv ist, werden in der Praxis oftmals Standard-Projektstrukturpläne angewendet. Natürlich können sie nur dann eingesetzt werden, wenn die Projekte eine ähnliche Struktur aufweisen. Sie werden häufig lediglich als Grundlage verwendet und dann in der Planungsphase projektspezifisch angepasst. 6.4.2 Elemente des Projektstrukturplans Bei der Erstellung eines Projektstrukturplans wird das Gesamtprojekt in einzelne Teilaufgaben und Arbeitspakete gegliedert. Bei sehr großen Projekten wird das Gesamtprojekt zunächst in Teilprojekte zerlegt, die dann einzeln im Detail geplant werden. Ein Arbeitspaket stellt die kleinste Einheit im Projektstrukturplan dar: „Die im Projektstrukturplan definierten Bestandteile des Projektes werden im ersten Schritt bis auf Arbeitspaketebene heruntergebrochen“ (DIN 69901-2: 2009-01). <?page no="166"?> Projektstrukturplanung · 141 FOTOKAMERA Software / Elektronik Optik Entwicklung Software Elektronik Test Software / Hardware Gehäuse Konzeption Implementierung Konzeption Entwicklung … Abb. 2-31: Gemischter Projektstrukturplan Es sollte eine in sich geschlossene Aufgabenstellung innerhalb des Projektes darstellen, die selbständig von einer Einheit (Person oder Gruppe) bearbeitet werden kann. Ein Arbeitspaket kann auf einer beliebigen Gliederungsebene liegen (vgl. Abb. 2-32). Projekt AP TA TA TA AP AP AP AP TA AP AP 1. Ebene 2. Ebene 3. Ebene 4. Ebene TA = Teilaufgabe AP = Arbeitspaket Abb. 2-32: Projektstrukturierung bis auf Arbeitspaketebene (In Anlehnung an: Schelle [Projekte] 120) Für jedes Arbeitspaket muss es einen Verantwortlichen aus dem Projektteam geben. Hierbei sollte besonders darauf geachtet werden, dass dem zuständigen Mitarbeiter nicht nur die Verantwortung, sondern auch die entsprechenden <?page no="167"?> 142 · Projektplanung Kompetenzen übertragen werden, um die Aufgabe erfolgreich erledigen zu können. Schelle ([Projekte] 127ff.) empfiehlt folgende Regeln bei der Definition von Arbeitpaketen : Es sollte für jedes Arbeitspaket nur eine verantwortliche Person geben. Aufgaben, die von anderen Unternehmen übernommen werden, sollten als eigene Teilaufgaben oder Arbeitspakete ausgewiesen werden. Für jedes Arbeitspaket muss eine klare Spezifikation der Leistung formuliert werden. Die Leistungen, die in verschiedenen Arbeitspaketen erbracht werden sollen, müssen somit eindeutig voneinander abgrenzbar sein. Ansonsten können später keine zuverlässigen Aussagen über den Projektfortschritt gemacht werden. Es empfiehlt sich, die für das Arbeitspaket geplante Zeit zu der geplanten Dauer des gesamten Projektes in Beziehung zu setzen. Ist die Dauer des Arbeitspaketes hierbei relativ groß, kann ein nicht oder zu spät erkannter Terminverzug das gesamte Projekt gefährden. Natürlich gibt es Arbeitspakete, die sich ihrer Natur nach über die Dauer des Gesamtprojektes erstrecken, wie z.B. die Terminplanung und -kontrolle; für diese Arbeitspakete gilt diese Regel selbstverständlich nicht. Der Kostenanteil des Arbeitspakets an den gesamten geplanten Kosten des Projektes sollte nicht zu niedrig sein, denn sonst wird die Kostenkontrolle relativ aufwändig oder zu oberflächlich. Es werden Richtwerte von 1-5% der Gesamtkosten eines Vorhabens empfohlen. 6.5 Arbeitsaufwandsplanung 6.5.1 Ermittlung des Arbeitsaufwands Der nächste Schritt nach der Planung der Projektstruktur besteht in der Abschätzung des Aufwands, der zur Erbringung der Leistung im Projekt notwendig sein wird. Die Beschäftigung mit dem Thema „Aufwandsplanung“ in der Projektmanagementliteratur kann für einen Betriebswirtschaftler zunächst zu Verwirrungen führen. In der Betriebswirtschaftslehre ist der Begriff des Aufwandes im Rechnungswesen klar definiert und umfasst „den periodisierten erfolgswirksamen Verbrauch an Real- und Nominalgütern, der mit Auszahlungen verbunden ist“ ( Schweitzer/ Küpper [Systeme] 17). Im Projektmanagement wird dieser Begriff häufig für eine Schätzung der notwendigen Arbeitszeit von Mitarbeitern zur Erledigung einer Aufgabe genutzt. <?page no="168"?> Ermittlung des Arbeitsaufwands · 143 Grundsätzlich entsteht ein Aufwand durch die Nutzung von Ressourcen; die Aufwandsplanung stellt somit eine wichtige Vorarbeit für die detaillierte Ressourcenplanung dar. Im Rahmen der Ressourcenplanung werden wir die folgenden Ressourcen betrachten: Personal, Sachmittel, Material und Finanzmittel. An dieser Stelle wird den Gepflogenheiten des Projektmanagements gefolgt: In diesem Abschnitt wird der Schwerpunkt der Ausführungen auf der Schätzung des Arbeits-/ Personalaufwands liegen. Für diese Vorgehensweise sprechen zwei Gründe: Erstens kommt dem Arbeitsaufwand in vielen Projekten die weitaus größte praktische Relevanz zu, da er oftmals die höchsten Kostenblöcke verursacht. Zweitens sind mit der Schätzung des Arbeitsaufwands besondere methodische Schwierigkeiten verbunden. Details zur Planung der Sachmittel, des Materials und der Finanzen finden sich in Abschnitt 6.8 bei der Projektressourcenplanung. Im Rahmen der Arbeitsaufwandsplanung wird jedes Arbeitspaket daraufhin untersucht, wie viel Arbeitszeit für seine Erledigung nötig sein wird. Dieser Aufwand wird gewöhnlich in „Manntagen“, „Mannwochen“, „Mannmonaten“ oder auch „Mannjahren“ gemessen. Doch nicht nur die reine Arbeitszeit spielt bei dieser Planung eine Rolle, sondern auch die Dauer, also der Zeitraum, über den sich diese Leistungserbringung erstrecken wird. Dies hängt zum Großteil von der Art und Weise ab, wie die Arbeit erbracht werden kann: Arbeitspakete, deren Aktivitäten von mehreren Personen parallel erledigt werden können, sind von kürzerer Dauer als Vorgänge mit gleichem Aufwand, deren Arbeitsschritte sich nur sequenziell abarbeiten lassen. Teilweise ergeben sich auch längere Dauern aus der Art der Aufgabe, wie z.B. die Berücksichtigung der Zeit zum Trocknen von Beton auf einer Baustelle. Beispiel: Die reine Arbeitszeit für ein Arbeitspaket beträgt laut erster Schätzung 5 Tage. Aufgrund notwendiger Abstimmungsrunden werden diese 5 Tage sich jedoch erfahrungsgemäß über 10 Tage verteilen. Der Arbeitsaufwand des Arbeitspakets beträgt somit 5 Tage, die Dauer dagegen 10 Tage. Bei der Ablaufplanung, z.B. mit einem Netzplan, steht die Frage im Vordergrund, bis wann das Projekt beendet sein kann, wenn alle zeitlichen und logischen Abhängigkeiten berücksichtigt werden. Daher wird hier mit den Dauern gearbeitet. Will man jedoch eine Antwort auf die Frage, was das Projekt kosten wird, so benötigt man den Arbeitsaufwand, den man dann mit Geldeinheiten bewertet. <?page no="169"?> 144 · Projektplanung Die Schätzung von Arbeitsaufwand und Dauer bildet somit eine wichtige Basis für grundlegende Entscheidungen: Beispielsweise ermöglicht sie eine Abschätzung, ob ein Projekt bei den gegebenen Rahmenbedingungen überhaupt durchgeführt werden kann. Unterschätzt man insbesondere den direkten Arbeitsaufwand, so kann dies den wirtschaftlichen Erfolg eines Projektes zunichte machen. Der geschätzte Aufwand hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Kostenstruktur eines Projektes (vgl. Cronenbroeck [Projektmanagement] 62). Bei Entwicklungsprojekten beispielsweise resultiert aus den Arbeitszeiten der Entwickler häufig der größte Kostenblock, während die anderen Kostenarten, wie z.B. Materialkosten, je nach Art des Produktes oftmals zu vernachlässigen sind. Im schlimmsten Fall kann eine Fehleinschätzung des Aufwands in einem Großprojekt schwere Imageschäden und hohe Vertragsstrafen aufgrund von Terminverzögerungen nach sich ziehen. Beispiel: Wegen gravierender technischer Probleme bei der Einführung der LKW-Maut konnte das Betreiberkonsortium Toll Collect den ursprünglichen Starttermin, den 31.08.2003, nicht einhalten. Die Einführung wurde zunächst auf den 02.11.2003 verschoben, doch auch dieser Termin konnte nicht realisiert werden. Das System wurde dann mit eingeschränkter Funktionalität zum 01.01.2005 eingeführt. Seit Anfang 2006 wird das System mit der vollen Funktionalität eingesetzt. Dieser Terminverschiebung lag auch eine Unterschätzung des mit dem Projekt verbundenen Aufwands zugrunde. Die Hauptanteilseigner von Toll Collect, die Deutsche Telekom und die Daimler AG, wurden in den Medien heftig kritisiert und von den Auftraggebern mit hohen Vertragsstrafen konfrontiert. Inzwischen läuft das System problemlos. Die Aufwandsschätzung gewinnt in den letzten Jahren aufgrund verschiedener Entwicklungen zunehmend an Bedeutung (vgl. Kindler/ Jahnke/ v. Schneyder [Aufwandsschätzung] 14): Früher konnten Probleme bei der Aufwandsschätzung oftmals durch Risikozuschläge in der Kalkulation abgedeckt werden. Mittlerweile hat sich der Wettbewerb allerdings so stark verschärft, dass ein solches Vorgehen vor dem Kunden nicht mehr gerechtfertigt werden kann. Die Kunden erwarten transparente Kalkulationen; finanzielle Spielräume dieser Art bestehen in den meisten Branchen nicht mehr. Der professionelle Umgang mit Risiken erhält im rechtlichen Umfeld der Unternehmen einen höheren Stellenwert. Diese Entwicklung zeigt sich v.a. im Corporate Governance Kodex, im Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), sowie im Transparenz- und Pub- <?page no="170"?> Ermittlung des Arbeitsaufwands · 145 lizitätsgesetz (TransPuG). Aus unzutreffenden Aufwandsschätzungen können sich bedeutende Projektrisiken ergeben, je nach Branche und Unternehmen gehören diese Risiken sogar zu den größten und wichtigsten. In der Praxis stellt die Aufwandsschätzung eine relativ anspruchsvolle Aufgabe dar: In der Regel ist viel Erfahrung notwendig, um den Aufwand realistisch beziffern zu können. Wurden die Ziele nicht genau definiert und spezifiziert (vgl. Abschnitt 5), so ist es nahezu unmöglich, den Aufwand zu ihrer Erreichung abzuschätzen. Häufig weisen Projekte einen hohen Innovationsgrad auf, was die Schätzung ebenfalls erschwert. Zudem unterliegt ein Projekt bzw. ein Arbeitspaket erfahrungsgemäß bestimmten Einflüssen, die nur schwer quantifiziert werden können, wie z.B. unerwarteter Personalwechsel im Projektverlauf oder auch die Änderungshäufigkeit der Anforderungen durch den Kunden. Manchmal erschweren auch Änderungen der Randbedingungen die Schätzung, beispielsweise Gesetzesänderungen, die Einfluss auf das Projektergebnis haben (vgl. Litke [Projektmanagement] 110). Um die Genauigkeit der Aufwandsschätzung zu verbessern und den Schätzvorgang zu vereinfachen, wurden verschiedene Methoden entwickelt. Sie alle gehen in irgendeiner Form von Erfahrungen aus, die sie für die neuen Schätzungen im Rahmen eines Analogieschlusses zugrunde legen. Versucht man die Vielfalt der Methoden zu ordnen, so taucht in der Literatur oftmals der Begriff „Analogiemethode“ als eigenständig anzuwendende Technik auf. Diese Klassifikation ist insofern irreführend, als alle Methoden auf dieser grundsätzlichen Vorgehensweise des Analogieschlusses als „Folgerung von der Ähnlichkeit zweier Dinge auf die Ähnlichkeit zweier anderer oder aller übrigen“ beruhen. Die angesprochene Vielfalt der Methoden ist darauf zurückzuführen, dass die verschiedenen Projektarten sehr unterschiedliche Spezifika aufweisen; d.h. bei einem Softwareentwicklungsprojekt können ganz andere Größen Einfluss auf den Aufwand nehmen, wie dies bei einem internen Prozessverbesserungsprojekt der Fall ist. Es müssen unterschiedliche Daten für die Schätzung verarbeitet werden, was auch verschiedene Vorgehensweisen nahe legt. Zudem ist es notwendig, die Verfahren passend zum Einsatzzeitpunkt im Projektverlauf auszuwählen, denn die Informationslage verbessert sich i.d.R. im Laufe des Projektfortschritts, d.h. der Detailliertheitsgrad und die Sicherheit nehmen zu. Viele Methoden eignen sich gleichzeitig zur Schätzung der anfallenden Kosten, was sich durch den engen Zusammenhang zwischen Arbeitsaufwand und Kosten erklären lässt. Ausgehend von der Expertenschätzung als Grundlage werden im Folgenden die bekanntesten Methoden vorgestellt (vgl. Abb. 2-33). <?page no="171"?> 146 · Projektplanung Expertenschätzung • Multiplikatormethode • Parametrische Methode • Einzel- und Mehrfachbefragung • Delphi-Methode • Schätzklausur Abb. 2-33: Ausgewählte Methoden der Aufwandsschätzung (In Anlehnung an: Kindler/ Jahnke/ v. Schneyder [Aufwandsschätzung] 16) Den meisten Methoden lässt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Verfahren zuordnen; die Mehrzahl dieser Verfahren wurde zur Aufwandsschätzung innerhalb von Software-Projekten entwickelt. Wir werden zur Erläuterung der jeweiligen Methode daher meist ein Verfahren aus diesem Bereich heranziehen. 6.5.2 Expertenschätzungen Eine Expertenschätzung stellt ein qualitatives Prognoseverfahren dar, in dessen Rahmen das spezielle Fachwissen eines ausgewählten Personenkreises genutzt wird (vgl. Winkelhofer [Projekt-Methoden] 270). Diese Experten können bei einer subjektiven Schätzung des Aufwands, der voraussichtlichen Dauer und/ oder der Kosten auf ihre Kenntnisse und Erfahrungen zurückgreifen. Ist ein Arbeitspaket entsprechend groß, so wird der Aufwand für die einzelnen Vorgänge geschätzt, aus denen sich das Arbeitspaket zusammensetzt. Aggregiert man die dabei ermittelten Werte, erhält man den Aufwand für das jeweilige Arbeitspaket. Durch Aggregation des Aufwands für die verschiedenen Arbeitspakete erhalten wir den Aufwand für eine Teilaufgabe (vgl. Abb. 2-34). Bei den Expertenschätzungen werden verschiedene Methoden unterschieden: Die Einzel- und Mehrfachbefragung Die Delphi-Methode Die Schätzklausur <?page no="172"?> Expertenschätzungen · 147 Vorgang 1.1.1 Vorgang 1.1.2 Vorgang 1.1.3 Arbeitspaket 1.1 Arbeitspaket 1.2 Arbeitspaket 1.3 Arbeitspaket 1.4 Teilaufgabe 1 Teilaufgabe 2 Teilaufgabe 3 Projekt Vorgang 1.1.1 Vorgang 1.1.2 Vorgang 1.1.3 Arbeitspaket 1.1 Arbeitspaket 1.2 Arbeitspaket 1.3 Arbeitspaket 1.4 Teilaufgabe 1 Teilaufgabe 2 Teilaufgabe 3 Projekt Abb. 2-34: Aggregation des Aufwands 6.5.2.1 Die Einzel- und Mehrfachbefragung (1) Bei der Einzelbefragung wird auf das Fachwissen einer einzigen Person zurückgegriffen: Ein Experte oder der Projektleiter prognostiziert die zu schätzenden Größen. Hierbei können jeweils ein Schätzwert oder mehrere Schätzwerte wie im Drei-Punkt-Verfahren angegeben werden, falls das Risiko explizit berücksichtigt werden soll: Beim Drei-Punkt-Verfahren werden ein optimistischer, ein pessimistischer und ein dritter Wert, entweder der Mittelwert oder der Erwartungswert, geschätzt. Diese Vorgehensweise ist relativ unkompliziert, schnell und einfach durchführbar, doch die Qualität der Schätzungen hängt zweifelsohne größtenteils von den Erfahrungen des befragten Experten ab. Somit kann es zu grundlegenden Fehleinschätzungen kommen, wenn dem Experten die notwendigen Fachkenntnisse fehlen, er den Plan nur oberflächlich beurteilt und nicht tiefer durchdringt, versehentlich Aufgabenteile übersieht, aus der Vergangenheit bestimmte „Vorurteile“ mitbringt und diese unbesehen auf das neue Projekt überträgt, die eigene Produktivität nicht realistisch eingeschätzt, sondern zu positiv beurteilt wird, mögliche Schwierigkeiten unterschätzt und/ oder <?page no="173"?> 148 · Projektplanung opportune, d.h. von den Vorgesetzten erwartete Schätzungen abgegeben werden (vgl. Burghardt [Projektmanagement] 110). Die Einzelbefragung ist daher mit entsprechenden Risiken behaftet, die man mit einer Mehrfachbefragung zu vermeiden versucht. (2) Bei der Mehrfachbefragung werden mehrere Experten gebeten, jeder für sich den Aufwand für ein Arbeitspaket zu schätzen. Man gewinnt somit mehrere Werte für jedes Arbeitspaket. 6.5.2.2 Die Delphi-Methode Bei der Delphi-Methode handelt es sich um ein Verfahren der mehrfachen Befragung einer Gruppe von Experten. Sie besteht aus folgenden Schritten: Auswahl von Experten Schätzung durch die Experten unabhängig voneinander ohne Diskussion Statistische Auswertung Bekanntgabe der Mittelwerte der Antworten und Bitte um Begründung stark abweichender Antworten durch die jeweiligen Experten Einreichung der Begründungen Information aller Experten über Mittelwerte und Begründungen Wiederholung der Schätzung und der weiteren Vorgehensweise (ca. zweibis dreimal) Im Rahmen der Delphi-Methode wird das Wissen mehrerer Experten mit Rückkopplungsmöglichkeiten genutzt. Dabei wird besonders auf die Anonymität der Experten geachtet, um eine unerwünschte gegenseitige Beeinflussung zu verhindern. Allerdings ist diese Vorgehensweise relativ zeitaufwändig. Ausschlaggebend für den Erfolg dieser Methode sind, wie bei allen Expertenbefragungen, die Auswahl der Befragten sowie ihre Bereitschaft zur Teilnahme und ihre Fähigkeiten zur Prognose. 6.5.2.3 Die Schätzklausur Im Gegensatz zur Delphi-Methode wird bei der Schätzklausur besonderer Wert auf gruppendynamische Prozesse gelegt: Die Experten (in dem Fall meist die Projektmitarbeiter) planen die wichtigsten Aspekte des Projektes gemeinsam und schätzen anschließend den Aufwand für die einzelnen Arbeitspakete. Eine Schätzklausur verläuft in folgenden Schritten (vgl. Burghardt [Projektmanagement] 112f.): <?page no="174"?> Multiplikatormethode · 149 Vorbereitung Als Grundlage für die Schätzung wird von allen Experten gemeinsam ein detaillierter Projektstrukturplan erarbeitet. Durchführung In diesem Abschnitt steht die Schätzung des Aufwandes im Mittelpunkt. Burghardt stellt eine vereinfachende Methode vor, bei der lediglich ein Referenzkomplex detailliert untersucht und einer genauen Aufwandsschätzung unterzogen wird. Die Ergebnisse werden dann auf die anderen Projektbestandteile entsprechend übertragen. Prinzipiell ist jedoch auch eine ausführliche Mehrfachschätzung für jedes Arbeitspaket mit einer eingehenden Diskussion der Gründe für die abgegebenen Schätzungen möglich. Wichtig ist hierbei das offene Gespräch, denn auf diese Weise können die Experten auf unterschiedliche Planungsprämissen aufmerksam werden. Am Ende dieser Phase steht die Einigung auf einen gemeinsamen Schätzwert. Nachbereitung Nach der Schätzung wird eine erste grobe Projektplanung mit Termin- und Ressourcenplan sowie einer Risikoanalyse aufgestellt, um ein klares Bild über das Projekt zu bekommen. Zudem wird die Plausibilität der Schätzwerte anhand anderer Verfahren überprüft. Der große Vorteil der Schätzklausur liegt in der gemeinschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Projekt und seinen Problemstellungen. Auf diese Weise entsteht eine gemeinsame Basis für das Verständnis der Ziele des Projektes und der Wege zur Zielerreichung. Die Schätzungen entstehen im gegenseitigen Austausch und werden daher auch gemeinsam getragen. Um Aufwandsschätzungen möglichst objektiv zu gestalten, wurden verschiedene Methoden entwickelt, bei denen Erfahrungswerte in Form von Algorithmen mit in die Schätzung einfließen. Im Folgenden werden zwei Methoden vorgestellt: Multiplikatormethode Parametrische Methode 6.5.3 Multiplikatormethode Bei der Multiplikatormethode geht man von bestimmten messbaren Produktgrößen aus, die den Aufwand zu ihrer Herstellung zum Großteil festlegen, z.B. Lines of Code (LoC) bei der Softwareentwicklung. Man leitet aus vergangenen Projekten bestimmte Erfahrungswerte in Form von Kennzahlen ab, mit denen die jeweilige Produktgröße multipliziert wird, um den Aufwand abzuschätzen. <?page no="175"?> 150 · Projektplanung Die Vorgehensweise wird in Abb. 2-35 beispielhaft dargestellt. Dabei wird deutlich, dass die Kennzahl in Abhängigkeit bestimmter Einflussparameter festgelegt wird. Dabei könnte es sich z.B. um den Schwierigkeitsgrad einer Software- Entwicklung handeln, denn der Aufwand für die Programmierung einer Line of Code (LoC) kann je nach Komplexität relativ stark variieren. Einflussparameter Produkt-/ Projektgröße Faktorentabelle Kennzahl Multiplikation Schätzgröße z.B. Programmgröße in LoC z.B. Entwicklungskosten in Euro z.B. 20 Euro/ LoC z.B. Schwierigkeitsgrad Abb. 2-35: Prinzip der Multiplikatormethode (In Anlehnung an: Burghardt [Projektmanagement] 96) Man geht hier von einem linearen Zusammenhang zwischen Produktgröße und Arbeitsaufwand aus. Allerdings hat sich in der Praxis gezeigt, dass der Aufwand mit zunehmender Größe meist überproportional steigt. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass bei einem größeren Projekt die Komplexität und der Aufwand für Koordination und Kommunikation meist stark anwachsen (vgl. Noth [Aufwandschätzung] 166). 6.5.4 Parametrische Methode Die parametrische Methode konzentriert sich auf den Zusammenhang zwischen bestimmten Produktgrößen und dem Aufwand zu ihrer Herstellung. Man legt eine möglichst große Menge abgeschlossener Entwicklungsprojekte zugrunde und versucht, mit Hilfe von Regressionsanalysen entsprechende Zusammenhänge herauszufinden. Im Rahmen der parametrischen Methode wird also, wie im Rahmen der Multiplikatormethode, mit Algorithmen gearbeitet: Der Aufwand wird mit Hilfe von Formeln bestimmt, die aus empirischen Erhebungen abgeleitet werden. Im Unterschied zur Multiplikatormethode, bei der ein einfacher linearer Zusammenhang zugrunde gelegt wird, geht man bei der Parametermethode von komplexeren Zusammenhängen aus. <?page no="176"?> Parametrische Methode · 151 Da die Produktgrößen je nach Projekt sehr unterschiedlich sein können, z.B. Menge oder Volumen bei Hardware und Anzahl der „Line of Codes“ bei Software, gibt es hier unterschiedliche Modelle zur Aufwandsschätzung, die auf die Eigenheiten des jeweiligen Bereiches genau zugeschnitten sind. Beispielhaft sollen hier zwei Verfahren, die für die Schätzung des Arbeitsaufwandes in der Softwareentwicklung konzipiert worden sind, vorgestellt werden: Das in der Praxis häufig eingesetzte COCOMO-Verfahren (Constructive Cost Model) bzw. sein Nachfolger COCOMO II sowie die Function Point Analysis 6.5.4.1 COCOMO Das COCOMO-Verfahren wurde von Barry Boehm (University of Southern California) entwickelt und erstmals 1981 im Rahmen seiner Buches „Software Engineering Economics“ vorgestellt (vgl. Boehm [Software]). Aufgrund der umfassenden, nahezu revolutionären Veränderungen in der Software-Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten wurden Anpassungen an die neuen Gegebenheiten notwendig. So entstand COCOMO II (vgl. Boehm u.a. [COCOMO II] XXIX). Mit diesem Verfahren sollte es möglich werden, mit Hilfe von bestimmten „Prozesstreibern“ das Modell an die eigenen Gegebenheiten anzupassen und durch das Modellieren der „Prozesstreiber“ die sinnvollste Gestaltungsvariante zu erkennen. Zudem sollte das Modell in der Lage sein, unterschiedlich detaillierte Informationen zu verschiedenen Zeitpunkten im Projekt zu verarbeiten, also eher ungenauere Schätzungen bezüglich der Kostentreiber in den ersten Projektphasen und zunehmend genauere Informationen im weiteren Projektverlauf. COCOMO II beinhaltet drei verschiedene Modelle, die entweder für ein gesamtes Projekt oder innerhalb eines Projektes zu verschiedenen Zeitpunkten eingesetzt werden können (vgl. Boehm u.a. [COCOMO II] 10f.): (a) Das “Application Composition”-Modell Dieses Modell zielt auf die Schätzung des Aufwands zur Lösung von stark risikobehafteten Problemfeldern ab, wie die Gestaltung der Benutzerschnittstellen oder die Interaktion von Software und Gesamtsystem. Es wird oft für die Entwicklung von Prototypen in den frühesten Projektphasen eingesetzt. <?page no="177"?> 152 · Projektplanung (b) Das “Early Design”-Modell Dieses Modell dient der groben Aufwandsschätzung; es kann daher gut für die Gegenüberstellung verschiedener Möglichkeiten zur Gestaltung der Software- und Systemarchitektur in den frühen Projektphasen genutzt werden, in denen noch wenig Informationen für die Schätzung zur Verfügung stehen. (c) Das “Post-Architecture”-Modell Nach der Entscheidung für eine Software- und Systemarchitektur ist ein detailliertes Modell notwendig. Da die anderen beiden Modelle zum Teil vereinfachte Ausprägungen dieser Variante darstellen, soll dieses Modell kurz erläutert werden. Die Aufwandsschätzung im „Early Design“- und im „Post-Architecture“- Modell beruht auf der Gleichung: B nominal G A MM mit MM Aufwand in Mannmonaten A Konstante zur Erfassung der durchschnittlichen Produktivität (Mannmonate / Thousands of source lines of code); diese Konstante wird auf der Grundlage des vorliegenden Bestands an Projektdaten ermittelt G Produktgröße in Codezeilen (thousands of source lines of code (KSLOC)) B Exponentialfaktor zur Erfassung des Einflusses der „Scale Drivers“ auf den Aufwand (1) Zu einzelnen Bestandteilen dieser Gleichung: Produktgröße G Bei der Ermittlung der Produktgröße soll die Menge an intellektueller Arbeit quantifiziert werden, die für eine Produktentwicklung notwendig ist. Grundlage ist hier eine Definition der Maßgröße, mit der die Vergleichbarkeit über die verschiedenen Programmiersprachen hinweg gesichert werden kann. Daher wird für diese Definition eine Checkliste des Software Engineering Institute (SEI) herangezogen. Im Rahmen von COCOMO II wird die Möglichkeit der Modifikation der Produktgröße genutzt, um verschiedene Effekte zu berücksichtigen: Beispielsweise geht das Modell davon aus, dass sich im Laufe einer Software- Entwicklung die Anforderungen der Kunden verändern können, d.h. jedes Projekt ist wesentlich größer, als es zu Beginn aussieht. Dieser Effekt wird mit einem Prozentsatz auf die Lines of Codes (LoCs) vorweggenommen, <?page no="178"?> Parametrische Methode · 153 der die aufgrund der Veränderung nutzlos entwickelten Codes widerspiegelt. Außerdem übt die Absicht, das Produkt oder einzelne Bestandteile wieder verwenden zu wollen („Re-use“), einen starken Einfluss auf die Produktgröße aus; z.B. hängt die Wiederverwendung stark von einer überschaubaren Struktur und einer detaillierten Beschreibung bzw. Dokumentation ab. Als weiterer Effekt wird im Modell der Aufwand für die Überarbeitung und Anpassung von Software über die Modifikation der Produktgröße berücksichtigt. „Scale Drivers“ (Exponent B) Über die „Scale Drivers“ sollen Skaleneffekte („economies“ und „diseconomies of scale“) im Projekt quantifiziert werden. Beispielsweise üben der Neuigkeitsbzw. Innovationsgrad und die Entwicklungsflexibilität bezüglich Übereinstimmungen mit Vorgaben und externen Nutzerschnittstellen überdurchschnittlichen Einfluss auf den Aufwand aus. Auch dem professionellen Umgang mit Risiken wird ein starker Einfluss auf den Aufwand zugeschrieben. Sehr deutlich wird der überdurchschnittliche Effekt der „Team Cohesion“: Viele Schwierigkeiten im Projekt können darauf zurückzuführen sein, dass die Stakeholder des Projektes, wie die Nutzer, Kunden, Entwickler usw., unterschiedliche Meinungen und Interessen vertreten und eine Einigung nur unter großen Mühen möglich ist. Ein weiterer „Scale Driver“ ist die Fähigkeit der Organisation, mit den notwendigen Prozessen umzugehen. Diese Fähigkeit kann mit Hilfe des „Capability Maturity Model“ (CMMI), einem Modell des Software Engineering Institute zur Einschätzung der Prozessreife einer Organisation, messbar gemacht werden. Im „Early Design“- und im „Post-Architecture“-Modell wird der nominale Aufwand, der in Gleichung (1) berechnet wurde, einer tiefergehenden Analyse unterzogen und so wird der reale Aufwand geschätzt. Hierzu werden Kostentreiber untersucht, die den Aufwand für die Fertigstellung des Projektes stark beeinflussen; sie werden in einer neuen Formel multiplikativ mit dem nominalen Aufwand verbunden: i i AM nominal MM real MM mit Am i Aufwandsmultiplikatoren, die sich aus den Einschätzungen der Kostentreiber für das jeweilige Projekt ergeben (2) Im „Post-Architecture“-Modell gibt es 17 Kostentreiber, die in der weniger detailliert ausgelegten „Early Design“-Variante zu 7 Kostentreibern zusammen- <?page no="179"?> 154 · Projektplanung gefasst werden. Wir werden zur Veranschaulichung einige der Kostentreiber herausgreifen; sie werden in vier Kategorien eingeteilt (vgl. Boehm u.a. [COCOMO II] 41ff.): Produkt-Faktoren Hier spielt beispielsweise die notwendige Software-Verlässlichkeit eine wichtige Rolle: Diese ist umso höher, je problembehafteter und risikoreicher ein Fehler in der Software ist. Die höchste Ausprägung ist die Gefährdung menschlichen Lebens aufgrund eines Softwarefehlers. Auch die Komplexität des Produktes gehört zu den einzuschätzenden Produkt-Kostentreibern. Plattform-Faktoren Eine Plattform bezeichnet in diesem Zusammenhang die Verbindung von Hardware und Infrastruktur-Software. Bei den Plattform-Faktoren handelt es sich meist um wichtige Nebenbedingungen, wie die Befehlsausführungszeit oder den notwendigen Arbeitsspeicher. Personal-Faktoren Die Fähigkeiten und die Erfahrungen der beteiligten Mitarbeiter sowie ihr kontinuierlicher Einsatz werden bewertet. Projekt-Faktoren Spezifische Projekt-Faktoren sind beispielsweise der Einsatz von Software- Tools und die zur Verfügung stehende Zeit zur Entwicklung. Außer dem realen Aufwand kann mit COCOMO II die benötigte Entwicklungszeit abgeschätzt werden, d.h. die Dauer des Projektes beim Einsatz einer bestimmten Teamgröße. Bei Realisierung des Projektes werden die Schätzungen überprüft und die Ergebnisse fließen als historische Daten mit in zukünftige Projekte ein. Besondere Vorteile der COCOMO II-Methode können im abgestuften Einsatz der drei Modelle je nach Projektfortschritt und im individuellen Zuschnitt der Schätzungen auf die eigenen Gegebenheiten gesehen werden. Die Schätzungen sind relativ objektiv und nachvollziehbar. Die Erfahrungen aus den früheren Projekten werden genutzt, um für zukünftige Projekte genauere Schätzungen zu erreichen. Als Nachteil kann der relativ große Aufwand für die Schätzungen angeführt werden. Zudem ist für die Einführung von COCOMO meist ein Experte notwendig, der die Mitarbeiter im Umgang mit den teilweise recht komplexen Modellen schult. <?page no="180"?> Parametrische Methode · 155 6.5.4.2 Function Point Analysis Ein weiteres, in der Praxis sehr verbreitetes Verfahren zur Aufwandsschätzung im Rahmen von Softwareprojekten ist die Function Point Analysis (auch Funktionswertverfahren genannt). Diese Methode wurde in den 70er Jahren von Allan J. Albrecht im Auftrag von IBM erarbeitet. Ausschlaggebend für die Entwicklung dieses Verfahrens war die Tatsache, dass zunehmend unterschiedliche Programmiersprachen verwendet wurden: Der Aufwand für die Programmierung einer „Line of Code“ in verschiedenen Sprachen ist kaum vergleichbar. Es werden daher „Function Points“ als neue, ordinale Maßeinheiten herangezogen, die sich an der Erfüllung von bestimmten Funktionen aus Sicht des Nutzers orientieren. Das Grundprinzip der Function Point Analysis besteht in der funktionsorientierten Zerlegung der Gesamtaufgabe in kleinere Einheiten, die eine genaue Zählung der fünf wichtigsten Komponenten ermöglichen: Ein- und Ausgabedaten, Abfragen, archivierte Daten und Daten, die für andere Anwendungen notwendig sind und somit Schnittstellenfunktionen übernehmen. Diese „Geschäftsvorfälle“ werden in einem ersten Schritt nach vorgegebenen Regeln gezählt (vgl. Noth [Aufwandschätzung] 176). Dieser Wert der Function Points gibt den Aufwand allerdings noch nicht vollständig wieder, sondern muss entsprechend adjustiert werden. Es folgt eine Bewertung von verschiedenen Applikations- und Umgebungsfaktoren, die sich entscheidend auf den Aufwand auswirken. Beispielsweise kann bei der Entwicklung die „Reusability“, also die Anforderung, einen Code in einer anderen Applikation wieder verwenden zu können, eine wichtige Rolle spielen und zunächst zu einem höheren Aufwand führen. Die Bewertung wird zum sog. „degree of influence“ komprimiert und mit den vorliegenden Function Points verknüpft; als Ergebnis resultieren die sog. „bewerteten Function Points“ ( Litke [Projektmanagement] 120). Der letzte Schritt der Function Point Analysis besteht in der eigentlichen Aufwandsschätzung: Es werden die Relationen von Function Points und dem Aufwand abgeschlossener Projekte als Referenzdaten herangezogen. Aus diesen Relationen ergibt sich eine Kurve, die den Zusammenhang zwischen den bewerteten Function Points und dem entsprechenden Aufwand aufzeigt (vgl. Abb. 2-36). Will man nun ein neues Projekt durchführen und hat die bewerteten Function <?page no="181"?> 156 · Projektplanung Points ermittelt, so kann man den wahrscheinlichen Aufwand dieser Kurve entnehmen (vgl. Litke [Projektmanagement] 123). 2000 1000 3000 4000 Function Points 100 200 300 400 Aufwand in Mannmonaten 2000 1000 3000 4000 Function Points 100 200 300 400 Aufwand in Mannmonaten Abb. 2-36: Funktionswertkurve für Anwendersoftware-Systeme nach IBM (In Anlehnung an: Burghardt [Projektmanagement] 94) An dieser Stelle zeigt sich deutlich, warum dieses Instrument meist unternehmensspezifisch angewendet wird: Um aussagefähige Schätzungen ableiten zu können, sollten die zugrunde liegenden Projektdaten (Function Point-/ Aufwands-Relationen) möglichst aus der gleichen Entwicklungsumgebung stammen. Jedes weitere durchgeführte Projekt geht in die Datenbasis ein und trägt somit zur Aktualisierung der Kurve bei. Als Vorteile des Function Point-Verfahrens können die Objektivität und Nachprüfbarkeit der Function Points und der gesamten Vorgehensweise gelten. Zudem dienen die Function Points oftmals als Basis für weitere Kennzahlen im Bereich Softwareentwicklung. Sie werden in verschiedenen Normen und Standards empfohlen oder vorausgesetzt. Mittlerweile sind beispielsweise unterschiedliche Varianten des Function Point-Verfahrens als ISO-Standard für die Messung des funktionalen Umfangs von Software international anerkannt. In den Achtziger Jahren wurde die „International Function Point User Group“ (IFPUG) gegründet, die sich mit der Weiterentwicklung und Verbreitung der Function Point Methode beschäftigt. Die Function Point Analyse erfordert eine umfassende Schulung der Beteiligten, viel Erfahrung und eine einheitliche Vorgehensweise der Anwender. Zudem ist es notwendig, die Systemeigenschaften und die Entwicklungsumgebung <?page no="182"?> Projektablaufplanung · 157 für die in die Kurve einfließenden Projekte genau zu dokumentieren, damit eine Grundlage für die Identifikation abweichender Projekte zur Verfügung steht. 6.6 Projektablaufplanung Auf der Grundlage der Planung der Projektstruktur und der Schätzung des Aufwands erfolgt als nächster Schritt die Planung des Projektablaufs. Mit Hilfe der Projektablaufplanung soll ein Überblick über organisatorische und technische Zusammenhänge innerhalb eines Projektes gewonnen werden (vgl. Meyer [Projektablaufplanung] 297). Im Vordergrund steht daher die Untersuchung der Abhängigkeiten zwischen den Aktivitäten, von Möglichkeiten zur Parallelisierung von Aktivitäten, der notwendigen Zeitabstände zwischen den Aktivitäten sowie der Schnittstellen zwischen Arbeitspaketen. Die Projektablaufplanung stellt einerseits die Grundlage für die Planung der Termine, Ressourcen und Kosten dar, andererseits beeinflussen diese Komponenten ihrerseits wiederum die Ablaufplanung: Es können sich verschiedene Beschränkungen im Bereich „Termine“, „Ressourcen“ oder „Kosten“ ergeben, die sich auf die Abläufe auswirken können. Beispielsweise können andere Arbeitsgänge notwendig werden, wenn die erforderliche Zeit für die geplanten Arbeitsschritte nicht zur Verfügung steht. Es zeigt sich hier also besonders deutlich, dass die verschiedenen Teilprozesse der Planung stark voneinander abhängen und daher eine iterative Vorgehensweise mit Vor- und Rückkopplungen angezeigt ist. Werden den einzelnen Vorgängen des Ablaufplans geschätzte Vorgangsdauern zugeordnet und diese mit dem Kalender abgeglichen, so entsteht der Terminplan. Bei kleineren Projekten erfolgt die Ablauf- und Terminplanung oft in einem Schritt, daher werden die beiden Planungsschritte in der Literatur auch häufig zusammengefasst (vgl. Schelle [Projekte] 133ff., Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 248ff., Cronenbroeck [Projektmanagement] 63f.). 6.6.1 Grundlegende Vorgehensweise Im Rahmen des Projektstrukturplans wurden Arbeitspakete identifiziert. Je nach Komplexität des Projektes und Detailliertheitsgrad der Planung werden diese Arbeitspakete zur Ablaufplanung genutzt oder sie werden noch weiter bis <?page no="183"?> 158 · Projektplanung auf die Ebene der einzelnen Vorgänge heruntergebrochen. In Abb. 2-37 werden die Arbeitspakete in Vorgänge zerlegt, die im Zuge der Ablaufplanung in eine organisatorische und logische Reihenfolge gebracht werden. Zudem muss darauf geachtet werden, wie die Schnittstellen und Abhängigkeiten zwischen den Arbeitspaketen aussehen. Auch eine solche Schnittstelle zwischen Vorgängen in zwei verschiedenen Arbeitspaketen ist in Abb. 2-37 zu sehen. 5 6 5.1 5.2 5.3 6.2 6.1 Projektstrukturplan 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.1 6.2.5 5.3.2 5.3.3 5.3.1 5.3.4 Vorgang Schnittstelle 5.3-6.2 ist in beiden Arbeitspaketbeschreibungen zu dokumentieren Arbeitspaket Ablaufplan 5 6 5.1 5.2 5.3 6.2 6.1 Projektstrukturplan 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.1 6.2.5 5.3.2 5.3.3 5.3.1 5.3.4 Vorgang Schnittstelle 5.3-6.2 ist in beiden Arbeitspaketbeschreibungen zu dokumentieren Arbeitspaket Ablaufplan Abb. 2-37: Zusammenhang zwischen Projektstrukturplan und Ablaufplan (Quelle: Meyer [Projektablaufplanung] 298) Um einen grundlegenden Eindruck vom zeitlichen Ablauf des Projektes zu gewinnen, ist es notwendig, für jeden Vorgang bzw. jedes Arbeitspaket abzuschätzen, wie lange seine Bearbeitung dauern wird. Diese Schätzung basiert i.d.R. auf einer ersten groben Planung des Personalaufwands (vgl. Abschnitt 6.8.1.1 bei der Ressourcenplanung). Je nach Größe und Komplexität des Projektes bieten sich verschiedene Methoden der Ablaufplanung an: Listen Balkenplan Netzplantechnik (1) Ein sehr einfaches Hilfsmittel für einfache, leicht überschaubare Projekte ist eine Liste, „in der die Vorgänge eines Projektes in ihrer ablauflogischen Reihenfolge zusammengestellt werden“ ( Schwarze [Netzplantechnik] 131). Eine solche Liste ist in Abb. 2-38 dargestellt. <?page no="184"?> Netzplantechnik · 159 Liste 1 Vorgang 101 Vorgang 102 Vorgang 103 … Vorgang 114 weiter in Liste 2 und Liste 3 Liste 2 Vorgang 201 Vorgang 202 Vorgang 203 Vorgang 204 weiter in Liste 4 Liste 3 Vorgang 301 Vorgang 302 Vorgang 303 Vorgang 304 Vorgang 305 weiter in Liste 4 Liste 4 Vorgang 401 Vorgang 402 Vorgang 403 … Vorgang 408 Liste 1 Vorgang 101 Vorgang 102 Vorgang 103 … Vorgang 114 weiter in Liste 2 und Liste 3 Liste 2 Vorgang 201 Vorgang 202 Vorgang 203 Vorgang 204 weiter in Liste 4 Liste 3 Vorgang 301 Vorgang 302 Vorgang 303 Vorgang 304 Vorgang 305 weiter in Liste 4 Liste 4 Vorgang 401 Vorgang 402 Vorgang 403 … Vorgang 408 Abb. 2-38: Planung eines Projekts mit parallelen Vorgängen über Listen (Quelle: Schwarze [Netzplantechnik] 131) (2) Als weitere, in der Praxis sehr beliebte Methode zur Ablaufplanung kann der Balkenplan angeführt werden. Da im Balkenplan der Projektablauf jedoch unabdingbar mit der Zeitachse verknüpft ist, wird dieses Instrument im Rahmen der Terminplanung dargestellt (S. 180). (3) Eine bewährte und sehr bekannte Methode zur Analyse, Beschreibung, Planung, Kontrolle und Steuerung von komplexen Projektabläufen stellt die Netzplantechnik dar. Grundgedanke der Netzplantechnik ist die Darstellung der Vorgänge und ihrer sinnvollen Reihenfolge; meist wird diese Methode auch für die Zeit- und Terminplanung genutzt. Zum besseren Verständnis werden wir die Netzplantechnik an dieser Stelle umfassend darstellen. 6.6.2 Die Netzplantechnik als Methode der Ablaufplanung Die Netzplantechnik umfasst nach DIN 69900: 2009-01 „auf Ablaufstrukturen basierende Verfahren zur Analyse, Beschreibung, Planung, Steuerung, Überwachung von Abläufen, wobei Zeit, Kosten, Ressourcen und weitere Größen berücksichtigt werden können.“ Der Netzplan ist somit die „graphische oder tabellarische Darstellung einer Ablaufstruktur, die aus Vorgängern bzw. Ereignissen und Anordnungsbeziehungen besteht.“ Der Name „Netzplantechnik“ geht auf die Darstellungsform dieser Methode zurück: Bei Projekten mit vielen Vorgängen ähnelt die graphische Darstellung einem Netz. 6.6.2.1 Grundbegriffe Im Rahmen der Netzplantechnik wird eine spezielle Terminologie benutzt, die in der DIN-Norm 69900 festgelegt ist. Von besonderer Wichtigkeit sind hierbei: <?page no="185"?> 160 · Projektplanung Vorgänge Ein Vorgang ist ein „Ablaufelement zur Beschreibung eines bestimmten Geschehens mit definiertem Anfang und Ende“ (DIN 69900). Je nach Aggregationsgrad können hier Arbeitspakete betrachtet werden oder man zerlegt die Arbeitspakete in einzelne Aufgaben, die dann als Vorgänge der Planung zugrunde gelegt werden. Dauer Ein Vorgang ist durch eine bestimmte Dauer gekennzeichnet, die benötigt wird, um den Vorgang auszuführen. Die Dauern werden auf der Grundlage einer groben Aufwandsschätzung ermittelt (vgl. Abschnitt 6.8.1.1). Ereignisse Ein Ereignis ist ein „Ablaufelement, das das Eintreten eines bestimmten Zustands beschreibt“ (DIN 69900). Ein Ereignis kann über keine Dauer verfügen, da es einen bestimmten Zeitpunkt kennzeichnet, der mit Erfüllung einer bestimmten Bedingung eintritt. Jeder Vorgang beginnt und endet mit einem Ereignis. Besonders wichtige Ereignisse werden „Meilensteine“ genannt; sie werden oft als Eckpunkte für die Planung, Steuerung und Kontrolle von Projekten, insbesondere für die Messung des Projektfortschritts genutzt. Anordnungsbeziehungen Unter einer Anordnungsbeziehung versteht man eine „quantifizierbare Abhängigkeit zwischen Ereignissen oder Vorgängen“ (DIN 69900). Es handelt sich hierbei um Abhängigkeiten insbesondere technischer Art. Es gibt vier verschiedene Typen von Anordnungsbeziehungen: (a) Die Normalfolge Das Ende des Vorgängers ist mit dem Anfang des Nachfolgers verknüpft, d.h. der nachfolgende Vorgang B kann erst dann beginnen, wenn der Vorgänger A abgeschlossen ist (vgl. Abb. 2-39). Diese Abhängigkeit kommt in der Praxis am häufigsten vor. (b) Die Anfangsfolge Die Anfänge der beiden beteiligten Vorgänge hängen voneinander ab, z.B. kann der Vorgang B begonnen werden, sobald Vorgang A begonnen worden ist. Die beiden Vorgänge laufen dann parallel ab. Im Beispiel in Abb. 2- 40 sieht man ein anderes Verständnis der Testtätigkeit als in Abb. 2-39: Hier wird das Testen als nahezu gleichlaufendes Element zur Softwareentwicklung verstanden. <?page no="186"?> Netzplantechnik · 161 Vorgänger Nachfolger NF Beispiel: Mit dem Test der Software wird erst dann begonnen, wenn die Software vollständig umgesetzt wurde. Umsetzung Software Test Software Abb. 2-39: Die Normalfolge (NF) Vorgänger Nachfolger AF Beispiel: Das Testen der Software beginnt parallel mit der Umsetzung der Software. Umsetzung Software Test Software Abb. 2-40: Die Anfangsfolge (AF) (c) Die Endfolge Die beiden Enden der beteiligten Vorgänge sind miteinander verknüpft, z.B. kann Vorgang B erst beendet werden, wenn auch sein Vorgänger abgeschlossen wurde (vgl. Abb. 2-41). (d) Die Sprungfolge Der Anfang des Vorgängers ist mit dem Ende des Nachfolgers verbunden, d.h. Vorgang B kann erst dann beendet werden, wenn Vorgang A begonnen worden ist (vgl. Abb. 2-42). <?page no="187"?> 162 · Projektplanung Vorgänger Nachfolger EF Beispiel: Die Umsetzung der Software kann erst dann beendet werden, wenn die Integration von Hardware und Software vollständig erfolgt ist. Umsetzung Software Integration von Hard- und Software Abb. 2-41: Die Endfolge (EF) Vorgänger Nachfolger SF Beispiel: In einem zeitknappen Software-Entwicklungsprojekt wird die gesamte verbleibende Zeit bis zur Abnahme durch den Kunden für Softwaretests genutzt. Der Softwaretest wird also erst dann beendet, wenn die Kundenabnahme beginnt. Kundenabnahme Softwaretest Abb. 2-42: Die Sprungfolge (SF) 6.6.2.2 Arten von Netzplänen Es gibt verschiedene Arten von Netzplänen, in denen die drei Bestandteile „Vorgänge“, „Ereignisse“ und „Anordnungsbeziehungen“ unterschiedlich dargestellt werden: Ereignisknoten-Netzplan (Beispiel: PERT) Vorgangspfeil-Netzplan (Beispiel: CPM) Vorgangsknoten-Netzplan (Beispiel: MPM) (1) Ereignisknoten-Netzplan Die Ereignisse werden hier als Knoten und die Anordnungsbeziehungen als Pfeile visualisiert (vgl. Abb. 2-43). Die Vorgänge können auf diese Weise nicht <?page no="188"?> Netzplantechnik · 163 explizit und detailliert dargestellt werden. Oftmals werden an den Pfeilen die Zeitabstände zwischen den Ereignissen vermerkt. Grobkonzept entwickelt Detailkonzept Software entwickelt Software umgesetzt Software getestet Hardware bestellt Funktion der Hardware überprüft A-Muster gebaut Grobkonzept entwickelt Detailkonzept Software entwickelt Software umgesetzt Software getestet Hardware bestellt Funktion der Hardware überprüft A-Muster gebaut Abb. 2-43: Ereignisknoten-Netzplan Beim Ereignisknoten-Netzplan treten die Vorgänge stark in den Hintergrund. Der Schwerpunkt liegt, wie der Name sagt, auf den Ereignissen, die hier meist den Charakter von wichtigen Meilensteinen annehmen. Diese Netzpläne werden daher v.a. als Übersichtspläne in Form von Meilenstein-Netzplänen genutzt. Die vereinfachten Pläne mit den Meilensteinen und ihrer Reihenfolge können als übersichtliches Informations- und Kontrollinstrument für die Geschäftsführung eingesetzt werden. Zudem bietet sich ein Ereignisknoten- Netzplan an, wenn detaillierte Informationen über die Vorgänge fehlen (z.B. bei Forschungs- und Entwicklungsprojekten) (vgl. Schwarze [Netzplantechnik] 103 und 107f.). Als bekanntestes Beispiel für einen Ereignisknoten-Netzplan gilt die „Program Evaluation and Review Technique“ (PERT), die Ende der 50er Jahre in den USA entstand. PERT wurde damals für den Einsatz bei der US Navy entwickelt, die damit Hunderte von Zulieferern für ihr „Polaris U-Boot- Raketensystem“ koordinieren wollte (vgl. Burke [Projektmanagement] 25). Im Rahmen der PERT-Methode wird explizit berücksichtigt, dass die Schätzung der Vorgangsdauern unter Ungewissheit erfolgt: Die Vorgangsdauer ist somit eine Zufallsvariable, die sich aus einer vorzugebenden Wahrscheinlichkeitsverteilung ergibt. Um die relativ aufwändige, statistische Vorgehensweise zu vereinfachen, entwickelte man ein Modell auf der Grundlage einer Dreizeitenschätzung: Eine häufigste Dauer (h) als Zeitaufwand unter normalen Bedingungen, <?page no="189"?> 164 · Projektplanung Eine pessimistische Dauer (p) als Zeitaufwand unter ungünstigen Bedingungen, d.h. bei Eintreten negativer Störfaktoren, die sich zeitverlängernd auswirken, Eine optimistische Dauer (o) als Zeitaufwand unter besonders günstigen Bedingungen, also die kürzestmögliche Dauer (vgl. Zimmermann/ Stark/ Rieck [Projektplanung] 52). Als Wahrscheinlichkeitsverteilung wird bei der PERT-Technik von einer Beta- Verteilung ausgegangen. Aus den drei geschätzten Werten wird auf dieser statistischen Grundlage eine „mittlere erwartete Dauer“ berechnet. Sie ergibt sich als Durchschnitt von häufigster Dauer, pessimistischer Dauer und optimistischer Dauer, wobei die häufigste Dauer wesentlich stärker gewichtet wird, nach folgender Formel: 6 p h 4 o Dauer erwartete Mittlere Die PERT-Methode ist grundsätzlich für Projekte gedacht, bei denen die Vorgangsdauern erheblich schwanken können, wie z.B. Forschungsprojekte. Es ist eine fundierte rechentechnische Unterstützung notwendig, um die Masse an Informationen entsprechend auswerten zu können. (2) Vorgangspfeil-Netzplan Die Vorgänge werden als Pfeile dargestellt, die Knoten symbolisieren die Ereignisse (vgl. Abb. 2-44). Bei dieser Variante des Netzplans stehen die Vorgänge im Mittelpunkt der Betrachtung, die Ereignisse sind von untergeordneter Bedeutung. Bei Vorgangspfeil-Netzplänen kann es Schwierigkeiten bei der Darstellung parallel ablaufender Vorgänge und komplexer Abhängigkeiten geben. Das wichtigste Beispiel für einen Vorgangspfeil-Netzplan ist die „Critical Path Method“ (CPM), die wie PERT in den 50er Jahren in den USA entstand. Im Mittelpunkt stand dabei die Zeit-Kosten-Wechselbeziehung: Wie wirkt sich eine Verkürzung des Projektes auf die Kosten aus? Einige Kosten werden tendenziell sinken (wie z.B. die Miete für Testanlagen), andere werden dagegen steigen (wie z.B. Kosten für Überstunden). Mit Hilfe der CPM können die Auswirkungen auch bei großen und sehr komplexen Projekten relativ überschaubar modelliert werden (vgl. Burke [Projektmanagement] 24). <?page no="190"?> Netzplantechnik · 165 Grobkonzept entwickeln Detailkonzept Software entwickeln Software umsetzen Software testen Hardware bestellen Funktion der Hardware überprüfen A- Muster bauen Grobkonzept entwickeln Detailkonzept Software entwickeln Software umsetzen Software testen Hardware bestellen Funktion der Hardware überprüfen A- Muster bauen Abb. 2-44: Vorgangspfeil-Netzplan (3) Vorgangsknoten-Netzplan Die Vorgänge werden als Knoten, die Anordnungsbeziehungen als Pfeile zwischen den Knoten dargestellt (vgl. Abb. 2-45). Grobkonzept entwickeln Detailkonzept Software entwickeln Software umsetzen Software testen Hardware bestellen Funktion der Hardware überprüfen A-Muster bauen 01 02 03 04 05 06 07 Grobkonzept entwickeln Detailkonzept Software entwickeln Software umsetzen Software testen Hardware bestellen Funktion der Hardware überprüfen A-Muster bauen 01 02 03 04 05 06 07 Abb. 2-45: Vorgangsknoten-Netzplan Diese Darstellungsform bietet die Möglichkeit, alle wichtigen Informationen über den Vorgang aufzunehmen, ohne dass der Netzplan zwingend an Übersichtlichkeit und Lesbarkeit verliert. Hierbei kämen beispielsweise in Frage (vgl. Schwarze [Netzplantechnik] 95f.): Eine Vorgangsnummer Eine kurze Beschreibung des Vorganges Die Dauer <?page no="191"?> 166 · Projektplanung Der früheste und späteste Anfang Das früheste und späteste Ende Pufferzeiten (Zeitreserven) Kostenstellennummern Benötigte Mitarbeiter Benötigte Maschinen Ein Knoten könnte somit, je nach notwendiger Information, folgendermaßen aussehen: Vorgangs-Nr. Projekt-Nr Teilproj.-Nr. Kostenstelle Vorgangs-Nr. Projekt-Nr Teilproj.-Nr. Vorgangsbeschreibung Vorgangsbeschreibung Kostenstelle Dauer FAZ FEZ Dauer FAZ GP FEZ Arbeitskr. A Maschinen I GP FP Priorität SAZ FP SEZ Arbeitskr. B Maschinen II SAZ SEZ Legende: FAZ = frühester Anfangszeitpunkt SAZ = spätester Anfangszeitpunkt GP = gesamte Pufferzeit FEZ = frühester Endzeitpunkt SEZ = spätester Endzeitpunkt FP = freie Pufferzeit Abb. 2-46: Zwei alternative Darstellungen eines Vorgangsknotens (Quelle: Schwarze [Netzplantechnik] 96) Allerdings sollten auch nicht zu viele Informationen in die Knoten integriert werden, da ansonsten der Netzplan leicht unübersichtlich werden kann. Ereignisse werden im Rahmen des Vorgangsknoten-Netzplans nicht dargestellt. Will man bei dieser Methode dennoch Meilensteine als besonders wichtige Ereignisse darstellen, so ist dies mit einem speziell gekennzeichneten Vorgang möglich. Die bekannteste Variante eines Vorgangsknoten-Netzplans stellt die „Metra- Potencial-Method“ (MPM) dar, die ebenfalls in den späten 50er Jahren entwickelt wurde. Vorgangsknoten-Netzpläne werden derzeit in Theorie und Praxis am häufigsten eingesetzt (vgl. Zimmermann/ Stark/ Rieck [Projektplanung] 59 und Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 258). Auch für unser Beispiel im folgenden Abschnitt wird daher ein Vorgangsknoten-Netzplan zugrunde gelegt. Zwei der drei vorgestellten Varianten der Netzplantechnik (CPM und MPM) gehören zu den deterministischen Netzplänen. Man geht hier davon aus, dass der Projektablauf im Rahmen der Planung relativ genau festgelegt werden kann. Dies ist in der Realität nicht immer der Fall, insbesondere bei Projekten in der Forschung und Entwicklung oder bei Markteinführungsprojekten. Bei diesen Projekten wird oftmals erst während der Projektumsetzung entschieden, ob bestimmte Vorgänge überhaupt oder erst zu einem späteren Zeitpunkt angegangen werden sollen. <?page no="192"?> Netzplantechnik · 167 In diesem Fall werden oftmals Entscheidungsnetzpläne eingesetzt; sie werden auch stochastische Netzpläne genannt. Mit Hilfe eines Entscheidungsnetzplans können alternative Projektabläufe dargestellt werden. Dazu werden sog. Entscheidungsknoten verwendet, die eine Entscheidung über den weiteren Verlauf des Projektes symbolisieren. Manchmal ist es möglich, den verschiedenen alternativen Vorgängen Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen. Auf diese Weise entsteht ein sog. „Entscheidungsbaum“, wie er in der Entscheidungslehre oder im Operations Research eingesetzt wird (zum Umgang mit einem Entscheidungsbaum vgl. z.B. Bamberg/ Coenenberg/ Krapp [Entscheidungslehre] 242f. und 253ff. oder Klein/ Scholl [Entscheidung] 419ff.). Vertiefende Ausführungen zur Darstellung, zu Besonderheiten und zum Umgang mit stochastischen Netzplänen finden sich z.B. bei Schwarze [Netzplantechnik] 136ff. oder Corsten/ Corsten/ Gössinger [Projektmanagement] 226ff., zur Auswertung stochastischer Netzpläne vgl. Domschke/ Drexl [Operations Research] 236ff. Da in der Praxis vorwiegend die deterministische Netzplantechnik eingesetzt wird, werden wir uns im Folgenden auf diese Art von Netzplänen konzentrieren. 6.6.2.3 Die Arbeit mit einem Netzplan Beim Arbeiten mit einem Netzplan wird gewöhnlich folgendermaßen vorgegangen: (1) Strukturanalyse und Entwurf des Netzplans: Die Projektaufgabe wird in Vorgänge und/ oder Ereignisse zerlegt und die logischen Zusammenhänge werden erfasst. (2) Zeitanalyse: Der erste Schritt der Zeitanalyse besteht je nach Art des Netzplans in der Schätzung der Vorgangsdauern bzw. der Dauern zwischen den Ereignissen. Anschließend können der sog. „Kritische Pfad“ und die Zeitreserven berechnet werden. (3) Optimierung des Netzplans: Bei der Erstellung eines Netzplans gibt es i.d.R. keine „optimale Lösung“. Man versucht, aus einer Vielzahl möglicher Lösungen eine Lösung herauszufiltern, die aufgrund der technischen und terminlichen Rahmenbedingungen durchführbar erscheint und zudem eine möglichst gute Zielerreichung verspricht. Es handelt sich hierbei um einen iterativen Prozess, da man die komplexen Zusammenhänge nur schwerlich „im ersten Wurf“ erkennen kann. (4) Nutzung für die Projektsteuerung und -kontrolle: Der Netzplan kann für die Überwachung des Projektfortschritts eingesetzt werden. Im Laufe der Projektumsetzung werden Änderungen in den Netzplan eingebaut. Auf dieser Grundlage versucht man, die Auswirkungen der Änderungen zu antizipieren. <?page no="193"?> 168 · Projektplanung 6.6.2.3.1 Strukturanalyse und Entwurf des Netzplans Die Zerlegung der Projektaufgabe und die Erfassung der Zusammenhänge wurden bereits eingehend diskutiert. Es soll allerdings noch kurz auf verschiedene praxisrelevante Problemstellungen und deren Lösung eingegangen werden. Da ein Netzplan bei komplexen Projekten schnell unübersichtlich werden kann, wird der Gesamtnetzplan in der Praxis oftmals in Anlehnung an den Projektstrukturplan in einzelne Teilnetzpläne aufgeteilt. Hierbei muss besonders auf die umfassende Darstellung der Schnittstellen zwischen verschiedenen Teilnetzplänen geachtet werden. In vielen Unternehmen werden häufig Projekte des gleichen Projekttyps abgewickelt (z.B. Applikationsprojekte für die Anpassung eines Produktes auf Kundenbedürfnisse). Um den Entwurf eines Netzplans für diese Projekttypen zu erleichtern, werden oftmals Standard-Netzpläne entwickelt, in denen die bisherigen Erfahrungen aus anderen Projekten gebündelt werden. Diese Standard- Netzpläne werden dann an die speziellen Bedürfnisse angepasst, die sich aus dem konkreten Projekt ergeben, z.B. durch Erweiterung des Netzplanes um neue Vorgänge. 6.6.2.3.2 Zeitanalyse Zur Zeitanalyse gehören die Schätzung der Dauern, die relative Terminrechnung mit der Vorwärts- und der Rückwärtsrechnung, die Ermittlung von Zeitreserven. Die Berechnung von Zeitreserven ist untrennbar verbunden mit dem Konzept des „Kritischen Pfades“ und mit der Erkennung von Pufferzeiten. (1) Schätzung der Dauern Die Erledigung der Aufgaben, die in einem Vorgang enthalten sind, benötigt Zeit. Jeder Vorgang ist mit einem bestimmten Arbeitsaufwand verbunden. Um die Dauer eines Vorgangs abzuschätzen, ist i.d.R. auch eine erste grobe Planung der personellen Ressourcen notwendig (vgl. Abschnitt 6.5.1). (2) Relative Terminrechnung Als Grundlage für die Zeitplanung muss zunächst für jeden Vorgang bestimmt werden, wann er frühestens anfangen kann (Frühestmöglicher Anfangszeitpunkt (FAZ)), frühestens beendet sein kann (Frühestmöglicher Endzeitpunkt (FEZ)), spätestens anfangen kann (Spätestnotwendiger Anfangszeitpunkt (SAZ)), <?page no="194"?> Netzplantechnik · 169 spätestens beendet sein muss (Spätestnotwendiger Endzeitpunkt (SEZ)). Gibt es keine Zeitreserven bei einem Vorgang, so sind die frühesten bzw. spätesten Zeitpunkte der Anfang bzw. das Ende. (a) Vorwärtsrechnung Im Rahmen der Vorwärtsrechnung werden die frühesten Anfangszeitpunkte (FAZ) und frühesten Endzeitpunkte (FEZ) berechnet. Hierbei ist darauf zu achten, dass ein Vorgang frühestens dann beginnen kann, wenn alle Vorgänger abgeschlossen sind. Das folgende Beispiel verdeutlicht die Vorgehensweise bei der Vorwärtsrechnung. Hierfür wollen wir wieder das Beispiel von S. 74f. aufgreifen: Das betrachtete Unternehmen plant das Projekt, die Datenbanklösung für eine Bank zu erstellen. Wir vereinfachen die Vorgehensweise etwas und konzentrieren uns lediglich auf den Ablauf bis zur Erstellung des ersten Prototyps (A-Muster) eines mit der Datenbank bestückten PCs. Zunächst wird ein Grobkonzept erarbeitet, das die weitere Vorgehensweise bezüglich der Software und der Hardware betrifft. Die Hauptaufgabe besteht in der Entwicklung der Software; die Hardware wird für den Prototyp von einem Lieferanten zugekauft. Hierbei handelt es sich um den gleichen PC-Typ, auf dem dann die Software bei der Bank letztendlich eingesetzt werden soll. Nach Lieferung des PCs wird er auf seine Funktionstüchtigkeit überprüft. Der letzte Schritt besteht in der Verbindung von Hard- und Software zur Schaffung eines Prototyps. Abb. 2-47 verdeutlicht die Vorgänge, die zur Herstellung des Prototyps notwendig sind. Vorgangsnummer Beschreibung des Vorgangs Dauer (in Tagen) Vorgänger Nachfolger 01 Grobkonzept entwickeln 4 - 2 und 3 02 Detailkonzept Software entwickeln 5 1 4 03 Hardware bestellen 7 1 5 04 Software umsetzen 10 2 6 05 Funktion der Hardware überprüfen 1 3 7 06 Software testen 2 4 7 07 A-Muster bauen 1 5 und 6 - Abb. 2-47: Tabelle zur Beschreibung der Vorgänge im Beispiel <?page no="195"?> 170 · Projektplanung In einem ersten Schritt werden die Vorgänge lediglich gesammelt, in einem nächsten die Dauer geschätzt und abschließend die Vorgänger und Nachfolger bestimmt. Dieses Beispiel würde in der Realität wahrscheinlich nicht mit Hilfe eines Netzplans geplant, da es relativ überschaubar ist. Allerdings wählen wir hier eine hoch aggregierte Ebene für die Vorgänge (Arbeitspaketebene), um uns auf die Darstellung der Vorgehensweise konzentrieren zu können. Entsprechend der Darstellung in DIN 69900: 2009-01 werden die Vorgangsknoten folgendermaßen aufgebaut: Vorgangsnummer Beschreibung des Vorgangs Anfangszeitpunkte: FAZ SAZ Dauer Gesamtpuffer Endzeitpunkte: FEZ SEZ Vorgangsnummer Beschreibung des Vorgangs Anfangszeitpunkte: FAZ SAZ Dauer Gesamtpuffer Endzeitpunkte: FEZ SEZ Abb. 2-48: Darstellung eines Vorgangsknotens im Beispiel Nun wird mit den vorhandenen Angaben der Netzplan gezeichnet: Grobkonzept entwickeln Detailkonzept Software entwickeln Software umsetzen Software testen Hardware bestellen Funktion der Hardware überprüfen A-Muster bauen 01 02 03 04 05 06 07 4 5 10 2 7 1 1 Grobkonzept entwickeln Detailkonzept Software entwickeln Software umsetzen Software testen Hardware bestellen Funktion der Hardware überprüfen A-Muster bauen 01 02 03 04 05 06 07 4 5 10 2 7 1 1 Abb. 2-49: Vorgangsknoten-Netzplan für das Beispiel Jetzt können wir mit der sog. Vorwärtsrechnung beginnen, um das früheste Ende unseres Projektes zu berechnen. Der Startzeitpunkt entspricht dem <?page no="196"?> Netzplantechnik · 171 Zeitpunkt 0. Mit dem Arbeitspaket kann gleich begonnen werden, also ebenfalls zum Zeitpunkt 0. Für die Erstellung des Grobkonzeptes wurden 4 Tage veranschlagt, d.h. der Vorgang kann frühestens nach 4 Tagen beendet sein. Sobald das Grobkonzept steht, kann mit dem Detailkonzept für die Software begonnen werden. Kann das Detailkonzept tatsächlich in den veranschlagten 5 Tagen fertig gestellt werden, erreichen wir einen FEZ von 9. Zeitgleich, also ebenfalls in Zeitpunkt 4, wird die Hardware bestellt, für deren Lieferung 7 Tage einzukalkulieren sind, d.h. der FEZ liegt bei Zeitpunkt 11. Die weiteren frühestmöglichen Anfangs- und Endzeitpunkte werden ebenso berechnet. Eine besondere Schwierigkeit bereitet allerdings die Berechnung der FAZ und FEZ von Vorgang 07, denn Hardware und Software können erst dann zu einem Prototyp zusammengefügt werden, wenn beide Komponenten zur Verfügung stehen. Obwohl die Hardware bereits ab Zeitpunkt 12 verfügbar wäre, kann der Bau des A-Musters frühestens in Zeitpunkt 21 erfolgen, da erst jetzt die funktionstüchtige Software einsetzbar ist (vgl. Abb. 2-50). Grobkonzept entwickeln Detailkonzept Software entwickeln Software umsetzen Software testen Hardware bestellen Funktion der Hardware überprüfen A-Muster bauen 01 02 03 04 05 06 07 4 5 10 2 7 1 1 0 4 4 4 9 9 19 19 21 21 22 11 11 12 Grobkonzept entwickeln Detailkonzept Software entwickeln Software umsetzen Software testen Hardware bestellen Funktion der Hardware überprüfen A-Muster bauen 01 02 03 04 05 06 07 4 5 10 2 7 1 1 0 4 4 4 9 9 19 19 21 21 22 11 11 12 Abb. 2-50: Vorgangsknoten-Netzplan mit FAZ und FEZ Das A-Muster könnte somit frühestens zum Zeitpunkt 22 zur Verfügung stehen. (b) Rückwärtsrechnung Die Rückwärtsrechnung dient der Beantwortung der Frage, wann alle Vorgänge spätestens beginnen bzw. abgeschlossen sein müssten, um den frühesten Projektendtermin aus der Vorwärtsrechnung erreichen zu können. Es <?page no="197"?> 172 · Projektplanung geht also um die Berechnung der spätestnotwendigen Anfangs- und Endzeitpunkte. Man nimmt nun das gerade im Rahmen der Vorwärtsrechnung gewonnene früheste Projektende als spätest zulässiges Projektende an und folgt dem Netzplan jetzt in der gegenläufigen Richtung. Sollte für das Projekt mehr Zeit zur Verfügung stehen, wird der entsprechende Endtermin als spätest zulässiges Projektende angesetzt. Für die Fertigstellung des A-Musters wird 1 Tag benötigt, so dass dieser Vorgang spätestens zum Zeitpunkt 21 begonnen sein muss, wenn das Projektende weiterhin bei Zeitpunkt 22 liegen soll. Bei der Software ergeben sich keine Änderungen zwischen den frühstmöglichen und den spätestnotwendigen Anfangs- und Endzeitpunkten, d.h. es gibt dort keine Zeitreserven. Bei der Hardware sind allerdings Reserven feststellbar: Die Hardware steht frühestens zum Zeitpunkt 12 funktionstüchtig zur Verfügung, müsste aber erst spätestens zum Zeitpunkt 21 einsetzbar sein. Grobkonzept entwickeln Detailkonzept Software entwickeln Software umsetzen Software testen Hardware bestellen Funktion der Hardware überprüfen A-Muster bauen 01 02 03 04 05 06 07 4 0 0 4 4 5 4 4 9 9 10 9 9 19 19 2 21 21 19 19 1 22 22 21 21 1 12 21 11 20 7 11 20 4 13 Grobkonzept entwickeln Detailkonzept Software entwickeln Software umsetzen Software testen Hardware bestellen Funktion der Hardware überprüfen A-Muster bauen 01 02 03 04 05 06 07 4 0 0 4 4 5 4 4 9 9 10 9 9 19 19 2 21 21 19 19 1 22 22 21 21 1 12 21 11 20 7 11 20 4 13 Abb. 2-51: Netzplan mit Vorwärts- und Rückwärtsrechnung (3) Ermittlung von Zeitreserven (a) „Kritischer Pfad“ Der „Kritische Pfad“ besteht aus Vorgängen ohne Zeitreserven, d.h. eine zeitliche Änderung wirkt sich automatisch auf den Endtermin des Netzplanes aus. Die Vorgänge des „Kritischen Pfades“ bedürfen daher besonderer <?page no="198"?> Netzplantechnik · 173 Aufmerksamkeit der Projektleitung, denn Verzögerungen bei diesen Vorgängen gefährden den vereinbarten Projektendtermin. Im Beispiel kann man den Kritischen Pfad deutlich daran erkennen, dass bei den betreffenden Vorgängen die FAZ der SAZ und die FEZ der SEZ entsprechen. Er verläuft entlang der Vorgänge, die sich mit der Software- Planung und -Umsetzung beschäftigen (Vorgänge 02, 04, 06). (b) Pufferzeiten Es können zwei Arten von Pufferzeiten berechnet werden: Der Gesamtpuffer als Differenz der Frühesten Anfangszeit (FAZ) und der Spätesten Anfangszeit (SAZ). Er gibt an, wie weit sich ein Vorgang verschieben lässt, ohne eine Verzögerung des Projektendes zu verursachen. Im obigen Beispiel gibt es bei den Vorgängen 03 und 05, also bei der Bestellung und Funktionsprüfung der Hardware, Zeitreserven. Bei Vorgang 03 entspricht die Differenz von Spätester und Frühester Anfangszeit 9 Tagen. Für die rechtzeitige Fertigstellung des A-Musters würde es also auch genügen, die Hardware am Tag 13 zu bestellen bzw. die Lieferung der Hardware dürfte sich um 9 Tage verzögern. Die Zeitreserve bei Vorgang 05 beträgt ebenfalls 9 Tage. Diese 9 Tage dienen als Gesamtpuffer für beide Vorgänge: Sollten die gesamten 9 Tage bereits bei Vorgang 03 benötigt werden, so gibt es keinen Puffer mehr für Vorgang 05. Werden Teile des Puffers für Vorgang 03 aufgebraucht, so reduziert sich der Puffer von Vorgang 05 entsprechend. Der Freie Puffer ist die „Zeitspanne, um die ein Ereignis bzw. Vorgang gegenüber seiner frühesten Lage verschoben werden kann, ohne die früheste Lage anderer Ereignisse bzw. Vorgänge zu beeinflussen“ (DIN 69900: 2009-01). In unserem Beispiel gibt es einen freien Puffer bei Vorgang 05: Die früheste Endzeit (FEZ) von 12 kann um 9 Tage verschoben werden, ohne dass die früheste Anfangszeit (FAZ) des Nachfolgers „A-Muster bauen“ gefährdet wird. Gibt es mehrere Nachfolger, so wird der freie Puffer als Differenz des kleinsten frühesten Anfangs aller Nachfolger des betrachteten Vorgangs und dem frühesten Ende des betrachteten Vorgangs berechnet (vgl. Schwarze [Netzplantechnik] 155). 6.6.2.3.3 Optimierung des Netzplans Auf der Grundlage der Zeitanalyse ergibt sich ein erstes Bild der bisherigen Projektplanung mitsamt der Abhängigkeiten zwischen den Arbeitspaketen, den <?page no="199"?> 174 · Projektplanung kritischen Pfaden und den vorhandenen Puffern. Erst jetzt beginnt die eigentliche Arbeit mit dem Netzplan: Was bedeuten diese Abhängigkeiten und wie sollte ich den Ablauf gestalten, damit ich eine möglichst gute Lösung im Sinne einer wirklich guten Zielerfüllung unter den gegebenen Restriktionen erreiche? Durch das graduelle und iterative Verbessern der Abläufe nähert man sich einer „möglichst optimalen“ Lösung an. Zunächst werden die Arbeitspakete, insbesondere diejenigen auf dem kritischen Pfad, daraufhin untersucht, inwieweit Arbeiten parallelisiert und damit zeitlich überlappend gestaltet werden können. Dadurch können sich neue Puffer ergeben, die auch die kritischen Pfade ändern können. Anschließend kommt der entscheidende Schritt der Zeit-Kosten-Optimierung: In den meisten Projekten wird Zeitverzug mit Strafen, sog. Pönalzahlungen, belegt. Eventuell winken auch Bonuszahlungen für eine schnellere Fertigstellung des Projektes oder es entgehen dem Unternehmen anderweitig Gewinne, z.B. durch einen früheren Auftritt mit einem neuen Produkt auf dem Markt. Man vergleicht also zunächst die momentan geplante Gesamtdauer mit der vom Kunden vorgesehenen Dauer, abgeleitet vom vorgegebenen Endtermin. Bei Abweichungen müssen diese Zusatzkosten bzw. Zusatzerträge den Kosten gegenübergestellt werden, die durch Beschleunigungsmaßnahmen entstehen würden. Als Beschleunigungsmaßnahmen kommen in Frage (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 272): Überlappung von Arbeitspaketen (Fast Tracking) Man lässt ein Arbeitspaket beginnen, bevor dessen Vorgänger ganz abgeschlossen ist, obwohl die Arbeitspakete logisch eigentlich hintereinander gehören und somit das eine Arbeitspaket abgeschlossen sein sollte, ehe das andere beginnen kann. Ein sehr drastisches Beispiel könnte sein, die Auslieferung eines Produktes zu beginnen, bevor die Systemtests vollständig abgeschlossen sind. Dieses Beispiel zeigt, dass Fast Tracking hohe Risiken mit sich bringen kann. Die möglichen Auswirkungen der Überlappung der Arbeitspakete müssen daher sehr genau durchdacht und entsprechende Maßnahmen eingeplant werden. Verdichtung (Crashing) Arbeitspakete können durch Kapazitätsmaßnahmen grundlegend verkürzt werden. Hier kommen beispielsweise Überstunden, das Bereitstellen weiterer Ressourcen, die Vergabe von Arbeitspaketen an spezialisierte Unterauftragnehmer oder die Bereitstellung von Bonuszahlungen für die Mitarbeiter in Frage. Eine Verdichtung ist allerdings nicht für jedes Arbeitspaket geeignet und kann zu Mehrkosten führen. <?page no="200"?> Netzplantechnik · 175 Technologische Maßnahmen Hier kommen beispielsweise ein Technologiewechsel, das Splitten von Vorgängen, das Eingehen höherer Risiken, z.B. durch Minimierung der Testläufe, oder das Einplanen leistungsfähigerer Ressourcen zum Einsatz. Organisatorische Maßnahmen Ein Beispiel könnte hier die Umbesetzung des Teams sein, die sich aber auch kontraproduktiv auswirken kann, z.B. in Form von Motivationsverlusten bei den verbleibenden Teammitarbeitern. Die Optimierung kann dann nach folgender Logik erfolgen (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 270ff.): 1. Konzentration auf den kritischen Pfad bzw. die kritischen Pfade 2. Einsatz von Beschleunigungsmaßnahmen an jenen Stellen, bei denen das Kosten-Nutzenverhältnis am günstigsten erscheint. In der Praxis wird häufig an dem frühestmöglichen Vorgang angesetzt, der sich für eine Beschleunigung eignet. Auf diese Weise soll das Projektrisiko minimiert werden. 3. Festlegung des Ausmaßes der Beschleunigung: Ende der Beschleunigung, wenn der nächste Pfad kritisch wird 6.6.2.3.4 Nutzung für die Projektsteuerung und -kontrolle Wurde ein Netzplan entworfen und optimiert, so bietet er eine gute Grundlage für die Projektsteuerung, wenn die tatsächlichen Vorgänge und Dauern verfolgt und in einem aktualisierten Netzplan nachgehalten werden. Auf diese Weise können die Auswirkungen von eventuellen Änderungen auf andere Vorgänge und Termine konkret abgeschätzt werden. Die Änderung eines Netzplans war in früheren Zeiten ohne Softwareunterstützung ein sehr aufwändiges Unterfangen. Mittlerweile sind Änderungen mit Hilfe des PCs gut nachzuvollziehen und mit einem überschaubaren Aufwand verbunden. Die meisten Softwarepakete für das Projektmanagement nutzen die Ablaufplanung als Grundlage für die weiteren Teilprozesse der Planung, wie die Kosten- und die Ressourcenplanung sowie für die Projektsteuerung (vgl. Meyer [Projektablaufplanung] 314). 6.6.2.4 Kritische Würdigung Abschließend sollen die Vor- und Nachteile der Netzplantechnik genauer untersucht werden (vgl. z.B. Schelle [Projekte] 135ff., Schwarze [Netzplantechnik] 106f.). <?page no="201"?> 176 · Projektplanung Vorteile der Netzplantechnik: Mit Hilfe der Netzplantechnik können komplizierte Abhängigkeiten im Projektablauf dargestellt werden, d.h. der Netzplan schafft Transparenz. Hierzu ist es notwendig, das gesamte Projekt exakt zu durchdenken und eventuelle Probleme zu antizipieren. Grundsätzlich kann in einem Netzplan der Ablauf eines Projektes geplant werden, ohne dass die Dimension „Zeit“ zunächst im Vordergrund steht, d.h. man plant wahrscheinlich realistischere Zeitaufwände, als wenn man die Auswirkungen auf die Terminlage im gleichen Schritt fokussiert. Die Netzplantechnik ermöglicht eine detaillierte Zeitplanung und die Erkennung des „Kritischen Pfades“, bei dem Zeitabweichungen die Erreichung des geplanten Endtermins gefährden können. Die Vorgänge auf dem „Kritischen Pfad“ sind jedoch genauso Ansatzpunkte zur Verkürzung der Gesamtprojektdauer, also zur Zeitoptimierung (vgl. Schmitz/ Windhausen [Projektplanung] 77). Werden die tatsächlichen Ist-Werte für die Aktualisierung des Netzplans genutzt, so ist die Netzplantechnik eine sinnvolle Grundlage für die begleitende Projektsteuerung und -kontrolle. Die Konsequenzen von Abweichungen für die Durchführung weiterer Vorgänge und die termingerechte Erreichung von Meilensteinen können auf diese Weise frühestmöglich untersucht und zur Ableitung von entsprechenden Gegenmaßnahmen genutzt werden. Durch die klare Visualisierung der Abhängigkeiten trägt der Netzplan zu einer verbesserten Zusammenarbeit und Koordination der Projektbeteiligten bei. Mit Hilfe der graphischen Darstellung kann leichter überprüft werden, inwieweit alle Vorgänge berücksichtigt wurden und ihre Einordnung im Ablauf stimmt. Ein Netzplan führt dem Planenden die Größe eines Projektes anschaulich vor Augen. Der Netzplan dient als Grundlage für die weitere Planung, z.B. der Ressourcen und der Kosten. Die notwendigen Informationen können beispielsweise in einem Vorgangsknoten-Netzplan explizit vermerkt werden. Die Erstellung und Verwendung von Standardnetzplänen kann zu einer Verbesserung der Planungsqualität für ähnliche Projekte führen. Insbesondere die Schätzgenauigkeit der Dauern und somit der Termine sowie der notwendigen Ressourcen könnte durch die Nutzung der zurückliegenden Erfahrungen verbessert werden. Zudem kann ein Standardnetzplan die Effizienz der Projektplanung steigern. <?page no="202"?> Netzplantechnik · 177 Nachteile bzw. Probleme der Netzplantechnik: Die Netzplantechnik ist ein relativ aufwändiges Instrument, dessen Beherrschung in Planung und Analyse einige Übung erfordert. Meist sind Schulungen notwendig, um das Instrument sinnvoll nutzen zu können. Erfolgt eine sehr detaillierte Planung, so kann die Netzplantechnik unübersichtlich und schwerfällig werden. Zudem kann ein zu hoher Detaillierungsgrad die Flexibilität des Projektteams reduzieren, da die genaue Beschreibung wie eine Reglementierung wirkt. Wird der Plan dagegen zu grob erstellt, könnten eventuelle Koordinations- und Abstimmungsnotwendigkeiten übersehen werden. Oftmals gibt es mehrere Möglichkeiten für die Reihenfolge von Abläufen, d.h. die Anordnungsbeziehungen sind nicht immer eindeutig. Für die Ausarbeitung der Planung kann es daher sinnvoll sein, verschiedene Methoden der Ablaufplanung zu kombinieren, z.B. zuerst eine Checkliste zur Identifikation der wichtigsten Vorgänge heranzuziehen und anschließend einen ersten Balkenplan zu zeichnen. Auf diese Weise kann man sich schrittweise über eine möglichst effiziente Anordnung der Vorgänge und Meilensteine Klarheit verschaffen. Ein Netzplan kann in unterschiedlichen Varianten gezeichnet werden. Der Nutzer muss sich also zunächst auf die vorliegende Variante (z.B. Darstellung der Knoten mit Anordnung von Anfangs- und Endzeitpunkten sowie Dauer und Puffer) einstellen. Bei deterministischen Netzplänen kann beim Nutzer der Eindruck entstehen, dass es lediglich einen einzigen möglichen Projektablauf gibt. Mit Hilfe der Netzplantechnik wird jedoch keine optimale Reihenfolge festgelegt, sondern eine sinnvolle Reihenfolge unter Berücksichtigung logischer Abhängigkeiten und der gegebenen Rahmenbedingungen (z.B. Kapazitäten, Termine). Sollten sich Probleme bei der Planung oder Realisierung des Projektes ergeben, kann es sehr wichtig sein, den Netzplan zu ändern. Die Netzplantechnik kann eine hilfreiche, vielseitige und flexible Methode zur Planung, Steuerung und Kontrolle des Projektablaufes und der Projekttermine sein. Sie dient auch als wichtige Grundlage für die Ressourcen- und die Kostenplanung. Insbesondere bei großen Projekten kann es sich anbieten, die Netzplantechnik mit anderen Instrumenten der Projektablauf- und der Projektterminplanung zu kombinieren, wie z.B. dem Balkenplan. 6.7 Projektterminplanung Im Rahmen der Projektablaufplanung wird die logische Anordnung der Aufgaben festgelegt, die im Projektverlauf erledigt werden müssen. Der nächste <?page no="203"?> 178 · Projektplanung Schritt besteht nun in der Ermittlung der Zeit für die in der Ablaufplanung beschriebene Aktivitätenfolge. Folgende Methoden der Terminplanung werden unterschieden: Geschwindigkeitsdiagramm Terminliste Zeitfixierter Balkenplan Vernetzter Balkenplan Netzplan Die Methoden weisen einen sehr unterschiedlichen Informationsbedarf und Komplexitätsgrad auf. Sie sollen von der einfachsten zur komplexesten Methode aufsteigend erörtert werden. 6.7.1 Geschwindigkeitsdiagramm In einem Geschwindigkeitsdiagramm wird der Projektablauf mit Hilfe von Leistungskenngrößen verdeutlicht. Es handelt sich dabei um eine relativ grobe Darstellung. Je nach Kenngröße unterscheidet man Weg-Zeit-Diagramme Mengen-Zeit-Diagramme Leistungs-Zeit-Diagramme Abb. 2-52 beschreibt den Terminplan für den Bau einer Brücke in Form eines Weg-Zeit-Diagramms. Jedem Arbeitspaket wird eine gewisse Dauer zugeordnet und diese im Diagramm abgetragen. Für ein solches Geschwindigkeitsdiagramm muss der Leistungsfortschritt sehr klar an einer bestimmten Leistungsgröße festgemacht werden können (wie im Beispiel der Abb. 2-52 an den gebauten Kilometern der Brücke). Zudem muss das Projekt relativ überschaubar sein, da das Diagramm schnell unübersichtlich wird. 6.7.2 Terminliste Bei einer Terminliste (auch Terminplan genannt) werden alle Aufgaben mit ihren geschätzten Dauern sowie den geplanten Start- und Endterminen aufgeführt. Die Terminliste in Abb. 2-53 geht auf unser Beispiel der Erarbeitung einer Datenbank aus Abb. 2-47 zurück; dabei werden fünf Arbeitstage in der Woche berücksichtigt. <?page no="204"?> Projektterminplanung · 179 Vorrichtung aufbauen 25 26 27 28 29 30 31 35 34 33 32 36 Material antransportieren 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 Auskoffern Beschütten Begrenzung herstellen Setzen Rampe Süd Projektwochen (KW) km Brücke Rampe Nord Oberfläche herstellen Auskoffern Beschütten Setzen Begrenzung herstellen Vorrichtung aufbauen 25 26 27 28 29 30 31 35 34 33 32 36 Material antransportieren 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 Auskoffern Beschütten Begrenzung herstellen Setzen Rampe Süd Projektwochen (KW) km Brücke Rampe Nord Oberfläche herstellen Auskoffern Beschütten Setzen Begrenzung herstellen Abb. 2-52: Weg-Zeit-Diagramm (Quelle: Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 250) Vorgangsnummer Beschreibung des Vorgangs Dauer Starttermin Endtermin 01 Grobkonzept entwickeln 4 Mo, 01.02.10 Do, 04.02.10 02 Detailkonzept Software entwickeln 5 Fr, 05.02.10 Do, 11.02.10 03 Hardware bestellen 7 Fr, 05.02.10 Mo, 15.02.10 04 Software umsetzen 10 Fr, 12.02.10 Do, 25.02.10 05 Funktion der Hardware überprüfen 1 Di, 16.02.10 Di, 16.02.10 06 Software testen 2 Fr, 26.02.10 Mo, 01.03.10 07 A-Muster bauen 1 Di, 02.03.10 Di, 02.03.10 Abb. 2-53: Terminliste Eine solche Liste kann dem Projektleiter gut als Grundlage für die Vereinbarung von Lieferterminen mit den Verantwortlichen für bestimmte Arbeitspake- <?page no="205"?> 180 · Projektplanung te dienen. Die endgültige Liste wird dann wahrscheinlich eher die Endtermine beinhalten und insbesondere der Überwachung des Projektfortschritts dienen (vgl. Abschnitt 8.2.1). Eine Terminliste ist einfach zu erstellen und zu verstehen. Allerdings sind Abhängigkeiten in der Liste nicht direkt zu sehen, fließen aber mittelbar mit in die Erstellung der Liste ein. Dies hat zur Folge, dass die Methode nur bei relativ einfachen, leicht überschaubaren Projekten angewendet werden sollte, bei denen wenige Verknüpfungen vorliegen. Ansonsten wird die Liste schnell unübersichtlich und zu komplex für den Anwender, der die Abhängigkeiten zwar bei der Erstellung mitdenken muss, sie aber nicht systematisch notieren kann. 6.7.3 Zeitfixierter Balkenplan In einem Balkenplan werden die geplanten Dauern pro Arbeitspaket in graphischer Form als Balken dargestellt. Auf diese Weise soll die Übersichtlichkeit erhöht werden. Die einfachste Form eines Balkenplanes wird nach ihrem Erfinder, Henry Lawrence Gantt , als Gantt-Technik bezeichnet. Die Vorgehensweise entspricht jener bei der Erstellung einer Terminliste: Zunächst werden die Arbeitspakete aufgelistet. Je nach gewünschtem Detaillierungsgrad der Planung können hier auch die einzelnen Aufgaben pro Arbeitspaket aufgeführt werden. Dann werden die Dauern geschätzt und die Start- und Endtermine abgeleitet. Meistens werden Balkenpläne um Meilensteine ergänzt, die mit Hilfe einer Raute dargestellt werden: Bestimmte markante Ereignisse, die besonders wichtig für den weiteren Projektverlauf sind, werden mit in den Balkenplan integriert. Diese Meilensteinplanung dient als Grundlage für die spätere Kontrolle in Form einer Meilensteintrendanalyse, wie wir sie in Abschnitt 8.2.2.5 vorstellen werden. In Abb. 2-54 steht beispielsweise ein Meilenstein „A-Muster gebaut“ am Ende des Ausschnitts aus dem Projektplan, da dieses Arbeitsergebnis für den weiteren Projektablauf besonders erfolgskritisch ist. Der zeitfixierte Balkenplan ermöglicht eine gute Übersicht über die geplante terminliche Lage der Arbeitspakete bzw. der einzelnen Aufgaben. Er ist aufgrund seines direkten Zeitbezugs gut verständlich und zeitliche Überlappungen werden schnell deutlich. Somit ist ein Balkenplan „das zentrale Visualisierungsmittel der Terminplanung und ein wichtiges Kommunikationsinstrument für das Projektmanagement“ ( Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 255). Oftmals werden komplexe Projekte zunächst mit Hilfe der Netzplantechnik durchgeplant, dann aber zu Kommunikationszwecken in Balkenpläne übersetzt. <?page no="206"?> Projektterminplanung · 181 Abb. 2-54: Beispiel für einen zeitfixierten Balkenplan in der Projektmanagement-Software MS Project Abb. 2-55: Beispiel für einen vernetzten Balkenplan in der Projektmanagement-Software MS Project <?page no="207"?> 182 · Projektplanung Allerdings werden bei dieser Grundvariante des Balkenplans die Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Arbeitspaketen lediglich implizit gedanklich mit berücksichtigt, sind jedoch nicht explizit ausgewiesen. Dies erschwert die Anpassung des Balkenplans an neue Entwicklungen. Bei Änderungen muss dann besonders darauf geachtet werden, dass die Abhängigkeiten wieder mit in die Planung einfließen und nicht versehentlich übersehen werden. Diese Problematik steht bei der Weiterentwicklung zum vernetzten Balkenplan im Vordergrund. 6.7.4 Vernetzter Balkenplan Bei vernetzten Balkenplänen werden zusätzlich zur zeitlichen Darstellung der Aufgabenpakete auch ihre logischen und ressourcenbedingten Abhängigkeiten mit in die Betrachtung einbezogen. Es handelt sich hierbei also um ein Instrument der Termin- und Ablaufplanung, wie es auch der Netzplan darstellt. Die Vorgehensweise zur Erstellung des zeitfixierten Balkenplans wird um einen zusätzlichen Schritt erweitert: Nach der Auflistung aller Arbeitspakete und der Schätzung der jeweiligen Dauer werden die Abhängigkeiten mit ihren Auswirkungen auf die Zeitachse berücksichtigt (z.B. Wartezeiten). Zudem werden oftmals Meilensteine mit eingeplant, wie es auch bei den zeitfixierten Balkenplänen möglich ist. Ein vernetzter Balkenplan verdeutlicht die kritischen Pfade und die zeitlichen Puffer im Projekt: Beispielsweise erkennt man in Abb. 2-55 auf einen Blick, dass Arbeitspaket 05 einen großen zeitlichen Puffer enthält. Da Arbeitspaket 05 unmittelbar von Arbeitspaket 03 abhängt, erstreckt sich der Puffer auf beide Arbeitspakete gemeinsam. Andererseits wird deutlich, dass die Arbeitspakete 01, 02, 04, 06 und 07 auf dem kritischen Pfad liegen, d.h. dass Verzögerungen in diesen Arbeitspaketen sich sofort negativ auf den Endtermin auswirken. In einem vernetzten Balkenplan sind die meisten Informationen enthalten, die sich auch in einem Netzplan finden. Allerdings kann der Balkenplan relativ schnell an Übersichtlichkeit verlieren, je mehr Arbeitspakete mit verschiedenen Verknüpfungen zu berücksichtigen sind. Der vernetzte Balkenplan ist daher v.a. für relativ einfach strukturierte Projekte zu empfehlen, bei komplexen Aufgabenstellungen ist der Netzplan das geeignetere Instrument. 6.7.5 Netzplan Die Netzplantechnik wurde bereits eingehend in Abschnitt 6.6.2 dargestellt. Ein Netzplan bietet auf der Grundlage der Ablaufplanung umfassende Möglichkeiten für die Termin-, Ressourcen- und Kostenplanung. An dieser Stelle soll lediglich auf die Bedeutung im Rahmen der Terminplanung eingegangen werden. <?page no="208"?> Projektressourcenplanung · 183 Für die Terminplanung müssen die Ergebnisse im Anschluss an die Zeitanalyse und die Optimierung des Netzplans noch in Kalendertermine umgerechnet werden. Die meisten Projektmanagement-Softwarepakete bieten die Möglichkeit, diese Umrechnung vorzunehmen. Sie berücksichtigen dabei Sonn- und Feiertage sowie andere arbeitsfreie Tage, wie z.B. Betriebsferien, und bieten die Möglichkeit, ggf. die Länge des Arbeitstages und die Länge der Arbeitswoche zu modifizieren (vgl. Schelle [Projekte] 140). Nun ist der Vergleich der geplanten Termine mit den Terminvorstellungen des Auftraggebers möglich. Für die Kalendrierung müssen folgende Daten zur Verfügung stehen (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 269f.): Start- oder Endtermin des Projektes als Kalendertag Die übliche Arbeitszeit (z.B. fünf Arbeitstage pro Woche) Die Feiertage im Durchführungszeitraum Die Fixtermine Bei Planung eines Teilprojektes Ecktermine als Schnittstellen zum Gesamtprojektplan 6.8 Projektressourcenplanung Die Terminplanung hängt eng mit der Ressourcenplanung für das jeweilige Projekt zusammen: Aufgrund der starken Wechselwirkungen entsteht eine optimierte Projektplanung zur Erreichung eines gewünschten Endtermins unter möglichst effizientem Ressourceneinsatz meist in einem iterativen Prozess. Beispielsweise kann ein Ressourcenbedarf in Höhe von 50 Manntagen entweder durch 2 Mitarbeiter gedeckt werden, die jeweils 25 volle Tage arbeiten, oder durch 10 Mitarbeiter, die 5 Tage für die Erfüllung der Aufgabe aufwenden müssen. Obwohl die 5 Tage vor dem Hintergrund eines festen Endtermins rein rechnerisch vielleicht eine gute Lösung sein könnten, muss dies nicht notwendigerweise der Fall sein: Es gibt empirische Untersuchungen, die belegen, „dass die Projektdauer nicht in gleichem Maße sinkt, wie zusätzliche Mitarbeiter eingesetzt werden. In bestimmten Fällen steigt sogar der erforderliche Zeitbedarf“ ( Fiedler [Controlling] 115). Dies dürfte größtenteils auf einen überproportionalen Anstieg der Kommunikationsbeziehungen zwischen den Teammitgliedern zurückzuführen sein. Die Ressourcenplanung ermittelt und optimiert die während des Projektverlaufs benötigten Ressourcen in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Dabei sollen zum einen Engpässe aufgedeckt und beseitigt werden, zum anderen sollen Spitzenbelastungen und Unterbelastungen der Ressourcen vermieden werden (vgl. Litke [Projektmanagement] 107). <?page no="209"?> 184 · Projektplanung Unter Projektressourcen werden alle Einsatzmittel verstanden, die zur Durchführung eines Projektes notwendig sind. Dabei unterscheidet man Personal, wie z.B. Projektteammitglieder, externe Berater, interne Linienmitarbeiter Sachmittel, wie z.B. Testgeräte, Räume, Maschinen Material, also die Bestandteile eines zu schaffenden Produktes, wie z.B. Speicherchips bei einem Navigationsgerät Finanzmittel. Das Personal und die Finanzmittel spielen nahezu in allen Projekten eine entscheidende Rolle. Je nach Projektart ergeben sich jedoch unterschiedliche zusätzliche Schwerpunkte bezüglich des Managements der Einsatzmittel: Im Anlagenbau sind meist teure Sachmittel, wie Kräne oder Spezialmaschinen, von großer Bedeutung, bei Produktentwicklungen kann das systematische Management des Materials, also der einzelnen Bestandteile des neuen Produktes, besonders wichtig sein. Die Ressource „Finanzmittel“ beinhaltet genau genommen alle anderen Ressourcen bis zu einem gewissen Grad. Die Ressourcenplanung verläuft gewöhnlich in vier Schritten: (1) Ermittlung des Ressourcenbedarfs (2) Ermittlung der verfügbaren Kapazität (3) Vergleich von Kapazität und Bedarf (4) Ressourcenoptimierung Wir werden diese Vorgehensweise zunächst auf jene Ressource anwenden, der i.d.R. wohl die größte Bedeutung für den Projekterfolg zukommt: Das Personal. Anschließend gehen wir auf die Sachmittel- und die Materialplanung sowie die Finanzplanung ein. 6.8.1 Personalplanung Patzak/ Rattay befragten Projektmanager nach den Gründen für Schwierigkeiten in Projekten und erhielten folgende Antworten (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 85ff.): <?page no="210"?> Personalplanung · 185 1. Nicht ausreichende Ressourcen 2. Unrealistisch gesetzte Terminziele 3. Unklare, nicht vereinbarte Projektziele 4. Mangelnde Verbindlichkeit und Motivation der Teammitglieder 5. Ungenügende Planung 6. Mangelhafte Kommunikation 7. Änderung der Ziele und des Mitteleinsatzes 8. Konflikte zwischen Projekt und Linienorganisation Die meisten dieser Probleme lassen sich zumindest mittelbar auf Fehler in der Personalplanung bzw. bei der Umsetzung der Planung zurückführen. Oftmals werden eingeplante Ressourcen anderweitig eingesetzt, da es im Tagesgeschäft dringenden Bedarf gibt. Daher ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Projektarbeit das anhaltende Commitment des internen Auftraggebers bezüglich der geplanten Ressourcenausstattung für das Projekt. Insbesondere bei internen Projekten werden zugesagte Ressourcen häufig zugunsten von Kundenprojekten umgewidmet. Ein weiteres Problemfeld stellt die Zusammensetzung des Projektteams dar, denn nicht alle Mitarbeiter können gleich erfolgreich und effizient miteinander arbeiten. Zudem müssen die notwendigen Qualifikationen bei den betroffenen Mitarbeitern auch wie geplant vorhanden sein. Wenden wir uns dem ersten Schritt der Personalplanung zu: Der Ermittlung des Ressourcenbedarfs im Verlauf des Projektes. 6.8.1.1 Ermittlung des Ressourcenbedarfs Am Beginn der ersten Planung eines Projektes wird der Ressourcenbedarf meist grob geschätzt, ohne dass nach verschiedenen notwendigen Qualifikationen unterschieden wird. Es wird lediglich etwa ein bestimmter Personalbedarf an „Manntagen“, „Mannwochen“, „Mannmonaten“ oder „Mannjahren“ ausgewiesen. In der ersten Planung steht meist im Vordergrund, einen möglichst realistischen Blick auf die Gesamtdauer des Projektes und die erwarteten Gesamtkosten zu bekommen. Im Rahmen einer verfeinerten Projektplanung werden den Arbeitspaketen die unterschiedlichen notwendigen Ressourcen zugeordnet. Bei der Personalplanung wird dabei jedes Arbeitspaket daraufhin untersucht, welche Qualifikationen für die Ausführung der anstehenden Aufgaben notwendig sind (beispielsweise Entwicklungsingenieure, Programmierer oder Controller), wie viele Mitarbeiter eingesetzt werden müssen, wie lange die Mitarbeiter gebraucht werden und wann sie genau zur Verfügung stehen müssen (vgl. Fiedler [Controlling] 132). Erst eine solche qualifikationsorientierte Bedarfsplanung ermöglicht ge- <?page no="211"?> 186 · Projektplanung naue Aussagen über die Auslastung bzw. Überlastung einzelner Ressourcen. Der Bedarf für die einzelnen Arbeitspakete wird je Mitarbeitergruppe mit gleicher Qualifikation aggregiert. DV-gestützte Projektmanagement-Tools wie MS-Project unterstützen und ermöglichen verschiedene Darstellungen der Ressourcenplanung, z.T. auch projektübergreifend. Der Ressourcenbedarf für eine bestimmte Qualifikation kann sehr übersichtlich mit Hilfe eines Belastungsdiagramms dargestellt werden, das sinnvollerweise auf einem Netzplan beruht. Abb. 2-56 zeigt die einem Netzplan zugrunde liegenden Daten und ihre Überführung in ein Belastungsdiagramm für die Mitarbeitergruppe „Programmierer“. 1 2 E, F, G H 3 10 C G 5 15 B, C, D F 4 12 B, C, D E 4 20 A D 2 25 A C 4 20 - B 10 5 - A Ressourcenbedarf Dauer Vorgänger Vorgang 1 2 E, F, G H 3 10 C G 5 15 B, C, D F 4 12 B, C, D E 4 20 A D 2 25 A C 4 20 - B 10 5 - A Ressourcenbedarf Dauer Vorgänger Vorgang 0 2 4 6 8 10 12 14 Tage A B B 5 10 15 20 25 30 35 40 45 47 D C G E F H Programmierer Kapazitätsgrenze 0 2 4 6 8 10 12 14 Tage A B B 5 10 15 20 25 30 35 40 45 47 D C G E F H Programmierer Kapazitätsgrenze Abb. 2-56: Belastungsdiagramm für die Mitarbeitergruppe „Programmierer“ (Quelle: Horsch [Projektmanagement] 239) <?page no="212"?> Personalplanung · 187 Alternativ ist es möglich, den Ressourcenbedarf nicht i.S. der Anzahl der benötigten Mitarbeiter, sondern den Aufwand in Zeiteinheiten pro Arbeitspaket und pro Monat abzutragen (vgl. Abb. 2-57). Dies ist v.a. dann sinnvoll, wenn der Aufwand nicht unbedingt gleichmäßig auf verschiedene Mitarbeiter verteilt werden soll oder bei mehreren Aufgaben eine Rundung auf „ganze Mitarbeiter“ erfolgen müsste, die zu starken Verzerrungen führen könnte. 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Kapazitätsgrenze Planung Analyse Entwurf Realisierung 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Kapazitätsgrenze Planung Analyse Entwurf Realisierung Abb. 2-57: Belastungsdiagramm mit Aufwänden (Quelle: Fiedler [Controlling] 3. A., 123) In beiden Abbildungen ist bereits das Ergebnis des nächsten Schritts eingezeichnet: Die Kapazitätsgrenze. 6.8.1.2 Ermittlung der verfügbaren Kapazität Nachdem nun klar ist, welche Ressourcen wann und wie lange für das Projekt eingesetzt werden sollten, müssen diese Erkenntnisse den tatsächlich verfügbaren Kapazitäten gegenübergestellt werden. Auf diese Weise können Unter- und Überdeckungen erkannt und entsprechend vermieden werden. Bei der Berechnung der Verfügbarkeit des Personals kann detailliert oder pauschal vorgegangen werden: (1) Bei der pauschalen Vorgehensweise wird die durchschnittlich zur Verfügung stehende Netto-Arbeitszeit nach Abzug aller Samstage, Sonntage und Feiertage, Urlaubs-, Weiterbildungs- und durchschnittlichen Krankheitstage berechnet. Beispielsweise könnte man sehr pauschal 6 Wochen Urlaub und 2 <?page no="213"?> 188 · Projektplanung Wochen Fehl- und Ausfallzeiten ansetzen. Auf diese Weise würden 10 Monate Arbeitszeit resultieren, die man mit der durchschnittlichen Arbeitszeit pro Monat multiplizieren kann, um die durchschnittlich zur Verfügung stehenden Jahresarbeitsstunden pro Mitarbeiter zu berechnen (vgl. Burghardt [Projektmanagement] 137f.). (2) Im Zuge einer detaillierten Planung werden zeitliche Sprünge in der Verfügbarkeit für jeden einzelnen Monat mit eingeplant, z.B. in Urlaubszeiten, während umfassender Seminare oder aufgrund von Mitarbeiterfluktuation. Die beiden Kapazitätsgrenzen in den obigen Abb. 2-56 und 2-57 beinhalten keine zeitlichen Sprünge und sind somit pauschal errechnet. Bei der Berechnung der Verfügbarkeit des Personals ist zudem darauf zu achten, dass die Mitarbeiter auch anderweitig eingesetzt sein können, z.B. haben sie je nach Organisationstyp des Projektmanagements vielleicht Routineaufgaben in der Linienabteilung zu erledigen, der sie angehören, oder sie sind noch in weiteren Projekten engagiert. Die Transparenz über die Verfügbarkeit des Personals sollte über alle Projekte gewährleistet sein (zur Multiprojektressourcenplanung vgl. S. 614). 6.8.1.3 Vergleich von Kapazität und Bedarf In Abb. 2-56 ist in den ersten 5 Tagen und in den Tagen 30-40 ein Ressourcenengpass erkennbar: Es stehen durchschnittlich 10 Programmierer zur Verfügung, in den ersten 5 Tagen würden jedoch 14 Programmierer benötigt, in den Tagen 30-40 wären 12 Programmierer notwendig. Hier liegt also eine Unterdeckung bzw. eine Überauslastung der vorhandenen Ressourcen vor. In den Tagen 20-30 und den Tagen 40-47 gäbe es jedoch durchaus noch freie Kapazitäten, d.h. es ist eine Überdeckung bzw. eine Unterauslastung der vorhandenen Ressourcen festzustellen. Auch in Abb. 2-57 zeigt das „Kapazitätsgebirge“ Unter- und Überdeckungen: Im März, Juli und August stünden noch Ressourcen zur Verfügung, im April, Mai und Juni würde die Kapazitätsgrenze teilweise stark überschritten. (1) Überschreitungen der Kapazitätsgrenze (Unterdeckungen) Sie gefährden den Projekterfolg, denn wenn hier nicht eingegriffen wird und ein Kapazitätsausgleich erfolgt, wird dieser Ressourcenengpass das Projekt die ganze Projektlaufzeit über begleiten, quasi als eine Art „Berg von unerledigten Aufgaben“, der immer vor sich her geschoben wird. Die Wahrscheinlichkeit, das Projekt mit der vereinbarten Qualität zu den geplanten Kosten zum entsprechenden Termin abschließen zu können, sinkt stark. Soll der Endtermin unbedingt gehalten werden, müssen wahrscheinlich zu einem bestimmten Zeitpunkt <?page no="214"?> Personalplanung · 189 Ressourcen aus anderen Projekten abgezogen werden, die in einer Art „Feuerwehraktion“ mit hohen Kosten den termingerechten Abschluss gewährleisten. Oder es werden irgendwann Abstriche in der Qualität gemacht bzw. es ergeben sich Qualitätsmängel, da die systematische, aufeinander aufbauende Projektplanung nicht eingehalten werden kann und somit Aufgaben zu Zeitpunkten angegangen werden, an denen ihre Voraussetzungen noch nicht erfüllt sind. (2) Unterauslastungen (Überdeckungen) Sie bergen zwar kein Gefährdungspotenzial für das Projekt, sind aber v.a. aus wirtschaftlicher Sicht suboptimal. Oftmals ist es möglich, die Arbeiten so umzuverteilen, dass es nicht zu Ressourcenengpässen kommt. Es stellt sich nun die Frage, wie diese Über- und Unterdeckungen zum Ausgleich gebracht werden könnten; dieses Thema wird im Zuge der Ressourcenoptimierung angegangen. 6.8.1.4 Ressourcenoptimierung (1) Vorgehensweise Für die Optimierung der Bereitstellung von Ressourcen gibt es grundsätzlich zwei Vorgehensweisen mit einem unterschiedlichen Fokus: Die terminorientierte Optimierung Die kapazitätsorientierte Optimierung (a) Bei der terminorientierten Optimierung steht die Einhaltung eines geplanten Termins im Vordergrund. Alle Optimierungsmaßnahmen sind daher auf dieses Ziel ausgerichtet, d.h. es kann eventuell zu einer suboptimalen Kapazitätsauslastung kommen. Das Budget spielt in diesem Fall eine eher untergeordnete Rolle. (b) Die kapazitätsorientierte Optimierung fokussiert auf die Verkürzung der Durchlaufzeit des Projektes bei Akzeptanz einer gewissen Kapazitätsgrenze. Das Budget sollte möglichst gering sein. Bis zu einem gewissen Grad sind dabei Terminverschiebungen akzeptabel (vgl. Horsch [Projektmanagement] 240). Bei der Ressourcenoptimierung ist es unerlässlich, sich über die Prioritäten der verschiedenen Projektziele im Klaren zu sein und entsprechend die Optimierung der Ressourcen vorzunehmen. (2) Maßnahmen zur Ressourcenoptimierung Als konkrete Maßnahmen zur Ressourcenoptimierung kommen grundsätzlich Veränderungen in den Arbeitspaketen in Betracht (vgl. Horsch [Projektmanagement] 240ff.): <?page no="215"?> 190 · Projektplanung Verschieben eines Arbeitspakets Strecken eines Arbeitspakets Stauchen eines Arbeitspakets Teilen eines Arbeitspakets (a) Beim Verschieben eines Arbeitspakets wird das Ressourcenproblem über die Verlegung der Vorgänge gelöst. Dies ist natürlich nur dann möglich, wenn die zeitlichen und logischen Beziehungen zu den anderen Arbeitspaketen dies zulassen. Beispielsweise ergibt sich in Abb. 2-56 die Möglichkeit, das Arbeitspaket B so zu verschieben, dass es erst im Anschluss an Arbeitspaket A beginnt, da hier ein freier Puffer vorhanden ist. (b) Das Strecken eines Arbeitspakets hat zur Folge, dass mehr Zeit für die Bearbeitung eingeplant wird. Auf diese Weise bleibt der Aufwand zwar gleich, doch der Ressourcenbedarf sinkt. In Abb. 2-56 können wir uns beispielsweise das Arbeitspaket G anschauen, für das ein Gesamtaufwand in Höhe von 30 Manntagen vorgesehen ist. In der bisherigen Planung würden drei Programmierer jeweils 10 Tage an dem Arbeitspaket arbeiten. Streckt man jedoch das Arbeitspaket auf 15 Tage, so würden rein rechnerisch zwei Programmierer für die Erledigung des Arbeitspakets ausreichen. Wenn man genauso bei Vorgang E vorgehen würde (Streckung von 12 auf 16 Tage unter Senkung des Ressourcenbedarfs von 4 auf 3 Programmierer), wäre der in Abb. 2-56 dargestellte Ressourcenengpass gelöst (vgl. Abb. 2-58). 0 2 4 6 8 10 Tage A B 5 10 15 20 25 30 35 40 45 47 D C G F E H Programmierer Abb. 2-58: Optimierter Ressourceneinsatz (Quelle: Horsch [Projektmanagement] 241) (c) Das Stauchen eines Arbeitspakets führt zu einer zeitlichen Verkürzung und somit zu einer Erhöhung des Ressourcenbedarfs. In der Abb. 2-58 zugrunde liegenden Planung wäre dies eventuell für Arbeitspaket C sinnvoll, um die Arbeitspakete G, F und E entsprechend vorziehen zu können. Allerdings muss <?page no="216"?> Personalplanung · 191 dann auch wieder eine Optimierung der Arbeitspakete B und D erfolgen, da ansonsten die Kapazitätsgrenze überschritten wird. (d) Beim Teilen wird das Arbeitspaket in mehrere Teilpakete zerlegt und die Teile werden zeitlich so verschoben, dass das Ressourcenproblem gelöst werden kann. Bei dieser Variante wird besonders deutlich, dass sich nicht alle Maßnahmen für jedes Arbeitspaket eignen: Es gibt sicherlich Arbeitspakete, die man beispielsweise aus technischen Gründen nicht aufteilen kann. Das Stauchen eines Arbeitspaketes würde voraussetzen, dass weitere Mitarbeiter auch tatsächlich sinnvoll zur Erledigung des Arbeitspakets beitragen können, was aufgrund der notwendigen Qualifikationen oder auch wegen langwieriger Abstimmungsprozesse bei der Aufteilung der Aufgaben nicht immer sichergestellt ist. Auch das Strecken eines Arbeitspakets macht eventuell keinen Sinn, wenn unbedingt eine bestimmte Kombination von Mitarbeitern zur Erledigung des Arbeitspaketes notwendig ist. Es ist also zusammenfassend festzustellen, dass die Optimierung der Ressourcen zunächst stark von der Gewichtung der Projektziele in der Projektdefinition und dann im Detail von den Eigenheiten des jeweiligen Arbeitspakets und den logischen und zeitlichen Zusammenhängen zwischen den Arbeitspaketen abhängt. Zudem können weitere Maßnahmen in Betracht gezogen werden, die nicht an den Arbeitspaketen ansetzen, sondern völlig neuartige Lösungen vorsehen: Vergabe eines Arbeitspaketes an einen Subunternehmer Ersatz bisher geplanter Technologien oder der eingeplanten Qualifikationen durch andere Kritische Durchsicht der geplanten Arbeitsergebnisse in Richtung des vereinbarten Leistungsumfangs: Wurden Funktionalitäten eingeplant, die aus Sicht des Auftraggebers über den erwarteten Leistungsumfang hinausgehen, für die er aber nicht mehr zu zahlen bereit ist? Könnte der Arbeitsumfang eines Arbeitspakets daher reduziert werden? Erweiterung der eigenen Ressourcen durch Einstellung von neuem Personal. (3) Optimierungsalgorithmen Die Ressourcenoptimierung kann durch EDV-Lösungen unterstützt werden. Dabei werden zwei Optimierungsalgorithmen angeboten (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 288f.): (a) Ressourcenbedarfsglättung (auch „weicher“ oder „sanfter“ Abgleich genannt): Der Kapazitätsausgleich erfolgt lediglich über die Verschiebung von Arbeitspaketen mit Puffern unter Beibehaltung der geplanten Projektdauer. <?page no="217"?> 192 · Projektplanung Sollten danach noch weitere Ressourcenengpässe bestehen, müssen sie entweder manuell durch das Einplanen entsprechender Maßnahmen beseitigt werden oder die Überschreitungen der Kapazitätsgrenzen werden hingenommen, falls dies zulässig ist. (b) Ressourcenbedarfsbeschränkung (auch Optimierung bei begrenzter Verfügbarkeit oder „harter“ Abgleich): Bei dieser Form des EDV-gestützten Kapazitätsausgleichs darf die Kapazitätsgrenze auf keinen Fall überschritten werden. Darauf ergibt sich meist eine entsprechende Verlängerung der Projektdauer und somit einer Verschiebung der geplanten Termine. Sinnvolle technologische und ablauflogische Maßnahmen werden in diesen Programmen nicht automatisch eingeplant. Die Ergebnisse dieses Algorithmus sind in der Praxis aufgrund der Verschiebungen der geplanten, in den meisten Fällen festen Endtermine nur eingeschränkt nutzbar. Auf jeden Fall ist eine manuelle Überarbeitung mit entsprechendem Know how notwendig. Der Einsatz von Software bei der Kapazitätsplanung ist insbesondere vor dem Hintergrund der Möglichkeiten zur iterativen Entwicklung einer praktikablen Lösung bei komplexen Projekten hilfreich. Bei der Auswahl der passenden EDV-Lösung ist unbedingt darauf zu achten, dass das Programm eine entsprechende Schnittstelle in Richtung der Multiprojektressourcenplanung besitzt, denn insbesondere bei der Ressourcenplanung ist die Verknüpfung von Einzelprojekt- und Multiprojektsicht von immenser Bedeutung. Eine Umwidmung von Ressourcen für einen „Feuerwehreinsatz“ in einem wichtigen Projekt führt oftmals für das zunächst niedriger priorisierte Projekt zu entsprechenden Verzögerungen und somit sind neue „Feuerwehreinsätze“ vorprogrammiert. 6.8.2 Sachmittelplanung Das Projektteam benötigt i.d.R. Sachmittel, wie z.B. Büroeinrichtung, Testgeräte, Fuhrpark. Grundsätzlich stehen für ein Unternehmen drei Strategien zur Verfügung, diese Sachmittel bereitzustellen (vgl. Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 265f.): Eigene Bevorratung der Ressourcen Individuelle Erzeugung im Rahmen des Projektes Kauf bzw. Miete bei Bedarf <?page no="218"?> Sachmittelplanung · 193 Auch bei der Sachmittelplanung bietet sich - wie bei den anderen Ressourcen - folgende Vorgehensweise an: Ermittlung des Ressourcenbedarfs Ermittlung der vorhandenen Kapazität Vergleich von Kapazität und Bedarf Ressourcenoptimierung (1) Zunächst muss der Ressourcenbedarf ermittelt werden. Dazu bietet es sich an, bereits bei der Beschreibung der einzelnen Arbeitspakete entsprechende Rubriken für die benötigte Sachmittelart, die Menge, die Dauer und die notwendigen Einsatztermine bzw. Vorlaufzeiten für den Einsatz des Sachmittels im Arbeitspaket vorzusehen. Um bei komplexen Projekten einen guten Überblick über die notwendigen Sachmittel zu bekommen, sollten die Sachmittel arbeitspaketübergreifend in einer Übersicht zusammengestellt werden. (2) Die Ermittlung der vorhandenen Kapazität hängt davon ab, welchen Beschaffungsweg der Planende wählt: Bei interner Beschaffung werden die Sachmittel möglichst termingerecht in einem internen Belegungsplan vorgemerkt (vgl. Abb. 2-59), bei Miete des Sachmittels werden die Termine bei externen Anbietern angefragt und reserviert. Wird das Sachmittel selbst im Rahmen des Projektes hergestellt, so obliegt es dem eigenen Projektmanagement, für eine termingerechte Bereitstellung des Sachmittels zu sorgen. Sachmittel Merkmale KW 10 KW 11 Mo Di Mi Do Fr Mo Di Mi Do Fr PC- Schulungsraum A max. 20 TN 10PC P1 P1 P1 P2 P2 P2 P1 P1 P1 P2 P2 P2 Schulungsraum B max. 30 TN P2 P2 P2 P3 2 Beamer, Videoanlage P2 P2 P2 P3 Besprechungszimmer max. 10 TN P1 P1 P1 1 Flip-Chart P1 P1 P2 Testanlage 20 User P4 P4 P4 P4 P4 Videoanlage 1 Digital, 2003 T1 T1 T2 T2 T2 Videoanlage 2 Analog, 2000 T3 T3 Sachmittel Merkmale KW 10 KW 11 Mo Di Mi Do Fr Mo Di Mi Do Fr PC- Schulungsraum A max. 20 TN 10PC P1 P1 P1 P2 P2 P2 P1 P1 P1 P2 P2 P2 Schulungsraum B max. 30 TN P2 P2 P2 P3 2 Beamer, Videoanlage P2 P2 P2 P3 Besprechungszimmer max. 10 TN P1 P1 P1 1 Flip-Chart P1 P1 P2 Testanlage 20 User P4 P4 P4 P4 P4 Videoanlage 1 Digital, 2003 T1 T1 T2 T2 T2 Videoanlage 2 Analog, 2000 T3 T3 Abb. 2-59: Interner Belegungsplan für Sachmittel (Quelle: Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 266) <?page no="219"?> 194 · Projektplanung (3) Der Arbeitschritt „Vergleich von Kapazität und Bedarf“ ist mittelbar im vorausgehenden Schritt enthalten, denn bei Reservierung findet ein solcher Vergleich bereits statt. (4) Wie bei der Personalplanung kann auch bei der Sachmittelplanung entweder termin- oder kapazitätsorientiert optimiert werden (vgl. Abschnitt 6.8.1.4). 6.8.3 Materialplanung Im Anschluss an die Personal- und die Sachmittelplanung wollen wir uns nun einer dritten Art von Ressource zuwenden: Dem notwendigen Material. Unter dem Begriff Material fasst man „Rohstoffe, Halb- und Fertigfabrikate, die in den weiteren Produktionsprozess eingehen, Hilfsstoffe, Betriebsstoffe sowie Handelswaren zusammen“ ( Troßmann [Beschaffung] 115). Der Planungsprozess entspricht der bisher vorgestellten Vorgehensweise. Je nach Projekt kann die Materialplanung eine sehr anspruchsvolle und erfolgskritische Aufgabe sein, insbesondere bei der Bereitstellung sehr vieler, teurer oder schlicht schwer zu beschaffender Materialien. Zur Ermittlung des Materialbedarfs können in die Beschreibung der Arbeitspakete ebenfalls entsprechende Rubriken für die benötigte Materialart, die Menge und die Termine eingebracht werden. Am besten wird der gesamte Materialbedarf anschließend auch in einer arbeitspaketübergreifenden Übersicht zusammengestellt. Von besonderer Bedeutung bei der Materialplanung ist die Tatsache, dass im Rahmen der Produktentwicklung in einem Projekt oftmals das Material für die nachfolgenden Produktlebenszyklusphasen festgelegt wird. Hier ist daher besonders auf eine entsprechende nachhaltige Optimierung mit Blick auf die Zukunft zu achten (dieser Aspekt wird im Zuge der Kostenplanung in Abschnitt 6.9.3.2.3 „Kostenmanagement im Rahmen des Life Cycle Costing“ weiter vertieft). Die Bereitstellung des Materials kann grundsätzlich auf drei Arten erfolgen: Eigene Erzeugung Kauf bei Bedarf Eigene Lagerhaltung Eine eigene Erzeugung bei Bedarf bietet sich bei spezifischem Material an, das nicht ohne Weiteres auf dem Markt zu beschaffen ist. Beispiel: Material mit innovativen Eigenschaften, z.B. verbesserte Speicherfähigkeit bei Autobatterien. <?page no="220"?> Finanzplanung · 195 Ein Kauf bei Bedarf kommt für selten zu beschaffende Materialien in Frage (z.B. seltene Erde für die Herstellung von Bildschirmen). Im Gegensatz dazu ist eine Lagerhaltung dann angebracht, wenn es sich um Mengen homogener Materialien handelt, z.B. Büromaterial, Verpackungsmaterial, Speicherchips. Der Einsatz des beschaffungspolitischen Instrumentariums kann unterstützt werden durch eine Reihe von Techniken. Zu nennen sind u.a. Techniken der Bedarfsprognose zur Ermittlung des künftigen Materialbedarfs, die ABC- Analyse zur Analyse der wert- und mengenmäßigen Struktur des Materials, das Modell der optimalen Bestellmenge zur Ermittlung eines kostenoptimalen Bestellvorgangs. 6.8.4 Finanzplanung Die Finanzplanung stellt einen wichtigen Bestandteil der Projektplanung dar. Der Finanzplanung kommen zwei Aufgaben zu: Die Sicherung der Liquidität Die Optimierung der Finanzierungskosten des Projektes Bevor auf diese zwei Aufgaben eingegangen wird, ist allerdings noch auf eine Besonderheit der Finanzplanung im Rahmen des Projektmanagements hinzuweisen: Die Finanzplanung wird nur in seltenen Fällen direkt im Projekt selbst durchgeführt. In der Regel erfolgt sowohl die Liquiditätssicherung als auch die Optimierung der Finanzierungskosten durch übergeordnete Controlling- oder Treasurybereiche. Die Bündelung der kurz- und mittelfristigen Finanzierung von Projekten über einen Cash-Pool macht häufig bereits aufgrund der ausgleichenden Cash-Synergieeffekte zwischen den verschiedenen Projekten Sinn. Zudem schlägt so auch die Risikostruktur einzelner Projekte nicht direkt auf deren Finanzierungskosten durch. Vielmehr ergibt sich durch die gebündelte Finanzierung ein Risikodiversifikationseffekt. In der Regel werden die Projekte jedoch gemäß ihrem Finanzierungsbedarf anteilig an den gemeinsam entstehenden Finanzierungskosten beteiligt bzw. erhalten bei Liquiditätsüberschüssen entsprechende Zinsgutschriften. Bei Großprojekten, also insbesondere im Anlagenbau oder im Rahmen von Bauprojekten, ist eine projektspezifische Finanzplanung dagegen durchaus denkbar. <?page no="221"?> 196 · Projektplanung (1) Sicherung der Liquidität Die Liquidität eines Projektes ist dann gesichert, wenn den Zahlungsverpflichtungen innerhalb eines gegebenen Planungszeitraumes jederzeit entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen nachgekommen werden kann. Idealerweise lassen sich die entsprechenden Zahlungsströme direkt aus dem Projekt generieren. Zeit Teilzahlung 1 Teilzahlung 2 Teilzahlung 3 Ein- und Auszahlungen Einzahlung Auszahlung Überdeckung = Finanzüberschuss Unterdeckung = Finanzbedarf Abb. 2-60: Ein- und Auszahlungen im Rahmen eines Projektes (Quelle: Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 309) In Abb. 2-60 sind die einzelnen Teilzahlungen im Rahmen eines Kundenprojektes den laufenden Auszahlungen gegenübergestellt. Die Auszahlungen lassen sich aus der Projektkostenplanung ableiten. Zur Vorgehensweise bei der Ermittlung von Zahlungsstromgrößen vgl. den Abschnitt „Zahlungswirksamkeit der Kosten“ (S. 578ff.). Vorauszahlungen des Kunden sind oftmals an die Erreichung von Zahlungs- Meilensteinen gebunden. Liegt eine Unterdeckung vor, kann ein Ausgleich entweder über den unternehmenseigenen Cash-Pool, eine Kreditaufnahme oder durch eine Beschleunigung der Verwirklichung von zahlungsauslösenden Meilensteinen erreicht werden. (2) Optimierung der Finanzierungskosten Finanzierungskosten entstehen bei Kreditaufnahme durch Kreditzinsen und Gebühren. Im Falle einer projektspezifischen Finanzierung wird die Höhe der <?page no="222"?> Projektkostenplanung · 197 Kreditzinsen wesentlich vom Risikograd eines Projektes beeinflusst. Erfolgt die Finanzierung über unternehmensweite Cash-Pools, hängen die Finanzierungskosten vom Gesamtunternehmensrisiko ab. Möglichkeiten der Reduzierung von Finanzierungskosten bieten sich jedoch immer auch auf Projektebene, insbesondere jedoch auf dem Felde der Projektplanung. Vereinfacht lässt sich sagen, dass mit optimaler Projektplanung auch ein wesentlicher Beitrag zur Minimierung der Finanzierungskosten geleistet wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn es gelingt, die Projektplanung so zu optimieren, dass aus dem Projekt Liquiditätsüberschüsse resultieren. Möglichkeiten zur Reduzierung der Finanzierungskosten durch finanzpolitische Maßnahmen bestehen eher auf Gesamtunternehmensebene. Hier geht es um die Optimierung von Eigen- und Fremdfinanzierung und um den Einsatz geeigneter Finanzierungsinstrumente. Erfolgt eine direkte, projektspezifische Fremdfinanzierung, enthalten die Kreditzinsen die gesamten Risiken der Projektfinanzierung. Sie fallen insbesondere dann ins Gewicht, wenn die kreditgewährenden Institutionen (z.B. Banken) keine Rückgriffsmöglichkeit auf das projekttragende Unternehmen haben, sondern auf den vom Projekt erwirtschafteten Return angewiesen sind. In diesem Fall tragen ein intensives Projektrisikomanagement sowie eine umfassende Finanzkommunikation in Richtung der Banken zu Reduzierung der Finanzierungskosten bei. Bei der Finanzplanung werden Aus- und Einzahlungen betrachtet, also gezahlte Geldbeträge, die zwischen dem Unternehmen und Personen, Personengruppen und Institutionen fließen (vgl. Schweitzer/ Küpper [Systeme] 17). In der Praxis wird für detaillierte interne Steuerungszwecke von den Projektbeteiligten meistens auf Kosten- und Erlösgrößen zurückgegriffen: „Während jedoch die Finanzrechnung Informationen zur Verfolgung des Liquiditätsziels liefert, dienen die Informationen der Kosten- und Erlösrechnung zur Erfassung der Erfolgswirkung von Unternehmensentscheidungen“ ( Schweitzer/ Küpper [Systeme] 11). 6.9 Projektkostenplanung 6.9.1 Aufgaben der Projektkostenplanung Die Projektkostenplanung muss folgende Aufgaben erfüllen: Bereitstellung von Informationen für die Projektkalkulation bei Kundenprojekten Sicherung der Wirtschaftlichkeit Bereitstellung einer Datenbasis für die Berechnung des Projektwertbeitrages <?page no="223"?> 198 · Projektplanung (1) Die Preisgestaltung bei Kundenprojekten wird wesentlich von der Projektkalkulation beeinflusst. Insbesondere liefert die Projektkalkulation Informationen über die Preisuntergrenze bei Preisverhandlungen mit dem Kunden. (2) Die Wirtschaftlichkeit wird im Zuge der operativen Umsetzung durch laufende Soll-Ist- und Soll-Wird-Vergleiche von geplanten und tatsächlich anfallenden Kosten gesichert. Dieser Abschnitt wird sich daher vorrangig mit der Methodik zur Festlegung der „Soll“-Komponente, also der geplanten Projektkosten, beschäftigen. (3) Zudem kann der Kostenplanung noch eine weiterführende Aufgabe zukommen: Sie kann als Datenbasis für die Berechnung des Projektwertbeitrags herangezogen werden. Hierbei handelt es sich um einen strategisch ausgerichteten Entscheidungswert, dem ein investitionstheoretisches Kalkül zugrunde liegt (vgl. Teil 3, S. 526ff.): Er stellt den Beitrag eines Projektes zur Steigerung des Unternehmenswertes dar. Der Projektwertbeitrag wird zur Beantwortung der Frage genutzt, ob ein Projekt überhaupt durchgeführt werden sollte (Projektauswahl). Im Projektverlauf kann auch der Fall auftreten, dass sehr große Abweichungen der tatsächlichen Werte von der Projektplanung die gesamte Weiterführung des Projektes in Frage stellen. Dies wäre ebenfalls ein typisches Beispiel für den Einsatz des Projektwertbeitrags als Entscheidungshilfe. Für die Berechnung des Projektwertbeitrags sind grundsätzlich Zahlungsstromgrößen notwendig, die in der Praxis allerdings nicht immer vorhanden sind. Mit Hilfe verschiedener Modifikationen können kostenrechnerische Daten für die Ableitung von Cash-flows herangezogen werden (zu den Problemfeldern und der konkreten Vorgehensweise vgl. Teil 3, S. 540ff. und S. 572ff.). Die Kostenplanung kann also unterschiedlichen Zwecken dienen. Traditionell steht bei der Kostenplanung die verursachungsgerechte Zurechnung der Kosten und Erlöse auf ein Produkt im Vordergrund. Im Projektmanagement verändert sich der Fokus, d.h. statt dem „Produkt“ stellt das „Projekt“ das Objekt für die Zurechnung dar. In eine Projektkostenrechnung sollten naturgemäß nur projektbezogene Daten einfließen. Diese Erkenntnis klingt trivial, sie ist es aber nicht, da sich die Gewinnung projektbezogener Daten bei der momentanen Grundkonzeption des internen Rechnungswesens als Problem erweisen kann: Verschiedene Kostenstellen werden oftmals für mehrere Projekte genutzt; eine verursachungsgerechte Zurechnung ist deshalb meistens schwierig. Zudem werden verschiedene Gemeinkostenblöcke oftmals nicht den Projekten angelastet, die sie tatsächlich verursacht haben, sondern jenen Projek- <?page no="224"?> Projektkostenplanung · 199 ten, die im Augenblick durchgeführt werden. Diese Schwierigkeit gilt insbesondere für Vorlauf- und Nachlaufkosten. Die bestehende Kostenrechnung im Unternehmen sollte daher im Hinblick auf dieses Problemfeld geprüft werden. Im Folgenden werden wir zunächst untersuchen, wie eine Kostenplanung für Projekte aussehen sollte, wenn sie den Spezifika von Projekten gerecht werden will. Projekte unterscheiden sich in mancherlei Hinsicht von jenen Vorstellungen, die der herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung zugrunde liegen. Daher werden wir anschließend auf wichtige Verfahren der Kostenplanung und des Kostenmanagements eingehen, die aus unserer Sicht diese Spezifika am besten berücksichtigen: Die Prozesskostenrechnung, das Life Cycle Costing und das Target Costing. Auf der Grundlage dieser drei Verfahren haben wir ein Konzept für eine „Integrierte Projektkostenplanung“ erarbeitet, das sowohl für die Planung als auch für die Umsetzung und Kontrolle von Projekten eingesetzt werden kann. Dabei werden drei Bausteine, nämlich die Prozesskostenrechnung, das Life Cycle Costing und das Target Costing zu einem umfassenden Gesamtsystem zusammengeführt. Jeder Schritt wird anhand eines praktischen Beispiels detailliert erläutert. Den Abschluss des Themengebietes „Projektkostenplanung“ bildet eine kritische Würdigung der „Integrierten Projektkostenplanung“. Wenden wir uns nun den Herausforderungen zu, die sich aus den Besonderheiten von Projekten für die Kostenplanung ergeben. Abb. 2-61 gibt einen Überblick über die Grundzüge der integrierten Projektkostenplanung. 6.9.2 Besonderheiten der Projektkostenplanung Soll die Kostenplanung spezifisch auf Projekte zugeschnitten werden, so ist eine Reihe von Besonderheiten zu beachten: (1) Bei vielen Projekten finden große Teile der Wertschöpfung in indirekten Leistungsbereichen, wie der Forschung und Entwicklung oder dem Vertrieb, statt. Gerade die Entwicklung eines neuen Produktes kann hier als gutes Beispiel dienen. Die verursachungsgerechte Zurechnung der Kosten der indirekten Leistungsbereiche erfordert ein entsprechendes Instrumentarium. (2) Eine weitere Besonderheit ergibt sich aus der Tatsache, dass Projekte gewöhnlich einen längeren Betrachtungszeitraum aufweisen und typischerweise über mehrere Perioden abgewickelt werden. Die traditionelle Kostenrechnung wurde primär zur Fundierung kurzfristiger Entscheidungen bei gegebenen Kapazitäten entwickelt und ist daher gewöhnlich einperiodig ausgerichtet. Beispielsweise dienen die geplanten Kostendaten als <?page no="225"?> 200 · Projektplanung Grundlage für eine einperiodige Erfolgsbetrachtung im Sinne einer „Vorausberechnung der erwarteten Ist-Erfolge alternativer Handlungen in der Planperiode“ ( Schweitzer/ Küpper [Systeme] 306) oder für die Plankalkulation zur Berechnung von Kosten pro Stück in der betrachteten Periode. Dieser Planungshorizont einer Periode wird dem langfristigen Charakter von Projekten nicht gerecht; man denke hier beispielsweise an ein Produktentwicklungsprojekt, das zunächst ausgeprägte Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten mit sich bringt, die sich oftmals über mehrere Perioden erstrecken. Aufgaben der Projektkostenplanung • Projektkalkulation • Sicherung der Wirtschaftlichkeit • Datenbasis für die Berechnung des Projektwertbeitrags Bausteine einer integrierten Projektkostenplanung Prozesskostenrechnung Life Cycle Costing Target Costing Bausteine einer integrierten Projektkostenplanung Prozesskostenrechnung Life Cycle Costing Target Costing Integrierte Projektkostenplanung Besonderheiten der Projektkostenplanung Hohe Bedeutung indirekter Leistungsbereiche Lebenszyklusorientierung Kundenorientierung Abb. 2-61: Grundzüge der integrierten Projektkostenplanung (3) Dazu kommt ein weiteres Charakteristikum von Projekten: Projekte sind eine sehr flexible und vor allem kundenorientierte Organisationsform. Sie gewinnen zunehmend an Bedeutung, da die Märkte einem Trend zur Individualisierung der Produkte und Dienstleistungen, d.h. einer Suche nach spezifischen, komplexen Problemlösungen, sowie einer stärkeren Dynamik und einem höheren Preisdruck aufgrund des globalen Wettbewerbs ausgesetzt sind. Ein wichtiger Erfolgsfaktor für ein Projekt ist daher die <?page no="226"?> Projektkostenplanung · 201 Einbeziehung des Kunden und seiner Vorstellungen bezüglich Preis und Funktionalität. Die Projektkostenplanung sollte in der Lage sein, entsprechende Daten zu generieren und zu verarbeiten. Es ergeben sich somit drei wichtige Spezifika von Projekten, die sich auf die Methodik der Kostenplanung auswirken: 1. Hohe Bedeutung indirekter Leistungsbereiche je nach Art des Projektes 2. Lebenszyklusorientierung aufgrund des längeren Betrachtungszeitraums 3. Kundenorientierung aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen auf den Märkten, auf die mit Projekten reagiert werden soll Betrachten wir diese drei Besonderheiten im Einzelnen: 6.9.2.1 Hohe Bedeutung indirekter Leistungsbereiche Der Wertschöpfungsprozess in einem Projekt beinhaltet gewöhnlich viele vorbereitende, planerische und steuernde Tätigkeiten. An vielen Projekten sind, teilweise überwiegend oder sogar ausschließlich, indirekte Leistungsbereiche beteiligt, z.B. die Forschung und Entwicklung, die Beschaffung, das Qualitätsmanagement, die Produktionsplanung oder der Vertrieb. Die Kostenstrukturen unterscheiden sich in diesem Fall von den Strukturen, die bei den Verfahren der traditionellen Kostenrechnung, insbesondere der Zuschlagskalkulation, früher im Mittelpunkt standen. Bei der Zuschlagskalkulation stehen wertmäßige Bezugsgrößen im Vordergrund, d.h. Gemeinkosten werden pauschal über Zuschlagssätze verrechnet. Die Aktivitäten in den indirekten Leistungsbereichen unterliegen jedoch anderen „Kostentreibern“, beispielsweise hängen die Kosten einer Materialbestellung i.d.R. nicht vom Wert des bestellten Materials ab. Wenn man nun eine möglichst verursachungsgerechte Zurechnung dieser Kosten wünscht, so ist eine differenzierte Untersuchung der einzelnen Prozesse in diesen Bereichen notwendig. In den 80er Jahren wurde aufgrund der Veränderungen in der Wertschöpfungsstruktur, die zu einer Veränderung der Kostenstrukturen führte, die Prozesskostenrechnung entwickelt (vgl. die ausführliche Begründung bei Coenenberg/ Fischer/ Günther [Kostenrechnung] 144ff.). In Abschnitt 6.9.3.1 werden wir die Methodik der Prozesskostenrechnung als einen wichtigen Baustein für eine integrierte Projektkostenbetrachtung näher erläutern. <?page no="227"?> 202 · Projektplanung 6.9.2.2 Lebenszyklusorientierung Bei den meisten Projekten fallen bereits in den ersten Projektphasen erhebliche Vorlaufkosten an. Beispielsweise sind hier Investitionen in die Forschung und Entwicklung oder in die Marktforschung notwendig. Auch der Anteil der Nachlaufkosten im Anschluss an den Absatz des Produktes, wie etwa Entsorgungs- oder Garantiekosten, gewinnt immer stärker an Bedeutung. Aus diesem Grunde verlieren periodenbezogene Ergebnisse stark an Aussagekraft, stattdessen ist eine periodenübergreifende Betrachtung aller wirtschaftlichen Konsequenzen, die mit einem Projekt verbunden sind, notwendig. Dies bedeutet, dass bei der Kostenplanung alle Kosten über den gesamten Lebenszyklus hin berücksichtigt werden müssen. Nun könnte man argumentieren, dass der Lebenszyklus eines Projektes bis zu einem gewissen Grade Definitionssache ist: Während in einem Unternehmen die Entwicklung und die Produktion eines neuen Produktes zwei eigene Projekte mit einer Schnittstelle darstellen können, gehört in einem anderen Unternehmen beides in ein Projekt „Entwicklung, Produktion und Absatz des Produktes xy“. Der Projektlebenszyklus würde somit nahezu den gesamten Produktlebenszyklus umfassen. Auf die Definition des Projektes kommt es uns hierbei jedoch nicht an: Soll ein Projekt ökonomisch sinnvoll beurteilt werden, müssen alle wirtschaftlichen Konsequenzen berücksichtigt werden; dazu gehören auch die Kosten der Vorlauf- und Nachlaufperiode des Projektes. Aufgrund des langfristigen Zeithorizontes erscheint es sinnvoll, alle anfallenden Kosten mit in die Berechnungen einzubeziehen, daher werden wir im Weiteren eine Vollkostenbetrachtung vornehmen. Eine lebenszyklusorientierte Betrachtung ist eine wichtige Voraussetzung für eine effektive Kostensteuerung: In den ersten Lebenszyklusphasen wird bei einem relativ niedrigen Kostenanfall bereits ein Großteil der gesamten Kosten im Lebenszyklus (nach empirischen Untersuchungen ca. 70-80%) festgelegt. In Abb. 2-62 wird dieser Zusammenhang zwischen Kostenfestlegung und tatsächlichem Kostenanfall verdeutlicht. Aus diesem Grund sollte in den frühen Phasen des Projektes der Kosten“management“-Gedanke eine besonders wichtige Rolle spielen (die folgenden Ausführungen basieren auf Ewert/ Wagenhofer [Unternehmensrechnung] 291ff.): Es kann beispielsweise wirtschaftlich sinnvoll sein, Kosten der späteren Projektphasen, wie der Produktion oder des Vertriebs, nach vorne in die Phasen vor Produkteinführung zu verlagern. Eine weitere Möglichkeit für ein umfassendes Kostenmanagement ergibt sich durch die Verlagerung von Nutzungskosten, die im Konsumentenzyklus anfallen, nach vorne zum Hersteller. <?page no="228"?> Projektkostenplanung · 203 Diese Maßnahmen des Kostenmanagements werden in Abschnitt 6.9.3.2.3 im Rahmen des Life Cycle Costing genauer betrachtet. 0 25 50 75 100 Konzept Produktion Grobplanung Detailplanung Betrieb/ Unterhalt 66 85 95 Lebenszykluskosten % Kostenfestlegung Kostenanfall Produkthersteller Produktabnehmer 0 25 50 75 100 Konzept Produktion Grobplanung Detailplanung Betrieb/ Unterhalt 66 85 95 Lebenszykluskosten % Kostenfestlegung Kostenanfall Produkthersteller Produktabnehmer Abb. 2-62: Darstellung des Zusammenhangs zwischen Kostenfestlegung und Kostenanfall (Quelle: Zehbold [Lebenszykluskostenrechnung] 176) Ein weiterer wichtiger Grund spricht für eine langfristige Betrachtungsperspektive bei Projekten: Die übliche jahresbezogene Denkweise könnte zu einer suboptimalen Steuerung führen. Beispielsweise könnten zugesicherte Budgets aufgrund von zeitlichen Verzögerungen im Projekt verfallen oder das Management könnte zur kurzfristigen Verbesserung des Jahresbudgets eine vorübergehende Qualitätseinbuße im Projekt in Kauf nehmen, obwohl dies wesentlich höhere Kosten für Mängelbehebungen in den Folgeperioden nach sich ziehen wird (vgl. Rattay [Projektplanung] 384). Eine solche lebenszyklusorientierte Perspektive steht bei der traditionellen Kostenrechnung normalerweise nicht im Vordergrund, sondern es wird eine periodenorientierte Erfolgsbetrachtung angestrebt. Aufgrund der Wichtigkeit dieser eher strategisch ausgerichteten Fragestellung wurde daher das Life Cycle Costing (je nach Ausgestaltung auch Lebenszyklusrechnung oder Lebenszykluskostenrechnung genannt) als Instrument des Kostenmanagements entwickelt. Werden einer solchen Rechnung Zahlungsströme zugrunde gelegt, so können Verfahren der Investitionsrechnung eingesetzt werden, bei denen der <?page no="229"?> 204 · Projektplanung zeitliche Anfall der Zahlungen berücksichtigt wird. Dies ist aufgrund des langfristigen Betrachtungszeitraums notwendig. Allerdings gibt es Varianten des Life Cycle Costing, die auf Kosten- und Erlösgrößen basieren. Das Life Cycle Costing wird somit der zweite wichtige Baustein der „Integrierten Projektkostenrechnung“ sein. Es wird in Abschnitt 6.9.3.2 genauer dargestellt. 6.9.2.3 Kundenorientierung Wie wir bereits in Abb. 2-62 gesehen haben, werden in den ersten Phasen des Projektes die größten Kostenanteile bereits festgelegt. In der Planung und der Konzeption eines Produktes werden sinnvolle technische Lösungen ausgearbeitet, die dann später sowohl die weitere Vorgehensweise in der Entwicklung als auch in der Produktion beeinflussen können. Genau an dieser Stelle spielt die frühzeitige Berücksichtigung von Marktanforderungen eine zentrale Rolle: Die Bedürfnisse der Kunden und die daraus resultierende Zahlungsbereitschaft für bestimmte Funktionen eines Produktes sind für den Erfolg einer Entwicklung ausschlaggebend. Für einen in die Entwicklung eingebundenen Ingenieur kann die Verwirklichung einer herausfordernden, komplexen und sehr innovativen technischen Lösung für eine Funktion eines Produktes sehr motivierend wirken. Diese aufwändige Lösung macht jedoch aus wirtschaftlicher Sicht nur dann Sinn, wenn der Kunde sie auch tatsächlich nutzt, entsprechend schätzt und bereit ist, dafür auch einen höheren Preis in Kauf zu nehmen. Entsprechendes gilt natürlich auch für interne Projekte, die sich genauso an den Wünschen des (in diesem Fall internen) Kunden orientieren müssen, um den gewünschten Nutzen stiften zu können. Die knappen Ressourcen sollten also grundsätzlich nicht für die Lösung von Problemen verwendet werden, die für den Auftraggeber lediglich eine untergeordnete Priorität aufweisen. Grundsätzlich sollte sich die Projektkostenrechnung also an der erwünschten Kombination von Produktfunktionalitäten und Zielkosten aus der Sicht des Kunden orientieren und auch in der Lage sein, entsprechende Daten zu generieren und zu verarbeiten. Eine Umsetzung dieses Grundgedankens findet sich im Target Costing, dem methodischen dritten Baustein der „Integrierten Projektkostenrechnung“. 6.9.3 Bausteine einer „Integrierten Projektkostenplanung“ Im vorhergehenden Abschnitt wurden drei wichtige Spezifika von Projekten ausgearbeitet und jeweils ein Instrument der Kostenplanung bzw. des Kostenmanagements benannt, das vorrangig auf das jeweilige Spezifikum ausgerichtet <?page no="230"?> Projektkostenplanung · 205 und meist als Antwort auf die zugrunde liegende Problematik entstanden ist. Es handelt sich hierbei um Die Prozesskostenrechnung Das Life Cycle Costing Das Target Costing Alle drei methodischen Bausteine einer „Integrierten Projektkostenrechnung“ werden im Folgenden genauer vorgestellt und daraufhin untersucht, inwieweit sie den oben dargestellten Besonderheiten der Projektkostenplanung und somit den sich daraus ergebenden Anforderungen tatsächlich genügen. 6.9.3.1 Prozesskostenrechnung 6.9.3.1.1 Ziele der Prozesskostenrechnung Die Ziele der Prozesskostenrechnung bestehen in der Schaffung von Kostentransparenz in den indirekten Leistungsbereichen durch Erweiterung der Kostenrechnung um eine Prozessanalyse. Auf diese Weise werden Ineffizienzen erkannt und Einsparpotenziale aufgedeckt (z.B. unnötige oder im Vergleich zum Fremdbezug zu teure Leistungen) (vgl. Friedl [Kostenmanagement] 205ff.). Mit der Prozesskostenrechnung wird der Einfluss von sog. „Kostentreibern“ (cost drivers) auf die Höhe der Kosten verdeutlicht und so eine verursachungsgerechtere Verrechnung der Gemeinkosten der indirekten Leistungsbereiche auf die Kostenträger ermöglicht (vgl. Schmidt [Kostenrechnung] 222f.). Außerdem ist eine zusätzliche Analyse der Prozesse im Hinblick auf sog. „Value Activities“ möglich, die vom Kunden gewünscht und auch entsprechend bezahlt werden. Diese Aktivitäten sind aus strategischer Sicht für ein Unternehmen besonders bedeutsam, denn sie stellen i.d.R. Ansatzpunkte für Wettbewerbsvorteile dar (vgl. Coenenberg/ Fischer/ Günther [Kostenrechnung] 150). Der Grundaufbau der Prozesskostenrechnung entspricht dem der konventionellen Kostenrechnung: Auch bei der Prozesskostenrechnung werden die Kostenarten-, Kostenstellen- und die Kostenträgerrechnung unterschieden. Die wichtigsten methodischen Unterschiede ergeben sich in der Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung: In der Kostenstellenrechnung erfolgt auch für die indirekten Leistungsbereiche eine differenzierte Kostenplanung in Abhängigkeit von bestimmten Bezugsgrößen (Kostentreibern). Die dort entstehenden Gemeinkosten werden dann zu einem möglichst großen Teil über die notwendigen Prozesse verrechnet anstatt über pauschale Zuschlagssätze (vgl. Schmidt [Kostenrechnung] 224). Was ist nun aus kostenrechnerischer Sicht unter einem Prozess zu verstehen? <?page no="231"?> 206 · Projektplanung „Prozesse oder Activities sind repetitive Tätigkeiten, die in den verschiedenen Kostenstellen oder Abteilungen eines Unternehmens bei der Ausführung der übertragenen Aufgaben anfallen“ ( Coenenberg/ Fischer/ Günther [Kostenrechnung] 151]. Liest man diese Definition, so könnten aufgrund der Charakteristika von Projekten Zweifel an der Anwendbarkeit dieser Methodik im Zusammenhang mit einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von Projekten aufkommen: Projekte sind ja grundsätzlich einmalig und neuartig, also eben nicht „repetitiv“. Dennoch kommen bei der Planung, Umsetzung und Kontrolle von Projekten Prozesse zum Einsatz, die für alle Projekte und auch für das „normale Tagesgeschäft“, das nicht in Projektform bearbeitet wird, ähnlich oder sogar gleich aussehen. Ein sehr plastisches Beispiel ist die Bestellung notwendiger Materialien oder der Prozess der Lieferantenauswahl, der einmal im Unternehmen festgelegt wird und dann normalerweise immer gleich abläuft. Projekte beinhalten also durchaus eingespielte, festgelegte, systematische Teilprozesse als wichtige Bestandteile. 6.9.3.1.2 Methodik der Prozesskostenrechnung Die Methodik der Prozesskostenrechnung besteht aus den folgenden Schritten: Vorstrukturierung der Hauptprozesse Tätigkeitsanalyse Verdichtung zu Teilprozessen Ermittlung der Prozesskostentreiber Zusammenfassung der Teilprozesse zu Hauptprozessen Ermittlung von Prozesskosten und Prozesskostensätzen (1) Vorstrukturierung der Hauptprozesse Bei der Einführung der Prozesskostenrechnung werden zunächst die Hauptprozesse identifiziert, die für den jeweils zu analysierenden Bereich von Bedeutung sind. Wir wollen die Vorgehensweise an einem Beispiel verdeutlichen, das auf Coenenberg/ Fischer [Prozesskostenrechnung] beruht: Es sollen die Hauptprozesse in der Beschaffung eines Unternehmens betrachtet werden. In einem ersten Gespräch mit den Hauptverantwortlichen in der Abteilung wurden die folgenden vier wichtigsten Hauptprozesse in der Beschaffung herausgestellt: Beschaffung Material Beschaffung Maschinen und Fertigungsanlagen Beschaffung Dienstleistungen Betreuung und Optimierung Logistik <?page no="232"?> Projektkostenplanung · 207 Die Vorgehensweisen bei der Beschaffung von Material, Maschinen und Fertigungsanlagen sowie Dienstleistungen unterscheiden sich v.a. nach der Höhe des eingesetzten Kapitals, der Einmaligkeit und dem Neuigkeitsgrad. Der unterschiedliche Risikograd spiegelt sich beispielsweise in der Intensität der Abstimmungsprozesse mit dem internen Auftraggeber und dem späteren Nutzer wider. Zudem gibt es einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess für die Logistik, der in der Beschaffungsabteilung angesiedelt ist. (2) Tätigkeitsanalyse Im nächsten Schritt müssen nun die Tätigkeiten in den einzelnen Kostenstellen untersucht werden, die an der Erstellung der Leistungen im jeweiligen Prozess beteiligt sind. Die einzelnen Aktivitäten in jeder Kostenstelle werden genau aufgelistet. Eine solche Analyse erfolgt i.d.R. auf der Grundlage von Arbeitsplänen und Stellenbeschreibungen sowie mit Hilfe von Befragungen der betroffenen Mitarbeiter. Abb. 2-63 zeigt das Ergebnis einer solchen Befragung für die Kostenstelle 830, die im Rahmen der Abteilung „Beschaffung“ ausschließlich für die Bestellungen zuständig ist. Fragebogen Abteilung: Beschaffung Kostenstelle: 830 Aktivitäten Mannjahre Personal- und Sachkosten Bestellungen für Material abwickeln 5,3 559.000 Bestellungen für Maschinen und Fertigungsanlagen abwickeln 4,5 475.000 Bestellungen für Dienstleistungen abwickeln 3,2 337.000 outputbezogene Prozesse 13,0 1.371.000 Sonstige Verwaltung 1,5 129.000 Datum Unterschrift Abb. 2-63: Prozessübersicht in einer Kostenstelle (In Anlehnung an: Coenenberg/ Fischer [Prozesskostenrechnung] 26) Den verschiedenen Aktivitäten werden Kosten zugeordnet. Die Kosten dieser Aktivitäten kann man direkt oder indirekt ermitteln: Bei der direkten Ermittlung untersucht man sämtliche Kostenarten einzeln und ordnet sie den jeweiligen Prozessen zu (analytische Kostenplanung). Diese Vorgehensweise ist relativ aufwändig. Daher werden die Kosten oftmals indirekt ermittelt, indem man auf <?page no="233"?> 208 · Projektplanung andere Maßgrößen zurückgreift, wie z.B. auf die anteilig benötigte Arbeitszeit in Mannjahren oder die anteiligen Personalkosten pro Aktivität. (3) Verdichtung zu Teilprozessen Die verschiedenen Tätigkeiten, die im zweiten Schritt analysiert wurden, werden nun zu Teilprozessen aggregiert, z.B. zum Teilprozess „Material einkaufen“. Zu diesem Teilprozess gehören neben der Bestellung von Material noch weitere Aktivitäten, die in anderen Kostenstellen ablaufen, beispielsweise die Tätigkeit „Lieferantenanalyse für Material durchführen“. (4) Ermittlung der Prozesskostentreiber Die Teilprozesse werden in einem nächsten Schritt daraufhin untersucht, ob sie vom Leistungsvolumen abhängen, also „leistungsmengeninduziert“ oder ob sie mengenunabhängig sind und somit grundsätzlich anfallen. Diese Teilprozesse werden als „leistungsmengenneutral“ bezeichnet. Die leistungsmengeninduzierten Prozesse können über sog. Kostentreiber (Cost Driver) gemessen werden; ihre Menge steht in einem direkten Zusammenhang mit den Kosten des Prozesses. Als Beispiel können wir den Prozess „Material einkaufen“ genauer betrachten. Es handelt sich dabei um einen leistungsmengeninduzierten Prozess. Die „Anzahl der Bestellungen“ wäre hier der Kostentreiber. In der traditionellen Zuschlagskalkulation würde in diesem Fall implizit davon ausgegangen, dass die Kosten dieses Prozesses eher vom Wert des bestellten Materials abhängen. Abb. 2-64 zeigt verschiedene Kostentreiber für unterschiedliche Wertschöpfungsstufen. Logistik Produktion Vertrieb Ein-/ Auslagerungspositionen Lieferscheinpositionen Materialbestellungen Eingangsprüfungen Bauplanpositionen Vorfertigungspositionen Qualitätsprüfungen Montageprüfungen Rüstvorgänge Kundenaufträge Zollsendungen Rechnungen Retourenausgänge Frachtbriefe Abb. 2-64: Kostentreiber für verschiedene Wertschöpfungsstufen (Quelle: Coenenberg/ Fischer [Prozesskostenrechnung] 27) <?page no="234"?> Projektkostenplanung · 209 Ein leistungsmengenneutraler Teilprozess hängt dagegen nicht vom Leistungsvolumen ab; als Beispiel kann hier der Prozess „Abteilung leiten“ dienen. (5) Zusammenfassung der Teilprozesse zu Hauptprozessen Die verschiedenen Teilprozesse werden, insbesondere für die Lenkung und Kontrolle durch einen Prozessverantwortlichen (Process Owner), zu einem kostenstellenübergreifenden Hauptprozess zusammengeführt. Abb. 2-65 verdeutlicht diesen Schritt. Kostenstellen Teilprozesse Hauptprozess „Material beschaffen“ Einkauf Material einkaufen Geräte und Anlagen einkaufen ... Warenannahme Materiallieferung entgegennehmen Qualitätssicherung Prüfung für Werkstofftechnik durchführen Eingangsprüfung für Material durchführen ... Lager Material lagern Unfertige Erzeugnisse lagern ... Material einkaufen Materiallieferung entgegennehmen Eingangsprüfung für Material durchführen Material lagern Kostenstellen Teilprozesse Hauptprozess „Material beschaffen“ Einkauf Material einkaufen Geräte und Anlagen einkaufen ... Warenannahme Materiallieferung entgegennehmen Qualitätssicherung Prüfung für Werkstofftechnik durchführen Eingangsprüfung für Material durchführen ... Lager Material lagern Unfertige Erzeugnisse lagern ... Material einkaufen Materiallieferung entgegennehmen Eingangsprüfung für Material durchführen Material lagern Abb. 2-65: Bildung des Hauptprozesses „Material beschaffen“ aus verschiedenen Teilprozessen (In Anlehnung an: Coenenberg/ Fischer [Prozesskostenrechnung] 27) (6) Ermittlung von Prozesskosten und Prozesskostensätzen Ziel der Prozesskostenrechnung ist die Gewinnung eines Prozesskostensatzes für die einmalige Durchführung eines Prozesses. Der Prozesskostensatz berechnet sich folgendermaßen: ge Prozessmen ten Prozesskos tensatz Prozesskos Betrachten wir zur Illustrierung den oben dargestellten Hauptprozess „Material beschaffen“. Um den Prozesskostensatz für diesen Hauptprozess zu ermitteln, müssen zunächst die Prozesskostensätze der Teilprozesse ermittelt werden (vgl. Abb. 2-66). An dieser Stelle sollten wir zwei wichtige Themengebiete beleuchten: Zum einen den Umgang mit den leistungsmengeninduzierten und leistungsmengen- <?page no="235"?> 210 · Projektplanung neutralen Kosten, zum anderen die Aggregation zum Prozesskostensatz für den Hauptprozess. Teilprozess Lmi- Kosten in TEuro Lmn- Kosten in TEuro Prozessmenge Lmi- Prozesskostensatz Gesamtprozesskostensatz Material einkaufen 750 150 5.000 Bestellungen 0,15 0,18 Materiallieferung entgegennehmen 300 40 6.000 Lieferungen 0,05 0,057 Eingangsprüfung für Material durchführen 500 60 1.000.000 Stück 0,0005 0,00056 Material lagern 250 20 6.000 Lieferungen 0,042 0,045 Hauptprozess 1.800 270 Abkürzungen: Lmi Leistungsmengeninduziert Lmn Leistungsmengenneutral Abb. 2-66: Ermittlung der Prozesskostensätze (In Anlehnung an: Coenenberg/ Fischer [Prozesskostenrechnung] 30) Grundsätzlich können zwei Varianten der Behandlung der leistungsmengenneutralen Kosten unterschieden werden: Die erste Variante besteht darin anzunehmen, dass sich die leistungsmengenneutralen Kosten proportional zu den leistungsmengeninduzierten Kosten verhalten. Diese Vorgehensweise wurde im vorliegenden Beispiel in Abb. 2-66 gewählt, d.h. die leistungsmengenneutralen Kosten wurden zu den leistungsmengeninduzierten Kosten addiert und durch die Prozessmenge dividiert. Eine solche Betrachtung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Unschärfen enthalten. Bei der zweiten Variante werden die leistungsmengenneutralen Kosten getrennt behandelt. Diese Vorgehensweise haben wir für unser Beispiel der „Integrierten Projektkostenplanung“ in Abschnitt 6.9.4 gewählt. Die Aggregation dieser Teilprozesssätze zu einem Hauptprozesskostensatz stellt sich in diesem Fall nicht ganz unproblematisch dar, denn die Teilprozesse sind von unterschiedlichen Kostentreibern abhängig. Würde man diese Kostensätze einfach addieren, so bestünde die Gefahr einer Informationsverzerrung. Um hier eine sinnvolle Aggregation zu ermöglichen, müssen die Verhältnisse zwischen den Kostentreibern festgelegt werden. In diesem Fall kann beispielsweise davon ausgegangen werden, dass eine Bestellung durchschnittlich <?page no="236"?> Projektkostenplanung · 211 200 Stück umfasst. Der leistungsmengeninduzierte Prozesskostensatz für eine Bestellung würde somit 0,1 betragen. An dieser Stelle zeigt sich, dass die Festlegung solcher Annahmen zu erheblichen Ungenauigkeiten führen und dass es sich daher bei einem Prozesskostensatz meist lediglich um einen approximierten Wert der einmaligen Durchführung eines Prozesses handeln kann. 6.9.3.1.3 Kritische Würdigung der Prozesskostenrechnung Die oben dargestellte Vorgehensweise zeigt deutlich, wie die Prozesskostenrechnung durch die Strukturierung und Analyse der Gemeinkostenblöcke zu einer höheren Transparenz beitragen kann. Diese Transparenz ist insbesondere für verschiedene strategische Entscheidungen außerordentlich wertvoll (vgl. Bea/ Haas [Management] 360ff.). Zudem kann die Prozesskostenrechnung nur bei repetitiven Prozessen sinnvoll zum Einsatz kommen; in manchen Bereichen, in denen es weniger wiederkehrende Prozesse gibt, ist die Prozesskostenrechnung daher z.T. nur schwer anwendbar. Der erste Schritt besteht daher in der Überprüfung der Anwendbarkeit der Prozesskostenrechnung. Die Tatsache, dass es sich bei der Prozesskostenrechnung um eine Vollkostenrechnung handelt, wird in Theorie und Praxis diskutiert und unterschiedlich bewertet (vgl. Ewert/ Wagenhofer [Unternehmensrechnung] 688f.): In der Praxis herrscht das Vollkosten-Denken vor; zudem sind die Betroffenen meist sehr gut in der Lage, das zugrunde liegende Mengengerüst (also die Prozessmengen) abzuschätzen. Daher findet die Prozesskostenrechnung in der Praxis eine relativ hohe Akzeptanz. Von Seiten der Theorie wird die zugrunde liegende Vollkostenbetrachtung kontrovers diskutiert: Eine Schlüsselung von Gemeinkosten ist immer mit Schwierigkeiten verbunden, da sie unter Proportionalitätsannahmen erfolgt. Allerdings gehen viele Autoren davon aus, dass langfristig wirksame Entscheidungen auf der Grundlage langfristiger Kosten, also Vollkosten, zu treffen sind, denn langfristig sind sämtliche Kosten disponibel. Aus theoretischer Sicht könnte die Proportionalitätsannahme gerechtfertigt werden, wenn man davon ausgeht, „dass die Prozesskosten die durch strategische Entscheidungen beeinflussbaren Kosten approximieren“ ( Ewert/ Wagenhofer [Unternehmensrechnung] 689). Bei strategischen Projekten handelt es sich sicherlich um solche Entscheidungen. Daher wird die Prozesskostenrechnung als wichtiger Baustein im Konzept der „Integrierten Projektkostenrechnung“ genutzt. Das Gesamtkonzept wird in Abschnitt 6.9.4 vorgestellt. Zunächst sollen jedoch noch die beiden anderen Bausteine genauer betrachtet werden: Das Life Cycle Costing und das Target Costing. <?page no="237"?> 212 · Projektplanung 6.9.3.2 Life Cycle Costing 6.9.3.2.1 Ziele des Life Cycle Costing Ein strategisches Projekt zeichnet sich in den meisten Fällen durch eine relativ lange Laufzeit aus (ca. 3-7 Jahre). Da die Probleme, die sich aus dieser Tatsache ergeben, bei einem Produktprojekt besonders deutlich werden, legen wir ein solches im Folgenden als Beispiel zugrunde (die Grundgedanken können auf die meisten weiteren strategischen Projekte analog übertragen werden): Aufgrund der stärkeren Mechanisierung und Automatisierung sowie der Zunahme der Produktkomplexität fallen bereits vor Beginn der Produktion erhebliche Vorlaufkosten an, die in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung eines Projektes integriert werden müssen. Auch der steigende Anteil der Nachlaufkosten im Anschluss an den Absatz eines Produktes, wie Kosten für die Entsorgung oder Garantiezusagen, muss bei der Planung, Steuerung und Kontrolle eines Produktprojektes Berücksichtigung finden (vgl. zu dieser Argumentation exemplarisch Riezler [Lebenszyklusrechnung] 18ff., Kremin-Buch [Kostenmanagement] 181f. oder Joos-Sachse [Kostenrechnung] 292f.). Periodenbezogene Ergebnisgrößen verlieren in diesem Zusammenhang stark an Aussagefähigkeit. Deshalb ist eine Betrachtung des Projektes über seine gesamte Lebensdauer notwendig. Ziel der Lebenszyklusrechnung ist es, die mit einem strategischen Projekt über dessen gesamten Laufzeit (Projektlebenszyklus) verbundenen wirtschaftlichen Wirkungen berechenbar zu machen (vgl. Riezler [Lebenszyklusrechnung] 8). 6.9.3.2.2 Vorgehensweise des Life Cycle Costing Die Zusammensetzung der Kosten und Erlöse im Lebenszyklus eines Produktprojektes lässt sich Abb. 2-67 entnehmen. Die Kosten der Vor- und Nachlaufphase werden im Rahmen der traditionellen Kostenrechnung nicht den Produkten zugerechnet, die sie tatsächlich verursacht haben, da sie als Gemeinkosten meist den jeweils in der Periode ihrer Verrechnung hergestellten Produkten angelastet werden. Ewert/ Wagenhofer schlagen daher eine umfassende periodenübergreifende Verrechnung dieser Kosten durch „Aktivierung“ der Vorlaufkosten und „Passivierung“ der Nachlaufkosten vor (vgl. Ewert/ Wagenhofer [Unternehmensrechnung] 294). Diese Idee liegt im Prinzip auch der Konzeption der „Integrierten Projektkostenrechnung“ zugrunde. <?page no="238"?> Projektkostenplanung · 213 Kosten Erlöse Vorlaufkosten - Forschung und Entwicklung - Marktforschung - Produktionsplanung und -organisation - Lieferantenauswahl - Vertriebsplanung und -organisation Vorlauferlöse - Subventionen - Steuererleichterungen - Erstattungen der Kunden, z.B. für Forschung und Entwicklung Kosten in der Produktions- und Absatzphase - Laufende Kosten (Produktion, Vertrieb etc.) - Einmalige Kosten (Einführung, „relaunch“) Erlöse in der Produktions- und Absatzphase - Laufende Erlöse aus dem Verkauf der Produkte Nachlaufkosten - Kosten aus Wartung und Reparatur - Kosten aus Produkthaftung und Entsorgung Nachlauferlöse - Wartungs- und Reparaturerlöse - Lizenzerlöse - Erlöse aus dem Verkauf von Produktionsanlagen Abb. 2-67: Kosten und Erlöse im Lebenszyklus (In Anlehnung an: Bea/ Haas [Management] 363f.) Natürlich bringt eine möglichst verursachungsgerechte Verrechnung dieser Kosten Probleme mit sich: Viele dieser Kosten fallen für eine Gruppe von Produkten gemeinsam an, d.h. es handelt sich um klassische Gemeinkosten. Zur Kostenverteilung ist eine Prognose der zukünftigen Absatzmengen notwendig; hier wird das erhebliche Prognoseproblem bei der Schätzung der einfliessenden Parameter über lange Zeiträume besonders deutlich (vgl. Horváth [Controlling] 476). In manchen Branchen kann man nur schwer abschätzen, inwieweit eine Investition wirklich Erfolg versprechend ist. Ewert/ Wagenhofer ([Unternehmensrechnung] 296) führen hier die Pharmaindustrie mit einer Erfolgsquote der Forschung von oft weniger als 5% an. Nun stellt sich die Frage, wie mit den Kosten für die fehlgeschlagene Forschung umgegangen werden soll, da eine wirklich verursachungsgerechte Zurechnung nicht möglich ist. <?page no="239"?> 214 · Projektplanung 6.9.3.2.3 Kostenmanagement im Rahmen des Life Cycle Costing Das Life Cycle Costing leistet bei der Planung und Ermittlung des Gesamterfolgs eines Projektes sowie bei der Unterstützung der Maßnahmen zur tatsächlichen Erzielung dieses Erfolges unverzichtbare Dienste. Folgende Einsatzfelder sind besonders wichtig (vgl. Ewert/ Wagenhofer [Unternehmensrechnung] 297ff.): (1) Verschiebung von Produktions- und Vertriebskosten in die Vorlaufphasen zur Reduktion der Kosten über den gesamten Zyklus Es kann sinnvoll sein, Kosten der späteren Projektphasen, wie der Produktion oder des Vertriebs, nach vorne in die Phasen vor Produkteinführung zu verlagern. Auf diese Weise können oftmals die Kosten in der Gesamtsicht reduziert werden. Hier gilt als Faustregel, dass man mit einer zusätzlich investierten Geldeinheit in die Produktplanung und -entwicklung sowie die Konstruktion acht bis zehn Geldeinheiten in den späteren Phasen sparen kann (vgl. Shields/ Young [Product Life Cycle Costs] 39). So könnte beispielsweise eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Design eines Produktes zur Verringerung der Produktkosten und/ oder einer Erhöhung der Qualität führen. Daraus können dann später geringere Nachbesserungskosten resultieren oder es können kostspielige Rückrufaktionen vermieden werden. (2) Verschiebung von Kosten vom Konsumentenzyklus zum Produktionszyklus Hier kann eine Verlagerung von Nutzungskosten, die beim Konsumenten anfallen, auf den Hersteller u.U. sinnvoll sein. Oftmals übersteigen die Nutzungskosten (z.B. Lohnkosten, Wartungskosten) die Anschaffungskosten um ein Vielfaches. Die Mehrkosten, die dem Produzenten durch eine Vorverlagerung entstehen, können deshalb häufig über einen wesentlich höheren Verkaufspreis überkompensiert werden. Das Life Cycle Costing kann hier als Planungsrechnung in verschiedenen Varianten durchgeführt werden. Auf jeden Fall führt die langfristige Betrachtungsperspektive des Life Cycle Costing dazu, dass eine sonst suboptimale Steuerung aufgrund der üblichen jahresbezogenen Denkweise durch eine Optimierung über die gesamte Lebensdauer des Projektes hinweg ersetzt wird. Grundsätzlich würden sich für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung über die gesamte Lebensdauer eines Produktes hinweg dynamische Investitionsrechenverfahren wesentlich besser eignen als Kostenrechnungen, denn Investitionsrechnungen berücksichtigen den zeitlichen Anfall der Zahlungen. Allerdings wird in vielen Unternehmen größtenteils auf der Grundlage von Kosten und Erlösen geplant, da die Verantwortlichen den Umgang mit diesen Größen präferieren. <?page no="240"?> Projektkostenplanung · 215 Daher muss im Rahmen des Life Cycle Costing die Kostenrechnung entsprechend angepasst werden, um die relevanten Steuerungsinformationen liefern zu können (vgl. Horváth [Controlling] 474 und Ewert/ Wagenhofer [Unternehmensrechnung] 292ff.). Eine solche Anpassung wird daher auch im Rahmen des Konzeptes der „Integrierten Projektkostenrechnung“ vorgenommen, wie sie in Abschnitt 6.9.4 vorgestellt wird. Zuvor wollen wir uns noch dem dritten Baustein der „Integrierten Projektkostenrechnung“ zuwenden: Dem Target Costing. 6.9.3.3 Target Costing 6.9.3.3.1 Ziele des Target Costing Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen auf den Märkten, die zu einem verschärften Wettbewerb in den meisten Branchen führen, ist die Einbeziehung der Vorstellungen der Kunden und ihrer Zahlungsbereitschaft zur notwendigen Voraussetzung für den Erfolg eines Projektes geworden. Bei einem Produktprojekt hängt die Zahlungsbereitschaft des Kunden davon ab, welche Funktionen er von dem Produkt erwartet und welchen Nutzen er diesen Funktionen beimisst. Umgekehrt bedeutet dies für einen Entwickler, dass er die vom Kunden gewünschten Funktionen mithilfe entsprechender Komponenten so realisieren muss, dass dessen Preisvorstellungen nicht überschritten werden. Hierzu kann die Nutzenzuordnung des Kunden denjenigen Komponentenkosten gegenübergestellt werden, die sich aus der Realisierung einer gewissen Produktfunktionalität ergeben. Auf diese Weise kann man erkennen, inwieweit die Kosten jeder Komponente der Wichtigkeit aus Kundensicht entsprechen. Zudem sollte die Realisierung der betrachteten Funktionen auch noch einen Spielraum für eine Gewinnmarge des eigenen Unternehmens lassen. Bei der Herausforderung, eine markt- und kundenorientierte Preisbildung mit der unternehmensorientierten Sicherung einer Gewinnmarge zu verbinden, kann das Target Costing wertvolle Dienste leisten. Horváth/ Niemand/ Wolbold kennzeichnen das Target Costing als „umfassendes Bündel von Kostenplanungs- , Kostenkontroll- und Kostenmanagementinstrumenten, die schon in den frühen Phasen der Produkt- und Prozessgestaltung zum Einsatz kommen, um die Kostenstrukturen frühzeitig im Hinblick auf die Marktanforderungen gestalten zu können“ ( Horváth/ Niemand/ Wolbold [Target Costing] 4). Prinzipiell werden diese Instrumente auf Produktebene eingesetzt; allerdings ist der Grundgedanke auch auf Projekte übertragbar, denn es gibt immer bestimmte Anforderungen an das erwünschte Arbeitsergebnis. Jeder externe oder interne Auftraggeber wird eine Kosten-Nutzen-Betrachtung bezüglich der jeweiligen Arbeitsergebnisse anstellen; dieser Schritt entscheidet zum Großteil über seine <?page no="241"?> 216 · Projektplanung Zufriedenheit mit dem Projekt. Eine vorausschauende Orientierung an entsprechenden Wert-Kosten-Relationen ist daher unverzichtbar. Das Hauptziel des Target Costing besteht darin, sicherzustellen, dass sich das Kostenmanagement an der Perspektive des Marketing als Stellvertreter für die Wünsche des Kunden und an der gewählten Unternehmensstrategie orientiert (vgl. Horváth [Controlling] 480). Es geht also nicht um eine reine Kostensenkung, sondern um die kunden- und strategieorientierte Gestaltung der Kostenstrukturen. 6.9.3.3.2 Vorgehensweise des Target Costing Die Vorgehensweise des Target Costing kann in die folgenden drei Phasen zerlegt werden (vgl. Bea/ Haas [Management] 353ff.): Zielkostenermittlung Zielkostenspaltung Zielkostenrealisierung (1) Zielkostenermittlung Für die Bestimmung der Zielkosten (Target Costs) gibt es verschiedene Varianten. Am weitesten verbreitet ist die „Market into company“-Methode, die wir auch der „Integrierten Projektkostenrechnung“ zugrunde legen. In Abb. 2-68 wird die Vorgehensweise skizziert. Sales (Umsatz) _ Target Profit (Zielgewinn) = Allowable Costs (Kostenobergrenze) Target Costs (Zielkosten) Drifting Costs (Standardkosten) Abb. 2-68: Zielkostenermittlung nach Sakurai ([Target Costing]) Hierbei wird an den Preisvorstellungen des Kunden angesetzt und der mögliche Umsatz zu den Preisen aus Kundensicht abgeleitet. Parallel dazu werden auf der Grundlage der mittelfristigen Erfolgsplanung gewünschte Zielgewinne festgelegt, meist in Form einer Umsatz- oder Gesamtkapitalrendite. In einem nächsten Schritt wird der Zielgewinn vom erzielbaren <?page no="242"?> Projektkostenplanung · 217 Umsatz subtrahiert; auf diese Weise erhält man die sog. „Allowable Costs“ als Kostenobergrenze. An dieser Stelle zeigt sich der heuristische Charakter des Target Costing, denn das Ergebnis wird aufgrund der Zusammenhänge zwischen diesen beiden Größen aus theoretischer Sicht meist nicht optimal, sondern lediglich eine praktikable Näherungslösung sein (vgl. Ewert/ Wagenhofer [Unternehmensrechnung] 283). Die auf diese Weise ermittelten „Allowable Costs“ werden nun den „Drifting Costs“ gegenübergestellt. Hierbei handelt es sich um die Standardkosten unter Verwendung der im Augenblick im Unternehmen angewendeten Technologien und Verfahren. Die „Target Costs“ sind dann das Resultat von Verhandlungen zwischen der Unternehmensleitung und den Projektverantwortlichen; sie werden je nach Marktsituation und vermuteten Kosteneinsparungen zwischen den „Allowable Costs“ und den „Drifting Costs“ liegen. Aus der Gegenüberstellung der „Drifting Costs“ und „Target Costs“ ergibt sich die sog. „Zielkostenlücke“, die mit Hilfe entsprechender Maßnahmen zur Kostengestaltung angegangen werden soll. Hierzu ist eine Operationalisierung der Target Costs notwendig, die im zweiten Schritt erfolgt. (2) Zielkostenspaltung Um Maßnahmen zur Kostengestaltung einsetzen zu können, werden die Zielkosten auf einzelne Komponenten „heruntergebrochen“. Dieser Schritt besteht aus verschiedenen Teilaktivitäten: (a) Zunächst muss die Bedeutung der einzelnen Teilfunktionen des Produktes für den Kunden erhoben werden. Hierfür wird im Allgemeinen die indirekte Messung mit Hilfe des Conjoint Measurement-Verfahrens empfohlen. Es handelt sich hierbei um eine Befragung von Konsumenten, aus der mit Hilfe der multivariaten statistischen Datenanalyse Teilnutzenwerte für einzelne Produkteigenschaften abgeleitet werden (vgl. Joos-Sachse [Kostenrechnung] 305; detaillierte Erläuterungen finden sich beispielsweise bei Berndt [Marketing] 186ff.). Als Ergebnis erhält man Präferenzurteile der Kunden über bestimmte Produkteigenschaften und somit die Einschätzungen der Kunden bezüglich des Nutzens der verschiedenen Eigenschaften. Diese Nutzenwerte werden in einem nächsten Schritt den Produktkomponenten zugeordnet, mit deren Hilfe eine bestimmte Eigenschaft umgesetzt werden soll. Aus diesem Arbeitsschritt resultieren Gewichtungen für die einzelnen Komponenten aus Kundensicht. Nun erfolgt eine Kostenschätzung für die Produktkomponenten. Dabei werden zunächst die „Drifting Costs“ für die Komponenten zugrunde gelegt und relative Kostenanteile für jede Komponente berechnet. <?page no="243"?> 218 · Projektplanung (b) Diese relativen Kostenanteile werden nun für jede Komponente den relativen Nutzenanteilen gegenübergestellt. Als Idealzustand wird angestrebt, dass der Ressourceneinsatz und somit die Kosten pro Komponente genau ihrer Bedeutung aus Kundensicht entsprechen. Um zu sehen, inwieweit dieser Idealzustand für jede Komponente erreicht wird, können komponentenbezogene Zielkostenindizes berechnet werden: il Kostenante % il Nutzenante % index Zielkosten Liegt dieser Zielkostenindex unter 1, so ist die Komponente gemäß der Idealforderung zu aufwändig und somit in Relation zum relativen Kundennutzen „zu teuer“. Ein Zielkostenindex über 1 legt eine Überprüfung der Komponente nahe: Entspricht die Komponente im Moment tatsächlich den Kundenanforderungen oder ist sie „zu einfach“? (vgl. Coenenberg/ Fischer/ Günther [Kostenrechnung] 558ff.). Zur Verdeutlichung können die Nutzen- und Kostenanteile der Komponenten in ein sog. „Zielkostenkontrolldiagramm“ eingetragen werden; das Idealverhältnis von Nutzen und Kosten für jede Komponente wäre auf der 45-Grad-Linie gegeben (vgl. Abb. 2-70). Zur Illustrierung der gesamten Vorgehensweise des Target Costing werden wir auf ein Beispiel von Coenenberg/ Fischer/ Günther ([Kostenrechnung] 557ff.) zurückgreifen. Für ein medizinisches Diagnosegerät wurden die Zielkostenindizes in Abb. 2-69 ermittelt. Diese Zielkostenindizes werden in ein Zielkostenkontrolldiagramm eingetragen (vgl. Abb. 2-70). Aufgrund der unterschiedlichen Bedeutung der einzelnen Komponenten wird ein trichterförmiger Toleranzbereich für Abweichungen („Zielkostenzone“) definiert. (c) Mit Hilfe des Zielkostenkontrolldiagramms bzw. der Zielkostenindizes können verbesserungswürdige Komponenten identifiziert werden. Bis zu dieser Stelle hat jedoch noch keine wirkliche Zielkostenspaltung stattgefunden, denn bisher wurden nur die relativen Anteile der „Drifting Costs“, also der Standardkosten unter Verwendung der bisherigen Technologien, betrachtet. <?page no="244"?> Projektkostenplanung · 219 Komponente Nutzenanteil in % Kostenanteil in % Zielkostenindex Magnet 44 31 1,42 Electronic Cabinet 26 27 0,96 Patientenliege 5 3 1,67 System Components 9 12 0,75 Gradientenspule 7 4 1,75 HF-Kabine 4 7 0,57 Montage/ Installation 5 16 0,31 Abb. 2-69: Zielkostenindizes (Quelle: Coenenberg/ Fischer/ Günther [Kostenrechnung] 557) Eine Verteilung des notwendigen Kosteneinsparvolumens auf die einzelnen Komponenten steht bisher noch aus. Im Extremfall könnten im Zielkostenkontrolldiagramm alle Komponenten auf der angestrebten 45 Grad-Linie liegen, d.h. Kosten- und Nutzenanteile würden sich genau entsprechen. Somit würde sich durch dieses Verfahren kein Ansatzpunkt für weitere Gestaltungsmaßnahmen ergeben, obwohl noch entsprechende Anstrengungen zu unternehmen sind, da evtl. die gesamten „Drifting Costs“ weitaus höher sind als die „Allowable Costs“ bzw. die vereinbarten „Target Costs“. (d) In der Praxis werden die Kostenkürzungen oftmals prozentual gleichmäßig auf die Komponenten verteilt (vgl. Ewert/ Wagenhofer [Unternehmensrechnung] 285). Eine andere Lösung ergibt sich durch die Verteilung der „Allowable Costs“ bzw. „Target Costs“ gemäß den Gewichtungen aus der Nutzenbestimmung (vgl. Schmidt [Kostenrechnung] 253) und der daraus resultierenden Berechnung des Kostenreduktionsbedarfs. Um diese Grundidee graphisch zu verdeutlichen, schlagen Fischer/ Schmitz ([Target Costing] 427ff.) die Nutzung eines erweiterten Zielkostenkontrolldiagramms vor. Dabei wird das bisherige Zielkostenkontrolldiagramm erweitert, indem zunächst die absoluten „Drifting Costs“ pro Komponente zu den „Allowable Costs im engeren Sinne“ ins Verhältnis gesetzt werden. Diese „Allowable Costs i.e.S.” beinhalten lediglich die Kosten, die durch das Projektteam auch beeinflussbar sind; es werden also bestimmte Gemeinkostenblöcke abgezogen. Die Anteile der „Drifting Costs“ an den „Allowable Costs i.e.S.“ werden nun pro Komponente errechnet und ebenfalls ins Zielkostenkontrolldiagramm eingetragen. <?page no="245"?> 220 · Projektplanung Patientenliege Gradientenspule HF-Kabine 10 10 q 20 30 20 40 40 30 50 50 q System Components Montage/ Installation Electronic Cabinet Magnet „zu einfach“ „zu aufwändig“ Nutzenanteil in % Kostenanteil in % Patientenliege Gradientenspule HF-Kabine 10 10 q 20 30 20 40 40 30 50 50 q System Components Montage/ Installation Electronic Cabinet Magnet „zu einfach“ „zu aufwändig“ Nutzenanteil in % Kostenanteil in % Abb. 2-70: Zielkostenkontrolldiagramm am Beispiel der Entwicklung eines medizinischen Diagnosegeräts (Quelle: Coenenberg/ Fischer/ Günther [Kostenrechnung] 558) Zur Illustrierung der Vorgehensweise greifen wir wieder auf das obige Beispiel von Coenenberg/ Fischer/ Günther ([Kostenrechnung] 559ff.) zurück. Zunächst werden die „Allowable Costs im engeren Sinne“ pro Stück berechnet. Im Beispiel sind dies 500 TEuro pro Stück. Dieser Wert dient nun als Grundlage für eine neue Aufteilung: Es wird berechnet, welcher Anteil an den Allowable Costs die jeweilige Komponente entsprechend ihrem Nutzen haben dürfte (Nutzenkonformer Kostenanteil auf Basis AC in TEuro (DC)). Die Differenz zwischen dem absoluten Kostenanteil an den Drifting Costs und diesem nutzenkonformen Kostenanteil auf Basis der Allowable Costs zeigt den Kostenreduktionsbedarf an. Für den <?page no="246"?> Projektkostenplanung · 221 Eintrag in das erweiterte Zielkostenkontrolldiagramm ist allerdings ein prozentualer Wert notwendig. Daher wird der Drifting Cost-Anteil auf Basis der Allowable Cost (AC) in % berechnet: Stück pro Costs Allowable e Gesamtsumm 100 Komponente pro TEuro in il Kostenante - DC % in Komponente pro AC Basis auf Anteil - DC Abb. 2-71 enthält die Ergebnisse der verschiedenen Schritte. Komponente Nutzenanteil in % Kostenanteil auf Basis DC in % ( ) DC- Kostenanteil in TEuro Nutzenkonformer Kostenanteil auf Basis AC in TEuro DC- Kostenanteil auf Basis AC in % ( ) Kostenreduktionsbedarf Magnet 44 31 310 220 62 90 Electronic Cabinet 26 27 270 130 54 140 Patientenliege 5 3 30 25 6 5 System Components 9 12 120 45 24 75 Gradientenspule 7 4 40 35 8 5 HF-Kabine 4 7 70 20 14 50 Montage / Installation 5 16 160 25 32 135 100 100 1.000 500 200 500 Abb. 2-71: Absolute und relative Kostenanteile der Komponenten auf Basis der Drifting Costs (DC) und der Allowable Costs i.e.S. (AC) (Quelle: Coenenberg/ Fischer/ Günther [Kostenrechnung] 560) Abb. 2-72 zeigt ein erweitertes Zielkostenkontrolldiagramm: Die neuen Drifting Cost-Anteile auf Basis der Allowable Costs sind als Rauten am Ende der Pfeile eingezeichnet; die Quadrate stellen die bereits bekannten Nutzen- und Kostenanteile aus Abb. 2-70 dar. <?page no="247"?> 222 · Projektplanung Kostenreduzierungsbedarf 62 - 44 = 18% 10 10 q 20 30 20 40 40 30 50 50 q Nutzenanteil in % Kostenanteil in % 60 70 70 60 Patientenliege Gradientenspule HF-Kabine System Components Montage/ Installation Electronic Cabinet Magnet 10 10 q 20 30 20 40 40 30 50 50 q Nutzenanteil in % Kostenanteil in % 60 70 70 60 Patientenliege Gradientenspule HF-Kabine System Components Montage/ Installation Electronic Cabinet Magnet „zu einfach“ zu aufwändig „ “ Kostenreduzierungsbedarf 62 - 44 = 18% 10 10 q 20 30 20 40 40 30 50 50 q Nutzenanteil in % Kostenanteil in % 60 70 70 60 Patientenliege Gradientenspule HF-Kabine System Components Montage/ Installation Electronic Cabinet Magnet 10 10 q 20 30 20 40 40 30 50 50 q Nutzenanteil in % Kostenanteil in % 60 70 70 60 Patientenliege Gradientenspule HF-Kabine System Components Montage/ Installation Electronic Cabinet Magnet „zu einfach“ zu aufwändig „ “ zu aufwändig „ “ Abb. 2-72: Erweitertes Zielkostenkontrolldiagramm am Beispiel eines medizinischen Diagnosegeräts (Quelle: Coenenberg/ Fischer/ Günther [Kostenrechnung] 562) (e) Die eingezeichnete Winkelhalbierende ist nun als Ideallinie der Relation von Nutzen und Allowable Cost pro Stück zu interpretieren. Hier können verschiedene Fälle unterschieden werden: Kostenpfeile liegen vollständig unter der Winkelhalbierenden: Drifting Costs < Allowable Costs Folge: Überprüfung, ob die Komponente tatsächlich “zu einfach” ist Kostenpfeile beginnen in der Zielkostenzone und liegen nun deutlich darüber: Drifting Costs > Allowable Costs Folge: Entsprechender Kostenreduktionsbedarf Beispiel: Bei der Komponente „Electronic Cabinet“ entsprechen sich der Nutzenanteil <?page no="248"?> Projektkostenplanung · 223 und der Kostenanteil auf Basis der Drifting Costs mit 26 bzw. 27% nahezu. Im Verhältnis zu den Allowable Costs zeigt sich jedoch ein enormer Kostenreduktionsbedarf in Höhe von 140 TEuro pro Stück. Kostenpfeile beginnen unterhalb der Winkelhalbierenden und enden nun darüber: Drifting Costs > Allowable Costs Folge: Obwohl zunächst eine „zu einfache Lösung“ signalisiert wurde, besteht Kostensenkungsbedarf bei der betrachteten Komponente. Beispiel: Die Komponente „Magnet“ erschien zunächst beim Kosten-/ Nutzen-Vergleich auf Basis der Drifting Costs als „zu einfach“, nun zeigt sich jedoch ein Kostenreduktionsbedarf in Höhe von 90 TEuro pro Stück. Der Kostenreduktionsbedarf einer Komponente kann aus dem Diagramm abgelesen werden, indem man von der Ordinate ausgeht und die Differenz zwischen dem Schnittpunkt mit der Ideallinie und der entsprechenden Raute ermittelt. Für die Komponente „Magnet“ ergibt sich auf diese Weise ein Wert von 62 - 44 = 18%, den man nun auf die gesamten „Allowable Costs i.e.S.“ in Höhe von 500 TEuro bezieht. Der Kostenreduktionsbedarf beträgt somit absolut 90 TEuro. Zweckmäßigerweise werden hier die „Allowable Costs i.e.S.“ pro Stück betrachtet. (3) Zielkostenrealisierung Die Zielkostenspaltung gibt Auskunft über Notwendigkeiten zur Verbesserung von Komponenten und zur Kostensenkung. Zur Erreichung der Zielkosten werden nun verschiedene Maßnahmen erwogen, wie z.B. die Veränderung technischer Eigenschaften des Produkts, die Substitution von Materialien, die Modifikation des Produktionsprozesses oder auch der Fremdbezug von Komponenten statt deren Eigenfertigung. Einerseits werden in diesem Schritt die Funktionen überprüft und die Konstruktion eventuell nochmals in Frage gestellt, andererseits kommen Konzepte wie Benchmarking, Wertanalyse oder die Integration von Zulieferern zur Reduzierung der Produktkosten zum Einsatz. Obwohl einige Autoren eine enge Verbindung zum Life Cycle Costing betonen (vgl. beispielsweise Seidenschwarz [Target Costing] 7 oder Sakurai [Kostenmanagement] 50), wird das Target Costing meist als einperiodiges Konzept ausgestaltet. Allerdings erscheint die Kombination des mehrperiodigen, ganzheitlich ausgelegten Life Cycle Costing mit einer einperiodigen Target Costing-Variante nicht wirklich sinnvoll, da auf diese Weise nur im Ausnahmefall einer einperiodigen Entwicklungs-, Produktions- und Absatzphase eine aussagefähige Zielkostenlücke ermittelt werden könnte. In der Konzeption der „Integrierten Pro- <?page no="249"?> 224 · Projektplanung jektkostenrechnung“ wird daher ein mehrperiodiger Target Costing-Ansatz zugrunde gelegt. 6.9.3.4 Zusammenfassende Beurteilung der vorgestellten Bausteine Nach der Darstellung der drei methodischen Bausteine der „Integrierten Projektkostenrechnung“ werden nun die bisherigen Ergebnisse überblicksartig zusammengefasst. In Abschnitt 6.9.2 haben wir die Besonderheiten der Kostenplanung in Projekten näher untersucht und dabei drei wichtige Anforderungen an die Projektkostenplanung abgeleitet: Die Berücksichtigung der hohen Bedeutung der indirekten Leistungsbereiche Die Lebenszyklusorientierung Die Kundenorientierung In Abschnitt 6.9.3 wurden drei methodische Bausteine vorgestellt, die im Zusammenhang mit diesen Anforderungen hilfreich sein können: Die Prozesskostenrechnung Das Life Cycle Costing Das Target Costing Abb. 2-73 zeigt auf, inwiefern diese drei methodischen Bausteine den jeweiligen Anforderungen an eine Projektkostenplanung genügen. Die drei Bausteine bieten also wertvolle Beiträge für eine sinnvolle Projektkostenrechnung. Allerdings entsteht ein für die Praxis hilfreiches Modell nur durch die Kombination dieser drei Bausteine, denn kein Instrument kann allein die komplexen Anforderungen an eine Projektkostenrechnung erfüllen. Diese Kombination in Form einer „integrierten Projektkostenplanung“ wird im Folgenden anhand eines Beispiels vorgestellt. 6.9.4 Integrierte Projektkostenplanung 6.9.4.1 Modell der integrierten Projektkostenplanung Unser Modell der „Integrierten Projektkostenplanung“ baut auf drei methodischen Bausteinen auf: Der Prozesskostenrechnung, dem Life Cycle Costing und dem Target Costing. Die Vorgehensweise im Zuge des „Dynamischen Target Costing“ beruht auf Ideen von Mussnig ([Target Costing]). Das Modell lässt sich auf alle Projekte anwenden, für die sich projektspezifische Kosten und Erlöse bestimmen lassen. Dies ist primär bei produkt- und absatz- <?page no="250"?> Projektkostenplanung · 225 marktbezogenen Projekten der Fall. Die Grundgedanken des Modells lassen sich auch auf andere Projektarten übertragen. Anforderung Baustein Berücksichtigung indirekter Leistungsbereiche Lebenszyklusorientierung Kundenorientierung Prozesskostenrechnung Differenzierte und damit verursachungsgerechtere Zurechnung von Gemeinkosten - Detaillierte Grundlagen für Preisverhandlungen mit dem Kunden Life Cycle Costing Zurechnung der jeweiligen Gemeinkosten auf das verursachende Projekt (nicht als Gemeinkostenblock früherer oder späterer Projekte) Lebenszyklusorientierte Betrachtung der Kosten/ Erlöse des gesamten Projektes Optimierung der Gesamtkosten und -erlöse im Konsum- und Produktionszyklus Target Costing - Zielkostenvorgaben für alle Perioden der Produktions- und Absatzphase Dynamisches Target Costing Preisvorstellungen des Kunden für bestimmte Funktionen als Grundlage der Produktentwicklung Abb. 2-73: Beiträge der einzelnen methodischen Bausteine zu einer integrierten Projektkostenrechnung Am Ende des Abschnitts über das Life Cycle Costing (S. 214f.) haben wir erläutert, dass für ein mehrperiodiges Konzept grundsätzlich die Investitionsrechnung auf der Grundlage von Zahlungen die sinnvollste Methode wäre. Auch im Zuge der Wertbeitragsrechnung werden wir uns mit diesem Thema beschäftigen (S. 502). Im Modell der „Integrierten Projektkostenplanung“ greifen wir jedoch nicht auf die Investitionsrechnung, sondern auf die Kostenrechnung zurück, da das Management hier üblicherweise über umfangreiche Planungserfahrungen verfügt: „Die Erfahrungswerte beziehen sich aber üblicherweise nicht auf die sporadisch zur Verfügung stehenden Zahlungsgrößen, sondern auf die Kostendaten monatlicher Abweichungsberichte. Dementsprechend verweist eine Reihe von <?page no="251"?> 226 · Projektplanung Autoren darauf, dass das Denken in Kostengrößen in den Unternehmen gebräuchlicher ist als jenes in Zahlungen, da die Entscheidungsträger mit der finanzorientierten Investitionsrechnung nur fallweise Kontakt haben“ ( Mussnig [Target Costing] 161 und die dort angegebenen Quellen). Da wir im Modell der „Integrierten Projektkostenplanung“ Kosten und Leistungen über den gesamten Lebenszyklus des Projektes erfassen und mit Hilfe dynamischer Entscheidungswerte hilfreiche Informationen für das Kostenmanagement im gesamten Projektverlauf ableiten wollen, ist eine Dynamisierung unverzichtbar. Eine aus theoretischer Sicht einwandfreie Lösung zur Berechnung eines Kapitalwertes auf der Grundlage von Kosten und Leistungen bietet der Weg über das „Lücke-Theorem“ unter Berücksichtigung von kalkulatorischen Zinsen. Die kalkulatorischen Zinsen werden auf das gebundene Kapital zu Periodenbeginn berechnet, das i.d.R. dem Buchwert am Ende der Vorperiode entspricht. Zur Illustration wird nun jeder Schritt anhand eines praktischen Beispiels konkret nachvollzogen. Anschließend folgt eine kritische Würdigung des Modells. 6.9.4.2 Praktisches Beispiel Zur Verdeutlichung des Modells wird das folgende Beispielsprojekt herangezogen: Es soll ein qualitativ hochwertiger und innovativer Kühlschrank entwickelt, produziert und verkauft werden. Die angestrebte Innovation bezieht sich auf den Einsatz neuartiger Technologien, um ein spezielles Mikroklima im Gemüsefach zu erzeugen, das eine wesentlich längere und vitaminschonendere Aufbewahrung von Gemüse ermöglicht. Der Kühlschrank soll exklusiv für einen Großkunden entwickelt und hergestellt werden: Ein Hersteller exklusiver Küchen möchte ihn für sein neuestes Küchenprogramm einsetzen, bei dem „Gesundes Kochen“ im Mittelpunkt steht. Gemeinsam mit dem Kunden wird der folgende Zeitplan aufgestellt: Die ersten zwei Jahre sind notwendig, um den Kühlschrank zu entwickeln und zur Produktionsreife zu führen. Im dritten Jahr läuft die Serienproduktion voll an und wird weitere zwei Jahre andauern. Nach Produktionsende rechnet das Unternehmen damit, dass es noch zwei Jahre Service- und Garantieleistungen zu erfüllen hat. Das Gesamtprojekt hat also eine Laufzeit von 7 Jahren. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte zum Aufbau einer integrierten Projektkostenplanung beschrieben. Das dazugehörige Beispiel soll die Vorgehensweise verdeutlichen. Das Beispiel wird durch Umrandung abgehoben. <?page no="252"?> Projektkostenplanung · 227 6.9.4.3 Die einzelnen Schritte der integrierten Projektkostenplanung Die integrierte Projektkostenplanung wird in folgenden acht Schritten aufgebaut: Planung der Absatzmengen, Preise und Rabatte Bestimmung von Zielrenditen als dynamische Vorgaben Ableitung von „Allowable Costs“ pro Periode mit direktem Umsatz Ermittlung der „Drifting Costs“ pro Periode Berechnung kalkulatorischer Zinsen nach Lücke Ableitung von vorläufigen Periodenergebnissen für die Perioden des Marktzyklus und Berechnung des erlaubten Vorlauf- und Nachlaufvolumens Ableitung der Zielkostenlücke durch Gegenüberstellung des erlaubten Vorlauf- und Nachlaufvolumens mit dem absolut notwendigen Vor- und Nachlaufvolumen Verteilung des erlaubten und absolut notwendigen Vor- und Nachlaufvolumens anhand der Mengen (1) Planung der Absatzmengen, Preise und Rabatte Zunächst werden die Preisvorstellungen des Kunden erhoben und der mögliche Umsatz für die verschiedenen Perioden geplant. Ergebnis dieses Schrittes sind die Nettoumsätze pro Periode der Produktion und des Verkaufs. Periode t 2 wäre die erste Periode, in der die Kühlschränke in Serienproduktion hergestellt und verkauft würden. Der Kunde plant, in dieser Periode 1.000 Kühlschränke abzunehmen. In Periode t 3 geht er von insgesamt 2.500 Stück aus und in Periode t 4 von 2.700 Stück. Der Vertrieb rechnet damit, dass in allen drei Perioden ein Preis von 1.200 Euro pro Kühlschrank erzielbar wäre. Aufgrund der steigenden Absatzmengen und der damit verbundenen Lernkurveneffekte wird dem Kunden ein Preisnachlass in Höhe von 5% des Nettopreises gewährt. Abb. 2-74 verdeutlicht die Planung zu diesem Zeitpunkt. Periode t 0 t 1 t 2 t 3 t 4 t 5 t 6 Geplante/ Abgesetzte Menge 0 0 1.000 2.500 2.700 0 0 Preis 0 0 1.200 1.200 1.200 0 0 = Bruttoumsatz 0 0 1.200.000 3.000.000 3.240.000 0 0 Durchschnittlicher Rabattsatz 0 0 5% 5% 5% 0 0 Rabatt 0 0 60.000 150.000 162.000 0 0 = Nettoumsatz 0 0 1.140.000 2.850.000 3.078.000 0 0 Abb. 2-74: Planung der Absatzmengen, Preise und Rabatte <?page no="253"?> 228 · Projektplanung (2) Bestimmung von Zielrenditen als dynamische Vorgaben Parallel zu Schritt 1 wurden die gewünschten Zielgewinne festgelegt: Da sich sowohl die Attraktivität der Zielmärkte als auch die eigene Wettbewerbsposition während des Projektes verändern können, könnte das Management im Laufe der gesamten Projektlaufzeit unterschiedliche Renditeerwartungen in den verschiedenen Perioden zugrunde legen. Mit der Methode des dynamischen Target Costing ist die Erfassung dieser Unterschiede relativ einfach möglich, da die Zielgewinne für jede Periode einzeln planbar sind. Im Beispiel gibt die Geschäftsführung eine einheitliche Umsatzrendite (RoS) in Höhe von 12% des Nettoumsatzes vor. Da sich dieser Schritt auf den Nettoumsatz bezieht, können nur Perioden betroffen sein, in denen es Umsätze gibt, also die drei Produktions- und Verkaufsperioden t 2 -t 4 . Periode t 0 t 1 t 2 t 3 t 4 t 5 t 6 = Nettoumsatz 0 0 1.140.000 2.850.000 3.078.000 0 0 Ziel ROS 0 0 12% 12% 12% 0 0 Zielgewinn 0 0 136.800 342.000 369.360 0 0 Abb. 2-75: Bestimmung von Zielrenditen für die Produktions- und Verkaufsperioden (3) Ableitung von „Allowable Costs“ pro Periode mit direktem Umsatz Durch Subtraktion der Zielgewinne von den Nettoumsätzen ergeben sich die „Allowable Costs“ pro Periode mit direktem Umsatz als Kostenobergrenze. Um noch einmal den gesamten Weg bis zu diesen „Allowable Costs“ pro Periode mit direktem Umsatz nachzuvollziehen, wird die gesamte bisherige Vorgehensweise in Abb. 2-76 zusammengefasst. Periode t 0 t 1 t 2 t 3 t 4 t 5 t 6 Geplante/ Abgesetzte Menge 0 0 1.000 2.500 2.700 0 0 Preis 0 0 1.200 1.200 1.200 0 0 = Bruttoumsatz 0 0 1.200.000 3.000.000 3.240.000 0 0 Durchschnittlicher Rabattsatz 0 0 5% 5% 5% 0 0 Rabatt 0 0 60.000 150.000 162.000 0 0 = Nettoumsatz 0 0 1.140.000 2.850.000 3.078.000 0 0 Ziel ROS 0 0 12% 12% 12% 0 0 Zielgewinn 0 0 136.800 342.000 369.360 0 0 Allowable Costs 0 0 1.003.200 2.508.000 2.708.640 0 0 Abb. 2-76: Ableitung von „Allowable Costs“ pro Periode mit direktem Umsatz (4) Ermittlung der „Drifting Costs“ pro Periode Bei den „Drifting Costs“ handelt es sich um die Kosten, die sich unter Verwendung der im Augenblick im Unternehmen angewendeten Technologien und <?page no="254"?> Projektkostenplanung · 229 Verfahren ergeben würden. Die „Drifting Costs“ sind daher die Ergebnisse einer ersten Kostenplanung auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen aus anderen Projekten, die sich auf das zu planende Projekt übertragen lassen. (a) Einzelkosten Betrachten wir zunächst die verschiedenen Arten von Einzelkosten im Beispiel. Projekt-F&E: Auf der Grundlage der Erfahrungen aus früheren Projekten mit ähnlichem Innovationsgehalt schätzt der zukünftige Projektleiter die Anzahl der notwendigen Arbeitsstunden der Ingenieure aus der Forschungs- und Entwicklungsabteilung. In den Perioden t 2 bis t 4 wird die F&E noch Aufgaben in der Serienbetreuung übernehmen. Erstattung F&E-Kosten: Der Kunde würde sich an den Forschungs- und Entwicklungskosten beteiligen. Er würde in t 1 45.000 Euro und in t 3 12.000 Euro übernehmen. Kosten der Produktionsvorbereitung: In der Produktionsvorbereitung werden die Produktionsprozesse geplant und festgelegt. Die Kosten werden der Periode t 1 zugerechnet. Materialeinzelkosten: Diese Kosten fallen in der Produktionsphase an, also in den Perioden t 2 , t 3 und t 4 . Anfangs rechnet das Projektteam mit Kosten in Höhe von 654 Euro pro Stück. In Periode t 3 wird es wahrscheinlich zu einer Verteuerung der elektronischen Bauteile kommen, so dass die Kosten auf 657 Euro pro Stück steigen dürften. In Periode t 4 können durch die größeren Abnahmemengen entsprechende Rabatte bei den Zulieferern realisiert werden, so dass die Materialeinzelkosten noch 605 Euro pro Stück betragen dürften. Fertigungseinzelkosten: Diese Kosten ergeben sich ebenfalls in der Produktionsphase. Sie werden für die Periode t 2 auf 110 Euro, die Periode t 3 auf 105 Euro und die Periode t 4 auf 102 Euro pro Stück geschätzt. Bei dieser Planung geht man also von einem entsprechenden Lernkurveneffekt aus. Rüstkosten: Diese Kosten fallen durch die Einstellung der Fertigungsanlagen und ihre Bestückung mit notwendigen Werkzeugen ebenfalls in den Produktionsphasen an. Ausschuss: Erfahrungsgemäß gibt es bei jeder Fertigung auch einen gewissen Prozentsatz an fehlerhaften Stücken, der normalerweise aufgrund des Lernkurveneffektes abnimmt. Garantiekosten: Die Garantiekosten lassen sich über Qualitätserfassungssysteme annähern. Sie fallen in der Produktionsphase, aber auch in der Auslaufphase an. (b) Gemeinkosten Kommen wir nun zu den Gemeinkosten: Hier wird die Prozesskostenrechnung eingesetzt und somit zwischen leistungsmengeninduzierten und leistungsmengenneutralen Gemeinkosten unterschieden. <?page no="255"?> 230 · Projektplanung Die leistungsmengeninduzierten Gemeinkosten sind auf die einzelnen Prozesse mit Hilfe der jeweiligen Kostentreiber differenziert zurechenbar. Bei den Materialgemeinkosten schlägt insbesondere das Materiallager zu Buche. Die Fertigungsgemeinkosten umfassen beispielsweise Abschreibungen für Maschinen und Werkzeuge, Energiekosten, Hilfslöhne und Kosten für Hilfsmaterial. Aus Vereinfachungsgründen wollen wir an dieser Stelle lediglich die Positionen, die Abschreibungen nach sich ziehen, detaillierter betrachten: Die Anschaffung einer Maschine und von Spezialwerkzeugen. Für den Bau der Kühlschränke ist eine Erweiterung der bestehenden Fertigungsstraßen notwendig. In Periode t 1 erfolgt die Anschaffung einer entsprechenden neuen Fertigungsmaschine für 140.000 Euro. Diese Auszahlung wird in der Kostenplanung kostenrechnerisch erfasst, also über Abschreibungen auf Basis der Produktionsmengen in den leistungsmengeninduzierten Fertigungsgemeinkosten. Es wird davon ausgegangen, dass mit der Maschine insgesamt 11.200 Stück gefertigt werden können. Das Produkt soll im Anschluss an das Projekt in Varianten weitergeführt werden, so dass die restliche Kapazität der Maschine in Höhe von 5.000 Stück nahtlos ab t 5 hierfür genutzt werden kann. Für die Forschung und Entwicklung und für die Fertigung sind Spezialwerkzeuge notwendig, die in den Perioden t0 (10.000 Euro), t1 (5.000 Euro) und t3 (5.000 Euro) angeschafft werden. Sie werden jeweils linear über zwei Perioden abgeschrieben. In allen Perioden werden leistungsmengeninduzierte Verwaltungsgemeinkosten und Vertriebsgemeinkosten eingeplant. In Abb. 2-77 sind alle dem Projekt direkt zurechenbaren Kosten aufgeführt: Die Einzelkosten und die leistungsmengeninduzierten Gemeinkosten. Periode t 0 t 1 t 2 t 3 t 4 t 5 t 6 Einzelkosten Projekt-F&E 21.000 37.500 12.500 14.500 5.000 0 0 Erstattung Projekt-F&E 0 -45.000 0 -12.000 0 0 0 Kosten der Produktionsvorbereitung 0 800 0 0 0 0 0 Materialeinzelkosten 0 0 654.000 1.642.500 1.633.500 0 0 Fertigungseinzelkosten 0 0 110.000 262.500 275.400 0 0 Rüstkosten 0 0 2.000 5.000 5.400 0 0 Ausschuss 0 0 25.000 50.000 48.600 0 0 Garantiekosten 0 0 12.000 25.000 29.500 22.000 17.000 Gemeinkosten (leistungsmengeninduziert) Materialgemeinkosten 0 0 41.000 95.000 100.035 0 0 Fertigungsgemeinkosten 5.000 7.500 50.000 131.250 137.700 1.500 0 Verwaltungsgemeinkosten 10.500 15.000 75.000 85.000 87.000 8.000 5.000 Vertriebsgemeinkosten 35.000 68.000 55.000 75.000 77.000 10.000 8.000 Abb. 2-77: Direkt zurechenbare Kosten des Beispiel-Projektes <?page no="256"?> Projektkostenplanung · 231 Bei den leistungsmengenneutralen Gemeinkosten ist eine verursachungsgerechte Zurechnung grundsätzlich nicht möglich. Sie werden in Form eines Deckungsbudgets zwischen Management und dem Projektverantwortlichen bzw. dem Projektteam ausgehandelt. Im Beispiel soll das Projekt in der Vorlauf- und Produktionsphase Anteile der Gemeinkosten der Basisentwicklung tragen, in den Produktionsperioden Anteile der leistungsmengenneutralen Material- und Fertigungsgemeinkosten und über alle Perioden hinweg Anteile der leistungsmengenneutralen Verwaltungs- und Vertriebskosten. In Abb. 2-78 sind alle leistungsmengenneutralen Kosten über die Projektlaufzeit hinweg aufgeführt. Periode t 0 t 1 t 2 t 3 t 4 t 5 t 6 Deckungsbudget (leistungsmengenneutrale Kosten) Basisentwicklung 18.000 18.000 18.000 18.000 18.000 Materialgemeinkosten (lmn) 18.000 42.000 45.000 Fertigungsgemeinkosten (lmn) 33.000 88.000 92.000 Verwaltungskosten (lmn) 17.000 17.000 17.000 17.000 17.000 17.000 17.000 Vertriebskosten (lmn) 15.000 15.000 15.000 15.000 15.000 15.000 15.000 Summe Deckungsbudget 50.000 50.000 101.000 180.000 187.000 32.000 32.000 Abb. 2-78: Deckungsbudget als Summe der leistungsmengenneutralen Kosten (5) Berechnung kalkulatorischer Zinsen nach Lücke Für die sinnvolle Ausgestaltung eines dynamischen Target Costing über mehrere Perioden sollte die Kapitalwertmethode eingesetzt werden. Hierfür sind i.d.R. zahlungsorientierte Größen notwendig. Im Moment bewegen wir uns jedoch auf der Ebene von Kosten und Leistungen: Auszahlungen, z.B. für Investitionen, fallen oftmals zu einem anderen Zeitpunkt an als die daraus resultierenden Kosten, wie die Abschreibungen der Investition. Daher wird der Barwert der Zahlungsströme i.d.R. nicht demjenigen auf der Grundlage der Kosten- und Leistungsgrößen entsprechen. Mit Hilfe des „Lücke-Theorems“ kann diese zeitliche Differenz durch den Ansatz von kalkulatorischen Zinsen auf das zu Beginn der Periode gebundene Kapital ausgeglichen werden (vgl. Lücke [Investitionsrechnungen] 314). Weitere Ausführungen zum Lücke-Theorem finden sich in Teil 3, Abschnitt 3 (S. 510f.). Die kalkulatorischen Zinsen werden auf die Kapitalbindung berechnet: Die Kapitalbindung bezeichnet „für jeden Zeitpunkt den bei der Kosten- und Leistungsrechnung insgesamt zuviel oder zuwenig verrechneten Überschuss relativ <?page no="257"?> 232 · Projektplanung zu den sich aus der Zahlungsrechnung tatsächlich ergebenden Zahlungsüberschüssen“ ( Ewert/ Wagenhofer [Unternehmensrechnung] 66). Die kalkulatorischen Zinsen sind für alle Produktionsfaktoren zu berechnen, die bei dem betrachteten Investitionsobjekt angefallen sind. Laut Lücke betrifft dies insbesondere Maschinen, Werkstoffe und Löhne (vgl. Lücke [Investitionsrechnungen] 315f.). Um das Beispiel nicht zu komplex zu gestalten, konzentrieren wir uns im Folgenden exemplarisch auf zwei Formen der Kapitalbindung im Anlagevermögen und eine im Umlaufvermögen: Die Anschaffung der Fertigungsmaschine, die Anschaffung der Spezialwerkzeuge und das Materiallager. Der Zinssatz für die kalkulatorischen Zinsen beträgt im Beispiel 10%. Die Fertigungsmaschine wird in t 1 angeschafft und anschließend auf Basis der jeweiligen Produktionsmengen abgeschrieben. Zum Ende von t 4 wird die Produktion eingestellt und die Maschine wird einem Anschlussprojekt zur Fertigung von Varianten zur Verfügung gestellt. Diese Übertragung wird über eine „sekundäre Einzahlung“ in t 5 dargestellt. Basis für die Berechnung der Kapitalbindung stellen die Zahlungsströme dar. Daher entspricht die Kapitalbindung in t 1 der Anfangsauszahlung. Die Kapitalbindung in den Folgeperioden ergibt sich als Differenz der Kapitalbindung der Vorperiode und der Abschreibung der laufenden Periode. In t 5 wird noch die „sekundäre Einzahlung“ mit berücksichtigt. Die Spezialwerkzeuge werden in t 0 , t 1 und t 3 beschafft und bezahlt. Sie werden jeweils über 2 Jahre linear abgeschrieben. Die Kapitalbindung ergibt sich wiederum aus der Kapitalbindung der Vorperiode, den neuen Zahlungen der laufenden Periode und der Abschreibung. Das Materiallager ist im Beispiel lediglich in den Produktionsphasen von Bedeutung. Wir gehen von einem durchschnittlichen Lagerbestand von 5% des Materialeinsatzes aus. Auf diesen Lagerbestand werden die kalkulatorischen Zinsen berechnet. In Abb. 2-79 ist die Berechnung der kalkulatorischen Zinsen im Beispiel dargestellt. (6) Ableitung von vorläufigen Periodenergebnissen für die Perioden des Marktzyklus und Berechnung des erlaubten Vorlauf- und Nachlaufvolumens Betrachtet man die obige Zusammenstellung der Kosten und Leistungen über die gesamte Laufzeit des Projektes, so wird deutlich, dass im jetzigen Stadium lediglich für die Produktions- und Verkaufsperioden, also t 2 bis t 4 , „Allowable Costs“ vorliegen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass erst zu diesem Zeitpunkt die Umsätze tatsächlich anfallen. Im Moment stehen wir jedoch am Beginn von t 0 und sollen mit Hilfe dieser drei „Allowable Cost“-Werte entscheiden, inwieweit das Projekt tatsächlich den angestrebten Zielgewinn erreichen kann und ob Kostenmanagement-Maßnahmen notwendig sind. <?page no="258"?> Projektkostenplanung · 233 Periode t 0 t 1 t 2 t 3 t 4 t 5 t 6 Anlagevermögen Fertigungsmaschine Investitionsauszahlung 0 140.000 0 0 0 0 0 AfA auf Basis der Produktionsmengen 0 0 12.500 31.250 33.750 0 0 Sekundäre Einzahlung 0 0 0 0 0 -62.500 0 Kapitalbindung 0 140.000 127.500 96.250 62.500 0 0 Kalkulatorische Zinsen auf Anlagen (nach Lücke), 10% 0 0 14.000 12.750 9.625 6.250 0 Werkzeuge Investitionsauszahlung 10.000 5.000 0 5.000 0 0 0 Lineare AfA 5.000 7.500 2.500 2.500 2.500 0 0 Kapitalbindung 5.000 2.500 0 2.500 0 0 0 Kalkulatorische Zinsen auf Anlagen (nach Lücke), 10% 0 500 250 0 250 0 0 Umlaufvermögen Materiallager Materialeinsatz 0 0 654.000 1.642.500 1.633.500 0 0 Lagerbestand: 5% des Materialeinsatzes 0 0 32.700 82.125 81.675 0 0 Kalkulatorische Zinsen: 10% 0,0 0,0 0,0 3.270,0 8.212,5 8.167,5 0,0 Summe kalkulatorische Zinsen 0 500,0 14.250,0 16.020,0 18.087,5 14.417,5 0 Abb. 2-79: Berechnung der kalkulatorischen Zinsen im Beispiel Um das tatsächlich beurteilen zu können, ist es notwendig, die Werte dynamisiert zu betrachten und sie auf einen Zeitpunkt hin zu verdichten: Wir brauchen einen Barwert, mit dessen Hilfe wir erkennen können, inwieweit das Unternehmen einen Spielraum hat, insbesondere bezüglich der Vorlauf- und Nachlaufkosten. Es ist möglich, einen Barwert für das „erlaubte Vorlauf- und Nachlaufvolumen“ zu berechnen, also ein Pendant zu den einperiodigen „Allowable Cost“-Größen, das die Werte des gesamten Lebenszyklus beinhaltet. Dieses „erlaubte Vorlauf- und Nachlaufvolumen“ kann als Budget für die Deckung von Investitionen, Entwicklungskosten und leistungsmengenneutralen Gemeinkosten in der Vorlauf- und Nachlaufphase interpretiert werden. Wird dieses Budget über die gesamte Projektlaufzeit komplett verbraucht, so würden genau die gesetzten Rentabilitätsanforderungen des Managements gedeckt. Hierfür werden zunächst die „Vorläufigen Periodenergebnisse“ in den drei Marktperioden berechnet. Ausgangspunkt sind hier die „Allowable Costs“ für die drei Marktperioden (vgl. Abb. 2-80). Bei Einhaltung dieser erlaubten Kosten würde die Renditevorgabe des Managements genau erfüllt. Subtrahiert man hier alle direkt zurechenbaren Kosten, also die Einzelkosten und die leistungsmengeninduzierten Gemeinkosten, so erhält man „Vorläufige Periodenergebnisse“ . Diese Ergebnisse könnten als eine Art „Puffer“ interpretiert werden, der so- <?page no="259"?> 234 · Projektplanung wohl für höhere Investitionen in die Forschung und Entwicklung als auch zur Deckung der leistungsmengenneutralen Gemeinkosten genutzt werden könnte oder aber das Gesamtprojektergebnis erhöht. Periode t 0 t 1 t 2 t 3 t 4 t 5 t 6 Geplante/ Abgesetzte Menge 0 0 1.000 2.500 2.700 0 0 Preis 0 0 1.200 1.200 1.200 0 0 = Bruttoumsatz 0 0 1.200.000 3.000.000 3.240.000 0 0 Durchschnittlicher Rabattsatz 0 0 5% 5% 5% 0 0 Rabatt 0 0 60.000 150.000 162.000 0 0 = Nettoumsatz 0 0 1.140.000 2.850.000 3.078.000 0 0 Ziel ROS 0 0 12% 12% 12% 0 0 Zielgewinn 0 0 136.800 342.000 369.360 0 0 Allowable Costs 0 0 1.003.200 2.508.000 2.708.640 0 0 Einzelkosten Projekt-F&E 21.000 37.500 12.500 14.500 5.000 0 0 Erstattung Projekt-F&E 0 -45.000 0 -12.000 0 0 0 Produktionsvorbereitung 0 800 0 0 0 0 0 Material 0 0 654.000 1.642.500 1.633.500 0 0 Fertigung 0 0 110.000 262.500 275.400 0 0 Rüsten 0 0 2.000 5.000 5.400 0 0 Ausschuß 0 0 25.000 50.000 48.600 0 0 Garantien 0 0 12.000 25.000 29.500 22.000 17.000 Gemeinkosten (lmi) Material 0 0 41.000 95.000 100.035 0 0 Fertigung 5.000 7.500 50.000 131.250 137.700 1.500 0 Verwaltung 10.500 15.000 75.000 85.000 87.000 8.000 5.000 Vertrieb 35.000 68.000 55.000 75.000 77.000 10.000 8.000 Kalkulatorische Zinsen (nach Lücke) 0 500,0 14.250,0 16.020,0 18.087,5 14.417,5 0 Summe der anfallenden Vorbzw. Nachlaufkosten (Einzelkosten, lmi Gemeinkosten und kalkulatorische Zinsen) 71.500 84.300 55.918 30.000 Abgezinste Vorbzw. Nachlaufkosten (Einzelkosten, lmi Gemeinkosten und kalkulatorische Zinsen) 71.500,0 76.636,4 34.720,4 16.934,2 Barwert der abgezinsten Vor- und Nachlaufkosten 199.790,9 Vorläufiges Periodenergebnis -47.550,0 118.230,0 291.417,5 Abb. 2-80: Berechnung der vorläufigen Periodenergebnisse Ohne Berücksichtigung der Vorlauf- und Nachlaufkosten müssten in t 2 noch ca. 47.500 Euro eingespart werden, wenn der eingeplante Gewinn erreicht werden soll. In t 3 und t 4 wäre dagegen noch eine Art Puffer vorhanden. Es zeigt sich, dass sich auf der Grundlage der „Vorläufigen Periodenergebnisse“ noch keine eindeutigen Empfehlungen ableiten lassen. Daher besteht der nächste <?page no="260"?> Projektkostenplanung · 235 Schritt in der Dynamisierung dieser Werte, also einer Barwertbetrachtung mit Abzinsung auf die Periode t 0 (vgl. Abb. 2-81). In unserem Beispiel legen wir für die Dynamisierung einen Zinssatz von 10% zugrunde. Periode t 0 t 1 t 2 t 3 t 4 t 5 t 6 Vorläufiges Periodenergebnis -47.550,0 118.230,0 291.417,5 Abgezinstes vorläufiges Periodenergebnis -39.297,5 88.827,9 199.042,1 Erlaubtes Vorlauf- und Nachlaufvolumen 248.572,5 Abb. 2-81: Berechnung des erlaubten Vorlauf- und Nachlaufvolumens (7) Ableitung der Zielkostenlücke durch Gegenüberstellung des erlaubten Vorlauf- und Nachlaufvolumens mit dem absolut notwendigen Vor- und Nachlaufvolumen Nachdem das erlaubte Vor- und Nachlaufvolumen errechnet wurde, ist als Nächstes eine Barwertbetrachtung der „Drifting Costs“ notwendig, um die Größen miteinander vergleichen zu können. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Varianten: Den Barwert der direkt zurechenbaren Vor- und Nachlaufkosten, also der Einzelkosten und leistungsmengeninduzierten Gemeinkosten, und den Barwert unter Berücksichtigung des Deckungsbudgets, also der zwischen Management und Projektteam vereinbarten Anteile an den leistungsmengenneutralen Gemeinkosten. Da der Barwert dem Vor- und Nachlaufvolumen entspricht, das laut Kostenplanung auf der Grundlage von Standardkosten notwendig wäre, werden wir diese Größe zukünftig „Absolut notwendiges Vor- und Nachlaufvolumen“ nennen, entweder inklusive oder ohne Deckungsbudget. Die „Aggregierte Zielkostenlücke“ ergibt sich dann als Differenz des „Erlaubten Vorlauf- und Nachlaufvolumens“ und des „Absolut notwendigen Vor- und Nachlaufvolumens“. Da es zwei Varianten des „Absolut notwendigen Vor- und Nachlaufvolumens“ gibt, ergeben sich auch zwei Zielkostenlücken: Die „Aggregierte Zielkostenlücke ohne Deckungsbudget“ Die „Aggregierte Zielkostenlücke incl. Deckungsbudget“ Die Berechnung der Zielkostenlücken wird in Abb. 2-82 aufgezeigt. <?page no="261"?> 236 · Projektplanung Periode t 0 t 1 t 2 t 3 t 4 t 5 t 6 Deckungsbudget (leistungsmengenneutrale Kosten) Basisentwicklung 18.000 18.000 18.000 18.000 18.000 0 0 Material 0 0 18.000 42.000 45.000 0 0 Fertigung 0 0 33.000 88.000 92.000 0 0 Verwaltung 17.000 17.000 17.000 17.000 17.000 17.000 17.000 Vertrieb 15.000 15.000 15.000 15.000 15.000 15.000 15.000 Summe Deckungsbudget pro Periode 50.000 50.000 101.000 180.000 187.000 32.000 32.000 Abgezinste Deckungsbudgets 50.000 45.455 83.471 135.237 127.724 19.869 18.063 Barwert der abgezinsten Deckungsbudgets 479.818 Summe der anfallenden Vorbzw. Nachlaufkosten (Einzelkosten, lmi Gemeinkosten und kalkulatorische Zinsen) 71.500 84.300 55.918 30.000 Abgezinste Vorbzw. Nachlaufkosten (Einzelkosten, lmi Gemeinkosten und kalkulatorische Zinsen) 71.500,0 76.636,4 34.720,4 16.934,2 Barwert der abgezinsten Vor- und Nachlaufkosten 199.790,9 Vorläufiges Periodenergebnis -47.550,0 118.230,0 291.417,5 Abgezinstes vorläufiges Periodenergebnis -39.297,5 88.827,9 199.042,1 Erlaubtes Vorlauf- und Nachlaufvolumen 248.572,5 Absolut notwendiges Vor- und Nachlaufvolumen incl. Deckungsbudget 679.609,4 Aggregierte Zielkostenlücke incl. Deckungsbudget -431.036,9 Absolut notwendiges Vor- und Nachlaufvolumen ohne Deckungsbudget 199.790,9 Aggregierte Zielkostenlücke ohne Deckungsbudget 48.781,6 Abb. 2-82: Ableitung von aggregierten Zielkostenlücken mit und ohne Deckungsbudget Betrachtet man die „Aggregierte Zielkostenlücke ohne Deckungsbudget“, so übersteigt das „Erlaubte Vor- und Nachlaufvolumen“ das „Absolut notwendige Vor- und Nachlaufvolumen“, d.h. es gibt auf den ersten Blick keinen Bedarf für Kostenmanagement-Maßnahmen, sondern es steht sogar noch ein größerer Spielraum zur Verfügung. Allerdings wurde diese Größe lediglich auf der Grundlage der direkt zurechenbaren Kosten gewonnen, d.h. es wurden bislang keine Anteile an den leistungsmengenneutralen Gemeinkosten berücksichtigt. <?page no="262"?> Projektkostenplanung · 237 Dies geschieht mit Hilfe der Größe „Aggregierte Zielkostenlücke incl. Deckungsbudget“, die zeigt, dass mit der vorliegenden Planung die vorgesehenen leistungsmengenneutralen Gemeinkosten in der Vorlauf- und Nachlaufphase nicht gedeckt werden können. Hier zeigt sich ein Bedarf für den Einsatz von Kostenmanagement-Maßnahmen, wenn das gesamte Deckungsbudget erwirtschaftet werden soll. (8) Verteilung des erlaubten und absolut notwendigen Vor- und Nachlaufvolumens anhand der Mengen Für den Entwurf konkreter Kostenmanagement-Maßnahmen ist der Barwert eine relativ schwer praktisch handhabbare Größe. Daher werden die verschiedenen Vor- und Nachlaufvolumina anhand der Mengen auf die Produktions- und Verkaufsperioden verteilt. Alle drei Barwerte, die in Schritt 7 berechnet wurden (Abb. 2-82), werden nun durch die geplante Gesamtstückzahl in Höhe von 6.200 Stück geteilt und mit der jeweiligen Periodenmenge multipliziert. Der resultierende Betrag wird in die jeweilige Periode aufgezinst (vgl. Abb. 2-83). Periode t 0 t 1 t 2 t 3 t 4 t 5 t 6 Barwert erlaubte Vor- und Nachlaufkosten / Stück 40,09 Barwert nötige Vor- und Nachlaufkosten / Stück (incl. Deckungsbudget) 109,61 Barwert nötige Vor- und Nachlaufkosten / Stück (ohne Deckungsbudget) 32,22 Erlaubte Jahresdeckungslast 48.511,7 133.407,3 158.487,8 Nötige Jahresdeckungslast (umgelegte absolut nötige Vor- und Nachlaufkosten incl. Deckungsbudget) 132.633,4 364.742,0 433.313,5 Nötige Jahresdeckungslast (umgelegte absolut nötige Vor- und Nachlaufkosten ohne Deckungsbudget) 38.991,5 107.226,5 127.385,1 Abb. 2-83: Verteilung der Barwerte in die Produktions- und Absatzperioden Um nun die Zielkostenlücke bzw. den Zielkostenpuffer auf die drei Perioden mit Umsätzen verteilen zu können, wird zunächst der „Erlaubte Periodenbeitrag“ als Differenz der „Vorläufigen Periodenergebnisse“ und der „Erlaubten Jahresdeckungslast“ berechnet. Diese Größe gibt an, welcher Periodenbeitrag sich ergeben würde, wenn tatsächlich die erlaubte Jahresdeckungslast umgesetzt würde, die aus den erlaubten Vor- und Nachlaufkosten resultieren würde. <?page no="263"?> 238 · Projektplanung Dieser „Erlaubte Periodenbeitrag“ wird nun in jeder Periode den Periodenbeiträgen gegenübergestellt, die sich ergeben würden, wenn die beiden Varianten der „Nötigen Jahresdeckungslast“, also der absolut nötigen Vor- und Nachlaufkosten incl. und ohne Deckungsbudget, zum Zuge kämen. Diese prognostizierten Periodenbeiträge würden sich also analog zur Verwirklichung der „Drifting Costs“ im einperiodigen Fall ergeben. Die Subtraktion dieser Periodenbeiträge führt zu „Prognostizierten Zielkostenlücken“ für die Perioden mit Umsätzen. Dividiert man diese Zielkostenlücken durch die jeweiligen Periodenmengen, so bekommt man eine relativ leicht handhabbare Größe, die „Zielkostenlücke pro Stück“. In Abb. 2-84 wird diese Vorgehensweise für das vorliegende Beispiel verdeutlicht. Periode t 0 t 1 t 2 t 3 t 4 t 5 t 6 Erlaubter Periodenbeitrag (Vorläufiges Periodenergebnis - Erlaubte Jahresdeckungslast) -96.061,7 -15.177,3 132.929,7 Prognostizierter Periodenbeitrag (incl. Deckungsbudget) -180.183,4 -246.512,0 -141.896,0 Prognostizierte Zielkostenlücke (incl. Deckungsbudget) -84.121,7 -231.334,7 -274.825,6 Erlaubter Periodenbeitrag (Vorläufiges Periodenergebnis - Erlaubte Jahresdeckungslast) -96.061,7 -15.177,3 132.929,7 Prognostizierter Periodenbeitrag (ohne Deckungsbudget) -86.541,5 11.003,5 164.032,4 Prognostizierte Zielkostenlücke (ohne Deckungsbudget) 9.520,3 26.180,7 31.102,7 Zielkostenlücke (incl. Deckungsbudget) / Stück -84,1 -92,5 -101,8 Zielkostenpuffer (ohne Deckungsbudget / Stück) 9,5 10,5 11,5 Abb. 2-84: Berechnung der prognostizierten Zielkostenlücke mit und ohne Berücksichtigung des Deckungsbudgets Wie erwartet, zeigt sich bei der Berechnung der Zielkostenlücke ohne Berücksichtigung des Deckungsbudgets, dass die Organisation noch einen Spielraum hätte. Betrachtet man dagegen die Zielkostenlücke incl. Deckungsbudget, so wird ein erheblicher Kostensenkungsbedarf deutlich. Die Zielkostenlücke in t 4 ergibt sich beispielsweise deshalb, weil zur Erreichung der 12% ROS eigentlich ein positiver Periodenbeitrag in Höhe von ca. 132.930 Euro nötig wäre, im Moment aber wahrscheinlich ein stark negativer Periodenbeitrag in Höhe von 141.896 Euro erzielt wird (Prognostizierter Periodenbeitrag). Es würden also noch ca. 274.826 Euro fehlen, um den vorgegebenen ROS zu erreichen. <?page no="264"?> Projektkostenplanung · 239 Damit sind wir bei der Anwendung des Target Costing am Ende der Phase der „Zielkostenermittlung“ angekommen (vgl. Abschnitt 6.9.3.3.2): Aus der Gegenüberstellung der „Drifting Costs“ und der „Target Costs“ ergibt sich die „Zielkostenlücke“, die mit Hilfe entsprechender Maßnahmen zur Kostengestaltung angegangen werden soll. Bisher haben wir jedoch in diesem Abschnitt immer von „Allowable Costs“ und nicht von „Target Costs“ gesprochen. Dabei sind wir davon ausgegangen, dass es aufgrund der Komplexität des Dynamischen Target Costing sinnvoll ist, zunächst die „Allowable Costs“ als Kostenobergrenze zugrunde zu legen und dann im nächsten Schritt über die definitive Festlegung der Target Costs zu entscheiden, wenn das Ausmaß der Differenz von „Drifting Costs“ und „Allowable Costs“ genauer untersucht wurde. In den drei Perioden mit Umsätzen ergeben sich unter Berücksichtigung der Vor- und Nachlaufkosten Zielkostenlücken pro Stück in Höhe von ca. 84, 93 bzw. 102 Euro, wenn das geplante Deckungsbudget voll durch das Projekt erwirtschaftet und zugleich der vorgesehene ROS in Höhe von 12% erreicht werden soll. Um diese Zielkostenlücke zu schließen, folgt nun die Phase der Zielkostenspaltung, in der im Zuge der Gegenüberstellung von relativen Kosten- und Nutzenanteilen verbesserungswürdige Komponenten identifiziert werden (vgl. den Abschnitt über die Zielkostenspaltung 6.9.3.3.2). Der letzte Schritt besteht in der Zielkostenrealisierung durch Maßnahmen, wie z.B. die Veränderung technischer Eigenschaften des Produkts, die Substitution von Materialien, die Modifikation des Produktionsprozesses oder auch der Fremdbezug von Komponenten statt deren Eigenfertigung. Will man die verschiedenen möglichen Maßnahmen bewerten und ihre Kostenwirkung vergleichen, so sind neue Kostenschätzungen notwendig. 6.9.4.4 Kritische Würdigung des Modells der integrierten Projektkostenplanung Mit Hilfe des Modells der Integrierten Projektkostenplanung werden Steuerungswerte für die einzelnen Perioden generiert, bei denen die Vor- und Nachlaufkosten im Zuge der Ableitung von Target Costs berücksichtigt werden. Es sind komparativ-statische Vergleiche für die kurzfristige Steuerung des Projektes möglich, die folgende Vorteile aufweisen: Falls sich bereits im Laufe der sich konkretisierenden Planungen oder in einer Periode unerwartet eine neue Zielkostenlücke ergibt, kann sofort eingegriffen werden. Außerdem lässt sich besser abschätzen, ob sich das Problem auch in den folgenden Perioden fortsetzen wird und ob bzw. wie in diesem Fall in den Folgeperioden gegengesteuert werden muss. Die ökonomi- <?page no="265"?> 240 · Projektplanung schen Auswirkungen von Abweichungen über den Gesamtlebenszyklus werden somit schneller transparent. Periodenübergreifende Kostenmanagement-Maßnahmen können besser beurteilt werden. Im Rahmen der Lebenszyklusbetrachtung können sich ändernde Marktverhältnisse sowohl auf der Absatzals auch auf der Beschaffungsseite, beispielsweise in Form von Preisänderungen, in das Kalkül einfließen. Außerdem können mögliche Lernkurveneffekte, beispielsweise im Hinblick auf den Materialverbrauch, berücksichtigt werden. Das Konzept weist allerdings auch verschiedene Problemfelder und theoretische Unzulänglichkeiten auf: Durch die Dynamisierung des Target Costing ergibt sich bei der Umperiodisierung anhand der jeweiligen Menge der Periode eine Verzerrung aufgrund des Zinseszinseffektes: Die Perioden mit Mengen unter dem Durchschnitt werden über den Zinseszinseffekt unterproportional, die Perioden mit überdurchschnittlichen Mengen überproportional mit Kostenanteilen belastet. Die geplanten Mengen üben also einen großen Einfluss auf die Zielkostenlücken aus. „Bei allen Produkten, deren Istmengen in der Einführungs- und Wachstumsphase die Planmengen nicht erreichen, besteht ... die Gefahr der Unterdeckung des Vorlaufvolumens. Dies gilt auch dann, wenn über den gesamten Lebenszyklus die geplanten Absatzzahlen erreicht werden“ ( Mussnig [Target Costing] 216). Daraus kann man eine wichtige, intuitiv eingängige Konsequenz für das Kostenmanagement ableiten: Je früher größere Mengen auf dem Markt abgesetzt werden können, desto schneller lassen sich die Vor- und Nachlaufkosten wieder „amortisieren“ und das Projektrisiko verringern. Die oben dargestellte Abhängigkeit der Zielkostenlücken von den geplanten Mengen wirft besondere Probleme bei Mengenänderungen im Laufe des Projektlebenszyklus auf: Es können sich bei angepasster Rechnung vollkommen neue Zielkostenlücken ergeben. Aus diesem Grund ist es von besonderer Wichtigkeit, die sich hieraus ergebenden Risiken möglichst detailliert zu durchdenken und Reaktionsmöglichkeiten zu antizipieren. Daher sollten schon im ersten Planungsstadium des Projektes mehrere alternative Planungsrechnungen auf der Grundlage verschiedener Szenarien entwickelt werden. Ergänzend können Sensitivitätsrechnungen eingesetzt werden, um die Sensibilität des Managements für Risikofaktoren zu erhöhen. Dies ist für eine vorlaufende Risikoabschätzung und auch für den Fall von Nachverhandlungen mit dem Kunden von Bedeutung. <?page no="266"?> Projektkostenplanung · 241 Trotz aller Bemühungen um eine möglichst verursachungsgerechte Zurechnung von Gemeinkosten gibt es eine gewisse „Willkür“ bei der Verrechnung der leistungsmengenneutralen Gemeinkosten, die jedoch allen vollkostenrechnerischen Ansätzen anhaftet. Aufgrund des langfristigen Betrachtungszeitraums erscheint eine vollkostenrechnerische Vorgehensweise allerdings sinnvoll. Die gesamte Vorgehensweise der Dynamisierung ist relativ komplex. Dadurch könnte es schwierig werden, allen Beteiligten das Gesamtkonzept näherzubringen. Wahrscheinlich ist es daher sinnvoll, im Unternehmen Experten auszubilden, die als Projektcontroller den Projekten ihre Spezialkenntnisse der Projektkalkulation zur Verfügung stellen. Wir fassen zusammen: Die vorgestellte Gesamtlösung zur Projektkostenplanung ist aufgrund der oben dargestellten Eigenschaften, insbesondere jedoch aufgrund der mehrperiodischen Betrachtungsweise, theoretisch nicht vollkommen problemfrei, aber sie stellt als Praktikerverfahren einen wichtigen Fortschritt dar. Vorteile der Integrierten Projektkostenplanung: Die gesamten Kosten über den vollständigen Lebenszyklus stehen im Mittelpunkt der Betrachtung, es werden operationale Vorgaben für mehrere Perioden unter Berücksichtigung von dynamischen Effekten abgeleitet. Die Zurechnung der Kosten der indirekten Leistungsbereiche erfolgt möglichst verursachungsgerecht und transparent. <?page no="267"?> 242 · Projektumsetzung 7 Projektumsetzung 7.1 Aufgaben der Projektumsetzung In Abschnitt 6 wurden die Aufgaben und die verschiedenen Methoden der Planung eines Projektes vorgestellt. In der Projektumsetzung werden die Pläne als Grundlage für eine systematische Erarbeitung der gewünschten Projektergebnisse eingesetzt. In den Führungsregelkreisen des Projektmanagements befinden wir uns links unten im weiß unterlegten Teilbereich, dem operativen „Management von Projekten“ (Abb. 2-85). Umsetzung der Projektplanung Erfassung von Ist-Projektdaten Durchführung eines Soll-Ist-Vergleichs (Abweichungsanalyse) Konsequenzen aus den Abweichungen Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Durchführungskontrolle Gesamtunternehmensplanung Planung der Unternehmensentwicklung Planung der Wertentwicklung Entscheidung für ein Projektportfeuille Änderung der Gesamtunternehmensplanung, evtl. Projektabbruch Einzelprojektplanungen (Vorgabe von Soll-Daten) Änderung der Einzelprojektplanung Sukzessiver Planungsfortschritt Durchführung eines Soll-Wird-Vergleichs (Planfortschrittskontrolle) Strategische Überwachung Strategische Überwachung Strategische Prämissenkontrolle Umsetzung der Multiprojektplanung Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Ebene Operative Ebene Abb. 2-85: Die Führungsregelkreise des Projektmanagements Im Zuge der Umsetzung ergeben sich „Ist-Daten“, die den bisher geplanten „Soll-Werten“ gegenübergestellt werden. Auf dieser Grundlage können auch „Wird-Daten“ prognostiziert werden, um abschätzen zu können, ob die ur- <?page no="268"?> Teilprozesse der Projektumsetzung · 243 sprünglichen Soll-Werte zum Projektende auch aus heutiger Sicht noch erreichbar erscheinen. Ergeben sich bei diesen Vergleichen Abweichungen, so werden diese genau analysiert. Je nach Art und Stärke der Abweichung gibt es drei Möglichkeiten, mit diesen Abweichungen umzugehen: (1) Entscheidung zugunsten korrigierender Steuerungsmaßnahmen und deren Durchführung (2) Wiederaufnahme der Projektplanung, Einarbeitung von Änderungen auf Einzelprojektebene und evtl. Korrekturmaßnahmen auf Multiprojektebene (3) Bei sehr gravierenden Abweichungen: Evtl. Änderung der Gesamtunternehmensplanung oder Projektabbruch An dieser Stelle wird deutlich, wie stark die Umsetzung mit der Planung und der Kontrolle verknüpft ist. Die Kontrolle und Sicherung im Sinne der Auslösung von Anpassungsmaßnahmen werden wir im nächsten Abschnitt 8 „Projektkontrolle“ detailliert betrachten. In diesem Abschnitt über die Projektumsetzung liegt der Schwerpunkt auf Aktivitäten des Projektinformationsmanagements, Änderungsmanagements, Konfigurationsmanagements und Vertrags- und Nachforderungsmanagements. Dabei muss natürlich betont werden, dass diese Aufgaben nicht nur auf die Projektumsetzungsphase beschränkt sind, sondern dass sie hier gewöhnlich gehäuft anfallen (vgl. die Beziehungen zwischen den Phasen des Managements von Projekten S. 43ff.). 7.2 Teilprozesse der Projektumsetzung Folgende Aufgabenbereiche sind essentiell für den Erfolg der Projektumsetzung: Das Projektinformationsmanagement dient der Bereitstellung und dem Austausch von projektrelevanten Daten sowohl innerhalb des Projektteams als auch mit wichtigen Stakeholdern. Mit dem Austausch der Informationen ist Kommunikation verbunden. Die verschiedenen Instrumente des Projektinformationswesens können für das Projektmarketing genutzt werden. <?page no="269"?> 244 · Projektumsetzung Im Projektverlauf sind Änderungen erforderlich, z.B. aufgrund von Fehleinschätzungen, Schwierigkeiten bei der Umsetzung wegen veränderter Rahmenbedingungen oder auch Veränderungen der Kundenanforderungen. Das Änderungsmanagement und das Konfigurationsmanagement dienen dem systematischen und insbesondere nachvollziehbaren Umgang mit diesen Entwicklungen. Änderungen im Projektverlauf führen häufig zu Reibungen zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer. In diesem Fall gewinnt das Vertrags- und Claim Management an Bedeutung. 7.3 Projektinformationsmanagement 7.3.1 Aufgaben und Ziele Der Erfolg eines Projektes hängt maßgeblich davon ab, ob es gelingt, den richtigen Personen die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt und in den richtigen Abständen in der richtigen Qualität und im richtigen Umfang/ Detaillierungsgrad mit Hilfe des richtigen Mediums zur Verfügung zu stellen. Dieser Satz macht bereits deutlich, dass die Bestimmung der verschiedenen Parameter ein systematisches Informationsmanagement erfordert, denn es muss zunächst festgelegt werden, wer oder was im jeweiligen Fall „richtig“ ist: Das Projektinformationsmanagement ist zielorientiert zu gestalten. Das Projektinformationsmanagement umfasst alle Aktivitäten und Instrumente zur - Analyse des Informationsbedarfs für alle Stakeholder des Projektes, - Erfassung und Beschaffung, - Verarbeitung, - Weiterleitung sowie - Speicherung projektrelevanter Daten. <?page no="270"?> Projektinformationsmanagement · 245 Um diesen vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden, muss bereits zu Projektbeginn das Projektinformationssystem geplant und festgelegt werden (vgl. S. 105ff. „Planung des Projektmanagementsystems“). Die Ziele des Projektinformationsmanagements sind: Unterstützung der Zusammenarbeit aller Personen, die am Projekt beteiligt sind, durch Bereitstellung und Verteilung aller projektrelevanten Informationen Möglichst frühzeitige Erkennung von Veränderungen im Projektumfeld und von Problemen im Zuge der Projektdurchführung Schaffung einer Grundlage für die Delegation und Koordination der Projektaufgaben, insbesondere durch die Vereinbarung von möglichst kurzen Kommunikationswegen Zeitnahe Bereitstellung von entscheidungsrelevanten Informationen und somit Sicherstellung der Steuerungsfähigkeit Schaffung von Akzeptanz und Beteiligung der vom Projekt Betroffenen Sicherung des erarbeiteten Projektwissens für weitere Projekte Für die Erreichung dieser Ziele müssen die Informationen regelmäßig und pünktlich zur Verfügung stehen, vergleichbar, klar formuliert, übersichtlich und verständlich sowie relevant, aktuell, vollständig und wahr sein (vgl. Rinza [Projektmanagement] 104). Für ein erfolgreiches Projektinformationssystem ist die Erkenntnis aller Projektteammitglieder notwendig, dass sie in diesem System eine essenziell wichtige Rolle einnehmen, denn die Qualität der Informationen, die in das System eingehen, hängt entscheidend von ihrem Engagement ab: „Gibt man Müll in das System hinein, so kommt auch nur Müll heraus“ ( Burke [Projektmanagement] 348). Eine besondere Herausforderung des Projektinformationsmanagements ist in der Bestimmung und Umsetzung des optimalen Grades an Informationsversorgung zu sehen: Sowohl die Unterals auch die Überversorgung mit Informationen können sich kontraproduktiv auf den Projekterfolg auswirken, so dass ein Kompromiss zwischen Sicherstellung der Handlungsfähigkeit und dem Zeitaufwand zur Bereitstellung und Verarbeitung der Informationen angestrebt werden sollte (vgl. Diethelm [Projektmanagement 2] 168). <?page no="271"?> 246 · Projektumsetzung Ein verwandtes Thema ist der Zuschnitt der Informationen auf den jeweiligen Empfänger, z.B. durch Anpassung des Detailliertheitsgrades. Unterschiedliche Zielgruppen haben i.d.R. auch verschiedene Informationsbedürfnisse. Beispielsweise benötigt die Geschäftsführung lediglich einen aggregierten Überblick über den Projektstand, während der interne Auftraggeber eventuell an umfassenderen Informationen interessiert ist. Der Projektleiter muss für seine Arbeit dagegen auf eine Fülle von detaillierten Informationen über den aktuellen Status des Projektes zurückgreifen können. Man kann also grundsätzlich davon ausgehen, dass die Informationen umso stärker aggregiert werden müssen, je höher die Hierarchiestufe des Empfängers ist (vgl. Schreckeneder [Projektcontrolling] 204). Zur Gestaltung des spezifischen Projektinformationssystems empfiehlt sich die folgende Vorgehensweise: (1) Durchführung einer Umfeldanalyse zur Festlegung der relevanten Zielgruppen für Informationen (vgl. Abschnitt 4.1.3), (2) Intensive Beschäftigung mit den Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe, (3) Entwurf von entsprechenden Maßnahmen, Prozessen mit Terminplan und eventuell Normvorlagen für die relevanten Zielgruppen, (4) Diskussion und Festlegung der organisatorischen und zwischenmenschlichen Regeln für die Information und Kommunikation innerhalb des Projektteams als besonders wichtiger Zielgruppe, (5) Erstellung eines Kommunikationsplans für die interne und externe Kommunikation. Verzichtet man auf die aktive Gestaltung des Informationssystems, so drohen verschiedene Gefahren. Zum einen sind viele Ineffizienzen zu erwarten, da sich grundlegende Voraussetzungen für die praktische Arbeit erst entwickeln müssen, z.B. ein Projektlaufwerk mit einer entsprechenden Struktur. Zum anderen können fehlende Regelungen auch zum Missbrauch führen, indem Informationen aktiv zurückbehalten oder Gerüchte verbreitet werden, um den reibungslosen Ablauf des Projektes zu vereiteln (vgl. Kuster u.a. [Projektmanagement] 186ff.). Das Projektinformationsmanagement enthält als wichtigen Baustein die Projektkommunikation als Austausch von projektrelevanten Informationen. Grundsätzlich kann man schriftlich und mündlich kommunizieren. Im Projektinformationsmanagement sind die in Abb. 2-86 aufgeführten Bestandteile von besonderer Bedeutung. <?page no="272"?> Mündliche Kommunikation · 247 Projektinformationsmanagement Mündliche Projektinformation und -kommunikation Schriftliche Projektinformation und -kommunikation Formale Kommunikation IT-gestützter Datenaustausch und virtuelle Zusammenarbeit Informale Kommunikation Dokumentation Reporting Nutzung für das Projektmarketing Abb. 2-86: Bestandteile des Projektinformationsmanagements (In Anlehnung an: Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 340ff.) Die verschiedenen Elemente des Projektinformationsmanagements können eingesetzt werden, um bei den Stakeholdern um Unterstützung für das Projekt zu werben (Projektmarketing). Wir werden uns nun mit den einzelnen Bestandteilen des Informationswesens beschäftigen: Der mündlichen und schriftlichen Kommunikation sowie dem Projektmarketing. 7.3.2 Mündliche Kommunikation Die „Face-to-Face“-Kommunikation nimmt gewöhnlich eine besonders wichtige Stellung im Vergleich zur mündlichen Kommunikation über Medien wie Video oder Telefon ein: Sie ermöglicht das Zusammenspiel von Wort, Bild, nonverbaler Kommunikation und sozialem Kontakt sowie die Gelegenheit eines unmittelbaren Feedback und gilt daher als effektivste und intensivste Art der Zusammenarbeit (vgl. Kuster u.a. [Projektmanagement] 190). Sie trägt außerdem in einem besonderen Maße zur Entwicklung eines Wir-Gefühls im Team bei. Aufgrund der starken Komplexität und Dynamik in Projekten kann von einem relativ hohen Kommunikationsbedarf ausgegangen werden, d.h. die Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft stellen i.d.R. grundlegende Kompetenzen für Projektmitarbeiter dar. Bekannte Kommunikationswissenschaftler, wie Friedemann Schulz von Thun oder Paul Watzlawick , haben sich intensiv mit der mündlichen Kommunikation beschäftigt. Eine zentrale Erkenntnis ist hierbei, dass man „nicht nicht kommunizieren kann“. Zudem können die Grundlagen des Konstruktivismus herangezogen und auf ihre Auswirkungen auf die Kommunikation untersucht werden, <?page no="273"?> 248 · Projektumsetzung mit denen wir uns in Abschnitt 4.2 im Zuge des Kick-Off-Meetings beschäftigt haben: Jeder Mensch hat sein „Konstrukt“ von einem Sachverhalt, das auf seinem persönlichen Hintergrund beruht, also auf Erfahrungen, Know how, seiner Gefühlslage und vielem mehr. Bereits die Wahrnehmung als erster Schritt einer Kommunikation ist von Subjektivität geprägt: „Von entscheidender Bedeutung für das Verständnis des Wahrnehmungsprozesses ist seine Subjektivität, Aktivität, Selektivität. Jeder Einzelne lebt in einer subjektiv wahrgenommenen Welt…. Wahrnehmung ist ein aktiver Vorgang der Informationsaufnahme und -verarbeitung, durch den sich der Einzelne seine subjektive Umwelt selbst konstruiert….Wahrnehmung ist ein System der Informationsbewältigung und dient dazu, aus der unübersehbaren Menge der auf unsere Sinnesorgane einwirkenden Reize einen kleinen Teil auszuwählen“ ( Kroeber-Riel/ Weinberg/ Gröppel-Klein [Konsumentenverhalten] 321). Aus dieser Perspektive betrachtet, können sich relativ leicht Schwierigkeiten und Missverständnisse in der Kommunikation ergeben. Verschiedene Lehrbücher legen einen Schwerpunkt auf dieses Thema. So finden sich interessante Ausführungen zu den theoretischen Hintergründen der mündlichen Kommunikation beispielsweise bei Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 346ff., Diethelm [Projektmanagement 2] 171ff., Kuster u.a. [Projektmanagement] 193ff. oder Burke [Projektmanagement] 342ff. Bei der mündlichen Kommunikation können die formale und die informale Kommunikation unterschieden werden. 7.3.2.1 Formale Kommunikation Zur formalen mündlichen Kommunikation in Projekten gehören insbesondere Sitzungen und Workshops. Der Erfolg von zielorientierten Treffen dieser Art hängt zu einem großen Teil von einer gründlichen Vorbereitung ab. Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Besprechung eines kurzen Themas von nur 5 Minuten bei einem Team von 6 Personen bereits 30 Minuten Arbeitszeit in Anspruch nimmt, d.h. Sitzungen sind teuer und zeitaufwändig. Eine gute Vorbereitung trägt außerordentlich zu einer effektiven Gestaltung, also der Bearbeitung der „richtigen“ Themen und <?page no="274"?> Mündliche Kommunikation · 249 effizienten Gestaltung, d.h. einer möglichst wirtschaftlichen Durchführung eines Meetings bei. Zur Vorbereitung gehört insbesondere eine strukturierte Tagesordnung mit Zeitplan. Auch die Nachbereitung in Form von Protokollen ist nicht zu vernachlässigen, denn sie dient der Dokumentation des Diskussionsverlaufs, wichtiger Maßnahmen mit Verantwortlichem und Zeitplan sowie der getroffenen Entscheidungen. Zur formalen Kommunikation gehören auch Treffen mit dem internen Auftraggeber zur Darstellung und Diskussion des aktuellen Projektstandes oder weitere Projektpräsentationen vor anderen wichtigen Stakeholdern des Projektes. 7.3.2.2 Informale Kommunikation Neben der formalen Kommunikation, die bestimmten Gestaltungsregeln unterliegt, findet zwischen Menschen meist auch eine informale Kommunikation in Form von ungeplanten Gesprächen statt. Die informale Kommunikation spielt für die Teambildung eine wichtige Rolle, denn über diese Art der Kommunikation werden soziale Beziehungen aufgebaut und gepflegt. So können Schwierigkeiten „unter Kollegen“ wesentlich schneller und flexibler gelöst werden: Man unterstützt und hilft sich gegenseitig, was einen reibungslosen Ablauf des Projektes fördert. Mögliche Entwicklungen im Umfeld des Projektes werden i.d.R. im Rahmen von informellen Gesprächen wesentlich früher thematisiert. Auch im Zuge des Projektmarketing ist die Wirkung von informalen Gesprächen mit Stakeholdern nicht zu unterschätzen. Informale Kommunikation kann also unterstützend für das Projekt wirken, zwingend ist dies jedoch nicht: Zu viel informale Kommunikation in Form von intensiven Privatgesprächen kann die Effizienz des Projektes auch mindern. Zudem können die Kanäle der informalen Kommunikation auch dafür genutzt werden, das Projekt zu behindern. Allerdings beeinflusst die informale Kommunikation die Bereitschaft, aktiv mitzuarbeiten stark und trägt entscheidend zur Gruppenkohäsion bei, die Teamarbeit besonders erfolgreich machen kann. Wenden wir uns nun den Formen der schriftlichen Kommunikation zu. <?page no="275"?> 250 · Projektumsetzung 7.3.3 Schriftliche Kommunikation In der Einleitung wurde bereits festgestellt, dass es nicht immer leicht ist, den optimalen Grad für die Versorgung der Teammitglieder mit Informationen zu treffen. Schriftliche Informationen können bereitgestellt und durch die Interessierten selbständig abgerufen oder den Empfängern direkt zugestellt werden. Um einen „information overload“ zu verhindern, sollte für den Empfänger der Information schnell ersichtlich sein, welches Thema sie betrifft und welche Relevanz sie somit für ihn hat. In Mails sollten die Betreffzeilen entsprechend genutzt werden, bei den Regeln zur Namensgebung von Dateien sollte die inhaltliche Zuordnung zu einem bestimmten Thema gewährleistet sein. Zudem ist sicherzustellen, dass die Informationen tatsächlich nur denjenigen Personen zugänglich sind, die sie benötigen, d.h. es müssen Zugriffsrechte vergeben und Verteilungsregeln vereinbart werden. Zu den schriftlichen Bestandteilen des Projektinformationssystems gehören insbesondere das Reporting, die Dokumentation von Projekten sowie der Datenaustausch und die Zusammenarbeit innerhalb des Projektteams über das Internet. 7.3.3.1 Reporting Das Reporting oder auch Berichtswesen dient der schriftlichen Information der verschiedenen Stakeholder des Projektes über den aktuellen Stand und mögliche zukünftige Entwicklungen. Zu diesen Stakeholdern gehören v.a. der Projektleiter das Projektteam der interne Auftraggeber der Kunde und seine Organisation relevante Behörden oder sonstige Institutionen Das Reporting stellt die Grundlage für die Steuerung und Kontrolle des Projektes dar. Die Grundzüge des Reporting sind meist unternehmensweit geregelt und werden im Projektmanagement-Handbuch beschrieben. Innerhalb des vorgegebenen Rahmens ist bei der Gestaltung von Berichten besonders auf die jeweiligen individuellen Bedürfnisse der Stakeholder zu achten. <?page no="276"?> Reporting · 251 Sinnvollerweise wird bereits zu Projektbeginn ein Projektreportingsystem festgelegt, in dem alle zu erstellenden Berichte geregelt und kurz beschrieben sind. Dabei stehen die folgenden Themen im Mittelpunkt: Ziel des jeweiligen Reports, z.B. Informationen über den Projektstatus für das Projektmanagementoffice zur Weiterverwendung im Multiprojektreporting Adressaten des Reporting Verantwortliche Personen für die Erhebung und Aufbereitung der Informationen Genaue Inhalte, z.B. Kennzahlen, Abweichungsanalysen Regeln für die Erstellung des jeweiligen Reports, beispielsweise für die Durchführung von Abweichungsanalysen Erhebungsprozess, z.B. Berichtszyklus, Tooling, Ressourcen für die Datenerhebung Die folgenden Berichte gehören zum Standard im Projektmanagement (sie dienen zum Großteil ebenso der Dokumentation): Projektauftrag Projektstatus-/ Projektfortschrittsberichte Protokolle von Besprechungen Projektpräsentationen Abschlußberichte für Phasen oder das gesamte Projekt Projekthandbuch (1) Projektauftrag Der Projektauftrag wird in der Projektstartphase ausgearbeitet. Am Ende dieser Phase steht die Übergabe an das Projektteam durch Unterschrift des internen Auftraggebers (vgl. Abschnitt 4.1.2 „Der Projektauftrag“). Bei größeren Planänderungen wird hier eventuell eine entsprechende Anpassung im weiteren Verlauf des Projektes notwendig. (2) Projektstatus-/ Projektfortschrittsberichte Zur Sicherung der Transparenz über den Projektverlauf, insbesondere zur möglichst frühzeitigen Erkennung von Abweichungen, sind regelmäßige Berichte notwendig: In einem Projektstatusbericht wird der aktuelle Stand des Projektes, in einem Projektfortschrittsbericht lediglich die Veränderung seit dem letzten Bericht dargestellt. In Abschnitt 8 „Projektkontrolle“ wird stark auf diese Art von Berichten Bezug genommen, denn sie stellen die Basis für die Planung und Umsetzung von Steuerungsmaßnahmen dar. Sie beinhalten meist <?page no="277"?> 252 · Projektumsetzung eine Soll-Ist-Kontrolle : Entspricht der momentane Stand unserer Planung? und eine Soll-Wird-Kontrolle : Erscheint die Erreichung der Ziele zum Projektende aus heutiger Sicht realistisch? In den meisten Unternehmen mit einem systematischen Projektmanagement sind Projektstatus- und Projektfortschrittsberichte standardisiert, um die Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen Projekten sicherzustellen sowie den Erhebungs- und Kommunikationsaufwand zu verringern. Einheitliche Projektstatus- und Projektfortschrittsberichte sind insbesondere vor dem Hintergrund des Multiprojektreportings wichtig. Beispiele für Kennzahlen, die hierbei erhoben werden können, finden sich in Teil 3, Abschnitt 4.5.3.2 (S. 664f.). (3) Protokolle von Besprechungen Bei jeder Besprechung sollte ein Protokoll geschrieben werden. Dieses Protokoll dient zum einen der Sicherung der Besprechungsergebnisse, zum anderen als Informationsmittel für nicht anwesende interessierte Dritte. Auch für Protokolle steht oftmals eine organisationsspezifische standardisierte Fassung zur Verfügung. (4) Projektpräsentationen Insbesondere im Zuge des Projektmarketing für die Aufnahme und die Festigung des Kontaktes zu wichtigen Stakeholdern sind speziell auf die Adressaten abgestimmte Projektpräsentationen von besonderer Bedeutung. Hierbei sollte man sich stark auf die jeweiligen Interessen und Ziele der Stakeholder einstimmen, um ihre Bedürfnisse bei der Gestaltung der Präsentation gut zu treffen. Meist wird zu Beginn eines Projektes eine erste Vorstellungsdatei erstellt, die dann stakeholderspezifisch angepasst und erweitert werden kann. (5) Abschlussberichte für Phasen oder das gesamte Projekt Bei dieser Art von Berichten steht die Überprüfung der geplanten Projektergebnisse zu bestimmten Zeitpunkten (Meilensteine) im Vordergrund. (6) Projekthandbuch In einem Projekthandbuch werden die wichtigsten Regelungen, Analysen und Pläne für das einzelne Projekt gesammelt. Diese Regeln betreffen v.a. Projektauftrag und Leistungsplanung Projektumfeld Projektorganisation: Organisationseinheiten, Rollen im Projektmanagement Projektphasen Projektplanung <?page no="278"?> Dokumentation · 253 Controlling mit Beschreibung des Änderungswesens Information und Kommunikation Abschluss der Phasen sowie des gesamten Projektes (vgl. Kuster u.a. [Projektmanagement] 181) Die ersten Inhalte für das Projekthandbuch entstehen bereits in der Projektstartphase, sie werden dann im Projektverlauf ergänzt und detailliert. Das Projekthandbuch dient sowohl der Berichterstattung als auch der Dokumentation des Projektes. Mit den festgeschriebenen Regelungen werden Einheitlichkeit und Verbindlichkeit im Projektteam und zwischen Team und Linienorganisation geschaffen: Es kann als laufend aktualisiertes Nachschlagewerk dienen. Andererseits sichert es die Nachvollziehbarkeit des Projektablaufs, erleichtert die Einarbeitung neuer Mitarbeiter und die Auswertung der Erfahrungen zur Nutzung in anderen Projekten (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 369ff.). Nicht zu verwechseln ist das Projekthandbuch mit dem Projektmanagement- Handbuch, in dem die organisationsweiten Standards für die Arbeit in Projekten niedergeschrieben sind. Das Projektmanagement-Handbuch findet i.d.R. auf alle Projekte in einem Unternehmen Anwendung. Die dargestellten Aufgaben des Projekthandbuchs gehören inhaltlich z.T. zur Projektdokumentation, mit der wir uns im nächsten Abschnitt beschäftigen werden. 7.3.3.2 Dokumentation Die Projektdokumentation soll sicherstellen, dass alle notwendigen Dokumente während des Projektes übersichtlich zur Verfügung stehen, die Nachvollziehbarkeit und Revisionsfähigkeit eines Projektes gewährleistet ist, grundlegende Erkenntnisse, Arbeitsergebnisse und Daten auch in anderen Projekten genutzt werden können und für andere gleichartige Projekte eine verbesserte Planungsgrundlage zur Verfügung steht. Wie sollte eine Projektdokumentation aufgebaut sein, um diese Ziele zu erreichen? <?page no="279"?> 254 · Projektumsetzung Wir können zwei Perspektiven unterscheiden, die in der Projektdokumentation eingenommen werden sollten, um die Dokumentationsaufgabe umfassend zu erfüllen: (1) Welche Arbeitsergebnisse wurden erbracht? (Inhaltsdokumentation) (2) Wie wurden diese Arbeitsergebnisse erarbeitet? Wie lief das Management des Projektes ab? (Projektmanagement-/ Vorgehensdokumentation) Die Dokumentenstruktur kann entsprechend dieser Aufteilung aufgebaut werden (vgl. Abb. 2-87). Ablaufbezogene Dokumente Ergebnisbezogene Dokumente Projektdokumentation zum Beispiel: • Projektauftrag • Projektorganisation • Projektstart • Projektplanung • Projektüberwachung und -steuerung • Projektabschluss • Abnahmeprotokolle zum Beispiel: • Projektinhalte • Projektergebnisse • Projektanalysen • Arbeitspaketinhalte • Zwischenergebnisse Abb. 2-87: Beispiel einer Projekt-Dokumentenstruktur (In Anlehnung an: Cronenbroeck [Projektmanagement) 89) Zur Strukturierung der ergebnisbezogenen Dokumentation bietet sich der Projektstrukturplan als Basis an. Für eine übersichtliche Projektdokumentation ist es wichtig, sich an Dokumentationsregeln zu halten, wie z.B. eine entsprechende Namensgebung der Dateien mit Datum und Versionskennung, die Nutzung gemeinsamer Standardvorlagen oder die Verteilung von Zugriffsrechten. Diese Regeln werden entweder unternehmensweit vorgegeben oder müssen zu Projektbeginn vom Projektteam vereinbart werden. Sie werden im Projekthandbuch festgehalten. <?page no="280"?> IT-gestützter Datenaustausch und virtuelle Zusammenarbeit · 255 Um das Vorgehen im Projekt zu dokumentieren, kann ein Projekttagebuch angelegt werden. Der Projektleiter könnte dafür beispielsweise ein gebundenes Notizbuch nutzen, in das er chronologisch die wichtigsten Ereignisse, wie z.B. Treffen oder Entscheidungen, aber auch Skizzen oder weitere Zwischenstationen der konkreten Projektarbeit einträgt. Für die Projektarbeit wird heute in der Praxis meist ein eigenes Projektlaufwerk eingerichtet. Dieses Laufwerk dient zwar vorrangig dem Datenaustausch im Zuge der Projektarbeit, hat aber i.d.R. auch einen Dokumentationscharakter. Aufgrund seiner großen Bedeutung werden wir uns im nächsten Abschnitt etwas ausführlicher mit dieser Form der schriftlichen Kommunikation beschäftigen. 7.3.3.3 IT-gestützter Datenaustausch und virtuelle Zusammenarbeit Auf einem Projektlaufwerk wird eine Ordnerstruktur aufgebaut, in der alle relevanten Dateien für das Projekt gesammelt werden und auf das die Teammitglieder Zugriff haben, um die aktuellsten Informationen auszutauschen. Dabei kann es sich um Arbeitsgrundlagen, wie Normen oder das unternehmensweite Projektmanagement-Handbuch handeln, aber auch um Dateien, die im Zuge des Projektes entstehen. Das Internet ermöglicht zudem eine Verständigung über E-Mails, die zwar grundsächlich zu den schriftlichen Kommunikationsformen gehört, aber teilweise auch den Charakter einer mündlichen Kommunikation aufweisen: Der Ton vieler E-Mails ist wesentlich informaler und lockerer, als dies bei einem Brief der Fall wäre. Durch das Internet stehen somit neue Kommunikationsformen zur Verfügung, die die Zusammenarbeit im Projekt stark erleichtern können. Innerhalb von Sekunden können Zwischenergebnisse mit entsprechenden Kommentaren ausgetauscht werden, die ein anderes Projektteammitglied weiterbearbeiten soll. Auf dem Projektlaufwerk stehen den Teammitgliedern die jeweils neuesten Versionen der notwendigen Dateien nahezu zeitgleich zur Verfügung. Allerdings ist diese Arbeitsweise auch mit Risiken verbunden: Zum einen muss sichergestellt werden, dass nicht mehrere Personen gleichzeitig an einer Datei arbeiten und dies nicht voneinander wissen. Somit könnten plötzlich mehrere Stände einer Datei existieren. Für diese Problematik existieren entsprechende IT-Lösungen. <?page no="281"?> 256 · Projektumsetzung Zum anderen können bei ausschließlichem Kontakt über E-Mails Missverständnisse auftreten. Durch das Fehlen der nonverbalen Kommunikation, wie beispielsweise der Stimme und der Körpersprache, können Fehldeutungen entstehen. Bei Teams, die vorwiegend virtuell zusammenarbeiten, wird i.d.R. eine weniger starke Gruppenkohäsion auftreten, da die räumliche Nähe und insbesondere der persönliche Kontakt fehlen. Allerdings kann diesem Risiko durch gelegentliche intensive Kontakte, z.B. im Zuge von regelmäßigen Projektsitzungen mit Möglichkeiten zum informalen Austausch, entgegengewirkt werden. Aufgrund des unkomplizierten Versands einer E-Mail sollte besonders darauf geachtet werden, die Information tatsächlich nur an jenen Personenkreis zu schicken, für den sie wirklich relevant ist. Oftmals werden Mails „cc“ an ranghohe Führungskräfte versandt, um Druck auf den Empfänger auszuüben. Allerdings führt diese Gewohnheit i.d.R. zu einer Informationsüberflutung der Führungskraft und auch zu einer schlechten Stimmung aufgrund des versteckten Drucks (vgl. Kuster u.a. [Projektmanagement] 174f.). Die Vereinbarung von Regeln zur Handhabung von Projektlaufwerken und Dateien gehören zum Aufgabengebiet des Konfigurationsmanagements, mit dem wir uns in Abschnitt 7.4.2 beschäftigen. Die meisten der bisher geschilderten Kommunikationsformen können auch für das Projektmarketing eingesetzt werden. 7.3.4 Projektmarketing Das Projektmarketing umfasst „alle jene Aktivitäten, die der Erhöhung des Bekanntheitsgrades und der Imageverstärkung eines Projekts dienen“ ( Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 207). Im Detail können dem Projektmarketing die folgenden Ziele zugeordnet werden: Erreichen von Unterstützung für das Projekt bzw. zumindest einer positiven Stimmung bei den Interessengruppen, evtl. auch über informale Kontakte Schaffung von Akzeptanz und Vertrauen bei den Stakeholdern des Projektes, insbesondere durch die intensive Kommunikation des Sinns und der Vorteile des Projektes, aber auch durch authentische Darstellung der möglichen Nachteile und Problemfelder <?page no="282"?> Projektmarketing · 257 Vorbereitung der Einführung von Projektergebnissen in der Organisation, z.B. durch Beseitigung und Vorbeugung von emotionalen Barrieren. Dies kann insbesondere durch einen sensiblen und respektvollen Umgang mit Ängsten und Widerständen geschehen Gewinnung von interner Schwungkraft für das Projekt durch bestehende Erwartungen Dritter und durch Transparenz bezüglich der Projektfortschritte Auf der Grundlage der in Abschnitt 4.1.3 dargestellten Projektumfeldanalyse werden die wichtigsten Stakeholder als vom Projekt Betroffene identifiziert. Dann werden die Ziele, die Erwartungen und Befürchtungen der jeweiligen Person oder Gruppe gesammelt und daraus Strategien und Maßnahmen abgeleitet, wie man zukünftig dem Stakeholder begegnen will. Auf diese Weise sollen die Beziehungen zum Projektumfeld möglichst positiv und aktiv gestaltet werden. Dies wird insbesondere durch eine entsprechende Kommunikation erreicht. Die Palette der möglichen Instrumente des Projektmarketing ist breit. Hier einige Beispiele: Zugeschnittene Präsentationen bei den Stakeholdern von der exklusiven Kundenpräsentation bis zur breiten Informationsveranstaltung für alle Mitarbeiter Einbeziehen von „Key Playern“ aus der Organisation im Projektteam, um positive „Mund-zu-Mund-Propaganda“ zu erreichen Beiträge in der Firmenzeitschrift oder anderen unternehmensinternen Medien, insbesondere eine eigene Intranetpräsenz oder Aushänge am „schwarzen Brett“ Spezifische Informationsblätter für bestimmte Zielgruppen Veranstaltungen und Workshops, bei denen sich die Betroffenen intensiv einbringen können Events, wie „Tage der offenen Tür“ oder Feste Eine laufende Begleitung des Projektes durch ein intensives Projektmarketing kann die Erfolgschancen eines Projektes beträchtlich erhöhen. Es empfiehlt sich daher, das Projektmarketing von Anfang an als wichtigen Teil des Projektinformationssystems in die Projektplanung mit einzubeziehen und im Zuge der Durchführung entsprechend Änderungen einzubringen, falls dies notwendig wird. 7.4 Änderungs- und Konfigurationsmanagement Änderungen im Projektverlauf gehören zum Alltag in einem Projekt. Insbesondere in der Umsetzungsphase tauchen Änderungen auf, sei es aufgrund von <?page no="283"?> 258 · Projektumsetzung Fehleinschätzungen in der Planung, neuen Entwicklungen im Umfeld des Projektes, entdeckten Fehlern bei der Projektumsetzung oder Änderungswünschen sowie Unklarheiten in den Anforderungen des Kunden oder des internen Auftraggebers. Projekte sind gewöhnlich in ein sehr vielfältiges und dynamisches Umfeld eingebettet. Zudem werden innovative und komplexe Aufgabenstellungen in Projektform angegangen. Der Umgang mit Komplexität und Dynamik stellt eine der großen Herausforderungen im Projektmanagement dar; er äußert sich insbesondere im Management von Änderungen im Projektverlauf. Werden Änderungen nicht systematisch durchgeführt, so können sich weit reichende Konsequenzen für die Erreichung der Projektziele ergeben. Beispiel: Auf Wunsch des Kunden wird die Ausstattung eines neu zu entwickelnden Produktes geändert (vgl. das Beispiel der Stereoanlage S. 126). Diese Änderungen haben nicht nur Auswirkungen auf das Produkt selbst, sondern auch auf eine Vielzahl von mit ihm verbundenen Produktionsprozessen (Stücklisten, Konstruktions- und Fertigungspläne) und Zusatzleistungen (Handbücher, Produktbeschreibungen). Von besonderem Gewicht sind die Folgen für die Zieldimensionen „Kosten“ und „Zeit“. Die Änderungen werden oftmals nicht systematisch und somit nachvollziehbar festgehalten. Im Zusammenhang mit der Erörterung der Zielpräzisierung in der Projektumsetzungsphase (S. 125ff.) sind wir auf die Problematik des Umgangs mit Zieländerungen in der Umsetzungsphase eingegangen. Zu der Schwierigkeit, dass die Erreichung der Projektziele durch die Änderung unrealistisch werden kann, kommen noch weitere Problemfelder, wie Unklarheiten bezüglich des aktuellsten Stands von zu bearbeitenden Unterlagen oder Schnittstellenprobleme mit anderen Komponenten oder Arbeitspaketen (vgl. Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 394). Hier kommt es bei unsystematischen Änderungen schnell zu einem Konsistenzproblem, wenn nicht darauf geachtet wird, dass die Änderungen tatsächlich in alle Dokumente und Arbeitsergebnisse eingebracht werden, die sie betreffen (vgl. Schelle [Projekte] 194). Eine Leistungsänderung darf also nur kontrolliert vorgenommen werden, d.h. als erster Schritt müssen die Auswirkungen auf andere zu erstellende Leistungen im Projekt sowie auf Kosten und Termine analysiert werden. Wir werden uns zunächst mit der grundlegenden Vorgehensweise und der Organisation des Änderungsmanagements beschäftigen. Anschließend wenden wir uns dem Konfigurationsmanagement zu, das über das Änderungsmanagement <?page no="284"?> Änderungsmanagement · 259 hinausgeht und gleichzeitig eine wichtige Voraussetzung für den sinnvollen Umgang mit Änderungen darstellt. 7.4.1 Änderungsmanagement Das Änderungsmanagement befasst sich mit der Festlegung und Einhaltung einer systematischen Vorgehensweise zur Freigabe und Überwachung von Änderungen. Zum Änderungsmanagement gehören die folgenden Schritte: (1) Erstellung eines Änderungsantrags (Change Request) Sobald ein Änderungsbedarf erkannt wird, werden die wichtigsten Daten zur jeweiligen Änderung in einem Änderungsantrag beschrieben. Der Änderungsantrag ist die Grundlage für eine genaue Betrachtung der Auswirkungen der Änderung. Er enthält gewöhnlich eine Kurzbeschreibung der Änderung mit einer Darstellung aller möglichen Alternativen und einer Empfehlung für die Auswahl der aus Sicht des Beantragenden sinnvollsten Alternative, eine Untersuchung der Auswirkungen, insbesondere auf die Zieldimensionen Kosten, Zeit und Leistung sowie auf die Schnittstellen zu anderen Arbeitspaketen und Komponenten. (2) Genehmigung oder Ablehnung des Änderungsantrages (3) Durchführung der Änderung (4) Rückmeldung der erfolgreichen Änderung Dieser Prozess wird begleitet von der ständigen Aktualisierung der Unterlagen zur Erfassung des Status der Änderungen im Projekt (Änderungsstatusliste). Änderungen können eine unterschiedliche Tragweite aufweisen. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, die Freigabe von Änderungen auf verschiedene hierarchische Ebenen zu verteilen und Kriterien für die Verlagerung auf die nächst höhere Ebene festzulegen. In Abb. 2-88 findet sich ein Beispiel für eine Änderungsorganisation. Für ein erfolgreiches Änderungsmanagement ist ein Konfigurationsmanagement notwendig, in das der Umgang mit Änderungen eingebettet ist. <?page no="285"?> 260 · Projektumsetzung Geschäftsführung Lenkungsausschuss Projektleiter Arbeitspaketverantwortlicher Änderungsmeldung bei: Änderungen im Gesamtprojekt - 25% höhere Projektkosten - 3 Monate Verzug für das Projektende - Deutliche Zielverschiebung - Änderung der Projektaufbauorganisation Änderungen im Gesamtprojekt - 10% mehr Projektaufwand/ -kosten - 4 Wochen Verzug für das Phasenende Änderungen im Arbeitspaket Abb. 2-88: Beispiel für eine Änderungsorganisation (In Anlehnung an: Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 390) 7.4.2 Konfigurationsmanagement Aufgrund der hohen Komplexität vieler Projekte werden oft Teillösungen (z.B. Muster oder Prototypen) entwickelt, mit deren Hilfe man sich dem Endprodukt annähern kann. Meist gehören viele verschiedene Systembestandteile zu einer solchen Teillösung, von denen es in einem Projektverlauf ebenfalls eine Vielzahl geben kann. Mancher Entwicklungsschritt stellt eine Sackgasse dar, so dass z.B. ein Rückgriff auf eine frühere Version notwendig wird. Vor diesem Hintergrund ist es eine erfolgskritische und auch herausfordernde Aufgabe, zu jedem Zeitpunkt im gesamten Produktlebenszyklus sicherzustellen, dass diese Teillösungen mit genau diesen Funktionen und genau diesen Bestandteilen jederzeit reproduziert werden können. Es muss somit systematische Steuerungs- und Dokumentationsprozesse geben, die dafür sorgen, „dass dadurch einmal das Produkt (der Projektgegenstand) und seine Struktur (die Konfiguration) generiert werden sowie zum anderen Inhalt und Umfang des Projektes mit seinen Projektplänen ständig auf dem aktuellen Stand sind“ ( Saynisch [Konfigurationsmanagement] 31). <?page no="286"?> Änderungs- und Konfigurationsmanagement · 261 Eine Konfiguration umfasst „miteinander verbundene funktionelle und physische Merkmale, wie sie in den Produktkonfigurationsangaben beschrieben sind“ (DIN ISO 1007: 2004-12). Man kann sie auch definieren als „eine benannte und formal freigegebene Menge von Entwicklungsergebnissen, mit den jeweils gültigen Versionsangaben, die in ihrer Wirkungsweise und ihren Schnittstellen aufeinander abgestimmt sind und gemeinsam eine vorgegebene Aufgabe erfüllen sollen“ ( Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 395). Das Konfigurationsmanagement, also der systematische Umgang mit Konfigurationen, spielt insbesondere in der Softwareentwicklung eine wichtige Rolle, denn Software weist eine besonders hohe „Plastizität“ auf, d.h. man kann sie besonders leicht ändern (vgl. Schelle [Projekte] 196). Balzert erläutert einige Schwierigkeiten in diesem Bereich, die die wichtige Bedeutung des Konfigurationsmanagements verdeutlichen: „Häufige Änderungen an Software-Elementen verursachen ein Chaos. Bereits korrigierte Fehler tauchen wieder auf. Es ist unklar, warum und von wem welche Änderungen durchgeführt wurden. Es ist unklar, ob ein Fehler bereits behoben wurde oder nicht. Was in der neuen Freigabe geändert wurde, ist unbekannt.“ ( Balzert [Software-Technik] 234). Das Konfigurationsmanagement geht über das Änderungsmanagement hinaus und hat folgende Ziele (vgl. Saynisch [Konfigurationsmanagement] 31, Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 393f.): Nachvollziehbarkeit des gesamten Entwicklungsprozesses sowie der Zusammenhänge und Unterschiede zwischen früheren und den aktuellen Konfigurationen Nachhaltige Sicherung von Ordnung, Transparenz und Qualität in Entwurf und Herstellung Wiederverwendbarkeit (Reuse) von Bauteilen als Module in Systemen Klarheit über die aktuellsten Versionen und Information aller Beteiligten über diesen aktuellen Stand Grundlage für ein systematisches Konfigurationsmanagement ist die Festlegung einer festen Bezugsbasis, also einer Referenzkonfiguration, auf die man sich bezieht, wenn Änderungen eingebracht und beschrieben werden sollen. In der <?page no="287"?> 262 · Projektumsetzung Softwareentwicklung wird für eine Referenzkonfiguration beispielsweise festgelegt, welche Software-Elemente, wie z.B. Benutzerdokumentationen oder Programme, in welcher Version zu einem bestimmten Stichtag zum Produkt gehören (vgl. Schelle [Projekte] 195f. und die dort angegebenen Quellen). Das Konfigurationsmanagement besteht aus folgenden Teilgebieten, die stark miteinander verknüpft sind (vgl. Abb. 2-89): Konfigurationsbuchführung Konfigurationsidentifizierung Änderungslenkung Konfigurationsmanagement- Planung Konfigurationsaudit Abb. 2-89: Teilgebiete des Konfigurationsmanagements nach DIN ISO 10007: 2004- 12 (Gestaltet in Anlehnung an: Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 395) Laut DIN ISO 10007: 2004-12 sollte das Konfigurationsmanagement dem folgenden Prozess folgen: (1) Konfigurationsmanagement-Planung Diese Planung stellt die Basis für den gesamten Konfigurationsmanagementprozess dar und dient z.B. der Abstimmung aller Aktivitäten des Konfigurationsmanagements im gesamten Produktlebenszyklus, der Festlegung der anzuwendenden Verfahren, der Beschreibung der Verantwortungen und Befugnisse für die Durchführung des Konfigurationsmanagements. Er sollte dokumentiert, genehmigt und überwacht werden. <?page no="288"?> Änderungs- und Konfigurationsmanagement · 263 (2) Konfigurationsidentifizierung Alle Elemente, die zu einer Konfiguration gehören, sollen sowohl fachlichinhaltlich als auch formal eindeutig identifizierbar werden. Für die fachlichinhaltliche Identifizierung werden sog. Baselines (Bezugskonfigurationen) als definierter Ausgangszustand für alle Änderungen festgelegt. Zur formalen Identifizierung einigen sich die Beteiligten z.B. auf eine bestimmte Kennzeichnung (vgl. Saynisch [Konfigurationsmanagement] 32). (3) Änderungslenkung Dieser Schritt entspricht dem Änderungsmanagement, wie es im vorherigen Abschnitt dargestellt wurde: Erstellung des Änderungsantrags, Genehmigung oder Ablehnung, Durchführung der Änderung und Rückmeldung. (4) Konfigurationsbuchführung Über die verschiedenen Aktivitäten werden Aufzeichnungen und Berichte erstellt. (5) Konfigurationsaudit Mit Hilfe von Konfigurationsaudits soll formal überprüft werden, „ob ein Produkt den Anforderungen und seinen Produktkonfigurationsangaben entspricht“ (DIN ISO 10007: 2004-12). Hier unterscheidet man Funktionsbezogene Konfigurationsaudits: Erfüllt eine Konfigurationseinheit die aufgeführten Funktionsmerkmale und Leistungsanforderungen? Physisches Konfigurationsaudit: Erfüllt eine Konfigurationseinheit die aufgeführten physischen Merkmale? Voraussetzung für ein erfolgreiches Konfigurationsmanagement ist eine entsprechende Ablauf- und Aufbauorganisation. Sie erfolgt i.d.R. auf der Ebene des einzelnen Projektes und sollte alle Teilaufgaben umfassen: Die Festlegung der Abwicklungsschritte, der Verantwortlichkeiten und Kompetenzen, der anzuwendenden Methoden und Tools, insbesondere der Software für das Konfigurationsmanagement. Das Konfigurationsmanagement stellt eine wichtige Grundlage für den Umgang mit Nachforderungen (engl. „Claims“) dar, denn für die Abwehr von Fremdforderungen bzw. die Durchsetzung von Eigenforderungen müssen die Fakten zu den erfolgten Änderungen im Projektverlauf transparent und nachvollziehbar sein. Das Claim Management baut auf dem Vertragsmanagement auf, mit dem wir uns im Folgenden beschäftigen wollen. <?page no="289"?> 264 · Projektumsetzung 7.5 Vertrags- und Nachforderungsmanagement 7.5.1 Vertragsmanagement Da in der Praxis Verträge oftmals bereits in sehr frühen Projektphasen ausgehandelt und die wichtigsten Eckpfeiler vereinbart werden, wurde das Thema bereits in Abschnitt 4.1.1 im Zuge der Projektstartphase angesprochen. Das Vertragsmanagement ist ein „Aufgabengebiet innerhalb des Projektmanagements zu Gestaltung, Abschluss, Fortschreibung, Abwicklung und Verwaltung von Verträgen zur Erreichung des Projektziels einschließlich laufender Dokumentation des gesamten vertragsrelevanten Geschehens“ (DIN-Norm 69901-5: 2009-01). Wir werden uns an dieser Stelle nicht bis ins Detail mit den rechtlichen Grundlagen des Vertragsmanagements beschäftigen, sondern das Thema insbesondere aus betriebswirtschaftlicher Sicht beleuchten. Das Ziel eines Vertrages ist es, alle entscheidenden Rechte und Pflichten der Vertragspartner formal und inhaltlich festzulegen. In Projekten werden zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer i.d.R. Dienstverträge, Werkverträge oder Kaufverträge geschlossen. Die verschiedenen Vertragsarten beinhalten eine unterschiedliche Verteilung der Risiken: Während bei einem Dienstvertrag das Risiko weitgehend vom Auftraggeber übernommen wird, liegen bei den beiden anderen Verträgen die Risiken eher auf der Seite des Auftragnehmers (vgl. Cronenbroeck [Projektmanagement] 40f.). Zusätzlich zu den grundlegenden Verträgen werden häufig begleitende Rechtsverhältnisse begründet, wie Kreditverträge, Transportvereinbarungen oder Beratungs- und Wartungsverträge. Am häufigsten dürften Projektmanagement-Verträge als Werkverträge ausgestaltet werden, denn hier wird laut § 631 BGB „der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet“. Ein Werkvertrag besteht im Allgemeinen aus den folgenden Bestandteilen (vgl. Weber [Vertragsrechtliche Fragen] 7ff.): Präambel zur Klärung der Ausgangslage der Vertragsparteien Definitionen zur Festlegung von grundlegenden Begriffen, insbesondere bei internationalen Verträgen Technische Spezifikationen des Projektgegenstandes, insbesondere das Lastenheft <?page no="290"?> Vertrags- und Nachforderungsmanagement · 265 Kommerzieller und organisatorischer Teil zur Vereinbarung von Preisen, Terminen und Zahlungsbedingungen Juristischer Teil zur Festlegung der Rechtsfolgen bei verspäteter oder qualitativ unzureichender Lieferung oder bei Verstößen gegen die Vertragsbedingungen Die besondere Herausforderung der Analyse und der Gestaltung von Verträgen liegt in der Abstimmung zwischen den technischen, betriebswirtschaftlichen und juristischen Bestandteilen. Für die Vereinbarung von Verträgen sind daher Experten aus den jeweiligen Bereichen notwendig, die u.U. bei sehr umfangreichen und komplexen Projekten besser im jeweiligen Expertenkreis von Auftraggeber und Auftragnehmer die jeweiligen Vertragsinhalte miteinander diskutieren und vereinbaren (vgl. Madauss [Projektmanagement] 349). Bei der Vertragsanalyse werden die ersten Vorschläge des Vertragspartners auf Vollständigkeit und Inhalt überprüft. In der Praxis werden häufig Checklisten für die Vertragsanalyse genutzt, in denen die wichtigsten Bestandteile eines Vertrages festgehalten sind. Falls Teile des Vertrages noch nicht zufrieden stellend formuliert wurden oder zu regelnde Bereiche noch komplett fehlen, sollten sie entsprechend nachverhandelt werden. Bei internationalen Verträgen sind zusätzlich wichtige Fragen zu klären (vgl. Cronenbroeck [Projektmanagement] 40ff.): Instanzen der Rechtsverfolgung, d.h. Schiedsgerichte und staatliche Gerichte Staatliche Bestimmungen, wie Import- und Exportbeschränkungen sowie Genehmigungs-, Zoll- und Devisenvorschriften Angebots-, Leistungs- und Rückzahlungsgarantien Regelung von Währungsrisiken bei Kursschwankungen Wahl des Zahlungsortes Zugrunde liegende Vorschriften außerhalb des Vertrags, z.B. Einhaltung von DIN- Normen Die Vertragsverhandlungen erstrecken sich i.d.R. bei großen und komplexen Projekten über einen längeren Zeitraum und umfassen mehrere Iterationsschleifen von Vorverhandlungen bis hin zur Abschlussverhandlung. Der Vertragsabschluss stellt einen wichtigen formalen Akt dar, der gebührende Aufmerksamkeit von beiden Vertragspartnern verdient. Dieser Akt hat auch eine emotionale Seite und gibt fundamentale Ansatzpunkte für eine umfassende Kommunikation mit einem der wichtigsten Stakeholder, dem Kunden. <?page no="291"?> 266 · Projektumsetzung Beim Vertragsmanagement spielt der Zusammenhang mit dem Änderungsmanagement, dem Konfigurationsmanagement und dem Nachforderungsmanagement eine wichtige Rolle: (1) Zusammenhang mit dem Änderungsmanagement Die laufende Überwachung der Vertragserfüllung ist nur dann möglich, wenn Änderungen während des Projektverlaufs transparent sind. Bei Änderungen handelt es sich um „vertragsrelevantes Geschehen“ im Sinne der DIN-Norm 69901-5: 2009-01. Insbesondere müssen die Gründe und die Konsequenzen der jeweiligen Änderung nachvollziehbar sein. (2) Zusammenhang mit dem Konfigurationsmanagement Das Konfigurationsmanagement bietet die Grundlage für eine gezielte Steuerung und eine lückenlose Dokumentation von Änderungen durch Festlegung einer Bezugsbasis und entsprechender Prozesse sowie Regeln. (3) Zusammenhang mit dem Nachforderungsmanagement Änderungen können unterschiedliche Konsequenzen in Projekten nach sich ziehen. Es kann zu Zeitverzögerungen kommen, zu höheren Kosten oder auch zu Veränderungen der ursprünglich spezifizierten Leistung, z.B. durch technische Änderungen. Es stellt sich nun die Frage, wer diese Konsequenzen letztendlich zu tragen hat: Der Auftragnehmer oder der Auftraggeber. Je nach Gestaltung der Verträge gibt es Grundlagen für eigene Nachforderungen des Auftragnehmers (Eigen-Claims) oder auch für die Abwehr von Nachforderungen von Seiten des Auftraggebers oder Dritter (Fremd- Claims). 7.5.2 Nachforderungsmanagement Das Nachforderungsmanagement (engl. Claim Management) beinhaltet „die Überwachung aller Verträge auf Ansprüche hinsichtlich Mehr-, Minder- oder Andersleistungen sowie die Dokumentation dieser Wünsche durch Abschluss von Ergänzungsverträgen oder Vertragsänderungen, die eine angemessene Entschädigung für die Mehr-, Minder- oder Andersleistungen vorsehen“ (DIN-Norm 69901-2: 2009-01). Die Bedeutung des Claim Managements für den wirtschaftlichen Erfolg eines Projektes ist nicht zu unterschätzen, denn hohe Nachforderungen wirken sich i.d.R. stark auf den Wertbeitrag aus. Es werden grundsätzlich zwei Arten von Claims unterschieden: <?page no="292"?> Vertrags- und Nachforderungsmanagement · 267 Eigen-Claims Der Fokus ist auf die Durchsetzung von eigenen Ansprüchen gegenüber Dritten gerichtet. Fremd-Claims Sie zielen auf die Verhinderung von Ansprüchen Dritter an das eigene Unternehmen ab. Dabei betreffen Claims nicht nur die Beziehung zwischen dem Kunden und dem Auftragnehmer, sondern sie können bei allen Stakeholdern auftreten, zu denen Vertragsbeziehungen bestehen, z.B. zu Subunternehmern, Lieferanten, externen Beratern, Finanzierungspartnern oder gleichberechtigten Partnern in einem Konsortium. Fremd-Claims können beispielsweise häufig auf Eigen- Claims gegenüber einem anderen Partner zurückgeführt und somit weitergegeben werden. Für ein erfolgreiches Claim Management sind Kompetenzen in drei Bereichen notwendig (vgl. Abb. 2-90). Juristische Kompetenzen Projektmanagement- Kompetenzen Soziale Kompetenzen Abb. 2-90: Notwendige Kompetenzen für das Claim Management Juristische Kompetenzen Insbesondere für die Vertragsanalyse und -gestaltung, aber auch für die Verfolgung und Durchsetzung von Claims, sind fundierte juristische Kenntnisse von Nöten. Soziale Kompetenzen Um Claims bereits im Vorfeld zu erkennen, ist eine ausgeprägte Sensibilität für die Erwartungen und Befürchtungen der jeweiligen Stakeholder notwen- <?page no="293"?> 268 · Projektumsetzung dig. Zudem werden kommunikative Fähigkeiten für den Umgang mit den Stakeholdern benötigt. Projektmanagement-Kompetenzen Wenn man Claims eindeutig nachweisen oder entkräften will, spielt eine nachvollziehbare Planung, Steuerung und Organisation des Projektes eine entscheidende Rolle. Das Nachforderungsmanagement besteht aus drei Aufgabengebieten (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 107ff., 399ff. und 491): Claim-Vorsorge Claim-Erkennung Claim-Verfolgung (1) Die Claim-Vorsorge gehört schwerpunktmäßig in die frühen Projektphasen vom ersten Kundenkontakt bis hin zum Vertragsabschluss: Ein möglicher Anspruch soll verhindert werden, bevor er überhaupt entsteht. Entsprechende Maßnahmen wären beispielsweise die Vertragsgestaltung, eine möglichst klare Projektdefinition, ein proaktives Umfeldmanagement, eine umfassende Risikoanalyse, eine methodisch saubere Projektplanung sowie eine eindeutige Projektorganisation. Gerade die Vertragsgestaltung kann einen großen Beitrag zur Claim-Vorsorge leisten, indem schon im Vorfeld auf bekannte Problemfelder geachtet wird, wie z.B. die rechtzeitige Einbindung eines Juristen, eine Möglichkeit zur weitgehenden Weitergabe von Fremd-Claims an Subunternehmer, eine klare Formulierung von möglichen Vertragsstrafen oder auch mögliche Risiken bei der Formulierung des Vertrags in einer Fremdsprache. Auch die Projektorganisation trägt entscheidend zum Erfolg der Claim-Vorsorge bei, indem Verantwortungen, Kompetenzen und Schnittstellen klar definiert werden. Ein besonders schwieriges Feld stellt die Leistungsspezifikation dar: Zu Projektbeginn sind die Vorstellungen des Kunden häufig noch relativ vage, so dass der Detailliertheitsgrad des Lastenheftes für den Vertrag oftmals nur schwerlich ausreicht. (2) Die Claim-Erkennung ist v.a. auf ein entsprechendes Bewusstsein der Beteiligten für das Auftreten und die Identifikation möglicher Claim-Situationen angewiesen. Sie fällt typischerweise in die Planungs- und Durchsetzungsphasen im Projektverlauf, erstreckt sich aber bis hin zum Ablauf der Gewährleistungsfrist. Bei Fremd-Claims steht die Vermeidung möglicher Nachforderungen im Mittelpunkt. Als Grundlage sollte das Projektteam den Vertrag und eventuelle Ver- <?page no="294"?> Aufgaben der Projektkontrolle · 269 tragsänderungen kennen und das Claim Management ins Tagesgeschäft, z.B. in Projektteamsitzungen, integrieren. Zudem ist ein funktionsfähiges und regelmäßiges Projektcontrolling notwendig, um Abweichungen schnellstmöglich zu erkennen. Entscheidungen, Änderungen oder wichtige Ereignisse sollten schriftlich dokumentiert und wenn nötig bestätigt werden, um sich vor Fremd- Claims schützen zu können. Eine solche Dokumentation ist ebenfalls sinnvoll, wenn Ereignisse oder Änderungen einen Eigen-Claim auslösen könnten. (3) Die Claim-Verfolgung beinhaltet konkrete Maßnahmen zur Abwehr von Fremd-Claims und zur Platzierung und Durchsetzung von Eigen-Claims. Wie die Claim-Erkennung findet sie schwerpunktmäßig in den Planungs- und Umsetzungsphasen statt, endet aber ebenfalls erst mit Ablauf der Garantiefrist. Für die Durchsetzung bzw. die Abwehr von Claims sind systematische Vorgehensweisen notwendig, denn nicht in jedem Fall sind die besten Maßnahmen ohne weiteres gleich ersichtlich. Nach einer Beurteilung der aktuellen Lage werden verschiedene Alternativen ausgearbeitet, um mit dem Claim umzugehen: Bei Fremd-Claims geht es i.d.R. um die Reaktion auf eine Nachforderung, d.h. eine Ablehnung, Reduzierung oder Weiterleitung des Claims bzw. die Formulierung eines Gegenclaims. Bei Eigen-Claims werden dagegen verschiedene Alternativen für Claims ausgearbeitet nach Art, Höhe und Zeitpunkt der Geltendmachung des Claims. Die verschiedenen Alternativen werden bewertet und es erfolgt eine Entscheidung für eine Variante. Diese Variante wird nun umgesetzt, insbesondere werden Verhandlungen mit dem Vertragspartner eingeleitet. Ein solches Gespräch sollte bis ins Detail vorbereitet sein. Im Notfall kann auch ein Prozess in Erwägung gezogen werden, allerdings sollte vorher genau überprüft werden, ob es sich tatsächlich lohnt, das Prozessrisiko einzugehen. Auch in der Projektabschlussphase kann noch ein letzter Akt der Claim-Verfolgung anstehen, solange erbrachte Leistungen noch nicht beglichen wurden. 8 Projektkontrolle 8.1 Aufgaben der Projektkontrolle „Planung ohne Kontrolle ist sinnlos, Kontrolle ohne Planung unmöglich“ ( Wild [Unternehmungsplanung] 44). <?page no="295"?> 270 · Projektkontrolle Planung und Kontrolle sind unmittelbar miteinander verknüpft: Jede Planung muss überprüft werden, diese Überprüfung erfolgt durch einen Vergleich von geplanten Größen mit definierten Vergleichsgrößen. Kontrolle ist ein systematischer Prozess zur Ermittlung von Abweichungen zwischen Plangrößen und Vergleichsgrößen. Dieser Prozess setzt nicht erst zum Ende der Planung ein, sondern er beginnt bereits mit den ersten Planungen. Betrachten wir die weiß unterlegten Führungsregelkreise des Projektmanagements in Abb. 2-91, um die Arten der Kontrolle auf der operativen Ebene zu verdeutlichen: Umsetzung der Projektplanung Erfassung von Ist-Projektdaten Durchführung eines Soll-Ist-Vergleichs (Abweichungsanalyse) Konsequenzen aus den Abweichungen Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Durchführungskontrolle Gesamtunternehmensplanung Planung der Unternehmensentwicklung Planung der Wertentwicklung Entscheidung für ein Projektportfeuille Änderung der Gesamtunternehmensplanung, evtl. Projektabbruch Einzelprojektplanungen (Vorgabe von Soll-Daten) Änderung der Einzelprojektplanung Sukzessiver Planungsfortschritt Durchführung eines Soll-Wird-Vergleichs (Planfortschrittskontrolle) Strategische Überwachung Strategische Überwachung Strategische Prämissenkontrolle Umsetzung der Multiprojektplanung Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Ebene Operative Ebene Abb. 2-91: Die Führungsregelkreise des Projektmanagements (1) Die Kontrolle, die schon mit der Planung einsetzt, spiegelt sich im oberen gestrichelten Regelkreis: Mit jedem Planungsschritt, also mit der Verfeinerung der Planung „vom Groben zum Detail“ und mit den verschiedenen inhaltlichen Planungsschwerpunkten, können sich Veränderungen ergeben. Man <?page no="296"?> Aufgaben der Projektkontrolle · 271 vergleicht die ursprüngliche Planung (Soll) mit der prognostizierten Entwicklung aufgrund der neuen Informationen (Wird). Auf dieser Grundlage kann man Abweichungsanalysen vornehmen und das Projekt nach bestimmten Prioritäten optimieren. Ziel dieser Art von Kontrolle ist es, Abweichungen so früh wie irgend möglich zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, falls dies notwendig erscheint. Im schlimmsten Fall kann eine Abweichung sogar das gesamte Projekt in Frage stellen und zu einem Projektabbruch führen. Beispielsweise könnte sich im Laufe der Planungen zeigen, dass eine bestimmte Engpassressource nun doch nicht verfügbar ist und alle anderen Alternativen einen viel höheren Kostenblock mit sich bringen, was letztendlich zu einem negativen Wertbeitrag des Projektes führen würde. An dieser Stelle zeigt sich also eine Schnittstelle zwischen der operativen und der strategischen Ebene des Projektmanagements. (2) Der zweite Regelkreis beinhaltet jene Art von Kontrolle, die man gewöhnlich vor Augen hat, wenn man von Kontrolle spricht: Die Soll-Ist-Kontrolle. Sie beginnt gegen Ende der Planungsphase und beinhaltet die Umsetzung der Projektplanung, so dass die vorgegebenen Soll-Werte nun mit tatsächlichen Ist- Daten im Zuge der Projektumsetzung verglichen werden können. In diesem Regelkreis sieht man die verschiedenen Schritte der Soll-Ist-Kontrolle und der sich anschließenden Sicherung deutlich: (a) Vorgabe von Soll-Werten (b) Erfassung von Ist-Werten im Projekt zu bestimmten Stichtagen: Regelmäßige vereinbarte Stichtage, z.B. alle 2 Wochen, anlässlich der Erreichung eines Meilensteins oder ad hoc für Sonderberichte, beispielsweise aufgrund von Krisenfällen. (c) Durchführung eines Soll-Ist-Vergleichs mit Abweichungsanalyse (d) Reflexion der Konsequenzen, die sich aus der Abweichung ergeben (e) Je nach Bedeutung der Konsequenz: Planung, Umsetzung und Verfolgung von korrigierenden Steuerungsmaßnahmen, Änderung der Einzelprojektplanung oder sogar Änderung der Gesamtunternehmensplanung, evtl. Projektabbruch. In den Führungsregelkreisen sind noch zwei weitere Kontrollarten zu sehen: <?page no="297"?> 272 · Projektkontrolle Die strategische Prämissenkontrolle Die strategische Durchführungskontrolle Hierbei handelt es sich um zwei übergeordnete Kontrollen mit strategischem Blickwinkel: (3) Die Prämissenkontrolle (auch Wird-Ist-Vergleich genannt) beschäftigt sich mit den Planannahmen, die jeder Planung zugrunde liegen. Diese Prämissen können sowohl operativerer Art, z.B. über die zur Verfügung stehende Kapazität an Ressourcen, als auch eher strategischer Natur sein, wie beispielsweise bestimmte Annahmen über die Entwicklung der Werte in der Gesellschaft, die für die Marketingstrategie zum Verkauf eines Produktes ausschlaggebend sein können. Die Prämissenkontrolle begleitet daher das gesamte „Management durch Projekte“ und das „Management von Projekten“ und wird aufgrund ihres strategischen Grundcharakters in Teil 3, Abschnitt 4.5.2.2 umfassend erläutert. (4) Die strategische Durchführungskontrolle stellt eine Planfortschrittskontrolle auf strategischer Ebene dar: Gibt es Störungen, die unseren gewählten strategischen Kurs gefährden? Auch diese Art der strategischen Kontrolle wird im Zuge des „Managements durch Projekte“ in Teil 3, Abschnitt 4.5.2.3 dargestellt. Kommen wir nun zur konkreten Ausgestaltung der Aufgaben der Kontrolle im operativen „Management von Projekten“ zurück. Die angesprochenen Soll-Ist- und Soll-Wird-Vergleiche beziehen sich v.a. auf die Dimensionen „Kosten“, „Zeit“ und „Leistung“, die miteinander das „Magische Dreieck der Projektsteuerung“ bilden (vgl. Abb. 2-3, S. 41). Die drei Dimensionen „Kosten“, „Zeit“ und „Leistung“ stehen stellvertretend für die Gesamtheit der operativen Projektziele, die den jeweiligen Dimensionen zuzuordnen sind. Für die Verwirklichung dieser Ziele steht gewöhnlich nur eine knappe Menge an Ressourcen (Personal, Sachmittel, Material und Finanzmittel) zur Verfügung. Die drei Dimensionen wirken stark interdependent: Soll man beispielsweise ein Projekt in kürzerer Zeit fertig stellen, so zieht dies entweder einen höheren Ressourceneinsatz und somit höhere Kosten nach sich oder es müssen Abstriche bei der Endleistung in Kauf genommen werden. So kann eine Zeitverknappung bei einem Produktentwicklungsprojekt eine schlechtere Qualität aufgrund von Zeiteinsparungen bei Testläufen oder eine Einschränkung der Funktionalitäten des Produktes verursachen. <?page no="298"?> Kontrolle der einzelnen Zieldimensionen · 273 In den folgenden Abschnitten werden verschiedene Methoden zur Kontrolle der Zielerreichung der drei Dimensionen „Kosten“, „Zeit“ und „Leistung“ vorgestellt. Im Rahmen der Projektplanung wurden jedoch wesentliche Inhalte geplant, die auf den ersten Blick nicht deckungsgleich mit diesen drei Dimensionen erscheinen: Es wurden die Projektstruktur, der Projektablauf, die Projekttermine, die Projektressourcen und die Projektkosten geplant: Die Projektstruktur dient der Definition der Projektleistung. Der Projektablauf und die Projekttermine gehören zur Dimension Zeit. Die Projektressourcen bestimmen zum Großteil die Projektkosten, aber auch den Ablauf und die Termine des Projektes. Sie können auf vielfältige Weise Abweichungen verursachen und werden daher im Rahmen der Abweichungsanalysen diskutiert. Aus dieser Sicht erscheint es also ausreichend, zunächst die drei Dimensionen des Magischen Dreiecks zu verfolgen; bei den Abweichungsanalysen werden die Ursachen meist auf die tiefer liegenden Planungsinhalte zurückzuführen sein. Im nächsten Abschnitt wird daher die Kontrolle der einzelnen Zieldimensionen „Kosten“, „Zeit“ und „Leistung“ betrachtet und es werden entsprechende Kontrolltechniken vorgestellt. Im Rahmen der Abweichungsanalyse werden der Projektleiter und der Projektcontroller auch auf die ursprünglichen weiteren Planungen zurückgreifen. Im Anschluss an die Techniken zur Kontrolle einer einzelnen Zieldimension wird in Abschnitt 8.3 eine Methode zur dimensionenübergreifenden Kontrolle eingehend erläutert: Die Earned-Value-Technik. Abb. 2-92 fasst die verschiedenen Kontrolltechniken, die in diesem Buch dargestellt werden, im Überblick zusammen. 8.2 Kontrolle der einzelnen Zieldimensionen Bereits beim Projektstart werden bestimmte Stichtage vereinbart, zu denen die Ist-Daten und i.d.R. auch die prognostizierten Wird-Daten erhoben werden. Die Daten werden für jedes Arbeitspaket in regelmäßigen Abständen vom Arbeitspaketverantwortlichen an den Projektleiter oder den Projektcontroller zurückgemeldet. Diese Einzelstände werden in einem Projektstatusbericht aggregiert, um einen Überblick über den momentanen Stand des gesamten Projektes zu bekommen. Diese Statusberichte werden i.d.R. auch für die Kommunikation mit verschiedenen Stakeholdern des Projektes genutzt; allerdings müssen die Berichte auf die jeweiligen Informationsbedürfnisse und Interessen der Stake- <?page no="299"?> 274 · Projektkontrolle holder abgestimmt und somit oftmals spezifisch gestaltet werden. Außerdem dienen sie der Dokumentation des Projektverlaufs. Teilprozesse der Projektkontrolle Kontrolltechniken Leistungskontrolle Subjektive Leistungsschätzung (8.2.1.2) Messung anhand einer quantitativen Größe (8.2.1.3) 0/ 50/ 100%-Methode (8.2.1.4) Meilensteinmethode (8.2.1.5) Terminkontrolle Terminliste (8.2.2.2; 6.7.2) Balkenplan (8.2.2.3; 6.7.3; 6.7.4) Netzplan (8.2.2.4; 6.6.2) Meilenstein-Trendanalyse (8.2.2.5) Kostenkontrolle Diagramm der kumulierten Ist- und Plankosten (8.2.3.2) Zeit-Kosten-Trenddiagramm (8.2.3.3) Kosten-Trenddiagramm (8.2.3.4) Ganzheitliche Kontrolle Earned-Value-Technik (8.3) Abb. 2-92: Übersicht über Kontrolltechniken Zudem gibt es Stichtage, die sich auf das Erreichen von Meilensteinen beziehen. Gelegentlich werden auch Ad hoc-Sonderberichte benötigt, für die der jeweilige Arbeitspaketverantwortliche nach dem aktuellen Status gefragt wird, z.B. in Krisensituationen. Für den Soll-Ist- und den Soll-Wird-Vergleich wird auf die Planungen zurückgegriffen, die mit Hilfe der in Abschnitt 6 vorgestellten Methoden durchgeführt wurden: Sie liefern den „Soll“-Part für den Vergleich. Abschnitt 5 war dem Prozess der Zielpräzisierung gewidmet, in Abschnitt 7 haben wir uns mit dem systematischen Umgang mit Änderungen der ursprünglichen Planung beschäftigt. Beide Abschnitte machen deutlich, dass es von entscheidender Bedeutung ist, die Veränderungen der Soll-Größe jederzeit nachvollziehen zu können. Abweichungen können insbesondere auf drei Gründen beruhen (vgl. Litke [Projektmanagement] 153): <?page no="300"?> Kontrolle der einzelnen Zieldimensionen · 275 Unrealistische Planungen, z.B. zu wenig Erfahrung als Grundlage für die Schätzungen, Unterschätzung der Komplexität des Projektes Unvorhersehbare Änderungen, z.B. neue/ geänderte Anforderungen des Kunden, neue Prioritäten des Managements Fehler in der Umsetzung der Arbeiten, z.B. zu wenig Effizienz, Qualitätsprobleme, die Nacharbeit erfordern Die Ergebnisse der Analyse der Abweichungen und ihrer Konsequenzen werden normalerweise in den Projektstatusbericht eingearbeitet, um aufzuzeigen, dass nun aktive Steuerungsmaßnahmen eingeleitet werden. Die beschlossenen Maßnahmen sind detailliert zu planen und auch zu dokumentieren. Diese Maßnahmenplanung umfasst mindestens die Bestimmung eines Verantwortlichen, eine genaue Beschreibung der jeweiligen Aufgabe, einen Endtermin und eventuell weitere Beteiligte. Eine solche Planung kann beispielsweise in Form einer separaten Aufgabenliste erfolgen. Sie sollte auch eine Spalte für den jeweiligen Status vorsehen, denn zur Maßnahmenplanung gehört ebenfalls die Kontrolle ihrer Durchführung, sie fließt also in die regelmäßigen Kontrollschleifen ein. So wird sichergestellt, dass keine Maßnahme vergessen wird und Transparenz über den Status der Maßnahme herrscht. In den folgenden Abschnitten werden verschiedene Kontrolltechniken für die einzelnen Dimensionen vorgestellt: Leistungskontrolle Terminkontrolle Kostenkontrolle 8.2.1 Leistungskontrolle 8.2.1.1 Leistungsfortschritt Die Leistung in einem Projekt umfasst grundsätzlich zwei Aspekte: Quantität und Qualität. Das Thema Qualität wird aufgrund seiner herausragenden Bedeutung für die Kundenzufriedenheit in Abschnitt 10.1 im Rahmen eines eigenen begleitenden Prozesses „Qualitätsmanagement in Projekten“ betrachtet. An dieser Stelle beschäftigen wir uns vorrangig mit der Messung der Quantität der erbrachten Leistung. Dabei wird vorausgesetzt, dass die geplante Qualität auch tatsächlich realisiert wird. Um den Leistungsfortschritt des gesamten Projektes beurteilen zu können, wird für jedes Arbeitspaket der Fortschrittsgrad in Prozent erhoben. <?page no="301"?> 276 · Projektkontrolle Hierbei ist die Einordnung von abgeschlossenen und von noch nicht begonnenen Arbeitspaketen vollkommen unproblematisch: Abgeschlossene Arbeitspakete sind zu 100% fertig gestellt, noch nicht begonnene Arbeitspakete zu 0%. Die Schwierigkeiten der Fortschrittsmessung liegen also in der Schätzung des Leistungsfortschritts der begonnenen Arbeitspakete. Hier können verschiedene Verfahren Anwendung finden (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 416f., Fiedler [Controlling] 173ff.): (1) Subjektive Leistungsschätzung (2) Messung anhand einer quantitativen Größe (3) 0/ 50/ 100%-Methode (4) Meilensteinmethode Die grundlegende Funktionsweise und die jeweiligen Stärken und Schwächen dieser Methoden werden in den nächsten Abschnitten dargestellt. Der Leistungsfortschritt sollte im Anschluss an die Schätzung visuell verdeutlicht werden. Dazu bietet sich beispielsweise ein Balkenplan an (vgl. Abb. 2-93). In Abb. 2-93 wurde zum 17. Februar 2010 der Leistungsfortschritt in verschiedenen Arbeitspaketen geschätzt. Arbeitspaket 02 „Detailkonzept Software entwickeln“ ist erst zu 80% fertig gestellt, obwohl es zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen sein sollte. Bei der Suche nach der Ursache der Abweichung wurde in unserem Beispiel festgestellt, dass der Projektleiter die eingeplanten 3 Tage in diesem Zeitraum nicht leisten konnte, da er noch in ein weiteres Projekt eingebunden war, das sich in einer Notsituation befand. In der Zwischenzeit hatte er jedoch schon einige Aufgaben auf der Grundlage des aktuellen Stands des Detailkonzepts an die Programmierer weitergeben können, die bereits mit der Umsetzung der Software begonnen haben („Fast Tracking“). Diese Vorgehensweise ist jedoch nicht risikolos und bedarf besonderer Planung (vgl. die Ausführungen zum Fast Tracking auf S. 174). Eine gute Übersicht über den Leistungsfortschritt erhält man auch über eine Markierung oder eine Prozentangabe im Projektstrukturplan. In Abb. 2-94 wird ein solcher Projektstrukturplan für ein Beispielsprojekt „Einführung einer Software für das Rechnungswesen“ gezeigt (Arbeitspakete, die erledigt sind, werden durchgestrichen, in Arbeit befindliche sind mit einem Strich versehen). <?page no="302"?> Leistungskontrolle · 277 Abb. 2-93: Darstellung des Leistungsfortschritts in einem Balkenplan in der Projektmanagement-Software MS Project <?page no="303"?> 278 · Projektkontrolle Einführung Rechnungswesen Software Einführung Rechnungswesen Software 0 11% Einführung Rechnungswesen Software 0 11% Planung Istanalyse 2.1 100% Planung Istanalyse 2.1 100% Projektauftrag 1 100% Projektauftrag 1 100% Datenerhebung Ist 2.2 9% Datenerhebung Ist 2.2 9% Datenauswertung Ist 2.3 0% Datenauswertung Ist 2.3 0% Entscheidung 3.4 0% Entscheidung 3.4 0% Integrationstest 7.3 0% Integrationstest 7.3 0% Istanalyse 2 18% Istanalyse 2 18% Realisierung 5 0% Realisierung 5 0% Funktionstest 6 0% Funktionstest 6 0% Implementierung Kunde 7 0% Implementierung Kunde 7 0% Sollkonzept 3 24% Sollkonzept 3 24% Design 4 0% Design 4 0% Bedarfserhebung 3.1 100% Bedarfserhebung 3.1 100% Design Buchhaltung 4.1 0% Design Buchhaltung 4.1 0% Realisierung Buchhaltung 5.1 0% Realisierung Buchhaltung 5.1 0% Test Buchhaltung 6.1 0% Test Buchhaltung 6.1 0% Implementierung Buchhaltung 7.1 0% Implementierung Buchhaltung 7.1 0% Datenauswertung Bedarf 3.2 20% Datenauswertung Bedarf 3.2 20% Design Rechnungswesen 4.2 0% Design Rechnungswesen 4.2 0% Realisierung Rechnungswesen 5.2 0% Realisierung Rechnungswesen 5.2 0% Test Rechnungswesen 6.2 0% Test Rechnungswesen 6.2 0% Implementierung Rechnungswesen 7.2 0% Implementierung Rechnungswesen 7.2 0% Erstellung Zwischenbericht 3.3 0% Erstellung Zwischenbericht 3.3 0% Abb. 2-94: Darstellung des Leistungsfortschritts in einem Projektstrukturplan (Quelle: Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 424) Wie kann nun der Fortschrittsgrad eines Arbeitspaketes beurteilt werden? 8.2.1.2 Subjektive Leistungsschätzung Die einfachste Methode zur Schätzung des Fortschrittsgrades eines Arbeitspaketes ist die Befragung des verantwortlichen Mitarbeiters. Gewöhnlich besteht hier die Tendenz, den erreichten Fertigstellungsgrad zu hoch einzuschätzen. Dies liegt zum Teil wohl auch an der unbewussten Neigung des Menschen, „sozial erwünschte“ Antworten zu geben. Zudem tun sich Menschen meist schwer, „Zweifel“ an ihren Leistungen aufkommen zu lassen, obwohl dies gar nicht die Ursache einer Abweichung sein muss. Dies ist insbesondere dann schwierig, wenn eine entsprechende Unternehmenskultur herrscht, die mit Fehleinschätzungen relativ rigide umgeht. Kollektive Fehleinschätzungen im Team können auch ein Symptom des „Groupthink“ sein (vgl. S. 86), d.h. die Teammitglieder überschätzen sich aufgrund des Zusammengehörigkeitsgefühls innerhalb der Gruppe. Auch Motiva- <?page no="304"?> Leistungskontrolle · 279 tionsprobleme des Einzelnen oder in der gesamten Gruppe können eine Fehlerquelle sein. Oftmals verläuft die Schätzung folgendermaßen: Zunächst liegt das Arbeitspaket über längere Zeit genau im Plan. Kurz vor dem Endtermin wird dem Verantwortlichen bewusst, dass wohl doch noch mehr Arbeit zu erledigen ist, als bisher angenommen oder es zeigen sich bisher versteckte Qualitätsmängel, die zunächst behoben werden müssen. Der Fertigstellungsgrad liegt dann über längere Zeit bei „fast fertig“ („95%“), weshalb dieses Phänomen auch „Fastschon-fertig-“ oder „95%-“ Syndrom genannt wird. Dieses Problem kann sich auch ergeben, wenn sich die Gesamtleistung des Arbeitspakets (also die „100%“) schleichend verändert. Durch die fortlaufende Detaillierung und Konkretisierung der Ziele kann es leicht zu einer ungewollten und unerkannten Entfernung von den ursprünglichen Projektzielen kommen (vgl. Abschnitt 5 „Zielpräzisierung“). Insbesondere in Entwicklungsprojekten ist das Risiko vorhanden, dass der geplante Inhalt des Projekts über die Anforderungen des Kunden hinausgeht. Man spricht hier auch von „Vergolden“ oder „Gold Plating“. Die zu erbringende Gesamtleistung in Form des notwendigen Aufwands sollte daher zu den verschiedenen Controlling-Zeitpunkten im Projekt neu geschätzt und mit dem ursprünglich geplanten Gesamtaufwand verglichen werden. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, den leistungsmäßigen Fortschrittsgrad zu bestimmen, in den explizit sowohl die abgeschlossene Leistung als auch die gesamte zu erbringende Leistung einbezogen werden (vgl. Fiedler [Controlling] 175): Leistungsmäßiger Fortschrittsgrad in % = Ist-Aufwand · 100 Voraussichtlicher Gesamtaufwand = Den Gesamtaufwand erhält man durch eine möglichst realistische Schätzung der zukünftig noch zu erbringenden Restleistung, die man anschließend zum bisherigen Ist-Aufwand addiert. Dabei wird der Aufwand als Indikator für die Leistung genutzt, was in der Realität nicht in jeder Situation sinnvoll sein muss. Die Nutzung des Indikators „Zeit“ eignet sich jedoch in den seltensten Fällen für die Schätzung des Fertigstellungsgrades: Man kann kaum davon ausgehen, dass nach 60% der geplanten Zeit auch automatisch 60% der Leistung vorliegen <?page no="305"?> 280 · Projektkontrolle (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 418). Auch eine reine Division von Ist-Aufwand durch den ursprünglich geplanten Gesamtaufwand kann verzerrte Ergebnisse liefern. Die subjektive Schätzung ist also mit verschiedenen Risiken, insbesondere einer zu optimistischen Perspektive, verbunden. Jedes Arbeitspaket weist hier andere Charakteristika auf und muss darauf geprüft werden, welcher Indikator sich für die Schätzung eignet. Die folgenden Verfahren wurden entwickelt, um die Leistungsfortschrittsmessung transparenter und nachvollziehbarer zu gestalten. 8.2.1.3 Messung anhand einer quantitativen Größe Bei manchen Arbeitspaketen eignet sich eine quantitative Größe als Indikator für den Leistungsfortschritt. Es handelt sich hier beispielsweise um Mengengrößen wie m², Tonnen, Meter. Die Formel für den leistungsmäßigen Fortschrittsgrad kann in diesem Fall entsprechend angepasst werden: Leistungsmäßiger Fortschrittsgrad in % Istmenge · 100 Gesamtmenge = Voraussetzungen sind hier, dass eine proportionale Beziehung zwischen steigernder Menge und Zeitverbrauch besteht, die geplante Qualität auch tatsächlich umgesetzt wird und sich das ursprünglich geplante Leistungsvolumen des Arbeitspakets nicht ändert (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 416). Die Anwendbarkeit dieser Methode hängt daher stark von der konkreten Ausgestaltung des Arbeitspaketes ab. 8.2.1.4 0/ 50/ 100%-Methode Bei dieser Methode wird der Leistungsfortschritt sehr pauschal erfasst: Alle Arbeitspakete, die abgeschlossen sind, sind zu 100% fertig, begonnene Arbeitspakete gelten als zu 50% erledigt und noch vollkommen offene Arbeitspakete werden mit 0% erfasst. Eine pessimistische Variante dieser Methode stellt die 0/ 100%-Methode dar, in der auch bereits begonnene Arbeitspakete mit 0% <?page no="306"?> Leistungskontrolle · 281 bewertet werden. Auch die Einbeziehung von Zwischenstufen mit 25 und 75% ist je nach Art des Projektes üblich. Bei dieser Methode steht nicht die möglichst differenzierte Erfassung jedes einzelnen Arbeitspaketes im Vordergrund, sondern man geht davon aus, dass sich die Ungenauigkeiten über die Gesamtheit der Arbeitspakete ausgleichen (vgl. Fiedler [Controlling] 175). Die Methode kann sich daher insbesondere für relativ kurze Arbeitspakete bei relativ niedrigem Projektrisiko eignen. Der Aufwand für die Erfassung des Leistungsfortschritts ist hier sehr gering. Vor Einsatz dieser Methode ist zu prüfen, ob der Differenzierungsgrad für die weitere Steuerung tatsächlich ausreicht. 8.2.1.5 Meilensteinmethode Die differenzierteste Methode zur Schätzung des Leistungsfortschritts ist die Meilensteinmethode. Der Arbeitspaketverantwortliche und der Projektleiter bzw. der Projektcontroller vereinbaren Zwischenergebnisse als klare Meilensteine für das Arbeitspaket. Die Erreichung der Meilensteine kann dann als Grundlage für die Leistungsschätzung genutzt werden. Die Vorgehensweise wird in Abb. 2-95 verdeutlicht. Soll- Leistungsfortschritt in % Soll kumuliert in % Meilenstein Aktueller Status (Ist) Ist kumuliert in % 15 15 Passendes Hardware- Modell festgelegt Erledigt 15% 50 65 Lieferantenverhandlungen geführt Ca. zur Hälfte ausgeführt Nach Vereinbarung: 15 oder 40% 20 85 Entscheidung für einen Lieferanten getroffen 15 100 Hardware bestellt Abb. 2-95: Leistungsfortschritt für das Arbeitspaket „Hardware bestellen“ (In Anlehnung an: Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 417) Man kann nun lediglich die erreichten Meilensteine für die Messung des Leistungsfortschritts nutzen oder versuchen, den Erreichungsgrad der Meilensteine abzuschätzen und zu berücksichtigen. Wenn wir uns beispielsweise im Arbeitspaket „Hardware bestellen“ mitten in den Verhandlungen mit verschiedenen Lieferanten befinden, könnten wir das gesamte Arbeitspaket als zu 15% abge- <?page no="307"?> 282 · Projektkontrolle arbeitet einschätzen (lediglich Meilenstein 1 wurde erreicht) oder die Hälfte der Lieferantenverhandlungen noch mit berücksichtigen. In dem Fall hätten wir einen Leistungsfortschritt von 40% in dem betrachteten Arbeitspaket. Eine andere Variante der Meilensteinmethode sieht vor, die Anzahl der bereits erreichten Meilensteine in Bezug zur Anzahl aller Meilensteine des Arbeitspaketes zu setzen. Hätten wir, wie in Abb. 2-95, vier Meilensteine und hätten einen davon erreicht, so würde der Leistungsfortschritt 25% betragen. Hier zeigt sich sehr deutlich der Nachteil dieser Methode: Die Schätzung wäre in unserem Beispiel relativ ungenau. Diese Methode ist also nur dann anzuraten, wenn die Meilensteine differenziert genug geplant werden können und zwischen den Meilensteinen ungefähr gleich große Leistungsabschnitte liegen (vgl. Fiedler [Controlling] 174). Die Meilensteinmethode bietet also verschiedenste Möglichkeiten, um die Schätzung der erbrachten Projektleistung zu unterstützen. Die genaue Vorgehensweise muss vor Projektbeginn zwischen Projektleiter und Projektteam festgelegt werden. Ihr Differenzierungsgrad ist je nach Art des betrachteten Projektes individuell anpassbar. Wenden wir uns nun den Methoden zur Kontrolle der Terminlage eines Projektes zu. 8.2.2 Terminkontrolle 8.2.2.1 Zeitlicher Fortschritt In Teil 1 wurden verschiedene Rahmenbedingungen, wie kürzere Produktlebenszyklen und erhöhter Wettbewerbsdruck, beschrieben, denen man mit der Einführung eines systematischen Projektmanagements begegnen will. Diese Rahmenbedingungen haben eine außerordentlich hohe Bedeutung der Dimension „Zeit“ zur Folge: Die Geschwindigkeit ist zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor geworden. Beispielsweise werden Verzögerungen mit Strafzahlungen belegt oder die erfolgreiche Einführung eines neuen Produktes hängt zum Großteil davon ab, vor dem wichtigsten Konkurrenten am Markt zu sein. Im Zuge des Risikomanagements besteht daher ein wichtiger Schritt in der Identifikation der „Zeittreiber“ in einem Projekt. In diesem Abschnitt kümmern wir uns jedoch um den konkreten Soll-Ist- und Soll-Wird-Vergleich bezüglich der Dimension „Zeit“. Ausgangspunkt ist hierbei die Schätzung des zeitlichen Fortschrittsgrades: <?page no="308"?> Terminkontrolle · 283 Zeitlicher Fortschrittsgrad = Ist-Dauer · 100 Voraussichtliche Gesamtdauer Die voraussichtliche Gesamtdauer ergibt sich aus der Istdauer und der realistisch geschätzten voraussichtlichen Restdauer, die auch „Time-to-Completion“ genannt wird (vgl. Abb. 2-96). Arbeitspaket Time-to-Completion Projektstart Gegenwart Geplanter Endtermin Voraussichtlicher Endtermin Zeit Arbeitspaket Time-to-Completion Projektstart Gegenwart Geplanter Endtermin Voraussichtlicher Endtermin Zeit Abb. 2-96: Balkenplan mit Time-to-Completion (Quelle: Fiedler [Controlling] 181) Eine realistische Schätzung der voraussichtlichen Restdauer ist nur auf der Grundlage eines klaren Blicks auf die noch zu erbringenden Leistungen möglich (vgl. Fiedler [Controlling] 180f.). Nicht in jedem Arbeitspaket besteht zwischen Zeit und Leistung eine proportionale Beziehung, denn man kann nicht unbedingt davon ausgehen, dass in jedem Fall in 30% der Zeit auch 30% der Leistung erbracht worden ist. Es ist also sinnvoll, sowohl den leistungsmäßigen als auch den zeitlichen Fortschrittsgrad zu schätzen, um ein realistisches Bild vom Status eines Arbeitspaketes zu bekommen. Die Schätzung erfolgt i.d.R. durch den Arbeitspaketverantwortlichen. Hierbei kann entweder nach der Restdauer oder nach einem wahrscheinlichen Endtermin gefragt werden. Die Frage nach dem wahrscheinlichen Endtermin ist hierbei weniger zu empfehlen, denn erfahrungsgemäß neigt man bei dieser Frage dazu, einen optimistischen Wunschtermin anzugeben (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 420). Die Terminkontrolle erfolgt auf der Grundlage der bereits in der Planung angewendeten Methoden (vgl. Abschnitt 6.7 „Projektterminplanung“): <?page no="309"?> 284 · Projektkontrolle Terminliste Balkenplan Netzplan Zudem lässt sich die Entwicklung des Plantermins in einer Meilenstein- Trendanalyse untersuchen und verdeutlichen. 8.2.2.2 Terminliste Die in Abschnitt 6.7.2 vorgestellte Terminliste (S. 178) wird für Kontroll- und Steuerungszwecke um verschiedene Spalten erweitert. Der Aufbau einer solchen Terminliste ist exemplarisch in Abb. 2-97 dargestellt. Bei dieser Methode sind die Abhängigkeiten zwischen den Arbeitspaketen nicht explizit ausgewiesen. Sie werden implizit bei der Erstellung der Liste berücksichtigt. Mit zunehmender Komplexität und steigendem Umfang des Projektes steigen die Anforderungen an den Ersteller der Liste exponenziell an. Daher bietet sich diese Methode lediglich bei relativ einfachen und leicht durchschaubaren Projekten oder Teilprojekten an. 8.2.2.3 Balkenplan Im Balkenplan werden die Informationen, die in der Terminliste zu finden sind, graphisch verdeutlicht. Im Zuge der Projektplanung wurden zeitfixierte und vernetzte Balkenpläne unterschieden: Ein zeitfixierter Balkenplan enthält lediglich die Dauern und Termine, die vernetzte Variante berücksichtigt auch logische und ressourcenbedingte Abhängigkeiten. Der Balkenplan enthält die wichtigsten Informationen, die auch ein Netzplan enthält, d.h. kritische Pfade, Puffer und die Abhängigkeiten zwischen den Arbeitspaketen. Nutzt man für die Planung und Kontrolle eine Softwarelösung, so werden die Balken bei der Eingabe der Ist-Werte automatisch entsprechend verschoben. Der Projektleiter erkennt somit sofort die terminlichen Konsequenzen, die sich aus einer Abweichung ergeben und kann, soweit möglich, wirkungsvolle Gegenmaßnahmen ergreifen. Abb. 2-98 zeigt ein Beispiel für einen vernetzten Balkenplan, der für die Kontrolle der Termine erweitert wurde. In Abb. 2-98 greifen wir das Beispiel aus Abschnitt 6.7.3 (S. 180f.) wieder auf: Zum 17.02.2010 wurden die Ist-Werte erhoben und den Soll-Werten gegenübergestellt. Der Projektleiter legt bei diesem Balkenplan Wert auf die Visualisierung der terminlichen Konsequenzen einer Abweichung. <?page no="310"?> Terminkontrolle · 285 Arbeitspaket Beschreibung Geplante Dauer Geplanter Starttermin Tatsächlicher/ Wahrscheinlicher Starttermin Fertigstellungsgrad zum 17.02.2010 in % Restdauer Geplanter Endtermin Tatsächlicher/ Wahrscheinlicher Endtermin 01 Grobkonzept entwickeln 4 01.02.10 01.02.10 100 0 04.02.10 04.02.10 02 Detailkonzept Software entwickeln 5 05.02.10 05.02.10 80 2 11.02.10 18.02.10 03 Hardware bestellen 7 05.02.10 05.02.10 100 0 15.02.10 15.02.10 04 Software umsetzen 10 12.02.10 19.02.10 0 10 25.02.10 04.03.10 05 Funktion der Hardware prüfen 1 16.02.10 16.02.10 0 1 16.02.10 16.02.10 06 Software testen 2 26.02.10 05.03.10 0 2 01.03.10 08.03.10 07 A-Muster bauen 1 02.03.10 09.03.10 0 1 02.03.10 09.03.10 Arbeitspaket Beschreibung Geplante Dauer Geplanter Starttermin Tatsächlicher/ Wahrscheinlicher Starttermin Fertigstellungsgrad zum 17.02.2010 in % Restdauer Geplanter Endtermin Tatsächlicher/ Wahrscheinlicher Endtermin 01 Grobkonzept entwickeln 4 01.02.10 01.02.10 100 0 04.02.10 04.02.10 02 Detailkonzept Software entwickeln 5 05.02.10 05.02.10 80 2 11.02.10 18.02.10 03 Hardware bestellen 7 05.02.10 05.02.10 100 0 15.02.10 15.02.10 04 Software umsetzen 10 12.02.10 19.02.10 0 10 25.02.10 04.03.10 05 Funktion der Hardware prüfen 1 16.02.10 16.02.10 0 1 16.02.10 16.02.10 06 Software testen 2 26.02.10 05.03.10 0 2 01.03.10 08.03.10 07 A-Muster bauen 1 02.03.10 09.03.10 0 1 02.03.10 09.03.10 Abb. 2-97 Erweiterte Terminliste für die Kontrolle Abb. 2-98 Erweiterter vernetzter Balkenplan für die Zeitkontrolle in der Projektmanagement-Software MS Project <?page no="311"?> 286 · Projektkontrolle Eine Abweichung ergibt sich in Arbeitspaket 02 „Detailkonzept Software entwickeln“. Dieses Arbeitspaket dauert nun 10 Tage anstatt der ursprünglich geplanten 5 Tage, da der Projektleiter noch in einem anderen Projekt mitarbeitet, das sich in einer Schieflage befindet. Er hat zwar schon 80% der Leistung erbracht, aber die restlichen 20% verteilen sich noch auf 2 weitere Tage. Im Balkenplan werden die Konsequenzen für den Terminplan sehr deutlich (Soll- Wird-Vergleich): Der ursprüngliche Fertigstellungstermin des A-Musters würde sich nun vom 03.03. auf den 10.03.2010 verschieben. 8.2.2.4 Netzplan Wenn man einen Netzplan für die Planung verwendet, ist es außerordentlich wichtig, ihn auch aktuell zu halten, denn nur dann kann er eine sinnvolle methodische Unterstützung bieten. Allerdings sind Terminabweichungen in einem Netzplan nicht so deutlich visualisiert und daher nicht so intuitiv erfassbar wie in einem Balkenplan. Dies ist größtenteils auf die abstraktere Darstellung der Veränderung in Form von Zahlen in den Vorgangsknoten zurückzuführen. In einem Netzplan liegt der Schwerpunkt der Visualisierung auf den Abhängigkeiten zwischen den Vorgängen und den kritischen Pfaden. Man erkennt in einem Netzplan relativ schnell Verschiebungen der kritischen Pfade, die sich durch Abweichungen von der ursprünglichen Planung ergeben. Für genaue Soll-Ist- und Soll-Wird-Vergleiche müssen die Termine in den Vorgangsknoten abgeglichen werden. Daher besteht in den meisten Softwarelösungen die Möglichkeit, Netzpläne auch als vernetzte Balkenpläne auszugeben. 8.2.2.5 Meilenstein-Trendanalyse Während die Terminliste, der Balkenplan und der Netzplan statische Momentaufnahmen der Projektsituation bieten, können mit Hilfe des Meilenstein- Trenddiagramms die Veränderungen eines Plantermins im Zeitverlauf dargestellt werden. Das Objekt der Kontrolle sind hierbei die geplanten Termine der Meilensteine in einem Arbeitspaket oder auch im gesamten Projekt. Bereits zu Projektbeginn werden Meilensteine geplant, die häufig den Abschluss von Projektphasen markieren (zu den Meilensteinen siehe auch S. 73f.). In einem Meilenstein-Trenddiagramm werden auf der waagrechten Achse die Berichtstermine, auf der senkrechten Achse die jeweils geplanten Endtermine abgetragen. Zu bestimmten Stichtagen werden nun die Plantermine für die einzelnen betrachteten Meilensteine aktualisiert. Den verschiedenen Meilen- <?page no="312"?> Terminkontrolle · 287 steinen werden zur Darstellung bestimmte Symbole oder Farben zugeordnet und die Plantermine auf der Grundlage des momentanen Projektstatus eingetragen. In Abb. 2-99 ist eine solche Meilenstein-Trendanalyse dargestellt. 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10 1.11 1.12 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10 1.12 1.1 1.2 1.11 Aktuelle Berichtstermine Geplante Endtermine Anforderungsspezifikation Detailplanung A-Muster Meilensteine: 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10 1.11 1.12 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10 1.12 1.1 1.2 1.11 Aktuelle Berichtstermine Geplante Endtermine Anforderungsspezifikation Detailplanung A-Muster Meilensteine: Abb. 2-99: Meilenstein-Trenddiagramm (In Anlehnung an: Burghardt [Projektmanagement] 176) Aus den Kurvenverläufen kann der Projektleiter Rückschlüsse auf den möglichen Projektverlauf ziehen: Ein waagrechter Verlauf deutet auf die Einhaltung des Termins hin. Ein ansteigender Verlauf zeigt die Überschreitung des Termins an. Ein fallender Verlauf ist ein Indikator für eine mögliche Unterschreitung des Termins. Für einen Projektleiter ist insbesondere der Gesamtüberblick über alle Meilensteine von besonderer Wichtigkeit, denn die Gesamtheit der Kurvenverläufe wirft ein wichtiges Schlaglicht auf grundlegende Einstellungen und Arbeitsweisen der Teammitglieder (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 427f.): <?page no="313"?> 288 · Projektkontrolle Normalfall: Alle Kurven sind von kleineren Abweichungen von der Waagrechten gekennzeichnet. Starker Anstieg mehrerer Kurven: Die Teammitglieder sind zu optimistisch und merken im Laufe der Arbeit, dass ihre Schätzungen nicht realistisch waren. Hier zeigen sich Felder für organisationales Lernen. Trendwende-Verläufe mehrerer Kurven: Bei auffällig exaktem waagrechten Verlauf der Kurven wird gegen Ende der vorgesehenen Arbeitszeit plötzlich eine starke Verzögerung gemeldet. In diesem Fall sind kaum noch Steuerungseingriffe möglich. Die Ursachen einer solchen Entwicklung können vielfältig sein: Fehlschätzungen können ein Symptom des „Groupthink“ sein, also eine kollektive Überschätzung aufgrund der Gruppendynamik. Sie können auch schlicht auf Unerfahrenheit der Projektmitarbeiter zurückgeführt werden. Ein anderer Grund könnte eine negative Stimmung in der Gruppe gegenüber dem Projektleiter oder ein grundlegendes Motivationsproblem des Einzelnen oder in der Gruppe sein. Starker Abfall mehrerer Kurven: Die Arbeitspaketverantwortlichen tendieren dazu, sich abzusichern und entsprechend große Puffer einzubauen. Dieser Verlauf lässt ebenfalls entsprechende Rückschlüsse auf die Unternehmens- und Projektkultur zu. Starke Schwankungen mehrerer Kurven: Die Terminschätzungen scheinen mit großen Unsicherheiten behaftet zu sein. Solche Verläufe sind daher ein Indikator für hohe Risiken in der Projektdurchführung. Fehlende Abhängigkeiten: Obwohl ein Meilenstein eklatante Terminverzögerungen erkennen lässt, sind die Schätzungen für davon abhängige Meilensteine durch waagrechte Verläufe gekennzeichnet. In diesem Fall sind sich die Mitarbeiter noch nicht über die Vernetzungen der Aufgabenstellungen bewusst oder haben unterschiedliche Einstellungen zum Umgang mit Terminschätzungen. Eine Meilenstein-Trendanalyse ermöglicht somit sowohl Rückschlüsse auf projektspezifische Problemstellungen als auch auf mögliche unternehmensweite Herausforderungen. Ein Unternehmen wird dann besonders viel von der Projektmanagement-Methodik profitieren, wenn es diese Potenziale entsprechend nutzt und daraus Anstöße für die weitere Entwicklung der Projekt- und Unternehmenskultur generiert. Erfahrungsgemäß werden diese Potenziale jedoch nur dann ernsthaft ausgeschöpft, wenn es im Unternehmen einen Ansprechpartner für solche projektorientierten kulturellen Fragestellungen gibt. In diesem Fall könnte das der Leiter des Projektmanagementoffice sein, der die Themen in den Multiprojektlenkungsausschuss einbringen kann. <?page no="314"?> Kostenkontrolle · 289 Im Anschluss an die Betrachtung der Methoden zur Terminkontrolle werden die Möglichkeiten zur Kostenkontrolle beleuchtet. 8.2.3 Kostenkontrolle 8.2.3.1 Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit Die Kostenkontrolle dient der Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit im Projektverlauf: Zum einen sollen Unwirtschaftlichkeiten in der Projektumsetzung erkannt werden, zum anderen wirken sich Kostenabweichungen i.d.R. auch auf die Projektwertbeiträge aus. Auch hier gilt es, Abweichungen vom Plan möglichst frühzeitig zu erkennen, um Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Ein fundamentaler Bestandteil der Kostenkontrolle ist die Gegenüberstellung der tatsächlichen Kosten (Istkosten) mit den geplanten Kosten (Plankosten). Bei der Erhebung der Istkosten ist auf eine möglichst zeitnahe Erfassung der Kosten nach Kostenart pro Arbeitspaket zu achten. Große Teile der Istkosten ergeben sich durch den Arbeitsaufwand der Mitarbeiter. Der jeweilige Arbeitsaufwand pro Arbeitspaket wird durch eine Kontierung der Stunden erfasst und dann mit internen Verrechnungssätzen bewertet. Die Plankosten beinhalten die Kosten laut Kalkulation und die Zusatzkosten aus Vertragsänderungen. An dieser Stelle wird deutlich, wie wichtig ein systematisches Änderungsmanagement ist, um diese Zusatzkosten tatsächlich laufenden Vertragsänderungen zuordnen zu können. Kommt es zu Terminund/ oder Leistungsabweichungen, so rücken die Sollkosten ins Blickfeld, die insbesondere bei der Earned-Value-Analyse eine wichtige Rolle spielt. Sie stellen die geplanten Kosten für die tatsächlich erbrachte Istleistung dar, d.h. man versucht, die Plankosten auf den jeweiligen Leistungsfortschritt zu beziehen. Das traditionelle Problem der Kostenkontrolle in Projekten liegt in der fehlenden frühzeitigen Kostentransparenz: Wenn die Informationen über die Abweichungen vorliegen, ist es meist zu spät, um noch steuernd eingreifen zu können. Genau an dieser Stelle setzt das Kostenmanagement an. Dieser Grundgedanke liegt auch unserem Modell der integrierten Projektkostenplanung in Abschnitt 6.9.4 zugrunde. In Abschnitt 8.2.3.5 steht daher die Kontrolle in der „Integrierten Projektkostenrechnung“ im Mittelpunkt. Zunächst werden wir uns jedoch den grundlegenden Methoden der Kostenkontrolle zuwenden, denen man in der Praxis häufig begegnet: Dem Diagramm der kumulierten Ist- und Plankosten <?page no="315"?> 290 · Projektkontrolle Dem Zeit-/ Kosten-Trenddiagramm Dem Kosten-Trenddiagramm 8.2.3.2 Diagramm der kumulierten Ist- und Plankosten Für den Vergleich von Ist- und Plankosten bietet sich zunächst ein Diagramm mit kumulierten Kosten im Zeitverlauf an, wie es in Abb. 2-100 dargestellt ist. Januar Februar März April Mai Juni Juli August 10000 90000 80000 70000 20000 40000 0 60000 30000 50000 Kumulierte Kosten Istkosten Plankosten Abb. 2-100: Kumulierte Ist- und Plankosten (Quelle: Fiedler [Controlling] 188) Die Kostenkurven lassen bis April höhere Istkosten erkennen, ab April übersteigen die Plankosten die Istkosten. Die Gründe für diese Abweichungen können vielfältig sein (vgl. Fiedler [Controlling] 188f.): Die höheren Istkosten bis April könnten beispielsweise zurückzuführen sein auf einen höheren Aufwand als ursprünglich geschätzt, den Einsatz von wesentlich teureren Mitarbeitern oder auch eine Mehrleistung in Form eines vorzeitigen Abschlusses eingeplanter Arbeiten. Die höheren Plankosten ab April könnten dagegen verursacht sein durch <?page no="316"?> Kostenkontrolle · 291 einen niedrigeren Aufwand als ursprünglich geschätzt, den Einsatz von Mitarbeitern mit niedrigeren Stundensätzen oder auch eine Minderleistung im Vergleich zum Plan. Anhand der Abbildung lässt sich also nicht genau ableiten, worauf die Abweichungen tatsächlich zurückgehen, da die Leistung nicht mit in die Betrachtung einbezogen wurde. Für eine Berücksichtigung der Leistung ist ein Ausweis von Sollkosten notwendig, wie er in der Earned-Value-Analyse stattfindet, die wir in Abschnitt 8.3 betrachten werden. In der Praxis stellt die Verteilung der Plankosten über die Zeit ein nicht triviales Problem dar: Wenn man die Planmit den Istkosten vergleichen will, benötigt man eine Vorstellung vom zeitlichen Anfall der Plankosten. Hier können je nach Projekttyp unterschiedliche Kurvenverläufe zugrunde gelegt werden (vgl. Burghardt [Projektmanagement] 188ff.): (a) Absoluter Plan-/ Ist-Vergleich Die aktuellen Istkosten werden mit den Plankosten zum Ende des Arbeitspaketes oder Projektes verglichen. Es wird daher eine waagrechte Gerade eingezeichnet (vgl. Diagramm a) in Abb. 2-101). Die Aussagekraft dieser Variante beschränkt sich auf den Verlauf der Istkosten-Kurve über die Zeit im Vergleich zum End-Planwert. (b) Linearer Plan-/ Ist-Vergleich Geht man davon aus, dass die Kosten gleichmäßig über die Zeit verteilt anfallen werden, so kann man einen linearen Verlauf der Plankostenkurve unterstellen, wie er in Diagramm b) in Abb. 2-101 eingezeichnet ist. (c) Aufwandskorrelierter Plan-/ Ist-Vergleich Ein wesentlich differenzierterer Überblick wird möglich, wenn man die Aufwandsverteilung auf der Grundlage der genauen Planung, z.B. im Netzplan, für die Verteilung der Plankosten nutzt. In Diagramm c) in Abb. 2- 101 wird ein solcher aufwandskorrelierter Plan-/ Ist-Vergleich gezeigt; die Plankostenkurve verläuft meist in einer leichten S-Form, da die Projektumsetzung meist durch einen überproportionalen Anstieg des Arbeitsaufwands gekennzeichnet ist. (d) Plankorrigierter Plan-/ Ist-Vergleich Die genaueste Variante des Plan-/ Ist-Vergleichs ergibt sich, wenn nicht nur die Istkosten laufend aktualisiert werden, sondern auch die Planwerte einer laufenden Korrektur durch neue Schätzungen unterliegen. Diagramm d) in <?page no="317"?> 292 · Projektkontrolle Abb. 2-101 zeigt einen möglichen Verlauf einer Plankostenkurve bei dieser Methode. t 1 Ist t 3 Ist Ist t 2 Ist Plan a) Absoluter Plan-/ Ist-Vergleich c) Aufwandskorrelierter Plan-/ Ist-Vergleich Gesamtplan Gesamtplan Plan Plan b) Linearer Plan-/ Ist-Vergleich Plan Gesamtplan d) Plankorrigierter Plan-/ Ist-Vergleich t 1 Ist t 3 Ist Ist t 2 Ist Plan a) Absoluter Plan-/ Ist-Vergleich c) Aufwandskorrelierter Plan-/ Ist-Vergleich Gesamtplan Gesamtplan Plan Plan b) Linearer Plan-/ Ist-Vergleich Plan Gesamtplan d) Plankorrigierter Plan-/ Ist-Vergleich Abb. 2-101: Formen des Plan-/ Ist-Vergleichs (Quelle: Burghardt [Projektmanagement] 190) Zur Auswahl der sinnvollsten Variante für ein bestimmtes Arbeitspaket oder das ganze Projekt sollte man sich zunächst mit dem jeweiligen Charakter der zu verrichtenden Arbeit beschäftigen. Ausschlaggebend für die Entscheidung sollten Kosten-/ Nutzen-Erwägungen sein: Ein erfolgskritisches, großes Arbeitspaket mit einem relativ außergewöhnlichen Kostenverlauf, das zudem aufgrund seines innovativen Charakters hohen Risiken unterliegt, kann den höheren Aufwand eines plankorrigierten Plan-/ Ist-Vergleichs sicherlich eher rechtfertigen als ein relativ überschaubares „Standard“-Arbeitspaket. <?page no="318"?> Kostenkontrolle · 293 8.2.3.3 Zeit-/ Kosten-Trenddiagramm In einem Zeit-/ Kosten-Trenddiagramm werden Kosten- und Zeitverbrauch in % einander gegenübergestellt (vgl. Abb. 2-102). 0% 20% 40% 60% 80% 100% 120% 140% 0% 20% 40% 60% 80% 100% 120% 140% Zeitverbrauch Kostenverbrauch Istkosten Plankosten Abb. 2-102: Zeit-/ Kosten-Trenddiagramm (Quelle: Fiedler [Controlling] 186) Hier steht allerdings eher das Verhältnis von Kosten- und Zeitverbrauch im Vordergrund der Betrachtung. Im obigen Beispiel war geplant, dass bei 45% der Zeit ca. 40% der Kosten angefallen sein dürften. Dies war an diesem Punkt auch tatsächlich der Fall, wie dem Diagramm aufgrund der Übereinstimmung von Ist- und Plankosten zu entnehmen ist. 8.2.3.4 Kosten-Trenddiagramm Eine andere Variante eines Trenddiagramms stellt das Kosten-Trenddiagramm dar. Beim Kosten-Trenddiagramm handelt es sich um einen dynamischen Vergleich, der stärker auf die Entwicklung der Kostenschätzung fokussiert als auf die Kosten zu einem bestimmten Zeitpunkt: Es geht vorrangig um einen Soll- Wird-Vergleich, d.h. diese Methodik hat einen stark prognostischen Charakter. Im Vergleich zur Meilenstein-Trendanalyse stehen hier nicht unbedingt die Meilensteine, sondern Arbeitspakete oder Teilprojekte im Mittelpunkt der Be- <?page no="319"?> 294 · Projektkontrolle trachtung. Die ursprüngliche Kostenschätzung bis zur Fertigstellung der Arbeitspakete bzw. Teilprojekte wird im Verlauf des Projektes zu den regelmäßigen Berichtsterminen überprüft und falls notwendig revidiert. Die neuen geplanten Gesamtkosten für das jeweilige Arbeitspaket bzw. Teilprojekt werden nun in einem Diagramm eingetragen (vgl. Abb. 2-103). 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 100 200 300 400 600 700 800 500 Aktuelle Berichtstermine Geplante Kosten in TEUR 900 Planung Planung Analyse Analyse Entwurf Entwurf Abb. 2-103: Kosten-Trendanalyse (In Anlehnung an: Fiedler [Controlling] 185) Die Kosten-Trendanalyse lässt sich folgendermaßen interpretieren: Ein waagrechter Verlauf deutet auf die Einhaltung der ursprünglich geplanten Kosten hin. Ein ansteigender Verlauf zeigt die Überschreitung der ursprünglich geplanten Kosten an. Ein fallender Verlauf ist ein Indikator für eine mögliche Unterschreitung der ursprünglich geplanten Kosten. Ergibt sich bei der Mehrzahl der Arbeitspakete eine Tendenz zur Überschreitung der ursprünglich geplanten Kosten, ist eine Analyse der Ursachen dieser Abweichungen von Nöten. Beispielsweise könnten methodische Schwächen bei <?page no="320"?> Kostenkontrolle · 295 der Kostenplanung identifiziert werden, die durch entsprechende Schulungen beseitigt werden könnten. Im Anschluss an die Darstellung der bekanntesten grundlegenden Methoden zur Kostenkontrolle werden wir nun auf die Besonderheiten der Kontrolle im Zuge unseres Modells der „Integrierten Projektkostenrechnung“ eingehen, deren Grundaufbau und deren Planungskomponente wir in Abschnitt 6.9.3 erläutert haben. 8.2.3.5 Kontrolle in der „Integrierten Projektkostenrechnung“ Die „Integrierte Projektkostenrechnung“ besteht aus den drei methodischen Bausteinen: Prozesskostenrechnung Life Cycle Costing Target Costing Die Prozesskostenrechnung soll eine möglichst verursachungsgerechte Zurechnung der Kosten der indirekten Leistungsbereiche ermöglichen, das Life Cycle Costing lenkt den Fokus auf die Berücksichtigung der Kosten und Erlöse über die gesamte Laufzeit des Projektes hinweg und durch das Target Costing werden die Preisvorstellungen des Kunden besonders in den frühen Projektphasen explizit berücksichtigt. Insbesondere das Life Cycle Costing und das Target Costing werden zu den Instrumenten des Kostenmanagements gezählt. Bei der Kombination dieser Methoden steht die Gestaltung der Kostenstrukturen aus langfristiger Sicht und aus der Perspektive des Marktes im Vordergrund. Beide Instrumente spielen gerade in den frühen Projektphasen eine wichtige Rolle, in denen erfahrungsgemäß die Kosten für den gesamten Lebenszyklus des Projektes zum Großteil festgelegt werden. Auch die Prozesskostenrechnung kann in dieser Richtung eingesetzt werden. Ein sinnvolles Kostenmanagement in der Produktentwicklung muss die Entwicklung marktgerechter und kostengünstiger Produkte sowie die Schaffung von kosteneffizienten Entwicklungsprozessen fokussieren (vgl. Ehrlenspiel/ Kiewert/ Lindemann [Kostenmanagement] 19ff.)]. Wie wirkt sich dieser Kostenmanagement-Gedanke nun in der Kostenkontrolle aus? Zum einen verändert sich der Charakter der Kontrolle: Die genauen Kostenziele, die bereits in den frühen Projektphasen festgelegt werden, ermöglichen <?page no="321"?> 296 · Projektkontrolle eine projektbegleitende Kontrolle mit einem neuen Detailliertheitsgrad und einem doppelten Schwerpunkt auf „Soll-Ist“- und „Soll-Wird“-Vergleichen. Zudem verlangt das Kostenmanagement eine möglichst zeitnahe Erfassung der Kosten im Zuge der anzuwendenden Methoden. Diese Methoden können daher im Vergleich zur traditionellen Kostenrechnung erheblich zu einer erhöhten Kostentransparenz beitragen. Zum anderen gilt es, die Struktur und praktische Vorgehensweise der Kostenkontrolle auf die angewandten Instrumente hin anzupassen. Beschäftigen wir uns zunächst mit dem grundlegenden Charakter der Kostenkontrolle in der „Integrierten Projektkostenrechnung“. 8.2.3.5.1 Charakter der Kostenkontrolle Die Anwendung des Target Costing führt zu einer Verschiebung des Fokus von einer reinen „Soll-Ist“- Kontrolle zum Ende der Entwicklung bzw. zu Beginn der Produktion hin auf die frühen Projektphasen. In diesen Phasen sind die Kosten noch beeinflussbar. In Abb. 2-104 werden die unterschiedlichen Regelkreise im Zuge der traditionellen Kostenrechnung und des Target Costing gezeigt. Die Vorgehensweise des Target Costing ermöglicht eine schnelle Korrektur von Abweichungen. Bei der klassischen Kostenrechnung werden i.d.R. keine detaillierten Kostenziele für einzelne Komponenten festgelegt, so dass die Abweichungen erst wesentlich später sichtbar werden. Natürlich kann man an dieser Stelle einwenden, dass zum Projektmanagement auch eine Planung von Kosten in den einzelnen Projektphasen gehört, die i.d.R. zur Erreichung von Meilensteinen gemessen wird. Hierbei handelt es sich vorrangig um eine „Soll-Ist“-Betrachtung, d.h. „Habe ich tatsächlich die Kosten verursacht, die ich ursprünglich geplant habe“. Die Frage „Wie werden die Kostenstrukturen meines zukünftigen Projektergebnisses aussehen? “ steht nicht per se im Mittelpunkt des Projektmanagements, sondern eher die effiziente Abwicklung des Projektes an sich. Natürlich spielt sie zur Erreichung der bestehenden Kostenziele eine wichtige Rolle; daher ergänzt das Target Costing die Vorgehensweise im Projektmanagement sehr gut. Die Kombination kann zu einer zeitlichen Verkürzung des Projektes führen und sich auch in niedrigeren Entwicklungskosten niederschlagen, da Änderungskosten entfallen. Zudem wird die Gefahr von dramatischen Abweichungen stark reduziert. <?page no="322"?> Kostenkontrolle · 297 a) langer Regelkreis b) kurze Regelkreise Anforderungen mit Zielkosten Konzept Zielkosten erreicht? ja Entwurf Zielkosten erreicht? ja Ausarbeitung ja Zielkosten erreicht? Produktion nein nein nein Marktforschung/ Kundenbefragung Anforderungen Konzept Entwurf Ausarbeitung Kosten zu hoch? nein Produktion ja Marktforschung/ Kundenbefragung Traditionelle Kostenrechnung Target Costing Abb. 2-104: Steuerungsregelkreise bei der traditionellen Kostenrechnung und bei Anwendung des Target Costing (In Anlehnung an: Ehrlenspiel/ Kiewert/ Lindemann [Kostenmanagement] 51) In Abschnitt 6.9.3.3 haben wir die Grundgedanken des Target Costing ausführlich beschrieben. Es handelte sich hierbei primär um den Prozess der Ableitung und Vereinbarung von Zielkosten pro Komponente. In Abb. 2-105 ist links ein erster Zyklus zu sehen, der durch das „Kneten“ der Kosten zur Gewinnung einer realistischen Zielgröße gekennzeichnet ist. Der zweite Zyklus dient der Verwirklichung der Kostenziele und beinhaltet verschiedene Maßnahmen zur Zielerreichung. <?page no="323"?> 298 · Projektkontrolle Zielkostenzyklus I Zielkostenzyklus II Zielkostenvereinbarung pro Komponente Zielkostenerreichung pro Komponente Vereinbarung Ziele „Kneten“ „Kneten“ Hauptkostensenkungsquellen Ermittlung Marktdaten Ableitung Zielgewinn Zielkostenspaltung Zielkostenverabschiedung Kostenplanung pro Komponente Prognose der Gesamtkosten Umsetzung der Planungen mit begleitenden Abweichungsanalysen Markt Produkt Abb. 2-105: Zielkostenzyklen im Target Costing (In Anlehnung an: Schindler [Target Cost Management] 109) Anhand dieses zweiten Zyklusses wird deutlich, wie stark die Planung und die Kontrolle in diesem Zyklus miteinander verwoben sind: Auf Basis der vereinbarten Ziele werden zunächst Hauptkostensenkungsquellen auf ihre Einsatzfähigkeit im jeweiligen Fall untersucht. Beispielsweise können Möglichkeiten zur sinnvollen Einbindung von Lieferanten geprüft, eine Wertanalyse bzw. Wertgestaltung durchgeführt, Kostenanalysen auf der Grundlage eines Benchmarkings vorgenommen oder Veränderungspotenziale in den notwendigen Prozessen analysiert werden (zu den einzelnen Verfahren vgl. Bea/ Haas [Management] 353f. oder Coenenberg/ Fischer/ Günther [Kostenrechnung] 545ff.; eine Übersicht über weitere geeignete Verfahren findet sich bei Horváth/ Niemand/ Wolbold [Target Costing] 13ff.). Auf dieser Grundlage findet eine erneute Kostenplanung statt. Bei dieser Kostenplanung wird auch auf die Erkenntnisse aus der Zielkostenspaltung aus Zyklus I zurückgegriffen, insbesondere auf den Zielkostenindex und das Zielkostenkontrolldiagramm. Es steht dabei die Frage im Vordergrund, inwieweit sich <?page no="324"?> Kostenkontrolle · 299 Kosten und Nutzen der Komponente aus Kundensicht entsprechen (vgl. S. 217ff.). Zunächst erfolgt die Kostenplanung auf der Ebene der einzelnen Komponente, anschließend werden diese Kostenplanungen zu einer Prognose für das gesamte Projekt aggregiert. An beiden Stellen kann sich noch Kostenverbesserungsbedarf ergeben, so dass ein erneutes „Kostenkneten“ notwendig wird und ein neuer Zyklus beginnt. Im Zuge der weiteren Projektplanung und - umsetzung konkretisieren sich die Kostenwerte, so dass die Planungen nun angepasst werden. Auch hier können weitere Zyklen ausgelöst werden, wenn es zu Abweichungen im Zuge der Realisierung kommt. Nun stellt sich die Frage, wie die Kostenkontrolle sowie die Steuerungsmaßnahmen konkret ausgestaltet sein sollten, wenn die „Integrierte Projektkostenrechnung“ angewendet wird. 8.2.3.5.2 Struktur und Vorgehensweise bei der Kostenkontrolle In der Kostenplanung im Rahmen der integrierten Projektkostenrechnung in Abschnitt 6.9.4 sind wir davon ausgegangen, dass Projekte lebenszyklusorientiert betrachtet werden sollten. Die Kosten der einzelnen Arbeitspakete wurden daher nach Kostenarten und nach den verschiedenen Perioden aufgegliedert. Diese Aufgliederung muss in der Kontrolle entsprechend beibehalten werden, damit überhaupt sinnvolle Vergleiche möglich sind. Für die Projektkontrolle muss es zudem möglich sein, die von den Arbeitspaketverantwortlichen zurückgemeldeten Kostenwerte den einzelnen Komponenten zuzuordnen. Sollte eine Komponente auf mehrere Arbeitspakete aufgeteilt sein, so ist auf eine entsprechende Aggregation der Daten zu achten. Der nächste Schritt in der Kostenplanung besteht in der Berechnung der kalkulatorischen Zinsen. Dieser Arbeitsschritt ist notwendig, um den Ansatz dynamisieren zu können. Auch diese Annahmen aus der Planung müssen im Zuge der Kontrolle überprüft und ggf. angepasst werden. Zudem müssen die Prozesskostensätze, die der Planung zugrunde gelegt wurden, kontrolliert werden. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn die Umgestaltung von Prozessen Teil der Maßnahmen zur Erreichung der Target Costs waren. Außerdem sollten bei der Kostenkontrolle alle Prämissen, die in die Planung eingeflossen waren, einer Kontrolle unterzogen werden. Es empfiehlt sich daher, jeden einzelnen Schritt der Planung nachzuvollziehen und zu überprüfen. Die Tabellen in Abschnitt 6.9.4.3 können schrittweise auf zugrunde liegende Prämissen überprüft werden. <?page no="325"?> 300 · Projektkontrolle Welche konkreten Steuerungsmaßnahmen sind nun aus diesem Modell der „Integrierten Projektkostenplanung“ abzuleiten? Als Ergebnis der gesamten Vorgehensweise in der Planung resultiert eine „aggregierte Zielkostenlücke“ bzw. ein „aggregierter Zielkostenpuffer“: Hierbei handelt es sich um einen Barwert, der sich durch die Dynamisierung des Target Costing ergibt. Liegt eine Zielkostenlücke vor, so sollten Kostenmanagement-Maßnahmen eingeleitet werden, wenn die geplanten Zielrenditen noch erreicht werden sollen. Bei einem Zielkostenpuffer gibt es noch Kostenspielräume, ohne die Zielrenditen zu gefährden. Bei der aggregierten Zielkostenlücke handelt es sich jedoch um einen Barwert, der zwar einen Eindruck vom Ausmaß der notwendigen Einsparungen ermöglicht, doch für die Ableitung konkreter Maßnahmen relativ abstrakt ist. Daher werden in einem letzten Schritt die Ausbringungsmengen in den Perioden der Marktphase einbezogen, um eine Zielkostenlücke bzw. einen Zielkostenpuffer pro Stück zu errechnen. Eine solche Zielkostenlücke ist wesentlich plastischer: Im Beispiel auf S. 238 ist dem Projektteam nach der detaillierten Kostenplanung klar, dass es in den Produktionsperioden Zielkostenlücken in Höhe von ca. 84, 93 und 102 Euro pro Stück zu schließen hat, wenn das geplante Deckungsbudget voll durch das Projekt erwirtschaftet und zugleich der vorgesehene Return on Sales (ROS) in Höhe von 12% erreicht werden soll. Um eine Indikation für verbesserungswürdige Komponenten zu bekommen, an denen man mit Maßnahmen des Kostenmanagements ansetzen sollte, werden nun zunächst die relativen Kosten- und Nutzenanteile einander gegenübergestellt (vgl. Abschnitt 6.9.3.3.2). Anschließend können verschiedene Maßnahmen initiiert werden, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten wirksam werden können. Hier einige Beispiele: (1) Das Projektteam untersucht die Möglichkeiten, ein günstigeres Material einzusetzen. Diese Einsparung wirkt sich auf die Materialkosten aus, die in den drei Produktionsperioden t 3 bis t 5 anfallen (vgl. Abb. 2-77, S. 230). (2) Das Projektteam bindet bereits in den frühen Phasen einen Spezialisten aus der Fertigung mit ein und entwickelt Vorschläge für Änderungen im vorgesehenen Produktionsprozess. Die Effizienzsteigerung, die sich dadurch ergibt, wirkt sich positiv auf die leistungsmengeninduzierten Fertigungsgemeinkosten in t 3 -t 5 aus. <?page no="326"?> Kostenkontrolle · 301 (3) Obwohl die Zielkostenlücken jetzt rein rechnerisch in den drei Perioden der Marktphase anfallen, kann und sollte natürlich bereits früher mit den Einsparungsmaßnahmen angesetzt werden: Beispielsweise könnte ein höherer „Re-Use“, also ein vermehrter Einsatz von Komponenten, die bereits für andere Projekte entwickelt wurden, die Entwicklungskosten in t 1 und t 2 senken. Die Auswirkungen der Änderungen können in Form einer Differenzbetrachtung für die einzelnen Perioden ausgewiesen werden. Werden verschiedene Maßnahmen initiiert, die in unterschiedlichen Perioden wirken, so erscheint der Bezug auf die „aggregierte Zielkostenlücke“ sinnvoll: Die Auswirkungen werden in den verschiedenen Perioden geplant und auf t 0 abgezinst, damit sie trotz des unterschiedlichen zeitlichen Anfalls vergleichbar werden und sie der „aggregierten Zielkostenlücke“ gegenübergestellt werden können. So kann abgeschätzt werden, inwieweit die Zielkostenlücke durch die Maßnahmen geschlossen wird. Zudem kann bei diesen Optimierungen der Kostenmanagement-Gedanke des Life Cycle Costing einfließen: Anhand des Modells kann man beispielsweise prüfen, inwieweit es sinnvoll wäre, in den Perioden t 1 und t 2 in eine bestimmte qualitätssichernde Maßnahme zu investieren und damit die Garantiekosten in t 6 und t 7 zu senken. Bei diesem Schritt wird also der bestehende Projektkostenplan optimiert. Im weiteren Projektverlauf konkretisieren sich die Planungsdaten und die Planung wird entsprechend aktualisiert; die Abweichungen werden analysiert. Auch hier bieten sich Differenzbetrachtungen an. In der „Integrierten Projektkostenrechnung“ sind sowohl „Soll-Ist“als auch „Soll-Wird“-Kontrollen notwendig: Wurden die Kosten wie geplant realisiert und wie werden sich die Kosten aus heutiger Sicht entwickeln, d.h. ist unsere bisherige Planung bis zum Projektende aus heutiger Sicht noch realistisch? Bisher haben wir uns damit beschäftigt, wie die Erreichung von Kosten-, Leistungs- und Terminzielen kontrolliert werden kann. Dabei wurde immer eine dieser Dimensionen isoliert betrachtet. Allerdings ist die Kontrolle einer Dimension nicht immer aussagekräftig: Eine Kostenüberschreitung zu einem bestimmten Zeitpunkt kann beispielsweise dadurch verursacht sein, dass bestimmte Arbeiten vorgezogen wurden und somit eine höhere Leistung erbracht wurde, als dies bisher zu diesem Termin geplant war. Oder man ist laut Kostenkontrolle im Plan, es bestehen jedoch erhebliche Mängel in der Qualität der Arbeitsergebnisse, d.h. die Leistung entspricht nicht der ursprünglichen Planung. <?page no="327"?> 302 · Projektkontrolle Für einen umfassenden Einblick in den Status des Projektes ist daher eine kombinierte Betrachtung von geplanter und tatsächlicher Leistung zu geplanten und tatsächlichen Kosten im vorgesehenen Zeitplan. Eine solche kombinierte Betrachtung steht im Mittelpunkt der Earned-Value-Technik. 8.3 Ganzheitliche Kontrolle mit Hilfe der Earned Value- Technik Die Earned Value-Technik, auch Earned Value-Analyse, Fertigstellungswert- Analyse oder Arbeitswertmethode genannt, ermöglicht ein differenziertes Bild vom aktuellen Stand eines Projektes in Bezug auf Kosten- und Leistungsabweichungen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Zudem enthält sie eine Prognose der Zielerreichung zum Endtermin. 8.3.1 Grundbegriffe der Earned Value-Technik Für eine Earned-Value-Analyse sind drei Kostengrößen von Bedeutung: Plankosten (Budgeted Cost of Work Scheduled, BCWS): Geplante Kosten für die Planleistung laut Terminplan Istkosten (Actual Cost of Work Performed, ACWP): Tatsächliche Istkosten für die tatsächliche Istleistung zum Stichtag Sollkosten (Budgeted Cost of Work Performed, BCWP oder auch Earned Value): Geplante Kosten für die tatsächliche Istleistung zum Stichtag Mit Hilfe der Sollkosten wird die Gesamtabweichung „Istkosten - Plankosten“ aufgespalten in eine Kostenabweichung (Cost Variance) „Istkosten - Sollkosten“, die als Maßstab für die Wirtschaftlichkeit der Projektdurchführung herangezogen werden kann und eine Leistungsabweichung (Schedule Variance) „Sollkosten - Plankosten“, die angibt, inwieweit die geplanten Leistungsziele zum Stichtag erreicht wurden. In Abb. 2-106 sind die drei Kostenkurven sowie die Kostenabweichung ( K) und Leistungsabweichung ( L) dargestellt. <?page no="328"?> Ganzheitliche Kontrolle mit Hilfe der Earned Value-Technik · 303 Start Stichtag Planende Zeit 30 45 60 100 Kosten (K) in TEuro Plankosten Plankosten für Planleistung Sollkosten Istkosten T L K Abb. 2-106: Kurven und Abweichungen in einer Earned Value-Analyse Zudem ist noch eine Terminabweichung ( T) erfasst: Sie ergibt sich als Differenz zwischen dem Stichtag und dem Punkt auf der Plankostenkurve, der angibt, für wann die momentane Istleistung ursprünglich geplant gewesen wäre. 8.3.2 Vorgehensweise bei der Earned Value-Technik Eine Earned Value-Analyse umfasst folgende Schritte: Eintragung der kumulierten Plankosten Erfassung der Istkosten und Eintragung in das Earned Value-Diagramm Erfassung der Sollkosten und Eintragung in das Earned Value-Diagramm Interpretation der Ergebnisse Prognose der weiteren Entwicklung Einleiten und Verfolgen von Steuerungsmaßnahmen (1) Eintragung der kumulierten Plankosten Die Plankostenkurve in Abb. 2-106 ist optisch hervorgehoben, da sie den ursprünglichen Plan darstellt, der als Grundlage für die Einschätzung des aktuel- <?page no="329"?> 304 · Projektkontrolle len Status dient. Dieses geplante Budget für die zu erledigende Arbeit sollte i.d.R. im laufenden Projekt möglichst nur bei Veränderungen der Projektziele angepasst werden. An dieser Stelle sieht man deutlich, dass die Kosten des Projektes in der Earned Value-Analyse auch als Maß für die Leistung in Form des geplanten Aufwands zur Erledigung einer Aufgabe herangezogen werden. Oftmals wird bei den Plankosten ein S-förmiger Verlauf der Kurve unterstellt (vgl. S. 290ff.). (2) Erfassung der Istkosten und Eintragung in das Earned Value- Diagramm Zum vereinbarten Stichtag werden die Istkosten erfasst. Sie spiegeln den gesamten Arbeitsaufwand wider, der bis zu diesem Stichtag in das Projekt eingebracht wurde. Mit Hilfe der Werte, die zu anderen Stichtagen bereits erhoben wurden, ergibt sich hier die Istkostenkurve. (3) Erfassung der Sollkosten und Eintragung in das Earned Value- Diagramm Dieser Arbeitsschritt findet ebenfalls zum vereinbarten Stichtag statt: Zunächst sind hier die Fertigstellungsgrade der einzelnen Arbeitspakete zu schätzen (vgl. Abschnitt 8.2.1). Diese Leistungen werden dann mit Plankosten bewertet. Auch hier können die Eintragungen älteren Datums für die Erstellung einer Kurve genutzt werden. (4) Interpretation der Ergebnisse Betrachten wir zur Illustration das Earned Value-Diagramm in Abb. 2-106: (a) Leistungsabweichung Zum Stichtag liegt die Sollkostenkurve unterhalb der Plankostenkurve. Es ist also eine Leistungsabweichung erkennbar: Nehmen wir an, wir hätten zum Stichtag Sollkosten in Höhe von 30 TEuro und Plankosten in Höhe von 45 TEuro, dann ergibt sich als absolute Leistungsabweichung (L): L absolut = Sollkosten - Plankosten Im Beispiel: L absolut = 30 - 45 = -15 Ein negativer Wert der Leistungsabweichung zeigt an, dass weniger geleistet wurde als ursprünglich geplant. Diese Leistungsabweichung kann auch prozentual dargestellt werden: <?page no="330"?> Ganzheitliche Kontrolle mit Hilfe der Earned Value-Technik · 305 100 Plankosten absolut L % in L Im Beispiel: L in % = (-15 / 45) · 100 = -33,3% Die tatsächliche Leistung liegt also um 33,3% unter der geplanten Leistung. Man könnte hier auch einen sog. Leistungsindex (auch Leistungsverzögerungsindex oder Schedule Performance Index, SPI) bilden, um zu berechnen, wie viel Prozent der Arbeit momentan im Vergleich zum Plan fertig gestellt wurden (vgl. Fiedler [Controlling] 193f.): Plankosten Sollkosten SPI ndex Leistungsi Im Bespiel: Leistungsindex SPI = 30 / 45 = 0,667 Bei einem Leistungsindex unter 1 hat man weniger Arbeit erledigt als ursprünglich geplant und hinkt somit der Zeitplanung hinterher, bei einem Leistungsindex über 1 wurde mehr Arbeit im Vergleich zum Plan geschafft, man liegt also vor dem Zeitplan. (b) Kostenweichung Nun sollten wir diese Feststellung mit der Kostensituation in Zusammenhang bringen und die Kostenabweichung näher untersuchen: Die Istkosten liegen zum Stichtag bei 60 TEuro. Die absolute Kostenabweichung beträgt somit K absolut = Istkosten - Sollkosten Im Beispiel: K absolut = 60 - 30 = 30 Die Kosten liegen also 30 TEuro über den Kosten, die für die erbrachte Istleistung geplant gewesen wären. Auch diese Abweichung kann prozentual dargestellt werden: <?page no="331"?> 306 · Projektkontrolle 100 Sollkosten absolut K % in K Im Beispiel: K in %= (30 / 30) · 100 = 100% Das Projekt überschreitet das vorgesehene Budget für die erledigte Arbeit um 100%. Auch für die Kosten kann ein Index berechnet werden: Der Kostenindex (auch Wirtschaftlichkeitsfaktor oder Cost Performance Index, CPI) ist ein wichtiges Maß für die Effizienz der Projektabwicklung. Kostenindex CPI = Istkosten Sollkosten Im Beispiel: Kostenindex CPI = 60 / 30 = 2 Das Projekt hat doppelt so viel Aufwand benötigt wie ursprünglich geplant, die Kosteneffizienz des Projektes ist daher absolut ungenügend. Bei Werten unter 1 sind die Kosten niedriger, bei Werten über 1 sind sie höher als geplant. In der Literatur werden die Formeln auch oftmals gedreht, so dass die absolute Kostenabweichung als „Sollkosten - Istkosten“ und der Kostenindex als „Sollkosten / Istkosten“ definiert werden. In diesem Fall verändern sich die Interpretation der Kennzahlen und auch die Formeln für die Prognose entsprechend. Kommen wir zurück zu unserem Beispielsprojekt: Zum Stichtag zeigt sich also, dass das Projekt aktuell teurer ist als ursprünglich angenommen und auch noch hinter dem Zeitplan liegt. Hier stellt sich natürlich sofort die Frage, worauf diese Abweichungen zurückgeführt werden können, z.B. auf eine schleichende Erhöhung der Anforderungen an das Projektergebnis, unerfahrene Teammitglieder, deren Schätzungen noch nicht realistisch waren, oder auch fehlendes Know how in der Umsetzung, Schwierigkeiten im Projektteam, wie beispielsweise niedrige Motivation, Komplikationen in der Zusammenarbeit. Nach einer Analyse der Ursachen der Abweichungen gilt es, Lösungen für die zugrunde liegenden Probleme zu suchen und sie entsprechend umzusetzen. <?page no="332"?> Ganzheitliche Kontrolle mit Hilfe der Earned Value-Technik · 307 (5) Prognose der weiteren Entwicklung Auf der Grundlage der Ist-, Plan- und Sollkosten zu verschiedenen Stichtagen kann man eine Vorhersage der weiteren Entwicklung ableiten. Es können verschiedene Kennzahlen ermittelt werden: (a) Voraussichtliche Gesamtdauer (Time Estimate at Completion): Plankosten Sollkosten Plandauer Gesamte SPI ndex Leistungsi Plandauer Gesamte t EAC Diese Formel kann nur dann eine sinnvolle grobe Schätzung des Fertigstellungstermins ergeben, wenn davon ausgegangen werden kann, dass sich der bisherige Trend fortsetzt (lineare Prognose). In unserem Beispiel wurden für das Projekt ursprünglich 12 Monate angesetzt. Somit ergibt sich zum Stichtag folgende Schätzung der voraussichtlichen Gesamtdauer: 18 667 , 0 12 EAC t Es ist also davon auszugehen, dass sich das Projekt um 6 Monate auf insgesamt 18 Monate verlängern könnte, wenn der Trend anhält und keine Gegenmaßnahmen eingeleitet würden. Allerdings sollte diese Schätzung immer mit anderen Schätzungen abgeglichen werden, die sich z.B. aus dem Netzplan ergeben, um Abhängigkeiten zu berücksichtigen, die innerhalb der Earned Value-Analyse nicht betrachtet werden. (b) Voraussichtliche Gesamtkosten (Cost at Completion oder auch Estimate at Completion): Sollkosten Istkosten Plankosten Gesamte CPI x Kosteninde Plankosten Gesamte EAC Auch bei dieser Schätzung wird der Trend aus der Vergangenheit extrapoliert, d.h. man geht davon aus, dass die bisherige Entwicklung weiterhin anhält (linearer Verlauf). Kann davon nicht ausgegangen werden, so sollte die noch zu erbringende Leistung geschätzt und erneut der damit verbundene Aufwand mit Kosten bewertet werden. Sollte sich die Abweichung lediglich aus einem Arbeitspaket ergeben und der Projektleiter erwartet keine weiteren Abweichungen, <?page no="333"?> 308 · Projektkontrolle so wäre auch eine additive Prognose denkbar, d.h. zu den bisherigen gesamten Plankosten wird die absolute Kostenabweichung zum Stichtag hinzugezählt. In unserem Projekt ist der Projektleiter bisher von Gesamtkosten in Höhe von 100 TEuro ausgegangen. Er befürchtet, dass die bisherige Kostenentwicklung sich auch in der Zukunft fortsetzen wird. Somit ergibt sich für die voraussichtlichen Gesamtkosten 200 2 100 EAC Wahrscheinlich wird sich der Kostenblock also verdoppeln und 200 statt 100 TEuro betragen. Könnte er davon ausgehen, dass alle weiteren Arbeitspakete laufen, wie ursprünglich geplant, so könnte er eine additive Prognose durchführen: EAC = Geplante Gesamtkosten + K absolut = 100 + 30 = 130 Er würde dann von voraussichtlichen Gesamtkosten in Höhe von 130 TEuro ausgehen. (6) Einleiten und Verfolgen von Steuerungsmaßnahmen Bei Abweichungen kann man entweder den Plan ändern, d.h. die Abweichung akzeptieren, oder Maßnahmen zur Korrektur einleiten. Möglichkeiten zur Kostensenkung wurden im Abschnitt 8.2.3.5 im Rahmen der „Integrierten Projektkostenrechnung“ skizziert. Zudem kann man beispielsweise versuchen, die höheren Kosten an den Kunden weiterzugeben, insbesondere wenn sie auf umfassende Änderungswünsche von seiner Seite zurückzuführen sind (vgl. Nachforderungsmanagement in Abschnitt 7.5.2). Hinkt die Leistung dem Plan hinterher, so kann der Ressourceneinsatz erhöht werden, z.B. in Form von Überstunden oder einer Erhöhung des Know hows durch eine Zusatzausbildung von Mitarbeitern. Weitere Möglichkeiten zur Beschleunigung finden sich in Abschnitt 6.6.2.3.3 im Rahmen der Ausführungen zur Optimierung der Planung im Netzplan. Grundsätzlich ist bei allen Beschleunigungsmaßnahmen zu beachten, dass sie in der Mehrzahl der Fälle mit entsprechenden Kosten verbunden sind. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer Maßnahme ist daher in jedem Einzelfall abzuwägen (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 435ff.). <?page no="334"?> Ganzheitliche Kontrolle mit Hilfe der Earned Value-Technik · 309 8.3.3 Kritische Würdigung der Earned Value-Technik Die Earned Value-Analyse ermöglicht eine ganzheitliche und frühzeitige Kontrolle der drei Dimensionen „Kosten“, „Zeit“ und „Leistung“ in einem Projekt. Ein wichtiger Vorteil ist in der Nutzung als Visualisierungsinstrument zu sehen. Die Earned Value-Analyse stellt relativ hohe Anforderungen an den Projektleiter, die Arbeitspaketverantwortlichen und das Controllingsystem, denn die notwendigen Daten müssen regelmäßig und vollständig erhoben, ausgewertet und diskutiert werden. Die Einführung der Earned Value-Analyse in einer Organisation ist daher nicht trivial: Zunächst muss das Controllingsystem darauf ausgerichtet werden, die entsprechenden Daten aufzunehmen und zu verarbeiten. Zudem ist für eine erfolgreiche Einführung entsprechende Motivationsarbeit bei den Betroffenen zu leisten, insbesondere durch Schulungsmaßnahmen. Schelle spricht zwei Herausforderungen an, die bei der Anwendung der Earned Value-Technik bedacht werden sollten (vgl. Schelle [Projekte] 188): (1) Proportionalität von Leistung und Kosten In der Earned Value-Analyse wird die Leistung mit Hilfe von Kosten auf der Grundlage des geplanten Aufwands zur Erledigung einer Aufgabe „gemessen“. Hinter dieser Vorgehensweise steckt die Annahme, dass Kosten und Leistung sich proportional entwickeln. Will man die Earned Value- Analyse anwenden, so muss das Projekt daher daraufhin geprüft werden, ob diese Prämisse zutrifft. (2) Häufige Planrevisionen Was passiert, wenn die Plankostenschätzung im Projektverlauf häufig revidiert wird? Die Hintergründe für Fehleinschätzungen können vielfältig sein; einige Problemfelder haben wir bereits im Zuge der Leistungskontrolle bei der Bestimmung des Fertigstellungsgrades diskutiert: Selbstüberschätzung aufgrund von fehlender Erfahrung oder durch das „Groupthink“- Phänomen, die menschliche Tendenz zu sozial erwünschten Antworten, aber auch ein rigider Umgang des Managements mit „schlechten Nachrichten“ können zu einer verzerrten Berichterstattung führen. Diese Herausforderung besteht jedoch nahezu bei allen Methoden zur Kontrolle und Steuerung von Projekten, denn sie sind untrennbar mit dem Charakter von Projektarbeit verbunden: Die einzelnen Mitarbeiter bearbeiten eigenverantwortlich bestimmte Arbeitspakete und sind somit auch die Experten für die Schätzungen. Eine ausgeprägte Fremdkontrolle hat in dieser Arbeitsform wenig Platz, stattdessen benötigen die Verantwortlichen Motivation zur Selbstkontrol- <?page no="335"?> 310 · Projektabschluss le. Selbst die differenzierteste Methode zur Kontrolle ist darauf angewiesen, dass die Mitarbeiter möglichst ehrlich und offen mit ihren Schätzungen umgehen - und dies liegt zum Großteil an der herrschenden Unternehmens- und Projektkultur. Für einen sinnvollen Umgang mit Methoden zur Projektkontrolle und -steuerung sind daher meistens unterstützende Maßnahmen der Organisationsentwicklung notwendig, sowohl für die Projektmitarbeiter als auch für die Führungskräfte. 9 Projektabschluss 9.1 Aufgaben des Projektabschlusses Laut Definition hat ein Projekt einen festgelegten Anfang und ein definiertes Ende. In Abschnitt 4 haben wir uns eingehend mit dem Projektstart und seiner Vorbereitung beschäftigt. Ein systematisch geplantes Projektende ist in der Praxis jedoch weitaus seltener zu finden als ein geordneter Projektstart. Dies könnte auf die folgenden Faktoren zurückzuführen sein (in Anlehnung an Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 429f.): Der Projektabschluss wird nicht sofort am Ende des Projektes durchgeführt, da bereits neue Aufgaben auf die Projektteammitglieder warten. Später gerät er in Vergessenheit. Die termingerechte Durchführung des Projektes war mit „Feuerwehraktionen“ verbunden und hat somit das Projektteam viel Kraft gekostet. An einem systematischen Projektabschluss besteht kein Interesse, insbesondere, wenn er als reiner Formalismus wahrgenommen wird. Das Projekt geht stillschweigend in die Linie über. Dies ist oftmals bei Projekten der Fall, bei denen die weitere Betreuung eine große Rolle spielt. Kein Beteiligter möchte über ein misslungenes Projekt sprechen und ihm somit in der Organisation Bedeutung verleihen. Es sollte am liebsten „unter den Tisch fallen“. Es wurde zu Projektbeginn nicht hinreichend genau definiert, was die Voraussetzungen für den Projektabschluss sein sollen, d.h. der letzte Meilenstein und die Vision wurden nicht klar genug herausgearbeitet und festgelegt. Für die Erreichung des letzten Meilensteins ist sowohl eine verbale Beschreibung als auch eine messbare Größe notwendig, wie z.B. „Der Serienanlauf ist sicherzustellen, d.h. der prozentuale Anteil des Ausschusses soll unter xx % liegen“ oder „der Serienanlauf soll noch 3 Monate betreut werden“ (vgl. Bellut [Abschluss] 438). <?page no="336"?> Aufgaben des Projektabschlusses · 311 Die internen Auftraggeber priorisieren das Projektende nicht hoch genug und verschieben die Abschlussbesprechung so lange, bis sich das Projekt faktisch aufgelöst hat, da alle Mitarbeiter in anderen Projekten eingesetzt wurden: „Hat doch alles gut geklappt! Da gibt es doch nichts mehr drüber zu sagen. Nicht geschimpft ist genug gelobt. Außerdem wissen die betroffenen Mitarbeiter ja selbst, was gut und was nicht so gut gelaufen ist und werden ihre Lehren daraus ziehen“. Im Verlauf des Buches haben wir uns an mehreren Stellen mit den Veränderungen beschäftigt, die eine Integration von Projektmanagement in die strategische Unternehmensführung mit sich bringt. Projekte sind in diesem Fall als wichtige Instrumente der Unternehmensentwicklung zu verstehen und haben somit für das Unternehmen eine hohe Bedeutung. Befindet sich ein Unternehmen auf dem Weg hin zu einem projektorientierten Unternehmen (vgl. Teil 4), dann muss sich diese Bedeutung des einzelnen Projektes auch im Umgang mit dem Projektabschluss niederschlagen: Es ist eine systematische Vorgehensweise notwendig, die eine Analyse des gesamten Projektablaufes beinhaltet, um Erkenntnisse für zukünftige Projekte dieser Art zu gewinnen (vgl. Fiedler [Projektcontrolling] 208f.), den Beteiligten sowohl einen inhaltlichen als auch einen emotionalen Abschluss des Projektes ermöglicht, den Mitarbeitern Wertschätzung für ihre Arbeit und ihre Erfahrungen vermittelt und somit positiv auf deren Motivation für die Arbeit in zukünftigen Projekten wirkt (vgl. Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 431). Gerade der erste Punkt spricht ein wichtiges Aufgabenfeld des Projektabschlusses an: Das Lernen aus Projekterfahrungen (vgl. Teil 4, Abschnitt 3 „Aufbau organisationaler Projektmanagementkompetenz“). Die Erfahrungen aus dem Projekt sollten in die organisationale Wissensbasis eingehen. Dies betrifft den Wissenszuwachs bezüglich der inhaltlichen Fachthemen, aber auch die Erfahrungen mit der Vorgehensweise im Projektmanagement, mit der Zusammenarbeit mit den wichtigsten Stakeholdern des Projektes sowie innerhalb des Projektteams: „Ein Wissensmanagement für Projekte soll dazu beitragen, die meist innovativen Erfahrungen für künftige Prozesse systematisch nutzbar zu machen und eine dauerhafte Projektkompetenz aufzubauen, zu entwickeln und zu sichern. Damit soll letztlich die Innovationsfähigkeit und Flexibilität der Unternehmung gezielt unterstützt werden“ ( Vogel/ Bruch [Projektkompetenz] 251). <?page no="337"?> 312 · Projektabschluss Voraussetzungen für einen erfolgreichen Umgang mit dem Projektwissen sind (vgl. Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 430f.): Die grundsätzliche Bereitschaft aller Beteiligten, ein wertschätzender Umgang mit den Erfahrungen anderer Menschen, eine konstruktive Fehler- und Lernkultur, in der Fehler zum Lernen gehören, und die somit die entsprechende Offenheit zur Reflektion ermöglicht, sowie ein entsprechender Prozess mit Verantwortlichen, Techniken und Tools, wie beispielsweise einer Projektbibliothek, Berichten in der Hauszeitschrift oder Informationsbörsen, zur Verbreitung des neuen Wissens im Unternehmen. 9.2 Teilprozesse des Projektabschlusses Zu einem systematischen Projektabschluss gehören verschiedene Teilprozesse (vgl. Abb. 2-107). Überleitungs- und Erhaltungsplan Endabnahme der Projektergebnisse Projektauswertung Projektinterne Abschlussbesprechung im Team Vorkopplung Rückkopplung Abschlussgespräche mit den wichtigsten Stakeholdern Abschlussbericht und Fertigstellung der Projektdokumentation Überleitungs- und Erhaltungsplan Endabnahme der Projektergebnisse Projektauswertung Projektinterne Abschlussbesprechung im Team Vorkopplung Rückkopplung Abschlussgespräche mit den wichtigsten Stakeholdern Abschlussbericht und Fertigstellung der Projektdokumentation Abb. 2-107: Teilprozesse des Projektabschlusses Wie bei allen bisher dargestellten Prozessen sind die Teilprozesse interdependent und zeitlich nicht unbedingt in eine feste Reihenfolge zu bringen. <?page no="338"?> Projektabschluss · 313 Betrachten wir diese Schritte im Einzelnen. 9.2.1 Überleitungs- und Erhaltungsplan Ein Überleitungsplan zeigt auf, was zukünftig mit den im Projekt eingesetzten Ressourcen passieren soll. Dies betrifft insbesondere die Projektmitarbeiter, aber auch die Sachmittel, wie Rechnerausstattung, Büros, Kopierer sowie nicht verbrauchtes Material. Für die Projektmitarbeiter in einer reinen Projektorganisation ist es wichtig, dass sie bereits im Projektverlauf Gewissheit über ihre Folgeaufgaben bekommen, denn die Unsicherheit bezüglich ihrer weiteren beruflichen Zukunft im Unternehmen könnte sich sehr kontraproduktiv auf ihre Leistung auswirken. Für ihr Fortkommen sollte gewährleistet sein, dass ihre Fortschritte bezüglich ihrer Erfahrungen und Kompetenzen, die sie im Projekt gemacht haben, schriftlich festgehalten werden. Dieser Schritt gewinnt insbesondere an Bedeutung, wenn Projekte im Unternehmen als Instrumente zur strategischen Personalentwicklung verstanden werden. Der Erhaltungsplan dient der systematischen Betreuung des Produktes bzw. der Projektergebnisse im Anschluss an das Projekt. In vielen Fällen ist dies gleichbedeutend mit einer Überleitung des Projektes in die Linie. Hier einige Beispiele: Ein Produktentwicklungsprojekt endet häufig mit der Serienreife und wird dann an die Produktion übergeben. Die Verantwortung für das Produkt geht dann i.d.R. auf einen Produktmanager oder zunächst auf den Produktionsleiter über. Ein Projekt zur Verbesserung der Prozesse in der Forschung und Entwicklung wird beendet. Das dauerhafte Management dieser Prozesse muss nun in die Linie übergehen, denn zur erfolgreichen ständigen Verbesserung der Prozesse ist ein fester Ansprechpartner notwendig, der die Verantwortung für die Gestaltung und Betreuung der Prozesse übernimmt. Im Projekt wurde eine neue Software für einen Kunden entwickelt. In der Regel ist hier im Anschluss an das Projekt mit Pflege- und Weiterentwicklungsarbeiten zu rechnen. Es muss bereits vor Projektende geregelt sein, wer diese Aufgaben in welcher Form übernimmt und wer die Kosten dafür trägt. Anhand dieser wenigen Beispiele wird schnell deutlich, wie wichtig eine klare Regelung der Schnittstelle zur Linie ist. Dazu gehört auch eine deutliche Benennung des neuen Ansprechpartners und eine Vereinbarung der weiteren <?page no="339"?> 314 · Projektabschluss Vorgehensweise mit den wichtigsten Stakeholdern, insbesondere den externen Kunden. 9.2.2 Endabnahme der Projektergebnisse Bei der Endabnahme findet eine Begutachtung und Bewertung der Projektergebnisse durch den externen und/ oder internen Auftraggeber statt. Dabei werden die Ergebnisse mit den Anforderungen aus dem Projektauftrag bzw. aus dem Lasten- und dem Pflichtenheft verglichen. Die Endabnahme besteht aus drei Schritten (vgl. Burghardt [Projektmanagement] 257ff.): Abnahmetest Produktabnahmebericht/ Abnahmeprotokoll Vorkehrungen und Vereinbarungen für die künftige Einsatzphase mit dem Kunden (1) Abnahmetest Burghardt unterscheidet hier nach der Art des zugrunde liegenden Entwicklungsvorhabens vier Formen des Abnahmetests, die sich vorrangig auf den Bereich Hardware- und Software-Entwicklung beziehen: Produkttests Diese Form des Abnahmetests betrifft z.B. Software-Produkte, die selbst das verkaufbare Erzeugnis darstellen. Hierbei steht die Überprüfung der Einsatzfähigkeit des Produktes in vielfältigen Einsatzumgebungen im Vordergrund. Abschlusstests Der Abschlusstest stellt einen Produkteignungstest für Hardware- Produkte dar, die als Prototyp vorliegen und evtl. auch Software-Anteile enthalten. Im Mittelpunkt steht die bevorstehende Überleitung in die Serienfertigung. Akzeptanztests Ein Akzeptanztest wird durchgeführt, wenn ein einmaliges, kundenspezifisches Hardware- und Software-System bzw. eine Anlage beim Kunden getestet wird. Pilottests Ein Pilottest umfasst den ersten Lauf eines DV-Verfahrens, der die Einsatzreife des Verfahrens bestätigen soll. <?page no="340"?> Projektabschluss · 315 Diese verschiedenen Abnahmetests lassen sich z.T. auch auf andere Produkte und Projektergebnisse übertragen. (2) Produktabnahmebericht/ Abnahmeprotokoll Um die Abnahme der Ergebnisse zu dokumentieren, wird ein Abnahmeprotokoll mit einer Beschreibung der Ergebnisse und eventueller Nachforderungen erstellt, das der Auftraggeber unterschreibt. In einem externen Projekt, wie z.B. einem Produktentwicklungsprojekt für einen Kunden, beginnt i.d.R. nach der Abnahme die Gewährleistungsfrist, d.h. der Akt der Abnahme ist von bedeutender rechtlicher Relevanz. Mit der Endabnahme werden die Projektergebnisse zur weiteren Nutzung an den Auftraggeber übergeben (vgl. Cronenbroeck [Projektmanagement] 86). (3) Vorkehrungen und Vereinbarungen für die künftige Einsatzphase mit dem Kunden Für viele Produkte wünscht der Kunde vom Hersteller Leistungen wie Wartung, Weiterentwicklung oder Anwenderunterstützung während der Nutzungszeit. Diese Leistungen müssen gemeinsam geregelt werden. Basis für die Diskussion und Festlegung dieser Leistungen kann der Erhaltungsplan sein, der zum Abschluss dieser Vereinbarungen auf Anpassungsnotwendigkeiten überprüft werden sollte. Im Anschluss an die Endabnahme der Projektergebnisse bietet es sich an, für eine umfassende Projektauswertung die Kundenzufriedenheit zu erfassen. Dies lässt sich beispielsweise über einen Fragebogen bewerkstelligen, den der Kunde ausfüllt. Dabei spielen dann nicht nur die Projektergebnisse, sondern auch die gesamte Vorgehensweise aus Sicht des Kunden und die empfundene Arbeitsatmosphäre zwischen Kunde und Projektteam eine wichtige Rolle. Die Ergebnisse des Fragebogens können zu einem Kundenzufriedenheitsindex verdichtet werden. In der Praxis werden der Aufwand und auch die Klarheit, die eine solche Befragung mit sich bringen, oftmals gescheut. Allerdings stellt die Kundenzufriedenheit die wichtigste Basis für eine nachhaltige und erfolgreiche Kundenbeziehung dar (vgl. Abschnitt 10.1 „Qualitätsmanagement“). Falls im Zuge dieser Befragung Schwächen aus Kundensicht thematisiert wurden, erwartet der Kunden natürlich ein entsprechendes Feedback und ehrliche Anstrengungen des Unternehmens, diese Schwächen zukünftig konkret anzugehen. In diesem Sinne kann eine solche Umfrage einen weiteren konstruktiven Kommunikationsprozess zwischen Kunde und Unternehmen auslösen, der für eine dauerhafte und vertrauensvolle Beziehung notwendig ist. <?page no="341"?> 316 · Projektabschluss 9.2.3 Projektauswertung Bereits zur Erreichung bestimmter Meilensteine im Projekt finden Zwischenauswertungen im Zuge der Steuerung des Projektes statt. Zum Projektende interessiert insbesondere, inwieweit die Projektziele nun tatsächlich erreicht wurden und wie die Zielerreichung vonstatten ging. Der erste Schritt der Projektauswertung besteht somit in der Sammlung und Strukturierung der notwendigen Daten. Es können hierbei die Projektauswertungen auf der Sachebene und der Beziehungsebene unterschieden werden (vgl. Schreckeneder [Projektcontrolling] 194f.). Auf der Sachebene sind insbesondere die Nachkalkulation durchzuführen und wichtige Kennzahlen zu erheben und zu analysieren. Zur Einschätzung der Beziehungsebene werden die Betroffenen meist mit Hilfe von Fragebögen befragt. Beispielsweise sollte ein Teil des Fragebogens zur Erhebung der Kundenzufriedenheit diese Thematik abdecken und auch das Projektteam sollte die Möglichkeit haben, ihre Einschätzung des Arbeitsklimas usw. in einem Fragebogen zum Ausdruck zu bringen (vgl. das Beispiel in Abb. 2-108). Ein solcher Feedbackbogen kann für den Projektleiter zur systematischen Verbesserung seiner Arbeit eingesetzt werden. Man kann den Fragebogen noch um weitere Fragestellungen ergänzen, so etwa um teamorientierte Themen. Kennzahlen zum Projektabschluss erfassen zunächst die Realisierung der operativen Projektziele im Sinne von Kosten, Zeit und Leistung (Umfang und Qualität). Wichtige Kennzahlen sind hierbei beispielsweise die Kosten- und Termintreue, Änderungshäufigkeiten und Fehlerquoten (vgl. Schelle [Projekte] 283). Eine umfassende Aufstellung von produkt-, projekt-, prozess- und netzplanorientierten sowie betriebswirtschaftlichen Kennzahlen für die Software- und Hardwareentwicklung findet sich bei Burghardt ([Projektmanagement] 280ff.). Diese Kennzahlen werden oftmals auch für einen Vergleich mit anderen Projekten bzw. mit dem Durchschnitt der Projekte herangezogen, um die Projektleistung zu beurteilen. Zudem sollten sie zur Verbesserung der Schätzgenauigkeit für zukünftige Projekte in die Datenbasis einfließen, die zur Unterstützung der Schätzungen herangezogen wird. Allerdings sollte hier zusätzlich zur operativen auch die übergeordnete strategische Perspektive eingenommen werden: Inwieweit haben wir mit dem Projekt unsere strategischen Ziele erreicht? Hat das Projekt den gewünschten Beitrag zur strategischen Unternehmensentwicklung sowie den geplanten Projektwertbeitrag erbracht? Es ist also unverzichtbar, zum Projektabschluss nochmals eine Betrachtung aller Ziele vorzunehmen, die mit dem Projekt verfolgt wurden. <?page no="342"?> Projektauswertung · 317 Diese Bewertung ist insbesondere bei der Einschätzung des Beitrags zur strategischen Unternehmensentwicklung nicht einfach und benötigt i.d.R. die Beteiligung verschiedener Personen mit unterschiedlichen Perspektiven. Projekt: Projektleiter: 1 2 3 4 5 Anmerkungen Projektinhalt: Die Ziele des Projektes waren für mich klar formuliert (spezifisch, messbar, attraktiv, realisitisch, terminiert) Projektinhalt und -umsetzung wurden aufbauend auf die Projektziele im Team geplant Organisation: Die Effizienz der P-Teamsitzungen war gegeben Das Team war gut auf die P- Teamsitzungen vorbereitet Die Projektrollen waren klar definiert und transparent Der Projektleiter hat das Projekt sehr gut betreut Die Arbeitsaufträge an mich waren klar Kommunikation/ Team: Vereinbarungen im Team wurden eingehalten Der Umgang im Team war offen Die Zugehörigkeit zum Team wirkte motivierend für mich Gesamteindruck: Ich bin mit dem Projektergebnis zufrieden Ich würde mit dem P-Team gerne weiterarbeiten 1= Stimme ich voll zu…..5 = Stimme ich gar nicht zu Feedbackbogen für die Projektteammitglieder Abb. 2-108: Beispiel für einen Feedbackbogen des Projektteams (In Anlehnung an: Schreckeneder [Projektcontrolling] 198) Der Projektleiter hat die Aufgabe, zunächst alle verfügbaren Daten zur Projektauswertung zu beschaffen und auszuwerten. Dies wird er i.d.R. mit Hilfe des Projektteams, des Projektmanagementoffice und v.a. des Projektcontrollers tun. <?page no="343"?> 318 · Projektabschluss Bei der Einschätzung des Beitrags zur strategischen Unternehmensentwicklung könnte auch der Fachbereich „Strategieentwicklung“ eine wichtige Rolle spielen. Eine herausragende Stellung in der Projektauswertung nehmen die Nachkalkulation und die abschließende Projektwertbeitragsrechnung ein. Beide Aufgaben umfassen auch eine detaillierte Abweichungsanalyse, in der die Ursachen für die Abweichungen genauer untersucht werden (vgl. Abb. 2-109). Personelle Ursachen Technische Ursachen Organisatorische Ursachen Vermeidbar • Demotivation • Mangelnde Ausbildung • Missverständnisse • Überlastung • Planungsfehler • Fehleranfälligkeit • Unvollständige Testdaten • Mangelnde Tool-Nutzung • Engpässe bei Testanlagen • Unklare Kompetenzverteilung • Personelle Engpässe • Probleme bei der Fertigungseinführung Kaum vermeidbar • „Problemfälle“ • Fluktuation • Mangelnde Fähigkeiten • Überforderte Prüftechnik • Neue Anforderungen • Unsichere Systembasis (z.B. Betriebssystemmängel) • Fehlender Support • Wechselnder Lieferant • Prioritätenveränderungen • Räumliche Aufteilung • Termindruck Nicht vermeidbar • Krankheit • Technologische Grenzen • Fehlerhafte Fremdteile • Fehlende Bauteile • Änderung der Verträge • Konkurs eines Lieferanten Personelle Ursachen Technische Ursachen Organisatorische Ursachen Vermeidbar • Demotivation • Mangelnde Ausbildung • Missverständnisse • Überlastung • Planungsfehler • Fehleranfälligkeit • Unvollständige Testdaten • Mangelnde Tool-Nutzung • Engpässe bei Testanlagen • Unklare Kompetenzverteilung • Personelle Engpässe • Probleme bei der Fertigungseinführung Kaum vermeidbar • „Problemfälle“ • Fluktuation • Mangelnde Fähigkeiten • Überforderte Prüftechnik • Neue Anforderungen • Unsichere Systembasis (z.B. Betriebssystemmängel) • Fehlender Support • Wechselnder Lieferant • Prioritätenveränderungen • Räumliche Aufteilung • Termindruck Nicht vermeidbar • Krankheit • Technologische Grenzen • Fehlerhafte Fremdteile • Fehlende Bauteile • Änderung der Verträge • Konkurs eines Lieferanten Abb. 2-109: Ursachen für Planabweichungen (In Anlehnung an: Burghardt [Projektmanagement] 270) Mit diesen Daten und Auswertungen kann der Projektleiter in die Abschlussbesprechungen mit dem Projektteam und dem internen Auftraggeber gehen. 9.2.4 Projektinterne Abschlussbesprechung im Team In der Abschlussbesprechung im Projektteam wird die Summe der Erfahrungen reflektiert, die im Rahmen des Projektes von den Teammitgliedern gemacht wurden. Es steht also die Projektbeurteilung aus Sicht des Projektteams im Vordergrund. In der Literatur wird auch angeregt, die Abschlussbesprechung mit allen wichtigen Stakeholdern, wie dem Projektlenkungsausschuss, dem Projektmanagementoffice, eventuell auch dem Kunden, Lieferanten und Vertretern der Linienorganisation gemeinsam durchzuführen (vgl. z.B. Bellut [Abschluss] 439). Diese Vorgehensweise dürfte i.d.R. dazu führen, dass konstruktive Kritik und die Herausarbeitung von Stärken und Schwächen innerhalb des Projekt- <?page no="344"?> Abschlussbesprechung · 319 teams eher zu kurz kommen, da man sich in der großen Runde keine Blöße geben will. Es erscheint daher sinnvoll, auf jeden Fall vorgelagert eine Besprechung durchzuführen, in der das Team „unter sich“ ist und die Offenheit, Fairness und das Vertrauen, die sich hoffentlich innerhalb des Teams herausgebildet haben, für konstruktive interne Diskussionen genutzt werden können. Wichtig ist hierbei, auch positive Aspekte anzusprechen. In einem Abschlussmeeting sollten jene Fragen beantwortet werden, die in Abb. 2-110 zusammengestellt wurden. Eine Projektabschlussbesprechung hat neben den inhaltlichen Aspekten, die bisher vorrangig betrachtet wurden, auch eine emotionale Komponente: Man hat gemeinsam eine anspruchsvolle Leistung erarbeitet. Zum einen ist dies der richtige Zeitpunkt für persönliches Feedback untereinander, zum anderen ist dies ein guter Anlass, um seinen gemeinsamen Erfolg zu feiern. Auch bei Projekten mit mäßigem Erfolg gibt es Gründe, um sich gemeinsam „vom Projekt zu verabschieden“. Insbesondere die positiven Effekte auf die Motivation und das Engagement in zukünftigen Projekten sind hier zu nennen, denn selbst im katastrophalsten Projekt gibt es Dinge, die gut gelaufen sind und die es Wert sind, genannt und gefeiert zu werden. Wie ein Projektteam das Projektende feiert, wird sehr individuell sein: Ein gemeinsames Essen, eine Wanderung, ein Ausflug - hier kommt alles in Frage, was dem Team als Gruppe Freude machen könnte. Ein kleiner „Fond für Feierlichkeiten“ sollte eingeplant werden; er kann je nach Erfolg des Projektes üppiger oder knapper ausfallen. Hobbs ([Projektmanagement] 91) führt einige kreative Ideen auf, wie sich Projektleiter bei ihren Projektmitarbeiter für ihren Einsatz bedanken können, z.B. ein Gruppenbild des Teams, das am Projektende an alle verteilt wird, gerahmtes Stück des Projektplans, das für das jeweilige Teammitglied thematisch passt, mit einer handschriftlichen Widmung, graviertes Erinnerungsstück für den Schreibtisch, … Hier wird wohl jeder Projektleiter eine individuelle Vorgehensweise an den Tag legen, die zu ihm und zum jeweiligen Projektteam passt. An dieser Stelle soll noch kurz auf das Feedback und die persönliche Zielvereinbarung eingegangen werden: Zum Ende des Projektes sollte der Projektleiter mit jedem einzelnen Mitarbeiter ein Feedbackgespräch führen, in dem individuelle Stärken und Schwächen im Projektverlauf diskutiert werden. Zudem sollte besprochen werden, inwieweit die persönlichen Ziele des Teammitglieds erreicht wurden und welche Konsequenz sich daraus ergibt. Bei sehr starkem <?page no="345"?> 320 · Projektabschluss Engagement sollte zusätzlich über eine Beförderung oder eine zusätzliche Gratifikation nachgedacht werden. Was ist im Projekt gut gelaufen, was war verbesserungswürdig? Wie war unser Klima im Team? Hatten wir unsere Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten klar geregelt? Wie lief die Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen und Externen? Welche Konsequenzen sollten wir aus diesen Erfahrungen für künftige Projekte ziehen? Wie dokumentieren wir diese Erfahrungen? Wie machen wir sie der Allgemeinheit zugänglich? Welche Inhalte sind uns für den Abschlussbericht besonders wichtig? Wer wirkt wie an der Erstellung des Abschlussberichtes mit? Sind der Kunde und/ oder der interne Auftraggeber mit dem Projektergebnis zufrieden? Wenn ja, was ist aus seiner Sicht wahrscheinlich besonders gut gelaufen? Wenn nein, was könnten die wichtigsten Gründe für seine Unzufriedenheit sein? Haben wir die strategischen und operativen Projektziele erreicht? Wenn ja, was waren aus unserer Sicht unsere besonderen Stärken? Wenn nein, was waren aus unserer Sicht die wichtigsten Gründe dafür? Sind noch Arbeiten zu erledigen, bis das Projekt definitiv abgeschlossen werden kann? Welche Arbeiten fallen im Anschluss an das Projekt an (Diskussion des Erhaltungsplans)? Wie lief das Projektmanagement ab? Wie genau waren unsere Schätzungen in den verschiedenen Plänen? Haben wir neue Methoden und Tools zur Unterstützung herangezogen, die wir anderen Projektteams empfehlen können? Wie gut haben unsere Steuerungsmaßnahmen gegriffen? Welche Aufgaben werden die Projektteammitglieder zukünftig in der Organisation wahrnehmen? Wie gehen wir mit unseren Sachmitteln und übrigen Materialien um (Diskussion des Überleitungsplans)? Fragen für die Abschlusssitzung im Projektteam Was ist im Projekt gut gelaufen, was war verbesserungswürdig? Wie war unser Klima im Team? Hatten wir unsere Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten klar geregelt? Wie lief die Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen und Externen? Welche Konsequenzen sollten wir aus diesen Erfahrungen für künftige Projekte ziehen? Wie dokumentieren wir diese Erfahrungen? Wie machen wir sie der Allgemeinheit zugänglich? Welche Inhalte sind uns für den Abschlussbericht besonders wichtig? Wer wirkt wie an der Erstellung des Abschlussberichtes mit? Sind der Kunde und/ oder der interne Auftraggeber mit dem Projektergebnis zufrieden? Wenn ja, was ist aus seiner Sicht wahrscheinlich besonders gut gelaufen? Wenn nein, was könnten die wichtigsten Gründe für seine Unzufriedenheit sein? Haben wir die strategischen und operativen Projektziele erreicht? Wenn ja, was waren aus unserer Sicht unsere besonderen Stärken? Wenn nein, was waren aus unserer Sicht die wichtigsten Gründe dafür? Sind noch Arbeiten zu erledigen, bis das Projekt definitiv abgeschlossen werden kann? Welche Arbeiten fallen im Anschluss an das Projekt an (Diskussion des Erhaltungsplans)? Wie lief das Projektmanagement ab? Wie genau waren unsere Schätzungen in den verschiedenen Plänen? Haben wir neue Methoden und Tools zur Unterstützung herangezogen, die wir anderen Projektteams empfehlen können? Wie gut haben unsere Steuerungsmaßnahmen gegriffen? Welche Aufgaben werden die Projektteammitglieder zukünftig in der Organisation wahrnehmen? Wie gehen wir mit unseren Sachmitteln und übrigen Materialien um (Diskussion des Überleitungsplans)? Fragen für die Abschlusssitzung im Projektteam Abb. 2-110: Themen für die Abschlusssitzung im Projektteam (In Anlehnung an: Schelle [Projekte] 288) 9.2.5 Abschlussgespräche mit den wichtigsten Stakeholdern Auch für die wichtigsten Stakeholder, wie den internen Auftraggeber oder den Betriebsrat, ist ein formaler Projektabschluss wichtig. Hierbei könnten die fol- <?page no="346"?> Abschlussbericht · 321 genden Themen betrachtet werden, die spezifisch auf den jeweiligen Stakeholder zugeschnitten werden sollten (vgl. Cronenbroeck [Projektmanagement] 87): Vorstellung der Projektergebnisse Kurze Rückschau auf das Projekt incl. der wichtigsten Änderungen im Projektverlauf Zielerreichung (Soll-/ Ist-Vergleich der erzielten Projektergebnisse) Erfahrungsaustausch bezüglich der Zusammenarbeit des Projektteams und des jeweiligen Stakeholders Ggf. Folgeaktivitäten (Bei Interesse Überleitungsplan und Erhaltungsplan) Das Abschlussgespräch mit dem internen Auftraggeber dient insbesondere der Projektauswertung und Projektbeurteilung aus seiner Sicht. Es sollte mit der formalen Entlastung des Projektleiters und des -teams enden. Die Projektorganisation für dieses Projekt wird somit aufgelöst. Man kann diese Besprechung auch mit allen wichtigen Stakeholdern gemeinsam durchführen, allerdings wird es dann schwierig, sich auf die jeweilige Sicht und die Interessen des Einzelnen einzustellen. Es steht zu befürchten, dass diese Besprechung vorrangig einen „politischen Charakter“ annehmen kann, anstatt einen konstruktiven Rückblick auf das Gesamtprojekt aus der jeweiligen Perspektive zu ermöglichen. 9.2.6 Abschlussbericht und Fertigstellung der Projektdokumentation In einem Abschlussbericht wird das Gesamtergebnis eines Projektes zusammengefasst. Mit ihm sollen Erfahrungen aus dem Projekt festgehalten und für zukünftige Projekte nutzbar gemacht werden. Insbesondere die Analyse von Stärken und Schwächen spielt hier eine wichtige Rolle. Abb. 2-111 zeigt ein Beispiel für den Aufbau eines Abschlussberichtes. Der Abschlussbericht sollte anschließend an die wichtigsten Projektbeteiligten verschickt werden, v.a. an die Mitglieder des Projektteams, den internen Auftraggeber und das Projektmanagementoffice. Ein Abschlussbericht dient der Sicherung der Erfahrungen für Folgeprojekte. Er gehört zur Projektdokumentation. Die Projektdokumentation wurde bereits in Abschnitt 7.3.3.2 beschrieben. Der Projektabschlussbericht reicht i.d.R. für die Abschlussdokumentation nicht aus, es sind noch weitere Dokumente notwendig. <?page no="347"?> 322 · Projektabschluss Vorschlag für den Aufbau eines Projektabschlussberichtes 2 Diagnose des Projektmanagements • Projektaufbauorganisation (laut Projektauftrag zzgl. Änderungen im laufenden Projekt) • Projektablauforganisation (mit Bezug auf Norm-Phasenplan) • Qualität des Projektmanagement-Prozesses (incl. kurzer Darstellung und Analyse der Planabweichungen bezüglich der einzelnen Pläne, z.B. Strukturplan, Kostenplan,…) • Erfahrungen mit den eingesetzten Methoden und Tools • Analyse der Entwicklungen im Projektumfeld (Einstellung der wichtigsten Stakeholder zum Projekt) • Entwicklung der Projektkultur innerhalb des Teams 1 Einleitung • Ausgangssituation des Projektes (laut Projektauftrag) • Gestaltungsbereich des Projektes (laut Projektauftrag zzgl. Änderungen im laufenden Projekt) • Ziele des Projektes (laut Projektauftrag zzgl. Änderungen im laufenden Projekt) 3 Diagnose der Projektergebnisse • Umfang und Qualität der Projektergebnisse (Beurteilung der Zielerfüllung durch Vergleich mit den Anforderungen) • Ergebnis 1: • Ergebnis 2: • … 5 Überleitungspläne für die Projektressourcen • Vorschläge für den nächsten Einsatz der Projektmitarbeiter • Beschreibung der weiteren Verwendung der Sachmittel und übriger Materialien • Beschreibung der Vorgehensweise bezüglich des Abschlusses der Projektkonten und der Verbuchung von Nachträgen 4 Gesamtbeurteilung 7 Erkenntnisse und Konsequenzen für die Zukunft • Lessons Learned, z.B. Stärken und Schwächen, Änderungsbedarf in den Prozessen, Entstehung von sinnvollen Methoden/ Tools, die zukünftig in den Prozess einfließen sollten 6 Erhaltungsplan • Regelungen für die Wartung, Stabilisierung, Optimierung usw. der Projektergebnisse nach Abschluss des Projektes (Organisation, Kostenübernahme) Vorschlag für den Aufbau eines Projektabschlussberichtes 2 Diagnose des Projektmanagements • Projektaufbauorganisation (laut Projektauftrag zzgl. Änderungen im laufenden Projekt) • Projektablauforganisation (mit Bezug auf Norm-Phasenplan) • Qualität des Projektmanagement-Prozesses (incl. kurzer Darstellung und Analyse der Planabweichungen bezüglich der einzelnen Pläne, z.B. Strukturplan, Kostenplan,…) • Erfahrungen mit den eingesetzten Methoden und Tools • Analyse der Entwicklungen im Projektumfeld (Einstellung der wichtigsten Stakeholder zum Projekt) • Entwicklung der Projektkultur innerhalb des Teams 1 Einleitung • Ausgangssituation des Projektes (laut Projektauftrag) • Gestaltungsbereich des Projektes (laut Projektauftrag zzgl. Änderungen im laufenden Projekt) • Ziele des Projektes (laut Projektauftrag zzgl. Änderungen im laufenden Projekt) 3 Diagnose der Projektergebnisse • Umfang und Qualität der Projektergebnisse (Beurteilung der Zielerfüllung durch Vergleich mit den Anforderungen) • Ergebnis 1: • Ergebnis 2: • … 5 Überleitungspläne für die Projektressourcen • Vorschläge für den nächsten Einsatz der Projektmitarbeiter • Beschreibung der weiteren Verwendung der Sachmittel und übriger Materialien • Beschreibung der Vorgehensweise bezüglich des Abschlusses der Projektkonten und der Verbuchung von Nachträgen 4 Gesamtbeurteilung 7 Erkenntnisse und Konsequenzen für die Zukunft • Lessons Learned, z.B. Stärken und Schwächen, Änderungsbedarf in den Prozessen, Entstehung von sinnvollen Methoden/ Tools, die zukünftig in den Prozess einfließen sollten 6 Erhaltungsplan • Regelungen für die Wartung, Stabilisierung, Optimierung usw. der Projektergebnisse nach Abschluss des Projektes (Organisation, Kostenübernahme) Abb. 2-111: Vorschlag für den Aufbau eines Projektabschlussberichtes (In Anlehnung an: Pfetzing/ Rohde [Projektmanagement] 433) <?page no="348"?> Abschlussbericht · 323 Es bietet sich an, die Zweiteilung aus dem Abschlussbericht in „Projektmanagement/ Projektablauf“ und „Projektergebnisse“ aufzugreifen und die begleitenden Dokumente in einer entsprechenden Aufteilung bereitzustellen (vgl. Abb. 2-87 auf S. 254). Die Projektdokumentation sollte anschließend der Organisation so zur Verfügung gestellt werden, dass ihre Nutzung gewährleistet ist. Beispielsweise können die gesamte Dokumentation oder besonders wichtige Teile in eine Wissensdatenbank aufgenommen werden. Sollten wichtige Erkenntnisse zum Projektmanagement-Prozess im Unternehmen entstanden sein, so müssen diese Erfahrungen an den Verantwortlichen im Projektmanagementoffice weitergeleitet werden, damit sie ggf. in den Norm-Prozess einfließen können. Diese Erkenntnisse können beispielsweise betreffen (vgl. Bellut [Abschluss] 445): Die Ergänzung von Checklisten, z.B. zum Thema Identifizierung von Projektrisiken und -chancen Die Ergänzung bzw. Änderung von Standardplänen, wie z.B. den Norm- Phasenplan, Standard-Projektstrukturpläne oder Standard-Netzpläne Die Bereitstellung von genutzten Methoden oder Tools für die gesamte Organisation Empfehlungen für die Besetzung des Projektteams im Sinne notwendiger Funktionen für ähnliche Projekte Eine Wissensdatenbank kann jedoch nur dann hilfreich sein, wenn sie technisch leicht handhabbar ist und jedes Projektteam die Verpflichtung empfindet, sich zunächst über Lösungen von vergleichbaren Problemstellungen in anderen Projekten zu informieren, ehe es mit der Erarbeitung einer neuen Problemlösung beginnt. Bei der Konzeption von Datenbanken sollte man sich grundsätzlich bewusst machen, dass sich Wissen im Gegensatz zu Informationen nur eingeschränkt auf Papier oder in digitaler Form festhalten und weitergeben lässt. Dies ergibt sich bereits aus der Definition des Begriffs „Wissen“: Wird eine Information kombiniert mit der im Gedächtnis gespeicherten Erfahrung, so liegt Wissen vor (vgl. Willke [Wissensmanagement] 11). Vor diesem Hintergrund spielen Maßnahmen für einen aktiven Erfahrungsaustausch, z.B. zwischen den Projektleitern, oder für die persönliche Weitergabe von Wissen, beispielsweise über ein Mentorenmodell, eine besonders wichtige Rolle. Zudem sollte über die Datenbanklösung der Zugang zu den Wissensträgern für das jeweilige Themengebiet ermöglicht werden, um den Wissensaustausch über persönliche Kommunikation der Beteiligten anzuregen. <?page no="349"?> 324 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten 10 Begleitende Prozesse des Managements von Projekten In den Abschnitten 4 bis 9 haben wir uns mit den einzelnen Phasen des Projektmanagementprozesses beschäftigt; für jede Phase wurden die jeweiligen Ziele und Aufgaben sowie Techniken zur Bewältigung dieser Aufgaben vorgestellt. Bei dieser Analyse wurden bisher zwei besonders wichtige Themengebiete im Management von Projekten weitgehend ausgeklammert: Das Qualitätsmanagement und das Management von Chancen und Risiken. Beide Gebiete durchlaufen einen eigenen Managementprozess, dessen Phasen zeitlich und inhaltlich nicht genau den Phasen des übergeordneten Projektmanagementprozesses zugeordnet werden können. Diese beiden Prozesse begleiten vielmehr den Projektmanagementprozess (vgl. Abb. 2-4, S. 44). Beide Prozesse setzen bereits auf der strategischen Ebene an, denn sowohl das grundlegende Verständnis von Qualität als auch der grundsätzliche Umgang mit Chancen und Risiken werden zum Großteil durch die strategische Zielsetzung und Planung determiniert. Für beide Bereiche werden unternehmensweite Ziele festgelegt, die jeweils den Ausgangspunkt für das systematische Management von qualitätsrelevanten Themen sowie von Chancen und Risiken darstellen. Qualitäts- und Risikomanagement sind nicht vollkommen unabhängig voneinander, vielmehr ist hier eine ganzheitliche Betrachtung notwendig: Um ihre Aufgaben voll umfänglich erfüllen zu können, sollten die beiden Prozesse im Projekt miteinander verzahnt sein. Überschneidungen der beiden Themenfelder lassen sich in verschiedenen Bereichen wie bspw. beim Teilprozess der Qualitätssicherung erkennen, der ein aktives und passives Risikomanagement beinhaltet. Interessanterweise dienen manche Methoden sowohl dem Qualitätsals auch dem Risikomanagement, wie beispielsweise die Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA). Ansätze zu einer Verzahnung sind somit auch auf der Methodenebene erkennbar. Damit kommt dem Bewusstsein für die aktive Verzahnung der beiden Prozesse entscheidende Bedeutung für einen erfolgreichen Einsatz des Risiko- und Qualitätsmanagements im Rahmen eines Projektes zu. Beschäftigen wir uns zunächst mit dem Qualitätsmanagement. <?page no="350"?> Grundlagen des Qualitätsmanagements · 325 10.1 Qualitätsmanagement in Projekten Die Qualität spielt in einem Projekt eine entscheidende Rolle: Sie ist mittelbarer Bestandteil des „Magischen Dreiecks des Projektmanagements“, da die Leistung in einem Projekt aus der Quantität, also dem Umfang, und der Qualität der Leistung besteht (vgl. Abb. 2-3, S. 41). Quantität Qualität Kosten Zeit Leistung Quantität Qualität Kosten Zeit Leistung Kosten Zeit Leistung Abb. 2-3 (S. 41): Die Qualitätskomponente im „Magischen Dreieck“ Mit dem Umfang der Leistung haben wir uns im Zuge der Zielpräzisierung, Planung, Umsetzung und Kontrolle des Projektes in den Abschnitten 5 - 8 an verschiedenen Stellen immer wieder beschäftigt. Die Qualität der Leistung wurde bisher eher aus der Betrachtung ausgeklammert, um an dieser Stelle alle qualitätsbezogenen Themen zusammenhängend darzustellen. 10.1.1 Grundlagen des Qualitätsmanagements In den letzten Jahrzehnten hat das Qualitätsmanagement in Unternehmen stark an Bedeutung gewonnen. Dies dürfte insbesondere auf die hohe strategische Relevanz der Qualität zurückzuführen sein, denn eine herausragende Qualität stellt einen erfolgsversprechenden Ansatzpunkt im Rahmen einer Differenzierungsstrategie zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen dar. In vielen Branchen wurde allerdings mittlerweile ein so hoher Qualitätsstandard erreicht, dass die Qualität in diesem Fall zwar nicht mehr zur Differenzierung genutzt, die Einhaltung des Standards jedoch als zwingend angesehen werden kann. Aus strategischer Sicht zielt ein systematisches Qualitätsmanagement in Projekten zum einen auf positive Effekte beim Kunden ab, wie einen höheren wahrgenommenen Kundennutzen oder eine dauerhafte Imageverbesserung beim Kunden und in der gesamten Öffentlichkeit. Zum anderen können mit Hilfe des Qualitätsmanagements die Qualitätskosten gesenkt werden: Zwar steigen <?page no="351"?> 326 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten die Präventionskosten, doch die Kosten, die durch Fehler entstehen, sollen durch das Qualitätsmanagement stark zurückgehen und die Erhöhung der Präventionskosten überkompensieren (vgl. Abb. 2-112). Zeit Interne Fehlerkosten (innerbetriebliche Fehlerkosten) Externe Fehlerkosten (bei den Marktpartnern) Interne Fehlerkosten Prüfungskosten Präventionskosten Präventionskosten Prüfungskosten Externe Fehlerkosten Qualitätskosten Einsparungen durch Qualitätsmanagement Abb. 2-112: Entwicklung der Qualitätskosten bei vermehrtem Einsatz von Qualitätsmanagement (In Anlehnung an: Burke [Projektmanagement] 311) Um die aktuelle Rolle des Qualitätsmanagements im Rahmen von Projekten besser verständlich zu machen, wird im Folgenden zunächst auf den inhaltlichen Wandel des Qualitätsmanagements in den letzten Jahrzehnten eingegangen: Während in den 50er und 60er Jahren der Fokus auf der Qualitätskontrolle und später in den 70er Jahren auf der Qualitätssicherung lag, also das Qualitätsmanagement insgesamt relativ technikorientiert und methodenlastig war, erfolgte in den 80er Jahren ein Umbruch. Das Qualitätsmanagement erfuhr einen Wandel hin zu einem umfassenden Verständnis, das weit über die reine Prüfung der Produktqualität hinausging. Die Beherrschung der Prozesskette vom Lieferanten bis hin zum Kunden wurde im Zuge von Just-in-Time-Konzepten und vermehrter internationaler Zusammenarbeit mit Lieferanten, die dem Unternehmen bisher unbekannt waren, immer wichtiger. Diese Entwicklung führte dazu, dass im Bemühen um Ver- <?page no="352"?> Grundlagen des Qualitätsmanagements · 327 gleichbarkeit und Transparenz der Qualitätsmanagementsysteme internationale Normen zum Qualitätsmanagement entstanden sind. Die ISO-Normenreihe 9000 sei hier als wichtigstes Beispiel angeführt (ISO = International Organization for Standardization). Sie ist mittlerweile in weit über 80 Ländern institutionalisiert (vgl. Zollondz [Qualitätsmanagement] 265). Seit Mitte der 80er Jahre geht die Entwicklung noch weiter in Richtung einer „Total Quality Management“-Philosophie, also eines umfassenden und ganzheitlichen Qualitätskonzeptes, das insbesondere auf eine entsprechende Veränderung der Unternehmenskultur abzielt. Die Idee der Differenzierung durch Qualität, also des Aufbaus von Wettbewerbsvorteilen, führte zu einer Weiterentwicklung im Streben nach „Business Excellence“ (vgl. Seghezzi/ Fahrni/ Herrmann [Qualitätsmanagement] 16ff.). Mit der Bedeutung dieser weiterführenden Konzepte für Projekte werden wir uns in Abschnitt 10.1.3 beschäftigen. Was ist nun unter „Qualität“ zu verstehen? Die Definition dieses Begriffes hat sich mit den oben skizzierten Veränderungen über die Jahrzehnte gewandelt; diese Entwicklung ist in Abb. 2-113 dargestellt. Verkäufermarkt „Fitness for use“ Erfüllung vereinbarter Kundenbedürfnisse Technische Definition Einhaltung technischer Standards Gebrauchstauglichkeit Erfüllung von Kundenerwartungen/ -bedürfnissen Erfüllung von Bedürfnissen mehrerer Anspruchsgruppen 1950 1960 1970 1980 1990 Käufermarkt Einhaltung von Spezifikationen Eignung für vorgegebene Verwendungszwecke Verkäufermarkt „Fitness for use“ Erfüllung vereinbarter Kundenbedürfnisse Technische Definition Einhaltung technischer Standards Gebrauchstauglichkeit Erfüllung von Kundenerwartungen/ -bedürfnissen Erfüllung von Bedürfnissen mehrerer Anspruchsgruppen 1950 1960 1970 1980 1990 Käufermarkt Einhaltung von Spezifikationen Eignung für vorgegebene Verwendungszwecke Abb. 2-113: Entwicklung des Qualitätsbegriffs (In Anlehnung an: Seghezzi/ Fahrni/ Hermann [Qualitätsmanagement] 32) Ausgehend vom heutigen Verständnis von Qualität können wir definieren: Qualität verlangt die Übereinstimmung der Projektergebnisse mit den Anforderungen der Stakeholder. Qualität ist somit subjektiv und hängt von der Wahrnehmung der einzelnen Individuen ab. <?page no="353"?> 328 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten Dieser weite Begriff von Qualität stellt den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Ein umfassendes Qualitätsverständnis beinhaltet das Bewusstsein, dass jeder Einzelne einerseits Kunde ist und andererseits als Lieferant fungiert und somit auch Kunden hat. Auf diese Weise spielt es keine Rolle, ob man einen internen oder externen Kunden beliefert. Und als Kunde hat man sowohl das Recht als auch die Pflicht, die Qualität der gelieferten Arbeit zu prüfen und ggf. zurückzuweisen. Um dieses Recht bzw. die Pflicht sinnvoll wahrnehmen zu können, benötigt man ein Verständnis für die übergeordneten Zusammenhänge, insbesondere für die zu erreichenden Ziele (vgl. Kamiske/ Umbreit [Qualitätsmanagement] 12ff.). Hier wird deutlich, dass jeder Einzelne eine wichtige Rolle in einem durchgängigen Gesamtprozess zur Erreichung der gewünschten Qualität der Projektergebnisse spielt: Neben der Sicherung der Produktqualität wird daher im Qualitätsmanagement immer stärker auf die Sicherung der Prozessqualität in Projekten Wert gelegt. 10.1.2 Ansätze des Qualitätsmanagements Es lassen sich verschiedene Ansätze des Qualitätsmanagements unterscheiden: (1) In den DIN Normen 9000ff. und auch in den weiterführenden Qualitätskonzepten ist die zielorientierte Gestaltung der Prozesse von besonderer Bedeutung. Der „prozessorientierte Ansatz“ gehört zu den acht Grundsätzen des Qualitätsmanagements laut DIN Norm 9000, die vom Management zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Organisation genutzt werden können: „Ein erwünschtes Ergebnis lässt sich effizienter erreichen, wenn Tätigkeiten und dazugehörige Ressourcen als Prozess geleitet und gelenkt werden“ (DIN ISO 9000: 2005). Auch in der projektspezifischen DIN Norm 10006 „Qualitätsmanagementsysteme - Leitfaden für Qualitätsmanagement in Projekten“ wird der prozessorientierte Ansatz verfolgt. Bei der Anwendung des Qualitätsmanagements werden hier zwei wichtige Aspekte unterschieden: Das Projekt- Produkt und die Projektprozesse (vgl. DIN ISO 10006: 2004). (2) An dieser Stelle setzt beispielsweise das „Capability Maturity Model Integration“ (CMMI) des „Software Engineering Institute“ (SEI) an, mit dessen Hilfe die Qualität von Produktentwicklungsprozessen verbessert werden soll. Es handelt sich hierbei um eine Sammlung der „Best Practices“ zur Prozessverbesserung, die nach verschiedenen Prozessgebieten aufgeteilt sind. Das Projektmanagement spielt hierbei eine besonders wichtige Rolle: Die Projektpla- <?page no="354"?> Der Prozess des Qualitätsmanagements in Projekten · 329 nung sowie die Projektsteuerung stellen grundlegende Prozessgebiete für den „CMMI Level 2“ dar. Auch der systematische Umgang mit den Anforderungen des Kunden, das Konfigurationsmanagement, die Sicherung der Produkt- und Prozessqualität oder auch das Risikomanagement sind wichtige CMMI- Themen, die ebenfalls zu einem erfolgreichen Projektmanagement gehören. Auf der Grundlage von CMMI ist es möglich, die Stärken und Schwächen von Prozessen zu analysieren und entsprechende Verbesserungsmaßnahmen einzuleiten. Je nach Stand der Organisation wird dem Unternehmen im Rahmen einer offiziellen Prüfung, einem sog. „Appraisal“, ein bestimmter „Reifegrad“ zuerkannt. Der Reifegrad „CMMI Level 3“, der u.a. ein einheitliches Projektmanagement im gesamten Unternehmen voraussetzt, ist in manchen Branchen mittlerweile als ein wichtiger Wettbewerbsvorteil zu sehen. Teilweise stellt er sogar eine Voraussetzung für die Berücksichtigung als Lieferant dar. (3) Zur Erreichung der Ziele der Prozessverbesserung und der Bestimmung des Prozessreifegrades einer Organisation kann auch die Norm ISO/ IEC 15504 (Software Process Improvement and Capability Determination, kurz: SPICE) eingesetzt werden. Hier nimmt das Projektmanagement ebenfalls eine besondere Stellung ein, denn zum Großteil steht die Bewertung von Projektmanagementprozessen im Mittelpunkt. Die Norm bietet viele Möglichkeiten des Zuschnitts auf spezifische Bedürfnisse. Beispielsweise gibt es mittlerweile eine branchenspezifische Variante „Automotive SPICE“ für die Automobilindustrie und ihre Zulieferer. Maßgeblich an der Entwicklung beteiligt waren die Automobilhersteller Audi, BMW, Daimler, Fiat, Ford, Jaguar, Land Rover, Porsche, VW und Volvo (vgl. The SPICE User Group [Automotive SPICE TM ]). Zusammenfassung: Ein systematisches Qualitätsmanagement in Projekten muss sich sowohl auf das Projektergebnis als auch auf die Prozesse beziehen, die zu seiner Erstellung notwendig sind. Hierbei geht es sowohl um technologische Prozesse als auch um die Qualität des Managementprozesses, also des Projektmanagements an sich. Im Folgenden wird das Qualitätsmanagement in Projekten detaillierter dargestellt. 10.1.3 Der Prozess des Qualitätsmanagements in Projekten Im Folgenden gehen wir von einem Qualitätsmanagementprozess aus, der in vier Phasen gegliedert ist (vgl. Abb. 2-114). Der gesamte Prozess ist eingebettet in die Qualitätspolitik des Unternehmens. Die Qualitätspolitik ist ein Teil der Unternehmenspolitik; sie stellt die „Gesamtheit der Grundsätze dar, die allgemein verbindliche Verhaltensweisen der <?page no="355"?> 330 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten Unternehmung und der Mitarbeiter festlegen“ und wird häufig in einem Leitbild festgehalten ( Hinterhuber [Unternehmungsführung] 277). Im Rahmen einer Qualitätspolitik legt die Unternehmensführung somit die Qualitätsgrundsätze des Unternehmens fest, sie formuliert die grundlegenden Qualitätsziele und definiert die Grundzüge des Qualitätsmanagementsystems. Qualitätsplanung Qualitätslenkung Qualitätssicherung Qualitätsverbesserung Vorkopplung Rückkopplung Qualitätspolitik Abb. 2-114: Prozess des Qualitätsmanagements Kommen wir zu den Teilprozessen des Qualitätsmanagementprozesses in Projekten mit ihren jeweiligen Aufgaben und den Techniken zur Lösung dieser Aufgaben (vgl. Seghezzi/ Fahrni/ Herrmann [Qualitätsmanagement] 137ff.): (1) Qualitätsplanung Planung, Gestaltung, Entwicklung und Konkretisierung der zu erreichenden Qualitätsanforderungen an das Projektergebnis und die notwendigen Prozesse (2) Qualitätslenkung Umsetzung der Qualitätsplanung durch Einhaltung von Spezifikationen oder Standards sowie durch die Beherrschung der Qualität der für das Projekt notwendigen Prozesse Messung der realen Produkt- und Prozessqualität im Projekt Steuerung durch Soll-Ist- und Soll-Wird-Analysen und Durchführung entsprechender Maßnahmen <?page no="356"?> Qualitätsplanung · 331 (3) Qualitätssicherung Externe Maßnahmen: Schaffung von Vertrauen in die qualitative Leistungsfähigkeit des Unternehmens bei den Kunden und der Öffentlichkeit Interne Maßnahmen: Schaffung von Vertrauen in die Qualitätsarbeit des eigenen Unternehmens bei Führung und Mitarbeitern (4) Qualitätsverbesserung Kontinuierliche Verbesserung der Fähigkeit zur Erfüllung der Qualitätsanforderungen Die vier Phasen folgen in der Realität nicht linear aufeinander, sondern sie sind miteinander auch rückwärts verknüpft. Beispielsweise kann eine Maßnahme, die im Rahmen der Qualitätssicherung für notwendig befunden und eingeführt wurde, die Qualitätsplanung für ein laufendes Projekt verändern. Oder im Bemühen um kontinuierliche Verbesserungen werden Änderungen in den Produktentwicklungsprozess eingebracht, die sich auf alle neuen Projekte auswirken. In Abb. 2-115 sind ausgewählte Techniken des Qualitätsmanagements aufgeführt. 10.1.3.1 Qualitätsplanung Die Qualitätsplanung in Projekten dient der Planung der zu erreichenden Qualitätsanforderungen sowohl in Bezug auf das Projektergebnis als auch auf die notwendigen Prozesse. (1) Projektergebnis Die Projektziele werden im Zuge der Qualitätsplanung schrittweise konkretisiert: Von den Grobzielen, die zur Entscheidung für das Projekt herangezogen werden, über den Projektauftrag mit konkreteren Feinzielen sowie bei externen Projekten über das Lastenheft, in dem der Kunde seine Wünsche und Anforderungen dokumentiert, bis hin zum Pflichtenheft, bei dem das Projektteam diese Wünsche in unternehmensinterne Anforderungen übersetzt. Je nach Art des Projektes findet hier auch die Übersetzung der Kundenwünsche in eine technische Fachsprache, d.h. in detaillierte Spezifikationen statt, falls der Kunde seine Erwartungen im Lastenheft eher qualitativ umschrieben hatte. <?page no="357"?> 332 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten Teilprozesse des Qualitätsmanagements in Projekten Techniken und Methoden Qualitätsplanung Quality Function Deployment mit House of Quality (10.1.3.1) Projektspezifischer Qualitätsplan mit Quality Gates (10.1.3.1) Qualitätslenkung Produktprüfungen: Verifizierung und Validierung (10.1.3.2) Prozessprüfungen, z.B. CMMI, SPICE (10.1.3.2) Qualitätssicherung Strukturelle Vorkehrungen, wie Einführung eines Qualitätsmanagementsystems, Lieferantenbewertungen, Einrichtung fester Qualitätsstellen (10.1.3.3) Qualitätsverbesserung Kontinuierliche Verbesserung durch Berücksichtigung von Erfahrungen aus einer Pilotphase (10.1.3.4) Berücksichtigung von Erfahrungen in anderen Projekten (10.1.3.4) „Project-Excellence“-Modell (10.1.4) Abb. 2-115: Ausgewählte Techniken des Qualitätsmanagements in Projekten Allerdings werden oftmals nicht alle Erwartungen in den frühen Projektphasen explizit vom Kunden geäußert. Dies liegt zum einen daran, dass bestimmte Dinge für den Kunden stillschweigend als selbstverständlich vorausgesetzt werden, zum anderen sind ihm manche Wünsche zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst bzw. er kann sie nicht entsprechend verbalisieren. Es wird deutlich, wie wichtig die Kommunikation zwischen erfahrenen technischen Spezialisten und Marketingfachleuten oder einem erfahrenen Projektleiter, der über diese Kenntnisse verfügt, von Seiten des Auftragnehmers und dem Kunden sein kann, um die Bedürfnisse des Kunden gemeinsam explizit und systematisch herauszuarbeiten. Die Übersetzung des Lastenhefts aus Kundensicht in ein Pflichtenheft aus der Perspektive des Projektteams stellt eine der wichtigsten Herausforderungen in der Praxis dar. Für diese Aufgabenstellung kann das „Quality Function Deployment“ (QFD) herangezogen werden. Im Zentrum dieser Methode steht das „House of Quality“. Es unterstützt den Kommunikationsprozess zwischen <?page no="358"?> Qualitätsplanung · 333 allen beteiligten Spezialisten im Projektteam aus der Entwicklung, dem Marketing, dem Vertrieb und der Produktion. Das „House of Quality“ entsteht in 10 Schritten, die in Abb. 2-116 eingezeichnet sind (die dargestellte Vorgehensweise und das Beispiel beruhen auf Seghezzi/ Fahrni/ Herrmann [Qualitätsmanagement] 331ff.). Das House of Quality wird in den folgenden zehn Schritten entwickelt: Schritt 1: Ermittlung der Kundenanforderungen Schritt 2: Gewichtung der Kundenanforderungen Schritt 3: Bewertung bestehender Produkte des eigenen Unternehmens und der Konkurrenz bezüglich der Erfüllung der Kundenanforderungen aus Sicht des Kunden Schritt 4: Übersetzung der Kundenanforderungen in technische Merkmale Schritt 5: Erarbeitung der Zusammenhänge zwischen den Anforderungen und den technischen Merkmalen in einer Einflussmatrix Schritt 6: Ableitung der Bedeutung der technischen Merkmale durch Multiplikation der Bewertung in der Einflussmatrix mit dem jeweiligen Gewicht der Kundenanforderung und Addition über alle Kundenanforderungen Schritt 7: Bewertung bestehender Produkte des eigenen Unternehmens und der Konkurrenz aus technischer Sicht (z.B. auf der Grundlage von Daten des Messlabors) Schritt 8: Abschätzung des Schwierigkeitsgrades der technischen Realisierung Schritt 9: Festlegung von Zielgrößen für die Neuentwicklung auf der Grundlage der Vergleiche mit den Wettbewerbern Schritt 10: Ableitung von Korrelationen zwischen den technischen Merkmalen im Dach des „Houses of Quality“ für die technischen Mitarbeiter Aufbauend auf diesem „House of Quality“ für das Produkt können einzelne Produkt komponenten , die erforderlichen Prozesse und auch die Produktion mit Hilfe eines ähnlichen Hauses detailliert geplant werden. Kritische Punkte und Risikofaktoren werden mit Hilfe des „Houses of Quality“ deutlich sichtbar. Sie bieten Ansatzpunkte für präventive Methoden (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 237ff.), wie z.B. die Fehler-Möglichkeits-und Einfluss-Analyse (FMEA), die im Zuge des Risikomanagements in Abschnitt 10.2.3.1 (S. 354ff.) erläutert wird sowie die Fehlerbaumanalyse oder die Wertanalyse. <?page no="359"?> 334 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten wasserdicht farbig Motorleistung Windgeräusch Motorgeräusch Steifigkeit Reflexionsgrad Oberfläche asphärisch Gewichtung 2 5 5 3 4 kein toter Winkel funktioniert gut sieht gut aus ist leise vibriert nicht hält länger blendet nicht Zielgröße Schwierigkeitsgrad Konkurrenz Bedeutung 9 8 4 4 1 2 4 4 2 1 3 9 15 21 9 3 23 13 22 6 kein Leck 6 W < 2 dB < 2 dB < 60 % getönt Kundenanforderungen Qualitätsmerkmale 1 2 4 6 bevorzugte Variationsrichtung Maximum neutral Minimum 10 3 3 3 3 3 2 2 2 2 1 1 1 5 Konkurrenzvergleich aus Kundensicht aus technischer Sicht Produkt A Produkt B Korrelationsmatrix + positiv negativ 10 besser schlechter + Konkurrenz schlechter besser 3 - 3 7 3 4 3 wasserdicht farbig Motorleistung Windgeräusch Motorgeräusch Steifigkeit Reflexionsgrad Oberfläche asphärisch Gewichtung 2 5 5 3 4 kein toter Winkel funktioniert gut sieht gut aus ist leise vibriert nicht hält länger blendet nicht Zielgröße Schwierigkeitsgrad Konkurrenz Bedeutung 9 8 4 4 1 2 4 4 2 1 3 9 15 21 9 3 23 13 22 6 kein Leck 6 W < 2 dB < 2 dB < 60 % getönt Kundenanforderungen Qualitätsmerkmale 11 2 4 6 bevorzugte Variationsrichtung Maximum neutral Minimum 10 3 3 3 3 3 2 2 2 2 1 1 1 5 Konkurrenzvergleich aus Kundensicht aus technischer Sicht Produkt A Produkt B Korrelationsmatrix + positiv negativ 10 besser schlechter + Konkurrenz schlechter besser 3 - 33 77 3 4 3 Abb. 2-116: Quality Function Deployment: House of Quality am Beispiel der Entwicklung eines Außenspiegels (Quelle: Seghezzi/ Fahrni/ Herrmann [Qualitätsmanagement] 332) (2) Prozessqualität Zur Qualitätsplanung gehört neben der Planung der Produktqualität auch die Planung der Prozessqualität. Die einzelnen Bestandteile eines Prozesses sind in Abb. 2-117 dargestellt. Zur Durchführung eines Prozesses werden in jedem einzelnen Prozessschritt bestimmte Arbeitsgrundlagen (Input) benötigt, wie beispielsweise Dokumente oder Bestimmungen in Form von DIN-Normen. <?page no="360"?> Qualitätsplanung · 335 Eine Person übernimmt die Verantwortung dafür, dass die notwendigen einzelnen Aktivitäten, die in diesem Prozessschritt vorgesehen sind, tatsächlich durchgeführt werden. Bei der Durchführung der Aktivitäten sind i.d.R. bestimmte Methoden hilfreich, oftmals können auch Werkzeuge in Form von IT- Programmen zur Lösung der Aufgaben herangezogen werden. Am Ende resultieren erwünschte Arbeitsergebnisse, beispielsweise eine Arbeitspaketbeschreibung oder andere Dokumente, die meist in einem weiteren Prozessschritt von einer anderen verantwortlichen Person weiterbearbeitet werden und so als Input für den neuen Prozessschritt dienen. entspricht häufig Input (Arbeitsgrundlage) Output (Arbeitsergebnis) Input (Arbeitsgrundlage) Output (Arbeitsergebnis) Aktivitäten Maßnahmen Methoden Tools Aktivitäten Maßnahmen Verantwortlicher Methoden Tools Verantwortlicher Abb. 2-117: Bestandteile eines Prozesses Zur Entwicklung eines Produktes sind verschiedene Prozesse notwendig, die systematisch gestaltet werden müssen, wenn die Qualität des Produktes dauerhaft sichergestellt werden soll. Auf die Gestaltung der Ablauforganisation in Projekten wurde in Abschnitt 2.4 bereits eingegangen. Auf jeden Fall ist ein umfassendes, kontinuierliches Prozessmanagement erforderlich, für das es im Unternehmen eine definierte verantwortliche Stelle geben sollte. Zur Planung des Prozesses gehört die Erstellung eines projektspezifischen Qualitätsplans. Bestandteil ist hier beispielsweise die Prüfplanung: Wann finden wo wie womit welche Prüfungen im Projektverlauf statt? Es geht also um <?page no="361"?> 336 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten die Planung des Ablaufs und der Häufigkeit der Prüfungen sowie der notwendigen Prüfmittel und -methoden. Im Qualitätsplan können sog. „Quality Gates“ festgelegt werden: Hierbei handelt es sich um Meilensteine im Projektverlauf, die mit dem Erreichen von bestimmten Qualitätsanforderungen verknüpft sind. Werden die Qualitätsanforderungen beim Review anlässlich des Meilensteins nicht erreicht, kann so lange nicht mit anderen Arbeiten aus der nächsten Phase angefangen werden, bis die qualitativen Defizite aufgeholt wurden. In der nächsten Phase, der Qualitätslenkung, geht es um die erfolgreiche Umsetzung der geplanten Produkt- und Prozessqualität. 10.1.3.2 Qualitätslenkung Die Qualitätslenkung zielt auf die erfolgreiche Umsetzung und Kontrolle der geplanten Qualität ab. Zur Überprüfung des aktuellen Status ist es sinnvoll, Messgrößen für die Produkt- und Prozessqualität zu definieren und im Zuge der Realisierung ihren aktuellen Stand zu erheben. Auf diese Weise ergeben sich Ist-Werte, die man mit den ursprünglich geplanten Soll-Werten bzw. mit den prognostizierten Wird- Werten vergleichen kann. Selbstverständlich umfasst die Vorgehensweise bei der Projektkontrolle, die in Abschnitt 8 erläutert wurde, auch die Erfassung von qualitätsbezogenen Werten. (1) Bei Produkten zielt die Qualitätslenkung auf die Erkennung von Fehlern und ihre Behebung ab. Ist dies nicht möglich, wird das Produkt als Ausschuss ausgesondert. Mit Hilfe von Qualitätsprüfungen wird somit die Konformität des Produktes mit den definierten Anforderungen sichergestellt. Abb. 2-118 gibt einen Überblick über verschiedene Maßnahmen zur Entdeckung von Fehlern im Verlauf eines Software-Projektes. Produktprüfungen können grundsätzlich zwei Ausrichtungen haben: 1. Verifizierung: Entspricht das Produkt den ursprünglich festgelegten Anforderungen aus dem Pflichtenheft? 2. Validierung: Erfüllt das Produkt tatsächlich die Bedürfnisse des Kunden/ der Anspruchsgruppen? Eignet sich das Produkt wirklich „für einen spezifischen beabsichtigten Gebrauch oder eine spezifische beabsichtigte Anwendung“ (DIN ISO 9000: 2005)? <?page no="362"?> Qualitätslenkung · 337 Fehlerentstehung Entwurfsinspektion Anforderungsinspektion Feldeinsatz Integrations-/ Systemtest Modultest Codeinspektion Entwurf Entdeckte Fehler 10% 15% 40% 20% 10% 5% Fehlerstrom Anforderungsdefinition Implementierung Fehlerentstehung Entwurfsinspektion Anforderungsinspektion Feldeinsatz Integrations-/ Systemtest Modultest Codeinspektion Entwurf Entdeckte Fehler 10% 15% 40% 20% 10% 5% Fehlerstrom Anforderungsdefinition Implementierung Abb. 2-118: Entdeckung von Fehlern bei der Softwareentwicklung (Quelle: Burghardt [Projektmanagement] 211) Werden bezüglich der Produktqualität Fehler festgestellt, so müssen sie mittels entsprechender Maßnahmen behoben werden. (2) Fehler auf Produktebene deuten oftmals auch auf eine Schwachstelle im Prozess hin. Die Messung der Prozessqualität ist i.d.R. relativ aufwändig. Bei Produktentwicklungsprojekten könnte das Projektteam die Prozessqualität z.B. mit Hilfe eines unternehmensspezifischen „Self-Assessments“, also einem zugeschnittenen Fragebogen zur Selbsteinschätzung bewerten. Dieses „Self- Assessment“ sollte sich dann an der jeweiligen Methodik der externen Zertifizierung orientieren, beispielsweise an CMMI oder SPICE. Letztendlich schlägt sich die Prozessqualität im Vermeiden von konkreten Fehlern nieder, z.B. in geringerem Ausschuss und weniger Korrekturen. Wurden auf Prozessebene Schwachstellen identifiziert, so muss nach Maßnahmen gesucht werden, um sie schnellstmöglich zu beheben. Unter Umständen hat dieser Schritt für das einzelne Projekt bereits keine Relevanz mehr, da der Prozess in diesem Projekt einmalig durchgeführt wurde; die Erfahrung kann jedoch im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserungsmaßnahme in den Prozess eingehen und somit positiv auf das nächste Projekt wirken. Um die Qualität der Produkte und Prozesse langfristig sicherzustellen, reichen die dargestellten Maßnahmen allerdings noch nicht aus: Es müssen auch auf struktureller Ebene die Rahmenbedingungen geschaffen werden, um intern und <?page no="363"?> 338 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten extern Vertrauen in die qualitative Leistungsfähigkeit des Unternehmens aufbauen und erhalten zu können. Dies ist die Aufgabe der Qualitätssicherung. 10.1.3.3 Qualitätssicherung Die Qualitätssicherung geht mit einem aktiven und passiven Risikomanagement einher. Fehler können erhebliche Projektrisiken verursachen, z.B. hohe Garantiekosten, Produkthaftpflichtfälle mit Schadensersatzansprüchen, im schlimmsten Fall sogar Gefahren für Leib und Leben des einzelnen Nutzers, Imageverluste bei Produktrückrufaktionen, die Verkaufseinbußen und Marktanteilsverluste nach sich ziehen können. Solche Risiken müssen systematisch und aktiv bearbeitet werden. In Abschnitt 10.2 „Risikomanagement“ werden verschiedene Methoden zum Management von qualitätsbezogenen Risiken vorgestellt. Zudem müssen entsprechende strukturelle Vorkehrungen getroffen werden, wie z.B. die Einführung und Weiterentwicklung eines übergeordneten Qualitätsmanagementsystems, dessen Funktionsfähigkeit und Wirksamkeit sowohl durch interne Audits als auch durch Zertifizierungen von Seiten Dritter überprüft werden, eine systematische Bewertung der Projektlieferanten, um ihre Qualitätsfähigkeit zu beurteilen und sicherzustellen, die regelmäßige Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen der Qualitätsplanung im Rahmen von Design Reviews, die Bereitstellung von entsprechenden Einrichtungen für den Fall des Eintritts des Risikos, wie Notstromaggregate, die Einrichtung fester Qualitätsstellen, die sich sowohl mit der konkreten Produkt- und Prozesskontrolle (z.B. Zweitkontrollen oder unabhängige Fremdkontrollen) als auch mit der Überwachung der Wirksamkeit von Lenkungsmaßnahmen beschäftigen (vgl. Seghezzi/ Fahrni/ Herrmann [Qualitätsmanagement] 180ff.). Die Verantwortung für die Messung und die Überprüfung der Produkt- und Prozessqualität kann und sollte nicht vollständig auf eigene Qualitätsstellen delegiert werden. Dies wäre vor dem Hintergrund der stärkeren Eigenverantwortung des Einzelnen sicherlich verfehlt. Der Trend geht hier immer mehr in <?page no="364"?> Qualitätsverbesserung · 339 Richtung Selbstkontrolle und Selbstprüfung, doch insbesondere bei sehr hohen Risiken, die durch nicht erkannte Fehler entstehen, und bei hohem Aufwand für die notwendigen Prüfapparaturen werden auch weiterhin entsprechende Qualitätsstellen unverzichtbar sein. Zudem ist oftmals ein sehr hohes technisches Know how für die Prüfungen von Nöten, das nicht jeder Mitarbeiter erwerben kann. Es stellt sich allerdings die Frage, wie das Qualitätsmanagement organisatorisch in das einzelne Projekt integriert werden kann, denn häufig schafft „das typische Selbstverständnis von Projektleitern, die oft grundlegende Aktivitäten zum Qualitätsmanagement als unnotwendige Einmischung, Entzug von Kompetenzen oder unnötigen Dokumentationsaufwand abtun“ ( Walder/ Patzak [Qualitätsmanagement] 1), entscheidende Schwierigkeiten für den Qualitätsmanager. Die Schaffung der entsprechenden Strukturen allein scheint hier also nicht wirklich erfolgsversprechend: Die Strukturen müssen durch eine entsprechende Verankerung des Themas „Qualität“ in der Unternehmens- und Projektkultur begleitet werden. Das Grundverständnis als „Qualitätsorganisation“ ist auch für die nächste Phase des Qualitätsmanagementprozesses von großer Bedeutung: Für die kontinuierliche Verbesserung. 10.1.3.4 Qualitätsverbesserung Bei der kontinuierlichen Qualitätsverbesserung steht das Bemühen um die permanente Verbesserung der Leistungen, der Prozesse und der Potenziale des Unternehmens im Mittelpunkt. Diese Veränderungen verlangen bei Führungskräften und Mitarbeitern ein höheres Qualitätsbewusstsein und eine verbesserte Lernfähigkeit (vgl. Imai [Kaizen]). Diesem Ziel dienen verschiedene Instrumente, wie z.B. (vgl. Seghezzi/ Fahrni/ Herrmann [Qualitätsmanagement] 196f.): (a) Ausbau des betrieblichen Vorschlagswesens, (b) Setzen von qualitätsbezogenen Zielen für Führungskräfte, (c) Einrichtung von Qualitätszirkeln, (d) Kampagnen, wie innerbetriebliche Wettbewerbe, (e) Nationale oder regionale Wettbewerbe (Qualitätspreise), wie der Deming Prize in Japan, der Malcom Baldridge National Quality Award in den USA oder der Ludwig-Erhard-Preis in Deutschland. Im Rahmen des Projektmanagements spielt hier insbesondere das Setzen von qualitätsbezogenen Zielen eine herausragende Rolle, denn grundsätzlich <?page no="365"?> 340 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten handelt es sich beim Projektmanagement um eine zielgerichtete Methode, bei der persönliche Zielvereinbarungen besonders gut möglich sind: Die Gesamtaufgabe wird in Arbeitspakete aufgeteilt, die zur Bearbeitung an eine Person delegiert werden. Dieser Person kann somit ihr Beitrag zur Zielerreichung der Gruppe relativ klar zugerechnet werden. Die Erreichung der qualitätsbezogenen Projektziele kann über Zielvereinbarungen gut mit den persönlichen Zielen des jeweiligen Mitarbeiters verknüpft werden. Die anderen Instrumente spielen für das einzelne Projekt eher eine untergeordnete Rolle, da sich ein Projekt durch eine begrenzte Laufzeit auszeichnet. Eine kontinuierliche Verbesserung bei Projekten gibt es im Speziellen, wenn im Projekt eine Pilotphase eingeplant ist, um die erarbeiteten Lösungen zunächst im Kleinen zu testen, bevor sie organisationsweit eingeführt werden sollen, wenn das Projekt nach Abschluss in die Linie überführt wird, z.B. aus einem Projekt zur Prozessverbesserung eine feste Stelle „Prozessmanagement“ resultiert, aus übergeordneter Sicht für das Multiprojektmanagement: Die Erfahrungen aus jedem abgeschlossenen Projekt können hilfreiche Lektionen für die Qualitätsverbesserung in anderen Projekten beinhalten. Für die Bereitstellung und Nutzung dieses Wissens ist ein systematisches Wissensmanagement notwendig, das wir in Teil 4, S. 731 betrachten werden. Auf ein angesprochenes Instrument wird zum Abschluss allerdings noch detaillierter eingegangen: Die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement hat ein „Project Excellence“-Modell erarbeitet, das sich stark am „EFQM“-Modell orientiert, das dem „European Quality Award“ und dem deutschen „Ludwig- Erhard-Preis“ zugrunde liegt. Dieses Modell beinhaltet einen „Total Quality“- Ansatz, also ein umfassendes und ganzheitliches Konzept des Qualitätsmanagements. 10.1.4 Total Quality Management in Projekten Die in der DIN ISO-Norm 9001 festgelegte Definition von Qualität beschränkt sich zunächst auf die Anforderungen des Kunden; Ziel des Unternehmens ist somit die dauerhafte Sicherung der Kundenzufriedenheit. In der DIN ISO-Norm 9004 wird dieser Fokus systematisch ausgedehnt auf weitere Stakeholder. Das Ziel der Steigerung der Zufriedenheit aller vom Unternehmen Betroffenen impliziert grundlegende Veränderungen im Selbstverständnis eines Unternehmens, insbesondere in der Unternehmenskultur. Stake- <?page no="366"?> Total Quality Management in Projekten · 341 holder sind nämlich beispielsweise auch die einzelnen Mitarbeiter, die Lieferanten und die interessierte Öffentlichkeit. In der Norm 9004 kommt somit die Philosophie des „Total Quality Managements“ zum Ausdruck. Die Definitionen des Begriffes „Total Quality Management“ (TQM) sind in der Literatur vielfältig. Wir schließen uns hier der Definition von Zollondz ([Qualitätsmanagement 212]) an: „Total Quality Management wird als umfassende Managementkonzeption verstanden, nach der sich das gesamte Management verpflichtet, TQM vorzuleben. Die Organisation stellt die QUALITÄT ins Zentrum des Denkens und Handelns aller Mitarbeiter. Einbezogen sind alle Mitarbeiter, die in allen Bereichen der Organisation ‚permanent’ lernen und verbessern.“ Abb. 2-119 zeigt die zentrale Bedeutung des Top Managements in diesem Konzept. Betrachtet man Total Quality Management als eine Managementkonzeption, so muss das Verständnis der Qualität über die Produkte und Prozesse hinausgehen und insbesondere die qualitätsorientierte Gestaltung der Potenziale des Unternehmens mit einschließen. „Strategische Potenziale stellen Speicher spezifischer Stärken dar, die es ermöglichen, die Unternehmung in einer veränderlichen Umwelt erfolgreich zu positionieren“ ( Bea/ Haas [Management] 122). Betrachtet man das Total Quality Management vor diesem strategischen Hintergrund, so hat es die umfassende Berücksichtigung der Qualität in allen Führungs- und Leistungspotenzialen zur Konsequenz. Eine detaillierte Diskussion der Bedeutung dieser Qualitätsorientierung beim Aufbau und der Nutzung aller Potenziale würde den Rahmen dieses Buchs sprengen. Die Darstellung an dieser Stelle sollte lediglich klar machen, dass eine ernsthafte Umsetzung des TQM-Gedankens für ein Unternehmen fundamentale Veränderungen in allen Bereichen mit sich bringen kann. Diese Veränderungen betreffen dann selbstverständlich auch die einzelnen Projekte bzw. das gesamte Projektportefeuille. Der Gedanke des TQM zielt zum Großteil auf eine Lernende Organisation ab; ein projektorientiertes Unternehmen kann als Prototyp einer solchen Lernenden Organisation aufgefasst werden. Der Weg zum projektorientierten Unternehmen wird in Teil 4 erläutert. <?page no="367"?> 342 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten TQM Total Quality Management Verpflichtung des gesamten Managements, TQM vorzuleben Permanentes Lernen und Verbessern Einbeziehung aller Mitarbeiter Konsequentes Ausrichten der Organisation auf kundenorientiertes Denken und Handeln Umfassende Managementkonzeption einer Organisation, die QUALITÄT in das Zentrum des Denken und Handelns aller Mitarbeiter stellt TQM Total Quality Management Verpflichtung des gesamten Managements, TQM vorzuleben Permanentes Lernen und Verbessern Einbeziehung aller Mitarbeiter Konsequentes Ausrichten der Organisation auf kundenorientiertes Denken und Handeln Umfassende Managementkonzeption einer Organisation, die QUALITÄT in das Zentrum des Denken und Handelns aller Mitarbeiter stellt Abb. 2-119: Total Quality Management (In Anlehnung an: Zollondz [Qualitätsmanagement] 212) Auch auf Ebene des einzelnen Projektes wirkt sich der TQM-Gedanke aus: Im Streben nach „Project Excellence“, also nachhaltigen Spitzenleistungen in Projekten. Die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) hat hier auf der Grundlage des „EFQM“-Modells der „European Foundation for Quality Management“ ein Modell zur Bewertung von Projekten erarbeitet. Das Modell dient v.a. der Selbstbewertung durch das Projektteam, wird aber auch im Rahmen einer offiziellen Bewertung durch externe Assessoren für den „Deutschen Projektmanagement Award“ herangezogen. Abb. 2-120 zeigt das Modell im Überblick. In Abb. 2-120 werden Punktzahlen genannt, die für die einzelnen Bereiche vergeben werden können. Die maximale Punktzahl im Modell beträgt 1.000, die hälftig den beiden Bewertungsbereichen „Projektmanagement“ und „Projektergebnisse“ zugeordnet sind. Beim Bereich „Projektmanagement“ steht das Vorgehen im Projekt im Mittelpunkt der Betrachtung, im Bereich „Projektergebnisse“ werden die resultierenden Ergebnisse einer Beurteilung unterzogen. <?page no="368"?> Total Quality Management in Projekten · 343 Projektmanagement (500) Zielorientierung (140) Prozesse (140) Zielerreichung (180) Zufriedenheit bei sonstigen Interessengruppen (60) Mitarbeiterzufriedenheit (80) Kundenzufriedenheit (180) Resourcen (70) Mitarbeiter (70) Führung (80) Innovation und Wissen Project Excellence (1.000) Projektmanagement (500) Projektergebnisse (500) Projektmanagement (500) Zielorientierung (140) Prozesse (140) Zielerreichung (180) Zufriedenheit bei sonstigen Interessengruppen (60) Mitarbeiterzufriedenheit (80) Kundenzufriedenheit (180) Resourcen (70) Mitarbeiter (70) Führung (80) Innovation und Wissen Project Excellence (1.000) Projektmanagement (500) Projektergebnisse (500) Abb. 2-120: Modell für „Project Excellence“ (Quelle: Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement [Project- Excellence-Award])) Anhand der Punktzahlen in Abb. 2-120 wird deutlich, welche Schwerpunkte gelegt wurden: Beim Vorgehen stehen die Zielorientierung und die Prozesse im Fokus. Den Projektzielen wird ein hohes Gewicht zugemessen, da die klare und richtige Zielsetzung einen starken Einfluss auf den Projekterfolg hat (vgl. Schmelzer [Methoden] 257). Die Prozesse beinhalten den gesamten Projektablauf, die verwendeten Methoden und das Projektcontrolling. Bei den Ergebnissen wird der Kundenorientierung und der Zielerreichung mit Abstand die höchste Bedeutung zugesprochen. Das Verständnis der Bedürfnisse und Anforderungen des Kunden stellt den Ausgangspunkt für qualitativ hochwertige Leistungen dar. Projekte werden initiiert, um Ziele zu erreichen; die beiden Schwerpunkte sind von daher gut nachvollziehbar. Aus den Bewertungen wird eine gewichtete Gesamtpunktzahl errechnet. Schmelzer ([Methoden] 258) schlägt hier die Brücke zum Risiko des Projektes und ordnet bestimmten Punktzahlen unterschiedliche Risikograde zu. Auf der Grundlage des „Project.-Excellence“-Modells soll der Fortschritt von Projekten „auf dem Weg zu Spitzenleistungen“ beurteilt werden. Allerdings ist die Bewertung relativ aufwändig, so dass es in einer Organisation i.d.R. nicht für <?page no="369"?> 344 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten jedes Projekt, sondern eher sporadisch bei vergleichbaren Projekten herangezogen wird. 10.2 Risiko- und Chancenmanagement 10.2.1 Begriffe „Risiko“ und „Chance“ Jedes Unternehmen ist in eine Umwelt eingebettet, aus der sich sowohl Chancen als auch Risiken ergeben können. Chancen und Risiken entstehen aus der unzureichenden Informationslage bezüglich der Zukunft: Der Erfolg eines Projektes hängt von ausgesprochen vielfältigen Faktoren ab, insbesondere vom momentanen und zukünftigen Verhalten der Menschen, die in irgendeiner Form am Projekt beteiligt sind oder die auch nur zur weiteren Umwelt des Projektes gehören (z.B. bei politischen Entscheidungen). Je komplexer und dynamischer diese Faktoren sich gestalten, umso höher sind die Chancen und Risiken, denen ein Vorhaben unterliegt. Die Arbeit in Projektform ist tendenziell als Antwort auf eine zunehmende Komplexität und Dynamik in der Unternehmensumwelt zu verstehen (vgl. Teil 1). Die systematische Berücksichtigung von Chancen und Risiken im Prozess des Managements von Projekten spielt für den Erfolg des einzelnen Projektes somit eine entscheidende Rolle. Im Extremfall kann das Eintreten eines Risikos bei einer entsprechenden Bedeutung des Projektes sogar den Fortbestand eines Unternehmens gefährden. Was versteht man unter einem Risiko und was unter einer Chance? Es gibt eine Vielzahl von Definitionen, die z.T. sehr unterschiedlich sind. Wir haben uns für eine Definition von Risiko entschieden, die das Risiko stärker in Beziehung zu seiner Kehrseite, der Chance, setzt (vgl. Schierenbeck/ Lister [Risikomanagement] 183): Risiko ist die Gefahr einer negativen Abweichung des realisierten Ergebnisses vom geplanten Ergebnis. Eine Chance liegt dann vor, wenn erwartet wird, dass das geplante Ergebnis erreicht oder übertroffen wird. Wir gehen im Folgenden davon aus, dass Risikomanagement und Chancenmanagement gleichgewichtig zu betrachten sind. Durch diese erweiterte Sichtweise soll die Sensibilität für das Erkennen und Ergreifen von Chancen gestärkt werden, welche einen hohen Beitrag zur Wertsteigerung des Unternehmens generieren können, die aber bei einer ausschließlichen Konzentration auf die <?page no="370"?> Arten von Risiken und von Chancen · 345 Risiken wahrscheinlich nicht entdeckt würden. Viele Instrumente, insbesondere die statistisch untermauerten Methoden, sind zur Erfassung von Chancen und Risiken gleichermaßen geeignet. 10.2.2 Arten von Risiken und von Chancen Es finden sich viele Vorschläge zur Klassifikation von Risiken. Besonders hilfreich für die konkrete Projektarbeit ist eine Kategorisierung nach ihren Ursachen (vgl. Abb. 2-121). Risiken in der Projektaufgabe Risiken im Einsatz des Projektmanagements Risiken im emotionalen Umfeld Risiken im fachlichen Wandel Risiken in der Person des Projektleiters Risiken im sonstigen Umfeld Abb. 2-121: Risiko- und Chancengruppen in Projekten (An Anlehnung an: Kessler/ Winkelhofer [Projektmanagement] 161) Betrachten wir einige Beispiele für die jeweilige Risikogruppe (vgl. Kessler/ Winkelhofer [Projektmanagement] 162ff.): Risiken in der Projektaufgabe beruhen meist auf Fehleinschätzungen in der Planung, wie einer Unterschätzung des Aufgabenumfangs und der -komplexität oder der falschen Beschreibung des benötigten Kompetenzprofils der Mitglieder des Projektteams. Das notwendige Know how steht somit nicht zur Verfügung. Diese Risiken kann man häufig relativ umfassend auf der Grundlage des Projektstrukturplans und/ oder erfahrungsbasierter Checklisten identifizieren. Risiken im fachlichen Wandel ergeben sich beispielsweise durch das Veralten von Wissen und Können aufgrund von unerwarteten Innovationen oder durch das plötzliche Auftauchen eines Konkurrenten, der die gleiche Lösung anbietet. Auch für diese Risiken kann das Heranziehen des Projektstrukturplans hilfreich sein, allerdings muss hier explizit die Perspektive „Fachlicher Wandel“ fokussiert werden. Zudem sind hier zur Identifikation weitere übergeordnete Aktivitäten zu empfehlen, wie ein intensives „Technology-Scouting“, also eine Suche <?page no="371"?> 346 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten nach innovativen technologischen Lösungen in der Unternehmensumwelt, z.B. bei Hochschulen oder Kongressen. Diese Risiken haben z.T. einen strategischen Charakter, da sie langfristige Auswirkungen mit einer hohen Bedeutung für das gesamte Unternehmen nach sich ziehen können. Risiken im emotionalen Umfeld liegen in den beteiligten Personen begründet, deren Reaktionen von ihrer Motivation, ihren Hoffnungen und Erwartungen, ihren Befürchtungen und ihrer Veränderungsbereitschaft abhängen. Die Identifikation und Diskussion dieser Risiken kann mit einer Projektumfeldanalyse besonders gut unterstützt werden, wie sie auf S. 100ff. dargestellt wurde. Insbesondere ist hier auch auf die Interessenlagen der eingebundenen Projektteammitglieder zu achten. Risiken im Einsatz des Projektmanagements sind auf Probleme bei der Anwendung von Projektmanagement-Methoden zurückzuführen, z.B. auf fehlende Akzeptanz bei den Mitarbeitern oder unzureichende Kenntnisse. Diese Risiken haben z.T. einen projektübergreifenden Charakter, denn Probleme in diesem Themengebiet sind meistens zurückzuführen auf eine wenig ausgeprägte Projektkultur, z.B. aufgrund fehlender Motivation der Mitarbeiter, verursacht durch die Einführung eines einheitlichen Projektmanagements ohne Einbindung der Betroffenen, eine unzureichende organisatorische Verankerung des Projektmanagements, z.B. wurde noch kein Projektmanagementoffice (PMO) eingerichtet, das die Standardisierung des Projektmanagements im Unternehmen federführend betreut und somit sowohl über die anzuwendenden Methoden und Tools entscheidet als auch die entsprechende Ausbildung der Mitarbeiter initiiert (vgl. Teil 3, S. 637) oder Schwachstellen in der Personalentwicklung, z.B. durch das Fehlen einer durchgängigen Projektmanagement-Laufbahn mit definierten Rollen, Kompetenzen und Maßnahmen zur Vermittlung und Sicherstellung der erforderlichen Fähigkeiten. Risiken in der Person des Projektleiters können beispielsweise in fehlender Projekterfahrung, Akzeptanz oder Motivation begründet sein. Auch hier kann ein systematischer Ausbildungsweg im Projektmanagement mit unterstützenden Entwicklungsmaßnahmen gute Dienste leisten. Risiken im sonstigen Umfeld sind sehr vielfältig: Beteiligte Personen können z.B. notwendige Informationen oder ihre Mitarbeit verweigern. Eventuell werden Entscheidungen nicht so schnell und unbürokratisch getroffen, wie es für die jeweilige Projektsituation notwendig wäre. Aber auch Naturrisiken, Infra- <?page no="372"?> Arten von Risiken und von Chancen · 347 strukturrisiken, rechtliche oder politische Risiken als typische Länderrisiken können für die Durchführung eines Projektes entscheidend sein, insbesondere für ein Engagement in einem bisher noch unbekannten Land. Hier kann der sog. BERI-Index (Business Environment Risk Information Index) zur Entscheidungsunterstützung herangezogen werden: Er dient der Beurteilung von Risiken der internationalen Geschäftstätigkeit in verschiedenen Ländern, d.h. jedes Land bzw. jede Region wird anhand von Checklisten mit Risikofaktoren in Form von Scoring-Modellen bewertet. Da mit den Risiken i.d.R. auch Chancen verbunden sind, stellt sich die Frage, wie Chancen und Risiken zusammenhängen. Folgende Arten von Beziehungen lassen sich unterscheiden (vgl. Meier [Risikomanagement] 22ff.): Symmetrisches Risiko-/ Chance-Paar: Einem Risiko, einen bestimmten Schaden in Form eines Verlustes zu erleiden, steht eine Chance gegenüber, das geplante Ergebnis noch zu übertreffen. Ob ein technologischer Wandel beispielsweise eine Chance oder ein Risiko für ein Projekt darstellt, hängt davon ab, ob die Neuerung auf eine unternehmensinterne Stärke oder Schwäche trifft und wie mit dieser Entwicklung daher umgegangen werden kann. Auch die kommunikativen Fähigkeiten des Projektleiters oder die persönliche Passung zwischen den Teammitgliedern können sowohl Risiken als auch Chancen mit sich bringen. Reines Schadensrisiko: Ein Risiko wirkt einseitig und führt lediglich zu einem Schaden, ohne dass ihm eine entsprechende Chance gegenübersteht. Als plastisches Beispiel können hier Naturrisiken angeführt werden: Wenn ein Erdbeben in einer bestimmten Stärke auftritt, wird es zu einem Schaden führen; im günstigsten Fall gibt es kein Erdbeben und der Schaden tritt nicht ein. Reine Nutzenchance: Eine Chance muss nicht unbedingt mit einem Risiko verbunden sein. Wenn man die Chance nicht wahrnimmt, kann das geplante Ergebnis dennoch erreicht werden. Beispiel: In einem ersten intensiveren Gespräch mit einem Lieferanten ergeben sich besondere Win-Win- Situationen, denn er hat ein starkes Interesse daran, einen Teil der Entwicklung des Endprodukts zu günstigen Konditionen mit zu übernehmen. Mit dieser Gelegenheit hatte man ursprünglich nicht gerechnet. Natürlich können sich aus dieser Chance auch neue Risiken ergeben, z.B. Kommunikationsprobleme zwischen den beiden Partnern, doch wenn man die Chance nicht wahrnimmt, könnte man grundsätzlich davon ausgehen, dass das geplante Ergebnis trotzdem erreicht wird. <?page no="373"?> 348 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten Diese verschiedenen Arten von Beziehungen zwischen Risiken und Chancen ziehen Konsequenzen für das Risiko- und Chancenmanagement nach sich: Bei symmetrischen Risiko-/ Chance-Paaren ist Risikomanagement gleichzeitig Chancenmanagement: Der systematische Umgang mit den Risiken dient der Verwirklichung der Chance, das geplante Ergebnis zu erreichen bzw. noch zu übertreffen. Hier kann es sehr sinnvoll sein, sich den Chancencharakter nochmals explizit bewusst zu machen, um die positiven Potenziale umzusetzen und einen zusätzlichen Gewinn aus der Situation zu realisieren. Das Management von reinen Schadensrisiken fokussiert dagegen rein auf den Umgang mit den negativen Auswirkungen einer Situation. Hier werden i.d.R. Maßnahmen der Schadensbegrenzung im Mittelpunkt stehen. Das Management von reinen Nutzenchancen ist auf den systematischen Umgang mit Gelegenheiten ausgerichtet, die dazu führen, dass die geplanten Ergebnisse noch übertroffen werden können. Ein gleichgewichtiges Chancen- und Risikomanagement hat alle drei Arten von Chancen und Risiken zu berücksichtigen. Wir werden in den weiteren Ausführungen wieder auf diese Einteilung zurückkommen. Sowohl Chancen als auch Risiken können strategischer und operativer Natur sein. Viele Projekte werden initiiert, um Chancen zu ergreifen bzw. Risiken aktiv zu begegnen. Dabei handelt es sich meist um Chancen und Risiken aus strategischer Sicht, wie z.B. die Chance auf eine Marktführerschaft mit einem neuen Produkt. Im Rahmen des Managements von Projekten werden i.d.R. stärker die operativen Risiken fokussiert. Daher sollte man darauf achten, regelmäßig zu festgelegten Zeitpunkten im Projekt auch die strategischen Risiken nochmals aus übergeordneter Perspektive zu betrachten. Im Rahmen des konkreten Managements eines Projektes ergeben sich Chancenpotenziale, die man aktiv nutzen kann, und Risiken, mit denen man bereits vor ihrem Eintreten aktiv umgehen kann. Dazu ist eine konsequente Analyse und Verfolgung der Chancen und Risiken notwendig sowie die Einleitung von passenden Steuerungsmaßnahmen, kurzum: Ein Managementprozess für Chancen und Risiken. 10.2.3 Der Prozess des Chancen- und Risikomanagements Im Folgenden gehen wir von einem Chancen- und Risikomanagementprozess aus, der sich in fünf Phasen gliedert (vgl. Abb. 2-122). <?page no="374"?> Der Prozess des Chancen- und Risikomanagements · 349 Chancen- und Risikoidentifikation Chancen- und Risikoanalyse Chancen- und Risikobewertung Chancen- und Risikogestaltung Chancen- und Risikoüberwachung Vorkopplung Rückkopplung Risiko- und Chancenpolitik Abb. 2-122: Der Prozess des Chancen- und Risikomanagements In den verschiedenen Phasen stehen unterschiedliche Aufgabenstellungen im Vordergrund: (1) Chancen- und Risikoidentifikation Sammlung von möglichen Risiken und Chancen, die sich im Projektverlauf ergeben könnten (2) Chancen- und Risikoanalyse Qualitativ: Erste Annäherung anhand von verbalen Beschreibungen, meist beruhend auf Erfahrungen (z.B. aus technologisch ähnlich gelagerten Projekten) Quantitativ: Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeiten und des Ausmaßes der Risiken und Chancen anhand der Auswirkungen auf den Cash-flow (3) Chancen- und Risikobewertung Bewertung der Chancen und Risiken anhand der Präferenzen des Entscheiders (4) Chancen- und Risikogestaltung Entwicklung von Strategien zur Risikobewältigung und Chancennutzung <?page no="375"?> 350 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten (5) Chancen- und Risikoüberwachung Überprüfung der Umsetzung der geplanten Maßnahmen und ihrer Wirkung sowie der weiteren Entwicklung von Risiken und Chancen Die Phasen sind eingebunden in die Chancen- und Risikopolitik des Unternehmens, in der sich die grundlegende Einstellung des Unternehmens zum Risiko und zur Chance sowie die grundsätzlichen Ziele des Risiko- und Chancenmanagements widerspiegeln. Die Chancen- und Risikopolitik eines Unternehmens beinhaltet die Leitlinien als allgemeinen Rahmen für den Umgang mit Chancen und Risiken. Zum Beispiel sollte hier übergeordnet dokumentiert werden, mit welcher Risikopräferenz Entscheidungen im Unternehmen getroffen werden sollten (risikoavers, risikoneutral, risikofreudig). Die einzelnen Phasen stellen keine in sich abgeschlossenen Vorgänge dar, sondern sie sind als interdependentes Geflecht von Vor- und Rückkopplungen einzelner Aktivitäten miteinander verbunden. Die Prozesse werden idealerweise jedes Mal angestoßen, wenn sich der Informationsstand bezüglich der Risiken und Chancen verändert hat, also z.B. ein bisher unbekanntes Risiko sich zeigt bzw. die Auswirkung einer Chance oder eines Risikos sich anders darstellt als bisher gedacht. An dieser Stelle wird deutlich, welch wichtige Aufgabe der Überwachung der Chancen und Risiken zukommt. Auch ein Wechsel der Entscheider kann beispielsweise dazu führen, dass Phasen nochmals und auch parallel ablaufen, sei es aufgrund anderer Entscheidungspräferenzen oder eines Zweifels an den bisherigen Einschätzungen der Chancen und Risiken. Es stellt sich nun die Frage, wie dieser Prozess mit dem übergeordneten Prozess des Managements von Projekten zusammenhängt, der in Abschnitt 1.3 beschrieben wurde: Die einzelnen Phasen lassen sich nicht genau den Phasen des Managementprozesses zuordnen. Aus diesem Grund wird dieser Prozess an dieser Stelle als Begleitprozess erläutert. Grundsätzlich verbessert sich im Verlauf des Projektes die Informationslage, d.h. die Unsicherheit über die zukünftigen Entwicklungen nimmt ab. Die Genauigkeit und der Detailliertheitsgrad der Schätzungen bezüglich der Auswirkungen von Chancen und Risiken sollten daher im Projektverlauf ansteigen. Betrachten wir die verschiedenen Phasen des Prozesses im Detail. In Abb. 2-123 sind die einzelnen Techniken zur Abwicklung der Prozesse des Chancen- und Risikomanagements erfasst. Sie werden im Folgenden im Einzelnen beschrieben. <?page no="376"?> Der Prozess des Chancen- und Risikomanagements · 351 Teilprozesse des Chancen- und Risikomanagements in Projekten Techniken Chancen- und Risikoidentifikation (10.2.3.1) Projektumfeldanalyse Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA) Systematische Analyse der Projektpläne Checklisten Szenario-Technik Früherkennungssysteme auf der Basis von Indikatoren, Kennzahlen oder Schwacher Signale Chancen- und Risikoanalyse (10.2.3.2) Qualitative Analyse: Risiko- und Chancenliste Quantitative Analyse: Korrekturverfahren Mehr-Punkt-Verfahren Sensitivitätsanalyse Semiquantitative Analyse Schätzung mittels Kennwerten Simulative Risikoanalyse Chancen- und Risikobewertung (10.2.3.3) Entscheidung in Abhängigkeit von der Risikopräferenz Chancen- und Risikogestaltung (10.2.3.4) Ableitung von Strategien: Risikovermeidung Risikoverringerung Risikoüberwälzung Risikoübernahme Chancen- und Risikoportfolio Risikostreuung Realoptionsansatz Ex ante- und Ex post-Bereitschaft Kalkulatorische Risikoaufschläge <?page no="377"?> 352 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten Chancen- und Risikoüberwachung (10.2.3.5) Laufendes Risikomonitoring Steuerung der Maßnahmen zur Chancen- und Risikogestaltung Organisatorische Verankerung des Chancen- und Risikomanagements Lessons Learned zum Projektabschluss Abb. 2-123: Ausgewählte Techniken des Chancen- und Risikomanagements in Projekten 10.2.3.1 Chancen- und Risikoidentifikation Ziel der Chancen- und Risikoidentifikation ist die möglichst frühzeitige systematische Erkennung und Sammlung von Einzelrisiken und -chancen. (1) Schwerpunkte der Chancen- und Risikoidentifikation Die Chancen- und Risikoidentifikation hat in den verschiedenen Projektphasen unterschiedliche Schwerpunkte: Im Rahmen des Auswahlprozesses von Projekten werden Chancen und Risiken untersucht, um zu klären, ob ein Projekt überhaupt durchführbar ist und ob es aus strategischer und wirtschaftlicher Sicht grundsätzlich sinnvoll erscheint. Beim Projektstart ist eine systematische und detaillierte Sammlung von Chancen und Risiken notwendig, die i.d.R. zunächst vom Projektleiter durchgeführt wird. Auf diese Weise gewinnt er ein grundlegendes Verständnis für mögliche Schwierigkeiten und die entscheidenden Erfolgsfaktoren, das er für die konkrete Gestaltung des Projektes benötigt, z.B. für die Zusammenstellung des Projektteams. Diese Einschätzung des Projektleiters allein reicht jedoch bei weitem nicht aus: Für eine möglichst umfassende Erkennung von Risiken und Chancen sollte vielfältigstes Expertenwissen einfließen, so dass der Chancen- und Risikoidentifikation im Kick-Off-Meeting mit allen Projektteammitgliedern ein wichtiger Platz zukommt. Oftmals wird je nach Größe und Bedeutung des Projektes auch im Anschluss an das Kick-Off-Meeting ein eigener Risiko-Workshop eingeplant, zu dem weitere interne oder externe Experten eingeladen werden können. Ein solcher Workshop dient i.d.R. allerdings nicht nur der Identifikation von Risiken, sondern auch den weiteren Phasen des Risikomanagements bis hin zur Ableitung von Maßnahmen zum Umgang mit dem jeweiligen Risiko. <?page no="378"?> Chancen- und Risikoidentifikation · 353 Im weiteren Projektverlauf sollte regelmäßig überprüft werden, ob alle identifizierten Risiken und Chancen weiterhin im vermuteten Ausmaß bestehen, ob noch weitere Chancen und Risiken hinzugekommen sind und ob die Maßnahmen zur Chancen- und Risikogestaltung erfolgreich wirken. Bei der Risikoidentifikation wird besonders deutlich, wie stark das Risikomanagement und die herrschende Unternehmens- und Projektkultur miteinander verknüpft sind. Grundsätzlich hängen die Erkennung, aber auch die Bewertung von Chancen und Risiken sowie die Entscheidung über entsprechende Maßnahmen zum Großteil davon ab, welche Werte und Normen für die Mitglieder einer Organisation von Bedeutung sind. Gerade bei der Erkennung spielt eine entsprechende Denkhaltung der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle, denn es gibt zwar bestimmte Methoden zur Unterstützung der Aktivitäten zur Früherkennung von Chancen und Risiken, doch der Erfolg der Methoden hängt entscheidend von der Kreativität, der Motivation und der Umfeldsensibilität der Mitarbeiter ab. Daher ist es notwendig, eine „Risikomanagement-Philosophie bzw. -kultur zu entwickeln, die es auf alle Organisationsmitglieder zu übertragen gilt, um ein allgemein erhöhtes Risikobewusstsein auf allen Ebenen des Unternehmens zu schaffen“ ( Reichmann [Controlling] 623f.). (2) Techniken der Chancen- und Risikoidentifikation Zur Unterstützung der Identifikation von Chancen und Risiken können u.a. folgende Techniken eingesetzt werden: Projektumfeldanalyse Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA) Systematische Analyse der Projektpläne Checklisten Szenario-Technik Früherkennungssysteme auf der Basis von Indikatoren, Kennzahlen oder Schwacher Signale (a) Projektumfeldanalyse Die Projektumfeldanalyse bietet die methodische Grundlage für eine umfassende Auseinandersetzung mit den Faktoren, die Einfluss auf den Projektverlauf nehmen können. Eine wichtige Rolle spielt hier die Stakeholder-Analyse, die sich mit den Erwartungen, Befürchtungen und Bedürfnissen der verschiedenen vom Projekt Betroffenen beschäftigt. Die Methodik der Projektumfeldanalyse wurde in Abschnitt 4.1.3 im Zuge des Projektstarts erläutert, da sie dort zum ersten Mal angewendet werden sollte. Da es sich hierbei um eine Momentaufnahme handelt, empfiehlt es sich, die Analyse im weiteren Projektverlauf regel- <?page no="379"?> 354 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten mäßig wieder aufzunehmen und die aktuellen Entwicklungen zu berücksichtigen. (b) Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA) Die Fehler-Möglichkeitsund-Einfluss-Analyse (oder englisch Failure Mode and Effect Analysis (FMEA)) beinhaltet eine systematische Vorgehensweise zur Analyse von möglichen Fehlern: Man antizipiert gedanklich alle möglichen Abweichungen von der bisher geplanten Leistung und untersucht sowohl, welche Ursache zu dieser Abweichung führen könnte, als auch, wie sich diese Abweichung dann auswirken würde. Der nächste Schritt besteht in einer Risikoanalyse: Es werden die Eintrittswahrscheinlichkeit, die Bedeutung des Fehlers und die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung des Fehlers und seiner vollständigen Behebung abgeschätzt und mit Hilfe von Punktwerten quantifiziert (vgl. Abb. 2-124). Multipliziert man diese Punktwerte miteinander, so erhält man die sog. „Risiko- Prioritätszahl“ (RPZ), die als Indikator für das Ausmaß und die Bedeutung des jeweiligen Risikos herangezogen werden kann. Anschließend werden Lösungsmaßnahmen abgeleitet und ihre Wirksamkeit überprüft. Die FMEA beinhaltet also noch weitere Schritte des Risikomanagements (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 316). Die FMEA stammt ursprünglich aus der Raumfahrt. Sie eignet sich grundsätzlich für alle Arten von Risiken; in der Praxis wird sie besonders häufig für technische Fragestellungen verwendet. (c) Systematische Analyse der Projektpläne Man könnte alle Projektpläne einer Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse unterziehen, allerdings konzentriert man sich auf diese Weise auf die Risiken und durchdringt mögliche Chancen nur am Rande. Es empfiehlt sich somit eine systematische Durchleuchtung der Projektpläne auf potenzielle Chancen und Risiken. <?page no="380"?> Chancen- und Risikoidentifikation · 355 Firma Produkt, Projekt erstellt von… Datum… BAUGRUPPE, BAUTEIL Funktion POTENTIELLE FEHLER Art Bersten Lecken Auswirkung Zerstörung, Lebensgefahr Ursachen - Ventil klemmt - Schalterbruch - Schütz steckt - Sprödbruch Ausfall Sekundärschäden - Dichtung - Haarriss Prüfmaßnahmen sporadisch sporadisch Eintritt a) Bedeutung b) Entdekkung c) R P Z d) VERSION 1 (Istzustand) MASSNAHMEN redundanten Schalter einbauen fixe Prüfintervalle vereinbaren Komponentenzuverlässigkeit erhöhen (Lieferanten) VERSION 2 Prüfmaßnahmen Eintritt a) Bedeutung b) Entdekkung c) R P Z d) 1 5 1 5 2 3 2 12 Legende: a) Eintritt: Wahrscheinlichkeit fast nie 1 selten 2 manchmal 3 häufig 4 fast immer 5 b) Bedeutung: Auswirkung auf Nutzung kaum merkbar 1 geringe Belästigung 2 mäßiger Schaden 3 schwerer Schaden 4 sehr schwerer Schaden 5 c) Entdeckung: Wahrscheinlichkeit sehr hoch 1 hoch 2 mäßig 3 gering 4 sehr gering 5 d) RPZ…RISIKO- PRIORITÄTSZAHL Abb. 2-124 Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA) (Quelle: Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 317) <?page no="381"?> 356 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten Dabei kann man sowohl die Objekte als auch die Vorgehensweise im Projekt auf Chancen und Risiken untersuchen: Beim Projektstrukturplan können für die einzelnen Arbeitspakete insbesondere leistungs- und qualitätsbezogene Chancen und Risiken herausgearbeitet werden. Jedes Arbeitspaket sollte unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, inwieweit an dieser Stelle Schwierigkeiten bei den Sachaufgaben, bei den geplanten Terminen und bei den geplanten Kosten auftreten können, also bei allen drei Dimensionen der Zielerreichung (vgl. Rinza [Projektmanagement] 59). Bei der Aufwandsplanung können die Prämissen analysiert werden, die dem bisherigen Plan zugrunde liegen. Was würde geschehen, wenn bestimmte Rahmenbedingungen nicht eingehalten werden? Was würde sich im besten Fall aufwandsmindernd auswirken? Die Ablaufplanung, insbesondere ein Netzplan, bietet eine gute Übersicht über Schnittstellen, die ein gewisses Risiko- und Chancenpotenzial beinhalten. Der kritische Pfad verdeutlicht terminliche Risiken und Chancen sehr anschaulich. Der Netzplan kann ebenfalls für die Terminplanung eingesetzt werden. Auch andere Methoden der Terminplanung, v.a. Balkenpläne, ermöglichen einen relativ klaren Blick auf terminliche Risiken und Chancen. Auf der Grundlage der Ressourcenplanung können potenzielle Risiken und Chancen in Bezug auf die vorgesehenen Personen, Sachmittel und Materialien deutlich herausgearbeitet werden. Die Kostenplanung ermöglicht einen realistischen Blick auf finanzielle Risiken und Chancen, insbesondere, wenn bereits von Projektbeginn an alle Kosten über den gesamten Lebenszyklus mit in die Betrachtung einbezogen werden und die Preisvorstellungen des Kunden für bestimmte Funktionen des Projektergebnisses mit einfließen (vgl. die Ausführungen zu den Bausteinen einer integrierten Kostenplanung S. 204ff.). (d) Checklisten Checklisten sollen verhindern, dass wichtige Teilaspekte eines Problems übersehen werden. Man sammelt typische Projektrisiken und -chancen aus der Vergangenheit, dokumentiert sie in einer Checkliste und stellt sie allen Betroffenen zur Verfügung. Bei der Chancen- und Risikoidentifikation kann man nun auf diese Checkliste zurückgreifen und die einzelnen Risiken und Chancen daraufhin überprüfen, inwieweit sie für das spezifische Projekt relevant sein könnten. <?page no="382"?> Chancen- und Risikoidentifikation · 357 Der Erfolg einer Checkliste beruht darauf, möglichst die wichtigsten Projektrisiken und -chancen zu erfassen. Daher sollten Checklisten regelmäßig aktualisiert werden, indem die Projektleiter ihre neuen Erfahrungen aus einem gerade abgeschlossenen Projekt mit in die Checkliste einbringen. Benutzt man unternehmensspezifische Checklisten, so ist diese Dokumentation der Erfahrungen ein wichtiger Bestandteil des Wissensmanagements („Lessons Learned“) am Ende eines Projektes. Grundsätzlich ist es nicht möglich, alle denkbaren Risiken in Checklisten zu erfassen, so dass der Einsatz von Checklisten immer mit anderen Methoden kombiniert werden sollte. (e) Szenario-Technik „Die Szenario-Analyse ist eine Planungstechnik, die ausgehend von der Gegenwart die zukünftigen Entwicklungen eines Gegenstandes bei alternativen Rahmenbedingungen beschreibt“ ( Bea/ Haas [Management] 311). Sie lässt sich ohne weiteres auf die verschiedensten Problemstellungen innerhalb eines Projektes anwenden. Bezogen auf die Identifikation von Projektrisiken und -chancen ist ihr Ziel das rechtzeitige Erkennen von Entwicklungen in der Projektumwelt, Entwicklungen im Projekt unter Berücksichtigung der externen Entwicklungen und Projektrisiken und -chancen als Folge dieser Entwicklungen. Bei der Szenario-Technik werden mehrere alternative Zukunftsbilder (Szenarien) entworfen, die von den sog. Extremszenarien „Best Case“ und „Worst Case“ begrenzt werden (vgl. Abb. 2-125). In der Regel werden etwa drei bis fünf Szenarien einer möglichen Projektentwicklung entworfen, diskutiert und ausgewertet. Bei der Erarbeitung der Szenarien beschäftigt man sich u.a. intensiv mit möglichen Entwicklungen und hypothetischen Störereignissen. Daher ist der große Nutzen der Szenario-Technik in der Sensibilisierung auf Projektchancen und -risiken zu sehen, die sich durch neue Entwicklungen in der Projektumwelt ergeben können. Zudem kann ihre Bedeutung für das Projekt antizipiert und so die Basis für den Umgang mit den erkannten Chancen und Risiken gelegt werden. Zur detaillierten Vorgehensweise bei der Erstellung einer Szenario-Analyse empfehlen sich beispielsweise Geschka [Szenariotechnik] oder Götze [Szenario- Technik]. <?page no="383"?> 358 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten x x x Gegenwart t 1 Störereignis t 2 Reaktion Zukunft Extremszenario Trendszenario Szenario A‘ Szenario A Extremszenario Abb. 2-125: Szenario-Analyse (In Anlehnung an: Geschka [Szenariotechnik] 522) (f) Früherkennungssysteme auf der Basis von Indikatoren, Kennzahlen oder Schwacher Signale „Ein Früherkennungssystem ist eine spezielle Form eines Informationssystems, dessen Ziel die möglichst frühzeitige Erkennung, Diagnose und Weitergabe von führungsrelevantem Wissen ist“ ( Bea/ Haas [Management] 316). Zu Beginn der 70er Jahre sahen sich viele Unternehmen verstärkt mit Diskontinuitäten aus der Unternehmensumwelt, also mit Überraschungen von strategischer Reichweite, konfrontiert. Die Forschung beschäftigt sich seitdem mit dem Entwurf von Systemen, mit deren Hilfe neuartige Umweltveränderungen schneller entdeckt werden können. Eine Möglichkeit kann hierbei die Beobachtung von Indikatoren sein, die vorlaufend Hinweise für zukünftige Entwicklungen liefern können. Diese Systematik lässt sich auch auf die Früherkennung von konkreten Projektrisiken und Projektchancen übertragen. Entscheidend ist hierbei allerdings die Auswahl von geeigneten projektspezifischen Frühwarnindikatoren. Ein solcher Indikator für Termin- und Kostenrisiken des Projektes könnte beispielsweise die Anzahl der Änderungswünsche des Kunden sein. Ein weiterer Frühwarnindikator für die Qualität der angestrebten Projektleistung könnte beispielsweise der Umfang der Garantieaufwendungen sein, der sich bei Produkten mit derselben verwendeten Technologie ergeben haben. Auch der Einsatz von Kennzahlen ist möglich, z.B. aus einer Scorecard auf Projektebene. <?page no="384"?> Chancen- und Risikoanalyse · 359 Diese an bestimmten Projektthemen ausgerichteten Vorgehensweisen eignen sich v.a. zur Identifikation von typischen Projektrisiken und Chancen, weniger jedoch zur Identifikation vollkommen neuer Chancen und Risiken. Bei den Früherkennungssystemen der 3. Generation versucht man daher, eine Art „strategisches Radar“ aufzubauen, mit dem man sog. „Schwache Signale“ aus der Unternehmensumwelt aufnehmen kann. Diese „Schwachen Signale“ sind meist qualitativer Natur (vgl. Ansoff [Schwache Signale]). Auch dieses Konzept kann auf das Projektmanagement übertragen werden. Zur Erkennung von projektspezifischen „Schwachen Signalen“ kann u.a. die Stakeholderanalyse eingesetzt werden, die im Rahmen der Projektumfeldanalyse vorgestellt wurde. Die konkrete Implementierung eines solchen Früherkennungssystems unter Berücksichtigung von „Schwachen Signalen“ ist nicht trivial. Insbesondere geht es darum, das „Können“ und „Wollen“ der Mitarbeiter zu fördern, d.h. ihnen ein grundlegendes Verständnis für ihre Rolle im Rahmen der Projektrisiko- und Projektchancenidentifikation und für die anzuwendende Methodik zu vermitteln. Einige der vorgestellten Techniken beinhalten nicht nur die Identifikation von Chancen und Risiken, sondern auch weitere Schritte des Chancen- und Risikomanagements, insbesondere eine Chancen- und Risikoanalyse, mit der wir uns im nächsten Abschnitt beschäftigen wollen. 10.2.3.2 Chancen- und Risikoanalyse Für einen systematischen Umgang mit Chancen und Risiken ist es unverzichtbar, die identifizierten Chancen und Risiken zu priorisieren, da unmöglich alle Themen gleichzeitig angegangen werden können. Dazu müssen die beteiligten Experten zunächst einschätzen, wie wahrscheinlich der Eintritt der jeweiligen Situation ist und wie sich die Situation auf das Projekt auswirken würde. Diese Einschätzung kann sowohl qualitativ als auch quantitativ erfolgen. (1) Qualitative Analyse Eine erste Annäherung an die jeweilige Situation erfolgt meist verbal (qualitative Analyse). Zur umfassenden Beschreibung eines Risikos kann auf die Angaben zurückgegriffen werden, die in Abb. 2-126 in Form einer Risikoliste zu finden sind (vgl. Meier [Risikomanagement] 30). <?page no="385"?> 360 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten Nummerierung Kurzbezeichnung Beschreibung Ursachen Mögliche Folgen Betroffene Stakeholder Klassifizierung Vernetzung mit anderen Risiken R001 Aufwand AP 015 Höherer Aufwand in AP 015 Höhere Unsicherheit aufgrund innovativer Technik - Zeitverzug - Mehrarbeit verursacht höhere Kosten Projektteammitglieder: Hr. Maier, Fr. Müller; Projektauftraggeber Risiko-/ Chancen-Paar Akkumulation mit R002 R002 Abhängigkeit AP 015 Abhängigkeit vom Knowhow von Hrn. Maier Keine weiteren Know-how- Träger bzgl. der neuen Technik - Überlastung - Motivationsverlust Hr. Maier; Gesamtes Projektteam, Auftraggeber, Kunde Reines Schadensrisiko Akkumulation mit R001 R003 … … … … … … … Nummerierung Kurzbezeichnung Beschreibung Ursachen Mögliche Folgen Betroffene Stakeholder Klassifizierung Vernetzung mit anderen Risiken R001 Aufwand AP 015 Höherer Aufwand in AP 015 Höhere Unsicherheit aufgrund innovativer Technik - Zeitverzug - Mehrarbeit verursacht höhere Kosten Projektteammitglieder: Hr. Maier, Fr. Müller; Projektauftraggeber Risiko-/ Chancen-Paar Akkumulation mit R002 R002 Abhängigkeit AP 015 Abhängigkeit vom Knowhow von Hrn. Maier Keine weiteren Know-how- Träger bzgl. der neuen Technik - Überlastung - Motivationsverlust Hr. Maier; Gesamtes Projektteam, Auftraggeber, Kunde Reines Schadensrisiko Akkumulation mit R001 R003 … … … … … … … AP = Arbeitspaket Abb. 2-126: Beispiel für eine Risikoliste im Zuge der qualitativen Analyse Die Betrachtung der Abhängigkeiten unter den Risiken ist eine wichtige Voraussetzung für die realistische Abschätzung einer Risikowirkung. Risiken können nämlich andere Risiken nach sich ziehen und somit eine wesentlich stärkere Wirkung entfalten. Hier ist es wichtig zu untersuchen, ob die Risiken akkumulieren oder sich eventuell gegenseitig kompensieren. Allerdings sollten nicht nur Risiken, sondern auch Chancen explizit mit in die qualitative Analyse einbezogen werden. Es empfiehlt sich, sowohl eine Risikoliste als auch eine eigene Chancenliste anzulegen (Abb. 2-127). … … … … … … … C003 Subtraktive Wirkung auf C008 Risiko-/ Chancen-Paar Projektteam, Kunde - Weniger Schnittstellenprobleme als erwartet - Niedrigere Fehlerquote Projekt zur Prozessverbesserung bei Lieferant bald abgeschlossen Prozessverbesserung Lieferant xy C002 Additive Wirkung mit C005 Risiko-/ Chancen-Paar Projektteam, Entscheider in der GF -Senkung der Schnittstellenprobleme mit Abteilung xy - Informale Kommunikation mit wichtigen Entscheidern in der GF Besonders gute innerbetriebliche Vernetzung von Herrn Müller Gewinnung von Herrn Müller als Projektteammitglied Herr Müller C001 Vernetzung mit anderen Chancen Klassifizierung Betroffene Stakeholder Mögliche Auswirkungen Ursachen Beschreibung Kurzbezeichnung Nummerierung … … … … … … … C003 Subtraktive Wirkung auf C008 Risiko-/ Chancen-Paar Projektteam, Kunde - Weniger Schnittstellenprobleme als erwartet - Niedrigere Fehlerquote Projekt zur Prozessverbesserung bei Lieferant bald abgeschlossen Prozessverbesserung Lieferant xy C002 Additive Wirkung mit C005 Risiko-/ Chancen-Paar Projektteam, Entscheider in der GF -Senkung der Schnittstellenprobleme mit Abteilung xy - Informale Kommunikation mit wichtigen Entscheidern in der GF Besonders gute innerbetriebliche Vernetzung von Herrn Müller Gewinnung von Herrn Müller als Projektteammitglied Herr Müller C001 Vernetzung mit anderen Chancen Klassifizierung Betroffene Stakeholder Mögliche Auswirkungen Ursachen Beschreibung Kurzbezeichnung Nummerierung Abb. 2-127: Beispiel für eine Chancenliste im Zuge der qualitativen Analyse <?page no="386"?> Chancen- und Risikoanalyse · 361 (2) Quantitative Analyse Als nächster Schritt erfolgt auf diesen Grundlagen eine Quantifizierung der Eintrittswahrscheinlichkeiten und des Ausmaßes der Risiken und der Chancen. Man versucht, die Auswirkungen der jeweiligen Situation auf den Cash-flow des Projektes abzuschätzen. Im Projektverlauf wird diese Schätzung unterschiedlich detailliert ausfallen: Vor und bei Projektbeginn erfolgt meist eine grobe Schätzung mit Hilfe von Punktwerten, in den fortgeschrittenen Planungs- und Umsetzungsphasen können die Wirkungen auf die drei Zieldimensionen „Kosten“, „Zeit“ und „Leistung“ mit zunehmender Konkretisierung der Informationslage differenziert untersucht und ihre Konsequenzen auf den Cash-flow quantifiziert werden. Bei dieser differenzierten Analyse der Chancen und Risiken wird jedes Risiko zunächst systematisch und einzeln mit Hilfe entsprechender Methoden untersucht, um anschließend in einer Gesamtbetrachtung für das jeweilige Projekt zusammengeführt zu werden. Oftmals ist für ein differenziertes Bild der Chancen und Risiken die Berücksichtigung von Maßnahmen zur Chancen- und Risikogestaltung notwendig: Bei grundlegenden und erfolgskritischen Risiken kann die ökonomische Sinnhaftigkeit eines Projektes davon abhängen, dass entsprechende Managementmaßnahmen ergriffen werden, z.B. der Abschluss von Verträgen zur Risikoüberwälzung. Die Quantifizierung erfolgt daher meistens iterativ in Abhängigkeit von den geplanten Maßnahmen zur Chancen- und Risikogestaltung. Für die Quantifizierung von Projektrisiken und -chancen lassen sich verschiedene Methoden anwenden. Dabei kann man Verfahren mit und ohne Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten unterscheiden. In Abb. 2-128 sind Beispiele für die jeweiligen Methoden aufgeführt, auf die wir im Folgenden näher eingehen wollen. Die meisten Methoden werden in der Literatur eher unter dem Gesichtspunkt „Quantifizierung von Risiken“ diskutiert; prinzipiell eignen sich die meisten Verfahren jedoch auch für Chancen, da sie statistisch ausgerichtet sind und somit Risiko mit einer beidseitigen Abweichungsmöglichkeit definieren. Bei den Verfahren ohne Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten steht eine erste Annäherung an die quantitativen Auswirkungen von Risiken und Chancen, z.B. in Form einer Bandbreite von möglichen Ergebniswerten im „best and worst case“ oder einer Untersuchung der Konsequenzen von Änderungen der Eingabegrößen, im Mittelpunkt. Die Verfahren unter Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten zielen auf eine möglichst genaue Quantifizierung der Bedeutung der möglichen Chancen und Risiken für das Projekt ab. <?page no="387"?> 362 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten Methoden zur Risikoquantifizierung ohne Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten mit Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten • Korrekturverfahren • Mehr-Punkt-Verfahren • Sensitivitätsanalyse • Semiquantitative Analyse • Schätzung mittels Kennwerten • Simulative Risikoanalyse Methoden zur Risikoquantifizierung ohne Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten mit Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten • Korrekturverfahren • Mehr-Punkt-Verfahren • Sensitivitätsanalyse • Semiquantitative Analyse • Schätzung mittels Kennwerten • Simulative Risikoanalyse Abb. 2-128: Ausgewählte Verfahren zur Quantifizierung von Risiken Methoden zur Risikoquantifizierung ohne Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten Wenden wir uns zunächst den Methoden ohne Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten zu. Bei diesen Verfahren wird i.d.R. an der grundlegenden Projektergebnisgröße des Unternehmens angeknüpft und untersucht, wie sich das Projektergebnis bei Änderungen seiner wesentlichen Einflussgrößen verändert. Im Folgenden untersuchen wir zur Illustration die Auswirkungen auf den Projektwertbeitrag als eine der zentralen Zielgrößen des Projektmanagements. Der Projektwertbeitrag wird mit folgender Formel beschrieben (zur Berechnung vgl. S. 538ff. und S. 567ff.): T 0 t t WACC 1 t ProjektFCF (PWB) tbeitrag Projektwer Im Rahmen des Korrekturverfahrens, des Mehr-Punkt-Verfahrens und der Sensitivitätsanalyse werden nun die Einflussgrößen „Free Cash-flow des Projektes“ (ProjektFCF) und „Weighted Average Cost of Capital“ (WACC) verändert, um Rückschlüsse auf mögliche Entwicklungen der Ergebnisgröße „Projektwertbeitrag“ ziehen zu können. Im ProjektFCF werden eine ganze Reihe von Zahlungsstromgrößen berücksichtigt, wie beispielsweise die Projektumsätze, verschiedene Projektkosten sowie projektbezogene Investitionen bzw. Desinvestitionen in Anlage- und Umlaufvermögen. Auch der zeitliche Anfall der jeweiligen Zahlungsstromgrößen spielt eine wichtige Rolle (vgl. Teil 3, S. 525ff.). <?page no="388"?> Chancen- und Risikoanalyse · 363 (a) Korrekturverfahren Im Rahmen des Korrekturverfahrens werden Chancen und Risiken berücksichtigt, indem Ab- oder Aufschläge auf die Einflussgrößen des ProjektFCF oder den Kalkulationszinssatz vorgenommen werden. Im Folgenden werden wir uns stärker auf die Berücksichtigung von Risiken konzentrieren. Die Höhe der Korrektur hängt vom geschätzten Ausmaß des Risikos ab, z.B. wird ein Kalkulationszinssatz höher angesetzt, wenn man einen größeren Schaden vermutet. Diese Verfahrensvariante kann verfeinert werden, indem zwischen verschiedenen Risikoklassen unterschieden wird, denen jeweils unterschiedliche Kalkulationszinssätze zugeordnet sind, z.B. Risikoklasse A: 10% für bekannten Projektauftraggeber und traditionelle Technologie Risikoklasse B: 12,5% für bekannten Projektauftraggeber und innovative Technologie Risikoklasse C: 15% für neuen Projektauftraggeber und traditionelle Technologie Risikoklasse D: 20% für neuen Projektauftraggeber und innovative Technologie Auf diese Weise würde sich je nach Risikoklasse ein anderer Projektwertbeitrag ergeben. Das Korrekturverfahren ist allerdings nicht unkritisch zu sehen: Es werden z.B. keine Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Risiken berücksichtigt. Zudem stellen sich weitere Fragen: Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Risiko und der korrigierten Eingabegröße? Weshalb wurde genau diese Eingabegröße ausgewählt und nicht noch eine weitere berücksichtigt? Womit wird die Höhe der Korrektur begründet? Welche Abhängigkeiten bestehen zwischen den verschiedenen Risiken und wie sind diese Korrelationen in die Berechnung eingeflossen? Diese Fragen machen deutlich, dass diese Methode erst dann richtig nachvollziehbar wird, wenn die schätzenden Experten die Beweggründe für ihre Korrekturen genauer darlegen. Für das Verfahren sprechen jedoch der intuitive Zugang und der geringe Aufwand bei der Berechnung. <?page no="389"?> 364 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten (b) Mehr-Punkt-Verfahren Anders als das Korrekturverfahren berücksichtigt das Mehr-Punkt- Verfahren mehrere Werte je Eingabegröße. Man unterscheidet das Zwei- und das Drei-Punkt-Verfahren: Beim Zwei-Punkt-Verfahren werden jeweils optimistische und pessimistische Werte einer Eingabegröße berücksichtigt. Das Drei-Punkt-Verfahren wird noch durch einen dritten Wert ergänzt: Den Mittelwert (Durchschnitt) oder den Wert, der sich erfahrungsgemäß „im Normalfall“ ergeben dürfte. Es wird in unserem Fall ein Projektwertbeitrag im „best case“ berechnet, indem für alle eingehenden Werte der günstigste Fall unterstellt wird. Genauso wird ein alternativer Projektwertbeitrag für den „worst case“ auf der Grundlage von pessimistischen Werten errechnet. Allerdings berücksichtigt auch das Mehr-Punkt-Verfahren die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Eingabegrößen nicht. Außerdem können die Abhängigkeiten zwischen den Eingabegrößen nur begrenzt erfasst werden. Welche Risiken mit welchen Abhängigkeiten in die Betrachtung eingeflossen sind, wird erst im Zuge einer umfangreichen Dokumentation nachvollziehbar. Man bekommt jedoch einen Überblick über die mögliche Spannbreite der Ergebnisentwicklung. Das Mehr-Punkt-Verfahren wird daher in der Praxis häufig angewendet, denn es ist leicht zu erlernen und verursacht keinen nennenswerten Rechenaufwand. (c) Sensitivitätsanalyse Die Sensitivitätsanalyse kann zwei Fragen beantworten: Wie ändert sich die Ergebnisgröße, wenn eine einzelne Eingabegröße variiert wird? Diese Fragestellung wird auch als „Was-Wenn-Analyse“ oder englisch „What-if-Analysis“ bezeichnet. Wie weit darf der Wert einer Eingabegröße vom ursprünglichen Wertansatz abweichen, ohne dass die Ergebnisgröße einen vorgegebenen Wert unter- oder überschreitet? Hierbei handelt es sich um das Verfahren der kritischen Werte. 1.) Bei der „Was-Wenn-Analyse“ wird ein Eingabewert unter Annahme sonst gleicher Bedingungen verändert. Variiert man auf diese Weise nach- <?page no="390"?> Chancen- und Risikoanalyse · 365 einander alle Eingabegrößen, so kann man ableiten, welche Größe den stärksten Einfluss auf das Ergebnis besitzt. 2.) Mit Hilfe des „Verfahrens der kritischen Werte“ werden jene Schwellenwerte der Eingabegrößen untersucht, bei denen sich das Ergebnis über eine definierte Toleranzgrenze hinaus verändert. Diese Verfahren berücksichtigen keine Wahrscheinlichkeiten der Eingabe- und Ergebnisgrößen. Abhängigkeiten zwischen den Eingabegrößen fließen nicht explizit mit in die Betrachtung ein. Grundsätzlich fördert die Sensitivitätsanalyse jedoch eine größere Sensibilität gegenüber den Risikofaktoren des Projektes. Gerade die „Was-Wenn-Analyse“ verdeutlicht die Bedeutung einzelner Eingabegrößen für die Erreichung des gewünschten Ergebnisses, indem sie die Spannweite möglicher Ergebniswerte aufzeigt. Methoden zur Risikoquantifizierung mit Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten Die Verfahren ohne Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten können hilfreich sein, um sich der Auswirkung eines Risikos anzunähern; für eine genaue Quantifizierung des Risikos oder einer Chance ist jedoch die Schätzung von Wahrscheinlichkeiten notwendig, insbesondere für die Priorisierung der vorrangig anzugehenden Risiken und Chancen. Die folgenden Methoden sind nach zunehmender Komplexität und benötigten statistischen Kenntnissen geordnet. (a) Semiquantitative Analyse Bei dieser Vorgehensweise handelt es sich um eine Zwischenstufe zwischen qualitativer und quantitativer Analyse. Sie eignet sich insbesondere zu Projektbeginn, wenn nur wenig detaillierte Informationen vorliegen, oder auch für Risiken und Chancen, die grundsätzlich nur sehr schwer quantifiziert werden können. Mit Hilfe einer passenden Skalierung werden die verbalen Aussagen aus der qualitativen Analyse in Zahlenwerte überführt. Es bieten sich für diese Transformation insbesondere eine kardinale Skala (Punktwerte, z.B. zwischen 0 und 4) oder eine ordinale Skala mit einer Rangordnung (1. Platz, 2. Platz, …) an. Die Eintrittswahrscheinlichkeit könnte somit beispielsweise folgendermaßen quantifiziert werden: <?page no="391"?> 366 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten Nahezu sicher (> 50%) 4 Punkte Sehr wahrscheinlich (> 30 - 50 %) 3 Punkte Wahrscheinlich (> 15 - 30 %) 2 Punkte Relativ unwahrscheinlich (>5 - 15 %) 1 Punkt Sehr unwahrscheinlich ( 5%) 0 Punkte An dieser Stelle wird schnell deutlich, dass diese Transformation mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist: Verzichtet man auf die Angabe von Prozentzahlen, so können vielerlei Missverständnisse zwischen den beteiligten Personen entstehen. Welche Schwellenwerte im jeweiligen Projekt gelten sollen, muss jeweils unternehmens- und projektspezifisch festgelegt werden. Grundsätzlich ist zu sagen, dass diese Schätzungen bis zu einem bestimmten Grad der Subjektivität des schätzenden Individuums bzw. der befragten Gruppe unterliegen. Vor diesem Hintergrund wird besonders deutlich, wie wichtig die Erfahrung, die fachliche und methodische Kompetenz sowie die Motivation der befragten Mitarbeiter für die Qualität der Zahlenwerte sind. Bei sehr wichtigen Einschätzungen bietet es sich an, verschiedene Experten unabhängig voneinander zu befragen, um ein möglichst breites Bild der potenziellen Entwicklungen zu bekommen (vgl. die Delphi-Methode S. 148). Mit Hilfe der verschiedenen statistischen Methoden, die wir in diesem Abschnitt noch ansprechen werden, wird versucht, auf der Grundlage von vergangenheitsbezogenen Daten oder mit Simulationen von möglichen künftigen Entwicklungen mehr Transparenz und Objektivität in die Risiko- und Chancenquantifizierung zu bringen. Kommen wir nun zu einem Beispiel für die Einschätzung des Schadensausmaßes bei Risiken: Katastrophaler Schaden für das Gesamtprojekt 4 Punkte Großer Schaden für das Gesamtprojekt 3 Punkte Mittlerer Schaden 2 Punkte Kleinerer Schaden 1 Punkt Zu vernachlässigender Schaden 0 Punkte Bei einer solchen Zuordnung gibt es relativ viel Raum für unterschiedliche Interpretationen durch die beteiligten Personen. In Abhängigkeit von der Projektart und dem erwarteten Projektwertbeitrag sollten hier genaue Kriterien festgelegt werden, ab wann ein Schaden z.B. „katastrophale“ Ausmaße annimmt. <?page no="392"?> Chancen- und Risikoanalyse · 367 Die hier geschilderte Vorgehensweise entspricht weitestgehend der Methodik der FMEA (S. 354ff.). In Abb. 2-124 sind in der Legende weitere Beispiele für die Überführung verbaler Einschätzungen in Punktwerte zu finden. Bei der FMEA wird zusätzlich noch die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung des Fehlers in die Betrachtung einbezogen. Grundsätzlich kann auch aus den beiden Punktwerten für die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Schadensausmaß ein Produkt gebildet werden, das als Indikator für die Bedeutung des jeweiligen Risikos genutzt werden kann. In der Praxis werden diese Werte oftmals in einer Risikoliste mit den „Ampelfarben“ rot, gelb und grün hinterlegt, um die wichtigsten Risiken herauszuheben und eine Konzentration auf diese Risiken zu ermöglichen. (b) Schätzung mittels Kennwerten Die semiquantitative Analyse (vgl. S. 365f.) wird meist in den frühen Projektphasen angewendet, wenn nur wenig differenzierte Informationen über die Risiken und Chancen zur Verfügung stehen. Im weiteren Projektverlauf ist es i.d.R. möglich, die Eintrittswahrscheinlichkeiten und das Ausmaß des Risikos bzw. der Chance genauer zu quantifizieren: Die Eintrittswahrscheinlichkeiten werden in Prozent geschätzt, das Ausmaß des Risikos bzw. der Chance als Auswirkung auf den Projektwertbeitrag in Form von Geldeinheiten. An die Stelle der singulären Schätzung genau eines Projektwertbeitrages tritt die Schätzung verschiedener möglicher Ausprägungen des Projektergebnisses unter gleichzeitiger Abschätzung einer zugehörigen Wahrscheinlichkeit für die jeweilige Ausprägung des Projektwertbeitrages. Damit können die Projektrisiken nun mittels verschiedener Kennwerte abgeschätzt werden. Die wichtigsten Kennwerte sind der Erwartungswert und die Varianz. Erwartungswert Nehmen wir an, ein Experte hält die folgenden Projektwertbeiträge für realistisch (vgl. das Beispiel zum Erwartungswertprinzip von Manz/ Dahmen/ Hoffmann [Entscheidungstheorie] 29ff.): Mit einer Wahrscheinlichkeit von 25% wird sich das Projekt so gut entwickeln, dass ein Projektwertbeitrag von 3.000.000 Euro resultieren wird. Zu 25% wird das Projekt mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen haben und somit einen Projektwertbeitrag in Höhe von 1.800.000 Euro erwirtschaften. Allerdings befürchtet er, dass sich die Rahmenbedingungen im Projektverlauf so ungünstig verändern könnten, dass das Projekt zu 50% keinen Projektwertbeitrag abwerfen wird (PWB = 0). Aus diesen Schätzungen kann man nun den Erwartungswert berechnen: <?page no="393"?> 368 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten 1.200.000 0 0,5 1.800.000 0,25 3.000.000 0,25 EW Man gewichtet also die verschiedenen möglichen Ausprägungen des Projektwertbeitrages mit ihrer jeweils abgeschätzten Eintrittswahrscheinlichkeit und bildet dann die Summe. Daraus resultiert der Erwartungswert des Projektwertbeitrages. Dieser Erwartungswert kann dem ursprünglich geplanten Projektwertbeitrag gegenübergestellt werden, um ein differenziertes Bild von der Risiko- und Chancenlage des Projektes zu bekommen. Varianz Der Erwartungswert allein sagt nichts darüber aus, wie stark die möglichen Ausprägungen der betrachteten Größe, im Beispielsfall also des Projektwertbeitrages, durchschnittlich vom Erwartungswert abweichen. Für die Messung dieser Streuung der Werte werden gewöhnlich die Varianz bzw. die Standardabweichung herangezogen. Die Varianz ist ein Maß dafür, wie die einzelnen Ausprägungen um den Erwartungswert verteilt sind, d.h. wie stark die möglichen Projektwertbeiträge um den Erwartungswert streuen. Die Varianz 2 berechnet sich als die durchschnittliche quadratische Abweichung vom Mittelwert, in diesem Fall dem Erwartungswert. Die Standardabweichung ergibt sich, wenn aus der Varianz die Wurzel gezogen wird. j p 2 m 1 j i ij e i mit i Standardabweichung der Alternative i e ij Ergebnis Alternative i bei Umweltzustand j i Erwartungswert der Alternative i p j Wahrscheinlichkeit Umweltzustand j Im obigen Beispiel zum Erwartungswert würde die Standardabweichung somit folgendermaßen berechnet: 2 , 792 . 272 . 1 62 , 1 62 , 1 5 , 0 000 . 200 . 1 0 25 , 0 000 . 200 . 1 000 . 800 . 1 25 , 0 000 . 200 . 1 000 . 000 . 3 12 12 2 2 2 2 <?page no="394"?> Chancen- und Risikoanalyse · 369 Grundsätzlich gilt: Je höher bei einem berechneten Erwartungswert für den Projektwertbeitrag die zugehörige Streuung der Ergebniswerte ist, desto höher ist das Risiko für die Realisierung dieses Erwartungswertes des Projektwertbeitrages einzustufen. Umgekehrt wachsen jedoch auch die Chancen, möglicherweise einen bedeutend höheren Projektwertbeitrag zu erzielen, als mit dem Erwartungswert berechnet. Je geringer die Streuung um den Erwartungswert ausfällt, desto wahrscheinlicher ist die Realisation eines Projektwertbeitrages, der nahe am Erwartungswert liegt. Allerdings wird die Schätzung auf Gesamtprojektebene in den wenigsten Fällen so vereinfacht ablaufen, wie es in unserem Beispiel der Fall ist, denn im Projektwertbeitrag schlagen sich viele Einzelrisiken und -chancen nieder, die differenziert bezogen auf die verschiedenen Einflussgrößen des Projektwertbeitrages betrachtet werden sollten. Zur Schätzung der möglichen Ausprägungen der verschiedenen Einflussgrößen wird möglichst auf Erfahrungswerte aus der Vergangenheit zurückgegriffen (z.B. bei Preisschwankungen, Witterungsverhältnissen, Schadensfällen oder Streiks). Bei manchen Risiken oder Chancen ist dies jedoch nicht möglich oder erscheint dies nicht sinnvoll. In diesem Fall werden subjektive Expertenschätzungen über das mutmaßliche Eintreten von Ereignissen in der Zukunft zugrunde gelegt. Auf der Grundlage verschiedener Einzelschätzungen können so Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die verschiedenen Einflussgrößen des Projektwertbeitrages abgeleitet werden. Diese Wahrscheinlichkeitsverteilungen können dann wiederum in die Schätzung der Wahrscheinlichkeiten der Ergebnisgröße, also in unserem Fall des Projektwertbeitrags eingehen. Eine solche Vorgehensweise wird im Zuge der simulativen Risikoanalyse vorgestellt. (c) Simulative Risikoanalyse Ziel der simulativen Risikoanalyse ist eine möglichst transparente und objektive Einschätzung von Risiken. Mit der Monte-Carlo-Simulation bedient man sich einer Methode, mit der mögliche Ausprägungen einer Ergebnisgröße wie bspw. des Projektwertbeitrages mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung beschrieben werden. Diese Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ergebnisgröße wird aus den kombinierten Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Einflussgrößen sowie aus einem Zufallszahlengenerator gewonnen, der für ausreichend viele Realisierungen der Ergebnisgröße sorgt. Im Folgenden wird die simulative Risikoanalyse mit dem Fokus auf die praktische Anwendung im Projekt eher knapp skizziert. Eine ausführliche <?page no="395"?> 370 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten Darstellung der simulativen Risikoanalyse findet sich bei Hertz/ Thomas ([Risk Analysis]) oder anhand eines praktischen Beispiels bei Kaninke ([Analyse] 115 ff.). Die simulative Risikoanalyse umfasst die folgenden Schritte: 1.) Festlegung der zu untersuchenden Ergebnisgröße, z.B. des Projektwertbeitrags und seiner wichtigsten Einflussgrößen Zunächst wird die Ergebnisgröße festgelegt, für die die Wahrscheinlichkeitsverteilung geschätzt werden soll. Die Abhängigkeiten dieser Ergebnisgröße von ihren wesentlichen Einflussfaktoren müssen eindeutig definiert und idealerweise mit Hilfe einer Formel abgebildet werden. Als Ergebnisgröße bietet sich im Falle der Risikoabschätzung im Projektmanagement eine Projektergebnisgröße wie bspw. der Projektwertbeitrag an. T 0 t t t WACC 1 ProjektFCF (PWB) tbeitrag Projektwer Aus der Formel ergibt sich, dass die wichtigsten Einflussgrößen des Projektwertbeitrages der durchschnittlich gewichtete Kalkulationszinsfuß sowie die Einflussfaktoren des Free Cash-flows sind. 2.) Schätzung von Referenzwerten für die Einflussfaktoren und ihrer Eintrittswahrscheinlichkeiten Für die Einflussfaktoren sind nun Referenzwerte und Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu schätzen. Allerdings ist dies nur dann notwendig, wenn die Ausprägungen der Einflussfaktoren unsicher sind. Im Falle des Kalkulationszinsfusses ist dies nicht der Fall. Wie aufgezeigt wird (S. 539f.), kann dieser entweder konkret berechnet oder mindestens angenähert werden. Die zweite Haupteinflussgröße auf den Projektwertbeitrag ist der Free Cash-flow des Projektes in den verschiedenen Perioden. Die zukünftigen Ausprägungen des Free Cash-flow sind tatsächlich unsicher. Er wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, die ihrerseits nicht mit Sicherheit prognostiziert werden können. Für diese Einflussfaktoren können nun Referenzwerte geschätzt werden. Folgende Fragen sind dabei z.B. zu klären: Zwischen welchen Höchst- und Niederstgrenzen wird sich der Projektumsatz bewegen? <?page no="396"?> Chancen- und Risikoanalyse · 371 In welchem Bereich werden die projektbezogenen Auszahlungen mindestens und höchstens liegen? Welche Kapitalbindung wird mindestens notwendig sein? Wie viel Kapital wird höchstens gebunden sein? Wenn diese Referenzwerte abgeschätzt sind, sollte noch festgelegt werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich beliebige Ausprägungen der jeweiligen Einflussgröße zwischen den Referenzwerten realisieren werden. Denkbar sind beispielsweise eine Verteilung der Ausprägungen der Einflussfaktoren nach Maßgabe einer Normalverteilung nach Gauß oder im Falle der Abschätzung von Höchst- und Mindestwerten nach Maßgabe einer Dreiecksverteilung (vgl. Abb. 2-129). Projektbezogene Auszahlungen Projektbezogene Auszahlungen 140 160 140 160 Projektbezogene Auszahlungen Projektbezogene Auszahlungen 140 160 140 160 140 160 Abb. 2-129: Beispiele für eine Dreiecksverteilung bzw. für eine Normalverteilung der projektbezogenen Auszahlungen Mit welchen Wahrscheinlichkeitsverteilungen das Auftreten der möglichen Ausprägungen einer Einflussgröße am besten beschrieben wird, kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. Am nächsten kommt man der Realität wohl dann, wenn möglichst viele Erfahrungswerte aus der Vergangenheit zur Beantwortung dieser Fragestellung herangezogen werden können. Zudem ist noch zu berücksichtigen, dass die verschiedenen Einflussgrößen möglicherweise voneinander abhängig sind und somit auch stochastische Abhängigkeiten gegeben sind. 3.) Durchführung der Monte-Carlo-Simulation Mittels einer Monte-Carlo-Simulation kann die Wahrscheinlichkeitsfunktion der Ergebnisgröße ermittelt werden. Hierzu werden mit Hilfe eines mathematischen Algorithmus Tausende Simulationsläufe durchgeführt. In diesen Simulationsläufen werden mittels Zufallsgenerator jeweils neue Ausprägungen für die Einflussgrößen des Projektwertbeitrages generiert und über die Projektwertbeitragsformel miteinander <?page no="397"?> 372 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten zu jeweils einer Ausprägung des Projektwertbeitrages verrechnet. Aus der Vielzahl der Simulationsdurchläufe lässt sich eine Wahrscheinlichkeitsverteilung für den Projektwertbeitrag ableiten. 4.) Ermittlung und Auswertung der Ergebnisverteilung Die in den Simulationsläufen ermittelten Ergebnisse werden gespeichert und in einer Tabelle aufgelistet. Eingeteilt in Ergebnisintervalle lassen sich jeweils die absoluten, die relativen und schließlich die kumulierten relativen Häufigkeiten berechnen. Auf diese Weise entsteht die Verteilungsfunktion F(y) des Projektwertbeitrages (vgl. Abb. 2-130). 100% 0 Projektwertbeitrag Kumulierte Wahrscheinlichkeit 50% Wahrscheinlichkeit 100% 0 Projektwertbeitrag Kumulierte Wahrscheinlichkeit 50% Wahrscheinlichkeit Abb. 2-130: Verteilungsfunktion des Projektwertbeitrages Sie zeigt für jeden Wert y* die Wahrscheinlichkeit, dass der Projektwertbeitrag y höchstens diesen Wert y* annimmt, d.h. einen Wert, der kleiner oder gleich y* ist. Die Verteilungsfunktion bezeichnet man daher als Risikoprofil. Bei Ergebnisgrößen, die maximiert werden sollen, wie z.B. dem Projektwertbeitrag, ist jedoch eher eine andere Perspektive interessant: Hier taucht eher die Frage auf, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Wert überschritten wird. Zur Beantwortung dieser Frage wird aus der Verteilungsfunktion die Komplementärfunktion 1 - F(y) abgeleitet. Sie zeigt für jeden Wert y* die Wahrscheinlichkeit, dass die Ergebnisgröße y ihn übertrifft und kann somit als Chancenprofil bezeichnet werden. <?page no="398"?> Chancen- und Risikoanalyse · 373 Zur Visualisierung des Ergebnisses können die relativen Summenhäufigkeiten als Risiko- und als Chancenprofil abgebildet werden. Beide Kurven liegen spiegelbildlich zum Erwartungswert (vgl. Abb. 2-131). 0 1 F(y) 1-F(y) y Abb. 2-131: Chancen- und Risikoprofil auf der Grundlage der simulativen Risikoanalyse Je flacher diese Kurven verlaufen, desto stärker schwanken die Projektergebnisse; je steiler sie sind, desto enger scharen sich die Ergebnisse um den Erwartungswert. Den Erwartungswert erkennt man als den Wert mit der relativen Summenhäufigkeit von 0,5. Hier wird deutlich, dass die simulative Risikoanalyse als statistische Methode sowohl negative als auch positive Abweichungen vom geplanten Ergebnis berücksichtigen kann, also sowohl Risiken als auch Chancen. Mit Hilfe dieser Methode können die Risiken und Chancen quantitativ erfasst werden. Wenn die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ergebnisgröße, in unserem Fall des Projektwertbeitrages, bekannt ist, können dann natürlich auch weitere Kennwerte zur Charakterisierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung wie der Erwartungswert, die Standardabweichung und die Wahrscheinlichkeiten kritischer Werte des Projektwertbeitrages berechnet werden. Diese Kennwerte werden anschließend in der Chancen- und Risikobewertung je nach Risikopräferenz der Entscheider unterschiedlich genutzt (vgl. die Ausführungen zur Risikobewertung S. 376f.). Die simulative Risikoanalyse gilt als das geeignetste Verfahren zur Berücksichtigung unsicherer Erwartungen bei der Projektbewertung. Allerdings ist die Qualität der Ergebnisse stark vom zugrunde gelegten Untersuchungsmodell abhängig: Der Untersuchungsgegenstand muss möglichst genau mittels einer Formel beschrieben werden können, wie wir dies hier exemplarisch anhand des Projektwertbeitrages aufgezeigt haben. <?page no="399"?> 374 · Begleitende Prozesse des Managements von Projekten Zudem müssen die Einflussgrößen des Untersuchungsgegenstandes möglichst eindeutig und überschneidungsfrei identifizierbar sein. Im Falle des Projektwertbeitrages können die Einflussgrößen des Free Cash-flow und des gewichteten Kapitalkostensatzes eindeutig identifiziert werden. Ob diese Einflussgrößen allerdings vollkommen überschneidungsfrei definiert werden können, ist eher fraglich. Die Sensibilität gegenüber möglichen Chancen und Risiken sowie ihren potenziellen Auswirkungen im Projekt sollte auf jeden Fall erhöht werden. Zudem zwingen alle Verfahren der Risikoidentifikation und Risikoanalyse dazu, die Planungsprämissen im Projekt transparent und nachvollziehbar offenzulegen und nochmals kritisch zu hinterfragen. Zwischenfazit: Die Risikoanalyse beinhaltet eine qualitative und eine quantitative Untersuchung der Chancen und Risiken. Für die quantitative Untersuchung können verschiedene Methoden herangezogen werden, die sich für die konkrete Situation unterschiedlich gut eignen. Oftmals wird v.a. an relativ komplexen statistischen Modellen kritisiert, dass sie dem Anwender eine Art „Scheingenauigkeit“ vermitteln und somit die Gefahr besteht, dass er seine kritische Distanz zum Modell und den Ergebnissen verliert. Ein Modell oder eine Methode können lediglich eine Entscheidungshilfe sein, sie beinhalten jedoch keine automatische Bewertung der Ergebnisse der quantitativen Analyse. Um dies zu verdeutlichen, haben wir eine eigene Phase der „Chancen- und Risikobewertung“ vorgesehen, auf die wir im nächsten Abschnitt eingehen wollen. Das formale Arbeitsergebnis der Chancen- und Risikoanalyse kann eine erweiterte Risikoliste sein, in die auch die Ergebnisse der quantitativen Analyse eingehen (vgl. Abb. 2-132). Auch die Chancenliste kann entsprechend erweitert werden, allerdings wird hier das mögliche Schadensausmaß durch das Ausmaß der positiven Wirkung auf den Projekt-Cash-flow ersetzt. Am Ende der Phase der Chancen- und Risikoanalyse sind also die Ausmaße der Chancen und Risiken geschätzt, d.h. sie sind quantifiziert. Der nächste Schritt besteht nun in der Bewertung dieser Analyseergebnisse. <?page no="400"?> Chancen- und Risikoanalyse · 375 Vernetzung mit anderen Risiken Eintrittswahrscheinlichkeit in % Erwartungswert Ergebnisse weiterführender Meßverfahren Mögliches Ausmaß des Schadens Klassifizierung Betroffene Stakeholder Mögliche Folgen Ursachen Beschreibung Kurzbezeichnung Nummerierung Vernetzung mit anderen Risiken Eintrittswahrscheinlichkeit in % Erwartungswert Ergebnisse weiterführender Meßverfahren Mögliches Ausmaß des Schadens Klassifizierung Betroffene Stakeholder Mögliche Folgen Ursachen Beschreibung Kurzbezeichnung Nummerierung Abb. 2-132: Risikoliste im Zuge der quantitativen Analyse <?page no="401"?> 376 · Risiko- und Chancenmanagement 10.2.3.3 Chancen- und Risikobewertung Die Bewertung der Ergebnisse der Chancen- und Risikoanalyse hängt von der Einstellung des jeweiligen Entscheiders zum Risiko ab. Je nach Risikopräferenz des Entscheiders wird er die Analyseergebnisse interpretieren, die Chancen und Risiken priorisieren und seine Entscheidung über die weiteren Strategien treffen, mit denen er den Chancen und Risiken begegnen möchte. Diese Entscheidungen werden je nach Bedeutung des Risikos oder der Chance für das Projekt gewöhnlich von unterschiedlichen Stellen getroffen: Kleinere und mittlere Risiken werden i.d.R. durch das Projektteam und den Projektleiter eigenverantwortlich weiterverfolgt. Bei größeren und existenziellen Risiken erarbeitet das Projektteam Vorschläge zum Risikomanagement, die Entscheidungen werden jedoch normalerweise vom internen Auftraggeber getroffen. Da Chancen bisher meist weniger im Fokus der Aktivitäten stehen, gibt es hier in der Praxis noch keine grundlegende Vorgehensweise, die beschrieben werden könnte. Es erscheint hier sinnvoll, dass das Projektteam sich um eher operative Chancen im Projekt kümmern sollte, während die Entscheidung über die weitere Handhabung von Chancen mit weitreichender Bedeutung tendenziell an den internen Auftraggeber und das Steering Committee weitergegeben wird. Wie wirkt sich nun die Risikopräferenz des Entscheiders auf die jeweilige Entscheidung aus? Grundsätzlich kann ein Entscheider risikofreudig, risikoneutral oder risikoavers eingestellt sein. Bereits die Wahl eines bestimmten Quantifizierungsverfahrens kann Ausdruck der Risikopräferenz sein: Ein risikoneutraler Entscheider legt für seine Entscheidungen vorrangig den Erwartungswert zugrunde. Ein risikofreudiger Entscheidungsträger würde davon ausgehen, dass sicherlich doch ein höheres Ergebnis erzielbar wäre, auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür niedriger ist. Ein risikoaverser Entscheider würde dagegen tendenziell ein niedrigeres Ergebnis erwarten. Für beide Entscheider würde somit die Berechnung der Standardabweichung eine wichtige Rolle spielen. <?page no="402"?> Chancen- und Risikogestaltung · 377 Die jeweilige Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers spiegelt sich dann in der subjektiven Bewertung der Analyseergebnisse wider: Dieselbe Standardabweichung kann von einem risikofreudigen Entscheider als positiv, von einem risikoaversen als negativ gewertet werden. Das Mehr-Punkt-Verfahren eröffnet einen Blick auf die mögliche Spannbreite eines Ergebnisses. Inwieweit diese Spannbreite als „akzeptabel“ oder „zu risikoreich“ eingeordnet wird, hängt von der Risikoeinstellung ab. Da die Analyse und die Bewertung organisatorisch z.T. getrennt ablaufen, hat es sich in der Praxis bewährt, dass die Ersteller der Analyse entsprechende Entscheidungsvorlagen erstellen und dabei einen Vorschlag zur Bewertung erarbeiten. Trifft dieser Vorschlag nicht die subjektive Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers, so wird er gewöhnlich nachfragen und um eine vertiefte Analyse der jeweiligen Sachverhalte bitten, in der eventuell noch weitere statistische Verfahren zum Einsatz kommen. Zum Teil zeigt sich auch schon zu Projektbeginn, dass die Durchführung eines Projektes nur unter der Prämisse entsprechender Maßnahmen zur Risikogestaltung wirtschaftlich attraktiv sein wird, d.h. der Entscheidungsträger fordert auch hier eine weitere Analyse unter Berücksichtigung der Maßnahmen an. Um mit den Risiken und Chancen im Projektverlauf erfolgreich umzugehen, sind Strategien zur Gestaltung notwendig, die dann bis auf konkrete Maßnahmen heruntergebrochen werden. 10.2.3.4 Chancen- und Risikogestaltung Nachdem die wichtigsten Chancen und Risiken identifiziert, sowohl qualitativ als auch quantitativ analysiert und bewertet wurden, stellt sich die Frage, welche Strategien bezüglich dieser Chancen und Risiken verfolgt werden sollen. Risikostrategien können an den Ursachen eines Risikos sowie an seinen Auswirkungen ansetzen. Die Maßnahmen können präventiv oder korrektiv ausgerichtet sein, d.h. man kann versuchen, die Risiken entsprechend zu beeinflussen oder für den Fall ihres Eintritts vorzusorgen. 10.2.3.4.1 Arten von Risikostrategien Wir unterscheiden die folgenden Risikostrategien: Risikovermeidung Risikoverringerung Risikoüberwälzung Risikoübernahme <?page no="403"?> 378 · Risiko- und Chancenmanagement Die verschiedenen Strategien können gut miteinander kombiniert werden, um die Gesamtrisikoposition eines Projektes zu optimieren (vgl. Abb. 2-133). Gesamtrisiko Vermeiden Verringern - Personell - Technisch - Organisatorisch Überwälzen - Versicherung - Lieferanten - … Übernehmen Nicht identifiziertes Risiko Restrisiko Abb. 2-133: Gesamtkonzept zur Risikooptimierung (In Anlehnung an: Campenhausen [Risikomanagement] 97) Beschäftigen wir uns mit den einzelnen Risikostrategien: (1) Risikovermeidung Bei der Risikovermeidungsstrategie wird ein Risiko erst gar nicht eingegangen. Dieser Verzicht hat allerdings i.d.R. einen Preis, da oftmals eine positive Korrelation zwischen Gewinnchancen und Verlustgefahren besteht (Risiko-/ Chance- Paar). Das Management sollte festlegen, welche Risiken auf gar keinen Fall eingegangen werden, z.B. durch den Ausschluss von Aktivitäten in besonders risikoreichen Ländern oder das Vermeiden bestimmter Arbeitspakete, die als besonders riskant eingestuft werden. Hier könnte man beispielsweise eine noch unerprobte und daher zu riskante Technologie ausklammern. (2) Risikoverringerung Die Risikoverringerungsstrategie beinhaltet alle Aktivitäten zur direkten Beeinflussung des Risikos, sei es über die Senkung der Eintrittswahrscheinlichkeit oder durch die Reduzierung des potenziellen Schadensausmaßes. Die identifizierten, analysierten und bewerteten Risiken werden daraufhin untersucht, inwieweit und durch welche Maßnahmen sie beeinflusst werden können. Risiken können vermindert werden durch <?page no="404"?> Chancen- und Risikogestaltung · 379 personelle Maßnahmen, wie z.B. Mitarbeiterschulungen, technische Maßnahmen, wie beispielsweise die Einrichtung einer speziellen Löschanlage, und organisatorische Maßnahmen, wie die Einführung eines systematischen Qualitätsmanagements (vgl. Romeike [Risikosteuerung] 237). Das Qualitätsmanagement in Projekten fokussiert insbesondere auf die Minimierung von technischen Risiken durch eine entsprechende Prozessgestaltung und Prozessbeherrschung. Besonders sollte auf einen möglichen „Dominoeffekt“ geachtet werden, der sich durch den Eintritt eines Risikos ergeben kann. Merbecks/ Stegemann/ Frommeyer führen als Beispiel eine missglückte Integration der IT-Systeme einer japanischen Großbank an, die den Ausfall von tausenden Geldautomaten und große zeitliche Verzögerungen bei den Überweisungen und Kreditkartenabrechnungen nach sich zog. Daraus ergaben sich Störungen der Geschäftsabläufe in ganz Japan: Große Unternehmen bekamen keine Gutschriften, konnten keine Gehälter auszahlen oder mussten jede Rechnungszahlung ihrer Kunden einzeln nachverfolgen. Solche Wirkungsketten mit existenzkritischen Folgen müssen antizipiert und an definierten kritischen Punkten unterbrochen werden können ( Merbecks/ Stegemann/ Frommeyer [Risikomanagement] 166). Eine angestrebte Reduzierung von Risiken führt i.d.R. zu einer detaillierteren Ausarbeitung der Projektplanung an kritischen Stellen, z.B. durch eine genauere Prüfung von risikobehafteten Ressourcen, eine höhere Präzisierung von wichtigen Schnittstellen zwischen Arbeitspaketen oder durch die Einführung von regelmäßigen und stringenten Steuerungs- und Kontrollaktivitäten. (3) Risikoüberwälzung Bei einer Risikoüberwälzung wird das Risiko auf Dritte übertragen, beispielsweise auf Versicherungen, Lieferanten, Abnehmer, den Staat oder Banken. Diese Übertragung findet i.d.R. nicht unentgeltlich statt, sondern gegen einen Preis (Risikoprämie). Die grundsätzliche Bereitschaft, Risiken zu übernehmen, sowie die Höhe der Risikoprämie hängen meist davon ab, welche Marktmacht und welches Verhandlungsgeschick die beteiligten Partner aufweisen. Die Risikoüberwälzung erfolgt i.d.R. mit Hilfe von Verträgen, z.B. Versicherungen, oder auch entsprechenden Geschäftsbedingungen und Sondervereinbarungen, wie Factoring oder Leasing (vgl. Ehrmann [Risikomanagement] 88ff.). Bei der Risikoübernahme durch den Staat ist insbesondere die Hermes- Bürgschaft anzuführen: Sie ermöglicht seit 1949 eine Absicherung von Exporten deutscher Unternehmen. <?page no="405"?> 380 · Risiko- und Chancenmanagement Bestimmte Risiken lassen sich auch auf Märkte abwälzen, z.B. in Form eines Termingeschäftes: Man vereinbart zu einem bestimmten Zeitpunkt die Menge und die Preise von Waren, die zu einem späteren fixierten Termin geliefert und bezahlt werden. Zudem gibt es Optionen, die lediglich das Recht auf Lieferung oder Zahlung beinhalten, aber keine Verpflichtung. (4) Risikoübernahme Unternehmerisches Handeln ist untrennbar mit der Übernahme von Risiken verbunden, denn die Kehrseite des Risikos ist die Chance. Manche Risiken gehören ursächlich zum Geschäft des Unternehmens und sollten vom Unternehmen selbst getragen werden. In der Regel macht dies auch aus volkswirtschaftlicher Sicht Sinn, denn Risiken sollten stets von demjenigen getragen werden, der sie am besten einschätzen und am erfolgreichsten mit ihnen umgehen kann. Auf diese Weise stellen sich alle Beteiligten am besten. Welche Möglichkeiten gibt es nun für ein Unternehmen, um mit übernommenen Risiken umzugehen? Im Folgenden werden einige methodische und inhaltliche Ansatzpunkte zur Gestaltung der Risikoübernahme skizziert: Chancen- und Risikoportfolio Risikostreuung Realoptionsansatz Ex ante- und Ex post-Bereitschaft Kalkulatorische Risikoaufschläge (a) Das Chancen- und Risikoportfolio Diese Methode erlaubt eine gleichzeitige Visualisierung des Ausmaßes von Chancen und Risiken in einem Projekt und stellt zugleich die Grundlage für den Umgang mit übernommenen Chancen und Risiken dar Das hier aufgezeigte Beispiel knüpft an die mit Hilfe der semiquantitativen Analyse gewonnenen Punktwerte für die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Ausmaß im Sinne einer positiven oder negativen Wirkung auf den Cash-flow des Projektes an (S. 365ff.). Diese Punktwerte können in ein Portfolio eingetragen werden, wie es in Abb. 2- 134 dargestellt ist. Allerdings sollten die Werte für das Ausmaß von Chancen und Risiken mit unterschiedlichen Vorzeichen versehen werden: Hohe Werte bei Risiken zeigen einen hohen negativen Einfluss auf den Cash-flow an und bekommen daher ein negatives Vorzeichen. <?page no="406"?> Chancen- und Risikogestaltung · 381 Ein solches Portfolio kann natürlich auch in detaillierterer Form genutzt werden, indem die Wahrscheinlichkeiten in % und das Ausmaß in Geldeinheiten bestimmt und eingetragen werden. Neben der Visualisierung der Chancen und Risiken im Portfolio können den Feldern der Matrix sog. „Normstrategien“ zugeordnet werden. Diese Normstrategien können wichtige Anhaltspunkte für den Umgang mit den identifizierten und übernommenen Projektrisiken und Projektchancen bieten. Im Einzelnen können folgende Normstrategien unterschieden werden: Normstrategien für Chancen: Quadrant A: Diese Chancen hätten eine hohe positive Wirkung auf den Cashflow, ihr Eintreten ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich. Hier könnte man versuchen, die Eintrittswahrscheinlichkeit durch entsprechende Maßnahmen zu erhöhen. Quadrant B: Diese Chancen verdienen höchste Beachtung, denn sie weisen sowohl ein beträchtliches Erfolgspotenzial auf als auch eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit. Hier sind kreative Ideen zur Verwirklichung der Chancen notwendig. D C E F G H A B 0 2 4 4 -4 2 -2 Positiver CF-Einfluss Negativer CF-Einfluss Chancenportfolio Eintrittswahrscheinlichkeit Risikoportfolio D C E F G H A B 0 2 4 4 -4 2 -2 Positiver CF-Einfluss Negativer CF-Einfluss Chancenportfolio Eintrittswahrscheinlichkeit Risikoportfolio Abb. 2-134: Chancen- und Risikoportfolio <?page no="407"?> 382 · Risiko- und Chancenmanagement Quadrant C: Diese Chancen sind weder wahrscheinlich noch von besonders großem Ausmaß und können daher im ersten Schritt eher vernachlässigt werden. Eventuell verändert sich ihre Bedeutung im weiteren Projektverlauf. Quadrant D: Nachdem diese Chancen relativ wahrscheinlich sind, kann man untersuchen, wie aufwändig ihre weitere konsequente Verfolgung wäre und ob sie sich unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten lohnen würde. Normstrategien für Risiken: Quadrant E: Diese Risiken sind aufgrund ihrer niedrigen Bedeutung zu vernachlässigen. Die Einschätzung sollte jedoch im weiteren Projektverlauf überprüft werden. Quadrant F: Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Risiko sich realisiert, ist relativ hoch. Daher sollte man hier Vorsorge treffen, wenn das Kosten-Nutzen- Verhältnis dies nahe legt. Quadrant G: Diese Risiken sind sehr gefährlich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Hier sind konsequente Maßnahmen zur Risikogestaltung notwendig, d.h. man wird versuchen, die Wahrscheinlichkeit noch weiter abzusenken und/ oder man arbeitet daran, das Schadensausmaß zu begrenzen (z.B. durch eine Versicherung). Quadrant H: Diese Risiken sind sowohl gefährlich als auch sehr wahrscheinlich. Sie könnten eventuell K.O.-Kriterien für das Projekt darstellen. Für diese Risiken müssen sofort Gegenmaßnahmen gefunden und umgesetzt werden. Insgesamt ergibt das Chancen- und Risikoportfolio einen klaren Überblick über die Chancen- und Risikolage im Projekt. Man sieht, in welchen Quadranten sich Risiken und Chancen häufen und ob Chancen oder Risiken in der Einschätzung der Experten überwiegen. Zudem stellt dieses Verfahren eine sinnvolle Methode zur aggregierten Betrachtung von Risiken und Chancen dar: Man kann sich auf dieser Grundlage verdeutlichen, welche Risiken miteinander korreliert sind und welche sich eher kompensieren. Dieser Schritt ist wichtig, um das vollständige Ausmaß eines Risikos oder einer Chance zu erfassen, denn die wenigsten Risiken weisen keine Abhängigkeiten zu anderen Risiken auf. Auch Chancen können korreliert sein. (b) Risikostreuung Risikostreuung, auch Risikodiversifikation genannt, hat das Ziel, die Konsequenzen eines einzelnen Risikos zu verringern, da es durch günstige Entwicklungen auf anderen Feldern kompensiert werden kann. Man kann Risiken in- <?page no="408"?> Chancen- und Risikogestaltung · 383 nerhalb eines Projektes streuen, aber auch projektübergreifend durch ein risikoorientiertes Projektportfoliomanagement. Beispielsweise kann man eine Kompensation von Risiken zwischen mehreren Projekten planen, z.B. durch einen Ausgleich von Fremdwährungsverbindlichkeiten mit Hilfe entsprechender Forderungen aus einem anderen Projekt (vgl. Patzak/ Rattay [Projektmanagement] 49ff.). Auch das Outsourcing wird oftmals unter dem Gesichtspunkt der Risikodiversifikation eingesetzt, indem Lieferanten bestimmte Leistungen übernehmen. (c) Realoptionsansatz Zum systematischen Umgang mit Chancen und Risiken gehört zudem der Realoptionsansatz, den wir in Teil 3 als Ergänzung zum Shareholder Value- Konzept darstellen werden (vgl. S. 518f.): Bei manchen Fragestellungen besteht die Möglichkeit, die endgültige Investitionsentscheidung in die Zukunft zu verschieben oder in mehrere aufeinander folgende Investitionen aufzuteilen. Im weiteren Verlauf verbessert sich i.d.R. die Informationslage, der Entscheider gewinnt ein neues, aktuelles Bild bezüglich der Chancen und Risiken des Projektes und kann flexibel auf die neuen Gegebenheiten reagieren. Die Zerlegung eines Großprojektes in mehrere aufeinander folgende Teilprojekte mit der Möglichkeit, nach jedem Teilprojekt über den Abbruch oder die Weiterführung des Projektes zu entscheiden, bietet einen unternehmerischen Handlungsspielraum, der bereits einen eigenen, quantifizierbaren Wert darstellt. Es ist daher zu empfehlen, die jeweilige Situation daraufhin zu überprüfen, ob sie den Charakter einer Realoption aufweist. Falls dem so ist, stellt der Umgang mit dieser Realoption einen wichtigen Teil eines proaktiven Chancenmanagements dar. (d) Ex ante- und Ex post-Bereitschaft Nicht jedes Risiko wird bewusst übernommen, sondern eine Risikoübernahme ergibt sich auch für jene Risiken, die im Zuge des systematischen Risikomanagements nicht erkannt oder unterschätzt wurden. Das Unternehmen sollte daher generell auf den Eintritt von Risiken vorbereitet werden: Es ist zum einen eine Ex ante-Bereitschaft zur möglichst frühzeitigen Erkennung von Risiken notwendig, zum anderen eine Ex post-Bereitschaft zur Bewältigung bereits eingetretener Risiken. Zum Aufbau einer Ex ante- Bereitschaft sind beispielsweise die Einführung von Früherkennungssystemen und die Durchführung von Szenario-Analysen sinnvoll. Zur möglichst erfolgreichen Bewältigung von Risiken wird viel Flexibilität im gesamten Unternehmen benötigt, eine Art „allgemeines Reaktionspotenzial“. <?page no="409"?> 384 · Risiko- und Chancenmanagement Zudem führt der Eintritt von Risiken meist zu „Feuerwehraktionen“, in denen unter extremem Zeitdruck die Situation analysiert und Lösungsvorschläge erarbeitet werden müssen. An die Mitglieder des Projektteams sind unter diesem Gesichtspunkt Anforderungen wie erhöhte Belastbarkeit, Kreativität, Flexibilität und Bereitschaft zu inkrementalem Vorgehen zu stellen. Bei bestimmten Problemen kann hier auch auf weitere Mitarbeiter mit entsprechenden Erfahrungen oder auf externe Berater zurückgegriffen werden (vgl. die Ausführungen zum Diskontinuitätenmanagement in Bea/ Haas [Management] 329ff.). (e) Kalkulatorische Risikoaufschläge Werden Risiken selbst getragen, kann sich dies über die Einstellung von Rückstellungen oder über direkte Einbußen beim geplanten Projekt-Cash-flow manifestieren. Zum Ausgleich der daraus resultierenden Minderungen des Projektergebnisses sollte eine risikogerechte Preisgestaltung erfolgen, d.h. es sollte, sofern am Markt umsetzbar, ein kalkulatorischer Risikoaufschlag berücksichtigt werden. 10.2.3.4.2 Umsetzung der Risiko- und Chancenstrategien Wie werden die Risiko- und Chancenstrategien nun konkret umgesetzt? Es sind klare Aktionspläne notwendig, die auf der Grundlage der Risiko- und der Chancenlisten aufgebaut werden können. Die Risiko- und die Chancenlisten werden um neue Spalten ergänzt: Aktivität Verantwortlich Zu erledigen bis Im Zuge der Umsetzung dieser Aktivitäten wird zu bestimmten Stichtagen der Status erhoben, der ebenfalls in der Liste vorgesehen werden kann. Zum Umgang mit den Chancen und Risiken gehört insbesondere auch die Kommunikation mit den Stakeholdern des Projektes. Als Adressaten für Risikoinformationen können unterschieden werden (vgl. Meier [Risikomanagement] 221): Die Betroffenen Die Beteiligten Die Interessierten Die Verantwortlichen Die „Amtlichen“ Die Verursachenden <?page no="410"?> Chancen- und Risikoüberwachung · 385 Allerdings sind die Gruppen nicht überschneidungsfrei und auch nicht vollkommen unabhängig voneinander. In Bezug auf die Risikokommunikation wird eine Gruppe von Stakeholdern gesetzlich besser gestellt, da sie aufgrund ihrer Investition in das Unternehmen besondere Risiken tragen: Die Anteilseigner. Insbesondere Risiken, die den Bestand des Unternehmens gefährden, müssen klar kommuniziert werden. Insgesamt fördert die Risikokommunikation das Bewusstsein für Risiken bei allen Beteiligten. Gerade die Mitarbeiter sollen zu einem risikobewussten und eigenverantwortlichen Handeln motiviert werden. Dazu ist v.a. eine klare Kommunikation der vom Top Management festgelegten Risikopolitik notwendig, aber auch gleichberechtigte Kommunikationsbeziehungen zwischen allen Mitarbeitern, unabhängig von der bestehenden Hierarchie. Wichtige Gesichtspunkte der Gestaltung der Kommunikation finden sich in Abschnitt 7.3 „Projektinformationsmanagement“. 10.2.3.5 Chancen- und Risikoüberwachung Die Überwachung der Chancen und Risiken beinhaltet unterschiedliche Aufgaben: Überwachung der weiteren Entwicklung von Chancen und Risiken (laufendes Risiko-Monitoring) Steuerung der Maßnahmen zur Chancen- und Risikogestaltung Überwachung des gesamten Chancen- und Risikomanagementprozesses. Hier sind insbesondere folgende Aspekte relevant: - Wird der geplante Prozess eingehalten? - Sind die Verantwortlichkeiten klar geregelt? - Werden die Methoden sinnvoll angewendet? - Sind Risikoberichte über die wesentlichen Risiken an die Leitungs- und Kontrollorgane gewährleistet? - Findet eine nachvollziehbare Dokumentation statt? Durchführung von chancen- und risikoorientierten Lessons Learned zum Projektabschluss (Einbringen der Erfahrungen in die organisationale Wissensbasis). Seit 1998 sind börsennotierte Unternehmen in Deutschland durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) zur Einrichtung eines Risikomanagementsystems verpflichtet. Mit Hilfe dieses Mana- <?page no="411"?> 386 · Risiko- und Chancenmanagement gementsystems sollen Entwicklungen, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden, frühstmöglich erkannt werden. Zum Teil sind die o.g. Aufgaben im KonTraG als Mindeststandards für ein Risikomanagementsystem festgelegt. Wie wir in Teil 1 festgestellt haben, werden immer größere Anteile der Geschäftstätigkeit in Projektform abgewickelt. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das Risikomanagementsystem auf die Überwachung von Projekten, insbesondere solchen Projekten mit existenzieller Bedeutung für das Gesamtunternehmen, zugeschnitten sein sollte. Das Risikomanagement benötigt klare Verantwortlichkeiten und muss daher explizit in der Struktur des Unternehmens verankert werden. 10.2.4 Organisatorische Verankerung des Chancen- und Risikomanagements Die Bedeutung, die einem Thema in einer Organisation zukommt, spiegelt sich häufig in der Einrichtung von Stellen, von Gremien oder von Ausschüssen wider. Damit soll nicht gesagt werden, dass lediglich diese Stellen und Gremien für dieses Thema zuständig sein sollen, sondern dass es klare Vorgehensweisen, Zuständigkeiten und Eskalationswege gibt, die für eine systematische Planung und Umsetzung sorgen. Auch für das Chancen- und Risikomanagement empfiehlt sich die Einrichtung entsprechender Stellen. Zunächst sollte es in jeder Geschäftseinheit einen Risikobeauftragten geben: Er ist ein Spezialist für das Thema „Risikomanagement“ und ist beim Top- Management der Geschäftseinheit angesiedelt. Er übernimmt Koordinationsaufgaben und bildet die Schnittstelle zum operativen Geschäft. Seine Aufgaben bestehen in der Bereitstellung einer einheitlichen und aktuellen Datenbasis über die Risiken, der Entwicklung von einheitlichen Standards zum Risikomanagement, der Unterstützung und der Koordination im konkreten Risikomanagement in Abteilungen oder Projekten, dem Aufbau von Risikomanagement-Know how in der Organisation, der Wahrnehmung der unternehmensweiten Perspektive auf alle bestehenden Risiken. In einem projektorientierten Unternehmen, in dem die gesamte Geschäftstätigkeit in Projektform abgewickelt wird, könnten diese Aufgaben dem Projektmanagementoffice zukommen. Sind Projekte jedoch (noch) nicht der Kern der Ge- <?page no="412"?> Organisatorische Verankerung des Chancen- und Risikomanagements · 387 schäftes, so ist eine Stelle notwendig, die eine übergeordnete Sicht über die Risiken aus dem Projektgeschäft und dem Geschäft in der Primärorganisation einnimmt, um eine realistische Einschätzung des Gesamtrisikos der Geschäftseinheit zu gewinnen. Eine solche Gesamtsicht kann jedoch i.d.R. nicht durch eine einzige Person erarbeitet werden. Daher bietet es sich an, in jeder Geschäftseinheit ein Gremium einzurichten, eine Art „Risikoausschuss“. Dieser Risikoausschuss nimmt aus gesamtorganisatorischer Sicht eine Identifikation, Analyse, Bewertung und Überwachung der wesentlichen Risiken vor und initiiert Maßnahmen zur Risikogestaltung. Aufgrund der herausragenden Bedeutung von Risiken für die gesamte Organisation sollte ein Mitglied der Geschäftsleitung zum Risikoausschuss gehören. Auch der Risikoverantwortliche und ein Vertreter des Projektmanagementoffices sollten Mitglieder des Risikoausschusses sein. Zudem sollte der Leiter des Fachbereichs „Unternehmenscontrolling“ dem Ausschuss angehören. Zu Beginn dieses Abschnitts wurde bewusst von „Geschäftseinheiten“ gesprochen: Risikomanagement beginnt und vollzieht sich zum Großteil direkt „am Geschäft“, doch aufgrund der herausragenden Bedeutung von Risiken für ein Unternehmen muss die oberste Geschäftsleitung jederzeit über die wesentlichen Risiken in den Geschäftseinheiten informiert sein und auch ein übergeordnetes Risikomanagement aus Gesamtunternehmenssicht betreiben. Je nach Höhe des jeweiligen Risikos sollte es daher einen Eskalationsweg über die verschiedenen Ebenen im Unternehmen hinweg geben. Auf allen Ebenen sind somit jeweils ein Risikobeauftragter und ein Risikoausschuss einzurichten. Für einen solchen Eskalationsweg sind Schwellenwerte für das mögliche Schadensausmaß und/ oder für die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos notwendig, bei deren Überschreiten die nächsthöhere Ebene einzuschalten ist. Die bisherigen Ausführungen haben sich aufgrund der Anforderungen, die sich aus dem KonTraG ergeben, zunächst auf das Management von Risiken konzentriert. Allerdings kann und sollte die Chance als Kehrseite des Risikos genauso mit in die Betrachtung einbezogen werden: Alle Regelungen und Gremien können sowohl für den Umgang mit Risiken als auch mit Chancen genutzt werden. Abschließend soll noch bemerkt werden, dass das Chancen- und Risikomanagement nicht vollkommen auf diese Stellen und Gremien delegiert werden kann, sondern dass im gesamten Unternehmen eine entsprechende Kultur herrschen sollte. Wie in Abschnitt 10.2.3.1 bei der Chancen- und Risikoidentifikation an- <?page no="413"?> 388 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements gesprochen, sollte sich jeder Mitarbeiter seiner Bedeutung bei der Früherkennung und beim Management von Chancen und Risiken bewusst sein. 11 Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Das Management von Projekten befasst sich mit der möglichst effizienten Abwicklung einzelner Projekte. In den letzten Abschnitten wurden verschiedene Methoden für die Planung, Umsetzung und Kontrolle eines Projektes, das Qualitätsmanagement sowie das Chancen- und Risikomanagement in einem Projekt dargestellt. Nunmehr soll - gewissermaßen als Abschluss der Darstellung des Managements von Projekten und als Brücke zur Erweiterung der Perspektive hin zu einem Management durch Projekte -noch ein grundlegendes Thema näher betrachtet werden: Die Professionalisierung und ständige Weiterentwicklung des Projektmanagements. Mit der zunehmenden Bedeutung des Projektgeschäftes für ein Unternehmen gewinnen die möglichst professionelle Umsetzung der einzelnen Projekte und auch das professionelle Management ganzer Projektportefeuilles an Gewicht. Relativ schnell stellen sich den Führungskräften hinsichtlich der Professionalisierung des Projektmanagements wichtige Fragen: Wie „gut“ ist unser Projektmanagement eigentlich und wo haben wir Handlungsbedarf zur Weiterentwicklung unseres Projektmanagements? Können wir von einem allgemein anerkannten Standard im Projektmanagement profitieren? Ist eine Ausbildung und Zertifizierung unserer Mitarbeiter bei einer allgemein anerkannten Institution sinnvoll, um so sicherzustellen, dass unsere Projektleiter und die Projektteams über alle notwendigen Projektmanagement-Kompetenzen verfügen? Wäre es sinnvoll, unsere Erfahrungen hinsichtlich der Abwicklung von Projekten in einem unternehmensspezifischen Projektmanagementstandard zusammenzufassen? Könnten alternative Vorgehensmodelle des Projektmanagements für unsere Situation hilfreich sein? Wie können wir institutionell sicherstellen, dass das Projektmanagement im Unternehmen systematisch und abgestimmt auf die Unternehmensziele weiterentwickelt wird? <?page no="414"?> Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements· 389 Wie können wir für eine situationsadäquate Unterstützung von Projektleitern und Projektteams sowie des betroffenen Linienmanagements bei der Projektabwicklung sorgen? Wie das Projektmanagement professionalisiert und weiterentwickelt werden kann, hängt zum einen von der spezifischen Unternehmenssituation ab, zum anderen aber auch von der Art der Projekte, die ein Unternehmen schwerpunktmäßig durchführt. Faktoren wie die Unternehmenskultur, die Dynamik der Branche, die Projektgrößen und -mengen, die schon vorhandenen Kompetenzen der Mitarbeiter sind wichtige Rahmenbedingungen bei der Suche nach dem „richtigen“ Weg zur Professionalisierung des Projektmanagements. (1) Aus diesem Grunde ist der Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung des Projektmanagements zunächst eine Analyse der Unternehmenssituation sowie eine Analyse des Status Quo des Projektmanagements. Im Rahmen dieser Analyse ist zu überprüfen, ob für die vorgefundene Unternehmenssituation ein effektives und zugleich effizientes Projektmanagementsystem vorliegt. Die Frage „Wie gut ist unser Projektmanagement eigentlich? “ hat also zwei Aspekte: Es stellt sich erstens die Frage, ob das Projektmanagement des Unternehmens dazu in der Lage ist, die Zielsetzungen und Strategien des Unternehmens sinnvoll zu unterstützen. Zweitens ist zu überprüfen, ob das Projektmanagement so ausgelegt ist, dass eine möglichst ressourcenschonende Abwicklung der Projekte möglich wird. Als ersten Schritt werden wir daher eine Assessment-Methode vorstellen, die diese Analyse sinnvoll unterstützen kann (Abschnitt 11.1). (2) Dann werden verschiedene Möglichkeiten zur Professionalisierung vorgestellt: Zunächst werden allgemein anerkannte Standards des Projektmanagements skizziert und verglichen (Abschnitt 11.2). Diese Standards können sowohl für das konkrete Projektmanagement als auch für die Aus- und Weiterbildung im Bereich des Projektmanagements eingesetzt werden. Oftmals werden sie auch als Grundlage für unternehmenseigene Projektmanagement-Standards genutzt. (3) In Abschnitt 11.3 werden zwei alternative Vorgehensmodelle des Projektmanagements vorgestellt, die für spezielle Problemstellungen eingesetzt werden können: Das Critical Chain-Projektmanagement und das Agile Projektmanagement. <?page no="415"?> 390 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements (4) Die Frage nach der institutionalisierten Verankerung der Professionalisierung und Weiterentwicklung des Projektmanagements im Unternehmen schließt dieses Kapitel ab (Abschnitt 11.4). Die Antwort auf diese Frage lenkt den Blick auf das in der aktuellen Projektmanagementliteratur zunehmend diskutierte Projektmanagementoffice (PMO). Wir werden uns zunächst mit den Grundlagen sowie mit den einzelprojektbezogenen Aufgaben des PMO beschäftigen. In Teil 3 und 4 des Buches werden dann die multiprojektbezogenen Aspekte des PMO dargestellt. 11.1 Projektmanagement-Assessment Projektmanagement wird zunehmend zu einem wichtigen strategischen Wettbewerbs- und Erfolgsfaktor für ein Unternehmen. Aus diesem Grunde muss das Management sicherstellen, dass ausreichende Projektmanagementkompetenzen im Unternehmen vorhanden sind und diese auch so eingesetzt werden, dass ein professionelles Projektmanagement gewährleistet ist. Durch eine systematische Evaluation des Projektmanagements kann der Kompetenz- und Umsetzungsstatus des Projektmanagements im Unternehmen festgestellt werden. Damit bildet eine solche Evaluation auch die Grundlage für die Ermittlung des Handlungsbedarfs zur Weiterentwicklung des Projektmanagements. Eine Evaluation lässt sich mittels eines Projektmanagement-Assessments durchführen. In den letzten Jahren ist eine Reihe von Assessmentmodellen im Projektmanagement entwickelt worden. Wagner stellt eine Genealogie der Assessmentmodelle vor, die in Abb. 2-135 zu sehen ist. Wagner ([Reifegradmodelle] 29ff.) unterscheidet allgemeine Reifegradmodelle sowie PM-spezifische Reifegradmodelle. Allgemeine Reifegradmodelle beziehen sich nicht ausschließlich auf das Projektmanagement, sondern sind breiter angelegt. So sind bspw. CMMI (Capability Maturity Model Integrated) und SPICE (Software Process Improvement and Capability Determination) allgemeine Prozessreifegradmodelle. Diese Modelle umfassen eine Vielzahl von Prozessgebieten und beschreiben die Anforderungen, die in den jeweiligen Prozessgebieten zu erfüllen sind, um einen bestimmten Prozessreifegrad nachweisen zu können. Ursprünglich wurden diese Modelle zur Überprüfung des Reifegrades in der Produktentwicklung, insbesondere in der Softwareentwicklung und in der Systementwicklung, konzipiert. Im Rahmen der Forschung und Entwicklung spielen Projektmanagementprozesse eine große Rolle; insofern werden diese Modelle vielfach auch zur Überprüfung des Projektmanagement-Reifegrades einer Organisation eingesetzt. <?page no="416"?> Projektmanagement-Assessment · 391 Dies bietet sich deshalb besonders an, weil diese Modelle weltweit in F&E- Bereichen eine hohe Akzeptanz zur Beurteilung von Reifegraden aufweisen. Interessant am CMMI-Modell ist auch die Tatsache, dass sich einige PMspezifische Reifegradmodelle an die Bewertungssystematik des CMMI-Modells anlehnen. Im folgenden Abschnitt werden zunächst einige Anforderungen an Projektmanagementmodelle abgeleitet, bevor dann in einem weiteren Schritt ein überblicksartiger Vergleich verschiedener Projektmanagement-Assessmentmodelle anhand dieser Anforderungen vorgenommen wird. SPC Quality Management Maturity Grid CMM CMMI SPiCE Automotive SPiCE PMMM (Kerzner) 1930 1980 1983 1986 1989 1991 1998 2001 2002 2003 2005 2006 2009 2012 PMBoK Guide Jahr der Veröffentlichung Bezug zu anderem Modell Allgemeine Reifegradmodelle Allgemeine PM-Standards PM-spezifische Reifegradmodelle ISO 10006 DIN 69904 EFQM Project Excellence PM Delta PRINCE PRINCE2 Demming & Juran ISO/ IEC 15504 ISO DIS 21500 ICB 3.0 P3M3, P2MM OPM3 IPMA Delta DIN 69901 Abb. 2-135: Genealogie der Assessmentmodelle (Quelle: Wagner [Assessments] 26) 11.1.1 Anforderungen an Projektmanagement-Assessments Wie bereits dargestellt, sind in unterschiedlichen Unternehmenssituationen unterschiedliche Ausprägungen des Projektmanagements sinnvoll. Damit kann es das eine richtige Projektmanagement nicht geben. Konsequenterweise sollte ein Projektmanagement-Assessment dazu in der Lage sein, jene Ausprägung des Projektmanagements zu prüfen, die für ein spezielles Unternehmen in seiner konkreten Unternehmenssituation passend erscheint. <?page no="417"?> 392 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Im Rahmen eines Assessments müssen folglich bestimmte Themen des Projektmanagements je nach situativer Unternehmensnotwendigkeit geprüft oder weggelassen werden können. Für Unternehmen, die sich eher im Bereich des „Managements von Projekten“ befinden, spielt die Untersuchung ihres Einzelprojektmanagements die zentrale Rolle. Unternehmen, die hingegen im Entwicklungskontinuum des Projektmanagements eher dem „Management durch Projekte“ zuzurechnen sind, benötigen eine umfassende Überprüfung, die neben dem Einzelprojektmanagement auch das Multiprojektmanagement sowie die Rahmenbedingungen des Projektmanagements umfasst. Das Assessmentmodell sollte sich daher an einen unterschiedlichen Prüfungsumfang anpassen lassen. Bewusst wird deshalb hier von einem allgemeinverbindlichen Projektmanagementmaßstab Abstand genommen. An die Stelle von Assessmentansätzen, die häufig auch als Methode zum Benchmarking dienen, sollte ein situationsspezifischer, auf die konkreten strategischen Erfordernisse des Unternehmens zugeschnittener Evaluationsansatz treten. Diese situative Sicht des Projektmanagements schlägt sich auch in den Anforderungen an Projektmanagement-Assessments nieder. Demnach lassen sich folgende Anforderungen ableiten (vgl. ausführlicher Ribeiro/ Scheurer [Projektmanagement-Assessments] 16ff.): Das Assessmentmodell sollte sich an einem Verständnis von Projektmanagement als Führungskonzeption orientieren. Ein Assessmentmodell sollte sowohl das Top-Management als auch die Projektmanagement-Experten mit einbeziehen. Mit dem Assessmentmodell sollte der Ansatz des strategischen Fits, also die konkrete Passung zwischen den Umweltanforderungen, den Unternehmensstrategien und den unternehmerischen Strukturen, Prozessen und Kompetenzen des Projektmanagements abprüfbar sein. Das Assessmentmodell sollte einen ausreichenden Einblick in situations- und strategiebezogene Stärken und Schwächen des Projektmanagements eines Unternehmens ermöglichen. Das Assessmentmodell muss die Grundlage für praxisrelevante und situationsadäquate Verbesserungen des Projektmanagements bieten, die dem jeweiligen Unternehmen einen praktischen Mehrwert bringen. Die Assessments müssen sich mit einer sinnvollen Aufwands-/ Nutzenrelation durchführen lassen. <?page no="418"?> Projektmanagement-Assessment · 393 Ein Assessmentmodell muss das relevante und verfügbare Projektmanagement-Know how mit einbeziehen. 11.1.2 Vergleich bestehender Projektmanagement- Assessmentmodelle Für einen Vergleich verschiedener Assessmentmodelle werden die genannten Anforderungen zugrunde gelegt. Folgende Assessmentmodelle werden in den Vergleich mit einbezogen: IPMA Delta Dieses Modell wurde neu von einer Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) in Abstimmung mit der International Project Management Association (IPMA) erarbeitet. Es baut auf aktuellen Projektmanagementstandards auf und orientiert sich am Klassifizierungssystem nach CMMI (vgl. Wagner [Assessments] 24ff.). OPM3 Bei OPM3 (Organizational Project Management Maturity Model) handelt es sich um das Assessmentmodell des weltgrößten Projektmanagementverbandes, dem Project Management Institute (PMI) (vgl. PMI [OPM3]). P3M3 Hierbei handelt es sich um das Assessmentmodell des britischen Office of Government Commerce (OGC). Diese Organisation soll britischen Regierungsstellen helfen, einen möglichst hohen Mehrwert für ihre Budgets zu erhalten. In diesem Zusammenhang wurde auch der PRINCE 2-Standard für das Projektmanagement entwickelt (vgl. Abschnitt 11.2.2.3). CMMI CMMI (Capability Maturity Modell Integrated) wurde vom Software Engineering Institute (SEI) als Prozessreife-Assessmentmodell konzipiert. Auch wenn es nicht primär zur Projektmanagementevaluation entwickelt wurde, so deckt es doch fast alle Projektmanagementthemen ab und ergänzt komplementär noch einige interessante Prozessgebiete. COACH PM Hierbei handelt es sich um ein neues situativ ausgerichtetes Assessmentmodell, das von Ribeiro/ Scheurer entwickelt wurde (vgl. Ribeiro/ Scheurer [Projektmanagement-Assessments]. <?page no="419"?> 394 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Eine über den nachfolgenden Vergleich hinausgehende Darstellung von Assessmentmodellen mit Bezug zum Projektmanagement findet sich bei Wagner ([Reifegradmodelle] 29ff.). In Abb. 2-136 werden die verschiedenen Assessmentmodelle anhand wichtiger Kriterien miteinander verglichen. Die Assessmentmodelle OPM3, P3M3 und CMMI sind in der Praxis bereits seit Jahren erfolgreich im Einsatz. Allerdings werden die letzten vier Kriterien der Vergleichsmatrix, die sich speziell aus dem neuen Rollenverständnis des Projektmanagements ergeben, von diesen Assessmentmodellen nur bedingt erfüllt. COACH PM befindet sich seit 2009 im Einsatz und hat sich bislang gut bewährt. Das Assessmentmodell IMPA Delta der GPM/ IPMA befindet sich derzeit (2011) noch in einer Pilotphase. Generell kann aber an dieser Stelle das Zwischenfazit gezogen werden, dass insbesondere IMPA Delta sowie COACH PM die neuesten Erkenntnisse im Projektmanagement mit aufnehmen und in das Assessment integrieren. Aber auch OPM3 sowie P3M3 kann attestiert werden, dass diese Modelle inzwischen auf die neuen Entwicklungen im Projektmanagement stärker Bezug nehmen. So wurde beispielsweise in die aktuelle zweite Fassung von P3M3 je ein Assessmentmodul zum Projektprogramm- und Projektportfoliomanagement integriert. Mit COACH PM wurde zudem der Versuch gemacht, zusätzlich zu den neuesten Erkenntnissen im Projektmanagement den erweiterten Anforderungen an ein situationsbezogenes Projektmanagement-Assessment gerecht zu werden. Welches Assessmentmodell letztlich zur Beurteilung der unternehmenseigenen Projektmanagementkompetenzen herangezogen wird, sollte in einem separaten Entscheidungsprozess geklärt werden. 11.1.3 COACH PM - ein Beispiel für ein situationsbezogenes Projektmanagement-Assessmentmodell Der Name „COACH“ steht für „competency and application check”. Der Begriff „Check“ steht für den grundlegenden Ansatz, in einem ersten Schritt zunächst ein eher gröber konzipiertes Assessment zu verwenden. Dieses Vorgehen trägt dem Grundgedanken Rechnung, dass es im Rahmen der Professionalisierung des Projektmanagements zunächst darauf ankommt, die wichtigsten situationsadäquaten Ansatzpunkte für Verbesserungen zu identifizieren. <?page no="420"?> Projektmanagement-Assessment · 395 Moderater Umfang, skalierbar mit dem Assessmentumfang Drei Stufen, von sehr aufwändig bis kurz und knapp (SCAMPI A, B, C) Von sehr umfangreich bis zu kurzen Self- Assessments Sehr umfangreich. Basiert auf 600 Best Practices. Kurzes Self-Assessment verfügbar Umfangreich Assessmentaufwand • ICB 3.0 • PMBOK-Guide • PRINCE2 • Empirische Erfolgsfaktoren • Mit weiteren Wissensbasen abgeglichen Bewährtes SEI F&E- Prozessmodell, über PM hinausgehend Sammlung von Best Practices, an PRINCE2 orienitert Sammlung von Best Practices, am PMBOK-Guide orientiert • ISO 1006 • ISO 9001 • ISO 21500 • ICB 3.0 • Konzept der organisationalen Kompetenzen im Projektmanagement Zugrundeliegende PM- Wissensbasis • Stärken- und Schwächenprofil • Identifikation von Verbesserungsnotwendigkeiten • Optional Verbesserungsvorschläge • Offizieller Reifegrad • Stärken- Schwächen-Profil • Optional Verbesserungsvorschläge • Ausweis von PM- Reifegraden in fünf Reifegradklassen • Stärken- Schwächen-Profil • Empfehlungen Stärken-Schwächen- Profil und hinterlegte Verbesserungsvorschläge • Ausweis von IPMA-Kompetenzklassen • Stärken- Schwächen- Profil • Empfehlungen Mögliche Ergebnisse Projekt, Multiprojekt, Projektmanagementkontext F&E-Prozessreife Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement sowie sieben weitere Prozessperspektiven Portfolio, Programm, Projekt, organisationale Kompetenzen (organisational enablers) Projekt, Organisation, Individuelle Kompetenzen Assessment- Umfang COACH PM CMMI P3M3 OPM3 IPMA Delta Moderater Umfang, skalierbar mit dem Assessmentumfang Drei Stufen, von sehr aufwändig bis kurz und knapp (SCAMPI A, B, C) Von sehr umfangreich bis zu kurzen Self- Assessments Sehr umfangreich. Basiert auf 600 Best Practices. Kurzes Self-Assessment verfügbar Umfangreich Assessmentaufwand • ICB 3.0 • PMBOK-Guide • PRINCE2 • Empirische Erfolgsfaktoren • Mit weiteren Wissensbasen abgeglichen Bewährtes SEI F&E- Prozessmodell, über PM hinausgehend Sammlung von Best Practices, an PRINCE2 orienitert Sammlung von Best Practices, am PMBOK-Guide orientiert • ISO 1006 • ISO 9001 • ISO 21500 • ICB 3.0 • Konzept der organisationalen Kompetenzen im Projektmanagement Zugrundeliegende PM- Wissensbasis • Stärken- und Schwächenprofil • Identifikation von Verbesserungsnotwendigkeiten • Optional Verbesserungsvorschläge • Offizieller Reifegrad • Stärken- Schwächen-Profil • Optional Verbesserungsvorschläge • Ausweis von PM- Reifegraden in fünf Reifegradklassen • Stärken- Schwächen-Profil • Empfehlungen Stärken-Schwächen- Profil und hinterlegte Verbesserungsvorschläge • Ausweis von IPMA-Kompetenzklassen • Stärken- Schwächen- Profil • Empfehlungen Mögliche Ergebnisse Projekt, Multiprojekt, Projektmanagementkontext F&E-Prozessreife Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement sowie sieben weitere Prozessperspektiven Portfolio, Programm, Projekt, organisationale Kompetenzen (organisational enablers) Projekt, Organisation, Individuelle Kompetenzen Assessment- Umfang COACH PM CMMI P3M3 OPM3 IPMA Delta <?page no="421"?> 396 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements IPMA Delta OPM3 P3M3 CMMI COACH PM Abprüfung des strategischen Fit Wird mit Modul O des Assessments abgedeckt Nicht explizit, nur indirekt mit Zusatzaufwand Nicht explizit Nein Ja, durch gezielte Fragestellungen Anpassbarkeit von Umfang und Fokus Umfang und Fokus anpassbar Teilweise Umfang und Fokus modular anpassbar Teilweise Umfang und Fokus anpassbar Priorisierung von PM- Themen möglich Ergebnisse der unterschiedlichen Assessmenttools fließen mit vorgegebenen Gewichtungen in die Reifegradbestimmung ein Nein Priorisierung indirekt durch Auswahl der Assessmentmodule möglich Nein Ja, durch Gewichtung zusammen mit dem Top-Management Einbeziehung von Top- Management und Projektmanagement- Experten Management ist in den Assessmentprozess systematisch mit einbezogen Möglich Möglich Möglich Systematische Einbeziehung in den Assessmentprozess IPMA Delta OPM3 P3M3 CMMI COACH PM Abprüfung des strategischen Fit Wird mit Modul O des Assessments abgedeckt Nicht explizit, nur indirekt mit Zusatzaufwand Nicht explizit Nein Ja, durch gezielte Fragestellungen Anpassbarkeit von Umfang und Fokus Umfang und Fokus anpassbar Teilweise Umfang und Fokus modular anpassbar Teilweise Umfang und Fokus anpassbar Priorisierung von PM- Themen möglich Ergebnisse der unterschiedlichen Assessmenttools fließen mit vorgegebenen Gewichtungen in die Reifegradbestimmung ein Nein Priorisierung indirekt durch Auswahl der Assessmentmodule möglich Nein Ja, durch Gewichtung zusammen mit dem Top-Management Einbeziehung von Top- Management und Projektmanagement- Experten Management ist in den Assessmentprozess systematisch mit einbezogen Möglich Möglich Möglich Systematische Einbeziehung in den Assessmentprozess Abb. 2-136: Vergleich von Assessmentmodellen (vgl. Project Management Institute [Maturity Model], Office of Government Commerce [P3M3Model]) <?page no="422"?> Projektmanagement-Assessment · 397 Die Detailanalyse kann dann in jenen Bereichen des Projektmanagements erfolgen, in denen sich das PMO bzw. das Management zur Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen entscheidet. COACH PM beinhaltet vier Analyse- und Auswertungsebenen, die in Abb. 2- 137 zu sehen sind. Hauptdimensionen (3) Kompetenzgebiete (18) Kompetenzfelder (47) Einzelkompetenzen (226) Es wird ein erster Planungsfreeze hergestellt und ein systematisches Änderungsmanagement eingeplant. Die Projekte planen die systematische Überprüfung der Zielerreichung ein. z.B. Planungsmethodik z.B. Planung Begleitprozesse z.B. Projektinitiierung z.B. Projektplanung Einzelprojektmanagement Multiprojektmanagement PM-Rahmenbedingungen z.B. Projektkontrolle Abb. 2-137: Aufbau des Assessmentmodells Entsprechend unserem Ansatz des Projektmanagements als Führungskonzeption sind in den Assessementprozess sowohl das Top Management als auch die Projektmanagement-Experten involviert. Abb. 2-138 gibt einen Überblick über den fünfstufigen Prozessablauf (von unten nach oben aufsteigend). Im Folgenden werden die einzelnen Schritte des Assessmentprozesses kurz skizziert (vgl. die ausführliche Darstellung anhand eines Beispiels in Ribeiro/ Scheurer [Projektmanagement-Assessments] 20ff: ): (1) Situationscheck Ausgangspunkt des Projektmanagement-Assessments ist die Bestimmung der Unternehmenssituation, in die das Projektmanagement eingebettet ist. Die Situationsbestimmung und die Festlegung des Assessmentumfangs werden zusammen mit dem Top-Management des Unternehmens durchgeführt. <?page no="423"?> 398 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Gemeinsam mit Topmanagement Gemeinsam mit Topmanagement Gemeinsam mit den Fachexperten Gemeinsam mit den Fachexperten Entscheidung durch Topmanagement Entscheidung durch Topmanagement Schritt 1: Situationscheck und Bestimmung des Umfangs Schritt 1: Situationscheck und Bestimmung des Umfangs Schritt 2: Gewichtung der Kompetenzfelder Schritt 2: Gewichtung der Kompetenzfelder Schritt 3: Bewertung des Beherrschungsgrades Schritt 3: Bewertung des Beherrschungsgrades Schritt 4: Auswertung Schritt 4: Auswertung Schritt 5: Vorschlag der Verbesserungsmaßnahmen Schritt 5: Vorschlag der Verbesserungsmaßnahmen Abb. 2-138: Ablauf des Assessmentprozesses Im Assessmentmodell ist der Situationscheck mit den drei Dimensionen „Unternehmenssituation“, „Projektumfeld“ und „Projektcharakteristika“ mit jeweils vier Variablen angelegt. Die Ausprägung der Variablen wird vom Top- Management eingeschätzt. Anhand dieses Situationschecks wird dann zusammen mit dem Top-Management eine Bewertung durchgeführt und festgelegt, welche Rolle das Projektmanagement in dem untersuchten Unternehmen einnimmt und in welcher Ausprägung des Projektmanagements ein Fit zwischen Unternehmensstrategie und Projektmanagement vorliegt. (2) Gewichtung der Kompetenzfelder Das Top-Management legt über Gewichtungen auf der Ebene der 47 Kompetenzfelder auch die situationsbezogene Bedeutung der verschiedenen Projektmanagementthemen für das betrachtete Unternehmen fest. Diese Priorisierung der Kompetenzfelder in Zusammenarbeit mit dem Top-Management ist ein essenzielles Merkmal des Assessmentmodells. Damit wird sichergestellt, dass sich die Ausrichtung des weiteren Assessments wirklich unmittelbar am Bedarf und an der konkreten Situation des untersuchten Unternehmens ausrichtet. Auf diese Weise entsteht ein für jede Organisation spezifisches Profil von Gewichtungen. <?page no="424"?> Projektmanagement-Assessment · 399 (3) Bewertung des Beherrschungsgrades Die Bewertung des Beherrschungsgrades der Einzelkompetenzen wird gemeinsam mit den Projektmanagementexperten des untersuchten Unternehmens vorgenommen. Der Bewertungsumfang variiert in Abhängigkeit vom definierten Assessmentumfang. Er kann sich auf ein einzelnes Projekt beziehen oder mehrere Projekte zusammen mit dem Multiprojektumfeld berücksichtigen. COACH PM ermöglicht eine Unterscheidung nach vorhandenen Kompetenzen und deren praktischer Anwendung. Die Bewertung dokumentierter Prozesse und Methoden eines Unternehmens, also der organisationalen Projektmanagementkompetenzen, kann unter der Kategorie „Existent“ vorgenommen werden. Parallel dazu kann deren praktische Verwendung in den Projekten bzw. im Multiprojektmanagement unter der Kategorie „Angewendet“ erfasst werden. Die Bewertung für „Angewendet“ wird also für die „gelebten“ Prozesse und Methoden vergeben. Aus der Bewertung des Beherrschungsgrades lassen sich die Stärken und Schwächen auf der Ebene der Projektmanagement-Kompetenzfelder, bei Bedarf aber auch bis auf die Ebene der Einzelkompetenzen ablesen. (4) Auswertung und Vorschlag von Verbesserungsmaßnahmen Für die letztendliche Beurteilung des situationsbezogenen Handlungsbedarfs fehlt neben der Betrachtung der Beherrschungsgrade der Projektmanagementkompetenzen noch die Berücksichtigung der Bedeutung, die den einzelnen Kompetenzfeldern von Seiten des Top-Managements zugewiesen wurde. Die Ableitung eines konkreten Verbesserungsbedarfs erfolgt in COACH PM, indem eine Korrelation zwischen der Gewichtung des Top-Managements und der mit den Projektmanagement-Experten ermittelten Beherrschungsgrade der untersuchten Kompetenzfelder vorgenommen wird. Im Zuge des Assessments werden diese Korrelationen in Aktionsportfolios aufbereitet. In Abb. 2-139 wird auszugsweise ein Beispiel eines Aktionsportfolios für das Einzelprojektmanagement („Angewendet“) dargestellt. Die 9 Felder des Aktionsportfolios tragen die Ampelfarben grün (G), gelb (Y) und rot (R). Im Aktionsportfolio werden die verschiedenen Projektmanagement-Kompetenzfelder jeweils in Form eines Punktes eingetragen. In dem Beispiel weisen die Kompetenzfelder 2, 3, 4 und 6 nur einen mittelmäßigen Beherrschungsgrad auf. <?page no="425"?> 400 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Unternehmensspezifische Bedeutung Aktionsbedarf "Angewendet" Beherrschungsgrad 1 4 22 33 66 R Y R R G Y G Y G 1 EP Formaler Projektstart 4 EP Projektleitung 2 EP Planungsmethodik 5 EP Projektsteuerung 3 EP Planung Begleitprozesse 6 EP Projektabschluss intern 1 EP Formaler Projektstart 4 EP Projektleitung 2 EP Planungsmethodik 5 EP Projektsteuerung 3 EP Planung Begleitprozesse 6 EP Projektabschluss intern 55 Y Aufmerksamkeit notwendig R Dringender Verbesserungsbedarf G Ok Abb. 2-139: Aktionsportfolio (Auszug) Diese Erkenntnis gibt für sich alleine noch keinen Hinweis darauf, ob wirklich Handlungsbedarf besteht. Erst durch die Korrelation mit der durch das Top- Management festgelegten unternehmensspezifischen Bedeutung der Kompetenzfelder entsteht ein klares Bild des Aktionsbedarfs: Kompetenzfeld 6 wird demnach vom Top-Management nur eine geringe Bedeutung zugewiesen, deshalb ist hier eine mittelmäßige Beherrschung auch in Ordnung und es entsteht kein weiterer Aktionsbedarf. Kompetenzfeld 4 wird eine hohe Bedeutung beigemessen. Damit ist hier auch der Anspruch an eine gute Beherrschung der betroffenen Projektmanagementkompetenzen wesentlich höher. Hier reicht Mittelmäßigkeit nicht aus und es besteht dringender Handlungsbedarf. Den Kompetenzfeldern 2 und 3 wurde eine mittelstarke Bedeutung zugewiesen. Die gelbe Farbe ihres Portfoliofeldes signalisiert, dass sie im Auge zu behalten sind, aber kein vordringlicher Verbesserungsbedarf besteht. Kompetenzfeld 5 ist bei gegebener Bedeutung und Beherrschungsgrad ein klarer Problemfall. <?page no="426"?> Projektmanagement-Assessment · 401 Kompetenzfeld 1 ist zwar exzellent beherrscht, hat aber nur eine geringe Bedeutung. Die Farbe Gelb weist in diesem Fall darauf hin, dass hier zu prüfen ist, ob nicht ein übermäßiger Aufwand in die Beherrschung dieses Kompetenzfeldes fließt. Möglicherweise könnte ein verringerter Aufwand ausreichen. Das Aktionsportfolio weist in übersichtlicher Weise und auf einer überschaubaren Aggregationsebene auf den konkreten Handlungsbedarf hin. Damit stellt es eine geeignete Grundlage für die Erarbeitung von konkreten Verbesserungsmaßnahmen dar. Die Ergebnisse werden ausgewertet und zusammen mit den Projektmanagementexperten analysiert. Handlungsfelder werden identifiziert und mit einem Ansatz für die Verbesserung der betroffenen Projektmanagementkompetenzen hinterlegt. (5) Assessementergebnisse als Ausgangspunkt der weiteren Professionalisierung des Projektmanagements Die Assessmentergebnisse werden zwischen Top-Management und Projektmanagementexperten diskutiert. In diesem Zusammenhang kann in einzelnen Themenbereichen, für die ein hoher Verbesserungsbedarf erkannt wurde, vorbereitend nochmals eine Detailanalyse durchgeführt werden. Nachdem zusammen eine Entscheidung zu den wichtigsten und/ oder dringlichsten Verbesserungsbereichen getroffen wurde, können konkrete Aktionsprogramme entwickelt werden. Generell wird durch diese Vorgehensweise die direkte Kommunikation zwischen Top-Management und Projektmanagement-Experten zum Stand des Projektmanagements im Unternehmen intensiviert. Zudem erfolgen weitere Professionalisierungsschritte des Projektmanagements auf Basis einer systematischen und klar strukturierten Vorgehensweise, die an den unternehmens- und situationsspezifischen Anforderungen ausgerichtet ist. Auf diese Weise wird eine weitere Professionalisierung des Projektmanagements möglich, die sowohl aus Sicht des Managements als auch aus Sicht der Projektleiter und ihrer Teams die für das Unternehmen relevanten Bereiche des Projektmanagements adressiert. Die transparente und gemeinsame Erarbeitung der Professionalisierungsbereiche spielt gerade auch im Hinblick auf die Akzeptanz bei der Umsetzung von Neuerungen im Projektmanagement eine große Rolle. Im Anschluss an eine Analyse des aktuellen Status des Projektmanagements und der Erfordernisse, die sich aus der spezifischen Situation des Unternehmens ergeben, stellt sich oftmals die Frage nach Einführung eines einheitlichen <?page no="427"?> 402 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Standards im Unternehmen. Hier kann auf allgemein anerkannte Standards zurückgegriffen oder bei Bedarf ein eigener unternehmensspezifischer Standard entwickelt werden. 11.2 Projektmanagementstandards 11.2.1 Funktionen von Standards Die Geschichte des Projektmanagements beginnt mit der Planung und Durchführung von technischen Projekten, v.a. von Projekten des Großbaus, des Anlagenbaus und von Informationssystemen. Inzwischen haben Projekte in alle Bereiche der Wirtschaft Einzug gehalten. Für die Zukunft wird gar eine Entwicklung hin zu einer sog. „Projektwirtschaft“ erwartet. Das aus der Praxis heraus entwickelte Projektmanagement bediente sich zur Gestaltung des Ablaufs von technischen Projekten in zunehmendem Maße betriebswirtschaftlicher Methoden und Techniken. Klassische Beispiele sind der Einsatz der Netzplantechnik zur Planung, Steuerung und Kontrolle von Projekten sowie die Übertragung von Erkenntnissen der Unternehmensführung auf die Gestaltung der Führungsrolle des Projektleiters, insbesondere bei der Führung eines Projektteams. Bald wurden aus der Praxis heraus Forderungen gestellt, den „Wildwuchs“ zu begrenzen und Ordnung in die Planung, Steuerung und Kontrolle von Projekten sowie die zum Einsatz kommenden Methoden und Techniken zu bringen. Das intensive Bemühen um eine Standardisierung des Projektmanagements ist insbesondere dem Umstand zu verdanken, dass sich das für das Projektmanagement zuständige Personal vorwiegend aus dem Kreis der Techniker rekrutiert. Techniker wiederum präferieren klare Definitionen und Regeln, was deutlich in der Festlegung von Normen, wie den ISO-, DIN- oder ANSI-Normen, zum Ausdruck gebracht wird. Allgemein anerkannte Projektmanagementstandards nehmen folgende Funktionen wahr: (1) Sicherung der Qualität des Projektmanagements Das Projektmanagement wird dadurch verbessert, dass Standards jahrelange praktische Erfahrungen mit einer intensiven wissenschaftlichen Durchdringung kombinieren. Mit der Möglichkeit des Rückgriffs auf bewährte Standards wird das Management von Projekten nicht nur verbessert, sondern auch erleichtert. <?page no="428"?> Projektmanagementstandards · 403 (2) Qualifikation der Projektleiter und -mitarbeiter Eng verbunden mit diesem Qualitätsaspekt von Standards ist die Qualifikationsfunktion von Projektmanagementstandards. Die meisten allgemein anerkannten Standards bilden die Grundlage für Programme zur Qualifizierung und Zertifizierung von Projektmanagern. Auf diese Weise werden ein gemeinsames Verständnis und ein gemeinsames Vokabular geschaffen, denn Projektmanagement kann in der Praxis sehr unterschiedlich aussehen. Zertifikate können sowohl für den einzelnen Projektleiter als auch für das gesamte Unternehmen Wettbewerbsvorteile begründen, wenn sie das Vertrauen in die Projektmanagement-Fähigkeiten erhöhen (vgl. Oestereich/ Gessler/ Lehmann [Projektmanagement-Zertifikate] 16). (3) Verbesserung der Transparenz der Projektmanagementaktivitäten Wenn sichergestellt ist, dass ein allgemein anerkannter Standard eingesetzt wird, ist für Außenstehende der Prozess des Projektmanagements durchschaubar. Dies wiederum verbessert die Voraussetzungen für die Kommunikation in Projekten und über Projekte hinaus. Dieser Effekt ist besonders wichtig angesichts der zunehmenden Arbeitsteilung in Projekten und damit zusammenhängend dem steigenden Internationalisierungsgrad der Projektwirtschaft. (4) Schaffung von Voraussetzungen für die Kontrolle Transparenz ist die Voraussetzung für die Kontrolle. Wenn die Planung und der Ablauf von Projekten nach einem vorgefertigten Schema von statten gehen, lässt sich der Erfüllungsgrad der einzelnen Elemente gut überprüfen. Dies wiederum ist eine wesentliche Voraussetzung für das Zeitmanagement und das Kostenmanagement. Im Folgenden werden drei international ausgerichtete Projektmanagementstandards vorgestellt: PMBOK ® Guide ICB 3.0 PRINCE2 11.2.2 Ausgewählte Projektmanagementstandards 11.2.2.1 PMBOK ® Guide (1) Übersicht über den Standard Der „Guide to the Project Management Body of Knowledge“ ( PMBOK ® Guide ) ist vom amerikanischen Project Management Institute (PMI) entwickelt worden. Das PMI ist die größte internationale Projektmanagement-Organisation; ca. <?page no="429"?> 404 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements 360.000 Personen weltweit sind zertifizierte „Project Management Professionals“ (PMP) (vgl. Brecht-Hadraschek [Zertifizierungen] 4). Die erste Fassung des PMBOK-Guide wurde 1987 veröffentlicht, seit Ende 2008 liegt die vierte Fassung vor. Der PMBOK-Guide wird vom American National Standards Institute (ANSI) und dem Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) als Projektmanagementstandard anerkannt. Der PMBOK-Guide wird regelmäßig im Abstand von ca. vier Jahren mit Hilfe von erfahrenen Praktikern weiterentwickelt. Im Rahmen dieses Standards wird bei der Beschreibung des Projektmanagements ein prozessbezogener Ansatz verfolgt. Die vorgeschlagenen Best Practices stellen eine allgemeine Wissensbasis dar und sollen für jedes Projekt angemessen zugeschnitten werden. Der Guide besteht aus drei Abschnitten (sections): 1. Abschnitt: Rahmen des Projektmanagements Definitionen, Unterscheidung von Projektmanagement, Programmmanagement und Portfoliomanagement, Beschreibung der Projektphasen sowie der Organisationsstruktur eines Projektes. 2. Abschnitt: Standard für das Projektmanagement Es werden folgende fünf Prozessgruppen unterschieden: Initiating, Planning, Executing, Monitoring and Controlling, Closing. Zudem werden spezifische Wissensgebiete (knowledge areas), wie das Personalmanagement oder das Kostenmanagement, definiert, die für ein erfolgreiches Projektmanagement von besonderer Bedeutung sind. Durch die Gegenüberstellung der Prozessgruppen (Initiierung, Planung, Durchführung, Überwachung und Steuerung sowie Abschluss) und der Wissensgebiete ergeben sich 42 Projektmanagementprozesse, die in Abb. 2-140 dargestellt sind. Für jeden einzelnen Prozess wird eine kurze Definition vorgestellt sowie seine Inputs und Outputs aufgezeigt, z.B. die Risikoliste als Input beim Prozess „Durchführen einer quantitativen Risikoanalyse“ und ihre überarbeitete Version als Output. 3. Abschnitt: Wissensgebiete im Projektmanagement In diesem Abschnitt werden die spezifischen Wissensgebiete genauer betrachtet. Alle Prozesse, die zu einem Wissensgebiet gehören, werden im Überblick dargestellt und die Zusammenhänge thematisiert. <?page no="430"?> Projektmanagementstandards · 405 Wissensgebiete Projektmanagementprozesse Integrationsmanagement in Projekten Entwickeln des Projektauftrags Entwickeln des Projektmanagementplans Führen und Managen der Projektdurchführung Überwachen und Steuern der Projektarbeit Durchführen einer integrierten Änderungssteuerung Abschluss eines Projektes oder einer Phase Inhalts- und Umfangsmanagement in Projekten Sammeln von Anforderungen Definieren von Inhalt und Umfang Erstellen des Projektstrukturplans Verifizieren des Inhalts und des Umfangs Steuerung des Inhalts und des Umfangs Terminmanagement in Projekten Definieren der Vorgänge Festlegen des Ablaufs Schätzen des Ressourcenbedarfs Schätzen der Dauern Entwickeln des Terminplans Steuerung des Terminplans Kostenmanagement in Projekten Schätzen der Kosten Festlegen des Budgets Steuerung der Kosten Qualitätsmanagement in Projekten Planen der Qualität Durchführen der Qualitätssicherung Durchführen der Qualitätslenkung Personalmanagement in Projekten Entwickeln eines Personalplans Zusammenstellen des Projektteams Entwickeln des Projektteams Führen des Projektteams Kommunikationsmanagement in Projekten Identifizieren der Stakeholder Planen der Kommunikation Verteilen von Informationen Managen der Erwartungen der Stakeholder Berichten des Projektfortschritts Risikomanagement in Projekten Planen des Risikomanagements Identifizieren von Risiken Durchführen einer qualitativen Risikoanalyse Durchführen einer quantitativen Risikoanalyse Planen des Umgangs mit den Risiken Überwachen und Steuern der Risiken Beschaffungsmanagement in Projekten Planen der Beschaffung Durchführen der Beschaffung Verwalten der Beschaffung Abschluss der Beschaffung / Vertragsende Wissensgebiete Projektmanagementprozesse Integrationsmanagement in Projekten Entwickeln des Projektauftrags Entwickeln des Projektmanagementplans Führen und Managen der Projektdurchführung Überwachen und Steuern der Projektarbeit Durchführen einer integrierten Änderungssteuerung Abschluss eines Projektes oder einer Phase Inhalts- und Umfangsmanagement in Projekten Sammeln von Anforderungen Definieren von Inhalt und Umfang Erstellen des Projektstrukturplans Verifizieren des Inhalts und des Umfangs Steuerung des Inhalts und des Umfangs Terminmanagement in Projekten Definieren der Vorgänge Festlegen des Ablaufs Schätzen des Ressourcenbedarfs Schätzen der Dauern Entwickeln des Terminplans Steuerung des Terminplans Kostenmanagement in Projekten Schätzen der Kosten Festlegen des Budgets Steuerung der Kosten Qualitätsmanagement in Projekten Planen der Qualität Durchführen der Qualitätssicherung Durchführen der Qualitätslenkung Personalmanagement in Projekten Entwickeln eines Personalplans Zusammenstellen des Projektteams Entwickeln des Projektteams Führen des Projektteams Kommunikationsmanagement in Projekten Identifizieren der Stakeholder Planen der Kommunikation Verteilen von Informationen Managen der Erwartungen der Stakeholder Berichten des Projektfortschritts Risikomanagement in Projekten Planen des Risikomanagements Identifizieren von Risiken Durchführen einer qualitativen Risikoanalyse Durchführen einer quantitativen Risikoanalyse Planen des Umgangs mit den Risiken Überwachen und Steuern der Risiken Beschaffungsmanagement in Projekten Planen der Beschaffung Durchführen der Beschaffung Verwalten der Beschaffung Abschluss der Beschaffung / Vertragsende Abb. 2-140: Projektmanagementprozesse nach Wissensgebieten (In Anlehnung an: Project Management Institute [PMBOK] 43) <?page no="431"?> 406 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Pro Prozess werden die Abläufe und Zusammenhänge mit Hilfe eines Flow- Charts verdeutlicht und es werden sinnvolle Tools und Methoden vorgestellt. Die Kurzübersicht pro Prozess aus dem vorhergehenden Abschnitt wird daher um „Tools & Techniques“ erweitert. Im Prozess „Durchführen einer quantitativen Risikoanalyse“ werden hier beispielsweise Methoden zur Sammlung und Darstellung von Daten, wie Befragungen und Wahrscheinlichkeitsverteilungen, Methoden zur quantitativen Risikoanalyse und Modellierung, wie die Sensitivitätsanalyse, die Analyse des Erwartungswertes oder Simulationsmodelle sowie die Expertenbefragung angesprochen. Auch auf die Inputs und Outputs wird genauer eingegangen als im zweiten Abschnitt. Zum PMBOK gehören zudem ein Anhang, in dem genauer auf Veränderungen im Vergleich zur vorigen Auflage und die Entwicklung des PMBOK-Guides eingegangen wird, sowie ein umfangreiches Glossar mit wichtigen Begriffen und Definitionen. (2) Zertifizierung Das Projektmanagement-Curriculum des PMI beinhaltet drei Stufen, wobei die Stufen nicht zwingend nacheinander zu absolvieren sind: (1) Certified Associate in Project Management (CAPM) Grundlagenzertifikat für Projektmanagement-Einsteiger (2) Project Management Professional (PMP) Zertifikat für Projektleiter (3) Program Management Professional (PgMP) Zertifikat für Verantwortliche für strategisch ausgerichtete Projektprogramme und Multiprojektmanagement Ergänzend gibt es noch zwei Zertifizierungen in Spezialbereichen: PMI Risk Management Professional (PMI-RMP) PMI Scheduling Professional (PMI-SP) <?page no="432"?> Projektmanagementstandards · 407 Die Prüfungen des Curriculums bestehen aus Multiple Choice-Fragen in computerbasierten Tests. Für die Zulassung sind i.d.R. umfassende Praxiserfahrungen zu belegen, z.B. für den PMP 4.500 Stunden Projektleitungserfahrung für Bewerber mit Hochschulabschluss bzw. 7.500 Stunden Projektleitungserfahrung für Bewerber mit Abitur (zu den genauen Zulassungsvoraussetzungen vgl. z.B. die Homepage des PMI Chapter München unter http: / / pmi-muc.de/ zertifizierung.htm). Die Zertifikate sind 3 Jahre bzw. beim CAPM 5 Jahre gültig. Da sich das PMI als ausgesprochen praxisorientiert versteht, ist es außer beim CAPM bei allen Zertifikaten notwendig, die eigenen Aktivitäten bei der praktischen Anwendung und Weiterentwicklung des Projektmanagements mit Hilfe von sog. „professional development units“ (PDUs) zu belegen. Innerhalb der drei Jahre müssen 60 PDUs gesammelt werden, damit das Zertifikat für weitere drei Jahre verlängert wird. PDUs werden z.B. für Aus- und Weiterbildung, das Schreiben von Veröffentlichungen zum Thema Projektmanagement und die Anwendung des Wissens im Rahmen von konkreten Projekten vergeben. 11.2.2.2 ICB (1) Übersicht über den Standard Die „International Competence Baseline“ (ICB) ist der internationale Standard für Projektmanagement der International Project Management Association (IPMA). Die Originalfassung der ICB erscheint in Englisch, doch die verschiedenen nationalen Mitgliedsorganisationen der IPMA können sie übersetzen und somit eine nationale Competence Baseline herausgeben. Im deutschsprachigen Raum sind drei Mitgliedsorganisationen der IPMA vertreten: Die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) Die Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement (spm) Die Projekt Management Austria (pma) Die drei Organisationen haben miteinander eine deutsche Ausgabe der ICB erarbeitet („National Competence Baseline“, NCB, Version 3.0 der PM-Zert Zertifizierungsstelle der GPM e.V. vom März 2008). Sie liegt den weiteren Ausführungen zugrunde. Während der PMBOK-Guide prozessorientiert aufgebaut ist, stehen bei der ICB die Kompetenzen im Mittelpunkt. Es wird davon ausgegangen, dass Kompetenzen ein professionelles, erfolgreiches Projektmanagement garantieren. Eine Kompetenz wird definiert als „nachgewiesene Fähigkeit, Wissen und/ oder Fertigkeiten anzuwenden sowie dort, wo dies relevant ist, der Nachweis persön- <?page no="433"?> 408 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements licher Eigenschaften“ ( PM-Zert [NCB] 13). Die Zertifizierung erfolgt daher sehr stark personenbezogen. In der ICB kommt ein wichtiger Bedeutungswandel innerhalb des Projektmanagements zum Ausdruck: Während ursprünglich die technische Kompetenz im Vordergrund stand, werden heute die Verhaltenskompetenz und die Kontextkompetenz als gleichberechtigter Anspruch an die Qualität des Projektmanagements formuliert. Damit wird der für das Projektmanagement gewachsenen Bedeutung der Sozialkompetenz und auch der Vernetzung des Projektes mit seinem Umfeld Rechnung getragen. Die drei großen Kompetenzbereiche umfassen inhaltlich (vgl. PM-Zert [NCB] 16): Die technischen Kompetenzen bestehen aus 20 Elementen, die sich mit der Fach- und Methodenkompetenz im Projektmanagement befassen. Bei den 15 Verhaltenskompetenz-Elementen stehen die persönlichen Beziehungen zwischen den beteiligten Einzelpersonen und Gruppen im Mittelpunkt. Die 11 Kontextkompetenz-Elemente legen den Fokus auf die Interaktion des Projektteams mit dem Projektkontext und der Stammorganisation. Die einzelnen Elemente dieser Kompetenzbereiche sind in Abb. 2-141, dem „Eye of Competence“, erfasst. Dieses Symbol „stellt die Integration aller PM-Elemente bei der Bewertung einer bestimmten Situation durch das Auge eines Projektmanagers dar. Das Auge steht auch für Klarheit und Weitblick“ ( PM-Zert [NCB] 12). In der ICB werden keine speziellen Methoden, Verfahren oder Instrumente beschrieben oder empfohlen. Stattdessen wird jedes einzelne Kompetenzelement wie folgt dargestellt: Allgemeine Beschreibung des Kompetenzelementes, Liste mit möglichen Prozessschritten, die mit dem Kompetenzelement verbunden sein können, Liste mit angesprochenen Themenfeldern, Aufgliederung der Schlüsselkompetenzen, die bei einer Zertifizierung in den verschiedenen Leveln vorhanden sein müssen, Darstellung der Beziehungen zu anderen Kompetenzelementen durch eine Aufzählung der Hauptbeziehungen. <?page no="434"?> Projektmanagementstandards · 409 Abb. 2-141: Eye of Competence (Quelle: PM-Zert [NCB] 3) An dieser Stelle zeigt sich eine wichtige Besonderheit der ICB: Sie ist stark auf die Beurteilung von Kompetenzen für die Zertifizierung einer einzelnen Person ausgerichtet. (2) Zertifizierung Die IPMA vergibt ihre Zertifikate nach dem sog. „Vier-Level-Zertifizierungssystem (4-L-C)“: <?page no="435"?> 410 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements (1) Zertifizierter Projekt-Direktor (IPMA Level A) Für Leiter/ innen von Projektportfolios oder Projektprogrammen (2) Zertifizierter Senior Projektmanager (IPMA Level B) Für Leiter/ innen von komplexen Projekten mit Teilprojekten (3) Zertifizierter Projektmanager (IPMA Level C) Für Leiter/ innen von begrenzt komplexen Projekten mit praktischen Erfahrungen in unterschiedlichen Projekten und Situationen (4) Zertifizierter Projektmanagement-Fachmann (IPMA Level D) Für Mitarbeiter/ innen, die in einem Projekt entsprechendes Projektmanagement-Wissen anwenden können Die Zertifizierung wird in Deutschland durch die PM-Zert , die Zertifizierungsstelle der GPM, durchgeführt. Dabei werden die Kandidaten von mindestens zwei erfahrenen und zertifizierten Assessoren geprüft. Je nach angestrebtem Level unterscheidet sich der Umfang der notwendigen Schritte im Zertifizierungsverfahren. Obligatorisch für alle Level bei PM-Zert sind: Bewerbungsformular, Lebenslauf Liste der Projekte, Programme, Portfolios und Referenzen Selbstbewertung Zulassung zur Teilnahme am Zertifizierungsverfahren Schriftliche Prüfung Je nach Level kommen ein Workshop, eine 360-Grad-Bewertung (Beurteilung der Kompetenz durch drei weitere Personen, „die den Kandidaten von unterschiedlichen Blickwinkeln her gut kennen und diesen auf einem bestimmten Level für zweifellos qualifiziert halten“ (PM-Zert [NCB] 22), ein Bericht und ein Prüfungsgespräch hinzu. Auch die Zulassungsvoraussetzungen unterscheiden sich von Level zu Level; außer beim Level D umfassen sie umfangreiche Praxiserfahrungen in dem angestrebten Level. Nähere Informationen zur Zulassung und zum gesamten Zertifizierungsprozess finden sich in den NCB oder auf der Homepage der GPM unter www.gpm-ipma.de. Grundsätzlich sind die Zertifikate 5 Jahre gültig. Danach kann eine Re- Zertifizierung stattfinden, bei der v.a. die Projektmanagementaktivitäten sowie <?page no="436"?> Projektmanagementstandards · 411 die berufliche Weiterentwicklung seit der letzten Zertifizierung in Betracht gezogen werden. 11.2.2.3 PRINCE2 (1) Übersicht über den Standard PRINCE2 (Projects in Controlled Environments) stellt eine Projektmanagementmethode dar, die in und für Großbritannien als strukturierter Standard für erfolgreiches Projektmanagement im IT-Bereich entwickelt wurde und heute in zunehmendem Maße auch in andere Länder Eingang findet. PRINCE2 ist ein registriertes Warenzeichen des Office of Government Commerce (OGC), einer britischen Regierungsbehörde. Die erste Version von PRINCE2 stammt von 1996, im Jahr 2009 wurde die aktuelle neueste Version „PRINCE2: 2009“ veröffentlicht. Bei PRINCE2 handelt es sich um eine generische Projektmanagementmethode, die grundsätzlich für jedes Projekt genutzt werden kann. PRINCE2 umfasst ein detailliertes Prozessmodell, in dem alle anfallenden Projektmanagementaufgaben beschrieben sind. Auf diese Weise soll ein übergeordneter Rahmen für die konkrete Anwendung bereitgestellt werden. Ein wichtiger inhaltlicher Schwerpunkt liegt jedoch auf der sinnvollen Anpassung der Methode auf die jeweilige Situation („Tailoring“). Grundlage für die Arbeit mit dem Modell ist das Handbuch des OGC mit dem Titel „Erfolgreiche Projekte managen mit PRINCE2“ bzw. im Original „Managing Successful Projects with PRINCE2“. Zudem wurde ein zweites Buch „Erfolgreiches Lenken von Projekten mit PRINCE2“ (englisches Original: „Directing Successful Projects with PRINCE2“) veröffentlicht. Für eine Kurzeinführung in die Thematik empfiehlt sich das Taschenbuch Hedeman/ Seegers [PRINCE2]. Im Rahmen von PRINCE2 werden vier Perspektiven des Projektmanagements unterschieden: 1. Sieben Grundprinzipien Die sieben Grundsätze werden als notwendige Voraussetzung für erfolgreiches Projektmanagement definiert und sind somit für jedes Projekt unverzichtbar. 2. Sieben Themen Hierbei handelt es sich um Schlüsselbereiche, die während des gesamten Projektlebenszyklus eine wichtige Rolle spielen, z.B. der Umgang mit Risiken oder Qualität. <?page no="437"?> 412 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements 3. Sieben Prozesse PRINCE2 ist eine prozessorientierte Methode. Für jeden einzelnen Prozess im Projektverlauf werden Aktivitäten, Ergebnisse und Verantwortlichkeiten beschrieben. 4. Anpassung der Methode an die Projektumgebung („Tailoring“) Abb. 2-142 gibt einen Überblick über die sieben Grundprinzipien in PRINCE2. Projektumgebung Produktorientierung Steuern nach dem Ausnahmeprinzip Steuern über Managementphasen Definierte Rollen und Verantwortlichkeiten Anpassung an die Projektumgebung Fortlaufende geschäftliche Rechtfertigung Lernen aus Erfahrungen PRINCE2-Grundprinzipien Abb. 2-142: Grundprinzipien von PRINCE2: 2009 (Quelle: Hedeman/ Seegers [PRINCE2] 23, basierend auf Unterlagen des OGC) Während der gesamten Projektlaufzeit sind sieben wichtige Schlüsselthemen zu beachten: Thema Frage nach Business Case Warum? Organisation Wer? Qualität Was? <?page no="438"?> Projektmanagementstandards · 413 Pläne Welche? Wie? Wie viel? Wann? Risiken Was ist, wenn? Änderung Was sind die Auswirkungen? Fortschritt Wo stehen wir jetzt? Wohin gehen wir? Sollen wir weitermachen? Abb. 2-143: Die Schlüsselthemen nach PRINCE2 (Quelle: Hedeman/ Seegers [PRINCE2] 29, basierend auf Unterlagen des OGC) Den größten Teil von PRINCE2 nehmen die detaillierten Beschreibungen der sieben Projektmanagement-Prozesse ein: Vorbereiten eines Projektes (Starting up a Project) Initiieren eines Projektes (Initiating a Project) Lenken eines Projektes (Directing a Project) Steuern einer Phase (Controlling a Stage) Managen der Produktlieferung (Managing Product Delivery) Managen der Phasenübergänge (Managing Stage Boundaries) Abschließen eines Projektes (Closing a Project) In der ersten Version von PRINCE2 gab es noch einen weiteren Prozess „Planen eines Projektes (Planning)“, der in der neuesten Auflage in das Schlüsselthema „Pläne“ integriert wurde. Die Prozesse finden i.d.R. in unterschiedlichen Projektphasen statt (vgl. Abb. 2-144). Für jeden Prozess werden nun der grundlegende Zweck, die Ziele, die einzelnen Aktivitäten und die damit verbundenen empfohlenen Tätigkeiten skizziert. Zur Illustrierung wird jeweils ein Prozessdiagramm erstellt, aus dem die Zusammenhänge mit anderen Prozessen, die Abfolge der Aktivitäten und Managementprodukte zu ersehen sind. In Abb. 2-145 ist als Beispiel die Übersicht über den Prozess „Initiieren eines Projektes“ dargestellt. Für die notwendigen Managementprodukte sind konkrete Vorlagen verfügbar, mit deren Hilfe ihre Vollständigkeit und Qualität sichergestellt werden soll. <?page no="439"?> 414 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Lenken Liefern Managen Managen eines Phasenübergangs Managen eines Phasenübergangs Initiieren eines Projekts Initiieren eines Projekts Managen eines Phasenübergangs Managen eines Phasenübergangs Steuern einer Phase Steuern einer Phase Managen der Produktlieferung Managen der Produktlieferung Abschließen eines Projekts Abschließen eines Projekts Steuern einer Phase Steuern einer Phase Managen einer Produktlieferung Managen einer Produktlieferung Vor dem Projekt Das Projekt wird initiiert Nachfolgende Phase(n) Letzte Phase inklusive Projektabschluss Lenken eines Projekts Abb. 2-144: PRINCE2-Prozesse (Quelle: Office of Government Commerce [Projekte] 131) (2) Zertifizierung Für PRINCE2 werden zwei Zertifizierungen angeboten: 1. PRINCE2 Foundation: Bei dieser Basisprüfung liegt der Schwerpunkt auf den Grundlagen und den Begrifflichkeiten von PRINCE2. Es handelt sich um einen einstündigen Multiple Choice-Test. 2. PRINCE2 Practitioner Dieses Zertifikat ist für Projektleiter gedacht und zielt daher auf die konkrete Umsetzung und Anwendung von PRINCE2 ab. Voraussetzung ist ein Foundation-Zertifikat. Die Prüfung besteht aus einer dreistündigen Klausur, die auf einem fiktiven Projekt basiert. Schulungen zur Vorbereitung und Prüfungen dürfen lediglich von akkreditierten Organisationen durchgeführt werden, die von der APMG Group Ltd. überwacht werden. <?page no="440"?> Projektmanagementstandards · 415 Lenken eines Projekts Lenken eines Projekts Freigabe der Projektinitiierung Freigabe der Projektinitiierung Antrag auf Ausführung des Projekts Antrag auf Ausführung des Projekts Erreichen des Phasenübergangs Erreichen des Phasenübergangs Managen eines Phasenübergangs Managen eines Phasenübergangs Risikomanagementstrategien erstellen Risikomanagementstrategien erstellen Konfigurationsmanagementstrategien erstellen Konfigurationsmanagementstrategien erstellen Qualitätsmanagementstrategien erstellen Qualitätsmanagementstrategien erstellen Kommunikationsmanagementstrategie erstellen Kommunikationsmanagementstrategie erstellen Projektsteuerungsmittel einrichten Projektsteuerungsmittel einrichten Projektplan erstellen Projektplan erstellen Business Case verfeinern Business Case verfeinern Projektleitdokumentation zusammenstellen Projektleitdokumentation zusammenstellen Initiieren eines Projekts Abb. 2-145: Übersicht über den Prozess „Initiieren eines Projektes“ (Quelle: Office of Government Commerce [Projekte] 167) 11.2.3 Verbreitung und Schwerpunkte der Standards Die drei vorgestellten Standards haben verschiedene inhaltliche Schwerpunkte und unterscheiden sich, v.a. aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte und ihrer Herkunft, auch in ihren geographischen Verbreitungsgebieten. Der PMBOK-Guide wurde in den Vereinigten Staaten entwickelt. Er weist einen hohen internationalen Bekanntheitsgrad auf und ist gerade in englischsprachigen Ländern weit verbreitet. <?page no="441"?> 416 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Im deutschsprachigen Raum hat die NCB als Standard der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) und ihren Schwesterverbänden in der Schweiz und Österreich eine herausragende Stellung. PRINCE2 gewinnt in den letzten Jahren zunehmend auch im deutschsprachigen Raum an Bedeutung. Bisher wurde es vornehmlich in Ländern eingesetzt, die enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Großbritannien aufweisen. Die wichtigsten inhaltlichen Schwerpunkte der drei Standards werden in Abb. 2-146 einander gegenübergestellt. Inhalte PMBOK-Guide von PMI ICB/ NCB der IPMA/ GPM PRINCE2 des OGC Ziele Umfangreiche Wissenssammlung der anerkannten Best Practices „Kanon international abgestimmter und vereinbarter Kompetenzelemente“ (PM-Zert [NCB] 6), insbesondere zur Bewertung und Zertifizierung der für ein professionelles PM notwendigen Kompetenzen Bereitstellung eines Methodenrahmens zur sofortigen Anwendung Grundlegende Perspektive Prozessorientiert Kompetenzorientiert Prozessorientiert Abstraktionsgrad Mittel, Prozesse definiert Hoch, keine konkreten Handlungsanweisungen oder Methoden Niedrig, Prozesse sind relativ detailliert beschrieben, konkrete Vorlagen für Berichte usw. sind verfügbar Kernbranchen Keine Einschränkung, auf alle Projekte anwendbar Keine Einschränkung, auf alle Projekte anwendbar Traditionell aus dem IT-Bereich, jedoch als generischer Ansatz auf alle Projekte anwendbar <?page no="442"?> Projektmanagementstandards · 417 Regionaler Einsatz International mit Schwerpunkt auf den USA, sehr häufig in globaler Projektumgebung in internationalen Großprojekten Führend im deutschsprachigen Raum, zunehmende Ausdehnung auch in Asien Zunächst v.a. in Großbritannien und Ländern, die traditionell starke Geschäftsbeziehungen mit GB unterhalten, mittlerweile weitere Verbreitung Verbreitung der Zertifikate Ca. 370.000 PMPs weltweit (vgl. PMI [What is PMI? ]) Mehr als 110.000 Zertifizierte in allen Leveln weltweit, Stand Ende 2009 (vgl. International Project Management Association [Certification]) Ca. 200.000 PRINCE2 Practitioner (vgl. Brecht- Hadrascheck [Zertifizierungen] 4) Abb. 2-146: Vergleichende Gegenüberstellung der Standards von PMI, IPMA/ GPM und OGC Aufgrund der unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte und Ausgestaltung der Standards hängt es stark von der individuellen Situation und den Zielen des Unternehmens ab, welcher Standard für die eigenen Projektaktivitäten zugrunde gelegt werden sollte. Allerdings ist es oftmals gar nicht notwendig, sich für einen Ansatz zu entscheiden, sondern es bietet sich an, die große Wissensbasis über das Projektmanagement in den verschiedenen Standards zu nutzen und die unterschiedlichen Sichtweisen zu kombinieren. So empfehlen Thom/ Odermatt ([Projektmanagement] 16) von der Universität Bern in ihrem Gutachten zu den Zertifizierungsverfahren von PMI und IPMA im Projektmanagement: „Ambitionierte Projektleiter sind gut beraten, sich nicht ausschließlich auf eines der beiden Systeme zu fokussieren. Gerade weil die Ansätze von PMI und IPMA im Kern verschieden sind, kann ihre Kombination zu optimalen Resultaten führen. Gleiches gilt für Unternehmen, die das Ziel anstreben, in ihrem Unternehmen ein optimales Projektkarrieremodell zu installieren. Da die wesentlichen Elemente der PMI- und IPMA-Zertifizierung nur geringe Schnittflächen aufweisen, erscheint es durchaus sinnvoll, in unternehmensspezifischen Projektlaufbahnen Zertifikate beider Systeme zu berücksichtigen - ergänzt durch betriebseigene Qualitätssicherungsmaßnahmen. Diese <?page no="443"?> 418 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Überlegungen können nicht nur große und international tätige Unternehmen anstellen, sondern auch KMU mit nationaler Ausrichtung“. Eine solche Kombination bietet sich ebenfalls an, wenn man aufgrund der hohen Bedeutung des Projektmanagements eine individuelle Vorgehensweise mit einem eigenen Standard im Unternehmen entwickeln und etablieren will. 11.2.4 Unternehmenseigene Standards Allein aufgrund des teilweise recht hohen Abstraktionsgrades der allgemeinen Standards erscheint es oftmals sinnvoll, einen eigenen Standard für das Projektmanagement im Unternehmen zu definieren. Auch im stark anwendungsorientierten PRINCE2-Standard spielt das „Tailoring“, also der Zuschnitt der allgemeinen Vorgehensweise auf die eigenen konkreten Bedürfnisse, eine wichtige Rolle. Ein eigener Projektmanagementstandard umfasst mindestens einen übergeordneten Projektphasenplan mit Meilensteinen, eine konkrete Prozessbeschreibung mit Formularen, Checklisten und Vorlagen, alle notwendigen Hilfsmittel zur sinnvollen Anwendung von Methoden und Werkzeugen (z.B. Software), ein Projektmanagement-Handbuch, in dem der gesamte Standard festgelegt und erklärt wird (incl. einer Beschreibung der Projektorganisation und der Rollen der Projektbeteiligten). Bei der Entwicklung des Standards sollte darauf geachtet werden, dass sehr erfahrene Projektleiter beteiligt sind, um ihre Erfahrungen und Vorschläge einzubringen, Öffnungen für den projektspezifischen Zuschnitt des Standards vorgesehen sind (z.B. nach Projektgrößen oder -bedeutung), der Standard nicht zu starr, überreglementiert oder überbürokratisiert ausgestaltet wird, sondern die Projektleiter und das Projektteam die neuen Regelungen als hilfreich und unterstützend in der täglichen Arbeit empfinden können (Gleichgewicht zwischen Strukturierung und Freiheit für kreatives Arbeiten im Projekt), <?page no="444"?> Alternative Vorgehensmodelle · 419 der Standard regelmäßig unter Berücksichtigung der Projekterfahrungen und der neuesten Best Practices überarbeitet wird, damit er nicht veraltet, sondern weiterentwickelt und neuen Erfordernissen angepasst wird. Um Ängsten und Widerständen bei den von den Veränderungen betroffenen Mitarbeitern zu begegnen, sollte bei der Entwicklung und Einführung eines neuen Standards auf ein begleitendes Change Management geachtet werden. Erfahrungsgemäß sind hier besonders wichtig: begleitende Kommunikationsmaßnahmen, auch bereits im Vorfeld, Einbindung von wichtigen Meinungsführern bei der Entwicklung des Standards, intensive Schulungen, Unterstützung der Mitarbeiter bei der Anwendung des neuen Standards durch einen kompetenten Ansprechpartner (vgl. die Ausführungen zum Projektmanagementoffice in Abschnitt 11.4.2). Bei der Diskussion um die Professionalisierung des Projektmanagements und die Entwicklung eines neuen Standards können auch alternative Vorgehensmodelle im Projektmanagement eine wichtige Rolle spielen. Im nächsten Abschnitt werden zwei weitere Vorgehensmodelle vorgestellt. 11.3 Alternative Vorgehensmodelle Die Methoden, die im Rahmen des Managements von Projekten angewendet werden, sind mittlerweile weitgehend ausgereift. Neue Entwicklungen des Projektmanagements sind jedoch auch in diesem Bereich zu finden: Diese Weiterentwicklungen betreffen allerdings weniger die einzelnen Techniken als vielmehr eine grundlegende Infragestellung der Vorgehensweise innerhalb eines Projektes. Im Folgenden werden zwei Vorgehensmodelle betrachtet, bei denen sich die Prämissen für die Planung, Durchführung und Kontrolle von Projekten verändern: Das Critical Chain-Projektmanagement und Das Agile Projektmanagement. Im Critical Chain-Projektmanagement wird das gesamte Projekt so geplant, dass die Engpassressource im Projekt möglichst sinnvoll ausgelastet ist. Alles andere wird dieser Prämisse untergeordnet, d.h. alle Steuerungsaktivitäten sind <?page no="445"?> 420 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements darauf ausgerichtet, dass dieser Ressource die Arbeit nicht ausgeht bzw. dass sie vor Überlastungen geschützt wird. Beim Agilen Projektmanagement stehen das ständige Anpassen des Projektes an Veränderungen und neue Erkenntnisse im Mittelpunkt. Zudem wird die eigenverantwortliche Zusammenarbeit der beteiligten Mitarbeiter als wichtigster Erfolgsfaktor für ein Projekt gesehen. 11.3.1 Critical Chain-Projektmanagement Das Critical Chain-Projektmanagement oder auch „Konzept der kritischen Kette im Projektmanagement“ wurde von Eliyahu M. Goldratt (geb. 1948) im Jahre 1997 entwickelt. Das Konzept beruht auf der von Goldratt begründeten „Theory of Constraints“, einem systemorientierten Management-Ansatz zur Identifizierung und Beseitigung von Engpässen in Unternehmen und damit zur Beschleunigung der Durchlaufzeit in Projekten. 11.3.1.1 Die „Theory of Constraints“ als Grundlage des Konzeptes In der „Theory of Constraints“ wird ein Unternehmen als Netzwerk verschiedener Prozesse gesehen. Die Performance dieses Netzwerkes wird durch einen „Flaschenhals“-Prozess nach oben begrenzt (vgl. Löbel [Wege] 31). Im Ausnahmefall kann es auch mehrere „Flaschenhälse“ geben. Will man das gesamte System nun effizienter gestalten, so ist insbesondere am „Flaschenhals“ anzusetzen. Hierzu schlägt Goldratt fünf Schritte vor (vgl. Goldratt [Theory] und Löbel [Wege] 33ff.): (1) Identifizieren des Flaschenhalses Das limitierende Element im Unternehmen muss zunächst gefunden werden. Hierbei kann es sich sowohl um materielle Ressourcen, wie etwa Arbeitskapazitäten, als auch um immaterielle Beschränkungen in Form von Regeln oder Verfahrensanweisungen handeln. (2) Auslasten des Flaschenhalses Ist der Flaschenhals gefunden, wird untersucht, wie die volle Kapazität dieses limitierenden Elements genutzt werden kann. (3) Unterordnen aller anderen Dinge Das Gesamtsystem muss auf Ursachen für die bisherige Minderauslastung des Flaschenhalses untersucht werden. Es ist dann eine Umgestaltung des Systems <?page no="446"?> Critical Chain-Projektmanagement · 421 notwendig, damit die bestmögliche Nutzung des Flaschenhalses sichergestellt werden kann. (4) Erweitern des Flaschenhalses Unter Umständen ist es möglich und sinnvoll, den Flaschenhals „aufzubohren“, d.h. die Kapazität des Flaschenhalses zu erweitern, beispielsweise durch Neueinstellungen von Mitarbeitern mit bestimmten Qualifikationen oder die Anschaffung einer weiteren Maschine. Im Anschluss stellt sich die Frage, ob sich nun ein neuer Flaschenhals ergibt, der optimiert werden sollte. (5) Kontrolle / Rekursion Durch Schritt (4) werden Maßnahmen, die man in Schritt (2) und (3) eingeführt hat, unter Umständen obsolet oder gar kontraproduktiv. Zudem ist die gesamte Situation nicht statisch und benötigt daher weiterhin Aufmerksamkeit. Goldratt legt somit sein Konzept als einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zur Erhöhung der Effizienz an. Bei der gesamten Untersuchung ist zu bedenken, dass das Gesamtsystem „Unternehmen“ stark vernetzt ist: Es besteht in der Regel aus vielen Teilsystemen, also in sich geschlossenen Untereinheiten wie Abteilungen oder Geschäftseinheiten. Werden hier lediglich lokale Optima gesucht, müssen sie in Summe nicht das globale Optimum für das gesamte Unternehmen ergeben. Es ist daher ein ganzheitliches systemisches Denken notwendig, um die effizienteste Lösung für das Gesamtunternehmen zu erreichen. Diese Grundüberlegungen werden im Konzept der kritischen Kette auf Projekte übertragen. 11.3.1.2 Definitionen und Ziele des Critical Chain- Projektmanagements In Goldratts Buch „Die Kritische Kette. Ein Roman über das neue Konzept im Projektmanagement“ (Frankfurt a.M./ 2002) sollen drei junge Führungskräfte gemeinsam als „Think Tank“ die Entwicklungszeit eines Produktes in einem schnelllebigen Markt drastisch verkürzen (vgl. Goldratt [Kritische Kette] 7ff.). In vielen Märkten sind die Produktlebenszyklen sehr kurz: Die Fähigkeit, in möglichst kurzen Zeitabständen neue, qualitativ hochwertige Produkte auf den Markt zu bringen, stellt hier einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil dar. In anderen Branchen drohen hohe Konventionalstrafen bei Zeitverzug des Projektes. <?page no="447"?> 422 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Ziele des Critical Chain-Projektmanagements sind die Verkürzung der Projektlaufzeit, zumindest eine Verbesserung der Termintreue. Fokussiert man den Faktor Zeit im Projekt, so steht der reibungslose Ablauf des Projektes im Vordergrund. Wie in einem Staffellauf spielen dabei die rechtzeitige Verfügbarkeit und der Arbeitseinsatz der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle. Goldratt führt daher ergänzend zum „Kritischen Pfad“, der logische und sachliche Abhängigkeiten widerspiegelt (vgl. S. 172), den Begriff der „Kritischen Kette“ ein: Die Kritische Kette ist die längste Folge voneinander abhängiger Projektaufgaben unter Berücksichtigung von Ressourcenabhängigkeiten. Diese Kritische Kette stellt somit den Engpass aus der „Theory of Constraints“ dar, denn das Projekt kann nicht schneller voranschreiten als entlang dieser Kette. Welche Implikationen ergeben sich daraus für das Critical Chain- Projektmanagement? 11.3.1.3 Grundsätze des Critical Chain-Projektmanagements Goldratt hat verschiedene Schwachstellen bei der herkömmlichen Ressourcenplanung und insbesondere der Aufwandsschätzung identifiziert (vgl. Techt [Critical-Chain-Projektmanagement] 14f. sowie Lörz/ Techt [Critical Chain] 43ff. und 113ff.): (1) Umwandlung von Schätzungen in verbindliche Zusagen Bei der Aufwandsschätzung sind sich die Mitarbeiter i.d.R. bewusst, dass ihre Schätzungen später im Projektplan in verbindliche Termine umgewandelt werden. Da sie als zuverlässig gelten wollen, versuchen sie, möglichst realistisch zu schätzen und antizipieren daher, dass aller Erfahrung nach nicht alles so laufen wird, wie ursprünglich geplant (vgl. Abb. 2-147). Daher kalkulieren sie persönliche Zeitpuffer in die Aufwandsschätzungen ihrer Arbeitspakete ein, die nach Goldratt oftmals mehr als 50% der geschätzten Dauer betragen. Diese individuellen Sicherheitspuffer sind für das Gesamtprojekt i.d.R. unwiederbringlich verloren. Lörz/ Techt ([Critical Chain] 121) führen hier „Parkinson`s Law“ an: „Arbeit dehnt sich so weit aus, dass sie die dafür zur Verfügung stehende Zeit ausfüllt“. <?page no="448"?> Critical Chain-Projektmanagement · 423 (2) Wenn alles sehr gut läuft, schaffe ich es in 80 bis 90 Tagen - auf keinen Fall geht es unter 80 Tagen, denn die 80 Tage brauche ich, wenn ich ununterbrochen daran arbeite. (1) Normalerweise (mit einer Wahrscheinlichkeit von 50%) müsste ich es in 100 bis 110 Tagen schaffen können. (3) Es können Störungen eintreten, die dazu führen, dass ich andere Projekte parallel bearbeiten muss. Dann werden es 150 bis 200 Tage. (4) Es könnte sein, dass noch Schwierigkeiten in den Aufgaben selbst auftreten. Dafür sollte ich ein paar Tage Sicherheitsreserve einplanen. (5) Alles in allem bin ich nur dann auf der richtigen Seite, wenn ich 200 bis 220 Tage angebe. (6) Wenn ich Pech habe und Herr Müller wieder krank ist, dauert es noch viel länger. 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 240 Tage Wahrscheinlichkeit in % Abb. 2-147: Wahrscheinlichkeitsverteilung (Quelle: Lörz/ Techt [Critical Chain] 118) Auf diese Weise werden auch Verzögerungen im Projekt kaum aufgeholt: Arbeitet der Nachfolger schneller, so müsste er befürchten, dass seine Zeitschätzungen beim nächsten Projekt in Zweifel gezogen werden. (2) „Studentensyndrom“ Aufgaben werden nur sehr selten vor dem festgesetzten Termin beendet. Oftmals werden Arbeiten erst „auf den letzten Drücker“ begonnen und fertig gestellt. Somit werden die persönlichen Sicherheitspuffer i.d.R. unnötig ausgeschöpft. <?page no="449"?> 424 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements (3) Negatives Multitasking Muss eine Aufgabe unterbrochen werden zugunsten einer anderen, in diesem Moment höher priorisierten Aufgabe kann sich diese Form des Multitasking negativ auf die Dauer der Aufgaben auswirken. Sehr deutlich wird dies anhand von Abb. 2-148: Im ursprünglichen Arbeitsplan waren ca. 6 Wochen für die Aufgaben des Projektes Oslo vorgesehen. Da jedoch die Aufgaben für die anderen beiden Projekte eingeschoben werden müssen, verlängert sich die Durchlaufzeit bis zur endgültigen Fertigstellung der Aufgaben dieses Projektes auf fast 4 Monate. Zudem vergrößert sich aufgrund der Einarbeitungszeiten auch der Arbeitsaufwand. Ursprünglicher Arbeitsplan Aufgaben für Projekt OSLO Realität durch Multitasking Oslo Aufgaben für Projekt PARIS Aufgaben für Projekt RIO Paris Rio Oslo Paris Rio Oslo Paris Monat 1 Monat 1 Monat 1 Monat 1 Abb. 2-148: Negatives Multitasking (Quelle: Lörz/ Techt [Critical Chain] 44) (4) Fehlende Abstimmung und Flexibilität bei der Arbeitsübergabe Sollte ein Mitarbeiter seine Aufgabe früher als geplant beenden und an den Nachfolger übergeben, so wird diese Zeit häufig vom Nachfolger nicht genutzt, da er noch andere Aufgaben zu erledigen hat. Diese Erkenntnisse greift Goldratt in seinem Konzept auf und leitet daraus wichtige Grundsätze zur Planung, Optimierung und Steuerung der Kritischen Kette ab (vgl. Goldratt [Kritische Kette], Techt [Critical-Chain-Projektmanagement] 14f. und Lörz/ Techt [Critical Chain] 116ff.): Schätzungen bleiben Schätzungen Schätzungen werden nicht mehr zu Terminzusagen gemacht, sondern es ist allen Beteiligten klar, dass es sich hier um Schätzungen handelt, die mit entspre- <?page no="450"?> Critical Chain-Projektmanagement · 425 chenden Unsicherheiten behaftet sind. Diese Unsicherheiten werden nun nicht mehr in jedem einzelnen Arbeitspaket berücksichtigt, sondern sie werden in Form von globalen Puffern einkalkuliert. Einrichtung von Projektpuffern Die einzelnen Arbeitspakete, die auf der Kritischen Kette liegen, werden zeitlich um 50% gekürzt. Diese eingesparten Zeiten werden dann global als sog. „Projektpuffer“ ans Ende des Projektes gestellt. Goldratt schlägt vor, den gesamten Projektpuffer anschließend zu halbieren (vgl. Goldratt [Kritische Kette] 165). Auf diese Weise wird die gesamte Projektlaufzeit um 25% reduziert. Einrichtung von Zubringerpuffern Die Kritische Kette stellt für das Projekt den Engpass dar, der in der „Theory of Constraints“ thematisiert wird. Es wird daher alles Übrige am Engpass ausgerichtet, um ihn optimal auszulasten. Vor allem ist es notwendig, den Engpass vor Zeitverlusten zu schützen, die sich durch Probleme in den Arbeitspaketen ergeben, die nicht auf der Kritischen Kette liegen, sondern als „Zubringer“ fungieren. Die Zeiten für die Arbeitspakete auf dem Zubringer werden daher ebenfalls um 50% gekürzt und die Hälfte dieser Zeit wird als globaler „Zubringerpuffer“ direkt vor dem Engpass eingeplant. Realisierung des Prinzips des Staffellaufs Um den Problemen des „Studentensyndroms“, des „Negativen Multitaskings“ und der fehlenden Abstimmung und Flexibilität bei der Arbeitsübergabe entgegenzuwirken, wird das Prinzip des Staffellaufs eingesetzt: „Nach dem Prinzip des Staffellaufs beginnt jeder Mitarbeiter seine Aufgabe, sobald er die Arbeit von seinem Vorgänger erhalten hat. Er konzentriert sich ganz auf seinen Auftrag und ist von anderen Arbeiten freigestellt. Gewissermaßen sprintet er mit dem Staffelstab und versucht, so schnell wie möglich diesen Stab weiterzureichen. Braucht er dennoch mehr Zeit als ursprünglich geschätzt, wird diese Zeit vom Projektpuffer aufgefangen“ ( Techt [Critical-Chain-Projektmanagement] 15). Für die Realisierung dieses Prinzips werden neue Kommunikationsregeln notwendig, um eine reibungslose Übergabe zu gewährleisten. Schutz des Projektpuffers Der Projektpuffer steht nicht für etwaige Kürzungen zur Verfügung, insbesondere hat das Top-Management keinen Zugriff auf den Projektpuffer. Kunden, die nicht mit dem Konzept vertraut sind, wird der Projektplan mit der Kritischen Kette nicht gezeigt. <?page no="451"?> 426 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements 11.3.1.4 Implikationen für das Multiprojektmanagement Das Staffellaufprinzip bringt viele Veränderungen für alle Betroffenen mit sich. Eine wichtige Voraussetzung ist hier, dass der eingeplante Mitarbeiter auf der Kritischen Kette auch wirklich zum entsprechenden Zeitpunkt zur Verfügung steht und die Arbeit übernehmen kann. In einem Aufsatz über die unternehmensweite Einführung des Critical-Chain- Managements wird über Probleme der Ressourcenabstimmung berichtet: „Nach wenigen Wochen schon beklagten die Projektleiter Ressourcenengpässe, die ihre strammen Projektpläne zunichte machten. Die CCPM-Projekte untereinander waren nicht abgestimmt und synchronisiert. Die Hausaufgaben für die einzelnen Projekte waren gemacht, aber nicht für die gesamte Projektflotte“ ( Steeger [Staffelformation] 7). Abhilfe schafft hier die projektübergreifende Identifizierung der Engpass- Ressourcen im Unternehmen, die aufgrund ihrer Qualifikation in vielen Projekten eingesetzt werden. Die Projekte sind dann zu priorisieren und so zu staffeln, „dass die kritische, mehrfach benötigte Ressource ihre Aufgaben nacheinander abarbeiten kann. Möglicherweise werden - mit Blick auf diese Ressource - Projekte gestaffelt statt zeitgleich gestartet. Erst diese Synchronisierung - mit der kritischen Ressource im Mittelpunkt (die sog. DRUM-Ressource, die „Taktgeberin“) - erbringt dem Unternehmen ein optimales Ergebnis“ ( Techt [Critical-Chain-Projektmanagement] 15). Zur möglichst optimalen Auslastung der DRUM-Ressource wird wieder auf die Prinzipien der „Theory of Constraints“ zurückgegriffen: Alles muss sich dem Engpass unterordnen. Es werden entsprechende Puffer vor dem Engpass eingebaut, mit deren Hilfe sichergestellt werden soll, dass die Engpass-Ressource auf keinen Fall von negativem Multitasking betroffen ist. Abb. 2-149 zeigt die Staffelung verschiedener Projekte mit sog. „Drum Buffer“. Die Ressource E stellt hier die Drum-Ressource dar, die bestimmt, wann das nächste Projekt gestartet werden kann. In diesem Beispiel kann Projekt 2 gestartet werden, wenn die Ressource E mit ihren Aufgaben für Projekt 1 beginnt. So können zum einen mögliche Verspätungen ausgeglichen werden, falls die Ressource E erst später als geplant für Projekt 1 und 2 zur Verfügung steht. Zum anderen kann der Engpass früher mit seinen Aufgaben für Projekt 2 beginnen, falls er in Projekt 1 schneller fertig sein sollte. <?page no="452"?> Critical Chain-Projektmanagement · 427 A B E A C E D F G E C A B C E A E D F G E C Startschuss für Projekt 2 A B C E A E D F G E C 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 Tage Abb. 2-149: Staffeln von Projekten nach der Engpass-Ressource mit Drum Buffer (In Anlehnung an: Lörz/ Techt [Critical Chain] 69) 11.3.1.5 Kritische Würdigung des Konzeptes Mit der Einführung des Critical Chain-Managements sind umfangreiche Anforderungen an die Unternehmenskultur und das auf ihr beruhende Verhalten verbunden: (1) Anforderungen an die Projektmitarbeiter Die Projektmitarbeiter müssen sich daran gewöhnen, dem Engpass zuzuarbeiten und ihre Tätigkeiten dem Engpass unterzuordnen. Dies erfordert einen ganz neuen Arbeitsstil und ein neues Kommunikationsverhalten: Das Staffellaufprinzip erfordert eine intensive Vorbereitung der Arbeitsübergabe, entsprechende Freiräume, um die Arbeit evtl. auch früher als geplant übernehmen zu können, sowie ein sofortiges „Lossprinten“ mit den Aufgaben. <?page no="453"?> 428 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Alle Planungen müssen zwingend ohne persönlichen Puffer erfolgen. Es erfordert eine entsprechende Vertrauenskultur, um den persönlichen Sicherheitspuffer in der Aufwandsschätzung preiszugeben. (2) Anforderungen an den Projektleiter Die zentrale Aufgabe des Projektleiters besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Kritische Kette möglichst schnell und reibungslos vorankommt. Er muss also zunächst ein neues Selbstverständnis entwickeln. Die Art der Projektplanung ändert sich durch die Konzentration auf den Projektengpass und den neuen Umgang mit den Pufferzeiten umfassend. Der Projektleiter muss v.a. in der Umstellungsphase sehr diplomatisch und geduldig auf die Ängste, Bedenken und Fragen der Mitarbeiter eingehen. Will man das Konzept erfolgreich einführen, ist eine Optimierung der Engpässe auf Gesamtunternehmensebene notwendig. Der einzelne Projektleiter verliert hier an Einfluss- und Optimierungsmöglichkeiten für sein persönliches Projekt. (3) Anforderungen an das (Top-)Management Der Projektpuffer im einzelnen Projekt darf nicht mehr angetastet werden. Es wird eine neue Art von Multiprojektmanagement notwendig, das besonders auf die kritischen Ressourcen des Unternehmens konzentriert ist. Es zeigt sich also gerade vor dem Hintergrund dieser umfassenden Anforderungen an das Verhalten, dass die Entscheidung für die Einführung des Critical Chain-Projektmanagements weit reichende Konsequenzen hat: Soll die Methodik wirklich zum Erfolg führen, muss sie unternehmensweit eingeführt werden. Sie verlangt eine konsequente Umsetzung der neuen Planungs- und Steuerungsgrundsätze und kann nur mit einer klaren Unterstützung durch das Management eingeführt werden. Für die Projektleiter und Projektmitarbeiter sind umfassende Schulungen und Trainings notwendig. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der praktischen Verbreitung des Konzeptes. Bisher sind v.a. einzelne Erfahrungsberichte zu dem Thema zu finden (z.B. Steeger [Kritische Kette] oder [Staffelformation]). Eine umfassende empirische Bestätigung der Wirksamkeit der Vorgehensweise steht unseres Wissens noch aus. Generell scheint die Methodik in den USA und Asien eher eine gewisse Verbreitung zu finden als in Europa. <?page no="454"?> Agiles Projektmanagement · 429 Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit einem anderen und zur Zeit viel beachteten Vorgehensmodell im Projektmanagement, dem Agilen Projektmanagement. 11.3.2 Agiles Projektmanagement Der aus dem Lateinischen stammende Begriff „agil“ lässt sich mit „flink“, „beweglich“ übersetzen. In agilen Modellen wird von einer evolutionären Entwicklung im Projektverlauf ausgegangen: Man rechnet ständig mit Änderungen aufgrund von neuen Erkenntnissen, die man im Projektverlauf gewinnt. Man erstellt daher zunächst eine grobe Rahmenplanung für das gesamte Projekt. Spätere Phasen werden erst im Laufe des Projektes im Detail geplant, da alle Beteiligten im Projektverlauf lernen und diese Erkenntnisse in das Projekt einfließen sollen. Ziel des agilen Projektmanagements ist v.a. eine schnellere und änderungsfreundlichere Entwicklung 11.3.2.1 Grundlagen agiler Entwicklungen Die Wurzeln des „Agilen Projektmanagements“ liegen in der Softwareentwicklung. Der Bereich des Software-Engineering ist besonders stark von der Verkürzung der Produktlebenszyklen und den erhöhten Flexibilitätsanforderungen von Kundenseite betroffen. Eine besondere Schwierigkeit resultiert hierbei aus dem Charakter von Software: Es handelt sich um ein Produkt, bei dem sich der Kunde häufig noch gar nicht genau vorstellen kann, was die neue Software alles leisten könnte und sollte. Zudem ist die Softwareentwicklung extrem komplex, beispielsweise aufgrund der Vielzahl von Schnittstellen, die zu berücksichtigen sind. Zu Projektbeginn sind Softwareentwicklungsprojekte daher oftmals durch eine starke Unschärfe der Ziele gekennzeichnet. In der Regel ergeben sich während der Entwicklung neue Anforderungen oder Änderungsnotwendigkeiten, die schnellstmöglich berücksichtigt werden sollten. Es ist also eine besondere Flexibilität und Professionalität notwendig, da diese Projekte nur bedingt vorhersehbar und planbar erscheinen. In den 1980er und 1990er Jahren wurde verstärkt die Standardisierung von Prozessen vorangetrieben, um bewährte Techniken und Vorgehensweisen für <?page no="455"?> 430 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements alle Beteiligten nutzbar zu machen und so Effizienzvorteile zu realisieren. Zudem boomten zu dieser Zeit die Qualitätsmanagementsysteme und führten häufig zu erhöhten Dokumentationsanforderungen. Das Agile Projektmanagement entstand zum Großteil als Gegenbewegung zu stärker planungsorientierten Ansätzen in dieser Zeit, die von IT-Experten teilweise als starr und überreglementiert empfunden wurden (vgl. Oestereich/ Weiss [APM] 14). Verschiedene Experten suchten nach Wegen zu flexibleren, „leichtgewichtigeren“ Modellen, die die notwendigen Freiräume boten und Möglichkeiten zu anderen Formen der Zusammenarbeit eröffneten (vgl. Seibert [Agiles Projektmanagement] 41). Inspiriert wurden sie häufig auch von den Methoden der schlanken Entwicklung und der Lean Production in der Automobilindustrie (vgl. Womack/ Jones/ Roos [Revolution]). Basili und Turner ([Iterative Enhancement]) stellten bereits in den 1970er Jahren eine iterative und inkrementelle Vorgehensweise vor. Mitte der 80er Jahre veröffentlichte Boehm sein „Spiralmodell“ (vgl. S. 78f.), etwa zeitgleich entstand das „Evolutionäre Projektmanagementmodell“ von Gilb ([Principles]). Den Durchbruch in der Fachwelt erlangten agile Ansätze 1999 durch die Veröffentlichung des Buches „Extreme Programming Explained: Embrace Change“ von Beck . 2001 veröffentlichten verschiedene namhafte Vertreter des Agilen Projektmanagements das sog. „Agile Manifest“ im Internet. Auf der Grundlage dieser Aussagen werden wir uns im Folgenden damit beschäftigen, welche Prinzipien und Merkmale agile Ansätze grundsätzlich kennzeichnen. 11.3.2.2 Das Agile Manifest und agile Grundprinzipien 17 Experten der Softwareentwicklung formulierten im Jahre 2001 als sog. „Agile Alliance“ ihre gemeinsamen Grundwerte in einem Manifest (http: / / agilemanifesto.org): Manifesto for Agile Software Development We are uncovering better ways of developing software by doing it and helping others do it. Through this work we have come to value: Individuals and interactions over processes and tools Working software over comprehensive documentation <?page no="456"?> Agiles Projektmanagement · 431 Customer collaboration over contract negotiation Responding to change over following a plan That is, while there is value in the items on the right, we value the items on the left more. Die Verfasser stellen also ausdrücklich die Menschen und deren Zusammenarbeit, funktionierende Software, die Zusammenarbeit mit dem Kunden und den Stakeholdern sowie einen flexiblen Umgang mit Änderungen in den Mittelpunkt ihrer Konzepte. Dies soll nicht heißen, dass den Prozessen und Werkzeugen, einer aussagekräftigen Dokumentation, Vertragsverhandlungen und der systematischen Planung und Planverfolgung keine Bedeutung zukäme, sondern dass sie im Zweifelsfalle den obigen Grundwerten unterzuordnen seien. Dabei darf „Agilität“ nicht mit „Beliebigkeit“ oder „Chaos“ gleichgesetzt werden: „Wenn es heißt, ‚Funktionierende Software ist wichtiger als umfangreiche Dokumentation’, dann bedeutet dies nicht, dass Dokumentation unwichtig oder zu vermeiden ist, sondern dass die beste und umfangreichste Dokumentation keinen Wert hat, wenn die Software nicht funktioniert“ ( Oestereich/ Weiss [APM] 15). Konkretisiert werden die noch sehr grundlegenden und allgemeinen Aussagen des Manifests durch verschiedene agile Prinzipien, die die meisten agilen Ansätze kennzeichnen (vgl. http: / / agilemanifesto.org/ principles.html, Seibert [Agiles Projektmanagement] 44, Oestereich/ Weiss [APM] 16f.): (1) Inkrementelle Vorgehensweise In der agilen Entwicklung nähert man sich inkrementell dem Ziel an: Da das gewünschte Ergebnis zu Projektbeginn noch sehr unscharf sein kann (vgl. Abb. 2-150), plant man sog. „Inkremente“ als objektiv messbare Teilergebnisse ein, „d.h. eine teilfertige, vorübergehende, aber ausführbare Version der angestrebten Lösung“ ( Oestereich [Agiles Projektmanagement] 20). Grundsätzlich bezeichnet ein Inkrement einen Zuwachs an Funktionalität. Es werden möglichst früh und dann in relativ kurzen Abständen lauffähige Versionen ausgeliefert, die der Kunde testen kann. Die Erkenntnisse aus diesen Tests sollten schnellstmöglich wieder in die weitere Entwicklung einfließen. <?page no="457"?> 432 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Projektbeginn Iteration Tatsächlicher Verlauf Messbare Teilergebnisse Tatsächliche Lösung am Projektende Unschärfe, im Projektverlauf abnehmend geplante Lösungen Entscheidungsspielräume Abb. 2-150: Schrittweise Zielklärung und -näherung im agilen Projektmanagement (Quelle: Oestereich [Agiles Projektmanagement] 20) (2) Iterative Vorgehensweise Ein wichtiges Merkmal agiler Ansätze ist die Planung und Durchführung von Iterationen, also Schleifen für laufende Revisionen und Verbesserungen von vorhandenen Teilen eines Systems. In einer Iteration werden alle wichtigen Entwicklungsschritte erledigt. Die Iteration ist als Zeitraum in Abb. 2-150 zu sehen. (3) Timeboxing Man plant für die einzelnen Iterationen feste Zeitabschnitte ein, die dann nicht mehr verändert werden können. Bemerkt man im Laufe der Entwicklung, dass man nicht alle geplanten Features umsetzen kann, so werden weniger wichtige Aufgaben in die nächste Version verschoben, der Endtermin der Iteration wird jedoch nicht angetastet. (4) Orientierung am Kundennutzen und intensive Einbindung des Kunden Kundenzufriedenheit durch frühe und kontinuierliche Lieferung brauchbarer Software hat höchste Priorität. Da der Kunde definiert, was „brauchbar“ ist, soll er stark in das Projekt eingebunden sein, z.B. indem er mitentscheidet, welche Features in welchem Release umgesetzt werden sollen. Um das Risiko des Kunden zu reduzieren, werden zuerst die „Kernfunktionalitäten“ angegangen. Auf diese Weise realisiert der Kunde auch bei einem frühen Projektabbruch einen nachweisbaren Nutzen. <?page no="458"?> Agiles Projektmanagement · 433 (5) Eigenverantwortlichkeit, Selbstorganisation und direkte Kommunikation In agilen Modellen stellt der Mensch den zentralen Erfolgsfaktor dar. Die gewünschte Leichtgewichtigkeit ist nur dann möglich, wenn der Einzelne Verantwortung übernimmt, seine Kompetenzen einbringt und motiviert arbeitet. Die direkte Kommunikation ist die effizienteste und effektivste Art, Informationen weiterzugeben. Die Teammitglieder sind gleichberechtigt und können sich selbst so organisieren, wie es ihnen für die Aufgabe geboten erscheint. In regelmäßigen Abständen wird im Team darüber nachgedacht, wie die gemeinsame Arbeit verbessert werden kann. (6) Änderungsfreundliche Projektkultur „Welcome changing requirements, even late in development“ - der Kunde und auch das Team können jederzeit Änderungen einbringen. Diese Vorgehensweise soll die Kreativität des Teams erhöhen und dem Kunden einen schnelleren und höheren Nutzen bringen. Grundsätzlich beruhen agile Methoden auf allgemeinen evolutionär-systemischen Prinzipien: Mit der Arbeit in Iterationszyklen folgen sie dem evolutionären Entwicklungsprozess „Variation - Selektion - Retention (Bewahrung und Weitergabe)“. Zudem finden bei der teamzentrierten kollaborativen Entwicklung umfangreiche Selbstorganisationsprozesse statt (vgl. Saynisch [Prinzipien] 297). Die oben dargestellten Grundprinzipien werden verschiedenen agilen Entwicklungsmethoden zugrunde gelegt. Die meisten Verfasser des agilen Manifestes haben eigene agile Methoden mit unterschiedlichen Schwerpunkten entwickelt: „eXtreme Programming“ (XP) von Kent Beck und Ward Cunningham die „Crystal”-Familie von Alistair Cockburn „Scrum“ von Ken Schwaber, Jeff Sutherland und Mike Beedle „Adaptive Software Development” (ASD) von Jim Highsmith Zudem gibt es weitere bekannte agile Ansätze, z.B. „Feature Driven Development“ (FDD) von Jeff DeLuca und Peter Coad „Lean Software Development“ von Mary und Tom Poppendieck „Agiles Projektmanagement“ (APM) von Bernd Oestereich und Christian Weiss „Agile Real-Time Embedded Systems” (ARTE) von Peter Hruschka und Chris Rupp <?page no="459"?> 434 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Vergleiche der verschiedenen Methoden finden sich beispielsweise bei Seibert [Agiles Projektmanagement] oder Hruschka/ Rupp/ Starke [Agility]. Um eine konkrete agile Vorgehensweise zu verdeutlichen, werden wir im Folgenden die „Scrum“-Methode skizzieren. Diese Methode wird ausgewählt, weil sie weniger auf spezielle Software-Fragen ausgerichtet ist, sondern sich stärker mit der Perspektive des Managements von Projekten beschäftigt. 11.3.2.3 „Scrum“ als Beispiel für ein agiles Modell Ken Schwaber charakterisiert seine „Scrum“-Methode als „Prozess zur Bewältigung komplexer Projekte, bei denen es unmöglich ist, alles vorauszusagen, was eintreten kann. Dementsprechend bietet Scrum einfach ein System und eine Reihe von Verfahren an, die alles sichtbar halten“ ( Schwaber [Scrum] XV). (1) Aufbau Der Begriff „Scrum“ (dt. „Gedränge“) stammt aus dem Rugby-Sport und bezeichnet dort einen komplizierten Spielzug, der eine sorgsame Vorbereitung und disziplinierte Teamarbeit verlangt (vgl. Pichler [Scrum] 2). „Scrum“ beinhaltet eine erfahrungsgeleitete Methode zur Projektsteuerung: Sowohl die Arbeitsweise als auch das Produkt werden regelmäßig begutachtet und angepasst. Dazu wird das Projekt in verhältnismäßig kurze Iterationen aufgeteilt, die maximal 30 Tage umfassen. Diese kurzen Arbeitszyklen werden „Sprints“ genannt. In Abb. 2-151 wird die grundlegende Vorgehensweise im Rahmen von „Scrum“ dargestellt. In jedem Zyklus werden Anforderungen, die im sog. „Product Backlog“ festgehalten sind, in funktionierende, getestete Software übersetzt. Das „Product Backlog“ wird auf der Grundlage einer ersten groben Produktvision erstellt: Es werden Anforderungen an das neue System gesammelt, die jederzeit geändert und erweitert werden können. Für jede Anforderung wird die momentane Priorität aus Kundensicht festgelegt, die sich im Projektverlauf ebenso wie die Anforderungen selbst ändern kann. In der Regel wird mit einem groben „Product Backlog“ gestartet, das im Projektverlauf verfeinert wird. Für jeden Sprint wird ein übergeordnetes Ziel formuliert, um bei allen Beteiligten ein gemeinsames Bild des erwarteten Ergebnisses zu etablieren. Vor Beginn jedes Sprints werden in einer gemeinsamen Sitzung von Projektteam und Kunde aus dem „Product Backlog“ die Anforderungen ausgewählt, die im Rahmen des Sprints umgesetzt werden sollen. Diese ausgewählten Anforderungen wer- <?page no="460"?> Agiles Projektmanagement · 435 den in das sog. „Sprint Backlog“ übernommen: Hier werden alle Aktivitäten erfasst, die zur Umsetzung der Anforderungen und zur Erreichung des Sprintziels notwendig sind. Es handelt sich hierbei also um eine konkrete „To Do“- Liste. Abb. 2-151: Übersicht über den Scrum-Prozess nach Schaber/ Beedle ([Scrum]) (Darstellung in Anlehnung an Pichler [Scrum] 7) Hat ein Sprint erstmal begonnen, so können die Anforderungen für diesen Sprint nicht mehr verändert werden. Für den einzelnen Sprint steht genau die vereinbarte Zeit zur Verfügung („timeboxing“): Ist das Team schneller als geplant, können zusätzliche Anforderungen eingearbeitet werden, ist es langsamer, werden niedriger priorisierte Anforderungen zunächst zurückgestellt und in einen anderen Sprint verschoben. (2) Organisation Im Sprint organisieren sich die Teammitglieder selbst. Jeden Tag zur gleichen Zeit findet eine 15-minütige Besprechung statt, die sog. „Daily Scrum“. Die Teammitglieder informieren sich gegenseitig über ihren aktuellen Status und mögliche Probleme, indem sie die folgenden drei Fragen beantworten: Was habe ich seit der letzten Daily Scrum getan? Was will ich bis zur nächsten Daily Scrum tun? Werde ich in irgendeiner Form bei meiner Arbeit behindert? Daily Scrum Sprint Review & y & Retrospective Retrospective tä li h täglich Auslieferbares Product Backlog Sprint Backlog Auslieferbares Produktinkrement Max. Produktinkrement Max. 30 Tage 30 Tage Aufwand Akzeptanzkriterien Beschreibung Thema Priorität Aufwand Akzeptanzkriterien Beschreibung Thema Priorität 1 Teste das Ei b Als Basisd Kalend 1 wand kriterien bung rität 1 Teste das Ei b Als Basisd Kalend 1 wand kriterien bung rität Tests für Eingeben ungültiger Werte z B anwender möchte ich eine Beder Eingeben ungültiger Werte z B anwender möchte ich eine Beder Tests für Remote Service Werte, z.B. Endzeit liegt vor Startzeit. eine Besprechung anlegen. Werte, z.B. Endzeit liegt vor Startzeit. eine Besprechung anlegen. S i t Komponente ausführen g … g … Sprint S i t Pl i Sprint Planning <?page no="461"?> 436 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Am Ende jedes Sprints findet ein sog. „Sprint Review“ statt, bei dem das Arbeitsergebnis des Sprints vom „Product Owner“ begutachtet und überprüft wird. Die Rolle des „Product Owner“ ist in „Scrum“ von größter Wichtigkeit: Er repräsentiert die Bedürfnisse des Endkunden, steuert die Entwicklung und arbeitet während des gesamten Projektes eng mit dem Team zusammen. Diese Rolle beinhaltet sowohl Aufgaben aus dem Bereich des Produktmanagements als auch aus dem Projektmanagement. Zum Aufgabengebiet des „Product Owner“ gehören insbesondere (vgl. Pichler [Scrum] 9ff.): Anforderungsbeschreibung und -management Management der Softwareversionen und Verantwortung für den ökonomischen Projekterfolg Stakeholder-Management In „Scrum“ gibt es noch eine weitere spezielle Rolle, die insbesondere bei der Einführung von „Scrum“ von größter Bedeutung ist: Den sog. „Scrum Master“. Seine Aufgabe ist es, das Team beim Einsatz von „Scrum“ zu unterstützen und zu coachen. Dazu gehört auch, mögliche Hindernisse in der Zusammenarbeit von „Product Owner“ und Team zu beseitigen. Er moderiert die „Daily Scrums“ und auch die „Sprint Retrospektive“, eine Besprechung zur kontinuierlichen Verbesserung der Entwicklungsaktivitäten, die am Ende jedes Sprints erfolgen sollte. 11.3.2.4 Kritische Würdigung agiler Projektmanagement-Ansätze In Theorie und Praxis werden die Vor- und Nachteile von agilen Methoden umfassend diskutiert. Die Befürworter von klassischen, ausführlich dokumentierten und geordneten Vorgehensmodellen werfen den agilen Methoden v.a. die Nichtberücksichtigung der Best Practices vor. Viele Vertreter der agilen Methoden halten die klassischen Vorgehensmodelle für praxisfern, nicht anwendbar und bürokratisch (vgl. Saynisch [Prinzipien] 277). Gerade in der Softwareentwicklung sind agile Methoden mittlerweile etabliert und werden in verschiedenen Ausprägungen eingesetzt, so teilweise auch in einer Kombination aus agilen und plandeterminierten Methoden. Boehm und Turner untersuchen in ihrem Buch „Balancing Agility and Discipline: A Guide for the Perplexed“ (Boston 2008) ausführlich die Stärken und Schwächen der agilen und der klassischen Methoden. Sie stellen ihren Untersuchungen eine Fabel voran: <?page no="462"?> Agiles Projektmanagement · 437 Klassische Methoden: Sie werden mit einem Elefanten verglichen, der mit Stärke, Disziplin und Verlässlichkeit ein Dorf mit Nahrungsmitteln versorgt. Nachdem die Köche im Dorf zunehmend nach exotischeren Lebensmitteln verlangen, verliert der Elefant jedoch an Popularität. Agile Methoden: In einem anderen Dorf in der Nähe kümmert sich ein kleiner, flinker Affe um die Versorgung der Bevölkerung. Bei der Suche nach immer exotischeren Früchten verläuft er sich gelegentlich und er kann nur kleinere Mengen an Nahrungsmitteln tragen. Kombination: Mit der Zeit ist der Affe allein schon von der für das wachsende Dorf notwendigen Menge an Nahrungsmitteln überfordert und lernt, die Qualitäten des großen, starken Elefanten zu schätzen. Beide beschließen, ihre Stärken zu bündeln, indem der Affe sich für beide Dörfer um die exotischeren Wünsche kümmert, während der Elefant die notwendigen Mengen an Grundnahrungsmitteln für beide Dörfer besorgt. Diese kleine Fabel bringt sehr plastisch die Vorteile beider Vorgehensweisen zum Ausdruck. Es zeigt sich, dass es von der jeweiligen Situation abhängt, welche Vorgehensweise angewendet werden sollte. Boehm und Turner ([Balancing] 54ff.) arbeiten fünf kritische Faktoren für die Entscheidung zwischen agilem und plandeterminiertem Vorgehen heraus: (1) Projektgröße Je kleiner das Projekt, d.h. je weniger Personen am Projekt beteiligt sind, desto eher sind agile Methoden zu empfehlen. Dies ist beispielsweise darauf zurückzuführen, dass kleine Teams i.d.R. schneller und einfacher zu gemeinsamen Werten finden, welche die Anwendung agiler Methoden begünstigen (vgl. Oestereich/ Weiss [APM] 20f.) (2) Kritikalität des Projektes Hierbei handelt es sich um das Ausmaß des Schadens, der durch Fehler entstehen kann (vgl. Hruschka/ Rupp/ Starke [Agility] 54). Je kritischer ein Projekt ist, desto sinnvoller ist der Einsatz eines plandeterminierten Ansatzes. (3) Dynamik des Projektes Eine hohe Dynamik entsteht, wenn Anforderungen häufig geändert werden bzw. neue Anforderungen dazukommen. Die Handhabung starker Dynamik ist eines der wichtigsten Anliegen der agilen Methoden; sie wurden gerade für Situationen mit hoher Dynamik entwickelt. <?page no="463"?> 438 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements (4) Kompetenzen des Personals Um sinnvoll mit agilen Methoden umgehen zu können, benötigen die Mitarbeiter entsprechende Kompetenzen und Erfahrungen. Alistair Cockburn hat eine Klassifizierung für die Fähigkeiten der Teammitglieder entwickelt: Man schätzt die Erfahrungen und Kompetenzen der Mitarbeiter ein und ordnet ihnen einen bestimmten Reifegrad zu (vgl. Abb. 2-152). Diese Klassifizierung nutzen Boehm und Turner auch in ihrem Konzept (vgl. Abb. 2-153 bei der Achse „Personal“). Ebene Charakteristik 3 Fähig, eine Methode anzupassen, d.h. auch deren Regeln zu brechen, um mit unvorhergesehenen Situationen fertig zu werden 2 Fähig, eine Methode bei vorhersehbaren Situationen anzupassen 1 A Nach Ausbildung fähig, größere Entwicklungsaktivitäten richtig abzuwickeln Kann mit viel Erfahrung auf Ebene 2 gelangen 1 B Nach Ausbildung in der Lage, kleinere Teilschritte im Entwicklungsprozess korrekt auszuführen Kann mit Erfahrung auf Ebene 1 A gelangen -1 Hat vielleicht technische Fähigkeiten, ist aber unfähig oder unwillig, im Team mit gemeinsam vereinbarten Methoden zu arbeiten Abb. 2-152: Klassifizierung der Fähigkeiten des Entwicklungsteams nach Alistair Cockburn (Quelle: Hruschka/ Rupp/ Starke [Agility] 98) Will man agile Methoden anwenden, benötigt man v.a. Mitarbeiter der Ebenen 2 und 3. Auch Oestereich/ Weiss ([APM] 29) stellen fest, „dass agiles Projektmanagement nichts für Anfänger ist, sondern eine Disziplin oder Zusatzqualifikation für erfahrene und kompetente Profis darstellt, die guten Gewissens glauben dürfen, es besser zu machen, als wenn sie den Standards gemäß verfahren.“ (5) Unternehmenskultur Agile Methoden passen gut zu Unternehmenskulturen, in denen sich die Mitarbeiter bei großen Freiheitsgraden wohl fühlen, in denen Selbstorganisation und Eigenverantwortung gelebt werden sowie flache Hierarchien herrschen. Entscheidet man sich in einer eher hierarchisch geprägten Kultur für die Einfüh- <?page no="464"?> Agiles Projektmanagement · 439 rung agiler Methoden, so bringt diese Entscheidung i.d.R. einen umfassenden kulturellen Wandel mit sich, der nicht zu unterschätzen ist. Abb. 2-153 zeigt die fünf Faktoren im Zusammenhang. Je weiter außen man sich bei der Bewertung der jeweiligen Situation befindet, desto eher sollte man auf eine stärker planorientierte, klassische Vorgehensweise zurückgreifen. agil klassisch 90 70 50 30 10 50 30 10 5 1 40 30 20 30 0 20 15 25 30 35 Leben vieler Leben einzelner Geld viel Geld Zufriedenheit 3 10 30 100 300 Personal Dynamik (% Änderungen der Anforderungen) Kritikalität (Verlust bei Fehlern) Größe (Anzahl Mitarbeiter) Unternehmenskultur (% Belohnung von Initiative gegenüber Belohnung von Gehorsam) % Ebene 1B % Ebene 2 und 3 Abb. 2-153: Dimensionen der Methodenauswahl nach Boehm/ Turner ([Balancing] 56, deutsche Übersetzung in Anlehnung an Hruschka/ Rupp/ Starke [Agility] 99) Letztendlich kommen Boehm und Turner ([Balancing] 148ff.) zu dem Schluss, dass keine der beiden Methoden ein Allheilmittel für die Schwierigkeiten der Softwareentwicklung bereithält, es für beide Methoden jeweils Standardsituationen gibt, in denen sie der anderen klar überlegen sind, <?page no="465"?> 440 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements in Zukunft vermehrt Entwicklungsprojekte zu bewältigen sein werden, die sowohl Agilität als auch Disziplin brauchen, vermehrt Methoden entwickelt und eingesetzt werden, die beide Vorgehensweisen vereinen und ausbalancieren, es besser ist, eine Methode bei Bedarf auszubauen als eine Methode, die zu umfangreich ist, nach unten anzupassen und zu vereinfachen, Methoden wichtig sind, aber dass der letztendliche Erfolg wahrscheinlich stärker von den Mitarbeitern, den Werten im Team und im Unternehmen, der Kommunikation und dem Management von Kundenerwartungen abhängt. 11.4 Professionalisierung des Projektmanagements durch das PMO Bisher wurden verschiedene Aspekte der Professionalisierung des Projektmanagements beleuchtet. Nicht geklärt ist bislang, wie sichergestellt werden kann, dass Projektmanagement im Unternehmen systematisch und ausgerichtet auf die Unternehmensziele weiterentwickelt wird. Je stärker sich das Projektmanagement in einem Unternehmen von einer reinen Methodik zur Abwicklung von Einzelprojekten hin zu einer Führungskonzeption entwickelt, umso wichtiger wird ein professionelles Projektmanagement. Gleichzeitig steigt der Bedarf an situationsgerechter Beratung und Unterstützung von Projektleitungen, Projektteams und Linienmanagement. Damit wird auch die Einrichtung einer eigenständigen Organisationseinheit, die sich den Aufgaben der laufenden Anpassung und Verbesserung des Projektmanagements annimmt, immer wichtiger. Diese Organisationseinheit wird in der Literatur unter dem Oberbegriff des Projektmanagementoffice (PMO) diskutiert. Bei der Professionalisierung des Projektmanagements geht es letztlich um den systematischen Aufbau von situationsadäquaten organisationalen Kompetenzen im Projektmanagement. Genau bei dieser Aufgabe kommt dem PMO eine wichtige Rolle zu. Wir gehen folgendermaßen vor: Der Aufbau organisationaler Kompetenzen im Projektmanagement (Abschnitt 11.4.1) Die Aufgaben des PMO im Management von Projekten (Abschnitt 11.4.2) <?page no="466"?> Professionalisierung des Projektmanagements durch das PMO · 441 11.4.1 Der Aufbau organisationaler Kompetenzen im Projektmanagement Die neuen Herausforderungen der Unternehmensführung und die damit zusammenhängende Rolle des Projektmanagements als Führungsfunktion erfordern den systematischen Aufbau organisationaler Kompetenzen im Projektmanagement. Die konkrete Ausprägung der organisationalen Kompetenzen des Projektmanagements richtet sich dabei danach, welche Rolle dem Projektmanagement in der jeweiligen Unternehmenssituation jeweils eingeräumt wird. Wie anhand des Kontinuums des Projektmanagements bereits aufgezeigt, kann dies die gesamte Bandbreite von der Abwicklung eines einzelnen Projektes über die strategische Ausrichtung eines Unternehmens mithilfe eines Multiprojektmanagementansatzes bis hin zu einer projektorientierten Anpassung des gesamten Führungssystems des Unternehmens sein. Damit können auch die organisationalen Kompetenzen im Projektmanagement von einem rein instrumentellen Charakter im Hinblick auf eine Einzel- oder Multiprojektabwicklung bis hin zum originären strukturellen Steuerungscharakter alle Facetten aufweisen. Entscheidend ist somit, dass in der jeweiligen Unternehmenssituation und der zugehörigen Ausprägung des Projektmanagements die organisationalen Kompetenzen verfügbar sind, die in der spezifischen Situation benötigt werden, um ein professionell funktionierendes Projektmanagement zu gewährleisten. Um zu klären, welche Aufgaben dem PMO in den verschiedenen Ausprägungsgraden des Projektmanagements zukommt, wird zunächst ein Blick auf die Kompetenzen geworfen, die eine Organisation generell aufbauen sollte, um mit den Herausforderungen der jeweiligen Ausprägung des Projektmanagements umgehen zu können. Zur Definition der organisationalen Kompetenzen im Projektmanagement wird an einen Vorschlag von Krainz zur allgemeinen Definition des Kompetenzbegriffes angeknüpft. Krainz führt aus, dass der Begriff Kompetenz zwei Bedeutungen umfasst. Zum einen werden darunter Fähigkeiten verstanden, zum anderen aber auch die Position und die damit verbundene Entscheidungsmacht eines Kompetenzträgers. Mit dem Aufbau von Kompetenzen wird somit zugleich ein verfügbares Handlungspotenzial aufgebaut (vgl. Krainz [Sozialkompetenz] 243f.). Organisationale Kompetenzen im Projektmanagement sind die Summe aller Fähigkeiten sowie die zugehörige Entscheidungsmacht, um situationsgerechte Handlungspotenziale des Projektmanagements aufzubauen. <?page no="467"?> 442 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements In Bezug auf das Projektmanagement unterscheiden wir folgende organisationale Kompetenzen: Fachliche Kompetenzen Strukturelle Kompetenzen Soziale Kompetenzen Dabei wird der Aufbau persönlicher Fähigkeiten als ein Teil des Aufbaus organisationaler Kompetenzen verstanden. Dies kann vor dem Hintergrund der Erkenntnisse zur Funktionsweise einer lernenden Organisation und des Wissensmanagements gerechtfertigt werden. Im Folgenden werden wir die unterschiedlichen organisationalen Kompetenzen des Projektmanagements kurz beschreiben (vgl. Abb. 2-154). (1) Fachliche Kompetenzen Der Definition von Krainz folgend, geht es zunächst um den Aufbau fachlicher Fähigkeiten. Dies sind die wesentlichen Kompetenzen, die ein Verantwortlicher, egal ob in der Linie oder im Projekt benötigt, um bestimmte Problemstellungen lösen zu können. Diese Fähigkeiten haben einen primär instrumentellen Charakter und können sowohl Bestandteil einer persönlichen und/ oder einer organisationalen Wissensbasis sein. Im Bereich des Projektmanagements sind hiermit bspw. die Prozesse und Methoden zur effizienten Abwicklung von Projekten oder die Methoden und Prozesse zur Steuerung eines ganzen Projektportefeuilles angesprochen. Es geht im Grunde also um inhaltliche, methodische und prozessuale Fähigkeiten. (2) Strukturelle Kompetenzen Kompetenzen sind nach Krainz aber auch mit Positionsmacht verbunden. Insofern geht es bei der Betrachtung der organisationalen Kompetenzen des Projektmanagements auch um die strukturelle Einordnung des Projektmanagements in das Unternehmen und um die relative Zuweisung von Positionsmacht zwischen Stammorganisation und Sekundärorganisation. Dies gilt keinesfalls nur für das Verhältnis zwischen Projektteam und Linienorganisation. Vielmehr wird auch die Frage zu stellen sein, welche projektorientierten Organisationseinheiten es im Rahmen der Sekundärorganisation überhaupt gibt und welche Rolle diesen im Verhältnis zur Stammorganisation zukommt. Die Fähigkeit einer Organisation, das situativ richtige Verhältnis zwischen Stamm- und Projektorganisation zu finden, wird im Folgenden als strukturelle Kompetenz bezeichnet. <?page no="468"?> Professionalisierung des Projektmanagements durch das PMO · 443 (3) Soziale Kompetenzen Sowohl Unternehmen als auch Projekte können als technisch-soziale Systeme gesehen werden. Ein Projekt nimmt aus dieser Perspektive betrachtet praktisch die Stellung des Systems im System ein. Mitglieder haben oftmals eine Doppelrolle im Projektteam und in der Stammorganisation. Dies kann zu einer Reihe von Problemen führen. Insofern gehören Sozialkompetenzen als dritte wichtige Kategorie zu den organisationalen Kompetenzen des Projektmanagements (vgl. Krainz [Sozialkompetenz] 241). Adäquate Sozialkompetenz ist dann gegeben, wenn sowohl Projektleiter, Projektteammitglieder aber auch das Management in der Linie über ausreichende soziale Verhaltenspotenziale verfügen, um mit den aufkommenden Konflikten möglichst konstruktiv umzugehen. Hierzu gehört auch die Fähigkeit zur Schaffung situationsadäquater sozialer Arrangements. Organisationale Kompetenzen im Projektmanagement Fachliche Kompetenzen • Inhaltliche Fähigkeiten • Methodische Fähigkeiten • Prozessuale Fähigkeiten Soziale Kompetenzen • Soziale Verhaltenspotenziale zum konstruktiven Umgang mit Konflikten • Fähigkeit zur Schaffung situationsadäquater sozialer Arrangements Strukturelle Kompetenzen • Strukturelle Einordnung des Projektmanagements im Unternehmen • Situationsgerechte Weitergabe von Entscheidungsmacht Abb. 2-154: Organisationale Kompetenzen im Projektmanagement (Quelle: Scheurer [Unternehmensentwicklung] 193f.) Die konkrete Ausprägung der organisationalen Kompetenzen des Projektmanagements richtet sich danach, welche Rolle dem Projektmanagement in der jeweiligen Unternehmenssituation eingeräumt wird. Davon hängen auch die Funktion des PMO sowie seine konkreten Aufgabenstellungen ab. Grundsätzlich ist das PMO jedoch als eine Organisationseinheit zu verstehen, die für den situationsgerechten Aufbau organisationaler Kompetenzen zur Professionalisierung des Projektmanagements verantwortlich ist. Mit dem Aufbau dieser organisationalen Projektmanagementkompetenzen übernimmt das PMO zugleich <?page no="469"?> 444 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements eine wichtige Schnittstellenrolle zwischen Projektmanagement und der Linienorganisation. Im Wesentlichen lassen sich in Verbindung mit dem Aufbau organisationaler Projektmanagementkompetenzen die folgenden vier Hauptfunktionen des PMO in der Praxis aus empirischen Untersuchungen ableiten (vgl. Gemünden/ Dammer/ Jonas [Organisation] 106ff.): Administrative Funktion Das PMO entwickelt die Projektmanagement-Methodologie für das Unternehmen und liefert ein konsistentes Set an Projektmanagement-Werkzeugen und Prozessen. Kontrollfunktion Das PMO liefert die Standards für eine einheitliche Abwicklung und einheitliche Bewertung der Projekte. Hierunter kann zudem die Definition eines einheitlichen Risikomanagements fallen. Optimierungsfunktion Das PMO liefert innerbetriebliche Beratungsleistungen, insbesondere im Hinblick auf das Projekt-, Programm-, und Portfoliomanagement. Projektorientierte Prozessberatung und Wissensmanagement stehen im Vordergrund. Koordinationsfunktion Das PMO konsolidiert Informationen aus der Projektlandschaft und gleicht diese mit den Informationen aus der Linienorganisation des Unternehmens ab. Hierbei geht es insbesondere um eine Koordination der Ressourcenanforderungen sowie um die Nutzung von Synergien. 11.4.2 Die Aufgaben des PMO im Management von Projekten Entscheidend für ein Unternehmen ist die Verfügbarkeit der organisationalen Kompetenzen, die in der jeweiligen Unternehmenssituation und der zugehörigen Ausprägung des Projektmanagements benötigt werden, um ein professionell funktionierendes Projektmanagement zu gewährleisten. Wenn das PMO als die Organisationseinheit angesehen wird, die genau dies zu gewährleisten hat, wird deutlich, dass es nicht „das“ PMO mit einem festen Satz von Aufgabenstellungen geben kann. Vielmehr wird sich der Umfang der Aufgabenstellungen des PMO entsprechend den Ausprägungen des Projektmanagements auf dem Kontinuum verändern. Um dem situativen Kontext des Projektmanagements gerecht zu werden, werden die Aufgaben und Funktionen des <?page no="470"?> Professionalisierung des Projektmanagements durch das PMO · 445 PMO deshalb im weiteren Verlauf des Buches entlang dem Entwicklungskontinuum des Projektmanagements beschrieben. Im Rahmen des Managements von Projekten liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf der effizienten Umsetzung eines Projektes. Projektmanagement kann daher primär als Problemlösungsmethode verstanden werden. Eine professionelle und systematische Abwicklung eines jeden Einzelprojektes ist als wichtige Grundlage für alle weiteren Ausprägungen des Projektmanagements auf späteren Stufen des Kontinuums des Projektmanagements zu sehen. Obwohl das Projektmanagement in dieser Situation keinen strategischen Charakter annimmt, sind bereits im Einzelprojektmanagement etliche organisationale Kompetenzen des Projektmanagements grundlegend auch für die weiteren Ausprägungen des Projektmanagements. Als Grundlage für die Diskussion, welche Aufgaben ein PMO im Bereich des Managements von Projekten übernehmen sollte, wird zunächst anhand von Abb. 2-155 ein Überblick darüber gegeben, welche Kompetenzen schwerpunktmäßig zur Abwicklung von Projekten benötigt werden. Organisationale Kompetenzen im Management von Projekten Fachliche Kompetenzen • Inhaltliche, methodische und prozessuale Fähigkeiten, die zur Abwicklung von Einzelprojekten benötigt werden • Fähigkeit, die situativ angepasste Methodik für Projekte zur Verfügung zu stellen • Fähigkeiten zum Umgang mit Komplexität Soziale Kompetenzen • Fähigkeiten im Bereich der Führung eines Teams • Fähigkeiten im Bereich der Motivation eines Teams • Fähigkeiten zum Umgang mit den Projektstakeholdern Strukturelle Kompetenzen • Fähigkeit zur situativ angepassten Einordnung der Projekte in die Stammorganisation des Unternehmens • Fähigkeit zur situationsgerechten Weitergabe von Entscheidungsmacht an die Projekte Abb. 2-155: Organisationale Kompetenzen im Management von Projekten <?page no="471"?> 446 · Professionalisierung und Weiterentwicklungen des Projektmanagements Aus Abb. 2-155 wird schnell deutlich, dass bereits im Rahmen der Abwicklung von Einzelprojekten eine Vielzahl von Kompetenzen benötigt wird. Somit ist bereits hier ein hohes Maß an Professionalisierung des Projektmanagements erforderlich. Die Einrichtung eines PMO wird in der Literatur überwiegend mit Fragestellungen des Multiprojektmanagement, also dem Management durch Projekte verbunden. Hier wird jedoch die Auffassung vertreten, dass die systematische Professionalisierung des Projektmanagements eine so hohe Bedeutung für ein Unternehmen hat, dass dies bereits im Stadium der überwiegenden Abwicklung von Einzelprojekten die Einrichtung eines PMO rechtfertigt. Zudem hat die Einrichtung eines solchen PMO auch eine Signalwirkung auf Mitarbeiter und Kunden im Hinblick auf die Bedeutung, die dem Projektmanagement aus Unternehmenssicht zugemessen wird. Damit wird hier die Einrichtung eines PMO schon im Bereich des Managements von Projekten vorgeschlagen, selbst wenn von der Sache her ein Gutteil der Aufgaben, die dem PMO zumeist zugeschrieben werden, erst mit einer Multiprojektmanagementperspektive relevant wird. Aus diesem Grunde werden wir diese Aufgaben auch erst in Teil 3, Abschnitt 4.4.1, der sich mit den Aufgaben des PMO im Rahmen der Multiprojektumsetzung befasst, näher beschreiben. Welche Aufgaben ein PMO im Rahmen eines Managements von Projekten bereits übernehmen sollte, zeigt Abb. 2-156 im Überblick (vgl. ausführlicher Scheurer [Unternehmensentwicklung] 197ff.). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass dem PMO im Rahmen eines Managements von Projekten eine Vielzahl von Aufgaben zukommen kann. Im Grunde geht es zumeist um Aufgabenstellungen, die eine standardisierende, eine administrative und eine unterstützende Funktion für die Projekte und die Projektleiter haben. Nicht alle diese Aufgaben müssen zwingend bei einem PMO angesiedelt werden. Aufgrund der Vielfalt der Aufgabenstellungen wird jedoch schnell deutlich, dass eine Bündelung der Projektmanagementkompetenz in einem Unternehmen durchaus sinnvoll sein kann. Das PMO ist zwar organisatorisch als Teil der Linie zu sehen, steht aber von seinen Aufgaben her betrachtet zwischen Stammorganisation und Projekten. Die personelle Ausstattung des PMO richtet sich natürlich nach dem Umfang der Aufgabenstellungen. In dieser Ausprägung des Projektmanagements nimmt das PMO nahezu ausschließlich Dienstleistungsfunktionen wahr; die Entscheidungskompetenzen werden davon unberührt, je nach organisatorischer Einordnung des Projektes, zwischen Stammorganisation und Projekt verteilt. <?page no="472"?> Professionalisierung des Projektmanagements durch das PMO · 447 • Projektdefinition und Projektklassifikation • Festlegung von Abwicklungsstandards - PM-Methoden - PM-Instrumente/ Tools - Informationstechnologie • Festlegung von Steuerungsstandards - Steuerungsstrategien - Steuerungskennziffern (KPIs) - Projektstatusbericht • Zuweisung von Projektmanagern zu Projekten • Coaching und Beratung in Projekten • Aufbau einer Know-how-Basis - PM-Knowledge-Community - Best-Practice - Lessons Learned • Organisation der PM-Ausbildung • Beratung bei der PM-Organisation • Standardisierung • Administration • Dienstleistung für die Projekte Funktionen Funktionen Aufgaben des PMO im Management von Projekten Abb. 2-156: Aufgaben und Funktionen des PMOs im Rahmen eines Managements von Projekten 12 Zusammenfassung Das „Management von Projekten“ dient der erfolgreichen und effizienten Abwicklung von einzelnen Projekten. Dafür muss zunächst die Projektorganisation geklärt und festgelegt werden. Die Projektorganisation umfasst die Aufbau- und Ablauforganisation für die Projektarbeit mit der Festlegung entsprechender Organisationseinheiten als Aufgabenträger. Wichtige Konsequenzen für die Projektarbeit ergeben sich auch aus dem Verständnis von Projekten als selbstorganisierende Systeme. Nach der Entscheidung für ein Projekt, die eine umfassende Machbarkeitsstudie beinhaltet, bedarf es einer klaren, systematischen Vorgehensweise für die Projektarbeit. Wir unterscheiden hier die folgenden Phasen: Projektstart Zielpräzisierung <?page no="473"?> 448 · Zusammenfassung Projektplanung Projektumsetzung Projektkontrolle Projektabschluss Die Phasen laufen nicht linear nacheinander ab, sondern es finden sich wechselseitig rekursive Vernetzungsbeziehungen. Sie werden von zwei Begleitprozessen flankiert: Dem Qualitätsmanagement sowie dem Chancen- und Risikomanagement. (1) Projektstart Diese Phase beinhaltet die vorbereitenden Tätigkeiten bis hin zum offiziellen Start des Projektes im Zuge eines Kick-Off-Meetings. (2) Zielpräzisierung Ziele sind Ergebnisse eines projektbegleitenden Zielpräzisierungsprozesses zwischen den Projektbeteiligten. (3) Projektplanung Die Qualität der Projektplanung übt einen entscheidenden Einfluss auf die Erreichung der Projektziele aus. Sie besteht aus den folgenden Teilprozessen, die rekursiv miteinander vernetzt sind: Planung der Projektstruktur, des Ablaufs, der Termine, der Ressourcen und der Kosten. Mit jedem Teilprozess ergeben sich neue Informationen, die sich auch auf andere Teilprozesse auswirken können. Die Projektplanung hat somit einen iterativen Charakter und wird daher mehrfach überarbeitet und angepasst. Die Teilprozesse können von verschiedenen Planungstechniken unterstützt werden. (4) Projektumsetzung In dieser Phase werden die Pläne als Grundlage für eine systematische Erreichung der festgelegten Projektziele eingesetzt. Hier findet die konkrete Erstellung der Projektergebnisse statt. Wichtige Themen in dieser Phase sind die Kommunikation und das Informationswesen, das Änderungs- und Konfigurationsmanagement sowie das Vertrags- und Nachforderungsmanagement. (5) Projektkontrolle Jede Planung muss überprüft werden. Diese Überprüfung erfolgt durch einen Vergleich von geplanten Größen mit definierten Vergleichsgrößen. Ergeben sich Abweichungen, so sind detaillierte Abweichungsanalysen notwendig. Je nach Bedeutung der Konsequenzen, die sich durch die Abweichungen ergeben, können entweder die Planungen angepasst oder korrigierende Steuerungsmaß- <?page no="474"?> Zusammenfassung · 449 nahmen ergriffen werden. Für unterschiedliche Kontrollobjekte können verschiedene Kontrolltechniken herangezogen werden. (6) Projektabschluss Ein systematisch geplantes Projektende ermöglicht für alle Beteiligten einen inhaltlichen und emotionalen Abschluss des Projektes: Es wird die weitere Vorgehensweise im Anschluss an das Projekt geplant, die Projektergebnisse werden formal abgenommen, es findet eine Analyse des gesamten Projektablaufes im Projektteam und mit wichtigen Stakeholdern statt, um wichtige Erkenntnisse zu gewinnen, und die Erkenntnisse werden in Form eines Abschlussberichtes dokumentiert. Die Erkenntnisse sollen systematisch für andere Projekte verfügbar gemacht werden. Die Begleitprozesse „Qualitätsmanagement“ und „Risiko- und Chancenmanagement“ sind von herausragender Bedeutung für den Projekterfolg und benötigen jeweils einen eigenen Managementprozess, der zeitlich und inhaltlich nicht genau den Phasen des Projektmanagementprozesses zugeordnet werden kann. Die Qualität ist mittelbarer Bestandteil des „Magischen Dreiecks des Projektmanagements“ und stellt somit eine wichtige Zieldimension für ein Projekt dar. In einem systematischen Qualitätsmanagementprozess sind die vier Phasen Qualitätsplanung, Qualitätslenkung, Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung zu unterscheiden. Ein umfassendes und ganzheitliches Konzept stellt das Total Quality Management dar: Es kann sich v.a. in Form des Strebens nach „Project Excellence“, also nachhaltigen Spitzenleistungen in Projekten auf die einzelnen Projekte auswirken. Chancen und Risiken entstehen aus der unzureichenden Informationslage bezüglich der Zukunft, sie gehören also per se zu wirtschaftlichem Handeln. Es ist eine systematische Vorgehensweise notwendig, um Chancen und Risiken zu erkennen und möglichst optimal mit ihnen umzugehen. Dieser Prozess beinhaltet die fünf Phasen der Identifikation, der Analyse, der Bewertung, der Gestaltung und der Überwachung von Chancen und Risiken. Als Abschluss der Darstellung des Managements von Projekten und als Brücke zur Erweiterung der Perspektive hin zu einem Management durch Projekte wird ein grundlegendes Thema näher beleuchtet: Die Professionalisierung und die ständige Weiterentwicklung des Projektmanagements. Ausgangspunkt ist die Frage: Wie gut ist unser Projektmanagement? Wir befassen uns daher zunächst mit dem Projektmanagement-Assessment. Als wichtige Möglichkeiten zur Professionalisierung werden dann allgemein anerkannte <?page no="475"?> 450 · Zusammenfassung Standards des Projektmanagements vorgestellt (PMBOK-Guide, ICB, PRINCE2) sowie die Definition eines unternehmenseigenen Standards thematisiert. Bei der Diskussion um die Professionalisierung des Projektmanagements und die Entwicklung eines neuen Standards können auch alternative Vorgehensmodelle eine wichtige Rolle spielen. Daher werden das Critical Chain-Projektmanagement und das agile Projektmanagement beschrieben. Um die Professionalisierung und Weiterentwicklung des Projektmanagements auch institutionell im Unternehmen zu verankern, empfiehlt sich die Einrichtung einer eigenständigen Organisationseinheit, des Projektmanagementoffice (PMO). Diese Einheit ist für den systematischen Aufbau situationsadäquater organisationaler Kompetenzen im Projektmanagement zuständig. Zum Abschluss des zweiten Teils werden die Aufgaben des PMO im Rahmen des Managements von Projekten genauer betrachtet. <?page no="476"?> Fragen zur Wiederholung · 451 Fragen zur Wiederholung (1) Grundlagen des Managements von Projekten 1. Welche Merkmale zeichnen ein Projekt aus? (1.1.1) 2. Wodurch unterscheiden sich strategische und operative Projekte? (1.1.2) 3. Wie sieht das „Magische Dreieck der Projektsteuerung“ aus? Erläutern Sie seine Aussage. (1.2) 4. Weshalb ist es sinnvoll, das Management eines Projektes in Phasen zu zerlegen? (1.3.1) 5. Welche Phasen des Projektmanagementprozesses lassen sich unterscheiden? Stellen Sie die Zusammenhänge der Phasen dar. (1.3.2) 6. Welche Begleitprozesse des „Managements von Projekten“ kennen Sie? Weshalb sind sie notwendig? (1.3.2) (2) Projektorganisation 1. Definieren Sie den Begriff der Projektorganisation. (2.1.1) 2. Welche Ziele sollte man bei der Gestaltung der Projektorganisation verfolgen, um die beiden Ziele des Projektmanagements, die Förderung der strategischen Unternehmensentwicklung und die Steigerung des Unternehmenswertes, zu erfüllen? (2.1.2) 3. Skizzieren Sie die Rolle des Projektauftraggebers. (2.2.1) 4. Welche Aufgaben hat ein Projektleiter? Erläutern Sie die Spezifika der Projektarbeit, die sich auf seine Arbeit auswirken. (2.2.2) 5. Welche Kriterien sind bei der Zusammenstellung eines Projektteams zu beachten? (2.2.4) 6. Beschreiben Sie die Modelle der Stabs-Projektorganisation, der Matrix- Projektorganisation und der Reinen Projektorganisation. Gehen Sie dabei auf die Vor- und Nachteile des jeweiligen Modells ein. (2.3.1) 7. Was versteht man unter der „Projektablauforganisation“? Welche Rolle spielen dabei die Projektphasenpläne? (2.4) 8. Was ist ein „Meilenstein“? Welche Funktion hat er? (2.4.1) <?page no="477"?> 45 2 · Fragen zur Wiederholung 9. Wieso kommt der Projektkultur eine wichtige Rolle zu, wenn man Projekte als „selbstorganisierende Systeme“ versteht? (2.5.1) 10. Welche positiven und negativen Wirkungen können von einer eigenständigen Projektkultur ausgehen? (2.5.2) 11. Inwiefern kann man eine Projektkultur zielgerichtet beeinflussen? Suchen Sie konkrete Beispiele. (2.5.2) (3) Vorselektion von Projekten Erläutern Sie die verschiedenen Teilstudien, die im Rahmen einer Machbarkeitsstudie durchgeführt werden sollten. (3.2.2) (4) Projektstart 1. Die Phase des Projektstarts umfasst die Vorbereitungen des Projektes bis hin zum Kick-Off-Meeting. Welche Aufgaben gehören zur Projektvorbereitung? (4.1) 2. Erläutern Sie die Vorgehensweise bei der „Projektumfeldanalyse“. Wozu dient diese Technik? Wann würden Sie eine solche Projektumfeldanalyse im Projektverlauf durchführen? (4.1.3) 3. Wozu dient ein Kick-Off-Meeting? Welche Themen sollten hier besprochen werden? (4.2) (5) Zielpräzisierung 1. Welche Funktionen erfüllen Ziele im Rahmen des Managements? (5.1) 2. Wie sollten Ziele formuliert werden, damit sie ihre Funktionen voll erfüllen können? (5.2) 3. Beschreiben Sie die möglichen Beziehungen zwischen Zielen. Welche Methoden können zur Analyse der Zielbeziehungen eingesetzt werden? (5.4) 4. Erläutern Sie den Prozess der Zielpräzisierung. Gehen Sie dabei auf die einzelnen Projektphasen ein. (5.5) 5. Was versteht man unter einem „Lastenheft“, was unter einem „Pflichtenheft“? (5.5.2 und 5.5.3) (6) Projektplanung 1. Welche Aufgaben kommen der Projektplanung zu? (6.1) <?page no="478"?> Fragen zur Wiederholung · 453 2. Weshalb übt die Qualität der Projektplanung einen entscheidenden Einfluss auf die Erreichung der Projektziele aus? (6.1) 3. Erläutern Sie die Funktionen von Planungstechniken. (6.2) 4. Welche Teilprozesse der Projektplanung kennen Sie? Wie hängen die Teilprozesse miteinander zusammen? (6.3) 5. Bei der Projektplanung arbeitet man „vom Groben zum Detail“. Was heißt das? (6.3) 6. Geben Sie einen Überblick über die verschiedenen Arten von Projektstrukturplänen. (6.4.1) 7. Was versteht man unter einem „Arbeitspaket“? (6.4.2) 8. Warum gewinnt die Arbeitsaufwandsschätzung in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung? (6.5.1) 9. Erläutern Sie die folgenden Methoden der Expertenschätzung (6.5.2): Einzel- und Mehrfachbefragung Delphi-Methode Schätzklausur 10. In der Netzplantechnik spielen Anordnungsbeziehungen eine wichtige Rolle. Stellen Sie eine Normalfolge, eine Anfangsfolge und eine Endfolge anhand eines selbstgewählten Beispiels dar. (6.6.2) 11. In welchen Arbeitsschritten wird beim Arbeiten mit einem Netzplan gewöhnlich vorgegangen? Skizzieren Sie die jeweiligen Arbeitsschritte. (6.6.2.3) 12. Was versteht man unter einem „kritischen Pfad“? (6.6.2.3.2) 13. Welche Vorteile sehen Sie beim Einsatz der Netzplantechnik, welche Probleme können auftauchen? (6.6.2.4) 14. Welche Methoden der Projektterminplanung kennen Sie? (6.7) 15. Was versteht man unter „Projektressourcen“? Welche Arten von Projektressourcen kann man unterscheiden? (6.8) 16. Skizzieren Sie die Vorgehensweise bei der Ressourcenplanung. Vertiefen Sie Ihre Ausführungen am Beispiel der Personalplanung. (6.8). 17. Weshalb sollte eine Projektkostenplanung „lebenszyklusorientiert“ erfolgen? (6.9.2.2 und 6.9.3.2) <?page no="479"?> 454 · Fragen zur Wiederhol ung 18. Im Modell der „Integrierten Projektkostenplanung“ kommt die Prozesskostenrechnung zum Einsatz. Was versteht man unter leistungsmengeninduzierten, was unter leistungsmengenneutralen Prozesskosten? (6.9.3.1.2) 19. Was spricht für die Anwendung des „Target Costing“ in Projekten? (6.9.2.3 und 6.9.3.3) 20. Weshalb ist im Modell der „Integrierten Projektkostenplanung“ der Ansatz von kalkulatorischen Zinsen notwendig? (6.9.4) (7) Projektumsetzung 1. Welche Aufgaben fallen schwerpunktmäßig in der Projektumsetzung an? (7.1) 2. Welche Berichte gehören zum Standard im Projektmanagement? Wozu dienen sie? Was ist jeweils zu beachten? (7.3.3.1) 3. Erläutern Sie die Aufgaben der Projektdokumentation. Wie sollte eine Projektdokumentation aufgebaut sein? (7.3.3.2) 4. Definieren Sie den Begriff „Projektmarketing“. Welche Ziele werden im Zuge des Projektmarketing verfolgt? (7.3.4) 5. Warum sollten Leistungsänderungen im Projektverlauf nur kontrolliert vorgenommen werden? (7.4) 6. Skizzieren Sie die Schritte des Änderungsmanagements. (7.4.1) 7. Was versteht man unter „Konfigurationsmanagement“? Wozu dient es? Welche Teilgebiete werden hier unterschieden? (7.4.2) 8. Definieren Sie den Begriff „Vertragsmanagement“. (7.5.1) 9. Das Nachforderungsmanagement widmet sich dem systematischen Umgang mit Eigen-Claims und Fremd-Claims. Erklären Sie diese Begriffe und gehen Sie auf die drei Aufgabengebiete des Nachforderungsmanagements ein. (7.5.2) <?page no="480"?> Fragen zur Wiederholung · 455 (8) Projektkontrolle 1. Was versteht man unter einer „Soll-Ist“- und einer „Soll-Wird“-Kontrolle? (8.1) 2. Wie geht man im Rahmen einer „Soll-Ist“-Kontrolle vor? (8.1) 3. Worauf können Abweichungen zurückgeführt werden? Suchen Sie Beispiele. (8.2) 4. Erläutern Sie die grundlegende Vorgehensweise sowie die Stärken und Schwächen verschiedener Methoden zur Leistungskontrolle (8.2.1): Subjektive Leistungsschätzung Messung anhand einer quantitativen Größe 0/ 50/ 100%-Methode Meilensteinmethode 5. Bei der Terminkontrolle ist die Schätzung des „zeitlichen Fortschrittsgrads“ sinnvoll. Wie wird er berechnet? (8.2.2) 6. Was versteht man unter „Time-to-Completion“? (8.2.2.1) 7. Erläutern Sie die Vorgehensweise bei einer „Meilenstein-Trendanalyse“. (8.2.2.5) 8. Welche Schwierigkeiten können auftauchen, wenn die Kostenkontrolle anhand eines „Diagramm der kumulierten Ist- und Plankosten“ erfolgt? (8.2.3.2) 9. Erläutern Sie die Vorgehensweise bei der „Earned-Value-Technik“. Welche Vorteile und welche Herausforderungen sehen Sie bei ihrer Anwendung? (8.3) (9) Projektabschluss 1. Weshalb kommt es vor, dass ein Projekt in der Praxis nicht systematisch abgeschlossen wird? (9.1) 2. Warum ist ein systematischer Projektabschluss sinnvoll und wichtig? (9.1) 3. Welche Teilprozesse können beim Projektabschluss unterschieden werden? (9.2) 4. Erläutern Sie die Aufgaben von Überleitungs- und Erhaltungsplänen. (9.2.1) <?page no="481"?> 456 · Fragen zur Wiederhol ung 5. In welchen Schritten sollte die Endabnahme der Projektergebnisse ablaufen? (9.2.2) 6. Welche Daten sind für eine umfassende Projektauswertung notwendig? Wie können sie erhoben werden? (9.2.3) 7. Skizzieren Sie die wichtigsten Themen für eine Abschlusssitzung im Projektteam. (9.2.4) 8. Wie könnte ein Projektabschlussbericht sinnvollerweise aufgebaut sein? (9.2.6) (10) Begleitende Prozesse des Managements von Projekten 1. Warum weisen das Qualitätsmanagement sowie das Chancen- und Risikomanagement den Charakter von begleitenden Prozessen auf? (10) 2. Worauf könnte die hohe strategische Relevanz des Themas „Qualität“ zurückzuführen sein? (10.1.1) 3. Definieren Sie den Begriff „Qualität“. (10.1.1) 4. Stellen Sie die vier Teilprozesse des Qualitätsmanagements mit ihren wichtigsten Aufgaben dar. (10.1.3) 5. Zur Überführung der Kundenanforderungen aus dem Lastenheft in ein Pflichtenheft aus Sicht des Projektteams kann das „Quality Function Deployment“ gute Dienste leisten. Skizzieren Sie den Aufbau eines „Houses of Quality“. (10.1.3.1) 6. Was versteht man unter „Verifizierung“ und „Validierung“ im Zusammenhang mit Produktprüfungen? (10.1.3.2) 7. Nennen Sie Beispiele für strukturelle Vorkehrungen im Rahmen der Qualitätssicherung. Wozu dienen sie? (10.1.3.3) 8. Was versteht man unter „Total Quality Management“? Inwiefern wirkt sich der Gedanke des TQM auf Projekte aus? (10.1.4) 9. Definieren Sie die Begriffe „Risiko“ und „Chance“. (10.2.1) 10. In Theorie und Praxis konzentriert man sich häufig auf das Management von Risiken. Weshalb wird im Rahmen dieses Buches für ein gleichgewichtiges Chancen- und Risikomanagement plädiert? (10.2.1) 11. Stellen Sie den Prozess des Chancen- und Risikomanagements dar und gehen Sie kurz auf die einzelnen Bestandteile ein. (10.2.3) <?page no="482"?> Fragen zur Wiederholung · 457 12. Welche Methoden der Identifikation von Chancen und Risiken kennen Sie? Gehen Sie detailliert auf die Fehler-Möglichkeitsund-Einfluss- Analyse (FMEA) und eine weitere Methode Ihrer Wahl ein. (10.2.3.1) 13. Wie geht man im Rahmen einer Chancen- und Risikoanalyse systematisch vor? Welche Methoden können hier zum Einsatz kommen? (10.2.3.2) 14. Welche Risikoeinstellungen des Entscheiders kann man unterscheiden? Wie können sie sich im Chancen- und Risikomanagementprozess auswirken? (10.2.3.3) 15. Erläutern Sie den Gesamtprozess der Risikooptimierung mit den vier möglichen Risikostrategien. (10.2.3.4) 16. Wie könnte der Chancen- und Risikomanagementprozess organisatorisch im Unternehmen verankert werden? (10.2.4) (11) Professionalisierung und Weiterentwicklung des Projektmanagements 1. Welche Rolle spielen Assessments im Rahmen der Professionalisierung und Weiterentwicklung des Projektmanagements? (11.1) 2. Welche Anforderungen sind an Projektmanagement-Assessments zu stellen? (11.1.1) 3. Welche Projektmanagement-Assessmentmodelle kennen Sie? (11.1.2) 4. Welche Funktionen haben allgemeine Projektmanagement-Standards? (11.2.1) 5. Worauf ist bei der Entwicklung unternehmenseigener Standards besonders zu achten? (11.2.4) 6. Welche Grundsätze kennzeichnen das Critical Chain-Projektmanagement? (11.3.1.3) 7. Zeigen Sie die wichtigsten Grundprinzipien agiler Entwicklungen auf. (11.3.2.2) 8. Was wird unter den „organisationalen Kompetenzen des Projektmanagements“ verstanden? (11.4.1) <?page no="483"?> 458 · Fragen zur Vertiefung Fragen zur Vertiefung (1) Grundlagen des Managements von Projekten 1. Erläutern Sie die beiden Regelkreise des Projektmanagements, die dem „Management von Projekten“ zuzuordnen sind. (2) Projektorganisation 1. Können Sie einem Projektleiter einen „richtigen“ Führungsstil empfehlen? 2. Eine Matrix-Projektorganisation kann nur dann optimale Ergebnisse liefern, wenn eine „Matrix-Kultur“ herrscht. Was gehört zu einer solchen „Matrix-Kultur“? 3. Gibt es aus Ihrer Sicht „das richtige Organisationsmodell“ für die Projektorganisation? 4. Was spricht für und was gegen den Einsatz von Projektphasenplänen? Würden Sie standardisierte Projektphasenpläne einsetzen? Begründen Sie Ihre Meinung. 5. Man kann Projekte als „selbstorganisierende Systeme“ verstehen, in denen Ordnung „von selbst“ entsteht. Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Sichtweise für die Führung in Projekten? (3) Vorselektion von Projekten Was versteht man unter einer „Hitrate“? Welches Problem im Zuge der Vorselektion von Projekten ist in diesem Zusammenhang mit diesem Begriff zu beachten? (4) Projektstart 1. Wozu dient ein Projektauftrag? Welche Inhalte sollte er umfassen? 2. Was wird unter der „Planung des Projektmanagementsystems“ in der Projektstartphase verstanden? 3. In der Praxis wird gelegentlich die Meinung vertreten, ein Kick-Off- Meeting sei nicht notwendig, da ein Projekt relativ überschaubar sei oder da ein Meeting aufgrund der Internationalität der Teammitglieder zu aufwändig sei. Würden Sie sich dieser Meinung anschließen? <?page no="484"?> Fragen zur Vertiefung · 459 (5) Zielpräzisierung 1. Inwiefern sollte man Ziele als Ergebnisse eines projektbegleitenden Zielpräzisierungsprozesses sehen? 2. Gibt es Zusammenhänge zwischen dem Projektstrukturplan und den Projektzielen? 3. Inwiefern spielen Ziele eine Rolle in der Projektabschlussphase? (6) Projektplanung 1. Inwieweit ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, Standard-Projektstrukturpläne zu nutzen? 2. Worauf sollte man bei der Definition von Arbeitspaketen achten? 3. Sie sind Projektleiter und erstellen einen Netzplan für Ihr Projekt. Dabei stellen Sie fest, dass Sie mit Ihrer bisherigen Planung die Terminvorstellungen des Kunden nicht einhalten können. Welche Beschleunigungsmaßnahmen kommen nun in Betracht? Wie gehen Sie bei der Optimierung des Netzplans vor? 4. Erläutern Sie die Vorgehensweise beim Aufbau eines Balkenplans. Wie unterscheiden sich zeitfixierte Balkenpläne von der vernetzten Variante? 5. Wie hängen die Ressourcenplanung und die Kostenplanung in Projekten zusammen? 6. Zu den Methoden der Aufwandsschätzung gehören u.a. die Multiplikatormethode und die parametrische Methode. Stellen Sie die jeweilige Vorgehensweise kurz dar und skizzieren Sie die Unterschiede zwischen den Methoden. 7. Welche Maßnahmen können zur Ressourcenoptimierung ergriffen werden? 8. Skizzieren Sie drei wichtige Spezifika von Projekten, die sich auf die Methodik der Kostenplanung auswirken. 9. Stellen Sie die Vorgehensweise im Rahmen des Target Costing dar. Wieso kann der Einsatz eines „erweiterten Zielkostenkontrolldiagramms“ sinnvoll sein? 10. Erläutern Sie die Vorgehensweise im Modell der „Integrierten Projektkostenplanung“. Was spricht für die Anwendung dieses Modells, welche Schwierigkeiten sind damit verbunden? <?page no="485"?> 460 · Fragen zur Vertiefung (7) Projektumsetzung 1. Definieren Sie den Begriff „Projektinformationsmanagement“. Welche Herausforderungen sind hier zu bewältigen? 2. Wie kann bei der Gestaltung eines spezifischen Projektinformationssystems vorgegangen werden? 3. „In den meisten Projekten entscheidet das Projektmarketing zu einem großen Teil über den Projekterfolg“. Würden Sie sich dieser These anschließen? 4. Welche Zusammenhänge sehen Sie zwischen dem Änderungs- und dem Konfigurationsmanagement? 5. Arbeiten Sie die Zusammenhänge des Vertragsmanagements mit dem Änderungsmanagement, dem Konfigurationsmanagement und dem Nachforderungsmanagement heraus. (8) Projektkontrolle 1. „Planung ohne Kontrolle ist sinnlos, Kontrolle ohne Planung unmöglich“ ( Wild [Unternehmensplanung] 44). Was ist mit diesem Zitat Ihrer Meinung nach gemeint? 2. Aus einer Meilenstein-Trendanalyse können sowohl Rückschlüsse auf projektspezifische Problemstellungen als auch auf mögliche unternehmensweite Herausforderungen abgeleitet werden. Erläutern Sie diese Feststellung anhand von Beispielen. 3. Wie verändert sich der Charakter der Kostenkontrolle bei Anwendung des Target Costing? 4. Erläutern Sie drei Beispiele für Maßnahmen zur Kostensenkung im Zusammenhang mit dem Target Costing. (9) Projektabschluss 1. Untersuchen Sie die Bedeutung des Projektabschlusses für das Wissensmanagement. 2. Im Anschluss an die Endabnahme der Projektergebnisse bietet es sich an, die Kundenzufriedenheit zu erfassen. Warum ist dies besonders wichtig und wie könnte diese Erfassung konkret von statten gehen? <?page no="486"?> Fragen zur Vertiefung · 461 (10) Begleitende Prozesse des Managements von Projekten 1. Welche Zusammenhänge sehen Sie zwischen dem Qualitätsmanagement einerseits und dem Risikomanagement andererseits? 2. Beschreiben Sie den inhaltlichen Wandel, den die Disziplin des Qualitätsmanagements in den letzten Jahrzehnten erfahren hat. Worauf könnte dieser Wandel im Detail zurückzuführen sein? 3. Inwiefern spielt die Qualität der Prozesse eine Rolle im Qualitätsmanagement? Suchen Sie praktische Ansätze, mit deren Hilfe Prozessverbesserungen angestrebt werden, die sich stark auf Projekte auswirken. 4. Was versteht man unter der „Qualitätspolitik“ eines Unternehmens? Welche Bedeutung hat sie für den Prozess des Qualitätsmanagements? 5. Erläutern Sie das Modell für „Project Excellence“. Wozu dient es? 6. Welche Beziehungen können zwischen Chancen und Risiken bestehen? Welche Konsequenzen haben diese Zusammenhänge für das Chancen- und Risikomanagement? 7. Inwieweit beeinflusst die Unternehmens- und Projektkultur den Risikomanagementprozess? Können auch Wirkungen vom Risikomanagement auf die Unternehmens- und Projektkultur ausgehen? 8. Welche Gründe könnten dafür sprechen, Risiken bewusst zu übernehmen? 9. Wie kann ein Unternehmen auf den Eintritt von Risiken vorbereitet werden? (11) Professionalisierung und Weiterentwicklung des Projektmanagements 1. Skizzieren und vergleichen Sie den Aufbau des PMBOK-Guide, der International Competence Baseline (ICB) und von PRINCE2. 2. Gehen Sie auf die Anforderungen ein, die im Zuge einer Einführung des Critical Chain-Projektmanagements in einem Unternehmen an die Projektmitarbeiter, die Projektleiter und das Top-Management gestellt werden. 3. Warum wurden agile Methoden entwickelt und worauf zielen sie ab? <?page no="487"?> 462 · Fragen zur Vertiefung 4. Anhand welcher Kriterien würden Sie sich zwischen dem Einsatz der klassischen und einer agilen Vorgehensweise entscheiden? 5. Welche generellen Aufgaben kann das PMO im Rahmen im Rahmen einer Professionalisierung und Weiterentwicklung des Projektmanagements übernehmen? Literaturempfehlungen Bea, F.X. u. E. Göbel : Organisation, 4. A., Stuttgart 2010. Burghardt, M.: Einführung in Projektmanagement: Definition, Planung, Kontrolle, Abschluss. 5. A., Erlangen 2007. Litke, H.-D.: Projektmanagement: Methoden, Techniken, Verhaltensweisen, evolutionäres Projektmanagement. 5. A., München 2007. Madauss , B.: Handbuch Projektmanagement: mit Handlungsanleitungen für Industriebetriebe, Unternehmensberater und Behörden. 6. A., Stuttgart 2000. Oestereich, B. u. C. Weiss : [APM] - Agiles Projektmanagement. Erfolgreiches Timeboxing für IT-Projekte. Heidelberg 2008. Patzak , G. u. G. Rattay : Projektmanagement. Leitfaden zum Management von Projekten, Projektportfolios und projektorientierten Unternehmen. 5. A., Wien 2009. Schelle, H.: Projekte zum Erfolg führen: Projektmanagement systematisch und kompakt. 6. A., München 2010. Scheurer, S.: [Unternehmensentwicklung] und Wertsteigerung durch PMOs. In: Sandrion-Arndt , B., Thomas , R. u. L. Becker (Hrsg.): Handbuch Project Management Office. Mit PMO zum strategischen Management der Projektlandschaft. Düsseldorf 2010, S. 83-225. <?page no="488"?> Teil 3: Management durch Projekte Projektorientiertes Unternehmen Management durch Projekte Management von Projekten 1 Grundlagen des Managements durch Projekte 2 Unternehmensentwicklung durch Projekte 3 Wertsteigerung durch Projekte 4 Multiprojektmanagement 5 Zusammenfassung <?page no="489"?> 464 · Grundlagen des Managements durch Projekte 1 Grundlagen des Managements durch Projekte Das „Management durch Projekte“ stellt den zweiten Schritt auf dem Entwicklungskontinuum des Projektmanagements dar, das wir in Teil 1, S. 22ff. vorgestellt haben. Wenn die Anzahl der zu koordinierenden Projekte zunimmt, die Projekte tendenziell größer werden und weltweit vernetzt ablaufen, wird ein systematisches Multiprojektmanagement notwendig, um diese Herausforderungen erfolgreich bestehen zu können. Je größer der Anteil der Projekte am Gesamtumsatz des Unternehmens wird, desto stärker beeinflussen sie die strategische Ausrichtung des Unternehmens, d.h. Projektmanagement und Unternehmensführung gehen ineinander über. Auswahl und Umsetzung der „richtigen“ Projekte entscheiden bei zunehmender Bedeutung des Projektgeschäftes wesentlich über den Erfolg des Unternehmens. Das Projektmanagement bekommt somit einen eigenständigen strategischen Charakter als Führungskonzeption, mit deren Hilfe die beiden strategischen Unternehmensziele verfolgt werden: 1. Die Unternehmensentwicklung durch Projekte und 2. die Wertsteigerung durch Projekte. Mit Hilfe der Führungsregelkreise des Projektmanagements in Abb. 3-1 können wir die methodische Vorgehensweise im Rahmen des Managements durch Projekte im Überblick betrachten. Im Management durch Projekte bewegen wir uns im oberen dunkler unterlegten Teil der Führungsregelkreise. Ausgangspunkt ist die Zusammenstellung eines Projektportefeuilles, das gemäß der Gesamtunternehmensplanung der Entwicklung und der Wertsteigerung des Unternehmens gleichermaßen dient. Zudem ist sicherzustellen, dass die Projekte des Portefeuilles koordiniert umgesetzt werden. Diese Umsetzung der Multiprojektplanung stellt dann die Basis für die Planung und Umsetzung der einzelnen Projekte dar. Falls sich auf der Einzelprojektebene Änderungen ergeben, kann dies unterschiedliche Konsequenzen für das Management von Projekten haben: Entweder es werden durch die Änderungen im einzelnen Projekt auch andere Projekte so tangiert, dass Steuerungseingriffe auf Multiprojektebene notwendig werden, oder die Abweichung im Einzelprojekt fällt so erheblich aus, dass der geplante Beitrag des Projektes zur Erreichung der Unternehmensziele in Frage gestellt werden muss. Im letzteren Fall kann dies zur Änderung der Gesamtunternehmensplanung führen, evtl. gar zu einem Projektabbruch. <?page no="490"?> Grundlagen des Managements durch Projekte · 465 Umsetzung der Projektplanung Erfassung von Ist-Projektdaten Durchführung eines Soll-Ist-Vergleichs (Abweichungsanalyse) Konsequenzen aus den Abweichungen Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Durchführungskontrolle Gesamtunternehmensplanung Planung der Unternehmensentwicklung Planung der Wertentwicklung Entscheidung für ein Projektportfeuille Änderung der Gesamtunternehmensplanung, evtl. Projektabbruch Einzelprojektplanungen (Vorgabe von Soll-Daten) Änderung der Einzelprojektplanung Sukzessiver Planungsfortschritt Durchführung eines Soll-Wird-Vergleichs (Planfortschrittskontrolle) Strategische Überwachung Strategische Überwachung Strategische Prämissenkontrolle Umsetzung der Multiprojektplanung Korrigierende Steuerungsmaßnahmen Strategische Ebene Operative Ebene Abb. 3-1: Die Führungsregelkreise des Projektmanagements An dieser Stelle wird die starke Verknüpfung der operativen Ebene mit der strategischen Ebene des Projektmanagements sehr deutlich: Das Management durch Projekte nimmt eine wichtige Schnittstellenfunktion zwischen der Einzelprojektabwicklung und der Gesamtunternehmensentwicklung ein. Darüber hinaus muss im Rahmen eines Managements durch Projekte darauf geachtet werden, dass sowohl die strategische Ausrichtung als auch die geplante Wertsteigerung des Unternehmens laufend kritisch überprüft werden. Gerade vor dem Hintergrund stetigen Wandels und einer hohen Umweltdynamik ist durch eine strategische Kontrollfunktion sicherzustellen, dass die strategische Ausrichtung des Unternehmens noch sinnvoll ist und dass die geplante Wertsteigerung realisierbar bleibt. Andernfalls sind grundlegende Änderungen in der Ausrichtung des Unternehmens vorzunehmen, was im Sinne eines Managements durch Projekte nichts anderes bedeutet als die grundlegende Überprüfung und gegebenenfalls Neuausrichtung des bestehenden Projektportefeuilles. <?page no="491"?> 466 · Unternehmensentwicklung durch Projekte Im Folgenden wird es nun darum gehen, die skizzierten Aufgaben des Managements durch Projekte ausführlich zu erläutern und Instrumente zu ihrer Unterstützung vorzustellen. Teil 3 ist entlang dieser Aufgabenstellungen des Managements durch Projekte aufgebaut: (1) In Abschnitt 2 werden die theoretischen Grundlagen für eine Unternehmensentwicklung durch Projektmanagement erarbeitet. In diesem Zusammenhang wird ein Überblick über verschiedene Modelle der Unternehmensentwicklung gegeben. Davon ausgehend werden Gestaltungsempfehlungen für das Management durch Projekte ausgearbeitet. (2) Abschnitt 3 beschäftigt sich mit den theoretischen Grundlagen des Wertsteigerungsmanagements und mit der Frage, wie der Wertbeitrag eines Projektes bestimmt werden kann. (3) Die theoretischen Grundlagen der Unternehmensentwicklung und des Wertsteigerungsmanagements werden in Abschnitt 4 zusammengeführt. Sie dienen dann als Basis für die Realisierung des Managements durch Projekte in Form eines Multiprojektmanagements. 2 Unternehmensentwicklung durch Projekte Im Folgenden werden wir uns mit den Zusammenhängen zwischen Projektmanagement und der strategischen Ausrichtung des Unternehmens beschäftigen. Die strategische Ausrichtung und somit die langfristige Unternehmensentwicklung ist das zentrale Thema des Strategischen Managements: „Das Strategische Management befasst sich mit der zielorientierten Gestaltung von Unternehmen unter strategischen, d.h. langfristigen, globalen, umweltbezogenen und entwicklungsorientierten Aspekten“ ( Bea/ Haas [Management] 22). Wissenschaftler haben sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Frage beschäftigt, inwieweit eine solche zielorientierte Gestaltung des Unternehmens möglich ist und wie sie konkret aussehen sollte. Wenn wir uns also der Frage zuwenden wollen, welche Rolle das Projektmanagement bei der strategischen Ausrichtung des Unternehmens spielen kann und soll, ist es sinnvoll, verschiedene Ansätze zur Unternehmensentwicklung zu betrachten. Wir werden uns hier auf Ansätze beschränken, die aus unserer Sicht einen direkten Bezug zum Management durch Projekte haben: Die gestaltungsorientierten und die evolutionären Modelle der Unternehmensentwicklung. Auf der Grundlage der wichtigsten Aussagen dieser Ansätze lassen sich Gestaltungsempfehlungen <?page no="492"?> Theoretische Grundlagen der Unternehmensentwicklung · 467 ableiten, die sich sowohl auf die Inhalte als auch auf die Methoden des Managements durch Projekte beziehen. 2.1 Theoretische Grundlagen der Unternehmensentwicklung 2.1.1 Wandel als Bedingung und Ziel der strategischen Unternehmensentwicklung Wie bereits in Teil 1 unter dem Stichwort der Megatrends aufgezeigt, steht in einer Vielzahl von neueren wissenschaftlichen Untersuchungen der Wandel des unternehmerischen Umfeldes im Mittelpunkt der Betrachtung. In Summe führen die Entwicklungen zunehmend zu einer weltweiten Vernetzung von Wirtschaft und Gesellschaft und so zu immer komplexeren gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Wechselwirkungen. Dies führt zugleich zu einer sich immer schneller wandelnden Welt in allen Lebensbereichen, damit natürlich auch zu einem schnelleren unternehmerischen Wandel (vgl. exemplarisch Bea/ Haas [Management] 6ff.; Haas [Entwicklungsfähigkeit] 11ff.; noch umfassender Gagsch [Wandlungsfähigkeit]). Aus diesen Entwicklungen lässt sich eine Vielzahl von strategischen Anforderungen an Unternehmen ableiten (vgl. Haas [Entwicklungsfähigkeit]): Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Umwelt und Unternehmung müssen besser wahrgenommen, analysiert und möglichst frühzeitig in die unternehmerischen Entscheidungen mit einbezogen werden. Komplexe Anpassungsprozesse an die veränderten, globalen Marktstrukturen werden notwendig. Der Zeitbedarf für Unternehmensprozesse muss deutlich verkürzt werden. Die Unternehmensprozesse müssen flexibel und v.a. kundenorientiert ausgerichtet werden. Wissen aus unterschiedlichen Fachgebieten muss für die zunehmend vielfältiger werdenden Probleme kombiniert werden; dies gilt insbesondere für das in allen Branchen stetig wachsende Systemgeschäft. Die Flexibilität und Entwicklungsfähigkeit des Unternehmens müssen erhöht werden. Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen stellt sich natürlich die Frage, wie und mit welchen Methoden die Unternehmensführung auf diese strategischen Herausforderungen reagieren kann. Dies ist keine neue Fragestellung, wie ein <?page no="493"?> 468 · Unternehmensentwicklung durch Projekte Blick auf die Historie dieser Disziplin zeigt (vgl. zur Entwicklung der Disziplin Ansoff [Entwicklungsstand] 62ff.; Bea/ Haas [Management] 11ff.). Weitgehende Übereinstimmung besteht jedoch seit den Arbeiten von Ansoff darin, dass ein erfolgversprechendes Strategisches Management einen Fit zwischen dem Unternehmen und seinem Umfeld sowie einen Fit zwischen den unternehmensinternen Führungssubsystemen herzustellen hat. Wenn effektive Unternehmensführung in der Herstellung eines Fit zwischen Unternehmen und Umwelt und eines sich hierzu kohärent verhaltenden unternehmensinternen Fit besteht, sich die Umwelt jedoch ständig wandelt, muss das Management des Wandels oder anders ausgedrückt die Steuerung der Unternehmensentwicklung somit als die zentrale Herausforderung einer strategischen Unternehmensführung verstanden werden. Dabei muss Wandel keinesfalls nur als extern gegebene Nebenbedingung begriffen werden, die die Entwicklung eines Unternehmens dominiert. Wandel kann durchaus auch ein proaktiv, vom Unternehmen selbst anvisiertes Ziel sein (vgl. Gagsch [Wandlungsfähigkeit] 32). Eine geschlossene Theorie des Wandels lässt sich in der Literatur nicht finden; stattdessen existiert eine Reihe von Ansätzen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten des Wandels bzw. der Entwicklung von Unternehmen befassen (vgl. Stetter [Unternehmensentwicklung] 14; Gagsch [Wandlungsfähigkeit] 25ff.). Wenn also im Folgenden dargestellt werden soll, welche Rolle das Projektmanagement als Führungskonzeption im Rahmen der Unternehmensentwicklung spielen kann, muss zunächst an den Modellen der Unternehmensentwicklung angeknüpft werden. Anhand dieser Modelle wird dann aufgezeigt, welche Gestaltungsempfehlungen im Umgang mit dem unternehmerischen Wandel gemacht werden und von welchen Faktoren eine überdurchschnittlich erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens abhängt. 2.1.2 Modelle der Unternehmensentwicklung Wir unterscheiden gestaltungsorientierte Modelle der Unternehmensentwicklung evolutionäre Modelle der Unternehmensentwicklung Diese Unterscheidung genügt, um die Bandbreite unterschiedlicher Gestaltungsempfehlungen im Umgang mit dem unternehmerischen Wandel darzustellen. Auf der Grundlage der wichtigsten Aussagen und der neueren Entwicklungen dieser Ansätze lassen sich Gestaltungsempfehlungen ableiten, die einen Brückenschlag zum Projektmanagement, verstanden als Führungskonzeption, nahelegen. <?page no="494"?> Modelle der Unternehmensentwicklung · 469 2.1.2.1 Gestaltungsorientierte Modelle Gestaltungsorientierte Modelle sehen die Entwicklung des Unternehmens als unmittelbare Folge von Gestaltungshandlungen. Die Unternehmensentwicklung wird folglich als Ergebnis eines formalen, rational planbaren und kontrollierbaren Steuerungsprozesses gesehen. Im Folgenden werden die zwei Gestaltungsansätze kurz skizziert, die in der aktuelleren Literatur im Vordergrund stehen. Beide Ansätze gehen zwar gleichermaßen von einer Gestaltbarkeit der Unternehmensentwicklung aus, schlagen dabei jedoch völlig unterschiedliche Gestaltungsschwerpunkte für das Management vor. Wir betrachten nun den „Market-based View of Strategy“ den „Resource-based View of Strategy“ 2.1.2.1.1 Market-based View of Strategy Ausgangspunkt dieser Betrachtungsweise des Strategischen Managements ist das industrieökonomische „Structure-Conduct-Performance-Paradigma“. Aus Sicht des „Structure-Conduct-Performance-Paradigmas“ ist der unternehmerische Erfolg eine Funktion der Marktbzw. Branchenstruktur sowie des auf diese Struktur abgestimmten Marktverhaltens des Unternehmens. Folglich kann ein Unternehmen dann mit einer dauerhaften strategiebezogenen Rendite rechnen, wenn es gelingt, in einer attraktiven Branche eine nachhaltig verteidigbare Wettbewerbsposition zu beziehen und diese aufrechtzuerhalten. Damit stellen sich natürlich die Fragen, was eine attraktive Branche ausmacht und wie eine nachhaltig verteidigbare Wettbewerbsposition in einer solchen Branche erreicht werden kann. An der Beantwortung dieser Fragen setzt Porter mit seiner Konzeption an. Er entwickelt sowohl ein Modell zur Analyse der Branchenstruktur als auch Vorschläge zu einer entsprechend abgestimmten strategischen Ausrichtung des Unternehmens. Porter hat seine Konzeption in zwei Klassikern des Strategischen Managements vorgestellt: „Competitive Strategy: Techniques for Analyzing Industries and Competitors“, New York 1980; „Competitive Advantage: Creating and Sustaining Superior Performance, New York 1985. <?page no="495"?> 470 · Unternehmensentwicklung durch Projekte Da mit zunehmender Attraktivität der Branche die Erfolgschancen des Unternehmens wachsen, besteht nach Porter die erste Aufgabe der wettbewerbsstrategisch sinnvollen Ausrichtung eines Unternehmens in der Analyse der Attraktivität der Branche, der das Unternehmen zuzurechnen ist. In Abb. 3-2 sind die Faktoren zu sehen, die nach Porter die Attraktivität einer Branche bestimmen. Wettbewerber in der Branche Rivalität unter den bestehenden Unternehmen Verhandlungsstärke der Lieferanten Verhandlungsstärke der Abnehmer Abnehmer Lieferanten Bedrohung durch neue Konkurrenten Bedrohung durch Ersatzprodukte oder -dienste Potentielle neue Konkurrenten Ersatzprodukte Wettbewerber in der Branche Rivalität unter den bestehenden Unternehmen Verhandlungsstärke der Lieferanten Verhandlungsstärke der Abnehmer Abnehmer Lieferanten Bedrohung durch neue Konkurrenten Bedrohung durch Ersatzprodukte oder -dienste Potentielle neue Konkurrenten Ersatzprodukte Abb. 3-2: Die fünf die Branchenrentabilität bestimmenden Wettbewerbskräfte (Quelle: Porter [Wettbewerbsvorteile] 29) Nach der Analyse der Branchenattraktivität besteht die eigentliche Gestaltungsaufgabe in der Auswahl und Umsetzung der für die jeweilige Branchenstruktur geeigneten Wettbewerbsstrategie. Porter unterscheidet zwei grundlegende Basisstrategien für die Geschäftsbereichsebene: Die Strategie der Kostenführerschaft Das Unternehmen verfolgt durch die Nutzung aller verfügbaren Quellen die Strategie der Erzielung eines Kostenvorsprungs vor den Konkurrenten in der Branche. Gelingt der nachhaltige Aufbau eines Kostenvorsprungs sowie die Durchsetzung von Preisen nahe am Branchendurchschnitt, schlägt sich dies in einem überdurchschnittlichen Unternehmenserfolg nieder. Zugleich <?page no="496"?> Modelle der Unternehmensentwicklung · 471 ergibt sich aus einer führenden Kostenposition gegenüber den Konkurrenten ein Wettbewerbsvorteil aufgrund des höheren Preissenkungsspielraums. Die Strategie der Differenzierung Das Unternehmen verfolgt die Strategie, einmalige, nicht von den Konkurrenten imitierbare Leistungen innerhalb der Branche zu erbringen. Die Differenzierungsmöglichkeiten beziehen sich sowohl auf das Produkt als auch auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Produkt. Die Differenzierungsstrategie führt dann zu einem nachhaltigen und überdurchschnittlichen Erfolg, wenn sich die Differenzierungsmerkmale von denen der Konkurrenten unterscheiden und gleichzeitig die durch die Differenzierung erzielbaren höheren Preise unter den Zusatzkosten der Einmaligkeit liegen. Nischenstrategie Beide Strategien können sowohl branchenweit als auch nur eingeschränkt auf ein bestimmtes Branchensegment - Porter spricht in diesem Zusammenhang von Nischenstrategie zum Einsatz kommen. Welche der beiden Strategien zu wählen ist, hängt nach Porter entscheidend von der Struktur der Branche und damit von der Wettbewerbssituation in der Branche ab, in der das Unternehmen tätig ist. Somit ist eine nachhaltig erfolgreiche Unternehmensentwicklung aus dem Blickwinkel des „Market-based View of Strategy“ das Resultat von rational geplanten Gestaltungshandlungen, die sich primär an externen Strukturen ausrichten und sich v.a. in erfolgsversprechenden Produkt-/ Marktkombinationen manifestieren. Der Erfolg der Unternehmensentwicklung zeigt sich in der Erzielung einer nachhaltigen Rendite und wird damit in rein monetären Größen ausgedrückt. 2.1.2.1.2 Resource-based View of Strategy Der starken Betonung externer Marktstrukturen zur Erklärung des Unternehmenserfolges setzen eine Vielzahl von Autoren mit ihrem „Resource-Conduct- Performance-Paradigma“ eine Antithese entgegen. Nach dem „Resource-Conduct-Performance-Paradigma“ ergibt sich der Unternehmenserfolg nicht primär aus der Marktattraktivität, sondern vielmehr aus den spezifischen Ressourcen eines Unternehmens und aus den mit diesen Ressourcen abgestimmten wettbewerbsstrategischen Verhaltensweisen. <?page no="497"?> 472 · Unternehmensentwicklung durch Projekte Diese Autoren sehen also die Gestaltungsaufgabe des Managements im Aufbau von besonderen Unternehmensressourcen, um sich so langfristig von anderen Unternehmen durch besondere organisationale Fähigkeiten abzuheben. Dabei wird angenommen, dass sich die so aufgebauten besonderen Unternehmensfähigkeiten auch in einem überdurchschnittlichen unternehmerischen Erfolg niederschlagen. Hierbei geht es somit immer um Ressourcen, die an einzelne Unternehmen gebunden sind. Bei diesen Ressourcen kann es sich ebenso um greifbare wie auch um nicht greifbare Aktiva des Unternehmens handeln. (1) Tangible und intangible Assets Hall ([intangible resources] 136ff.) unterscheidet „tangible assets“ und „intangible assets“ (vgl. Abb. 3-3). „tangible assets“ Unter „tangible assets“ sind alle greifbaren Ressourcen zu verstehen. Es kann sich z.B. um Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, die Verfügbarkeit von Basistechnologien oder/ und von F