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Theorien der Medien

Von der Kulturkritik bis zum Konstruktivismus

0408
2010
978-3-8385-2424-5
UTB 
Stefan Weber

Dieses Lehrbuch führt vergleichend in das breite Feld medienwissenschaftlicher Theorien ein. Die Theorie-Importe in das Fach reichen mittlerweile von den »klassischen« Basistheorien wie Kulturkritik, Psychoanalyse und Semiotik bis zu Konstruktivismus, Systemtheorie und Cultural Studies. Im Gegensatz zu anderen Lehrbüchern ist »Theorien der Medien« nicht aus einer bestimmten Theorietradition heraus verfasst. Das Buch lässt vielmehr in didaktisch abgestimmten und verständlich geschriebenen Originalbeiträgen medienwissenschaftliche Experten eines jeweiligen Theoriebereichs selbst zu Wort kommen.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Köln · Weimar · Wien Verlag Barbara Budrich · Opladen · Farmington Hills facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag · Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung · Bad Heilbrunn Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft · Stuttgart Mohr Siebeck · Tübingen Orell Füssli Verlag · Zürich Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich UTB XXXX UTB (M) Impressum1_09.indd 1 20.11.2008 11: 01: 47 Uhr UTB 2424 <?page no="2"?> Stefan Weber (Hrsg.) Theorien der Medien Von der Kulturkritik bis zum Konstruktivismus 2., überarbeitete Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH <?page no="3"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 3-8252-2424-0 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 1. Auflage: 2003 2. Auflage: 2010 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandillustration: Stefan Weber, Dresden/ Salzburg Satz: Klose Textmanagement, Berlin Druck: fgb . freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 . D-78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 . Fax: 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="4"?> 5 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Zum Gebrauch des Lehrbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1 Einführung: (Basis-)Theorien für die Medienwissenschaft . . . . . . . . 15 Stefan Weber 2 Überblick: Theorienspektrum Medienwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.1 Techniktheorien der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Frank Hartmann Theorien zu medialer Technik und Medienumbrüchen, zur Mensch- Maschine-Beziehung und zu medialen Apparaturen (Kapp, McLuhan, Leroi-Gourhan), zum Medienmaterialismus (Kittler), zu Maschinendenken und Menschmaschinen 2.2 Ökonomische Theorien der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Natascha Just / Michael Latzer Klassische Politische, Neoklassische und Neue Politische Ökonomie; Public- und Special-Interest-Theorien; betriebswirtschaftliche Ansätze; Grundbegriffe und medienökonomische Anwendungsfelder 2.3 Kritische Medientheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Christian Schicha Kritik der Kulturindustrie (Adorno/ Horkheimer) und der Bewusstseinsindustrie (Enzensberger); Theorie kommunikativen Handelns (Habermas); Dialektik der Kommunikationsgesellschaft (Münch); Medienkapitalismus- Kritik (Prokop) <?page no="5"?> 6 Inhalt 2.4 Zeichentheorien der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Gloria Withalm Anwendungen von Semiologie (Saussure) und Semiotik (Peirce, Morris) auf Kommunikation und Kultur (Jakobson, Rossi-Landi) 2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Bettina Pirker Angloamerikanische Cultural Studies (Williams, Hall, Fiske, Hartley) und ihr Einfluss auf die deutschsprachige Medienwissenschaft 2.6 Konstruktivistische Medientheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Stefan Weber Anwendungen des (Radikalen) Konstruktivismus (Watzlawick, Bateson, Foerster, Maturana, Glasersfeld) auf Medienkommunikation (Schmidt u. a.) 2.7 Systemtheorien der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Stefan Weber Anwendungen der Systemtheorie (Luhmann) auf die Modellierung von Massenmedien und Publizistik (Marcinkowski u. a.) 2.8 Feministische Medientheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Sibylle Moser Überblick über Gender Studies - Geschlecht als Konstruktion (Butler, Pasero u. a.); Beobachtungen der Geschlechterdifferenz in Mediensystemen; Cyberfeminismus (Haraway, Plant) 2.9 Psychoanalytische Medientheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Lutz Ellrich Anwendungen der Psychoanalyse (von Freud zu Lacan) auf Medienkommunikation (Žižek, Metz); Diskussion psychoanalysekritischer Ansätze (Kittler, Deleuze/ Guattari) 2.10 Poststrukturalistische Medientheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Claus Pias Überblick über den französischen Poststrukturalismus und die französische Postmoderne (Foucault, Lyotard, Derrida, Baudrillard, Virilio) <?page no="6"?> 7 Inhalt 2.11 Medienphilosophische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Frank Hartmann Philosophische Spurensicherung zum Mediendiskurs (Platon, Kant, Hegel), zur neuen Medienwirklichkeit (Benjamin), zur symbolischen Form (Cassirer), zu Phänomenologie bis Kommunikologie (Husserl, Anders, Flusser), zum medialen Dispositiv (Innis, McLuhan, Derrida) und zur Netztheorie (Deleuze, Serres) 3 Komparatistik: Theorien-Raum der Medienwissenschaft . . . . . . . . 295 Stefan Weber Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Personenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Sachindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 <?page no="8"?> 9 Vorwort »Theorien der Medien« präsentiert sich in überarbeiteter, aktualisierter und auch übersichtlicherer Form. Die Erstauflage des vorliegenden Überblicksbandes über Basistheorien in der Medienwissenschaft erschien 2003. Es ist erfreulich, dass das Buch in der Lehre breiten Einsatz gefunden hat und fast ausnahmslos positive Rückmeldungen von Dozenten zu hören waren. Der Herausgeber war durchaus überrascht, zu erfahren, dass sogar Lehrveranstaltungen im nicht-deutschsprachigen Ausland nach dem Schema von »Theorien der Medien« strukturiert werden und sich namhafte Medientheoretiker mittlerweile eine Übersetzung ins Englische wünschen. Rezensionen in Fachorganen wie »Publizistik«, »Medien & Kommunikationswissenschaft«, »Zeitschrift für Kommunikationsökologie«, »Germanistik« oder literaturkritik.de lobten das breite Spektrum, das der Band abdeckt. Was hat sich seit 2003 in der Einführungsliteratur getan? In den vergangenen Jahren erschienen zum Teil bemerkenswerte Einführungen in die Medienphilosophie (vgl. etwa Lagaay/ Lauer 2004, Mersch 2006 und Margreiter 2007) - eine basistheoretische Denkrichtung, die in »Theorien der Medien« erstmals kanonisiert dargestellt wurde (  2.11 Medienphilosophische Theorien). Zudem wurden auch Versuche unternommen, das Feld der Basistheorien der Medienwissenschaft mit Unterhaltungsfaktor zu popularisieren (vgl. Heinevetter/ Sanchez 2008). »Theorien der Medien« hat, wie es so schön im Marketing-Deutsch heißt, sein Alleinstellungsmerkmal indes behaupten können. Was hat sich seit 2003 in der Praxis getan? Die Medienlandschaft hat sich seit Erscheinen der Erstauflage markant verändert: Das Internet und insbesondere das Web 2.0 haben seit ca. 2004 dafür gesorgt, dass vor allem die klassischen Printmedien Buch und Tageszeitung zum Teil arg in Bedrängnis geraten sind. Die neuen Schlagworte und Trends sind die »Googleisierung von Allem« 1 , die »Weisheit der Vielen« in Online-Enzyklopädien wie der Wikipedia, »User-Generated Content« im Web 2.0 und die ubiquitäre mobile Verfügbarkeit von immer kleiner werdenden medialen Kommunikationsgeräten (Smartphone, Blackberry u. a.). Die revolutionären Entwicklungen der vergangenen Jahre - sowohl medientechnologisch als auch wissenskulturell verstanden - haben freilich (noch) keine neue Basistheorie für die Medienwissenschaft hervorgebracht. Wiewohl sich Termini wie »Netzwerk« oder »Konnektivität« (vgl. Hepp 2006) als mögliche Leitbegriffe für eine neue Theorie abzeichneten, ist ein (interdisziplinärer) Theorienstrang wie Psycho- 1 Siehe etwa das Projekt www.googlizationofeverything.com. <?page no="9"?> 10 Vorwort analyse oder Konstruktivismus mit seiner historischen Verwurzelung und Bandbreite der Anwendungsmöglichkeiten hier noch nicht in Sicht. (Es wäre auch zu fragen, ob dies überhaupt möglich ist: inwieweit sich die hier vorgestellten Basistheorien auf Grund von technologischen Umwälzungen oder medialen Innovationen ausdifferenziert haben.) Was hat sich seit 2003 in der Theorie getan? Einige Theorien, die in diesem Band behandelt werden, scheinen nach 2003 in die Krise geraten zu sein: Poststrukturalismus und Semiotik etwa, die primär um die Selbstreferenz der Zeichen kreisen, wurden von Denkbewegungen zum Teil scharf kritisiert, die eher eine Rückkehr des Realen oder gar eine Zeit »nach den Zeichen« diagnostizieren 2 . Die autopoietische Systemtheorie Niklas Luhmanns erscheint durch den anhaltenden weltweiten Makro-Trend der Ökonomisierung (nicht nur der Massenmedien, sondern auch des Kunst- und zuletzt vor allem des Bildungssystems) nicht mehr als oberste Deutungsmacht, wenn es um eine differenzierte soziologische Analyse der Gegenwart geht. Der (Radikale) Konstruktivismus wurde von einigen seiner Vertreter selbst entradikalisiert und zum Teil mit dem Realismus ausgesöhnt. Mittlerweile zeichnen sich additiv zu oder auch anstelle von Systemtheorie und Konstruktivismus eher sozialintegrative Ansätze ab, wie sie etwa in Fortschreibung und Anwendung der Theorien von Pierre Bourdieu (für die Journalistik siehe herausragend Weish 2003 und Raabe 2005) und von Bruno Latour (vgl. etwa Thielmann/ Schüttpelz/ Gendolla 2009) in den vergangenen Jahren auch in die Medienwissenschaft eingeführt und bis zu einem gewissen Grad populär wurden. Wie schon bei möglichen basistheoretischen Folgen des Web (vor allem des Web 2.0 und des semantischen Web der Zukunft) bleibt jedoch auch hier die Frage offen, ob sich aus diesen Theoriebestrebungen eine neue tragfähige Basistheorie für die Medienwissenschaft entwickeln wird - jenseits von Luhmann oder Habermas, also von System/ Umwelt oder System/ Lebenswelt, sich eventuell neu formierend um den Dualismus Akteur/ Netz(werk), der - Latour folgend - nicht-dualistisch zu verstehen wäre. Um als Basistheorie bezeichnet werden zu können, müsste sie auf alle Fälle interdisziplinär anwendbar sein und auch von der scientific community breit angewendet werden. Was bedeutet dies für die hier präsentierte Sammlung von Basistheorien? Es wurde entschieden, an der grundlegenden Systematik und am Aufbau des Lehrbuchs sechs Jahre nach Erscheinen der Erstauflage noch nichts zu verändern. Es wurden die bisherigen Beiträge aktualisiert und mit Verweise auf mittlerweile erschienene 2 So etwa der Titel einer dem aktuellen Zeitgeist entsprechenden kulturwissenschaftlichen Tagung aus dem Jahr 2007: »Nach den Zeichen - Die Wiederkehr der Wirklichkeit und die Krise des Poststrukturalismus«, siehe userpage.fu-berlin.de/ ~jgs/ index.html. <?page no="10"?> 11 Vorwort Literatur ergänzt, einige enthalten auch neue Abschnitte zum Web (2.0). Ein Beitrag (Cultural Studies) wurde komplett neu verfasst. Dieses Lehrbuch ist das Ergebnis unterschiedlicher ›Kräfte‹, die ein Projekt dieser Größenordnung erst ermöglicht haben: Zunächst wurde dem Herausgeber die Forschungsarbeit an medienwissenschaftlicher Theorie-Komparatistik durch ein APART-Stipendium (Austrian Programme For Advanced Research And Technology) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ermöglicht. Den Autorinnen und Autoren dankt der Herausgeber für ihr großes Engagement in der Sache und ihre Bereitschaft zum mehrmonatigen Arbeitsprozess. Schließlich wäre das Buch ohne das große Interesse und die sachkundige Unterstützung der UVK Verlagsgesellschaft nicht zustande gekommen. Ihnen allen - der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, den neun Mitautorinnen und Mitautoren sowie dem Verlagshaus UVK - gebührt mein großer Dank. Ein Dankeschön geht auch an die alten und neuen Autoren der vorliegenden Zweitauflage sowie an UVK-Lektor Rüdiger Steiner, der sich für die vorliegende Aktualisierung stark gemacht hat. Salzburg und Dresden, im Februar 2010 Stefan Weber Literatur Heinevetter, Nele/ Sanchez, Nadine (2008): Was mit Medien … Theorie in 15 Sachgeschichten. München: Fink bei UTB. Hepp, Andreas u. a. (Hg.) (2006): Konnektivität, Netzwerk und Fluss. Konzepte gegenwärtiger Medien-, Kommunikations- und Kulturtheorie. Wiesbaden: VS. Lagaay, Alice/ Lauer, David (Hg.) (2004): Medientheorien. Eine philosophische Einführung. Frankfurt am Main: Campus. Margreiter, Reinhard (2007): Medienphilosophie. Eine Einführung. Berlin: Parerga. Mersch, Dieter (2006): Medientheorien zur Einführung. Hamburg: Junius. Raabe, Johannes (2005): Die Beobachtung journalistischer Akteure. Optionen einer empirisch-kritischen Journalismusforschung. Wiesbaden: VS. Thielmann, Tristan/ Schüttpelz, Erhard/ Gendolla, Peter (Hg.) (2010): Akteur-Medien- Theorie. Bielefeld: Transcript (im Erscheinen). Weish, Ulrike (2003): Konkurrenz in Kommunikationsberufen. Kooperationsstrukturen und Wettbewerbsmuster im österreichischen Journalismus. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. <?page no="11"?> 12 Zum Gebrauch des Lehrbuchs Das vorliegende Lehr- und Studienbuch versteht sich als grundlegender Überblick über Theorien, die in der Medienwissenschaft Anwendung finden. Das Spektrum reicht dabei von der Kulturkritik bis zum (Radikalen) Konstruktivismus, vom Poststrukturalismus bis zur Systemtheorie. Es wird der Versuch unternommen, ein Lehrbuch nicht aus der Perspektive einer gewissen Theorie-Tradition heraus zu schreiben, sondern gerade die Vielfalt der theoretischen Stränge und Diskurse ›im großen Bogen‹ zum Thema zu machen. Das Kompendium eignet sich somit als Überblick in der Lehre sowohl für die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie die Medienwissenschaft als auch für die (mit medienkulturellen Fragen befasste) Literaturwissenschaft und die (Medien-)Philosophie. Es richtet sich an Studierende wie an Lehrende der genannten Fachbereiche. Der erste Abschnitt des Bandes führt grundlegend in das Wesen und den Wert der Theoriebildung für den Fachbereich ein. Dabei werden die hier vertretenen Basistheorien für die Medienwissenschaft sowohl von (übergeordneten) Paradigmen als auch von (untergeordneten) Theorien mittlerer Reichweite abgegrenzt. Im zweiten Abschnitt fassen zehn Medien- und Kulturwissenschaftler/ innen (inklusive des Herausgebers) insgesamt elf einzelne Theorie-Stränge zusammen - von Technik-Theorien der Medien bis zu medienphilosophischen Theorien. Dabei folgen die elf Einzel-Beiträge zum Zwecke der Übersichtlichkeit weitgehend einer einheitlichen Struktur: 1) kurze Geschichte der jeweiligen Theorie-Tradition(en) 2) Grundbegriffe, Konzepte und Modelle der jeweiligen Theorie(n) 3) theoretische und empirische Anwendungen in der Medienwissenschaft 4) Kritik und Weiterentwicklung der Theorie(n) Der dritte Abschnitt widmet sich einer vergleichenden Würdigung der behandelten (Basis-)Theorien der Medienwissenschaft. Ziel des Buches ist es, in die Breite theoretischen Denkens im medienkulturwissenschaftlichen Bereich einzuführen. Der Band ist als Einführung in den Fachbereich konzipiert, unterfordert jedoch den Leser bzw. die Leserin an keiner Stelle. Freude an intellektueller Arbeit soll ebenso vermittelt werden wie die Lust am differenzierenden, analytischen Denken. Nach bewährter Lehrbuch-Manier finden sich am Schluss jedes Abschnitts bzw. Kapitels Übungsfragen. Diese sind jeweils mit steigendem Schwierigkeits- und Komplexitätsgrad angeordnet: Die erstgenannte Frage etwa setzt nur die präzise Lektüre des vorangegangenen Textes voraus, während die letzte Frage jeweils ein vertieftes Kontext-Wissen verlangt und sich an Fortgeschrittene (Studierende im zweiten Studienabschnitt, Master, Promotion sowie Lehrende selbst) richtet. Ein umfassendes Personen- und Sachregis- <?page no="12"?> 13 Zum Gebrauch des Lehrbuchs ter erleichtert die Nutzung des Bandes als Nachschlagewerk, wenn es etwa darum geht, schnell herauszufinden, was ein theoretisches Konzept genau bedeutet oder welcher Tradition ein Theoretiker zuzuordnen ist. <?page no="14"?> 15 1 Einführung: (Basis-)Theorien für die Medienwissenschaft Stefan Weber »Wie viele Wissenschaften gibt es? Nur jene, die an Universitäten gelehrt werden, oder sind auch jene Denkmodelle Wissenschaft, die diesen Status zwar beanspruchen, aber nicht an Universitäten studiert werden können? Wie viele Theorien werden über jeden Forschungsgegenstand vertreten, nicht nur nacheinander, sondern auch nebeneinander? Schon in den wissenschaftlichen Journalen sind es viele, aber wenn wir jene hinzurechnen, die dort nicht publiziert werden, sind es noch um viele mehr. […] In diesem Dschungel, in diesem Dickicht von Meinungen, Thesen, Theorien, Auffassungen und Paradigmen, die einander widersprechen oder (meist) ignorieren: Wie können wir uns da orientieren? « (Mitterer 2001, 77 f.) Das vorliegende Lehrbuch versucht, für den Fachbereich Medienwissenschaften im Allgemeinen und für den Themenbereich Medientheorien im Besonderen eine derartige Orientierungshilfe anzubieten. Das Zitat des österreichischen Philosophen Josef Mitterer bringt zwar das Problem einer scheinbar unüberschaubar gewordenen Vielfalt an Paradigmen und Theorien im gesamten wissenschaftlichen Bereich - also sowohl in den Naturwissenschaften als auch in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften - auf den Punkt, vertritt aber in vielerlei Hinsicht einen (latenten) Pessimismus, der hier nicht weiter verfolgt wird. Zum einen soll gleich vorab betont werden, dass das »Dickicht von Meinungen, Thesen, Theorien, Auffassungen und Paradigmen« hier nicht als Orientierungshemmnis, als Problem angesehen wird, sondern vielmehr als eine logische Folge einer hochausdifferenzierten westlichen Wissenschaft, die spätestens im 20. Jahrhundert große einheitsstiftende Konzepte wie etwa ›die‹ Wahrheit der ›einen‹ Theorie aufgegeben hat. Mit anderen Worten: Der viel beschworene Theorien-Pluralismus in den Wissenschaften wird hier nicht als Nachteil gesehen (denn dieser Sichtweise würde implizit entweder eine generelle Wissenschaftsfeindlichkeit oder aber erst recht <?page no="15"?> 16 Stefan Weber wieder ein Streben nach der ›einen‹, ›wahren‹ und umfassenden Theorie1 zugrunde liegen), sondern als produktiver Vorteil des Wissenschaftssystems. Wie dieser Vorteil genau aussieht, ist Gegenstand dieses Buches. Zum anderen scheint Mitterer in seinem Textbeispiel das alte Problem der Grenzziehung von Wissenschaft zu Nicht-Wissenschaft (zu Pseudo-Wissenschaft, Esoterik, Magie, Scharlatanerie usw.) anzusprechen. Der vorliegende Sammelband hat zumindest kein Problem mit ›Ausfransungen‹ des Wissenschaftssystems an seinen Rändern bzw. mit - meist diffusen - Vorwürfen der ›Esoterik‹ oder des nichtwissenschaftlichen Status einer bestimmten Theorie (diese wären Gegenstand eines Debatten-Bandes). Der Theorien-Pluralismus soll hier grundsätzlich positiv gesehen werden, mit allen logischen Konsequenzen für empirische und praktische Arbeit. 1.1 Wozu Theorie? Von ihrem Stellenwert im Forschungsprozess Es mag zwar lediglich eine Momentaufnahme sein, aber es kann hier im Rahmen der einführenden Bemerkungen nicht unerwähnt bleiben: Eine neue Schreckensvokabel ist bei Studierenden - und leider auch bei jenen der Medien- und Kommunikationswissenschaft - im Umlauf: Theorie. Eine neue Seuche grassiert - zumindest an manchen Instituten: die Theoriefeindlichkeit. 2 Theorielastigkeit - verbunden mit Kritik an vermeintlicher Empirieferne oder Praxisblindheit - ist ein oft gehörter Vorwurf im Rahmen des Wissenschaftsbetriebs. Angeblich werde im Zeitalter des Turbo-Kapitalismus und der Hyper-Kommerzialisierung aller Lebensbereiche auch von den Wissenschaften kein esoterischer Theorie-Kauderwelsch mehr erwünscht, sondern verständliche Ausführungen mit praxisrelevanten Daten für die durch und durch von ökonomischem Denken durchdrungene Praxis. 3 Das gute, alte Bonmot, nichts sei praktischer als eine gute Theorie, beeindruckt die Kritiker 1 Die Quantenphysiker und insbesondere -kosmologen streben nach einer derartigen ›theory of everything‹ - dies jedoch auch nicht ausschließlich mit einer rein realistischen bzw. objektivistischen Festlegung auf die Interpretation einer solchen Theorie, so sie denn ›gefunden‹ wird, als die eine und einzig verbindliche Wahrheit über die Welt. 2 Der Verfasser erinnert sich noch gut an seine Studienzeit, als ein theoretisch interessierter und auch sehr versierter Kollege ihm seine schriftliche Bewerbung bei einem großen deutschen Konzern zeigte. Der Studienkollege hatte gerade eine schriftliche Absage seiner Praktikumsstelle erhalten, und offenbar durch einen Fehler waren die Bewerbungsunterlagen zurück zu ihm gelangt mit einem handschriftlichen Vermerk auf dem Lebenslauf, gleichsam als abqualifizierende Warnung: »Theoretiker! «. 3 Zu einer epistemologisch (und auch empiriefähig) verstandenen Medienphilosophie als Gegenprogramm zur sukzessiven Alleinherrschaft der ökonomischen Praxis in der Medienwissenschaft siehe ausführlicher Weber 2003. <?page no="16"?> 17 Einführung von Theorie-Diskursen kaum. 4 Dem ist auf normativer bzw. präskriptiver Ebene wenig entgegenzuhalten; es ist meines Erachtens sinnlos, den Streit über Sinn und Unsinn von Theorien auf dieser Ebene weiter auszutragen. 5 Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass sich die moderne Wissenschaft dadurch definiert, dass sie Forschungsergebnisse im Kreislauf von Theorie, Empirie, Praxis und Methodologie produziert (vgl. auch Weber 2001). Daraus folgt jedoch nicht, dass rein theorieinterne Debatten oder reine, nicht-theoriegeleitete empirische Auftragsforschung a priori keine Existenzberechtigung hätten. Umgekehrt kann aber auch nicht oft genug betont werden, dass es der Idealfall wissenschaftlicher Forschung ist, wenn (a) eine Theorie aus dem (in diesem Buch überblicksartig dargestellten) Theorien- Spektrum aus pragmatischem Interesse und auf Grund von für den zu beschreibenden Forschungsgegenstand plausiblen Beobachtungs-Möglichkeiten ausgewählt wird; (b) aufbauend auf dieser Theorie und auch mit den Prämissen, (Grund-)Begriffen und Modellen dieser Theorie Hypothesen generiert werden, die die forschungsleitende Grundfrage in mehrere Untersuchungsbereiche bzw. -ebenen unterteilen; (c) diese Hypothesen mit Hilfe einer geeigneten empirischen Methode (wie Befragung, Beobachtung, Textanalyse oder Experiment) überprüft werden; (d) diese Hypothesen in der Folge je nach paradigmatischem Standpunkt (dazu weiter unten) verifiziert oder falsifiziert, gestützt oder geschwächt, validiert oder nicht-validiert werden; (e) dadurch empirische Daten entstehen, die in der Folge sowohl an die beobachtete Praxis rückgekoppelt werden können als auch als Forschungsergebnis im Ganzen eine rekursive Schleife bzw. Rückbindung zur ausgewählten Theorie ermöglichen (wobei immer offen ist, ob diese bestätigt wird oder nicht). Damit soll lediglich gesagt werden, dass im Idealfall eines wissenschaftlichen Forschungsprozesses die Theorie ihren Stellenwert als forschungsleitende und strukturierende Perspektive haben muss. Die entscheidende Frage, die im Folgenden zu klären ist, lautet: Was ist überhaupt eine Theorie (im Allgemeinen), und was sind Theorien der Medien (wie sie hier verstanden werden, im Speziellen)? Gleich vor- 4 Mathematischen Theorien oder fraktalen Visualisierungen wird zwar oft Schönheit oder Ästhetik zugesprochen; Diskurse über die Eleganz, Schönheit oder Ästhetik von Theorie-Designs oder -Modellen sind hingegen so gut wie verstummt. 5 Das Argument »Wozu brauchen wir denn das? « richtet sich ja nicht nur gegen die theoretische Wissenschaft, sondern die Wissenschaft insgesamt: Die Totengräber der Theorie sind letztlich auch die Totengräber der Wissenschaft. Mittlerweile ist ja auch bei Studierenden bereits die Attitüde verbreitet, Wissenschaft an sich sei irrelevant für die (spätere) berufliche Praxis. <?page no="17"?> 18 Stefan Weber weg der Hinweis, dass die Frage, was eine Theorie ist, nicht mit einer für alle Ebenen verbindlichen Definition, sondern vielmehr mit einer Ebenen-Differenzierung beantwortet werden wird (siehe nächstes Kapitel; Unterscheidung von Supertheorien, Basistheorien, Theorien mittlerer Reichweite usw.; diese können dann relativ punktgenau definiert werden). Die Frage, was Theorien der Medien sind, kann dann im Anschluss beantwortet werden - und diese Antwort wird nicht mit der relativ weit verbreiteten Unterscheidung von ›echter‹ Theorie und ›bloßen‹ theoretischen Ansätzen erfolgen. 6 1.2 Was ist überhaupt eine Theorie? Im Folgenden geht es somit zunächst um die für die wissenschaftliche Denklogik typische und notwendige Eingrenzungs- und Definitionsarbeit: Dieses Lehrbuch handelt von Theorien der Medien. Es richtet sich an Studierende und Lehrende jener wissenschaftlichen Disziplinen, die mit dem Forschungsgegenstand Medien im weiten Sinne befasst sind: dies sind vor allem die genuinen Disziplinen Medienwissenschaft sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, aber auch Soziologie, Politikwissenschaft, Literaturwissenschaft und Germanistik. Wir befinden uns also im Feld der geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Theoriebildung und nicht im Bereich der Naturwissenschaften, was aber nicht ausschließt, dass naturwissenschaftliche (vor allem kognitions- und gruppenpsychologische sowie neurobiologische) Theorien und Befunde auch die hier versammelten Theorien beeinflussen und inspirieren (ich erwähne nur psychoanalytische oder konstruktivistische und systemische Medientheorien). Es soll jedoch andererseits auch nicht unerwähnt bleiben, dass einige der in diesem Band behandelten Theorien erst in den vergangenen Jahren vor allem aus den Naturwissenschaften selbst teils heftig angegriffen wurden. Denkern wie etwa Jacques Lacan (hier erwähnt in  2.9 Psychoanalytische Medientheorien) oder Jean Baudrillard und Paul Virilio (hier erörtert in  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien) wurde der Missbrauch bzw. zumindest das mangelnde Verständnis naturwissenschaftlicher Theorien und Befunde vorgeworfen (besonders prominent in Sokal/ Bricmont 1999). In der anschließenden, so genannten science wars-Debatte wurde jedoch oft unterschlagen, dass es eben generelle Kommunikations- und Konvertierungsprobleme innerhalb des ausdifferenzierten Wissenschafts-Systems gibt, die insbesondere die Kluft zwischen Natur- und Kulturwissenschaften betreffen - oder, wie man auch 6 Die Frage, was eine vollwertige Theorie ist und was ein bloßer Ansatz, wäre erneut Gegenstand eines Debatten-Bandes. Die weit verbreitete medienwissenschaftliche Bescheidenheit, wonach alles nur ›Ansatz‹ und erst im Entstehen sei, wird hier jedenfalls nicht vertreten. <?page no="18"?> 19 Einführung immer wieder etwas irreführend vergleicht, die Kluft zwischen hard und soft sciences. Mit anderen Worten: Auch viele Naturwissenschaftler haben wohl zu allen Zeiten Philosophen missverstanden und missinterpretiert, die Belege dafür wären unzählig. Die science wars-Debatte soll hier in der Einführung lediglich deshalb erwähnt werden, weil eine kritische Lesart insbesondere der behandelten postmodernen Denker freilich vonnöten ist bzw. in der Tat vor einer unkritischen oder bloß metaphorischen Übernahme naturwissenschaftlicher Theorien und Begriffe gewarnt werden soll. In einem ersten Zugriff soll also eingeschränkt werden, dass es in diesem Band um kulturwissenschaftliche und nicht um natur- oder technikwissenschaftliche Theorien der Medien geht. Der Begriff Kulturwissenschaft 7 wird dabei als logischer Ergänzungsbegriff zu dem der Naturwissenschaft verstanden und löst das veraltete metaphysische Konzept des Geistes bzw. der Geisteswissenschaft ab (mit anderen Worten, der Dualismus Natur/ Geist wird durch Natur/ Kultur ersetzt, was freilich erneut aus einer dualismenkritischen Perspektive hinterfragt werden kann). Befinden wir uns im so abgesteckten Terrain der Kulturwissenschaften inklusive der oben genannten Disziplinen, so ist eine weitere wichtige Einschränkung zu machen: In diesem Buch werden Theorien verhandelt, die in den Medienwissenschaften und den mit ihr verwandten Disziplinen (bzw. in Disziplinen, die sich ebenfalls mit dem Forschungsgegenstand Medien beschäftigen) - durchaus unterschiedlich breite - Verwendung finden, aber nicht von der Medienwissenschaft genuin hervorgebracht wurden. Es geht also, wie im Titel dieses Einführungskapitels bereits enthalten, nicht um (genuine Fach-)Theorien aus der Medienwissenschaft, sondern vielmehr um (durchaus inter- und transdisziplinäre) Theorie-Importe in die und für die Medienwissenschaft. Viele der in diesem Band versammelten Theorien finden auch in anderen Disziplinen gewinnbringend Anwendung: so etwa Zeichentheorien auch in der Literaturwissenschaft oder in der Kultursoziologie, feministische und Kritische Theorien auch in der Politikwissenschaft usw. usf. Dennoch gibt es bislang kaum Einführungen, die in ihrer Konzeption so wie dieses Lehrbuch angelegt sind. 8 7 So wie es zahllose Definitionsversuche des Begriffs ›Kultur‹ gibt, so sind auch die Definitionen des Begriffs ›Kulturwissenschaft‹ mannigfaltig. Eine weitgehend konsensuelle Bestimmung ist jene, dass sich Kulturwissenschaften generell für die kulturelle Kontextuierung und Konditionierung von Wissen interessieren, also im Speziellen auch für die jeweils kulturelle, historische und soziale Einbettung von naturwissenschaftlichen Theorien (vgl. mit systemtheoretischem Schwerpunkt Pfeiffer/ Kray/ Städtke 2001). Zu einer möglichen historischen Rekonstruktion und Ahnenreihe der Kulturwissenschaft vgl. Kittler 2000. 8 Als Ausnahmen im Fachbereich der Medienwissenschaft seien Faulstich 1991 und (allerdings selektiv) Kloock/ Spahr 2000 sowie (ähnlich breit angelegt) Leschke (2003) genannt. <?page no="19"?> 20 Stefan Weber Wie bereits oben erwähnt, soll der zentrale Begriff der Theorie nicht pauschal, sondern im Sinne einer Ebenen-Differenzierung definiert werden. In einem kulturwissenschaftlichen Rahmen umfassen Theorien, so der Vorschlag, die Ebenen (a) Paradigmen (b) Supertheorien (c) Basistheorien (d) Theorien mittlerer Reichweite (a) Paradigmen: Unter Paradigma soll hier ein transdisziplinäres, übergeordnetes Weltbild verstanden werden, das alle unter ihm liegenden Ebenen theoretischer Komplexität zu einem gewissen Grad determiniert. Paradigmen laufen auf Grund ihres totalitären, holistischen (d. h. allumfassenden) Charakters ständig Gefahr, zu Paradogmen (so ein Wortspiel von Mitterer 1992, 18) zu werden, zu unhinterfragten, dogmatischen Orthodoxien, auch zu Ideologien. Mitterer bemerkt, »[…] es geht mir unter anderem auch darum, die Etablierung von Paradigmen zu verhindern. Die Paradigmen sind Paradogmen, in denen es immer eine Wahrheit gibt, die, wenn sie einmal gefunden wurde, nicht mehr verlassen werden soll. Die Wahrheit setzt sich dabei aus Auffassungen zusammen, die unter keinen Umständen aufgegeben und unter allen Umständen verteidigt werden.« (Mitterer 1992, 18 f.) Typische Paradigmen wären etwa: naturwissenschaftliches versus kulturwissenschaftliches Weltbild (wie auch die einzelnen paradigmatischen Kämpfe innerhalb dieser Weltbilder: realistische versus konstruktivistische Interpretation der Quantenmechanik; Realismus versus Konstruktivismus 9 in den Sozial- und Kulturwissenschaften u. a.). In einem gewissen Sinne kann ein neu aufkommendes Paradigma als wissenschaftliche Revolution im Sinne Thomas Kuhns verstanden werden, wobei erneut immer realistische und konstruktivistische Interpretationen dieser Revolution möglich sind. Das Kernstück des vorliegenden Bandes, der Überblick über das Theorienspektrum, handelt nicht von den zumeist binär rekonstruierbaren paradigmatischen Auseinandersetzungen im Wissenschaftssystem. Die Entschei- 9 So hat sich der sogenannte ›Radikale Konstruktivismus‹ selbst in den achtziger Jahren als »ein neues Paradigma im interdisziplinären Diskurs« tituliert (vgl. Schmidt 1987, 72 ff.). Ein Anspruch, der vom Mitbegründer Siegfried J. Schmidt dann selbst in den folgenden Jahren immer mehr relativiert und schließlich ganz zurückgenommen wurde. - Der Radikale Konstruktivismus kann in der Tat als Paradigma verstanden werden, wenn er mit einem ontologisch-generalisierenden All-Anspruch auftritt (»Alles ist Konstruktion«). Dieser führt zur erkenntnistheoretisch unentscheidbaren Patt-Stellung zwischen Konstruktivismus (»Alles ist Konstruktion«) und Realismus (»Alles ist Abbildung«). Im Gegensatz dazu kann ein modifizierter, weil empiriefähiger Konstruktivismus sehr wohl als taugliche Basistheorie für die Medienwissenschaft fungieren. <?page no="20"?> 21 Einführung dung für ein Paradigma schließt in der Regel aus, dass andere Paradigmen Recht haben: Ein allumfassender, generalisierender Realist kann nicht auch noch Radikaler Konstruktivist sein. Auf paradigmatischer Ebene enden wissenschaftliche Konflikte somit oft in einer Patt-Stellung (vgl. erhellend Mitterer 1998). (b) Supertheorien: Der Begriff der Supertheorie kann zumindest zweifach verstanden werden: als Theorie, die über anderen Theorien steht (also eigentlich Supertheorie im Sinne von Metatheorie, auch Reflexionstheorie oder Theorie zweiter Ordnung), aber auch als Theorie, die versucht, etwas als Ganzes zu erfassen. Im wissenschaftlichen Diskurs wird etwa die soziologische Systemtheorie oft als Supertheorie bezeichnet (und auch ihr Vater, Niklas Luhmann, hat dies selbst getan), weil sie mit dem Anspruch auftritt, Gesellschaft als Ganzes zu begreifen. Nicht jede Theorie behauptet von sich selbst, eine Supertheorie zu sein. Vor allem poststrukturalistische Theorien, die gerade das Misstrauen gegenüber ›großen Erzählungen‹ bzw. ›Meistererzählungen‹ im Sinne Lyotards zum Thema der (dann relativistisch formulierten) Theoriebildung machen, behaupten dies von sich selbst gerade nicht. 10 Während Paradigmen mitunter als totalitär charakterisiert werden können, haben Supertheorien tendenziell universellen Charakter. Der vorliegende Band handelt von Supertheorien lediglich insofern, als dass etwa mit der Systemtheorie eine universalistische Theorie vorliegt, die diesen Anspruch selbst erhebt. Worum es hier und im wissenschaftlichen Theorie-Kontext vernünftigerweise immer geht und gehen sollte, sind jedoch Basistheorien. (c) Basistheorien: Basistheorien sind weder übergeordnete, tendenziell totalitäre Weltbilder (Paradigmen) noch Theorien mit universalistischem, also allumfassendem Anspruch (Supertheorien). Sie sind vielmehr jene Theorien, die ein in sich logisch konsistentes Set an Begriffen, Definitionen und Modellen anbieten, das empirisch operationalisiert werden kann. Im Gegensatz zu Supertheorien bieten Basistheorien sowohl die Möglichkeit einer basalen theoretischen Verankerung als auch die Möglichkeit zur Empirisierung. Die in diesem Band versammelten The- 10 Schmidt/ Jahraus (Manuskript 2000; in Buchform vgl. Jahraus 2001, 15-91) hingegen bezeichnen in ihrem interdisziplinären Vergleich der Systemtheorie Niklas Luhmanns mit der Dekonstruktion Jacques Derridas beide als Supertheorien. Sie schreiben: »Dekonstruktion (Derrida) und Systemtheorie (Luhmann) sind Supertheorien, die durch ihren universalistischen Anspruch notwendigerweise selbstreferentiell werden. Das ist der Grund, warum ihre eigene Konstitution für sie selbst uneinholbar wird. Ein Vergleich dieser Supertheorien kann sich daher nicht auf eine Metaposition beziehen, sondern ist seinerseits immer schon im Beobachtungsbereich dieser Theorien situiert.« (Schmidt/ Jahraus 2000, 2) Das Zitat belegt, dass Schmidt und Jahraus die ›Supertheorie‹ als die höchste mögliche Ebene konzipieren. In der hier entwickelten Systematik sind jedoch die Paradigmen dieser Ebene noch übergeordnet. Die Nicht-Einholbarkeit der eigenen Voraussetzungen beträfe dann auch Paradigmen und nicht Supertheorien. <?page no="21"?> 22 Stefan Weber orien - von Zeichenbis zu Systemtheorien, von Kritischen bis zu psychoanalytischen Theorien - können als Basistheorien (bisweilen mit der Tendenz zu Supertheorien) bezeichnet werden. Basistheorien stellen einen Pool an Begriffen zur Verfügung, die miteinander relationiert ein Modell bzw. eine Denklogik ergeben, die in der Regel den Anspruch erhebt, die Wirklichkeit in irgendeiner Form strukturiert zu erfassen. 11 Dies ist die am allgemeinsten gehaltene Form der Definition einer Basistheorie. Basistheorien rekurrieren in der Regel auf Basiseinheiten, die als sozial- und kulturwissenschaftliche Grundkategorien verstanden werden. Diese Einheiten können der Akteur, ein Zeichen, eine Struktur, ein Apparat oder etwa ein System sein. Verschiedene Basistheorien gehen von unterschiedlichen Basiseinheiten aus, etwa • die Psychoanalyse vom Unbewussten; • der Feminismus und der Konstruktivismus vom Akteur bzw. ›Aktanten‹; • die Semiotik vom Zeichen; • der Strukturalismus und der Poststrukturalismus von der Struktur oder dem Diskurs; • die Cultural Studies von der Kultur oder dem Kontext; • die Systemtheorie vom System oder der Kommunikation. Basistheorien sind folglich Theorien, die einen derartigen zentralen Bezugspunkt aufweisen, der in sich dann wieder zwei-, drei- oder gar mehrwertig differenziert werden kann (zu diesen theorietypischen Differenzierungen von Basiseinheiten  3. Komparatistik: Theorien-Raum der Medienwissenschaft). Theoriebautechnisch bestünde die Möglichkeit, mehrere Basistheorien zu einer integrativen Theorie zu fusionieren, womit dann mehrere Basiseinheiten bzw. Grundkategorien fokussiert werden könnten. So gibt es etwa Versuche, Akteurs- und Systemtheorien zu ›Akteur-im-System‹-Ansätzen zu verknüpfen (vgl. diverse Beiträge in Löffelholz 2004). Eine sozial- und kulturwissenschaftliche theory of everything, die sowohl Akteure als auch Systeme, sowohl Texte als auch Kontexte u. a. Beobachtungseinheiten umfasst, wäre streng genommen wissenschaftslogisch machbar, ist jedoch bislang noch nicht entwickelt worden. 12 Wichtig erscheint hier der Hinweis, dass Basiseinheiten oder Grundkategorien nicht als nicht mehr weiter teilbare oder differenzierbare Letzteinheiten missverstanden werden dürfen. Sie sind nicht der kleinste gemeinsame Nenner einer jeweiligen Basistheorie, sondern vielmehr selbst Gegenstand von vielfältigen Diffe- 11 Ähnlich auch eine klassische Lehrbuch-Definition von Theorie: »Unter Theorie wird im allgemeinen ein System logisch widerspruchsfreier Aussagen über soziale Phänomene verstanden.« (Atteslander 1984, 23 - Hervorhebung im Orig.) 12 Als Ausnahme sei auf die Distinktionstheorie von Rodrigo Jokisch verwiesen (vgl. Jokisch 1996), die jedoch von der Fachwelt sehr zwiespältig aufgenommen wurde. <?page no="22"?> 23 Einführung renzierungen. 13 Es ist sogar einer der Gegenstandsbereiche von Basistheorien, wie sozial- und kulturwissenschaftliche Grundkategorien sowohl intern weiterdifferenziert als auch extern kontextuiert werden können. So beschäftigt sich die Systemtheorie etwa sowohl mit der Frage, woraus ein System besteht (etwa aus Komponenten, Elementen oder ›bloß‹ aus einer Differenz? ), als auch mit dem Verhältnis von Systemen zu Umwelten. Die Semiotik differenziert den Zeichenbegriff intern, beschäftigt sich aber auch mit dem Verhältnis von Zeichen und repräsentierten Objekten in der (realen) Außenwelt. Basistheorien im hier verstandenen und geschärften Sinne differenzieren und kontextuieren nicht nur Basiskategorien (das ist der Aspekt der reinen Theoriearbeit), sondern sind auch immer mehr oder weniger gut empirisch anwendbar. Gerade durch ihren Rekurs und ihre Fokussierung auf Basisbegriffe ermöglichen sie konkrete empirische Forschung. So eignet sich etwa • die Psychoanalyse zur Untersuchung von medialen Subtexten und Latenzen; • der Konstruktivismus für alle Studien zur Mikrobzw. Akteurs-Ebene (sowohl auf Produktionsals auch auf Rezeptionsseite); • die Semiotik für alle Text- und Produktanalysen (also für die mediale Inhaltsseite); • der Poststrukturalismus zur Analyse medialer Diskurse und apparativer Dispositive der Medien; • die Cultural Studies zur Untersuchung des Zusammenhangs von medialer Aneignung (also Mediennutzung) und Macht- und Kontextfragen; • die Systemtheorie zur Untersuchung von Organisationssystemen (etwa Redaktionen) oder von Massenmedien/ Publizistik/ Öffentlichkeit als übergeordneter System-Zusammenhang. Bei anderen Basistheorien verstehen sich die Anwendungs-Kontexte von selbst: etwa bei ökonomischen oder technischen Basistheorien. Eine weitere Differenzierung der Basistheorien im Kontext der Medienwissenschaft, die hier zunächst nur zur ersten Klärung und Veranschaulichung des allgemeinen Konzepts der Basistheorien kursorisch vorgenommen wurde, erfolgt im 13 Die Suche nach einer Letzteinheit in der Medien- (und in der gesamten Kultur-)wissenschaft (vgl. etwa Merten 1995, 10) ähnelt fast den Beobachtungen der Quantenphysiker, die nach Atomen, Elektronen, Neutronen und Positronen nunmehr bei Quarks, Neutrinos und Superstrings gelandet sind. Als einzig logisch mögliche Letzteinheit im kulturwissenschaftlichen Kontext erscheint mithin nicht das Zeichen (oder andere Basiskategorien), sondern die Differenz (etwa von Bezeichnendem und Bezeichnetem, von sex und gender usw.). Noch radikaler und logisch noch konsequenter wäre die Letzteinheit dann nicht einmal mehr die Differenz als Akt der Setzung selbst (etwa die Differenz »System/ Umwelt«), sondern nur noch die Barre als das imaginäre, unsichtbare und logisch nicht begreifbare In-Between der Differenz (also das »/ « - zu diesem Theorievorschlag vgl. Fuchs 2001, 242). <?page no="23"?> 24 Stefan Weber nächsten Unterabschnitt. An dieser Stelle soll noch die vierte und letzte Ebene theoretischer Komplexität, nämlich Theorien mittlerer Reichweite, erklärt werden. (d) Theorien mittlerer Reichweite: Diese unterscheiden sich von Basistheorien auf Grund ihres weiter eingeschränkten Gegenstandsbereichs. Während Basistheorien - von Basiseinheiten ausgehend - die potenzielle Beobachtung weiter, wenn nicht aller Bereiche der Forschungsgegenstände der Medienwissenschaft erlauben, widmen sich Theorien mittlerer Reichweite in der Regel einem einzigen ausgewählten Forschungsgegenstand bzw. Phänomen. Nahezu alle genuinen, von der Medien- und Kommunikationswissenschaft selbst entwickelten Theorien 14 sind Theorien mittlerer Reichweite. Dies betrifft sowohl Kommunikatorals auch Medieninhalts- und Rezipienten-Theorien. Im Bereich der Kommunikatorforschung ist vor allem an den Nachrichtenwerte-/ Nachrichtenfaktoren-Ansatz sowie an die Gatekeeper-Forschung zu denken. Die am weitesten entwickelten Theorien mittlerer Reichweite finden sich allerdings im Bereich der Medienwirkungs- und Mediennutzungsforschung. Das Spektrum reicht vom Uses-and-Gratifications-Approach über den Agenda-Setting-Ansatz und die Knowledge-Gap-Hypothese bis zur Theorie der Schweigespirale (vgl. einführend und grundlegend Bonfadelli 1999). Derartige Nutzungs- und Wirkungstheorien beschäftigen sich sowohl mit dem Aspekt, was die Menschen mit den Medien machen (Gratifikationsperspektive oder Nutzenansatz), als auch mit dem Aspekt, was die Medien mit den Menschen machen, also mit den Effekten, den eigentlichen Medienwirkungen, dem Zusammenhang von Medienkonsum und den ›Köpfen‹ der Rezipienten (etwa Wissenskluft-Hypothese oder Schweigespirale). All diese Theorien sind nicht Gegenstand des vorliegenden Bandes, und dies aus zumindest zwei Gründen: • Genuine Fachtheorien der Medien- und Kommunikationswissenschaft (also vor allem Wirkungs- und Nutzungstheorien) befinden sich auf einer anderen Komplexitätsebene als die hier erörterten Basistheorien und sollten von diesen auch immer strikt unterschieden werden. So kann zwar der Konstruktivismus als Basistheorie der Medienwissenschaft im Rahmen eines Mediennutzungs-Ansatzes bzw. Uses-and-Gratifications-Approaches verwendet werden (vgl. etwa die diesbezüglichen Bemerkungen von Schmidt 1995, 29) oder sogar die Theorie der Schweigespirale perspektivisch erweitern (vgl. dazu etwa Merten 1995, 9-ff.); Theorie der Schweigespirale und Konstruktivismus befinden sich jedoch 14 Freilich muss hier eine Präzisierung erfolgen: Auch die in diesem Kontext als ›genuin‹ bezeichneten fachinternen Theorien (großteils mittlerer Reichweite) sind bei näherer Sicht zum überwiegenden Teil Theorie-Importe aus Bereichen wie der Umfrageforschung, der Experimentalpsychologie, der Propagandaforschung u. a. Es bleibt somit letztlich die Frage offen, ob die Publizistik-, Medien- oder Kommunikationswissenschaft als Disziplin überhaupt genuine, rein fachintern entwickelte und überprüfte Theorien aufzuweisen hat. <?page no="24"?> 25 Einführung nie logisch auf einer Ebene und sind im vorgeschlagenen Schema immer vertikal zu differenzieren. 15 • Genuine Fachtheorien der Medien- und Kommunikationswissenschaft - vor allem Wirkungstheorien - finden sich bereits in zahlreichen Theorie-Synopsen lehrbuchartig zusammengefasst (vgl. etwa Bonfadelli 1999 oder aus konstruktivistisch-systemtheoretischer Perspektive Merten 1999, 331-394). Es wäre ein gleichsam redundantes Vorhaben gewesen, diesen Überblick einmal mehr leisten zu wollen. Durch die hier vorgeschlagene strikte Ebenen-Differenzierung löst sich auch manches wissenschaftliche Problem förmlich in Luft auf: Oft wird die Klage laut, die Medien- und Kommunikationswissenschaft habe keine genuine Fachtheorie höherer Komplexität hervorgebracht. Auf Grund der Einschränkung des Forschungsgegenstands wäre dies jedoch ein Widerspruch in sich; allenfalls könnte eine solche Fachtheorie, die etwa die Gesellschaft in ihrer Ganzheit im Visier hätte, aus der Soziologie stammen, und dort wurde sie mit der autopoietischen Systemtheorie Niklas Luhmanns ja bekanntlich auch entwickelt. Viele Basistheorien stammen zudem nicht aus einem bestimmten Fachbereich, sondern wachsen gleichsam als theoretische Konvergenz sukzessive zusammen: Hirnforscher, Neurobiologen, Psychologen und Psychotherapeuten auf Seiten der Naturwissenschaften beschäftigen sich etwa gemeinsam mit Kommunikations- und Medienwissenschaftlern und Soziologen mit den Mechanismen der Konstruktion von Wirklichkeit, eben neuronal, kulturell, sozial und medial. Das Ergebnis ist ein interdisziplinärer Diskurs wie der (Radikale) Konstruktivismus. Ähnliche Genesen ließen sich auch für die Semiotik, für psychoanalytische Theoriebildung oder die Cultural Studies nachzeichnen. Das Verhältnis zwischen Basistheorien der (eigentlich immer genauer: ›für die‹ bzw. ›in der‹) Medienwissenschaft und genuinen Fachtheorien (mittlerer Reichweite) ist wechselseitig zirkulär: So kann etwa eine basistheoretische oder gar paradigmatische Orientierung durchaus forschungsleitend für die Entwicklung einer genuinen Fachtheorie sein (etwa der Theorie der Schweigespirale aus dem 15 Dies war bislang in Lehrbüchern nicht üblich. So subsumiert etwa Gerhard Maletzke in seiner Einführung in die Kommunikationswissenschaft unter dem Abschnitt »Theorien, Ansätze« (Maletzke 1998, 100 ff.) sowohl »einseitig-lineare Ansätze« wie etwa die Lasswell-Formel als auch den »Systemansatz« (von Systemtheorie ist nicht die Rede), sowohl das Meinungsführer-Konzept als auch den Konstruktivismus, sowohl den Nutzenansatz als auch Kritische Theorien auf derselben Ebene. Es werden m. E. Theorieansätze mittlerer Reichweite wie etwa der Opinion-Leader-Ansatz oder der Nutzenansatz mit Basistheorien wie Konstruktivismus oder Systemtheorie vermengt. - Ähnlich erwähnt auch Heinz Pürer in seiner klassischen Einführung Systemtheorie und Kritische Theorie gemeinsam in einer Auflistung mit theoretischen Ansätzen aus dem Fachbereich von Dovifat, Hagemann, Prakke oder Maletzke. Hier mag verwirren, dass Dovifat und Prakke hier sowie Parsons und Luhmann dort auf derselben Komplexitäts-Ebene abgehandelt werden (vgl. Pürer 1998, 135 ff.). <?page no="25"?> 26 Stefan Weber Geiste Lazarsfelds); diese kann dann aber auch in einem nächsten Schritt zum Gegenstand der Konfrontation mit alternativen Basistheorien werden (etwa mit Konstruktivismus und Systemtheorie durch Merten), was dann wieder im Idealfall zu einer modifizierten anschlussfähigen Fachtheorie führen kann. Bevor nunmehr konkret über Basistheorien der Medien gesprochen wird, noch zwei ergänzende Bemerkungen zum Status von Basistheorien in der Ebenen-Differenzierung von Theorien: (1) Der Titel dieses Einführungs-Beitrags, »(Basis-)Theorien für die Medienwissenschaft«, suggeriert, dass diese Theorien ausschließlich von außen, also einzig und allein aus Nachbardisziplinen der Medienwissenschaft wie der Soziologie, der Literaturwissenschaft oder etwa auch der Wirtschaftswissenschaft kämen. Freilich darf dabei nicht übersehen werden, dass auch die Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Ausdifferenzierung jeder einzelnen Basistheorie einen mehr oder weniger entscheidenden Beitrag geleistet hat. Im Falle ökonomischer Theoriebildung (  2.2 Ökonomische Theorien der Medien) sind es freilich eher genuin wirtschaftswissenschaftliche Theorien und Begriffe, die in die Medienwissenschaft ›hereinspielen‹, auch im Bereich der Medienphilosophie (  2.11 Medienphilosophische Theorien) mag man mehrheitlich auf genuin philosophische Theorien stoßen. Andere Theorie-Stränge wiederum - wie etwa Konstruktivismus, Zeichentheorien oder insbesondere Cultural Studies - beweisen den markanten Einfluss der Medienwissenschaft auf die Ausdifferenzierung der jeweiligen Basistheorie. Viele Basistheorien sind im Geflecht von Soziologie, Psychologie, Philosophie und Literaturwissenschaft entstanden, wobei die Frage nach der disziplinären Herkunft gar nicht in allen Fällen mit der akademischen Institutionalisierung korreliert. Mit anderen Worten: Letztlich ist es für die Entwicklung der Cultural Studies gar nicht übermäßig relevant, welchen Lehrstuhl Raymond Williams oder welchen Lehrstuhl Stuart Hall nun wirklich eingenommen hat. (2) Die hier vorgeschlagene Differenzierung in Paradigmen, Supertheorien, Basistheorien und Theorien mittlerer Reichweite modifiziert eine weit verbreitete Systematik (statt vieler vgl. Atteslander 1984, 25 f.), die zwischen Theorien hoher Komplexität, Theorien mittlerer Reichweite, ad-hoc-Theorien und der bloßen Beobachtung empirischer Regelmäßigkeiten unterscheidet. Die beiden Letzteren, ad-hoc-Theorien und Beobachtungen empirischer Regelmäßigkeiten, sind für das vorliegende Vorhaben nicht weiter relevant. Theorien hoher Komplexität werden hier jedoch weiter differenziert in Basis- und Supertheorien. Somit liegt ein Schema vor, das sowohl eine strikte Ebenen-Differenzierung von Stufen der Theoriebildung als auch eine Neuinterpretation des Verhältnisses von Theorie und Empirie erlaubt: Mit Atteslander u. v. a. ist zwar durchaus von dem Zusammenhang auszugehen, dass Theorien umso weniger empirisch überprüft werden können, je <?page no="26"?> 27 Einführung abstrakter sie angelegt sind. Eine rein graduelle Sichtweise würde jedoch auch die notwendige Ebenen-Differenzierung verwischen: Zunächst steht außer Frage, dass sowohl Paradigmen als auch Supertheorien einem empirischen Beweis oder einer empirischen Widerlegung entzogen sind. Basistheorien hingegen können empirische Forschungen anregen bzw. anleiten, aber Empirie kann Basistheorien ebenfalls nicht per se beweisen oder widerlegen. (Beispiel: Durch die Anwendung des semiotischen Instrumentariums im Rahmen einer Filmanalyse wird das Instrumentarium selbst klarerweise nicht bewiesen oder widerlegt, sondern vielmehr jene Hypothesen, die mit Hilfe und im Rahmen der Semiotik aufgestellt wurden.) Schließlich ist davon auszugehen, dass Theorien mittlerer Reichweite (und etwaige darunter liegende Komplexitäts-Ebenen) sehr wohl empirisch bewiesen (oder zumindest gestützt) oder widerlegt (oder zumindest geschwächt) werden können. Theorien wie die Schweigespirale, die Wissenskluft-Hypothese u. a. sagen etwas aus über einen konkreten, abgegrenzten Sachverhalt in der Welt, der - wenn die zeitlichen, sozialen, sachlichen und geographischen Gültigkeitsgrenzen definiert sind - sehr wohl der empirischen Forschung direkt zugänglich ist. (Basis-)Theorien wie Semiotik, Konstruktivismus, Cultural Studies oder Systemtheorie sind somit merkwürdige Zwitterwesen zwischen den Polen von supertheoretischer oder paradigmatischer Empirieferne und voll empiriefähigen Theorien mittlerer (oder noch geringerer) Reichweite. Im Lichte der gängigen soziologischen Differenzierung von Makro, Meso und Mikro wären sie im Meso- Bereich zu verorten, in einem Zwischenbereich zwischen den beiden Polen Makro und Mikro. Es erscheint elementar, wenn im Folgenden (und wohl auch generell) notwendigerweise nur von ›Theorie‹ die Rede ist, eigentlich immer nachzufragen: Von welcher Ebene theoretischer Komplexität reden wir? In der Literatur werden Konstruktivismus, Systemtheorie u. a. Theorien auch oft nur als ›Beobachtungsperspektiven‹, als ›Diskurse‹, ›Diskurszusammenhänge‹ o. ä. bezeichnet. Mit Wittgenstein wäre die kritische Sichtweise möglich, dass es sich lediglich um ›Sprachspiele‹ handle. Sind Basistheorien im hier skizzierten Sinne lediglich Terminologien, Diskurs-Konventionen? Handelt es sich um begriffliche Sandkastenspiele für Erwachsene? Im zentralen Abschnitt 2 dieses Sammelbands (»Theorienspektrum Medienwissenschaft«) wird anhand von zahlreichen konkreten Anwendungsbeispielen im Bereich der Medienwissenschaft hoffentlich gezeigt werden können, dass dem nicht so ist. <?page no="27"?> 28 Stefan Weber 1.3 Was sind (Basis-)Theorien der Medien? Wie im vergangenen Unterkapitel gezeigt wurde, hängt die Entwicklung der Basistheorien maßgeblich mit der Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems - und hier primär des Systems der Kulturwissenschaften - in den vergangenen Jahrzehnten zusammen. Die vermeintliche Diagnose einer postmodernen Unübersichtlichkeit und Beliebigkeit (bzw. Kontingenz) kann hier jedoch nicht unterschrieben werden; vielmehr werden die Basistheorien der Medien(-wissenschaft) als Orientierungsrahmen für konkrete empirische Arbeiten konzipiert. Parallel zur Ausdifferenzierung der Basistheorien gab und gibt es Versuche, diese ihrerseits zu bündeln und zu systematisieren. Im Folgenden werden einige dieser Versuche diskutiert, um daraus in einem zweiten Schritt die eigene, hier vorgeschlagene Systematik zu destillieren. - Der österreichische Medienphilosoph Reinhard Margreiter bemerkt: »Die Mediendiskussion wird, soweit ich sehe, heute vornehmlich aus vier verschiedenen Quellen gespeist und bildet vier - bis jetzt (und das bezeichnet ein Desiderat) eher nur geringfügig interagierende - Diskurse: Freilich steht außer Frage, dass mit diesen vier Diskursen bei weitem nicht das gesamte Spektrum der medientheoretischen Debatte abgedeckt ist (man denke nur an die fehlenden Cultural Studies oder an die ebenso fehlenden Zeichentheorien). Dennoch machen diese Systematiken Sinn, weil sie es erlauben, Autoren und Positionen in einem Kontext zu lesen und damit deren Grundaussagen in einem größeren Zusammenhang zu verstehen. Margreiter fasst etwa moderne (McLuhan, Postman) und postmoderne (Baudrillard, Virilio u. a.) Medientheorien in einen • die (post)modernen Medientheorien eines McLuhan, Baudrillard, Virilio, Flusser, Kittler, Postman, de Kerckhove und Bolz; • Systemtheorie und Radikaler Konstruktivismus (Luhmann, Schmidt, Rusch, Merten, Weischenberg, Weber u. a.); • philologische, historische und ethnologische Forschungen über die ›alten‹ Medien Oralität, Literalität und Buchdruck (Innis, McLuhan, Havelock, Ong, Goody, Giesecke, A. und J. Assmann, Koch, Oesterreicher, Stetter u. a.); • die fachphilosophische Fokussierung und Weiterführung sprach- und symboltheoretischer Ansätze in Richtung eines medial turn (z. B. Schwemmer, Krämer, Welsch, Seel, Capurro, Schirmacher, Sandbothe, Leidlmair).« (Margreiter 1999, 10 f.) <?page no="28"?> 29 Einführung Strang - hier wären weitere Differenzierungen angebracht, die er durch die Klammersetzung ja auch selbst signalisiert. Philologische, historische und ethnologische Forschungen werden hingegen in der Tat eher von den jeweils zuständigen Disziplinen betrieben und haben nur indirekten Einfluss auf die medienwissenschaftliche Theorie-Debatte (mit Ausnahme der hier ebenfalls genannten Innis und McLuhan). Dennoch wird im Folgenden noch gezeigt werden, inwiefern dieser Sammelband, die Systematik von Margreiter erweitert. Der Medienwissenschaftler Ulrich Saxer verwendet sogar explizit den Begriff der ›Basistheorien‹. Er sieht folgende Theorie-Bündel: »Was nun einzelne Basistheorien anbelangt, die große Gegenstandsbereiche elementar und effizient erschließen, wird neben dem stark ›kulturalistischen‹ Symbolischen Interaktionismus vor allem die Systemtheorie von der scientific community recht allgemein als - auch - publizistikwissenschaftliche Basistheorie akzeptiert, aber bereits der Systemcharakter von Kultur, zumal von konstruktivistischer Seite […] in Frage gestellt. Von ähnlich umfassendem Geltungshorizont dürfte außer der/ den Handlungstheorie(n) ferner in erster Linie noch die Semiotik als allgemeine Zeichentheorie sein und sich in dieser Eigenschaft gerade auch für die Erhellung von Medien-Kulturkommunikation empfehlen.« (Saxer 1998, 14 - Hervorhebungen der Theorien S.W.) Zwei korrigierende bzw. erweiternde Bemerkungen zu Saxer: (1) Bei Saxer wie auch etwa bei Bonfadelli/ Rathgeb (1997) ist die Rede von »publizistikwissenschaftlichen Basistheorien«. Eine Einschränkung des Forschungsfokus auf massenmediales Veröffentlichen soll hier jedoch vermieden werden. Die Entwicklung des Fachbereichs von der Zeitungskunde über die Publizistikwissenschaft hin zur Medien- und Kommunikationswissenschaft ist hier zwar nicht Thema (siehe dazu etwa ausführlich und empirisch gesättigt Merten 1999, 424 - 463), es soll an dieser Stelle aber sehr wohl darauf verwiesen werden, dass es keinen Grund für die Einschränkung der Anwendung von Zeichen- oder Systemtheorien auf einzig und allein publizistikwissenschaftliche Fragestellungen gibt. (2) Saxer erwähnt die mehr oder weniger stark kulturalistische Orientierung mancher Basistheorien. Diese Bemerkung gestattet es, noch einmal über die Unterscheidung von naturalistisch und kulturalistisch orientierten Theorien nachzudenken. Naturalistische Medientheorien sind jene, die Forschungsergebnisse aus den Naturwissenschaften übernehmen und/ oder sich im philosophischen Sinne dem Programm der ›Naturalisierung der Erkenntnistheorie‹ (Quine) verschrieben <?page no="29"?> 30 Stefan Weber haben. Dies bedeutet, dass die einst großen geisteswissenschaftlichen Konzepte wie ›Geist‹, ›Willensfreiheit‹ oder eben auch ›Kultur‹ nur noch rein auf naturwissenschaftlicher Basis verhandelt werden. 16 Kybernetik, Konstruktivismus und Systemtheorie wären in diesem Sinne tendenziell naturalistische Theorien, weil sie versuchen, naturwissenschaftliche Denklogiken wie auch Befunde auf (medien-) kulturelle Dynamiken zu übertragen. 17 Kulturalistische Medientheorien hingegen speisen ihre Denklogik primär aus der genuinen Begrifflichkeit der Kulturwissenschaften; sie beobachten nicht eine Naturalisierung der Kultur, sondern vielmehr eine Kulturalisierung der Natur. Sie interessieren sich generell für den jeweiligen kulturellen Kontext von Wissens-Beständen, auch für jenen von naturwissenschaftlichen Weltbildern. Kontext- und Kulturorientierung zeichnet etwa besonders die Cultural Studies und die Semiotik aus. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass auch im konstruktivistischen Diskurs Bestrebungen vorhanden sind, die primär auf neurobiologischer Ebene argumentierende naturalistische Richtung kulturalistisch umzuorientieren (genauer  2.6 Konstruktivistische Medientheorien). In dem Sammelband »Publizistikwissenschaftliche Basistheorien und ihre Praxistauglichkeit« (Bonfadelli/ Rathgeb 1997) wird die Debatte auf der Theorie- Ebene vor allem im Lichte der klassischen Kontroverse von Subjektversus Systemorientierung ausgetragen (also in der Bandbreite von Handlungstheorie, Konstruktivismus und Systemtheorie). Im Bereich der »Anwendungstheorien« werden Kulturtheorien, politische Theorien und medienökonomische Theorien genannt, was das Spektrum der möglichen Basistheorien einmal mehr erweitert. 18 Fasst man nunmehr alle bislang - von Margreiter über Saxer bis zu Burkart - erwähnten Kandidaten für Basistheorien zusammen und erweitert diese Liste um die 16 Die breite Diskussion kann hier nur exemplarisch angerissen werden: Man kann den menschlichen ›Geist‹ etwa im klassisch-dualistischen Sinne als kategorial verschieden von der physikalischen Welt konzipieren, oder aber man begreift ›Geist‹ - wie etwa der konstruktivistische Neurophilosoph Gerhard Roth - als »physikalischen Zustand genauso wie elektromagnetische Wellen, Mechanik, Wärme, Energie« (Roth 1994, 273). 17 Chaostheorie, Synergetik und Memetik müssten zumindest noch ergänzt werden - dazu weiter unten. 18 Roland Burkart kommt in seinem Beitrag (Burkart 1997, 62) zu folgendem Resümee: »Fasst man den ›Ertrag‹ des bisher Gesagten zusammen, dann stehen auf der Liste publizistikwissenschaftlicher Basistheorien bislang: Semiotik, Konstruktivismus, Symbolischer Interaktionismus, Theorie des kommunikativen Handelns, Historisch-materialistische Theorie der Kommunikation, Systemtheorie. […] Was mir dennoch im Reigen derartiger basistheoretischer Ansätze zu fehlen scheint, das ist eine Perspektive, die vorrangig und ausdrücklich den technisch-medialen Charakter publizistischer Kommunikation in den Mittelpunkt rückt.« In einem darauf folgenden Schaubild (ebenda, 63) werden von Burkart genannt: Systemtheorie, Materialismus und (Medien-)Ökonomie, Symbolischer Interaktionismus, Theorie des kommunikativen Handelns, Semiotik und Konstruktivismus. Ergänzt man diese Liste nunmehr um die fehlenden technisch orientierten Medientheorien, kommen wir unserer folgenden Systematik schon sehr nahe. <?page no="30"?> 31 Einführung jeweils weit verästelten Nachbartheorien, so gelangt man zu folgender Systematik, die erstmals auch einen gewissen Anspruch auf Vollständigkeit erheben möchte. 19 Überblick: (Basis-)Theorien der Medien(-wissenschaft) 1. Postmoderne Theorien Zunächst wäre ein Theorie-Bündel anzuführen, das (freilich mit allen Einschränkungen) als ›postmodern‹ bezeichnet werden kann. Postmoderne Medientheorien beschäftigen sich - im hier gemeinten Sinne - generell mit Transformations- (bzw. Wandlungs-)Phänomenen beim Übergang von der Moderne in einen anderen Zustand, namentlich in die Postmoderne, und im medialen Kontext speziell mit Formen des medialen Wandels während dieses Übergangs. Charakteristisch für alle postmodernen Theorien ist somit ein teleologisches (zielgerichtetes) Denken, das den Prozess der Postmodernisierung als Pfeil, als Gerichtetheit mit jeweiligen Fluchtpunkten konzipiert - entweder in Richtung auf mehr Medialisierung, mehr Virtualisierung, mehr Schein oder mehr Geschwindigkeit. Eine Unterdifferenzierung wäre einzuführen zwischen französischer Postmoderne oder auch (französischem) Poststrukturalismus und anderssprachigem postmodernen medientheoretischen Denken. 1.1 Französische Postmoderne/ französischer Poststrukturalismus Im Umfeld des Poststrukturalismus, d. h. vor allem in kritischer Weiterführung sprach- und zeichentheoretischer Ansätze des Strukturalismus, sind folgende medientheoretische Positionen relevant: • Zunächst ist Jean Baudrillards Ansatz von der Agonie des Realen und der Durchdringung der Welt mit Simulakren zu erwähnen. Jean Baudrillard ist grundsätzlich für seine Simulationsthesen bekannt geworden; die Medienwirklichkeit ist für ihn eine, in der das Reale weitgehend verschwunden ist und nur noch die frei flottierenden Zeichen der Hyper-Realität regieren (Baudrillard 1978a und 1978b). In Auseinandersetzung mit McLuhan sowie mit der Kritischen Medientheorie entwickelt er seinen Ansatz rund um die Leitbegriffe und 19 Noch einmal: Es geht im Folgenden also nicht um Selektion oder Präferenz, auch nicht um eine Hierarchisierung (die Reihung ist zufällig und nicht wertend), sondern um den Versuch des breiten Überblicks. - Die Systematik wurde vom Verfasser in einschlägigen Theorie-Lehrveranstaltungen in Salzburg, Klagenfurt und vor allem Karlsruhe entwickelt (1998-2000). <?page no="31"?> 32 Stefan Weber -konzepte ›Implosion des Realen‹, ›Präzession der Simulakra‹ sowie ›Virtualität‹ und ›Viralität‹ (Baudrillard 1994). • Michel Foucault hat im Rahmen seiner Diskursanalyse (Diskurs = sozial normierte Ausdruckspraxis) den Zusammenhang zwischen Diskursen und Dispositiven einerseits und der Ausübung und Erhaltung von Macht andererseits untersucht (zur Einführung in Foucaults spezielle Terminologie vgl. Fohrmann/ Müller 1988). Seine ›archäologische‹ Methode, seine Spurensuche ›verborgener‹ Machtstrukturen und seine Kritik des klassischen Konzepts der Wahrheit hatten großen Einfluss auf medienarchäologische Theorie-Bemühungen (von Friedrich Kittler bis Siegfried Zielinski 20) . • Jean-François Lyotard hat in seinen Arbeiten den Begriff der Postmoderne maßgeblich geprägt. Sein Ansatz versteht sich als Abgesang auf die ›großen Erzählungen‹ bzw. ›Meistererzählungen‹ der Moderne. • Paul Virilios Ansatz ist die sogenannte Dromologie, die Lehre von der Geschwindigkeit. Virilio beschäftigt sich in seinen Büchern in diesem Zusammenhang auch immer wieder mit der logistischen Kopplung von (Massen-)Medienentwicklung und Militärtechnologien. • Michel Serres hat eine allgemeine Theorie des Kommunikationsnetzes entworfen (Serres 1991, 9 ff.) und mit ihr eine mathematisch inspirierte neue Semantik kommunikativer Prozesse (  genauer 2.11 Medienphilosophische Theorien). • Jacques Derrida hat im Rahmen seiner Dekonstruktion (die oft auch als eigene Richtung parallel zur Postmoderne konzipiert wird) eine theoretische Methode namens Grammatologie entwickelt, die von einem erweiterten Schriftbegriff ausgeht (zu Derrida sowie auch zu den übrigen bislang genannten Denkern  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien und  2.11 Medienphilosophische Theorien). 1.2 Anderssprachige Postmoderne • Vilém Flusser wird oft auch der Postmoderne zugerechnet. Auch Flusser entwickelt im Rahmen seiner Kommunikologie eine teleologische Theorie der Medienevolution, die er mit unterschiedlichen Dimensionalitäten verknüpft (  2.11 Medienphilosophische Theorien). Flusser entwirft überdies nicht nur idealtypische Kommunikationsstrukturen (Flusser 1998, 16 ff.), sondern beschäftigt sich in seinen Schriften auch immer wieder mit dem Fluchtpunkt der telematischen Kultur (gesammelt etwa in Flusser 1997, 143 ff.). 20 Dieser hat das modifizierte Konzept einer Medienanarchäologie vorgeschlagen, einer Medienarchäologie mit anarchisch-ausschweifender Suchbewegung, vgl. Zielinski 2002, 40 f. <?page no="32"?> 33 Einführung • Im Kontext medientheoretischer Ansätze werden oft die Arbeiten des österreichischen Medienphilosophen Peter Weibel vergessen. Insbesondere sein Buch zur Beschleunigung der Bildkultur (Weibel 1987) und zur zunehmenden Herrschaft der Zeit (Chronokratie) gehört jedoch mit seiner teleologischen Position und seiner Makrotrend-Analyse der zunehmenden Dominanz von Zeit(-medien) zur postmodernen Theoriebildung. • Der Berner Medien- und Kulturphilosoph Gerhard Johann Lischka hat in zahlreichen Publikationen und mit Hilfe von Versatzstücken einiger anderer postmoderner Theoretiker eine Theorie der Mediatisierung der Welt entworfen, er selbst spricht von einem »postmodernen Weltbild« und einer »Schnittstellen-Theorie« (zentral: Lischka 1997). Sein Mediatoren-Ansatz impliziert eine Ablösung der klassischen medienwissenschaftlichen Begrifflichkeit von Kommunikator und Rezipient. • Auch der Essener Medienphilosoph Norbert Bolz kann mit seinen Analysen zum Ende der Gutenberg-Galaxis (Bolz 1993) und zum schönen Schein der neuen Medien (Bolz 1991) als postmoderner Denker bezeichnet werden. Generell ist anzumerken, dass postmoderne Medientheorie fast durchweg darum bemüht ist, den aktuellen medientechnologischen Innovationen gerecht zu werden: Computerisierung, Virtuelle Realität und schließlich das Internet bilden die technologischen Fluchtpunkte in zahlreichen Arbeiten. Die Beobachtung einer zunehmenden Virtualisierung der Welt durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ist zumeist verknüpft mit philosophischen Überlegungen zu Realität und (Medien-)Wirklichkeit, wobei wiederum - wie etwa besonders bei Lischka oder Bolz - Anschlussstellen zu Konstruktivismus und Systemtheorie zu finden sind. Teleologisches Denken tritt in postmodernen medientheoretischen Diskursen in vielerlei Varianten auf: als These von der zunehmenden Simulation (Baudrillard), von der zunehmenden Geschwindigkeit (Virilio, Weibel) oder von der wachsenden Immaterialisierung (Lyotard). Auf allgemeiner Ebene kann Medialisierung (oder, wie es bei Lischka heißt, Mediatisierung) als Makro-Trend der Entwicklung angesehen werden, d. h. als zunehmende Durchdringung der Welt mit Medien(-Effekten). Die unterschiedlichen Denker des postmodernen Diskurses haben versucht, nicht nur neues Denken zu etablieren, sondern auch für herkömmliche Begriffe alternative Bezeichnungen zu finden: Redeweisen wie Kommunikologie (Flusser), Mediologie (Debray), Dromologie (Virilio), (Analyse der) Chronokratie (Weibel) oder Mediatoren-Theorie (Lischka) vermessen das Terrain der klassischen Medien- und Kommunikationswissenschaft neu - es bleibt abzuwarten, inwieweit sie in Zukunft anschlussfähig sein werden. Postmoderne Theoriebildung wird im vorliegenden Sammelband in drei unterschiedlichen Kapiteln erörtert: Die französische Postmoderne wird vor allem <?page no="33"?> 34 Stefan Weber von Claus Pias in  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien behandelt (mit Schwerpunkt auf Foucault, Lyotard, Derrida, Baudrillard und Virilio), während vor allem Flusser und Serres ausführlich in den beiden Beiträgen von Frank Hartmann besprochen werden (  2.1 Techniktheorien der Medien und  2.11 Medienphilosophische Theorien). 21 2. Medienphilosophische Ansätze Obwohl medienphilosophische und postmoderne Ansätze sich in vielerlei Hinsicht überschneiden und für manche Beobachter Medienphilosophie sogar ein an sich postmodernes Unterfangen ist, sollen beide theoretischen Stränge hier im Sinne analytischer Präzision getrennt angeführt werden. Während postmoderne Theorien die Transformation von Medien, Kultur oder Gesamtgesellschaft in der Regel teleologisch beobachten, geht es bei medienphilosophischen Ansätzen zunächst theorieintern um eine Kontextuierung der Medienanalyse in sprach- und symbolphilosophische Denktraditionen. 22 Das Bestreben ist also nicht auf einen gesellschaftlichen oder technologischen Fluchtpunkt hin, sondern eher wissenschafts- und theorieintern ›rückwärts‹ gerichtet. Inhaltlich ist Medienphilosophie generell bemüht, den Zusammenhang von medientechnologischer, medienkultureller und menschlicher Evolution zu erhellen. 23 Vertreter medienphilosophischer Ansätze (im Unterschied zu postmodernen) sind u. a. • Frank Hartmann und seine Medienphilosophie (vgl. Hartmann 2000) als philosophische Spurensicherung von Descartes und Kant über Sprach- und Sym- 21 Als weiterführende Literatur soll auf die klassischen ›postmodernen‹ Sammelbände Rötzer 1991 und Rötzer/ Weibel 1991 verwiesen werden. - Es sei an dieser Stelle nur angemerkt, dass postmoderne Theorien nicht die einzige Möglichkeit sind, Theorien der Moderne bzw. der Modernisierung zu aktualisieren und fortzuschreiben. Alternativ gibt es Theorien der Neo-Moderne oder der ›Zweiten Moderne‹ im Umfeld von Beck, Giddens und Lash. In diesem Kontext fand vor allem Ulrich Becks Buch »Risikogesellschaft« (Beck 1986) seinen Niederschlag in der Medienwissenschaft im Rahmen der Analyse von Risikokommunikation. 22 In einigen medienphilosophischen Ansätzen taucht dabei auch die ›turn‹-Semantik bzw. die Rede von einer Wende auf - und dies in unterschiedlichen Spielarten von medial turn (Reinhard Margreiter) bis zu cybernetic turn (Manfred Faßler). Gemeint ist dabei die Einbettung der Medienanalyse in die ›Ahnenreihe‹ vom linguistic turn (nach Rorty; der Hinwendung zur Sprache) über den symbolic turn (die Symbolphilosophie) und den cognitive oder naturalistic turn (die Kognitionswissenschaften) bis zum heutigen medial turn (oder auch cultural turn der Medien- und Kulturwissenschaften). Eine Variante liegt auch mit der Bildtheorie und ihrer Rede vom pictorial oder iconic turn vor. 23 Angloamerikanische »medium theory« (vgl. McQuail 1999, 15 ff.), also Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen jeweils einem Leitmedium und Sozialstruktur - von McLuhan bis Innis -, wäre wohl in diesem Sinne auch unter ›medienphilosophische Ansätze‹ einzureihen. <?page no="34"?> 35 Einführung bolphilosophie bis zur Medientheorie des 20. Jahrhunderts (v. a. Benjamin, Anders, McLuhan, Innis und Flusser). • Mike Sandbothe und seine pragmatische Medienphilosophie (vgl. Sandbothe 2001) sowie alle weiteren Versuche, aufbauend auf Pragmatismus (Dewey u. a.) oder Neo-Pragmatismus (Rorty u. a.) Medientheorie zu betreiben; • Reinhard Margreiter und seine Medienphilosophie des medial turn in Fortschreibung der Symbolphilosophie Cassirers (vgl. Margreiter 1999); • sowie die mitunter heterogenen medienphilosophischen Zugänge von Sybille Krämer, Martin Seel, Matthias Vogel, Manfred Fassler u. a. Die meisten medienphilosophischen Denkbewegungen eint der Versuch, die Sprach- und Vernunftzentriertheit philosophischen Denkens aufzubrechen und via Symbolphilosophie oder Pragmatismus o.a. Strömungen die Medien als expliziten Forschungsgegenstand der Philosophie auszuweisen. 3. Techniktheorien Techniktheorien stellen den Forschungsfokus erneut um. Sie interessieren sich nicht primär für den Wandel der Gesellschaft im Sinne einer Postmodernisierung, auch nicht für den philosophiediskurs-internen medial turn, sondern für die technologische (Eigen-)Dynamik der Medialisierung. Techniktheorien der Medien haben ihren theoretischen Ausgangspunkt in der Evolution der Technik (und ihren möglichen Gesetzmäßigkeiten), bei der Entwicklung und Verfeinerung medialer Apparate und bei medientechnologischen Revolutionen (etwa der massenhaften Diffusion eines neuen Leitmediums). Es geht hier also um die ›Hardware‹ der Medialität bzw. - um mit Friedrich Kittler zu sprechen - um die ›Schaltungen‹ der Medienapparate. Techniktheorien der Medien begeben sich rhetorisch oft in Opposition zu allen Theoriebemühungen, die primär an der Analyse von Medieninhalten und Bedeutungen interessiert sind und nicht an den ihnen zugrunde liegenden technologischen Trägern. Besonders verstehende und interpretative Verfahren wie etwa die Hermeneutik werden als unzureichend kritisiert. Diese Auseinandersetzung um Techniktheorien wird ausführlich geschildert in  2.1 Techniktheorien der Medien. Prominente Vertreter von Techniktheorien der Medien sind • Friedrich Kittler und sein Medienmaterialismus (der allerdings auch durch Poststrukturalismus und Psychoanalyse inspiriert ist, siehe dazu diverse Kommentare in den Einzelkapiteln dieses Bandes); • Hartmut Winkler und seine Medientheorie des Computers, die die radikale Position Kittlers abschwächt, sowie weitere Theoriebemühungen im Kontext der Computerisierung (Volker Grassmuck, Wolfgang Coy u. a.); <?page no="35"?> 36 Stefan Weber • Jean-Louis Baudry u. a. und die (ebenfalls psychoanalytisch inspirierte) Apparatus-Theorie des Kinos. 4. Ökonomische Theorien Im Gegensatz zu Techniktheorien analysiert ökonomische Theoriebildung nicht technologische Apparaturen und deren Wirkungsweisen auf Kultur und Gesellschaft, sondern untersucht ökonomisches Handeln als Güterproduktion und -konsumtion unter den Bedingungen der Ressourcenknappheit. Da keine soziale Organisation ohne ökonomischen Kontext denkbar ist, sind auch ökonomische Theorien selbstredend als Basistheorien der Gesellschaft (und damit auch der Massenmedien) zu verstehen. Von (neo-)marxistischer Seite (in den siebziger Jahren v. a. Franz Dröge und Horst Holzer; in einem aktuellen Fundierungs-Versuch auch Manfred Knoche) wird zusätzlich oft der - ideologisch gesehen antikapitalistisch motivierte - Anspruch eines gesellschaftsverändernden Paradigmas erhoben; dies ist jedoch nicht Thema des vorliegenden Bandes. Michael Latzer und Natascha Just geben in  2.2 Ökonomische Theorien der Medien einen ausführlichen Überblick über die wichtigsten Stränge ökonomischer Theoriebildung (Klassische, Neoklassische und Neue Politische Ökonomie) und die auf ihnen aufbauenden Ansätze zur Medienökonomie (Jürgen Heinrich und Marie-Luise Kiefer); sie beziehen überdies auch wirtschaftswissenschaftliche Grundbegriffe, die für die Medienwissenschaft immer wichtiger werden, in ihre Darstellung mit ein. 5. Kritische Theorien Kritische Medientheorien sind letztlich nicht trennscharf von manchen (polit-) ökonomischen Medientheorien und auch von gewissen Strömungen postmoderner Theoriebildung zu unterscheiden. Sozial- und medienkritische Spurenelemente oder zumindest die (erneut kritische) Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie findet sich bei Denkern von Baudrillard bis Weibel. Dennoch kann die Kritische Theorie als eigene Denktradition bezeichnet werden; ihr Fokus ist erstmals explizit präskriptiv (d. h. wertend, aktiv in die Gesellschaft eingreifend) und tendenziell kulturpessimistisch. Zwar zeichnen auch Baudrillard, Virilio, Flusser und Weibel im Rahmen postmoderner Theoriebildung ein teleologisches Bild mit teils paradoxem Fluchtpunkt (wie etwa Virilios ›rasender Stillstand‹), doch ist ihr <?page no="36"?> 37 Einführung Bild nicht derart düster wie das der Kritischen Theorie (ganz im Gegenteil dazu ist es bei Weibel, Bolz oder Lischka sogar mitunter ›rosig‹). Die Geschichte der Kritischen Theorie ist jedoch auch - und dies zu guten Teilen historisch bedingt! - eine Geschichte der Abschwächung einer radikal kulturpessimistischen Position. Die Ahnenreihe der Kritischen Theorie, wie sie im Wesentlichen auch Christian Schicha in  2.3 Kritische Medientheorien skizziert, lautet: • Theodor W. Adorno und Max Horkheimer als Begründer der sogenannten Frankfurter Schule und exponierteste Vertreter der Kulturkritik (mit vernichtenden Kommentaren zum Massenbetrug durch die Kulturindustrie); • Hans Magnus Enzensberger mit seiner kritischen Analyse der Bewusstseinsindustrie, aber auch mit Hoffnung auf emanzipatorischen Mediengebrauch; • Jürgen Habermas, der seine Theorie des kommunikativen Handelns an den Schnittstellen von Phänomenologie (Begriff der ›Lebenswelt‹), Systemtheorie (Begriff des ›Systems‹), Handlungstheorie und Kritischer Theorie entwickelt und ein rationales, idealtypisches Modell zwischenmenschlicher Verständigung und Konsensfindung entwirft; • Richard Münch, der die Theorie von Habermas in seiner Dialektik der Kommunikationsgesellschaft erweitert. • Des Weiteren wäre Dieter Prokop mit seinen kritischen Medienkapitalismus- Analysen zu nennen. Kritische Theoriebildung blieb nicht nur auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Auch in Frankreich, Italien oder im angloamerikanischen Raum hat sich die Kritische Theorie entfaltet und ihrerseits einen Einfluss auf die deutschsprachige Theorieentwicklung ausgeübt. Unter anderem seien erwähnt: • Louis Althusser und seine Theorie der ideologischen Staatsapparate; • Antonio Gramsci und seine Hegemonie-Theorie; • die medienkritischen Analysen von Noam Chomsky bis Herbert Schiller (auch unter dem Stichwort Politische Ökonomie, ebenso  2.2 Ökonomische Theorien der Medien); • freilich auch die populärwissenschaftlichen Traktate eines Neil Postman; • amerikanische Cyberkritik (Theorie der virtuellen Klasse, Pankapitalismus-Analyse) von Arthur Kroker u. a. (vgl. etwa Kroker/ Weinstein 1997) sowie Schriften im Umfeld der Netzkritik-Bewegung (vgl. etwa Lovink 2008). • Schließlich muss auch die Soziologie der Distinktionen von Pierre Bourdieu ihren Platz in der medientheoretischen Systematik finden. Nicht zuletzt die kritische Schrift zum Fernsehen (vgl. Bourdieu 1998) legt eine Platzierung im Rahmen der Kritischen Theorie nahe. Darüber hinaus hat Bourdieu auch eine elabo- <?page no="37"?> 38 Stefan Weber rierte Sozialtheorie entworfen, die mit ihrer Grundeinheit des ›Feldes‹ und der Beobachtung von Autonomisierungs- und Heteronomisierungs-Dynamiken für medienwissenschaftliche Fragestellungen als ähnlich gewinnbringend anwendbar erscheint wie etwa die Systemtheorie Niklas Luhmanns. 6. Feministische Theorien Es ist auffallend, dass feministische Theoriebildung bei den oben zitierten Systematiken von Saxer u. a. nie als Kandidatin für eine weitere Basistheorie der Medienwissenschaft Erwähnung fand. Dies mag (neben gewissen akademischen Resistenzen) zu einem Gutteil wohl auch daran liegen, dass besonders der feministische und der Gender-Diskurs sich aus verschiedenen anderen Theorie-Diskursen speisen (Psychoanalyse, Poststrukturalismus, Dekonstruktion, Konstruktivismus und Kritische Theorie); dennoch gibt es aber theoretische Entwürfe, die eine Behandlung als eigene Basistheorie rechtfertigen, wie in  2.8 Feministische Medientheorien von Sibylle Moser nachzulesen ist. Das Spektrum reicht von Konzepten des Doing bzw. Performing Gender (Ursula Pasero, Judith Butler u. a.) bis zur aktuellen Variante des Cyberfeminismus (Donna Haraway, Sadie Plant). Auch die Palette empirischer Anwendungsmöglichkeiten ist - gerade in der Medien- und Kommunikationswissenschaft - breit gefächert. 7. Psychoanalytische Theorien Psychoanalytische Medientheorien haben im Anschluss an Sigmund Freud und Jacques Lacan das Unbewusste, die Latenz im Visier - auf Seiten der Medien(texte) wie auf Seiten der Rezipienten. Im Kontext dieses Theorien-Bündels sind sowohl die psychoanalytisch inspirierten (aber auch oft der Postmoderne bzw. dem Poststrukturalismus zugeordneten) Theorien von Gilles Deleuze und Félix Guattari zu nennen als auch die Analysen des Medialen wie des Realen durch Slavoj Žižek. Lutz Ellrich bietet  2.9 Psychoanalytische Medientheorien einen breiten Überblick. 24 24 Bislang hat etwa die Psychohistorie von deMause kaum Anwendung in der Medienwissenschaft gefunden, vgl. aber als Versuch Krieg 1991. <?page no="38"?> 39 Einführung 8. Zeichentheorien Nicht nur bei Publizistikwissenschaftlern wie Ulrich Saxer oder Roland Burkart werden Zeichentheorien bzw. wird die Semiotik als Basistheorie für den Fachbereich gehandelt - ganz im Gegensatz zu einigen der oben bereits genannten Theorien-Diskurse. Es besteht also kaum ein Zweifel, dass die Semiotik bzw. die Semiologie eine Basistheorie auch und gerade für die Medienwissenschaft darstellt. Analysen von Zeichenprozessen sind in der Medienwissenschaft weit verbreitet; und viele Modellierungen von Kommunikationsprozessen bis hinein in die Cultural Studies fußen auf der Denklogik und den Grundbegriffen der Semiotik. Zu denken wäre hier also sowohl an die Gründerväter wie Ferdinand de Saussure oder Charles S. Peirce, aber auch an Denker, die sich direkt mit medien- oder kommunikationswissenschaftlichen Fragestellungen aus der Perspektive der Semiotik befasst haben (wie etwa Roman Jakobson, Roland Barthes oder Umberto Eco). Gloria Withalm stellt in  2.4 Zeichentheorien der Medien alle wichtigen Positionen dar. 9. Cultural Studies Die Benennung dieses Theorienbündels mit »Cultural-Studies-Theorien der Medien« weicht von den übrigen ab. Im Sinne einer Kohärenz zu Kritischen Theorien, Zeichentheorien u. a. könnte hier auch von Kulturtheorien gesprochen werden. Gemeint sind all jene v. a. auf dem erweiterten Kulturbegriff von Raymond Williams aufbauenden Versuche, Medienwissenschaft mit Kultur-, Kontext- und Rezipientenorientierung zu betreiben (Stuart Hall, Lawrence Grossberg, Ian Ang, John Fiske, John Hartley u. a. sowie deren Rezeption im deutschsprachigen Raum). Bettina Pirker gibt dazu in  2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien einen Überblick. 25 25 Man könnte hier auch andere Studies-Bewegungen anführen, die zumindest implizit einen Einfluss auf die Medienwissenschaft haben, wie etwa Urban Studies, Ritual Studies, Postcolonial Studies oder Critical Whiteness Studies. Gender Studies als Bewegung wären hingegen unter feministischen Theorien zu subsumieren. Seit einiger Zeit ist anstelle von Cultural Studies auch vermehrt vom eigenen Profil der Media Studies die Rede, was einer Differenzierung von Kultur und Medien entspricht und den Forschungsfokus auf Letztere lenkt. Als jüngste Entwicklung wären Net bzw. Web Studies (vgl. Gauntlett/ Horsley 2004) als eigenes Forschungsfeld anzuführen, wobei sich diese ohne Anschlüsse an die Cultural Studies ausdifferenziert haben. <?page no="39"?> 40 Stefan Weber 10. Konstruktivistische Theorien Hier wäre an alle theoretischen wie empirischen Arbeiten zu denken, die entweder auf dem neurobiologischen (Humberto R. Maturana, Gerhard Roth) oder aber auf dem soziokulturellen (Siegfried J. Schmidt, Peter Janich) Konstruktivismus aufbauen. Die Theorie wurzelt in den Arbeiten von Paul Watzlawick, Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld u. a., die sich - als gleichsam kleinster gemeinsamer Nenner - mit der Erforschung der Konstruktionsbedingungen und -verfahren von Erkenntnis und Wissen beschäftigen. Die elaborierteste, explizit für medienkulturwissenschaftliche Problemfelder entwickelte Spielart des Konstruktivismus liegt in der Fassung von Siegfried J. Schmidt vor (  2.6 Konstruktivistische Medientheorien). Im Umfeld von Schmidt hat auch der sogenannte Siegener Konstruktivismus (Gebhard Rusch, Peter M. Spangenberg u. a.) zentrale Theorie-Bausteine und Modellierungen zu Kognitions- und Kommunikationsprozessen beigesteuert. Ein Modell, das von einer philosophischen Kritik des Konstruktivismus ausgeht und eine neue Sichtweise des Erkenntnisprozesses entwirft, liegt mit dem Non-Dualismus von Josef Mitterer vor. 11. Systemtheorien Dieser Begriff könnte eigentlich - ebenfalls abweichend von den übrigen Theorie- Strängen - in der Einzahl geführt werden, da mit Systemtheorie im medienwissenschaftlichen Zusammenhang in den allermeisten Fällen die autopoietische Systemtheorie von Niklas Luhmann gemeint ist bzw. ihre Weiterentwicklung durch Luhmann-Schüler wie Peter Fuchs, Dirk Baecker oder Elena Esposito (  2.7 Systemtheorien der Medien). Auf Grund ihrer besonderen Komplexität und ihres hoch ausdifferenzierten Spezialvokabulars gilt die Systemtheorie für viele Autoren als die Basistheorie des Fachbereichs, wenn nicht gar als die einzig verfügbare, universal verwendbare Supertheorie. 26 Zu denken wäre hier nicht nur an Pioniere der Anwendung der Systemtheorie in der Publizistikwissenschaft (wie zunächst Manfred Rühl und später, in einer modifizierten Version, Ulrich Saxer), sondern vor allem auch an die aktuelle, ebenfalls bereits weit verzweigte Theorie-Debatte zu Massenmedien/ Publizistik/ Journalismus/ Öffentlichkeit als soziales Funktionssystem (Frank Marcin- 26 Die Differenzierung von strukturell-funktionaler (Parsons) und funktional-struktureller Systemtheorie (Luhmann) hat heute weitgehend an Bedeutung verloren. Dennoch wäre hier als Gründervater einer soziologischen Theorie symbolischer Medien Talcott Parsons zu nennen, nicht zuletzt auf Grund seines eminent großen Einflusses auf Luhmann. <?page no="40"?> 41 Einführung kowski, Bernd Blöbaum, Alexander Görke, Matthias Kohring, Armin Scholl, Siegfried Weischenberg u. a.). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass - ähnlich der Weiterentwicklung des Konstruktivismus durch den Non-Dualismus von Josef Mitterer - mittlerweile auch eine Adaption der luhmannschen Systemtheorie vorliegt: die Distinktionstheorie von Rodrigo Jokisch. 12. Andere Theorie-Traditionen aus den Sozial- und Geisteswissenschaften Neben Zeichen-, Kultur- und Systemtheorien gibt es auch noch weitere Theorie- Traditionen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, die mit alternativen Basiskategorien operieren - wie etwa ›Handlung‹, ›Entscheidung‹ oder ›Verstehen‹. Besonders Handlungstheorien und hermeneutische Verstehens-Theorien sind in der Medienwissenschaft relevant. 12.1 Handlungstheorien Handlungstheorien rücken nicht Kommunikation, Kultur oder Kontexte, sondern menschliches (d. h. immer akteursbezogenes) Handeln in den Mittelpunkt der Analyse. Mithin ist die Differenz von (tendenziell intentionalem) Handeln und (tendenziell unbewusstem) Verhalten konstitutiv. Das Spektrum der Handlungstheorien reicht von Talcott Parsons über die Sprechakttheorie (Austin, Searle, Grice) bis zu verwandten Theorien der Intentionalität. 12.2 Entscheidungstheorien ›Kommunikation‹, ›Handlung‹ und ›Entscheidung‹ können entweder als strikt getrennte soziologische Basiskategorien interpretiert werden oder aber als sich überlappende Phänomene. Entscheidungstheorien stellen insbesondere auf das ›decision-making‹ ab; ein Beispiel wäre die Rational-Choice-Theorie, die jedoch - im Gegensatz etwa zur Politikwissenschaft - in der Medienwissenschaft kaum geeignete Anwendungsfelder findet. <?page no="41"?> 42 Stefan Weber 12.3 Phänomenologische Theorien Die Phänomenologie (Husserl, Schütz) als philosophische Theorie der Realitäts- Wahrnehmung hatte einen prägenden Einfluss auf die Entwicklung der Ethnomethodologie (Garfinkel) und in der Folge auf die lebensweltlich orientierte ethnomethodologische Nachrichtenanalyse (Tuchman u. a.), die mit ihrer These von der Konstruiertheit der Wirklichkeit mit dem (Radikalen) Konstruktivismus verwandt ist. 12.4 Hermeneutische Theorien Die Hermeneutik als Theorie des Verstehens bzw. der ›Auslegung‹ von Texten ist eine gewichtige philosophische Position; in die Medienwissenschaft spielt sie vor allem über die Methode der sogenannten ›objektiven Hermeneutik‹ herein. - Oft werden aber auch etwas pauschal und allgemein ›hermeneutische Verfahren‹ einer strengen quantitativen Empirie gegenübergestellt. 12.5 Symboltheorien Es gibt viele Verwendungen des Symbol-Begriffs - von der Symbolphilosophie Cassirers über den semiotischen Symbol-Begriff bis zum Symbolischen Interaktionismus (Mead), der die Wechselbeziehungen von interagierenden Kommunikanden sowohl handlungswie auch symboltheoretisch untersucht. Der Symbolische Interaktionismus wird oftmals auch zur eigenen Basistheorie der Kommunikationswissenschaft stilisiert (siehe Saxer und Burkart); worin das besondere heuristische Potenzial dieses Ansatzes liegt, wird jedoch zumeist nicht erklärt. 13. Andere Theorien aus den Naturwissenschaften Verschiedene Publizistik- und Medienwissenschaftler haben sich in den vergangenen Jahren - eher programmatisch-spekulativ denn im Sinne eines fertigen Entwurfs - mit einer möglichen Adaption naturwissenschaftlicher Theorien und Begriffe im Kontext der Medienwissenschaft beschäftigt. Das Spektrum reicht von Chaostheorie über die Evolutionäre Erkenntnistheorie bis zu Endophysik und Memetik. <?page no="42"?> 43 Einführung 13.1 Biologische Theorien Hier wäre vor allem an die Evolutionäre Erkenntnistheorie zu denken, die von einem ›Passen‹ subjektiver Konstruktionen in die objektive Welt im Sinne einer Anpassung ausgeht und etwa von Günter Bentele explizit als »(erkenntnistheoretische) Basistheorie« für seinen sogenannten ›rekonstruktiven Ansatz‹ favorisiert wird (vgl. Bentele 1993, 166 ff.). Auch die Memetik, eine nicht unumstrittene genetische Theorie kultureller Evolution von Richard Dawkins, kommt als Kandidat für eine medienwissenschaftliche Adaption in Betracht. 13.2 Physikalische Theorien Auf der Suche nach einer Alternative zu den biologischen Basistheorien (Radikaler) Konstruktivismus oder Evolutionäre Erkenntnistheorie hat Ulrich Saxer - hoffentlich nicht in einer Absicht à la Sokal - vorgeschlagen, die Chaostheorie für kommunikationswissenschaftliche Belange zu adaptieren (vgl. Saxer 1993). Dieses Vorhaben wurde im Kontext der Nachrichtenforschung von Frerichs aufgegriffen (Frerichs 2000). Auch die Endophysik (Rössler, Weibel) käme als dem Konstruktivismus verwandte Epistemologie als interessanter Standpunkt in Frage. 13.3 Mathematische Theorien Hier wäre schließlich vor allem an spieltheoretische, aber auch an netztheoretische Modellierungen zu denken - zumindest in Bereichen, in denen eine Quantifizierung medienwissenschaftlicher Phänomene oder zumindest eine mathematische Modellierung möglich ist. <?page no="43"?> 44 Stefan Weber In der Summe ergibt dies folgende Systematik: Überblick: Basistheorien 1. Postmoderne Theorien 1.1 Französische Postmoderne/ französischer Poststrukturalismus 1.2 Anderssprachige Postmoderne 2. Medienphilosophische Ansätze 3. Techniktheorien 4. Ökonomische Theorien 5. Kritische Theorien 6. Feministische Theorien 7. Psychoanalytische Theorien 8. Zeichentheorien 9. Kulturtheorien/ Cultural Studies 10. Konstruktivistische Theorien 11. Systemtheorien 12. Andere Theorie-Traditionen aus den Sozial- und Geisteswissenschaften 12.1 Handlungstheorien 12.2 Entscheidungstheorien 12.3 Phänomenologische Theorien 12.4 Hermeneutische Theorien 12.5 Symboltheorien 13. Andere Theorien aus den Naturwissenschaften 13.1 Biologische Theorien 13.2 Physikalische Theorien 13.3 Mathematische Theorien Um Missverständnissen vorzubeugen, muss erwähnt werden, dass die genannten Theoriestränge freilich immer idealtypische Zusammenfassungen, ›Clusterungen‹ von Theorie-Diskursen sind. 27 Klar ist, dass sie nicht überschneidungsfrei mit streng definierten Systemgrenzen im Theorien-Raum existieren, sondern sich vielmehr immer wechselseitig überlappen, befruchten, anziehen wie abstoßen. Die Systematik stellt auch viel eher die Frage »Was gibt es alles? « oder »Wie ist ein mög- 27 Man könnte hier auch von ›Theorie-Clustern‹ reden: im Sinne der Statistik als Bündelungen von Einheiten mit ähnlichen Eigenschaften. <?page no="44"?> 45 Einführung lichst breiter Überblick sinnvoll? « als die nach der einzig richtigen oder verbindlichen Auflistung medientheoretischer Diskurse. Einerseits ist sich der Verfasser der Problematik einer ›Schubladisierung‹ oder vorschnellen ›Etikettierung‹ von theoretischen Positionen bewusst, andererseits fällt - in der Lehre zunehmend deutlicher - das Problem auf, dass Denker, Schulen und Positionen nicht in einen Kontext eingeordnet werden können, weil dieser einfach nirgendwo in seiner ganzen Breite vermittelt wird. Das vorliegende Buch tritt mit dem Anspruch auf, hier Hintergrund- und Kontextwissen zur Verfügung zu stellen. Zu Aufbau und Abfolge des folgenden Überblicks über elf medientheoretische ›Cluster‹ ist noch zu erwähnen: Es war dem Herausgeber ein Anliegen, den oben aufgelisteten ursprünglicher Theorien-Überblick möglichst adäquat in den einzelnen ›Clustern‹ der Autorinnen und Autoren wiederzufinden. Ich denke, dass dies in den Einzelbeiträgen auch zu großen Teilen gelungen ist. Während des Arbeitsprozesses zu diesem Sammelband wurde jedoch klar, dass nicht alle deduktiven Vorgaben exakt erfüllt werden können, da zu der Tatsache, dass ein Autor Experte seines jeweiligen Fachbereichs ist, immer noch persönliche Präferenzen dazukommen, die sich nie ganz eliminieren lassen. So entstanden die folgenden Texte auch im wechselseitig lernbereiten Dialog zwischen Herausgeber und Autoren, wobei jedoch auf eine Kohärenz des Gesamtprojekts stets Rücksicht genommen wurde. Literatur Atteslander, Peter (1984): Methoden der empirischen Sozialforschung. Berlin/ New York: Walter de Gruyter. Baudrillard, Jean (1978a): Agonie des Realen. Berlin: Merve. Baudrillard, Jean (1978b): Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen. Berlin: Merve. Baudrillard, Jean (1994): Die Illusion und die Virtualität. Bern: Benteli. Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Bentele, Günter (1993): Wie wirklich ist die Medienwirklichkeit? Einige Anmerkungen zum Konstruktivismus und Realismus in der Kommunikationswissenschaft. In: Bentele, Günter/ Rühl, Manfred (Hg.): Theorien öffentlicher Kommunikation. Problemfelder, Positionen, Perspektiven. München: Ölschläger, S. 152-171. (Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Band 19) Bolz, Norbert (1991): Eine kurze Geschichte des Scheins. München: Fink. Bolz, Norbert (1993): Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse. München: Fink. Bonfadelli, Heinz/ Rathgeb, Jürg (Hg.) (1997): Publizistikwissenschaftliche Basistheorien und ihre Praxistauglichkeit. Zürcher Kolloquium zur Publizistikwissenschaft (Reihe Diskussionspunkt - Band 33). Zürich: Eigenverlag. <?page no="45"?> 46 Stefan Weber Bonfadelli, Heinz (1999): Medienwirkungsforschung I. Grundlagen und theoretische Perspektiven. Konstanz: UVK Medien. Bourdieu, Pierre (1998): Über das Fernsehen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Burkart, Roland (1997): Publizistikwissenschaftliche Basistheorien: Eine Annäherung aus drei Perspektiven. In: Bonfadelli, Heinz/ Rathgeb, Jürg (Hg.) : Publizistikwissenschaftliche Basistheorien und ihre Praxistauglichkeit. Zürcher Kolloquium zur Publizistikwissenschaft (Reihe Diskussionspunkt - Band 33). Zürich: Eigenverlag, S. 51-66. Faulstich, Werner (1991): Medientheorien. Einführung und Überblick. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Flusser, Vilém (1997): Medienkultur. Frankfurt am Main: Fischer. Flusser, Vilém (1998): Kommunikologie. Frankfurt am Main: Fischer. 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Versuchen Sie, zumindest einen Kandidaten für eine Basistheorie zu finden, der in diesem Einführungstext nicht Erwähnung fand und positionieren Sie ihn in der hier entwickelten Differenzierung. <?page no="48"?> 2 Überblick: Theorienspektrum Medienwissenschaft <?page no="50"?> 51 2.1 Techniktheorien der Medien Frank Hartmann 2.1.1 Technische Evolution und Medienevolution Im Umfeld von Definitionen dessen, was ein Medium eigentlich ist, wird immer wieder diskutiert, welchen Anteil die Technik bei Fragen der Medialität hat. Die Frage zielt dabei auf das materielle Substrat, das aller Kommunikation zugrunde liegt: Kein Zeichenprozess funktioniert ohne diese spezifische Materialisierung von symbolischen Formen, vom Schreibwerkzeug über die Datenträger wie Stein und Papier bis hin zur komplexen, vernetzten Infrastruktur der modernen Informationsgesellschaft. Der Begriff Technik hat dabei eine weite Bedeutung und ist erst im 18. Jahrhundert für »Künstlichkeit« und Kunstprodukte aus dem Französischen übernommen worden; er steht hier im gebräuchlichsten Sinn für Infrastruktur, Maschinen, Apparate und Hardware, während Technologie die Wissenschaft von der Technik und im weiteren Sinne die symbolmanipulierende, mediale Technik bedeutet. 1 Technische Medientheorie setzt vorerst bei solchen Voraussetzungen (Speichern, Schaltungen, Datenträgern) an, die den medialen Inhalt stets mitbestimmen und überformen: Das Medium ist die Botschaft. Von technischen Medien ist dann die Rede, wenn es um eine durch Maschinen und Apparate bestimmte Wirklichkeit geht, die von diesen nicht nur reproduziert oder abgebildet wird: Einzelne technische Medien wie der photographische und der filmische Apparat oder der Computer sind Mechanismen zur Herstellung sekundärer Wirklichkeiten oder Medienwirklichkeiten. Damit wird eine Wirklichkeit bezeichnet, die von der Apparatur durchdrungen ist. Wie jede fortgeschrittene Technik bringt auch die Medientechnik bei dieser Durchdringung und Umformung der Wirklichkeit Systeme hervor, deren Komplexität das Individuum überfordert. Sowohl hinsichtlich Produktion wie Rezeption ist ihr Subjekt daher eigentlich nicht der einzelne Mensch, sondern ein kulturelles oder gesellschaftliches Kollektiv (vgl. Schnell 2000, 149). Die technischen Medien haben damit ihren eigenständigen Anteil an der Wirklichkeitsvorstellung unserer Kultur. Anthropomorphe Technikmodelle, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen und Technik lediglich als Werkzeug und als Prothese des menschlichen Körpers be- 1 Manovich (2001) hat in diesem Sinne vorgeschlagen, von der Medientheorie zu einer Software- Theorie überzugehen; die technoide Fixierung auf Hardware im deutschen Theoriediskurs wäre mit diesem Ansinnen zu relativieren. <?page no="51"?> 52 Frank Hartmann trachten, greifen deshalb zu kurz und verlieren zunehmend an Plausibilität (vgl. die Diskussion in Krämer (Hg.) 1998). Sobald sich die Infrastruktur der Kommunikation mit den technischen Voraussetzungen ändert, zeitigt die technische Strukturdynamik neue Effekte in der Gesellschaft. Nicht erst die elektronische Vernetzung von Computern und die digitale Technik veränderten die Weltwahrnehmung und damit die Wirklichkeitsvorstellung der Menschen, und so setzt auch die Mediengeschichtsschreibung gern bei den Zäsuren der technischen Innovationen an. Was es im Einzelnen bedeutet, wenn die Zylinderdruckmaschine (1811 patentiert), die Daguerrotypie (1837), die Inbetriebnahme des ersten Transatlantik-Kabels (1858), die erste Filmvorführung (1895), die drahtlose Telegraphie (1896), erste Fernsehdienste (BBC, 1936), der erste digitale Rechner (Z1, 1937/ 1941), der Mikroprozessor (1968), die beginnende Computervernetzung (1969) usw. für neue Anwendungen auf dem Weg zur heutigen »Informationsgesellschaft« sorgen, ist nicht allein Sache der Historiker, sondern zunehmend auch der Medienwissenschaftler. 2 Die konkrete Bedeutung einzelner Innovationen innerhalb einer teilweise noch ungeschriebenen Geschichte der Medienevolution in den funktionalen Bereichen des Speicherns, Übertragens und Berechnens ist dabei keineswegs eindeutig, vor allem weil gerade zum Zeitpunkt eines medialen Umbruchs die älteren Medien einer Neubewertung und einer Sinnzuschreibung unterzogen werden (vgl. Faßler/ Halbach 1998, 7). Teilweise wird versucht, in einer möglichst großen Klammer die fundamentalen technischen Medienrevolutionen von der Gutenberg-Galaxis bis hin zum Internet-Zeitalter herauszuarbeiten: • Logisch ebenso wie chronologisch ist hier die Schrifterfindung zuerst zu nennen, die Verwendung phonetischer Schriften als Abstraktionsmedium. • Die Mechanisierung von Schrift durch Gutenbergs Technik, die das Zeitalter der Druckkultur vorbereitet, sorgt für eine vergleichbare zweite Kulturrevolution, deren Effekte auf Kultur und Sprache, Logik und Wissenschaft, Politik und Weltbild kaum überschätzt werden können. • In einem dritten Schritt ist es wieder die Technik, die für neue Bedingungen sorgt: Mit der Erfindung von Photographie und Phonographie im 19. Jahrhundert wird das Speicher- und Übertragungsmonopol der Schrift gebrochen; mit der digitalen Codierung schließlich werden Schrift sowie Zahlen, Töne und Bilder unterschiedslos technisch verfügbar und sorgen für die neuen Kommunikationsverhältnisse einer zunehmend telematisch organisierten Gesellschaft. 2 Zu einer nach einzelnen Medien ausdifferenzierten Mediengeschichte vgl. Hiebel/ Hiebler/ Kogler (1999) und zur disziplinären Aufgliederung Schanze (2001), zu Wirkung und Verbreitung einzelner Techniken und Geräte den Überblick von Flichy (1994), zu einer historisch-anthropologischen Medienevolution die Beiträge in Faßler/ Halbach (1998) sowie die kulturgeschichtliche Rekonstruktion von Hörisch (2001). <?page no="52"?> 53 Techniktheorien der Medien Alternativ dazu zeigt uns ein etwas anderer Blickwinkel, dass bis zur Durchsetzung einer neuen Audiovisualität die industrielle Revolution mit ihren Maschinen (als technische Simulation von Muskeln) die Arbeitsverhältnisse und damit die Stellung des Menschen zur Welt verändert hat. Die zweite industrielle Revolution mit ihren Medienapparaten hingegen (als technische Simulation der Sinne und der Nerven) verändert die Kommunikationsverhältnisse oder die Stellung der Menschen zueinander (vgl. Flusser 1996, 235). Unter dieser Makroperspektive kommen unübersehbar nicht bloß soziale Hoffnungen zum Ausdruck, die über die Technik realisiert werden könnten, sondern durchaus heilsgeschichtliche Erwartungen, die sich in der Medientheorie säkularisiert wiederfinden (vgl. Davis 1998). Die Verbesserung des Menschen und der menschlichen Lebensverhältnisse durch Technik und Medien - bis hin zu künftig möglichen Menschmaschinen oder Cyborgs - soll all die Defizite ausgleichen, welchen die menschliche Gattung unterworfen ist. Technik könnte dann realisieren, dass der Mensch außer seiner selbst eine ideale Mutation besitzt: Eine künstliche Intelligenz, die sich vom biologischen Körper befreit hat und als autonom agierende Geistesmaschine für neue Weltentwürfe sorgt. Seit es mechanische Automaten gibt, existiert diese Phantasie einer Überwindung des Menschen durch Technik (vgl. Hayles 1999). Technik soll der Existenz eine weitere Dimension hinzufügen, nach der Landwirtschaft und der Industrialisierung nun als Informationstechnologie. Auf das Bild der Technik als Versprechen einer Verklärung des menschlichen Zustands in Form seiner Verdopplung werden wir am Ende dieses Beitrags zurückkommen. 2.1.2 Technik und menschlicher Organismus Technikphilosophie als Reflexion der Rolle des Technischen im Prozess der menschlichen Zivilisation und die Bedeutung der Technik für die Kultur ist in der Philosophiegeschichte nicht gerade übermächtig präsent. Erst im frühen 19. Jahrhundert beginnt mit G. W. F. Hegel eine reflektierende Bestimmung des Technischen und der Arbeit (als technischem Herstellen) im Sinne einer instrumentellen Vernunft der sich formierenden industriellen Kultur, wie diese später abwertend bezeichnet wurde (vgl. Horkheimer 1985). Technik ist für Hegel ein System von Mitteln, das einerseits zur Verwirklichung von Sittlichkeit und damit zur Konstitution von bürgerlichem Bewusstsein führt, das damit andererseits aber auch ein Medium zur Wirklichkeitserzeugung darstellt. <?page no="53"?> 54 Frank Hartmann Organprojektion: Ernst Kapp Die Technik und in weiterer Folge die Medien als Mittel menschlicher Welterschließung sind entwicklungsgeschichtlich als Moment der Befreiung vom tierischen Zustand, als Befreiung von der Natur zur Kultur anzusehen. Diese Befreiung wird zunächst in die Denkfigur der Organprojektion gefasst, so etwa beim Geographen und Hegel-Schüler Ernst Kapp, der in seinem Werk »Grundlinien einer Philosophie der Technik« (1877) die entwickelten Technologien als Form der Projektion des menschlichen Nervensystems vorstellt. In dieser Vorstellung wird der Mensch in seiner gestaltenden Funktion gesehen, die ihm aber in seiner Abhängigkeit von Werkzeugen und Maschinen ebenso unbewusst bleibt wie die Anatomie der Maschinenwelt als Analogie zur physiologischen Struktur des menschlichen Körpers. »Zunächst wird durch unbestreitbare Thatsachen nachgewiesen, dass der Mensch unbewusst Form, Functionsbeziehung und Normalverhältniss seiner leiblichen Gliederung auf die Werke seiner Hand überträgt und dass er dieser ihrer analogen Beziehungen zu ihm selbst erst hinterher sich bewusst wird. Dieses Zustandekommen von Mechanismen nach organischem Vorbilde, sowie das Verständniss des Organismus mittels mechanischer Vorrichtungen, und überhaupt die Durchführung des als Organprojection aufgestellten Princips für die, nur auf diesem Wege mögliche, Erreichung des Zieles der menschlichen Thätigkeit, ist der eigentliche Inhalt dieser Bogen.« (Kapp 1877, Vorwort) Damit ist die Vorstellung umrissen, dass vom Werkzeuggebrauch über Maschinenkonstruktionen bis in die modernen komplexen technischen Systeme hinein der Mensch in teils unbewusster Nachahmung immer wieder Prothesen seiner eigenen organischen Anlagen geschaffen hat, um seinen Zugriff auf die Welt auszuweiten und zu optimieren: Der Hammer ist eine Nachbildung der menschlichen Faust, die Photokamera ist die des menschlichen Auges etc. Als Vorbild für diese Auffassung Kapps gilt die Darwin’sche Evolutionstheorie, wobei die organische Entwicklung zum Vorteil der Gattung als Verlängerung und Ausweitung ins Anorganische hinein gedacht wird. Die Technik dient damit auch als Verbindung des einzelnen menschlichen Organismus mit dem Gemeinwesen bis hin zum politischen Staat als einer Form der organischen Projektion. Alle kollektiven Gebilde wären dementsprechend »Nachbilder des leiblichen Organismus« (Kapp 1877, ebenda) und Technik demnach eine Analogie zu biologischen Strukturen. <?page no="54"?> 55 Techniktheorien der Medien Prothesentheorie Während im ausgehenden 20. Jahrhundert diese Sichtweise in einer neuen »Biologie der Maschinen« (Kelly 1997) wieder aufgetaucht ist, verlief die Diskussion zunächst ausgesprochen technikkritisch. Der Technik und den Medien stand eine kulturwissenschaftliche Theorie skeptisch bis feindlich gegenüber, wobei das Prinzip der Ausbeutung von Naturressourcen und der Zerstörung der Ökosphäre in den Vordergrund gestellt wird: von konservativen Denkern (vgl. Heidegger 1962) ebenso wie von emanzipatorischen, welche die Eindimensionalität einer unidirektionalen »Apparatur« anprangerten (vgl. Horkheimer/ Adorno 1969). Was aber von Hegel indirekt und von Kapp direkt in die heutige technische Mediendiskussion eingeflossen ist, das ist die Sichtweise von Technik und im weiteren Sinne von Medien als Instrumente der Wirklichkeitserzeugung und damit als Mittel der menschlichen Selbsterfahrung. Ernst Cassirer bezog sich in seinem Aufsatz »Form und Technik« (Original 1930, hier zitiert nach Cassirer 1995, 71 f.) auf Knapps Technikphilosophie, wobei Technik im Doppelbezug von Begreifen und Erfassen der Wirklichkeit, von gedanklich-reflexiver wie technisch-gestaltender Formgebung als symbolische Form gefasst wird. Technik ist als solche Teil nicht nur menschlicher Selbstverwirklichung (als Emanzipation von Natur), sondern auch menschlicher Selbsterkenntnis (als quantitative Erweiterung und qualitative Wandlung seines Funktionskreises). Dass dies nicht ohne Schwierigkeiten abläuft, stellte ungefähr zeitgleich Sigmund Freud fest, als er den telematisch agierenden Menschen als einen »Prothesengott« bezeichnet hat, »recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen« (Das Unbehagen in der Kultur, Original 1930, hier zitiert nach Freud 1974, 222). Noch bei Marshall McLuhan wirkt dieses oben bereits als problematisch diskutierte Bild vom Prothesengott nach. In seinem 1964 erstveröffentlichten Hauptwerk »Understanding Media« stehen Medien im Untertitel als Extensions of Man, als Ausweitungen der menschlichen Sinnesanlagen: »Das Leitmotiv dieses Buches ist der Gedanke, dass alle Techniken Ausweitungen unserer Körperorgane und unseres Nervensystems sind, die dazu dienen, Macht und Geschwindigkeit zu vergrößern.« (McLuhan 1992, 109) Von Bedeutung bleibt sein Anspruch über ein historisches Interesse hinaus dennoch, weil er weder den Eigensinn der medialen Technik in Frage stellt noch die eigenartige Übereinstimmung der Technik mit Mustern der biologischen Evolution negiert. <?page no="55"?> 56 Frank Hartmann 2.1.3 Exteriorisierungen des Geistes: André Leroi-Gourhan Am Ursprung der Medialisierung von Körperfunktionen und der erwähnten »Organprojektion« steht zivilisationsgeschichtlich die Exteriorisierung (Auslagerung) des Geistes und in weiterer Folge die Fähigkeit, Denken symbolisch zu fixieren und auf Datenträgern zu speichern. Der Mensch verlängert damit seine Fähigkeiten nicht nur in Richtung auf eine objektive Natur, die er technisch bearbeitet, sondern auch auf einen kollektiven Organismus hin, der Möglichkeiten zur Kumulation von Innovationen (Mythen, Traditionen, Überlieferungen) schafft. Der französische Paläontologe André Leroi-Gourhan hat diesen Zusammenhang rekonstruiert und auf die Gleichursprünglichkeit von Werkzeug- und Symbolgebrauch in der Menschheitsentwicklung hingewiesen. Das ist medientheoretisch insofern von Interesse, als es für eine Betrachtung der Technikentwicklung die Grundlage schafft, diese als eine fortlaufende Befreiungsgeste zu sehen. Technik entsteht aus der Evolution ausgelagerter Operationsketten - technische Intelligenz und symbolische Kompetenz des Menschen entstammen gleichursprünglich der Fähigkeit zum aufrechten Gang: Die Entlastung der Hand als Fortbewegungsorgan bildet diese zum Greiforgan aus und formt schließlich Werkzeuge aus. Die Entlastung des Mundes als Greiforgan befreit diesen im Zusammenhang mit einer fortgeschrittenen neuro-motorischen Organisation zum Sprechorgan. »Mit anderen Worten, ausgehend von einer Formel, die mit der bei den Primaten verwirklichten Formel identisch ist, stellt der Mensch konkrete Werkzeuge und Symbole her, die beide auf den gleichen Prozeß, oder besser auf die gleiche Grundausstattung im Gehirn zurückgehen. Dies führt uns zu der Feststellung, daß die Sprache nicht nur ebenso charakteristisch für den Menschen ist wie das Werkzeug, sondern daß beide der Ausdruck ein und derselben menschlichen Eigenschaft sind.« (Leroi-Gourhan 1995, 149) In dieser menschheitsgeschichtlichen Rekonstruktion stellen die Funktionspaare Hand/ Werkzeug und Gesicht (Mund)/ Sprache bestimmte Stadien in der Herausbildung von Technizität als einer Auslagerung (Exteriorisierung) menschlicher Fähigkeiten dar, die als übertragene Funktionen und losgelöste Motorik Bedeutung für den sozialen Organismus haben, während der einzelne Mensch unter dieser Loslösung eventuell leidet. Aber der Ansatz zeigt auch, wie sich biologische Anlagen in der Technik fortsetzen, wie die direkte Motorik der Geste zur indirekten Motorik der Maschine wird, die sich ihrerseits zum Automaten weiterentwickelt, und dass die Medien in weiterer Folge als Fortsetzung dieser Befreiungsgeste zu sehen sind: Die Befreiung des Gedächtnisses durch die Entwicklung der Schrift <?page no="56"?> 57 Techniktheorien der Medien und die Entdeckung des Buchdrucks mit der noch unabsehbaren Folge durch Mikroelektronik, Computertechnologie und die Vernetzung von Wissensressourcen. Indem Leroi-Gourhan die evolutionsgeschichtliche Verknüpfung von Technik und Sprache zeigt, die sich beide dem Phänomen der Exteriorisierung menschlicher Fähigkeiten in den sozialen Organismus hinein verdanken - wobei sich das technische Werkzeug zur Maschine und die Sprache zur Schrift »befreit« -, stellt er auch die Medien als »symbolisierende Apparate« in einen Zusammenhang, der mit dem kulturpessimistischen Entfremdungsdiskurs bricht und eine Medienevolution als weiteren Befreiungsschritt menschlicher Anlagen denkbar macht. 3 2.1.4 Das Medium als Botschaft: Marshall McLuhan Neben allen Inhalten, die von Medien wahrgenommen, übertragen und gespeichert werden, gilt spätestens seit McLuhan 4 auch die provokante Einsicht, dass schon das Medium selbst die Botschaft ist: »In einer Kultur wie der unseren, die es schon lange gewohnt ist, alle Dinge, um sie unter Kontrolle zu bekommen, aufzusplittern und zu teilen, wirkt es fast schockartig, wenn man daran erinnert wird, dass in seiner Funktion und praktischen Anwendung das Medium die Botschaft ist.« (McLuhan 1992, 17) Den Mechanismus, der einer Technik zugrunde liegt, hätten die Menschen jedoch zu keinem Zeitpunkt ihrer Kulturentwicklung verstanden. Speziell die Philosophen der westlichen Welt haben, wie McLuhan in einem Brief angemerkt hat, zweieinhalb Jahrtausende lang »jede Technologie aus der Behandlung von Materie-Form-Problemen ausgeklammert« (zitiert nach Innis 1997, 5). Es sei die qualitative Veränderung dieser Problemlage durch »die instantane Geschwindigkeit der elektrischen Information«, die einen neuen Beobachtungsstatus schafft und uns das Modell erkennen lässt, das der gegenwärtigen medialen Transformation zugrunde liegt (McLuhan 1992, 399 f.). Es geht dabei um die magischen Kanäle, die Kommunikation prägen und jeden Informationsprozess bedingen. Medien werden hier als technische Strukturen der Welterschließung verstanden; die menschliche Weltwahrnehmung ist abhängig von der jeweils kulturell realisier- 3 Die kulturapokalyptische Perspektive, die eine Werkzeugkultur der Manufakturen als noch akzeptabel darstellt, jede Weiterentwicklung aber als »Maschinen-Ideologie« denunziert, findet sich exemplarisch bei Postman (1992). - Zur Wirkung des Ansatzes von Leroi-Gourhan hingegen vgl. Derrida (1974), Deleuze/ Guattari (1992) und Serres (2001). 4 Zu McLuhan aus medienphilosophischer Sicht  2.11 Medienphilosophische Theorien. <?page no="57"?> 58 Frank Hartmann ten medialen Technizität. Dieser Rahmen bedingt soziale und physische Effekte, und seine epochalen Veränderungen - einst war das der Buchdruck, jetzt ist es die Elektrizität - transformieren Grenzen und Formen der Kultur, in denen sie stattfinden. Mit anderen Worten: Kein Medium geht allein in seinen inhaltlichen Bezügen auf. Seine eigentliche Botschaft ist die Veränderung, die es der Sinnesorganisation und damit der Grundbefindlichkeit menschlichen Daseins zufügt: »Alle Medien sind mit ihrem Vermögen, Erfahrung in neue Formen zu übertragen, wirksame Metaphern.« (McLuhan 1992, 74) So ist die bürgerliche Gesellschaft mit der Industriekultur, die sie hervorgebracht hat, als ein Effekt der medialen Logik anzusehen, die dem Buchdruck entstammt, und so wird der Effekt der »elektrischen Automation« oder auch »Kybernation« eine neue Kultur sein, an der McLuhan bereits in den sechziger Jahren die Züge der heutigen Informationsgesellschaft entziffert hat (vgl. McLuhan 1992, 393 ff.). Nicht nur die elektronisch vermittelte Kommunikation, sondern vor allem die Vereinheitlichung des Mediensystems, das sich auf der technischen Grundlage der Digitalisierung in unserer Zeit deutlich abzeichnet, lässt hier völlig neue kulturelle Ordnungen entstehen. Die Exteriorisierungen des Geistes (vgl. oben) nicht nur ins kollektive Gedächtnis der Bibliotheken und Archive, sondern in die Konstruktion virtueller Welten und Menschmaschinen hinein birgt schwer abschätzbare Implikationen. Da Menschen ihre sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit über ihre Sozialisation erst erlernen müssen, unterliegt ihre organische Anlage zur Realitätsverarbeitung historischen und kulturellen Differenzierungen und Veränderungen. Dazu kommt, dass sinnesphysiologische Wahrnehmungsschwächen gegeben sind, beispielsweise durch die langsame Reaktionsfähigkeit des Sehorgans, was medienästhetisch folgenreiche Effekte zeitigt (vgl. Schnell 2000, 13 f.). Die Unzulänglichkeit der menschlichen Sinnesorgane bildet auf der einen Seite die Grundlage medialer Wahrnehmung. Optische Medien wie Photographie, Film und Fernsehen oder der PC-Bildschirm bauen auf den Defiziten der Sinnesphysiologie auf: Die kinematographische Wahrnehmung funktioniert nur deshalb, weil die medientechnische Bildinformation die Bewegungsauflösung des Auges stets leicht überbietet. Dasselbe Prinzip gilt für Digitalmedien, da bei der Umwandlung von quantisierten analogen Signalwerten zu digitaler Information teils erhebliche Reduktionen der Datenmengen vorgenommen werden können, weil die menschlichen Sinne bestimmte Informationen erst gar nicht wahrnehmen oder dicht beieinander liegende Informationen nicht unterscheiden können (nicht anders funktioniert das digitale Bild, die Audio-CD oder auch MP3). Auf der anderen Seite gibt es freilich noch eine kulturelle Konditionierung der Wahrnehmung, die mit Faktoren wie kulturellem Speicher, Wissen und Weltbild zu tun hat. <?page no="58"?> 59 Techniktheorien der Medien 2.1.5 Medienarchäologie: Friedrich Kittler Nicht die Menschen, sondern die Medien sind damit zum Maß aller Dinge geworden - das ist die These, die Friedrich Kittler daraus folgert. »Medien bestimmen unsere Lage, die (trotzdem oder deshalb) eine Beschreibung verdient.« (Kittler 1986, 3) Er geht freilich einen entscheidenden Schritt über die medienästhetische Betrachtung hinaus: Medientechnik lässt alles Menschliche hinter sich, und ebenso wie Medienverbundschaltungen alles normieren, was uns an elektronischer Kommunikation zur Verfügung steht, schleifen ihre Normen und Standards die »Leute oder Sinnesorgane ein« (»Gleichschaltungen«, Kittler 1998, 255). Denn die Benutzeroberflächen, also die für den Menschen wahrnehmbaren Teile oder Oberflächen des Mediensystems, sind bekanntlich nicht alles, dienen aber letztlich nicht nur dazu, die Wahrnehmung der Anwender zu überrumpeln, sondern - wie Kittler in stets süffisanter Tonlage voll militärischer Metaphorik anmerkt - »um zivile Anwender in eine undurchschaubare Simulation zu verwickeln.« (Kittler 1993, 212) Frei im Anschluss an McLuhan und durch den Filter einer an der poststrukturalistischen Theoriebildung 5 geschulten Analyse widmet sich der Literaturwissenschaftler Kittler den Medien, um sie im Sinne einer Archäologie (vgl. Foucault 1973) zu beschreiben. Als Medienarchäologie vermag diese Methode »in der weitgehend linear und chronologisch konstruierten Geschichte die widerständigen lokalen Diskursivitäten und Ausdruckspraxen des Wissens und des Konzeptionierens technisch basierter Weltbilder und Bilderwelten herauszuarbeiten« (Siegfried Zielinski, zitiert nach Ernst 2001, 258). Die Medienarchäologie ist explizit antihermeneutisch angelegt, denn gefragt wird nach den Effekten medialer Technik unter Bedingungen steigender Komplexität - in der hochtechnischen Konditionierung ist der Mensch und sein Sinnverstehen eben nicht mehr Maß der Dinge. Deshalb zielt Kittler auf einen »informationstheoretischen Materialismus« (Kittler 1993, 182), der ausschließt, dass es eine von technischen Bedingungen abgetrennte soziale Sinnkommunikation gibt. »Materialitäten der Kommunikation sind ein modernes Rätsel, womöglich sogar das moderne. Nach ihnen zu fragen macht Sinn erst, seitdem zweierlei klar ist: Es gibt erstens keinen Sinn, wie Philosophen und Hermeneutiker ihn immer nur zwischen den Zeilen gesucht haben, ohne physikalischen Träger. Es gibt zum anderen aber auch keine Materiali- 5 Jacques Lacan ging es um die Vorherrschaft des Signifikanten als des materialen Teils von Kommunikationen, Michel Foucault um eine Rekonstruktion des Archivs als der historisch-kulturellen Bedingung aller Aussagen, vgl. Münker/ Roesler (2000); siehe auch  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien. <?page no="59"?> 60 Frank Hartmann täten, die selber Informationen wären und Kommunikation herstellen könnten.« (Kittler 1993, 161) Aufschreibesysteme Betrachtet man die Medienarchäologie unter kulturwissenschaftlichen Aspekten, dann gerät sie zu einer Rekonstruktion der Moderne unter den Bedingungen der medialen Diskurse, die sie ermöglicht haben. Kulturelle Erscheinungsformen wie die Künste und die Wissenschaften sind an bestimmte Kulturtechniken gebunden und haben damit eine nicht immer offensichtliche materielle Verfasstheit: So sind Literatur und Geisteswissenschaften in ihrer allgemeinen Form mit Techniken wie dem Buchdruck in Zusammenhang zu bringen. Sie stehen für das mediale Dispositiv, für das Netzwerk von Techniken und Institutionen, »die einer gegebenen Kultur die Entnahme, Speicherung und Verarbeitung relevanter Daten erlauben« (Kittler 1987, Nachwort). Dafür ist Aufschreibesystem eine Bezeichnung, die als solche bereits auf das Jenseits einer souveränen Subjektivität in Richtung einer anonymen Medientechnik weist - Kittler hat sie bei Daniel Paul Schreber gefunden, der 1903 in seinen »Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken« ausgesagt hat: »Wer das Aufschreiben besorgt, vermag ich ebenfalls nicht mit Sicherheit zu sagen« (zitiert nach Kittler 1987, 304). Über solch anonyme Aufschreibesysteme, so Kittlers These, entsteht die kulturelle Moderne vor allem in zwei spezifischen Schüben an der Wende ins 19. sowie ins 20. Jahrhundert. Zuerst war es die allgemeine Alphabetisierung, die Ende des 18. Jahrhunderts mittels Lesefibeln die Stimme der Mutter ins Bildungssystem einbezogen hat, eine Oralisierung, die laut Kittler eine »Revolution des europäischen Alphabets« zur Folge hatte: Eine neue Lautiermethode lässt die Materialität der Sprache (ihre technische Form oder die Druckbuchstaben) nach dem Prinzip Stimme statt Schrift zurücktreten. 6 Zusammen mit dem diskursiven System von Universität und Literatur verhilft dieses Aufschreibesystem 1800 dann der deutschen Dichtung (der nationalisierten Muttersprache), allgemeine Sinngebungsinstanz bzw. Kulturträger zu werden. In einem nächsten Schritt kommen um 1900 die neuen Formen der Datenspeicherung bzw. der »technischen Aufzeichenbarkeit von Sinnesdaten« zum Zug, was anhand der prototypischen Medien der neuen Massenkommunikation wie dem Grammophon, der Schreibmaschine und dem Film illustriert wird (vgl. Kitt- 6 Die Umstellung von der Buchstabiermethode zur Lautiermethode (Lesenlernen nach Lautwerten statt Auswendiglernen von Buchstaben) öffnet angeblich Abgründe von Sinn, der sonst so nicht da wäre. Bei Derrida (1974) kommt diese »Schriftvergessenheit« mit anderer Kontextualisierung vielleicht eleganter, aber auch nicht sehr viel plausibler vor. <?page no="60"?> 61 Techniktheorien der Medien ler 1986). Dieses neue Speichern und Übertragen, diese mediale Transposition erzeugt endgültig ein Delirium des Sinns, der mit interpretatorischer Immanenz nicht mehr zu entziffern ist und daher nach einer Perspektive von außen verlangt. Materialitäten der Kommunikation Es geht damit, wie Kittler zunächst für die Literaturwissenschaften zeigt, längst nicht mehr um die Bedeutungsfragen, sondern um die Materialität von Texten und im weiteren Sinne um die Medientechnologien. Der Zusammenhang von Medientechnik (wie Schrift und Buchdruck) und den zugehörigen Institutionen der Kultur und der Bildung (wie Literatur und Universität) wird im Verfahren der Diskursanalyse thematisiert und rückt methodisch damit in die Nähe der Archäologie des Wissens (vgl. Foucault 1973;  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien), die jedoch eine informationstheoretisch erweiterte ist: »Spätestens seit der zweiten industriellen Revolution mit ihrer Automatisierung von Informationsflüssen erschöpft eine Analyse nur von Diskursen die Macht- und Wissensformen noch nicht. Archäologien der Gegenwart müssen auch Datenspeicherung, -übertragung und -berechnung in technischen Medien zur Kenntnis nehmen. […] Nach Sprengung des Schriftmonopols wird es ebenso möglich wie dringlich, sein Funktionieren nachzurechnen.« (Kittler 1987, 429) Stets verschwindet dabei etwas, so will uns diese These Kittlers bedeuten, aber durch die kulturellen Sinnangebote hat der Mensch vergessen, dass längst ein technisches System dominiert - am Ende stehen entmündigte Endanwender vor dem völlig »durchstandardisierten Interface«, das für sie nicht mehr hintergehbar ist (Kittler 1998, 261). Dieser Ansatz beansprucht nichts weniger, als unter einer Konzentration auf die Materialitäten von Kommunikation ein neues medienwissenschaftliches Paradigma der Information in den Geistes- und Kulturwissenschaften zur Geltung zu bringen. Nach der philosophischen Hermeneutik, die Sinn als Intentionalität von Autoren rekonstruiert und Bedeutung innerhalb historischer Kontexte interpretiert, und nach der soziologischen Gesellschaftstheorie, die eine Widerspiegelung von Produktionsverhältnissen in Begriffen von Arbeit und Energie als Schlüssel anbietet, soll nun die Interpretationsarbeit durch einen Systemvergleich ersetzt werden. Anstelle von Sinn und Bedeutung wird die Nachrichtentechnik relevant, statt Autorenabsichten nachzuspüren, werden Regelkreise von Sendern, Kanälen und Empfängern beschrieben - es geht um die medialen Effekte auf Gedanken und Theorien, um die kommunikativen Materialitäten. Damit verbunden wird ein Misstrauen in Geist, Aufklärung, das Humane - zugunsten von <?page no="61"?> 62 Frank Hartmann Technik, die zumindest im Fall der Informationstechnik angeblich »immer schon Strategie oder Krieg« gewesen sein soll (Kittler 1987, 431). Technische Materialität und medialer Inhalt: Kittler in der Diskussion Technische Medientheorie betont ein Apriori, nach dem das, was medial überhaupt Sache ist, radikal von den technischen Gegebenheiten abhängt - von einem Aspekt also, der bei unseren Kommunikationen wie selbstverständlich vorausgesetzt wird und der dennoch die Bedingungen ihrer Möglichkeit mehr bestimmt als etwa die Intentionalität eines Autors beim Verfassen einer Botschaft. Das technisch-mediale Apriori bedeutet, »dass technische Vermittlungsverhältnisse gesellschaftlichen, kulturellen und epistemologischen Strukturen vorausgesetzt sind« (Spreen 1998, 7). Der Mensch ist, mit anderen Worten, das Produkt nicht nur seiner Kommunikationsverhältnisse, sondern vor allem seiner Medientechnologien. Dieser Theorieansatz hat seit Ende der achtziger Jahre in Deutschland Konjunktur und richtet sich gegen hermeneutische Ansätze eines »Sinnverstehens« ebenso wie gegen eine medienwissenschaftliche Forschungspragmatik, die auf der inhaltlichen Ebene von Medienangeboten ansetzt und »Inhaltsanalyse« oder »Wirkungsforschung« betreibt. Es geht um Schaltungen im Sinne der technischen Bedingungen von Produktion und Rezeption der Medieninhalte, um Technik als sine qua non aller Möglichkeit von Kommunikation: »Von den Leuten gibt es immer nur das, was Medien speichern und weitergeben können. Mithin zählen nicht die Botschaften oder Inhalte, mit denen Nachrichtentechniken sogenannte Seelen für die Dauer einer Technikepoche buchstäblich ausstaffieren, sondern (streng nach McLuhan) einzig ihre Schaltungen, dieser Schematismus von Wahrnehmbarkeit überhaupt.« (Kittler 1986, 5) Was konstatiert und beschrieben wird, das ist die Auflösung der einheitlich wahrnehmbaren Welt, die Zerlegung der Wahrnehmung, die zunehmende Gleichschaltung und Diskurskontrolle vor allem angesichts noch fortschreitender Gleichschaltungen der Informationsgesellschaft. - Doch ist die Behauptung, dass es allein die technischen Standards sind, die letztlich alles Menschliche bestimmen, tatsächlich haltbar? Wenn einerseits der Einfluss von medialen Materialitäten auf geistige Produkte nicht unterschlagen werden kann, darf andererseits zwischen den beiden Bereichen Technik und Geist aber auch kein Kurzschluss hergestellt werden. Schließlich sind die Zeichensysteme einer Kultur - die »Exteriorität des Signifikanten« (Derri- <?page no="62"?> 63 Techniktheorien der Medien da 1974, 29) 7 - weder Geist selbst, sondern dessen Auslagerung, noch Technik im engeren Sinne, sondern Hilfsmittel und Verstärker für Sinnesfunktionen (etwa für das Gedächtnis). Es gibt Denkvoraussetzungen abstrakter (etwa Wunschproduktion oder Begehren) wie materieller Natur. Aber auch in Form von Zeichenprozessen sind Letztere nicht Teil einer quasi-natürlichen Technikentwicklung, die jenseits menschlicher Eingriffe verlaufen würde; gerade wegen der unterschiedlichen Techniken, die in der empirischen Praxis je nach unterschiedlichen Zwecken konkurrieren - womit die Technik fast zwangsläufig ideologisch wird. Das gilt noch im Zustand ihrer Digitalisierung, die bei Kittler als Abschluss der Mediengeschichte gesehen wird, weil alle Unterschiedlichkeit »kassiert« und damit letztlich der Medienbegriff selbst obsolet wird, nachdem die Turing-Maschine 8 nicht mehr einfach zwischen zwei Seiten vermittelt oder etwas repräsentiert, sondern »immer schon die Sprache der oberen Führung« spricht (Kittler 1986, 362). Doch auch die Digitalkultur kennt nicht bloß Maschinen und Programme, sondern auch Programmierer. Selbst unter den Bedingungen der informationsverarbeitenden Maschinen (im Geist der Kybernetik) geht die symbolische Welt nicht restlos in der Welt der Medientechnik auf. Hartmut Winkler hat in seiner Darstellung der neuen symbolischen Maschinerie des Datenuniversums dezidiert darauf hingewiesen, dass der Sinn von Medien sich nicht in der unmittelbaren Sinnlichkeit ihrer Technik erschöpft und dass gerade unter Bedingungen der »Medienkonstellationen« (d. h. es gibt nie nur ein Leitmedium, sondern verschiedene konkurrierende Medien) durchaus die Frage bestehen bleibt, »mit welchen Medientechniken welche Symbole auf welche Weise gehandhabt werden« (Winkler 1997, 335). Wenn Medien, Zeichen und Technik sich aber nicht unmittelbar identifizieren lassen, dann können Fragen der Medientheorie wohl nicht umstandslos in Fragen der Medientechnik aufgelöst werden. Zwar ist es richtig, dass durch die Formalisierungsleistung der Computertechnik alle medialen Inhalte beliebig adressierbar werden. Medien als Bedingungen von Adressierung 9 und damit der Möglichkeit von Inhalt überhaupt sind begreifbar zu machen - wie aber sollen sie dann selbst noch zu adressieren sein, wo doch die technischen Apparaturen »aus der Operation des Kommunizierens (ausgeschlossen sind), weil sie nicht mitgeteilt werden« (Luhmann 1996, 13)? Der historische Erfahrungshorizont einerseits und das Problem der subjektiven Konstruktion andererseits verweisen auf eminente medientheore- 7 Zum Begriff des Signifikanten (des Bezeichnenden)  2.4 Zeichentheorien der Medien. 8 Die »Turing-Maschine« steht für eine vom britischen Mathematiker Alan Turing 1936 entwickelte Theorie grundlegender Berechenbarkeit jedes beliebigen Problems, die Definition und das passende Programm (Theorie des Computers) vorausgesetzt. Rechenvorgänge können in kleinste Schritte zerlegt, damit als Algorithmen reformuliert und folglich von einer Maschine ausgeführt werden. 9 Zur weiteren Diskussion medialer Adressierbarkeit im Sinne einer technischen »Unabdingbarkeit« vgl. die Beiträge in Andriopoulos/ Schabacher/ Schumacher (2001). <?page no="63"?> 64 Frank Hartmann tische Problemstellungen, die nicht einfach mit dem Verweis auf »Materialitäten« auflösbar sind (vgl. dazu ausführlich Spreen 1998, 107 ff.). Aber die fortgeführte Debatte macht klar, dass die Technik nach wie vor der blinde Fleck einer auf Sinnverstehen und Inhalten aufbauenden Medientheorie ist: »Unsere übliche Antwort, mit der wir alle Medien abtun, nämlich, dass es darauf ankomme, wie wir sie verwenden, ist die befangene Haltung des technischen Dummkopfs.« (McLuhan 1992, 29) 2.1.6 Die Apparatus-Debatte: Jean-Louis Baudry Die mediale Reproduktion ist keine einfache Wiedergabe der Wirklichkeit, sondern eine bestimmte Form der Interpretation, die unter anderem von den technischen Reproduktionsmöglichkeiten selbst abhängt. Besonders die Techniken der Photographie und des Films »organisieren Bild und Ton auf eine Weise, die dem künstlerischen Zugriff aufs Material vorgelagert ist« (Schnell 2000, 103). Wenn bestimmte Basistechniken des Apparats bereits die Wahrnehmung vorformen, ist diese Technik dann Bedingung ihrer Möglichkeit? Bestimmt mit anderen Worten die Produktionstechnik die künstlerische Aussage und sollte daher die Technik selbst auf ihre möglichen Inhalte hin befragt werden? Besonders in der Filmtheorie wurde ab den frühen siebziger Jahren der Versuch gemacht, die »Ideologie« der Technik vor allem medialen Inhalt und seiner künstlerischen Gestaltung zu thematisieren: Dieser Ansatz wird als die sogenannte Apparatus-Debatte bezeichnet. Die Medientechnik wird hier als das Formierende betrachtet, das seinerseits schon ideologisch - bzw. in der marxistischen Diktion der Zeit: bürgerlich - ist. Es ist dies aber ein unbewusster Prozess, der bestimmte Ideologien transportiert - so wie der Film einen gewissen, der Zentralperspektive verpflichteten und damit historisch kontingenten Raumcode beinhaltet. Dieser gesellschaftlich konstruierte Code ist unbewusst in die Konstruktion der Kamera eingeflossen. Der Ideologieverdacht dabei war der, dass der Film schon von seinen technischen Mitteln her eine historisch obsolete Weltsicht prolongiert (vgl. Winkler 1992). Das Subjekt wird damit gewissermaßen überwältigt: Technik gilt nicht länger als Mittel zu durchschaubaren Zwecken, sondern wirkt ebenso unbewusst wie umfassend, sie wird damit zur Ideologie, weil das medientechnische Apriori eben nicht reflektiert wird. Das ist der Zusammenhang für den Begriff des Dispositivs, den Jean-Louis Baudry in die Debatte eingebracht hat. Wo es ein (technisch) Unbewusstes gibt, da existiert auch die Verdrängung; das Dispositiv hingegen suggeriert, die von der Geisteswissenschaft weitgehend verdrängte Ebene des Technischen ins Bewusstsein zu heben. Der Begriff des Dispositivs stammt von Michel Foucault (  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien), der ihn in seinen Stu- <?page no="64"?> 65 Techniktheorien der Medien dien unter anderem im Sinne eines strategischen Zusammenspiels von Redeweisen, Techniken und Institutionen verwendet hat, während die Parallelisierung von Psyche und Techne bereits auf die Theorie der Wunschmaschinen bei Deleuze und Guattari verweist: »Ohne dass es sich dessen fortwährend bewusst ist, wird das Subjekt dazu veranlasst, Maschinen zu produzieren, die nicht nur die Funktionen des Sekundärprozesses vervollständigen oder ergänzen, sondern auch in der Lage sind, ihm sein Funktionieren im Ganzen darzustellen, und zwar durch nachahmende Apparate, die jenen Apparat simulieren, der es selber ist.« (Baudry 1999, 403) Damit ist klar, in welchem Sinn das Subjekt hier seiner Souveränität beraubt wird: Kein reflexives Bewusstsein rettet davor, einer Rezeptionssituation zu verfallen - die Prüfung an der Realität beispielsweise zerstört nicht einen Moment lang das Dispositiv des Kinos, das den Zuschauer zur Unbeweglichkeit in dunklen Räumen verdammt. »Darling, ich bin im Kino …« mag man sich beispielsweise denken - und dass hier noch klare Verhältnisse zwischen Signifikant und Signifikat herrschen; allein die Außenperspektive erweist sich wieder als trügerisch, weil sie blind macht gegenüber dem Medienkonstruktivismus und damit gegenüber einer Lage, die mittels Referenz auf die »Wirklichkeit« nicht mehr entschlüsselbar ist (  2.6 Konstruktivistische Medientheorien). Das »kinematographische Dispositiv« löst einen Kino-Effekt aus, d. h. das Kino reproduziert einen Realitätseindruck, der sich laut Baudry mit dem eines Traumes vergleichen lässt: Es handelt sich um eine »Simulation«, um eine Wirkung auf subjektiver Seite; das Dispositiv des Kinos erzeugt »die Simulation eines Subjektzustandes, einer Subjektposition, einer Subjektwirkung, und nicht der Realität.« (Baudry 1999, 402 f.) Mithin wirken Medien als Technologien des Unbewussten, denen der Mensch ausgeliefert ist, die jedoch von einem ideellen Ort her wirken, denen kein im einzelnen greifbarer Teil des Apparats mehr entspricht - es ließe sich von einer vorgängigen Programmierung sprechen. War bei Baudry das Kino ein Simulationsapparat, der die Menschen in halluzinatorischer Wunscherfüllung gefangen hält, so ist dieser Ansatz im Vorfeld von Jean Baudrillards Simulationsthese angesiedelt (  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien). Diese hat dann versucht zu argumentieren, wie das Reale selbst im Hyperrealismus der Medien untergeht. Im Vorfeld der Digitalisierung wurde gezeigt, dass eine Bedeutung von Zeichen nicht mehr durch eine wie auch immer geartete Referenz auf die Wirklichkeit des Zeichenobjekts rekonstruiert werden kann, sondern dass hier Steuerungen im Vorfeld jeder Interpretation am Werke sind, die alles »Reale« zum Rohmaterial seiner »äquivalenten Reproduktion« depotenzieren (vgl. Baudrillard 1982). Der mediale Simulationsapparat versetzt also sein Publikum entweder in den Zusam- <?page no="65"?> 66 Frank Hartmann menhang infantiler Regression oder aber verstrickt dieses in eine unentrinnbare visuelle Totalität, die keinen »apparatfreien Aspekt der Realität« (Benjamin 1977, 31) mehr zulässt, da jede Sinnlichkeit ihrem »technischen Bedingtsein« unterworfen ist. Auf diese das Subjekt überschießenden Aspekte medialer Technik hat am Beispiel der Kamera bereits Walter Benjamin in seinen Essays der dreißiger Jahre hingewiesen (vgl. Benjamin 1977). Apparat und soziale Praxen Die Apparatus-Theorie war im filmtheoretischen Diskurs der siebziger Jahre beheimatet und verblasste im Umfeld des multimedial erweiterten Mediendiskurses, der den Möglichkeiten »digitalen Scheins« nachspürte (vgl. dazu Rötzer 1991). Eine Aufarbeitung des Zusammenhangs von Wahrnehmungsapparaten und einer Logistik der Wahrnehmung ganz anderer Art lieferte dann Paul Virilio, als er die parallele Entwicklung von Film und militärischer Luftfahrttechnik untersuchte: Die strategische Bedeutung der Optik begünstigt seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Anwendung von Wahrnehmungsgeräten zu militärischen Zwecken, so seine These. Der Zusammenhang von Krieg und Kino beansprucht, die gesellschaftliche Formierung zu zeigen, die sich über das Sehen legt und letztlich als allumfassendes Kino (»Pan-Kino«, Virilio 1986, 147) sämtliche Handlungen zu Kino-Handlungen macht. Wie Virilios Ansatz im Weiteren nahe legt, folgt die technische Struktur der Medien einer eigensinnigen Entwicklungslogik, wobei zunächst eine soziale Einschreibung erfolgt, die im Weiteren das gesellschaftliche Unbewusste in der Technik darstellt. Die Entfaltung der Medientechnologien entzieht sich der bewussten Gestaltung durch den Menschen - und, so wäre zu folgern, die Technik findet in einer autonomen Sphäre statt, aber nicht ohne in ihr die Menschen wieder zu unterwerfen. Eine Kritik, die den Menschen und seine soziale Praxis oder eine Hermeneutik des Sinns zum Ausgangspunkt nimmt, scheint damit völlig unzeitgemäß geworden zu sein. Das gilt vor allem für die Kritik im Sinne eines emanzipatorischen Mediengebrauchs, wie ihn etwa die Frankfurter Schule (  2.3 Kritische Medientheorien) unter Berufung auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge nahe gelegt hat. Die Debatte ist interessant für das Verständnis einer Theoriebildung, die den Charakter der Einzelmedien wie Photokamera, Film, Radio, Fernsehen oder Computer in ihrer Technizität begründet und auf den Kontext von Kommunikationsprozessen zwischen Sendern und einem spezifischen Publikum reduziert hat - entgegen den vielfältigen Interdependenzen, die zwischen Kultur und Technik bestehen. Was dabei auf dem Spiel steht, ist die Rolle der menschlichen Freiheit angesichts der Unmöglichkeit, die »im Programm des Apparats enthaltenen Möglichkeiten« (Flusser <?page no="66"?> 67 Techniktheorien der Medien 1983, 24) überhaupt noch als hintergehbar zu denken. Dem medientheoretischen Diskurs blieb aber durchaus noch ein kulturkritischer Impetus, wenn etwa Flusser von einer Philosophie der Photographie verlangte, jene Freiheitsgrade zu benennen, die der menschlichen Absicht erlaubt, »gegen den Apparat zu spielen« (ebenda, 73). Die Anforderungen des Sozialen wurden aber besonders in der jüngeren deutschen Medientheorie als Zumutungen ausgeblendet; vor allem an den Schriften von Norbert Bolz und Friedrich Kittler wurde eine übertriebene Technikaffirmation kritisiert, die eine technikzentrierte Theoriebildung von einer »anthropologischen« unversöhnlich abzugrenzen schien. Nicht mehr nur für die Traumzeit des Kinos, sondern vor allem unter Bedingungen rechnergestützter Simulationen gilt nach Bolz: »In der technischen Wirklichkeit der neuen Medien ist der Mensch nicht mehr Herr der Daten, sondern wird selbst in Rückkopplungs-Schleifen eingebaut.« (Bolz 1993, 114) Die anti-hermeneutische Wende einer technischen Medientheorie ist dabei zu einem durchaus nicht unproblematischen Versprechen geworden, einer anthropozentrischen Kommunikations- und Mediengeschichtsschreibung zu entrinnen. Die mittlerweile banale Feststellung, dass das kulturelle Gedächtnis nicht ausschließlich typographisch, sondern auch audiovisuell funktioniert, wird in einer Engführung des (bei Foucault keineswegs rein material verstandenen) Archivs mit den neuen medialen Speichern gelegentlich pathetisch aufgeblasen in Richtung einer von aller Semantik bereinigten »Nicht-Diskursivität«, einer absolut gesetzten Signatur der technischen Speicher (vgl. Ernst 2001). Dabei, so hat Hartmut Winkler mit seiner Kritik klar gemacht, mag es etwa Mitte der achtziger Jahre durchaus berechtigt und wichtig gewesen sein, die Geistes- und Kulturwissenschaften für die technische Seite ihres Gegenstands (Materialitäten der Kommunikation und Geschichte der Kulturtechniken) in die Pflicht zu nehmen. Mittlerweile ist dieser Hinweis jedoch schal geworden und die harte Konfrontation von Medienarchäologie und Medienanthropologie nicht mehr zielführend, da die beiden Ansätze untrennbar miteinander verschränkt sind. Winkler spricht hier von einer »zyklischen Einschreibung«, für die sowohl soziale Praxen ihren materiellen Niederschlag in der Technik finden als auch dieselbe Technik zum Ausgangspunkt für nachfolgende Praxen wird. 10 10 Winkler, Hartmut (1997): Die prekäre Rolle der Technik. Technikzentrierte versus ›anthropologische‹ Mediengeschichtsschreibung. In: Telepolis online. www.heise.de/ tp/ deutsch/ inhalt/ co/ 2228/ 1.html <?page no="67"?> 68 Frank Hartmann 2.1.7 Vom Maschinendenken zu Denkmaschinen Der medientechnische Theorieansatz bricht mit dem Konzept der medialen Vermittlung: Wenn nur das wirklich ist, was auch »schaltbar« ist, dann wird in diesem Konzept das Mediale mit einer ontologischen Qualität versehen, da außerhalb der Medienkonstruktion buchstäblich nichts mehr ist (wie in der Transzendentalphilosophie ein An-sich der Dinge nur mehr denkmöglich, aber nicht mehr erkennbar ist). Die Welt erscheint als eine Summe von Möglichkeiten, von denen nur ganz bestimmte - und zwar genau die, die sich als historische Folge von Technik darstellen lassen - tatsächlich verwirklicht worden sind. Technik spielt dabei die entscheidende Rolle: Schon in der Phase des Werkzeuggebrauchs hilft sie den Menschen nicht nur, die Objekte in der Welt zu bearbeiten, sondern auch, diesen Objekten eine bestimmte Form aufzuprägen, die sich von ihrer natürlichen Form unterscheidet (d. h. eben, sie zu in-formieren, wie Flusser sagt). Kraft ihrer Materialität bilden sich historische Ausprägungen, die ihre Subjekte letztlich ebenso distanzieren, wie diese in den Kreislauf der Formen (sei es Kunst, Literatur, Philosophie oder Theorie) integriert sind. Daraus ergibt sich die Frage, ob die Medientechnik als solche eine Basis für neue Entwürfe, Projektionen und Utopien bietet und damit nicht nur andere, neue und alternative »Umwelten« generiert, sondern auch die Transposition bestehender Ordnungen typographischer oder alphanumerischer Natur in beliebig kalkulierbare Realitäten erlaubt und damit den Spielraum des Möglichen um phantastische Dimensionen erweitert. Im weiteren Sinne betrifft dies auch eine mit technogenen Codierungen erweiterte Anthropologie. Sobald es Maschinen gibt, die alle Funktionen des rechnenden Denkens in sich aufheben, und sobald es theoretische Modelle gibt, die den Menschen und sein Nervensystem als Datenverarbeitungssystem, als Bio-Computer zu sehen erlauben, haben wir es mit grundsätzlich geänderten Bedingungen zu tun - es geht hier wie dort um Funktionen von »Automaten, ob aus Metall oder Fleisch« (Norbert Wiener). 11 11 Alan Turing entwickelte das theoretische Modell eines elektronischen Digitalrechners als eine Maschine, die je nach Algorithmus jede andere Maschine sein kann, die Universelle Turing-Maschine (»On Computable Numbers«, 1937). Von Norbert Wiener stammt das kybernetische Menschenbild, die Auffassung des Nervensystems als ein Reize verarbeitender biologischer Computer (»Cybernetics«, 1948 - vgl. dazu Wiener 2002, 15 ff.; siehe auch  2.7 Systemtheorien der Medien). <?page no="68"?> 69 Techniktheorien der Medien Theorie des »Rechnenden Raums«: Konrad Zuse Der deutsche Computerpionier Konrad Zuse entwickelte in den dreißiger Jahren (neben John V. Atanasov in den USA und Alan Turing in England) nicht nur Rechengeräte, sondern auch theoretische Vorstellungen zu den Implikationen der Rechenmaschine für das Denken: Konsequenterweise nannte er den Computer Intelligenzverstärker. Was Zuse von anderen, vor allem den amerikanischen Computerentwicklern seiner Zeit unterschied, war seine Implementierung der binären Rechenweise von Leibniz in die zweiwertige Logik der Bool’schen Algebra als ›Denkmittel‹ der Rechenmaschine. In einer Arbeit von 1948, die Implikationen in Richtung eines künstlichen Gehirns reflektiert, stellt Zuse fest: »Die Rechenmaschine befindet sich heute, meist noch unbeachtet, in einer Phase der Entwicklung, in der sie in Gebiete des Denkens vorstößt, die man bisher bei mechanischen Vorrichtungen nicht für möglich hielt.« 12 Vorstellbar wurde dies nur durch eine Identifizierung von Rechnen mit Informationsverarbeitung, wobei die neuen Rechenmaschinen als universelle Bit-Transformatoren vorgestellt werden: »Auf dem Schnittpunkt von mathematischer Abstraktion und technischer Konstruktion entsteht das doppelsinnige Gebilde, das heute ›die Maschine‹ heißt.« (Künzel/ Bexte 1996, 186) Diese Maschine ist aber nicht bloß in der Welt, sondern sie schafft als informationsverarbeitende Maschine auch Welt, jedoch nicht im Sinne der klassischen Mechanik mit ihren zentralen physikalischen Begriffen von Masse und Energie, sondern im Sinne einer Ordnungsstruktur. Im Weiteren verschwindet mit diesem »Denken in digitalen Modellen« (Zuse 1967, 337) die »Welt« in ihrer Berechenbarkeit, d. h. wenn die Rechenmaschinen neue Informationsstrukturen hervorbringen können, müssten die bestehenden Ordnungen als solche ebenso hervorgebracht zu denken sein: der Kosmos als gigantische Rechenmaschine. Zuse nannte ihn »Rechnender Raum«, der bildlich als ein »Relaiskosmos« (ebenda, 344) anzusehen wäre, ohne dass über die Relaistechnik selbst etwas konkret vorstellbar gemacht wird. 13 Ausgehend von John von Neumanns Konzept der zellularen Automaten entwickelt Zuse den Gedanken einer Gitterstruktur des Raums, in dem die einzelnen Punkte nicht Energie, sondern Informationen austauschen (vgl. Zuse 1999, 450 ff.). Das ist nicht nur technikgeschichtlich, sondern auch medientheo- 12 Zuse, Konrad (1948): Freiheit und Kausalität im Lichte der Rechenmaschine. - Zuses gesammelte Texte finden sich im Internet unter www.zib.de/ zuse/ . Zur Darstellung des Rechnenden Raums vgl. auch »Cyberspace als Machina Mundi«, in Künzel/ Bexte 1996, 173 ff. 13 Zuses erster Computer, die »Z1« von 1936, hatte übrigens noch keine elektronischen Bauteile, sondern mit der Laubsäge gebastelte Schaltungen. »Denn Elektronik ist keine zwingende Notwendigkeit für Rechner im Binärsystem. Die Zustände 0 und 1 lassen sich auch durch mechanische Schaltglieder darstellen.« (Künzel/ Bexte 1996, 174) <?page no="69"?> 70 Frank Hartmann retisch von Interesse, denn diese ›Urgeschichte‹ des Cyberspace (in die freilich noch Leibniz genauer eingeschrieben werden müsste) markiert den Übergang zu einem kommunikologischen Weltbild (im Sinne Flussers;  2.11 Medienphilosophische Theorien), in dem nicht der Satz von der Energieerhaltung, sondern jener von der Informationserhaltung zählt. 14 Die von Zuse vertretene Idee des Rechnenden Raums mag sonderbar erscheinen, und sie hat auch in der amerikanisch dominierten Geschichtsschreibung der Computerpioniere und der Künstlichen Intelligenz keinen Platz gefunden (vgl. etwa Rheingold 1985). Dieses Denken der Welt innerhalb einer binären Schaltungslogik ist aber eine medienarchäologisch signifikante Position, zumal die Diskussionen um eine künstliche Intelligenz von genau diesen Fragen der Dimension des Rechnens und der Berechenbarkeit abhängen. Berechenbarkeiten, Automatentheorie, kybernetische System- und Modellbildungen und schließlich die Theorien der künstlichen Intelligenz wären hier anschlussfähige Themen, deren Darstellung den gegebenen Rahmen jedoch sprengen würde. Zudem widerspricht die Unterscheidung zwischen Techniken und Diskursen bzw. die medientheoretische Differenzierung von medialer Kybernetik und medialer Poiesis (Faßler 1999, 208 ff.) einer undifferenzierten Fortschreibung der Technik als Produktivkraft im Geiste der Aufklärung. Abschließend seien dazu zwei Positionen zur Organisation von Mensch und (medialer) Technik skizziert. Transhumanismus: Von More bis Moravec Ein verabsolutiertes technisches Apriori begegnet uns im sogenannten Transhumanismus der Hypermoderne. Er stellt den Versuch dar, das Verhältnis von Mensch und Technik so zu radikalisieren, dass eine neue Anthropologie mit Hilfe der Technik möglich wird: In Form einer radikalen Aneignung avanciertester Technologien soll jenes existenzielle Tief überwunden werden, das seinen Ausdruck in der Fortschritts-Skepsis einer philosophischen Postmoderne und einer Posthistorie gefunden hat. Das kommende Zeitalter soll eine uneingeschränkte technische Machtübernahme des Menschen über sich selbst bedeuten, eine Freisetzung aller Potenziale der Selbsterzeugung und Selbstbestimmung. Bekannt gemacht hat diese Vision des technisch hochgerüsteten Menschen Max More, der diese Idee das extropische Denken nennt. Extropisch meint dabei den Gegensatz zu Entropie, der physikalischen Idee, die auf dem zweiten Hauptsatz 14 Was hier nicht weiter ausgeführt werden kann, sind die kommunikationstheoretischen Implikationen von Kultur als einer »neg-entropischen« Informationserhaltung; vgl. dazu Bateson 1981 und Flusser 1983. <?page no="70"?> 71 Techniktheorien der Medien der Thermodynamik basiert und die Folge eines Energieverlustes bzw. der wachsenden Unordnung in einem System bezeichnet: Extropie ist »zunehmende Ordnung, Information, Vitalität, Intelligenz und Kapazität für künftiges Wachstum« - und die Idee ist Fortschritt mit Hilfe von Maschinenintelligenz, welche zunehmend die biologischen Schwächen des Menschen kompensieren soll. 15 Biologie und Technik würden in dieser Vision einer postbiologischen Zukunft zusammenwachsen, und dabei könnte nicht nur das menschliche Leben um ein Vielfaches verlängert werden, sondern sogar der biologische Tod überwunden werden - auch indem beispielsweise ein »Upload« menschlichen Bewusstseins in den Computer erfolgt, wie es der Robotikforscher Hans Moravec (1999b, 122) in Aussicht gestellt hat: Es ist die Metamorphose des Menschen zur intelligenten Maschine, wenn in Zeiten des Hypermodernismus auf den biologischen Körper verzichtet wird und somit alle Hardware, Software und »Wetware« in derzeit noch unvorstellbare Konstellationen treten wird (Moravec 1999a, Kurzweil 1999, vgl. weiter das Konzept der Menschmaschinen bei Brooks 2002). Im Grunde genommen handelt es sich bei solchen Ansätzen, die eine Fortführung und Radikalisierung der grundsätzlichen Arbeiten Norbert Wieners (vgl. Wiener 2002) über programmgesteuerte Automaten sind, nicht um Theoriebildung, sondern um Visionen, die Aufmerksamkeit erregen und Forschungsgelder absichern sollen. Fragen nach der realen Kapazität der entstehenden Mensch-Computer-Netzwerke und nach den konkreten Dimensionen der Medienevolution - Schlüsselprobleme, die durchaus medientheoretischer Zuwendung bedürfen - werden dabei nicht erforscht. 16 Neuere Computertechnik hat sicherlich dazu geführt, dass die Grenzen zwischen Natur, Kultur und Technik, zwischen Tier, Mensch und Maschine zunehmend brüchiger geworden sind. Die Kopplung von Organismus und Maschine - der Cyborg oder Mensch-Maschinen-Hybrid - kann als Bedrohung verstanden werden, die Aufhebung des Körpers in fortgeschrittener Technik lässt sich aber wohl auch als zutiefst männlicher Wunsch interpretieren, den physischen Körper zu überwinden (vgl. Hayles 1999). Als Reaktion darauf zeigt Donna Haraway in ihrem Cyborg-Manifesto, dass sich hieraus auch neue Möglichkeiten feministischer Imagination und Politik erschließen lassen könnten (vgl. Haraway 1995) - »an ironic dream of a common language for women in the integrated circuit.« 17 15 More, Max (1997): Europäische Ursprünge - amerikanische Zukunft? In: Telepolis, Heft 3, S. 94 ff. Siehe auch Telepolis online. www.heise.de/ tp/ deutsch/ special/ mud/ 6142/ 1.html 16 Pfeifer/ Scheier (2001) vollziehen eine radikale Abkehr bisheriger Vorstellungen von Künstlicher Intelligenz, die als Funktion von Rechenleistung begriffen wurde, zugunsten einer dezentralen Intelligenz verhaltensgesteuerter autonomer Systeme. 17 Haraway, Donna (1991): A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century. www.stanford.edu/ dept/ HPS/ Haraway/ CyborgManifesto.html <?page no="71"?> 72 Frank Hartmann Mensch ohne Fähigkeiten: Michel Serres Information und Kommunikation sind keineswegs Produkte der Technik, sondern zeichnen alles Natürliche aus. Das Wahrnehmen von Umwelt und die Verarbeitung von Daten aus der Umgebung sind Teil der Überlebensstrategie bei allen lebendigen Organismen, das Speichern und Austauschen von Information ist Teil der Natur. Erst das neue Verhältnis, in das die elektronischen Technologien den menschlichen Körper und seine Kommunikationsmittel setzen, verändert diesen Komplex aus Empfangen, Verarbeiten, Speichern, Senden und Überliefern von Informationen und Daten auf einer neuen Stufe der (Techno-)Kultur. Das Gedächtnis befreit sich dreimal: bei der Entstehung der Schrift, durch die Entdeckung des Buchdrucks und nun durch den Computer. In diesem Sinn hat Michel Serres die These der fortgesetzten Befreiungsgesten im Prozess der immer noch unabgeschlossenen Menschwerdung aufgegriffen (vgl. Serres 2001). Die zunehmende Kognitivierung wäre ohne Auslagerung repetitiver geistiger Fähigkeiten, von der schon die neuzeitlichen Konstrukteure der Rechenmaschinen geträumt hatten, gar nicht möglich gewesen. Serres interpretiert die Computertechnologie als Ausdruck des jüngsten Abschnitts im Menschwerdungsprozess. »Die alten kognitiven Fähigkeiten, die wir für persönlich und subjektiv hielten, werden durch die neuen Technologien kollektiv und objektiv. Wir verlieren die einen und gewinnen die anderen. Reden wir nicht mehr so, als hätte die alte Psychologie der geistigen Fähigkeiten noch Geltung.« (Serres 2002, 203) Ausgehend von der Idee der Turing-Maschine, die das universelle Konzept der Maschine schlechthin darstellt, wird der Einbruch neuer Technologien in eine Geschichte der Trägermedien eingeschrieben, die eine Geschichte des Verlusts und der Befreiung zugleich ist: Wofür der Mensch hier freigesetzt wird und welche neue Wissenschaft er dadurch hervorbringen wird, ist derzeit unermesslich. Serres interpretiert die Transformation der Datenträger als weiteren Schritt in der Befreiung des kognitiven Apparats weg von der Erinnerung, »um Raum für Erfindung zu schaffen« (ebenda, 202). Angesichts der technischen Kapazitäten ist der neue Mensch, der hier entsteht, zwar ein »Mensch ohne Fähigkeiten«, was aber im Sinne der Menschwerdung hinsichtlich der Entwicklung neuer Kreativität positiv besetzt sein kann. Technologien der Kommunikation und Information werden philosophisch antizipativ als kulturelle Freisetzungen interpretiert. Die Chancen dabei liegen in den neuen Modalitäten des Zugriffs auf Wissen, weil sich mit den Datenträgern erstens die Art und Weise der Reproduktion von Wissen und damit die Pädagogik ändern wird und zweitens mit dem Zugang zum Wissen auch des- <?page no="72"?> 73 Techniktheorien der Medien sen Adressaten, wobei der Zugang zu Wissensquellen vor allem für die sogenannten Entwicklungsländer die nachhaltigsten Effekte haben könnte. Kommunikation besteht im Speichern und Verteilen von Informationen. Speichern, als Voraussetzung für Kommunikation, erfolgt nie durch den individuellen Geist, sondern in bio- und technogenen Codierungen, kulturellen Artefakten und damit im Kollektiv der Spezies. Es ist ein sinnloses Unterfangen, in einer oberflächlich humanistischen Geste den Menschen der Technik entgegenzusetzen, weil sich Menschen und Technologien in einem ko-evolutionären Verhältnis befinden. Der Mensch ist schwächer als seine künstlichen Gehirne (Exteriorisierungen), aber ohne sie wäre er kein Mensch. »Als einziges Tier, dessen Körper verliert, bringt der Mensch Techniken hervor, deren Geschichte die Menschwerdung vorantreibt. Der Einbruch neuer Technologien markiert daher ein Zeitalter in dieser Geschichte der Menschwerdung.« (Serres 2002, 205) 2.1.8 Kritik und Meta-Kritik Der Ansatz technischer Medientheorie, der sich im deutschsprachigen medienwissenschaftlichen Diskurs zuerst mit den Schriften Kittlers etabliert hat, sorgte in zwei Richtungen für eine gewisse Ernüchterung. Erstens gelang es in den Medien- und Kommunikationswissenschaften damit, die hermeneutische Schule, die auf Sprache und Sinnverstehen allein abstellt (Theoriebildungen in der Folge von Wilhelm Dilthey, Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer bis hin zum Konzept des kommunikativen Handelns bei Jürgen Habermas;  2.3 Kritische Medientheorien), auf die Faktizität der medialen Schaltungen zurückzuverweisen und damit auf eine Logik, die zu guten Teilen unabhängig von der Intention ihrer Benutzer funktioniert. Zweitens wurde die Illusion einer Operationsfähigkeit des Mediensystems auf der Ebene der Benutzeroberflächen - »computergestützte Datenmanipulation auf der Basis einer abstrakten Befehlssyntax, die affirmiert, was nicht ist, und generiert, was es nie gegeben hat« (Bolz 1991, 111) - mit dem Hinweis auf die Hardware und ihre Funktionsbedingungen jenseits von Ideologiekritik relativiert. Es gibt keinen »Geist« ohne materiellen Träger, es gibt (laut Kittler) keine Software als maschinenunabhängige Fähigkeit. Für eine Medienwissenschaft, die sich zwischen geisteswissenschaftlichen Ansätzen und sozialwissenschaftlichen Methoden bewegt, ergibt sich daraus die Forderung an eine Rückbindung an den Eigensinn der Technik, die ihren Gegenstand erst möglich macht. Neben dieser Tendenz zur medienwissenschaftlichen »Entgeisterung« macht sich im Diskurs der technischen Medientheorie eine zweifelhafte Tendenz zur Überhöhung einzelner techniktheoretischer Pioniere wie Shannon oder Turing <?page no="73"?> 74 Frank Hartmann ebenso bemerkbar wie eine - vor allem in der Sekundärliteratur - von aller Ironie befreite Naturalisierung der Technik. Die Technik wird dabei als geschichtsphilosophisches Subjekt zur alles gestaltenden Kraft, wobei einige Kritiker diesem Diskurs wohl nicht ganz ohne Grund unbewusste legitimistische Züge vorwerfen. Die Beschwörung von »Faktizitäten«, von Hardware und Schaltungen befreit schließlich nicht von den psychosozialen Unterstellungen, welche die realen Subjekte der wie immer gearteten Technizität entgegenbringen mögen, mit allen Konsequenzen im Bereich von Kultur, Ökonomie und Politik. Literatur Andriopoulos, Stefan/ Schabacher, Gabriele/ Schumacher, Eckhard (Hg.) (2001): Die Adresse des Mediums. Köln: DuMont. Bateson, Gregory (1981): Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Baudrillard, Jean (1982): Der symbolische Tausch und der Tod. München: Matthes & Seitz. [Zuerst 1976] Baudry, Jean-Louis (1999): Das Dispositiv: Metapsychologische Betrachtungen des Realitätseindrucks. In: Pias, Claus/ Vogl, Joseph/ Engell, Lorenz u. a. (Hg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart: DVA, S. 381- 404. 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Was ist ›Transhumanismus‹, und welche Gefahren und Potenziale sehen Sie in dieser Bewegung? 7. Ordnen Sie die in diesem Beitrag diskutierten Denker und Theorien auf einer Horizontalachse mit den Polen ›Technikzentriertheit‹ (Medienmaterialismus bzw. zum Teil Medienarchäologie) und ›Menschzentriertheit‹ (Medienanthropologie) an, und begründen Sie jeweils die Positionierung! 8. Gegen welche Theorie- und welche Forschungstraditionen richtet sich der materialistische Ansatz von Friedrich Kittler, und ist er für Sie forschungspragmatisch operationalisierbar? Schließlich: Welche Dualismen - oder auch: welche Interdependenzen - verbergen sich hinter dieser Diskussion, und wie wäre eine non-dualistische Alternative denkbar (v. a. im Lichte der Kritik Hartmut Winklers)? <?page no="77"?> 78 2.2 Ökonomische Theorien der Medien Natascha Just/ Michael Latzer Trotz weit zurückreichender Pionierleistungen fehlt der Medienökonomie die solide disziplinäre Verankerung. Von Seiten der Kommunikationswissenschaft und der Wirtschaftswissenschaft gibt es jedoch seit Ende des vergangenen Jahrhunderts verstärkte Anstrengungen, die Etablierung und gleichzeitige Abgrenzung als Teildisziplin im jeweiligen Fach zu vollziehen. Innerhalb der Kommunikationswissenschaft, die sich selbst erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf breiter Basis an den Universitäten etablieren konnte, wurde die Medienökonomie über Jahrzehnte hinweg nicht als Teilgebiet ausgewiesen. Zwar wurde in den achtziger Jahren von einer Neuentdeckung der Medienökonomie als Teil der Kommunikationswissenschaft (vgl. Schenk/ Hensel 1987) berichtet, diese spiegelt sich aber nicht in den gängigen Lehrbüchern wider. Eine Studie zum Entwicklungsstand des Faches Medienökonomie an deutschen Universitäten aus dem Jahr 1999 zeigt, dass die Einrichtung von Lehrstühlen vor allem in den Wirtschaftswissenschaften mit betriebswirtschaftlichem Fokus geplant ist (vgl. Hess/ Schumann 1999). Für die Forschung legen Untersuchungen von Lacy/ Niebauer (1995) und Chambers (1998) hingegen dar, dass medienökonomische Aufsätze großteils von Kommunikationswissenschaftlern verfasst werden und die Quellen hierfür vorwiegend kommunikationswissenschaftliche Fachzeitschriften sind. 2.2.1 Kurze Geschichte ökonomischer Theorien Medienökonomische Pionierleistungen wurden u. a. von Karl Marx (1842, hier: 1974), Karl Knies (1857), Albert Schäffle (1873), Karl Bücher (1903, 1904 und 1910), Max Weber (1910, hier: 1924) und Werner Sombart (1927) bereits seit dem 19. Jahrhundert erbracht, allesamt Nationalökonomen, die aber aufgrund der damaligen Ausrichtung der Ökonomie und ihrer Mehrfachqualifikation als transdisziplinär einzustufen sind. Ihre Arbeiten werden nicht nur als wegbereitend für die Medienökonomie, sondern für die gesamte Kommunikationswissenschaft <?page no="78"?> 79 Ökonomische Theorien der Medien angesehen. 1 Die genannten Vertreter können großteils der Klassischen Politischen Ökonomie zugeordnet werden, in der die Trennung von ökonomischer und politischer Analyse nicht vollzogen war. Sie thematisierten die besondere gesellschaftliche Bedeutung meist marktmäßig produzierter Massenmedien (Zeitungen) und analysierten die bis heute zentralen Fragen der Medienökonomie nach den Auswirkungen des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems auf die Medienprodukte, die ökonomischen Besonderheiten von Mediengütern, deren Zwitterstellung als Wirtschafts- und Kulturgut, die Problematik der Werbefinanzierung von Medien und das daran gekoppelte Problem der Produktion für zwei unterschiedliche Absatzmärkte (Leser, Werbeindustrie), die Tendenz zur Monopolisierung aufgrund der spezifischen Kostenstruktur und die Konsequenzen dieser strukturellen Besonderheiten für die Formulierung der Politik. Mit der Durchsetzung des neoklassischen Paradigmas der Ökonomie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts die Trennung von ökonomischer und politischer Analyse vollzogen; das individuelle, wirtschaftliche Verhalten trat unter dem Aspekt der Nutzen- und Gewinnmaximierung in den Vordergrund, der methodologische Individualismus setzte sich durch, d. h. Erklärungen basieren auf Annahmen über individuelles Verhalten. Die an der Neoklassik ausgerichtete Medienökonomie konzentriert und beschränkt sich weitgehend auf die Problematik der optimalen Allokation 2 knapper Ressourcen, auf die ökonomischen Bedingungen der Produktion, Distribution und des Konsums im Mediensektor. Picard (1989), Albarran (1996) und Heinrich (1994, 1999a) liefern umfassende Einführungen in die medienökonomische Analyse, vorwiegend auf Basis neoklassischer Ansätze. Grundsätzlich wird in der Neoklassischen Ökonomie und der in ihrem Kontext entwickelten Public Interest Theorie der Regulierung davon ausgegangen, dass der (Wettbewerbs-)Markt als Ordnungsprinzip, das freie Spiel der Marktkräfte (Angebot und Nachfrage), zur wohlfahrtstheoretisch optimalen Allokation führt. Weiterhin wird analysiert, ob Medienmärkte strukturelle Defizite (z. B. Externalitäten, Informationsdefizite) aufweisen, die zu Marktversagen führen und in der Folge staatliche Marktinterventionen (Regulierungen 3 ) für den jeweiligen Ausnahmefall rechtfertigen. Mögliche Defizite staatlicher Regulierung, etwa durch Partikularinteressen der am Regulierungsprozess Beteiligten oder durch hohe Regulierungskosten, bleiben in der Public Interest Theorie unberücksichtigt. 1 Zur Bedeutung dieser Pionierleistungen für die US-Kommunikationswissenschaft siehe Hardt (1988). Der erste Lehrstuhl am Institut für Zeitungskunde in Leipzig (1916) wurde mit Karl Bücher besetzt. 2 Unter Allokation versteht man das Ergebnis der Zuordnung von Ressourcen zu Produktionsprozessen bzw. von finalen Gütern zu Konsumenten und den entsprechenden relativen Preisen von Inputs und Outputs. 3 Regulierungen sind kollektive und intentionale Verhaltensbeschränkungen für Marktakteure (vgl. Latzer u. a. 2002). <?page no="79"?> 80 Natascha Just/ Michael Latzer Im Unterschied zur Neoklassischen Ökonomie beachtet die Politische Ökonomie auch den Einfluss politischer Institutionen und Interessenkonstellationen auf die Ökonomie - es kommt zu einer Reintegration des Politischen in die Theorie. Im Zentrum stehen Fragen der (nationalen und globalen) Machtverteilung und Konsequenzen für die Demokratie. Innerhalb der Medienökonomie sind verschiedene Analysestränge der Politischen Ökonomie von Bedeutung. 4 Mit kritischen und (neo-)marxistischen Ansätzen 5 wird Fragen nach der Wechselwirkung von Kapitalismus und Mediensystem (vgl. Holzer 1971 und 1975, Garnham 1990), nach einer neuen Weltinformationsordnung und der Entwicklung einer nationalen Kommunikationspolitik in Entwicklungsländern (z. B. Nordenstreng/ Schiller 1979), nach Imperialismus und hegemonialen Wirkungen von Massenkommunikation nachgegangen (vgl. Schiller 1969 und 1976, Smythe 1981a), wobei Medien als Kulturindustrien analysiert werden. Die thematische Nähe zu Analysen der Cultural Studies (  2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien) führt immer wieder zu wechselseitiger, teils heftig geführter Kritik (vgl. Garnham 1995, Grossberg 1995). In institutionalistischen Ansätzen, die u. a. auf Arbeiten von Veblen aufbauen, wird die Bedeutung des kumulativen, fortwährenden Wandels, die Pfadabhängigkeit 6 und die Rolle des technischen Fortschritts für den institutionellen und damit gesellschaftlichen Wandel thematisiert. Im Unterschied zu neoklassischen Annahmen der rationalen Entscheidungsfindung durch Konsumenten werden von Institutionalisten psychologische Zugänge zu ökonomischen Problemen forciert (bounded rationality 7 ), Macht- und Einkommensverteilung werden im Gegensatz zur Neoklassischen Ökonomie nicht als gegeben angenommen. In institutionalistischen medienökonomischen Arbeiten wird beispielsweise in historischer Perspektive der Zusammenhang zwischen den jeweiligen Medien (technischer Fortschritt) und der jeweiligen gesellschaftlichen Machtverteilung und Herrschaftsform hergestellt (vgl. Innis 1972 und 1991;  2.11 Medienphilosophische Theorien;  2.1 Techniktheorien der Medien). Die vielfältigen Ansätze der Neuen Politischen Ökonomie stehen in der Tradition der liberalen, klassischen und neoklassischen Theorien und verwenden dementsprechend auch das Konzept des methodologischen Individualismus. Die weitgehend synonyme Verwendung des Begriffs Neue Politische Ökonomie mit Ökonomische Theorie der Politik und Public Choice verweist auf die Berücksich- 4 Für einen Überblick siehe Babe 1995, Mosco 1996 und Steininger 1998. 5 Intellektuelle Ursprünge kommen u. a. aus der Frankfurter Schule (  2.3 Kritische Medientheorien). 6 Pfadabhängigkeit bedeutet in der Innovationsökonomie, dass die Geschichte von Prozessen einen dauerhaften Einfluss auf die zukünftige Entwicklung hat. 7 Damit wird versucht, ein ›realistisches‹ Bild von der eingeschränkten Informiertheit und der dementsprechenden Rationalität in der Entscheidungsfindung zu zeichnen. <?page no="80"?> 81 Ökonomische Theorien der Medien tigung der Politik, wobei ein Hauptaugenmerk auf institutionalistische Aspekte (Neue Institutionalistische Ökonomie) gelegt wird. 8 Der neue Institutionalismus beruht schwerpunktmäßig auf Transaktionskosten-Ansätzen von Coase (1937), North (1988) und Williamson (1990) und greift etliche Themen des alten Institutionalismus auf, wie das Verhältnis von Recht und Ökonomie und die Entwicklung von Eigentumsrechten (Property Rights), die für medienökonomische Fragestellungen von Relevanz sind. 9 Kiefer (2001) liefert eine Einführung in die Medienökonomik, in der sie für eine ökonomische Analyse kommunikationswissenschaftlicher Problemstellungen auf Basis von Ansätzen der Neuen Politischen Ökonomie plädiert. So können Property-Rights-Ansätze auf Fragen der Medienfinanzierung und die Entstehung von Pay-TV angewendet werden; der Prinzipal- Agent-Ansatz kann sich für die Analyse des Verhältnisses von Publikum (Prinzipal) und Medien (Agent) als hilfreich erweisen; Transaktionskostenanalysen können zur Begründung von Konzentrationsprozessen im Medienbereich herangezogen werden. Die Special Interest Theorie der Regulierung analysiert, wessen Partikularinteressen sich im Regulierungsprozess durchsetzen. 10 So wird hinterfragt, ob die Regulierung entsprechend dem öffentlichen Interesse erfolgt (etwa bei Lizenzzuteilungen und Medienkonzentrationsfragen) oder ob sie vielmehr durch Partikularinteressen der regulierten Industrie bestimmt wird (Regulatory Capture; vgl. Stigler 1971). Gemeinsam mit dem Transaktionskostenansatz kann die Special Interest Theorie zur Analyse der Effizienz staatlicher Regulierung und des Staatsversagens (Defizite der Regulierung) in der Medienpolitik und somit als Hilfestellung für die Politik bei der Institutionalisierung nationaler und internationaler Regulierung genutzt werden. Für das Verständnis der verschiedenen Zugänge und Ansätze der medienökonomischen Analyse ist weiterhin die Unterteilung in volks- und betriebswirtschaftliche Ansätze zu beachten. Die oben Genannten sind der Volkswirtschaft zuzurechnen 8 Zur Anwendung der Neuen Institutionellen Ökonomie für die Analyse des Mediensystems vgl. Heinrich/ Lobigs (2003). 9 Institutionen, verstanden als Regelsysteme, als Organisationen und Normen (formelle, z. B. Gesetze, und informelle, z. B. Traditionen), dienen politisch gesehen der Durchsetzung individueller und kollektiver Interessen und ökonomisch gesehen der Wohlfahrtssteigerung. Diese Verbesserung wird u. a. anhand der anfallenden Transaktionskosten gemessen. Transaktionen finden statt, wenn Güter oder Leistungen übertragen werden. Transaktionskosten sind ›Reibungskosten‘ bei Übergängen, etwa Informations-, Verhandlungs- und Abwicklungskosten beim Wechsel von Eigentumsrechten. Ein Hauptzweck ökonomischer Institutionen besteht darin, Transaktionskosten einzusparen. Transaktionskosten können auch nach Koordinationskosten, die im Markt anfallen, und Organisationskosten, die im Unternehmen anfallen, unterteilt werden. 10 Das anfangs antagonistische Verhältnis von Public and Special Interest Theorien wurde zu einer kombinierten Sichtweise weiterentwickelt, indem argumentiert wurde, dass Special Interests nicht ohne Public Interests verfolgt werden können, da ein Ausgleich zwischen den Interessengruppen erfolgen muss. <?page no="81"?> 82 Natascha Just/ Michael Latzer und lassen sich in makro- und mikroökonomische Ansätze unterteilen. Mikroökonomische Ansätze haben als Untersuchungseinheit die einzelnen Haushalte und Unternehmen. Sie dienen z. B. der Analyse der Preissetzung, der Angebots- und Nachfragefunktionen, der Marktallokation sowie von Preis- und Einkommenselastizitäten. Makroökonomische Ansätze untersuchen hingegen Aggregate von mikroökonomischen Analyseeinheiten. So wird z. B. die Bedeutung der Medienindustrie für die Beschäftigungsentwicklung und das Wirtschaftswachstum eruiert (vgl. Seufert 2000 zur Rundfunkwirtschaft); für Studien zum Wandel von der Industriezur Informationsgesellschaft (vgl. Machlup 1962, Porat 1977) wird u. a. der Anteil der Informationsberufe an den Gesamtbeschäftigungszahlen als Kriterium herangezogen. Betriebswirtschaftliche Ansätze unterscheiden sich von volkswirtschaftlichen im Erkenntnisobjekt. Sie beschreiben und erklären das wirtschaftliche Handeln in Unternehmen in Bezug auf die gestellten Zielsetzungen. Für die betriebswirtschaftlich ausgerichtete Medienökonomie ergeben sich somit Fragestellungen im Hinblick auf Unternehmensführung, Personalwirtschaft, Betriebsgröße, Programmkosten sowie Rechnungswesen. Überblicksbücher zur Medienwirtschaft aus betriebswirtschaftlicher Sicht legen Brösel/ Keuper (2003), Schumann/ Hess (2006), Scholz (2006), Altendorfer/ Hilmer (2006a, 2006b und 2009), Gläser (2008) sowie Wirtz (2009) vor. Eine Kombination aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Analyse, z. B. von Erlöstypen und -modellen sowie von veränderten Wertschöpfungsketten und Regulierungsanforderungen in der Internet-Ökonomie, liefern Zerdick u. a. (2001 und 2004). Interdisziplinäre medienökonomische Arbeiten kombinieren z. B. betriebswirtschaftliche mit systemtheoretischen Ansätzen (  2.7 Systemtheorien der Medien) zur Analyse der Medien- und Publikumsforschung (vgl. Siegert 1997) oder verwenden eine ethisch-normative Betriebswirtschaftslehre unter Anwendung des Stakeholder-Ansatzes, wobei das Medienunternehmen als gesellschaftlich verantwortliche Institution aufgefasst wird, die in ihren Entscheidungen die Interessen der verschiedenen Betroffenen zu balancieren hat (vgl. Karmasin 1998). Damit soll dem Anspruch der Berücksichtigung nicht-ökonomischer Ziel- und Problemstellungen in der Medienökonomie Genüge getan werden. In der Informationsgesellschaft sind weniger die verfügbaren Informationen als vielmehr die Aufmerksamkeit (Zeit/ Motivation) die knappe Ressource (vgl. Albarran/ Arrese 2003). Eine Ökonomie der Aufmerksamkeit (vgl. Franck 1998, Zerdick u. a. 2001) existiert erst in Ansätzen, fokussiert u. a. auf die Rolle der Massenmedien bei der Bindung von Aufmerksamkeit und verlangt nach einem interdisziplinären Zugang. <?page no="82"?> 83 Ökonomische Theorien der Medien 2.2.2 Grundbegriffe und Definitionen Zum Verständnis der Medienökonomie erscheint es vorerst notwendig, verschiedene Definitionen und damit Abgrenzungen dieses Begriffs zu diskutieren. Danach folgt die Erklärung ausgewählter wirtschaftswissenschaftlicher Grundbegriffe. Definitionen/ Abgrenzungen der Medienökonomie Die Definitionen von Medienökonomie in den Lehrbüchern von Picard (1989), Heinrich (1994, 1999a) und Albarran (1996) sind relativ eng gewählt und stellen die zentrale ökonomische Frage nach der optimalen Allokation knapper gesellschaftlicher Ressourcen in den Vordergrund. Stellvertretend wird hier jene von Heinrich angeführt, der den Untersuchungsgegenstand auf den Journalismus beschränkt: »Medienökonomie untersucht, wie die Güter Information, Unterhaltung und Verbreitung von Werbebotschaften in aktuell berichtenden Massenmedien produziert, verteilt und konsumiert werden. Sie untersucht also die ökonomischen Bedingungen des Journalismus.« (Heinrich 1994, 19) Im Gegensatz dazu wählen Schenk/ Hensel (1987) und Kiefer (2001) breitere Definitionen: Neben der Analyse der ökonomischen Bedingungen des Mediensystems werden auch die gesellschaftlichen Konsequenzen und die Bedeutung der Ökonomisierung von Medien berücksichtigt. Die Ansätze beziehen die politischen Gestaltungsoptionen mit ein: »Zum Forschungsgegenstand der Medienökonomie gehören die ökonomischen Aspekte des Mediensystems und deren Bedeutung für die Struktur und Funktion des gesamten Informationssystems. […] Die Medienökonomie beschränkt sich damit nicht nur auf die Betrachtung ökonomischer Aspekte des Mediensystems, sondern betrachtet auch die Konsequenzen der Ökonomisierung für das gesamte Kommunikations- und Informationssystem einer Gesellschaft.« (Schenk/ Hensel 1987, 536) <?page no="83"?> 84 Natascha Just/ Michael Latzer Medienökonomie ist … »[…] eine Teildisziplin der PKW [der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Anm. d. Verf.], die wirtschaftliche und publizistische Phänomene des Medienssystems kapitalistischer Marktwirtschaften mit Hilfe ökonomischer Theorien untersucht. […] [Hierbei entwickelt die] normative Medienökonomie […] Gestaltungsoptionen mit Blick auf gesellschaftlich konzentrierte Ziele des Mediensystems.« (Kiefer 2001, 41) Wirtschaftswissenschaftliche Grundbegriffe und -konzepte Zentrale wirtschaftswissenschaftliche Grundbegriffe und -konzepte werden nachfolgend - thematisch unterteilt nach Marktformen und Kostenstrukturen, Marktversagen sowie Konzentration - kurz erläutert. In der Wirtschaftswissenschaft wird zwischen Monopol (ein Anbieter), Oligopol (mehrere), Polypol (viele) und monopolistischer Konkurrenz unterschieden. Im letztgenannten Fall schaffen sich Anbieter in einem Polypol mit Hilfe von Produktdifferenzierung und Werbung/ Marketing (Brands) eine Monopolstellung in einem Marktsegment. Die einzelnen Marktformen werden mit verschiedenen Annahmen hinsichtlich Wettbewerb und Marktmacht, Preissetzung etc. verbunden. Der Medienbereich ist vorwiegend durch oligopolistische Strukturen mit Tendenz zum Monopol charakterisiert. Beeinflusst wird eine solche Entwicklung u. a. durch die Existenz von Economies of Scale (Betriebsgrößenvorteile), d. h. bei einem proportionalen Anstieg aller Produktionsfaktoren steigt der Output überproportional an. Bei Medienprodukten sind die Herstellungskosten für die erste Einheit (Firstcopy-Kosten) hoch, während die Kosten jeder weiteren Einheit (Grenzkosten) gering sind und sogar gegen null gehen können. Hohe Fixkostenanteile, niedrige Grenzkosten und die hohe Kostendegression bei steigender Produktion fördern Konzentration und potenzielles Marktversagen. 11 Die Kostenstruktur der Medienproduktion verstärkt die Tendenz zur Monopolisierung, da man als Monopolist am günstigsten anbietet. Bei Medien reicht die Nachfrage oder die Zahlungsbereitschaft zur Deckung der Kosten zumeist nicht aus, auch ist das Absatzpotenzial nicht beliebig erweiterbar, weshalb alternative Finanzierungsmöglichkeiten (z. B. Werbung) erschlossen werden müssen. Medien produzieren somit für zwei unterschiedliche Absatzmärkte (Rezipienten und Werbewirtschaft), dies vielfach zu Lasten außerökonomischer, publizistischer Zielsetzungen. Wie Smythe (1977 und 11 Zur medienspezifischen Kostenstruktur vgl. Ludwig 1998. <?page no="84"?> 85 Ökonomische Theorien der Medien 1981b) argumentiert, ist die Produktion von Zuschauern für die Werbeindustrie das eigentliche Ziel werbefinanzierter Medien. Marktversagen entsteht, falls der Marktprozess zu ökonomisch ineffizienten Ergebnissen führt, wenn beispielsweise zu teuer, zu wenig oder das Falsche angeboten wird: Das produktive (sparsamer Ressourceneinsatz) und/ oder das allokative Effizienzziel (Produktion gemäß Konsumentenpräferenzen) werden nicht erreicht. Im Medienbereich wird dies v. a. auf die Charakteristika öffentliche Güter, Externalitäten, natürliche Monopole, Informationsasymmetrien und meritorische Güter zurückgeführt (s. u.). Die damit gerechtfertigten Regulierungen dienen der Korrektur von Marktversagen. Mangelnde Zahlungsbereitschaft resultiert u. a. aus dem öffentlichen Gutscharakter von Medienprodukten. Ein öffentliches Gut ist durch die Charakteristika Nicht-Ausschließbarkeit vom und Nicht-Rivalität im Konsum gekennzeichnet. Aufgrund der Nicht-Rivalität können diese Güter von mehreren konsumiert werden, ohne dass sie verbraucht werden oder an Qualität einbüßen. Nicht-Ausschließbarkeit bedeutet, dass niemand von der Nutzung ausgeschlossen werden kann bzw. ein Ausschluss zu kostspielig wäre (z. B. terrestrisches TV), auch wenn kein Preis für die Nutzung dieses Guts bezahlt wird. Diese Situation bezeichnet man als Trittbrettfahrer-Effekt oder als Free-Rider-Problematik. Aus beiden Charakteristika resultieren Preissetzungsprobleme und in der Folge Suboptimalität, d. h., dass meist zu wenig, in manchen Fällen auch zu viel produziert wird. Da kein effizientes Marktangebot zu Stande kommt, wird die Notwendigkeit von Staatseingriffen, Förderungen und mitunter auch die Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat (z. B. öffentlich-rechtlicher Rundfunk) abgeleitet. Unter Externalitäten versteht man Wirkungen der wirtschaftlichen Aktivität auf Dritte, für die diese, wenn sie positiv sind, nichts bezahlen müssen, wenn sie negativ sind, nicht entschädigt werden; sie können also sowohl Nutzengewinne als auch -verluste verursachen. Diese externen Effekte werden nicht in der individuellen Kosten-Nutzen-Kalkulation berücksichtigt. Die Internalisierung der externen Effekte kann mittels Unternehmensstrategien und staatlicher Regulierung erfolgen. Im Mediensektor sind v. a. informationale Externalitäten bedeutsam, die auf die Effekte von massenmedialen Inhalten auf die Gesellschaft (z. B. Wertewandel, Wahlverhalten, Wirtschaftsentwicklung) verweisen. Mit diesen Externalitäten wird etwa Inhaltsregulierung (Zensur, Quotenregulierung oder öffentlich-rechtliches Fernsehen) gerechtfertigt. Weiterhin sind Netzexternalitäten von Bedeutung. Diese sind zumeist positiver Art und entstehen bei Gütern, bei denen der Wert des Produkts für Konsumenten zunimmt, je mehr davon verkauft wird. Ein Beispiel ist das Telefonnetz: Mit jedem zusätzlichen Teilnehmer steigt auch der Nutzen aller bestehenden Teilnehmer an. Falls die Teilnehmer aber nicht bereit sind, für diesen Zusatznutzen zu bezahlen, kann die Marktlösung ineffizient sein, d. h. es kommt zu einem suboptimalen Wachstum des Netzes. <?page no="85"?> 86 Natascha Just/ Michael Latzer Bei einem natürlichen Monopol ist die firmeninterne Kostendegression in Relation zur gegebenen Marktgröße so bedeutend, dass auf Dauer nur ein Unternehmen im Markt überleben würde. Diese Kostendegression kann dazu führen, dass ein einziges Unternehmen das Gut kostengünstiger bereitstellen kann als jede andere Anbieterzahl. Die traditionelle Monopolregulierung im Telekommunikationsbereich wurde u. a. mit dieser Eigenschaft gerechtfertigt. Informationsasymmetrien beschreiben Situationen, in denen die Konsumenten gegenüber den Anbietern nur unvollständige Informationen über Güter besitzen. Aus dieser mangelnden Transparenz ergeben sich Unsicherheiten für Konsumenten, die zu regulierenden Eingriffen, wie Kennzeichnungspflicht und Qualitätsstandards führen können (z. B. im eCommerce). Im Fall von journalistischen Inhalten ist die Intransparenz besonders hoch. Es handelt sich um sogenannte Vertrauensgüter, deren Qualität durch Konsumenten - selbst nach dem Konsum - nicht objektiv bestimmbar ist. Im Unterschied zu den bisher genannten ökonomischen Gründen für Marktversagen werden im Fall von meritorischen Gütern politische Zielsetzungen nicht marktmäßig erreicht, die Güter werden weniger nachgefragt als gesellschaftlich erwünscht wäre. Daraus kann z. B. staatliche Produktionsförderung abgeleitet werden, wie im Fall des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der umgekehrte Fall gilt für demeritorische Güter. Hier versucht man, den Konsum von gesellschaftlich unerwünschten Gütern (z. B.Pornographie) etwa durch Inhaltsregulierungen zu verbieten oder zu reduzieren. Generell spricht man von Konzentration, wenn wenige Unternehmen auf dem relevanten Markt über hohe Marktanteile verfügen (Konzentrationszustand). Konzentrationsprozesse liegen vor, wenn die Zahl der Unternehmen am Markt kleiner wird (absolute Konzentration) oder wenn sich bei gleicher Unternehmenszahl die Marktanteile zugunsten der größten Unternehmen verschieben (relative Konzentration). Man unterscheidet ferner internes Unternehmenswachstum (z. B. Microsoft) und unternehmensexternes Wachstum (z. B. der Zusammenschluss von AOL/ Time Warner). Bei letzterem wird zwischen horizontalen, vertikalen und konglomeraten Zusammenschlüssen und folglich Konzentrationen unterschieden. Bei horizontalen Zusammenschlüssen vereinen sich Unternehmen, die auf dem gleichen sachlichen und räumlichen relevanten Markt tätig sind. Vertikale Zusammenschlüsse finden zwischen Unternehmen statt, die auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette tätig sind, d. h. solchen, die in einer Käufer-Verkäufer-Beziehung stehen. Bei konglomeraten Zusammenschlüssen sind Unternehmen beteiligt, die weder auf dem gleichen relevanten Markt tätig sind noch in einer Käufer-Verkäufer-Beziehung stehen. Wenn solche Zusammenschlüsse innerhalb des Mediensektors stattfinden (z. B. Rundfunk und Zeitung), spricht man vielfach von diagonaler Konzentration. <?page no="86"?> 87 Ökonomische Theorien der Medien Marktbeherrschung und Konzentration werden immer für den relevanten Markt bestimmt. Zumeist wird der sachliche und der räumliche relevante Markt unterschieden, wobei die Abgrenzung sowohl theoretisch als auch praktisch sehr schwierig ist. Zentrales Kriterium der sachlichen Marktdefinition ist die Substituierbarkeit von Produkten und Dienstleistungen in Bezug auf einen gemeinsamen Verwendungszweck der Abnehmer. Somit zählen jene Güter und Dienstleistungen zu einem Markt, die unter gegebenen Marktverhältnissen der Deckung desselben Bedarfs dienen, also aus Sicht der Verbraucher hinsichtlich ihrer Eigenschaften (z. B. Preis, Inhalt) als kurzfristig austauschbar bzw. substituierbar angesehen werden. Der räumliche Markt ist das Gebiet, auf dem diese Produkte angeboten werden (z. B. lokal, regional, national) und hinreichend homogene Wettbewerbsbedingungen herrschen. Für die Festlegung der Marktmacht von Unternehmen werden zuerst alle Wettbewerber definiert und die Marktanteile festgelegt. Dann werden die Konzentrationsraten ermittelt. Ziel der Konzentrationsmessung ist es, mittels geeigneter Konzentrationsmerkmale (z. B. Umsatz, Zuschaueranteil) und statistischer Methoden Stand und Entwicklung von Unternehmenskonzentration in Maßzahlen auszudrücken. Zu den gängigen Konzentrationsindices zählen z. B. der Herfindahl-Hirschman- Index (HHI) oder die Konzentrationsraten (z. B. CR4 und CR8). Beim Herfindahl-Hirschman-Index wird die Summe der quadrierten Marktanteile aller Anbieter gebildet. Durch das Quadrieren der Marktanteile legt man anteilsmäßig mehr Gewicht auf große Firmen in Korrelation mit ihrer relativen Wichtigkeit im Markt. Das bedeutet, dass kleine Unternehmen aufgrund ihres geringen Einflusses wenig in das Konzentrationsmaß eingehen, während großen Unternehmen ein großes Gewicht beigemessen wird. Der HHI bewegt sich zwischen 0 (viele Unternehmen mit kleinen Marktanteilen) und 10.000 (reiner Monopolmarkt). In den USA gelten Märkte mit einem HHI von unter 1.000 als nicht konzentriert, mit einem HHI zwischen 1.000 und 1.800 als mittelmäßig konzentriert und über 1.800 als stark konzentriert. Der HHI eignet sich besonders, um die Konzentration zwischen Industrien zu vergleichen. Im Gegensatz zum HHI, wo alle Marktteilnehmer inkludiert werden, werden bei der Konzentrationsrate nur die Marktanteile einer bestimmten Anzahl der größten Unternehmen, z. B. der vier (CR4) bzw. acht (CR8) größten im Markt (USA, EU) 12 , beachtet. Hierbei wird der Gesamtumsatz der vier bzw. acht größten Unternehmen mit dem Gesamtumsatz der Industrie verglichen. Wenn die Konzentrationsrate der vier größten Unternehmen größer/ gleich 50 % ist oder die der acht größten größer/ gleich 75 %, dann spricht man von hoch konzentrierten Märkten. Neben der Erfassung des Marktanteils (quan- 12 In Deutschland werden zumeist die Konzentrationsraten CR3 und CR6, also die drei bzw. sechs größten Unternehmen, angewendet. <?page no="87"?> 88 Natascha Just/ Michael Latzer titativ) werden bei der Bewertung von Zusammenschlüssen auch qualitative Faktoren berücksichtigt, wie Marktzutrittsbarrieren, verschiedene Effizienzkriterien, aber auch politische und soziale Implikationen. Für den Medienbereich wird immer wieder nach Alternativen zur ökonomischen Konzentrationsmessung gesucht (vgl. Just 2009), da von der Konzentration nicht nur der Wettbewerb, sondern auch die Medien- und Meinungsvielfalt betroffen ist. Das bedeutet, dass die Politik nicht nur auf die Gewährleistung eines ökonomischen Wettbewerbs abzielt, sondern auch auf das demokratiepolitische Ziel, ein pluralistisches Mediensystem zu garantieren. Diskutiert wird, ob das politische Ziel Medien- und Meinungsvielfalt eher durch Anbietervielzahl 13 oder durch publizistische Vielfalt (vgl. Rager/ Weber 1992) erreicht wird. Es gibt jedoch kein allgemein anerkanntes operationales Konzept zur Erfassung publizistischer Konzentration. Mögliche Ansatzpunkte sind z. B. vergleichende Inhaltsanalysen oder die Zahl der Programme. Bei Konzentrationen im Medienbereich sind weiterhin deren Konsequenzen für den Werbe- und Arbeitsmarkt zu beachten. 2.2.3 Anwendungen in der Medienwissenschaft Die zahlreichen medienökonomischen Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte 14 lassen drei thematische Schwerpunktsetzungen erkennen: (1) Konzentration (v. a. über Printmedien) seit den sechziger Jahren, (2) Liberalisierung (v. a. über Rundfunk) seit den achtziger Jahren und (3) Konvergenz (v. a. über Internet, Telefonie und Digitalen Rundfunk) seit den neunziger Jahren. Mit diesen oft kombinierten Schwerpunktsetzungen wurde und wird auf jeweils aktuelle medientechnische, ökonomische und politische Veränderungen reagiert, wobei verschiedene Analyseansätze zur Anwendung gelangen. 13 Kiefer (1995) argumentiert, dass die Konzentrationskontrolle nur von der Vielfaltsvermutung durch Anbietervielzahl ausgehen kann, da für alle anderen Anforderungen Wissen und Instrumente fehlen. 14 Für allgemeine Auswahlbibliographien zur medienökonomischen Forschung siehe Kopper 1982, Schenk/ Hensel 1986, Ubbens 1997 und Knoche 1999. Für Bücher mit Überblickscharakter siehe Schenk/ Donnerstag 1989, Alexander/ Owers/ Carveth 1993, Bruck 1993 und 1994, Altmeppen 1996, Doyle 2002, Siegert 2002, Altmeppen/ Karmasin 2003a, 2003b, 2004 und 2006, Beck 2005, Albarran/ Chan-Olmsted/ Wirth 2006, Heinrich/ Kopper 2006 sowie Beyer/ Carl 2008. <?page no="88"?> 89 Ökonomische Theorien der Medien Medienkonzentration Ein sehr breites Spektrum medienökonomischer Forschung widmet sich dem Phänomen der Konzentration und Fragen des Wettbewerbs im Medienbereich, insbesondere im Pressesektor. Innerhalb der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft trugen v. a. die Pressekonzentration und das Zeitungssterben seit Mitte der sechziger Jahre zu dieser Schwerpunktsetzung bei. 15 Die wissenschaftlichen Diskussionen gingen in Deutschland Hand in Hand mit politischen und gesetzgeberischen Aktivitäten, etwa mit der Konstituierung von Kommissionen 16 und mit medienspezifischen Sonderregelungen 17 , die z. B. die Prüfung von Zusammenschlüssen im Medienbereich bereits bei geringeren Umsatzzahlen als in anderen Wirtschaftssektoren vorsehen. Damit wird versucht, der meinungsbildenden, demokratischen Funktion der Medien und damit auch dem Spannungsfeld ökonomischer und publizistischer Zielsetzungen im Mediensektor Rechnung zu tragen (vgl. Just 2000). Diese sektorspezifischen Bestimmungen waren in den vergangenen Jahren umstritten. In politischen Reformen wurde ihre Abschaffung forciert und neue Instrumente zur Marktmachtbewertung präsentiert (vgl. Just 2009). Liberalisierung Die Liberalisierung des Rundfunks, d. h. die Zulassung und Förderung des Wettbewerbs, die im Wesentlichen ab den achtziger Jahren erfolgte, führte in der Medienökonomie v. a. zur Analyse der Problematik des Nebeneinander von öffentlich-rechtlich und privatwirtschaftlich organisierten Rundfunkanstalten (duale Rundfunkordnung). Die behandelten Themen reichen u. a. von der Darstellung der Aufgabenbereiche und der Diskussion der Existenzberechtigung öffentlichrechtlicher Sender (vgl. Kiefer 1996 und 1997, Kops 2000a, Kruse 2000) über Fragen zur Rechtfertigung von Regulierung und zur adäquaten Gestaltung von Rundfunkordnungen (vgl. Kops 1998 und 2000b, Kruse 2000) bis hin zur Analyse von Finanzierungsmöglichkeiten, z. B. Gebühren, Werbung oder Preisausschlusssysteme und ihrer Vor- und Nachteile (vgl. Ospel 1988). Besonderes Augenmerk wird auf den Konflikt ökonomischer und publizistischer Ziele im Zuge der verstärkten 15 Für einen Literaturüberblick zur Pressekonzentration für die Jahre 1959-1968 siehe Aufermann u. a. 1970. Siehe auch Fußnote 14. 16 Die Michel-Kommission (1964) untersuchte die Wettbewerbsgleichheit von Presse, Funk/ Fernsehen und Film; die Günther-Kommission (1967) evaluierte die Gefährdung der Existenz von Presseunternehmen und der Meinungsfreiheit. 17 Zum Beispiel die pressespezifischen Sonderregelungen für Zusammenschlüsse im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) (1976). <?page no="89"?> 90 Natascha Just/ Michael Latzer Wettbewerbsorientierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gelegt (vgl. Gundlach 1998), weiterhin auf mögliche wettbewerbsverzerrende Wirkungen der Ausdehnung von Geschäftsbereichen von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (z. B. auf Pay-TV und Internet-Dienste) aufgrund ihrer ökonomischen Sondersituation (z. B. Gebührenfinanzierung). Vor allem die Aktivitäten im Internetbereich haben zu Überprüfungen und Beihilfeverfahren durch die Europäische Kommission geführt. Als Reaktion darauf kam es in verschiedenen Mitgliedstaaten (UK, DE, DK) zu so genannten Public Value Tests, mittels derer vorab geprüft werden soll, ob das Online-Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen einer Gesellschaft entspricht (vgl. z. B. Kops u. a. 2009). Konvergenz Die Konvergenz der traditionell getrennten Subsektoren des Kommunikationssystems Massenmedien und Individualmedien (Telekommunikation) zu einem integrierten gesellschaftlichen Kommunikationssystem, das als Mediamatik (Medien & Telematik) bezeichnet werden kann (vgl. Latzer 1997), und die zunehmende Bedeutung des Internets und digitalen Rundfunks als Musterbeispiele und Antriebskräfte der Mediamatik führten in den neunziger Jahren zu einer dementsprechenden medienökonomischen Schwerpunktsetzung. Damit erweitert sich der Untersuchungsgegenstand, der zuvor weitgehend auf öffentliche Massenkommunikation via Printmedien und Rundfunk beschränkt war. Die bisher technisch, funktional und auf Unternehmensebene getrennten Subsektoren können nun in enge Austauschbeziehungen treten. Die Erweiterung erfolgt etwa durch Analysen der Internet-Ökonomie (vgl. Mc- Knight/ Bailey 1997, Shapiro/ Varian 1999, Zerdick u. a. 2001 und 2004 sowie Varian/ Farrell/ Shapiro 2004), des elektronischen Handels (vgl. Latzer 2000 und Latzer/ Schmitz 2002), des Digitalen Fernsehens (vgl. Gerbarg 1999 und Schulz/ Seufert/ Holznagel 1999) und der Telekommunikation (vgl. Mansell 1993 und Bohlin u. a. 2000). Deren gemeinsame (industrieökonomische) Charakteristika und Unternehmensstrategien können als Digitale Ökonomie (vgl. Latzer/ Schmitz 2002) bezeichnet werden. Tapscott und Williams (2008) betonen die Macht der Massenkreativität und die ›Weisheit der Massen‹ anhand von Web 2.0-Analysen (zu Web 2.0-Geschäftsmodellen vgl. auch Meckel/ Stanoevska-Slabeva 2008). Lessig (2004) und Benkler (2006) unterstreichen den Wert von Vernetzen und Teilen. Sie heben neue Produktionsmodelle (Peer-Production), das Organisieren ohne Organisation sowie die unbezahlte «Nachbarschaftshilfe» im Cyberspace hervor. Dadurch, so Benkler (2006), entstehe gesamtgesellschaftlich ein alternatives Wirtschaften (Networked Information Economy). Anderson (2006) verweist mit dem Long Tail-Konzept auf die wirtschaftlichen Konsequenzen, die aus dem kosten- <?page no="90"?> 91 Ökonomische Theorien der Medien günstigen Verkauf von Nischenprodukten im Internet resultieren. Weitere Themenbereiche umfassen die Ökonomisierung der Medien (vgl. Jarren/ Meier 2001) und die Analyse einer integrierten Mediamatik-Politik/ Regulierung (vgl. Latzer 2000 und 2007). Für einen Einblick in die theoretisch/ modellhafte Basis von Anwendungen und deren Problematik werden nachfolgend zwei Beispiele etwas ausführlicher dargestellt. Das erste Beispiel basiert auf traditioneller ökonomischer Theorie (Industrieökonomie), das zweite auf der um neue politisch-ökonomische Ansätze erweiterten neoklassischen Theorie. 18 Marktstruktur-Marktverhalten-Marktergebnis-Paradigma Das Marktstruktur-Marktverhalten-Marktergebnis-Paradigma (MMM) (siehe Abb. 1 unten) wird in der medienökonomischen Literatur häufig als Analyserahmen eingefordert und verwendet (vgl. Müller 1979, Busterna 1988, Gomery 1989 und 1993, Hendriks 1995, Wirth/ Bloch 1995, Sjurts 1996, Ramstad 1997 sowie Siegert 2001). Es wurde in den 30er-Jahren von Edward S. Mason zur Analyse von Industriezweigen entwickelt. Ausgehend von wohlfahrtsökonomischen und gesellschaftspolitischen (z. B. publizistischen) Zielen will man damit einerseits Faktoren identifizieren, die das Marktergebnis beeinflussen, andererseits dient es der Entwicklung von Theorien, mittels derer die kausalen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Faktoren bzw. den Marktdimensionen (Struktur-Verhalten-Ergebnis) analysiert werden können. Es bestehen kausale Zusammenhänge und wechselseitige Beeinflussungen zwischen den drei Marktdimensionen. So hängt z. B. das Marktergebnis vom Marktverhalten ab, das Marktverhalten wiederum von der einer Industrie zugrunde liegenden Marktstruktur. Auswirkungen in die umgekehrte Richtung sind ebenfalls möglich. Durch die Aufnahme medienspezifischer (publizistischer) Ziele in die Marktergebnis-Rubrik lassen sich verschiedene kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen analysieren. Das Paradigma ist auch für nicht-ökonomische Erklärungsansätze offen bzw. für Fragestellungen, bei denen ökonomische Kriterien nicht ausreichen. Medienökonomische Ergebnisse liegen insbesondere über Marktstrukturen und -verhalten vor, weniger über Marktergebnisse - so etwa zur Konzentration (Struktur) und zu ihren Auswirkungen auf das Marktverhalten und -ergeb- 18 Als weitere Beispiele für ökonomische Theoriebildung mittlerer Reichweite, die nicht Thema des vorliegenden Bandes ist, wären u. a. zu erwähnen: die speziell für Massenmedien adaptierte Theory of the Niche (vgl. Dimmick 2009) sowie das sich im Stadium einer präformalen Theorie befindliche Principle of Relative Constancy (vgl. McCombs/ Eyal 1980, McCombs/ Nolan 1992), dessen Hypothesen nicht fomalisiert sind. <?page no="91"?> 92 Natascha Just/ Michael Latzer nis. Konzentration kann, wie oben gezeigt, mit Konzentrationsindices wie HHI und CR4/ CR8 gemessen werden. Owen/ Wildman (1992) liefern HHI-Daten für US-Fernsehprogramm-Syndikate, Noam (2006) für den US-Telekommunikationsmarkt und Chan-Olmsted (1996) CR4/ CR8sowie HHI-Daten für den US-Kabelfernsehmarkt. Albarran/ Dimmick (1996) legen u. a. CR4/ CR8-Ergebnisse für vierzehn Medienindustrie- Segmente vor. Heinrich untersucht den deutschen Markt hinsichtlich ökonomischer (1992 und 1999a) und publizistischer Konzentration (1992) und präsentiert dafür u. a. CR3- und HHI-Daten. Eine Analyse von Strategien und Formen von Unternehmens-Zusammenschlüssen im konvergenten Mediensektor liefert Chan-Olmsted (1998). Die Auswirkungen der Marktstruktur auf Programmvielfalt (Ergebnis) zeigen Müller (1979) und Owen/ Wildman (1992). Die Effekte strategischen Marktverhaltens (Preissetzung, Produktdifferenzierung) auf den Wettbewerb im Kabelmarkt beschreibt Barrett (1996). Zum Zusammenhang von Marktstruktur und Unternehmensstrategien (Verhalten) in der Digitalen Ökonomie des Mediamatik-Sektors siehe Latzer/ Schmitz (2002). Doyle (2000) untersucht die Beziehung zwischen Marktgröße und -ergebnis sowie zwischen Cross- Sektor-Besitzstruktur (vertikal/ diagonal) und Marktergebnis in Großbritannien anhand der Gewinnspanne aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (Ergebnis). Diese lässt sich zwar gut quantitativ fassen und vergleichen, ist aber als alleiniges Kriterium für die Abschätzung des Marktergebnisses einer Kulturindustrie nicht ausreichend. Das Problem bei der Marktergebnis-Bewertung liegt darin, dass im Medienbereich einerseits traditionelle ökonomische Maßstäbe und Effizienzkriterien als nicht ausreichend bewertet werden und andererseits Kriterien wie Vielfalt, Meinungsfreiheit oder der Beitrag zur politischen Diskussion schwer empirisch fassbar und vergleichbar sind. <?page no="92"?> 93 Ökonomische Theorien der Medien Marktversagen-Staatsversagen-Paradigma Das auf ökonomischer Theorie beruhende Marktversagen-Staatsversagen-Paradigma geht vom Markt als prinzipiell optimalen Allokationsmechanismus aus. Aufgrund struktureller Defizite kommt es jedoch in Ausnahmebereichen zu Marktversagen 19 , d. h. zu suboptimalen Ergebnissen, woraus sich entsprechend der Public Interest Theorie staatliche Markteingriffe (z. B. Marktmachtkontrolle, Preisregulierung) zu dessen Verhinderung oder Kompensation ableiten lassen. Doch auch die Politik hat Defizite, wie die Special Interest Theorie unter Betonung verfolgter Partikularinteressen der am Regulierungsprozess Beteiligten betont, und es kann zu Staatsversagen (Politikversagen) kommen, woraus sich eine Re-Formulierung der Politik bzw. die Suche nach alternativen, marktkonformen Instrumenten ableiten lässt. Während die Defizite des Medienmarktes mit neoklassischen Ansätzen analysiert werden (vgl. Heinrich 1994 und 1999a), lassen sich jene der Politik mit Ansätzen der Neuen Politischen Ökonomie untersuchen. Der Regulatory-Capture-Ansatz prüft beispielsweise, inwieweit die Regulierung durch die Partikularinteressen 19 Siehe Abschnitt 2.2.2. Anzahl der Käufer und Verkäufer Marktzutrittsbarrieren Produktdifferenzierung Kostenstrukturen Vertikale Integration Diversifikation Marktstruktur Preissetzungsverhalten Produktstrategien Werbung Forschung & Entwicklung Legale Taktiken (z. B. Patente) Marktverhalten Produktive und allokative Effizienz Technischer Fortschritt Verteilungsgerechtigkeit Medienspezifisch: Kommunikationsfreiheit & politische Diskussion (Kulturelle) Vielfalt, Beitrag zu Bildung & nationaler Identität Marktergebnis Wirtschaftliche, technische, soziale und rechtliche Rahmenbedingungen Marktstruktur-Marktverhalten-Marktergebnis-Paradigma (Quelle: Adaptiert nach Scherer/ Ross 1990, 5; eigene Ergänzungen) <?page no="93"?> 94 Natascha Just/ Michael Latzer der Industrie vereinnahmt wird und welche institutionellen Faktoren dafür verantwortlich sind. So wird das Versagen der US-Kommunikationspolitik u. a. mit der Vereinnahmung der FCC (Federal Communications Commission) begründet (vgl. OTA 1990). Edelmann (1990) argumentiert ergänzend dazu, dass die FCC ihr (gewolltes) Versagen mit ›symbolischer Politik‹ zu übertünchen wusste. Mittels Transaktionskosten-Analysen können die Kosten verschiedener Regulierungsmodelle und marktkonformer Alternativen verglichen und dementsprechende Politikvorschläge abgeleitet werden. Transaktionskosten-Reduktionen sind beispielsweise ein Argument für eine integrierte Regulierung von Massenmedien und Telekommunikation in der Mediamatik. 20 Heinrich (1999b) diskutiert die Grenzen des Paradigmas von Markt und Marktversagen im Mediensektor und leitet ein duales System der Steuerung und Regelung ab, einerseits für den Bereich der normativ zugeschriebenen Medienproduktion (meritorische und öffentliche Informationen, z. B. zur Produktion von Vielfalt und Wahrheit) - wo der ökonomische Wettbewerb als Steuerungsverfahren prinzipiell nicht geeignet ist -, andererseits für den privaten Gebrauchswertbereich - wo das traditionelle ökonomische Steuerungsverfahren trotz Marktversagen anwendbar ist. 2.2.4 Schlussbemerkungen Im Zuge der disziplinären Etablierungsversuche der Medienökonomie besteht Einigkeit darüber, dass sie sich wirtschaftswissenschaftlicher Ansätze bedient. Uneinigkeit besteht hingegen darüber, (1) welche wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze dafür geeignet sind, ob und - wenn ja - welche kommunikationswissenschaftlichen Fragen damit beantwortet werden können, (2) wie der Untersuchungsgegenstand abgegrenzt wird und (3) ob und wie ein interdisziplinärer Ansatz in der Medienökonomie zu verfolgen ist. Bezüglich der Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes legt v. a. die Konvergenz im Medienbereich nahe, das gesamte gesellschaftliche Mediensystem in die Analyse mit einzubeziehen, d. h. traditionelle Beschränkungen auf Massenmedien, Journalismus und öffentliche Kommunikation aufzugeben. Für die medienökonomische Analyse verschiedener kommunikationswissenschaftlicher Problem- und Fragestellungen auf ökonomischer Basis ist die Vielfalt der wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze ein Gewinn. Dies unter der Voraussetzung, dass deren jeweilige normativ/ methodischen Annahmen klargelegt und 20 Vgl. Latzer 1997; für die Anwendung des Marktversagen-Staatsversagen-Paradigmas zur Ableitung einer Mediamatik-Politik für eCommerce vgl. Latzer 2000. <?page no="94"?> 95 Ökonomische Theorien der Medien deren möglicher Erklärungsbeitrag - und damit auch deren Grenzen - diskutiert werden. Grenzen ergeben sich v. a. aufgrund der gesellschaftlichen, verfassungsrechtlich verankerten Sonderstellung des Mediensystems und der damit verbundenen politischen Zielsetzungen. Hier greift eine rein ökonomische Betrachtung zu kurz. Die Einbindung des Politischen in die ökonomische Analyse, Interdisziplinarität, zumindest aber der Zusammenhang u. a. zu Ansätzen der Politikwissenschaft, Soziologie, Cultural Studies (  2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien) und Psychologie ergeben sich schon alleine durch die Einbeziehung neuerer sozialwissenschaftlicher Ansätze der Wirtschaftswissenschaften (z. B. institutionalistische Ansätze). Damit kann die Anschlussfähigkeit der Medienökonomie an andere Teildisziplinen der Kommunikationswissenschaft gewährleistet werden. Literatur Albarran, Alan B. (1996): Media Economics. Understanding Markets, Industries and Concepts. Ames: Iowa State University Press. 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Wie misst man die Konzentration im Mediensektor und welche Probleme sind dabei zu beachten? <?page no="103"?> 104 2.3 Kritische Medientheorien Christian Schicha 2.3.1 Kurze Geschichte der Kritischen Theorie Einen zentralen Einfluss auf die kultur- und medienkritische Debatte hatte zunächst das von Walter Benjamin im Jahr 1936 verfasste Schlüsselwerk »Die Kunst im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«. Dort wurde eine Theorie des Kunstwerks unter medialen Bedingungen entwickelt, die neben der Möglichkeit der Vervielfältigung künstlerischer Produkte auch auf die Wirkungsebene der Medieninhalte verwies. Der Aspekt der Zerstreuung (Benjamin 1979, 41) bei der Wirkung von Programmen auf die Zuschauer spielte eine zentrale Rolle. Benjamin stellte die Frage, ob die Rezipienten durch die damals aktuellen Wahrnehmungsformen und Inhalte immer noch in der Lage wären, kritische politische Urteile zu fällen, oder ob propagandistische Inhalte dies verhinderten. 1 Diese Kerngedanken wurden später von den Vertretern der Kritischen Medientheorie erneut aufgegriffen. Der Philosoph Max Horkheimer fokussierte das Forschungsprogramm der Kritischen Theorie in den dreißiger Jahren auf das Projekt einer interdisziplinär zu erschließenden materialistischen Gesellschaftstheorie, die neben der ökonomischen Analyse der gesellschaftlichen Machtverhältnisse auch eine sozialpsychologische Untersuchung mit Blick auf eine kulturtheoretische Betrachtung der Wirkungsweise der Massenkultur umfasste. 2 In der so genannten Frankfurter Schule am Institut für Sozialforschung der Universität Frankfurt am Main wurde diskutiert, »welche Ursachen sich für das Ausbleiben eines entwickelten Klassenbewußtseins« im Verständnis des Marxismus aufzeigen lassen. Der Begriff der Manipulation prägte die Debatte als »Sammelbezeichnung für alle Versuche, die bestehenden Produktionsverhältnisse zu stabilisieren« (Jäckel 1999, 81). Dabei wurde von der gesellschaftlichen Diagnose ausgegangen, dass die breite Masse von den Herrschenden unterdrückt und ausgebeutet würde. Zunächst spielten die Wirkungen von Medien und Kommunikation bei der Analyse gesellschaftlicher Defizite eine untergeordnete Rolle. Mit dem technischen Fortschritt und dem zunehmendem Verbreitungsgrad der Medien kristallisierte sich die Frage heraus, welchen Anteil die Massenkultur an der 1 Benjamin entwickelte seine Ideen unter dem Eindruck der Propaganda des Faschismus und vertrat die Ideen eines »unorthodoxen Marxismus« (Wiegerling 1998, 74). 2 Insgesamt verfügte die Kritische (Medien-)Theorie über eine kritisch-normative Orientierung und verfolgte demzufolge ein emanzipatorisches Erkenntnisinteresse (vgl. Waschkuhn 2000). <?page no="104"?> 105 Kritische Medientheorien als problematisch wahrgenommenen Verfestigung der gesellschaftlichen Verhältnisse einnimmt. Die stimulierende Wirkung der Massenmedien wurde negativ bewertet, da die Menschen insbesondere durch Unterhaltungsangebote von ihren tatsächlichen Bedürfnissen abgelenkt würden, nämlich sich kritisch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und ihrer eigenen Situation auseinander zu setzen. Populärkulturelle Inhalte würden schließlich dazu beitragen, dass die Gesellschaft entpolitisiert werde. Die Kritische (Medien-)Theorie wurde maßgeblich von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno durch das 1944 erschienene Werk »Dialektik der Aufklärung« geprägt. Darüber hinaus hat Jürgen Habermas die Debatte u. a. in seiner Habilitationsschrift »Strukturwandel der Öffentlichkeit« (1963) sowie mit den beiden Bänden der »Theorie des kommunikativen Handelns« (1981) weiterentwickelt und modifiziert. Eine radikale Kulturkritik wurde von Hans Magnus Enzensberger vor allem in seinem »Baukasten zu einer Theorie der Medien« (1970) entwickelt. Aktuelle kritische Medienanalysen haben vor allem Dieter Prokop (2000, 2001, 2005) und Richard Münch (1992, 1995, 1998) sowohl in Hinblick auf die Inhalte als auch auf die strukturellen Rahmenbedingungen der Medienentwicklung vorgelegt. 2.3.2 Grundbegriffe und Modelle der Kritischen Theorie Zentrale Grundbegriffe der Kritischen Medientheorie werden aus den in der Kritischen Theorie vorherrschenden Kategorien gewonnen. Zunächst spielt die Entfremdungsproblematik eine zentrale Rolle, aus der ein Verblendungszusammenhang in Hinblick auf die manipulative Wirkungskraft von Massenmedien abgeleitet wird. Die grundlegende Ideologiekritik einer »Dämonisierung der Kulturindustrie« (Prokop 1985, 165) am Manipulationspotenzial der Massenmedien wird durch die These untermauert, dass sich durch die Medienrezeption unterhaltsamer Formate ein falsches Bewusstsein bei den Zuschauern herausbilde. Durch derartige Strategien werde eine kritische Öffentlichkeit verhindert, die sich ursprünglich an dem Modell einer diskursiven Kommunikationsgemeinschaft orientiert habe. Im Rahmen dieser radikalen Gesellschafts- und Medienkritik dominiere die »Konsumsphäre und Warenform unter Einschluss symbolischer Komponenten politischer Ökonomiedominanz und der bestehenden Herrschaftskultur« (Waschkuhn 2000, 14), um von den tatsächlichen Bedürfnissen der Gesellschaft abzulenken. Die Entwicklung eines autonomen und mündigen Subjekts werde durch derartige Mechanismen verhindert. Die Kulturkritik besagt, dass eine Manipulation seitens der Kulturindustrie durch primär unterhaltsame Medieninhalte erfolge, die sich trivialkulturellen Mustern bediene. Dadurch werde die Bildung autonomer, selbstständig bewusst urteilender und sich frei entscheidender Individuen verhindert. Massenmedien seien Instanzen des Massenbetrugs, die die Träume und Sehn- <?page no="105"?> 106 Christian Schicha süchte der Menschen durch kommerzielle Angebote zu befriedigen versuchen, jedoch faktisch zur Entmündigung der Konsumenten beitragen. Diagnose Massenbetrug: Theodor W. Adorno/ Max Horkheimer Max Horkheimer und Theodor W. Adorno haben in einem interdisziplinären Rahmen ein wissenschaftliches Projekt begonnen, das auf eine kritisch-marxistisch orientierte Analyse moderner Gegenwartsgesellschaften rekurrierte. Die »Dialektik der Aufklärung« gelangt in ihrer Auseinandersetzung mit den Massenmedien zu einer düsteren Prognose. Speziell in dem Kapitel über die Massenkulturindustrie prognostizieren die Autoren eine kulturelle und soziale Regression als Konsequenz einer industriellen Kulturproduktion, die gesellschaftliche Gegensätze und Orientierungslosigkeit durch die Produktion eines totalitär ausgerichteten Amüsements zu verwischen versucht. Der Öffentlichkeit würden massenmedial vermittelte Vergnügungen verabreicht, die darüber hinwegtäuschen sollen, dass sie sich in einem ausbeuterischen Systemzusammenhang bewege. Diese These mündet schließlich in der im Untertitel des Kapitels pointiert gewählten Bezeichnung: Aufklärung als Massenbetrug. Das Kapitel über die Kulturindustrie, das auf Adorno zurückgeht, jedoch von Horkheimer intensiv überarbeitet worden ist (vgl. Waschkuhn 2000, 28), kann als »eine einzige große Polemik gegen die moderne Unterhaltungsindustrie« (Dörner 2000, 68) klassifiziert werden. Die Masse werde durch derartige Medienangebote getäuscht, da sie standardisierte Vergnügungen an die Rezipienten herantragen, die von ihren tatsächlichen Bedürfnissen ablenken und so eine relative Zufriedenheit im kapitalistischen System aufrechterhalten. Das Publikum werde durch derartige Einflüsse für ›dumm‹ verkauft. In der medial vermittelten Konsumwelt werde der Eindruck vermittelt, dass es eine Auswahl von Produkten und Angeboten gebe. Faktisch solle jedoch eine Nachfrage nach dem immer Gleichen geweckt werden, um die Profite der Medienproduzenten zu sichern. »Kultur schlägt heute alles mit Ähnlichkeit«, war demzufolge eine der zentralen Thesen von Horkheimer und Adorno (2000, 128). In Film, Radio und Fernsehen würden die immer gleichen trivialen Inhalte ausgestrahlt, die nicht mehr als Kunst, sondern als ›Schund‹ klassifiziert werden können und aus ökonomischen Machtinteressen heraus platziert werden. Aus der Entmündigung des Konsumenten resultiere schließlich die Entmündigung des Staatsbürgers. Faktisch sei nur die ›hohe Kunst‹ in der Lage, dem Rezipienten ein angemessenes Reflexionsangebot zu machen, aus dem eine kritische Grundhaltung gegenüber gesellschaftlichen Zwängen resultieren könne. Die Konsequenz der Kulturindustrie besteht jedoch in einer Anti-Aufklärung. Die Konsumenten würden diese Form der Manipulation widerstandslos akzeptieren. Somit ergebe sich ein Zwangscharakter einer entfremdeten Gesellschaft. <?page no="106"?> 107 Kritische Medientheorien Technische Rationalität fungiere als Rationalität der Herrschaft. Durch die technische Verbreitung der Kulturindustrie sei eine Standardisierung und Serienproduktion möglich. Besonders kritisiert wurden Trivialformate wie Zeichentrickfilme, Schlager, Krimis und schließlich Werbung, deren Wirkung in Hinblick auf die zu Kunden degradierten Rezipienten bisweilen polemisch kommentiert wurde: »Donald Duck in den Cartoons wie die Unglücklichen in der Realität erhalten ihre Prügel, damit die Zuschauer sich an die eigenen gewöhnen.« (Horkheimer/ Adorno 2000, 147) Empirisch sah Adorno die Auffassung von oberflächlichen und trivialen Inhalten mit dem Aufkommen des amerikanischen Fernsehens Anfang der fünfziger Jahre bestätigt. In dem Aufsatz »Prolog zum Fernsehen« (Adorno 1963, 69 ff.) vertrat er die These, dass die Menschen ständig den negativen Einflüssen der Kulturindustrie ausgesetzt seien. Darunter leide schließlich auch das Sprachniveau. »Fernsehen als Ideologie« (Adorno 1963, 89) würde dazu führen, dass ein »internationales Klima des Anti-Intellektualismus« (ebenda) erzeugt werde. Kritik der Bewusstseinsindustrie: Hans Magnus Enzensberger Hans Magnus Enzensberger hat sich vor allem als vielseitiger Schriftsteller einen Namen gemacht. 3 Zu Beginn der siebziger Jahre wurden von ihm zentrale Punkte der Kritischen Medientheorie von Horkheimer und Adorno aufgegriffen und weiterentwickelt. Er lehnte jedoch den Begriff »Kulturindustrie« ab, da dieser die gesellschaftlichen Konsequenzen massenmedialer Inhalte verharmlose. Vielmehr existiere eine Bewusstseinsindustrie, die existierende Herrschaftsverhältnisse verfestigen solle (vgl. Dietschreit/ Heinze-Dietschreit 1986, 49). In seinem »Baukasten zu einer Theorie der Medien« vertritt Enzensberger die Auffassung, dass aus der Entwicklung der elektronischen Medien ein »Schrittmacher der sozio-ökonomischen Entwicklung spätindustrieller Gesellschaften« (Enzensberger 1970, 159) resultiere, der die Bewusstseinsindustrie der Gesellschaft maßgeblich präge. Der Kapitalismus der Monopole führe dazu, dass politische Themen zunehmend in den Hintergrund rücken. Aufgrund eines Trends zur Entpoli- 3 Darüber hinaus hat er sich häufig in aktuelle politische Debatten eingeschaltet. Er galt als »Sprecher der Linken« (Falkenstein 1977, 5) und hat häufig mit Stellungnahmen die Politik der Regierung kritisiert. So hat er sich 1958 im Aufruf der »Gruppe 47« ebenso gegen die Wiederbewaffnung der Bundeswehr gestellt wie gegen das 1960 von Adenauer vorgesehene Modell einer Deutschland- Fernsehen GmbH. Sein politisches Engagement setzte sich in seiner Haltung gegen den Vietnam- Krieg fort. Neben seinen zahlreichen literarischen Schriften hat er sich vor allem 1965 durch die Gründung der Zeitschrift »Kursbuch« einen Namen gemacht, die neben Gedichten und literarischen Kurzformen auch kontroverse politische Fragen in längeren Dossiers und Dokumenten thematisiert. <?page no="107"?> 108 Christian Schicha tisierung werde die Mobilisierung der Bevölkerung verhindert. Der Verdacht, dass die Rezipienten durch die Medien manipuliert würden, sei nicht nur ein Herrschaftsproblem, sondern bereits durch den praktischen Umgang mit ihnen strukturell angelegt. Elementare Verfahren des medialen Produzierens, die neben der Wahl des verwendeten Mediums von der Aufnahme über den Schnitt bis hin zur Distribution ein Eingreifen erfordern, seien bereits dem Täuschungsverdacht ausgesetzt (vgl. Enzensberger 1970, 166). Der Manipulation sei jedoch nicht durch Zensur, sondern durch gesellschaftliche Kontrolle zu begegnen. Die Beseitigung der kapitalistischen Verhältnisse durch eine freie sozialistische Gesellschaft sei dabei eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um den Gegensatz zwischen Produzenten und Konsumenten aufzulösen, bemerkt Enzensberger. Ohne die Thesen von Horkheimer und Adorno explizit zu nennen, widerspricht er deren Position, dass der Kapitalismus von »der Ausbeutung falscher Bedürfnisse« (ebenda, 171) lebe. Von einem Konsumterror könne nicht ausgegangen werden. »Die Anziehungskraft des Massenkonsums beruht nicht auf dem Oktroi falscher, sondern auf der Verfälschung und Ausbeutung ganz realer und legitimer Bedürfnisse.« (Ebenda, 171) Dabei würden durch das Sozialprestige vorgelebte Identifikationsmuster sowie der Fetischcharakter der Waren eine zentrale Rolle spielen, um die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen zu befriedigen. Dennoch sieht er die Verheißungen der Medien als ambivalent an. Enzensberger (1970, 173) differenziert zwischen zwei Formen des Mediengebrauchs mit entsprechenden Chancen und Risiken: Repressiver und emanzipatorischer Mediengebrauch nach Enzensberger Repressiver Mediengebrauch Emanzipatorischer Mediengebrauch Zentral gesteuertes Programm Dezentrale Programme Ein Sender, viele Empfänger Jeder Empfänger ein potenzieller Sender Immobilisierung isolierter Individuen Mobilisierung der Massen Passive Konsumhaltung Interaktion der Teilnehmer (feed-back) Entpolitisierungsprozess Politischer Lernprozess Produktion durch Spezialisten Kollektive Produktion Kontrolle durch Eigentümer oder Bürokraten Gesellschaftliche Kontrolle durch Selbstorganisationen (Quelle: Enzensberger 1970, 173) <?page no="108"?> 109 Kritische Medientheorien Neben den skizzierten allgemeinen kulturkritischen Entwürfen hat Enzensberger konkrete Inhalte des »Spiegel« (vgl. Enzensberger 1957) oder der »Bild«-Zeitung (vgl. Enzensberger 1983) interpretiert. Ende der achtziger Jahre hat er sich selbst im »Spiegel« (Heft 20/ 1988; ebenfalls abgedruckt in Enzensberger 1988) mit der Manipulations-, Nachahmungs-, Simulations- und Verblödungsthese des Fernsehens kritisch auseinandergesetzt und gelangt zu der These, dass derartige monokausale Wirkungsmodelle - und dies kann auch als Kritik an der Konzeption von Horkheimer und Adorno interpretiert werden - »schwach auf der Brust« (Enzensberger 1988, 146) seien. Wohl könne speziell das Fernsehen als »Brabbelmedium« klassifiziert werden, das kaum den in der deutschen Rundfunkordnung, in vorliegenden Staatsverträgen, Rundfunkgesetzen und Richtlinien postulierten Normen des Programmauftrags mit Information und Bildung entspreche. Oft werde das Fernsehen nur zur Zerstreuung genutzt: »Man schaltet das Gerät ein, um abzuschalten.« Es diene der »Gehirnwäsche« und »Psychotherapie«, sei aber immer noch hilfreicher als die alternative Flucht in den Drogenkonsum, wie Enzensberger (1988, 155) in seiner Polemik gegen das Fernsehen abschließend konstatiert. Kommunikative Rationalität: Jürgen Habermas Jürgen Habermas avancierte 1964 zum ordentlichen Professor für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt am Main als Nachfolger von Max Horkheimer. 4 Habermas vertritt in seiner Beschreibung und Analyse kultureller und politischer Prozesse eine weniger radikale Position als seine Vorgänger Horkheimer und Adorno, »sondern setzt seine Hoffnungen in eine behutsame Revision des Bestehenden, in die Öffnung neuer Diskursräume und die zwanglose Erörterung ethisch politischer Ziele« (Brosda 2001, 55). Seine Theorie kommunikativer Rationalität entspricht dem Idealbild eines verständigungsorientierten Handelns, das die Einlösung von problematisch gewordenen Geltungsansprüchen durch rationale Diskurse bewerkstelligen soll, die konsensorientiert verlaufen. An derartigen Argumentationsverfahren sollten möglichst alle Betroffenen teilnehmen können bzw. advokatorisch vertreten werden. Sofern diese Bedingungen erfüllt sind, kann sich ein deliberatives Modell von Öffentlichkeit herausbilden, das dem Anspruch einer kritischen Volkssouveränität entspricht. Zunächst vertrat Habermas die Auffassung, dass sich die bürgerliche Öffentlichkeit in einem Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft befinde, jedoch zunächst ein Bestandteil der herrschaftswiderständigen privaten Sozialsphäre bleibe. 4 Habermas ist u. a. Träger des Adorno-Preises der Stadt Frankfurt am Main und hat am 14. Oktober 2001 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. <?page no="109"?> 110 Christian Schicha Dadurch, dass sich Staat und Gesellschaft wechselseitig durchdringen, entstehe eine Polarisierung zwischen Sozial- und Intimsphäre. Aus dem kulturräsonierenden Publikum entwickle sich durch den Einfluss der Massenmedien ein kulturkonsumierendes Publikum, das aufgrund der tendenziellen Verschränkung des Öffentlichen mit dem Privaten eine affirmative Integrationskultur mit einem weitestgehend unpolitischen Öffentlichkeitsbereich herausbildet. Ende der sechziger Jahre ist Habermas noch davon ausgegangen, dass die Informationsübermittlung und die Medieninhalte nicht dazu beitragen, »einer strukturellen Entpolitisierung der breiten Bevölkerung entgegenzuwirken.« (Habermas 1981b, 246) Obwohl er die pauschale These einer gezielten Manipulation durch Massenmedien ablehnt, verweist er auf die Problematik, dass über politisch brisante Themen oftmals nicht angemessen berichtet wird. 5 - Insgesamt ist Habermas den Thesen von Horkheimer und Adorno in Hinblick auf den totalen Verblendungszusammenhang von Massenmedien nicht gefolgt. In der 1990 erschienenen Neuauflage seiner zunächst 1963 veröffentlichten Habilitationsschrift hat er im veränderten Vorwort folgende Modifikation vorgenommen: »Kurzum, meine Diagnose einer gradlinigen Entwicklung vom politisch aktiven zum privatistischen› vom kulturräsonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum greift zu kurz. Die Resistenzfähigkeit und vor allem das kritische Potential eines in seinen kulturellen Gewohnheiten aus Klassenschranken hervortretenden, pluralistischen, nach innen weit differenzierten Massenpublikums habe ich derzeit zu pessimistisch beurteilt. Mit dem ambivalenten Durchlässigwerden der Grenzen zwischen Trivial- und Hochkultur und einer neuen Intimität zwischen Kultur und Politik, die ebenso zweideutig ist und Information an Unterhaltung nicht bloß assimiliert, haben sich auch die Maßstäbe der Beurteilung selbst verändert.« (Habermas 1990, 30) Habermas plädiert insgesamt für einen differenzierten Blick auf das Phänomen der politischen Kultur, aus der sich eine kritische Öffentlichkeit herausbilde, die sich an der »Produktivkraft des Diskurses« (Habermas 1990, 33) orientiere. Zugleich fordert er die Aufrechterhaltung einer politisch funktionierenden Öffentlichkeit, 5 Derartige Aussagen wurden von Habermas aufgrund der Eindrücke im Rahmen der Berichterstattung über Themen wie die Notstandsgesetzgebung und den Vietnamkrieg artikuliert. In diesem Kontext habe es »Verzerrungseffekte« (Habermas 1981b, 247) gegeben. Der Springer-Presse warf er - insbesondere durch die Berichterstattung in der »Bild«-Zeitung - »Manipulationen« vor. Konkret forderte er Auflagen gegen Machtkonzentrationen auf dem Mediensektor durch Fusionsverbote und Auflagenbeschränkungen. <?page no="110"?> 111 Kritische Medientheorien die sich als Gegenpol zu einer durch Massenmedien beherrschten Öffentlichkeit zu bewähren hat, um eine »vermachtete Arena« (Habermas 1990, 43) zu vermeiden. Habermas beschäftigt sich zudem kritisch mit den konkreten Macht- und Herrschaftsphänomenen im Rahmen von Medienprozessen. Dabei gehe es weniger um verständigungsorientiertes Handeln, sondern primär um »[…] die kommunikative Erzeugung legitimer Macht einerseits und andererseits [um] die manipulative Inanspruchnahme der Medienmacht zur Beschaffung von Massenloyalität, Nachfrage und ›compliance‹ gegenüber systemischen Imperativen.« (Habermas 1990, 45) Neben den strukturellen Rahmenbedingungen wird weiterhin auf die Selektionskriterien in den Medien auf der Inhaltsebene - etwa durch Nachrichtenfaktoren - eingegangen. Gerade im medienzentrierten Umfeld der aktuellen Öffentlichkeit haben sich - der inhaltsanalytischen Diagnose von Habermas zufolge - spezifische Spezialsprachen herausgebildet, die sich den Anforderungen der Sachzwänge in den Medien angepasst haben. Aufgrund der knappen Darstellung komplexer Sachverhalte falle es schwer, die Thematisierung gesamtgesellschaftlicher Problemlagen adäquat zu behandeln. Auf massenmedial vermittelte Kommunikationsprozesse geht der Autor auch in seiner 1981 erschienenen zweibändigen Schrift »Theorie des kommunikativen Handelns« ein, die bis heute (vgl. Habermas 2001) konzeptionell weiterentwickelt wird. Dabei wird auf die Differenz zwischen der »face-to-face«-Kommunikation und der technisch vermittelten Kommunikation in Bezug auf die Bildung neuer Öffentlichkeiten verwiesen. Massenmedien gelten bei Habermas als Kommunikationstechnologien, die die raumzeitliche Beschränkung von Sprechhandlungen aufheben und in eine virtuelle Öffentlichkeit überführen, die sich aus einem Netz pluraler Öffentlichkeiten zusammensetzt. Durch den Einzug der elektronischen Massenmedien hätten sich neue Öffentlichkeiten herausgebildet: Massenmedien … »[…] lösen Kommunikationsvorgänge aus der Provinzialität raumzeitlich beschränkter Kontexte und lassen Öffentlichkeiten entstehen, indem sie die abstrakte Gleichzeitigkeit eines virtuell präsent gehaltenen Netzes von räumlich und zeitlich weit entfernten Kommunikationsinhalten herstellen und Botschaften für vielfältige Kontexte verfügbar halten.« (Habermas 1981a, 573) Die daraus resultierende Medienöffentlichkeit besitzt ein ambivalentes Potenzial. Einerseits kann durch die Medieninformationen die Form eines emanzipatorischen Potenzials (vgl. Enzensberger 1970, siehe oben) erwachsen, das dazu beitra- <?page no="111"?> 112 Christian Schicha gen kann, kritische Geltungsansprüche auf Seiten der Rezipienten zu artikulieren; andererseits ist die Berichterstattung in den Sendeanstalten »[…] konkurrierenden Interessen ausgesetzt«, wodurch »[…] ökonomische, politisch-ideologische, professionelle und medienästhetische Gesichtspunkte« dazu führen können, dass »[…] sich Massenmedien den Verpflichtungen, die ihnen aus ihrem journalistischen Auftrag erwachsen, normalerweise nicht konfliktfrei entziehen können« (Habermas 1981a, 574) und die triviale Form der Unterhaltungskultur die politische Berichterstattung zunehmend einschränkt. Insofern bleibt die Option eines autoritären Potenzials immer gegeben, da durch die Kommunikationsstrukturen gegebenenfalls Macht- und Herrschaftsansprüche zum Ausdruck kommen. 2.3.3 Anwendungen in der Medienwissenschaft Theoretische Anwendungen Es gibt zahlreiche Anknüpfungspunkte der medienwissenschaftlichen Forschung im Anschluss an die Kritische Medientheorie. Als ein »geistesverwandter Medienkritiker« (Wiegerling 1998, 116) kann Günther Anders bezeichnet werden, der in seiner Publikation »Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution« aus dem Jahr 1956 (vgl. Anders 1980) eine ontologische und erkenntnistheoretische Debatte über den Stellenwert von Funk und Fernsehen initiierte (  2.11 Medienphilosophische Theorien). Seine Medienanalyse ist im Gegensatz zu Adorno und Horkheimer jedoch wesentlich detaillierter. Anders geht davon aus, dass der Mensch durch die Herrschaft der Technik so stark dominiert wird, dass Massenmedien nicht nur Wirklichkeit erzeugen, sondern auch Erfahrungen prägen und das Verhalten der Rezipienten massiv beeinflussen. Fernsehprogramme seien durch ihren Warencharakter geprägt und sollen dazu beitragen, kommerziell motivierte Bedürfnisse beim Rezipienten zu erzeugen (vgl. weiterführend Dietz 2007). Auch Anders steht in der Tradition einer allgemeinen Technologie- und Ökonomiekritik. 6 6 Auch Wolfgang F. Haug (1971) liefert mit seiner »Kritik der Warenästhetik« eine für die materialistisch-medienkritische Zentrierung grundlegende Analyse der Massenmedien, die er als Welt aus werbendem und unterhaltendem Schein, als eine das Leben und die Wahrnehmung des Menschen bis in die Intimität hinein bedingende Macht darstellt. Unterhaltung wird von ihm als gesellschaftlicher Zwangsmechanismus einer spätkapitalistischen Gesellschaft klassifiziert. - Kulturelle Verfallsszenarien werden in essayistischer Form auch von dem amerikanischen Medienkritiker Neil Postman in seinem populärwissenschaftlichen Band »Wir amüsieren uns zu Tode« aus dem Jahr 1985 (vgl. Postman 1985) aufgegriffen. Er sieht die öffentliche Urteilsbildung aufgrund der kommerziell ausgerichteten Unterhaltungsprogramme gefährdet, da sie jedes Thema speziell im Fernsehen als Unterhaltung präsentieren. Damit sei die rationale Kompetenz der Zuschauer in Frage gestellt, wodurch sich negative Konsequenzen für die politische Diskurskultur abzeichnen (vgl. weiterführend auch Kottlorz 1998). <?page no="112"?> 113 Kritische Medientheorien Der Medien-Kapitalismus: Dieter Prokop Die Medienanalysen des Frankfurter Soziologen Dieter Prokop sind ebenfalls geprägt von den Grundgedanken der Kritischen Medientheorie. Sein Werk liefert einen Überblick über ein breites Spektrum von Problemen und Risiken im Zuge der aktuellen Medienentwicklung. Massenmedien interpretiert er als »populäre Inszenierungen aller Art« (Prokop 2000, 11), die sowohl informieren als auch unterhalten können und darauf ausgerichtet seien, Einschaltquoten, Auflagen und Chartpositionen zu erzielen. Der Medien-Kapitalismus bestehe aus »supernationalen Konzernen«, die gewinnorientiert und nicht demokratisch agieren. Die Aufgabe der kritischen Medienforschung bestehe darin, das Manipulationspotenzial der Massenmedien aufzuzeigen, um die Interessen der »souveränen Staatsbürger« (ebenda, 13) statt die der Werbeindustrie zu vertreten. Weiterhin werden die Konzentrationsentwicklungen durch die Monopolbildung auf dem Mediensektor problematisiert. Es wird bemängelt, dass eine kritische Öffentlichkeit zunehmend durch eine konsumierende Öffentlichkeit ersetzt werde. Der Bürger avanciere zum Konsumenten, der auch von den öffentlich-rechtlichen Programmmachern in ein Korsett einer »MedienNutzerTypologie« (ebenda, 77) gepresst werde, um als Zielgruppe für die Werbeindustrie optimal erfasst werden zu können. Die Aufgabe der Kritischen Theorie und der kritischen Öffentlichkeit besteht Prokop zufolge darin, derartige Entwicklungen von allgemeinem Interesse in Anlehnung an Habermas durch rationale Diskurse zu verändern, indem die Chance zur realen Einflussnahme gegeben wird. - Weiterhin werden von Prokop aktuelle Entwicklungen der Digitalisierung über Multimedia bis hin zum Internet skizziert, wobei sich die Problematik eines »Medien-Oligopol-Kapitalismus« (ebenda, 119) abzeichne, der den normativen Ansprüchen an eine Bildungsfunktion für mündige Bürger, der Förderung von Demokratie und der Aufklärung konträr gegenüberstehe. Der Autor benennt die Problematik, dass aufgrund der skizzierten Entwicklungen gegebenenfalls eine »kommerzielle Einschaltöffentlichkeit« entstehe, die ab einem gewissen Punkt »keine demokratische Öffentlichkeit« (ebenda, 145) mehr sein werde. Dennoch ist seine Prognose hinsichtlich der Rezipienten-Mündigkeit nicht nur pessimistisch: In seiner Auseinandersetzung mit der Theorie der Kulturindustrie von Horkheimer und Adorno wendet sich Prokop nämlich gegen die »Ausblendung des Publikum-Verstandes« (ebenda, 169). Das rationale bzw. vernünftige Publikum werde durch eine derart pauschale Diffamierung konsequent missachtet. Er bemängelt jedoch, dass die Rezipienten von den Programmmachern in ihrer Rolle als Bürger nicht ernst genommen werden, sondern primär als Verbraucher von Programmen und Produkten fungieren, die Medieninhalte rezeptiv aufnehmen. Diesem Publikum den Öffentlichkeitscharakter völlig abzusprechen, hält Prokop hingegen für problematisch, denn »[…] es reagiert auf vielfältige Weise, es <?page no="113"?> 114 Christian Schicha diskutiert das Gehörte und Gesehene, und es bildet sich ein Urteil, es wählt und kauft.« (Ebenda, 203) Prokops Anspruch zufolge besteht die Aufgabe der kritischen Medienforschung darin, die Menschen als rationale, vernünftige, kreative und politisch interessierte Individuen zu begreifen, die zum Teil triviale Kost über die Massenmedien serviert bekommen, aber dennoch zwischen fiktiven Programminhalten und sozialer Realität differenzieren können. Monokausale Erklärungsmuster der Medienwirkungsforschung für ein bestimmtes soziales Verhalten oder für bestimmte Rezeptionsgewohnheiten hält Prokop hingegen für nicht stichhaltig. Insgesamt fungieren Massenmedien nach Auffassung des Frankfurter Hochschullehrers zwar kaum noch als Forum einer kritischen Öffentlichkeit, dessen Inhalte zu reflektierten Anschlussdiskursen bei den Rezipienten über politische und ökonomische Problemfelder führen; vielmehr habe die Qualität der Medienberichterstattung sukzessive abgenommen. Das Erfolgskriterium für Massenmedien aus der Perspektive der Macher liege weniger in der Informationsvermittlung, sondern vielmehr in ihrer kommerziellen Ausrichtung mit Blick auf Einschaltquoten und Werbeeinnahmen. Entgegen der formulierten Verfallsthese über die Inhalte beim Leitmedium Fernsehen ist in der Analyse von Prokop dennoch keine streng kulturpessimistische Haltung vorzufinden. Vielmehr werden normative Kriterien und Standards an die Medien gerichtet, die jedoch die Unterhaltungsbedürfnisse der Rezipienten ernst nehmen. Dialektik der Kommunikationsgesellschaft: Richard Münch Der Bamberger Soziologe Richard Münch orientiert sich im Anschluss an Habermas an den aktuellen Produktionsbedingungen gesellschaftlicher Diskurse und massenmedialer Kommunikation. Insbesondere die kommerziellen Rahmenbedingungen mit den daraus resultierenden Beschleunigungsvorgängen und Dramatisierungszwängen werden in seiner Bewertung von Medieninhalten und Produktionsbedingungen in Rechnung gestellt. Aus ihnen entsteht Münch zufolge die simplifizierende und unzureichende Darstellung komplexer politischer Zusammenhänge im Rahmen der Medienberichterstattung. Er bezieht in seine Diskursanalyse der aktuellen Medienwirklichkeit die strukturellen Entwicklungen im kommerziell orientierten Mediensystem und in den gesellschaftlichen Funktionssystemen ein. Münch verweist auf den Zusammenhang zwischen den Strukturen der - aus Macht, Strategie, Geld und Argumentation stets gemischten - Diskurse in den gesellschaftlichen Teilsystemen und den Medien auf der einen und deren Rückkopplung zu nichtöffentlichen Gesprächen auf der anderen Seite, in denen ohne strategische Darstellungszwänge der argumentative Gehalt der medial vermittelten Diskurse überprüft werden könne. Während sich die Diskurstheorie von <?page no="114"?> 115 Kritische Medientheorien Habermas in erster Linie mit idealtypischen Modellen und unhintergehbaren Voraussetzungen der Argumentation beschäftigt, um die normative Essenz diskursiver Verfahren systematisch herausarbeiten zu können, hält Münch dieses Verfahren für zu eindimensional, um die strukturellen Zusammenhänge des Mediensystems innerhalb der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft (  2.7 Systemtheorien der Medien) adäquat erfassen zu können. Münch befürwortet zwar die Durchführung von Diskursen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, zugleich betont er jedoch die notwendige Rückbindung dieser Diskurse an die ökonomischen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der modernen Gesellschaft. In seinem Entwurf zu einer Theorie der »Dialektik der Kommunikationsgesellschaft« diagnostiziert Münch eine fortwährende Vermehrung, Beschleunigung und Verdichtung der Kommunikation. Es stellt sich die Frage, wie mit diesem Phänomen sinnvoll umgegangen werden kann: »Die moderne Gesellschaft wird in Zukunft ebenso Strategien zur Bewältigung von Wortinflationen erarbeiten müssen, wie sie Strategien zur Bewältigung von Geldinflationen entwickelt hat.” (Münch 1995, 36) Kommunikation avanciere in unserer Gesellschaft zum »zentralen strategischen Spiel«, das über Erfolg und Misserfolg von Individuen, Organisationen, gesellschaftlichen Gruppen und ganzen Gesellschaften entscheide (ebenda). Dabei komme es darauf an, medienspezifische Selbstinszenierungen und Darstellungen zu erkennen, um den Bezug zur ›Wirklichkeit‹ nicht zu verlieren: »Je mehr sich der ökonomische Gebrauch der Sprache verselbständigt, je mehr sie in Werbung und Öffentlichkeitsarbeit aufgeht und nicht mehr an die erfahrene Wirklichkeit der anderen Lebensbereiche rückgebunden wird, um so weiter werden sich Sprache und Wirklichkeit voneinander entfernen und Wirklichkeitsbilder allein noch Trugbilder sein. Diesen Tendenzen zur Inflation der Worte kann nur entgegengewirkt werden, wenn es gelingt, Kopplungen zwischen der strategischen öffentlichen Kommunikation und dem nichtöffentlichen Gespräch ohne strategische Darstellungszwänge herzustellen. Darauf muß eine konsequente Kontrolle der inflationären Tendenzen der öffentlichen Kommunikation ausgerichtet sein.« (Münch 1995, 101) In seinem Kapitel über Massenkommunikation weist Münch (1992) darauf hin, dass die Rolle der massenmedial vermittelten Öffentlichkeit gemäß ihres eigenen Anspruchs auf die Förderung und Ermöglichung mündiger Bürgerschaft angelegt ist. Autoren und Künstler verlören jedoch durch die Verbreitung moderner Massenmedien mehr und mehr den direkten Kontakt zu den Rezipienten; direkte kommunikative Austauschprozesse fänden kaum noch statt. Münch verweist auf die Problematik, dass Kriterien der Wahrheit und Qualität in der massenmedialen Darstellung zunehmend in den Hintergrund rücken: »Die massenwirksa- <?page no="115"?> 116 Christian Schicha me Darstellung wird wichtiger als der Inhalt, Vereinfachung und dramatisierende Verzerrung werden zu strategischen Mitteln der Erzeugung von Aufmerksamkeit.« (Münch 1992, 215) Die extreme Beschleunigung und quantitative Zunahme massenmedialer Inhalte, ein »Wachstum der Kommunikation« (Münch 1995, 78) führe - und das stellt seine positive Prognose dar - auch zur Chance der Befreiung von traditionellen Zwängen und Beschränkungen. Transparenz und Mündigkeit könnten auch durch Aufklärungsambitionen mit Hilfe der Massenmedien gefördert werden. Bezogen auf die derzeitige Medienentwicklung ist die Prognose von Münch jedoch eher resignativ. An die Stelle der Verständigung, so seine Diagnose, tritt in der Praxis eher die Konfrontation mit publikumswirksamen Schlagworten in den Medien. »Denn über Erfolg oder Mißerfolg politischer Maßnahmen entscheidet immer weniger die Richtigkeit der Maßnahme und immer mehr die Art ihrer öffentlichen Thematisierung. Politik wird von der Dramaturgie der öffentlichen Darstellung diktiert. Die öffentliche Inszenierung wird zum eigentlichen Erfolgskriterium der Politik.« (Münch 1992, 95) Im öffentlichen Diskurs, so Münch weiter, würden Darstellungszwänge regieren, bei denen die Akteure versuchen, sich möglichst in ein »rechtes Licht zu rücken«. Es werden in den Medien Sachverhalte in erster Linie »idealisiert, dramatisiert, mystifiziert, geglättet und harmonisiert«. Über Probleme und Missstände werde nur unzureichend informiert - das »Widerspenstige« werde »unterdrückt« (Münch 1995, 92). Empirische Anwendungen Es wird den Vertretern der Kritischen Medientheorie oft vorgeworfen, dass sie ein distanziertes Verhältnis zu den Methoden der empirischen Sozialforschung hätten. 7 Der Einfluss der Kritischen Theorie ist innerhalb der Medienwirkungsforschung dennoch in Debatten um Fragen zwischen Sozialstruktur und Kultur zu beobachten. So differenziert McQuail (1994, 41 ff.) in seinem Lehrbuch »Mass Communication Theory« zwischen einem dominanten und einem alternativen Paradigma. Während beim Ersteren das Ideal einer liberaleren pluralistischen Gesellschaft im Mittelpunkt steht, das sich an den Gütekriterien der empirischen Sozialforschung 7 So hat sich etwa Adorno im Rahmen einer Kontroverse mit dem Direktor des »Office of Radio Research« geweigert, »sich zum Zwecke des Messens von Kultur bestimmter verdinglichter Methoden zu bedienen« (Jäckel 1999, 84). <?page no="116"?> 117 Kritische Medientheorien orientiert, konzentriert sich das alternative Paradigma auf den Typ eines kritischen Gesellschaftsverständnisses, das Massenmedien als stabilisierendes Element moderner Industriegesellschaften klassifiziert und einen Ideologieverdacht gegenüber den Medieneinflüssen hegt. Bei der Forschungsrichtung des »Cultural Studies Approach« (vgl. Hepp/ Winter 1997 und Hepp 2004  2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien) wird Kultur als die Summe symbolischer Ausdrucksformen einer Gesellschaft definiert. So fungiert z. B. das ›Leitmedium‹ Fernsehen als kulturelles Forum, das die Ausdrucksformen einer Gesellschaft reflektiert. Es kann »die verschiedenen Lebensauffassungen und Lebensstile der Gesellschaft thematisieren und damit öffentlich verhandelbar machen.« (Mikos u. a. 2000, 51). Die entscheidende Differenz zum ursprünglichen Ansatz der Kritischen Medientheorie liegt Jäckel (1999, 85) zufolge darin, dass nicht eine »homogene Masse« bei der Betrachtung des Zuschauerkreises vorausgesetzt wird. Vielmehr wird bei der Analyse versucht, »die jeweilige soziale Position des Rezipienten unter Bezugnahme auf seine lebensweltlichen Hintergründe zu verankern« (ebenda). Die pointierten Thesen Horkheimers und Adornos sind insbesondere innerhalb der aktuellen Debatte um die Angemessenheit unterhaltender und inszenierender Elemente im Kontext der Politikvermittlung aufgegriffen worden. Die Kritik an ihrer Position resultiert zum einen daraus, dass ihre Thesen nicht durch empirische Studien untermauert werden und insofern spekulativ sind. Zum anderen wird die behauptete völlige Gleichförmigkeit der unterhaltungskulturellen Produkte in Frage gestellt. Auch die unterschiedlichen Optionen der Aneignung von Medienprodukten würden von den Autoren der Frankfurter Schule nicht ins Kalkül gezogen. Zerstreuung werde nicht automatisch zum Massenbetrug, und Mediennutzer würden durch den Konsum von unterhaltsamen Medieninhalten nicht automatisch zu Marionetten eines unterdrückenden Herrschaftssystems (zu dieser Kritik an Adorno/ Horkheimer vgl. zusammenfassend Dörner 2001, 78 ff.). Dörner (2001) vertritt hingegen die Auffassung, dass die Kultur einer Unterhaltungsöffentlichkeit vielmehr einen Interdiskurs darstellen kann, der in sozial differenzierten Gesellschaften den Fragmentierungstendenzen entgegenwirken, Aufmerksamkeit erzeugen und demzufolge gesellschaftliches Agenda-Setting und eine massenmedial evozierte Anschlusskommunikation produzieren kann, bei der die Nutzer ihre medialen Erlebnisse in eine kommunikative und interaktive Praxis umsetzen können. Durch die Konsonanzbildung in Unterhaltungsöffentlichkeiten würden den Rezipienten Orientierungshilfen angeboten, bei denen u. a. Traditionsbestände durch die permanente Inszenierung politisch-kultureller Vorstellungswelten sichtbar gemacht werden. Somit werde politische Identität in eindringlichen Symbolen emotional fassbar gemacht. Schließlich eröffnen Unterhaltungsöffentlichkeiten gemeinsame Kommunikationsräume, in denen soziale Integration vollzogen wird, um daraus politische Gemeinschaften mit ge- <?page no="117"?> 118 Christian Schicha meinsamen politischen Identitäten zu bilden. Dörner vertritt die Auffassung, dass durch innovative Unterhaltungsformate im Bereich der politischen Berichterstattung Politik sichtbar und emotional erfahrbar werde, Themen allgemein zugänglich gemacht und Wert- und Sinnfiguren geschaffen werden, die den Konsensbereich politischer Kultur entscheidend prägen und schließlich Modelle politischen Handelns durch Identifikationsangebote erzeugen können. Politische Informationen in einem unterhaltsamen Rahmen können durchaus eine angemessene Art der Politikvermittlung sein, wenn die Chance der Erreichung eines großen und dispersen Publikums nicht lediglich zur Unterhaltung, sondern auch zur Information über entsprechende Sachverhalte genutzt wird. Unterhaltung kann dementsprechend auch eine affirmative integrierende Funktion für die Öffentlichkeit haben. (Vgl. ausführlicher Dörner 2000) Die von den Vertretern der Kritischen Medientheorie behauptete Nivellierung und Gleichförmigkeit sei empirisch ebenso wenig erwiesen wie die These, dass die Rezipienten von unterhaltenden Medieninhalten passiv oder gar abgestumpft seien. Unterhaltende Medienrezeption müsse nicht automatisch politischer Aktivität entgegenstehen. In qualitativen Analysen politischer Informationssendungen (vgl. Meyer/ Ontrup/ Schicha 2000; Schicha 2001) mit einem hohen Unterhaltungsgrad hat sich weiterhin gezeigt, dass Beiträge, die die Aufmerksamkeit der Zuschauer durch aktionsreiche, emotional ansprechende und visuell reizvolle Inszenierungsformen bündeln, durchaus eine Vielzahl an Hintergrundinformationen und Strukturen transportieren können, die ein der Komplexität der Sache angemessenes Bild verdichten und gegebenenfalls politische Anschlussdiskurse initiieren können. Insofern kann von einem Verblendungssystem selbst durch unterhaltsame Formen im Rahmen der massenmedialen Berichterstattung zumindest nicht pauschal gesprochen werden. 2.3.4 Kritik und Weiterentwicklung der Theorien In der Kritischen Medientheorie wurde der Versuch unternommen, die konkreten Ausprägungen von Medien im Rahmen ihrer strukturellen Bedingungen, Inhalte und Rezeptionsoptionen zu erfassen. Im Kontext der Kulturindustrie wurde eine Trivialisierung von Medienangeboten konstatiert, die angeblich eine kritische Öffentlichkeit verhindert. Die Kritische Medientheorie hat trotz aller berechtigter Kritik wichtige Impulse für einen reflektierten Umgang mit Massenmedien geliefert. Ihr Verdienst liegt darin, dass sie gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse aufgezeigt hat, in denen sich Massenmedien bewegen, die neben integrativen vor allem kommerzielle und ökonomische Interessen vertreten. Insofern ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Konzepten der Frankfurter Schule zu Recht im- <?page no="118"?> 119 Kritische Medientheorien mer noch relevant. (vgl. Honneth/ Institut für Sozialforschung 2006, Winter/ Zima 2007 und Schicha 2008). Diese Theorie stellt ein heterogenes Forschungsfeld dar, das sich von einer normativen Öffentlichkeitskonzeption mit diskursiven Ansprüchen über eine generelle Gesellschafts- und Kulturkritik bis hin zu konkreten Medienphänomenen auf der Inhaltsebene - etwa im Unterhaltungskontext - ebenso nährt wie von den strukturellen Bedingungen der Medienwirkung. Aufgrund des breiten Themenspektrums und der bisweilen recht unsystematischen Herangehensweise an die dispersen Problematiken durch die Medienkritiker fällt es bisweilen nicht leicht, ihnen in ihren Argumentationslinien konsequent zu folgen. Vor allem der Mangel an Empirie und die pauschal behauptete Wirkungsdimension von Medieninhalten auf die Rezipienten-Ebene hält meines Erachtens einer systematischen Überprüfung der Thesen in vielen Fällen nicht stand. Monokausale Medienwirkungsmodelle scheinen mir ebenso wenig die Debatte substanziell voranzutreiben wie der rein kulturpessimistische Ansatz, Unterhaltungsprogramme per se als Trivialkultur und Verblendung zu diskreditieren, die eine kritische Öffentlichkeit von vornherein verhindern. Eine konkrete Einzelfallanalyse von Medienphänomenen und die Analyse einer von zahlreichen Faktoren abhängigen Wirkungsdimension kann durch pauschale Urteile der Medienkritiker nicht ersetzt werden. 8 Die Eckpunkte der Kritischen Medientheorie sind demzufolge von zahlreichen Autoren selbst wiederum kritisch kommentiert worden. 9 Eine Hauptkritik an den 8 Ebenso zentral scheint mir die Prüfung der medienrechtlichen und kommunikationspolitischen Grundordnung des jeweiligen Mediensystems zu sein, durch das sich gegebenenfalls Konzentrationsentwicklungen herausbilden können. 9 Jürgen Habermas warf etwa Horkheimer und Adorno vor, in ihrer Kritischen Medientheorie mit »stilisierende[n] Übervereinfachungen« (Habermas 1981a, 572) gearbeitet zu haben. Sie hätten weder die historische Dimension bei ihrer Analyse angemessen berücksichtigt noch die Unterschiede zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Programmstrukturen reflektiert. Ebenso wenig sei auf die Unterschiede bei der Programmgestaltung und den Rezeptionsgewohnheiten eingegangen worden. Ihr Ansatz sei durch eine gewisse »Überprägnanz« (ebenda, 574) geprägt, der ein manipulatives Potenzial der Massenmedien voraussetzt und dabei die Verpflichtungen des journalistischen Programmauftrags ignoriert. Die Möglichkeit einer »kritischen Publizität« (Habermas 1990, 357 ff.) bleibe vorhanden. Dennoch sei durch die Kommerzialisierung eine Entwicklung zu konstatieren, bei der Medienunternehmen verstärkt Einfluss nehmen. Dadurch etabliere sich »eine Medienmacht, die, manipulativ eingesetzt, dem Prinzip der Publizität seine Unschuld raubt« (Habermas 1990, 28; vgl. weiterführend Holzer 1994). Karl Popper, Hauptvertreter des Kritischen Rationalismus, formulierte eine vernichtende Einschätzung insbesondere gegenüber den Thesen Adornos. Popper bezeichnete seine Einstellung zu Adornos Thesen als »völlig negativ«. Dies begründete er damit, dass die Theorie der Frankfurter Schule »völlig abstrakt« sei. Er warf Adorno »kulturellen Snobismus« ebenso vor wie die Haltung einer »Kulturelite«. Faktisch, so Popper weiter, sei die Kritische Theorie »ohne Inhalte, sie liefert keine systematische Kritik. Man hört nur Klagen oder dunkle Kassandra-Rufe über die schlechten Zeiten, in denen wir leben und über die Verkommenheit der bürgerlichen Kultur.« (Popper in Habermas/ Bovenschen 1968, 130 ff.). Ähnlich äußerte sich Ralf Dahrendorf, für den Adorno »ein moderner Kulturpessimist […], sehr antiindustriell und antimodern eingestellt […]«, sei (Dahrendorf in Habermas/ Bovenschen 1968, 136). <?page no="119"?> 120 Christian Schicha Thesen liegt darin, dass sowohl das Medienpublikum als auch die Medienangebote als weitestgehend homogen angesehen werden, wodurch sich wenig Raum für Differenzierung ergibt (vgl. Jäckel 1999, 82). - Diese weiter gehende Differenzierung wurde jedoch zum Teil von Habermas, Münch und Prokop vorgenommen. Während sich Habermas in seiner differenzierten Analyse mit dem ambivalenten Potenzial der Massenmedien auseinandersetzt (das sogar Enzensberger trotz seiner ansonsten eher radikal-kritischen Medienanalyse einräumt), rückt Münch die ökonomischen und strukturellen Zwänge des Mediensystems in den Mittelpunkt seiner Analyse. Prokop zeigt hingegen an konkreten Feldern der Medienentwicklung die zunehmende Monopolisierung und konstruktive Kritik am manipulativen Potenzial der Inhalte auf. Insofern hat die Kritische Theorie durchaus interessante Akzente gesetzt, die auch heute noch aufgegriffen werden können. Insbesondere die von Horkheimer und Adorno aufgestellte These, dass die vom Konsumenten wahrgenommene große Vielfalt in den Medien faktisch nur eine minimale Variation des immer Gleichen darstellt, hat sich Mitte der achtziger Jahre mit der Zulassung der privatkommerziellen Rundfunkanbieter in der Bundesrepublik Deutschland zum Teil bewahrheitet, obwohl inzwischen eine Reihe von kulturellen und politischen Programmen die deutsche Medienlandschaft auf dem Informationssektor bereichert haben. - Wie stichhaltig die jeweiligen Prognosen und Theorieentwürfe jedoch faktisch sind, wird erst in weiteren Studien systematisch herauszuarbeiten sein. 10 Literatur Adorno, Theodor W. (1963): Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Anders, Günther (1980): Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. Band 1. München: Beck. [Zuerst 1956] Benjamin, Walter (1979): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp. [Zuerst 1936] Brosda, Carsten (2001): Wegbereiter und Wegbegleiter der bundesdeutschen Demokratie. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Jürgen Habermas. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 2. Jahrgang, Heft 3, S. 53-57. 10 Informationen über die aktuelle Ausrichtung des Arbeits- und Forschungsprogramms des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main, das sich derzeit u. a. mit »Paradoxien der kapitalistischen Modernisierung« unter der Leitung des Direktors Axel Honneth beschäftigt, finden sich im Internet unter www.ifs.uni-frankfurt.de/ institut/ programm.htm sowie in der »Zeitschrift für kritische Theorie« (vgl. etwa Mahnkopf 1998). <?page no="120"?> 121 Kritische Medientheorien Dietschreit, Frank/ Heinze-Dietschreit, Barbara (1986): Hans Magnus Enzensberger. Stuttgart: Metzler. Dietz, Simone (2007): Weltverlust und Medienwirklichkeit. In: Dietz, Simone/ Skrandies, Timo (Hg.): Mediale Markierungen. Studien zur Anatomie medienkultureller Praktiken. Bielefeld: Transcript, S. 183 -194. Dörner, Andreas (2000): Politische Kultur und Medienunterhaltung. Konstanz: UVK Medien. Dörner, Andreas (2001): Politainment. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Enzensberger, Hans Magnus (1957): Die Sprache des Spiegel. In: Glotz, Peter (Hg.) (1997): Baukasten zu einer Theorie der Medien. Kritische Diskurse zur Pressefreiheit. München: Rainer Fischer, S. 14 - 44. Enzensberger, Hans Magnus (1970): Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch 20, 5. Jahrgang, S. 159 - 186. Enzensberger, Hans Magnus (1983): Der Triumph der Bild-Zeitung oder Die Katastrophe der Pressefreiheit. In: Glotz, Peter (Hg.) (1997): Baukasten zu einer Theorie der Medien. Kritische Diskurse zur Pressefreiheit. München: Rainer Fischer, S. 133 - 144. Enzensberger, Hans Magnus (1988): Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind. In: Glotz, Peter (Hg.) (1997): Baukasten zu einer Theorie der Medien. Kritische Diskurse zur Pressefreiheit. München: Rainer Fischer, S. 145 - 158. Falkenstein, Henning (1977): Hans Magnus Enzensberger. Berlin: Colloquium. Habermas, Jürgen (1981a): Theorie des kommunikativen Handelns. Band 2. Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Habermas, Jürgen (1981b): Werden wir richtig informiert - Antworten auf vier Fragen (1968). In: Habermas, Jürgen: Kleine politische Schriften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 245 - 248. Habermas, Jürgen (1990): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp. [Zuerst 1962] Habermas, Jürgen (1992): Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Habermas, Jürgen (2001): Kommunikatives Handeln und detranszendentalisierte Vernunft. 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Diskutiert an den Texten von Adorno/ Horkheimer und Postman. In: Wunden, Wolfgang (Hg.): Freiheit und Medien. Frankfurt am Main: Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik, S. 131 - 144. Mahnkopf, Claus-Steffen (1998): Kritische Gesellschaftstheorie ohne Kulturkritik? Einlassung zum Arbeitsprogramm des Instituts für Sozialforschung. In: Zeitschrift für kritische Theorie, 4. Jahrgang, Heft 7, S. 5 - 10. McQuail, Dennis (1994): Mass Communication Theory. An Introduction. Third Edition. London: Sage. Meyer, Thomas/ Ontrup, Rüdiger/ Schicha, Christian (2000): Die Inszenierung des Politischen. Zur Theatralität medialer Diskurse. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Mikos, Lothar u. a. (2000): Im Auge der Kamera. Das Fernsehereignis Big Brother. Berlin: Vistas. Münch, Richard (1992): Dialektik der Kommunikationsgesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Münch, Richard (1995): Dynamik der Kommunikationsgesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 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Diskutieren Sie mögliche Argumentationslinien Kritischer Theorie angesichts aktueller Entwicklungen zum Trash- und Trivial-Fernsehen, etwa anhand der Frage, inwieweit Konzepte wie ›Manipulation‹ oder ›Massenbetrug‹ heute (nicht mehr oder wieder? ) Sinn machen. 5. Vergleichen Sie die generelle Bewertung von Unterhaltung via Massenmedien in der Kritischen Theorie und bei den Cultural Studies. 6. Benennen Sie historische bzw. gesellschaftspolitische Gründe für eine sukzessive Abschwächung der radikalen Kulturkritik von Adorno/ Horkheimer durch Enzensberger, Prokop, Habermas, Münch und schließlich die Cultural Studies und erwähnen Sie pro Theoretiker bzw. theoretischer Richtung einen zentralen Theorie-Baustein, der für diese Abschwächung der Radikal- Kritik bzw. für eine ambivalente(re) Einschätzung des Potenzials der Massenmedien steht. 7. Versuchen Sie argumentativ zu begründen, wie aus den Positionen von Habermas und Münch eine normative Forderung nach Qualität in den Medien abgeleitet werden kann und formulieren Sie in einem zweiten Schritt eine (Meta-)Kritik an ebendieser. <?page no="123"?> 124 2.4 Zeichentheorien der Medien Gloria Withalm Nahezu in jedem einführenden Werk, Lexikonartikel oder Handbuch zu Kommunikations- und Medienwissenschaften wird das Modell von Shannon und Weaver aus dem Jahre 1949 abgebildet und seine beschränkte Reichweite diskutiert. Mehr als 30 Jahre vorher wurde aber bereits einmal eine Visualisierung der Kommunikation publiziert, die genau jene Aspekte abbildet, die bei einem Modell der eindirektionalen technischen Signalübermittlung fehlen: die semantische oder Bedeutungsdimension, die pragmatische Dimension (also die aktive Produktion und Rezeption dessen, was übermittelt wird) und die dialogische Situation. Gemeint ist der Redekreislauf des Schweizer Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure (1916/ 1967, 14). Der Redekreislauf von Ferdinand de Saussure (Quelle: Saussure 1916/ 1967, 14) <?page no="124"?> 125 Zeichentheorien der Medien Kommunikation ist neben Signifikation und Kognition eines der zentralen Untersuchungsobjekte der Semiotik/ Semiologie. Seit ihren Anfängen als Disziplin vor über 100 Jahren hat sich die Semiotik - die Lehre oder Theorie von den Zeichen - daher auch als Wissenschaft von Kommunikation und Medien verstanden, und von beiden Gründervätern gibt es Aussagen zum Stellenwert der Semiotik im Verhältnis zu anderen Disziplinen: »It has never been in my power to study anything, - mathematics, ethics, metaphysics, gravitation, thermodynamics, optics, chemistry, comparative anatomy, astronomy, psychology, phonetics, economics, the history of science, whist, men and women, wine, metrology, except as a study of semeiotic.« (Peirce 1977, 85) »Die Sprache ist ein System von Zeichen, die Ideen ausdrücken und insofern der Schrift, dem Taubstummenalphabet, symbolischen Riten, Höflichkeitsformen, militärischen Signalen usw. usw. vergleichbar. Man kann sich also eine Wissenschaft vorstellen, welche das Leben der Zeichen im sozialen Leben untersucht […]; wir werden sie Semeologie (von griechisch semeîon, ›Zeichen‹) nennen. Sie würde uns lehren, worin die Zeichen bestehen und welche Gesetze sie bestimmen.« (Saussure 1916/ 1967, 19) Zentrale Begriffe, Konzepte, Theorie- und Analysemodelle in den Kommunikations- und Medienwissenschaften haben ihren Ursprung in semiotischer Theoriebildung, die Vielfalt der semiotisch fundierten Ansätze in der Medienwissenschaft ist ein Spiegel der Vielfalt von Modellen, Richtungen und Schulen, die heute unter dem gemeinsamen Label Semiotik zusammengefasst werden. 2.4.1 Kurze Geschichte der Zeichentheorien Beide Begriffe, ›Semiotik‹ und ›Semiologie‹, wurden Jahrzehnte sowohl synonym verwendet als auch zur Unterscheidung der beiden Haupttraditionen: Semiologie für die europäisch-linguistische Ausprägung und Semiotik für die amerikanischphilosophische Richtung. Mit der Gründung der International Association for Semiotic Studies - Association Internationale de Sémiotique 1969 in Paris hat sich trotz weiterer Versuche einer terminologischen Differenzierung der Begriff Semiotik durchgesetzt. Beide Begriffe gehen auf griechische Wörter für Zeichen zurück (semeion bzw. sema); in der griechischen Antike liegen auch die Anfänge der europäischen Auseinandersetzung mit jenen Fragen, die heute von der Semiotik untersucht werden. <?page no="125"?> 126 Gloria Withalm In der Geschichtsschreibung der Semiotik ist daher zwischen Semiotik als Disziplin, semiotischen Fragestellungen und Untersuchungen, impliziten und expliziten Theorieansätzen sowie Analysen von Zeichenprozessen zu unterscheiden. Die Geschichte der Semiotik im Sinne von Thematisierung und Theoriebildung ist über weite Strecken identisch mit der Geschichte jener Bereiche der Philosophie, die sich mit der Sprache, der Natur der Zeichen, mit Fragen von Kognition und Repräsentation beschäftigen. Theorien über das Zeichen finden sich von der Antike bis ins 19. Jahrhundert in Texten zur Poetik, Hermeneutik, Rhetorik, Grammatik, Logik, Ästhetik, aber auch Medizin. Obgleich der Begriff bereits im 17. Jahrhundert auftaucht, beginnt Semiotik im heutigen Sinne im ausgehenden 19. Jahrhundert. Als Hauptbegründer gilt Charles Sanders Peirce 1 . Für Peirce ist Semiotik die allgemeinste Wissenschaft, die Grundlage des Denkens, denn »all thought is in signs« (Peirce CP 5.253). Im Mittelpunkt steht aber nicht das Zeichen, sondern die Semiose, der Zeichenprozess: »Semiotics is the doctrine of the essential nature and fundamental varieties of possible semiosis.« (Peirce CP 5.488) Charles William Morris (1901-1979) beschäftigt sich mit dem Zeichenverhalten. Er verbindet Pragmatismus (sowie Empirismus und Logischen Positivismus) mit dem Behaviorismus von George H. Mead. Ausgehend von den Dimensionen des Zeichens im Zeichenprozess umfasst Semiotik drei Teildisziplinen: Syntaktik, Semantik und Pragmatik. Nahezu zeitgleich mit Peirce entwickelt Ferdinand de Saussure 2 in Genf die moderne Sprachwissenschaft als Teil einer umfassenden Semiologie. Sein zweigliedriges Zeichenmodell war in Europa einflussreicher als das dreigliedrige Semiosemodell von Peirce, es wirkt bis in den Strukturalismus und Poststrukturalismus (Claude Lévi-Strauss, Jacques Lacan bis hin zu Jacques Derrida  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien). Zahlreiche Personen, die wichtige Beiträge zur Semiotik lieferten, können hier nur erwähnt werden: Victoria Lady Welby (Significs, vgl. Petrilli 2009), Ernst Cassirer, Louis Hjelmslev (Glossematik; Ausdrucksebene und Inhaltsebene des Zeichens), Karl Bühler (Organon-Modell der Sprache), Pra- 1 Amerikanischer Philosoph des Pragmatismus, Logiker, Naturwissenschaftler (1839 -1914; der Name wird wie das englische Wort ›purse‹ ausgesprochen, nicht wie ›pierce‹). Sein umfangreiches Werk ist noch immer nicht vollständig publiziert. Als Hauptquelle lagen - abgesehen von wenigen Einzelpublikationen - über Jahrzehnte nur die Textfragmente in den acht Bänden der Collected Papers vor (Peirce 1931-58; zitiert als CP Band-Nr. Paragraph), in den sechziger Jahren folgte eine Microfilm-Ausgabe der Manuskripte (Peirce 1961- 66; zitiert als MS #), seit 1982 publiziert das Peirce Edition Project eine kritische Gesamtausgabe (Peirce 1982 ff.). 2 (1857-1913). 1916 werden zwei Studentenmitschriften seiner drei Vorlesungen (1907-11) Cours de linguistique générale veröffentlicht, Jahrzehnte später erscheinen kritische Ausgaben (Mauro 1974, Engler 1968-74); erst in den neunziger Jahren werden Schriften aus seinem Nachlass publiziert (Saussure 1997) und der Cours durch andere Mitschriften erweitert (Komatsu/ Harris 1993, 1996 und 1997). 2002 schließlich erscheint ein wiedergefundenes Manuskript Saussures unter dem Titel Écrits de linguistique générale (Saussure 2002/ 2003). <?page no="126"?> 127 Zeichentheorien der Medien ger Strukturalismus (Jan Mukařovsky), Roman Jakobson (kommunikative Funktionen), Roland Barthes, Michel Foucault, Moskau-Tartu-Schule der Kultursemiotik (Juri M. Lotman, Vjačeslav Vs. Ivanov), Algirdas J. Greimas (Pariser Schule; semiotisches Viereck, Aktantenmodell), Umberto Eco (Codetheorie), Ferruccio Rossi-Landi (Homologie von materieller und Zeichenproduktion, Rolle der Zeichen in der gesellschaftlichen Reproduktion). Abgesehen von den Textwissenschaften, die ohne Semiotik nicht mehr denkbar wären, gibt es auch eine entwickelte Biosemiotik und Berührungspunkte zu den kognitiven Wissenschaften. 2.4.2 Grundbegriffe, Konzepte und Modelle der Zeichentheorien Eine Vielzahl von zeichentheoretischen Begriffen gehört heute zum selbstverständlichen terminologischen Repertoire der Kommunikations- und Medienwissenschaften. Bereits innerhalb der Semiotik können jedoch Begriffe nicht beliebig übertragen werden, ihre je spezifische Geschichte, Definition, Reichweite und Tragfähigkeit ist an einen theoretischen Rahmen gebunden, der gerade bei der vom ursprünglichen Kontext abgelösten Verwendung mitbedacht werden muss. 3 Semiotik ist die Lehre von den Zeichen und Zeichenprozessen, somit ist Zeichen einer der wichtigsten Begriffe. Im Gegensatz zum alltagssprachlichen Zeichenbegriff (Verkehrszeichen) ist das Zeichen in allen Modellen, so verschieden sie auch sind, immer eine Relation von Elementen, es ist keine Entität, es ist nicht natürlich vorhanden und wird im Zeichenprozess erst konstituiert. In einer ersten Annäherung kann das Zeichen als Relation des renvoi (des Verweises) gesehen werden - etwas (ein Zeichenträger) steht für etwas anderes, aliquid stat pro aliquo (vgl. Jakobson 1979, 16). Ein Zeichenträger steht nie allein, sondern immer in Beziehung zu anderen Zeichenträgern, diese Dimension wird in der Syntaktik untersucht; ein Zeichen steht für etwas anderes - jene Dimension, mit der sich die Semantik beschäftigt; Zeichen werden produziert, rezipiert, interpretiert - das Aufgabenfeld der Pragmatik (vgl. Morris 1938/ 1972, 26 f.). Im Wesentlichen kann zwischen dyadischen und triadischen Konzepten unterschieden werden. Ferdinand de Saussure entwickelte ein zweigliedriges Modell des sprachlichen Zeichens, dessen Elemente rein mental sind, es »vereinigt in sich nicht einen Namen und eine Sache, sondern eine Vorstellung und ein Lautbild« (Saussure 1916/ 1967, 77). Zur Präzisierung der Verbindung zwischen den beiden im Zeichen nennt er das Lautbild signifiant (Signifikant, Bezeichnendes) und die Vor- 3 Für eine detaillierte Diskussion von zentralen Begriffen und ihrer je unterschiedlichen Definition in den semiotischen Theorien vgl. das Kapitel III (Zeichen und System) in Nöth (1985/ 2000, 131-226). <?page no="127"?> 128 Gloria Withalm stellung signifié (Signifikat, Bezeichnetes) (Saussure 1916/ 1967, 78 f.). Im sprachlichen Zeichen ist die Verbindung zwischen Signifikant und Signifikat arbiträr (beliebig, nichtmotiviert). Das Saussure’sche Zeichenmodell kennt weder einen materiellen Zeichenträger noch einen Referenten (also das, worauf verwiesen wird). Mit der Verbreitung des dyadischen Modells finden sich jedoch auch Konzepte, die den Signifikanten als Zeichenträger sehen (z. B. bei Roman Jakobson). Charles S. Peirce geht von einer triadischen Relation aus, einer »triple connection of sign, thing signified, cognition produced in the mind« (Peirce CP 1.372). Ein Zeichen (sign oder representamen) ist etwas, das für etwas anderes steht (object) und als solches von jemandem verstanden wird: »A sign, or representamen, is something which stands to somebody for something in some respect or capacity. It addresses somebody, that is, creates in the mind of that person an equivalent sign, or perhaps a more developed sign. That sign which it creates I call the interpretant of the first sign. The sign stands for something, its object.« (Peirce CP 2.228) Obwohl der Mensch hier konstitutiv eingeführt ist - »nothing is a sign unless it is interpreted as a sign« (Peirce CP 2.172) -, darf der Interpretant nicht mit der interpretierenden Person verwechselt werden, er ist vielmehr die Wirkung des Zeichens in ihrem Denken oder Fühlen. Peirce gibt hier keine Definitionen des Zeichens, sondern beschäftigt sich mit der Semiose, dem Zeichenprozess: »But by ›semiosis‹ I mean, on the contrary, an action, or influence, which is, or involves, a cooperation of three subjects, such as a sign, its object, and its interpretant, this tri-relative influence not being in any way resolvable into actions between pairs.« (Peirce CP 5.484) Die Grundlage der Peirce’schen Semiotik bilden die drei Universalkategorien aller Phänomene: Erstheit als Kategorie der reinen Qualität oder Möglichkeit; Zweitheit als Kategorie der Relation, Reaktion (Ursache-Wirkung); Drittheit als Kategorie der Gesetzmäßigkeit, Repräsentation, Kommunikation, Semiose. Die drei Korrelate der Semiose sind in ihren Bezügen zueinander (Zeichen- oder Mittelbezug, Objektbezug, Interpretantenbezug) jeweils in Trichotomien zu beschreiben, die auf den drei Kategorien beruhen. Die bekannteste Trichotomie, die weit über die Peirce’sche Semiotik hinaus Eingang in Analysen gefunden hat, ist jene des Zeichens in Bezug auf sein Objekt: Ikon, Index und Symbol. Ikons repräsentieren ein Objekt über gemeinsame Merkmale, »by its similarity« (Peirce CP 2.276). Zu den Ikons zählen neben den Bildern auch Diagramme und Metaphern. Bei Indices besteht eine direkte Relation zwischen Objekt und Zeichen (Kausalität, Kontiguität, Teil-Ganzes; vgl. Peirce CP 2.299 f.), Beispiele wären Rauch für Feuer (›natürli- <?page no="128"?> 129 Zeichentheorien der Medien che‹ Zeichen), Fußspuren, Thermometer, Richtungspfeil. Das Peirce’sche Symbol 4 ist ein Zeichen, das mit seinem Objekt ausschließlich durch eine Idee, Konventionalität, Gesetzmäßigkeit verbunden ist, wie z. B. in der Sprache: »All words, sentences, books and other conventional signs are symbols.« (Peirce CP 2.292) Beim Symbol ist die Beziehung somit arbiträr, bei Ikon und Index motiviert. Es ist jedoch zu beachten, dass es sich bei den Trichotomieklassen um Konzepte handelt, die in der Wirklichkeit kaum je rein anzutreffen sind. An und mit beiden Modellen - dem dyadischen und dem triadischen - wurde weiter gearbeitet, sie wurden erweitert und modifiziert, Begriffe wurden neu eingeführt oder differenziert. So taucht auch bei einigen Theoretikern der Signal-Begriff auf, allerdings in sehr genau und eng definierten Zusammenhängen, die hier im Detail nicht erläutert werden können. Generell gilt jedoch, dass Signal in keinem Fall mit Zeichen gleichgesetzt werden darf. Obwohl Zeichensystem begriffsgeschichtlich aus der dyadisch-strukturalen Tradition stammt (bereits Saussure nennt in seiner zitierten Sicht der Semiologie neben der Sprache andere Systeme von Zeichen), wird er heute auch außerhalb dieses Kontextes verwendet. Der Begriff wird häufig mit Code bzw. Kode synonym gesetzt, für einige Theoretiker bleibt Code den Regeln zur Korrelation von Elementen aus zwei verschiedenen Systemen vorbehalten. Als weitere terminologische Varianten finden sich Zeichenrepertoire (wobei hier auf die Unterscheidung zwischen individuellen Zeichenvorräten der Kommunikationspartner in einigen Kommunikationsmodellen und der systemischen Verwendung zu achten ist) oder die modellierenden Systeme der Moskau-Tartu-Schule der Kultursemiotik. Am weitesten wird der Begriff von Rossi-Landi definiert, der darunter nicht nur die Codes und Regeln subsumiert, sondern auch Kommunikationskanäle, mögliche Botschaften und Kommunikationspartner. 5 4 Bei Saussure ist es genau umgekehrt, er nennt das motivierte Zeichen Symbol. Bei Ogden und Richards heißt der Zeichenträger generell symbol, das in einer Dreiecksbeziehung zu thought or reference und referent (Objekt) steht (1923, 14). Insbesondere beim Symbol-Begriff ist auf den definitorischen und paradigmatischen Rahmen zu achten, da er neben Alltagsgebrauch und verschiedenen Positionen in semiotischen Theorien auch Teil zahlreicher weiterer Wissenschaftssprachen ist und darin jeweils andere Bedeutungen innehat. 5 »Un sistema segnico comprende almeno un codice, cioè i materiali su cui si lavora e gli strumenti con cui si lavora; ma comprende anche le regole per applicare i secondi sui primi (il locus delle regole è duplice: esse stanno in qualche modo anche nel codice, ma ancor più stanno in chi lo adopera), i canali e le circostanze che permettono la comunicazione, e inoltre gli emittenti e riceventi che di quel codice si servono. Un sistema segnico comprende dunque anche tutti i messaggi che si scambiano e si possono scambiare all’interno dell’universo che il sistema stesso istituisce.« [Übers. d. Verf.: »Ein Zeichensystem enthält zumindest einen Code, d. h. die Materialien, die man bearbeitet, und die Instrumente, mit denen man arbeitet; aber es enthält auch die Regeln, um die Letzteren auf die Ersteren anzuwenden (der locus der Regeln ist doppelt: Sie sind in gewisser Weise auch im Code, aber noch mehr sind sie in dem, der sie benutzt), die Kanäle und die Umstände, die die Kommunikation erlauben, und darüber hinaus die Sender und Empfänger, die sich dieses Codes bedienen. Ein Zeichensystem enthält daher auch alle Nachrichten, die getauscht werden oder getauscht werden können, innerhalb des Universums, welches das System selbst stiftet.«] (Rossi-Landi 1985, 242) <?page no="129"?> 130 Gloria Withalm Einer der vielschichtigsten Begriffe ist wohl Bedeutung, denn je nach Autor nimmt er diametrale Positionen im Modell des Zeichen(prozesse)s ein und tritt in verschiedenen Begriffspaarungen auf. Bei Bedeutung vs. Bezeichnung tritt er an die Stelle der Inhaltsseite, der Referenz, der Interpretantenrelation des Zeichens; in Sinn (Intension bzw. Signifikation) vs. Bedeutung (Extension) wird er genau umgekehrt in die Objektrelation des Zeichens gesetzt und entspricht in etwa dem Referenten, der Denotation. In einem weiteren Begriffspaar wird (u. a. in vielen Analysen medialer Texte) die Denotation der Konnotation gegenübergestellt (einerseits als Intension, andererseits als sekundäre Bedeutung gesehen, vgl. Barthes 1964a/ 1983, 75 - 78). Trotz der Schwierigkeiten einer trennscharfen definitorischen Abgrenzung zu Denotation (vgl. Eco 1972, 101 - 112 sowie Eco 1976/ 1987, 82 - 86) bleibt der Begriff hilfreich, um neben dem eindeutig bezeichneten Objekt all jene sozio-kulturell mit dem Referenten verknüpften Bedeutungen, die wir in der Rezeption mitlesen, einzubeziehen und von individuellen, persönlichen Assoziationen zu unterscheiden. Entgegen der engen Sicht von Text als geschrieben/ gedruckt geht die semiotische Analyse von einem erweiterten Textbegriff aus, der jede Form von Diskursen und kulturellen Botschaften umfasst. In der Moskau-Tartu-Schule wird die gesamte Kultur als aus Texten aufgebaut analysiert. Basierend auf den Rollen und Erzählfunktionen, die Vladimir Propp 1928 für das Zaubermärchen beschrieben hat, entwickelt Greimas 1966 sein Aktantenmodell zur Analyse von Narration, wobei auch dieser Begriff weit über die Literatur hinausgeht, da jede Manifestation von Bedeutung als narrativer Text analysiert werden kann (z. B. Zeitungsartikel, Comics, Film, Werbeanzeigen). Sechs Aktanten stehen zueinander in drei paarweisen Relationen: Ein Subjekt begehrt ein Objekt und wird dabei von einem Gegner behindert bzw. von einem Helfer unterstützt, schließlich erhält es das Objekt vom Sender und wird damit selbst zum Empfänger (oder gibt das Objekt an diesen weiter). 6 Ein weiteres Modell von Greimas ist das semiotische Viereck, das u. a. in der Analyse von Werbeanzeigen verwendet wird (vgl. Floch 1990). Zwei einander voraussetzende Konzepte (z. B. Leben/ Tod) stehen in einer Kontraritätsbeziehung. Das zweite Konzeptpaar steht dazu in Kontradiktion, d. h. die Konzepte schließen einander aus (Leben/ Nicht-Leben). Die dritte Relation, die je zwei Terme verbindet, ist die Komplementarität (Leben impliziert Nicht-Tod). 6 Trotz der identischen Begriffe sind Sender (oder Geber) und Empfänger hier als rein textimmanente Aktanten in einer narrativen Handlung zu verstehen. <?page no="130"?> 131 Zeichentheorien der Medien 2.4.3 Anwendungen in der Medienwissenschaft Theoretische Anwendungen Die Beziehung zwischen Semiotik und den Kommunikations- und Medienwissenschaften ist vielschichtig (vgl. Cobley/ Briggs 1997/ 2002; Danesi 2002; Hess- Lüttich 2006; Richardson/ Burridge 2008; vgl. auch Withalm 2006b) und kann nicht auf eine einfache Relation der Anwendung von Theoriefragmenten oder Analysemethoden reduziert werden. Dies ist einerseits im gemeinsamen Objektbereich begründet: »Kommunikation ist ein Schlüsselbegriff der Semiotik, denn in der Semiotik geht es um die verbale und nonverbale, menschliche und animalische, auditive und visuelle sowie viele andere Modi der Kommunikation; und doch ist die Semiotik nicht deckungsgleich mit Kommunikationswissenschaft, denn der Gegenstandsbereich der Semiotik ist nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Kognition und die Signifikation.« (Nöth 1985/ 2000, 235) Andererseits umfasst Semiotik neben der theoretischen Auseinandersetzung mit Zeichen und Zeichenprozessen in der allgemeinen Semiotik auch die angewandte Semiotik (die ihrerseits in den Anwendungsfeldern auch theoriebildend wirken kann). Medien, Medienprodukte und der Umgang mit diesen Texten in Produktion und Rezeption sind seit den sechziger Jahren bevorzugte Themen. Wenn Jakobson feststellt, dass »[t]he subject matter of semiotic is the communication of any messages whatever« (Jakobson 1973, 32) und auf der anderen Seite »communication science seeks to understand the production, processing, and effects of symbol and signal systems by developing testable theories, containing lawful generalizations, that explain phenomena associated with the production, processing and effects« (Berger/ Chaffee 1987, 17), so ist eine zeichentheoretische Fundierung der Beschäftigung mit Kommunikation nahe liegend und sicher zielführend: »Indeed, there was a strong need in communication studies to focus on the complex nature of the communicative process, and semiotics was better suited than psychology or sociology to understand this element of crucial relevance in mass communication processes.« (Wolf 2003, 2930) <?page no="131"?> 132 Gloria Withalm Ein Angebot der Semiotik liegt in der differenzierten Darstellung des Kommunikationsprozesses als Zeichenprozess. Der Fokus auf den Menschen als Produzenten und Rezipienten (oder Re-Produzenten) der Botschaft, die notwendigerweise in Form von Zeichen(trägern) übermittelt wird, ist keine Einengung, sondern in sich ein anti-reduktionistischer Ansatz gegen eine Verkürzung durch technische oder nur massenkommunikative Modelle. Die Beschreibung von Kommunikation als Semiose ist auch nicht als ausschließlich bedeutungszentriert im Gegensatz zu sozial orientierten Ansätzen zu sehen, denn es werden drei Bereiche vernetzt: Bedeutungskonstitution (Semantik), Struktur der Botschaft (Syntaktik) und Benutzung der Botschaft inklusive daraus resultierender Haltungen und Handlungen (Pragmatik). Am explizitesten ist die gesellschaftliche Integration von Kommunikation als Zeichenaustausch in der Semiotik der sozialen Reproduktion von Rossi-Landi. Die soziale Reproduktion umfasst drei unverzichtbare und unzertrennbare Korrelate - Produktion/ Austausch/ Konsumtion. Austausch ist dabei immer gleichzeitig und konstitutiverweise materieller Austausch und Austausch von Zeichen (d. h. Kommunikation), der seinerseits Zeichenproduktion, Zeichenaustausch (im engeren Sinne) und Zeichenkonsumtionn umfasst (Rossi-Landi 1975, 65; 1985, 38; vgl. auch Bernard/ Withalm 1986 und 2009; Withalm 2006a). Da es die Semiotik nicht gibt, existiert auch nicht das Modell der Semiose. 7 Stellvertretend soll hier der Beitrag von Roman Jakobson stehen, der bereits Eingang in kommunikationstheoretische Diskurse gefunden hat. Ausgehend vom Organonmodell der Sprache, das Karl Bühler in den dreißiger Jahren entwickelt hat (1934), formuliert Jakobson (1960) sechs konstitutive Faktoren der Kommunikation, denen jeweils eine Funktion entspricht: Sender (emotiv), Botschaft (poetisch), Empfänger (konativ), den Kontext, auf den sich die Botschaft bezieht (referentiell), Kontakt zwischen Sender und Empfänger (phatisch) und Code (metasprachlich). Auf den ersten Blick scheint dieses Modell den informationstheoretischen ähnlich zu sein (nicht zuletzt durch seine graphische Darstellung), der grundlegende Unterschied liegt jedoch in den Elementen (insbesondere Kontext und Kode) und den Funktionen. Jakobson geht zwar von der Sprache aus, das Modell wurde jedoch auch auf nonverbale Kommunikationsprozesse übertragen. 8 Da Sprache zweifellos ein wichtiges Zeichensystem ist, kann es kaum eine Analyse von verbaler Kommunikation ohne semio-linguistische Ansätze geben: von 7 Kapitel II des Handbuchs Semiotik (Posner/ Robering/ Sebeok 1997-2003) trägt die Überschrift »Aspekte der Semiose - Kanäle, Medien und Kodes«; hier sei insbesondere auf den Beitrag von Krampen (1997a) verwiesen, der verschiedene Modelle diskutiert und seine eigene semiosische Matrix präsentiert (vgl. auch Krampen 1997b). 8 Die Anwendungen reichen von Architektur bis zur Werbung. Jüngstes Beispiel ist die Diskussion von semiotischen Ansätzen (u. a. Jakobson) im Kontext neuer Medien und multiagent environments bei Petric/ Tomic-Koludrovic/ Mitrovic (2001). Itamar Even-Zohar entwickelt das Modell in seiner Polysystemtheorie weiter (Even-Zohar 1990). <?page no="132"?> 133 Zeichentheorien der Medien der Situation und dem Ablauf eines Gesprächs über die verwendeten Sprachregister bis zum Gesagten selbst. Ein großer Teil der Arbeiten zur nonverbalen Kommunikation ist innerhalb der Semiotik angesiedelt - von den grundlegenden Forschungen zu ›Körpersprache‹, Mimik und Gesten bis zum proxemischen Verhalten. Wenn wir über den Bereich der rein menschlichen Kommunikation hinausgehen und die ›Mensch-Maschine-Kommunikation‹ betrachten, bieten sich vielfältige Beziehungen und Überschneidungen von Semiotik und Kognitionswissenschaften bzw. AI-Forschung an. Mit Massenkommunikation schließlich betreten wir die Grenzzone zu den Medienwissenschaften. Doch auch in Teilbereichen der Massenkommunikationsforschung finden sich Verbindungslinien, etwa in der Wende von einer Wirkungsforschung zur Beschäftigung mit der Kompetenz der Rezipienten im Umgang mit massenmedialen Botschaften (  2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien;  2.6 Konstruktivistische Medientheorien). Bei der Frage nach dem Anteil von semiotischen Theorien und Analysen in den Medienwissenschaften muss einerseits die Vielfalt der semiotischen (und semiotiknahen) Ansätze betrachtet werden (und ihre je historische Wirksamkeit, vgl. Wolf 2003), andererseits die länderspezifischen Unterschiede in der Überschneidung der Disziplinen, wie sie Nöth an mehreren Stellen beschreibt: »Während in Ländern wie Italien (besonders unter dem Einfluß von Eco), Frankreich, Spanien oder etwa Brasilien Medienwissenschaft und Mediensemiotik geradezu Synonyme zu sein scheinen, wird in Deutschland sowie in den anglophonen Ländern der Stellenwert der Semiotik für die Medienwissenschaft als weniger zentral angesehen.« (Nöth 1998, 54) Ein Blick auf Publikationen der vergangenen Jahre bzw. auf Lehrveranstaltungen (und deren Literaturlisten) in den einschlägigen Fächern zeigt jedoch eine beginnende Trendwende zugunsten der Mediensemiotik (wobei die enge Verflechtung von mediensemiotischen Paradigmen und Cultural Studies in England einer gesonderten Diskussion bedarf;  2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien). Im Sinne der theoretischen Auseinandersetzung mit Modellen und Konzepten bietet die Semiotik eine systematische Abklärung von zentralen Begriffen wie Kanal oder Medium (Wulff 1978/ 1986), die sowohl die Übereinstimmung zwischen Zeichen und Medium als Vermittlungsinstanz zwischen Realität und Bewusstsein reflektiert 9 als auch die vielfältigen Verwendungszusammenhänge des Medienbe- 9 Peirce stellt 1906 fest: »All my notions are too narrow. Instead of ›Sign‹, ought I not to say Medium? « (Peirce MS 339), vermutlich 1905 schreibt er an anderer Stelle: »A sign is plainly a species of medium of communication.« (Peirce MS 283, 125) <?page no="133"?> 134 Gloria Withalm griffs. Ausgehend vom tatsächlichen Gebrauch in Alltag und Fachliteratur unterscheidet Posner (1985, 255 ff.) sechs verschiedene Medienbegriffe und die zugrunde liegenden Kriterien (biologisch/ Sinnesmodalität, physikalisch/ Kontaktmaterie, technisch/ verwendete Apparate und ihre Produkte, soziologisch/ Institution, kulturbezogen/ Textsorte, kodebezogen/ Kode). Mit Blick auf einen wachsenden Objektbereich, nämlich den der Multimedialität, und auf die Rolle, die die Semiotik hier leisten kann, handelt es sich für Hess-Lüttich dabei um »Dimensionen eines Medienbegriffes, die in Semiosen praktisch zusammenwirken, analytisch aber danach unterschieden werden, auf welchen Aspekt der Vermittlung sich das Interesse vornehmlich richtet. […] Erst ein […] kommunikationstheoretisch integrierter und semiotisch differenzierter Medienbegriff erlaubt die jeweils genau zu spezifizierende Analyse multi-medialer Semioseprozesse.« (Hess-Lüttich/ Schmauks 2004, 3489) Empirische Anwendungen Zumindest seit den 60er-Jahren hat die Semiotik ihren Beitrag in der empirischen Analyse von medialen Texten geleistet, denn ein auffälliger Anteil der Arbeiten in der angewandten Semiotik ist innerhalb der Mediensemiotik zu situieren. Werbung war von Beginn an ein bevorzugtes Gebiet. Stellvertretend für die frühen Arbeiten 10 sei hier auf die Analyse der französischen Panzani-Anzeige von Roland Barthes verwiesen (1964b/ 1969). Ausgehend von den abgebildeten Objekten (Einkaufsnetz mit Spaghetti, Sugodose, Parmesan, Tomaten, Zwiebeln, Champignons etc.) entwickelt er die Ebenen der Zeichen (frische Produkte, Italianità, komplette Mahlzeit, Stillleben) und die verschiedenen Nachrichten: eine linguistische, ein codierte ikonische (symbolische) und eine nicht codierte ikonische (buchstäbliche) Nachricht. Neben der mythenkritischen, rhetorischen oder narrativen Analyse von Werbebotschaften hat sich seit den achtziger Jahren eine allgemeinere semiotische Beschäftigung mit Marketing entwickelt (Umiker-Sebeok 1987; Floch 1990; Mick 1997; Mick et al. 2004). Die visuelle Semiotik (Sonesson 1989) ist zwar nicht auf Medientexte zu reduzieren, denn sie untersucht ebenso Werke der bildenden Kunst, aber Photographie, visuelle Texte aus Printmedien, Cartoons und Comics zählen selbstverständlich zu den Forschungsobjekten (Eco 1984). Dabei gehören gerade die vielfältigen 10 Für weitere beispielhafte Analysen siehe Eco 1972. <?page no="134"?> 135 Zeichentheorien der Medien Beziehungen zwischen Bild und Text zum klassischen Feld der Semiotik (Schnitzer 1994). Filmsemiotik nimmt nicht nur innerhalb der angewandten Semiotik einen wichtigen Platz ein, sondern auch im Rahmen der Filmtheorie. Im Gegensatz zur Semiotik (allgemein und angewandt) wurde die Filmsemiotik auch in den deutschsprachigen Ländern bereits früh rezipiert und weiterentwickelt. 11 Die Frühgeschichte reicht zu den Schriften der russischen Formalisten der zwanziger Jahre zurück (Ėjchenbaum, Šklovskij, Tynjanov). Als Begründer der Filmsemiotik in den sechziger Jahren wird Christian Metz angesehen, dessen Publikationen und wechselnde Paradigmen auch als Entwicklungslinie der Filmsemiotik gelesen werden können: von der Suche nach der Filmsprache und den kleinsten, bedeutungstragenden Einheiten des Films über Code- und Montagetheorien zum Filmerleben der Zuschauer und schließlich zur Analyse der komplexen Äußerung. In der semiotischen Fernsehforschung bilden - neben Arbeiten zu Nachrichtensendungen - die Analysen von telenovelas bzw. soap operas einen Schwerpunkt. Als eigenständige Richtung in der Auseinandersetzung mit Fernsehtexten (bzw. allgemein mit Medientexten) sind die englischen Arbeiten zum Encodierungs-/ Decodierungsprozess zu sehen (Stuart Hall, David Morley), die zeichentheoretische Überlegungen zur Bedeutungskonstitution und die soziale Realität bzw. Wertesysteme der Rezipienten verbinden (  2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien). In der gegenwärtigen Filmsemiotik finden wir einen Methodenpluralismus mit Querverbindungen zu feministischen, psychoanalytischen, neo-formalistischen oder konstruktivistischen Ansätzen (Stam/ Burgoyne/ Flitterman-Lewis 1992). Medientexte sind zunehmend durch Intertextualität und Intermedialität (Jürgen E. Müller) bzw. Multimedialität (Hess-Lüttich/ Schmauks 2004; vgl. auch Connolly/ Phillips 2002) sowie Selbstreferenz (Nöth/ Bishara 2007) charakterisiert - genuin semiotische Themenbereiche. Ein expandierendes Feld der Medienwissenschaft und damit der Mediensemiotik sind elektronische Medien in allen Facetten (Clarke 2004). Grundlegend sind hier jene Arbeiten, die sich mit der Repräsentation im Zeitalter des Digitalen bzw. dem Computer als semiotischem Medium auseinandersetzen (Andersen 1990; Santaella 1998). Das Spektrum umfasst Fragen der Produktion und Rezeption von Hypertexten (Landow 1994; Mazzali-Lurati/ Schulz 2004; Neumüller 2004), Fragen der Narrativität und Referenz in Computerspielen (Wenz 1998 sowie 2002; Neitzel 2007; Santaella 2007) sowie die zeichentheoretische Reflexion von Expertensystemen, multimedialen Applikationen für den Unterricht und im Infotainment und natürlich des World Wide Web 11 Vgl. Knilli 1971. Zur Filmsemiotik in Deutschland siehe u. a. die Arbeiten von Rolf Kloepfer, Karl- Dietmar Möller, Hans J. Wulff oder Peter Wuss. Für einen Überblick zu Filmtheorie und Semiotik siehe auch Withalm 2004. <?page no="135"?> 136 Gloria Withalm (Stockinger 1993; Stockinger de Pablo/ Fadili/ Stockinger 1998), letzteres in seinen vielfältigen Erscheinungsformen und Anwendungsbereichen von Websites im Allgemeinen (Mazzali-Lurati/ Schulz/ Bolchini 2007; Meier 2008) bis zu Chats im Speziellen (Hess-Lüttich 2003; Calefato 2004; Canton/ Schulz 2006). Insbesondere die neueren Entwicklungen im Web bieten weiterhin Untersuchungsobjekte für semiotische Analysen und Debatten, etwa textuelle Charakteristika, Chancen und Probleme des Web 2.0 mit rezenten Genres bzw. webbasierten Netzwerken (Blogs und Mikro-Blogs wie Twitter), oder auch eine fundierte und differenzierte Betrachtung des Konzepts »semantic« im semantic web. 2.4.4 Kritik und Weiterentwicklung der Theorien Im Rahmen des Kanons der Wissenschaften hat die Semiotik eine zweifache Stellung: Einerseits ist sie eine Disziplin (auch wenn es ihr an einer tiefen institutionellen Verankerung in universitären Curricula noch mangelt), andererseits überschreitet sie in und durch ihren Zugang zu einem zentralen Moment unserer gesellschaftlichen Realität - den Zeichensystemen und -prozessen - die engen Disziplingrenzen, sie ist eine »neue Disziplin, quer zu den existierenden Disziplinen« (Marty 1985, 236). Hier ist jedoch nicht der Ort für eine wissenschaftstheoretische Diskussion über die Art der Grenzüberschreitung und Beziehung zu anderen Disziplinen, über die feinen Unterschiede von Inter-, Trans-, Meta- oder Pluridisziplinarität, eine Diskussion, die in der Semiotik selbst bereits in den achtziger Jahren initiiert wurde (vgl. Withalm 1988 und 1991). Die Rolle der Semiotik im Verhältnis der Disziplinen ist allerdings nicht nur eine theoretische Frage, sondern auch eine wissenschaftspolitische. Aufgrund des umfassenden Objektbereichs der Semiotik und der theoretischen Fundierung als allgemeine Wissenschaft von den Zeichenprozessen wird ihr ein Dominanzanspruch unterstellt, dem die traditionellen Disziplinen durch Abgrenzung begegnen. Schließlich ist der Stellenwert von zeichentheoretisch basierter Forschung in einer Disziplin auch durch ›Moden‹ und arbeitsökonomische Überlegungen bestimmt. In den frühen siebziger Jahren wurde die Semiotik auf eine praktische Analysemaschine für (mediale) Botschaften reduziert, eine erste Ernüchterung trat ein, als sich herausstellte, dass es nicht ohne echte Auseinandersetzung mit semiotischen Theorien geht. Mittlerweile ist eine neue Annäherung erfolgt, Lehrveranstaltungen zur Zeichentheorie sind Bestandteil vieler medienwissenschaftlicher Curricula. Die fortschreitende Mediatisierung unserer Welt, neue Formen von Medien und medialen Texten (Stichwort Interaktivität; vgl. Santaella-Braga 2004) verlangen nach einer gemeinsamen Weiterentwicklung semiotischer Theorien - einerseits in der medienwissenschaftlichen Sichtung und Anwendung von noch wenig <?page no="136"?> 137 Zeichentheorien der Medien genutzten Ansätzen aus der allgemeinen Semiotik, andererseits in der semiotischen Reflexion medientheoretischer Arbeiten. Nicht zuletzt hat die Semiotik nicht nur eine akademische Rolle, sondern nach wie vor auch eine alltagswirksame, aufklärerische Funktion. Morris stellte bereits in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts fest, dass wir »von der Wiege bis zum Grab […] einer unendlichen Zeichenflut ausgesetzt [sind], mit der andere Menschen ihre Ziele durchsetzen wollen. […] Gegen diese Ausbeutung des individuellen Lebens kann die Semiotik als Gegenkraft dienen.« (Morris 1946/ 1973, 352) Dass diese Sichtweise auch Jahrzehnte später nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat, zeigen die Aussagen des Medienwissenschaftlers Daniel Chandler am Ende seines Einführungskapitels zu Semiotics for Beginners: »Studying semiotics can assist us to become more aware of reality as a construction and of the roles played by ourselves and others in constructing it. […] We learn from semiotics that we live in a world of signs and we have no way of understanding anything except through signs and the codes into which they are organized. […] Deconstructing and contesting the realities of signs can reveal whose realities are privileged and whose are suppressed. The study of signs is the study of the construction and maintenance of reality. To decline such a study is to leave to others the control of the world of meanings which we inhabit.« (Chandler 1994/ 2001, hier www.aber.ac.uk/ media/ Documents/ S4B/ sem01.html) Zitierte Literatur Andersen, Peter Bøgh (1990): A Theory of Computer Semiotics. Semiotic Approaches to Construction and Assessment of Computer Systems. Cambridge: Cambridge University Press. Barthes, Roland (1964a): Eléments de sémiologie. In: Communications, Heft 4, S. 91 - 141 [Dt.: Elemente der Semiologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983]. Barthes, Roland (1964b): Rhétorique de l’image. 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Wie würde Barthes aus semiotischer Sicht die Bilder des einstürzenden World Trade Center analysieren? 7. »The study of signs is the study of the construction and maintenance of reality.« Nehmen Sie dieses Statement von Daniel Chandler zum Ausgangspunkt eines Vergleichs der zentralen Annahmen von Semiotik und Konstruktivismus. <?page no="144"?> 145 2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien Bettina Pirker Viele Einführungstexte zu den Cultural Studies (CS) beginnen damit, dass diese nicht oder nur schwer zu erklären seien (siehe etwa Barker 2004, xii oder Hartley 2003, 1). Das liegt wohl daran, dass es ›die‹ Cultural Studies nicht gibt: Unter dem Schirm der CS werden verschiedene Ansätze, Zugänge, Positionen und Sichtweisen zusammengefasst, die sich in unterschiedlichen Kontexten entwickelt haben. Die CS sind somit in mehrerlei Hinsicht undiszipliniert. (1) Obwohl die Lehrstühle der meisten Cultural-Studies-Vertreter in bestimmten Fachdisziplinen und nicht interdisziplinär angesiedelt sind, herrscht unter ihnen doch weitgehende Einigkeit darüber, dass die CS keine Disziplin sind und auch nicht sein sollten, da ihre oberste Prämisse bei der Bearbeitung von Fragen zur Kultur die Inter-, Trans- und Multidisziplinarität ist. Die Arbeiten der CS sind weder durch eine gemeinsame Theorie noch durch die Beschäftigung mit einem spezifischen Gegenstandsbereich gekennzeichnet; was sie jedoch verbindet, ist ein sehr breit angelegtes Kulturverständnis und eine bestimmte Form der Herangehensweise an Fragestellungen (so auch Lutter/ Reisenleitner 1998, 9). Zur Beantwortung ihrer Fragen bedienen sich die CS eines Methoden- und Theorienmix aus Ethnographie, Feminismus (  2.8 Feministische Medientheorien), Marxismus, Sprachphilosophie, Politischer Ökonomie, Postkolonialer Theorie, Post-Marxismus, Poststrukturalismus (  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien), Pragmatismus, Psychoanalyse (  2.9 Psychoanalytische Medientheorien), Strukturalismus sowie Diskurs- und Textanalyse (siehe auch die Aufzählung bei Barker 2004, xvii). Ihr Umgang mit Theorie gleicht der Vorgangsweise, die sie auch den Rezipienten kultureller Texte unterstellen - sie betreiben das, was De Certeau (1988, 293 ff.) als textuelles Wildern bezeichnet hat: Sie wandern durch fremde Disziplinen, bedienen sich der Texte und Theorien, um daraus »ihre eigenen Gärten« (ebd., 306) zu bauen. Das wird den Cultural Studies von disziplinierten Kollegen nicht selten zum Vorwurf gemacht, wie dies etwa auch Göttlich/ Winter (1999, 27) oder Denzin (1999, 131) feststellen. Für Johnson (1999, 140) sind jedoch gerade die Offenheit und theoretische Vielseitigkeit sowie eine kritische Reflexivität die prägnantesten Eigenschaften. Und Göttlich/ Winter (1999, 28) schreiben: »[Die] Disziplinungebundenheit der Cultural Studies [bildet] für die angemessene Erforschung kultureller Praxen und deren unterscheidbaren Kontexten die notwendige Voraussetzung.« <?page no="145"?> 146 Bettina Pirker (2) Während sich die Vertreter der Cultural Studies der Einordnung in bestimmte Disziplinen oft verweigern, verorten oder befinden sie sich häufig selbst innerhalb ihrer eigenen Forschungsobjekte. Viele der Protagonisten der CS stammten etwa aus der Arbeiterklasse, der dann ihr primäres Forschungsinteresse galt. CS-Forscher betrachten ihre Forschungsobjekte nicht emotionslos von außen, sondern haben mitunter eine starke Affinität zu den kulturellen Artefakten und Praktiken, mit denen sie sich wissenschaftlich beschäftigen. Sie sind immer wieder selbst Subjekte innerhalb der spezifischen beforschten Felder, wodurch sie die Grenzen zwischen Forschungssubjekt und -objekt nicht nur überschreiten, sondern diese aufgrund ihres Engagements und ihrer Involviertheit sogar aufzulösen vermögen. Sie sind zum Beispiel Fans bestimmter Genres, betreiben Homepages und Blogs und produzieren sowohl journalistische als auch akademische Texte. Henry Jenkins zum Beispiel betreibt einen eigenen Blog (siehe Jenkins o. J.) und bezeichnet sich selbst als »Aka-Fan«, womit er seine hybride Identität als Akademiker und Fan des von ihm beforschten Bereichs unterstreicht. Diese »Homologie von Lebensform und Wissensform« (Lindner 2000, 12), also die Einbeziehung und Reflexion der eigenen Erfahrungen in die wissenschaftliche Arbeit, wird von manchen Kritikern der CS aufs schärfste zurückgewiesen, da der Innenblick einen Außenblick unmöglich mache. Für die Vertreter der Cultural Studies bedeutet hingegen die Eingebundenheit in das Feld die Möglichkeit zur Intervention und Kritik sowie zur Reflexion der eigenen Vorannahmen und des eigenen kulturellen Kontextes - also der eigenen Subjektivität, die - wie etwa Chung (2005, 517) bemerkt - gerne von den der ›Objektivität‹ verpflichteten Wissenschaftlern verschleiert und negiert wird. (3) Die Cultural Studies sind subjektiv und politisch, sie sind sich ihrer eigenen Involviertheit bewusst und ihre Erkenntnisse sollen unter anderem dazu dienen, starre Strukturen, Diskurse und mögliche Subversionsstrategien aufzuzeigen. Kultur ist in den CS nichts Unveränderliches bzw. Festgeschriebenes, vielmehr herrscht ein ständiger »struggle over meaning« (Hall 1982, 78). In diesem Kampf um Bedeutung ergreifen die CS in ihren Forschungsarbeiten Partei, indem sie - wie es zum Beispiel Fiske (2001) anhand einer Studie zur Obdachlosigkeit aufzeigt - bei der Interpretation des gesammelten Datenmaterials bestimmte Akzente setzen, die nicht den Anspruch auf Objektivität verfolgen, sondern die Erfahrungen der involvierten Subjekte betonen. »Ein derartiges Wissen ist nicht objektiv oder distanziert, sondern ein sozial engagiertes Wissen, das einen Beitrag zu jenen sozialen Kräften leisten will, die auf eine Veränderung der sozialen Ordnung hinarbeiten, die immer das eigentliche Objekt seiner Analyse darstellt.« (Fiske 2001, 205) <?page no="146"?> 147 Cultural-Studies-Theorien der Medien Cultural Studies sind jedoch nicht parteipolitisch motiviert. Wichtig ist, dass trotz aller Subjektivität ein Wissen geschaffen wird, das nicht reinem Wunschdenken entspringt, sondern sich auf theoretisch fundierte Analysen bezieht (vgl. Marchart 2008, 42 f.). Angestrebt wird zudem »eine Balance zwischen politischem Engagement, theoretischen Zugängen und empirischen Analysen« (Lutter/ Reisenleitner 1998, 9). Das Projekt der Cultural Studies lehnt die in den dominanten Bereichen der Wissensproduktion verbreitete Schaffung von Universalismen oder Essentialismen ab und versucht im Sinne eines radikalen Kontextualismus die bestehenden Dominanzverhältnisse, Ungleichheiten und Leiden - die es zu verändern gilt - in ihrer Komplexität und Verwobenheit zu erfassen (ohne auf die Reflexion der eigenen Position innerhalb der Wissenschaftsinstitutionen zu vergessen) und jegliche Form des Reduktionismus zu vermeiden (vgl. Grossberg 2006, 2). Trotz der Schwierigkeit einer klaren Beschreibung dessen, was die Cultural Studies eigentlich sind, und der etwa auch von Hepp (2004, 15) erwähnten Verweigerung einer definitorischen Festlegung durch viele Vertreter fasst folgendes Zitat die grundlegende Intention der CS zusammen: »Cultural studies is concerned with an exploration of culture, as constituted by the meanings and representations generated by human signifying practices, and the context in which they occur. Cultural studies has a particular interest in the relations of power and the political consequences that are inherent in such cultural practices. The prime purposes of cultural studies, which is located in the institutions of universities, publishing houses and bookshops, are the processes of intellectual clarification that could provide useful tools for cultural/ political activists and policy makers.« (Barker 2004, xix) 2.5.1 Kurze Geschichte der Cultural Studies Die Anfänge der CS wurzeln in einer Zeit, in der Bildung und Kultur stark mit einer kleinen, kulturimperialistisch agierenden sozialen Elite verbunden waren. Der Bereich dessen, was als Kultur anerkannt war, beschränkte sich auf jene hochkulturellen Praktiken, die nur von der Elite geleistet und deren ästhetische Werte nur von dieser verstanden wurden (nach Lutter/ Reisenleitner 1998, 22). Die elitäre Hochkultur und deren moralische und ästhetische Werte galten auch in den Geisteswissenschaften der Populärkultur weit überlegen. Hartley (2003, 34) be- <?page no="147"?> 148 Bettina Pirker schreibt, dass die Kultur der Massen in diesem Verständnis als so etwas wie das Gegenteil von ›richtiger‹ Kultur angesehen wurde, letztlich sogar als eine Gefahr für die spirituelle, moralische und politische Gesundheit der Bevölkerung. Der Literaturwissenschaftler R. R. Leavis sah daher die Notwendigkeit, diesem Kulturverfall entgegenzuwirken und sich unter Anwendung literaturwissenschaftlicher Methoden mit der Kultur der Massen zu beschäftigen, wenngleich auch nur, um die Überlegenheit der Hochkultur zu beweisen. In der eigens (unter wertenden Prämissen) dafür gegründeten wissenschaftlichen Zeitschrift Scrutiny fand in den Jahren 1930 bis 1950 erstmals eine Diskussion populärkultureller Formen wie Kino, Unterhaltungsliteratur, Werbung und Zeitungen statt (vgl. Bromley 1999, 9; Lutter/ Reisenleitner 1998, 22). Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich das Bildungssystem in Großbritannien grundlegend: Breit angelegte Erwachsenenbildungsprogramme sorgten dafür, dass der Zugang zu Bildung nicht mehr durch die soziale Zugehörigkeit bestimmt wurde, sondern dass auch Menschen der Arbeiterklasse die Möglichkeit zu höherer Bildung erhielten. Dies führte dazu, dass die bildungselitären Inhalte auf die von den sich ausbreitenden Massenmedien geprägten, alltagskulturellen Erfahrungen der Lernenden trafen. Viele der Cultural-Studies-Pioniere arbeiteten in der Erwachsenenbildung, deren Lehrinhalte zunächst auf Leavis’ Kulturverständnis aufbauten. Im Zuge dieser Tätigkeit waren sie vermehrt mit dem Verlangen nach einem demokratischen und emanzipatorischen Bildungsideal konfrontiert, was sie nach Bromley (1999, 10) dazu brachte, andere Wege des Verstehens zu suchen und Bildung, Kultur und Gesellschaft aus einer Klassenperspektive zu betrachten. Die Cultural Studies sind somit nicht an einem klar erkennbaren historischen Punkt entstanden, sondern entwickelten sich als heterogener Prozess in diesem historischen Kontext nach dem Zweiten Weltkrieg. Dennoch gelten die Arbeiten von Richard Hoggart, Raymond Williams und Edward P. Thomson im Großbritannien der späten 1950er bzw. frühen 1960er Jahre sowie die Gründung des Birmingham Center for Contemporary Cultural Studies (CCCS) im Jahr 1964 als historische Ausgangspunkte dessen, was wir heute unter dem Projekt der Cultural Studies verstehen (vgl. auch Hall 1999, 115; Lewis 2002, 124). Hoggart, der nach eigenen Angaben der Arbeiterklasse entstammende Gründer des CCCS in Birmingham, arbeitete zunächst viele Jahre als Lehrer in der Erwachsenenbildung. In seinem ersten - zum Teil autobiographisch angelegten - Werk The Uses of Literacy (1958) vertritt er die Überzeugung, dass die Populärkultur und ihre Verbindung mit dem Alltag und den Erfahrungen der Menschen ernst genommen werden müssen und dass die Methoden der Literaturwissenschaft nicht nur für hochkulturelle Werke, sondern auch für die Analyse aller Formen und Arten kultureller Produkte geeignet seien (vgl. Hoggart 1999, 43 ff.). Obwohl Hoggarts Text - wie Bromley (1999, 14) anmerkt - aus heutiger Sicht »nostalgisch, generali- <?page no="148"?> 149 Cultural-Studies-Theorien der Medien sierend und in einem gewissen Sinne auch undifferenziert« wirkt, eröffnete er doch einen neuen Blick auf die Vielschichtigkeit der Verwendung kultureller Ressourcen. Während Leavis die Masse und das Populäre gleichsetzte, entwickelte Hoggart eine wichtige Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen und ermutigte die Arbeiterklasse gerade nicht, sich den Werten des Bürgertums anzupassen (so die Interpretation Bromleys 1999, 14). Sein zentrales Anliegen war das detaillierte Studium der Arbeiterkultur, ihrer Bedeutungen und Praktiken, also der Art und Weise, wie die ›gewöhnlichen Leute‹ ihr Leben gestalten (vgl. Barker 2004, 86). Im Gegensatz zu Hoggart, der einen klar literaturwissenschaftlichen und kulturalistischen Zugang hatte, waren seine Kollegen und Nachfolger eher den marxistischen Theorien und der linken politischen Bewegung zugetan. Für Raymond Williams, der als Sohn eines Eisenbahnarbeiters aus einer sozialistisch orientierten Familie stammte (vgl. Horak 2002, 29), waren die Wissenschaft und deren Vermittlung immer auch von politischen Komponenten bestimmt (siehe etwa Williams 1981, 10). Das von ihm in seinen beiden Werken Culture and Society (1958) und The Long Revolution (1961) entwickelte Kulturverständnis hatte großen Einfluss auf die Entwicklung der Cultural Studies (so Barker 2004, 207; Bromley 1999, 16 f.). Williams macht Kultur nicht an kulturellen Produkten oder Gütern fest, Kultur besteht für ihn vielmehr aus den gemeinsam gemachten Erfahrungen. Sie drückt sich in Alltagspraktiken aus und umfasst die gesamte Lebensweise, »the whole way of life« (Williams 1981, 11). Williams (1981, 198) stellt sich explizit gegen die Abwertung von massenkulturellen Produkten und populärkulturellen Praktiken und weist darauf hin, dass eine massenhafte Herstellung und Verbreitung noch nichts über die (mangelnde) Qualität des jeweiligen Kulturprodukts aussagt. Wichtig an seiner Arbeit sind der breit angelegte, prozessuale und nicht wertende Kulturbegriff, die Abkehr von der Idee der Masse und die Einbeziehung des gesellschaftlich-(kultur)historischen Kontexts in die Analysen. Allerdings bleibt er dabei weiterhin großteils den Methoden der Literaturwissenschaft verhaftet und nimmt den (populärkulturellen) Text als Ausgangspunkt für seine Überlegungen. Von den drei Vorreitern der Cultural Studies war Thomson der einzige, der nicht aus der Arbeiterklasse, sondern aus bildungsbürgerlichem Hause stammte (vgl. Winter 2001, 42). Er bekannte sich schon sehr früh explizit zum Marxismus, was für seine Lehrtätigkeit im Großbritannien der 1950er Jahre nicht unproblematisch war (so Lutter/ Reisenleitner 1998, 28). Einflussreich auf die Entwicklung der CS war eine Rezension Thomsons von Williams’ Werk. An der Arbeit von Williams kritisiert er, dass dieser in seinen Analysen zu sehr an der Oberfläche bleibe, Ursache und Wirkung verwechsle und Machtkämpfe verschleiere, indem er nur von dominanten und untergeordneten ›Gefühlsstrukturen‹ spreche und die real stattfindenden Kämpfe und Konflikte zwischen der herrschenden und der beherrschten Klasse nicht berücksichtige, was dazu führe, dass er den Menschen keine Möglichkeiten zu einer aktiven Auseinandersetzung aufzeigen könne (vgl. Thomson 1999, <?page no="149"?> 150 Bettina Pirker 76 f.). 1963 veröffentlicht Thomson The Making of the English Working Class: In dieser umfangreichen Auseinandersetzung mit der Entstehung der Arbeiterklasse betont er, dass eine Klasse keine ökonomisch determinierte Struktur oder soziale Kategorie, sondern vielmehr ein kultureller Kampf und historischer Prozess sei, an dem die Mitglieder der jeweiligen Klasse selbst immer aktiv beteiligt seien (siehe hierzu auch Bromley 1999, 17 f; Winter 2001, 44 f.). Thomsons Einfluss auf die Ausrichtung des CCCS war weniger stark ausgeprägt als der Einfluss der literaturwissenschaftlich orientierten Zugänge von Hoggart und Williams. Dennoch waren die Cultural Studies - wie es etwa auch Hipfl (2002, 35) betont - von Anfang an ein politisches und pädagogisches Projekt, entstanden aus den Erfahrungen, die die Protagonisten in ihrem eigenen Alltag und als Lehrer in der Erwachsenenbildung gemacht hatten. Während der Einfluss des Marxismus und der ›New Left‹ auf die Arbeitsweise der Cultural Studies oft akzentuiert wird (wie z. B. bei Marchart 2008, 56 ff.), werden nach Bromley (1999, 11) die pädagogischen Wurzeln häufig vernachlässigt. Das CCCS konzentrierte sich unter dem Postulat der Interdisziplinarität auf die Erforschung der Zusammenhänge historischer, literarischer und soziologischer Komponenten von kulturellen Formen und Praktiken, wobei großer Wert auf die Einbeziehung der Studierenden in die Forschungs- und Publikationstätigkeiten gelegt wurde. Unter Rückgriff auf die Theorien und Konzepte von Roland Barthes zu Text (etwa Barthes 2007), von Louis Althusser zu Ideologie (etwa Althusser 2008) und von Antonio Gramsci zu Hegemonie (etwa Gramsci 1987) beschäftigte man sich unter den Prämissen von Bildung, Rasse, Klasse und Geschlecht sowie dem autoritären Staat vor allem mit der Populärkultur als Werkzeug sowohl der sozialen Kontrolle als auch des Widerstands. Vor allem unter der Leitung von Stuart Hall in den Jahren 1968 bis 1979 wurde im CCCS dann der marxistisch inspirierte politische Aspekt der Cultural Studies doch in den Mittelpunkt des Interesses gerückt und der Eigenwert der Arbeiterkultur gegenüber hochkulturellen Formen betont. Die Cultural Studies haben sich aufgrund der verschiedenen involvierten Personen und deren soziokultureller Hintergründe sowie der unterschiedlichen Positionen und Theorien nicht geradlinig entwickelt, sondern sind als ein heterogenes Projekt zu verstehen. Rojek (2007, 39 ff.) beschreibt die sich zum Teil kreuzenden und ineinander verwobenen Entwicklungsprozesse und Strömungen der CS in den vergangenen 40 Jahren als vier ›Momente‹, wobei der Begriff ›Moment‹ für ihn das Prozesshafte und Überlappende meint - im Gegensatz zu den etwas Statisches oder Abgeschlossenes implizierenden Begriffen wie ›Phase‹ oder ›Punkt‹. Jeder dieser Momente brachte andere Kriterien, Ziele und Interessensfelder in den Fokus der Cultural Studies. Den ersten Moment bezeichnet Rojek als National- Popular und siedelt ihn in den Jahren 1956 bis 1984 an: In dieser Zeit beschäftigt man sich in den CS mit klassischen soziologischen Methoden und widmet sich vorrangig Fragen der Jugend- und Subkultur. Der Textual-Representational-Moment <?page no="150"?> 151 Cultural-Studies-Theorien der Medien liegt in den Jahren von 1958 bis 1995 und beschäftigt sich mit semiotischen Analysen der Populärkultur, des Alltags, der Medien und des Films (vgl. Rojek 2007, 48 ff.). Um ca. 1980 beginnt der Moment Globalization/ Post-Essentialism, dessen Fokus auf Fragen der Identität gerichtet ist, vor allem von marginalisierten Gruppen wie ethnischen Minderheiten, Homosexuellen oder postkolonialen Kulturen (ebd., 55 ff.). 1985 beginnt der vierte und immer noch andauernde Moment, den Rojek mit den Begriffen Gouvernementality/ Policy zusammenfasst. Zentral sind nun Fragen nach den Institutionen und Politiken, die die kulturellen Praktiken (mit)produzieren und regulieren (ebd., 61 ff.). Die Auflistung dieser vier Momente soll nach Rojek keineswegs implizieren, dass ein Moment den anderen ablöst - in jedem dieser Momente sind Komponenten der anderen drei enthalten, allerdings ist der Schwerpunkt des Interesses jeweils anders gelagert. Während sich die Cultural Studies im englischsprachigen Raum also schon früh verbreiteten, wurden die CS im deutschsprachigen Raum erst relativ spät rezipiert. In der Anglistik fand zwar bereits in den 1970er Jahren eine Auseinandersetzung mit den frühen Werken der Cultural Studies statt, die medienwissenschaftliche Rezeption der angloamerikanischen CS beginnt allerdings erst Mitte der 1980er bzw. in den 1990er Jahren (vgl. auch Göttlich/ Winter 1999, 34 f.). Heute haben die Ansätze der CS in mehreren Fachdisziplinen Eingang gefunden, die Arbeiten in diesen Bereichen verbleiben aber aufgrund des immer noch disziplinär ausgerichteten Wissenschaftssystems oft noch innerhalb der Fachgrenzen. 2.5.2 Grundbegriffe der Cultural Studies Der Kulturbegriff der Cultural Studies kann zweierlei bedeuten: Erstens umfasst Kultur die gesamte Lebensweise (vgl. paradigmatisch Williams 1981, 11); zweitens meint sie die Produktion und Zirkulation von Bedeutungen (vgl. paradigmatisch Du Gay u. a. 1997, 13). Für Hall (1999a, 124) liegt der ersten Auffassung (von Williams) ein kulturalistisches Paradigma zugrunde, das jegliche kulturelle Praxis mit einschließt und damit Kultur doch wieder essentialistisch, nämlich als historischen Prozess in seiner Gesamtheit versteht. Das zweite, anti-essentialistische Paradigma (von Du Gay u. a.) ist dem Strukturalismus zuzuordnen und stellt weniger die Kultur als vielmehr die Ideologie in den Mittelpunkt (vgl. Hall 1999a, 125). Die Zuschreibung von Bedeutungen ist dabei jener Prozess, bei dem Menschen den Dingen um sie herum und in der Gesellschaft einen Sinn verleihen. Dies geschieht durch die Art und Weise, in der die Dinge mittels Sprache repräsentiert werden, wobei mit »Sprache« in den CS nicht nur geschriebene oder gesprochene Wörter, sondern vielmehr jegliches Repräsentationssystem gemeint ist: wie etwa Fotographie, Malerei und Zeichnungen, technisch generierte Bilder und Abbildungen und alles übrige, was es sonst noch ermöglicht, Zeichen und Symbole zu benutzen, um <?page no="151"?> 152 Bettina Pirker die in der Welt existierenden, bedeutungsvollen Konzepte, Ideen und Vorstellungen darzustellen und miteinander auszutauschen (siehe Du Gay 1997, 13). Gemeinsam ist den kulturalistischen und den strukturalistischen Strömungen der CS »der radikale Bruch mit dem Basis/ Überbau-Modell« (Hall 1999a, 125; zum Modell vgl. Engels/ Marx 2008, 301 ff.). Doch weder Kulturalismus noch Strukturalismus seien Hall zufolge alleine in der Lage, den Gegenstandsbereich der CS angemessen zu erfassen. Daher werden in avancierten Theorien der CS die Elemente beider Paradigmen zusammengedacht, wodurch es gelingen kann, »sowohl die Spezifität verschiedener Praktiken als auch die Formen der durch sie konstituierten Einheit zu reflektieren« (Hall 1999a, 137). Den Dingen selbst ist keine Bedeutung immanent, diese entsteht erst im Zuge eines komplexen kulturellen Aushandlungsprozesses. Dieser Prozess der Bedeutungszuschreibung findet innerhalb von Machtrelationen statt, ist also niemals neutral und objektiv, sondern wird von Subjekten durch diskursive Praktiken und kulturelle Artikulationen hart erkämpft. Die theoretische Erklärung der kulturellen Bedeutungsproduktion in den Cultural Studies geht zurück auf (1) Althussers Ideologiekonzept in Verbindung mit (2) Gramscis Theorien zur kulturellen Hegemonie und (3) Foucaults Diskursbegriff (vgl. auch Thompson 1997, 11). (1) Unter Ideologie versteht Althusser (2008) all jene bewussten oder unbewussten moralischen, politischen, ästhetischen und philosophischen Vorstellungen der in soziale Strukturen eingebundenen Mitglieder einer Gesellschaft, die als unhinterfragte Wahrheiten oder natürliche Gegebenheiten hingenommen werden und die sowohl das individuelle Handeln als auch die soziale (politische und ökonomische) Ordnung der jeweiligen Gesellschaft organisieren. 1 1 Fiske (2008, 311) greift die von Althusser in der Auseinandersetzung mit den ›ideologischen Staatsapparaten‹ (Familie, Bildungssystem, Kirche und Massenmedien) geprägten Begriffe der Anrufung und der Interpellation auf, um zu erklären, wie Massenmedien und deren Inhalte funktionieren. Hinter den beiden Begriffen steht die Idee, dass jegliche Sprache (verbal, visuell, taktil) Teil einer sozialen Relation ist, die in jeder Kommunikationssituation immer wieder reproduziert wird. Durch die Anrufung (zum Beispiel als Mann oder Frau, als Mitglied der Elite oder der Unterschicht, als Erwachsener oder Kind etc.) wird die angesprochene Person sozial verortet. Die Anrufung ist also der sprachliche Prozess, durch den der Adressat lokalisiert wird: Aus dem (natürlichen) Individuum wird das (gesellschaftliche) Subjekt. Interpellation ist der übergeordnete Prozess, bei dem durch Sprache die sozialen Relationen zueinander konstruiert und in einen größeren gesellschaftlichen Kontext gestellt werden (vgl. Fiske 2008, 313). In Bezug auf die Medien bedeutet das, dass die Repräsentationen der Medien den Rezipienten Subjektpositionen zur Verfügung stellen; diese können angenommen, aber auch verweigert werden - und damit dazu beitragen, die Individuen als gesellschaftliche Subjekte sozial zu verorten und sich einer vorgestellten Gemeinschaft (Anderson 1986) wie zum Beispiel der Nation zugehörig zu fühlen. <?page no="152"?> 153 Cultural-Studies-Theorien der Medien (2) Gramsci (1930) setzte sich mit der Frage der Aufrechterhaltung der ideologischen Herrschaft auseinander. Unter kultureller Hegemonie versteht er die Durchsetzung von Herrschaft nicht durch Zwang, sondern durch die freiwillige Übernahme von Ideen, Vorstellungen und Bedeutungen der herrschenden Klasse und deren Anerkennung als Wissen, Wahrheit und Normalität im Alltag der Menschen und die Aufnahme in den Common Sense (siehe auch Gramsci 1987, 7 ff. und 1992, 890 ff.). (3) Foucault (1978; 1983 und 1990) lehnt den Ideologiebegriff (etwa von Althusser) und das mit ihm verbundene Herrschaftsverständnis ab. Anstelle von Ideologie spricht er von einer Wissen/ Macht-Relation (Foucault 1978, 70 f.). Wissen hat Foucault zufolge nichts mit Wahrheit zu tun, sondern ist das, was als Wahrheit angenommen und in Diskursen hergestellt wird, die er als die Kombination aus Sprache und Praxis versteht. Wissen und Macht sind nichts Feststehendes, sondern eine umkämpfte, fragile und veränderbare Struktur. Durch soziale Praktiken und Wiederholungen werden Bündel von Ideen, Bedeutungen und Wissen in Form von diskursiven Formationen zeitweise stabilisiert und reguliert. 2 Ähnlich wie es Hegel für das Verhältnis von Herr und Knecht beschrieb (daran erinnert Bluhm 2004, 79), erzeugt für Foucault (1983, 139 f.) die (am Leben orientierte) Macht Widerstand und vom Wahrheitsregime verworfenes Wissen einen Aufstand. Wie Diskurse und diskursive Formationen aufeinanderprallen und verworfenes Wissen sich gegen das legitime Wissen richtet, analysiert zum Beispiel Fiske (1999, 359 ff.) sehr anschaulich anhand der kulturellen Praktiken von Elvis-Presley-Fans. Ideologien und diskursive Praktiken binden Individuen in die herrschenden Strukturen ein und tragen so zur Konstruktion von Identität bei. Diese soziale Identität artikuliert sich in der Kultur; sie ist weder statisch noch entsteht sie in einem Machtvakuum, sondern ist durchzogen von Asymmetrien und Kämpfen, die sich am besten in den zentralen Analysekategorien der CS - race, class und gender - widerspiegeln. Identität formiert sich in einem Wechselspiel kultureller Machtverhältnisse. Anders gesagt: Eine Analyse, die nicht das Zusammenwirken von Kultur, Macht und Identität berücksichtigt, ist keine Cultural-Studies-Analyse (so auch Marchart 2008, 34). Es reicht daher in den CS keineswegs aus, (populär-)kulturelle Produkte auf ihre Inhalte hin zu untersuchen oder die kulturellen Praktiken bestimmter Gruppen in ihrem Alltag zu beobachten und zu dokumentieren. Es geht in den Cultural Studies nicht um die kulturellen Produkte und Praktiken per se. Diese sind nur die sichtbaren Ausprägungen jener Machtkämpfe, 2 Die Wirkmacht von solchen diskursiven Praktiken beschreibt etwa Butler (1997) ausführlich für die performative Herstellung sowohl des biologischen als auch des sozialen Geschlechts. <?page no="153"?> 154 Bettina Pirker durch die kulturelle Bedeutungen und soziale Identitäten entstehen. Marchart fasst diese Intention der CS wie folgt zusammen: »Cultural Studies sind jene intellektuelle Praxis, die untersucht, wie soziale und politische Identität qua Macht im Feld der Kultur (re-)produziert wird.« (Marchart 2008, 35) 2.5.3 Anwendungen in der Medienwissenschaft Theoretische Anwendungen Ausgehend sowohl von der marxistischen Theorie der Güterproduktion als auch von einem strukturalistischen Kommunikationsverständnis entwickelte Stuart Hall (1980) das für die Analyse von Massenkommunikationsprozessen in den Cultural Studies grundlegende Encoding-Decoding-Modell. Das klassische lineare Sender-Empfänger-Modell wird von Hall dahingehend kritisiert, dass es die komplexe Beziehungsstruktur des Kommunikationsprozesses ignoriere, die er in seinem Modell hingegen berücksichtige: Produktion, Zirkulation, Distribution, Konsumtion und Reproduktion sind Hall zufolge eigenständige, aber gleichwohl miteinander verbundene Elemente dieser Struktur. Er versteht den gesamten Prozess als »›komplexe dominante Struktur‹ […], die durch die Artikulation miteinander verbundener Praktiken entsteht, von denen jede in ihrer Unverwechselbarkeit erhalten bleibt und ihre spezifische Modalität, ihre eigenen Existenzformen und -bedingungen hat.« (Hall 1999b, 93) Entscheidend in diesem Modell ist die Betonung der diskursiven Form des Massenkommunikationsprozesses: Nachrichten werden unter spezifischen Produktionsbedingungen hergestellt (wie etwa Produktionsroutinen, technische Fertigkeiten, professionelle Ideologien, institutionelles Wissen, Annahmen und Einschätzungen über das Publikum etc.), in Zeichenformen übersetzt, also enkodiert und an die Rezipienten distribuiert. Auf der anderen Seite werden diese übermittelten Kodes wiederum unter spezifischen Bedingungen, die sich von jenen auf der Produktionsseite unterscheiden, dekodiert und erlangen erst hier ihre Bedeutung, indem sie in gesellschaftliche Praktiken umgewandelt, also in den Diskurs aufgenommen werden. Damit ein Text Bedeutung erlangen kann, bedarf es jedes einzelnen Moments dieses Kreislaufs. Jeder Moment kann nach Hall daher auch eine Störung des Prozesses verursachen. Die Bedeutungsstrukturen 1 und 2 in diesem Modell (siehe nachstehende Abbildung) sind fast nie exakt dieselben. Je nachdem, wie symmetrisch oder asymmetrisch die Enkodierungs- und Dekodierungsprozesse der <?page no="154"?> 155 Cultural-Studies-Theorien der Medien Produktions- und Rezeptionsseite und wie unterschiedlich die strukturellen Verhältnisse auf beiden Seiten sind, sind die Grade des Verstehens oder Missverstehens Hall zufolge höher oder geringer. Encoding - Decoding (Quelle: Hall 1999b, 97) Da der Prozess der Dekodierung fast immer anderen Bedingungen unterliegt als jener der Enkodierung, kann der Produzent zwar eine »bevorzugte Lesart« des übermittelten Textes anstreben, diese jedoch nicht bestimmen. Hall beschreibt drei Lesarten massenmedialer Texte, also drei hypothetische Möglichkeiten der Dekodierung (zum Folgenden vgl. Hall 1980; Hall 1999b, 106 ff.). 1. Die dominant-hegemoniale Lesart: Damit ist der idealtypische Fall einer vollkommen transparenten Kommunikation gemeint, bei der die Bedeutungen des Textes in einem gleichen - dem hegemonialen Kode folgenden - Referenzsys- <?page no="155"?> 156 Bettina Pirker tem dekodiert werden, in dem sie kodiert wurden. Der professionelle Kode der Medien, den Hall unter Rückgriff auf Althusser (1977) als ideologische Apparate bezeichnet, folgt zumeist jenem der herrschenden Elite und hilft mit, die hegemonialen Bedeutungen und Diskurse durch ihre Reproduktion zu verfestigen. 2. Die ausgehandelte Lesart: Hierbei wird der hegemoniale Kode zwar verstanden, aber in Bezug zum eigenen Kontext gesetzt und auf einer anderen Ebene - teilweise zustimmend, teilweise ablehnend oder widersprechend - dekodiert. Die ausgehandelten Kodes zeichnen sich durch ihr ungleiches Verhältnis zu den herrschenden Diskursen der Mächtigen aus. 3. Die oppositionelle Lesart: Die hegemonialen Kodes der Nachricht werden in diesem Fall zwar verstanden, aber trotzdem auf eine gegensätzliche Art und Weise mithilfe oppositioneller Kodes in den eigenen Bezugsrahmen gestellt. Kritisiert werden kann an den drei Lesarten, dass erstens impliziert wird, es gäbe einen ganz klaren hegemonialen Kode, der idealtypisch auf ein und dieselbe Weise enkodiert und dekodiert werden könne. Zweitens ist davon auszugehen, dass sowohl die dominant-hegemoniale als auch die oppositionelle Lesart selbst nur idealtypische Positionen sind und dass der Großteil der Texte mutmaßlich im Sinne einer ausgehandelten Lesart dekodiert wird. Sinnvoller erscheint es daher, in der Analyse die verschiedenen Formen und aktiven Prozesse des Aushandelns genauer zu differenzieren, wie es zum Beispiel Winter (1995) anhand der Aneignung von Horrorfilmen durch Fans des Genres dargestellt hat. In ihrer Auseinandersetzung mit den drei vorgeschlagenen Lesarten Halls betonen etwa Fiske/ Hartley (1996, 104) die grundsätzliche Offenheit der Texte für unterschiedliche Interpretationsweisen (die so genannte Polysemie): Populärkulturelle Texte erhalten nach Fiske/ Hartley erst im Moment der Dekodierung im Kontext der sozialen Erfahrungen der jeweiligen Rezipienten ihre Bedeutung. So wird die aktive Rolle der Zuschauer in der kulturellen Bedeutungsproduktion in den Mittelpunkt gerückt. »Populärkultur ist immer im Werden, ihre Bedeutungen können niemals in einem Text identifiziert werden, denn Texte werden immer nur in sozialen und intertextuellen Beziehungen aktiviert oder bedeutungsvoll gemacht. Diese Aktivierung des Bedeutungspotentials eines Textes kann nur in den sozialen und kulturellen Beziehungen stattfinden, in die er eintritt. Die sozialen Beziehungen von Texten ergeben sich im Moment ihres Lesens, wenn sie in den Alltag der Leser eingefügt werden.« (Fiske 2000, 16) Während sich Halls Modell vor allem auf Nachrichten bezieht und Fiske den massenmedialen Aneignungsprozess hervorhebt, entwickelt Johnson (1999) ein Kreislaufmodell, das nicht nur für die Analyse von Massenmedien, sondern für alle po- <?page no="156"?> 157 Cultural-Studies-Theorien der Medien pulärkulturellen Artefakte herangezogen werden kann. Aufgrund des komplexen Kulturbegriffs der Cultural Studies dürfe das Feld nicht auf »spezielle Praktiken, besondere Genres oder populäre Freizeitvergnügungen« (Johnson 1999, 146) beschränkt werden, sondern muss in seiner Vielschichtigkeit erfasst werden, wozu aber die theoretische und fachliche Zersplitterung in der akademischen Arbeitsteilung keine geeignete Grundlage biete (vgl. ebd., 147). Jedes der drei Elemente Produktion, Zirkulation und Konsumtion ist bei Johnson von den anderen abhängig und für das ›Ganze‹ unverzichtbar. Die Intention dieses Modells ist die Verbindung verschiedener Forschungsbereiche (produktionsorientiert, textorientiert und konsum-/ rezeptionsorientiert), um sich so dem Gegenstandsbereich aus unterschiedlichen Perspektiven annähern zu können (siehe Johnson 1999, 149 f.). Du Gay u. a. beziehen sich auf Johnsons Modell und erweitern es im Circuit of Culture einmal mehr um die Bereiche Identität und Regulation. Circuit of Culture (Quelle: Du Gay u. a. 1997, 3) <?page no="157"?> 158 Bettina Pirker Mit diesem Kreislaufmodell zeigen Du Gay u. a., wie kulturelle Bedeutungen durch die Artikulationsprozesse zwischen den zusammenhängenden, aber für die Analyse getrennten Bereichen hergestellt werden. Nicht durch die exklusive Erforschung eines einzelnen Bereichs, sondern nur unter Berücksichtigung aller in diesem Kreislauf beschriebenen Prozesse und deren Interdependenzen kann die Frage, wie Kultur funktioniert, angemessen bearbeitet werden (vgl. Du Gay u. a. 1997, 2 f.). - Die fünf zentralen Aspekte (1) Produktion, (2) Repräsentation, (3) Konsumtion, (4) Identität und (5) Regulation des Modells von Du Gay u. a. werden im Folgenden eingehender diskutiert. (1) Um die (Kultur-)Produktion (»production of culture«) zu analysieren, sei es zwar notwendig, die ökonomischen Prozesse zu berücksichtigen, dies alleine reiche jedoch nicht aus, sondern müsse in Beziehung zu den vorherrschenden kulturellen Praktiken gesetzt werden (so Du Gay 1997, 7). Die Herstellung kultureller Artefakte bzw. medialer Texte findet im Rahmen einer spezifischen Produktionskultur (»culture of production«) statt, die sich in verschiedenen von bestimmten Werten, Vorstellungen und Arbeitsweisen geprägten Aspekten zeigt: Zur Produktionskultur gehören sowohl alle Praktiken, die intra-organisationale Entscheidungen und Aktivitäten (von der Personalpolitik bis zum Management) darstellen, als auch der Außenblick auf das Unternehmen durch sein Umfeld (vgl. Du Gay u. a. 1997, 42). Für empirische Forschung im Bereich der Produktionskultur schlägt Davis (2008, 56) eine Kombination aus der Erhebung qualitativer Daten auf der Mikroebene (zur Erfassung der individuellen Praktiken der beteiligten Produzenten) und der Aufarbeitung quantitativer statistischer Daten auf der Makroebene vor. Für ein umfassendes Verständnis müssen die Praktiken der Produktion wiederum in den Kontext gesellschaftlicher Prozesse wie Globalisierung und Transnationalisierung gesetzt werden, rät Robins (1997, 12). (2) Der Bereich der Repräsentation betrifft vorwiegend die Analyse medialer Texte. Vor allem für den Printbereich, insbesondere die Anzeigenwerbung (vgl. Hall 1997b) und für das Fernsehen (siehe Fiske 1993; Fiske/ Hartley 1996) gibt es in den Cultural Studies umfassende Darstellungen der Kodes, mithilfe derer (hegemoniale) Bedeutungen konstruiert beziehungsweise verfestigt werden. Bedeutung entsteht für Hall (1997c, 17) durch zwei miteinander in Beziehung stehende Repräsentationssysteme: »The first enables us to give meaning to the world by constructing a set of correspondences or a chain of equivalences between things - people, objects, events, abstract ideas, etc. - and our system of concepts, our conceptual maps. The second depends on constructing a set of correspondences between our conceptual map and a set of signs, arranged or organ- <?page no="158"?> 159 Cultural-Studies-Theorien der Medien ized into various languages which stand for or represent those concepts. The relation between ›things‹, concepts and signs lies at the heart of the production of meaning in language. The process which links these three elements together is what we call ›representation‹.« (Hall 1997c, 19) Fiske (1993, 5) beschreibt drei Arten von Kodes medialer Texte, die auf drei verschiedenen hierarchischen Ebenen ›operieren‹: 1. Ebene der Realität: Der mediale Text ist durch soziale Kodes wie zum Beispiel Auftreten, Kleidung, Make-up, Umgebung, Verhalten, Sprache, Gestik, Ausdruck, Sound etc. enkodiert. 2. Ebene der Repräsentation: Die sozialen Kodes werden durch technische Kodes wie Kameraführung, Beleuchtung, Schnitt und Musik transportiert und formen die konventionellen Repräsentationskodes wie Erzählung, Konflikt, Charakter, Action, Dialog, Setting, Casting usw. 3. Ebene der Ideologie: Auf diesem Level werden die Repräsentationskodes durch ideologische Kodes wie Individualisierung, Patriarchat, Rasse, Klasse, Geschlecht, Materialismus, Kapitalismus, etc. stimmig und sozial akzeptabel gestaltet und damit normalisiert. Der Prozess der Bedeutungsproduktion besteht aus einem Auf und Ab von allen drei Ebenen, die zu einer als natürlich und kohärent erscheinenden Einheit verbunden werden. Eine kritische Dekonstruktion kann die scheinbare Natürlichkeit, das vermeintlich Normale der Trias als höchst ideologisches Konstrukt entlarven (vgl. Fiske 1993, 6). (3) Die Konsumtion medialer Texte wird in den Cultural Studies nicht als passiver Prozess, sondern als eine aktive Praxis der Bedeutungszuschreibung verstanden. Hipfl (2002, 44) zufolge entspricht dies dem Konzept des »aktiven Rezipienten«, das in vielen CS-Studien paradigmatisch ist. Hipfl betont, dass die Analysen der CS im Gegensatz zu den traditionellen Rezeptionsforschungen jedoch auch den Kontext mit all seinen spezifischen Machtrelationen berücksichtigen: »In den Cultural Studies wird […] nicht darauf vergessen, dass diese Bedeutungskonstruktionen im Rahmen vorgegebener Bedingungen und Machtstrukturen stattfinden und es darum geht, mehr darüber zu erfahren, in welcher Weise diese einerseits in den Nutzungsweisen auftauchen und andererseits in dem Kräftefeld, das Kultur als Ort ›umkämpfter Bedeutungen‹ ausmacht, wirksam werden.« (Hipfl 2002, 44) Die Medienrezeption ist ein komplexes Phänomen, sie ist nicht einfach nur das Gegenstück zur Medienproduktion (vgl. etwa Meyer 2008, 69). Durch die Dekodie- <?page no="159"?> 160 Bettina Pirker rung der Repräsentationen im Kontext des Alltags und der kulturellen Erfahrungen hat die Praxis der Konsumtion eine zentrale Bedeutung für die Konstruktion der sozialen Identität, wie es zum Beispiel Gillespie (1999) in ihrer ethnographischen Studie zur Rezeption der australischen Seifenoper »Neighbours« durch jugendliche Punjabis im Londoner Stadtteil Southhall aufgezeigt hat. (4) Der Begriff der Identität ist heute mehr denn je in verschiedenen Diskursen und sozialen Zusammenhängen präsent. Identität wird auf globaler, nationaler, lokaler und individueller Ebene diskutiert und oft auch in Frage gestellt. Häufig ist die Rede vom Identitätsverlust, von fragmentierten Identitäten oder auch von so genannten Patchwork-Identitäten. Ganz allgemein gesprochen ist Identität die Antwort auf die Frage ›Wer bin ich? ‹ und somit das, womit und wodurch wir uns selbst in der Welt verorten (und verortet werden). Identität ist immer mit den Fragen nach Zugehörigkeit und Abgrenzung, mit dem Eigenen und dem Anderen verbunden, sie wird heute nicht mehr in einem essentialistischen Sinn qua Geburt ein für alle Mal festgelegt, sondern innerhalb vielschichtiger sozialer, lokaler und globaler Prozesse, Konflikte und Kämpfe immer wieder neu ausgehandelt und konstruiert (vgl. Woodward 1997, 46 ff.). Die Repräsentationen der Medien stellen Woodward zufolge Ideen zur Verfügung, wie die eigene Identität aussehen könnte und wie man sich selbst innerhalb des symbolischen, durch unterschiedliche Machtrelationen konstituierten Systems positioniert (und wie dies auch die anderen tun). Die Medien geben uns eine Vorstellung davon, was es bedeutet, eine bestimmte Subjektposition einzunehmen. Sie bieten die Möglichkeit der Identifikation oder der Ablehnung, sie stellen so etwas wie semiotische Räume zur Verfügung, innerhalb derer die eigene Identität in Relation zu anderen Identitäten gestellt werden kann (Hipfl 2004; Pirker 2009). Durch populäre Medien erfahren wir unter anderem, was es heute bedeutet, einer bestimmten sozialen Gruppe anzugehören, ein Mann oder eine Frau, schwarz oder weiß, groß oder klein, dick oder dünn, beruflich erfolgreich oder arbeitslos, lesbisch, schwul oder heterosexuell zu sein - und welche Identität legitim und anerkannt ist und welche nicht. Da Medien und deren Inhalte heute bereits in der Kindheit eine große Rolle spielen, werden sie häufig als Sozialisationsagenten bezeichnet. Lugo-Lugo/ Bloodsworth-Lugo (2009) haben zum Beispiel in ihrer Analyse von vier Disney-, Pixar- und Dreamworks-Kinderanimationsfilmen aufgezeigt, welche Normalisierungspraktiken in diesen Repräsentationen angewendet werden und wie hier ganz spezielle Vorstellungen von Rasse und Geschlecht erzeugt werden. (5) Die in der Gesellschaft vorherrschenden Vorstellungen von Rasse, Klasse und Geschlecht, die Vorstellungen darüber, was moralisch gut und richtig ist und darüber, was als natürlich und normal angesehen wird und was nicht, basieren auf vorherrschenden Diskursen und Ideologien. Der Bereich der Regulation im Modell <?page no="160"?> 161 Cultural-Studies-Theorien der Medien des kulturellen Kreislaufs verweist auf die Rolle der gesellschaftlichen Institutionen bei der Produktion kultureller Bedeutungen. Es geht hier um den Zusammenhang von Kultur und sozialen, politischen sowie ökonomischen Strukturen (siehe dazu auch Thompson 1997, 14). Einerseits reguliert Kultur die verschiedenen sozialen Praktiken und andererseits wird Kultur selbst durch die dahinter liegenden Ideologien reguliert (vgl. etwa Hall 1997a, 236). Die Prozesse der Regulation sind - wie alle anderen Bereiche des kulturellen Kreislaufs - ständigen Artikulationen, Re-Artikulationen sowie permanenten Veränderungen unterworfen. Das Modell des kulturellen Kreislaufs bietet zahlreiche Anschlussmöglichkeiten sowohl in der praktischen Arbeit (etwa im Bereich der kritischen Medienpädagogik, siehe Hipfl 2002) als auch als theoretischer und methodischer Rahmen für multiperspektivische Medienanalysen, wie sie zum Beispiel Scherer/ Jackson (2008) für das Sponsoring der »New Zealand All Blacks« durch Adidas vorgelegt haben. Ein multimethodologischer Zugang auf Basis des Konzepts des kulturellen Kreislaufs ermögliche den Studienautoren zufolge eine kritische Analyse medialer Produkte und biete damit einen Zugang zu einem umfassenden, kontextuellen Verständnis der Komplexitäten, Widersprüche und Machtrelationen von Kultur insgesamt (vgl. Scherer/ Jackson 2008, 521). Empirische Anwendungen Die Theorien der Cultural Studies finden zahlreiche empirische Anwendungen in den drei zentralen Bereichen der Medienwissenschaft: in der Medienproduktionsforschung, der Medientextforschung und der Medienrezeptionsforschung. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen beschränken die CS ihr Interesse nicht auf die Analyse der Hochkultur, wie etwa Nelson u. a. (1992, 4) betonen. Empirische CS-Ansätze vertreten die Ansicht, dass alle Formen der kulturellen Produktion in ihren Relationen zu anderen kulturellen Praktiken und zu sozialen und historischen Strukturen analysiert werden müssen. Die CS bedienen sich daher häufig der Kombination unterschiedlicher empirischer Methoden. Für die Analyse medialer Texte (zu denen sowohl Sprache als auch Bilder, Musik etc. gehören) empfehlen etwa Thwaites u. a. (2000) die Instrumentarien der Semiotik (  2.4 Zeichentheorien der Medien); Barker (2008) verweist statt vieler auf die Diskursanalyse. In der Produktions- und Rezeptionsforschung wird auf ›weiche‹ Methoden wie qualitative Interviews, Gruppendiskussionen oder teilnehmende Beobachtungen und deren Kombinationen zurückgegriffen (eine ausführliche Erklärung der Anwendung dieser Methoden in den CS findet sich z. B. bei Stokes 2003, 106 ff. und 129 ff.). Spätestens durch Morleys (1999) empirische Anwendung von Halls Encoding-Deco- <?page no="161"?> 162 Bettina Pirker ding-Modell im Bereich der Fernsehzuschauerforschung wurde die ethnographische Zuschauerforschung zu einer wichtigen Methode innerhalb der Cultural Studies. 3 Ang (1999) baut Morleys ethnographischen Zugang weiter aus und versucht, diesen in einen globalen Kontext zu stellen. Sie betont, dass eine kritische Zuschauer-Ethnographie, die »radikalen Empirismus und offenes Theoretisieren« verbinde (Ang 1999, 339), die beste Möglichkeit sei, um die Fragen nach lokaler und nationaler Identität sowie nach den damit verbundenen Konflikten innerhalb der durch transnationale Medienströme veränderten Strukturen zu klären (vgl. Ang 1999, 338 f.). Vertreter der CS sind oft Fans eines bestimmten Mediums oder medialen Genres und analysieren dann die ›eigene‹ Fankultur. Dabei wird häufig das ermächtigende und/ oder subversive Potenzial der aktiven Medienaneignung in den Mittelpunkt der Untersuchung gestellt. Im deutschsprachigen Raum beschäftigt sich zum Beispiel Lenzhofer (2006) mit den Frauenfiguren in aktuellen, vorwiegend aus den USA stammenden Fernsehserien wie »Gilmore Girls«, »Ally McBeal« oder »Buffy« und sieht in diesen Repräsentationen neue Weiblichkeitsentwürfe. Etwas kritischer widmet sich Bechdolf (1999) den »Re- und De-Konstruktionen« (so der Buchtitel) von Geschlecht im Musikfernsehen. Anhand der Umdeutung des Hexenbildes in der US-Fernsehserie »Charmed« zeigt Mutzl (2005) auf, wie Medien und Fangemeinschaften im Internet an der Veränderung von hegemonialen Diskursen beteiligt sein können. Jenkins (2006), der sich selbst explizit als Fan verortet, beschäftigt sich in seinen Arbeiten zu »Fans, bloggers, and gamers« (so sein Buchtitel) mit der partizipativen Kultur und äußert sich kritisch zur moralischen Panik davor, dass Computerspiele und andere Formen der Populärkultur Jugendliche an den Rand der Verdammnis führen würden. - 2008 widmete das »European Journal of Cultural Studies« ein ganzes Heft der Auseinandersetzung mit Computer- und Videospielen und einer Annäherung der CS an die Theorien der Spielforschung sowie der Game Studies (Nieborg/ Hermes 2008). Humphreys (2008) widmete sich in diesem Heft zum Beispiel den Regulierungsmechanismen in MMOGs (massively multiplayer online games); Pargman/ Jakobsson (2008) zeigten die Bedeutung von Computerspielen im Alltag der Spieler auf. Auch zu den Anwendungen des Web 2.0 gibt es bereits erste CS-Arbeiten. So hat sich zum Beispiel Beer (2008) mit der Frage nach den Implikationen des Web 3 Die qualitative Rezeptionsforschung müsse sich Morleys Ansicht zufolge zweier Herausforderungen in Bezug auf das Publikum stellen: »Erstens muß diese Zuschauerschaft als soziales und als semiologisches (kulturelles) Phänomen konstruiert werden. Zweitens gilt es, die Beziehungen zwischen den Zuschauern und dem Fernsehapparat in ihrer Vermitteltheit durch die Determinanten des Alltagslebens und durch das tägliche Verstricktsein der Zuschauer in all die anderen ihnen im Alltag begegnenden Kommunikationstechnologien zu erkennen.« (Morley 1999, 315) <?page no="162"?> 163 Cultural-Studies-Theorien der Medien 2.0 für die Musikkultur beschäftigt sowie mit der Bedeutung von Musik für die kollaborativen bzw. partizipatorischen Kulturen der »flickering friendships« (Beer 2008, 223) auf Social-Network-Seiten im Netz. Kritisch analysiert Gehl (2009) die Politische Ökonomie und die demokratischen Potenziale von Plattformen wie YouTube. Er stellt fest, dass in der so genannten Digitalen Ökonomie Arbeit immer noch eine große Rolle spielt, das Produktionsrisiko im Gegensatz zu klassischen Medien aber unter den Usern (die viel Kapital und Arbeitszeit investieren müssen, um teilhaben zu können) kollektiv aufgeteilt wird, während der akkumulierte Gewinn bei den Betreibern bleibt (Gehl 2009, 56). Fuchs (2009) geht von (neo-)marxistischen Theorien aus und führt den Begriff der »prosumer commodity« für die nun selbst produzierenden Konsumenten ein, deren Produktionsleistungen unentgeltlich erbracht und von den Betreibern von Seiten wie Flickr, MySpace oder Facebook bei den Werbetreibenden vermarktet werden. Ähnlich wie Hebdige (2008) am Beispiel der Punks die Vereinnahmung der Kreativität von Subkulturen durch die herrschende kapitalistische Klasse aufgezeigt hat, kann man derzeit nach Ansicht einiger Autoren in veränderter Form die Ausbeutung der Ideen und Aktivitäten von Usern im Web 2.0 beobachten. 2.5.4 Kritik und Weiterentwicklung Die Cultural Studies haben in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom im deutschsprachigen Raum erlebt und auch Einzug in die Medienwissenschaft gehalten. Die Betonung des aktiven Rezeptionsprozesses in Verbindung mit einer Reflexion der Machtverhältnisse sowie der Bedeutung von Ideologien und Diskursen für die Konstruktion von sozialer Identität ermöglicht ein besseres Verständnis des Zusammenhangs von Medien, Menschen, Politik und Kultur. Allerdings, so betont es auch Marchart (2008, 7), wird bisweilen alles, was sich in irgendeiner Art und Weise mit Kultur beschäftigt, unter dem Label Cultural Studies zusammengefasst. Die Begeisterung einiger Forscher der CS für die Populärkultur kann bei der Erforschung medienkultureller Phänomene einen vorteilhaften Innenblick auf von außen nicht einsehbare Mechanismen und Phänomene bieten, birgt aber auch die Gefahr einer unkritischen Überbetonung der Handlungsfähigkeit von Rezipienten sowie der Verkürzung der komplexen Zusammenhänge von Produktion, Repräsentation, Konsumtion, Identität und Regulation im oben skizzierten kulturellen Kreislauf. Obwohl sich die CS von Anfang an als kontextorientiertes Projekt verstanden haben, fokussieren manche Studien zu sehr nur einen Aspekt der kulturellen Bedeutungsproduktion, ohne diesen in einem größeren Zusammenhang kritisch zu beleuchten, was mitunter dazu führt, dass die Relevanz der Erkenntnisse dieser Arbeiten (nicht ganz zu Unrecht) hinterfragt wird. Mit Blick auf die Institutionali- <?page no="163"?> 164 Bettina Pirker sierung der CS innerhalb des US-amerikanischen Wissenschaftssystems kritisiert etwa Striphas das Verschwinden des Politischen, des Kritischen und des Intervenierenden aus den Cultural Studies und die Verwässerung des eigenen Anspruchs an das Projekt: »Assuming that the publishing industry is a key site in which cultural studies gets negotiated and defined, I ask: what are the politics of publishing cultural studies? I argue that the demands of contemporary university life and current publishing practices potentially lend themselves to a banal and depoliticized, or worse yet a politically retrograde, ›global‹ cultural studies, in which the important work of many scholars working outside the field’s Anglophone centers ironically becomes marginalized.« (Striphas 2002, 438) Gerade für die deutschsprachigen Cultural Studies bietet Kellners Ansatz einer Verbindung der britischen CS mit den Theorien der Frankfurter Schule (siehe Kellner 1999, 357) eine sehr gute Möglichkeit, eine multiperspektivische Medienforschung zu betreiben und sich den aktuellen Herausforderungen und Fragen zum Beispiel zu veränderten Identitätskonstruktionen und Zugehörigkeiten in Netzmedien, zu globalen und lokalen politischen und rechtlichen Regulierungsmechanismen, zu Wissens- und Machtrelationen sowie zu Konvergenzen von Medien und Produktions-/ Konsumtionsbedingungen angemessen und kritisch stellen zu können. 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Wie unterscheiden sich die Subjekt(ivitäts)begriffe in den Cultural Studies und im Konstruktivismus? 7. Versuchen Sie, je ein zentrales Werk der Cultural Studies den vier »Momenten« nach Rojek zuzuordnen und begründen Sie Ihre Einordnung. 8. Versuchen Sie in Anwendung der Cultural Studies in Grundzügen eine mögliche Theorie der Rezeption boulevardformatiger Medien zu skizzieren. <?page no="169"?> 170 2.6 Konstruktivistische Medientheorien Stefan Weber Die folgenden Überlegungen beschäftigen sich mit dem Einfluss des konstruktivistischen Diskurses auf Theoriebildung und Empirie der Medien- und Kommunikationswissenschaft. 1 Zunächst wird in einem kurzen Abriss die Theoriegeschichte des Konstruktivismus skizziert - philosophie- und geistesgeschichtlich, naturwissenschaftlich (v.a. neurobiologisch) und auch medientheoretisch. Dabei wird gezeigt, dass der Konstruktivismus als philosophische Position durchaus auf eine Jahrhunderte währende Tradition verweist, seine Anwendung in der Medienwissenschaft jedoch erst eine Errungenschaft der vergangenen Jahre ist. Dann werden die Grundbegriffe des medientheoretischen Konstruktivismus in seinen unterschiedlichen Spielarten erläutert sowie konstruktivistische Modellierungen des Zusammenhangs von Medien, Kultur, Kognition und Kommunikation vorgestellt. Der konkreten Anwendung in der Medienwissenschaft (anhand von ausgewählten Problemfeldern) ist ein eigener Unterabschnitt gewidmet. Schließlich werden kritische Überlegungen zum Konstruktivismus entwickelt und Zukunftsoptionen der weiteren Ausdifferenzierung bzw. Modifikation des konstruktivistischen Diskurses vorgestellt. 2.6.1 Kurze Geschichte des Konstruktivismus Konstruktivistisches Denken ist keine Erfindung unserer Tage. Die gesamte abendländische philosophische Tradition beschäftigte die Frage, ob die Außenwelt, die Realität ›da draußen‹ bereits unabhängig von uns gegeben ist oder ob sie vielmehr erst durch unsere Sinneswahrnehmungen erzeugt wird. Positionen, die die Existenz einer materiellen, real existierenden Außenwelt behaupten, heißen in der Philosophie traditionell ontologische Positionen. Realismus, Materialismus oder auch Essentialismus wären derartige Positionen. Der Realismus etwa behauptet die prinzipielle Existenz und Erkennbarkeit einer realen Außenwelt. Innerhalb des Realismus findet man verschiedene Strömungen - wie etwa den naiven Realismus, der eine prinzipielle Deckungsgleichheit (= Isomorphie) von erkannter und realer Welt be- 1 Zum Einfluss des Konstruktivismus auf die Medienwissenschaft vgl. auch einführend Großmann 1999, weiter Weber 2002a sowie zuletzt Thiele 2008. <?page no="170"?> 171 Konstruktivistische Medientheorien hauptet, den hypothetischen Realismus, der das Passen der erkannten Welt in die reale untersucht oder den internen Realismus u. a. Im Gegensatz zu realistischen, materialistischen oder essentialistischen Strömungen gab es in der Philosophiegeschichte immer auch Positionen, die behaupteten, unsere Außenwelt sei nicht vorgegeben und werde von uns auch nicht sukzessive entdeckt bzw. enthüllt, sondern sie werde vielmehr von uns, unserer Sprache und unseren Wahrnehmungen, erzeugt bzw. erst aufgebaut. Diese Positionen interessieren sich nicht für das Wesen der Dinge, sondern für den Akt des Erkennens: Was-Fragen werden durch Wie-Fragen ersetzt, es geht nicht um das Sein, sondern um das Werden von etwas. Solche Denkbewegungen sind epistemologische Positionen, sie treten auf im Gewand des Konstruktivismus, Idealismus oder auch Nominalismus. Der Konstruktivismus als philosophische Position, die sich explizit so nennt, taucht erst in den vergangenen Jahrzehnten auf, wenngleich zeitgenössische konstruktivistische Philosophen wie etwa Ernst von Glasersfeld gerne eine lange philosophische Ahnenreihe konstruktivistischen Denkens skizzieren: Zu denken wäre an die Vorsokratiker, an Kant, Vico, Berkeley und Schopenhauer, aber auch an Bentham und Vaihinger. Die Idee einer Konstruiertheit unserer Welt findet man in unterschiedlichen Formen bei all diesen Denkern. Gebündelt ausformuliert und auf eine empirische Basis gebracht wurde dieses Grundtheorem jedoch erst in den vergangenen Jahrzehnten durch eine Reihe von Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen: 2 • Der Psychotherapeut Paul Watzlawick (vgl. Watzlawick/ Beavin/ Jackson 1969) lieferte mit seiner systemischen Kommunikationstheorie und seinem generalisierenden Kommunikationsbegriff (man könne »nicht nicht kommunizieren«, ebenda, 51) eine wichtige Basis für spätere konstruktivistische kommunikationstheoretische wie psychotherapeutische Ansätze. • Der Biokybernetiker Gregory Bateson (vgl. Bateson 1981) steuerte mit seiner Modellierung von Information als doppelte Differenz 3 ein wesentliches Fundament für eine spätere konstruktivistische Konzeption des Informationsbegriffs bei. • Der Kybernetiker Heinz von Foerster (vgl. die Aufsatzsammlung Foerster 1993) hat die Entwicklung des Konstruktivismus ebenso maßgeblich beeinflusst, ob- 2 Den wohl profundesten Standardüberblick über die grundlegenden (radikal-)konstruktivistischen Positionen von Maturana, Varela, von Glasersfeld, von Foerster u. a. bietet Schmidt 1987. Des Weiteren sei auf die folgenden Sammelbände verwiesen, die sich jeweils mit der interdisziplinären Bandbreite konstruktivistischen Denkens befassen: Watzlawick/ Krieg 1991, Fischer 1995, Fischer/ Schmidt 2000 und Pörksen 2001. Eine gute monographische Einführung in die konstruktivistische Philosophie stellt Jensen 1999 dar. 3 Bei Bateson heißt es: »Der terminus technicus ›Information‹ kann vorläufig als irgendein Unterschied, der bei einem späteren Ereignis einen Unterschied ausmacht, definiert werden.« (Bateson 1981, 488; Hervorh. im Orig.) <?page no="171"?> 172 Stefan Weber wohl er sich selbst nicht als Konstruktivisten bezeichnen würde. Seine Kybernetik zweiter Ordnung (Kybernetik der Kybernetik, d. h. Lehre von der Steuerung und Regelung beobachtender anstelle von beobachteter Systeme) lenkte das Interesse vom Forschungsgegenstand zum Analyseinstrumentarium und wurde damit zu einer wesentlichen Wurzel des späteren Konstruktivismus. - Heinz von Foerster und Paul Watzlawick verbindet auch die (radikal-konstruktivistische) Idee, dass die Umwelt 4 von uns nicht entdeckt, sondern erfunden werde. • Der Bio-Epistemologe Humberto R. Maturana (vgl. die Aufsatzsammlung Maturana 1982) gilt für viele als wichtigster Begründer und Vertreter des Konstruktivismus. Maturana hat - aufbauend auf Laborversuchen zur Farbwahrnehmung - in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine biologische Theorie des Erkennens als interne Selbstorganisation des Nervensystems sowie des Gehirns entworfen. Maturana versteht Kognition (= Erkennen) nicht als Abbildung einer Außenwelt, sondern als aktiven Aufbau einer Welt ohne Original im Nervensystem. Diese Sichtweise hat dann bei Maturana Konsequenzen auch für unser Verständnis von Sprache, Kommunikation, Wissenschaft und Realität. »Als autopoietische [= sich selbst reproduzierende, Anm. d. Verf.], geschlossene, strukturdeterminierte Systeme haben wir keinerlei Möglichkeit, irgendeine kognitive Aussage über eine absolute Realität zu machen. Jede Aussage, die wir machen, ist eine Aussage mit Hilfe unserer Sprache und gehört somit zu einem konsensuellen Bereich. Jedes Wertesystem, jede Ideologie, jede Beschreibung ist eine Operation in einem Konsensbereich, deren Gültigkeit nur durch jene hergestellt wird, die sie durch ihr konsensuelles Verhalten validieren [= für gültig erklären, Anm. d. Verf.].« (Maturana 1982, 29 f.) • Der Neurobiologe Gerhard Roth (siehe grundlegend Roth 1994) hat als einer der ersten deutschsprachigen Naturwissenschaftler die Erkenntnisse Maturanas in Bezug auf die operationale Geschlossenheit des Nervensystems und die autopoietische Organisation lebender Systeme auf das Gehirn übertragen. Roth zufolge konstruiert auch das (reale) Gehirn seine Wirklichkeit, die grundlegend durch eine Differenzierung in Ich-Welt, Körper-Welt und Um-Welt gekennzeichnet ist. 5 Spezifische Arbeitsweisen des Gehirns wie etwa die parallel-distributive Informationsverarbeitung (die Einheit eines Wahrnehmungsobjekts ist das Ergebnis der Tätigkeit ganz unterschiedlicher Hirnareale) lassen für Roth 4 Heinz von Foerster bemerkt: »Die Umwelt enthält keine Information. Die Umwelt ist, wie sie ist.« (Foerster 1993, 102) Freilich werden findige Philosophen nun (zu Recht) einwenden, woher von Foerster das so genau wissen könne, wenn dem ›wirklich‹ so sei. 5 Dazu präzisiert Gerhard Roth, »daß die Wirklichkeit und ihre Gliederung in drei Bereiche ein Konstrukt des Gehirns ist, und zwar ein Konstrukt, in dem die physiologisch-neuronalen Prozesse des Gehirns, die den mentalen Zuständen zugrunde liegen, nicht vorkommen. […] Daß die Wirklichkeit ein Konstrukt ist, läßt sich empirisch gut nachweisen.« (Roth 1994, 281) <?page no="172"?> 173 Konstruktivistische Medientheorien den Schluss zu, dass nicht das Ich oder das Bewusstsein, sondern eben das Gehirn ›Mutter‹ aller Wirklichkeitskonstruktionen ist. Gerhard Roth vertritt also - mit anderen Fachkollegen wie etwa Wolf Singer - einen neurobiologischen Konstruktivismus. • Dagegen hat der Philosoph Ernst von Glasersfeld einen philosophischen Konstruktivismus, den sogenannten Radikalen Konstruktivismus entwickelt (vgl. grundlegend Glasersfeld 1996). Dieser stützt und beruft sich zwar auf naturwissenschaftliche Thesen und Modellierungen von Foerster, Maturana u. a., ist jedoch philosophisch stringenter, weil er darum bemüht ist, den Konstruktivismus philosophiegeschichtlich zu platzieren. Der Radikale Konstruktivismus Ernst von Glasersfelds leugnet zwar keine absolute Realität, behauptet aber, dass wir sie niemals erkennen können. Unsere Wirklichkeiten sind unsere Konstruktionen - und das ist alles. • Es wären noch weitere wichtige Wurzeln des Konstruktivismus zu erwähnen: Etwa die genetische Epistemologie von Jean Piaget, die sich mit der ontogenetischen Konstruktion von Wirklichkeit befasst oder aber auch die allgemeine Systemtheorie. Letztere wird jedoch in einem eigenen Theorie-Abschnitt (  2.7 Systemtheorien der Medien) ausführlich dargestellt. Die bislang erwähnten Wurzeln und Spielarten des Konstruktivismus lassen sich grob unterscheiden in naturwissenschaftliche (Watzlawick, Bateson, Maturana, von Foerster und Roth) und geisteswissenschaftliche (Glasersfeld) Konstruktivismen. Man könnte auch von ›naturalistischen‹ und ›kulturalistischen‹ Konstruktivismen sprechen (vgl. Weber 2002a, 23 f.). Die exakte Grenzziehung ist freilich kaum möglich. So kommt etwa Maturana aus der Biologie, trifft aber sehr wohl Schlussfolgerungen für Sprache, Kommunikation und Kultur. Gerhard Roth ist Hirnforscher, aber beschäftigt sich mit philosophischen Fragen zur Realität. Und Ernst von Glasersfeld ist umgekehrt Philosoph, der aber zur Stützung seiner Argumente immer wieder Erkenntnisse aus der Psychologie benutzt. Zu ergänzen wäre das Feld der bislang vorgestellten Konstruktivismen um zahlreiche weitere Konstruktivismen im philosophischen und kulturalistischen Umfeld: etwa vom Erlanger bis zum Siegener Konstruktivismus, vom konstruktivistischen Kulturalismus (Peter Janich) bis zum medien- und soziokulturellen Konstruktivismus (Siegfried J. Schmidt). Da insbesondere medienkulturelle Konstruktivismen in den nächsten Abschnitten noch genauer vorgestellt werden, genügt hier zunächst lediglich ihre Erwähnung. <?page no="173"?> 174 Stefan Weber 2.6.2 Grundbegriffe und Modelle des Konstruktivismus Was ist die forschungsleitende Frage des Konstruktivismus? Ganz allgemein geht es um das Problem, wie eine Instanz (die im Konstruktivismus in der Regel als ›Beobachter‹ bezeichnet wird) eine Wirklichkeit sui generis erzeugt, die nicht als Abbildung einer realen, schon vorab existierenden Außenwelt begriffen werden kann. Die Grundbegriffe des Konstruktivismus sind folglich zunächst: Beobachter, Wirklichkeit versus Realität, Konstruktion. In weiterer Folge wären zu nennen: Autopoiesis, Autokonstitution, strukturelle Kopplung, operationale Geschlossenheit, semantische Selbstreferentialität, Viabilität. • Ein Beobachter ist im Konstruktivismus (zumindest seit Maturana) jedes lebende und erkennende System, also gemeinhin jeder ›Mensch‹. Obwohl in seiner theoretischen Ausrichtung individuenzentriert, vermeidet der Konstruktivismus in der Regel die ›Mensch-Semantik‹. Die Rede ist dann etwa vom ›kognitiven System‹ (H. R. Maturana) oder vom ›Aktanten‹ (S. J. Schmidt). Wichtig erscheint hierbei der systemische Aspekt: das Subjekt als operational geschlossene Menge von relationierten Elementen (siehe zum System-Begriff genauer  2.7 Systemtheorien der Medien). • In manchen Spielarten des Konstruktivismus (etwa bei Ernst von Glasersfeld oder Gerhard Roth) wird zwischen Wirklichkeit und Realität unterschieden. Dabei wird Wirklichkeit als jene phänomenale Welt definiert, die von uns erzeugt wird, und Realität als das unerkennbare Jenseits dieser Wirklichkeitskonstruktionen, das nicht geleugnet wird. Es gibt innerhalb des Konstruktivismus eine breite Diskussion darüber, ob dieses Konzept der ›Realität‹ philosophisch konsistent ist oder nicht. So beharrt etwa der philosophische Radikale Konstruktivismus Ernst von Glasersfelds auf dieser Unterscheidung, während sie vom soziokulturellen Konstruktivismus Siegfried J. Schmidts (vgl. etwa Schmidt 1998, 16 ff.) sukzessive problematisiert und de-ontologisiert wird. • Der Begriff Konstruktion bzw. Wirklichkeitskonstruktion nimmt eine zentrale Stellung im konstruktivistischen Denken ein. Gemeinhin bzw. alltagssprachlich wird unter Konstruktion so etwas wie ein planmäßiges Entwerfen verstanden - man denke etwa an Entwurfsprozesse in der Kunst oder der Architektur. Im konstruktivistischen Diskurs wird unter Konstruktion jedoch zumeist gerade nicht das planerische, absichtliche bzw. intentionale Entwerfen einer Wirklichkeit, sondern vielmehr das unbewusste, implizit ablaufende Erzeugen ebendieser verstanden. Wichtig erscheint hierbei, dass diese Fokussierung auf das unbewusste Konstruieren so gut wie alle beobachteten Konstruktionsinstanzen betrifft: das Gehirn wie die Kultur, das ›kognitive System‹ wie die Medien. Aus aktantenorientierter Sicht schreibt Siegfried J. Schmidt: »Wirklichkeitskonstruktion ist zurechenbar an Individuen als empirische Orte dieser Konstruktion; aber sie erfolgt keinesfalls in subjektiver Willkür, sondern <?page no="174"?> 175 Konstruktivistische Medientheorien kann allgemein bestimmt werden als gesellschaftliche Sinnproduktion im Individuum.« (Schmidt 1993, 107) Konstruktion meint im streng konstruktivistischen Sinne also keine Verfahren der bewussten Erzeugung von Wirklichkeit. Es gehe dann etwa auch im journalismuswissenschaftlichen Kontext nicht um »die bewußte Manipulation von Sachverhalten« oder die »Erfindung spektakulärer Ereignisse bzw. Verfälschung von Tatsachen« (Rusch 1999a, 9 - vgl. auch jüngst Pörksen 2009). Diese Differenz erscheint wesentlich, wenn es um die Übertragung konstruktivistischer Überlegungen auf Kommunikationsprozesse oder die Massenmedien geht. Der Konstruktivismus beschäftigt sich also mit jener Konstruktivität, die uns oft gar nicht bewusst wird, die latent abläuft - sowohl neurobiologisch wie auch kulturell. Konstruktion, so lautet die wahrscheinlich allgemeinste Definition, meint dann jegliche Form kognitiv-sozialen Operierens. • Autopoiesis, strukturelle Kopplung und operationale Geschlossenheit sind drei Konzepte aus der Bio-Epistemologie H. R. Maturanas. Da sie auch in der Systemtheorie eine prominente Stellung einnehmen, werden sie im Kapitel zur Systemtheorie ausführlich erklärt (  2.7 Systemtheorien der Medien). Hier genügt der Hinweis, dass Autopoiesis als Kriterium für lebende Systeme so viel wie Selbstreproduktion von eigenen Elementen aus eigenen Elementen meint, wobei der Modus dieser Selbstreproduktion über (a) eine operationale Schließung des Systems gegenüber der Umwelt und (b) eine strukturelle Kopplung des Systems mit der Umwelt erfolgt. Autopoietische Systeme sind somit geschlossen (sie haben eine Systemgrenze) und offen zugleich (im Sinne ihrer Kopplung mit der Umwelt). Im Rahmen der Systemtheorie kommt es zur expliziten Übertragung dieser Sichtweise von lebenden Systemen auf soziale Systeme, im Konstruktivismus spielt lediglich die Metapher der ›strukturellen Kopplung‹ (etwa von Kognition und Kommunikation) eine wichtige Rolle. • Der konstruktivistische Diskurs ist auch bemüht, Vorstellungen aus dem Realismus und Kritischen Rationalismus über Sinn und Wert von Erkenntnis abzulösen bzw. zumindest zu relativieren: Anstelle von Verifikation oder Falsifikation von Wissen verwendet der Konstruktivismus die Konzepte Viabilität (bei Ernst von Glasersfeld, übersetzbar mit ›Gangbarkeit‹) und Validierung (bei Humberto R. Maturana, übersetzbar mit ›Gültigkeitserklärung‹). So wird etwa ausgeschlossen, dass man jemals mit Sicherheit sagen könne, ob Wissen mit realen Sachverhalten übereinstimme oder auch nur adäquat sei - vielmehr erweise sich Wissen als viabel oder nicht, in einem durchaus lebenspragmatischen Sinne. Wissenschaftliche Erklärungen können überdies weder an der Realität <?page no="175"?> 176 Stefan Weber scheitern noch durch diese bestätigt werden, sondern sie werden - laut Maturana - durch wissenschaftsinterne Verfahren für gültig (d. h. valide) erklärt. 6 Neben der Einführung neuer Begriffe war der Konstruktivismus auch bemüht, den Erkenntnisprozess per se aus konstruktivistischer Sicht neu zu modellieren. Zwei Modelle sollen im Folgenden kurz dargestellt werden: • Der Neurobiologe Gerhard Roth hat ein Modell der Erkenntnis entworfen, in dem das reale Gehirn eine Wirklichkeit erzeugt, die sich in drei Welten, nämlich Ich-Welt, Körper-Welt und Um-Welt differenziert. Erkenntnistheoretisch problematisch ist dabei allerdings die ›Verlagerung‹ der Konstruktionsinstanz Gehirn in die (unerkennbare) Realität. • In einer Abkehr von neurobiologischen und letztlich dualistischen Modellierungen hat der Medienkulturwissenschaftler Siegfried J. Schmidt in den neunziger Jahren ein Modell entwickelt, das gleichsam forschungsleitend für viele konstruktivistische Anschlussüberlegungen wurde: Schmidt bestimmt Wirklichkeitskonstruktion als autokonstitutiven (= sich selbst tragenden und bestimmenden) Kreislauf von vier (abstrakt angenommenen) Instanzen, nämlich von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur (vgl. grundlegend Schmidt 1994; in der Folge viele Ausdifferenzierungen). Dabei meinen ›Kognition‹ und ›Kommunikation‹ gemeinhin das, was unter den Begriff ›Mensch-Semantik‹ fällt, Medien und Kultur sind vergleichbar mit den sozialen Umwelten. Schmidts allgemeine These ist jene, dass Kognition (›Denken‹) und Kommunikation (›Sprechen‹, allgemeiner: Mitteilen) immer kategorial voneinander getrennt ablaufen (die Innenwelt des Mitdenkens ist nie direkt kommunizierbar) und Aktanten deshalb darauf angewiesen sind, dass die beiden getrennten Sphären zusammengebracht werden (vgl. auch Feilke/ Schmidt 1995): Dies geschehe gemäß Schmidt, indem Medien und Kultur Kognition und Kommunikation strukturell verkoppeln. 7 ›Kultur‹ wird dabei sehr allgemein bestimmt als Programm für Verhalten, als Programm für die Interpretation eines (immer binären) Wirklichkeitsmodells einer Gesellschaft (vgl. Schmidt 1995, 31 ff.). Ähnlich breit werden auch ›Medien‹ bestimmt. Die folgende Differenzierung ist zentral für medienkulturelle konstruktivistische Theoriebildung - Siegfried J. Schmidt fasst unter ›Medien‹: 6 Kritiker des Konstruktivismus sehen in diesen Sichtweisen einen Aufruf zur haltlosen Beliebigkeit und eine Huldigung des grenzenlosen Relativismus. 7 Siegfried J. Schmidt präzisiert: »Meine generelle These lautet daher: Die autonomen Bereiche Kognition und Kommunikation werden unter Aufrechterhaltung ihrer Autonomie strukturell gekoppelt durch Medienangebote, weil sich die Aktanten in allen drei Bereichen in hinreichend vergleichbarer Weise auf die symbolischen Ordnungen beziehen, die ich ›Kultur‹ nenne.« (Schmidt 1995, 31; Hervorhebung im Original) <?page no="176"?> 177 Konstruktivistische Medientheorien »• semiotische Kommunikationsinstrumente (z. B. natürliche Sprachen) • Materialien der Kommunikation (z. B. Zeitungen) • technische Mittel zur Herstellung und Verbreitung von Medienangeboten (z. B. Computer oder Kameras) • soziale Organisationen zur Herstellung und Verbreitung von Medienangeboten (z. B. Verlage oder Rundfunkanstalten, samt ihren ökonomischen, juristischen, sozialen und politischen Handlungsvoraussetzungen) • schließlich die Medienangebote selbst (also Zeitungsartikel, Rundfunk- und Fernsehsendungen usw.)« (Schmidt 1996, 3) Siegfried J. Schmidts Modell der zirkulären Wirklichkeitskonstruktion im Kreislauf von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur gilt bis heute als Standardmodell des soziokulturellen bzw. medienkulturellen Konstruktivismus. 8 Es kann auch als alternatives Modell zu Niklas Luhmanns Typologie sozialer Systeme (Maschinen, Organismen, psychische Systeme und soziale Systeme) gelesen werden (  2.7 Systemtheorien der Medien), wobei das konstruktivistische Modell trotz seines Abstraktionsgrades unter Umständen sogar operationalisierbarer und empirisierbarer erscheint. S. J. Schmidt fasst die Kernaussage seiner konstruktivistischen Position selbst wie folgt zusammen: »[…] Wirklichkeitskonstruktionen von Aktanten sind subjektgebunden, aber nicht subjektiv im Sinne von willkürlich, intentional oder relativistisch. Und zwar deshalb, weil die Individuen bei ihren Wirklichkeitskonstruktionen im geschilderten Sinne immer schon zu spät kommen: Alles, was bewußt wird, setzt vom Bewußtsein aus unerreichbare neuronale Aktivitäten voraus; alles, was gesagt wird, setzt bereits das unbewußt erworbene Beherrschen einer Sprache voraus; worüber in welcher Weise und mit welchen Effekten gesprochen wird, all das setzt gesellschaftlich geregelte und kulturell programmierte Diskurse in sozialen Systemen voraus. Insofern organisieren diese Prozesse der Wirklichkeitskonstruktion sich selbst und erzeugen dadurch ihre eigenen Ordnungen der Wirklichkeit(en).« (Schmidt 2000, 47 f.) 8 Alternative Kommunikationsmodelle kognitiver Systeme wurden etwa im Rahmen des Siegener Konstruktivismus auch von Gebhard Rusch entwickelt, vgl. Rusch 1999b. <?page no="177"?> 178 Stefan Weber 2.6.3 Anwendungen in der Medienwissenschaft Theoretische Anwendungen Konstruktivistische Theoriebemühungen in der Medienwissenschaft verstehen sich zumeist als grundlegende Alternativen zum (vorherrschenden) Realismus im Fachbereich. Realismus und Konstruktivismus treten also, wie im Abriss zur Kurzgeschichte geschildert, in den meisten Fällen als zwei unterschiedliche Denkrichtungen bzw. Denklogiken auf, was das Verhältnis von Medien/ Journalismus hier und Wirklichkeit/ Realität dort anbelangt. Traditionelle realistische Modelle von Medien und Journalismus gehen tendenziell von einer Wirklichkeit aus, die auf die Medien einströmt und von diesen dann an die Rezipienten (selektiert/ gefärbt/ ›biased‹) weitergegeben wird. Der Konstruktivismus stellt diese Denkrichtung auf den Kopf bzw. kehrt sie um: Die Rezipienten konstruieren sich aktiv aus den Medienwirklichkeiten ihre Rezipientenwirklichkeiten (analog zum Uses-and- Gratifications-Ansatz wie auch zu den Cultural Studies,  2.5 Cultural-Studies- Theorien der Medien), und die Medien erzeugen erst Wirklichkeiten, indem sie publizieren. Realistische Modelle wie etwa die Nachrichtenwert-Theorie oder auch der Gatekeeper-Ansatz hingegen beschreiben eine außermediale Wirklichkeit, aus der nach gewissen Prioritäten selektiert wird - etwa gemäß der Nachrichtenfaktoren bzw. -werte. Blicken wir nun konkreter auf theoretische Anwendungen des Konstruktivismus im Bereich der Medien- und Kommunikationswissenschaft, so macht es Sinn, die Bereiche (primär interpersonelle) Kommunikation, Journalismus und Massenmedien zu differenzieren. • Im Bereich der interpersonellen Kommunikation schlägt der Konstruktivismus eine Abkehr vom Containerbzw. Transportmodell von Information vor. Information werde nicht von Kommunikator A zu Kommunikator B gleichsam als ›Informationspaket‹ transportiert, sie werde nicht einmal re-konstruiert, sondern vielmehr jeweils vom Kommunikator nach internen Regeln, biologischer Konditionierung und kultureller Einbettung erst erzeugt. Es sei, so ein Theorem des Konstruktivismus, immer der Empfänger, der den Wert einer Botschaft bestimme. 9 Konkrete Modellierungsversuche eines konstruktivistischen Modells der interpersonellen Kommunikation stammen von Klaus Krippendorff (vgl. Krippendorff 1993, 30 ff.). Seine Leitbegriffe für eine konstruktivistische Revision von Kommunikations- und Verstehensprozessen sind Autopoiesis, Rekursion (= Rückbezüglichkeit) und insbesondere Wirklichkeitskonstruktion. 9 Darauf baut eine wichtige ethische Debatte auf, inwieweit der Konstruktivismus dann den Sender von seiner Verantwortung freispricht. <?page no="178"?> 179 Konstruktivistische Medientheorien • Im Bereich der Journalistik hat vor allem Siegfried Weischenberg an einer konstruktivistischen Journalismustheorie gearbeitet (zur Positionierung dieses Ansatzes vgl. Pörksen 2000 sowie Pörksen/ Loosen/ Scholl 2008). Für Weischenberg geht der Realismus von folgenden Annahmen aus: »Dazu [zum Realismus, Anm. d. Verf.] gehören der Glaube an allmächtige Medien, der pauschale Vorwurf der Manipulation durch Medien, das Beharren auf der Existenz von Falsifikationsmaßstäben für Medienrealität, der Rekurs auf ontologische Gewißheiten und damit auf absolute Bezugspunkte für die Beurteilung von Medienkommunikation. Der Konstruktivismus setzt diesen Vorstellungen (hier gewiß ganz radikal) entgegen: die Subjektabhängigkeit der Wirklichkeitskonstruktion, die kognitive Nichtzugänglichkeit von Realität aufgrund der operativen Geschlossenheit des Gehirns und eine Verantwortungsethik anstelle von Wahrheit oder Realität als Handlungsmaßstab. Für den Journalismus bedeutet dies u. a., daß nicht die Ereignisse verantwortlich sind für die Berichterstattung, sondern die Journalistinnen und Journalisten, welche Medienangebote produzieren.« (Weischenberg 1995, 47) • Weber (1999) hat versucht, Realismus und Konstruktivismus als zwei Denkrichtungen in der Journalistik gegenüberzustellen. Das »realistische Modell der Nachrichtenselektion« (ebenda, 205 ff.) geht von einer Menge an Ereignissen aus, die in der Summe die Wirklichkeit darstellen und die von den Medien (bzw. dem Journalismus) nach gewissen Regeln und Prozeduren selektiert werden. Die daraus resultierenden Nachrichten werden an eine disperse Masse von Rezipienten vermittelt. Das »konstruktivistische Modell der Nachrichtenkonstruktion« (ebenda, 208 ff.) hingegen geht vom einzelnen Rezipienten, vom Aktanten als empirischen Ort der Wirklichkeitskonstruktion (im Sinne S. J. Schmidts) aus und untersucht dessen (selektiv-konstruktive) Hinwendung zu Medienangeboten. In journalistischen Systemen ist es erneut der einzelne Journalist als Aktant, der Wirklichkeiten konstruiert und damit Objektivität erst entstehen lässt. Wirklichkeiten als Ereignismengen entstehen somit erst aus den Operationsweisen von Aktanten - auf Seiten der professionellen Kommunikatoren wie auf Seiten der Rezipienten. • Während Weischenberg Realismus und Konstruktivismus als diametrale, unvereinbare Gegensätze behandelt und klar für den Konstruktivismus optiert, lässt Weber in seiner Argumentation beide Modelle jeweils situativ-empirisch gelten und schlägt in der Folge ein »situatives Modell der Nachrichtenproduktion« vor (Weber 1999, 210 ff.), das die Denkrichtungen des Realismus und des Konstruktivismus vereinen soll. • Für die Massenmedien als Ganzes bzw. für Theorien der Medienwirkung sind vor allem die Arbeiten von Klaus Merten zu nennen - wie etwa zur Reflexivität der ›Öffentlichen Meinung‹ als Erweiterung der Theorie der Schweigespirale, vor <?page no="179"?> 180 Stefan Weber allem aber zur multifaktoriellen Medienwirkung. In Abkehr von Stimulus-Response-Modellen der Medienwirkung (den sog. ›Kanonentheorien‹) hat Merten ein konstruktivistisches ›oktamodales 10 Medienwirkungsmodell‹ (Merten 1995, 17 ff.; erweitert Merten 1999, 392 ff.) entwickelt, das nicht nur die Reflexivität von Wirkungen berücksichtigt (Wirkungen verändern Wirkungen), sondern auch die Abhängigkeit der Medienwirkungen von kontextuellen Einbettungen. Interner und externer Kontext finden sich in diesem transklassischen Wirkungsmodell in gleicher Weise berücksichtigt wie der mediale Stimulus selbst. • Das konstruktivistische Denken hat mittlerweile auch die theoretische Forschung zu Werbung und PR inspiriert. So kann etwa Public Relations konstruktivistisch definiert werden als »Prozeß intentionaler und kontingenter Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten durch Konstruktion viabler Images in der Öffentlichkeit« (Merten 1995, 13; vgl. auch ausführlicher Merten/ Westerbarkey 1994). Bei dieser Definition zeigt sich allerdings bereits, dass der orthodoxe Konstruktivismus suspendiert wird: Konstruktion bezieht sich hier nun auch auf intentionale und nicht bloß unabsichtliche, unwillkürliche Prozesse. • Schließlich ist auf die Nützlichkeit konstruktivistischer Theoriebildung für die Analyse der neuen Medien Internet, VR und Multimedia zu verweisen (vgl. etwa diverse Beiträge in Krämer 1998). - Auch Gianni Vattimo und Wolfgang Welsch schreiben: »Die Funktion der Medien hat sich in den letzten Jahrzehnten von der Wirklichkeitsvermittlung zur Wirklichkeitsprägung gewandelt. Der Bit Bang des World Wide Web und die weltweite Konjunktur des Internet haben diesen Funktionswandel unübersehbar gemacht. Zudem sollen die Simulationstechnologien der Virtual Reality es schon bald ermöglichen, sich mit Hilfe von Datenanzügen und Datenhelmen in den digital erzeugten Welten des Computers wie in realen Landschaften zu bewegen, wodurch der konstruktivistische, wirklichkeitsgestaltende Charakter der Medien noch weiter zugespitzt wird.« (Vattimo/ Welsch 1998, 7) • Freilich ist darauf hinzuweisen, dass auch hier von einer graduellen Vorstellung von Konstruktivität ausgegangen wird, die von erkenntnistheoretischen Aussagen zur Wirklichkeitskonstruktion ›an sich‹ unterschieden werden müsste. 11 10 Oktamodal = von acht Modalitäten ausgehend. 11 Zu dieser Problematik - vor allem in Bezug auf neue Medien wie das Netz - vgl. auch Weber 2001. Eine Anwendung des schmidtschen Modells von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur auf Netzkommunikationen, -medien und -kulturen findet sich ebendort, 34 ff. <?page no="180"?> 181 Konstruktivistische Medientheorien Empirische Anwendungen Realistische Medienwissenschaft im Allgemeinen und realistische Journalistik im Besonderen eint der Versuch, empirisch Medienrealität mit der Realität ›da draußen‹ zu vergleichen und dementsprechend Verzerrungen bzw. Verfälschungen (im Sinne von Über- oder Untertreibungen) der Medien festzustellen. Wiewohl die Realität ›da draußen‹ nicht direkt zugänglich ist, so gibt es doch Realitätsindikatoren, die auf sie hinweisen: wie etwa offizielle Statistiken von Polizei oder Behörden usw. Eine typische, dem realistischen Forschungsgeist entsprechende Untersuchung vergleicht dann etwa forschungsmethodologisch die Entwicklung der Berichterstattung über Aids-Tote mit der ›faktischen‹ Entwicklung der Anzahl an Aids-Toten (vgl. etwa paradigmatisch Kepplinger/ Habermeier 1995). Auch im Bereich der Messung der Medienwirkung gibt es zahllose methodische Settings, die nach realistischer Strickart gebaut sind und somit in der Regel immer schon Ergebnisse liefern, die der Intuition und dem Common sense entsprechen. Konstruktivistische empirische Medienforschung ersetzt den Vergleich von Medienrealität und ›Realität an sich‹ durch die Untersuchung konkurrierender, alternativer Medienwirklichkeiten: Der intermediale Wirklichkeitsvergleich gerät in den Brennpunkt der Forschung. Konstruktivistische Empirie geht folglich nicht vom Dualismus Medienbild versus Wirklichkeit aus, sondern interessiert sich für unterschiedliche Wirklichkeiten in unterschiedlichen Medien und für deren Ursachen (man denke etwa nur an die Berichterstattung über den Selbstmord Hannelore Kohls in unterschiedlichen bundesdeutschen Printmedien). Methodisch gesehen sind in diesem Forschungsbereich komparatistische Inhalts- und Textanalysen nahe liegend. Eine ›ältere‹ konstruktivistische Tradition liegt in der aktiv-teilnehmenden Redaktionsbeobachtung. Konstruktivistische empirische Forschung interessiert sich hier nicht so sehr für Selektionsweisen und für das Verhältnis von Ereignissen oder eingehendem Material und Berichterstattung (Gatekeeper-Studien, Input/ Output-Analysen), sondern für redaktionsinterne Routinen, Prozesse und Rituale, die an der Konstruktion journalistischer Wirklichkeiten (mit-)beteiligt sind. Gaye Tuchman, eine aus der Phänomenologie und Ethnomethodologie kommende Soziologin 12 , hat etwa bereits in den frühen Siebzigern als eine der ersten ein konstruktivistisches Konzept von Objektivität vorgelegt (vgl. Tuchman 1972) und schließlich ihre teilnehmenden Beobachtungen von Redaktionen zu der Pionierstudie »Making News. A Study in the Construction of Reality« (Tuchman 1978) 12 Tuchman verweist auch auf eine andere, vor allem im angloamerikanischen Raum rezipierte Tradition des Konstruktivismus, die hier nicht primär Thema ist - von der Phänomenologie (Husserl, Schütz) über die Ethnomethodologie (Garfinkel) bis zum sozialen Konstruktivismus von Berger/ Luckmann. <?page no="181"?> 182 Stefan Weber verdichtet. Während Tuchman journalistische Objektivität als ›strategisches Ritual‹ outet, das durch gewisse Prozeduren (wie etwa das Zitieren von Expertenmeinung und Experten-Gegenmeinung) erzeugt wird, interessiert sie sich bei den ›Nachrichtenarbeitern‹ für deren Typifikationen (frames bzw. Rahmen), die für die subjektive Einschätzung von Ereignissen verantwortlich sind. Die theoretisch-empirische Arbeit »Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien« (Schulz 1976) ist eine weitere empirische Pionierarbeit aus der Perspektive des Konstruktivismus, noch bevor der Markenname ›Radikaler Konstruktivismus‹ sich durchsetzte. Obwohl hier zunächst noch vom Selektionsdenken und von einer durchaus realistischen Interpretation der Nachrichtenfaktoren ausgegangen wird, wird dann doch eine »theoretische Neuorientierung« (ebenda, 25) gefordert, die aus heutiger Sicht als konstruktivistische Wende gelesen werden kann: »Untersuchungen über die Darstellung der Realität in den Nachrichtenmedien sind bisher immer als eine Art Falsifikationsversuch aufgefaßt worden: man will nachweisen, daß die von Medien vermittelte Realität nicht mit der ›faktischen‹ Realität - mit dem, ›was wirklich geschah‹ - übereinstimmt. […] Uns scheint jedoch der Versuch, die Medienrealität falsifizieren zu wollen, grundsätzlich ungerechtfertigt und auch unmöglich zu sein.« (Schulz 1976, 25) Aufbauend auf seiner Skepsis gegenüber dem Realismus und dem Falsifikationsdenken kommt Schulz schließlich zu dem Schluss: »Auf dieser Grundlage muß man konsequenterweise auch die ›Abbildtheorie‹ aufgeben, die Annahme, Nachrichten würden Realität widerspiegeln. Tatsächlich erscheint es plausibler, davon auszugehen, daß Nachrichten eine Interpretation unserer Umwelt sind, eine Sinngebung des beobachtbaren und vor allem auch des nicht beobachtbaren Geschehens. Man kann also sagen, daß Nachrichten ›Realität‹ eigentlich konstituieren.« (Ebenda, 28; zur Gegenüberstellung von Realismus und Konstruktivismus vgl. auch Schulz 1989) Empirische Arbeiten aus der Perspektive des Konstruktivismus liegen mittlerweile auch zur Wirklichkeitskonstruktion im Boulevardformat (vgl. Weber 1995) oder zum kommerziellen Werbespot im Fernsehen vor (vgl. Schmidt/ Spieß 1996), um nur zwei Arbeiten exemplarisch herauszugreifen. Konstruktivistische ›Spurenelemente‹ finden sich hingegen in vielen Studien der vergangenen Jahre (vgl. etwa den Sammelband Baum/ Schmidt 2002) - von Studien zur Netznutzung bis zu Kommunikatorstudien (etwa Journalistenbefragungen aus konstruktivistisch-systemtheoretischer Perspektive). <?page no="182"?> 183 Konstruktivistische Medientheorien 2.6.4 Kritik und Weiterentwicklung der Theorien Mit der zunehmenden Popularisierung des Konstruktivismus und seiner Fruchtbarmachung in zahlreichen Disziplinen wuchs in den vergangenen Jahren auch die Kritik an ihm. Vielerlei erschien kritikwürdig: • Zunächst wurde die Übertragung von Begriffen und Konzepten aus der Biologie (wie etwa Autopoiesis oder strukturelle Kopplung von Maturana) auf soziokulturelle Prozesse kritisiert. Wieder einmal wurde der Verdacht laut, hier werde lediglich eine Neuauflage eines naturalistischen Reduktionismus betrieben, der so tue, als würden kulturelle Prozesse genauso ablaufen wie natürlich-organische. • In einem nächsten, differenzierteren Schritt wurde Maturanas Begrifflichkeit, die für den Konstruktivismus so prägend war, selbst kritisiert. Es wurde kritisch hinterfragt, ob die weitreichenden Schlussfolgerungen, die Maturana aus seinen (wenigen) empirischen Versuchen zog, legitim sind (vgl. zu dieser Kritik grundlegend Mitterer 1992b, zur Rezeption im Konstruktivismus vgl. Schmidt 2008). • Der Dualismus von unerkennbarer Realität und konstruierter Wirklichkeit (explizit bei Roth, in abgeschwächter Form bei Glasersfeld) wurde als paradox und philosophisch nicht haltbar entlarvt (ebenfalls von Mitterer 1992b; aber auch aus den Reihen der Konstruktivisten selbst, vgl. etwa Schmidt 2002, 5: »Noch in avancierten konstruktivistischen Theorien wird ein Dualismus von unerkennbarer Realität und konstruierter Wirklichkeit vertreten.«) Die argumentativen Nöte liegen ja auf der Hand: Wenn die Realität unerkennbar ist, wie wäre dann erkennbar, dass sie unerkennbar ist? • Als problematisch erwiesen sich auch die Konzentration des zentralen Konzepts der Wirklichkeitskonstruktion auf unwillkürliche, unbewusste Prozesse und der Ausschluss jedweder Form von möglicher strategischer Wirklichkeitskonstruktion. Dies führte nicht nur zu Ebenen-Verwechslungen und immer wiederkehrenden Missverständnissen, sondern auch zu Problemen bei Empirisierungs-Versuchen: Wie sollte dann etwa eine konstruktivistische Analyse von Boulevardmedien aussehen, wie könnte man Identitätskonstruktion im Internet dann noch empirisch (und vor allem auch quantitativ! ) untersuchen, wenn es kein Mehr oder Weniger an (eben auch bewusster) Konstruktivität geben solle? 13 Der österreichische Philosoph Josef Mitterer (1992a, 2001) hat indes einen alternativen philosophischen Ansatz entwickelt, der sich mit den stillschweigenden Voraussetzungen sowohl von Realismus als auch von Konstruktivismus beschäf- 13 Diese Debatte ist noch nicht beendet, vgl. etwa die kontroversen Beiträge von Schmidt 2002 und Weber 2002b. Siehe auch die Position von Pörksen 2009 sowie grundlegend Pörksen 2006. <?page no="183"?> 184 Stefan Weber tigt. Kurz gesagt versucht Mitterer nachzuweisen, dass es lediglich eine Redensart sei, ob man sich als Realist oder als Konstruktivist bezeichnet. Ob man behauptet, die Sprache bilde die Wirklichkeit ab (= Realismus), oder ob man vielmehr davon ausgeht, die Wirklichkeit werde durch die Sprache erst konstruiert (= Konstruktivismus), sei relativ einerlei, solange beide Positionen in ihren Argumenten den Dualismus Sprache - Wirklichkeit voraussetzen. Mitterers eigener Ansatz wird indes als ›nicht-dualisierende Redeweise‹ oder kurz als »Non-Dualismus« bezeichnet (in Anwendung in der Medienwissenchaft vgl. Weber 2005, zur interdisziplinären Diskussion vgl. Riegler/ Weber 2008). Vor allem der medienkulturelle Konstruktivismus Siegfried J. Schmidts hat die Herausforderungen der vergangenen Jahre angenommen und eine Variante des Konstruktivismus entworfen (siehe zur Entwicklung Schmidt 1994, 1998 und 2000), die über den kritisierten Dualismus hinauszugehen versucht und vor allem mittlerweile ganz ohne biologische bzw. naturalistische Argumente auskommt. In Fortschreibung aktueller Tendenzen im Konstruktivismus wird es jedoch zunehmend fraglich, ob das Theorievorhaben weiter als ›Konstruktivismus‹ bezeichnet werden soll (so sprach auch einer der Hauptproponenten, Siegfried J. Schmidt, 2003 in einem Untertitel eines Buchs provokant vom »Abschied vom Konstruktivismus«, vgl. Schmidt 2003) oder ob nicht vielmehr ›non-dualistischer Kulturalismus‹ eine passendere Bezeichnung für die dominante aktuelle Orientierung innerhalb dieses Theorie-Diskurses wäre (zu dieser Debatte vgl. Fleischer 2005 sowie Meidl 2009, hier vor allem 271 ff.). Literatur Bateson, Gregory (1981): Ökologie des Geistes. 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Eine philosophische Grundlegung. Konstanz: UVK. Weischenberg, Siegfried (1995): Konstruktivismus und Journalismusforschung. Probleme und Potentiale einer neuen Erkenntnistheorie. In: Medien Journal, 19. Jahrgang, Heft 4, S. 47 - 56. Übungsfragen 1. Definieren Sie »Wirklichkeitskonstruktion« aus konstruktivistischer Sicht. 2. Erklären Sie unter Verwendung des konstruktivistischen Modells von Siegfried J. Schmidt, wie Wirklichkeiten entstehen. 3. Welche Konsequenzen hat die kategoriale Trennung von Kognition und Kommunikation für Verstehensprozesse (evtl. anhand eines Beispiels aus dem Alltag)? 4. Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede gibt es zwischen Konstruktivismus und Systemtheorie, was die Inspiration durch die Biologie von Humberto R. Maturana und die erkenntnistheoretischen Grundlagen beider Theoriestränge anbelangt? 5. Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede gibt es im Verständnis von ›Kultur‹ zwischen Konstruktivismus und Cultural Studies? 6. Versuchen Sie, alle anderen in diesem Sammelband behandelten Theorie- ›Cluster‹ (von Semiotik bis zu Feminismus) in den Polen von (naivem) Realismus und (radikalem) Konstruktivismus in einer Längsachse anzuordnen und begründen Sie jeweils, warum der jeweilige Theoriestrang überwiegend realistisch oder überwiegend konstruktivistisch argumentiert. 7. Diskutieren Sie einige Möglichkeiten der empirischen Anwendung des nondualistischen Ansatzes von Josef Mitterer in der Medien- und Kommunikationswissenschaft (etwa in der Journalistik oder in der Netzforschung). <?page no="188"?> 189 2.7 Systemtheorien der Medien Stefan Weber Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Anwendungen der Systemtheorie in der Medien- und Kommunikationswissenschaft. Dabei ist einleitend gleich einzuschränken, dass mit ›Systemtheorie‹ im Folgenden primär die autopoietische Systemtheorie Niklas Luhmanns gemeint ist und deren Anwendung im vorrangig modelltheoretischen Sinne in der Medienwissenschaft - von Manfred Rühl bis zu Frank Marcinkowski. Diese Vorbemerkung ist deshalb wichtig, um etwaige Missverständnisse von vornherein auszuschließen: Mehrere Wissenschaftler arbeiten zwar unter dem Label ›Systemtheorie‹, schließen aber nicht orthodox an Niklas Luhmann an, sondern haben ihre eigenen Versionen von Systemtheorie entwickelt, die mehr oder weniger anschlussfähig sind. Als Beispiele seien genannt: Die Verknüpfung von Konstruktivismus, Systemtheorie und Semiologie (  2.4 Zeichentheorien der Medien) durch David J. Krieger (vgl. Krieger 1996), die von Systemtheorie und Konstruktivismus gleichermaßen inspirierte allgemeine Kommunikationstheorie Michael Fleischers (vgl. Fleischer 2006) oder die eigene Systemtypologie von Ulrich Saxer (vgl. Saxer 1995), die teils erheblich von der Typologie Niklas Luhmanns abweicht. 1 Zunächst werden die Wurzeln der Systemtheorie Luhmanns behandelt - wie etwa die Allgemeine Systemtheorie Ludwig von Bertalanffys, die Kybernetik erster Ordnung von Norbert Wiener oder die differenzlogischen Entwürfe von George Spencer Brown und Ranulph Glanville. Nach dieser wissenschaftslogischen Kontextualisierung erfolgt eine Darstellung der Grundthesen, -begriffe, -definitionen und -differenzierungen der Systemtheorie Niklas Luhmanns. Dabei soll vor allem verdeutlicht werden, dass es sich bei der Systemtheorie um eine umfassende Makro-Theorie im strengen Sinne handelt, die vor allem auch durch definitorische Präzision gekennzeichnet ist. Idealerweise hat diese Einführung den Sinn, die oftmals kritisierte ›Sperrigkeit‹ der Theorie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Im anschließenden Unterabschnitt geht es um theoretische und empirische Anwendungen der Systemtheorie in der Medienwissenschaft. Dabei werden sowohl alle relevanten Entwürfe der vergangenen Jahre vorgestellt, welche die Massenmedien, Öffentlichkeit, Publizistik oder den Journalismus als soziales Funktionssystem konzipieren, als auch empirische Anwendungen der Systemtheorie 1 Leider präsentieren Krieger und Saxer ihre Versionen von Systemtheorie auch noch im Einführungs- Kontext, was die Orientierung für Laien einmal mehr erschwert. <?page no="189"?> 190 Stefan Weber (Stichworte: Indikatoren für Selbstreferentialität, Selbst-/ Fremdsteuerungsproblem, Systeme und virtuelle bzw. Cyber-Netzwerke). Schließlich werden Optionen für eine Fortführung der systemtheoretischen Debatte innerhalb der Medien- und Kommunikationswissenschaft diskutiert (Stichworte: Systemtheorie und Ökonomisierung sozialer Systeme, Systemtheorie und Interpenetrationszonen sozialer Systeme u. a.). 2.7.1 Kurze Geschichte der Systemtheorie Der Begriff des ›Systems‹, wie er in der Wissenschaft seit dem 18. Jahrhundert verwendet wird und auf das griechische Wort ›sýstema‹ zurückgeht, meint zunächst ein (geordnetes, strukturiertes bzw. gegliedertes) Ganzes, das aus Teilen (Elementen bzw. Komponenten) besteht. Ein System ist im ursprünglichen Sinne ein Gesamt-Zusammenhang, ein Ganzes, das aus Teilen besteht, das aber eben, um als ›System‹ definiert zu werden, auch mehr ist als bloß die Summe seiner Teile (Prinzip der ›Übersummation‹ oder - avancierter ausgedrückt - Prinzip der ›Emergenz‹). Ein System ist somit auch etwas, das eine spezifische systemische ›Qualität‹ aufweist, die nicht allein durch die Teile (Elemente) erklärt bzw. erfasst werden kann. Beispiele für diesen Systembegriff wären etwa eine Nation, der Markt oder auch das Internet. • Dieser klassische Systembegriff findet sich noch in der Allgemeinen Systemtheorie von Ludwig von Bertalanffy, der ersten großen Ausformulierung eines wissenschaftstheoretischen System-Ansatzes im 20. Jahrhundert (vgl. Bertalanffy 1971). Bertalanffy versteht Systeme als »sets of elements standing in interrelation« (ebenda, 37). Wichtig ist hier auch der Hinweis auf den Aspekt der Relationen (der Beziehungen), so dass wir die oben angeführte System-Definition erweitern können: Ein System ist ein Ganzes, das aus Teilen besteht, die miteinander in Beziehungen stehen. Bertalanffy unterschied dabei explizit zwischen offenen und geschlossenen Systemen: solchen, die permanent im Austausch mit ihrer Umwelt stehen, und solchen, die gegenüber ihrer Umwelt abgeschlossen sind, also über eine feste Systemgrenze verfügen. • Der Systembegriff Bertalanffys taucht im Wesentlichen auch in der Kybernetik erster Ordnung von Norbert Wiener auf (der Lehre von der Steuerung und Regelung von Systemen, vgl. Wiener 1992). Auch diese Spielart der Kybernetik kennt offene und geschlossene Systeme sowie solche, die sich selbst steuern, und solche, die von der Umwelt gesteuert werden. Charakteristisch für systemtheoretisches Denken ist bereits hier die Unterscheidung von System und Umwelt: Für ein jeweils fokussiertes System ist der Rest der Welt die Umwelt. (Beobachtet man etwa einen spezifischen Organismus als ein System, so ist der Rest der Welt <?page no="190"?> 191 Systemtheorien der Medien Umwelt für das System: Zu ihr gehören geographische und klimatische Bedingungen sowie alle ›Inputs‹ von außen wie Nahrungszufuhr usw.) • Eine formallogische Präzisierung, die in einem gewissen Sinn vom frühen Systembegriff der Allgemeinen Systemtheorie Bertalanffys und der Kybernetik erster Ordnung Wieners abweicht, erfährt der Begriff des Systems durch die logische Arbeit »Laws of Form« von George Spencer Brown (deutsch: »Gesetze der Form«, Spencer Brown 1997). Bei Spencer Brown entsteht ein System durch eine (von einem Beobachter getroffene) Unterscheidung, die in einem unmarkierten Raum (unmarked space) einen markierten Zustand (marked state) von einem unmarkierten Zustand (unmarked state) separiert. Den unmarkierten Raum kann man sich - in einem oft zitierten Vergleich - etwa als ein leeres Blatt Papier vorstellen, den markierten Zustand als die Fläche eines Kreises, welcher auf das Blatt gezeichnet wurde, und den unmarkierten Zustand als das Kreisäußere. So entstehen ein System (der Kreis) und seine Umwelt (das Äußere) in der Welt (dem Blatt Papier). Systeme werden deshalb auch oft als Kreise oder Kugeln visualisiert: als Einheiten, die zirkulär sind und sich von ihrer Umwelt durch eine geschlossene Grenze abheben. • Niklas Luhmann, der Begründer der modernen Systemtheorie, hat seinen Systembegriff unter dem Einfluss von George Spencer Brown, Ranulph Glanville (vgl. Glanville 1988) und Heinz von Foerster (vgl. Foerster 1993) wie folgt geschärft: Systeme sind für Luhmann zunächst Einheiten in Differenz zur Umwelt, die (a) operativ geschlossen und (b) selbstreferenziell sind (vgl. Luhmann 1990, 278). Operative Geschlossenheit meint, dass Systeme durch ihr Operieren (ihr ›Arbeiten‹, ihr ›Funktionieren‹) einen geschlossenen Regelkreis konstituieren. Selbstreferentialität meint den permanenten Bezug von Elementen des Systems auf andere Elemente des Systems. Diese Definition bedeutet jedoch nicht, dass Systeme immer schon völlig autark und abgekapselt von ihrer Umwelt existieren würden: Vielmehr ist bei Luhmann die Rede von operativer (und auch informationeller! ) Geschlossenheit, aber auch von material-energetischer Offenheit. 2 Es bestehen also sehr wohl Beziehungen zwischen System und Umwelt, doch werden diese nicht als Inputs aus der Umwelt konzipiert: Alles, was ›ins System kommt‹, wird von diesem - gemäß Luhmann - sofort in ein systemeigenes Element aufgrund der jeweils systemeigenen Rationalität umgewandelt. Ein gutes Beispiel hiefür wäre eine Pressemitteilung, die an eine Redaktion geschickt wird: Als ›Input‹ aus der Umwelt wird diese zum systemeigenen Element der Berichterstattung, sofern sie nicht wegselektiert wird. 2 Diese Konzeption stammt ursprünglich, wie diverse andere Übernahmen Luhmanns, von dem Bio- Epistemologen Humberto R. Maturana (  2.6 Konstruktivistische Medientheorien). <?page no="191"?> 192 Stefan Weber • Zu Beginn der achtziger Jahre setzt in Luhmanns Systemtheorie die sogenannte ›autopoietische Wende‹ ein, die von Luhmann selbst als »Paradigmawechsel« bezeichnet wurde (Luhmann 1984, 15): Soziale Systeme werden konsequenterweise im Anschluss an die Konzeption Humberto R. Maturanas als sich selbst reproduzierende (= autopoietische) Einheiten aufgefasst, bei denen die Elemente, aus denen sie bestehen, jeweils zwingend und nur durch eigene Elemente (re-) produziert werden. Dabei wäre zwar analytisch immer fein säuberlich zu unterscheiden zwischen einer Ausdifferenzierung von Systemen, einer Autonomisierung von Systemen, der Selbstreferentialität von Systemen und eben der beschriebenen Autopoiesis von Systemen, doch wurde diese Unterscheidung von der Systemtheorie nicht immer stringent durchgehalten. Hat Luhmann zunächst Bertalanffys Unterscheidung von offenen und geschlossenen Systemen durch die Theorie autopoietischer, operativ ›immer schon‹ geschlossener Systeme sowie die erkenntnistheoretische Unterscheidung von Subjekt und Objekt durch die differenzlogische von System und Umwelt ersetzt, so lassen sich in den vergangenen Jahren aktuelle Entwicklungen in der Systemtheorie beobachten, die Differenz von System und Umwelt selbst durch die von Form und Medium zu rekonzipieren. Für diese jüngsten Entwicklungen in der Systemtheorie steht nicht nur das Werk des späten Luhmann, sondern stehen auch Luhmann-Schüler wie etwa Peter Fuchs oder Dirk Baecker. Im Folgenden steht vor allem die autopoietische Fassung der Systemtheorie Niklas Luhmanns im Mittelpunkt, nicht zuletzt deshalb, weil sie die am weitesten fortgeschrittene und begrifflich komplexeste Fassung der Systemtheorie darstellt. 2.7.2 Grundbegriffe und Modelle der Systemtheorie Zur Einführung in die Grundbegriffe der Systemtheorie erfolgt noch einmal eine kurze Zusammenfassung des bislang Erörterten: Die Systemtheorie geht als Denkansatz immer von einem System aus, das man sich als operativ geschlossene Einheit vorstellen kann, die aus Elementen besteht, die in einer gewissen Weise ein Netzwerk von Beziehungen konstituieren. Diese Elemente reproduzieren sich, man könnte sagen: analog zur Zelle, selbst. So stabilisieren sich etwa auch soziale Systeme. Das, was nicht zum bzw. ins System gehört, was also gleichermaßen jenseits der Systemgrenze liegt, ist die Umwelt eines Systems. Der jeweils systemrelative Rest der Welt ist also Umwelt für ein System. Systemtheorie kann somit als Theorie der systemrelativen Weltwahrnehmung als Umwelt verstanden werden. Wichtig erscheint die Ergänzung, dass in der Umwelt von Systemen freilich jeweils wieder zahllose weitere Systeme vorkommen, für die jeweils wieder der Rest der Welt Umwelt ist usw. usf. <?page no="192"?> 193 Systemtheorien der Medien Die Grundbegriffe der Systemtheorie 3 sind so mannigfaltig und komplex wie die Theorie selbst: Rückt man zunächst die Grenze von System und Umwelt in den Mittelpunkt, so wäre an die Begriffe und Konzepte strukturelle Kopplung, konsensueller Bereich, Penetration und Interpenetration sowie Inklusion und Exklusion zu denken. Geht es im Speziellen um soziale Systeme, so wären die Leitbegriffe symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium, binärer Code, Funktion und Leistung, symbiotischer Mechanismus und Programme zu klären. Geht es - wie oben bereits erwähnt - um die Beobachtung systemischer Eigendynamiken, wären die Begriffe Ausdifferenzierung, Autonomisierung, Selbstreferentialität und Autopoiesis zu präzisieren. Doch vorab muss eine modelltheoretische Verortung der Systemtheorie erfolgen. Die Systemtheorie geht von der lapidaren Feststellung aus, »daß es Systeme gibt« (Luhmann 1984, 30). Ebenfalls relativ nachvollziehbar ist es, dass Luhmanns Systemtheorie nur vier Systemtypen kennt: Maschinen, biologische Systeme (= Organismen), psychische Systeme (= Bewusstseine) und soziale Systeme (hier und zum Folgenden vgl. Luhmann 1984, 16 ff.). Diese Theorie-Entscheidung ist insofern elementar, weil sie ausschließt, dass ›alles‹ (etwa auch ein Tisch oder ein Buch) als System bezeichnet werden kann. Dies wird oft verwechselt und von Systemtheoretikern selbst nicht immer streng durchgehalten. Aus der Perspektive der Systemtheorie Niklas Luhmanns ist jedoch festzuhalten: Systeme sind entweder Maschinen, Organismen, Bewusstseine oder soziale Funktionssysteme. Maschinen sind als einziger Systemtyp keine autopoietischen (= sich selbst reproduzierenden), sondern allopoietische Systeme. Sie produzieren etwas von sich selbst Verschiedenes, etwa der Kaffeeautomat heißen Kaffee. Biologische Systeme sind in der Konzeption Luhmanns autopoietische Systeme analog zur Theorie Humberto R. Maturanas. Luhmanns eigene Theoriearbeit beginnt bei psychischen und sozialen Systemen: Psychische Systeme seien gemäß Luhmann insofern autopoietisch, weil Gedanke an Gedanke anschließt, somit also Bewusstsein sich selbst reproduziert und ausdifferenziert. Für alle weiteren Überlegungen brauchen Maschinen, Organismen und Bewusstseine nicht mehr mitgedacht werden - im Mittelpunkt der Analyse stehen dann nur noch soziale Systeme. Wichtig erscheint hier jedoch der folgende naheliegende Einwand: Wo ist der Mensch in dieser Konzeption? Luhmanns Antwort wäre, dass der Mensch lediglich eine ›operative Fiktion‹ sei, ein Konglome- 3 Für eine kurze und prägnante Einführung in Niklas Luhmanns Leben und Werk vgl. Filk 1999. Als Einführung in die Begrifflichkeiten der luhmannschen Systemtheorie sind besonders geeignet: Becker/ Reinhardt-Becker 2001, Krause 2001 (das »Luhmann-Lexikon«) sowie Baraldi/ Corsi/ Esposito 1997 (der »GLU« - Luhmann-Glossar). Schließlich sollen zwei Sammelbände empfohlen werden, die sich mit der Wirkung der Systemtheorie im interdisziplinären Kontext beschäftigen: Gripp-Hagelstange 2000 sowie de Berg/ Schmidt 2000. <?page no="193"?> 194 Stefan Weber rat aus biologischem, psychischem und sozialem System. 4 Damit erscheint bereits klar, dass die Systemtheorie keine Akteurs-Konstellationen im engeren Sinne untersuchen kann, dass sie also keine Mikro-Theorie des Handelns von Individuen ist. Nicht das (rational) handelnde und entscheidende Individuum steht im Mittelpunkt der Systemtheorie, sondern Kommunikation im und durch das System. Gehen wir nun zu sozialen Systemen über, die auch bei Luhmann im Mittelpunkt seines Werks stehen. Dabei muss zunächst die Frage geklärt werden, wie diese Systeme entstanden sind. Luhmann beobachtet die Evolution der Gesellschaft als Dreischritt von (a) primär segmentärer, (b) primär hierarchisch stratifikatorischer und (c) primär funktionaler Differenzierung Moderne soziale Funktionssysteme hätten sich demnach entwickelt, um eine je spezifische Funktion für die Gesamtgesellschaft wahrzunehmen. Stand in hierarchisch stratifizierten Gesellschaften ein System wie die Religion oder die Politik an der Spitze der Gesellschaft, so ist die moderne Gesellschaft dadurch gekennzeichnet, dass sie über keine Spitze, über kein Zentrum mehr verfügt. Funktionale Differenzierung der Gesellschaft meint also nichts anderes als die nach Funktionen organisierte arbeitsteilige Gliederung der Gesellschaft. Soziale Funktionssysteme sind bei Luhmann die Wirtschaft, die Politik, die Religion, die Kunst, das Recht, die Wissenschaft, die Erziehung, die Familie bzw. Intimbeziehung und schließlich auch die Massenmedien. Noch einmal ist analytisch anzumerken, dass diese Systeme nicht der Gesellschaft gegenüberstehen, sondern vielmehr Teile der Gesellschaft sind. Mit anderen Worten: Im Gegensatz zu Max Weber geht es bei Luhmann also nicht um »Wirtschaft und Gesellschaft«, sondern um »die Wirtschaft der Gesellschaft«. Die genannten Funktionssysteme sind Systeme innerhalb der Gesellschaft - das Soziale ist also kein Bereich, den man dem Politischen, dem Wirtschaftlichen oder dem Religiösen gegenüberstellen könnte. Die sozialen Funktionssysteme Wirtschaft, Politik usw. entsprechen gleichsam einer horizontalen Analyse sozialer Systeme. Diese können nun aber auch noch vertikal differenziert werden: in Interaktions-, Organisations- und Gesellschaftssysteme. So besteht etwa das System der Massenmedien als soziales Funktionssystem aus zahllosen Interaktions- und Organisationssystemen. Ein Interaktionssystem wird durch die An- oder Abwesenheit von Interaktionspartnern konstituiert (Mikro-Ebene). So bildet etwa ein in einer bestimmten Redaktion aktuell anwesendes Team ein solches Interaktionssystem innerhalb des übergreifenden, abstrakten Systems der Massenmedien. Organisationssysteme verweisen auf den nächsthöheren Differenzierungsgrad (Meso-Ebene): Sie entstehen als systemische Einheiten durch 4 Semantiken wie die vom Menschen, vom Individuum, vom Akteur oder vom Subjekt kommen in der Systemtheorie so gut wie gar nicht vor. Wie bereits erwähnt, geht es um die Ersetzung des Subjektbegriffsdurch den Systembegriff. <?page no="194"?> 195 Systemtheorien der Medien Mitgliedsrollen, durch Zuschreibungen. Zum Organisationssystem einer Redaktion gehören dann im Gegensatz zum bloßen Interaktionssystem alle Mitarbeiter (jeweils wahrgenommen als Berufsrollen) - also etwa auch jene, die gerade nicht materiell anwesend sind, weil sie freihaben oder unterwegs sind. Der höchste Differenzierungsgrad ist die Gesellschafts-Ebene. Luhmann zufolge gibt es nur eine Erscheinungsform der Gesellschaft, nämlich die Weltgesellschaft. Und diese differenziert sich gerade in die genannten Funktionssysteme. Unter dem Einfluss von Talcott Parsons hat Luhmann seine Theorie sozialer Funktionssysteme Schritt für Schritt ausdifferenziert. Zunächst nimmt selbstredend jedes Funktionssystem eine spezifische (Primär-)Funktion für die Gesamtgesellschaft wahr und erfüllt spezifische Leistungen für einzelne andere Funktionssysteme erfüllt. Die Funktion der Politik besteht etwa im Herstellen kollektiv verbindlicher Entscheidungen, die Funktion der Massenmedien in der Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung der Gesellschaft. Soziale Systeme legitimieren und stabilisieren sich durch ihre Funktion, die sie für die Gesellschaft ausüben. 5 Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien können verstanden werden als Währungen von Systemen, als Garanten für erfolgreiche Anschlusskommunikationen. Das Kommunikationsmedium der Wissenschaft ist etwa die Wahrheit, das der Wirtschaft das Geld, das der Familie/ Intimbeziehung die Liebe, das der Politik die Macht und das der Religion der Glaube (vgl. dazu und im Folgenden einführend Faulstich 1991, 163 ff.). Soziale Funktionssysteme verfügen außerdem zwingend über einen binären Code, eine Art Duplikationsregel, die entscheidet, was zum System gehört bzw. was vom System verarbeitet wird und was nicht. Bei den Massenmedien wäre dies gemäß Luhmann der Code Information/ Nicht-Information (vgl. Luhmann 1996, 36; dieser Theorievorschlag ist allerdings umstritten), innerhalb der Intimbeziehung wäre der binäre Code du/ kein anderer (weitere binäre Codes wären in der Wissenschaft wahr/ falsch, in der Wirtschaft haben/ nicht-haben oder in der Kunst schön/ hässlich - auch letzteres ist allerdings nicht unumstritten). Schließlich wird unter symbiotischem Mechanismus der körperliche Bezug und Zugriff von Systemen verstanden: in der Intimbeziehung etwa die Sexualität, in der Politik etwa die physische Gewalt (z. B. durch Polizei oder Militär). Soziale Funktionssysteme bestehen laut Luhmanns Systemtheorie nicht aus Personen oder Menschen, auch nicht aus Handlungen oder Entscheidungen. Sie bestehen einzig und allein aus Kommunikationen, an die weitere Kommunikationen 5 Theoretisch wäre die Frage interessant, ob Systeme, die ihre Funktion langfristig nicht mehr erfüllen, auch vom Zustand der Autopoiesis in den der Autodestruktion übergehen können. Konkret wäre dies etwa am Beispiel der Massenmedien diskussionswürdig, nicht zuletzt in Anbetracht der Diskussionen um den »Tod« des klassischen Journalismus oder der Tageszeitung durch das Web 2.0 mit seinen Tools wie Blogs und Wikis. <?page no="195"?> 196 Stefan Weber autopoietisch anschließen. 6 Das Mittel und das (Letzt-)Element der Selbstreproduktion sozialer Systeme ist also Kommunikation. Der Begriff der Kommunikation selbst ist bei Luhmann abstrakt definiert als dreistellige Selektion aus Information, Mitteilung und Verstehen. Die Grenzen sozialer Systeme sind folglich auch weder territoriale noch technische oder sonstige Grenzen, sondern einzig und allein Sinngrenzen. Soziale Systeme sind somit auch als Sinn-Einheiten bzw. Sinnprovinzen vorstellbar. Neben der Tatsache, dass es in der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft keine Spitze und kein Zentrum, also kein Leit- oder Supersystem gibt, ist auch folgendes Faktum in der Systemtheorie unumstößlich: Soziale Systeme existieren überschneidungsfrei, es gibt keine Schnittmengen im engeren Sinne. Entweder eine Kommunikation gehört zu diesem oder aber zu jenem System - tertium non datur. Kommunikationen sind, wenn die Systemtheorie streng gehandhabt wird, immer klar einem System zuzuordnen: Die hier vorliegende Kommunikation gehört etwa ins Wissenschafts-System. Sie gehört nicht ins System der Massenmedien, nur weil sie drucktechnisch massenhaft verbreitet wird. Sie gehört auch nicht schon alleine deshalb ins System der Erziehung, weil sie von Studierenden an Universitäten gelesen wird. Entscheidend ist immer der Sinnbzw. Inhalts- Aspekt von Kommunikation. Die Systemtheorie bestreitet allerdings nicht, dass es intersystemische Beziehungen gibt: Dafür hat sie die bereits erwähnten Begriffe und Konzepte strukturelle Kopplung, konsensueller Bereich, Penetration und Interpenetration, Inklusion und Exklusion sowie darüber hinaus Irritation, Perturbation und Resonanz entwickelt. Die Klärung dieser Begriffe wird, soweit vonnöten, im folgenden Abschnitt zur Systemtheorie der Massenmedien unternommen. 6 Niklas Luhmanns Verständnis von Kommunikation klingt zunächst sowohl kontra-intuitiv (warum sollten Menschen nicht kommunizieren können? ) als auch tautologisch (»nur die Kommunikation kann kommunizieren«). Im Original heißt es bei Luhmann: »Es ist eine Konvention des Kommunikationssystems Gesellschaft, wenn man davon ausgeht, daß Menschen kommunizieren können. Auch scharfsinnige Analytiker sind durch diese Konvention in die Irre geführt worden. Es ist aber relativ leicht, einzusehen, daß sie nicht zutrifft, sondern nur als Konvention und nur in der Kommunikation funktioniert. Die Konvention ist erforderlich, denn die Kommunikation muß ihre Operationen auf Adressaten zurechnen, die für weitere Kommunikation in Anspruch genommen werden. Aber Menschen können nicht kommunizieren, nicht einmal ihre Gehirne können kommunizieren, nicht einmal das Bewußtsein kann kommunizieren. Nur die Kommunikation kann kommunizieren.« (Luhmann 1995, 37) <?page no="196"?> 197 Systemtheorien der Medien 2.7.3 Anwendungen in der Medienwissenschaft Theoretische Anwendungen Systemtheoretisches Denken im Sinne der frühen, allgemeinen Systemtheorie hatte in der Medienwissenschaft bereits in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine gewisse Tradition (vgl. Rühl 1969). Systemische, kybernetische und funktionalistische Modelle des massenkommunikativen Prozesses bildeten schon bald eine eigene Achse der medienwissenschaftlichen Theoriegeschichte (vgl. auch Pürer 1998, 153 ff.). Die Anwendung der neueren, autopoietischen Systemtheorie Niklas Luhmanns setzte in der Medien- und Kommunikationswissenschaft erst richtig in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein. 7 Eine Arbeit aus der Zeit vor der ›autopoietischen Wende‹ verdient jedoch hier Erwähnung - die Studie »Die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales System« von Manfred Rühl (1979). In Kritik akteurszentrierter Ansätze wie etwa der Gatekeeper-Forschung wird hier von Rühl erstmals ein Modell des Journalismus entwickelt, in dem Subjekte konsequent durch Systeme ersetzt werden. Rühl konzipiert Redaktionen als »entscheidende Handlungssysteme« (Rühl 1979, 56 ff.), was freilich noch nicht der späteren Theorie-Entscheidung der Systemtheorie entspricht, als Letztelemente von Systemen nur noch Kommunikationen anzunehmen. • Erst Frank Marcinkowski gelang mit seiner Arbeit »Publizistik als autopoietisches System« (Marcinkowski 1993) ein entscheidender Theorie-Fortschritt. Während Luhmann (vgl. Luhmann 1981) noch zögerlich war, nahm Marcinkowski den publizistischen Komplex explizit in die Theorie sozialer Systeme herein. Seine Arbeit kann bereits aus heutiger Sicht als theoretische Pionierleistung bezeichnet werden. Für Marcinkowski zeichnet das publizistische System all das aus, was auch für andere bereits von Luhmann beschriebene soziale Systeme wie Politik, Recht oder Wissenschaft gilt: Es verfügt über ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium (namentlich die Publizität), über einen binären Code (öffentlich/ nicht-öffentlich) sowie über eine systeminterne Differenzierung (in Journalismus und aktuelles sowie potentielles Publikum). Aber vor allem: Die Publizistik hat eine bestimmte Funktion in der Gesellschaft. »Die Primärfunktion der Publizistik, die Beziehung des Systems zur Gesellschaft, ist die Ermöglichung der Selbst- und Fremdbeobachtung ihrer Teile. Alle Funktionssysteme der Gesellschaft beobachten sich selbst und andere Be- 7 Für eine prägnante Kurz-Zusammenfassung der Systemtheorie in der Medienwissenschaft vgl. Filk 1997. Die wesentlichen Positionen werden einzeln diskutiert in Görke/ Kohring 1996. Einschlägige Sammelbände zur Systemtheorie sind: für die Journalistik Löffelholz 2004 und Pörksen/ Loosen/ Scholl 2008, für die Kommunikationswissenschaft allgemein Scholl 2002. <?page no="197"?> 198 Stefan Weber obachter in ihrer Umwelt im Spiegel publizistischer Selbstbeobachtungskommunikation […]« (Marcinkowski 1993, 148). Das folgende Textbeispiel kann auch als Hinführung zur speziellen Denkweise systemtheoretischer Theoriebildung gelesen werden: »Publizistik ist schließlich selbstreproduktiv (autopoietisch), wenn und insoweit sie die Elemente des Systems (Veröffentlichungen) ausschließlich mit den Mitteln des Systems, Entscheidungsprogramme und materiellen Ressourcen (Form) einerseits, ungerichtete Aufmerksamkeit (Medium) andererseits, unter operativer Verwendung einer Selbstbeschreibung (Publikumsforschung) im System produziert und rekursiv miteinander verknüpft (neue Veröffentlichungen im Anschluß an erfolgreiche Veröffentlichungen produziert). […] Publizistik als System ist die Autopoiesis des Veröffentlichens.« (Marcinkowski 1993, 149 f.) • Während bei Marcinkowski das System Publizistik heißt und Journalismus ein Teil des publizistischen Systems ist, hat Bernd Blöbaum nur ein Jahr später seine Studie »Journalismus als soziales System« (Blöbaum 1994) veröffentlicht. Blöbaums System des Journalismus differenziert sich in Leistungsrollen (Journalisten) und Publikumsrollen (Rezipienten); Funktion des Journalismus ist die »aktuelle Vermittlung von Informationen zur öffentlichen Kommunikation« 8 (Blöbaum 1994, 20). • Niklas Luhmann selbst hat den Fokus einmal mehr umgestellt mit seiner Schrift »Die Realität der Massenmedien« (Luhmann 1996). Mit ihr liegen also bereits drei Systemtheorien der Medien vor: Marcinkowskis Publizistik als autopoietisches System, Blöbaums Journalismus als soziales System und Luhmanns Massenmedien als soziales Funktionssystem. Luhmann hat mit dieser Arbeit versucht, auch die Massenmedien in den Kanon der sozialen Funktionssysteme aufzunehmen, was zahlreiche weitere kritische Überlegungen hervorrief. Luhmann bemerkt zunächst: »Unter ›Ausdifferenzierung‹ ist die Emergenz eines besonderen Teilsystems der Gesellschaft zu verstehen, das die Merkmale der Systembildung, vor allem autopoietische Selbstreproduktion, Selbstorganisation, Strukturdeterminiertheit und mit all dem: operative Schließung selbst realisiert. […] Die Analyse des Systems der Massenmedien liegt deshalb auf derselben Ebene wie die Analyse des Wirtschaftssystems, des Rechtssystems, des politischen Systems usw. der Gesellschaft und hat über alle Unterschiede hinweg auf Vergleichbarkeit zu achten. Der Aufweis eines funktionssystemspezifischen Codes, der nur in dem be- 8 Freilich sind solche Definitionen immer folgenschwer. Man mag sich etwa fragen, ob nicht auch folgende Funktionsbestimmung sinnvoll wäre: die »aktuelle oder aktualisierte Konstruktion von (zunehmend) unterhaltenden Informationen zur sozialen Anschlusskommunikation«. Klassischrealistische Konzepte wie »Vermittlung« oder normativ aufgeladene Konstrukte wie »öffentliche Kommunikation« können mitunter in systemtheoretischen Ansätzen problematisch sein. <?page no="198"?> 199 Systemtheorien der Medien treffenden System als Leitdifferenz benutzt wird, ist ein erster Schritt in diese Richtung.« (Luhmann 1996, 49) • Luhmann bestimmt in der Folge ›Information/ Nicht-Information‹ als Code des Systems der Massenmedien - und dies, obwohl in seiner allgemeinen Bestimmung von Kommunikation auch die Selektion Information/ Nicht-Information enthalten ist, die bekanntlich für alle sozialen Systeme elementar ist. Als die drei Programmbereiche des Systems der Massenmedien nennt Luhmann Nachrichten und Berichte (= gemeinhin Journalismus), Werbung und Unterhaltung. • Nach Marcinkowski, Blöbaum und Luhmann haben Alexander Görke und Matthias Kohring ein System der Öffentlichkeit entwickelt - mit Journalismus, Werbung und PR (sowie eventuell auch Unterhaltung) als Leistungssysteme der Öffentlichkeit (zur Kritik an den bisherigen systemtheoretischen Entwürfen vgl. Görke/ Kohring 1997; zum Entwurf eines neuen Funktionssystems Öffentlichkeit vgl. Kohring/ Hug 1997). In dieser Systemkonzeption wurde bislang am konsequentesten versucht, technische Systemgrenzen bzw. Systemdefinitionen, die an einem technischen Verständnis von Massenmedien orientiert sind, durch ein Denken in Sinngrenzen abzulösen. Offen bleibt jedoch hier wiederum die Frage, ob Öffentlichkeit tatsächlich ein eigenes soziales System konstituiert oder nicht vielmehr im Sinne Luhmanns die hintergrundartige Umwelt aller sozialen Systeme darstellt. Damit sind die derzeit wichtigsten vier Systemkonzeptionen dargestellt (vgl. auch ausführlicher und überblicksartig Scholl/ Weischenberg 1998, 63 ff., speziell tabellarisch 76). Zu ergänzen wäre noch, dass sowohl weitere zumindest systemtheoretisch inspirierte Konzeptionen von Jürgen Gerhards und Peter M. Spangenberg vorliegen wie auch Bemühungen, die bisherigen systemtheoretischen Entwürfe ihrerseits meta-systemtheoretisch zu ordnen und in ein ganzheitliches System der Medienkommunikation zu integrieren (vgl. Weber 2000, 54 ff., speziell graphisch 58). Empirische Anwendungen Empirische Anwendung findet die Systemtheorie vor allem in der Suche nach Indikatoren für Selbstreferenz in sozialen Systemen auf den unterschiedlichen Ebenen (Mikro, Meso und Makro; Interaktion, Organisation und Gesellschaft; Akteur, System und Kultur usw.). Im Folgenden werden einige Arbeiten vorgestellt, die sich um eine Empirisierung der Systemtheorie bemühen: • Stefan Weber hat in seiner Studie »Was steuert Journalismus? « (Weber 2000) versucht, zentrale Annahmen über Selbststeuerung und Autopoiesis des sozialen Systems Journalismus mit einer Redakteursbefragung zu verkoppeln. Dabei <?page no="199"?> 200 Stefan Weber konnte nachgewiesen werden, dass in der subjektiven Einschätzung der Journalisten das Gefühl der Fremdsteuerung klar vor einem Autonomiebewusstsein rangiert. Freilich widerlegt dies nicht die Systemtheorie, da diese theoretisch nicht auf der Mikro-Ebene der Akteure argumentiert. Dennoch wurde theoretisch vorgeschlagen, Journalismus als ›oszillierendes System‹ zwischen Selbstreferenz und Fremdsteuerung neu zu konzipieren. • Armin Scholl und Siegfried Weischenberg (Scholl/ Weischenberg 1998) haben die Systemtheorie explizit für ihre Studie »Journalismus in der Gesellschaft« als theoretische Grundlage verwendet und kommen tendenziell eher zu Autonomisierungs-Befunden. Auch bei ihnen ist die Unterscheidung zwischen Autopoiesis auf der Theorie-Ebene und ± empirischer Autonomie konstitutiv. • Michael Frieske (1998) hat die Systemtheorie für eine Untersuchung von Selbstbezüglichkeiten in Unterhaltungsprogrammen des Fernsehens fruchtbar gemacht. Am Beispiel der »Harald Schmidt Show« hat der Autor nachgewiesen, dass sich Fernsehunterhaltung zunehmend in sich selbst spiegelt. 9 • Zahlreiche Arbeiten beschäftigen sich schließlich mit einer systemtheoretischen Modellierung des Internets. Exemplarisch sei Peter Fuchs (1998) erwähnt, für den das World Wide Web aufgrund seiner operativen Verweise (der Links) als ein neues autopoietisches System verstanden werden kann. 10 Aktuelle Theorie- Arbeiten im Kontext der Netzkommunikation widmen sich zudem vermehrt dem Dialog von System- und Netzwerk-Ansatz und damit dem Oppositionspaar ›System‹ und ›Netz‹ (vgl. Grassmuck 1998, Weber 2001). • Neben den Feldern Journalismus, Unterhaltung und Internet liegen explizite systemtheoretische Modellierungsversuche mittlerweile auch zur Werbung (vgl. Zurstiege 2002) und zur PR (vgl. Hoffjann 2001) vor. In den letzteren genannten Feldern stellen Empirisierungen noch eine zukünftige Aufgabe der Medien- und Kommunikationswissenschaft dar (sie sind hier dennoch unter ›empirische Anwendungen‹ angeführt, im Sinne einer konkreten Anwendung der Systemtheorie auf Objektbereiche). • Für eine zukunftsträchtige Option der Verbindung von Systemtheorie und Empirie ist auch an die empirische inter-media-agenda-setting-Forschung zu denken, also an die Untersuchung von selbstbezüglich-rekursiven Agenda- Setting-Phänomenen innerhalb von Medien und Journalisten, zumal auch alltagsempirisch unschwer von der Hand zu weisen ist, dass derartige ›mediale Selbstläufer‹ zunehmen. 9 Zu Selbstreferentialität in der Fernsehunterhaltung vgl. außerdem Bleicher 1999; zum Forschungsfeld Selbstreferentialität im Film Withalm 1999. 10 Als weitere empirische Indikatoren für Selbstreferentialität im Netz wären zu nennen: Suchmaschinen im World Wide Web oder threads (Themenfäden) in Mailinglisten. <?page no="200"?> 201 Systemtheorien der Medien 2.7.4 Kritik und Weiterentwicklung der Theorien Eine Theorie, die einen derart breiten Anspruch erhebt wie die Systemtheorie, muss klarerweise auch mit umso deutlicherer Kritik rechnen: Die Systemtheorie sei tautologisch und empiriefern, lautet ein oft gehörter Einwand. Ebenso ist vor allem aus dem Lager der Kritischen Theorie (  2.3 Kritische Medientheorien) oftmals zu hören, die Systemtheorie rechtfertige mit ihrem Autopoiesis-Konzept nur die herrschenden Verhältnisse, sie sei also eine affirmative, konservative Theorie, die gesellschaftliche Umwälzungen theoriebautechnisch gar nicht erst vorsehe. Neben der Übertragung biologischer Konzepte auf soziale Phänomene wird auch die Exklusion des Menschen aus der Theorie kritisiert. Schließlich gibt es Einwände allgemein erkenntnistheoretischer, ja metaphysischer Natur, die die grundsätzliche Sinnhaftigkeit des luhmannschen Argumentierens anzweifeln (vgl. Schulte 1993). ›Konkurrenz‹ bekam die Systemtheorie luhmannscher Prägung durch einen neuen soziologischen Ansatz, den der Berliner Soziologe Rodrigo Jokisch 11 entwickelt hat. In seiner überaus komplexen »Logik der Distinktionen« (Jokisch 1996) versucht der Autor eine Weiterentwicklung der Theorie Niklas Luhmanns, indem er von der Beobachtung von Kommunikationen auf die Beobachtung von Kommunikationen, Handlungen und Entscheidungen umstellt. Grundlegend für die Argumentation Jokischs ist die strikte Trennung von Differenz (symmetrischer Distinktion) und Unterscheidung (asymmetrischer Distinktion), woraus sich neuartige Kommunikations- und Handlungskonzepte destillieren lassen. Aus empirischer Sicht hat die Systemtheorie mit folgenden Problemen zu kämpfen: • Warum liegen mehrere Theorieentwürfe zu Journalismus und Publizistik vor, aber bislang noch kein expliziter zur Unterhaltung? Auch Großmann fragt sich zu Recht, »ob dann neben dem Funktionssystem Journalismus sich ein anderes, ebenfalls als autopoietisch zu konzipierendes Funktionssystem Unterhaltung entwickelt hat, das sich eventuell ähnlicher Organisationen, Rollen und Techniken bedient« (Großmann 1999, 37). Alexander Görke (2001) hat dazu ein Forschungsvorhaben skizziert, in dem er Unterhaltung explizit als weiteres Leistungssystem der Öffentlichkeit neben dem Journalismus konzipiert. • Wie begegnet die Systemtheorie dem oft gehörten Einwand, Kommerzialisierungs- und Ökonomisierungstendenzen, die ja mittlerweile nicht mehr nur auf der Mikro-Ebene zu lokalisieren sind, stehen letztlich im Widerspruch zum 11 Jokisch erweitert bereits das logische Fundament der luhmannschen Systemtheorie, von George Spencer Brown und Ranulph Glanville stammend (siehe Unterabschnitt zur Theoriegeschichte), um Phillip G. Herbst und Gotthard Günther (vgl. Jokisch 1996, 62 ff.). - Grob vereinfacht gesagt geht es darum, dass Luhmann mit einer Asymmetrie startet, nämlich der Fokussierung auf das System. Jokisch schlägt indes vor, dass dies nur eine von zwei Möglichkeiten ist, wenn eine Distinktion gesetzt wurde. <?page no="201"?> 202 Stefan Weber Autonomie- und Autopoiesis-Postulat? Auch laut Christian Filk (1997, 235) »ist kritisch zu fragen, ob solchen Entwürfen in ihrem akribischen Bestreben, dem Konstruktivismus bzw. der Systemtheorie kompromißlos zu folgen und das Massenmediensystem als autopoietisches System zu beschreiben, nicht gewisse Entwicklungen im Mediensektor - wie beispielsweise Konzentrationsprozesse oder Monopolbildungen unter den Programmanbietern - zwangsläufig entgehen müssen«. • Einen Ausweg könnte die weitere theoretische Ausarbeitung des Konzepts der Interpenetration bzw. der Bildung von Interpenetrationszonen sozialer Systeme darstellen. Eventuell wäre es für zukünftige Theoriebemühungen im Lichte der Systemtheorie sinnvoll, die Orthodoxie von der Überschneidungsfreiheit sozialer Systeme aufzugeben und doch partielle Interpenetrationsbereiche, also Bereiche der wechselseitigen Durchdringung von Systemen, zuzulassen (vgl. aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln Westerbarkey 1995 und Siegert 2001). 12 • Als wohl zukunftsträchtigste Theorie-Option haben sich in den vergangenen Jahren Ansätze erwiesen, die sowohl auf Systemals auch auf Akteurs-Ebene argumentieren. Sogenannte ›Akteur-im-System‹-Ansätze liegen etwa für den Journalismus bereits vor (vgl. etwa Neuberger 2004). Hier wird versucht, im Sinne eines Mehrebenen-Modells sowohl Journalisten konkret-empirisch als auch systemische Kontextbedingungen (constraints) zu beobachten und in einem integrativen Modell zu verschränken. 13 Freilich mag man abschließend die Frage stellen, inwieweit nach diesen Modifikationen noch von Systemtheorie im strengen Sinn gesprochen werden kann und sollte. Wenn nicht mehr nur Kommunikationen, sondern Kommunikationen, Entscheidungen und Handlungen, wenn nicht mehr nur Systeme, sondern Systeme und Akteure, wenn nicht mehr nur Autonomie und Autopoiesis, sondern auch Heteronomie und Allopoiesis in den Fokus der Theoriebildung geraten, ist das dann überhaupt noch modifizierte Systemtheorie oder in der Summe nicht 12 Auch Scholl/ Weischenberg bemerken aus journalismuswissenschaftlichem Blickwinkel: »Neue Differenzierungen und Entdifferenzierungen entstehen jedoch nicht nur aufgrund technologischer Veränderungen; auch strukturelle und organisatorische Veränderungen beeinflussen die Produktion aktueller Medienangebote. So wird die Differenz zwischen Journalismus und Public Relations zunehmend schwieriger zu beobachten sein, da sich die Interpenetrationszonen ausweiten und somit die Strukturen des Journalismus immer mehr durch Überlagerungen von anderen Systemen (Wirtschaft, Technik, Politik) und deren Selbstbeschreibungen gekennzeichnet sind.« (Scholl/ Weischenberg 1998, 272) 13 In der Diskussion zukünftiger Theorie-Optionen sollten auch die sich vielfältig ausdifferenzierenden Dialoge zwischen Systemtheorie und benachbarten Theorien nicht vergessen werden: etwa Systemtheorie und Hermeneutik, Systemtheorie und Rational Choice - oder auch Systemtheorie und Chaostheorie (! ) als Versuch einer neuartigen ›systemischen Nachrichtentheorie‹ (vgl. Frerichs 2000). <?page no="202"?> 203 Systemtheorien der Medien vielmehr ein neuer soziologischer Ansatz, eine Art nicht-dualistische, integrative Sozialtheorie (oder eben auch Distinktionstheorie im Sinne Jokischs)? Die Theorie-Debatten (vgl. etwa Löffelholz 2004) zu diesem Thema sind längst noch nicht abgeschlossen, was eine dynamische Weiterentwicklung des systemischen Theoriegebäudes erwarten lässt. Literatur Baraldi, Claudio/ Corsi, Giancarlo/ Esposito, Elena (1997): GLU. Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Becker, Frank/ Reinhardt-Becker, Elke (2001): Systemtheorie. Eine Einführung für die Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main/ New York: Campus. Bertalanffy, Ludwig von (1971): General System Theory. Foundations - Development - Applications. London: The Penguin Press. Bleicher, Joan Kristin (1999): Unterhaltung in der Endlosschleife oder wie das Fernsehen mit sich selbst spielt. In: Latzer, Michael u. a. (Hg.): Die Zukunft der Kommunikation. Phänomene und Trends in der Informationsgesellschaft. Innsbruck/ Wien: Studien Verlag, S. 115 - 128. Blöbaum, Bernd (1994): Journalismus als soziales System. 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Geben Sie folgenden sozialen Sachverhalten den richtigen systemtheoretischen Begriff: Die anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines jährlichen wissenschaftlichen Fachkongresses; das Mitgliederverzeichnis einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft; geschäftliche Beziehungen zwischen der Anzeigenabteilung einer Tageszeitung und einem werbetreibenden Unternehmen. 4. Benennen Sie jeweils einen theorieimmanenten Schwachpunkt in den systemtheoretischen Modellen von Marcinkowski, Blöbaum, Luhmann und Görke/ Kohring. 5. Versuchen Sie, einige empirische Indikatoren für (a) aktuelle Selbststeuerungstendenzen und (b) aktuelle Fremdsteuerungstendenzen im System Journalismus zu finden (eingeschränkt auf Marktjournalismus westlicher Prägung). 6. Nennen Sie die wichtigsten Unterschiede zwischen Systemtheorie und kritischer Theorie in Bezug auf die Analyse der Gesamtgesellschaft sowie auf das Gesamtverständnis von wissenschaftlicher Praxis. 7. Versuchen Sie, aus der Perspektive der Distinktionstheorie von Rodrigo Jokisch ein integratives System der »Netzkommunikation« zu entwerfen. <?page no="206"?> 207 2.8 Feministische Medientheorien Sibylle Moser 2.8.1 Zur Beobachtung von Geschlecht »Das sexuelle Modell, das in der liberalen Gesellschaft, in der Bruno und Christiane lebten, durch die offizielle Kultur (Werbung, Zeitschriften, soziale Einrichtungen und Gesundheitsbehörden) propagiert wurde, war das Modell des Abenteuers: Innerhalb eines solchen Systems tauchen sexuelles Begehren und sexuelle Lust im Anschluß an einen Prozeß der Verführung auf, der den Akzent auf das Neue, die Leidenschaft und die individuelle Kreativität legt (also jene Eigenschaften, die im übrigen auch von den Angestellten im Rahmen ihres Berufslebens verlangt werden).« (Michel Houellebecq, Elementarteilchen) Bruno und Christiane, zwei ›Auslaufmodelle‹ des 20. Jahrhunderts, sind für die aktuelle Kommunikationsforschung noch immer ein interessantes Phänomen. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist es nicht vorstellbar, dass in Kommunikationen auf geschlechtliche Identifizierungen verzichtet wird - wer ist nicht irritiert, wenn er für die Dauer eines Gesprächs, einer Buchlektüre oder einer Talkshow über das Geschlecht seines Gesprächspartners, einer Romanfigur oder des TV-Moderators im Unklaren gelassen wird? Trotz de facto eingesetzter Reproduktionstechnologien und ausdifferenzierter Lebensstile nehmen die meisten Mitglieder postmoderner Mediengesellschaften sich vor dem Hintergrund des »archaischen Duals« (Schimank 1988, 64) männlich/ weiblich wahr und interpretieren soziale Erfahrungs- und Handlungszusammenhänge im Rahmen eines ausgeklügelten Regelwerks von Geschlechterdifferenzen. Die Unterscheidung der Geschlechter ist deshalb für das Verständnis kultureller Wirklichkeiten entscheidend. Sie betrifft die persönliche Identität kommunikativer Aktanten ebenso wie die gesellschaftliche Organisation von Kommunikation und die Interpretation symbolischer Ordnungen (vgl. Harding 1986, 52 ff.). Die Frage nach der kommunikativen Wirkungsweise des Geschlechts infiltriert die Grundfragen der Kommunikations- und Medienwissenschaften. Sie überschneidet sich mit der Frage nach dem Verhältnis von Medien, Bewusstsein und sozialer Wirklichkeit ebenso wie mit der Frage nach dem Verhältnis von Zeichensetzung, individueller Handlung und gesellschaftlicher Kontrolle. Die Beobachtung der Geschlechterdifferenz ist damit eine zentrale Aufgabe der Kommunikations- und Medienforschung. Ihre konkrete Umsetzung variiert mit der Vielfalt an theoretischen und methodischen Beschreibungsange- <?page no="207"?> 208 Sibylle Moser boten und greift auf viele Grundlagen zurück, die sich in anderen Kapiteln dieses Bandes finden, so zum Beispiel auf  2.9 Psychoanalytische Medientheorien,  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien und  2.3 Kritische Medientheorien. Um vorhandenen Einführungen zu feministischen Ansätzen in der Kommunikationswissenschaft nicht nur eine weitere Zusammenfassung hinzuzufügen 1 , orientiert sich der folgende Überblick explizit an einem - für jede wissenschaftliche Textproduktion unvermeidbaren - Beobachtungsstandpunkt. Meine Sondierung feministischer bzw. gendersensitiver Forschungsansätze entsteht vor dem Hintergrund der konstruktivistischen Kommunikations- und Medientheorie (  2.6 Konstruktivistische Medientheorien) und behandelt die Geschlechterdifferenz als wissenschaftliche Unterscheidung, die weitreichende Beobachtungen ermöglicht. Ich werde entsprechend die gendertheoretische These von der Konstruktion des Geschlechts fokussieren und versuchen, diese in ihren unterschiedlichen theoretischen Ausprägungen und methodischen Überprüfungen exemplarisch in aktuelle Forschungsbereiche einzuordnen. 2.8.2 Kurze Geschichte des Feminismus Aktuelle feministische Interpretationen gesellschaftlicher Wirklichkeit wurzeln im politischen Kontext der neuen Frauenbewegungen, die sich Ende der sechziger Jahre als Systeme sozialer Selbstbeobachtung in westlichen Demokratien entwickelt haben (vgl. Moser 1997, 103 ff.). Feministisches Denken formiert sich seit seiner Entstehung um 1830 als Aufklärungskritik, welche die Schattenseiten von Modernisierungsprozessen aufzeigt (vgl. Fraisse 1995). So basiert die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft auf dem Ausschluss von Frauen aus den öffentlichen Sphären von Bildung, Politik, Wirtschaft, Recht und Wissenschaft und verwirklicht damit eine »Geschlechterdialektik der Aufklärung« (Maihofer 1994, 240). Im Zentrum feministischer Theorie steht entsprechend ein politisches Anliegen: »Ihr Thema ist die theoretische Reflexion der Zielsetzungen und Erfahrungen der Frauenbewegung, die Situation von Frauen in einer patriarchal organisierten Gesellschaft und die kritische Analyse der politischen Struktur des traditionellen Geschlechterverhältnisses als Herrschaftsbeziehung.« (List 1989, 17) 1 Repräsentative Einführungen finden sich beispielsweise bei Angerer/ Dorer 1994, Fröhlich/ Holtz- Bacha 1995, Dorer/ Geiger/ Böck 1999 und Schäfer 2000. Eine aktuelle Synopse mit einer ausführlichen Bibliographie von 1968 bis 2000 zur Forschung im deutschsprachigen Raum bieten Klaus/ Röser/ Wischermann 2001. <?page no="208"?> 209 Feministische Medientheorien Während Disziplinen wie Soziologie, Geschichte oder die Literaturwissenschaften in den achtziger Jahren die Institutionalisierung feministischer Beobachtung vorantrieben und die angloamerikanische akademische Welt die Kategorie Gender für die Forschung entdeckte, träumte die Medien- und Kommunikationsforschung im deutschsprachigen Raum im Wesentlichen einen geschlechter-indifferenten Dornröschenschlaf. E. Klaus weist darauf hin, dass bis zu Beginn der neunziger Jahre kaum Daten zur Kommunikation der Geschlechterdifferenz zur Verfügung standen (vgl. Klaus 2001, 21). Eine Studie zum Bild der Frau im deutschen Fernsehen (Küchenhoff 1975) teilte sich das Regal mit einer Bestandsaufnahme zur Berufssituation von Journalistinnen (Neverla/ Kanzleiter 1984). Viele Untersuchungen zur Geschlechterdifferenz wurden als ›graue Literatur‹ von Studentinnen im Rahmen von Magisterarbeiten durchgeführt. Erst in den neunziger Jahren setzte die Institutionalisierung der Geschlechterbeobachtung auch in den Kommunikations- und Medienwissenschaften ein. Buchreihen wurden gegründet, Schwerpunktnummern von Fachzeitschriften herausgegeben 2 und die Fachgruppe »Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht« in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) eingerichtet. In der Bandbreite der Zugänge orten J. Dorer und M.-L. Angerer vier fundierende Kennzeichen feministischer Theorien: 1) Wissenschafts- und Gesellschaftskritik; 2) Interdisziplinarität; 3) Auffassung des Geschlechts als ideologische Ressource, die alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft und diese hierarchisiert sowie 4) Kopplung von wissenschaftlicher Erkenntnis und politischer Praxis (vgl. Angerer/ Dorer 1994, 12). Aufgrund der expliziten Vermittlung von Erkenntnisposition und Forschungsinteresse wurde der Versuch unternommen, die verschiedenen politischen Ausrichtungen feministischer Theorie nach ihrem erkenntnistheoretischen Selbstverständnis zu systematisieren (vgl. Angerer/ Dorer 1994, 8 ff.; Moser 1997, 28 ff.; Klaus 2001, 23). 3 Egalitätsorientierte Frauenforschung folgt einem empiristischen Objektivitätsanspruch, mit dem das Modell einer liberalen Gesellschaftsordnung korrespondiert. Der aufklärerische Anspruch, Frauen den Männern gleichzustellen, führt zu dem Bemühen, den Kanon kultureller Medienangebote, der nicht zuletzt durch die Selektionsstrategien wissenschaftlicher Forschung entsteht, durch das Schaffen von Frauen zu erweitern und die berufliche Situation von Frauen im Journalismus aufzuzeigen. Egalitätsorientierte Frauenforschung folgt mit dieser Auffassung femi- 2 Ausgaben zum Themenschwerpunkt »Medien und Geschlecht« sind beispielsweise: Medien Journal 1992/ Heft 3, 1994/ Heft 1, 1995/ Heft 2; Medien und Zeit 1995/ Heft 1 und 2000/ Heft 1; Medienimpulse 1995/ Heft 12; Das Argument 1997/ Heft 6. 3 Mitte der achtziger Jahre führte die Wissenschaftstheoretikerin S. Harding die Unterscheidung von empiristischen, standpunktheoretischen und postmodernen Erkenntnispositionen feministischer Wissenschaft ein (vgl. Harding 1986), eine Unterscheidung, welche in der Diskussion der neunziger Jahre ausdifferenziert wurde und auch die aktuelle feministische Erkenntnis- und Wissenschaftskritik informiert (vgl. exemplarisch Haraway 1988; Nagl-Docekal 2000, 124 ff.; Walby 2001). <?page no="209"?> 210 Sibylle Moser nistischer Wissenschaftspraxis einer Logik der Ergänzung. Die gesellschaftliche Ungleichheit der Geschlechter soll durch die feministische Korrektur wissenschaftlicher Beobachtungen tendenziell aufgehoben werden. Man bzw. ›frau‹ muss nur den Kriterien rationaler Wissenschaft folgen, dann werden Verzerrungen der Wirklichkeit erkannt und Ungerechtigkeiten zwischen Frauen und Männern aufgelöst. Viele egalitätsorientierte Forschungen kritisieren die falsche Darstellung der sozialen Realität in den Medien und ihre unkritische Übernahme in der wissenschaftlichen Beobachtung. Ihr Anspruch, Frauen in den Medien wie in der Medienforschung sichtbar zu machen, rekurriert auf die Tatsache, dass männliche Akteure die Tendenz haben, sich überproportional häufig ›in Szene zu setzen‹. Sogenannte ›Frauenthemen‹ wie der Bereich gesellschaftlicher Reproduktion (»Kinder, Küche, Kirche«) kommen in der Berichterstattung signifikant seltener vor, Bildschirme werden von männlichen Protagonisten bevölkert, Zeitungsredaktionen von Chefredakteuren dominiert. Differenzorientierte Frauenforschung kritisiert an der liberalen Frauenforschung, dass sie sich unkritisch an männlichen Maßstäben (Vorwurf des Androzentrismus) orientiert und geschlechtsspezifische Bedingungen der Wirklichkeitskonstitution ignoriert. Aufgrund ihrer latent empiristischen Ausrichtung kommen ihr gesellschaftsstrukturelle Ursachen und mediale Funktionsweisen der konstatierten Ungleichheiten nicht in den Blick. Warum werden Erfahrungszusammenhänge, die traditionellerweise Frauen zugeordnet werden, in den Medien seltener dargestellt? Welche Rolle spielt geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bei der Produktion und Rezeption von Medienangeboten? Feministische Differenzforschung macht sich auf die Suche nach geschlechtstypischem Mediennutzungsverhalten, nach geschlechtstypischen Berufssphären und Kommunikationsstilen und analysiert ökonomische, soziokulturelle und psychische Ursachen geschlechtlicher Ungleichheit. Sie zielt auf die explizite Berücksichtigung von Unterschieden zwischen den Geschlechtern ab und argumentiert aus der Perspektive eines weiblichen Erfahrungsstandpunkts, der normative Grundlagen und die Theoriegeleitetheit wissenschaftlicher Beobachtung betont. Die zentrale These lautet, dass Frauen und Männer in geschlechtersegregierten Gesellschaften unterschiedliche Erfahrungen machen. Mit der Annahme, dass dichotome Geschlechtercharaktere ein ideologisches Fundament bürgerlicher Gesellschaften sind (vgl. Bovenschen 1979), wird die ideologiekritische Analyse von Weiblichkeitsbildern (›Hausfrau, Hure, Heilige‹) historisch und gesellschaftstheoretisch kontextualisiert. Die komplexe Bestimmung der Kategorie Geschlecht findet ihren Niederschlag in der Ausweitung des kommunikationswissenschaftlichen Beobachtungsfelds. Die Analyse geschlechtsspezifischer Medieninhalte wird durch die Beobachtung von Differenzen in der Produktion und Rezeption von Medienangeboten erweitert. So beschäftigt sich die Forschung mit der Frage, ob und - wenn ja - warum Frauen spezifische Medien nutzen, spezifische Medienangebote <?page no="210"?> 211 Feministische Medientheorien bevorzugen, bestimmte Rezeptionsstrategien favorisieren und eigene journalistische Stile ausprägen. Politisch wird die Annahme einer genuinen Erfahrungsdifferenz unterschiedlich interpretiert. Während der sozialistische Feminismus die Geschlechterdifferenz als gesellschaftsstrukturelle Kategorie kapitalistischer Produktionsverhältnisse ausweist, führt die Akzentuierung der Differenz von Frauen im radikalen Feminismus zur Abgrenzung und Aufwertung weiblicher Erfahrungszusammenhänge und findet ihren Niederschlag in der Entstehung frauenzentrierter Gegenöffentlichkeiten. Die Kritik dieser Differenzorientierung wird im Laufe der neunziger Jahre immer massiver und markiert die Entstehung postmoderner Positionen in feministischer Politik und Forschung. Im Kontext einer erkenntnistheoretischen Repräsentationskritik wird die fundierende Unterscheidung feministischer Forschung, die Geschlechterdifferenz selbst, zum Problem. Worauf beziehen sich feministische Theoretiker/ innen, wenn sie von »Frauen« und »Männern« sprechen? Welche objektiven Eigenschaften teilen Individuen, die mit dem Etikett »weiblich« klassifiziert werden? Gibt es tatsächlich eine spezifisch weibliche Erfahrung? Sind gesellschaftliche Unterschiede wie Klasse, ethnische Zugehörigkeit und sexuelle Orientierung nicht ebenso ausschlaggebend für die Wahrnehmung und Kommunikation sozialer Wirklichkeiten? Die Erfahrungsvielfalt weist darauf hin, dass politisches Handeln im Rahmen moderner Mediengesellschaften in unterschiedlichen und wechselnden Kontexten verwirklicht wird. Frauen haben verschiedene Interessen und Identitäten, die sich nur temporär und im Hinblick auf Diskriminierungen zu einer Einheit kollektivieren lassen. Die allgemeine Skepsis gegenüber der Möglichkeit beobachtungsunabhängiger Erkenntnis führt zur Entwicklung konstruktivistischer und dekonstruktivistischer Positionen in der feministischen Theorie. Die Betonung der wirklichkeitsbildenden Macht jeder Unterscheidung zielt auf die Auflösung der Geschlechterdifferenz als wirklichkeitskonstitutiver Kategorie. Postmoderne Positionen bringen damit ein fundamentales Paradox feministischer Beobachtung auf den Punkt: Die zentrale Differenz der Forschung, die Unterscheidung der Geschlechter, soll durch ebendiese Forschung aufgelöst werden (vgl. Hagemann- White 1993; Scott 1995; Klaus 2001, 26). Die politische Umorientierung, die aus der Thematisierung dieses Paradoxes resultiert, spiegelt sich in der Entstehung der Gender Studies in den neunziger Jahren. Die Beobachtung der homogenen Einheit »Frauen« wird auf die Vielfalt möglicher Identitäten und Prozesse der Geschlechtskonstruktion umorientiert. Genderforschung konzipiert Geschlecht als Relation männlicher und weiblicher Identitäten im Schnittpunkt vielfältiger gesellschaftlicher Differenzlinien (vgl. Becker-Schmidt/ Knapp 2000, 39 ff.; Hassauer 1994, 12 ff.). Die zentrale These von der Konstruktion des Geschlechts weist Kommunikationsprozessen eine fundamentale epistemologische Interpretation zu, da Geschlechterwirklichkeiten in je medienspezifischen Kommunikationen realisiert <?page no="211"?> 212 Sibylle Moser werden (vgl. Angerer 1999, 26). Die aktuelle feministische Theoriebildung hat damit maßgeblich Anteil an der Reflexion des kommunikationswissenschaftlichen Gegenstandsbereichs. Sie oszilliert zwischen empirischen Forschungen, welche die Geschlechterdifferenz als Faktum beobachten (Beobachtung 1. Ordnung), und wissenschaftlichen Reflexionen, welche forschungsleitende Unterscheidungen sowie die Konstruktion der Geschlechter diskutieren (Beobachtung 2. Ordnung). 2.8.3 Grundbegriffe und Modelle des Feminismus Die feministische Diskussion des Geschlechtsbegriffs verdeutlicht, dass die Einführung theoretischer Begriffe von erkenntnistheoretischen Vorannahmen und praktischen Zielvorstellungen geprägt ist. Wissenschaftliche Theorien sind Begriffsnetze, die zur Strukturierung komplexer Erfahrungen und zur Lösung von Problemen entwickelt werden (Moser 2001, 33 ff.). Entsprechend stellen die gewählten Begriffe aus der feministischen Theorie vieldimensionale Konzepte dar, die mit kommunikations- und medienwissenschaftlichen Begriffen wie ›Kommunikation‹, ›Rezeption‹, ›Medienangebot‹ oder ›Mediensystem‹ verknüpft sind und diese im Rahmen einer Theorie des Geschlechts reformulieren bzw. spezifizieren. Sex/ Gender Die Unterscheidung der Begriffe Sex und Gender wurde 1975 von G. Rubin in die feministische Diskussion eingebracht. G. Rubin definiert das Sex/ Gender-System als »Gruppe von Übereinkünften, auf deren Grundlage eine Gesellschaft die biologische Sexualität in Produkte menschlicher Aktivität transformiert und diese transformierten Bedürfnisse befriedigt« (Rubin zitiert nach Nicholson 1994, 200). Das Bemühen, den biologischen Geschlechtskörper (Sex) von seiner gesellschaftlichen Interpretation (Gender) abzugrenzen, ist feministisch motiviert. Es wird als Bollwerk gegen einen biologischen Determinismus errichtet, der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern als Ausdruck ihrer natürlichen Verschiedenheit legitimiert. Die Unterscheidung Sex/ Gender zielt entsprechend darauf ab, a) die Erklärung und Legitimation geschlechtlicher Unterschiede durch biologische Sachverhalte wie Reproduktionsfunktionen in Frage zu stellen und b) Geschlechterdifferenzen als gesellschaftliche Sachverhalte zu reformulieren. Grundannahme der Sex/ Gender-Unterscheidung ist, dass gesellschaftliche und kulturelle Sozialisationsprozesse körperliche Gegebenheiten überformen. Entscheidend für die Gender-Sozialisation ist die Naturalisierung gesellschaftlicher Ungleichheit: »Gender eröffnet die Perspektive, einer naturalisierten Gesellschaftlichkeit auf die Spur zu kommen.« (Hauser 1999, 18) <?page no="212"?> 213 Feministische Medientheorien Ab den achtziger Jahren wird die Unterscheidung Sex/ Gender mit dem Argument in Frage gestellt, dass sie die Gegenüberstellung von Natur und Kultur wiederhole und damit der Naturalisierung des Geschlechtskörpers Vorschub leiste (vgl. Nicholson 1994, 201). »Wie kommt es, dass uns der Körper als unhinterfragbare, objektive, natürliche Wirklichkeit des Geschlechts vorkommt? « (Villa 2000, 64) Der Körper wird mit dem Hinweis auf die historische Variabilität der Geschlechtswahrnehmung als kulturelle Konstruktion bestimmt (vgl. Laqueur 1996). Die soziokulturelle Interpretation der Sex/ Gender-Unterscheidung schließt die feministische Diskussion mit der Medien- und Kommunikationstheorie kurz. Sie kulminiert in der Frage, welche symbolischen Verfahren die soziale Erfahrung von Geschlechtlichkeit ermöglichen. Geschlechtskonstruktion Die Sex/ Gender-Debatte diskutiert auf vielfältige Weise die These von der gesellschaftlichen und kulturellen Konstruktion des Geschlechts. In den neunziger Jahren steht die Konturierung dieser These und die Ausdifferenzierung verschiedener theoretischer Positionen im Zentrum. 4 Die sozialkonstruktivistische Grundannahme, dass Geschlechter nicht einfach gegeben sind, sondern in sozialen Interaktionen immer wieder symbolisch hergestellt werden, wurde 1978 von den Ethnomethodologinnen S. Kessler und W. McKenna im Konzept des Doing Gender zusammengefasst. Im Umkreis dieser Konzeption finden sich auch explizite Rückgriffe auf die soziologische Systemtheorie (  2.7 Systemtheorien der Medien). So wird die »Wahrnehmung und Kommunikation von Geschlecht« (vgl. Braun/ Pasero 1997; Pasero 1999) als Prozess der wechselseitigen Stabilisierung sozialer Erwartungen modelliert. Indem Frauen und Männer einander als solche wahrnehmen und kommunikativ kennzeichnen, bestätigen sie ihre Geschlechtsidentitäten und bringen in rekursiven Handlungskreisläufen die Geschlechterdifferenz als Wirklichkeit hervor: »Geschlechtsstereotype Erwartungen rufen geschlechtsstereotypes Verhalten hervor und umgekehrt.« (Pasero 1999, 18) Prominent wurde das Konzept des Doing Gender in den neunziger Jahren mit Studien zur Transsexualität. Diese interpretieren den Prozess der Geschlechtsumwandlung als ethnomethodologisches »Krisenexperiment«, das die unbewussten Routinen der Geschlechtsidentifikation aufdeckt, indem es »Ver- 4 Die (De-)Konstruktivismus-Diskussion formiert sich rund um Judith Butlers Buch »Gender Trouble« (vgl. Butler 1991) und versammelt eine Vielzahl prominenter angloamerikanischer und deutschsprachiger Theoretiker/ innen. Zur Vielfalt der Anschluss-Debatte siehe Publikationen von Benhabib u. a. 1993 bis zu Waniek/ Stoller 2001. Eine ausgezeichnete Übersicht und konstruktive Integration der Debatte zu den »sexy bodies« bietet Villa 2000. <?page no="213"?> 214 Sibylle Moser haltenserwartungen« eines Gegenübers »konsequent verletzt« (Lindemann 1994, 124). S. Hirschauer rekonstruiert in seiner Studie zur sozialen Konstruktion der Transsexualität das vielschichtige Wissen darüber, wie man eindeutige Geschlechtsidentitäten konstruiert, als Geschlechtszuständigkeit (Hirschauer 1993, 49 ff.). Die Zuständigkeit für die Darstellung von Geschlecht ist a) unhinterfragt, b) lebenslang, c) dichotom und d) biologisch legitimiert (vgl. Villa 2000, 75). Diese Annahmen werden in der Rekonstruktion von Prozessen symbolischer Vergeschlechtlichung virulent. Die Darstellung des Geschlechts arbeitet mit sozialen Ressourcen wie Kleidern, Geld, Bildung und körperlicher ›Ausstattung‹ (vgl. Villa 2000, 29 ff., 91 ff.). Mit Hilfe dieses symbolischen Repertoires wird Zweigeschlechtlichkeit als scheinbar unhintergehbare soziale Realität hergestellt. Für die feministische Kommunikationswissenschaft birgt das Konzept des Doing Gender das Potenzial, kommunikative Prozesse allgemein als geschlechtskonstitutiv zu interpretieren. Das Konzept des Performing Gender wurde von J. Butler in die feministische Diskussion eingebracht (Butler 1991 und 1995). Sie entfaltet die These von der Konstruiertheit des Geschlechts im Rahmen einer poststrukturalistischen Zeichenauffassung, die Sprache nicht als Repräsentation von Wirklichkeit, sondern als wirklichkeitsschaffenden Bedeutungsprozess bestimmt. Zeichen sind demnach zeitlich relative Differenzsetzungen, die immer Unbenanntes (»Abwesendes«) zur Voraussetzung haben. Neben J. Derridas Sprachphilosophie basiert J. Butlers differenztheoretische Argumentation auf kritischen Relektüren der Psychoanalyse J. Lacans (  2.9 Psychoanalytische Medientheorien) und der Diskursanalyse M. Foucaults (  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien). Beide stellen die Vorstellung der Aufklärung, dass der Mensch ein rationales, sich seiner selbst bewusstes Subjekt ist, in Frage. Das psychoanalytische Paradigma verweist darauf, dass Subjektivität erst durch die Spaltung in symbolische und unbewusste Existenz entsteht; die Diskursanalyse bestimmt Subjektkonzepte als Effekte diskursiver Praktiken. Beide Argumente weisen die Geschlechterdifferenz als Produkt sozialer Regulationsmechanismen aus. J. Butler stellt damit die ›kulturelle Intelligibilität‹ des Geschlechts ins Zentrum der gendertheoretischen Konstruktivismus-Debatte. Ihre zentrale erkenntnistheoretische Grundfrage ist, »welche Sprach- und Diskurs-Formation die Trope einer vordiskursiven (körperlichen) Realität […] zu welchen Zwecken (erzeugt)« (Knapp 1994, 274). Im Anschluss an J. Austins Konzept performativer Sprechakte betont sie, dass die Wiederholung (»Zitation«) jedes Bezeichnungsakts konstitutiv für die Bedeutung des Bezeichneten ist. Performativität meint »die ständig wiederholende und zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkungen erzeugt, die er benennt« (Butler 1995, 22). Demnach ist das biologische Geschlecht (Sex), der scheinbar natürliche Referent der Geschlechtsidentität (Gender), ein Effekt ebenjener diskursiven Praktiken, welche die Geschlechterdifferenz beständig als Normalität setzen. Analog ist die Frau als »Subjekt des Feminismus« (Butler 1991, 15) ein Phantasma feministisch-kollektiver Sprechweisen. <?page no="214"?> 215 Feministische Medientheorien Mit dem Begriff der zwangsheterosexuellen Matrix verweist J. Butler auf die normativen Implikationen der Zweigeschlechtlichkeit. Die dichotome Unterscheidung von zwei Geschlechtern geht mit der Normierung und Kontrolle von Begehrensformen, Körpererfahrungen und Lebensweisen einher. Das Konzept des Performing Gender wird entsprechend im Rahmen der Queer Theory (Hark 1993; Braidt 1998, 15 f.) empirisch konkretisiert, indem diese im Kontext sexueller Subkulturen das politische und symbolische Potenzial von Geschlechter-Travestien untersucht. Der dekonstruktive Feminismus J. Butlers zielt insgesamt darauf ab, die »rhetorische Verfassung« der Geschlechter (Vinken 1992, 19) aufzudecken und gesellschaftliche Ausschlussverfahren zu kritisieren. Dekonstruktion besteht in der kritischen Analyse von (Film-, TV- und Buch-)Texten, mit dem Anspruch, Sinngebungsprozesse durch neue Lesarten (Relektüren) zu subvertieren (vgl. Babka 2002). Da Sprache im Poststrukturalismus das Paradigma für soziale Beziehungen darstellt, erscheint die gesamte soziale Welt und mit ihr die Wissenschaft als textuelle Praxis. Entsprechend markiert der Begriff Dekonstruktion in der feministischen Kommunikations- und Medienwissenschaft eine politische Strategie, die einerseits »vorgeblich ›objektive‹ Grundkategorien des Faches als normative standpunktbezogene Setzungen« aufzeigen will (Klaus/ Röser/ Wischermann 2001, 13), andererseits die Relektüre kultureller Signifikationsprozesse im Objektbereich anstrebt. ›Dekonstruktiv‹ bezeichnet deshalb in erster Linie eine erkenntnis- und sprachkritische Zugangsweise. Feministische Forschung, die wissenschaftliche Geltungsansprüche erhebt, befindet sich jenseits der dekonstruktiv-philosophischen ›Spurensuche‹ im engeren Sinn. 5 Die diskurstheoretische Bestimmung der Genderkonstruktion hat eine Fülle von Einwänden hervorgerufen, die im Wesentlichen die Berücksichtigung konkreter Körpererfahrungen einfordern. So hat die Sozialhistorikerin B. Duden (1993) J. Butlers Konzept des Performing Gender als Konstruktion einer »Frau ohne Unterleib« attackiert. Die Erweiterung der gendertheoretischen Konstruktivismusdebatte durch phänomenologische Argumente stellt den Versuch dar, die Ebenen von kultureller Körperkonstruktion und subjektiver Körperempfindung zu vermitteln. Es wird argumentiert, dass der Körper die Schnittstelle zwischen Subjekt und Gesellschaft ist, an der sich soziale Strukturen materialisieren (vgl. Villa 2000, 14). So wird das soziale Körperwissen dem Leib als Ort subjektiven Binnenerlebens ge- 5 B. Wartenpfuhl betont, dass »weder der diskurstheoretische noch der ethnomethodologische Ansatz etwas mit Dekonstruktion zu tun [haben]. Sie sind bestenfalls als Rekonstruktion zu bezeichnen, da beide Ansätze lediglich nach dem Herstellungsmodus von Zweigeschlechtlichkeit und der soziokulturellen Reproduktion von Geschlechterdifferenz fragen.« (Wartenpfuhl 1996, 191) Dekonstruktion hingegen ist eine selbstkritische »Praxis feministischer Wissenschaftskritik: das Wissen um die Verquickung von Herrschaftskritik mit der Reproduktion von Herrschaftswissen« (ebenda, 207). Umgekehrt grenzen sich empirisch orientierte Forscherinnen des Doing Gender von poststrukturalistischen Positionen ab (vgl. Kotthoff 1993, 81). <?page no="215"?> 216 Sibylle Moser genübergestellt (vgl. Lindemann 1994, 133 ff.). Fühlen ist in diesem Sinn sozial geprägt und für Kommunikationen relevant. 6 Die genderorientierte Konstruktivismusdebatte führt damit zu der brisanten Frage nach dem Zusammenhang von Körpererfahrung, Zeichensetzung und Affekt. Geschlechterverhältnis(se) Die Konstruktivismusdebatte der neunziger Jahre arbeitet prägnant die kulturelle Dimension der Kategorie Gender heraus, sie weist jedoch makrosoziologische Defizite auf. So werden die gesellschaftsstrukturellen Bedingungen und Wirkungen der Geschlechtskonstruktion unzureichend diskutiert. Feministische Gesellschaftstheorien weisen darauf hin, dass Geschlechterbeziehungen und Geschlechterdifferenzen immer in Form spezifischer Geschlechterverhältnisse realisiert werden. Die Darstellungsressourcen, die zur Geschlechtskonstruktion zur Verfügung stehen, haben unterschiedlichen Wert, sind ungleich verteilt und schaffen im Zusammenspiel mit einer Vielzahl gesellschaftlicher Unterscheidungen asymmetrische Herrschaftsbeziehungen (vgl. Villa 2000, 110 ff.). Die Wechselwirkung von Geschlechterideologie (symbolischen Ordnungen) und gesellschaftlicher Organisation zeigt, dass jedes Geschlechterverhältnis gleichermaßen ein »ideelles Gebilde, eine symbolische Ordnung und ein Sozialgefüge [ist], das eine materielle Basis hat« (Becker- Schmidt/ Knapp 2000, 61). Deutlich wird dieser Zusammenhang in der Trennung von öffentlicher Lohnarbeit/ Produktion und privater Hausarbeit/ Reproduktion, die in bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft und den Ausschluss von Frauen aus Machtpositionen organisiert. 7 Geschlecht als Strukturkategorie repräsentiert eine Unterscheidungspraxis, die sich in einem dynamischen Netzwerk von Wechselbeziehungen historisch immer neu formiert. Gendering, der »Prozess des Entstehens und der kontinuierlichen Ausgestaltung des sozialen Geschlechterverhältnisses einer Gesellschaft« (Lünenborg 2001, 127) verändert sich mit dem Gesamtgefüge gesellschaftlicher Organisation. So wird die bürgerliche Trennung der Geschlechter im Zuge kapitalistischer ebenso wie emanzipatorischer Interessen teilweise dysfunktional. Beobachtungen aus der soziologischen Systemtheorie (  2.7 Systemtheorien der Medien) fassen 6 Entscheidend ist, dass die soziale Wahrnehmung signifikanter Körperformen die konkrete Empfindung in »Leibesinseln« konzentriert. Dies zeigt sich wiederum in der transsexuellen Erfahrung von Körperzonen: »Aus einer flachen Männerbrust etwa kann ein weiblich empfundener Busen ›werden‹, aus einer Klitoris ein kleiner Penis.« (Villa 2000, 194) 7 »Es gibt eine frappierende Diskrepanz in der gesellschaftlichen Bewertung der Produktion von Macht-, Informations- und Lebensmitteln gegenüber der Prokreation und Reproduktion des Lebens samt seiner kulturellen Erfordernisse.« (Becker-Schmidt/ Knapp 2000, 60) <?page no="216"?> 217 Feministische Medientheorien diesen Sachverhalt in dem Hinweis, dass die Geschlechterdifferenz parallel zu ihrer feministischen Thematisierung in modernen Gesellschaften einem Prozess der Dethematisierung unterworfen ist (vgl. Pasero 1995). Im Kontext moderner Mediengesellschaften erscheint die symbolische Aufladung der Geschlechterdifferenz »schlicht überdeterminiert« (Pasero 1999, 18). Systemtheoretiker/ innen stellen der primären funktionalen Spezialisierung gesellschaftlicher Teilbereiche deshalb die horizontale sekundäre Differenzierung entlang der Geschlechterverhältnisse gegenüber. Mit dieser Sichtweise zeichnet sich klar ein Konflikt ab zwischen der kritischen Gesellschaftstheorie, welche die feministischen Sozialwissenschaften dominiert (  2.3 Kritische Medientheorien), und funktionalistischen Systemtheorien, welche die theoretische Diskussion der Kommunikationswissenschaften seit den neunziger Jahren prägen (vgl. Lünenborg 2001, 135 ff.;  2.7 Systemtheorien der Medien). 2.8.4 Anwendungen in der Medienwissenschaft Öffentlichkeiten - KommunikatorInnen - Kommunikationsstile Die makrostrukturelle Analyse der Geschlechterverhältnisse unterwirft den Öffentlichkeitsbegriff, der die Beobachtung von massenmedialer Kommunikation leitet, einer kritischen Revision. So findet öffentliche Kommunikation hauptsächlich außerhalb der Sphäre androzentrischer Massenkommunikationen statt. E. Klaus schlägt als Alternative vor, Öffentlichkeit als »Prozeß, in dem die Regeln und Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens festgelegt werden« (Klaus 1994, 75), zu definieren. Mit dieser Sichtweise geraten Frauenöffentlichkeiten (Interaktionen auf Spielplätzen, im Supermarkt, in Freizeiträumen etc.) in den Blick, die aus der Sicht der androzentrischen Gegenüberstellung privat/ öffentlich irrelevant erscheinen. Die feministische Beobachtung der »heimlichen Öffentlichkeit« (Klaus) von Frauen verdeutlicht, dass die informelle Verständigung über Alltagsprobleme und deren Lösung hocheffiziente Prozesse der Meinungsbildung darstellen. 8 Differenzorientierte Forschungen werfen in diesem Zusammenhang die Frage auf, inwiefern Kommunikationsformen wie der »Klatsch und Tratsch« (Klaus 1994, 81) einen weiblichen Kommunikationsstil verwirklichen, welcher der Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen dient. Hier wird deutlich, dass die Erklärungsweise des Doing Gender eine vorschnelle Festschreibung der Geschlechterdif- 8 E. Klaus führt als Beispiel bevölkerungspolitisch effektive Prozesse der Geburtenkontrolle an, die aus informellen Informationsprozessen unter Frauen resultierten und lange vor der medialen Thematisierung von Verhütungsmitteln in Politik, Kirche und Wirtschaft wirksam wurden (vgl. Klaus 1994, 80). <?page no="217"?> 218 Sibylle Moser ferenz durch positive Bewertungen verhindern kann. So werden Kommunikationsweisen, die häufiger bei Frauen beobachtbar sind, als interaktive Konstruktion gesellschaftlicher Asymmetrie analysiert. Soziolinguistische Analysen von Expert/ innen in TV-Diskussionen illustrieren beispielsweise, dass Männer in dieser medienspezifischen Kommunikation die Tendenz haben, monologische »Belehrungen« vorzutragen, Themensetzungen von Frauen nicht aufzugreifen und deren Gesprächsbeiträge abzuwerten. Frauen manövrieren sich komplementär dazu durch eine »explorative Verhandlung« von Themen und einen »kooperativen« Diskussionsstil häufig in eine rangniedere Position (Kotthoff 1993, 86). 9 Da Doing Gender eine relationale Ordnung verwirklicht, wirken beide Geschlechter interaktiv an der Typisierung der Verhaltensweisen mit. Analog weist E. Klaus darauf hin, dass Frauenöffentlichkeiten häufig den Status quo affirmieren, indem sie die geschlechtstypische Organisation von Reproduktionssphären kommunikativ stabilisieren. Im Kontext feministischer Gegenöffentlichkeiten wird im Gegensatz dazu die Unterscheidung öffentlich/ privat in alternativen Medien neu verhandelt (vgl. Dorer/ Geiger/ Böck 1999, 18 f.). Subkulturelle Medien sind jedoch in dem Paradox gefangen, dass ihre Themen an ›Sprengkraft‹ verlieren, sobald sie im großen Rahmen von Massenmedien oder Parteien aufgegriffen werden. Im vorherrschenden Medienbetrieb scheint ein Engagement für genderspezifische Themensetzungen zudem nicht karrierefördernd zu sein (Dorer/ Geiger/ Böck 1999, 22). Aktuelle Daten zur beruflichen Situation von Frauen im Journalismus fundieren die gesellschaftstheoretische Annahme, dass die Unterscheidung der Geschlechter als Diskriminierung wirksam wird. Journalistinnen arbeiten häufiger in unsicheren Arbeitsverhältnissen, bekleiden mehrheitlich niedere Positionen und verdienen im Durchschnitt signifikant weniger. 10 Wie M. Lünenborg ausführt, können systemtheoretische Modelle, die Journalismus als soziales System ausschließlich entlang der Leitdifferenz »öffentlich/ nicht-öffentlich« beschreiben (  2.7 Systemtheorien der Medien), diese strukturelle Asymmetrie der Geschlechterdifferenz im Journalismus nicht erklären (Lünenborg 2001, 136 f.). 11 Andererseits bestätigen aktuelle Befunde, dass Journalistinnen und Journalisten sich in ihrem Handeln primär systeminternen kommunikativen Normierungen unterwerfen. Bis jetzt konnte weder ein ›weiblicher‹ journalistischer Stil noch eine mehrheitliche Konzentration von Frauen in sogenannten weichen Res- 9 Zur Diskussion soziolinguistischer Ansätze in der Geschlechterforschung siehe die Aufsätze in Braun/ Pasero 1997. 10 In Deutschland beträgt der Einkommensunterschied beispielsweise durchschnittlich umgerechnet 350 Euro (vgl. Lünenborg 2001, 129). 11 So mag man argumentieren, dass die ökonomische Ausbeutung von Frauen für das kapitalistische Wirtschaftssystem funktional ist; warum Frauen bei besserer Qualifikation nicht die Führungspositionen in Medienbetrieben stürmen, bleibt vielen Luhmann-Anhänger/ innen jedoch ein Rätsel. <?page no="218"?> 219 Feministische Medientheorien sorts wie Kultur oder Freizeit nachgewiesen werden. E. Klaus resümiert, »dass Frauen und Männer keine unterschiedlichen professionellen Gruppen bilden, generell geschlechterdifferente Herangehensweisen an den Beruf empirisch nicht belegt werden können und theoretisch nicht tragfähig sind.« (Klaus 2001, 28) Mediennutzung - Publikumsforschung - Rezeptionsweisen Im Rahmen der Mediennutzungsforschung taucht das Geschlecht zunächst als soziodemographische Variable auf, die Publika eher unspezifisch in männliche und weibliche einteilt. So scheinen etwa Studien zum Leseverhalten zu bestätigen, dass Frauen öfter, mehr sowie eher aus Interesse an Unterhaltung lesen, während Männer sich primär Information von ihren pragmatisch orientierten Lektüren erwarten. Damit korrespondiert die Orientierung von Frauen an Gratifikationen wie Entspannung und Phantasie, ihre Bevorzugung fiktionaler Lesestoffe sowie ästhetisch-hedonistische und sozial-emotive Rezeptionsweisen (vgl. Garbe 1992, 12). 12 Komplementär zum Leseverhalten im Printbereich weisen erste Untersuchungen zum Umgang mit dem Internet darauf hin, dass dieses nach wie vor von Frauen und Männern unterschiedlich häufig genutzt wird (vgl. Schreier 1998; Dorer 2001). Wie werden die konstatierten Differenzen aber erklärt? C. Garbe führt im Rahmen der Leseforschung medienhistorische Argumente an und erklärt die Dominanz von Leserinnen durch die mediensozialisatorischen Implikationen des modernen Geschlechterverhältnisses. So rekrutierte sich das Publikum der im 18. Jahrhundert entstehenden Lesekultur zu einem Großteil aus bürgerlichen Hausfrauen, welche das neu entstandene Genre des Romans rezipierten. Aktuelle familiäre Sozialisationsprozesse führen diese Tradition einer »weiblichen Lesekultur« fort, was sich daran zeigt, dass Müttern noch immer weitaus häufiger die Rolle des »Lesevorbilds« zukommt (vgl. Garbe 1992, 19). Differenzen in den Rezeptionsweisen werden aber auch bevorzugt im Rahmen unterschiedlicher psychoanalytischer Modelle erklärt, die von der Annahme ausgehen, dass Rezeptionsstile psychische Dynamiken geschlechtlicher Identitätsbildung zum Ausdruck bringen. Im Anschluss an N. Chodorows Interpretation der Object-Relations-Theory erklärt C. Garbe die Tatsache, dass viele Leserinnen in ihre Lektüren ›eintauchen‹, durch unterschiedliche Subjektivierungsprozesse. Während Frauen aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit der Mutter bei ihren Außenweltbeziehungen zwischen Identifikation und Abgrenzung schwanken, setzt die männliche Identitätsbildung die endgültige Abwendung 12 Diese Befunde wurden im Wesentlichen auch für die österreichische Medienlandschaft bestätigt, vergleiche Böck 1998 bzw. die Zusammenfassung ihrer Studie in Dorer/ Geiger/ Böck 1999, 22 ff. <?page no="219"?> 220 Sibylle Moser vom mütterlichen Ursprung voraus. Entsprechend könne man den identifikatorischen Lektürestil von Frauen als Ausdruck ihrer Beziehungsorientierung werten (vgl. Garbe 1992, 21 ff.). 13 Derartige Erklärungsmuster fundieren differenzorientierte Genderkonzepte und mit ihnen die Vorstellung von den »Leserinnen«, »TV-Zuseherinnen« oder »Internet-Userinnen«. Im Kontext der aktuellen feministischen Publikumsforschung betont G. Schäfer hingegen die Verschiedenheit von Mediennutzerinnen und ihren Bedürfnissen: »›Die Frau‹ als einheitliche Zielgruppe der Medien erwies sich als obsolete medienpraktische und wissenschaftliche Kategorie.« (Schäfer 2000, 198) Viele Forscher/ innen schließen sich deshalb der Kontextorientierung der angloamerikanischen Cultural Studies an (  2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien) und votieren für die Erforschung konkreter Rezeptionssituationen (vgl. Gray 2001). 14 Qualitative Forschungen untersuchen entsprechend vermehrt konkret die Nutzungsbiographien und Rezeptionsweisen von Frauen. So rekonstruierte J. Dorer mit Hilfe der Methode der Erinnerungsarbeit die Selbstwahrnehmungen von Internet-Userinnen, deren Unsicherheit und Minderbewertung der eigenen Fähigkeiten unmissverständlich auf die Verknüpfung medialer Zugangsbedingungen mit hierarchischen Geschlechterverhältnissen hinweist (vgl. Dorer 2001). Medieninhalte: Weiblichkeitsbilder - Männlichkeitsbilder Die Beobachtung, dass die Unterscheidung der Geschlechter das semantische Universum metaphorisch restrukturiert (vgl. Pasero 1994, 268), führt zu Untersuchungen der symbolischen Dimension der Geschlechterdifferenz. In Form von Inhaltsanalysen wurde eine Vielzahl von Untersuchungen zur Geschlechterstereotypisierung in verschiedenen Massenmedien vorgelegt. Exemplarisch sei auf die Erforschung von Weiblichkeitsbildern in der Werbung hingewiesen, die B. Spieß im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Wandel des deutschen TV-Werbespots 13 J. Lacans poststrukturalistische Interpretation der Psychoanalyse (  2.9 Psychoanalytische Medientheorien) reformuliert diesen Trennungsprozess zeichentheoretisch: Die Entwicklung von Geschlechtsidentität wird hier genuin mit dem Eintritt in die »symbolische Ordnung« verknüpft. Da Zeichensetzung immer einer fundamentalen Verkennung bzw. Verdrängung eines Begehrens entspricht, basiert jede Subjektivierung auf einem permanenten semantischen Aufschub. Weiblichkeit als Verdrängtes erscheint aus dieser Perspektive als subversive Dimension der Zeichensetzung, welche die differenzielle Verfasstheit jeder Identität sichtbar macht. Dies führt im dekonstruktiven Feminismus zum Konzept des weiblichen Lesens, dessen Spezifik darin besteht, »die Maske der Wahrheit, hinter der der Phallogozentrismus seine Fiktionen versteckt, als Maske zu entlarven« (Vinken 1992, 17). 14 Die zahlreichen feministischen Film- und TV-Forschungen können hier leider nur beispielhaft berücksichtigt werden. Einen ersten Einstieg bietet neben Klaus/ Röser/ Wischermann 2001 auch der Überblick zur österreichischen Forschungslage von Dorer/ Geiger 2002. <?page no="220"?> 221 Feministische Medientheorien von 1950 bis 1990 durchführte (vgl. Spieß 1994). Sie unterscheidet die inhaltsanalytischen Kategorien »alte Frau«, »berufstätige Frau«, »Ehefrau & Mutter« sowie »selbstbewusste, sich selbst verwirklichende Frau« (ebenda, 413) und kommt zu dem Schluss, dass »die Mehrzahl der deutschen Werbespots, in denen Frauen als Akteurinnen auftreten, traditionelle Rollenklischees [konservieren].« (Ebenda, 422) Die konstatierte »Harmonisierung von Innovation und Tradition« (ebenda, 425), die in Klischees wie der ›sich selbst verwirklichenden Hausfrau‹ oder der ›erotischen Karrierefrau‹ zum Ausdruck kommt, lässt sich auch für Männlichkeitsbilder nachweisen, die im Zuge der relationalen Ausrichtung der Genderforschung zunehmend Untersuchungsgegenstand werden. S. J. Schmidt fasst die »Mannsbilder« in der Anzeigenwerbung dreier deutscher Magazine folgendermaßen zusammen: »Die Männer sind vor allem sportlich, erfolgreich, tüchtig und vernunftbegabt.« (Schmidt 2000, 254) Inhaltsanalytische Untersuchungen von Geschlechterstereotypien stehen in der Tradition ideologiekritischer Analysen und variieren mit den zugrunde liegenden Vorstellungen des Verhältnisses von Medien und Wirklichkeit. Während Ansätze in der Tradition des liberalen Feminismus häufig von einer Verzerrung der Wirklichkeit durch die Medien ausgehen, die der Realität von Frauen nicht gerecht wird, betonen konstruktivistische und dekonstruktivistische Argumentationen, dass die mediale Inszenierung der Geschlechter je eigene kommunikative Wirklichkeiten herstellt. So versehen Werbekommunikationen Produkte mit der geschlechtsspezifischen Konnotation von Lebensstilen und Werten und geben damit Aufschluss über gesellschaftliche Orientierungssysteme. Die systemspezifischen Kontexte der inhaltsanalytisch untersuchten Medienangebote verweisen auf die Notwendigkeit, diese mit kommunikativen Prozessen auf der Rezeptionsebene zu vermitteln. Medienästhetik: Interdependenz von Genre und Geschlecht Besonders deutlich wird die mediale Vermitteltheit von Wirklichkeit in Untersuchungen, die auf die Verquickung von Gender und Genre hinweisen. Im Rahmen der feministischen Fernsehforschung wurde in diesem Zusammenhang die Diskussion über soap operas prominent. In den achtziger Jahren wurde der Versuch unternommen, diese mit einem genuin weiblichen Lebenszusammenhang zu verknüpfen. Soap operas, so das differenzfeministische Argument von Forscherinnen wie T. Modleski, würden sowohl in ihrer narrativen fragmentierten Struktur als auch in ihren Themen die Alltagserfahrungen der sie vorzugsweise rezipierenden Frauen widerspiegeln. Diese Annahmen zeigen die Begrenztheit realistischer Medienkonzepte sowie differenzorientierter Ansätze für die Genderforschung. Denn weder sind alle Zuseherinnen von soaps weiße Hausfrauen des amerikanischen Mit- <?page no="221"?> 222 Sibylle Moser telstands, noch spielen sich Rezeptionen als bruchlose Identifikationsprozesse ab (vgl. Schneider 2001, 99 f.). I. Schneider argumentiert im Rekurs auf Performing Gender, dass die Naturalisierung von Gattungen mit ihrer geschlechtsspezifischen Typisierung einhergeht. Sie betont, dass kulturelle Geschlechtskonstruktionen aus dem »Zusammenspiel heterogener Diskurse« entstehen. Genres stellen in diesem Sinn »Mediendiskurse« dar, die Geschlechterstereotypien herstellen. Genres werden nicht als normative Klassifikationen gesetzt, sondern erscheinen als kommunikative Klassifikationsprozesse. Entsprechend weist A. B. Braidt (1998) im Anschluss an die konstruktivistische Theorie der Medienschemata auf die genderinfiltrierten Erwartungsmuster von filmischen Genres wie Horror oder Splatter hin. Sie erweitert die konstruktivistische Argumentation im Rahmen der Queer Theory mit der These, dass Überschreitungen von Genreregeln die Überschreitung von Geschlechtsidentitäten ermöglichen. Neue Medien: Gender in virtuellen Räumen und Netzwelten Aufgrund der These von der Konstruktion des Geschlechts fokussiert die aktuelle feministische Diskussion zunehmend die konstruktiven Eigendynamiken medialer Wirklichkeiten und betont die Prozessualität kultureller Bedeutungskonstruktionen. Deutlich wird, dass Medien Menschen die Möglichkeit eröffnen, je nach Kommunikationssituation und Kontext unterschiedliche soziale Identitäten darzustellen. So zeigen Forschungen im Umkreis der Cultural Studies (  2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien), dass »die Verteilung von Genderpositionen« in Medienprozessen »immer neu ausgehandelt wird« (Angerer 1999, 105). 15 Dies wird besonders an Beobachtungen der Geschlechtskonstruktion in virtuellen medialen Umgebungen deutlich. MUDs (Multi-User-Dimensions) bieten User/ innen die Möglichkeit, in verschiedene Rollen zu schlüpfen und ihre Geschlechtsidentitäten zu wechseln - stößt man beispielsweise auf eine flotte Blondine, die sich auffällig erotisch gebärdet, liegt der Verdacht nahe, dass sich ein männlicher User gerade im ›genderswapping‹ versucht (vgl. Schreier 1998, 89). Gendertheoretikerinnen wie S. Turkle und A. R. Stone betonen entsprechend die intrinsische Verknüpfung virtueller Räume mit Identität und Geschlecht. Entgegen der Annahme, dass Digitalität zur endgültigen Realisierung körperloser Existenz führe, betont A. R. Stone, dass Online-Communities fundamental durch Be- 15 »Nicht mehr die Frage: Wie werden Frauen präsentiert? , sondern: Welche Geschlechterpositionen werden bei der Medienrezeption eingenommen oder abgelehnt, verändert oder bestätigt? steht nun im Mittelpunkt des Forschungsinteresses.« (Dorer/ Geiger/ Böck 1999, 30) <?page no="222"?> 223 Feministische Medientheorien gehren, Raum und Körper geprägt sind (vgl. Galloway 1997). Die Konstruktion des Geschlechts durch digitale Apparaturen führt dessen naturwüchsige Gegebenheit endgültig ad absurdum. Die Medienphilosophin S. Plant argumentiert, dass der digitale Code die antike Gegenüberstellung von weiblicher Materie und männlicher Form (Geist) überwindet und die Entstehung von Identität in den Raum zwischen eins und null verlegt (vgl. Plant 1998). Die feministische Diskussion digitaler Technologien beruft sich häufig auf das legendäre Cyborg-Manifest, das die Wissenschaftshistorikerin D. Haraway Mitte der achtziger Jahre verfasst hat (vgl. Haraway 1990). Sie führt den/ die Cyborg als Metapher für die Überschreitung der Grenzen zwischen Mensch, Tier und Maschine ein. Die Tatsache, dass menschliche Körper sich in vielfältiger Weise an Bio- und Kommunikationstechnologien koppeln, löst das humanistisch-westliche Menschenbild auf, welches körperliche Existenzen jenseits weißer Männlichkeit als ›andersartig‹ deklassierte. Das Bild des/ der Cyborg als Hybridwesen verdeutlicht, dass die Technologien des »posthumanistischen Zeitalters« gleichermaßen Gefahren wie Potenziale bergen (  2.1 Techniktheorien der Medien). In Abgrenzung zu technikfeindlichen Tendenzen im Feminismus weist D. Haraway darauf hin, dass die »Informatik der Herrschaft« (Haraway 1990, 203) nur mit der ihr eigenen Logik von Dezentralisierung und Vernetzung aufgebrochen werden kann. So weist die ›Feminisierung‹ von Produktionsprozessen im Tele-Working einerseits auf die Ausbeutung von Frauen hin, andererseits birgt sie aber auch Chancen beruflicher Selbstständigkeit. S. Plant erweitert diese Argumentation mit dem Hinweis, dass die Kopplung von Frauen und Technik ein konstitutiver Bestandteil abendländischen Denkens ist. Die historische Tatsache, dass Frauen als Weberinnen, Stenotypistinnen und Programmiererinnen immer schon technische Automatisierungsprozesse realisiert hätten, mache deutlich, dass Frauen und die mit ihnen verbundene Natur buchstäblich ein ›technisches Artefakt‹ sind. Diese Argumentation orientiert sich an der französischen Philosophin L. Irigaray, die im Rahmen von Poststrukturalismus und Psychoanalyse das Weibliche als verdrängte Kehrseite abendländischer Subjektivierungsphantasien beschreibt (vgl. Irigaray 1977). S. Plant erweitert diese Sichtweise mit der Annahme, dass die kulturelle Konstruktion der ›Frau‹ als negativer Voraussetzung männlicher Identität diese dazu prädestiniere, binäre Logiken vorzuführen und in ihrer Wiederholung zu unterwandern: »Woman cannot be anything, but she can imitate anything valued by man: intelligence, autonomy, beauty … perhaps the very possibility of mimesis.« (Plant zitiert nach Galloway 1997) Entsprechend greift der Cyberfeminismus die Netzwerksme- <?page no="223"?> 224 Sibylle Moser tapher auf und reinterpretiert die Matrix, jenen Datenstrom, aus dem Wirklichkeiten emergieren, als weiblich-subversiven Raum. 16 S. Plants Ansatz ist ein markantes Beispiel für die kritische Lektürepraxis einer dekonstruktiv-feministischen Medienphilosophie. Ihre rhetorische Analogiebildung von Mensch/ Maschine und Mann/ Frau (vgl. Gsöllpointner/ Hentschläger 1999, 61) demonstriert die Gefahr, in der Tradition des französischen Differenzfeminismus dichotome Geschlechtszuschreibungen zu wiederholen. M.-L. Angerer verweist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen posthumanen Visionen, die das Subjekt der Aufklärung in der beseelten Maschine auferstehen lassen, und posthumanistischen Subjektkonzepten in der Tradition des Poststrukturalismus und der lacanschen Psychoanalyse (vgl. Angerer 1999, 134). Die posthumanistische Perspektive wirft die Frage auf, ob die Virtualisierung sozialer Wirklichkeiten die Unbestimmbarkeit jeglicher Identitätsbildung reflektiert und geschlechtliche Identitäten prinzipiell ein flüchtiges »Oberflächenphänomen« (ebenda, 181) sind. 2.8.5 Kritik und Weiterentwicklung der Theorien In der breiten Palette feministischer Forschungsansätze wiederholt sich die theoretische Heterogenität der aktuellen Kommunikations- und Medienforschung. Offen bleibt, inwieweit einzelne Theoriebildungen im Rahmen aktueller Genderforschungen konzis integrierbar sind. 17 Trotz ihres konzeptuellen Pluralismus bleibt die feministische Medien- und Kommunikationsforschung aufgrund ihrer politischen Wurzeln primär auf Ansätze beschränkt, die ihre Beobachtungsstrategien explizit als Gesellschaftskritik markieren. So ist es nicht verwunderlich, dass sie die aktuelle konstruktivistische Medientheorie (  2.6 Konstruktivistische Medientheorien) wenig rezipiert, obwohl die These von der Konstruktion des Geschlechts eine ihrer zentralen Annahmen darstellt. Die weitgehende Abstinenz gegenüber aktuellen Beobachtertheorien betrifft auch feministische Überlegungen zu den neuen Medien, deren expliziter Bezug auf Kybernetik, Kognitionswissenschaften und Life Sciences einen Dialog mit dem Radikalen Konstruktivismus und (soziologischen, psychologischen und allgemeinen) Systemtheorien nahe legen würde. Eben- 16 Bekannt wurde die australische Gruppe VNS Matrix, die Slogans wie »the clitoris is a direct line to the matrix« prägte. Als Einstieg in die Welt des Cyberfeminismus eignen sich www.constantvzw. com/ cyberf/ main.html oder switch.sjsu.edu/ web/ v4n1/ toc.html. Zur Kritik am traditionellen Geschlechterverständnis des Cyberfeminismus siehe Angerer 1997 und Angerer 1999, 153 f. 17 So ist es schwierig, poststrukturalistische Subjektvorstellungen, wie sie dem Konzept der Performing Gender zugrunde liegen, mit dem ethnomethodologischen Akteursmodell des Doing Gender zu verknüpfen. Während Ersteres methodisch als dekonstruktive Lektürepraxis realisiert wird, wird Letzteres durch empirische Handlungsbeobachtungen validiert. <?page no="224"?> 225 Feministische Medientheorien so fällt auf, dass bei der Untersuchung der Genese von Geschlechtsidentitäten nach wie vor psychoanalytische Erklärungsmuster dominieren und kognitionspsychologische Alternativen kaum diskutiert werden. 18 Die Frage bleibt, ob sich feministische Medien- und Kommunikationstheorien durch diese Abstinenzen wichtige Erkenntnispotenziale entgehen lassen (vgl. Moser 1997, 159 ff.). E. Klaus, J. Röser und U. Wischermann geben in ihrer aktuellen Einführung den wichtigen Hinweis, dass ein Innovationspotenzial der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Genderforschung darin besteht, das Zusammenspiel verschiedener Beschreibungsebenen im Medienprozess zu veranschaulichen: »Weil Geschlechterforschung durch ihren Gegenstand immer die Schnittstelle zwischen Medien, Gesellschaft und Subjekt analysiert, sind ihre Befunde und Methoden besonders dort innovationsfähig, wo es um das Ineinandergreifen von gesellschaftlichen Strukturen, Medienkommunikation und subjektivem Handeln geht.« (Klaus/ Röser/ Wischermann 2001, 18). 19 Für die Erfassung der Wechselwirkungen von psychischer Identität, medialer Eigendynamik und gesellschaftlicher Organisation braucht es offensichtlich vieldimensionale Forschungsdesigns und Methodenrepertoires. 20 Der Faktor Geschlecht wirkt auf den Ebenen von Kognition und Kommunikation ebenso differenzbildend wie auf den Ebenen von Medien und Kultur (vgl. Schmidt 1994, 322;  2.6 Konstruktivistische Medientheorien). Eine zentrale Frage der Genderforschung ist deshalb, welche Theorien und Methoden sich durch welches Integrationspotenzial auszeichnen (vgl. Lünenborg 2001, 138). Feministische Medien- und Kommunikationstheorien stoßen damit ebenso wie die konstruktivistische Medientheorie auf forschungspraktische Probleme, die aus der Beobachtung komplexer sozialer Wirklichkeiten resultieren. Man darf also gespannt sein, ob die beiden sich bei der Entwicklung möglicher Lösungsansätze doch noch temporär ›koppeln‹ werden. 18 Eine der wenigen Ausnahmen sind Crawford/ Chaffin 1986, deren Ausführungen zur Entwicklung kognitiver Geschlechtsschemata aber dem traditionellen Informationsverarbeitungs-Ansatz verpflichtet bleiben. 19 Ein zentrales Problem komplexer Theoriebildungen in den Kultur- und Sozialwissenschaften ist die Integration von Mikroebene und Makroebene. Vergleiche Klaus/ Röser/ Wischermann 2001, 12; Villa 2000, 22 ff. sowie Moser 2001, 279 ff. 20 So können makrotheoretische Hypothesen häufig nicht durch ausschließlich qualitative Forschungsdesigns überprüft werden. Phänomene wie die Bildung feministischer Netzwerke könnten beispielsweise durch Netzwerkanalysen untersucht werden. <?page no="225"?> 226 Sibylle Moser Literatur Angerer, Marie-Luise/ Dorer, Johanna (1994): Auf dem Weg zu einer feministischen Kommunikations- und Medientheorie. In: Angerer, Marie-Luise/ Dorer, Johanna (Hg.): Gender und Medien. Theoretische Ansätze, empirische Befunde und Praxis der Massenkommunikation. Wien: Braumüller, S. 8 - 23. Angerer, Marie-Luise (1997): Space does Matter. Erste Überlegungen zu einer Neuen Technologie des Geschlechts. In: Feministische Studien, Heft 1, S. 34 - 47. Angerer, Marie-Luise (1999): body options. körper. spuren. medien. bilder. Wien: Turia + Kant. Babka, Anna (2002): Unterbrochen. Gender und die Tropen der Autobiographie. 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Erklären Sie die Differenz von Sex und Gender und plausibilisieren Sie in einem zweiten Schritt die Kritik an ihr. 3. Grenzen Sie die Konzepte Doing Gender und Performing Gender voneinander ab. 4. Diskutieren Sie kritisch das Frauenbild in cyberfeministischen Ansätzen. 5. Welche Dialogmöglichkeiten sieht die Autorin dieses Beitrags zwischen feministischer und konstruktivistischer Medientheorie, und wie beurteilen Sie diesen Vorschlag? 6. Inwieweit entspricht der dekonstruktive Feminismus einem (ideologie-)kritischen Verständnis von Wissenschaft und gegen welche Form von Empirie wendet er sich (wenn möglich anhand eines Beispiels)? <?page no="231"?> 232 2.9 Psychoanalytische Medientheorien Lutz Ellrich 2.9.1 Skizze eines psychoanalytischen Medienbegriffs Die Geschichte der psychoanalytischen Medientheorien erlaubt keine einheitliche narrative Präsentation. 1 Obschon hervorragende Texte vorhanden sind, fehlt eine Serie kanonischer Werke, an der sich die allmähliche Verfeinerung der Forschungsmethoden und die stetige Erweiterung der gewonnenen Einsichten ablesen ließe. Dies liegt zunächst einmal an der Heterogenität der psychoanalytischen Ansätze und Schulen, die sich im Zuge ihrer Etablierung oft erbittert bekämpft haben und teilweise noch immer befehden oder schlichtweg nicht zur Kenntnis nehmen. Aber auch die viel beklagte Mehrdeutigkeit des Medienbegriffs wirkt sich hier aus. Beide Faktoren verstärken einander. Wer mit psychoanalytischen Denkfiguren das mediale Unbewusste - also die eigentümliche Verborgenheit medialer Strukturen und Wirkmechanismen - zu ergründen sucht, betritt ein theoretisches Gelände, in dem fast alles möglich ist. Dabei wäre in direktem Anschluss an Freud eine forschungspragmatische Engführung des Medienbegriffs durchaus zu erreichen. Sybille Krämer hat auf diese Chance, die bislang ungenutzt blieb, aber vielleicht von einer zukünftigen Theorie des Computers ergriffen wird, hingewiesen (vgl. Krämer 1998). Das Problem der medialen Latenz - daran besteht kein Zweifel - stellt nach wie vor eine zentrale Herausforderung für die Forschung dar und ruft die psychoanalytische Sicht geradezu auf den Plan. Marshall McLuhan (  2.1 Techniktheorien der Medien;  2.11 Medienphilosophische Theorien) und Niklas Luhmann (  2.7 Systemtheorien der Medien) haben die Relevanz des Themas erkannt und Konzepte präsentiert, die allerdings zu »gegenläufigen Ergebnissen« führen. Während McLuhan »sich am Vorbild der Technik, verstanden als eine Relation zwischen autonom werdendem Mittel und Zweck«, orientiert, nimmt Luhmann bei der Explikation seiner Differenz von loser Kopplung (Medium) und fester Kopp- 1 Das zeigen die Texte von Kaplan 1990, Stam/ Burgoyne/ Flitterman-Lewis 1992, Zeul 1994, Heath 2000 und Sierek 2000, in denen Ansätze und Befunde der psychoanalytischen Filmtheorie resümiert werden. Das Kino steht - wegen der Sonderstellung des Sehsinns - nach wie vor im Zentrum neo-freudianischer Mediendiskurse. Psychoanalytische Studien zum Radio oder Telefon sind zum Teil über Trivialitäten oder exzentrische Thesen (vgl. etwa Ronell 1989, Hagen 1989, Küchenhoff/ Warsitz 1991 oder Siegert 1991) nicht hinausgelangt. - Zur medienpsychologischen Wirkungsforschung wiederum, in der psychoanalytische Gesichtspunkte nur eine marginale Rolle spielen, vgl. Winterhoff-Spurk 1999. <?page no="232"?> 233 Psychoanalytische Medientheorien lung (Form) die »Denkfigur des Zeichens als […] Urbild für die Vermittlung zwischen Materie und Form« (Krämer 1998, 78) in Anspruch. Freud hingegen ebnet Wege, auf denen man lernen kann, Medien und ihre Effekte gerade dadurch besser zu verstehen, dass der Medienvom Zeichenbegriff separiert wird. Die Psychoanalyse führt nämlich das Konzept des Unbewussten ein, das die Existenz einer seelischen Instanz unterstellt, die deutlich sichtbare, aber unbeabsichtigte, d. h. von ihren Verursachern gerade nicht intendierte Spuren (Symptome) hinterlässt, deren Sinn auf den ersten Blick rätselhaft ist. Anhand dieses Modells lässt sich der Unterschied von Zeichen und Medien erläutern: Während Zeichen auf »Konventionen« beruhen, »grundsätzlich arbiträr« sind (  2.4 Zeichentheorien der Medien) und nach ihrer Erlernung relativ problemlos eingesetzt und verstanden werden, entfaltet sich die »Prägekraft« des Mediums … »[…] in der Dimension einer Bedeutsamkeit jenseits der Strukturen einer konventionellen Semantik. Und es ist die Materialität des Mediums, welche die Grundlage abgibt für diesen ›Überschuß‹ an Bedeutung, […] der von den Zeichenbenutzern keineswegs intendiert und ihrer Kontrolle auch gar nicht unterworfen ist.« (Krämer 1998, 78 f.) Anders als Zeichen lassen sich Medien deshalb auch nicht direkt sinnhaft erschließen. Denn Medien treten ebenso wie das Unbewusste allein durch Spuren in Erscheinung, die erst entschlüsselt werden müssen. Beide - Medium und Unbewusstes - hinterlassen »vorsemantische« Indizien für die Anwesenheit von etwas Abwesendem. Diese Indizien »sagen uns nichts, sondern sie zeigen uns etwas« (ebenda, 79), das freilich durch aufwendige Deutungsverfahren diskursiv eingeholt werden kann. »Das Medium verhält sich zur Botschaft, wie die unbeabsichtigte Spur zum absichtsvoll gebrauchten Zeichen«, wie das Unbewusste zu dem, was dem Bewusstsein zugänglich ist. »Das Medium ist also nicht einfach die Botschaft; vielmehr bewahrt sich an der Botschaft die Spur des Mediums.« (Ebenda, 81) Sobald die latenten Prägekräfte der Medien ins Bewusstsein gehoben sind, lassen sie sich - so könnte man vermuten - absichtsvoll einsetzen und wie Werkzeuge (zur Selbst- und Fremdmanipulation) benutzen. Genau diese Annahme soll durch den Medienbegriff, den Krämer in die Debatte wirft, untergraben werden. Denn die diskursive Manifestation der verborgenen Medialität führt nicht zwangsläufig zur Instrumentalisierung der Medien, sondern im Gegenteil zur Einsicht, dass die Differenz von Medien und Instrumenten unhintergehbar ist. Medien dienen nicht, wie Instrumente, der Leistungssteigerung, sondern ihr »produktiver Sinn« liegt in der »Welterzeugung« (ebenda, 85). Sie bilden gleichsam die Rahmen, in denen sich Individuen als Akteure bewegen. Das psychoanalytisch ermittelte Wissen um die ›Hintergründigkeit‹ von Medien fördert also im Endeffekt »die laut- <?page no="233"?> 234 Lutz Ellrich lose, unsichtbare Handhabung einer Ordnung, die wir nicht selbst gemacht und hervorgebracht haben« (ebenda, 90). Krämers Vorschläge sind heuristisch wertvoll, weil sie für die Grundbegriffe und Leitunterscheidungen der Medien-Psychoanalyse (manifest/ latent, diskursiv/ prädiskursiv, Zeichen/ Symptom, Manipulation/ Unverfügbarkeit) ein relativ unkompliziertes theoretisches Bezugssystem liefern, in das dann weitere Bestimmungen wie Symbol und Klischee, Begehren und Trieb, Wunsch und Phantasie, Verdrängung und Regression etc. eingetragen werden können. Die psychoanalytischen Konzepte sollen letztlich dazu dienen, den Zusammenhang zwischen Medieneffekten und seelischen Leiden zu klären. Die entscheidende Frage ist, welche Rolle die Medien bei der Verarbeitung basaler Konflikte und Traumata spielen; d. h. ob sie pathologische Abwehrmechanismen unterstützen, zur Einsicht in unvermeidliche Kränkungen und Deformationen beitragen oder Neurosenprophylaxe bzw. -therapie leisten. Medien können sich dann als Apparaturen der Verdrängung, als Orte der Wiederkehr des Verdrängten und der Ersatzbildungen oder gar als Hilfsmittel zur Befreiung von ›krankhaften‹ Wünschen und Phantasmen erweisen. Von den zahlreichen vorhandenen Ansätzen sollen im Folgenden fünf besonders wichtige behandelt werden. Die Anordnung richtet sich nach systematischen und nicht nach chronologischen Gesichtspunkten: • Der erste Ansatz beruht auf der These, dass die Psychoanalyse sich erst dann mit Gewinn auf die Medien und ihre Botschaften anwenden lässt, wenn sie ihre eigenen medialen Voraussetzungen reflexiv einholt (Kittler). • Der zweite Ansatz unterstellt, dass eine Psychoanalyse der Medien nur als kritische Gesellschaftstheorie (  2.3 Kritische Medientheorien) entwickelt werden kann, die kulturindustriell deformierte Kommunikationsprozesse beschreibt (Salje). • Der dritte Ansatz versucht, durch die Deutung kollektiv begehrter Medien-Inhalte (Themen, Stoffe, Plots) die therapeutische Funktion der Kulturindustrie freizulegen (Bronfen). • Der vierte Ansatz legt das Schwergewicht auf die Analyse des medialen Signifikanten und stellt einen Zusammenhang zwischen Subjektkonstitution, Begehren und Ideologie her (Metz). • Der fünfte Ansatz zeigt auf, dass die Medien Räume herstellen, die von den Phantasmen besiedelt oder durchquert werden können (Žižek). <?page no="234"?> 235 Psychoanalytische Medientheorien 2.9.2 Das technische Apriori der Psychoanalyse und die psycho-medialen Register: Friedrich Kittler Die gängige ideengeschichtliche Herleitung der Psychoanalyse stellt den maßgeblichen Einfluss des transzendentalen Idealismus, der romantischen Naturphilosophie und der Theorien von Schopenhauer und Nietzsche heraus. Gegen eine solche ›Erzählung‹ erheben Autoren Einspruch, die die medientechnischen Voraussetzungen der Psychoanalyse ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Zum forschungsleitenden Gesichtspunkt wird dann die Frage, … »[…] ob nicht […] die Geschichte der Seelen und ihrer Nosologien (von Kraepelin über Freud bis Lacan usw.) den Innovationsschritten einer Nachrichtentechnik folgt, die das Innere nach außen gekehrt oder eben implementiert hat.« (Kittler/ Tholen 1989, 10) Kommunikationsmaschinen erscheinen in dieser Lesart als wirkmächtige ›Arsenale der Seele‹, die eine auf den Begriff des Geistes fixierte Wissenschaft von der menschlichen Psyche offensichtlich nicht in Betracht ziehen will, obschon das permanent Verleugnete und Verdrängte im Zuge der Moderne sich immer stärker Geltung verschafft. Das erklärte Ziel eines solchen medientechnischen Ansatzes (  2.1 Techniktheorien der Medien) ist die ›Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften‹. Friedrich Kittler hat mit seinen Arbeiten - darunter das Hauptwerk Grammophon, Film, Typewriter (1986) - Impulse in diese Richtung gegeben. Das Unbewusste, dessen Entdeckung sich Freud so zugute hielt, entpuppt sich aus Kittlers Perspektive am Ende als Metapher, die »für noch unbegriffene Maschinenparks« (Kittler 2001, 209) steht. 2 Eine vom Kopf auf die Füße gestellte Psychoanalyse dient Kittler als Folie, auf der die medientechnisch bewirkte Zerstörung der romantischen Idee von Einheit kommentiert wird: 2 Die Psychoanalyse wird gemäß Kittler selbst zum Symptom einer Verkennung der Technik im Allgemeinen und der Medientechnik im Besonderen. Ihre Bedeutung liegt allerdings darin, dass sie unübersehbare Spuren dieser Verkennung hinterlässt und an entscheidenden Stellen sogar ihre latenten theoretischen Voraussetzungen beim Namen nennt. Wenn Freud etwa in der Traumdeutung die Seele zum »psychischen Apparat« erklärt und »als hochkomplexes Gebilde aus optischen Kanälen und optischen Linsen« beschreibt (zitiert nach Kittler 2001, 210), liefert er selbst die Indizien für eine neue Lektüre, die seine Texte aus den Fängen der Hermeneutik (Ricœur, Habermas) befreit (  2.1 Techniktheorien der Medien). <?page no="235"?> 236 Lutz Ellrich »Solange das Buch für alle seriellen Datenflüsse aufkommen mußte, zitterten seine Wörter vor Sinnlichkeit und Erinnerung. Alle Leidenschaft des Lesens war es, zwischen den Buchstaben oder Zeilen eine Bedeutung zu halluzinieren.« (Kittler 1986, 20) Doch dieser Traum ist zerfallen: »Mit der historischen Gleichzeitigkeit von Kino, Phonographie und Maschinenschreiben wurden die Datenflüsse von Optik, Akustik und Schrift ebenso getrennt wie autonom.« (Ebenda, 27) An die Stelle des alten romantischen Phantasmas tritt Kittler zufolge ein neues Projekt: »Der sogenannte Mensch ist machbar geworden. Sein Wesen läuft über zu Apparaturen.« (Ebenda, 29) Jetzt fungiert nicht mehr allein der (psychoanalytisch interpretierte) Traum, sondern auch die Technik als Wunscherfüllung. Selbst Freud hatte dies in seiner Spätschrift über Das Unbehagen in der Kultur von 1930 eingeräumt: »Was der Mensch durch seine Wissenschaft und Technik auf dieser Erde hergestellt hat, […] ist direkt die Erfüllung aller - nein, der meisten - Märchenwünsche.« (Freud 1948, 450) Während Krämer aus Freuds Spur-Begriff ein nicht-instrumentalistisches Verständnis von Medien ableitete, vermutet Kittler, dass Freud bei seiner Behauptung, der moderne Mensch sei »eine Art Prothesengott geworden« (ebenda, 451), noch eine »Organprojektionstheorie« (  2.1 Techniktheorien der Medien) in Anspruch nimmt, die erst mit der Erfindung des Computers ihre Grundlagen verliert (Kittler 2001, 213 f.). Angesichts des Rechners bewahrheitet sich Heideggers These, dass Technik kein »Instrument«, sondern eine Weise des »Entbergens« ist (ebenda, 238). Medien konstituieren eine Welt, in der das Subjekt gleichsam ›automatisch‹ aus dem Zentrum gerückt ist. Um den zu Beginn des 20. Jahrhunderts anlaufenden Prozess medialer Ausdifferenzierung, der das Buch entmachtet, in seiner Tiefenstruktur zu beschreiben, greift Kittler auf Lacans Modell der drei psychischen Register zurück: • »Das Symbolische umfasst die Sprachzeichen in ihrer Materialität und Technizität.« Schreibmaschinen liefern das Grundmodell für eine Produktion signifikanter Differenzen, welche »die philosophisch erträumte Unendlichkeit von Bedeutung« (Kittler 1986, 28) nicht mehr benötigt. • »Das Imaginäre dagegen entsteht als Spiegelphantom eines Körpers, der motorisch vollkommener scheint als der eigene des Kleinkindes.« Filme erzeugen durch bewegte Bilder genau die »illusionäre Kontinuität«, welche den Charakter des Imaginären unter Bedingungen der Moderne exemplarisch verdeutlicht. (Ebenda, 28) • Das Reale schließlich »bildet jenen Rest oder Abfall, den weder der Spiegel des Imaginären noch auch die Gitter des Symbolischen einfangen können - physiologischer Zufall, stochastische Unordnung von Körpern.« (Ebenda, 28) Grammophone machen dieses ungreifbare und doch so wirkmächtige Register ma- <?page no="236"?> 237 Psychoanalytische Medientheorien nifest; denn sie bewahren, »was Kehlköpfe vor jeder Zeichenordnung und allen Wortbedeutungen an Geräusch auswerfen.« (Ebenda, 29) Besonders aufschlussreich an dieser medientheoretischen Konkretisierung sind Kittlers Aussagen zum Film 3 , weil sie die Schwierigkeiten einer umstandslosen Verwendung der Lacan’schen Theorie verdeutlichen. Die Technik der Aufnahme reproduziert, wie Kittler annimmt, zunächst einmal den Zustand der frühkindlichen Dissoziation: »Seitdem Filmkameras […] die Körper vorm Sucher zerhacken, um ihre 24 Bilder pro Sekunde zu schießen, ist Lacans zerstückelter Körper eine Positivität.« (Kittler 1993, 94) Das konkrete Filmerleben verschafft dem Betrachter (auch dann, wenn ihm die technische Beschaffenheit des Mediums bewusst ist) jedoch einen völlig anderen Eindruck: Es erzeugt nämlich den Anschein einer visuellen Körpereinheit und wiederholt damit das entscheidende Ereignis des Spiegelstadiums, in dem das Kind eine erste bildhafte Vorstellung der eigenen Ganzheit gewinnt. Nach Lacan schafft diese bejubelte Erfahrung das Fundament für die imaginäre Konstitution personaler Identität. Das Bild der Einheit ist allerdings niemals gesichert und muss - besonders nach dem Erlernen der Sprache, also nach dem Eintritt in die symbolische Ordnung der Differenzen - fortwährend erneuert werden. Das Kino leistet hierzu einen erheblichen Beitrag, denn es »speichert jene bewegten Doppelgänger, in denen Menschen […] ihren Körper (v)erkennen können« (Kittler 1986, 29). Dennoch bleibt das filmische Erleben von Doppelgängern eine äußerst prekäre Angelegenheit. »Nicht einmal der elementare Trost des Spiegels, der Körper in Ganzheiten […] verzaubert, hält vor.« (Ebenda, 267) Das Wiedererkennen des Ichs auf der Leinwand (Kittler erläutert dies anhand einer angehenden Filmschauspielerin, die Probeaufnahmen macht) kann auch Krisen auslösen. In solchen Fällen kommt es anscheinend zu einer Art ›unbewusstem Sehen‹ der latenten technischen Vorgänge: »Verfilmungen zerstückeln das imaginäre Körperbild, das Menschen […] mit einem geborgten Ich ausstaffiert hat und deshalb ihre große Liebe bleibt. Gerade weil die Kamera als perfekter Spiegel arbeitet, liquidiert sie, was im psychischen Apparat […] an Selbstbildnissen gespeichert war.« (Kittler 1986, 226) 3 Der Film ist für psychoanalytische Interpretationsversuche (vgl. Guattari 1975, Kappelhoff 2002), ja sogar für die Illustration der Freud’schen Theorie von vornherein außerordentlich attraktiv gewesen. Freud selbst hat jedoch das Medium Film abgelehnt und auch die Mitarbeit an Georg Wilhelm Pabsts Projekt Geheimnisse einer Seele verweigert (vgl. Kittler 1986, 216, Bronfen 1999, 41 ff. und Ries 2000, 174 ff.). <?page no="237"?> 238 Lutz Ellrich Kittler macht sich leider nicht die Mühe, diese Dialektik zwischen filmischer Einheitsbildung und Zerstückelung zu entfalten. Er diskutiert weder Metz’ Unterscheidung zwischen der primären Identifikation mit der Kamera und der sekundären Identifikation mit Filmfiguren (vgl. Metz 2000, 44 f.) 4 , noch greift er Lacans Analyse des Blicks auf (vgl. Lacan 1978, 97 ff.), die als Fortführung und Revision des Aufsatzes über das Spiegelstadium gelten darf (vgl. Copjec 2000). Eine vergleichbare Chance, die Konzepte der Lacan’schen Theorie auszureizen, lässt sich Kittler auch bei seiner Bestimmung des Computers entgehen. Denn er begreift ihn nicht etwa als Integrationsmedium, das alle drei Lacan’schen Register umfasst und so den borromäischen Knoten verkörpert, sondern verbucht die digitale Maschine als »Medium des Symbolischen« (Kittler 1993, 69 und 73). Obschon seine Beschreibungen mitunter Alternativen aufzeigen (etwa ebenda, 240 ff., vgl. auch Ellrich 1997, 204), gibt er den psychoanalytischen Kategorien an den entscheidenden Stellen erstaunlich wenig Kredit. So wird etwa das Phantasma, das eine Beziehung zwischen den drei Registern stiftet, überhaupt nicht thematisiert. Kittler kann deshalb auch keine Überlegungen zur Rolle anstellen, die das Phantasma in den artifiziellen Computer-Welten spielt. Diese Aufgabe hat schließlich Slavoj Žižek übernommen. Freud wollte neurotisches Leiden in normales Unglück verwandeln. Kittler unterstellt, dass sich ein solches Programm unter den Bedingungen der Gegenwart nur durchführen lässt, wenn wir uns selbst als unbewusst prozessierende Rechenmaschinen entziffern. Fraglich bleibt allerdings, ob er Lacans Konzept des Mangels medientheoretisch erhärtet und ein verschlüsseltes Plädoyer für die gelassene Hinnahme des Mangels liefert oder vielmehr die weitaus ambitioniertere These vertritt, dass den Menschen ihre unhintergehbaren ›Hardware‹-Eigenschaften vor Augen geführt werden müssen, damit der peinigende Eindruck des Mangels schwindet und ein fröhlicher Positivismus des maschinellen Funktionierens entsteht. 2.9.3 Medienpsychoanalyse als Kritische Theorie der Gesellschaft: Gunther Salje Bewusste Distanz zu Lacans ahistorischer Theorie hält - trotz mancher sachlichen Übereinstimmung und der gemeinsamen Stoßrichtung gegen die Ich-Psychologie - Alfred Lorenzer, der mit seinen Büchern Sprachzerstörung und Rekonstruktion (1970a), Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffs (1970b) und Zur Begründung 4 Metz vertritt die Gegenthese zu Kittler: »Als Dispositiv […] ist das Kino mehr auf seiten des Symbolischen und des Sekundären als der Spiegel der Kindheit.« (Metz 2000, 49) Rose (1996, 171 ff.) wiederum hat die Thesen von Metz, die angeblich »das Phantasma des allsehenden Subjekts« nähren, kritisiert. <?page no="238"?> 239 Psychoanalytische Medientheorien einer materialistischen Sozialisationstheorie (1972) eine sprach- und interaktionstheoretische Reformulierung Freud’scher Grundgedanken vorgelegt hat. An diese Studien knüpft Gunther Salje mit seiner Arbeit über Film, Fernsehen, Psychoanalyse (1980) an, die die Medientheorie historisch verankern und sozialkritisch zuspitzen soll. Als Ausgangspunkt dient folgende These Adornos (  2.3 Kritische Medientheorien), in der sowohl die Relevanz psychoanalytischer Einsichten als auch die Notwendigkeit einer soziologischen Korrektur dargelegt wird: »Freud hat gelehrt, daß die Verdrängung der Triebregungen nie ganz und nie für die Dauer gelingt, und daß daher die unbewußte psychische Energie des Individuums unermüdlich dafür vergeudet wird, das, was nicht ins Bewußtsein gelangen darf, weiter im Unbewußten zu halten. Diese Sisyphusarbeit der individuellen Triebökonomie scheint heute ›sozialisiert‹, von den Institutionen der Kulturindustrie in eigene Regie genommen.« (Adorno 1963, 70) Auf welche Weise aber gelingt es den Leitmedien der Kulturindustrie (Film und Fernsehen), eine derart zentrale intra-psychische Funktion zu erfüllen und so die Rolle des Freud’schen Ichs zu okkupieren, das zwischen dem Es (den sexuellen und aggressiven Triebimpulsen) und dem Über-Ich (den in schmerzhaften Sozialisationsprozessen internalisierten Ansprüchen der Gesellschaft) eine prekäre Balance wahrt? Salje kommt bei seiner Analyse der medialen Rezeptionssituation und des gesendeten bzw. vorgeführten audiovisuellen Materials zu dem Ergebnis, dass die Medien triebökonomische Funktionen ausüben, indem sie den Einsatz typischer Ich-Kompetenzen gerade umgehen. Die Ich-Leistung der intra-psychischen Koordination wird jetzt nämlich durch ich-fremde Strategien erbracht. Freud hatte angenommen, dass Triebimpulse, die unter dem Druck der Kultur bzw. des Über- Ichs verdrängt werden müssen, sich in Gestalt von Phantasien, Träumen und - in dramatischen Fällen - körperlichen Symptomen (z. B. Hysterie) eine Möglichkeit der Abfuhr verschaffen. Das Ich wird als Instanz verstanden, die für sozial-verträgliche Triebkanalisierung (etwa durch Sublimation) und individual-verträgliche Kulturnegation (etwa durch dosierte Gebotsübertretungen) zuständig ist und diese Aufgabe nur erfüllen kann, wenn es sich rationaler, kognitiv hoch entwickelter Mittel bedient. Lorenzer hat die von Freud umrissenen Ich-Kompetenzen und Ich-Funktionen symboltheoretisch rekonstruiert und dabei auch die basale Differenz von Primär- <?page no="239"?> 240 Lutz Ellrich und Sekundärprozess aufgegriffen. 5 Er unterscheidet zwischen Symbol, Klischee und Zeichen und erläutert diese Triade im Kontext eines Modells der kindlichen Entwicklung: Der »Einigungssituation in der Mutter-Kind-Dyade« folgt die »Einführungssituation von Sprache« und als entscheidende Phase die »systematische Brechung der kindlichen Praxis« (Salje 1980, 5). In der ersten Phase wird zwischen Mutter und Kind eine (gesellschaftlich bestimmte) gemeinsame Interaktionsform ›erarbeitet‹, in der zweiten kommt es zur Bildung der »symbolischen Interaktionsform« als »Grundfigur des Bewußtseins« (ebenda, 7). Hier wird die Basis für die diskursive, begrifflich geleitete Rationalität gelegt. In der dritten Phase schließlich brechen (z. B. auf der Basis der »ödipalen Problematik«) Konflikte aus, die allein dadurch zu bewältigen sind, dass spezifische symbolische Interaktionsformen, die sich nicht durchsetzen lassen, »desymbolisiert« werden (ebenda, 8). Diese abgespaltenen Motiv- und Handlungskomplexe bleiben aber »vorsprachlich virulent«. Als »Klischees«, die »sprachlich exkommuniziert« sind, fügen sie sich in einen »blindbewußtlosen Reiz-Reaktions-Zusammenhang« (ebenda) ein und kommen in »motorischen Aktionen, somatischen Sensationen, Träumen etc.« (ebenda, 9) zum Vorschein. Aber auch in der Sprache selbst lassen sich »Spuren der desymbolisierten Interaktionsform« finden. An »emotional leeren Zeichen« (ebenda), die in zwanghaft intellektualisierenden Redeweisen auftauchen, werden die Folgen des symbolischen Entzugs deutlich. 6 Medientheoretisch relevant ist Saljes Befund, dass Film und Fernsehen nicht das Ich - »die alleinige Symbolbildungsinstanz« (Salje 1980, 32) - ansprechen. Denn das audiovisuelle Material wird von einer suggestiven »Bildersprache« beherrscht, die die diskursive Symbolik ausgrenzt. Die »Qualitäten des sprachlich-artikulierten, logisch-bewußten-begrifflichen Handelns« bleiben »unprovoziert« (ebenda, 28). Das Setting gewährleistet vielmehr ein »klischeebestimmtes Erleben« (ebenda, 34), das den Vorgängen auf der Ebene des psychischen Primärprozesses entspricht, für die »Wunscherfüllung« und »Projektion« charakteristisch sind (ebenda, 29). Überdies lädt die »scheinbare Zwanglosigkeit des Umgangs mit dem Medium in Zusammenhang mit der stumm-passiven Rezeptionssituation« 7 zu »unbewußter Identifikation« (ebenda, 12) ein. Die Betrachter lassen sich folglich durch die 5 Die medienpsychologische Bedeutung dieser Differenz, mit der zwischen Sach- und Wortvorstellungen unterschieden wird, ist jüngst noch einmal von Schwering (2001, 101 f.) betont worden. Zu den komplexen theoretischen Fragen, die in diesem Zusammenhang auftauchen, siehe Salje (1980, 30 f.). 6 Im Unterschied zu Lacan (1966, 93 ff.) geht Lorenzer also nicht von einer basalen Zerstückelung des Körpers aus, sondern von der Einheitserfahrung in der Mutter-Kind-Dyade; ferner bestimmt er das Unbewusste als Bereich desymbolisierter Klischees und nicht - wie Lacan (1966, 237 ff.) - als sprachlich strukturierte Sphäre. 7 Vgl. hierzu auch die genauen Beschreibungen der Kinosituation (Dunkelheit, Immobilität etc.) bei Baudry 1975 (  2.1 Techniktheorien der Medien) und Metz 2000. <?page no="240"?> 241 Psychoanalytische Medientheorien medial evozierten Bilder und Gefühle auf eine infantile Stufe der Wahrnehmung und Lustempfindung zurückversetzen. Dieses unverkennbare »Regressionsklima der Film- und Fernsehmedien« besitzt deshalb einen so hohen Stellenwert, weil es auf den für spätmoderne Gesellschaften typischen »neurosenprophylaktischen Abwehr- und Bewältigungsmechanismus« zugeschnitten ist (ebenda, 68). Die Medien und ihre Effekte erweisen sich mithin als äußerst systemfunktional. Denn in einer durch sexuelle Freizügigkeit und Konsumappelle geprägten Epoche nimmt der Umfang an sozial erforderlichen Verdrängungsleistungen ab. Innere Triebimpulse können stärker als je zuvor ausgelebt werden. Das Arsenal der psychischen Selbstzwänge verliert an Bedeutung. Zum Problem geraten aber nun jene Formen von »Unlust und Bedrängung«, die aus der »Außenwelt« stammen (ebenda, 71). Auf diese Stressfaktoren reagieren die Betroffenen mit dem Abwehrverhalten der Regression, d. h. sie kehren zu einer bereits verlassenen Stufe der Ich-Reifung (nämlich die prä-ödipale Phase) zurück. Hier gelangen sie in den Genuss unverzichtbarer libidinöser Entschädigungen. Die durch Film und Fernsehen ermöglichte Flucht aus den realen Konfliktzonen führt allerdings nur selten zu auffälligen pathologischen Verhaltensweisen, sondern stabilisiert eher die ›normalen‹ Lebens- und Arbeitssituationen. Daher kann die medial begünstigte Symptomatik nur aus einer externen theoretischen Warte in das »Deformationsprofil der individuellen Strukturen«, die den »gegenwärtigen kapitalistischen Verhältnissen« (ebenda, 10) entsprechen, eingetragen werden. Saljes psychoanalytische Medientheorie mündet in die zeitdiagnostische These ein, dass gerade die gängige individuelle Strategie der Neurosenabwehr das Kernstück der herrschenden Kollektiv-Neurose bildet. 2.9.4 Die therapeutische Qualität des Films: Elisabeth Bronfen Freud selbst und einige seiner Schüler haben literarische Texte und Autoren (u. a. Rank 1914 und 1925 sowie Bonaparte 1958), aber auch andere Kunstwerke und ihre Schöpfer unter psychoanalytischen Gesichtspunkten interpretiert (vgl. hierzu Anz 2002 und Alt/ Anz 2008). Diese Verfahren lassen sich natürlich auch zur Deutung von Radiosendungen, Filmen, Fernsehspielen, Internetdialogen etc. heranziehen. Hier wird ein Konzept benutzt, das im Medium einen neutralen, im Normalfall geräuscharmen oder störungsfreien Ausdrucksträger sieht, der im Prinzip zu vernachlässigen ist. Die Analyse konzentriert sich daher auf den Gehalt der medial nur zum Vorschein gebrachten und der Wahrnehmung zugänglich gewordenen Kommunikation. Man unterstellt, dass der zu erschließende oder zu enträtselnde Sinn durch die mediale Darbietung nicht wesentlich modifiziert und schon gar nicht erzeugt wird. Relevant ist allein die Differenz zwischen einer manifesten Bedeutung der untersuchten Zeichen und ihrem latenten Sinn, der dann z. B. unter <?page no="241"?> 242 Lutz Ellrich Rekurs auf die psychoanalytische Trieb- oder Konflikttheorie decodiert wird (vgl. etwa Dadoun 1972). Die Medien transportieren demnach Botschaften, die durch unbewusste Prozesse der Verdichtung oder Verschiebung zwar derart entstellt wurden, dass sie auf den ersten Blick unbegreiflich sind, aber durch geeignete Methoden in verständliche Gehalte übersetzt werden können. 8 Elisabeth Bronfens Studie Heimweh: Illusionsspiele in Hollywood (1999) kann als markantes Beispiel für diesen Typus des Zugriffs gelten, das zugleich die Problematik des Ansatzes deutlich macht. Hier werden nämlich »Bildersprache und Handlungsabfolge ausgewählter Spielfilme« regelrecht nach-erzählt und psychoanalytisch gedeutet, ohne dass der Eigensinn des Mediums Film gesondert untersucht würde. Mehr als die altbekannte Analogie von Film und Traum 9 wird nicht geboten: »Filme funktionieren wie Träume, d. h. wie die Szenen unseres inneren psychischen Theaters: Sowohl der Film als auch der Tag- und Nachttraum versprechen uns die Erfüllung intimster Wunschvorstellungen, indem sie uns erlauben, Phantasieszenen der Angst oder des Begehrens durchzuspielen.« (Bronfen 1999, 42 f.) Die Illusionsangebote des Hollywoodkinos, die für Bronfen paradigmatischen Charakter besitzen, erzeugen z. B. eine bestimmte Vorstellung von Heimat, bei der das »Wissen um die radikale Entortung und um das untilgbare Unbehagen, das dem menschlichen Dasein« (ebenda, 213) innewohnt, zugleich aufgerufen und bearbeitet wird. Das prinzipiell unerfüllbare Begehren nach der sicheren Heimat lässt sich als eine Art Symptom betrachten, das allerdings keiner therapeutischen Auflösung bedarf, sondern als »Schutzdichtung« verstanden und akzeptiert werden muss. Typische Hollywood-Filme bewahren die Zuschauer mithin vor einem »gefährlichen traumatischen Wissen« (ebenda, 434). Worin dieses Wissen, das zwar nicht rigoros verdrängt, doch allein in einer medial entschärften Fassung zugänglich gemacht werden soll, eigentlich besteht, bleibt im Dunklen. Martine Lerude-Flechet hat in ihrer Deutung von Hitchcocks »Rear Window« (1954) die Karten auf den Tisch gelegt: Was der voyeuristische Protagonist sieht, ist 8 Diese Deutungsarbeit bleibt allerdings stets vorläufig; denn laut Freud sind alle psychischen Phänomene und ihre Ausdrucksformen überdeterminiert, also durch zahlreiche, mitunter gegensätzliche Ursachen bedingt. Der eigentliche latente Sinngehalt aller medial übermittelten Botschaften kann daher niemals definitiv festgestellt werden, sondern bleibt Objekt einer im Prinzip unendlichen Interpretation. 9 Das Filmerleben ist in der psychoanalytisch orientierten Medientheorie immer wieder mit dem Traum verglichen worden, z. B. von Morin 1956 oder Baudry 1975. Die Problematik der Analogie hat Metz (2000, 79 ff.) herausgearbeitet (vgl. auch die Kommentare von Zeul 1994 und Schneider 1998). - Zur generellen Analogie von Kunst und Traum siehe Kuhns (1982, 189). <?page no="242"?> 243 Psychoanalytische Medientheorien nichts anderes als das Drama »vom Scheitern der sexuellen Beziehung. Ein Scheitern, das sich auf verschiedene Arten mit jeweils extremen Folgen vollzieht: Einsamkeit, Verfall, Tod, Mord am Ehepartner.« (Lerude-Flechet 1989, 107 f.) Eine solche Interpretation übersieht allerdings etwas Entscheidendes, das der Film zeigt: Die traumatischen Szenarien legen keine existentielle Wahrheit frei, sondern sind hochkomplexe Konstruktionen eines Beobachters, der in seiner infantilen Lage verharren möchte und dafür sogar den Preis zu zahlen bereit ist, dass der Blick (des monströsen anderen) kurzfristig über das Fernglas- und Kamera-Auge (des Subjekts) triumphiert. Wie die Analyse filmischer Beobachtungsstrategien mit der Decodierung tiefenpsychologischer Bedeutungsproduktionen verknüpft werden kann, zeigt hingegen die Arbeit von Claudia Liebrand (2003). Durch die performanztheoretische Übersetzung der Freudschen Kategorien lassen sich nämlich jene unbewussten Gender-Topographien entschlüsseln, auf denen Bildsprache und Blickführung von Hollywoodfilmen beruhen. 2.9.5 Die Mechanismen der ›kinematographischen Ideologie‹: Christian Metz Gegen eine primär auf die medialen Gehalte konzentrierte Medienanalyse, die verborgene Bedeutungen (Signifikate) aufspürt (  2.4 Zeichentheorien der Medien), hat Christian Metz energisch Stellung bezogen. Wer die Wirkungsweise von Ideologien erkennen will, muss - so lautet seine These - die apparativ erzeugten Bedeutungsträger (Signifikanten) erforschen. Metz schlägt mit seinen Arbeiten Langage et cinéma (1971) und Le signifiant imaginaire (1977; hier Metz 2000) den Weg von der Semiotik zur Lacan’schen Psychoanalyse ein und unterscheidet streng zwischen »ästhetischen Studien«, die eine Geschichte »psychoanalysieren«, welche »zufällig vom Film erzählt wird«, und den von ihm selbst durchgeführten Untersuchungen der »kinematographischen Spezialität« (Metz 2000, 38). Metz zeigt auf, dass die medial verbreiteten Sinnangebote nur dann zur unbewussten Wirkung gelangen, wenn die Rezipienten durch die apparative Form, mit der sie sich identifizieren können, in eine souveräne pan-optische Position 10 gebracht werden, die das Zuschauer-Begehren zugleich strukturiert und rechtfertigt. Metz versteht »die kinematographische Ausrüstung als Instanz, dank derer sich das Imaginäre zum Symbolischen wendet« (ebenda, 69). Unter dem Formgesetz des Kinos, das der Erhaltung der ödipalen Ge- und Verbote zuarbeitet, nimmt das 10 Diese These ist kennzeichnend für die sogenannte Apparatus-Theorie (Jean-Louis Baudry, Jean- Louis Comolli, Stephen Heath;  2.1 Techniktheorien der Medien). Kritische Rekonstruktionen des Ansatzes liefern Rose 1996, Doane 1990, Silverman 1992, Winkler 1992 und Krips 2001. <?page no="243"?> 244 Lutz Ellrich Objekt des Begehrens viele, sich beständig wandelnde (fetischistische, perverse, hysterische, narzisstische etc.) Gestalten an. Aber diese Metamorphosen provozieren keine Krisen. Sie verdecken erfolgreich alle »Verluste«, die der Mensch als kleines Kind erleidet - »das Geburtstrauma, die Mutterbrust, die Exkremente usw.« (ebenda, 64). Sie wenden sich also nicht gegen die bestehende Ordnung, um die fehlende Referenz und Bindungskraft der Signifikanten oder den symbolisch (d. h. durch Aufladung mit Bedeutung) kaschierten Rest des Realen zu zeigen, der immer dann hervortritt, wenn man nicht mit den diversen Objekten des Begehrens vorlieb nimmt, sondern nach der eigentlichen Ursache des Begehrens sucht (vgl. Lacan 1996). Für Metz bleibt das Kino daher Teil eines geschlossenen ideologischen Systems. Der kritische Ertrag des Konzepts ist freilich gering, weil Metz über kein Kriterium verfügt, das ›falsches Bewusstsein‹ (Marx) von lebensnotwendiger Fiktion zu trennen vermag. 2.9.6 Die Pest der Phantasmen: Slavoj Žižek An der Differenz zwischen dem unhintergehbaren Schein und den fragwürdigen Phantasmen, die die Menschen über das erforderliche Maß hinaus verblenden oder verstören, arbeitet auch Slavoj Žižek in seinen umfangreichen medientheoretischen Studien zu Film, Fernsehen und Cyberspace. Im Kielwasser von Lacan verknüpft Žižek die Interpretation medialer (primär filmischer) Inhalte mit der Analyse formaler und technischer Aspekte und zeigt die verschiedenen Möglichkeiten auf, welche die Medien zur Verfügung stellen, damit ihre Nutzer existentielle Grundprobleme ›bewältigen‹ können. Žižek verzichtet bei seinen Überlegungen auf die in psychoanalytischen Filmtheorien so beliebte »dreifache Analogie von frühkindlichen Identifizierungsprozessen und solchen des Erwachsenen im Kino, von psychischem und filmischem Apparat und […] von Traumarbeit und Filmarbeit« (Sierek 2000, 208). Die angestrebte Filmtheorie soll stattdessen vorführen, inwiefern sich »das Feld des Sichtbaren, der Repräsentation« auf eine »zentrale, strukturelle Leerstelle« (Žižek 2001, 282) bezieht, die durch Phantasmen provisorisch ausgefüllt wird. Freuds Aussage, die Phantasie sei eine »Schonung«, die »beim schmerzlich empfundenen Übergang vom Lustzum Realitätsprinzip eingerichtet wurde, um einen Ersatz für Triebbefriedigungen zu erstatten, auf die man im wirklichen Leben hatte verzichten müssen« (Freud 1948, 90), wird so beträchtlich modifiziert. Denn Phantasmen haben nicht nur eine schonende, sondern auch eine schockierende Wirkung. In Freuds eigener Verführungstheorie klingt dies bereits an, wird aber auf tabuisierte Inzestwünsche zurückgeführt, die für Žižek kein biologisches Substrat bilden, sondern ihrerseits als phantasmatische Reaktionen auf etwas ›Unmögliches‹ und ›Nichtrepräsentierbares‹ gelten. Phantasmen als solche versteht Žižek zwar als Antworten <?page no="244"?> 245 Psychoanalytische Medientheorien auf einen ursprünglichen Mangel an Sein, aber eben auch als Sinngebilde, die diesen Mangel überhaupt erst erfahrbar machen und ihm sogar die Form des puren Grauens verleihen können. In welcher Verkleidung der Mangel jeweils in Erscheinung tritt, hängt wesentlich von seiner medialen Repräsentation ab. Žižek unterscheidet die Spielarten des Phantasmatischen, die das Kino darbietet (a), von den künstlichen Welten, die der Computer ermöglicht (b): (a) In den Studien über Filme wird gezeigt, dass das Kino keineswegs per se den kontrollierenden, neugierigen Blick des okzidentalen männlichen Subjekts feiert, sondern dieses machtvolle optische Arrangement, auf das speziell die feministische Filmtheorie (  2.8 Feministische Medientheorien) hingewiesen hat 11 , eher unterminiert als bestätigt. Gerade Filme, die zunächst »höchst konformistisch erschein[en]« (Žižek 1992, 222), können die Subjekt-Perspektive drastisch verkehren. 12 So vermag der Zuschauer buchstäblich zu ›sehen‹, dass sein eigener Blick »durch ein ›pathologisches‹ Begehren stigmatisiert ist« (ebenda, 220). Im Zuge der Identifikation mit dem erhabenen Beobachterposten, den die Kamera gewährt, muss das Subjekt erkennen, in welchem Umfang der von ihm begehrte »Stoff, aus dem die Träume der Ideologie letztendlich gemacht sind, unheilbar vergiftet« (ebenda, 222) ist. Der »traumatische Überschuß des Realen über das Symbolische« (ebenda, 234) und das Imaginäre wird unabweisbar. Es kommt zu einer phantasmatischen Vergegenwärtigung von »Geburt« und »Tod« (ebenda, 244) oder des »›unmenschlichen Partner[s]‹ […], mit dem kein symmetrischer, durch die symbolische Ordnung vermittelter Dialog möglich ist« (Žižek 2000, 156). (b) Die virtuellen Computer-Räume begreift Žižek als Areale, in denen derartige Kernphantasmen, aber auch beliebige andere unerträgliche Vorstellungen, die das Subjekt erschüttern und anwidern, »durchquert« 13 und auf Distanz gebracht werden können. Im Umgang mit dem Cyberspace schlägt sich »ein neues ›Lebensgefühl‹« nieder. Das menschliche Dasein wird jetzt »als ein vielgestaltiges Strömen« aufgefasst (Žižek 1999, 259) und affirmiert. Denn der Computer lässt sich als ein technisches Hilfsmittel nutzen, um den fundamentalen Phantasien, die den traumatischen Kern des Ichs berühren und vom Subjekt »niemals voll akzeptier[t]« wer- 11 Mulvey 1994 nimmt z. B. die Apparatus-Theorie beim Wort und deutet das Kino als Medium, das den männlichen Blick festschreibt. Doane 1994, Studlar 1988 und Koch 1989 haben demgegenüber die eigenständige weibliche Lust am Kino hervorgehoben. 12 Vgl. zu Lacans Theorie des Blicks (Lacan 1978, 73 ff.), von der sich Žižek inspirieren lässt, auch Copjec 2000, Doane 1990, Studlar 2000, Schwering 2000, Heath 2000 und Cremonini 2001. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch Lacans Deutung der Stimme als unerreichbares Objekt des Begehrens (vgl. Dolar 2007). 13 Zur Figur des »Durchquerens des Phantasmas« und des Übergangs vom Begehren zum Trieb bzw. der Identifikation mit dem Symptom vgl. Žižek 1997a, 46 ff. und 1997b, 59 ff.; zur Kritik siehe Heath 2000, 246 f. <?page no="245"?> 246 Lutz Ellrich den können, »in ihrer unentstellten, ›nicht-sublimierten‹ peinlich direkten Form« zu begegnen und ihre Macht über die menschliche Psyche zu brechen. Die eigentümliche »Spannung« der basalen Phantasmen, die »das Subjekt verfolgen und faszinieren«, schwindet, wenn die Simulationsprogramme des Computers sie einer gleichsam »›mechanischen‹ Variation« unterwerfen und so die »geschlossene Matrix aller möglichen Permutationen« erzeugen (Žižek 1999, 264 f.). 14 Der Cyberspace setzt also Phantasien in Szene, »die radikal entsubjektiviert sind« (ebenda, 268), und macht sie auf diese Weise zu Spielmaterial einer individuellen Selbsttherapie. 15 2.9.7 Kritik und Weiterentwicklung der Ansätze Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass alle angeführten medientheoretischen ›Lacanianer‹ (Kittler, Bronfen, Metz und Žižek) sich nicht von jener Lacan-Kritik beeindrucken lassen, die Gilles Deleuze und Félix Guattari in L’Anti-Œdipe (1972; hier Deleuze/ Guattari 1974) vorgelegt haben. Die genannten Autoren halten an Freuds Konzept des Ödipuskomplexes und Lacans Kernbegriffen - »der Mangel, das Gesetz, der Signifikant« (Deleuze/ Guattari 1974, 66) - unbeirrt fest. Die These von Deleuze/ Guattari (  2.11 Medienphilosophische Theorien), dass das menschliche Leben nicht von der Logik der Unerfüllbarkeit und den Regeln der Signifikantenordnung bestimmt wird, sondern durch unbewusste Energieströme, Kopplungen und Einschnitte, die als »Wunschmaschinen« bezeichnet werden können, hat wenig Anklang bei denen gefunden, die das medi- 14 Skeptischer gegenüber dem Cyberspace äußert sich Žižek 1995 und 1997b, 85-155. 15 Ein therapeutischer Wert wird dem Computer auch von anderen psychoanalytisch orientierten Forschern zugeschrieben: Christel Schachtner (1993) hat auf der Basis empirischer Untersuchungen zu klären versucht, welche bewussten und unbewussten Wünsche die Computertechnik weckt oder zu erfüllen verspricht. Ähnlich wie Sherry Turkle (1984) gelangt sie zu der These, dass Computer »Übergangsobjekte« (Winnicott 1976) für Erwachsene sind (vgl. auch Ellrich 2000, 91 f.). Der Lacanianer August Ruhs hat diese Interpretation verfeinert: Den Ausdruck »Übergangsobjekte« reserviert er für Phänomene, die »sich auf der Linie zwischen Autoerotismus und Narzißmus«, also »zwischen dem Daumen und dem Teddybär« situieren. Beim Eintritt in die ödipale Phase (Freud) bzw. in die »symbolische Ordnung« (Lacan) spielen Gebilde eine Rolle, die Ruhs als »Übergangssubjekte« bezeichnet. Es kann sich dabei um hergestellte Dinge handeln, denen »über einen Projektionsprozeß menschenartige Beseelung zuteil wird«, wie zum Beispiel »Computer, künstliche Intelligenzen, Models, Stars, Zombies, Replikanten usw.« (Ruhs 1989, 211). - Auch Hartmut Winkler betrachtet den Computer als Element in der menschlichen Wunschökonomie. Weil der Computer die Reinheit und Klarheit der mathematischen Logik verkörpert, mildert er nicht allein das »tiefverwurzelte Grauen vor der Arbitrarität« (Winkler 1997, 214) der gewöhnlichen Sprachzeichen, sondern dient auch als Abwehrmechanismus gegen den »Morast« unkontrollierbarer Gefühle wie Liebe oder Hass. Die Geschichte der Technik insgesamt deutet Winkler als menschliche Antwort auf »das bedrohliche Außen« (ebenda, 322). <?page no="246"?> 247 Psychoanalytische Medientheorien ale Unbewusste psychoanalytisch erforschen wollen. Wenn Žižek allerdings vom »vielgestaltigen Strömen« eines ›ver-cyberten‹ Lebens spricht und bei seiner Darstellung der Lacan’schen Register den theoretischen Akzent nicht länger auf das Imaginäre und Symbolische (wie etwa noch Baudry und Metz), sondern auf das Reale legt (vgl. auch Stam 2000, 251), so nähert er sich der Position von Deleuze/ Guattari, in deren Augen die Wunschmaschinen »das Reale in sich selber konstituieren, jenseits oder unterhalb des Symbolischen wie Imaginären« (Deleuze/ Guattari 1974, 66; korr. Übers.). Der Kern des Realen ist für Deleuze allerdings kein traumatisches Geschehen, welches als Urszene phantasiert werden kann, sondern die reine Bewegung, die das Kino (in den differenten Formen des Bewegungs- und Zeit-Bildes) erfahrbar macht. Deleuze verweist an einer wichtigen Stelle seiner Bücher zum Kino auf Jean-Louis Schefers These, dass der Film »die einzige Erfahrung« liefert, »in der mir Zeit als Wahrnehmung gegeben ist«, und gibt folgenden Kommentar, der dieses Kapitel abschließen soll: »Zweifellos beschwört Schefer ein Urverbrechen, das mit dieser Situation des Kinos wesensmäßig verbunden ist. […] Das ist eine Hommage an die Psychoanalyse, die dem Kino nur einen einzigen Gegenstand geliefert hat, das alte, abgegriffene Thema der Urszene. 16 Aber es gibt kein anderes Verbrechen als die Zeit selbst. Was die abweichende Bewegung enthüllt, ist die Zeit als Ganzes, als ›unendliche Öffnung‹, als Vorgängigkeit gegenüber jeglicher normalen Bewegung.« (Deleuze 1991, 56) Literatur Adorno, Theodor W. (1963): Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Alt, Peter-André/ Anz, Thomas (Hg.) (2008): Sigmund Freud und das Wissen der Literatur. Berlin: De Gruyter. 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Rekonstruieren Sie Friedrich Kittlers Kritik an der Psychoanalyse und die von ihm polemisch betriebene Selbstanwendung auf sie. 5. Kritisieren Sie die vorgeschlagene psychoanalytische Differenzierung von Zeichen(gebrauch) und Medium aus semiotischer Perspektive. 6. Vergleichen Sie Lacans Triade mit den in Abschnitt 2.4 (Zeichentheorien der Medien) erwähnten Trichotomien der Semiotik. Ergänzen sich die Modellierungen bzw. worin unterscheiden sie sich? 7. Diskutieren Sie kritisch, ob und - wenn ja - inwieweit sowohl die Psychoanalyse Freuds als auch Lacans in ihren (jeweils unterschiedlichen triadischen) Modellierungen den Dualismus von Natur und Kultur fortschreiben. <?page no="251"?> 252 2.10 Poststrukturalistische Medientheorien Claus Pias 2.10.1 Kurze Geschichte des Poststrukturalismus Das, was seit Ende der achtziger Jahre unter dem Begriff ›Poststrukturalismus‹ in Anthologien und Übersichten eingefriedet und kanonisiert wird (vgl. etwa Münker/ Roesler 2000), ist alles andere als ein friedvolles oder einheitsverdächtiges Terrain. Mehr noch: Der Poststrukturalismus selbst bestreitet solche Formen der Kohärenzbegründung, des Strukturvertrauens und des Identitätsvorrangs. »Die poststrukturalistischen Programme sind nicht geschrieben, um referierbar zu werden.« (Kittler 1980, 12) Trotz oder wegen der Schameffekte, die jede ›Einführung‹ also schon deshalb zeitigen müsste, weil sie sich eine Position außerhalb oder über ihrem Gegenstand anmaßt, hat es sich anscheinend als praktikabel erwiesen, die Frage nach einem mehrheitsfähigen Theoriedesign mit einer statistisch verlässlichen Liste von Eigennamen zu beantworten: Foucault, Lyotard, Derrida, Baudrillard, Virilio (siehe auch  2.11 Medienphilosophische Theorien). ›Poststrukturalismus‹ kann in diesem Sinne nicht die Geschichte einer methodischen Schule beschreiben, sondern nur die Praxis verschiedener Schreibweisen addieren, die das Schreiben solcher Geschichten gerade in Frage stellen. Dies erhellt den performativen Widerspruch, dass die hier versammelten Theorien allesamt ein gebrochenes Verhältnis zur Theorie haben und dass sie, in unterschiedlicher Weise, nicht von Möglichkeiten, sondern von Unmöglichkeiten, nicht von Gewissheiten, sondern von deren Auflösung, nicht von Begründungen, sondern von deren Verschwinden sprechen - sei es des Menschen (Foucault), der Präsenz (Derrida), der Repräsentation (Baudrillard), der großen Erzählungen (Lyotard) oder des Raums (Virilio). Getragen von intensiven Heidegger- und Nietzsche-Lektüren, von Fragen nach Sprache und Macht, nach Technik und Metaphysik also, formulierte sich dieses Unbehagen während der sechziger bis achtziger Jahre zunächst in Frankreich und entlang einer Revision der Grundbegriffe des Strukturalismus. Dabei könnte man den Übergang vom Strukturalismus zum Poststrukturalismus als Wechsel von einem endlichen zu einem unendlichen Analysekontext verstehen. Dieser wirkt destabilisierend auf verschiedene strukturalistische Versuche, dem Denken des Subjekts dadurch Sinnbestimmtheit zurückzugeben, indem es dieses Subjekt in einem endlichen und damit prinzipiell übersichtlichen System, in einer taxonomischen Ordnung von Elementen und Oppositionen zu lokalisieren suchte. Der Poststrukturalismus unterläuft in diesem Sinne die strukturalistische Trennung von Tiefen- <?page no="252"?> 253 Poststrukturalistische Medientheorien und Oberflächenstruktur, von langue und parole, von Universellem und Partikularem, um damit auch dessen Vertrauen, Sinn und Bedeutung - wenn schon nicht im Subjekt - so doch wenigstens in der Struktur zu finden. Der Poststrukturalismus ist daher auch keine Medientheorie in dem Sinne, wie beispielsweise Mediensoziologie, Filmgeschichte, Publizistik- oder Kommunikationswissenschaft eine zu besitzen beanspruchen. Es geht ihm überdies nicht darum, sogenannte empirische Sachverhalte oder Fakten zu beschreiben, zu klassifizieren oder zu interpretieren, sondern allenfalls um jene Bedingungen, die so etwas wie ›Empirie‹, ›Sachverhalte‹ oder ›Fakten‹ erst erzeugen und erhalten. Poststrukturalismus bedeutet vielmehr eine Infragestellung der Möglichkeitsbedingungen tradierter geisteswissenschaftlicher Konzepte wie ›Geist‹, ›Geschichte‹ oder ›Mensch‹ selbst, ermöglicht aber gleichwohl eine produktive Analyse jener Domänen, in welchen diese zu Hause waren (Kittler 1980, 12). Nach einem Höhepunkt internationaler Rezeption in den achtziger Jahren (und zunächst in der Literaturwissenschaft) sind die Provokationen des Poststrukturalismus heute in Bereichen wie den Gender Studies (  2.8 Feministische Medientheorien), den Cultural (  2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien) und Colonial Studies, vor allem aber in den Medienwissenschaften virulent. Die folgenden, stark selektiven Raffungen sind daher schon auf drei zentrale medientheoretische Fragen zugeschnitten, die vom Impuls des Poststrukturalismus angestoßen werden: Erstens nach den Formationen und Apparaturen des Wissens, zweitens nach der Materialität semiotischer Prozesse und drittens nach dem Status von Medien-Ereignissen. 2.10.2 Grundbegriffe und Modelle des Poststrukturalismus Diskursanalyse/ Dispositiv: Michel Foucault Michel Foucaults Diskursanalysen versuchen eine Rekonstruktion von Bedingungszusammenhängen, die weder der langue noch der parole angehören. Sie bezweifeln damit jede Möglichkeit einer objektiven, zuverlässigen und universellen Begründung des Wissens und zugleich die Existenz eines Wissens, das durch den richtigen Gebrauch der Vernunft gewonnen werden könnte und darum wahr wäre. Das Subjekt ist damit (anders als in transzendentalpragmatischen Theorien wie z. B. bei Apel oder Habermas) nicht Ausgangsbedingung des Diskurses, sondern sein (historischer) Effekt. Diskurse sind epistemische Systeme, die einerseits das Wissen des Subjekts bestimmen und andererseits erst denken, was ein Subjekt ist. Insofern ›der Mensch‹ also nicht mehr Konstitutionsinstanz der Geschichte, sondern (s)eine Diskursfigur ist, treten archivierte Gegebenheiten von Redepraktiken an die Stelle geisteswissenschaftlicher Geschichten, deren Regelmäßigkeiten die Möglichkeit von Erfahrungen erst einräumt. Diskursanalyse bedeutet daher zu- <?page no="253"?> 254 Claus Pias gleich eine Analyseform von Macht, die über eine soziologische oder politische Kritik hinausgeht, indem sie deren technisch-positive Seite als Netzwerk von Technologien, Symboliken und Institutionen aufzeigt. Diese von Foucault anhand von Begriffen wie ›historisches Apriori‹ oder ›Archiv‹ betriebene, neuzeitliche Wissensgeschichte steht in der Tradition der historischen Epistemologie (Georges Canguilhem, Gaston Bachelard), die bereits seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Geschichte der Wissenschaften entlang von Regeln und Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Aussagenproduktion zu konzipieren versuchte. Foucault spitzt dieses Konzept jedoch zu, indem seine Geschichte des Wissens keine Geschichte der Wissenschaften ist. Fachgebiete und Wissenschaften werden vielmehr überschritten, so dass die wissenschaftliche Aussage in einem heterogenen Komplex von Praktiken und Prozeduren lokalisiert werden kann. In Abkehr vom Objektbezug kann Wissen verschiedene Gebiete durchqueren und dieselben Regelmäßigkeiten ausprägen, die nicht bloß textueller Art sein müssen (etwa als Gemälde, als literarischer Text, als amtliche Verordnung oder als wissenschaftliches Experiment). »Das Wesentliche [liegt …] in der Entdeckung und Vermessung jenes unbekannten Landes, in dem eine literarische Fiktion, eine wissenschaftliche Proposition, ein alltäglicher Satz, ein schizophrener Unsinn usw. gleichermaßen Aussagen sind.« (Deleuze über Foucault in: Deleuze 1987, 34) Nicht die Wahrheitsfähigkeit von Aussagen, sondern die Bedingungen des Archivs, unter denen Aussagen als Ereignisse auftreten und sich formieren können, bilden mithin den Horizont der Diskursanalyse. Mit dem Begriff des ›Dispositivs‹ lassen sich dabei drei Schwierigkeiten dieses Ansatzes lösen: Erstens das Problem der Überschreitung der Dichotomie von diskursiv und nicht-diskursiv, zweitens die Frage nach der Kausalität historischer Übergänge und drittens die Herausforderung, nicht in Modellen von Basis und Überbau zu denken. Das Dispositiv versteht sich als Konstellation heterogener Elemente - Elemente, die nicht einer Gattung oder einem System angehören und deren Zusammenhang strategischer Natur ist. Dabei produziert das Dispositiv etwas, das nicht von vornherein in der Strategie beabsichtigt war. Es schafft vielmehr Kontingenz und produziert gewissermaßen strategische Unfälle oder Emergenzen. Diese Effekte können jedoch vom Dispositiv wieder genutzt werden. (Beispielsweise erzeugt das Sexualdispositiv mit seinem strategischen Ziel der Normalität zugleich Perversionen.) Das Dispositiv macht in diesem Sinne soziale Erfindungen. Es definiert sich lokal und unterscheidet sich dadurch vom System oder der Institution, dass es beispielsweise keinen ontologischen Machtbegriff benötigt. <?page no="254"?> 255 Poststrukturalistische Medientheorien Postmoderne/ différend: Jean-François Lyotard Jean-François Lyotards Diagnose einer ›postmodernen‹ Epochenschwelle markiert ein wissenshistorisches Datum als ein medienhistorisches: Es wird bezeichnet durch »die Probleme der Kommunikation und die Kybernetik, die modernen Algebren und die Informatik, die Computer und ihre Sprachen, die Probleme der Sprachübersetzung und die Suche nach Vereinbarkeiten zwischen Sprachen - Automaten, die Probleme der Speicherung in Datenbanken, die Telematik und die Perfektionierung ›intelligenter‹ Terminals.« (Lyotard 1986a, 20 f.) Es sind, anders gesagt, Kybernetik, Informationstheorie und Digitalcomputer, die die neuen Kommunikations- und Verkehrsformen postindustrieller oder ›informatisierter‹ Gesellschaften heraufgeführt haben. Mit ihnen vollzieht sich nicht nur eine tief greifende Transformation des Wissens durch die neuen Bedingungen seiner Speicherung, Prozessierung und Übertragung, die mit Vergessen, Emergenzen und Umordnungen einhergeht und eine Tendenz zur Kommerzialisierung und Veräußerlichung des Wissens ausmachen lässt. Vielmehr wird die Rechtfertigung dessen, was als Wissen oder Wissenschaft gelten kann, selbst problematisch. So ist es Platons Ausgrenzung des ›narrativen Wissens‹ aus dem Logos - eines Wissens, das den Ort definiert, an dem es erzählt wird und das heterogene Kompetenzen impliziert; eines Wissens, dessen pragmatische Regeln ein soziales Band ausmachen und das zuletzt, stets aufs Neue, eine ephemere Zeitlichkeit entfaltet -, aus der ein wissenschaftliches Wissen hervorgeht, das gleichwohl das narrative Wissen in seine Dienste beruft. Denn anders als das narrative Wissen, das keiner Autorisierung bedurfte, braucht das wissenschaftliche Wissen im Sinne Lyotards die ›großen Erzählungen‹, durch die es seine Legitimität gewinnt und in denen es seine Einheit erhält. Die Delegitimation dieser grand récits in der Postmoderne ist daher in gewissem Sinne eine Rückkehr der ausgeschlossenen Partikularität des narrativen Wissens. Lyotard beschreibt diese Verfasstheit (in Anlehnung an den späten Wittgenstein und die Sprechakttheorie Austins) als Pluralität von ›Sprachspielen‹. Geltungsansprüche können nur noch für einzelne, heteromorphe und irreduzible Sprachspiele formuliert werden, die auf keiner höheren Ebene mehr überdeckt oder aufgehoben werden. Das postmoderne Wissen ist damit ein Ensemble methodenloser, Geschichten erzählender und Einfälle produzierender Spiele. Dabei grenzt sich Lyotard gegen die »terroristischen« Isomorphiebestrebungen der Systemtheorie (Luhmann) einerseits (  2.7 Systemtheorien der Medien) und gegen ein überkommenes Emanzipationsideal des Strebens nach einem allgemeingültigen Konsens (Habermas) andererseits ab. Die agonalen Sprachspiele sind diskontinuierlich und erfinderisch, und jeder Konsens bleibt ihnen lokal. Im Begriff des Widerstreits (différend) reformuliert Lyotard dieses Konzept in der Terminologie von ›Satz-Regelsystemen‹ und ›Diskursarten‹. Erstere sind Re- <?page no="255"?> 256 Claus Pias geln, die Sätze bestimmen können, wie Fragen, Befehlen, Argumentieren oder Beschreiben. Letztere bestimmen die Verkettungs- oder Verknüpfungsmöglichkeiten ungleichartiger Sätze zu verschiedenen Zielen. Jede Verkettung stellt einen Akt des Unrechts dar, da es zwar mehrere Anschlussmöglichkeiten gibt, aber immer nur eine aktualisiert wird. Über Recht und Unrecht kann jedoch kein übergeordneter Diskurs entscheiden. Die grundlegende Heterogenität und Inkompatibilität verschiedener Diskurse impliziert Konflikte, die nicht geschlichtet oder gar entschieden werden können und installiert einen Widerstreit, der nicht reduzibel ist. Ein prominentes historisches Beispiel eines Widerstreits ist die Kunst der Avantgarden (vgl. Lyotard 1986b). Indem die von Lyotard beschriebene Veränderung des Wissens das Interesse auf Grenzen und Konflikte, auf ›Frakta‹, Paradoxien und Instabilitäten fokussiert, formuliert sie mindestens drei Aufgaben: Erstens eine philosophisch-politische, die nach der gegenwärtigen oder historischen, auf jeden Fall aber kontingenten Dominanz bestimmter Diskurse zu fragen hätte, die den unüberwindbaren Widerstreit zwischen Diskursarten bewusst machen und halten müsste und die zuletzt auszumachen hätte, wie Gerechtigkeit ohne höchste Instanz und ohne Konsens zustande kommen kann. Zweitens eine anthropologische Aufgabe, die zu konstatieren hätte, dass der Mensch nicht der Herr und die Sprache sein Kommunikationsinstrument ist, sondern dass er nur in ein bereits ohne ihn eröffnetes Spiel eintritt und mit den Modi der Nicht-Darstellbarkeit und der Unverfügbarkeit rechnen muss - denn wider den Anthropozentrismus erweist er sich nicht als Subjekt (s)eines, sondern als Kreuzungs- und Durchgangsort verschiedener Sprachspiele. Drittens eine pädagogische Aufgabe, die gute Spieler in dem Sinne erzeugt, dass sie Konsens als einen vorübergehenden Zustand der Legitimation zu schätzen wissen, deren Ziel jedoch der Dissens und die Paralogie der Differenz ist. Dazu gehören nach Lyotard nicht zuletzt die Sprachspiele an und mit Informationsmaschinen, d. h. eine navigatorische Kompetenz in frei zugänglichen Datennetzen und die Spielfähigkeit in formalen oder Programmier-Sprachen. Dekonstruktion/ Grammatologie: Jacques Derrida Jacques Derrida liest die Begründung der abendländischen Philosophie, die Frage der Metaphysik und ihrer Kritik, als eine nach dem ontologischen Status von Stimme und Schrift. Dabei geht es nicht um eine Soziogenese von Schrift(en), sondern um ein Apriori der Spur. So stand bei Platon die phoné, die lebendige Stimme, in ihrer Präsenz für Fülle, Seele oder Geist ein. Als stimmliche Sich-selbst-Gegenwärtigkeit begründete sie eine Derivation von Seele zu Stimme zu Schrift (gramma) und verwies damit die Schrift in eine exteriore Position, einen Ort der Nachträglichkeit oder Absenz. An diesem Punkt, an dem die Schrift zum Aufschub und <?page no="256"?> 257 Poststrukturalistische Medientheorien Supplement einer gegenwärtigen und ursprünglichen Rede erniedrigt wird, setzt Derridas Dekonstruktion an. Denn erst die Schrift (oder genauer: das griechische Vokalalphabet) ermöglicht es, dass das gesprochene Wort als Ursprung und sie selbst als sekundär erscheinen kann. So wie die Stimme die Nachträglichkeit der Schrift denken lässt, so gibt die Schrift die Vorgängigkeit der Stimme erst zu denken. Diese Differenz von Stimme und Schrift ist folglich zwar anfänglicher, aber sie beansprucht nicht das Privileg des Ursprungs und damit der Überlegenheit. Eine solche Rehabilitation des Schriftbegriffs markiert den Umstand, dass an der Begründung der Metaphysik ein medienhistorischer Umbruch steht, der im gleichen Moment seine Medien verdrängt. Wenn das Vergessen der Lautsubstanz im Sprechen und im gleichzeitigen Sich-Vernehmen der Stimme die phonozentristischen Hierarchien von Innen und Außen, Seele und Körper, Urbild und Abbild ermöglicht, dann liegt ihre angemessene Kritik in einer Wissenschaft der ›Grammatologie‹ (vgl. Derrida 1974). Derridas Dekonstruktion des Phonozentrismus trägt daher explizit medienwissenschaftliche Züge. Sie richtet der Schrift eine autonome Sphäre ein und vervielfältigt und erweitert damit zugleich ihren Begriff. Einem derart erweiterten Schriftbegriff gehört die phonetische Schrift der gesprochenen Sprache ebenso an wie die formalen Sprachen der Mathematik, er beinhaltet die Aufschreibesysteme technischer Medien (wie Phonographie oder Photographie) ebenso wie die Programmiersprachen digitaler Computer, Notenschriften ebenso wie Kymographen, und er macht keinen Unterschied zwischen Sprachen mit oder ohne vorgängige(r) Oralität, mit oder ohne extrasymbolische(n) Bezüge(n). Simulation/ Verführung: Jean Baudrillard Jean Baudrillards kulturkritisches Œuvre nimmt seinen Ausgang bei explizit medientheoretischen Überlegungen. Einerseits geht es um die Frage nach der Existenz eines ›Etwas‹, das der Vermittlung durch Medien exterior bleibt, das unangetastet in einem Außen verweilt und von den Medien nur vermittelt wird; andererseits um die Frage nach der Möglichkeit eines Subjekts des Gebrauchs, das sich dieser Vermittlung in irgendeiner Weise bedienen kann. Da sich diese Elemente von Objekt, Medium und Subjekt jedoch nicht separieren lassen, wird die Möglichkeit eines ›kritischen Standpunkts‹ oder einer ›Distanz‹ zu medialen Phänomenen allgemein fraglich. Ausgehend von seinen frühen Überlegungen zur Ökonomie des Zeichens (vgl. Baudrillard 1972) gelangt er daher zu der programmatischen Feststellung: »Es gibt keine Medientheorie.« (Baudrillard 1978, 83) Jeder Standpunkt und jeder Versuch eines kritischen Beobachtens ist in Medien selbst eingebunden. Das Medium ist insofern absolut oder ›total‹, als es kein Subjekt gibt, das sich seiner entle- <?page no="257"?> 258 Claus Pias digen könnte. Daher gibt es keine Schau (oder theoria) und kein Außen, sondern nur Aufenthalte im Medium oder, mit Derrida, ein Verweilen auf der Ebene der Spuren. Versuche einer marxistischen Medientheorie wie etwa von Hans Magnus Enzensberger 1 disqualifiziert Baudrillard als anachronistischen, nostalgischen und letzthin unzulänglichen Import. Denn die Medien postindustrieller Gesellschaften operieren weder im Feld materieller Produktion noch sind sie in das Schema von Basis und Überbau integrierbar. Sie haben keine vorgängige Ideologie, die anschließend in sie einginge. Und es geht in ihnen nicht um Inhalte, sondern um die Codierung von Diskursbedingungen, nicht um Kommunikation oder Vermittlung, sondern um das Erzeugen von Aufschub und Abwesenheit (Baudrillard nennt dies die ›kybernetische Illusion‹). Daraus ergibt sich für Baudrillard die Diagnose, dass wir erstens nichts wissen können, was nicht immer schon von Medien oder Codes formatiert, gespeichert und übertragen ist (Simulationsthese), dass zweitens von einem dezentralen und autoreflexiven Machtbegriff, von Mechanismen des feedback und der Selbststeuerung als einem ›dezentralisierten Totalitarismus‹ auszugehen ist und dass dadurch drittens eine Situation der radikalen Infragestellung medientheoretischer Kategorien geschaffen wird. »Alle Theorien, welchem Horizont sie auch immer entstammen, wie gewaltsam sie auch vorgehen und vorgeben, in eine Immanenz zurückzufinden oder zu einer Beweglichkeit ohne Bezugspunkte […], flottieren und haben nur den Sinn, sich gegenseitig zuzuwinken.« (Baudrillard 1982, 21) Weit davon entfernt, sich einer Funktionsbeschreibung derart autopoietischer Systeme (  2.7 Systemtheorien der Medien) zu widmen, sind Baudrillards Texte von einer Ambivalenz zwischen (pessimistischer) Affirmation und (utopischer) Negation getragen. Während sie auf der einen Seite die ›Ekstase‹ der Theorie ausrufen und die Medien für einen Kollaps des Realen verantwortlich machen, suchen sie zugleich nach Phänomenen, die die auf selbstreflexive Geschlossenheit zustrebenden Systeme verunsichern und möglicherweise ein Außerhalb der Medien markieren. Dies sind zunächst die politischen Aktionen des Situationismus, später dann die Theorien der Verführung. Dabei versucht Baudrillard, die Verführung als ontologische Dimension zu stärken. In der Wechselseitigkeit der Verführung soll sich das Problem einer ›obszön‹ gewordenen Subjektphilosophie lösen. Als Versuch einer Emanzipation des Objekts entlässt sie dieses aus der Herrschaft des Subjekts und unterläuft die durch Reflexion gesetzte Differenz von Subjekt und Objekt. Das Ergebnis solcher Gleichberechtigung oder Aufhebung wäre ›das reine Ereignis‹ (vgl. Baudrillard 1987) - eine unhierarchische und ursprungslose, duale oder duellhaf- 1 »Baukasten zu einer Theorie der Medien«, wieder abgedruckt etwa in Pias/ Vogl/ Engell 1999, 264 - 278. Zur Diskussion von Enzensberger in diesem Band siehe 2.3 Kritische Medientheorien. <?page no="258"?> 259 Poststrukturalistische Medientheorien te Situation, eine medienfreie Zone gewissermaßen, in der jeder Verführer zugleich schon Verführter und jedes Subjekt zugleich schon Objekt der Verführung ist. Dromologie/ rasender Stillstand: Paul Virilio Paul Virilios medienhistorische und kulturkritische Arbeiten, die er selbst im Begriff der ›Dromologie‹ zusammenfasst, beschäftigen sich mit der Geschichte und Struktur von Geschwindigkeit und Beschleunigung. In einem essayistischen, fragmentarischen und beispielgesättigten Stil vorgetragen, verschränken sich in ihnen Technikphilosophie und Militärgeschichte, Medientheorie und Phänomenologie der Wahrnehmung. Den weithin rezipierten und damit programmatischen Auftakt bildet die Analyse des Unterhaltungskinos der Zwischenkriegszeit als militärisch-industrieller Komplex (vgl. Virilio 1986), die eine gemeinsame Geschichte von technischen Medien und technischen Kriegen zu schreiben versucht. In optischen Medien, die auf imaginären Funktionen der Faszination und Blendung, der Tarnung und der Täuschung beruhen, verkoppeln sich demzufolge Medieneffekte mit militärischen Strategemen des Wissens um den Feind und der Tarnung vor ihm. Das strategische Interesse an höchster Geschwindigkeit (sei es zur Kontrolle eigener Truppen, zur Beobachtung des Feindes oder zur möglichst verzögerungsfreien Steuerung eigener Reaktionen) hat demnach - so Virilios anschließende These - nicht nur den rasanten Aufstieg technischer Medien entscheidend vorangetrieben. Vielmehr lässt sich die Beschleunigung selbst allgemein als Motor der Geschichte ausmachen - von den ersten Reitern und den antiken Transportsystemen bis hin zur Annäherung an die ›Echtzeit‹ aktueller Medienverbünde, Waffen- und Informationssysteme. Aus dieser Annahme resultieren mindestens vier Thesen: Erstens eine epistemologische These, insofern die eskalierende Geschwindigkeit als das historische Apriori eines zugleich kriegerischen und epistemologischen Dispositivs gedacht wird. Zweitens eine (an Heidegger anschließende) technikphilosophische These, insofern die Beschleunigung in einem Wettlauf mit sich selbst vergisst, ihr Wesen zu bedenken, das nicht die Geschwindigkeit ist. Drittens eine historische These, insofern die Dromologie teleologisch und letzthin apokalyptisch auf ein absolutes Ende hin argumentiert. Die Lichtgeschwindigkeit als unüberschreitbare Grenze impliziert die katastrophische Situation eines ›rasenden Stillstands‹ (Virilio 1992), in der instantane Telepräsenz und gleichzeitige Kataraxie zu einem vollkommenen Verlust oder einer Implosion des Raums führen. Viertens und zuletzt eine medienpsychologische These, insofern menschliche Wahrnehmungsorgane durch leistungsfähigere technische substituiert werden und eine Verwirrung oder gar Verwechslung von Wirklichkeit und Blick, von Realem und Imaginärem stattfindet. <?page no="259"?> 260 Claus Pias 2.10.3 Anwendungen in der Medienwissenschaft Wenn ›der‹ Poststrukturalismus also in seinen verschiedenen Spielarten der Theorie ihren Boden entzieht, dann unterläuft er zugleich auch deren Vorgängigkeit im Hinblick auf eine spätere Applikation. Er offeriert keine Anwendungen, sondern allenfalls Anregungen, produziert keine Einführungen, sondern allenfalls Versuche von Auslassungen: sei es der Identität, des Universellen, des Subjekts, der Präsenz, der Transzendenz, des Strukturvertrauens oder dessen, was Harold Bloom einmal die vier Orthodoxien der Präsenz (religious illusion), der Einheit (organic illusion), der Form (rhetorical illusion) und des Sinns (metaphysical illusion) genannt hat (vgl. Bloom 1975). Vor allem aber verfasst er keine Methodologie. Dennoch lassen sich die Spuren, die die Vertreter des Poststrukturalismus einer Medienwissenschaft in unterschiedlicher Stärke und mit wechselnder Beteiligung legen, wie folgt grob systematisieren. Das Wissen der Medien Einsicht 1: Medien stellen das Wissen, das sie speichern, verarbeiten und vermitteln jeweils unter die Bedingungen, die sie selbst schaffen und sind. In diesem Sinne ist keine Diskursanalyse denkbar ohne ein medienhistorisches Substrat. Eine maßgeblich von Foucault angeregte Medienwissenschaft widmet sich daher den Kulturtechniken als jenem Einsatz von Technologien (vom Alphabet bis zum Computer, von der Geometrie bis zu den life sciences), der die Konstitution und die Umschlagformen von Wissen beschreibt. Denn es sind Medientechnologien, die die Grenzen von Sagbarem und Unsagbarem, Sichtbarem und Unsichtbarem, Ordnung und Differenzlosigkeit ziehen und damit die Grenzen bestimmen, die einen historischen Wissenszusammenhang von Nicht-Wissen trennen. Die Medienwissenschaft hat darüber hinaus jene Institutionen zum Gegenstand, die die Sammlung und Distribution von Wissen organisieren: die anonyme Diskursverwaltung der Sekretäre und Büros, die Register und Buchführungen, die Archivare und Kataloge beispielsweise, die mit unterschiedlichem Einsatz an der Herstellung von Wissensordnungen beteiligt sind. Zuletzt beschäftigt sie sich mit den Poetologien oder Präsentationsformen des Wissens, seiner Inszenierung in Karten oder Listen, Diagrammen oder Bildern, Computernetzen oder Enzyklopädien, literarischen Texten oder wissenschaftlichen Protokollen, deren Besonderheit medialen Bedingungen unterliegt. Eine diskursanalytisch operierende Medienwissenschaft nimmt damit die unterschiedliche Rede vom Menschen als einer Kreuzung von Diskursarten oder seinem ›Verschwinden‹ insofern ernst, als sie ›sein‹ Wissen (im doppelten Sinne) als Medieneffekt eines Zusammenspiels von Technologien, Institutionen und Poetologien begreift. Sie grenzt sich damit ab von einer huma- <?page no="260"?> 261 Poststrukturalistische Medientheorien nistischen Medienethik, die am Subjekt ansetzt, und von einer empirischen Mediensoziologie, die das Soziale voraussetzt, statt beide als Medien-Ereignisse zu begreifen und zu untersuchen. Stattdessen sucht sie den Austausch mit der Wissenschaftsgeschichte und den Kulturwissenschaften. Die Materialität von semiotischen Prozessen Einsicht 2: Medien sind keine abstrakten Träger eines fremden Sinns, sondern sind konkret und haben einen materialen Eigensinn. Derridas Entwurf einer Grammatologie hat den medienwissenschaftlichen Blick in vielfältiger Weise auf die Materialität der Kommunikation gelenkt - von Kerbhölzern bis hin zu Schreibmaschinen, von Tintenstrichen bis hin zu Bildröhren, von beweglichen Lettern bis hin zu Bewegungsschreibern oder von Fotopapieren und Wachswalzen bis hin zu Digitalcomputern. Dabei war es vor allem Friedrich Kittler, der - ausgehend von einer Analyse von ›Positivitäten‹ im Sinne Foucaults - die Differenz geltend gemacht hat, nach der die historisch besondere, technisch-materielle Konstitution von Zeichen je erst ihre Signifikate hervorbringt. Jeder Humanismus des Gedankens vergesse demzufolge seine mediale Bestimmung durch die Schrift und verkenne, dass der Mensch nicht völlig im Menschen ist. Eine Philosophie der Medien beginnt demnach bei den Medien der Philosophie oder ihrem ›Schreibzeug‹. In diesem Sinne geht Kittler über Foucault mit der Vermutung hinaus, dass dessen Begriffe selbst der Entwicklung technischer Medien entsprungen sind. Und dies impliziert die Notwendigkeit, mit einer Diskursanalyse der Medien nicht im Kosmos des Alphabets und der Bibliotheken zu verbleiben und diesem lediglich neue Fallstudien zu addieren. Vielmehr erschließt eine Medienwissenschaft der Materialitäten (oder auch »Medienarchäologie«, vgl. Ernst 2000) das Gebiet des non-diskursiven, »submedialen Trägerraums« (Groys 2000, 20) von Papier, Fotochemikalien, Leinwänden, Videobändern oder Schaltplänen. An dieser Stelle findet die Medientheorie Anknüpfungspunkte zu den Ingenieursdisziplinen und den sogenannten Hilfswissenschaften. Medien-Ereignisse Einsicht 3: Medien kommunizieren nicht nur Ereignisse, sondern kommunizieren zugleich sich selbst als Ereignis mit. Bei Lyotard bezeichnet die Zone der Leere zwischen den Sätzen, das ›und‹ der Diskursarten, einen solchen Ort des Ereignisses. Jeder unwahrscheinliche Anschluss eines weiteren, heterogenen Diskurselements bezeichnet einen Bruch, ein Ereignis im Sprachkontinuum und markiert die Virtualität oder den Möglichkeitscha- <?page no="261"?> 262 Claus Pias rakter des Moments. Die im Ereignis aktualisierte, besondere und immer ungerechte Möglichkeit mag zwar nicht vorwegzunehmen sein, die Bedingungen und die Wahrscheinlichkeit ihres Erscheinens sind jedoch historisch und systematisch durch Medien begrenzt. Denn das Ereignis ist nicht auf die Sprachtätigkeit des Menschen reduzierbar, sondern bemisst sich an den Verfügbarkeiten und der Stochastik von (siehe oben) ›Satz-Regelsystemen‹ oder ›Sprachspielen‹, die (als Medien) immer schon mitsprechen und jeden Ereignishorizont abstecken. Dieser virtuell/ aktuelle Status von Medien-Ereignissen beschränkt sich nicht auf eine Nähe zur mathematischen Informationstheorie. Er reformuliert zugleich auch Foucaults Unterscheidung zwischen dem ›Archiv‹ dessen, was gesagt werden kann, und dem, was (so oder anders) als Aussage-Ereignis erscheint. Dieser Status ist nicht minder bezeichnend für Virilios historische Fallstudien von Medien-Ereignissen (beispielsweise dem Nürnberger Parteitag als Ereignis des Films) und seine Untersuchungen zur Telepräsenz und De-Territorialisierung von Ereignissen. Er bestimmt Baudrillards Simulationsthesen zur Allmacht des Codes und zur Undarstellbarkeit von Ereignissen ›an sich‹ (Nicht-Stattfinden des Golfkriegs) ebenso wie seine Suche nach dem kritischen Potential ›reiner Ereignisse‹ (Verführung, Objekt, Duell). Und er trägt zuletzt auch Derridas Fragen nach Metaphysik oder Präsenz als Ereignisse der Schrift. Den Medienwissenschaften wird durch diese virtuell/ aktuelle Figur des Medien-Ereignisses ein weites und noch kaum abgestecktes kulturhistorisches Terrain eröffnet. Als Domäne jener medialen Dispositive, die Ereignis und Geschichte enthalten, umfasst es heterogene Elemente wie Technologien, Symboliken, Institutionen, Architekturen oder Körper. Es beschränkt sich nicht auf die etablierten medienwissenschaftlichen Schauplätze von Theater, Kino oder Fernsehen, sondern umfasst Bibliotheken, Autobahnen oder Labortische nicht weniger als Computernetze, Programmiersprachen oder Medientheorien selbst. 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Versuchen Sie, einige Unterschiede zwischen Baudrillards Simulations-Ansatz und der konstruktivistischen Medientheorie herauszuarbeiten. 5. Versuchen Sie unter Zuhilfenahme von Virilios Dromologie eine Analyse aktueller Echtzeit-(realtime-)Tendenzen im Fernsehen. 6. Vergleichen Sie die poststrukturalistische Kritik von Wahrheit und Objektivität (etwa bei Foucault und Lyotard) mit der (radikal-)konstruktivistischen (etwa bei Maturana und von Glasersfeld). 7. Vergleichen Sie die poststrukturalistische Abkehr vom Anthropozentrismus, d. h. vom Menschen als Zentrum und Subjekt der Geschichte, mit der systemtheoretischen Exklusion des Menschen aus der Theorie sozialer Systeme. <?page no="266"?> 267 2.11 Medienphilosophische Theorien Frank Hartmann Die Ausdifferenzierung der Medientechnik in den postmodernen Gesellschaften hat neue kulturwissenschaftliche Ansätze erzeugt, die sich jenseits der tradierten disziplinären Schemata platzierten, um diese im Detail wiederum (leider) zu reproduzieren: So gibt es neben einer Medienwissenschaft, Medientheorie, Mediensoziologie, Medienökonomie, Medienarchäologie, Medienästhetik, Medienpädagogik etc. neuerdings auch eine Medienphilosophie. Wie jede disziplinäre Spezifizierung wird sie ein Fachwissen erzeugen, welches bei bestimmten Problemlagen konsultiert werden kann - um sich mit derselben Wahrscheinlichkeit aber von der breiteren Debatte abzusondern oder nur weiteren abgehobenen Jargon zu generieren? Sicherlich ist, wie in jeder anderen Disziplin, der Grad der Verwendung einer enigmatischen Terminologie ein Maß für Letzteres; ein weiterer Indikator ist die Einschränkung auf selbst gestellte Fragen und einzelne Fachautoritäten. Die Frage, ob es eine Medienphilosophie im strikten Sinn bereits gibt, soll hier eine offene bleiben; mit dem Hinweis darauf, dass sie sich in die Frage nach dem konkreten Fachwissen und den bestimmten Problemlagen, in denen die Medienphilosophie tätig wird, auflösen wird lassen. Im besonderen Fall der Medienphilosophie bricht sich der disziplinäre am generalistischen Anspruch, der sich mit der Bezeichnung Philosophie verbindet. Schließlich war lange Zeit die Rede von einer Philosophie der Natur, bevor es Naturwissenschaften gab, oder die von einer Philosophie der Seele, bevor es die Psychologie gab. Hier aber handelt es sich weniger um eine Philosophie der Medien (d. h. je nach Anwendung des Genitivs: Was hatten/ haben die Philosophen zu den Medien zu sagen? Haben gar die Medien eine eigene Philosophie? ) als um eine Bündelung von Fragen, die nach wie vor mit der philosophischen Frage nach der Conditio humana, nach der Stellung des Menschen in der Welt zu tun haben, die im Gegensatz zum philosophischen Historismus (Was Aristoteles über die Medien gesagt hat …) auf die Gegenwart und die Zukunft gerichtet sind: auf das Begreifen dessen, was als kultureller Wandel vor sich geht, und ein Skizzieren dessen, was in einer künftigen anthropologischen Situation möglich sein könnte. Grundlage für jede medienphilosophische Reflexion ist jener »Umsturz der Codes« (Flusser 1996), der im Austritt aus der Gutenberg-Galaxis (McLuhan 1962) den kulturellen Kontext neu bestimmt. <?page no="267"?> 268 Frank Hartmann 2.11.1 Zum Begriff ›Medienphilosophie‹ Medienphilosophie beinhaltet neben der systematischen auch eine rekonstruktive, ausgesuchte Momente der philosophischen Tradition einer aneignenden Re-Lektüre unterwerfende Problemstellung (vgl. Hartmann 2000). Im Weiteren richtet sie sich mit der Frage nach den Medien der Philosophie wohl auch auf die materialen Bedingungen der Möglichkeit bestimmter theoretischer Diskurse, wobei die kulturbestimmende Literalität mit einer neuen Taktilität (McLuhan 1992) bzw. der rein geistige Sinn philosophischer Diskurse mit den Sinnen rückgekoppelt wird (Hörisch 2001). Werden die selbstgenügsamen Textwelten mit Bilderwelten, Sounds, Programmierungen etc. konfrontiert, dann sind in der Folge durch die Frage nach dem Ort und dem Träger geistiger Gebilde auch die Produktionsbedingungen von Philosophie zu hinterfragen (vgl. Koch/ Krämer 1997). Netzstrukturen schließlich bilden jene neuen Rahmenbedingungen, in denen der sinnlich-geistige Doppelbezug des Menschen zu sich und seiner Welt (Faßler 2001) am keineswegs immateriellen, aber physisch kaum mehr greifbaren Cyberspace neue Erwartungshaltungen produziert. Es wäre jedoch ein Irrtum anzunehmen, dass mit einer Bezeichnung allein auch schon eine neue Disziplin etabliert, geschweige denn der Anspruch auf eine neue Form von Fundamentaltheorie gewonnen wäre. Ebenso wenig genügt es umgekehrt, ein bisschen fachphilosophische Terminologie zu Fragen des menschlichen Wirklichkeitsbezugs jetzt zur Abwechslung einmal auf Medienthemen anzuwenden. Der Begriff Medienphilosophie soll hier vorerst nur für übergeordnete wie übergreifende Fragen stehen, die mit der Veränderung kultureller Codes (und damit einer möglichen neuen Anthropologie) zu tun haben. Des Weiteren bedeutet er eine Fortführung des philosophischen Projekts der Moderne, welches die grundsätzliche Mediatisiertheit des menschlichen Daseins bereits in unterschiedlichen Facetten thematisiert hat. So hielt die philosophische Erkenntnistheorie (Epistemologie) fest, dass die Welt dem Menschen nicht unmittelbar gegeben ist, sondern stets vermittelt wird über einen sinnlichen Wahrnehmungs- und einen vernünftigen Erkenntnisapparat, über zwischengeschaltete Symbolsysteme wie die Sprache bis hin zu kulturellen und technischen Programmierungen. Mit den neuen Speicher- und Übertragungsmedien des 19. und dem Übergang von analogen zu digitalen Medien des 20. Jahrhunderts haben diese Programmierungen eine definitive Eigendynamik in Richtung einer Abkopplung der Apparatewirklichkeit von der Menschenwelt entwickelt. Hierbei ist bemerkenswert, dass der Linguistic turn der Gegenwartsphilosophie, der im 20. Jahrhundert gegenüber einer früheren Konzentration auf Bewusstseinsphänomene zunehmend die Sprachphänomene zum Thema gemacht hat (vgl. Rorty 1967), nunmehr seine Überbietung erlebt, da Medien als Materialitäten der Kommunikation nicht länger als neutrale Botschafter, sondern als <?page no="268"?> 269 Medienphilosophische Theorien durchaus sinnerzeugende Agenten betrachtet werden. Ausgangspunkt für diese Betrachtungsweise waren Schriften über den Zusammenhang von Wahrheitsaussagen und Diskursordnungen (Foucault 1974) sowie über den spezifischen Logozentrismus des europäischen Denkens (Derrida 1974) im Sinne seiner spezifischen »Schriftvergessenheit«. 1 In Rezeption dieser Ansätze und vor allem der provokativen Aussage, dass »der Mensch eine junge Erfindung ist« (Foucault 1971, 462), verspricht ein in der Folge vor allem von der deutschen Medientheorie behauptetes technisches Apriori (dazu ausführlich  2.1 Techniktheorien der Medien) Aufklärung über die Konstruktion des Menschen durch kulturelle und mediale Techniken. So wird die alte philosophische Frage, was denn der Mensch sei, neu gestellt und radikal zugespitzt, überlagern doch im Zeitalter elektronischer Datenverarbeitung Algorithmen angeblich restlos die Sprache und in der Folge Apparate bzw. deren Schaltungen als »Schematismus von Wahrnehmbarkeit überhaupt« (Kittler 1987, 5) alles sogenannte Menschliche. Die Logik technischer Verhältnisse, kultureller Codierungen und Kulturtechniken generell ins Verhältnis zur vermeintlich souveränen menschlichen Subjektivität zu stellen, bleibt Aufgabe der gerade erst beginnenden Diskussion einer Medienanthropologie, die gegenüber einer dualisierenden Rede von Menschen und Medien neue Fragen auf einem gemeinsamen Terrain von Medienarchäologie und Medienästhetik wird erschließen müssen. 2.11.2 Philosophische Spurensicherung Aufgrund der erneut erwachten Aufmerksamkeit für die Materialitäten der Kommunikation oder die Medialitäten des Geistes lassen sich verschiedene Versatzstücke der jüngeren Philosophiegeschichte neu interpretieren und ordnen. Dies kann bedeuten, dass die erkenntnistheoretischen Reflexionen etwa durch Sprachkritik oder Zeichentheorie (Semiotik;  2.4 Zeichentheorien der Medien) grundsätzlich tangiert werden. Die Bestimmung, in welchem Ausmaß dies zutrifft, wäre einerseits ein Desideratum der medienphilosophischen Forschung. Andererseits gibt es genügend Anknüpfungspunkte und unbeantwortete Fragen der Tradition, die ein starkes Motiv für eine Medienphilosophie im Sinne einer rekonstruierenden Wiederaneignung vermuten lassen: Die Grundlagen einer neuerdings Kulturwissenschaft mit Kulturtechnik verschränkenden Rekonstruktion (vgl. Kittler 2000) sind hier ebenso zu nennen wie einzelne Analysen, mit denen schon in den sech- 1 Eine Einführung in die poststrukturalistischen Theorien bieten Münker/ Roesler 2000. Siehe auch  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien. <?page no="269"?> 270 Frank Hartmann ziger Jahren das Thema Kommunikation seiner technizistischen Verengung entrissen und mit philosophischem Anspruch ausgestattet worden ist (vgl. Serres 1991). Michel Serres jedenfalls untersucht auf einer mathematisch-strukturalen Interpretationsfolie klassische philosophische Probleme neu, wie etwa die Kommunikation zwischen den Substanzen bei Leibniz oder das Problem der methodischen Vorbedingungen in der Erkenntnistheorie von Descartes - philosophische Spurensicherung an den Wegmarken zwischen Mathematik und Kommunikation sowie den zugehörigen Zuständen, Ordnungen und Operationen (wie »Interferenz«, »Übersetzung«, »Verteilungen« und Interface - wie es die Titel von Hermes I - V andeuten, vgl. Serres 1991 und die weiteren Bände). Dass traditionelle philosophische Fragestellungen, welche um die Problematik einer Medialität des Kognitiven kreisen - ob diese durch den Terminus Medium nun explizit gemacht worden ist oder nicht -, immer neue Aktualisierungen erleben, zeigen die untergründigen Verbindungslinien, die sich von verschiedenen philosophischen Klassikern zu aktuellen Theorieansätzen ziehen lassen: von René Descartes zu Noam Chomsky, wenn es um die Tiefenstruktur universaler Ideen für den Ausdruck des Denkens geht, von Gottfried Wilhelm Leibniz zu Ludwig Wittgenstein, wenn es um die Sprache als Spiegel des Verstandes oder Grenze meiner Welt geht, von Giambattista Vico zu Jacques Derrida, wenn es um die Kritik des Phonozentrismus oder um die der Sprache vorgelagerte Struktur der Schrift und des Schreibens geht (vgl. v.a. die Beiträge von Hans Poser und Jürgen Trabant in Koch/ Krämer 1997, 127 ff. bzw. 149 ff.). Medienphilosophie ist also immer auch eine philosophische Spurensicherung liegen gebliebener Aufgaben. Sprache war in der Philosophie seit jeher kein unbekanntes Thema, aber deshalb ist nicht jede Philosophie, die Sprache thematisiert hat, schon eine Medienphilosophie im engeren Sinne. Die beginnt erst dort, wo Schrift und die Praxis des Schreibens im Diskurs präsent sind, und zwar in dem Sinne, dass kognitive Leistung und Kulturtechniken (auch nicht-verbalsprachliche) zusammengedacht werden und der Mensch nicht auf ein sprachlich kommunizierendes Wesen allein beschränkt wird - dort also, wo Leibniz’ Beobachtung, dass alles menschliche Denken durch Zeichen erbracht werde, im emphatischen Sinn ernst genommen und möglicherweise in Richtung einer multimedialen Erkenntnistheorie weiterentwickelt wird. 2.11.3 Antimedialismus Das Nachdenken über Medien als Bedingung für das Denken und die Kultur findet sich bei den auf Wahrheit verpflichteten Philosophen von Anfang an. Meist jedoch in Form eines strikten Antimedialismus, der die Medien als etwas wahrnimmt, das nur Oberfläche, Suggestion, Simulation produziert und somit den Blick aufs We- <?page no="270"?> 271 Medienphilosophische Theorien sentliche verstellt. So in Platons Dialog Phaidros, der die schon nicht mehr ganz junge Erfindung der Schrift als etwas kritisiert, das negative Folgen für das menschliche Gedächtnis zeitigt. Die Lehrlinge der Schrift, so der antike Philosoph, würden durch dieses erweiterte Gedächtnis bloß eingebildet, nicht aber weise. Überliefert ist uns diese Kritik der Schrift im Zeichen der Einbildung als ein performativer Widerspruch, der nur dadurch geglättet wird, dass Platon in seinem Text den Sokrates sprechen lässt. Ansonsten wird im Lichte der philosophischen Erkenntnis das Verdikt gegen die Welt der Sinne ausgesprochen: Bekannt ist das sogenannte »Höhlengleichnis« aus Platons Der Staat, in dem die sinnliche Welt als unsicher und trügerisch verworfen wird. Die ihrer Sinnlichkeit verhafteten Menschen halten an die Wand geworfene Schatten für Abbilder der Wirklichkeit. Wahre Bildung aber hält sich an die Idee des Wahren und Guten statt an solche Schatten, sie verhält sich wie das strahlende Sonnenlicht zum flackernden, Schatten werfenden Höhlenfeuer. In der Folge bewegt sich die Text um Text produzierende abendländische Philosophie wie selbstverständlich im Reich der Schrift und des Drucks, ohne diese kulturtechnische Bedingung der Möglichkeit ihrer Existenz zu thematisieren. Die Verschriftlichung von Denkarbeit und Erkenntnis als Kopplung von Episteme und Druckkultur kennt keine Alternativen - außer dem flüchtigen Dialog oder der mystischen Schau; philosophiert wird in nüchternen Texten, Denken mündet im Buch als seiner definitiven Form. Dass die Entwicklung des Denkens gänzlich unter das Paradigma einer Herstellung von propositionaler Begrifflichkeit in Texten gestellt wird, kommt in einem strikt durchgehaltenen Bilderverbot zum Ausdruck. So wehrt sich Immanuel Kant in seiner Kritik der Urteilskraft gegen alle »abgezogene Darstellungsart«, um unter Berufung auf die »erhabene Stelle im Gesetzbuche der Juden« - eben das alttestamentarische Bilderverbot - gegen die didaktische und vermeintlich aufklärende Verwendung von Bildern zu wettern. In »Bildern und kindischem Apparat« suche Hilfe nur, wer nicht auf die Kraft großer sittlicher Ideen vertraue. Und hier nimmt Kant eine geradezu ideologiekritische Wendung: »Daher haben auch Regierungen gerne erlaubt, die Religion mit dem letzteren Zubehör [nämlich Bildern und kindischem Apparat - Anm. d. Verf.] reichlich versorgen zu lassen, und so dem Untertan die Mühe, zugleich aber auch das Vermögen zu benehmen gesucht, seine Seelenkräfte über die Schranken auszudehnen, die man ihm willkürlich setzen, und wodurch man ihn, als bloß passiv, leichter behandeln kann.« (Kant 1974, Band X, 201) Die Herstellung von Publizität zur Garantie einer Rechtsordnung sowie die Bedingung der Öffentlichkeit für die Geltungsansprüche wissenschaftlichen Argu- <?page no="271"?> 272 Frank Hartmann mentierens hat Kant in seinen Schriften zur Anthropologie (1784: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? , 1795: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf - vgl. Kant 1974, Band XI) durchaus thematisiert. Die Frage der Abhängigkeit des menschlichen Geistes, sofern dieser medialen Bedingungen seiner Möglichkeit in Form von Kultur, Sprache, Symbolverwendung oder Technik unterliegt, bleibt bei dieser grundlegenden Philosophie jedoch unerheblich. Es wird in jener Zeit das menschliche Weltverständnis in die Frage nach einem möglichst perfekten Welttext aufgelöst (vgl. Blumenberg 1983). Hier liegen auch die Wurzeln der gegenwärtigen konservativen bis apokalyptischen Kulturkritik, die neue Medien lediglich als Agenten eines drohenden Untergangs des Abendlandes (etwa Postman 1999) wahrnimmt und die Bedingungen der Produktion und Verbreitung von Wissen exklusiv mit Buchdruck und Druckkultur gleichsetzt (zum historischen Überblick vgl. Burke 2001). 2.11.4 Medienwirklichkeiten und der Begriff ›Medium‹ Den Einzug der Bilder in unsere Kultur konnte jedoch kein religiöses oder akademisches Verbot verhindern. Mit der Photographie beginnt im 19. Jahrhundert definitiv der Auszug aus der Gutenberg-Galaxis: Es handelt sich um eine Medienrevolution, mit der nun die Gegenstände »sich selbst in unnachahmlicher Treue« malen. Damit entsteht eine subjektlose Kunst, die gleichwohl »unaufhaltsam den Verstand und die Einbildungskraft« anspricht, wie Alexander von Humboldt 1839 aus Paris berichtet (zit. nach Hörisch 2001, 227 f.). Diese die Weltwahrnehmung und Weltinterpretation verändernde Technik wäre ein philosophisches Thema, aber noch hundert Jahre später gibt es die Verwunderung, dass die der medialen Innovation der Photographie nahe liegenden »philosophischen Fragen […] jahrzehntelang unbeachtet geblieben sind« (Walter Benjamin 1931, in: Benjamin 1977, 47). Die Wirkung der medialen Apparatur auf Verstand und Einbildungskraft revolutioniert nämlich durch neuartige »taktile Rezeption« nicht nur die Ästhetik, sondern jede Grundbefindlichkeit des Menschseins »im Land der Technik«, in dem der »apparatfreie Aspekt der Realität« (Benjamin 1977, 31) illusionär geworden ist - den Medienwirklichkeiten lässt sich nicht länger im Namen authentisch menschlicher Erfahrung entfliehen. Diese Beobachtung impliziert einen weiteren wichtigen Aspekt: Neue Technik schafft neue Wirklichkeiten - der konstruktivistische Aspekt wird dabei gerne überbetont -, während sie doch nicht nur neue Welten und neue Entwürfe erlaubt, sondern auch die Reinterpretation des Vorhandenen. Benjamin hat vom optisch Unbewussten gesprochen, das speziell die Photokamera enthüllt, und gerade diese neue Sichtbarmachung bezieht sich auf vorhandene Welten. »Medien sind damit nicht nur für die Konstruktion neuer Wirklichkeiten <?page no="272"?> 273 Medienphilosophische Theorien und zweiter Naturen, sondern auch für Einblicke in alte Wirklichkeiten und erste Naturen zuständig.« (Rieger 2000, 170). ›Medium‹ selbst wird erst im 20. Jahrhundert zu dem Begriff, den wir heute für medientechnische Funktionen des Codierens, Speicherns und Übertragens verwenden. Zuvor hatte dieser Begriff eine andere Bedeutung, etwa den einer Person als Medium im Rahmen parawissenschaftlicher Praktiken auf der Suche nach Zwischenwelten (vgl. Darnton 1983). Der Medienbegriff taucht philosophiegeschichtlich in verschiedenen Facetten auf, meist geht es dabei um die Vermittlung transzendenter Botschaften 2 oder um Vermittlung generell, aber es gibt auch die Verwendung im Sinne von Aufbewahrung und Nachahmung. Erst langsam setzt sich ein technifizierter Medienbegriff durch, was auch mit neuen Experimenten im Bereich der Optik und der Akustik - etwa der Goethezeit - zusammenfällt. Weder ist der Medienbegriff dabei immer explizit, noch lässt sich eine »Zwangsläufigkeit der Begriffsentwicklung« (Hoffmann 2002, 22) feststellen. Ein Indiz dafür, dass der Begriff des Mediums im Sinne von Durchlässigkeit für etwas verwendet worden ist, findet sich in Georg W. F. Hegels Wissenschaft der Logik von 1812 - fast beiläufig wird da erwähnt, dass so, wie das Wasser im Körperlichen die vermittelnde Funktion eines Mediums hat, im Bereich des Geistigen die Zeichen bzw. die Sprache diese mediale Funktion übernehmen (Hegel 1970, Band 6, 431). Das Medium ist ein Tor zur Welt des Symbolischen; die faktischen Medien hingegen bleiben eine ganz profane Angelegenheit: Das Zeitunglesen bedeutete dem Denker »eine Art von realistischem Morgensegen« in der Welt des Geistes (Hegel 1970, Band 2, 547), die sich als solche jedoch von medienpragmatischen Fragen vorerst noch gänzlich unberührt wähnt. Die Praxis der Medienwirklichkeit, die erst nach Hegel (mit den Medien der Realaufzeichnung etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts) eine ›neue‹ zu werden beginnt, schlägt sich in der klassisch genannten Philosophie vorerst nicht nieder. Hier lässt sich für den gegebenen Kontext eine relevante Unterscheidung gewinnen: Medienphilosophie ist kein Ansatz, der die Philosophiegeschichte danach abklopft, was einzelne berühmte Philosophen über die Medien zu sagen hatten. Sie kann höchstens als philosophischer Anspruch an die Gegenwart herangetragen werden, ganz in dem Sinn, dass - in Anlehnung an eine Bemerkung von Gilles Deleuze zum Kino - angesichts einer neuen medialen Praxis der Bilder und Zeichen es Sache der Philosophie wäre, ihre Begrifflichkeit wenigstens darauf einzustellen. Philosophie hat eine doppelte Herausforderung: ihre eigene mediale Bedingtheit, aber auch die Medien selbst als Forschungsobjekt zu thematisieren. Zu der Einsicht, dass Sprache und Denken sich interdependent entwickeln, fanden schon die Phi- 2 So gibt es die Vorstellung der Natur als Medium, vgl. in Kants Kritik der Urteilskraft die Idee der »Chiffreschrift […], wodurch die Natur figürlich zu uns spricht« (Kant 1974, Band X, 234). <?page no="273"?> 274 Frank Hartmann losophen des Aufklärungszeitalters, allen voran Johann Gottfried Herder (vgl. Borsche 1996, 215 ff.). Dass auch unser Schreibwerkzeug an unseren Gedanken mitarbeitet, war eine ironische Einsicht Nietzsches, der damit rückwirkend auch zum Idol einer medienmaterialistischen Wende in der Philosophie geworden ist (Kittler 1986, 293 f.). Für diese Position ist die Rezeption zumeist französischer postmoderner Theorien wichtig (vgl. Frank 1983); möglicherweise mussten die neuen Medien aber auch erst eine Generation von Theoretikern form(at)ieren, damit sich gegen die herrschenden akademischen Diskurse wie Hermeneutik, Handlungstheorie und Kritische Theorie (  2.3 Kritische Medientheorien) neue medientheoretische Positionen durchsetzen konnten (vgl. Hörisch 1997). Medienphilosophie umfasst im Weiteren die Frage danach, was Philosophie unter neuen Medienbedingungen überhaupt noch ist. Frei nach Hegel nimmt Philosophie die Aufgabe wahr, das, was an der Zeit ist, in Gedanken zu erfassen (Hegel 1970, Band 7, 26). Medienphilosophie muss also die Medienrevolutionen reflektieren, die den Weg in eine telematische Gesellschaft geebnet haben, um gerade in der Differenz zu klassischen bewusstseins- und sprachphilosophischen Ansätzen einen entscheidenden Schritt über die typographische Vernunft hinauszugehen. Während das akademische Philosophieren die neuen audiovisuellen Speicher- und Übertragungsmedien, die seit dem 19. Jahrhundert auch die menschliche Wahrnehmung zu verändern beginnen, und damit die Medienwirklichkeiten im Wesentlichen beiseite lässt, kommt es erst im 20. Jahrhundert zu gelegentlichen (also kaum systematischen) medientheoretischen Einlagerungen in den philosophischen Diskurs, die fast immer eine kulturkritische Färbung annehmen. 2.11.5 Sprache, Kultur, symbolische Form Bevor wir uns diesen Themenbereichen zuwenden, werfen wir einen kurzen Blick auf die philosophische Tradition der Moderne. Ihre zentrale Frage dreht sich in verschiedenen Fassungen um das Problem der Wahrheit bzw. darum, was wir von der Welt erkennen können. Die Erkenntnistheorie kennt als Problem die grundsätzliche Mediatisiertheit aller Dinge, das heißt alles, was wir an der Welt erkennen können, ist uns in irgendeiner Form vermittelt. Immer wieder geht es um diese ursprüngliche Differenz, die das Menschsein auszeichnet, seit die Menschen im Lauf der Evolution aus der Natur herausgetreten sind: Die Welt ist an sich nicht so, wie wir sie für uns wahrnehmen. Erkenntnis bedeutet immer auch ein gewisses konstruktives Moment; je nachdem, was zu ihr beiträgt - ob nun Sinneswahrnehmung oder eine Theorie -, haben wir verschiedene Welten vor uns. Der Verdacht, dass die Sinne grundsätzlich trügen, hat René Descartes dazu bewogen, sie als eine gesicherte Grundlage für Erkenntnis überhaupt auszuschließen. Seine Grundlage war rationalistisch: die Selbstgewissheit im Vollzug des Denkens. <?page no="274"?> 275 Medienphilosophische Theorien Immanuel Kant verlegt in seiner theoretischen Philosophie (Kritik der reinen Vernunft, 1781) die Frage nach der entscheidenden Strukturierung des Weltbezugs zwar ganz in das Subjekt hinein; die Bedingungen jedoch werden transzendental angelegt - was bedeutet, dass sowohl die sinnlichen wie auch die reflexiven Voraussetzungen für alle Menschen (Kant sagt: Vernunftwesen) gleichen Schranken unterliegen, welche die Welt der Erscheinungen formieren. Wie die Dinge an sich sind, wissen wir nicht wirklich, da sie immer nur in einer bestimmten Form für uns gegeben sind. Wie die Konstellation von Welt einerseits, Mensch andererseits und den zwischengeschalteten Symbolsystemen bis hin zu kulturellen und technischen Programmierungen zu denken sei, das bleibt etwas pauschalisierend ausgedrückt eines der prominentesten philosophischen Probleme der Moderne. Die sprachphilosophischen Kritiker Kants (vor allem Herder und Wilhelm von Humboldt) freilich machen darauf aufmerksam, dass die vermeintlich autonome Vernunft ihren bedingenden Rahmen hat, da sie sich immer innerhalb einer Kultur und in einer Sprache formiert und damit von einer bestimmten Überlieferung abhängig ist, die wiederum das jeweilige Weltbild formt. Sprache als das Medium, in welchem sich Gedanken überhaupt erst bilden können, wird dabei immer weniger als Ausdruck der Realität von Dingen gesehen und immer mehr als Ausdruck einer Relation der Dinge zu den Menschen sowie der Menschen untereinander, wie etwa Nietzsches sprachtheoretischer Text Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne (1873) belegt. Zwar hat Nietzsche sein Bonmot vom Schreibwerkzeug, das dem Denken Bedingungen schafft, nicht ausgearbeitet; interessant aber ist allemal, wie philosophisches Denken mit Annäherung an das 20. Jahrhundert verstärkt sprachkritische Züge annimmt (zur weiteren Ausdifferenzierung sprachtheoretischer Ansätze vgl. Krämer 2001). Es ist im Weiteren die kulturphilosophische Kontextualisierung der abstrakt konzipierten Begriffe von Vernunft und Erkenntnis, die uns auf den Weg zu einer Medienphilosophie führen. In den frühen zwanziger Jahren publizierte der damals in Hamburg lehrende Philosoph Ernst Cassirer sein dreibändiges Werk zur Philosophie der symbolischen Formen (Cassirer 1997). Darin vollzieht sich definitiv die sprachphilosophisch lang angekündigte Wende hin zum Symbolischen. Dabei werden Sprache und Mythos neben dem Problem der philosophischen Erkenntnis und der wissenschaftlichen Erklärung als eigenständige Narrative im Prozess der Menschwerdung thematisiert: Der Mensch gilt fortan nicht bloß als rationales Wesen, sondern als animal symbolicum. Damit werden kulturtechnisch bedingte Erfahrungsmodalitäten des Menschen herausgearbeitet und in einer Theorie des kulturellen Sinnverstehens systematisch begründet. In diesem Übergang von einer philosophischen Erkenntnistheorie zu einer kulturphilosophischen Symboltheorie, die im Übrigen auch biologische und ethnologische Forschungsergebnisse einbezieht, definiert Cassirer die kulturellen Objektivationen als ein »artifizielles Medium«, das sich zwischen den Menschen und die <?page no="275"?> 276 Frank Hartmann Welt schiebt. Der Mensch hat es nie mit den wirklichen Dingen zu tun, sondern mit mediatisierter Wirklichkeit, das heißt mit symbolischen Formen wie Sprache, Mythos, Kunst, Religion, Wissenschaft. Es sind diese Symbolsysteme, die seine Wirklichkeit erschließen und ihr immer wieder neue Dimensionen hinzufügen. 3 2.11.6 Phänomenologischer Ansatz Unsere alltägliche Erfahrung ist durchsetzt mit Codes und Normen, Konstrukten und Simulationen, Paradigmen und Theorien. Was aber ist es, das sich der Erfahrung selbst zeigt, und wie lässt sich dies, noch vor aller Theorie, beschreiben? Die Suche nach einer Urform der Erfahrung, die Analyse der nichtmediatisierten Wirklichkeit oder der Versuch, an ihren Phänomenen zu arbeiten, formt ein Denken oder besser eine philosophische Methode, die sich Phänomenologie nennt. Es war Edmund Husserl, der ab ca. 1913 die Idee der Phänomenologie ausformte, und zwar als eine Archäologie der Erfahrung, die auf die »Sachen selbst« zielt (Husserl 1993). Methodisch soll dazu in einem Verfahren der Reduktion von allen Vorurteilen und kulturellen Werten etwas »Eigentliches« freigelegt werden, das als Sinnfundament funktioniert. Erst in Betonung einer Intentionalität des Ego und als Funktion des Bewusstseins werden Sinn und Bedeutung als solche konstituiert. Die Arbeit an den Phänomenen soll ebendiese von ihren kulturellen und geschichtlichen Überlagerungen befreien. Wenn Husserl feststellt: »Die ›gesehenen‹ Dinge sind immer schon mehr als was wir von ihnen ›wirklich und eigentlich‹ sehen« (Husserl 1977, 55), dann könnte man diesen philosophischen Versuch einer Erzeugung von Direktheit (um nicht zu sagen: einer Reinigung) durchaus als einen Kampf werten, sich der emergierenden Medienwirklichkeit zu entwinden. Konkret war bei Husserl nur die Rede von Idealitäten, die eine moderne Naturwissenschaft der wirklich erfahrenen und erfahrbaren Welt - die er unsere alltägliche Lebenswelt nannte und diese als das vergessene Sinnfundament der Naturwissenschaft bezeichnete - unterschiebt (Husserl 1977, 52). Von Medien und ihrer symbolischen Überformung dieser Lebenswelt bis hin zur Verdichtung einer sekundären Realität der simulierten Wirklichkeiten war zu jener Zeit allerdings noch nicht die Rede. Erst Vilém Flusser sollte diesem methodischen Versuch unter Bedingungen einer neu kodifizierten Welt eine ganz andere Färbung geben: Phänomenologie als Absage an die Illusion, dass hin- 3 Fragen der nichtbegrifflichen Erkenntnis aus sinnlichem Wahrnehmungsvermögen können hier aus Platzgründen nicht näher ausgeführt werden: die Medienästhetik verdiente ihren eigenen Beitrag. Vgl. einführend zur philosophischen Ästhetik Seel (2000); zur Geschichte und Theorie audiovisueller Wahrnehmungsformen Schnell (2000); neue Ansätze zur Bildwissenschaft bei Belting (2001). <?page no="276"?> 277 Medienphilosophische Theorien ter der medialen Oberfläche sich etwas Ursprünglicheres verberge (vgl. dazu Unterabschnitt 11 dieses Kapitels). Nicht als positive Lehre, sondern als methodischer Ansatz wurde die Phänomenologie zu einer wirkungsmächtigen Grundlage medienphilosophischer Theoriebildung. Als prominentester Schüler Husserls wagt Martin Heidegger den Versuch, jenen Erfahrungsboden noch tiefer zu legen, um in seiner Fundamentalontologie ein Sein zu beschwören, welches in Eigentlichkeit hinter den Überformungen durch menschliche und kulturelle Aktivitäten (Dasein in Form von Technik oder Gestell, vgl. Heidegger 1962) waltet und nur durch Lichtungen (wie in der poetischen Sprache) erahnt werden kann. Nicht als Vermittlerin zwischen Ich und Welt - und schon gar nicht als Kommunikationsmedium - wird Sprache dieser Philosophie zentral. Sie ist jene Instanz, über die sich weder das Ich noch die Welt, sondern ein Anderes erschließt, einem ästhetischen Versprechen ähnlich, das durch die Technik der Reproduzierbarkeit allerdings durchkreuzt zu werden droht. Die moderne Technik jedenfalls depotenziert alles Menschliche, und der Mensch meistert nicht das Wesen der Technik, da in ihr ein Etwas sich äußert, das alles menschliche Tun und damit auch den kritischen Eingriff hinter sich lässt. 2.11.7 Nicht Sein, nicht Schein: Günther Anders Die Einwirkung von Technik und Medien im Sinne einer zweiten industriellen Revolution findet ihren Niederschlag in der negativen Anthropologie von Günther Anders. Der Schüler von Husserl und Heidegger hat nach den Alltagserfahrungen aus dem amerikanischen Exil die Massenmedien Rundfunk und Fernsehen als einer der ersten Philosophen überhaupt explizit thematisiert: Die Welt als Phantom und Matrize. Bemerkenswert an diesen aus den vierziger/ fünfziger Jahren stammenden »philosophischen Betrachtungen über Rundfunk und Fernsehen« ist die Berücksichtigung des technischen Aspekts der Übertragung, der jedem ästhetischen Scheincharakter eine eigene Form der Realität zukommen lässt: Weder Bild noch Wirklichkeit, besteht jedes gesendete Ereignis in einer »ontologischen Zweideutigkeit« der zugleich gegenwärtigen und abwesenden Form - es ist weder Sein noch Schein - und versetzt die Menschen in eine künstlich erzeugte Schizophrenie (Anders 1980, 131 bzw. 135 ff.). Anders’ Diagnose, die Jahrzehnte später noch Theoreme zur Simulation beflügeln sollte, attestiert dem modernen Menschen im Vergleich zu seinen technischen Produkten eine spezifische Antiquiertheit, die er als »prometheische Scham« erfährt. Auf diese Scham, geworden statt gemacht zu sein, reagiert der moderne Mensch mit Styling, Kosmetik, Bodybuilding und auch mit seiner Unterwerfung unter die Apparatewelt. Die Welt der Medien beansprucht seine gesamte Wahrnehmung, »das Wirkliche wird zum Abbild seiner Bilder« (Anders 1980, <?page no="277"?> 278 Frank Hartmann 179). Die Menschen versuchen nicht nur, sich den medial erzeugten Vorbildern entsprechend zu formen, sondern entwickeln auch eine Ikonomanie, eine Bildersucht, die alles ausschließt, was nicht medial reproduziert (beispielsweise photographiert) werden kann. Anders bringt die mediale Auflösung des Subjekt-Status philosophisch zur Sprache, indem er zeigt, dass Medienprodukte wie die Nachrichten keineswegs Realität wiedergeben, sondern diese erst konstruieren (  2.6 Konstruktivistische Medientheorien). Medien besorgen die Anlieferung von Weltbildern, um das Wirkliche oder »die Welt unter ihrem Bilde zum Verschwinden zu bringen« (Anders 1980, 154). Dabei gehen die Kategorien der Wahrnehmung über in den kollektiven Zwang eines Für-wahr-Nehmens dessen, was in Wahrheit für uns medial inszeniert worden ist. Fraglich bleibt, ob sich der technisch induzierten Selbstvernichtung als gesellschaftliches Kollektiv einerseits und der medialen Überbietung des Menschenbildes andererseits überhaupt noch entgegenwirken lässt. Anders zeigt einen totalitären Aspekt der Medienwirklichkeit auf, wobei ähnliche Argumente zum Tragen kommen wie bei den Anfang der vierziger Jahre ebenfalls durch den Kulturschock der amerikanischen Emigration geprägten Ausführungen der Frankfurter Schule zur Kritik der Kulturindustrie (Horkheimer/ Adorno 1969, 128 ff.;  2.3 Kritische Medientheorien). Bis in die Technik hinein, die sich auf eine Einweg-Kommunikation beschränkt, manifestiert sich laut ihrer Diagnose in den Massenmedien das Motiv der ökonomischen Ausbeutung aller menschlicher Ressourcen. Vor allem eins wird klargestellt: Hier geht es nicht um eine Fortsetzung der Aufklärung, sondern um ihre Pervertierung zum Massenbetrug. Die philosophische Verarbeitung der Formen dessen, was kulturell erfahrbar ist, wird dabei auf eine Meta-Ebene verlagert, auf der es nur mehr einen angeblich generellen Verblendungszusammenhang zu konstatieren gibt. 2.11.8 Geschichte und mediale Dispositive: Harold A. Innis Gegen Mitte des 20. Jahrhunderts lässt sich angesichts der Rolle, welche die audiovisuellen Medien zunächst in der westlichen Kultur übernommen haben, die Erfahrung nicht länger leugnen, dass ein Jahrhunderte währendes Monopol der Schriftkultur zu Ende geht. Von der zeitdiagnostischen Einsicht, dass »gedrucktes Material […] an Wirkungskraft einbüßt« (Innis 1997, 137) und auch für die gesellschaftliche Reproduktion nicht mehr unbedingt zentral ist, lässt sich aber nicht nur eine kulturapokalyptische Perspektive ableiten, sondern vor allem die durch eine differenziertere Geschichte der Kommunikationsverhältnisse untermauerte Erkenntnis, dass technischer und sozialer Fortschritt interagieren. Wie der kanadische Wirtschaftshistoriker Harold A. Innis 1949 feststellte, besitzen Medien eine Tendenz zur Realitätsmodulierung, da ihnen die Rolle der Verteilung von Wissen <?page no="278"?> 279 Medienphilosophische Theorien in Zeit und Raum zukommt (The Bias of Communication, vgl. Innis 1997, 95 ff.). Medien zählen zu den großteils unbewusst wirkenden kulturellen Strategien und stehen in einem affirmativen Verhältnis zu politischer Herrschaft, die sich im geschichtlichen Rückblick als eher von deren Materialitäten abhängig erweist als von den durch diese vermittelten Inhalten. McLuhan sollte diese am historischen Material gewonnene Erkenntnis dann zum Slogan: »das Medium ist die Botschaft« verdichten (McLuhan 1992). Innis entwirft eine Medientheorie der Zivilisation; welche epistemische Bedeutung Medien haben, wird hierbei in die Frage nach dem environmental technological conditioning übersetzt, wobei Sprache, Texte, Bilder und andere Kommunikationsmittel, etwa Stein in der Architektur, kein unverrückbares, sondern ein historisch kontingentes Gefüge bilden, von dem die sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen jedoch abhängen. Die Einführung neuer Medien, und damit kultureller Wandel, folgt dabei dem Muster einer sozialen Informationsverarbeitung. 4 »Wir können wohl davon ausgehen, daß der Gebrauch eines bestimmten Kommunikationsmediums über einen langen Zeitraum hinweg in gewisser Weise die Gestalt des zu übermittelnden Wissens prägt. Auch stellen wir fest, daß der überall vorhandene Einfluss dieses Mediums irgendwann eine Kultur schafft, in der Leben und Veränderungen zunehmend schwieriger werden, und daß schließlich ein neues Kommunikationsmittel auftreten muss, dessen Vorzüge eklatant genug sind, um die Entstehung einer neuen Kultur herbeizuführen.« (Innis 1997, 96) Vor dem materialen Eigensinn der in einer Kultur eingesetzten medialen Dispositive und den damit verbundenen Wissens- und Kommunikationsmonopolen (Staat, Kirche, Universität) ist eine gänzlich frei handelnde Subjektivität nicht möglich. Die bei Innis aufgeworfene Frage nach einer Grammatik der Medien ist medienphilosophisch brisanter, als es die Selbstverständlichkeit der verkürzten Wiedergabe seiner Thesen vermuten ließe. Wie lässt sich die ominöse »Macht der Technik, ihre Eigengesetzlichkeit der Nachfrage zu schaffen« (McLuhan 1992, 86), angesichts der zunehmend undurchdringlicher werdenden Benutzeroberflächen noch plausibel dechiffrieren? 4 Der Begriff Informationsverarbeitung etablierte sich erst mit den Computerwissenschaften ab den fünfziger Jahren. Explizite Kategorien für eine informationstheoretische Betrachtung der Mediengeschichte wurden jüngst in den Studien von Michael Giesecke entwickelt (Giesecke 1998, 945 ff.). <?page no="279"?> 280 Frank Hartmann 2.11.9 Medien als die neue Natur: Marshall McLuhan Zentral für McLuhans Ansatz war die These, dass die technische Entwicklung und damit die Medien der westlichen Kultur nicht notwendig einer Logik des Zerfalls folgen müssen: Der Niedergang einer bislang gesellschaftsprägenden Buchkultur kann auch ein Aufgang neuer Sinnlichkeiten bedeuten, anstelle der Literalität zeichnet sich eine neue Oralität ab (Pop- und Rockmusik). Die Schrift- und Druckkultur »opfert Welten von Bedeutungs- und Wahrnehmungsinhalten« (McLuhan 1992, 83), deren mögliche Rückeroberung in einer Zeit neuer Medien und Anwendungen ansteht. Beeinflusst vom britischen New Criticism interessierte sich McLuhan zunächst für die Volkskultur des industriellen Menschen und analysierte ohne methodische Strenge, aber mit viel analytischem Scharfsinn Mediensujets wie Filmplakate, Werbeanzeigen, Comics oder auch die Titelseite der New York Times, die wahlweise als symbolistische Landschaft oder als Jazzpartitur vorgeführt wird. Der Anspruch dieser 1951 publizierten Traumanalyse des kollektiven Bewusstseins war kulturkritisch aufklärend: »Wir leben in einem Zeitalter, in dem zum ersten Mal Tausende höchst qualifizierter Individuen einen Beruf daraus gemacht haben, sich in das kollektive öffentliche Denken einzuschalten, um es zu manipulieren, auszubeuten und zu kontrollieren.« (McLuhan 1996, 7) Aus der Kritik der medialen Überformungen einer Alltagskultur, welche die Manipulation öffentlichen Denkens anprangert, folgt aber auch die Einsicht in die Ausdruckskraft der populären Kultur, die zunehmend einem vorindustriellen Acoustic space gleicht und, wie das Beispiel Fernsehen zeigt, neue Taktilitäten entwickelt, die letztlich eine Auflösung der Buchkultur als universal verbindlicher Form kultureller Reproduktion bedeutet (McLuhan 1962). Der kritische Theoretiker kann nicht länger distanzierter Beobachter sein. Die Erforschung der elektronischen Umwelt provoziert Involvierung und eine immersive Grundhaltung: »Wir sind jetzt gezwungen, neue Techniken der Wahrnehmung und der Beurteilung zu entwickeln, neue Wege, um die Sprachen unserer Umwelt mit ihrer Vielfalt an Kulturen und Wissenszweigen lesbar zu machen.« (McLuhan 1997, 75) Er überrascht schon lange vor seinen als Provokation empfundenen Hauptschriften mit der Aussicht auf ein »Erwachen aus dem historisch kondi- <?page no="280"?> 281 Medienphilosophische Theorien tionierten Alptraum der Vergangenheit« mittels neuer Technologien. 5 Wahrnehmungs- und Urteilsformen, so McLuhan, müssten in einer Überwindung des typographic cultural bias neue Formen zulassen, um neue Decodierungen zu erlauben. Eine damit in Aussicht gestellte neuartige »organische Einheit« (McLuhan 1992, 396) bedeutet die Rückkehr zu einer vorindustriellen Logik und damit die Wiederaufnahme von Momenten der Vergesellschaftung, wie sie in oralen Kulturen bestanden haben. Die neuen Medien der Informationsverarbeitung dekonstruieren die spezifische Literacy einer Kultur, die auf Voraussetzungen des phonetischen Alphabets und des Drucks gebaute Form der Zivilisation. Die Electric simulation der Medienwirklichkeit hingegen ist ein Bewusstseinsvorgang, oder besser die Ausweitung des Bewusstseins über die Dimensionen des Sprachlichen hinaus in eine Kultur der Oberflächen. Doch dann wird klar: Medien schaffen neue symbolische Ebenen und generieren völlig neue Umwelten - »The new media«, sagt McLuhan in einem seiner vielen Interviews, »are not bridges between man and nature, they are nature«. 6 Dass Medien die Wirklichkeit nicht wiedergeben oder vermitteln, sondern diese erst definieren, das hat McLuhan in aller Radikalität vorgeführt. In Understanding Media geht es schließlich um das Ende der Linearität durch die Rückkopplungen der »elektrischen Informationsbewegung«, durch Automation und Kybernation (McLuhan 1992, 393 ff.). Lange vor dem Diskurs der Postmoderne zeigte McLuhan theoretisch auf, welche Rolle Information, Kommunikation und Wissen für die Reproduktion der Gesellschaft spielen und wie Kultur und Technologie konvergieren. Dabei entsteht eine neue Kultur der Information. Die medientechnologische Produktivkraft erzeugt nach der Explosion als Grundmotiv einer energetischen Technik der Industriegesellschaft (Dampfmaschine) eine implosive Grundhaltung, nach der die Muster des Fortschritts neu zu denken sind. Information aber definiert Unterschiede, sie hat keine Substanz, sondern bestimmt Relationen. 7 Nicht Konsens ist das Ziel von Kommunikation, sondern Kollektivierung, nicht Verständigung, sondern Wahrnehmungsverschiebung und Übersetzung (Medien sind hier Metaphern des Vermögens, »Erfahrung in neue Formen zu übertragen«, McLuhan 1992, 74). Der Mensch als humanistische Projektion sou- 5 Dieses Zitat (McLuhan 1997, 69) aus seinem Essay »Kultur ohne Schrift« entstammt der von McLuhan mit herausgegebenen Zeitschrift Explorations, Band 1, Dezember 1953, und erschien 1997 zum ersten Mal in deutscher Übersetzung. Dass etwa auch The Mechanical Bride sowie die Schriften von Innis in einer Auswahl erst 1996 vorlagen, ist bezeichnend für die selektive Rezeptionslage im deutschen medientheoretischen Diskurs. 6 Audio Quotes: www.webcorp.com/ sounds/ mcquote.htm 7 Es war Gregory Bateson, der in seinen Studien zur Komplexität der Beziehung von Erkenntnis- und Umweltstrukturen wichtige Grundlagen für eine kybernetisch-systemtheoretische Auffassung von Kommunikation geschaffen hat (  2.6 Konstruktivistische Medientheorien). Sie erlaubt es, die geistige Welt jenseits von Inhaltsaspekten als eine »Welt der Informationsverarbeitung« zu sehen (vgl. Bateson 1981, 583). <?page no="281"?> 282 Frank Hartmann veräner Subjekte sinkt dabei herab zu einem »Servomechanismus« der jeweiligen Techniken, die zur Anwendung kommen - und ist bald nicht mehr als ein bloßes »Geschlechtsteil der Maschinenwelt« (ebenda, 63). 2.11.10 Schrift, Rhizom, Netz: Derrida, Deleuze/ Guattari, Serres Dass eine Kultur auch auf anderen Codierungen als den des phonetischen Alphabets beruhen kann, diese Relativierung der Rolle von Schrift und Druck - das Ende der Gutenberg-Galaxis - ist das wohl bekannteste kulturphilosophische Vermächtnis McLuhans. Damit wird nicht nur das ›Betriebssystem‹ der Welt des Geistes und damit der abendländischen Werte bloßgelegt, sondern auch die Idee des menschlichen Subjekts in die Abhängigkeit von den historisch kontingenten Kulturtechniken gesetzt. Ganz in diesem Sinne, wenn auch vordergründig ohne Bezug auf den medienwissenschaftlichen Diskurs, kommt es in den sechziger Jahren zu einer Reihe von philosophischen Publikationen, die ein Denken vorbereiten, das mit der Hilflosigkeit jeder Etikettierung später als postmodern bezeichnet wird. Aus seiner Beschäftigung mit der Geschichte von Denksystemen kommt Michel Foucault zu dem Schluss, dass es jeweils fundamentale Dispositionen des Wissens gibt. Da diese sich mit der Zeit ändern, ist auch das, was letztlich in das Archiv einer Kultur eingeht, keineswegs gleich bleibend. Die Positionen des Subjekts, das Aussagen trifft, sind sehr variabel; nur die Diskurse oder die Formationen und Regelmäßigkeiten der Aussagen sind wissenschaftlich zugänglich. Sogar die Rolle des Subjekts ist eine transitorische: Lediglich zwischen verschiedenen Formen der Sprache - die in der Neuzeit mit ihrer Rolle bricht, in Form der Schrift eine Repräsentation der Dinge zu sein -, »zwischen zwei Seinsweisen der Sprache« also formiert sich die Gestalt des Menschen; eine Gestalt, die gewiss auch wieder verschwinden könnte, wenn jene Dispositionen verschwänden (Foucault 1971, 461 f.). Sprache, die in Erscheinung treten kann, ist Schrift. Schrift aber, so Jacques Derrida in seiner Grammatologie (  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien), besteht eigentlich nicht aus Zeichen, die für eine Sache stehen, sondern aus einer Spur, die in einem Gefüge von Verweisungen gezogen wird und zur »Bedingung der Möglichkeit aller Wörter und Begriffe« wird (Bennington/ Derrida 1994, 82). Die dekonstruktivistische Theorie der Schrift vor der Sprache erkundet ein experimentelles Denken der Divergenzen, die freilich den Sinn von Kommunikation zugunsten ihrer Effekte, wie etwa der Schreibpraxis und der Inszenierung von Texten, hintanstellt (»Signatur - Ereignis - Kontext«, vgl. Derrida 1976). Derridas zentrale These vom Logozentrismus des westlichen Denkens entwirft die medienphilosophisch relevante These vom Primat der gesprochenen Sprache vor dem Hintergrund einer spezifischen »Schriftvergessenheit« - sie stellt gewissermaßen <?page no="282"?> 283 Medienphilosophische Theorien McLuhan auf den Kopf, der durch die audiovisuellen Medien eine neue Oralität heraufziehen sah. Es gelte, die historische Verdrängung zu vergegenwärtigen: Es gibt kein Gesprochenes, das nicht von einem »Schriftfonds« zehren würde. Unsere intuitive Auffassung von der Schrift, die sich als Fixierung des gesprochenen Wortes versteht und damit auf die Sprache folgt, wäre demnach eine falsche Historisierung: Sprache ist ein Effekt der Schrift, es gibt »kein sprachliches Zeichen, das der Schrift vorherginge« (Derrida 1974, 29). Dass Schreiben weniger mit »Bedeuten« als mit dem Besetzen und »Kartographieren« von Terrain zu tun hat, bestätigen eine Theoriegeneration später Gilles Deleuze und Félix Guattari in Rhizom, der Einleitung des zweiten Teils ihrer monströsen Theorie der Wunschmaschinen. Rhizome, also Geflechte und Gewebe zu bauen, das steht hier als eine metaphorische Forderung nach einer Neudeutung der Aussagenproduktion jenseits des überholten Relationsgefüges von Welt, Buch und Autor (vgl. Deleuze/ Guattari 1992). Der Begriff des Rhizoms repräsentiert ein Denkmodell der Vielheiten, das gegen die binäre Logik gerichtet ist, gegen das klassische Denken nach dem Muster des Baumes und der Bifurkationen und gegen Linearität und falsche Einheiten. Von medienphilosophischer Relevanz ist hier vor allem die implizite Kritik an der Informatik sowie am mathematischen Ingenieursmodell der Kommunikation. Diese poststrukturalistische Theoriebildung kommt wuchernd und ausufernd daher, ihre Themen sind heterogen und verkörpern als Ensemble den Anspruch, über die maschinen-technischen Homogenisierungen hinauszugehen, welche die Kultur des Industriezeitalters immer noch mit einer Kultur der Digitalisierung verbindet. »Jeder Punkt eines Rhizoms kann (und muss) mit jedem anderen verbunden werden.« (Deleuze/ Guattari 1992, 16) Diese rhizomatische Verflechtung, in der Verbindungen auch über unterschiedliche Codierungen funktionieren, entspricht der Heterogenität einer changierenden medienkulturellen Matrix. Die eingeübten Kategorien und cartesianischen Dualismen wie Mensch und Technik, jahrhundertelang als ontologische Grundkonstanten verstanden, werden durch Konzepte einer neuen Medienwirklichkeit abgelöst, die »keinen radikalen Einschnitt zwischen Zeichenregimen und ihren Objekten« mehr erlauben und eine multimediale Dezentrierung von Sprache »auf andere Dimensionen und Register hin« verlangen (ebenda). Die Übertragung zwischen Punkten ist nur ein Sonderfall der möglichen Bezugnahme; Unordnungen wie Interferenzen und Verteilungen (Serres 1987 und 1991) bestimmen die kommunikativen Verhältnisse. Es ist wichtig, angesichts der Engführungen einer mathematischen Theorie der Informationsübertragung in Kommunikationskanälen (Claude Shannon) 8 noch darauf zu verweisen, dass im franzö- 8 Vgl. hierzu auch die Kritik am mathematischen Kommunikationsmodell durch die Semiologie:  2.4 Zeichentheorien der Medien. <?page no="283"?> 284 Frank Hartmann sischen Diskurs bereits in den frühen sechziger Jahren eine ebenfalls mathematisch begründete, auf einer Logik des Unscharfen beruhende Philosophie der Kommunikationsnetze erarbeitet wurde. Michel Serres bestimmte das klassische lineare Übertragungsmodell, das Kommunikation als Austausch zwischen zwei unabhängigen Polen darstellt, als Spezialfall, der in der Wirklichkeit kaum zu finden ist (Serres 1991, 23). Der Realität entspricht viel eher ein zumindest dreidimensionales Netzwerk, in dem jeder Knoten notwendigerweise mit vielen anderen in Verbindung steht. Übertragung zwischen diesen Knoten ist wiederum nur ein Spezialfall der möglichen Bezugnahme, denn jeder Dialog beansprucht den Bezug auf einen ausgeschlossenen Dritten; Determination, Reflexion, Interferenz, Negation, Überschreitung - und all das Parasitäre - bestimmen den kommunikativen Vollzug. Diese auf moderne mathematische Axiome bezogene Netztheorie erlaubt in einer »Philosophie ohne Verteiler« (Serres 1987, 73) die strategische Distanzierung von den cartesianischen Dualismen wie Geist und Materie, Mensch und Technik - die dualen Kategorien werden durch Bündel von Kraftvektoren abgelöst. So lassen sich auch die Zufälligkeiten der Kommunikation mathematisch begreifen, ohne sie allerdings in der Realität berechenbar zu machen. Serres wählt in seinen Schriften Gestalten der antiken Mythologie als Metaphern, um diese Komplexität begrifflich zugänglich zu machen. Der Philosoph wird damit selbst zu jenem Boten, zum Übersetzer, den Serres nicht zufällig in der mythischen Figur von Hermes dem Götterboten als symbolischen Träger aller Kommunikation vorstellt. 9 2.11.11 Kommunikologie: Vilém Flusser Menschliche Kommunikation ist negativ entropisch, das heißt sie ist in dem Sinn widernatürlich, als sie mit ihren künstlichen Wissens- und Informationsspeichern der natürlichen Tendenz zum Zerfall aller Formen entgegenwirkt. Sie schafft Komplexität, wo diese normalerweise abgebaut wird. »Die menschliche Kommunikation ist ein Kunstgriff, dessen Absicht es ist, uns die brutale Sinnlosigkeit eines zum Tode verurteilten Lebens vergessen zu lassen. […] Die Kommunikationstheorie beschäftigt sich mit dem künstlichen Gewebe des Vergessenlassens der Einsamkeit.« (Flusser 1996, 10) 9 Vgl. auch Hartmann, Frank/ Rieder, Bernhard (2001): Der Pirat des Wissens ist ein guter Pirat. Ein Gespräch mit Michel Serres. www.heise.de/ tp/ deutsch/ inhalt/ co/ 3602/ 1.html <?page no="284"?> 285 Medienphilosophische Theorien Dieses aus codierten Symbolen bestehende Gewebe ist die zweite Natur, in der die Menschen leben. Aus dem Speichern und Übertragen von Information, einem genuin widernatürlichen Kunstgriff, wird ein quasi-natürlicher Code, die kodifizierte Welt. Die in ihrem Funktionieren unhinterfragte Welt ist mit dem alphabetischen Code in die Krise geraten; die Rede ist von einem radikalen Umbruch der Kommunikationsverhältnisse. Vilém Flussers Ansatz einer Medienphilosophie ist der Frage verpflichtet, was die Anbahnung einer telematischen Gesellschaft für die menschliche Kulturentwicklung bedeutet. Mit einfachen wie auch stark komprimierten Gedankengängen rekonstruiert Flusser die Menschheitsgeschichte als eine, die in zunehmender Abstraktion weg von der Natur und hin zu sich stets erneuernden Kulturformen führt. Dazu werden kulturanthropologische Ansätze von Herder bis Heidegger und McLuhan synthetisiert, während sich Flussers Thesen einer bestimmten Zuordnung dennoch entziehen. In den Einzelanalysen, brillant etwa die Versuche über Gesten im alltäglichen Kontext (Flusser 1994b), aber auch zu Medienphänomenen (Flusser 1993), die der phänomenologischen Methode verpflichtet sind, nehmen medienphilosophische Grundbegriffe wie Kommunikation und Information, aber auch Geschichte, Dialog und Diskurs neue und teils überraschende Färbungen an. Flussers Grundstimmung ist von der Hypothese getragen, »dass sich die Grundstrukturen unseres Daseins verwandeln« und dass eine Philosophie des Apparats und der nachgeschichtlichen Programmierungen erforderlich ist (Flusser 1983, 69 ff.). Demnach sind die kulturbestimmenden Codes nicht mehr alphabetisch bzw. rein alphanumerisch, sondern bestehen statt aus einer linearen Anordnung von Zeichen nunmehr aus Flächen (images). Die menschliche Einbildungskraft, die an den Prinzipien des Gutenberg-Zeitalters ausgebildet und geschult worden ist, kommt mit dem neuen, technoimaginären Code nicht zurecht und muss neu ausgebildet werden (Flusser 1993, 251 ff.). Aufgrund dieser Unbestimmtheit des Technoimaginären bleibt vorläufig unentschieden, ob dieser Umbruch der Codes eine repressive oder eine emanzipative Auswirkung auf die Gesellschaftsorganisation haben wird. Ob, mit anderen Worten, sich mit Hilfe der medialen Apparate eine fascistische (gebündelte, zentrierte) oder eine telematische (dialogische) Gesellschaft abzeichnet. Alles ist möglich - Flussers Rekonstruktion der Menschwerdung zeichnet einen unabgeschlossenen Prozess, ein evolutionistisches Projekt. Dieser Ansatz führt seine Theoriebildung jedenfalls nicht in die Verlegenheit, in kulturapokalyptischer Erstarrung zu verharren. Wie kam es laut Flusser zur Ausbildung dieser Textwelt, von der wir uns zugunsten neuer Horizonte verabschieden? Das Lebewesen Mensch befindet sich ursprünglich im mehrdimensionalen Raum wie jedes andere Lebewesen. Die Befreiung von Naturzwängen schafft sukzessive neue Möglichkeiten: Eine Hand, die nicht mehr zum Gehen benötigt wird, kann die Welt begreifen, ein Mund, der nicht <?page no="285"?> 286 Frank Hartmann mehr als Greiforgan dient, lernt sprechen. 10 Der Mensch tritt aufgrund seiner Abstraktionsleistung aus der Naturverbundenheit heraus, wird zum Symbole verwendenden Wesen und schafft sich gleichzeitig durch die instrumentale Behandlung der Natur seine lebensweltliche Existenz, indem er aus der natürlichen Welt heraustritt oder ek-sistiert. »Am ›Ursprung‹ des Menschen klafft ein Abgrund zwischen ihm und der Welt, und Symbole sind Instrumente, um diesen klaffenden Abgrund zu überbrücken - es sind Mediationen.« (Flusser 1996, 76) Solche Existenz, eine unterste Stufe der Reflexivität, bildet sich eine magische Welt ein, indem sie sich ein Bild von der Welt macht (sie sich einbildet, also nicht: diese abbildet - eine wichtige Unterscheidung). Werkzeuggebrauch und Symbolverwendung öffnen eine neue Welt des Symbolischen, beides wird unter das Informieren gefasst. Durch das Imaginieren von Natur entstehen Bilder, deren flächiger, zweidimensionaler Code mit der Zeit aber nach einer Verdeutlichung verlangt, nach eindeutiger Lesbarkeit statt bloßer Deutbarkeit: So rekodieren Texte die Bilder. Mit der Durchsetzung der Schrift wird der Code eindimensional, das Paradigma dieser zweiten großen Einbildung ist die Linearität, das zeitliche Nacheinander im Symbolisierungsprozess und damit das geschichtliche Prinzip. Beginnend mit dem Photoapparat im 19. Jahrhundert bahnt sich nach diesem Übergang von der magischen Imagination zur alphanumerischen Abstraktion ein weiterer Schritt an: Nach Bildern und Texten werden nunmehr die Berechnungen vorherrschend, nach der Zwei- und Eindimensionalität die Nulldimensionalität der Punkte, aus denen sich das Mosaik der neuen Oberflächen als apparatgestützte Projektion auf die Welt zusammensetzt. Statt Subjekt von Objekten zu sein, wird der Mensch Teil eines Projekts, an dessen Horizont sich mutmaßlich eine neue anthropologische Dimension einer dialogischen Existenz abzeichnet. Flusser setzte sein Bestreben in Gegensatz zur traditionellen Philosophie und fand dafür in Analogie zur vorherrschenden Technologie und Biologie den Ausdruck Kommunikologie, um klar zu machen, dass der Brennpunkt theoretischer Überlegungen zur kulturellen Situation sich definitiv verlagert hat (Flusser 1996, 242). 11 Die neuen Medien sind Ausdruck einer Veränderung des kulturellen Programms, nicht Auslöser des Umbruchs. Kommunikologie heißt aber auch, die neu- 10 Vgl. hierzu das Werk des Paläontologen André Leroi-Gourhan (1995), der die gemeinsame Grundlage von Sprache und Technik in der Ko-Evolution von Werkzeug- und Symbolgebrauch unter der Voraussetzung einer veränderten neuro-motorischen Organisation des Menschen belegt hat. Dazu ausführlicher  2.1 Techniktheorien der Medien. 11 Kommunikologie hat sich als Fachbezeichnung bislang noch nicht durchgesetzt, alternativ dazu kursiert auch der Begriff Mediologie (vgl. Debray 1991). <?page no="286"?> 287 Medienphilosophische Theorien en Codes zu akzeptieren, welche Darstellungen in Bereichen erlauben, in denen »Worte nicht mehr kompetent sind« (Flusser 1994a, 190). Dass auch diese Medienphilosophie eine geschriebene blieb und dass es weiterhin Bücher voller Worte geben wird, ist nicht unbedingt ein performativer Widerspruch, sondern zeugt eher vom Respekt vor den Ungleichzeitigkeiten, den eine jahrhundertelang eingespielte Publizistik ihren Autoren auch weiterhin abverlangt. 2.11.12 Weiterentwicklung und Ausblick Ob mit dem in aller gebotenen Kürze skizzierten Überblick das abgedeckt ist, was gegenwärtig in der Sprachphilosophie als das Spannungsverhältnis von Denken und Kulturtechnik thematisiert wird und sich unter dem neuen Titel einer Medienphilosophie vorstellt, bleibt dahingestellt. 12 Wir sehen, dass der Begriff »Medium« weniger technisch denn als Metapher für Modellierungen und für ein Ordnungsprinzip zur Anwendung kommt, mit dem wir Publizität herstellen, um damit Kultur und soziale Räume zu gestalten, denen das kulturelle Interface einer Schriftgesellschaft nicht länger exklusives Vorbild, sondern nur mehr ein Element unter anderen ist (Hartmann 2000, 21). Es ist aus dieser Perspektive kein Zufall, dass die Kulturwissenschaft in jüngster Zeit den Übergang von einer bloßen Textzu einer Medienwissenschaft als unumgänglich ansieht und auch in materialen Studien zu einer »anderen Moderne« sich nicht allein auf die Texte, sondern auf Mediengeschichten bezieht (vgl. Rieger 2000). Von medienphilosophischer Relevanz sind freilich auch verschiedene Ansätze der Gegenwartsphilosophie, die sich etwa kritisch mit der Simulationslogik der Künstlichen Intelligenz beschäftigen (Searle 2001). Philosophische Skeptiker der Computerentwicklung wie Hubert Dreyfus melden sich jüngst wieder zu Wort, um überzogene Erwartungen an eine Kultur der Telepräsenz zu hinterfragen (Dreyfus 2001). Oder es wird versucht, pragmatische Reorientierungen im akademischen Diskurs, die sich aus einer recht spezialisierten Debatte um den Gegensatz von Repräsentationalismus und Konstruktivismus entwickelt haben (  2.6 Konstruktivistische Medientheorien), in Form einer pragmatischen Medienphilosophie als neue »philosophische Disziplin« akademisch zu integrieren. So beansprucht Sandbothe (2001), den linguistic turn der Gegenwartsphilosophie, der einst die auf sprachliche Kommunikation gebauten menschlichen Kompetenzen für eine Theorie der Rationalität erschlossen hat, mit den neuen »technischen Möglichkeitsbedingungen« (d. h. Internet im alltäglichen Gebrauch) in Einklang zu bringen. Alternative Ansätze versuchen gar nicht mehr, solche Anschlussfähigkeit zu erzeu- 12 Zur weiteren Diskussion vgl. die Beiträge in Münker/ Roesler/ Sandbothe (2003). <?page no="287"?> 288 Frank Hartmann gen. Sie versuchen, avancierte nonverbale Formen der Kommunikation - die Bilder, Sounds, Bewegungen der Künste - theoretisch zu integrieren, um damit eine semiotische Erweiterung von Vernunftkonzeptionen weiterzutreiben (vgl. Vogel 2001). Hier werden freilich zunehmend Beiträge relevant, die diese neuen Diskursordnungen abseits des akademischen Kontextes und seinem unbedingten Zwang zur medialen Transposition der Verschriftlichung repräsentieren. 13 Peter Sloterdijk hat schließlich den Versuch gewagt, den menschlichen Ort sphärologisch als eine Beschreibung von Innenwie Außenverhältnissen im Prozess des Zur-Welt-Kommens neu zu bestimmen. Hier ist die Mediensphäre ebenfalls zentrales Thema - ob von der medialen Poetik der Existenz die Rede ist oder auch von homogenisierenden Praktiken und den kommunikativen Illusionen der sozialen Synthesis durch Massenmedien (vgl. Sloterdijk 1999) bzw. dem massenmedial hysterisierten Gesellschaftskörper. Dieser muss in einer Synchronwelt bestehen, in der »die Völker und Kulturen unter Vermittlungszwang geraten sind«, was als nicht mehr hintergehbarer technischer Datenstrom eine Funktionsgarantie für die Globalisierung darstelle und damit den definitiven Ausgangspunkt für eine Theorie des gegenwärtigen Zeitalters bilde (Sloterdijk 2005, 217 ff.). Zum Bestandteil einer solchen Theorie zählen allerdings weniger spekulative Erörterungen auf Basis von Texten aus der philosophischen Tradition des 19. Jahrhunderts als vielmehr die Rekonstruktion audiovisueller Techniken der Präsentierung und Synchronisierung einerseits sowie transportierender und transformierender Techniken für Weltverkehr bzw. Weltkommunikation andererseits (vgl. Hartmann 2006). Postskript zur Neuauflage: Seit der ersten Fassung des vorliegenden Überblicks hat die Debatte um eine Medienphilosophie (einen profunden Überblick bietet Margreiter 2007) kaum Fortschritte gemacht. Versuche, ihr scharf umrissene Konturen zu verleihen - wie etwa der von Nagl/ Sandbothe (2005) - konnten über eine begrenzte Fachöffentlichkeit hinaus nicht wirken. Das Problem scheint darin zu liegen, dass dabei die Problemorientierung zugunsten einer Fachdiskussion über die Grenzen der Philosophie selbst distanziert wurde. Weder ist der Diskurs so neu, wie manchmal behauptet wurde, noch wird über die inhaltliche Orientierung an der Medienproblematik eine methodische Systematisierung zu erreichen sein. Folglich hat die Fachwelt - ohnehin entweder historisch-philologisch oder analytischformallogisch orientiert - dieses aus ihrer Sicht unerbetene Angebot schlicht ignoriert. Zudem hat jene ›Systematisierung‹ zum Ziel, Medienphilosophie als Disziplin zu etablieren, was sich als ein nicht tragfähiger Anspruch erweisen musste: Während einige das Formalobjekt ›Medien‹ lediglich als etwas betrachten, das sich eben 13 Vgl. beispielsweise Paul D. Miller a. k. a. Dj Spooky (o. J.): Dark Carnival. www.djspooky.com/ articles/ darkcarnival.html <?page no="288"?> 289 Medienphilosophische Theorien auch philosophisch verstehen lässt, bedeutet Medienphilosophie für andere den Versuch, nichtbegrifflich zu philosophieren - erinnert sei an Vilém Flusser (2009), der diese Möglichkeit im Arbeiten mit Video sah. Andere sehen es in den vielfältigen Formen des Programmierens. Das Ziel ist hier, die Philosophie als ein historisches, weil schriftbasiertes Unternehmen insgesamt zu überwinden. Während nun einige völlig traditionell orientierte Publikationen allein aus Gründen der verlegerischen Strategie versprechen, Medienphilosophie zu diskutieren, während sie eigentlich den Stand der Forschung problematisch engführen (beispielsweise Konitzer 2006), erweitern manche philosophische Ansätze das Themenfeld wenn nicht im technischen Ansinnen, so doch im Bereich einer Ästhetik als Erkenntnisform, welche über die Engführungen typographisch vermittelter Formen hinausgeht (vgl. Diaconu 2005 und zuletzt Matzker 2008). Auch Michael Giesecke, der sich mit den historischen Grundlagen der Buchkultur beschäftigt hat, erhebt aufgrund seiner kulturvergleichenden Kommunikationsforschung die Forderung nach einer posttypographischen Erkenntnistheorie, die den Erfahrungsebenen der multimedialen Technologien entsprechen müsse (vgl. Giesecke 2007). Mit der Erfindung der photographischen Verfahren (Aufzeichnung ohne symbolische Codierung), mit der durch die Elektrizität ermöglichten neuen Form der Informationsbewegung (Botschaft ohne Boten) sowie mit dem nächsten entscheidenden Schritt, nämlich der Implementierung von Logik in Technik (kybernetische Maschinen, Computer) haben sich die Bedingungen geändert, unter denen die Menschen im Verhältnis zu ihrer Welt stehen und unter denen sie diese wahrnehmen. Im deutschsprachigen Diskurs scheint eine traditionell begründete Scheu davor zu bestehen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Selbst innerhalb des medienphilosophischen Diskurses werden die Realien vermieden und man spricht nicht von Infrastrukturen und von Programmierungen, sondern von Medien als ›Begriff‹, um dann über dessen ›Definition‹ zu streiten. In der Folge kommt es dazu, dass der angloamerikanische Diskurs auch nicht rezipiert wird. Dort finden sich immer öfter medienphilosophisch relevante Beiträge, die von einer Rekonstruktion der visuellen Sprache der Neuen Medien (Manovich 2002), von einer neuen Sinnesästhetik unter Medienbedingungen (Hansen 2004) oder von der Erschließung von Computing und Information als Gegenstandsbereiche der Philosophie (Floridi 2004 und 2008) handeln. Aus all dem folgt, dass - wie auch immer die Anfänge der medienphilosophischen Fragestellung rekonstruiert werden - einem grundlagenorientierten Diskurs zunehmend theoretische Orientierungsleistungen - auch hinsichtlich ästhetischer Fragen, pragmatischer Medienkompetenz sowie praxisbezogenem Fachwissen - abzuverlangen sein werden. Während keineswegs Einigkeit darüber besteht, was Philosophie überhaupt ist - abseits der mitunter peinlichen Pose, mit der über Gott und die Welt populistisch ›nachgedacht‹ wird - und welche Berechtigung sie in einer Zeit jenseits des Schriftmonopols hat, erscheint es einigermaßen paradox, von <?page no="289"?> 290 Frank Hartmann der Existenz einer Medienphilosophie zu sprechen. Was eine kritische Annäherung im gegebenen Rahmen von sich transformierenden Kommunikationsordnungen jedoch leisten kann, das ist die Verortung einiger Positionen, die zur Reflexion der erkenntnistheoretischen Dimension von Medien und ihren Effekten auf Kultur, Gesellschaft, unser Denken und die Produktion von Wissen beigetragen haben. Literatur Anders, Günther (1980): Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. Band 1. München: Beck. [Zuerst 1956] Bateson, Gregory (1981): Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Belting, Hans (2001): Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München: Fink. Benjamin, Walter (1977): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit [Zuerst 1936]; Kleine Geschichte der Photographie [Zuerst 1931]. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 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Periodisieren Sie in eigenen Worten die Geschichte der menschlichen Symbolisierungs-Strategien mit Hilfe von Flussers Dimensionalitäts-Modell. 7. Vergleichen Sie den in diesem Beitrag skizzierten Ansatz von Günther Anders mit der Simulationsthese von Jean Baudrillard (  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien). 8. Vergleichen Sie die unterschiedliche Einschätzung des (radikalen) Medienmaterialismus bzw. des Hardware-orientierten Ansatzes von Friedrich Kittler bei zwei Autoren dieses Bandes: bei Frank Hartmann (hier) und Lutz Ellrich (  2.9 Psychoanalytische Medientheorien), und beziehen Sie persönlich Position zur Debatte in den Polen von Denken und ›Schreibwerkzeug‹, Inhalt und Materialität und letztlich Mensch und (Medien-)Technik. 9. Vergleichen Sie, wie etwa aus den Perspektiven der Philosophie der Kommunikationsnetze von Serres und des Strukturalismus von Saussure auf unterschiedlichen Ebenen Shannons mathematische Theorie der Kommunikation als unvollständig erscheint bzw. um welche Dimensionen dieses lineare Modell der Signalübertragung jeweils durch Serres und Saussure erweitert wird. <?page no="294"?> 295 3 Komparatistik: Theorien-Raum der Medienwissenschaft Stefan Weber 3.1 Alles bloß Theorie-Moden? »Bis vor wenigen Jahrzehnten haben realistische Varianten dominiert; gegenwärtig schlägt das Pendel eher in die Richtung von Konstruktionen aus […]. Warum gelingt es keiner der Hauptversionen des dualistischen Denkens, den philosophischen Diskurs auf Dauer zu bestimmen oder gar zu beherrschen? Vor hundert Jahren waren die meisten Philosophen in England Idealisten und heute sind es die wenigsten.« (Mitterer 2001, 22) »Die Präferenzentscheidung zwischen Realismus und Konstruktivismus dürfte eher pragmatisch zu fällen sein: im Moment haben konstruktivistische Modelle Konjunktur.« (Mitterer 1992, 149) 1 Ist die Wahl einer bestimmten wissenschaftlichen Theorie primär ein Kind der Zeit? Sind wissenschaftliche Theorien am Ende gar reine Modeerscheinungen, die kommen und gehen, sich wiederholen mögen und als »alter Wein in neuen Schläuchen« (so Burkart 2002, 312, in Einschätzung des Konstruktivismus) die immer gleichen Fragen und Problemlösungs-Vorschläge in neue Begrifflichkeiten kleiden? - Wie hilfreich ist zur Beantwortung dieser Fragen ein Blick auf die Theoriemoden der vergangenen Jahrzehnte? • In den späten fünfziger und vor allem in den sechziger Jahren waren evidenterweise Kritische Theorien weit verbreitet. Das intellektuelle Selbstverständnis dieser Zeit war vor allem von der Gesellschafts- und Kulturkritik von Adorno/ Horkheimer bis Marcuse und Enzensberger geprägt. Der Bogen reichte von radikalen bis zu gemäßigten Varianten des Kulturpessimismus sowie der marxistischen Kapitalismus- und Kulturindustrie-Kritik. • Als ›Kontrastprogramm‹ zur Kritischen Theorie ist spätestens seit den sechziger Jahren die vom (amerikanischen) Funktionalismus und von der frühen Kybernetik inspirierte Systemtheorie zu betrachten. Diese von einem rein deskrip- 1 Diese Trendaussage stimmt knapp zwei Jahrzehnte später auch schon wieder nicht mehr, siehe das Vorwort zur zweiten Auflage in diesem Band. <?page no="295"?> 296 Stefan Weber tiven, nicht-interventionistischen Wissenschafts-Verständnis geprägte Theorie hat sich jedoch im medienwissenschaftlichen Kontext interessanterweise erst in den neunziger Jahren voll durchgesetzt. • Als Theorie-Mode ist ohne Zweifel auch der in den siebziger Jahren in Frankreich entstandene Poststrukturalismus bzw. der Diskurs der Postmoderne zu sehen, der mit der Übersetzung seiner zentralen Werke ins Deutsche auch in den achtziger Jahren (und bis in die frühen Neunziger) in der deutschsprachigen Medienwissenschaft gern rezipiert wurde. Auch der Dekonstruktivismus fällt in diesen Bereich. • In den neunziger Jahren haben sich schließlich zwei populäre theoretische Fluchtpunkte herauskristallisiert: Einerseits Cultural Studies, andererseits Konstruktivismus und Systemtheorie. • Seit der Jahrtausendwende ist die Situation schwieriger zu beurteilen: Die Actor- Network-Theory Bruno Latours und Michel Callons, die Distinktionssoziologie Pierre Bourdieus, aber auch weitere netzwerktheoretische und ökonomische Theorien erlangen einerseits mehr Bedeutung, sind aber andererseits noch davon entfernt, als neue Mainstream-Theoriemoden bezeichnet werden zu können. Es ist freilich ein Leichtes, die Konjunkturen jeweiliger Theorie-Diskurse alleine im Lichte ihrer jeweiligen historischen Bedingtheit zu sehen - wie etwa Kritische Theorie und (Neo-)Marxismus als Reaktion auf die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Auch lässt sich konstatieren, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Theoriebildung tendenziell weniger normativ-präskriptiv und tendenziell mehr deskriptiv wurde (was nicht ausschließt, dass es immer wieder Versuche einer Renaissance kritischer Denkströmungen gegeben hat, die sich aber - zumindest bis heute - nicht mehr nachhaltig durchgesetzt haben). Dennoch soll hier einer Sichtweise entgegengewirkt werden, die unter Theorien lediglich und ausschließlich intellektuelle Reflexe auf historisch bedingte Kontexte sieht. Freilich wird die Wahl einer jeweiligen wissenschaftlichen Theorie bestimmt durch den Pool an Möglichkeiten, der sich durch den jeweiligen Ausdifferenzierungs-Grad des Theorienspektrums ergibt. Es wäre jedoch zu kurzsichtig, Theorien rein als Modeerscheinungen, als bloße modische Gags zu interpretieren. 3.2 Paradigmatische Orientierungen von Basistheorien Was Josef Mitterer eingangs in seinem Zitat erwähnt, sind ja gerade nicht Entscheidungen für oder gegen eine Basistheorie (in dem im Einführungs-Kapitel definierten Sinne), sondern Paradigmen-Kämpfe. Hier geht es dann nicht um die Fruchtbarmachung einer Theorie für konkrete empirische Arbeit, sondern gleichsam um weltanschauliche Fragen, wer nun Recht hat: Der Realist, der behauptet, wir <?page no="296"?> 297 Komparatistik: Theorien-Raum der Medienwissenschaft würden die Welt mit unseren Sinnen abbilden und so erkennen; oder der Konstruktivist, der behauptet, die Wirklichkeit sei eine Konstruktion des Gehirns? Der Kritische Theoretiker, der die Kulturindustrie für eine gigantische Verblendungs- Maschinerie hält, die ein falsches Bewusstsein erzeuge; oder der Vertreter der Cultural Studies, der sich für die produktive Aneignung von Medienangeboten durch Mediennutzer mit durchaus legitimen Bedürfnissen interessiert? Viele wissenschaftliche Diskurse beziehen ihre Legitimation und reproduzieren sich dadurch, dass diese binären Fronten auf einer paradigmatischen Ebene ausgetragen werden. Im Folgenden sollen einige dieser binären ›Kämpfe‹ Erwähnung finden (es werden also die vorab behandelten Basistheorien und Theorienstränge komparatistisch dargestellt und somit gleichsam ›einen Rang höher‹ auf die Ebene von Paradigmen gehoben): • Deskriptiv-analytisch versus präskriptiv-normativ: Diese Unterscheidung hat durchaus paradigmatischen Charakter. Es gibt Denker, die die einzig mögliche Aufgabe der Wissenschaften in der logisch differenzierenden Beschreibung von Wirklichkeit sehen, wobei persönliche Wertungen und Werturteile weitestgehend von diesen Beschreibungen subtrahiert werden (sollen). 2 Typische Beispiele für wissenschaftliche Theoriebildung als bloße analytische »Kunst der Unterscheidungen« (nach Heinz von Foerster) wären Kybernetik, Konstruktivismus und Systemtheorie. Besonders die Systemtheorie Niklas Luhmanns will die Welt beschreiben, wie sie ist; sie will sie nicht verändern (freilich wird auch dieser Theorie dann gerade aus dem Lager der Marxisten der Vorwurf gemacht, sie sei ideologisch, affirmativ und konservativ). Kritische Theoriebildung und auch Teile der Cultural-Studies-Bewegung hingegen bewerten Phänomene, sie beschreiben sie nicht nur: Sie urteilen etwa darüber, ob die Unterhaltungsöffentlichkeit gut oder schlecht oder ob eine Fernsehsendung qualitativ hochwertig oder aber Schund sei. Es ist eine grundsätzliche und immer offene (und damit auch immer neu zu verhandelnde) Frage, ob Wissenschaft Werturteile enthalten soll oder nicht. Wer eine wissenschaftliche Arbeit verfasst, sollte deshalb idealerweise immer Position beziehen, welches Wissenschafts-Verständnis er vertritt: den Versuch einer neutralistischen, ›objektivistischen‹ Position oder aber eine wertende, subjektive Position. Es kann auch versucht werden, die Beschreibung von Phänomenen (Ist-Analyse) strikt von der Kritik und der Forderung nach Veränderung von Phänomenen (Soll-Analyse) zu trennen. • Affirmativ versus kritisch: Diese paradigmatische Unterscheidung korrespondiert in gewissen Punkten mit der Unterscheidung von deskriptiv-analytisch versus präskriptiv-normativ. Affirmative Theorien sind in der Regel solche, die 2 Dies führt freilich zu dem altbekannten logischen Dilemma, ob die Werturteilsfreiheit der Wissenschaft selbst ein Wert ist. <?page no="297"?> 298 Stefan Weber die herrschenden Zustände zum überwiegenden Teil für gutheißen. Kritische Theorien streben hingegen eine Veränderung an - entweder behutsam-graduell wie bei Jürgen Habermas und Richard Münch oder aber revolutionär wie im orthodoxen (Neo-)Marxismus. • Optimistisch versus pessimistisch: Diese paradigmatische Unterscheidung kann als weitere Differenzierung des zweiten Glieds der Unterscheidung von deskriptiv-analytisch versus präskriptiv-normativ interpretiert werden: Hat man einmal eine bewertende (präskriptive) anstelle einer beschreibenden (deskriptiven) Position eingenommen, stellt sich die Frage, ob man die beobachteten Phänomene tendenziell positiv oder tendenziell negativ bewertet. Beispiele für eine positive Bewertung von Entwicklungen im medialen Kontext wären die postmodern inspirierten Techno-Theorien im Kontext von Norbert Bolz 3 , Peter Weibel oder Gerhard Johann Lischka; Beispiele für eine negative Bewertung etwa die Cyber-Kritik eines Arthur Kroker (und freilich auch alle populärwissenschaftlichen Medienkritiken von Neil Postman und Co.). • Rein theorieimmanent versus empiriefähig: Es gibt in der Tat Theorien, die ihren Sinn und Wert eher in der Ausdifferenzierung theorieinterner Debatten sehen als in ihrer Empirisierung. Oft schließt dies auch eine kritische Distanz zu den Methoden der empirischen Sozialforschung, insbesondere zu quantitativer Methodik, mit ein. Beispiele für rein theorieimmanente, oft sogar empirieabweisende Theorien wären etwa Poststrukturalismus und zum großen Teil auch medienphilosophische Theorien. Ein mittleres Glied stellen Theorien dar, denen zwar oft Empirieferne vorgeworfen wird (vor allem auf Grund ihres makrotheoretischen Abstraktionsgrades), die aber immer wieder die produktive Reibung von Theorie und Empirie suchen. Hier wäre besonders an die autopoietische Systemtheorie zu denken. Gut empirisierbare, d. h. für empirische Arbeiten operationalisierbare Theorien wären etwa Zeichentheorien, ökonomische Medientheorien und auch der Konstruktivismus. • Realistisch versus konstruktivistisch: An dieser Stelle muss noch einmal unterschieden werden zwischen Konstruktivismus als Basistheorie der Medienwissenschaft (  2.6 Konstruktivistische Medientheorien) und Konstruktivismus als paradigmatische, generalisierende Position (›Alles ist eine Konstruktion‹, ›die Welt ist eine Erfindung‹ usw.). Wenn etwa der Cyber-Theoretiker Manfred Faßler schreibt, »Medien sind Konstrukte, menschliche Macharten […]« (Faßler 2002, 272), so vertritt er einen generellen Konstruktivismus als paradigmatische Orientierung, der von einem empiriefähigen Konstruktivismus als Basistheorie 3 Dieser hat etwa nicht nur das Ende des Kulturpessimismus, sondern gleich auch das »Ende der Kritik« ausgerufen (vgl. Bolz 1999). Dabei geht es ihm jedoch nicht um eine ideologisch motivierte Pauschal-Verurteilung der ›68er‹, sondern um die Beschreibung der systemimmanenten Funktionalisierung (und damit Neutralisierung) von Kritik in sozialen Systemen. <?page no="298"?> 299 Komparatistik: Theorien-Raum der Medienwissenschaft strikt unterschieden werden muss. 4 Konstruktivistisches Denken als paradigmatische Orientierung findet man somit in vielen Theorie-Strängen: so etwa in den Cultural Studies, in großen Teilen der Semiologie, aber auch im Poststrukturalismus und der Medienphilosophie. Gemeinsamer Nenner all dieser Basistheorien ist die These, dass die Menschen wie die Medien, die kulturellen Kontexte wie die Zeichen für den Aufbau (die Erzeugung) unserer Wirklichkeit(en) verantwortlich sind (und nicht die ›Realität da draußen‹) - in einem pauschalen, erkenntnistheoretischen Sinne. Realistisches Denken hingegen findet sich (tendenziell) in medienmaterialistischen und medienökonomischen Denkbewegungen, aber auch in der Kritischen Theorie, die der Konstrukt-These oftmals besonders ablehnend gegenübersteht (vgl. etwa Prokop 2000, 206 f.). • Akteursorientiert versus systemorientiert: Auch dieser binäre paradigmatische ›Kampf‹ sollte nicht vorschnell mit Akteurstheorie und Systemtheorie gleichgesetzt werden. Vielmehr ist es so, dass die (luhmannsche) Systemtheorie etwa als die prominenteste Vertreterin einer systemischen paradigmatischen Orientierung bezeichnet werden kann. Systemorientierung tritt aber auch im Konstruktivismus Siegfried J. Schmidts auf, in der postmodernen Theorie eines Norbert Bolz oder sogar in der Cyber-Theorie eines Manfred Faßler. Akteursorientiertes Denken findet sich hingegen überall dort, wo primär von der Person, dem Individuum, dem Subjekt bzw. dem (rationalen, handelnden und entscheidenden) Akteur ausgegangen wird (und nicht primär vom System, vom Kontext oder von der Kultur). Beispiele wären neben personalistischen Handlungs- und Entscheidungstheorien etwa auch der Symbolische Interaktionismus. Freilich ist gerade der Bereich von Akteursversus Systemorientierung besonders schwer in ein binäres Schema zu ›pressen‹: Zu groß sind seit langem die Versuche, beide Ebenen theoriebautechnisch zu integrieren. So geht etwa der Konstruktivismus Schmidts trotz Systemorientierung auch vom ›Aktanten‹ als ›empirischem Ort‹ der Wirklichkeitskonstruktion aus; Habermas analysiert System und Lebenswelt, und selbst in den Cultural Studies geht es neben Kultur und Kontext auch ebenso zentral um den Nutzer. Schließlich sei auf die zahlreichen soziologischen Versuche verwiesen, Akteurs- und Systemebene explizit zu verknüpfen. Dennoch haben die erwähnten binären paradigmatischen Orientierungen zu einer Reihe von ›großen Fragen‹ geführt, die die Theoriediskussion wesentlich gesteuert haben. Rekonstruiert man die binären Paradigmen in der Medienwissen- 4 Freilich wird damit nicht ausgeschlossen, dass es auch beide Positionen vereint gibt: einen empirisch verstandenen Konstruktivismus (Basistheorie) im Rahmen einer pauschalen Konstrukt-These (Paradigma). <?page no="299"?> 300 Stefan Weber schaft, werden Einflüsse selbst auf genuin publizistikwissenschaftliche Theorien (mittlerer Reichweite) sichtbar. • Subjekt und/ oder System? Normalerweise werden Handlungs- und Entscheidungstheorien als Subjekt-Positionen und autopoietische Systemtheorien als System-Positionen gehandelt. Die Frage nach Subjekt- oder Systempräferenz findet sich etwa wieder in der Frage nach einer personalistischen, am handelnden Subjekt orientierten Journalismusforschung (etwa im Gatekeeper-Ansatz) oder aber nach einer systemisch-organisatorischen Journalistik (etwa bei Manfred Rühl u. a.). • Technik und/ oder Inhalt? Hier geht es um den in diversen Beiträgen des Bandes (v. a.  2.1 Techniktheorien der Medien und  2.9 Psychoanalytische Medientheorien) ausführlich geschilderten Kampf zwischen medien- und technikmaterialistischen und bedeutungsorientiert-hermeneutischen Positionen. • Text und/ oder Kontext? Hier wäre an die textorientierte Semiologie zu denken im Gegensatz zur kontextorientierten kritischen Medienforschung, deren Kritik sich sowohl gegen die Semiologie als auch gegen (Teile von) Cultural Studies und Konstruktivismus richtet. • Selektion und/ oder Konstruktion? Hier handelt es sich um eine forschungspragmatisch bedeutende Unterscheidung vor allem im Kontext der Journalismusforschung und der Rezeptionsforschung. Eine typische Selektionstheorie wäre etwa die Nachrichtenwerte-/ Nachrichtenfaktoren-Theorie, die anfangs zumeist personalistisch argumentiert hat, aber auch eine systemtheoretische Re-Interpretation erfuhr. Gemeinhin korrespondieren Selektionstheorien jedoch mit realistischen Theorien. Problematisch ist allerdings, dass auch im konstruktivistischen Diskurs das Konzept der Selektivität einen Stellenwert besitzt. • Wirkung und/ oder Nutzung? Im Gegensatz zur Frage nach Selektion und/ oder Konstruktion, die von Mischformen gekennzeichnet ist, geht es hier relativ eindeutig um forschungsparadigmatische Orientierungen im Bereich der Rezeptionsforschung: Vertreter von Theorien ›starker‹ Medienwirkungen (Stimulus-Response-Modell und behavioristisches Umfeld, ›Kanonentheorie‹ der Medienwirkung und auch viele Abschwächungen dieser Positionen) interessieren sich primär für das, was die Medien mit den Menschen machen: für die Wirkung von Medieninhalten auf Publika. Nutzenansatz, Konstruktivismus und Cultural Studies hingegen fokussieren primär, was die Menschen mit den Medien machen: also die (aktiv-produktive) Nutzung von Medienangeboten durch Nutzer. 5 5 Es gibt auch von dieser Systematik abweichende Einordnungen des Konstruktivismus. Armin Scholl bemerkt etwa: »Die in der Publizistikwissenschaft oppositionellen Paradigmen der medienzentrierten Wirkungsforschung und der rezipientenorientierten Nutzungs- und Nutzenforschung werden vom Konstruktivismus nicht berührt, weil er querbzw. vorgelagert zu diesem binären Schema liegt - ähnlich wie die systemtheoretische Logik zur Kausalität.« (Scholl 1998, 2) <?page no="300"?> 301 Komparatistik: Theorien-Raum der Medienwissenschaft • Entdifferenzierung und/ oder Ausdifferenzierung? Die (großteils kulturpessimistische) Entdifferenzierungs-Diagnose setzt beim Publikum wie bei den Massenmedien an und beobachtet Tendenzen der Nivellierung und Egalisierung: der Einebnung von Differenzen durch die fortschreitende (Massen-)Medialisierung. Entdifferenzierungsdenken findet sich vor allem in der Kritischen Medientheorie und der populären Medienkritik. Damit korrespondieren auch Passivitäts-, Abstumpfungs-, Verrohungs- und Verdummungsthesen. Eine (zumindest latent positiv wahrgenommene) Ausdifferenzierung des Medienkonsums zum Zwecke vielfältiger Identitäts-Bildungen beobachten hingegen vor allem die Cultural Studies und eben auch der Nutzenansatz. • Man könnte dieses Spektrum der ›großen Fragen‹ der Medienwissenschaft noch weiter ergänzen: etwa auf der Funktions- und Leistungs-Ebene um die Debatte um mehr Integration und/ oder mehr Irritation (der Gesellschaft durch die Massenmedien 6 ), um Fragen der Konvergenz und/ oder Divergenz (von Medieninhalten und von Medientechnologien) oder um die Dimension von mehr Selbststeuerung und/ oder mehr Fremdsteuerung usw. usf. Theorien-Raum der Medienwissenschaft Im Folgenden soll nun versucht werden, möglichst viele (wenn nicht alle) gegenwärtig verfügbaren Theorien für die Medienwissenschaft in einem (dreidimensionalen) Raum darzustellen, wobei die x-Achse die beiden Pole von ›(techno-)pessimistisch‹ hier und ›(techno-)optimistisch‹ dort symbolisieren soll 7 ; die y-Achse die beiden Pole von ›niedrigem Abstraktionsgrad und niedriger Komplexität‹ hier sowie von ›hohem Abstraktionsgrad und hoher Komplexität‹ dort; und die z-Achse schließlich die beiden Pole von ›Einzelmedientheorie‹ hier und ›Theorie für viele Medien‹ bzw. ›allgemeine Medialisierungstheorie‹ dort. Epistemologisch gesehen erscheint mir der Hinweis zentral, dass von einer grundsätzlichen Gradualität zwischen den einzelnen Polen ausgegangen wird. Es gibt also nicht ein Entweder/ 6 Ein Mehr an Integration oder aber ein Mehr an Irritation sind freilich bereits Folgen von (erfolgreichen oder gescheiterten, erbrachten oder nicht-erbrachten) Funktionen und Leistungen von Massenmedien. Görke/ Kohring (1996, 30) bemerken etwa im Kontext der Funktionsbestimmung von Journalismus: »Die Thematisierungsfunktion […], die lange Zeit als Leitfaden der Journalismusforschung gedient hat, wird zunehmend ersetzt durch Optionen, die sich als Selbstbeobachtungs- und Synchronisationsfunktion klassifizieren lassen. Hierbei wird sich entscheiden, was die Gesellschaft von ihrem Mediensystem zu erwarten hat: mehr Integration oder aber mehr Irritation.« 7 Gleichsam in der Mitte, im Nullpunkt, würden sich rein deskriptive Theorien befinden, die weder optimistische noch pessimistische Bewertungen enthalten. Präskriptive Theorien können in ihrer paradigmatischen Orientierung - wie oben ausgeführt - somit entweder optimistischen (im Vektorraum rechts) oder pessimistischen (links) Charakter annehmen. <?page no="301"?> 302 Stefan Weber Oder, sondern immer nur ein Mehr oder Weniger an jeweiliger Orientierung. Theorien sind grundsätzlich nicht entweder optimistisch oder pessimistisch, entweder abstrakt oder konkret, entweder singulär oder universal. All diese Werte sind vielmehr in einem ±-Rahmen zu interpretieren. Alternative Koordinatensysteme wären im Übrigen auch für die Pole ± realistische versus konstruktivistische Orientierung oder ± theorieimmanent versus empirieorientiert möglich. Die Graphik veranschaulicht das breite Spektrum gegenwärtiger medienwissenschaftlicher Theoriebildung. Es reicht von der pessimistischsten Variante (Kulturkritik Adornos und Horkheimers) bis zur optimistischsten (postmoderner Techno-Diskurs von Bolz, Weibel u. a.), von Einzelmedientheorien des Fernsehens (Postman) oder des Kinos (Baudry) bis zu allgemeinen Medialisierungstheorien (Kittler, Schmidt u. a.), von eher geringeren Abstraktionsleistungen (im populärwissenschaftlichen Sinne wie bei Postman, im postmodern-essayistischen Sinne wie bei Lischka oder Faßler) bis zu hochkomplexen Theoriegebäuden (in aufsteigender Reihenfolge: wie bei Bourdieu, Habermas, Schmidt oder Luhmann). Alle angeführten Theorien sind grundsätzlich als optional und situativ zu verstehen: Optional, weil die Wahl einer anderen Theorie zwar grundsätzlich immer möglich ist, aber die Wahl einer gewissen Theorie eben auch logisch konsistent begründet werden muss; situativ, weil die Entscheidung für eine Theorie untrennbar mit forschungspragmatischen Aspekten verbunden ist: Je nach Forschungsfrage, -objekt und -design eignen sich gewisse Theorien besser als andere. Es gibt also nicht die Meistertheorie, obwohl nicht verschwiegen werden soll, dass Systemtheorie und Konstruktivismus wohl die gegenwärtig am komplexesten entwickelten Theoriegebäude sind. <?page no="302"?> 303 Theorien-Raum der Medienwissenschaft <?page no="303"?> 304 Stefan Weber 3.3 Noch einmal: Sonderstellung von Konstruktivismus und Systemtheorie? Die Positionierung von Systemtheorie und Konstruktivismus an oberster Stelle des Theorien-Raums verlangt noch einmal nach einer Standort-Bestimmung: Systemtheorie und Konstruktivismus werden in dieser Modellierung zwar als die komplexesten und abstraktesten gegenwärtigen Medientheorien beschrieben 8 ; dies bedeutet aber nicht, dass sie als Supertheorien für den gesamten Fachbereich in einem universalistischen Sinne oder gar als neue Paradigmen gehandelt werden sollten. Leider muss hier kritisch eingewendet werden, dass gerade Systemtheorie und Konstruktivismus in den vergangenen Jahren oft auch unter dem Deckmantel eines Alleinanspruchs als einzig richtige und mögliche Theorie aufgetreten sind, der in diesem Band allerdings nicht vertreten wird. Hier wird der Versuch der Darstellung des Theorien-Pluralismus im Fachbereich unternommen, der sich damit auch u. a. von folgenden Publikationen abheben soll: • Merten/ Schmidt/ Weischenberg (1994) nennen eines der ersten großen Sammelband-Projekte zu Konstruktivismus und Systemtheorie (aufbauend auf dem Funkkolleg »Medien und Kommunikation - Konstruktionen von Wirklichkeit« von 1990) zwar »Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft«, korrekt wäre jedoch der Untertitel »Eine Einführung in die neue konstruktivistische Kommunikationswissenschaft« gewesen. Der Sammelband vereint fast ausschließlich konstruktivistische Positionen - von explizit radikal-konstruktivistischer Neurobiologie bis zu Formen des medienkulturellen Konstruktivismus. • 1999 hat Klaus Merten schließlich seine »Einführung in die Kommunikationswissenschaft« (Merten 1999) vorgelegt. Wieder findet sich in diesem Band ein Spektrum von einer Forderung nach einer »transklassischen Erkenntnistheorie« (ebenda, 50 ff.) bis zum »selbstreferenziellen Medienwirkungsmodell« (ebenda, 392 ff.) - allesamt sind dies genuin konstruktivistische Überlegungen mit systemischen Spurenelementen. Auch hier wäre also die Rede von einer »Einführung in die konstruktivistische Kommunikationswissenschaft« redlicher gewesen. 8 Indikatoren dafür sind bei beiden Theorien zu finden: (1) Die Existenz einer großen Anzahl von (teilweise neuen) Begriffen und Konzepten, die (2) miteinander in einem spezifischen Modell relationiert sind, das einen großen Bereich der sozialen und insbesondere der medienkulturellen Wirklichkeit abdeckt (siehe Luhmanns allgemeine System-Typologie oder Schmidts medienkulturelles Kreislauf-Modell), (3) der große Einfluss beider Theorien auf - nicht nur - gegenwärtige Theorie- Debatten in der Medienwissenschaft (Grundfragen nach Realität oder Konstruktion, nach Akteur oder System) und (4) die Möglichkeit zur konkreten Empirisierung sowie die auch bereits eingesetzte Nutzung für empirische Studien. <?page no="304"?> 305 Komparatistik: Theorien-Raum der Medienwissenschaft • Schließlich hat auch der Siegener konstruktivistische Medien- und Kulturwissenschaftler Gebhard Rusch seine »Einführung in die Medienwissenschaft« herausgegeben (Rusch 2002), in der erneut fast ausschließlich konstruktivistische und systemtheoretische Positionen vertreten sind. 9 Es soll hier nicht bestritten werden, dass Konstruktivismus und Systemtheorie die derzeit komplexesten Theoriegebäude sind (  vgl. die Abbildung zum Theorien- Raum der Medienwissenschaft, S. XX) und auch derzeit in den Kommunikations- und Medienwissenschaften wohl am kontroversesten diskutiert werden - also in einem gewissen Sinne auch in Mode sind (  3.1 Alles bloß Theorie-Moden? ). Dennoch sollte gerade in Einführungen nicht der Eindruck erweckt werden, die Medien- und Kommunikationswissenschaft sei bereits in toto nur noch konstruktivistisch und systemtheoretisch zu betreiben. 3.4 Binäre Leitdifferenzen innerhalb einzelner Basistheorien Nachdem in Kapitel 3.2 paradigmatische Orientierungen von Basistheorien durchdekliniert wurden (ihnen also quasi binäre Codes ›übergestülpt‹ wurden) und in der Übersicht »Theorien-Raum der Medienwissenschaft« die einzelnen Theorien und ihre Vertreter graduell nach ±-Skalen (± optimistisch/ pessimistisch usw.) strukturiert wurden, soll nunmehr der Gebrauch von Polaritäten, Dichotomien oder Dualitäten (je nach Intensitätsgrad) innerhalb einzelner Theorien verglichen werden. Vorher stand also eine Meta-Perspektive im Zentrum der komparatistischen Analyse: Theorien wurden verglichen, indem ihre jeweilige paradigmatische Orientierung innerhalb eines binären Schemas im Mittelpunkt stand (etwa: akteursorientiert versus systemorientiert). Dann wurden die Theorien nach zentralen ›Und/ Oder‹-Fragen strukturiert und graduell in einem Vektorraum angeordnet. Nunmehr geht es um den Gebrauch von Dualitäten innerhalb der Theorien selbst. Es ist unstrittig, dass Theorien nicht nur aus Grundbegriffen und Modellen bestehen, sondern auch aus jenen basalen Elementen, die im Einführungs-Kapi- 9 Zwei weitere Publikationen müssen in diesem Zusammenhang erwähnt werden: Das Handbuch »Theorien des Journalismus«(Löffelholz 2004) bemüht sich zwar um die Integration von Perspektiven jenseits der Systemtheorie (wie etwa Theorie kommunikativen Handelns, Cultural Studies oder Geschlechterforschung), dennoch bleibt die Systemtheorie das bei weitem dominanteste Paradigma. Auch hier wäre folglich die Rede von »Systemtheorien des Journalismus in Diskussion« inhaltlich treffender gewesen. - Auch in »Orientierung Kommunikationswissenschaft« (Schmidt/ Zurstiege 2000) waren die Autoren sichtlich bemüht, über den eigenen konstruktivistischen Tellerrand hinauszublicken und weite Teile der Medienforschung zu überblicken. Spätestens in der kritischen Würdigung der vielfältigen Ansätze und in den Vorschlägen zur Weiterentwicklung des Fachs (ebenda, 139 ff.) zeigt sich aber erneut eine Präferenz für konstruktivistische Optionen. <?page no="305"?> 306 Stefan Weber tel als ›Basiskategorien‹ bezeichnet wurden. Diese können monistisch verstanden werden (etwa nur der Akteur, das System, die Kultur o.a.) oder aber auch dualistisch, indem jeweils Gegenbegriffe (zu Akteur, System, Kultur o.a.) gebildet werden. Mithin wäre zu differenzieren zwischen Polaritäten (als schärfste Form von Zweiwertigkeit), Dichotomien, Dualismen (und Dualitäten), Unterscheidungen und bloßen Differenzen. Im Folgenden einigen wir uns auf den Sprachgebrauch Differenzen, da innerhalb metatheoretischer Debatten oft auch die Rede von Leitdifferenzen von Theorien ist (etwa im historischen Materialismus Basis/ Überbau, in der Systemtheorie System/ Umwelt usw.). Leitdifferenzen sind binäre Schematismen, die den Beobachtungsradius einer jeweiligen Theorie definieren und begrenzen. Sie sind zweiwertige Ordnungsraster, die es einer Theorie erlauben, die Wirklichkeit zu strukturieren. Die Diskussion, ›woher‹ diese Leitdifferenzen selbst kommen, ob sie theorieintern begründet und gerechtfertigt werden können oder sich aber einer Letztbegründung entziehen, kann wiederum nur erkenntnistheoretisch entschieden werden. Die Leitdifferenzen können also entweder als Voraussetzungen (im wörtlichen Sinne: als Setzungen im Voraus) begriffen werden, die sich der Reflexion innerhalb der Theorie letztlich entziehen; oder aber sie werden durch die Theorie selbst logisch ›eingeholt‹. Der konstruktivistische Philosoph Ernst von Glasersfeld schreibt etwa: »Wer eine Theorie oder ein erklärendes Modell bauen will, muß Voraussetzungen machen, und diese Voraussetzungen liegen und bleiben außerhalb des Erklärungsbereichs, des theoretischen Baus. Man kann die Geschichte der Wissenschaft als eine schrittweise Einführung neuer, bewußter Voraussetzungen betrachten, die anstelle der vorherigen unbewußten eingesetzt wurden.« (Glasersfeld 1998, 503) Im Folgenden soll anhand der in diesem Band erwähnten Theorien diskutiert werden, welchen Stellenwert die jeweiligen Leitdifferenzen haben und inwieweit sie selbst Gegenstand der (kritischen) Reflexion sind: • So baut zunächst der Strukturalismus zentral auf der Differenz von langue und parole auf - auf der Unterscheidung von (tendenziell geschriebener, ›reiner‹) Sprache und (tendenziell gesprochenem, nutzerbezogenem) Sprachgebrauch (language-in-use). Diese Leitdifferenz ermöglicht dann erst spätere Begrifflichkeiten wie etwa den Diskurs-Begriff. Durch den Poststrukturalismus wird diese Leitdifferenz selbst wiederum kritisch beobachtet und tendenziell entdualisiert (  2.10 Poststrukturalistische Medientheorien). • Die Semiotik hingegen baut primär auf der Leitdifferenz von Signifikant und Signifikat auf - von Bezeichnendem (Lautbild) und Bezeichnetem (Vorstellungsbild). Die assoziative Einheit zwischen Signifikant und Signifikat ist das Zeichen, wodurch die Leitdifferenz in einem ›dritten Glied‹ zusammengeführt <?page no="306"?> 307 Komparatistik: Theorien-Raum der Medienwissenschaft wird. Eine Entdualisierung der Leitdifferenz erfolgt also nicht aus einer dualismuskritischen Perspektive, sondern durch die Einführung triadischer (dreiwertiger) Modelle oder Trichotomien (  2.4 Zeichentheorien der Medien). • Im Feminismus ist die Leitdifferenz von Sex und Gender theorieleitend - die Unterscheidung von natürlichem (biologischem) Geschlecht und Geschlecht als soziokulturellem Konstrukt, als kontextuelle Zuschreibung. Eine Problematisierung dieser Leitdifferenz leistet der Feminismus selbst, indem er den der Differenz von Sex und Gender innewohnenden Natur/ Kultur-Dualismus selbst einer dekonstruktivistischen Lesart unterwirft (  2.8 Feministische Medientheorien). • In der Systemtheorie wird die traditionelle Subjekt/ Objekt-Unterscheidung durch die Leitdifferenz von System und Umwelt ersetzt. Dabei sind zwei Aspekte des Umgangs mit dieser Leitdifferenz erwähnenswert: Einerseits Versuche einer weiteren Flexibilisierung der Differenz von System und Umwelt durch die von Form und Medium, andererseits der (imaginäre) Bezug auf das (unbeobachtbare) dritte Glied der Unterscheidung von System und Umwelt, nämlich die Welt (  2.7 Systemtheorien der Medien). • Im Rahmen des Konstruktivismus gibt es keine Leitdifferenz im strengen Sinne, wohl aber die Thematisierung des Dualismus von Beobachter und Wirklichkeit. Mithin tritt auch in neurophilosophischen Spielarten des Konstruktivismus die Differenz von (beobachterkonstruierter) Wirklichkeit und (unerkennbarer) Realität auf (  2.6 Konstruktivistische Medientheorien). Die kritische Reflexion von Dualismen findet vor allem in non-dualistischen und zirkulär argumentierenden Varianten des Konstruktivismus statt (Schmidt, Varela, Glanville; vgl. überblicksartig Weber 1996). • Medienphilosophisch und medientechnologisch orientierte medientheoretische Diskurse sind zu heterogen, als dass sich eine spezifische Leitdifferenz bestimmen ließe. Dennoch geht es in diesen Theorie-Ansätzen zentral um das Verhältnis (nicht die Leitdifferenz! ) von (a) Mensch und (Medien-)Technik sowie (b) medialer Evolution und kultureller Evolution. Von McLuhan bis zu Kittler geht es letztlich um Debatten in den Polen von (Medien-)Anthropologie und (Medien-)Materialismus einerseits sowie von Medientechnologie und soziokulturellen Rahmenbedingungen andererseits (  2.1 Techniktheorien der Medien sowie  2.11 Medienphilosophische Theorien). Im Diskurs finden sich tendenziell monistische bis reduktionistische Positionen (Kittler) als auch avanciertere non-dualistische Argumentationslinien, die sich mit der Auflösung von Henne/ Ei-Fragen beschäftigen (etwa Hartmut Winkler). • Die Kritische Theorie schreibt entweder Leitdifferenzen der marxistischen Analyse fort oder aber orientiert sich an (bewertenden) Unterscheidungen wie ›Schund‹ versus Qualität, Uversus E-Kultur, repressivem versus emanzipatorischem Mediengebrauch u. ä. (  2.3 Kritische Medientheorien). Eine Leit- <?page no="307"?> 308 Stefan Weber differenz im strengen Sinne ist in diesem Rahmen jedoch ebenfalls nicht auszumachen. • In der Psychoanalyse trifft man sowohl auf triadische Modelle als auch auf dualistische Leitdifferenzen. Dreiwertige Modelle wären z. B. Freuds Unterscheidung von Ich, Es und Über-Ich oder Lacans Differenzierung von Symbolischem, Imaginärem und Realem (  2.9 Psychoanalytische Medientheorien). Beobachtungsleitende Differenzen wären etwa bewusst/ unbewusst, manifest/ latent u. a. • Des Weiteren sind die Cultural Studies zu erwähnen, in denen gerne mit der Leitdifferenz von Produktion und Rezeption argumentiert wird. Diese an klassische medienwissenschaftliche Begriffe anschließende Differenz (Kommunikator bzw. Produzent versus Rezipient bzw. Konsument) wird nicht nur oftmals als grundsätzlich reversibel gedacht (jeder Konsument ist auch ein Produzent), sondern durch die Hereinnahme der (semiotisch verstandenen) Text-Ebene wird auch die dualistische Beobachtungssituation perspektivisch erweitert (  2.5 Cultural-Studies-Theorien der Medien). • Medienökonomische Theoriebildung baut schließlich oft auf dem Antagonismus von Staat (Regulierung, Kontrolle) und Markt (dem ›freien Spiel der Kräfte‹) auf. In neomarxistischen Diskursen feiert auch der Begriff des Kapitals eine Renaissance. Ob überhaupt eine - und wenn ja: welche - Leitdifferenz gewählt wird, hängt hier in besonderem Maße von der paradigmatischen Orientierung ab (  2.2 Ökonomische Theorien der Medien). Freilich stellt diese Auflistung bislang nur den Versuch dar, so etwas wie primäre Leitdifferenzen aus den einzelnen Theorien herauszudestillieren. Ergänzt werden müsste die Liste durch sekundäre Differenzen, wie etwa männlich/ weiblich im Feminismus (mit allen Problematisierungen dieser Differenz); Form/ Medium in der Systemtheorie; Text/ Kontext in der Semiotik sowie in den Cultural Studies; analoge/ digitale Codes in Strukturalismus, Semiotik und (gewissen Strömungen des) Konstruktivismus; Encoding/ Decoding in Semiotik und Cultural Studies usw. - Generell wäre dabei zu beobachten, dass medienwissenschaftliche Theoriebildung untrennbar mit dualistischen (Aus-)Differenzierungen verknüpft ist. Differenzen und Dualismen erfüllen mitunter die Funktion, einen (theoretischen) Diskurs anzuleiten, zu entfalten und somit (inner- und inter-)theoretische Anschlussdebatten zu ermöglichen. So verlaufen Konfliktlinien etwa zwischen Medienmaterialismus (Kittler) und Hermeneutik (also vereinfacht gesagt zwischen der Fokussierung auf medientechnologische Schaltungen und der Fokussierung auf Bedeutungen in Medieninhalten), zwischen Systemtheorie (Luhmann) und Medienmaterialismus (erneut vereinfacht gesagt zwischen der abstrakten Exklusion von Technologie hier und der alleinigen Konzentration auf Technologien dort), zwischen Systemtheorie und Kritischer Theorie (besonders zwischen Luh- <?page no="308"?> 309 Komparatistik: Theorien-Raum der Medienwissenschaft manns beschreibender Sozialtheorie und Habermas‹ idealtypischer, eingreifender Rationalitäts-Theorie) und diversen anderen Fronten. Theoriebildung ist auch bis auf weiteres ohne Leitdifferenzen nicht denkbar. Zwei Stoßrichtungen für mögliche weitere Theorie-Arbeit sollen hier nur kurz erwähnt werden: Einerseits eine semantische Präzisierung von Begriffen für Zweiwertigkeit im Rahmen einer soziologischen Analyse (siehe die Distinktionstheorie von Rodrigo Jokisch mit der Begriffs-Trias von Distinktion, Differenz und Unterscheidung), andererseits eine zunehmend dualismenkritische Perspektive (wie sie etwa in der Philosophie von Josef Mitterer forciert wird), deren Ziel es wäre, klassische binäre Konfliktstellungen aufzubrechen (in Ansätzen geschieht dies etwa in der Soziologie wie auch in der Medienwissenschaft durch die bereits erwähnte Re-Integration von Akteuren in Systemtheorien). Beide Stoßrichtungen könnten - zusammen gedacht - in die Richtung einer neuartigen, sozio-medien-kulturellen integrativen Theorie führen, einer sozialwissenschaftlichen theory of everything. Dies führt zu abschließenden Überlegungen zur Zukunft der (Basis-)Theorien der Medien(-wissenschaft). 3.5 Zum Schluss: Theorien als Problemlösungsstrategien Dieses Buch beschäftigte sich mit einem Überblick über gegenwärtig verfügbare und in der medienwissenschaftlichen Forschung angewandte Basistheorien. Wie schon im Einführungs-Kapitel, so soll auch im Schlussteil noch einmal ein Plädoyer für die Sinnhaftigkeit medienwissenschaftlichen Theoretisierens abgegeben werden: Im Zeitalter einer Koexistenz zahlreicher (mitunter rivalisierender) Paradigmen, Super- und Basistheorien ist ein derartiger Überblick über den Status quo unerlässlich. Empirische Sozialforschung kann nicht im theoretisch luftleeren Raum geschehen, sie muss nicht nur hypothesen-, sondern (übergeordnet) immer auch theoriegeleitet erfolgen. Dabei soll vor einem oberflächlichen theoryshopping, einem theoretischen Eklektizismus gewarnt werden, der nur Versatzstücke verschiedener Theorien ›sampelt‹ und oft auch unvereinbare Positionen aneinander reiht. Die besten akademischen Abschlussarbeiten sind vielmehr jene, die von einer Theorie ausgehen und diese in die Empirie herunterzubrechen vermögen. Es mag als positiver Indikator für die Sinnhaftigkeit des vorliegenden Unterfangens gelten, dass auch in aktuellen Einführungs-Lehrbüchern der Publizistikwissenschaft Überblicke über Basistheorien im hier verstandenen Sinne nicht mehr fehlen. So erwähnen etwa Donges/ Meier (2001, 75 ff.) in der schweizerischen »Einführung in die Publizistikwissenschaft« die Basistheorien Funktionalismus, Systemtheorie, Theorie des kommunikativen Handelns, Kritische Theorie, Politische Ökonomie und Cultural Studies. Die Behandlung von Basistheorien bleibt jedoch nicht nur einem einzigen Subkapitel vorbehalten, paradigmatische und basistheo- <?page no="309"?> 310 Stefan Weber retische Orientierungen durchziehen auch zunehmend explizit andere Forschungsfelder der Publizistik- und Medienwissenschaft: Als Beispiel sei etwa nur der Überblick über Medieninhaltsforschung ebenfalls in besagtem Lehrbuch erwähnt, bei dem erneut nach theoretischen Perspektiven (wie etwa der linguistisch-semiotischen Perspektive, dem Cultural-Studies-Ansatz und Ideologiekritik/ Gender-Ansatz) differenziert wird (vgl. Bonfadelli/ Leonarz/ Süß 2001, 386 ff.). Basistheorien können im Idealfall als so etwas wie der ›intellektuelle Überbau‹ über das (ebenso notwendige) Handwerk der sozialwissenschaftlichen empirischen Forschungsmethoden verstanden werden. Ohne Theorie keine Empirie - und auch umgekehrt, um noch einmal den wechselseitig zirkulären Konstitutions-Zusammenhang zwischen Theorie und Empirie sowie zwischen Theorie und Praxis zu erwähnen. Siegfried J. Schmidt schreibt in diesem Zusammenhang: »Wird wissenschaftliches Handeln als systematisches zweckorientiertes Problemlösen konzipiert, dann lassen sich Theorien […] bestimmen als Strategien zum Erreichen bestimmter Zwecke bzw. als Problemlösungsstrategien. Theorien systematisieren gewissermaßen die Erfahrungen der Forscher mit ihren Versuchsinszenierungen, sie strukturieren den Erfahrungsraum von Forschern und konstituieren damit deren kulturelle ›Einheitlichkeit‹ als Grundlage für kommunikative Intersubjektivität.« (Schmidt 1998, 152) Obwohl dieses Statement aus konstruktivistischer Perspektive abgegeben wurde, enthält es keine Huldigung eines postmodern-beliebigen theoretischen anything goes. Im Gegenteil: Auch im Zeitalter des sich stets ausdifferenzierenden Theorien- Pluralismus muss die intersubjektive Anschließbarkeit gewährleistet werden. Dieses Buch hat seinen Anspruch dann erfüllt, wenn Theorien nunmehr nicht mehr als hermetische Insider-Diskurse wahrgenommen werden, sondern als unabdingbare Orientierungen für medienwissenschaftliche Forschung, als intellektuell anregende und die weitere Forschungsarbeit stimulierende Beobachterperspektiven. Literatur Bolz, Norbert (1999): Die Konformisten des Andersseins. Ende der Kritik. München: Fink. Bonfadelli, Heinz/ Leonarz, Martina/ Süß, Daniel (2001): Medieninhalte. In: Jarren, Otfried/ Bonfadelli, Heinz (Hg.): Einführung in die Publizistikwissenschaft. Bern/ Stuttgart/ Wien: Haupt/ UTB, S. 383 - 415. Burkart, Roland (2002): Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wien/ Köln/ Weimar: Böhlau/ UTB. <?page no="310"?> 311 Komparatistik: Theorien-Raum der Medienwissenschaft Donges, Patrick/ Meier, Werner A. (2001): Gesellschafts- und Medientheorien. In: Jarren, Otfried/ Bonfadelli, Heinz (Hg.): Einführung in die Publizistikwissenschaft. Bern/ Stuttgart/ Wien: Haupt/ UTB, S. 69 - 99. Faßler, Manfred (2002): Bildlichkeit. Navigationen durch das Repertoire der Sichtbarkeit. Wien/ Köln/ Weimar: Böhlau/ UTB. Glasersfeld, Ernst von (1998): Die Radikal-Konstruktivistische Wissenstheorie. In: Ethik und Sozialwissenschaften, 9. Jahrgang, Heft 4, S. 503 - 511. Görke, Alexander/ Kohring, Matthias (1996): Unterschiede, die Unterschiede machen: Neuere Theorieentwürfe zu Publizistik, Massenmedien und Journalismus. In: Publizistik, 41. Jahrgang, Heft 1, S. 15 - 31. Löffelholz, Martin (Hg.) (2004): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Merten, Klaus/ Schmidt, Siegfried J./ Weischenberg, Siegfried (Hg.) (1994): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag. Merten, Klaus (1999): Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Band 1/ 1: Grundlagen der Kommunikationswissenschaft. Münster: Lit. Mitterer, Josef (1992): Wie radikal ist der Konstruktivismus? Eine Kritik der Epistemologie von Humberto Maturana. In: Mitterer, Josef: Das Jenseits der Philosophie. Wider das dualistische Erkenntnisprinzip. Wien: Passagen Verlag, S. 115 - 151. Mitterer, Josef (2001): Die Flucht aus der Beliebigkeit. Frankfurt am Main: Fischer. Prokop, Dieter (2000): Der Medien-Kapitalismus. Das Lexikon der neuen kritischen Medienforschung. Hamburg: VSA. Rusch, Gebhard (Hg.) (2002): Einführung in die Medienwissenschaft. Konzeptionen, Theorien, Methoden, Anwendungen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Schmidt, Siegfried J. (1998): Die Zähmung des Blicks. Konstruktivismus - Empirie - Wissenschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Schmidt, Siegfried J./ Zurstiege, Guido (2000): Orientierung Kommunikationswissenschaft. Was sie kann, was sie will. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Scholl, Armin (1998): Konstruktivismus und Medien. Vortrag auf dem Kongress »Weisen der Welterzeugung: Die Wirklichkeit des Konstruktivismus II«. Manuskript. Weber, Stefan (1996): Die Dualisierung des Erkennens. Zu Konstruktivismus, Neurophilosophie und Medientheorie. Wien: Passagen Verlag. <?page no="311"?> 312 Stefan Weber Übungsfragen 1. Was versteht man unter einer deskriptiv-analytischen im Gegensatz zu einer präskriptiv-normativen paradigmatischen Orientierung von Basistheorien? 2. Nennen Sie vier tendenziell (techno-)pessimistische Medientheorien sowie deren Hauptvertreter und begründen Sie diese Einordnung. 3. Nennen Sie vier tendenziell hochabstrakte Medientheorien sowie deren Hauptvertreter und begründen Sie diese Einordnung. 4. Nennen Sie einige Argumente für und gegen eine Sonderstellung von Konstruktivismus und Systemtheorie im medienwissenschaftlichen Spektrum der Basistheorien. 5. Erweitern Sie das erwähnte Spektrum der binären ›großen Fragen‹ im Fachbereich um die Diskussion um ± Integration versus ± Irritation, ordnen Sie die im Sammelband vertretenen Theorien jeweils einer Tendenz zu und begründen Sie diese Einordnung. 6. Versuchen Sie, ein zentrales Argument gegen eine zunehmende Theorien- Konvergenz und gegen Bemühungen zu einer (all-)integrativen Sozialtheorie zu finden und begründen Sie diese Position. <?page no="312"?> 313 Autoren Lutz Ellrich, Prof. Dr., geboren 1948 in Eisenach (D). Professor für Medienwissenschaft an der Universität Köln, geschäftsführender Direktor des Instituts für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft. Werdegang: Studium der Philosophie, Medienwissenschaft, Soziologie und Pädagogik in Köln; Promotion 1976. Danach wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Konstanz, Freiburg und Tübingen; Habilitation 1998. Lehrstuhlvertretungen und Gastdozenturen in Paderborn, Freiburg, Essen, Wien und Linz. Forschungsschwerpunkte: Allgemeine Medientheorie (speziell Soziologie der Computertechnik), Ästhetik, Konfliktforschung. Wichtigste Publikationen: »Beobachtung des Computers« (Freiburg 1995); »Verschriebene Fremdheit« (Frankfurt/ New York 1999); »Das Gute, das Böse, der Sex«, in: F. Balke u. a. (Hg.): Big Brother - Beobachtungen (Bielefeld 2000); »Tricks in der Matrix«, in: C. Liebrand/ I. Schneider (Hg.): Medien in Medien (Köln 2002); »Die Unsichtbarkeit des Politischen« (mit H. Maye und A. Meteling, Bielefeld 2009). E-Mail: lutz.ellrich@uni-koeln.de Frank Hartmann, Prof. Dr., geboren 1959 in Bregenz (A). Professor für Geschichte und Theorie der Visuellen Kommunikation an der Bauhaus-Universität Weimar. Werdegang: Studium der Kunstgeschichte, Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Philosophie an der Universität Wien; 1987 Promotion in Philosophie; 2000 Habilitation für Medien- und Kommunikationstheorie an der Universität Wien. 2007 Gastprofessor an der philosophischen Fakultät der Universität Erfurt (Lehrstuhlvertretung Prof. Dr. Michael Giesecke). 2008 Gastprofessor an der Fakultät Gestaltung (wissenschaftliche Lehre) der Bauhaus-Universität Weimar; 2009 Berufung an die Bauhaus-Universität Weimar. Forschungsschwerpunkte: Philosophie der neuen Medien, Medienästhetik und visuelle Kulturen. Wichtigste Publikationen: »Medienphilosophie« (Wien 2000); »Mediologie. Ansätze einer Medientheorie der Kulturwissenschaften« (Wien 2003); »Bildersprache. Otto Neurath, Visualisierungen« (mit E. K. Bauer, Wien 2006); »Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien« (Wien 2006); »Medien und Kommunikation« (Wien 2008); »Multimedia« (Wien 2008). Web: www.medienphilosophie.net E-Mail: frank.hartmann@uni-weimar.de <?page no="313"?> 314 Autoren Natascha Just, Dr., geboren 1972 in Rom. Oberassistentin am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) der Universität Zürich, Abteilung »Medienwandel & Innovation«. Werdegang: Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie der Romanistik an den Universitäten Salzburg und Wien sowie an der Università degli Studi, Perugia; Sponsion 1997; Promotion 2001. Forschungsschwerpunkte: Kommunikationsökonomie und -politik, Medienwandel, Marktmachtkontrolle, Informationsgesellschaft. Wichtigste Publikationen: »Selbst- und Ko-Regulierung im Mediamatiksektor - Alternative Regulierungsformen zwischen Staat und Markt« (mit M. Latzer, F. Saurwein und P. Slominski, Wiesbaden 2002); »Measuring media concentration and diversity: New approaches and instruments in Europe and the USA«, in: Media, Culture & Society, 31. Jahrgang, Heft 1, S. 97 - 117 (2009). E-Mail: n.just@ipmz.uzh.ch Michael Latzer, Prof. Dr., geboren 1961 in Güssing (A). Lehrstuhl für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) der Universität Zürich, Leiter der Abteilung »Medienwandel & Innovation«. Werdegang: Studium der Betriebs- und Wirtschaftsinformatik sowie der Politikwissenschaft/ Pädagogik an der Universität Wien; Habilitation 1997; APART-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Gastprofessuren u. a. an der University of California, San Diego und der Wirtschaftsuniversität Wien. Forschungsschwerpunkte: Technische, ökonomische und politische Aspekte/ Implikationen von Medieninnovationen im konvergenten Kommunikationssektor. Wichtigste Publikationen: »Mediamatik - Die Konvergenz von Telekommunikation, Computer und Rundfunk« (Wiesbaden 1997); »Convergence Revisited: Toward a Modified Pattern of Communications Governance«, in: Convergence - The International Journal of Research into New Media Technologies, 15. Jahrgang, Heft 4, S. 411- 426 (2009); »ICT Innovations: Radical & Disruptive? Vague Concepts - Delicate Choices - Conflicting Results«, in: New Media & Society, 11. Jahrgang, Heft 4, S. 599 - 619 (2009). Web: www.mediachange.ch E-Mail: m.latzer@ipmz.uzh.ch Sibylle Moser, Dr., geboren 1969 in Tamsweg (A). Medienwissenschaftlerin und Leiterin von LOOP - Institut für systemische Medienforschung in Wien (mit Katharina Gsöllpointner). Werdegang: Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft sowie der Germanistik in Innsbruck, Wien und Siegen; Sponsion 1994; Promotion 1999. Seit 1995 <?page no="314"?> 315 Autoren Lehraufträge in Innsbruck und Wien; 2006 bis 2008 Gastprofessuren an den Universitäten Krakau und Wien. Forschungsschwerpunkte: Grundlagen und Geschichte der konstruktivistischen Literatur- und Medientheorie, konstruktivistische Methodologie, empirische Literaturforschung. Wichtigste Publikationen: »Weibliche Selbst-Organisation. Der Wirklichkeitsanspruch autobiographischer Kommunikation« (Wien 1997); »Komplexe Konstruktionen. Systemtheorie, Konstruktivismus und empirische Literaturwissenschaft« (Wiesbaden 2001); »Konstruktivistisch Forschen« (Hg., Wiesbaden 2004). Web: www.loopmedienforschung.at; www.sibyllemoser.com E-Mail: sm@loopmedienforschung.at Claus Pias, Prof. Dr., geboren 1967 in Köln. Professor für Erkenntnistheorie und Philosophie der Digitalen Medien an der Universität Wien. Werdegang: Studium der Elektrotechnik in Aachen sowie der Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie in Bonn und Bochum. 1993 - 1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter für Architekturgeschichte; 1996 - 2002 wissenschaftlicher Assistent für Geschichte und Theorie künstlicher Welten an der Bauhaus-Universität Weimar; 2003 - 2006 Professor für Medientechnik und Medienphilosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Forschungsschwerpunkte: Technik- und Wissenschaftsgeschichte, Bild- und Medientheorie. Wichtigste Publikationen: »Kursbuch Medienkultur« (Hg. mit J. Vogl, L. Engell u. a., Stuttgart 1999); »dreizehn vortraege zur medienkultur« (Hg., Weimar 1999); »neue vortraege zur medienkultur« (Hg., Weimar 2000); »Computer Spiel Welten« (Hg., München 2002); »Cybernetics - Kybernetik. Die Macy-Konferenzen 1946 - 1953«, 2 Bände (Hg., Berlin 2003); »PowerPoint. Macht und Einfluss eines Präsentationsprogramms« (Hg. mit W. Coy, Frankfurt am Main, 2009). Web: homepage.univie.ac.at/ claus.pias E-Mail: claus.pias@univie.ac.at Bettina Pirker, geboren 1971 in Klagenfurt. Gründerin und Geschäftsführerin von medien.kultur.raum - Institut für Kommunikation und angewandte Medienpädagogik in Klagenfurt. Werdegang: Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Klagenfurt; Sponsion 2005; Lehraufträge in Klagenfurt und Krems. Forschungsschwerpunkte: Medienpädagogik, Rezeptionsforschung, Theorien zur Interdependenz von Medien, Raum und Subjekt. Wichtigste Publikationen: »Medien.Technik.Raum - Technikkonstruierte Räume als interkulturelle Spielplätze der Identität«, in: C. Tully (Hg.): Multilokalität und <?page no="315"?> 316 Autoren Vernetzung. Beiträge zur technikbasierten Gestaltung jugendlicher Sozialräume, S. 91 - 100 (Weinheim/ München 2009); »Schöne bunte Medienwelt« (mit C. Weberhofer, Wien 2009). Web: www.medienkulturraum.at E-Mail: bettina.pirker@medienkulturraum.at Christian Schicha, Prof. Dr., geboren 1964 in Mülheim/ Ruhr (D). Professor für Medienmanagement an der Mediadesign Hochschule in Düsseldorf. Werdegang: Studium der Kommunikationswissenschaft, Germanistik und Philosophie an der Universität Essen; Promotion 1995. Ab 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten in Dortmund, Düsseldorf und Marburg; DFG- Forschungsstipendiat. 2006 Habilitation an der Universität Marburg (Medienwissenschaft). Seit 2008 Professor für Medienmanagement. Forschungsschwerpunkte: Politische Kommunikation, Medieninszenierungen, Öffentlichkeit und Medien, Medienethik. Wichtigste Publikationen: »Die Theatralität der politischen Kommunikation. Medieninszenierungen am Beispiel des Bundestagswahlkampfes 2002« (Münster 2003); »Handbuch Medienselbstkontrolle«. (Hg. mit A. Baum, W. Langenbucher und H. Pöttker, Wiesbaden 2005); »Legitimes Theater? Inszenierte Politikvermittlung für die Medienöffentlichkeit am Beispiel der Zuwanderungsdebatte im Bundesrat« (Münster 2007); »Politik im Spot-Format. Zur Semantik, Pragmatik und Ästhetik politischer Werbung in Deutschland« (Hg. mit A. Dörner, Wiesbaden 2008); »Handbuch Medienethik« (Hg. mit C. Brosda, Wiesbaden 2009); »Handbuch Medienmanagement« (Hg. mit T. Dreiskämper und O. Hoffjann, Münster 2009). Web: www.schicha.net E-Mail: c.schicha@mediadesign-fh.de Stefan Weber, PD Dr., geboren 1970 in Salzburg. Medienwissenschaftler, Universitätslektor und Publizist. Werdegang: Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie der Politikwissenschaft an der Universität Salzburg; Sponsion 1994; Promotion 1996. Seit 1996 Lehraufträge in Salzburg, Klagenfurt, Wien und Karlsruhe; FWF-Forschungsprojekte in Salzburg und Wien; APART-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2000 bis 2003; Habilitation an der Universität Wien 2005. Forschungsschwerpunkte: Netzbasierte Wissenskultur, Theorie-Alternativen in der Medienwissenschaft (vor allem Non-Dualismus), Journalistik. Wichtigste Publikationen: »Die Dualisierung des Erkennens. Zu Konstruktivismus, Neurophilosophie und Medientheorie« (Wien 1996); »Was steuert Journalismus? Ein System zwischen Selbstreferenz und Fremdsteuerung« (Konstanz 2000); »Me- <?page no="316"?> 317 Autoren dien - Systeme - Netze. Elemente einer Theorie der Cyber-Netzwerke« (Bielefeld 2001); »Non-dualistische Medientheorie. Eine philosophische Grundlegung« (Konstanz 2005); »Die Medialisierungsfalle. Kritik des digitalen Zeitgeists« (Wien/ Klosterneuburg 2008). Web: www.conqua.net E-Mail: weber.mediaresearch@t-online.de Gloria Withalm, geboren 1955 in Wien. Wissenschaftliche Beamtin am Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung der Universität für angewandte Kunst Wien. Werdegang: Studium der Bühnen- und Filmgestaltung an der Hochschule für angewandte Kunst Wien sowie Studien der Geschichte, Musikwissenschaft und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Allgemeine Semiotik, Mediensemiotik (insbesondere selbstreflexive Semiose in Film und Fernsehen), Filmtheorie, Film- und Fernsehanalyse. Wichtigste Publikationen: »Fernsehen im Fernsehen im Fernsehen … Selbstreferentielle Zeichenprozesse« (Wien 1995); »Medien alt und neu. 8. Österreichisch- Ungarisches Semio-Philosophisches Kolloquium« (Györ 2002)/ »Media old and new. 8th Austro-Hungarian Semio-Philosophical Colloquium«, Semiotische Berichte 27(1 - 4) (Hg. mit J. Bernard, Wien 2003); »Macht der Zeichen - Zeichen der Macht. Festschrift für Jeff Bernard«/ »Signs of Power - Power of Signs. Essays in Honor of Jeff Bernard« (Hg. mit J. Wallmannsberger, Wien 2004). Ko-Herausgeberin der Zeitschriften »Semiotische Berichte« und »S - European Journal for Semiotic Studies«. Web: www.uni-ak.ac.at/ culture/ withalm E-Mail: gloria.withalm@uni-ak.ac.at <?page no="318"?> 319 A Adenauer, Konrad 107 Adorno, Theodor W. 37, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 112, 113, 116, 117, 119, 120, 239, 295, 302 Althusser, Louis 37, 150, 152, 156 Anders, Günther 112, 277, 278 Angerer, Marie-Luise 209, 212, 222, 224 Ang, Ien 39, 162 Apel, Karl-Otto 253 Aristoteles 267 Atanasov, John V. 69 Atteslander, Peter 26 Austin, John L. 41, 214, 255 B Babe, Robert E. 80 Babka, Anna 215 Bachelard, Gaston 254 Baecker, Dirk 40, 192 Barthes, Roland 127, 130, 39, 150 Bateson, Gregory 70, 171, 173, 281 Baudrillard, Jean 18, 31, 65, 32, 33, 28, 34, 252, 257, 258, 262 Baudry, Jean-Louis 64, 64, 65, 36, 240, 242, 247, 302 Baum, Achim 182, 316 Beck, Ulrich 34 Belting, Hans 276 Benhabib, Seyla 213 Benjamin, Walter 66, 35, 104, 272 Bentele, Günter 43 Bentham, Jeremy 171 Berkeley, George 171 Bernard, Jeff 132 Bertalanffy, Ludwig von 189, 190, 192 Bleicher, Joan Kristin 200 Blöbaum, Bernd 41, 198, 199 Bloom, Harold 260 Blumenberg, Hans 272 Böck, Margit 208, 218, 219, 222 Bolz, Norbert 33, 67, 73, 28, 37, 298, 299, 302 Bonfadelli, Heinz 24, 25, 29, 30 Bourdieu, Pierre 10, 37, 296, 302 Bronfen, Elisabeth 234, 241, 242, 246 Brosda, Carsten 109 Bruck, Peter A. 88 Bücher, Karl 78, 79 Bühler, Karl 126, 132 Burkart, Roland 30, 39, 42, 295 Butler, Judith 38, 153, 213, 214 C Capurro, Rafael 28 Cassirer, Ernst 55, 126, 275 Chandler, Daniel 137 Chomsky, Noam 37, 270 Coy, Wolfgang 35 D Dahrendorf, Ralf 119 Davis, Eric 53 Dawkins, Richard 43 Debray, Régis 33, 286 Deleuze, Gilles 65, 38, 246, 247, 254, 273, 282, 283 deMause, Lloyd 38 Derrida, Jacques 63, 32, 34, 47, 214, 252, 256, 257, 258, 261, 262, 269, 270, 282 Descartes, René 270, 274 Personenindex <?page no="319"?> 320 Personenindex Dilthey, Wilhelm 73 Donges, Patrick 309 Dorer, Johanna 208, 209, 218, 219, 220, 222 Dörner, Andreas 106, 117, 118 Dovifat, Emil 25 Dreyfus, Hubert L. 287 Dröge, Franz 36 Duden, Barbara 215 E Eco, Umberto 127, 130, 39 Ellrich, Lutz 38, 232, 238, 246, 313 Enzensberger, Hans Magnus 37, 105, 107, 108, 109, 111, 120, 258, 295 Ernst, Wolfgang 59, 67, 261 Esposito, Elena 40, 193 Even-Zohar, Itamar 132 F Faßler, Manfred 34, 35, 70, 268, 298, 299, 302 Faulstich, Werner 19 Feilke, Helmut 176 Filk, Christian 193, 197, 202 Fiske, John 39, 146, 152, 153, 156, 158, 159 Flusser, Vilém 67, 68, 70, 28, 32, 33, 36, 267, 276, 284, 285, 286, 289 Foerster, Heinz von 40, 171, 172, 173, 191, 297 Foucault, Michel 59, 61, 63, 64, 32, 67, 34, 152, 153, 214, 252, 253, 254, 260, 261, 269, 282 Frank, Manfred 274 Frerichs, Stefan 43 Freud, Sigmund 38, 232, 235, 236, 237, 238, 239, 241, 242, 244 Frieske, Michael 200 Fuchs, Peter 40, 192, 200 G Gadamer, Hans-Georg 73 Garfinkel, Harold 42 Gerhards, Jürgen 199 Giddens, Anthony 34 Giesecke, Michael 28, 279, 289 Glanville, Ranulph 189, 191, 201, 307 Glasersfeld, Ernst von 40, 171, 173, 174, 183, 306 Goody, Jack 28 Görke, Alexander 41, 199, 201, 301 Göttlich, Udo 145, 151 Gramsci, Antonio 37, 150, 152 Grassmuck, Volker 35, 200 Greimas, Algirdas J. 127, 130 Grice, H. Paul 41 Grossberg, Lawrence 39, 80, 147 Großmann, Brit 170, 201 Groys, Boris 261 Gsöllpointner, Katharina 224 Guattari, Félix 65, 38, 246, 247, 282, 283 Günther, Gotthard 201 H Habermas, Jürgen 10, 73, 37, 105, 109, 110, 111, 113, 114, 119, 120, 253, 255, 298, 299, 302, 309 Hall, Stuart 26, 39, 146, 150, 151, 152, 154, 156, 158, 161 Haraway, Donna 71, 38, 223 Harding, Sandra 207, 209 Hartley, John 39, 145, 147, 156 Hartmann, Frank 34, 267, 268, 287, 288, 313 Hassauer, Friederike 211 Haug, Wolfgang F. 112 Havelock, Eric 28 Hayles, N. Katherine 53, 71 Heath, Stephen 232, 245 Hegel, Georg W. F. 53, 55, 153, 273, 274 <?page no="320"?> 321 Personenindex Heidegger, Martin 55, 73, 236, 252, 259, 277, 285 Heinrich, Jürgen 36, 79, 83, 92, 94 Hensel, Matthias 83 Hentschläger, Ursula 224 Hepp, Andreas 117, 147 Herbst, Phillip G. 201 Herder, Johann G. 274, 275 Hess-Lüttich, Ernest W. B. 134, 136 Hirschauer, Stefan 214 Hjelmslev, Louis 126 Hoggart, Richard 148, 150 Holzer, Horst 36 Hörisch, Jochen 52, 268, 274 Horkheimer, Max 55, 37, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 112, 113, 117, 119, 120, 295, 302 Houellebecq, Michel 207 Humboldt, Alexander von 272 Humboldt, Wilhelm von 275 Husserl, Edmund 42, 276 I Innis, Harold A. 57, 28, 80, 278, 279 Irigaray, Luce 223 Ivanov, Vjačeslav Vs. 127 J Jäckel, Michael 104, 116, 117, 120 Jahraus, Oliver 21 Jakobson, Roman 127, 128, 131, 132, 39 Janich, Peter 40, 173 Jarren, Otfried 91 Jokisch, Rodrigo 22, 41, 201, 203, 309 Just, Natascha 88, 89, 314 K Kant, Immanuel 171, 271, 273, 275 Kapp, Ernst 54, 55 Karmasin, Matthias 82 Kelly, Kevin 55 Kepplinger, Hans M. 181 Kerckhove, Derrick de 28 Kessler, Susanne 213 Kiefer, Marie L. 36, 81, 83, 88, 89 Kittler, Friedrich 59, 60, 61, 28, 62, 63, 67, 35, 73, 234, 235, 236, 237, 238, 246, 252, 253, 261, 269, 274, 302, 307, 308 Klaus, Elisabeth 209, 215, 217, 219, 225 Kohring, Matthias 41, 199, 301 Krämer, Sybille 52, 35, 28, 232, 233, 236, 275 Krieger, David J. 189 Krippendorff, Klaus 178 Kroker, Arthur 37, 298 Kuhn, Thomas 20 L Lacan, Jacques 59, 18, 38, 214, 220, 236, 237, 238, 240, 244, 245, 246, 308 Latour, Bruno 10, 296 Latzer, Michael 79, 90, 92, 94, 314 Leibniz, Gottfried W. 69, 70, 270 Leroi-Gourhan, André 56, 57, 286 Lerude-Flechet, Martine 242 Lévi-Strauss, Claude 126 Lischka, Gerhard J. 33, 298, 302 List, Elisabeth 208 Löffelholz, Martin 22, 203, 305 Lorenzer, Alfred 238, 239, 240 Lotman, Juri M. 127 Luhmann, Niklas 10, 21, 25, 63, 38, 40, 28, 177, 189, 191, 192, 193, 194, 195, 197, 198, 199, 201, 232, 255, 297, 302, 308, 309 Lünenborg, Margret 216, 217, 218, 225 Lyotard, Jean-François 21, 32, 33, 252, 255, 256, 261 <?page no="321"?> 322 Personenindex M Maletzke, Gerhard 25 Marcinkowski, Frank 41, 189, 197, 198, 199 Margreiter, Reinhard 9, 28, 34, 35, 288 Marx, Karl 78, 244 Mason, Edward S. 91 Maturana, Humberto R. 40, 172, 173, 174, 175, 183, 191, 192, 193 McKenna, Wendy 213 McLuhan, Marshall 56, 57, 59, 28, 64, 232, 267, 279, 280, 281, 283, 285, 307 McQuail, Denis 116 Mead, George H. 42 Merten, Klaus 25, 26, 28, 29, 179, 304 Metz, Christian 135, 234, 238, 240, 242, 243, 246 Mikos, Lothar 117 Mitterer, Josef 15, 16, 20, 21, 40, 41, 183, 295, 296, 309 Modleski, Tania 221 Moravec, Hans 70 More, Max 70 Morris, Charles W. 126, 127, 137 Moser, Sibylle 208, 209, 212, 225, 314 Müller, Jürgen E. 135 Münch, Richard 37, 105, 114, 115, 120, 298 N Neumann, John von 69 Nietzsche, Friedrich 235, 274, 275 Nöth, Winfried 127, 131, 133 O Ong, Walter 28 P Parsons, Talcott 40, 41, 195 Pasero, Ursula 38, 213, 217, 220 Peirce, Charles S. 125, 126, 128, 39 Piaget, Jean 173 Plant, Sadie 38, 223 Platon 255, 256, 271 Popper, Karl 119 Pörksen, Bernhard 175, 179 Poser, Hans 270 Posner, Roland 134 Postman, Neil 28, 37, 112, 272, 298, 302 Prokop, Dieter 37, 105, 113, 120, 299 Propp, Vladimir 130 Q Quine, W. V. O. 29 R Rorty, Richard 34, 35, 268 Rossi-Landi, Ferruccio 127, 129, 132 Roth, Gerhard 40, 172, 173, 174, 176, 183 Rubin, Gayle 212 Rühl, Manfred 40, 189, 197, 300 Rusch, Gerhard 28, 40, 175, 177, 305 S Salje, Gunther 234, 238, 240, 241 Sandbothe, Mike 28, 35, 287, 288 Saussure, Ferdinand de 124, 125, 126, 127, 129, 39, 293 Saxer, Ulrich 29, 30, 38, 39, 40, 42, 43, 189 Schäffle, Albert 78 Schefer, Jean-Louis 247 Schenk, Michael 78, 83 Schicha, Christian 118, 119, 316 Schiller, Herbert I. 37, 80 Schimank, Uwe 207 Schirmacher, Wolfgang 28 Schmidt, Siegfried J. 21, 28, 40, 173, 174, 176, 177, 179, 183, 184, 221, 299, 302, 304, 307, 310 <?page no="322"?> 323 Personenindex Schmitz, Stefan W. 90, 92 Schneider, Irmela 222 Schnell, Ralf 51, 58, 64, 276 Scholl, Armin 41, 179, 199, 202, 300 Schopenhauer, Arthur 171, 235 Schreier, Margit 219, 222 Schulz, Winfried 182 Schütz, Alfred 42 Schwemmer, Oswald 28 Searle, John R. 41, 287 Seel, Martin 28, 35, 276 Serres, Michel 72, 32, 34, 73, 270, 282, 283, 284 Shannon, Claude 73, 124, 283 Singer, Wolf 173 Sloterdijk, Peter 288 Sombart, Werner 78 Spangenberg, Peter M. 40 Spencer Brown, George 189, 191 Stone, Allucquere R. 222 T Thompson, Edward P. 152, 161 Tuchman, Gaye 181 Turing, Alan 63, 68, 69, 72, 73 Turkle, Sherry 222 V Vaihinger, Hans 171 Varela, Francisco J. 307 Vattimo, Gianni 180 Vico, Giambattista 171, 270 Villa, Paula-Irene 213, 214, 215, 216 Virilio, Paul 18, 32, 66, 33, 34, 36, 28, 252, 259, 262 Vogel, Matthias 35, 288 W Watzlawick, Paul 40, 171, 172, 173 Weaver, Warren 124 Weber, Max 78 Weber, Stefan 17, 28, 173, 179, 182, 184, 199, 200, 307, 316 Weibel, Peter 33, 36, 43, 298, 302 Weischenberg, Siegfried 28, 41, 179, 199, 202, 304 Welby, Victoria Lady 126 Welsch, Wolfgang 28, 180 Westerbarkey, Joachim 180, 202 Wiener, Norbert 68, 71, 189, 190 Williams, Raymond 26, 39, 90, 148, 149, 150, 151 Winkler, Hartmut 63, 64, 67, 35, 246, 307 Withalm, Gloria 131, 132, 136, 317 Wolf, Mauro 131, 133 Z Zerdick, Axel 82, 90 Zielinski, Siegfried 59, 32 Žižek, Slavoj 234, 238, 244, 245, 246 Zuse, Konrad 69 <?page no="324"?> 325 A Actor-Network-Theory 10, 296 ad-hoc-Theorien 26 Agenda-Setting-Ansatz 24 Aktant 22, 174, 176, 179, 299 Aktantenmodell 127, 130 Akteur 10, 22, 23, 194, 199, 200, 202, 233, 299, 306 Akteur-im-System 22, 202 Allokation 79, 82, 83 Allopoiesis 202 Aneignung 70, 23, 117, 297 Anthropologie (der Medien) 67, 68, 70, 269, 307 Apparatus 64, 66, 36 Apriori 62, 256 historisches ~ 254, 259 medientechnisches ~ 64 technisches ~ 70, 235, 269 Audiovisualität 53 Aufschreibesysteme 60, 257 Autopoiesis 174, 175, 178, 183, 192, 193, 198, 199, 201, 202 B Basistheorie 12, 18, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 36, 38, 39, 40, 42, 296, 298, 299, 305, 309 Bewusstseinsindustrie 37, 107 Bild 52, 272, 273, 277, 279, 286 Bilderverbot 271 binärer Code 193, 195, 197, 305 Biosemiotik 127 Buchdruck 57, 58, 60, 61, 28, 72, 272 C Chaostheorie 42 Chronokratie 33 Code 64, 129, 132, 195, 198, 223, 258, 262, 267, 268, 285, 286, 308 Codetheorie 127, 135 Colonial Studies 253 Common Sense 153 Cultural Studies 22, 23, 39, 80, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 157, 158, 159, 161, 162, 163, 178, 220, 222, 296, 297, 299, 301, 308, 309 Cultural Studies Approach 117 Cyberfeminismus 38, 223 cybernetic turn 34 Cyberspace 70, 90, 244, 245, 268 Cyborg 53, 71, 223 D Dekonstruktion 32, 159, 215, 256, 257 Dekonstruktivismus 296 Denotation 130 différend 255 Digitalkultur 63 Ding an sich 275 Diskurs 66, 67, 73, 22, 27, 28, 110, 113, 114, 32, 114, 152, 153, 156, 175, 214, 222, 253, 256, 274, 282, 285, 297, 306, 308 Diskursanalyse 61, 32, 114, 145, 161, 214, 253, 254, 260, 261 Diskursordnungen 269, 288 Dispositiv 60, 64, 23, 65, 32, 253, 254, 278 Sachindex <?page no="325"?> 326 Sachindex Distinktionssoziologie 296 Distinktionstheorie 41, 203, 309 Doing Gender 38, 213, 214, 217, 218 Dromologie 32, 33, 259 Dualismus 10, 19, 181, 183, 184, 251, 307 E Emergenz 190, 198 empirische Sozialforschung 116, 298, 309 Encodierung/ Decodierung 135 Encoding-Decoding-Modell 154 Endophysik 42 Erkenntnistheorie 42, 268, 270, 274, 275, 289, 304 Ethnomethodologie 42, 181 Exteriorisierung 56, 57, 58, 73 extropisches Denken 70 F Feminismus 22, 145, 208, 212, 223, 307, 308 dekonstruktiver ~ 215 liberaler ~ 221 radikaler ~ 211 sozialistischer ~ 211 Fernsehen 58, 66, 37, 107, 109, 112, 114, 117, 158, 209, 239, 240, 241, 244, 277, 302 Film 58, 60, 64, 66, 106, 150, 236, 237, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 247 Filmanalyse 27 Filmtheorie 64, 135, 244 Form 198, 233 Form/ Medium 192, 307, 308 Frankfurter Schule 66, 37, 104, 117, 118, 164, 278 Frauenforschung differenzorientierte ~ 210 egalitätsorientierte ~ 209 Fundamentalontologie 277 Funktion 132, 193, 195 funktionale Differenzierung 194 Funktionalismus 295, 309 Funktionssystem 40, 114, 189, 193, 194, 195, 198, 199, 201 G Game Studies 162 Gender 38, 153, 209, 212, 214, 216, 222 Genderforschung 211, 221, 224, 225 Gendering 216 Gender Studies 211, 253 genderswapping 222 Geschlechterdifferenz 207, 209, 211, 212, 213, 214, 216, 217, 218, 220 Grammatologie 32, 256, 257, 261, 282 Gutenberg-Galaxis 33, 267, 272, 282 H Hegemonie 150, 152 Hermeneutik 61, 66, 60, 35, 42, 274, 308 I Identität 153, 158, 163 Identitätsoziale ~ 153 Ideologie 150, 152, 159 ideologische Apparate 156 Ikon 128 Ikonomanie 278 Ikons 128 Index 87 Information 61, 69, 72, 73, 171, 178, 195, 199, 281, 283, 285, 289 Informationsgesellschaft 51, 52, 58, 62, 82 Interaktionssystem 194 inter-media-agenda-setting 200 Interpenetration 193, 196, 202 <?page no="326"?> 327 Sachindex Interpenetrationszone 190, 202 Interpretant 128, 130 J Journalistik 179, 181, 300 K Kanal 133 Kino 65, 66, 36, 148, 236, 237, 243, 244, 247, 273, 302 Knowledge-Gap-Hypothese 24 Kognition 125, 126, 170, 172, 176, 177, 225 Kommunikation 52, 58, 61, 70, 71, 72, 73, 111, 22, 132, 115, 41, 155, 170, 172, 173, 176, 177, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 212, 213, 217, 225, 241, 281, 284, 285, 288 Kommunikationinterpersonelle 178 Kommunikationsgesellschaft 37, 114, 115 Kommunikationsnetz 32, 284, 293 Kommunikationsstil 217 Kommunikologie 32, 33, 284, 286 Konnotation 130, 221 Konstruktion 175, 180, 300 des Geschlechts 208, 211, 213, 222, 223, 224 kulturelle ~ 213, 223 von Wirklichkeit 25, 173, 174, 177, 180, 181, 272 Konstruktivismus 10, 22, 23, 24, 25, 27, 30, 40, 41, 42, 43, 170, 171, 173, 174, 175, 176, 178, 179, 182, 183, 189, 202, 287, 296, 297, 298, 299, 304, 305, 307 neurobiologischer ~ 173 Radikaler ~ 10, 25, 28, 42, 43, 173, 174, 182, 224 Konsumtion 158, 159, 163 Kontext 66, 22, 39, 156, 159, 180, 273, 282, 299, 300 Kontingenz 28, 254 Kontrolle 150 Konvergenz 88, 90, 94, 301 Konzentration 86, 88, 92, 183 Konzentrationsmessung 87, 88 Kritischer Rationalismus 175 Kritische Theorie 19, 36, 37, 120, 238, 274, 295, 296, 298, 307, 309 Kultur 54, 22, 32, 36, 39, 117, 146, 147, 148, 149, 151, 153, 157, 158, 159, 161, 162, 163, 170, 173, 174, 176, 177, 199, 213, 225, 239, 270, 272, 274, 279, 282, 287, 299 kulturalistisch 29, 30 Kulturindustrie 37, 80, 92, 105, 106, 107, 113, 118, 234, 239, 278, 295, 297 Kulturkritik 37, 105, 119, 272, 302 Kulturpessimismus 295 Kultursemiotik 127, 129 Kulturtechnik 60, 260, 269, 270, 282, 287 künstliche Intelligenz 53, 70 Kybernetik 30, 189, 190, 224, 255, 295, 297 erster Ordnung 190 zweiter Ordnung 172 L langue/ parole 253, 306 Latenz 23, 38, 232 Lebenswelt 299 Leistung 193, 195 Leistungssystem 199, 201 Lesart 155 ausgehandelte ~ 156 bevorzugte ~ 155 dominant-hegemoniale ~ 155 oppositionelle ~ 156 Liberalisierung 88, 89 linguistic turn 268, 287 <?page no="327"?> 328 Sachindex Literalität 28, 268, 280 Logozentrismus 269, 282 M Macht 153 Machtrelation 152, 153 Manipulation 104, 106, 108, 109, 110, 179, 234, 280 Manipulationspotenzial 105, 113 männlich/ weiblich 207, 308 Marktstruktur-Marktverhalten-Marktergebnis-Paradigma 91, 93 Marktversagen 79, 84, 85, 86, 93, 94 Marktversagen-Staatsversagen- Paradigma 93 Massenkommunikation 60, 80, 90, 115, 154, 217 Massenmedien 23, 40, 79, 82, 90, 94, 105, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 117, 118, 120, 148, 156, 175, 178, 179, 189, 194, 195, 196, 198, 199, 218, 220, 277, 278, 288, 301 Massenmediensystem 202 Materialität 60, 64, 68, 236, 253, 261 der Kommunikation 59, 61, 261, 268, 269 der Medien 62, 233 technische ~ 62 mediales Apriori 62 medial turn 28, 35 Mediamatik 90, 91, 92, 94 Mediatoren-Ansatz 33 Medien -archäologie 59, 67, 267, 269 -ästhetik 221, 267, 269 -forschung 164 -kommunikation 179, 199, 225 -materialismus 35, 308 -ökonomie 36, 78, 80, 82, 83, 84, 89, 94, 267 -philosophie 26, 34, 224, 267, 268, 269, 270, 273, 275, 285, 287, 288, 290, 299 -wirklichkeiten 31, 114, 178, 181, 272, 273, 274, 276, 278, 281, 283 Mediensemiotik 133 Medienwirkungsmodell monokausales ~ 119 oktamodales ~ 180 selbstreferenzielles ~ 304 Mediologie 33 Medium 51, 57, 58, 108, 198, 232, 233, 238, 240, 241, 257, 270, 272, 273, 275, 279, 287 Memetik 42 Multidisziplinarität 145 Multimedialität 134, 135 N neoklassische Ansätze 79, 93 Netz 10, 200, 282 Netzwerk 9, 10, 200, 216, 284 Non-Dualismus 40, 41, 184 O Öffentlichkeit 23, 40, 106, 109, 111, 115, 118, 180, 189, 199, 201, 217 feministische Gegen- 218 Frauen- 217, 218 Gegen- 211 heimliche ~ 217 kritische ~ 105, 110, 113, 114, 118 Unterhaltungs- 117, 297 Ökonomie der Aufmerksamkeit 82 Digitale ~ 90, 163 Internet- 82, 90 Klassische ~ 36 Klassische Politische ~ 79 Neoklassische ~ 36, 79, 80 <?page no="328"?> 329 Sachindex Neue Institutionalistische ~ 81 Neue Politische ~ 36, 81, 93 Politische ~ 37, 80, 145, 163, 309 Ökonomisierung 10, 83 Ökonomisierung der Medien 83, 91 operationale Geschlossenheit 172, 174, 175 Oralität 28, 257, 280, 283 Organisationssystem 23, 194 Organprojektion 54, 56, 236 P Paradigma 20, 91, 93, 215 alternatives ~ 116 dominantes~ 116 kulturalistisches ~ 151 psychoanalytisches ~ 214 Performing Gender 38, 214, 215, 222 Pfadabhängigkeit 80 Phänomenologie 37, 42, 181, 259, 276 Phantasma 214, 236, 238 Philosophie 126, 170, 267, 268, 275, 277, 285 der Kommunikationsnetze 284 der Medien 261, 267 der Photographie 67 der symbolischen Formen 275 -geschichte 53, 171, 269, 273 Medien der ~ 268 Sprach- 145, 214 Symbol~ 35 Technik- 53, 55, 259 Phonozentrismus 257, 270 Photographie 52, 58, 64, 67, 134, 272 Poetologie 260 Politische Ökonomie 80 Polysemie 156 Populärkultur 147, 148, 150, 156, 162, 163 Posthistorie 70 Postmoderne 31, 32, 70, 38, 255, 281, 296 anderssprachige ~ 32 französische ~ 31, 33 postmoderne Positionen 211 postmoderne Theorien 31 Poststrukturalismus 10, 22, 23, 31, 35, 38, 145, 215, 223, 224, 252, 253, 260, 296, 298, 299, 306 französischer ~ 31 Pragmatik 126, 127, 132 Pragmatismus 35, 145 Principle of Relative Constancy 91 Produktion 158, 163, 308 von Bedeutung 151 Produktionskultur 158 prosumer commodity 163 Prothesentheorie 55 Psychoanalyse 10, 22, 145, 223, 224, 233, 234, 235, 239, 243, 308 Medien- 238 Public Interest Theorie 79, 93 Public Relations 180 Q Queer Theory 215, 222 R radikaler Kontextualismus 147 Realismus 10, 20, 170, 175, 178, 179, 182, 183, 295 hypothetischer ~ 171 interner ~ 171 naiver ~ 170 Realität 159 Register 238, 247 drei psychische ~ 236 psycho-mediale ~ 235 Regression 66, 106, 241 Regulation 158, 160, 163 <?page no="329"?> 330 Sachindex Rekursion 178 Repräsentation 158, 159, 163 Rezeption 308 Rhizom 282, 283 S Schrift 52, 60, 37, 72, 236, 256, 261, 262, 270, 271, 280, 282, 286 Schriftvergessenheit 269, 282 Schweigespirale, Theorie der 24, 25, 27, 179 science wars 18 Selbstreferenz 10, 135, 199, 200 Semantik 126, 127, 132 Semiologie 125, 126, 39, 189, 299, 300 Semiose 126, 128, 132 Semiotik 10, 125, 127, 22, 131, 23, 135, 27, 29, 39, 161, 243, 306, 308 Film- 135 Medien- 135 visuelle ~ 134 Sex/ Gender 212, 307 Signal 129 Signifikant 62, 65, 127, 306 Signifikat 65, 128, 243, 261, 306 Simulation 65, 33, 257, 270, 277 Simulationsthesen 31 soap operas 135, 221 Sozialisationsagenten 160 Spiegelstadium 237, 238 Sprache 57, 60, 73, 125, 132, 151, 172, 173, 184, 215, 237, 240, 257, 270, 273, 274, 275, 279, 282, 306 Sprechakttheorie 41, 255 Spur 233, 236, 256, 282 Staatsversagen 81, 93 Stimme 60, 256 struggle over meaning 146 Strukturalismus 22, 31, 145, 151, 252, 306, 308 strukturelle Kopplung 174, 175, 183, 193 Subjektposition 160 Sublimation 239 Supertheorie 18, 20, 21, 26, 27, 40, 304 symbiotischer Mechanismus 193 Symbol 128, 42, 240 -theorien 42 symbolische Ordnungen 207 Symbolischer Interaktionismus 29, 42, 299 symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium 193, 195, 197 Syntaktik 126, 127, 132 System 22, 71, 23, 175, 190, 191, 192, 193, 195, 196, 198, 200, 299, 300 System/ Lebenswelt 10 System/ Netz 200 Systemtheorie 22, 175, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 199, 200, 201, 202, 213, 295, 297, 299, 302, 305, 306, 307 System/ Umwelt 10, 190, 191, 192, 193, 306, 307 T Taktilität 268 Technik 12, 51, 52, 54, 55, 56, 57, 62, 63, 64, 66, 67, 68, 35, 70, 73, 74, 112, 236, 277, 279, 289, 300, 307 -theorien 35 Technologie 51 Text 130, 135, 149, 150, 154, 156, 159, 300 Text/ Kontext 308 Theorie 10, 12, 16, 17, 19, 26, 32, 36, 44, 195, 201, 208, 209, 212, 222, 232, 237, 252, 275, 282, 288, 295, 296, 298, 299, 306, 307, 309 des kommunikativen Handelns 37 des Rechnenden Raums 69 Hegemonie- 37 -Mode 295, 296 <?page no="330"?> 331 Sachindex theory of everything 22, 309 Theory of the Niche 91 Transhumanismus 70 Transsexualität 213, 214 U Umwelt 72, 23, 172, 175, 190, 191, 192, 307 Unbewusstes 64, 233 Unterhaltung 118, 199 Uses-and-Gratifications-Approach 24, 178 V Validierung 175 Viabilität 174, 175 W Web 2.0 90, 162, 163 Weltgesellschaft 195 Werbung 84, 107, 148, 180, 199, 200, 220 Widerstand 150 World Wide Web 135, 180, 200 Wunschmaschinen 246 Theorie der ~ 65, 283 Z Zeichen 65, 64, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 22, 131, 23, 132, 214, 233, 241, 270, 285, 299, 306 -austausch 132 -konsumtion 132 -modell 128 -produktion 132 -prozess 51, 126, 127, 128, 39 -repertoire 129 -system 129, 132 -theorie 19, 29, 39 -träger 128 Zirkulation 151 Zuschauerforschung 162 <?page no="331"?> Klaus Beck Kommunikationswissenschaft 2007, 244 Seiten, broschiert UTB 2964 ISBN 978-3-8252-2964-1 Andrea Beyer, Petra Carl Einführung in die Medienökonomie 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2008, 260 Seiten, broschiert UTB 2574 ISBN 978-3-8252-2574-2 Heinz Bonfadelli Medieninhaltsforschung Grundlagen, Methoden, Anwendungen 2002, 212 Seiten, broschiert UTB 2354 ISBN 978-3-8252-2354-0 Heinz Bonfadelli Medienwirkungsforschung I Grundlagen und theoretische Perspektiven 2004, 300 Seiten, broschiert UTB 2502 ISBN 978-3-8252-2502-5 Heinz Bonfadelli Medienwirkungsforschung II Anwendungen in Politik, Wirtschaft und Kultur 2004, 328 Seiten, broschiert UTB 2615 ISBN 978-3-8252-2615-2 Nils Borstnar, Eckhard Pabst, Hans Jürgen Wulff Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft 2., überarbeitete Auflage 2008 250 Seiten, broschiert UTB 2362 ISBN 978-3-8252-2362-5 Anja Ebersbach, Markus Glaser, Richard Heigl Social Web 2008, 278 Seiten, broschiert UTB 3065 ISBN 978-3-8252-3065-4 Gerlinde Frey-Vor, Gabriele Siegert, Hans-Jörg Stiehler Mediaforschung 2008, 412 Seiten, broschiert UTB 2882 ISBN 978-3-8252-2882-8 Werner Früh Inhaltsanalyse Theorie und Praxis 6., überarbeite Auflage 2007, 310 Seiten, broschiert UTB 2501 ISBN 978-3-8252-2501-8 Weiterlesen bei UTB Klicken + Blättern Leseprobe und Inhaltsverzeichnis unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.uvk.de <?page no="332"?> Andreas Hepp Transkulturelle Kommunikation 2006, 342 Seiten, broschiert UTB 2746 ISBN 978-3-8252-2746-3 Bernd Klammer Empirische Sozialforschung Eine Einführung für Kommunikationswissenschaftler und Journalisten 2005, 346 Seiten, broschiert UTB 2642 ISBN 978-3-8252-2642-8 Hans-Jürgen Krug Radio 2010, 118 Seiten, broschiert UTB 3333 ISBN 978-3-8252-3333-4 Helmut Küchenhoff et al. Statistik für Kommunikationswissenschaftler 2., überarbeitete Auflage 2006, 384 Seiten, broschiert UTB 2832 ISBN 978-3-8252-2832-3 Jan Lies (Hg.) Public Relations Ein Handbuch 2008, 634 Seiten 200 s/ w Abb., gebunden ISBN 978-3-8252-8408-4 Oliver Marchart Cultural Studies 2008, ca. 300 Seiten, broschiert UTB 2883 ISBN 978-3-8252-2883-5 Klaus Meier Journalistik 2007, 276 Seiten, broschiert UTB 2958 ISBN 978-3-8252-2958-0 Michael Meyen Mediennutzung Mediaforschung, Medienfunktionen, Nutzungsmuster 2004, 302 Seiten, broschiert UTB 2621 ISBN 978-3-8252-2621-3 Weiterlesen bei UTB Klicken + Blättern Leseprobe und Inhaltsverzeichnis unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.uvk.de <?page no="333"?> Lothar Mikos Film- und Fernsehanalyse 2., überarbeitete Auflage 2008 396 Seiten, broschiert UTB 2415 ISBN 978-3-8252-2415-8 Lothar Mikos, Claudia Wegener (Hg.) Qualitative Medienforschung Ein Handbuch 2005, 616 Seiten, gebunden im Großformat UTB 8314 ISBN 978-3-8252-8314-8 Marion G. Müller Grundlagen der visuellen Kommunikation Theorieansätze und Analysemethoden 2003, 304 Seiten, broschiert UTB 2414 ISBN 978-3-8252-2414-1 Daniel Perrin Medienlinguistik Inklusive CD-ROM 2006, 240 Seiten, broschiert UTB 2503 ISBN 978-3-8252-2503-2 Stephan Porombka Kritiken schreiben Ein Trainingsbuch 2006, 270 Seiten, broschiert UTB 2776 ISBN 978-3-8252-2776-0 Manuel Puppis Einführung in die Medienpolitik 2007, 366 Seiten, broschiert UTB 2881 ISBN 978-3-8252-2881-1 Heinz Pürer, Johannes Raabe Presse in Deutschland 3., völlig überarbeitete u. erweiterte Auflage 2007 656 Seiten, gebunden im Großformat UTB 8334 ISBN 978-3-8252-8334-6 Heinz Pürer Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Ein Handbuch 2003, 598 Seiten, gebunden im Großformat UTB 8249 ISBN 978-3-8252-8249-3 Weiterlesen bei UTB Klicken + Blättern Leseprobe und Inhaltsverzeichnis unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.uvk.de <?page no="334"?> Patrick Rössler Inhaltsanalyse 2005, 300 Seiten, broschiert UTB 2671 ISBN 978-3-8252-2671-8 Bertram Scheufele, Ines Engelmann Empirische Kommunikationsforschung 2009, 254 Seiten 60 s/ w Abb., broschiert UTB 3211 ISBN 978-3-8252-3211-5 Armin Scholl Die Befragung 2., überarbeitete Auflage 2009, 292 Seiten 10 s/ w Abb., broschiert UTB 2413 ISBN 978-3-8252-2413-4 Rainer Schützeichel Soziologische Kommunikationstheorien 2004, 384 Seiten, broschiert UTB 2623 ISBN 978-3-8252-2623-7 Rudolf Stöber Deutsche Pressegeschichte Von den Anfängen bis zur Gegenwart 2., überarbeitete Auflage 2005, 396 Seiten, broschiert UTB 2716 ISBN 978-3-8252-2716-6 Barbara Thomaß (Hg.) Mediensysteme im internationalen Vergleich 2007, 370 Seiten, broschiert UTB 2831 ISBN 978-3-8252-2831-6 Stefan Weber (Hg.) Theorien der Medien Von der Kulturkritik bis zum Konstruktivismus 2., überarbeitete Auflage 2010, 330 Seiten, 6 s/ w Abb., broschiert UTB 2424 ISBN 978-3-8252-2424-0 Guido Zurstiege Werbeforschung 2007, 234 Seiten, broschiert UTB 2909 ISBN 978-3-8252-2909-2 Weiterlesen bei UTB Klicken + Blättern Leseprobe und Inhaltsverzeichnis unter Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. www.uvk.de