Die Befragung
1028
2009
978-3-8385-2413-9
UTB
Armin Scholl führt in die Grundlogik der Befragung als sozialwissenschaftliche Methode ein.
Parallel zum Lehrbuch werden im Internet die methodischen Anlagen ausgewählter empirischer Studien veröffentlicht, um an konkreten Beispielen die Vielfalt der praktischen Möglichkeiten und Varianten der Befragung zeigen zu können.
Das Buch will nicht nur die Regeln der Methode vermitteln, sondern auch zum kreativen Umgang mit ihr anregen. Außerdem wird großer Wert auf eine pragmatische und neutrale Darstellung qualitativer und quantitativer Befragungsformen gelegt.
<?page no="1"?> UTB 2413 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Köln · Weimar · Wien Verlag Barbara Budrich · Opladen · Farmington Hills facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag · Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung · Bad Heilbrunn Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft · Stuttgart Mohr Siebeck · Tübingen Orell Füssli Verlag · Zürich Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich <?page no="2"?> Armin Scholl Die Befragung 2., überabeitete Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH <?page no="3"?> Beispielstudien zum Buch können unter www.utb-mehr-wissen.de eingesehen und heruntergeladen werden. Bitte rufen Sie dafür den Buchtitel im Fachbereich »Medien und Kommunikation« auf. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8252-2413-4 1. Auflage: 2003 2. Auflage: 2009 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2009 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="4"?> 5 Inhalt Einleitung und Konzeption des Lehrbuchs ........................................................ 9 1 Die Befragung als sozialwissenschaftliche Methode ............................... 15 1.1 Kurzer historischer Abriss der Umfrageforschung ........................... 15 1.2 Einordnung, Definition und Ziele der Befragung ............................. 20 1.3 Methodologische Unterscheidungen ................................................ 23 2 Verfahren der Befragung .......................................................................... 29 2.1 Das persönliche (face-to-face) Interview ......................................... 29 2.1.1 Beschreibung und Varianten ....................................................... 29 2.1.2 Stichprobe ................................................................................... 30 2.1.3 Vorteile des persönlichen Interviews .......................................... 37 2.1.4 Nachteile des persönlichen Interviews ........................................ 38 2.2 Das telefonische Interview ............................................................... 39 2.2.1 Beschreibung und Varianten ....................................................... 39 2.2.2 Stichprobe ................................................................................... 40 2.2.3 Vorteile des telefonischen Interviews ......................................... 42 2.2.4 Nachteile des telefonischen Interviews ....................................... 42 2.3 Die schriftliche Befragung ................................................................ 43 2.3.1 Beschreibung und Varianten ....................................................... 43 2.3.2 Stichprobe ................................................................................... 44 2.3.3 Vorteile der schriftlichen Befragung........................................... 44 2.3.4 Nachteile der schriftlichen Befragung ........................................ 45 2.3.5 Spezielle Empfehlungen für schriftliche Befragungen ............... 47 2.4 Computerunterstützte Befragungsverfahren ..................................... 49 2.4.1 Beschreibung und Varianten ....................................................... 49 2.4.2 Vorteile der computerunterstützten Befragung ........................... 50 2.4.3 Nachteile der computerunterstützten Befragung......................... 52 <?page no="5"?> Inhalt 6 2.5 Die Online-Befragung ...................................................................... 53 2.5.1 Beschreibung und Varianten ....................................................... 53 2.5.2 Stichprobe ................................................................................... 54 2.5.3 Vorteile der Online-Befragung ................................................... 57 2.5.4 Nachteile der Online-Befragung ................................................. 58 2.6 Vergleich der Befragungsverfahren .................................................. 59 3 Formen der Befragung .............................................................................. 61 3.1 Das narrative Interview .................................................................... 62 3.2 Das Leitfaden- und Experteninterview ............................................. 68 3.3 Das problemzentrierte und fokussierte Interview ............................. 74 3.4 Die standardisierte Befragung .......................................................... 77 3.5 Der Test ............................................................................................ 80 3.5.1 Definition und Varianten ............................................................ 80 3.5.2 Testtheorien und Gütekriterien ................................................... 81 3.5.3 Konstruktion ............................................................................... 84 3.6 Das Experiment ................................................................................ 86 3.6.1 Geschichte, Definition und Ziel .................................................. 86 3.6.2 Untersuchungsanlagen (Designs) ................................................ 88 3.6.3 Unerwünschte (Stör-) Effekte ..................................................... 94 3.6.4 Laborexperiment und Feldexperiment ........................................ 95 3.6.5 Versuchsplanung und Versuchsdurchführung ............................ 98 3.7 Die Mehrthemen- und Mehrfachbefragung ...................................... 102 3.7.1 Monothematische und mehrthematische Befragung ................... 102 3.7.2 Panel- und Trendbefragung ......................................................... 103 3.8 Methodenkombination und Mehrmethodendesigns ......................... 107 4 Varianten der Befragung .......................................................................... 109 4.1 Die biografische Befragung .............................................................. 110 4.2 Die Tagesablauf- und Tagebuchbefragung........................................ 116 4.3 Die Gruppendiskussion (Focus Groups) ........................................... 120 4.4 Die Delphi-Befragung (Consensus Panel) ........................................ 127 4.5 Die Struktur-Lege-Technik ............................................................... 131 4.6 Techniken zur direkten Messung von Kognitionen .......................... 134 4.6.1 Der Copytest ............................................................................... 135 4.6.2 Die Technik des lauten Denkens (Think Aloud Technique) ...... 136 4.6.3 Die kontinuierliche Messung (Continuous Response Measure) . 140 <?page no="6"?> Inhalt 7 5 Fragen und Antworten im Fragebogen .................................................... 143 5.1 Der Fragebogen als Instrument der Operationalisierung ................. 144 5.2 Frageinhalte ...................................................................................... 147 5.3 Frageformulierungen ........................................................................ 152 5.4 Fragetypen und Fragetechniken ........................................................ 156 5.5 Frageformen ...................................................................................... 160 5.6 Antwortvorgaben und Skalen ........................................................... 164 5.7 Fragebogenaufbau und Fragebogengestaltung ……......…………... 174 5.8 Exkurs Online-Fragebogengestaltung ……...................….……….. 178 6 Planung und Ablauf von Befragungen ..................................................... 183 6.1 Stationen des Forschungsprozesses .................................................. 183 6.2 Interviewerorganisation und Interviewerregeln ................................ 190 6.3 Interviewstil ...................................................................................... 198 6.4 Interviewerregeln für qualitative Interviews .................................... 200 6.5 Pretest und Hauptuntersuchung ........................................................ 203 7 Probleme der Befragung ........................................................................... 209 7.1 Reaktivitätsforschung ....................................................................... 209 7.2 Kognitive Effekte ............................................................................. 212 7.2.1 Frageformulierungen und Antwortvorgaben .............................. 213 7.2.2 Reihenfolgeeffekte …………...................................................... 216 7.3 Soziale Effekte .................................................................................. 218 7.3.1 Soziale Erwünschtheit …………………..................................... 219 7.3.2 Formale Antwortstile (Response-Set) ......................................... 225 7.3.3 Nicht-Erreichbarkeit und Nicht-Kooperation (Verweigerung) ... 228 7.4 Befragung spezieller Populationen ................................................... 234 7.5 Ethik und Qualität in der Befragung ................................................. 238 7.5.1 Ethische Probleme ...................................................................... 238 7.5.2 Qualitätskriterien ......................................................................... 241 7.6 Bewertung und Trends der Befragung .............................................. 243 Literatur ............................................................................................................. 247 Register .............................................................................................................. 275 <?page no="8"?> 9 Einleitung und Konzeption des Lehrbuchs »Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen will, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? [ ... ] «. (Watzlawick 5 1983: 37f.) »Die Geschichte mit dem Hammer« setzt sich fort, bis der Mann schließlich zu dem Nachbarn geht und ihn anschreit, er solle seinen Hammer behalten. Wir lernen aus der Geschichte nicht nur, dass es nicht zielführend ist, sich in übertriebene Fantasien hineinzusteigern, sondern auch, dass sich solche Situationen leicht vermeiden lassen, wenn man einfach nachfragt. Nur mit Hilfe von Kommunikation haben wir die Möglichkeit, etwas über Andere zu erfahren und unser Handeln mit ihnen zu koordinieren. Auch wenn (Sozial-) Wissenschaftler in der Regel nicht zu übertriebenen Fantasien neigen, sondern eher rationale Theorien aufstellen, ist es sicherlich sinnvoll, wenn nicht unabdingbar, die Menschen zu befragen, um ihre Gedanken und ihr Handeln kennen zu lernen. Der Eintritt in die wissenschaftliche Kommunikation umfasst dabei nicht nur den Diskurs unter Experten, also meist mit anderen Wissenschaftlern, sondern auch die Befragung der Bevölkerung, über deren Einstellungen, Wissensbestände, Gefühle oder Verhaltensweisen die Wissenschaftler ihre Theorien aufstellen. Die Befragung ist neben anderen sozialwissenschaftlichen Methoden ein Mittel, mit dem der Kontakt zwischen dem System Wissenschaft und der Umwelt hergestellt werden kann. Das vorliegende Lehrbuch beschäftigt sich mit der sozialwissenschaftlichen Methode der Befragung. Es ist nicht das erste Lehrbuch zu dieser Methode, denn sie ist eine der wichtigsten Methoden in den Sozialwissenschaften. Aber dieses Lehrbuch verfolgt eine andere Konzeption als viele seiner Vorgänger, weil es sich mit der Methode auf eine pragmatisch-diskursive Art statt technisch-instruktiv auseinander setzt: • Das Buch soll Anregungen geben, kreativ mit der Methode umzugehen, und damit zeigen, dass die verwendete Methode nicht einfach deduktiv an die ei- <?page no="9"?> Einleitung und Konzeption des Lehrbuchs 10 gene Forschungsfrage angepasst oder auf diese angewendet werden kann, sondern dass enormer Spielraum in der Verwendung der Methode besteht. • Regeln über die richtige Verwendung der Befragung werden dadurch mitnichten überflüssig, aber sie sind auch keine ehernen Gesetze. Sie sind nicht ausschließlich als Techniken zu verstehen, welche die einzig richtigen Vorgaben sind, sondern in vielen Fällen ist ihre Wirkung ambivalent und umstritten. Insofern führt erst der pragmatische Diskurs um die für die jeweilige Fragestellung angemessenste methodische Umsetzung zur jeweils richtigen oder doch vergleichsweise besten Lösung. • Die diskursive Herangehensweise wird unterstützt durch die Berücksichtigung aktueller und spezieller Forschungsliteratur zur Befragung. • Daraus ergibt sich für die Didaktik der Methodenlehre − insbesondere für die Lehre der Befragung − , dass die Methoden nicht einseitig oder gar dogmatisch lehrbar sind, sondern dass sie selbst zum Streitobjekt werden. Allerdings ist das ein produktiver Streit vor dem Hintergrund eines bestehenden und berechtigten Pluralismus an Verfahrensweisen und Varianten. • Die pragmatische Ausrichtung des Lehrbuchs verzichtet, so weit es geht, auf die Austragung wissenschaftstheoretisch-philosophischer oder wissenschaftssoziologischer Konflikte. Oft sind wissenschaftstheoretische Positionen idealisiert und treffen auf die Praxis nicht zu. Damit soll keiner Theoriefeindlichkeit das Wort geredet werden, denn Pragmatismus ist seinerseits eine wissenschaftstheoretische Haltung oder Perspektive, hinter der sich der Autor nicht unsichtbar machen will. Pragmatismus ist auch nicht mit Fatalismus zu verwechseln, wonach alle Methoden gleichwertig seien, sondern er streitet um die richtige Methode vor dem Hintergrund ihrer praktischen Verwendung. Diese Ziele erfordern einen diskursiven Stil und die Abwägung der Vor- und Nachteile der vorgestellten Verfahren und Instrumente. Sie legen ferner nahe, das Lehrbuch durch eine ausführliche Darstellung anwendungsbezogener Studien aus den Kommunikationswissenschaften zu ergänzen. Diese Beispielstudien werden als digitales Zusatzangebot unter www.utb-mehr-wissen.de zur Verfügung gestellt. Zu Beginn des Lehrbuchs steht eine kurze historische Beschreibung der Befragung mit dem Schwerpunkt auf der Verwendung in der Kommunikationswissenschaft. In diesem Kapitel werden auch die Methode definiert und ihre Ziele benannt. Mit der methodologischen Unterscheidung in quantitativ-standardisierte und qualitativ-offene Verfahren ist eine grundlegende Klassifikation eingeführt, die in den weiteren Kapiteln immer wieder aufgegriffen wird ( → Kapitel 1). <?page no="10"?> Einleitung und Konzeption des Lehrbuchs 11 Als weitere Unterteilung schließen sich die grundlegenden Verfahren oder Modi der persönlichen (face-to-face), telefonischen und der schriftlichen Befragung an. Hier werden nicht nur die Verfahren beschrieben, sondern auch die Vorteile und Nachteile ihres Einsatzes sowie die unterschiedlichen Möglichkeiten der Stichprobenziehung. In gesonderten Abschnitten geht es um die Entwicklung der computerunterstützten Befragung und der Online-Befragung. Den Abschluss des Kapitels bildet eine vergleichende Erörterung der Verfahren ( → Kapitel 2). Eine zu den Verfahren quer liegende Einteilung ist die Unterscheidung nach der Form: Befragungen können eine offene oder eine standardisierte Form haben. Diese Unterscheidung ist graduell zu verstehen und reicht vom narrativen Interview, das die größtmögliche Offenheit anstrebt, bis zum Test, der das Instrument (den Fragebogen) vollständig standardisiert, oder dem Experiment, das die Erhebungssituation so weit wie möglich standardisiert. Dazwischen sind verschiedene Formen der Teilstandardisierung denkbar. Gerade bei qualitativen Methoden sind die Erhebung und die Auswertung der Daten sehr eng miteinander verbunden. Deshalb werden in einem Exkurs die Auswertungsmöglichkeiten von Leitfadeninterviews, der am häufigsten angewendeten qualitativen Befragungsart, erläutert ( → Kapitel 3). Im Rahmen dieser grundlegenden Unterscheidungen existieren diverse Varianten der Befragung, die für unterschiedlichste Forschungszwecke geeignet sind: die biografische Befragung zur Rekonstruktion von Lebensläufen, die Tagebuchbefragung zur Rekonstruktion von Tagesabläufen, der Copytest zur detaillierten Erhebung der Rezeption einzelner Medieninhalte, die Delphi-Befragung zur Prognose zukünftiger Entwicklungen durch Experten, die Gruppendiskussion zur Ermittlung von Meinungen einer gesamten Gruppe, die in einer Gruppensituation entstehen, sowie weitere Varianten, die dazu dienen, Denk- oder Handlungsprozesse möglichst zeitnah zu erheben ( → Kapitel 4). Nach der Beschreibung der strukturellen Dimensionen der Befragung behandelt ein weiteres Kapitel das Instrument der Befragung, den Fragebogen. Darin geht es darum, wie die Fragen und (beim standardisierten Fragebogen) die Antwortvorgaben formuliert werden müssen, um den Forschungszweck möglichst gut zu erfüllen. Die Fragen werden dabei nach mehreren Dimensionen klassifiziert, nach dem Inhalt der Frage, den Frageformulierungen, den Frageformen sowie nach den Antwortvorgaben und den verwendeten Skalen ( → Kapitel 5). Danach folgen Planung (Organisation) und Ablauf (Prozess) der Durchführung von Befragungen. Dazu werden zunächst die wichtigsten Phasen der Befragung kurz skizziert. Die Organisation des Interviewerstabes bildet die Grundlage zur Durchführung von Befragungen im größeren Stil. Dazu gehören auch die Formulierung und das Training von Regeln des Interviewens, die für standardisierte <?page no="11"?> Einleitung und Konzeption des Lehrbuchs 12 und offene Verfahren unterschiedlich sind. Davon zu unterscheiden ist in der Durchführung der praktizierte Interviewstil, der entscheidend für die kommunikative Qualität der Befragung ist. Abschließend werden die Aufgaben des Pretests erläutert, der die (Haupt-) Untersuchung vorbereitet ( → Kapitel 6). Während in den vorangegangen Kapiteln immer wieder auch auf spezielle Schwierigkeiten bestimmter Verfahren, Varianten oder des Instruments eingegangen wurde, beschäftigt sich das letzte Kapitel mit den Problemen der Befragung. Dazu gibt es seit Beginn der Entwicklung der Befragungsmethode einen eigenen Forschungszweig, die Reaktivitätsforschung, die sich mit den Faktoren beschäftigt, welche die Güte der Ergebnisse beeinträchtigen. Man kann die Einflüsse auf die Qualität der Antworten des Befragten unterscheiden zwischen kognitiven Effekten, die sich auf das Verständnis und die Prozesse der Informationsverarbeitung vor allem des Befragten beziehen, und sozialen Effekten, die sich aus der Interaktion zwischen dem Interviewer und dem Befragten ergeben. Darüber hinaus sind spezielle Befragtengruppen schwerer als andere zu befragen. Dies betrifft vor allem alte Menschen, Kinder und Ausländer. Schließlich werden zur Problembewältigung allgemeine ethische Forderungen und Qualitätskriterien für die Durchführung von Befragungen vorgestellt ( → Kapitel 7). Abschließend werden die Methode der Befragung allgemein sowie ihre Anwendung in der Kommunikationswissenschaft bewertet und die erwartbaren Entwicklungen aufgezeigt ( → Kapitel 8). In einem ausführlichen Literaturverzeichnis sind Veröffentlichungen zu allen dargestellten Aspekten der Befragung dokumentiert. Auf eine thematisch geordnete Literaturübersicht wurde verzichtet, weil sie die mehrfache Nennung vieler Titel, die sich übergreifend mit der Befragung befassen, erfordert hätte. Ein ausführliches Register ermöglicht die selektive Suche nach bestimmten Autor/ innen oder Stichwörtern. Ergänzend zum Lehrbuch werden auf www.utb-mehr-wissen.de als digitales Zusatzangebot etwa 50 deutschsprachige Studien aus dem Feld der Kommunikationswissenschaft vorgestellt, die beispielhaft die Vielfalt der Befragungsverfahren und Befragungsvarianten aufzeigen sollen. Die Auswahl dieser Studien erfolgte systematisch nach mehreren Kriterien. Sie erhebt keinen Anspruch auf eine − wie auch immer definierte − Repräsentativität, sondern hat rein exemplarischen Charakter: • Nur deutschsprachige Studien werden dargestellt. Dafür gibt es nicht nur den pragmatischen Grund, dass überhaupt eine Beschränkung notwendig ist, sie sind für die deutschsprachigen Leser auch direkter anwendbar. Zudem berücksichtigen die Studien nicht allein den deutschen Forschungsstand, son- <?page no="12"?> Einleitung und Konzeption des Lehrbuchs 13 dern haben in der Regel auch die anglo-amerikanischen Studien und deren Operationalisierungen rezipiert und in die eigene Konzeption eingebaut. • Ein weiteres Kriterium besteht darin, wichtige oder prominente Studien aus wichtigen Feldern der empirischen Kommunikationsforschung zu referieren. Zu diesen zählen die Mediennutzungsforschung, die sich mit dem tatsächlichen Mediennutzungsverhalten des Medienpublikums beschäftigt, und die Medienwirkungsforschung, die sich mit den Wirkungen medialer Inhalte auf Wissen, Gefühle, Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen des Medienpublikums befasst. Daneben ist die Journalismusforschung zu erwähnen, in der es um berufliche Einstellungen und Normen sowie um deren Niederschlag in der journalistischen Berichterstattung geht. • Damit die Auswahl nach relevanten Studien nicht zu einseitig und subjektiv von den Präferenzen des Autors abhängt, wurden die wichtigsten deutschen Fachzeitschriften Publizistik, Rundfunk und Fernsehen (Medien und Kommunikationswissenschaft), Media Perspektiven und Medienpsychologie systematisch gesichtet und diejenigen Studien bewusst ausgewählt, die methodisch als interessant eingestuft werden können oder die stellvertretend für verschiedene Varianten der Befragung vorgestellt und diskutiert werden können. Voraussetzung für die Berücksichtigung ist eine hinreichende Dokumentation des methodischen Vorgehens. Dieser aus dem Lehrbuch ausgelagerte Teil beginnt mit der Vorstellung verschiedener Studien zur Mediennutzung. Dazu gehört die Nutzung bestimmter Medieninhalte (Zeitungsartikel, Fernsehsendungen, Fernsehgenres), bestimmter Medienbereiche (Printmedien, Rundfunk, Online-Medien) sowie der Gesamtheit der Medien. Darüber hinaus wird die Mediennutzung auch im Tagesverlauf, im biografischen oder im soziologischen Kontext untersucht. Einige der Studien stammen aus der angewandten Kommunikations- und Medienforschung und sind zu Dauereinrichtungen geworden: »Media Analyse«, »Allensbacher Werbeträger Analyse«, »Massenkommunikation« sowie die Online-Studien. Unter der Rubrik Wissen, Informationen und Kognitionen werden Studien im Kontext der Wissenskluft-Hypothese (Wissensunterschiede) und der Agenda- Setting-Hypothese (Einschätzung der Themenrelevanz) vorgestellt, darüber hinaus Expertenprognosen zur Zukunft des Journalismus und der Medien, Studien über Selektions- und Informationsverarbeitungsprozesse sowie zu politischen und sozialen Kognitionen. Die Erhebung von Bedürfnissen, Motivationen und Emotionen sind Thema des folgenden Kapitels. Darunter fallen Studien zum Nutzen- und Belohnungsansatz, die sich mit kommunikativen und medialen Bedürfnissen beschäftigen, sowie zu <?page no="13"?> Einleitung und Konzeption des Lehrbuchs 14 Präferenzen für oder gegen bestimmte Medien. Ebenfalls behandelt werden Untersuchungen zur Aufmerksamkeit bei der und Motivation für die Zuwendung zu bestimmten Medien. Ein wichtiger Bereich der Medienwirkungsforschung ist die Erforschung von (meist gewalthaltigen) Medieninhalten auf die emotionale Seite der Rezeption. Die Beziehung zwischen Einstellungen und Verhalten ist ein häufig problematisierter Zusammenhang. Grundlegend für eine mögliche Medienwirkung von Medieninhalten auf die Bildung oder Veränderung von Meinungen und Einstellungen ist die Zuschreibung von Objektivität und Glaubwürdigkeit. Die Wirkung auf die Meinung selbst vollzieht sich entweder als Zusammenspiel von Massenkommunikation und interpersonaler Kommunikation (Zwei-Stufen-Fluss-Hypothese) oder indirekt über die Wahrnehmung öffentlicher Meinung (Theorie der Schweigespirale) oder direkt als kurzfristiger Effekt von subjektiv wichtigen Medieninhalten bzw. als Anpassung an ein über längere Zeit genutztes Medium. Die langfristige Gewöhnung an Medien bewirkt darüber hinaus auch grundlegende Einstellungsveränderungen (Kultivationshypothese). Die Journalismusforschung beschäftigt sich insbesondere mit der Relevanz von Normen und beruflichem Selbstverständnis für das (berufliche) Handeln. Das vorliegende Lehrbuch zur Befragung ersetzt nicht die vorherige Einarbeitung in das Verständnis empirischer Forschung. Die Beschäftigung mit den der Befragung vorausgehenden und folgenden Phasen im Forschungsprozess muss ergänzend erfolgen: Nicht berücksichtigt werden wissenschaftstheoretische Fragen empirischer Forschung in den Sozialwissenschaften, die (mathematische) Stichprobentheorie oder statistische und textbasierte Auswertungsverfahren. Dafür setzt das Buch keine Vorkenntnisse speziell zur Befragung voraus und ist somit als Einführung für Studierende aller sozialwissenschaftlichen Disziplinen geeignet. Gleichzeitig bietet es vertiefende Ausführungen an, die viele spezielle Fragen beantworten und einer scheinbar bereits bestens bekannten Methode neue Facetten abgewinnen. Die Methode der Befragung ist in den Sozialwissenschaften etabliert, aber nicht veraltet, wie ihr weiterhin vorhandenes Entwicklungspotenzial und die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten bestätigen. In der zweiten Auflage dieses Lehrbuchs sind die Ausführungen zur Online-Befragung, zum Leitfadeninterview, zur qualitativen Interviewführung ausgebaut worden, weil dies insbesondere für Examenskandidat/ innen relevante und häufig angewandte Verfahren und Formen der Befragung sind. Im Detail wurden auch die Ausführungen zum Fragebogen (inklusive der Besonderheiten des Online- Fragebogens) ergänzt. Die Hervorhebung von Definitionen sowie einige Überblickstabellen sollen die Lektüre erleichtern. Die Auslagerung der Anwendungsbeispiele auf die Webseite von UTB-mehr-wissen macht das Buch handlicher. <?page no="14"?> 15 1 Die Befragung als sozialwissenschaftliche Methode 1.1 Kurzer historischer Abriss der Umfrageforschung Die wissenschaftliche Anwendung der Befragung setzt historisch erst spät ein. Noelle-Neumann / Petersen (1996: 21, 620) datieren sie auf das Ende des 18. Jahrhunderts. Dies liegt zum einen daran, dass die Methode an die Auskunftsfähigkeit und Auskunftsbereitschaft der befragten Personen gebunden ist. Die Befragung erfordert − soll sie Themen übergreifend und alle Bevölkerungsteile erfassend eingesetzt werden − eine moderne Gesellschaftsform. Zum anderen haben sich die Gesellschaftswissenschaften erst im Lauf des 19. Jahrhunderts entwickelt 1 : Die Soziologie wurde von Auguste Comte (1798-1857) quasi erfunden. Der Begründer der positiven Wissenschaft, des »Positivismus«, gilt als Vorläufer für die empirisch-analytische Sozialforschung, obwohl erst der Soziologe Emile Durkheim (1858-1917) methodologisch für diese Richtung prägend wurde. Aber auch zwei andere empirische Zweige der Soziologie gehen auf berühmte Vorbilder zurück, die bereits mit der Methode der Befragung arbeiteten: Karl Marx (1818-1883) steht für die kritische Sozialforschung 2 und Max Weber (1864- 1920) für die verstehende Soziologie (vgl. Kaesler 2 2000: 206). Zwei wesentliche Impulse für die Befragung speziell in der Kommunikationswissenschaft haben Max Weber und das Forscherteam um Paul F. Lazarsfeld gesetzt. Weber stieß bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die empirische Journalismusforschung an und arbeitete eine »Soziologie des Zeitungswesens« aus, die er auf dem ersten Deutschen Soziologentag in Frankfurt 1910 vorstellte. Die 1 Jacob / Eirmbter (2000: 12ff.) setzen den Beginn der Umfrageforschung zeitgleich mit der Quantifizierung und sogar mit der Entstehung der Sozialwissenschaften selbst an, in der Neuzeit also bereits im 17. Jahrhundert (vgl. Weischer 2007: 19ff.). Das Aufkommen statistischer Analysen kann dabei nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Entwicklung der Methode Befragung sein, denn Daten lassen sich auch aus Dokumenten erfassen. Dem Fazit der beiden Autoren kann dagegen zugestimmt werden: »Umfrageforschung hat keine demokratisch verfassten Gesellschaften zur Folge, aber Umfrageforschung setzt demokratisch verfasste Gesellschaften voraus.« (Jacob / Eirmbter 2000: 29) 2 Die Zeitschrift »Planung und Analyse« dokumentierte 1983 den »Fragebogen für Arbeiter«, den Karl Marx im Jahr 1880 in 25.000 Exemplaren als Beilage einer Zeitschrift in Frankreich verbreitete. Solche Befragungen zur wirtschaftlichen Lage der Arbeiter oder der Armen wurden im 19. Jahrhundert und bereits vorher durchgeführt (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 620ff.; Diekmann 1995: 85ff.). <?page no="15"?> Die Befragung als sozialwissenschaftliche Methode 16 geplante Zeitungsenquête sollte Erkenntnisse über die Materialbeschaffung der Medien und über die Merkmale der Journalisten erbringen. 3 Dass die Untersuchung nicht realisiert werden konnte, lag an einem Professorenstreit und an mangelnder Unterstützung. Außerdem wurde in der Folgezeit eine Redakteursumfrage − allerdings ohne Beteiligung Webers − geplant und durchgeführt. Ihre Auswertung kam aber durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht mehr zustande. Die Fragebögen gelten heute als verschollen (vgl. Kutsch 1988: 5f., 15). Lazarsfeld wurde neben der eher soziologischen Untersuchung über die »Arbeitslosen von Marienthal« mit der 1931 durchgeführten Befragung von Radiohörern für die »Radio und Verkehrs-AG« (RAVAG) bekannt, die als Beginn der Rezipientenbefragung gelten kann. In standardisierten Fragebögen wurden 50 Radioprogramme aufgelistet, zu denen die Hörer angeben sollten, ob sie diese Programmelemente »häufiger, weniger oder in der bisherigen Menge« zu hören wünschten. Daneben wurden die soziodemografischen Merkmale erhoben, um Korrelationsanalysen durchführen zu können. Insgesamt wurden von den überall ausgelegten Fragebögen 38.000 von insgesamt 110.000 Personen (zum Teil Familienmitglieder) ausgefüllt (vgl. Neurath 1990: 77ff.). Beide Pionierstudien der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft, die über das Planungsstadium nicht weiter verfolgte Zeitungsenquête Webers wie die in wissenschaftlicher und praktischer Hinsicht folgenreiche Radiohörerstudie Lazarsfelds, gingen mit einer großen Selbstverständlichkeit theoretisch interdisziplinär vor und verknüpften methodisch quantitative und qualitative Verfahren (vgl. Reimann 1989: 34, 37). Während Webers Forschungsvorhaben trotz der Relevanz der Fragestellungen keine Resonanz erzeugte und lange Zeit von keinem Zeitungs- oder Kommunikationswissenschaftler aufgenommen wurde, konnte Lazarsfeld die Radiohörerforschung nach seiner Emigration in die USA im Rahmen des »Radio Research Project« am »Office of Radio Research« fortsetzen, mit dem er 1937 an der Princeton University begann und das er 1939 an der Columbia University in New York weiterführte. Daraus entstand 1944 das »Bureau of Applied Social Research« (vgl. Jacob / Eirmbter 2000: 19f.), von dem auch die ersten Panelbefragungen zur Erforschung des Wahlverhaltens konzipiert und durchgeführt wurden. Diese Studie »The People’s Choice« und die Folgestudien stießen die Forschung um die Hypothese des »Two-Step-Flow of Communication« an und bauten sie empirisch aus. Die empirische Erforschung der öffentlichen Meinung mit Umfragen reicht wahrscheinlich bis ins 19. Jahrhundert zurück: Bereits im Vorfeld der U.S.-Präsi- 3 In diesem Kontext entwarf Weber auch eine Inhaltsanalyse, sodass er für diese Methode ebenfalls als Pionier gelten kann (vgl. Weber 1911: 52). <?page no="16"?> Kurzer historischer Abriss der Umfrageforschung 17 dentschaftswahl von 1824 sollen erste »straw polls« als Probeabstimmungen der Öffentlichkeit stattgefunden haben. Die Zeitschrift »Literary Digest« verschickte 1928 rund 18 Millionen Wahlzettel an die Abonnenten und sagte den Präsidentschaftskandidaten in der Wahl von 1928 korrekt voraus. Allerdings schlug die Vorhersage von 1936 fehl. Das von George Gallup 1935 gegründete »American Institute of Public Opinion« war erfolgreicher, weil Gallup eine Zufallsstichprobe nach wahrscheinlichkeitstheoretischen Regeln zog, welche die U.S.-amerikanische Gesellschaft repräsentierte, während die Stichprobe von »Literary Digest« offensichtlich politisch verzerrt war. Gallup erlebte zwar 1948 ebenfalls ein Debakel, als sein Institut den falschen Kandidaten als Sieger prognostizierte, aber er gilt in zweierlei Hinsicht als wegweisend: aufgrund seiner theoretisch fundierten Stichprobenziehung und weil er mit Meinungsumfragen nicht nur Wahlen vorhersagen wollte, sondern sie von Anfang an konsequent an die Erfassung der öffentlichen Meinung koppelte (vgl. Keller 2001: 31ff., 47ff.). Die akademische Erforschung der öffentlichen Meinung geht auf Hadley Cantril und sein 1940 in Princeton gegründetes »Office of Public Opinion Research« zurück. 1941 wurde das »National Opinion Research Center« (NORC) an der Universität Chicago gegründet, das sich zum führenden akademischen Institut der Meinungsforschung entwickelte (vgl. Jacob / Eirmbter 2000: 22f.; ausführlich zur Entstehung der Umfrageforschung in USA vgl. Converse 1987). In Deutschland wurde das erste »Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften« unter der Leitung von Leopold von Wiese 1919 an der Universität Köln gegründet, das sich später zur Hochburg einer empirischen Forschung nach den Regeln des »Kritischen Rationalismus« entwickeln sollte. 1924 entstand in Frankfurt/ Main das »Institut für Sozialforschung«, an dem die »Kritische Theorie« von Max Horkheimer (Institutsdirektor seit 1930), Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Erich Fromm u.a. erarbeitet wurde (vgl. Diekmann 1995: 94f.). Die Befragungen in der Zeitungswissenschaft, dem Vorläuferfach der heutigen Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, blieben dagegen sporadisch (vgl. Meyen 2002: 60ff.). In der Nachkriegszeit wurde die empirische Sozialforschung vor allem in Westdeutschland durch die Kölner Soziologen René König (als Nachfolger von Leopold von Wiese) und Erwin K. Scheuch vorangetrieben. Das an der Universität Köln 1960 gegründete (und von 1963 bis 1990 von Scheuch geleitete) »Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung« (ZA) sowie das 1974 gegründete »Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen« (ZUMA) in Mannheim fördern die Entwicklung empirischer Methoden, führen aber kaum im engeren Sinn Kommunikationsforschung durch. Der vom ZUMA seit 1980 im zweijährigen Abstand durchgeführte »ALLBUS« hat 1998 (einmalig) auch einige Fragen zur <?page no="17"?> Die Befragung als sozialwissenschaftliche Methode 18 Mediennutzung aufgenommen. 4 Das ZA dokumentiert und archiviert empirische Datensätze und stellt sie für wissenschaftliche Sekundäranalysen zur Verfügung. Daneben bibliografiert das Bonner »Informationszentrum« (IZ) die empirisch ausgerichtete sozialwissenschaftliche Forschungsliteratur. ZUMA, ZA und IZ schlossen sich Ende der 80er Jahre zur »Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen« (GESIS) zusammen (vgl. Diekmann 1995: 98), die sich seit 2008 »GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften« nennt. In der DDR war eine eigenständige Meinungsforschung weitgehend unbekannt bzw. blieb unsichtbar. Dabei gab es durchaus Befragungsstudien mit wissenschaftlichem Anspruch. So führte die Abteilung Agitation des SED-Zentralkomitees bereits 1951 eine Kombination aus Einzelgesprächen (in Haushalten und in Betrieben), Gruppendiskussionen (in Betrieben) mit Akten und Statistiken zur Akzeptanz der Parteipresse in den Verbreitungsgebieten der Sächsischen Zeitung und der Chemnitzer Volksstimme durch. Mitte der 50er Jahre wurden auch Hörer von Radio DDR zum Programm befragt. Die vom Staatlichen Rundfunkkomitee der DDR 1956 gegründete Hörerforscherabteilung orientierte sich an den Standards in den USA und in der Bundesrepublik (vgl. Meyen 2002: 75f.). Das Zentralkomitee der SED institutionalisierte 1964 mit der Einrichtung des »Instituts für Meinungsforschung« sogar die Umfrageforschung, um die Wirksamkeit staatlicher Propaganda zu erforschen. Aber weder war nach außen sichtbar, dass es sich um ein Institut der SED handelte, noch wurden die Ergebnisse veröffentlicht. 1979 wurde es aus politischen Gründen geschlossen und das Archiv vernichtet, sodass nur wenige Forschungsberichte und Unterlagen existieren (vgl. Niemann 1993: 17ff.). Neben der akademischen Sozialforschung betreiben kommerzielle Markt- und Meinungsforschungsinstitute angewandte Markt-, Meinungs- und Medienforschung. Wegweisend für ihre Entwicklung nach dem Krieg ist der Zusammenschluss von mittlerweile 40 deutschen Markt- und Meinungsforschungsinstituten zum »Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V.«, der 1955 - damals noch unter dem Namen »Arbeitskreis für betriebswirtschaftliche Markt- und Absatzforschung e.V.« - gegründet wurde. Er vertritt die Interessen der Mitgliedsinstitute und entwickelt für sie Qualitätskriterien und ethische Standards (vgl. ADM / AG.MA 1999: 159ff.). Der Aufbau eines ADM-Stichproben-Systems erfolgte in den 50er und 60er Jahren aufgrund der zunehmenden praktischen und rechtlichen Schwierigkeiten, auf die Daten der Einwohnermeldeämter zurückzugreifen. Außerdem sollte auf 4 Eine ausführliche, methodisch dokumentierte Darstellung der bisherigen ALLBUS-Befragungen findet sich in www.gesis.org/ dienstleistungen/ daten/ umfragedaten/ allbus. <?page no="18"?> Kurzer historischer Abriss der Umfrageforschung 19 diese Weise ein für alle beteiligten Institute einheitliches und verbindliches System der Stichprobenplanung geschaffen werden. Dieses System wurde schrittweise entwickelt und dabei mehrfach verändert (vgl. Löffler 1999). Ebenfalls von großer Bedeutung für die angewandte Medienforschung ist die 1954 gegründete »Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e.V.« (AG.MA), damals noch unter dem Namen »Arbeitsgemeinschaft Leser-Analyse e.V.« (AGLA). Sie ist ein Zusammenschluss von Unternehmen der deutschen Werbewirtschaft zur Erforschung der Massenkommunikation (vgl. ADM / AG.MA 1999: 164f.). Zunächst wurden vergleichbare Daten zur Größe und Struktur der Leserschaft von Publikumszeitschriften erhoben, heute zum Publikum aller Medienbereiche ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.2). Um die steigende Internetnutzung erforschen zu können, wurde 2002 die »Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung« (AGOF) von Online-Vermarktern und Online-Werbeträgern gegründet. Sie ist 2004 der AG.MA beigetreten (vgl. www.agof.de sowie Welker / Werner / Scholz 2005: 11). Eine Sonderstellung nimmt das 1947 gegründete »Institut für Demoskopie Allensbach« ein. Die Gründerin Elisabeth Noelle-Neumann steht für die Verbindung zwischen akademischer (Grundlagen-) Forschung und angewandter kommerzieller Markt- und Meinungsforschung. Dafür ist auch kennzeichnend, dass das IfD zahlreiche methodische Experimente durchgeführt hat und in diesem Bereich weltweit führend sein dürfte (vgl. Meyen 2001: 53; Meyen 2002: 67ff.). Trotz der Zusammenschlüsse der Institute und der Verbindung zur universitären Forschung ist die angewandte private Meinungsforschung kommerziellen Interessen ausgesetzt. Insbesondere die harte Konkurrenz führt dazu, dass die Umfragen in der Regel nicht vergleichbar sind, weil die Fragebögen und die Zusammensetzung der Interviewerstäbe unterschiedlich sind. Die Abhängigkeit vom Auftraggeber mündet in einen Zielkonflikt, sich einerseits durch hohe Qualität von der Konkurrenz abzuheben, aber andererseits die Kosten zu senken (vgl. Meyen 2001: 53ff.). Eine besondere Problematik (aber auch Chance) ergibt sich durch die vor politischen Wahlen durchgeführten Wahlumfragen zur Prognose der Wahlergebnisse. Hier konkurrieren die kommerziellen Institute direkt, und die Ergebnisse sind durch den tatsächlichen Wahlausgang überprüfbar. Immer wieder diskutiert wird auch der Zweck solcher Wahlumfragen: Machen sie die Demokratie transparenter und geben den Wählern eine rationale Informationsgrundlage für ihre Wahlentscheidung, oder werden sie von Politikern zu manipulativen Zwecken instrumentalisiert? Sie sind auf jeden Fall ein Element der öffentlichen Meinungsbildung neben den Medien, aber auch in den Medien, die immer wieder auf demoskopische Ergebnisse zurückgreifen. <?page no="19"?> Die Befragung als sozialwissenschaftliche Methode 20 1.2 Einordnung, Definition und Ziele der Befragung Die Befragung gehört zu den sozialwissenschaftlichen Methoden wie die Beobachtung (von Personen, Handlungen, Ereignissen) und die Inhalts- oder Textanalyse (von mündlichen und schriftlichen Texten, von Bildern, Fotos oder Filmen). Oft wird in Lehrbüchern zwischen empirischen und nicht-empirischen Methoden getrennt. Dabei werden empirische Methoden als Sammlung und Systematisierung von Erfahrungen über die (soziale) Realität charakterisiert, während nicht-empirische Methoden das Verstehen singulärer Sachverhalte aufgrund der eigenen Erfahrung des Forschers oder seines theoretischen Wissens zum Ziel haben. Die empirischen Methoden lassen sich wiederum in quantitative und qualitative unterscheiden (vgl. Brosius / Koschel 2001: 17f.). Eine solche Unterscheidung beruht auf einem engen und exklusiven Empiriebegriff. 5 In einem weiten Empiriebegriff wird dagegen Empirie als komplementäres Gegenstück zu Theorie verstanden (vgl. Loosen / Scholl / Woelke 2002: 38f.). Während Theorie demnach die rein gedankliche − spekulative oder logisch strenge − Beschäftigung mit einem Forschungsgegenstand ist, erfordert Empirie immer den direkten forschungspraktischen Bezug auf einen außerwissenschaftlichen Forschungsgegenstand. 6 Hermeneutische Methoden wären dann insofern empirisch, als sie den Forscher systematisch an einen bestimmten Forschungsgegenstand, etwa ein Gedicht oder ein aufgezeichnetes Gespräch, »koppeln«. Der Vorteil eines weiten Empiriebegriffes besteht darin, dass er keine Trennung zu nicht-empirischen Verfahren vollziehen muss, was trotz gegenteiliger Bekundungen in der Regel praktisch auf den Ausschluss dieser Verfahren aus dem Lehrkanon des sozialwissenschaftlichen Fachs Kommunikationswissenschaft hinausläuft. Der Nachteil besteht darin, dass die notwendigen Unterscheidungen dann auf Binnendifferenzierungen verlegt werden müssen. Diese werden im nächsten Kapitel mit der ebenfalls gängigen Gegenüberstellung standardisierter und offener Befragungsmethodologie nachgereicht. 5 Sie zieht zudem eine Trennlinie mitten durch die qualitativen Methoden, denn diese haben oft das Verstehen ihres Gegenstands zum Ziel und wären demnach nicht-empirisch. Diese Trennung ist unpraktikabel, wenn etwa die Daten mit dem empirischen Verfahren des narrativen Interviews erhoben und mit dem nicht-empirischen Verfahren der Hermeneutik ausgewertet wird. 6 In einem Fall muss der Forschungsgegenstand nicht außerwissenschaftlich sein, nämlich wenn die Wissenschaft selbst zum Forschungsgegenstand wird, also in der Wissenschaftssoziologie. Die untersuchte Wissenschaftspraxis wird dann theoretisch und methodisch genauso wie ein außerwissenschaftlicher Forschungsgegenstand behandelt. <?page no="20"?> Einordnung, Definition und Ziele der Befragung 21 Die Befragung hat die (Alltags-) Kommunikation als Grundlage und benutzt diese für die Gewinnung von Informationen über das Forschungsobjekt. Gleichzeitig ist (öffentliche) Kommunikation der Forschungsinhalt der Kommunikationswissenschaft. Daraus ergeben sich besondere Chancen, aber auch Risiken für diese Methode (vgl. Esser 1975a; 1975b). Die Chancen bestehen darin, dass sie prinzipiell an die alltägliche Kommunikation anknüpfen und in allen Teilen der Bevölkerung eingesetzt werden kann. In westlichen Kulturen ist die (wissenschaftliche) Befragung mittlerweile so weit etabliert, dass sie als Sozialtechnik mit ihren Regeln allgemein bekannt und auch weitgehend akzeptiert ist. Allerdings ist die (sozial)wissenschaftliche Befragung nicht identisch mit informellen Gesprächsformen (vgl. Suchman / Jordan 1994) und bedarf insofern einer gewissen Transferleistung der alltäglichen Gesprächssituation auf die wissenschaftliche Befragungssituation durch die Forscher (Interviewer) und durch die Befragten. Diese Übertragungen sind einerseits erwünscht, um die Auskunftsbereitschaft der Befragten überhaupt zu sichern; sie sind andererseits riskant, weil bestimmte soziale Normen, wie sie in Gesprächen praktiziert werden, nicht zu gültigen Informationen über den Befragten führen. So ist es in alltäglichen Konversationen üblich, nichts über sich zu kommunizieren, was den Eindruck bei den Gesprächspartnern negativ beeinflussen könnte. Man versucht in der Regel, sich selbst gut darzustellen oder zumindest keinen Anlass zu geben, dass ein schlechter Eindruck entsteht (»impression management«). Abgesehen von offenen Provokationen und witzig-ironischen Gesprächsformen verläuft das Gesprächsverhalten im Rahmen dessen, was sozial erwünscht ist oder dafür gehalten wird. Bei der Befragung geht es dagegen um valide, authentische Informationen des Befragten über sich selbst, über andere oder über Organisationen, die der Befragte repräsentiert, aber nicht darum, einen möglichst guten Eindruck von sich (oder der eigenen Organisation) beim Interviewer oder bei der Forschungsinstitution zu hinterlassen. Die Befragungssituation ist deshalb vom Prinzip her weitgehend entlastet von den konformitätserzeugenden sozialen Regeln. Weder der Forscher noch der Interviewer haben irgendeine Möglichkeit, das Auskunftsverhalten des Befragten oder die Auskunftsinhalte der Antworten zu sanktionieren, die Befragung beruht auf der Freiwilligkeit der Teilnahme und der Auskunftserteilung. Die einzige Ausnahme von dieser Regel sind (die nicht-wissenschaftlichen) Volkszählungen, bei denen die Auskunft vom Gesetzgeber erzwungen werden kann. Für die (sozial)wissenschaftliche Befragung stehen dagegen nur Appelle und Überzeugungsversuche zur Verfügung, die den Befragten zur Teilnahme an der Befragung und zur ehrlichen Auskunft bewegen sollen. <?page no="21"?> Die Befragung als sozialwissenschaftliche Methode 22 Das Ziel der (sozial)wissenschaftlichen Befragung besteht zusammengefasst darin, durch regulierte (einseitig regelgeleitete) Kommunikation reliable (zuverlässige, konsistente) und valide (akkurate, gültige) Informationen über den Forschungsgegenstand zu erfahren. Die Befragung ist eine Art Aufforderung zur Selbstbeschreibung des Befragten. Der Forschungsgegenstand, das Selbst dieser Beschreibung, kann, muss nicht identisch mit der Auskunftsperson, dem Befragten, sein; es kann sich auch um einen dem Befragten nahen Forschungsgegenstand handeln, etwa um eine Organisation, für die der Befragte arbeitet bzw. in der er Mitglied ist, oder um eine dem Befragten nahestehende Person; man spricht im letzt genannten Fall von einer »Proxy-Befragung«. Je nach Stellenwert, der dem Befragten seitens des Forschers eingeräumt wird, variieren die Bezeichnungen: In der angewandten Sozialforschung wird häufig von Zielpersonen gesprochen, die auch diejenigen mit einschließen, die sich dem Interviewversuch entziehen oder die nicht erreichbar sind. In experimentellen Untersuchungen ist die Rede von Versuchspersonen, die eine vergleichsweise passive Rolle einnehmen, während in Lehrbüchern zur Befragung auch die Bezeichnung Untersuchungsteilnehmer gewählt wird, die eine aktivere Rolle des Befragten suggeriert. Die tatsächliche Aktivität des Befragten hängt vom Standardisierungsgrad der Befragung ab: Je offener die Befragung in der Form ist, desto aktiver muss sich der Befragte an der Strukturierung der Befragungssituation beteiligen. Bei der Durchführung von (sozial)wissenschaftlichen Befragungen wird zwar versucht, an die Alltagssituation von Befragungen (Fragestellen, Information im Gespräch) anzuknüpfen. Allerdings handelt es sich hierbei um eine künstliche (nicht selbst gesuchte), asymmetrische (einseitig themenbestimmte), distanzierte (nicht persönlich werdende), neutrale (emotional nicht extreme), anonyme (nicht zwischen Bekannten erfolgende) Gesprächsform. Voraussetzungen für eine gelungene Befragung sind neben der methodischen Kompetenz des Forschers und der Relevanz des Forschungsthemas hauptsächlich das Interesse des Befragten am Befragungsthema, seine inhaltliche und sprachliche Kompetenz, die prinzipielle Akzeptanz von Befragungen und Wissenschaft oder Meinungsforschung und seine spezielle, auf einzelne Fragen bezogene, Kooperationsbereitschaft sowie seine Ehrlichkeit bei der Beantwortung der Fragen. Die Grenzen der Befragung ergeben sich daraus, dass es sich um eine kommunikative Methode handelt, die streng genommen nur über Kommunikationen Auskunft geben kann. Das bedeutet, dass Bewusstseinselemente (Gedanken, Gefühle) und Verhaltensweisen nur indirekt erschließbar sind und von der Befol- <?page no="22"?> Methodologische Unterscheidungen 23 gung der oben aufgeführten kommunikativen Regeln abhängt. 7 Insofern sind in der Befragung ermittelte Einstellungen, Gefühle und Verhaltensweisen stets kommunikativ vermittelt. Man kann diese kommunikative Vermittlung als (potenzielle) Verzerrung der tatsächlichen Bewusstseinsinhalte und Verhaltensweisen auffassen, die man methodisch - etwa experimentell - zu reduzieren versucht, oder als eigenen sozialen Sinnbereich, der im Alltag relevant ist. Im ersten Fall interessieren die Gedanken oder Verhaltensweisen selbst, sodass die Befragung gegebenenfalls durch andere Methoden flankiert werden muss, wohingegen im zweiten Fall deren Kommunikationen der Forschungsgegenstand sind, wofür die Befragung uneingeschränkt geeignet ist ( → Kapitel 7.3.2 zum Thema »soziale Erwünschtheit«). 1.3 Methodologische Unterscheidungen Wie aus den bisherigen Ausführungen deutlich geworden ist, gibt es einerseits verallgemeinerbare Ziele und Eigenschaften der Befragung, andererseits Differenzen, die zumeist methodologischer Herkunft sind. Man kann die sozialwissenschaftlichen Methoden generell in quantitativ-standardisierte und qualitativoffene Verfahren unterteilen. Diese Unterscheidung basiert auf verschiedenen Forschungsphilosophien; sie wird oft in Unterschiedskatalogen herausgestellt. 8 Die Nützlichkeit solcher prinzipiellen Unterscheidungen ist fraglich, denn es handelt sich zwar um das jeweilige Selbstverständnis der beiden Forschungsphilosophien, aber die Forschungspraxis sieht in der Regel weniger gegensätzlich aus. Man kann sich aus dieser Perspektive auf drei Dimensionen beschränken, 7 Dieses Inferenzproblem ist aber nicht typisch für die Befragung, sondern betrifft ebenso die Inhaltsanalyse, bei der vom analysierten Text auf Kontexte geschlossen wird (vgl. Merten 2 1995), und die Beobachtung, bei der vom beobachteten Verhalten auf sinnhafte Handlungen geschlossen wird (vgl. Gehrau 2002). 8 Solche Unterschiedskataloge werden vor allem von Vertretern qualitativer Methoden aufgestellt (vgl. Kleining 1982; Wilson 1982; Corbin / Strauss 1990; Honer 1989). Dies geschieht oft zur Rechtfertigung qualitativer Methoden gegenüber dem quantitativen »Mainstream«. In den Lehrbüchern, die von Methodologen mit vorwiegend quantitativer Präferenz verfasst werden, gelten dagegen die Regeln quantitativer Methoden als Standard für empirische Sozialforschung schlechthin. Die qualitativen Methoden werden dementsprechend an diesem Standard gemessen, was meistens in einer äußerst kurzen und oft ungerechten Abhandlung der qualitativen Methoden resultiert (vgl. etwa Diekmann 1995; Fowler 2 1988; Converse / Presser 1986). <?page no="23"?> Die Befragung als sozialwissenschaftliche Methode 24 die für die Forschungspraxis speziell der Befragung konstitutiv sind und eine eindeutige Gegenüberstellung erlauben: Standardisierte Verfahren streben in erster Linie den Vergleich zwischen den Untersuchungsobjekten an (vgl. Scholl 2008b). Um die Vergleichbarkeit herzustellen, vereinheitlichen (und »objektivieren«) sie anhand eines ausführlichen Regelwerks • das Instrument, also den Fragebogen, indem die Fragen im Wortlaut und in der Reihenfolge jedem Befragten gleich gestellt und verschiedene Antwortmöglichkeiten dem Befragten zur Auswahl vorgegeben werden; • die Forschungssituation, also die Interaktion zwischen dem Interviewer und dem Befragten, indem die Interviewer zu einheitlichem Verhalten gegenüber dem Befragten trainiert werden; • die Auswahl der Forschungsgegenstände, also die Stichprobenziehung der zu befragenden Zielpersonen, indem sie unabhängig von dem Interviewer durch Zufall oder Quotenvorgaben erfolgt. Das Auswertungsziel standardisierter Verfahren besteht darin, über Häufigkeitsverteilungen bestimmte Phänomene, wie etwa das Meinungsklima zu einer öffentlichen Kontroverse, zu beschreiben oder über Häufigkeitsvergleiche Hypothesen zu überprüfen, die als Zusammenhang von mindestens zwei Variablen formuliert werden, wie etwa der Einfluss persönlicher Motive auf das Auswahl- und Nutzungsverhalten gegenüber bestimmten Medienangeboten. Die Gütekriterien quantitativer Forschung sind Objektivität, Reliabilität und Validität. Objektivität bezieht sich auf die Stabilität des Messinstruments unabhängig von der Erhebungssituation und von der Person, die es anwendet. Wenn unterschiedliche Interviewer beim gleichen Befragten unterschiedliche Antworten auf die gleiche Frage erzielten, wäre die Untersuchung wenig objektiv. Aus diesem Grund werden das Verhalten des Interviewers, die Interviewsituation und der Fragebogen möglichst standardisiert. Da der Begriff der Objektivität erkenntnistheoretisch belastet ist, wird er heute meist durch Intersubjektivität oder intersubjektive Überprüfbarkeit ersetzt. Wenn ein Instrument zu den gleichen Ergebnissen führt, egal wer es anwendet, impliziert dies nicht, dass die Messung deshalb prinzipiell unabhängig vom Anwender ist, sondern nur, dass es von allen Anwendern im gleichen Maß abhängig ist. Diese Annahme reicht aus, um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu sichern. Reliabilität meint die Reproduzierbarkeit des Instruments. Wiederholte Messungen mit dem gleichen Instrument müssen zu dem gleichen Ergebnis kommen, sofern sich in der Zwischenzeit der Forschungsgegenstand nicht verändert hat. Wenn also ein Befragter zweimal die gleiche Frage bzw. zwei sinngleiche Fra- <?page no="24"?> Methodologische Unterscheidungen 25 gen gestellt bekommt und er jedes Mal gleich antwortet, gilt die Frageformulierung als reliabel. Die Reliabilität ist insbesondere bei sehr differenzierten Messungen gefährdet, etwa wenn eine Meinung auf einer zehnstufigen Skala angegeben werden soll, oder wenn ein Befragter nur eine sehr oberflächliche Meinung zu einem Sachverhalt hat bzw. den Sachverhalt für nicht relevant hält und eine fast willkürliche Antwort gibt. 9 Validität meint die inhaltliche sachlogische Gültigkeit und betrifft die Beziehung zwischen dem theoretischen Konstrukt und der empirischen Messung. Wenn man etwa das Wissen des Befragten von der bevorstehenden Kommunalwahl erfahren will, ist die Frage nach dem Datum wahrscheinlich wenig valide. Zum einen umfasst diese Frage nur einen einzigen Aspekt des Wissens, zum anderen sagt möglicherweise das Wissen dieses Datums nichts darüber aus, wie gut der Befragte sich in der Kommunalpolitik auskennt. Validität ist ebenfalls nicht gegeben, wenn der Befragte bewusste Falschaussagen macht. Alle drei Kriterien sind methodentheoretisch diskutierbar, praktisch verbesserbar durch gute Kenntnis vom Forschungsgegenstand und durch die standardisierte Untersuchungsanlage auch messbar. Dafür können unterschiedliche statistische Verfahren eingesetzt werden (vgl. Diekmann 1995: 216ff.; Brosius / Koschel 2001: 69ff.). Offene Verfahren sind weniger stark regelgeleitet und streben in erster Linie ein tieferes Verstehen und Verständnis vom Forschungsgegenstand an (vgl. Scholl 2008a). Um dieses Ziel zu erreichen, individualisieren (und »subjektivieren«) die Forscher • den Fragebogen, indem die Interviewer je nach Antwort des Befragten flexibel nachfragen und das Instrument in der Feldphase der Befragung bis zum Erreichen theoretischer Vollständigkeit (»theoretical saturation«) verändert werden kann (vgl. Rubin / Rubin 1995: 43ff.); • die Interviewsituation, indem der Interviewer offen, konversations- und alltagsnah, allerdings gewissenhafter, professioneller und tiefer als im Alltag fragt und zuhört und versucht, den Befragten nicht einseitig in die Rolle des Auskunftgebers seiner »Daten« zu drängen (vgl. Rubin / Rubin 1995: 6ff.); 9 Im Extremfall gibt der Befragte sogar eine Antwort auf eine Einstellungsfrage, obwohl er keine Meinung dazu hat (»pseudo-opinions«). Dieses Phänomen betrifft bereits die Validität der Antwort, denn sie kann als ungültig eingestuft werden, wohingegen die Antwort auf der Basis einer nur schwachen Meinungstiefe durchaus gültig sein kann, aber sehr stimmungs- oder situationsabhängig ist. <?page no="25"?> Die Befragung als sozialwissenschaftliche Methode 26 • die Auswahl der Befragten, indem die Zielpersonen bewusst und in Abhängigkeit von der theoretischen Fragestellung ausgesucht werden. Die Ziehung der Stichprobe kann dabei auch nach jedem Fall neu erfolgen, um weitere geeignete, für die Fragestellung auskunftsfähige Befragte auszusuchen, bis das Thema erschöpfend behandelt ist (vgl. Rubin / Rubin 1995: 43ff., 73f.). Ziel des qualitativen Stichprobenplans ist nicht Repräsentativität, sondern die maximale Variation und Heterogenität in Bezug auf die forschungsrelevanten Merkmale, für die hinreichend viele Befragte ausgesucht werden müssen. (vgl. Kelle / Kluge 1999: 38, 43ff., 51; Merkens 2000). Während bei standardisierten Umfragen der Forscher viele und anonyme Daten theoriegeleitet oder ad hoc interpretiert, wird bei qualitativen Befragungen die Deutung bestimmter Sachverhalte zwischen dem Interviewer (bzw. Forscher) und dem Befragten »ausgehandelt«. Qualitative Forscher interessieren sich folglich mehr für die Alltagstheorien der Befragten als für akademische Theorien (vgl. Rubin / Rubin 1995: 6ff.; Kvale 1996: 29ff.). Weiterhin korrespondieren quantitativ-standardisierte Verfahren eher mit deduktiver Vorgehensweise und qualitativ-offene Verfahren eher mit induktiver Vorgehensweise. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass standardisierte Verfahren immer theoriegeleitet sein müssen und offene Verfahren immer von den »Daten« ausgehen müssen, aber erstere erfordern schon bei der Fragebogenentwicklung eine deduktive Vorgehensweise, während letztere nur wenige Vorgaben machen und flexibel auf die Befragten reagieren. 10 Die qualitative Sozialforschung bevorzugt deshalb oft eine »abduktive« Logik, welche eine eher dialektische Beziehung zwischen theoretischen Annahmen und empirischen Ergebnissen unterstellt (vgl. Kelle / Kluge 1999: 21ff.), während bei der quantitativen Sozialforschung induktive und deduktive Logik quasi nebeneinander stehen oder zeitlich einander folgen. Die Gütekriterien qualitativer Forschung sind Transparenz, Konsistenz und Kohärenz sowie Kommunikabilität. Transparenz wird hergestellt über die möglichst vollständige Dokumentation der Transkripte vom Interviewgespräch und der Kategorisierungsschritte bei der Analyse. Konsistenz entspricht der Reliabilität in der standardisierten Forschung und bezieht sich auf die Auskünfte der Befrag- 10 Die induktive Forschungslogik, wie sie vor allem von der »Grounded Theory« (vgl. Corbin / Strauss 1990) bevorzugt wird, versucht zwar, die Behinderungen für die empirische Untersuchung, die von vorgefertigten Theorien und Hypothesen ausgehen (können), zu vermeiden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Forscher völlig ohne (theoretische) Vorannahmen ins Feld geht, sondern allenfalls, dass er in der Befragungssituation theoretische Sensibilität und Offenheit beibehält (vgl. Kelle / Kluge 1999: 16ff.). <?page no="26"?> Methodologische Unterscheidungen 27 ten. Allerdings sollen Inkonsistenzen nicht vermieden oder ausgeschlossen, sondern verstanden werden oder erklärbar sein. Konsistenz betrifft daneben auch die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Interview- und lebensweltlicher Situationen. Kohärenz bezieht sich auf die Themen der Befragung und meint den thematischen Bezug der Aussagen des Befragten, der bei der Auswertung festzustellen ist. Die Kommunikabilität in der qualitativen Forschung korrespondiert mit der Validität in der quantitativen Forschung. Die gemeinsame Aushandlung von Bedeutung wird bei der Ergebnisdokumentation sichtbar gemacht in Form von Zitaten der Befragten 11 (vgl. Rubin / Rubin 1995: 85ff.; Kvale 1996: 65). Die Methoden der Auswertung unterscheiden sich ebenfalls von denen der standardisierten Forschung, aber sie unterscheiden sich auch innerhalb der qualitativen Forschung. Die Interviewer oder Befragten füllen keinen Fragebogen aus, sondern das Gespräch wird aufgezeichnet und liegt damit als Rohtext vor, der nicht wie bei der quantitativen Inhaltsanalyse in numerische Symbole überführt, sondern in abstraktere Textformen transformiert wird. Die qualitative Auswertung einer qualitativen Befragung reicht von der »quasi-nomothetischen« Vorgehensweise, die teilweise − ähnlich wie die standardisierte Auswertung − vom Kontext abstrahiert und generalisiert, bis zur »konsequent-idiografischen« Vorgehensweise, die sich auf den Einzelfall bezieht und in diesem sich ausdrückende allgemeine Strukturen aufdeckt (vgl. Flick 1991a: 163f.; Matt 2000: 581). Für die »quasi-nomothetische« Vorgehensweise steht die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse 12 , bei der induktiv (vom Einzelfall ausgehend) und iterativ (schrittweise) Kategorien 13 gebildet werden (vgl. Kvale 1996: 29ff.; Mayring 1991: 211ff.). Die Analyse kann in zwei Richtungen erfolgen: Durch die Abstrahierung der Aussagen der Befragten werden diese induktiv mehrdimensional typologisiert (analog dem statistischen Verfahren der Clusteranalyse). Durch die Vorgabe bestimmter soziodemografischer oder theorierelevanter Merkmale werden die Befragten in Gruppen unterteilt und in der Auswertung wird nach Ähnlichkeiten und Unterschieden in Bezug auf weitere relevante Merkmale gesucht 11 Diese Kriterien gelten zwar nicht speziell für die qualitative Sozialforschung, sondern sind grundlegend für empirische Forschung schlechthin (vgl. Merten / Teipen 1991: 22ff., 31ff.); sie werden allerdings von qualitativen Forschern anders interpretiert. 12 Prinzipiell kann eine offene Befragungsform auch standardisiert ausgewertet werden. Man verlässt dann allerdings die qualitative Methodologie. 13 Diese abstrakten Kategorien reduzieren zwar auch den lebensweltlichen Hintergrund des Befragten; diese Reduktion ist aber nicht als (so stark) isoliert vom Entstehungskontext zu verstehen wie bei der quantitativ-standardisierten Erhebung von Variablen (vgl. Kvale 1996: 29ff.). <?page no="27"?> Die Befragung als sozialwissenschaftliche Methode 28 (entspricht in etwa der Logik des statistischen Verfahrens der Varianzanalyse) (vgl. Kelle / Kluge 1999: 38f., 43ff.). Eine »konsequent-idiografische« Vorgehensweise verfolgen diverse Methoden der Textanalyse wie die Ethnografie, die Konversationsanalyse oder hermeneutische Verfahren des Textverstehens (vgl. Titscher et al. 1998: 107ff., 121ff., 142ff., 247ff.). Diese Verfahren beziehen den kulturellen Kontext und die konkrete Entstehungssituation des Textes im Interviewprozess ein und orientieren sich an der Sequenzialität des Textes. Schließlich werden mit der Verwendung der Forschungsphilosophien auch unterschiedliche Vorstellungen von Gesellschaft verbunden: Dienen die Ergebnisse standardisierter Forschung eher der sozialtechnologischen Veränderung von Gesellschaft, weil der Auftraggeber allein über sie verfügt, wird mit qualitativer Forschung oft eine emanzipatorische Absicht verbunden; dies kommt am stärksten in der »Aktionsforschung« (»Handlungsforschung«) zum Ausdruck, bei der die Befragten in die Lage versetzt werden sollen, ihre Probleme (mit Unterstützung des Forschers) selbst zu lösen (vgl. Heinze 2 1992: 29ff.). 14 Allerdings müssen die Grenzen zwischen qualitativen und quantitativen Methoden nicht scharf gezogen werden, wenn man die Differenzen nicht grundsätzlich, also forschungsphilosophisch-methodologisch, sondern abhängig von der Forschungsfrage, also pragmatisch-technisch, behandelt. 15 Neben dem allgemeinen Vergleich in diesem Exkurs werden in den weiteren Kapiteln konkrete standardisierte und offene Verfahren beschrieben ( → Kapitel 3), die Vorteile und Nachteile offener Fragen im Vergleich zu Fragen mit vorgegebenen Antworten ( → Kapitel 5.4.) und die Standardisierung der Befragungssituation ( → Kapitel 6.3 und 6.4) diskutiert sowie die unterschiedliche Eignung quantitativer und qualitativer Verfahren bei der Befragung spezieller Populationen (Kinder, Alte, Ausländer, Elite-Personen) erörtert ( → Kapitel 7.4). 14 Diekmann (1995: 445) bestreitet die heutige Relevanz dieses Anspruchs und vermerkt süffisant, dass der zunehmende Einsatz qualitativer Verfahren in der Markt- und Meinungsforschung ein Indiz für die Entkoppelung von gesellschaftskritischen Vorstellungen von Sozialforschung und der Anwendung bestimmter Methoden ist. 15 Ausführlich mit dem Verhältnis quantitativer und qualitativer Forschung beschäftigten sich Garz / Kraimer (1991): Puristische Positionen gehen entweder von der Inkommensurabilität (Unvereinbarkeit) oder von der Substitution (Ersetzbarkeit) beider Forschungsstrategien aus. Pragmatische Positionen halten das Verhältnis eher für komplementär (ergänzend) oder symbiotisch (kreuzvalidierend) (vgl. auch Hoffmann-Riem 1980; Kleining 1982; Wilson 1982; Brosius / Koschel 2001: 17f.). <?page no="28"?> 29 2 Verfahren der Befragung Die Verfahren der Befragung lassen sich nach ihrem Kommunikationsmodus in drei Gruppen unterteilen: persönliche (face to face), telefonische und schriftliche Befragungen. Das jüngste Verfahren der Online-Befragung stellt zwar eigentlich nur eine Variante der schriftlichen Befragung dar, aber sie bekommt zunehmend ein eigenes Profil und wird deshalb hier als eigenständiges Verfahren behandelt. Neben der Charakterisierung der Verfahren selbst wird auch die jeweilige Stichprobenpraxis beschrieben, weil diese wesentlich zu den Vorteilen und Nachteilen des Verfahrens beiträgt. Die Unterstützung der Befragung durch den Computer, die unter dem Oberbegriff »Computer Assisted Interviewing« (CAI) firmiert, erschließt neue Einsatzmöglichkeiten der verschiedenen Befragungsverfahren, die aber auch mit neuen Anforderungen und Problemen verbunden sind. 2.1 Das persönliche (face-to-face) Interview 2.1.1 Beschreibung und Varianten Das persönliche Interview ist eine Befragungsform, das auf der Anwesenheit von einem (selten zwei) Interviewer(n) und einem (selten mehreren) Befragten basiert. Es wird deshalb auch als »face-to-face«-Interview bezeichnet. Grundsätzlich lassen sich drei Varianten unterscheiden: das Hausinterview, das Passanteninterview und die »Klassenzimmer«-Befragung. Beim Hausinterview sucht der Interviewer den Befragten auf, entweder in dessen Privatwohnung, an seinem Arbeitsplatz oder an einem verabredeten anderen Ort. Es ist die häufigste Variante der mündlichen Befragung, die auch die größten Möglichkeiten bietet, während die anderen Varianten verschiedenen Beschränkungen unterliegen. Beim Passanteninterview führt der Interviewer die Befragung im öffentlichen Raum durch, zum Beispiel in der Fußgängerpassage einer Innenstadt. Für den Einsatz dieser Variante müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein bzw. Beschränkungen berücksichtigt werden (vgl. Nötzel 1989; Friedrichs / Wolf 1990): • Die Grundgesamtheit muss in Beziehung stehen mit dem Ort der Befragung. Dies ist der Fall, wenn Käufer in der Innenstadt oder Passanten, die an einer Plakatwand oder an einem Flugblattverteiler vorbeigehen, interviewt werden. <?page no="29"?> Verfahren der Befragung 30 • Die Interviews müssen kurz gehalten werden, da die Situation flüchtig ist und die Passanten andere Ziele verfolgen und wenig Zeit haben. • Externe Faktoren wie Wetter und Tageszeit beeinflussen den Ablauf von Passanteninterviews wesentlich, sodass die Bedingungen vorher genau ermittelt werden müssen. Bei der Klassenzimmer-Befragung werden die Fragebögen durch einen Verteiler persönlich an die Befragten übergeben, aber von diesen selbst ausgefüllt (selfadministered questionnaires). Der Verteiler der Fragebögen motiviert zur Teilnahme an der Befragung, steht für Rückfragen der Befragten zur Verfügung und erläutert gegebenenfalls den Zweck der Untersuchung, greift aber sonst nicht ein. Damit ist die Klassenzimmer-Befragung eine Hybridform aus mündlicher und schriftlicher Befragung (vgl. Hafermalz 1976: 12). Voraussetzung für diese Befragungsart ist allerdings, dass die Befragten räumlich nicht verstreut sind, sondern zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten, relativ geschlossenen Ort versammelt sein müssen, an dem die Fragebögen verteilt und in der Regel auch wieder eingesammelt werden müssen. Damit reduziert sich die Einsatzmöglichkeit dieser Variante der persönlichen Befragung auf Fragestellungen, bei denen in der Regel homogene Gruppen untersucht werden sollen (Schulklassen, Universitätsseminare, Ressorts in journalistischen Redaktionen, Abteilungen in Unternehmen und Behörden usw.). Da das Passanteninterview und die Klassenzimmer-Befragung nur sehr eingeschränkt eingesetzt werden können, beziehen sich die folgenden Ausführungen in erster Linie auf das wesentlich häufiger verwendete Hausinterview. 2.1.2 Stichprobe Da die Stichprobenziehung zuerst für die mündliche Befragung entwickelt wurde und diese Verfahren grundlegend für die Befragung im Allgemeinen sind, können anhand derer generelle Anforderungen an die Stichprobenziehung erläutert werden. Deshalb sollen sie im Kontext der mündlichen Befragung ausführlicher behandelt und in den Abschnitten über die telefonische und schriftliche Befragung nur noch die dafür spezifischen Varianten beschrieben werden. Um die Repräsentativität einer Stichprobe zu erreichen, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder wird mit einem Zufallsverfahren gewährleistet, dass prinzipiell jedes Element der Grundgesamtheit (etwa der gesamten erwachsenen Bevölkerung eines Landes) die gleiche Chance hat, in die Stichprobe zu gelangen. Hier gewährleistet (bereits) die korrekt durchgeführte Prozedur die Repräsentativität der Stichprobe hinsichtlich aller Merkmale. Das elaborierteste Verfahren ist das <?page no="30"?> Das persönliche (face-to-face) Interview 31 ADM-Stichproben-System, das vom »Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V.« entwickelt wurde ( → Kapitel 1.1). Alternativ dazu kann Repräsentativität dadurch hergestellt werden, dass die Verteilung der wichtigsten Merkmale der Stichprobe − das sind meist die soziodemografischen Kennzeichen − mit der Verteilung dieser Merkmale in der Grundgesamtheit zur Übereinstimmung gebracht werden. In der Praxis werden die prozedurale und die ergebnisorientierte Variante miteinander kombiniert, allerdings werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: Bei der Zufallsstichprobe wird in erster Linie Wert darauf gelegt, ein elaboriertes Verfahren zu entwickeln, mit dem die Zufälligkeit der Auswahl geregelt wird. Das Ergebnis der Stichprobenziehung wird mit den wichtigsten Merkmalen der Grundgesamtheit verglichen und - bei Abweichungen - durch Gewichtung korrigiert. Beim Quotenverfahren erfolgt der Abgleich der Stichprobenmerkmale mit den Grundgesamtheitsmerkmalen, während die Studie noch im Feld ist, sodass mögliche Abweichungen durch spezielle Quotenvorgaben der unterrepräsentierten Segmente noch in der Feldzeit korrigiert werden können. Festzuhalten bleibt, dass die Repräsentativität einer Stichprobe nicht in der Verteilung aller (denkbaren) Merkmale proportional mit der Grundgesamtheit übereinstimmen kann. Die Stichprobe ist nicht in dem Sinn ein Abbild der Grundgesamtheit wie das Foto von seiner abgebildeten Umgebung, sondern die Stichprobe ist selbst Teil der Grundgesamtheit. Insofern gilt Repräsentativität nur für spezielle Merkmale und streng genommen auch nur für den Zeitpunkt der Erhebung (vgl. Erichson 1992: 19f.). Im Folgenden werden einige relevante Stichprobenmodelle vorgestellt. Im Befragungsalltag gibt es natürlich zahlreiche weitere Möglichkeiten der Stichprobenziehung, auch solche, die keinen Anspruch auf bevölkerungsweite Repräsentativität erheben. Zufallsstichprobe mit dem ADM-Stichprobensystem Das ADM-Verfahren ist eine dreistufige Gebietsbzw. Flächenstichprobe auf der Basis von geografischen Einheiten, den Wahlbezirken: Auf der ersten Stufe werden so genannte Sampling Points, die zumeist den Wahlbezirken entsprechen, ausgewählt. Darauf folgt eine Ziehung der Privathaushalte mit Hilfe einer Zufallsbegehung, woraus im letzten Schritt die zu befragenden Zielpersonen ermittelt werden (vgl. Behrens / Löffler 1999: 69). Die Grundgesamtheit bilden somit Privathaushalte unter Ausschluss von »Anstaltshaushalten«, gewerblichen Betrieben und Mehrfach-Wohnsitzen. Das vereinigte Deutschland besteht aus über 80.000 Wahlbezirken, die allerdings unterschiedlich viele wahlberechtigte <?page no="31"?> Verfahren der Befragung 32 Personen umfassen. Deshalb werden einige Wahlbezirke zu synthetischen »Sample Points« zusammengefasst mit mindestens 400 Wahlberechtigten. • 1. Stufe: Die Stichprobe der Sample Points wird als systematische Zufallsauswahl gezogen. Systematisch ist die Auswahl deshalb, weil sie nach verschiedenen geographischen Einheiten getrennt erfolgt: nach Bundesländern, pro Bundesland nach Regierungsbezirken, pro Regierungsbezirken nach Kreisen, pro Kreis nach Gemeindegrößeklassen, pro Gemeindegrößeklasse nach Gemeinden, eventuell Stadtteilen und Wahlbezirken. Auf diese Weise werden je nach Bedarf der ADM-Institute gesamtdeutsch 128 Netze aus jeweils 258 Sample Points gebildet (vgl. Behrens / Löffler 1999: 74ff.). • 2. Stufe: Zur Ermittlung der Privathaushalte wird die im ersten Schritt ausgewählte Fläche »begangen«. Dazu wird ein Startpunkt bestimmt, von dem aus zwischen 20 und 50 Adressen von den Türschildern abgeschrieben oder erfragt werden. Das können entweder alle hintereinander oder nur jede x-te Adresse bis zur geforderten Anzahl sein. Für diese Zufallsbegehung gibt es genaue Anweisungen. Sie kann entweder als Adress-Random realisiert werden, wobei die Begehung bzw. Adressermittlung und die eigentliche Befragung voneinander getrennt werden, oder mittels Random-Route bzw. Random-Walk direkt mit der Befragung verknüpft werden. Die Trennung zwischen Stichprobenauswahl und Befragung beim Adress-Random entlastet den Interviewer, während beim Random-Route möglicherweise unbequeme Adressen übersprungen werden. Allerdings ist Random-Route ökonomisch und zeitlich günstiger und immer dann geeignet, wenn aufgrund der Beschränkung der Grundgesamtheit (etwa auf bestimmte Altersgruppen) mit hohen Fehlkontakten zu rechnen ist (vgl. Behrens / Löffler 1999: 78ff.; Noelle-Neumann / Petersen 1996: 246ff.). • 3. Stufe: Schließlich muss die zu befragende Zielperson im Haushalt bestimmt werden. Dazu werden die Haushaltsmitglieder aufgelistet und per Zufallsverfahren (»Schwedenschlüssel«) die Zielperson ausgewählt. Alternativ kann auch die Person befragt werden, die als letzte Geburtstag hatte oder als nächste Geburtstag hat. Da die Haushalte aus unterschiedlich vielen Personen bestehen, haben Personen in kleinen Haushalten eine höhere Auswahlwahrscheinlichkeit, was gegen die wahrscheinlichkeitstheoretischen Regeln der Zufallsauswahl verstößt, wonach jedes Mitglied der Grundgesamtheit die gleiche Chance haben muss, ausgewählt zu werden. Deshalb werden in großen Haushalten oft zwei Personen befragt. Außerdem können bei bekannter Haushaltsgröße die individuelle Auswahlwahrscheinlichkeit jeder Person errechnet und diesbezügliche Disproportionalitäten durch Gewichtung in der Stichprobe ausgeglichen werden (vgl. Behrens / Löffler 1999: 81ff.). <?page no="32"?> Das persönliche (face-to-face) Interview 33 Die Ausschöpfung einer geplanten Stichprobe ist nie vollständig, weil aus verschiedenen Gründen das Interview mit der Zielperson nicht immer zustande kommt. Man unterscheidet unsystematische oder qualitätsneutrale und systematische oder (qualitäts)relevante Ausfälle. Zu den qualitätsneutralen Ausfällen, die keinen Einfluss auf die Güte der Stichprobe haben, zählen: • Dateifehler (Haushalt existiert trotz Adressauflistung nicht); • Straße oder Hausnummer nicht auffindbar; • Haushalt gehört nicht zur Stichprobe (Anstaltshaushalt, Gewerbebetrieb); • Wohnung oder Untermietwohnung zurzeit nicht bewohnt; • keine Person passt zur definierten Grundgesamtheit; • Haushalt oder Zielperson ist der deutschen Sprache nicht mächtig; • Totalausfälle von Sample Points; • Adresse nicht bearbeitet. 16 Um relevante Ausfälle handelt es sich, wenn keine Interviews durchgeführt werden können, obwohl die Zielpersonen zur Stichprobe gehören. Hierzu zählen: • Haushalt oder Zielperson trotz mehrmaliger Versuche nicht erreichbar; • Haushalt oder Zielperson verweigert jede Auskunft ohne Angabe von Gründen, aus Zeitmangel, aus Interesselosigkeit oder aus prinzipiellen Erwägungen gegen Meinungsforschung; • Zielperson bricht das Interview frühzeitig ab; • Zielperson ist krank oder kann dem Interview geistig nicht folgen; • Interview ist fehlerhaft und kann nicht ausgewertet werden 17 (vgl. Behrens / Löffler 1999: 88f.; Porst 1991: 61). Die Ausschöpfungsquote ist ein wichtiger Indikator für die Qualität der Stichprobenrealisierung; sie wird wie folgt berechnet 18 : Ausgangspunkt ist die Bruttostichprobe, die alle ausgewählten und eingesetzten Adressen umfasst. Davon werden die qualitätsneutralen Ausfälle abgezogen; der Rest ist die Nettostich- 16 Bei Telefoninterviews kommen weitere qualitätsneutrale Ausfälle hinzu: kein Anschluss unter dieser Nummer, kein ankommender Ruf, falsche Telefonnummer, (nur) Faxanschluss. 17 Bei Telefoninterviews kommen weitere systematische Ausfälle hinzu: automatischer Anrufbeantworter, ständig besetzt, trotz Freizeichen niemand erreicht, nach Abnahme des Telefonhörers sofort aufgelegt (vgl. Porst 1991: 61). 18 Dieser Aspekt ist nicht nur für persönliche Befragungen relevant und wird an dieser Stelle stellvertretend für die Beurteilung aller Zufallsstichproben in Befragungen behandelt. <?page no="33"?> Verfahren der Befragung 34 probe oder »bereinigte« Stichprobe. Von dieser werden die relevanten Ausfälle abgezogen, sodass der Anteil der tatsächlich durchgeführten und auswertbaren Interviews an der Nettostichprobe die Ausschöpfungsquote ergibt. Man kann zwar nicht eindeutig mathematisch bestimmen, unterhalb welcher Grenze eine Stichprobe nicht mehr repräsentativ ist, aber die Marktforschung sieht als Konvention eine Mindestausschöpfung von 70 Prozent an, deren Unterschreitung zumindest begründet werden muss (vgl. Behrens / Löffler 1999: 88ff.). Kritiker bezweifeln allerdings, dass bei einem Ausfall von bis zu 30 Prozent die wahrscheinlichkeitstheoretischen Annahmen der Zufallsauswahl noch gültig sind. Zudem ist die geforderte Ausschöpfungsquote von 70 Prozent in der Praxis selten in einem vertretbaren Aufwand zu realisieren (vgl. Sommer 1987: 300f.). Quotenstichprobe Wie aus diesen Ausführungen ersichtlich wird, ist das Vorgehen auf ADM-Basis in der Praxis sehr aufwändig. Aus diesem Grund bevorzugen einige Meinungsforschungsinstitute das Quotenverfahren, das bereits in 40er Jahren in den USA entwickelt wurde. Ausgangspunkt ist nicht die Grundgesamtheit selbst und ihre Elemente, sondern die statistischen Proportionen bzw. Merkmalsverteilungen der Grundgesamtheit. Aufgrund amtlicher Daten des Mikrozensus oder den Ergebnissen der »Media- Analyse« ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.2.1) sind folgende Merkmale und ihre Verteilungen in der Grundgesamtheit bekannt: • regionale Verteilung nach Bundesländern, Regierungsbezirken und Gemeindegrößen (vier Wohnortgrößegruppen); • Geschlecht; • Alter bzw. (vier) Altersgruppen; • Anteil Berufstätiger und (sechs) Berufsgruppen; • bekannte Konsummerkmale (Besitz bestimmter Konsumartikel). Anhand dieser Merkmale wird ein Quotenplan entwickelt, der einen modellgerechten Miniaturquerschnitt der Grundgesamtheit abbildet. Mit diesen Quotenvorgaben suchen die Interviewer die Befragten selbstständig aus. Damit einher gehen zwei Annahmen: Durch die komplexe Quotenvorgabe, die mehrere Merkmale umfasst, ist der Interviewer in seinem Ermessensspielraum eingeschränkt und praktisch gezwungen, die Befragten annäherungsweise zufällig auszuwählen, sodass systematische Verzerrungen zumindest verringert werden können. Über die (wenigen) Quotenmerkmale hinweg wird Repräsentanz auch für andere Merkmale, die mit ihnen korrelieren, hergestellt. Dies kann man zumindest für <?page no="34"?> Das persönliche (face-to-face) Interview 35 diejenigen weiteren Merkmale kontrollieren, für die externe Daten vorliegen (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 255ff.; Meier / Hansen 1999: 103ff.). Folgende Anforderungen sind an die Erstellung von Quotenplänen zu stellen: • Die Quoten müssen objektiv und spezifisch sein, sodass sie nicht erst vom Interviewer interpretiert werden müssen. • Die Quotenvorgabe darf weder zu einfach sein, um zu vermeiden, dass der Interviewer (nur) Personen aus seinem Bekanntenkreis auswählt, noch zu schwierig sein, um zu vermeiden, dass der Interviewer die Befragtenmerkmale fälscht und sie an die Quotenvorgabe anpasst. • Der Fragebogen sollte multithematisch sein, damit der Interviewer die Zielpersonen nicht nach ihrer (vermeintlichen) Themenkompetenz auswählt. • Die Interviews sollten vorwiegend in Wohnungen und nicht auf der Straße durchgeführt werden, damit mobile Personen nicht überrepräsentiert werden. • Die Befragung sollte auf möglichst viele Interviewer verteilt sein, sodass individuelle Verzerrungen sich nicht stark auf das Gesamtergebnis auswirken oder sich im Durchschnitt ausgleichen (können). • Dementsprechend sollte die Zahl der Interviews pro Interviewer möglichst gering sein, damit die Aufgabe auch zeitlich zu bewältigen ist und keine Frustrationen mit der Quotenerfüllung entstehen. • Insgesamt sollte das Interviewernetz eines Instituts soziodemografisch heterogen, ähnlich der Bevölkerungsstruktur, zusammengesetzt sein, damit keine Verzerrungen entstehen selbst für den Fall, dass die Interviewer Zielpersonen aus ihrem Milieu bevorzugt auswählen. • Die Interviewer müssen intensiv geschult und ihre Tätigkeit regelmäßig und zentral kontrolliert werden, damit Verstöße im Vorfeld minimiert und während der Feldzeit schnell entdeckt und korrigiert werden können (vgl. Noelle- Neumann / Petersen 1996: 278f.; Meier / Hansen 1999: 109ff.). Mittlerweile haben etliche Methodenexperimente stattgefunden, um Unterschiede zwischen Zufallsverfahren und Quotenverfahren zu ermitteln. Tatsächlich stimmen die Verteilungen weitgehend überein (vgl. Reuband 1998b; Noelle- Neumann / Petersen 1996: 263ff.). Dennoch verbleibt als Nachteil des Quotenverfahrens, dass die Qualität der Auswahl selbst nicht kontrollierbar ist. Die Berechnung einer Ausschöpfungsquote ist nicht möglich, da der Interviewer zielgerichtet die Personen selbst aussucht und nicht angibt, wie viele Fehlversuche er hatte. Auch ist nicht kontrollierbar, ob er mehrfach dieselben Personen befragt. Für beide Verfahren gilt: Repräsentanz ist weitgehend abhängig von der Feldarbeit, denn die Kontrolle der Einhaltung der Zufallsauswahl oder der Quoten- <?page no="35"?> Verfahren der Befragung 36 merkmale erfordert einen erheblichen Aufwand. Dies gilt insbesondere, um die oben genannten relevanten Fehler der Verweigerung und der Nichterreichbarkeit ( → Kapitel 7.3.3) zu vermindern (vgl. Erichson 1992: 23ff.). Weitere Stichprobenmodelle Neben diesen beiden Grundformen der Stichprobenziehung gibt es zahlreiche Sonderformen, die insbesondere eingesetzt werden, wenn es nicht um bevölkerungsrepräsentative Umfragen geht, sondern um sehr spezifische Bevölkerungsgruppen oder um direkte Vergleiche zwischen verschiedenen Befragtengruppen. Wenn die Auswahl der Zielpersonen in Abhängigkeit von einem bestimmten Ereignis, etwa von einer Messe, erfolgt, werden Zeitintervallstichproben eingesetzt. Diese sind zeit- und ortsabhängig. Es handelt sich in der Regel um mehrstufige Stichproben, bei denen im ersten Schritt die Befragungsorte ausgewählt werden, zum Beispiel die Eingänge der Messe und die Räume innerhalb der Messehalle. Danach werden die Zeitintervalle bestimmt, innerhalb derer die Befragung durchgeführt wird. Die Auswahl der Befragten erfolgt durch ein bestimmtes, vorher festgelegtes Kriterium, zum Beispiel jede x-te Person, die eine gedachte Linie überschreitet. Für die Entwicklung eines Stichprobenplans sollten die besonderen Gegebenheiten des Ereignisses berücksichtigt werden, um Verzerrungen zu vermeiden (vgl. von der Heyde 1999: 113ff.; Nötzel 1987b). Speziell für die Klassenzimmer-Befragung ist in der Regel eine Klumpenstichprobe sinnvoll. Dies ist eine mehrstufige Auswahl, bei der räumlich abgegrenzte (Teile von) Organisationen (etwa Schulklassen) entweder per Zufall oder je nach Fragestellung der Untersuchung bewusst ausgewählt werden. Innerhalb dieser ausgewählten Einheiten werden dann alle Individuen (das heißt der ganze »Klumpen«) befragt. Der Vorteil besteht in der Effizienz bei der Durchführung. Allerdings wirkt sich die Klumpung dann negativ aus, wenn die Klumpen sehr homogen sind, weil dann die Gesamtstichprobe weniger Varianz aufweist als bei anderen Stichprobenverfahren und in Bezug auf das homogene Merkmal zu systematischen Verzerrungen führt. Bei Netzwerkanalysen ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 4.2) ist es sinnvoll, mit dem Schneeballverfahren zu arbeiten. Dazu wird in einer ersten Stufe per Zufallsverfahren eine Ausgangsstichprobe gezogen. Die befragten Personen werden dann um weitere Adressen gebeten von Personen, die sich im gleichen Netzwerk befinden (Freunde, Bekannte, Kollegen, Verwandte) oder in irgendeiner Hinsicht für sie relevant sind (etwa als Meinungsführer zu bestimmten Themen). Diese zweite Stufe erfolgt nicht mehr als Zufallsverfahren, sondern stellt eine bewusste Auswahl der Befragten selbst dar. <?page no="36"?> Das persönliche (face-to-face) Interview 37 Für einige Forschungszwecke ist eine bewusste Auswahl nach bestimmten Merkmalen notwendig. Hier gibt es wiederum mehrere Möglichkeiten: So können aufgrund der Fragestellung der Untersuchung Personengruppen mit einem extremen oder untypischen Merkmal wie die Fernsehverweigerer ausgewählt werden. Da es für solche Gruppen keine Übersicht über die Grundgesamtheit gibt und eine Flächenstichprobe zu große Streuverluste in Kauf nehmen müsste, ist eine zufällige Auswahl nicht durchführbar. Darüber hinaus ist die Population hauptsächlich hinsichtlich des einen spezifischen Merkmals von Forschungsinteresse, sodass es weniger auf die Repräsentanz hinsichtlich anderer Merkmale ankommt, sondern auf eine gewisse Bandbreite bzw. Streuung in Bezug auf andere Merkmale. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Auswahl von normalen oder typischen Personengruppen in Bezug auf ein bestimmtes Merkmal, also etwa Personen mit einem durchschnittlichen Fernsehrezeptionsverhalten. Sowohl bei der Auswahl extremer als auch normaler Personen(gruppen) geht es darum, diese intensiver oder detaillierter beschreiben zu können. Wenn dagegen eher der Vergleich zwischen Gruppen im Mittelpunkt der Fragestellung stehen soll, muss ein bestimmtes Spektrum abgedeckt werden. Dieses Spektrum kann je nach Untersuchungsziel wiederum eher ähnliche Personen(gruppen) berücksichtigen oder Extremgruppen. Insbesondere bei nichtstandardisierten Befragungen sind solche bewussten Auswahlverfahren üblich, da keine quantitativen Auswertungen vorgenommen werden ( → Kapitel 3.1, 3.2, 3.3). Auch bei standardisierten Formen der Befragung wie beim Experiment sind nichtrepräsentative Auswahlverfahren üblich, wenngleich dort meist mit einem Zufallskriterium gearbeitet wird, damit bestimmte statistische Auswertungsverfahren überhaupt sinnvoll sind ( → Kapitel 3.6). 2.1.3 Vorteile des persönlichen Interviews • Alle Formen von Stichprobendesigns sind bei der persönlichen Befragung − beim Passanteninterview und bei der Klassenzimmer-Befragung allerdings nur eingeschränkt − möglich. Wenn Adresslisten oder Telefonnummern nicht verfügbar sind, kann auf eine räumliche Gebietsstichprobe mit einer eigenen Adressermittlung (etwa beim Random Route bzw. Random Walk) zurückgegriffen werden, wie dies beim ADM-Mastersample der Fall ist. Der persönliche Kontakt mit dem Interviewer kann in mehreren Hinsichten die Qualität der Befragungsergebnisse erhöhen: • Bei unmotivierten oder unwilligen Befragten kann der Interviewer zur Teilnahme an der Befragung motivieren. Bei längeren Befragungen ist die Abbruchwahrscheinlichkeit geringer, wenn ein Interviewer sie persönlich durch- <?page no="37"?> Verfahren der Befragung 38 führt. Durch den Aufbau einer »persönlichen Beziehung« kann ein Vertrauensverhältnis entstehen, das zu einer höheren Akzeptanz der Befragung und des Fragebogens beim Befragten führt. Insgesamt ist die Ausschöpfungsquote der Stichprobe wegen des größeren Verbindlichkeitsgrades höher als bei den anderen Befragungsformen. Dies gilt für die Klassenzimmer-Befragung besonders, allerdings nur sehr eingeschränkt für das Passanteninterview. • Bei unverständlichen Fragen oder Antwortvorgaben kann der Interviewer Hilfestellung für die Beantwortung geben. • Bei ungenauen oder nicht passenden Antworten des Befragten kann der Interviewer in geeigneter Weise nachhaken, um die Antwort an die Frage bzw. die Antwortvorgaben anzupassen oder um sie zu vervollständigen. • Bei komplexen Instruktionen oder Sequenzen (zum Beispiel Filterführung) kann der Interviewer für die akkurate Befolgung durch den Befragten sorgen. Der Befragte wird dadurch von strukturellen Aufgaben, die für ihn zutreffende Frage im Fragebogen zu suchen, entlastet. • Für die Präsentation zahlreicher visuellen und optischen Unterstützungen sind Interviewer erforderlich. Bei langen Listen, die als Kartenspiele vorgelegt werden, kann der Interviewer die Reihenfolge systematisch rotieren oder zufällig auswählen (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 2000). • Bei Mehrmethoden-Designs mit Selbstausfüller-Modulen, mit eingebauten Beobachtungsteilen (der Interviewer beobachtet die Wohnungseinrichtung oder das Verhalten des Befragten bei der Beantwortung der Fragen) oder mit experimentellen Anlagen ist die Anwesenheit des Interviewers erforderlich. • Bei qualitativen Interviews ist ein kompetenter Interviewer immer erforderlich und ein persönlich anwesender Interviewer gegenüber einem Telefoninterviewer zusätzlich im Vorteil, um vom Befragten komplexere und tiefere Informationen zu bekommen (vgl. Fowler 2 1988: 70ff.). 2.1.4 Nachteile des persönlichen Interviews • Aufwand und Kosten des persönlichen Interviews sind größer als in anderen Befragungsformen. Nur professionelle Institute können einen Interviewerstab organisieren, der für bundesweite Repräsentativstichproben geografisch flächendeckend eingesetzt werden kann. Rekrutierung, Einsatz, Kontrolle und Bezahlung der Interviewer sind sehr kostenintensiv. Für Passanteninterviews und Klassenzimmer-Befragungen entfällt dieser Nachteil weitgehend. • Die Feldphase dauert meist länger als bei anderen Befragungsformen, da die Interviewer die Befragten selbst aufsuchen müssen. Gerade bei mobilen Ziel- <?page no="38"?> Das telefonische Interview 39 personen kann dies zu einem höheren Aufwand führen. Passanteninterviews und Klassenzimmer-Befragungen haben dagegen eine kürzere Feldphase. • Einige Teilpopulationen sind mit anderen Befragungsarten besser erreichbar: Dazu gehören Bewohner oberer Stockwerke in Hochhäusern, Befragte, die in Gebieten mit hoher Kriminalitätsrate wohnen, Eliten, mobile Personen, nicht sesshafte bzw. obdachlose Personen. Der Interviewer hebt nicht nur die Qualität von Interviews, sondern stellt in einigen Hinsichten auch ein Risiko für deren Qualität dar: • Aufgrund der persönlichen Situation im Interview können sich Befragte eingeschüchtert fühlen und deshalb ausweichend oder unehrlich antworten. Andere Formen der Befragung sind anonymer und ermöglichen den Befragten eine freiere Meinungsäußerung. Dies ist insbesondere bei heiklen Themen (abweichendes Verhalten, Sexualität usw.) problematisch, wenn der Befragte dazu neigt, dem Interviewer gegenüber eine als sozial erwünscht eingeschätzte Antwort zu geben, um einen guten Eindruck bei ihm zu hinterlassen. • Interviewer können die Fragen und Antwortvorgaben fehlerhaft vorlesen, Fehler bei der Filterführung begehen, die Angaben der Befragten falsch verstehen oder die geäußerten Antworten den Antwortvorgaben falsch zuordnen. • Interviewer können sich absichtlich falsch verhalten, um den Aufwand und die Kosten zu senken. Darunter fallen nicht regelgerechte Adressermittlungen gemäß der Begehungsvorschriften beim Random-Route-Verfahren bzw. Random-Walk-Verfahren, Unterschlagung einzelner Fragen bzw. Fälschung einzelner Antworten bis hin zur Fälschung gesamter Interviews. Bei Klassenzimmer-Befragung treffen diese Befürchtungen kaum zu, da ihr Aufwand erheblich geringer ist. Dagegen besteht bei Passanteninterviews durchaus die Gefahr der subjektiven Stichprobenziehung, weshalb diese nicht von den Interviewern selbst durchgeführt werden sollte (vgl. Fowler 2 1988: 70ff.). 2.2 Das telefonische Interview 2.2.1 Beschreibung und Varianten Das telefonische Interview ist als fernmündliche Befragung weniger persönlich als das direkte face-to-face Interview, aber es basiert ebenfalls auf einer Beziehung zwischen einem Interviewer und einem Befragten. <?page no="39"?> Verfahren der Befragung 40 Voraussetzung ist, dass die Zielpersonen einen Telefonanschluss haben bzw. telefonisch erreichbar sind. Dies ist vor allem in Industrieländern westlicher Prägung der Fall. In den USA ist der Einsatz von Telefoninterviews schon seit längerer Zeit sehr populär, und er ist mit einer gewissen Verzögerung auch in Deutschland gestiegen. Durch die Wiedervereinigung erlitt diese Befragungsform zunächst einen Rückschlag, weil in der DDR die Telefondichte relativ gering und die technische Qualität der Telefonanschlüsse schlecht war. Diese Probleme waren jedoch nur vorübergehend, sodass Telefoninterviews mittlerweile sehr häufig verwendet werden. Sie bieten eine Reihe von Vorteilen, die sie besonders für die angewandte Meinungsforschung attraktiv machen. 2.2.2 Stichprobe Die Stichprobenziehung für eine Telefonbefragung ist ebenso anspruchsvoll wie die für eine persönliche Befragung. Es sind aber andere Anforderungen und Probleme zu beachten. Folgende Varianten werden für die Ziehung einer repräsentativen Stichprobe verwendet 19 : • Zufallsauswahl aus dem Telefonbuch oder von der CD: Das Telefonbuchverfahren ist zwar mittlerweile veraltet, wird aber gelegentlich noch angewendet, zumal wenn nicht die bundesweite Bevölkerung die Grundgesamtheit bildet. Die Stichprobenziehung erfolgt mehrstufig: Zuerst wird das Telefonbuch, dann die Seite, die Spalte und zuletzt der Zielhaushalt ausgewählt. Wird die Stichprobe über CD gezogen, kann sie einstufig erfolgen und der Zielhaushalt direkt ausgewählt werden. Das Verfahren hat den Vorteil, dass alle Nummern tatsächlich existieren. Außerdem fällt im Vergleich zum ADM-Stichproben-System der persönlichen Befragung die erste Stufe weg, also die Auswahl der geografischen Einheiten, der Sample Points. Von Nachteil ist, dass viele Haushalte nicht eingetragen sind, was zu systematischen Verzerrungen führt: Im Telefonbuch oder auf der CD nicht eingetragene Personen haben entweder kein Telefon, wohnen in Gemeinschaftsunterkünften oder haben Geheimnummern. Seit einigen Jahren nimmt ferner die Zahl der Personen mit mehreren Festnetzanschlüssen (etwa über ISDN) zu, die bei Zufallsauswahlen überrepräsentiert werden, wohingegen Personen, die nur noch einen Mobilfunkanschluss haben, unterrepräsentiert werden, weil sie selten in ein Verzeichnis eingetragen sind. 19 Selbstverständlich können auch für Telefoninterviews andere Stichprobenverfahren verwendet werden, wie das Schneeball-Verfahren, wenn etwa seltene Populationen befragt werden sollen (vgl. Fuchs 2000). <?page no="40"?> Das telefonische Interview 41 • Zufalls-Ziffern-Anwahl (Random-Digit-Dialing): Bei diesem Verfahren werden die Telefonnummern per Zufall vom Computer generiert. Damit können prinzipiell auch Geheimnummern in die Stichprobe gelangen. Allerdings sind zahlreiche vom Computer erzeugte Nummern überhaupt nicht registriert, sodass der Streuungsverlust relativ groß ist. Aus diesem Grund wird in der Regel die Zufalls-Addition-Anwahl (Random-Last-Digit-Dialing) angewendet. Dabei werden im ersten Schritt Nummern aus dem Telefonbuch ausgewählt und im zweiten Schritt die letzte oder die letzten beiden Ziffern zufällig ergänzt 20 (vgl. Fuchs 1994: 154ff., 158ff.; Gabler / Häder 1997). Weder bei der Telefonbuch- oder Telefon-CD-Auswahl noch bei der Zufallsnummern-Auswahl werden direkt Zielpersonen ermittelt, sondern nur Telefonnummern. Dieses Problem stellt sich entsprechend dem Prinzip der Haushaltsauswahl bei Flächenstichproben (Random Route, Random Walk). Für die Auswahl der Zielpersonen gibt es mehrere Möglichkeiten: Wird derjenige befragt, der sich am Telefon meldet, ist die Stichprobe auf der Personenebene nicht mehr zufällig, weil zu bestimmten Tageszeiten bestimmte Personen innerhalb des Haushalts ans Telefon gehen. Alternativ könnte man zur Bestimmung der Zielperson nach dem Haushaltsmitglied fragen, bei dem die zeitliche Differenz zwischen dem letzten oder dem nächsten Geburtstag am geringsten ist. Das aufwändigste Verfahren ist ein Haushaltsscreening, bei dem alle Haushaltsmitglieder zunächst aufgelistet werden, sodass mit Hilfe einer Auswahltabelle die Zielperson ausgewählt werden kann (vgl. Fuchs 1994: 165ff.). • Personenstichproben aus Einwohnermelderegister: Bei dem Verfahren werden Personen ausgewählt, deren Telefonnummer unbekannt ist. Diese muss in einem gesonderten Schritt ermittelt werden, sodass das Verfahren aufwändiger als die anderen ist (vgl. Blasius / Reuband 1995: 66f.). Oft werden Mastersamples von etwa vier bis acht Millionen Privatadressen generiert. Dazu werden alle Telefonbucheinträge nach Kreisen und Gemeindegrößeklassen geschichtet und pro Schicht systematisch ausgewählt. Damit kann ein Teil der Stichprobenbereinigung (etwa die Identifizierung von Firmeneinträgen oder falschen Nummern) bereits im Vorhinein erledigt werden, sodass auf das Mastersample schnell zugegriffen werden kann. Das Mastersample muss allerdings jährlich aktualisiert werden (vgl. Meier 1999: 95ff.). 20 Allerdings können auch mit diesem modifizierten Verfahren Geschäfts- und Privatnummern nicht unterschieden werden, wenn niemand antwortet. Nicht belegte Nummern können nur über einen entsprechenden Ansagetext identifiziert werden, und es kann keine vorherige Mitteilung über die geplante Befragung erfolgen, da die Adressen unbekannt sind. <?page no="41"?> Verfahren der Befragung 42 2.2.3 Vorteile des telefonischen Interviews • Kosten und Aufwand von Telefoninterviews sind deutlich geringer als bei persönlichen Interviews. Der Interviewerstab muss nicht so groß sein, kann zentral eingesetzt werden und ist geografisch unabhängig. Außerdem bestehen bessere Möglichkeiten der Kontrolle und Supervision der Interviewer. • Aufgrund der zentralen Organisationsform kann die Forschungsleitung bei unerwarteten Problemen flexibel reagieren, und die Interviewer können wechselseitig voneinander lernen (vgl. Frey / Kunz / Lüschen 1990: 175f.). • Die Reichweite von Telefoninterviews ermöglicht Repräsentativerhebungen, bei denen auch spezielle Populationen erreichbar sind. • Die Datenerhebungsphase ist vergleichsweise kurz. Die Interviewer müssen die Zielpersonen nicht persönlich aufsuchen. Durch die Verbreitung mobiler Telefongeräte dürfte sich die Erreichbarkeit erhöhen. • Der Interviewer kann die Qualität der Befragungsergebnisse steigern. Viele Vorteile, die im Zusammenhang mit dem persönlich-mündlichen Interview aufgeführt wurden, treffen auch auf das Telefoninterview zu. Da die Gesprächsbeziehung anonymer ist − auch weil Dritte fast immer ausgeschlossen sind − , sinkt zudem die Wahrscheinlichkeit, dass die Befragten unaufrichtig antworten; außerdem ist das Gespräch konzentrierter. Insgesamt können die Interviewer im Telefoninterview weniger Fehler begehen als im persönlichen Interview, weil sie besser kontrollierbar sind und weil ihr Verhalten, auf die akustische Dimension reduziert, weniger exponiert ist (vgl. Fowler 2 1988: 70ff.; Fuchs 1994: 188f.). 2.2.4 Nachteile des telefonischen Interviews • Die Repräsentativität von Telefonstichproben ist von der Telefondichte abhängig. Personen, die keinen Telefonanschluss haben, werden in der Stichprobe nicht repräsentiert. Die Ausfälle, die aufgrund der automatischen Zufallsziehung (Random-Digit-Dialing oder Random-Last-Digit-Dialing) entstehen, sind nicht kontrollierbar, weil eine Nichtantwort entweder bedeuten kann, dass es die betreffende Telefonnummer nicht gibt oder dass die Person mit dem betreffenden Telefonanschluss nicht erreichbar ist. • Die Ausschöpfung von Telefonstichproben ist in der Regel niedriger als die persönlicher Umfragen und reicht in Deutschland kaum über 50 Prozent (vgl. Stögbauer 2000). Dieser Wert lässt sich auch kaum steigern durch die vorherige Zustellung des Fragebogens, sondern allenfalls mit aufwändigen Kombinationen mit den anderen Befragungsverfahren (vgl. Friedrichs 2000). <?page no="42"?> Die schriftliche Befragung 43 • Der Fragebogen muss relativ einfach gestaltet sein. Der Einsatz optischer Skalen, visueller Hilfsmittel (Bildblätter) und sonstiger Gegenstände ist nicht möglich (zum Beispiel auch keine Copytests). Die Bildung von Rangreihen kann nur begrenzt eingesetzt werden, da sie nur mit optischer Unterstützung gut funktioniert. Noelle-Neumann und Petersen (1996: 309ff.) nennen zahlreiche weitere Beispiele für nicht oder nur eingeschränkt einsetzbare Mittel, die bei mündlicher Befragung möglich sind. • Der Interviewer hat nur eingeschränkte Möglichkeiten, den Befragten zur Teilnahme zu motivieren oder eine persönliche Beziehung aufzubauen, aufgrund derer es möglich ist, auch sensible und heikle Fragen zu stellen. Insgesamt ist die Gesprächssituation am Telefon unverbindlicher als im persönlich-mündlichen Interview. Außerdem ist die Interviewdauer kürzer als beim persönlichen Interview, was damit einhergeht, dass die Antworten in der Regel oberflächlicher sind. Dies ist die Kehrseite der größeren Anonymität (vgl. Fowler 2 1988: 70ff.; Frey / Kunz / Lüschen 1990: 57). 2.3 Die schriftliche Befragung 2.3.1 Beschreibung und Varianten Bei der schriftlichen Befragung wird kein Interviewer eingesetzt, und die Befragten füllen den verschickten oder verteilten Fragebogen selbst aus. Die schriftliche Befragung gleicht zwar dem individuellen Briefverkehr (vgl. Richter 1970: 142), umfasst aber mehr Varianten der Verteilung als die postalische Verschickung von Fragebögen. • Bei der postalischen Befragung wird der Fragebogen als Brief verschickt. Dazu ist es erforderlich, dass dem Fragebogen ein Anschreiben mit adressiertem und frankiertem Rückumschlag beigelegt wird. Der Rücklauf kann mit Nachfassaktionen verbessert werden. Wenn die Befragung nicht anonym ist, können die Nicht-Antworter gezielt angeschrieben werden. Eine Variante ist die Postwurfsendung mit Rückantwortschein, bei der allerdings der Rücklauf nicht kontrollierbar ist. • In Ländern, in denen ein hoher Anteil der Bevölkerung mit Computern ausgestattet ist, oder bei Fragestellungen, für die spezielle Populationen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Computerausstattung befragt werden sollen, ist es auch möglich, den Fragebogen per Diskette zu verschicken. Das Verfahren <?page no="43"?> Verfahren der Befragung 44 »Disk by Mail« (DBM) findet im Unterschied zum elektronischen Versand mit dem herkömmlichen Postversand statt. • Bei der Beilagenbefragung werden die Fragebögen einer Zeitschrift beigelegt oder in sie eingeheftet. Dies sind zumeist entweder vierseitige Fragebögen in der Heftmitte oder zweiseitige heraustrennbare Fragebögen bzw. Fragekarten im Postkartenformat, die irgendwo im Heft platziert werden. Die Beilagenbefragung senkt die Kosten der postalischen Befragung, da keine Versendungskosten entstehen. Allerdings muss ein Rückumschlag mit dem Aufdruck »Gebühren zahlt Empfänger« eingeheftet oder punktuell aufgeklebt werden. 2.3.2 Stichprobe Die Bildung repräsentativer Stichproben erfolgt bei schriftlichen Befragungen vom Prinzip her ähnlich wie bei persönlichen oder telefonischen Befragungen; sie hängt aber insbesondere von der gewählten Variante ab. Eine postalische Verschickung von Fragebögen erfordert die Kenntnis von Adressen. Diese können etwa von Einwohnermelderegistern oder aus Telefonbüchern bzw. von CD- ROMs mit Telefonverzeichnissen ermittelt werden. Je nach Fragestellung der Untersuchung liegen Adressen mitunter bereits vor, etwa wenn die Abonnenten einer Zeitung befragt werden sollen (vgl. Nötzel 1987a: 153). Für die Beilagenbefragung gilt dies ebenfalls. Hier kann eine einfache Zufallsauswahl aus dem Abonnentenstamm gezogen oder - wenn der Anteil des freien Verkaufs hoch ist - der Fragebogen jedem x-ten Exemplar beigelegt werden. Eine besondere Variante ist die Einrichtung von Access-Panels. Das ist ein Pool von vorrekrutierten Haushalten, die sich zur Zusammenarbeit bereit erklärt haben und ad hoc für Befragungen und Tests zur Verfügung stellen. Diese Panels werden auf unterschiedliche Weisen rekrutiert: Entweder kauft sich das betreffende Institut die Adressen, oder der Interviewer fragt im Anschluss an mündliche oder telefonische Interviews den Befragten, ob er prinzipiell zur Panelteilnahme bereit sei. Als Schneeballaktion werden die Befragten auch um die Namen weiterer Personen gebeten, um diese dann für die Teilnahme am Access-Panel zu gewinnen. Bei der »Panelpflege« muss darauf geachtet werden, dass die Panelhaushalte weder zu oft noch zu selten (durchschnittlich sechsmal im Jahr) befragt werden. Wichtig ist auch ein abwechslungsreicher Themenmix. Ist ein solches Panel aufgebaut, erfolgt die Befragung schriftlich (vgl. Hoppe 2000: 147, 151, 159f.). 2.3.3 Vorteile der schriftlichen Befragung • Schriftliche Befragungen erfordern organisatorisch, zeitlich und finanziell deutlich weniger Aufwand als andere Formen der Befragung. Sie benötigen <?page no="44"?> Die schriftliche Befragung 45 keinen Interviewerstab, der Ablauf der Erhebung ist zeitlich gestrafft. Bei der Online-Befragung ist der Aufwand − zumindest für den Forscher − noch geringer, weil die wesentlichen Schritte des Forschungsprozesses, die Erstellung und Gestaltungsmöglichkeiten des Fragebogens, die Durchführung der Befragung, die Datenerfassung und die Datenanalyse automatisiert und protokolliert werden (vgl. Gadeib 1999: 108f.). • Es gibt kaum Probleme bei der Erreichbarkeit der Zielpersonen: Die postalische Befragung kann geografisch sehr weit streuen, und die Fragebögen können zeitlich fast simultan zugestellt werden. Das Verhältnis zwischen der Stichprobengröße (Anzahl der zu befragenden Personen) und dem Zeitraum und der geografischen Verbreitung der Stichprobe ist günstig. Außerdem sind Zielpersonen, die zu bestimmten Tageszeiten nicht interviewt werden können, weil sie zum Beispiel berufstätig sind, besser erreichbar. • Externe Effekte durch sichtbare Merkmale, Erwartungen und Verhaltensweisen von Interviewern treten nicht auf. Das bei mündlichen und telefonischen Interviews gelegentlich auftretende Problem der sozial erwünschten Beantwortung der Fragen wird auf diese Weise entschärft, obgleich es auch hier nicht ganz zu vermeiden ist (etwa bei heiklen Fragen nach Normverletzungen, vgl. Nötzel 1987a: 152). Da es keinen persönlichen Kontakt zwischen Forscher bzw. Interviewer und Befragtem gibt, ist die Anonymität der Befragung für den Befragten offensichtlicher gewahrt. • Ein weiterer Vorteil ist die Flexibilität bei der Beantwortung. Der Befragte kann sich in einem gewissen Rahmen den genauen Zeitpunkt selbst aussuchen, kann ferner seine Antworten überdenken, sich benötigte Informationen beschaffen und den Kontext der Fragen bzw. die Logik des Fragebogens erkennen. Die schriftliche Befragung ist also insbesondere geeignet, wenn es um Themen geht, bei denen der Befragte über die Antworten nachdenken muss. Sie nimmt damit die Selbstbestimmtheit des Befragten ernst. • Der Fragebogen kann visuelle Unterstützungen und lange Batterien mit ähnlichen Fragen enthalten, da diese nicht von einem Interviewer vorgelesen werden müssen. Der Befragte hat dann viel stärker die Möglichkeit, das Tempo seines Antwortprozesses selbst zu bestimmen (vgl. Bourque / Fielder 1995: 9ff.). 2.3.4 Nachteile der schriftlichen Befragung • Die Grundgesamtheit muss bekannt sein, damit aus ihr konkrete Adressenstichproben gezogen werden können. Gerade bei postalischen Befragungen ist nicht jede Grundgesamtheit definierbar, etwa die Leser einer Zeitschrift, <?page no="45"?> Verfahren der Befragung 46 da nur aus der Abonnentenkartei Stichproben gezogen werden können. Dieser Nachteil tritt dagegen bei einer Beilagenbefragung weniger auf, weil damit alle Leser der betreffenden Zeitschrift erreichbar sind. Andere in der Umfragepraxis übliche Verfahren der Zufallsstichprobe wie das Random-Route- Verfahren sind nicht einsetzbar. • Bei postalischen Befragungen schwankt die Ausschöpfungsbzw. Rücklaufquote erheblich und ist in der Regel deutlich geringer als bei den auf Interviews basierenden Befragungsformen. Dabei bleiben die Ausfallursachen weitgehend unbekannt. Die Zielpersonen vergessen oft einfach, den Fragebogen auszufüllen. Außerdem ist es durch die fehlende Interviewsituation leichter, die Beantwortung insgesamt oder einzelner Fragen zu verweigern. Die Motivationsleistung des Interviewers fallen aus. Dies gilt verschärft für die Beilagenbefragung, bei der selten Rücklaufquoten mit mehr als 20 Prozent realisierbar sind, weil Nachfassaktionen mit diesem Verfahren nicht durchführbar sind. Sie ist deshalb überhaupt nur dann einsetzbar, wenn die Grundgesamtheit sehr homogen ist, wie im Fall der Leserschaft einer Zeitschrift (vgl. Gänsfuß 1995: 247ff.). • Verzerrungseffekte treten vor allem dadurch auf, dass durch die postalische Zustellung der Eindruck einer behördlichen Zustellung erweckt wird. Diese Kommunikationsform wirkt einerseits verbindlicher, weckt andererseits aber auch eher die Angst, kontrolliert zu werden, als dies beim konversationsähnlichen Interview der Fall ist. Weiterhin dürfte der Mittelschichtbias bei der schriftlichen Befragung noch stärker sein, als er für andere Befragungsformen bereits festgestellt wurde, weil die Beantwortung eines Fragebogens vergleichsweise hohe Lese- und Schreibfähigkeiten voraussetzt. Insbesondere offene Fragen sind davon betroffen und eignen sich für schriftliche Befragungen deshalb weniger. Die Selbstselektion der Befragten vermindert die Stichprobe damit nicht nur quantitativ, sondern auch in qualitativer Hinsicht. • Der Anwendungsbereich erstreckt sich aufgrund der schriftlichen Fixierung der Meinungen hauptsächlich auf im weiteren Sinn kognitive Sachverhalte. Spontane, unreflektierte und irrationale Äußerungen dürften eher die Ausnahme sein und eignen sich weniger als Untersuchungsziel einer schriftlichen Befragung. Auf der anderen Seite sind jedoch Abfragen über individuelles Wissen ebenfalls kaum möglich, da der Befragte auf fremdes Wissen zurückgreifen kann (vgl. Richter 1970: 142ff.; Bourque / Fielder 1995: 14ff.). • Die Befragungssituation ist nicht kontrollierbar. Weder ist hinreichend zu garantieren, dass die angeschriebene Zielperson den Fragebogen selbst oder allein ausfüllt noch dass sie ihn gemäß den Instruktionen bearbeitet und die Reihenfolge der Fragen einhält. Für spontane Antworten ist die schriftliche <?page no="46"?> Die schriftliche Befragung 47 Befragung aufgrund der mangelnden Kontrollierbarkeit ungeeignet. Schließlich sind keine Stichtagserhebungen möglich (vgl. Hafermalz 1976: 23). • Da kein Interviewer eventuelle Nachfragen zur Verständlichkeit beantworten kann, hängt die korrekte Beantwortung allein vom Fragebogen ab. Er muss inhaltlich vollständig selbst erklärend und visuell klar gestaltet sein (vgl. Frasch 1987: 1-2ff.; Mangione 1995: 6, 27ff.). Außerdem fällt mit der Abwesenheit des Interviewers eine Quelle für die Einschätzung der Qualität der Antworten weg (vgl. Rümelin 1968: 67). 2.3.5 Spezielle Empfehlungen für schriftliche Befragungen Sowohl die aufgeführten Vorteile als auch die Nachteile sind nicht absolut, sondern relativ zu verstehen und hängen weitgehend vom Untersuchungszweck, von der Definition der Grundgesamtheit und von der Untersuchungsanlage ab. Die Vorteile der relativ niedrigen Kosten und des geringen Aufwandes können verloren gehen, wenn die Rücklaufquote so gering ist, dass umfangreiche Nachfassaktionen erforderlich sind. Umgekehrt können die Probleme der postalischen Befragungen gemindert werden. Deshalb werden in den Lehrbüchern zahlreiche Empfehlungen zur Gestaltung des Fragebogens gegeben (vgl. Rümelin 1968: 85, 132f., 156f.; Hafermalz 1976: 28ff., 63ff., 192ff.). Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf die Erhöhung der Ausschöpfungsrate, um die Repräsentativität der Stichproben zu gewährleisten. • Das Anschreiben (der Begleitbrief) muss kurz, inhaltlich prägnant, klar gestaltet sowie inhaltlich und visuell motivierend sein. Es sollte persönlich gehalten sein und ein Datum des Einsendeschlusses angeben (vgl. Hafermalz 1976: 111; Koch 1993: 79; Bourque / Fielder 1995: 106ff.). Zusätzlich kann eine gesonderte Benachrichtigung der eigentlichen Fragebogenaktion vorgeschaltet werden. Da die Gefahr besteht, dass der Begleitbrief eine bestimmte selektive Wirkung ausübt, die sich negativ auf die Repräsentanz auswirkt, muss er so formuliert und gestaltet sein, dass er auf alle Subgruppen der Stichprobe passt (vgl. Richter 1970: 149f.). • Für das Rückschreiben muss ein adressierter und frankierter Rückumschlag beiliegen. • Der Fragebogen muss klar anonym sein und darf keine versteckten Zeichen zur Identifizierung des Befragten enthalten. • Zur Erhöhung des Rücklaufs dienen auch Erinnerungsschreiben, die mehrfach wiederholt werden können. Bei anonymen Befragungen werden dadurch Kosten und Aufwand deutlich erhöht, sodass vor dem Einsatz eine Kosten- Nutzen-Analyse erfolgen sollte (vgl. Mangione 1995: 63ff.). <?page no="47"?> Verfahren der Befragung 48 • Um die Kooperationsbereitschaft zu erhöhen, werden oft Geschenke (»incentives«) − Kugelschreiber, Briefmarken oder Telefonkarten − mitgeschickt, entweder bereits im Voraus oder erst nach erfolgter Rücksendung. Letzteres funktioniert allerdings nur, wenn die Befragung nicht anonym erfolgt. Ob die Belohnung in Geld ausgezahlt oder ein Geschenk zugeschickt werden soll, ist ebenso umstritten wie die Höhe oder der Wert des Geschenks. Eine Variante besteht in der Teilnahme der Rücksender an einer Lotterie oder einem Preisausschreiben (vgl. Mangione 1995: 79ff.). 21 • Eine systematische Vorgehensweise zur Optimierung schriftlicher Befragungen entwickelte Dillman (1978) mit der »Total Design Method«, die er zur »Tailored Design Method« ausbaute (vgl. Dillman 2000). Sie umfasst konkrete Vorschriften zum Design des Fragebogens und zur Durchführung der Befragung. Der Fragebogen soll als Booklet gestaltet werden, wobei Vorderseite und Rückseite frei bleiben. Äußerliche Ähnlichkeiten zu Werbebroschüren sind zu vermeiden. Im Fragebogen werden nach der Einstiegsfrage zuerst die interessanten Fragen platziert, während problematische und demografische Fragen nach hinten gestellt werden (vgl. Dillman 1978: 362). Besonders wichtig ist der Versand, der zur Wochenmitte stattfindet. Eine Woche nach dem Erstversand wird eine Postkarte oder ein Brief verschickt, um den Teilnehmern zu danken und die Nicht-Teilnehmer freundlich zu erinnern und zur Teilnahme zu motivieren. Drei Wochen nach dem Erstversand wird der Fragebogen erneut verschickt zusammen mit einem weiteren, kürzeren Mahnschreiben. Eine letzte freundliche, aber bestimmte Mahnung erfolgt sieben Wochen nach dem Erstversand per Einschreiben (vgl. Dillman 1978: 366.; Bourque / Fielder 1995: 149ff.). Auf diese Weise kann der Rücklauf enorm erhöht werden, eine Erfahrung, die sich interkulturell übertragen und bei verschiedenen Populationen anwenden lässt (vgl. Hippler 1988: 247f.). • Generell darf die Feldzeit nicht zu stark mit der Urlaubszeit (auch Feiertage) überlappen (vgl. Nötzel 1987a: 154). • Der Rücklauf sollte kontrolliert und detailliert analysiert werden, um Subgruppen zu identifizieren, deren Rücklauf unterdurchschnittlich groß ist, und um Rücklaufcharakteristiken zu ermitteln (vgl. Richter 1970: 225ff.; Nötzel 1987a: 155; Blasius / Reuband 1996). 21 Das Versprechen eines Geschenkes beruht auf der Hypothese der strikten Rationalität, wonach die Ankündigung der Belohnung einen zusätzlichen Anreiz bewirkt; für ein beigelegtes Geschenk wird dagegen die Reziprozitätsnorm unterstellt, weil das Geschenk als Vorleistung empfunden wird, die eine Gegenleistung erfordert. Experimentelle Untersuchungen sprechen eher für die Gültigkeit der Reziprozitätsnorm (vgl. Diekmann / Jann 2001). <?page no="48"?> Computerunterstützte Befragungsverfahren 49 2.4 Computerunterstützte Befragungsverfahren 2.4.1 Beschreibung und Varianten Ergänzend zu den herkömmlichen Verfahren der Befragung gibt es für jedes Verfahren eine computerunterstützte Variante, um deren Planung, Durchführung und Verwaltung effizienter und kostengünstiger zu machen. Folgende Varianten sind derzeit hauptsächlich im Einsatz (vgl. Frey / Kunz / Lüschen 1990: 179ff.; Saris 1991: 30; Fuchs 1999: 120; Knobloch / Knobloch 1999: 63): • Persönliches Interview: Die konventionelle Vorgehensweise beim persönlichen Interview wird »Paper-and-Pencil Personal Interviewing« (PAPI) genannt, weil der Interviewer die Fragen von einem Fragebogen aus zusammengehefteten oder gefalteten Papierblättern abliest und mit einem Schreibstift die Antworten in den Fragebogen einträgt. Im Fragebogen stehen neben den Fragen und − bei standardisierten Varianten − den Antwortvorgaben auch Anweisungen an den Interviewer, in welcher Reihenfolge er die Fragen stellen muss, wie er vorgehen muss bei bestimmten Antworten usw. ( → Kapitel 5). Beim computerunterstützten Interview, »Computer Assisted Personal Interviewing« (CAPI), führt der Interviewer entweder einen Laptop mit, liest die Fragen (und Antwortvorgaben) vom Bildschirm vor und tippt die Antworten bzw. die zu den Antwortkategorien passenden Zahlen in den Computer ein, oder er benutzt ein Pentop, bei dem der Befragte selbst mit einem Stift die Antworten in die entsprechenden Felder antippt. • Selbstausfüller-Befragung: Bei diesem Hybridverfahren zwischen persönlicher und schriftlicher Befragung verteilt ein Interviewer entweder den Fragebogen einer bestimmten Gruppe von Befragten an einem Ort (Klassenzimmer-Befragung) und bleibt in dem Zeitraum, in dem die Befragten den Fragebogen ausfüllen, anwesend, oder er hinterlässt dem Befragten den Fragebogen und sammelt den ausgefüllten Fragebogen zu einem vereinbarten Termin wieder ein. Beide Varianten des »Self Administered Questionnaire« (SAQ) sind auch computerunterstützt möglich: Der Interviewer überlässt dem Befragten einen mitgebrachten Computer, damit er selbstständig den Fragebogen am Bildschirm durcharbeitet. Diese Vorgehensweise wird »Computer Assisted Self-Interview« (CASI) oder »Computer Assisted Self-Administered Questionnaire« (CSAQ) genannt. Hier übernimmt der Befragte neben der Bearbeitung des Fragebogens auch noch − nebenbei − die Dateneingabe. Die Dateneingabe mit der Tastatur kann durch den Touchscreen ersetzt werden. <?page no="49"?> Verfahren der Befragung 50 Neuere Varianten mit Spracherkennungsprogrammen, »Audio Computer Assisted Self-Administration« (ACASI), erlauben es, dass der Befragte nur noch die Fragen vom Bildschirm ablesen, aber die Antworten nicht mehr eintippen muss, sondern mündlich in den Computer sprechen kann. Es gibt auch die umgekehrte Variante der »Audio Computer Assisted Self-Administration« (Audio SAQ), bei der der Befragte die Fragen vom Walkman abhört und die Antworten in den Computer eintippt. • Telefoninterview: Während die bisher genannten Techniken noch nicht flächendeckend verbreitet sind, ist das computerunterstützte Telefoninterview, »Computer Assisted Telephone Interviewing« (CATI), weitgehend etabliert; ein CATI-Studio gehört für die meisten Markt- und Sozialforschungsinstitute zum Inventar. Die zentrale Organisation des Interviewerstabs bei telefonischen Befragungen begünstigt die computerunterstützte Variante, weil hierfür keine portablen Computer notwendig sind. Die CATI-Technik erlaubt nicht nur die Unterstützung und Kontrolle der Durchführung, sondern integriert die Stichprobenziehung durch rechnergesteuerte Erzeugung von Zufallszahlen. Auch über das Telefon sind weitere technische Varianten möglich: Beim »Touchtone Data Entry« (TDE) gibt der Befragte Ziffern über das Telefon ein, die für bestimmte Antwortmöglichkeiten stehen; beim »Voice Recognition Entry« (VRE) spricht der Befragte ins Telefon, und die Antworten werden über Spracherkennung automatisch digitalisiert. 2.4.2 Vorteile der computerunterstützten Befragung Den größten Anteil an der Entwicklung hat die CATI-Technik. Die Vorzüge beziehen sich aber prinzipiell auch auf die Techniken der anderen Verfahren (vgl. Frey / Kunz / Lüschen 1990; Saris 1991: 20ff.; Müller-Schroth 1995; Fuchs 1999: 120f.; Knobloch / Knobloch 1999: 67ff.; Meyen 2001: 63f.): • Die Computerunterstützung entlastet den Interviewer bei der Handhabung des Fragebogens. So können komplexe Filterführungen oder Gabelungen im Fragebogen automatisch verwaltet werden. Weiterhin können Konsistenzprüfungen programmiert werden, sodass der Interviewer nachfragen kann, wenn der Befragte widersprüchliche Angaben macht. Auf diese Weise widmet der Interviewer seine Aufmerksamkeit stärker der Interviewführung selbst. • Wenn längere Listen mit Antwortvorgaben oder Statements verwendet werden, können diese zufällig rotiert und somit Reihenfolge- oder Präsentationseffekte verhindert werden. Im persönlichen Interview ersetzt diese Möglichkeit die etwas umständliche Verwendung von Karten, die der Interviewer vor jedem Interview neu mischen muss. <?page no="50"?> Computerunterstützte Befragungsverfahren 51 • Die Schritte der Dateneingabe und der Datenübermittlung werden abgekürzt. Die Fragebogeneinträge müssen nicht mehr gesondert elektronisch erfasst werden, weil das Ausfüllen des Fragebogens und die Dateneingabe identisch sind. Dadurch entfällt ein fehleranfälliger Schritt, und die Daten können schneller ausgewertet werden. Durch die automatische Konsistenzüberprüfung verkürzt sich auch der Prozess der (inhaltlichen) Datenüberprüfung und der Datenbereinigung, die zum Teil schon während des Interviews erfolgen. • Mit der computerunterstützten Datenerfassung ist als Nebenprodukt auch die Aufzeichnung weiterer Daten verbunden: So wird die Zeit, die für die Beantwortung einer Frage benötigt wird, automatisch protokolliert. Darüber hinaus kann das Interviewerverhalten dem Computer gegenüber mit »Keystroke-Files«, also mit Protokolldateien aller Tastenbetätigungen des Interviewers, inklusive der Reihenfolge und Kennung der dazugehörigen Frage, analysiert werden. Indirekt lässt sich mit dieser Technik auch die Handhabbarkeit der eingesetzten Computerprogramme evaluieren. Speziell mit der CAPI-Technik sind zwei weitere Vorteile verbunden: • Zum einen wird die Hoffnung geäußert, dass der Einfluss des Interviewers auf den Befragten geringer wird, weil mit dem Computer der Interaktion zwischen Interviewer und Befragtem ein Medium zwischengeschaltet ist. Die Interviewsituation ist neutraler und insofern weniger anfällig für Eindrucksmanipulationen seitens des Befragten oder für unwillkürliche Einflussnahmen durch den Interviewer. • Es gibt mehr optisch-visuelle Möglichkeiten am Bildschirm als mit dem herkömmlichen Fragebogen. Bei Mediennutzungsabfragen können etwa aktuelle Titelblätter statt nur Titelkarten präsentiert werden und somit die Erinnerung der Befragten besser unterstützen. Außerdem können Bewegtbilder vorgeführt werden. Insgesamt finden die meisten Befragten die Interviewsituation mit dem Einsatz von Multimedia als attraktiver und abwechslungsreicher als das herkömmliche persönliche Interview. • Im Unterschied zu anderen Techniken verwaltet die CATI-Technik zusätzlich die Stichprobe. Auf diese Weise können nicht nur automatisch Telefonnummern generiert werden (für das Random-Digit-Dialing), sondern auch die (Wieder-) Wählversuche gesteuert werden. Insgesamt wird die Feldphase der Befragung kürzer, es fallen geringere Kosten an, die Datenqualität steigt und die Möglichkeit der Qualitätskontrolle verbessert sich (vgl. Dethlefsen 2000). <?page no="51"?> Verfahren der Befragung 52 2.4.3 Nachteile der computerunterstützten Befragung Da die Verfahren computerunterstützter Befragung bisher nur beim Telefoninterview etabliert sind, kann man kaum prinzipielle Nachteile ausmachen. Vielmehr gibt es derzeitig Probleme und Herausforderungen, die durch die technische Entwicklung zu lösen sind. Insofern betreffen die folgenden Problempunkte nur am Rand das computerunterstützte Telefoninterview (CATI), sondern eher die noch nicht flächendeckend eingesetzten anderen Verfahren (CAPI und CASI) (vgl. Frey / Kunz / Lüschen 1990: 182f.; Fuchs 1999: 120; Knobloch / Knobloch 1999: 70f.; Meyen 2001: 63f.). • Für persönliche Interviews erweist sich der technische Apparat insbesondere dann als ungünstig, wenn die Interviews auch als Haustürgespräche möglich wären, denn der Interviewer ist mit der Geräteausstattung darauf angewiesen, dass er in die Wohnung gebeten wird. • Befragte mit geringer Computererfahrung empfinden den Einsatz eines Computers möglicherweise als bedrohlich und neigen deshalb eher zur Verweigerung des Interviews. • Auch in der Interviewsituation selbst können die auf die technische Durchführung konzentrierte Aufmerksamkeit und die reduzierten Interaktionen des Interviewers vom Befragten als störend empfunden werden. Die Situation im computerunterstützten persönlichen Interview ist künstlicher als im konventionellen persönlichen Interview. Im Telefoninterview fallen diese Nachteile weg, da der Befragte die Computerunterstützung des Interviews nicht bemerkt. Die nachfolgenden Nachteile beziehen sich allerdings eingeschränkt auf die CATI-Technik: • Die Handhabung der Technik erfordert von den Interviewern Zusatzkompetenzen und macht eine gesonderte technische Schulung nötig. • Die Vorbereitung auf und Vorarbeit für die Befragung muss intensiver sein als bei konventionellen Verfahren, weil alle Probleme bezüglich der Beantwortung der Fragen, der Konsistenzprüfung antizipiert werden müssen. Für die Erstellung des Fragebogens sind Programmierkenntnisse notwendig. • In der konkreten Interaktion des Interviews ist eine computerunterstützte Befragung weniger flexibel, weil der Interviewer auf die logischen Vorgaben der Fragebogenkonstruktion angewiesen ist. Nicht vorhergesehene Antwortkombinationen, die trotzdem korrekt sind, müssen extra vermerkt werden. Korrekturen oder Anmerkungen sind auf Papier leichter durchzuführen. • Die Handhabung der Technik erfordert zudem vom Interviewer eine sehr hohe Aufmerksamkeit, die zu Lasten der Interaktion mit dem Befragten geht. <?page no="52"?> Die Online-Befragung 53 Auf diese Weise dauern zumindest die computerunterstützten persönlichen Interviews etwas länger als die herkömmlichen persönlichen Interviews. • Wie bei allen Computeranwendungen besteht prinzipiell die Gefahr des Systemabsturzes mit weitreichenden Folgen in Form von Datenverlust. Dies gilt insbesondere, wenn die Computer vernetzt sind wie in einem CATI-Studio. • Während sich die Einrichtung eines mit CATI ausgestatteten Telefonstudios als mittel- und langfristig sinnvolle Investition erweist, ist die Anschaffung von Laptops für CAPI nach wie vor sehr teuer. Noch kostenintensiver ist die Ausstattung eines Befragtenpanels mit Hardware und Software, wenn die Befragten im Gegenzug bereit sind, regelmäßig an Umfragen teilzunehmen. Die genannten gelegentlichen nachteiligen Auswirkungen schränken die Verwendung der Computerunterstützung etwas ein: Technische Verfahren eignen sich offenbar eher als Unterstützung für den Interviewer und weniger für die eigenständige Nutzung durch die Befragten. Außerdem lassen sie sich am besten bei (hoch) standardisierten Befragungen und Fragebögen einsetzen (vgl. Knobloch / Knobloch 1999: 75). 2.5 Die Online-Befragung 2.5.1 Beschreibung und Varianten Online-Befragungen sind streng genommen computerunterstützte schriftliche Befragungen. Allerdings sind sie netzbasiert und finden im WWW statt. Die Fragebögen sind mit HTML oder anderen Techniken (wie Javascript oder Flash) programmiert; sie können interaktive und multimediale Elemente enthalten. Das Internet ist als Technik und Organisationsform gleichzeitig Methode bzw. Instrument (Fragebogen), Kommunikationskanal (Vertrieb) und Forschungsgegenstand (Nutzung, Rezeption, Produktion von Internetinhalten). Online-Befragungen sind dann besonders sinnvoll, wenn alle drei Komponenten zusammenkommen, wenn also das Internet und seine Nutzer auch der Forschungsgegenstand selbst sind. Demnach ist auch die Definition der Grundgesamtheit in der Regel auf die Internetnutzer bezogen, etwa alle Personen in deutschsprachigen Haushalten, die in den letzten drei Monaten mindestens einmal das Internet genutzt haben (vgl. Welker/ Werner/ Scholz 2005: 5, 34f.). <?page no="53"?> Verfahren der Befragung 54 • Bei der netzbasierten oder Online-Befragung werden die Fragebögen im Internet verschickt. Diese Art der Befragung kann prinzipiell per E-Mail, per Newsgroup, Mailingliste oder Newsletter sowie im WWW stattfinden. Der erste Weg ist allerdings nur in geringem Maß erfolgreich, da viele Nutzer unerwünschte kommerzielle E-Mails abblocken. Zudem fallen die Telefonkosten zum Herunterladen beim Nutzer an. Auch die Variante per Newsgroup, Mailingliste oder Newsletter birgt weitere Probleme, denn der Empfänger bleibt unbekannt. Außerdem ist die Akzeptanz oft gering, weil viele Gruppen Netiquette-Regeln aufgestellt haben, die eine Weitergabe von externen Anfragen als unerwünscht betrachten. Vom Prinzip her gleicht diese Variante eher den TED-Umfragen im Fernsehen und hat deshalb nur begrenzten wissenschaftlichen Wert. In der Regel finden Online-Befragungen deshalb im WWW statt (vgl. Hauptmanns 1999: 22ff.; Starsetzki 2007: 78f.). Dabei wird der mit einer Befragungssoftware erstellte Fragebogen auf einem Webserver hinterlegt. Der Befragte ruft die betreffende Internetadresse auf und füllt den Fragebogen per Computer aus. Die eingegebenen Antworten werden auf dem Webserver gespeichert und verwaltet und können dann mit der Befragungssoftware oder einer anderen Statistiksoftware ausgewertet werden. • Online-Interview: Obwohl die Online-Befragung hauptsächlich (noch) als textbasierte (schriftliche) Kommunikationsform durchgeführt wird, verschwimmen die Grenzen zukünftig, wenn sie audiovisuell gestützt wird. Dazu werden die Befragten mit Webcams und Headsets ausgestattet, sodass sie mit dem Interviewer eine Art Desktop-Konferenz durchführen können (vgl. Mühlenfeld 2002a; 2002b; zur technischen Ausrüstung und zur notwendigen Software vgl. Mühlenfeld 2004: 63ff.). Da die Interviewsituation keine direkte Interaktion mit räumlicher Nähe ist, stellt sie ein Hybridverfahren zwischen persönlichem Interview und Online- Befragung dar. Durch diese Variante der audiovisuell gestützten, webbasierten Telekommunikation können aber im Unterschied zu rein schriftlichen Versionen der Online-Befragung die nonverbale Kommunikation der Befragten zusätzlich berücksichtigt werden, sodass weitere Kontextinformationen zum Antwortprozess zur Verfügung stehen und etwaige Uneindeutigkeiten besser interpretierbar sind (vgl. Mühlenfeld 2004: 3ff.). 2.5.2 Stichprobe Bei Online-Befragungen ist die Onlineziehung einer kontrollierten (oder gar bevölkerungsrepräsentativen) Stichprobe derzeit kaum möglich, weil die Teil- <?page no="54"?> Die Online-Befragung 55 nahme weitgehend von der Selbstselektion der Befragten abhängt. Die im Jahr 2000 gemeinsam vom ADM, ASI und BVM herausgegebenen und 2007 aktualisierten »Richtlinien für Online-Befragungen« bleiben bei der Lösung dieses Problems sehr allgemein, formulieren aber einige ethische Regeln (vgl. auch www.adm-ev.de). Für die Ziehung von Online-Stichproben bestehen mehrere Möglichkeiten (vgl. Welker / Werner / Scholz 2005: 39ff.; Starsetzki 2007: 78ff.): • Der Fragebogen wird mit einem Link einer bestimmten Website beigefügt, und die Nutzer dieser Website werden aufgefordert, den Fragebogen auszufüllen. Dies kann mit einem Banner erfolgen, der auf den Fragebogen aufmerksam macht und den die Zielperson anklicken muss, um zu dem Fragebogen zu gelangen. Hier ist allerdings die Selbstselektion der Befragten hoch, sodass motivierte Personen deutlich überrepräsentiert sind. • Alternativ kann ein Intercept-Auswahlverfahren gewählt werden, bei dem der Vorgang der Onlinenutzung durch ein Pop-up mit der Aufforderung zur Teilnahme an einer Studie unterbrochen wird. Um die Selbstselektion der Befragten zu mindern, kann diese Aufforderung zufallsgesteuert eingesetzt werden, sodass nur jede x-te Nutzung (»n’th visit«) durch das Pop-up unterbrochen wird. Solche Pop-ups sollten am besten am Anfang oder am Ende der Nutzung der betreffenden Website platziert werden und mindestens ein Viertel der Bildschirmseite ausfüllen. Die Zielpersonen können allerdings diese Pop-ups durch bestimmte Einstellungen ihres Browsers blockieren, sodass der Rücklauf unkontrollierbar geringer wird. Mit Hilfe einer HTML-Layer-Technologie kann dagegen wiederum ein grafisches Element über die Webseite gelegt werden, sodass die Blockierung wiederum umgangen wird. Die genannten Auswahlverfahren stellen eine passive Rekrutierung dar, bei der die Befragten nach deren Gutdünken und Motivation ausgewählt werden. Einige Pseudozufallsverfahren ermöglichen eine seitens des Forschers aktivere Rekrutierung (vgl. Bandilla / Bosnjak / Altdorfer 2001: 9f., 15f.; Welker / Werner / Scholz 2005: 51ff.; Starsetzki 2007: 83f.): • Aus verfügbaren Online-Verzeichnissen können Links von Webseiten oder E-Mail-Adressen von Nutzern gezogen werden. Wie diese Online-Verzeichnisse allerdings angelegt wurden, entzieht sich meist der Kenntnis des Forschers, sodass der erste Auswahlschritt dadurch unkontrollierbar ist. • Mit Hilfe von Suchmaschinen können Listen nach bestimmten Suchbegriffen erstellt werden, aus denen wiederum Einträge per Zufall ausgewählt werden. Allerdings basieren diese Listen auf nicht nachvollziehbaren Sammelkriterien <?page no="55"?> Verfahren der Befragung 56 oder Suchalgorithmen, sodass der Zufallsauswahl im zweiten Schritt eine willkürliche Auswahl im ersten Schritt vorgeschaltet ist. • Auch für Online-Befragungen wurden bereits Access-Panels eingerichtet, bisher vor allem in den USA. Die per Zufallsstichprobe ausgewählten Personen bekommen kostenlos die nötige Hardware und Software zur Verfügung gestellt, müssen sich aber als Gegenleistung an Kurzbefragungen beteiligen. Dieser Ansatz verursacht allerdings sehr hohe Kosten, und die Repräsentativität der Stichprobe ist nicht gewährleistet oder muss an bekannte Strukturdaten, die offline ermittelt wurden (etwa mit dem ADM-Stichprobensystem → Kapitel 2.1.2), angeglichen werden. Mittlerweile gibt es Qualitätsstandards, die sogar als DIN/ ISO-Norm überprüfbar sind (vgl. Smahlun 2007: 151f.). Eine besondere Variante ist das vom Berliner Markt- und Sozialforschungsinstitut Forsa entwickelte forsa.omninet, das noch nicht einmal am Computer durchgeführt wird, sondern per Telefon und Fernsehen, die durch eine Übertragungsbox (»Set-Top-Box«) miteinander verbunden werden, sodass über das Telefon eine Online-Schaltung ermöglicht wird. Die offline (mittels Telefoninterviews) rekrutierten Panel-Teilnehmer bekommen auf ihrem Fernsehgerät eine Nachricht mit der Bitte einen Fragebogen auszufüllen. Die Menüführung verläuft ähnlich wie beim Videotext (vgl. Güllner / Schmitt 2004: 17, 19). Zurzeit besteht forsa.omninet aus 10.000 bundesweit repräsentativen Haushalten (vgl. www.forsa.de/ ). Sieht man von den Online-Access-Panels ab, besteht das Hauptproblem von Online-Befragungen darin, dass Nutzer und Nutzung nicht kongruent sein müssen, da IP-Adressen nicht fest, sondern dynamisch durch den jeweiligen Provider zugewiesen werden. So können sich hinter einer IP-Adresse auch mehrere Nutzer verbergen, die gemeinsam auf einen Computer zugreifen (vgl. Welker / Werner / Scholz 2005: 34). Der Forscher hat mehrere Möglichkeiten, den Nutzer (als Person) zu identifizieren (vgl. Funke / Reips 2007: 54f.): • Man kann Cookies beim zu befragenden Nutzer hinterlassen und so die betreffende Website, auf der der Fragebogen platziert ist personalisieren. Allerdings sind Cookies leicht zu deaktivieren oder zu löschen, sodass insbesondere versierte Computernutzer die Identifikation verhindern können. • Eine andere Möglichkeit sind Session-IDs, also eindeutige Identifikationsvariablen für eine Sitzung. Mit beiden Maßnahmen kann nicht verhindert werden, dass der Fragebogen mehrfach beantwortet wird, was bei wissenschaftlichen Befragungen allerdings selten vorkommen dürfte. • Die beste Vorgehensweise ist die Vergabe eines individuellen Login-Codes, weil sie den Nutzer und das Ausfüllen des Fragebogens identifiziert. <?page no="56"?> Die Online-Befragung 57 2.5.3 Vorteile der Online-Befragung Die Online-Befragung bietet aufgrund ihrer technischen Möglichkeiten mehrere Vorteile in Bezug auf das Instrument (Fragebogen) und die Durchführung (Erhebung und Aufbereitung der Daten): • Bei Online-Befragungen besteht zusätzlich die Möglichkeit multimedialer Präsentation, indem Audio- und Videosequenzen mit Text verknüpft werden können. Dies kann zwar prinzipiell auch in anderen computergestützten Befragungsformen realisiert werden, ist aber online am besten einsetzbar. Außerdem besteht zusätzlich die Möglichkeit des Feedback für den Befragten, der parallel zur Erhebung bereits die bis dahin vorliegenden Zwischenergebnisse einsehen kann. Solche erweiterten technischen Möglichkeiten machen die Teilnahme an der Befragung interessanter (vgl. Pötschke / Simonson 2001: 12f.). • Während bei konventionellen schriftlichen Befragungen die Befragungssituation nicht kontrollierbar ist, kann dieser Nachteil bei Online-Befragungen etwas kompensiert werden, indem die automatisch anfallenden Server-Log- Protokolle, ausgewertet werden. Sie geben Hinweise auf den Prozess, wie die Frage bearbeitet wurde (vgl. Bandilla / Bosnjak 1999). Die übliche Typologie in Personen, die a) alle Fragen beantworten, b) einzelne Fragen nicht beantworten und c) den ganzen Fragebogen nicht ausfüllen, kann auf diese Weise differenziert und ergänzt werden, indem auch Personentypen berücksichtigt werden, die sich zwar den Fragebogen anschauen, ihn oder einzelne Fragen aber nicht ausfüllen (»Lurker«). Außerdem kann das Antwortverhalten von Abbrechern (»Dropouts)«, die zwar einen Teil des Fragebogens ausfüllen, aber ab einer bestimmten Frage aussteigen, detailliert erfasst werden (vgl. Bosnjak / Tuten / Bandilla 2001: 10ff.; Funke / Reips 2007: 62f.). Solche nicht-reaktiven »Paradaten« machen den Befragungsprozess transparenter und können für die Verbesserung der Qualität von Befragungen genutzt werden (vgl. Kaczmirek / Neubarth 2007: 294ff.). Durch automatische Plausibilitätschecks, die bei der Fragebogenprogrammierung eingebaut werden können, sind Fehlerkontrollen möglich. Die Filterführung ist ebenfalls automatisiert, sodass - ähnlich wie beim computerunterstützten Telefoninterview - keine Interviewerfehler mehr vorkommen können. Weiterhin können Items oder Statements zufällig rotiert werden ( → Kapitel 5.8), um Reihenfolgeeffekte ( → Kapitel 7.2.2) zu vermeiden (vgl. Welker / Werner / Scholz 2005: 70, 82). • Online-Befragungen verursachen nur geringe Kosten. Dazu gehört auch die automatische Verwaltung der Durchführung oder der kostengünstige Einsatz <?page no="57"?> Verfahren der Befragung 58 verschiedener Fragebogenvarianten, etwa bei Methodentests (»Split-Ballot- Experimente« → Kapitel 7.1) oder bei mehrsprachigen Umfragen (vgl. Welker / Werner / Scholz 2005: 80f.). • Online-Befragungen führen tendenziell zu höherer Offenheit seitens der Befragten und erzeugen offenbar weniger häufig durch soziale Erwünschtheit verzerrte Antworten ( → Kapitel 7.3.1). Der Grad der Anonymität wird von den Befragten als noch höher als bei der herkömmlichen schriftlichen Befragung empfunden (vgl. Taddicken 2007: 98f.). 2.5.4 Nachteile der Online-Befragung Neben den allgemeinen Nachteilen von schriftlichen Befragungen treten bei Online-Befragungen zusätzliche Probleme auf: • Ein nach wie vor ungelöstes Problem stellt die Repräsentativität der durch Online-Befragungen erzielten Ergebnisse dar, denn die Grundgesamtheit der Internet-Nutzer ist (bislang) undefiniert, sodass eine echte Zufallsstichprobe (noch) nicht möglich ist. Hinzu kommt das Problem der geringen Abdeckung, weil nach wie vor das Internet nicht von der gesamten Bevölkerung genutzt wird, auch wenn die Nutzerzahlen steigen (vgl. Bandilla / Hauptmanns 1998: 41f.; Bandilla / Bosnjak / Altdorfer 2001: 8). Dies ist insbesondere dann ein Problem, wenn nicht nur Internetnutzer zur Grundgesamtheit der betreffenden Studie zählen. • Jede technische Neuerung bietet nicht nur Verbesserungspotenziale, sondern auch verursacht auch Folgeprobleme, insbesondere im Hinblick auf die Kompetenz, etwa bei der Fragebogenerstellung. Umgekehrt werden technisch versierte Forscher dazu verführt, Fragebögen durch Multimediaelemente zu überfrachten. Dies gilt analog auch für die Befragten, die durch den Online- Einsatz nach wie vor je nach eigener technischer Kompetenz bevorzugt oder benachteiligt werden, sodass bestimmte Bevölkerungsgruppen überrepräsentiert und andere unterrepräsentiert werden (vgl. Welker / Werner / Scholz 2005: 80f.). • Der Vorteil der größeren Offenheit und höheren Anonymitätserfahrung kann aber auch in einen Nachteil umschlagen, wenn dadurch die Verbindlichkeit der Befragung sinkt. Im Internet ist das Spiel mit der Identität und die strategische Selbstdarstellung überdurchschnittlich verbreitet, sodass bei Online- Befragungen bei bestimmten Fragen mit erhöhten Verzerrungen zu rechnen ist (vgl. Taddicken 2007: 98). <?page no="58"?> Vergleich der Befragungsverfahren 59 2.6 Vergleich der Befragungsverfahren Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass der Einsatz der vorgestellten Verfahren von der Fragestellung abhängt. Jedes Verfahren hat seine Vorteile und Nachteile oder Stärken und Schwächen; das betrifft sowohl die Möglichkeiten der Stichprobenziehung als auch der Durchführung der Befragung selbst. Damit erübrigt sich eine Sichtweise, die von der wechselseitigen Substitution der Verfahren ausgeht. Eher können sich die Verfahren ergänzen. Studien zur vergleichenden Methodenforschung belegen, dass sich die Ergebnisse der Verfahren bei gleicher Thematik (Fragestellung) und gleichem Instrument (Fragebogen) unterscheiden. Die Unterscheidungen betreffen die Struktur der Stichprobe, die prozentuale Verteilung und möglicherweise auch die Qualität der Antworten der Befragten (vgl. Ostermeyer / Meier 1994). Bei Telefonbefragungen werden das Vorkommen trivialer Ereignisse unterschätzt und höhere Zufriedenheitswerte auf betreffende Fragen erzielt. Die postalische Befragung begünstigt die Erinnerung an vergangene Ereignisse, und die Antworten sind »ehrlicher« (vgl. Reuband / Blasius 1996; Reuband 2000: 219). Das persönliche Interview erweist sich gegenüber dem Telefoninterview als empfindlicher und störanfälliger bei geringfügigen Veränderungen des Instruments (Frageformulierungen, Antwortvorgaben), dafür ist es differenzierter und variabler: Unbewusste, emotionale und moralisch-geladene Sachverhalte gehen beim Telefoninterview (etwas) verloren (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 2000: 198). Im persönlichen Interview ist die soziale Interaktion zwischen dem Interviewer und dem Befragten am intensivsten und die Möglichkeiten, das Instrument (den Fragebogen) inhaltlich komplex anzulegen, am größten, weil der Interviewer Nachfragen des Befragten klären kann. Außerdem ist der Kontakt zum Befragten am verbindlichsten, sodass die Ausschöpfung der Stichprobe höher ist als bei den anderen Verfahren. Allerdings ist es das aufwändigste und kostenintensivste Verfahren. Die Verbindlichkeit der Interviewsituation hat die Kehrseite der geringen Anonymität, sodass bei heiklen oder sensiblen Fragen das Risiko unehrlicher Antworten besteht. Die schriftliche Befragung erfordert einen geringeren logistischen Aufwand, und sämtliche Möglichkeiten der Fragebogengestaltung können eingesetzt werden. Allerdings ist der Kontakt zwischen dem Forscher und dem Befragten am unverbindlichsten; das Hauptproblem besteht deshalb in der geringen Ausschöpfung der Stichproben. Durch den Wegfall des Interviewers ist die Befragung anonymer, was ehrliche Antworten bei heiklen Fragen begünstigt. Dafür hängt die Qualität der Beantwortung allein vom Befragten ab. <?page no="59"?> Verfahren der Befragung 60 Die Online-Befragung ähnelt von der Qualität her der schriftlichen Befragung. Bei ihr ist die Stichprobenproblematik noch gravierender, weil man die Ausschöpfung kaum ermitteln kann. Dafür kann sie andere Nachteile der schriftlichen Befragung ein wenig kompensieren, etwa deren mangelnde Kontrollierbarkeit der Befragungssituation. Das Telefoninterview steht bei vielen Aspekten in der Mitte zwischen persönlichem Interview und schriftlicher Befragung. Es ist weniger leistungsfähig im Hinblick auf den vielfältigen Einsatz von Befragungsinstrumenten, aber es ist dafür relativ leicht zu organisieren und durchzuführen. Der Interviewer kann im Unterschied zur schriftlichen Befragung das Verständnis der Fragen beim Befragten verbessern; durch die flüchtigere und distanzierte Situation beeinflusst er aber das Befragtenverhalten weniger als im persönlichen Interview. Die geringere Verbindlichkeit des Kontaktes führt auch tendenziell zu etwas niedrigeren Ausschöpfungen der Stichprobe als beim persönlichen Interview. Abb. 1: Befragungsverfahren im Vergleich Befragungsverfahren → Beurteilungskriterien ↓ persönlich telefonisch schriftlich online Verbindlichkeit der Situation hoch mittel niedrig niedrig Kontrolle der Befragungssituation hoch mittel niedrig mittel Anonymität niedrig mittel hoch hoch Ausschöpfungsquote hoch mittel niedrig ― Kosten hoch mittel niedrig niedrig Anforderung an Stichprobe niedrig mittel hoch hoch Anforderung an Fragebogenform niedrig mittel hoch hoch erlaubte Fragebogenlänge mittel niedrig hoch hoch erlaubte Fragebogenkomplexität mittel niedrig mittel hoch erlaubte Komplexität der Fragen hoch mittel niedrig niedrig erlaubte Sensibilität der Fragen niedrig mittel hoch hoch Alle aufgeführten Vorteile und Nachteile sind nicht absolut, sondern relativ zu verstehen. Durch geeignete Maßnahmen können die jeweiligen Nachteile zumindest verringert werden. Zu diesen Maßnahmen gehört auch der kombinierte Einsatz unterschiedlicher Verfahren. Dieser will allerdings gut bedacht sein, weil sich die Verfahren nicht notwendigerweise gegenseitig validieren, sondern unter Umständen einfach unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen. <?page no="60"?> 61 3 Formen der Befragung Befragungen können unterschiedlich stark reguliert sein. In der ganz offenen Form gibt der Forscher oder Interviewer möglichst nur das Thema und wenige ungerichtete Fragen vor. Im Leitfadeninterview werden bestimmte Fragen vorformuliert, aber der Befragte antwortet offen. Im fokussierten Interview wird ein Stimulus vorgegeben, über den völlig offen oder mit Hilfe bestimmter Leitfragen gesprochen wird. In der standardisierten Befragung sind die Fragen und die Antwortmöglichkeiten festgelegt. Noch weiter standardisierte Formen sind Tests, bei denen vollständige Fragebatterien entworfen, standardisiert und normiert werden. Im Experiment werden sowohl das Instrument - in der Regel ein Fragebogen - als auch die Befragungssituation standardisiert. Nichtstandardisierte Befragungen werden auch als unstrukturierte bzw. wenig strukturierte, aktive oder verstehende Interviews bezeichnet. Diese Begriffe sind jedoch problematisch. Ein unstrukturiertes Gespräch verläuft chaotisch und ohne erkennbare Regel. Nichtstandardisierte Befragungen sind dagegen strukturiert: Beim narrativen Interview strukturiert der Befragte weitgehend das Gespräch, während sich der Interviewer zurücknimmt. Beim Leitfadeninterview, problemzentrierten oder fokussierten Interview strukturiert der Interviewer das Gespräch zu einem großen Teil, da er nicht nur das Oberthema der Befragung, sondern auch gliedernde Aspekte (in Form der Leitfragen) vorgibt. Bei der Gruppendiskussion wirkt sich die Gruppensituation und Gruppendynamik strukturierend auf den Gesprächsverlauf aus ( → Kapitel 4.3). Die Bezeichnung »aktiv« geht implizit davon aus, als gäbe es auch passive Interviews, und spielt damit auf die reduzierte Rolle des Befragten bei standardisierten Interviews an (vgl. Holstein / Gubrium 1995: 7ff.). Die Kennzeichnung »verstehendes« Interview (vgl. Kaufmann 1999) unterschlägt, dass auch im standardisierten Interview Verstehensprozesse stattfinden. Der Befragte konstruiert vielmehr in jedem Interview aktiv Informationen (Daten), Mitteilungen (Antworten) und Verstehen (der Fragen). Weitere Unterscheidungen betreffen die Struktur des Fragebogens und der Befragungsabfolge: Befragungen können monothematisch oder mehrthematisch (Omnibus-Befragung) sein; sie können als einmalige Querschnittserhebung oder als mehrfache Längsschnitterhebung konzipiert sein. Bei der Mehrfachbefragung besteht wiederum die Möglichkeit, mehrmals dieselben Personen (Stichproben) mit demselben oder einem ähnlichen Fragebogen zu befragen (Panelbefragung) oder mehrmals denselben bzw. ähnlichen Fragebogen bei unterschiedlichen Personen (Stichproben) einzusetzen (Trendbefragung). <?page no="61"?> Formen der Befragung 62 3.1 Das narrative Interview Das narrative Interview hat zwei Ziele: Zum einen will es Informationen über die Erlebnisse von Personen in einem bestimmten individuell-biografischen 22 oder kollektiv-historischen Zusammenhang gewinnen, zum anderen will es herausarbeiten, wie dieses Wissen seitens der Befragten als (Stegreif-) Erzählung konstruiert und strukturiert wird (vgl. Holstein / Gubrium 1995: 56; Schütze 1987: 237; Küsters 2006). Einige Lehrbücher erwähnen deshalb seine Nähe zu Forschungsrichtungen, die wissenschaftstheoretisch die Subjektivität, Konstruktivität und Interpretation sozialer Wirklichkeit in den Mittelpunkt stellen (symbolischer Interaktionismus, Ethnomethodologie, Cultural Studies, Konstruktivismus u.a.). Dennoch lassen sich die folgenden Ausführungen eher von methodisch-praktischen Gesichtspunkten als von methodologisch-theoretischen Erwägungen leiten. Da der Befragte von sich und seinen Erlebnissen erzählen soll, hat das Interview einen Geschichtencharakter mit dem Ziel, dass daraus eine abgerundete Erzählung entsteht. Das vom Interviewer vorgegebene (Ober-) Thema muss demzufolge breit angelegt sein, der Befragte muss es als Geschichte erzählen können, und es muss für ihn sinnvoll sein, diese Geschichte zu erzählen (vgl. Schütze 1987: 238). Dementsprechend orientiert sich die Auswahl der Befragten an ihrer narrativen Kompetenz. Damit ist nicht allein die Sprach- oder Kommunikationsfähigkeit gemeint 23 , sondern auch, ob die Zielperson inhaltlich zur Fragestellung passt. Es kann dabei sogar vorkommen, dass sich die Auswahl während eines Interviews verändert, wenn sich herausstellt, dass der Befragte unter ganz anderen Gesichtspunkten antwortet, als es seine Rolle oder Position (etwa in einer Organisation), wegen der er ausgewählt worden war, vorsah oder erwarten ließ (vgl. Holstein / Gubrium 1995: 25ff., 75). Vor allem ist zu vermeiden, dass nur diejenigen aus- 22 Die Erzählung des Befragten bezieht sich immer auch auf länger vergangene Erlebnisse und eignet sich deshalb insbesondere für die Rekonstruktion von Biografien. Von einem biografischen Interview sprechen wir allerdings erst, wenn die Biografie des Befragten als Ganzes Gegenstand der Untersuchung und der Befragung ist (→ Kapitel 4.1). 23 Schütze (1987: 254) geht davon aus, dass die Erzählfähigkeit auf der alltagsweltlichen Kompetenz aller Befragten fußt und sogar in ihrer Fertigkeit unabhängig von Schicht oder Bildung ist. Beeinträchtigend wirken dagegen eher Faktoren, die biografisch bedingt sind oder sich aus der Interaktion mit dem Interviewer ergeben. Deshalb sind nicht alle Befragten gleichermaßen für das narrative Interview geeignet. <?page no="62"?> Das narrative Interview 63 gewählt werden, die bereits kommunikativ aktiv sind und sich anbieten. Das bedeutet, dass sich der Interviewer bereits ein gewisses Vorwissen über die Zielpersonen oder zumindest über das Feld der potenziellen Befragten verschafft haben muss, um auswählen zu können, wer sich besonders gut eignet. Dazu benötigt der Interviewer Hintergrundwissen über diese Lebensumstände, das ihm beim Fragestellen und Interpretieren der Antworten behilflich ist. Deshalb ist es sinnvoll, narrative Interviews mit ethnografischen Beobachtungen zu kombinieren (vgl. Holstein / Gubrium 1995: 46). Der Ablauf des narrativen Interviews lässt sich in mehrere Phasen unterteilen (vgl. Schütze 1987: 238ff.; Holstein / Gubrium 1995: 39): • In der Aushandlungsphase gibt der Interviewer dem Befragten das Untersuchungsthema vor, trägt ihm seine Idee zur Erzählthematik vor und richtet einen ersten Appell an die Erzählfähigkeit und den Erzählwillen des Befragten. Dazu lenkt er dessen Aufmerksamkeit auf seine Erinnerung. Voraussetzung für die Erzählung ist eine gewisse Lust des Befragten, seine Erlebnisse darzustellen und sich damit seiner Erlebnisse selbst zu vergewissern. Es ist deshalb notwendig, dass in dieser Anfangsphase Interviewer und Befragter die endgültige Erzählthematik abstimmen. Dazu muss der Interviewer darauf achten, seine Rolle nicht als (sozialwissenschaftlicher) Experte, sondern als Interessierter zu definieren und kommunizieren. Die erste Phase abschließend, erläutert der Interviewer dem Befragten den Ablauf des Interviews. • Durch eine erzählgenerierende Frage wird die Anfangs- oder Haupterzählung eingeleitet, in welcher der Befragte seine Schilderungen monologisch ausbreitet. Voraussetzung ist, dass es sich um eine Stegreiferzählung handelt und nicht um eine durch ein Vorgespräch bereits systematisch ausgearbeitete Erzählung. Der Interviewer darf in dieser Phase nicht thematisch-inhaltlich intervenieren, sondern nur aufmerksam zuhören, um in einer späteren Phase inhaltliche oder bewertende Fragen stellen zu können. Um sich nicht alle Details merken zu müssen, kann er sich auch Notizen machen. Sämtliche »Kommentare« haben nur gesprächsunterstützenden Charakter und zeigen Anteilnahme am Gespräch und an der Person des Befragten. Die reine Zuhörerrolle in dieser Phase ist für den Interviewer nicht einfach durchzuhalten, weil sich bei den Erzählungen der Befragten oft Ungereimtheiten ergeben, bei denen man im Alltagsgespräch sofort nachhaken würde (vgl. Hermanns 1991: 185). Während sich der alltägliche Zuhörer unmittelbar der Interaktionssituation hingibt, bewahrt der professionelle Interviewer Zurückhaltung, beobachtet die Situation und greift steuernd ein, um den Erzählfluss nicht zu behindern, sondern dessen Entfaltung zu fördern und ihn offen zu halten. Das Verhalten des Interviewers ist demnach äußerst strategisch, <?page no="63"?> Formen der Befragung 64 wenn auch nicht im Sinn einer Täuschung des Befragten (vgl. Maindok 1996: 116, 122). • Erst wenn der Befragte seine Stegreiferzählung beendet hat, motiviert ihn der Interviewer dazu, weitere Aspekte oder Hintergrundgeschehnisse des Ereignisablaufs zu erzählen. Diese narrativen Nachfragen müssen sich auf Aspekte beziehen, die der Befragte bereits bei der Anfangserzählung angedeutet, aber nicht ausgeführt hat. Die Nachfragen können sich auch aus vorangegangenen Interviews ergeben, wenn sie thematisch in diesem Rahmen bleiben. Sie haben das Ziel, weitere (Teil-) Geschichten auszulösen und die Erzählung fortzusetzen, sind aber nicht als im Interview abzuarbeitende Fragen vorformuliert und notiert. Sie dürfen sich (noch) nicht auf Motive, (strukturelle) Zustände oder Routinen beziehen, um beim Befragten weder Erwartungsunsicherheit noch Erwartungsdruck zu erzeugen. Informative, neue Themen initiierende Fragen oder gar evaluative Nachfragen sind in dieser Phase ebenfalls ungeeignet (vgl. Hermanns 1991: 185). • Nachdem das durch Nachfragen aktualisierte Erzählpotenzial des Befragten ausgeschöpft ist, stellt der Interviewer weitere Fragen zur Charakterisierung der (individuellen und kollektiven) Akteure im berichteten Geschehen und zum sozialen Rahmen der erzählten Geschichte. Erst diese Beschreibungsnachfragen zielen darauf ab, wie der Befragte die Erlebnisse, seine Rolle und die der anderen an der Geschichte Beteiligten interpretiert und kommentiert. • Abschließend stellt der Interviewer argumentative Nachfragen, die sich aus den Kommentaren des Befragten, aus möglichen Widersprüchen oder offenen Fragen ergeben. In dieser Phase entwickelt sich das Interview zu einem argumentativen Gespräch über die Eigentheorien des Befragten. Die beiden letzten Phasen dienen der vom Interviewer und Befragten gemeinsam ausgehandelten Explikation der Erzählung. Sie steuern den weiteren Gesprächsverlauf und werden deshalb erst dann eingesetzt, wenn die offene Erzählung beendet oder ausgeschöpft ist, weil sie sonst vom Befragten als dominant empfunden und den Erzählfluss hemmen könnten. • In einigen Beschreibungen des narrativen Interviews wird der Abschluss des Gesprächs Bilanzierungsphase genannt, weil der Befragte seine eigenen Ausführungen generalisieren und abstrahieren soll (vgl. Hopf 1991: 179; Hermanns 1991: 184). Je nach Gesprächsverlauf kann sie bereits in der Phase des argumentativen Nachfragens enthalten sein oder als gesonderten letzten Gesprächsabschnitt markiert werden. Selbst nach dem Abschalten des Aufzeichnungsgerätes kann es sein, dass der Befragte noch themenrelevante Anmerkungen macht. Der Interviewer sollte <?page no="64"?> Das narrative Interview 65 folglich auch nach der formellen Beendigung des Gesprächs noch aufmerksam bleiben und sich von den Ausführungen ein Gedächtnisprotokoll anfertigen (vgl. Fuchs 1984: 257). Obwohl sich der Interviewer in den ersten Phasen des Interviews inhaltlich sehr stark zurückhält und nur seine Anteilnahme an dem Gespräch kommuniziert, führt er in einem gewissen Sinn das Gespräch insofern, als er die Ausführungen des Befragten durch seine Nachfragen auch wieder zum Gesamtthema der Untersuchung zurückführt, das Gespräch bis zu einem gewissen Grad ordnet und dem Befragten dabei hilft, die Aufgabe des Erzählens seiner Geschichte zu bewältigen (vgl. Holstein / Gubrium 1995: 48ff.). Das narrative Interview gleicht insofern einer Konversation, als es sich bei dem Gespräch um ein Geben und Nehmen handelt. Es kann durchaus sein, dass der Interviewer dem Befragten auch Formulierungshilfe gibt, sofern diese nicht suggestiv oder einschränkend ist. Der Interviewer muss die unterschiedlichen Deutungshorizonte, die dem Befragten möglicherweise selbst nicht bewusst sind, erkennen und ihm dabei behilflich sein, subjektive Relevanzen, Orientierungen und Verbindungen herzustellen. Ziel ist die Entfaltung einer Erzählung, die unter Beteiligung des Interviewers und des Befragten zustande kommt und als Erzähltext einen Wert bekommt (vgl. Holstein / Gubrium 1995: 47, 50, 59). Im narrativen Interview gibt der Befragte nicht nur Antworten auf Fragen wie im standardisierten Interview, sondern erläutert sie und ihr Zustandekommen. So referiert der Befragte nicht nur eine Einstellung zu einem bestimmten Sachverhalt, sondern stellt ihn in einen situationalen Kontext, indem er bestimmte Aspekte erwähnt, andere dagegen auslässt (»Relevanzfestlegung und Kondensierung«), Beispiele erzählt und deutet (»Detaillierung«). Er stellt weiterhin Zusammenhänge zwischen verschiedenen Antworten her und rundet seine Schilderungen ab (»Gestaltschließung«), das heißt, es sind keine zunächst voneinander unabhängigen Variablen wie in der standardisierten Befragung. Diese kommunikativen Verhaltensweisen im Rahmen des Geschichten Erzählens entstehen aus dem Zugzwang des Erzählens selbst 24 , äußern sich aber weniger in einem Frage- Antwort-Interview. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass die Befragten - aus der Sicht des Forschers - widersprüchliche Antworten geben, bestimmte Ausführungen wieder zurücknehmen oder relativieren und über ihre eigenen Aussagen reflektieren. Dieses Theoretisieren ist eine »subdominante Aktivität« 24 Die Regelgeleitetheit des Kommunikationsvorgangs bei jeglicher Erzählung belegt, dass das narrative Interview nicht unstrukturiert ist und dass sich die Erzählregeln (text-)analytisch rekonstruieren lassen (vgl. Schütze 1987: 256f.). <?page no="65"?> Formen der Befragung 66 in jedem Gespräch, die den sozialen Rahmen der Erzählung herstellt und für den Forscher von hohem analytischem Wert ist (vgl. Holstein / Gubrium 1995: 53ff., 78f.; Schütze 1987: 241, 255). Es gibt dementsprechend keinen ausgearbeiteten Fragebogen, sondern allenfalls notierte Fragen, die aber durch einen Interviewverlauf ergänzt werden können, sodass der nächste Befragte möglicherweise eine neue Frage gestellt bekommt, die sich aus den Antworten des vorherigen Befragten als sinnvoll erwiesen hat (vgl. Holstein / Gubrium 1995: 56). Das narrative Interview kann auch gleichzeitig mit mehreren Befragten aus dem gleichen Lebenskontext stattfinden, etwa mit Partnern, um die Erzählperspektiven zu erweitern. Dies ist vor allem dann sinnvoll, wenn zu erwarten ist, dass der Befragte von sich aus auf diese Referenzpersonen (meist Familie oder Arbeitskollegen) zu sprechen kommt (vgl. Holstein / Gubrium 1995: 66ff.). 25 Bei der Analyse werden beide Ziele des narrativen Interviews gleichzeitig berücksichtigt, das heißt, die Informationen im Einzelnen und ihre Verbindungen (»Was«) sowie das Mitteilungsverhalten und die sprachliche Umsetzung der Erzählung (»Wie«) werden zueinander in Beziehung gesetzt (vgl. Holstein / Gubrium 1995: 79f.; Schütze 1987: 249). Deshalb wird das Gespräch aufgezeichnet, manchmal sogar per Video. Anstelle einer Videoaufzeichnung empfiehlt sich ein Interviewerbericht, der unmittelbar nach dem Interview angefertigt wird. Dabei sollten folgende Beobachtungen festgehalten werden (vgl. Fuchs 1984: 258f.): • Rahmendaten: Art des Kennenlernens, Kontaktaufnahme, Dauer, Zahl und Ort(e) der Kontakte; • Interviewsituation: anwesende Dritte, Störungen, Gesprächssituation; • Einschätzung des Befragten durch den Interviewer: vermutete Interessen, Gesprächshabitus, Erzählbereitschaft, Wohnumfeld; • Einschätzung des Interviewers durch den Befragten: Charakterisierungen, die sich aus dem Gespräch vor und nach dem eigentlichen Interviewen ergeben; • Interaktion im Interview: geschlechts- und altersbezogene Rollenbeziehungen, Symmetrie der Beziehung zum Interviewer; • Probleme im Interview: Nichtthematisierung wichtiger Aspekte, emotionale und kommunikative Probleme wie Peinlichkeiten oder Irritationen, Verständnisschwierigkeiten, Reflexionen durch das Interview selbst. 25 Solche Gruppeninterviews sind nicht zu verwechseln mit Gruppendiskussionen (→ Kapitel 4.3), denn die Diskussion zwischen den Befragten ist nicht Ziel der Befragung, sondern höchstens ein im Rahmen des Interviews zeitlich begrenzter Nebeneffekt. <?page no="66"?> Das narrative Interview 67 Die Transkription erfasst nicht nur die Inhalte der Erzählung, sondern auch den Kommunikationsstil, notiert also auch nonverbales und paraverbales Verhalten des Befragten. Bei der Analyse und Reorganisation des Textes darf diese sequenzielle Ordnung nicht verändert werden, sondern das Material muss chronologisch und am Einzelfall ausgewertet werden (vgl. Schneider 1988: 233ff.). Da bereits die Durchführung sehr zeitaufwändig ist und durch die elaborierte Transkription (vgl. Dittmann 2 2004) eine große Menge an Textmaterial entsteht, muss sich der Forscher auf eine überschaubare Anzahl von Fällen beschränken, die allerdings groß genug sein muss, um die theoretische Variabilität der sozialen und biografischen Prozesse im Untersuchungsfeld sicherzustellen. Unerheblich ist dagegen die Verteilung soziodemografischer Merkmale, da die analysierten Prozesse grundlegender ansetzen und prinzipiell in jeder Stichprobe gelten können (vgl. Schütze 1987: 245, 249f.). Mit dem analysierten Textmaterial ist es möglich, (neue) Prozesse in der sozialen Wirklichkeit zu entdecken und zu interpretieren. Deshalb dürfen die Interviewtexte nicht durch inhaltsanalytische Kategorienbildung beeinträchtigt werden, sondern müssen in ihrer Prozesshaftigkeit analysierbar bleiben. Demnach bleibt das detailliert transkribierte und aufbereitete Primärmaterial die Basis für alle Analysen. Nach dem »Exhaustionsprinzip« wird in mehreren Durchgängen sowohl des Einzelfalls und seinen Besonderheiten als auch zwischen den Interviews vergleichend-kontrastiv das sprachliche Aufzeige- und Ausdruckspotenzial für soziale und kommunikative Prozesse herausgearbeitet. Dieser Interpretationsprozess erfordert zum einen die Analyse der indirekten sprachlichen Indikatoren, Indizien oder Symptome, also wie der Befragte seine Geschichte erzählt, um einordnen zu können, was der Befragte meint, auch wenn er es nicht ausdrücklich sagt. Der Interpretationsprozess ist zum anderen iterativ, denn er wird so lange fortgesetzt, bis ein saturiertes integriertes theoretisches Modell entsteht. Saturiert (gesättigt) ist das Theoriemodell, wenn es durch keine weiteren empirischen Aspekte mehr ergänzt werden muss und in der gesamten Stichprobe gültig ist (vgl. Schütze 1987: 245ff., 254; zur Gesprächsanalyse Deppermann 2 2001). Voraussetzung für die Eignung des narrativen Interviews ist der Prozesscharakter der erzählten Erlebnisse oder Vorkommnisse, und dieser muss den Befragten auch bewusst sein, damit sie ihn rekonstruieren können. Demnach lassen sich Routinen im Alltag oder Arbeitsablauf und Organisationsstrukturen weniger gut mit narrativen Interviews erfassen, weil oder insofern sie unter der täglichen Aufmerksamkeitsschwelle liegen. Selbst wenn die Befragten im Rahmen ihrer Erzählungen immer wieder abstrahieren, argumentieren und auf Strukturen hinweisen, hängen diese zusätzlichen interpretierenden Schilderungen von der eigentlichen Erzählung ab (vgl. Schütze 1987: 243f.; Hermanns 1991: 183). <?page no="67"?> Formen der Befragung 68 3.2 Das Leitfaden- und Experteninterview Das Leitfadeninterview nimmt eine mittlere Position zwischen dem narrativen und dem standardisierten Interview ein. Der Interviewer strukturiert zum einen durch mehr und spezifische Fragen das Gespräch viel stärker als beim narrativen Interview. Zum anderen lässt er dem Befragten mehr Möglichkeiten zu antworten, weil er nur Fragen stellt, aber keine Antwortmöglichkeiten vorgibt. An die Stelle eines teil- oder vollstandardisierten Fragebogens tritt ein Interviewleitfaden, der die zu behandelnden Themen und Themenaspekte mit vorgeschlagenen Fragen beinhaltet. Der Leitfaden kann in seinem Umfang und Standardisierungsgrad variieren: Die Anzahl der Fragen schwankt zwischen fünf allgemein gehaltenen bis zu zahlreichen detaillierten Fragen, deren Reihenfolge entweder eingehalten werden muss oder die je nach Gelegenheit in das Gespräch eingestreut werden können. Die Anzahl der Frage richtet sich auch nach der Interviewdauer, die eine Stunde nicht oder nur in Einzelfällen überschreiten sollte. Der Leitfaden hat eher die Funktion einer Gedächtnisstütze für den Interviewer, wenn er nur wenige und in der Reihenfolge nicht festgelegte Fragen enthält, oder eher die Funktion der Gesprächsstrukturierung und Vergleichbarkeit, wenn er aus vielen Fragen besteht, deren Reihenfolge einer inhaltlichen, an der Gesamtfragestellung ausgerichteten Logik entspricht (vgl. Hirzinger 1991: 92; Gläser / Laudel 2 2006: 140). Die Anwendungsgebiete ähneln eher dem narrativen als dem standardisierten Interview: Es handelt sich um Fallstudien mit kleinen Stichproben, und die Tiefenperspektive der Befragten ist wichtiger als die Vergleichbarkeit der Antworten. Oft sind Subkulturen oder soziale Randgruppen, aber auch Eliten die Forschungsobjekte. Für die Randgruppen ist der Leitfaden eine Gesprächshilfe, mit der der Forscher dem Befragten gegenüber seine Erwartungen strukturiert, während eine völlig offene Narration den Befragten möglicherweise verunsichert, weil er nicht einordnen kann, was genau von ihm verlangt wird. In einigen Fällen gelingt es dem Befragten nicht, das Gespräch selbst zu strukturieren und eine Erzählung aufzubauen, sodass er für (Zwischen-) Fragen dankbar ist. Ganz anders ist die Bedeutung für Elite-Befragte. Sie lehnen die restriktive Handhabung eines standardisierten Fragebogens mit eingeschränkten Antwortmöglichkeiten oft ab. Dies gilt insbesondere für Experten, deren Wissen auf der einen Seite über vorformulierte Kategorien weit hinausreicht und das mit einer standardisierten Befragung nicht angemessen erfasst werden könnte. Auf der anderen Seite bezieht sich die Forschungsfrage nur auf das Expertentum, ist also rein sachbezogen und abstrahiert von den privaten Lebensumständen. Dafür wäre <?page no="68"?> Das Leitfaden- und Experteninterview 69 die offene Narration ungeeignet und könnte zu abschweifenden und irrelevanten Ausführungen führen. Das Ziel des Experteninterviews besteht also allgemein in der Generierung bereichsspezifischer und objektbezogener Aussagen, nicht dagegen in der Analyse von allgemeinen Regeln des sozialen Handelns wie beim narrativen Interview. Das Experteninterview weist allerdings auch einige Besonderheiten auf, die nicht generell für das Leitfadeninterview gelten. 26 Dazu zählt die Definition und Auswahl von Experten. Der Expertenstatus ergibt sich aus der Position oder der Funktion, den die Experten zum Beispiel in einer Organisation innehaben. Experten müssen für eine bestimmte Aufgabe verantwortlich sein und dafür einen privilegierten Zugang zu den betreffenden Informationen haben (vgl. Meuser / Nagel 1991: 442ff., 466). In der Expertenbefragung kann der Experte selbst die Zielgruppe sein, wenn er Auskunft über sein Handlungsfeld innerhalb einer Organisation gibt, oder er kann über andere Zielgruppen Auskunft geben. Dies ist der Fall, wenn Sozialarbeiter über Sozialhilfeempfänger, Lehrer über ihre Schüler usw. befragt werden oder wenn der Experte - oft in höherer Position - Auskünfte über seine Organisation (und nicht speziell über seine Rolle und Funktion) gibt (vgl. Meuser / Nagel 1991: 445f.). Voraussetzung dafür, dass ein Experteninterview zu validen Informationen führt, ist, dass der Experte zur Sache Auskunft geben kann und will. Dazu muss er die Rolle als Informant einnehmen, der • keine Informationen geheim hält; • keine irrelevanten Interna auspackt; • den Interviewer nicht als Ko-Experten ansieht, mit dem man ein Fachgespräch führt, sondern als Laien, dem das Expertenwissen verständlich erläutert werden muss; • den Interviewer nicht für die (strategische) Selbstdarstellung des eigenen Wissens missbraucht (vgl. Meuser / Nagel 1991: 449f.). Unabhängig davon, ob das Leitfadeninterview mit Experten oder anderen Befragtengruppen geführt wird, können folgende Fragetypen unterschieden werden (vgl. Kvale 1996: 148f.): 26 Ob Experteninterviews notwendigerweise immer Leitfadeninterviews sein müssen oder auch andere Formen von Interviews sein können, darüber lässt sich streiten (vgl. Gläser / Laudel 2 2006: 10f.) <?page no="69"?> Formen der Befragung 70 • Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen Schlüsselfragen und Eventualfragen: Schlüsselfragen sind zentral für die Forschungsfrage und werden, wenn auch nicht notwendigerweise im identischen Wortlaut, immer bzw. allen Befragten gestellt. Eventualfragen kommen dagegen nur zum Einsatz, wenn der Befragte bestimmte Aspekte, von denen der Forscher ausgeht, dass sie relevant sein können, nicht von sich aus anspricht. • Einleitungsfragen: Sie sind nicht mit Eisbrecherfragen im standardisierten Interview zu verwechseln, sondern dienen der Einführung in ein Thema. Sie sollen spontane Antworten ermöglichen und offen formuliert sein. Es handelt sich also nicht um rein instrumentelle, sondern um inhaltsbezogene Fragen mit Informationswert für die Analyse. Da sie in jedem Interview gestellt werden, gehören sie zu den Schlüsselfragen, während alle folgenden Fragetypen Eventualfragen sind. • Folgefragen: Sie dienen dazu, die Erzählung des Befragten fortzusetzen. Dafür genügen oft kleine nonverbale Gesten, manchmal ist auch eine Nachfrage zu bestimmten Schlüsselwörtern in der Antwort des Befragten nötig. • Nachhaken: Diese Fragen dienen der Ergänzung der Antwort und der Ausweitung der Aspekte, die der Befragte in seiner Antwort angesprochen hat. • Spezifizierungsfragen: Damit wird der Befragte gebeten, seine allgemeinen Ausführungen zu konkretisieren und Beispiele zu schildern. • Direkte und indirekte Fragen: Der Interviewer kann bestimmte Fakten oder Sachverhalte direkt abfragen oder indirekt nach der Auffassung anderer Personen fragen. • Strukturierungsfragen: Wenn der Befragte zu sehr abschweift, muss der Interviewer durch überleitende Fragen den roten Faden des Gesprächs wiederherstellen. • Schweigen: Damit das Interview nicht zu einem quasi-standardisierten Frage- Antwort-Spiel wird, sollte der Interviewer Pausen einlegen, um dem Befragten genug Zeit zu geben, ausführlich zu antworten oder nachzudenken. • Interpretationsfragen: Um die Bedeutung von Antworten mit dem Befragten auszuhandeln, stellt der Interviewer auch Fragen, wie die Antwort zu interpretieren sei. Dabei kann er durchaus vermutete Bedeutungen ansprechen. Vom Interviewer wird folglich eine immense Kompetenz zum Zuhören verlangt. Er wird nicht durch einen (standardisierten) Fragebogen entlastet, sondern muss flexibel auf die Gesprächssituation und die Antwort des Befragten reagieren. Seine Interpretationsfähigkeit ist nicht erst für die Auswertung, sondern bereits während des Interviews wichtig, um geeignete Nachfragen stellen zu können. <?page no="70"?> Das Leitfaden- und Experteninterview 71 Ein guter Interviewer ist sowohl Experte für das Sachthema des Interviews als auch für menschliche Interaktion schlechthin. Dabei muss er einfühlsam und offen sein, aber auch kritisch, um geeignete Nachfragen stellen zu können. Sein Erinnerungsvermögen muss ausreichen, um keine Fragen doppelt zu stellen und flexibel Fragen umzustellen oder auszulassen, wenn sie schon durch die Antwort auf andere Fragen mitbeantwortet sind. Außerdem muss er das Gespräch in die vorgegebenen thematischen Bahnen zurückführen, wenn der Befragte allzu sehr abschweift. Um diese Mehrfachanforderung und Belastung bewältigen zu können, kann es sein, dass der Interviewer den Leitfaden als Schutz benutzt und ihn wie einen standardisierten Fragebogen abarbeitet. Auf diese Weise entsteht eine »Leitfadenbürokratie«, die der Offenheit des Leitfadeninterviews zuwiderläuft (vgl. Hopf 1978: 101f., 107ff.). Ob der Interviewer alle Fragen stellt und in der vorgegebenen Reihenfolge, hängt von der Interviewsituation und den Antworten des Befragten ab (vgl. Kvale 1996: 129ff.). So kann es sein, dass der Befragte in seiner Antwort auf eine Frage bereits Aspekte anspricht, für die eine spätere Frage vorgesehen ist. Der Interviewer kann dann entweder den Befragten darauf hinweisen, dass zu diesem Aspekt eine spätere Frage gestellt wird; dies hat den Vorteil, dass das Gespräch besser strukturiert wird, aber den Nachteil, dass sich der Befragte möglicherweise gemaßregelt fühlt und weniger offen antwortet. Alternativ kann der Interviewer das Gespräch weiterlaufen lassen und diese spätere Frage dann aussparen, sofern der Befragte sie bereits im Rahmen der vorherigen Frage erschöpfend beantwortet hat. Dann muss der Interviewer sehr genau im Gedächtnis behalten, was bereits beantwortet ist. Da kein Fragebogen vorliegt, auf dem die Antworten protokolliert werden, wird das Interview in der Regel auf Band aufgenommen. Für die Auswertung ist es sinnvoll, aber nicht zwingend, diese Aufnahme zu transkribieren. Bei der Auswertung werden die akustisch aufgezeichneten oder schriftlich transkribierten Rohtexte der Befragtenantworten in der Regel mittels qualitativer Inhaltsanalyse schrittweise abstrahiert und kategorisiert. Im Unterschied zur Analyse des narrativen Interviews kommt es dabei in erster Linie auf die Informationen und Inhalte der Antworten und weniger auf die Erzählweise und die Sprache an. Insofern ist weder eine aufwändige Notation der Gespräche mit nonverbalen oder paraverbalen Kennzeichnungen und Beschreibungen noch eine konversationsanalytische Vorgehensweise bei der Auswertung notwendig. Auch können grammatische Besonderheiten der mündlichen Sprache oder dialektale Färbungen schriftsprachlich-hochdeutsch zur besseren Auswertbarkeit »geglättet« werden. Weicht das Gespräch phasenweise sehr weit vom Thema ab, sodass diese Stellen für den Informationsgehalt der Aussagen des <?page no="71"?> Formen der Befragung 72 Befragten irrelevant sind, muss das Transkript nicht einmal das vollständige Gespräch umfassen. Mittlerweile kann auch auf verschiedene Computersoftware zur qualitativen Analyse zurückgegriffen werden (vgl. Meuser / Nagel 1991: 455; Kvale 1996: 176ff.; Kuckartz 1999; Friese 2006; Hartung 2006). Die qualitative Inhaltsanalyse wird dadurch erleichtert, dass der Leitfaden bereits die thematischen Schwerpunkte markiert und die Fragen als Vorformulierungen der relevanten Kategorien dienen können, die in der Auswertung − meist modifiziert − aufgenommen werden (vgl. Meuser / Nagel 1991: 453f., 457ff., 462ff.; Schmidt 2000: 449ff.; Mayring 1991; 6 1997; Christmann 2006; Gillham 2005: 129ff.; Gläser / Laudel 2 2006: 194ff.; Nohl 2006: 45ff., 65ff.): • Dazu müssen in einem ersten Schritt die Antworten den Leitfragen zugeordnet werden. Dies ist nicht selbstverständlich − wie im standardisierten Fragebogen − , da die Befragten gelegentlich neben der gestellten Frage bereits Aspekte anderer Fragen mitbeantworten. Dieses erste Editieren des Transkripts verändert nichts an den Aussagen der Befragten, sondern sortiert diese nur neu. Sie kann auch hierarchisch erfolgen, indem die Antworten nicht nur den zugehörigen Fragen, sondern auch thematischen Einheiten oder Blöcken zugeordnet werden. Dies ist immer dann sinnvoll, wenn die Fragen kleinteiliger gestellt wurden und sich ihrerseits gut zusammenfassen lassen. • Nach dieser Sortierung werden die Antworten des Befragten paraphrasiert, indem der proportionale Gehalt der Aussagen extrahiert wird, ohne allerdings diese Inhalte voreilig zu klassifizieren, und Überschriften formuliert werden. Diese Überschriften verschiedener Interviews werden dann zur Kennzeichnung der behandelten Themen angeglichen, die entsprechenden Passagen der Gespräche aufgelistet und nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden sortiert. Bei der Bildung der Überschriften darf die Sequenzialität des Gesprächs im Unterschied zum narrativen Interview zerrissen werden. Sofern die Befragten nicht von selbst die Formulierungen aus den Leitfragen übernehmen, sollten die Überschriften aus den eigenen Formulierungen der Befragten gebildet werden. Diese thematischen Auswertungskategorien werden zu einem Leitfaden für die Codierung zusammengestellt. • Jedes Interview wird danach codiert, das heißt, die paraphrasierten Inhalte werden schrittweise zusammengefasst, konzeptionalisiert, klassifiziert und systematisiert. Während der vorangegangene Schritt eine Reduktion durch sprachliche Abstraktion vornimmt, wird in diesem Schritt die Reduktion als inhaltliche Abstraktion durchgeführt. Die Schlüsselfragen im Leitfaden bilden dabei die abstrakten Oberkategorien (Auswertungskategorien). Das Ziel der Codierung besteht nun darin, aus den konkreten Antworttexten geeignete Zwischenkategorien zu finden, die abstrakter sind als der Text selbst, aber <?page no="72"?> Das Leitfaden- und Experteninterview 73 konkreter (differenzierter) als die Oberkategorie. Wenn etwa in einer Frage nach dem Grund für ein bestimmtes Verhalten gefragt wird und die Befragten spezifische Gründe angeben, so würden mit der Codierung diese spezifischen Gründe zu Bündel, Gruppen oder Klassen von Gründen zusammengefasst. Jedes Interview wird nach allen aus den Antworttexten induktiv gefundenen oder extrahierten Kategorien durchsucht. Textstellen, die zu mehreren Kategorien passen, werden gesondert markiert. Empfehlenswert ist ein konsensuelles Codieren, bei dem mehrere Codierer gleichzeitig codieren und bei Unterschieden Einigkeit herzustellen versuchen. • Ob quantifizierende Materialübersichten in tabellarischer Form erstellt werden sollen, hängt von der Fragestellung der Untersuchung und von der Größe der Stichprobe ab (mindestens 10 Befragte). Sie ist jedoch nicht Ziel der Auswertung, sondern allenfalls Vorbereitung der weiteren Analyse. Solche Tabellen mit den Ausprägungen der Kategorien machen - ähnlich wie bei der statistischen Analyse die Kreuztabelle - auf Zusammenhänge aufmerksam, die allerdings für jeden (Einzel-) Fall gesondert geprüft werden müssen. • Abschließend werden die Kategorisierungen theoretisch generalisiert, um neue Hypothesen zu bilden, die an jedem Einzelfall überprüft werden. Als methodische Hilfsmittel für die theoretische Generalisierung können wiederum Quantifizierungen behilflich sein, also ob eine Aussagen von mehr als einer Person gemacht wurde, ob es eine qualifizierte Minderheit, eine Mehrheit oder gar einen Konsens unter den Befragten gibt. Die Quantifizierung kann sich auch auf einzelne Befragte beziehen, wenn diese bestimmte Aussagen mehrfach sinngemäß wiederholt haben und damit implizit deren Wichtigkeit betonen. Hilfreich sind auch Hervorhebungen durch den Befragten, wenn bestimmte Aussagen verbal explizit als besonders wichtig herausgestellt werden oder wenn sie nonverbal besonders betont werden. Jede dieser Stufen ist notwendig und revidierbar, sodass der Auswertungsprozess iterativ und rekursiv gehandhabt wird. Bei besonders elaborierten Analysen kann die Auswertung noch zwei weitere Schritte enthalten, für die das ebenfalls gilt, sofern sie Anwendung finden: • Neben der Analyse der Einzelfälle und der gesamten Stichprobe gibt es die Möglichkeit, die Stichprobe nach bestimmten Merkmalen der Befragten (wie Geschlecht, Alter, Position/ Status, usw.) aufzuteilen und die Antworten in Bezug auf diese Gruppen zu vergleichen. Neben dieser deduktiven Klassifizierung gibt es auch die Möglichkeit der induktiven Klassifizierung, indem Personen mit vielen gleichen Aussagen (zu verschiedenen Fragen) zu Personentypen (oder prototypischen Fällen) zusammengefasst werden. Schließlich <?page no="73"?> Formen der Befragung 74 kann nach Korrespondenzen zwischen den Antworten auf verschiedene Fragen oder Themenkomplexe gesucht werden, um herauszufinden, ob bestimmte Einstellungen oder berichtete Verhaltensweisen miteinander »korrelieren«. • Gelegentlich führt der Forscher ein zweites Interview mit denselben Befragten durch, um seine Interpretationen durch die Befragten selbst verifizieren zu lassen. Diese Form der kommunikativen Validierung bindet die Theoriebildung wieder an den Forschungsgegenstand, die Befragten, zurück. 3.3 Das problemzentrierte und fokussierte Interview Ob sich das narrative Interview auch auf andere Sachverhalte als das Erzählen übertragen lässt, also etwa auf Beschreiben und Argumentieren, ist umstritten 27 . Alternativ lässt sich deshalb das problemzentrierte Interview anwenden, bei dem ein Leitfaden mit einer offenen Narration kombiniert wird, um eine mangelnde narrative Kompetenz des Befragten zu kompensieren und die als künstlich empfundene Trennung zwischen der reinen Erzählphase und der Nachfragephase aufzuheben. In dieser Interviewform werden auch Fragen zu Einstellungen, Meinungen und Motiven gestellt, die im narrativen Interview vermieden werden, um den Befragten nicht in Begründungszwang zu bringen (vgl. Witzel 1982: 49). Im Unterschied zum narrativen Interview kann der Interviewer den Erzählfluss des Befragten durchaus unterbrechen, um das Gespräch thematisch problemorientiert statt konversationsorientiert zu führen. Das problemzentrierte Interview sollte deshalb nicht als Alternative zum narrativen Interview angesehen werden, da seine Wirksamkeit auf anderen Ebenen angesiedelt ist (vgl. Maindok 1996: 128f.). Zu Beginn des problemzentrierten Interviews füllt der Befragte einen Kurzfragebogen aus, der zum einen einige zentrale Informationen zur Person erhebt, die dann im Gespräch nicht mehr angesprochen werden müssen, und der zum anderen das Gedächtnis des Befragten aktiviert. Er hat demnach sowohl eine inhaltliche als auch eine instrumentelle Bedeutung (vgl. Witzel 1985: 236). 27 Zumindest ist diese Übertragung noch nicht ausgearbeitet worden, denn dazu müssten für das Beschreiben, Argumentieren usw. ähnliche kognitive Figuren wie die Zugzwänge der Erzählung bestimmt werden. Im Hinblick auf die notwendigen Kompetenzen des Interviewers dürften sich keine Unterschiede ergeben, sodass das Anforderungsprofil für alle professionellen qualitativen Interviewer gültig ist (vgl. Maindok 1996: 133; → Kapitel 6.3). <?page no="74"?> Das problemzentrierte und fokussierte Interview 75 Der Leitfaden im problemzentrierten Interview unterstützt den Erzählstrang des Befragten und ergänzt ihn um weitere Aspekte, die vom Befragten nicht angesprochen werden. Im Unterschied zum Leitfadeninterview soll er allerdings weniger strukturieren. Der Interviewer muss selbstständig entscheiden, an welchen Stellen er interveniert und den Befragten um Ausdifferenzierung und Vertiefung bittet. Neue Themenaspekte werden erst angesprochen, wenn sich die Gelegenheit ergibt, das heißt, wenn der Befragte einen Themenaspekt erschöpfend behandelt hat. Dies verlangt vom Interviewer viel Fingerspitzengefühl. Die größte Gefahr liegt darin, dass er zu früh interveniert und dadurch den Erzählfluss hemmt oder dass er zu spät interveniert und dadurch den richtigen Zeitpunkt verpasst um nachzufragen. Das richtige Interviewerverhalten kann mit Hilfe von aufgezeichneten Gesprächen, die der Forscher gemeinsam mit den Interviewern analysiert, trainiert werden (vgl. Witzel 1985: 237). Das von Merton und Kendall 1946/ 47 für die Kommunikationsforschung und Propagandaanalyse entwickelte fokussierte Interview benutzt ebenfalls eine offene Interviewform, stellt aber der eigentlichen Befragung einen vorab bestimmten Gesprächsgegenstand oder Gesprächsanreiz voran. Dazu wird dem Befragten zunächst ein medialer Reiz präsentiert (zum Beispiel ein Zeitungsartikel oder ein Filmausschnitt), oder ihm werden persönliche Dokumente vorgelegt oder es wird eine gemeinsam erlebte Situation geschildert, auf den oder die sich das folgende Interview bezieht (vgl. Hopf 1991: 178f.). Das Interview selbst besteht aus »gerichteten« und völlig offenen Fragen. Gerichtet sind die Fragen, wenn sie sich auf einen konkreten Gegenstand beziehen - meist den vorher präsentierten Stimulus -, die aber die Reaktionsweise des Befragten offen lassen, oder wenn die Reaktionsweise in Form von möglichen Antworten zwar vorgegeben wird, aber der Gegenstandsbezug offen bleibt. Ungerichtete, offene Fragen werden eingesetzt, um die Erzählung des Befragten anzuregen oder zu befördern: »Was fällt Ihnen dazu ein? « oder »Was fällt Ihnen dazu noch ein? « Durch diese nichtdirektive Gesprächsführung soll verhindert werden, dass der Interviewer den Befragten beeinflusst (vgl. Flick 5 2000: 94ff.). Das fokussierte Interview verfolgt mit dieser Offenheit und gleichzeitigen Fokussierung vier Ziele (vgl. Hopf 2000: 354f.; Flick 5 2000: 94ff.): • Reichweite: Die Reaktions- und Antwortmöglichkeiten auf den Stimulus soll möglichst breit sein und nicht wie beim standardisierten Interview auf wenige Alternativen begrenzt werden. • Spezifität: Die Stellungnahmen, Einschätzungen und Entscheidungen des Befragten werden spezifiziert und der Hintergrund der Antworten wird erläutert. Das fokussierte Interview ist insofern thematisch disziplinierter als das narrative Interview. <?page no="75"?> Formen der Befragung 76 • Tiefe: Der Befragte ist durch den Stimulus stärker involviert und situational eingebunden; durch die Aufforderung zur offenen Narration kann er die Bedeutung zu bestimmten Themenaspekten individuell zumessen. • Personaler Kontext: Für die Interpretation der Aussagen wird auch der persönliche Kontext der Befragten berücksichtigt, um falsche Generalisierungen zu vermeiden. Eine gegenläufige Vorgehensweise zur Präsentation eines Gesprächsanreizes wählt das »kumulative Verfahren«: Es beginnt mit einer offenen Gesprächsphase, um Interaktionsbarrieren abzubauen und ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Interviewer und dem Befragten herzustellen. Darauf folgt eine offene Narration in Anlehnung an das narrative Interview, die von einer homogenisierenden Befragung abgeschlossen wird. Diese orientiert sich am fokussierten Interview; aus den ersten beiden Phasen wird ein Leitfaden entwickelt, um offen gebliebene oder neu aufkommende Fragen zu beantworten. Im Unterschied zum herkömmlichen fokussierten Interview wird die Perspektivenspezifizierung also nicht am Anfang durch den Stimulus vorgenommen, sondern findet erst am Schluss statt (vgl. Honer 1989: 303f.). Das fokussierte Interview ist nicht nur als Einzelinterview möglich, sondern auch in der Gruppe. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine Gruppenbefragung, bei der die Befragten simultan, aber individuell befragt werden, sondern um eine Gruppendiskussion, bei der die Befragten untereinander ins Gespräch kommen und der Interviewer eine Moderatorrolle einnimmt ( → Kapitel 4.3). Das fokussierte Interview lässt sich zum qualitativen Experiment ausbauen, indem der Stimulus nicht nur zur Strukturierung der Erzählung des Befragten eingesetzt wird, sondern auch dazu dient, Extrembedingungen auszuloten und Grenzen zu testen, um die Struktur eines Gegenstandes bzw. die Regeln einer Situation sichtbar zu machen (vgl. Kleining 1986: 736). Es ähnelt einem Erkundungsexperiment, ist also explorativ und setzt keine vorher theoretisch abgeleiteten Hypothesen voraus (vgl. Kleining 1986: 725, 730f.). Im Unterschied zum standardisierten Experiment ( → Kapitel 3.6) werden die Untersuchungsbedingungen flexibel gehandhabt und nicht standardisiert; die Stichprobe wird nicht nach Zufallskriterien, sondern nach »Extremgruppen« oder »Extremsituationen« gezogen (vgl. Kleining 1986: 734ff.). Beispielhaft kann man die Krisenexperimente Garfinkels anführen, bei denen alltagssprachliche Regeln verletzt werden, um herauszufinden, bis zu welchem Grad sie ihre Gültigkeit bewahren. Die meisten Anwendungen qualitativer experimenteller Techniken beziehen sich jedoch auf Beobachtungen, sodass das qualitative Experiment im Rahmen von Befragungen (bisher) kaum eine Rolle spielt (vgl. Kleining 1986: 737ff.). <?page no="76"?> Die standardisierte Befragung 77 3.4 Die standardisierte Befragung Die standardisierte Befragung gibt sowohl dem Instrument (Fragebogen) als auch der Erhebungssituation (Durchführung der Befragung) eine strenge Form, um die Bedingungen für eine statistische Auswertung mit dem Ziel des Vergleichs der Befragten oder von Befragtengruppen zu erfüllen. Bereits bei der Auswahl der Befragten wird darauf geachtet, dass sie per Zufallsverfahren oder Quotierung erfolgt, um zu vermeiden, dass sich die Zielpersonen selbst auswählen ( → Kapitel 2.1.2, 2.2.2, 2.3.2, 2.5.2). Im Fragebogen der standardisierten Befragung sind folgende Elemente festgelegt 28 : • Die Fragen sind (mehrheitlich) geschlossen, das heißt, dass sie für jeden Befragten im gleichen Wortlaut formuliert sein müssen (bzw. vom Interviewer im gleichen Wortlaut vorgelesen werden müssen) und dass die Antwortmöglichkeiten schon vorgegeben sind, sodass der Befragte nur die für ihn richtige Auswahl einer oder mehrerer Antworten (Mehrfachantworten) trifft. Sollte der Befragte keine Antwortvorgabe finden, die exakt seiner offenen Antwort entspricht, muss er sich diejenige Antwort aus den vorgegebenen Möglichkeiten aussuchen, die am nächsten zu seiner offenen Antwort liegt. Wenn nicht für alle Fragen geschlossene Antwortvorgaben vorgesehen sind, spricht man von einer teilstandardisierten Befragung. Auch bei standardisierten Befragungen werden folglich offene Fragen gestellt, allerdings besteht das Ziel weniger wie bei offenen Befragungsformen in der Interpretationsvielfalt und dem Bedeutungskontext einer Antwort als vielmehr in der Systematisierung der Antwort. Deshalb werden offene Antworten im Kontext der standardisierten Befragung meist im Nachhinein in standardisierte Kategorien eingepasst ( → Kapitel 5.5). • Die Fragen sind in einer feststehenden Reihenfolge angeordnet, die bei der Durchführung nicht verändert werden darf. 29 Bei Antwortlisten ist die Reihenfolge ebenfalls festgelegt oder sie wird mit einem Zufallsgenerator ermittelt und variiert. Wenn die Antwortvorgaben auf Kärtchen geschrieben sind, 28 An dieser Stelle werden die Regeln nur vom Prinzip her aufgeführt, ihre konkreten Ausformulierungen erfolgen in einem eigenen Kapitel (→ Kapitel 5). 29 Diese Regel gilt vor allem für persönliche und telefonische Interviews, während in schriftlichen Befragungen nicht kontrolliert werden kann, ob der Befragte die Fragen in der vorgesehenen Reihenfolge bearbeitet. Dennoch verstößt auch hier die Abweichung von der im Fragebogen vorgesehenen Reihenfolge gegen die methodischen Erfordernisse. <?page no="77"?> Formen der Befragung 78 kann der Interviewer sie vor jedem Interview mischen, sodass sie jedes Mal in einer anderen Reihenfolge vorgelesen werden. Im computerunterstützten Telefoninterview ist es möglich, dass die Reihenfolge durch die Software zufallsgeneriert wird. Die Befragungssituation soll kontrolliert ablaufen, deshalb gibt es auch hier einige Festlegungen: • Der Interviewer darf den Text der Fragen und Antwortvorgaben nicht variieren oder sinnverändernd betonen. • Bei Nachfragen des Befragten muss sich der Interviewer an vorgegebene Regeln halten, wie er diese zu beantworten hat. • Gibt der Befragte Antworten, die nicht in das Antwortschema passen oder schweift der Befragte in seiner Antwort vom Thema der Frage ab, muss der Interviewer nach bestimmten Regeln nachhaken ( → Kapitel 6.2). • Der Interviewstil soll neutral zurückhaltend sein, damit das Interview in einer aufgabenorientierten Atmosphäre stattfinden kann. Ein zu persönlicher oder ein autoritärer Stil lenken von der eigentlichen Aufgabe, Fragen zu beantworten, ab oder beeinträchtigen die Kooperation des Befragten ( → Kapitel 6.3). Das Ziel der Standardisierung des Instruments und der Kontrolle der Erhebungssituation besteht darin, valide und reliable Daten zu erhalten, die in Verbindung mit wahrscheinlichkeitstheoretischen Bedingungen und Voraussetzungen für die Anwendung statistischer Auswertungsverfahren geeignet sind ( → Kapitel 1.3). Die bisherigen Ausführungen zur standardisierten Befragung könnten darauf hindeuten, dass in der Befragungssituation die soziale Interaktion technisiert werden soll, damit alle nicht direkt die Beantwortung der Frage betreffenden Merkmale und Ereignisse sozialer Situationen ausgeschaltet oder zumindest kontrolliert werden. Diese Schlussfolgerung ist jedoch weder eine realistische Beschreibung der tatsächlichen Befragungssituation noch eine notwendige Bedingung zur Erfüllung der Voraussetzung für reliable und valide Daten. Vielmehr gilt sogar umgekehrt, dass eine Interviewsituation, die vom Befragten als künstlich empfunden wird, zu schlechten Antworten führt. Die Standardisierung ist demnach kein Selbstzweck und auch keine hinreichende Bedingung, sondern nur ein Mittel zur Erzeugung vergleichbarer Daten. Dies bedeutet, dass zum einen das Instrument, der Fragebogen, hinreichend oft in Pretests überarbeitet wird und zum anderen die Befragungssituation flexibel und natürlich zu gestalten ist (vgl. Scholl 1993: 13ff.). An dieser Stelle kann ein erster Vergleich zwischen den drei wichtigsten Formen der Befragung, dem narrativen Interview, dem Leitfadeninterview und der standardisierten Befragung, in einem tabellarischen Überblick gegeben werden. <?page no="78"?> Die standardisierte Befragung 79 Abb. 2: Typische Befragungsformen im Vergleich 30 Befragungsform → Kriterien ↓ narratives Interview Leitfadeninterview standardisierte Befragung Fragen und Antworten nur Frage- und Erzählimpulse offene Fragen (Leitfaden) feste Fragen und Antwortvorgaben (teil- oder vollstandardisierter Fragebogen) Rolle des Interviewers höchste Zurückhaltung eigenständiges Fragestellen strikte Befolgung der Anweisungen Auswahl der Befragten willkürlich oder nach theoretischen Aspekten willkürlich oder nach theoretischen Aspekten zufallsgesteuert oder nach Quoten (oft repräsentativ) Größe der Stichprobe vom Einzelfall bis zu 50 Personen zwischen 5 und 20 Personen von mindestens 50 bis zu 2.500 Personen Aufzeichnung in der Regel Audio-, seltener Videoaufzeichnung in der Regel Audioaufzeichnung Notation auf Fragebogen und Kommentare der Interviewer Transkription linguistisch mit nonverbalen und paraverbalen Merkmalen rein inhaltlich ohne nonverbale oder paraverbale Merkmale Eintragung in Datenmaske, Codierung von offenen Fragen Auswertung hermeneutische Text- und Gesprächsanalyse in der Regel mit qualitativer Inhaltsanalyse statistische Datenanalyse Auswertungsziel individuelle Interpretation mit maximalem Kontext Kontextinformationen, Antworten ergänzen sich Quantifizierung und Vergleich, Reduktion des Kontextes 30 Die Abbildung gibt die typischen Realisierungen der jeweiligen Befragungsform wieder, von denen es jedoch Abweichungen geben kann. Die Formen des problemzentrierten und fokussierten Interviews, des Tests und des Experiments können als Sonderformen gelten. <?page no="79"?> Formen der Befragung 80 3.5 Der Test 3.5.1 Definition und Varianten Tests sind standardisierte Befragungen, bei denen zusätzlich vollständige Fragekomplexe als eigenständiges Instrument oder als Modul in einem Fragebogen bereits vorhanden sind. Es ist ein wissenschaftliches Routineverfahren, das bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Aggressivität, Gedächtnisleistung, Belastbarkeit, emotionale Labilität messen und diagnostizieren soll (vgl. Stangl 2001: 316). Neben der Diagnose von Merkmalen an Einzelpersonen kann der Test auch dazu dienen, die untersuchte Population in Teilpopulationen zu gruppieren, den Zusammenhang des getesteten Merkmals mit anderen Merkmalen zu ermitteln oder die Veränderung des getesteten Merkmals zu messen. Historisch geht die Idee des Testens auf die Entwicklungen in der französischen und deutschen Psychiatrie im 19. Jahrhundert zur Diagnostik von Geisteskrankheiten zurück. Den Begriff »Test« verwendete zum ersten Mal der Psychologe Raymond Bernard Cattell 1890 (vgl. Schmid 1992: 19; Bortz / Döring 3 2001: 221; Krauth 1995: 19f.). Tests lassen sich in drei Kategorien einteilen: Intelligenztests, Leistungstests und Persönlichkeitstests. Letztere testen Eigenschaften, Interessen, Einstellungen, Charakter oder Typen (vgl. Lienert / Raatz 6 1998: 14; Rost 1996: 44ff.). Sie dienen damit nicht nur wissenschaftlichen Zwecken, sondern erfüllen auch praktische Aufgaben, etwa als Unterstützung bei Einstellungsgesprächen, zur Bestimmung der Schultauglichkeit von Kindern. Während Intelligenztests keine Rolle in der Kommunikationswissenschaft spielen, sondern vor allem in der Psychologie und Pädagogik eingesetzt werden, kommen Leistungs- und Persönlichkeitstests häufiger vor. Leistungstests können dazu verwendet werden, die Medienkompetenz von Rezipienten zu ermitteln, etwa wie schnell ein Internetnutzer eine bestimmte Rechercheaufgabe erledigt. Mit Persönlichkeitstests werden die persönlichen Eigenschaften ermittelt, die eine bestimmte Rezeptionsart begünstigen, etwa gewalthaltige Handlungen von Filmhelden zu imitieren. Diese Testart hat wiederum zahlreiche Varianten, mit denen Einstellungen, Motivation, Interesse oder Verhalten gemessen werden kann (vgl. Rost 1996: 50ff.). Getestet wird die Beantwortung einer Aufgabe bzw. eines Items. Das Item ist die kleinste Einheit im Test. Es besteht aus einem Itemstamm (Reiz) und einem Antwortformat (erwartete Reaktion). Der Itemstamm kann eine Frage, eine Aussage (Statement), ein Bild, eine Rechenaufgabe oder eine Geschichte sein. Das <?page no="80"?> Der Test 81 Antwortformat dient der Registrierung des Testverhaltens; es kann frei oder gebunden sein analog zu offenen Fragen und Fragen mit vorgegebenen Antworten in der standardisierten Befragung ( → Kapitel 5). Bei einer freien Aufgabenbeantwortung muss die Testperson selbst die Antwort auf die gestellte Testaufgabe finden; Beispiele dafür sind Schlüsselwortergänzungstests, Aufsatztests oder Lückentests. Bei einer gebundenen Aufgabenbeantwortung werden der Testperson Antwortmöglichkeiten zur Verfügung gestellt; hierzu gehören Richtig-Falsch-Antwort-Tests (auch mit den Antwortalternativen ja, nein), Mehrfach- Wahl-Antwort-Tests (multiple choice), Aufgaben-Zuordnungstests oder Neu- Anordnungstests (vgl. Lienert / Raatz 6 1998: 14ff.; Rost 1996: 60ff.). Im Test wird in der Regel dem Befragten oder der Testperson nicht nur eine Aufgabe zur Erledigung bzw. nicht nur ein Item zur Beantwortung vorgelegt, sondern eine Vielzahl. Für diese Beantwortung werden Punktwerte vergeben, die dann addiert werden. Als Ergebnis eines Tests erhält man einen Gesamtpunktwert für jedes Individuum, wie etwa der bekannte Intelligenzquotient. Solche Einzelergebnisse sind allerdings nur sinnvoll interpretierbar als Vergleichsdaten. Zu diesem Zweck werden die Ergebnisse oft entweder (im Nachhinein) normiert, oder sie werden kriteriumsorientiert (von vornherein) festgelegt. Normierte Ergebnisse informieren über die relative Stellung des Einzelnen (zum Beispiel: Schüler) in der Referenzpopulation (zum Beispiel: Schulklasse), während kriteriumsorientierte Ergebnisse die Relation zwischen der Leistung des Einzelnen (zum Beispiel: Schüler) zu einem festgelegten Kriterium (zum Beispiel: Leistungsziel bei Klausurenaufgaben) beschreiben, und zwar unabhängig von der Referenzpopulation (vgl. Rost 1996: 40ff.). 3.5.2 Testtheorien und Gütekriterien Die Anwendung und Beurteilung von Tests wird nicht intuitiv vollzogen, sondern basiert auf eigenen Testtheorien. Grundlegend für die Konstruktion von Tests ist die klassische Testtheorie. Sie geht davon aus, dass jede Testperson konstante Eigenschaften hat, also bestimmte Leistungen, Einstellungen oder Persönlichkeitsmerkmale. Dieser »wahre Wert« ist zwar nicht direkt messbar, aber durch wiederholte Messungen an derselben Person kommt man ihm näher. Jede Messung muss demnach beliebig wiederholbar sein. Der empirisch gemessene Testwert setzt sich aus dem (konstanten) wahren Wert und einem (Mess-) Fehler zusammen. Er schwankt aufgrund der Bedingungen, unter denen die Messung stattfindet, um diesen wahren Wert nach oben und nach unten. Diese Bedingungen ergeben sich aus der Testsituation oder aus den Test-Items. Nicht in jeder Situation kann eine Leistung optimal abgerufen werden, nicht jedes Test- <?page no="81"?> Formen der Befragung 82 Item ist gleichermaßen gut geeignet, eine bestimmte Leistung oder Einstellung zu messen (vgl. Birkhan 1992: 242ff.; Schmid 1992: 40f.). Da der wahre Wert selbst nicht gemessen werden kann, weil es keine idealen Messbedingungen gibt, wird er »geschätzt« durch einen empirischen Erwartungswert. Der Erwartungswert ist derjenige Wert, der im Fall einer oft wiederholten Messung am häufigsten und damit am wahrscheinlichsten auftritt. Es handelt sich dabei um den Mittelwert aller gemessenen Testwerte. Mathematisch basiert die klassische Testtheorie auf der Gauß’schen Normalverteilung: Der Mittelwert kommt am häufigsten vor; je weiter ein bestimmter Testwert von ihm abweicht, desto seltener (unwahrscheinlicher) kommt er vor. Jede Abweichung von diesem Messwert ist ein Messfehler (vgl. Schmid 1992: 42f.). Die klassische Testtheorie geht davon aus, dass • der Erwartungswert des Messfehlers Null ist, da die potenziell unendlich oft gemessenen Werte den wahren Wert ergeben und nicht von ihm abweichen; • der Zusammenhang zwischen dem wahren Wert und dem Messfehler zufällig ist, also nicht durch spezifische Faktoren der Situation, in der die Messung erfolgt, bedingt ist; • die Messfehler verschiedener Personen oder die verschiedenen Messungen bei derselben Person nicht miteinander zusammenhängen (vgl. Wottawa 1980: 33). Die Gütekriterien von Tests bzw. von Test-Items unterscheiden sich nicht von denen standardisierter Forschung allgemein, sie werden aber strenger überprüft: So werden Tests »geeicht«, indem sie an verschiedenen Stichproben ausprobiert werden (vgl. Lienert / Ratz 6 1998: 7ff.; 60). Außerdem ist es notwendig, aus den vielen möglichen Test-Items diejenigen auszusuchen, die die Gütekriterien am besten erfüllen und weder zu leicht noch zu schwer sind, die also eine gewisse Variabilität in den Antworten haben. Je mehr Items getestet werden, desto höher ist die Messgenauigkeit (Reliabilität), desto eher treten allerdings unerwünschte Kontexteffekte wie Ermüdung, verminderte Antwortbereitschaft oder Lerneffekte der Testpersonen auf (vgl. Rost 1996: 57f.). Die Reliabilität ist ein Ausdruck der Größe des Messfehlers bzw. umgekehrt der Stabilität oder Zuverlässigkeit der Messung. Da die Annahme der klassischen Testtheorie, dass jede Messung beliebig oft wiederholbar ist, in der Praxis nicht realisierbar ist, wird die Reliabilität mit folgenden Maßnahmen umgesetzt: • Retest-Reliabilität: Die Testpersonen werden zweimal mit denselben Test- Items befragt. • Paralleltest-Reliabilität: Es werden zwei äquivalente Tests entwickelt, sodass die Testpersonen zwei Tests durchführen müssen. <?page no="82"?> Der Test 83 • Split-Half-Reliabilität: Der Test wird in zwei Hälften geteilt, etwa indem die Test-Items mit ungeraden und geraden Zahlen oder die erste Hälfte und die zweite Hälfte aller Items getrennt ausgewertet werden. Es ist auch möglich, den Test in noch mehr Teile aufzuteilen, theoretisch in so viele Teile, wie es Items gibt (vgl. Schmid 1992: 46). Die Erwartungswerte (Mittelwert aller Testpersonen) und die Streuung der Messfehler (Fehlervarianz, quadrierte Summe aller Abweichungen von dem Mittelwert) müssen jeweils zwischen den beiden Messungen möglichst ähnlich sein. Auch für die Messung der Validität gibt es mehrere Möglichkeiten, wie sie statistisch erfasst wird (vgl. Schmid 1992: 54ff.): • Kriteriumsvalidität: Hier wird ein äußeres Kriterium, ein anderes Item, definiert. Wenn der Wert des Test-Items hoch mit dem des externen Items korreliert, gilt der Test als valide. Das Problem dieser Vorgehensweise besteht darin, dass es in vielen Fällen schwer ist, ein externes Kriterium zu finden. • Inhaltsvalidität: Diese Dimension der Validität wird durch Experten beurteilt. Validität ist bei dieser Vorgehensweise als Konsens unter Experten definiert. • Konstruktvalidität: Die Test-Items werden mit einem statistisch errechneten Konstrukt korreliert. Dieses Kriterium ist testintern, denn das Konstrukt wird aus den Test-Items errechnet. Die Korrelation besagt demnach, welche Items besser und schlechter mit dem Konstrukt korrelieren. Die Annahmen der klassischen Testtheorie sind auf der einen Seite theoretisch einfach und praktisch (statistisch) leicht anwendbar, aber auch sehr restriktiv und wenig realistisch. So ist etwa die Annahme eines feststehenden wahren Wertes der Testpersonen unrealistisch. Weder die Leistung in einem Intelligenztest noch die Einstellung zu bestimmten Sachverhalten sind individuell fest verankert, sondern situativ unterschiedlich. Aus diesem Grund wurden alternativ zur klassischen Testtheorie probabilistische Testtheorien entwickelt. Diese gehen davon aus, dass eine Testperson nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit einen bestimmten Wert eines bestimmten Test-Items ankreuzt. Dazu wird statt eines feststehenden Wertes eine Relation angenommen zwischen der »Fähigkeit« der Person, also ihrer Intelligenz, Einstellung oder Persönlichkeitsmerkmale, und der »Schwierigkeit« des betreffenden Items, also der Wahrscheinlichkeit, mit der eine bestimmte Antwortvorgabe ausgewählt wird. Auch die klassische Testtheorie berechnet die Schwierigkeit eines Items, und zwar als Anzahl »richtiger Lösungen« (Lösung einer Leistungsaufgabe, Zustimmung zu einer Einstellung usw.). In der probabilistischen Testtheorie werden dagegen die Wahrscheinlichkeiten unterschiedlicher Itemlösungen zueinander ins Verhältnis gesetzt. Während in der klassischen Testtheorie die Schwierigkeit eines Items von dem Er- <?page no="83"?> Formen der Befragung 84 gebnis aller Testpersonen, also von der Stichprobe, abhängt, definiert sich die Schwierigkeit eines Items in der probablistischen Testtheorie in Abhängigkeit von der Schwierigkeit anderer Items, aber unabhängig von der Testleistung der Stichprobe aller Testpersonen (vgl. Schmid 1992: 67ff.; Wottawa 1980: 44ff.). Bei Tests stehen demnach − unabhängig von der benutzten Testtheorie − die Konstruktion des Instruments und die statistische Analyse in engem Zusammenhang, denn die Analyse dient nicht nur der Auswertung der Ergebnisse, sondern auch der Überprüfung der Qualität des Tests. Dazu zählen Modellgeltungstests, bei denen die (in der Regel statistischen Annahmen) an den Daten überprüft werden, und Testoptimierungen, für die man mehrere Varianten miteinander vergleichen muss (vgl. Rost 1996: 324ff.; 349ff.). Die Optimierung eines Tests ist nicht dasselbe wie der Pretest, mit dessen Hilfe das Instrument verbessert wird ( → Kapitel 6.5), sondern erfolgt nach der Hauptuntersuchung. Dabei geht es darum, neue Items einzuführen oder ungeeignete auszuschließen, den Test auf (einzelne) andere Befragte oder auf (gesamte) andere Befragtenpopulationen zu übertragen und nach diesen Korrekturen das gesamte Ergebnis mit der vorherigen Variante auf Reliabilität und Validität zu vergleichen ( → Kapitel 1.3). 3.5.3 Konstruktion Ein Test besteht aus dem Testmanual, das den Test ausführlich beschreibt und die Durchführungsanweisungen erläutert, dem Testmaterial selbst (zum Beispiel dem Fragebogen) und den Auswertungshilfen (zum Beispiel Schablonen, Lochfolien), mit denen die Testresultate für jede einzelne Testperson formalisiert ausgewertet werden können (vgl. Krauth 1995: 215ff.). Bei der Konstruktion eines Tests ist darauf zu achten, dass die Items eindimensional sind. Mehrdimensional sind alle Fragen, die neben der beabsichtigten Dimension eine weitere Dimension ansprechen, etwa die soziale Erwünschtheit einer Einstellung oder eines Verhaltens. Offene Antworten sind oft mehrdimensional, weil die Testpersonen mit der Frage oder dem Item nicht notwendigerweise und nicht in jedem Fall dieselbe Assoziation wie die vom Forscher beabsichtigte haben. Geschlossene oder gebundene Antwortvorgaben können zum Beispiel bei Wissenstests zweidimensional sein, wenn die Testperson mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit die richtige Antwort rät. So beträgt bei vier Antwortvorgaben, von denen nur eine richtig ist, die Wahrscheinlichkeit, ohne Wissen die richtige Antwort zu raten, 25 Prozent. Auf der anderen Seite wäre es falsch, einfach die aufgrund der puren Ratewahrscheinlichkeit richtige Antwortzahl vom Testergebnis abzuziehen, weil es durchaus sein kann, dass die Testperson die richtigen Antworten sämtlich gewusst hat (vgl. Wottawa 1980: 215ff.). <?page no="84"?> Der Test 85 Ein weiteres Kriterium besteht darin, dass die Items bzw. die Itemschwierigkeit fair sein muss. Unfair sind Items dann, wenn nicht alle Subgruppen der untersuchten Population die gleichen Chancen haben, die Aufgabe richtig zu lösen. Problematisch sind etwa Fragen, deren Schwierigkeiten von der Tagesaktualität abhängen (vgl. Wottawa 1980: 212ff.). Insbesondere die Operationalisierung von Wissen ist davon betroffen. Die Abfrage der Kenntnis bestimmter Fakten ist immer abhängig von anderen Faktoren wie der formalen Bildung, individuellem Interesse (am Thema) und der Sozialisation der Testperson. Ein Beispiel aus der Fernsehpraxis sind Quizshows. Wer viel weiß oder sich durch logisches Denkvermögen die richtige Antwort erschließen kann, gewinnt eine höhere Geldsumme als Personen, die weniger wissen. Das Prinzip ist insofern fair, als die Höhe der Gewinnsumme von der Schwierigkeit der Fragen abhängt. Allerdings kann es sein, dass Nicht-Muttersprachler schon an den ersten Aufgaben scheitern, zum Beispiel wenn Sprichworte des Alltags ergänzt werden sollen. Was für Muttersprachler zum alltäglichen Wissen gehört und leicht zu beantworten ist, kann sich selbst für einen sehr sprachgewandten, aber nicht in dem betreffenden Land aufgewachsenen Nicht-Muttersprachler als unbeantwortbar erweisen. Neben der Fairness der Itemformulierungen sollen die Items möglichst breit streuen hinsichtlich ihrer Schwierigkeit und damit die Ausprägungen des Merkmals repräsentieren sowie die Personen mit schwacher und starker Merkmalsausprägung eindeutig voneinander trennen (vgl. Bortz / Döring 3 2001: 221). Schließlich sollen die Items lokal unabhängig voneinander sein, das heißt, dass die Beantwortung eines Items (logisch) nicht abhängig sein darf von der Beantwortung eines anderen (vorherigen) Items. Lokal abhängig wäre ein Item etwa, wenn seine Beantwortung das Wissen des vorherigen Items voraussetzt oder zu einem Folgefehler führt (vgl. Krauth 1995: 25ff.). Um diese Kriterien einzuhalten, ist ein mehrstufiges Vorgehen zur Testkonstruktion erforderlich. Zunächst wird ein Itempool angelegt. Dazu ist eine exakte Definition des theoretischen Konstrukts, das gemessen werden soll, erforderlich. Mit offenen Befragungen kann man die relevanten Dimensionen ermitteln. Die so gefundenen Items werden sprachlich wie formal bearbeitet und an einer repräsentativen »Eichstichprobe« getestet. Dadurch können die Items nach verschiedenen Parametern (wie Schwierigkeit, Varianz, Reliabilität, Korrelationen zwischen den Items und Änderungssensitivität in verschiedenen Teilstichproben) analysiert werden, um die am besten geeigneten Items für den Test zusammenzustellen. Mit der abschließenden Analyse der Häufigkeitsverteilungen der Testwerte können Normwerte bestimmt werden, die zur Einordnung der getesteten Personen oder Gruppen benutzt werden (vgl. Krauth 1995: 20f.). <?page no="85"?> Formen der Befragung 86 3.6 Das Experiment Das Experiment ist keine Sonderform ausschließlich der Befragung, denn es kann auch eine Form oder ein besonderes Design der Beobachtung oder der Kombination aus beiden Methoden sein. Deshalb wird das Experiment in der Lehrbuchliteratur stets als eigene Methode mit eigenen Regeln vorgestellt. 3.6.1 Geschichte, Definition und Ziel Das Experiment wurde zuerst in den Naturwissenschaften entwickelt und steht für den Aufstieg empirischer Forschung schlechthin, die eine rein theoretische Vorgehensweise ablöste. Petersen (2002: 14f.) gibt mehrere historische Vorbilder an, die experimentelles Denken entwickelt und propagiert haben, doch das moderne Verständnis der experimentellen Logik ist am engsten mit dem britischen Philosophen John Stuart Mill (1806-1873) verbunden. Die Übertragung auf die Sozialwissenschaften erwies sich als problematisch, weil das Forschungsobjekt Mensch schwerer zu beobachten und experimentell zu manipulieren ist als die Forschungsobjekte in den Naturwissenschaften. Zudem werfen solche Manipulationen ethische Fragen auf (vgl. Petersen 2002: 33ff.). Dennoch setzte sich das Experiment seit Mitte des 19. Jahrhunderts zumindest in der Psychologie durch und ist durch die psycho-physiologischen Versuche von Wilhelm Wundt und die Arbeiten von Hermann Ebbinghaus über das Gedächtnis bekannt geworden. Heute gilt das Experiment als die wichtigste Methode in dieser Disziplin (vgl. Petersen 2002: 41ff.). Auch in der kommunikationswissenschaftlichen Anwendung dominierten psychologische Fragestellung die Entwicklung des Experiments (vgl. Schulz 1970: 135ff.): Bekannt wurden die Experimente von Carl Iver Hovland und Mitarbeitern über die Wirkung persuasiver Kommunikation (vor allem von Propaganda) in den 50er-Jahren, von Leon Festinger über das Phänomen der kognitiven Dissonanz, von Irving L. Janis und Seymour Feshbach und von Stanley Schachter über Angst erzeugende Kommunikation sowie von Leonard Berkowitz über schädliche Einflüsse von Film und Fernsehen, insbesondere von Sendungen mit gewalthaltigen Inhalten, auf Kinder und Jugendliche. In Deutschland begleiteten experimentelle Forschungsprojekte die Einführung des Fernsehens in den 60er- Jahren und des privat-kommerziellen Rundfunks in den 80er-Jahren. Heute spielt das Experiment in der Medienwirkungsforschung, speziell in der Werbewirkungsforschung, eine große Rolle. <?page no="86"?> Das Experiment 87 Allgemein kann das Experiment definiert werden als Manipulation einer hypothetisch vermuteten Ursache oder Bedingung für eine Wirkung oder einen Effekt bei gleichzeitiger Kontrolle möglicher Störfaktoren bzw. experimenteller Randbedingungen. Das Ziel ist der exakte Beweis für eine kausale Beziehung 31 zwischen einer unabhängigen Variablen (Ursache) und einer abhängigen Variablen (Wirkung). Die Manipulation besteht darin, dass die Versuchspersonen (»Probanden«), die an dem Experiment teilnehmen, einem Reiz (Stimulus) ausgesetzt werden − sie bekommen zum Beispiel einen Film oder einen Werbespot vorgeführt − oder sie werden durch eine Behandlung (»treatment«) manipuliert (zum Beispiel geärgert, frustriert, erfreut, verwöhnt usw.). Dieser Reiz gilt dann als Ursache oder als Experimentalfaktor, weil er im Experiment erst hergestellt wird; die Reaktionen der Versuchspersonen sind die Wirkung auf diesen Reiz. Die Wirkung können emotionale Reaktionen, Gedächtnisleistungen, Bewertungen usw. sein. Voraussetzung für den exakten Nachweis der Kausalbeziehung zwischen unabhängiger und abhängiger Variablen ist die Wiederholbarkeit des Experiments (Reliabilität → Kapitel 1.3). Dazu müssen in jedem Experiment mit derselben Fragestellung und demselben Verfahren auch dieselben Bedingungen hergestellt werden, indem diese Bedingungen möglichst standardisiert werden (vgl. Sarris 1999: 129ff.). Eine weitere Bedingung für ein erfolgreiches Experiment ist die Eindeutigkeit der Ergebnisse (Validität → Kapitel 1.3). Dazu muss ausgeschlossen werden, dass nicht andere Ursachen als die hypothetisch angenommene für die Wirkung verantwortlich sind. Diese anderen Ursachen werden als Störfaktoren bezeichnet, weil sie in der Hypothese (Theorie) nicht berücksichtigt sind, aber dennoch das Ergebnis (Empirie) beeinflussen und damit die Überprüfung der Hypothese verhindern. Solche Störfaktoren können andere, nicht kontrollierte Reizvariablen oder personenspezifische Merkmale sein (vgl. Sarris 1999: 164). Wenn etwa der Einfluss der Rezeption gewalthaltiger Filme auf die Befürwortung von Gewalt in alltäglichen Konflikten untersucht werden soll, könnte man einer Gruppe von Versuchspersonen einen gewalthaltigen Film präsentieren und die Versuchspersonen danach befragen, wie sie sich in bestimmten alltäglichen Situationen mit Konfliktcharakter verhalten würden. Wenn sich die Versuchspersonen allerdings über den Film oder über die zu lange Wartezeit geärgert haben, werden sie mög- 31 Auf eine wissenschaftstheoretische Erläuterung des Kausalitätsbegriffs soll hier nicht näher eingegangen werden. Grundlegend mit dieser Problematik hat sich Schulz (1970: 38ff.) beschäftigt. Für eine Auseinandersetzung mit Kausalität aus systemtheoretisch-konstruktivistischer Perspektive vgl. Loosen / Scholl / Woelke (2002: 58ff.). <?page no="87"?> Formen der Befragung 88 licherweise schon aufgrund dieser äußeren und inneren Umstände aggressiv und kreuzen die gewalthaltigen Alternativen bei der Frage nach der Bewältigung von Konfliktsituationen an. Die Verärgerung wäre dann die eigentliche Ursache für die Legitimation von Gewalt im Alltag und nicht die Rezeption eines gewalthaltigen Films. Damit kann die Ausgangshypothese nicht bewiesen werden − sie muss aber auch nicht falsch sein, denn der Störfaktor Verärgerung hat die hypothetische Ursache überlagert. Man spricht von Konfundierungseffekten, wenn sich mehrere Effekte überlagern, aber nicht getrennt voneinander gemessen und analysiert werden (können). 32 3.6.2 Untersuchungsanlagen (Designs) Experimentelle Befragungen sind vor allem hinsichtlich der Erhebungssituation standardisiert, um das Kriterium der Objektivität zu erfüllen ( → Kapitel 1.3). 33 Unter kontrollierten Bedingungen wird einer Experimentalgruppe von Versuchspersonen ein Stimulus dargeboten oder die Versuchspersonen werden in irgendeiner Weise (Wissen, emotionale Befindlichkeit usw.) manipuliert. Eine andere Gruppe von Befragten, die Kontrollgruppe, bekommt diese Behandlung (»treatment«) oder den Stimulus nicht 34 . Für den Nachweis des Kausaleffekts muss nicht jede Versuchsperson in der Experimentalgruppe den vermuteten Effekt aufweisen, sondern es genügt, wenn der Effekt (die abhängige Variable) im Durchschnitt in der Experimentalgruppe größer ist als in der Kontrollgruppe. Allerdings beweist die Differenz zwischen der Experimental- und der Kontrollgruppe allein noch nicht die Hypothese über den Kausalzusammenhang, denn 32 Konfundierungseffekte sind umso wahrscheinlicher, je komplexer die Stimuli sind, weil sie sich dann selten nur im Hinblick auf ein einziges Merkmal unterscheiden (vgl. Brosius / Koschel 2001: 211). 33 In der Regel sind auch die Instrumente im Experiment standardisiert (Fragebogen bei der Befragung, Protokollbogen bei der Beobachtung), aber es werden im Rahmen der qualitativen Sozialforschung auch nichtstandardisierte Instrumente experimentell eingesetzt (→ Kapitel 3.3). 34 Alternativ dazu kann die Kontrollgruppe auch einem anderen Stimulus oder einem anderen Treatment ausgesetzt werden, der / das bestimmte Merkmale nicht enthält. Wenn der Stimulus, den die Experimentalgruppe präsentiert bekommt, in der Rezeption gewalthaltiger Filmausschnitte bestehen soll, kann man der Kontrollgruppe ebenfalls einen Film zeigen, der aber keinen gewalthaltigen Inhalt hat. Dieser gewaltlose Film ist aber kein Experimentalstimulus. Außerdem kann noch der (häufige) Fall auftreten, dass es statt einer Kontrollgruppe zwei oder mehrere Versuchsgruppen gibt (vgl. Diekmann 1995: 297). Man würde dann - um bei diesem Beispiel zu bleiben - Filme mit unterschiedlicher Gewaltdarstellung zeigen, um herauszufinden, welche Darstellung den größten Effekt erzeugt. <?page no="88"?> Das Experiment 89 gleichzeitig müssen die Differenzen jeweils innerhalb der Experimental- und Kontrollgruppe gering sein. Sind die Differenzen (Streuungen) innerhalb der beiden Gruppen hoch, bedeutet dies, dass die Manipulation der Ursache (der unabhängigen Variablen) keinen eindeutigen Effekt erzeugt hat (vgl. Sarris 1999: 167ff.). Eine wichtige Bedingung für den Vergleich zwischen Experimental- und Kontrollgruppe ist deren identische Zusammensetzung hinsichtlich relevanter Merkmale. Dazu gibt es zwei Techniken, die Randomisierung und die Parallelisierung (»matching«) (vgl. Sarris 1999: 180ff.): Bei der Randomisierung werden die Versuchspersonen mit einem Zufallsverfahren der Experimental- und der Kontrollgruppe zugewiesen. Dies kann durch Ziehung von Spielkarten erfolgen (durch die Unterscheidung von roten und schwarzen Karten) oder durch die Verwendung von Zufallszahlen (durch die Unterscheidung von geraden und ungeraden Zahlen). 35 Die Parallelisierung ist eine Art Quotierung. Wenn die wichtigsten Variablen bekannt sind (etwa durch eine Vorerhebung oder mit Hilfe der Vorher-Messung), kann die Stichprobe so zweigeteilt werden, dass sich beide Gruppen hinsichtlich möglichst vieler Merkmale gleichen. 36 Eine andere Möglichkeit zum Nachweis einer kausalen Beziehung ist die Vorher-Nachher-Messung. Bei diesem Messwiederholungsdesign wird zwischen drei Zeitpunkten unterschieden: einer Vorher-Messung, der Einführung des Stimulus oder Treatments und einer Nachher-Messung. Die Versuchspersonen werden demnach zweimal befragt: vor und nach der Stimuluspräsentation. Die Kausalitätsbeziehung zwischen der unabhängigen und der abhängigen Variablen lässt sich als Differenz zwischen der Vorher-Messung und der Nachher-Messung berechnen (vgl. Schulz 1970: 94). Auch hier muss sich nicht bei jeder einzelnen Versuchsperson ein Effekt einstellen, es genügt, wenn die Summe der Veränderungen zwischen den beiden Messzeitpunkten hinreichend groß ist. 35 Die zufällige Zuweisung der Versuchspersonen zu einer Versuchsgruppe ist nicht dasselbe wie die zufällige Ziehung einer Stichprobe. Während die zufällige Zuweisung die Bedingung für die Gleichheit der Versuchsgruppen ist, bezieht sich die zufällige Ziehung auf die Rekrutierung der Versuchspersonen und somit auf die Repräsentativität der Stichprobe (vgl. Czienskowski 1996: 65). 36 Über die Größe der Stichprobe machen die meisten Lehrbücher keine Aussagen. Lediglich Bortz / Döring ( 3 2001: 602ff.) weisen darauf hin, dass die erforderliche Anzahl von Versuchspersonen höher ist, wenn der gemessene Effekt der unabhängigen Variable(n) auf die abhängige(n) Variable(n) gering ist, und erstellen ausführliche statistisch errechnete Tabellen für die Fallzahl in Abhängigkeit von der Effektgröße. Pro Versuchsgruppe sollten (in Laborexperimenten) mindestens zehn Versuchspersonen veranschlagt werden. <?page no="89"?> Formen der Befragung 90 Die Logik dieser Vorgehensweise erfordert, dass keine Veränderungen der Situation eintreten dürfen, die nicht auf den experimentellen Faktor (die unabhängige Variable) zurückzuführen sind, und dass mit Ausnahme des experimentellen Faktors keine weiteren Faktoren in die Situation hineinwirken dürfen (vgl. Schulz 1970: 94). Ist die Einwirkung anderer Faktoren nicht zu verhindern, sind diese aber bekannt und vom Experimentalfaktor isolierbar, werden sie im Experiment erhoben und statistisch »herausgerechnet« (vgl. Sarris 1999: 198ff.). Beide Versuchsanordnungen sind auch miteinander kombinierbar: Sowohl für die Experimentalgruppe als auch für die Kontrollgruppe werden Vorher- und Nachher-Messungen, also insgesamt vier Messungen, durchgeführt. Mit diesem Design ist es möglich, eine kausale Wirkung des Stimulus nachzuweisen, wenn sich in der Experimentalgruppe die vermutete Veränderung zwischen den beiden Messzeitpunkten (vor und nach der Stimuluspräsentation) beobachten lässt und gleichzeitig keine Veränderung in der Kontrollgruppe (ohne Stimuluspräsentation) zu verzeichnen ist. Insofern gleicht ein Experiment (wenn es als Befragung konzipiert ist und nicht als Beobachtung) einer Mehrfachbefragung ( → Kapitel 3.7.2) unter besonders kontrollierten Bedingungen. Allerdings treten bei der Vorher-Nachher-Messung möglicherweise Sensibilisierungs- oder Gewöhnungseffekte auf, weil jede Messung auf die Versuchspersonen zurückwirkt und das Versuchsverhalten der Versuchspersonen damit beeinflusst ( → Kapitel 3.6.3). Um auch diesen Effekt zu kontrollieren, kann man das kombinierte Design aus der Vorher-Nachher-Messung und dem Parallelgruppen- Vergleich mit der Solomon-Vier-Gruppen-Anordnung erweitern. Dieses Design sieht jeweils zwei Experimental- und Kontrollgruppen vor, die sich dadurch unterscheiden, dass bei der einen eine Vorher-Messung durchgeführt wird und bei der anderen nicht: • Experimentalgruppe 1 (E 1 ): Vorher-Messung, Treatment, Nachher-Messung • Experimentalgruppe 2 (E 2 ): Treatment, Nachher-Messung • Kontrollgruppe 1 (K 1 ): Vorher-Messung, Nachher-Messung • Kontrollgruppe 2 (K 2 ): Nachher-Messung Der Stimulus bzw. das Treatment haben dann einen eindeutigen Einfluss, wenn mehrere Bedingungen erfüllt sind: • Zwischen der Vorher-Messung und der Nachher-Messung muss bei E 1 eine bedeutende (signifikante) Differenz bestehen, bei K 1 dagegen nicht, sonst hätte das Treatment bzw. der Stimulus nichts bewirkt oder die Veränderung, die auch bei der Kontrollgruppe stattgefunden hat, wäre nicht auf das Treatment oder den Stimulus zurückzuführen. Damit muss auch eine Differenz <?page no="90"?> Das Experiment 91 zwischen den Nachher-Messungen bei E 1 und E 2 einerseits und den Nachher- Messungen bei K 1 und K 2 andererseits bestehen. • Die Vorher-Messungen müssen bei E 1 und K 1 gleich sein, und damit muss zwischen der Vorher-Messung bei K 1 und der Nachher-Messung bei E 1 die gleiche Differenz wie zwischen der Vorher- und Nachher-Messung bei E 1 bestehen, sonst wären die Versuchsgruppen nicht identisch in Bezug auf die Ausgangssituation. • Die Nachher-Messungen bei E 1 und E 2 sowie bei K 1 und K 2 müssen gleich sein, sonst hätte die Vorher-Messung bei E 1 und bei K 1 einen sensibilisierenden Effekt gehabt (vgl. Zimmermann 1972: 114f.). Abb. 3: Logik des Solomon-Vier-Gruppen-Verfahrens Gruppe Vorher- Messung Treatment/ Stimulus Nachher- Messung Differenz Vorher/ Nachher E 1 + + + signifikant E 2 − + + ― K 1 + − + nicht signifikant K 2 − − + ― Differenz E 1 > K 1 , E 2 > K 2 E 1 = E 2 , K 1 = K 2 Differenz E 1 = K 1 E 1 (nachher) − E 1 (vorher) = E 1 (nachher) − K 1 (vorher) Mit dieser Vier-Gruppen-Anordnung sind also vielfältige störende Einflüsse statistisch errechenbar und kontrollierbar. Allerdings ist das Design sehr aufwändig, weil doppelt so viele Versuchspersonen wie bei der Zwei-Gruppen- Anordnung notwendig sind. Sein Einsatz ist nur sinnvoll, wenn die Erfüllung der Bedingungen (gleiche Verteilung der Merkmale bei Experimental- und Kontrollgruppe sowie keine Einflüsse der Vorher-Messung auf die Nachher-Messung) nachgewiesen werden soll. Schulz (1970: 111ff.) hält deshalb für die Sozialwissenschaften die Zwei-Parallelgruppen-Anordnung mit Experimental- und Kontrollgruppe (ohne Vorher-Messung) für am besten geeignet. 37 37 Zwischen der komplexen Vier-Gruppen-Anordnung und der einfachen faktoriellen Anordnung gibt es zahlreiche Varianten (vgl. Czienskowski 1996: 66ff.). <?page no="91"?> Formen der Befragung 92 Um einen Effekt klar erkennen zu können, gibt es mehrere Möglichkeiten der Versuchsanordnung, das heißt der Manipulation der unabhängigen Variablen (vgl. Sarris 1999: 172f.): • Extremgruppenvergleich: Die unabhängige Variable wird in zwei Ausprägungen (Stufen) unterteilt, die sich sehr stark voneinander unterscheiden. Wenn die unabhängige Variable etwa die Rezeption gewalthaltiger Filminhalte sein soll, so kann man zwei Versuchsgruppen bilden, bei der die Experimentalgruppe einem sehr gewaltsamen Film(ausschnitt) ausgesetzt wird, während der Stimulus der Kontrollgruppe aus einem völlig gewaltlosen Film(ausschnitt) besteht. Der Effekt könnte etwa darin bestehen, dass die Versuchspersonen der Experimentalgruppe deutlich eher bereit sind, bei alltäglichen Konflikten gewalthaltige Lösungen zu akzeptieren oder anzustreben als die Versuchspersonen, die einen gewaltlosen Film gesehen haben. • Differenzierter Gruppenvergleich: Die unabhängige Variable kann in mehr als zwei Stufen unterteilt werden, die sich dann graduell voneinander unterscheiden. Hier werden zum Beispiel zwei Experimentalgruppen gebildet, von denen die eine einen Film mit sehr gewaltsamen Inhalten und die andere einen Film mit gemäßigt gewalthaltigen Inhalten zu sehen bekommt, während die Kontrollgruppe einen Film ganz ohne Gewaltszenen rezipiert. Im Unterschied zum Extremgruppenvergleich lässt sich genauer erkennen, ab welchem Grad von Gewalthaltigkeit der vermutete Effekt eintritt, dass die Präsentation von filmischer Gewalt zur Legitimation von Gewalt zur alltäglichen Konfliktlösung führt. Beim Vergleich der Gruppen kann überprüft werden, ob die Effekte bei der gemäßigten Experimentalgruppe tatsächlich zwischen den beiden Extremgruppen liegen. Der differenzierte Gruppenvergleich ist allerdings aufwändiger als der Extremgruppenvergleich, weil er mehr Versuchsgruppen und damit mehr Versuchspersonen erfordert. • Mehrfaktorielles Design: Um mögliche andere Ursachen ebenfalls zu berücksichtigen, könnte man außer der Filmpräsentation auch die Experimentalsituation selbst manipulieren und die Versuchspersonen in eine unterschiedliche Atmosphäre versetzen. Eine Experimentalgruppe bekommt den Stimulus mit dem gewalthaltigen Film und wird zusätzlich durch eine lange Wartezeit, ein ungemütliches Wartezimmer oder durch unfreundliches Verhalten des Versuchsleiters verärgert, während die andere Experimentalgruppe freundlich behandelt wird. Die Versuchspersonen, denen ein gewaltloser Film dargeboten wird, werden ebenfalls in zwei Gruppen unterteilt, je nachdem, ob sie freundlich oder unfreundlich behandelt werden. Man nennt eine solche Versuchsanordnung 2x2-faktorielles Design (sprich: zwei mal zwei), weil es zwei unabhängige Variablen bzw. (Experimental-) Faktoren (Rezeption von <?page no="92"?> Das Experiment 93 filmischer Gewalt und aggressive Grundstimmung) mit jeweils zwei Ausprägungen (liegt vor und liegt nicht vor) enthält. Sollte die Präsentation eines gewalthaltigen Films die (einzige) Ursache für die Legitimation von gewalthaltigen Konfliktlösungen sein, dürfte es weder einen Unterschied zwischen den beiden Experimentalgruppen noch zwischen den beiden Kontrollgruppen geben, aber die durchschnittliche Differenz zwischen den Experimentalgruppen auf der einen Seite und den Kontrollgruppen auf der anderen Seite müsste groß sein. Sollte dagegen auch die verärgerte Kontrollgruppe eine hohe Gewaltbereitschaft in Konfliktsituationen äußern, hätte die aggressive Befindlichkeit der Versuchspersonen ebenfalls einen Effekt. Tritt dieser (nur) zusammen mit der Präsentation von gewalthaltigen Filminhalten auf, spricht man von einem Interaktionseffekt, weil beide Bedingungen − die Rezeption eines gewalthaltigen Filmes und die vorherige Verärgerung − zutreffen müssen, damit die Versuchspersonen Gewalt als Konfliktlösungsmittel legitimieren. Einerseits ist es realistischer, dass eine Wirkung durch mehr als eine Ursache erzeugt wird, andererseits stoßen mehrfaktorielle Designs schnell an die Grenze ihrer Durchführbarkeit, weil zu viele Versuchspersonen benötigt werden und unterschiedliche Bedingungen geschaffen werden müssen. 38 Abb. 4: Zweifaktorielles Beispieldesign: Faktor A: Filmstimulus Haupteffekt B Faktoren/ Effekte a 1 : gewalthaltig a 2 : gewaltfrei b 1 : unfreundlich a 1 b 1 a 2 b 1 Faktor B: Treatment Vpn b 2 : freundlich a 1 b 2 a 2 b 2 Gewaltlegitimation: a 1/ 2 b 1 > a 1/ 2 b 2 Haupteffekt A Gewaltlegitimation: a 1 b 1/ 2 > a 1 b 1/ 2 Interaktionseffekt AxB Gewaltlegitimation a 1 b 1 > a 2 b 1 | a 1 b 2 ≥ a 2 b 2 38 Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, verschiedene Faktoren zu mehrdimensionalen Versuchsplänen zu kombinieren, sodass auch komplexe Experimente durchgeführt werden können. Die Auswertung erfordert allerdings genaue Kenntnisse der statistischen Verfahren (vgl. Czienskowski 1996: 83ff.; 91ff.). <?page no="93"?> Formen der Befragung 94 3.6.3 Unerwünschte (Stör-) Effekte Obwohl im Experiment durch standardisierte Bedingungen eine enorme Kontrolle der Erhebungssituation möglich ist, kann eine Menge von Effekten auftreten, welche die Validität der Ergebnisse beeinträchtigen (vgl. Schulz 1970: 97ff.; Sarris 1999: 216ff.; Stangl 2001: 310): • Äußere Zeiteinflüsse: Insbesondere wenn sich ein Experiment über einen längeren Zeitraum erstreckt, können Ereignisse (der Zeitgeschichte) einen konfundierenden Einfluss auf die experimentelle Situation haben. Es ist dann nicht mehr entscheidbar, ob ein gemessener Effekt aufgrund der experimentellen Manipulation oder aufgrund äußerer Ereignisse aufgetreten ist. • Innere Veränderungsprozesse: Eine Veränderung der experimentellen Situation kann auch durch Veränderungen der Versuchspersonen selbst entstehen. Davon sind vor allem längerfristige Experimente betroffen, aber auch solche, die nur eine einmalige Präsenz erfordern, wenn die Versuchspersonen Ermüdungserscheinungen aufweisen, sich langweilen oder Hunger bekommen. • Testeffekt: Bei Mehrfachmessungen besteht die Gefahr, dass sich die Versuchspersonen an das Messinstrument gewöhnen und bei der zweiten Messung nicht mehr unbefangen antworten. Eine Veränderung zwischen der Vorher-Messung und der Nachher-Messung deutet dann nicht auf eine tatsächliche Kausalitätsbeziehung zwischen unabhängiger und abhängiger Variable hin, sondern auf einen anderen Umgang der Versuchspersonen mit dem Instrument. • Instrumenteneffekt: Auch das Instrument selbst kann sich verändern bzw. das Verhalten des Versuchsleiters. Zwar betrifft dies nicht den Fragebogen, aber alle anderen Faktoren, die zum Messvorgang gehören, also die Instruktionen des Versuchsleiters oder seine Behandlung der Versuchspersonen. • Statistische Regressionseffekte: Wenn sehr unterschiedliche Versuchsgruppen gebildet werden (zum Beispiel hoch und gering Informierte) entstehen bei der Messung der relevanten abhängigen Variablen (zum Beispiel Informiertheit) Boden- oder Deckeneffekte. Das bedeutet, dass Versuchspersonen mit niedrigem Wert in der Vorher-Messung mit höherer Wahrscheinlichkeit in der Nachher-Messung einen höheren Wert aufweisen; und Versuchspersonen mit einem bereits hohen Wert in der Vorher-Messung können sich kaum noch steigern in der Nachher-Messung. Diese Veränderungen sind rein statistisch bedingt und hängen nicht mit Stimulus oder Treatment zusammen. • Auswahleffekt: Die Auswahl der Versuchspersonen und ihre Zuordnung zur Experimental- oder Kontrollgruppe kann zu Verzerrungen führen, sodass beide Gruppen nicht gleich sind im Hinblick auf für die Untersuchung rele- <?page no="94"?> Das Experiment 95 vanten Variablen. Dieses Problem ist bei einer großen Stichprobe relativ gering; die Versuchsgruppen bei Experimenten umfassen jedoch in der Regel nur jeweils zwanzig Versuchspersonen. • Ausfalleffekt: Aufgrund der Erwartungen, die gegenüber Experimenten in der Bevölkerung bestehen, ist es von vornherein schwierig, eine nach soziodemografischen Merkmalen breit gestreute Stichprobe zusammenzustellen. Darüber hinaus sind insbesondere bei Experimenten mit Messungen zu mehreren Zeitpunkten Ausfälle zu verzeichnen, die dazu führen können, dass die Stichprobe in der Nachher-Messung im Hinblick auf für die Untersuchung wichtige Variablen nicht mehr identisch ist mit der Ausgangsstichprobe (der Vorher-Messung). • Künstlichkeit der Experimentalsituation: Die experimentelle Manipulation der Bedingungen für die Datenerhebung führt oft dazu, dass die Situation, in der das Experiment stattfindet, sehr künstlich ist und von den alltäglichen Erfahrungen der Versuchspersonen stark abweicht. Dadurch ist es problematisch, die gemessenen Effekte auf andere, realistischere Situationen zu übertragen. • Probandenrepräsentativität: Da Experimente häufig an Universitäten stattfinden, sind die Versuchsteilnehmer meist Studenten, also eine im Vergleich zur Bevölkerung homogenen Gruppe im Hinblick auf Alter und Bildung. Aufgrund dieser eingeschränkten Population ist es fraglich, ob die Ergebnisse auf die Bevölkerung übertragen werden können. Die beiden letzten Punkte, die die Repräsentativität der Situation und der Population betreffen, werden in der Literatur unter dem Stichwort »externe Validität« zusammengefasst, wohingegen die davor aufgeführten Probleme die »interne Validität« betreffen, weil sie als Störfaktoren die Eindeutigkeit der Ergebnisse gefährden. Interne und externe Validität sind dabei »partiell inkompatibel« (Sarris 1999: 222); man kann den Zielkonflikt aber auch schärfer als das Paradox des Experiments charakterisieren: Eine weitreichende Eliminierung von Störfaktoren zur Erhöhung der internen Validität erhöht die Künstlichkeit der Situation und beeinträchtigt damit die externe Validität. Wird die Experimentalsituation dagegen so natürlich wie möglich belassen, ist es nicht mehr möglich, Störfaktoren zu kontrollieren. Insofern muss stets zwischen der Exaktheit des Kausalitätsnachweises und der Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse abgewogen werden. 3.6.4 Laborexperiment und Feldexperiment Genau an diesem Spannungsfeld zwischen interner und externer Validität setzt die Diskussion um Labor- und Feldexperimente ein. Laborexperimente sind <?page no="95"?> Formen der Befragung 96 dadurch gekennzeichnet, dass das Experiment in einem »Labor«, meist im Forschungsinstitut stattfindet. Hier sind die Bedingungen optimal zu kontrollieren und damit auch Störfaktoren so gut es geht auszuschließen, aber die Situation ist für die Versuchspersonen im Vergleich zu ihrem Alltag sehr ungewöhnlich (vgl. Petersen 2002: 59) und manchmal Angst erzeugend (Test- oder Prüfungsangst). Bei Feldexperimenten bleiben die Versuchspersonen während der Durchführung des Experiments und bei der Messung in ihrer gewohnten (»natürlichen«) Umgebung. Dies ist der Fall bei sozialen Interventionen, pädagogischen Schulversuchen oder bei den Kabelpilotprojekten, welche die Einführung des privaten Rundfunks Mitte der 1980er-Jahre begleitet haben. Allerdings sind im Feldexperiment die Kontrollmöglichkeiten des Versuchsleiters stark eingeschränkt, sodass Störfaktoren in der Regel nicht nur nicht vermieden, sondern auch nicht kontrolliert werden können. Laborexperimenten wird demzufolge eine höhere interne, Feldexperimenten dagegen eine höhere externe Validität zugesprochen. Befürworter von Laborexperimenten rechtfertigen die Künstlichkeit im Labor damit, dass die natürlichen Bedingungen abstrahiert werden können. Auf diese Weise lassen sich einzelne Variablen isoliert voneinander analysieren und eine »reine« Kausalbeziehung herstellen. Die Verallgemeinerung der Ergebnisse ist deshalb möglich, weil im Laborexperiment ein grundlegender Verhaltenstypus oder grundlegende Kognitionen deutlich werden (vgl. Sarris 1999: 229ff.). Dagegen lässt sich nur im Feldexperiment nachweisen, ob ein bestimmter Einflussfaktor, der im Labor wirkt, auch unter alltäglichen sozialen Bedingungen noch Geltung hat oder von den Kontexten überlagert und unsichtbar wird (vgl. Petersen 2002: 65f.). Man kann das Laborexperiment in den Sozialwissenschaften mit naturwissenschaftlichen Experimenten zum freien Fall im luftleeren Raum vergleichen. Hier lässt sich die Fallgeschwindigkeit messen, ohne auf die natürlichen Gegebenheiten des Luftwiderstandes Rücksicht nehmen zu müssen. Dennoch muss darauf geachtet werden, dass die Kontrolle der Randbedingungen und Ausschaltung der Störfaktoren nicht dazu führt, dass die Experimentalsituation völlig von der alltäglichen Erfahrung der Versuchspersonen abweicht, denn insbesondere kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen betreffen meist nicht grundlegende kognitive Operationen, die unabhängig von sozialen Gegebenheiten zu erheben sind. Brosius (1995: 155ff.) hat deshalb einige Vorschläge gemacht, wie die Künstlichkeit der Laborsituation zumindest reduziert werden kann: • Die Raumgestaltung sollte möglichst alltäglich sein, um eine natürliche Rezeptionssituation zu simulieren und den Eindruck eines Labors zu vermeiden. Dazu gehören eine lockere Möbelanordnung, die Einrichtung von Bücherregalen und Bildern. <?page no="96"?> Das Experiment 97 • Die Instruktionen des Versuchsleiters sollten nicht lernbezogen sein, damit nicht der Eindruck entsteht, dass die Versuchspersonen geprüft werden. Dies gilt selbst, wenn Gedächtnis oder Wissen geprüft werden sollen. • Das Stimulusmaterial sollte authentisch und realistisch sein. Filme, Werbung oder Nachrichtensendungen sollten vollständig und im Kontext, nicht nur ausschnittweise gezeigt werden. Weiterhin sollten sie aus originalem Material bestehen, das zu Untersuchungszwecken geschnitten und neu zusammengesetzt werden darf, aber nicht künstlich produziert werden sollte. • Da alltägliche Rezeptionsprozesse nicht abstrakt, sondern in einem inhaltlich spezifischen Kontext ablaufen, empfiehlt sich die systematische Variation der untersuchten Themen der Medieninhalte, um themenabhängige Effekte zu messen. Aus diesem Grund sollten alle abhängigen Variablen auch getrennt für jede Meldung oder für jeden Werbespot oder Filmausschnitt erhoben werden, um zu vermeiden, dass der Stimulus zu komplex wird und die Versuchspersonen sich selektiv nur auf bestimmte Stimulusteile beziehen, aber damit stellvertretend den gesamten Stimulus beurteilen. • Mit einer differenzierten Erhebungstechnik sollten parallel mehrere Messinstrumente eingesetzt werden. So empfiehlt sich bei der Messung von Behaltens- oder Verstehensleistungen, dass die Erinnerung sowohl offen (freie Wiedergabe) als auch mit Hilfe von (falschen und richtigen) Vorgaben zur Auswahl (gestützte Wiedergabe) erfasst werden. Außerdem sollten als abhängige Variablen neben den kognitiven Leistungen auch Eindrücke, Bewertungen und Beurteilungen abgefragt werden, weil diese ebenfalls zum alltäglichen Rezeptionsprozess gehören. Diese Vorschläge zur Erhöhung der externen Validität von Laborexperimenten versuchen, die Vorteile von Laborexperimenten und Feldexperimenten miteinander zu kombinieren. Nicht immer besteht jedoch die Alternative zwischen Labor- und Feldexperiment, denn die Entscheidung für die eine oder andere Experimentform ist eine Frage der Gelegenheit. Da Forscher auf sich bietende Gelegenheiten reagieren müssen, ist das Feldexperiment oft nur ein Ex-post-facto- Design oder ein quasi-experimentelles Design, das heißt, die Zuordnung zu den Versuchsgruppen kann erst im Nachhinein erfolgen, und mögliche Störfaktoren können nicht oder nur unzureichend kontrolliert werden (vgl. Sarris 1992b: 146ff.). Aus dieser Abhängigkeit von sich bietenden Gelegenheiten lässt sich aber auch ein Vorteil ableiten. Da das Feldexperiment externe Faktoren nicht streng kontrollieren kann, sondern deren Einfluss in Kauf nehmen muss, können langfristige Effekte in ihrem realen Kontext gemessen werden. Dies ist schon deshalb <?page no="97"?> Formen der Befragung 98 einfacher, weil die Versuchspersonen in ihrer alltäglichen Umgebung bleiben und leichter nach einer längeren Zeit ein weiteres Mal befragt werden können, als wenn man sie erneut ins Labor holen müsste. Zudem können die Bedingungen in einem Laborexperiment nicht über einen längeren Zeitraum kontrolliert werden, sodass sich dieses besser eignet für die Messung isolierter kurzfristiger Effekte von einfachen Stimuli. Als Fazit der Debatte um Labor- und Feldexperimente kann man festhalten, dass bei Laborexperimenten die Versuchsanordnung möglichst natürlich gestaltet werden muss, während bei Feldexperimenten mögliche Störfaktoren, wenn sie schon nicht ausgeschaltet oder verhindert werden können, so doch zumindest in der Erhebung mit erfasst werden müssen. 3.6.5 Versuchsplanung und Versuchsdurchführung Für die Durchführung eines Experiments (vgl. Hager / Spieß / Heise 2 2001) müssen die unabhängige(n) und die abhängige(n) Variable(n) definiert bzw. vorher festgelegt werden. Von hier ist der Schritt zur Hypothesenbildung nicht mehr weit, denn eine Hypothese ist nichts anderes als eine Zusammenhangsvermutung von (mindestens) zwei Variablen. Wenn die unabhängige Variable wie im obigen Beispiel die Rezeption gewalttätiger Filminhalte sein soll und die abhängige Variable die Legitimation von Gewalt in alltäglichen Konfliktsituationen, so könnte man die Hypothese aufstellen, dass Personen, die gewalttätige Filme anschauen, dazu neigen, Gewalt als legitimes Mittel der Konfliktaustragung im Alltag anzusehen. Im nächsten Schritt muss die Zahl der Stufen des Experimentalfaktors, also der unabhängigen Variablen festgelegt werden. Am einfachsten ist ein zweistufiger Faktor mit der Vorführung eines gewalttätigen und eines gewaltfreien Films. Dafür werden zwei Versuchsgruppen benötigt. Alternativ könnte man den Stimulus in drei Stufen unterteilen und drei Versuchsgruppen einen sehr gewalttätigen, einen mäßig gewalttätigen und einen gewaltfreien Film zeigen. Die abhängige Variable, die Legitimation von Gewalt in alltäglichen Konfliktsituationen, lässt sich durch einen Test zur Gewaltbereitschaft operationalisieren. So könnte man den Versuchspersonen verschiedene Konfliktsituationen schildern, und sie sollen jeweils angeben, ob sie eine bestimmte Gewaltform (von verbaler Beschimpfung, Androhung von Gewalt bis zur Handgreiflichkeit oder gar stärkeren Formen der Gewaltausübung) für gerechtfertigt halten. Unter der Voraussetzung, dass die Versuchspersonen mit einem Zufallsverfahren den beiden Versuchsgruppen zugeordnet wurden, dass sie vor der Filmvorführung in einem ähnlichen, möglichst durchschnittlichen emotionalen Zustand waren, was man in einer Vorher-Messung kontrollieren könnte, wäre die Hypothese dann bestätigt, wenn die Versuchsgruppe, die den gewalthaltigen Film gesehen hat, <?page no="98"?> Das Experiment 99 durchschnittlich häufiger bzw. in mehr Situationen bereit wäre, Gewalt für ein legitimes Mittel der Konfliktaustragung zu halten, als die Versuchsgruppe, die einen gewaltfreien oder weniger gewalthaltigen Film gesehen hat. Diese Hypothese ist an einem einfachen Stimulus-Response-Modell orientiert und könnte durch weitere unabhängige Variablen ergänzt werden. So ist anzunehmen, dass zum einen die soziale Herkunft und zum anderen die Verarbeitung des Stimulus unterschiedliche Auswirkungen auf die Gewaltbereitschaft haben. Demnach müsste man bei der Zusammenstellung der Versuchsgruppen darauf achten, dass die Versuchspersonen aus verschiedenen sozialen Milieus stammen. Außerdem wäre die subjektive Interpretation der gezeigten Filme als gewalttätig zu erfassen. Dieser »Treatment Check« würde sicherstellen, ob der gewalttätige Film überhaupt als solcher wahrgenommen und ernst genommen wurde, sodass eine stimulierende Wirkung überhaupt eintreten kann. Schließlich besteht die Möglichkeit, das Stimulusmaterial selbst zu differenzieren. So kann es ausschlaggebend sein, ob die Gewalt realistisch (in einer zumindest als real vorstellbaren Situation), motiviert (mit der Verfolgung eines nachvollziehbaren Ziels), gerechtfertigt (als Mittel der Verteidigung) erfolgt oder nicht. Daraus können zusätzliche Experimentalfaktoren gebildet werden, sodass weiteren Versuchsgruppen unterschiedliche Gewaltfilmversionen präsentiert werden. Eine besondere Herausforderung ist demzufolge die Rekrutierung von Versuchspersonen, denn die Teilnahme an einem Experiment ist zum einen freiwillig und wird zum anderen von vielen Ängsten oder Befürchtungen begleitet. Der häufige Rückgriff auf Gelegenheitsstichproben - verfügbar sind in der akademischen Forschung vor allem Studierende - schränkt die Reichweite der Aussagen deutlich ein. Um Personen aus anderen sozialen Schichten zu rekrutieren, werden oft Anreize geboten, meist eine kleine Geldsumme. Wenn die Versuchsanordnung keine komplizierte Installation von Technik erfordert, ist es sinnvoll, das Experiment nicht im Labor stattfinden zu lassen. So kann etwa ein Film auch in einem beliebigen Volkshochschulkurs vorgeführt werden, vorausgesetzt, man bekommt die Genehmigung, und die Kursteilnehmer sind mit ihrer Rolle als Versuchspersonen einverstanden. Aus forschungsökonomischen Gründen empfiehlt sich der Rückgriff auf Gruppensituationen zwar, allerdings kann eine intensive Gruppenkommunikation die Versuchsanordnung massiv stören. Auf jeden Fall sollte versucht werden, das Experiment bei soziodemografisch unterschiedlichen Gruppen durchzuführen, auch wenn eine bevölkerungsrepräsentative Stichprobe bei Experimenten praktisch nicht erreicht werden können. Bei Feldexperimenten dürfte die Rekrutierung von Versuchspersonen einfacher sein, da diese für den Versuch ihr alltägliches Umfeld nicht verlassen müssen. Demnach sind bei Feldexperimenten in der Regel größere Stichproben möglich als bei Laborexperimenten. <?page no="99"?> Formen der Befragung 100 Nach der Rekrutierung der Versuchspersonen erfolgt ihre Zuteilung auf die Versuchsgruppen. Dabei sollte auf jeden Fall die Selbstselektion der Versuchspersonen vermieden werden. Mit Hilfe eines Zufallsverfahrens können die Teilnehmer jeweils einer Gruppe zugewiesen werden. In Feldexperimenten ist dies oft nicht möglich. Hier kann man aber zumindest die soziodemografischen oder sonstige untersuchungsrelevante Merkmale erheben und die Versuchsgruppen nach diesen Merkmalen parallelisieren oder deren Verteilung nach der Durchführung in der Analyse statistisch kontrollieren. Im Laborexperiment wird nach der Gruppenzuteilung den Versuchspersonen einzeln oder in der Gruppe der Zweck des Experiments erklärt und welche Aufgaben sie bewältigen sollen. Bei der experimentellen Befragung müssen sie nach der Stimuluspräsentation einen Fragebogen ausfüllen. Bei Vorher-Nachher-Messungen füllen die Versuchspersonen zweimal einen Fragebogen aus. Diese sollten nicht identisch sein, damit kein Testeffekt eintritt. Sollen bestimmte Variablen mehrfach erhoben werden, müssen die diesbezüglichen Fragen in unterschiedliche Fragebogenkontexte eingebettet werden, damit die Wiederholung möglichst nicht auffällt. Wie viel Zeit zwischen dem Stimulus oder Treatment und den Messungen verstreicht, hängt von der Forschungsfrage ab. Geht es etwa um langfristige Erinnerungseffekte, kann die Befragung auch Tage später erfolgen oder wiederholt werden. Eine besondere Aufgabe bei der Durchführung des Experiments kommt dem Versuchsleiter zu, der eine noch mehr informierende und kontrollierende Rolle einnimmt als der Interviewer. Er muss insbesondere zwei Probleme bewältigen (vgl. Huber 1987: 109ff.): • Zum einen muss der Versuchsleiter der Angst der Versuchspersonen begegnen, die dadurch entsteht, dass sie zwar wissentlich an einem Experiment teilnehmen, aber keine genauen Erwartungen haben, was auf sie zukommt (Testangst). Deshalb muss er die Erwartungen an die Rolle der Versuchsteilnehmer klar kommunizieren. Seine Instruktionen dienen den Probanden in sachlicher Hinsicht als Information über ihre Aufgabe, in sozialer Hinsicht als Information über die Rolle, die sie ausfüllen sollen, und in zeitlicher Hinsicht als Information über die Strukturierung und den Ablauf des Experiments. Ob die Instruktionen verstanden und eingehalten werden, muss kontrolliert werden, indem eine Art Probedurchlauf durch das Experiment durchgeführt wird. Deshalb beginnt ein Experiment oft mit einer Aufwärmphase. • Zum anderen dürfen die Versuchspersonen nicht wissen, welchen Zweck genau die Untersuchung hat, damit sie sich nicht an den unterstellten Erwartungen des Versuchsleiters orientieren und sich nicht absichtlich hypothesenkonform als »gute« Versuchsperson oder gegen die Hypothese als »widerspensti- <?page no="100"?> Das Experiment 101 ge« Versuchsperson verhalten (vgl. Bungard 1984: 124ff.). Das Hauptproblem der Täuschung über den Versuchszweck besteht - abgesehen von der ethischen Bedenklichkeit - in der Gefahr, aufgedeckt zu werden. In diesem Fall ist das Experiment zumindest für die betreffende Versuchsperson oder Versuchsgruppe gescheitert. Nach dem Experiment sollten die Versuchsteilnehmer allerdings über den eigentlichen Zweck aufgeklärt werden (»debriefing«) (vgl. Brosius / Koschel 2001: 214), damit zumindest im Nachhinein die ungleiche Rollenverteilung zwischen Versuchsleiter und Versuchsteilnehmer ein wenig aufgehoben wird. Eine schwierige Aufgabe ist auch die Gestaltung der Versuchssituation selbst: Sie soll einerseits so natürlich wie möglich von den Versuchsteilnehmern erfahren werden, darf aber andererseits keine störenden Einflüsse zulassen, sodass die Randbedingungen, unter denen das Experiment stattfindet, kontrolliert werden müssen (vgl. Sarris 1992b: 244ff.). Dazu gehört beim Laborexperiment, dass die Räumlichkeit keinen Einfluss auf das Verhalten der Versuchspersonen hat und für alle gleich ist (sofern es nicht Zweck des Experiments ist, genau diese Bedingungen zu variieren, um ihre Wirkung zu untersuchen). Wenn in einem kommunikationswissenschaftlichen Experiment die Wirkung von Medieninhalten getestet werden soll, sollte der Versuchsraum einem Wohnraum ähneln, um die alltägliche Rezeptionssituation nachzuempfinden. Auch physiologische Bedingungen können das Experiment stören, denn müde oder hungrige Versuchspersonen reagieren auf den experimentellen Stimulus möglicherweise anders als hellwache oder satte Versuchspersonen (vgl. Brosius / Koschel 2001: 242). Störend sind neben externen Einflüssen auch die Kommunikation der Versuchsteilnehmer untereinander oder das Verhalten und die sichtbaren Merkmale des Versuchsleiters, sofern sie nicht ihrerseits Ziel des Experiments ist. Allerdings ist selbst bei einem gut vorbereiteten Versuch keine ideale, störfreie Situation herzustellen, weil die Versuchsanordnung und das Verhalten des Versuchsleiters immer auf die Versuchsteilnehmer ausstrahlen bzw. von ihnen interpretiert werden, um die eigene Rolle im Experiment zu strukturieren oder womöglich erst auszubilden. Man spricht bei diesem Problem von der Reaktivität des Experiments ( → Kapitel 7). Zwar kann der spezielle Einfluss eines Versuchsleiters und seines Verhaltens dadurch relativiert werden, dass mehrere Versuchsleiter eingesetzt werden oder die Versuchsleiter selbst über den Zweck des Experiments getäuscht werden (»Doppelblindversuch«), aber diese Maßnahmen führen nur dazu, dass diese unerwünschten Effekte gestreut werden; ihre Ausschaltung ist jedoch unmöglich. Unerlässlich ist allerdings eine genaue Protokollierung der Versuchsdurchführung, um die eingetretenen Störeffekte abschätzen und beschreiben zu können (vgl. Sarris 1992b: 251ff.). <?page no="101"?> Formen der Befragung 102 3.7 Die Mehrthemen- und Mehrfachbefragung Während sich die vorigen Abschnitte mit unterschiedlichen Standardisierungsgraden der Befragung befassten, geht es in diesem Abschnitt um zwei andere Formmerkmale: die Themenstruktur des Fragebogens und die Anzahl der Befragungen zu demselben Thema. Die meisten Befragungen sind monothematisch mit Fragebögen zu einem Thema. Allerdings sind unter bestimmten Umständen auch Mehrthemenbefragungen sinnvoll. Weiterhin werden die meisten Befragungen einmalig durchgeführt. Sie erfassen damit einen zeitlichen Querschnitt und beziehen sich − mit Ausnahme der biografischen Befragung ( → Kapitel 4.1) − auf einen einzigen Zeitpunkt. Daneben gibt es aber auch Befragungen, bei denen die Erhebung zu mehreren Zeitpunkten stattfindet, so genannte Längsschnitterhebungen. 3.7.1 Monothematische und mehrthematische Befragung Insbesondere in der angewandten Kommunikations- und Medienforschung werden häufig Fragebögen mit Fragen zu mehreren Themen oder Themenkomplexen benutzt; man spricht dann von einer Omnibusbefragung. Unterschiedliche Auftraggeber kaufen sich jeweils mit einigen Fragen in einen »Bus« ein und bezahlen einen bestimmten Preis pro Frage. Omnibusbefragungen haben folgende Vorteile (vgl. Stumpf 1992: 10f.): • Die Auftraggeber bekommen neben den Ergebnissen zu den von ihnen bezahlten Fragen auch die nach den soziodemografischen Merkmalen aufgeteilten Prozentwerte. • Aufgrund der Ersparnis ist es möglich, Längsschnittuntersuchungen durchzuführen, die immer noch preisgünstiger sind als monothematische Querschnitterhebungen, die ein Auftraggeber allein finanzieren muss. • Das Einklinken in einen Omnibus ermöglicht die zeitlich präzise Erhebung, die bei bestimmten aktuellen Fragestellungen erforderlich ist (etwa die Stimmung vor einer Wahl). • Durch die Themenwechsel während der Befragung treten geringere Lerneffekte bei den Interviewern und bei den Befragten auf. Eine Mehrthemenbefragung ist abwechslungsreicher als eine monothematische Befragung, bei der Gewöhnungseffekte (Langeweile) auftreten können. Außerdem erkennt der Befragte bei der monothematischen Befragung womöglich frühzeitig, worauf die Untersuchung hinauslaufen soll, sodass er unter Umständen strategisch antwortet. <?page no="102"?> Die Mehrthemen- und Mehrfachbefragung 103 Eine besondere Verwendung findet die Omnibusbefragung in »Single-Source- Untersuchungen« im Medienbereich: Die »Allensbacher Werbeträger-Analyse« fragt nach der Nutzung unterschiedlicher Medien und nach zahlreichen Konsumgewohnheiten. Diese Angaben können anschließend in einen Zusammenhang gestellt werden ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.2.2). Eine weitere bekannte sozialwissenschaftliche Mehrthemenbefragung ist die »Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften« (Allbus), die methodisch und organisatorisch vom ZUMA und vom ZA verantwortet wird. Der auf 50 Minuten angelegte Fragebogen beinhaltet die ZUMA-Standarddemografie, ein wechselndes Schwerpunktthema, Replikationsfragen sowie die ISSP-Umfrage (»International Social Survey Program«), die sozioökonomische Strukturen ermittelt ( → Kapitel 1.1; www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.7; vgl. Terwey 1999; Koch 2002: 10f.). Neben den Vorteilen sind allerdings auch gravierende Nachteile in Kauf zu nehmen (vgl. Stumpf 1992: 10f.): • Eine Befragung zu unterschiedlichen Themen kann auf den Befragten inkohärent wirken. Hier müssen gute Übergänge zwischen den Themen gefunden werden, damit der Themenwechsel nicht zu abrupt erfolgt. • Durch die Häufung von Themen wird der Fragebogen in der Regel länger als bei monothematischen Befragungen. Als Folge können Platzierungseffekte eintreten: Zwar ermüdet der Befragte nicht innerhalb eines Themenblocks, dafür möglicherweise aber gegen Ende der Befragung. Auf diese Weise sind die Auftraggeber der letzten Fragen im Nachteil, wenn es nicht gelingt, ans Ende ein besonders interessantes Thema zu platzieren. Der finanzielle Vorteil kann auf diese Weise in einen methodischen Nachteil umschlagen. • Je mehr Themen ein Fragebogen enthält, desto weniger Fragen können zu jedem einzelnen Thema gestellt werden. Die Omnibusbefragung eignet sich folglich eher für kommerzielle als für akademische Fragestellungen. 3.7.2 Panelbefragung und Trendbefragung Bei der (einmaligen) Querschnittsbefragung geht es in der Regel um Korrelationen, also um die Analyse von Zusammenhängen zwischen mehreren Variablen, oder um die Bildung von Typen oder Gruppen von Befragten nach bestimmten Merkmalen. Die Zeitdimension wird nicht durch die Erhebungsart berücksichtigt, weil die Erhebung selbst nur zu einem Zeitpunkt bzw. nur in einem bestimmten Zeitraum stattfindet. Sind Zeitverläufe Gegenstand der Befragung, müssen sie retrospektiv erhoben werden − wie bei der biografischen Befragung ( → Kapitel 4.1). Sollen weiterhin über Korrelationen hinausgehende Kausalitä- <?page no="103"?> Formen der Befragung 104 ten ermittelt werden, ist dies experimentell durch die besondere Kontrolle der Bedingungen und die Unterteilung der Versuchspersonen in eine Experimentalgruppe und eine Kontrollgruppe oder durch die Vorher-Nachher-Messung möglich ( → Kapitel 3.6). Daneben gibt es aber auch nicht-experimentelle Formen der Mehrfacherhebung, die Längsschnittbefragungen. Sie haben gegenüber Experimenten den Vorteil, dass sie auf die Kontrolle der Bedingungen verzichten und wie Querschnittsbefragungen repräsentative Stichproben ziehen können, wenngleich der Nachweis von Kausalität weniger streng ist, weil mögliche Störfaktoren nicht ausgeschaltet und meist auch nicht kontrolliert werden können. Außerdem können mehr als zwei Messzeitpunkte berücksichtigt werden. Man unterscheidet zwei Arten von Längsschnitterhebungen: die Trendbefragung und die Panelbefragung. Mit beiden können Prozessanalysen und Kausalanalysen durchgeführt werden. Trendbefragungen sind wiederholte Befragungen vergleichbarer, aber nicht identischer Personenquerschnitte. Dabei bleibt der Fragebogen zumindest im Kern gleich, nur die Stichproben ändern sich bei jedem Befragungszeitpunkt bzw. bei jeder Befragungswelle. So gesehen handelt es sich um eine Aneinanderreihung mehrerer Querschnittserhebungen. Bei Panelbefragungen werden dagegen jedes Mal dieselben Personen mit demselben oder einem ähnlichen Fragebogen befragt. 39 Beide Befragungsarten messen den Wandel von Einstellungen oder Verhaltensweisen, ohne direkte Fragen danach zu stellen, sondern vergleichen die Ergebnisse zu verschiedenen Messzeitpunkten miteinander (vgl. Hansen 1982: 8f.). Beide Arten der Längsschnittbefragung werden bevorzugt in der Wahlforschung und speziell begleitend zu Wahlkämpfen verwendet, um Stabilität und (meist kurzfristige) Veränderungen in den politischen Einstellungen und von (beabsichtigtem) Wahlverhalten zu messen und Verlaufskurven mit Prozessdaten zu erstellen. Der Begriff »Panel« meint ursprünglich eine Geschworenenliste in der U.S.-amerikanischen Gerichtsbarkeit, die bei mehreren Gerichtsverhandlungen eingesetzt wurde. Analog dazu handelt es sich bei der Befragung um eine Gruppe bzw. Stichprobe von Personen, die mehrfach befragt wird (vgl. Lazarsfeld / Rosenberg / Thielens 10 1976: 253). Das Verfahren wurde zum ersten Mal prominent von Lazarsfeld und seinen Mitarbeitern in der Studie »The People’s Choice« zur Wahlforschung eingesetzt ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 4.2). Trendbefragungen werden vor allem in der Demoskopie häufig durchgeführt, zum Beispiel das Eurobarometer oder die Umfragen zum politischen Interesse 39 Demnach ist eine experimentelle Befragung mit einer Vorher-Nachher-Messung eine Panelbefragung mit zwei Wellen. <?page no="104"?> Die Mehrthemen- und Mehrfachbefragung 105 (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 487f.) sowie die mehrmals jährlich durchgeführten Studien »Media-Analyse« und »Allensbacher Werbeträger- Analyse« ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.2). Bekannte Grundlagenuntersuchungen sind der alle zwei Jahre stattfindende »ALLBUS« ( → www.utbmehr-wissen.de, Kapitel 1.7) oder die etwa alle fünf Jahre stattfindende Studie »Massenkommunikation« ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.4). Die wichtigsten methodischen Entscheidungen betreffen die Anzahl der Untersuchungswellen und deren zeitliche Intervalle. Die Zeitabstände dürfen dabei nicht zu lang sein, weil zwischenzeitliche Einflüsse sonst unüberschaubar werden und sich gegenseitig neutralisieren oder verstärken können, ohne dass dies messbar und kontrollierbar ist. Bei Panelbefragungen variiert die Zahl der Wellen zwischen zwei und sieben (vgl. Lazarsfeld / Rosenberg / Thielens 10 1976: 253f., 263ff.). Panelbefragungen sind dabei sowohl anspruchsvoller in der Durchführung als auch leistungsfähiger bzw. aussagekräftiger als Trendbefragungen: • Im Unterschied zu Trendbefragungen ist mit Panelbefragungen nicht nur der Gesamtumfang der Veränderungen (Nettoveränderung), sondern auch die individuelle Veränderung und deren Richtung (Bruttoveränderung) messbar. • Auf diese Weise können Personen typisiert werden, die stabil in ihren Einstellungen oder Verhaltensweisen bleiben (»Treue« und »Unbeteiligte«) oder sich verändern (»Zuwanderer«, »Abwanderer« einer bestimmten Einstellung oder Verhaltensabsicht). In der Wahlforschung lassen sich etwa Wechselwähler, der weiteste Anhängerkreis und der harte Kern der Anhängerschaft von Parteien ermitteln. Mit Hilfe von Fluktuationsberechnungen können statistisch individuelle Übergangsraten und Übergangswahrscheinlichkeiten bestimmt werden (vgl. Hansen 1982: 13ff., 89). • Auf der Basis von verzögerten Kreuzkorrelationen (oder von komplexeren statistischen Verfahren, vgl. Engel / Reinecke 1994) können Veränderungen von Einstellungen und Verhaltensweisen als abhängige Variablen in Zusammenhang und mit unabhängigen Variablen gestellt werden. So lassen sich in Abhängigkeit von konstanten soziodemografischen Merkmalen und von externen Einflüssen (zum Beispiel Medienberichterstattung oder Anzeigenkampagnen) die gewonnene und verlorene Zustimmung zu einer bestimmten Partei ermitteln (vgl. Hansen 1982: 32, 35f.; Lazarsfeld / Rosenberg / Thielens 10 1976: 254f.). Dieser Leistungsfähigkeit von Panelbefragungen stehen erhebliche Probleme gegenüber: <?page no="105"?> Formen der Befragung 106 • Ähnlich wie bei der Vorher-Nachher-Messung im Experiment treten bei der Mehrfachbefragung derselben Personen Gewöhnungseffekte und Sensibilisierungseffekte bei den Befragten auf. Diese können sogar gegenläufig sein: Zum einen ist es möglich, dass sich die Befragten auf eine bestimmte Meinung versteifen, wenn sie mehrmals dazu befragt werden. Diese Einstellungsstabilität wäre dann weniger ein Abbild ihrer Überzeugung als vielmehr ein Effekt sozialer Erwünschtheit, weil in demokratischen Gesellschaften eine feste Überzeugung höher eingeschätzt wird als wankelmütige Gesinnungsänderungen. Umgekehrt kann durch das wiederholte Interviewen auch eine kritische Haltung gefördert werden, wenn der Befragte über seine Einstellung nachdenkt und sie möglicherweise überdenkt und verändert. Wenn das Wissen eine Rolle spielt, kann es sein, dass sich der Befragte in der Zwischenzeit informiert, weil es ihm peinlich ist, bestimmte Fragen nicht richtig beantworten zu können. 40 Man kann dieses Problem nur umständlich und aufwändig lösen, indem man das Untersuchungsziel ähnlich wie beim Experiment so gut wie möglich verdeckt oder indem man in jeder Welle parallel eine Kontrollgruppe bildet, die nur in dieser Welle befragt wird. Unterscheiden sich Panelgruppe und Kontrollgruppe nicht, sind keine Sensibilisierungseffekte anzunehmen (vgl. Lazarsfeld / Rosenberg / Thielens 10 1976: 261ff.; Noelle-Neumann / Petersen 1996: 282). • Aufgrund der Mehrfachbefragung derselben Personen steigen etliche Befragte im Lauf der Untersuchung aus. Dieser Effekt wird Panel-Mortalität genannt und meint sowohl das Ausscheiden aus dem Panel aufgrund externer Faktoren (Umzug, Krankheit, Tod) als auch aufgrund interner Faktoren (nachlassende Motivation zur Teilnahme). Je höher die Panel-Mortalität ist, desto stärker wird die Stichprobe verzerrt. Insbesondere die am Thema uninteressierten Befragten steigen nach der ersten Welle aus (sofern sie überhaupt bei der ersten Welle teilgenommen haben). Außerdem verkleinert sich die Stichprobe in jeder weiteren Welle. Der Ausfall dürfte in den meisten Fällen jedoch nach der ersten Welle am größten sein. Insgesamt hängt die Ausfallquote auch von der Anzahl und den Zeitabständen der Wellen ab. Die Maßnahmen gegen die Verweigerung der Fortsetzung der Befragung reichen von der Variation des Fragebogens oder dem Wechsel von Interviewern, damit die Befragung nicht langweilig wird, bis zum materiellen Anreiz. Die Ver- 40 Bei einer Variante der Panelbefragung spielen diese Probleme keine Rolle: In der Delphi-Befragung soll gerade durch die Mehrfachbefragung eine Einigung hergestellt werden. Vorausgesetzt wird hier allerdings, dass sich die Befragten rational mit dem Problem auseinander setzen, zu dem sie Stellung nehmen sollen (→ Kapitel 4.4). <?page no="106"?> Methodenkombination und Mehrmethodendesigns 107 kleinerung der Stichprobe lässt sich nur durch ein Wiederauffüllen kompensieren. Ähnlich zum Matching beim Experiment werden soziodemografisch vergleichbare Personen zu den Ausgeschiedenen für die weiteren Wellen rekrutiert. Alternativ dazu kann man die Ausgangsstichprobe so groß ansetzen, dass die Anzahl der Befragten auch in der letzten Welle noch hinreichend groß für die statistische Analyse ist (vgl. Lazarsfeld / Rosenberg / Thielens 10 1976: 257f., 267f.; Hansen 1982: 111, 114f.; Reuband 1998a). Analog zu den Problemen der Panelbefragung haben Trendbefragungen Vorteile: • Da für jede Welle eine neue Stichprobe gezogen wird, können sie als Stichtagsbefragungen stattfinden, das heißt, dass die Erhebung jeweils nur an einem Tag erfolgt. Das ist insofern von Vorteil, als ein ausgedehnter Erhebungszeitraum pro Welle dazu führen kann, dass die Erhebungswellen zeitlich nicht eindeutig voneinander getrennt werden können. Je breiter der Erhebungszeitraum ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass externe Ereignisse die Befragungsergebnisse beeinflussen, sodass Unterschiede zwischen den Wellen überlagert werden und nicht mehr eindeutig identifizierbar sind. Aufgrund des geringeren Aufwandes der Stichprobenziehung gegenüber der Panel-Pflege können außerdem mehr Wellen und die Untersuchung über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden. • Das Problem der Panelmortalität entfällt, sodass die Stichproben in jeder Welle in etwa gleich groß sein können. Auch die Stichprobenqualität ist besser, da die Ausfälle in den Wellen unabhängig voneinander sind und somit die Stichproben nur in geringerem Umfang systematisch verzerren (vgl. Engel / Reinecke 1994: 6). • Der Fragebogen kann identisch bleiben, weil jedes Mal andere Personen befragt werden, während bei der Panelbefragung die für die Fragestellung interessanten Fragen mehr oder weniger in einem ansonsten unterschiedlichen Fragebogen geradezu versteckt werden müssen, damit kein Erinnerungs- oder Sensibilisierungseffekt auftritt. 3.8 Methodenkombination und Mehrmethodendesigns Die verschiedenen Verfahren (Modi) und Formen der Befragung können in anspruchsvolleren Forschungsdesigns auch miteinander oder mit anderen Methoden der empirischen Sozialforschung (Inhaltsanalyse, Beobachtung usw.) kombiniert werden. Man spricht in beiden Fällen von Mehrmethodendesigns. <?page no="107"?> Formen der Befragung 108 Da jede Methode oder jede Variante einer Methode bestimmte Schwächen aufweist, erhofft man sich, mit Methodenkombinationen diese Schwächen wechselseitig zu beheben. Verschiedene Methoden können auch arbeitsteilig eingesetzt werden, sodass sie sich ergänzen. Wenn sie systematisch bei der Analyse miteinander verknüpft werden, um ein ganzheitliches Bild vom Forschungsgegenstand zu bekommen, spricht man von »Triangulation« (vgl. Flick 1991b; Kelle 2007). Die Kombinationsmöglichkeiten sind vielfältig und hängen sehr stark von der jeweiligen Forschungsfrage ab. Eine vollständige Aufzählung ist daher nicht möglich, aber einige typische Kombinationen sollen hier angesprochen werden: • Kombination qualitativ-offener und quantitativ-standardisierter Befragungsformen (vgl. Seipel / Rieker 2003: 224ff.): Qualitative Interviews können explorativ als Vorstudie dienen, aus der eine standardisierte Befragung entwickelt wird. Umgekehrt kann auch eine standardisierte Befragung Fragen offen lassen, die in einem qualitativen Interview vertiefend behandelt werden können (etwa nach Gründen für bestimmte Einstellungen oder Handlungen). • Kombination persönlicher, telefonischer und schriftlicher Befragungsverfahren: Dies ist sinnvoll, wenn Unterschiede zwischen den Verfahren getestet werden sollen. Bei der Umstellung von persönlichen auf telefonische Interviews hat die groß angelegte Media-Analyse eine Zeit lang beide Verfahren parallel eingesetzt, um herauszufinden, ob bestimmte Entwicklungen auf unterschiedliche Nutzungshäufigkeiten oder auf den Verfahrenswechsel selbst zurückzuführen sind (vgl. Klingler / Müller 2000: 414ff., → www.utb-mehrwissen.de, Kapitel 1.2.1). • Kombination von Befragung und Inhaltsanalyse: In der Kommunikationswissenschaft ist es besonders sinnvoll, sowohl die Medieninhalte zu untersuchen als auch ihre Rezeption. Eine Kombination beider Methoden ermöglicht es, auf individueller Personenebene oder auf überindividueller aggregierter Ebene beides miteinander zu verknüpfen (vgl. Maurer 2003; Wolling 2002). • Kombination von Befragung und Beobachtung: Da die Beobachtung zwar die Erhebung offenen Verhaltens ermöglicht, nicht aber deren subjektive Sinngebung, wird sie oft durch eine Befragung ergänzt. Umgekehrt kann mit der Befragung nur die berichtete Verhaltensweise ermittelt werden, sodass eine zusätzliche Beobachtung der tatsächlichen Verhaltensweisen sinnvoll ist (vgl. Gehrau 2002: 87). Methodenkombinationen erfordern sehr gute Methodenkenntnisse und sorgfältige Interpretationen der Ergebnisse, da sich die bei der Erhebung kombinierten Methoden nicht von selbst in der Analyse zusammenfügen und immer wieder von der Fragestellung her begründet werden müssen. <?page no="108"?> 109 4 Varianten der Befragung Neben den grundlegenden Verfahren und Formen der Befragung kennt diese Methode zahlreiche Varianten, die für bestimmte Fragestellungen entwickelt wurden oder bestimmte Merkmale der Befragung herausstellen. Die folgende Darstellung dieser Varianten kann nicht vollständig sein, soll aber schon einen umfassenden Überblick geben und insbesondere auch weniger bekannte Varianten berücksichtigen. Insbesondere der Zeitaspekt wird in mehreren Varianten berücksichtigt: Die biografische Befragung beschäftigt sich mit allgemeinen und typischen Lebensverläufen und mit individuellen vergangenen Ereignissen, Erlebnissen und deren Interpretationen ( → Kapitel 4.1). Einen engeren zeitlichen Horizont behandelt die Tagesablaufbefragung, welche mit einem Tagebuch die wichtigsten Ereignisse und Aktivitäten eines Tages erfasst. Während der Befragte das Tagebuch zu einem selbst gewählten Zeitpunkt ausfüllt, bestimmt bei der Experience Sampling Method der Forscher den Zeitpunkt der Beantwortung der Fragen zu aktuellen Handlungen ( → Kapitel 4.2). Der sozial-kommunikative Aspekt spielt eine große Rolle in Varianten, welche die Kommunikation mit dem Befragten nicht nur als Mittel der Informationsgewinnung betrachten, sondern auch als Ziel der methodischen Bemühungen. In der Gruppendiskussion kommen die Befragten direkt miteinander ins Gespräch ( → Kapitel 4.3), in der Delphi-Methode indirekt, indem sie mit den Ergebnissen der anderen Befragungsteilnehmer konfrontiert werden ( → Kapitel 4.4). Bei der Struktur-Lege-Technik werden die Bedeutungszuweisung und die Wissensstruktur zwischen dem Forscher oder Interviewer und dem Befragten bis zum Konsens ausgehandelt ( → Kapitel 4.5). In sachlicher Hinsicht versuchen einige Verfahren, die grundsätzliche Kluft zwischen Kommunikation und Kognition dadurch zu überbrücken, dass sie sehr detailliert und direkt nach den Gedanken des Befragten fragen. Der Copytest reproduziert die selektiven Aspekte bei der Rezeption; beim lauten Denken sollen die Denkinhalte und Denkprozesse direkt vom Befragten wiedergegeben werden; bei der kontinuierlichen Messung werden subjektive Urteile permanent und punktuell registriert. Der Versuch, Kognitionen möglichst direkt und kommunikativ ungefiltert zu erheben, wird demnach häufig damit realisiert, dass der Erhebungsprozess temporalisiert und interpunktiert wird ( → Kapitel 4.6). <?page no="109"?> Varianten der Befragung 110 4.1 Die biografische Befragung Die Erhebung biografischer Merkmale ist eine Variante der Befragung, die den Zeitaspekt in den Vordergrund stellt, weil die Befragten nicht nur Auskunft geben über ihre momentane Situation, sondern sich retrospektiv an vergangene Ereignisse und Wahrnehmungen erinnern sollen. In der Psychologie wurden wissenschaftliche Biografien bereits im 18. Jahrhundert erstellt, ihren Durchbruch erlebte die Methode aber erst Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt standen Kinderbiografien in der Entwicklungspsychologie und später die Lebensläufe von pathologischen Persönlichkeiten (vgl. Thomae 1987: 7f.). In der Soziologie wurde die biografische Forschung durch die Arbeit von Thomas und Znaniecki über die Lebensgeschichte polnischer Bauern zur Zeit des ersten Weltkriegs angestoßen (vgl. Paul 1987: 27). Die biografische Befragung abstrahiert die Aussagen der Befragten nicht von ihrem biografischen Kontext, sondern rekonstruiert diesen. Je nach Untersuchungsinteresse wird die Befragung offen oder standardisiert durchgeführt, zielt sie auf subjektive Einschätzungen oder auf objektive Fakten, geht es um den Befragten als Einzelfall oder um die Verallgemeinerung seiner Lebensumstände (vgl. Fuchs 1984: 154f., 159; Kluge / Kelle 2001; Giele / Elder 1998). Die offene Form biografischer Befragungen basiert auf Leitfadeninterviews oder auf narrativen Interviews, mit deren Hilfe die individuelle Biografie und ihre Brüche ermittelt und gedeutet werden sollen. Das Problem der Retrospektive besteht dabei in der Frage, ob sich das biografische Interview auf vergangene Lebensumstände oder auf deren aktuelle Deutungsmuster bezieht. Sollen vergangene Daten ermittelt werden, wird der Befragte als Experte in eigener Sache angesprochen. Er hat dann die Möglichkeit, sich von der aktuellen Situation, in der er sich befindet, zu distanzieren. Dazu ist ein Leitfaden gestütztes Interview besser geeignet, weil das narrative Interview den inneren »Zwang« zur »Gestaltschließung« der (eigenen) Geschichte hat und damit die Vergangenheit eher aus dem Licht der heutigen Erfahrung rekonstruiert. Geht es dagegen in erster Linie um die Deutung des Lebenslaufs, wird eher das narrative Interview verwendet, weil die Befragten detaillierter antworten und die Plausibilität ihrer Erzählung erhöhen, indem sie Beispiele anführen, diese zu Gesamtdeutungen verdichten und somit ihre Identität abrunden (vgl. Fuchs 1984: 145, 167ff., 179ff.). Zudem kann es sinnvoll sein, direkt nach einzelnen Ereignissen zu fragen, um eine Vergleichbarkeit in thematischer Hinsicht zu erzeugen. Dies können individuelle Erlebnisse sein (etwa wie man den/ die Partner/ in kennen gelernt hat), <?page no="110"?> Die biografische Befragung 111 wenn die individuelle Biografie im Zentrum der Fragestellung steht, oder historische Ereignisse (etwa wie man den Tag der Kapitulation oder der Wiedervereinigung erlebt hat) im Kontext der Oral History (vgl. Brüggemeier 1987: 150). In der Oral History steht dabei nicht die individuelle Biografie des Befragten im Mittelpunkt, sondern mit Hilfe des subjektiven Erlebens von Geschichte seitens der Befragten soll Sozialgeschichte rekonstruiert werden (vgl. Brüggemeier 1987: 145). In der Kommunikationswissenschaft wurden zum Beispiel die Biografien von Exiljournalisten rekonstruiert (vgl. Hirzinger 1991: 33). Obwohl es im narrativen Interview um die subjektive Deutung von Ereignissen und Zeiterleben geht, schlägt sich auch hier das Problem der retrospektiven Zeitrekonstruktion nieder − als »Verzerrung« im Narrationsstil − , denn das Erleben der Dauer von Handlungen hängt davon ab, wie reichhaltig die erlebten Ereignisse im Bewusstsein verankert sind (vgl. Voges 1987: 137). Es bleibt folglich unklar und damit methodisch unkontrolliert, ob die Narrationsdichte auf eine momentane Stimmung bzw. auf die aktuelle Situation des Befragten zurückgeht oder auf tatsächlich intensiver erlebte Ereignisse in der Vergangenheit. In der Auswertung offener biografischer Interviews wird deshalb danach unterschieden, ob der Befragte eine Leitidee oder Grundrichtung für seinen Lebensverlauf rekonstruiert oder diesen als Veränderung oder Fragmentierung erlebt. Eine Ebene konkreter können Kernabschnitte des Lebenslaufs identifiziert werden, ebenfalls unter der Fragestellung, ob bestimmte Abschnitte dominieren und ob sich die Dominanzverhältnisse verändern. Wird die thematische Struktur konkreter rekonstruiert, kann die weitere Analyse unterscheiden zwischen Gegenwarts-, Vergangenheits- und Zukunftserleben und dem Verhältnis dieser Zeitdimensionen zueinander. Diese Analysekategorien sind oft nur indirekt erschließbar, wenn der Befragte sie nicht explizit selbst als solche interpretiert. Dann muss auf die spezifischen offenen Relevanzen des Befragten zurückgegriffen werden, also ob er von selbst immer wieder auf bestimmte Themen oder Strategien der Lebensbewältigung zu sprechen kommt (vgl. Kruse 1987: 129ff.). Eine andere Auswertungsstrategie unterscheidet zwischen erlebter und erzählter Lebensgeschichte. Dabei werden in zwei Schritten die zeitliche Abfolge der biografischen Ereignisse und Daten sowie ihrer Bedeutungszuweisungen und dann die Art der Selbstpräsentation im erzählerischen Aufbau rekonstruiert. Im dritten Schritt wird die Wechselbeziehung zwischen erlebter und erzählter Lebensgeschichte am Einzelfall beschrieben und überprüft (vgl. Rosenthal / Fischer-Rosenthal 2000: 463ff.). Schließlich kann ein Ziel der Auswertung die Bildung von Typen sein: Dazu wird zunächst für jeden Befragten eine Kurzbiografie erstellt, dann erfolgt eine fallinterne Feinanalyse, die den Interviewtext sequenziert, paraphrasiert und mit Kontextinformationen aus dem Interview <?page no="111"?> Varianten der Befragung 112 anreichert. Abschließend findet eine fallübergreifende Feinanalyse statt, welche die Bildung von Typen von Personen und (Alltags-) Situationen zum Ziel hat und diese lebensweltlichen Milieus zuordnet (vgl. Haupert 1991: 228-250). Die standardisierte Retrospektivbefragung erhebt in erster Linie individuelle Lebensverlaufsdaten, oft Bildungs- und Erwerbsverläufe. Dabei spielen sowohl weitgehend konstante Personenmerkmale als auch Episodendaten (Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse) eine Rolle. Die Angaben der Befragten sind in erster Linie Informationen über soziale und individuelle Fakten, weniger über subjektive Wahrnehmungen. Sie dienen als Datenquelle für allgemeine soziale Verhältnisse und Prozesse (vgl. Fuchs 1984: 142; Hillmert 2002: 121, 123). Im Unterschied zur herkömmlichen (standardisierten) Querschnittsbefragung werden nicht repräsentative Bevölkerungsquerschnitte, sondern eine repräsentative Stichprobe aus spezifischen Geburtsjahrgängen (»Kohorten«) gezogen (vgl. Brückner 1990: 387). Der Vorteil der biografischen Befragung gegenüber der Querschnittsbefragung, bei der nur die aktuelle Situation des Befragten erhoben wird, ist die Berücksichtigung des Prozesses der Lebensbedingungen. So wird nicht nur nach dem jetzigen Beruf gefragt, sondern nach den beruflichen Stationen. Damit sind zum einen die Lebensumstände reliabler und valider erfassbar, weil die momentane Situation des Befragten untypisch für seinen Lebenslauf sein könnte, und zum anderen Kausalitäten wie die Motive für die Berufswahl oder für bestimmte Entscheidungen im Lebenslauf direkt nachweisbar. Darüber hinaus können die Beziehungen zwischen Individuum und Institutionen (Erwerbssystem, Familie) durch die Verweildauer ermittelt werden (vgl. Mayer 1987: 64f.). Dafür stehen komplexe statistische Verfahren der Ereignis- und der Mehrebenen-Analyse zur Verfügung (vgl. Mayer 1990: 12f., 20). Allerdings sind retrospektive Daten auch in der standardisierten Befragung fehleranfällig, ihre Gültigkeit hängt vom Erinnerungsvermögen und vom Erinnerungswillen der Befragten ab. Die Zeitperspektive des Befragten ist methodisch schwer kontrollierbar, weil der rekonstruierte Zeithorizont vom zeitlichen Maßstab abhängt. Vergleichbar sind Biografien streng genommen nur, wenn dieselbe Zeitstruktur zugrunde liegt. Dies ist praktisch aber nie der Fall, denn ein 20- Jähriger rekonstruiert seine Biografie anders als ein 60-Jähriger. 41 Deshalb sollte bei der standardisierten Befragung nicht das Zeitempfinden des Befragten erhoben werden, sondern objektivierbare Zeitangaben (vgl. Voges 1987: 136f.). 41 Um die Probleme mit der retrospektiven Befragung zu lösen, ist es prinzipiell auch möglich, statt einer biografischen Befragung eine Panelstudie durchzuführen. Allerdings entstehen damit enorme Folgeprobleme, weil die Studie sehr langfristig (eventuell über Jahrzehnte) angelegt werden müsste (vgl. Mayer 1987: 66). <?page no="112"?> Die biografische Befragung 113 Zudem sieht das Fragenkonzept eine in sich geschlossene, systematische Rekonstruktion vor und nicht deren subjektive Einbettung. Das gilt auch für Schlüsselerlebnisse, von denen hauptsächlich Daten in Form von Jahres- und Monatszahlen von Interesse sind. Auf diese Weise entsteht ein Koordinatensystem mit der Definition des Ereignisses und dessen Zeitverankerung, sodass auch parallel ablaufende oder zeitlich sich überlappende Ereignisse in die mehrdimensionale Zeitachse eingetragen werden können. Als Erleichterung für die Befragten wird die Rekonstruktion in thematisch fokussierte Vorstellungen von zusammenhängenden Ereignisabfolgen eingebettet. Diese Sequenzierung des Fragebogens hat zur Folge, dass die Befragten ihren Lebenslauf mehrfach rekonstruieren müssen. Von den Interviewern wird eine flexible Handhabung der Anschlussfragen verlangt und damit eine für standardisierte Interviews besondere Vertrautheit mit den Gesprächstechniken und ein besonderes Einfühlungsvermögen, sodass die Umstellung auf computerunterstützte Befragungsverfahren sinnvoll ist, obgleich sie eine immense Vorarbeit in Bezug auf die Programmierung der Filterführung erfordert (vgl. Brückner 1990: 380ff.). Bei der standardisierten Erhebung kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Die entstehenden Daten sind komplex und passen nicht immer in die im Fragebogen vorgegebenen standardisierten Antwortkategorien. Sie müssen aus diesem Grund und wegen der Validitätsproblematik, die durch die retrospektive Rekonstruktion der Zeitstruktur entsteht, einzelfallbezogen korrigiert bzw. »editiert« werden; dies darf allerdings nicht zu einer fehlerhaften Korrektur führen, indem unplausibel erscheinende Zusammenhänge auf individueller Ebene durch einfache Plausibilitätserwägungen »geglättet« werden. Auf der anderen Seite sind die Angaben der Befragten für den außen stehenden Forscher oft nicht plausibel, sodass der Verzicht auf eine Edition ebenfalls zu fehlerhaften Daten führen würde (vgl. Hillmert 2002: 122f.). Die Interviewer werden deshalb zunächst trainiert, um die Angaben der Befragten beurteilen zu können und problematische Stellen im Interview zu entdecken. Darüber hinaus wird ein Editionshandbuch mit Editionsregeln entwickelt, das während der Editionsarbeiten überarbeitet und erweitert werden kann. Wenn die Befragten einverstanden sind, wird das Interview mitgeschnitten. Außerdem führen die Interviewer ein Protokoll. Dadurch entstehen weitere (Kontext-) Informationen, die zweifelhafte Eintragungen in den Fragebogen bereits oft aufklären können. Bei zusätzlichem Klärungsbedarf wird telefonisch nachrecherchiert, das heißt, die Befragten werden gebeten, bestimmte Unstimmigkeiten zu klären, sofern die Kontextinformationen aus dem Erstinterview dazu nicht ausreichen (vgl. Hillmert 2002: 125f.). Unabhängig von der offenen oder standardisierten Erhebungsform soll in der biografischen Befragung meist ein kompletter Lebenslauf oder eine vollständige <?page no="113"?> Varianten der Befragung 114 Biografie rekonstruiert werden. Dazu sind oft mehrere Interviewtermine notwendig. Dies ist zum einen von Vorteil, weil der Interviewer bzw. der Forscher das Material zwischendurch überprüfen und gezielte Nachfragen stellen kann (vgl. Brüggemeier 1987: 151). Außerdem kann dadurch die Befragung thematisch geteilt werden, etwa in getrennte Interviews zu den verschiedenen Lebensbereichen Wohnen, Bildung, Beruf (vgl. Mayer 1987: 66). Andererseits erfordern mehrere Termine besondere Anforderungen an die Kooperation zwischen Interviewer und Befragten. Da bei der Erfassung des Lebenslaufs auch für den Befragten unangenehme Ereignisse oder Erlebnisse angesprochen werden, ist nicht nur auf die generelle Kooperation zu achten, sondern auch auf eine vertrauensvolle Gesprächsbeziehung. Darüber hinaus hat die Aktualisierung der eigenen Vergangenheit emotionale Folgen, weil der Befragte sich über seinen Lebensweg bewusst wird und diesen möglicherweise zu rechtfertigen versucht. Dies kann die Interaktion zwischen Interviewer und Befragten ebenfalls belasten und erfordert von den Interviewern ein hohes Maß an Rücksichtnahme und Zurückhaltung (vgl. Fuchs 1984: 234ff., 265ff.). Beim standardisierten biografischen Interview steht der Interviewer zusätzlich in einem Konflikt zwischen Empathie und Akribie. Zum einen muss er den formalisierten Fragebogen anwenden und ausschweifende Erläuterungen des Befragten disziplinieren, um den Fortgang zu gewährleisten; zum anderen muss er bestimmte Erzählungen zulassen, um die Gesprächssituation hinreichend flexibel zu gestalten (vgl. Brückner 1990: 392f.). Hierin ist das narrative Interview im Vorteil, weil es das Dilemma durch seine zeitliche Struktur auflöst, indem zuerst eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen, also die Empathie vorangestellt und die akribische Rekonstruktion zeitlich nachgeordnet wird. Dadurch dauert allerdings das Interview jedoch deutlich länger, sodass die Kooperation des Befragten noch weiter reichen muss als beim standardisierten Interview. In der Kommunikations- und Medienwissenschaft wird versucht, die Medienbiografie der Befragten zu rekonstruieren ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.6). Sie findet vor allem im Bereich der historischen Rezeptionsforschung (auch in Bezug auf Generationsunterschiede), der Verbindung von Lebenslauf und Mediennutzung (auch im Kontext der Familienforschung) oder bei der Erforschung von (historischen) Umbruchsituationen ihre Anwendung (vgl. Hirzinger 1991: 53ff.). Die Sonderstellung einer Medienbiografie innerhalb der Gesamtbiografie kann mit dem thematischen Forschungsinteresse begründet werden, hängt aber auch mit einem gesellschaftlichen Phänomen zusammen: Medien spielen generell eine Rolle bei der Konstruktion von Biografien, weil sie einen erheblichen Anteil an der Sozialisation und Erfahrungsbildung haben. So ist zu vermuten, dass es bio- <?page no="114"?> Die biografische Befragung 115 grafische Fixpunkte oder gar Stränge gibt, die über die Medien definiert werden. Allerdings spielen die Medien gerade aufgrund ihrer Allgegenwärtigkeit nur eine marginale, wenig bewusste und damit auch wenig erinnerte Rolle bei der biografischen Rekonstruktion. Dies zeigt sich daran, dass in medienbiografischen Interviews oft nur Medienrituale, Genrevorlieben oder allgemeine Medienpräferenzen von den Befragten wiedergegeben werden. Zudem nehmen die Befragten nicht wahr, dass sie langfristig durch die Medien geprägt werden, und finden es prinzipiell nicht sozial erwünscht, dass Medien wichtig sind für die Ausbildung einer Identität. Die Medienbiografie ist folglich nicht exakt von der Gesamtbiografie zu trennen (vgl. Baacke / Sander / Vollbrecht 1990: 10ff.). In der medienbiografischen Befragung ist es deshalb besonders wichtig, die Erinnerungsfähigkeit der Befragten zu stimulieren. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten (vgl. Hirzinger 1991: 105): • Mit genügend Kenntnisse über die Rahmenbedingungen des Untersuchungszeitraums und Untersuchungsorts kann der Interviewer besser in einen Dialog mit dem Befragten treten und ihm konkretere Fragen stellen. • Der Interviewer kann Bezug auf konkrete anschauliche Alltagsbezüge nehmen und etwa nach einem durchschnittlichen Wochentag in der für die Untersuchung relevanten Zeit fragen. • Wenn der Befragte die Medienerinnerungen jahrzehnteweise durchgeht, erinnert er sich aktiver als ohne die zeitliche Orientierung. • Als Anhaltspunkte können auch bestimmte Orte oder Ortswechsel dienen. • Tief greifende historische oder individuell-biografische Zäsuren können ebenfalls Ausgangspunkt für weiter reichende Erinnerungen sein. • Die Mediennutzungsgewohnheiten sind mit der Anschaffung von Mediengeräten (Telefon, Radio, Fernseher, Videogerät, Computer usw.) verbunden. • Weitere Materialien und Dokumente (Fotoalben, Tagebuchaufzeichnungen, Poster, Zeichnungen, Urkunden usw.) erinnern an Stationen des Lebens, die wiederum die Erinnerung an die Mediennutzung auslösen können. 42 42 Diese Materialien werden nicht erst für die Befragung gesammelt, sondern liegen bereits vor. Dies hat den Vorteil, dass sie authentisch sind, aber den Nachteil, dass sie nicht immer für den Forschungszweck zu gebrauchen sind (vgl. Fuchs 1984: 170f.). <?page no="115"?> Varianten der Befragung 116 4.2 Die Tagesablauf- und Tagebuchbefragung Das »Tagebuch« kann als eigenständiges Instrument oder als schriftliches Modul im ansonsten mündlich stattfindenden Interview verwendet werden. Das Instrument wird - neben anderen Methoden - im Rahmen der Zeitbudgetforschung eingesetzt (vgl. Blass 1980: 106ff.) und dient der detaillierten Erfassung von Aktivitäten oder Tätigkeiten von Personen im Zeitbzw. Tagesverlauf. Im kommunikationswissenschaftlichen Bereich wurde das Tagebuch zuerst in den 1970er Jahren in der Hörerforschung in USA und Großbritannien eingesetzt (vgl. Köhler / Steinborn 1987: 159). Unterschiedliche Varianten beziehen sich auf den Erhebungszeitraum und den erhobenen Zeitraum. Der Erhebungszeitraum reicht von einem Tag bis zu mehreren Tagen, wobei der Aufwand für den Befragten steigt und die Anzahl der erfassten Tage nicht zu groß werden soll, jedenfalls 14 Tage nicht überschreiten darf (vgl. Köhler / Steinborn 1987: 164). Der erhobene Zeitraum kann sich auf den gleichen Tag beziehen, das heißt, dass das Tagebuch am gleichen Tag und vom Befragten selbst ausgefüllt wird. Oder es bezieht sich auf vergangene Tage, wobei sich der Befragte an diese Tage erinnern muss, sodass aus methodischen Gründen allenfalls der vorige Tag protokolliert werden sollte. Solche »Yesterday-Interviews« finden persönlich oder telefonisch statt. Häufig werden sie auch mit der schriftlichen Tagebucherhebung kombiniert. Wenn sie am betreffenden Tag selbst durchgeführt werden, dienen sie auch als Training, damit der Befragte das Tagebuch selbstständig ausfüllen kann; wenn sie am Tag danach durchgeführt werden, können sie zusätzlich als Kontrolle und mögliche Ergänzung des selbst ausgefüllten Tagebuchs eingesetzt werden (vgl. Blass 1980: 126; Ehling 1990: 163). Bei der Wahl des Erhebungszeitraums ist ferner auf jahreszeitliche Besonderheiten zu achten. In Ferienzeiten ist der Tagesablauf anders als in Zeiten, in denen der Berufstätigkeit nachgegangen wird (vgl. Blass 1980: 162). In der Regel soll der Befragte seinen Tagesablauf kontrolliert beobachten und seine Aktivitäten notieren, also das Tagebuch selbst ausfüllen. Geht es allerdings um die Erfassung der Aktivitäten von kleinen Kindern, übernehmen diese Aufgabe meist Erwachsene (Eltern, Erzieher). Dies hat den Vorteil, dass die Zielperson nicht gleichzeitig handeln und sich selbst beobachten bzw. diese Beobachtung protokollieren muss ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.5). Allerdings sind solche Fremdbeobachtungen bei Erwachsenen praktisch undurchführbar, und selbst bei Kindern ist der Aufwand groß, weil das Tagebuch in der Regel mit <?page no="116"?> Die Tagesablauf- und Tagebuchbefragung 117 dem Kind wandern muss, wenn dieses seinen Standort ändert, ohne dass der beobachtende Erwachsene es begleitet (vgl. Krekeler 1995: 117f.). 43 Die Form des Tagebuchs reicht vom offenen Protokoll, bei dem der Befragte selbst entscheidet, welche Tätigkeiten, Aktivitäten oder Ereignisse er in das Tagebuch einträgt, bis zum standardisierten Protokollbogen, bei dem eine Matrix aus Tätigkeitskategorien zeilenweise und Zeiträumen spaltenweise vorgegeben sind und vom Befragten nur mit Kreuzen versehen werden. Das teilstandardisierte Tagebuch enthält ebenfalls vorgegebene Kategorien, lässt dem Befragten aber Platz für eigene Anmerkungen und Kommentare (vgl. Blass 1980: 128). Oft ist nicht nur von Interesse, welche Aktivität der Befragte zu welchem Zeitpunkt ausgeführt hat, sondern auch, ob dies in Anwesenheit oder unter Mitwirkung anderer Personen geschah (vgl. Blass 1980: 156). Darüber hinaus können bestimmte Tätigkeiten auch simultan erfolgen oder sich überlappen, sodass die vorgegebene Matrix die Nennung mehrerer Tätigkeiten im gleichen Zeitraum ermöglichen muss. Um die Tätigkeiten zusätzlich zu gewichten, wird nach Haupt- und Nebentätigkeiten unterschieden (vgl. Schäfer 1990: 181). Die Klassifikation von Aktivitäten ist abhängig vom Forschungsinteresse (vgl. Blass 1980: 141ff.): Entweder soll der Tag mit allen Aktivitäten des Befragten vollständig erfasst werden, dann empfiehlt sich eine induktive und offene Vorgehensweise, bei der die Aktivitäten erst im Nachhinein klassifiziert werden. Oder es geht um bestimmte, für den Forschungszweck relevante Aktivitäten, die detailliert kategorisiert und zeitgenau protokolliert werden, wobei andere Aktivitäten, die weniger wichtig für das Forschungsinteresse sind, nur in groben oder abstrakten Kategorien erhoben werden. Man kann beide Vorgehensweisen kombinieren und die Aktivitäten offen erfassen, den Befragten aber eine Aktivitätenliste als Hilfestellung zur Verfügung stellen (vgl. Schäfer 1990: 181). Die Relevanz einer Aktivität kann sich auch aus ihrer Dauer ergeben. Demnach werden Aktivitäten nur dann protokolliert, wenn sie einen bestimmten Zeitraum einnehmen, der zwischen zwei und 15 Minuten, meist bei fünf Minuten, liegt (vgl. Schäfer 1990: 170). 44 43 Diese Variante der Zeitbudget-Beobachtung ist methodisch gesehen ein Grenzfall zwischen Befragung und Beobachtung, weil eine Person nicht über sich selbst, sondern über eine andere Person befragt wird, die sie wissenschaftlich kontrolliert beobachten muss. 44 Ähnlich geht die Fernsehquotenmessung vor: Eine Sendung wird vom Telemeter nur dann als rezipiert (automatisch) erfasst, wenn der Rezipient sie mindestens 30 Sekunden eingeschaltet hat. Ein rascher Programmwechsel durch Zapping wird nicht als Programmrezeption definiert (vgl. Koschnick 2 1995, Band 1: 714). <?page no="117"?> Varianten der Befragung 118 Auch die Skalierung der Zeiträume ist nicht einheitlich vorgegeben, sondern hängt davon ab, wie präzise bestimmte Aktivitäten erfasst werden sollen. Außerdem gibt es Aktivitäten, die nur kurz andauern, sodass die Vorgabe eines großen Zeitraums zu keiner gültigen Schätzung ihrer Dauer führen würde. Die Zeiteinteilung des Tagebuchs reicht von Intervallen über fünf Minuten bis zu über sechzig Minuten. Als Kompromiss zwischen der Präzision der Messung und dem zumutbaren Aufwand für den Befragten werden häufig 15-Minuten-Intervalle gewählt. Generell gilt: Je kleiner das Zeitintervall gewählt ist, desto länger wird der Protokollbogen, und mit der Länge nimmt die Zuverlässigkeit der Eintragungen ab. Auf der anderen Seite hängt die Zuverlässigkeit der Erinnerung von den Aktivitäten selbst ab. Statt einer Intervallvorgabe kann deshalb die Zeit als Dauer einer Aktivität auch offen eingetragen werden. Dies ist allerdings nur für länger andauernde Tätigkeiten sinnvoll, weil kurzfristige Aktivitäten nur schwer einer genauen Uhrzeit zugeordnet werden können (vgl. Blass 1980: 151ff.). Da die Tagebucherhebung sehr von der Motivation und den Fähigkeiten der Befragten abhängt, müssen bei der Durchführung einige Aspekte beachtet werden (vgl. Köhler / Steinborn 1987: 164f.): • Das Tagebuch sollte vom Interviewer persönlich übergeben werden. Bei dieser Übergabe findet auch die detaillierte Einweisung in die Handhabung des Tagebuchs statt. • Bei mehrtägigen Untersuchungen empfehlen sich Zwischenkontrollen durch den Interviewer, damit Fehler, die sich beim Eintragen ergeben haben, korrigiert und für den Rest der Untersuchung vermieden werden können. • Am Ende der Untersuchung sollte das Tagebuch persönlich vom Interviewer abgeholt werden. Auch dieser Besuch hat eine zusätzliche Kontrollfunktion, denn Fehler und offene Fragen können noch vor Ort statt erst im Nachhinein geklärt werden. • Der Befragte sollte als zusätzliche Erinnerungshilfen für den täglichen Eintrag Sticker in verschiedenen Räumen (Küche, Wohnzimmer usw.) oder auf bestimmte häufig genutzte Möbel (Kleiderschrank) aufkleben. • Das Tagebuchprotokoll muss einfach und formal ansprechend mit Ausfüllbeispielen und Eintragungshilfen gestaltet sein. Außerdem darf es nicht zu viele Kategorien enthalten, um den Aufwand in Grenzen zu halten und ein frühes Aussteigen zu vermeiden. • Schließlich sind materielle Anreize empfehlenswert, um den Aufwand wenigstens ansatzweise auszugleichen. Die beiden letzten Maßnahmen sollen verhindern, dass die Stichprobe durch die systematischen Ausfälle verzerrt wird. Vergleiche mit Stichtagsbefragungen, <?page no="118"?> Die Tagesablauf- und Tagebuchbefragung 119 Ergebnissen der Media Analyse ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.2.1) sowie mit telemetrischen Daten der GfK lassen jedoch eine hohe Übereinstimmung hinsichtlich der Mediennutzungsaktivitäten erkennen, sodass der Einsatz von Tagebüchern prinzipiell zu validen Ergebnissen führen kann (vgl. Köhler / Steinborn 1987: 162f.). Ähnlich wie beim biografischen Interview werden routinierte oder sozial unerwünschte Tätigkeiten in geringerem Maß in das Tagebuch eingetragen. Außerdem ist − wie bei jeder schriftlichen Befragung − nur schwer kontrollierbar, wann das Tagebuch ausgefüllt wird, weil der Befragte den Zeitpunkt selbst auswählt. Dies kann mehrmals am Tag sein, wenn der Befragte gerade Zeit dafür hat, oder am Abend als Rückblick auf den Tag. Gerade bei der Tagebucherhebung hat der Zeitpunkt der Eintragung aber großen Einfluss auf die Gedächtnisleistung und damit die Zuverlässigkeit der Daten. Um solche Gedächtnisprobleme zu beheben, ist es sinnvoll, den Zeitpunkt der Protokollierung durch ein geeignetes Stichprobenverfahren zu kontrollieren, indem nicht alle Aktivitäten am Tag erfasst werden, sondern bestimmte Erlebnisse ausgewählt werden. Mit der »Experience Sampling Method« (ESM) sollen die Tätigkeiten des Befragten zeitnah − am besten simultan − protokolliert werden. Dazu werden ausgewählte Personen mit kleinen Funkempfängern (Pagern) und kurzen Fragebögen ausgestattet. Mehrmals am Tag − die Zeitpunkte sind mit einem Zufallsverfahren ausgewählt − bekommen die Befragten ein Signal, dass sie den Fragebogen zu den Tätigkeiten, die sie jetzt ausführen, ausfüllen sollen. Der Fragebogen muss sich dabei nicht nur auf die Tätigkeiten selbst (etwa die Nutzung von Medien) beschränken, sondern kann auch dazugehörige mentale Vorgänge (Motivation der Mediennutzung, Empfindungen oder Gedanken bei der Mediennutzung) abfragen. Die Zeitstichprobe kann dabei eng oder gedehnt erfolgen, allerdings dürfen die Befragten nicht durch zu häufige Signale und Aufforderungen zur Ausfüllung des Fragebogens überlastet werden. Wenn sich der Befragungszeitraum über mehrere Tage erstreckt, müssen die Stichproben pro Tag nicht so häufig erfolgen; erstreckt sich dagegen die Erhebung nur über einen Tag oder wenige Tage, kann die Zeitstichprobe enger gewählt werden (vgl. Kubey / Larson / Csikszentmihalyi 1996: 100ff.; Möhring / Schlütz 2003: 177f.). Daniela Schlütz und Helmut Scherer haben die Technik in einer Studie zur Medienrezeption angewendet und ausprobiert. Sie haben dabei festgestellt, dass die Befragten die Fragebögen durchschnittlich 20 Minuten nach der Signalaufforderung ausfüllten. Die Verzögerungen bei der Bearbeitung des Fragebogens kam vor allem durch nicht-mediale Aktivitäten zustande, die offenbar die Befragten zu sehr beanspruchten, um nebenbei den Fragebogen beantworten zu können. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass sich die Medienrezeption vergleichsweise <?page no="119"?> Varianten der Befragung 120 gut für die Technik eignet, da es sich um eine Freizeitbeschäftigung handelt, die selten die volle Aufmerksamkeit und alleinige Konzentration auf die betreffende Tätigkeit erfordert (vgl. Schlütz / Scherer 2001: 147; → www.utb-mehrwissen.de, Kapitel 3.3). Der Vorteil der »Experience Sampling Method« besteht darin, dass aufgrund der zu den Tätigkeiten simultan erfolgenden Befragung kaum Erinnerungs- und Rekonstruktionsleistungen seitens des Befragten notwendig sind. Außerdem bewegt sich der Befragte bei der Befragung in seinem natürlichen Umfeld sowohl örtlich als auch in Bezug auf die Situation. Schließlich werden mit der Technik konkrete Ereignisse, Tätigkeiten und deren Motivationen gemessen. Dies dürfte sich vor allem für die Forschung im Kontext des Uses-and-Gratifications-Ansatzes als fruchtbar erweisen, weil die Messung von Motivationen für die Nutzung bestimmter Medien und Medieninhalte mit der konventionellen Befragung durch nachträgliche Rationalisierungen und Generalisierungen gekennzeichnet sind. Als Nachteil erweisen sich zwei Aspekte: Zum einen ist für die Durchführung ein hohes Maß an Kooperationsbereitschaft notwendig. Zum anderen werden die an der Befragung beteiligten Personen durch die ständige Aufforderung zur Selbstreflexion sensibilisiert und möglicherweise in ihrem Verhalten beeinflusst (vgl. Schlütz / Scherer 2001: 147; Möhring / Schlütz 2003: 178f.). 4.3 Die Gruppendiskussion (Focus Groups) Die Gruppendiskussion ist die Weiterführung des fokussierten Interviews, allerdings nicht mehr auf individueller Basis, sondern in einer Gruppe. Bei der Gruppendiskussion stellt ein Moderator einer (in der Regel ad-hoc zusammengesetzten) Gruppe ein Thema zur Diskussion und regt die Teilnehmer dazu an, ihre persönlichen Meinungen zu äußern und mit den anderen Teilnehmern darüber zu diskutieren. Die Methode wurde von Robert K. Merton und seinen Mitarbeitern entwickelt und erstmals in USA in den 1940er-Jahren eingesetzt, um die Zuschauerreaktionen auf Propagandafilme zu erforschen. In Deutschland wurde sie in den 1950er- Jahren vom Frankfurter Institut für Sozialforschung eingeführt als zur kritischen Gesellschaftstheorie korrespondierenden Methode. Heute wird sie in der Medienforschung vor allem im Kontext der Cultural Studies angewandt ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 3.4; vgl. Morgan 1988: 11; Loos / Schäffer 2001: 16, 19ff.). <?page no="120"?> Die Gruppendiskussion (Focus Groups) 121 Es handelt sich bei der Gruppendiskussion nicht um eine Gruppenbefragung, bei der mehrere Personen simultan oder nacheinander, jedoch einzeln befragt werden. Vielmehr wird die Gruppendynamik so ausgenutzt, dass sich die Teilnehmer wechselseitig anregen und auf diese Weise ihre Meinungen detaillierter äußern als beim Einzelinterview. Außerdem werden tiefer liegende Einstellungen aktualisiert und expliziert (vgl. Mangold 1962: 210f.; Bohnsack / Schäffer 2001: 325). Um über die individuelle Meinungsäußerung hinaus den Prozess sozialer Bedeutungszuweisung zu simulieren, schließt die Gruppendiskussion an Alltagsformen der Konversation an, die vom Klatsch bis zur öffentlichen Diskussion reichen. Mit der Gruppendiskussion wird somit eine Art »öffentliche Meinung« im Kleinen erfasst (vgl. Gutjahr 1988: 218f.; Lunt 1996: 85). Entgegen diesem additiven Zugriff, wonach Gruppendiskussionen individuelle und soziale Meinungen zum Ausdruck bringen, vertritt Röser (2000: 347) die Auffassung, dass Gruppendiskussionen nur geeignet sind, Sichtweisen sozialer Wirklichkeit und kollektive Bedeutungen hervorzubringen, wohingegen sich individuelle Themen und Differenzierungen nur insoweit erschließen, als sie sich in die kollektiven Themen einfügen, indem sie diese bestätigen oder widerlegen. Individuelle Zugänge, die dagegen in keinem Zusammenhang zu kollektiv relevanten Themen und Sichtweisen stehen, also auch nicht als Widerspruch in der Diskussion bedeutsam werden können, bleiben in Gruppendiskussionen zwangsläufig eher randständig 45 (vgl. Röser 2000: 139f.). Außerdem ist der Begriff der Diskussion zu eng gefasst, weil in das Gespräch auch biografische oder handlungsbezogene Erzählungen sowie gemeinsame Erinnerungen und wechselseitige Ergänzungen einfließen (vgl. Loos / Schäffer 2001: 13). Gruppendiskussionen werden nicht nur in der akademischen Kommunikationsforschung eingesetzt (vgl. Lunt 1996: 80f.), sondern sind auch sehr beliebt in der Markt- und Meinungsforschung, weil sie die Möglichkeit bieten, dass sich die Konsumenten frei gegenüber dem Diskussionsleiter und dem Marketing äußern. Hier geht es gerade um Motivation als kollektiven Prozess und kollektive Wirkungsstruktur: Über die individuellen Aussagen hinaus wird die Gruppe als »Sprachrohr psychologischer Marktstrukturen« begriffen. 46 Die Situation der 45 Gerade diese Ambivalenz und in der Gruppendiskussion nicht mehr trennbare Differenz zwischen individuellen Einstellungen und Gruppeneinstellungen wird oft als Nachteil dieser Befragungsform aufgefasst (vgl. Morgan 1988: 20f.). 46 Der Einsatz von Miniplebisziten und Präferenzrankings (vgl. Dammer / Szymkowiak 1998: 56f.) leistet allerdings der Kritik Vorschub, dass die Gruppendiskussion in der Marktforschung als billiger Ersatz für aufwändigere standardisierte repräsentative Befragungen missbraucht werde. <?page no="121"?> Varianten der Befragung 122 Gruppendiskussion wird dazu benutzt, eine möglichst authentische Konversation herbeizuführen. Dabei stellen sich jedoch einige Fragen über die Gültigkeit der Aussagen (vgl. Dammer / Szymkowiak 1998: 40f.): • Ist das explizit Gesagte ein gültiges »Datum« oder vermitteln Stimmungen, Atmosphären und nonverbale Ausdrucksweisen den eigentlichen Wert der Aussage? • Welchen Stellenwert nimmt die Gruppendynamik ein? Hat sie einen Eigenwert, oder ist sie nur der Katalysator für gültige, authentische Aussagen? • Welchen Erkenntniswert haben Verhaltensauffälligkeiten oder Fehlleistungen (Versprechen)? Versteht man die Fragen als Entscheidungsfragen, ergeben sich je nach Beantwortung völlig unterschiedliche Ergebnisse oder Interpretationen. Man kann jedoch die Fragen auch so beantworten, dass die Gruppendynamik, also die von der Gruppe arrangierte Szene und ihr Verhalten dem Diskussionsleiter gegenüber, zusammen mit den Erzählungen der Diskutanten gleichermaßen als Kontextbedingung für die Entstehung der Ergebnisse (vgl. Röser 2000: 128) und als Indikator für die Wirkungsstruktur des Themas der Gruppendiskussion gilt (vgl. Melchers 1994b: 35f.). Eine Vertiefung der Diskussion wird durch das Wechselspiel von Konsens und Konsensbruch erreicht. Dabei können Abschweifungen vom Thema möglicherweise auf einen wichtigen Seitenaspekt führen und dann funktional für die Fragestellung sein. Wenn ein Leitfaden verwendet wird, darf er nur zur Antizipation relevanter Sachverhalte dienen, nicht jedoch dazu, Abschweifungen vom Thema zu definieren und zu regulieren. Die Gruppendiskussion darf nicht zur Gruppenbefragung werden, bei der jeder einzelne dieselbe Frage gestellt bekommt, denn dadurch würde die spezifische Gruppendynamik unterdrückt und für die Fragestellung der Untersuchung relevante Informationen gingen verloren (vgl. Melchers 1994a: 5ff.; Melchers 1994b: 32ff.). Dennoch lässt sich auch die Beantwortung eines kleinen Fragebogens einbauen. Ferner kann man die Teilnehmer Bilder zeichnen lassen oder sie bitten, etwas schauspielerisch in Szene zu setzen. Allerdings sind diese Instrumente kein Selbstzweck und müssen in die Dramaturgie der Gruppendiskussion flexibel an geeigneter Stelle eingebaut werden. Für die Durchführung einer Gruppendiskussion sind folgende methodische Entscheidungen wichtig: • Die Anzahl der Gruppen hängt vom Forschungsziel ab. Je konkreter es abgegrenzt ist, desto mehr Gruppen sind empfehlenswert, weil die Gruppendiskussion dann quasi-experimentellen Status erlangt. Je explorativer dagegen die Untersuchung angelegt ist, desto weniger Gruppen sind erforderlich, weil <?page no="122"?> Die Gruppendiskussion (Focus Groups) 123 der Bereich möglicher Sachverhalte nur strukturiert werden muss. Zudem ist die zu untersuchende Grundgesamtheit ein wichtiger Faktor: Je homogener sie ist, desto weniger Gruppen sind erforderlich. Dabei gilt die Regel, dass zwei Gruppen pro Segment bzw. Aspekt der Fragestellung gebildet werden sollten, was auf zwei bis acht Gruppen in den meisten Studien hinausläuft. • Die Gruppengröße variiert zwischen sechs und zehn Gruppenmitgliedern. Kleinere Gruppen sind oft nicht so produktiv in der Diskussion, bei größeren Gruppen ist die Diskussion dagegen schwer durchzuführen. Dabei sollte die Bruttostichprobe aus einer Überrekrutierung von mindestens 20 Prozent bestehen (vgl. Morgan 1988: 42 ff.; Lunt 1996: 82f.). • Bei der Gruppenzusammensetzung ist zu entscheiden, ob die Gruppen homogen (und damit getrennt) oder heterogen (gemischt) in Bezug auf die in der Forschungsfrage benötigten Segmente zusammengesetzt werden sollen. Die Homogenität bzw. Heterogenität bezieht sich dabei nicht auf die Einstellungen, sondern auf die (unabhängigen) Hintergrundvariablen (meist demografische Merkmale). Bei heterogenen Gruppen besteht die Gefahr unterschiedlicher Konversationsstile, die sich hinderlich auf den Gesprächsfluss auswirken können. Auf der anderen Seite bringen sie unterschiedlichere Perspektiven in die Diskussion ein. • Die Gruppe kann weiterhin entweder unabhängig von der Gruppendiskussion bereits bestehen (Realgruppe) oder speziell und ad hoc für die Gruppendiskussion zusammengesetzt werden (künstliche Gruppe). Realgruppen haben eine gemeinsame Erfahrungsbasis, sodass die Themen eher von ihnen selbst entwickelt werden und das Forschungsthema dazu passen muss. Gruppendiskussionen mit Realgruppen sollten auch mit dem Ort vertraut sein, damit keine Laborsituation entsteht. Bei künstlichen Gruppen kann das Thema stärker von dem Forschungsleiter bestimmt werden. Gruppendiskussionen mit Realgruppen sind authentischer, mit künstlichen Gruppen dagegen thematisch flexibler (vgl. Morgan 1988: 46 ff.; Loos / Schäffer 2001: 43ff.). • Die Rolle des Moderators kann zwischen sehr zurückhaltend und ständig intervenierend variieren. Bei explorativen Untersuchungszielen ist eine geringe Beteiligung des Moderators sinnvoll, während bei detailliert explizierten Fragestellungen eine direktive Haltung des Moderators vorzuziehen ist, um das Thema nicht aus dem Blickfeld zu verlieren 47 (vgl. Morgan 1988: 48ff.). Ins- 47 Eine dezidiert einseitige Position nimmt Melchers (1994a: 6f.; 1994b: 34ff.) ein, der für eine größtmögliche Offenheit votiert, damit die Gruppendynamik möglichst wenig außengesteuert wird und die Informationen, die aus der spezifischen Gruppendynamik gewonnen werden, nicht verloren gehen. <?page no="123"?> Varianten der Befragung 124 gesamt ist die Rolle des Moderators ambivalent, weil er zur Kommunikation motivieren muss, die Gruppe und ihre Gespräche leitet, sich am Gruppengeschehen beteiligt und es beobachtet. Bei Störungen durch Unübersichtlichkeit der Kommunikation, Widersprüchlichkeit der Aussagen, Zähigkeit des Gesprächsflusses oder absichtlich quertreibenden Entgleisungen muss der Moderator abwägen, ob er den Widerstand bricht oder ihn spontan analysieren und heuristisch nutzen kann (vgl. Dammer / Szymkowiak 1998: 60ff., 84f.). Die Durchführung kann in Phasen unterteilt werden, die unterschiedliche Verhaltensweisen des Moderators erfordern (vgl. Loos / Schäffer 2001: 50ff.; Dammer / Szymkowiak 1998: 90ff.): • Bei der Eröffnung muss der Moderator ein Frage-Antwort-Spiel zum Thema der Untersuchung vermeiden, denn die Gruppe soll untereinander ins Gespräch kommen und kein Zwiegespräch mit dem Diskussionsleiter halten (Prinzip der »Selbstläufigkeit«). Dies muss der Moderator bereits in der Anfangsphase kommunizieren. Seine Eingangsfrage darf deshalb auch nur den thematischen Rahmen vorgeben und nicht konkreter werden. • In der Folgephase darf der Moderator auch nur gruppenimmanente Nachfragen stellen, welche die Teilnehmer zur Generierung von Erzählungen und Beschreibungen motivieren sollen. Zu diesem Zweck dehnt der Moderator die Kommunikation, indem er sich Einzelheiten schildern lässt und zu einer Schritt-für-Schritt-Erzählung ermuntert. • Erst wenn sich das immanente Potenzial der Gruppe erschöpft hat, darf der Moderator »exmanent« weiterfragen und neue Themenaspekte ins Spiel bringen, dazu aber keine direktive Kommunikationsweise benutzen. • In der letzten Phase, wenn das Thema umfassend besprochen und diskutiert wurde, wird die Rolle des Moderators direktiver. Zum einen kann er durch instrumentelle Naivität versuchen, den Konsens aufzubrechen, wenn dieser ihm zu oberflächlich erscheint. Zum anderen spricht er jetzt Widersprüche zwischen Aussagen an, die er während des Gesprächs entdeckt hat. Dabei kann er die Teilnehmer auch provozieren, indem er ihre Aussagen zuspitzt. Während die Vertreter einer konsequent offenen Gestaltung der Gruppendiskussion davon ausgehen, dass jedes Gruppenverhalten und jeder Ausgang einer Gruppendiskussion für sich betrachtet valide ist und die Ergebnisse in Abhängigkeit von dieser Gruppendynamik interpretiert werden müssen (vgl. Melchers 1994a, 1994b; Loos / Schäffer 2001), stellen Vertreter einer methodisch stärker kontrollierten Durchführung Kriterien auf, wonach der Wert einer Gruppendiskussion bestimmt werden kann. Diese Kriterien hängen mit einer direktiveren <?page no="124"?> Die Gruppendiskussion (Focus Groups) 125 Position des Moderators zusammen und sind deshalb gleichzeitig als Regeln für seine Aufgabe zu verstehen (vgl. Dammer / Szymkowiak 1998: 37f.): • Jeder Teilnehmer einer Gruppendiskussion soll etwas äußern; deshalb müssen »Schweiger« besonders zum Mitdiskutieren ermuntert werden. • Auf der anderen Seite soll keiner der Teilnehmer die Gruppendiskussion dominieren und einen zu großen Redeanteil bekommen. Deshalb müssen die Meinungsführer gebremst werden. • Die Gruppe soll »bewegt« sein, ohne »unordentlich« zu werden. Demnach muss der Moderator eine Grenze erkennen, ab der die Diskussion ausufert und sie dann gegebenenfalls thematisch wieder zurückführen. • Die Diskussion soll geregelt ablaufen, ohne jedoch lahm zu werden. In dieser Hinsicht fällt dem Moderator eine motivierende Rolle zu. Dazu zählt auch das Erkennen und Befördern von kontroversen Stellungnahmen. • Am Ende der Diskussion soll ein gewichtetes Meinungsbild oder sogar ein Konsens zustande kommen. Hierfür sammelt und bündelt der Moderator die geäußerten Positionen. Durch die technischen Entwicklungen des Internet sind Gruppendiskussionen auch online möglich. Hierbei handelt es sich um einen Chat mit Moderator. Im Unterschied zur herkömmlichen Offline-Gruppendiskussion verläuft die Online- Gruppendiskussion dezentral, weil sich die Teilnehmer nicht an einem bestimmten Ort versammeln müssen, zudem anonym, weil die Teilnehmer füreinander unbekannt bleiben, und schließlich sequentiell-asynchron, weil ein gleichzeitiges Sprechen nicht notwendig ist. Allerdings kann der letztgenannte Unterschied eingeebnet werden, wenn die Teilnehmer der Online-Gruppendiskussion mit audio-visuellem Equipment (Web-Cam, Head-Set) ausgestattet werden, um eine Quasi-Nähe herzustellen (vgl. Mühlenfeld 2002a; 2004). Die Auswertung der Gruppendiskussion erfordert in der Regel eine auditive oder sogar audio-visuelle Aufzeichnung (vgl. allgemein zur Auswertung Przyborski 2004), die anschließend transkribiert werden muss. Dabei sollten die Teilnehmer anonymisiert werden. Die Auswertung kann sich nach den Regeln der qualitativen Inhaltsanalyse oder der Diskursanalyse richten. Im ersten Fall geht es teilweise um eine individuelle Rekonstruktion der Beiträge und um die Herstellung von Beziehungen zwischen Personen und Inhalten der Stellungnahmen; im zweiten Fall geht es dagegen um eine konsequente Gruppenanalyse, wobei die Beiträge in ihrer Gesamtheit als Diskurs aufgefasst werden. Die inhaltsanalytische Vorgehensweise umfasst folgende Schritte (vgl. Dammer / Szymkowiak 1998: 123-139): <?page no="125"?> Varianten der Befragung 126 • Sammeln von besonderen, auffälligen, häufigen Nennungen; • Ordnen durch In-Beziehung-Setzen der gesammelten Nennungen; • Konstruieren des Motivgefüges; • Zentrieren des Gesamtbildes der Gruppendiskussion; • Ergebniskontrolle. Die diskursanalytische Vorgehensweise wird dagegen wie folgt beschrieben (vgl. Loos / Schäffer 2001: 63f., 66ff., 69f.; Bohnsack / Schäffer 2001: 333ff.): • Identifikation und Unterteilung der Elemente und Kategorien: Stellungnahmen (Propositionen), Schlussfolgerungen (Konklusionen), Ausarbeitungen (Elaborationen); • Diskursorganisation: Verteilung der Redebeiträge, Ratifizierung des Themas, Aushandlung der Teilnehmerrollen; • Typenbildung: Organisation durch oppositionelle »Rahmung« (unterschiedliche Rahmen), konkurrierende »Rahmung« (unterschiedliche, antithetische Beiträge zum selben Rahmen), parallelisierende »Rahmung« (mehrere gleichgerichtete Beiträge zum selben Rahmen). Mit der Fokussierungsmetapher wird der übergreifende Orientierungsrahmen der Gruppe zum Ausdruck gebracht. Übereinstimmend werden als Vorteile der Gruppendiskussion genannt, dass sie keinen großen Aufwand verursacht, weil sie vergleichsweise schnell und kostengünstig durchgeführt werden kann. Außerdem erbringt sie mehr Informationen als die Summe von Einzelinterviews, weil sich die Teilnehmer wechselseitig anregen. Durch den Einsatz mehrerer Instrumente und die Offenheit der Gesprächssituation ist sie eine besonders flexible Form der Befragung. Speziell die Online-Gruppendiskussion bietet die Möglichkeit, den Aufwand noch mehr zu reduzieren, weil die Teilnehmer in ihrem gewohnten Umfeld bleiben und die Daten nicht gesondert aufgezeichnet und transkribiert werden müssen. Zudem können schwer erreichbare Personen teilnehmen (vgl. Melchers 1994a: 5; Gutjahr 1988: 219; Morgan 1988: 20f.; Welker / Werner / Scholz 2005: 102f.). Die Gruppendiskussion bringt allerdings auch Nachteile mit sich. Dazu gehört die Künstlichkeit der Situation, die fast den Charakter eines Laborexperimentes annimmt, ohne jedoch wie dieses kontrollierbar zu sein. Eine Auswertung, die auch die Gruppendynamik und nonverbale Verhaltensweisen berücksichtigt, ist sehr aufwändig und bedarf psychologischer Kenntnisse. Schließlich ist die Rolle des Diskussionsleiters schwieriger auszufüllen als die eines Interviewers von einzelnen Befragten, weil er noch mehr als dieser auf die Beziehungsaspekte zu den diskutierenden Teilnehmern und darüber hinaus auch auf die Beziehungen <?page no="126"?> Die Delphi-Befragung (Consensus Panel) 127 unter diesen eingehen muss. Die Online-Gruppendiskussion hat den gravierenden Nachteil, dass sie auf schriftlicher Kommunikation basiert. Da wo sie diesen Nachteil durch audiovisuelle Unterstützung mit Web-Cam und Head-Set kompensiert, fällt wiederum der Vorteil des geringeren Aufwandes weg. Wegen der fehlenden Präsenz ist auch die Gruppendynamik geringer, und der Moderator hat weniger Möglichkeiten einzugreifen (vgl. Melchers 1994b: 36; Morgan 1988: 20f.; Mühlenfeld 2002a; Welker / Werner / Scholz 2005: 102f.). 4.4 Die Delphi-Befragung (Consensus Panel) Die Bezeichnung für die Delphi-Befragung geht auf die antike Orakelstätte Delphi zurück. Die Bedeutung des griechischen Ortes basiert zwar auf einer Sage, aber es gab tatsächlich einen Tempel mit einem Orakel, in dem Wahrsagungen für Rat Suchende gesprochen wurden. Die wissenschaftliche Nutzung setzte in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein und hatte zunächst einen militärischen Zweck, um militärische Ziele der Sowjetunion auf die USA einzuschätzen (vgl. Häder 2002: 13ff.). Das Ziel einer Delphi-Befragung ist die Lösung bestimmter Probleme oder die Prognose von Entwicklungen und Trends. Dazu werden die Meinungen von Experten benutzt, um Probleme zu lösen. Das Verfahren wird in mehreren Wellen durchgeführt, wobei ein anonymes Feedback eingebaut wird. Im kommunikationswissenschaftlichen Bereich werden vor allem technologische Entwicklungen (Telekommunikation, Redaktionstechnologie) prognostiziert ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 2.2). Die zahlreichen Varianten erschweren eine einheitliche Definition: Ihr Schwerpunkt kann sowohl auf dem gruppendynamischen Aspekt als auch auf dem sachbezogenen Aspekt der Vorhersage liegen (vgl. Häder 2002: 22f.). Das Erfolgskriterium für Delphi-Befragungen ist ebenfalls umstritten. Es kann in der korrekten Vorhersage zukünftiger Ereignisse oder Entwicklungen bestehen oder (nur) in der Erfassung (zukünftig) relevanter Problemsichten und Problemdimensionen zu einem bestimmten Sachverhalt. Außer diesen (theoretischen) Erkenntniszielen soll die Delphi-Befragung (praktische) Handlungs- und Entscheidungshilfen entwickeln. Häder (2002: 29ff.) unterscheidet die folgenden möglichen Leistungen, von denen die ersten beiden eher heuristisch und die letzten beiden eher prognostisch sind: <?page no="127"?> Varianten der Befragung 128 • Aggregation von Ideen; • Ermittlung und Qualifikation der Ansichten einer Expertengruppe; • Bestimmung oder Vorhersage eines unsicheren zukünftigen Sachverhalts; • Schaffung eines Konsenses unter den Teilnehmern des Panels 48 . Der Ablauf von Delphi-Befragungen ist nicht einheitlich, aber es gibt einige typische Merkmale (vgl. Häder / Häder 2000: 15ff.; Häder 2002: 24f.): Die befragten Personen sind ausgewählte Experten zu dem anstehenden Sachproblem, die möglichst unterschiedliche Meinungen haben sollen. Diese Meinungen werden in einer ersten Welle erhoben und in weiteren Wellen als aggregierte Ergebnisse allen Teilnehmern zur Verfügung gestellt. Ziel ist die Herstellung eines Konsenses oder zumindest einer klaren Alternative von Meinungen zur möglichen Entwicklung. Wie viele Befragungsrunden notwendig sind, um dieses Ziel zu erreichen, ist unterschiedlich. Allerdings ist die Anzahl durch den Aufwand für die teilnehmenden Experten beschränkt (in der Regel auf vier Wellen). Folgende Entscheidungen sind für die Planung einer Delphi-Befragung wichtig: • Bestimmung und Auswahl der Experten; • Anzahl der Experten (Größe der Stichprobe); • Anzahl der Wellen (in Abhängigkeit vom Forschungsziel); • zeitlicher Abstand zwischen den Wellen; • Design: Standardisierung des Fragebogens in / nach der ersten Welle oder ausschließlich offene Runden; persönliche oder / und schriftliche Befragung. Für die Auswahl der Experten ist zunächst eine Definition notwendig, wer als Experte gelten kann. Diese Definition richtet sich nach dem zu lösenden Sachproblem und der Kompetenz der Person auf diesem Gebiet. Je komplexer es ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Experten nur für bestimmte Teilgebiete kompetent fühlen. Der Begriff des Experten ist demzufolge abhängig vom Sachproblem und kann durchaus auch Betroffene, etwa einer technischen Erneuerung, einschließen. Wenn die Kompetenz des Experten nicht von vornherein feststeht oder das Thema so komplex ist, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass jeder Experte zu allen Fragen kompetent Stellung nehmen kann, sollten in der ersten oder zweiten Welle Fragen nach der subjektiv einge- 48 Häder unterteilt deshalb die Delphi-Befragung in vier sich ausschließende Typen. Im Unterschied zu dieser Auffassung soll hier davon ausgegangen werden, dass es zwar unterschiedliche Schwerpunkte in der Zielsetzung gibt, dass aber alle vier Leistungen in allen Delphi-Untersuchungen vorkommen. <?page no="128"?> Die Delphi-Befragung (Consensus Panel) 129 schätzten Kompetenz der befragten Experten gestellt oder mit Indikatoren die Kompetenz ermittelt werden (vgl. Häder 2002: 124ff.). Die Auswahl erfolgt nach Quoten, deren Kriterien aus der Struktur des Forschungsfeldes entwickelt werden. Das bedeutet, dass eine Zufallsauswahl in der Regel nicht anwendbar ist ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 2.2). Die konkrete Bestimmung der Experten erfolgt aufgrund der Definition des Forschungsfeldes, im Schneeballverfahren (Ko-Nomination) oder über Datenbanken. Entscheidend ist die Heterogenität der Gruppe in Abhängigkeit vom Forschungsthema, um möglichst viele Aspekte des zu behandelnden Sachproblems und unterschiedliche Meinungen zu dem Problem und seiner Lösung zu erfassen (vgl. Häder 2002: 98, 112ff.). Über die optimale Anzahl von Delphi-Teilnehmern schwanken die Auffassungen extrem zwischen zehn und über 1.000 Personen (vgl. Häder 2002: 94f.). Die Stichprobengröße richtet sich deshalb sehr speziell nach dem Ziel der jeweiligen Delphi-Untersuchung. Je inhaltlich breiter und formal standardisierter die Befragung angelegt ist, desto eher sind große Gruppen nötig; bei inhaltlich tiefen und formal offenen Untersuchungen genügt eine kleine Gruppe, die aber hoch motiviert sein muss. Der Kompromiss zwischen beiden Zielen besteht darin, die Gruppe so groß zu wählen, dass statistische Auswertungen auch von Untergruppen möglich sind, aber gleichzeitig die Gruppenmitglieder individuell »betreut« werden können. Dafür dürfte eine Stichprobengröße zwischen 50 und 100 Teilnehmern geeignet sein. Da es sich um eine Panelbefragung handelt, muss das Problem der Panelmortalität von vornherein mitbedacht werden (vgl. Häder 2002: 111). Das klassische Delphi-Design umfasst vier Wellen: In der ersten Welle werden meist offene Befragungen (Leitfadeninterviews) durchgeführt, damit die Experten das Problem selbstständig und ohne Vorgaben definieren und Lösungen vorschlagen. Diese Interviews finden am Ort des Gesprächspartners statt, um den Kontakt zu den Experten persönlich herzustellen oder zu intensivieren. Die Befragung wird dadurch verbindlicher, und das Problem der Panelmortalität kann verringert werden. Allerdings ist es auch möglich, sofort mit einer schriftlichen Befragung zu beginnen, wenn begleitende Maßnahmen zur Sicherung der weiteren Teilnahme an den folgenden Wellen unternommen werden ( → Kapitel 2.3.5) oder wenn die Problemdefinition und ihre Kriterien nicht von externen Experten, sondern von der Forschergruppe selbst vorgenommen werden können (vgl. Häder 2002: 114ff.). Während die Problembeschreibungen und Problemlösungen in der ersten Welle aus einer offenen Erhebung resultieren, wird in der Regel aus diesen Ergebnissen ein standardisierter Fragebogen entwickelt, der in den folgenden Wellen posta- <?page no="129"?> Varianten der Befragung 130 lisch verschickt wird. Dazu werden die offenen Interviews transkribiert und inhaltsanalytisch so ausgewertet, dass sie in einen standardisierten Fragebogen eingebaut werden können. Die Experten nehmen in der zweiten Welle bereits Stellung zu Problemlösungen, die in der ersten Welle genannt wurden. Auf diese Weise entsteht ein Bild der quantitativen Verteilungen, deren Ergebnisse in der dritten Welle als Feedback dem Fragebogen, möglichst optisch aufbereitet, beigelegt werden. Daneben werden auch offene Anmerkungen und Kommentare mitgeteilt (vgl. Häder 2002: 149ff.). Die Experten sollen nun ihre Meinung erneut bekunden und begründen und sich eventuell der Mehrheitsmeinung anschließen. Alle Fragen, die nach der dritten Welle noch nicht im Konsens beantwortet werden, werden in einer vierten Welle nochmals zur Diskussion gestellt, um die Lösungsalternativen klar herauszustellen und im Kontext zu beschreiben. Auch in den standardisierten Fragebögen der zweiten bis vierten Welle sind offene Fragen vorgesehen, in denen die Befragten ihre Antworten begründen sollen und in denen sie weitere Aspekte ansprechen, die durch die Frage oder die Antwortvorgaben (noch) nicht erfasst sind (vgl. Häder 2002: 135f.). Je nachdem, welchen Stellenwert die Erzielung eines Konsenses hat und ob er sich nur auf die Problemdimensionierung oder auch auf die Problemlösung bezieht, sind mehr oder weniger Befragungswellen notwendig. Ist der Konsens nicht das Hauptziel, kann die Delphi-Befragung auch schon vorher abgebrochen werden, frühestens allerdings nach der zweiten Welle. Wenn dagegen der Konsens das primäre Forschungsziel darstellt, muss definiert werden, wie sehr die Auffassungen der Experten konvergieren müssen, um von Konsens sprechen zu können. In den wenigsten Fällen wird eine vollständige Übereinstimmung zu erreichen sein (vgl. Häder 2002: 118f.). Der zeitliche Abstand zwischen den Befragungswellen richtet sich nach dem Aufwand für die Auswertung der jeweils letzten Welle. Nach der ersten Welle mit der offenen Befragung ist eine intensive Auswertung notwendig, aufgrund derer der (standardisierte) Fragebogen für die nächsten Wellen erst entwickelt werden muss. Demzufolge dürfte der Abstand zwischen der ersten und zweiten Welle größer sein als zwischen den folgenden Wellen, die hauptsächlich standardisiert ausgewertet werden. Insgesamt darf der zeitliche Abstand nicht zu groß sein, damit die Experten nicht vergessen, dass sie noch an dem Delphi- Panel teilnehmen; er darf aber auch nicht zu klein sein, damit die Experten die Mehrfachbefragung nicht als redundant oder zu aufwändig empfinden. Der Abstand hängt schließlich auch von der Anzahl und Intensität der Nachfassaktionen ab, um die nicht antwortenden Experten doch noch zur Teilnahme zu bewegen. Die Problempunkte des Delphi-Verfahrens bestehen in der Auswahl der Experten, in der Definition von Konsens und in der Panelmortalität der Teilnehmer <?page no="130"?> Die Struktur-Lege-Technik 131 (vgl. Häder / Häder 2000: 18f.). Bei der Auswahl der Experten sollte darauf geachtet werden, dass sie ein möglichst breites Spektrum von Ansichten zu dem behandelten Problem abdecken und dass sie tatsächlich die Kompetenz besitzen, um an der Problemlösung oder an der Prognose möglicher Problemlösungen mitwirken zu können. Konsens kann in der Regel nicht als völlige Übereinstimmung aller Teilnehmer definiert werden, sondern muss oft weicher ausgelegt werden als weitgehende Gemeinsamkeit bei der Problemeinschätzung und der Problemlösung. Um die Panelmortalität zumindest in akzeptablen Grenzen zu halten, darf der Aufwand für die Teilnahme nicht zu groß werden. Deshalb werden oft nicht vier, sondern nur drei oder sogar nur zwei Befragungswellen durchgeführt. Allerdings sinkt die Chance auf Konsens, je weniger oft die Experten mit anderen Ansichten konfrontiert werden. Wenn eine Delphi-Befragung mehr als zwei Wellen umfasst, ist auch eine Nachrekrutierung von Experten möglich, um die Stichprobengröße zu erhalten. Auch die Delphi-Befragung kann online durchgeführt werden. Dies bringt den Vorteil, dass weniger Kosten entstehen, schwer erreichbare Personen teilnehmen können, weil die Befragung orts- und zeitungebunden stattfindet. Außerdem können kürzere Zeiten zwischen den Wellen veranschlagt werden. Vor allem wenn das Ziel der Delphi-Befragung eher sachorientiert ist, entstehen durch die Online-Variante keine Nachteile. Bei eher gruppendynamischen Zielen ist sie allerdings zu künstlich und hemmt die Dynamik (vgl. Welker / Werner / Scholz 2005: 111). 4.5 Die Struktur-Lege-Technik Bei der Struktur-Lege-Technik werden die Inhalte von Reflexionen (Einstellungen, Meinungen, Argumente) getrennt erhoben von ihrer Struktur. Die Struktur wird bei standardisierten Verfahren durch statistische Korrelationen errechnet und bei den qualitativen Verfahren durch den Forscher interpretativ rekonstruiert, also in beiden Fällen nicht mit dem Befragten abgestimmt. Insofern sind diese Vorgehensweisen monologisch. Im Gegensatz dazu ist die Struktur-Lege-Technik ein »Dialog-Konsens- Verfahren«, bei dem die subjektive Sichtweise des Befragten nicht nur inhaltlich abgefragt, sondern auch als Interpretation seiner subjektiven Struktur vom Forscher berücksichtigt wird. Der Befragte ist demzufolge aktiver und selbstbestimmter nicht nur bei seinen Aussagen, sondern auch bei deren Interpretation und strukturellen Relationierung (vgl. Scheele / Schreier 1994: 280f.). <?page no="131"?> Varianten der Befragung 132 Dieser Einbezug des Befragten in die Interpretation der Ergebnisse hat einige theoretische und methodologische Voraussetzungen: Prinzipiell werden dem Befragten (Handelnden) neben der generell für Befragungen notwendigen Sprach- und Kommunikationskompetenz die Fähigkeit zum Handeln, aber auch zur Reflexivität (des eigenen Handelns) und - zumindest potenziell - zur Rationalität unterstellt. Vor diesem Hintergrund umfasst die selbstinterpretative Innensicht der handelnden Person auch von außen nicht beobachtbare Kognitionen, die mit der Ausführung der Handlung verbunden sind. Darunter fallen Motive, Ziele und Absichten, welche die Handlung auslösen und die als hochkomplexe Handlungsbeschreibungen und Handlungsinterpretationen eine subjektive Theorie des Handelnden bilden. Diese Binnenperspektive des befragten Handelnden dient als Basisbeschreibung innerhalb des wissenschaftlichen Analyseprozesses. Sie stimmt nicht notwendig mit der Außenperspektive des Forschers überein, was jedoch nicht bedeutet, dass die Außenperspektive als Kriterium der Validierung der Innenperspektive geeignet wäre. Vielmehr muss eine Verständigung beider Perspektiven stattfinden, und dies kann nur unter optimalen Dialogbedingungen geschehen. Die Befragungsergebnisse werden folglich sowohl explanativ, also durch die Erklärungsversuche des Forschers, als auch kommunikativ durch die Zusammenführung beider Perspektiven validiert (vgl. Groeben 1992: 44f.). • In der ersten Stufe werden herkömmliche qualitative Befragungstechniken wie freie Assoziation, lautes Denken, Tagebuchaufzeichnungen, halbstrukturierte Leitfadeninterviews, auch standardisierte Interviews eingesetzt, um den Zugang des Befragten zu seinen mentalen Inhalten sowie zur möglichst präzisen Verbalisierung dieser Reflexionen und Intentionen zu gewährleisten. • In der zweiten Stufe sollen die Befragten ihre eigenen Auskünfte strukturieren. Dazu wird ihnen ein spezifisches Regelsystem vorgegeben, das die Relationen zur Verknüpfung von einzelnen Konzepten, Gedanken, Argumenten usw. expliziert. Die aus der ersten Phase gewonnenen inhaltlichen Konzepte werden auf Kärtchen geschrieben und mit Hilfe des Regelsystems geordnet. Dadurch entstehen Strukturabbildungen aus den einzelnen Konzepten und deren formale Relationen (vgl. Scheele / Schreier 1994: 281f.). Das Regelsystem enthält verschiedene logische Bezüge, mit denen der Befragte die Verknüpfung zwischen den Begriffen, Konzepten, Argumenten, die er in der ersten Stufe formuliert hat, charakterisieren kann. Dazu gehören die folgenden »Relationen« (vgl. Scheele / Schreier 1994: 284f.) 49 : 49 Es gibt unterschiedliche Regelsysteme, die vom Untersuchungsziel abhängen und flexibel eingesetzt werden können. Die folgende Beschreibung bezieht sich auf das bekannteste Regelsystem, die »Heidelberger Struktur-Lege-Technik« (vgl. Dann 1992: 36). <?page no="132"?> Die Struktur-Lege-Technik 133 • logische Relationen: »gleich« (für Definitionen), »und« (für Aufzählungen), »oder« (einschließend im Sinn von »oder auch«, ausschließend im Sinn von »entweder oder«), »Ober-/ Unterkategorie«; • abstrakte Relationen: »Manifestationen« (Beispiele für einen Begriff), »Indikatoren« (signalisieren das vorliegende Objekt, ohne es selbst zu sein); • semantische Relationen: »Absicht, Intention« (Ziel oder Zweck, nicht dagegen die Wirkung einer Handlung), »Voraussetzung« (implizit unterstellte, notwendige Voraussetzung einer Handlung); • kausale Relationen: A bewirkt B positiv (B hängt von A ab: je mehr A, desto mehr B), A bewirkt B negativ (B hängt von A ab: je mehr A, desto weniger B), A und B bewirken sich gegenseitig (beide sind voneinander abhängig). Das Regelsystem ist in der Regel visuell (zum Beispiel als Flussdiagramm) angelegt, um die Aufgabe für die Befragten kognitiv zu erleichtern und zu ihrer Erledigung motivational anzuregen. Mit dieser Visualisierung soll ein Abbild der subjektiven Wissensstrukturen der Befragten angefertigt werden. Außerdem werden auf diese Weise die Beziehungen direkt und anschaulich statt semantisch oder numerisch mit Hilfe statistischer Korrelationen dargestellt. Schließlich sind die Strukturbilder leicht korrigierbar; sie können erweitert, reduziert, differenziert oder revidiert werden (vgl. Dann 1992: 3ff.). Wenn die Befragten ihre eigenen Aussagen mit diesem Regelsystem selbst interpretieren und strukturieren, werden sie durch dieses beeinflusst. Allerdings ist die Beeinflussung ein gewollter Effekt, damit der Befragte differenzierter und sensibler über seine Aussagen und Argumente reflektiert und damit seine subjektive Perspektive genauer rekonstruiert, wobei diese Rekonstruktion stets selbstbestimmt bleibt. Auf diese Weise nähern sich Erkenntnissubjekt (Forscher) und Erkenntnisobjekt (Befragter) einander an und gelangen zu einem Erkenntniskonsens. Mehr noch ist mit dieser Zusammenarbeit auch die Möglichkeit der praktischen Veränderung von Handlungen für den Befragten verbunden (vgl. Scheele / Schreier 1994: 287f.). Das Verfahren setzt voraus, dass das Regelsystem dem Befragten leicht vermittelbar sein muss, denn bei Schwierigkeiten mit der Umsetzung ist die prinzipielle Gleichberechtigung zwischen dem Forscher und dem Befragten gefährdet (vgl. Dann 1992: 7). Darüber hinaus muss eine »ideale Sprechsituation« hergestellt werden. Dies wird zum einen durch einen harten Interviewstil umgesetzt, indem präzise, insistierende und konfrontierende Fragen gestellt werden. Allerdings darf dadurch das Vertrauen des Befragten nicht zerstört werden, sodass auch weiche Techniken der Kommunikation und Metakommunikation öfter zum Einsatz gelangen (vgl. Groeben 1992: 54). <?page no="133"?> Varianten der Befragung 134 Die zweite Phase, welche die Struktur-Lege-Technik von allen anderen Verfahren und Varianten der Befragung unterscheidet, kann unterschiedlich durchgeführt werden. Zu bevorzugen ist die Version mit dem eigenständigen Legeversuch des Befragten getrennt von dem Legeversuch des Forschers, weil diese Vorgehensweise eine aktivere und explizite Auseinandersetzung des Befragten mit seiner eigenen subjektiven Theorie gewährleistet. Allerdings ist der Legeversuch des Befragten oft deutlich weniger komplex als der des Forschers, selbst wenn er das Regelsystem hinreichend verstanden hat. Eine weitere Asymmetrie entsteht dadurch, dass der Forscher seinen Legeversuch auch inhaltsanalytisch unterstützen kann und somit über das kognitiv besser strukturierende Handwerkszeug verfügt. Der Verzicht eines eigenen Legeversuchs des Befragten führt ferner dazu, dass er sich zu stark an dem Legeversuch des Forschers oder auch nur an dessen Vorschlägen orientiert. Ein Kompromiss besteht darin, den Legeversuch gemeinsam durchzuführen, damit der Befragte nicht erst auf den Vorschlag des Forschers reagiert und damit in eine passive Rolle gedrängt wird, in der er nur noch den Forscher bestätigt (vgl. Groeben 1992: 58f., 63, 65). Das Einsatzgebiet von Dialog-Konsens-Verfahren ist die Textrezeption, oft die Lektüre und Interpretation fiktionaler Texte. Mit dem Verfahren werden die Wissensvoraussetzungen hinsichtlich bestimmter Textsorten sowie weitere Voreinstellungen ermittelt und in Beziehung gesetzt zum eigentlichen Textverständnis (vgl. Scheele / Schreier 1994: 290f.). Der Vorteil der Struktur-Lege-Technik besteht darin, dass die Gestaltung des Regelsystems viele Freiheiten lässt; nachteilig wirkt sich allerdings der vergleichsweise hohe Zeitaufwand aus (vgl. Dann 1992: 39). 4.6 Techniken zur direkten Messung von Kognitionen Die Befragung misst streng genommen nur verbale Äußerungen. Dennoch wird von diesen kommunikativen Mitteilungen auf Wahrnehmungen, Einstellungen oder Gefühle geschlossen. Obwohl Kognitionen prinzipiell nicht direkt in Kommunikation überführbar sind, wurden Verfahren entwickelt, um näher an die kognitiven Prozesse zu kommen und um diese weniger indirekt zu messen (vgl. Huber / Mandl 2 1994a: 21ff.). In diesem Abschnitt sollen einige interessante, wenngleich in der Kommunikations- und Medienwissenschaft bislang noch selten eingesetzte Befragungstechniken beschrieben werden. Die neueren Varianten setzen vor allem an dem Problem an, dass bei Befragungen selten momentane <?page no="134"?> Techniken zur direkten Messung von Kognitionen 135 Prozessdaten, sondern in der Regel nachträgliche und aggregierte Erfahrungen ermittelt werden. 50 4.6.1 Der Copytest Bei dem vor allem in der Media- und Werbeforschung eingesetzten Copytest geht es darum herauszufinden, ob und wie Leser Zeitungen oder Zeitschriften (englisch: copy = Ausgabe) rezipieren. Die verschiedenen Arten des Copytests reichen von der groben Messung des »Lesekontaktes« von Zeitungsseiten bis zur detaillierten Erfassung der Lektüre einzelner Artikel und Anzeigen. Der Interviewer legt dem Befragten das Originalblatt vor und bittet ihn, auf jeder Seite anzugeben, ob er bestimmte Artikel, Illustrationen oder Anzeigen gelesen bzw. beachtet hat oder nicht. Darüber hinaus fragt der Interviewer nach, ob der betreffende Artikel gründlich oder nur flüchtig gelesen wurde (»claimed readership«). Um die Angaben über diese Selbstauskunft hinaus zu bestätigen, kann alternativ dazu auch der Artikel abgedeckt werden, und der Befragte soll dann angeben, an welche Einzelheiten er sich erinnert (»proven readership«) (vgl. Koschnick 2 1995: Band 1: 330f.; → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.1.1). Der Copytest findet als Stichtagsbefragung jeweils einen Tag nach der Erscheinung der betreffenden Zeitungs- oder Zeitschriftenausgabe mit etwa 250 Personen statt. Da er in ein strukturiertes persönlich-mündliches Interview eingebettet ist, wird darüber hinaus in der Regel noch ermittelt, wie die befragten Leser einzelne Ressorts bewerten und welches Image das Medium selbst hat. Außerdem werden Fragen zu Lesedauer, Lesemenge und Leser-Blatt-Bindung sowie zu Themeninteresse und zur subjektiven Einschätzung der Nutzung einzelner Ressorts gestellt. Schließlich werden gelegentlich Fragen zu einzelnen Artikeln (Gefallen, Gründe für die Nichtnutzung oder den Leseabbruch), zu einzelnen Seiten (Seitenaufbau, Leseanreiz, Übersichtlichkeit, Anmutung) oder zu einzelnen Ressorts eingebaut (vgl. Hippler 2001: 5f.). Der Copytest wurde bereits in den zwanziger Jahren in den USA von Daniel Starch angewendet, um die Beachtung von Anzeigen zu messen, und von George Gallup, um die Leserzahlen redaktioneller Beiträge in Zeitungen festzustellen. Seitdem ist das Verfahren weiterentwickelt worden und lässt sich auch auf Fernsehsendungen und Fernseh-Werbespots übertragen (vgl. Schaefer 1992). 50 Auch bei Panelbefragungen oder Trendbefragungen handelt es sich nicht um originäre Prozessdaten, da die Zeiträume zwischen den Befragungszeitpunkten vergleichsweise groß sind. Als Prozessdaten können folglich nur solche bezeichnet werden, die einen Verhaltens- oder Handlungsprozess möglichst zeitnah begleiten. <?page no="135"?> Varianten der Befragung 136 Die Copytest-Ergebnisse dürfen allerdings nicht überbewertet werden, weil die Befragten dazu neigen, Auskunft über ihr normales anstatt über das konkrete, auf den speziellen Fall bezogene Leseverhalten zu geben. Deshalb sollte eine Reihe von Copytests über verschiedene Tage oder über verschiedene Ausgaben hinweg durchgeführt werden (vgl. Hippler 2001: 5). Weiterhin besteht die Gefahr, dass die Lesemenge über- oder unterschätzt wird, weil es sozial erwünscht ist, bestimmte Zeitungen oder Artikel zu lesen oder zu meiden. Schließlich hängt die Qualität der Ergebnisse von der Aufnahmefähigkeit und Aufnahmebereitschaft der Befragten ab. Nur bei einer sehr begrenzten Menge von Artikeln oder Anzeigen lässt sich überprüfen, ob sie wahrgenommen und gelesen wurden, sonst erlahmen Geduld und Konzentration der Befragten. Auf der anderen Seite ist das Verfahren immer noch geeigneter als seine Alternativen. Legt man den Befragten Listen oder Karten mit Überschriften vor, riskiert man noch ungenauere Antworten, auch wenn damit wenigstens teilweise nachgeprüft werden kann, ob die Befragten die Wahrheit sagen, indem ihnen auch falsche Titel untergeschoben werden. Auch Befragungen, die mit dem Tagebuchverfahren arbeiten, hängen stark von der Disziplin der Befragten beim Eintragen ihrer Lektüre ab (vgl. Koschnick 2 1995: Band 1: 330f.). Eine besondere Variante ist das ab 1999 entwickelte Verfahren des Readerscan (vgl. Meier 2004: 24), bei dem repräsentativ ausgewählte Leser einer Zeitung mit einem elektronischen Stift (Handscanner) die Artikel markieren, die sie lesen. Im Unterschied zum herkömmlichen Copytest wird die Nutzung hier also während des Lesens erfasst. Außerdem werden die Stellen markiert, an denen der Leser aus einem Artikel aussteigt, wenn er ihn nicht komplett liest. Es kann somit ermittelt werden, welche Artikel und welche Abschnitte oder Zeilen gelesen wurden. Dieses Verfahren kann in mehreren Wellen wiederholt, also als Panelstudie ( → Kapitel 3.7.2) werden. Durch das Scannen können die Daten unmittelbar aufbereitet und ausgewertet werden. Insgesamt kann das Nutzungsverhalten der Leser vergleichsweise effizient, präzise, langfristig und zuverlässig erfasst werden ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.1.1). 4.6.2 Die Technik des lauten Denkens (Think Aloud Technique) Die Antwort auf eine Frage ist das Ergebnis eines kognitiven Prozesses, der selbst nicht kommuniziert wird. Der Weg, wie eine Person zu ihrer Antwort oder einer anderen kommunikativen Äußerung gelangt, kann nur erfasst werden, wenn man diese Person bittet, ihre Gedanken in der betreffenden Situation (was sie denkt, wahrnimmt, fühlt, empfindet), in der sie etwas kommuniziert (verbal geäußert) hat, laut auszusprechen. <?page no="136"?> Techniken zur direkten Messung von Kognitionen 137 Diese Technik des lauten Denkens wurde in der Denkpsychologie von Karl Bühler bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt. In diesem Bereich und in der Unterrichtsforschung wird die Technik noch heute häufig verwendet (vgl. Weidle / Wagner 2 1994: 81, 86ff.). Als Unterhaltungselement wird die Technik des lauten Denkens auch in Quizshows angewendet, wenn der Moderator die Kandidaten dazu auffordert, ihre Entscheidungsfindung für die Antwort kundzutun. Die Kandidaten äußern dann ihre Gedanken, mit denen sie abwägen, welche Antwort die richtige auf die gestellte Frage sein kann. Lautes Denken erfolgt parallel zu einer Primäraufgabe oder Primärtätigkeit, ist also selbst eine »Nebentätigkeit«. Die befragten Personen werden dabei aufgefordert, ihre aktuellen Gedanken auszusprechen. 51 Es geht also nicht darum, was eine Person im Allgemeinen über sich denkt, sondern was ihr im Moment tatsächlich durch den Kopf geht oder gegangen ist (vgl. Bilandzic / Trapp 2000: 186; Weidle / Wagner 2 1994: 82f.). Die Gedanken müssen nicht unbedingt oder immer im Vollzug ihrer Produktion bzw. parallel dazu verbalisiert werden, sondern können auch nachträglich, dann aber in nur geringem Zeitabstand kommuniziert werden. Die nachträgliche Verbalisierung ist dann notwendig, wenn die Primäraufgabe bzw. Primärtätigkeit mit einer bestimmten Zeitvorgabe verbunden ist oder nur kurz andauert (etwa beim Umschalten von Fernsehprogrammen). In diesen Fällen wird das Verhalten der befragten Person oder die Erledigung der Aufgabe aufgezeichnet und dem Befragten danach vorgeführt, damit er retrospektiv die Gedanken, die er während der Tätigkeit empfunden hat, berichtet (vgl. Bilandzic / Trapp 2000: 186f.). Je nachdem, ob sich das Ziel der Untersuchung auf Details des Rezeptionsprozesses ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 3.3) oder auf das Gesamtbild der Rezeption bezieht, kann die Technik unterschiedlich angewendet werden: Soll der Befragte während des Rezeptionsprozesses laut denken, können damit konkrete Prozesse verfolgt werden, während das nachträgliche laute Denken eher zu einem Gesamteindruck führt. Will man die lineare Seite der Rezeption - etwa des Leseprozesses - rekonstruieren, werden dem Befragten nur einzelne Ausschnitte (Sätze, Absätze eines Textes) dargeboten, während die Vorlage des 51 Ob lautes Denken damit eine introspektive Methode ist, bei der subjektive »Theorien«, also Wahrnehmung inklusive ihrer Interpretationen wiedergegeben oder rekonstruiert werden, oder ob es im Unterschied zur Introspektion nur um die direkte Wiedergabe der Gedanken möglichst ohne zusätzliche Interpretation geht, wird in der Literatur unterschiedlich beschrieben und hängt vom Forschungsziel und von der Instruktion ab, mit der die befragte Person zum lauten Denken aufgefordert wird (vgl. Weidle / Wagner 2 1994: 82; Bilandzic / Trapp 2000: 186). <?page no="137"?> Varianten der Befragung 138 gesamten Textes oder der gesamten Sendung eher für die Beschreibung der Makroprozesse geeignet ist. Eine weitere kommunikations- und medienwissenschaftliche Anwendung besteht in dem Vergleich zwischen der Inhaltsanalyse von Texten und den durch lautes Denken ermittelten Daten der Rezeption von Texten 52 (vgl. Steen 1994: 299, 303). Schließlich lässt sich auch der Produktionsprozess kognitiv begleiten, etwa die Überlegungen beim Verfassen von Nachrichten (vgl. Shapiro 1994: 1). Von großer Bedeutung für das Funktionieren der Methode ist die Instruktion, die der Interviewer dem Befragten gibt. Sie besteht aus drei Elementen (Phasen): Im Hauptteil wird der Befragte aufgefordert, dass er während seiner Primärtätigkeit laut denken und alle seine Gedanken äußern (oder seltener: niederschreiben) soll. In der Ergänzung wird die Instruktion präzisiert. Mit der Nachfrage wird der Befragte an die Sekundäraufgabe des lauten Denkens erinnert, falls er seine Gedanken im Verlauf der Erledigung der Primäraufgabe zu selten verbalisiert. Die Nachfrage erfolgt in der Regel nach 15 bis 30 Sekunden Schweigen. Die Instruktion muss ungerichtet sein, also zur unzensierten, direkten Wiedergabe auffordern, bei der keine Relevanzselektion stattfindet. Gerichtete Instruktionen, bei denen der Interviewer den Befragten auffordert, über etwas Konkretes nachzudenken und dies zu äußern, etwa über einen bestimmten Aspekt der Erledigung der Primäraufgabe, lenken dagegen vom lauten Denken ab und führen dazu, dass der Befragte seine Gedanken weniger direkt äußert, sondern eher Schlussfolgerungen aus seinen Gedanken zieht. Auch bei einer scheinbar unzusammenhängenden, bruchstückhaften Verbalisierung darf der Interviewer den Befragten nicht zur Kohärenz seiner Aussagen drängen (vgl. Bilandzic / Trapp 2000: 189; Shapiro 1994: 4f., 7f.). Allerdings gibt es Fragestellungen, die eine gerichtete oder fokussierte Instruktion sinnvoll machen: Die Aufmerksamkeit des Befragten wird dann auf ausgewählte Aspekte des Textes oder der Sendung gelenkt, die besonders verbal elaboriert werden sollen. Diese Art der Instruktion kann auch zweistufig erfolgen, indem der Befragte zunächst die relevanten Stellen der Rezeption markieren soll, um im Nachhinein darüber laut zu denken (vgl. Steen 1994: 299). 52 Steen (1994: 303f.) versteht dabei die Inhaltsanalyse des Textes als »Norm«, an der die Reliabilität der Rezeption bzw. des lauten Denkens über die Rezeption gemessen wird. Dieser Normbegriff ist allerdings rein methodisch und nicht theoretisch zu verstehen, denn man kann aus unterschiedlichen Rezeptionsweisen nicht auf die Richtigkeit der Textlektüre schließen, sondern eher den Grad der Polyvalenz eines Textes erkennen: Textstellen, über die alle Befragten ähnliche Gedanken haben, sind dann konventionell eindeutiger als solche, die höchst unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. <?page no="138"?> Techniken zur direkten Messung von Kognitionen 139 In der Regel soll der Befragte alle Gedanken äußern, die ihm während einer Handlung in den Sinn kamen. Damit findet sozusagen eine Vollerhebung der Gedanken statt, die nur deshalb nicht vollständig sein kann, weil nicht alle Gedanken geäußert werden (können). Die Instruktion zum lauten Denken kann aber auch stichprobenartig erfolgen. Bei solchen »Gedankenstichproben« werden Zeitintervalle festgelegt, während derer der Befragte seine Gedanken berichten soll. Wenn die Stichprobenziehung mit dem Zufallsverfahren erfolgt, bekommt der Befragte ein Signal, nach dem er seine Gedanken auf ein Aufnahmegerät sprechen oder auf Papier aufschreiben soll. Eine bewusste Auswahl findet dagegen statt, wenn es dem Befragten selbst überlassen bleibt, wann er seine Gedanken äußert. Das laute Denken wird in diesem Fall etwa durch ein (subjektives) Relevanzkriterium gesteuert, das heißt, der Befragte denkt dann laut (nach), wenn er die Gedanken für wichtig hält (vgl. Huber / Mandl 2 1994b: 106f.). Die Grenzen der Technik des lauten Denkens bestehen darin, dass grundlegende Wahrnehmungsoperationen nicht verbalisierbar sind. Bei Routineaufgaben ist die Technik ebenfalls weniger geeignet, weil diese oft nicht den Bewusstheitsgrad erlangen, der zur Verbalisierung der Gedanken notwendig ist. Da ferner Gedanken schneller als das Sprechen ablaufen, findet notwendigerweise immer eine Selektion statt. Probleme entstehen auch, wenn innere Bilder, Gefühle oder Wahrnehmungen verbalisiert werden sollen und damit »umcodiert« werden müssen. So gesehen besteht praktisch immer die Gefahr, dass Gedanken erst sprachlich aufbereitet werden, indem Redundantes weggelassen wird, Kohärenz hergestellt wird und Inkonsistenzen vermieden werden (vgl. Bilandzic / Trapp 2000: 190ff.; Weidle / Wagner 2 1994: 84f.; Shapiro 1994: 3). Darüber hinaus ist die Technik des lauten Denkens reaktiv, weil die Verbalisierung der Gedanken auf die Gedanken selbst zurückwirkt. Diese Rückwirkung vollzieht sich in drei Dimensionen: • In zeitlicher Hinsicht verlangsamt sich die Gedankenproduktion, wenn gleichzeitig darüber gesprochen wird. Beim nachträglichen lauten Denken tritt zusätzlich noch der Gedächtniseffekt auf, denn hierzu muss das Langzeitgedächtnis abgerufen werden, selbst wenn die Verbalisierung zeitlich sehr schnell nach der Erledigung der Primärtätigkeit erfolgt. Außerdem wird es schwerer, die aktuellen, während der Tätigkeit produzierten Gedanken von den nicht-aktuellen nachträglichen oder reflektierenden Gedanken zu trennen. • In der sachlichen Dimension wird das Verhalten bei der Lösung der Primäraufgabe bewusster und rationaler. Das kann dazu führen, dass die Primäraufgabe besser gelöst wird oder dass der Befragte starrer an einem bestimmten Lösungsweg festhält. Beim nachträglichen lauten Denken gibt es keine Rückwirkung auf die Aufgabenlösung selbst, wenn der Befragte nicht bereits bei <?page no="139"?> Varianten der Befragung 140 der Erledigung der Aufgabe weiß, dass er hinterher laut über die Tätigkeit nachdenken soll. • In der sozialen Dimension ist die Selektion der Verbalisierung auch von der Instruktion und Erscheinungsweise des Interviewers abhängig. Es werden nur die Gedanken ausgesprochen, die der Befragte für sinnvoll hält. Beim nachträglichen lauten Denken ist die Selektion noch mehr an den Kriterien der Rationalität und Kohärenz ausgerichtet. Ferner treten generell bei der Rezeption komplexer Texte oder Sendungen andere Komplikationen wie Irritation, Verwirrung oder Scham auf (vgl. Steen 1994: 302). Um die Reaktivität zu vermindern, wird in der Regel ein »Aufwärmtraining« zur Einübung durchgeführt, damit der Befragte das laute Denken selbst routinisiert. Der Versuch muss so angelegt sein, dass die Hauptaufmerksamkeit auf die Primärtätigkeit gerichtet ist und dass das laute Denken dem Befragten keine Mühe bereitet. Die Instruktion des Interviewers muss dem Befragten suggerieren, dass er eine Art Selbstgespräch führt und der Interviewer dabei in den Hintergrund tritt. Trotz dieser Maßnahmen ist die Technik des lauten Denkens in hohem Maß kontext- und situationsgebunden (vgl. Bilandzic / Trapp 2000: 193ff.). 4.6.3 Die kontinuierliche Messung (Continuous Response Measure) In besonderem Maß prozessorientiert ist die Technik der »Continuous Response Measure« (CRM) oder der »Real Time Response Measure« (RTR). Während der Nutzung eines audio-visuellen Mediums werden kontinuierlich introspektive Selbstberichte, Bewertungen oder Meinungen der Rezipienten gemessen. Die Technik wurde erstmals bereits von Paul F. Lazarsfeld und Frank Stanton 1945 im Kontext der Radioforschung eingesetzt. Robert K. Merton nannte sie »eindimensionales Introspektometer« (vgl. Biocca / David / West 1994: 20ff.). Technisch wird ein Gerät eingesetzt, das aus einer Box mit zwei oder mehr Knöpfen, einem Dreh- oder Schieberegler oder aus einem Joystick bestehen kann. Damit ist es möglich, binäre Urteile abzugeben (Programm gefällt mir vs. gefällt mir nicht; Sendung ist spannend vs. ist langweilig; Präferenz für Person A vs. für Person B usw.), indem der Befragte den betreffenden Knopf drückt oder den Regler in die jeweilige Richtung dreht. Abgestufte Urteile sind mit sieben-, zehn- oder gar hundertstufigen Skalen möglich, die auf einer Wählscheibe abgetragen sind. Der Joystick erlaubt sogar stufenlose Urteile. Solche Messungen erfassen normalerweise nur eine Urteilsdimension; sie können aber prinzipiell auch mehrdimensional durchgeführt werden, wenn dies den Befragten nicht kognitiv überfordert. Die Mehrdimensionalität kann ferner dadurch erreicht wer- <?page no="140"?> Techniken zur direkten Messung von Kognitionen 141 den, dass die Stichprobe aufgeteilt wird oder die Befragten die Messung mehrfach durchlaufen (vgl. Biocca / David / West 1994: 32f., 53). Das Verfahren der kontinuierlichen Messung findet im Labor statt. In der Regel ist eine Stichprobe von rund 50 Personen vorgesehen. Dadurch, dass die Befragten permanent das vorgeführte Stimulusmaterial beurteilen müssen, wird auch eine zeitliche Stichprobe aus der Menge aller möglichen Beurteilungen gezogen. Diese kann bei der Durchführung zeitlich variieren, wenn die Veränderungen sehr schnell in Millisekunden oder sehr langsam in Minuten gemessen werden. Jede Befragte urteilt individuell und privat, sodass die Anonymität des Urteils gewährleistet ist. Für die Auswertung wird die aggregierte kontinuierliche Kurve der Bewertungen über den Sendeverlauf gelegt, sodass jeder besondere Ausschlag der Bewertung einer bestimmten Stelle im präsentierten Stimulusmaterial zugeordnet werden kann (vgl. Biocca / David / West 1994: 33, 37f.; Bewley 2001 221ff.). Neben der Erfassung von Veränderungen des (rezipierten) Medieninhaltes kann die kontinuierliche Messung als Selbstbericht des Befragten zu seinem momentanen mentalen Zustand oder zur Codierung von (medialem) Kommunikationsverhalten dargestellter Personen eingesetzt werden. Die Ergebnisse können demnach nicht nur in aggregierter Form von Bewertungsverläufen medienzentriert, sondern auch als individuelle Stimmungskurven rezipientenbezogen interpretiert werden. Das Verfahren ist geeignet, affektive Reaktionen gegenüber dem präsentierten Stimulusmaterial, Wahrnehmungsurteile und Wahrnehmungsprozesse sowie semantische Urteile und Interpretationsprozesse zu erfassen. Indirekt ist auch die Aufmerksamkeit messbar als Häufigkeit des Wechsels von Bewertungen und Urteilen. Weiterhin werden die Bewertungen spontan, simultan zu ihrer Entstehung (nicht erst im Nachhinein) und permanent erfasst (vgl. Biocca / David / West 1994: 25f.; → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 3.4). Da diese Bewertungen spontan erfolgen, müssen andere Dimensionen nachträglich erfragt werden. Die Verwendungsmöglichkeiten der Technik sind dabei vielfältig (vgl. Biocca / David / West 1994: 35ff.): • Die Bewertungen aus der CRM oder RTR-Messung können als Erinnerungsstütze für den Befragten benutzt werden: In einer anschließenden Befragung kann der Befragte die jeweiligen Bewertungen erläutern und kommentieren. • Ebenso ist eine Einbettung der Technik in Gruppendiskussionen denkbar, um über interessante Spitzen in der Bewertung gemeinsam zu diskutieren. Die Befragten müssen dann nicht mehr (selektiv) auf ihre Erinnerung zurückgreifen, sondern werden mit ihren eigenen simultan zur Rezeption erfolgten Ur- <?page no="141"?> Varianten der Befragung 142 teilen konfrontiert, die sie im Nachhinein interpretieren und begründen sollen (vgl. Bewley 2001: 224). • Die Technik lässt sich auch in quasi-experimentelle Designs einbauen. Auf diese Weise kann die Aufmerksamkeit gegenüber einem manipulierten Stimulusmaterial oder dessen Bewertung kontrolliert gemessen werden. • Der Vergleich zwischen den kontinuierlichen Bewertungen, die mit CRM bzw. RTR gemessen werden, und Bewertungen im Nachhinein, die auf einen gewöhnlichen Fragebogen zurückgehen, ermöglicht die Beschreibung von Urteilsprozessen: Erfolgt eine nachträgliche, summarische und abschließende Bewertung aufgrund des Durchschnitts der permanenten Eindrücke, oder sind besondere Bewertungsspitzen ausschlaggebend? Diesen Vorteilen stehen auch Nachteile gegenüber: • Trotz aller Spontaneität bei der Bewertung und Beurteilung erfordert das Verfahren eine hohe Selbstaufmerksamkeit und Selbstverpflichtung. Ähnlich wie beim lauten Denken überlagert die Aufgabe der permanenten Bewertung die Rezeption selbst, sodass die Versuchsperson diese Aufgabe zu keiner Zeit vergessen darf. • Eine permanente Bewertung von Medieninhalten entspricht nicht der natürlichen Rezeptionssituation. Selbst wenn die Bewertung neutral ausfällt (Joystick bleibt in der Mitte, Knopf wird nicht gedrückt usw.), geht dem eine Entscheidung über diese Nichtbewertung oder neutrale Bewertung voraus. • Wie hoch die Reliabilität des Verfahrens ist, kann kaum beurteilt werden, weil jede Wiederholung der Messung die ursprüngliche Rezeptionssituation verändert (wie bei einem Film, den man zum wiederholten Mal sieht). In der Messung steckt wahrscheinlich ein hohes Maß an »Rauschen«. In der angewandten Markt- und Mediaforschung werden mit dem Verfahren zum Beispiel Sendungspiloten getestet. Dazu werden bestimmte Sendungen oder Werbespots einer Gruppe von Personen vorgeführt, die mittels eines Dreh- oder Schiebereglers zeitlich parallel zur Rezeption ihre momentanen Empfindungen zu den gezeigten Szenen ausdrücken. Die aggregierten Bewertungskurven geben Auskunft über die positiv und negativ bewerteten Teile des gezeigten Materials. Eine besondere Variante ist ein roter »Kill-Button«, den die Befragten drücken sollen, wenn sie das gezeigte Programm verlassen wollen. Dies ist ein Indikator für das Zapping-Risiko eines Programms (vgl. Bewley 2001: 222f.). <?page no="142"?> 143 0 B 5 Fragen und Antworten im Fragebogen Das Kapitel über den Fragebogen nimmt in den Lehrbüchern in der Regel eine zentrale Stellung ein. Für den Fragebogen als das Instrument der Befragung wurden die meisten Regeln aufgestellt und Techniken entwickelt. Allerdings ist die Fragebogenkonstruktion nur eine Station im Prozess der Befragung. Der Fragebogen strukturiert zwar die Durchführung der Befragung, ist aber nur das Medium der Kommunikation. Es wäre vermessen zu glauben, dass sich mit bestimmten Techniken die Interaktion mit dem Befragten technisch steuern ließe. Eine solche Perspektive müsste mit einem Stimulus-Response-Modell der Befragungskommunikation arbeiten. Der Umkehrschluss, dass es auf den Fragebogen nicht ankomme, dass die in der Umfrageforschung erprobten und in den Lehrbüchern formulierten Regeln austauschbar wären, ist ebenso durch keine Erfahrung gerechtfertigt. Nur sollte sich eine auf die Befragungsmethode angewandte kommunikationswissenschaftliche Perspektive bewusst sein, dass solche Regeln nur den Rahmen abstecken können. Der Fragebogen ist ferner das Kontaktinstrument des Wissenschaftlers mit dem Forschungsfeld und somit die methodische, empirische Umsetzung theoretischer Fragestellungen und theoretischer Konzepte. Dabei ist es für die Befragung als Methode nicht von Belang, ob diese theoretischen Konzepte in exakte Hypothesen eingebettet sind oder explorativer Natur sind. Aus diesem Grund kann auf eine Diskussion der Bedeutung von Hypothesen verzichtet werden; es genügt eine Beschreibung des Weges von wissenschaftlichen Forschungsfragen zu den Fragen im Fragebogen. Die Formulierung der Fragen und der Antwortvorgaben ist besonders in der standardisierten und experimentellen Befragung von zentraler Bedeutung, wohingegen bei offenen Verfahren die Interviewsituation als wichtiger angesehen wird. Das folgende Kapitel bezieht sich demnach in erster Linie auf standardisierte Formen der Befragung; allerdings betreffen die Regeln für die Ausarbeitung von Fragen (und eingeschränkt auch von Antwortvorgaben) den Zusammenhang von Sprache und kognitiven Prozessen überhaupt und sind demzufolge auch für Anwender offener Befragungsformen von Interesse. Zudem basieren viele Regeln für die Entwicklung von Fragebögen auf kognitionspsychologisch gestützter Umfrageforschung, die in Deutschland vor allem vom ZUMA ( → Kapitel 1.1) seit den 1980er-Jahren vorangetrieben wird (vgl. Porst 2008: 13f.). <?page no="143"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 144 1 B 5.1 Der Fragebogen als Instrument der Operationalisierung Die Fragen, die im Fragebogen gestellt werden, sind nicht identisch mit den Untersuchungsfragen, und seien diese noch so konkret. Die Untersuchungs-, Forschungs- oder Programmfragen ergeben sich aus dem Untersuchungsziel und konkretisieren dieses. Diese Fragen stellt sich der Forscher selbst. Die (Test-) Fragen im Fragebogen werden dagegen dem Befragten gestellt und müssen auf ihn inhaltlich und sprachlich abgestimmt sein. Der Prozess von der Forschungs-, Untersuchungs- oder Programmfrage zur Fragebogen- oder Testfrage ist die Operationalisierung, eine Art Übersetzung theoretischer Konzepte in das empirische Instrument. Nach der Durchführung der Befragung erfolgt eine zweite Übersetzung, eine »Rückübersetzung« F 53 F von der Frage im Fragebogen zur Variablen für die statistische Aufbereitung (bei standardisierten Befragungen) und für die textliche Aufbereitung (bei nicht-standardisierten Befragungen) (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 93ff., 377ff.). Die von der Fragebogenfrage rückübersetzte Variable ist nicht identisch mit der ursprünglichen Untersuchungsfrage, sondern (nur) ein Indikator zu ihrer Beantwortung. Während die Operationalisierung zur Entwicklung des Instruments gehört, ist die Indikatorenbildung der empirischen Variablen für das theoretische Konzept oder Konstrukt eine Angelegenheit der Dateninterpretation. Deshalb sind beide Phasen des Forschungsprozesses nicht identisch ( ≡ ), sondern nur äquivalent ( ⇔ ). Abb. 5: Vom theoretischen Konzept zur empirischen Variablen: theoretisches / latentes Konzept / Konstrukt (Untersuchungsfrage) Indikator (Dateninterpretation) ⇔ Operationalisierung (Instrumententwicklung) empirische / manifeste Variable (Fragebogenfrage und Antwort) 53 Der Begriff suggeriert ein kreisförmiges Verhältnis zwischen Theorie und Empirie, bei dem sich Anfang und Ende treffen. Realistischer für die Beschreibung des tatsächlichen Forschungsprozesses ist die Vorstellung einer wechselseitigen Bedingung, bei dem sich Untersuchungs- oder Forschungsfrage (Konstrukt) und Fragebogenfrage (Variable) zwar aufeinander beziehen, aber nicht deckungsgleich werden. Die Kluft zwischen theoretischem Konstrukt und empirischer Variable lässt sich nie schließen, sondern nur »überbrücken«. <?page no="144"?> Der Fragebogen als Instrument der Operationalisierung 145 Die Forschungsfrage ist immer mit den Vorstellungen des Forschers verbunden und kann nicht direkt beantwortet (gemessen), sondern nur aus den Antworten der Befragten auf die Fragebogenfragen (indirekt) erschlossen werden. Die Forschungsfrage und die in ihr verwendeten theoretischen Konstrukte bleiben demzufolge im Untersuchungsprozess latent, manifest werden dagegen die direkt gemessenen Indikatoren in Form von Fragen im Fragebogen. Während der gesamte Prozess der Umsetzung der Forschungsfrage in die Fragebogenfrage(n) Operationalisierung genannt wird, sprechen wir bei der Überführung der einzelnen theoretischen Konstrukte in empirisch messbare Indikatoren (Variablen) von operationaler Definition. Das ist eine Art Arbeitsdefinition, die festlegt, wie ein bestimmtes theoretisches Konstrukt gemessen, also in die Begrifflichkeit von Fragebogenfragen übersetzt werden soll. Operationale Definitionen sind auf der einen Seite mehr oder weniger frei wählbar (kontingent, arbiträr), haben sich aber auf der anderen Seite auch durch die Forschungstradition in vielen Fällen als Konventionen bewährt und sind mitunter sogar - in Tests ( → Kapitel 3.5) - normiert. Die folgenden beiden Beispiele sollen diese Eigenschaften operationaler Definitionen veranschaulichen: • Wenn in der Forschungsfrage die »politische Einstellung« eine Rolle spielt, so gibt es zahlreiche Möglichkeiten, dieses theoretische Konstrukt zu operationalisieren, das heißt operational zu definieren und in Fragebogenfragen zu übersetzen. Man kann etwa nach der Sympathie oder Präferenz für bestimmte politische Parteien oder ihre Kandidaten fragen, nach der Zustimmung zu bestimmten politischen Aussagen oder Forderungen, nach einer durch den Befragten selbst einzuschätzenden Position auf einer Links-Rechts-Skala oder im Vergleich zu wichtigen Referenzpersonen (vgl. Ehmig 2000: 131ff.). Aus diesen Fragebogenfragen werden Variablen für die statistische Auswertung oder für die sprachliche Interpretation gewonnen. So ist etwa die Sympathie für den Kandidaten einer bestimmten Partei eine Variable, die verschiedene (positive und negative) Ausprägungen haben kann. Dazu wird zum Beispiel die Frage gestellt: »Wie sympathisch finden Sie Herrn / Frau ...? « Die Frage kann offen gestellt werden, sodass der Befragte sie in eigenen Worten beantworten kann, oder sie kann mit Antwortvorgaben gestellt werden, sodass der Befragte die für ihn passende Antwort aussucht. Diese Antwortvorgabe kann eine Skala sein, die folgende Möglichkeiten umfasst: »sehr sympathisch«, »eher sympathisch«, »eher unsympathisch«, »sehr unsympathisch«, »weiß nicht« ( → Kapitel 5.5). Wählt der Befragte die erste oder zweite Antwortmöglichkeit oder gibt er eine offene Antwort, die sich als Sympathie für den betreffenden Kandidaten interpretieren lässt, ist dies ein Indikator dafür, dass <?page no="145"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 146 der Befragte eine positive Einstellung zu dem Kandidaten hat. Die dritte und vierte Antwortmöglichkeit oder eine dazu ähnliche offene Antwort lassen dagegen auf eine negative Einstellung zu dem Kandidaten schließen. Das Nichtvorhandensein einer Einstellung zu dem Kandidaten ist daran zu erkennen, dass der Befragte dies offen zum Ausdruck bringt oder die Antwortvorgabe »weiß nicht« wählt. • Auch ein weniger abstraktes Konzept als die politische Einstellung wie die Nutzung eines Mediums bedarf der Operationalisierung, also der Übersetzung in eine oder mehrere Fragebogenfrage(n). So fragt zum Beispiel die »Media-Analyse« in mehreren Schritten nach der Nutzung von Zeitschriften. Nutzung wird dabei operational definiert als »durchgeblättert oder gelesen«. Wer in einem bestimmten Zeitraum diese Bedingung erfüllt, wird zum »weitesten Leserkreis« dieser Zeitschrift gezählt. Die Zugehörigkeit zum weitesten Leserkreis ist folglich der Indikator für die Nutzung der Zeitschrift ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.2.1). Um die Nutzung noch genauer zu erfassen, kann ein Copytest durchgeführt werden, bei dem der Interviewer dem Befragten eine Ausgabe der Zeitschrift vorlegt und zu jedem Artikel (oder zu jeder Anzeige) fragt, ob der Befragte den Artikel gelesen hat (oder die Anzeige wahrgenommen hat). Dieser Indikator ist genauer als derjenige der Media-Analyse, aber mit viel größerem Aufwand bei der Erhebung verbunden ( → Kapitel 4.6.1, www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.1.1). Wenn bereits solche vermeintlich einfachen Merkmale wie das Lesen einer Zeitung oder Zeitschrift nur umständlich methodisch umzusetzen sind, dann wird deutlich, dass sehr abstrakte Begriffe oder Phänomene kaum mehr operationalisierbar sind. So ist etwa der Begriff »Medienwirkung« mit vielen Problemen verbunden, weil er zum einen einer Spezifierung bedarf, ob damit eine kognitive, emotionale, einstellungsbezogene oder gar verhaltensbezogene Wirkung gemeint ist. Zum anderen muss der logische Status einer Wirkung geklärt werden, also ob eine Wirkung nur dann als solche aufgefasst werden kann, wenn es um Veränderungen etwa von Einstellungen geht oder ob auch die Verstärkung eines vorherigen Zustandes (etwa einer Einstellung) eine Wirkung sein kann. Schließlich stellt sich die Frage wie man die Verstärkung oder Bestätigung methodisch erfassen kann, wenn sich die betreffende Einstellung nicht verändert. Die obigen Beispiele sind eher typisch für die standardisierte Forschung, weil die Operationalisierung vom Forscher gesteuert bzw. vorgegeben wird. In der qualitativen Forschung beruht die Operationalisierung dagegen zu einem großen Teil auf den Interpretationsleistungen des Befragten selbst. Hier wird ein abstrakter Begriff also nicht vom Forscher in verschiedene konkrete Begriffe bzw. Indikatoren zerlegt, sondern das Verständnis des Befragten ermittelt. So würde man <?page no="146"?> Frageinhalte 147 etwa den Befragten nicht nur nach seiner politischen Einstellung fragen, sondern auch danach, was er darunter versteht, welche Aspekte er unter diesen Begriff fasst. Auch beim Lesen einer Zeitung würde man genau nachfragen, was mit Lesen gemeint ist. Das ist zwar in der standardisierten Befragung prinzipiell ebenfalls möglich, führt aber zu einem erheblichen Mehraufwand, weil in den Antwortvorgaben die möglichen Interpretationsdimensionen bereits enthalten sein müssten oder - im Fall von offenen Fragen - die Antworten eindeutigen Kategorien zugeordnet werden müssten. F 54 2 B 5.2 Frageinhalte Die Befragung kann sich auf höchst unterschiedliche kognitive und kommunikative Inhalte beziehen, die mit verschiedenen Fragearten erhoben werden. F 55 • Faktfrage: Bei Faktfragen wird vom Wissen des Befragten um einen Sachverhalt oder eine Person ausgegangen. Es geht um feststehende und konstante Merkmale. Dazu gehören die demografischen Angaben F 56 F (Geschlecht, Alter, (Hoch-) Schulbildung, Beruf, Einkommen, Wohnort, Religion oder Konfession, ethnische Herkunft oder Zugehörigkeit, regionale Herkunft, Staatsangehörigkeit usw.) oder das Vorhandensein bzw. den Besitz von Geräten. Beispiel: »Besitzen Sie ein Radiogerät? « oder »Wer ist in Ihrer Redaktion für die Auswahl von Nachrichten verantwortlich? « • Wissensfrage: Bei Wissensfragen wird das Wissen des Befragten nicht vorausgesetzt, sondern erst ermittelt. Dies kann offen (»ungestützt«) oder mit Vorgaben (»gestützt«, etwa in Form von Multiple-Choice-Fragen) erfolgen. 54 Die Beschreibung und Diskussion von Operationalisierungen ist der wichtigste Zweck des digitalen Zusatzangebots, sodass an dieser Stelle keine weiteren Beispiele erläutert werden müssen. 55 Die folgende Auflistung von Frageinhalten findet sich ähnlich, jedoch meist weniger ausführlich, in den meisten Lehrbüchern zur Befragung. Deshalb wird auf einen gesonderten Nachweis verzichtet. Die Beispiele sind noch nicht in dem für Fragebögen typischen Stil formuliert und enthalten auch noch keine Antwortvorgaben, sie dienen nur der Illustrierung der Fragearten. Viele der Fragen würden im Fragebogen wahrscheinlich konversationsähnlicher formuliert oder in einen größeren (hinführenden) Fragetext eingebettet. 56 Hierzu gibt es Standards, die auf der Website von Gesis ausführlich dokumentiert sind (vgl. www.gesis.org/ fileadmin/ upload/ dienstleistung/ tools_standards/ demsta2004.pdf). <?page no="147"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 148 Das abgefragte Wissen kann sich auf einzelne Fakten bzw. Sachverhalte oder auf Strukturen beziehen, sofern die Richtigkeit der Antworten überprüfbar ist ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 2.1). Bei der Formulierung von Wissensfragen muss man beachten, dass die Fragen nicht zu einfach oder zu schwer sind, sondern dass sie es erlauben, die Befragten in Gruppen einzuordnen, die mehr oder weniger wissen. Da viele Wissensfragen von aktuellen Gegebenheiten abhängig sind, ist es schwer, einen zeitunabhängigen Wissenstest zu entwickeln ( → Kapitel 3.5.3). Beispiel: »Wie heißen die beiden wichtigsten Nachrichtensendungen der ARD? «, »Welche Funktionen haben die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Sender? « oder »Welche Parteien sind gegenwärtig im (Deutschen) Bundestag vertreten? « Manchmal müssen sie durch vorsichtige Kontextformulierungen in ihrem Prüfcharakter gemindert werden, damit die Befragten keine Prüfungs- oder Testangst empfinden. Dies ist allerdings nicht unproblematisch: Verkleidet man eine Wissensfrage als Einschätzungsfrage, könnte dies dem Befragten den (falschen) Hinweis geben, dass es nicht um nachprüfbares Wissen, sondern um seine subjektive Einschätzung gehe (»Was meinen Sie sind die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? «). Auch die Frage nach dem Wissen des Wissens (»Kennen Sie die Politiker, die ich hier auf der Liste stehen habe? «) ist für sich genommen relativ wenig valide, wenn sie nicht durch Zusatzfragen überprüft wird (»Können Sie mir sagen, zu welcher Partei die Politiker gehören? « oder »Können Sie mir etwas zu den politischen Zielen des Politikers sagen? «). • Einschätzungsfrage: Bei Einschätzungsfragen geht es ebenfalls um Fakten, bei denen allerdings nicht davon ausgegangen wird, dass sie auf festem Wissen basieren, sondern eher auf ungesicherten Plausibilitätsüberlegungen beruhen. Dazu zählen auch Prognosen, die sich auf zukünftige Entwicklungen oder Zustände beziehen (vgl. Häder 2002: 127ff.): Eingeschätzt werden können Eintrittswahrscheinlichkeiten für bestimmte zukünftige Ereignisse, Zustände oder Szenarios, Häufigkeiten von zukünftigen Verhaltensweisen oder faktischen Merkmalen sowie Zeiträume für den Eintritt bestimmter Entwicklungen ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 2.2). Nur bei Experteneinschätzungen zielen diese Prognosen auf die Schätzung des tatsächlichen Eintritts ab, während es bei der Einschätzung von Laien um ihre subjektive Wahrscheinlichkeitsvermutung und ihre subjektive Wahrnehmung geht, wie zum Beispiel bei der Frage nach dem Meinungsklima in einer Gesellschaft ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 4.3). <?page no="148"?> Frageinhalte 149 Beispiel: »Was denken Sie, welches Thema wird gegenwärtig in der deutschen Bevölkerung am häufigsten diskutiert? «, »Wie hoch wird in fünf Jahren der Anteil der erwachsenen Bevölkerung sein, die über einen Internet- Anschluss verfügen? « oder »Wird der Besitz von Fernsehgeräten in den nächsten fünf Jahren eher steigen, eher sinken oder ungefähr gleich bleiben? « • Interessens-, Präferenz- und Relevanzfrage: Alle drei Fragearten beziehen sich auf subjektive Zuschreibung von Relevanz. Bei Interessensfragen geht es eher um den motivationalen Aspekt im Hinblick auf eine Tätigkeit, eine Person oder einen Sachverhalt. Ähnliches gilt für Präferenzfragen mit dem Unterschied, dass sie auf einen Vergleich abstellen und somit eine relative Relevanz ermitteln. Relevanzfragen im engeren Sinn sind eher kognitiver Art und erfordern vom Befragten mehr gedankliche Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem betreffenden Sachverhalt. Beispiel: »Interessieren Sie sich für politische Magazine im Fernsehen? « (Interessensfrage), »Sehen Sie eher fern, um sich zu informieren oder um sich zu unterhalten? « oder »Wenn Sie sich informieren wollen, greifen Sie dann eher zur Zeitung oder schauen Sie eher die Nachrichten im Fernsehen? « (Präferenzfrage), »Wie wichtig ist es Ihnen, dass Nachrichten ausgewogen sind? « (Relevanzfrage) • Bewertungsfrage: Bei dieser Frageart werden Bewertungsobjekte (Personen, Sachverhalte) subjektiv, im weitesten Sinn ästhetisch oder affektiv beurteilt. Die Beurteilung lässt sich in einer evaluativen Dimension in positive und negative Kategorien einordnen. Beispiel: »Wie gefällt Ihnen die ›Lindenstraße‹? «, »Wie zufrieden sind Sie mit der neuen Gestaltung der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹? « oder »Finden Sie Bundeskanzlerin Merkel sympathisch? « • Stimmungsfrage: Auch bei der Stimmungsfrage geht es um eine positive oder negative Beurteilung; im Unterschied zur Bewertungsfrage ist der Beurteilungsgegenstand die eigene Person und ihr subjektiv empfundenes Gefühl, auch wenn dieses durch einen äußeren Zustand oder Einfluss verursacht wird. Beispiel: »Fühlen Sie sich durch Werbeunterbrechungen in Spielfilmen belästigt? « • Meinungs- und Einstellungsfrage: Meinungs- und Einstellungsfragen beinhalten ebenfalls Bewertungen und Beurteilungen, zielen dabei aber im Unterschied zu Bewertungs- und Stimmungsfragen weniger auf ästhetische oder affektive, sondern eher auf normative oder ethische Urteile und deren Richtigkeit. Sie beziehen sich deshalb meist auf Handlungen von Personen oder auf normative Strukturen (Gesetze, Erlasse, politische Entscheidungen usw.). <?page no="149"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 150 Beispiel: »Befürworten Sie ein Verbot gewalthaltiger Fernsehsendungen? « »Hielten Sie es für richtig, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender auch nach zwanzig Uhr werben dürften? « • Verhaltensfrage: Verhaltensfragen beziehen sich auf gegenwärtiges oder vergangenes, punktuelles und häufigeres unregelmäßiges oder regelmäßiges Verhalten der eigenen Person. In seltenen Fällen können sie sich auch auf das Verhalten anderer Personen beziehen, wenn der Befragte in der Lage ist, über diese Person exakt Auskunft zu geben (»Proxy-Befragung«). Ansonsten handelt es sich um eine Einschätzungsfrage, wenn es eher um die subjektive Einschätzung des Befragten als um die objektive Beschreibung des Verhaltens der anderen Person geht. Gerade bei unregelmäßigen Verhaltensweisen sollte der Zeitraum, auf den sich die Frage bezieht, weder zu klein noch zu groß sein und nicht zu weit in die Vergangenheit reichen, damit der Befragte die Frage überhaupt beantworten und sich richtig erinnern kann. Zu kleine Zeiträume bilden möglicherweise untypische Verhaltensweisen ab (Ausnahmesituationen), zu große Zeiträume sind für den Befragten nur schwer zu »berechnen«, etwa wenn es um die Häufigkeit von Verhaltensweisen geht. Beispiel: »Wie oft sind Sie in den letzten drei Monaten ins Kino gegangen? «, »Wie viele Stunden haben Sie gestern fern gesehen? « oder »Welche von den folgenden Zeitschriften lesen Sie mindestens einmal im Monat? « • Absichts- oder Projektivfrage: Absichtsfragen zielen im Unterschied zu Verhaltensfragen nicht auf gegenwärtiges, sondern auf ein zukünftiges Verhalten oder auf eine geplante Handlung. Sie werden ähnlich wie Einschätzungsfragen unter Unsicherheit beantwortet und können deshalb mehr oder weniger verbindlich sein, beziehen sich im Unterschied zu Einschätzungsfragen allerdings auf eigenes Verhalten. Da solche Selbstfestlegungen nicht überprüft werden können, ist ihre Verbindlichkeit relativ gering. Dennoch ist die projektive Frage nach dem Wahlverhalten (»Sonntagsfrage«) ziemlich erfolgreich, weil sie nicht auf eine ferne, sondern auf eine nahe absehbare Zukunft gerichtet ist. Fragen zur weiter entfernten Zukunft sollten dagegen eher grundlegende Entscheidungen betreffen, die aus gegenwärtigen Wertmaßstäben abgeleitet werden und von daher ihre Verbindlichkeit bekommen. Beispiel: »Wenn am Sonntag Bundestagswahlen wären, welche Partei würden Sie dann wählen? « oder »Welche beruflichen Ziele haben Sie? « Eine weitere inhaltsbezogene Kategorisierung von Fragen lässt sich nach ihrem Gegenstandsbezug vornehmen. Die folgende Kategorisierung wurde zwar ursprünglich für Prognosen entwickelt, lässt sich aber auch auf Meinungssachverhalte übertragen (vgl. Häder 2002: 127ff.): <?page no="150"?> Frageinhalte 151 • Hypothetischer oder tatsächlicher Sachverhalt: Zu hypothetischen Fragen lassen sich Meinungen unabhängig von realen Gegebenheiten und von bestimmten Bedingungen erheben. Allerdings sind sie anfälliger für Fehleinschätzungen, weil verschiedene Kontextaspekte nicht bedacht werden können (vgl. Fowler 1995: 78ff.). Tatsächliche Sachverhalte sind vollständiger und lassen mehr Abwägung zu, dafür sind sie situationsabhängiger. Der Beispielcharakter tatsächlicher Situationen lässt sich oft nicht verallgemeinern. »Welches Medium (Zeitung, Radio, Fernsehen, Internet) würden Sie am meisten vermissen, wenn es zu einem Ausfall käme? « (hypothetisch) »Welches Medium (Zeitung, Radio, Fernsehen, Internet) ist für Sie am wichtigsten? « (tatsächlich) • Abstrakter oder konkreter Sachverhalt: Diese Unterscheidung hat ähnliche Merkmale. Abstrakte Sachverhalte lassen generelle Einschätzungen zu, dafür sind konkrete Sachverhalte stärker an Fakten oder Ereignissen orientiert, aber vielleicht zu detailliert. Insbesondere ist Vorsicht geboten, wenn der Befragte Gründe für sein Verhalten, kausale Zusammenhänge oder Lösungen komplexer Probleme erläutern muss, weil diese Antworten meist sehr spekulativ sind (vgl. Fowler 1995: 78ff.; Bourque / Fielder 1995: 46f.). »Wie beurteilen Sie TV-Sendungen, in denen Kandidaten verschiedene für sie unangenehme Dinge erledigen müssen? « (abstrakt) »Wie beurteilen Sie die Sendung ›Das Dschungelcamp‹? « (konkret) • Neutrale Fragen oder Fragen mit Stimulusqualität: Neutrale Fragen bewirken beim Befragten, dass er sich allgemeiner mit dem Sachverhalt beschäftigt, während eine Frage mit einem besonderen Stimulus (Zeitungsartikel, Zeichnung usw.) auf den Befragten direkter und leichter einschätzbar wirkt, dafür aber sehr stark vom jeweiligen Stimulus abhängig ist. »Halten Sie die Berichterstattung über die Finanzkrise in Ihrer Lokalzeitung für angemessen? « (neutral) »Wenn Sie sich bitte den folgenden Artikel durchlesen: Halten Sie die Bewertung des Journalisten zur Finanzkrise für gerechtfertigt? « (mit Stimulus) • Depersonalisierte oder personalisierte Fragen: Depersonalisierte Fragen haben keinen Bezug zu konkreten Personen, wahren Distanz und greifen nicht in die Privatsphäre ein, sind aber unverbindlicher als Fragen zu Personen. »Sollte man Banken verstaatlichen, wenn sie sich überschuldet haben? « (depersonalisiert) »Würden Sie eine Bank, die sich überschuldet hat, verstaatlichen? « (personalisiert) <?page no="151"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 152 • Faktische oder fiktive Fragen: In der Regel werden in einer Befragung faktische Fragen gestellt, also Fragen zur Einschätzung tatsächlicher Personen, Ereignisse oder Sachverhalte. Um herauszufinden, ob sich die Befragten ernsthafte Antworten geben, kann man jedoch gelegentlich auch fiktive Personen, Ereignisse oder Sachverhalte einschätzen lassen. Befragte unterstellen in der Befragung, dass nur faktisch gefragt wird und schätzen deshalb auch fiktive Personen ein (vgl. Porst 2008: 123f.). 3 B 5.3 Frageformulierungen In der standardisierten Befragung stellt nicht nur der Interviewer die Nähe der wissenschaftlichen Befragung zur alltäglichen Konversation her, sondern dies ist auch die Aufgabe geschickter, alltagsnaher Formulierungen im Fragebogen. Das gilt bei der schriftlichen Befragung wie bei den Verfahren, bei denen Interviewer eingesetzt werden, denn die Interviewer sollen sich möglichst exakt an den Fragebogen halten und dürfen Fragen nicht umformulieren oder ergänzen ( → Kapitel 6.2). Folgende Regeln lassen sich für die Formulierung von Fragen aufstellen (vgl. Frey / Kunz / Lüschen 1990: 163f.; Frey / Mertens-Oishi 1995: 69ff.; Fink 1995: 22ff.; Brosius / Koschel 2001: 119f.; Foddy 1994; Fowler 1995: 82ff.; Bourque / Fielder 1995: 41ff.; Porst 2008: 95ff.) F 57 F : • Gesprächslogik: Jeder Frageinhalt muss für das Forschungsziel relevant sein. Damit wird zum einen vermieden, dass der Fragebogen zu lang gerät und die Befragung zu lange dauert. Zum anderen signalisiert die Vermeidung von Redundanz dem Befragten Stringenz, und er bekommt nicht den Eindruck, unnütze oder überflüssige Fragen beantworten zu müssen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass jede Frage mit vorherigen und folgenden Fragen konsistent ist, das heißt, dass sich ihre Inhalte nicht widersprechen dürfen und dass sie miteinander im Zusammenhang stehen müssen. Übergangsformulierungen erleichtern diese Verbindung und federn vor allem bei Mehrthemenbefragungen den abrupten Themenwechsel ab. 57 Auf Beispiele wird hier im Unterschied zu anderen Lehrbüchern mit Absicht weitgehend verzichtet, weil diese immer strittig wären und je nach Forschungszweck sogar unterschiedlich zu bewerten wären. Die aufgeführten Regeln sind folglich abstrakt oder allgemein formuliert und müssen bei der Fragebogenentwicklung angewendet und diskutiert werden sowie durch Pretests (→ Kapitel 6.5) ausprobiert und in ihrer Umsetzung überprüft werden. <?page no="152"?> Frageformulierungen 153 • Fragenlogik: Alle Fragen sollten jeweils nur einen Aspekt ansprechen. Dieses Gebot der Eindimensionalität ist deshalb so wichtig, weil es vermeiden hilft, dass der Befragte sich einen Aspekt aussucht und die Frage nur teilweise, also nur einen Aspekt beantwortet. Die Antwortkategorien müssen zur Fragedimension passen. Bei Häufigkeitseinschätzungen darf die Antwortvorgabe beispielsweise nicht die Kategorie »regelmäßig« enthalten, weil die Regelmäßigkeit eine andere Dimension als die Häufigkeit anspricht. Wenn in den Fragen Fakten genannt werden, müssen diese akkurat und unstrittig sein, damit der Interviewer bei einer möglichen Aufdeckung von Fehlern nicht bloßgestellt oder vom Befragten in eine Diskussion über die Richtigkeit verwickelt wird. Außerdem sollte die Unterstellung von Wissen und bestimmten Verhaltensweisen des Befragten nur vorsichtig gehandhabt werden, denn selten sind solche Voraussetzungen durch den Forscher hinreichend antizipierbar. • Antwortlogik: Die Antwortkategorien bei geschlossenen Fragestellungen sollten erschöpfend (vollständig) sein, damit der Befragte nicht den Eindruck bekommt, der Fragebogen sei lückenhaft oder zu wenig sorgfältig erarbeitet. Die Antwortvorgaben sollten weiterhin disjunkt sein, das heißt sich wechselseitig ausschließen, damit der Befragte nur eine Antwortalternative auswählt. Ausnahmen sind Mehrfachnennungen. Der Befragte benötigt Interpretationshilfen und Instruktionen, wie er genau antworten soll. Die Antwortvorgaben müssen deshalb stets vollständig vorgelesen werden. Außerdem muss der Befragte wissen, ob er nur eine Antwortvorgabe auswählen darf (exklusive Antwortkategorien) oder ob Mehrfachnennungen erlaubt sind (inklusive Antwortkategorien). Durch Pretests kann sichergestellt werden, dass eine hinreichende Variation im Antwortverhalten gewährleistet ist ( → Kapitel 6.4). Werden auf eine Frage nur bestimmte Antworten gegeben, kann man entweder die »überflüssigen« Antwortmöglichkeiten streichen oder die Frage muss so umformuliert werden, dass sie variabler beantwortet wird. Die Fragen sollen nur ein Minimum von nicht-substanziellen Antworten (»weiß nicht«, »keine Angabe«) hervorrufen. Allerdings muss der Fragebogen diese Antwortvorgaben enthalten, damit der Interviewer diese Kategorien wählen kann, wenn der Befragte sich nicht auf eine der anderen vorgegebenen Antwortmöglichkeiten einlässt. Ob der Interviewer diese Kategorien auch vorliest, hängt von dem Untersuchungszweck ab: Bei Wissensfragen ist die Antwort »weiß nicht« eine substanzielle Antwort; bei Einstellungsfragen <?page no="153"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 154 nicht immer und bei Verhaltensfragen überhaupt nicht. Sollen nur bewusste und tief verankerte Einstellungen erfasst werden, sollte der Interviewer »weiß nicht« als letzte Antwortvorgabe vorlesen. Geht es darum, auch oberflächliche Meinungen zu berücksichtigen, sollte der Interviewer diese Kategorie nicht explizit erwähnen, um den Befragten nicht zum Ausweichen zu motivieren ( → Kapitel 7.3.1). • Sprachlogik: Die Sprache sollte natürlich, aber nicht volkstümlich sein. Fragen sollten eine konversationsähnliche Form haben, wie Leute sprechen. Ungeeignet sind allerdings Dialektbegriffe, stark umgangssprachliche oder subkulturelle Ausdrucksweisen, weil sie zum einen möglicherweise nur von einem Teil der Befragten verstanden werden und zum anderen lächerlich und anbiedernd wirken können. Wie sehr der Fragebogen tatsächlich Alltagssprache nachahmen kann, ist nicht eindeutig zu beantworten. Zum einen gibt es nicht die Alltagssprache, sondern sie variiert nach kulturellen Milieus, sodass bei (repräsentativen) Bevölkerungsumfragen eine angenommene Durchschnittssprache verwendet wird, die weder diejenigen überfordert, die ein geringes Sprachvermögen haben, noch diejenigen unterfordert, die sich sehr elaboriert ausdrücken. Ein allzu konversationsorientierter Sprachstil kann möglicherweise gerade als künstlich empfunden werden (»Wissen kann das ja niemand, aber was glauben Sie, ...«). Vielleicht ist es deshalb sinnvoll, das Alltagsgespräch nicht vollständig nachahmen zu wollen, sondern die für das Interview typische Zurückhaltung und Distanzwahrung auch gemäßigt in der verwendeten Sprache auszudrücken. Eine neutraler − weder bürokratischer noch allzu Konversation imitierender − Sprachstil hätte zudem den Vorteil, dass er für den Interviewer leichter vorzutragen ist als die nachgeahmte Alltagssprache, die möglicherweise von seinem eigenen, privaten Sprachstil abweicht und schwerer anzunehmen ist als der nüchterne, neutrale Sprachstil. Grammatik und Satzstruktur müssen einfach sein. Deshalb sind doppelte Verneinungen oder Schachtelsätze zu vermeiden. Auf der anderen Seite ist auch ein Telegrammstil ungeeignet, weil er die für die gesprochene Sprache typische stilistische Flüssigkeit durch einen bürokratischen oder befehlsähnlichen Tonfall ersetzt. Der Satzbau sollte ferner korrekt sein. Allerdings ist diese Forderung nur soweit gültig, als es die Regeln mündlicher Sprache erlauben. Gerade im persönlichen und telefonischen Interview kommt es darauf an, dass die Sätze flüssig gesprochen werden können, sodass leichte Verstöße gegen die in der Schriftsprache korrekte Satzstruktur oder Grammatik durchaus gelegentlich in Betracht gezogen werden können. <?page no="154"?> Frageformulierungen 155 • Verständlichkeit und Präzision: Die Verständlichkeit jeder Frage muss auf einem Level liegen, das den Merkmalen der befragten Population entspricht. Fachbegriffe, Abkürzungen oder bürokratische Ausdrucksweisen können missverständlich interpretiert werden oder den Befragten einschüchtern. Die verwendeten Ausdrücke und Begriffe sollten ferner hinreichend spezifisch und präzise sein (nicht: »Regierung«, sondern: »Bundesregierung«, »Landesregierung« usw.). Für die Wiedererinnerung von Verhaltensweisen und zeitlichen Abläufen sollte nur nach konkreten Zeitangaben gefragt werden, damit die Befragten erkennen, dass es nicht um eine ungefähre Einschätzung geht, sondern um eine nachprüfbare präzise Antwort. Aus dem gleichen Grund sind Fragen zu zukünftigen Verhaltensweisen selten valide, sondern geben dem Befragten den Eindruck, er solle über sein Verhalten spekulieren. Die Frage sollte kurz sein, damit der Befragte nicht zwischendurch ihre Absicht vergisst. Sollte es dennoch notwendig sein, eine längere Frage zu stellen, sollte sie die wichtigsten Schlüsselbegriffe abschließend wiederholen. • Neutralität: Die Fragen sind wertneutral zu stellen. Dies betrifft sowohl den Inhalt der Frage als auch das Interviewerverhalten (etwa durch nonverbale Kommunikation). So sind Suggestivfragen zu vermeiden. Die Suggestivität einer Frage kann durch ideologisch geladene Begriffe (»Kommunist«, »Rassist«, »entfremdet«, »Ausbeutung«, »Neger« usw.) oder durch Wortbildungen aus den Medien (»Tarifstreit«, »Asylanten«) signalisiert werden. Daneben können die Antwortvorgaben Hinweise liefern, dass bestimmte Antworten sozial erwünschter sind und anderen vorzuziehen sind ( → Kapitel 7.3.2). Ungeeignet sind zu private Fragen oder solche, bei denen sich der Befragte bloß stellen kann ( → Kapitel 7.3.2). • Antwortschwierigkeit und Antwortaufwand: Die Fragen sollten darauf ausgerichtet sein, dass ihre Beantwortbarkeit vom Befragten keinen allzu großen (kognitiven) Aufwand erfordert und dass sie auch bei Ermüdung noch leicht beantwortbar sind. Deshalb sollten Fragen, die vergangene Erfahrungen des Befragten betreffen, mit Erinnerungshilfen arbeiten, um die Erinnerungsfähigkeit zu erleichtern. Zu aufwändig sind manchmal auch besonders präzise Fragen, etwa nach dem persönlichen Einkommen, das wahrscheinlich kaum jemand exakt beziffern kann, sodass sich grobe Kategorien (zum Beispiel »bis € 500«, »€ 501 bis € 1.000«, usw.) anbieten. Aufzählungen von mehr als fünf Items überfordern das Gedächtnis und sollten vermieden oder durch visuelle Auflistungen unterstützt werden. <?page no="155"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 156 • Nachfragen: Damit der Interviewer neutral nachhaken kann, wenn der Befragte auf eine Frage keine oder eine nicht-substanzielle Antwort gibt, sollte eine Liste mit Möglichkeiten bereit gestellt werden ( → Kapitel 6.2). 4 B 5.4 Fragetypen und Fragetechniken Der Fragebogen enthält in formaler Hinsicht inhaltsbezogene und instrumentelle (oder funktionsbezogene) Fragen: Die Antworten auf die inhaltsbezogenen Fragen werden als substanzielle Informationen der Befragten angesehen und diesbezüglich ausgewertet, während instrumentelle Fragen dazu dienen, die Gesprächsführung zu erleichtern und zu regulieren; sie steuern das Interview kognitiv oder aktivieren den Befragten. Für die Gesprächsführung werden die folgenden Fragetypen benutzt (vgl. Maindok 1996: 91ff.; Brosius / Koschel 2001: 123ff.; Noelle-Neumann / Petersen 1996: 133ff., 146f., 168f.; Frey / Kunz / Lüschen 1990: 144; Frey / Mertens- Oishi 1995: 73ff.): • Kontaktfragen dienen der Ermittlung des Befragten als Element der Grundgesamtheit (»screening«) und der Herstellung von Teilnahmebereitschaft. Sie werden demnach noch vor dem Interview gestellt. Wenn die Befragung zum Beispiel nur die Leser von Tageszeitungen als Grundgesamtheit hat, müsste vor dem Interview danach gefragt werden, ob die Zielperson eine Tageszeitung liest, um überhaupt in die Stichprobe aufgenommen zu werden. • Eisbrecherfragen eröffnen das Interview und lockern die Gesprächsatmosphäre und sollen deshalb unterhaltsam und nicht zu schwer sein, aber auch nicht banal wirken. Sie leiten erst zu dem (ersten) Thema der Befragung hin und sind inhaltlich für den Forscher oft noch ohne Bedeutung für die Ergebnisse. Sie können aber prinzipiell auch schon als erste inhaltliche Fragen genutzt werden. • Filterfragen und Trichterfragen regulieren komplexe Abfragen im Fragebogen: Filterfragen dienen der Weiterführung des Interviews in Abhängigkeit von der Antwort des Befragten. Sie unterteilen sich in die »Auskoppelung«, das heißt, der Befragte darf bestimmte Fragen überspringen, weil die Bedingungen für die Beantwortung nicht vorliegen, oder in die »Gabelung«, bei der die Befragten je nach Antwort unterschiedliche Folgefragen beantworten müssen. Eine Auskoppelung liegt etwa vor, wenn der Befragte angibt, dass er keine Tageszeitung liest und deshalb keine weiteren Fragen zu Tageszeitun- <?page no="156"?> Frageformen 157 gen gestellt bekommt, sondern erst wieder beim nächsten Frageblock einsteigt. Bei der Gabelung wird zum Beispiel gefragt, ob der Befragte eine Tageszeitung liest oder nicht, und je nach Antwort soll er einige Fragen zu den Lesegewohnheiten oder zu den Gründen für das Nichtlesen beantworten. Trichterfragen spezifizieren in einem mehrstufigen Prozess das Thema der Befragung. So kann etwa zuerst danach gefragt werden, wie zufrieden der Befragte allgemein mit den Informationsmöglichkeiten vor Ort ist, um danach die Zufriedenheit mit speziellen Medien zu ermitteln. In einigen Fällen ist eine umgekehrte Trichtertechnik möglich, wenn zuerst spezifische Fragen zum Verhalten des Befragten gestellt werden und danach allgemeine Fragen, zum Beispiel zur Einstellung gegenüber dem Verhalten allgemein in der Bevölkerung. • Überleitungsfragen oder Übergangsstatements verbinden verschiedene Themenaspekte in monothematischen Befragungen oder unterschiedliche Themen bei Omnibusbefragungen ( → Kapitel 3.7.1). Sie dienen auch der »Erholung« des Befragten, weil sie ihm signalisieren, dass ein Frageblock inhaltlich abgeschlossen ist und bereiten den Befragten auf den nächsten Frageblock vor. • Schlussfragen runden das Interview bzw. den Fragebogen ab. Ob sie noch eine inhaltliche Bedeutung für die Auswertung haben oder nicht, hängt vom Thema ab. Sie signalisieren dem Befragten, dass er an einer logisch strukturierten Konversation teilgenommen hat und entlassen ihn aus dem Gespräch mit einem möglichst guten Gefühl. • Kontaktfragen dienen der Beurteilung und Überprüfung des Interviews. Hierzu gehören Einträge zur Anzahl der Kontaktversuche bis zur Realisierung des Interviews, zur Interviewzeit, zur Länge des Interviews und eventuell einige Einschätzungen des Antwortverhaltens des Befragten durch den Interviewer (vgl. Diekmann 1995: 415, 418). Die zweite Gruppe instrumenteller Fragen und Techniken soll den Befragten aktivieren und mögliche Probleme bei der Beantwortung der Fragen antizipieren: • Erinnerungsfragen aktivieren das Gedächtnis für Sachverhalte, deren Wissen für die Beantwortung weiterer Fragen benötigt wird. • Mit Trainingsfragen werden bestimmte Antwortskalen eingeübt. So kann bereits vor der ersten inhaltlich relevanten Frage festgestellt werden, ob die Skala richtig verstanden und verwendet wird. • Mit Sondierungsfragen können bestimmte, für den weiteren Verlauf der Befragung wichtige Sachverhalte vorermittelt werden, etwa das Interesse des Befragten am Thema. <?page no="157"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 158 • Die Frageteilung (»unfolding technique«) dient dazu, geschachtelte Informationen schrittweise abzuarbeiten. Wenn der Befragte zum Beispiel aus einer langen Liste von Vorgaben die drei wichtigsten Möglichkeiten auswählen soll, kann man diese Aufgabe zweiteilen, indem man ihn zuerst die prinzipiell wichtigen Listenvorgaben herausnehmen und erst dann aus diesen die drei wichtigsten aussortieren lässt. • Bei Fragen mit vielen Antwortmöglichkeiten werden Listen und Kartenspiele benutzt. Die Antwortvorgaben stehen auf einem DIN A4-Blatt, das dem Befragten überreicht wird, damit er nicht zu viele Antwortalternativen im Gedächtnis behalten muss. Noch besser geeignet ist das Kartenspiel, das denselben Zweck erfüllt, aber im Unterschied zu Listen gemischt werden kann, um Reihenfolgeeffekte zu verhindern, denn die Befragten neigen dazu, sich nicht alle Antwortmöglichkeiten mit der gleichen Sorgfalt anzuschauen, sondern schauen vor allem auf den Anfang und das Ende der Liste ( → Kapitel 7.2.2). Auf Listen kann man neben den Antwortvorgaben, die zur Auswahl stehen, auch wichtige Zusatz- oder Kontextinformationen aufführen, die die Befragten benötigen, um eine Meinung oder eine Einschätzung zu einem Sachverhalt äußern zu können, ferner die Instruktionen ( → Kapitel 5.3), die den Befragten zeigen, wie sie antworten sollen, sowie die Antwortskalen selbst (vgl. Frey / Mertens-Oishi 1995: 92). • Ablenkungs- und Pufferfragen sollen vermeiden, dass der Befragte einen Zusammenhang zwischen zwei Fragen herstellt, die getrennt voneinander zu beantworten sind. Allerdings ist ihre Wirkung davon abhängig, wie intensiv die Frage zuvor behandelt wurde. Eine richtige Ablenkung dürfte mit einer oder wenigen Ablenkungsfragen kaum zu bewerkstelligen sein. • Kontroll- oder Fallgrubenfragen sollen Inkonsistenzen in den Antworten der Befragten aufdecken. Dazu gehören auch Lügenfragen wie die Vorgabe falscher Antworten (etwa bei Wissensfragen), um zu ermitteln, ob der Befragte falsches Wissen vorgibt. Um herauszufinden, ob ein Befragter zur Vermeidung sozial unerwünschter Antworten neigt ( → Kapitel 7.3.2), kann man ihn nach Verhaltensweisen fragen, die zwar alltäglich vorkommen, aber nicht sozial erwünscht sind und deren Verneinung ein Indiz für sozial erwünschtes Antwortverhalten ist (etwa ob man sich mindestens zweimal am Tag die Zähne putzt, ob man schon einmal in einer geschwindigkeitsbegrenzten Straße zu schnell gefahren ist, usw.). • Statements mit »Daten neutralisierender Wirkung« dienen der Antizipation von Antwortverzerrungen bei sozial unerwünschten Antwortmöglichkeiten. Mit einleitenden Sätzen vor der eigentlichen Frage soll dem Befragten die <?page no="158"?> Frageformen 159 Angst vor einer ihm peinlichen und sozial unerwünschten Antwort genommen werden (»Es gibt ja viele Leute, die lesen die BILD-Zeitung nur so aus Unterhaltung. Lesen Sie die BILD-Zeitung ab und zu? «). Die inhaltsbezogenen Fragen lassen sich vor allem danach unterscheiden, ob sie direkt oder indirekt gestellt werden. Die direkte Frage nach Wissen, Gefühlen, Meinungen, Einstellungen oder Verhalten hat den Vorteil, dass sie ohne Umschweife zur Sache kommt, allerdings den Nachteil, dass sie bei heiklen oder sozial unerwünschten Sachverhalten abwehrende oder beschönigende Antworten provoziert. Indirekte Fragen kleiden den Sachverhalt in einen Kontext ein und verdecken oder entschärfen die Problematik, die in dem Inhalt der Frage steckt. Wenn es etwa darum geht, warum Boulevardmedien wie die BILD-Zeitung so gern gelesen werden, riskiert man bei einer direkten Frage, dass zumindest Intellektuelle nicht zugeben, dass sie an dem Medium etwas Gutes finden. Folgende Techniken der indirekten Frage könnten alternativ zur direkten Frage angewendet werden (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 143f., 156-166, 171ff.): • Verallgemeinerung: Statt direkt nach der Attraktivität von Boulevardmedien wie der BILD-Zeitung zu fragen, lautet die verallgemeinernde Frage: »Was glauben Sie, finden die Leser und Leserinnen an der BILD-Zeitung gut? « • Rollenspiel: Das Rollenspiel wird in der Regel anhand von Dialogbildblättern durchgeführt. Auf einem Blatt Papier sieht man zwei schemenhafte Personen mit jeweils einer Sprechblase. Der Interviewer überreicht dem Befragten das Bildblatt und stellt zum Beispiel die folgende Frage: »Zwei Personen unterhalten sich über die BILD-Zeitung. Person A meint: ›BILD ist so unseriös, dass sie für mich nicht in Frage kommt, wenn ich aktuelle Informationen haben will‹. Person B meint: ›BILD schlägt oft über die Stränge, aber manchmal bringen sie auch seriöse Informationen‹ Person C meint: ›BILD bringt zwar sensationelle und manchmal unangenehme Informationen, aber seriös sind sie schon.‹ Welcher Person würden Sie am ehesten zustimmen? « • Assoziationstest: Assoziationen können verbal mit der Nennung bestimmter Begriffe initiiert werden (»Sagen Sie mir bitte einmal ganz spontan, was Ihnen zur ›BILD-Zeitung‹ einfällt! «) oder grafisch durch das Vorzeigen eines Bildes oder eines Logos (bei Werbewirkungstests). Bekannt ist auch der Rorschachtest aus der Psychodiagnostik, bei dem die Befragten ihre Assoziationen zu Fantasiefiguren und Klecksgebilden erzählen sollen, um ihre Fantasie, geistige Beweglichkeit oder Interessensschwerpunkte herauszufinden. Die Assoziation selbst muss nicht sprachlich erfasst werden, sondern kann auch dadurch erhoben werden, dass der Befragte etwas zeichnet. <?page no="159"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 160 • Satzergänzungstest: Diese Technik kann rein verbal abgefragt (»Ohne die BILD-Zeitung wäre ... «) oder durch ein Dialogbildblatt unterstützt werden. Die Abfrage könnte lauten: »Hier unterhalten sich zwei über die BILD- Zeitung. Der eine sagt: ›Was, Du liest die BILD-Zeitung? ‹. Von dem Anderen haben wir nur den Anfang von dem, was er gesagt hat, mitbekommen: ›Wieso, ich ... ‹. Was meinen Sie könnte der Zweite geantwortet haben? « • Anekdotische Einkleidung: »Stellen Sie sich vor, ein Politiker der Regierung macht auf Einladung eines Konzerns kostenlos einen Luxusurlaub. Was meinen Sie würde ein BILD-Zeitungs-Reporter berichten, wenn er den Politiker begleiten und mit ihm ein Interview machen dürfte? « • Realitätseinschätzung: Dem Befragten werden Aussagen vorgelegt und er soll einschätzen, wie realistisch sie sind. Auch diese Technik kann bildgestützt angewendet werden. Ein solches Bild könnte etwa einen Leser mit der BILD-Zeitung in der Hand abbilden, der sagt: »Wenn die BILD-Zeitung den hohen Tieren nicht so hart hinterher wäre, würden die uns kleinen Leute doch ständig über’n Tisch ziehen.« Weitere Bilder könnten Personen mit anderen Zeitungen abbilden. 5 B 5.5 Frageformen Ebenso wie sich Befragungen im Ganzen nach einer offenen oder standardisierten Form unterscheiden lassen ( → Kapitel 3), können im Einzelnen offene und standardisierte Fragen verwendet werden, wobei offene Fragen auch in standardisierten Fragebögen vorkommen können. Bei offenen Fragen besteht die »Messung« in der genauen (wörtlichen) Aufzeichnung der frei formulierten Antwort des Befragten und in der nachfolgenden Kategorisierung dieser Antwort durch den Forscher. Erfolgt die Aufzeichnung technisch, ist sie vollständiger und der Interviewer von der Protokollaufgabe entlastet. Bei Fragen mit Antwortvorgaben kategorisiert der Befragte selbst seine Antwort in das vorgegebene Schema von Antwortmöglichkeiten. Das Maß ist demnach schon vorgegeben, sodass im Nachhinein keine Kategorisierung durch den Forscher mehr erfolgt. Je nach Anforderung an die Antwort wählt der Befragte nur eine Antwortmöglichkeit oder mehrere Antwortalternativen (»Mehrfachnennungen«) aus. <?page no="160"?> Frageformen 161 Aufgrund der eingeschränkten Antwortmöglichkeiten erscheint die geschlossene, standardisierte Frageform weniger komplex zu sein als die offene, nicht-standardisierte Frageform. Trotz der offenen Erhebungsform wird die Komplexität der Antwort jedoch spätestens bei der nachträglichen Kategorisierung und Abstrahierung reduziert, wohingegen bei der geschlossenen Erhebungsform die Reduktion der Komplexität bereits bei der Erhebung erfolgt und bei der Auswertung erst wieder durch die statistische Analyse von Zusammenhängen zwischen den Antworten gesteigert werden kann. Abb. 6a: Beispiel für eine offene Fragestellung »Was meinen Sie, was sind so die wichtigsten Fragen und Probleme, mit denen sich die deutsche Bevölkerung zur Zeit beschäftigt? « Anweisung an den Interviewer: Bitte die Antwort wörtlich notieren! Abb. 6b: Beispiel für eine Fragestellung mit Antwortvorgaben »Ich lege Ihnen jetzt eine Liste mit mehreren Themen vor. Bitte nennen Sie mir die Themen, die Ihrer Meinung nach im Augenblick von der deutschen Bevölkerung für wichtig gehalten werden.« Anwachsen der Gewalt in der Gesellschaft [ ] Arbeitslosigkeit [ ] Umweltverschmutzung [ ] Autobahnbau [ ] Finanzierung der Wiedervereinigung [ ] ... (hier würden in einer realen Befragung weitere Themen folgen) [ ] Anweisung an den Interviewer: Bitte die genannten Themen ankreuzen! Prinzipiell sind offene und geschlossene Fragen auch miteinander kombinierbar (»Hybridfragen«). Mit der Kombination kann überprüft werden, ob die Antwortvorgaben des Forschers mit den offenen Antworten des Befragten übereinstimmen oder ob der Befragte in eine andere Richtung antwortet, wenn er keine Vorgaben bekommt. In diesem Fall wird die offene Frage vor die dazugehörige geschlossene Frage platziert. Wenn dagegen die Antwortvorgaben die Antwortbreite bereits weitgehend abdecken, aber dem Befragten die Möglichkeit eingeräumt werden soll, eigene Antworten, die der Forscher in seinen Vorgaben nicht berücksichtigt hat, zu ergänzen, wird die offene Frage als Ergänzung nach der geschlossenen Frage gestellt: »Fällt Ihnen sonst noch etwas Wichtiges ein, was ich eben nicht erwähnt habe bzw. was nicht auf der Liste stand? « Außerdem kann eine offene Nachfrage gestellt werden, damit der Befragte die Wahl der Antwort <?page no="161"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 162 erläutern oder begründen kann oder um zu ermitteln, wie der Befragte die Frage verstanden hat. Die Entscheidung, offene oder geschlossene Fragen zu verwenden, hängt mit dem Ziel der Auswertung zusammen. Die Vorteile und Nachteile beider Frageformen sind komplementär. Offene Fragen empfehlen sich demnach immer dann, wenn • die Bandbreite möglicher Antworten nicht vorhersehbar ist; • die eigenen Worte des Befragten für die Untersuchung wichtig sind (etwa bei der Nacherzählung von Nachrichten); • sich die Befragten in eigenen Worten ausdrücken können (etwa bei höher gebildeten Befragten); • sich die Befragten in ihren eigenen Worten ausdrücken wollen (etwa bei Eliten oder Experten); • Unwissenheit und Meinungslosigkeit aufgedeckt werden sollen (Antwortvorgaben könnten hier für den Forschungszweck ungewollte Anregungen für spontane Meinungsbildungen geben). Geschlossene Fragen sollten eingesetzt werden, wenn • die Dimensionen der Antworten vereinheitlicht und vergleichbar gemacht werden sollen; • die Häufigkeiten und Zusammenhänge der Antworten ermittelt werden sollen; • nur eine begrenzte Anzahl von Antworten (logisch) möglich ist; • der Befragte auf ein vorgegebenes Set von Antworten reagieren und sich an der (für ihn) richtigen Stelle einordnen soll (vgl. Fink 1995: 34). Vor allem bei Wissensfragen muss eine Entscheidung getroffen werden, ob das Wissen offen (»free recall«) oder mit Vorgaben (»aided recall«) abgefragt wird, zum Beispiel mit »multiple choice«-Antworten, von denen eine oder mehrere richtig sind, aber nicht alle. Bei Panelbefragungen kann darüber hinaus sogar noch die gebundene Wiedergabe (»bounded recall«) zum Einsatz kommen, wenn man den Befragten in einer Folgewelle darauf hinweist, was er bereits in einer vorherigen Welle gesagt hat, um ihn wieder auf den vorherigen Wissensstand zu bringen bzw. um seine jetzige Einstellung bewusst mit einer vorher geäußerten Einstellung zu kontrastieren (vgl. Frey / Mertens-Oishi 1995: 92). Eine weitere Formunterscheidung von Fragen bezieht sich auf die einseitige (unbalancierte) oder zweiseitige (balancierte) Formulierung. Ist eine Frage oder eine Aussage (Statement) einseitig formuliert, kann man zustimmen oder ableh- <?page no="162"?> Frageformen 163 nen: »Befürworten Sie ein Verbot von Werbung im Fernsehen nach 20 Uhr oder nicht (oder sind Sie anderer Meinung / oder lehnen Sie ein solches Verbot ab)? « Der Vorteil der einseitigen Formulierung besteht in seiner strikten Eindimensionalität, das heißt, es besteht nicht die Gefahr, dass der Befragte mit einer Frage auf zwei Ebenen antwortet. Da keine inhaltlichen Alternativen vorgestellt werden, besteht allerdings die Gefahr, dass der Befragte einfach zustimmt, wenn seine Einstellung zu dem Sachverhalt emotional nicht sehr intensiv oder kognitiv nicht fest verankert ist. Bei der balancierten Frage oder dem balancierten Statement wird die inhaltliche Alternative explizit formuliert: »Sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch nach 20 Uhr werben dürfen, um sich zu finanzieren, oder sollen statt dessen die Gebühren erhöht werden, oder soll beim Programm und den Mitarbeitern eingespart werden? « Die ausformulierten Alternativen haben den Vorteil, dass sie dem Befragten verdeutlichen, zwischen welchen sinnvollen Alternativen er auswählen kann, während er bei der unbalancierten Frage möglicherweise überhaupt nicht an Alternativen denkt (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 195f.). Allerdings sollte auch der Nachteil bedacht werden, dass die balancierte Frage mehr Unterstellungen benutzt. Sie suggeriert, als seien die vorgegebenen Alternativen die einzig möglichen oder doch zumindest die plausibelsten. Außerdem ist es nicht immer einfach, eine inhaltliche Alternative zu finden, die logisch passt, sodass die Frage eindimensional bleibt. Mit dem Problem der unbalancierten und balancierten Frageformulierung korrespondiert die verbale Benennung nur eines Pols oder beider Pole. Ein Beispiel hierfür ist das Polaritätenprofil ( → Kapitel 5.6), bei dem Personen oder Sachverhalte nach Eigenschaftswörtern eingeschätzt werden sollen. Einen Pol zu benennen, bedeutet, dass den Befragten einzelne Eigenschaftswörter (»arrogant«, »herrschsüchtig«, »liebevoll« usw.) vorgegeben werden, die sie als mehr oder weniger zutreffend in Bezug auf den Gegenstand beurteilen sollen. Bei der Benennung beider Pole wird mit einem Gegensatzpaar von Eigenschaftswörtern eine Skala aufgespannt, innerhalb derer der Befragte den betreffenden Sachverhalt beurteilen soll (»großzügig vs. kleinlich«, »dumm vs. intelligent«, »sympathisch vs. unsympathisch« usw.). Auch hier gibt die Formulierung beider Pole dem Befragten mehr Informationen für die Antwort, sodass sich manchmal beide Pole gegenseitig definieren. Allerdings ist es nicht immer einfach, zu einem Eigenschaftswort den semantischen Gegensatz zu finden (zum Beispiel zu »arrogant«). Deshalb muss man in manchen Fällen auf die bloße Negation ausweichen (»arrogant vs. nicht arrogant«), bei der im Prinzip aber nur der eine Pol bestimmt wird (hier: »arrogant«). <?page no="163"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 164 6 B 5.6 Antwortvorgaben und Skalen Die Verwendung standardisierter, geschlossener Fragen erlaubt ihre statistische Analyse. Vergibt man für jede Antwortvorgabe eine Zahl, kann man jedem Befragten für jede Frage genau eine Zahl zuordnen, die zur gegebenen Antwort passt. Auf diese Weise entsteht aus der Frage eine Variable und aus den Antwortmöglichkeiten bzw. den tatsächlich gegebenen Antworten die Ausprägungen der Variablen: Eine Variable ist demnach eine eindeutige Zuordnung einer Menge von Objekten (hier: befragten Personen) zu einer Menge von Zahlen (hier: numerische Abbildungen von Antworten). Dieselbe Zahl, also dieselbe Antwort, kann zwar mehreren Personen zugeordnet werden, weil unterschiedliche Personen dieselbe Antwortmöglichkeit aus den Vorgaben ausgewählt haben können. Die umgekehrte Relation, dass derselben Personen mehrere Zahlen, also mehrere Antworten (auf eine Frage) zugeordnet werden, ist dagegen nicht möglich, weil sich der Befragte auf eine Antwort festlegen muss F 58 F (vgl. Rost 1996: 83). Zwei Bedingungen müssen für eine Variable gelten: Zum einen muss eine Frage mindestens zwei Antwortmöglichkeiten zulassen, das heißt, der Befragte muss sich entscheiden können. Zum anderen darf als Ergebnis der Beantwortung einer Frage nicht herauskommen, dass sämtliche Befragten dieselbe Antwort gegeben haben, also dasselbe Merkmal haben. Werden diese Bedingungen verletzt, handelt es sich um eine Konstante. So wird das (biologische) Geschlecht konstant gehalten, wenn in einer Stichprobe nur Frauen oder nur Männer befragt werden. Konstant wäre auch die Verhaltensweise gegenüber der Volkszählung, wenn alle mitmachen und niemand falsche Angaben macht, einzelne Angaben verweigert, oder im umgekehrten Fall, wenn die gesamte Volkszählung boykottiert wird. Wird die Antwort eines Befragten als Ausprägung einer Variablen gemessen, bezeichnet man die Antwortvorgaben als Skala. Skalen kann man nach mehreren Kriterien unterscheiden (vgl. Rost 1996: 63ff.; Bortz / Döring 2 2001: 175ff.). Das wichtigste Klassifikationskriterium ist das Skalenniveau oder Datenniveau: Die Antwortvorgaben lassen sich im Hinblick auf die statistische Auswertung zwischen nominal-, ordinal- und intervallskalierten Variablen unterscheiden. Bei 58 Ob man bei Antworten auf offene Fragen ebenfalls von Variablen sprechen kann, hängt vom Ziel der Auswertung ab. Wird eine Standardisierung der Antworten angestrebt und damit der Kontext, in dem die Antwort entstanden ist, ausgeblendet, also nur die denotative Bedeutung berücksichtigt, kann die so codierte Antwort in der Tat als Variable verstanden werden. Wird dagegen der Kontext der Antwort mit unterschiedlichen Bedeutungsmöglichkeiten (Konnotationen) so weit wie möglich rekonstruiert, kann die Antwort nicht als Zahl codiert werden und ist demnach auch keine Variable. <?page no="164"?> Antwortvorgaben und Skalen 165 nominalskalierten oder kategorialen Variablen kann man nur Unterschiede messen, diese aber nicht hierarchisch ordnen. Ein Beispiel dafür ist die Variable »Geschlecht« mit den Merkmalsausprägungen »männlich« und »weiblich«. Bei ordinalskalierten Variablen ist es möglich, eine Rangfolge zwischen den Antwortmöglichkeiten zu bilden, allerdings sind die Abstände zwischen den Rängen nicht zu bestimmen. Ein Beispiel dafür ist die Variable »Schulabschluss« mit den Merkmalsausprägungen »ohne Schulabschluss«, »Volksschul- oder Hauptschulabschluss«, »mittlere Reife«, »Fachabitur«, »Abitur«. Bei intervallskalierten Daten sind zusätzlich die Abstände zwischen den Ausprägungen gleich, wie bei der Variable »Alter«. F 59 Ein Beispiel mag den Gesamtzusammenhang unterschiedlicher Datenniveaus verdeutlichen: Wenn man den Befragten eine Liste von Fernsehsendungen vorlegt und sie bittet, diejenigen anzukreuzen, die sie am Abend zuvor gesehen haben, so handelt es sich bei den Sendungsnamen um die Ausprägungen einer nominalskalierten Variablen. Man kann diese Liste nach den Inhalten der Sendungen auch in ebenfalls nominalskalierte Oberkategorien wie »(aktuelle) Information« (1), »Unterhaltung« (2), »Bildung« (3) zusammenfassen. Die für die Kategorien vergebenen Zahlen bedeuten nur, dass man die Kategorien voneinander unterscheiden kann; die Größe der Zahl hat keine Bedeutung. Stellt man die Frage, ob bestimmte immer wiederkehrende Sendungen (Nachrichtensendungen, tägliche oder wöchentliche Unterhaltungsserien) »oft« (3), »manchmal« (2), »selten« (1) oder »nie« (0) gesehen werden, handelt es sich um eine ordinale Variable, weil man die Ausprägungen in eine eindeutige Reihenfolge nach der Häufigkeit bringen kann. Allerdings kann man die Zahlen nicht dahingehend interpretieren, dass die Abstände zwischen ihnen gleich sind. Erhebt man dagegen die genaue Zahl der gesehenen Folgen in einem bestimmten Zeitraum (zum Beispiel in einem Monat oder in einem Jahr), sind die Daten intervallskaliert, weil der (Zahlen-) Abstand zwischen einmal und zweimal und zwischen zweimal und dreimal usw. jeweils gleich groß ist. Eine weitere Klassifizierung erfolgt nach der Anzahl der Antwortmöglichkeiten: Eine Skala kann zweigeteilt (dichotom) oder mehrgeteilt (polytom) sein. Beispiele für dichotome Skalen sind die Antwortvorgaben »ja / nein«, »richtig / 59 Nicht immer ist das Datenniveau einer Variablen eindeutig zu bestimmen, sondern nur in Abhängigkeit von der Bedeutung, die man ihr beimisst. So kann etwa bereits eine dichotome Ja-Nein-Entscheidung als ordinalskaliert betrachtet werden, weil »ja« eine positivere Einschätzung als »nein« ist. Umstritten sind beispielsweise auch Schulnoten, weil nicht klar ist, ob die Abstände gleich sind. Je nachdem, wie dies eingeschätzt wird, handelt es sich um eine Ordinalskala oder eine Intervallskala. <?page no="165"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 166 falsch«, »kommt vor / kommt nicht vor«, »stimme zu / stimme nicht zu«, »richtig beantwortet / falsch beantwortet« usw. Für die positive Antwort wird eine 1 vergeben, für die negative Antwort eine 0. Bei gleichwertigen Antworten oder Kategorien (zum Beispiel bei Geschlecht) werden die Ziffern 1 und 2 bevorzugt. Bei polytomen Skalen werden mindestens drei Antwortmöglichkeiten vorgegeben. Sie können sogar längere Listen mit Vorgaben enthalten wie im obigen Beispiel für eine geschlossene Fragestellung. Zu viele Antwortmöglichkeiten sollten aber nicht zur Auswahl stehen, da sonst die Befragten die Auswahl nicht mehr bewältigen können (oder wollen). Ob eine Variable dichotom oder polytom ist, hängt nicht nur von der Anzahl der Antwortvorgaben ab, die dem Befragen zur Verfügung gestellt werden, sondern auch vom Auswertungsinteresse. So ist es möglich, im Nachhinein viele Antwortvorgaben einer polytomen Skala zu wenigen Oberkategorien bis hin zu einer dichotomen Skala (mit nur zwei Oberkategorien) zusammenzufassen. Wenn man etwa den Befragten aus einer Liste von fünf Nachrichtensendungen die glaubwürdigste auswählen lässt, so kann man diese Nachrichtensendungen danach zusammenfassen, ob sie vom öffentlich-rechtlichen oder vom privat-kommerziellen Fernsehen gesendet werden, um so die Zuschreibung von Glaubwürdigkeit im dualen Rundfunksystem zu ermitteln. Bei nominalen oder kategorialen Vorgaben müssen die Alternativen vollständig sein und sich wechselseitig ausschließen, das heißt, sie dürfen keine logischen Überlappungen aufweisen (vgl. Fink 1995: 43ff.). Sollen etwa die wichtigsten Probleme einer Gesellschaft ermittelt werden, ist es kaum möglich, eine erschöpfende Liste mit allen denkbaren und sinnvollen aktuellen Themen aufzustellen. Deshalb kann man mit der zusätzlichen Vorgabe »sonstige Probleme« als offene Kategorie alles eintragen lassen, was die Befragten erwähnen und nicht auf der Liste zu finden ist. Problematisch ist allerdings, dass selbst die unvollständigen Antwortvorgaben das Nachdenken des Befragten unterstützen und lenken, sodass er die offene Kategorie nur benutzt, wenn ihm etwas sehr Wichtiges einfällt oder er sich bereits vorher viele Gedanken zu der Frage gemacht hat. Wenn dagegen viele Befragte von dieser Restkategorie Gebrauch machen, deutet dies darauf hin, dass die vorgegebenen Antworten das Spektrum der Möglichkeiten bei weitem nicht abdecken oder dass eine spezielle Antwortmöglichkeit vergessen wurde. Es ist dann schwer, sie quantitativ auszuwerten, weil man nicht weiß, ob die Kategorie noch häufiger genannt worden wäre, wenn sie auf der Liste gestanden hätte (vgl. Bourque / Fielder 1995: 67ff.). Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Antwortalternativen so sehr zu abstrahieren, dass es möglich ist, sie logisch erschöpfend zu formulieren. Die einfachste und weitestgehende Abstrahierung besteht in der Reduktion auf zwei <?page no="166"?> Antwortvorgaben und Skalen 167 Antwortmöglichkeiten (»innenpolitische« oder »außenpolitische« Probleme), bei der allerdings viele Informationen verloren gehen. Eine nicht so stark reduzierte Vorgehensweise könnte von den Ministerien ausgehen und die möglichen Probleme in die Kategorien »innere Sicherheit«, »internationale Beziehungen«, »Rechtsprechung / Kriminalität«, »Bildung«, »Umwelt« usw. unterteilen. Je mehr Kategorien benutzt werden, desto schwieriger ist es, sie inhaltlich überschneidungsfrei zu formulieren. Die Zahl der Kategorien ist demzufolge eine Güterabwägung zwischen Informationswert (spricht für viele, detaillierte Kategorien) und Reliabilität (spricht für weniger, gröbere Kategorien). Neben den Fragen, auf die nur eine Antwort aus den vorgegebenen Möglichkeiten gegeben werden darf, gibt es auch Fragen, bei denen mehrere Antwortmöglichkeiten ausgewählt werden dürfen wie im obigen Beispiel zu den wichtigsten Fragen in der Gesellschaft. Streng genommen dürfte man nicht mehr von einer Variablen sprechen, weil zu der Frage mehr als nur eine Antwort gegeben werden darf. Tatsächlich handelt es sich um mehrere Variablen, wenn man so argumentiert, dass sich der Befragte bei jeder Antwortmöglichkeit gesondert entscheiden muss, ob er sie wählt oder nicht. Die Antwortmöglichkeiten sind demnach nicht mehr als eine polytome Variable anzusehen, sondern als so viele dichotome Variablen, wie es Vorgaben gibt. Wenn man den Befragten eine Liste mit mehreren Fernsehsendungen vorlegt und sie bittet, jeweils anzukreuzen, welche der Sendungen sie gesehen haben, so wird aus jeder vorgegebenen Antwort (Sendung) eine eigene Variable mit den impliziten Antwortvorgaben »Sendung x gesehen / nicht gesehen«, »Sendung y gesehen / nicht gesehen«, usw. Bei der Erhebung von Einschätzungen, Präferenzen, Interessen, Relevanzen, Gefühlen, Meinungen, Einstellungen oder Verhaltensweisen werden oft »Ratingskalen« benutzt, die Ordinaldaten- oder Intervalldatenniveau haben. Die Anzahl der Stufen variiert von zwei bis hundert; dabei werden in der Regel drei-, vier-, fünf-, sechs-, sieben-, zehn- oder elfstufige F 60 F Skalen verwendet. Hier ist analog zu den polytomen Nominalskalen eine Güterabwägung zu treffen zwischen Genauigkeit und Zuverlässigkeit. Je mehr Stufen vorgegeben werden, desto genauer ist die Skala, allerdings wird die Wahl einer bestimmten Stufe unzuverlässiger und zufälliger, weil der Befragte zu viele Auswahlmöglichkeiten hat. 60 Bei zehnstufigen (1 bis 10) und elfstufigen Skalen (von 0 bis 10 oder von −5 über 0 bis +5) werden die Befragten durch die Auswahlmöglichkeiten oft überfordert und kreuzen mehr oder weniger zufällig eine bestimmte Zahl an; demnach ist die Reliabilität (Stabilität der Messung) dieser Skalen gering (→ Kapitel 1.3). Sie werden deshalb am häufigsten angewendet, wenn es um momentane Stimmungen und spontane Meinungsäußerungen geht. <?page no="167"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 168 Einfache dichotome Ratingskalen sind insofern problematisch, als sie keine Abstufung zulassen, sondern nur Entweder-Oder-Entscheidungen. Eine Lösungsmöglichkeit besteht darin, mehrere Items (= Statements, Aussagesätze) zu formulieren und daraus einen »Itemscore«, also einen additiven (Summen-) Index oder einen gewichteten Index zu bilden. Die Zustimmungen bzw. Ja-Antworten werden jeweils mit 1 gezählt und addiert (oder gewichtet addiert). Je höher die Summe ist, desto stärker ist die betreffende Einstellung oder Verhaltensdisposition. Die addierten Antworten auf mehrere Vorgaben wird demzufolge wie die gestufte (polytome) Antwort auf eine Vorgabe interpretiert (vgl. Rost 1996: 94ff.). Um zum Beispiel zu ermitteln, wie informationsorientiert die Fernsehzuschauer sind, könnte man ihnen zahlreiche Informationssendungen vorlegen und sie fragen, ob sie diese schon einmal gesehen haben oder nicht. Für jede gesehene Sendung wird ein Punkt vergeben. Die Summe der gesehenen Informationssendungen kann interpretiert werden als Informationsorientierung des Befragten. Eine einfache Addition suggeriert allerdings, als seien alle vorgegebenen Sendungen gleich zu bewerten im Hinblick auf ihren Informationsgehalt. Deshalb kann man bestimmte Sendungen höher gewichten, was allerdings inhaltlichtheoretisch begründet werden muss. Neben der Anzahl der Stufen insgesamt ist auch zu entscheiden, ob diese ungerade oder gerade sein soll: Ratingskalen mit ungerader Stufenzahl haben eine Mittelkategorie. Dies hat den Vorteil, dass der Befragte eine unentschiedene Meinung ausdrücken kann. Der Nachteil besteht darin, dass diese Mittelkategorie auch gewählt wird, um auszudrücken, dass der Befragte mit der Frage oder dem Item nichts anfangen kann oder dass er der Beantwortung der Frage ausweicht (implizite Verweigerung). Eine gerade Zahl von Stufen zwingt den Befragten, eher in die eine oder andere Richtung zu antworten, auch wenn er unentschieden ist. Der Vorteil besteht darin, dass in jedem Fall eine Tendenz ausgedrückt wird. Nachteilig ist allerdings, dass damit Meinungen auch künstlich hergestellt werden, obwohl der Befragte sich keine Gedanken zu der betreffenden Frage gemacht hat. Außerdem kann diese Beschränkung dazu führen, dass sich der Befragte in seinem Antwortverhalten eingeengt fühlt und dass er deshalb häufiger die Beantwortung verweigert. Beide Probleme sind weniger gravierend, wenn die Skala mehr Stufen enthält (sechs oder sieben). Ratingskalen können weiterhin unipolar (eindimensional) oder bipolar (zweidimensional) aufgebaut sein: Unipolare Skalen gehen von einem Punkt (meist Nullpunkt oder die Zahl 1) lediglich in eine Richtung aus. Sie werden in der Regel bei Einschätzungen zur Häufigkeit verwendet: »(fast) immer«, »oft«, »manchmal«, »selten«, »nie«. Bipolare Skalen reichen von einem negativen Pol über eine vorgegebene (bei ungerader Stufenanzahl) oder fiktive Mitte (bei gera- <?page no="168"?> Antwortvorgaben und Skalen 169 der Stufenanzahl) bis zu einem positiven Pol F 61 F . Eine vierstufige Ratingskala verwendet zum Beispiel die Vorgaben »stimme voll und ganz zu«, »stimme weitgehend zu«, »lehne weitgehend ab«, »lehne völlig ab«. Bei einer fünfstufigen Ratingskala könnte zwischen »stimme weitgehend zu« und »lehne weitgehend ab« die Vorgabe »stimme teils zu / lehne teils ab« oder »unentschieden« eingefügt werden. Für die Benennung oder Kennzeichnung der Stufen bestehen zahlreiche Möglichkeiten; sie können numerisch, verbal oder grafisch spezifiziert werden: Bei der verbalen Benennung wird jede Stufe semantisch gekennzeichnet, zum Beispiel »häufig«, »gelegentlich«, »selten«, »nie«. Verbale Benennungen haben den Vorteil, dass sie vom Befragten nicht mehr in Sprache »übersetzt« werden müssen. Allerdings ist es schwierig, semantisch gleichwertige Abstände zu erzeugen, sodass diese Art der Ratingskalen streng genommen nur ordinales Datenniveau erreicht. Dagegen kann man argumentieren, dass die Skala als intervallskaliert interpretiert werden kann, wenn die verbale Kennzeichnung strikt spiegelbildlich formuliert ist (»stimme voll und ganz (völlig) zu«, »stimme weitgehend (eher) zu«, »stimme teils zu / lehne teils ab (unentschieden)«, »lehne weitgehend (eher) ab«, »lehne voll und ganz (völlig) ab«) und wenn die Skala aus mindestens fünf Stufen besteht. Für die verbal-sprachliche Benennung der Stufen gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Hier sind außer durch die Untersuchungsfrage der Kreativität fast keine Grenzen gesetzt F 62 F (vgl. Fink 1995: 48ff.): • Zustimmung / Ablehnung: Wenn die Skala unipolar formuliert wird, lauten die Antwortmöglichkeiten »stimme voll und ganz (völlig) zu«, »stimme weitgehend (eher) zu«, »stimme teilweise zu«, »stimme weitgehend nicht zu«, »stimme überhaupt nicht zu«. 61 Bipolare Skalen sind in der Regel symmetrisch, aber das ist nicht zwingend. Wenn etwa der positive Pol als sozial erwünschter gilt und die Wahrscheinlichkeit, dass er gewählt wird, größer ist als die Wahl einer negativen Antwortmöglichkeit, dann kann es sinnvoll sein, die Skala asymmetrisch aufzubauen und die negative Seite stärker abzustufen als die positive: »sehr zufrieden«, »ziemlich zufrieden«, »ein bisschen unzufrieden«, »ziemlich unzufrieden«, »sehr unzufrieden«. Allerdings sind solche Skalen nicht mehr auf Intervalldatenniveau auszuwerten und zu interpretieren. 62 Die folgende Auswahl berücksichtigt deshalb nur einige häufig eingesetzte Skalen mit vier oder fünf Stufen. Dreistufige Skalen werden relativ selten verwendet und verschenken in der Regel eine differenzierte Messung. Sechs- oder höherstufige Skalen werden dagegen meist nicht vollständig verbalisiert, sondern nur die Pole werden benannt. <?page no="169"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 170 Bipolar formuliert, lautet die Skala: »stimme voll und ganz (völlig) zu«, »stimme weitgehend (eher) zu«, »unentschieden«, »lehne weitgehend (eher) ab«, »lehne voll und ganz (völlig) ab«. Die bipolare Formulierung ist symmetrischer und man kann die Mittelkategorie weglassen, wenn man die Antworten der Befragten polarisieren will. • Befürwortung / Gegnerschaft: Im Unterschied zur Zustimmung bezieht sich die Befürwortung oder Gegnerschaft auf ein imaginiertes Abstimmungsverhalten. Die Skala kann unipolar formuliert werden: »bin voll und ganz dafür«, »bin weitgehend dafür«, »bin unentschieden«, »bin weitgehend nicht (weniger) dafür«, »bin überhaupt nicht dafür«. Bipolar formuliert klingt sie jedoch realistischer: »bin voll und ganz (völlig) dafür«, »bin eher (weitgehend) dafür«, »bin weder dafür noch dagegen (unentschieden) «, »bin eher (weitgehend) dagegen«, »bin voll und ganz (völlig) dagegen«. • Richtigkeit: Die Einschätzung der Richtigkeit eines Sachverhalts lässt sich semantisch besser bipolar formulieren. Ob auf die Mittelkategorie verzichtet werden kann oder nicht, hängt von der Fragestellung der Untersuchung ab: »völlig richtig«, »weitgehend (eher) richtig«, (»teils richtig / teils falsch«), »weitgehend (eher) falsch«, »völlig falsch«. • Häufigkeit: Die Einschätzung der Häufigkeit lässt sich mit zahlreichen Varianten erheben. Die folgenden Beispiele können je nach Untersuchungszweck verändert werden: »immer« (»ständig«), »oft«, »manchmal« (»gelegentlich«), »selten« (»fast nie«), »nie« oder »immer« (»ständig«), »sehr oft«, »ziemlich oft«, »einige (wenige) Male«, »einmal«, »nie« Diese Varianten erfordern die subjektive Einschätzung des Befragten. Sie sind dann zu empfehlen, wenn die abgefragten Verhaltensweisen eher unregelmäßig vorkommen. Aus diesem Grund sollte auch die Vorgabe »regelmäßig« in dieser Skala vermieden werden, weil sie eine andere Dimension als die Häufigkeit erfasst. (bei Medienkonsum): »täglich«, »dreibis viermal in der Woche«, »einmal in der Woche«, (»einmal im Monat«), »seltener« Hier sind die Vorgaben direkt zählbar und besser nachprüfbar. Sie setzen allerdings stärker voraus, dass das abgefragte Verhalten gut verallgemeinerbar ist, also relativ regelmäßig ausgeübt wird. <?page no="170"?> Antwortvorgaben und Skalen 171 • (Un-) Zufriedenheit: »voll und ganz (völlig) zufrieden«, »weitgehend (eher) zufrieden«, »teils zufrieden, teils unzufrieden«, »weitgehend (eher) unzufrieden«, »voll und ganz (völlig) unzufrieden« Da die Mittelkategorie relativ künstlich wirkt, bietet sich bei der Zufriedenheit eine sechsstufige Skala ohne Mittelpunkt an »voll und ganz (völlig) zufrieden«, »weitgehend zufrieden«, »einigermaßen zufrieden«, »ein wenig unzufrieden«, »weitgehend unzufrieden«, »voll und ganz (völlig) unzufrieden«. Allerdings lässt sie sich nicht vollständig symmetrisch formulieren: So kann man »ein wenig zufrieden« nicht »ein wenig unzufrieden« gegenüberstellen, weil es schon eher nach »unzufrieden« klingt; und »einigermaßen unzufrieden« suggeriert eine stärkere Unzufriedenheit, als auf der anderen Seite »einigermaßen zufrieden« mit Zufriedenheit in Verbindung gebracht wird. • Bewertung: Auch diese Skala kann unipolar oder bipolar (Ausdrücke in Klammern) formuliert werden: »sehr gut«, »eher gut«, »durchschnittlich«, »weniger gut« (= »eher schlecht«), »überhaupt nicht gut« (= »sehr schlecht«) oder »sehr gut«, »gut«, »es geht so«, »überhaupt nicht gut«. • Intensität und Einfluss: Bei Intensitäts- und Einflussskalen ist die Verwendung einer Mittelkategorie eher unüblich. Außerdem macht semantisch nur eine bipolare Formulierung Sinn: »sehr stark«, »eher stark«, (»durchschnittlich«), »eher schwach«, »sehr schwach«. • Vergleich: Bei Skalen zum Vergleich ist eine Mittelkategorie zwingend vorgeschrieben, weil zwei Objekte auch gleich beurteilt werden können: vergleichende Bewertung zwischen Sachverhalten oder Objekten: »viel mehr (besser) als andere«, »etwas mehr (besser) als andere«, »genauso viel (gut) wie andere«, »etwas weniger (schlechter) als andere«, »viel weniger (schlechter) als andere« vergleichende Bewertung zwischen Zeitpunkten oder Zeitperioden: »viel schlechter als gewöhnlich (früher)«, »etwas schlechter als gewöhnlich (früher)«, »etwa so wie gewöhnlich (früher)«, »etwas besser als gewöhnlich (früher)«, »viel besser als gewöhnlich (früher)« vergleichende Häufigkeitsangaben zwischen Zeitpunkten oder Zeitperioden: »zu wenig«, »zu viel«, »gerade richtig« und »wird (zukünftig) zunehmen«, »wird (zukünftig) abnehmen«, »wird (zukünftig) so bleiben, wie es ist«. • Rangeinteilung vorgegebener Objekte: Hier wird der Befragte aufgefordert, eine Menge von Antwortvorgaben nach ihrer Wichtigkeit oder Präferenz zu ordnen. So kann man etwa dem Befragten eine Liste von gesellschaftlichen Problemen vorlegen, die er danach sortieren soll, welches das wichtigste oder schwerwiegendste, das zweitwichtigste und das drittwichtigste Problem sei- <?page no="171"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 172 ner Meinung nach ist. Insbesondere bei Telefoninterviews darf diese Liste nicht sehr lang sein, bei persönlichen Interviews muss sie optisch unterstützt sein, am besten dadurch, dass die Vorgaben auf Karten geschrieben sind, die der Befragte nach Wichtigkeit sortieren soll. Dabei ist darauf zu achten, dass bei einer langen Liste vom Befragten nicht verlangt werden darf, dass er alle Antwortvorgaben in eine Rangfolge bringt, um ihn nicht zu überfordern, sondern beispielsweise nur die drei wichtigsten (vgl. Fink 1995: 59). Neben der verbal-sprachlichen Benennung sind numerische oder grafische Kennzeichnungen üblich. Die rein numerische Benennung ist nur möglich, wenn die Zahlen im Alltag bereits eine semantische Bedeutung haben (bei Schulnoten) oder wenn zumindest die Pole in der Frage semantisch formuliert sind und so als Anweisung zur Beantwortung dienen. Die Befragten müssen die betreffende Zahl einkreisen oder ankreuzen, die sie für am zutreffendsten halten. Für grafische Kennzeichnungen werden vor allem Kästchen, Kreise oder Minus- und Pluszeichen benutzt (zum Beispiel: + + +, + +, +, ( ± ), − , − − , − − − ). Auch hier werden meist die Pole verbal genannt. Ausschließlich grafische Skalen benutzen Symbole wie Smilies (☺, , ); sie eignen sich insbesondere zur emotionalen Einschätzung von Stimmungen oder Sympathie. Es gibt eine Menge von Verknüpfungen verbaler mit numerischen und grafischen Kennzeichnungen. Ein Beispiel für die Verwendung numerischer oder grafischer Skalen mit verbalisierten Polen ist das Polaritätenprofil oder semantische Differential. Es besteht aus zahlreichen gegensätzlich formulierten Eigenschaftswörtern, welche die verbalen Pole markieren, und den meist fünf oder sieben Stufen, die numerisch oder grafisch mit Kästchen oder Kreisen markiert werden. Abb. 7: Variationsmöglichkeiten von Skalendarstellungen (1) sympathisch unsympathisch (2) sympathisch ο ο ο ο ο unsympathisch (3) sympathisch unsympathisch (4) sympathisch ο ο ο ο ο unsympathisch (5) sympathisch unsympathisch (6) sympathisch ο ο ο ο ο unsympathisch (7) sympathisch 1 2 3 4 5 unsympathisch (8) sympathisch +2 +1 0 − 1 − 2 unsympathisch <?page no="172"?> Antwortvorgaben und Skalen 173 In den Darstellungen (1) und (2) werden alle Stufen gleich gestellt, während (3) und (4) versuchen, den Trend zur Mitte optisch auszugleichen, indem die äußeren Stufen größer dargestellt werden oder bei (5) und (6) mit absteigender Größe der Kästchen und Kreise die absteigende Sympathie symbolisieren. Bei den Zahlenreihen wird dem Befragten signalisiert, dass höhere Zahlen negativere Bewertungen bedeuten (7), oder die negative und positive Bewertung wird direkt durch negative und positive Zahlen ausgedrückt (8). Mit der »Grid-Technik« wird das individuelle Konstruktsystem der Befragten ermittelt. Während beim semantischen Differential der Befragte eine Person oder einen Sachverhalt mit Hilfe einer Liste von Eigenschaften oder Eigenschaftspaaren auf einer fünfstufigen oder siebenstufigen Skala beurteilen soll, geht es hierbei um den Vergleich vieler Objekte (Personen, Rollen, Sachverhalte), bei denen der Befragte selbst die Unterscheidungsmerkmale entwickelt. Im ersten Schritt wird eine Auswahl der Vergleichsobjekte getroffen. Aus dieser Menge werden jeweils drei miteinander verglichen. Bei diesem Triadenvergleich soll der Befragte jeweils angeben, inwiefern sich zwei Objekte ähneln und vom dritten Objekt unterscheiden. Auf diese Weise entstehen bipolare Konstrukte ähnlich dem semantischen Differential, die im dritten Schritt dazu benutzt werden, um alle Objekte einzeln danach zu beurteilen. Die Ergebnisse können in eine Matrix (»grid« = Gitter) eingetragen und statistisch mit multivariaten Verfahren ausgewertet werden (vgl. Bortz / Döring 2 2001: 184ff.). Weiterhin besteht bei persönlichen Interviews im Unterschied zu telefonischen Interviews die Möglichkeit, grafische und numerische Kennzeichnungen miteinander zu kombinieren. Die »Leiter« ist eine unipolare Skala, während die »Stapel-Skala« bipolar aufgebaut ist (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 200). Abb. 8: Leiter und Stapel-Skala »Leiter« »Stapel-Skala « 10 ! +5 9 ! +4 8 ! +3 7 ! +2 6 ! +1 5 — % ± 0 — 4 " − 1 3 " − 2 2 " − 3 1 " − 4 0 " − 5 <?page no="173"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 174 Man kann die Leiter auch perspektivisch darstellen, sodass die erste Stufe im Bildvordergrund groß gezeichnet ist und Nähe darstellt, wohingegen die höchste Stufe im Bildhintergrund klein gezeichnet ist und in die Ferne des Raums weist (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 151, skeptisch gegenüber allen optischen Hervorhebungen dagegen Porst 2008: 94). Während bei den zehn- oder elfstufigen Skalen die Nummern noch eine gewisse Bedeutung haben, dienen sie bei hundertstufigen Skalen nur noch als grobe Orientierung und können praktisch als eher grafische Darstellungen interpretiert werden. Hierzu zählen das Bandmaß, das etwa zur Verwendung des eigenen politischen Standorts im Links-Rechts-Kontinuum (0 = »ganz links«, 100 = »ganz rechts«) benutzt wird, oder das Thermometer, mit dem das Interesse an einem Thema gemessen werden kann (0 = »interessiert mich überhaupt nicht« im Sinn von »lässt mich kalt«, 100 = »interessiert mich sehr stark« im Sinn von »interessiert mich brennend«) (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 149). Während die Leiter und die Stapel-Skala abstrakte Darstellungen sind und die Temperaturskala und das Bandmaß einen symbolischen Ankerpunkt für den Befragten bilden, gibt es weitere rein symbolische Bildblätter ohne numerische oder verbale Unterstützung. Um die Distanz zwischen der eigenen Position (Einstellung) und dem Standpunkt einer Partei oder anderer Personen zu ermitteln, kann man zwei Kreise nebeneinander anordnen: Wie die Positionen zwischen zwei Personen können sich die Kreise völlig überschneiden, zum größten Teil überlappen, zu einem geringeren Teil überlappen, nur ein wenig überlappen oder sich überhaupt nicht überschneiden. Um die Belastung im Alltag oder durch Gesetze zu symbolisieren, kann man ein sehr großes Quadrat, ein ziemlich großes, eine kleineres und ein sehr kleines Quadrat untereinander abbilden. Schließlich kann man das Zeitgefühl mit Strichmännchen symbolisieren, von denen das langsamste steht und das schnellste mit riesigen Schritten rennt (vgl. Noelle- Neumann / Petersen 1996: 153ff.). 7 B 5.7 Fragebogenaufbau und Fragebogengestaltung Dass beim Aufbau des Fragebogens darauf zu achten ist, die Konversationslogik einzuhalten und nicht zwischen den Themen zu springen, wurde bereits begründet ( → Kapitel 5.3). Ein Großteil der folgenden Vorschläge (vgl. Rost 1996: 74f.; Frey / Mertens-Oishi 1995: 100ff., 107; Porst 2008: 31ff., 45f., 138ff.) wird durch die Forschung zur kognitiven Verarbeitung von Fragen und Antwortvorgaben durch den Befragten bestätigt ( → Kapitel 7.2): <?page no="174"?> Fragebogenaufbau und Fragebogengestaltung 175 • Der Fragebogen beginnt mit einer Titelseite, in der sich das durchführende Institut (und/ oder gegebenenfalls der Auftraggeber) vorstellt. Außerdem sollte die Titelseite kurze Hinweise zum Thema, zum Stichprobenverfahren und zur Anonymität der Befragten und zum Datenschutz enthalten. Auf der Rückseite des Titelblatts können Hinweise zum Ausfüllen des Fragebogens inklusive notwendiger Begriffserklärungen platziert werden. Wenn noch Platz vorhanden ist, kann man hier bereits mit den ersten Fragen beginnen. • Zu Beginn des Interviews sollten einfache Fragen gestellt werden, damit sich der Befragte in das Thema und den Ablauf der Befragung eingewöhnen kann. • Am Ende sollten ebenfalls wieder einfachere Fragen gestellt werden, weil zumindest bei längeren Fragebögen ab 15 bis 20 Minuten Interviewzeit oder schriftlicher Bearbeitungszeit Ermüdungserscheinungen auftreten können. Der Schluss eignet sich deshalb besonders für demografische Fragen. Bestimmte demografische Merkmale müssen allerdings am Anfang erhoben werden, wenn deren Kenntnis wichtig ist, damit die Zielperson überhaupt für die Befragung ausgewählt werden kann (»screening«). Manchmal sind demografische Fragen auch als Einstieg geeignet, insbesondere wenn sie zum eigentlichen Thema der Befragung gehören (etwa bei biografischen oder Lebensverlaufsbefragungen). • Komplexe, schwierige oder sensible Fragen sollten nicht an den Anfang platziert werden, jedoch bevor ein Ermüdungseffekt einsetzen könnte. Besonders heikle Fragen gehören an den Schluss, um keinen Abbruch der Befragung zu riskieren. • Um den Fragebogen zu strukturieren, sollten thematische Blöcke gebildet und Überleitungsfloskeln zwischen diesen thematischen Blöcken benutzt werden, damit sich der Befragte auf den Themenwechsel einstellen kann. • Bei der Reihenfolge der Fragen sollte nicht nur darauf geachtet werden, dass sie der Gesprächslogik folgen, sondern auch darauf, ob eine Frage durch die vorherige beeinflusst wird oder auf folgende Fragen ausstrahlt ( → Kapitel 7.2). Um diese Effekte zu vermeiden, können Scheinfragen und Pufferfragen eingestreut werden, deren Wirkung aber nicht überschätzt werden sollte, denn wenn der Befragte konzentriert bei der Sache ist, wird er sich an die vorherigen Fragen erinnern, wenn sie im Zusammenhang mit einer bestimmten Frage stehen. • Bei längeren Listen mit Vorgaben sollte die Reihenfolge dieser Vorgaben rotiert werden, um zu verhindern, dass die ersten und letzten Vorgaben vorwiegend behalten werden. Eine Zufallsreihenfolge kann etwa beim Kartenspiel durch vorheriges Mischen erreicht werden. Insgesamt sind längere Lis- <?page no="175"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 176 ten, zumal wenn sie mit denselben Antwortskalen arbeiten, möglichst zu vermeiden, damit der Fragebogen den Befragten nicht langweilt, ermüdet und zu einer oberflächlicheren Beantwortung der Fragen verleitet (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 138). Auf der anderen Seite suggeriert die formal einheitliche Formatierung dem Befragten mehr Konsistenz, wohingegen eine zu häufige Abwechslung des Formats einen konfusen Eindruck beim Befragten hinterlässt. Zudem ist eine einheitliche Skalierung günstiger für die statistische Auswertung, etwa wenn Korrelationen berechnet werden sollen. So lange die Listen nicht zu viele Fragen, Statements oder Kategorien beinhalten, dürfte eine einheitliche Skalierung vorzuziehen sein. Ansonsten müssen sie durch andere Frageformen und Skalierungstypen etwas aufgelockert werden. • Neben den Fragen und Antwortvorgaben enthält der Fragebogen auch Navigationsinstrumente in Form von Interviewerinstruktionen oder Hinweisen für den Befragten, wie er bestimmte Fragen zu beantworten hat. Zu den Interviewerinstruktionen gehören etwa Vorgaben für die Benutzung von Listen (bei welcher Frage sie einzusetzen sind und wie lange sie dem Befragten vorgezeigt werden sollen). Bei offenen Fragen wird der Interviewer angehalten, die Antworten des Befragten wörtlich zu notieren. Ganz wichtig ist die Information an den Interviewer oder den Befragten, ob eine Frage nur eine Antwortmöglichkeit oder mehrere Antworten zulässt. Auch die Gestaltung des Fragebogens wurde im Kontext spezieller Empfehlungen für schriftliche Befragungen bereits angesprochen. Obwohl es bei der schriftlichen Befragung am meisten darauf ankommt, mit der Gestaltung des Fragebogens den Befragten zu motivieren und deutlich zu machen, wie die Fragen zu verstehen sind und wie der Befragte antworten soll, gelten die folgenden Ausführungen auch für (standardisierte) Fragebögen, die von einem Interviewer vorgelesen werden (vgl. Fowler 1995: 92ff.; Frey / Mertens-Oishi 1995: 94ff., 106; Bourque / Fielder 1995: 93ff.; Porst 2008: 35ff., 165ff.): • Das Titelblatt sollte einen Blickfang haben, am besten ein Bild oder gegebenenfalls eine Karikatur sowie den Titel der Befragung in allgemein verständlicher Formulierung (nicht als wissenschaftliche Projektbezeichnung). Als weitere Informationen sollten Name und Adresse der durchführenden Institution(en) sowie eines Ansprechpartners für Rückfragen aufgeführt sein. • Die Schrift muss gut lesbar (gefällig) sein. Dieser scheinbar selbstverständliche Vorschlag verdeutlicht, dass bei der Schriftwahl von zu engen oder zu breiten Schriften, überhaupt von ungewöhnlichen Schriften abzusehen ist. • Die Fragen sollten nicht nur sprachlich, sondern auch optisch klar voneinander getrennt sein, etwa durch Rahmen oder (horizontale) Linien. <?page no="176"?> Fragebogenaufbau und Fragebogengestaltung 177 • Um die Antwortvorgaben von den Interviewerinstruktionen gut unterscheiden zu können, sollten ferner unterschiedliche, aber nur wenige Schrifttypen, Grafiken und Abstände benutzt werden. Hervorhebungen werden unterstrichen oder fett, aber nicht kursiv gekennzeichnet, denn das kann leichter übersehen werden. Die Anweisungen an den Interviewer zur Führung durch den Fragebogen können grafisch unterstützt werden, etwa mit Pfeilen oder Achtung-Zeichen ( oder ). • Das Antwortformat sollte vertikal und möglichst einspaltig sein. Ausnahmen können breitere »Tabellen« im Querformat sein, in die der Befragte verschiedene, meist zeitlich zusammenhängende Antworten eintragen muss. Eine solche Tabelle kann etwa die Rezeption bestimmter Nachrichtensendungen im Wochenverlauf (von Montag bis Sonntag) sein. • Seitenumbrüche innerhalb einer Frage oder Antwortvorgabenliste sind zu vermeiden, weil das dazu führen kann, dass der Interviewer - zumindest bei den ersten Interviews, wenn er den Fragebogen noch nicht gut genug kennt - vergisst, die weiteren Vorgaben auf der nächsten Seite vorzulesen und dies erst nachholt, wenn er umgeblättert hat. • Der Interviewer sollte auch nicht zurück oder vorwärts blättern müssen, weil eine Frage nur im Rückgriff oder Vorgriff auf eine andere Frage zu beantworten ist. Deshalb wiederholt der Fragebogen an dieser Stelle besser die benötigten Informationen. • Antwortmuster sollten so oft, wie es praktikabel ist, variiert werden, um Ermüdungseffekte zu vermeiden, aber nicht zu oft, um den Befragten nicht zu verwirren. Gerade Ratingskalen müssen manchmal und bei manchen Befragten etwas eingeübt werden. Hat der Befragte den Mechanismus einmal verstanden, ist der Wechsel auf einen anderen Skalentyp ungeeignet. • Fragen, deren Beantwortung mehrere Ankreuzbzw. Ausfüllstrategien erfordern, sind zu vermeiden, weil dies zu komplex ist. Deshalb sollten solche Fragen besser aufgeteilt werden, sodass sie nacheinander beantwortet werden können. • Bei Fragebatterien mit multiplen Items sollten die Aussagen und bei semantischen Differentialen sollten die Endpunkte in unterschiedliche Richtungen gepolt werden (also nicht immer die positive Seite links und die negative rechts, sondern gemischt), damit kein Jasager- oder Neinsager-Effekt entsteht ( → Kapitel 7.3.1). • Bei Fragebatterien sollte den Befragten eine optische Unterstützung geboten werden, indem zum Beispiel jede zweite Zeile (jedes zweite Item) grau schattiert wird, sodass der Befragte nicht in der Zeile verrutscht. <?page no="177"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 178 • Bei Fragen mit vielen Antwortmöglichkeiten ist es sinnvoll, die Abfrage hierarchisch anzulegen, also zuerst nach Oberkategorien zu fragen und erst dann nach spezielleren Unterkategorien. Ein Beispiel wäre etwa eine detaillierte Berufsabfrage. • Bei offenen Fragen muss ein angemessener Raum für alle freien Texteinträge zur Verfügung gestellt werden. Mit der Raumvorgabe und der Anzahl der Zeilen setzt der Forscher einen kognitiven Anker und Erwartungen, denn der Befragte schreibt oder sagt wenig, wenn er wenig Platz zur Verfügung hat, und er fühlt sich zu längeren Ausführungen genötigt, wenn der dafür vorgesehene Platz großzügig bemessen ist. • Fragetechniken wie Trichter, Filter, optische Unterstützungen usw. können Reihenfolgeeffekte vermeiden; sie sollten aber nicht exzessiv eingesetzt werden, weil komplexe Frageabfolgen für den Interviewer oder Befragten schwerer zu handhaben sind und mehr Konzentration erfordern, die besser für die inhaltliche Beantwortung der Fragen als für die richtige formale Bearbeitung des Fragebogens verwendet werden sollte. • Als weitere optische Hilfen zur Gedächtnisstütze sind Listen, Kartenspiele, Fotografien, Piktogramme, gezeichnete Szenen oder Szenarios geeignet, die aber ebenfalls nicht exzessiv verwendet werden sollten. Sie sorgen zwar für Abwechslung, verlängern aber auch die Interviewzeit. Besonders sinnvoll ist ihr Einsatz, wenn die Befragten Rangordnungen von Gegenständen, Meinungen usw. bilden sollen. • Die Antwortcodierungen sollten im Fragebogen nur sichtbar sein, wenn sie nicht störend wirken. In der Regel machen sie jedoch den optischen Eindruck des Fragebogens für den Interviewer oder den Befragten eher unruhig oder kompliziert. • Insbesondere bei schriftlichen Befragungen sollte der Befragte am Ende die Möglichkeit haben, eigene Anmerkungen oder Kommentare zu machen. 8 B 5.8 Exkurs Online-Fragebogengestaltung Die Online-Befragung hat besondere Stärken in der Gestaltung und Verwaltung des Fragebogens ( → Kapitel 2.5.3). Das oberste Ziel der Online-Fragebogengestaltung besteht darin, dass der Befragte schnell und einfach navigieren kann. Dazu werden im Folgenden einige Möglichkeiten beschrieben (vgl. Welker / Werner / Scholz 2005: 82ff.; Funke / Reips 2007: 64ff.; Theobald 2007: 110ff.): <?page no="178"?> Exkurs Online-Fragebogengestaltung 179 • Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, pro Bildschirmseite nur eine Frage zu stellen (»one-question-screen«) oder alle Fragen in einem HTML-Dokument zu integrieren. Beide Versionen haben Nachteile: Die erste Version verschwendet Platz und führt dazu, dass der Befragte ständig weiterklicken muss. Die zweite Version ist unattraktiv, weil der Befragte bei längeren Fragebögen zu viel scrollen muss. Als Kompromiss bietet sich an, dass die Bildschirmseite mit so vielen Fragen wie möglich gefüllt wird, wobei darauf zu achten ist, dass keine Frage auf einer folgenden Bildschirmseite fortgesetzt werden muss. Zu beachten ist dabei noch, dass nicht nur die Frage(n) und Antwortmöglichkeiten Platz auf der Bildschirmseite beanspruchen, sondern auch der Menübalken des Browsers oder die Taskleiste des Betriebssystems. Auf dem Bildschirm Platz einsparen können zum Beispiel Drop-down-Boxen oder Pull-down-Menüs, weil die Antwortmöglichkeiten erst nach dem Aufruf der betreffenden Frage aufgeklappt werden. Die Antwortalternativen sollten dann allerdings ohne weiteres Scrollen komplett sichtbar sein. • Technisch anspruchsvollere Fragebögen werden mit Flash oder Java generiert, um die Standardelemente des Fragebogens übersichtlicher zu gestalten. Um die dadurch steigende Ladezeit des Fragebogens zu reduzieren, kann der Fragebogen Schritt für Schritt statt komplett geladen werden. Dabei ist zu beachten, dass der Fragebogen auf möglichst vielen Plattformen ausfüllbar ist (insbesondere die am häufigsten benutzten Firefox und Internet-Explorer). Der Fragebogen sollte deshalb ausführlich auf verschiedenen Computerplattformen getestet werden. Problematisch ist vor allem die Notwendigkeit von Zusatzsoftware, damit die Multimediaelemente überhaupt eingesetzt werden können, denn die Befragten müssen diese wiederum korrekt herunterladen, wenn sie auf ihren Computern nicht bereits installiert sind. Die zur Motivationssteigerung gedachten Maßnahmen können sich auf diese Weise in ihr Gegenteil verkehren und zum Abbruch der Befragung führen. • Um den Befragten nicht nur zur Teilnahme, sondern auch zur Fortsetzung eines begonnenen Fragebogens zu motivieren, ist ein so genannter Fortschrittsbalken sinnvoll, der anzeigt, wie weit der Befragte im Fragebogen bereits vorangekommen ist. Insbesondere in Bezug auf die Variation von Fragetypen kennt die Online-Befragung zahlreiche Möglichkeiten (vgl. Funke / Reips 2007: 64ff.). Grundlegende Fragetypen sind die offene Frage mit Textfeldern (in das man auch Zahlen eintragen kann) und die Einfachauswahl mit Optionsfeldern (»Radiobutton«) oder mit Auswahllisten (»Drop-down-Menü«). Sowohl die Textfelder als auch die Listen können dynamisch programmiert haben. Bei den Textfelder funktioniert dies wie bei SMS, indem nach jedem eingegebenen Buchstaben Vorschläge für <?page no="179"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 180 das komplette Wort gemacht werden, wodurch der Schreibaufwand für den Befragten deutlich geringer wird. Bei dynamischen Listen wird eine hierarchische Struktur abgebildet, indem zuerst nur die allgemeinen Oberkategorien, dann immer feinere Unterkategorien dargestellt werden ( → Kapitel 5.7). Neben der Einfachauswahl, bei der nur eine Antwortmöglichkeit angekreuzt oder angeklickt werden darf, kann die Mehrfachauswahl mit Kontrollfeldern (»checkboxes«), die man ankreuzen oder abhaken kann, oder mit Optionsfeldern (»Radiobutton«) verwendet werden. Bei der Mehrfachauswahl wird jede Option als dichotome Variable behandelt (angekreuzt = ja, nicht angekreuzt = nein; → Kapitel 5.6). Dies ist für die statistische Auswertung wegen der Einfachheit zwar von Vorteil, aber die nicht angeklickten Alternativen bedeuten nicht notwendigerweise, dass die Befragten die betreffenden Alternativen nicht ausgewählt haben, sondern es kann auch sein, dass sie diese übersehen haben. Bei den Ratingskalen werden üblicherweise ebenfalls Optionsfelder verwendet; es besteht aber auch die onlinespezifische Möglichkeit, eine Schieberegelskala zu benutzen, bei der ein Regler durch Klicken oder Ziehen in eine Position gebracht wird. Allerdings impliziert die Ausgangsstellung des Reglers (in der Mitte) meist einen Ankerpunkt. Eine Alternative ist eine visuelle Analogskala, bei der eine horizontale Linie ohne Anker eine stetige Messung ermöglicht. Nur die beiden Enden der Skala sind verbalisiert. Ihr Nachteil ist allerdings, dass die exakte Positionierung des Messpunktes durch das Anklicken des Befragten irgendwo auf der Linie wenig reliabel ist. Für die Erstellung von Rankings sind prinzipiell zwei Alternativen möglich: die Eintragung von Rangnummern oder die Sortierung der zu rankenden Objekte durch ein »Drag-and-Drop-Menü« (vgl. Funke / Reips 2007: 68ff.). Mittlerweile gibt es eine große Menge an Softwareangeboten zur Fragebogengenerierung und Fragebogenverwaltung. F 63 F Im Folgenden sollen einige relevante Kriterien aufgeführt werden, die an die betreffenden Programme anzulegen sind (vgl. Welker / Werner / Scholz 2005; 247ff.; Theobald 2007: 113ff.): • Alle Fragetypen, die man für die eigene Untersuchung benötigt, müssen vorhanden sein. In besonderen Fällen ist auch wünschenswert, dass neue Fragetypen entwickelt werden können. • In den Fragebogen müssen multimediale Elemente (zum Beispiel Audio- oder Videodateien) eingebunden werden können. 63 Eine kommentierte Übersicht über die gängigen kommerziellen und nichtkommerziellen Produkte gibt das »GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften« (→ Kapitel 1.1; vgl. www.gesis.org/ dienstleistungen/ methoden/ software/ ). <?page no="180"?> Exkurs Online-Fragebogengestaltung 181 • Das Layout muss formale Elemente wie Rahmen, Logos, Fortschrittsbalken ermöglichen. Dies ist insbesondere notwendig, wenn der Fragebogen nach der Website gestaltet werden soll, in die er eingebettet ist. Zur Vermeidung von Layoutfehlern ist eine Vorschau-Option erforderlich. • Das Programm sollte Items eliminieren können, wenn sich ihre Erhebung als überflüssig erweist. Wer als Beruf »Arzt« angibt, muss nicht mehr nach seiner Bildung gefragt werden, weil diese automatisch feststeht. • Ebenfalls möglich sein sollte die automatische Itemrotation, um bei größeren Itemlisten Reihenfolgeeffekte zu vermeiden ( → Kapitel 7.2.2). • Ein großer Vorteil der Online-Befragung wie auch anderer computergestützter Befragungsverfahren ist die Möglichkeit der Plausibilitätskontrolle, die in jedem Programm enthalten sein sollte. Dabei wird bei unplausiblen Antworten eine Fehlermeldung gegeben, sodass der Befragte die Beantwortung nicht fortsetzen kann, ohne sich zu korrigieren. Bei Mehrfachauswahlfragen muss die Eingabekontrolle zum Beispiel dafür sorgen, dass logisch einander ausschließende Antworten nicht gemeinsam angekreuzt werden. • Je nach Untersuchungszweck kann es sinnvoll sein, dass die Befragten nicht wieder zurückblättern dürfen, wenn die Reihenfolge der Fragen relevant ist. Dies ist etwa der Fall, wenn in einem ersten Schritt vorher präsentierte Werbespots offen erinnert und diese im zweiten Schritt bewertet werden sollen. Zu diesem Zweck werden die Werbespots im zweiten Schritt für die Bewertung aufgeführt, sodass der Befragte, wenn er zurückblättern könnte, auch seine Erinnerungsleistung manipulieren könnte. Dies ist bei einer konventionellen schriftlichen Befragung nicht zu verhindern ( → Kapitel 2.3.4), kann aber online ausgeschlossen werden. In anderen Fällen ist diese Restriktion nicht sinnvoll, weil das Zurückblättern sogar die Qualität der Antworten verbessern kann, wenn ein Befragter vorschnell angekreuzt hat und dies nachträglich korrigieren will. Das Programm sollte flexibel die Möglichkeit anbieten, ein Zurückblättern bei bestimmten Fragen auszuschließen und bei anderen zuzulassen. • Insbesondere bei Intercept-Befragungen ( → Kapitel 2.5.2) sollten Cookies ausgelesen werden können. • Angesichts der Stichprobenprobleme bei Online-Befragungen ( → Kapitel 2.5.4) ist eine genaue Feldstatistik sehr wichtig, um die Abbruch- und Ausschöpfungsquote sowie die Abschlussquote (derer, die den Fragebogen vollständig ausgefüllt haben) ermitteln zu können. Dazu gehört auch eine automatische Versand- und Rücklaufstatistik. <?page no="181"?> Fragen und Antworten im Fragebogen 182 • Die Programme sollten nicht nur über eigene Möglichkeiten der Datenauswertung und Datenpräsentation verfügen, sondern auch den Export zu elaborierten Statistikprogrammen erlauben. • Die Nutzerverwaltung sollte sowohl für die Vergabe von Incentives als auch für Mahnungen geeignet sein, damit nur diejenigen angeschrieben werden, die den Fragebogen unterbrochen oder nicht ausgefüllt haben. Die Online-Befragung erfordert je nach Anspruch an die Komplexität des Fragebogens und der Fragen besondere Sorgfalt in der Auswahl der benutzten Software sowie bei der Programmierung des Fragebogens selbst. Angesichts der zahlreichen potenziellen Fehlerquellen sind ausführliche Pretests unerlässlich. <?page no="182"?> 183 6 Planung und Ablauf von Befragungen Die Durchführung einer Befragung hängt wesentlich vom Verfahren ab. Nur bei der schriftlichen Befragung beschränkt sie sich auf den administrativen Teil der Produktion und Distribution des Fragebogens. Ansonsten ist der Einsatz von Interviewern notwendig, der besondere Organisationsformen und Maßnahmen für die Durchführung erfordert. Die Darstellung beginnt mit einer kurzen Abhandlung über die wichtigsten Schritte im Forschungsprozess allgemein (Kapitel 6.1). Die folgenden Ausführungen über die Organisation der Interviewer und die Interviewregeln (Kapitel 6.2) beziehen sich fast ausschließlich auf standardisierte Interviewformen, ebenso die Diskussion um den Interviewstil, bei dem es um das Gesamtverständnis von der Interaktion zwischen Interviewer und Befragtem geht (Kapitel 6.3). Da es eigenständige Regeln für qualitative Interviews gibt, ist ihnen ein eigener Abschnitt gewidmet (Kapitel 6.4). Die abschließenden Ausführungen zum Pretest und zur Hauptuntersuchung ergänzen die allgemeinen organisatorischen um die konkreten studienbezogenen Vorbereitungen einer Untersuchung (Kapitel 6.5). Obwohl nur bei standardisierten Befragungen strikt zwischen Pretest und Hauptuntersuchung unterschieden wird, können die Regeln zur Durchführung von Pretests auch auf offene Befragungen angewandt werden. 6.1 Stationen des Forschungsprozesses Der Forschungsprozess wird in den meisten Lehrbüchern wissenschaftstheoretisch und idealtypisch beschrieben. An dieser Stelle erfolgt dagegen eine pragmatische Darstellung der wichtigsten Stationen. 64 Der entscheidende Aspekt empirischer Forschung ist die Operationalisierung, also der Weg von theoretischen Überlegungen zum empirisch handhabbaren Instrument. 64 In der wissenschaftstheoretischen Abhandlung dieses Themas wird im Anschluss an den »Kritischen Rationalismus« zwischen Entdeckungs-, Begründungs- und Verwertungszusammenhang unterschieden. Der Begründungszusammenhang ist dabei im engeren Sinn der eigentliche Forschungsprozess, während die Entdeckung eines Forschungsproblems und die Verwertung der Forschungsergebnisse eher eine gesellschaftspolitische Angelegenheit sind. Allerdings ist diese Unterteilung aus der wissenschaftstheoretischen Perspektive der »Kritischen Theorie« heftig kritisiert worden, weil der Begründungszusammenhang nicht gesellschaftlich neutral sei, sondern die Wahl bestimmter Methoden die Ergebnisse und damit auch deren Verwendung beeinflusse (vgl. Friedrichs 14 1990: 50ff.). <?page no="183"?> Planung und Ablauf von Befragungen 184 Die Fragestellung oder das Thema einer Untersuchung kann dabei unterschiedliche Hintergründe haben: Es kann sich um praktische Probleme eines Auftraggebers handeln, der etwa wissen will, wie viele Leser seine Zeitung hat und wie man diese Leser näher beschreiben kann. Der größte Teil demoskopischer Untersuchungen gehört zu diesem Typ deskriptiver Auftragsforschung, deren Ziel in der Beschreibung von Sachverhalten oder Gegenständen besteht. Theoretische Annahmen bleiben dabei implizit (vgl. von Alemann 1977: 163). Davon zu unterscheiden ist die Bildung oder Überprüfung von Hypothesen oder Theorien. Hypothesen können dabei ad hoc gebildet oder aus übergeordneten Theorien deduktiv abgeleitet werden (vgl. von Alemann 1977: 166). Die Zielsetzung der Hypothesenprüfung ist meist akademischer Herkunft, folgt also eher einem wissenschaftlichen denn einem praktischen Interesse. Man spricht hier oft von Grundlagenforschung im Unterschied zur angewandten Forschung. Allerdings ist diese Unterscheidung nicht trennscharf zu treffen, denn bei vielen Untersuchungen kommen beide Zielsetzungen vor. Unabhängig vom auftragsgebunden-angewandten oder akademisch-grundlegenden Erkenntnisinteresse können mehrere Schritte im Forschungsprozess unterschieden werden: Definition des Forschungsproblems, Methodenkonzeption, Datenerhebung, Datenaufbereitung, Datenauswertung und Datenbzw. Ergebnispräsentation. 65 Die Definition des Forschungsproblems steht am Anfang jeder Untersuchung und ist insofern nicht spezifisch für empirische Forschung. In der akademischen Forschung werden zunächst die Theoriebestände, die für die Untersuchung des Forschungsproblems geeignet sind, gesichtet und bewertet. In der angewandten Forschung wird das Forschungsproblem ohne Rückgriff auf Forschungsliteratur definiert und bearbeitet. Die »Theoriebildung« hat hier allenfalls den Charakter einer Konvention. Ein Beispiel dafür ist die Vereinbarung zwischen Werbewirtschaft und angewandten Forschungsinstituten, was als Werbekontakt definiert wird ( → www.utb-mehr-wissen.de, Kapitel 1.2). In Bezug auf die Konzeption der Methode und Datenerhebung sind mehrere methodische Entscheidungen zu treffen, die miteinander zusammenhängen. Die Abfolge dieser Schritte unterscheidet sich zwischen standardisierten und offenen Untersuchungsanlagen (vgl. Krotz 2005: 61ff.): 65 Eine ähnliche Unterteilung findet sich bei von Alemann (1977: 148f.): Definitionsphase (Forschungsproblem, Literaturstudium, Theorie, Begriffe, Grundgesamtheit, Forschungsplan), Durchführungsphase (Forschungsinstrument, Auswahlplan, Exploration, Hauptuntersuchung, Datenvercodung), Analysephase (Datenerfassung, Datenbereinigung, Datenanalyse), Disseminationsphase (Forschungsbericht, Publikation) <?page no="184"?> Stationen des Forschungsprozesses 185 • Zuerst müssen die allgemeine Methode (hier: die Befragung) und das konkrete Verfahren ( → Kapitel 2) bestimmt werden. Diese Wahl hängt in erster Linie von der Fragestellung ab, aber auch von den methodischen Fähigkeiten und methodologischen Präferenzen des Forschers ab. • Danach wird ein Instrument entwickelt, also ein Fragebogen bei standardisierten Befragungen ( → Kapitel 5) und ein Leitfaden bei Leitfadeninterviews ( → Kapitel 3.1) oder eine Konzeption der Interviewführung bei narrativen Interviews ( → Kapitel 3.1). • Mit der Festlegung des Instruments einher geht auch die Aufzeichnung der Datenerhebung. Während bei standardisierten Befragungen der Fragebogen gleichzeitig als Aufzeichnungsmedium genutzt wird, bedarf es bei offenen Formen einer gesonderten, in der Regel technisch gestützten Audio- oder audiovisuellen Aufzeichnung. 66 • Je nach Forschungsziel wird die Grundgesamtheit der zu erforschenden Population definiert. Dies ist etwa bei Wahlumfragen die wahlberechtigte Bevölkerung. Aus der Grundgesamtheit wird nach bestimmten Vorgehensweisen eine Stichprobe von Befragten gezogen ( → Kapitel 2) oder bei Studien mit eng begrenzter Reichweite gelegentlich eine Vollerhebung der untersuchten Personen oder Organisationen durchgeführt. • Bei vielen Varianten der Befragung sind eigenständige Überlegungen und Planungen erforderlich, wie der Zugang zum Feld organisiert werden kann. Dies ist insbesondere notwendig, wenn besondere Populationen und Milieus erforscht werden sollen, denn in diesen Fällen ist die Herstellung des Kontaktes manchmal problematisch. Je nach Art der Stichprobenziehung muss deren Realisierung in der Feldphase auch kontrolliert werden, etwa bei der Quotenstichprobe, wie die Quoten tatsächlich umgesetzt werden und ob eventuell bei Übererfüllung oder Untererfüllung bestimmter Quoten gegengesteuert werden muss. • Bevor die Befragung durchgeführt wird, ist es notwendig, das Instrument und die Befragungssituation zu testen. Dieser Pretest dient darüber hinaus der Verbesserung des Fragebogens sowie der Planung für die Hauptuntersuchung ( → Kapitel 6.5). Bei qualitativen, offenen Untersuchungsanlagen ist die Trennung zwischen Pretest und Hauptuntersuchung in der Regel nicht vorgesehen, da die Entwicklung des Instruments im Forschungsverlauf offen ist. 66 Bei Online-Befragungen fallen mit den Logfiles weitere Aufzeichnungen automatisch an, die zusätzlich Auskunft über den Antwortprozess des Befragten geben können. <?page no="185"?> Planung und Ablauf von Befragungen 186 • Für die Hauptuntersuchung müssen die Feldzeit und die finanziellen, organisatorischen und personalen Ressourcen kalkuliert werden ( → Kapitel 6.2, vgl. Jacob / Eirmbter 2000: 75ff., 121ff., 124f.). Die Datenaufbereitung besteht aus zwei Schritten oder Phasen: • Zuerst erfolgt die Datenübertragung. Dazu müssen in der standardisierten Befragung die bereits standardisiert protokollierten Befragtenantworten in ein statistisches Auswertungsprogramm eingetragen werden (vgl. Jacob / Eirmbter 2000: 267ff.). Dieser Schritt wird bei computerunterstützten Verfahren bei der Online-Befragung automatisch vollzogen ( → Kapitel 2.4). Bei offenen Befragungsformen ist eine schriftliche Transkription der Befragtenantworten erforderlich ( → Kapitel 3.1). • Zur Datenaufbereitung gehört auch die Prüfung der Daten, die Datenbereinigung. Datenfehler können in der standardisierten Befragung bereits bei der Datenerhebung auftreten, wenn der Interviewer die Antworten des Befragten falsch notiert oder den Antwortvorgaben falsch zugeordnet hat, wenn die Filterführung im Fragebogen falsch gehandhabt wurde ( → Kapitel 5.4) oder wenn der Befragte nachvollziehbar logisch inkonsistent geantwortet hat. Weitere Fehlerquellen können bei der Übertragung auftreten, wenn die Fragebogeneinträge falsch in die Auswertungssoftware eingegeben werden. Bei offenen Befragungsformen, können diese Fehler zum einen auftreten, wenn das Interview nicht aufgezeichnet, sondern vom Interviewer protokolliert wird, und zum anderen bei fehlerhafter Abschrift (Transkription) von der Aufzeichnung. Die Datenauswertung erfolgt bei standardisierten Befragungen mit statistischen Verfahren und wird heute nur noch EDV-gestützt durchgeführt. Die Wahl der Verfahren hängt neben dem Auswertungsziel von der Skalierung der Antwortvorgaben ab ( → Kapitel 5.5). Auch für offene Befragungsformen stehen EDV- Programme zur Verfügung, mit denen die Auswertung technisch verwaltet werden kann (vgl. Kuckartz 1999). Die Auswertung selbst erfolgt hier textanalytisch entweder mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 6 1997), mit hermeneutischen Verfahren (vgl. Roller / Mathes 1993) oder konversationsanalytisch (vgl. Titscher et al. 1998). Zur Datenauswertung gehört auch die sie vorbereitende Datenmodifikation. Bei standardisierten Befragungen können aus mehreren Variablen Indices gebildet werden oder die Ausprägungen von einzelnen Variablen zusammengefasst werden. Bei offenen Befragungen sind Datenmodifikation und Datenauswertung dagegen nicht voneinander zu trennen. Die Daten- oder Ergebnispräsentation hängt ebenfalls von der Form der Befragung ab. Standardisierte Befragungen werden mit Hilfe von Zahlen (Prozentwer- <?page no="186"?> Stationen des Forschungsprozesses 187 te, statistische Kennwerte) tabellarisch oder grafisch präsentiert (vgl. Henry 1994; Jacoby 1997; 1998) und textlich interpretiert. Bei offenen Befragungen besteht die Präsentation in erster Linie aus textlichen Interpretationen mit eingebauten beispielhaften Zitaten von Aussagen der Befragten (vgl. Silverman 1993; Wolcott 2 2001). Wenn Tabellen verwendet werden, beinhalten sie jedoch keine Zahlendarstellungen, sondern textliche Klassifikationen in Form von typologisierenden Beschreibungen der Befragten und ihrer untersuchten Merkmale. Unabhängig von der Befragungsform muss ein Methodenbericht erstellt werden, in dem die Stichprobenkonzeption und Stichprobenziehung, die Feldzeit der Durchführung, der Fragebogen und mögliche Instrumententests und Indexbildungen erläutert (vgl. Jacob / Eirmbter 2000: 263ff.). In einer standardisierten Untersuchungsanlage ist die Abfolge dieser Schritte strikt linear und deduktiv, das heißt, dass zuerst das Instrument (der Fragebogen) entwickelt werden muss, bevor die Feldphase beginnt, in der der Fragebogen zum Einsatz kommt. Einzig durch den Pretest wird ein zirkuläres Element eingebaut, um das Instrument zu optimieren. Erst am Schluss gibt es einen Rückbezug bei der Ergebnisinterpretation auf die Fragestellung und auf die Hypothesen, sofern dem Forschungsprozess eine explizit ausformulierte Theorie oder zumindest einzelne Hypothesen zugrunde liegen. In der qualitativen Forschung sind die verschiedenen Schritte des Forschungsprozesses stärker ineinander verschachtelt und verstärken sich spiralförmig. Dies liegt an der induktiven und offenen Vorgehensweise, die es erforderlich macht, nicht nur das Instrument, sondern jeden Schritt des Forschungsprozesses ständig zu entwickeln, modifizieren und zu korrigieren (vgl. Krotz 2005: 132ff.; 167ff.). 67 67 Die hier aufgeführten methodologischen Unterschiede zwischen standardisierten und nicht-standardisierten Methoden und Verfahren werden gemeinhin auch auf ihre wissenschaftstheoretische Fundierung zurückgeführt und damit begründet (→ Kapitel 1.3). Es gibt jedoch auch Zweifel, ob die Kopplung von wissenschaftstheoretischen Regelsystemen und Methodologie logisch zwingend ist oder doch eher einer Konvention oder Gewohnheit folgt (vgl. Krotz 2005: 65 sowie Scholl 2008a; 2008b). Die Argumentation folgt deshalb weiterhin der pragmatischen und praxisorientierten Linie des gesamten Lehrbuchs. <?page no="187"?> Planung und Ablauf von Befragungen 188 Abb. 9: Forschungsprozess einer standardisierten Untersuchungsanlage 68 Fragestellung/ Problemformulierung Konzeptualisierung (eventuell mit Hypothesen oder Theorie) Wahl der Methode (hier: Befragung) Definition der Grundgesamtheit (1) (2) Operationalisierung (hier: Fragebogen) (3) Auswahl der Untersuchungsfälle (hier: Befragte) Pretest Hauptuntersuchung (Datenerhebung) Datenaufbereitung (Datenerfassung und Datenbereinigung) Datenauswertung (inklusive Datenmodifikation) Datenpräsentation 68 Die Rückbezüge (1) und (2) erfolgen in der Regel bereits nicht mehr innerhalb der Untersuchung oder Studie, sondern erst in der Folgestudie. Deshalb bleibt die strikte Linearität im Rahmen derselben Studie erhalten mit der Ausnahme, dass durch den Probedurchlauf in Form des Pretests (3) die Möglichkeit zur Veränderung des Fragebogens gegeben ist. <?page no="188"?> Stationen des Forschungsprozesses 189 Abb. 10: Forschungsprozess einer nicht-standardisierten Untersuchungsanlage 69 Fragestellung/ Problemformulierung (grobe) Konzeptualisierung (Vorwissen → Wissen) Wahl der Methode (hier: Befragung) Definition der Grundgesamtheit (wird meist nicht expliziert) Operationalisierung Auswahl der Untersuchungsfälle (hier: Befragte) Felduntersuchung (Datenerhebung) Datenaufbereitung (hauptsächlich Datenerfassung) Datenauswertung Datenpräsentation 69 Je nach qualitativem Ansatz könnten in dieser Abbildung wahrscheinlich noch mehr Rückbezüge realisiert werden. Die Beschränkung auf die wichtigsten Rückbezüge im Forschungsprozess ist der Übersichtlichkeit geschuldet und beansprucht keine Vollständigkeit, dafür sind die Ansätze der qualitativen Methodologie zu unterschiedlich. Im Unterschied zur standardisierten Untersuchungsanlage finden alle Rückbezüge innerhalb einer Studie statt, sodass die spiralförmige Zirkularität der Untersuchungsanlage selbst immanent ist. <?page no="189"?> Planung und Ablauf von Befragungen 190 6.2 Interviewerorganisation und Interviewerregeln Die folgenden Ausführungen beziehen sich hauptsächlich auf mündliche Interviews und orientieren sich an den Regeln führender Markt- und Meinungsforschungsinstitute, die in erster Linie für groß angelegte und standardisierte Umfragen konzipiert sind. Als Idealtypus und als anspruchsvollste Art der Organisation können sie jedoch auf alle Umfragearten übertragen werden oder zumindest als Richtlinie dienen. Die Qualität der Feldarbeit hängt wesentlich von der Auswahl, Schulung, Motivierung und Kontrolle der Interviewer ab (vgl. Niehoff 1998: 65). Die Organisation des Interviewerstabes ist dabei nicht nur eine logistische Aufgabe, sondern verfolgt ein breiter gestecktes Ziel: »Interviewer und Befragte müssen bei Repräsentativ-Erhebungen von jeder nicht unbedingt notwendigen Anstrengung intellektueller, psychologischer, sprachlicher und technischer Art entlastet werden.« (Noelle-Neumann / Petersen 1996: 63) Die Verfahren der Interviewerrekrutierung und Interviewerverwaltung unterscheiden sich zwar unter den Markt- und Meinungsforschungsinstituten (vgl. Bliesch 1998; Hullmann / Schmidt 1998; Niehoff 1998; Noelle-Neumann 1998), bilden allerdings überall einen Kostenschwerpunkt. Folgende Merkmale werden in der Regel von den Instituten erwartet (vgl. Fuchs 1994: 179; Költringer 1992: 19f.; Niehoff 1998: 54; Noelle-Neumann / Petersen 1996: 319f., 337ff.; Pohlmann 1993: 17ff.; Frey / Mertens-Oishi 1995: 110ff.): • Da die Interviewertätigkeit nur im Nebenberuf ausgeübt wird, sind insbesondere Bevölkerungsgruppen geeignet, die keinen oder keinen ausfüllenden Hauptberuf haben, aber genug Zeit mitbringen und zeitlich flexibel sind, um diese Tätigkeit auszuüben und auch an Wochenenden bzw. zu ungewöhnlichen Zeiten eingesetzt werden können. Dies sind in erster Linie Hausfrauen oder Hausmänner, Rentner und Studierende. 70 Bei bestimmten Fragestellungen und bestimmten Befragtenpopulationen kommen auch Interviewer mit anderen soziodemografischen Merkmalen und besonderen kommunikativen Fähigkeiten zum Einsatz. 70 Studenten sind allerdings weniger erwünscht, weil man ihnen unterstellt, dass sie aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten erfolgreicher Interviews fälschen als andere Interviewergruppen. Ebenfalls ungeeignet sind Vertreter von Firmen, weil man befürchtet, dass sie die Interviews dazu nutzen, auch andere berufliche Interessen zu verfolgen, was die Institute unbedingt vermeiden wollen, um nicht als unseriös zu gelten. <?page no="190"?> Interviewerorganisation und Interviewerregeln 191 • Wichtig für die Interviewertätigkeit ist neben der zeitlichen die räumliche Mobilität. Vorausgesetzt werden deshalb in der Regel ein Führerschein und der Besitz eines Autos. • Umstritten ist die geeignete soziodemografische Zusammensetzung von Interviewerstäben. Zum einen gibt es die Strategie, diese möglichst homogen zusammenzusetzen, mit dem Ziel, dass sich auch die Verhaltensweisen der Interviewer möglichst gleichen und somit Stimuluskonstanz gewährleistet ist. Der Nachteil besteht allerdings darin, dass ein homogener Interviewerstab einen bestimmten Fehler dann auch systematisch begeht. Die gegenteilige Strategie besteht darin, einen heterogenen Interviewerstab zu beschäftigen, am besten ähnlich der soziodemografischen Verteilung der gesamten Bevölkerung. Dies strebt etwa die GfK an. Mögliche Interviewereffekte können sich dann gegenseitig aufheben. Allerdings dürfte es in der Praxis kaum zu realisieren sein, dass die Interviewer soziodemografisch die Bevölkerung repräsentieren. Deshalb sind Hausfrauen, ältere Menschen, Mittelschichtangehörige überrepräsentiert. 71 In einer Untersuchung hat Reuband (1984: 80) erhebliche Unterschiede in den Ergebnissen je nach Zusammensetzung der Interviewerstäbe festgestellt. Daraus resultiert die Forderung, zumindest die soziodemografischen Merkmale der Interviewer auf dem Fragebogen zu erheben, damit sie statistisch kontrolliert werden können. • Interviewer sollten sowohl kontaktfreudig sein, also offen, freundlich und nicht menschenscheu, als auch sicher auftreten, das heißt neutral und gepflegt gekleidet zu sein und auszusehen. Dazu gehört auch eine hinreichend laute und deutliche Aussprache. Dies ist ein entscheidendes Auswahlkriterium für Telefonbefragungen, für die äußerlich sichtbare Kriterien unwichtig sind. Damit können die Zielpersonen besser zur Teilnahme an dem Interview motiviert werden. Allerdings darf diese Offenheit nicht übertrieben sein, um die Befragten nicht zu erschrecken oder einzuschüchtern. • Interviewer müssen ferner flexibel und einfühlsam sein, sich auf andere Menschen einzustellen, sich in verschiedenartige Menschen hineinzudenken und sich an verschiedene Situationen im Interview anzupassen. Dazu gehört auch 71 Die Auswahl der Interviewer bzw. die Zusammensetzung der Interviewerstäbe ist für die Institute schon deshalb wichtig, weil die Ausschöpfungsquote auch von einigen Interviewermerkmalen abhängig ist. So sind weibliche, ältere, gut ausgebildete, erfahrene oder intrinsisch motivierte Interviewer auch erfolgreicher (vgl. Koch 1991: 47; Költringer 1992: 102ff.). <?page no="191"?> Planung und Ablauf von Befragungen 192 eine gute Konzentrationsfähigkeit, zuhören zu können, sich nicht ablenken zu lassen und rasch arbeiten zu können. • Darüber hinaus muss der Interviewer gewissenhaft und bereit sein, sich an Vorgaben und Vorschriften zu halten. Dies bezieht sich auf alle Stationen des Befragungsprozesses von der Auswahl der Befragten (wenn Adressermittlung und Befragung zusammenfallen) über die korrekte Vorlesung der Fragen, Antwortvorgaben und Erläuterungen, das korrekte Notieren der Antworten des Befragten, das richtige Nachhaken bei methodisch ungültigen oder unzureichenden Antworten und schließlich die vorgeschriebene Art, eventuelle Nachfragen der Befragten zu beantworten. Interviewer müssen vielfältige kommunikative und kognitive Kompetenzen mitbringen, die in Kombination kaum von allen Bewerbern zu erwarten sind und zum Teil auch gegenläufige Persönlichkeiten voraussetzen. Für die Auswahl der Interviewer werden deshalb oft Eignungstests durchgeführt und Probeinterviews verlangt, die bereits als erstes Training dienen. Nach den Erfahrungen des Instituts für Demoskopie Allensbach werden aus 100 Bewerbern auf diese Weise etwa 20 ausgewählt, die durchschnittlich zwei Jahre beim Institut als Interviewer tätig sind. Das Interviewernetz des IfD umfasst zwischen 1.600 und 1.800 Interviewern, von denen jährlich 30 Prozent ausgewechselt werden. Ein Interviewer führt für eine bevölkerungsweit repräsentative persönliche Befragung fünf bis sieben Interviews durch 72 , sodass 300 bis 400 Interviewer eingesetzt werden (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 330ff.; 359). Költringer (1992: 20) beschreibt zwei Einstellungsstrategien: Die Hire-and-Fire-Einstellung führt zu einer hohen Fluktuation, vermeidet aber Gewöhnungseffekte. Wer dagegen auf langfristige Einstellung und institutsinterne Ausbildung setzt, hat einen hohen Anteil an erfahrenen Interviewern, muss dann aber Maßnahmen ergreifen, die verhindern, dass ein Interviewer durch zu viel Routine nachlässiger arbeitet. Neben den persönlichen Voraussetzungen, welche die Interviewer mitbringen sollen, sind spezifische Fähigkeiten erforderlich, die trainiert werden müssen. Das Interviewertraining muss zwei Bereiche umfassen: die allgemeinen Regeln des Interviewens und das spezielle Wissen von der durchzuführenden Studie. Allgemein zu beachten sind folgende Regeln: 72 Je mehr Interviews ein Interviewer für eine Studie durchführen muss, umso größer wird die Gefahr der Neigung zur Fälschung. Die Qualität des Interviews selbst nimmt ab, weil der Fragebogen langweilig wird und der Interviewer Erwartungen über mögliche Antworten ausbildet, was dazu führen kann, dass er die Antworten der Befragten gemäß seinen Vorerwartungen selektiv notiert (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 359). <?page no="192"?> Interviewerorganisation und Interviewerregeln 193 • Die Interviewer erlernen die Regeln, wie sie das Interview einleiten und den Kontakt herstellen. Diese Einleitung umfasst neben der Begrüßung die Zusicherung von Anonymität, die Erläuterung der Auswahl der Zielperson sowie eine kurze Einführung in das Thema oder in den Zweck der Studie, zu der die Befragung durchgeführt wird. Darüber hinaus werden dem Interviewer mögliche Argumente an die Hand gegeben, mit denen er Zielpersonen, die das Interview verweigern wollen, doch noch zur Teilnahme motivieren kann. • Die Interviewer müssen die Design-Konventionen von Fragebögen kennen lernen. Dazu gehören die Regeln, wie standardisierte Fragen gestellt und die betreffenden Antwortvorgaben vorgelesen werden. Wichtig sind ferner die Beachtung von Filterführungen oder die Handhabung besonderer Fragetechniken (Karten, visuelle Unterstützungen usw.). Die Antworten des Befragten müssen richtig notiert und eventuell richtig zugeordnet werden, wenn sie (etwas) von den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten abweichen. • Weiterhin müssen konkrete Verhaltensweisen angewendet werden, wenn die Befragten überhaupt nicht, nicht präzise, nur stockend oder nicht direkt auf die Frage bezogen antworten. Hier gibt es verschiedene Techniken des Nachhakens, das zu verschiedenen Zwecken eingesetzt wird. Es dient zum einen der Klärung bei für den Interviewer unverständlichen Antworten des Befragten (»Was meinen Sie jetzt genau? «). Ist die Antwort dagegen vage oder zu allgemein, ermöglicht richtiges Nachhaken eine Spezifizierung der Antwort (»Können Sie mir mehr darüber sagen? «). Weiterhin signalisiert es die Relevanz einer Frage (»Lassen Sie mich die Frage noch einmal stellen! ... «). Schließlich wird nachgehakt zur Vervollständigung einer Antwort (»Was noch? « oder: »Können Sie mir ein (weiteres) Beispiel nennen? «). Bei unklaren Antworten muss der Interviewer vor allem vermeiden, dass er eigenständige Antworthilfen anbietet, sondern er muss neutral nachhaken. Antwortet der Befragte etwa auf die Frage nach der Anzahl von Stunden täglichen Fernsehkonsums, dass er eigentlich den ganzen Tag fernsieht, darf der Interviewer nicht nachfragen: »Also so etwa zwölf Stunden meinen Sie? «, sondern: »Könnten Sie das genauer sagen? Wie viele Stunden sehen Sie an einem Tag fern? « (vgl. Frey / Mertens-Oishi 1995: 123f.). • Auch für das interpersonale Verhalten des Interviewers bzw. für sein gesamtes Auftreten gibt es Richtlinien. So soll der Interviewer zurückhaltend sein, aber den Befragten zum Antworten (nicht zu bestimmten Antworten! ) ermuntern. Er soll eine Balance zwischen Steuern (des Gesprächs), Motivieren (des Befragten) und Flexibilität (bei der Handhabung der Situation) finden (vgl. Maindok 1996: 47, 61; → Kapitel 6.4). <?page no="193"?> Planung und Ablauf von Befragungen 194 Bezüglich der Studie müssen die Interviewer Auskünfte geben können über • Ziel und Auftraggeber der Studie, Nutzen für die Forschung oder die Praxis; • Auswahl der Zielpersonen (Stichprobenansatz); • Zwecke, die mit bestimmten Fragen verbunden sind; • konkrete Schritte zur Herstellung von Vertraulichkeit (vgl. Fowler 2 1988: 115; Saris 1991: 20ff.; Frey / Kunz / Lüschen 1990: 187ff.). Für das Interviewertraining muss schriftliches Material erstellt werden, das ein allgemeines Interviewerhandbuch und ein spezielles Studienhandbuch zum Befragungsprojekt umfasst. Die Vermittlung dieser Informationen sollte sich nicht darauf beschränken, dass der Interviewer das Material selbstständig durchliest, sondern durch Vorlesungen und Demonstrationen sowie durch Übungen und Rollenspiele ergänzt werden. Bei der Durchführung des ersten Interviews ist es darüber hinaus sinnvoll, dass der Interviewer von einem Supervisor begleitet wird, der mögliche Probleme beobachtet und dem Interviewer zur Seite steht (vgl. Fowler 2 1988: 116f.; Költringer 1992: 35; Frey / Mertens-Oishi 1995: 119; exemplarisch für das Institut für Demoskopie Allensbach: Noelle-Neumann / Petersen 1996: 337-358). Zur Interviewerschulung gehört im weiteren Sinn auch, dass, wie im Institut für Demoskopie in Allensbach, die Interviewer auf eine spielerische Art »betreut« werden: Bei einem Preisausschreiben sollen die Interviewer Fragen zum richtigen und falschen Interviewerverhalten anhand eines fiktiven Szenarios beantworten (vgl. Noelle-Neumann 1998: 37ff.). Durch solche Maßnahmen wird versucht, das Wissen über richtiges Interviewen zu verbessern. Dieses bezieht sich auf folgende Verhaltensweisen (vgl. Költringer 1992: 6, 49): • Nur die vorgegebene Zielperson und keine andere Person des ausgewählten Haushalts darf befragt werden. • Alle den Befragten betreffenden Fragen müssen vorgelesen werden. Der Interviewer darf keine eigene Filterführung einführen, die nicht im Fragebogen vorgesehen ist. • Alle vorgesehenen Antwortvorgaben und Hilfsmittel müssen vorgelesen oder vorgelegt werden, selbst wenn der Befragte diese scheinbar nicht benötigt. Umgekehrt darf der Interviewer aber auch keine Hilfestellung geben, die nicht im Fragebogen vorgesehen ist. Dies gilt insbesondere bei Nachfragen des Befragten. • Die Fragen müssen wörtlich vorgelesen werden. Der Interviewer darf keine eigenständigen Formulierungen benutzen, weil er glaubt, dass der Befragte sie besser verstehen könnte. <?page no="194"?> Interviewerorganisation und Interviewerregeln 195 • Der Interviewer darf nur die Antworten des Befragten notieren bzw. die dazu passenden Vorgaben ankreuzen, aber keine stellvertretenden Antworten dem Befragten (was er gemeint haben könnte) nahe legen. • Korrekturen notierter Antworten dürfen nur während des Interviews (und auf Wunsch des Befragten) erfolgen. Nachträgliche Korrekturen oder das Auffüllen bei nicht gegebenen Antworten sind nicht erlaubt. Solche standardisierten Regeln erfordern eine enorme Disziplin seitens des Interviewers und führen gelegentlich zu Dilemmasituationen. Költringer (1992: 49ff.; 59f.) bezweifelt aufgrund der Ergebnisse seiner Befragung von Interviewern, dass die drei letztgenannten Normen, alle Fragen wörtlich vorlesen zu müssen, dem Befragten nicht stellvertretend bei der Beantwortung behilflich sein zu dürfen, und das Verbot einer nachträglichen Korrektur bei den Interviewern internalisiert sind. Wenn sich der Befragte in einem ganzen Fragebereich für nicht kompetent erklärt und der Interviewer dennoch alle Fragen vorlesen muss, riskiert er, dass sich der Befragte beschwert und das Gesprächsklima schlechter wird. Interessant ist ferner, dass die korrekte Befolgung der Regeln leicht negativ korreliert mit der Leistung des Interviewers (gemessen als Anzahl der vollständig durchgeführten Interviews). Wenn solche Normkonflikte entstehen, müssen die Markt- und Meinungsforschungsinstitute diese entschärfen durch ein entsprechendes Design des Fragebogens und durch ein ausdifferenziertes Entlohnungssystem, welches nicht nur pauschal das vollständig durchgeführte Interview umfasst, sondern stärker auch die Güte des Interviewens berücksichtigt. Ein besonderes Problem, das oft aus den Normenkonflikten der Interviewer resultiert, stellt die Fälschung von Interviews dar 73 . Diese kann sich nur auf einzelne Fragen beziehen, wenn etwa der Interviewer vermeintlich heikle Fragen überspringt und eine (vermutete) Antwort einträgt. Unter Teilfälschungen versteht man jene Fälle, in denen größere Teile des Fragebogens ausgelassen werden. Beides ist schwer zu kontrollieren, weil die Interviews geführt wurden, sodass der Befragte sich bei einer Kontrolle daran erinnern kann. Besonders gravierend ist die vollständige Fälschung, also das komplette Selbstausfüllen des Fragebogens durch den Interviewer, das allerdings auch am schwersten durchzuführen ist, weil es gewisser Fähigkeiten bedarf, einen Fragebogen so konsistent auszufüllen, dass es nicht auffällt. 73 Im Prinzip stellt bereits die Nichtbeachtung der obigen Regeln des korrekten Interviewens ein Täuschungsverhalten dar. Der Übergang zur Fälschung ist also fließend. Gefälschte Angaben zum Kontaktverhalten oder regelwidriges Kontaktverhalten fallen ebenso darunter wie die bewusste Unterschlagung von für den Befragten relevanten Informationen, um das Interview abzukürzen oder zu beschleunigen (Költringer 1992: 63ff.). <?page no="195"?> Planung und Ablauf von Befragungen 196 Obwohl die Fälschung eines Interviews nicht notwendig die Güte der Ergebnisse verringert - es gibt auch gute Fälschungen (vgl. Reuband 1990b; Költringer 1992: 61f.) -, wird die Problematik von den Instituten sehr ernst genommen, weil es ihren Ruf in der Öffentlichkeit schädigt, wenn Fälschungen in größerem Ausmaß bekannt werden. Insofern kommt der Kontrolle eine besondere Bedeutung zu. Man kann davon ausgehen, dass das Täuschungsverhalten umso geringer ausfällt, je größer die Kontrollangst des Interviewers vor negativen Folgen des Fehlverhaltens ist. Folgende Maßnahmen werden je nach Bedarf durchgeführt (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 369ff.; Költringer 1992: 44f.): • Bereits bei den Probeinterviews zur Einstellung der Interviewer werden Fälscherfallen in den Fragebogen eingebaut, um unkorrekte Vorgehensweisen zu identifizieren. • Bei der Einstellung müssen die Interviewer eine Erklärung unterschreiben, mit der sie sich verpflichten, keine unkorrekten Interviews durchzuführen. Außerdem wird den Interviewern mitgeteilt, dass Kontrollen stattfinden. • Wenn die Adressen der Befragten vorliegen, werden bei einem bestimmten Prozentsatz Kontroll-Interviews durchgeführt, vor allem, um Teilfälschungen zu entdecken. Dies geschieht oft noch während der Feldarbeit oder unmittelbar danach. Dazu wird entweder eine Teilstichprobe der Befragten gezogen oder bei einem konkreten Verdacht nachgehakt. • Oft werden Befragte angeschrieben oder angerufen und um Informationen über das Interview und den Interviewer gebeten. Dazu werden sie danach befragt, ob sie interviewt wurden, zu welchen Themen und wie lange das Interview gedauert hat. • Eine weitere Möglichkeit der Kontrolle besteht darin, den Interviewern fiktive Adressen von Befragten zu geben. Wenn sie dann einen ausgefüllten Fragebogen abliefern, ist entweder dieser selbst gefälscht, oder der Interviewer hat sich unerlaubt eine andere Zielperson ausgesucht. • Eine wichtige Maßnahme ist die sorgfältige Durchsicht der Fragebögen. Allerdings sind inhaltliche Inkonsistenzen kein hinreichendes Indiz für eine Fälschung, denn es kommt häufig vor, dass die Befragten (nur) scheinbar unlogisch antworten. Insofern kann das Entdecken von logischen Inkonsistenzen sogar ein Beleg für vorschriftsgemäßes Verhalten des Interviewers sein. • Bei Telefoninterviews ist die Kontrolle der Durchführung von Interviews deutlich weniger aufwändig und flächendeckend möglich. In Deutschland darf das Interview stichprobenartig mitgehört werden; in USA ist sogar das Mitschneiden des Erhebungsgesprächs erlaubt (vgl. Fuchs 1994: 179, 187). <?page no="196"?> Interviewerorganisation und Interviewerregeln 197 Diese Kontrollmaßnahmen können nur die eklatanten Regelverstöße verringern. Der eigentliche Kernbereich des Interviewens kann dagegen nur positiv beeinflusst werden durch einen guten Kontakt des Instituts mit seinen Interviewern. Dies bedeutet auch, dass die Probleme der Interviewer beim Interviewen ernst genommen werden. Solche Schwierigkeiten betreffen drei Dimensionen (vgl. Költringer 1992: 71f., 75f., 79): • Fragebogendesign: Darunter fallen zu lange Interviews, zu lange Fragetexte oder zu lange Fragebatterien. • Themen: Als heikle Themen gelten Fragen zu sexuellem Verhalten, zur politischen Gesinnung oder zum Einkommen. • Befragte: Schwer zu befragen sind insbesondere alte Menschen, Angehörige der Unterschicht und der Oberschicht ( → Kapitel 7.4). Nach Veränderungswünschen befragt, geben Interviewer hauptsächlich an, dass auch abgebrochene Interviews und die Einarbeitungszeit in die Studie bezahlt werden sollen. 74 Darüber hinaus soll die Fragebogenkritik der Interviewer verstärkt berücksichtigt werden. Zu lange Interviews belasten offenbar die Interviewer sehr stark, zumal es ihnen dann schwer fällt, Verständnis beim Befragten einzufordern. Schließlich schlagen die Interviewer vor, dass die Institute generelle Maßnahmen zur Verbesserung der Umfrageforschung durchführen sollen, mit denen die konkrete Teilnahmebereitschaft der Befragten erhöht werden kann (vgl. Költringer 1992: 112ff.). Man kann aus diesen Ausführungen lernen, dass die Schulung der Interviewer keine einseitig direktive Vermittlung von Techniken sein darf, sondern dass Organisationen, die Interviewer beschäftigen, auf deren Bedürfnisse eingehen und die Rückmeldungen und Erfahrungen der Interviewer aus dem Feld ernst nehmen müssen. Wieweit diese Rücksichtnahmen gehen, ob sie zur Relativierung des Untersuchungszwecks führen dürfen, wenn die Interviewer von bestimmten Vorgehensweisen oder Frageweisen als undurchführbar oder zumindest als die Gesprächsatmosphäre hemmend berichten, wäre dann zwischen Auftraggeber, durchführender Organisation und Interviewern auszuhandeln. 74 Die Bezahlung erfolgt in der Regel als Honorar für vollständig ausgefüllte Fragebögen. Darüber hinaus gibt es eventuell Prämien für bestimmte Leistungen. Außerdem werden die Kosten für die Anfahrt vergütet. Allerdings umfasst die tatsächliche Interviewleistung auch noch die Wegzeiten, die Zeit für die Terminvereinbarung sowie spezielle Aufwendungen (vgl. Költringer 1992: 109). <?page no="197"?> Planung und Ablauf von Befragungen 198 6.3 Interviewstil Die Qualität eines Interviews hängt nicht nur vom Fragebogen und den Regeln, wie dieser vom Interviewer gehandhabt werden muss, ab, sondern auch von der Interaktion zwischen dem Interviewer und dem Befragten. Auf den Interviewer bezogen ist insbesondere der Interviewstil wichtig. Dieser beschränkt sich nicht auf einzelne Verhaltensweisen oder nonverbale Zeichen des Interviewers, sondern umfasst das komplette strategisch eingesetzte und trainierte Verhaltensrepertoire. Der Interviewstil ist demzufolge auch nicht identisch mit den Interviewregeln. In den älteren Lehrbüchern werden der neutrale, weiche und harte Stil der Interviewführung durch den Interviewer unterschieden. Obwohl fast durchgängig für das standardisierte Interview ein neutraler Interviewstil empfohlen wird, damit der Interviewer keinen unerwünschten Einfluss auf den Befragten ausübt, werden auch Situationen geschildert, in denen es erforderlich ist, weich oder hart zu interviewen (vgl. Scheuch 1962: 151ff.). Vertreter des nicht-standardisierten qualitativen Interviews haben jedoch die Präferenz für ein neutrales Interviewen angezweifelt und einen konversationsähnlichen Charakter auch des wissenschaftlichen Interviews angemahnt (vgl. Rubin / Rubin 1995: 110f.). Diese Diskussion hat wiederum Eingang in die Debatte um den Interviewstil im standardisierten Interview gefunden. Wenn das oberste Ziel der Befragung darin besteht, valide Antworten vom Befragten zu bekommen, muss geklärt werden, inwiefern das Verhalten des Interviewers zum Erfolg oder Misserfolg des Interviews und zur Qualität der Antworten beitragen kann. Befürworter der neutralen Interviewführung argumentieren in der Regel, dass sich der Interviewer zurücknehmen muss und nur neutral nachhaken darf, um zu gewährleisten, dass die Fragen identisch kommuniziert werden (Stimulusgleichheit) und der Interviewer keine unerwünschten und unbeabsichtigten Zusatzinformationen liefert. Außerdem soll der Befragte auf diese Weise zur aufgabenorientierten Antwort gelenkt werden. Diese Position sieht also im Interviewer in erster Linie einen Verursacher von Verzerrungen und Fehlern, die es zu vermeiden gilt. Eine flexible, konversationsähnliche Interviewführung impliziert dagegen, dass der Interviewer dem Befragten behilflich sein muss bei der Beantwortung der Fragen und das bedeutet auch bei der Interpretation der Frageninhalte. Vertreter dieser Position argumentieren, dass der Befragte diese durch die Hilfe des Interviewers erzeugte Sicherheit benötigt, um valide antworten zu können (vgl. Schober / Conrad 1997). <?page no="198"?> Interviewstil 199 Beide Positionen zeigen das Dilemma, in dem das Interview steckt: Der Interviewer motiviert und unterstützt den Befragten, lenkt ihn aber auch - möglicherweise gerade dadurch - in eine bestimmte Richtung. Wenn Interviews konversationsähnlich geführt werden, sind die Befragten zufriedener mit der Interviewsituation, es besteht jedoch die Gefahr, dass ihre Antworten abhängig sind von der Art, wie der Interviewer die Fragen stellt und erläutert. Der Fragebogen sollte daher selbst so gut wie möglich eine mündliche Konversation simulieren, damit der Interviewer ihn nicht erst »übersetzen« muss. Dennoch ersetzt selbst der beste Fragebogen den Interviewer nicht: Nimmt sich der Interviewer sehr stark zurück und reduziert seine Rolle auf die Übermittlung der Fragen, ohne das Gespräch sozial zu unterstützen, erzeugt er damit noch mehr Irritation und Unsicherheit beim Befragten und gefährdet gerade durch seine Zurückhaltung die Validität der Antworten. Gelingt es dem Interviewer dagegen, eine konversationsähnliche Atmosphäre herzustellen, ruft der Befragte möglicherweise auch andere Konversationsregeln ins Bewusstsein, die der Validität der Antworten abträglich sind, wie etwa die Verhaltensorientierung am Gesprächspartner und die Vermeidung von vermeintlich sozial unerwünschten Meinungskundgaben. Hinter der Kontroverse um einen standardisierten oder flexiblen Interviewstil stehen unterschiedliche Betonungen der Aufgabenorientierung von Interviewern entweder auf die korrekte Vermittlung der Fragen oder auf der Herstellung einer kooperativen Interviewatmosphäre (vgl. Scholl 1993: 38ff.). Werden beide Aufgaben als voneinander unabhängige (nicht: sich widersprechende) Dimensionen aufgefasst, lässt sich das Dilemma der Realisierung beider Anforderungen durch eine zeitliche Trennung auflösen: Der Interviewer sollte am Anfang eine kooperative Atmosphäre durch einen flexiblen Interviewstil herstellen, dann aber zurückhaltender werden, wenn er den Eindruck hat, dass sich der Befragte auf die Aufgabe der validen Antwort eingestellt hat. Der Preis für eine solche Doppelstrategie der Interviewführung besteht in einer Verlängerung der Interviewzeit (vgl. Schober / Conrad 1997: 600). Angesichts der Tatsache, dass die Interviewsituation unvermeidlich sozial ist und der Interviewer kein Neutrum sein kann (vgl. Scholl 1993: 96ff.; 136ff.), ist dieser Preis allerdings zu zahlen, um die Qualität der Auskünfte der Befragten zu sichern oder zu steigern. Das Soziale der Interviewsituation impliziert auch das »Machtverhältnis« zwischen Interviewer und Befragten. Es wäre verkürzt, dieses auf den Interviewstil zu reduzieren, weil es das (Kommunikations-) Verhältnis beider und nicht nur das Verhalten des Interviewers umfasst. Dennoch kann der Interviewer signalisieren, dass er an einer »produktiven Machtbalance« (Helfferich 2 2005: 42) interessiert ist. Ob dieses Rollenangebot dann vom Befragten übernommen wird, ist situativ offen und möglicherweise nicht gleichbleibend innerhalb des Interviews. <?page no="199"?> Planung und Ablauf von Befragungen 200 6.4 Interviewerregeln für qualitative Interviews Die Regeln, die in der Markt- und Meinungsforschungspraxis sowie in den meisten Methodenlehrbüchern formuliert werden, sind eindeutig auf standardisierte Interviews bezogen. Da qualitativ-offene Interviews nicht mit standardisierten Fragebögen, sondern allenfalls mit einem Leitfaden arbeiten oder den Befragten zur freien Narration ermuntern, scheint das Aufstellen von Regeln in diesem Bereich vordergründig überflüssig. Allerdings lastet auf dem Interviewer bei offenen Interviews eine selbstständigere Verantwortung für die Gesprächsführung, weil er nicht durch die Vorgaben eines Fragebogens entlastet wird. Es wäre deshalb verkürzt, sich einfach auf die kommunikativen Fähigkeiten der Interviewer zu verlassen und darauf zu hoffen, dass das Gespräch, wenn es nur offen ist, auch produktiv gerät. So schwankt die Diskussion um Anforderungen an qualitative Interviewer, zwischen der Position, dass es keiner besonderen Kompetenzen bedarf, und einer Überforderung des Interviewers mit kaum erfüllbaren Erwartungen (vgl. Helfferich 2 2005: 9). 75 Die Interviewerschulung für die Durchführung qualitativ-offener Interviews bezieht sich weniger auf spezielle Studien und deren technische Durchführung, sondern allgemein auf die Erfordernisse für ein offenes Gespräch und eine nichtdirektive Gesprächstechnik. Sie muss deshalb auch langfristig angelegt werden. Außerdem lassen sich bei offenen Interviewformen die Interviewregeln und die Interviewsituation nicht voneinander trennen, sondern hängen eng miteinander zusammen (vgl. Maindok 1996: 17ff.). Die Interviewregeln hängen ferner auch von der dem Befragten zugeschriebenen Rolle ab. Standardisierte Interviews basieren auf einer deutlich asymmetrischen Beziehung, innerhalb derer der Befragte seine Rolle als Auskunftgeber auszufüllen hat. Bei qualitativen Interviews bestimmt der Befragte jedoch stärker, wie er seine Rolle gestaltet. Dennoch besteht auch hier eine gewisse Asymmetrie, da der Interviewer die Rolle des interessierten Zuhörers und der Befragte die des relativ freien Erzählers übernimmt. Das bedeutet, dass »der Interviewer das Gespräch führt, während der Befragte es bestreitet«. (Maindok 1996: 87) Um den Anforderungen der nicht-direktiven Gesprächsführung gerecht zu werden, lohnt sich ein Blick in die Psychotherapie, genauer in das Konzept der »klientenzentrierten Therapie« nach Rogers. Zwar wurde diese Gesprächstechnik 75 Der Katalog an Teilkompetenzen, den Helfferich ( 2 2005: 42) vorschlägt, läuft dabei eher auf eine Überforderung des qualitativen Interviewers hinaus, zumal auch noch kommunikationstheoretisches Wissen über Erzählstrategien als erforderlich betrachtet wird. <?page no="200"?> Interviewerregeln für qualitative Interviews 201 für die Behandlung psychisch kranker Menschen entwickelt, aber sie lässt sich auf die Situation des sozialwissenschaftlichen Interviews übertragen und ist insbesondere mit den Zielen des narrativen Interviews vereinbar. Im narrativen Interview geht es darum, dass der Interviewer einerseits zurückhaltend sein muss und den Befragten nicht beeinflussen oder in eine bestimmte Richtung drängen darf; er muss andererseits den Befragten motivieren, die eigene Erzählung zu beginnen und weiterzuführen. Die Regeln, die sich aus der klientenzentrierten Therapie für das Interview ableiten lassen, haben den Vorteil, dass sie nicht auf der Intuition des Interviewers beruhen, sondern als professionelle Techniken erlernt werden können (vgl. Maindok 1996: 154ff.). Der Interviewer soll analog zum Therapeuten oder Berater als verbaler Spiegel fungieren, um die vom Befragten zur Sprache gebrachte eigene phänomenale Welt zu reflektieren. Deshalb benutzt der Interviewer immer wieder Begriffe und Symbole des Befragten. Er nimmt sich zwar zurück, um die Beiträge und Äußerungen des Befragten nicht in eine bestimmte Richtung zu drängen, greift aber erzählungs- und verständnisgenerierend in das Gespräch ein. Das Interview wird somit als gemeinsamer rekonstruktiver Suchprozess der beiden Gesprächspartner gedeutet. Dieser Rekonstruktionsprozess ist nicht nur eine kognitiv-intellektuelle, sondern auch eine emotionale Angelegenheit, wobei das wissenschaftliche Interview im Unterschied zur Psychotherapie affektiv nicht so tief in die Persönlichkeit des Befragten eindringt (vgl. Maindok 1996: 158ff.). Da das Forschungsinterview anders als die Therapie nicht der Heilung des Befragten dient, sondern der Gewinnung von Informationen, muss die Technik des Spiegelns ergänzt werden durch aktivere Techniken, mit denen der Interviewer die Aussagen des Befragten zuspitzt und kontrastiert oder bisher nicht thematisierte Aspekte anspricht. Auf diese Weise wird das Gespräch dialogischer, ohne jedoch die phänomenale Welt und die subjektiven Relevanzen des Befragten zu verlassen oder zu vernachlässigen. Der Interviewer muss demnach seine eigenen Gefühle und seine Betroffenheit auch nicht unterdrücken, sondern er kanalisiert sie durch die Technik des Spiegelns und nutzt sie dadurch produktiv für das Gespräch. Wichtig ist allerdings, dass der Interviewer den richtigen Zeitpunkt seiner spiegelnden (Rück-) Fragen erkennt und nicht voreilig die Gedanken des Befragten stört und dass er beim Fragen keine Unterstellungen und Interpretationen verwendet (vgl. Maindok 1996: 168ff.; skeptisch Helfferich 2 2005: 7f., Fußnote 3, 36ff.). Im Großen und Ganzen besteht die Aufgabe des qualitativen Interviewers darin, divergierende Anforderungen auszubalancieren und die Rollen (sowohl die eigene als auch die des Befragten) auszuhandeln. Der Interviewer muss eine Atmosphäre von Vertrauen und Sicherheit herstellen, darf die Beziehung zum Befrag- <?page no="201"?> Planung und Ablauf von Befragungen 202 ten aber nicht durch Frage-Interventionen aufrechterhalten und muss - im Unterschied zur Alltagskonversation - auch (längere) Pausen aushalten können. Er muss mit der Forschungsfrage vertraut sein, muss aber gleichzeitig sein eigenes Vorwissen zurückstellen oder es zumindest explizieren und gegebenenfalls revidieren. In der Konsequenz wird eine sehr starke situationsbezogene Flexibilität verlangt, die ein sich Einstellen auf sehr unterschiedliche Befragtenpersönlichkeiten und gleichzeitig eine große Fähigkeit zur Selbstkontrolle erforderlich macht (vgl. Helfferich 2 2005: 42, 101ff.). Man kann das qualitative Interview aus der Prozessperspektive als »Drama« auffassen, das eine eigenständige Regie mit eigenen Regeln und einem eigenen Ablauf der Interviewführung erfordert (vgl. Hermanns 2000: 367f.): • Im ersten Schritt findet ein Briefing des Befragten durch den Interviewer statt, das zum einen den Zweck der Untersuchung umfasst. Zum anderen muss das Setting und der Ablauf des Interviews, also Ort, Termin und (voraussichtliche) Länge vorab geklärt werden. • Die nächste Aufgabe des Interviewers besteht darin, eine gute und gesprächsfördernde Atmosphäre zu schaffen. Dazu muss er eine ruhige Haltung an den Tag legen. Die Aufzeichnung des Gesprächs ist dabei oft ein heikler Punkt, weil sie den Befragten ängstigt. Der Interviewer muss den Befragten von der Notwendigkeit der Aufzeichnung überzeugen und ihm durch ein probeweises Vorführen die Angst vor der Benutzung des Audio-Rekorders (oder gegebenenfalls sogar der Videokamera) nehmen. Damit überprüft er gleichzeitig das Funktionieren der Technik. • Im Hauptteil des Interviews muss der Befragte genügend Raum für seine Selbstdarstellung haben. Zwar unterscheiden sich die verschiedenen Formen des qualitativen Interviews in der Zuweisung der Rolle des Befragten, aber für den Interviewer lassen sich dennoch einige verallgemeinerbare Regeln ableiten: Er darf keine eigene Position zu einem Thema entwickeln oder dem Befragten Übereinstimmung mit dessen Position signalisieren, sondern muss stets seine Unabhängigkeit wahren und dies auch dem Befragten gegenüber deutlich machen. Darüber hinaus muss der Interviewer in der Lage sein, unterschiedliche Rollen des Befragten zu akzeptieren und darf ihn nicht auf eine Rolle festlegen. Auf der anderen Seite darf er den Befragten aber auch nicht schonen, das heißt, ihn präventiv vor peinlichen oder intimitätsverletzenden Äußerungen schützen, sondern er muss dem Befragten gegenüber kommunizieren, dass er die Wahrheit aushalten kann. Dies umfasst auch, peinliches Schweigen auszuhalten und nicht vorschnell zu intervenieren und eine Frage zu reformulieren, um sie vermeintlich verständlicher auszudrücken. <?page no="202"?> Pretest und Hauptuntersuchung 203 • Die Entwicklung des Interviewgesprächs muss gekennzeichnet sein durch kurze, leicht verständliche Fragen nach konkreten Erfahrungen des Befragten aus dessen Lebenswelt. Dabei sollte der Interviewer seine eigene Sprache sprechen und weder einen wissenschaftlichen Jargon benutzen noch eine Milieusprache oder einen Dialekt zu imitieren versuchen. • Auch im weiteren Verlauf des Interviews darf der Interviewer nicht voreilig theoretisieren, also generalisieren oder abstrahieren. Er nimmt auch in späteren Phasen noch die Doppelrolle zwischen Empathie und Naivität ein. Die Empathie ist gekennzeichnet durch Rollenübernahme, die der Interviewer durch ein sich in den Befragten hineinversetzendes Nachfragen sichert. Dabei muss er sich aber eine professionelle Naivität und Distanz bewahren und darf die impliziten Äußerungen des Befragten nicht durch vermeintliches Verstehen kompensieren, sondern muss sich diese Äußerungen erläutern lassen. 6.5 Pretest und Hauptuntersuchung Zur Planung einer Befragung gehört der Test, ob das Instrument funktioniert. Dieser vor der eigentlichen Studie durchgeführte Versuch dient der Verbesserung des Fragebogens oder der gesamten Untersuchungsanlage. Da empirische Untersuchungen jedoch oft unter Zeitdruck entstehen, liegt die Versuchung nahe, auf diesen Schritt im Forschungsprozess zu verzichten, um Zeit zu sparen. Allerdings sind bei der Befragung im Unterschied zur Inhaltsanalyse Fehler durch ein ungeprüftes, schlechtes Instrument nicht mehr revidierbar, weil das Objekt (der Befragte) nicht ein weiteres Mal mit einem anderen, verbesserten Instrument untersucht werden kann. Die Unterteilung der Feldphase in einen Pretest und eine Hauptuntersuchung ist für alle Fälle unerlässlich, bei denen ein eigenes Instrument entwickelt wird. Im Einzelnen kann ein Pretest Informationen zu folgenden Fragen liefern (vgl. Kurz / Prüfer / Rexroth 1999: 85; Jacob / Eirmbter 2000: 239ff.): • Haben die Befragten Probleme mit ihrer Aufgabe? • Hat der Interviewer Probleme mit dem Fragebogen und den Befragungshilfen? Sind die Intervieweranweisungen gut handhabbar? • Wie verständlich sind die Fragen? • Wie groß sind das Interesse und die Aufmerksamkeit der Befragten bei einzelnen Fragen? <?page no="203"?> Planung und Ablauf von Befragungen 204 • Wie groß sind das Interesse und die Aufmerksamkeit der Befragten während des gesamten Interviews? Gibt es bestimmte Stellen im Verlauf des Interviews, bei denen Interesse und Aufmerksamkeit sinken? • Wie schätzt der Befragte die Themen der Befragung ein? Welche Themen oder Fragen sind heikel? • Wie verteilen sich die vorläufigen Häufigkeiten der Antworten? Gibt es Fragen, die konstante Antworten produzieren? • Fehlen wichtige Kategorien bei den Antwortvorgaben? • Hat die Reihenfolge der Fragen Auswirkungen auf die Antworten? • Wie lange dauert die Befragung? Gibt es große Unterschiede zwischen den Befragten? Der üblicherweise durchgeführte Standard-Pretest besteht darin, dass eine kleine Stichprobe 76 von Personen entweder von speziell ausgebildeten Interviewern (oft von den Forschern selbst) oder von einem Querschnitt der in der Hauptstudie eingesetzten Interviewer befragt wird. Diese Stichprobe muss nicht ihrerseits eine Zufallsstichprobe der Gesamtstichprobe sein, sondern oft eignet sich eine bewusste Stichprobe besser, um möglichst unterschiedliche Typen von Personen zu erfassen. Anschließend verfassen die Interviewer Erfahrungsberichte, deren Ergebnisse mit dem Forschungsleiter ausgetauscht werden. Dabei muss der Interviewer die doppelte Aufgabe erfüllen, das Interview durchzuführen und gleichzeitig auf eventuelle Probleme zu achtet. Allerdings sind selbst bei ausgebildeten Interviewern die Beobachtungen während des Interviews unsystematisch und selektiv. Außerdem ist ein formal korrektes Beantworten der Fragen noch kein hinreichender Indikator für ein korrektes Verständnis der Fragen durch den Befragten (vgl. Prüfer / Rexroth 1996: 97; Pohlmann 1992: 20). In frühen Stadien der Fragebogenentwicklung empfiehlt sich auch die Verwendung offener, qualitativer Verfahren zu explorativen Zwecken. Dazu gehören intensive Einzelinterviews mit ausgewählten Befragten, Expertenbeurteilungen oder Gruppendiskussionen (vgl. Prüfer / Rexroth 1996: 103, 109f.). 76 In der Regel werden 10 Prozent der späteren Hauptstichprobe empfohlen. Es sollten jedoch mindestens 10 Personen sein. Mehr als 200 Personen ist ebenfalls nicht empfehlenswert, weil der Forschungsaufwand zu groß wird und zu viele Befragte »verbraucht« werden, ohne dass ihre Auskünfte für die Auswertung benutzt werden können (vgl. Prüfer / Rexroth 1996: 97). <?page no="204"?> Pretest und Hauptuntersuchung 205 Aus diesem Grund werden elaboriertere Formen des kognitiven Pretests empfohlen, bei denen mit verschiedenen Techniken der Gedankengang des Befragten bei der Beantwortung der Frage ermittelt werden soll. Hierbei spielt der Befragte die Rolle eines Mithelfers des Forschers. Folgende Techniken können verwendet werden (vgl. Kurz / Prüfer / Rexroth (1999: 85ff.): • Technik des lauten Denkens (»think aloud technique« → Kapitel 4.6.2): Hierbei wird der Befragte aufgefordert, seine Gedankengänge, die zur Antwort führen, zu formulieren. Diese erläuterten Antworten werden protokolliert oder aufgezeichnet und systematisch analysiert. Allerdings hängt diese Technik von der Fähigkeit des Befragten ab, sich selbst beim Denken zu beobachten und diese Selbstbeobachtungen zu verbalisieren. • Paraphrasierung (»paraphrasing«): Der Befragte wird gebeten, die Frage nach der Beantwortung mit eigenen Worten zu wiederholen. Damit können Erkenntnisse zum Verständnis der Frage gewonnen werden. Diese Technik ist in erster Linie sinnvoll bei komplexeren Meinungsfragen. • Verlässlichkeitseinschätzung (»confidence rating«): Die Befragten bewerten nach der Beantwortung die Genauigkeit, Verlässlichkeit oder Sicherheit der gegebenen Antwort. Das eigentliche Problem einer nicht-verlässlichen Antwort kann damit allerdings nur indirekt erschlossen werden. • Nachhaken (»probing«): Der Interviewer fragt nach zum Frageverständnis des Befragten; zu Aspekten der Informationsbeschaffung, etwa bei retrospektiven Faktfragen oder zum gewählten Skalenwert des Befragten. Die Fragen des Nachhakens beeinflussen die Antwort ihrerseits, ihre Validität müsste demnach gesondert überprüft werden. • Sortierverfahren (»sorting«): Die Befragten klassifizieren vorgegebene Items in selbstdefinierte oder vorgegebene Gruppen. Auf diese Weise wird das Antwortverständnis der Befragten ermittelt. Die Erfahrungen mit den empirisch überprüften Techniken des kognitiven Pretests sind unterschiedlich, so dass sie nur behutsam und kombiniert eingesetzt werden sollten. Sie sind schnell und günstig einsetzbar, mit ihnen können aber stets nur einzelne Frage evaluiert werden, ohne dass die Ergebnisse verallgemeinerbar sind (vgl. Kurz / Prüfer / Rexroth 1999: 104f.; Prüfer / Rexroth 1996: 106ff.). Weniger auf einzelne Fragen als auf die Interaktionen im Interview bezogen, ist die Verhaltenscodierung (»behavior coding«). Dazu wird das Interview aufgezeichnet und mit einem Codiersystem das Verhalten von Interviewer und Befragtem bewertet und analysiert. Die Aufzeichnung erfolgt in der Regel mit einem akustischen Aufnahmegerät, prinzipiell wäre auch eine Videoaufzeichnung <?page no="205"?> Planung und Ablauf von Befragungen 206 möglich, die allerdings wesentlich aufwändiger und störender ist. Zwar sind hiermit reliable Messungen möglich, aber die Ursachen für unangemessenes, das heißt nicht aufgabengerechtes Verhalten seitens des Interviewers oder des Befragten sind nur indirekt erschließbar. Eine Variante ist die Problemcodierung (»problem coding«), bei der der Interviewer selbst codiert mit einem einfachen Codiersystem. Er bezieht sich dabei nur auf die Angemessenheit des Befragtenverhaltens und notiert mögliche Ursachen für unangemessene Antworten. Diese Vorgehensweise hat sich als informatives Instrument in Methodenstudien bewährt, stellt allerdings hohe Anforderungen an den somit mehrfach belasteten Interviewer. Außerdem kann unangemessenes Verhalten des Interviewers nicht erfasst werden (vgl. Prüfer / Rexroth 1996: 99ff.). Die umfangreichen Ausführungen zu verschiedenen Varianten des Pretests sollen belegen, wie wichtig die Planung der Hauptuntersuchung ist. Allerdings können selbst die besten Pretests nicht alle Probleme antizipieren. Diese Probleme können in die Zeit-, Sach- und Sozialdimensionen unterteilt werden: • In der Zeitdimension spielt die Planung und Kontrolle der Feldphase die wichtigste Rolle. Dazu wird zunächst der Zeitraum der Durchführung festgelegt und bei persönlichen und telefonischen Interviews zusätzlich die Anzahl der Kontaktversuche. Bei schriftlichen Befragungsverfahren sollte eine Rücklaufstatistik geführt werden, mit deren Hilfe der günstigste Zeitpunkt für eine mögliche Mahnaktion ermittelt werden kann. Bei unvorhersehbaren Verzögerungen des Zeitplans ist der Einsatz von weiteren Interviewern oder eine Verlängerung der Rücklaufzeit in Betracht zu ziehen. Vor allem bei schriftlichen Befragungen ist die Verlängerung oft erforderlich, damit die Rücklaufquote nicht zu gering ausfällt. Allerdings kann die Feldzeit nicht beliebig ausgeweitet werden, um keine zusätzlichen Einflüsse auf die Befragungsergebnisse durch besondere (gesellschaftliche) Ereignisse zu riskieren. Bei Panel- oder Trendbefragungen müssen die Feldzeiten ziemlich genau eingehalten werden, damit sich die Befragungswellen nicht überschneiden. Bei Leitfadeninterviews mit Experten ist zwar die Feldphase ebenfalls vorher festgelegt, aber die Terminplanung mit einzelnen Befragten ist oft kompliziert und hängt von deren Bereitschaft ab, sodass hier eine große zeitliche Flexibilität seitens des Forschers oder Interviewers notwendig ist. • In der Sachdimension geht es um die Bewährung des Instruments und um unvorhersehbare Probleme, die auch durch ausführliche Pretests nicht antizipiert werden konnten. Für alle Verfahren und Formen der Befragung gilt, dass sowohl typische als auch ungewöhnliche Ereignisse bei der Durchfüh- <?page no="206"?> Pretest und Hauptuntersuchung 207 rung protokolliert und in den Methoden- und Feldbericht integriert werden sollten. Eine Veränderung des Instruments während der Hauptuntersuchung ist bei standardisierten Formen nicht mehr möglich, während es bei offenen Befragungen sogar erwünscht ist und bereits einen Teil des Ergebnisses bildet. Bei Leitfadeninterviews wollen die Befragten oft den Fragebogen (Leitfaden) im Vorhinein einsehen, um sich vorbereiten zu können oder um sich prinzipiell für oder gegen die Kooperation zu unterscheiden. Dies ist besonders bei etwas heiklen Fragen (etwa zu der Organisation des Befragten) problematisch, da der Befragte dann seine Antwort strategisch planen kann und damit mehr Möglichkeiten hat, ausweichend zu antworten, ohne dass dies aus der Antwort selbst ersichtlich wäre. Je wichtiger ein bestimmter Experte für die Befragung ist, desto kompromissbereiter muss der Forscher in diesem Punkt sein. Eine Möglichkeit, nicht den gesamten Fragebogen bereits vorher preiszugeben, besteht darin, dem Befragten nur die Schlüsselfragen zukommen zu lassen, während im Interview zusätzliche Eventualfragen (aber keine weiteren Schlüsselfragen) gestellt werden. Bei Laborexperimenten ist zusätzlich die Einrichtung des Labors zu beachten, die oft von speziellen Erfordernissen der Forschungsfrage abhängt. Darüber hinaus ist eine Kontrolle der Durchführungsbestimmungen des Experiments erforderlich, damit die experimentellen Bedingungen exakt eingehalten werden. • In der Sozialdimension geht es um den Einsatz und die Kontrolle der Interviewer sowie um die Betreuung der Befragten. Dazu ist es erforderlich, während der Feldphase permanent auf Rückmeldungen durch die Interviewer und durch die Befragten zu achten. Deshalb muss der Forscher oder Projektleiter gut erreichbar sein, und es sollte ein »Problemtelefon« eingerichtet werden. Darüber hinaus werden Kontrollen durchgeführt, um Fälschungen zu entdecken. Telefonische Interviews - insbesondere, wenn sie technisch unterstützt mit CATI durchgeführt werden - bieten eine gute Möglichkeit der Kontrolle des Interviewprozesses, weil die Interviewer zentral eingesetzt werden. Bei persönlichen Interviews kann der Interviewprozess nur nach den Interviews rekonstruiert werden, wenn die Interviewer von ihren Erfahrungen berichten. Zu diesem Zweck sollten vor allem am Anfang der Feldphase öfter Treffen zwischen den Interviewern und dem Projektleiter stattfinden. Führt der Projektleiter die Interviews selbst durch, was bei qualitativen Befragungsformen oft der Fall ist, entfallen die Kontrollen. Für alle Verfahren gilt, dass die Feldphase der Befragung aufmerksam verfolgt werden muss, um jederzeit flexibel auf Probleme reagieren zu können. Eine <?page no="207"?> Planung und Ablauf von Befragungen 208 genaue Protokollierung der Durchführung ist für die Herstellung von Transparenz erforderlich, denn die Qualität der Ergebnisse ist nicht nur an deren Auswertung erkennbar, sondern vor allem an der Sorgfalt der Durchführung der Untersuchung. <?page no="208"?> 209 7 Probleme der Befragung Dieses Kapitel soll zum einen prinzipielle Probleme der Befragung aufzeigen, indem Gegenstandsbereiche aufgeführt werden, in denen die Methode an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit stößt (zum Beispiel bei heiklen Themen). Zum anderen geht es um konkrete Probleme, die aus der Befragungssituation heraus oder aufgrund des Instruments entstehen. Für deren Lösung hat sich parallel mit der Entwicklung der Methode ein eigener Forschungszweig entwickelt, die so genannte Reaktivitätsforschung. Die Probleme können sich dabei entweder auf kognitive Aspekte beziehen, also auf das Verständnis der Fragen und auf die Fähigkeit zu validen Antworten (vgl. Porst 2008), oder auf soziale Aspekte, also auf die Interaktionsbeziehungen in der Befragung, hauptsächlich im Interview zwischen dem Interviewer und dem Befragten. Darüber hinaus haben spezielle Populationen aus unterschiedlichen Gründen Probleme mit der Befragung und sind daher unterschiedlich gut geeignet für ihre Erforschung mit dieser Methode. Umgekehrt verursachen der Forscherehrgeiz oder bestimmte Forschungsfragen ethische Probleme im Umgang mit den Befragten. Abschließend sollen Qualitätskriterien aufgestellt werden, die es dem Außenstehenden, etwa Journalisten, erlauben, die Güte und die Probleme einer Befragung rational zu beurteilen. 7.1 Reaktivitätsforschung Der Begriff der Reaktivität besagt, dass das Forschungsobjekt, bei der Befragung also der Befragte, aufgrund der tatsächlichen oder vorgestellten Anwesenheit des Forschers bzw. bei der Befragung des Interviewers anders reagiert, als er in sonstigen alltäglichen Situationen reagieren bzw. sich verhalten würde (vgl. Scholl 1993: 14f.). Wir kennen das Phänomen aus dem Alltag, wenn wir fotografiert werden: Sobald wir bemerken, dass wir fotografiert werden, beginnen wir zu lächeln, was wir in dem Moment nicht getan hätten, wenn die Kamera nicht auf uns gerichtet worden wäre. Reaktivität ist also kein spezifisches Phänomen der Befragung, sondern ein Alltagsphänomen. Die in den vorherigen Kapiteln dargestellten Regeln sind in erster Linie als (sinnvolle) normative Absichtserklärungen und als methodologische Ansprüche zu verstehen, welche die Durchführung von Befragungen anleiten und Reaktivi- <?page no="209"?> Probleme der Befragung 210 tät vermeiden oder zumindest kontrollieren sollen. Sie sind allerdings nicht identisch mit der praktischen Anwendung der Regeln selbst, mit der Durchführung und den dabei entstehenden Problemen. 77 Auf der anderen Seite werden Probleme der Befragung allgemein und im konkreten Befragungsprozess oft nur theoretisch behauptet statt empirisch belegt. Genau diese beiden Zwecke sollen Reaktivitätsstudien erfüllen, normative Ansprüche und theoretische Behauptungen empirisch zu überprüfen. Sie sind dazu entweder (quasi-) experimentell angelegt, um bestimmte vermutete Effekte systematisch zu testen, oder sie erweitern die Befragung um die Einschätzungen der Interviewer (und eventuell der Befragten) vom Interview selbst. Die experimentellen Studien werden vor allem zu kognitiven Fragestellungen genutzt, um das Verständnis von Fragen, Skalen, Antwortvorgaben und Reihenfolgeeffekte der Fragen im Fragebogen zu testen. Die Interviewer bekommen unterschiedliche Fragebogenversionen (gegabelte Befragung oder »Split-Ballot- Experimente«), in denen Frage- oder Antwortformulierungen systematisch variiert und unterschiedlichen Teilstichproben vorgelegt werden (vgl. Petersen 2002: 81ff.). Die Einschätzungen der Interviewer im Anschluss an das eigentliche Interview dienen ebenfalls der Ermittlung des Verständnisses, aber auch der Akzeptanz der Fragen. Die Interviewer sollen in erster Linie die Interviewsituation und das Rollenverständnis des Befragten sowie die Auswirkungen auf das Antwortverhalten bestimmen. Solche Reaktivitätsbefragungen werden in Deutschland in erster Linie von den grundlagenwissenschaftlichen Methodeninstituten »Zentralarchiv für empirische Sozialforschung« (ZA) in Köln und »Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen« (ZUMA) in Mannheim, aber auch von privat-kommerziellen Meinungsforschungsinstituten (vor allen vom »Institut für Demoskopie Allensbach«) sowie in eigenständigen Dissertationen (vgl. Hartmann 1991; Reinecke 1991; Scholl 1993) durchgeführt. Für die Erforschung einiger Probleme sind keine wissenschaftlichen Studien erforderlich, sondern nur die Erfahrungsberichte der Interviewer. Dies ist der Fall, wenn die Gründe für die Verweigerung der Teilnahme an der Befragung erfasst werden sollen. Ist die Reaktivitätsforschung theoriegeleitet, ergeben sich methodologische Konsequenzen, die fast immer darauf hinauslaufen, dass die Annahme eines wahren 77 Deshalb sollte man auch vorsichtig sein, aus der kognitions- und sozialpsychologischen Umfrageforschung direkt Regeln für die Formulierung des Fragebogens ableiten zu wollen (wie Porst 2008: 13ff. es empfiehlt). Bei solchen Tipps wird meist ignoriert, dass sie nicht verallgemeinert werden können, weil unterschiedliche Untersuchungszwecke oder wissenschaftliche Fragestellungen manchmal gegensätzliche praktische Lösungen erfordern. <?page no="210"?> Reaktivitätsforschung 211 Wertes problematisiert wird. Die traditionelle Methodologie (zum Beispiel die klassische Testtheorie; → Kapitel 3.5.2) geht davon, dass nicht nur Verhaltensweisen und Fakten, sondern auch Einstellungen und Gefühle unabhängig von (und vor) der Messung existieren. Da die Befragung solche Phänomene nur indirekt erfassen kann, ist sie in dem Maß fehlerhaft, wie die Antworten der Befragten nicht den tatsächlichen, unabhängig von der Befragung existierenden Gegebenheiten (Fakten, Einstellungen, Gefühle, Verhalten) entsprechen. Die Frage- Antwort-Kommunikation wird dabei als Stimulus-Response-Prozess modelliert. Die Befragung stößt dann an ihre Grenzen, wenn dem Befragten der »wahre Wert« (einer Einstellung usw.) nicht zugänglich ist oder wenn er ihn falsch abruft aufgrund von Vergesslichkeit, Schamgefühl oder aus Bequemlichkeit. Wird jedoch ein kognitionstheoretischer Ansatz verfolgt, wonach die Antwort auf eine Frage einen Prozess der Informationsverarbeitung bedingt, sind die Kontextbedingungen dieser Informationsverarbeitung ebenso wahr oder real wie der kognitive Zustand des Befragten vor der Frage, die wie eine kognitive Intervention wirkt. Dieser kognitive und kommunikative Kontext ist nicht neutralisierbar oder auszuschalten, sondern notwendige Bedingung dafür, dass die Befragung überhaupt funktioniert (vgl. Strack 1994: 127ff.). Auch ein sozial-situativer Ansatz führt zur Anerkennung der Kontextabhängigkeit jeder Datenerhebung (nicht nur) durch Befragungen. Wenn die Befragung als Kommunikationsprozess zwischen Interviewer und Befragtem aufgefasst wird, muss jede Antwort des Befragten als soziale Handlung aufgefasst werden. Das Ergebnis einer Befragung kann mit ähnlichen Konversationen und Formen der interpersonellen Kommunikation verglichen werden. Gibt eine Person in jedem Gespräch nur Einstellungen zu erkennen, die sozial erwünscht sind, dann ist dies auch in der Interviewsituation zu erwarten. Das Interview ist dann eine soziale Situation, die mehr oder weniger typisch sein kann für vergleichbare alltägliche Situationen (vgl. Scholl 1993). Akzeptiert man die Kontext- und Situationsabhängigkeit jeder Befragung, impliziert dies noch lange nicht, dass damit alle Ergebnisse relativiert würden, sodass letztlich überhaupt keine generalisierenden Schlussfolgerungen auf andere soziale Situationen als auf die der Befragung mehr gezogen werden könnten. Die Ergebnisse sind gültig unter den Bedingungen, in denen sie entstehen. Da es keine idealen Bedingungen gibt, können sie jedoch nie ganz falsch und nie ganz richtig, sondern immer nur begrenzt richtig sein. Das Erkennen der Grenzen erhält damit denselben Stellenwert wie die Produktion der Ergebnisse selbst und ist vor allem an theoretische Überlegungen rückgebunden: »In der diskutierten experimentellen Perspektive (des kognitiven Ansatzes, Anm. A.S.) ist die Antwort auf eine Frage nicht länger der mit einer <?page no="211"?> Probleme der Befragung 212 Validitätsgarantie ausgestattete Bericht über ein subjektives Merkmal, sondern lediglich ein unter kontrollierten Bedingungen beobachtetes Verhalten, das der theoretischen Interpretation bedarf.« (Strack 1994: 133) Die Quintessenz der Reaktivitätsforschung lautet daher, die Befragung auf sich selbst anzuwenden, sozusagen als Meta-Informationen über die Qualität und den Kontext der Befragungsergebnisse. Die praktischen Konsequenzen für die Konzeption einer Befragung sind deshalb zweierlei: Zum einen muss die Fragestellung so klar expliziert sein, dass hinreichend spezifische und geeignete Instrumente (Fragen im Fragebogen) gewählt werden können. Zum anderen können die Ergebnisse aus Reaktivitätsstudien allgemeine Hinweise geben, welche Effekte durch bestimmte Fragen, Antwortvorgaben, Interviewerverhaltensweisen und Befragtenmotivationen erzeugt werden. Beide Ratschläge gehen in die Richtung, Theorie und Operationalisierung eng miteinander zu verzahnen (vgl. für die kognitionspsychologische Reaktivitätsforschung Porst 2008). Aus einem konstruktivistischen Verständnis von Wissenschaft und Methodologie heraus sind diese Schlussfolgerungen selbstverständlich (vgl. Scholl 2008a, 2008b), für eine realistische Auffassung bedeuten sie dagegen eine immense Herausforderung, die aber in erster Linie aus der Furcht vor der Relativität der Gültigkeit von Ergebnissen (hier: der Antworten durch die Befragten) resultiert (vgl. Schnell/ Hill/ Esser 2008: 113f.). Wenn allerdings deutlich wird, dass die Anerkennung der Relativität nicht gleichbedeutend ist mit Gleichgültigkeit aller wie auch immer zustande gekommener Ergebnisse, dann dürfte sich die wissenschaftstheoretische Kontroverse entschärfen lassen. 7.2 Kognitive Effekte Wie eine Frage beantwortet wird, hängt nicht nur vom Wissen des Befragten, von seiner Einstellung, Meinung, Gefühlslage oder von seinen Verhaltensweisen ab, über die er Auskunft geben soll, sondern auch davon, wie eine Frage formuliert ist, welche Antwortvorgaben zur Verfügung gestellt werden und in welcher Reihenfolge die Fragen platziert werden. Der Grund dafür besteht darin, dass die Befragten aus diesen Merkmalen des Fragebogens nach Zusatz- und Kontextinformationen suchen, wie sie antworten sollen. Die Antwort des Befragten liegt also nicht kognitiv parat und wartet nur darauf, von ihm abgerufen und mitgeteilt zu werden, sondern sie wird erst in der Befragung konstruiert. Diese Konstruktion ist nicht willkürlich oder erratisch (unsystematisch), aber sie hängt nicht nur von den bereits bestehenden kognitiven Strukturen des Befragten ab, sondern <?page no="212"?> Kognitive Effekte 213 auch von den kognitiven Hinweisen, die der Fragebogen (und möglicherweise der Interviewer) ausstrahlt bzw. nach denen der Befragte sucht, um seine Konstruktion kommunikativ umsetzen zu können. Insbesondere die Kognitionspsychologie hat sich mit diesem Phänomen befasst und ihre Theorien auf den Befragungsprozess übertragen (vgl. Tanur 1994; Sudman / Bradburn / Schwarz 1996). 7.2.1 Frageformulierungen und Antwortvorgaben Ein in fast allen Lehrbüchern diskutierter Effekt ist das Verbieten-Erlauben- Paradox: Fragt man in einer Version danach, ob der Staat öffentliche Reden gegen die Demokratie erlauben soll oder in einer anderen Version, ob der Staat öffentliche Reden gegen die Demokratie verbieten soll, dann sind die Ergebnisse nicht komplementär, obwohl beide Frageversionen logisch identisch sind. In den USA ist der Anteil der Befragten, welche die Frage nach der Erlaubnis öffentlicher Reden gegenüber der Demokratie verneinen, größer als der Anteil der Befragten, welche die Frage nach dem Verbot öffentlicher Reden gegen die Demokratie bejahen. Als Begründung wird vermutet, dass mit »verbieten« eher die sozial härtere Norm der Gesetzgebung konnotiert wird, während »nicht erlauben« eher die informelle Normebene impliziert (vgl. Reuband 2001: 52). Dieses Phänomen lässt sich auch auf andere Fragen mit der gleichen Frageart übertragen. Offensichtlich wirkt sich die linguistische Differenz auf die kognitive Verarbeitung und auf die Mitteilung von Einstellungen aus. Man könnte die Relevanz des Problems bezweifeln, weil eine einseitige Fragestellung nicht den Regeln der Frageformulierung entspricht, wonach beide Alternativen hinreichend und mit dem gleichen kognitiven und wertbeladenen Gewicht spezifiziert werden müssen. Damit ist allerdings nicht der kognitive Prozess erklärt, der das Phänomen auslöst. Offenbar sind es gerade nicht die kognitiv weniger kompetenten oder die weniger gebildeten Befragten, bei denen der Effekt auftritt, sodass die Vermutung, dass sich hinter dem Antwortverhalten eine nur gering verankerte Einstellung verbirgt, nicht zutrifft. Vielmehr machen sich gerade die kognitiv und sprachlich kompetenten Befragten bei der Beantwortung der Frage mehr Gedanken und reagieren demnach sensibler auf die Frageformulierungen (vgl. Reuband 2001: 45f., 52f.). Eine andere Erklärung könnte die Einstellungsstärke sein. Diese resultiert zum einen aus motivationalen Faktoren wie der Intensität und der Ichbeteiligung (»involvement«). Eine Einstellung ist umso stärker, je intensiver oder emotionaler sie ist und je mehr sie mit der eigenen Person zu tun hat. Daneben spielen kognitive Faktoren eine Rolle: Dazu gehören die Zentralität, also die subjektive Relevanz, die der Einstellung beigemessen wird, die Kristallisation, also ob die <?page no="213"?> Probleme der Befragung 214 betreffende Einstellung mit ähnlichen Einstellungen eine einheitliche Struktur bildet, sowie ihre Sicherheit und das Wissen, auf dem sie basiert. Schließlich ist für die Stärke der Einstellung auch die Handlungsverpflichtung entscheidend. Wenn eine Einstellung direkt handlungsrelevant ist und zu den eigenen Verhaltensweisen passt, ist sie stärker ausgeprägt und kognitiv gestützt und sollte auch eher in der Befragung mitgeteilt werden. Aber genau diese Zusammenhänge zwischen Kognition und Kommunikation konnten empirisch nicht eindeutig nachgewiesen werden (vgl. Schuman / Presser 1981: 231ff.; Krosnick / Abelson 1994: 179ff., 192f.). Der Einfluss von sprachlichen Formulierungen in der Frage wirkt nicht nur auf Einstellungs- und Meinungsfragen, sondern setzt viel grundlegender bei kognitiven Prozessen an, etwa bei Einschätzungen. So werden sogar numerische Äquivalente (zum Beispiel »jeder Dritte«, »ein Drittel«, »einer von drei«, »etwa 33 Prozent«) unterschiedlich wahrgenommen und führen je nach Verwendung zu unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. Lamp 2001). Offensichtlich ist die Beantwortung von Fragen sehr stark von Gedächtnisfunktionen abhängig, das heißt zum einen, welche Informationen überhaupt aktiviert werden, und zum anderen, welche Kontextinformationen mit den betreffenden Informationen zusammenhängen. Insbesondere die Wortwahl sendet unterschiedliche, vom Forscher möglicherweise nicht bewusste und nicht beabsichtigte Signale aus, die der Befragte verwendet, um die für ihn günstigste Antwort geben zu können (»impression management«) oder um die (vermeintlichen) Erwartungen des Interviewers oder Forschers zu erfüllen. Sobald im Fragetext Schlüsselreizwörter oder geladene Begriffe - auch typische Medienbegriffe - enthalten sind, lenken diese die Aufmerksamkeit des Befragten und konditionieren (nicht determinieren! ) das Verständnis von der Frage, unabhängig davon, welche Informationen der Rest der Frageformulierung noch enthält (vgl. Petersen 2002: 234ff., 239f.). Die Schlussfolgerung, auf Schlüsselreizwörter zu verzichten, verkennt allerdings, dass der zugrunde liegende kognitive Prozess beim Befragten prinzipieller Art ist: Es existieren keine neutralen Fragen, die nicht vom Befragten eigenständig oder sogar eigenwillig gedeutet werden könnten. Jede noch so offen gestellte Frage etabliert eine Perspektive, die zusätzlich noch stabilisiert wird durch Antwortvorgaben. Umgekehrt kann jede präzise Frage wiederum unterschiedliche Vorstellungen wecken, was darunter zu verstehen und wie sie zu beantworten ist (vgl. Clark / Schober 1994: 27ff.). Die Antwortvorgaben etablieren nicht nur einen kognitiven Rahmen, innerhalb dessen der Befragte antworten soll, sondern aktivieren nebenbei zahlreiche Kontextinformationen, die auch soziale Hinweise geben. In einem häufig zitierten <?page no="214"?> Kognitive Effekte 215 Experiment nach der »Split-Ballot-Technik« ( → Kapitel 7.1) bekamen zwei Gruppen von Befragten auf die Frage, wie viele Stunden sie fernsehen, unterschiedliche Antwortkategorien vorgelegt. Die erste Skala war im niedrigen Bereich differenziert, die zweite im hohen Bereich. Die Befragten interpretierten offensichtlich die Antwortskala als Indiz für die tatsächlich erwartbare Verteilung in der Bevölkerung; die Skalenmitte benutzten sie als »normalen« Mittelwert und als Ausgangspunkt für ihre Schätzung des eigenen Fernsehkonsums: Abb. 11: Kognitive Wirkung unterschiedlicher Antwortvorgaben Antwortskala A Antwortskala B bis ½ Stunde ½ bis 1 Stunde 1 bis 1½ Stunden 1½ bis 2 Stunden 2 bis 2½ Stunden 83,8 % vs. 62,5 % bis 2½ Stunden mehr als 2½ Stunden 16,2 % vs. 37,5 % 2½ bis 3 Stunden 3 bis 3½ Stunden 3½ bis 4 Stunden 4 bis 4½ Stunden mehr als 4½ Stunden Sind die Kategorien im unteren Bereich differenzierter, ist der Anteil der Befragten, die eine niedrigere Kategorie ankreuzen, deutlich höher als die unterste Kategorie bei der Skala, die im unteren Bereich undifferenziert ist. Umgekehrt ist der Fernsehkonsum höher, wenn die Skala im oberen Bereich differenzierter ist (vgl. Schwarz / Hippler / Strack 1988: 22). Zum Ausgleich des Effekts müssen die Kontextinformationen verändert werden (vgl. Menon / Yorkston 2000: 71ff.): • Man kann den Befragten erläutern, dass die betreffende Skala selbst auf ihre Eignung getestet werden soll. Dies soll ein Signal sein, dass die Befragten sie nicht als Maßstab für mehrheitliches Verhalten in der Bevölkerung ansehen, sondern sie exakt mit ihrem tatsächlichen Verhalten abgleichen. • Durch eine Aufteilungsfrage kann das abgefragte Verhalten in Unterkategorien gesplittet werden, um den Prozess der Erinnerung zu erleichtern. Statt allgemein nach der Häufigkeit des Restaurantbesuchs im letzten Jahr zu fragen, wird die Frage situationsabhängig nach der Häufigkeit des Restaurantbesuchs mit Freunden, mit Geschäftspartnern usw. gestellt, was insbesondere bei unregelmäßigen Verhaltensweisen empfehlenswert ist. Weitere Beispiele zeigen, dass nahezu jede Antwortvorgabe als kognitiver Anker benutzt wird. Auch die grafisch-numerischen Leiter- und Stapelskalen ( → Kapi- <?page no="215"?> Probleme der Befragung 216 tel 5.6) bewirken eine Tendenz zur Mitte, die bei zehnstufigen Skalen irrtümlich bei 5 angenommen wird. Selbst mit Teilungstechnik kann dieser Effekt nicht behoben werden. Fragt man zuerst, ob der Befragte sich politisch eher rechts oder links einordnet und erst im zweiten Schritt, wie weit links oder rechts, ist im zweiten Schritt die Tendenz zur Mitte erkennbar (vgl. Petersen 2002: 206-217). 7.2.2 Reihenfolgeeffekte Nicht nur die Formulierung der Frage und der Antwort sowie die Form der einzelnen Frage erzeugen kognitive Wirkungen, sondern auch die Reihenfolge, in der die Fragen gestellt werden. Man spricht auch vom Halo-Effekt, wenn eine Frage auf weitere Fragen im Fragebogen ausstrahlt. Dabei lassen sich verschiedene Kontext- oder Abfolgeeffekte unterscheiden (vgl. Schuman / Presser 1981: 28ff., 56ff.; Petersen 2002: 226ff.; Sudman / Bradburn / Schwarz 1996: 263f.): Bei dem Konsistenz- oder Assimilationseffekt gibt die erste Frage zu einem Thema die Grundrichtung vor, welche die Beantwortung der folgenden Fragen so beeinflusst, dass diese an die erste Antwort angeglichen werden. Wenn etwa zuerst die allgemeine Frage nach der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben insgesamt gestellt wird und danach spezifiziert wird nach der Zufriedenheit mit der Ehe, dem Beruf usw., neigen die Befragten dazu, insbesondere bei positiven Antworten auf die allgemeine erste Frage auch die konkreten »Nachfragen« in die gleiche Richtung, also positiv zu beantworten. Der Effekt ist allerdings stärker bei der umgekehrten Reihenfolge: Wird zuerst eine spezifische Frage und erst abschließend die allgemeine Frage gestellt, wird die erste spezifische Frage vom Befragten als »Indikator« angesehen. Die kognitiven Prozesse sind wahrscheinlich unterschiedlich: Im ersten Fall ist es die Festlegung auf die allgemeine Frage zu einer logischen Rationalisierung. Wer gesagt hat, er sei mit dem Leben allgemein zufrieden, kann nicht mehr bei spezifischeren Fragen seine Unzufriedenheit beklagen. In der Reihenfolge von der spezifischen zur allgemeinen Frage findet ebenfalls eine Rationalisierung statt. Die Antwort auf die allgemeine Frage wird als eine Art Summe oder Durchschnitt auf die Antworten zu den spezifischen Fragen »errechnet«. Konsistenz kann aber auch zwischen zwei spezifischen Fragen auftreten, wenn diese inhaltlich so zusammenhängen, dass eine logische Verbindung besteht (»Wer A sagt, muss auch B sagen.«) Beim Kontrasteffekt wird die erste Frage als Gegenpol zur folgenden Frage angesehen. Die Antwort auf eine frühere Frage führt zu einer größeren Differenz zwischen dieser und der folgenden Frage, als wenn die Ausgangsfrage nicht gestellt worden wäre. Wenn etwa zuerst die allgemeine Frage nach der Erlaubnis für einen Schwangerschaftsabbruch gestellt wird und danach speziell nach der <?page no="216"?> Kognitive Effekte 217 Erlaubnis für einen Abbruch in dem Fall, dass das Kind behindert ist, ist der Anteil der Befürworter des Schwangerschaftsabbruchs eines behinderten Kindes höher, als wenn die allgemeine Frage vorher nicht gestellt wurde. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass man die spezifische Situation als Ausnahme betrachtet. Im umgekehrten Fall, wenn zuerst die spezifische und dann die allgemeine Frage gestellt wird, ist der Anteil der Befürworter des allgemeinen Schwangerschaftsabbruchs geringer, als wenn die spezifische Frage nicht gestellt wird. Entweder versucht der Befragte Wiederholungen zu vermeiden und stellt dadurch einen (größeren) Gegensatz zwischen zwei Fragen her, oder durch die Ausgangsfrage wurde eine unterschiedliche Grundstimmung erzeugt bzw. die Kontrastierung als solche suggeriert. Kontrasteffekte treten auch auf, wenn allgemeine Normen und spezifische Verhaltensweisen abgefragt werden, oder bei zwei spezifischen Fragen. So entsteht zum Beispiel ein Differenzierungsbedürfnis, wenn Meinungen über Eltern und Jugendliche nacheinander abgefragt werden. Zu vermeiden sind solche Kontexteffekte nicht, es sei denn, man verzichtet darauf, mehrere Fragen zum gleichen Thema zu stellen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Fragen zu trennen und an unterschiedlichen Stellen im Fragebogen abzufragen. Allerdings gefährdet diese Maßnahme die Stringenz der Befragung. Außerdem ist ihre Wirkung zweifelhaft, weil das Gedächtnis des Befragten durch die Folgefrage(n) reaktiviert wird. Wenn bekannt ist, wie Kontexteffekte funktionieren, kann man sie je nach Forschungsziel nutzen. Während Konsistenz- und Kontrasteffekte vorwiegend bei der Erfassung von Einstellungen auftreten, betreffen die »Primacy-Recency-Effekte« eher Aufmerksamkeitsprozesse. Sie treten vor allem bei langen Listen mit vielen Antwortvorgaben auf. Demnach ist die Aufmerksamkeit für die vorgetragenen Antwortmöglichkeiten am Anfang hoch, nimmt danach langsam ab und steigt gegen Schluss wieder an. So werden auch die Antworten, die am Anfang und am Ende präsentiert werden, von den Befragten häufiger ausgewählt als die mittleren Antwortvorgaben. Um diesen Effekt zu entschärfen, gibt es mehrere Möglichkeiten: • Mit kürzeren Listen werden die Aufmerksamkeitsschwankungen vermieden. • Man kann die Listen auch aufteilen und systematisch rotieren. Während eine Teilstichprobe von Befragten die Liste in der Originalreihenfolge der Listenpunkte vorgelegt bekommt, werden in der zweiten Teilstichprobe zuerst die ersten drei Viertel der Listenpunkte und dann das letzte Viertel jeweils in umgekehrter Reihenfolge präsentiert: bei 18 Listenpunkten von 14 bis 1 und von 18 bis 15 der ursprünglichen Reihenfolge (vgl. Petersen 2002: 174ff.). • Bei Karten können die Vorgaben durch Mischen zufallsrotiert werden. <?page no="217"?> Probleme der Befragung 218 Bei balancierten Dialogfragen können Primacy-Recency-Effekte auch in Bezug auf Meinungen auftreten. Werden etwa zwei entgegengesetzte Argumente zu einem Thema nacheinander vorgelesen oder als Dialog-Bildblatt vorgelegt, tritt ein Recency-Effekt auf, da das zuletzt genannte Argument häufiger genannt wird, auch wenn man die Reihenfolge vertauscht. Dafür gibt es mehrere Erklärungen: Das zweite Argument wird als Widerlegung des ersten Arguments statt als bloße Gegenüberstellung interpretiert. Außerdem ist das zweite Argument noch besser im Kurzzeitgedächtnis präsent. Wenn es einigermaßen passt - unabhängig davon, ob das andere Argument besser mit der eigenen Meinung korrespondiert - wird es ausgewählt. Eine dritte Erklärung hat sich experimentell bestätigen lassen: Recency-Effekte sind themenabhängig. Sie treten insbesondere bei im Wandel begriffenen Themen auf, also wenn ein Umschwung der öffentlichen Meinung erkennbar oder erwartbar ist. Das zweite Argument wird dann als Reaktion auf den moralischen Druck, der durch das erste Argument erzeugt wird, eher gewählt, um dem Druck auszuweichen (vgl. Petersen 2002: 184ff.). Reihenfolgeeffekte durch unterschiedliche Informationsaktivierungen treten auch bei der Verwendung offener und geschlossener Fragen auf. Wird die erste Frage mit Antwortvorgaben geschlossen gestellt, legen die Antwortvorgaben den kognitiven Anker für den Befragten fest und lenken seine Gedächtnissuche. Er wird in der anschließenden offenen Frage kaum mehr zusätzliche Aspekte nennen. Im umgekehrten Fall führt die offene Nennung eines Aspekts möglicherweise zu einer vorzeitigen Festlegung, sodass der Befragte nicht mehr offen ist für die zusätzlichen Möglichkeiten der geschlossenen Frage. Die Antwortmöglichkeiten auf der vorgegebenen Liste werden also nicht gleich beurteilt (vgl. Schuman / Presser 1981: 82ff.). 7.3 Soziale Effekte Die Frage »Können Befragte lügen? « (Esser 1986) scheint auf den ersten Blick trivial und selbstverständlich mit »ja« beantwortbar zu sein, denn aus dem Alltag wissen wir um die Fähigkeit zu lügen, auch wenn es im Gespräch nicht gutgeheißen wird. Falsche Antworten sind folglich auch in der wissenschaftlichen Befragung zumindest gelegentlich erwartbar. Doch das Problem, eine falsche Antwort zu identifizieren und grundlegender noch, zu definieren, was eine falsche Auskunft überhaupt sein kann, ist in der Umfrageforschung nicht leicht zu lösen. Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit den wichtigsten Problemen, die sich aus der Interaktion zwischen dem Interviewer und dem Befragten <?page no="218"?> Soziale Effekte 219 in der Befragung ergeben und das Ergebnis, die Antwort des Befragten, beeinflussen. 78 7.3.1 Soziale Erwünschtheit Ein wichtiges Problem der Befragung ist die bewusst irreleitende Aussage, die Lüge des Befragten gegenüber dem Interviewer. In der Methodenliteratur wird sie häufig unter dem Etikett »soziale Erwünschtheit« beschrieben. Dies ist jedoch bereits ein Erklärungsansatz für das Phänomen und nicht mit diesem selbst zu verwechseln. Bei unaufrichtigen Falschaussagen im Interview oder im Fragebogen wird vermutet, dass der Befragte die Preisgabe unerwünschter Verhaltensweisen vermeiden oder erwünschte Verhaltensweisen vortäuschen will. Sozial erwünschte Verhaltensweisen sind solche, die allgemein sozial akzeptiert sind oder sogar als besonders prosozial gelten (zum Beispiel Hilfeverhalten). Unerwünscht sind dagegen vom Durchschnitt der Bevölkerung bzw. von privaten oder öffentlichen normativen Vorstellungen abweichende Verhaltensweisen (zum Beispiel ungesetzliche Handlungen, Drogenkonsum, ungewöhnliche Sexualpraktiken). Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine sozial erwünschte Antwort nur dann falsch ist, wenn der Befragte die sozial erwünschte Verhaltensweise oder Einstellung nur vortäuscht, selbst aber gar nicht ausübt oder teilt, oder wenn der Befragte eine tatsächlich praktizierte sozial unerwünschte Verhaltensweise bzw. eine sozial unerwünschte Einstellung in der Befragung verschweigt. Da sozial erwünschte Einstellungen oder Verhaltensweisen jedoch nicht universell gelten, sondern kulturspezifisch, milieuabhängig und persönlichkeitstypisch sind, kann aus einer Antwort nicht (unmittelbar) auf ihren Erwünschtheitscharakter geschlossen werden (vgl. Esser 1986: 325). Hinzu kommt ein zweites Problem: Wie im Interview kommt auch in der Alltagskonversation Unaufrichtigkeit nach dem Prinzip der sozialen Erwünschtheit vor, sodass eine Lüge im Interview in psychologischer Hinsicht zwar eine bewusste Täuschung darstellt, in sozialer Hinsicht aber durchaus normal sein kann, wenn der betreffende Befragte auch im Alltag die gleiche Lüge verwendet. Es hängt demzufolge vom Zweck der Fragestellung ab, ob eine Lüge eine nichtvalide Antwort darstellt oder nicht. Dabei sind vier Konstellationen denkbar: • Der Befragte antwortet in Bezug auf ein bestimmtes Thema psychisch aufrichtig und tut dies in allen alltäglichen Situationen (und nicht nur im Inter- 78 Da diese Probleme typisch für das Interview sind, scheinen sie nicht für schriftliche Befragungen zu gelten. Dies trifft allerdings nur ansatzweise zu, da auch in der schriftlichen Befragung ein Interviewer oder Forscher zumindest virtuell »präsent« ist. <?page no="219"?> Probleme der Befragung 220 view). Diese Antwort gilt als valide und dürfte in der Befragung bei allen Themen vorkommen, die nicht Normen sozialer Erwünschtheit ansprechen. • Der Befragte antwortet psychisch aufrichtig, tut dies jedoch nur in der Interviewsituation, während er sonst im Alltag auf die betreffende Frage Falschauskünfte gibt. Der Grund für dieses Antwortverhalten besteht darin, dass der Befragte das Interview als besondere Kommunikationsform ansieht, in der Aufrichtigkeit erforderlich und auch ohne soziale Kosten (Gesichtsverlust) möglich ist. Diese Antwort gilt in der Methodenliteratur ebenfalls als valide, weil unterstellt wird, dass das Ziel der Befragung darin besteht, die psychische Einstellung zu messen und nicht das Kommunikationsverhalten der Befragten. Sollte letzteres jedoch Ziel der Fragestellung sein, wäre die gleiche Antwort nicht valide. Diese Variante dürfte dann im Interview vorkommen, wenn das Thema zwar im Alltag des Befragten normative Erwartungen erzeugt, wenn es dem Interviewer aber gelingt zu verhindern, dass der Befragte diese Alltagserwartungen auf das Interview überträgt. Die Interviewsituation erscheint dem Befragten dann als geschützter Raum, in dem man frei kommunizieren darf, was man denkt. • Der Befragte antwortet psychisch unaufrichtig, tut dies aber auch in allen alltäglichen Situationen (und nicht nur im Interview). Diese Antwort ist zumindest in sozial-kommunikativer Hinsicht valide, weil sich der Befragte sozial konsistent verhält. Dennoch wird dieser Fall in der Methodenliteratur in der Regel als nicht valide angesehen. Dies ist jedoch nur dann zutreffend, wenn die Einstellung als psychische Variable gemessen werden soll und nicht als kommunikative Meinungsäußerung in einer sozialen Situation. Auch in dieser Variante werden Themen im Interview angesprochen, die normative Alltagserwartungen aktualisieren, mit dem Unterschied, dass diese auf die Interviewsituation übertragen wird, weil es dem Interviewer nicht gelingt, das Interview als soziale Situation von sonstigen Alltagssituationen abzukoppeln. • Eindeutig invalide ist die Antwort, wenn der Befragte situationsspezifisch nur im Interview auf eine bestimmte Frage lügt, im Alltag jedoch nicht. Allerdings dürfte dieser Fall in der Praxis nicht häufig vorkommen, es sei denn, der Befragte wollte die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung manipulieren. Da die Erforschung des Alltagsverhaltens nicht gesondert erfolgen kann, sondern nur im Interview zu simulieren ist, werden meist pauschal die ersten beiden Fälle als valide Antworten angenommen und die letzten beiden Fälle mit sozial erwünschtem Verhalten gleich gesetzt, das es im Interview zu vermeiden gilt. Ein Verfahren, sozial erwünschte Antworten zu identifizieren, besteht darin, in den Fragebogen besondere Skalen zu integrieren, die soziale Erwünschtheit als <?page no="220"?> Soziale Effekte 221 Persönlichkeitsmerkmal messen. Damit bekommt das Phänomen der sozialen Erwünschtheit allerdings eine neue Dimension: das persönliche Bedürfnis nach Anerkennung. Personen mit hohem Bedürfnis, von anderen anerkannt zu werden, sind dann besonders anfällig, sozial erwünscht zu antworten, auch wenn diese Antwort nicht mit ihrer persönlichen Meinung oder Einstellung übereinstimmt. Allerdings ist es logisch nicht zwingend, dass eine Person, die sich aufgrund solcher Persönlichkeitsskalen als anfällig für sozial erwünschtes Verhalten (im Alltag) erweist, auch konkret im Interview eine sozial erwünschte Antwort gibt, denn die Befragung gilt als eine »low-cost-Situation«, bei der es weder viel zu verlieren noch zu gewinnen gibt. Außerdem kann man an einer sozial erwünschten Antwort nicht ablesen, ob sie falsch ist, denn oft denken und handeln Personen mit hohem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung auch im Alltag sozial erwünscht, sodass die im Interview geäußerte sozial erwünschte Meinung der tatsächlichen Meinung des Befragten entspricht (vgl. Scholl 1993: 67ff.; Strack 1994: 20f.). Eine andere Strategie, um verzerrte sozial erwünschte Antworten zu vermeiden, besteht darin, die soziale Erwünschtheit zu verstecken. Dies kann zum einen bedeuten, auf Fragen, die soziale Erwünschtheit signalisieren, ganz zu verzichten, oder bei den Antwortvorgaben oder Instruktionen durch den Interviewer zu kommunizieren, dass jede Antwort gleichermaßen erwünscht ist. Diese Strategien setzen allerdings voraus, dass der Forscher antizipieren kann, welche Fragen oder Antwortvorgaben inhaltlich sozial erwünscht sein können. Ist dies nicht der Fall, kann man experimentell überprüfen, ob bestimmte Fragen sozial erwünschte Reaktionsweisen begünstigen oder nicht, indem die Experimentalgruppe dahingehend instruiert wird, dass sie sich bewusst günstig (positiv, sozial erwünscht) darstellen soll, während die Kontrollgruppe diese Instruktion nicht bekommt. Der Vergleich der Antworten identifiziert diejenigen Fragen, auf die unterschiedliche Antworten zwischen Experimentalgruppe und Kontrollgruppe gegeben werden, als Indikatoren für soziale Erwünschtheit. Schließlich gibt es noch die laborexperimentelle Möglichkeit, einen simulierten Lügendetektor (»bogus pipeline«) einzusetzen. Die Befragten werden an ein Gerät angeschlossen, von dem behauptet wird, es könne die wahre Meinung oder Einstellung an den physiologischen Reaktionen (Schweiß, Hautwiderstand usw.) ablesen. Auf diese Weise sollen sich die Versuchspersonen kontrolliert fühlen und davon abgehalten werden, sich positiv sozial erwünscht darzustellen. Allerdings lässt sich das Verfahren nur im Labor anwenden. Sein Erfolg ist davon abhängig, dass die Täuschung glaubwürdig ist (vgl. Hartmann 1991: 93ff.). Eine Ursache für eine unaufrichtige Antwort liegt im Bedrohungsgrad der Frage. Der Befragte schätzt eine Frage dann als bedrohlich ein, wenn seine (aufrichtige) <?page no="221"?> Probleme der Befragung 222 Antwort mit sozialen Kosten verbunden wäre. Im Interview könnte dies die Angst vor der Blamage beim Interviewer oder vor dessen Missachtung sein, wenn der Befragte bestimmte Meinungen äußert oder Verhaltensweisen zugibt, die als sozial unerwünscht gelten (vgl. Schaeffer 2000: 116ff.). Deshalb wird empfohlen, das Interview allein mit dem Befragten zu führen und das Interviewerverhalten möglichst neutral zu halten, weil auf diese Weise die sozialen Einflüsse auf ein Minimum reduziert werden können. Die schriftlichen Befragungsarten, die ohne Interviewer auskommen, gelten diesbezüglich ebenfalls als vorteilhaft. Allerdings ist es nicht immer zu vermeiden, dass dritte Personen, die nicht interviewt werden sollen, anwesend sind. Diese können zum einen störend wirken (wenn sie den Befragten behindern), aber auch sozial kontrollierend (wenn sie verhindern, dass der Befragte falsche Auskünfte gibt). Der Befragte kann entweder antworten, wie es der anwesende Dritte für gut (sozial erwünscht) oder für wahr (valide) hält. Methodische Sekundäranalysen von Befragungen belegen, dass die Anwesenheit Dritter je nach Konstellation zwischen Interviewer, Befragtem und anwesender dritter Person zu einer komplexen Situation mit kaum prognostizierbaren Effekten führt (vgl. Hartmann 1991: 45, 59). Anfällig für Antwortverzerrungen im Sinn der sozialen Erwünschtheit sind insbesondere heikle oder sensible Themen, bei denen die Forschung als bedrohlich von den am Forschungsprozess Beteiligten empfunden wird, also hauptsächlich von den Befragten selbst, aber auch von den Interviewern, die den Bedrohlichkeitsgrad für den Befragten antizipieren. Hierbei geht es nicht um die Überschätzung von Verhaltensweisen (»overreporting«), mit denen der Befragte einen guten Eindruck beim Interviewer erwecken will, sondern darum, dass die Befragten bestimmte Verhaltensweisen nicht zugeben (»underreporting«), um keinen schlechten Eindruck beim Interviewer zu hinterlassen. Diese Bereiche sind in der Regel private, Stress erzeugende oder Tabu behaftete Themen, wie Praktiken des Geschlechtsverkehrs oder Hygieneverhalten, abweichendes Verhalten und soziale Kontrolle, wie außerehelicher Geschlechtsverkehr, Abtreibung, Drogen, Kriminalität sowie (politische) Herrschaftsverhältnisse wie ungewöhnliches Protestverhalten. Die Bedrohlichkeit ergibt sich aber nicht nur aus den Themen selbst, sondern auch aus dem sozialen Umfeld oder aus dem Lebensabschnitt. So ist bei Jugendgruppen eine bestimmte Drogenerfahrung nicht ungewöhnlich. Ferner resultiert die Bedrohlichkeit nicht notwendigerweise nur aus dem Kontrast zwischen dem normalen Verhalten und dem davon abweichenden eigenen Verhalten; über einige Themen (Einkommen, Geschlechtsverkehr, Hygiene) spricht man nicht, selbst wenn man sich konform verhält (vgl. Lee 1993: 4ff.; Schaeffer 2000: 113). <?page no="222"?> Soziale Effekte 223 In der Kommunikationswissenschaft gibt es nicht viele Themen, die per se heikel sind und bedrohlich auf die Befragten wirken. Dazu gehören zum Beispiel • die Nutzung illegaler und politisch extremistischer Medien zur Information; • die Nutzung illegaler oder gesellschaftlich geächteter Medien zur Unterhaltung (indizierte Videos allgemein, Pornografie in Zeitschriften oder im Internet, besonders grausame Gewaltfilme, kriegsverherrlichende oder rassistische Computerspiele); • die Nutzung von Medien mit geringem Prestige (Intellektuelle geben ungern zu, Boulevardmedien zu rezipieren); • Auskünfte über das Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzen (in der Journalismusforschung, Unternehmenskommunikation); • politische oder wirtschaftliche Strategien von Medienunternehmen (bei Experteninterviews). Die Fragestrategien bei heiklen, sensiblen, bedrohlichen Themen sind vielfältig. Ihr Ziel ist es, den Bedrohlichkeitsgrad zu reduzieren und zu vermeiden, dass der Befragte tatsächlich vorkommendes abweichendes oder unerwünschtes Verhalten nicht oder zu wenig zugibt (vgl. Lee 1993: 75-96; Porst 2008: 125ff.): • Der Interviewer »warnt« den Befragten vorweg, dass als nächstes eine unangenehme Frage gestellt wird, und weist auf den Datenschutz hin. • Das unerwünschte oder abweichende Verhalten wird durch die Frage einfach unterstellt, sodass nicht mehr nach dem Vorkommen überhaupt, sondern direkt nach der Häufigkeit gefragt wird: »Wie häufig ...? « • Das Vorkommen des unerwünschten oder abweichenden Verhaltens wird als normal definiert: »Viele Leute ...? « • In der Frage wird der Ausnahmecharakter des unerwünschten oder abweichenden Verhaltens betont: »Ist es schon mal vorgekommen, dass Sie ...? « • In der Frage wird die Unterstellung einer Autorität eingebaut: »Viele Ärzte denken mittlerweile, dass ...? « • Mit offenen Fragen kann die typische Tendenz zur Mitte bei Ratingskalen vermieden werden. Der Befragte kann dann selbst den angemessenen Begriff für ein bestimmtes Verhalten finden, der im Verlauf des Fragebogens bei den standardisierten Fragen weiter benutzt wird. Insgesamt ist das offene Tiefeninterview weniger anfällig für unaufrichtige Antworten des Befragten. Allerdings sind bedrohliche Themen heikel in allen Befragungsformen. • Mit langen Fragen kann das Gedächtnis der Befragten stimuliert werden. Der Befragte erinnert sich dann an das Vorkommen eines bestimmten Verhaltens <?page no="223"?> Probleme der Befragung 224 und berichtet darüber leichter, als wenn er durch eine kurze Frage überhaupt nicht zum Nachdenken über sich und seine Verhaltensweisen animiert wird. • Die Frage zum abweichenden oder unerwünschten Verhalten wird in einen nicht bedrohlichen Kontext eingebettet, zum Beispiel Alkoholismus in die allgemeine Frage nach dem Trinkverhalten. • Der Frage wird eine kurze Beschreibung von Personen oder sozialen Situationen vorangestellt, die vom Befragten als Beispiel oder Entscheidungsgrundlage für seine Antwort benutzt werden kann. Durch diese konkrete und detaillierte Schilderung soll sich der Befragte besser in die Situation hineinversetzen können. • Bei der »Randomized-Response-Technik« bekommt der Befragte mehrere sensible oder bedrohliche Fragen gestellt und soll zufällig eine davon auswählen, auf die er ehrlich mit »ja« oder »nein« antworten will oder soll, wobei der Interviewer aber nicht weiß, auf welche Frage der Befragte antwortet. Eine Variante besteht darin, dass der Befragte bei Häufigkeitsangaben eine konstante Zahl bei allen Verhaltensweisen ergänzt, die der Interviewer aber nicht kennt. Mit wahrscheinlichkeitstheoretischen Berechnungen kann die Häufigkeit bestimmter Verhaltensweisen geschätzt werden. Allerdings ist es nicht möglich, Zusammenhänge mit anderen Merkmalen des Befragten zu berechnen, weil die Antworten vollständig anonymisiert sind (vgl. Diekmann 1995: 418ff.). Außerdem hängt die Ehrlichkeit des Befragten davon ab, ob er dem Mechanismus vertraut oder ob er die Befürchtung hat, dass die Angaben doch wieder seiner Person zugeordnet werden können. • Bei der »nominativen Technik« soll der Befragte angeben, ob ein bestimmtes Verhalten bei Freunden, Bekannten oder Nachbarn vorkommt. Diese Person ist dann vom Befragten »nominiert«, zu ihr werden auch weitere Fragen beantwortet, sie bleibt aber unidentifiziert. Auf diese Weise entsteht eine Schattenstichprobe, die größer ist als die Ausgangsstichprobe und somit eine verlässlichere statistische Schätzung des tatsächlichen Vorkommens bestimmter Verhaltensweisen erlaubt. Allerdings funktioniert die Technik nicht bei sehr privaten Themen oder wenn die Verhaltensweisen bei sozial isolierten Personen auftritt, wenn also das abweichende oder unerwünschte Verhalten nicht beobachtbar ist. Außerdem akzeptieren die Befragten möglicherweise ihre Informantenrolle nicht, wenn sie diese als Denunziation interpretieren. Sämtliche Techniken und Fragetaktiken sind nur begrenzt einsetzbar, sehr voraussetzungsreich, weil sie auf ungeprüften Annahmen sozialer Interaktion beruhen, und sie können auch nur eine begrenzte Wirkung haben. Hier stößt die Befragung an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. <?page no="224"?> Soziale Effekte 225 7.3.2 Formale Antwortstile (Response-Set) Die Ausführungen zur sozialen Erwünschtheit zeigen, dass zum einen die als bedrohlich empfundene Frage ausweichend mit einer (vermeintlich) normativ angepassten Antwort vom Befragten bewältigt wird und dass zum anderen die Selbstpräsentation des Befragten die Antwort in die Richtung einer (vermeintlich) positiven Selbstdarstellung verzerrt. Beide Strategien sind insofern offensiv, als sie eine bewusst von der eigenen subjektiven Wirklichkeit abweichende Außendarstellung konstruieren müssen. Daneben gibt es aber auch defensive Strategien, die eher auf die Vermeidung einer konkreten Konstruktion und damit einer Festlegung der eigenen Außendarstellung zielen. Die konsequenteste Form der Abwehr einer unangenehmen Frage ist die spezifische Verweigerung der Antwort oder gar insgesamt die Verweigerung der Teilnahme an der Befragung, die im nächsten Abschnitt gesondert behandelt werden soll. Unterhalb dieses Verweigerungsniveaus gibt es andere Möglichkeiten, die eigene Unsicherheit zu kompensieren. Dazu zählen sogenannte Antwortstile, das heißt die durchgehende Benutzung bestimmter Antworten unabhängig vom Inhalt der Frage (vgl. Rost 1996: 68f.): • Die bekanntesten Antwortstile sind die Ja-Sage-Tendenz (»Akquieszenz«) und die Nein-Sage-Tendenz. Hierbei geben die Befragten auf eine Reihe von Ja/ Nein-Fragen oder anderen dichotomen Skalen immer dieselbe Antwort, selbst wenn diese sich inhaltlich widersprechen. Die häufiger vorkommende Ja-Sage-Tendenz ist dabei noch defensiver als die Nein-Sage-Tendenz, weil Zustimmung weniger Widerspruch provoziert als ständige Verneinung. • Die Tendenz zum mittleren Urteil oder zum extremen Urteil tritt insbesondere bei mehrstufigen Ratingskalen auf. Durch das mittlere Urteil muss sich der Befragte nicht festlegen und die eine oder andere Seite einer Einstellung präferieren. Mit dem selteneren extremen Urteil erspart sich der Befragte zu differenzieren. • Eine ähnliche Antworttendenz ist die Wahl einer »weiß-nicht-Option« oder die »Pseudo-Meinung«. Eine Einstellungsfrage mit »weiß nicht« zu beantworten, entledigt den Befragten der Aufgabe, sich Gedanken zu machen, eine Präferenz zu äußern und diese möglicherweise begründen zu müssen. Umgekehrt ist die Kundgabe einer Meinung zu einem Sachverhalt, obwohl der Befragte sich dazu keine Meinung gebildet hat, ebenfalls eine Strategie zur Vermeidung von möglichen Nachfragen, weil es in demokratischen Gesellschaften üblich und erwünscht ist, eine Meinung zu allen möglichen Themen zu haben. <?page no="225"?> Probleme der Befragung 226 Diese Antwortstile sind zwar unterschiedliche Strategien, ihnen liegt aber dieselbe Motivation zugrunde, nämlich die Angst, etwas Falsches zu sagen, und der Umgang mit Erwartungsunsicherheit. Sie kommen demzufolge am ehesten bei Personen vor, die mit Meinungsforschung relativ wenig vertraut sind, also oft bei älteren Menschen (vgl. Bungard 1979: 222, 230) oder in der sozialen Unterschicht (vgl. Esser 1977: 259f.). Auch hier ist es nicht einfach zu entscheiden, wann die Antwort falsch ist, denn die Wahl eines bestimmten Antwortstils kann durchaus auch dem Kommunikationsverhalten in anderen, alltäglichen sozialen Situationen ähneln. Identifizierbar werden Antwortstile, indem man die Einstellungen auf unterschiedliche Arten abfragt. Wenn etwa Statements benutzt werden, denen der Befragte auf einer Skala mehr oder weniger zustimmen kann, dann werden diese Statements in der Tendenz variiert, also positive und negative Statements mit ähnlichen Inhalten gemischt. Allerdings ist mit der Identifikation von Antwortstilen noch nichts darüber ausgesagt, wie diese zu interpretieren sind. Besonders schwierig ist die Interpretation einer »weiß nicht«-Antwort, da sie mehrere Bedeutungen haben kann (vgl. Reuband 1990a; Scholl 1993: 62ff.): • Der Befragte fühlt sich nicht genug über einen Sachverhalt informiert, hat bisher noch nicht darüber nachgedacht und sich deshalb noch keine Meinung dazu gebildet. In diesem Fall ist die Wahl der »weiß-nicht-Option« eine valide Antwort. • Das Thema ist dem Befragten zwar bewusst und bekannt, aber seine Meinung ist (noch) indifferent. Auch hier ist »weiß nicht« durchaus eine für wissenschaftliche Zwecke korrekte Antwort. • Der Befragte hat die Frage nicht verstanden, will dies aber nicht zugeben oder gibt sich keine Mühe nachzufragen, um das Interview möglichst kurz zu halten. Die »weiß-nicht-Option« ist demnach ein Ausweichmanöver und eine invalide Antwort. • Der Befragte interessiert sich nicht für die Befragung und das darin angesprochene Thema und gibt keine Meinung kund (obwohl er eine hat), um keine weiteren Nachfragen beantworten zu müssen. Die Einschätzung einer »weiß-nicht-Antwort« ist ambivalent: Geht es nur um Meinungen, die durch eine intensive Beschäftigung mit dem betreffenden Thema zustande kommen, ist die Antwort valide. In der Regel werden jedoch Meinungen erhoben unabhängig von ihrer kognitiven Verankerung, sodass »weiß nicht« nicht zutrifft, weil eine Meinung, wenn auch schwach verankert, durchaus vorliegt. • Der Befragte hat Angst vor der Beantwortung der Frage, weil ihm die Äußerung seiner Meinung oder Einstellung peinlich ist. In diesem Sinn stellt die <?page no="226"?> Soziale Effekte 227 »weiß-nicht-Antwort« eine implizite Verweigerung dar, die Frage zu beantworten, und ist nicht valide im Sinn des Forschungszwecks. In den ersten beiden Varianten äußert der Befragte keine Meinung, weil er subjektiv empfunden keine hat bzw. sie für zu schwach ausgeprägt hält, um sie zu äußern. In den anderen Fällen verbirgt er dagegen seine eigentlich vorhandene Meinung. Möglicherweise hängt die Äußerung einer Meinung oder Einstellung sowohl von der kommunikativen Extravertiertheit des Befragten als auch von der kognitiven Ausbildung der Einstellung ab. Je stärker die Meinung kognitiv und affektiv ausgeprägt ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch im Interview geäußert wird. Je häufiger der Befragte in alltäglichen Situationen seine Meinung kommuniziert, desto eher äußert er sie auch im Interview. Um meinungslose Befragte (»Non-Attitudes«) zu identifizieren und vor allem das dahinter steckende Motiv für »weiß-nicht-Antworten« zu entdecken, wird in den Lehrbüchern empfohlen, verstärkt auf offene Fragen zurückzugreifen, Ergänzungsfragen nach der Kenntnis des Themas, der Intensität oder Relevanz der Meinung zu stellen. Allerdings besteht bei diesen Maßnahmen wiederum die Gefahr, künstliche, das heißt in der Interviewsituation vom Befragten ad hoc gebildete, Meinungen abzufragen, also tatsächlich meinungslose Befragte zu Pseudo-Meinungen zu verführen (vgl. Scholl 1993: 65). Pseudo-Meinungen (»Pseudo-Opinions«) sind relativ leicht zu identifizieren mit Hilfe von Fangfragen, bei denen nach Sachverhalten oder Personen gefragt wird, die es nicht gibt. Wenn der Befragte zu diesen eine Meinung äußert, kann es nur eine artifizielle Meinung sein. Allerdings ist auch hier die Interpretation nicht eindeutig. Auf der einen Seite kann es sein, dass der Befragte nicht zugeben will, zu dem betreffenden Sachverhalt keine Meinung zu haben; auf der anderen Seite kann es aber auch sein, dass er irrtümlich einen ähnlichen Sachverhalt, zu dem er tatsächlich eine Meinung hat, auf den abgefragten überträgt und diese äußert. Sowohl das Problem der Meinungslosigkeit als auch der Äußerung einer Pseudo- Meinung verweisen erneut auf die Differenz zwischen Kognition und Kommunikation. Der Sozialforscher kann Kognitionen nur über den Umweg von Kommunikationen messen, von denen er auf Kognitionen (zum Beispiel Einstellungen) schließt. Allerdings bilden sich Kognitionen erst durch Kommunikationen aus, zum Teil sogar erst durch das Interview oder die Befragung selbst. Zwar geht es in der Sozialforschung prinzipiell um die Erfassung bereits bestehender Meinungen und nicht um solche, die erst durch das Interview zustande kommen, aber die spontane Bildung von Meinungen ist gerade bei neuen Themen auch für Alltagssituationen außerhalb der Befragung typisch. Eine Trennung spontan geäußerter Meinungen und grundlegender verankerter Einstellungen ist demzufolge nur durch zusätzliche Fragen im Fragebogen zu ermitteln. <?page no="227"?> Probleme der Befragung 228 7.3.3 Nicht-Erreichbarkeit und Nicht-Kooperation (Verweigerung) Während sich Antworten, die durch Erwartungen sozialer Erwünschtheit oder nach einem Response-Set erfolgen, auf die Validität der Daten auswirken, entstehen durch das Problem der Nichtbeantwortung (»Nonresponse«) Einbußen in der Repräsentativität der Stichprobe. Unter Nonresponse versteht man zwei unterschiedliche Phänomene, die unterschiedliche Ursachen, aber die gleichen Auswirkungen haben und beide als systematische Stichprobenfehler ( → Kapitel 2.1.3) gelten: die Nicht-Erreichbarkeit und die Nicht-Kooperation (Teilnahmeverweigerung) der Zielpersonen, die beide dazu führen, dass die Befragung nicht durchgeführt werden kann. 79 Nicht erreichbar sind Personen, die besonders mobil und deshalb wenig verfügbar sind. Das sind in der Regel Angehörige bestimmter Berufsgruppen (etwa Akademiker, Handelsvertreter), die zur Oberschicht oder gehobenen Mittelschicht gehören. Nicht erreichbar sind ferner Obdachlose, die überhaupt keinen Wohnsitz haben, also Personen der Unterschicht. Kooperationsunwillig sind in der Regel ältere oder isolierte Personen (vor allem Rentner), die zwar erreichbar sind, aber ihr gesellschaftliches Leben stark reduziert haben. 80 Demnach müssen entsprechend den unterschiedlichen Gründen oder Ursachen für beide Phänomene auch unterschiedliche Maßnahmen ergriffen werden, um die Effekte zu reduzieren. Für den Umgang mit Nicht-Erreichbarkeit werden zwei Strategien empfohlen (vgl. Költringer 1992: 85f.): • Der »Nonresponse-Bias« kann statistisch geschätzt werden durch Trendextrapolationen auf der Basis von Indikatoren der Erreichbarkeitswahrscheinlichkeit. Ein solcher Indikator ist etwa die Anzahl der Kontaktversuche bei erfolgreichen Befragungen. Je mehr Kontaktversuche notwendig waren, desto schwerer erreichbar ist die Zielperson. Korreliert man die Kontaktversuche mit soziodemografischen Merkmalen, kann man schwer erreichbare Bevölkerungsgruppen identifizieren und die Stichprobe entsprechend durch Gewichtung korrigieren. 79 Neben der Totalverweigerung, die sich auf die Teilnahme an der Befragung überhaupt bezieht, gibt es auch Teilverweigerungen, die sich auf einzelne Fragen oder Frageblöcke bezieht. Der Übergang ist fließend, denn wenn zu viele Fragen verweigert werden, gilt der Fragebogen nicht mehr als vollständig. 80 Költringer (1992: 85f.) ist deshalb der Auffassung, dass sich beide Nonresponse-Effekte gegenseitig aufheben und insgesamt keinen Einfluss auf die Repräsentativität der Stichprobe haben. Diese Sichtweise ist allerdings zu optimistisch, da es Bevölkerungsgruppen und Schichten gibt, die weder besonders unkooperativ noch schwer erreichbar und deshalb auf jeden Fall überrepräsentiert sind (etwa Hausfrauen). <?page no="228"?> Soziale Effekte 229 • Die Anzahl der Kontaktversuche kann erhöht werden. Allerdings ist hierbei die Kosten-Nutzen-Relation zu beachten. Ab etwa fünf Versuchen - möglichst an verschiedenen Tagen und zu verschiedenen Tageszeiten - wird eine erfolgreiche Kontaktierung unwahrscheinlich bzw. lohnt sich nur noch bei sehr mobilen Personen. Bei Telefoninterviews kann die Anzahl der Kontaktversuche wegen des deutlich geringeren Aufwandes viel höher sein. • Ist eine Zielperson nicht erreichbar, kann sich der Interviewer - bei persönlichen Interviews - in der Nachbarschaft erkundigen, wann die Zielperson üblicherweise erreichbar ist. Dies setzt ein intensives Gemeinschaftsleben voraus und ist in der Regel in ländlichen Gegenden erfolgreicher als in Städten. • Der Interviewer kann vor dem ersten Interviewversuch seinen Interviewwunsch ankündigen (postalisch mit einer Karte seines Instituts 81 oder telefonisch). Allerdings riskiert die Ankündigung eine erhöhte Quote der Teilnahmeverweigerung, weil die Zielperson damit »vorgewarnt« ist. • Der Einsatz unterschiedlicher Befragungsverfahren kann ebenfalls den Effekt der Nicht-Erreichbarkeit verringern. So sind Angehörige bestimmter Berufsgruppen besonders mobil und deshalb schwer persönlich erreichbar, sie sind dafür aber oft telefonisch (über Mobilfunk) besser erreichbar. Wer dagegen nur zu bestimmten Tageszeiten nicht persönlich erreichbar ist (etwa Nachtarbeiter, die tagsüber viel schlafen, oder Geschäftsleute, die erst spät nach Hause kommen), kann dafür postalisch gut erreicht werden. Das Phänomen der Kooperationsbereitschaft oder Kooperationsverweigerung ist häufiger Gegenstand in der Forschungsliteratur (vgl. Neller 2005; Petermann 2005; Pötschke / Müller 2006). Die Teilnahme an einer Befragung sollte nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden, sondern ist von einigen Faktoren abhängig. Es gibt einige Gründe, die für eine Teilnahme an Befragungen sprechen. Die Kommunikation mit dem Interviewer kann anregend sein: in sachlicher Hinsicht aufgrund des interessanten Themas der Befragung, in sozialer Hinsicht aufgrund der als angenehm empfundenen Interaktion mit dem Interviewer und in zeitlicher Hinsicht, um Einsamkeit oder Langeweile zu kompensieren. Darüber hinaus spielen altruistische Merkmale eine Rolle: Der Befragte sieht die Teilnahme als soziales Engagement oder demokratische Pflicht, weil Sozialforschung als Wissenschaft oder zur Lösung gesellschaftlicher Probleme akzeptiert wird (vgl. Scholl 1993: 59). 81 Dies funktioniert offensichtlich insbesondere bei telefonischen Interviews, deren Ausschöpfung sich signifikant durch ein vorheriges Anschreiben erhöht (vgl. Porst 1991: 65ff.; Meier / Schneid / Stegemann / Stiegler 2005). <?page no="229"?> Probleme der Befragung 230 Die Verweigerung der Teilnahme an einer Befragung kann unterschiedliche Ausmaße annehmen. Sie reicht von der Totalverweigerung bis zur Verweigerung nur einzelner Fragen und ist dann vom Thema abhängig. Am interessantesten sind Zielpersonen, die eine Teilnahme vollständig verweigern. Dies kann verursacht werden durch • eine generelle negative Einstellungen gegenüber der Umfrageforschung wegen schlechter Erfahrungen mit Umfragen in der Vergangenheit, Unklarheit in der Verwendung der Daten bzw. über den Zweck von Umfragen; • situationsbezogene Gründe wie Zeitmangel, wichtigere andere Beschäftigungen, Probleme in der Familie, Krankheit der Zielperson; • interaktionsbezogene Faktoren wie Ungeschicklichkeit des Interviewers, äußere Merkmale des Interviewers, die Antipathie beim Befragten auslösen, Furcht vor Übervorteilung (Hausierersyndrom) oder vor einem Eingriff in die Privatsphäre, Abneigung gegen den Prozess, überhaupt interviewt zu werden; • themenbezogene Aspekte wie Unklarheit über die Relevanz des Themas, Desinteresse am Thema (vgl. Költringer 1992: 93f.; Scholl 1993: 60). Während die Verweigerer aus Überzeugung prinzipiell verweigern und deshalb schwer konvertierbar oder zur Teilnahme zu überreden sind 82 , gibt es für die anderen Gruppen eine Reihe von Maßnahmen, um sie zur Kooperation zu bewegen. Man kann die Techniken danach unterteilen, ob sie struktureller Art sind und die Interviewerorganisation betreffen oder ob sie sich auf die konkrete Interaktion bei der Anbahnung des Interviews beziehen und inhaltliche Argumente beinhalten, die der Interviewer an die Hand bekommt und die er je nach Ablehnungsgrund des Befragten verwenden kann. Zu den strukturellen Maßnahmen zählen die folgenden Vorschläge (vgl. Schnell 1997: 245ff., 252ff.; Költringer 1992: 85f.): • Eine Möglichkeit besteht in der Professionalisierung von Umfragen im akademischen Bereich. Um den guten Ruf wissenschaftlicher Forschung auszunutzen, sollte sich die akademische Forschung deutlich von der privat-kommerziellen Forschung absetzen und diese Unterschiede auch betonen. Dies impliziert einen Verzicht auf »Quick-and-dirty-Untersuchungen«, die Abkehr von Mehrthemen-Befragungen zugunsten von kürzeren monothematischen Befragungen, deren wissenschaftliche Fragestellung klar erkennbar und un- 82 Dass allerdings auch hartnäckige Verweigerer zur Teilnahme bewegt werden können, zeigt eine 2003 in die deutsche Teilstudie des European Social Survey (ESS) integrierte Nonresponse-Studie (vgl. Neller 2005: 17ff., 23ff.), bei der ein speziell entwickelter Gesprächsleitfaden für die Nachkontaktierungsgespräche mit Verweigerern eingesetzt wurde. <?page no="230"?> Soziale Effekte 231 terscheidbar ist vom als willkürlich und kommerziell empfundenen Themenmix. Der Vorschlag reicht bis zur Etablierung einer (ausschließlich) akademisch orientierten Erhebungsorganisation. • Mit Verbesserungen der Instrumentenkonstruktion kann die Seriosität von Umfragen verbessert und die Teilnahmequote mittelbar erhöht werden. Dazu sollten im Fragebogen auf allzu viele Einstellungserhebungen, auf hypothetische Fragen, subjektiv wahrgenommene Gründe für das eigene Verhalten sowie auf Retrospektivfragen verzichtet werden. Dieses Argument berührt nicht diejenigen Studien, die genau solche Fragestellungen untersuchen wollen, sondern bezieht sich auf die extensive Benutzung solcher Fragearten im kommerziellen Bereich. • Weiterhin sollten Interviewerausbildung und Supervision verbessert werden ( → Kapitel 6.2). • Bei den Feldprozeduren kann die Kontaktaufnahme durch flankierende Maßnahmen (Anschreiben, mehr Kontaktversuche usw.) verbessert werden. Die Dokumentation der Kontaktaufnahme und weitere Angaben des Interviewers über den Befragten können zudem Erkenntnisse bringen, welche Interviewerstrategien bei welchen Befragten erfolgreich sind. Außerdem haben Versuche, Teilnahmeverweigerer zu »konvertieren«, einige Erfolge gezeigt, auch wenn sie aufwändig sind. Dazu ist es notwendig, mehrere Interviewer pro Befragten einzusetzen oder dem Befragten anzubieten, wenigstens einen verkürzten Basisfragebogen zu beantworten. Wenn kein großer Aufwand zur Verbesserung der Teilnehmerquote betrieben werden kann, sollten zumindest bei typisch unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen verstärkte Anstrengungen diesbezüglich unternommen werden, um Stichprobenverzerrungen zu reduzieren (vgl. Neller 2005: 32). • Auch bei der anschließenden Auswertung der Ergebnisse kann versucht werden, die Verzerrung der Stichprobe zu kompensieren. Dies kann zum einen durch Gewichtungsverfahren erfolgen, indem die Stichprobe nach bekannten Merkmalsverteilungen der Grundgesamtheit (Geschlecht, Alter, Familienstand, Ortsgröße) gewichtet wird. Problematisch ist diese Vorgehensweise jedoch insofern, als diese Merkmale nicht notwendigerweise mit den anderen im Fragebogen erhobenen Merkmalen zusammenhängen, sodass die Gewichtung zu willkürlich veränderten Ergebnissen führt. Darüber hinaus gibt es Verfahren der statistischen Trendextrapolation zur Schätzung der Wahrscheinlichkeit für Antwort- oder Teilnahmeverweigerung, wenn bestimmte Kontextmerkmale exakt erhoben wurden (Anzahl der Kontaktversuche, Dauer der Überredung zur Teilnahme an der Befragung, Dauer des Interviews selbst, weitere Einschätzungen des Befragten zur Befragung usw.). <?page no="231"?> Probleme der Befragung 232 Die Interaktion mit dem Befragten und das Auftreten des Interviewers können mit verschiedenen Maßnahmen und Argumenten zur höheren Kooperationsbereitschaft führen. Diese können jedoch nicht pauschal eingesetzt werden, sondern hängen zum Teil auch vom Grund für die Verweigerung ab. Einige Argumente können präventiv eingesetzt werden, andere richten sich danach, ob die Absicht, an der Befragung nicht teilzunehmen, durch Zeitmangel, Interesselosigkeit, Misstrauen bedingt ist oder ob es sich um eine prinzipielle Ablehnung der Teilnahme an Umfragen handelt (vgl. Költringer 1992: 90f., 96ff.; Scholl 1993: 61f.; Frey / Mertens-Oishi 1995: 121f.; Neller 2005: 18; Meier et al. 2005: 43f.): • Der Interviewer nennt eine kürzere Interviewzeit, als realistisch ist. Allerdings riskiert er damit einen Abbruch mitten im Interview, falls die tatsächliche Befragungszeit die angekündigte allzu sehr überschreitet. • Der Interviewer nennt einen alternativen Termin, zu dem das Interview stattfinden kann. • Der Interviewer hinterlässt dem Befragten den Fragebogen zum Selbstausfüllen und vereinbart einen Termin, zu dem er den ausgefüllten Fragebogen wieder abholt. Diese Maßnahme ist jedoch nur geeignet, wenn der Fragebogen so gestaltet ist, dass er vom Befragten selbst und ohne Hilfe ausgefüllt werden kann, oder wenn das Befragungsthema es zulässt, dass keine bestimmte Reihenfolge der Fragen eingehalten werden muss, weil diese beim Selbstausfüllen nicht kontrolliert werden kann. • Der Interviewer trägt seinen Interviewwunsch schnell, direkt und bestimmt vor und stellt der Zielperson bereits die erste Frage, bevor sie viel einwenden kann. Die Überrumpelungstaktik ist aber nur erfolgreich, wenn der Befragte darauf eingeht. Außerdem besteht die Gefahr, dass die instruktive Einführung als harter Stil im Interview fortgesetzt wird, was nicht in jedem Fall wünschbar ist. Eine weiche Gegenvariante ist die »Fuß-in-die-Tür-Technik«, bei der der Interviewer nicht gleich mit der Bitte um ein Interview beginnt, sondern mit einer allgemeineren Frage nach dem Interesse an einem als interessant und relevant unterstellten Thema und erst dann den Befragten darum bittet, ein paar Fragen zu beantworten. Allerdings riskiert der Interviewer mit dieser schrittweisen Vorgehensweise, dass der Befragte die Absicht durchschaut und Misstrauen entwickelt, was ebenfalls die Kooperation erschwert, selbst wenn das Interview auf diese Weise zustande kommt. Eine andere Anwendung der Technik besteht darin, auf eine ablehnende Reaktion des Befragten vorsichtig zur ersten Frage hinzuleiten: »Vielleicht kann ich Ihnen einfach mal die ersten Fragen vorlesen ...«. <?page no="232"?> Soziale Effekte 233 • Hat ein Befragter generell Zweifel am Nutzen von Umfragen, kann der Interviewer auf eine Menge immaterieller Gründe zurückgreifen und auf die Vorzüge der Umfrageforschung hinweisen. Solche Gründe können sein: Die Befragung dient der Wissenschaft; sie schafft Transparenz über die öffentliche Meinung in der Demokratie und jeder kann ohne Druck seine Meinung frei äußern; sie macht Spaß; es geht um interessante Themen; die Beantwortung der Fragen bringt den Befragten zum Nachdenken über sich selbst. • Hält der Befragte Umfragen generell oder speziell Telefonbefragungen für unseriös oder zweifelt an ihrer Wissenschaftlichkeit, sollte der Interviewer darauf hinweisen, dass er nichts verkaufen will und dass er die Daten nur zu wissenschaftlichen Zwecken benutzen will. Aus finanziellen Gründen sei es außerdem sinnvoll, telefonisch zu interviewen. Das Argument trifft möglicherweise nicht die Stoßrichtung des zweifelnden Befragten, wenn dieser generell nichts von Sozialforschung als Wissenschaft hält, aber es interpretiert die Frage so, dass überhaupt eine positive Antwort darauf möglich ist. • Auch die Nennung eines renommierten oder universitären Instituts hat eine positive Wirkung auf die Teilnahmebereitschaft. Dies ist natürlich nur möglich, wenn das durchführende Institut dieses Kriterium erfüllt. • Der Interviewer sagt dem Befragten mündlich die Vertraulichkeit seiner Angaben oder Anonymität seiner Person zu oder übergibt ihm eine schriftliche Erklärung darüber. Allerdings besteht die Gefahr, dass die vorweggenommene Zusage den Befragten sensibilisiert, dass er heikle Fragen im Fragebogen vermutet und gerade deswegen skeptisch bis ablehnend auf die Teilnahmebitte reagiert (vgl. Hippler / Schwarz / Singer 1990: 65f.). Deshalb sollte dieses Argument erst angeführt werden, wenn der Befragte diesbezüglich Misstrauen signalisiert. Hier kann der Interviewer auf Vertraulichkeit und die Anonymität der Auswertung verweisen sowie erläutern, dass es keine Möglichkeit gibt, die Antworten individuell zuzuordnen, weil entweder der Name des Befragten nicht erfasst oder später vom Fragebogen getrennt wird. • Der Interviewer erläutert die Notwendigkeit, dass der Befragte zwar zufällig ausgewählt wurde, aber dennoch individuell für die Untersuchung benötigt wird, damit die Ergebnisse repräsentativ sind. Insbesondere alte Menschen verweigern oft mit der Begründung, dass sie unwichtig und schon zu alt für solche Untersuchungen seien. Hier muss der Interviewer vermitteln, dass jede Meinung gleich wichtig ist. • Wenn sich die Zielpersonen nicht kompetent für das Thema der Untersuchung fühlen, muss der Interviewer darauf hinweisen, dass es keine richtigen und falschen Antworten gebe, sondern dass es um die persönliche Meinung <?page no="233"?> Probleme der Befragung 234 des Befragten gehe. Der Interviewer kann auch erwähnen, dass andere Befragte mit dem Thema keine Schwierigkeiten hatten, obwohl sie vorher die gleichen Bedenken geäußert hätten. • Wenn ein Befragter kein Interesse am Thema der Befragung hat, sollte der Interviewer auf die wissenschaftliche Notwendigkeit hinweisen, die Meinung jedes Einzelnen zu erfassen, weil sonst die Ergebnisse nicht brauchbar seien. Auch hier ist der Hinweis auf andere Personen, die zunächst kein Interesse hatten, aber im Verlauf der Befragung die Fragen doch interessant fanden, hilfreich. • Schließlich kann der Interviewer materielle Anreize (»incentives«) geben: Kugelschreiber, Korkenzieher, Buchgutscheine, Briefmarken oder sonstige nützliche kleine Utensilien. Es ist nicht ganz sicher, ob dieser Schritt die letzte Maßnahme sein sollte oder bereits am Anfang erfolgen sollte. Für das sofortige Anbieten materieller Anreize spricht der Verpflichtungscharakter, der damit verbunden ist. Dagegen sprechen die hohen Kosten. Für den späteren Einsatz sprechen die niedrigeren Kosten, weil nur diejenigen etwas bekommen, die überredet werden müssen. Dagegen spricht die offensichtliche Absicht, nur dann etwas zu verschenken, wenn die Teilnahme der Zielperson gefährdet ist, was als Kuhhandel empfunden werden könnte. Gerade die Maßnahme der materiellen Anreize zeigt, wie viel Sensibilität, Flexibilität und Augenmaß die Verwendung und die Reihenfolge des Einsatzes vom Interviewer verlangen. Damit die Versuche der Konvertierung von Kooperationsunwilligen erfolgreich sein können, bedarf es intensiver Trainings und kommunikativer Fähigkeiten. Die Gesamterscheinung und der Auftritt des Interviewers dürften entscheidend sein, ob die Argumente überzeugend und glaubwürdig wirken. Die Merkmale und Verhaltensweisen der Interviewer sind allerdings nicht absolut wirksam, sondern interaktionsspezifisch, das heißt, erst das Zusammenwirken von Interviewerverhalten und Befragtenverhalten, von Interviewermerkmalen und Befragtenmerkmalen resultieren in der Realisation des Interviews oder in der Verweigerung der Teilnahme ( → Kapitel 6.2, 6.3). 7.4 Befragung spezieller Populationen Bei bevölkerungsrepräsentativen Umfragen werden in der Regel deutschsprachige Personen ab 14 Jahre befragt. Für viele Forschungsfragen ist dagegen eine ganz spezielle Bevölkerungsgruppe relevant, etwa Kinder und Jugendliche, Alte, Ausländer (bzw. Nicht-Deutschsprachige) oder (sozio-ökonomische) Eliten. In allen Fällen müssen bei der Befragung besondere, der jeweiligen Population an- <?page no="234"?> Befragung spezieller Populationen 235 gemessene Verfahren eingesetzt werden. Diese Anpassungen betreffen die Konzeption des Fragebogens, die Interviewsituation und die Auswahl der Befragten. Bei der Befragung von Kindern wird deutlich, dass die Methode sehr stark abhängig ist vom kognitiven Entwicklungsstand der Befragten. Die unterschiedlichen Phasen kindlicher Entwicklung machen eine einheitliche Vorgehensweise unmöglich. Dennoch können einige allgemeine Regeln bei der Befragung von Kindern befolgt werden. Bei Kindern spielen alltägliche Normen und Routinen eine noch viel größere Rolle als bei Erwachsenen. Die Aufmerksamkeit unterliegt großen Schwankungen. Ferner sind die Antworten stärker von momentanen Eindrücken abhängig. Problematisch sind Transferleistungen und Abstraktionen. Demgegenüber neigen Kinder weniger zu sozial erwünschten Antworten. Die Interviewer müssen deshalb besonders ausgebildet oder zumindest geschult werden und sich in die Lebenswelt von Kindern (unterschiedlicher Entwicklungsstufen) hineindenken können, um das Interview besser führen zu können. Dabei ist es auch möglich, eine Kommunikation zwischen dem befragten Kind und einer Handpuppe zu simulieren und damit das Statusgefälle zum Interviewer abzubauen. Weiterhin sind insbesondere als Einstieg Gruppeninterviews geeignet, um dem befragten Kind Schutz vor der isolierten Befragungssituation zu gewähren. Die Interviewer sollen dabei Akzeptanz der Kinderantworten signalisieren, die Fragen einfach, aber nicht verniedlichend stellen, die Antworten der Kinder gelegentlich in der nächsten Frage paraphrasierend aufgreifen, um Vertrautheit der Kommunikationsform zu schaffen, und vor allem keine Suggestivfragen stellen (vgl. Kubisch / Lampert 2000: 69; Neuß 2000: 138f.). Die eingesetzten Instrumente müssen abwechslungsreich sein. Dazu empfehlen sich auch Bebilderungen, etwa Bilderskalen mit Gesichtern, die Gefühlsäußerungen repräsentieren (»Smilies«). Allerdings sollten sie vorsichtig eingesetzt werden, weil die Antworten von Kindern auf visuelle Stimuli leicht fehlinterpretiert werden können (vgl. Lang 1998: 75). Zwar sind prinzipiell auch standardisierte Fragebögen anwendbar, dennoch sind kinderzentrierte Tiefeninterviews in der Regel besser geeignet, um individuell auf die Fähigkeiten der befragten Kinder einzugehen. Außerdem ist die offene Form insbesondere des narrativen Interviews besser geeignet, um die aktive Teilnahme der Kinder zu gewährleisten (vgl. Kubisch / Lampert 2000: 69). Da Kinder mittlerweile bereits früh Computer benutzen und deshalb mit diesem Medium technisch versiert umgehen, werden Versuche unternommen, Online- Befragungen mit Kindern durchzuführen (vgl. Reips 1999). Auch Gruppendiskussionen sind mit Kindern möglich, wenn bestimmte Regeln eingehalten werden, die wiederum vom Alter der Kinder abhängen (vgl. Vogl 2005: 56). <?page no="235"?> Probleme der Befragung 236 Bei bestimmten Fragestellungen ist es empfehlenswert, stellvertretend die Eltern zu befragen. Allerdings sind nicht immer validere Antworten zu erwarten, weil Eltern etwa den Medienkonsum ihrer Kinder systematisch unterschätzen, während die Kinder selbst ihn eher überschätzen (vgl. Dammer / Häcker 1997: 48f.; Lang 1998: 72ff.). Gerade bei Kindern ist aufgrund ihrer noch nicht voll entwickelten verbalen Fähigkeiten der Einsatz mehrerer Methoden sinnvoll. Dazu gehören Beobachtungen oder die Interpretation von Kinderzeichnungen, die mit der Befragung kombiniert werden können (vgl. Kubisch / Lampert 2000: 70f.; Lampert 2000: 126; Lang 1998: 75; Neuß 2000: 138f.). Um Präferenzen - etwa bei der Medienselektion - zu ermitteln, kann man auch experimentell vorgehen. So hat Süss (2000: 106) Kinder gebeten, sich an einem Wühltisch jeweils ein Bilderbuch, das ihnen am besten gefällt, auszuwählen. Alte Menschen sind in mehreren Hinsichten schwerer zu befragen als der soziodemografische Durchschnitt. Zum einen ist mit einer höheren Ausfallquote zu rechnen, zum anderen mit Verständnisproblemen in der Befragung selbst. Für die höhere Ausfallquote gibt es zwei Gründe: Alte Menschen sind öfter wegen gesundheitlicher Probleme nicht befragbar 83 , oder sie fühlen sich nicht mehr in die Gesellschaft integriert und hegen Zweifel an der Meinungsforschung generell. Außerdem verweigern sie häufiger die Teilnahme an einer Befragung aus Furcht vor Kriminalität (Hausierersyndrom), aus mangelndem Interesse am Befragungsthema oder weil sie Angst haben, die Fragen nicht zu verstehen und sich deshalb zu blamieren. Kommt das Interview dennoch zustande, besteht die Gefahr, dass alte Befragte sich leicht vom Interviewer beeinflussen lassen und aus Unsicherheit unabhängig von ihrer eigentlichen Einstellung zur Zustimmungstendenz neigen (vgl. von dem Knesebeck / Hüfken / Dübbert 2001: 68ff.). Das Verständnisproblem resultiert zum einen ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen, zum anderen daraus, dass alte Menschen den Aufgabencharakter von Befragungen oft nicht hinreichend berücksichtigen wollen oder können. Allerdings versteckt sich dahinter ein Bildungs- und Statuseffekt, der sich gerade im Alter besonders deutlich bemerkbar macht: Gebildete und statushöhere alte Menschen kommen leichter mit den Anforderungen einer Bevölkerungsumfrage zurecht als Statusniedrige und weniger Gebildete (vgl. Bungard 1979: 222). 83 Bei Personen, die nicht befragungsfähig sind, besteht die Möglichkeit, eine nahestehende Personen, die mit ihrer Situation vertraut ist, zu befragen (»Proxy-Interview«) (vgl. von dem Knesebeck / Hüfken / Dübbert 2001: 69). Die Validität dieser Fremdauskünfte ist allerdings nicht gesichert. <?page no="236"?> Befragung spezieller Populationen 237 Gerade einsame Menschen nutzen den Kontakt zum Interviewer, um bei der Beantwortung der Fragen abzuschweifen und von Ereignissen zu erzählen − etwa aus ihrer lebensweltlichen Vergangenheit − , die ihnen als relevant erscheinen, aber nicht themenbezogen sind. Insofern sind insbesondere narrative Interviews für eine Zeitzeugenbefragung geeignet, weil sie dem Befragten die Themenrelevanz nicht vorgeben, sondern diese den Befragten eigenständig setzen lassen. Soll dagegen eine standardisierte Befragung durchgeführt werden, können die sorgfältige Gestaltung des Erhebungsinstruments, eine kürzere Befragungsdauer, Vertrauen schaffende Vorkontaktierungen und besondere Konvertierungsbemühungen bei Verweigerern die Kooperationsbereitschaft der Befragten erhöhen und die Validität ihrer Antworten steigern 84 (vgl. von dem Knesebeck / Hüfken / Dübbert 2001: 81). Das gilt auch für postalische Befragungen, bei der zwar kein Interviewer motivierend und unterstützend wirken kann, bei der die alten Befragten aber die Befragungssituation selbst kontrollieren können. Mögliche Qualitätsunterschiede der Antworten sind dabei sowohl bildungsbedingt (betreffen also die weniger Gebildeten) als auch altersbedingt (betreffen also die Älteren unter den alten Menschen) oder ist auf das Fragebogendesign selbst zurückzuführen (vgl. Reuband 2006: 124f.). Die Befragung von Ausländern kann in zwei Aspekten problematisch werden. Zum einen ist oft nicht garantiert, dass sie ausreichend Deutsch sprechen, um die Fragen zu verstehen. Dann ist es erforderlich, dass der Fragebogen in die jeweilige Muttersprache des Befragten übersetzt wird, was vom Aufwand her jedoch nur durchführbar ist, wenn eine bestimmte Ethnie zur Zielpopulation gehört. Zum anderen befürchten ausländische Befragte − zum Teil aufgrund der Erfahrungen, die sie im Herkunftsland gemacht haben − , dass die Befragung nur als bürokratisches Kontrollinstrument dient, und verweigern die Teilnahme. Hier sind besondere vertrauensbildende Maßnahmen erforderlich. So können etwa Interviewer derselben Ethnie eingesetzt werden. Dies ist besonders in den Fällen sinnvoll, wenn die Stichprobe regional bedingt einen hohen Ausländeranteil hat oder wenn das Forschungsthema in einem inhaltlichen Zusammenhang mit der betreffenden Ethnie steht. Angehörige von Eliten sind in der Regel zu individualistisch, um sich auf eine standardisierte Befragung einzulassen. Sie fühlen sich durch Vorgaben eingeengt 84 Die Maßnahme, zur Erhöhung der Teilnahmebereitschaft ältere Interviewer einzusetzen, um die Barrieren »entfernter Subkulturen« zu verringern, ist dagegen nur bedingt empfehlenswert, weil zwischen Gleichaltrigen vermehrt die Gefahr besteht, dass sich der Befragte vor dem Interviewer profilieren will und deshalb verstärkt sozial erwünscht antwortet (vgl. Bungard 1979: 224, 229). <?page no="237"?> Probleme der Befragung 238 und nivelliert in ihrem Antwortverhalten. Die Standardisierung der Befragung wird übertragen auf eine Standardisierung sozialer Differenzierungen. Im Prinzip will der Oberschichtangehörige nicht mit der gesamten Bevölkerung gleichgesetzt werden, sondern sich distingiert, also von der Menge abgehoben, artikulieren. Für diese Gruppe sind Leitfadeninterviews am besten geeignet ( → Kapitel 3.2). Außerdem sind Oberschichtangehörige bei repräsentativen Befragungen oft unterrepräsentiert, weil sie mobiler sind und eher aus Zeitmangel verweigern. Unterprivilegierte Personen oder Unterschichtangehörige befürchten dagegen oft, den Anforderungen an die richtige Beantwortung der Fragen nicht gerecht zu werden. Sie empfinden die Befragungssituation als eine Art kognitiven und sozialen Test, den sie zu vermeiden versuchen. Während beim Oberschichtangehörigen Überlegenheitsgefühle gegen den alle Befragten gleich behandelnden Fragebogen aufkommen, entwickelt der Unterschichtangehörige gelegentlich Minderwertigkeitsgefühle, die ängstliche Reaktanz bewirken und überdurchschnittlich zur Verweigerung führen. Hier sind besondere vertrauensbildende Maßnahmen notwendig. Für diese Gruppe sind narrative Interviews am besten geeignet ( → Kapitel 3.1). 7.5 Ethik und Qualität in der Befragung Zwar hängen Qualitätsaspekte einer Methode auch mit ethischen Erwägungen zusammen, sie sind aber dennoch nicht identisch. Umso erstaunlicher ist die Vermischung in den Ethik-Kodizes. Der »Code of Professional Ethics and Practices« der »American Association for Public Opinion Research« (AAPOR) formuliert etwa Regeln für eine vorbildliche Praxis, die gleichermaßen Qualitätswie auch Ethikaspekte beinhalten (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999: 130ff.). In der Tat kann eine qualitativ minderwertige Umfrage durchaus auch als Problem der professionellen Ethik betrachtet werden, allerdings erschöpfen sich ethische Fragen nicht in Qualitätsmerkmalen, sondern beziehen sich auch auf den Umgang mit den Befragten und können durchaus auch in Widerspruch zu qualitativen Anforderungen an die Methode treten. 7.5.1 Ethische Probleme Die Beschäftigung mit ethischen Fragestellungen ist in Lehrbüchern zur Befragung relativ ungewöhnlich und selten. Meist findet man ein Ethikkapitel eher im Zusammenhang mit dem Experiment, weil beim Experiment die Versuchsperso- <?page no="238"?> Ethik und Qualität in der Befragung 239 nen über den Zweck der Forschung getäuscht werden (vgl. Bortz / Döring 3 2001: 44ff.). Allerdings beginnen ethische Probleme nicht erst mit der Täuschung der untersuchten Personen; die Schwelle für ethisch problematische Vorgehensweisen ist niedriger anzusetzen. Generell gilt: Wenn die wissenschaftliche Fragestellung methodische Anforderungen stellt, die im Widerspruch zu ethischen (Selbst-) Verpflichtungen des Forschers oder der Forschergemeinschaft geraten könnten, dann sollten solche Befragungsziele von vornherein eingeschränkt werden. Die in diesen Fällen nötige Güterabwägung zwischen ethischen Bedenken und methodischen Erfordernissen sollte auf keinen Fall vorschnell und einseitig zugunsten der letzteren erfolgen. Wichtig ist ferner zu beachten, wer Adressat ethischer Gebote ist: • Im Interviewprozess ist dies zweifellos der Interviewer, der sich um eine angemessene Umgangsweise mit dem Befragten bemühen muss. • Im Hinblick auf die Forschungsthematik ist der Forscher der Adressat. So darf er weder von den Interviewern verlangen, dass sie ethisch bedenkliche Fragen stellen, noch darf er dies den Befragten zumuten. • Eine ähnliche Fürsorgepflicht hat auch das durchführende Forschungsinstitut, sofern es nicht identisch ist mit dem Forscher. Es muss bei der Auftragsannahme bedenken, ob der Forschungsauftrag mit einem ethisch vertretbaren Einsatz der Befragungsmethode zu erfüllen ist. • Schließlich muss sich der Auftraggeber, sofern er nicht identisch ist mit dem Forscher, ebenfalls überlegen, ob sein Forschungsinteresse und die methodische Umsetzung ethisch zu legitimieren sind, soweit dies bereits vorher absehbar ist. Wenn im Forschungsprozess mehrere Instanzen (Auftraggeber, Forscher, Forschungsinstitut, Interviewer) zusammenarbeiten, muss jede dieser Instanzen für sich die ethischen Überlegungen anstellen und kann die Verantwortung nicht an die jeweils anderen Instanzen delegieren. Die folgende Liste mit ethischen Problemen soll die Forscher sensibilisieren. Sie stellt allerdings keinen abschließenden oder vollständigen Katalog dar (vgl. auch Gillham 2005: 14ff.): • Eine elaborierte Theorie verlangt in der Regel die Überprüfung einer Menge von Variablen oder Sachverhalten und verführt dazu, einen langen Fragebogen auszuarbeiten oder ein langes Interview durchzuführen. Dabei sollte allerdings bedacht werden, dass den Befragten nicht zu viel Aufwand zugemutet wird. Die Teilnahme an einer Befragung ist ein Entgegenkommen des Befragten, und diese Bereitschaft sollte nicht überstrapaziert werden. <?page no="239"?> Probleme der Befragung 240 • In der Alltagskommunikation ist in der Regel die Thematisierung von heiklen oder sensiblen Bereichen nicht üblich, sondern allenfalls guten Freunden vorbehalten. In der Umfrageforschung sollte deshalb sorgfältig mit derartigen Themen umgegangen werden. Das bedeutet auch, dass ablehnende Antworten des Befragten akzeptiert werden müssen und der Befragte nicht unter Druck gesetzt werden darf, unbedingt Auskunft geben zu müssen. • Die Erkenntnisziele der Befragung dürfen keinesfalls mit anderen Zielen vermischt werden, etwa mit dem Verkauf von Zeitschriften, dem Einwerben von Spenden oder dem Sammeln von Adressen (wie bei Gewinnspielen) zu weiteren Marketingmaßnahmen. Geht man diesen Aspekt grundlegender an, ist auch Auftragsforschung problematisch, die dazu dient, die Lebensgewohnheiten der Befragten so genau zu erforschen, dass der Auftraggeber die Ergebnisse manipulativ einsetzen kann, also etwa kommerzielle Werbung oder politische Propaganda effektiver gestalten kann. Legt man diesen ethischen Grundsatz streng aus, wird in der angewandten Markt- und Meinungsforschung sowie in der akademischen Auftragsforschung praktisch permanent gegen ihn verstoßen, weil die Forschung die Verwendung ihrer Ergebnisse nicht kontrollieren oder beeinflussen kann. • Weitgehend Konsens besteht in Bezug auf die Zusicherung von Anonymität und Vertraulichkeit im Umgang mit den erhobenen Daten und Auskünften. Darunter fällt insbesondere das Verbot, die Adressen der befragten Personen weiter zu verkaufen. Auch die versteckte Markierung von Fragebögen durch Nummerierung oder die Beifügung eines Codes ist problematisch. Allerdings gibt es Forschungsziele, die eine Entlassung aus dieser Verpflichtung erfordern. Dies ist der Fall, wenn die Stichprobe nach dem Schneeballprinzip gezogen wird oder wenn bei Panel-Befragungen mehrfach dieselben Personen befragt und zu diesem Zweck über die Befragungszeitpunkte identifiziert werden müssen, um die Antworten vergleichen zu können. Unbedingt erforderlich ist deshalb die Einholung der Erlaubnis, individuell zurechenbare Daten des Befragten zu erfassen. • Oft sind Täuschungen über das eigentliche Untersuchungsziel methodisch notwendig. Unabhängig davon, dass solche Täuschungen äußerst maßvoll eingesetzt werden sollten, muss genau überlegt werden, ob die getäuschten Befragten nach der Befragung über die Täuschung aufgeklärt werden sollen oder nicht. Eine Aufklärung ist zwar ethisch erstrebenswert und wird in den Lehrbüchern in der Regel verlangt, aber sie kann insofern problematisch sein, als sie das Vertrauen des Befragten zutiefst verletzt. Hier ist folglich ebenfalls eine Güterabwägung notwendig, die sich genau mit der Art der Aufklärung auseinander setzt. <?page no="240"?> Ethik und Qualität in der Befragung 241 • Das Verhalten des Interviewers muss an vorgegebenen Regeln ausgerichtet sein. So darf er den Befragten nicht unter Druck setzen, provozieren, herablassend behandeln oder gar sexuell nötigen 85 . Diese Forderungen erscheinen zwar selbstverständlich, aber häufige Teilnahmeverweigerungen frustrieren die Interviewer und können arbeitserleichternde Fälschungen begünstigen, zumal meist nur die (vollständig) durchgeführten Interviews bezahlt werden. Dieser ethische Katalog ist nicht vor dem Hintergrund einer speziellen Ethik- Theorie deduktiv abgeleitet, sondern induktiv entwickelt, was aber seiner Verbindlichkeit nicht abträglich sein sollte. 7.5.2 Qualitätskriterien Die Beschäftigung mit den verschiedenen Aspekten der Befragung könnte allgemein unter die Fragestellung ihrer Qualität gestellt werden. So gesehen beschäftigt sich das gesamte Lehrbuch, jedes Methodenlehrbuch, mit Qualitätsfragen. Allerdings gibt es über einzelne methodische Schritte hinaus Richtlinien für eine qualitativ gute Befragung, die verallgemeinerbar sind. Für die (standardisierte) Umfrageforschung, die die Beschreibung der gesamten Bevölkerung oder zumindest größere Teile der Bevölkerung (zum Beispiel alle Wahlberechtigten) zum Ziel hat, hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (1999) eigens eine Denkschrift zu Qualitätskriterien verfasst. In Bezug auf die Durchführung von Befragungen - auf die Feldarbeit - kann eine Liste von Kriterien für eine gute Praxis (»best practice« oder » good practice«) aufgestellt werden, die die Stichprobenziehung, die Dokumentation der Stichprobenrealisation, die Kontaktierung der Zielpersonen, die Durchführung der Interviews, die Kontrolle der Interviewer sowie die Anreize für die Befragten betreffen. Auf diese Weise können Verfahrensmodelle für den Ablauf von Umfragen entwickelt werden, die auf eine ganzheitliche Qualitätsbewertung von Umfragen (»Total Quality Management«) hinauslaufen (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999: 34ff., 96f.). Auch die Privatwirtschaft bemüht sich um Qualitätsvorschriften: Zu nennen wären zum Beispiel die Richtlinien, die der »Zentralausschuss der Werbewirtschaft« (ZAW), ein Zusammenschluss von Verbänden der Werbetreibenden, Werbeagenturen und Werbung Durchführenden, aufstellt. Diese sehen für Untersuchungsanlagen zur Reichweitenanalyse und Kontaktmessung vor, dass die 85 Ein Flirt zwischen dem/ der Interviewer/ in und dem/ der Befragten wäre zwar unter ethischen Gesichtspunkten prinzipiell vertretbar, unter der Bedingung, dass er auf wechselseitiger Freiwilligkeit beruht, muss aber aus methodischen Gründen unterbleiben, um das Ziel der Befragung nicht zu gefährden. <?page no="241"?> Probleme der Befragung 242 Nettostichprobe zu 70 Prozent ausgeschöpft werden muss - wenn nicht, muss dies begründet werden -, dass die realisierte Stichprobe mindestens 500 Nettofälle umfasst und dass eine vollständige Marktübersicht angestrebt werden soll, das heißt, dass bei der Stichprobenziehung möglichst viele Titel für die Reichweitenerhebung zu berücksichtigen sind (vgl. Hess 1996: 10, 27ff.; → www.utbmehr-wissen.de, Kapitel 1.2). Über den Einsatz der Methode hinaus ist ihre Darstellung in der Publikation oder im Methodenbericht ein Indiz für ihre Qualität und das Qualitätsbewusstsein des Forschers. Der Methodenbericht zu einer empirischen Studie sollte folgende Informationen beinhalten (vgl. Jacob / Eirmbter 2000: 263 sowie weitere Aspekte): • Benennung der durchführenden Einrichtung (Forschungsinstitut); • Angaben über die Definition der Grundgesamtheit und die Stichprobenziehung (Bruttostichprobe, Nettostichprobe, Ausschöpfung); • Beschreibung der soziodemografischen Struktur der Stichprobe; • Darstellung des eingesetzten Befragungsverfahrens; • Darstellung der Operationalisierung der relevanten theoretischen Konstrukte; • Besonderheiten in der Feldphase (Ausfallgründe, Anwesenheit Dritter); • Befragungszeitraum (Feldphase); • durchschnittliche Interviewlänge, Anzahl eingesetzter Interviewer, Anzahl der Interviews pro Interviewer; • maximale und durchschnittliche Anzahl der Kontaktversuche pro Zielperson; • soziodemografische Merkmale der Interviewer; • Schulung und Kontrolle der Interviewer; • Begründung und Beschreibung der Gewichtungsverfahren (wenn verwendet); • Dokumentation des Instruments (Fragebogen und zusätzliche Mittel). Diese Liste gilt modifiziert für jede Methode und auch für jede Form der Methodenanwendung. Obwohl sie für die standardisierte, bevölkerungsrepräsentative Umfrage erstellt wurde, sind etliche Punkte auch auf die qualitative Befragung übertragbar, denn die Transparenz des Forschungsprozesses ist ein Qualitätsmerkmal für wissenschaftliche Forschung schlechthin. Die Sicherung der Qualitätskriterien in der Durchführung von Untersuchungen ist im Wesentlichen von zwei Instanzen zu leisten: der Methodenforschung und der Methodenausbildung. Abschließend noch eine Bemerkung zur Bezahlung der Interviewer: Gute Befragungen haben ihren Preis, und an den Kosten, die durch den Einsatz von Interviewern entstehen, sollte am wenigsten gespart werden. Bei guter Bezahlung werden Interviewer nicht genötigt, Interviews teilweise oder vollständig zu fäl- <?page no="242"?> Bewertung und Trends der Befragung 243 schen oder die Befragten unter Druck zu setzen, damit sie kooperationswillig werden. Auch universitäre Befragungen im Rahmen von Lehrveranstaltungen sollten nicht nur auf der ideellen Motivation der Studierenden beruhen oder diese schamlos ausbeuten. Zumindest eine kleine materielle Anerkennung sollte eingeplant werden. Hier berühren sich erneut ethische und qualitätsbezogene Aspekte. 7.6 Bewertung und Trends der Befragung Die Befragung kennt zahlreiche Varianten, die für zahlreiche Fragestellungen eingesetzt werden. Aufgrund dieser Vielfalt ist es kaum möglich und wohl auch nicht sinnvoll, einheitliche technische Regeln für die Methode zu formulieren. Vielmehr erfordern die verschiedenen Verfahren eine kreative Verwendung, um spezifische Fragestellungen zu bearbeiten. Dass methodische Regeln nicht für alle Zeiten gültig sind, hat auch damit zu tun, dass sich die Methode entwickelt. Mehrere Trends sind besonders deutlich erkennbar (vgl. zum Beispiel Wiegand 2000): Zum einen ist trotz der bereits bestehenden Vielfalt eine weitere Pluralisierung der Formen und Verfahren der Befragung zu erkennen. Dies belegt, dass die Methode auf sehr unterschiedliche Fragestellungen anwendbar ist. Dazu gehört auch, dass die unterschiedlichen Varianten der Befragung zunehmend miteinander verknüpft werden. So wird etwa die strikte Trennung persönlicher, telefonischer und schriftlicher Verfahren weitgehend aufgegeben, um den Bedürfnissen der Befragten entgegen zu kommen und damit ihre Teilnahme zu sichern. Auf der anderen Seite werden die Forschungsinstrumente zunehmend standardisiert. Kommunikationswissenschaftliche Beispiele dafür sind etwa im Lehrbuch von Rubin, Palmgren und Sypher (1994) zu finden. Im deutschsprachigen Raum gibt es mittlerweile das »Skalenhandbuch Kommunikationswissenschaft« (Rössler 2009). In der Soziologie steht das ZUMA-Skalenhandbuch für das Bemühen, sozialwissenschaftliche Skalen zu standardisieren, und in der Psychologie werden nach wie vor zahlreiche Tests konstruiert. Diese Entwicklung ist auf der einen Seite wünschenswert, um die Vergleichbarkeit von Forschungsfragen zu erhöhen, zum Beispiel bei Wahlumfragen die »Sonntagsfrage« nach der Wahlabsicht. Auf der anderen Seite sind standardisierte Instrumente nur begrenzt einsetzbar bei komplexen Konstrukten, die eng an die jeweilige Fragestellung angepasst werden müssen. Außerdem sind sie ungeeignet für nicht-standardisierte Verfahren, bei denen eine Vereinheitlichung geradezu kontraproduktiv wäre. <?page no="243"?> Probleme der Befragung 244 Ein Trend, der sowohl die kreative Verwendung als auch die Standardisierung vorantreibt und den Forschungsprozess verstetigt, ist die Computerisierung und Technisierung der Datenerhebung. Computerunterstützte Verfahren der Befragung wie CAPI oder CATI ( → Kapitel 2.4) lösen datentechnische Probleme, indem sie den Forschungsprozess durch die Verschmelzung von Datenerhebung und Dateneingabe verkürzen. Sie erleichtern auch die Forschungsinteraktion, bleiben aber selbst grundsätzlich kommunikativ und ersetzen den Interviewer nicht. Die Technisierung der Befragungsverfahren (sowie anderer Methoden) berührt noch eine andere Entwicklung: das Verhältnis von akademischer und privatwirtschaftlicher Forschung. So waren es vor allem Markt- und Meinungsforschungsinstitute, die die Technisierung wesentlich befördert haben. Allerdings stehen Konkurrenzerwägungen einer gemeinsamen Methodenentwicklung und deren Publikation oft im Weg. Zudem können die Universitäten angesichts ihrer finanziell prekären Lage und schlechten Ausstattung kaum mit der technischen Entwicklung Schritt halten, sodass das Verhältnis zur kommerziellen Marktforschung möglicherweise sogar wieder loser wird, obwohl das Bedürfnis nach gemeinsamen hohen methodischen Standards in der Ausbildung und bei der Durchführung von Untersuchungen auf beiden Seiten vorhanden ist (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999: 91f.). Ein weiterer Trend, der die Forschung allgemein betrifft, ist die Internationalisierung der Forschung. Internationale Kooperationen sind einerseits angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen erwünscht, bringen aber für die Befragung methodische Probleme der Äquivalenz der Messinstrumente mit sich (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999: 60ff.). Die immer wiederkehrende Forderung nach Mehrmethodendesigns scheint sich durch die Methodenentwicklung ebenfalls zu erfüllen ( → Kapitel 3.8). Die Befragung lässt sich sinnvoll mit der Beobachtung verknüpfen, wie es bereits die älteren Studien zur Redaktionsbeobachtung belegen. Besonders augenscheinlich ist die Verbindung beim Partnerschaftsmodell zwischen der Media Analyse (Befragung) und den telemetrischen Erhebungen der GfK. Die Kombination der Befragung mit der Inhaltsanalyse ist insbesondere in der Wirkungsforschung relevant, allerdings nicht unproblematisch. Bei der Verknüpfung von Inhaltsanalysedaten und Befragungsdaten genügt es zum Beispiel nicht, aggregierte Daten miteinander zu vergleichen, wie es meist in der älteren Agenda-Setting-Forschung vorkam, sondern die Daten müssen auf individueller Ebene, also auf der Ebene des einzelnen Befragten miteinander verknüpft werden. Theoretisch müsste also zunächst ermittelt werden, welche Medien der Befragte nutzt oder noch konkreter: welche Beiträge (Artikel, Sendungen) der Befragte <?page no="244"?> Bewertung und Trends der Befragung 245 rezipiert hat, um jeweils die Inhalte dieser Medien bzw. Beiträge zu analysieren und mit den Merkmalen des Befragten zu vergleichen. Tatsächlich erfolgt der Vergleich jedoch viel grober. Die Verknüpfung erfolgt auf räumlicher, zeitlicher und sozialer Ebene. Wird die Stichprobe in einer bestimmten Region gezogen, kann man davon ausgehen, dass die in der Region relevanten Medien vorwiegend genutzt werden. In zeitlicher Hinsicht orientieren sich die Feldzeit der Befragung und die Inhaltsanalyse der untersuchten Medien aneinander. In der Sozialdimension ist das Mediennutzungsverhalten der Befragten entscheidend, denn nur die genutzten Medien haben ein Wirkungspotenzial. Insbesondere wenn die Studie als Längsschnittuntersuchung konzipiert ist, ist eine genauere Erfassung der genutzten Inhalte (Beiträge) nicht möglich, sondern allenfalls eine grobe Erfassung der genutzten Medien (vgl. Wolling 2002: 59ff.). Neben den methodeninternen Trends gibt es zahlreiche methodenexterne, gesellschaftliche Bedingungen für den Einsatz von Befragungen (vgl. Pfleiderer 2000: 70; Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999: 28f.): • Die individuelle Mobilität hat sich in modernen Gesellschaften erhöht, und der Trend zu kleineren Haushalten und zu Einpersonenhaushalten hält an. Dadurch erschwert sich die Erreichbarkeit der Zielpersonen und es wird schwerer und aufwändiger, eine hohe Ausschöpfungsquote der Stichprobe zu erzielen. • Andererseits ist die Erreichbarkeit durch die weite Verbreitung von Mobiltelefonen gestiegen. Aus diesem Grund wird der Einsatz der telefonischen Befragung zunehmend attraktiv. • Die Informations- und die Unterhaltungsangebote der Medien- und Freizeitindustrie haben sich enorm ausgeweitet, was dazu führt, dass freie Zeiträume bzw. frei verfügbare Zeit zunehmend durch die Nutzung von Medien ausgefüllt wird; man spricht auch von Mediatisierung der Gesellschaft (vgl. Krotz 2001). Damit kann die Befragung noch weniger Zeit von den Befragten beanspruchen und riskiert noch häufiger Teilnahmeverweigerungen aufgrund von Zeitmangel. • Werbung und Direktmarketing sind allgegenwärtig und konkurrieren mit wissenschaftlichen Umfragen. Dadurch dürfte das »Hausierersyndrom« auf eine andere Art zunehmend wieder aktuell werden. • Gerade in demokratisch verfassten Gesellschaften gewinnt die Bedeutung informationeller Selbstbestimmung, die mit der Furcht vor Eingriffen in die Privatsphäre einhergeht und durch die zunehmenden Möglichkeiten der Informationskontrolle und Überwachung bedingt ist. <?page no="245"?> Probleme der Befragung 246 • Auch die Entwicklungen im Forschungsbereich selbst geben Anlass zur Sorge: Zwar werden die Methoden immer differenzierter und ausgefeilter (s.o.), aber es entstehen höhere Kosten bei der Durchführung; die Interviews werden länger aufgrund des gesteigerten Bedarfs nach Umfrageergebnissen; der Zeitdruck wird ebenfalls größer. Dies geht einher mit einem geringen Qualitäts- und Methodenbewusstsein seitens der Auftraggeber und mit Problemen in der Feldarbeit der Markt- und Meinungsforschungsinstitute, weil es nur wenige gute Interviewer gibt und die Honorare zu niedrig sind. Um den Kostendruck aufzufangen, setzen sich Telefoninterviews zunehmend durch, obwohl diesem Verfahren nicht grundsätzlich der Vorzug gegenüber persönlichen oder schriftlichen Befragungen gegeben werden kann ( → Kapitel 2.2.4). Problematisch ist auch die Reaktion auf sinkende Ausschöpfungsquoten: Der Aufbau von Access-Panels ( → Kapitel 2.3.2) führt zum Rückzug auf prinzipiell kooperative Befragte und damit zur schleichenden Aufgabe des Anspruchs auf Repräsentativität der gesamten Bevölkerung, denn diejenigen Bevölkerungssegmente, die nur schwer erreichbar und nur selten zur Teilnahme an Befragungen bereit sind, werden auf diese Weise von vornherein ausgeschlossen. Die abschließende Bewertung der gesellschaftlichen Bedeutung von Umfragen kann angesichts dieser Entwicklungen nicht eindeutig ausfallen. Die positive Bewertung sieht in der Demoskopie ein Mittel, um in der Demokratie gesellschaftliche Meinungen und Strömungen der öffentlichen Meinung transparenter zu machen. Demoskopische Umfragen dienen somit der Korrektur und Ergänzung der veröffentlichten Meinung, sprich: der journalistischen Berichterstattung. Beide gesellschaftlichen »Beobachtungsinstrumente« schließen sich dabei nicht aus, sondern profitieren auch voneinander. Die Demoskopie bekommt in den aktuellen Medien ein gehöriges Maß an Aufmerksamkeit, und umgekehrt nutzt der Journalismus demoskopische Ergebnisse, um präzise über bestimmte gesellschaftliche Sachverhalte informieren zu können, auch wenn diese Berichterstattung dann doch wieder typisch journalistisch ist und kaum wissenschaftliche Regeln einhält (vgl. Donovitz 1999). Auf der anderen Seite stehen aber auch skeptische Einschätzungen, was die Leistung kommunikationswissenschaftlicher Befragungen angeht. Gerade die ambitionierten Kabelpilotprojekte in den 1980er Jahren hatten eher eine Alibifunktion für die politischen Entscheidungsträger und für die Werbewirtschaft, als dass ihre Ergebnisse offen diskutiert worden wären. Trotz der skeptischen Ergebnisse wurde der privat-kommerzielle Rundfunk eingeführt; das duale Rundfunksystem war längst beschlossene Sache (vgl. Teichert 1988; Hasebrink 1989). Die gesellschaftliche Bedeutung von Umfrageergebnissen bleibt somit umstritten, die wissenschaftliche Leistung der Methode ist dagegen eindeutig. <?page no="246"?> 247 Literatur A Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V. (ADM) / Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e.V. (AG.MA) (Hrsg.) (1999): Stichproben-Verfahren in der Umfrageforschung. Eine Darstellung für die Praxis, Opladen: Leske und Budrich. Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute (ADM) / Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute (ASI) / Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher (BVM) / Deutsche Gesellschaft für Online Forschung (D.G.O.F.) (Hrsg.) (2001): Standards zur Qualitätssicherung für Online-Befragungen, Frankfurt am Main: ADM. 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(1903-1969) 17 Adressenstichprobe, Adress- Random 32, 45 Agenda-Setting-Hypothese 13, 244 Akquieszenz 145, 169f., 225, 236 Aktionsforschung, Handlungsforschung 28 Aktivität(en) 109, 116ff. Akzeptanz 22, 210 Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) 18, 103ff. Allensbacher Werbeträgeranalyse (AWA) 13, 103ff. Alltagsgespräch, Alltagskommunikation, Alltagskonversation 21, 63, 152, 154, 219f. Alltagssituation, Alltagssprache, Alltagsverhalten 22, 209, 219f., 226f. Alte, alte Menschen 12, 197, 226, 228, 233f., 236 American Institute of Public Opinion 17 Analyse(prozess) quantitative, statistische 14f., 70ff., 76ff., 79, 84, 129, 141, 144f. 161, 164, 176 qualitative, sprachliche, textbasierte 14, 28, 144f., 186 Anonymität 43, 45, 48, 58ff., 233, 240 Ansatz kognitionstheoretischer 211 sozial-situativer 211 Antwort 11f., 24f., 38f., 43, 45ff., 54, 58f., 61, 63, 65f., 68, 70ff., 75, 77ff., 81f., 84f., 141-148, 151-170, 176f., 181, 209, 211f., 214, 216ff., 223ff., 228, 231-240 - Mehrfachantwort, Mehrfachnennung 75, 77, 148, 149, 154, 156, 160 Antwortalternative, Antwortkategorie, Antwortmöglichkeit, Antwortskala, Antwortvorgabe 11, 38f., 49f., 59, 61, 68, 75, 77ff., 81, 83f., 113, 130, 143ff., 153-160,164-178, 186, 192ff., 204, 210-218, 221 Antwortprozess 45, 54, 185, Antwortstil, Antwortverhalten 21, 57, 153, 157f., 168, 210, 212ff., 216, 220, 225f., 228 Antwortverzerrung 34-40, 58, 222 Anzeige 135f. Arbeitsgemeinschaft Leser-Analyse e.V. (AGLA) 19 Arbeitsgemeinschaft Media- Analyse e.V. (AG.MA) 19 Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V. (ADM) 18, 31 <?page no="275"?> Register 276 Arbeitskreis für betriebswirtschaftliche Markt- und Absatzforschung e.V. 18 Arbeitslose von Marienthal 16 Artikel 135f. Assimilationseffekt 216 Assoziation, Assoziationstest 159, 302 Audio Computer Assisted Self- Administration (ACASI) 50 Aufgabe (des Befragten) 65, 69, 78, 80f., 85, 100f., 116, 125, 133, 137, 140, 190, 199, 202ff., 236 Aufmerksamkeit 14, 120, 138, 141f., 214, 217, 235, 246 Auftraggeber 19, 102f., 184, 194, 197, 239f. Auftragsforschung → Forschung Aufwand 34, 36, 38f" 42, 44, 47, 59, 107, 116, 118, 126ff., 130f., 134, 146f., 155, 180, 204, 229, 231, 237, 239 Ausfälle, Ausfallquote 106, 236 qualitätsneutrale, unsystematische 33f. relevante, systematische 33f. Auskunftsbereitschaft 15, 21 Auskunftsfähigkeit 15 Auskunftsperson 22 Auskunftsverhalten → Antwortverhalten Ausländer 12, 234, 237 Ausprägung 145, 164f. Aussage 25, 27, 50, 65, 69-73, 76, 80, 89, 99, 110, 121f., 124, 131, 133, 138, 145, 158-163, 168, 176f., 187, 201, 219, 226 Ausschöpfungsquote, Ausschöpfungsrate 33ff., 38, 42f., 46ff., 59f., 191, 229, 241f., 245f. Auswahl(verfahren) → Stichprobe 31f., 35ff., 40f., 44, 55f., 62, 69, 77, 94, 97, 128ff., 139, 184, 188- 194 bewusste(s) 37, 139 willkürliche(s) 56 Auswertung → Analyse B Bandmaß 174 Bedürfnis 13 Befragte/ r 12, 21, 24ff., 29, 34, 37- 60, 61-88, 102f., 106f., 109-120, 126, 130-142, 143-181, 185ff., 191-207, 209-245 Befragtengruppe → Population Befragtenmotivation 212 Befragtenpanel 53 Befragtenrolle 200, 202, 205 Befragtenverhalten 60, 206 Befragung biografische 11, 102f., 109-114, 175 computergestützte 49-53, 57, 113 experimentelle → Experiment - Expertenbefragung, Experteninterview 68-74 - Klassenzimmer-Befragung 29f., 36-39, 49, mehrthematische 61 monothematische 61, 102f., 157, 230 nichtstandardisierte, offene, qualitative 10, 20, 53, 61, 77, 85, 88, 108, 110, 129-132, 144, 146, 183-187, 207, 242 online 11, 29, 45, 53-60, 125ff., 178-182, 185, 235 <?page no="276"?> Register 277 persönliche, mündliche 29f., 33, 37-40, 43, 49, 53, 116, 154, 192, 243, 246 schriftliche, postalische 29f., 43- 49, 57-60, 77, 116, 119, 129, 152, 176, 178, 183, 206, 219, 222, 237, 243, 246 - Selbstausfüller-Befragung, Self- Administered Questionnaire (SAQ) 30, 49 standardisierte, quantitative 10, 53, 61, 65, 68, 77-81, 90, 102, 108, 110-113, 121, 129, 131, 143, 146f., 152, 183, 185f., 237 - Tagebuchbefragung 116-119 teilstandardisierte 11, 77 telefonische 30, 59, 116, 154, 191, 243, 245 Befragungsform 61, 69, 78f., 98, 104, 107f. Befragungsmethodologie → Methodologie Befragungsprozess 28, 105, 109, 192, 210, 213, 239 Befragungssituation, Interviewsituation 11, 21f., 24f., 46, 51, 54, 57, 60f., 66, 71, 77f., 81, 88, 94, 101, 110ff., 120f., 126, 136, 143, 151, 185, 191, 198ff., 209ff., 220, 227, 235, 237f. Befragungssoftware 54 Befragungsvariante 84, 106, 108 Befragungsverfahren 29, 42, 49, 59f., 108, 229, 242 Befragungswelle 104-107, 138- 131, 206 Begründungszusammenhang 183 Beilagenbefragung 44, 46 Beobachtung 63, 86, 88, 90, 107f., 116f., 223, 236, 244 Berichterstattung 13, 246 Berkowitz, Leonard (*1926) 86 Beurteilung 149, 157 Bevölkerungsumfrage 154 Bewertung(en) 140ff., 171, 173, 246 Bewusstsein(selemente) 22 Bildblatt 159, 174, 218 Bruttostichprobe → Stichprobe Bühler, Karl (1879-1963) 137 Bureau of Applied Social Research 16 C Cantril, Hadley (1906-1969) 17 Cattell, Raymond Bernard (1905- 1998) 80 Codieren, Codierer, Codierung 72f., 79 Comte, Auguste (1798-1857) 15 Computer Assisted Interviewing (CAI) 29 Computer Assisted Personal Interviewing (CAPI) 49-53, 244 Computer Assisted Self-Interview (CASI) 49, 52 Computer Assisted Self- Administered Questionnaire (CSAQ) 49 Computer Assisted Telephone Interviewing (CATI) 50-53, 78, 207, 244 Computergestützte Befragung → Befragung, computergestützte Continuous Response Measure (CRM) 140 Copytest 11, 43, 135f., 146 Cultural Studies 62, 120 <?page no="277"?> Register 278 D Daten - Prozessdaten 131 telemetrische 119 Datenanalyse, Datenauswertung → Analyse 45, 184, 186 Datenaufbereitung 184, 186 Datenbereinigung, Datenüberprüfung 51, 184, 186 Dateneingabe, Datenerfassung 45, 51 Datenerhebung 42, 184ff., 211 Datenniveau 164f. Datenpräsentation 184, 186 Datenübermittlung, Datenübertragung 54, 186 Definition 145f., 184 Delphi-Befragung 11, 106, 109, 127-131 Demoskopie → Umfrageforschung Denken, lautes 109, 137-140, 194, 205 Design 25, 47, 86-93, 97, 107, 129 203 Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 238, 241, 244f. Didaktik 10 Differential, semantisches 172f., 177 Disk by Mail (DBM) 44 Diskursanalyse 125f. Diskussionsleiter 121-126 Dogmatismusskala → Skala Durchführung 11f., 22, 45, 48, 59, 67, 77, 96, 98, 100, 105, 107, 118-124, 141, 143f., 183, 187, 194, 196, 200, 206-209, 241-245 Durkheim, Emile (1858-1917) 15 E Ebbinghaus, Hermann (1850-1909) 86 Effekte 87, 216 kognitive 12, 212 soziale 12, 218 Ehrlichkeit 22, 224 Eindrucksmanipulation (impression management) 21, 39, 51, 69, 214, 222, 225 Einfluss 149, 171 Einschätzung 13, 110, 148-151, 155-158, 165-172, 210, 214, 231 Einstellung 13f., 23, 25, 65, 74, 80- 84, 104ff., 121, 123, 131, 134, 145ff., 154, 159, 162f., 167, 174, 192, 196, 211-214, 217-221, 225ff., 230, 236 berufliche → Rollenselbstverständnis ethische → Ethik Einwohnermelderegister 18, 41, 44 Elite 68, 162, 234, 237 Emotion, emotional, Gefühl 13, 22f., 59, 66, 80, 87f., 114, 134, 139, 149, 157, 167, 211ff. Empirie 20, 144 Entdeckungszusammenhang 183 Entwicklung 12, 125, 127, 148 Ereignis 109-114, 117, 120, 127, 151 Erhebungsprozess → Befragungsprozess Erhebungssituation → Befragungssituation Erinnerung 115, 118, 141, 215 Erreichbarkeit 45, 245f. <?page no="278"?> Register 279 Erwartung 45, 64, 68, 100, 178, 192, 200, 214, 220, 226, 228 Erwartungswert 82f. Erwünschtheit, soziale 23, 39, 45, 58, 106, 119, 155, 158, 169, 199, 211, 219-222, 225, 228, 235, 237 Erzählung, Erzählfluss 62-76, 110, 114, 121-124, 162, 200f. Ethik 12, 238-241 Ethnografie, Ethnomethodologie 28, 62 evaluativ → Bewertung Experience Sampling Method (ESM) 109, 119f. Experiment 11, 61, 76, 86-101, 104-107, 126, 142f., 207, 210f., 215, 218, 221, 236, 238 - Feldexperiment 95-100 - Laborexperiment 89, 95-101, 207, 221 - Split-Ballot-Experiment 58, 210 Experimentalfaktor(en) 87, 90, 99 Experimentalgruppe 88, 90-93, 104, 221 Experimentalsituation 92, 95f. Experimentalstimulus 88 Experte 13, 63, 68-71, 83, 110, 127-131, 162, 204-207 Expertenbefragung, Experteninterview → Befragung F Fähigkeit → Kompetenz Fälschung 39, 192-196, 207, 241ff. Fakten 70, 85, 110ff., 148, 151, 153, 205, 211 Feldarbeit 35, 241, 246 Feldbericht 207, 242 Feldexperiment → Experiment Feldphase 25, 38f., 51, 203, 206f., 242 Feldzeit 31, 35, 48, 186f., 206, 245 Fernsehquote 117 Feshbach, Seymour (*1925) 86 Festinger, Leon (1919-1989) 86 Filter(führung) → Frage(n) Forsa 56 Forscher 21, 209, 214, 219, 221, 239, 242 Forschung akademische, universitäre 19, 184, 240, 244 angewandte 184 - Auftragsforschung 184 - Grundlagenforschung 19, 184 privatwirtschaftliche, kommerzielle 218, 230, 244 qualitative 27 standardisierte 27 Forschungsdesign → Design Forschungsfrage → Frage Forschungsgegenstand 20-25, 53 Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften 17 Forschungsphilosophie 23, 28 Forschungspraxis 23 Forschungsproblem 183f. Forschungsprozess 11, 14, 143ff., 183f., 187, 203, 216, 222, 239, 242ff. Forschungssituation → Befragungssituation Frage 11, 24, 38f., 43-52, 57-86, 100-108, 143-162, 167, 174-182, 192-205, 210-226, 232-235 - Ablenkungsfrage 158 - Absichtsfrage 150 allgemeine 216f., 224 balancierte Frage 162f., 218 <?page no="279"?> Register 280 bedrohliche, heikle, sensible, unangenehme Frage 45, 59, 175, 195, 207, 221-225, 233 - Bewertungsfrage 149 direkte Frage 70, 104, 159 - Einleitungsfrage, Einstiegsfrage 48, 70 einseitige Frage 162, 213 - Einstellungsfrage 149, 153, 323, 324 - Einschätzungsfrage 148, 150, 160 - Eisbrecherfrage 70, 156 - Erinnerungsfrage 157 erzählgenerierende Frage 63 - Eventualfrage 70, 207 - Faktenfrage 147 - Fallgrubenfrage 158 - Filterfrage 39, 50, 113, 156, 178, 186, 193f. - Folgefrage 70 - Forschungsfrage 68, 70, 100, 143ff., 202, 207, 209, 234, 243 - Frageart, Fragetyp 68ff., 143, 145, 151, 156, 179f. - Frageform 11, 160, 162, 176 - Frageformulierung 11, 25, 59, 143, 152, 213f., 216 - Frageninhalt 11, 147, 152, 155, 198 - Fragenlogik 153 - Fragenreihenfolge 46, 49, 68, 77, 175, 204, 210, 212, 214ff. - Fragenverständnis 60, 209f., 214 - Fragestellung 36f., 44, 59, 62, 73, 87, 107f., 184f., 212f., 219f., 230, 239-243 - Fragestrategie, Fragetaktik 223f. - Frageteilung 153 - Fragetechnik 151, 173, 182 gerichtete Frage 75 geschlossene Frage, mit Antwortvorgaben 28, 77, 160- 166, 218, 223 - Gabelung 50, 158 - Hybridfrage 161 hypothetische Frage 231 indirekte Frage 70, 159 - Inhalt der Frage 11, 143, 148, 150, 188 inhaltliche, inhaltsbezogene Frage 150, 156, 159 instrumentelle Frage 156f. - Interessensfrage 149 - Interpretationsfrage 70 - Kontaktfrage 156f. - Kontrollfrage 158 - Leitfrage 61, 72 - Lügenfrage 158 - Meinungsfrage 149 - Nachfrage 47, 64f., 70, 78, 114, 124, 138, 147, 161, 192ff., 203, 216, 225f. neutrale Frage 214 offene Frage 28, 46, 75, 81, 118, 130, 160-164, 178f., 214, 218, 223, 227 - Präferenzfrage 149 projektive Frage 150 - Pufferfrage 158, 175 - Relevanzfrage 149 - Retrospektivfrage 231 - Scheinfrage 175 - Schlüsselfrage 70ff., 207 - Schlussfrage 157 - Sondierungsfrage 157 spezifische Frage 216f. - Spezifizierungsfrage(n) 70 standardisierte → Frage, geschlossene Frage <?page no="280"?> Register 281 - Stimmungsfrage 149 - Strukturierungsfrage 70 - Testfrage 144 - Trainingsfrage 157 - Trichterfrage 156f., 178 - Überleitungsfrage 70, 157 unbalancierte Frage 162 ungerichtete Frage 61, 75 - Untersuchungsfrage 144, 169 - Verhaltensfrage 150, 154 - Wissensfrage 147f., 153, 158, 162 - Zustimmungsfrage 141, 164, 165 zweiseitige Frage 162 Fragebogen 11, 24-27, 35, 38, 42- 60f., 66, 68, 70-80, 84, 88, 94, 100-107, 113f., 119, 122, 128, 130, 142-147, 152-157, 175-200, 203, 207, 210-228, 231-242 - Fragebogenaufbau 174 - Fragebogengestaltung 47, 59, 174, 176, 178 - Fragebogenkonstruktion 52 standardisierter Fragebogen 16, 129f., 200, 235 Fromm, Erich (1900-1980) 17 G Gabelung → Frage(n) Gallup, George (1901-1984) 17 Garfinkel, Harold (*1917) 76 Gedächtnis 139, 155-158, 178, 214, 217f., 223 - Gedächtnisprotokoll 65 Gefühl → Emotion Genauigkeit 167 Geschichte → Erzählung Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung (GfK) 119, 191, 244 Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen (GESIS) bzw. GESIS - Leibniz- Institut für Sozialwissenschaften 18, 180 Gesprächsatmosphäre, Gesprächsklima 156, 195-199, 202 Gesprächsform 21 anonyme 22 asymmetrische 22 distanzierte 22 informelle 21f. künstliche 22 neutrale 22 Gesprächsführung, Gesprächstechnik 75, 156, 185, 198-203 Gesprächslogik 152, 175 Gesprächsphase 76 Gesprächssituation 21, 43, 114, 124 Gewichtung 32 Gewöhnung, Gewohnheit 14 Glaubwürdigkeit 14 Grid-Technik 173 Grounded Theory 26 Grundgesamtheit 29-34, 37, 40, 45ff., 53, 58, 123, 156, 184f., 230, 242 Grundlagenforschung → Forschung, akademische Gruppe 11, 122ff., 129 Gruppenbefragung, Gruppeninterview 66, 76, 121f., 223, 235 Gruppendiskussion 11, 18, 61, 66, 76, 109, 120-126, 141, 204, 235 Gruppensituation, Gruppendynamik 11, 61, 121-127 <?page no="281"?> Register 282 Gültigkeit → Validität Gütekriterien 24, 81f., 88, 196 H Handeln, Handlung 14, 132f., 149f., 219 Halo-Effekt 216 Häufigkeit, Häufigkeitsverteilung 24, 150, 153, 165, 168, 170 Hauptuntersuchung 12, 84, 183- 186, 203, 206f. Haushalt(smitglieder), Panelhaushalt, Privathaushalt 31ff., 40f., 44, 53, 56, 194, 245 Hausinterview → Interview Hermeneutik 20 Hilfsmittel, optische, visuelle 43, 45, 133, 151, 155, 178, 193f. Hörerforschung 18, 116 Horkheimer, Max (1895-1973) 17 Hovland, Carl Iver (1912-1961) 86 Hypothese(n) 24, 73, 76, 88f., 98ff., 143, 184 I Index 187 Indikator 122, 142, 144ff., 216, 221, 228 Inferenzproblem 23 Information(en) akkurate 22 authentische 22 gültige, valide 21f. Informationsselektion → Selektion Informationsverarbeitung 12, 211 Informationszentrum (IZ) 18 Inhaltsanalyse 16, 79, 107f., 134, 138, 203, 244 qualitative 71f., 125, 186 Institut für Demoskopie Allensbach 19, 192, 194, 210 Institut für Meinungsforschung 18 Institut für Sozialforschung 17, 120 Instruktionen 46, 137-140, 153, 158, 177f., 203, 221 Instrument 11, 24f., 59, 61, 77f., 80, 84, 88, 94, 122, 126, 143f., 183ff., 203, 206f., 209, 212, 231, 242ff. Intensität 171, 213, 227 Interaktion, soziale 59, 63, 143, 183, 198, 205, 209, 218, 224, 229ff. Intersubjektivität, intersubjektive Überprüfbarkeit 24 Interesse 80, 85, 104, 167, 232-236 Internet 53f., 58 Interpretation 67, 131-134, 137, 141, 144-147, 153, 187, 198, 201, 212, 226f., 236 Intervalldaten, Intervallskala → Skala Interview 30, 33ff., 39, 46, 50ff., 63, 70f., 75, 113, 186-207, 209ff., 220ff., 226f., 232, 235f., 239, 246 biografisches 62, 114, 119 computergestütztes 52, 78 - Experteninterview 68f. face-to-face, mündliches 29, 39, 42, 44f. fokussiertes 59, 74ff. - Hausinterview 29f. - Leitfadeninterview 61, 68-74, 110, 129, 185, 205f., 238 narratives 11, 20, 62-78, 110f., 114, 185, 201, 235, 237f. - Passanteninterview 29f., 37ff. <?page no="282"?> Register 283 persönliches, mündliches 30, 37- 43, 49-54, 59f., 77, 108, 135, 172f., 207, 229 problemzentriertes 74f. qualitatives, offenes 38, 108, 183, 198-202, 223 standardisiertes 61, 65, 68ff., 75, 183, 198, 200 telefonisches 33, 39-45, 50-60, 77, 108, 172f., 196, 206f., 229, 233, 246 - Tiefeninterview 235 unstrukturiertes 61 verstehendes 61 Interviewatmosphäre → Gesprächsatmosphäre Interviewdauer 43, 232 interviewen 194, 197f. Interviewer 12, 21, 24f., 29-79, 100, 102, 109, 113-118, 126, 135, 138, 140, 146, 152-161, 176ff., 183, 186, 190-207, 209- 214, 218-224, 229-246 - Intervieweranweisungen → Instruktionen - Interviewerausbildung 192, 231 - Interviewerauswahl, Interviewerrekrutierung 190, 192 - Interviewereffekte, Interviewereinflüsse 45, 51, 191 - Interviewerhandbuch 68, 194 - Interviewerkontrolle 42, 190, 195f., 206f. - Interviewermerkmale 191 - Interviewernetz 11, 19, 35, 38, 42, 45, 50, 190ff. - Interviewerorganisation, Interviewerverwaltung 183, 190, 197 - Interview(er)regeln 11, 21, 23, 132ff., 183, 190ff., 198-202, 243, 246 - Interviewerrekrutierung 190 - Interviewerrolle 199-203 - Interviewerschulung 35, 52, 190, 194, 197, 200 - Interviewerstab → Interviewernetz - Interviewertraining 11f., 192ff. - Interviewerverhalten 51, 63, 75, 191-198, 205f., 212, 222, 234 Interviewführung → Gesprächsführung Interviewprozess → Befragungsprozess Interviewsituation → Befragungssituation Interviewstil 12, 78, 133, 183, 198f., 232 Introspektion 137, 140 Item 80-85, 155, 168, 177, 205 J Journalismus, Journalismusforschung 13ff., 246 Journalisten 16 K Karten, Kartenspiel, Kärtchen 38, 50, 77, 132, 158, 172, 175, 178, 193, 217 Kategorien, Kategorienbildung, Kategorisierung, Klassifizierung 67f., 72f., 77, 117f., 126, 147- 154, 160, 165-171, 176, 204, 215 Kausalität 87ff., 94ff., 104, 112 Keystroke-Files 51 <?page no="283"?> Register 284 Kinder 12, 234ff. Klumpenstichprobe → Stichprobe König, René (1906-1992) 17 Kognition, kognitiv 13, 109, 132, 134, 149, 214, 227 politische, soziale 13 Kognitionspsychologie 213 Kohärenz 26 Kommunikabilität 26 Kommunikation 21, 23, 54, 211, 214, 227ff., 235 Kommunikationsforschung, Medienforschung 13, 75 akademische 17, 121 angewandte 13, 102 empirische 13 Kommunikationswissenschaft, kommunikationswissenschaftlich 17, 20, 80, 86, 96, 101, 108, 111, 114ff., 127, 134, 138, 223, 243, 246 Kompetenz 233 inhaltliche 22 kognitive 192 kommunikative 192, 200, 222, 237 narrative 62 sprachliche 22 Konfundierungseffekt 88, 94 Konsens 109, 122-134 Konsonanz, Konsistenz 26 Konsistenzeffekt 216f. Konstante 164 Konstrukt, theoretisches 25, 83ff., 143ff., 242 Konstruktivismus 62, 87, 212 Kontaktversuch 157, 206, 228-231, 242 Kontext 13, 54, 65f., 76-79, 97, 110-114, 122, 148, 151, 158f., 164, 176, 211-215, 224, 231 Kontexteffekt 216f. Kontrasteffekt 216f. Kontrollgruppe 88-94, 104ff., 221 Konversation 121f., 157, 199, 211 alltägliche 21 Konversationsanalyse 28, 71, 186 Konversationslogik, Konversationsregeln 174, 199 Konzept → Konstrukt Kooperation(sbereitschaft) 21f., 48, 78, 120, 156, 191, 193, 197, 207, 210, 225, 229-239, 246 Kooperationsverweigerung → Verweigerung Kosten 19 Kritische Theorie 17, 120, 183 Kritischer Rationalismus 17, 183 Krotz, Friedrich (*1950) 245 Kultivation(shypothese) 14 L Laborexperiment → Experiment Längsschnittuntersuchung 61, 102ff., 245 Lazarsfeld, Paul F. (1901-1976) 15f., 104-107, 140 Lebens(ver)lauf 11, 109-114 Leiter 173f., 215 Leitfaden 68-76, 110, 122, 200, 207 Lesen, Leseverhalten 136f. Leserkreis, weitester 146 Leserschaftsanalyse 19 Liste 38, 148, 156-178, 217f. <?page no="284"?> Register 285 M Manipulation (experimentelle) 87- 95 Marcuse, Herbert (1898-1979) 17 Markt- und Meinungsforschung 17f., 22, 28, 121, 142, 190, 195, 200, 226, 236, 240, 244, 246 angewandte 18f., 40, 142 private, kommerzielle 18f., 210, 244 Marx, Karl (1818-1883) 15 Massenkommunikation 13, 105 Media Analyse (MA) 13, 34, 105, 108, 119, 146, 244 Medienbiografie 114f. Medieninhalt 13, 97, 108 Mediennutzer, Medienpublikum 13, 53-58 Mediennutzung 13, 18, 115, 119f., 127, 135, 140 Mediennutzungsforschung 13 Mediennutzungsverhalten 13, 245 Medienrezeption 87-101, 108f., 114, 117ff., 137-142, 177 Medienrezeptionsforschung 110 Medienwirkung 86, 101, 146, 159, 245 Medienwirkungsforschung 13f., 86, 244 Mehrfachbefragung, Mehrfacherhebung 61, 90, 102-106, 130 Mehrfachnennung → Antworten Mehrmethodendesign 38, 60, 107f., 244 Mehrthemenbefragung → Omnibusbefragung Meinung(en) 13, 25, 46, 74, 120f., 127-131, 140, 151, 154, 159, 167f., 212-218, 221f., 226f., 233f., 246 öffentliche, veröffentlichte Meinung 14-17, 117, 121, 218, 233, 246 Meinungsführer 125 Meinungsklima 24, 148 Meinungslosigkeit (weiß-nicht- Antwort) 141, 145, 149, 153, 157, 162, 225ff. Merton, Robert K. (1910-2003) 75, 120 Messinstrument → Instrument Messung 24, 81-100, 104ff., 109, 118ff., 134f., 140f., 160, 167, 169, 211 Methode empirische 20 hermeneutische 20 kommunikative 22 nicht-empirische 20 qualitative, offene 20, 23 quantitative, standardisierte 20, 23 Methodenbericht → Feldbericht Methodenexperiment 35 Methodenforschung → Reaktivitätsforschung Methodenkombination → Mehrmethodendesign Methodologie 209-212 Mill, John Stuart (1806-1873) 86 Moderator 120-125 Motiv 74, 108, 112, 132 Motivation 13, 80, 106, 118-121, 149, 213, 226 Multimedia(lität) 51, 57f., 179ff. <?page no="285"?> Register 286 N Nachhaken 63, 70, 78, 192-196, 205 Nachfassaktion 43-47, 130 Narration → Erzählung National Opinion Research Center« (NORC) 17 Netzwerkanalyse 36 Neutralität 155 Nichterreichbarkeit 36, 228f. Nicht-Kooperation → Verweigerung Noelle-Neumann, Elisabeth (*1916) 19 Nonresponse → Verweigerung Norm 13f., 21, 149, 213, 217, 220, 235 Nutzen- und Belohnungsansatz 13, 120 Nutzer → Mediennutzer Nutzung → Mediennutzung O Objektivität 14, 24, 88 öffentliche Kommunikation → Kommunikation öffentliche Meinung → Meinung, öffentliche Office of Public Opinion Research 17 Office of Radio Research 16 Omnibusbefragung 61, 102f., 152, 157, 230 Online-Befragung → Befragung, online Operationalisierung 85, 98, 144- 147, 183, 212, 242 Oral History 111 P Pädagogik 80, 96 Panelbefragung(en) 16, 61, 103- 107, 112, 129, 135, 206, 240 Panelmortalität 129ff. Paper-and-Pencil Personal Interviewing (PAPI) 49 Planung 11, 183, 185, 203, 205 Pol 163, 168-172 Polaritätenprofil 163, 172 Population 37, 39, 48, 80-85, 95, 155, 185, 190, 228, 234 - Mittelschicht 228 - Oberschicht 228, 238 - Randgruppen 68 seltene 40 spezielle 28, 42f., 209, 234 - Subkultur 68 - Unterschicht 226ff., 238 Positivismus 15 Präferenz 14, 140, 145, 149, 167, 171, 225, 236 Präsentation, Präsentationseffekte 50, 187 Pretest 12, 78, 84, 153, 183ff., 203- 206 Primacy-Recency-Effekt 217f. Primäraufgabe, Primärtätigkeit 137-140 Proband → Versuchsperson Probleme (der Befragung) 12, 209f. ethische 238f. kognitive 209f. soziale 209 Prognose 11, 13, 19, 127-131, 148, 150 Propaganda(forschung) 120 <?page no="286"?> Register 287 Protokoll, Protokollbogen 117f. Prozess → Forschungsprozess Prozessdaten 135 Proxy-Befragung 22, 150 Pseudo-Meinung, Pseudo-Opinions 25, 225, 227 Psychodiagnostik 159 Psychologie 80, 86, 110, 243 Psychotherapie 200f. Publizistik- und Kommunikationswissenschaft → Kommunikationswissenschaft Q Qualität 12, 19, 59, 212, 238-246 - Antworten 59, 198f. - Daten 51 - Ergebnisse 37, 42, 212 - Feldarbeit 190 - Interview 39, 192 - Stichprobe 33 Qualitätskontrolle 51, 84 Qualitätskriterien 12, 209, 238-242 Quantifizierung 73, 79 Quasi-Experiment 97, 122, 142 Querschnitterhebung, Querschnittuntersuchung 61, 102ff. Quote, Quotenstichprobe → Stichprobe R Radio und Verkehrs-AG (RAVAG) 16 Random-(Last-) Digit-Dialing 42, 51 Random Route, Random Walk 32, 37, 39, 46 Ratingskala → Skala Readerscan 136 Reaktivität 101, 209f. Reaktivitätsforschung 12, 209-212, 242 Real Time Response Measure (RTR) 140 Recall 162 Reihenfolgeeffekte 50, 158, 178, 181, 210, 216, 218 Reiz → Stimulus Relevanz(einschätzung) 167, 171, 213, 227, 230, 237 Reliabilität, reliabel 24, 82-87, 118f., 138, 142, 167, 180, 206 Repräsentativität → Stichprobe, repräsentative Reproduzierbarkeit 24 Response-Set → Antwortstil(e) Rezeption → Medienrezeption Rezeptionsforschung → Medienrezeptionsforschung Rezipientenbefragung 16 Richtigkeit 148, 149, 170 Rollenselbstverständnis 13, 14 Rollenspiel 159 Rücklaufquote → Ausschöpfungsquote S Sampling Points 31 Schachter, Stanley (1922-1997) 83 Scheuch, Erwin K. (1928-2003) 17 Schneeballverfahren → Stichprobe Screening 43 Sekundäranalyse 18 Selbstdarstellung, Selbstpräsentation → Eindrucksmanipulation Selektion 13 Server-Log-Protokoll 50 <?page no="287"?> Register 288 Situation (soziale) → Befragungssituation Skala 11, 25, 140, 145, 157, 163- 174, 210, 215, 220, 225f., 243 asymmetrische 169 bipolare 168-173 grafische 169-173 - Intervalldaten, Intervallskala 165-169 - Nominalskala 164-167 numerische 169-173 optische Skalen → Hilfsmittel - Ordinaldaten, Ordinalskala 165, 167, 169 polytome 165-168 - Rangeinteilung, Ranking 171, 180 - Ratingskala 167-169, 177, 180, 211, 213, 223, 225 - Skalenstufen 167-174 - Stapel-Skala 173f., 215 symmetrische 169, 171 - Temperaturskala 174 - Thermometer 174 unipolare 168-171 verbale 169, 172 Skalenniveau → Datenniveau soziale Erwünschtheit → Erwünschtheit, soziale Sozialforschung, Sozialwissenschaft, Soziologie 14f., 210, 227ff., 233, 243 akademische 18 angewandte 22 empirisch(-analytisch)e 15, 17 qualitative 88 Sozialtechnik 21 soziodemografische Merkmale 16 Sprache gesprochene, mündliche 154 - Schriftsprache 154 Sprachlogik 154 Sprachstil 154 Standardisierung(sgrad) 22 Stanton, Frank N. (1908-2006) 140 Starch, Daniel (1883-1979) 135 Statement → Aussage Stichprobe(nverfahren) 30-47, 51- 61, 67f., 73, 76, 79, 82-89, 95, 99, 104-107, 118f., 123, 128f., 139ff., 156, 164, 185, 204, 228, 231, 237, 240ff., 245 - Ausgangsstichprobe 224 bereinigte 34, 41, 43 bewusste 26, 204 - Bruttostichprobe 33, 123 einfache Zufallsauswahl 44 - Flächenstichprobe 31, 37, 41 geschichtete 41 - Klumpenstichprobe 36 mehrstufige 36, 40 - Nettostichprobe 34, 242 - Quotenstichprobe 31-36, 77, 89, 129, 185 repräsentative 30f, 34-40, 42, 44, 47, 54, 56, 58, 79, 85, 89, 95, 99, 104, 112, 136, 154, 190, 192, 228, 234, 238, 242, 246 - Schattenstichprobe 224 - Schneeballverfahren 36, 40, 44, 129, 240 - Selbstselektion 46, 55 systematische Zufallsauswahl 32 - Teilstichprobe 210, 217 - Zeitintervallstichprobe 36 - Zufallsauswahl, Zufallsverfahren 24, 32-36, 40ff., 46, 56ff., 77, 89, 119, 129, 139, 204 <?page no="288"?> Register 289 Stichprobenansatz, Stichprobendesign, Stichprobenkonzeption, Stichprobenplanung 19, 26, 37, 39, 187, 194 Stichprobenbereinigung → Stichprobe, bereinigte Stichprobenfehler 228 Stichprobengröße 45, 131 Stichprobenpraxis, Stichprobenverfahren 29, 36, 40, 119 Stichprobenrealisation → Ausschöpfung(squote) Stichprobentheorie 14 Stichprobenziehung 11, 17, 24, 30- 40, 50, 59, 139, 187, 241f. Stichtagserhebung 47 Stimmung 167, 172 Stimulus(material) 61, 75f., 80, 87- 101, 141ff., 153 Stimulus-Response-Modell 143, 211 Störeffekte, Störfaktoren 87f., 94- 97, 101, 104 straw polls 17 Stufen 163-165, 168, 169 Struktur-Lege-Technik 109, 131- 134 Symbolischer Interaktionismus 62 Sympathie 145, 172f. T Tagebuch(protokoll) 109, 116-119, 136 Tagebuchbefragung → Befragung Tagesablauf, Tagesverlauf 11, 13, 109, 116 Tailored Design Method, Total Design Method (TDM) 48 Tätigkeit 116-120, 137-140 Täuschung 195f., 219ff., 239f. Teilnahme(bereitschaft) → Kooperation(sbereitschaft) Teilnahmeverweigerung → Verweigerer, Verweigerung Teilstichprobe → Stichprobe Teilstandardisierung → Befragung, teilstandardisierte Telefoninterview → Interview, telefonisches Test 11, 61, 80-85, 98, 145, 243 - Intelligenztest 80 - Leistungstest 80 - Persönlichkeitstest 80 - Satzergänzungstest 160 - Testaufgabe → Aufgabe - Testtheorie 81-84, 211 - Testwert 8f. - Wissenstest 148 Testperson → Versuchsperson Testsituation → Befragungssituation Textverständnis, Textverstehen → Verstehen The People’s Choice 16, 104 Thema, bedrohliches, heikles, sensibles 39, 197, 204, 222f., 240 Theorie 20, 87, 144, 184 subjektive Theorie 132, 134 Theorie der Schweigespirale 14 Therapie 200f. Thomas, William Isaac (1863-1947) 110 Touchtone Data Entry (TDE) 50 Training → Interviewertraining Transkript(ion) 67, 71f., 79, 125, 130, 186 Transparenz 26, 233, 243 Treatment 87-94, 99f. <?page no="289"?> Register 290 Trend 127, 243ff. Trendbefragung 61, 103-107, 135, 206 Triangulation 108 Trichter → Fragen Two-Step-Flow of Communication → Zwei-Stufen-Fluss-Hypothese U Umfrageforschung 15, 17f., 121, 143, 197, 218, 230, 233, 240f., 246 Untersuchungsanlage, Untersuchungsdesign → Design Untersuchungsprozess → Forschungsprozess Ursache(n) 87-93, 206, 228 V Validität, validieren 21, 24f., 76, 83f., 87, 94-97, 112, 118, 122, 132, 198f., 205, 212, 219-222, 226ff., 236f. Variable 24, 89, 144f., 164-167 abhängige 87, 89, 94, 97f., 105 dichotome 165-168 intervallskalierte 165 kategoriale 165 nominalskalierte 165f. ordinalskalierte 165 polytome 161-163 unabhängige 65, 87-92, 98f., 105, 123 Varianten 11, 243 Variation 26 Verallgemeinerung 159 Verbalisierung 132, 137-140 Verfahren 11, 29, 76, 87, 104, 107f., 183ff, 190, 206f. computergestützte 11, 29, 186, 244 qualitative, offene 12, 16, 25f., 186, 205, 243 quantitative, standardisierte, statistische 10, 16, 24f., 93, 105, 112, 186, 231 persönliche, mündliche 11, 29 schriftliche 11, 29 telefonische, fernmündliche 11, 29 Vergleich(barkeit) 24, 145, 149, 171, 173 Verhalten(sweisen) 13f., 22f., 80, 105, 108, 118, 120-124, 148-159, 164, 167-170, 191-194, 198, 211- 224, 231, 241 Verständlichkeit 155 Verständnis 25, 197, 204f., 236 Verstehen 25, 28, 134 Versuchsanordnung 90ff., 98-101 Versuchsgruppe 88-100 Versuchsleiter 92-101 Versuchsperson, Versuchsteilnehmer 22, 81-85, 88-104, 221, 239 Versuchssituation → Befragungssituation Vertraulichkeit 194, 233, 240 Verweigerer, Verweigerung 36, 52, 168, 193, 228-234, 237f., 241, 245 - Teilverweigerung 228 - Totalverweigerung 228ff. Verwertungszusammenhang 183 Verzerrung → Antwortverzerrung Voice Recognition Entry (VRE) 53 Volkszählung 21 Vorgehensweise, deduktive, induktive 26 <?page no="290"?> Register 291 W Wahlforschung, Wahlumfragen 19, 104f., 185, 243 Wahlverhalten 14 Wahrnehmung 110ff., 134, 139ff. subjektive 112, 148 Weber, Max (1864-1920) 15 Website 55f. Welle(n) → Befragungswelle(n) Wertmaßstab 150 Wichtigkeit → Relevanz Wiese, Leopold von (1876-1969) 17 Wirkung 87, 90, 93, 99, 101, 158, 175, 210, 215ff., 224, 228, 233 Wirkungsforschung → Medienwirkungsforschung Wissen, Wissensunterschiede 13, 25, 46, 62, 68, 84-88, 97, 106, 147f., 153-159, 162, 212, 214 Wissenschaftstheorie, wissenschaftstheoretisch 10, 14, 62, 87, 183, 212 Wissenskluft-Hypothese 13 Wundt, Wilhelm (1832-1920) 86 Z Zeitungsenquête 16 Zeitungswissenschaft 19 Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung (ZA) 17f., 210 Zentralausschuss der Werbewirtschaft (ZAW) 241 Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) 17f., 143, 210 Zielhaushalt → Haushalt Zielperson 22, 24, 31-46, 63, 77, 191-196, 228-234, 242, 245 Znaniecki, Florian (1882-1958) 110 Zufallsauswahl → Stichprobe Zufriedenheit 157, 171 Zustimmungstendenz → Akquieszenz Zuverlässigkeit → Reliabilität Zuwendung 14 Zwei-Stufen-Fluss-Hypothese 14, 16 <?page no="291"?> Klaus Beck Kommunikationswissenschaft 2007, 244 Seiten, broschiert UTB 2964 ISBN 978-3-8252-2964-1 Andrea Beyer, Petra Carl Einführung in die Medienökonomie 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2008, 260 Seiten, broschiert UTB 2574 ISBN 978-3-8252-2574-2 Heinz Bonfadelli Medieninhaltsforschung Grundlagen, Methoden, Anwendungen 2002, 212 Seiten, broschiert UTB 2354 ISBN 978-3-8252-2354-0 Heinz Bonfadelli Medienwirkungsforschung I Grundlagen und theoretische Perspektiven 2004, 300 Seiten, broschiert UTB 2502 ISBN 978-3-8252-2502-5 Heinz Bonfadelli Medienwirkungsforschung II Anwendungen in Politik, Wirtschaft und Kultur 2004, 328 Seiten, broschiert UTB 2615 ISBN 978-3-8252-2615-2 Nils Borstnar, Eckhard Pabst, Hans Jürgen Wulff Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft 2., überarbeitete Auflage 2008 250 Seiten, broschiert UTB 2362 ISBN 978-3-8252-2362-5 Anja Ebersbach, Markus Glaser, Richard Heigl Social Web 2008, 278 Seiten, broschiert UTB 3065 ISBN 978-3-8252-3065-4 Gerlinde Frey-Vor, Gabriele Siegert, Hans-Jörg Stiehler Mediaforschung 2008, 412 Seiten, broschiert UTB 2882 ISBN 978-3-8252-2882-8 Werner Früh Inhaltsanalyse Theorie und Praxis 6., überarbeite Auflage 2007, 310 Seiten, broschiert UTB 2501 ISBN 978-3-8252-2501-8 Weiterlesen bei UTB Klicken + Blättern Leseprobe und Inhaltsverzeichnis unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.uvk.de <?page no="292"?> Andreas Hepp Transkulturelle Kommunikation 2006, 342 Seiten, broschiert UTB 2746 ISBN 978-3-8252-2746-3 Bernd Klammer Empirische Sozialforschung Eine Einführung für Kommunikationswissenschaftler und Journalisten 2005, 346 Seiten, broschiert UTB 2642 ISBN 978-3-8252-2642-8 Helmut Küchenhoff et al. Statistik für Kommunikationswissenschaftler 2., überarbeitete Auflage 2006, 384 Seiten, broschiert UTB 2832 ISBN 978-3-8252-2832-3 Jan Lies (Hg.) Public Relations Ein Handbuch 2008, 634 Seiten 200 s/ w Abb., gebunden ISBN 978-3-8252-8408-4 Oliver Marchart Cultural Studies 2008, ca. 300 Seiten, broschiert UTB 2883 ISBN 978-3-8252-2883-5 Klaus Meier Journalistik 2007, 276 Seiten, broschiert UTB 2958 ISBN 978-3-8252-2958-0 Michael Meyen Mediennutzung Mediaforschung, Medienfunktionen, Nutzungsmuster 2004, 302 Seiten, broschiert UTB 2621 ISBN 978-3-8252-2621-3 Lothar Mikos Film- und Fernsehanalyse 2., überarbeitete Auflage 2008 396 Seiten, broschiert UTB 2415 ISBN 978-3-8252-2415-8 Weiterlesen bei UTB Klicken + Blättern Leseprobe und Inhaltsverzeichnis unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.uvk.de <?page no="293"?> Lothar Mikos, Claudia Wegener (Hg.) Qualitative Medienforschung Ein Handbuch 2005, 616 Seiten, gebunden im Großformat UTB 8314 ISBN 978-3-8252-8314-8 Sabina Misoch Online-Kommunikation 2006, 220 Seiten, broschiert UTB 2835 ISBN 978-3-8252-2835-4 Marion G. Müller Grundlagen der visuellen Kommunikation Theorieansätze und Analysemethoden 2003, 304 Seiten, broschiert UTB 2414 ISBN 978-3-8252-2414-1 Irene Neverla, Elke Grittmann, Monika Pater (Hg.) Grundlagentexte zur Journalistik 2002, 776 Seiten, broschiert UTB 2356 ISBN 978-3-8252-2356-4 Daniel Perrin Medienlinguistik Inklusive CD-ROM 2006, 240 Seiten, broschiert UTB 2503 ISBN 978-3-8252-2503-2 Stephan Porombka Kritiken schreiben Ein Trainingsbuch 2006, 270 Seiten, broschiert UTB 2776 ISBN 978-3-8252-2776-0 Manuel Puppis Einführung in die Medienpolitik 2007, 366 Seiten, broschiert UTB 2881 ISBN 978-3-8252-2881-1 Heinz Pürer, Johannes Raabe Presse in Deutschland 3., völlig überarbeitete u. erweiterte Auflage 2007 656 Seiten, gebunden im Großformat UTB 8334 ISBN 978-3-8252-8334-6 Weiterlesen bei UTB Klicken + Blättern Leseprobe und Inhaltsverzeichnis unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.uvk.de <?page no="294"?> Heinz Pürer Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Ein Handbuch 2003, 598 Seiten gebunden im Großformat UTB 8249 ISBN 978-3-8252-8249-3 Patrick Rössler Inhaltsanalyse 2005, 300 Seiten, broschiert UTB 2671 ISBN 978-3-8252-2671-8 Bertram Scheufele, Ines Engelmann Empirische Kommunikationsforschung 2009, 254 Seiten 60 s/ w Abb., broschiert UTB 3211 ISBN 978-3-8252-3211-5 Rainer Schützeichel Soziologische Kommunikationstheorien 2004, 384 Seiten, broschiert UTB 2623 ISBN 978-3-8252-2623-7 Rudolf Stöber Deutsche Pressegeschichte Von den Anfängen bis zur Gegenwart 2., überarbeitete Auflage 2005, 396 Seiten, broschiert UTB 2716 ISBN 978-3-8252-2716-6 Barbara Thomaß (Hg.) Mediensysteme im internationalen Vergleich 2007, 370 Seiten, broschiert UTB 2831 ISBN 978-3-8252-2831-6 Stefan Weber (Hg.) Theorien der Medien Von der Kulturkritik bis zum Konstruktivismus 2003, 360 Seiten, broschiert UTB 2424 ISBN 978-3-8252-2424-0 Guido Zurstiege Werbeforschung 2007, 234 Seiten, broschiert UTB 2909 ISBN 978-3-8252-2909-2 Weiterlesen bei UTB Klicken + Blättern Leseprobe und Inhaltsverzeichnis unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.uvk.de <?page no="295"?>