Migrationssoziologie
0301
2007
978-3-8385-2901-1
UTB
Im Zuge der Globalisierung werden Nationalstaatsgrenzen durchlässiger und internationale Migrationen zur Norm. Diese sind mehr als nur räumliche Bewegungsvorgänge und führen zu erheblichen Veränderungen in der Sozialstruktur einer Gesellschaft.
Ingrid Oswald legt eine soziologische Einführung in das Themenfeld Migration vor: Grundlegende Begriffserklärungen, ein historischer Abriss und die Darstellung der wichtigsten Migrationstheorien werden ergänzt durch aktuelle Themengebiete wie Ethnizität, Integrationsforschung, Postkolonialismus und Globalisierung sowie Migrationsregime / Migrationsinstitutionen.
UTB 2901 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Beltz Verlag Weinheim · Basel Böhlau Verlag Köln · Weimar · Wien Verlag Barbara Budrich Opladen · Farmington Hills facultas.wuv Wien Wilhelm Fink München A. Francke Verlag Tübingen und Basel Haupt Verlag Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung Bad Heilbrunn Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft Stuttgart Mohr Siebeck Tübingen C. F. Müller Verlag Heidelberg Orell Füssli Verlag Zürich Verlag Recht und Wirtschaft Frankfurt am Main Ernst Reinhardt Verlag München · Basel Ferdinand Schöningh Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich Ingrid Oswald Migrationssoziologie UVK Verlagsgesellschaft mbH Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8252-2901-6 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2007 Lektorat: Verena Artz, Bonn Satz und Layout: Claudia Wild-Bechinger, Stuttgart Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © www.Bildmaschine.de Druck: Ebner & Spiegel, Ulm UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Begriffsklärung: »Migration als Versetzung des Lebensmittelpunkts« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Verbreitete Definitionen von »Migration« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Die subjektive und alltagsrelevante Bedeutung eines Lebensmittelpunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.2 Migration als interdisziplinärer Forschungsgegenstand . . . . . . . . 19 Ziele der empirischen Migrationssoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Aspekte quantitativer Sozialforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Aspekte qualitativer Methoden in der Sozialforschung . . . . . . . . . . . 23 Zum Verhältnis von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Weitere Disziplinen der Migrationsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Vom Vorteil interdisziplinärer Migrationsforschung . . . . . . . . . . . . . 28 1.3 Verhältnis von Theorie und Praxis: Was nutzen Modelle? . . . . . . . 30 Probleme der Fokussierung auf »moderne« Gesellschaften . . . . . . . . 31 Zusammenhang von Modernisierung und Migration . . . . . . . . . . . . 33 Was ist Modernisierung - und kann man sie messen? . . . . . . . . . . . . 35 1.4 Migration und Gender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.5 Fragen und Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.1 Verstädterung und Industrialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.2 Wanderungen innerhalb Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Siedlungswanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Glaubensflucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Erwerbsmigration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.3 Transatlantische Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Einwanderung in die USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Die Einwanderungsländer Kanada und Australien . . . . . . . . . . . . . . . 51 Aspekte der kolonialen Migrationsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Exkurs: Sklavenhandel und Vertragsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5 2.4 Nationalstaatsbildung und Erster Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.5 Der Zweite Weltkrieg und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.7 Fragen und Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Migration in modernen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.1 Migrationstypologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.2 Ursachen- und Motivforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Die Anfänge der Motivforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Push- und Pull-Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Schwächen der Push- und Pull-Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.3 Arbeitsmigration versus Fluchtmigration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Unterschiedliche Kategorien von Flüchtlingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Unterschiede zwischen Flucht und Arbeitsmigration . . . . . . . . . . . . . 76 »Flüchtlinge« im internationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3.4 Migrationstore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Gegensätzliche Grundsätze von Einwanderungspolitiken . . . . . . . . . 80 Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . 81 3.5 Reichweite und Möglichkeiten soziologischer Migrationstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Der theoretische Ansatz von H.-J. Hoffmann-Nowotny . . . . . . . . . . 87 Anwendungspotentiale der Theorie zur Erklärung aktueller Migrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3.6 Fragen und Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4.1 Klassische Assimilationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Die Assimilationsstudien der »Chicago School« . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Sequenz- und Zyklenmodelle zu Assimilationsprozessen . . . . . . . . . . 95 4.2 Bedeutung ethnischer Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 »Essentialistische« Ansätze der Ethnizitätsforschung . . . . . . . . . . . . . 98 Die Theorie der »ethnic boundaries« (F. Barth) . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Aspekte »konstruktivistischer« Ethnizitätstheorien . . . . . . . . . . . . . . . 100 4.3 Formen partieller Assimilation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Absorption - das Beispiel Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Aufnahme von Aussiedlern in der Bundesrepublik Deutschland . . . . 103 »Kultureller Pluralismus« - das Beispiel USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Multikulturalismus - das Beispiel Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Inhalt 6 4.4 Differenzierte Integrationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Die Integrationstheorie von H. Esser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Kausalmodelle von Assimilation und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.5 Ethnisierung von Arbeitsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Ethnisch geteilte Arbeitsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Ethnische Unterschichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.6 Ethnische Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Kettenwanderung und Netzwerkbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Auf- und Ausbau von Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Binnenintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Ethnisches Gewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.7 Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Familiensituation und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Voraussetzung für Integration: Gleichstellung der Bürger . . . . . . . . . 132 Rassismus- und Diskriminierungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 »Zwischen den Welten« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4.8 Fragen und Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5. Globalisierung und internationale Migration . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5.1 »Nachholende« Nationalstaatsbildung in Osteuropa und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5.2 Postkoloniale Entwicklungen: Flucht und Displacement . . . . . . . 148 5.3 Internationaler Arbeitsmarkt: der reiche »Norden« und der arme »Süden« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Das Konzept der »New Economics of Migration« . . . . . . . . . . . . . . . 153 Weltsystemtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 5.4 Internationale Migrationssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Das Migrationssystem Naher und Mittlerer Osten . . . . . . . . . . . . . . 159 Migrationssysteme im postsozialistischen Osteuropa . . . . . . . . . . . . . 160 5.5 Die Bedeutung substaatlicher Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Migrationsnetzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Transnationale soziale Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 »Global Cities« und »Megastädte« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5.6 Irreguläre Migration und irreguläre Beschäftigung . . . . . . . . . . . . 168 Die Kriminalisierung von Irregularität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Menschenhandel und internationale Sexindustrie . . . . . . . . . . . . . . . 171 Inhalt 7 5.7 Fragen und Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 6. Migrationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 6.1 Aspekte europäischer Migrationspolitiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 6.2 Aspekte europäischer Einbürgerungspolitiken . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Verschiedene Einbürgerungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 6.3 Asyl- und Zuwanderungspolitik in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . 182 Regelungen zu Asylsuche und Flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Spätaussiedler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Das Zuwanderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 6.4 Fragen und Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 7. Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 7.1 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 7.2 Zeitschriften und Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 7.3 Internet-Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Inhalt 8 Vorwort Dieses Lehrbuch behandelt Migration in zweierlei Hinsicht. Zum einen liegt der Fokus auf den Migrationen in modernen Gesellschaften, auch wenn einige Einblicke in historische Vorgänge gegeben werden. Zum anderen liegt der Schwerpunkt auf soziologischen Fragestellungen, auch wenn die Migrationsforschung heutzutage eine interdisziplinäre Angelegenheit ist - und sein soll. Migration gab es »schon immer«. Dennoch ist es sinnvoll, die frühen Wanderungen (etwa die indogermanische Völkerwanderung) von denen der Neuzeit abzugrenzen, die sich im Rahmen der entstehenden und bereits bestehenden Nationalstaaten abspielen. Moderne Gesellschaften haben sich als Nationalstaaten entwickelt und auf diese beziehen sich die meisten Bevölkerungs- und Sozialstatistiken bis heute. Auch sind sie der vornehmliche Gegenstand politischer und sozialer Reformen, weshalb viele Analysen zunächst vor dem Hintergrund nationaler Verfasstheiten gedacht werden. Im Zuge der Globalisierung werden die Nationalstaatsgrenzen aber immer durchlässiger, inter- und transnationale Migrationsbewegungen zur Norm, weshalb die Aufmerksamkeit auch auf die Möglichkeiten regionaler, internationaler und - ganz wichtig - europäischer Migrationspolitiken zu richten ist. Der Blick auf die modernen Gesellschaften und die Überschreitung ihrer Grenzen bestimmt die soziologische Perspektive. Migrationen führen zu erheblichen Veränderungen in der Sozialstruktur einer jeden Gesellschaft, sie beeinflussen die sozioökonomische Schichtung, die Politik und die Kultur. Und sie beeinflussen die Wahrnehmungen sowohl der Zuwanderer als auch der Sesshaften (die sehr häufig vor nicht langer Zeit ebenfalls zugewandert sind), was sich wiederum auf die Migration auswirkt. Die Beschreibung dieser Prozesse des sozialen Wandels - durchaus mit Blick auf historische Grundlagen und politische Rahmenbedingungen - sind das spezifisch Soziologische, um das sich dieses Lehrbuch bemüht. Angesprochen werden daneben andere disziplinäre Zugänge, also beispielsweise vonseiten der Bevölkerungswissenschaft, der Politikwissenschaften oder der Geographie. Das Lehrbuch ist in Themengebiete aufgeteilt, die jeweils mit Fragen zum Thema und Literaturempfehlungen abschließen, die sich an die Studierenden richten. Theorien werden nicht in einem eigenen Kapitel, sondern problembezogen und unter Einbezug empirischer Forschungsergebnisse behandelt. Manche Aspekte werden daher unter unterschiedlicher Perspektive immer wieder aufgegriffen. Zwar könnte jedem einzelnen Themengebiet ein eigener Band gewidmet werden, die einschlägige Literatur ist inzwischen fast unübersehbar geworden. 9 Für die Lehre aber ist auszuwählen: bekannte Theorien und Fachtermini stehen neben Begriffen, die aus der Politik und den Medien bekannt sind. Gerade Letztere müssen, da sie verbreitete soziale Phänomene - möglicherweise falsch oder polemisch - benennen, auf ihren Realitätsgehalt überprüft und in wissenschaftliche Begriffe übersetzt werden. Es wird daher empfohlen, in der Lehre neben der Fachliteratur aktuelle Diskussionen in den Massenmedien aufzugreifen. Das Ziel ist also nicht die Vollständigkeit eines Handbuchs, sondern es geht darum, ein fundiertes Problemverständnis zu wecken. Dafür wird einerseits das einschlägige empirische und theoretische Wissen konsolidiert und systematisiert, andererseits werden die fachimmanenten Diskussionslinien und Kontroversen für ein Lesepublikum aufbereitet, das erst am Beginn der Auseinandersetzung mit dem Thema steht. Aufteilung, Inhalt und Reihenfolge der Kapitel sind das Ergebnis jahrelanger Erfahrung in der Lehre im Grund- und Hauptstudium. In den neuen Studiengängen der Sozialwissenschaften und für das Lehramt wird das Migrationsthema heute von vielen Blickwinkeln aus aufgegriffen, von der Geographie über die Sozialkunde bis zur Interkulturellen Pädagogik, sodass der soziologische Ansatz als Klammer dienen kann, um sowohl akademische als auch anwendungsrelevante Aspekte zu diskutieren. Die Studierenden sollen zu einer selbständigen Vertiefung in die Thematik befähigt werden. Daher enthält der Band neben ausgewählten Graphiken und Tabellen ein Sachregister sowie eine ausführliche, gleichwohl handliche Literaturliste. Ihr Schwerpunkt liegt auf Übersichts- und Grundlagenwerken sowie auf weiterführender Literatur, die relativ gut, beispielsweise in Universitätsbibliotheken, zugänglich ist. Die Suche nach sehr spezialisierten Titeln und »grauer Literatur« soll die im Anhang aufgeführte Übersicht über einschlägige Fachzeitschriften, Datenbanken und Forschungsinstitutionen erleichtern. Bedanken möchte ich mich bei Gesa Gordon, Andrea Schwendner, Viktor Voronkov und Anika Walke für unermüdliches Lesen und konstruktive Kritik sowie bei meiner Lektorin Verena Artz für die wunderbare Betreuung. Ingrid Oswald Berlin im Januar 2007 Vorwort 10 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung Begriffsklärung: »Migration als Versetzung des Lebensmittelpunkts«/ Migration als interdisziplinärer Forschungsgegenstand/ Verhältnis von Theorie und Praxis: Was nutzen Modelle? / Migation und Gender Es ist inzwischen fast ein Gemeinplatz, auf die vielen Migranten in aller Welt hinzuweisen. Oft werden mit allgemeinen Hinweisen aber Unsicherheit und Ängste geweckt, was nicht zuletzt an der Kombination von Begriffen und Zahlen liegt, die die Dimensionen dessen, was sich abspielt, mitunter grotesk verzerrt. Unter dem Begriff »Migration«, der zunächst einfach nur »Wanderung« bedeutet, versteht man eine Vielzahl von Mobilitätsphänomenen wie etwa Arbeitsmigration, »Gastarbeit«, Flucht oder politisches Exil. Insbesondere Pressemeldungen sollte man sich daher ganz genau ansehen. & Beispiel 1 Anfang des Jahres 2006 meldete eine Tageszeitung, im Jahr 2004 habe es in Deutschland etwa 30 Millionen Berufspendler gegeben; dies zeige der Mikrozensus, die jährliche Haushaltsbefragung des Statistischen Bundesamtes (taz, 10.1.2006). Wichtige Rahmendaten fehlten allerdings. Nicht deutlich wurde, ab wie viel Kilometern von Berufspendeln gesprochen werden kann, was aber notwendig wäre, da in modernen Gesellschaften Arbeitsplatz und Wohnort meistens getrennt sind, es also der Normalfall ist, dass Berufstätigkeit nicht zu Hause ausgeübt wird. Des Weiteren wurden weder die Gesamtzahl der Erwerbstätigen noch Vergleichszahlen von Vorjahren genannt, sodass der Prozentsatz der pendelnden Erwerbstätigen und dessen Veränderung nicht ersichtlich waren. Und schließlich wurde mit dem Hinweis auf die rapide Zunahme der Wochenendpendler - Erwerbstätige, die nur am Wochenende zu ihrem Haupthaushalt zurückkehren - der Eindruck einer dramatischen und ganz und gar nicht wünschenswerten Mobilität in Deutschland erweckt. Die Nachprüfung ergibt eine Erwerbstätigenzahl von 35,7 Millionen (Mikrozensus 2004), was hieße, dass fast 85 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland zur Arbeit pendeln - ein mehr als unwahrscheinlicher Prozentsatz. Die zunehmende Berufspendelei kann und sollte man in vielerlei Hinsicht als Problem sehen, doch derartige Zahlen, die auf eine Pressemeldung des VCD (Verkehrsclub 11 Deutschland) vom 13. Dezember 2005 zurückzugehen scheinen, dienen kaum der Orientierung. Das gehört in die Kategorie »Unfug«. & & Beispiel 2 Im Oktober 2005 spielten sich dramatische Szenen an den Grenzzäunen der in Marokko gelegenen spanischen Exklaven Ceuta und Melilla ab, als sich Zuwanderer aus dem südlichen Afrika Zugang nach Europa verschaffen wollten. Da die Europäische Union inzwischen recht wirkungsvoll gegen unerwünschte Zuwanderer abgeschottet ist, versuchten einige Hundert Personen, die Zäune zu überwinden, um so in Nordafrika »europäischen Boden« zu erreichen. Dabei kamen einige Menschen ums Leben, andere blieben im Stacheldraht hängen oder wurden wie Hasen von Grenzpolizisten gejagt. Diese Vorfälle eigneten sich bestens für Fernsehreportagen, in denen bald die wildesten Zahlen genannt wurden. Man bekam den Eindruck vermittelt, ein riesiges Heer gewaltbereiter Afrikaner sei auf dem Weg nach Europa, dessen Vorhut sich bereits gegen die Grenzanlagen würfe. Tatsächlich handelte es sich um die vergleichsweise überschaubare Zahl von 1.500 bis 3.000 Personen, die jedoch im Gegensatz zu den Grenzposten schwach organisiert waren und deshalb bald zurückgedrängt wurden (FAZ.NET 7.10.2005). Nachdem die Zuwanderungswilligen vertrieben waren, verschwanden sie aus den Medien, ihr weiteres Schicksal interessierte nicht. Das Thema tauchte aber wieder auf, als immer mehr afrikanische Flüchtlinge in altersschwachen Booten vor den Kanarischen Inseln anlandeten und vor den Augen entsetzter Touristen notversorgt werden mussten, sogar starben. Über die Hintergründe, obschon bekannt, erfuhr man wenig, man musste sich gezielt informieren. Das gehört in die Kategorie »Panikmache«. & & Beispiel 3 Doch auch die Fachliteratur stiftet Verwirrung. So schätzte die IOM (International Organization for Migration) 2003 die Zahl der internationalen Migranten auf rund 175 Millionen (World Migration Report 2003, zitiert nach Nuscheler 2004: 53). Dies ist sicherlich eine sehr hohe Zahl, auch wenn es sich zum damaligen Zeitpunkt um »lediglich« 2,7 Prozent der Weltbevölkerung handelte; es wurde aber nur wenige Jahre vorher die Frage behandelt, warum es relativ wenige internationale Migranten gebe (Faist 1997: 63 ff.). Bei genauerem Lesen stellt man fest, dass der Autor freiwillige Migration meint, wie etwa die europäischen Auswanderer in die USA oder die Kolonialisten früherer Jahrhunderte. Das 20. Jahrhundert gilt dagegen in Fachkreisen als das »Jahrhundert der Flüchtlinge«, weil Welt- 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 12 kriege, Genozide und Revolutionen Menschen in einem nie vorher da gewesenen Ausmaß in die Flucht schlugen. Personen aber, die nur innerhalb ihres eigenen Landes unterwegs sind, werden nicht zu den internationalen Migranten gezählt, auch nicht zu den Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Was lässt sich also mit einer bloßen Zahl sagen, wenn nicht die genauen historischen und sozialen Kontexte sowie die rechtliche Rahmung bekannt sind? Das gehört in die Kategorie »Begriffschaos«. & Die Beispiele verdeutlichen zum einen die Breite des Themengebiets, das nicht auf eine Wanderungsform beschränkt werden kann, und zum anderen die Vielfalt der Begriffe. In diesem ersten Kapitel wird daher vor dem Hintergrund des Problems fehlender definitorischer Klarheit die Konzeption »Migration als Versetzung des Lebensmittelpunkts« diskutiert, die alle hier vorgestellten Themengebiete zusammenspannen wird. Um der Komplexität des Migrationsgeschehen gerecht werden zu können, ist einerseits das breite Spektrum der empirischen Forschung zu beachten, andererseits muss die empirische Fülle auch »lesbar« sein, weshalb Aspekte interdisziplinärer Migrationsforschung und der Modellbildung erläutert werden. Zentral ist des Weiteren die Beschreibung des Gender-Ansatzes in der Migrationsforschung, weil nur so die geschlechterspezifischen Aspekte von Migration angemessen berücksichtigt werden können. 1.1 Begriffsklärung: »Migration als Versetzung des Lebensmittelpunkts« In der Fachliteratur gibt es keine einheitliche Definition der Begriffe »Migration« bzw. »Wanderung«. Angesichts der zu beobachtenden Begriffsvielfalt eignet sich für soziologische Zwecke eine relativ komplexe Begriffsumschreibung, mit der wichtige Aspekte der Theoriebildung in den Blick genommen werden. Konstitutiv sind die drei (Forschungs-)Dimensionen: • Ortswechsel, • Veränderung des sozialen Beziehungsgeflechts, • Grenzerfahrungen. Migration wird daher im Weiteren verstanden als ein Prozess der räumlichen Versetzung des Lebensmittelpunkts, also einiger bis aller relevanten Lebensbereiche, an einen anderen Ort, der mit der Erfahrung sozialer, politischer und/ oder kultureller Grenzziehung einhergeht. 1.1 Begriffsklärung: »Migration als Versetzung des Lebensmittelpunkts« 13 An späterer Stelle (Kap. 3.1) wird ausführlich über Typologien die Rede sein, doch sei hier vorausgeschickt, dass der Ortswechsel sowohl »aktiver« als auch »passiver« Art sein kann, also sowohl Kolonial- oder Arbeitswanderung als auch Flucht oder Verschleppung umfasst. Die Grenzerfahrungen beziehen sich neben den räumlichen auf komplexe persönliche/ psychische Aspekte, sodass ein Migrationprozess nicht nur die Überwindung geographischer Distanzen, sondern eine außerordentliche psycho-soziale Leistung bedeutet und sich über einen langen Zeitraum hinziehen kann. Abb. 1: Versetzung des Lebensmittelpunktes von A nach B Familie Wohnung Arbeit soziales Netz Kultur Familie Wohnung Arbeit soziales Netz Kultur A B Grenze Abbildung 1 zeigt Migration nicht nur als Bewegung von A nach B, sondern als einen Prozess, der all das betrifft, was durch die von A nach B erfolgende Versetzung des Lebensmittelpunktes - sei es von Individuen oder von Gruppen - in Gang gesetzt wird. Die »Grenze« (in der Abbildung die diagonale gestrichelte Linie) kann dabei eine Nationalstaatsgrenze sein, ein Fluss, der zwei Regionen voneinander trennt, aber auch nicht-räumliche Grenzen, wie es die zwischen Sprach- und Wissensräumen oder religiöse bzw. kulturell-ethnische Abgrenzungen sind. Ob diese Grenzen im Migrationsprozess überwunden werden (können) oder ob sie in seinem Verlauf erst entstehen, weil soziale und kulturelle Unterschiede wahrgenommen und als solche artikuliert und gelebt werden, spielt dabei keine Rolle. Die Offenheit des Konzepts betont die empirische Vielfalt sowie den Prozesscharakter von Wanderungen, die sich mitunter über Generationen hinziehen. Ebenso offen bleiben 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 14 zeitlicher und personeller Umfang, Distanzen, Ursachen und Motive, da diese nicht prinzipiell die Notwendigkeit der Neuordnung von Lebensmittelpunkten infrage stellen, wohl aber die Begleitumstände bestimmen, wie diese Neuordnung gelingt bzw. gelingen kann. Zu unterscheiden sind fünf Bereiche mit mehreren konstitutiven Elementen, die - je nach Perspektive - in der Forschung hervorgehoben oder zurückgestellt werden können (s. Abb. 2). Abb. 2: Bereiche und konstitutive Elemente eines Lebensmittelpunkts Vorhandenseinbzw. Nichtvorhandensein von meldebehördlicher Registrierung/ geographische und soziale Einordnung des Wohngebiets (Wohnlage, Stadtteil, „Kiez“)/ Kontakt mit Nachbarn rechtlicher Status/ Familienform und -struktur/ Vorhanden bzw. Nichtvorhandensein von Kindern/ Stellung der Familienmitglieder Erwerbsstatus (Bezug von Erwerbs-, Transfereinkommen)/ Ausbildung und Beruf/ sozialer Status/ Kontakt mit Kollegen, Arbeitszufriedenheit Kontakt mit Verwandten, Freunden und Bekannten, Nachbarn und Arbeitskollegen/ Schulkontakte der Kinder/ Versorgung von Kranken und Alten Sprachkompetenzen/ Religionszugehörigkeit und ausübung/ ethnische Orientierungen/ Staatsbürgerschaft und Wahlrecht/ Wahrnehmungen und Werteinstellungen/ Diskursmuster (Darstellung von In und Ausländern, Stereotypenbildung) Wohnung Familie Arbeit/ Einkommen soziales Netz kulturelle und politische Orientierungen Das Lebenmittelpunkt-Modell soll verdeutlichen, welche Lebensbereiche von Migration betroffen sind bzw. sein können und wie komplex und langwierig ein 1.1 Begriffsklärung: »Migration als Versetzung des Lebensmittelpunkts« 15 Migrationsprozess ist. Je nachdem, welche Fragestellung interessiert, kann dieser oder jener Bereich als solcher und in seiner Funktion für andere Bereiche thematisiert werden. Der Blick richtet sich also nicht nur auf die Migranten einerseits und/ oder auf die Gesamtgesellschaft andererseits, sondern ebenso auf die spezifischen Bedingungen der Milieus, in denen Migrationen stattfinden. Migrationsverläufe betreffen ebenso Nicht-Migranten aller sozialen Gruppierungen sowie Ziel-, Transit- und Herkunftsgesellschaften bzw. Segmente derselben. Da in den Zielregionen von Migration in der Regel komplexe Sozialorganisationen existieren, die durch Zuwanderung verändert werden und sich ändern müssen, können natürlich Konflikte zwischen den Eingesessenen und den Zuwanderern bzw. zwischen den Akteuren einzelner Migrationsphasen entstehen. Die sozialen Einschnitte, die sowohl Individuen wie Familien oder Gruppen, die aufnehmende und die abgebende Gesellschaft verarbeiten müssen, können dabei sehr gravierend sein und sind es meist auch. Das Modell ermöglicht bei Fragen nach der Integration von Zuwanderern die analytische Trennung der relevanten Bereiche und macht verständlich, warum »unvollständige« Migrationsformen wie beispielsweise Pendelmigrationen die Integration einzelner Lebensbereiche in die Zielgesellschaft erschweren bzw. nicht benötigen (Kap. 5.5). Bei Fragen nach lebensweltlichen Relevanzen und Prioritäten lässt sich ein breites Spektrum von Motivationen untersuchen, ohne auf simple Erklärungen, wie beispielsweise die generell starke Anziehungskraft höherer Löhne, zurückgreifen zu müssen (Kap. 3.5). Vice versa ermöglichen derartige Fragen auch Erklärungsansätze nicht nur dafür, warum Menschen wandern, sondern warum sie an einem bestimmten Ort bleiben, auch wenn es an vielen Orten der Welt vielleicht »besser« wäre. Und schließlich lässt sich beschreiben, wie sich mit Grenz- und Abgrenzungserfahrungen kulturelle und ethnische Identitäten formen (Kap. 4.2). Verbreitete Definitionen von »Migration« Die hier eingeführte Begriffsbestimmung versucht die Komplexität von Migrationsphänomenen zu erfassen, während viele gängige Definitionen lediglich einen Aspekt herausgreifen, beispielsweise die, Migration sei »ein Wohnortwechsel von relativer Dauer« (Nauck 1989: 362). Ohne Zweifel gehören ein gewisses Entfernungskriterium sowie ein Hinweis auf die Dauer des Wanderungsvorgangs zu einer Begriffsbestimmung von Migration, weshalb häufig zwischen »Migration« und »räumlicher Mobilität« unterschieden wird. So zielt einem Internet-Nachschlagewerk zufolge räumliche Mobilität auf kleinräumige, Wanderung bzw. 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 16 Migration jedoch auf großräumige Veränderungen (wikipedia, 7.12.2005). Ohne Vereinbarung, ab wann von »großräumig« die Rede sein soll, ergibt sich aber ein breiter Übergangsbereich. Amtliche Statistiken unterscheiden meist zwischen Binnenmigration (innerhalb eines Landes) und internationaler Migration (beim Überschreiten einer Nationalstaatsgrenze). Letztlich ist es aber Konvention, wenn ein Umzug von Freiburg im Breisgau nach Kiel unter der Kategorie »räumliche Mobilität« verbucht wird, während der Umzug von eben diesem Freiburg in das nahe gelegenen Colmar im Elsass als internationale Migration gilt, weil die Nationalstaatsgrenze zwischen beiden Städten dem Wechsel von Sprache, Kultur und Alltag einen offiziellen Stempel aufdrückt. Möglicherweise aber ist der Fremdheitseffekt zwischen Nord- und Süddeutschland ähnlich stark wie der zwischen Baden und Elsass. Noch unsicherer wird die Zuordnung, wenn es sich um Pendelmigration handelt: Während die grenzüberschreitende Strecke jeden Tag zurückgelegt werden kann, ist dies bei der Entfernung zwischen Freiburg und Kiel wohl nur einmal pro Woche praktikabel. Dennoch ist es die kürzere Strecke, die die betreffende Person als internationalen Arbeitsmigranten qualifiziert, während der Langstreckenpendler zwischen Freiburg und Kiel den meisten Behörden gar nicht auffällt und vielleicht nur durch eine Umfrage ermittelt wird. Andere Definitionen betonen weniger Raum- und Zeitdifferenzen, sondern die sich verändernden sozialen Beziehungen, eher soziologische als geographisch relevante Aspekte. So fassen N. Elias und J. Scotson in ihrer Studie »Etablierte und Außenseiter« Migration als Wechsel der Gruppenzugehörigkeit: »Was geschieht, scheint nur zu sein, dass Menschen sich physisch von einem Ort zum anderen bewegen. In Wirklichkeit wechseln sie immer von einer Gesellschaftsgruppe in eine andere über.« (Elias/ Scotson 1990: 248) Ob nun von einer Gruppe mit einer eigenen Identität die Rede ist (politische Emigranten, Mitglieder einer ethnischen Gemeinde), von Personen, die das Schicksal eher zufällig zusammen an einen Ort verbracht hat (Flüchtlinge, Asylbewerber), oder von statistischen Einheiten (»Gastarbeiter«, »Ausländer«) - Migration ist immer weit mehr als bloße Bewegung im Raum und mündet sehr häufig in eine soziale Situation, in der Zuwanderer auf bereits Etablierte treffen und von diesen zu Außenseitern gemacht werden. Elias und Scotson beschreiben die latenten und offenen Ängste vor Verdrängung und Konkurrenz, die in allen möglichen Einwänden gegen die Neuzuzügler ausgedrückt werden; Ziel ist, diese sozial nicht aufsteigen zu lassen bzw. den eigenen relativ höheren Status auf Kosten der Neuzuwanderer zu festigen. Migration ist also wesentlich mehr als eine Ortsveränderung oder der Wechsel eines Wohnsitzes, sie ist aber auch nicht immer ein Wechsel der Gruppenzuge- 1.1 Begriffsklärung: »Migration als Versetzung des Lebensmittelpunkts« 17 hörigkeit, denn Zuwanderer können mitunter völlig isoliert oder im Kreise ihnen bekannter Zuwanderer oder der Familie leben bzw. als Pendler an der Aufnahme sozialer Beziehungen am Zielort gar nicht interessiert sein. Die subjektive und alltagsrelevante Bedeutung eines Lebensmittelpunkts Ein Lebensmittelpunkt ist nicht identisch mit einem Wohnort oder einem Hauptwohnsitz, der vor allem eine meldebehördliche Registrierung bedeutet. An einem Lebensmittelpunkt laufen die sozialen Bezüge von Personen zusammen, was natürlich auch an einem Hauptwohnsitz der Fall sein kann und meistens auch der Fall ist. Die harten Daten der amtlichen Statistik sind jedoch nur eine Seite von Migration bzw. Migrationsforschung, die andere besteht aus lebensweltlichen Aspekten, dem Wandel der alltäglichen Lebensführung und den Wahrnehmungen von Migranten, ihren Werteinstellungen und Sicherheitsbedürfnissen. Mit dem faktischen Lebensmittelpunkt als Analyseansatz lassen sich zudem die Lebensumstände irregulärer Migranten (»Illegale«, »Undokumentierte«) thematisieren, die zum Teil erheblich, zum Teil aber sehr wenig von denen legaler, offiziell registrierter Migranten abweichen. Die oben angeführte »wikipedia«-Definition bezieht die in Rede stehenden klein- und großräumigen Veränderungen ebenfalls auf einen Lebensmittelpunkt, ohne allerdings anzugeben, woraus dieser bestünde. Der Begriff wird auch von Bildungswerken, Ministerien und Ausländerbehörden verwendet, doch amtliche und subjektive Einschätzungen, wo sich ein Lebensmittelpunkt befindet und was ihn ausmacht, können erheblich voneinander abweichen. Wenn beispielsweise von Amts wegen festgestellt wird, wo der Lebensmittelpunkt einer Familie liegt, um einen Zuzug zu genehmigen oder zu verweigern (Ausländerintegration 1999), kann dies von existentieller Bedeutung sein. Gerade wegen der Möglichkeit subjektiver Prioritätensetzung eignet sich der Begriff, um damit ein soziologisches Beschreibungs- und Forschungskonzept zu entwerfen, das zwar rechtliche und geographische Bestimmungselemente nicht verwirft, aber doch nicht bei ihnen stehen bleibt. 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 18 1.2 Migration als interdisziplinärer Forschungsgegenstand Moderne Gesellschaften sind ohne Migration gar nicht zu denken. N. Elias und J. Scotson verstehen sie und ihre Auswirkungen weniger als »Problem« denn als spezifische Form der Gruppenbeziehung in modernen Gesellschaften. Sie verweisen so auf die für die heutige globalisierte Welt konstitutive Tatsache der vielfältigen und sich überlappenden Migrationsmuster. Auch wenn er vielleicht »Gastarbeiter« genannt wird, ist der zeitgenössische Zuwanderer nicht der Gast vormoderner Zeitalter, der unter patrimonialer Obhut stand und so gewissermaßen isoliert von der Aufnahmegesellschaft lebte. Er hat vielmehr Rechte und Pflichten, die auf den jeweiligen Nationalverfassungen sowie auf internationalen Abkommen beruhen, und sollte sich, sofern er bleiben will oder muss, mehr oder weniger aus eigener Kraft, wenngleich unterstützt von spezialisierten Institutionen, in die Zielgesellschaft einleben, integrieren. Migrationsprozesse sind komplex, sowohl hinsichtlich der verschiedenen Hürden und Etappen auf der Wanderung selbst als auch in Folge der vielfältigen Veränderungen in den Herkunfts-, Transit- und Zielgesellschaften, die durch die Wanderungen entstehen. Sie sind daher Forschungsgegenstand vieler Disziplinen und werden vor dem Hintergrund der jeweiligen Theoriebildung diskutiert, weshalb meist nur spezifische Segmente von Migrationsphänomenen behandelt werden. Da dies jeweils von einer ganz bestimmten Perspektive aus geschieht, die von einer anderen Disziplin nicht eingenommen wird, ist es sinnvoll, Migrationsforschung interdisziplinär anzulegen; migrationssoziologische Fragestellungen sollten offen sein für den Perspektivenwechsel. Der folgende Abriss über die spezifische Fragerichtung der Migrationssoziologie zeigt, wo an Ansätze anderer Disziplinen angeschlossen werden kann bzw. wo sich die Fragerichtung in eine andere Disziplin hin verschiebt und von dort aufgenommen werden sollte. Ziele der empirischen Migrationssoziologie Die empirische soziologische Forschung befasst sich mit Migration/ Wanderung hinsichtlich ihrer individuellen und gesellschaftlichen Ursachen und Folgen. Ihr Ziel ist, generelle Aussagen über Verhaltensmuster von Migranten/ Wanderern sowie über die Funktion von Migrationen für alle beteiligten Gesellschaften zu formulieren. Wanderungen werden dabei als konstitutiver Aspekt des sozialen Wandels verstanden (Hoffmann-Nowotny 1994; Kalter 2003): Besiedlungen und städti- 1.2 Migration als interdisziplinärer Forschungsgegenstand 19 sche Entwicklung, Aufbau oder Verdrängung von Bevölkerungen sowie ihre sozioökonomische Schichtung und Anordnung in Gesellschaften, kultureller Austausch und Handel, Gründung und Zerfall von Staaten - alles dies ist sowohl Folge als auch Ursache von Migration bzw. wird, weniger kausal ausgedrückt, von Migrationsprozessen begleitet. Diese Erkenntnis wurde in den 1920er Jahren in den USA, an der Universität Chicago, unter der Leitung von Robert E. Park die Grundlage der systematischen Untersuchung des Einflusses der Immigration auf die Stadtentwicklung (Lindner 1990; 2004), weshalb die »Chicago School« sowohl als Vorläufer der Migrationsals auch der Stadtsoziologie reklamiert wird. Der Fokus soziologischer Forschung liegt gegenwärtig auf den Migrationen der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit, die etwa mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu datieren ist. Sofern sich zeitgeschichtliche und historische Forschungen auf die Vorläufer zeitgenössischer Wanderungen beziehen, ist dies eher eine Entscheidung der Perspektive als der (ausschließlichen) Zuständigkeit. Soziologische Fragestellungen lassen sich zu Migrationsphänomenen aller Zeiten und Regionen formulieren und so wenden sich historische Studien auch häufig unter sozial- oder wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive an ihren Gegenstand, etwa die europäische Auswanderung nach Amerika, die Zuwanderung von Hugenotten in deutsche Städte oder von Polen ins Ruhrgebiet sowie Vertreibung, Flucht und Neuansiedlung während der beiden Weltkriege (dazu: Helbich 1988; Bade 2004: 13-48). Derartige Forschung ermöglicht den Vergleich mit zeitgenössischen Wanderungen und die Erstellung von Typologien. Des Weiteren wird der Wandel gängiger Begriffe und Kategorien zur Beschreibung von Migrationsphänomenen thematisiert (Kleinschmidt 2002). Welche Fragen sich unter soziologischer Perspektive stellen lassen, illustriert das bereits kommentierte Schema zur Migration als Versetzung des Lebensmittelpunkts (s. Abb. 1); hier sind die verschiedensten Anschlüsse an die Familien- und Jugendsoziologie, an die Gemeinde- und Stadtsoziologie oder an die Wirtschaftssoziologie denkbar, um nur einige zu nennen (z. B. Krüger-Potratz 2004; Sen/ Goldberg 1996; Häußermann/ Oswald 1997). Doch sinnvoller als die Aufzählung aller möglichen »Bindestrich-Soziologien«, die sich mit Migrationsprozessen befassen, ist die Unterscheidung zwischen Studien, die mit quantitativen oder/ und qualitativen Methoden durchgeführt werden und auf der Interpretation sehr unterschiedlich erhobener Daten sowie der Verwendung unterschiedlicher Forschungskategorien beruhen. 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 20 Kategorien der Sozialforschung/ Die Krux mit den Benennungen Die starre Gegenübersetzung von Deutschen und Ausländern bzw. »ausländischen Arbeitnehmern« gibt es zwar nach wie vor in Begriffsbildungen wie »Ausländerbehörde« oder »Ausländerbeirat«, doch ist der Begriff »Ausländer« in der Wissenschaft und zum Teil in der Politik immer weniger in Gebrauch. So sind die früheren »Ausländerbeauftragten« inzwischen in »Migrations-« oder »Integrationsbeauftragte« umbenannt worden. Ein Grund dafür ist, dass mit dem Ausländerbegriff auf den minderen Rechtsstatus, auf ein diffuses »Fremdes« hingewiesen wird, was inzwischen als diskriminierend und integrationshemmend gilt. Zum anderen wird mit dem ursprünglich eine rechtliche Kategorie bezeichnenden Begriff statistisch nur erfasst, wer zum Zeitpunkt einer Erhebung keinen deutschen Pass hat, aber zur Wohnbevölkerung zählt. Wer bereits die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hat, wie dies beispielsweise bei den sogenannten deutschen (Spät-) Aussiedlern sehr bald nach deren Einreise in die Bundesrepublik der Fall ist, taucht in den gängigen Sozialstatistiken nicht mehr auf. Unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Diskriminierung könnte dies durchaus wünschenswert sein, es bleibt aber der Umstand, dass quantitative Studien dadurch einen erheblichen Teil ihrer Aussagekraft verlieren. Zudem gibt es weiterhin das Problem, dass eingebürgerte Zuwanderer, ungeachtet ihres rechtlichen Status, in vieler Hinsicht dieselben Integrationsschwierigkeiten haben wie diejenigen ohne deutschen Pass. Wer also beispielsweise Integrationsverläufe untersuchen möchte, muss andere Kategorien heranziehen. In der Wissenschaft, wie auch in diesem Lehrbuch, werden heutzutage bevorzugt die neutralen Begriffe »Migrant« bzw. »Zuwanderer« verwendet. Im Deutschen ist der Begriff »Zuwanderer« ein Oberbegriff, der lediglich die Grenzüberschreitung signalisiert, mit dem Begriff »Einwanderer« wird eine Bleibeabsicht assoziiert. Jeder Begriff - bei aller scheinbaren Neutralität - muss aber nicht der Selbstbezeichnung der »Migranten« und ihrer im Aufnahmeland geborenen Nachkommen, die streng genommen gar keine Migranten mehr sind, entsprechen. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff »ethnische Minderheit«, da dieser eine ethnische Zugehörigkeit festschreibt, die sich sowohl in der subjektiven Wahrnehmung als auch »objektiv« (beispielsweise durch den Erwerb der Staatsbürgerschaft«) ändern kann. Die »Ethnisierung« kultureller und/ oder religiöser Unterschiede ist zudem für sich gesehen problematisch (vgl. Kap. 4.2), weil oft oberflächliche Merkmalszuschreibungen vorgenommen werden und damit rassistischen Typisierungen Vorschub geleistet wird. Des weiteren können »ethnische Minderheiten« durchaus in der Mehrheit sein, wie etwa in manchen Schulklassen in Stadtbezirken mit hohem »Ausländeranteil«, ohne dass die Be- 1.2 Migration als interdisziplinärer Forschungsgegenstand 21 troffenen ihrem Minderheitenstatus entkommen. In einem qualitativen (oder auch politischen oder wissenschaftlichen) Sinn werden Minderheiten als benachteiligt und diskriminiert und daher als besonders schutzbedürftig verstanden (vgl. Heckmann 1992), womit eine Kategorie entsteht, der sich durchaus nicht alle Migranten zuordnen wollen. Zuletzt sei auf ethnische Minderheiten verwiesen, die entweder niemals oder nicht in jüngster Zeit zugewandert sind, sondern im Zuge der Nationalstaatsbildung den Minderheitenstatus erwarben, weil ihre Wohngebiete durch Grenzziehungen zu Enklaven in »fremden« Staatsgebieten wurden oder weil sie keine nationalstaatliche Eigenentwicklung durchmachten. In Deutschland trifft die erste Variante beispielsweise auf die Dänen im Norden Schleswig-Holsteins zu, die zweite Variante auf die Sorben in Brandenburg und Sachsen. Es handelt sich bei beiden Gruppen um staatlich und völkerrechtlich anerkannte Minderheiten mit eigenem Institutionensystem und bestimmten politischen Rechten, die jedoch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Es ist lediglich die Selbstzuordnung der betroffenen Personen, die sie zu Angehörigen einer Minderheit macht. Aspekte quantitativer Sozialforschung Nicht alle Datensätze, die der quantitativen soziologischen Forschung zur Verfügung stehen, können sinnvoll für die Erforschung zugewanderter Bevölkerungsgruppen oder -teile verwendet werden (vgl. dazu: Geißler 2002: 66 ff. und 282 ff.). Mit der Ausdifferenzierung der nachkriegszeitlichen »Ausländerforschung« wurde auch die geringe Aussagekraft der »Ausländer«-Kategorie weithin erkannt, die in amtlichen Statistiken jedoch noch häufig in Gebrauch ist. Hin und wieder werden »Aussiedler« und »Flüchtlinge« den »ausländischen Arbeitnehmern« gegenübergestellt, wobei nicht nur auf Unterschiede im Rechtsstatus, sondern auch bei den - zumindest amtlich unterstellten - Wanderungsmotiven verwiesen wird (dazu genauer: Kap. 3.2). Im Mikrozensus, seit 1957 die wichtigste Repräsentativstatistik in Deutschland, der jährlich vom Statistischen Bundesamt durchgeführt wird und Auskunft über Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Wohnsituation gibt, wird der veränderten Lage Rechnung getragen. Das neue Mikrozensusgesetz, das seit dem 1. Januar 2005 gilt, erlaubt erstmals, dass auch Daten über eingebürgerte Deutsche erfasst werden, nämlich die frühere Staatsangehörigkeit sowie das Jahr der Einbürgerung. Die Kategorie lautet nun »Menschen mit Migrationshintergrund«. Sie klingt möglicherweise etwas sperrig, ist aber realitätsnah, zumal alle vier Jahre auch Angaben zur Staatsangehörigkeit der Eltern erhoben werden, sofern diese nach 1960 dauer- 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 22 haft in Deutschland lebten. Das Sozioökonomische Panel (SOEP), die vom Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW) durchgeführte repräsentative Längsschnittstudie privater Haushalte, beinhaltet auch eine sogenannte Ausländerstichprobe. Sie ist gegenwärtig die größte Wiederholungsbefragung von Zuwanderern in Deutschland und erfasst Daten zu objektiven Lebensbedingungen sowie zu Wertvorstellungen und Risikoeinstellungen. Allerdings werden nur Zuwanderer aus den fünf wichtigsten früheren Anwerbeländern Türkei, (Ex-)Jugoslawien, Italien, Griechenland und Spanien, die inzwischen kaum mehr als die Hälfte der in der Bundesrepublik lebenden Zuwanderer ausmachen, befragt. Andere Quellen, die sich jedoch oft auf sehr unterschiedliche Erhebungskategorien beziehen, sind in Deutschland - unter anderem - der Info-Dienst Deutsche Aussiedler, der Informationsdienst zur Ausländerarbeit (IZA) oder die Bundesagentur für Arbeit, die Familienberichte des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Berichte der Beauftragten für Migration und Integration (vor 2002: »Ausländerbeauftragte«). Mit der quantitativen Aufbereitung, Darstellung und Interpretation von Daten ergibt sich eine Nähe zur Demographie, die die natürlichen und migrationsbedingten Bevölkerungsentwicklungen sowie deren Wechselwirkung thematisiert (vgl. Münz 2001). Ebenso gibt es eine Nähe zur Geographie, die sich mit der räumlichen Bevölkerungsverteilung und mit Siedlungsstrukturen beschäftigt, und zwar nicht nur auf Regionen und Nationalgesellschaften, sondern zunehmend auch auf großräumliche, globale Phänomene bezogen (Sassen 1991; Bähr 1992; Feldbauer u. a. 1993; Kapphan 1995). Sozial- und wirtschaftsgeographische Arbeiten wiederum leiten über zu den Wirtschaftswissenschaften, die sich mit den ökonomischen Ursachen und Folgen von Migrationen, dem Wandel nationaler und internationaler Arbeitsmärkte oder den neuen Mustern transnationaler Mobilität befassen (Morokvasic/ Rudolph 1994; Bender 1996; Verwiebe 2004). Aspekte qualitativer Methoden in der Sozialforschung Viele Migrationsaspekte sind jedoch mit der herkömmlichen (quantitativen) Quellen- und Materialbasis gar nicht adäquat zu erfassen - eine Problematik, die in der Migrationsforschung intensiv diskutiert wird (z. B. Lucassen/ Lucassen 1997). Zum einen ist oft erheblicher Zweifel an der angeblichen Objektivität amtlicher Statistiken angebracht, da die verwendeten Klassifikationen nie zufällig sind, sondern ganz bestimmten Theorietraditionen und - erheblich fragwürdiger, aber häufiger - politischen Sichtweisen entsprechen. So wurde in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg ein Großteil der faktischen Einwanderung ignoriert, weil sie aus deutschen 1.2 Migration als interdisziplinärer Forschungsgegenstand 23 (Spät-)Aussiedlern bestand oder aus sogenannten Gastarbeitern, die bald wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren würden. Obwohl es sich dabei um eine echte Einwanderung (und nicht nur »Zuwanderung«) mit entsprechenden Problemen handelte, führte die Weigerung, die Bundesrepublik als »Einwanderungsland« zu definieren, zu einer Reihe von Versäumnissen in der Integrationspolitik (u. a. Bade 1993a: 18 ff.). Ein anderes Beispiel betrifft die Konzentration auf die statistische Erfassung von Grenzübertritten; zum einen werden damit nur die legalen Wanderungen erfasst, obwohl - wie wir inzwischen heute wissen - die »illegale« bzw. nicht dokumentierte Wanderung oft ebenso umfangreich ist, zum anderen lassen sich daraus keine Anhaltspunkte für die unterschiedlichen Wanderungsformen ableiten. Intensive Pendelmigration zum Zwecke des Grenzhandels kann beispielsweise die Zahlen der Grenzübertritte dramatisch in die Höhe treiben und fälschlicherweise den Eindruck einer Massenwanderung erwecken. Dies und weniger das Misstrauen, die Zahlen könnten gefälscht sein (was allerdings mitunter der Fall ist), ist Grund für die Kritik an den von naturwissenschaftlichen Untersuchungsparametern beeinflussten Datenquellen (vgl. Bonß 1982). Zum anderen erfordern manche empirischen Zugänge ganz bestimmte Methoden und schließen andere aus; dann ändern sich auch Fragestellung und Forschungsdesign. Zum Verhältnis von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden So wird man amtliche Statistiken oder Umfragen und Erhebungen nationaler und internationaler Organisationen nutzen, sollen etwa die bevorzugten Wohnviertel bestimmter Zuwanderergruppen ermittelt werden, die Arbeitslosigkeit unter der Wohnbevölkerung ohne deutschen Pass, Umfang und Zunahme von Grenzübertritten oder die Bildungsabschlüsse nicht-deutscher Jugendlicher. Möchte man aber den Grund für die Bevorzugung bestimmter Wohnviertel oder die Probleme arbeitsloser Zuwanderer untersuchen, die Hintergründe für einen Grenzübertritt oder für die Bildungsbenachteiligung von jugendlichen Zuwanderern, so wird man sich eher den qualitativen Methoden der Sozialforschung zuwenden, also (biographischen) Interviews und der (teilnehmenden) Beobachtung. Während es der quantitativen Forschung um die Repräsentativität geht, also um die Verteilung bestimmter Eigenschaften und Merkmale in der Bevölkerung, zielen qualitative Studien auf das Verstehen der Komplexität sozialer Phänomene, um dies an einigen gut ausgewählten Beispielen zu studieren und zu demonstrieren, d. h., ihr Ziel ist qualitative Repräsentanz, womit zwar nicht die Häufigkeit eines bestimmten Phänomens geklärt, aber das Verständnis für den Sinn von Handlungsmustern 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 24 geweckt werden kann, was mitunter durchaus Rückschlüsse und Vermutungen über Häufigkeiten zulässt. Anders ausgedrückt ermöglichen quantitative Untersuchungen Aufschlüsse über die Sozialorganisation der Gesamtgesellschaft, über die sozioökonomische Positionierung von Zuwanderer(teil-)populationen, ihre prozentualen Anteile an dieser oder jener Berufsgruppe oder an bestimmten Bildungsmilieus; beispielsweise kann gezeigt werden, ob ethnische Unterschichtungen vorliegen, also die durchgehend niedrige soziale Einstufung bestimmter ethnischer Gruppen. Gegenüber solchen makrosoziologischen Aufrissen befasst sich die qualitative Sozialforschung eher mit den mikro- und mesosoziologischen Aspekten der gesellschaftlichen Realität, etwa mit der Entstehung und der Funktionsweise von Institutionen (seien diese nun Ausländerbehörden oder Sportvereine), dem Wandel von Familienformen oder der inneren Struktur von Migrantengemeinden. In vieler Hinsicht ähneln zentrale Themen und Forschungsperspektiven qualitativer soziologischer Forschung denen der Kulturanthropologie bzw. Ethnologie: Untersucht werden Integrationsprozesse, interkulturelle Konflikte und Ethnizität, Genese und Wandel sozialer und/ oder kultureller Wahrnehmungs- und Handlungsmuster, die Entstehung kultureller Stereotypen und Diskurse, die um das »Eigene« und das »Fremde« kreisen, die Ausdifferenzierung und die Wandlungsformen ethnischen Bewusstseins (Jahoda u. a. 1980 [1933]; Schiffauer 1991; Inowlocki 2000; Überblick: Ackermann 1997). Die Ethnologie stützt sich dabei insbesondere auf die Methode der teilnehmenden Beobachtung im Feld, wobei das »Feld« ein Dorf oder eine Institution, eine Subkultur oder eine Familie sein kann; das wichtigste Instrument der qualitativen Soziologie ist dagegen das (narrative oder biographische) Interview, dessen systematische Interpretation zur Theoriebildung führt (Schütze 1976; 1983; Oevermann 1983; Strübing 2002). Beiden Disziplinen geht es um die Erfassung der Binnenperspektive von Akteuren - Stichwort: »dichte Beschreibung«(Geertz 1995) - und um eine gewissermaßen »von unten« und nicht von einem abstrakten Standpunkt aus erfolgende Theoriebildung - Stichwort: grounded theory (Strauss 1991; Kelle 1996). Viele der Probleme, die heute Politik, Medien und Wissenschaft beschäftigen - wie beispielsweise die vielfältigen Integrationsprobleme der »zweiten« und/ oder »dritten Generation« von Zuwanderern oder die Funktion von ethnischen oder religiösen Gemeinden - entziehen sich einer sauberen quantitativen Analyse, weil gar nicht klar ist, welche Variablen ein Gesamtphänomen bestimmen, oder weil wichtige Bestimmungskriterien nicht in den Sozialstatistiken vorhanden sind bzw. statistisch nicht erhoben werden können. Dies lässt sich besser mittels Feldforschung, der Interpretation biographischer oder narrativer Interviews und/ oder der Diskursanalyse machen. Die betroffenen Personen werden ermutigt, über ihr 1.2 Migration als interdisziplinärer Forschungsgegenstand 25 Leben, ihre subjektiven Meinungen, Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten zu sprechen; oder sie werden in ihren eigenen Milieus (»im Feld«, nicht unter künstlichen Laborbedingungen) beobachtet und dabei wird die Entstehung und Wirkung spezifischer Wahrnehmungs- und Deutungsmuster studiert. Sowohl Forschungsprozess als auch Ergebnisformulierung und Theoriebildung verlaufen bei der qualitativen Forschung ganz anders als bei der quantitativen. In Letzterer geht der Forschungsprozess linear von einem theoretisch gestellten Problem und einer entsprechenden Hypothese aus; die qualitative Sozialforschung versucht dagegen die Problematik einer Situation aus dieser selbst bzw. aus der Sicht der Betroffenen heraus zu erfassen und mittels kontinuierlich komplexer werdender Forschungsschritte und einer darauf beruhenden Stichprobe (sampling) »zirkulär« zu einer - gegenstandsbezogenen - Theorie zu kommen (s. Abb. 3). Abb. 3: Unterschiede in Forschungsprozess und Theoriebildung Aus: Flick 1996: 61 Die qualitativen Methoden haben ihre eigenen Standardisierungs- und Gütekriterien, da auch hier, wie in der quantitativen Sozialforschung, die Geltung der Forschungsergebnisse begründet werden muss. Dies betrifft vor allem Fragen der Generalisierbarkeit von Beobachtungs- und Interviewdaten, aber auch Methoden der Darstellung und Nachprüfbarkeit von Forschungsergebnissen (vgl. Lamneck 1988; 1989; Flick 1996; 2004). Ob eine bestimmte empirische Studie nun mittels quantitativer oder qualitativer Methoden oder deren Kombination durchgeführt werden sollte, liegt also 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 26 sowohl an der Verfügbarkeit von Daten als auch an den Forschungsfragen und dem Erkenntnisinteresse (dazu: Hirschauer/ Amann 1997; Knobloch 2000). Dem quantifizierenden Zugang geht es um »die Reduktion von Komplexität durch Zerlegung in Variablen«, während die qualitative Forschung »die Verdichtung von Komplexität durch Einbeziehung von Kontext« anstrebt (Flick 1996: 57). Die Entscheidung sollte daher pragmatisch und theoriegeleitet erfolgen; Migrationsgeschehen und -forschung der letzten 20 Jahre haben die Vorteile der Methodenvielfalt gezeigt (dazu: Lamneck 2000). Weitere Disziplinen der Migrationsforschung Neben Soziologie und den Wirtschaftswissenschaften ist es die Politikwissenschaft, die sich umfassend mit Migrationen befasst. Themengebiete sind die (vergleichende) Analyse von Ausländerbzw. Einwanderungspolitiken (vgl. Thränhardt 1997), der politische Umgang mit Migranten in den jeweiligen Aufnahmegesellschaften (vgl. Mintzel 1997) oder die Politik ethnischer Artikulation, seien dies Vereine, Gemeinden oder Formen des ethnic business (vgl. Waldinger 1990). Ein wichtiger Schwerpunkt hat sich in den letzten 15 Jahren mit Studien zu Prozessen der Inter- und Transnationalisierung und zur Globalisierung von Migrationen herausgebildet, wozu auch die Debatte um Flucht und Asyl gehört (Glick Schiller u. a. 1992; Castles/ Miller 1993; Pries 1997; Husa u. a. 2000; Papastergiadis 2000; Nuscheler 2004). Ein sehr breites Forschungsfeld, das eng mit Ansätzen aus der Rechtswissenschaft bearbeitet wird, umfasst Genese, Wandel und Funktion von Migrationsregimen, also der institutionellen Rahmungen, mit denen Migrationsverläufe geregelt und kontrolliert werden sollen. Hierzu gehören Themen wie die Europäisierung der Einwanderungs- und Asylpolitik sowie die Debatte um Flüchtlingskonventionen, und Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsrechte (vgl. Bauböck 1994; Gieler/ Fricke 2004). Nun sind Migrationen nicht nur im politischen Raum immer wichtiger geworden, der Migrationsbegriff selbst wurde in den letzten beiden Jahrzehnten politisiert, was wiederum in der Forschung ihren Niederschlag fand. So sind heute Darstellungen, die diesen Wandel nicht reflektieren, seltener geworden und sie werden - unter angelsächsischer Führung - zunehmend ergänzt durch Studien zu Vorstellungen und Wahrnehmungen der Migranten selbst, also zu den subjektiven Dimensionen, die das »objektive« Migrationsgeschehen beeinflussen. Sozial- und politikwissenschaftliche Studien werden zunehmend in den Medien diskutiert, mitunter sehr kontrovers, oft auch polemisch. Beispiele sind der inzwischen wieder etwas verebbte Streit über Möglichkeiten und Risiken des Multikulturalismus 1.2 Migration als interdisziplinärer Forschungsgegenstand 27 oder die derzeit dominierende öffentliche Debatte über Umfang und Machbarkeit von Integration, häufig in Kombination mit Auseinandersetzungen über islamistische und andere fundamentalistische Bewegungen (vgl. Butterwegge u. a. 1999). Diese Entwicklung hat sowohl das Nachdenken über Grundsätzliches als auch über praktische Anwendungsmöglichkeiten von Forschung angeregt. Die (Sozial-)Philosophie setzt sich mit den Problemen des menschlichen Zusammenlebens in der Moderne bzw. Postmoderne auseinander, mit der Entwicklung von Menschenrechten und Toleranzgrenzen angesichts sich globalisierender Konflikte, die mitunter als »Kampf der Kulturen« (Huntington 1998) interpretiert werden und auf jeden Fall mit den rapide zunehmenden sozialen und ökonomischen Ungleichheiten weltweit zu tun haben (vgl. Taylor 1993; 2002; Walzer 1998). Die vielfältigen Probleme und Optionen moderner Gesellschaften, mit denen sich nicht nur jugendliche Zuwanderer auseinandersetzen müssen, sondern die Migranten meist ihr Leben lang und bis in die nächsten Generationen begleiten, regen seit Jahrzehnten die Erziehungswissenschaft und die Psychologie zur Beschäftigung mit dem Migrationsthema an. Aus psychologischer Perspektive werden vor allem Prozesse der Identitätsentwicklung und der Problembewältigung in wechselnden sozialen und kulturellen Kontexten untersucht (vgl. Gontovos 2000), aus erziehungswissenschaftlicher Sicht sind es insbesondere die Herausforderungen der (vor-)schulischen und berufsbezogenen Bildung und Ausbildung (Gogolin/ Nauck 2000; Weber 2003). Und nicht zuletzt der sogenannte PISA-Schock, der auf die Ergebnisse einer internationalen Vergleichsstudie zu schulischem Erfolg unter Heranwachsenden folgte, stimulierte Forschungen zu Theorie und Praxis der Interkulturellen Pädagogik (z. B. Nestvogel 2000). Inzwischen haben sich praktisch alle sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen dem Migrationsthema zugewandt, sei es die Religionswissenschaft mit Studien zu religiösem Fundamentalismus, die Kriminologie, die sich mit der Erforschung von Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen, aber auch mit dem internationalen organisierten Verbrechen wie Menschen(ver-)schleppung und -handel befasst, oder seien es die verschiedensten Regionalwissenschaften, die sich mit Migrationsvorgängen in Osteuropa, im Nahen Osten, in Schwarzafrika oder in Mittelamerika beschäftigen. Vom Vorteil interdisziplinärer Migrationsforschung Wendet man sich Studien zur internationalen Migration und Flucht oder zum Vergleich verschiedener Migrationsregime zu, dann ist auch unschwer zu erkennen, dass oft weder hinsichtlich der Disziplin noch der Methoden eine eindeutige Zuord- 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 28 nung möglich ist. Im Gegenteil, die meisten größeren Forschungsprojekte sind interdisziplinär angelegt und arbeiten mit einem Methodenmix: bei der Erforschung eines komplexen Migrationsphänomens wird man zum einen beispielsweise auf amtliche Statistiken und/ oder internationale Erhebungen zurückgreifen, um Umfang, Häufigkeiten und Verteilungen einschätzen zu können. Man wird zudem Interviews mit Experten und Betroffenen zur Eruierung von Tiefendimensionen und bisher unerkannter Problematiken führen; gleichzeitig wird das Studium von historischen Dokumenten und/ oder von Gesetzestexten nötig sein, um die Geschichte der Vorgänge sowie die aktuelle rechtlich-politische Situation zu verstehen. Die Vorteile eines derartigen Vorgehens liegen auf der Hand, denn die Einbeziehung mehrerer Perspektiven und die Abgleichung von Informationen aus unterschiedlichen Quellen ermöglichen ein umfassendes Verständnis des fraglichen Phänomens. Der Nachteil besteht allerdings darin, dass eine Erklärung »aus einem Guss«, nämlich mithilfe einer Theorie, die klar der einen oder anderen Wissenschaft zugeordnet werden kann, nicht möglich ist. War man bis in die frühen 1980er Jahre noch überzeugt davon, dass zur Erforschung von Migration bzw. des »Ausländerproblems« ausschließlich entweder diese oder jene Disziplin mit ihrem jeweils bevorzugten Methodenset zuständig sei, so hat man sich heute von der Suche nach der einen, alles erklärenden »Migrationstheorie« verabschiedet. Trotz des Einsicht, dass es weder einen disziplinär-theoretischen noch eine methodologischen Königsweg gibt, zeigt sich beim Studium von Migrationsphänomenen aber eine Spiegelung originärer soziologischer bzw. sozialwissenschaftlicher Fragestellungen: Es geht um Ursache, Verlauf und Auswirkungen von Modernisierungs- und Urbanisierungsprozessen, um den Strukturwandel von Arbeitsmärkten und die Veränderung von Familienformen und Geschlechterbeziehungen im Gefolge des grundlegenden sozialen Wandels, der sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit zunehmender Geschwindigkeit vollzieht. Ob sich unter dem Stichwort »Globalisierung« ein wissenschaftlicher Paradigmenwechsel durchsetzt, der viele theoretische Ansätze bündelt, kann hier nicht diskutiert werden. Auf jeden Fall bieten sich für die Migrationsforschung die Diskussion und die Weiterentwicklung von »Theorien mittlerer Reichweite« (Robert K. Merton) an, wobei die Erfassung sozialer Daten unter der Leitung bzw. vor dem Hintergrund allgemeiner soziologischer Theoriebildung erfolgt. Zielführend ist eine theoriegeleitete und gleichzeitig pragmatische Ausrichtung der empirischen soziologischen Forschung, also die Verwendung aller Methoden, egal welcher disziplinären Herkunft sie auch seien, die das Verstehen und die Erklärung sozialer Phänomene fördern. Arbeiten, die trotz sichtbarer fachdisziplinärer Herkunft dem interdisziplinären Anspruch genügen, eine Übersicht über die sehr weitverzweigte Literatur geben und dabei eine gewisse Typologisierung sowohl des Migrationsgeschehens als auch 1.2 Migration als interdisziplinärer Forschungsgegenstand 29 der einschlägigen Forschung bieten, sind im deutschsprachigen Raum von A. Treibel (2003 [1990]), J. Blaschke (1997) und P. Han (2005) vorgelegt worden. Überblick über aktuelle Theorien, die in Auseinandersetzung mit konkreten Forschungsprojekten entwickelt wurden, geben R. Cohen mit seinem »Cambridge survey of world migration« (1995), D.S. Massey in vielen Aufsätzen und Kooperationsarbeiten, die allerdings stark auf Amerika bezogen sind (insb. 1994; 2000), sowie der von K. Husa, Ch. Parnreiter und I. Stacher herausgegebene Sammelband zur Internationalen Migration (2000). 1.3 Verhältnis von Theorie und Praxis: Was nutzen Modelle? Gerade weil Migrationsphänomene sehr komplex sind, orientieren sich Wissenschaft und Planungsstellen oft an Modellen, anhand derer unterschiedliche Szenarien dargestellt und die Ergebnisse empirisch überprüft werden. Wandeln sich die realen sozioökonomischen Bedingungen, so werden die Modelle - mitunter stark zeitverzögert - diesen angepasst. Auf manchen Modellen gründen ganze Forschungstraditionen, die sich um zentrale Entwicklungsannahmen wie »Modernisierung« oder - gegenwärtig - »Globalisierung« drehen. Modelle und Modellannahmen in der Soziologie In der quantitativen Sozialforschung werden theoretische Ansätze bzw. deren Aussagen häufig anhand »Komplexität reduzierender« Modelle dargestellt. Diese sind schematisch und auf einem hohen Abstraktionsniveau formuliert, daher relativ wirklichkeitsfern, sie helfen aber im Sinne eines Gedankenexperiments dabei, alternative Beziehungskonstellationen relevanter Variablen zu betrachten, sich also unterschiedliche Prozessverläufe vorzustellen. Fragestellungen und Hypothesen werden aus den theoretischen Modellen abgeleitet, was allerdings nur zielführend ist, wenn das Variablenset hinreichend bekannt ist. Sind die sozialen Kontexte und Perspektiven eines Phänomens neu bzw. nicht alle Bedingungen und Einflüsse bekannt, was in der Migrationsforschung sehr häufig der Fall ist, wird der umgekehrte Weg, die gegenstandsbezogene Theoriebildung, beschritten, wie sie in der qualitativen Sozialforschung üblich ist. Grundsätzlich gelten die gleichen Überlegungen, die bereits weiter oben bei der Unterscheidung von quantitativen und qualitativen Methoden beschrieben wur- 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 30 den. Geht es um die Überprüfung von Modellannahmen, so sind Aussagen auf einem sehr hohen Generalisierungsniveau möglich; je geringer die Reichweite theoretischer Aussagen ist, desto eher werden nur einige Aspekte bestimmter Modelle angesprochen. So gibt es z. B. in allen Migrationsstudien Annahmen über das Modernisierungsniveau des Herkunftslandes von Migranten, auch wenn nur die Familienkonstellationen oder Berufsprofile dieser Personen thematisiert werden. Im Hintergrund spielt dann der - unausgesprochene - Vergleich zwischen unterschiedlichen Modernisierungszuständen oft eine große Rolle. Probleme der Fokussierung auf »moderne« Gesellschaften Lange konzentrierten sich Migrationsstudien auf die (hoch-)industrialisierten Gesellschaften, deren Nationalgrenzen sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts herausgebildet haben: auf die westeuropäischen Staaten unter Einschluss der klassischen Einwanderungsländer USA, Kanada und Australien. Diese Fokussierung hatte zum Teil ganz profane Gründe: Zum einen verfügen diese Gesellschaften über die für Forschung notwendige Infrastruktur wie Statistikbehörden und Forschungseinrichtungen, zum anderen gibt es eine Öffentlichkeit, die an der Erforschung von Migration und ihren Folgen interessiert ist, von Experten und einem gebildeten Publikum über Politik und Verwaltung bis hin zu den Universitäten. Es gibt daher über eine Reihe von Aspekten der aktuellen Migrationen gesichertes Wissen, was jedoch nicht bedeutet, dass das Migrationsgeschehen nun unproblematisch ist oder gar - nach ökonomischer Notwendigkeit und/ oder politischem Willen - völlig gelenkt und kontrolliert werden könnte. Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil wissenschaftliche Erkenntnis nicht direkt in politische Entscheidungen und Verwaltungshandeln umgesetzt wird. Warum dies so ist, kann hier nicht erschöpfend diskutiert werden, doch ist - auch und gerade - in demokratischen Staaten die Wissenschaft nur eine Abteilung im Chor der meinungsbildenden Instanzen. Dazu kommt, dass diese Abteilung selbst vielstimmig ist, es also gar keine einheitliche, wissenschaftlich vertretbare Meinung zu einem bestimmten Migrationsphänomen gibt. Zudem sind - um im Bild zu bleiben - die lautesten Stimmen im Chor diejenigen der zwar sehr populären, aber oft wenig seriösen Massenmedien. Mitunter werden einzelne Geschehnisse im Kontext aktueller Migration zum Anlass für eine übertriebene, teilweise hysterische Züge annehmende »Berichterstattung«, die weder der Politik Zeit für angemessene Reaktionen gibt noch der Wissenschaft Raum für sachkundige Dis- 1.3 Verhältnis von Theorie und Praxis: Was nutzen Modelle? 31 kussion. Damit soll aber nicht die wichtige Rolle der Medien in demokratischen Gesellschaften geschmälert werden, im Gegenteil: Sehr häufig sind es Medienberichte, durch die Politik und Wissenschaft überhaupt erst auf bestimmte Themen aufmerksam gemacht bzw. gezwungen werden, bereits bekannte Phänomene aus einer neuen Perspektive zu betrachten, man denke nur an Reportagen aus Bürgerkriegsgebieten oder über das Schicksal irregulärer Migranten, an Berichte über Menschenrechtsverletzungen in der Abschiebehaft oder über Menschenschmuggel. Die wissenschaftliche Fokussierung auf die industrialisierten Gesellschaften hatte jedoch auch Nachteile. Offensichtlich ist die Asymmetrie, die aus der Selbstbezogenheit der wohlhabenden Staaten resultiert, die die Probleme der Krisenregionen der Welt vor allem in ihrer Auswirkung auf sich wahrnehmen. Damit zusammenhängend galt lange als ausgemacht, dass die Suche nach Arbeit und höheren Löhnen die Menschen zur Wanderung treibt, ob nun die Binnenmobilität oder die grenzüberschreitende, also die internationale Migration betrachtet wurde. Mit Blick auf bereits Zugewanderte mag diese Annahme auch oft zutreffen, doch sie erklärt nicht, weshalb diese riesigen Lohndifferenzen entstehen und auch nicht, warum die Abermillionen Menschen nicht abwandern, die völlig verarmt in den »Ländern des Südens«, wie die Entwicklungs- oder »Dritte-Welt-Länder« heute genannt werden, leben. Oft wird dies mit den Zuwanderungsbeschränkungen begründet, die diese Menschen von der Immigration in die reichen Länder abhielten, doch erklärt dies keineswegs alles: • Erstens sind die wichtigsten Ausreiseländern bei Weitem nicht die ärmsten, d. h. die Emigrationsquote der Türkei oder Marokko ist wesentlich höher als die von Bangladesch oder dem Tschad, die auf dem Wohlstandsindex der Vereinten Nationen letzte Plätze belegen. • Zweitens stimmt dies auch in historischer Hinsicht nur eingeschränkt; so wanderten zwischen 1850 und 1900 ca. dreizehnmal mehr Menschen aus Deutschland als aus Frankreich nach Übersee aus, obwohl die Lohnunterschiede diesem Verhältnis kaum entsprochen haben dürften (Parnreiter 2000: 25). • Drittens gibt es ein ausgeprägtes Bleibeverhalten auch bei Personen, die gar keinen Migrationsbeschränkungen unterliegen; ein aktuelles Beispiel sind Arbeitslose aus Ostdeutschland, die keine freien Stellen in Süddeutschland antreten wollen (vgl. Hunt 2000). • Viertens - als ein Argument aus anderer Perspektive - scheinen Zuwanderungsbarrieren nicht den erwünschten Erfolg zu haben; viele Studien machen plausibel, dass die Zuwanderung, sofern sie einmal begonnen hat, auch bei einer Verschärfung der Kontrollen anhält und die Migranten lediglich in die Illegalität gedrängt werden (Brochmann 1994; Massey 2000: 66-67). 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 32 Armut, Arbeitslosigkeit und geringes Einkommen sind also noch nicht bzw. nicht immer ausreichende Erklärungen für Migrationsentscheidungen, selbst wenn der Alltagsverstand diese Gründe für plausibel hält. In den 1970er und 1980er Jahren begann daher, parallel zur steigenden Komplexität der ökonomischen und politischen Beziehungen zwischen den vergleichsweise armen und reichen Ländern, die Suche nach neuen theoretischen Erklärungen. Der Paradigmenwechsel, dem es auch um Demystifizierung und Korrektur bisheriger Ansätze ging, beinhaltet folgende Punkte (Zolberg 1989: 403 f.): • Historische Sensibilität - es werden eher räumliche und zeitliche Besonderheiten beachtet als allgemeine Gesetze formuliert; • Bevorzugung von makrostrukturellen Ansätzen - es geht nicht um Entscheidungen isolierter Individuen, sondern um die sozialen Kräften als Voraussetzung für individuelles Handeln, um die Dynamik der kapitalistischen Entwicklung und die Rolle des Staates; • Formulierung globaler Ansätze - Nationalstaaten können nicht mehr für sich betrachtet werden, sondern eher als interaktive soziale Einheiten in einem weltweit vernetzten Raum, in dem sich politische und ökonomische Prozesse mehrfach überkreuzen. Zusammenhang von Modernisierung und Migration Weil in den letzten drei Jahrzehnten aus vielen ehemaligen Abwanderungs- Zuwanderungsländer wurden, verbreiterte sich das Spektrum der Migrationsstudien. Insbesondere die Schwellenländer bzw. die newly industrializing countries, die neue Zentren im globalen Migrationsgeschehen bilden, sind dabei ins Blickfeld geraten, Indien beispielsweise oder die asiatischen »Tigerstaaten«, einige Länder in Lateinamerika, die Golfstaaten. Selbst die nicht industrialisierten »Länder des Südens« insbesondere in Afrika, die sehr stark von Arbeitsmigration und Flucht betroffen sind, wurden inzwischen Gegenstand intensiver migrationssoziologischer Forschung. Die Themenpalette hat allerdings deutlich andere Akzente: (Bürger-)Krieg und (Binnen-)Flucht, die Entstehung von Megastädten und, immer wieder, die indirekten Auswirkungen politischer Krisen und ökonomischen Verfalls auf die wohlhabenderen Länder (etwa bezüglich der Asylgesetzgebung, der Debatte um Bleibe- und Duldungsrechte oder um die Akzentuierung von Entwicklungshilfe etc.). Daran hat auch der Paradigmenwechsel in der Migrationsforschung, dem eine Ausdifferenzierung der Methoden folgte, nicht grundsätzlich etwas geändert; doch »qualitative«, ethnologische bzw. kulturanthropologische Arbeitsweisen oder die historisch orientierte oral history ermöglichen auch dort 1.3 Verhältnis von Theorie und Praxis: Was nutzen Modelle? 33 Forschung, wo die gewohnt gute Datenlage in Form von verlässlichen Statistiken, Zensusdaten oder Archiven nicht gegeben ist (vgl. auch Stone 1986). Die besten Methoden und die neuesten Daten nützen nichts, wenn soziologische Forschung nicht über ihre eigenen impliziten Annahmen, Vorstellungen und Hypothesen reflektiert, wobei wissenschaftliche Erkenntnisse und politische Argumente zunächst einmal voneinander getrennt werden müssen. Seit es in den Industriegesellschaften keine Vollbeschäftigung mehr gibt und Migrationsbarrieren verstärkt sowie die Integrationsbedingungen von Zuwanderern problematisiert werden, wird häufig gefordert - und zwar vonseiten der Forschung und auch von Entwicklungs- und Hilfsorganisationen -, es sei zielführender, nicht die Migranten, sondern die Migrationsursachen zu bekämpfen. Ohne derartige Forderungen moralisch zu bewerten oder bestimmte Widersprüche zu betonen (wird in Deutschland doch gleichzeitig die Zuwanderung aus »demographischen Gründen« gefordert und um Zuwanderer mit ganz bestimmten Berufsprofilen geworben), muss auf die zugrunde liegenden Konzepte aufmerksam gemacht werden. So wird suggeriert, es sei bekannt, weshalb Menschen ihre Herkunftsgebiete verlassen, dass diese Ursachen wirkungsvoll behoben und die wenigen übrigen Zuwanderer dann problemlos integriert werden können. All diese unterschwelligen Behauptungen beruhen auf der Rangabstufung von Gesellschaften, auf der Vorstellung, die armen Länder müssten nur entwickelt, also nach dem Muster der westlichen Industrienationen modernisiert werden, damit Migration auslösende Lohndifferenzen verschwinden. Die letzten Jahrzehnte haben allerdings gezeigt, dass die Probleme, die Migration sowohl verursachen als auch aus dieser resultieren, nicht geringer, sondern im Gegenteil noch drängender wurden. Während die Wissenschaft daher - in Teilen wenigstens - den oben erwähnten Paradigmenwechsel einleitete, verharrt die Politik bei ihren alten Ansätzen. Dies läßt sich aus dem Beharrungsvermögens großer Bürokratien erklären, aber auch aus sich widersprechenden Anforderungen an die Politik, die einerseits - so die Forderungen der Wirtschaft - die Zuwanderung von Arbeitskräften erleichtern soll, diese andererseits aber zu verhindern sucht, weil dies breite Bevölkerungsteile verlangen. Im Folgenden werden Modellannahmen gängiger Modernisierungstheorien vorgestellt, die in der Migrationsforschung und -politik eine große Rolle spiel(t)en. Nur wenn sie bewusst und explizit gemacht werden, können sie in der Forschung auch überprüft und unter Umständen modifiziert werden. Modelle zu den Themen Migrationsentscheidungen und Assimilation von Zuwanderern werden an späterer Stelle diskutiert (Kap. 3.2; 4.1). 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 34 Was ist Modernisierung - und kann man sie messen? Klassische Modernisierungstheorien - und damit viele Vorstellungen von Entwicklungspolitik - gehen in Anschluss an T. Parsons (1951) davon aus, dass sich Gesellschaften historisch in die gleiche Richtung entwickeln und dabei, gemäß universaler Merkmale, bestimmte Stufen der Entwicklung aufeinander folgen. In Termini der angewandten Politik übersetzt, geht es um Instrumente und Wege, wie Gesellschaften einer »niedrigeren« Entwicklungsstufe zu »modernen« Gesellschaften werden können, und zwar im Wesentlichen durch die Übernahme und/ oder Fortentwicklung der Institutionen und Werte der westlichen, also bürgerlichen, Industriegesellschaften. In den 1970er Jahren wurden diese Theorien (und entsprechende politische Programme) mit Blick auf die »Dritte Welt«, also auf die nicht industrialisierten Gesellschaften Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, formuliert (vgl. Grimm 1979); in den folgenden Jahrzehnten wurden sie dann angesichts mangelnder Entwicklungserfolge bzw. durch Entwicklung entstandener neuer sozialer und politischer Verwerfungen stark kritisiert (z. B. BIVS 1982). Anfang der 1990er Jahre wurden diese Theorien unter dem Eindruck der politischen »Wende« in der »Zweiten Welt«, also des Endes des Staatssozialismus in Ost(mittel-)europa, neu formuliert (Zapf 1991; 1996). Diese neuen Versionen waren zwar nicht mehr dem naiven Fortschrittsglauben verhaftet wie die frühen Theorien, doch wieder war die Richtung des sozialen Wandels mitgedacht: weg von traditionellen zu modernen Gesellschaftsstrukturen, die mit denen der westlichen Industrienationen identifiziert wurden. Diese Ansätze werden inzwischen ebenfalls fundiert kritisiert (vgl. Offe 1994; Stark/ Bruszt 1998; Kollmorgen 2005), und die bisherige Entwicklungspolitik gilt trotz einiger Teilerfolge als weitgehend gescheitert, doch werden immer neue Anstrengungen versprochen, um die riesigen sozialen Unterschiede - und damit die Migrationsursachen - zu beheben. So verabschiedete die UN-Generalversammlung im Jahr 2000 die »Millenniums-Entwicklungsziele«, von denen eines die Halbierung der weltweiten Armut bis zum Jahr 2015 vorsah; bereits bei der Zwischenbilanz auf dem UNO-Gipfel im September 2005 mussten die Ziele allerdings stark revidiert werden (epo 17.9.2005). Häufig wird nicht offengelegt, was unter »Entwicklung« verstanden wird, wenn man von allgemeinen Zielbestimmungen wie Bekämpfung der Armut oder verbessertem Zugang zu Bildung absieht. Sollen die »Länder des Südens« industrialisiert werden, wo doch in den Industriestaaten bereits die »post-industrielle« Zukunft eingeläutet wurde, also der Ausbau des tertiären Sektors und damit der Wandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft bzw. zur »Informations-« und »Wissensgesellschaft«? Oder sollte, damit nicht wieder ein fundamentaler Entwick- 1.3 Verhältnis von Theorie und Praxis: Was nutzen Modelle? 35 lungsunterschied entstünde, in den noch nicht oder wenig industrialisierten Ländern diese Stufe übersprungen und sofort der Dienstleistungssektor ausgebaut werden? Woher aber sollte eine angemessene Nachfrage nach anspruchsvollen und damit teuren Dienstleistungen kommen, wenn es in den betreffenden Ländern keine nennenswerte Produktion gibt? Wird nicht die Abhängigkeit von den reichen Ländern festgeschrieben, wenn die interne Wertschöpfung nur durch Rohstoffexport oder Tourismus zustande kommt, also eine kontinuierliche und gleichmäßige Entwicklung der Wirtschaftssektoren gar nicht möglich ist? Solche Fragen offenbaren die immer noch existierenden Vorstellungen von einer mehr oder weniger linearen Modernisierung von Gesellschaften, in deren Zuge die traditionellen Elemente allmählich verschwänden. So gelten moderne Gesellschaften oder Regionen als stärker industrialisiert und urbanisiert und ihnen wird ein höherer Grad an Technisierung und an Arbeitsteilung zugesprochen als traditionalen Gesellschaften. Während in diesen die Agrarwirtschaft dominiert, ist es in den modernen Gesellschaften der Güter produzierende und/ oder der Dienstleistungssektor, womit ein höherer Grad an Bildung und an (sozialer und räumlicher) Mobilität assoziiert wird. Die modernen Gesellschaften verfügen über eine Bürokratie, die nach sachlichrationalen Kriterien arbeitet, während in traditionalen Gesellschaften ständischfeudale oder verwandtschaftliche Strukturen in der Verwaltung vorherrschen. Auch die Säkularisierung (der Bedeutungsverlust religiöser Werte), der Rückgang familiärer und sonstiger primärer Bindungen, die Verrechtlichung sozialer Beziehungen und der Konfliktaustragung sowie die geregelte politische Partizipation in Form parlamentarischer Demokratien und die Entstehung eines kapitalistischen Marktes werden als Elemente von Modernisierung genannt. Andere Ansätze vergleichen das Entwicklungsniveau verschiedener Länder und messen Wohlstandsfaktoren wie den monatlichen Durchschnittsverdienst oder den Energieverbrauch bzw. demographische Indikatoren wie die Lebenserwartung oder die Säuglingssterblichkeit. Die Konzeption einer unilinearen, also gleichmäßig in eine Richtung verlaufenden, Entwicklung hin zu »immer mehr« Modernität wird allmählich durch differenziertere Ansätze abgelöst (Wagner 1995), so wie in der (Entwicklungs-)Politik deutlich wird, dass die Verbesserung einzelner Indikatoren, etwa indem die Kindersterblichkeit gesenkt oder die landwirtschaftliche Produktion intensiviert wird, die Gesamtsituation nicht unbedingt günstig beeinflussen muss, sondern - im Gegenteil und schlimmer noch - sogar neue Konflikte hervorrufen kann. Die Senkung der Kindersterblichkeit beispielsweise führt zur Zunahme jugendlicher Bevölkerung, für die weder Ausbildungsnoch Arbeitsplätze zu Verfügung stehen; die Intensivierung der Landwirtschaft führt zu Konkurrenz unter den Bauern und 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 36 zur Auslaugung der Böden. Beide Beispiele zeigen, wie schnell Migrationsdruck erzeugt werden kann und große Bevölkerungsteile zur Abwanderung gezwungen werden, wenn einzelne gesellschaftliche Bereiche »modernisiert« werden, andere aber nicht. So müsste sich im ersten Fall auch das generative Verhalten verändern und die Geburtenrate zurückgehen, im zweiten Fall müssten alternative Arbeitsplätze auf dem Land geschaffen werden, doch der Wandel des generativen Verhaltens oder von Wirtschaftsstrukturen erfolgt niemals so schnell, als dass er die Folgen des - vergleichsweise einfachen und billigen - Einsatzes von Antibiotika oder Kunstdünger auffangen könnte. Obwohl diese Zusammenhänge nicht schwierig zu verstehen sind, waren sie doch über lange Zeit hinweg in der Entwicklungspolitik ausgeblendet. Deren Anfänge fielen in etwa mit der Dekolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen und waren von der Hoffnung getragen, die riesigen sozialen Unterschiede zwischen den armen und den reichen Ländern auszugleichen und allen Menschen moderne - und das waren lange Zeit einfach nur »bessere« - Lebensbedingungen zu bieten. Verdrängt wurde, dass auch in historischer Hinsicht Modernisierung immer mit Migrationen großen Ausmaßes sowie mit Verelendungsprozessen verbunden war, wie zum Beispiel die Industrialisierung Westeuropas und später der USA, die die massive Zuwanderung von Arbeitern zur Voraussetzung hatte und zu unsäglichen Arbeits- und Wohnbedingungen in den frühen Industriestädten führte. Es war daher auch die Migrationsforschung, die zuerst auf die verhängnisvolle Verbindung von Modernisierung und Migration aufmerksam machte (Grevemeyer 1981; Portes/ Walton 1981; BIVS 1982; Blaschke 1983) und vor einem vereinfachenden Modelldenken warnte. Während sich die Modernisierungsprozesse in den oben genannten Dimensionen (von der Urbanisierung bis zur Veränderung des generativen Verhaltens) in Westeuropa über mehrere Jahrhunderte hinzogen, sollte die Modernisierung der »Dritten Welt« schnell und forciert vor sich gehen, was jedoch häufig noch schwerere soziale und politische Verwerfungen nach sich zog als die soeben erwähnten in der Frühphase der europäischen Industrialisierung. Ein Exkurs über Annahmen und Modelle der Modernisierung von Gesellschaften in diesem Rahmen hat seinen Grund in deren zentralen Stellenwert für die Migrationssoziologie. In so gut wie allen Migrationsstudien wird die Spannung zwischen traditionalen und modernen oder zwischen diesen und noch weiter modernisierten Lebensbedingungen direkt oder indirekt thematisiert. Dabei ist vor einer schematischen Anwendung von Indikatoren zur »Messung« von Modernität ebenso zu warnen wie vor der Vorstellung, ein Entwicklungsbzw. Modernisierungsschub würde automatisch grundsätzliche Verbesserungen, »Fortschritt«, mit sich bringen. So wie Modernisierung ungleichmäßig und unausgewogen vonstat- 1.3 Verhältnis von Theorie und Praxis: Was nutzen Modelle? 37 tengeht, können Teilerfolge wieder zunichte gemacht werden bzw. mit anderen Teilerfolgen in Konflikt geraten. Zudem sind soziale Phänomene, die zunächst wie ein »Rückfall« in traditionale gesellschaftliche Verhältnisse gedeutet werden, tatsächlich sehr »modern« im Sinne einer Fortentwicklung bereits modernisierter Zustände - wie etwa neue Formen von Armut und Verelendung oder die (Re-) Orientierung an religiösen Werten oder ethnischen Zuordnungen (Smith 1981; BIVS 1982; Oswald/ Voronkov 1997). 1.4 Migration und Gender Ein weiteres Problem der Migrationsforschung ist, dass sie lange Zeit Geschlechterspezifiken ausblendete, bestenfalls »geschlechtsneutral« betrieben wurde. Es galt als selbstverständlich, dass es vor allem junge Männer sind, die auf Arbeitssuche ihre Heimat verlassen und nach einer gewissen Eingewöhnungszeit, sofern vorhanden, ihre Familie nachkommen lassen. Pionierwanderung war »männlich«, die darauf folgende und abhängige Migration (Familiennachzug) »weiblich«, sodass die Bedingungen für migrierende Frauen gar nicht gesondert beachtet wurden. S. Hahn (2000) resümiert dies lapidar in einem Aufsatztitel: »Wie Frauen in der Migrationsgeschichte verloren gingen« und zeigt, dass die kritiklose Verwendung von Massendaten für diese Schieflage in der Forschung verantwortlich war. Sie verweist dabei auf J. W. Stone, die nach anfänglichen Arbeiten mit herkömmlichen Sozialstatistiken aus dem 19. Jahrhundert über die Gender-Forschung zur fundierten Kritik an den ehemals von ihr verwendeten Daten kam. Diese waren keineswegs objektiv, sondern aus bestimmten politischen Gründen und Absichten heraus zusammengestellt und blendeten ganze Teile der Gesellschaft aus, weil sie nicht in das gerade herrschende Gesamtkonzept passten (Scott 1988). Dies betraf - und betrifft - zum Beispiel den Erwerbsbereich der Prostitution (von Migrantinnen), der de facto existiert(e), aber in der behördlichen Statistik nicht erwähnt wird, unter anderem auch deshalb, weil sich vieles in diesem Bereich im Informellen abspielt und daher weder amtlich noch präzise erfasst werden kann. Ein anderer Punkt ist, dass amtliche Statistiken lange vor allem militärischen Zwecken diente, insbesondere der Erfassung männlicher militärpflichtiger Personen sowie deren Ab- und Zuwanderung (Hahn 2000: 79 f.). Nun ist nicht die ganze Migrationsgeschichte umzuschreiben, denn natürlich gibt es den Typ der vorwiegend männlichen Arbeits- oder Pioniermigration. Doch seit den 1980er Jahren weiß man auch, dass Frauen, bei steigender Tendenz, ungefähr genauso häufig wandern wie Männer und dass sie bei einigen Migrationen 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 38 sogar schon längere Zeit die Mehrheit stellen und dies durchaus nicht als Mit- und Nachwandernde. So referiert P. Han, der eine ausführliche Darstellung der Migration von Frauen vorgelegt hat, Berichte, denen zufolge von 1930 bis in die jüngste Gegenwart fast durchgehend mehr Frauen als Männer pro Jahr in die USA einwanderten (Han 2003: 2; 63). Und bereits Mitte der 1970er Jahre war bekannt, dass die Arbeitsimmigration aus der Türkei sehr stark von Frauen geprägt war: Damals waren 44 Prozent der türkischen Ehefrauen ohne ihren Ehemann in die Bundesrepublik eingereist (Akpınar u. a. 1977: 25-26); das Phänomen des frauen- und kinderdominierten Familiennachzugs oder gar der organisierten Heiratsmigration findet erst später, nach dem Anwerbestopp, statt. Ob eher Frauen oder Männer migrieren bzw. von ihren Familien oder einer Gesellschaft entsendet werden, um im Ausland Geld zu verdienen und die Zurückgebliebenen zu unterstützen, hängt von den jeweiligen Kontexten ab, von den Wanderungstraditionen des Landes, von internationalen Verträgen, Gesetzen und so weiter. Insgesamt, und da ist sich die zeitgenössische Migrationssoziologie einig, nimmt sowohl die abhängige als auch die unabhängige Migration von Frauen zu. In gleicher Weise steigt ihr Anteil an Flüchtlingen und an den Personen, die Objekte des organisierten Menschenhandels sind und mithin Opfer von Zwangsverhältnissen wie sklavenähnlicher Arbeit oder sexueller Ausbeutung. Dafür wurde der Begriff »Feminisierung der Migration« geprägt, der jedoch zunächst den quantitativen Aspekt hervorhebt. Der zahlenmäßige Überhang an Frauen ist jedoch eine Folge qualitativer Veränderungen in Gesellschaft und Familie, die mit gendersensiblen Ansätzen aufzudecken sind. Diese befassen sich wie Gender-Studien generell mit dem Wandel der Geschlechterverhältnisse, sei es in der Familie, am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit. Rein quantitative Größen werden damit auf die jeweiligen sozioökonomischen Strukturen sowie die historischen und kulturellen Kontexte rückbezogen. Folgende Aspekte und Fragestellungen sind dabei im Laufe der 1980er und 1990er Jahre für eine genderbewusste Migrationssoziologie zentral geworden (vgl. Parnreiter 2000: 41-43). • In jeder Gesellschaft gibt es geschlechtsspezifische Asymmetrien hinsichtlich der Arbeitsteilung, der Zuständig- und Verantwortlichkeiten, die direkt (z. B. Entsendung) oder indirekt (z. B. Verdrängung) auf Migrationsentscheidungen einwirken (Bilsborrow/ Zlotnik 1992). So migrieren aus ländlichen Gebieten oft vor allem diejenigen Personen, die für die Aufrechterhaltung der Haushaltsführung am ehesten entbehrlich sind. In vielen afrikanischen Ländern, in denen die Subsistenz sichernde Arbeit in der Landwirtschaft von Frauen erledigt wird, sind dies vor allem Männer (Han 2003: 54); in Lateinamerika ist diese Arbeit Männersache, sodass Frauen entsendet werden (Brochmann 1990; Chant/ Radcliffe 1992: 4 ff.). 1.4 Migration und Gender 39 • Die sozialen Kontakte von Migrantinnen sind in den Ziel- und Transitländern durch große Machtungleichheiten gekennzeichnet, sodass sie der Gefahr mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt sind: als Frau, als Migrantin, als Angehörige einer anderen Ethnie und einer anderen Klasse. Die Kategorien »Gender«, »Rasse/ Ethnie« und »Klasse« kumulieren und überschneiden sich in ihrer sozialen Wirkung, was ein breites Spektrum an diskriminierenden Beziehungsformen ergibt (Morokvasic 1984). • Im Zuge der Modernisierung von Gesellschaften - Industrialisierung, internationale Verflechtung - findet sich für Frauen immer mehr Arbeit außerhalb ihrer Subsistenzhaushalte. Gleichzeitig vermindert sich aufgrund von Rationalisierung und der Verlegung von Produktionsstätten an kostengünstigere Orte das Angebot an Arbeit, was oft einen Prozess der Verdrängung zugunsten der Nachfrage nach marginalisierter, vor allem gewanderter Arbeit auslöst, an dessen Ende Migrantinnen stehen. Die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen (schlecht entlohnte und sozial ungesicherte Teilzeitbeschäftigungen, Haushaltsarbeit und persönliche Dienstleistungen im informellen Bereich, gesundheitsgefährdende Industriearbeit) betrifft nicht nur, aber sehr stark Frauen und von diesen wiederum insbesondere Migrantinnen (Phizacklea 1983; Sassen-Koob 1984; Enloe 1990; Sassen 1991; Rudolph/ Morokvasic 1993; Anderson 2006). • Arbeitsmigration kann für Frauen emanzipative Effekte haben, wenn sich mit eigenem Lohneinkommen der soziale Status und damit die Unabhängigkeit erhöht. Mitunter ist aber auch das Gegenteil der Fall: die Verstärkung traditioneller Rollenbilder in fremden Gesellschaften, die Gefahr der Ausbeutung aufgrund mangelnden Schutzes und der Gewöhnung an eine subalterne Position, fehlende Entscheidungsfreiheit im Familienverband - all dies sind Aspekte, die unterstreichen, dass Migration »is not an open door to emancipation« (Morokvasic 1983: 28; vgl. auch Tjurjukanova/ Malysheva 2001). Inzwischen ist die »Unsichtbarkeit« von Frauen in Migrationsstudien (Buijs 1993: 1) überwunden, was zu einem nicht unerheblichen Teil aus einem Perspektivenwechsel bezüglich der zu verwendenden Quellen resultiert. Zwar ist man sich einigermaßen einig darüber, dass in den industrialisierten Gesellschaften mit einer langen Tradition der zentralen behördlichen Datenerfassung die Grundstrukturen historischer Migrationsbewegungen einigermaßen deutlich sind, doch detailgerecht werden die Statistiken erst mit der Einführung von Volkszählungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aber auch dann wird die für die westliche Kultur typische Geschlechterkodierung von stark/ schwach und öffentlich/ privat unreflektiert angewendet, wodurch die bis in die 1970er Jahre selbstverständlichen Klischees von den männlichen Pionierwanderern und den eher immobilen, durch Heim und Kinder gebundenen Frauen zustande kamen. 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 40 So vertrat der erste Migrationstheoretiker, der britische Demograph E.G. Ravenstein, bereits Ende des 19. Jahrhunderts die These, dass Frauen zwar quantitativ häufiger wanderten, aber dabei vorwiegend auf den Nahbereich beschränkt blieben, während Männer vor allem Fernwanderer seien (Ravenstein 1972 [1885; 1889]: 48 ff.). Da Ravensteins »Migrationsgesetze« (vgl. Kap. 3.1) Vorbild für mehrere Generationen von Erklärungsmodellen waren, nimmt es kein Wunder, dass diese Thesen über Jahrzehnte fortgeschrieben wurden. Doch immerhin hatte Ravenstein auf die Migrationskontexte von Frauen hingewiesen, wie dies auch bei einem der Begründer der deutschen Soziologie, F. Tönnies, der Fall war (vgl. Hahn 2000: 83 ff.). Prototypen geschlechtsspezifischer Wanderungsformen waren für ihn die weibliche Dienstboten- und die männliche Karriere-Wanderung (Handwerk, Universitäten), wobei er auf die zunehmende Einbeziehung der Frauen in die kapitalistische Produktion und die damit einhergehende Rollenveränderung durchaus hinwies. In der Nachkriegssoziologie scheint sich diese frühe Aufmerksamkeit für die Migration von Frauen verloren zu haben (Hahn 2000: 85 ff.), was sich erst mit der Durchsetzung der Gender-Forschung ändern sollte. Das (soziale) Geschlecht als Analysekategorie wurde zu einem zentralen Untersuchungskriterium, zunächst im Kontext der US-amerikanischen Immigrationsforschung (Bodnar 1985; Yans- McLaughlin 1990), dann in Hinwendung zu einer »Geschichte von unten« (Lamphere 1987; Meyerovitz 1988). Damit gerieten Migrationsaspekte wie soziale Netze, alltägliche und familiale Lebensführung oder ethnische Gemeinden in den Blick, die sich von einer makrohistorischen oder -soziologischen Ebene aus nicht erschließen. Auf der sozialen Mikro-Ebene werden unter anderem der Wandel sozialer Beziehungen, der Identitätsbildung und die Bedeutungsveränderung von Zuordnungskategorien wie Rasse, Klasse oder Gender thematisiert. Entsprechende Studien wurden vielfach mit den Instrumenten qualitativer Sozialforschung bzw. mit ethnologischen/ anthropologischen Methoden und in einem interdisziplinären Rahmen erstellt (Gabaccia 1992; auch Ackermann 1997). In Deutschland setzte sich Ende der 1980er Jahre die einschlägige Forschung mit Studien zur internationalen Arbeitsteilung und zur Restrukturierung der Weltwirtschaft (Potts 1988; Morokvasic/ Rudolph 1994) durch. In den 1990er Jahren folgte schließlich ein tief greifender Perspektivenwechsel in der deutschen (und europäischen) Migrationsforschung, sodass heute eine Reihe grundlegender Studien zu Gender-Aspekten in Migrationsprozessen vorliegt: Andall 2003; Apitzsch 2003; Bos-Nünning/ Karakas ¸og˘lu 2005; Gieseke/ Kuhs 1999; Schöttes/ Treibel 1997; Schwenken 2003; United Nations 2005; Yuval-Davis 1997). Heute kann seriöse Migrationsforschung nicht mehr »kompensatorisch« vorgehen, indem sie ursprünglich auf männliche Migration bezogene Studien durch 1.4 Migration und Gender 41 einen weiblichen Anteil ergänzt; alle Rahmenbedingungen von Migration - seien es ökonomische oder politische, soziale oder rechtliche - bewirken grundlegende geschlechtsspezifische Differenzen und damit für Männer und Frauen unterschiedliche Erfahrungen und Konsequenzen. Trotz des neuen politischen wie wissenschaftlichen Interesses am Thema und der damit zusammenhängenden Zunahme an Regulierungsversuchen scheinen sich die Handlungschancen von Frauen in den letzten zwei Jahrzehnten im Kontext der Restrukturierung der Weltwirtschaft und der Abschottungspolitik der reichen Industriestaaten zu verschlechtern. Dies kann sowohl Ursache als auch Folge von Migration sein. 1.5 Fragen und Literaturempfehlungen • Wie lassen sich das Konzept der »Versetzung des Lebensmittelpunkts«, seine einzelnen Bereiche und konstitutiven Elemente beschreiben? • Wofür eignen sich quantitative und wofür qualitative Methoden der Sozialforschung, um konkrete Migrationsphänomene zu beschreiben und zu erklären? • Welche Probleme ergeben sich für Migration aus den gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen? Bade, Klaus (1993): Einwanderung und Eingliederung in Deutschland: Entwicklungslinien und Probleme. In: Bade, Klaus J./ Troen, S. Ilan (Hrsg.): Zuwanderung und Eingliederung von Deutschen und Juden aus der früheren Sowjetunion in Deutschland und Israel. Bonn, S. 18-25 Hahn, Sylvia (2000): Wie Frauen in der Migrationsgeschichte verloren gingen. In: Husa, Karl/ Parnreiter, Christof/ Stacher, Irene (Hrsg.): Internationale Migration. Die globale Herausforderung des 21. Jahrhunderts? Frankfurt/ Main, S. 77-96 Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim (1994): Migrationssoziologie. In: Kerber, Harald/ Schmieder, Arnold (Hrsg.): Spezielle Soziologien. Reinbek, S. 388-406 1. Soziologische Aspekte der Migrationsforschung 42 2. Historischer Abriss Verstädterung und Industrialisierung/ Wanderungen innerhalb Europas/ Transatlantische Migration/ Nationalstaatsbildung und Erster Weltkrieg/ Der Zweite Weltkrieg und die Folgen/ Fazit Migration, liest man häufig, habe es »schon immer« gegeben. Eine derart allgemeine Feststellung ist jedoch unzureichend, denn kein Migrationsphänomen ist zu verstehen ohne die Berücksichtigung der spezifischen historischen Kontexte und Modernisierungsverläufe in den jeweiligen Regionen; dazu gehören insbesondere die Siedlungsgeschichte (Ansiedlung, Urbanisierung, Industrialisierung) und der Wandel der Herrschaftsverhältnisse (mit den entsprechenden Grenzziehungen). Sehr frühe Wanderungen können oft nur schwer mit den heutigen verglichen werden, da damals weder vergleichbare Statistiken existierten noch dieselben Begriffe für ihre Beschreibung verwendet wurden (vgl. Kleinschmidt 2002: 211 ff.). Schwerpunkte dieses Abrisses sind die Entstehungsgeschichte der klassischen Einwanderungsländer sowie der Zusammenhang von Industrialisierung, (De-)Kolonisierung und der beiden Weltkriege mit zeitgenössischen Migrationsbewegungen. 2.1 Verstädterung und Industrialisierung Städte wachsen in der Regel durch den Zuzug ländlicher Bevölkerung bzw. die Abwanderung »überschüssiger« Bevölkerung vom Lande, was sowohl für die Städte der Antike wie für die Städte des europäischen Mittelalters zutraf, die sehr stark die heutigen Vorstellungen von städtischer Entwicklung prägen. Zum einen gilt dies mit Blick auf die politische Entwicklung, weil mit dem städtischen Bürgertum, das im Gegensatz zur leibeigenen Bauernbevölkerung frei war, die Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung beginnt, zum anderen in sozialräumlicher Hinsicht, weil Stadt und Land klare, von einer Stadtmauer befestigte und symbolisierte, Gegensätze bildeten. Zeitgenössische Stadtentwicklung weist dagegen folgende Merkmale auf: • In Europa mit seinen gut ausgebauten Verkehrswegen und seiner dichten Infrastruktur hat sich der ehemals krasse räumliche Gegensatz zwischen Stadt und Land verwischt; seit den 1960er Jahren spricht man von einem »Stadt-Land- Kontinuum«, also einem allmählichen Übergehen von ländlichen in städtische 43 Besiedlungen, das die Siedlungsstruktur der westlichen Industriegesellschaften und damit auch Deutschlands prägt (vgl.: Pahl 1968). Die Stadtmauer begrenzt heute als musealer Rest vielleicht noch eine unter Denkmalschutz stehende Altstadt, doch die städtischen Außengrenzen als solche sind oft kaum mehr erkennbar und/ oder verschieben sich ständig weiter ins Umland. • Der räumlichen Entgrenzung entspricht die Zurückdrängung der politischen Sonderstellung der Städte. Die weitgehenden Autonomierechte der mittelalterlichen Städte wurden im Zuge der Nationalstaatsbildung immer mehr eingeschränkt. In Deutschland haben seit der Reichsgründung 1871 die vom Staat erlassenen Gesetze meist Vorrang vor regionalen Regelungen. Das dem früheren Autonomiegedanken entstammende Föderalismusprinzip und die den Kommunen zugestandene Selbstverwaltung schaffen Ausnahmen auch hinsichtlich der Aufnahme und Behandlung von Zuwanderern, doch der Spielraum für eine eigenständige und der jeweiligen Stadt angemessene Integrationspolitik scheint ungenügend (vgl. Häußermann/ Oswald 1997). • Das ehemals klar umrissene politische Subjekt »Stadt« ist zu einem Gebilde innerhalb von Nationalstaaten geworden, dessen Kompetenzen immer wieder ausgehandelt werden müssen. Stadtrandsiedlungen, Vororte und Eingemeindungen kleinerer Nachbarorte vergrößern die Städte, diese wachsen mit anderen Großstädten zu riesigen Agglomerationsräumen zusammen, zu zusammenhängenden dicht besiedelten Gebieten um eine oder mehrere Städte. Hier stößt die Steuerbarkeit städtischer Entwicklung oft an ihre Grenzen: sozioökonomische und/ oder ethnische Segregation, also die Entmischung und getrennte Ansiedlung der Bevölkerung nach Einkommen oder ethnischer Zugehörigkeit in unterschiedlichen Stadtbezirken, und damit die Marginalisierung beträchtlicher Teile vor allem der Zuwandererbevölkerung bilden ein zunehmendes Konfliktpotential (Dubet/ Lapeyronnie 1994; Heitmeyer u. a. 1998). • Die größten Verdichtungsgebiete und damit die drängendsten Probleme der Verstädterung findet man heute aber nicht in Europa, sondern in den »Ländern des Südens« sowie in den sogenannten Schwellenländern. In den dortigen Agglomerationsräumen und/ oder Megastädten mit Einwohnerzahlen jenseits der Fünf- oder Zehnmillionengrenze haben sich andere Entwicklungslinien durchgesetzt, von denen weiter unten (Kap. 5.5) ausführlich die Rede sein wird. Die »Quelle« der Urbanisierung ist, wie bereits gesagt, die Landbevölkerung (vgl. Beetz 2005). Die in der Regel hohen Geburtenraten und der durch die technische Entwicklung ermöglichte Anstieg der Produktivität in der Landwirtschaft bedingen ein Missverhältnis zwischen der zu ernährenden Bevölkerung und den zu Verfügung stehenden Erwerbsmöglichkeiten. Dies gilt, nur zeitlich verschoben, in fast allen Ländern der Erde (Gächter 2000). Die Land-Stadt-Migration ist aber kein gleich- 2. Historischer Abriss 44 mäßiger Strom, in Kriegszeiten und während anderer sozioökonomischer Krisen kann es sogar zu einer zeitweiligen Umkehrung der Wanderungsrichtung kommen. Ein starker Impuls für die Abwanderung vom Land ist immer die Industrialisierung. Es werden in großem Umfang Erwerbsmöglichkeiten geschaffen für eine Bevölkerung, die bisher in einer Subsistenz- und Tauschwirtschaft lebte, also vorwiegend für den Eigenbedarf Landwirtschaft betrieb und kaum über Geld verfügte. Die europäische Industrialisierung begann im 18. Jahrhundert zuerst in England, einige Jahrzehnte später folgten andere Länder, unter ihnen Deutschland. Sie löste gewaltige wirtschaftliche und soziale Veränderungen aus und war von einer massenhaften Abwanderung, einer regelrechten »Landflucht«, aus den bevölkerungsreichen ländlichen Regionen begleitet, wurde andererseits dadurch erst möglich. Die alten Handels- und Residenzstädte verloren an Bedeutung gegenüber den neuen Industriestandorten, die mitunter zu riesigen Agglomerationen zusammenwuchsen und immer mehr Zuwanderer aus inländischen und zunehmend aus ländlichen Regionen jenseits der Grenzen anzogen. Derartige Stadtregionen bzw. verstädterten Gebiete bildeten sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts in den USA mit der Besiedlung großer »ungenutzter« Flächen. In Europa entstanden sie durch das Wachstum der Hauptstädte der frühen Nationalstaaten - wie London und Paris - sowie im Zuge des Zusammenwachsens von Industrieanlagen und Wohngebieten wie z. B. im Ruhrgebiet. Der Verstädterungsprozess lässt sich statistisch am besten an der Größenentwicklung der Gemeinden ablesen, auch wenn die Statistiken für Deutschland aufgrund der Gemeindegebietsreform der 1960er und 1970er Jahre verzerrt sind; damals wurden Verwaltungseinheiten aus Effizienzgründen zusammengelegt, so dass die Zahl der Gemeinden zurückging. Gesamtdeutsche Wanderungsdaten liegen erst ab den 1990er Jahren vor (s. Tab. 1). Tab. 1: Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland nach Gemeindegrößenklassen (in Mio.) Gemeinden/ EW 1871 1900 1910 1925 1933 1939 2000 >100.000 2,0 8,7 13,3 16,8 19,9 21,9 25,2 20.000-100.000 2,7 6,6 8,1 8,7 8,6 9,5 21,7 5000-20.000 4,2 6,8 8,0 8,4 8,8 9,6 20,7* 2000-5000 4,6 6,2 6,6 6,9 7,1 7,5 7,9 <2000 22,7 22,2 22,4 22,4 21,6 20,9 6,1* Deutschland ges. 36,2 50,5 58,4 63,2 66,0 69,4 81,6 * Verschiebungen in den Anteilswerten sind vor allem durch die Kommunal- und Gebietsreform bedingt. Aus: Beetz 2005: 169 2.1 Verstädterung und Industrialisierung 45 In den westlichen Industriegesellschaften ist die Abwanderung vom Land noch nicht abgeschlossen, doch lässt sich nur noch selten von Landflucht sprechen. In Deutschland setzte die Verstädterung relativ spät, dann aber massiv ein; lebten zu Beginn der sogenannten Gründerjahre nach der Reichsgründung 1871 noch ca. zwei Drittel der Bevölkerung auf dem Lande, waren es 1910 nur noch 40 Prozent. Die Bevölkerung war in diesen Jahrzehnten extrem mobil, denn fast die Hälfte der Deutschen verließ damals vorübergehend oder auf Dauer ihren Geburtsort (Häußermann/ Siebel 2004: 21 f.). Verbreitet waren Arbeitswanderung und Wanderhandel, die eine zunächst noch ortsfeste, aber unzureichende Erwerbsgrundlage ergänzten, bis die endgültige Abwanderung stattfand. Die sozialen Bindungen zwischen Familien- und Gruppenmitgliedern hielten die dadurch entstehenden Migrationsketten auch über weite Entfernungen und mitunter über Generationen hinweg stabil (Bade 2000: 20). In England und Wales, wo die Industrialisierung früh einsetzte, lebten 1801 bei einer Bevölkerung von knapp neun Millionen weniger als zehn Prozent in Städten über 100.000 Einwohner; 1911, also nur ein Jahrhundert später, waren es bereits 37 Prozent einer enorm angewachsenen Gesamtbevölkerungszahl. Etwa zur gleichen Zeit gab es auch in Preußen bereits 33 solcher Großstädte, in denen 22,5 Prozent der preußischen Bevölkerung lebten (Bade 2000: 70/ 71). Heute leben in Deutschland ungefähr 30 Prozent der Bevölkerung in Großstädten, ein Anteil, der sich seit der Hochperiode der Verstädterung nicht dramatisch erhöht hat. Nur geringfügig geringer ist der Bevölkerungsanteil in ländlichen Kreisen, sodass ungefähr 40 Prozent auf suburbane Siedlungsgebilde entfallen, die als Ergebnis der Ansiedlung in Vorstädten und Stadtrandsiedlungen im Umland der Großstädte entstehen. Im soziologischen Sinne sind diese Orte weder Stadt noch Land, denn sie sind weder agrarisch geprägt, noch zeigen sie die hohe Dichte und funktionale Differenzierung großer Städte. In westlichen Gesellschaften wachsen diese suburbanen Gebiete hinsichtlich Bevölkerung und Beschäftigung schneller als Großstädte, womit sich die Siedlungsstrukturen und damit auch die Binnenmigrationen stark von denen in weniger entwickelten Ländern unterscheiden (vgl. Kap. 5.5). Suburbanes Leben in Westeuropa und Nordamerika verbindet einen städtischen Lebensstil mit dem »Wohnen im Grünen«, sodass die »zirkuläre Mobilität« des erwerbs- und freizeitorientierten Pendelns heute weitaus häufiger ist als die einmalige Migration vom Land in die Stadt, die in der Verstädterungsphase überwog und bis heute in strukturschwachen Ländern sehr verbreitet ist (Beetz 2005: 170). 2. Historischer Abriss 46 2.2 Wanderungen innerhalb Europas Die Geschichte der europäischen Kontinentalwanderungen kann hier nur angerissen werden, denn überall in Europa gab es in der Frühen Neuzeit bedeutende Migrationsbewegungen (anschaulich: DHM 2005). Die Ständegesellschaften waren längst nicht so immobil, wie oft angenommen, weil jede politische Einheit, jede Handwerks- und Kaufmannsinnung strikte Ein- und Ausschlusskriterien bestimmte und die heutige Religionsfreiheit noch nicht gegeben war, sodass beträchtliche Bevölkerungsgruppen zur Wanderung ermutigt oder genötigt wurden. Deutsche Länder und Städte waren immer sowohl Ausgangsals auch Zielpunkt dieser Wanderungen. Grob klassifiziert handelte es sich um Siedlungswanderung, Glaubensflucht und Erwerbsmigration, die im Folgenden kurz geschildert und anhand eines Beispiels illustriert werden. Siedlungswanderung Die Siedlungswanderung diente der Besiedlung und Urbarmachung noch nicht kultivierter Landstriche, wie beispielsweise die »Peuplierung«, also die Besiedlung bevölkerungsarmer Gebiete, in Preußen im 18. Jahrhundert oder die »Ostsiedlungsbewegung« aus westeuropäischen, insbesondere (später) deutschen Gebieten, die sich mit Unterbrechungen vom 5. bis zum 19. Jahrhundert hinzog. Letztere war eine Mischung aus kolonisierender Siedlungsgründung, Kanalisierung des Bevölkerungsdrucks und Kreuzrittertum (»Deutscher Orden«), die zur Ansiedlung großer »deutschstämmiger« Minderheiten in Ost(mittel)- und Südosteuropa führte, etwa der »Siebenbürger Sachsen« und der »Banater Schwaben« in Regionen, die einst zu Ungarn oder Österreich, heute zu Rumänien gehören. Im 18. und 19. Jahrhundert, zunächst auf Einladung der Zarin Katharina II, später des Zaren Alexander I. siedelten sich Hunderttausende deutsche Kolonisten in Russland und der Ukraine an, etwa die sogenannten Wolgadeutschen. Glaubensflucht Äußerst bewegt war die Zeit von der Mitte des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, als Glaubensgegensätze und religiös interpretierte Machtkämpfe große Bevölkerungsgruppen zur Abwanderung zwangen. So erließ 1731 der katholische Erzbischof von Salzburg ein »Emigrationsedikt«, mit dem 20.000 Protestanten vertrieben wurden; sie wurden auf Einladung des damaligen Königs von Preu- 2.2 Wanderungen innerhalb Europas 47 ßen, Friedrich Wilhelm I., in dem von der Pest entvölkerten Ostpreußen angesiedelt. Weithin bekannt ist die Geschichte der französischen Protestanten, der sogenannten Hugenotten. 1598 hatte ihnen der französische König im »Edikt von Nantes« Religionsfreiheit zugesichert. Als diese 1685 aufgehoben wurde, flohen Hundertausende von ihnen u. a. in die Niederlande, nach Großbritannien und in deutsche Länder (v. a. nach Brandenburg, aber auch nach Hessen; vgl. Gresch 2005). Neben konfessioneller Nähe oder zumindest Toleranz waren es wirtschaftliche Gründe, die dazu beitrugen, dass Letztere die Flüchtlinge aufnahmen. Denn die Hugenotten waren gut ausgebildet und besaßen wertvolle handwerkliche und technische Kenntnisse. Man erhoffte sich daher Innovationstransfers und einen Zuwachs der Steuern zahlenden Erwerbsbevölkerung. Zu Beginn kam es zu Konflikten zwischen der ansässiges Bevölkerung und den mit Sonderrechten ausgestatteten Zuwanderern; zudem siedelten sich die Hugenotten in Kolonien um ihre Kirchengemeinden herum an, sodass es mehrere Generationen dauerte, bis sich die Flüchtlinge in die deutsche Gesellschaft integriert hatten. Besonders erfolgreich verlief ihre Eingliederung in Brandenburg-Preußen nach der Aufhebung ihres Sonderstatus in Gerichtsbarkeit und Verwaltung und weil Französisch zur damaligen Zeit Verkehrs- und Prestigesprache der Oberschicht war. Die Flüchtlinge waren nicht nur als Unternehmer, sondern auch als Hauslehrer und Gouvernanten beliebt. Ein besonderes Kapitel ist die Geschichte der jüdischen Diaspora, die bereits fast 2000 Jahre währt, Niederlassungen in der ganzen Welt kennt und aus einer Abfolge von zum Teil privilegierter Ansiedlung und Vertreibung, gar Vernichtung besteht. In Europa erlebte die jüdische Kultur zwischen 800 und 1500 eine Blütezeit in Spanien, sowohl unter arabischer als auch unter spanischer Herrschaft, bis die katholische Kirche 1492 die Vertreibung der Juden durchsetzte, die dann Aufnahme in Italien, Nordafrika und in türkischen Städten fanden. In deutschen Ländern siedelten Juden seit dem frühen Mittelalter, wurden später aber in großen Teilen nach Osteuropa abgedrängt, ab 1794 nach Russland in die sogenannten »Ansiedlungsrayons«. Nur ein Jahrhundert später begann in der Folge von Pogromen aber wieder die Abwanderung, diesmal über den Transitweg Westeuropa/ Deutschland nach Amerika. Bis zum Ersten Weltkrieg wanderten mehr als drei Millionen Personen ab (vgl. auch Haumann 1990: 92 ff.). Zu diesem Zeitpunkt war der Antisemitismus bereits ein politisches Kampfmittel geworden, weshalb unter anderem die zionistische Bewegung entstand und seit 1917 die organisierte Zuwanderung nach Palästina. 2. Historischer Abriss 48 Erwerbsmigration Auch die Erwerbsmigration hat in Europa und Deutschland eine lange Geschichte. Betroffen waren Architekten und Handwerksgesellen, die erst nach einer Wanderung, die der weiteren Ausbildung diente, in die Zunft aufgenommen wurden. Es gab aber auch zunftlose Wanderhändler, Söldner und Seeleute sowie »fahrendes Gewerbe«, Vaganten, »Zigeuner« und Musikanten, Bettler und Prostituierte, die sozial ausgegrenzt waren, als ehrlos galten und zu einer Wanderexistenz gezwungen wurden. Zu Beginn der Industrialisierung stabilisierten sich einzelne Wanderungspfade und entwickelten sich zu ausgedehnten Migrationssystemen. Dies bedeutet, dass Regionen durch Migration dauerhaft miteinander verbunden sind, wobei die Vernetzung sowohl durch Familienbindungen als auch durch staatliche Interventionen, beispielsweise offizielle Anwerbungen und Ansiedlungen, zustande kommen kann. Inzwischen war die Arbeitswanderung in die wachsenden Städte und die neuen Industriezentren für diejenigen, die sich nicht mehr von der Landwirtschaft ernähren konnten, zur Notwendigkeit und Normalität geworden. Dabei zeigte sich ein heute bekanntes Migrationsmuster, denn einerseits waren die Migranten als Arbeitskräfte willkommen, andererseits wurden sie von den Sesshaften und der Obrigkeit in den Transit- und Zielregionen mit Misstrauen bedacht. Armut galt nicht mehr wie im Mittelalter als gottgegeben, sondern als selbst verschuldet, und die Wanderung durch die deutsche Kleinstaatenlandschaft - der 1815 gegründete Deutsche Bund bestand aus 41 souveränen Staaten und Städten! - war nur mit Reisepässen, Arbeitsbüchern und Passierscheinen möglich. Oft vielversprechender, auch weil die neuen Industrien noch gar nicht so viele Arbeiter aufnehmen konnten, war daher die Auswanderung nach Amerika, worüber weiter unten die Rede sein wird. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 entfielen die Binnengrenzen und die Bewohner der Bundesstaaten waren für einander nicht mehr »Ausländer«. Es begann die Phase der Hochindustrialisierung, die ein völlig neues Problem mit sich brachte: »Arbeiternot« in den industriellen Zentren und »Leutenot« in der Landwirtschaft, in der die Menschen noch kurz zuvor kein Auskommen mehr gefunden und deshalb hatten abwandern müssen. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurde aus dem Deutschland der Massenauswanderung ein Land der Massenzuwanderung (Bade 1993: 311). So wurden zum Beispiel Arbeiter aus den Niederlanden in der Textilindustrie und im Tiefbau beschäftigt, 4.000 von ihnen allein beim Bau des Dortmund-Ems-Kanals 1893-1899 (DHM 2005: 11). Auf Baustellen, in Ziegeleien und Industrieanlagen in Süddeutschland fanden vor allem Italiener Arbeit. 2.2 Wanderungen innerhalb Europas 49 In der Hauptsache bewegte sich die damalige Arbeitsmigration aber von Ost nach West, vom Land in die Städte, wobei sich abermals ein heute bekanntes Muster zeigte, nämlich eine sich einander etappenweise ersetzende Ost-West-Migration: Landarbeiter aus den preußischen Ostprovinzen, die »Sachsengänger«, wanderten in die industrialisierten Regionen im Westen und wurden ihrerseits von polnischen Saisonarbeitern aus Russland und Österreich-Ungarn ersetzt. Ein gutes Beispiel ist die Besiedlung des Ruhrgebiets. Steinkohleabbau sowie Eisen- und Stahlindustrie bestimmten den Bezirk mit den Städten Bottrop, Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen - um nur einige von ihnen zu nennen. In rund vier Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg wurden im preußischen Osten Hunderttausende von Arbeitern mit ihren Familien gezielt angeworben. Auch wenn diese nicht nur Polen waren und als preußische Staatsbürger nicht als Ausländer galten, so wurden sie doch alle als »Ruhrpolen« bezeichnet und häufig als »Fremde« diskriminiert. Die Folge war, dass sich unter den sich selbst als Polen verstehenden Zuwanderern ein sehr enges Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte; es kam zur Gründung zahlloser Vereine und einer eigenen Gewerkschaft, von politischen und kirchlichen Gremien. Als 1918 der polnische Staat wieder hergestellt wurde, kehrte ca. ein Drittel von ihnen nach Polen zurück, ein weiteres Drittel wanderte in die nordfranzösischen Kohlenreviere ab und ungefähr 150.000 blieben dauerhaft im Ruhrgebiet und gingen in der dortigen Bevölkerung auf (vgl. Kleßmann 1993). 2.3 Transatlantische Migration Die umfangreichste Interkontinentalwanderung der Geschichte stellt die Besiedlung Nordamerikas bzw. der USA dar, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts begann und bis heute anhält. Sie steht im Kontext der europäischen, insbesondere britischen Kolonisierung, doch aufgrund der frühen Ablösung von den Mutterländern sowie der starken Dezimierung und Verdrängung der indianischen Urbevölkerung haben die beiden großen Territorialstaaten USA und Kanada eine andere Entwicklung genommen als die später kolonisierten und vor allem viel später dekolonisierten Gebiete in Asien und Afrika. Einwanderung in die USA Die Einwanderung nach Nordamerika bzw. in die USA hatte fast immer Massencharakter: Man schätzt, dass in den vier Jahrhunderten seit der Besiedlung von 2. Historischer Abriss 50 Jamestown (1607) ca. 45 Millionen Zuwanderer kamen, von denen die Mehrheit dauerhaft im Land verblieb. Von den deutschen Auswanderern nach Übersee gingen im 19. Jahrhundert 90 Prozent in die USA. Ihre Auswanderung fand im Kontext der vom Staat begünstigten Abwanderung verarmter Bevölkerungsteile statt, indem zum Beispiel der Erhalt entsprechender Genehmigungen erleichtert wurde. Vor allem der krisenhafte Übergang von der Agrarzur Industriegesellschaft brachte einen regelrechten Exodus mit sich; zwischen 1820 und 1930 wanderten ca. 5,9 Millionen Deutsche in die USA ein (Bade 1993b: 148). Die meisten der potentiellen Migranten wandten sich - den heutigen Arbeitsmigranten durchaus vergleichbar - an Agenten, die die Passage und einen Arbeitsplatz vermittelten. Das sogenannte Redemptioner-System (redemption = Freikauf ) war eine Art der Schuldknechtschaft, aus der sich die Migranten meist erst nach Jahren der Schuldentilgung befreien konnten. Auch ein anderer Aspekt ähnelt der Dynamik gegenwärtiger Fernwanderungen: Idealisierende Briefe an die Zurückgebliebenen verursachten eine Art Sog; es kam zu Kettenwanderungen mit Hilfe bereits migrierter Verwandter und Bekannter sowie zur Bildung ethnischer Kolonien, in denen sich die Neuankömmlinge langsam an Kultur und Lebensstil der Neuen Welt gewöhnen konnten. Massenimmigration und ökonomische Entwicklung stimulierten sich gegenseitig, weil der ständige Rückgriff auf billige Arbeitskräfte die industrielle Expansion ermöglichte, der wirtschaftliche Erfolg wiederum die Attraktivität des Landes erhöhte. Bis in die 1960er Jahre stammten die weitaus meisten Menschen, die in die USA einwanderten, aus Europa, heute kommen sie zu mehr als 80 Prozent aus Lateinamerika und Asien, während aus den meisten europäischen Auswanderungsnun Einwanderungsländer geworden sind. Obwohl heute nahezu alle US-Amerikaner Migranten oder Nachfahren von Migranten sind, gibt es Spannungen zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Zuwanderungswellen; die Hoffnungen auf einen melting pot, in dem alle Herkunftskulturen in einem mehr oder weniger homogenen neuen Staatsvolk »eingeschmolzen« sein würden, sind entschieden gedämpft (vgl. Kap. 4.3). Die Einwanderungsländer Kanada und Australien Die Kolonisierung Kanadas begann im frühen 17. Jahrhundert durch Frankreich, später durch England, und noch heute erinnern die beiden Amtssprachen an die Herkunft der ersten Siedler, der sogenannten Gründernationen, deren Anteil an der Bevölkerung seit einem Jahrhundert kontinuierlich zurückgeht. Zuwanderer aus anderen europäischen Ländern kamen in großer Zahl um die Wende zum 2.3 Transatlantische Migration 51 20. Jahrhundert und nach dem Zweiten Weltkrieg; sie machen inzwischen etwa ein Drittel der Bevölkerung aus. Seit den 1960er Jahren kommen die »sichtbaren« (weil farbigen) Minderheiten aus den Ländern der »Dritten Welt« ins Land, bis heute fast fünf Millionen Personen. Alle Zuwanderergruppen, gemeinsam mit den offiziell die »Ersten Nationen« genannten Ureinwohnern (Indianer, Eskimos), haben ein »ethnisches Mosaik« entstehen lassen, das positiv bewertet wird und Grundlage für die Multikulturalismus-Politik ist (Geißler 2003; vgl. Kap. 4.3). Auch Australien gilt als klassisches Einwanderungsland und ist wie Kanada heute ein Mitgliedsstaat des New Commonwealth, der wiederum ein Bund unabhängiger Staaten in der Nachfolge des British Empire ist. In diesem Bund, dessen bevölkerungsreichstes Mitglied Indien ist, lebt fast ein Drittel der Weltbevölkerung. Die europäische Besiedlung Australiens, in deren Zuge die Urbevölkerung dezimiert und verdrängt wurde, entwickelte sich aus englischen Sträflingskolonien Ende des 18. Jahrhunderts; Mitte des 19. Jahrhundert, vor allem ausgelöst durch Goldfunde, begann die freiwillige Zuwanderung. Die einzelnen Kolonien schlossen sich 1901 zu einem Bundesstaat zusammen, in dem die Zuwanderung im Rahmen der »White Australia-Politik« vor allem Zuwanderern aus dem anglo-keltischen Raum vorbehalten war. Dies änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als der höhere Bedarf an Arbeitskräften nicht mehr nur mit der Zuwanderung aus West- und Nordeuropa gedeckt werden konnte; nun kamen auch südeuropäische und seit den 1970er Jahren asiatische Einwanderer ins Land. 1989 wurde eine Multikulturalismus-Politik beschlossen und damit Chancengleichheit für alle sowie das Recht auf eigene kulturelle Einrichtungen fixiert. Doch schon Mitte der 1990er Jahre kam es zu einem Umschwung in der Politik, zur Einschränkung der multikulturellen Infrastruktur, etwa von Kulturprogrammen in den Medien oder Sprachschulen, aber auch der Forschung, was de facto die Aushöhlung der Multikulturalismus-Politik bedeutet, auch wenn die Bezeichnung beibehalten wird. Aspekte der kolonialen Migrationsgeschichte Die Besiedlung der klassischen Einwanderungsländer hat also ihren Ursprung in der europäischen Kolonisierung der »Neuen Welt«. Die koloniale Expansion ging zuerst von Portugal, Spanien und den Niederlanden aus, dann kamen England und Frankreich dazu, und erst sehr spät versuchten auch Italien und das Deutsche Reich, an der »Verteilung der Welt« teilzuhaben. In die deutschen »Schutzgebiete« in Afrika (Deutsch-Südwestafrika, Kamerun, Togo, Deutsch-Ostafrika) oder in das chinesische Pachtgebiet Kiautschou gab es keine Massenzuwanderungen, und 2. Historischer Abriss 52 für das heutige Migrationsgeschehen in Deutschland spielt dieses kurze Intermezzo keine Rolle. Zum Vergleich: In den drei Jahrzehnten der deutschen Kolonialexpansion bis zum Ersten Weltkrieg wanderten weniger als 20.000 Personen inklusive Verwaltungs- und Militärpersonal in die genannten Gebiete, während im selben Zeitraum ca. 1,3 Millionen Menschen aus Deutschland in die USA abwanderten (Bade 2000: 184). Die koloniale Migrationsgeschichte hat folgende Elemente: 1) Sklaverei (bis Mitte des 19. Jahrhunderts): die transkontinentale Zwangsmigration afrikanischer Bevölkerung mit den wichtigsten Zielgebieten Brasilien, Karibik und dem Süden der (späteren) USA; 2) Kolonialdienst, d. h. die befristete oder dauerhafte offizielle Ansiedlung von Europäern in den Kolonien; dadurch wurden die europäischen Arbeitsmärkte um angesehene Erwerbsangebote außerhalb Europas erweitert; es gab hohe Rückwanderungs- und Zirkulationsquoten; 3) Arbeitswanderungen von Einheimischen und ehemaligen Sklaven, deren Existenzgrundlage durch die Kolonialexpansion zerstört worden war, innerhalb der Kolonien; 4) Kontraktarbeit kolonisierter Bevölkerungsgruppen, die zwischen den europäischen Kolonien und Interessengebieten migrierten; zwar beruhte die Wanderung auf formal frei ausgehandelten Verträgen (Kontrakten), doch handelte es sich um von Zwangsmaßnahmen begleitete Massentransfers in Folge und als Ersatz der Sklavenarbeit. Exkurs: Sklavenhandel und Vertragsarbeit Wie positiv sich stete Zuwanderung auf die Entwicklung von Politik und Gesellschaft auswirken kann, zeigen der ökonomische Erfolg der klassischen Einwanderungsländer und ihre Vorstöße auf dem Gebiet der Menschenrechte wie beispielsweise die Passagen über die Gleichheit aller Menschen in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (1776) oder zur Gleichberechtigung von Mann und Frau bzw. aller Nationen in der unter der Führung der USA ausgearbeiteten Charta der Vereinten Nationen (1945). Die dunklen Anfänge dieser Erfolgsstories müssen aber auch erwähnt werden, zumal sie nicht nur Auswirkungen auf diese Länder haben, sondern auch auf die Abwanderungsländer und die Entwicklung des internationalen Arbeitsmarktes. Seit Ende des 15. Jahrhunderts, als Amerika »entdeckt« wurde, gibt es den transkontinentalen Transfer und die Ausbeutung »lebendiger« Arbeit in der Gestalt von Sklaven und Zwangsarbeitern. Im Gegensatz zu der tendenziell freiwil- 2.3 Transatlantische Migration 53 ligen Arbeitsmigration aus Europa, von der oben die Rede war, handelte es sich dabei um Zwangsmigration zum Zweck der Nutzung unfreier Arbeitskraft. Die Kolonisierung Amerikas begann in den lateinamerikanischen Gebieten mit Plünderungen und Entvölkerung, der die Versklavung der verbliebenen Ureinwohner folgte. Diese wurden allerdings nicht nach Europa verbracht, sondern in den Kolonien selbst eingesetzt; ab Mitte des 16. Jahrhunderts wurden sie durch versklavte Afrikaner ersetzt oder ergänzt. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts lösten unterschiedliche Systeme von Zwangsarbeit und Tributpflicht einander ab, dem bis dahin wahrscheinlich acht Millionen Menschen zum Opfer fielen (dazu ausführlich: Potts 1988). Die Plantagenwirtschaft (Zucker, Kaffee, Tabak, Baumwolle), die sich seit dem frühen 18. Jahrhundert ausbreitete, wurde vor allem von schwarzen Sklaven betrieben. In ganz Amerika, insbesondere in den Südstaaten der (späteren) USA sowie in den von Portugal und Spanien kolonisierten Regionen und Ländern, zum Beispiel den Karibischen Inseln, Brasilien oder Peru, gab es Ende desselben Jahrhunderts ca. zweieinhalb Millionen Sklaven, die einen Drittel des Werts des gesamten europäischen Handels produzierten. Das Sklavensystem wurde als »Ringhandel« betrieben: Schiffe mit billigen Gebrauchsgütern und Waffen segelten von Europa nach Westafrika und wurden dort mit entweder geraubten oder eingetauschten Sklaven beladen, die zum Verkauf in Amerika bestimmt waren. Mit dem Gewinn wurden Plantagenprodukte erworben und zum Verkauf nach Europa gebracht (Castles/ Miller 1997: 50 f.). Nach der Abschaffung der Sklaverei, was sich über den langen Zeitraum von 1789 bis 1865 erstreckte, kamen viele verschiedene Formen von Vertragsarbeit auf. So wurde beispielsweise in den USA wieder die Praxis der indentured labor eingeführt, die bereits im 16. Jahrhundert verbreitet gewesen war. Zuwanderer aus Europa verkauften für eine gewisse Zeit ihre Arbeitskraft an eine Person oder ein Unternehmen, um ihre Überfahrt finanzieren zu können. Es handelte sich also um eine Art der Schuldknechtschaft. Eine andere Form der Vertragsarbeit, die in europäischen Kolonien in Asien und in Afrika entstand, war das »Kuli«-System, dessen Bezeichnung aus dem Chinesischen oder Hindi kommt. Mit dem Vertrag banden sich die Arbeitsmigranten an ein Unternehmen und arbeiteten unter strengen Auflagen auf Plantagen oder in Bergwerken. Es handelte sich meist um verarmte Bevölkerung, die kein eigenes Land hatte und/ oder keine Arbeitsinstrumente oder -tiere, um es zu bearbeiten, was sie geradezu zwang, sich als Vertragsarbeiter zu verpflichten. Die Voraussetzungen wurden mit direkten und indirekten Mitteln geschaffen: mit Raub und Plünderung, mit der Etablierung unvorteilhafter Handels- und Zollregelungen, mit der Auflösung oder Vernachlässigung von Dorfgemeinschaften und der 2. Historischer Abriss 54 öffentlichen Infrastruktur wie des Bewässerungssystems, um nur die gängigsten zu nennen. Die britische Kolonialverwaltung rekrutierte mehr als 30 Millionen Menschen vom indischen Subkontinent (Appleyard/ IOM 1991: 11), die zum Teil in karibischen Plantagen eingesetzt wurden, andere im Berg- und Eisenbahnbau in Malaysia. Indien wurde so zum Rohstoff- und Arbeitskraftlieferanten, wovon es sich heute nur mühsam erholt. Nach Indien wurden China, Ozeanien, Java und auch Japan in das Kuli-System einbezogen, das für die Arbeitgeber billiger als das Sklavensystem war, weil relativ rechtlose und ökonomisch unselbständige Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt wurden. Die Arbeiter wurden in Gegenden gebracht, wo sie als Ortsfremde auf die ihnen gebotenen Bedingungen angewiesen waren, und sie wurden eingesetzt, um die Löhne der Einheimischen zu drücken. Zwar wurde das Kuli-System mit der Entkolonialisierung abgeschafft, doch die Folgen zeigten sich noch lange danach, denn diese Art der Ansiedlung und oft auch Verdrängung bereits ansässiger Bevölkerung ist mitunter der Grund für ethnische Konflikte in postkolonialer Zeit. So wurden zum Beispiel in Uganda, das 1962 unabhängig wurde, unter der Militärdiktatur Idi Amins in den 1970er Jahren Hunderttausende asiatischer Zuwanderer bzw. deren Nachkommen, vor allem die im Handel aktiven Inder, des Landes verwiesen. Frauen wurden als Sklavinnen und Zwangsarbeiterinnen sowohl im Bergbau oder in Plantagen als auch für Hausarbeit und persönliche Dienstleistungen eingesetzt; zudem wurden oft ihre sexuellen und reproduktiven Fähigkeiten ausgebeutet. In Lateinamerika ließ letzteres die heute dominierende Mischlingsbevölkerung entstehen, deren Angehörige jedoch nicht gleichberechtigt sind, sondern im Gegenteil nach »Farbe« und ethnischer Herkunft in variierende Rangabstufungen aufgeteilt und je nachdem privilegiert oder diskriminiert werden. In den USA wurde die Vermischung dagegen vermieden; mittels Kontrolle der Reproduktionsleistung der weiblichen Sklaven sollte auch in der Zeit des nachlassenden Imports die schwarze Arbeitsbevölkerung umfangreich genug bleiben. Sklavinnen (wie Sklaven) waren Eigentum des Besitzers und hatten keine rechtlichen Ansprüche auf ihre Kinder. 2.4 Nationalstaatsbildung und Erster Weltkrieg Die Nationalstaatsbildung war und ist bis heute Hintergrund und/ oder Anlass für Bevölkerungsverschiebungen größten Ausmaßes sowie für Versuche einer ethnischkulturellen Homogenisierung. Sie war Grund bzw. Anlass der Kriege des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts und wurde - z. B. in Ost(mittel)europa - als 2.4 Nationalstaatsbildung und Erster Weltkrieg 55 Muster für heutige Staatenbildung genutzt und ist so Teil gegenwärtiger Migrationsbewegungen, weshalb an dieser Stelle über sie gesprochen werden muss. Im 18. und 19. Jahrhundert entstanden überall in Europa Nationalstaaten, also Staaten, die die größten Anteile einer staatstragenden, meist namengebenden Nation (Volk, Ethnie) in sich vereinen: Frankreich als Land der Franzosen, Spanien, Italien, Deutschland etc. Unter »Nation« versteht man seitdem eine auf gemeinsamen Werten gründende Einheit von Personen. Auch unter den staatenlosen Bevölkerungsgruppen Osteuropas, die sich als zusammengehörige und andere ausschließende Einheit, als Nation, begriffen, entstanden soziale Bewegungen, deren Ziel es war, die bisherige Staatenordnung zugunsten des nationalen Prinzips zu verändern. Hatten die Staatsgrenzen der Großreiche (Russland, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich) bisher die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen und Kulturen umschlossen, so strebten diese Bewegungen die Deckungsgleichheit von politischen und nationalen Einheiten an. Der Zerfall der großen Imperien führte zur Neugliederung der ehemaligen Reichsgebiete unter nationalen Vorzeichen und war von vielen Kriegen und Konflikten begleitet, die große Bevölkerungsumsetzungen und Fluchtbewegungen zur Folge hatten. Durch Grenzveränderungen werden ethnische, kulturelle oder religiöse Gemeinschaften auseinandergerissen oder (wieder) zusammengefügt; nationale Minderheiten entstehen, weil Teile einstiger politischer Einheiten in verschiedene Staatswesen eingegliedert werden, oder sie verschwinden, weil sie plötzlich in »ihrer« Nation aufgehen können. Entscheidend ist, dass im Kontext des Nationalismus Konflikte - seien sie nun kultureller, politischer oder ökonomischer Art - vor allem unter nationalen Gesichtspunkten interpretiert werden. Nationale Zugehörigkeiten lassen sich jedoch durchaus unterschiedlich begründen, wobei die beiden rechtlichen Prinzipien Territorialbzw. Abstammungsprinzip - ius soli und ius sanguinis - bestimmend sind. Die rechtliche Ausgestaltung kennt allerdings zahlreiche Abstufungen und Kombinationen für die konkrete Verleihung einer Staatsbürgerschaft, wobei etwa die Dauer des Aufenthalts, die ethnische Zugehörigkeit oder der ex-koloniale Bezug eine Rolle spielen können: Gilt in Frankreich das Prinzip des ius soli (»Recht des Bodens«), demzufolge diejenigen die französische Staatsbürgerschaft bekommen, die auf französischem Staatsgebiet geboren wurden und mindestens einen französischen Elternteil haben, so gilt in Deutschland vor allem das Abstammungsprinzip ius sanguinis (»Recht des Blutes«), demzufolge ein Kind die Staatsangehörigkeit der Eltern hat, egal, wo es geboren wird. Im französischen Verständnis der Staatsnation formt sich diese durch die allen Bürgern gemeinsame staatlich-politische Entwicklung; die Nachkommen von Angehörigen anderer Kulturen können also in die französische Kultur hineinwachsen, weshalb sie von vorneherein als Mitglieder des Staatsvolks akzeptiert 2. Historischer Abriss 56 werden. In Deutschland, das sich als Kulturnation versteht, ist dagegen die vererbbare und zu vererbende Zugehörigkeit zur deutschen Kultur das einigende Band. Im deutschen Kaiserreich wurde 1913 ein entsprechendes Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz verabschiedet, dessen Grundzüge trotz einiger Anpassungen bis heute gelten: Deutscher ist man, weil man Träger der deutschen Kultur ist, alle anderen sind als Ausländer mithin der deutschen Kultur Fremde. Erst in jüngster Zeit wurde dieses Prinzip durch die Integration eines Aspekts des Territorialprinzips gelockert (vgl. Kap. 6.2; 6.3). Das Konzept der Kulturnation fand außer in Deutschland im östlichen Teil Europas starke Verbreitung, wo unter der Herrschaft der übernationalen Großstaaten Österreich-Ungarn, Russland, Osmanisches Reich viele Bevölkerungsgruppen lebten, die die Besonderheiten ihrer jeweiligen Sprachen, ihres Brauchtums, ihrer Religion betonten und sie politisch gewürdigt sehen wollten. Die aufkommenden Nationalbewegungen forderten für jedes - durch seine Kultur distinkte - »Volk« das Recht auf Selbstbestimmung einschließlich einer eigenen staatlichen Ordnung. Dieses Unterfangen musste extrem konfliktreich werden, denn jahrhundertelange Bevölkerungsverschiebungen durch Kriege, Grenzveränderungen und Besiedlungswanderungen hatten eine kleinteilige »ethnische Verschachtelung« hervorgebracht. Infolge des Ersten Weltkriegs (1914-1918) wurde Osteuropa völlig neu geordnet (vgl. Oswald 1993: 11 ff.), womit die Siegermächte (Frankreich, USA, Großbritannien und Italien) zum einen das Selbstbestimmungsrecht der Völker und den Nationalstaat fördern wollten. Sie wollten zum anderen ihre Hauptgegner im Ersten Weltkrieg, die »Mittelmächte« Deutschland und Österreich-Ungarn, schwächen und zugleich das inzwischen sozialistische Russland durch die Schaffung eines »Cordon sanitaire« (»Sicherheitsgürtel«) an einem Vordringen nach Westen hindern. Neben umfassenden Grenzverschiebungen kam es zu einer ganzen Reihe von Staatsgründungen: Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien (bis 1929 noch »Königreich der Serben, Kroaten und Slowenien«), Estland, Lettland und Litauen; Österreich-Ungarn brach auseinander, das erheblich verkleinerte Österreich wurde Rechtsnachfolger der Doppelmonarchie, auch Ungarn wurde stark verkleinert, ebenso die Türkei, die bereits nach den Balkankriegen 1912/ 13 Gebiete verloren hatte. Österreich-Ungarn, Russland, das Osmanische und das Deutsche Reich waren also entweder ganz untergegangen oder hatten starke Gebietsverluste hinnehmen müssen, was in den »Pariser Vorortverträgen« (1919/ 1920) festgehalten wurde. Im Falle Deutschlands war dies der »Vertrag von Versailles«, demzufolge der Hauptteil der Provinzen Posen und Westpreußen an Polen fiel, andere Teile an die Tschechoslowakei und Litauen; Danzig wurde eine »Freie Stadt« unter Kontrolle des Völkerbunds. 2.4 Nationalstaatsbildung und Erster Weltkrieg 57 Allerdings waren keine »reinen« Nationalstaaten entstanden; es gab in allen Staaten, die aus sehr unterschiedlichen Teilen der alten Großreiche zusammengesetzt waren, beträchtliche nationale Minderheiten, viele Territorien und Grenzverläufe blieben umstritten. So hatten beispielsweise Serben und Kroaten, die über Jahrhunderte hinweg ganz unterschiedlichen kulturellen, politischen und religiösen Einflüssen ausgesetzt gewesen waren, vor 1918 noch nie in einem gemeinsamen Staat gelebt; auch die Tschechoslowakei bestand aus zwei großen »Nationen«, den Tschechen und den Slowaken, und in Lettland, Litauen, in Polen und Rumänien machten die Minderheiten, zum Beispiel Deutsche, einen wichtigen Teil der Gesamtbevölkerung aus. Damit soll nicht angedeutet werden, dass Multibzw. Poly-Ethnizität an sich problematisch ist - im Gegenteil: heutzutage sind monoethnische Staaten gar nicht mehr denkbar. Das damalige Problem lag darin, dass das Prinzip des Nationalstaats das des Territorialstaats ablöste. Im letzteren war die ethnische Zugehörigkeit der Bevölkerung - der Untertanen - tendenziell unwichtig gewesen, weil seine Einheit durch die Institution des Monarchen ideologisch abgesichert war (vgl. Heckmann 1992: 60 ff.). Erst im Nationalstaat soll die staatliche Organisation mit der ethnischen Zugehörigkeit der Bevölkerung übereinstimmen, was auch eine Tendenz zur kulturellen Homogenisierung bedeutet, inklusive Assimilierungsdruck und Diskriminierung der anders-ethnischen Minderheiten. Der Erste Weltkrieg und die europaweite Durchsetzung des Nationalstaatsprinzips hatten zur Auflösung der multi-ethnischen Großreiche geführt, allerdings nicht zur Staatenbildung für alle ethnischen Gruppierungen, die sich als »Nation« verstanden. Zu nennen ist das Beispiel der Slowaken, die sich gegen die ungarische Herrschaft wandten und einen Zusammenschluss mit der 1918 gegründeten Tschechoslowakischen Republik bevorzugten, oder der Kroaten und Slowenen, die 1918 trotz eigener starker Nationalbestrebungen mit Serbien das »Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen« bildeten, weil die damaligen südeuropäischen Kräfteverhältnisse eine Vereinigung der südslawischen Völker opportun erschienen ließ. In diesem Kontext war es verhängnisvoll, dass Konflikte nun ein neues - ethnisches - Gesicht bekamen und unter nationaler Perspektive interpretiert wurden. Auch der 1920 geschaffene Völkerbund, eine Staatenvereinigung mit dem Ziel der Erhaltung des Friedens und des Gebietsstandes seiner Mitglieder, konnte diese Konflikte meist nicht lösen, weshalb sein Ansehen rapide sank und er schon vor dem Zweiten Weltkrieg keine Rolle mehr spielte. Mittels nationaler Kriterien wurden sprachliche, religiöse oder kulturelle Einheiten als voneinander grundsätzlich separiert und sich wechselseitig »fremd« definiert, rassistische Denk- und Handlungsmuster auf diese Weise legitimiert. Noch über Jahrzehnte hinweg sollte diese »nationale Wende« die Politik in Europa 2. Historischer Abriss 58 bestimmen, zum einen als spezifische Nationalitätenpolitik in den sozialistischen Staaten Ost- und Ostmitteleuropas, die nach deren Zerfall in den 1990er Jahren mitunter in sogenannte ethnische Säuberungen mündete (dazu Kap. 5.1), zum anderen als Grundlage der nationalsozialistischen Eroberungs- und Vernichtungspolitik, die sich vor allem im Osten Europas verhängnisvoll auswirkte und bis heute Hintergrund vieler Migrationsbewegungen ist. Stellvertretend für sehr viele instruktive und wichtige Schriften zum Nationalismus (z. B. Anderson 1988; Benz u. a. 1997; Heckmann 1992) sei im Folgenden der Ansatz von Ernest Gellner (1991) thesenartig zusammengefasst. Sein Ansatz eignet sich für die hier verfolgten Zwecke besonders gut, weil er erstens den Zusammenhang mit Modernisierungsprozessen zeigt und zweitens die vielfältigen »nachholenden« Nationalstaatsbildungen der letzten 20 Jahre verständlich macht. • »Nationalismus ist vor allem ein politisches Prinzip, das besagt, politische und nationale Einheiten sollten deckungsgleich sein« (S. 8). Er entsteht nur in Milieus, in denen die Existenz von Staaten als politisch zentralisierten Einheiten als selbstverständlich gilt. • In modernen Gesellschaften braucht der Mensch eine Nationalität, »so wie er eine Nase und zwei Ohren haben muss« (S. 15). Das erscheint zwar plausibel, ist aber falsch, da Nationen wie Staaten historische Phänomene sind und keine universellen Notwendigkeiten. Die Vorstellung von einer »Nation« zielt auf eine bestimmte (Staats- oder Volks-)Kultur und auf die gegenseitige Anerkennung der Menschen, die diese Kultur teilen. • Vormodernen Gesellschaften ist die Definition politischer Einheiten durch kulturelle Grenzen fremd. Es gibt kleinteilige Gemeinschaften mit ihren lokalen Kulturen, die kaum etwas mit der Gelehrtenkultur und den internationalen Kontakten der herrschenden Schichten gemeinsam haben. • Erst die moderne Gesellschaft definiert eine einheitliche und für alle verbindliche Hochkultur. Dies ist das »Geheimnis des Nationalismus« (S. 33), der durch diese neuen Anforderungen die Nationen erst hervorbringt. Damit wird aber nicht der Auftrag des »Volkes« erfüllt, sondern der der Moderne, der industrialisierten Gesellschaften, die für ihr Funktionieren auf eine relative Egalität ihrer Bürger und auf die Standardisierung ihres Werteverständnisses angewiesen sind. Nationalismus ist also ein Gruppenverhalten eigener Art, eine Form des Patriotismus, der nur in modernen Gesellschaften existiert. Diese verfügen über eine schriftgestützte relativ homogene Hochkultur, auf der ihr Erziehungssystem basiert und in die jedes Individuum vorrangig eingegliedert werden soll - und nicht in Untergruppen, die ebenfalls Loyalität einfordern (Clans, Großfamilien, anders-ethnische Communities, abgelegene »autonome« Täler etc.). 2.4 Nationalstaatsbildung und Erster Weltkrieg 59 2.5 Der Zweite Weltkrieg und die Folgen Über Ursachen, Kontext, Verlauf und Folgen des Zweiten Weltkriegs ist so viel geschrieben worden (z. B. Benz u. a. 1997; Benz 1999; Fest 1980), dass in diesem Rahmen keine auch nur annähernde Übersicht gegeben werden kann. Einige Anmerkungen sind dennoch nötig, weil die aus ihm resultierende Teilung Europas sowie Ermordung, Flucht, Vertreibung, Verschleppung und Umsetzung von Abermillionen Menschen bis heute den Hintergrund für viele europäische Migrationssysteme (zum Begriff vgl. Kap. 5.4) abgeben. Ursache des Zweiten Weltkriegs war die nationalsozialistische, auf aggressive Rassenideologie gestützte außenpolitische Expansion des Deutschen Reiches, deren Ziel es war, einen »großgermanischen Lebensraum« zu schaffen. Zu diesem Zwecke sollte der Vertrag von Versailles rückgängig gemacht, die Grenzen ausgedehnt, die als »rassisch minderwertig« und »artfremd« eingestuften Juden in Europa vernichtet, die slawischen Völker unterjocht oder vertrieben werden. Das langfristige Hauptziel, die Unterwerfung Osteuropas und die Erweiterung des »Lebensraums«, begann 1938 mit dem »Anschluss« Österreichs, im Jahr 1939 folgte der Einmarsch in die Tschechoslowakei und der Überfall auf Polen. Bis Mitte 1940 wurde das ost(mittel-) europäische Staatensystem der Zwischenkriegszeit völlig verändert, was zum Teil nach Kriegsende wieder rückgängig gemacht wurde. Wie viele Millionen Menschen der Zweite Weltkrieg das Leben gekostet hat und wie viele zur Flucht gezwungen wurden, wird niemals genau rekonstruiert werden können, doch nennen Schätzungen jeweils bis zu 60 Millionen, wovon die weitaus meisten Zivilpersonen waren (vgl. Nuscheler 2004: 32). Besonders hoch waren die Opfer unter der jüdischen Bevölkerung; etwa sechs Millionen Menschen, von denen die meisten in Osteuropa gelebt hatten, wurden ermordet (Poliakov 1989 [1977]; Benz 1996; Aly 1998; Herbert 1998). Im Zuge der 1941 beschlossenen sogenannten Endlösung der Judenfrage wurden einige der bereits vorher eingerichteten Konzentrationslager zu Vernichtungslagern ausgebaut (z. B. Auschwitz, Sobibor oder Treblinka im besetzten Polen), wo Millionen von Juden qualvoll ermordet wurden. Auch andere Gruppen wurden systematisch ermordet, zum Beispiel Kriegsgefangene, Roma und Sinti (»Zigeuner«), Behinderte (»unwertes Leben«) und Homosexuelle. Die folgende Aufzählung soll eine Vorstellung davon vermitteln, welche direkten und langfristigen Folgen sich für das Migrationsgeschehen aus den beiden Weltkriegen, insbesondere in Europa, ergaben. • Überall in Ost(mittel-)europa waren nach dem Ersten Weltkrieg neue Staaten und damit ethnische Minderheiten entstanden, was in den folgenden Jahrzehn- 2. Historischer Abriss 60 ten immer wieder Anlass für Grenz- und Bevölkerungsverschiebungen geben sollte. • Die Russische Revolution, die Bildung des sozialistischen Russland 1918 und die Gründung der Sowjetunion 1922 trieben eineinhalb bis zwei Millionen Menschen in die Flucht oder in die politische Emigration, also ins Exil; ca. eine halbe Million von ihnen lebte in den 1920er Jahren in Deutschland, mit Schwerpunkt Berlin. Die unter ihnen verbreitete Hoffung auf Rückkehr zerschlug sich mit der Konsolidierung der Sowjetmacht (Dodenhoeft 1993; Schlögel 1995). • Schon vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verließen Flüchtlinge Italien, Spanien und Deutschland. Im Sommer 1938 wurden auf einer internationalen Konferenz im französischen Evian nach Asylmöglichkeiten für die vom Nationalsozialismus Verfolgten gesucht; bis dahin waren schon mehr als 700.000 Menschen, insbesondere Juden und Vertreter der politischen Linken, geflohen (Opitz 1988: 27; Berthold 1996). Die Flucht vor dem NS-Regime führte in Exilländer in der ganzen Welt (Stiftung Jüdisches Museum Berlin 2006). • Ein Aspekt der geplanten Schaffung eines geschlossenen Lebensraums für alle Deutschen war die unter dem Motto »Heim ins Reich« durchgeführten Umsiedlungen von Deutschen aus Osteuropa in weiter westlich gelegene Gebiete. In den annektierten Territorien (Österreich, Sudetenland, Polen) sollte es zu einem Bevölkerungstausch großen Ausmaßes kommen. Von den zunächst ins Auge gefassten 900.000 Personen wurde letztlich nur eine Minderheit angesiedelt; vor allem in Polen wurde die »Eindeutschung« betrieben, indem die einheimische Bevölkerung vertrieben oder deportiert wurde und deutsche Umsiedler die so »frei« gewordenen Häuser, Geschäfte und Bauernhöfe übernahmen. Nach Kriegsende wurden die meisten von ihnen ihrerseits vertrieben (dazu: Aly 1998: 163 ff.). • Das NS-Regime zwang Millionen Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und ausländische Zivilarbeiter in der deutschen Kriegswirtschaft zu arbeiten. Zunächst wurden formelle Verträge abgeschlossen, doch nach dem Polenfeldzug wurde menschliche Arbeitskraft zur Beute, das »Dritte Reich« wurde zum Sklavenhalterstaat (Benz 2000: 3 ff.). Alle Betriebe nennenswerter Größe beschäftigten Zwangsarbeiter, wenn auch nicht alle von ihnen KZ-Häftlinge von der SS anforderten; zu Kriegsbeginn waren es rund 650.000, 1944 bereits 7,1 Millionen Personen oder rund 23 Prozent aller Beschäftigten, die zum großen Teil verschleppt worden waren. Hunderte, vielleicht auch Tausende weiblicher KZ- Gefangener wurde zur Prostitution gezwungen (Schikorra 2000). • Zwar wurden auch Kriegsgefangene aus Italien, Belgien und den Niederlanden zwangsverpflichtet, doch die meisten der »fremdvölkischen Arbeiter« wurden aus Osteuropa verschleppt. Unmittelbar nach Kriegsende begann die Repatriierung, 2.5 Der Zweite Weltkrieg und die Folgen 61 also die Rückführung der befreiten ausländischen KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in ihre Heimat. Insgesamt handelte es sich um rund elf Millionen displaced persons (DP‘s), wie sie von den Alliierten genannt wurden. Viele von ihnen hatten aber keinen Ort mehr, an den sie hätten zurückkehren können, sodass sie als »heimatlose Ausländer« auch nach der Auflösung der letzten Lager und Notunterkünfte 1967 in Deutschland blieben, und zwar unter stark eingeschränkten Integrationschancen (Jacobmeyer 1993; Pegel 1997). • In der Sowjetunion wurden einige »Nationalitäten«, die unter den Verdacht der Kollaboration mit den Nationalsozialisten gerieten, deportiert: die Deutschen beispielsweise, die in der »Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen« lebten, aber auch Krimtataren und Tschetschenen. Ab 1941 wurde ungefähr eine Million Deutsche nach Westsibirien, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und in das Altai-Gebiet verbracht, wobei fast ein Drittel von ihnen umkam. 1964 bzw. 1972 wurden sie rehabilitiert, ihnen also die sowjetischen Bürgerrechte zurückerkannt, doch die Wolga-Autonomie wurde nicht wieder errichtet. Bis in die 1970er Jahre verließen nur einzelnen Personen im Rahmen der Familienzusammenführung die Sowjetunion, danach stiegen die Zahlen, bis ab Mitte der 1980er Jahre Hunderttausende in die Bundesrepublik aussiedelten (vgl. Kap. 3.4). • Während der letzten Kriegsmonate und nach Kriegsende mussten etwa 14 Millionen Deutsche ihre Siedlungsgebiete im östlichen Europa, wo sie zum Teil schon Jahrhunderte gelebt hatten, verlassen; Flucht und Vertreibung kosteten bis zu zwei Millionen von ihnen das Leben. Rund zwei Drittel gelangten in die westlichen Besatzungszonen, ein Drittel verblieb als »Umsiedler« in der späteren DDR (DHM 2006: 8 ff.). Weitere 1,3 Millionen »deutschstämmige« Aussiedler, vor allem aus Polen und Rumänien, wanderten zwischen 1950 und 1986 in die Bundesrepublik ein, bevor die sowjetische Reformpolitik die massenhafte Ausreise auch der »Russlanddeutschen« forcierte (Bade/ Troen 1993; Bade 1993b: 29-134; Kap. 3.4). • Viele der jüdischen Überlebenden in Europa wanderten nach Palästina bzw. in den 1948 gegründeten Staat Israel aus, der seitdem Ziel der »Repatriierung« (Aliah) von Juden aus aller Welt, aber vor allem aus Osteuropa, ist (Bade/ Troen 1993). Die Staatsgründung erfolgte auch unter dem Eindruck des Holocaust; den Juden sollte ein Ort gegeben werden, an dem sie vor Verfolgung sicher sein würden. • Fluchtbewegungen größeren Ausmaßes wurden in einigen sozialistischen Staaten durch die gewaltsame Niederschlagung von Aufständen und gewaltlosen Versuchen einer Systemveränderung hervorgerufen: 1956 verließen ca. 200.000 2. Historischer Abriss 62 Menschen Ungarn, 1968 ca. 750.000 die Tschechoslowakei, rund eine Viertelmillion war es, die zu Beginn der 1980er Jahre aus Polen abwanderte. Am stärksten waren die Bevölkerungsverluste der DDR: Von 1949 bis zum Mauerbau 1961 wanderten bereits 2,7 Millionen Menschen in die Bundesrepublik ab, wo sie als »Übersiedler« aufgenommen wurden; bis Mitte der 1980er Jahre waren es noch einmal mehr als eine halbe Million Menschen (Opitz 1988: 33; Bade 1993b). • Die erneute Konsilidierung der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg und die Bildung des »Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe« (RGW) sowie des Militärbündnisses »Warschauer Vertrag« führten zu einem engen Zusammenschluss der sozialistischen Staaten Osteuropas unter Führung der Sowjetunion. Unter anderem sollten die Mitgliedstaaten (zunächst Sowjetunion, Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, die Tschechoslowakei, später die DDR, Kuba, die Mongolei, Vietnam und zeitweise Albanien) hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedingungen und Lebensstandards aneinander angeglichen werden, wobei die ökonomisch starken Länder (Sowjetunion bzw. die europäischen Sowjetrepubliken, die DDR, die Tschechoslowakei und Ungarn) die schwächeren zu unterstützen hatten. Im Zuge dieser Aufbauhilfe und militärisch unterstützten Modernisierungspolitik wurden Millionen Menschen zu in »Bruderländern« stationierten Soldaten, Studenten, Umsiedlern und Arbeitsmigranten, zu reisenden Spezialisten und Entwicklungshelfern. • Die »Ost-West«-Frontstellung zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen Seite und der Sowjetunion und den von ihr abhängigen Staaten auf der anderen, die das Ende des Zweiten Weltkriegs mit sich brachte, führte zu (Bürger-)Kriegen um die Durchsetzung politisch-ideologisch diametral entgegengesetzter Entwicklungsstrategien (»Kapitalismus oder Kommunismus? «) überall auf der Welt: 1949 endete der Bürgerkrieg in China mit dem Sieg der Kommunisten; 1950 kam es zum Versuch des kommunistischen Nordkoreas, sich gewaltsam mit dem Süden zu vereinigen, sowie zum Vormarsch kommunistischer Verbände in Indochina, die 1975 in Kambodscha, Laos und Vietnam kommunistische Regime an die Macht brachten. Die Kriege, die sich wegen der Einmischung der Großmächte zum Teil über Jahrzehnte hinzogen, kosteten Millionen von Menschen das Leben und trieben weitere Millionen in die Flucht, womit ebenfalls Potentiale für spätere Migrationen geschaffen wurden. Ähnliches gilt für Afghanistan (Einmarsch sowjetischer Truppen 1979), das Horn von Afrika (Konflikt zwischen Somalia und Äthiopien seit Beginn der 1970er Jahre) und für Kuba (Opitz 1988: 114 ff.). 2.5 Der Zweite Weltkrieg und die Folgen 63 2.6 Fazit Die relativ immobilen Agrargesellschaften, die bis zum 18. Jahrhundert Europa geprägt hatten, waren nach Industrialisierung, Urbanisierung und Kriegseinwirkungen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts höchst mobil geworden. Im Unterschied zum 19. Jahrhundert, in dem die Arbeitsmigration Massencharakter angenommen hatte, mussten im 20. Jahrhundert weit mehr Menschen wegen Krieg und Verfolgung denn aus wirtschaftlichen Gründen migrieren, weshalb das 20. Jahrhundert schon lange das »Jahrhundert der Flüchtlinge« genannt wird. Flucht, Vertreibung und Wiederaufbau versetzten die Menschen oft nicht nur einmal, sondern wiederholt an einen anderen Ort. Diese seitdem gewissermaßen »normale« hohe Beweglichkeit, zusammen mit der sich beschleunigenden kapitalistischen Integration der Weltmärkte sind Hintergrund, Rahmen und oft auch Anlass für heutige Migrationen. Dies trifft auch für die ehemaligen sozialistischen Blockstaaten zu, deren Grenzen hoch bewacht und daher vergleichsweise undurchlässig waren. Es gab weder nennenswerten Tourismus noch Arbeitsmigration oder sonstigen Austausch mit dem Westen, was dort den - falschen - Eindruck einer relativen Immobilität hinterließ. 2.7 Fragen und Literaturempfehlungen • Welche Kontinentalwanderungen sind in Europa historisch wichtig? • Welche sind die »klassischen Einwanderungsländer« und wodurch zeichnen sie sich aus? • Welche sind die migrationsrelevanten Folgen des Ersten Weltkriegs? Aly, Götz (1998): »Endlösung«. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden. Frankfurt/ Main Bade, Klaus J. (2000): Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München Cohen, Robin (Hrsg. 1995): The Cambridge Survey of World Migration. Cambridge 2. Historischer Abriss 64 3. Migration in modernen Gesellschaften Migrationstypologien/ Ursachen- und Motivforschung/ Arbeitsmigration versus Fluchtmigration/ Migrationstore/ Reichweite und Möglichkeiten soziologischer Migrationstheorien In diesem Kapitel werden Typologisierungen von Migrationsbewegungen, Basis- Modelle der Ursachen- und Motivforschung sowie die problematische Unterscheidung von Arbeitsmigration und Flucht erläutert. Welche Zuwanderungswege - legal - beschritten werden können, ist eine Frage politischer Entscheidungen und rechtlicher Definitionen, was am Beispiel der »Migrationstore« in die Bundesrepublik Deutschland gezeigt wird. Vor diesem Hintergrund erfolgt die Diskussion, welche Möglichkeiten soziologische Migrationstheorien für die Analyse gegenwärtiger Wanderungen bieten; für Theoriegeschichte und innerakademische Diskussion wird auf weiterführende Literatur verwiesen. 3.1 Migrationstypologien Seitdem Migration erforscht wird, zeigt sich deutlich die Vielfalt von Motiven und Folgen sowie der Bewegungen selbst. Als erster Ordnungsversuch liegt eine Typologisierung nahe, wobei meist folgende Aspekte unterschieden werden (vgl. Treibel 2003: 20): • räumliche Aspekte: Binnenmigration/ interne Migration (Land-Stadt-Wanderungen, Umzüge über Distrikt-, Regionalgrenzen) versus internationale/ externe Migration (kontinentale oder transkontinentale Wanderungen, Fernwanderungen); • zeitliche Aspekte: begrenzte/ temporäre Migration (Saison-/ Pendelmigration, Grenzhandel) versus permanente/ dauerhafte Migration (Einwanderung und Niederlassung); • Entscheidungen/ Ursachen: freiwillige Migration (Arbeitswanderung, Studienaufenthalte) versus unfreiwillige/ erzwungene Migration (Flucht, Vertreibung, Verschleppung); 65 • Umfang: Migration Einzelner versus Gruppen- oder Kettenmigration versus Massenmigration. Einige Sortierungen ergeben sich nicht aus dem Phänomen selbst, sondern aus nationalen oder internationalen Rechtsdefinitionen, beispielsweise die Klassifikation einer Person als »Flüchtling«, sofern sie sich »aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung« im Ausland aufhält (UNHCR 2004). Die Flucht vor wirtschaftlicher Not oder Perspektivlosigkeit wird dagegen international nicht anerkannt und ist auch nicht relevant für Asylverhandlungen (vgl. Kap. 3.3; 5.2; 6). Auch eine strikte Klassifizierung des Migrationsumfangs ist oft schwierig: Wer statistisch als einzelner Zuwanderer erfasst wird, weil er nicht im Familienverband migriert, kann dennoch Teil einer langgezogenen und viele Mitglieder zählenden Migrationskette sein (vgl. Kap. 4.5), wie umgekehrt die Tatsache einer gemeinsamen Grenzüberschreitung die Betreffenden nicht zu einer Gruppe im sozialen Sinn macht. Stehen nicht rechtliche oder statistische Klassifizierung im Vordergrund, sondern die historischen und sozialen Prozesse konkreter Migrationsbewegungen, so tritt häufig deren ganz unverwechselbare (und gerade dadurch gut vergleichbare) Geschichte zutage. Diese ist in der Regel lang und umfasst weite Räume, auch wenn dem Betrachter zunächst nur ein kleiner Ausschnitt bekannt und/ oder als problematisch aufgefallen ist. So kann eine bestimmte Migrationsbewegung je nach formal-rechtlichem Kontext als illegal, als Arbeits- oder Pendelmigration eingeteilt werden. Aus einer anderen, historisch sensiblen Perspektive, zeigt sich möglicherweise, dass eine bestimmte Wanderung jede dieser Bezeichnungen verdient (hat), lediglich zeitlich versetzt: Aus einer zunächst »illegalen« bzw. nicht dokumentierten Arbeitsmigration wird nach ihrer Legalisierung eine reguläre, die nach einer gewissen Zeit nicht mehr von Einwanderern mit Bleibeabsicht, sondern von Pendlern getragen wird. Daher ist die Rolle des Staates bei der Analyse einzubeziehen und in jedem Fall zu prüfen, ob die verwendeten Kategorien nicht aus der aktuellen Migrationspolitik abgeleitet sind, die wiederum entweder die Einschränkung von Migration oder die selektive Förderung ganz bestimmter Migrantengruppen zum Ziel haben kann. Heutige Typologien orientieren sich in der einen oder anderen Weise an den Klassifikationen, die den vor mehr als 100 Jahren von E.G. Ravenstein formulierten »Migrationsgesetzen« zugrunde liegen. Ravenstein fragte nach den Wanderungsmotiven, den zurückgelegten Distanzen, nach den Bevölkerungsumverteilungen zwischen einzelnen Regionen sowie nach Unterschieden im Migrationsverhalten von Männern und Frauen. Diese Gesetze lassen sich wie folgt zusammenfassen (Ravenstein 1972: 83 ff.; vgl. auch Han 2005: 42 ff.): 3. Migration in modernen Gesellschaften 66 1) Migration ist ein Prozess, der sich schrittweise (step by step) vollzieht. 2) Migrationen über kurze Distanzen sind am häufigsten. 3) Migration löst Gegenmigration aus, die aber die Abwanderungsverluste nicht ersetzen kann. 4) Städte wachsen auf Kosten ländlicher Regionen. 5) Frauen wandern häufiger als Männer über kurze Distanzen. 6) Industrialisierung fördert die Migration; dies bedeutet Fortschritt, Sesshaftigkeit dagegen Stagnation. Diesem generellen Migrationsverhalten ordnete Ravenstein fünf Migrantentypen zu, wobei die zurückgelegten Distanzen als wichtigstes Unterscheidungskriterium dienen: 1) lokale Wanderer (innerhalb derselben Gemeinde), 2) Nahwanderer (Wechsel in die benachbarte Gemeinde), 3) Fernwanderer, 4) Etappenwanderer, die eine Strecke nicht in einem Stück zurücklegen, 5) die - sehr heterogene - Gruppe der temporären Migranten, die wie Saisonarbeiter oder Seefahrer nur vorübergehend ihren Aufenthalt verändern. So interessant derartige Beobachtungen sind, sie lassen sich kaum zu »Gesetzen« verallgemeinern, die auf alle anderen (regional und zeitlich differenten) Fälle einfach zu übertragen wären. Eher beschreiben sie das konkrete Migrationssystem der britischen Industrialisierungs- und Urbanisierungsphase vor rund 120 Jahren, das man sich bildhaft vor Augen führen kann: Die von den wachsenden Städten ausgehende Attraktion, der die Menschen aus der drückenden Armut ihrer Dörfer folgten - Männer wie Frauen gehen als Arbeiter in die neuen Industrieanlagen (Fortschritt! ), die Frauen zusätzlich als Dienstboten in die Haushalte der sich rasch verbreiternden Mittelschichten (die vielen »Nahmigrantinnen«); die Auswanderung in die USA, die insbesondere aus Irland im 19. Jahrhundert Massencharakter hatte; die etappenweise Zuwanderung aus Irland oder entfernten Randregionen, bis »irgendwann« einmal London oder Manchester erreicht war; der Ausbau von Transportmitteln und entsprechender Infrastruktur, was den Ortswechsel für alle erleichterte. Es fehlen aber einige Migrationsarten, die heute in keiner Typologie fehlen dürfen: Pendelmigration zum Beispiel, obwohl sie in der Figur des »temporären Migranten« durchaus angelegt ist, vor allem aber die erzwungene Migration in Form von Flucht und Vertreibung. Ravensteins Gesetze sind erkennbar nur dem Fall der mehr oder weniger freiwilligen Arbeitsmigration gewidmet. Die präzise Zusammenfassung des damaligen Geschehens auf einige Kernsätze lieferte aber Klassifikationen, die zur Basis einiger Migrationsmodelle wurden und sich in vielerlei Hinsicht fruchtbar weiterentwickeln lassen. Das Beispiel des »Etappenwanderers« zeigt etwa, wie aus vielen kürzeren Etappen irgendwann eine 3.1 Migrationstypologien 67 lange Strecke wird, die die Mitglieder einer Migrationskette, insbesondere bei verbesserten Verkehrsbedingungen, auch auf einmal zurücklegen können. Nicht die statistische Erfassung von Migrationsdistanzen ist entscheidend, sondern die Feststellung, dass Migration ein sozialer Prozess ist, der sich - step by step - langsam und über sehr lange Zeit, oft über Generationen, hinziehen kann. An den bestimmten ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen liegt es, welche Gruppen es jeweils sind, die sich über diese Migrationsstufen bewegen: vom Land in die nächste Kleinstadt, von dort in eine Großstadt, danach ins Nachbarland usw. Damit ist bei Ravenstein bereits das Analysepotential für das äußerst wichtige Phänomen der Kettenmigration angelegt: Wanderungen können über sehr große Distanzen hinweg institutionalisiert werden und verbinden unter Umständen eine sehr große Anzahl von Menschen, ohne dass sie »in Massen« in Erscheinung treten müssen - eine Erkenntnis, die in der Migrationsforschung über viele Jahrzehnte hinweg wenig berücksichtigt wurde. Typologisierungen sind also erste Ordnungsversuche. Sie sollten hinsichtlich ihrer Inhalte nicht zu stark verallgemeinert, zu allgemeinen Gesetzmäßigkeiten überhöht werden, eignen sich aber für die erste Erfassung einer Migrationssituation. Anstatt bei einem mechanistischen Entweder-Oder-Schema stehen zu bleiben, muss der Blick auf die ganze Komplexität eines Wanderungsvorgangs gerichtet sein, damit dieser soziologischen Fragestellungen zugänglich wird. Dazu gehören sowohl die Herkunfts- und die Zuwanderungssituation als auch der Migrationsweg selbst; Letzteren hat die Migrationsforschung erst in den letzten Jahren verstärkt beachtet. Ein aktueller Migrationsvorgang ist meist Teil eines viel größeren Geschehens, weshalb die Aufmerksamkeit einer bestimmten Migrationskonfiguration gelten sollte, die hinsichtlich der sozioökonomischen und politischen Rahmenbedingungen zu beschreiben, und in ihrer historischen Einbettung zu analysieren ist (Blaschke 1997: 41 ff.). Statt undynamischer Kategorien können zwei Kontinua bzw. Ereignisreihen unterschieden werden, denen die einzelnen Migrationsphänome zuzuordnen sind; die Möglichkeit fließender Übergänge ist hierbei immer mitgedacht: 1) Das eine Kontinuum bezieht sich auf den Etablierungsgrad einer Migrationsbewegung. Zu fragen ist hier nach Zahl und Art der Niederlassungen, der Arbeitsorganisation oder der Existenz einer »ethnischen Gemeinde«. Große Migrantengruppen (»Massenwanderung«), die in einer bestimmten Art bereits in die Aufnahmegesellschaft eingegliedert sind, sich auf funktionierende - eigene oder vorgefundene - Infrastruktur und Institutionen stützen können, sind etwas ganz anderes als große Migrantengruppen, die sich auf der Flucht vor einer Katastrophe befinden, auf externe Hilfe angewiesen sind und in der Regel überhaupt keine Migrationsabsichten hatten. 3. Migration in modernen Gesellschaften 68 2) Die zweite Ereignisreihe bezieht sich auf den Grad der staatlichen Kontrolle. Es gibt Migrantengruppen, deren Wanderungsweg von Anfang bis Ende durch staatliche Organisationen vorgegeben ist (wie beispielsweise bei Vertragsarbeitern aufgrund bilateraler staatlicher Abkommen), während Vertreibungen bzw. Binnenflucht (displacement) und Exilierungen oft den völligen Entzug des staatlichen Schutzes bedeuten, der so lange anhält, bis sich irgendein anderer Staat bereit erklärt, die Betroffenen dauerhaft oder vorübergehend aufzunehmen (Asyl, Flüchtlingslager). 3.2 Ursachen- und Motivforschung Die Frage, warum Menschen wandern und nicht auf Dauer an einem Ort sesshaft bleiben, hat eine sehr breite und ausdifferenzierte Forschung hervorgebracht: die Ursachen- und Motivforschung, wobei unter »Ursachen« objektive Rahmen- und Umweltbedingungen, unter »Motiven« die individuellen Reaktionen auf diese verstanden werden. Einige allgemeine Gründe für Migration bzw. die Beendigung der Sesshaftigkeit lassen sich sofort nennen: die Suche nach neuen und/ oder besseren Lebensbedingungen, Vertreibung. Die Systematisierung der Gründe und ihre theoretische Begründung hat allerdings höchst konträre Konzeptionen hervorgebracht. Während Wahlfreiheit und Optionenvielfalt bei der Vertreibung, also der erzwungenen Migration, als so eingeschränkt angesehen werden, dass man von differenzierter Motivforschung absehen kann, gibt es für die freiwillige Migration eine breite Palette an Entscheidungsaspekten. Im Folgenden wird zunächst ein Einblick in die Forschung zu Migrationsentscheidungen gegeben, die schon deshalb schwierig ist, weil es für hochkomplexe Migrationsvorgänge selten monokausale Verursachungen gibt und die Vielfalt an Migrationsphänomenen zu stark verallgemeinernde Aussagen nicht zulässt. Im nächsten Kapitel (3.3) wird es dann um Unterschiede zwischen Arbeits- und Fluchtmigration sowie um die Größenordnung dieser Phänomene gehen. Die Anfänge der Motivforschung Für Ravenstein fielen, wie oben angesprochen, Motiv und Ursache gewissermaßen zusammen, zumal er sich aus heutiger Sicht ausschließlich mit Arbeitsmigration befasste: Es waren die besseren Lebensbedingungen, die die Menschen in die 3.2 Ursachen- und Motivforschung 69 neuen Industriestädte zogen; diese Migration war für ihn mit »Leben und Fortschritt« verbunden, ganz im Einklang mit der Technik- und Fortschrittseuphorie des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch der amerikanische Soziologe R. E. Park, der Begründer der »Chicago School«, vertrat in den 1920er Jahren die These, dass Fortschritt, ja der Zivilisationsprozess überhaupt, nur durch Migration und die damit entstehende kulturelle Vermischung zustände käme. Wenn auch der emphatische Fortschrittsgedanke in den Sozialwissenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich nachließ, so blieb - letztlich bis heute - die Vorstellung erhalten, Migration erfolge in der Regel in sozioökonomisch entwickeltere Gesellschaften. Uneinigkeit herrscht aber in der Einschätzung, welche Aspekte dabei wichtig sind. So bezieht sich das Kategorienset von W. Petersen (1972) ebenfalls auf die unterschiedlichen Entwicklungsbzw. Industrialisierungsniveaus von Ländern, die für ihn die entscheidenden Auslöser für Migration sind. Die Migranten unterscheiden sich bei ihm hinsichtlich ihrer »innovativen« oder »konservativen« Motive. Konservative Personen reagieren mit ihrer Wanderung auf eine Veränderung ihrer Umgebung und wollen am Zielort vor allem die alten Zustände wieder herstellen, seien es die Arbeits- und Lebensbedingungen, sei es der Lebensstandard; die Innovativen dagegen zielen mit der Migration auf etwas Neues. Allerdings sind weder die Kriterien noch der Bewertungsmaßstab für das »Neue« klar, denn unter die innovativen Wanderungstypen fallen so unterschiedliche Phänomene wie Landflucht, Sklaven- und Kulihandel, Pionierwanderung oder Urbanisierung (Petersen 1972: 114). Menschenhandel war möglicherweise im 16. Jahrhundert als staatliche Strategie »innovativ«, doch heute lässt sich diese Qualifizierung weder in Hinblick auf Menschenrechte noch aus ökonomischer Perspektive aufrechterhalten. Auch Landflucht und Urbanisierung, die doch nur die beiden Seiten einer Medaille darstellen, sind aus heutiger Sicht nicht in jedem Fall das Neue; es kann im Gegenteil innovativ sein, auf das Land bzw. - wie dies sehr häufig in westlichen Gesellschaften der Fall ist - auf suburbane Gebiete auszuweichen, um der Perspektivlosigkeit verfallender großstädtischer Quartiere zu entkommen. Erfolgreicher sind Erklärungsmodelle geworden, die abstrakter formulieren und daher mit wenigen Grundannahmen auskommen: die sogenannten Push- und Pull-Modelle. Sie werden in der Migrationsforschung immer wieder verwendet und haben Anlass zu weiterer Theoriebildung gegeben; explizit oder implizit spielen sie bis heute eine große Rolle, weshalb sie im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. 3. Migration in modernen Gesellschaften 70 Push- und Pull-Modelle Ausgangspunkt sind abermals die von Ravenstein aufgestellten »Migrationsgesetze« (s. o.), die er selbst zu einem »Gravitationsmodell« ausformulierte. Der Akzent liegt auf der Annahme, dass die Migrationshäufigkeit mit der Entfernung eines potentiellen Wanderungsziels abnimmt, weil mit zunehmender Distanz die Kosten steigen und die Informationen geringer werden. Dabei bilden sich Migrationsketten in Richtung der urbanen Zentren, in die Städter und Frauen weniger eingebunden sind als Landbewohner und Männer. Von der geringen empirischen Gültigkeit dieser Migrationsgesetze für andere Zeiten und Regionen war weiter oben bereits die Rede. Zwar gibt es immer noch mehr Nahals Fernwanderungen, was jedoch für sich gesehen keinen besonderen analytischen Wert hat. Zudem haben sich die Rahmenbedingungen insbesondere für Fernwanderungen grundlegend verändert. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verloren die Faktoren Kosten, Transport und Information im Zuge der rapiden Entwicklung von Verkehrs- und Kommunikationstechnologien ihre ehemals dominante Bedeutung für einen Migrationsverlauf. Auch die Aussagen zur Migrationshäufigkeit von Städtern im Vergleich zu der von Landbewohnern sowie von Frauen im Unterschied zu der von Männern haben sich stark relativiert (Faist 1997: 65). Die Ravensteinschen »Migrationsgesetze« wurden dennoch Ausgangspunkt für neoklassische (ökonomische) Konzepte oder sogenannte Push- und Pull-Modelle zur Erklärung eines wanderungsbedingten Ausgleichs zwischen Angebot an und Nachfrage nach Arbeitskräften. Der Fokus liegt auf dem gewinnmaximierenden Individuum, das sich bei einem Vergleich zweier Länder für das mit dem größten Nettovorteil entscheidet (Sjaastad 1962). In der Weiterentwicklung dieses Modells wurden diejenigen Faktoren, die bei Migrationsentscheidungen »abstoßende« oder »anziehende« Wirkung entfalten, differenziert (Lee 1966; Borjas 1989). Die Annahme ist, dass Migrationswillige ihre Situation verbessern wollen und die Entscheidungen rational und insbesondere unter ökonomischen Erwägungen treffen. Neben den Einkommensunterschieden gelten auch Alter, Beruf und familiäre Einbindung der potentiellen Migranten sowie die Arbeitslosenrate oder die Zuwanderungspolitik des Ziellandes als wichtige Faktoren. Schwächen der Push- und Pull-Modelle Auch wenn Push- und Pull-Modelle nach wie vor zur Anwendung kommen, und sei es nur als erster Ordnungsversuch oder bei einer allgemeinen Abwägung von Wanderungsgründen, so genügen sie doch nicht anspruchsvoller soziologischer 3.2 Ursachen- und Motivforschung 71 Forschung. Anders formuliert: Wenn außer den Lohndifferenzen noch eine Reihe weiterer Kosten- und Nutzengrößen ins Gewicht fallen, wie etwa Reisekosten, Lohnausfall während der Arbeitsplatzsuche, Rücküberweisungen an die Familie, aber auch soziale Kosten wie der Verlust von Freunden und die Lockerung von Familienbanden (vgl. Stark 1995), dann argumentieren derartige Ansätze weniger ökonomisch als soziologisch. Folgende Punkte werden immer wieder kritisiert (vgl. Cohen 1996; Parnreiter 2000: 44 f.): 1) Die einzelnen Faktoren werden nicht in ihrem Kontext berücksichtigt. Armut, Nachfrage nach Arbeitskraft, hohe Löhne - alle Faktoren haben ihre Geschichte und können nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Zudem lösen sie nicht immer Migration aus, weshalb zur Erklärung zusätzliche Faktoren herangezogen werden müssen, die die mechanistischen - lineare Kausalitäten konstruierenden - Push- und Pull-Modelle nicht beinhalten. 2) Entscheidungen sind oft nicht so rational wie in den Modellen vorgesehen; insbesondere bei Kettenmigrationen und anderen kollektiven Wanderungsformen kann sich eine ganz eigene Dynamik und ein spezifischer Gruppendruck entwickeln, wodurch den einzelnen Migranten wenig Wahlfreiheit bleibt. Vieles erscheint erst im Nachhinein, unter Rechtfertigungsdruck, als rational. 3) Kosten, Transport und Information schlagen weit weniger ins Gewicht, wenn sie von mehreren Personen oder gar von eng miteinander verbundenen, »vernetzten«, Gruppen beschafft und organisiert werden können. 4) Ferner gibt es oft Faktoren, die nicht für alle Personen gleichermaßen gültig sind. Viele Zielländer betreiben eine selektive Migrationspolitik, d. h., sie eröffnen Zuwanderungsmöglichkeiten für bestimmte Personenkategorien (Flüchtlinge aus bestimmten Ländern oder einer bestimmten ethnischen Gruppe, spezielle Berufsgruppen) und schaffen somit neue Pull-Faktoren, die allerdings für andere zu Ausschlusskriterien werden. Deutlich wird also, dass Modellannahmen, die Entscheidungsmuster aus der Perspektive wandernder Individuen formulieren, in Vielem nicht realitätsnah sind. Entscheidungen werden sehr häufig nicht von Einzelnen, sondern von Haushalten oder Familien getroffen. Sie werden zudem durch die selektiven und restriktiven Aufnahmekriterien der bevorzugten Zielländer, durch die die meisten Menschen von einer dauerhaften Zuwanderung abgehalten werden, vorstrukturiert. Diese gates of migration (vgl. Kap. 3.4) kanalisieren die Zuwanderung und machen sie bis zu einem gewissen Grade für die Aufnahmeländer kontrollierbar. Manche Migrationstore eröffnen Individuen nur dann Wanderungschancen, wenn sie Mitglieder bestimmter Kollektive sind, beispielsweise indem sie die Zugehörigkeit zu einer diskriminierten ethnischen Gruppe nachweisen können. Heute gibt es überall auf der Welt Migrantengruppen, die untereinander und mit Angehörigen und 3. Migration in modernen Gesellschaften 72 Freunden im Herkunftsland oder in Drittländern in direktem oder indirektem Kontakt stehen; die neuen Verkehrs- und Kommunikationsmittel ermöglichen dies. Diese sozialen Netzwerke spannen sich mitunter über weite Regionen, reduzieren Kosten und Risiken für die Mitglieder, bieten ihnen Schutz, materielle Hilfe und emotionale Unterstützung, verpflichten sie aber auch zu Gegenleistungen. Es sei hier an die Begriffsbestimmung von Migration als Versetzung des Lebensmittelpunkts erinnert. Die Erfüllung der sehr vielfältigen Aufgaben, die für Einzelpersonen sehr aufwendig ist, fällt in Migrationsverbünden meist leichter, macht die Mitglieder aber auch abhängiger voneinander. Soziale bzw. Beziehungs-Netzwerke haben auf Migrationsentscheidungen daher ganz erheblichen Einfluss und scheinen jüngeren Forschungen zufolge sogar wichtiger zu sein als nur ökonomische Faktoren (z. B. Portes/ Rumbaut 1990; Hillmann 1996). Da zwischen reichen und armen Ländern oder zwischen einzelnen Regionen desselben Landes oft auf Dauer sehr große Lohnunterschiede existieren, ohne dass sie per Migration ausgeglichen werden, sind nicht diese die ausschlaggebenden Größen für eine Migrationsentscheidung, sondern die sozialen und kulturellen Bindungen. Andernfalls wäre nicht zu erklären, warum die meisten Menschen - Krieg und direkte Vertreibung ausgeschlossen - ihren jeweiligen Lebensmittelpunkt nicht versetzen, sondern bleiben (Faist 1997). 3.3 Arbeitsmigration versus Fluchtmigration Aus dem bisher Gesagten sind drei Aspekte hervorzuheben: • Erstens wird unter Migration häufig stillschweigend nur die Arbeitsmigration verstanden. Dies war der Fall bei E.G. Ravensteins Migrationsgesetzen und damit auch bei den auf diesen beruhenden Migrationsmodellen, die den Entscheidungshorizont des gewinnmaximierenden Individuums ausleuchten. • Zweitens ist fast ausschließlich von internationalen Migrationsbewegungen die Rede, obwohl die meisten Erklärungsmodelle ihrem Anspruch nach die Binnenmigration einschließen müssten. • Drittens zeigt schon die einführende Diskussion, dass Migrationsentscheidungen meist sehr komplex, multikausal, sind. Neben den einfachen Fällen gibt es weit mehr Grenzfälle und Übergangsphänomene, für deren Erklärung die gängigen Klassifikationsschemata nicht ausreichen. Es ist daher ein Set an Zusatzkriterien nötig, um Migrationsmotive und -anlässe zu erklären. Insbesondere die Unterscheidung zwischen »freiwillig« und »erzwungen« ist bei der Erklärung von Migrationsentscheidungen in vielen Situationen zweifelhaft, 3.3 Arbeitsmigration versus Fluchtmigration 73 wenn nicht willkürlich, so beispielsweise dann, wenn nicht eine unmittelbare Vertreibungssituation vorliegt wie in einem Krieg, sondern ausweglose Not oder eine lebensgefährliche politische Lage die Abwanderung dringend machen. Auch diese Menschen wollen wie »normale« Arbeitsmigranten ihre Lage »verbessern« - wer wollte sie schon absichtlich verschlechtern? -, verfügen aber oft nicht über die dafür notwendigen Mittel oder haben wenig Überblick über die Gesamtsituation. T. Faist nutzt diese Unschärfen für seine provozierende Frage, warum es (gegenwärtig) »relativ wenige internationale Migranten« gebe. Er unterscheidet zwischen Arbeitsmigranten und Flüchtlingen und kommt so zu dem Schluss, dass entgegen geläufiger Vorstellungen die sogenannte freiwillige grenzüberschreitende Migration gegenwärtig weit geringer ist als im 19. Jahrhundert; sie mache ca. zwei Drittel des Gesamtvolumens internationaler Migration aus, die wiederum gerade zwei Prozent der gesamten Weltbevölkerung betreffe (Faist 1997: 63). Mitte der 1990er Jahre, als Faist seinen Artikel schrieb, lebten rund hundert Millionen Menschen außerhalb ihrer Heimatländer, einschließlich irregulärer Immigranten und Flüchtlinge, die nach Faists Rechnung ca. 20 Millionen ausmachen müssten (United Nations 1993, zitiert nach Faist 1997). Rund zehn Jahre später spricht der Weltbevölkerungsbericht von 191 Millionen Migranten, davon 95 Millionen weiblichen; 12,7 Millionen seien Flüchtlinge, die Hälfte von ihnen Frauen (FAZ 7.9.06). Mit diesen wenigen Zahlen ist einiges Bemerkenswerte gesagt: Zum einen hat sich in knapp eineinhalb Jahrzehnten die Zahl der Migranten fast verdoppelt, womit sich auch ihr Prozentsatz an der Gesamtbevölkerung leicht erhöht hat, zum anderen ist der Geschlechterproporz ausgeglichen. Insgesamt aber scheint der Anteil der Flüchtlinge stark gesunken zu sein, von einem Drittel auf weniger als sieben Prozent, womit möglicherweise die These von der geringen freiwilligen Migration hinfällig geworden ist. Unterschiedliche Kategorien von Flüchtlingen Selbst wenn die anteilige Zunahme der Arbeitsmigration unter den internationalen Migranten stimmt, so ist damit das Weltflüchtlingsproblem noch längst nicht entschärft - im Gegenteil: Sofern die Statistiken dies ausweisen, gibt es immer deutlich weniger regulär anerkannte, nämlich internationale, Flüchtlinge als Binnenflüchtlinge, die keine Landesgrenze überschritten haben. Im Jahr 2002 waren unter 175 Millionen internationalen Migranten 13 Millionen Flüchtlinge, dazu kamen allerdings zusätzlich rund 20 Millionen Binnenflüchtlinge (Nuscheler 2004: 55), und zu Beginn des Jahres 2006 waren es laut dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen) (United Nations High Commissioner for 3. Migration in modernen Gesellschaften 74 Refugees, UNHCR) rund 8,4 Millionen international anerkannte Flüchtlinge. Weit mehr, nämlich rund 20,8 Millionen Menschen, »die vor Krieg, Verfolgung und massiven Menschenrechtsverletzungen geflohen sind«, werden von den internationalen Organisationen unterstützt, doch noch mehr, nämlich etwa 40 Millionen Menschen, sind es wahrscheinlich tatsächlich, die sich auf der Flucht oder in fluchtähnlichen Situationen befinden, ohne dass sie Hilfe von offizieller Seite erwarten können (UNHCR 2006. s. a. Tab. 2). Tab. 2: Flüchtlingsstatistik des UNHCR 2006 Flüchtlinge Asylsuchende Rückkehrer Binnenvertriebene Staatenlose und andere Gesamt Asien u. Pazifik 3.324.900 96.400 1.052.100 2.480.000 1.732.700 8.686100 Europa 1.737.600 223.600 24.600 604.500 1.076.400 3.666.700 Afrika 2.767.700 252.400 548.100 1.532.300 68.800 5.169.300 Amerika 564.200 201.100 100 2.000.000 464.400 3.229.800 Gesamt 8.394.400 773.500 1.624.900 6.616.800 3.342.300 20.751.90 Flüchtlinge: gemäß internationalem Recht Personen, die sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung jenseits der Grenzen des Staates aufhalten, dessen Staatsangehörigkeit sie haben. Asylsuchende: Personen, die in einem anderen Land als ihrem Herkunftsland einen Asylantrag gestellt haben, über den jedoch noch nicht entschieden wurde. Rückkehrer: Flüchtlinge, die in ihr Herkunftsland zurückkehren; in dieser Tabelle zählen auch ehemalige Binnenvertriebene dazu. Binnenvertriebene: Personen in »fluchtähnlichen Situationen«, die jedoch keine Staatsgrenze überschritten haben (displaced persons). Staatenlose und andere: Staatenlose sind Personen, die ihre Staatsangehörigkeit durch Ausbürgerung, Vertreibung oder Auflösung eines Staates verloren haben; die Kategorie »andere« bezieht sich auf Personen, die formal nicht unter das Mandat des UNHCR fallen, dennoch von ihm betreut werden (z. B. Personen, die aus verschiedenen Gründen kein Asyl beantragt haben). Quelle: UNHCR 2006 Die meisten Menschen sind in Asien und Afrika auf der Flucht. Die wenigsten von ihnen werden es je in ihrem Leben in eines der wohlhabenden Länder des Nordens schaffen, deren Grenzen für sie in der Regel verschlossen sind. Die einigen Tausend Flüchtlinge aus Afrika, die zum Beispiel im Laufe des Jahres 2006 mit Fischerbooten auf den Kanarischen Inseln oder auf Lampedusa anlandeten, sind eine vergleichsweise verschwindend geringe Zahl, denn die Dimensionen, in denen sich das Fluchtgeschehen in ihren Herkunftsgebieten abspielt, sind völlig andere als die in Europa oder Nordamerika. In Afrika leiden in den Bürgerkriegs- 3.3 Arbeitsmigration versus Fluchtmigration 75 gebieten, etwa in der Zentralafrikanischen Republik oder im Sudan und den angrenzenden Ländern, jeweils Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Menschen unter Vertreibung, Verschleppung bzw. Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen. Sie befinden sich damit in einer »fluchtähnlichen Situation«, wie die offizielle Definition für »Binnenflüchtlinge« lautet. Und in China wird allein das Heer der »Landflüchtlinge« auf bis zu 100 Millionen Menschen geschätzt, denen durch Industrialisierung und Urbanisierung die Lebensgrundlage in ihren Dörfern entzogen wurde (Nuscheler 2004: 51; auch: Giese 2000). Unterschiede zwischen Flucht und Arbeitsmigration In der Politik und in den Medien setzt sich in letzter Zeit die Praxis durch, unter dem Begriff »Migration« Arbeitsmigation und Fluchtmigration zu subsumieren. Auch in der Wissenschaft wird oft nur von Migration gesprochen, allerdings aus anderen Gründen. Während in der Öffentlichkeit mit (möglichst hohen) undifferenzierten Migrantenzahlen Stimmung gemacht wird (»Das Boot ist voll«) und deshalb seit Längerem nicht mehr vermittelt werden kann, warum bei angeblich zu hohen Zuwanderungszahlen gleichzeitig Immigration erwünscht, ja notwendig sein soll, zeigt sich in der Forschung, dass Flucht keine Sonderkategorie ist, sondern eine weitere Form der Migration, die zudem in Arbeitsmigration übergehen kann: Aus Flüchtlingen beispielsweise können Zuwanderer mit Bleibeabsicht werden, die mit denselben Schwierigkeiten konfrontiert sind wie Arbeitsmigranten. Eine analytische Trennung ist dennoch möglich und notwendig, zumal sich ganz unterschiedliche Institutionen und Forschungsdisziplinen mit den beiden Migrationsformen befassen. Einzelne Aspekte des sehr komplexes Themenkreises werden in späteren Kapiteln ausführlich behandelt, doch sei im Folgenden eine kurze Übersicht gegeben: • Anlässe/ Verursachungen: Für die Arbeitsmigration liegen die Auslöser in den unterschiedlichen Strukturen von Arbeitsmärkten, wozu es ausdifferenzierte soziologische und ökonomische Erklärungsansätze gibt (vgl. Kap. 3.5; 5.3). Menschen können aus vielerlei Gründen auf ausgehende Anreize reagieren oder nicht, wobei empirisch und theoretisch eine breite Palette an Motiven anzunehmen ist. Derartige individuelle Motivlagen werden bei der Fluchtmigration nicht angenommen, auch wenn Fluchtbewegungen oft nur scheinbar spontan und unberechenbar sind; hier sind Konflikt- und Präventionsforschung gefragt. • Verläufe: Sobald Fluchtbewegungen begonnen haben, ist Krisenbewältigung gefragt. Insbesondere bei der Massenflucht infolge von Kriegen oder Naturkata- 3. Migration in modernen Gesellschaften 76 strophen ist der Spielraum individuellen Handelns extrem eingeschränkt, weshalb die Intervention von Staaten, internationalen Hilfsorganisationen und Menschenrechtsgruppen notwendig ist; offiziell zuständig ist der UNHCR. Während der Anlass für derartige Fluchtmigrationen offen zutage liegt, müssen Einzelflüchtlinge ihre individuelle politische Verfolgung nachweisen, um Asyl gewährt zu bekommen. Arbeitsmigrationen verlaufen dagegen meist weniger spektakulär, zumal heute die europäische Masseneinwanderung in die USA oder die Anwerbung hunderttausender »Gastarbeiter« beendet ist. Erfasst wird die - legale - Arbeitsmigration unter anderem von der International Labour Organization (ILO). Zwar sind durchaus auch staatliche Stellen (Anwerbe- und Vermittleragenturen, Regulierungsbehörden) beteiligt, doch liegt der Migrationsprozess oft in privater Hand, sei es in Gestalt von Industrieunternehmen, die Infrastrukturleistungen erbringen (wie Unterkünfte oder Transport), sei es in Gestalt der Migranten selbst. Der mangelnde staatliche oder korporative Schutz fördert die Bildung ethnischer Gemeinden und von Migranten-Netzwerken, in denen die Institutionen der Aufnahmegesellschaft substituiert, also durch eigene Institutionen und Netzwerkaktivitäten ersetzt werden (Kap. 4.6). • Aufnahmesituation/ Zielbestimmung: Aufnahmesituationen unterliegen gesetzlich stark differenzierten Regelungen, wobei Staaten, die sich als »Einwanderungsländer« definieren, von den übrigen Staaten klar zu unterscheiden sind. Bleibeabsichten von Arbeitsmigranten können vor allem in den ersteren verwirklicht werden, während ansonsten gestaffelte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen existieren, die den Eigeninteressen des Staates untergeordnet sind und meist auf eine nur temporäre Nutzung von Arbeitskraft zielen. Flüchtlinge sollen meist nur vorübergehend in einem Land bleiben, bevor sie zurückgeführt werden. Lediglich Asylberechtigte haben meist ein Niederlassungsrecht, können also dauerhaft in einem Land bleiben und dort Arbeit aufnehmen. Sowohl bei Arbeitsmigration als auch bei Flucht ergeben sich zwei wichtige Probleme aus der Verweigerung von Bleibeund/ oder Niederlassungsrechten: die Zahl der »Illegalen«, also der nicht registrierten Migranten, wächst (vgl. Kap. 5.6), und es gibt immer eine signifikante Zahl von Migranten, die nur geringe oder keine Integrationschancen hat. Während Anlässe und Verläufe von Arbeitsmigration und Flucht also oft große Unterschiede aufweisen, sind die Probleme, mit denen Flüchtlinge und Arbeitsmigranten in der Aufnahmesituation konfrontiert werden, ähnlich, zumal die meisten Flüchtlinge nicht auf Dauer von einem Staat oder einer internationalen Flüchtlingsorganisationen unterhalten werden können und »eigentlich« ebenfalls 3.3 Arbeitsmigration versus Fluchtmigration 77 Arbeit aufnehmen müssten. Es ist daher angebracht, sich näher mit Fluchtmigration zu befassen. »Flüchtlinge« im internationalen Recht Der Alltagsverstand entscheidet über Flucht und Flüchtlinge je nach konkreter Situation, weshalb die Einschätzungen, was oder wer so bezeichnet werden sollte, stark voneinander abweichen mögen. Die internationale Rechtslage, und damit auch internationale Institutionen wie der UNHCR, orientiert sich an der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951, wonach nur die Personen als Flüchtlinge gelten, die sich aus »wohl begründeter Furcht vor Verfolgung« im Ausland aufhalten (vgl. hierzu v. a. Nuscheler 2004: 51 ff.). Menschen jedoch, die innerhalb der eigenen Landesgrenzen vor Bürgerkriegen oder Umweltkatastrophen fliehen, sind zwar faktisch »Binnenflüchtlinge« oder displaced persons, gelten aber nicht als »Flüchtlinge« im rechtlichen Sinne. Die Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Abkommen der Vereinten Nationen, das als Reaktion auf die Erfahrungen mit Nationalsozialismus und Stalinismus formuliert wurde. Seit der Annahme eines zusätzlichen Protokolls 1967 fungiert es in den mehr als 140 Vertragsstaaten weltweit als verbindliche Grundlage für die Anerkennung von Flüchtlingen im Rahmen der jeweiligen nationalen Gesetzgebung (vgl. UNHCR 2004). Die anerkannten Personen machen heutzutage jedoch nur einen Bruchteil aller Flüchtlinge aus. So erweist sich die ursprüngliche Fassung der GFK als unzureichend angesichts der mannigfaltigen Fluchtformen, die sich heute - Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges - verstetigt haben, nämlich Binnenflucht, Verschleppung und Vertreibung (displacement), Flucht vor (Bürger-)Kriegen sowie vor Natur- und Umweltkatastrophen. Definition »Flüchtling« Ein Flüchtling ist eine Person, die»[…] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will…« (Erläuterungen zum Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 [»Genfer Flüchtlingskonvention«] sowie über Zusätze, vgl. UNHCR 2002) 3. Migration in modernen Gesellschaften 78 Die einzelnen Vertragsstaaten können die GFK ihrem Rechtsverständnis gemäß korrigieren und erweitern. In der Bundesrepublik gibt es beispielsweise zusätzlich das im Grundgesetz verankerte Asylrecht: »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht« (Art. 16a, Abs. 1 GG). Doch sowohl das Kriterienbündel der »begründeten Furcht vor Verfolgung«, das den Flüchtlingsstatus begründet, als auch die Forderung nach einem Beleg der individuellen politischen Verfolgung, die für die Asylgewährung relevant ist, können ganz unterschiedlich aufgefasst werden. Die Interpretation, was als politische Verfolgung gilt und wie dies nachzuweisen ist, hat sich im Laufe der Jahre, insbesondere unter dem Eindruck steigender Zahlen von Asylsuchenden aus der Dritten Welt, geändert. Eine Verfolgungsgefahr muß heute einer »objektiven Beurteilung« standhalten, während subjektive Vorstellungen von Gefährdung nicht anerkannt werden. Unter anderem deshalb sinkt die Quote der Asylberechtigten seit Mitte der 1990er Jahre sehr schnell, während als »Flüchtling« im Sinne der GFK weit mehr Personen anerkannt werden (vgl. Kap. 6.3). 3.4 Migrationstore So klar die Unterscheidung zwischen einem Arbeitsmigranten und einem Flüchtling oder gar Asylberechtigten im rechtlichen Sinne ist, so schwierig ist sie im Alltag aufrechtzuerhalten. Die Entscheidung für einen bestimmten Rechtsstatus entspricht oft nicht der lebensweltlichen Erfahrung der Betroffenen, sondern wird administrativ gefällt. Dies wiederum beruht auf politischen Entscheidungen, die je nach politischer, ökonomischer und/ oder kultureller Interessenlage der jeweiligen Länder gefällt werden. Das Resultat ist eine Mischung aus Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik mit Elementen humanitärer Grundsätze und richtet sich in vielerlei Varianten nach den folgenden Kriterien, die die Öffnung bzw. Schließung spezieller Migrationstore (gates of migration) bestimmen: • Annahmen zur langfristigen demographischen und volkswirtschaftlichen Entwicklung, • Reaktionen auf kurzfristige Bedarfe nationaler und regionaler Arbeitsmärkte, • Überzeugungen von der Schutzwürdigkeit bestimmter Personenkategorien. 3.4 Migrationstore 79 Gegensätzliche Grundsätze von Einwanderungspolitiken Die klassischen Einwanderungsländer (USA, Kanada, Australien) verfolgten über die längste Zeit ihres Bestehens eine verhältnismäßig liberale Einwanderungspolitik, die sich aus ihrer Geschichte ableitet: Zum einen das Selbstverständnis als Einwanderungsländer, als Nationen von Einwanderern, die vor materieller Not, Bedrohung und Verfolgung flohen; zum anderen das Wissen, dass es gerade diese Personen waren, die die ihnen Schutz bietende Gesellschaft aufbauten. Die kontinuierliche Zuwanderung junger, arbeitsfähiger und möglichst qualifizierter Personen wird gefördert, wobei die Leitideen trotz allgemeiner humanitärer Aspekte doch nie ganz frei waren von diskriminierenden, gar rassistischen Elementen. So wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg die Zuwanderung nicht-europäischer (sprich: »nicht-weißer«) Bevölkerungsgruppen in großem Maßstab gefördert, weil der Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit ohne sie nicht zu bewerkstelligen gewesen wäre. In Kanada und Australien entwickelte sich auf Grundlage dieser Praxis die Leitidee des Multikulturalismus, um der kulturellen Vielfalt, die sich durch die großzügige Öffnung der Migrationstore ergeben hatte, eine innergesellschaftliche und nicht zuletzt auch produktive Entfaltung zu ermöglichen. In Europa war, mit Ausnahme der Niederlande und Schwedens, die Zuwanderungspolitik niemals derart liberal, auch wenn sich praktisch alle europäischen Staaten in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von Auswanderungszu Einwanderungsländern wandelten. Im Gegenteil, im Zuge der Europäischen Integration wurde die politische und legislative Regulierung von Zuwanderung tendenziell verschärft. Wirtschaftliche Krisen, Massenarbeitslosigkeit im Zuge der globalen Integration der Weltwirtschaft und technischer Innovationen lieferten die Legitimation für Restriktionen, die weit über das Bedürfnis nach »ordnungsgemäßer Erfassung von Zugängen« - wie es in der deutschen Amtssprache heißt - hinausgehen, das sich etwa bei der Bekämpfung von irregulärer Zuwanderung ergibt. Letztlich gehen diese Abschottungs- und Abwehrmaßnahmen zulasten humanitärer Grundsätze, z. B. beim Asylrecht. Auch in den klassischen Einwanderungsländern lassen sich Verschärfungen beobachten. So wird in den USA gegenwärtig stärker gegen irreguläre Zuwanderer vorgegangen, nachdem sie über Jahrzehnte relativ problemlos in den Arbeitsmarkt integriert worden sind; und in Australien werden die Stimmen immer lauter, die die Rückkehr zur früheren »White Australia-Politik« (vgl. Baringhorst 2003) fordern. Um es zusammenzufassen: Es gibt keine Länder, die unkontrollierte Zuwanderung gestatten oder ihre Grenzen aus rein humanitären Gründen öffnen würden. Selbst die liberalste Einwanderungspolitik ist auch Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik. Die wichtigsten Kontrollinstrumente sind Grenzverstärkung, die 3. Migration in modernen Gesellschaften 80 Definition von Zugangsmöglichkeiten (Migrationstoren) sowie die Begrenzung der Zahl derjenigen, die einwandern dürfen. Über die aktuellen Grundzüge europäischer Migrationspolitik wird weiter unten (Kap. 6) ausführlicher die Rede sein, hier erfolgt nun ein Überblick über die Migrationstore, die in der Bundesrepublik eine Rolle spiel(t)en. Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland Die Zuwanderung nach Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bzw. ab 1949 in die Bundesrepublik kann man in sechs sich teilweise überschneidende Phasen unterteilen (vgl. Geißler 2002: 67 ff.; Bade/ Troen 1993): • 1. Phase (1944-1950): Millionen von Vertriebenen, Flüchtlingen und Aussiedlern aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten kamen nach Deutschland; ca. acht Millionen in die westlichen Teile, ca. vier Millionen in den Ostteil, der späteren DDR (vgl. Benz 1995). Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten im deutschen Staatsgebiet östlich von Oder und Neiße (Schlesien, Ost-Brandenburg, Pommern und Ostpreußen) ca. neun Millionen Deutsche gelebt und in deutschen Siedlungsgebieten jenseits der östlichen Reichsgrenzen (in der Tschechoslowakei, in Polen, Rumänien, Ungarn, Jugoslawien, der Sowjetunion, im Baltikum etc.) rund 8,6 Millionen (vgl. auch Kap. 2.5). Nach 1950 lebten dort immer noch ca. vier Millionen Deutsche entweder in ihren ursprünglichen Siedlungs- oder in Deportationsgebieten (Bade 1993a: 20). • 2.Phase (1945-1961): Bis zum Mauerbau 1961 wanderten 3,1 Millionen Menschen aus der Sowjetische Besatzungszone/ DDR in die westlichen Besatzungszonen/ Bundesrepublik ab. Dabei handelte es sich um ehemalige Flüchtlinge aus den früheren deutschen Staatsgebieten östlich von Oder und Neiße und um Aussiedler, also »Deutschstämmige«, aus deutschen Siedlungsgebieten in Osteuropa, sowie um »Übersiedler«, d. h. DDR-Bürger ohne vorherige Aussiedlungsgeschichte. Etwas weniger als eine halbe Million Menschen zogen dagegen von der Bundesrepublik in die DDR, ca. zwei Millionen wanderten nach Übersee aus, vor allem in die USA, nach Kanada und Australien (Wendt 1991). • 3. Phase (1955-1973): Der hohe Arbeitskräftebedarf in Landwirtschaft und Industrie verstärkte sich noch nach der Absperrung der deutsch-deutschen Grenze 1961, weshalb in den Mittelmeeranrainerstaaten sogenannte Gastarbeiter angeworben wurden (Firat 1990: 19 ff.). Bilaterale Regierungsvereinbarungen zur Anwerbung und Vermittlung von Arbeitnehmern wurden abgeschlossen mit Italien (1955), Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968), 3.4 Migrationstore 81 sodass zwischen 1961 und 1974 die Zahl der Ausländer in der Bundesrepublik um ca. 3,5 Millionen anstieg. Das ursprünglich geplante Rotationsprinzip - die ständige Ersetzung der befristet Zugewanderten - wurde auch wegen des Widerstandes der Arbeitgeber, die nicht laufend neue Arbeiter anlernen wollten, aufgegeben. Dennoch rechnete man nicht mit Problemen und verzichtete auf Integrationsangebote. • 4. Phase (1973-1988): Unter dem Eindruck der Ölkrise 1973, als ca. zehn Prozent der unselbständig Erwerbstätigen in der Bundesrepublik Arbeiter aus den Anwerbeländern waren, wurde ein Anwerbestopp erlassen. Ihm folgte der Nachzug von Familienangehörigen derjenigen Arbeiter, die sich für einen Verbleib in Deutschland entschlossen hatten, während andere in ihre Herkunftsländer zurückkehrten (dazu Kap. 4.7); aus der Arbeitswurde eine Familienmigration, die Zuwanderer wurden deutlicher sichtbar. War das Interesse an den »Gastarbeitern« bislang rein ökonomisch bestimmt gewesen, entstand nun ein Problembewusstsein bezüglich der sozial- und integrationspolitischen Aspekte der Zuwanderung von »Nicht-Deutschen«. Aus Ost(mittel-)europa zogen zudem kontinuierlich Aussiedler zu. Diese Zuwanderung war über mehrere Jahrzehnte eher ein schmales, wenn auch stetiges Rinnsal gewesen, nahm aber gegen Ende der 1980er Jahre ganz andere Dimensionen an: Waren zwischen 1951 und 1986 insgesamt ca. 1,3 Millionen Aussiedler vor allem aus Polen und Rumänien gekommen, so betrug ihre Zahl 1987 schon 78.000 und 1988 dann 202.673 und sie stammten jetzt vermehrt aus der Sowjetunion (Bade 1993a: 20 ff.). In den 1980er Jahren stieg auch die Zahl der Asylsuchenden aus den Krisengebieten in aller Welt. 1980 verdoppelte sie sich gegenüber dem Vorjahr und überstieg mit 108.000 Personen erstmals die Hunderttausend-Marke (Geißler 2002: 68). • 5. Phase (1989-2000): Die ersten Jahre nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems (Sowjetunion, die osteuropäischen »Blockstaaten« samt DDR) sowie der partiellen Öffnung der vorher nahezu undurchlässigen Grenzen waren von sehr hohen Zuwanderungszahlen in die Bundesrepublik gezeichnet (vgl. Oswald 1991). So wurden von 1989 bis Ende 2000 ca. 2,5 Millionen Aussiedler, seit 1993 »Spätaussiedler« genannt, in der Bundesrepublik aufgenommen. Nachdem 1989 377.055 und 1990 397.073 Personen, nun zu 95 Prozent aus der (ehemaligen) Sowjetunion, gekommen waren, wurde das Anerkennungsverfahren erschwert. Als Folge lag die Zahl der Aussiedler 1991 - trotz anhaltend hoher »Ausreiseneigung« - nur noch bei 221.995 Personen und sie ging in den folgenden Jahren kontinuierlich zurück. Im Jahr 2000 zählte man noch 95.615 Personen (Statistisches Bundesamt 2003: 80). 3. Migration in modernen Gesellschaften 82 Nach dem Fall der Mauer kamen 1989 außerdem 343.854 Übersiedler aus der DDR in die Bundesrepublik. Nach der Wiedervereinigung wurden diese Personen nicht mehr Übersiedler genannt, sie gelten seitdem vielmehr als innerdeutsche Binnenmigranten. Zwar gab es immer auch eine gewisse West-Ost- Wanderung, doch der Migrationssaldo, also der Überhang zwischen Zu- und Abwanderungen, war für Westdeutschland immer positiv und betrug im Zeitraum 1989 bis 1998 1,16 Millionen Personen (Fassmann/ Münz 2000: 58). Anfang der 1990er Jahre wurde darüber hinaus die Zuwanderung jüdischer Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion über das »Kontingentflüchtlingsgesetz« außerhalb des Asylverfahrens ermöglicht; bis Mitte des Jahres 2000 waren es rund 126.000 Personen (vgl. Jasper/ Glöckner 2001). Auch die Zahl der Asylsuchenden stieg zunächst kontinuierlich. 1989 waren es 121.000, 1990 193.000 Personen, etwa ein Drittel von ihnen kam aus den ehemaligen sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas, aus Rumänien, Bulgarien und Teilen der früheren Sowjetunion (vgl. Blaschke 1997: 62 ff.). 1992 war mit 438.000 Personen der Höhepunkt erreicht, was zu einer Änderung des Asylrechts und einem abrupten Rückgang der Zahlen ab 1993 führte. Zugleich sank die Anerkennungsquote; in der Regel wurden im hier behandelten Zeitraum weniger als fünf Prozent der Asylsuchenden als asylberechtigt anerkannt. Die Abgelehnten wurden entweder wieder in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt oder im Rahmen einer humanitären Schutzklausel für Personen aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten zeitlich befristet als »De-facto-Flüchtlinge« bzw. als »Konventionsflüchtlinge« im Sinne der GFK geduldet. Dies betraf in den 1990er Jahren vor allem Flüchtlinge aus den Nachfolgestaaten des im Bürgerkrieg zerfallenden Jugoslawien; Hunderttausende vor allem bosnisch-muslimische Flüchtlinge, die allerdings eine gewisse Zeit nach dem Friedensabkommen von Dayton (1995) wieder zur Ausreise aufgefordert wurden, konnten sich für eine Zeit in der Bundesrepublik aufhalten (vgl. Mihok 2001). Als Letztes ist die »Anwerbestoppausnahme-Verordnung« zu erwähnen, die 1990 erlassen wurde. Sie gestattet eine zeitlich befristete Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer als Werkvertrags- oder Saisonarbeiter vor allem in der Landwirtschaft, im Bau-, Hotel- und Gaststättengewerbe, wenn freie Stellen nicht mit Einheimischen besetzt werden können. Einige Zehntausend Personen pro Jahr können seitdem die streng an einen Zweck gebundene befristete Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung nutzen. • 6. Phase (seit 2000): Das Zuwanderungsmuster änderte sich infolge zahlreicher Gesetzesänderungen. 1993 war mit dem so genannten Asylkompromiss die Antragstellung in der Bundesrepublik erschwert worden, und im Januar 2005 trat das »Zuwanderungsgesetz«, d. h. das »Gesetz zur Steuerung und Begrenzung 3.4 Migrationstore 83 der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern«, in Kraft. Obwohl es von vielen Seiten, den Kirchen und Menschenrechtsorganisationen beispielsweise, stark kritisiert wird, gilt es der offiziellen vorläufigen Evaluierung nach als erfolgreich, was bedeutet, dass die derzeitig geltenden Zuwanderungswege konsolidiert und die Zahlen der Migranten, die sich auf ihnen bewegen, in überschaubarer Höhe gehalten werden. Wurden im Jahr 2001 noch rund 88.400 Asylanträge gestellt, so waren es 2004 nur noch 35.607 zuzüglich 14.545 Folgeanträge bei einer Anerkennungsquote von 1,5 Prozent. Zudem sank die Zahl der Spätaussiedler weiter, von 95.615 im Jahr 2000 auf nur noch 59.093 im Jahr 2004. Wie in den 1990er Jahren kamen sie vorwiegend aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Zugenommen hat dagegen die Arbeitsmigration. Im ersten Halbjahr 2004 kamen 252.470 Saison- und 39.410 Werkvertragsarbeitnehmer nach Deutschland, während es im Gesamtjahr 2002 307.182 bzw. 45.446 Personen gewesen waren. Rückläufig allerdings war die Vergabe von green cards für IT-Fachkräfte: 2001 wurden sie von weit mehr als 6.000 Personen genutzt, im ersten Halbjahr 2004 nur noch von 1.128 Personen (migration-info 02/ 05). Als Fazit lässt sich festhalten: Bis Ende 1989 stieg die Zahl der in der (alten) Bundesrepublik lebenden Ausländer auf 4,85 Millionen. Schon damals war ein relevanter Teil der Wohnbevölkerung im Ausland geboren, sei es als Aussiedler, sei es als (ehemaliger) »Gastarbeiter«, sei es als Asylsuchender. In den 1990er Jahren gab es dann eine sehr hohe Zuwanderung, auch weil die Ausländerbeschäftigung - trotz Anwerbestopps - wieder zunahm. 1992 wurde das historische Maximum von 1,2 Millionen Zuwanderern (inklusive Asylsuchende) erreicht. Obwohl die Migrationstore seitdem nicht mehr so weit geöffnet sind, stieg die Zahl der Ausländer bis Anfang 2002 auf 7,3 Millionen oder 8,9 Prozent der Wohnbevölkerung und ist seitdem auf diesem Niveau geblieben (Geißler 2002: 282; Eurostat 2004: 65). • Seit Längerem ist klar, dass die Aussiedler ganz ähnliche Probleme und Integrationsschwierigkeiten haben wie jeder andere zugewanderte »Ausländer«. Ihre Zuwanderung ist keine irgendwie geartete »Rückkehr« (von Nachfahren einst Ausgewanderter), sondern eine »echte« Einwanderung mit allen Merkmalen der Einwanderung von Nicht-Deutschen (Bade 1993a: 18 ff.). Es ist deshalb sinnvoll, die komplizierte und oft lediglich formal-juristische Unterscheidung zwischen Ausländern, die als Arbeitsmigranten oder Asylsuchende kamen, und Deutschen sowie Aussiedlern aufzugeben, sondern von »Menschen mit Migrationshintergrund« zu sprechen. Deutschland ist aus wirtschaftlichen, demographischen und humanitären Gründen - und gegenwärtig genau in dieser Reihenfolge - heute ein »Einwanderungsland modernen Typs« (UZK 2001) und gilt inzwischen ganz offiziell als »Zuwanderungsgesellschaft«. Laut des »Mi- 3. Migration in modernen Gesellschaften 84 krozensus 2005« haben 15,3 Millionen oder 19 Prozent der bundesdeutschen Wohnbevölkerung einen Migrationshintergrund. Nach den Kriterien des Statistischen Bundesamts der Bundesrepublik Deutschland gehören zu diesem Personenkreis zugewanderte sowie bereits eingebürgerte Ausländer, Spätaussiedler ab dem Stichtag 1.8.1999 und Deutsche ohne eigene Migrationserfahrung, bei denen mindestens ein Elternteil Spätaussiedler, Eingebürgerter oder Ausländer ist (Statistisches Bundesamt 2006: 73 ff.). Abb. 4: Migrationstore in die Bundesrepublik Aus: Themenblätter 2003: 2 3.5 Reichweite und Möglichkeiten soziologischer Migrationstheorien Die meisten soziologischen Migrationstheorien befassen sich entweder mit den Ursachen oder den Folgen von Migrationen. Auf der einen Seite geht es darum, warum Menschen wandern und wie ihr Handeln im Kontext konkreter sozialer 3.5 Reichweite und Möglichkeiten soziologischer Migrationstheorien 85 Ordnungssysteme zu erklären ist. Auf der anderen Seite wird untersucht, wie sich Zuwanderer in der Aufnahmegesellschaft etablieren und mit den Eingesessenen interagieren können. Bis heute ist nicht überzeugend gelungen ist, beide Situationen, die Ausgangs- und die Zielsituation, zusammenzuspannen und unter Berücksichtigung des Migrationsweges eine integrierte soziologische Migrationstheorie vorzulegen. Dies hat seinen Grund in der Heterogenität des Phänomens und dessen gesellschaftlicher Relevanz. Die Versuche, die Komplexität mithilfe abstrakter Modelle zu reduzieren, werden regelmäßig durch die Notwendigkeit konterkariert, auch auf aktuelle Ereignisse zu reagieren, sei es in der innerwissenschaftlichen Diskussion, sei es in der Politikberatung. Die Vielfalt der Perspektiven und möglichen Methoden vergrößert die bestehenden »Gräben« in der Soziologie, die zwischen erklärender und verstehender Soziologie, zwischen quantitativen und qualitativen Methoden; und die vielen interdisziplinären Berührungspunkte machen es schwer, die Grenzen spezifisch soziologischer Fragestellungen abzustecken (vgl. auch Kalter 2003). Aktuelle Probleme - beispielsweise auf Deutschland bezogen - sind die Zuwanderung im Rahmen der EU-Osterweiterung und die Probleme bei der Integration bereits Zugewanderter insbesondere der zweiten und dritten Generationen, die sich etwa in den Ergebnissen der internationalen Vergleichsstudie zu schulischen Leistungen, PISA, ausdrücken. Weitere Themen sind die Fragen der Staatsbürgerschaft und die Verunsicherungen, die islamistische Bewegungen mit sich bringen. Keiner dieser Aspekte lässt sich - weder politisch noch wissenschaftlich - angehen, wenn man sich keine Vorstellung von den grundlegenden Prozessen von Migration macht, also den vielfältigen Verursachungen von Migration und ihren Verläufen. Die Zuwandererbevölkerungen in den entwickelten Industrieländern sind heterogen zusammengesetzt und ergeben mit der eingesessenen Bevölkerung, von der ein guter Teil selbst irgendwann zugewandert ist, eine neue soziale Gemengelage, die sich nicht erklären lässt, wenn man lediglich auf die politisch und rechtlich definierten Personenkategorien zurückgreift, wie etwa die Nachkommen der »Gastarbeiter« aus den Mittelmeerländern oder Werkvertragsarbeitnehmer aus Polen. Die bisherigen Ausführungen zeigten, dass Flucht- und Arbeitsmigration analytisch zu trennen sind. Doch oft sind die Ursachen nicht klar zu unterscheiden bzw. fallen zusammen wie bei der Flucht vor Armut, die selbstverständlich als Arbeitsmigration fortgesetzt wird. Das Kriterium der »Freiwilligkeit« ist in vielen Fällen nicht trennscharf und wirft ein Licht darauf, dass das Handeln der Menschen in Migrationsbewegungen vielen Grenzen ausgesetzt ist: »Grenzregime« im Sinne von Kontrollanlagen und Visabestimmungen etc., Gesetze zu Arbeitsaufnahme, Niederlassung und Staatsbürgerschaft, ganz zu schweigen von der Beschaffung notwendiger Information und Reisemittel. Das Handeln wird davon nicht 3. Migration in modernen Gesellschaften 86 völlig determiniert und ist nicht nur reaktiv, doch außer den Begrenzungen durch nationalstaatliche Institutionen wirken auch diejenigen, die aus den kulturellen Traditionen und Wertvorstellungen entstehen. Auf diese reagieren Menschen mit bestimmten Handlungsmustern und sie reflektieren sie - anders als die materiellen Grenzen und Notwendigkeiten - nur wenig. Hier ist nicht der Raum, alle Theorien vorzustellen, die in den letzten Jahrzehnten diskutiert wurden, zumal die einzelnen Ansätze selten aufeinander reagieren, sondern unabhängig voneinander entstanden und entwickelt wurden (dazu: Blaschke 1997; Parnreiter 2000; Han 2005: 41 ff.). Im Folgenden wird ausführlicher die Migrationstheorie von H.-J. Hoffmann-Nowotny vorgestellt, die seit den 1970er Jahren im deutschsprachigen Raum sehr einflussreich ist. Sie wurde von ihm stetig weiterentwickelt und ist an einige wichtige Theorien, die auf den Erfahrungen in den USA und Großbritannien beruhen, anschlussfähig, so dass sich verschiedene Theoriestränge konstruktiv ineinander integrieren lassen. Der theoretische Ansatz von H.-J. Hoffmann-Nowotny Ausgangspunkt von Hoffmann-Nowotnys Theorie ist ebenfalls die Annahme, dass potentielle Migranten ihre Lebensbedingungen verbessern wollen. »Gut« oder »besser« sind aber für eine soziologische Analyse keine tauglichen Qualifikationen, weder bezüglich ökonomischer Vergleiche noch zur Bestimmung individueller Motivationen. Die Beurteilung einer spezifischen Situation kann sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob sie von außen (etwa von Wissenschaftlern oder Politikern) oder durch die Betroffenen selbst erfolgt. Hoffmann-Nowotny (1970) versuchte daher, sowohl »objektive« Gegebenheiten als auch »subjektive« Motivlagen systematisch miteinander zu verknüpfen bzw. makrosoziologische und -ökonomische Aspekte auf mikrosoziale, individuelle Entscheidungssituationen zu beziehen. Seiner Theorie zufolge werden Wanderungen unternommen, um einen Ausgleich zwischen Macht und Prestige zu ermöglichen. »Macht« ist dabei die Möglichkeit eines Akteurs, seinen Anspruch auf Teilhabe an den zentralen sozialen Werten durchzusetzen, während »Prestige« darauf verweist, inwiefern die Teilhabe oder ihr Besitz als legitim gilt (Hoffmann-Nowotny 1970: 26 ff.). Macht bezieht sich also zum Beispiel auf soziale Positionen, die Einfluss, Status und (hohes) Einkommen garantieren, während »Prestige« auf individuelle Eigenschaften und Fähigkeiten verweist, etwa auf Ausbildungs- und Berufsqualifikationen. In vielen Gesellschaften kommen beide Dimensionen strukturell nicht zur Deckung, etwa dann, wenn zwar ein erheblicher Anteil der Bevölkerung über eine gute Ausbildung verfügt, die entsprechenden Arbeitsplätze aber nicht existieren bzw. bereits 3.5 Reichweite und Möglichkeiten soziologischer Migrationstheorien 87 besetzt sind. Den gut Ausgebildeten ist in diesen Fällen der berufliche Einstieg und/ oder Aufstieg verwehrt, was alle Aspekte einer angestrebten bzw. in der gegebenen Gesellschaft oder Schicht als »normal« empfundenen Lebensführung betrifft und in Mitleidenschaft zieht: Familiengründung, Wohnverhältnisse und allgemeiner Lebensstandard, Anerkennung im persönlichen Nahbereich und in der Öffentlichkeit. Es können dadurch »strukturelle und anomische Spannungen« entstehen, also etwa Spannungen aufgrund sich verfestigender sozialer Ungleichheiten und einem daraus resultierenden Norm- und Werteverfall, der die soziale Ordnung schwächt. Derartige Spannungen sind, wenn sie nicht abgebaut werden können, nie irrelevant, da in jeder Gesellschaft ein Konsens über die zentralen Werte existiert und den Mitgliedern nicht ohne guten Grund auf Dauer die Teilhabe verweigert werden kann. Die Abwanderung kann daher für alle beteiligten Seiten von Vorteil sein: Für den Migranten selbst, sofern er eine seiner Qualifikation entsprechende und eine Aufwärtsmobilität ermöglichende Arbeit findet; für das Herkunftsland, weil Protestpotential vermindert und der Arbeitsmarkt entlastet wird sowie mit nennenswerten Rücksendungen an zurückgebliebene Familienmitglieder gerechnet werden kann, also Spannungsabbau erfolgt; für das Zielland, weil es Stellen mit Personen besetzen kann, in deren Ausbildung nicht investiert werden musste. Hoffmann-Nowotny formulierte seine Theorie ursprünglich vor dem Hintergrund der Migration aus Entwicklungsländern in Industriegesellschaften. Die oft von den reichen Ländern unterstützten »Bildungsoffensiven« der 1960er und 1970er Jahre schufen in vielen sich entwickelnden Gesellschaften ein Arbeitskräftepotential, das vor Ort gar nicht genutzt werden konnte und dem mit höchster politischer Billigung ein Ausweg mittels Abwanderung gewiesen wurde. Allerdings ist in einem Modell, das hochkomplexe Arbeitsmarktverhältnisse zwischen unterschiedlich entwickelten Gesellschaften aufeinander bezieht, »auch die Migration nur noch ein Element unter anderen«, wie Hoffmann-Nowotny selbst konzediert (1970: 145). Statt zur Abwanderung können derartige Verhältnisse schließlich auch zur Umstrukturierung des Arbeitsmarkts führen, wie dies in entwickelten Industriegesellschaften mitunter der Fall ist, weil für die Mitglieder, denen ein Aufstieg nicht möglich ist oder die aufgrund von Arbeitslosigkeit und/ oder Zukunftsangst als (relativ) depraviert gelten, keine attraktiven Ziele für eine Massenabwanderung vorhanden sind. Ein anderer Ausweg bzw. ein mögliches Ventil sind soziale Aufstände, in deren Verlauf die Eliten, die - inzwischen als illegitim angesehenen - Inhaber der Macht(positionen), vertrieben oder abgesetzt werden. Diesen letzten Fall hat A. O. Hirschman (1993) in der Formel »Abwanderung und Widerspruch« zusammengefasst und damit auch theoretische Hinweise zur Erklärung des Endes der DDR gegeben. 3. Migration in modernen Gesellschaften 88 Insofern ist die Migration empirisch ein oft gesuchter Ausweg aus Entwicklungsblockaden, der allen politischen und wissenschaftlichen Prognosen zufolge in Zukunft eher noch häufiger gewählt werden wird als heute. Ermöglicht wird dies durch die besseren Verkehrs- und Kommunikationstechniken, die eine Begleiterscheinung der Globalisierungsprozesse sind. Diese sind, so Hoffmann- Nowotny, in Hinblick auf die Ursachen von Migration in zwei Aspekten zu konkretisieren: 1) Die Entwicklungsdisparitäten zwischen den nationalen Einheiten der Weltgesellschaft nehmen zu; 2) gleichzeitig erfolgt, aufgrund der Ausbreitung des westlichen Struktur- und Kulturmodells, eine Wertintegration der Gesellschaften auf kultureller Ebene. Damit ist gemeint, dass die Besetzung von sozialen Positionen aufgrund von Ausbildung und Beruf sowie die Ausbildung einer entsprechenden rationalen Lebensführung vor allem in den mittleren sozialen Schichten weithin anerkannt wird und so Vorstellungen feudaler/ ständischer Lebensweise abgelöst werden. Erst so können soziale Positionen über Länderbzw. Kulturgrenzen hinweg überhaupt miteinander verglichen werden, womit soziale Mobilität und letztlich auch räumliche Mobilität ausgelöst und legitimiert werden. Grenzüberschreitende Migration wäre demnach eine besondere und kollektiv hoch bewertete Strategie des individuellen sozialen Aufstiegs. Je größer der strukturelle und je geringer der kulturelle Unterschied, so die Schlussfolgerung, desto größer ist das Migrationspotential (Hoffmann-Nowotny 1993; 1997). Anwendungspotentiale der Theorie zur Erklärung aktueller Migrationen Auf den ersten Blick ähnelt der erste Teil der Theorie einem einfachen Push- und Pull-Modell, demzufolge Migration durch Lohndifferenzen zwischen zwei Ländern/ Regionen ausgelöst wird. Soziale Aufwärtsmobilität bedeutet aber wesentlich mehr als nur Lohnzuwachs, wenn darunter eine soziologische Kategorie und keine rein ökonomische Größe verstanden wird. Aufstiegsorientierung, im soziologischen Sinne, richtet sich auf die Teilhabe nicht nur an materiellem Wohlstand, sondern auch an staatlicher Wohlfahrt sowie an ideellen und sozialen Werten wie Freiheit, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und/ oder Freizügigkeit der Bewegung von Personen, auch von Technologie und Kapital. Dies sind allerdings Werte, die in den westlichen Gesellschaften über einen langen Zeitraum hinweg formuliert und in vielerlei Konzeptionen dargelegt wurden, die aber nicht selbstverständlicher Teil anderer, nicht-westlicher kultureller Wertüberzeugungen sind. 3.5 Reichweite und Möglichkeiten soziologischer Migrationstheorien 89 Ob es wirklich zu einer Wertintegration in der Weltgesellschaft kommen wird, die sich am »westlichen Struktur- und Kulturmodell« orientiert, ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder eine offene Frage. Sie lässt sich längst nicht mehr so optimistisch beantworten, wie dies in den 1990er Jahren, nach dem Ende des politischen Blockdenkens und des Kalten Krieges möglich war, als Hoffmann-Nowotny die Fortsetzung seiner soziologischen Migrationstheorie formulierte. Selbst wenn dereinst ein allgemein anerkannter Werthorizont alle Gesellschaften der Welt überspannen sollte, so ist auf dem langen Weg dorthin mit vielen Konflikten zu rechnen. Insbesondere scheint ein Szenario, das Hoffmann-Nowotny für wenig wahrscheinlich hielt, sich gegenwärtig durchzusetzen: ein zunehmendes Migrationsvolumen trotz der Zunahme sowohl struktureller als auch kultureller Distanzen. Auf diese Entwicklung sowie auf ihre theoretische Bearbeitung wird später ausführlich eingegangen (Kap. 5), doch zunächst sei festgehalten, dass der vorgestellte soziologische Ansatz bessere Erklärungen für Ursachen, Motive und Auslöser von Migration, also für den Beginn eines Wanderungsprozesses bietet als für dessen Beendigung, die im weitesten Sinne als Integration der Migranten in die Aufnahmegesellschaft zu umschreiben ist. Bevor im nächsten Kapitel wichtige Ansätze der Integrationsforschung dargestellt werden, seien die Vorteile und Anschlussmöglichkeiten, aber auch Defizite der Migrationstheorie von Hoffmann-Nowotny festgehalten: • Die Grundtheorie sowie ihre Erweiterung fast drei Jahrzehnte später ermöglichen der Migrationsforschung bei vielen Aspekten die Zu- und Einordnung in anspruchsvolle soziologische Fragestellungen (vgl. Nauck 1988; Müller-Schneider 2000). Die Theorie widerspricht anderen theoretischen Ansätzen, die Migrationsursachen und -motive beleuchten, nicht, sondern betont einige ihrer zentralen Elemente. Dies betrifft etwa die für die Migrationsentscheidung wichtige Bedeutung struktureller Spannungen am Herkunftsort, die Eisenstadt (1954) hervorhebt. Assoziiert werden können auch die sogenannten Deprivationsansätze, denen zufolge nicht völlige Verarmung Migration auslöst, sondern eine relative Schlechterstellung, die durch gewisse Anstrengungen, wie etwa Abwanderung, ausgeglichen werden könnte (vgl. Stark/ Taylor 1991). • Es werden die Situationen in der Aufnahme- und in der Ausgangsgesellschaft berücksichtigt und aufeinander bezogen, allerdings unter fast ausschließlicher Berücksichtigung der Arbeitsmarktbedingungen und auf Kosten anderer Integrationsdimensionen. Der Ansatz eignet sich zur Analyse internationaler und interregionaler Migration, ist aber auf Arbeitsmigration beschränkt. • Das grobe Push- und Pull-Grundmodell ist um genuin soziologische Elemente erweitert. Eine wichtige Rolle spielen die »harten« Faktoren wie Lohndifferenzen, aber auch die Arbeitslosenquote oder die Lebenshaltungskosten. Aus- 3. Migration in modernen Gesellschaften 90 schlaggebende strukturelle Größen, die die Attraktivität des Herkunftslands mindern bzw. die des Ziellands erhöhen, sind aber in dem Kriterienbündel »Teilhabe an zentralen sozialen Werten« (z. B. Anerkennung und Aufstiegschancen) zusammengefasst. • Deutlich wird, dass und warum Migration nicht »alle Menschen« erfasst und nicht einmal alle diejenigen, die zur Wanderung im Prinzip bereit sind: Sie ist ein höchst selektives Phänomen. Genauso wichtig und oft noch wichtiger als eine grundsätzliche Bereitschaft zur Abwanderung, also gewissermaßen die Angebotsseite (der Arbeitskraft), ist die Seite der Nachfrage in den potentiellen Zielländern. Reale Aufstiegschancen ergeben sich nur, wenn die gegebenen Qualifikationen auch nachgefragt werden, womit die Aufnahmeländer ein effizientes Mittel zur Steuerung der Arbeitsmigration in der Hand haben. Seit Ende der 1970er Jahre wird verstärkt an entsprechenden »demand-Ansätzen« gearbeitet (»klassisch«: Piore 1979). • Wie Anerkennung und Sozialprestige mit den spezifischen Traditionen und Wertvorstellungen in einer Gesellschaft verflochten sind und kommuniziert werden, lässt sich mit vielen Fragen allgemeiner soziologischer Theoriebildung verbinden: z. B. sozialer Wandel oder Entwicklung und Reproduktion sozialer Ungleichheit. Insofern eignet sich Hoffmann-Nowotnys Migrationstheorie zur Untersuchung des Einflusses von Abwanderung auf das Sozialgefüge der Abwanderungsregion bzw. der betreffenden Teilgesellschaften. Da aber die Integrationssituation zu wenig berücksichtigt ist, kann die Theorie wenig zur Erklärung des Wandels sozialer Schichtungsprozesse in der Zuwanderungsgesellschaft und der dadurch möglichen Konflikte zwischen Zuwanderern und Eingesessenen beitragen. • Nicht berücksichtigt wird, dass Migration nicht mehr nur in eine Richtung und einmalig, sondern vermehrt als Pendel- und Zirkularmigration stattfindet und die Lebensführung bi- oder multilokal zwischen zwei oder gar mehreren Kulturen organisiert wird. Keine Erklärung finden auch die Phänomen der Kettenmigration und der Migrations-Netzwerke, die dafür verantwortlich sind, dass manche Migrationsbewegungen gar nicht mehr zu stoppen sind, auch wenn die Verursachungen und ursprünglichen Auslöser nicht mehr vorhanden sind. Weitere nicht berücksichtigte Aspekte sind die »ethnischen Hierarchien«, die infolge der Definition von Migrationstoren entstehen, sowie die Frage, ob die relevanten Akteure und Entscheidungsträger in Migrationsprozessen Individuen oder Kollektive sind und welche - nicht nur monetären - »Zahlungsmittel« zur Begleichung der Migrationskosten zur Verfügung stehen. 3.5 Reichweite und Möglichkeiten soziologischer Migrationstheorien 91 3.6 Fragen und Literaturempfehlungen • Wozu nützen Migrationstypologien und welche Unterscheidungskriterien werden dabei verwendet? • Von welchen Überlegungen lassen sich einfache »Push und Pull-Modelle« leiten? • Welche »Migrationstore« regulieren die aktuelle Zuwanderung nach Deutschland? • In welcher Hinsicht ist die Unterscheidung von Arbeits- und Fluchtmigration problematisch? Bade, Klaus J./ Oltmer, Jochen (2004): Normalfall Migration. Bonn Baringhorst, Sigrid (2003): Australia - the Lucky Country? Multikulturalismus und Migrationspolitik im Zeichen neokonservativer Reformen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 26, S. 12-18. Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim (1993): Weltmigration - eine soziologische Analyse. In: Kälin, Walter/ Moser, Rupert (Hrsg.): Migrationen aus der Dritten Welt: Ursachen, Wirkungen, Handlungsmöglichkeiten. Bern/ Stuttgart/ Wien, S. 57-68 3. Migration in modernen Gesellschaften 92 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung Klassische Assimilationsmodelle/ Bedeutung ethnischer Gruppenbildung/ Formen partieller Assimilation/ Differenzierte Integrationsmodelle/ Ethnisierung von Arbeitsmärkten/ Ethnische Gemeinden/ Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« Nachdem im vorangegangenen Kapitel Theorien zur Abwanderungssituation dargestellt wurden, geht es in diesem Kapitel um die Aufnahmesituation. Mit dieser befasst sich die Assimilationsbzw. Integrationsforschung. Zwar wird unter den Begriffen »Assimilation« und »Integration« Ähnliches verstanden und die Begriffe werden oft synonym verwendet, doch während - kurz gefasst - unter Assimilation die Anpassung (von Zuwanderern, von Minderheiten) an eine bestehende Kultur mit ihren spezifischen Werten verstanden wird, versteht man unter Integration die Eingliederung in die Teilbereiche einer Gesellschaft, die einer umfassenden Assimilation vorausgeht. Während in den frühen Theorien der Eingliederungsprozess von Migranten meist nur »Assimilation« genannt wurde, ist heute häufiger von »Integration« die Rede, weil die Gesellschaft als eine Gesamtheit dynamischer Prozesse gesehen wird und daher ständigen Veränderungen unterliegt, es also nicht nur um eine einseitige Anpassung von Minderheiten geht, sondern um die Entstehung von etwas Neuem sowie um eine breite Palette von Identifikationsmöglichkeiten. Vorgestellt werden zunächst »klassische« Assimilationsmodelle, die inzwischen von Ansätzen abgelöst wurden, die die Aufmerksamkeit auf nicht lineare Prozesse von Integration richten. Damit kommt die Problematik kultureller und ethnischer Beziehungen in den Blick, die zum einen ein Strukturierungsmoment in den Aufnahmegesellschaften sind, zum anderen ein wichtiger Aspekt der Identitätsbildung von Zuwanderern und ihren Nachkommen werden können. 4.1 Klassische Assimilationsmodelle Während die Push- und Pull-Modelle die Ursachen der Migration in den Blick nehmen, versuchen Assimilationsmodelle die Situation nach der Zuwanderung darzustellen und zu erklären. Unter Assimilation wird der Prozess verstanden, in 93 dem sich kulturelle, ethnische oder religiöse Minderheiten an die Mehrheitsgesellschaft anpassen und deren Werte und Lebensweisen übernehmen. Der Begriff »Assimilation« bezeichnet letztlich die allmähliche Aufgabe der Herkunftskultur bzw. das Verblassen ihrer Elemente unter dem Eindruck der neuen Kultur. Begriffe wie »Akkulturation« oder »Integration« bezeichnen dagegen Eingliederungsprozesse, bei denen die Annäherung an die Zielkultur weit oberflächlicher sein kann bzw. auf eine gegenseitige Annäherung von Minderheits- und Mehrheitskultur verweisen. Die Assimilationsstudien der »Chicago School« Vergegenwärtigt man sich die vielfältigen Aufgaben, die bei der Versetzung und dauerhaften Etablierung eines Lebensmittelpunktes in einer anderen Gesellschaft anfallen, so wird plausibel, warum Assimilation, also die Angleichung an die Standards der »Mehrheitsgesellschaft«, ein langer Prozess sein muss und oft erst den Nachkommen von Einwanderern gelingen kann. Das erste geschlossene Assimilationsmodell war denn auch ein Generationenmodell, erstellt im Rahmen der Untersuchungen der »Chicago School« zur europäischen Einwanderung in die US-amerikanischen Städte des frühen 20. Jahrhunderts (Park 1950 [1926]; Thomas/ Znaniecki 1974 [1918-21]). Diesem Modell zufolge kann sich die erste, direkte Zuwanderergeneration nur »akkomodieren«, also im Schutze einer ethnischen Kolonie an die neuen Lebensumstände gewöhnen. Die zweite Generation muss den unvermeidlichen Konflikt zwischen Herkunfts- und Zielkultur aushalten, da sie sowohl den Werteerwartungen der Eltern als auch denen der neuen Gesellschaft, insbesondere in der Schule und in der Nachbarschaft, entsprechen soll. Erst in der dritten Generation kann dieser allmähliche Akkulturationsprozess mit der Assimilation an die Aufnahmegesellschaft enden. Zwar gingen die Forscher der »Chicago School« davon aus, dass der Kontakt zwischen Zuwanderern und Eingesessenen immer von Wettbewerb und Konflikten begleitet sein würde und den Zuwanderern als zunächst machtunterlegenen Gruppen vor allem berufliche Nischen und segregierte Wohnviertel übrig blieben. Aus dieser unteren sozialen Position würden sie sich mit der Zeit aber herausarbeiten und sowohl die kulturellen Traditionen als auch ihre Träger, die Eingesessenen, besser kennenlernen und schließlich, getragen durch Freundschaften und Einheirat, in der Aufnahmegesellschaft aufgehen (Park/ Burgess 1921). Die Grundannahme ist, dass jede neue Zuwanderergruppe diesen race-relation-cycle durchlaufen muss, wie R. Park sein Mitte der 1920er Jahre formuliertes Konzept nannte. Ursprünglich unter dem Eindruck der Zuwanderung aus Asien entwickelt, wurde es später auch auf andere ethnische Beziehungen übertragen (Price 1969: 214). 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 94 Alle Zuwanderer müssten den Zyklus: Kontakt - Wettbewerb/ Konflikt - Akkomodation - Assimilation, durchlaufen, währenddessen sie die Sprache übernehmen und einen mit den Eingesessenen gemeinsamen Erinnerungsschatz aufbauen würden. Das grenze sie wiederum von neuen Zuwanderern ab, die nun ihrerseits am Anfang des Assimilationszirkels stünden. Auch wenn zu Beginn dieser konzeptionellen Überlegungen manche Gruppen wie Schwarze, Indianer oder Slumbewohner als tendenziell nicht assimilationsfähig ausgeschlossen waren (Park/ Miller 1969 [1921]), so wurde letztlich die politische Notwendigkeit eines derartigen Assimilationsprozesses betont. Selbst Gesetze zur Rassentrennung würden diese Entwicklung nicht aufhalten. Damit hatte die schon lange existierende Vorstellung von den USA als melting pot (»Schmelztiegel«) einen theoretischen Unterbau bekommen, denn so erschien die amerikanische Kultur als stark genug, um letztlich alle Kulturen in sich aufnehmen zu können. In der politischen Arena gab es daher nicht mehr nur die Ideologie der anglo-conformity, derzufolge sozialer Aufstieg nur mittels - aktiver - Anlehnung an die Leitkultur (core culture) möglich war. Eine ausgeprägte Variante derselben ist die »WASP«-Ideologie (White Anglo-Saxon Protestant), die aus einer ethnozentristischen Position als machtüberlegen gegenüber allen anderen Lebensweisen interpretiert wurde und wird; Menschen, die diesem Profil nicht entsprechen, werden gar keine Chancen zum sozialen Aufstieg eingeräumt. Mit dem melting pot-Gedanken entstand ein neues, versöhnlicheres Ablaufmodell für die Amerikanisierung der Zuwanderung und es bot überhaupt eine optimistische Vorstellung von der Zukunft der modernen Welt. Allerdings ist zu beachten, dass Begriffe wie melting pot, anglo-conformity oder core culture bzw. Leitkultur politisch-ideologische Schlagworte sind, mit denen der erwünschte Zustand der Gesellschaft oder Forderungen an das Verhalten von Zuwanderern ausgedrückt werden. Es handelt sich nicht um wissenschaftliche Begriffe bzw. soziologische Kategorien, die aus Analyse-Modellen abzuleiten wären, sondern um griffige Formeln, die ganz bestimmte, der jeweiligen Ideologie entsprechende Aspekte aus theoretischen Ansätze herausgreifen. Allerdings werden diese Formeln ihrerseits oft in die wissenschaftliche Analyse einbezogen, sodass - insbesondere in den Medien - eine fast unauflösliche Vermischung der Begrifflichkeiten entstanden ist. Sequenz- und Zyklenmodelle zu Assimilationsprozessen In den nächsten Jahrzehnten wurden einige Sequenz- und Zyklenmodelle formuliert, die zwar nuancenreicher waren, aber doch alle an dem Endziel der unver- 4.1 Klassische Assimilationsmodelle 95 meidlichen Assimilation festhielten, also ein Aufgehen aller Minderheitenkulturen in einer einzigen, alle umfassenden Kultur. Zu nennen sind insbesondere die Stufenmodelle von A. Richardson (1957) und von R. Taft (1957), die bis heute in den Sozialwissenschaften diskutiert bzw. als Ausgangskonzeptionen für neuere Ansätze genutzt werden, um die beiden wichtigsten Kritikpunkte an den frühen Assimilationsmodellen aufzunehmen: • Zum einen ist die Annahme eines Ablaufprozesses, der unvermeidlich und irreversibel in Richtung einer vollständigen Assimilation verläuft, nicht haltbar. Solche »progressiven« Entwicklungsmodelle waren auch für die frühen Modernisierungstheorien typisch (vgl. Kap. 1.3), doch sind sie inzwischen sowohl empirisch widerlegt als auch theoretisch überholt: Es kann zu dauerhaften Konflikten und Segregationen, also zu Trennungsprozessen nach ethnischen oder religiösen Kriterien kommen, gar zur völligen Abdrängung und sogar Vernichtung bestimmter ethnischer Gruppen, deren Zuwanderung, selbst wenn sie über längere Zeit erfolgreich verlief, plötzlich problematisiert wird. Die Verfolgung und schließlich die Vernichtung von Juden im Dritten Reich, die zum Teil viele Generationen in Deutschland gelebt hatten, ist ein drastisches Beispiel. Ein anderes ist das Massaker an der Minderheit der Tutsi in Ruanda 1994. • Zum Zweiten lässt sich auch die Idee der »Einschmelzung« nicht aufrechterhalten, wenn man sie in wissenschaftliche Kategorien übersetzt und als letztendliche Einebnung aller kulturellen bzw. ethnischen Unterschiede auffasst. Auch diese Annahme, dass dereinst alle religiösen und/ oder ethnischen Unterschiede aufgehoben sein würden, ist ein Aspekt früher Modernisierungstheorien, der in dieser einfachen Form inzwischen überholt ist. Selbst im Zeitalter der ethnisch definierten Nationalstaaten gibt es Beispiele der friedlichen Koexistenz unterschiedlicher »Völker« unter einem staatlichen Dach: Kanada und die Schweiz etwa, in denen die Identität als Staatsbürger und die als Angehöriger einer besonderen sprachlich-kulturellen Gruppe durchaus miteinander vereinbar sind. Partielle und ungleichmäßig verlaufende Assimilationsprozesse bzw. Koexistenzen ohne sprachlich-kulturelle Assimilation können mit diesen Modellen also nicht erklärt werden. Nicht nur die rassistischen und alle »nicht arischen« Kulturen diskriminierenden Exzesse des Nationalsozialismus machen ihr Ungenügen deutlich, überall auf der Welt kann man selbst in den »fortgeschrittensten« Industriegesellschaften beobachten, wie sehr weitgehend assimilierte Bevölkerungsgruppen sich im Sinne eines ethnic revival (Smith 1981) wieder ihren Herkunftskulturen zuwenden. Dies zeigen die Renaissance von Trachten- und Folkloregruppen, aber auch die konfliktreiche Staatengründungswelle nach dem Zerfall des sozialistischen Systems in Ost(mittel)europa (vgl. Kap. 5.1) oder die Entstehung von Sezessionsbewegungen, wie etwa die baskische Autonomiebewegung. 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 96 Neuorientierungen unter ethnischem Vorzeichen können zwar friedlich verlaufen und auf ethnischen Pluralismus abzielen, also auf ein friedliches Nebeneinander ethnisch-kultureller Ausdrucksformen, doch die Artikulation von Identitäten in ethnischen Dimensionen, insbesondere bei der Verfolgung politischer Ziele, ist fast nie harmlos. Wenn sich bestimmte Gruppen aufgrund ihrer Ethnizität auf Kosten der Angehörigen anderer Gruppen als - ökonomisch, politisch, kulturell - besonders erfolgreich darstellen wollen oder die Betonung ethnischer Unterschiede in eine Hierarchisierung ethnischer Gruppen mündet, sind Konflikte geradezu vorprogrammiert. Nicht selten werden bestehende Konflikte, gleich welcher Art, in ethnische Begrifflichkeiten übersetzt, sodass über die Auseinandersetzungen der ursprüngliche Konfliktgrund zweitrangig, das Problem gewissermaßen »ethnisiert« wird. Der Kampf um die Rechte zur Nutzung natürlicher Ressourcen in einer bestimmten Region - sei es Erdöl, seien es für den Tourismus geeignete Strände - kann durchaus zu einem blutigen Schlagabtausch zwischen Bevölkerungsgruppen führen, die jahrhundertelang relativ friedlich gemeinsam siedelten, gar zu »ethnischen Säuberungen«, wenn die stärkere Gruppe die Region als »historischen Siedlungsraum« beansprucht und es plötzlich als völlig unzumutbar empfindet, mit Mitgliedern der anderen Gruppe Tür an Tür zu leben. Beispiele sind die durch die Ölförderung und ungleiche Verteilung westlicher Hilfsgelder angeheizten ethnischen Konflikte in Nigeria (ZEIT online, 28.6.2006) oder die Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren. Bevor weitere Integrationskonzepte und die aktuelle Diskussion dazu vorgestellt werden, folgen zunächst Ausführungen über das Sozialphänomen Ethnizität, das in den klassischen Assimilationstheorien unterschätzt wurde. 4.2 Bedeutung ethnischer Gruppenbildung Die sehr kontrovers geführte Debatte über Ethnizität und ihren Einfluss auf Migration und Integration ist vor allem eine Auseinandersetzung darüber, inwieweit - im weitesten Sinne - kulturelle Faktoren eine Rolle in diesen sehr komplexen Geschehen spielen. Die klassischen Ansätze geben darauf keine Antwort bzw. vernachlässigen diese Frage: Mit den Push- und Pull-Modellen werden vor allem ökonomische Faktoren berücksichtigt, Lohndifferentiale, die Situation auf den Arbeitsmärkten, unterschiedliche Entwicklungsniveaus zwischen Ländern, die wiederum insbesondere gemäß ökonomischen Parametern gemessen werden. Die frühen Assimilationsmodelle gehen explizit oder implizit davon aus, dass die »weichen« Faktoren wie Kultur und Religion gegenüber den »härteren« des (öko- 4.2 Bedeutung ethnischer Gruppenbildung 97 nomischen und sozialen) Wettbewerbs immer weniger Gewicht haben und dereinst ganz verschwinden würden, wobei Migration als das Vehikel der dafür notwendigen Vermischung - und somit als Entwicklungsmotor - angesehen wird. Als moderne Ordnungskategorien werden Klassen oder Schichten angesehen, nicht Stämme, Religions- oder Sprachgemeinschaften. Wie oben bereits angedeutet, werden derartige Annahmen einer linearen Entwicklung aber immer wieder von besonderen - »ethnischen« - Gruppenbildungsprozessen gestört, deren Grundlage offenbar noch längst nicht überwunden ist. Sowohl Begriffsdefinitionen als auch Genese und Bedeutung von »ethnischer Gruppe« bzw. »Ethnizität« werden bis heute kontrovers diskutiert, doch haben sich Ansätze, die den funktionalen und instrumentellen Charakter ethnischer Prozesse betonen, behauptet. Es geht in diesen Ansätzen nicht darum, das »Wesen« einer Kultur zu erforschen, sondern darum, Sinn und Zweck ethnisch-kultureller Zuschreibungen zu verstehen. Kernelemente eines derartigen Ethnizitätsbegriffs sind die folgenden (vgl. auch Heckmann 1992: 30 ff.): • die Betonung soziokultureller Gemeinsamkeiten und gemeinsamer historischer und aktueller Erfahrungen; • Vorstellungen einer gemeinsamen Herkunft; • eine auf Selbstund/ oder Fremdzuschreibungen beruhende kollektive Identität sowie ein darauf beruhendes Solidarbewusstsein; • die Vorstellung und der Glaube an eine gemeinsame Zukunft. »Essentialistische« Ansätze der Ethnizitätsforschung Bis in die 1960er Jahre beschrieb man, in Übereinstimmung mit ethnographischen und nationalpolitischen Ideologien, ethnische Gruppen, wie »Völker«, »Nationen« und »Volksgruppen«, mithilfe von substantiellen, also unverwechselbaren und nur zu diesen Einheiten gehörenden, Merkmalen. Man ging davon aus, dass die jeweiligen Merkmale und Eigenschaften in Traditionen verwurzelt und daher nicht nur langfristig wirksam, sondern unveränderlich seien und sich durch Sitten, Bräuche und natürlich die Sprache reproduzierten, also gewissermaßen die »Essenz« dieser Kulturen darstellten. Ethnizität war das, was die Kultur eines Volkes ausmachte, aber gleichzeitig noch mehr, nämlich ein bestimmtes, quasi-genetisches, jedem einzelnen Mitglied dieses Volkes eigenes Vermögen, diese Kultur in sich zu tragen und an seine Nachkommen weiterzugeben, um damit das Weiterbestehen des Volkes zu gewährleisten. Die klassischen Assimilationskonzepte argumentieren zwar ohne einen expliziten Ethnizitätsbegriff, doch erteilen sie einem derartigen »essentialistischen«, also 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 98 auf das angeblich innerste und unveränderliche »Wesen« einer Kultur zielende, Verständnis implizit eine Absage, insofern sie das Ineinanderaufgehen unterschiedlicher ethnischer Gruppen annehmen und damit zwangsläufig die teilweise Auflösung von »Volkseigenschaften« sowie deren Vermischung oder gar »Einschmelzung« in einer neuen Kultur. Aus heutiger Sicht zeigt sich, dass weder die Annahme unveränderlicher ethnischer Merkmale noch die einer völligen Verwischung ethnischer Identitäten empirisch haltbar ist. Die erste Annahme ist zu undynamisch, schließlich verändern sich Kulturen und Bräuche geraten in Vergessenheit. Die zweite Annahme dagegen verkennt die Wichtigkeit, die kulturelle, religiöse und/ oder ethnische Zugehörigkeiten für die Ausbildung von Identitäten, von Selbstvergewisserung und Fremd- oder Selbstverortung haben können. Die Theorie der »ethnic boundaries« (F. Barth) Ein anderes, dynamischeres Verständnis von Ethnizität begann sich mit der Kritik an F. Barths (1969) theoretischem Ansatz zur ethnischen Gruppenbildung durchzusetzen. Nach diesem werden kulturelle Unterschiede sozial organisiert; dies geschieht beim Kontakt unterschiedlicher Gruppen, die sich dabei als ethnisch verschieden definieren und sich voneinander abgrenzen. Um diesen später »konstruktivistisch« genannten Ansatz zu verstehen, seien die hier relevanten Wissensformen, also die Arten des Begreifens und Klassifizierens der Umwelt erläutert (dazu: Berger/ Luckmann 1997 [1966]). Kulturelle Unterschiede existieren insofern »objektiv«, als sie nach bestimmten Sprachfamilien und/ oder Inhalten klassifiziert und typologisiert werden können, doch dieses Expertenwissen entspricht nicht dem Alltagswissen, denn in ihrem täglichen Leben, in ihrer Lebenswelt, bewegen sich die Menschen in ihrer Kultur, d. h. ohne diese zu reflektieren und ohne den distanzierenden Blick von außen. Für sie ist das, was sie an Kultur umgibt und was in der Familie bzw. in Bildungsinstitutionen erfahren und gelehrt wird, selbstverständlich: Genau diese Sprache und genau diese kulturellen Elemente ermöglichen ihnen soziales Handeln, Kontakte, Kommunikation, geben ihnen Sicherheit im Handeln und sind so ein konstitutiver Aspekt ihrer Identität. Die »Fremdheit« anderer Kulturen rührt daher nicht von der objektiven Andersartigkeit her, die in einem Lexikon bezeugt wird, sondern von dem - normalen, aber zutiefst verunsichernden - Unvermögen, in anderen sozialen Kontexten sofort sinnvoll agieren zu können. Sich in anderen Kulturen einigermaßen gut bewegen zu können, bedarf einer langen Übung und Eingewöhnung bzw. - in soziologischer Terminologie - einer (Re-)Sozialisation, ist also sehr voraussetzungsvoll. Genau das aber wird einem 4.2 Bedeutung ethnischer Gruppenbildung 99 Migranten abverlangt. Treffen unterschiedliche Gruppen aufeinander, so Barth, ist das Feld, auf dem sie gemeinsam agieren können, zunächst sehr klein. Um sich selbst und die anderen identifizieren zu können, greifen die Gruppenmitglieder auf Symbolformationen zurück, die ihnen aus ihrer eigenen Kultur vertraut sind und den jeweils anderen verdichtet Information anbieten: auf die Sprache, insbesondere in der Form von Metaphern und Sprachbildern, wie sie in Liedern, Gedichten und künstlerischen Texten vorkommen, auf Alltagsbräuche und als »typisch« erachtete Traditionselemente bei Kleidung, Essenszubereitung und Tischsitten. Diese Art der (Selbst-) Präsentation ist präzise, weil die Betroffenen sich konkret auf ganz bestimmte Symbolformationen beziehen, und gleichzeitig diffus, weil jede Kultur - insbesondere wenn sie zur »Nationalkultur« aufgewertet und erhöht wurde - ihren Angehörigen sehr viele Symbolformationen zur Verfügung stellt und damit vielerlei Kombinationen und letztlich Unschärfen zulässt. Jeder Kulturkontakt lässt sich als Interaktionsprozess beschreiben, der auf derartigen ethnischen Abgrenzungen beruht. Ethnizität ist diesem Ansatz zufolge mehr bzw. etwas anderes als die Auflistung bestimmter essentialer Merkmale eines Volkes, sie »entsteht« als eine Form des Bewusstseins und des Selbstbezugs im Kulturkontakt, d. h., sie wird erst in der Auseinandersetzung mit Vertretern anderer Kulturen relevant. Wer nur unter seinesgleichen und in seinen Traditionen lebt, muss seine Kultur nicht reflektieren und tut dies in der Regel auch nicht. Aspekte »konstruktivistischer« Ethnizitätstheorien Wie bei vielen Aspekten des Migrationsthemas kann auch hier nicht die ganze Breite der Ethnizitätsdebatte oder auch nur der Auseinandersetzung zwischen essentialistischen und konstruktivistischen Ansätzen dargestellt werden (exemplarisch: Glazer/ Moynihan 1975; Dittrich/ Radtke 1990; Lentz 1995). Einige Aspekte sollen aber angesprochen werden, um die gegenwärtigen Auseinandersetzungen und den Zusammenhang mit Integrationsproblemen und -politik zu verdeutlichen: • Die These der sozialen Konstruktion von Ethnizität verweist auf die instrumentelle und von der Situation abhängige Dimension des Begriffs, meint aber nicht, dass ethnische Zuordnungen völlig manipulierbar oder frei »wählbar« seien. Die Konstruktionsleistungen beziehen sich auf bereits strukturierte, vor-arrangierte soziale Ordnungen, die aufgrund ihrer Dauer, ihrer politischen Bedeutung und/ oder Selbstverständlichkeit im Alltag objektiviert sind, also unabhängig von den sich auf sie beziehenden Menschen zu sein scheinen. So wurden die 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 100 neuen Sprachen der jugoslawischen Nachfolgestaaten nicht »erfunden«, sondern die real existierenden Unterschiede betont und aufgewertet; aus dem Serbokroatischen wurden die beiden Nationalsprachen Serbisch und Kroatisch mit jeweils eigenen Etymologien und Lehrbüchern. • Die Artikulation kollektiver Identitäten schafft Zugehörigkeiten, womit gleichzeitig andere ausgeschlossen werden. Das »Spiel« von Exklusion und Inklusion, also von Aus- und Einschluss, kann überall seinen Anfang nehmen, je nachdem, welcher Umstand mit Bedeutung belegt und zum Anlass für Abgrenzung genommen wird. Es hängt vom Kalkül und den Empfindlichkeiten einer Gruppe ab, ob sie sich in einer gegebenen Situation beispielsweise auf religiöse Gemeinsamkeiten mit einem Gegenüber bezieht oder aber bestimmte sprachliche oder kulturelle (»ethnische«) Differenzen betont (vgl. Schlee/ Werner 1996). Derartige Grenzziehungen können sich verfestigen oder wieder verwischen, ganz im Sinne M. Scheins (1975) Frage: »When is an ethnic group? « • Ethnizität muss auch in ihrem Verhältnis zum Nationalstaat diskutiert werden (vgl. Kap. 2.4). Wenn ethnische Gruppen eine eigene Staatlichkeit beanspruchen, können sie bestehende Staatengebilde sprengen, wobei sie sich wie Nationen auf Gemeinsamkeiten von Sprache, Kultur und Geschichte berufen. Der Bezug auf eine »vorgestellte Gemeinschaft« (Anderson 1993 [1983]) kann starke mobilisierende Wirkungen haben und bestehende Abgrenzungen ausbauen und festigen. Die Staatenbildung in Ost(mittel-)europa nach dem Ende des Staatssozialismus zeigte genau diesen Verlauf (dazu Kap. 5.1). • Die vermutete Abschwächung nationalstaatlicher Kontrollmacht und Grenzregime, also der konkreten und symbolischen Befestigungen einer Grenze, im Zuge der Globalisierung schwächt den Erfolg von Ethnizität nicht, im Gegenteil. Die Artikulation ethnischer Identitäten verspricht Sinn und organisiert Wahrnehmung in kleineren überschaubaren Größen in einem Meer weltweiter, zunehmend anonymer werdender Zusammenhänge (Stichwort global-local). 4.3 Formen partieller Assimilation Nicht nur die »Entdeckung« des Einflusses ethnischer Identitätsbildung auf das Eingliederungsverhalten von Zuwanderern führte zur Weiterentwicklung entsprechender Konzepte. Es wurden viele andere Hindernisse ausgemacht, die den klassischen Modellen widersprachen, sei es im zeitlichen Ablauf, sei es hinsichtlich verschiedener Dimensionen des Integrationsverhaltens, sei es bezogen auf die politisch und sozial erwünschten Ziele. Die im Folgenden vorgestellten Konzepte 4.3 Formen partieller Assimilation 101 sind als Reaktionen auf faktische Verläufe und als Abrücken von frühen programmatischen Positionen zu verstehen. Absorption - das Beispiel Israel Wichtig für die Formulierung weiterer Ansätze war neben den Erfahrungen mit Zuwanderung in Nordamerika die Forschung über eine andere ausgeprägte Einwanderung: die jüdische Immigration nach Palästina und in den Staat Israel, die bereits Ende der 1940er/ Anfang der 1950er Jahre von S. N. Eisenstadt (1954) thematisiert wurde. Ihm zufolge ist das Ziel die Absorption, das vollständige Aufgehen der Einwanderer in der Aufnahmegesellschaft, weshalb sich die Zuwanderer von ihren gewohnten Werten distanzieren und sich neu orientieren müssen, aber auch die bereits Eingesessenen im Gegenzug ihre Sozialstruktur so gestalten sollen, dass die Zuwanderer alle Statuspositionen, also Berufe und Ausbildungstitel, sowie alle Institutionen erreichen können. Es handelt sich also um einen sehr anspruchsvollen Prozess der Resozialisation, der sehr anfällig für Störungen ist und daher in der ersten Generation kaum gelingen kann. Angenommen wird, dass die Zuwanderer mit Angst und Unsicherheit auf die relativ unstrukturierte Situation zu Beginn der Resozialisationsphase reagieren; zudem stimmen Anforderungen und Angebote der Aufnahmegesellschaft oft nicht mit den Erwartungen der Zuwanderer überein. Statt eines gleichmäßigen Aufgehens der Zuwanderer in der Sozialstruktur der Zielgesellschaft bleiben ethnische Gruppenbildungen erhalten, die ihrerseits allerdings auch nicht homogen sind. In späteren Schriften (z. B. 1987) konzediert Eisenstadt denn auch die großen Probleme bei der Etablierung dauerhafter sozialer Beziehungen (»Institutionalisierung«) zwischen Zuwanderern und Eingesessenen. Während sich die (»aschkenasischen«) Einwanderer aus Nordamerika und Europa relativ schnell integrieren konnten, blieb zu denen aus arabischen und afrikanischen Ländern (»Sepharden«) eine erhebliche Distanz erhalten (auch: Horowitz 1982). In den 1990er Jahren offenbarten sich dann weitere kulturelle, gewissermaßen »ethnische« Unterschiede, als die Zuwanderung der vorwiegend säkularen Juden aus der zerfallenden Sowjetunion immer größere Ausmaße annahm und erheblichen Einfluss auf die Staatspolitik und den Friedensprozess im Nahen Osten gewann (Peretz/ Doron 1996; zum Verlauf: Gesemann 1999: 41-72). Wenn sogar in Israel, wo die Einwanderung begrüßt wird und die Politik sich auf spirituelle Momente stützen kann (»Rückkehr nach Zion«/ »Einsammlung der Zerstreuten«), derartige Integrationsprobleme »normal« sind, so muss in anderen Gesellschaften, deren Zuwanderung profan ist, also ohne einen religiös-spirituel- 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 102 len Hintergrund auskommen muss, mit erheblichen Schwierigkeiten gerechnet werden. Tatsächlich scheint aber eine Umkehrung der Problemstellung angemessen: Wenn selbst in Israel, wo es sich mehrere Jahrzehnte lang fast ausschließlich um jüdische Zuwanderer handelte, so starke kulturelle Unterschiede, Distanzverhalten und entsprechende »Störungen« der Absorption zu beobachten sind, dann wirft dies ein helles Licht auf ethnische Gruppenbildungsprozesse. Die Zuordnung sowohl der Zuwanderer als auch der Eingesessenen zum Judentum ist zwar das religiöse und/ oder politische Dach, unter dem die Integration erfolgt, doch häufig erweisen sich die »primordialen« Bindungen - zunächst - als stärker, also der Bezug zur nahen und erweiterten Familie, mit der die Einwanderer gemeinsame Erfahrungen und eine gemeinsame Sprache haben. Vor solchen Primärgruppenbeziehungen verblassen Zuschreibungen zu abstrakten Größen wie dem Judentum; diese bekommen Appellcharakter und befördern vorurteilsvolle Verallgemeinerungen, die mit den Lebenswelten der Betroffenen wenig oder nichts zu tun haben. Umgekehrt kann die alltagsweltliche Selbstzuordnung zu Primärgruppen in der Aufnahmegesellschaft Misstrauen und den Verdacht der Illoyalität oder des »eigentlichen« Nichtdazugehörens wecken. Dann werden gegenseitige Abgrenzungen stetig verstärkt, zufällige oder äußere Merkmale, die den kulturellen Standards der gerade tonangebenden Schichten nicht entsprechen, ethnisiert und zum Gruppenstigma ausgebaut (vgl. Klein 2000). Zugespitzt gesagt: Auch Menschen, die als Juden verfolgt wurden und sich als solche begreifen, gelten in Israel, insbesondere in orthodoxen Kreisen, möglicherweise als »nicht genügend« jüdisch, weil sie sich auch mit ihrer Herkunftskultur identifizieren oder weil sie nicht mit dem jüdischen Glauben vertraut sind. Aufnahme von Aussiedlern in der Bundesrepublik Deutschland Trotz der völlig anderen Geschichte sind die aktuellen Erfahrungen der »deutschstämmigen« Aussiedler bzw. Spätaussiedler, wie sie seit 1993 bezeichnet werden, mit den gerade beschriebenen Schwierigkeiten zu vergleichen. Dem bundesdeutschen Verfassungs- und Staatsangehörigkeitsrecht zufolge haben sie als »Volkszugehörige mit deutscher Kulturtradition« das Recht »unter Deutschen zu leben« und somit auf die deutsche Staatsangehörigkeit. Dies unterscheidet die (Spät-)Aussiedler in maximaler Weise von allen »ausländischen« Zuwanderern - seien es nun Arbeitsmigranten, Asylbewerber oder Kontingentflüchtlinge (vgl. auch Kap. 3.4). Dieses Recht erstreckt sich allerdings nur auf »Deutschstämmige« aus Osteuropa (also nicht auf die Nachkommen deutscher Übersee-Auswanderer). Dort hatte sich aufgrund der kompakten und von der jeweiligen autochthonen, also ursprünglich 4.3 Formen partieller Assimilation 103 dort eingesessenen, Bevölkerung oft stark getrennten Siedlungsweise eine deutsche Identität erhalten, die sich während der sozialistischen Zeit zwar wandelte, aber durch die kollektiven Diskriminierungen (als »Faschisten«) auch wieder verstärkte. Die politisch-rechtliche Konstruktion auf bundesdeutscher Seite korrespondiert mit dieser Identitätsartikulation und zielt auf die Erhaltung des Modells des ethnisch homogenen Nationalstaats. Sie suggeriert, dass es sich bei der Zuwanderung der (Spät-)Aussiedler lediglich um die Versetzung des Wohnortes handele, während die unterschiedlichen Kontexte, in denen deutsche Staatsangehörige hier und »Deutschstämmige« dort leb(t)en, keinen wesentlichen Einfluss auf Lebensweisen, Identitätsbildungen und/ oder Wertvorstellungen hätten. Diese weltfremde Überhöhung des »Deutschtums« hat sich ungünstig auf die Wahrnehmung realer Zuwanderungsbedingungen in der Bundesrepublik ausgewirkt, da sie den Blick auf das Land als ein Einwanderungsland verstellte. Des Weiteren ließ sie vor allem unter Russlanddeutschen, die heute das größte Kontingent unter den Spätaussiedlern aus Ost(mittel)europa ausmachen, den Eindruck zu, ihre Ausreisebewegung sei eine »Rückwanderung« (Dietz 1995). Nicht zuletzt mittels der großzügigen Eingliederungshilfen verlief die Integration in ökonomischer und beruflicher Hinsicht bis in die 1980er Jahre vergleichsweise erfolgreich. In sozialer Hinsicht jedoch sind große Defizite festzustellen, da die Kontaktaufnahme mit den Eingesessenen unter beidseitiger Fehlwahrnehmung leidet, zugespitzt ausgedrückt: Wurden Russlanddeutsche in Russland und dem (post-)sowjetischen Mittelasien als Deutsche wahrgenommen, so in Deutschland als Russen, womit in beiden Fällen gewisse Stigmatisierungen verbunden sein können. Von wissenschaftlicher Seite aus wird seit rund zwei Jahrzehnten immer deutlicher herausgearbeitet, dass trotz der Berufung auf ein gemeinsames »Deutschtum« und trotz der privilegierenden Behandlung die Aussiedler dieselben Schwierigkeiten haben wie jeder andere Zuwanderer, es sich also in jeder Hinsicht um eine »echte« Einwanderung mit den entsprechenden Problemen handelt (vgl. Bade/ Troen 1993). Seit den späten 1980er Jahren, als die Zahl der Zuwanderer - jetzt vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion - in die Höhe schnellte, sind die materiellen Eingliederungshilfen gekürzt worden, während sich mehr und mehr die Probleme auf dem Arbeitsmarkt und damit zusammenhängend bei der Wohnungssuche bemerkbar machen. Die Akzeptanz durch die Eingesessenen lässt merklich nach, zumal die Resultate einer mehrere Generationen währenden sowjetischen Sozialisation als »fremd« wahrgenommen werden: Die Spätaussiedler verfügen nur noch selten über einigermaßen gute Deutschkenntnisse und leben in »gemischten«, also poly-ethnischen, aber russischsprachigen Familienverbänden, was häufig in Isolation und zur Ausbildung von Misstrauen, Kommunikationsbarrieren und Selbstzweifeln führt (vgl. Schütte 1997). Kaum kontaktfördernd sind 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 104 zudem die selbstgepflegten und durch den spezifischen Zuwanderungsweg verstärkten Vorstellungen vom »Deutschtum«; sie sind altertümelnd, orientiert an Vorkriegsdiskursen und haben kaum etwas mit den Varianten deutscher Identität in der Bundesrepublik zu tun (Bade/ Troen 1993: 22). Wie sich die Integration der Spätaussiedler in Zukunft gestalten wird, hängt zum großen Teil davon ab, ob es gelingt, die Jugendlichen schulisch und beruflich gut einzugliedern. Denn sie reagieren auf soziale Ausgrenzung nicht selten mit abweichendem, ja kriminellem Verhalten (Reich 2003; 2005; Wierling 2003). »Kultureller Pluralismus« - das Beispiel USA In den klassischen Einwanderungsländern zeigte sich früh, dass die melting pot- Idee nicht Wirklichkeit werden würde, denn die Zuwandererkulturen schienen nicht in der amerikanischen Mehrheitskultur aufzugehen. Dass dies aber nicht an den zugewanderten kulturellen Minderheiten liegt, konnte M. Gordon (1964; vgl. auch in Han 2004: 28 ff.) mit seiner Kritik an der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft, die die Annäherung mancher Zuwandererkulturen gar nicht zuließ, zeigen. Er verwies auf die tatsächliche marginalisierte Situation der schwarzen und anderer »nicht weißer« Minderheiten. Selbst die in den 1950ern aufgekommene Idee des Kulturpluralismus (cultural pluralism), derzufolge alle Gruppen in den USA, so unterschiedlich sie auch seien, gleiche Rechte genießen sollten, war nur formal realisiert worden, während sich die Diskriminierungen fortsetzten. N. Glazer und D. Moynihan nahmen in den 1960er Jahren im Zuge ihrer Analyse der ethnischen Vielfalt in den USA noch an, dass die sozialen Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen abnehmen würden, revidierten dies aber ein Jahrzehnt später (Glazer/ Moynihan 1964 [1979]; in Han 2006: 28 ff.; 65 ff.). In den USA mündete die faktische Segregation, also die Abtrennung und abgesonderte Lebensweise vieler Bevölkerungsteile von der weißen anglophonen Kultur in eine Reihe von Bürgerrechtsbewegungen schwarzer, indianischer, asiatischer bzw. »nicht-weißer« Zuwanderer. Weltweit bekannt wurde die der Schwarzen bzw. Afroamerikaner unter ihrem Anführer Martin Luther King in den 1960er Jahren, die zunächst die Anpassung der noch Marginalisierten an den Mainstream zum Ziel hatte. Je weniger sich jedoch positive Änderungen einstellten, umso radikaler wurden die Bewegungen. Die Black Panther- und Black Power-Bewegungen z. B. betonten nun den Unterschied, den Eigenwert und die Besonderheit der marginalisierten Kultur (»black is beautiful! «), um sie zur Mobilisierung und Solidarisierung mit der schwarzen Bevölkerung zu nutzen (Smith 1981). In der Folge wurden zahlreiche staatliche Programme zur Förderung marginalisierter Bevölkerungsgruppen 4.3 Formen partieller Assimilation 105 aufgelegt, beispielsweise die affirmative action-Regelung, die die Problemgruppen »positiv diskriminierte«, also bei der Vergabe von Studienplätzen oder bei der Stellenbesetzung relativ und nach Quoten berechnet bevorzugte. Die gesellschaftliche Diskriminierung wurde damit allerdings nicht aufgehoben und führte zudem zur Enttäuschung anderer (z. B. griechischer, slawischer, jüdischer) Minderheiten, die ihre Leistungen nicht anerkannt wähnten und sich nun ihrerseits - negativ - diskriminiert fühlten (Elschenbroich 1986). De facto sind die USA eine multikulturelle Gesellschaft, doch sind die einzelnen Teile nicht gleichberechtigt, sondern unterliegen einer Hierarchie, die immer noch weithin von der »WASP«-Kultur dominiert wird. Andere Kulturen sind in der Öffentlichkeit wenig präsent und werden, je »farbiger« ihre Träger sind, desto schneller marginalisiert. Weder die Schwarzen bzw. (wie es inzwischen politisch korrekt heißt) Afro-Amerikaner noch die Zuwanderer aus Lateinamerika und Asien sind ihren Bevölkerungsanteilen gemäß in den offiziellen Machtzentren und den tonangebenden Eliten vertreten. Die weithin zu beobachtenden kulturellen Abgrenzungen führen zur Ethnisierung der Artikulationsformen und zu entsprechender Gruppenbildung; es bilden sich marginalisierte Subkulturen, die gar keinen Wert auf Integration in die Mehrheitskultur legen. Aber auch ökonomisch und sozial gut integrierte Angehörige zweiter und dritter Generationen von Einwanderern wenden sich ihren »Wurzeln« zu, d. h. den Herkunftskulturen ihrer Vorfahren, und pflegen folkloristische »Hobby-Ethnizitäten«. Diese schaden so lange nicht, wie ihre Hervorhebung nicht der indirekten Herabsetzung anderer Kulturen dient (Alba 1990; Waters 1990). Multikulturalismus - das Beispiel Kanada Die meisten modernen Industriegesellschaften sind heute de facto multikulturell (bzw. »polykulturell«, um den ideologisch besetzten Begriff zu vermeiden). Dies ist allerdings nicht konfliktfrei, was zum großen Teil daran liegt, dass die Politik dies nicht (oder nur zögernd) anerkennt, weshalb wichtige Regelungen, wie etwa Integrationsprogramme oder Gesetzesinitiativen zur Konfliktschlichtung, aufgeschoben werden. In den osteuropäischen post-sozialistischen Staaten gibt es vor dem Hintergrund der Nationalstaatsbildung und den entsprechenden Homogenisierungsversuchen auf kulturellem Gebiet wenig Bereitschaft zur konstruktiven Reflexion, in Deutschland kam es zu verzögerten Reaktionen, weil das Land lange nicht als »Einwanderungsland« anerkannt wurde. Nur wenige Staaten setzten bisher ihre Erfahrungen mit Zuwanderung in politisch reflektierte liberale Maximen um, wobei sie sich auf sozialphilosophische 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 106 Theorien berufen konnten (insb. C. Taylor 1993; Kymlicka 2001); dazu zählen Kanada, Australien, die Niederlande oder Schweden (vgl. Harzig 2004; Baringhorst 2003; Mintzel 1997). Während in den beiden letzteren Ländern die liberale Zuwanderungspolitik in den letzten Jahren mehr oder weniger spektakulär beendet wurde und auch Australien die Zuwanderungsrestriktionen wieder erhöht, hält Kanada an seiner Multikulturalismus-Politik weitgehend fest. Die Zuwanderung erfolgt nach einem Punktesystem und zielt auf beruflich Qualifizierte (skilled worker-Programm). Ein Grund, warum Kanada in den 1970er Jahren explizit Abstand von dem Idealbild einer ethnisch homogenen/ homogenisierten Gesellschaft nahm, war die - wenn auch erst spät honorierte - Tatsache, dass nicht nur »die Weißen« im Zweiten Weltkrieg gegen den Faschismus gekämpft hatten. Der andere Grund war, dass die Selbstbehauptungsansprüche der frankophonen Minderheit gegenüber der anglophonen Mehrheit den Zusammenhalt des Staates gefährdeten. Daher kam es zur aktiven Anerkennung ethnischer und kultureller Differenzen, die außer den beiden Gründernationen die Ureinwohner (»Erste Nationen«) und die Zuwanderer aus der »Dritten Welt« einschließt. Das Multikulturalismus-Konzept beinhaltet folgende Punkte (vgl. Geißler 2003): 1) Durch Immigration entsteht ethnische, religiöse und/ oder kulturelle Vielfalt, was für die Gesellschaft eine Bereicherung ist. Jeder hat das Recht auf kulturelle Differenz, aber nicht die Verpflichtung; er muss sich also nicht ethnisch definieren, sondern kann dies genauso gut über seinen Beruf oder sein Milieu tun. 2) Es gilt das Prinzip der kulturellen Gleichwertigkeit und gegenseitigen Toleranz. Erwünscht ist eine hierarchisch strukturierte Doppelidentität - primär mit Kanada, sekundär mit der Herkunftsgruppe, etwa als Franco Canadian oder Chinese Canadian. Notwendig ist die Einigung auf gemeinsame Grundwerte (Verfassung, Gesetze, Sprache), wodurch manche Teilkulturen in gewissen Aspekten beschränkt werden, etwa die Gleichberechtigung der Frau und Gewaltlosigkeit in der Familie betreffend. 3) Das durch die Verankerung in der Eigengruppe gestärkte Selbstbewusstsein und das Sicherheitsgefühl sollen Voraussetzung für Offenheit und Toleranz gegenüber anderen ethno-kulturellen Gruppen sein. 4) Multikulturalismus beschränkt sich nicht auf die kulturelle Ebene, denn trotz kultureller Differenz soll soziale Chancengleichheit herrschen. Die Folgen ethnisch-kultureller Ungleichheit/ Marginalisierung müssen vermieden bzw. abgebaut werden, was eines speziellen Managements bedarf, denn solche Maßnahmen entwickeln sich nicht von selbst, sondern müssen politisch gewollt sein und organisiert werden. 4.3 Formen partieller Assimilation 107 Die Multikulturalismus-Politik in Kanada war von Beginn an ausdrücklich gegen das melting pot-Ideal der USA gerichtet, um den Assimilationsdruck von den Zuwanderern zu nehmen. Dennoch wird trotz des vergleichsweise großen Erfolgs der Politik immer wieder die versteckte, aber für die Betroffenen deutlich spürbare Hierarchie der Kulturen kritisiert; auch der Rassismus ist nicht verschwunden. Problematisch ist auch, dass die für alle verbindlichen Kernnormen europäischen Verfassungstraditionen entstammen, sodass nichteuropäischen Kulturen mehr Unterordnung und Verzicht abverlangt wird. Dennoch ist dies manchen noch zu wenig, die eine »Babylonisierung« und die Aushöhlung der immer noch stark vertretenen westlich-europäischen Werte fürchten. Ein wichtiger Kritikpunkt zielt auf die im Gegensatz zur Betonung der kulturellen Differenzen geringe Thematisierung ökonomischer Probleme. Vor allem die Ureinwohner, die native canadians, sind in jeder Hinsicht marginalisiert und machen heute nur noch - je nach Zählweise - zwei bis höchstens fünf Prozent der Bevölkerung von ca. 31 Millionen Menschen aus. 4.4 Differenzierte Integrationsmodelle Wenn eine Idee bzw. ein soziologisch-philosophischer Ansatz wie der Multikulturalismus in Staatspolitik umgesetzt ist, stellt sich die Frage, ob der Begriff dann noch für die wissenschaftliche Analyse brauchbar ist. Des Weiteren ist es problematisch, die gesamten Integrationsprozesse »kulturalistisch« zu interpretieren, indem der Eigenwert einer ethnischen Kultur so stark betont wird wie es Multikulturalismus-Modelle tun. Die Gefahr, dass dann alle Konflikte, gleich welcher Art, ethnisiert werden, ist - wie oben gezeigt wurde - groß. In der neueren Forschung ist man sich daher auch weithin einig, dass statt von »Assimilation« als der Einebnung »aller« Unterschiede besser von »Integration« als der Eingliederung der Zuwanderer in die Teilbereiche der Gesellschaft zu sprechen ist. Neben den ethnokulturellen Unterschieden dürfen andere Differenzen nicht vernachlässigt werden, d. h., es sollen nicht nur die kulturellen Besonderheiten wahrgenommen werden, sondern auch die Bedürfnisse in ökonomischen, rechtlichen und sozialen Bereichen, in denen sich die Zuwanderer möglichst wenig von der einheimischen Bevölkerung unterscheiden wollen, weil es ihnen um Gleichberechtigung geht. Heute ist es in der Wissenschaft unstrittig, dass Integrationsziele wie Reduzierung von Gruppenkonflikten und Sicherung der Loyalität von Zuwanderern nur dann erreicht werden können, wenn diejenigen, die sich niederlassen, also eingewandert sind und ihren Lebensmittelpunkt in die Aufnahmegesellschaft verlegen 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 108 (wollen), nicht dauerhaft von den Chancen und Rechten, die die Gesellschaft ihren Bürgern bietet, ausgeschlossen werden. Wie weiter oben gezeigt wurde (Kap. 3.4), stattet kaum ein Land seine Zuwanderer sofort mit allen Bürgerrechten aus, sondern den potentiellen Zuwanderern werden verschiedene Migrationstore eröffnet, mit denen jeweils unterschiedliche Rechte verbunden sind. Da es in dieser Hinsicht viele Variationen gibt, orientiert sich die Forschung zunächst am empirischen Sonderfall, versucht aber mittels Vergleichsforschung zu theoretischen Aussagen über die Bedeutung gestaffelter, hierarchisierter und/ oder teilweiser Partizipation für die Zuwanderer und für die Aufnahmegesellschaften zu kommen. Wie sich in den USA viele Zuwanderergruppen sowohl dem melting-pot-Ideal als auch den Vorstellungen des kulturellen Pluralismus verschließen, ist bereits oben beschrieben worden. Allerdings geschah und geschieht dies vor dem Hintergrund einer relativ liberalen Einbürgerungs- und einer ausgereiften Antidiskriminierungspolitik, was widersprüchliche Resultate zeitigt: Obwohl sich ethnische Hierarchien verändern, bleiben sie als solche erhalten, d. h., Macht- und Einflusspotentiale können auch ehemals marginalisierten Gruppen zukommen, die ihre Randstellung dann an andere weitergeben (vgl. Portes/ Rumbaut 1990; Waters 1990). In Frankreich, wo die Zugehörigkeit zur Nation an das Territorialprinzip gebunden ist (ius soli), wird die Einbürgerung liberal gehandhabt, den Zuwanderern aber die Annahme der französischen Sprache und Kultur abverlangt. Obwohl die Zuwanderer, die zu einem großen Teil aus den ehemaligen Kolonien in Afrika stammen, formal-rechtlich schnell zu französischen Staatsbürgern werden, hat ihnen diese Praxis nicht die sozioökonomische Gleichberechtigung gebracht und sie auch nicht vor Rassismus geschützt. Seit den 1980er Jahren lässt sich beobachten, wie die zweiten und dritten Zuwanderergenerationen gegen die Assimilationsforderungen, die nicht mit Chancengleichheit gekoppelt sind, revoltieren und sich subkulturellen, »ethnischen« Organisationen anschließen (Withol de Wenden 1987; Dubet/ Lapeyronnie 1994). In Großbritannien herrschte bis in die 1950er Jahre Zuwanderungs- und Niederlassungsfreiheit für alle Bewohner des Commonwealth, wobei man von einer mehr oder weniger »automatischen« Assimilation ausging, die vor allem durch das Schulsystem erfolgen sollte. In den 1970er und 1980er Jahren wurde die Zuwanderung erheblich eingeschränkt und Integrationsprogramme aufgelegt, um die Arbeitslosigkeit unter den Einheimischen und bereits Eingewanderten sowie die immer wieder aufflammenden rassistischen Unruhen zu bekämpfen (Rex 1970; Fainstein et al. 1992). In Deutschland erfolgte lange Zeit eine an wirtschaftspolitischen Konjunkturen orientierte Anwerbung von »Gastarbeitern«; daneben gab es die Zuwanderung der Aussiedler aus Ost(mittel)europa. Eine Integrationspolitik, die diesen Namen ver- 4.4 Differenzierte Integrationsmodelle 109 dient, kam deshalb lange Zeit nicht zustande, weil den Aussiedlern und ihren Nachkommen generell ein starker Assimilationswunsch unterstellt wurde und man deshalb davon ausging, dass ihnen die Eingliederung gelingen würde. Hinsichtlich der »Gastarbeiter« stand dagegen zunächst der vorübergehende Aufenthalt im Vordergrund, ihre Integration erschien also gar nicht notwendig zu sein (Bredemeier 1983; vgl. auch Bade 1993: 25 ff.). Die Integrationstheorie von H. Esser Lange Zeit wurde in Deutschland nur »Gastarbeiterforschung« betrieben, die später in eine ebenso meist theorieferne »Ausländerforschung« mündete. Nach den Arbeiten von H.-J. Hoffmann-Nowotny in den 1970er Jahren, die sich auf die Migrationsmotive konzentrierten (Kap. 3.5), wurden in den 1980er Jahren auch die Theoriearbeiten von H. Esser wichtig, in denen die Erfahrungen von »Gastarbeit« und Niederlassung nach dem Anwerbestopp verarbeitet sind und der Migrationsverlauf und die einzelnen Integrations- und Assimilationsschritte in eine soziologische Handlungs- und Lerntheorie eingepasst werden. Esser knüpft unter anderem an das Assimilationskonzept von M. Gordon (1964) an, demzufolge Assimilation (als Endziel des Eingliederungsprozesses) oft nicht stattfindet, weil sich die Zuwanderer nur oberflächlich den Verhaltensstandards und Werten der Aufnahmegesellschaft anpassen. Selbst Integration, als ein Teilprozess von Assimilation, gelingt nur denjenigen, die sich aus der engen Interaktion innerhalb ihrer Primärgruppen lösen und mit anderen Gruppen in Kontakt treten. Eine derartige Integrationsbereitschaft müsse aber auf begünstigende Bedingungen aufseiten der Aufnahmegesellschaft treffen, insbesondere die Beseitigung ethnischer Diskriminierungen und die Partizipation an Bürgerrechten betreffend. Bei Esser ist »Integration« bzw. »Assimilation« ein »Zustand des Gleichgewichts« als Resultat eines angleichenden Lernprozesses, der in mehreren Stufen abläuft: • Er beginnt mit der »Akkulturation«, dem Erwerb von Eigenschaften, die in der Aufnahmegesellschaft üblich sind. Es kommt zu sozialen Beziehungen, die über die Interaktion der Primärgruppe hinausgehen, wobei es zur Übernahme bzw. Zuweisung eines bestimmten sozialen Status kommt. • Es folgt die »Integration«, nachdem vielfältige Lernvorgänge die Orientierung in der Aufnahmegesellschaft ermöglicht haben und über die Befriedigung der Grundbedürfnisse noch weitere Ziele in den Blick kommen. • Am Schluss steht die »Assimilation«, die ihrerseits in vier Phasen mit bestimmten Lernschritten unterteilt ist (siehe Abb. 5; vgl. auch Kürs ¸at-Ahlers/ Waldhoff 2001). 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 110 Abb. 5: Die vier Assimilationsphasen nach H. Esser Übernahme von Sprache und Fertigkeiten; Ausbildung von Verhaltenssicherheit; Erlernen und Reflexion von Regeln Besetzung von beruflichen Positionen, die Einkommen, Prestige und soziale Mobilität in der Aufnahmegesellschaft ermöglichen Aufnahme interethnischer Kontakte, also außerhalb der Primärgruppe; De-Segregation Reflexion ethnischer Zugehörigkeiten und Gebräuche; Verstärkung von entweder Rückkehr- oder Bleibeabsichten; politisches Verhalten (z. B. Teilnahme an Wahlen) kognitiv strukturell sozial identifikatorisch Quelle: Esser 1980: 221 Es handelt sich bei der Eingliederung also um einen langen Prozess, an dessen Anfang vor allem instrumentelles und zweckorientieres Handeln steht, also die Orientierung an den Grundbedürfnissen (Wohnung, Arbeit, Einkommen) und daran, wie diese zu erfüllen sind. Je nach individuellen Lernfähigkeiten und Zielvorstellungen sowie den Möglichkeiten, die die Aufnahmegesellschaft bietet oder verweigert, sind Tempo und Erfolg des weiteren Integrationsverlaufs unterschiedlich. Nicht in jedem Fall endet die Eingliederung mit Assimilation, weshalb sich die Gesellschaft pluralisiert. Esser geht wie Eisenstadt davon aus, dass der Migrationsprozess als lange Phase der Resozialisation zu verstehen ist. Zunächst müssen die Rollen, Bezüge und Alltagsroutinen der Herkunftsgesellschaft aufgegeben werden, was zu Marginalität und Desorientierung führt; erst dann können Handlungsmuster und Werte der Aufnahmegesellschaft übernommen und soziale Beziehungen neu organisiert werden. Dieser lange und komplexe Prozess ist störungsanfällig und stark abhängig vom politischen Willen der Aufnahmegesellschaft, Institutionen entsprechend zu gestalten und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. 4.4 Differenzierte Integrationsmodelle 111 Kausalmodelle von Assimilation und Integration Erwähnt werden muss, dass Esser als Oberbegriff dieses Prozesses den Begriff der »Eingliederung« verwendet (Esser 1980: 16-17), wohingegen heute meist von »Integration« gesprochen wird als einem Prozess, der in sich vielfach gegliedert ist. Welche Stufen aufeinanderfolgen und welche Bezeichnung diese verdienen, ist im Verlauf der letzten 25 Jahre viel diskutiert, der Ansatz weiter ausgebaut worden. In diesem Rahmen kann keine umfassende Übersicht über die vielfältigen Begriffsvarianten gegeben werden, einige Anmerkungen sind allerdings unumgänglich, da sowohl in der empirischen als auch theoretischen Literatur mit ihnen gearbeitet wird. Hoffmann-Nowotny, dessen Arbeiten seit den 1970er Jahren vor allem hinsichtlich der Untersuchung von Migrationsentscheidungen diskutiert werden, hat sich später ebenfalls stark mit Eingliederungsprozessen befasst (z. B. 1973; 1990: 16 ff.). Er setzt die Begriffe »Integration« und »Assimilation« mit den zwei grundlegenden Dimensionen der sozialen Realität in Bezug: • »Integration« bezieht sich auf die soziale Struktur bzw. das Positionssystem, • »Assimilation« auf die Kultur bzw. das Symbolsystem einer Gesellschaft. Strukturmerkmale sind etwa die Stellung eines Zuwanderers in Beruf, Nachbarschaft oder Verein, worüber sich sein Einkommen und sein Ansehen bestimmt, sowie die soziale Mobilität in diesen Bereichen. Kulturmerkmale sind der Spracherwerb, die Kenntnis von Normen und Gebräuchen sowie der Grad ihrer Internalisierung, also der Übernahme in die Persönlichkeit. Da dieser Prozess komplex ist, kann er ungleichmäßig verlaufen; so kann ein Zuwanderer beruflich integriert, aber hinsichtlich seines Familienlebens nicht assimiliert sein (weil er zum Beispiel unüblich viele Kinder hat), weshalb er auffällt und deshalb vielleicht Nachteile bis hin zu Rückschlägen bei seiner beruflichen Karriere in Kauf nehmen muss. Während Hoffmann-Nowotnys »Theorie struktureller und anomischer Spannungen« makro-soziologischen Theorietraditionen und Schichtungstheorien zuzuordnen ist, ist der »handlungstheoretisch-individualistische Ansatz« Essers kognitiven Entscheidungs- und Lerntheorien verpflichtet. Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass sie universelle - also von Raum und Zeit unabhängige - Erklärungsansprüche formulieren und sich explizit auf dasselbe zu erklärende soziale Phänomen, auf den Eingliederungsprozess von Migranten, beziehen (Nauck 1988: 17). Wie in Abbildung 6 zu sehen, erklären die beiden Autoren die Kausalstruktur des Eingliederungsprozesses unterschiedlich; dies bezieht sich nicht auf die Begrifflichkeit, die in der Abbildung »übersetzt« wird, sondern auf die zentralen Dimensionen, die am Beginn einer erfolgreichen (identifikatorischen) Assimilation - oder »vollständigen Integration«, wie heute gesagt werden würde - stehen müssen. Für Hoffmann-Nowotny ist die Platzierung in Statuspositionen vorran- 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 112 gig, also beispielsweise die Aufnahme einer Berufstätigkeit, die dann ihrerseits die Kenntnisse über die Aufnahmegesellschaft, und hier vor allem den Spracherwerb, fördert. Bei Esser ist dagegen gerade der Spracherwerb eine wesentliche Bedingung. Auf den Punkt gebracht, geht es um die Frage, ob zuerst - und kausal - Sprachkenntnisse oder eine Arbeitsstelle für den weiteren Integrationsverlauf entscheidend sind. Die Diskussion, welche der Dimensionen ausschlaggebend ist und an welchem Punkt der Kausalkette sie zu stehen haben, durchzieht die empirische Integrationsforschung bis heute (Gogolin/ Nauck 2000; Kalter 2003; Boos-Nünning/ Karakas ¸og˘lu 2005). Unter Umständen sind die Begrifflichkeiten leicht verändert, doch die Logik von Kausalstruktur und Zuordnung von Integrations-Dimensionen ist insbesondere für die quantitative Migrationsforschung bedeutsam, etwa um in Vergleichsstudien den Erfolg von Integrationsmaßnahmen und/ oder -verläufen zu messen (z. B. den Schulerfolg in den PISA-Studien). Damit ist das wichtigste Anwendungsfeld dieser Ansätze und der darauf beruhenden komplexen Modelle genannt. In anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, insbesondere in der qualitativen Soziologie, Kulturanthropologie, Ethnologie oder Sozialgeschichte, wird dagegen die Formulierung sozialer Kausalitäten auf einem derart hohen Abstraktionsniveau aus folgenden Gründen umgangen: Abb. 6: Kausalstruktur des Eingliederungsprozesses von Migranten bei H.-J. Hoffmann-Nowotny (1973) und H. Esser (1980) Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny Plazierung auf zentralen Stratuslinien = strukturelle Assimilation Integration = soziale Assimilation Assimilation = kognitive Assimilation vollständige Integration = identifikative Assimilation Hartmut Esser kognitive Assimilation strukturelle Assimilation soziale Assimilation identifikative Assimilation Aus: Nauck 1988: 26 4.4 Differenzierte Integrationsmodelle 113 1) Für Untersuchungen konkreter Situationen müssten oft sehr viele Variablen berücksichtigt werden, etwa Aufenthaltsdauer und -status der Zuwanderer, ihre Sprachkompetenz vor der Ausreise, ihre Stellung im Familienverband, Alter und/ oder Geschlecht etc., sodass Kausalmodelle nicht nur unübersichtlich, sondern auch kaum noch aussagekräftig werden. Auch ohne die Formulierung universalistischer Aussagen lassen sich plausible empirische Regelmäßigkeiten beschreiben. 2) Es ist schwierig, die zwei grundlegenden Dimensionen »Struktur« und »Kultur« auch auf Teilbereiche bzw. Ausschnitte der Gesellschaft zu beziehen. Dies müsste aber möglich sein, da Migranten, auch wenn sie den engen Rahmen ihrer Primärgruppen verlassen, sich nicht in die »Gesamtgesellschaft« integrieren, sondern in sozial-räumliche Milieus oder Subkulturen. Die Einheit der Kultur ist eine Fiktion - eine soziologische Erkenntnis, die durch die Formulierung handhabbarer Modelle nicht wieder aufgehoben werden sollte. Soziale Schichten oder Milieus haben ihre eigenen Lebensstile und (Alltags-)Kulturen ausgebildet (Bourdieu 1982; Schulze 1992), und heutzutage sind sowohl Herkunftsals auch Zielländer poly-ethnisch und kulturell diversifiziert. 3) Die Vorstellung von einheitlichen Nationalkulturen hat allerdings eine Realität als »Etikettierungskategorie« (vgl. Heckmann 1992: 170), sei es nun als Forderung nach einem unverwechselbaren American way of life oder nach der Unterordnung unter die deutsche »Leitkultur«; gleiches gilt für die Wahrnehmung von ethnischen Kulturen oder Milieus. Der Prozesscharakter derartiger sozialer Zuordnungen, die Ethnisierung sozialer Abgrenzungen lässt sich zwar prinzipiell in Kausalmodellen abbilden, doch müssen die entsprechenden Fragen bzw. Problemdimensionen - Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, die Entstehung von Mehrfachidentitäten - auch gestellt werden. 4) Der Anspruch, Kausalzusammenhänge von Migration unabhängig von Zeit und Raum formulieren zu können, muss angesichts sich verändernder Migrationsmuster hinterfragt werden. Die Fixierung auf entweder die Abwanderungs- oder die Zuwanderungssituation vernachlässigt die Migrationsverläufe selbst. Gerade diese aber haben sich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten stark verändert, scheinen noch komplexer und vor allem dynamischer geworden zu sein, weil erheblich mehr Akteure als in früheren Jahrzehnten beteiligt sind; dies hat wiederum erheblichen Einfluss auf Integrationsprozesse (vgl. Kap. 5). Die Auseinandersetzung, ob neue Zuwanderungsgruppen auf Dauer in Unterschichten und Subkulturen eingegliedert werden oder es nicht doch einen grundsätzlichen Trend hin zur Assimilation gibt, sodass man lediglich »abwarten« müsse, hält daher an (Portes/ Rumbaut 2001). Sie ist aber nicht theoretisch, sondern nur empirisch zu entscheiden. 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 114 4.5 Ethnisierung von Arbeitsmärkten In der internationalen Migrationsforschung ist seit mehr als drei Jahrzehnten eine allmähliche Ablösung der früheren Assimilationsdurch Pluralismusmodelle zu beobachten (Castles 1995: 300 ff.; Han 2005: 334 ff.). Die Erkenntnis, dass trotz - oder gerade mit - der Modernisierung von Gesellschaften die Bedeutung kultureller und ethnischer Identifikationen wieder zuzunehmen scheint, war allerdings nicht theoretisch gewonnen, sondern das Ergebnis empirischer Beobachtungen. Inzwischen liegt eine Reihe von Ethnizitätstheorien vor (Übersicht: Bös/ Hebel 2006), die die Erklärung sozialer Probleme durch Ethnizität allein, aber auch die Eliminierung kultureller Faktoren durch sozioökonomische Modelle infrage stellen und Ethnisierungsprozesse politischen und ökonomischen Entwicklungen zuordnen. Die Hartnäckigkeit, mit der um die Priorität von »Kultur» oder »Struktur» gestritten wird, liegt zu einem Teil daran, dass Politik und Medien zum Ausdruck bringen wollen, dass es bei Einwanderung nicht nur um zweckrationale Kriterien gehen dürfe (Arbeit und Verdienst), sondern dass auch »ideelle« Faktoren, die Loyalität zum Aufnahmeland, von großer Bedeutung seien. Zum anderen werden seit Ende der 1960er Jahre unterschiedliche theoretische Ansätze zur Umsetzung sozioökonomischer Bedingungen in kulturelle bzw. ethnische Muster diskutiert. Dabei geht es um die Frage, warum Zuwanderer in der Regel in den unteren sozialen Positionen zu finden sind und dies als eine Folge ihrer ethnischen Zugehörigkeit wahrgenommen wird. Ausgangspunkt dieser Konzeptionen ist der Umstand, dass Migration in den meisten Fällen eine drastische Veränderung der Erwerbsbiographie bedeutet, die zur Beschäftigung in den unteren Rängen der gesellschaftlichen Statushierarchie bzw. des lokalen Arbeitsmarktes führt. Dies geschieht besonders schnell, wenn keine oder nur geringe Berufsqualifikationen vorliegen, doch auch vorhandenes »Humankapital«, also das, was Zuwanderer an Schul- und Berufsausbildung, an Erfahrung und Wissen mitbringen (könnten), wird auf dem neuen Arbeitsmarkt oft entwertet. Besondere Fähigkeiten werden nicht oder kaum gebraucht bzw. nicht nachgefragt, zudem mindern Sprachprobleme und Unerfahrenheit im neuen Land die ohnehin begrenzten Chancen. Der Einsatz der Zuwanderer auf den lokalen Märkten verläuft dann nach bestimmten Mustern, die unterschiedliche theoretische Erklärungen zulassen. 4.5 Ethnisierung von Arbeitsmärkten 115 Ethnisch geteilte Arbeitsmärkte E. Bonacich (1972) zeigt anhand der Theorie des split labor market, welche Mittel einer dominanten Mehrheit zur Verfügung stehen, um ihre Privilegien zu verteidigen, wenn es im Kontext von Zuwanderung zu Wettbewerbskonflikten kommt: Ideologien (Rassismus, Vorurteile), Verhaltensmuster (offene und verdeckte Diskriminierung) und Institutionen (Gesetze mit segregierender Wirkung). Der Arbeitsmarkt wird geteilt, indem dieselben Tätigkeiten unterschiedlich bezahlt werden, wobei die Zuwanderer - die »ethnisch Anderen« - die niedrigeren Ränge besetzen, weil sie bereit sind, für geringeren Lohn als die Eingesessen zu arbeiten. Diese Bereitschaft ist umso höher, je niedriger der Lebensstandard im Herkunftsland ist und je schneller eine gewisse Summe für die Rückkehr angespart werden soll. Ist eine ethnische Spaltung des Arbeitsmarktes einmal entstanden, beginnt eine Dynamik, die die Spaltung weiter vertieft und auf die Ersetzung einheimischer durch ausländische Arbeitskräfte hinausläuft. Ist die Arbeiterschaft nicht nur ethnisch (kulturell), sondern auch nach Klassenlagen (strukturell) voneinander getrennt, lässt sich von einem »ethnischen Antagonismus« sprechen. Einheimische und ausländische Arbeitskräfte werden gegeneinander ausgespielt und Letztere nur noch nach ihrer - selbst- oder fremdzugeschriebenen - ethnischen Zugehörigkeit, nicht mehr nach ihrer möglicherweise vorhandenen beruflichen Qualifikation eingestellt. Schlecht bezahlte Arbeitsplätze gehen in derartigen Situationen allerdings den Einheimischen verloren, weshalb sie bzw. ihre Interessenvertretungen eine Zuwanderung auf politisch-gesetzlichem Wege zu verhindern suchen. Oder sie versuchen, bereits Zugewanderten den Zugang zu bestimmten Berufen zu versperren. Eine ähnliche Teilung des Arbeitsmarktes wird mit dem Konzept des dual labor market beschrieben. Auch dabei handelt es sich um einen segmentierten Arbeitsmarkt, der aus der Ungleichheit zwischen dominierenden und peripheren Ökonomien (z. B. in Entwicklungsländern) resultiert. Es entsteht ein primärer Arbeitsmarkt, auf dem relativ gute und stabile Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und Aufstiegsmöglichkeiten zu finden sind. Auf dem sekundären Arbeitsmarkt herrscht dagegen eine hohe Fluktuation, es werden zudem niedrige Löhne und - wenn überhaupt - geringe Sozialabgaben gezahlt und vor allem Zuwanderer beschäftigt. Der sekundäre Arbeitsmarkt ist ebenfalls offiziell, doch sollte man angesichts der Bedingungen, die er bietet, eher von »Jobs« als von »Arbeitsplätzen« sprechen; auch sind die Grenzen zu informellen (»schwarzen«) Arbeitsmärkten in vielen Branchen, etwa auf dem Bau und im Hotel- und Gaststättengewerbe, sehr durchlässig. Während der split labor market-Ansatz die konkreten Handlungsoptionen der Akteure im Blick hat, verfolgt das dual labor market-Konzept eine makroöko- 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 116 nomische Argumentation, derzufolge mit dem Arbeitseinsatz von Migranten immer ein spezifischer Billiglohn-Sektor entsteht. In beiden Fällen verfestigt sich die Arbeitsteilung entlang ethnischer Linien, weil die unterschiedlichen Beschäftigungen gemäß oberflächlicher kultureller Muster (der anderen Sprache, kombiniert mit einem anderen Aussehen) und nicht nach den sozioökonomischen Rahmenbedingungen wahrgenommen werden. Die beiden Ansätze begründen die ethnische Arbeitsteilung jedoch unterschiedlich. Das split labour market-Konzept argumentiert ähnlich wie neoklassische, ökonomische Theorien in der Nachfolge der frühen Push- und Pull-Modelle, in deren Zentrum das gewinnmaximierende Individuum steht. Demzufolge bieten sich Zuwanderer gezielt für die niedrigen Positionen an, weil sie sie nicht dauerhaft besetzen wollen; die Besetzung der Arbeitsstellen bzw. die Zuwanderung wird also von der Angebotsseite aus betrieben. Die dual labor market-Ansätze erklären Zuwanderung dagegen von der Nachfrageseite her: Ausländische Arbeitskräfte werden gezielt für einfache Tätigkeiten angeworben, die nicht als Dauerbeschäftigung gedacht sind, ihnen aber genügend Gewinn für den Transfer in die Herkunftsländer versprechen (Wilson/ Portes 1980: 297 ff.; Piore 1983). Der Unterschied - angebots- oder nachfrageinduzierte Zuwanderung - mag auf den ersten Blick als nicht relevant erscheinen, ist aber für die Analyse des internationalen Arbeitsmarktes wichtig (vgl. Kap. 5.3). Hier sei festgehalten, dass alle ethnisch geteilten Arbeitsmärkte, gleichgültig, wie sie ursprünglich zustande kamen, durch die systematische Trennung von Arbeit und sozialem Kontext zu beschreiben sind. Je mehr sich eine ethnische Arbeitsteilung verfestigt, desto weniger haben Zuwanderer die Chance, mit den Einheimischen um dieselben Arbeitsplätze zu konkurrieren. Sie leben dann gewissermaßen »außerhalb der Sozialstruktur« der Zielgesellschaft, was ein ernsthaftes Hindernis für die Integration darstellt. Ethnische Unterschichtung In der deutschsprachigen Migrationsforschung ist bis heute der auf Hoffmann- Nowotny (1973) zurückgehende Begriff »ethnische Unterschichtung« zur Analyse von Ethnisierungsprozessen auf Arbeitsmärkten gebräuchlich (vgl. Kürs ¸at-Ahlers/ Waldhoff 2001: 47). In dem Konzept, das 1990 erweitert wurde, geht es um die ökonomischen Bedingungen für die Entstehung der Zuwanderung, nämlich infolge eines Entwicklungsgefälles zwischen dem Ab- und dem Zuwanderungsland, doch thematisiert es auch die Auswirkungen auf die Sozialstruktur der aufnehmenden Gesellschaft. Zwar wird in der europäischen Migrationsforschung nicht von ethclass gesprochen (Gordon 1978), also von der klassenförmigen Ver- 4.5 Ethnisierung von Arbeitsmärkten 117 festigung der niedrigen sozialen Lage ethnischer Minderheiten, doch der Begriff der ethnischen Unterschichtung beschreibt ähnliche Prozesse der marginalisierten und/ oder subgesellschaftlichen Gruppenbildung, die auf den drei zentralen Bedingungen Wettbewerb, Ethnozentrismus und Machtungleichheit beruht: Wettbewerb ist der Anlass für soziale Schichtung, Ethnozentrismus kanalisiert den Wettbewerb entlang ethnischer Abgrenzungen und Machtunterschiede entscheiden über Unter- und Überordnung der einzelnen beteiligten Gruppen. Ethnische Unterschichtung entsteht dann, wenn an der Basis eines sozialen Schichtungsgefüges neue Positionen geschaffen und/ oder bisher von Einheimischen eingenommene relativ niedrige Positionen von diesen aufgegeben und durch Zuwanderer besetzt werden; dies führt zur Bildung einer Unterschichtung sowie zur »neofeudalen« Absetzung der Einheimischen in der Statushierarchie nach oben. Damit richtet sich die Aufmerksamkeit auf ein wichtiges Problem, das moderne Einwanderungsgesellschaften mit sich selbst haben: Soll die Unterschichtung und damit die ethnische Hierarchie erhalten bleiben, was manchen der Eingesessenen erst den sozialen Aufstieg erlaubt, oder folgt man dem Grundsatz der Chancengleichheit und öffnet die zentralen Statuslinien, also die wichtigen Ausbildungs- und Berufswege, für die Zuwanderer? In der Bundesrepublik entstand eine derartige ethnische Unterschichtung bereits mit der Beschäftigung der sogenannten Gastarbeiter, da ihre Anwerbung auf ganz bestimmte, nur für sie vorgesehene Arbeitsplätze erfolgte. Auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt stehen sie im Wettbewerb mit einheimischen Angehörigen niedriger Schichten, die ethnische Abgrenzung ergibt sich quasi »natürlich« durch den abgrenzenden Zuwanderungs- und Ansiedlungsprozess sowie auf dem Wege ethnozentristischer Vergleiche der »Gastarbeiter« mit den »deutschstämmigen« Aussiedlern. Machtungleichheiten ergeben sich ferner aus der nicht vollständigen Teilhabe an politischen Rechten sowie aus den Herkunftsbedingungen der Migranten, die - insbesondere dann, wenn sie aus ländlichen Regionen kommen - oft keine gute Schul- und Berufsausbildung haben, woraus wiederum ihre schwachen Stellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt resultiert (vgl. Heckmann 1992: 92). Je nachdem, ob sich das Interesse stärker auf die ökonomischen oder auf die sozialen Zusammenhänge richtet, wird man sich entweder den Theorien der segmentieren Arbeitsmärkte oder dem Konzept der ethnischen Unterschichtung zuwenden. Zahlreich sind die empirischen Beispiele, die sich mit diesen Ansätzen analysieren lassen: Zu nennen sind die Versuche, in Australien wieder die White Australia-Politik einzuführen und damit gegen die Einwanderung aus Asien vorzugehen (Baringhorst 2003), oder die Auseinandersetzungen um das europäische »Entsendegesetz«, das die Entlohnung von Dienstleistungsanbietern innerhalb der EU-Länder regelt. In den reichen Industriegesellschaften hat sich zudem eine 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 118 gewisse Gewöhnung an Unterschichtungsprozesse eingestellt, weil sich »gewanderte Arbeit« in bestehende Beschäftigungsstrukturen einpasst, sei es als Produktionsfaktor in Betrieben, sei es als Angebot persönlicher Dienstleistungen in Privathaushalten (Lutz 2001). Zumindest kurzfristig kann sie beiden Seiten zupasskommen, nicht nur den Arbeitgebern, sondern auch den Zuwanderern - den Arbeitgebern, weil sie nur geringe Löhne und keine Sozialabgaben zahlen müssen, den Zuwanderern, weil sie in schlecht oder gar nicht geschützten Arbeitsverhältnissen relativ schnell Geld verdienen können. Verstärkt wird diese kurzfristige gegenseitige Vorteilsnahme, weil nationale Gesetzgebungen und internationale Regulierungen den realen Prozessen der globalen Verflechtung von Arbeitsmärkten hinterherhinken und die Kontrolle über die Wanderungsbewegungen nur punktuell ist. Bevor über diese Entwicklung ausführlicher die Rede sein wird (Kap. 5), soll im Folgenden eine unmittelbare Folge der Ethnisierung von Arbeitsmärkten dargestellt werden: das »ethnische Unternehmertum«, das allerdings die Entstehung ethnischer Gemeinden (communities) und ethnischer sozialer Netzwerke voraussetzt. 4.6 Ethnische Gemeinden Ob Zuwanderer dauerhaft bleiben oder ständig durch neue ersetzt werden - häufig sind sogenannte ethnische Gemeinden für sie der erste Anlaufpunkt in der neuen Gesellschaft. Sie dienen der Orientierung, dem Schutz sowie der (materiellen und ideellen) Unterstützung. Ethnische Gemeinden werden in der Literatur auch »ethnische Kolonien« oder »Diasporas« genannt, doch hat sich auch in Politik und Medien der Begriff »Gemeinde« durchgesetzt, weshalb hier an ihm festgehalten werden soll, zumal er dem englischen Begriff für dasselbe Phänomen - ethnic community - weitgehend entspricht. Er hat den Vorteil, dass die räumliche Konzentration, auf den der Begriff »Kolonie« zielt, in der modernen Vorstellung von Gemeinde nicht mehr zwingend gegeben ist; die Mitglieder einer (ethnischen oder religiösen) Gemeinde können verstreut über ein größeres Stadtgebiet oder ein Stadtviertel leben, sich aber zu bestimmten Zwecken räumlich zusammenfinden. Dort, wo die räumliche Konzentration im Vordergrund steht, insbesondere dann, wenn sie nicht freiwillig geschieht, wird heute dagegen von »räumlicher Segregation« (vgl. Gesemann 2001) oder gar von »Ghettoisierung« (Marcuse 1998) gesprochen. Eine ethnische Gemeinde ist eine Form der sozialen, kulturellen, religiösen und politischen Selbstorganisation ethnischer Minderheiten, heutzutage meistens von Zuwanderern, die sich »ethnisch« von den Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft unterscheiden. Die Gemeindebzw. community-Forschung blickt auf eine lange 4.6 Ethnische Gemeinden 119 Tradition zurück, beginnend mit den Studien der »Chicago School« in den 1920er Jahren, die dann in den 1950er und wieder verstärkt in den 1980er Jahren aufgegriffen wurden (z. B. Thomas/ Znaniecki 1974 [1918-21]; Eisenstadt 1954; Breton 1981). Seitdem gibt es eine immer feinere Ausdifferenzierung der Forschung, deren Fragen viele (stadt-)soziologische Kernthemen berühren: ethnische Segregation und Verdrängungsprozesse auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, Organisationsnetzwerke und die Etablierung von Unternehmen, deren Inhaber Migranten sind (ethnic business), um nur einige zu nennen. Wer sich heute mit Stadtentwicklung befasst, kommt am Phänomen der Selbstorganisation von Zuwanderern nicht vorbei (Rogers/ Vertovec 1995; Häußermann/ Oswald 1997; Heitmeyer u. a. 1998; Gesemann 2001). Ethnische Gemeinden entstehen zum Teil als Fortsetzung der Beziehungsformen, die einige der Mitglieder bereits im Herkunftsland untereinander pflegten, häufiger aber als »institutionelle Antwort« auf die Bedürfnisse der Zuwanderer in der Migrationssituation, die mit großen Unsicherheiten, oft auch mit starker Diskriminierung verbunden ist (Heckmann 1992: 96ff; Oswald/ Voronkov 1997). Im Folgenden seien die wichtigsten Strukturelemente erläutert. Kettenwanderung und Netzwerkbildung Bereits zu Ende des 19. Jahrhunderts konnte Ravenstein (1972 [1885; 1889]) zeigen, dass Wanderungen entlang von Migrationsketten verlaufen. Migranten unterhalten Beziehungen zu Verwandten, Freunden oder Nachbarn, die bereits abgewandert sind und sich in den Transit- oder Zielländern etabliert haben. So erhalten sie Hilfe, Information, Unterkunft und Schutz, was insgesamt die hohen Transaktionskosten einer Migration erheblich vermindert. Kettenwanderung begleitet seit jeher praktisch alle Migrationen. Manchmal bewegen sich ganze Großfamilien, Dörfer oder Nachbarschaften entlang dieser Ketten, bis ihr früherer Lebensmittelpunkt in der Zielgesellschaft wieder aufgebaut werden kann (Park/ Miller 1969; Kamphoefner 1984; Schiffauer 1991; Beetz 2004). Voraussetzung ist die Kontinuität von engen und belastbaren Beziehungen zwischen den Abgewanderten und den in der Herkunftsregion Zurückgebliebenen, und Resultat ist meist ein Konzentrationsprozess am Zielort, der sich empirisch als »Verwandtschaftsdichte« niederschlägt, die sich zu einem mehr oder weniger fest geknüpften Beziehungsnetz zu Freunden, Bekannten und Nachbarn weitet. Die dichten Beziehungsgeflechte in den Migrantengemeinden verdichten sich zu ethnischen Milieus, die sich durch ethnische Abgrenzungen bzw. durch die Betonung spezifischer Symbolformationen von anderen Migrantengemeinden, 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 120 aber auch von der Aufnahmegesellschaft absetzen (vgl. Kap. 4.2). Dies ergibt sich gewissermaßen »natürlich« durch anderes Alltagsverhalten und wird zu eigenen, ethnischen Weltbildern verdichtet. »Organisatorische Netzwerke und deren Zuordnung zu Weltbildern machen das aus, was als Immigranten-Community bezeichnet werden kann« (Blaschke 1997: 48). Auf- und Ausbau von Institutionen Zwar werden die sozialen Beziehungen aus dem Herkunftskontext gewissermaßen in die Zielregion »verpflanzt«, doch ändern sie sich hinsichtlich Art und Intensität unter den neuen Bedingungen. Es kommt zur Gründung von (Sport-, Arbeiter-, Eltern-, Frauen-)Vereinen, von politischen Organisationen und religiösen Vereinigungen, die den besonderen Bedürfnissen in der Migrationssituation entsprechen. Sie dienen der Orientierung, der Existenzsicherung, der gegenseitigen Hilfe, aber auch »nur« dem sozialen Austausch unter Personen, die eine gemeinsame Sprache sprechen und ähnliche Gewohnheiten und Weltsichten haben. Studien zu derartigen Vereinigungen gibt es seit den 1920er Jahren im Rahmen der Arbeiten der »Chicago School« und sie durchziehen die Migrations- und Integrationsforschung bis in die Gegenwart. Bereits in den 1960er Jahren gründeten »Gastarbeiter« in der Bundesrepublik eigene Vereine, und heute verfügt jede Stadt über ihre eigene ethnische Organisationsstruktur. Von manchen werden diese Gemeindebildungen mit Misstrauen verfolgt, doch mehrheitlich und vor allem von offizieller Seite (z. B. den Kommunalverwaltungen) wird diese Form der Selbstorganisation begrüßt, weil dadurch eine gebündelte Interessenartikulation möglich wird und für viele wichtige Aspekte (Schulintegration, Veranstaltungen aller Art) Ansprechpartner bereitstehen (Friedrich-Ebert-Stiftung/ Schultze 1999; Fijalkowski 2001; Otero 2004). Auch politische Gruppierungen innerhalb der Migrantengemeinden haben eine lange Geschichte. Während es in den Aufnahmegesellschaften meist kein Problem darstellt, den Freizeit-, Kultur- und Sozialorganisationen Verständnis entgegenzubringen und Unterstützung zuzusagen, verhält es sich mit den politischen Vereinigungen nicht so einfach. Denn in ihnen werden oft Konflikte artikuliert, die in der Aufnahmegesellschaft weithin unbekannt sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn in den Gemeinden neben Arbeitsmigranten auch Flüchtlinge organisiert sind, die in ihrem Herkunftsland möglicherweise der politischen Opposition angehörten und deshalb fliehen mussten. Die Konflikte im Herkunftsland werden mitunter in der Aufnahmegesellschaft in die Öffentlichkeit gebracht, die zwar den Rahmen bereitstellen mag (z. B. die Erlaubnis einer Straßendemonstra- 4.6 Ethnische Gemeinden 121 tion), aber kaum Verständnis für das Problem aufbringt und auch keinen Import von Konflikten haben will, ob es sich nun um eine Flugblattaktion iranischer Oppositioneller heute handelt oder um eine Demonstration der kurdischen Arbeiterpartei PKK in den 1980er oder 1990er Jahren. Einen guten Eindruck von der Verfassung dieser Organisationen vermitteln die Presseerzeugnisse, die der Information und Kommunikation der Gemeindemitglieder untereinander dienen (vgl. Darieva 2004). Mit einem gewissen Etablierungsgrad der Gemeinden engagieren sich politisch Interessierte auch in der Ausländerbzw. Migrationspolitik des Aufnahmelandes oder versuchen, an dessen allgemeinen politischen Strukturen zu partizipieren, indem sie zum Beispiel in der Kommunalpolitik mitarbeiten oder in Parteien eintreten. Dies zeugt jedoch bereits von einem relativ hohen Niveau an Integration in die Aufnahmegesellschaft und geht von Einzelpersonen aus, während die Migrantengemeinden als solche selten politische Akteure sind. Die bereits in Deutschland geborenen und/ oder aufgewachsenen Nachfolgegenerationen von Zuwanderern scheinen allerding nur ein geringes Interesse an politischen Organisationen »ihrer« ethnischen Gemeinden zu haben (Heckmann 1992: 107). Dies mag daran liegen, dass sie andere Interessen und Bedürfnisse als ihre Eltern haben; ob dies von erfolgreicher Integration in die Aufnahmegesellschaft zeugt oder von einem generellen Desinteresse an Politik bei stärkerer Hinwendung zu (sub-)kulturellen und freizeitorientierten Aktivitäten ist eine Frage, die gegenwärtig untersucht wird (Gille u. a. 2000; Weidacher 2000). Da meist ein bestimmter Unterschied zwischen der Religion der Zuwanderer und der des Ziellandes besteht, entstehen in den Gemeinden meist bald religiöse Vereinigungen, die sich religiös-kultisch betätigen, aber meist auch sozialpflegerischen Aufgaben dienen (z. B. Schoeps u. a. 1996: 113 ff.). In jüngster Zeit haben, nicht nur in Deutschland, die politischen Aktivitäten türkischer Moschee-Vereine, die eng mit politischen Gruppierungen verbunden sind (Stichworte: »Islamismus«, »Hassprediger«) die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Wegen einiger weniger gewaltbereiter Personen, die möglicherweise in den Migrantenvereinen radikalisiert wurden, sind die Auseinandersetzungen um den Islam, der immerhin die drittgrößte Religionsgemeinschaft in der Bundesrepublik ist, häufig sehr emotionsgeladen und von Abwehr bestimmt, wie beispielsweise die Streitfälle um den Bau von Moscheen zeigen (Schmitt 2003). Die Debatten zeigen, dass auf beiden Seiten breite Unkenntnis über die Grundlagen der jeweils anderen Kultur besteht, von denen keine homogen ist, sondern aus vielfältigen Strömungen, Subkulturen und Milieu-Schattierungen besteht. Die Migrantengemeinden müssen nun den Balanceakt vollbringen, sich einerseits von potentieller Gewalt aus ihren Reihen zu distanzieren, sich andererseits aber auch 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 122 gegen Kollektivhaftung für die Taten von Fundamentalisten zu verwahren (Ceyhun 2001; Schiffauer 2004; Dollase/ Koch 2006). Die »Islamgipfel«, die seit Herbst 2006 Vertreter von Migrantengemeinden und Aufnahmegesellschaft miteinander ins Gespräch zu bringen versuchen, sind daher ein wichtiger Anfang (vgl. auch Kap. 4.7). Binnenintegration In den 1980er Jahren entwickelte sich in der Bundesrepublik eine Debatte darüber, wie stabil Strukturen der Migrantengemeinden sind und wie die Zuwanderer, die in ihnen Schutz und Orientierung finden, sich dennoch allmählich auf die Kultur des Aufnahmelandes einstellen und assimilieren können. G. Elwert (1982) beleuchtete mit dem Konzept der »Binnenintegration« die Wichtigkeit der Orientierung »nach innen« (auf die community-Strukturen) statt »nach außen« (auf das Einwanderungsland), weil sie neben der Vermittlung von Alltagswissen zur Ausbildung von Selbstbewusstsein und der Bildung von pressure groups führt, die die Interessen der Gruppe gegenüber der Aufnahmegesellschaft offensiv vertreten. In diesem Konzept kann Integration durchaus gelingen und zwar gerade dann, wenn genügend Selbstvertrauen sowie Vertrauen in eine prinzipielle Rückzugsmöglichkeit innerhalb der Gemeinde vorhanden ist. Für H. Esser (1986) dagegen ist die Binnenintegration eine Mobilitätsfalle, weil sie die Zuwanderer daran hindert, Chancen zur Besetzung von Statuspositionen außerhalb der Gemeinden wahrzunehmen. Diese Gefahr wird als besonders hoch eingeschätzt bei »institutioneller Vollständigkeit«. Dieser Begriff, der auf den der institutional completeness aus der angelsächsischen community-Forschung zurückgeht (Breton 1964), zielt auf die Ausgestaltung der Gemeinden mit allem Lebensnotwendigen und darüber hinaus: vom Zahnarzt bis zur Beratungsstelle, vom Arbeitsplatz bis zum Sportverein, vom Notar bis zum Reisebüro. Wenn eine Gemeinde eine derartige Autonomie von der sie umgebenden andersethnischen Gesellschaft erreicht, gibt es für ihre Mitglieder keinen Grund, sie zu verlassen; sie integrieren sich unter »Umgehung« der Aufnahmegesellschaft. Die Diskussion scheint in wissenschaftlicher Hinsicht ihren Zenit überschritten zu haben und wird als die bereits angesprochene Forschung zu sozialräumlicher Segregation und »Ghetto«-Bildung in der Stadtforschung fortgesetzt. Insbesondere in den Medien taucht dagegen immer wieder - und zwar ausschließlich mit Blick auf muslimische Zuwanderer - der Begriff »Parallelgesellschaft« auf, der verschiedene sozioökonomische Entwicklungstendenzen mit Gefährdungslagen zusammenspannt: die Tatsache, dass Zuwanderer in sozial benachteiligte städti- 4.6 Ethnische Gemeinden 123 sche Quartiere abgedrängt werden, aus denen Einheimische und Besserverdienende wegziehen, dass die dort angesiedelten Schulen gegenüber Schulen mit geringerem Ausländeranteil ein niedriges Prestige haben, dass viele Kinder die Sprache der Mehrheitsgesellschaft bei der Einschulung kaum kennen etc. - was sich insgesamt zu einem Syndrom der Chancen- und Perspektivlosigkeit verdichte, das sich ständig reproduziere und die Gefahr der Radikalisierung, der fundamentalistischen Gewaltausbrüche in sich trage. Auf dieses Thema wird weiter unten nochmals eingegangen (Kap. 4.7). Ethnisches Gewerbe Wenn Zuwanderer, die als ethnische Minderheiten gelten und wahrgenommen werden, dauerhaft vom gleichberechtigten Wettbewerb um Arbeitsplätze bzw. Statuspositionen ausgegrenzt (exkludiert) werden, dann ist die Abdrängung in untere Lohngruppen und unter Umständen sogar aus der Lohnarbeit hinaus die Folge. Es kommt zu einer Konzentration außerhalb des offiziellen Arbeitsmarktes und dies führt - je nach Struktur des Aufnahmelandes - in Arbeitslosigkeit und wohlfahrtsstaatliche Absicherung auf niedrigem Niveau, zur Aufnahme einer Tätigkeit auf informellen und irregulären Arbeitsmärkten (Schwarzarbeit) oder in die Selbständigkeit, weil hier die eigene Arbeitskraft produktiv eingesetzt und durch ihre intensive Nutzung (Ausbeutung) Wettbewerbsvorteile gegenüber den Einheimischen erwirtschaftet werden können. Unter ökonomischer Perspektive formuliert, entwickeln sich »Enklavenwirtschaften« (Wilson/ Portes 1980: 302 ff.) als Ergebnis der Verdrängung von Migranten zuerst vom primären, dann vom sekundären Arbeitsmarkt. Im Schutze der communities können sie ansehnliche Renditen erwirtschaften, vor allem dann, wenn sie sich aus den ökonomischen Nischen herausarbeiten und in die Wirtschaft außerhalb der Gemeinden expandieren können. Für die Bezeichnung des ethnischen Unternehmertums gibt es verschiedene Begriffe: ethnic (small) business, ethnic entrepreneurship, »Enklavenwirtschaft«, »ethnisches« Gewerbe etc. Das Phänomen wird in den USA seit den 1960er Jahren diskutiert und erforscht (Light 1972; Light/ Rosenstein 1995) und ist seit den 1990er Jahren auch in Europa ein zentraler Forschungsgegenstand in vielen wissenschaftlichen Disziplinen, denn das ethnische Unternehmertum ist ausgesprochen dynamisch und trägt zur Stabilisierung urbaner Zentren bei (Pichler 1997; Verein für Gegenseitigkeit 2001; Tarrius 2002). Die ersten ethnischen Ökonomien entstanden in der Bundesrepublik in den 1960er Jahren und dienten der Selbstversorgung der Zuwanderer mit Nahrungs- 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 124 mitteln, Haushaltsgeräten und anderen Konsumartikeln, die sie aus ihrem Herkunftsland gewohnt waren, in der neuen Gesellschaft aber nicht kaufen konnten. Mit der Zeit richtete sich das Angebot auch an die Einheimischen (italienische Eisdielen, türkische Gemüseläden etc.), und mit zunehmender Arbeitslosigkeit in den 1980er Jahren wurden die Einwandererökonomien zu echten Arbeitsplatzalternativen. Es entstanden nun auch Gewerbebetriebe nicht nur auf dem Nahrungsmittelsektor, sondern auch im Bau und im Handwerk, die zum Teil enorm expandieren und zu internationalen Konzernen aufsteigen konnten. Anfang der 1990er Jahre stießen zu den Gewerbetreibenden, die vor allem ehemalige »Gastarbeiter« oder deren Nachkommen waren, Kleinunternehmer und Händler aus Osteuropa sowie aus der »Dritten Welt«, was zu ganz neuen Mischungsverhältnissen in den Betriebsstrukturen (z. B. polnische Aushilfen in türkischen Läden), aber auch zu höherer Konkurrenz und zu einer immer weiteren Ausdifferenzierung des Angebots führte. Standen zu Beginn der Forschung noch kulturalistische Ansätze im Vordergrund, wonach es ganz bestimmte Eigenschaften der Zuwanderer seien, die sie zur Aufnahme eines eigenen Gewerbes befähigten, so setzte sich später ein Modell durch, das die »Opportunitäten«, also die Gelegenheits- und Entscheidungsstrukturen bestimmter Gruppen sowie die strategischen Positionierungen durch Netzwerkbildung diskutierte (Waldinger u. a. 1990; Timm 2000). In vielen Studien lässt sich belegen, dass Selbständigkeit in der Enklave zwar meist besser ist als Unselbständigkeit auf dem sekundären Arbeitsmarkt, die Gefahren von Selbstausbeutung und einer Entwertung anderer Berufsqualifikationen aber groß sind. Wie für die Integration über die ethnischen Milieus überhaupt, gilt auch für die ethnischen Ökonomien, dass sie umso erfolgreicher sind und sich auch mit der Ökonomie der Aufnahmegesellschaft verknüpfen können, je mehr Kenntnisse über diese existieren und je größer die Interdependenzen zwischen Unternehmern, Arbeitern und Konsumenten werden, die unterschiedlichen ethnischen Gruppen angehören (Boswell 1994). 4.7 Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« In allen westlichen Industriegesellschaften ist Migration mittlerweile zum Normalfall geworden. Um das Beispiel Bundesrepublik zu nehmen: Hier wanderten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ca. 31 Millionen Menschen zu und ca. 4.7 Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« 125 22 Millionen ab, was einen Wanderungsgewinn von ungefähr neun Millionen Personen bedeutet (Bade/ Oltmer 2004). Von der Tatsache, dass Deutschland vor diesem Hintergrund ein Einwanderungsland ist, wurde bereits gesprochen, im Folgenden soll nun von den mannigfaltigen Integrationserfahrungen, die im Zuge dieser Migrationsgeschichte gemacht wurden, die Rede sein. Die Integration der in der unmittelbaren Nachkriegszeit zugewanderten Millionen von »deutschstämmigen« Flüchtlingen, Vertriebenen und Aussiedlern verlief unter den Bedingungen von Wiederaufbau und hohem Arbeitskräftebedarf tatsächlich relativ problemlos (Dietz 1995). Die Zuwanderung der »Gastarbeiter« gestaltete sich aber grundsätzlich anders (vgl. Grüner 1992; Schöneberg 1993; Sezer 2001). Die Angeworbenen arbeiteten meist für niedrige Löhne und unter schlechten Arbeitsbedingungen, doch war der Abwanderungswunsch in den Anwerbeländern so stark, dass es neben der regulierten auch die irreguläre bzw. nicht dokumentierte Zuwanderung und Vermittlung von Arbeitern gab. Da sich die ursprünglich geplante Rotation der Arbeitskräfte betrieblich nicht lohnte, wurde ihre dauerhafte Anwesenheit notwendig, doch von den niedrigen Berufspositionen konnten sich die »Gastarbeiter« in der Regel nicht hocharbeiten. Im Gegenteil, es machten sich bald die Dynamiken der ethnischen Unterschichtung bemerkbar, denn es entstand noch bis Ende der 1960er Jahre neuer Bedarf an ausländischen Arbeitern in un- und angelernten Positionen. Aus den Erinnerungen eines »Gastarbeiters« »Es war im Jahre 1956, ich war damals 25 Jahre alt und im Dorf San Michele di Ganzeria (Provinz Catania) herrschte öde Trostlosigkeit, zum Überleben für uns junge Leute gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder nach Palermo zu gehen und zu versuchen, sich im Mafiamilieu einzumischen oder auszuwandern, um eine Arbeit zu finden. (…) Durch einen Dorfbewohner haben wir erfahren, dass in Deutschland, in Völklingen, eine Baufirma (Firma Alfred Müller) Arbeiter suchte, und dass wir diesen Ort über Frankreich erreichen konnten. Am 29. März 1956 haben wir die Fahrkarte Catania-Mailand-Metz-Forbach gekauft, und wir sind im deutsch-französischen Grenzgebiet angekommen. Unser Freund holte uns ab, und heimlich sind wir durch die Wälder nach Völklingen zu der Firma gegangen, die uns Arbeit und Unterkunft gegeben hat. (…) Mein neues Leben wurde mit ca. 90 anderen Arbeitskollegen geteilt, alle in einer einzigen Holzbaracke untergebracht, alles ausländische Arbeiter, Sizilianer aus Favara, Canicatti, Palma di M., dazu noch zwei Portugiesen und vier Spanier. (…) Wir haben in Etagenbetten geschlafen, die Küche war eine Gemeinschaftsküche. Die Begegnung mit der deutschen Gesellschaft war sehr schwer, es gab sehr wenig 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 126 Kontakt mit den Deutschen außerhalb der Arbeitszeit, Sprachschwierigkeiten, Erniedrigungen, Einsamkeit und ein Leben am Rande. (…) Im Jahr 1972 bin ich Polier geworden, und ich habe 33 Jahre lang immer bei der gleichen Firma gearbeitet, bis ich im Jahr 1992 60 Jahre alt geworden bin. (…) Ich bin damals nach Deutschland gekommen mit der Absicht, nur einige Jahre zu bleiben und dann nach Italien zurückzukehren, statt dessen erreiche ich bald 40 Jahre Aufenthalt. (…) Im nächsten Jahr, 1996, werde ich in diesem Land wählen, gleichberechtigt mit den Deutschen. Ich fühle mich nicht mehr als Ausländer, sondern wie ein italienischer Mitbürger von Völklingen. (…) Wenn ich an meine Zukunft denke, um meinem Leben ein letztes Schicksal zu geben, dann möchte ich, dass mein Körper in Deutschland ruhen wird, denn hier habe ich ihn verbraucht, dass mein Herz in Italien ruhen sollte, denn dort war es immer, gebunden durch unvergessliche Erinnerungen, und dass meine Seele wieder Gott gegeben werde.« (Aus: Montanari/ Montanari 2001, in: DHM 2005b: 3) 1964 wurde in Köln ein Portugiese als Millionster »Gastarbeiter« empfangen und 1970 war der Höhepunkt mit einer Million Zuzügen in einem Jahr erreicht. 1973 lebten, bei einer sehr viel höheren Zahl von Zuzügen, aber auch wieder Abwanderungen, rund 2,7 Millionen »Gastarbeiter« in der Bundesrepublik. Es migrierten in der Regel Einzelpersonen, ob sie nun im Herkunftsland verheiratet waren oder nicht; die Unterbringung erfolgte oft in Betriebswohnheimen. 1973 kam es mit der Wirtschaftskrise zu einem Arbeitskräfteüberschuss, was mit dem Anwerbestopp beantwortet wurde und die sogenannte Konsolidierungsphase einleitete. Zwar wanderten im Laufe der Jahrzehnte mehr als eine Million »Gastarbeiter« tatsächlich wieder zurück, zumal die Bundesregierung die Rückkehr finanziell förderte, doch die Zahl der türkischen Beschäftigten blieb konstant und die der Familienangehörigen stieg beträchtlich. Volkswirtschaftlich wirkten sich Anwerbung und Beschäftigung der »Gastarbeiter« kurzfristig sehr günstig aus, da im Aufnahmeland billige Arbeitskräfte zur Verfügung standen und die Herkunftsländer von Problemen wie Arbeitslosigkeit sowie infrastrukturellen und technischen Defiziten, beispielsweise veralteten Industrieanlagen oder fehlenden Arbeiterunterkünften, entlastet wurden, auch waren die Geldüberweisungen der Arbeiter an ihre Familien als Devisenquelle willkommen. Langfristig aber war der Effekt fraglich, da die Abwanderung der Gastarbeiter den Arbeitskräfteüberschuss nicht ausglich, viele der Industriearbeitsplätze in Deutschland der Rationalisierung zum Opfer fielen und in den Herkunftsländern mit den Rückkehrern auch die Arbeitslosigkeit wieder zunahm. Die Migranten waren zur »Manövriermasse im wirtschaftlichen Gefüge« geworden (Klingshirn 1992: 147). 4.7 Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« 127 Aus individueller Perspektive verhielt es sich ähnlich: Die »Gastarbeiter« waren nicht an dauerhafter Einwanderung interessiert, sondern daran Geld zu verdienen, um sich mit dem Ersparten nach der Rückkehr eine Existenz aufzubauen. Dafür nahmen sie ihre marginalisierte Position im Aufnahmeland in Kauf, die sich in provisorischen Lebenssituationen und starker Isolierung von den Einheimischen äußerte. Mit dem Anwerbestopp stellte sich die Frage, wie der Migrationsprozess zu beenden war - durch Rückkehr oder Nachzug der Familien, um entweder den Lebensmittelpunkt im Herkunftsland zu re-etablieren oder ihn gänzlich in die Aufnahmegesellschaft zu versetzen (vgl. Brecht 1994; zur Phasenabfolge Wenning 1996: 19 ff.). Beide Wege waren, wie heute bekannt, schwierig: Der Nachzug der Familie schuf neue, bislang ungeahnte Probleme, doch auch die Rückkehr brachte oft nicht den erwarteten Erfolg, weil entweder die Ersparnisse zu gering oder die Erwartungen zu hoch gewesen waren. Die »reichen« Rückkehrer stießen zudem auf Vorbehalte der Dagebliebenen und konnten sich oft nicht wieder in die »alte Heimat« einfinden, sodass sie erneut abwanderten, also gewissermaßen re-re-migrierten. Unter bestimmten Voraussetzungen - wie einer langen Aufenthalts- oder Schulbesuchsdauer - besteht bis heute ein »Recht auf Rückkehr« nach Deutschland (vgl. Körner/ Mehrländer 1986; Unger 1986; Pagenstecher 1996). Wenn bei den »Gastarbeitern«, auch nach sehr langem Aufenthalt, oft nicht von »Integration« (geschweige denn von »Assimilation«) die Rede sein kann, so stellt sich das Problem für ihre Nachkommen, für die »zweite« und »dritte Generation«, umso mehr. Die Jugendlichen waren lange Zeit einfach nur im Inland geborene Ausländer, die in die komplizierte und mitunter revidierte Entscheidung ihrer Eltern, zurückzukehren oder zu bleiben, einbezogen waren. Dies führte dazu, dass sie gewissermaßen »nirgends zu Hause« waren, weder im Herkunftsland ihrer Eltern noch in der Bundesrepublik, und ihre Integrationschancen ernsthaft gefährdet waren (Wilpert 1980; Firat 1990; Gestring u. a. 2006). Dies begann sich erst zu ändern, als mit dem neuen Ausländergesetz von 1990, das das von 1965 ablöste, die Einbürgerung von Jugendlichen erleichtert wurde. Seit Ende der 1970er Jahre werden Integrationsverläufe und -probleme verstärkt erforscht, wobei in den letzten zwei Jahrzehnten wichtige Akzentverschiebungen stattfanden. Ein wichtiger Wandel, der zunächst nur wie eine oberflächliche Veränderung aussieht, ist dabei die Bezeichnung des Forschungs»objekts«: Wurde in den 1980er Jahren noch selbstverständlich von »Ausländern«, »Gastarbeitern« und »Gastarbeiterkindern« gesprochen, hieß es ab Mitte der 1990er Jahren »Personen ausländischer Herkunft« in der (damals offiziell noch nicht existierenden) »Einwanderungsgesellschaft« (Sachverständigenkommission 2000; Krüger-Potratz. 2004); heute ist von Personen »mit Migrationshintergrund« die Rede (Boos-Nünning/ Karakas ¸og˘lu 2005). 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 128 Dies bedeutet mehr als die Hinwendung zu politisch korrekten Begriffen, es verweist auf die Veränderungen in der Sozialstruktur Deutschlands einerseits und auf die zunehmende Berücksichtigung internationaler Forschung und Literatur andererseits. Denn die Migrationssituation in der Bundesrepublik, in der lange Zeit fundamentale Unterschiede zwischen »deutschstämmigen« Aussiedlern und ausländischen Arbeitsmigranten aufrechterhalten wurden, ähnelt inzwischen immer mehr der anderer westeuropäischer Länder. Seit Mitte der 1980er Jahre kamen Millionen Menschen nach Deutschland, von denen zwar viele (z. B. abgewiesene Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge) wieder abwanderten, doch hat sich die Gesellschaft seitdem entschieden verändert. Weiterhin wird dem Gesetz nach zwischen verschiedenen Zuwandererkategorien unterschieden (vgl. Kap. 3.4), aber für alle diejenigen, die - dauerhaft oder vorübergehend - bleiben (wollen und/ oder dürfen), stellen sich dieselben Probleme der Integration in eine Gesellschaft mit einem vergleichsweise hohen Wohlstandsniveau bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit und vielfältigen sozialen Verwerfungen. Dies gilt auch für die Spätaussiedler, deren Sozialprofil nicht mehr dem der frühen Aussiedler der 1950er bis 1970er Jahre gleicht, da sie in einem von Westeuropa völlig verschiedenen Gesellschaftssystem sozialisiert wurden, meist keine guten Sprachkenntnisse und nur rudimentäre Vorstellungen vom Leben in der Bundesrepublik haben (Strobl/ Kühnel 2000). Die Schlüsselaspekte der Integrationsproblematik, die sich in ihren Auswirkungen stark beeinflussen, sind die prekäre Arbeitsmarktsituation, die gestaffelte und hierarchisierende rechtliche Behandlung sowie die gegenseitige Wahrnehmung und Akzeptanz. Weiter oben war bereits die Rede von der ethnischen Unterschichtung, die sowohl Grund als auch Ergebnis von Vorurteilen und Diskriminierung ist, doch Fehlwahrnehmung, Stereotypisierung und Fremdenfeindlichkeit existieren auch ohne konkrete Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Dabei gibt es Abgrenzungsverhalten nicht nur zwischen Zuwanderern und (»schon immer«) Eingesessenen, sondern auch unter Zuwanderern unterschiedlicher Herkunft, die um Gesellschaftsinterpretationen streiten und um die geringer werdenden Ressourcen konkurrieren; gut dokumentiert sind z. B. die Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen türkischer Herkunft und Aussiedler-Jugendlichen (Babka von Gostomski 2006). Im Folgenden sei auf die Problemfelder eingegangen, doch angesichts der inzwischen fast unübersehbaren Zahl an wissenschaftlichen Studien, politischen Stellungnahmen und Medienberichten kann dies in diesem Rahmen nur skizzenartig erfolgen. 4.7 Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« 129 Familiensituation und Bildung Die frühe »Ausländer«bzw. »Gastarbeiterforschung« der 1970er Jahre war von den Pädagogischen Wissenschaften dominiert, weil sich Integrationsprobleme besonders bei der Beschulung und Ausbildung der Migrantenkinder zeigte. Man forderte sowohl Maßnahmen für die Rückkehr dieser Kinder in ihre »Heimat« als auch den grundlegenden Wandel der Bildungs- und Sozialisationsinstitutionen. Diese Ambivalenz ließ nach, je mehr sich die Erkenntnis durchsetzte, dass viele Arbeitsmigranten bleiben würden und Deutschland sich als Einwanderungsland begreifen müsse. In den 1980er und 1990er Jahren gab es vielfältige Versuche, Curricula und Schulformen auch auf die nicht deutschen Schüler einzustellen bzw. das Miteinander von Schülern unterschiedlicher kultureller Herkunft zu fördern - Stichworte sind »Ausländerpädagogik« und »Interkulturelle Erziehung« (Griese 1984) -, doch änderten sich die Probleme der Bildungsbenachteiligung und der unterdurchschnittlichen Schulerfolge bei Kindern von Zuwanderern nicht grundsätzlich (Firat 1990; Griese 2002). So scheint das deutsche Bildungssystem soziale Unterschiede zu verstärken und die Spuren der sozialen Herkunft nicht zu verwischen, sondern zu betonen, weshalb Kinder von Zuwanderern, die häufig in den unteren sozialen Schichten zu finden sind, die Möglichkeiten schulischer und beruflicher Ausbildung oft nicht ausschöpfen können. In jüngster Zeit wurde dies durch die internationalen PISA- Vergleichsstudien zum Schulerfolg offenbar bestätigt, auch wenn bei der Interpretation derartig großer Datensätze und eines Vergleichs völlig unterschiedlicher Schulsysteme Vorsicht geboten ist (Entorf/ Minoiu 2004; Baumert 2005; zur Kritik: Berliner Zeitung 8.11.2006) Inzwischen scheint sich ein Paradigmenwechsel anzubahnen, indem als maßgebliche Sozialisationsinstanz nicht die Schule, sondern die Familie verstanden wird. d. h., in den Problemen in Schule und Ausbildung manifestieren sich wohl auch die des Schulsystems und der Lehrerausbildung, doch ganz bestimmt spiegelt sich in ihnen die Familiensituation wider. In vielen Zuwandererfamilien kumulieren die Benachteiligungen: Arbeitslosigkeit, formal niedrige oder nicht anerkannte höhere Schul- und Berufsausbildung, beengte Wohnverhältnisse in stigmatisierten städtischen Bezirken, Traumatisierungen infolge Vertreibung, Flucht oder des Migrationsverlaufs, geringe Deutschkenntnisse und Kontakte zu Einheimischen etc. Dass sich derartige Situationen ungünstig auf Kinder und ihren Schulerfolg auswirken, liegt auf der Hand, doch wurden entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse von der Familienpolitik lange vernachlässigt (vgl. Firat 1996). Stellvertretend für die vielen Studien zum Thema sei der im Jahr 2000 veröffentlichte 6. Familienbericht erwähnt, der ausschließlich der Frage »Familien 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 130 ausländischer Herkunft in Deutschland - Leistungen, Belastungen, Herausforderungen« gewidmet war (Sachverständigenkommission 2000; Krüger-Potratz 2004). Der Fokus liegt dabei auf dem Umstand, dass Integration heute oft nicht über die Eingliederung in den Arbeitsmarkt erfolgt, sondern - zumindest zunächst - innerhalb des Migrantenmilieus, also auf dem Weg der bereits besprochenen »Binnenintegration«. Dennoch ist es sinnvoll, die Migrantenfamilien als »normale« Familien und nicht als eine »Sonderform« anzusehen, deren Leistungen und Probleme vor allem aus der »Tatsache der Migration« erklärt und damit kulturalisiert werden. Tatsächlich ist es in soziologischer Hinsicht bedenklich, die typisch »deutsche Familie« der typischen »Migrantenfamilie« gegenüberzustellen, da weder »die Deutschen« noch »die Zuwanderer« einen homogene Großgruppe sind. Armut, Bildungsferne und problematische Familiensituationen gibt es auch unter Deutschen, was ebenfalls zu vielen sozialen Verwerfungen führen kann. Vor dem Hintergrund von Massenarbeitslosigkeit und zunehmender sozioökonomischer Polarisierung sind Migranten allerdings besonderen Verdrängungsprozessen ausgesetzt; statistisch gesehen sind Zuwanderer besonders von Arbeitslosigkeit betroffen, arbeiten häufiger in den unteren Lohngruppen, wohnen beengter und haben weniger Bildungs- und Aufstiegschancen. Das Stichwort »Kumulation von Benachteiligung« verweist dennoch weniger auf »die« Migrantenfamilie als auf ein Syndrom, das zunehmend sozial-räumliche Gestalt annimmt. Waren die Großstädte bis in die 1980er Jahre eine wirksame »Integrationsmaschine«, in die - in- und ausländische - Zuwanderer strömten, um hier Arbeit und eine Zukunft zu finden, so scheint diese spezifische Kraft inzwischen deutlich nachgelassen zu haben. Es bilden sich stigmatisierte und stigmatisierende städtische Wohnbezirke mit einem hohen Anteil an zugewanderter Bevölkerung, die sich drastisch von den Wohnbezirken der Mittelschichten unterscheiden, in die vergleichsweise wenige Zuwanderer aufsteigen. Soziale Ungleichheiten bekommen dadurch zwangsläufig eine ethnische Konnotation. Die vielfältigen sozialen Probleme, die damit zusammenhängen, sind intensiv erforscht und werden zum einen mit Hinblick auf allgemeine soziologische Theorieansätze diskutiert, z. B. (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit, »Prekarisierung« von Arbeits- und Lebensverhältnissen oder »neue Armut« (vgl. Häußermann 1995; Heitmeyer u. a. 1998; Gesemann 2001). Da es sich um politisch höchst brisante und in vielen Punkten medienwirksame Themen handelt, besteht großer Informationsbedarf auch außerhalb theoriegeleiteter Wissenschaft, der von einer Reihe Institutionen bedient wird: Zu nennen sind die Mitteilungsblätter, Bulletins, Broschüren und Internet-Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung, der Integrations- und Migrationsbeauftragten, der Europäischen Kommission 4.7 Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« 131 sowie verschiedener Bundesministerien, Parteistiftungen, NGOs, Gewerkschaftsverbände und kirchlicher Organisationen (siehe Kap. 7.2; 7.3). Voraussetzung für Integration: Gleichstellung der Bürger Seit den 1980er Jahren befasst sich die Migrationsforschung verstärkt mit der Wichtigkeit von Zugangsrechten und anderen Statusfragen, weil diese ganz entscheidend für die Integration bzw. den Ausschluss (Desintegration) von Zuwanderern sind. Wie weiter oben beschrieben, dreht sich die Auseinandersetzung hinsichtlich des Beginns einer erfolgreichen Integration oft nur um die Frage, ob und wie schnell ein Arbeitsplatz gefunden oder eine grundlegende kulturelle Kompetenz (meist mit Sprachkenntnis gleichgesetzt) erworben werden kann (vgl. Kap. 4.3), doch zeigt sich inzwischen ganz deutlich, wie mit den staatlichen Zuwanderungsregelungen, der Definition von »Migrationstoren« (vgl. Kap. 3.4), unterschiedliche Bürgerrechte geschaffen werden. Wie überall in den europäischen Zuwanderungsstaaten kam es auch in Deutschland im Laufe der Zeit zu einer regelrechten Hierarchisierung der Migrantengruppen, in der diejenigen mit sofortigem Niederlassungsrecht, Arbeitserlaubnis und schneller Verleihung der Staatsbürgerschaft ganz oben stehen (Aussiedler) und diejenigen mit »Duldungsstatus«, fehlender oder eingeschränkter Arbeitserlaubnis und ohne Aussicht auf Einbürgerung ganz unten (Bürgerkriegsflüchtlinge). Dazwischen gibt es ein breites Spektrum an Aufenthaltstiteln, das sich auch mit dem neuen Zuwanderungsgesetz von 2005 nicht grundlegend geändert hat. Auf die Gesetzeslagen wird weiter unten ausführlicher eingegangen (Kap. 6), hier sei darauf verwiesen, dass sich die unterschiedlichen Rechtsstellungen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt stark bemerkbar machen und zu der Kumulation von Benachteiligungen, denen Migranten häufig ausgesetzt sind, beitragen. Auch die Intensität der Hinwendung zu Migrantenmilieus bzw. ethnischen Gemeinden scheint damit verbunden zu sein; verstärkte oder ausschließliche Binnenintegration kann durchaus eine »Antwort« auf verweigerte Bürgerrechte sein. Die Debatte um die Bedeutung der Staatsbürgerschaft wird vor allem in der politologischen Migrationsforschung geführt, beispielsweise geht es um die Bedingungen der Einbürgerung oder die Verknüpfung von Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, was in jedem Land anders geregelt ist (Brubaker 1992; vgl. Blaschke 1997: 90 ff.). Weiterentwicklungen dieser Debatte führen zu politisch-philosophischen und demokratietheoretischen Überlegungen (Bauböck 1994; Kymlicka 2001; Taylor 2002; Roß 2004). Deutlich wird, dass es Staatsführungen bei der politischen Gestaltung von Integrationsbedingungen nie um eine »beliebige Integration« geht, 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 132 wie D. Oberndörfer (2001) hervorhebt, sondern um ein Gebinde normativer Vorstellungen, zu der auch der Wunsch nach politischer Identifikation, also nach Loyalität gehört. Für die Erreichung eines solch anspruchsvollen Ziels ist aber die staatsbürgerliche, soziale und kulturelle Gleichberechtigung der Zuwanderer wie der Einheimischen sowie die Akzeptanz der Ersteren durch die Letzteren Voraussetzung. Aus diesem Grund und weil sich in demokratischen Staaten ansonsten ein Legitimationsdefizit ergibt, sollten Staatsbürger und daueransässige Bevölkerung gleiche Rechte haben, kann eine relevante Minderheit also nicht auf Dauer von der politischen Teilhabe ausgeschlossen werden. Neben der politischen ist die soziale Gleichberechtigung anzustreben, was im Rahmen eines Wohlfahrtsstaats bedeutet, dass tatsächlich benachteiligte Personen, auch Zuwanderer, ein »Anrecht auf subsidiäre Unterstützung« haben (Oberndörfer 2001: 15), was wiederum eine klare Entscheidung bezüglich Zuwanderungsberechtigungen voraussetzt. Kulturelle Gleichberechtigung indes kann bedeuten, dass auch die kulturellen Werte und Überlieferungen der Zuwanderer, soweit sie im Rahmen der Verfassung sind, anerkannt und in die jeweilige Nationalkultur integriert werden, wie dies beispielsweise die Multikulturalimus-Politik vorsieht. Rassismus- und Diskriminierungsforschung Der Begriff »Rasse« wird in der deutschsprachigen Forschungsliteratur nicht synonym mit »Ethnizität« verwendet, auch wenn dies in der angelsächsischer Literatur (race relations) der Fall ist (vgl. Rex 1970; Hall 1980; Light/ Rosenstein 1995; Bös 2005). Die Existenz von Rassismus allerdings wird hier wie dort anerkannt und erforscht, und zwar als Geisteshaltung bzw. soziale Bewegung, die - so frühe Theorien - die Menschheit in verschiedene, hierarchisch geordnete Rassen aufteilt. Heute wird der Begriff oft in einem weiten Sinne verwendet. Rassismus gilt danach als eine Ideologie, mit der ein Zusammenhang zwischen sozialen Ungleichheiten und den spezifischen, meist biologischen, d. h. auf reale körperliche Merkmale bezogenen, Eigenschaften von Personen hergestellt und mittels dieser »erklärt«, gerechtfertigt und propagiert wird. Der Kern jeden rassistischen Arguments zielt darauf, dass die Menschen »von Natur aus« ungleich und ungleichwertig seien, weshalb sie unterschiedliche gesellschaftliche Stellungen einnehmen müssten (vgl. Heckmann 1992: 146 ff.; ausführlich: Memmi 1987; Miles 1992; Poliakov u. a. 1992). Heute gibt es in den westlichen Einwanderungsgesellschaften keinen staatlich legitimierten Rassismus mehr, allerdings einige, gesellschaftlich unterschiedlich stark verbreitete, Überlegenheitsideologien und Hierarchisierungen entlang ethnischer (oder anderer) Grenzziehungen, die Grundlage für Diskriminierungen 4.7 Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« 133 sind. Auch diese sind in der Regel nicht offizieller Art, denn die formale Gleichstellung wird von den Verfassungen garantiert (in Deutschland Art. 3, Abs. 1: »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.«), doch faktische Diskriminierungen existieren auf allen Ebenen und in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Nicht nur, aber auch im Kontext der Migrationsforschung hat sich eine breit gefächerte Diskriminierungsforschung entwickelt. Je nach Art der diskriminierenden Unterscheidungen und Bewertungen gruppenspezifischer Merkmale sind empirische Forschungslinien entstanden, beispielsweise bezüglich Geschlecht oder sexueller Orientierung (Sexismus), Hautfarbe (Rassismus), religiöser oder politischer Anschauung (Antisemitismus, Islamophobie), körperlicher oder geistiger Fähigkeiten (Behindertenfeindlichkeit), Alter (Altersdiskriminierung) - um nur einige wichtige zu nennen. Den Maßstab, der für die abwertende Beurteilung genutzt wird, bilden die - oft auch nur angeblichen - Normen einer tonangebenden gesellschaftlichen »Mehrheit«, die keine quantitative Mehrheit sein muss, aber über die Macht zur Durchsetzung ihrer Weltinterpretation verfügt. Gegenstand von Diskriminierung ist meist eine gesellschaftliche Minderheit, die zwar nicht zwingend, aber in der Regel auch eine quantitative Minderheit ist, insbesondere dann, wenn sie aus Zuwanderern besteht und in mehrfacher Hinsicht (noch) nicht den Ansprüchen der Eingesessenen genügen kann. Ganz besonders krasser Diskriminierung sind in dieser Hinsicht bis heute die Roma, Sinti und Kále ausgesetzt, die als »Zigeuner« weithin als Inkarnation des unerwünschten und ausgegrenzten Fremden gesehen werden und auf offene Ausgrenzung sowie Verweigerung von Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten treffen. Erst in den letzten Jahren wird zu diesem Thema aussagekräftige Literatur vorgelegt (Mihok 1999; Guy u. a. 2004; Toivanen/ Knecht 2006). In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Rechtsextremismus in Deutschland in allen Schichten, Regionen und Altersgruppen zu finden ist und daher nicht als Randerscheinung oder ein vor allem in der ehemaligen DDR verbreitetes Phänomen verstanden werden kann (migration-info 10/ 06). Auch die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten in Deutschland steigt weiter an (migration-info 9/ 06). Die sehr umfangreiche Forschung zu Rassismus und Diskriminierung in Migrationskontexten kann hier nicht dargestellt werden. Einige Forschungsdimensionen heben sich aber deutlich ab; zum einen die zum Rechtsextremismus/ Antisemitismus und Populismus (z. B. Heitmeyer u. a. 1992; Bjorgo 1995; Kowalsky/ Schroeder 1994; Pörksen 2005; Frindte 2006), zum anderen Theorieansätze im Schnittpunkt von Ethnie, Migration und Geschlecht. »Sexismus«, die herabwürdigende Behandlung und/ oder Bewertung einer Person aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit hat im Migrationskontext andere Wirkungen als in ethnisch homogenen Kontexten und hat insbesondere in der Auseinandersetzung zwischen schwarzen/ 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 134 farbigen und weißen feministischen Wissenschaftlerinnen zu neuen Theorien geführt. Diese zeigen u. a., dass es keine klar konturierten und starren Hierarchieverhältnisse zwischen den Geschlechtern und Ethnien gibt. So werden etwa die lange Zeit gängigen Thesen von der grundsätzlichen Unterordnung weiblicher Migranten, auf deren Kosten sich einheimische Frauen beruflich profilieren können, mit Blick auf die Gleichzeitigkeiten von Privilegierung und Benachteiligung neu diskutiert (Nestvogel 1994; Lutz 2001; Bednarz-Braun/ Heß-Meining 2004: 21-94). Religiöser Extremismus als mögliche Folge von Diskriminierung, der seinerseits zum Diskriminierungsinstrument wird, weil bestehende Grenzlinien massiv verstärkt werden, wird ebenfalls intensiv erforscht; gegenwärtig wird er vor allem auf den Islamismus bezogen (Kalitz 2004; Zehetmair 2005). Wie der Begriff anzeigt, geht es dabei nicht um den Islam als Religion, sondern um radikale soziale Bewegungen, die sich auf ihn berufen, um Fragen des religiösen Fundamentalismus also. Thematisiert werden die Radikalisierungen an den Rändern einer Religionsgemeinschaft, die in die europäische Politik zu integrieren ist. Es geht aber zunehmend auch um Fragen der religiösen Deutung von Alltagsphänomenen. In Deutschland wie in anderen hochentwickelten Industriegesellschaften mit einem hohen Maß an formaler Rationalität und demokratischem Regelwerk hatte man sich in den unmittelbaren Nachkriegsjahrzehnten daran gewöhnt, dass religiöse, kulturelle und/ oder ethnische Werte und Einstellungen zunehmend zur Privatsache wurden (vgl. Bukow 1996: 63 ff.). In den USA thematisiert man aber seit Ende der 1970er Jahre die Rückkehr bzw. das Erstarken ethnischer Grenzziehungen (ethnic revival), wobei die Religionszugehörigkeit als gemeinschaftsförderndes Moment keine unbedeutende Rolle spielt. Auch im bundesdeutschen Alltag lässt sich beobachten, wie bislang Privates unter dem Vorzeichen (wieder) wichtiger Weltanschauungen plötzlich neu gedeutet wird, Religionsgemeinschaften Zulauf haben oder neue, angeblich traditionelle Sicht- oder Verhaltensweisen Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen werden (Jäger/ Link 2006). Hatte noch vor zehn Jahren kaum jemand sich Gedanken darüber gemacht, ob muslimische Mädchen am schulischen Schwimmunterricht teilnehmen müssen, oder was es bedeutet, wenn eine Frau ein Kopftuch trägt, so werden derartige Themen inzwischen in Zeitungen und Talkshows diskutiert und sind Gegenstand der Gesetzgebung. Gerade der sogenannte Kopftuch-Streit zeigt anschaulich, wie sich an Alltagsphänomenen weltanschauliche Auseinandersetzungen entzünden können, deren Gehalt weder auf der Mehrheitsnoch auf der Minderheitenseite eindeutig zu bestimmen ist und sich objektiver Interpretation entzieht. Sprechen die einen von Unterdrückung, reden die anderen von Religionsfreiheit, nehmen die einen das Kopftuch als Zeichen von drohendem Fun- 4.7 Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« 135 damentalismus, werten die anderen es als Zeichen des Selbstbewusstseins von Frauen, und niemand weiß, ob es »lediglich« religiöses Symbol oder »schon« politisches Signal ist. Tatsächlich kann es beides sein, aber auch nur eine Mode, ganz sicher aber eignet es sich inzwischen als exzellentes Mittel zur Verstärkung bestehender ethnisch-religiöser Grenzziehungen (vgl. Beck-Gernsheim 2004). »Zwischen den Welten« In den Großstädten der westlichen Industriegesellschaften, die alle ein Magnet für Zuwanderer und de facto poly-ethnisch sind, ist die »Inszenierung kultureller Vielfalt« (Welz 1996) inzwischen üblich geworden. »Multikulti«-Umzüge, »Karnevals der Kulturen« oder Ethno-Flohmärkte sind mittlerweile ein Muss, was angesichts der gerade thematisierten sozialen Probleme und Konflikte in den Städten manchem Beobachter befremdlich erscheinen mag, zumal die Folklorisierung von Kulturen kaum zu dem Verständnis beiträgt, das von Zuwanderern normalerweise eingefordert wird. Als Oberflächenphänomen hat es aber seine Folgerichtigkeit im Kontext moderner Gesellschaften, deren Mitglieder immer weniger in traditionell gefestigten Zusammenhängen leben, also nicht auf klar umrissene soziale Rollen festgelegt sind. Dies betrifft umso mehr Zuwanderer, deren vertrautes Rollenrepertoire und eingeübte Verhaltensweisen in der Aufnahmegesellschaft entweder nicht bekannt sind oder wenig geschätzt werden. Mit den kulturellen Inszenierungen wird den Eingesessenen das Fremde in annehmbaren Dimensionen präsentiert, ein Kulturkontakt angeboten, der einem Pauschalurlaub im Süden oder einem Essen in einer Pizzeria oder einem chinesischen Restaurant gleicht - und eben nicht die Verunsicherungen und Zumutungen beinhaltet, die das tiefere Eindringen in eine andere Kultur mit sich brächte. Solange sich die Teilnehmer an solchen Inszenierungen auf dem allen bekannten Terrain eines Kulturmarktes und in den entsprechenden Rollen von Anbietern und Konsumenten treffen, gibt es keine Probleme; doch darüber hinausgehende Erwartungen, egal von welcher Seite geäußert, werden in der Regel enttäuscht. Die Klarheit der multikulturellen Präsentationen ist so beliebt, weil die Palette der ethnisch-kulturellen Selbst- und Fremdzuschreibungen, der Etikettierungen und Stigmatisierungen inzwischen so groß und vielfältig ist. Wenn heute die meisten Großstädter einen irgendwie gearteten »Migrationshintergrund« haben und der schnelle soziale Wandel ständig neue Rollenübernahmen erfordert, gibt es kaum noch verlässliche Orientierungsmaßstäbe für Präsentation und Erkennen von Zugehörigkeiten. Solange sich Zuwanderer und Eingesessene auf einem anonymen Markt begegnen und nicht Objekt gegenseitiger negativer Stigmatisierun- 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 136 gen werden, sind die meisten mit oberflächlichen Kulturkontakten zufrieden. Neben diesem friedlichen, gewissermaßen »sonntäglichen« Bild steht das des Alltags, der mehr und mehr mit Konkurrenz um die knapper werdenden Ressourcen, um Arbeitsplätze und Lebensperspektiven ausgefüllt ist. Die faktischen Machtasymmetrien zwischen Zuwanderern und Einheimischen verhindern nicht selten fairen Wettstreit, sondern fördern Mittel der Abwehr, der Diskriminierung und der gegenseitigen stereotypen Abwertung, die in kulturelle Metaphern gekleidet werden. Dies ist der Kern jedes Ethnisierungsprozesses, in dessen Folge die Abgrenzungen zwischen den Bevölkerungsgruppen konturiert und verstärkt werden. Im kulturalistischen, ethnisierenden Diskurs verschwinden letztlich auch sozioökonomische Konfliktlinien (Kaschuba 1995; Bukow 1996; Groenemeyer/ Mansel 2003). Im Zuge derartiger Ethnisierungsprozesse wird in den Aufnahmegesellschaften in der Regel der Assimilationsdruck erhöht, um bei den Zuwanderern zumindest kulturelle (»identifikatorische«) Annäherungen zu erreichen und ihre Loyalität sicherzustellen. Die Migranten reagieren darauf unterschiedlich - mit Rückzug, mit Überidentifikation oder mit Gelassenheit, doch alle müssen sich mit dem Problem auseinandersetzen, dass sie einer anderen Kultur entstammen, die sie nicht einfach wie ein Kleidungsstück ablegen können und auf die sie oft trotz aller Integrationsbemühungen zurückverwiesen werden. Die Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik um die doppelte Staatsbürgerschaft haben darin eine ihrer wichtigsten Ursachen. Während von deutscher Seite ein Loyalitätsbeweis gefordert wird - »entweder/ oder« - möchten viele Zuwanderer nicht alle Brücken zu ihrer Herkunftsgesellschaft abbrechen. Dies hat nicht nur, aber auch kulturelle Gründe, zumal dann, wenn unter »Kultur« nicht nur der Bezug zu einer nationalen Hochkultur, sondern zur Alltagskultur verstanden wird, in der die sozialen Bindungen und Sozialisationserfahrungen gebündelt sind (vgl. Wolbert 1995). Für die Nachkommen der Migranten stellt sich das Problem in verschärfter Form, zumal dann, wenn bereits Schritte in die Aufnahmegesellschaft hinein erfolgt sind, die sich in Sprachkenntnissen, Schulbesuch, Ausbildung, Freundschaften etc. ausdrücken. Die Frage, welcher Kultur sie sich zugehörig fühlen, dieser oder jener, kann so einfach nicht beantwortet werden, vielleicht beiden oder keiner oder einer neuen Subkultur, die sich erst in der Migrationssituation herausgebildet hat. Es bedarf eines gewissen »Identitätsmanagements«, für das es weder Rezepte gibt noch eine Gewähr, dass es von der Mehrheitsgesellschaft gut aufgenommen wird. Wie Prozesse einer Identitätsfindung unter Migranten, insbesondere der zweiten und dritten Generation, ablaufen, wird seit Beginn der 1990er Jahre breit erforscht. Unilineare Assimilations- oder Integrationskonzepte finden in dieser 4.7 Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« 137 Forschung kaum mehr Beachtung, schon allein deshalb, weil sich die sozioökonomischen Rahmenbedingungen seit der Zeit, in denen sie entwickelt wurden, völlig verändert haben. Dagegen wird den beiden »Polen« von Identitätsfindung und -behauptung besondere Aufmerksamkeit geschenkt: Auf der einen Seite sind das Versuche, aus der kulturellen Zwischenstellung etwas Neues zu schaffen, auf der anderen die maximale Betonung einer (idealisierten) Herkunftskultur, um sie der Mehrheitskultur entgegenzusetzen. Die erste Forschungslinie ist entschieden »anti-kulturalistisch«, stützt sich auf kulturanthropologische bzw. qualitative soziologische Ansätze und Methoden sowie auf die Gender-Forschung und wird zu einem guten Teil von Personen mit eigener Migrationserfahrung getragen. Diese sehen sich als »Erfahrungsexperten« und wehren sich selbstbewusst gegen kulturelle Vereinnahmungen wie gegen die Exotisierung ihrer Herkunftskulturen oder ihrer selbst (Abu-Lughod 1991; Gümen 1996; Lenz 1996; Gültekin 2003). Einen zentralen Stellenwert in dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung nimmt die Biographieforschung ein. Anhand der detaillierten Verfolgung von Migrationsverläufen, die sich über ein ganzes Leben und gar über mehrere Generationen hinziehen und nicht nur den Blick des Individuums auf sich, sondern das Leben der ganzen Familie bestimmen, lässt sich zeigen, wie kulturelle und andere Grenzerfahrungen ineinander übergehen und ganz neue Selbstverortungen schaffen. Gerade das Unbestimmte der Zugehörigkeit zu zwei (oder mehr) Kulturen, die »Doppelperspektivität«, wird als Chance gesehen, da es die engen Erfahrungshorizonte homogener Kulturvorstellungen sprengt und somit auch vermittelnd agieren kann (Dannenbeck u. a. 1999; Thomas Morus Akademie 2001; Gültekin 2003). Dass diese Selbstverortungen dennoch nicht einfach sind, zeigt sich in den Benennungen: die halfies, die die Gespaltenheit zwischen zwei Bezugswelten aushalten müssen, die hybrids, deren Identität oft nur situativ zu bestimmen ist (vgl. Bronfen u. a. 1997). Aus Bruchstücken verschiedener Traditionen werden neue Identitäten »gemacht«, die der Orientierung dienen und in zerrissenen Familiengeschichten wieder so etwas wie Normalität entstehen lassen sollen (Inowlocki 2000) - ob dies gelingt, ist eine andere Frage. All diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie auf Individualisierungsgewinne ausgerichtet sind und es ablehnen, Lebensentwürfe von Migranten(familien) von außen zu ethnisieren und ihre Erfahrungen nur unter dem Blickwinkel von Benachteiligung zu erfassen, die Zuwanderer und ihre Kinder also vor allem als Opfer zu sehen, wie das in einem Teil der pädagogischen und soziologischen Literatur der Fall ist (Dannenbeck 2002; Badawia u. a. 2003). Die Identitätssuche in der Vielfalt moderner Zuordnungsmöglichkeiten gleicht einer Gratwanderung, denn mitunter schlägt die Verweigerung, sich dem Assimilationsdruck der Aufnahmegesellschaft und/ oder den ethnisierenden Zuschrei- 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 138 bungen von außen zu beugen, in Selbstethnisierung um. Personen, Familien oder Zuwanderergruppen, deren ethnische oder religiöse Zugehörigkeit bisher nur ein Aspekt ihres soziokulturellen Profils war, wenden sich plötzlich ethnischen Gemeinden zu, werden religiös oder definieren sich als ethnische Minderheiten, die besondere Schutzbedürfnisse und/ oder extreme Diskriminierung erfahren haben (Buchkremer u. a. 2000; Oswald 2000). Ob es sich dabei um strategische Entscheidungen handelt (um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen) oder um einen tief empfundenen Orientierungswandel, spielt eine geringere Rolle als der Umstand, dass bei derartigen Wendungen die Abgrenzungen gegenüber der Aufnahmegesellschaft oder anderen Zuwanderergruppen massiv verstärkt werden. Die Gefahren, die sich dadurch für eine Integration ergeben können, sind relevant. Diesen Gefahren ist die zweite Forschungslinie gewidmet, die sich als »Desintegrations-Ansatz« beschreiben lässt (vgl. Heitmeyer 1997a,b) und ebenfalls individualisierungstheoretisch argumentiert: Zwar fordere die moderne Gesellschaft Individualisierung, nämlich die Herauslösung aus primordialen Bindungen und die individuelle Integration in die gesellschaftlichen Statuslinien durch Ausbildung und Beruf, doch wegen der verminderten Chancen auf dem Arbeitsmarkt drohen derartige Integrationsversuche zu misslingen. Dies könne wiederum zu problematischen Denk- und Verhaltensweisen führen, zu vorurteilsvoller Abgrenzung und Gewalt (vgl. Dubet/ Lapeyronnie 1994; Heitmeyer 1998; 2002; 2003; 2005; Babka von Gostomski 2006). Der Fokus dieser Forschungslinie liegt auf dem Entstehen jugendlicher Gewaltbereitschaft, subkultureller Milieus und der immer deutlicher werdenden sozialen Entmischung in den Großstädten, die zwar nicht ausschließlich ethnischen Linien folgt, Konflikte aber in ethnische Frontstellungen treibt (beispielsweise Auseinandersetzungen unter ethnischen Straßen-Gangs, aber vereintes Aufbegehren gegen die Ordnungsmacht der Aufnahmegesellschaft). Besondere Aufmerksamkeit gilt derzeit den islamistischen Gruppierungen bzw. überhaupt muslimischen Zuwanderern und ihren Gemeindestrukturen, da Politik und Medien, vor allem seit den Anschlägen vom September 2001 in den USA, dem Islam vieles zuschreiben: mangelnde Bereitschaft und Unfähigkeit zur Integration, Radikalisierung, Unaufgeklärtheit und religiösen Fundamentalismus. Latente Diskriminierung und offenes Misstrauen verstärken sich mit jedem Terroranschlag oder -versuch, hinter dem muslimische Täter stehen, und stellen alle Muslime unter Generalverdacht, was wiederum bei diesen die Empfindlichkeiten und bei manchen tatsächlich die Bereitschaft zur Radikalisierung ihrer Ansichten erhöht. Die Gefahren einer Eskalation sind real, weshalb das Interesse der Öffentlichkeit bei diesem Thema groß ist und es weniger innerwissenschaftlich behandelt werden kann als andere Themen. Migrations- und Islamforscher haben zu aktuellen Ereignissen Stellung zu 4.7 Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« 139 nehmen und einzelne Publikationen werden breit und kontrovers diskutiert; über den sogenannten Kopftuch-Streit war bereits weiter oben die Rede. Stets mitzudenken ist, dass die muslimische Bevölkerung in Deutschland sehr heterogen ist. Sie setzt sich zusammen aus früheren Gastarbeitern aus der Türkei, aber auch aus Marokko und Tunesien sowie deren Nachkommen, die zum Teil sehr gut integriert sind, sodann aus bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen sowie Asylberechtigten und Flüchtlingen aus diversen arabischen, afrikanischen und asiatischen Ländern, die sich in der Regel weit weniger gut integrieren konnten, zumal viele von ihnen nur über einen ungesicherten Aufenthaltsstatus verfügen. So, wie diese Personen keine gemeinsame Sprache oder Herkunftskultur haben, so unterschiedlich ist ihr Verständnis des Islam und so diversifiziert sind ihre Gemeinden und Verbände, von denen die religiösen nur ein Teil sind. Allerdings ziehen gerade die religiösen Gemeinden, die Moschee-Vereine, die Aufmerksamkeit auf sich, zumal sie in den letzten Jahren ihren Einfluss deutlich verstärken konnten. Die Retraditionalisierung und Reislamisierung bestimmter lebensweltlicher Elemente, die hier ihren Ausgang hat, wird als Reaktion auf die westliche Modernisierung gedeutet, in der sich viele junge Zuwanderer als Verlierer sehen (Schiffauer 1984; 2004). Ohne Zweifel sind hier Tendenzen einer sich nach außen abschottenden Binnenintegration zu beobachten, wodurch die vielfach geringen Integrationschancen in die Aufnahmegesellschaft noch zusätzlich geschmälert werden. W. Schiffauer schließt sich jedoch nicht der These der sogenannten Parallelgesellschaften an, in denen Integrationsangebote abgelehnt und Intoleranz gepredigt würden. Er spricht von einer »Gegenwelt«, die sich in den Gemeinden bilde, und zwar einer Gegenwelt zu aggressiven Jugendkulturen mit Sex und Alkohol, denen sich marginalisierte Nachkommen von (nicht nur muslimischen) Zuwanderern anschließen. Die Islamischen Gemeinden bieten in dichten Netzwerken Sozial- und Familienarbeit an, deren Ziele sich zwar nicht mit den westlichen decken und als eher »konservativ islamisch« zu bezeichnen seien, aber doch nicht als »fundamentalistisch« im Sinne einer radikalen und konfrontativen Auslegung des Islam. Ob derartige Religionsgemeinschaften im Wertepluralismus westlicher Gesellschaften ihren Platz haben können, ist eine Frage sowohl wissenschaftlicher Studien als auch politischer Aushandlungen. Immerhin geht es nicht nur um innerreligiöse Auseinandersetzungen, sondern auch um Praktiken, die in der Aufnahmegesellschaft mehrheitlich abgelehnt und auch in Zukunft nicht auf Verständnis treffen werden, ob sie nun angeblich vom Islam gedeckt sind oder nicht. Beispiele sind die »Ehrenmorde« an jungen Frauen, die sich vom Lebensstil ihrer Familie abgewendet haben, oder das Schicksal der »Importbräute« (W. Schiffauer), der jungen Frauen, die auf dem Weg der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik einwan- 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 140 dern und als Ehefrauen für junge Männer bestimmt sind, die auf dem Heiratsmarkt der Aufnahmegesellschaft entweder keine Chancen haben oder ganz bewusst mit der Eheschließung die islamische Binnenintegration stärken wollen. Gerade weil die Tendenzen der »Rück«orientierung, der Retraditionalisierung von Lebensweisen unter muslimischen Zuwanderern real sind, bleibt die Untersuchung ihrer Gemeindestrukturen auf der Forschungsagenda. Offene Fragen betreffen die Formierung eines »europäischen Islam« sowie spezifische Modernisierungsvorstellungen in, aber auch außerhalb der Gemeinden, zumal nur zehn Prozent der Muslime in islamischen Spitzenverbänden organisiert sind (Klausen 2006; Roy 2006). Fazit Für wie ambivalent die Betonung kultureller/ ethnischer Besonderheiten heute in großen Teilen der Sozialwissenschaften eingeschätzt wird, lässt sich an der Ablehnung kulturalistischer Ansätze erkennen. In der Multikulturalismus-Debatte etwa werden heute in der Kernfrage, ob Kulturen grundsätzlich nicht ineinander integrierbar seien und daher nur ein Nebeneinander denkbar sei, geradezu diametral entgegengesetzte Positionen eingenommen. Während C. Taylor (2002) nach wie vor für ein langsames Aufeinanderzugehen der einzelnen Kulturen plädiert, in dessen Verlauf die Zuwanderer die Gemeinden als ethnisch-kulturelle »Schutzräume« nutzen sollten, bedeutet Multikulturalismus für S. Zˇ izˇek (2001) die Neutralisierung realer Differenzen. Hinter der harmlosen und versöhnlichen Fassade würde der Multikulturalismus-Ansatz politische Positionen, die auf konkreten sozioökonomischen Differenzen beruhten, in »Life-Styles« verwandeln. Gewaltexzesse im Namen kultureller und ethnischer Identitätsbehauptung seien ein Beleg dafür, dass viele Unterschiede eben nicht ineinander integrierbar, sondern »wirkliche« Unterschiede seien. Für Zˇ izˇek ist der Multikulturalismus eine Form des Rassismus, weil er klassifiziert und einordnet, dies aber faktisch auf kulturelle Hierarchien hinauslaufe, in denen ganz bestimmte gesellschaftliche Gruppen die Deutungsmacht über das soziale und politische Geschehen haben. Solange es um Folklore ginge, könne das Andere akzeptiert werden, doch bei konkreten Kontakten offenbarten sich die unterschiedlichen Interessen und die Grenzen der Toleranz. 4.7 Zwischen Fremd- und Selbstverortung: »Menschen mit Migrationshintergrund« 141 4.8 Fragen und Literaturempfehlungen • Was versteht man unter »Ethnisierung« von Gruppenbeziehungen und wie ist das Phänomen zu erklären? • Wie argumentieren die klassischen Assimilationstheorien und warum wurden sie im Lauf der letzten Jahrzehnte mehrmals neu formuliert? • Was versteht man unter »ethnischen Gemeinden« und warum wird ihre Existenz mitunter problematisiert? • Warum haben es Zuwanderer der »zweiten« oder »dritten Generation« oft noch schwerer als ihre Eltern, sich in der Aufnahmegesellschaft zu etablieren? Barth, Fredrik (Hrsg. 1969): Ethnic groups and boundaries. The social organisation of culture difference. Oslo Beck-Gernsheim, Elisabeth (2004): Wir und die Anderen. Vom Blick der Deutschen auf Migranten und Minderheiten. Frankfurt/ Main Dubet, François/ Lapeyronnie, Didier (1994): Im Aus der Vorstädte. Stuttgart Lentz, Carola (1995): »Tribalismus» und Ethnizität in Afrika - ein Forschungsüberblick. In: Leviathan, Nr. 1, S. 115-145 4. Integrations- und Ethnizitätsforschung 142 5. Globalisierung und internationale Migration »Nachholende« Nationalstaatsbildung in Osteuropa und die Folgen/ Postkoloniale Entwicklungen: Flucht und Displacement/ Internationaler Arbeitsmarkt: der reiche »Norden« und der arme »Süden«/ Internationale Migrationssysteme/ Die Bedeutung substaatlicher Akteure/ Irreguläre Migration und irreguläre Beschäftigung In diesem Kapitel werden Forschungsansätze vorgestellt, die Migrationsbewegungen nicht nur zwischen zwei Nationalstaaten, sondern im Rahmen internationaler Migrationssysteme analysieren. Seit dem Rückzug der Kolonialmächte und der Abdankung des Staatssozialismus in Ost(mittel-)europa verändern sich Migrationen quantitativ und qualitativ. Den weltweit vernetzten Waren- und Kapitalströmen müssen immer mehr Menschen folgen, weil sich ihre Lebensgrundlagen rapide verändern. Dass sie ihnen folgen können ist ein Effekt der revolutionierten Transport- und Kommunikationstechnologien, aber auch der größeren Durchlässigkeit von Nationalstaatsgrenzen, was das Migrationsgeschehen weniger kontrollierbar macht. 5.1 »Nachholende« Nationalstaatsbildung in Osteuropa und die Folgen Seit 1989, mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems in Ost(mittel)europa, hat sich die Welt grundlegend verändert, auch wenn sich dies schon seit mehreren Jahrzehnten vorbereitet hatte. Vor dem Hintergrund eines umfassenden technologischen Wandels ist der politische Systemwandel Ergebnis und Symptom einer langen Entwicklung, gleichzeitig aber auch der Beginn einer umfassenden Transformation, deren Ende heute noch gar nicht absehbar ist. Die politischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen, obzwar analytisch zu trennen, sind ineinander verflochten und verstärken sich gegenseitig; sie bilden etwas Neues, wofür sich der Begriff »Globalisierung« durchgesetzt hat. Einzelne Teilprozesse bilden den Hintergrund für quantitative und qualitative Veränderungen des Migrationsgeschehens. Zwar sind einzelne Aspekte, von denen in diesem 143 Kapitel die Rede sein wird, als solche schon länger bekannt, doch in ihrer Gesamtheit und vor dem Hintergrund neuer Technologien potenzieren sich bisherige Möglichkeiten in einer Weise, die vor einigen Jahrzehnten noch völlig undenkbar war. In unterschiedlicher Gewichtung werden folgende Teilprozesse der Globalisierung genannt (vgl. auch Angendendt 2000; Nuscheler 2004: 35 ff.): • Die Entgrenzung von Nationalstaaten in Folge der Aufhebung der bipolaren Weltteilung mit Konsequenzen für postkoloniale Befreiungsbewegungen in aller Welt (Robertson 1992); das Ende der Einteilung in »Erste«, »Zweite« und »Dritte Welt« zugunsten der Neustrukturierung des Weltsystems in hochentwickelte Zentren und relativ weniger entwickelte Peripherien. • Die zunehmende Entgrenzung der nationalen Ökonomien, ihre weltweite Verflechtung unter Anführung sogenannter global players mit der Folge sozialer Polarisierungen (Sassen 1996 [1991]; die Umstrukturierung der Arbeitswelt durch die Entstehung von Dienstleistungsgesellschaften, der Ausweitung der industrialisierten Landwirtschaft und der Verlagerung von Industriezentren (z. B. in »Schwellenländer«). • Die elektronische Vernetzung der ganzen Welt und damit die Verbreitung standardisierter Unterhaltungs- und Informationsangebote bei gleichzeitiger Renaissance lokaler Identitäten als Gegenbewegung (Featherstone 1990); die Erfordernis neuer kultureller Kompetenzen zur Nutzung der neuen Kommunikations-, Informations- und Verkehrstechnologien. • Die Ausweitung und Deregulierung von Märkten über nahezu alle nationalen Grenzen hinweg, also die Aufhebung einer Reihe von Mobilitätsbeschränkungen und damit das rapide Anwachsen des Fracht- und Personentransports in Handel und Tourismus sowie auf dem Arbeitsmarkt. Ein wichtiger Forschungsstrang bezüglich des globalisierten Migrationsgeschehens betrifft die Folgen der Nationalstaatsbildung in Osteuropa, die »nachholend« genannt wird, weil der sowjetische Machtblock die Entstehung unabhängiger Nationalstaaten wie im übrigen Europa verhindert hatte. In diesem Rahmen kann die politische und soziale Transformation der post-sozialistischen Gesellschaften nicht nachgezeichnet werden (vgl. Beyme 1994; Offe 1994; Stark/ Bruszt 1998; Kollmorgen/ Schrader 2003; Kollmorgen 2005), doch einige Aspekte sollen erwähnt sein. Mit Blick auf Migration war zunächst die Beseitigung des »Eisernen Vorhangs«, der West- und Osteuropa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg voneinander getrennt und die regionalen Migrationssysteme unterbrochen hatte, von großer Relevanz. Diese hatten sich über Jahrhunderte hinweg gebildet (vgl. Kap. 2), waren aber infolge der beiden Weltkriege und der ständigen Grenzveränderungen in andere Bahnen gelenkt worden. Manche von ihnen - beispielsweise das Deutsch- 5. Globalisierung und internationale Migration 144 land und Polen verbindende Migrationssystem - werden derzeit in wichtigen Konturen rekonstruiert (Pallaske 2001; vgl. Kap. 5.4). Ein zweiter Aspekt betrifft die mobilisierende Kraft ethnischer Zuschreibungen, die bisher jede Nationalstaatsbildung in Ostmitteleuropa begleitet hat. Wie die Staatsgründung selbst wurden auch die ethnischen Konflikte »nachgeholt«. Mit der Entstehung der 15 sowjetischen Nachfolgestaaten sowie dem Zerfall der Tschechoslowakei und Jugoslawiens fanden sich Millionen von Menschen plötzlich in einer Diaspora-Situation wieder. Nationale Identitäten wurden auf einmal problematisch, es begannen Aktionen des - freiwilligen und erzwungenen - Bevölkerungsaustausches, der Vertreibung, gar der »ethnischen Säuberungen«. Die Wucht der ethnischen Zusammenstöße war für viele westliche Beobachter überraschend, denn das Sowjetreich und seine Satelliten waren unter dem Gesichtspunkt kommunistischer Gesellschaftslenkung wahrgenommen worden, derzufolge gesellschaftliche Konflikte als Klassenkampf und nicht als ethnische Gegensätze ausgetragen werden. Tatsächlich waren fast alle sozialistischen Staaten Osteuropas »Vielvölkerstaaten«, deren kultureller Pluralismus gleichzeitig gestärkt und geschwächt worden war. Die sowjetische Nationalitätenpolitik, als politisches Programm zur Befreiung aus dem »Völkergefängnis« des Zarenreichs, war dabei Vorbild: Einerseits zielte sie auf sozioökonomische Nivellierung und Homogenisierung, auf die Bildung eines einheitlichen »Sowjetvolkes«, andererseits sollte dies unter Bewahrung der kulturellen Besonderheiten der »Nationalitäten« erfolgen. In einem langen Konsolidierungsprozess wurden kulturell-ethnische Einheiten bestimmt, ihnen Territorien und Autonomierechte in der Verwaltung zugesprochen und damit Hierarchien geschaffen (Hirsch 1997). Probleme der »nationalen Abgrenzung« »›Die Nationen sind so ineinander verkeilt, daß man schwerlich irgendein ›nationales Territorium‹ finden kann, auf dem sich föderative oder autonome politische Institutionen begründen ließen.‹ Gegen solche Einwände aus den eigenen Reihen (hier: S.G. Schaumjan) legten die Bolschewiki in den zwanziger Jahren auf polyethnische Regionen wie Kaukasien und Zentralasien fragwürdige Schnittmuster territorialer Nationsbildung an und schufen Gebilde ›nationaler Staatlichkeit‹, deren bloße Bezeichnungen - wie die einiger binationaler Republiken im Nordkaukasus - manchmal absurd erschienen. Die ›nationale Abgrenzung‹ war hier mit willkürlichen Eingriffen der Zentralgewalt, territorialen Ungenauigkeiten oder nicht lösbaren Problemen und mit nachträglichen ›wissenschaftlichen‹ Bemühungen im Bereich von Sprache und Geschichte verbunden, durch die künstliche Barrieren zwischen Ethnien errichtet und auf adminis- 5.1 »Nachholende« Nationalstaatsbildung in Osteuropa und die Folgen 145 trative Weise ›Partikularnationen‹ geschaffen wurden. Nachdem nun aus ethnischen Gemengelagen solche nationalen Gebietskörperschaften herausgestanzt worden waren, wurde der Prozeß der Nationsbildung in ihnen unter Stalin abrupt unterbrochen, u. a. durch die wohl dramatischste territoriale Aktion in der sowjetischen Geschichte, nämlich die ethnischen Deportationen der vierziger Jahre.« (Aus: Halbach 1992b: 6) Die Sowjetbürger hatten in ihren Personaldokumenten einen eigenen Nationalitätenvermerk, mit dem sie einer bestimmten ethnischen Gruppe zugeordnet und - je nach politischer Konjunktur - Objekt positiver oder negativer Diskriminierung werden konnten. So wurden beispielsweise Angehörige der »kleinen Völker« des Nordens bevorzugt zum Hochschulstudium zugelassen, während Juden, die als Städter einen hohen Anteil an akademisch Gebildeten aufwiesen, ein Studium verwehrt werden konnte (Halbach 1992a; Hajda/ Beissinger 1990; Oswald 2000). Auf offizieller Seite galt das Nationalitätenproblem als gelöst, doch war dies eine Verkennung der Dynamiken von Nationalbewegungen. »Nationalismus« ist bereits bestimmt worden als Streben nach der Deckungsgleichheit von politischer und nationaler Einheit (Kap. 2.4). Mitte der 1980er Jahre begann sich denn auch zu zeigen, wie fatal es ist, nationale Rechte zu stärken, ohne staatliche Unabhängigkeit zu verleihen. Ende 1986 kam es zu nationalen Unruhen in Kasachstan (»Kasachstan den Kasachen! «), als ein Russe als Parteichef eingesetzt wurde, ein Jahr später bildeten sich die - friedlichen - Unabhängigkeitsbewegungen in den baltischen Sowjetrepubliken, danach in Moldawien und der Ukraine. 1988 begannen die blutigen Auseinandersetzungen im Kaukasus und in Zentralasien, die zwar regional begrenzt blieben, aber stetig schwelende Konfliktherde bildeten und bis heute immer wieder aufflammen. Der bekannteste unter ihnen ist der (von russischer Seite nicht als solcher anerkannte) Krieg in Tschetschenien, das sich von der Russischen Föderation abtrennen möchte. Ende 1991 wurde die Sowjetunion offiziell aufgelöst und zerfiel in 15 Nachfolgestaaten, die sich entlang der oft erst zu Sowjetzeiten entstandenen (damals aber »inneren«) Grenzlinien als Nationalstaaten konstituierten. Zu dieser Zeit war auch das Ende des Vielvölkerstaates Jugoslawien bereits besiegelt. Zwischen 1990 und 1992 hatten in allen Teilrepubliken freie Wahlen stattgefunden; nur in Serbien und Montenegro konnten sich weiterhin die Kommunisten behaupten, während in Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina sowie Mazedonien die nationalen bzw. nationalistischen Oppositionsbündnisse gewannen und die staatliche Unabhängigkeit erklärten. Serbien, das Gebietsansprüche in einigen der anderen Teilrepubliken hatte, setzte die Bundesarmee 5. Globalisierung und internationale Migration 146 gegen die nationalen Milizen ein, sodass es ab Mai 1991 zu einer Reihe äußerst blutiger Bürgerkriege kam, zu gewaltsamer Vertreibung (»ethnischen Säuberungen«) und zur Einrichtung von Internierungslagern - zu Auseinandersetzungen also, wie sie Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gekannt hatte. Erst seit dem Friedensabkommen von Dayton (1995) können sich die Länder wieder erholen, die mehreren Hunderttausend, insbesondere kroatischen und bosnischmuslimischen, Flüchtlinge wieder zurückkehren (Rathfelder 2006). Der Staatenbund Serbien-Montenegro, häufig kurz »Rest-Jugoslawien« genannt, hatte ebenfalls keinen Bestand. Nach heftigen Kämpfen in der Provinz Kosovo Ende der 1990er Jahre, bei denen zunächst Hunderttausende Kosovo-Albaner vertrieben wurden, verließen die meisten Serben die Region; im Mai 2006 erfolgte die Abspaltung Montenegros. Überall in Ost(mittel-)europa gibt es große Bevölkerungsgruppen, die sich unter den Kriterien der neu entstandenen Nationalstaaten plötzlich in einer Diaspora-Situation wiederfinden und zum Teil versuchen, in »ihre« Länder zu gelangen: weil sie in den Ländern, in denen sie leben, unter Diskriminierungen leiden und/ oder dort plötzlich eine andere Amtssprache gilt und das Schulsystem ausgewechselt wurde; weil es plötzlich, im Kontext der Grenzöffnungen möglich geworden ist, in ein ganz anderes Land auszureisen (Russen nach Russland, Deutsche nach Deutschland, Finnen nach Finnland, Juden nach Israel oder auch nach Deutschland, als Werkvertragsarbeiter in alle Welt etc.) oder weil sie sich in »ihrer Heimat« - auch wenn sie selbst dort nie gelebt haben - mehr Schutz und Hilfe für einen Neuanfang versprechen (Oswald/ Voronkov 1994; Kahl u. a. 2004; Tishkov 1996; 1998; Azrael u. a. 1997; Baraulina/ Karpenko 2004). Viele der Grenzverläufe in Ost(mittel-)europa sind bis heute strittig und werden es angesichts der mosaikartigen ethnisch-kulturellen Zusammensetzung des Raumes auch bleiben. Dies muss nicht zu blutigen Auseinandersetzungen führen, wird aber die grenzüberschreitende Mobilität erhöhen, zumal die politischen Grenzen heute hinsichtlich ihrer ökonomischen Bedeutung sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Trennte früher eine fast unüberwindliche Systemgrenze den »Ostblock« von Westeuropa, so werden die Regionen heute von Wohlstandsgrenzen durchzogen. Die erste verläuft zwischen den alten EU-Staaten und den neuen Beitrittsländern Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn und Slowenien, die zweite an deren Ostbzw. Südgrenzen zu Weißrussland, Ukraine, Rumänien, Serbien und Montenegro sowie Kroatien und sie wird sich mit dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien erneut verschieben. Und nichts fördert die Migrationbereitschaft so sehr wie ein Leben an der »Wohlstandskante« (vgl. Friedrich 2004). 5.1 »Nachholende« Nationalstaatsbildung in Osteuropa und die Folgen 147 5.2 Postkoloniale Entwicklungen: Flucht und Displacement Der Entkolonialisierungsprozess, der sich vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die Mitte der 1970er Jahre hinzog, bedeutete eine rapide Zunahme von Nationalstaaten; allein innerhalb der zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 50 Kolonien formal unabhängig. Dies kam etwa durch »Ausmischung« zustande wie bei der Trennung von Indien und Pakistan, als Millionen von Hindus und Muslimen in »ihren« Landesteil verbracht wurden. Es gab aber auch Sezessionen oder »Eingliederungen nach innen« (Beispiel Tibet), und sehr häufig bedeutete die neue Staatenbildung die Verschiebung, Vertreibung, Deportation und/ oder Flucht von großen Bevölkerungsgruppen. Im Falle der 1947 erfolgten Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina, die zur Gründung des Staates Israel führte, folgten jahrzehntelange Kämpfe und die Flucht von Millionen palästinensischer Araber, ohne dass es bis heute zu einem unabhängigen Staat Palästina gekommen wäre (ausführlich: Opitz 1988: 39 ff.; Tetzlaff u. a. 1995). Der Rückzug der Kolonialmächte hatte für viele neu gegründete Staaten schwerwiegende Folgen, insbesondere in Afrika, wo die 1960er Jahre das Jahrzehnt der Dekolonisierung waren. Zum einen kam es zu schweren ökonomischen Verwerfungen, die - entweder nicht erkannt oder ignoriert - in eine Abwärtsspirale von Verelendung und Rückständigkeit mündeten, während sich die Weltwirtschaft in dieser Zeit sehr stark entwickelte. Zum anderen reorganisierten sich Sprach- und Kulturgrenzen wieder, die bei der Ziehung der Kolonialstaatsgrenzen oft nicht berücksichtigt worden waren; kulturell-ethnische Differenzen innerhalb eines Landes oder Verbindungen über Landesgrenzen hinweg wurden wieder verstärkt. Die »Entwicklungsdiktaturen«, die sich in vielen Fällen mit Billigung der westlichen und östlichen Schutzmächte bildeten, versuchten einerseits den wieder gewonnenen Einfluss der Clans und Stämme zurückzudrängen, andererseits waren staatliche Machtbasen wie Militär oder Einheitsparteien oft von einer Ethnie beherrscht (Stichwort »Neo-Tribalismus«, vgl. Lentz 1995). In dieser Situation hatte das Ende des Staatskommunismus - und damit der »Zweiten Welt« - auch Konsequenzen für die »Dritte Welt«. Im Namen von Revolutions- und Befreiungsideologien waren vor dem Hintergrund des Ost-West- Konflikts regelrechte »Stellvertreterkriege« geführt worden, wie etwa - um beim Beispiel Afrika zu bleiben - in Äthiopien, Namibia oder Mozambique. Mit der Beendigung des Kalten Krieges wurde sowohl den Befreiungsbewegungen als auch den Militärdiktaturen die Legitimation entzogen, doch einige der bewaffneten Konflikte hatten sich bereits ethnisiert, wurden also unter neuen Vorzeichen wei- 5. Globalisierung und internationale Migration 148 tergeführt. Ein Beispiel ist Somalia, das sich 1960 aus einer italienischen und einer britischen Kolonie bildete und 30 Jahre lang von Grenzauseinandersetzungen mit dem Nachbarland Äthiopien und von einer sozialistischen Militärdiktatur gezeichnet war. Nach deren Sturz im Jahr 1991 hat das Land bis heute nur Übergangsregierungen, ist geteilt und wird de facto von rivalisierenden Clans und einem »Rat Islamischer Gerichte« beherrscht, deren Kämpfe unzählige Menschen zum Opfer fielen und noch mehr in die Flucht schlugen (vgl. Michler 1998). Im Dezember 2006 erfolgte der Einmarsch äthiopischer Truppen und damit die Internationalisierung des Konflikts. Gerade die grenzüberschreitenden ethnischen Verbindungen begünstigen die Verbreitung der Konflikte, die seit Beginn der 1990er Jahre überall im subsaharischen Afrika ausgetragen werden und den ganzen Raum zu destabilisieren drohen (Horowitz 1985; Kößler 1994; Brandstetter/ Neubert 2002). Zunächst ähnelten diese Konflikte denen der »nachholenden« Nationalstaatsbildung, einhergehend mit Maßnahmen der erzwungenen Homogenisierung nach ethnischen, religiösen oder ideologischen Gesichtspunkten sowie der Monopolisierung politischer, militärischer und ökonomischer Macht durch einzelne (ethnische) Gruppen. Doch aus manchen Staatsbildungskriegen sind inzwischen Zerfallskriege geworden, in denen zentrale Elemente von Staatlichkeit, insbesondere die Gewährung von Sicherheit und Ordnung durch die Monopolisierung der Gewalt, nicht gestärkt, sondern im Gegenteil geschwächt werden. Beispiele sind der Kongo und der Sudan, wo die Kämpfe in der Provinz Darfur inzwischen auf die Nachbarländer Tschad und Zentralafrikanische Republik übergegriffen und Hunderttausende Menschen in die Flucht getrieben haben. Die »neuen Kriege«, die die Staatenkriege abgelöst haben, sind oft schwelende »kleine« Kriege, die von warlords, »Gewaltunternehmern« und anderen nicht staatlichen Akteuren geführt werden und deren ökonomischen Interessen dienen. Diese reichen von Plünderungen und der Zwangsrekrutierung von (Kinder-)Soldaten über Waffen- und Menschenhandel bis hin zu Versuchen, an den internationalen Rohstoffgeschäften teilzuhaben. Im völkerrechtlichen Sinne herrschen in weiten Teilen des subsaharischen Afrika weder Krieg noch Frieden, sondern ständige Unruhe und bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen, die auch vor dem Hintergrund der Profitinteressen von Investoren aus den entwickelten Industriestaaten entstehen; sie kommen nicht zu einem Ende und bringen ständig neue Flüchtlingsbewegungen hervor (vgl. Münkler 2002; Lock 2001; Österreichisches Studienzentrum 2006). Selbst in Regionen, in denen es keine unmittelbaren Kampfhandlungen gibt, ist die Existenzgrundlage von Millionen Menschen gefährdet: durch die Zerstörung von Infrastruktur, durch unterbrochene Verkehrs- und Handelsrouten, durch die 5.2 Postkoloniale Entwicklungen: Flucht und Displacement 149 Unproduktivität eines abhängigen Lebens in Flüchtlingslagern. Zusätzliche Fluchtursachen sind Naturkatastrophen und Umweltzerstörungen. Erstere - wie Überschwemmungen oder Vulkanausbrüche - sind einmalige Störungen, die die Menschen zwar in die Flucht treiben, aber doch meist nicht an der Rückkehr und am Wiederaufbau hindern; Letztere - Wüstenbildungen, Verschmutzungen und Vergiftungen - resultieren aus umweltfeindlichen oder -schädlichen Verfahren in der Land-, Wasser- und Waldwirtschaft und zwingen die Betroffenen zur Abwanderung (Wöhlcke 1992; Bächler 1994; Nuscheler 2004: 110 ff.). Fluchtbewegungen großen Ausmaßes finden außer in Afrika, dem »Kontinent der Flüchtlinge« (Nuscheler 2004: 84), auch in Asien, vor allem in den Krisengebieten in Indonesien, auf den Philippinen und auf dem Subkontinent, statt. In der jüngsten Vergangenheit näherten sie sich infolge der Konflikte in den sowjetischen Nachfolgestaaten und dem ehemaligen Jugoslawien auch den mehrere Jahrzehnte lang befriedeten Regionen Westeuropas, doch die meisten Flüchtlinge, insbesondere die nicht europäischen, verbleiben in den Herkunftsregionen oder Nachbarländern. Der Umstand, dass die meisten dieser Menschen trotz allen Augenscheins nicht als »Flüchtlinge« im strengen Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gelten, führte zu einer Revision der Deutung und der Behandlung von Fluchtgeschehen. Zum einen wurde der Flüchtlingsbegriff erweitert und in (inter-)nationalen Gesetzgebungen den realen Prozessen angepasst (vgl. Kap. 6.3); zum anderen wendet sich auch die Soziologie dem Phänomen zu, das lange Zeit vornehmlich von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen sowie den Politischen Wissenschaften behandelt wurde (vgl. Treibel 2003: 157 ff.). Deshalb wird das Thema an dieser Stelle, trotz seiner ausführlichen Behandlung weiter oben (Kap. 3.3), nochmals aufgenommen. Die wichtigsten Punkte seien im Folgenden aufgeführt: • Die politisch-rechtliche Unterscheidung zwischen »freiwillig« und »unfreiwillig« wird zugunsten eines Kontinuums, eines breiten Bereichs von fließend ineinander übergehenden (Un-)Freiheitsgraden aufgegeben. Demzufolge sind alle Menschen in unterschiedlichem Maße Einschränkungen und Zwängen (constraints) ausgesetzt, von kaum spürbaren gesellschaftlichen Konventionen bis hin zu Verboten unter Gewaltandrohung. Die Soziologie muss sich folglich den Fluchtkontexten zuwenden, den Gründen, warum Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren, und diese von den rechtlichen Kategorien unterscheiden. Beispielsweise können Konkurrenzdruck, ökologische Katastrophen oder ein Bürgerkrieg Menschen dazu veranlassen, »freiwillig« abzuwandern; wer in Konflikt mit der Staatsmacht gerät, weil er einer ethnischen oder politischen Minderheit angehört, kann später vielleicht als »Flüchtling« anerkannt werden, während anderen, nicht »ethnisch Markierten« oder politisch Indifferenten, dies nicht gelingt (Richmond 1988). 5. Globalisierung und internationale Migration 150 • Viele Situationen sind derart komplex, dass theoretisch weder die Annahme eines proaktiven noch die eines »nur« reaktiven Migranten haltbar ist, weder der rational-choice-Typ des gewinnmaximierenden Individuums (siehe weiter unten) noch der Typ des völlig unfreien, von den Umständen gezwungenen Migranten. Es ist kein Zufall, dass derartige Überlegungen an die Beobachtung der Globalisierungsprozesse und der daraus entstehenden »neuen Unübersichtlichkeit« der Machtverhältnisse geknüpft werden (vgl. Habermas 1985; Jowitt 1991). Die Individuen sind von diesen Prozessen existenziell betroffen, wenn nicht von Kriegen und staatlichen Zerfallsprozessen, dann von Situationen, die durch die rapide Zunahme der Optionen einerseits, aber ihrer genauso drastischen Einschränkung andererseits gekennzeichnet ist. So haben selbst in ärmeren Ländern Menschen heute Möglichkeiten, von denen ihre Eltern nicht einmal gehört hatten: moderne Transportmittel, Fernsehen, Radio und Telefon, wodurch Mobilität angeregt und realisiert wird; gleichzeitig sind die Information über konkrete Migrationsziele oft ungenügend, die Vorstellungen, was Migranten auf dem Weg und am Ziel erwartet, völlig unangemessen, sodass oft gar nicht die richtige Wahl getroffen werden kann. Die Anlandungen der afrikanischen Bootsflüchtlinge an der europäischen Südküste, die vielen den Tod brachten und noch mehr ein zukünftiges Leben in der Irregularität sind ein drastisches Beispiel dafür. • So wenig Flucht nur passives Getriebensein ist, sondern durchaus Akteursqualitäten hat, so wenig »geschehen« Fluchtursachen, sondern werden - mit der Ausnahme einiger weniger Naturkatastrophen (Tsunami z. B.) - »produziert«, lassen sich in den historischen und politischen Verursachungen Strukturen erkennen. Beispielsweise ist die Rolle staatlicher und nicht staatlicher Akteure zu untersuchen, sind die Nutznießer von Prozessen wie der Militarisierung der Gesellschaft oder der Privatisierung von Gewalt zu identifizieren; des Weiteren ist zu fragen, wie »politische Ressourcen« (Hass auf Minderheiten, ethnische Feindbilder) geschaffen und im Bedarfsfall mobilisiert werden können. Derartige Fluchtverursachungen scheinen sich gegenwärtig zu verstetigen, womit sich jetzige Fluchtgeschehen von früheren Fluchtkrisen klar unterscheiden, da diese nach einer gewissen Zeit wieder aufgelöst werden konnten (Suhrke/ Zolberg 1992). • Es lassen sich unterschiedliche Typen von Flüchtlingen unterscheiden: Aktivisten (politisch Engagierte, Kämpfer), Verfolgte (»Zielscheiben«, targets) sowie Nonkombattanten, die eher beiläufig Opfer werden (durch marodierende Banden etc.). Während die ersten beiden Typen in der Regel als Konventionsflüchtlinge gelten, trifft dies nicht auf den letzten Typ zu, obwohl er in den neuen Auseinandersetzungen zahlenmäßig zunimmt. 5.2 Postkoloniale Entwicklungen: Flucht und Displacement 151 Auch hinsichtlich der Fluchtdistanzen lassen sich große Unterschiede erkennen: Während wohlhabende und gut informierte Personen rechtzeitig in ein sicheres Land ausweichen und sich dort etablieren können, sind andere - die meisten - dazu nicht in der Lage und können nur über kurze Distanzen fliehen (zu Verwandten in der Nähe/ in ein Flüchtlingslager) oder müssen bleiben und sich verstecken. Gerade die Letzteren werden - als Binnenflüchtlinge - vom internationalen Recht kaum geschützt. Eine wichtige Rolle spielen auch bei der Fluchtmigration die sozialen Netze von Verwandten und Freunden, da sich nach ihnen die Fluchtrouten richten. Je weiter (unter Umständen bis ins Ausland) diese reichen, desto weniger spontan, sondern gezielt und geplant ist eine Flucht. Entlang dieser Netze und in ihrem Schutz erfolgt in der Regel auch die Rückkehr (Zolberg u. a. 1989). • Es gibt einige geschlechtsspezifische Fluchtgründe, die insbesondere Frauen betreffen, von Zwangsverheiratung über Genitalbeschneidung bis hin zu gezielter Verfolgung, Verschleppung und Vergewaltigung in Kriegen und Bürgerkriegen (Schöttes 1995; Schöttes/ Schuckar 1994; Herold 2003). Diese Fluchtspezifik ist inzwischen anerkannt und hat zu entsprechenden Gesetzesveränderungen geführt (vgl. Kap. 6.3). Sexueller Gewalt gegen Frauen scheint in den »neuen Kriegen« der letzten Jahrzehnte eine eigene Strategie zuzukommen. Frauen sind nicht nur Beute, Trophäe oder Lustobjekt des Siegers, womit letztlich vor allem die Männer der Gegenseite gedemütigt werden sollen, sondern stellen selbst ein wichtiges Angriffsziel dar. Zum einen werden Massenvergewaltigungen als ein Element »ethnischer Säuberungen« eingesetzt, zum anderen dienen sie, wie generell Terror gegen Nonkombattanten, der Verbreitung von Angst und der Demoralisierung der Bevölkerung (Münkler 2002: 142 ff.; Seifert 1995). 5.3 Internationaler Arbeitsmarkt: der reiche »Norden« und der arme »Süden« Ethnische Konflikte, nicht zu befriedende (Bürger-)Kriege sowie die Prozesse von Staatszerfall und ökonomischer Abwärtsentwicklung, wovor sich Millionen von Menschen in Sicherheit zu bringen suchen, sind Aspekte der weltweiten Veränderungen der letzten beiden Jahrzehnte. Sie lösen in den entwickelten Industriestaaten Beunruhigung aus, denn wenn es für junge Menschen kaum Möglichkeiten 5. Globalisierung und internationale Migration 152 der »normalen« gesellschaftlichen Partizipation gibt, so wird Abwanderung zur unternehmerischen Chance. Es scheint immer mehr Migranten zu geben, die weder direkt erzwungen - also unter Gewaltandrohung - noch wirklich freiwillig unterwegs sind. Sie werden in den Medien bzw. umgangssprachlich »Wirtschafts-« oder »Armutsflüchtlinge« genannt. Als Rechtskategorie existiert dieser Migrantentyp nicht und wird nie existieren, weil damit die für die Politik der entwickelten Industriestaaten und für die internationalen Hilfsorganisationen wichtige Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und Arbeitsmigranten hinfällig würde bzw. - zugespitzt ausgedrückt - weil Zuständigkeitsmandate nicht auf die ganze, unter bestimmten Bedingungen migrationsbereite Armutsbevölkerung weltweit ausgeweitet werden können. Die entsprechenden Abwehr- und Verhinderungsmaßnahmen (Grenzverstärkungen, Verschärfung des Asylrechts, Entwicklungshilfe) verkennen allerdings zwei wichtige Erkenntnisse der internationalen Migrationsforschung: • Erstens spielt sich das Migrationsgeschehen quantitativ vor allem jenseits der Grenzen des reichen »Nordens« ab: die Hälfte der rund 200 Millionen internationalen Migranten ist in Asien unterwegs, ein Drittel in Afrika. • Zweitens wird, trotz aller Gegenmaßnahmen, im Zuge der Globalisierung auch die Migration zunehmen: capital flow ohne migration flow kann es nicht geben, wie K. Schlögel (2006: 119) mit Recht feststellt. Im Folgenden sollen die entsprechenden Forschungsansätze vorgestellt werden. Das Konzept der »New Economics of Migration« Im Kontext der Globalisierung lassen sich Migrationsbewegungen theoretisch als »Ergebnis einer widersprüchlichen Entwicklung von Integration und Desintegration sowie als Form sozialer Mobilität in einer heterogenen Weltgesellschaft« interpretieren (Gesemann 1999: 3): • Zu den integrativen Tendenzen gehören die Internationalisierung von Produktion und Handel, die Ausweitung globaler Arbeits- und Finanzmärkte, aber auch die zunehmende Bedeutung eines internationalen Krisenmanagements, während • zu den desintegrativen Tendenzen die chronischen Entwicklungskrisen in den »Ländern des Südens« zählen, die weltweite Umweltzerstörung, die Transformation in Osteuropa und der Staatsverfall in weiten Teilen Afrikas, was insgesamt zu einem zunehmenden Wohlfahrtsgefälle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern führt. Wie bereits oben ausgeführt (Kap. 3.5) greift es zu kurz, Migration als Antwort auf Lohnunterschiede in verschiedenen Ländern bzw. Regionen darzustellen. Die 5.3 Internationaler Arbeitsmarkt: der reiche »Norden« und der arme »Süden« 153 Annahme eines gewinnmaximierenden Individuum, das rational seine Chancen auf verschiedenen Arbeitsmärkten abwägt und den für sich günstigsten auswählt, ist der Realität nicht angemessen bzw. trifft nur für die wenigen Menschen zu, die sich präzise Informationen beschaffen können sowie über ein angemessenes Startkapital verfügen, um anfängliche Unsicherheiten aufzufangen, und denen sich zudem die geeigneten Migrationstore öffnen. Den anderen - und dies sind die weitaus meisten - Menschen bieten sich keine derart günstigen Voraussetzungen. Dies gilt umso mehr, als die strukturellen Zwänge zu- und individuelle Handlungsoptionen abnehmen und sich die herkömmlichen Unterscheidungen zwischen »freiwillig« und »erzwungen« immer mehr verwischen. Von diesem Gesichtspunkt aus werden (internationale) Migrationen von politischen und sozioökonomischen Erschwernissen in den Herkunftsregionen in Gang gesetzt und dienen dazu, dass weltweit möglichst billige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, denn keine Arbeit ist so kostengünstig zu haben wie »gewanderte Arbeit«. Von diesen Überlegungen gehen die neuen Migrationstheorien aus, etwa diejenige der »New Economics of Migration« - ein Ansatz, der aus der Ökonomie kommt, sich aber dezidiert gegen die neoklassischen ökonomischen Modelle ausspricht. Er beruht auf zwei grundlegenden Annahmen (Stark 1991; vgl. Parnreiter 2000: 31 f.): Erstens trifft nicht ein Individuum, sondern eine Familie die Migrationsentscheidung, und zweitens dient die Migration nicht dem Ausgleich von Lohnunterschieden, sondern der Transformation eines ländlichen Haushalts in einen kapitalistischen Betrieb. Derartige Haushalte umfassen Großfamilien, manchmal sogar mehrere von ihnen, die nicht nur Lebens-, sondern auch Produktionsgemeinschaften sind, da Wohnen/ Leben und Arbeiten (noch) nicht so getrennt sind wie es in den industrialisierten Ländern der Fall ist. Migration wird interpretiert als Ergebnis einer kollektiven Strategie voneinander abhängiger Akteure, die ihren Haushalt modernisieren müssen, zum Beispiel mittels der Anschaffung neuer Technik oder der Erweiterung der Produktion etc. Wenn diesem Haushalt das nötige Kapital fehlt und der lokale Kreditmarkt nicht oder schlecht funktioniert, wie dies in Entwicklungsländern der Regelfall ist, dann werden die Familienressourcen mobilisiert. Konkret bedeutet dies, dass ein Familienmitglied migriert und so viel wie möglich von dem verdienten Geld nach Hause schickt, damit dort die notwendige Modernisierung durchgeführt werden kann. Die wandernde Person kann die schlechten Arbeitsbedingungen im Zielland akzeptieren, da sie keine Auswanderung plant, sondern nach einer gewissen Zeit in den Familienverband zurückkehren will und kann. Diese Geldsendungen, »Remittenden« oder remittances genannt, sind nach Einschätzung der Weltbank inzwischen tatsächlich zu einem zentralen Element der Weltwirtschaft geworden (The International Bank 2006); in manchen Entwick- 5. Globalisierung und internationale Migration 154 lungsländern machen sie einen beträchtlichen Teil des Bruttosozialprodukts aus. Migration dient so gesehen der Risikostreuung in solchen Familien, die nicht völlig, sondern relativ verarmt sind: Es muss etwas vorhanden sein, das sich zu modernisieren lohnt, und es muss ein Impuls durch den Vergleich innerhalb der eigenen Gruppe (nicht mit unbekannten Menschen in den reichen Ländern) gegeben sein. Empirisch scheint sich dies zu bestätigen, da derartige Migrationen nicht in den ärmsten Dörfern, sondern in denen mit einer sehr ungleichen Einkommensverteilung am meisten verbreitet sind (Cabilao u. a. 1992; Parnreiter 2000: 32). Gerade Fernmigranten rekrutieren sich oft aus den jeweiligen Mittel-, ja sogar Oberschichten (Elwert 2002; Nuscheler 2004: 71). Ist die Abwanderung vom Lande einmal in Gang gekommen, so entfaltet sie oft eine eigene Dynamik, die zur Aufgabe nicht nur einzelner Höfe, sondern ganzer Dörfer und zur Entleerung ländlicher Regionen führt. Zum Teil ist dies die Folge einer einseitigen Modernisierungspolitik, die nur wenigen Städten zugute kommt und zur extremen Verarmung der Landbevölkerung führt (BIVS 1982). Doch oft trägt selbst eine gelungene Modernisierung ländlicher Regionen und die dadurch angestoßene wirtschaftliche Entwicklung nicht dazu bei, die Menschen auf dem Land zu halten. Sie fördert im Gegenteil die Abwanderung, weil - wie gerade ausgeführt - neu entstehende sozioökonomische Unterschiede ein starker Stimulus für die Migration sind (Appleyard 1998; Gächter 2000; Stark/ Taylor 1991). Abwanderungsfördernd wirkt sich aber vor allem der durch die Entwicklung hervorgerufene sozioökonomische Wandel aus: der Übergang zur Geldwirtschaft, der Aufbau von Bildungseinrichtungen, Verkehrswegen und ähnlichem. Diejenigen, die von der Modernisierung profitieren und denen es »besser geht« als früher, entwickeln - sei es für sich selbst oder für ihre Kinder - Konsumwünsche sowie die Hoffnung auf höhere Bildung und einen körperlich weniger anstrengenden Arbeitsplatz, die sie sich bei einem Verbleiben im Dorf nicht erfüllen können (Kearny 1986; Hammar/ Kristof 1997). Zusammengefasst erweist sich die Abwanderung vom Land daher zwar als nahezu unvermeidlich, aber nicht als linear. Sie wird von Modernisierungsschüben und Stagnationsperioden unterbrochen und ist von der Entwicklungs- und Industrialisierungspolitik des jeweiligen Landes abhängig; des Weiteren ist sie kein kurzer Prozess, sondern zieht sich über Jahrzehnte hin. Gegenwärtig lassen sich massenhafte Migrationen von Landbewohnern in die Städte Asiens, Afrikas und Südamerikas beobachten. Im Zuge der Liberalisierung der Wirtschaft in China richten sie sich beispielsweise in die neu geschaffenen Industriegebiete (Giese 2000), in Mexiko gibt es ausgedehnte Migrationen in die USA, die sehr stark vom - oft nicht zu realisierenden - Bleibewunsch der Betroffenen diktiert sind, und in vielen Ländern Schwarzafrikas wird die Bevölkerung von einer Mischung 5.3 Internationaler Arbeitsmarkt: der reiche »Norden« und der arme »Süden« 155 aus Unterentwicklung, Umweltkatastrophen und Kriegen aus ihren Dörfern vertrieben, ohne dass große Chancen auf eine erfolgreiche Ansiedlung in Städten bestehen (vgl. Findley 1994; Massey/ Espinosa 1997; Appleyard 1998). Allerdings ist die Bauernmigration inzwischen in vielen Regionen an ihr Ende gekommen. Zum einen werden wegen des Umbaus der Industriein Dienstleistungsgesellschaften nicht mehr so viele unqualifizierte, an schwere körperliche Arbeit gewöhnte Arbeitskräfte benötigt, zum anderen sind die wenigen übrig gebliebenen bäuerlichen Lebenswelten zerstört und die Bauern subproletarisiert, also so verarmt, dass ihnen die Abwanderung unmöglich ist (vgl. Blaschke 1997: 51 ff.). Der Ansatz der »New Economics of Migration« lässt sich aber auch auf andere als Bauernhaushalte übertragen. So rekrutieren sich Migranten heute vor allem aus den städtischen Unterschichten, die etwas Kapital ansammeln und/ oder sich im Familienverband einen gewissen Lebensstandard leisten können (vgl. auch Kap. 5.6). Weltsystemtheorie Migration im Rahmen der Globalisierung ist also recht voraussetzungsvoll geworden; das vergleichsweise idyllische Bild des armen Migranten, der sich mit seiner Familie in einem reichen Land etablieren kann, ist in den meisten Fällen nicht realitätsnah. Hier setzt die »Weltsystemtheorie« an, die auf dem Ansatz von I. Wallerstein (1974; 1980; 1989) zur Entstehung des modernen Kapitalismus beruht. Ihr zufolge ist Migration ein Subsystem des Weltmarkts, dem in ausreichendem Maße billige und flexible Arbeitskräfte zur Verfügung stehen müssen (Sassen 1988). Diese Anforderungen kann vor allem »gewanderte Arbeit« erfüllen, was - so der Ansatz - aktiv in Gang gesetzt werden muss. Zum einen über direkte Rekrutierungsmaßnahmen, weil ein Migrations»strom« auch bei der Existenz von Lohnunterschieden nicht von selbst zu fließen beginnt, zum anderen über die ständige Erneuerung von Migrationspotentialen im Zuge der kapitalistischen Expansion. Durch die Zerstörung traditioneller Formen der Produktion und Reproduktion werden Regionen zu - ökonomischen - Peripherien, was die dort ansässigen Menschen zur Abwanderung in die Weltzentren drängt (Parnreiter 1995). Ein weiterer wichtiger Punkt bei diesem Ansatz ist die Rolle des Staates, der seine Bürger zur Abwanderung treibt, beispielsweise durch politische Instabilisierung oder auf dem Wege einer aktiven Emigrationspolitik, um den Staat von Arbeitslosigkeit zu entlasten und die Rücküberweisungen als Devisenquelle zu nutzen (Massey 1999). Die aktuellen Globalisierungsprozesse unterstreichen zudem die ambivalente Funktion von Grenzen, die weniger als grundsätzliches 5. Globalisierung und internationale Migration 156 Hindernis gelten denn als Filter. Migranten werden selektiv zugelassen und erleben beim Grenzübertritt in der Regel eine Abwertung ihres Status, was ihre Arbeit noch weiter verbilligt. So gesehen bedingen sich die Zunahme der Migrationsbewegungen und die Verschärfung von Zugangsrestriktionen. Allerdings ist in den reichen Zielländern des Nordens - den USA oder der EU - zu beobachten, dass Zuwanderung nicht so effektiv reguliert, reduziert und kontrolliert werden kann, wie dies erwünscht ist. Da die Globalisierung für eine stete Arbeitskräftenachfrage in den Weltzentren und für Entwurzelungs- und Marginalisierungsprozesse in den peripheren Regionen sorgt, sind auch die Mittel entstanden, die Migrationen zu verstetigen. Insbesondere die informellen Zugangswege über die Migrantennetzwerke sind dabei in den Fokus geraten (vgl. Komlosy u. a. 1997). Über sie wird später (Kap. 5.5) die Rede sein, doch zunächst sei auf die Notwendigkeit eingegangen, einzelne Wanderungsbewegungen nicht isoliert, sondern in einem historischen, räumlichen und sozioökonomischen Kontext zu analysieren. 5.4 Internationale Migrationssysteme Interne und grenzüberschreitende Wanderungen in Nachbarländer oder entfernte Regionen überschneiden sich bzw. greifen ineinander. Ihr Verlauf hängt einerseits von den Vorstellungen und Fähigkeiten der Migranten ab, andererseits von den Aufnahmebedingungen in den Ziel- und Transitländern. Die Wanderungen verlaufen oft in Etappen und entlang von Ketten bzw. innerhalb sozialer Netze, sodass sie sich an bestimmten Orten verdichten können und Knotenpunkte (ethnische Gemeinden) bilden. Entlang dieser Ketten (vgl. Kap. 4.6) bzw. innerhalb der Netze erfolgt auch die eventuelle Rückkehr oder etablieren sich Pendelmigrationsrouten (s. Abb. 7). Es entstehen Migrationssysteme, deren Analyse regionale oder internationale Migrationsgeschehen in einen historischen und strukturellen Kontext stellt. Ein derartiger Analyserahmen bringt Vorteile mit sich, denn er erweitert den isolierten Blick auf einzelne Wanderungsbewegungen und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Wanderungsverläufe selbst anstatt nur auf die Ausgangs- und Zielsituation. Zu einem Migrationssystem, das sowohl Fluchtals auch Arbeitsmigration, temporäre und permanente Wanderungen beinhalten kann, gehören folgende Elemente (vgl. Blaschke 1992: 111; Gesemann 1999: 5): • die politischen, ökonomischen und kulturellen Strukturen der Herkunfts-, Transit- und Aufnahmeländer; 5.4 Internationale Migrationssysteme 157 • internationale und nationale Instrumente, Institutionen und Organisationen zur Steuerung von Migration, spezifische Regeln und Kontrollmechanismen (»Migrationsregime«, vgl. Kap. 6); • die sozialen Bindungen der Migranten untereinander und die Netzwerke der ineinander verflochtenen Migrationsbewegungen; • die Motivationen, Erwartungen und Ressourcen (potentieller) Migranten in den Herkunfts- und Zielländern. So gesehen ist Migration ein dynamischer Prozess, der nicht nur die Herkunfts- und Zielregion miteinander verbindet, sondern auch die dazwischen liegenden Regionen mit einbezieht. Gemäß politischem Kontext und ökonomischer Konjunktur können sich die einzelnen Migrationsbewegungen verändern, doch gleichzeitig bildet sich häufig ein sich selbst tragendes System, das dafür sorgt, dass Migrationen auch dann nicht enden, wenn die sie ursprünglich verursachenden Faktoren nicht mehr wirken. Die Analyse von Migrationssystemen stößt dort an ihre Grenzen, wo für die betroffenen Regionen kein ausreichend differenziertes und komparatives statistisches Material vorhanden ist, doch liegen inzwischen genügend Fallstudien vor, um Aussagen zu treffen. Zentral sind die jeweiligen Kernaufnahmeländer, die sich durch ein überdurchschnittliches ökonomisches Wachstum auszeichnen und so Abb. 7: Verläufe und Stufen von Wanderungen Aus: Nuscheler 2004: 83 5. Globalisierung und internationale Migration 158 Anziehungspunkt für Industrie, Investoren und Arbeitskräfte sind (vgl. Kritz u. a. 1992). Dabei wandeln sich Abwanderungszu Zuwanderungsregionen, wie beispielsweise einige südeuropäische Länder (etwa Spanien) oder die sogenannten Tigerstaaten in Ostasien. Ein weiteres Analyseergebnis ist, dass die in einem Migrationssystem miteinander verbundenen Regionen nicht unmittelbar benachbart sein müssen, was auf spezifischen Migrationstraditionen und entsprechenden ethnischen Netzwerken beruht (Appleyard 1995; Heckmann/ Boswick 1995). Aus der Vielfalt der bisher untersuchten Migrationssysteme seien hier das im Nahen und Mittleren Osten und die im postsozialistischen Osteuropa vorgestellt, die in den letzten anderthalb Jahrzehnten zunehmende Bedeutung erlangten. Das Migrationssystem Naher und Mittlerer Osten Wie die meisten großen internationalen Migrationssysteme besteht auch das Migrationssystem Naher und Mittlerer Osten aus mehreren kleineren, ineinander verschlungenen Systemen: unter anderem dem jüdisch-israelischen, dem palästinensischen, dem libanesischen und dem ägyptischen Migrationssystem (ausführlich: Gesemann 1999). Der ganze Raum ist sehr stark von sich überlappenden Flucht- und Migrationsbewegungen betroffen, die vielfältige und über Jahrzehnte wirkende Gründe und Anlässe haben: • die Gründung des Staates Israel mit der Folge der Vertreibung Hunderttausender Palästinenser sowie der steten Zuwanderung aus aller Welt, in den letzten beiden Jahrzehnten insbesondere aus Osteuropa und islamischen Ländern; • der libanesische Bürgerkrieg von 1975 bis 1990, der ca. eine Million Menschen zu Flüchtlingen machte; • die Arbeitsmigration in die erdölexportierenden Golf-Staaten (z. B. Saudi-Arabien) zunächst aus den arabischen Nachbarländern wie Ägypten und Jemen, danach aus muslimischen asiatischen Ländern; • die drei Golfkriege, die im Laufe von zweieinhalb Jahrzehnten Millionen Flüchtlinge und Abwanderer sowie die Instabilität der Region zur Folge hatten (vgl. Kirchner 2003). Die Massenflucht während der Golfkriege war gleichzeitig erzwungene Migration, also tendenziell Flucht, und Arbeitsmigration. Weil sich ein Großteil des Migrationsgeschehens innerhalb der einzelnen Länder abspielte, hatten der UNHCR und andere Hilfsorganisationen kein Mandat für die Betreuung der Migranten, sodass sich strukturelle Defizite des internationalen Flüchtlingsregimes offenbarten. Mit Ausnahme der Zuwanderung nach Israel werden die Migrationsbewegungen in dem ganzen Raum weniger von staatlichen bzw. zwischenstaatlichen 5.4 Internationale Migrationssysteme 159 Organisationen gelenkt als - informell - von ethnischen Netzwerken und Diasporas, d. h., sie erfolgen im Rahmen und im Schutz von Familien- und Freundschaftsbindungen bzw. ethnischen Gemeinden (vgl. Kap. 4.6; 5.5). Dies betrifft sowohl Migranten im Binnenraum als auch Menschen, die in externe, doch gut vernetzte Regionen abwandern (Al-Shahi/ Lawless 2005). Dies hat zur Folge, dass der Umfang der einzelnen Migrationen nur geschätzt werden kann und Arbeitsverhältnisse unsicher und ungeschützt sind, was insbesondere für die reichen, erdölexportierenden Golf-Staaten gilt, in denen Organisation und Steuerung der Arbeitsmigration durch ein privates »Bürgschafts«-System geregelt wird. Arbeitsmigranten können nur auf Einladung eines Bürgen einreisen, der sie gegenüber staatlichen Stellen vertritt, weshalb sie in starke persönliche Abhängigkeit von ihrem Arbeitgeber geraten (vgl. Gesemann 1999: 26/ 27). Während des zweiten Golfkriegs (1990/ 91) wurden die in den 1980er Jahren breit eingesetzten arabischen Arbeitsmigranten aus den reichen Golf-Staaten wie Saudi-Arabien oder Kuwait vertrieben, sofern ihre Herkunftsländer nicht auf der Seite des jeweiligen Gastlandes standen. In den Folgejahren wurden sie durch Zuwanderer aus islamischen Staaten Asiens und Afrikas ersetzt, weil sie, die weder Sprache noch Gewohnheiten des jeweiligen Gastlandes kennen, sich besser für die von diesen Ländern erwünschte Segregation von den Einheimischen eignen. Das politische und streng kontrollierte Ziel ist nicht die Integration der Arbeitsmigranten, sondern ihre Rotation - also die ständige Ersetzung durch neue Arbeitskräfte -, obwohl (oder weil) ihr Prozentsatz in einigen Ländern sehr hoch ist und die Wirtschaft ohne ihren Arbeitseinsatz nicht funktionieren würde. In den Vereinigten Emiraten beträgt ihr Anteil an der Bevölkerung ca. 75 Prozent, in Saudi- Arabien ungefähr 25 Prozent (Eelens 1992; Brand 2006). Migrationssysteme im postsozialistischen Osteuropa Das zweite wichtige internationale Migrationssystem, das hier kurz dargestellt werden soll, ist das in Osteuropa, wobei zu beachten ist, dass der Begriff »Osteuropa« oft weniger in einem präzis geographischen als in einem politischen Sinne verwendet wird und zu sozialistischer Zeit das Gebiet von der Westgrenze der DDR bis an die Ostgrenze Russlands umfasste. Das Migrationssystem, das sich nach dem Zerfall des sozialistischen Staatensystems herausbildete, besteht ebenfalls aus mehreren einander überlappenden regionalen Migrationssystemen, zum Beispiel dem »sowjetischen«, das die - europäischen und asiatischen - Nachfolgestaaten der Sowjetunion zusammenspannt. An deren ehemaligen Außengrenzen bilden sich seit eineinhalb Jahrzehnten Migrationssysteme, die zum Teil bereits in vor- 5. Globalisierung und internationale Migration 160 sowjetischer Zeit bestanden hatten und jetzt, im Kontext der wieder durchlässigen Grenzen, rekonstruiert werden: von Zentralasien nach China und Indien, vom Kaukasus in die Türkei und in den Nahen Osten, von Westrussland und den ostmitteleuropäischen Staaten nach Westeuropa. In dieser Hinsicht ist das Polen und Deutschland verbindene Migrationssystem zu nennen (ausführlich: Pallaske 2001; Cyrus 2000). Dazu gehören die polnische Arbeitsmigration ins Ruhrgebiet, aber auch die Verschleppung von Zwangsarbeitern aus Polen, die Zuwanderung von »deutschstämmigen« Aussiedlern sowie die der Saison- und Werkvertragsarbeitnehmer seit Ende der 1980er Jahre. Heute leben rund eine Million Menschen, die in Polen geboren wurden, in der Bundesrepublik, womit Polen eines der wichtigsten Herkunftsländer für Zuwanderer nach Deutschland ist. Es sind alle Migrantentypen vertreten, von Flüchtlingen vor dem kommunistischen Regime, die ihren Aufenthalt verfestigen konnten, über die sogenannten neuen Gastarbeiter mit befristeten Arbeitsverträgen bis hin zu irregulären Pendelmigranten und Handelstouristen, also Personen, die mit einem Touristenvisum einreisen, dies aber zum Zweck des (unerlaubten) grenzüberschreitenden Handels tun. Die einzelnen Migrationssysteme, die von Kriegen und dem »Eisernen Vorhang« nur vorübergehend unterbrochen worden waren, dynamisieren sich gegenwärtig quantitativ und qualitativ. Dies sei am Beispiel Russland kurz erläutert, das derzeit nach den USA (und vor der Bundesrepublik) das zweitwichtigste Aufnahmeland von Zuwanderern ist. Zum größten Teil handelt es sich bei diesen um russische bzw. russischsprachige Rückwanderer aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, die während der Sowjetzeit im Zuge einer gelenkten Arbeitskräftemigration dorthin abwanderten. Weil sich die Nachfolgestaaten nun als Nationalstaaten konstituieren, haben Personen, die nicht der Titularnation angehören (also beispielsweise in Usbekistan nicht Usbeken sind), oft Schwierigkeiten beim Erwerb der Staatsbürgerschaft oder bei der soziokulturellen Umorientierung, was sie zur Abwanderung bewegt. Dazu kommt die in einigen Nachfolgerepubliken äußerst prekäre wirtschaftliche Situation sowie die Ethnisierung der vielfältigen Konflikte, was ebenfalls zur Abwanderung beiträgt. Diese ist sehr häufig zwar nominell freiwillig, unterliegt aber doch strukturellen Zwängen, die den Betroffenen kaum eine andere Wahl lassen. Problematisch in dieser Hinsicht sind insbesondere die zentralasiatischen Republiken und der Kaukasus (Kaiser 1994; Halbach 1999; Vjatkin u. a. 1999; Iskandarjan 2003; 2004). Angesichts der politischen Instabilität vieler Grenzregionen, die zugleich meist Wohlstandsgrenzen sind, werden sich die Wanderungen in diesem Migrationssystem eher verstärken als abschwächen und in einzelnen Ausläufern weiterhin Westeuropa erreichen (Alvarez-Plata u. a. 2003; Fassmann 2000; Hönekopp 2001). 5.4 Internationale Migrationssysteme 161 Zwar haben sich die statistische Erfassung der Wanderungsbewegungen und die Arbeit der regionalen Migrationsbehörden in den letzten Jahren erheblich gebessert, doch spielt sich ein Großteil der Migrationen im Irregulären ab, d. h., Personen werden nicht registriert, Arbeitsverhältnisse bleiben informell. So sollen sich nach Schätzungen des russischen Arbeitgeberverbandes im Jahr 2002 zwischen 3,5 und fünf Millionen Arbeitsmigranten, insbesondere aus den früheren Sowjetrepubliken, in Russland aufgehalten haben, doch nur ca. 350.000 waren auch registriert (migration-info 3/ 2003; vgl. auch Vitkovskaja/ Panarin 2000; Blaschke 2001; Mukomel‘ 2006). 5.5 Die Bedeutung substaatlicher Akteure Migrationsnetzwerke Die Übersicht über das Migrationsgeschehen im Zeitalter der Globalisierung zeigt, dass es sich - trotz aller Kontroll- und Regulierungsmaßnahmen - zu einem großen Teil sowohl der statistischen Erfassung, der administrativen Klassifikation als auch der politischen Steuerung entzieht. Dies lenkt den Blick auf interne Faktoren, die Migrationsprozesse in Gang halten, ohne dass es staatlicher oder anderer externer Akteure bedarf. Die Funktionen von Migrationsnetzwerken sind seit den Anfängen der Migrationsforschung bekannt, ohne dass das Phänomen allerdings auf den Punkt gebracht worden wäre: E.G. Ravenstein verwies auf die sich institutionalisierende etappenweise Wanderung, die später »Kettenwanderung« genannt werden sollte (vgl. Kap. 3.1), und in den Studien der »Chicago School« sind die ethnischen Gemeinden beschrieben, die den Neuzuwanderern bei der Eingewöhnung in die Aufnahmegesellschaft helfen (vgl. Kap. 4.1; 4.6). Über Jahrzehnte hinweg wurde jedoch der Eigenwert dieser informellen Beziehungen zugunsten der Konzentration auf staatliche und internationale Akteure vernachlässigt. Migrationsnetzwerke dienen • der Verstetigung und Reproduktion von Migrationsbewegungen und ihren Pfaden, • der Informationsgewinnung über Ziel- und Transitgebiete, • der Reduzierung von materiellen und psycho-sozialen Migrationskosten, • der Verminderung spezifischer Risiken (z. B. Umgehung von Schleppern), • der - sozialen wie beruflichen - Integration in das Aufnahmeland und • über die selektive Informationsweitergabe der Auswahl von weiteren Migranten. 5. Globalisierung und internationale Migration 162 Ist ein Migrationsnetzwerk erst einmal entstanden, so wirkt es als eigener Stimulus für potentielle Migranten. Knotenpunkte bilden ethnische Gemeinden und Migrantenunternehmen, weil in ihnen der Warenabsatz, aber auch die Rekrutierung billiger Arbeitskräfte organisiert werden kann (Waldinger u. a. 1990; Portes 1995). Im Laufe der Zeit werden solche Netze zur wichtigsten »Brücke« zwischen Herkunfts- und Zielregion, die auch dann noch begangen wird, wenn die ökonomischen Anreize nicht mehr bestehen, es also zum Beispiel keinen Arbeitskräftebedarf mehr im Aufnahmeland gibt. Das Phänomen des anhaltenden Familiennachzugs trotz hoher Arbeitslosigkeit unter Migranten findet hier eine (Teil-)Erklärung. Transnationale soziale Räume Die Selbstreproduktion von Migrationen über soziale Netze hat also weitreichende politische, sozioökonomische und auch kulturelle Konsequenzen, zumal es sich um grenzüberschreitende Informations- und Unterstützungsnetze handelt. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend entwickelt sich seit Mitte der 1990er Jahre das Forschungskonzept der »transnationalen sozialen Räume«, mit dem auf die quantitative Zunahme von internationalen Migranten verwiesen wird, die häufig zwischen Herkunfts- und Zielland pendeln, also gewissermaßen »zirkulieren«, und auch bei einer Niederlassung sehr starke Verbindungen zum Ursprungsort aufrechterhalten. Dabei entsteht etwas qualitativ Neues, denn das Leben dieser Migranten muss sich nicht mehr zwingend entweder an diesem oder jenem Ort abspielen, sondern kann sich über die einzelnen Orte des Netzwerkes aufspannen (Glick Schiller u. a. 1992; 1997; vgl. Parnreiter 2000: 38 ff.). Damit verändern sich die sozialen Beziehungen aller Personen, die irgendwie mit dem Netz zu tun haben, sei es am Herkunfts-, sei es am Zielort oder an anderen Orten dazwischen, die strategisch oder zufällig ausgewählt wurden, etwa eine historisch gewachsene ethnische Gemeinde in einem Transitland oder ein Grenzort, die nun zu »Knoten«, zu Stützpunkten im Migrantennetzwerk werden. Kritik an diesem neuen Ansatz (z. B. Kürs ¸at-Ahlers/ Waldhoff 2001: 57 ff.) wird dahingehend geäußert, dass es derartige Migrationen auch schon früher gegeben habe und die positiv gedeutete Polylokalität (siehe unten) über Nationalgrenzen hinweg nur für wenige Privilegierte in eine Zunahme von Handlungschancen münde, während die meisten Migranten über wenig Lebensalternativen und Optionen verfügten. Tatsächlich basieren die bisher formulierten Annahmen auf einer ziemlich schmalen empirischen Basis; ausgearbeitet wurde das Konzept anhand der großräumigen Pendel- und Arbeitsmigrationen zwischen Mexiko und den USA (vgl. 5.5 Die Bedeutung substaatlicher Akteure 163 Kearney 1995; Pries 1996; 1997), während zum Beispiel systematische Analysen für Ost(mittel)europa bislang vor allem zur Migration von Polen nach West- und Südeuropa vorliegen (Miera 1997; Cyrus 2000) und für andere eng miteinander verbundene Regionen (z. B. Mittelmeerraum, Naher Osten, Südostasien) noch ausstehen. Dennoch scheint sich etwas Neues bzw. eine neue, viel versprechende Perspektive auf aktuelle Migrationsprozesse auszubilden, denn die ohne Zweifel schon früher möglichen Kontakte zwischen Ziel- und Herkunftsort werden durch die neuen Informations- und Transporttechniken erleichtert, ausgeweitet und stabilisiert. Auch der Kritikpunkt der unangemessenen Generalisierung von zunehmenden Handlungsoptionen weniger (akademisch) Privilegierter überzeugt nicht, denn bei dem Basisbeispiel Mexiko-USA wie auch bei dem Beispiel Polen-Westeuropa handelt es sich weder um eine Intellektuellenwanderung noch um eine Migration bereits etablierter Unternehmer. Argumente, die auf Quantitäten verweisen, verfehlen zudem das eigentliche Ziel des Ansatzes, der qualitative Veränderungen thematisiert. Aus der neuen Perspektive werden internationale Migrationen nicht nur durch die Globalisierung erzeugt, sondern dynamisieren diese, weil konventionelle Konzepte von Raum, Identität und Staatsbürgerschaft fraglich werden. Ein derartiger Wandel zeigt sich allerdings zunächst an vergleichsweise wenigen Personen, bis sich bestimmte Verhaltensmuster durchsetzen und zu einem Massenphänomen werden können. In gewisser Hinsicht ist der theoretische Ansatz des transnationalen sozialen Raumes die soziologische Komplettierung des vor allem von Sozialgeographen und Politologen genutzten Analyserahmens der internationalen Migrationssysteme. Während dieser die räumlichen Muster, die Verläufe sowie die Institutionen der jeweiligen Migrationsregime und ihre Effekte auf die Migranten thematisiert, konzentriert sich jener auf die sozialen Beziehungen der Migranten und deren Wandel, auf die Verknüpfung von Regionen durch interpersonelle Bindungen. Folgende Punkte seien vor diesem Hintergrund hervorgehoben: • Die Begriffsbildungen transmigrant, transnational worker oder transnational community bzw. »Transmigranten« etc. im Gegensatz zu »inter«-nationalen Migrationsphänomenen verweisen auf die Aktivitäten substaatlicher Akteure. Beispielsweise treten neben die internationalen Abkommen zur Regulierung der offiziellen Bewegungen auf dem internationalen Arbeitsmarkt informelle Arrangements zwischen Personen in Migrantennetzwerken, die prinzipiell dieselben Ziele haben: Beschaffung von Arbeitsplätzen oder Arbeitskräften, Bereitstellung von Information, Infrastruktur sowie Instrumenten der Konfliktschlichtung im Bedarfsfall. Es handelt sich also teilweise um einen veränderten Blick auf dieselben Prozesse, teilweise aber auch um die Genese neuer Phänomene. 5. Globalisierung und internationale Migration 164 • Nationalstaatlichkeit wird zwar nicht bedeutungslos, doch im Kontext zirkulärer Migrationen werden die Grenzen immer durchlässiger. Nach wie vor gelten nationalstaatliche Kontroll- und Steuerungsinstrumente, die allerdings auch unterlaufen werden - und zwar desto mehr, je komplexer das internationale Migrationsgeschehen wird. Zudem sind die Migrantennetzwerke weder sozial noch ethnisch-kulturell homogen, sodass geltende ethnische oder rechtliche Hierarchien gezielt genutzt werden können (Cyrus 2000). Dies ist etwa der Fall, wenn Mitglieder einer Familie unterschiedlicher Staatsangehörigkeit sind und die Vorteile der jeweiligen Gesetzgebungen bzw. der sozialen Sicherungssysteme in das Migrantennetz integriert werden können oder wenn Ehepartner aus den Herkunftsgebieten vermittelt, ihr Aufenthalt legalisiert und so der Familiennachzug und die Migrationskette reproduziert werden. • Polylokalität, die Ausbildung von Mehrfachidentitäten und/ oder die Zuordnung zu mehreren Haushalten sind Phänomene, die nicht zu idealisieren sind, denn für die Betroffenen können sie die Zugehörigkeit zu (mindestens) zwei Kulturen bedeuten, aber auch das Fremdsein in ihnen. Ein Leben, das sich nicht ausschließlich an diesem oder an jenem Ort abspielt, sondern in einem Zustand des ständigen »Dazwischen-Seins«, kann als Abenteuer empfunden werden; doch wenn eine Verortung des Lebensmittelpunkts unmöglich wird, können alltägliche Verrichtungen und Identitätsausbildungen durchaus problematisch werden (vgl. Kearney 1995; Papastergiadis 2000). Vor diesem Hintergrund sind auch Integrationsprozesse neu zu diskutieren, beispielsweise die Rolle von Familiennachzügen oder die Frage doppelter Staatsbürgerschaften betreffend. »Global Cities« und »Megastädte« Globalisierte Migrationsbewegungen werden auch hinsichtlich von Stadtentwicklungsprozessen diskutiert. Zum einen geht es hierbei um die Themen Integration, ethnische und soziale Segregation, wie sie weiter oben (Kap. 4) ausgeführt wurden, zum anderen um Analysen der Veränderungen von Städtesystemen innerhalb eines Landes. Im Anschluss an S. Sassen (1996 [1991]) werden die Entstehungsbedingungen von global cities untersucht, die im Zentrum eines transnationalen Städtesystems liegen und Banken sowie die wichtigsten Finanz-, Kommunikations- und Lenkungsstellen interbzw. transnationaler Konzerne anziehen. Beispiele sind New York, London, Tokio, auch Frankfurt, deren Gewicht für die Weltwirtschaft überproportional hoch ist. Für das Thema Migration ist hier entscheidend, dass sich diese Konzentration auf dem Dienstleistungssektor abspielt und entsprechendes Personal anzieht, 5.5 Die Bedeutung substaatlicher Akteure 165 einerseits hochspezialisierte Finanzexperten und Fachkräfte aller Richtungen, andererseits gering qualifizierte Hilfskräfte und persönliche Dienstleister (von Reinigungs- und Sicherheitskräften bis hin zu - meist weiblichem - Hauspersonal), die die Bedürfnisse der mit viel Geld, aber wenig Zeit ausgestatteten Hochqualifizierten erfüllen. Das auf einer spezifischen Arbeitsteilung basierende Wohlstandsgefälle zwischen den reichen und den armen Gesellschaften, das sich in der globalisierten Wirtschaft verschärft, wird so gewissermaßen in den global cities, die alle in den Ländern des »reichen Nordens« liegen, reproduziert: Es bildet sich ein offizieller Hochlohn-Arbeitsmarkt neben informellen Arbeitsmärkten der unteren Dienstleistungsebenen mit einer entsprechenden Polarisierung der Beschäftigten, wobei die Mittelschichten tendenziell ausgedünnt werden. Zentrum und Peripherie der globalisierten Wirtschaft liegen im städtischen Raum eng beieinander, weshalb solche Städte auch dual cities genannt werden (Fainstein u. a. 1992). Aus der Perspektive der Weltsystemtheorie (siehe oben) handelt es sich nicht um die Aufnahme von Armutswanderern in den Metropolen, sondern um die Ergänzung fragmentierter Arbeitsmärkte im Kontext des ökonomischen Wandels. Das »Bodenpersonal der Globalisierung« (S. Sassen) besteht aus Migranten »zweiter Ordnung«, die sich auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie sammeln, in der Regel - sei es nun regulär oder nicht - prekär beschäftigt sind und nur in dichten Netzwerken überleben können. Im Unterschied zu den global cities, die als Führungs- und Machtzentren der globalen Wirtschaft verstanden werden, sind »Weltstädte« traditionelle politischkulturelle Zentren, meist die Hauptstädte eines Landes. »Megastädte« wiederum sind städtische Agglomerationen, die manchen Definitionen zufolge bei einer sehr hohen Bevölkerungsdichte mindestens fünf Millionen Einwohner zählen (Bronger 1996), andere setzen acht oder zehn Millionen als Mindestzahl an. Beginnt man nicht von einer immer willkürlich gesetzten Untergrenze, sondern nimmt die größten Megastädte, wird der Trend deutlich: Lagen um 1900 die Millionenstädte - mit Ausnahme von Kalkutta und Buenos Aires - alle in Europa, den USA oder Japan, so fanden sich 1950 unter den 20 größten Städten (mit mehr als zwei Millionen Einwohnern) bereits sieben in der »Dritten Welt«. 1990 hatten die 20 größten Megastädte bereits jeweils mehr als acht Millionen Einwohner, davon lagen 14 in Entwicklungsländern; in Zukunft werden nur noch Tokio, New York und Los Angeles als Städte des Nordens zu den größten urbanen Agglomerationen zählen. Tokio wird weiterhin der größte Ballungsraum bleiben, doch auch Bombay, Lagos, Shanghai, Jakarta und S-o Paulo werden Schätzungen zufolge bald die 20-Millionen-Marke hinter sich lassen (s. Tab. 3). Megastädte sind somit ein Phänomen der globalen Peripherie (Parnreiter 1999: 47 f.). 5. Globalisierung und internationale Migration 166 Tab. 3: Megastädte (Einwohner in Mio.) Stadt (Land) 1995 2015* Tokio (Japan) 26,8 28,7 Bombay (Indien) 15,1 27,4 Lagos (Nigeria) 10,3 24,4 Schanghai (China) 15,1 23,4 Jakarta (Indonesien) 11,5 21,2 Sao Paulo (Brasilien) 16,4 20,8 Peking (China) 12,4 19,4 Mexiko-City (Mexiko) 15,6 18,8 Kalkutta (Indien) 11,7 17,6 New York (USA) 16,3 17,6 Tianjin (China) 10,7 17,0 Los Angeles (USA) 12,4 14,3 Seoul (Süd-Korea) 11,6 13,1 Buenos Aires (Argentinien) 11,0 12,4 * Prognose Aus: learnline/ agenda21 - Dezember 2006 Auch die Megastädte der Peripherien entwickeln sich zu dual cities; zentrale Stadtteile, die den Städten des Nordens gleichen und den Eliten neue »globale« Lebensstile ermöglichen, werden von immer ärmlicheren Bezirken und schließlich von Slums und shanty towns an den Rändern der Agglomerationen abgelöst. Während allerdings global cities oder Weltstädte qualitativ, in ihrer Funktion für die Weltwirtschaft, charakterisiert werden, konzentriert sich die Forschung zu den Megastädten, insbesondere zu denen in Entwicklungsländern, auf quantitative Fragen wie die Bevölkerungszunahme, was häufig zu alarmistischen Prognosen führt. Einige soziologisch relevante Forschungsaspekte seien im Folgenden aufgeführt (vgl. Husa/ Wohlschlägl 1999; Schwentker 2006): • Die Entstehung von Megastädten in der globalen Peripherie beruht vor allem auf Binnenwanderung, die seit den 1990er Jahren drastisch zunimmt. Diese wiederum hat ihren Grund in der Zerstörung der ländlichen Ökonomien, nicht in einer derart hohen Nachfrage nach Arbeitskräften. Den herkömmlichen Typologien zufolge handelt es sich also weit häufiger um erzwungene als um freiwillige Abwanderung; auf jeden Fall hat diese Art der Binnenwanderung dieselben Ursachen wie die internationale Migration (Lozano-Ascencio u. a. 1997: 163). 5.5 Die Bedeutung substaatlicher Akteure 167 • Im Gegensatz zur traditionellen Großstadtentwicklung wachsen die Megastädte nicht nur durch Binnenwanderung, sondern auch durch natürlichen Bevölkerungszuwachs, da die Zuwanderer vom Land ihre ländliche Lebensführung mit einem entsprechenden generativen Verhalten nicht einfach aufgeben. Dies lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass es kaum Einzelzuwanderer gibt, sondern die Zuwanderung oft von Großfamilien oder Nachbarschafts-, gar ganzen Dorfverbänden organisiert wird. Diese familiären und/ oder landsmannschaftlichen Netzwerke bilden »Brücken» zwischen dem städtischen Arbeitsmarkt und den ländlichen Herkunftsregionen, wo die Versorgung mit Lebensmitteln möglich ist und wohin man sich bei Krankheit zurückziehen kann. Im Gegenzug wird Neuzuwanderern aus den Dörfern Hilfe und Unterkunft geboten. Strukturell handelt es sich bei ihnen weniger um Menschen, die nun einen städtischen Lebensstil annehmen, sondern um Landbevölkerung, die mitsamt ihren Dorfstrukturen in den städtischen Raum gewechselt ist. • Die »Länder des Südens« sind in die internationale Arbeitsteilung eingebunden, weshalb sich die Destabilisierungsprozesse der ländlichen Ökonomien beschleunigen werden und die Abwanderung in die Megastädte weiterhin anhalten wird. Die sich verstärkenden Stadt-Land-Gegensätze halten zirkuläre Migrationen auf hohem Niveau in Gang, die sich innerhalb der regionalen Migrationssysteme sukzessive erweitern. • Auch viele - vergleichsweise wohlhabende - Familien in den Megastädten gehen dazu über, einzelne Mitglieder in die Binnenwanderung, etwa in andere Landesteile, oder in die internationale Migration zu entsenden, um zusätzliche Geldeinkommen zu erwirtschaften. Besonders stark betroffen sind davon Frauen und Jugendliche, von denen aufgrund ihrer größeren Abhängigkeit vom Familienverband eine stärkere Verbindlichkeit und damit auch höhere Geldüberweisungen, Remittenden, erwartet werden (vgl. Financial Times, 26.03.04; FAZ 7.9.06). 5.6 Irreguläre Migration und irreguläre Beschäftigung Angaben zur internationalen Migration geben nur ungefähre Millionenzahlen an; dazu müssen nach Expertenmeinung aber mindestens so viele undokumentierte internationale Migranten sowie eine noch weit höhere Zahl an Binnenwanderern gezählt werden (Hödl u. a. 2000: 10). Dasselbe Problem existiert bei den Angaben 5. Globalisierung und internationale Migration 168 zur Zahl der Flüchtlinge, da viele Menschen sich - wie ausgeführt (vgl. Kap. 3.3) - zwar in »fluchtähnlichen« Situationen befinden, aber keine Grenze überschritten haben und somit nicht unter die internationale Flüchtlingsdefinition fallen. Wie viele undokumentierte, irreguläre Migranten es weltweit gibt, muss daher Spekulation bleiben; allein für Deutschland gehen Schätzungen von ca. 600.000 bis einer Million Personen aus (Nuscheler 2004: 53). Es liegt auf der Hand, dass in Entwicklungsländern bzw. den armen »Ländern des Südens«, in denen weder Melderegister noch Bevölkerungsstatistiken in vergleichbar gutem Zustand wie in Europa oder den USA existieren, das Problem noch größer ist und über die Mobilität der Bevölkerung, ihre Motive und Ziele oft nur ungefähre Vorstellungen herrschen. Die Ausführungen über das unregulierte Wachstum der Megastädte in den globalen Peripherien können jedoch einen Eindruck von den Größenordnungen vermitteln. Zu dem Phänomen der irregulären Migration tritt das der irregulären Beschäftigung. Insbesondere in der Unübersichtlichkeit der großen Städte sammeln sich Arbeitsmigranten, Hilfspersonal in Betrieben aller Branchen und Größenordnungen, Wanderarbeiter vom Land und Hausbedienstete, die informell beschäftigt werden (vgl. Portes 1995; Cyrus 2001; Nuscheler 2004: 51). Sie tun dies aus den verschiedensten Gründen: weil sie keine Aufenthaltsund/ oder Arbeitserlaubnis für dieses Land oder diese Stadt haben, weil sie keine reguläre Arbeit finden, weil sie dazu gezwungen werden und letztlich auch deshalb, weil es für die eingesessene, etablierte Bevölkerung einfach lukrativ ist, Personen informell zu beschäftigen. In einer Situation verfestigter ethnischer Unterschichtung bzw. fragmentierter Arbeitsmärkte ergänzen sich Angebot und Nachfrage auch in diesem Bereich. Im Folgenden wird auf die Situation in den entwickelten Ländern, zum Beispiel Deutschland, eingegangen, weil Irregularität hier vor dem Hintergrund eines ausgeformten Rechtssystems stattfindet und sich nicht einfach aus einer unzureichenden Verwaltungstätigkeit oder aus mangelnder Rechtsstaatlichkeit ergibt. Am Beispiel Europa, das seine Außengrenzen laufend befestigt (»Festung Europa«) und trotzdem eine Zunahme irregulärer Migranten zu verzeichnen hat, lässt sich das zugrunde liegende Dilemma gut illustrieren (ausführlich: Alt/ Cyrus 2002): Einerseits soll im Zuge der wirtschaftlichen Deregulierung der freie Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Menschen gewährleistet sein, doch andererseits gilt das politische Ziel der Begrenzung und Regulierung von Zuwanderung. Dadurch wird die Migrationsdebatte von Nützlichkeitserwägungen und, zumal nach den Terroranschlägen in den USA 2001, von Sicherheitsdiskursen dominiert. 5.6 Irreguläre Migration und irreguläre Beschäftigung 169 Die Kriminalisierung von Irregularität Irreguläre Migranten sind Menschen ohne Aufenthaltsstatus, man spricht auch von »Undokumentierten« oder »Statuslosen«, meist aber von »Illegalen«, wobei dieser Begriff beispielsweise in der deutschen Rechtsordnung nicht vorkommt. Es handelt sich um eine umgangssprachliche Bezeichnung für Personen, die »nach geltendem Recht keinen Aufenthaltstitel in Deutschland besitzen und im Prinzip ausreisepflichtig sind« (Alt/ Cyrus 2002: 142). Aufenthaltsrechtliche Illegalität kann entstehen durch die irreguläre Einreise, durch den irregulären Aufenthalt, nachdem die Aufenthaltsgenehmigung erloschen, aber die Ausreise nicht erfolgt ist, oder durch irreguläre Beschäftigung. Besonders gefährdet sind in dieser Hinsicht Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge, die nach Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung oder nach Ablehnung ihres Asylgesuchs für sich keine Rückkehroption sehen und der Abschiebung durch Abtauchen in die Irregularität entgehen. Eine weitere große Gruppe sind irreguläre Arbeitsmigranten, in Deutschland derzeit überwiegend aus Ost(mittel)europa, die häufig zwischen ihrem Herkunftsland und der Bundesrepublik pendeln. Des Weiteren gibt es Fälle des irregulär organisierten Familiennachzugs sowie des Verbleibs von Touristen und Studenten nach Ablauf ihres Visums. Bei allen diesen Personengruppen ergibt sich die »Illegalität« aus der Verwehrung von Aufenthaltstiteln, also derzeit entweder einer Aufenthalts- oder einer Niederlassungserlaubnis. Zugleich sind sie jedoch an einem weiteren Aufenthalt im Land, möglicherweise an einer dauerhaften Versetzung ihres Lebensmittelpunktes interessiert sowie meist an der Aufnahme einer Beschäftigung zur Sicherung ihres Lebensunterhalts oder um den im Herkunftsland verbliebenen Familien Geld zu schicken (vgl. Stobbe 2005; Rerrich 2006). Trotz der gängigen Kriminalisierung ihres Aufenthalts und/ oder ihrer Tätigkeit sind sie scharf von denjenigen Personen zu unterscheiden, deren illegale Einreise von Anfang an mit dem Ziel der Begehung von Straftaten erfolgt. Da es grenzüberschreitende Kriminalität in allen gesellschaftlichen Bereichen gibt, kann in diesem Rahmen keine umfassende Übersicht gegeben werden; weiter unten wird allerdings das Thema des organisierten Menschenhandels zur Sprache kommen. Im Folgenden werden zunächst einige Aspekte des »Lebens in der Schattenwelt« (Alt 2004), das nicht aus kriminellen Absichten heraus geführt wird, vorgestellt. Grundlage dafür sind Berichte von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen und die wenigen wissenschaftlichen Studien, die es dazu gibt. • Zwar lassen sich trotz vielfältiger Kontrollmaßnahmen (durch Polizei, Arbeitsämter, Zollämter und Bundesgrenzschutz) keine gesicherten Angaben über den Umfang aufenthaltsrechtlicher Irregularität machen, doch scheint der Trend hin zu einer Stabilisierung auf hohem Niveau zu gehen. 5. Globalisierung und internationale Migration 170 • Übereinstimmung herrscht in den Berichten, dass irreguläre Migranten sich so unauffällig wie möglich verhalten, sogar weitaus normkonformer als »normale« Menschen sind, weil sie jede Kontrolle vermeiden wollen. Da jeder Kontakt mit Behörden umgangen wird, können sich auch kleine Probleme zu großen auswachsen; insbesondere der Ausschluss aus den sozialen Sicherungssystemen kann äußerst negative Effekte haben. • Dennoch scheint ein Leben in der Irregularität nicht automatisch zu ernsthaften Schwierigkeiten oder unlösbaren Problemen zu führen. Manche Familien leben jahrelang in einer solchen Situation, wohnen in einer normalen Mietwohnung, schicken ihre Kinder zur Schule und gehen einer alltäglichen, wenn auch nicht angemeldeten Beschäftigung nach (Alt/ Cyrus 2002: 147). • Vorschläge zur Verbesserung der Situation werden von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen seit Längerem gemacht. Vor allem zielen sie auf die Erweiterung der Möglichkeiten zur legalen Einreise, da Abwanderungsgründe kurzfristig nicht behoben werden können und auch verschärfte Grenzkontrollen irreguläre Zuwanderung nicht verhindern kann. De jure stehen in Deutschland auch Menschen ohne Aufenthaltstitel bestimmte soziale Rechte zu, etwa Krankenversorgung oder Lohnansprüche für geleistete Arbeit betreffend, de facto wird die Inanspruchnahme aber nur selten gewagt, weil die Aufdeckung der Irregularität zu Abschiebung bzw. Bestrafung führen kann. Hier besteht eine Diskrepanz zwischen ordnungspolitischen und menschenrechtsorientierten Erwägungen, die bei der Formulierung neuer zuwanderungsrelevanter Gesetzgebungen zunehmend mit berücksichtigt werden sollte. Menschenhandel und internationale Sexindustrie Die Versuche, attraktive Zielgebiete abzuschotten, haben einen großen Schwarzmarkt für Zuwanderung entstehen lassen. Zum einen spielt dabei die Hilfe innerhalb von Migrantennetzwerken eine Rolle, zum anderen aber haben sich weltweit kommerzielle und kriminelle Schlepper- und Schleuser-Organisationen etabliert, die für hohe Geldsummen, aber oft unter hohem Risiko Migranten den irregulären Grenzübertritt ermöglichen. Nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen sollen zwischen 1992 und 1998 allein an den deutschen Grenzen 81 Menschen bei dem Versuch des irregulären Grenzübertritts zu Tode gekommen sein (Alt/ Cyrus 2002: 147). Neben der Gefährdung bei der Einschleusung in das Zielland entsteht eine Vielfalt an Gefahren dadurch, dass sich die Migranten den Schleppern ausliefern. Es gibt unter diesen gewissermaßen »ehrenwerte« Unternehmer, die ihre bisherige 5.6 Irreguläre Migration und irreguläre Beschäftigung 171 Lebensgrundlage verloren und nun eine neue Marktnische für sich entdeckt haben; sie liefern ihre Kunden gegen die vereinbarte Summe ab und kümmern sich - oft ganz offen und akzeptiert - um die Organisation des nächsten Transports. Das Geschäft mit migrationsbereiten Menschen mündet aber häufig in einen regelrechten Handel mit diesen oder in eine Art von Gefangenschaft, in der die Migranten ihre Transportkosten abarbeiten müssen. Zwar wurde bis Ende des 19. Jahrhunderts weltweit die Sklaverei abgeschafft, doch bis heute gibt es sklavereiähnliche Ausbeutung von Arbeitskraft und/ oder Sexualität, beispielsweise Schuldknechtschaft, Kinderarbeit, Zwangsverheiratung und Zwangsprostitution. Wie viele Menschen in der Gewalt der heutigen Sklavenhändler, der Schlepper- und Schleuserbanden sind, entzieht sich der genaueren Bezifferung; der Weltbevölkerungsbericht von 2006 geht von 600.000 bis 800.000 Personen pro Jahr aus, von denen 80 Prozent Frauen sind. Falls sie nicht in die Sexarbeit vermittelt werden, dann sehr häufig in Privathaushalte und sonstige ungeschützte Arbeitsverhältnisse, die die Ausbeutung fördern (vgl. FAZ 7.9.06). Lag der irreguläre Import von Arbeitsmigranten noch vor wenigen Jahren in den Händen von (halblegalen) Kleinunternehmern, so scheint er jetzt in die globalen Strukturen der organisierten Kriminalität integriert zu sein, da er sich - neben dem Handel mit Drogen und Waffen - als ein höchst profitabler Markt erweist. Dabei entstehen ganz neue Handelskreisläufe, Bedürfnisstrukturen und Interessenlagen sowohl privater Endabnehmer als auch von Akteuren im staatlichen Auftrag (korrupte Zollbeamte, Lizenzvertreiber etc.), für die die Gewinne aus den Schleusernetzen eine wichtige Devisenquelle darstellen. Erst im Jahr 2000 wurde ein internationales Abkommen verabschiedet, das den Begriff »Menschenhandel« klar definiert. Es handelt sich um die sogenannte Palermo-Konvention gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, das durch zwei Zusatzprotokolle ergänzt wurde, eines gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg, das zweite zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels (»Palermo-Protokoll«). Definition von Menschenhandel Menschenhandel ist »die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Mißbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder Position der Verletzbarkeit, des Gebens oder der Annahme von Zahlungen oder 5. Globalisierung und internationale Migration 172 durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfaßt mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen […]« (Aus: Bundesgesetzblatt 2005, amtliche dt. Übersetzung) Das Protokoll trat Ende 2003 in Kraft, bis Mitte 2006 hatten es 117 Staaten unterzeichnet, doch gibt es nach wie vor Streit um Auslegung und Anwendung. Dies resultiert aus seiner Einbettung in das Abkommen über die organisierte Kriminalität, sodass der Fokus auf der »illegalen Immigration« liegt und damit auf der Sicherheitsproblematik, aber nicht auf Menschenrechtsfragen (O’Connell Davidson 2006: 9). Die soziologische Forschung hat sich in den letzten Jahren bemüht, diese beiden Aspekte voneinander zu trennen, da nur so die dem Phänomen Menschenhandel zugrunde liegenden Marktgesetze entschlüsselt werden können (ausführlich: Zeitschrift »Osteuropa«, Nr. 6/ 2006). Folgende Forschungsdimensionen werden dabei diskutiert: • Da viele Migranten, die später zu Opfern von Ausbeutung werden, zunächst in ihre Schleppung eingewilligt haben, stellt sich - wie so oft bei Migrationsphänomenen - die Frage der Freiwilligkeit. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass viele der zur Migration bereiten Menschen eine Ahnung haben, was auf sie zukommen kann, doch Not, Perspektivlosigkeit, der Mangel an anderen Gelegenheiten oder die Höhe der Anreize verleiten Menschen immer wieder dazu, sich auf etwas einzulassen, was sie in einer anderen Lage nicht getan hätten. • Die Frage der Freiwilligkeit stellt sich noch schärfer, falls die Schleppung auf Prostitution hinausläuft. In den Staaten, die das Palermo-Protokoll unterzeichnet haben, herrschen extrem unterschiedliche Auffassungen über Prostitution und kommerzielle Sexarbeit; nicht einmal innerhalb der Europäischen Union gibt es einen einheitlichen Gesetzesrahmen (vgl. Schmitt 2006). Die entsprechenden Debatten in Politik und Gesellschaft werden sehr emotional geführt und polarisieren sich. So lassen die sogenannten Abolitionisten keinen Unterschied zwischen »erzwungener« und »freiwilliger« Prostitution gelten, sondern interpretieren diese als Ausdruck männlicher Gewalt über Frauen, weshalb sie verboten werden muss. Auf der Gegenseite formieren sich diejenigen, die in Sexarbeit eine Arbeit wie jede andere sehen und für die Eingliederung der vor allem weiblichen Sexarbeiter in die sozialen Sicherungssysteme plädieren. Gerade letztere Forderung, die in Deutschland 2002 Gesetz wurde, eignet sich 5.6 Irreguläre Migration und irreguläre Beschäftigung 173 aber nur für diejenigen mit deutschem Pass bzw. geregeltem Aufenthaltsstatus (Munk 2006: 59). • Wenn, trotz aller Tabuisierung, über die Bedürfnisse und Sichtweisen von - freiwilligen oder unfreiwilligen - Sexarbeiterinnen inzwischen einige Forschungsarbeiten vorliegen, so ist dies nicht der Fall bezüglich der Nachfrageseite. Die Organisatoren und Vermarkter kommerzieller Sexarbeit verstehen sich offenbar auf die Marktgesetze und können gezielt Nachfrage produzieren, sozial »konstruieren«, denn in den letzten beiden Jahrzehnten hat sich der Sektor in einem Maße diversifiziert und ausgeweitet, wie ihn sich ein nicht entsprechend »erzogener« Kunde gar nicht vorstellen kann (O’Connell Davidson 2006: 12). Dabei werden rassistische Stereotype gezielt genutzt, Migrantinnen für bestimmte Positionen in der internationalen Sexindustrie eingesetzt, sodass es für sie immer einen Markt gibt. • Der beste Schutz vor Ausbeutung besteht darin, Arbeitsverhältnisse »sichtbar«, d. h. der Beurteilung durch Dritte oder die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Sexarbeit wie auch die Arbeit in Privathaushalten entzieht sich aber derartiger Sichtbarkeit aus vielerlei Gründen. Insbesondere irreguläre Migrantinnen sind gut in diesen Bereichen einsetzbar, wenn und insofern sie ein Eigeninteresse an der Nichtentdeckung haben. Extreme Abhängigkeits- und Machtgefälle werden ausgenutzt und perpetuieren das Bild der willigen und dienstbaren Ausländerin. 5.7 Fragen und Literaturempfehlungen • Welche Entwicklungen haben die Länder der »Dritten Welt« in den letzten Jahrzehnten durchgemacht und warum ist dies für die internationale Migration von Bedeutung? • Was zeichnet internationale Migrationssysteme aus? • Was versteht man unter »transnationalen sozialen Räumen« und was ist das Neue an diesem Konzept? • Warum gibt es immer mehr irreguläre Migration und Beschäftigung? Nuscheler, Franz (2004 [2. Aufl.]): Internationale Migration. Flucht und Asyl. Wiesbaden Parnreiter, Christof (1999): Globalisierung, Binnenmigration und Megastädte der »Dritten Welt« - Theoretische Reflexionen. In: Husa, Karl/ Wohlschlägl, Helmut (Hrsg. 1999): Megastädte der Dritten Welt im Globalisierungsprozeß. Mexico City, Jakarta, Bombay - Vergleichende Fallstudien in ausgewählten Kulturkreisen. Wien, S. 17-58 5. Globalisierung und internationale Migration 174 Pries, Ludger (1996): Transnationale Soziale Räume. Theoretisch-empirische Skizze am Beispiel der Arbeitswanderungen Mexico-USA. In: Zeitschrift für Soziologie, Nr. 6, S. 456-472 Segal, Aaron (1993): An Atlas of International Migration. London u. a. O. 5.7 Fragen und Literaturempfehlungen 175 6. Migrationspolitik Aspekte europäischer Migrationspolitiken/ Aspekte europäischer Einbürgerungspolitiken/ Asyl- und Zuwanderungspolitik in Deutschland Die Veränderungen und Krisen im Migrations- und Fluchtgeschehen machen entsprechende Anpassungen der nationalen und internationalen Migrationsregime notwendig. Dieses zentrale Thema der politologischen Migrationsforschung kann hier nur in Grundzügen nachgezeichnet werden, wobei der Schwerpunkt auf der Situation in der Europäischen Union und in Deutschland sowie auf den Effekten des seit 2005 geltenden Zuwanderungsgesetzes liegt. Insbesondere wegen der sich sehr schnell ändernden Gesetzgebungen sei für dieses Thema weniger auf herkömmliche Publikationen verwiesen als auf das laufend überarbeitete und zum großen Teil über das Internet abrufbare Material der Europäischen Union, der Migrations- und Integrationsbeauftragten in Deutschland, verschiedener Ministerien sowie nicht staatlicher Informationsdienste (vgl. Kap. 7.3). 6.1 Aspekte europäischer Migrationspolitiken Seit der frühen Neuzeit gibt es Versuche der systematischen Regulierung von Wanderungen. Die Forschung befasst sich entsprechend damit, welche politischen Prämissen den Zugang oder den Ausschluss welcher Personengruppen in den jeweiligen Nationalstaat bestimmen, wonach sich die Verleihung von Bürgerrechten richtet und welche Kriterien für die Integration von Zuwanderern gelten. Im Rahmen des global vernetzten Arbeitsmarktes ist heute nahezu jeder Staat in das weltweite Migrationsgeschehen involviert, weshalb zum einen den internationalen Organisationen und ihren Mandaten immer mehr Gewicht zukommt, zum anderen die - reguläre wie irreguläre - Migration zunimmt. Damit werden die Mängel der Kontroll- und Steuerungsinstrumente deutlich, wie überhaupt die Globalisierung dem Nationalstaat und seinen Grenzen etwas von ihrer Bedeutung nimmt. Für den Nationalstaat und die Abgrenzung seines Staatsvolks ist aber die Kontrolle über die Grenzen essentiell. Nationalstaatsdenken bedingt insofern Migrationsrestriktionen, auch wenn diese im Zuge von supranationalen Abkommen wie der Europäischen Union oder der Notwendigkeit von »Gastarbeit« immer wieder abgeschwächt wurden und werden (Groenendijk/ Hampsink 1995). 177 Zwar soll es in der Europäischen Union dereinst eine gemeinsame Migrations- und Einwanderungspolitik geben (vgl. Geddes 2006), doch sind vor allem die Regelungen, die die EU-Grenzen betreffen, aufeinander abgestimmt. Allerdings gibt es schon gemeinsame Richtlinien zur Aufnahme von Flüchtlingen und zum Familiennachzug. Relevant sind in den einzelnen Ländern die unterschiedlichen Kolonial- und Einwanderungstraditionen und das jeweilige Staatsbürgerverständnis, vor deren Hintergrund die jeweiligen Migrationstore (vgl. Kap. 3.4) definiert werden und sich großräumige Migrationssysteme (vgl. Kap. 5.4) entwickelt haben. Diese überschneiden sich zum Teil, doch gibt es in den EU-Ländern deutlich unterscheidbare Zuwanderergruppen. Während in den ehemaligen europäischen Kolonialstaaten wie Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien oder Portugal die Zuwanderer zu einem sehr großen Anteil aus den ehemaligen Kolonien stammen, kamen in Nordeuropa die meisten Zuwanderer als »Gastarbeiter« oder als Flüchtlinge ins Land. Diese Personengruppen dominieren - neben den Aussiedlern - die Zuwanderung auch in der Bundesrepublik (vgl. Kap. 2.5; 3.4). Seit Jahren ist von der »Festung Europa« die Rede (vgl. Brochmann 1994; Milborn 2006), ein Diskurs, der die zunehmend restriktiven Einwanderungskontrollen im Kontext der Krise des Sozialstaats und wachsender Fremdenfeindlichkeit thematisiert. Der Hintergrund ist die bereits erwähnte Ambivalenz zwischen der Notwendigkeit, mit der Globalisierung mitzuhalten, und dem gleichzeitigen Bestreben, nicht die Kontrolle über die damit einhergehende Mobilisierung von Waren, Kapital und Menschen zu verlieren. War bis in die 1980er Jahre die Arbeit an gemeinsamen Regelungen in der Europäischen Union noch vernachlässigt worden, so änderte sich die Situation, als zu Ende des Jahrzehnts die Zuwanderung aus Osteuropa und aus den Bürgerkriegsgebieten Afrikas und Asiens drastisch anstieg. Wichtige migrationspolitische Maßnahmen sind die folgenden: • Im »Schengener Abkommen«, das 1985 entstand und seitdem erweitert wird, verzichten die EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands auf Kontrollen des Personenverkehrs an den Binnengrenzen. Im Laufe der 1990er Jahre wurde der freie Grenzverkehr zwischen immer mehr Staaten ermöglicht; auch Island und Norwegen, die nicht der EU angehören, haben das Schengener Abkommen ratifiziert und in Kraft gesetzt. Unterzeichnerstaat ist auch die Schweiz, wo voraussichtlich ab 2008 die Grenzkontrollen abgebaut werden. Die zehn neuen Beitrittsländer unterzeichneten das Abkommen 2004 im Rahmen der EU-Osterweiterung, doch der Entfall der Grenzkontrollen ist an die Inbetriebnahme des Personen- und Sachfahndungssystems (Schengener Informationssystem - SIS) sowie an den erfolgreichen Abschluss eines Evaluierungsverfahrens geknüpft. 6. Migrationspolitik 178 Während die Binnengrenzen offen sind, werden die EU-Außengrenzen zum Zwecke der Abwehr von Flüchtlingen und der Bekämpfung irregulärer Einwanderung verstärkt gesichert. Dazu gehört die Arbeit mit europaweiten sicherheitstechnischen Instrumenten. • Die verstärkte Kontrolle der EU-Außengrenzen wird unter anderem durch die »Dubliner Übereinkommen« (1997 und 2003) geregelt, die den zuständigen Staat für die Prüfung eines in der EU gestellten Asylantrags bestimmen. Dies ist in der Regel der Staat, in den der Asylbegehrende zuerst eingereist ist. Ziel ist einerseits, jedem Antragsteller die Durchführung eines Asylverfahrens zu garantieren, andererseits aber Mehrfachanträge zu verhindern. Dem notwendigen Informationsaustausch dient unter anderem das EURODAC-System zum europaweiten Vergleich von Fingerabdrücken von Asylbewerbern. Dieses Verfahren verschiebt das Problem der Zugangskontrolle auf die EU- Staaten an der Peripherie, die demgemäß ihre Grenzbefestigungen noch weiter Tab. 4: Asylanträge in europäischen und nicht europäischen Industriestaaten 2001 2002 2003 2004 2005 Veränderung 01-05 EU-15 394.990 393.450 309.340 241.000 212.590 - 46 % EU-25* 438.990 425.540 346.690 279.860 237.840 - 46 % Resteuropa und GUS** 53.420 56.200 50.080 32.210 25.370 - 535 Gesamt Europa 492.410 481.740 396.770 312.070 263.210 - 47 % Kanada/ USA 148.380 139.770 105.720 78.110 68.510 - 54 % Australien/ Neuseeland 13.970 6.860 5.140 3.780 3.560 - 75 % Japan/ Südkorea 390 290 430 580 780 +100 % Gesamt Nicht- Europa 162.740 146.920 111.290 82.470 72.850 - 55 % Gesamt 655.150 628.660 508.060 394.540 336.060 - 49 % * E 25 - die Europäische Union mit den zehn 2004 beigetretenen, vorwiegend ostmitteleuropäischen Staaten (»EU-Osterweiterung«) ** GUS - »Gemeinschaft Unabhängiger Staaten«, der Zusammenschluss aller sowjetischen Nachfolgestaaten außer den baltischen Republiken Nach: www.migration-info.de, Newsletter 3/ 2006 6.1 Aspekte europäischer Migrationspolitiken 179 verstärken müssen. Zudem sind sie am meisten von der irregulären Einreise betroffen, selbst wenn die Migranten danach weiterreisen. Als Folge dieser Abwehrmaßnahmen ist die Zahl der Asylanträge in der EU stark zurückgegangen (s. Tab. 4), was einerseits mit dem allgemeinen Trend in den entwickelten Industriestaaten des Nordens übereinstimmt, andererseits aber den Eindruck der »Festung Europa« verstärkt (Milborn 2006). 6.2 Aspekte europäischer Einbürgerungspolitiken Zu einem umfassenden Konzept der Migrationspolitik gehört aber mehr als nur die gemeinsame Abwehr von Asylbewerbern. Notwendig wären ein europäisches Einwanderungsgesetz, das die Asylverfahren entlasten und irreguläre Einwanderung reduzieren könnte, ein Bürgerrecht für alle in der EU lebenden Personen, ein einheitliches Antidiskriminierungsgesetz sowie Maßnahmen zur Integration und rechtlichen Gleichstellung (vgl. Beckmann 2001; Bach 2000; Gieler/ Fricke 2004). Auf Mittelmeerinseln wie Teneriffa oder Lampedusa, wo irreguläre Zuwanderer aus Afrika von Schleppern abgeladen werden, zeigt sich deutlich die Ambivalenz der europäischen Einwanderungspolitik. Während das Grenzkontrollsystem eigentlich die Abschiebung der Gestrandeten verlangt, erlaubt Spanien ihnen die Arbeitssuche innerhalb einer bestimmten Frist. Dies gelingt nur im informellen Sektor, in der Landwirtschaft etwa oder in Privathaushalten. Alle paar Jahre werden Hunderttausende von irregulären Zuwanderern in Spanien legalisiert, weil sie offenbar als Arbeitskräfte gebraucht werden; unter diesen Glücklichen sind allerdings weitaus weniger Zuwanderer aus Afrika als aus Lateinamerika. Dennoch werden die Mittelmeerländer der EU an ihrer Südgrenze ein gemeinsames Kontrollregime errichten, um gegen die irreguläre Zuwanderung aus Afrika vorzugehen. Angedacht sind auch Regelungen zur temporären Arbeitsmigration aus Afrika, doch sollen sich die Herkunftsländer dann bei den Rücknahmen irregulärer Zuwanderer kooperativ zeigen. Die Asyl- und Flüchtlingspolitik in Europa ist schon stärker vergemeinschaftet - und zwar in Richtung Verschärfung der früheren Gesetzgebung - als die Arbeitszuwanderung. Hier finden sehr vielfältige Zielsetzungen ganz unterschiedliche nationale Regelungen. In der Rückschau lässt sich keines dieser Regelungskonzepte als das einzig richtige bestimmen, denn Zuwanderung und Integration haben in vielen europäischen Ländern ganz gut funktioniert, so lange die wirt- 6. Migrationspolitik 180 schaftliche Gesamtsituation günstig war. Die schwindende Integration der Zuwanderer in den Arbeitsmarkt legt jedoch die Schwachstellen bloß: in Frankreich eine starke wohn- und sozialräumliche Segregation, die stigmatisierend wirkt; in den Niederlanden eine geringe Identifikation der Migranten mit dem Land und seinen kulturellen Möglichkeiten; in Deutschland eine signifikante Bildungsbenachteiligung von Migrantenkindern (vgl. Heitmeyer u. a. 1998; Harzig 2004; Sackmann 2005). Da in bestimmten Sektoren Arbeitskräfte gebraucht werden, diskutiert man in vielen europäischen Ländern die Modelle der klassischen Einwanderungsländer, etwa »Punktesysteme« in England oder den skandinavischen Ländern, wo qualifizierte Zuwanderer aktiv umworben werden. Großbritannien, Irland und Schweden sind auch die einzigen der alten EU-Länder, die ihre Arbeitsmärkte den neuen Beitrittsländern sofort nach 2004 geöffnet haben, was insbesondere Arbeitsmigranten aus Polen anzieht. Verschiedene Einbürgerungsregelungen So wie die Arbeitsmarktpolitik unterschiedliche Migrationspfade in die europäischen Länder weist, sind auch die Verfahren der Einbürgerung nicht einheitlich. Legal und dauerhaft in einem europäischen Land lebende Ausländer können grundsätzlich nach einer gewissen Zeit einen Antrag auf Einbürgerung stellen; die dabei zu erfüllenden Anforderungen erstrecken sich auf die Anerkennung der Rechtsordnung, die Fähigkeit zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts sowie die gesellschaftliche Integration mit den Indikatoren Sprachfertigkeiten und länderspezifische Kenntnisse. Wie dies überprüft werden soll, ist allerdings sehr unterschiedlich geregelt. Folgende Dimensionen können miteinander verglichen werden (vgl. »AiD« Karte, 3/ 2006): • Grundsätzlich wird man in Europa Staatsbürger eines Landes durch Abstammung, wenn also mindestens ein Elternteil die Staatsangehörigkeit des jeweiligen Landes besitzt (ius sanguinis), doch in Frankreich und Großbritannien gilt auch das ius soli, wodurch man per Geburt im Inland Staatsbürger wird. In Frankreich muss ein Elternteil im Land geboren sein, in Großbritannien ist die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung eines Elternteils Voraussetzung. Dieses Prinzip wird inzwischen auch in Deutschland für nach dem 1. Januar 2000 Geborene angewendet, wenn ein Elternteil sich bereits acht Jahre rechtmäßig im Land aufhält. • Für die zweite und dritte Generation sowie für Ehegatten von Inländern gelten sehr unterschiedliche Optionsmodelle mit dem Ziel, einerseits die Einbür- 6.2 Aspekte europäischer Einbürgerungspolitiken 181 gerung für Familien zu erleichtern, andererseits aber auch die Gefahr von Scheinverbindungen zum Zweck des Erhalts einer Aufenthaltserlaubnis zu vermindern. • Einbürgerungstests gibt es nur in den Niederlanden und in Schweden, doch Sprachtests mit einigen Fragen zur Landeskunde bzw. Nachweise von Sprachkenntnissen werden in Frankreich und in Großbritannien abverlangt. Sprachkenntnisse müssen auch in Deutschland nachgewiesen werden. Jüngst wurde die Einführung von Einbürgerungskursen beschlossen, deren Standards vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erarbeitet werden; die Länder entscheiden über die Art der Prüfung. • Doppelstaatsbürgerschaften sind möglich in Frankreich, in Großbritannien, in Schweden und in Polen; die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit bei Erwerb der neuen wird in der Regel in Deutschland, in den Niederlanden sowie in Italien und Spanien gefordert. 6.3 Asyl- und Zuwanderungspolitik in Deutschland Regelungen zu Asylsuche und Flucht Es war bereits mehrmals die Rede davon (vgl. Kap. 3.3; 5.2), dass Flucht oft nicht als solche anerkannt wird, weil rechtliche Einordnungen dies nicht zulassen. Andererseits werden laufend neue Fluchtgründe geschaffen, weshalb schon im 18. Jahrhundert, im Kontext von Aufständen, Revolutionen und Parteienbildungen, die ständig neue politische Flüchtlinge produzierten, die Verrechtlichung der Flüchtlingspolitik begann. Ein Flüchtlingstyp entstand aber erst mit dem Nationalstaat: der Angehörige einer nationalen Minderheit. Dieser wird nicht wegen einer Tat oder einer besonderen Gesinnung verfolgt, sondern nur aufgrund seiner Existenz bzw. aufgrund von Unterstellungen, die sich essential an diese Existenz knüpfen (Bade 2000: 209). Dies können Vermutungen über ungenügende Loyalität sein, Vorstellungen von unpassenden kulturellen und religiösen Bräuchen oder von falscher genetischer Ausstattung, die den »Volkskörper« verunreinigt. Deutschland hatte nach dem Zweiten Weltkrieg und den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus allen Grund, sich für die Verfolgten und Flüchtlinge jeder Art einzusetzen. Seit Jahrzehnten gibt es zwei Gesetzesarten, die die Rechte von Flüchtlingen betreffen: Zum einen sind es die Gesetze, die sich auf internationale Verträge 6. Migrationspolitik 182 wie die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention beziehen (früher das Ausländergesetz, heute das Zuwanderungsgesetz), zum anderen das Asylrecht, das im Grundgesetz festgehalten ist, was es - als einklagbares Recht - außer in Deutschland in keinem anderen Land gab oder gibt. Im Zuge der sehr starken Zunahme von Asylbewerbern seit Mitte der 1980er Jahre und der verstärkten Einreise von Aussiedlern und anderen Zuwanderern aus Osteuropa seit Beginn der 1990er Jahre kam es zu einer ganzen Reihe von Veränderungen. Vorrangiges Ziel war es, den möglichen Missbrauch von Zuwanderungsrechten zu verhindern, wobei wirklich Verfolgten weiterhin Zuflucht gewährt werden sollte. So wurde 1990 ein neues Ausländergesetz in Kraft gesetzt, das sehr differenzierte Aufenthaltsregelungen einführte. Doch die eingreifendste Veränderung erfolgte durch den sogenannten Asylkompromiss, mit dem sich die CDU/ CSU-Regierung und Teile der SPD- und FDP-Opposition auf eine Grundgesetzänderung einigten. Seit 1993 gelten neben dem Artikel 16a, Abs. 1 des Grundgesetzes (»Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.«) weitere Absätze, mit denen der Zugang zu diesem Recht ausschlossen wird. Dies betrifft Personen, die aus einem Land der Europäischen Union, einem anderen Drittstaat (damals z. B. Polen oder Tschechien) oder aus einem Herkunftsstaat einreisen, wo die Anwendung von Menschenrechten und Grundfreiheiten als gesichert gilt. Da alle an Deutschland angrenzenden Länder als »sicher« gelten, können nur noch diejenigen politisches Asyl erhalten, die auf dem - ebenfalls strenger als bisher bewachten - Luft- oder Seeweg einreisen, zumal bereits seit 1980 die Antragstellung in deutschen Botschaften nicht mehr möglich ist. Personen, die zwar eine Bedrohung im Herkunftsland glaubhaft machen, aber den Verdacht der Einreise über einen sicheren Drittstaat nicht ausräumen können, erhalten seitdem das sogenannte »kleine Asyl«, genießen also Abschiebeschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention und gelten als »Konventionsflüchtlinge«. Aus dem jeweiligen Status ergaben sich unterschiedliche Regelungen zu Aufenthalt und Arbeitsaufnahme, was erst mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 vereinheitlicht wurde. In der Folge ging die Zahl der Asylanträge tatsächlich sehr stark zurück: 1992 war mit 438.000 Anträgen der Höchststand erreicht gewesen, doch schon 1995 betrug die Zahl nur noch knapp 128.000; von Januar bis Oktober 2006 beantragten 17.690 Personen in Deutschland Asyl, was gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr (24.130 Personen) einen Rückgang um 26,7 Prozent bedeutet (www.bmi.bund.de/ 15.11.2006, s. a. Abb. 8). 6.3 Asyl- und Zuwanderungspolitik in Deutschland 183 Abb. 8: Asylanträge in Deutschland (inkl. Erst- und Folgeanträge), 1995 bis 2005 95 98 96 97 99 00 01 02 03 04 05 20.000 40.000 60.000 80.000 100.000 120.000 140.000 160.000 Gesamt Erstanträge Folgeanträge Aus: www.migration-info.de, Newsletter 2/ 2006 Die Anerkennungsquoten gingen ebenfalls sehr stark zurück. Waren zu Beginn der 1970er Jahren noch ca. 75 Prozent aller Anträge positiv beschieden worden, so waren es im Jahr 2001 lediglich etwa vier Prozent und in den Jahren 2003 und 2004 nur noch 1,6 bzw. 1,5 Prozent. Im Jahr 2005 waren es 0,9, in den Monaten Januar bis November 2006 0,8 Prozent (www.bamf.de/ Teilstatistik »Aktuelle Zahlen zu Asyl«/ 11.12.2006). Die Quote erhöht sich allerdings bei Berücksichtigung der auf dem Klageweg anerkannten Fälle; zudem kann die Ablehnung nach wie vor zur - befristeten - Gewährung eines Abschiebeschutz bzw. zur Feststellung eines Abschiebehindernisses, also zur Anerkennung der betreffenden Person als Konventionsflüchtling führen. 6. Migrationspolitik 184 Spätaussiedler Ebenfalls stark zurück ging der Zuzug von Spätaussiedlern, der inzwischen fast ausschließlich aus den sowjetischen Nachfolgestaaten (Russische Föderation, Kasachstan, Ukraine) erfolgt (s. Abb. 9). Abb. 9: Spätaussiedlerzuzug (inkl. Familienangehörige), 1996 bis 2005 98 96 97 99 00 01 02 03 04 05 20.000 40.000 60.000 80.000 100.000 120.000 140.000 180.000 (Spät-)Aussiedler (Zuzug) Aufnahmeanträge 160.000 0 Aus: www.migration-info.de, Newsletter 2/ 2006 Von 1989 bis Ende 2000 wurden ca. 2,5 Millionen (Spät-)Aussiedler in der Bundesrepublik aufgenommen (vgl. Kap. 3.4). Auch bei dieser Personengruppe kommt der in Abbildung 9 sichtbare kontinuierliche Rückgang vor allem durch die Erschwerung des Anerkennungsverfahrens zustande. Viele Antragsteller erfüllen die sprachlichen Mindestanforderungen nicht mehr und können daher nur noch Aufnahme finden, wenn sie als Ehepartner, Kinder oder Enkel eines Spätaussiedlers in dessen Aufnahmebescheid einbezogen werden. Die Familienzusammenführung scheint aber bereits zu einem erheblichen Teil abgeschlossen zu sein. So 6.3 Asyl- und Zuwanderungspolitik in Deutschland 185 wurden im Jahr 2004 noch 59.093 und 2005 nur noch 35.522 Personen (inklusive Familienangehörige) in der Bundesrepublik aufgenommen (migration-info 2/ 2006). Das Zuwanderungsgesetz Die Kritik an der zunehmenden Restriktion der Zuwanderung nach Deutschland durchzieht die Literatur seit dem Beginn der 1990er Jahre (vgl. u. a. Blaschke 1997; Alt/ Cyrus 2002; Banse/ Stobbe 2004; Bade u. a. 2004), und auch für die Politik trat die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung der Zuwanderung immer deutlicher zutage. Nach jahrelangem politischen und juristischen Streit trat am 1. Januar 2005 das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (»Zuwanderungsgesetz«) in Kraft, dessen erster Artikel, das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (»Aufenthaltsgesetz«), das bisherige Ausländergesetz ersetzt. Weitere Bestandteile sind das Freizügigkeitsgesetz innerhalb der EU sowie Änderungen des Asylverfahrens und des Asylbewerberleistungsgesetzes. Wichtige Punkte sind: • die Abschaffung der differenzierten Aufenthaltsgenehmigungen zugunsten zweier Aufenthaltstitel: die Niederlassungssowie die Aufenthaltserlaubnis. Während erstere unbefristet und unabhängig vom Zweck des Aufenthalts gilt, ist die zweite befristet und wird nur in Abhängigkeit von einem Aufenthaltszweck erteilt; • eine Verschärfung der Ausweisungstatbestände im Zuge der Antiterrorgesetzgebung, was auch Schleuserkriminalität umfasst; • die Einführung von »Integrationskursen«, deren Besuch teilweise verpflichtend ist; • die Schaffung gesetzlicher Grundlagen zur Einführung von Härtefallkommissionen auf Länderebene, in denen dringende humanitäre oder persönliche Gründe für die weitere Anwesenheit eines Ausländers im Bundesgebiet festgestellt werden können; • im Aufenthaltsgesetz werden die Erweiterungen der humanitären Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention bezüglich der Anerkennung geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung übernommen. Bereits im Juli 2006 zog das Bundesinnenministerium eine positive Zwischenbilanz, da Zuwanderung und Integration nun auf einer gemeinsamen rechtlichen Grundlage erfolgen könnten (migration-info 7/ 2006). Die Ergebnisse der Evaluation und die Schlussfolgerungen daraus werden aber von vielen gesellschaftlichen 6. Migrationspolitik 186 Kräften, etwa den Kirchen, scharf kritisiert; auch die Bewertung auf der Basis von Forschung steht noch aus. Das Zuwanderungsgesetz wird sich nicht zuletzt an zwei soziologisch wichtigen Aspekten messen lassen müssen: Zum einen daran, ob es Flüchtlingspolitik und Arbeitsmigration unter menschenrechtlichen und sozialen Gesichtspunkten aufeinander beziehen kann und nicht gegeneinander (und zum Nachteil von Flüchtlingen) ausspielt, zum anderen daran, welche Integrationschancen es den bisher zugewanderten Menschen eröffnet. Hinsichtlich des ersten Aspekts ist daran zu erinnern, dass sich - Stichwort brain drain - die Abwanderung von gut ausgebildeten Personen, nach denen in den reichen und alternden Gesellschaften große Nachfrage herrscht, auf die Herkunftsgesellschaften oft katastrophal auswirkt. Für Ingenieure, Krankenschwestern und Ärzte werden oft großzügige Regelungen bezüglich Zuwanderung, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sowie Bleiberecht geschaffen, während sie in ihren Herkunftsländern, wo sie teuer ausgebildet wurden, fehlen. Laut dem Weltbevölkerungsbericht von 2006 arbeiten im englischen Manchester derzeit mehr malawische Ärzte als in Malawi selbst, und von den 600 Ärzten, die seit der Unabhängigkeit 1964 in Sambia ausgebildet wurden, praktizieren nur 50 im eigenen Land (Deutsche Stiftung Weltbevölkerung 9/ 2006). Auch in Deutschland gibt es den mehr oder weniger heimlichen Wettbewerb um die am besten ausgebildeten Arbeitskräfte aus dem Ausland, wie die sogenannte green card-Aktion für Fachkräfte aus dem Bereich der Informationstechnologie belegt (migration-info 1,2/ 2002). Zwar scheinen die meisten gut ausgebildeten Migranten nicht nach Europa zu gehen, sondern nach Nordamerika oder Australien, weil die Bedingungen dort vor allem hinsichtlich eines Daueraufenthalts und des Familiennachzugs besser sind, doch neigt sich das derzeitige Verhältnis zwischen Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen auf der einen Seite und der Zuwanderung von regulären und irregulären, aber gebrauchten Arbeitsmigranten auf der anderen Seite zugunsten der Letzteren (Cyrus 2000; 2001; Dietz 2002; vgl. auch Sterbling 2005). Bezüglich des zweiten Punkts, der Integrationschancen für bereits Zugewanderte, lässt sich viel daran ablesen, wie die Einbürgerung geregelt wird und wie viele Zuwanderer sich für eine Einbürgerung entscheiden. Der Staatsbürgerstatus beinhaltet den Zugang zu wichtigen sozialen, ökonomischen und politischen Rechten und ist somit ein entscheidender, Integration fördernder Aspekt (Bauböck 1994; Breyer 2004; Roß 2004). In dieser Hinsicht hat das neue Staatsangehörigkeitsgesetz, das im Jahr 2000 in Kraft trat, einige Weichen gestellt, beispielsweise eine Erweiterung des bisher geltenden ius sanguinis um ein Element des ius soli. Für Kinder gilt fortan, dass sie die Staatsbürgerschaft mit der Geburt erwerben, wenn ein Elternteil sich bereits 6.3 Asyl- und Zuwanderungspolitik in Deutschland 187 acht Jahre rechtmäßig im Land aufhält. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Optionsmodell, bei dem bis zur Volljährigkeit eine doppelte Staatsbürgerschaft besteht und sich die Person dann in der Regel bis zum 23. Lebensjahr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden muss. Als das neue Gesetz in Kraft trat, wurden fast 200.000 Personen eingebürgert; danach gingen die Zahlen aber kontinuierlich zurück. Im Jahr 2004 waren es weniger als 130.000 Personen (s. a. Abb. 10). Abb. 10: Einbürgerungen in Deutschland, 1974 bis 2004 2004 30.000 50.000 70.000 90.000 110.000 130.000 150.000 190.000 170.000 10.000 2002 2000 1998 1996 1994 1992 1990 1988 1986 1984 1982 1980 1978 1976 1974 Aus: www.migration-info.de, Newletter 7/ 2005 Die höchste Neigung zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zeigen Zuwanderer aus der Türkei, Polen und dem Iran. Die Rückläufigkeit der Einbür- 6. Migrationspolitik 188 gerungen wird zum einen damit erklärt, dass doppelte Staatsbürgerschaften vermieden werden sollen, zum anderen mit einem gewissen »Sättigungseffekt« vor allem bei türkischen Migranten. Hier gibt es allerdings noch einigen Forschungsbedarf, denn Ende 2004 erfüllten immerhin 4,5 Millionen bzw. 67 Prozent der in Deutschland lebenden Zuwanderer die für eine Einbürgerung notwendige Aufenthaltsdauer von acht Jahren. Das rein quantitative Einbürgerungspotenzial ist somit wesentlich größer als die Zahl der tatsächlich erfolgten Einbürgerungen (migration-info 7/ 2005). 6.4 Fragen und Literaturempfehlungen • Was versteht man unter dem Begriff »Festung Europa« und warum ist er entstanden? • Welche Unterschiede gibt es in Europa bezüglich der Einbürgerungsregelungen? • Welche Kriterien können bei der Beurteilung des neuen bundesdeutschen Zuwanderungsgesetzes von 2005 herangezogen werden? 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New York 7.2 Zeitschriften und Berichte Die Zeitschriften und Berichte sind zum Teil elektronisch verfügbar AiD (Institut für Entwicklungsforschung, Wirtschafts- und Sozialplanung, Saarbrücken) American Journal of Sociology (University of Chicago Press) Aus Politik und Zeitgeschichte (Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn) Bibliographische Informationen zu Ethnizität & Migration (Berliner Institut für Vergleichende Sozialforschung) Continuous reporting system on migration (Organisation for Economic Co-operation and Development) Flüchtlinge (deutsche Sonderausgaben von »Refugees«/ UNHCR, Genf ) IMIS-Beiträge (Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, Osnabrück) Industry and labour (International Labour Office) Informationsbrief Ausländerrecht - Datenbank zum Ausländer- und Asylverfahrensrecht (Frankfurt/ Main) Interkulturelle Pädagogik (Literatur zu Migration - Universität Münster) International Migration (IOM - International Organisation for Migration, Oxford u. a. O.) International migration report (United Nations/ Dept. of Economic and Social Affairs/ Population Division) International Migration Review (IMR - Center for Migration Studies of New York) Internationale Migrationstrends (Organisation for Economic Co-operation and Development) 7. Serviceteil 216 Journal für Entwicklungspolitik (Mattersburger Kreis für Entwicklungspolitik an den Österreichischen Universitäten) Migration - A European Journal of International Migration and Ethnic Relations (EMZ - Europäisches Migrtionszentrum, Berlin) migration-info (Newsletter »Migration und Bevölkerung«) Migration in the CIS (Technical Cooperation Centre for Europe and Central Asia, Wien) Migration news (International Catholic Migration Commission) Migrationsbericht (Der Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration) New community (European Centre for Regional and Ethnic Studies/ Universität Warwick) Pogrom - Zeitschrift der Gesellschaft für bedrohte Völker (Göttingen) Population and Development Review (Population Council, Malden, Mass.) Refugees (UNHCR, Genf ) REMP bulletin (Intergovernmental Committee for European Migration/ Research Group for European Migration Problems) Tätigkeitsbericht des Integrationsbeauftragten (Der Beauftragte für Integration und Migration, Berlin) World migration report (IOM - International Organization for Migration) Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (Baden-Baden) 7.3 Internet-Ressourcen Forschungsinstitutionen, Statistiken, Ausstellungen, Presseerklärungen, Beobachtungsstellen Aktion Courage e. V. - SOS Rassismus: www.aktioncourage.org Aktion Sühnezeichen/ Friedensdienste: www.asf-ev.de Aktueller Informationsdienst zu Fragen der Migration und Integrationsarbeit »AiD« (früher »Ausländer in Deutschland«) mit Datenbank Mobilität und Integration: http: / / www.isoplan.de/ aid Amnesty International: www.amnesty.de Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften: www.eds-destatis.de Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften: http: / / eur-lex.europa.eu/ JOIndex.do? ihmlang=de Antirassistisch-Interkulturelles Informationszentrum ARIC Berlin e. V.: wwww.aric.de Arbeiterwohlfahrt-Bundesverband: www.awo.org Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin e. V.: www.med.uni-muenchen.de Arbeitsgemeinschaft gegen internationale, sexuelle und rassistische Ausbeutung AGRISA e.V: www.stadt-frankfurt.de 7.3 Internet-Ressourcen 217 Aussiedlerbeauftragter: www.aussiedlerbeauftragter.de Behandlungszentrum für Folteropfer e. V.: www.bzfo.de Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung: www.b.shuttle.de Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit: http: / / www.datenschutzberlin.de Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): http: / / www.bamf.de Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit e. V.: www.jugendmigrationsdienste.de Bundesausländerbeirat: www.agah-hessen.de Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit: www.bfdi.bund.de Bundesgesetzblatt im Internet: www.bundesgesetzblatt.de Bundesministerium des Innern (Pressemitteilungen, Nachrichten, Publikationen, Gesetze und Verordnungen: http: / / www.bmi.bund.de bzw.: www.zuwanderung.de Bundeszentrale für politische Bildung: www.bpb.de(/ migration) Center on Migration, Citizenship and Development: www.comcad-bremen.de Centrum für internationale Migration und Entwicklung CIM: www.cimffm.de Deutscher Caritasverband: www.caritas.de Deutscher Gewerkschaftsbund, Referat Migrationspolitik: www.dgb.de DGB Bildungswerk e. V./ Bereich Migration & Qualifizierung: www.migration-online.de djo-Deutsche Jugend in Europa: www.djo.de Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur der Bibliothek für Zeitgeschichte: www.wlb-stuttgart.de Dokumentations- und Informationszentrum für Rassismusforschung DIR e. V.: : www.dirinfo.de bzw.: www.infolinks.de DOMiT - Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e. V.: www.domit.de Entwicklungspolitik Online (epo): www.epo.de European Commission against Racism and Intolerance (ECRI): Internet: www.ecri.coe.int Europäische Kommission (Presseerklärungen, Statistiken etc.): www.eurostat.de Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit: www.eumc.at Europäisches Forum für Migrationsstudien (efms), Universität Bamberg: http: / / web.unibamberg.de/ ~ba6ef3/ ins_d.htm Europäisches Migrationszentrum (emz): www.emz-berlin.de Exil-Club - ein Internetangebot zum Thema Exil, Fremdsein und Migration: www.exilclub.de/ dyn/ 411.asp? Fachportal zum Ausländerrecht: http: / / www.migrationsrecht.net Flüchtlingsrat Berlin: www.fluechtlingsrat-berlin.de Forschungsgesellschaft Flucht und Migration FFM: www.ffm-berlin.de Forschungsstelle für Interkulturelle Studien FiSt, Universität Köln: www.uni-koeln.de Forschungszentrum für internationales und europäisches Ausländer- und Asylrecht: migration.uni-konstanz.de forum interkultur: www.forum-interkultur.net 7. Serviceteil 218 Gesetze im Internet: http: / / www.rechtliches.de bzw.: http: / / www.gesetze-im-internet.de Haus der Kulturen der Welt mit Angebot interkultureller Projekte: www.hkw.de Heinrich-Böll-Stiftung/ Referat Migration & Interkulturelle Demokratie: www.migrationboell.de Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart: www.akademie-rs.de Informationen des Auswärtigen Amtes: http: / / www.auswaertiges-amt.de Informationen des Bundesinnenministeriums: www.bmi.bund.de Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. (IDA): www.IDAeV.de Informations- und Kommunikationsplattform der Schulen im Agenda-Prozess: http: / / www.learnline.de/ angebote Informations- und Unterstützungsgruppe von Immigranten: www.gisti.org/ bienvenue/ index.de.html Informationsverbund Asyl/ ZDWF e. V.: www.asyl.net Institut für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik IBS, Universität Bielefeld: www.ibs.uni-bielefeld.de Institut für Interkulturelle Bildung, Universität Koblenz-Landau, Abt. Landau: www.iku.uni-landau.de Institut für Interkulturelle Kommunikation IIK e. V.: www.iik.com Integrationsbeauftragter: www.integrationsbeauftragte.de Interkultureller Rat in Deutschland e. V.: www.interkultureller-rat.de International Organisation for Migration: www.iom.int Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS): www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de Kritisches zu Migration: www.focus-migration.de Kulturen in Bewegung - Dossier des Goethe-Instituts: www.goethe.de/ kug/ ges/ pok/ prj/ mig/ deindex.htm Landeszentrum für Zuwanderung Nordrhein-Westfalen LZZ: www.lzz-nrw.de Leitstelle Zusammenleben in Offenbach: www.zusammenleben-zio.de Migration Policy Group/ Starting Line Group: www.fhit.org/ mpg Migrationsmuseum Köln: www.migrationsmuseum.de Migrationsrat Berlin-Brandenburg: migrationsrat.de MOZAIK - Gesellschaft für interkulturelle Bildungs- und Beratungsangebote: www.mozaik.de Netzwerk Migration in Europa e. V. (mit Bundeszentrale für Politische Bildung [bpb]/ Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut (HWWI): www.migration-info.de Newsletters Migration und Bevölkerung: www.migration-info.de Owl-Interkulturell - Magazin für Ausbildung, Qualifizierung und Integration: www.owlinterkulturell.de Pro Asyl: www.proasyl.de Publicata - Verein zur Förderung der Öffentlichkeitsarbeit in der Ausländer- und Entwicklungshilfepolitik e. V.: www.publica.org 7.3 Internet-Ressourcen 219 Refugio München: www.refugio-muenchen.de Refugio Kunstwerkstatt in München: www.grenzenlos-frei.de Regionale Arbeitsstelle zur Förderung ausländischer Kinder und Jugendlicher RAA: www.Hagen.de Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst REMID e. V.: www.remid.de Roma und Sinti Union Hamburg: www.romnews.com Statistisches Bundesamt Deutschland: www.statistik-bund.de bzw.: www.destatis.de Terre des Femmes: www.terre-des-femmes.de Terre des Hommes: www.tdh.de UNHCR/ UN-Flüchtlingskommissariat (auf einen Blick): www.unhcr.de UNITED for intercultural action. European Network against nationalism, racism, fascism and in support of migrants and refugees: www.xs4all.nl/ ~united bzw.: www.united.nonprofit.nl Verband binationaler Familien und Partnerschaften IAF e. V.: www.verband-binationaler.de VIA e. V. Verband für interkulturelle Arbeit: www.via-bundesverband.de Verein für Friedenspädagogik Tübingen e. V.: www.friedenspaedagogik.de Wegweiser Bürgergesellschaft/ Stiftung MITARBEIT: www.wegweiser-buergergesellschaft.de Zentrum für Antisemitismusforschung: www.zrz.tu-berlin.de Zentrum für Türkeistudien (ZfT): www.uni-essen.de 7. Serviceteil 220 Sachregister A Absorption 102-103 affirmative action 106 Afrika 12, 33, 52, 54, 63, 75, 148, 153 Akkomodation 95 Akkulturation 94, 110 Anerkennungsquote 83-84 anglo-conformity 95 Antidiskriminierungsgesetz 180 Antidiskriminierungspolitik 109 Antisemitismus 48, 134 Antiterrorgesetzgebung 186 Anwerbestopp 39, 82, 110, 127-128 Anwerbestoppausnahme-Verordnung 83 Asien 51, 54, 75, 94, 106, 118, 153 Assimilation 93, 101, 103, 105, 107, 109-110, 112 - Assimilationsphasen 111 - Formen partieller Assimilation 101, 103, 105, 107 - Klassische Assimilationsmodelle 93 - Sequenz- und Zyklenmodelle 95 Asylbewerber 103, 129, 170 Asylkompromiss 83, 183 Asylpolitik 27 Asylrecht 79-80, 183 Asylsuchende 75, 84 Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis 187 Aufenthaltserlaubnis 139, 182, 186 Aufenthaltsgesetz 186 Aufenthaltstitel 170-171, 186 Ausbeutung 39-40, 53, 124, 172-173 Ausländer 21, 50, 57, 82, 84, 128 Ausländergesetz 128, 183, 186 Aussiedler 22, 62, 81, 84, 103, 109, 129, 185 Australien 31, 51, 80, 107, 118, 179 B Billiglohn-Sektor 117 Binnenintegration 123, 131, 140 Binnenmigration 17, 65, 73 Binnenwanderung 167-168 Blockstaaten 64, 82 brain drain 187 Bürgerrechtsbewegungen 105 C core culture 95 D Dekolonisierung 148 Desintegration 132, 153 Diasporas 119, 160 Dienstleistungsgesellschaften 144, 156 Diskriminierung 21, 40, 58, 106, 116, 120, 129, 134-135, 137, 139, 146 displaced persons 62, 75, 78 displacement 69, 78 Doppelstaatsbürgerschaften 182 Dritte Welt 35, 144, 148 dual labor market 116-117 Dubliner Übereinkommen 179 E Einbürgerung 22, 109, 128, 132, 181, 187 Einbürgerungsregelungen 181 Eingliederung 48, 93, 108, 110, 131, 173 Einschleusung 171 Einwanderungsland 24, 52, 84, 104, 106, 123, 126, 130 Einwanderungsländer 31, 43, 51-53, 64, 77, 80, 181 Enklavenwirtschaften 124 Entsendegesetz 118 Entwicklungshilfe 33, 153 Erwerbsmigration 47, 49 ethclass 117 ethnic business 27, 120 Ethnisch geteilte Arbeitsmärkte 116 ethnische Abgrenzung 118 ethnische Arbeitsteilung 117 ethnische Gemeinden 41, 119, 157, 163 ethnische Unterschichtung 117-118 ethnische Zugehörigkeit 21, 56, 58 ethnisches Gewerbe 124 Ethnisierung 21, 106, 114-115, 117, 119, 142, 161 Ethnisierungsprozesse 115, 137 Ethnizität 25, 58, 97-101, 115, 133 Ethnologie 25 Ethnozentrismus 118 EU-Außengrenzen 179 EU-Grenzen 178 EU-Osterweiterung 86, 178-179 Exotisierung 138 F Familienverband 40, 66, 114, 154, 156, 168 Familienzusammenführung 62, 140, 185 Feminisierung der Migration 39 Fernwanderungen 51, 65, 71 Festung Europa 169, 178, 180 Flucht 13, 20, 27, 63, 65-66, 76, 148, 157, 182 - Binnenflucht 69, 78 - erzwungene Migration 65, 67, 159 - Exil 11, 61 - Fluchtmigration 69, 73, 75-78, 152 - Genfer Flüchtlingskonvention 150 - geschlechtsspezifische Fluchtgründe 152 - Glaubensflucht 47 - Massenflucht 76, 159 Flüchtlinge 12, 22, 48, 61, 74-75, 77-78, 81, 121, 147, 150, 159, 169, 182 - Armutsflüchtlinge 153 - Binnenflüchtlinge 74, 76, 78, 152 221 - Bürgerkriegsflüchtlinge 129, 132, 170 - De-facto-Flüchtlinge 83 - Kontingentflüchtlinge 103 - Konventionsflüchtlinge 83, 151, 183 Flüchtlingslager 69, 152 Flüchtlingsstatus 79 Fluchtursachen 150-151 Folklorisierung von Kulturen 136 Freiwilligkeit 86, 173 Freizügigkeit 89 Fremdenfeindlichkeit 129, 178 Fundamentalismus 28, 135-136, 139 G Gastarbeit, Anwerbung 77, 81, 109, 118, 127, 172 gates of migration 72, 79 Genfer Flüchtlingskonvention 13, 78, 183, 186 gewanderte Arbeit 119, 154, 156 Ghettoisierung 119 Gleichstellung der Bürger 132 global cities 165-167 Globalisierung 27, 30, 101, 143, 153, 156, 162, 164, 177 Globalisierungsprozesse 89, 151, 156 green card 187 Grenzregime 86, 101 H halfies 138 Härtefallkommissionen 186 Herkunftskultur 94, 103, 138, 140 Hochkultur 59 Holocaust 62 Homogenisierung 55, 58, 145, 149 hybrids 138 I Identitätsbildung 41, 93, 101 Illegalität 32, 170 Industrialisierung 37, 40, 43, 45-46, 49, 64, 67, 76 institutional completeness 123 Integrationspolitik 24, 44, 109 Integrationsprogramme 106, 109 Integrationsprozesse 25, 108, 114, 165 Integrationsziele 108 Intellektuellenwanderung 164 Interkontinentalwanderung 50 International Labour Organization 77 internationale Sexindustrie 171 Irreguläre Migranten 170 Islamismus 122, 135 Islamophobie 134 Israel 42, 62, 102-103, 147-148, 159 ius sanguinis 56, 181, 187 ius soli 56, 109, 181, 187 J Jahrhundert der Flüchtlinge 12, 64 Jugoslawien 23, 57, 81, 83, 97, 146, 150 K Kanada 31, 50-51, 80, 96, 106, 179 Kettenmigration 66, 68, 91 Kettenwanderung 120, 162 Kinderarbeit 172 kleine Kriege 149 koloniale Expansion 52 Kolonisierung 51 Konflikt- und Präventionsforschung 76 Kontinentalwanderungen 47 Kontingentflüchtlingsgesetz 83 Kontrollregime 180 Konzentrationslager 60 Kriminalisierung von Irregularität 170 Kulturanthropologie 25 Kulturkontakt 100, 136 Kulturmerkmale 112 Kulturnation 57 Kulturpluralismus (cultural pluralism) 105 kumulative Benachteiligung 130 L Land-Stadt-Wanderungen 65 Landflucht 45-46, 70 Leitkultur 114 Lohndifferenzen 32, 34, 72, 89-90 M Massenmigration 66 Megastädte 166-167 Mehrfachidentitäten 114, 165 Mehrheitsgesellschaft 94, 105, 124, 137 melting pot 51, 95, 105, 108 Menschen mit Migrationshintergrund 22, 84, 125, 127, 129, 131, 133, 135, 137, 139, 141 Menschenhandel 70, 149, 171-172 Menschenrechts- und Hilfsorganisationen 150, 170-171 Menschenrechtsorganisationen 84 Migrantengemeinden 25, 120-123 Migrationsentscheidungen 33-34, 39, 69, 71, 73, 112 Migrationsforschung 29, 37, 132, 134, 153, 162, 177 - Aspekte konstruktivistischer Ethnizitätstheorien 100 - Aspekte qualitativer Methoden 23 - Aspekte quantitativer Sozialforschung 22 - Ausländerforschung 22, 110 - Chicago School 20, 70, 94, 120, 162 - community-Forschung 119, 123 - Definitionen von Migration 16 - Deprivationsansätze 90 - Diskriminierungsforschung 133-134 - empirische soziologische Forschung 19 - Essentialistische Ansätze 98 - Ethnizitätstheorien 115 - Ethnologie 113 - Fokussierung auf moderne Gesellschaften 31 - Gastarbeiterforschung 110, 130 Sachregister 222 - Integrations- und Ethnizitätsforschung 93-94, 96, 98, 100, 102, 104, 106, 108, 110, 112, 114, 116, 118, 120, 122, 124, 126, 128, 130, 132, 134, 136, 138, 140, 142 - Kategorien der Sozialforschung 21 - Kausalmodelle 112, 114 - Kulturanthropologie 113 - Migration und Gender 38-39, 41 - Migrationstheorie 29, 86-87, 90-91 - Migrationstypologien 65 - Modell 15-16, 88-89, 94, 125 - Motivforschung 65, 69 - Politikwissenschaft 27 - Sozialgeschichte 113 - Soziologie 30, 41, 86, 113, 150 - Stadtsoziologie 20 - Theorie 26, 28-31, 33, 35, 37, 87-91, 99, 112, 116 - Verhältnis von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden 24 Migrationsgesetze 41, 71 Migrationskonfiguration 68 Migrationskosten 91, 162 Migrationsmuster 19, 49, 114 Migrationsnetzwerke 162 Migrationspfade 181 Migrationspolitik 66, 72, 81, 122, 177-178, 180, 182, 184, 186, 188 Migrationsregime 28, 158, 164, 177 Migrationssaldo 83 Migrationstore 65, 72, 79, 85, 109, 154, 178 Migrationsverlauf 71, 110 Militarisierung 151 Minderheit 21, 61, 96, 107, 133-134, 150, 182 Mobilität 11, 16-17, 23, 36, 46, 89, 112, 147, 151, 153, 169 Modernisierung 30, 33, 35-37, 40, 115, 140, 154-155 Modernisierungstheorien 34-35, 96 Multikulturalismus 27, 52, 80, 106-108, 141 N Nachzug von Familienangehörigen 82 Nationalismus 56, 59, 146 Nationalität 59, 66, 78 Nationalitätenpolitik 59, 145 Nationalitätenvermerk 146 Nationalstaatsbildung 22, 44, 55, 106, 144-145, 149 Neo-Tribalismus 148 Netzwerkbildung 120, 125 Netzwerke 73, 91, 119, 121, 158, 168 New Economics of Migration 153-154, 156 Niederlassung 65, 86, 110, 163 O Optionsmodell 188 Osteuropa 48, 57, 61, 81, 103, 125, 144, 153, 160 P Palermo-Protokoll 172 Parallelgesellschaft 123 Pendelmigranten 161 Pendelmigration 17, 24, 65-67 Pionierwanderung 38, 70 PISA 28, 86, 113, 130 Polylokalität 163, 165 primärer Arbeitsmarkt 116 Prostitution 38, 61, 173 Push- und Pull-Modelle 70-72, 93, 117 R Radikalisierung 124, 139 Rasse 40-41, 66, 78, 133 Rassenideologie 60 Rassismus 108-109, 116, 133, 141 Rechtsextremismus 134 Redemptioner-System 51 Religion 57, 66, 78, 97, 122, 135 Religionszugehörigkeit 135 Religiöser Extremismus 135 Remittenden 154, 168 Resozialisation 102, 111 Retraditionalisierung 140-141 Roma und Sinti 60 Rotation 126, 160 Rotationsprinzip 82 Rückkehrer 75, 128 Rücküberweisungen 72, 156 Russland 47, 56, 61, 104, 161-162 S Saisonarbeiter 67, 83 Schengener Abkommen 178 Schuldknechtschaft 51, 54, 172 Schwellenländer 144 Segregation 44, 105, 119-120, 123, 160, 165, 181 Selbst- und Fremdwahrnehmung 114 Selbst- und Fremdzuschreibungen 136 Selbstorganisation 119, 121 Sexarbeit 172-174 Sexismus 134 Siedlungswanderung 47 Sklaverei 53-54, 172-173 Sowjetunion 61-63, 81-82, 84, 102, 104, 146, 160 Spätaussiedler 82, 84, 103-105, 129, 185 split labor market 116 Spracherwerb 112-113 Staatenlose 75 Staatsangehörigkeit 22, 56, 75, 78, 103, 165, 181-182 Staatsangehörigkeitsgesetz 57, 187 Staatsbürgerschaft 56 Strukturmerkmale 112 Symbolformationen 100, 120 T Territorialprinzip 109 Titularnation 161 Transaktionskosten 120 Transmigranten 164 Transnationale soziale Räume 163 U Überlegenheitsideologien 133 Übersiedler 63, 81, 83 Umsiedler 61 Unabhängigkeitsbewegungen 146 Sachregister 223 UNHCR 66, 75, 77-78, 159 Urbanisierung 37, 43-44, 64, 70, 76 USA 31, 37, 39, 50, 53-54, 63, 80, 95, 124, 135, 139, 155, 161, 169, 179 V Verfolgung 64, 66, 75, 77-78, 96, 186 Verschleppung 14, 65, 76, 78, 161 Versetzung des Lebensmittelpunkts, alltagsrelevante Bedeutung 18 Verstädterung 43-46 Vertragsarbeit 53-54 Vertreibung 20, 62, 65, 75-76, 78, 145, 147-148, 159 W Wanderarbeiter 169 WASP 95, 106 Weltsystemtheorie 156, 166 Weltwirtschaft 41-42, 80, 148, 154, 165, 167 Werkvertragsarbeitnehmer 84, 86, 161 Wohlstandskante 147 Z Zerfallskriege 97, 149 Zigeuner 49, 60, 134 Zirkularmigration 91 Zuwanderungsgesetz 83, 132, 183, 186-187 Zuwanderungspolitik 71, 80, 107, 182-183, 185, 187 Zuwanderungswege 65, 84 Zwangsprostitution 172 Zwangsrekrutierung 149 Zwangsverheiratung 152, 172 zweite und dritte Generation 128 Sachregister 224
