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Politische Soziologie

Grundlagen einer Demokratiewissenschaft

1001
2007
978-3-8385-2925-7
UTB 

Was ist Politische Soziologie? Wie behauptet sie sich zwischen Politikwissenschaft und Soziologie, mit welchen Fragestellungen und Ergebnissen untersucht sie ihren Gegenstand: das Verhältnis zwischen Politik und Gesellschaft? Der Autor formuliert hierauf Antworten aus demokratiewissenschaftlicher Perspektive. Verständlich und klar strukturiert erläutert er die Grundbegriffe der Politischen Soziologie und wie Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie funktionieren. Der modulartige Aufbau erlaubt es, zentrale Themen herauszugreifen und zu bearbeiten. Im Zentrum dieser umfassenden Einführung in die Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft stehen die Institutionen, die gesellschaftliche Interessen organisieren und in die Politik vermitteln und deren Aufgabe es ist, politische Kommunikation zu ermöglichen (Parteien, Verbände, Massenmedien etc.).

<?page no="1"?> UTB 2925 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Beltz Verlag Weinheim · Basel Böhlau Verlag Köln · Weimar · Wien Verlag Barbara Budrich Opladen · Farmington Hills facultas.wuv Wien Wilhelm Fink München A. Francke Verlag Tübingen und Basel Haupt Verlag Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung Bad Heilbrunn Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft Stuttgart Mohr Siebeck Tübingen C. F. Müller Verlag Heidelberg Orell Füssli Verlag Zürich Verlag Recht und Wirtschaft Frankfurt am Main Ernst Reinhardt Verlag München · Basel Ferdinand Schöningh Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich <?page no="2"?> Leo Kißler Politische Soziologie Grundlagen einer Demokratiewissenschaft UVK Verlagsgesellschaft mbH <?page no="3"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8252-2925-2 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2007 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz und Layout: PTP-Berlin Protago-T E X-Production GmbH, Berlin Lektorat: LMF Lektoratsbüro Maria Fuchs, Brühl Druck: Ebner & Spiegel, Ulm UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="4"?> Inhalt Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Zwischen Politikwissenschaft und Soziologie - das Profil einer kritischen Demokratiewissenschaft. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft 23 1.1 Wozu Politische Soziologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.1.1 Auf der Suche nach disziplinärer Identität: Selbstvergewisserungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.1.2 Beschreiben und Erklären oder Kritisieren und Verändern? Zur Methodologie einer praxisorientierten Demokratieforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.1.3 Zur Bedeutung von »sozialer Ungleichheit« für eine kritische Demokratiewissenschaft . . . . . . . . . . . . . 35 1.2 Die Schlüsselfrage: Was heißt »Demokratie«? . . . . . . . . . . . . 43 1.2.1 Demokratie als demokratische Steuerung . . . . . . . . . 44 1.2.2 Demokratie durch Legitimation . . . . . . . . . . . . . . 46 1.2.3 Von der Androkratie zur Geschlechterdemokratie . . . . . 49 1.3 Im Fokus: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie . 53 1.3.1 Was heißt »Gesellschaftliche Interessen« und in welchem Zusammenhang stehen sie zur sozialen Ungleichheit? . . . 53 1.3.2 Gesellschaftliche Interessen, soziale Ungleichheit und Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1.3.3 Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie: Fazit und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.1 Politische Partizipation: vom Modewort zum operationalisierbaren Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.1.1 Politische Partizipation als soziales Handeln . . . . . . . . 71 2.1.2 Partizipation als Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2.1.3 Politische Partizipation und Kompetenz . . . . . . . . . . 80 5 <?page no="5"?> Inhalt 2.2 Politische Sozialisation: Partizipation lernen . . . . . . . . . . . . 83 2.2.1 Was heißt politische Sozialisation? . . . . . . . . . . . . . 84 2.2.2 Partizipationskompetenz als politisches Lernziel . . . . . . 85 2.2.3 Politisches Lernen als Partizipationslernen . . . . . . . . . 91 2.2.4 Partizipationslernen durch politische Kommunikation . . . 93 2.3 Politische Öffentlichkeit und Demokratie . . . . . . . . . . . . . 98 2.3.1 Politische Öffentlichkeit - ein normativer Begriff . . . . . 98 2.3.2 Politische Öffentlichkeit durch Partizipation . . . . . . . . 100 2.3.3 Politische Öffentlichkeit: eine Typologie . . . . . . . . . . 102 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan: zur politischen Kommunikationsfunktion des Deutschen Bundestages . . . . . . . . 107 3.1 Der Deutsche Bundestag als öffentliches Parlament und politische Sozialisationsagentur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.1.1 Normative Grundlagen parlamentarischer Öffentlichkeit . 107 3.1.2 Repräsentationsöffentlichkeit durch das Freie Mandat . . . 109 3.1.3 Kontrollöffentlichkeit durch parlamentarische Opposition 110 3.1.4 Parlamentsöffentlichkeit als Medienöffentlichkeit . . . . . 111 3.2 Vom halböffentlichen zum scheinöffentlichen Parlament: zur Empirie parlamentarischer Politikvermittlung . . . . . . . . . . . 112 3.2.1 Verhandlungsöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.2.2 Kontrollöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3.2.3 Repräsentationsöffentlichkeit der parlamentarischen Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3.2.4 Das parlamentarische Sozialprofil und seine Folgen für die politische Kommunikation . . . . . . . . . . . . . 121 3.3 Das Parlament als Organisation und Adressat von gesellschaftlichen Interessen: zur Empirie parlamentarischer Interessenvermittlung . . 125 3.3.1 Der Abgeordnete als Interessenvertreter: die interne Lobby 125 3.3.2 Die Fraktion als parlamentarische Organisationsform von gesellschaftlichen Interessen . . . . . . . . . . . . . . 126 3.3.3 Interessenvermittlung durch Pressure-Strategien . . . . . . 129 3.3.4 Interessenvermittlung durch mittelbare Einflussnahme auf den parlamentarischen Prozess . . . . . . . . . . . . . 131 3.3.5 Interessenvermittlung durch informelle Kommunikation . 133 3.3.6 Interessenvermittlung als Einflusschance . . . . . . . . . . 136 3.4 Parlamentarische Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3.4.1 Parlamentarische Politik- und Interessenvermittlung unter dem Einfluss organisierter Interessen: Risiken und Chancen für die parlamentarische Demokratie . . . . . . 138 6 <?page no="6"?> Inhalt 3.4.2 Politische und soziale Repräsentation: die Erosion parlamentarischer Macht . . . . . . . . . . . 139 3.4.3 Strukturelle Entmachtung des Parlaments durch Gouvernementalisierung der Interessenvermittlung . 140 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld: Norm und Wirklichkeit demokratischer Politik- und Interessenvermittlung . . . 143 4.1 Parteien und Verbände - Agenturen für politische Kommunikation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4.1.1 Normative Grundlagen: der Verfassungsauftrag an die politischen Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4.1.2 Das »eherne« Gesetz der Oligarchie: innerparteiliche Demokratie und Mediatisierung von Bürgerinteressen . . . 148 4.1.3 Die Diskrepanz zwischen Mitgliedschafts- und Einflusslogik: politische Kommunikationsblockaden der Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 4.1.4 Fazit: Attraktivitätseinbußen und Funktionswandel . . . . 162 4.2 Neue soziale Bewegungen und Bürgerinitiativen - Soziale Übungsfelder für Politik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 4.2.1 Neue intermediäre Kräfte zwischen Staat und Gesellschaft: Entstehung und Bewegungskonjunkturen . . . . . . . . . 164 4.2.2 Kompensation, Regeneration und Modernisierung: das Verhältnis zwischen neuen und alten intermediären Akteuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4.2.3 Sozialisation und Partizipation: Politik- und Interessenvermittlung durch Beteiligungseliten . . . . . . . 172 4.2.4 Fazit: Zur demokratiepolitischen Bedeutung von Bewegungsöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4.3 Politik- und Interessenvermittlung in Arbeitsorganisationen: politische Kommunikation im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . 178 4.3.1 Die neue Staatsbürgerlichkeit im Betrieb: normative und programmatische Grundlagen von Partizipationsarbeit . . 180 4.3.2 Technisch-organisatorische Entwicklung durch Partizipation: Rationalisierung als Kommunikationsprozess 184 4.3.3 Neue Produktionsöffentlichkeiten - neue Lernorte für Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4.3.4 Fazit: Die Transformation der Betriebsverfassung zur Öffentlichkeitsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 192 4.4 Politische Kommunikation als Massenkommunikation: Politik- und Interessenvermittlung durch die Massenmedien . . . . . . . . . . 197 7 <?page no="7"?> Inhalt 4.4.1 Die politische Kommunikationsfunktion der Massenmedien: normative Grundlagen und institutionelle Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4.4.2 Print- und Funkmedien: empirische Befunde zu ihrer politischen Kommunikationsleistung . . . . . . . . . . . . 202 4.4.3 Fazit: Politische Kommunikation in der Mediendemokratie 210 4.5 Alternative Medienarbeit und neue Technologien - Neue Chancen für politische Kommunikation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4.5.1 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« . . 215 4.5.2 Politische Kommunikation im Internet: Akteure und Themen netzgestützter Politik- und Interessenvermittlung . 223 4.5.3 Demokratierisiken und -chancen politischer Kommunikation im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . 228 5 Zivilgesellschaft: Zur sozialen »Erdung« der politischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 5.1 Begriff und Genese der Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 235 5.2 Soziale Verortung der zivilgesellschaftlichen Akteure . . . . . . . . 238 5.3 Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit . . . . . . . . . . . . . 241 5.4 Zivilgesellschaft und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 6 Zusammenfassung und Ausblick: Perspektiven der Politischen Soziologie als Demokratiewissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 6.1 Demokratische Politik- und Interessenvermittlung - ein Resümee in zehn Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 6.2 Neue Themen und Forschungsgebiete: zum Profil einer zukünftigen Demokratiewissenschaft . . . . . . . . . . . . . 257 6.2.1 Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft: zur Reformulierung des Gegenstandes der Politischen Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 6.2.2 Das Verhältnis von Arbeit und Demokratie: zur Reaktivierung des wirtschaftsdemokratischen Diskurses . . 260 6.2.3 Politische Öffentlichkeit als Produktionsöffentlichkeit: politisch-soziologische Fortschreibung der »Wirtschaftsdemokratie« . . . . . . . . . . . . . . . . 263 6.3 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Anforderungen und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 8 <?page no="8"?> Abbildungen Abb. 1 Interessenvermittlung als Machtprozess . . . . . . . . . . . . . . 59 Abb. 2 Politik- und Interessenvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Abb. 3 Partizipation als Teilnahme an Entscheidungen . . . . . . . . . . 82 Abb. 4 Dimensionen der politischen Sozialisation . . . . . . . . . . . . . 87 Abb. 5 Zusammenhang der Begriffe »Öffentlichkeit«, »Politische Kommunikation« und »Politische Öffentlichkeit« . . . . . . . . . 95 Tabellen Tab. 1 Demokratiewissenschaftlicher Politikbegriff . . . . . . . . . . . . . 66 Tab. 2 Politische Öffentlichkeit - eine Typologie . . . . . . . . . . . . . 102 Tab. 3 Empirie der parlamentarischen Kontrollöffentlichkeit . . . . . . . 117 Tab. 4 Organisationsöffentlichkeit von Parteien und Verbänden . . . . . . 162 Tab. 5 Verfahren der direkten Partizipation - eine Typologie . . . . . . . 190 Tab. 6 Funktionale Defizite der Massenkommunikation . . . . . . . . . . 214 <?page no="10"?> Vorwort Früher war nicht alles besser, aber vieles übersichtlicher. Wer Soziologie studiert hatte, wurde Soziologe, die Politikwissenschaftlerin hatte politische Wissenschaft studiert. Mit der Einrichtung von Bachelor- und Master-Studiengängen wird das sozialwissenschaftliche Studienangebot nunmehr nicht nur neu sortiert, ganze Regale werden geräumt. Die traditionellen Fächer Politikwissenschaft und Soziologie verschwinden hinter neuen Labeln, wichtige Teilgebiete beider Fächer verlieren ihr Profil in Modulen. Dies gilt auch für die Politische Soziologie. Wer heute ein sozialwissenschaftliches Studium aufnimmt, steht deshalb vor erheblichen Orientierungsproblemen, aber auch die Lehrenden sehen sich herausgefordert, das Profil ihrer Wissenschaft zu schärfen. Wie jede Disziplin gewinnt auch die Politische Soziologie ihr spezifisches Profil dadurch, dass jene Kernfragen beantwortet werden, die das wissenschaftliche Selbstverständnis ausmachen. Was heißt Politische Soziologie? Womit beschäftigt sie sich und wie geht man dabei vor? Der folgende Text formuliert hierauf Antworten aus der Perspektive einer Demokratiewissenschaft. Diese richtet ihr Hauptaugenmerk auf die Praxis der Politik- und Interessenvermittlung auf der Grundlage von politischer Sozialisation und Bürgerbeteiligung. Mit dieser demokratiewissenschaftlichen Schärfung des politisch-soziologischen Profils soll der Band zur fachlichen Selbstvergewisserung beitragen und ein markantes Lehrangebot ausweisen, das für Studierende auch in der neuen Unübersichtlichkeit modularisierter Studiengänge kenntlich bleibt. Inwieweit diese Orientierungshilfe »ankommt« und der Profilierungsversuch gelingt, ist von den Leserinnen und Lesern zu beurteilen. Der Verfasser ist für kritische Anregungen dankbar (kissler@staff.uni-marburg.de). Rosi Jäger-Hoheisel brachte in vielen Arbeitsstunden den Text in eine ansprechende Form, Valerie Schmiegelt erfasste die Tabellen und Schaubilder, Kerstin Albrecht und Julia Schneider halfen bei der Schlussredaktion. Ihnen allen danke ich sehr. Marburg, im Mai 2007 Leo Kißler 11 <?page no="12"?> Zwischen Politikwissenschaft und Soziologie - das Profil einer kritischen Demokratiewissenschaft. Einleitung In die Politische Soziologie einzuführen ist kein leichtes Unterfangen. Die Schwierigkeiten beginnen schon beim Begriff. Ebenso wenig wie es die Soziologie gibt, können wir von der Politischen Soziologie als einer Disziplin mit scharfem Profil sprechen, die sich auf einem klar umrissenen Forschungsgebiet bewegt und über einen verbindlichen Lehrkanon verfügt. Nach wie vor ungeklärt ist auch der Standort der Politischen Soziologie zwischen den beiden Disziplinen, die sie bereits im Namen trägt. Während Teile der Politikwissenschaft, darunter die ehemalige »Marburger Schule« (vgl. Abendroth 1967: 9 f.), ihre Wissenschaft schlechthin als Politische Soziologie begreifen, möchten sie andere gern der Soziologie überlassen (wie z. B. von Alemann 1998). Die institutionelle Anbindung der Politischen Soziologie in den Berufsverbänden beider Disziplinen - in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft einerseits und (seit 1995) in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie andererseits - ist Ausdruck dieser bislang noch unabgeschlossenen disziplinären Selbstvergewisserung. Deren Kernfragen, was wozu wie erforscht wird, sind in einer Disziplin, die mehr als je zuvor um ihr Selbstverständnis ringt, offen (zum Stand der Debatte vgl. Bach 2004). Dies macht den besonderen Reiz der Politischen Soziologie aus, aber auch die erheblichen Probleme, in diese Disziplin einzuführen. Wissenschaftshistorische Abhandlungen, die prominente Forschungsarbeiten aus der deutschen politisch-soziologischen Tradition von Robert Michels über Max Weber bis zu Jürgen Habermas und Claus Offe vorstellen (wie Ebbighausen 1981), versuchen eine disziplinäre Ortsbestimmung durch Aufbereitung von Theoriewissen. Der wissenschaftliche Charme dieses Unterfangens liegt im Bemühen, die Zukunft der Politischen Soziologie im Rückspiegel zu erkennen. Andere Wege der Selbstvergewisserung führen dagegen eher ins Uferlose. Hierzu zählt der Versuch, Politische Soziologie als Soziologie des Politischen zu begreifen, was erheblich den Eindruck untermauert, der Gegenstand dieser Disziplin sei konturlos und dehnbar wie der Begriff des Politischen selbst. Aus diesen und anderen zum Teil weiterführenden und tragfähigen, zum Teil abwegigen und verunsichernden Selbstvergewisserungsversuchen folgt: Wer in die Politische Soziologie einführen will, kann nicht auf einen festgefügten Kanon von Wissensbeständen zurückgreifen, die die Politische Soziologie ausmachen. Vielmehr stellt sich die Aufgabe, politischsoziologische Wissensvermittlung immer auch als Reflexionsprozess über das Selbstverständnis dieser Disziplin offenzulegen und offensiv das eigene Verständnis dessen, was politisch-soziologisches Denken ausmacht und worauf es sich bezieht, dar- 13 <?page no="13"?> Einleitung zulegen. Mit anderen Worten: Es geht um die vorgängige Bestimmung jenes wissenschaftlich begründeten und normativ befestigten Orts, an dem der Gegenstand politisch-soziologischer Erkundungen ein klares Profil erhält. Dies ist der Standort einer praxisorientierten Demokratieforschung. Sie liefert die Grundlagen für das Verständnis von Politischer Soziologie als Demokratiewissenschaft . Aus deren Selbstverständnis, Gegenstand und Perspektiven erschließen sich Aufbau und Inhalt des folgenden Lehrtextes. Zunächst geht es um die disziplinäre »Ortsbestimmung«. Für manche gleicht die Politische Soziologie einem »weißen Schimmel«; denn im weitesten Sinne von Politik ist Soziologie immer politisch. Sie wird von Soziologinnen und Soziologen und damit - wie jede Wissenschaft - von Menschen betrieben, die in Gesellschaft leben. Soziologie als »Wissenschaft von der Gesellschaft« ist jedoch mit ihrem Erkenntnisgegenstand auf vielfältige Art und Weise verwoben - mit der Folge, dass sozialwissenschaftliche Erkenntnis von gesellschaftlichen Interessen und individuellen Bedürfnislagen nicht zu trennen ist. Diese fließen - eingestanden oder hinterrücks - in den Erkenntnisprozess mit ein und verleihen ihm dadurch politische Relevanz - ganz abgesehen von der Frage, wer mit soziologischen Forschungsergebnissen letztlich »Politik macht«. Aber weder der weite, mit der Erkenntnis-Interessen-Problematik untrennbar verbundene Politikbegriff noch gar eine parteipolitische Orientierung sind gemeint, wenn die Rede von Politischer Soziologie ist. Politische Soziologie ist zunächst einmal Soziologie. Sie trägt deshalb mit an deren historischer Hypothek, entweder affirmative Stabilisierungswissenschaft für die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse oder kritische Oppositionswissenschaft zu sein - zwei Entwicklungslinien, die das Wissenschaftsprofil der Soziologie seit ihrer Geburtsstunde als »physique sociale« maßgeblich prägen. Ebenso wenig wie es die Soziologie gibt, sondern Soziologien unterschiedlicher wissenschaftlicher Provenienz, gibt es demnach die Politische Soziologie. Für ihre Ortsbestimmung kommt Politische Soziologie ohne rückversichernde Orientierungssuche bei der Allgemeinen Soziologie nicht aus. Diese beantwortet maßgeblich die Fragen, was politisch-soziologisch erforscht werden soll, mit welchem Forschungs- und Erkenntnisinteresse und mit welchen Methoden. Politische Soziologie ist Soziologie der Politik. Ihr Gegenstand wird demnach abgesteckt durch deren Dimensionen. Dazu zählen (vgl. Lauth/ Wagner 2002: 22): • die politischen Organisationsformen und Einrichtungen (Polity) • die politischen Inhalte, Werte und ihre Vermittlung (Policy) • die Interessenkonkurrenz und Konfliktaustragung (Politics) Politische Soziologie bildet demnach das Scharnier zwischen Soziologie und Politikwissenschaft. Von Ersterer holt sie sich die kritisch-theoretische Absicherung ihres Erkenntnisinteresses an Aufklärung und menschenwürdiger Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch Politik. Mit der Politikwissenschaft teilt sie ihren Gegenstand. 14 <?page no="14"?> Einleitung Politische Soziologie eröffnet deshalb die Chance, über interdisziplinäre Kooperation zu einer Integration von soziologischer und politikwissenschaftlicher Denkweise beizutragen. Ihr markantes Profil im Kanon der Sozialwissenschaften gewinnt Politische Soziologie als eine Wissenschaft, die den gesellschaftlichen Entstehungs- und Durchsetzungsprozess von sich politisch artikulierenden Interessen erklärt, spezifische institutionelle und rechtliche Formen dieses Prozesses kritisiert und an ihrer Veränderung mitwirkt. Kurz: Politische Soziologie hat politische Macht und Herrschaft sowie deren gesellschaftliche Legitimation zum Gegenstand. Solchermaßen als praxisbezogene Demokratieforschung verstanden, hat sie sich in Auseinandersetzung mit einem platten Empirismus der angloamerikanischen Politischen Soziologie auf der einen und mit der normativen Politischen Philosophie auf der anderen Seite behauptet und zu einer eigenständigen Disziplin entwickelt. Ihr Gegenstand ist das Verhältnis von Politik und Gesellschaft unter den Anforderungen von Demokratie. Daraus folgt zweierlei: zum einen die normative Verortung als Demokratiewissenschaft und zum anderen die Fokussierung der wissenschaftlichen Perspektive auf jenen Bereich, der Politik (i. S. v. politisch-administrativem System und seinen Einrichtungen) auf der einen und Gesellschaft (i. S. v. gesellschaftlichen Interessen) auf der anderen Seite vermittelt: das intermediäre, von Parteien, Verbänden, Bürgerinitiativen, sozialen Bewegungen und Massenmedien besetzte Feld. Die genannten Institutionen organisieren und vermitteln gesellschaftliche Interessen in das politisch-administrative System und politische Inhalte, Werte und Normen in die Gesellschaft. Interessen- und Politikvermittlung unter demokratischen Verhältnissen basiert auf der Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern und von kollektiven Akteuren einerseits sowie auf politischer Sozialisation andererseits. Gelingende Partizipation und Sozialisation entscheiden damit ganz erheblich über die demokratische Qualität von Interessen- und Politikvermittlung und damit über die politische Kommunikationsleistung von politischen Parteien, Verbänden etc. Mit anderen Worten: Der Gegenstand von Politischer Soziologie als Demokratiewissenschaft ist die politische Kommunikationsleistung (und damit das Demokratiepotenzial) intermediärer Organisationen. Aus einem solchermaßen gehärteten Selbstverständnis der Politischen Soziologie als Demokratiewissenschaft und der Fokussierung ihres Gegenstandes auf intermediäre Einrichtungen folgt die institutionenkundliche Grundierung des vorliegenden Studienbuchs. Im Unterschied zu einer eklektizistischen Ansammlung von theoretischen Versatzstücken politisch-soziologischer Provenienz soll der Text institutionenkundliches Basiswissen vermitteln, allerdings im festen demokratietheoretischen Rahmen und mit klarer normativer Orientierung. Für eine »Ortsbestimmung« der Politischen Soziologie heute setzt die seit Ende der 1960er Jahre geführte Diskussion zum Stellenwert dieser Disziplin als Teil kritischer Gesellschaftstheorie wichtige Marken. Sie hat das Selbstverständnis der Politischen Soziologie grundlegend beeinflusst und insbesondere die ökonomischen Verhältnisse als zentralen den Gegenstand der Politischen Soziologie mit prägenden Faktor in das 15 <?page no="15"?> Einleitung Blickfeld gerückt. Politische Soziologie heißt demnach praxisorientierte Demokratieforschung in Politik und Wirtschaft. Dieses Selbstverständnis begründet das politisch-soziologische Interesse an zwei Dimensionen ihres Gegenstandes: (1) an politischer Macht und Herrschaft , ihrer Entstehung aus gesellschaftlichen Interessen (-lagen und -gruppen) und ihrer Rückbindung an diese. Das Verhältnis von politischer Macht und gesellschaftlichen Interessen wird nach der Verfassung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland parlamentarisch-demokratisch geregelt. Welches sind die historisch-gesellschaftlichen Grundlagen dieses Systems, wie funktioniert die parlamentarische Demokratie in der politischen Praxis, wie kann sie normativ und theoretisch verortet werden? Antworten auf diese Kernfragen werden aus zwei Perspektiven angeboten: zum einen im Hinblick auf die gesellschaftliche Außenwirkung der politisch-parlamentarischen Institutionen. Gefragt wird nach ihrer politischen Kommunikationsfunktion, aber auch nach ihrer demokratischen Legitimationsleistung, die aus einer gelingenden politischen Kommunikation resultiert. Zum anderen wird die Innenausstattung der parlamentarisch-demokratischen Herrschaftsentfaltung in den Blick genommen. Gefragt wird hier nach der Kommunikationsleistung der politischen Einrichtungen nach innen, gegenüber ihren Mitgliedern. Beide Blickrichtungen sind offenzuhalten, will man das Verhältnis von Politik und Gesellschaft, den Stellenwert alter und die Entstehung neuer gesellschaftlicher Interessen für den Bestand und die Entwicklungsfähigkeit von Institutionen politischer Machtausübung und Herrschaftsentfaltung richtig einschätzen und die Vorteile ihrer parlamentarisch-demokratischen Rückbindung an die Gesellschaft, aber auch ihre Defizite erkennen und kritisieren lernen. (2) Politische Soziologie als praxisorientierte Demokratieforschung bekommt ihren Gegenstand nur unzureichend in den Griff, wenn sie ihr Augenmerk nicht auf jenen Bereich lenkt, der das Verhältnis von Politik und Gesellschaft maßgeblich mitprägt: die Ökonomie. Gesellschaftliche Interessen, die sich in parlamentarisch-demokratischen Formen artikulieren, sind häufig ökonomisch bestimmt. Politische Machtausübung dient der gesellschaftlichen Durchsetzung und manchmal auch Beschränkung von ökonomischen Interessen und weiter, wie die Menschen arbeiten, so denken und handeln sie politisch, das heißt: Die Bedingungen der Arbeit und gesellschaftlichen Produktion entscheiden wesentlich mit über die Inhalte und Formen der alltäglichen Verkoppelung von Politik und Gesellschaft. Aber umgekehrt gilt auch: Die Arbeitsbedingungen sind Ausdruck der allgemeinen Lebensbedingungen in einer Gesellschaft. Mit ihnen verbindet sich deshalb eine zentrale politische Gestaltungsaufgabe und damit eine große Herausforderung für Politikvermittlung. Das Selbstverständnis von Politischer Soziologie als Demokratiewissenschaft, ihr Gegenstand - die demokratische Politik- und Interessenvermittlung zwischen politischem System und Gesellschaft auf der Grundlage von politischer Kommunikation - 16 <?page no="16"?> Einleitung und das Interesse, die politische Kommunikationsleistung intermediärer Einrichtungen nach innen, gegenüber ihren Mitgliedern, und nach außen, gegenüber einem gesellschaftlichen Publikum, erklären und kritisch bewerten zu wollen, bilden die Grundlagen dieser Wissenschaft. Sie begründen auch den Aufbau und Inhalt des vorliegenden Studienbuchs. Ausgehend von der Frage, »was ist Politische Soziologie? « werden eingangs die Schwierigkeiten einer Profilierung dieser Disziplin als »Scharnierdisziplin« zwischen Politikwissenschaft und Soziologie genannt und begründet, warum eine Standortbestimmung notwendig ist. Diese erfolgt in Kapitel 1. Neben dem Wissenschaftsbegriff, Erkenntnisinteresse und den wissenschaftshistorisch gefundenen Antworten auf die Frage, was Politische Soziologie sei, steht im Fokus dieses Kapitels die Erläuterung des Gegenstandes einer praxisorientierten Demokratieforschung: das Verhältnis von Politik und Gesellschaft, verstanden als durch intermediäre Organisationen gestalteter Prozess der Politik- und Interessenvermittlung. Selbstverständnis und Gegenstand der Politischen Soziologie als Demokratiewissenschaft begründen sich aus theoretisch gestützten und normativ geleiteten Vorstellungen von Demokratie. Deshalb werden zwei zentrale demokratietheoretische Diskurse nachgezeichnet: Demokratie als Steuerungsproblem und Demokratie als Partizipationschance (früher verkürzt als formale und materiale Demokratie bezeichnet). Als demokratietheoretisches Querschnittsthema wird die geschlechtsspezifische Perspektive von politischer Steuerung und politischer Partizipation eingeführt. Dabei wird deutlich, dass erkenntnisleitend für die politisch-soziologische Untersuchung von Politik- und Interessenvermittlung unter demokratischer Perspektive das Konzept einer partizipatorischen Demokratie sein kann, das nicht blind ist für die Genderproblematik (Geschlechterdemokratie). Demokratische Politik- und Interessenvermittlung, so wird das Eingangskapitel belegen, stützt sich auf gelingende politische Sozialisation sowie auf Bürgerbeteiligung und politische Partizipation. Gezeigt wird im Theorieteil weiterhin, dass politische Partizipation Macht ermöglicht, aber auch begrenzt und dass die demokratische Qualität von Politik- und Interessenvermittlung an die Existenz von politischer Öffentlichkeit gebunden ist. Dabei wird nachvollziehbar und demokratietheoretisch fundiert, warum es sich hierbei um Grundbegriffe der Politischen Soziologie handelt (Kap. 2). Diese bilden das Scharnier zwischen der theoretischen Rahmung (Wissenschaftsbegriff, Gegenstand und Demokratietheorie) und der Darstellung und kritischen Bewertung von empirischen Befunden der Kommunikationsleistungen des Parlaments (Kap. 3) und der intermediären Organisationen auf den Feldern der Politik- und Interessenvermittlung (Kap. 4). Insbesondere aber begründet die Behandlung der Grundbegriffe die zentrale Leitfrage einer praxisorientierten Demokratieforschung, die sich wie ein erkenntnisleitender Faden durch die Abhandlung zieht, nämlich: Was kann die Politische Soziologie zur Empirie der Politik- und Interessenvermittlung intermediärer 17 <?page no="17"?> Einleitung Organisationen sagen? Infrage steht demnach die politische Kommunikationsleistung der maßgeblichen politischen und intermediären Akteure: des Parlaments (am Beispiel des Deutschen Bundestags), der politischen Parteien und Verbände, der Bürgerinitiativen und Neuen sozialen Bewegungen, der Massenmedien, der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der Arbeitsorganisationen. Die Darstellung erfolgt dabei jeweils nach dem gleichen Muster: In einem ersten Schritt beleuchtet sie den normativen Horizont (wie z. B. Art. 21 GG für die politischen Parteien oder Art. 5 GG für die Massenmedien), aus dem sich die Politik- und Interessenvermittlungsaufgaben der jeweiligen intermediären Organisation als Beitrag zur politischen Öffentlichkeit ableiten, um sodann in einem zweiten Schritt die Norm mit der Wirklichkeit von politischen Kommunikationsleistungen zu konfrontieren. Dabei werden empirische Befunde der Parteien-, Verbände-, Bewegungs- und Medienforschung aufbereitet. Sie dienen der Beantwortung von drei erkenntnisleitenden und die Darstellung zu den jeweiligen Kommunikationsakteuren strukturierenden Fragen, nämlich: (1) Wie gestaltet sich das Austauschverhältnis zwischen Organisation (politischer Partei, Verband, Bürgerinitiative etc.) einerseits und der Organisationsumwelt (aus Bürgerinnen und Bürgern, Publikum und gesellschaftlichen Akteuren) andererseits? Dies ist die Frage nach der Kommunikationsleistung und öffentlichkeitsbezogenen Politik- und Interessenvermittlung nach außen hin. (2) Wie gestaltet sich die politische Kommunikation im Binnenbereich (z. B. zwischen Organisationsmanagement und Mitgliedern)? Hier geht es um die Konstitutionsbedingungen von Organisationsöffentlichkeit und damit um die Frage nach der innerorganisatorischen Demokratie. Und schließlich: (3) Wie gestaltet sich das Austauschverhältnis zwischen intermediären Organisationen und politisch-administrativem System? Hier stehen die formellen und informellen Strukturen von Macht und Einfluss des Organisationshandelns auf den politischparlamentarischen Prozess zur Diskussion und damit ein Leitthema der parlamentarischen Demokratie: die Öffentlichkeitsfunktion jener Organisation, die dem politischen System seinen Namen gibt - des Parlaments. Diese Frage wird am Beispiel des Deutschen Bundestages beantwortet. Neben der politischen Kommunikationsleistung des Parlaments, das verfassungsgemäß das zentrale politische Öffentlichkeitsorgan im Austauschverhältnis zwischen politischadministrativem System und Gesellschaft darstellt, werden vor allem jene intermediären Einrichtungen in den Blick genommen, die - wie die politischen Parteien und Verbände - zu den traditionellen oder - wie die Bürgerinitiativen und Neuen sozialen Bewegungen - zu den neueren intermediären Akteuren gehören, die Politik- und Interessenvermittlung gestalten. Bekanntlich hängt die politische Kommunikationsleistung solcher Einrichtungen von der massenmedialen Verstärkung ihrer Politik- und Interessenartikulation ab. Darüber hinaus erbringen die Massenmedien originäre Kom- 18 <?page no="18"?> Einleitung munikationsleistungen (z. B. durch Agenda-Setting). Als »Mega-Agenturen« der politischen Kommunikation stehen sie bei der Beschreibung des intermediären Feldes an prominenter Stelle. Wer die Frage nach den Befunden von politischer Öffentlichkeit auf staatliche Einrichtungen, ihre gesellschaftlichen »Vorfeldorganisationen« oder auf den parlamentarischen Raum verkürzt, greift zu kurz. Das intermediäre Feld zwischen Staat und Gesellschaft wird maßgeblich auch von Wirtschafts- und Arbeitsorganisationen besetzt. Deshalb stehen nicht nur aus normativen Erwägungen (ökonomische Rationalität versus gesellschaftliche Vernunft, Halbierung versus Qualifizierung von Demokratie etc.) neben den politischen und gesellschaftlichen Akteuren auch Arbeitsorganisationen (Unternehmen und Betriebe) im Blickpunkt der Abhandlung. Das Spektrum der behandelten intermediären Organisationen ist zwar breit, aber nicht vollständig. Es wäre zu ergänzen durch Wissenschaftsorganisationen, religiöse und kulturelle Organisationen u. a. m., die ebenfalls Politik- und Interessenvermittlung betreiben. Die Begrenzung des Gegenstandes auf die genannten Organisationen ist jedoch nicht nur dem begrenzten Raum geschuldet, sondern auch inhaltlich begründet. Im Zentrum stehen jene Einrichtungen, die in der wissenschaftlichen Wahrnehmung das intermediäre Feld nachhaltig bearbeiten und zu deren Vermittlungsleistung quantitativ umfangreiche und qualitativ bedeutende forschungsgestützte Aussagen vorliegen, die eine politisch-soziologische Einführung hinreichend untermauern können. Die behandelten intermediären Organisationen gehören zum Traditionsbestand der empirischen politikwissenschaftlichen und soziologischen Forschung (z. B. Parteienforschung, Mediensoziologie etc.). Neben dieser Fokussierung auf der horizontalen Ebene wird der Gegenstand auch in der Vertikalen begrenzt. Seine europäische Dimension bleibt weitgehend außen vor, das Mehrebenensystem der Politik- und Interessenvermittlung wird ausschließlich in seinem deutschen national-spezifischen Raum ausgeleuchtet. Neben diesen sachlichen Begrenzungen des Gegenstandes wird die Darstellung einer weiteren thematischen Konzentration unterzogen. Diese ist der im Theoriekapitel dargelegten demokratiewissenschaftlichen Perspektive geschuldet. Behandelt werden nicht sämtliche Facetten der jeweiligen Organisation (z. B. Genese, Struktur, Programmatik und Strategien), sondern nur jene Bereiche, die empirisch begründete Antworten auf die oben dargelegten Leitfragen liefern. Hierzu zählen vor allem Herrschaftsstruktur und Sozialprofil (des Parlaments), Oligarchisierungstendenzen, Mitgliederpartizipation (in Parteien und Verbänden), Interessenselektion und Kompetenzerwerb (durch und in Bürgerinitiativen und Neue(n) soziale(n) Bewegungen), innere und äußere Pressefreiheit, Öffentlichkeitsproduktion und Rezeption sowie Mediatisierungsprozesse (im Bereich der Massenkommunikation), Segmentierung und Polarisierungstendenzen der politischen Kommunikation (im Internet) sowie Entwicklung und Zerfall neuer Formen von Organisations- und gesellschaftlicher Produktionsöffentlichkeit durch Beschäftigtenpartizipation (in Wirtschaftsunternehmen und Verwaltungseinrichtungen). 19 <?page no="19"?> Einleitung Die Abhandlung der einzelnen Abschnitte konfrontiert jeweils die normativen Grundlagen mit den empirischen Befunden. Dabei werden Widersprüche zwischen Norm und Wirklichkeit der politischen Kommunikationsleistung intermediärer Organisationen deutlich und Defizite, aber auch Chancen für eine institutionell erneuerte und kommunikativ gestärkte Praxis demokratischer Politik- und Interessenvermittlung erkennbar. Aus der Diskrepanz zwischen Norm und Wirklichkeit bezieht die Darstellung ihre kritische Dimension. Kritik heißt dabei Konfrontation der Praxis mit dem (z. B. in einer Parteiprogrammatik) selbstgesteckten oder von der Verfassung formulierten Anspruch auf Mitwirkung an der demokratischen Politik- und Interessenvermittlung. Die Konfrontation von Norm und Wirklichkeit öffnet darüber hinaus aber auch Quellen, aus denen sich die weitere Argumentation speist (vgl. Kap. 5). Sie richtet den Blick auf die soziale Verortung demokratischer Politik- und Interessenvermittlung und damit auf die (zivil-)gesellschaftlichen Grundlagen einer qualifizierten Demokratie. Diese hat zivilgesellschaftliche Voraussetzungen im bürgerschaftlichen Engagement und in der Partizipation von politisch bewussten und beteiligungskompetenten Bürgerinnen und Bürgern. Sie sind Gegenstand der abschließenden Erörterung, mit der die Darstellung auf den weiten Horizont von Politischer Soziologie als Demokratiewissenschaft verweist und bislang unbestellte oder unzureichend bearbeitete Forschungsfelder markiert (vgl. Kap. 6). Zur Textgestaltung Ein Studienbuch richtet sich vornehmlich - wie der Name schon sagt - an Studierende. Diese sind gemeinhin interessiert an einer ihrer Vorbildung gemäßen und der Alltagspraxis entlehnten sprachlichen Textabfassung. Eine als »Soziologiechinesisch« etikettierte Fachsprache wird da leicht zum Ärgernis. Gleichwohl ist sie unvermeidlich; denn Fachbegriffe sind häufig Theoriebegriffe und als solche »Werkzeuge« zur wissenschaftlichen Erkundung der sozialen Wirklichkeit. Adressatenbewusste Textgestaltung erfordert hier Augenmaß und ein ständiges Bemühen um Verständlichkeit, indem unvermeidbare Fachbegriffe erklärt und unnötige vermieden werden. Darüber hinaus schließt jedes Kapitel mit einer Zusammenfassung. Schaubilder, Tabellen und Übersichten visualisieren wesentliche inhaltliche Aussagen. Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft interessiert Studierende aus Politikwissenschaft und Soziologie, aber auch aus sozialwissenschaftlichen Lehramtsstudiengängen. Diese nutzen ein Studienbuch, dessen Gegenstand disziplinenübergreifend angelegt ist, vor allem dann mit Gewinn, wenn die disziplinären Wurzeln der einzelnen Sichtweisen auf den Gegenstand offengelegt werden und gezeigt wird, wo die dargestellten Ergebnisse in der eigenen Disziplin anschlussfähig sind. So dürften Soziologiestudierende vor allem an den Befunden der Parlamentssoziologie, Studie- 20 <?page no="20"?> Einleitung rende aus der Politikwissenschaft zum Beispiel an den Erkenntnissen der politischen Parteienforschung, andere wiederum an Inhalten, die der Mediensoziologie entlehnt sind, interessiert sein und jeweils für Lehrveranstaltungen in ihrem Fach nutzen wollen. Mit Hinweisen auf die disziplinären Quellen und »strategischen Koppelungen« zwischen politisch-soziologischer Forschung und disziplinenorientierter Lehre versucht die Abhandlung, dem Rechnung zu tragen. Der Text richtet sich auch an Lehrende der sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Er bereitet deshalb die Ergebnisse von Forschungsvorhaben aus Parlaments-, Parteien-, Medienwissenschaft sowie arbeits- und verwaltungssoziologischer Provenienz auf, greift auf Befunde der Sozialisations- und Partizipationsforschung zurück und markiert vor allem auch Forschungsdesiderate. Damit ist der Anspruch verbunden, Hinweise auf offene Forschungsfragen und mögliche -themen im sozialwissenschaftlichen Umfeld der Politischen Soziologie zu geben, aber auch den dargelegten Stoff als »Steinbruch« zu öffnen, aus dem für andere thematisch verwandte Lehrvorhaben jeweils geeignete Bausteine gewonnen werden können. Vor allem der Hauptteil des Textes (Kap. 4) soll den Anspruch auf disziplinenübergreifende Anschlussfähigkeit einlösen. Hierzu dienen u. a. »Literaturempfehlungen«, mit denen jedes Kapitel schließt. Diese Literaturhinweise werden so gewählt, dass sie jeweils den dargelegten Stoff in einen disziplinären Bezug stellen und dadurch Wege zum vertiefenden Weiterstudium im eigenen Fach öffnen. Literaturempfehlung Bach, Maurizio (2004): Denken Soziologen anders über Politik als Politikwissenschaftler? Zur Eigenständigkeit der politischen Soziologie. In: Soziologie, 33. Jg., H. 2, S. 17-34 21 <?page no="22"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Politische Soziologie heute gleicht einem Phantom. Sie hinterlässt in unterschiedlichen Disziplinen (vor allem in der Politikwissenschaft und Soziologie) und auf immer breiter gesteckten Forschungsfeldern ihre Spuren, ohne dass diese noch eindeutig zuortenbar wären. Mit der Folge, dass Politische Soziologie die unscharfen Konturen einer Nicht- Disziplin annimmt. Vor allem in der Soziologie, aber auch in Teilen der Politikwissenschaft hat deshalb in den letzten Jahren eine Selbstverständnisdebatte eingesetzt, die der Politischen Soziologie ein schärferes Profil verleihen und einen wissenschaftssystematischen Standort im Reigen der sozialwissenschaftlichen Disziplinen zuschreiben möchte. Dieser Prozess der Selbstvergewisserung ist noch nicht abgeschlossen. Gleichwohl aber enthält er richtungweisende Antworten auf die Frage »Wozu Politische Soziologie«? und liefert wichtige Orientierungsmarken für die disziplinäre Verortung als »Demokratiewissenschaft« (vgl. 1.1), für deren normativen Rahmen (vgl. 1.2) und Gegenstand (vgl. 1.3). 1.1 Wozu Politische Soziologie? Wer wissen will, wo er steht, tut gut daran zu schauen, woher er kommt. Dies gilt auch für wissenschaftliche Disziplinen. Die Politische Soziologie verfügt über wissenschaftshistorische Wurzeln in Politikwissenschaft und Soziologie. Wer sich ihrer erinnert, wird zwar kaum die »Identitätskrise« der Politischen Soziologie bewältigen, aber tragfähige Antworten auf die folgenden, für das Selbstverständnis dieser Disziplin richtungsweisenden Fragen bekommen: Welche »Anleihen« kann Politische Soziologie zur Festigung ihres wissenschaftssystematischen Standortes zwischen den beiden Disziplinen aus ihren Traditionsbeständen nehmen, was qualifiziert sie als »Scharnierwissenschaft« und worin gründet ihr Selbstverständnis als praxisorientierte Demokratieforschung? 1.1.1 Auf der Suche nach disziplinärer Identität: Selbstvergewisserungen Politische Soziologie hat in der westdeutschen Politikwissenschaft, die nach dem 2. Weltkrieg aus dem Selbstverständnis einer »Demokratiewissenschaft« heraus wiederbegründet wurde, eine große Tradition. In Auseinandersetzung mit anderen politikwissenschaftlichen Entwicklungsrichtungen in der frühen Bundesrepublik, so vor allem 23 <?page no="23"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft mit der normativ-ontologischen Rekonstruktion der politischen Wissenschaft (Freiburger Schule), gewinnt die Politische Soziologie ein eigenständiges Wissenschaftsverständnis (vgl. Ebbighausen 1981: 9 ff.). Für ihr unverwechselbares Profil als praxisorientierte Demokratieforschung waren vor allem die Arbeiten von Otto Stammer maßgebend (Berliner Schule) (vgl. Stammer 1965). Diese stehen in der Denktradition früherer empirischer Ansätze zu einer historisch-soziologischen Politikforschung, wie sie u. a. von Robert Michels und Max Weber repräsentiert wird, einerseits und in der Traditionslinie sozialdemokratischen Staatsdenkens, wie sie u. a. von Hermann Heller, dem »Vater der modernen Politikwissenschaft« (Mommsen 1962: 360), begründet wird, andererseits. Angesichts der Auflösungserscheinungen der Weimarer Republik formuliert, geht es dieser Wissenschaftskonzeption vor allem um einen kulturell vermittelten Grundkonsens zwischen Bürgertum und Arbeiterschichten auf der Grundlage eines zu entwickelnden Sozialstaates. Im Wissenschaftsgebäude einer Politikwissenschaft, die sich als »Wirklichkeitswissenschaft« und »Politiktatsachenforschung« verstand, fand die Politische Soziologie als praxisbezogene Demokratieforschung hier ihr quasi natürliches Zuhause; denn für die etablierte Demokratiewissenschaft war eine gesellschaftsanalytische Grundierung unabdingbar. Folgende Charakteristika gehören zu ihrem, für die Politische Soziologie identitätsstiftenden Selbstverständnis: • die Beschäftigung mit der Sozialstruktur, »weil diese die Politik gesellschaftlicher Gruppen entscheidend beeinflusse - Kenntnis der Sozialstruktur aber setze die Analyse der ›ökonomischen Organisation‹ einer Gesellschaft voraus« (Ebbighausen 1981: 85) • die Analyse der Transformation ökonomischer und sozialer Interessen in politische Entscheidungen • die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer soziologisch-kritischen Politikanalyse, wobei Politik verstanden wird als »ein auf Macht im Staate gerichtetes, Gesellschaft beeinflussendes, Gesellschaft veränderndes soziales Handeln« (Stammer 1965: 39) • die Reformulierung eines Demokratiebegriffs, der den Bedingungen von Politik- und Interessenvermittlung in der modernen Gesellschaft Rechnung trägt. »Der ›allgemeine Wille‹ des Volkes im demokratischen Staat (Rousseaus ›volonté general‹) erschließt sich nicht aus den vielfältigen Beziehungen, die zwischen Staatsbürgern und Staatsrepräsentanten bestehen und ständig neu eingegangen werden. Er erwächst vielmehr, im soziologischen Aspekt, aus der Konkurrenz und aus dem Zusammenwirken verschiedener Gruppenwillen (Rousseaus ›volonté de tous‹) in Gesellschaft und Staat.« (Stammer 1965: 16) Demokratiewissenschaft war deshalb im Kern Machtanalyse. Als empirisch-soziologische Einfluss- und Organisationsforschung, Bürokratie- und Elitenforschung, Parlaments- und Wahlforschung, Parteien-, Verbände- und Gewerkschaftsforschung verfolgt sie den Zweck, das Wirken und die Demokratiefolgen des Akteurshandelns auf dem Feld der Politik- und Interessenvermittlung offenzulegen. Politikwissenschaft, so 24 <?page no="24"?> 1.1 Wozu Politische Soziologie? verstanden als »spezialisierte Sozialwissenschaft von der politischen Macht« (Flechtheim 1958: 3 ff., 11), wurde zum Synonym für Politische Soziologie (sodann konsequent die Marburger Schule 1 und Wolfgang Abendroth 1967: 9 f.) Für dieses Verständnis von Politischer Soziologie ist die Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft erkenntnisleitend: »der Versuch, Staat auf Gesellschaft zurück zu beziehen und Politik in einem übergreifenden gesellschaftlichen, insbesondere wirtschaftsgesellschaftlichen, Zusammenhang zu verstehen, ist seither konstitutiv für die Soziologie der Politik geblieben« (Fijalkowski 1989: 69), heißt es in einer »Ortsbestimmung der Soziologie von Politik« (ebd.) im Geiste dieser Denktradition. Sie zeigt aber auch, warum Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft zwar den Namen mit diesem Ansatz teilt, aber den hier bezeichneten Ort nicht einfach besetzen und die aufgezeigte politikwissenschaftliche Traditionslinie fortschreiben kann. Die von ihr unterstellte Differenz von Staat und Gesellschaft markiert den Gegenstand nur noch unzureichend. Sie markiert die Frontstellung des 19. Jahrhunderts und wird weder dem neuen Profil eines kooperativen, in neuartigen Vernetzungen zwischen politisch-administrativen und gesellschaftlichen Akteuren moderierenden, kommunikativen, aber auch regulierenden Staates gerecht noch einer aktiven Gesellschaft, deren Mitglieder aus der Untertanenrolle längst herausgewachsen sind und als Auftraggeber, Mitgestalter und Kunden gegenüber dem Staat und seinen Einrichtungen auftreten. Zwar hat sich eine in der Politikwissenschaft verortete Politische Soziologie von der Tradition einer »sozialdemokratischen Staatssoziologie« (Ebbighausen 1981: 219) verabschiedet, sie verbleibt jedoch im Schatten des Leviathan. Dieser deckt aber den Gegenstand einer Demokratiewissenschaft nicht mehr in Gänze ab. Hinzu kommt, dass die Politikwissenschaft den beschriebenen wissenschaftssystematischen Ort der Politischen Soziologie selbst nicht mehr besetzt. Die oben zitierte Ortsbestimmung umschreibt heute auf politikwissenschaftlichem Gelände eher einen »Un-Ort«; denn Politische Soziologie fungiert dort nur noch als »Briefkasten- Holding höchst disparater politikwissenschaftlicher Forscherkreise« (Borchert 2004: 28), die Parteien-, Verbände-, Wahl-, Bewegungs-Forschung betreiben, politische Kultur und politische Kommunikation als Forschungsthemen bearbeiten, aber über keinen gemeinsamen thematischen Zugang zu ihrem Gegenstand mehr verfügen. »Demokratie« als Bezugspunkt von Theoriearbeit und Gegenstand von empirischer Forschung rangiert zwar nach wie vor an prominenter Stelle im Themenkanon der Politikwissenschaft, ohne allerdings dem einst von einer praxisbezogenen Demokratieforschung formulierten Anspruch auf systematische Bearbeitung des Zusammenhangs von Staat und Gesellschaft, von Demokratieentwicklung und Gesellschaftsstruktur zu genügen. Und nicht zuletzt entschärft der Trend, Politikwissenschaft als Beratungswissenschaft zu betreiben, den kritischen Blick einer Demokratiewissenschaft, die sich auch als Macht- und Herrschaftsanalyse versteht. 1 Zu ihren maßgeblichen Akteuren und wissenschaftlichen Positionen vgl. Peter 2007: 98 ff. 25 <?page no="25"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Kritische Demokratiewissenschaft heute speist sich demgegenüber, wie eingangs ausgeführt, vornehmlich aus soziologischen Quellen. Die Soziologie hat, was die gesellschaftstheoretische Rückkoppelung des Gegenstands einer Demokratiewissenschaft angeht, komparative Vorteile gegenüber der Politikwissenschaft. »Deren Theoriefraktion führt zumeist ein eher esoterisches Eigenleben in den bildungsbürgerlichen Weiten der Ideengeschichte oder in den so herrlich beliebigen Hügellandschaften der normativen politischen Theorie. Für die empirische Politikforschung allgemein wie auch für die Politische Soziologie ist sie - von Ausnahmen abgesehen - weitgehend schlicht irrrelevant, da nicht anschlussfähig« (Borchert 2004: 31 im Anschluss an Hartmann 1997). Das Selbstverständnis einer Wissenschaft lebt von ihren Problemstellungen und ihrem Gegenstand. Richtungsweisend für die wissenschaftssystematische Verortung der Politischen Soziologie ist deshalb eine Selbstverständnisdebatte, die der 1995 gegründeten Sektion »Politische Soziologie« in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in die Wiege gelegt wurde und die bislang anhält. Meuser (2003: 48 ff.), Bach (2004: 17 ff.), Borchert (2004: 28 ff.) und von Trotha (2006: 283 ff.) markieren ihre wichtigsten Etappen und (Zwischen-)Ergebnisse. Im Kern der disziplinären Selbstvergewisserung geht es um den Begriff des Politischen und damit um den Gegenstand der Politischen Soziologie. Die Auseinandersetzung stellt einmal mehr unter Beweis, dass es sich bei der Soziologie im Allgemeinen um eine reflexive und hochgradig um Selbstvergewisserung bemühte Wissenschaft handelt und dass Politische Soziologie im Besonderen dieser Traditionslinie folgt und sich inzwischen zu einem »Ort für die lebendige soziologische Debatte über Politik« (Sektion »Politische Soziologie« der DGS, Febr. 2006: 1) entwickelt hat. Die Schwierigkeiten allerdings beginnen schon beim Namen. Ob Politische Soziologie »Soziologie der Politik« oder in der deutschen politikwissenschaftlichen Tradition »Politische Soziologie« heißen soll, ist inzwischen zwar ex officio durch einen Konzilsbeschluss der DGS zu Gunsten der Traditionsbezeichnung entschieden, gleichwohl nicht aus der Debatte. Nach wie vor werden die Begriffe Soziologie der Politik, Politiksoziologie und Politische Soziologie von den Mitgliedern der Sektion und in offiziellen Verlautbarungen (so im Programmpapier Nr. 2 der Sektion »Politische Soziologie«, Febr. 2006) synonym verwendet. Dahinter steckt jedoch mehr als Begriffshuberei. »Politische Soziologie« gilt manchen als eine »missverständliche Bezeichnung« (Nedelmann 1994: 265), die Soziologie dem Verdacht aussetze, »politisch« zu sein. Der Namensstreit berührt ein tiefer liegendes Thema, nämlich die Frage nach dem Erkenntnisinteresse politisch-soziologischer Forschung. Soll Politische Soziologie ihren Gegenstand beschreiben und erklären oder auch kritisieren und an seiner Veränderung mitwirken? Solche zur Methodologie einer praxisorientierten Demokratieforschung zählenden (und weiter unten zu behandelnden) Fragen sind damit auf dem wissenschaftlichen Tableau. Im Kern geht der anhaltende Selbstverständigungsprozess jedoch über den Gegenstand der Politischen Soziologie hinaus. Eine wie auch immer geartete »Soziologie der Politik« muss eine Vorstellung davon entwickeln, was 26 <?page no="26"?> 1.1 Wozu Politische Soziologie? mit »Politik« gemeint sein soll. Die bisherige Debatte zeigt, dass die Vorstellungen nicht nur weit auseinandergehen, sondern auch einem herrschenden Trend folgen: der Entgrenzung von Politik. Diese kündigt sich nicht nur in der zunehmenden Quantität von Politikbegriffen (wie z. B. »Geopolitik«, »Mikropolitik«, »Biopolitik«, »Subpolitik«, »Geschlechterpolitik« u. a. m.) an, sondern findet auch ihren Ausdruck in einer neuen Qualität, die über die politikwissenschaftlichen Dimensionen des Politischen hinausweist. Das Politische transzendiert das politische System und dringt in sämtliche Ritzen der Gesellschaft vor. Eingelagert in lebensweltliche Mikropolitiken und disparitäre Bedürfnisbereiche (wie Wohnen, Freizeitgestaltung, Verkehr etc.) zieht es die Aufmerksamkeit unterschiedlicher Soziologien (wie zum Beispiel Konsumsoziologie, Räumliche Soziologie etc.) auf sich und erweitert die politisch-soziologische Perspektive auf Forschungsgebiete weit über die traditionellen Themen einer ehemals soziologisch inspirierten Wahl-, Parteien- und Elitenforschung hinaus. Dieser Entgrenzungsprozess birgt für eine wissenschaftssystematische Verortung der Politischen Soziologie auf dem Feld der Soziologie erhebliche Risiken. Hierzu zählen der »Rückzug der soziologischen Politikforschung in die begriffliche Diffusität und theoretische Beliebigkeit des Alltags- und Lebensweltlichen« (Bach 2004: 18). Er birgt aber auch Chancen für die Etablierung einer praxisorientierten Demokratieforschung, die ihren Gegenstand auf seine gesellschaftlichen Grundlagen hin befragt. Mit der Entgrenzung des Politischen betritt die Politische Soziologie neue Forschungsgebiete. Dazu zählen, wie der Überblick von Michael Meuser belegt (Meuser 2003: 48 ff.), Neue soziale Bewegungen, die ökonomische, kulturelle und politische Transformation von Gesellschaften, die politischen Dimensionen der Globalisierung, Grundlagen und Akteure der Zivilgesellschaft, Lebensstile und Subpolitik, die Dimensionen der politischen Inszenierung, der Wandel politischer Institutionen und (wenn auch bislang unterbelichtet) die Geschlechterpolitik. Dadurch entstehen wissenschaftliche Orte der (Wieder- )Begegnung von Politikwissenschaft und Soziologie auf der Grundlage von disziplinär geprägter Reflexion über den Gegenstand, aber auch neue Möglichkeiten für interdisziplinäre Kooperation (Meuser 2003: 32). Für die wissenschaftssystematische Verortung der Politischen Soziologie bleibt allerdings ein solchermaßen entgrenzter Politikbegriff nur begrenzt identitätsstiftend. Und das aus folgenden Gründen: Zum einen belegt der skizzierte Forschungsüberblick zwar eine immense Erweiterung des Themenspektrums, aber zugleich eine weitgehende Ausgrenzung jenes zentralen Gebietes, das für eine praxisbezogene Demokratiewissenschaft im Fokus steht: die Ökonomie (vgl. Einleitung). Zum anderen entspricht der Entgrenzung des Gegenstandes und der damit ermöglichten Erweiterung der Forschungsgebiete keine Vertiefung der empirisch-analytischen Themenbearbeitung im Sinne von gesellschaftswissenschaftlicher »Erdung«. Bezeichnenderweise kommt im skizzierten Forschungsüberblick »Demokratie« als Forschungsgebiet nicht vor, ebenso fehlen »gesellschaftliche Arbeit« und »Produktionsverhältnisse«. 27 <?page no="27"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Die mit der soziologischen Perspektive auf den Gegenstand und seiner Entgrenzung verbundenen Chancen für die Begründung der Politischen Soziologie als Demokratiewissenschaft liegen, so das Fazit, weder in der bloßen Fortschreibung ihrer politikwissenschaftlichen Tradition noch in einer Neubegründung als spezielle Soziologie, vielmehr in den politikwissenschaftlichen und soziologischen Zuschreibungen für eine kommunikative »Scharnierfunktion«. Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft findet ihren wissenschaftssystematischen Ort nicht auf dem Feld disziplinärer Aus- und Abgrenzung, sondern zwischen Politikwissenschaft und Soziologie, auf Feldern der interdisziplinären Zusammenarbeit und in der Auseinandersetzung »um die alte Frage, wie ein ökonomisches System, das auf Ungleichheit basiert, und ein politisches System, das den Anspruch der Gleichheit erhebt, koexistieren können, und wie sich diese verschiedenen Logiken vermischen, verformen und überlagern« (so Borchert 2004: 29 im Anschluss an Faulks 1999). Damit sind für die Befestigung des wissenschaftssystematischen Ortes einer Demokratiewissenschaft zwischen ihrer politikwissenschaftlichen Traditionslinie einerseits und soziologischen Selbstvergewisserung andererseits drei richtungsweisende Aussagen getroffen: (1) Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft bedarf keiner »Neubegründung« aus dem Selbstverständnis ihres entgrenzten Gegenstandes (erweiterten Politikbegriffs), sondern vielmehr der Erinnerung an ihre demokratiewissenschaftlichen Wurzeln. Daraus folgt: (2) Politische Soziologie teilt ihren Gegenstand mit der Politikwissenschaft, aber sie erweitert den Blick auf seine ökonomische Seite und vertieft die Perspektive durch den Einbezug seiner gesellschaftlichen Grundlagen. Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie basieren auf sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Herrschaft. Politische Soziologie markiert dann jenen Ort, an dem sich gesellschaftstheoretisch versierte Politikwissenschaftler mit demokratieinteressierten Soziologen zur interdisziplinären Zusammenarbeit begegnen. Darin gründet die kommunikative »Scharnierfunktion« der Politischen Soziologie. (3) Aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem Gleichheitspostulat der Demokratie einerseits und den Folgen von sozialer Ungleichheit für eine demokratische Politik- und Interessenvermittlung andererseits erwächst der Politischen Soziologie die Aufgabe zur Kritik und gewinnt sie das Selbstverständnis einer kritischen Demokratiewissenschaft. Mit dieser Ortsbestimmung werden der Politischen Soziologie Aufgaben zugeschrieben, deren Wahrnehmung voraussetzungsvoll ist. Denn sie formuliert zwar Antworten auf die Frage, wozu Politische Soziologie gebraucht wird, lässt aber die Frage offen, wie diese Aufgaben zu erledigen sind. Tragfähige Antworten führen auf das Feld der Methodologie und der Methodik, vermittels derer das wissenschaftliche Selbstverständnis umgesetzt werden sollen (vgl. 1.1.2). Und schließlich folgt aus dem skizzierten Selbstverständnis ein weiteres: Wer aus gesellschaftswissenschaftlicher Perspektive die 28 <?page no="28"?> 1.1 Wozu Politische Soziologie? sozialen Grundlagen (soziale Ungleichheit und Macht) von demokratischer Politik- und Interessenvermittlung in die Analyse mit einbezieht, muss eine Vorstellung von dem haben, was mit »sozialer Ungleichheit« gemeint ist (dazu 1.1.3). Das Selbstverständnis der Politischen Soziologie als kritische Demokratiewissenschaft führt demnach zu einem wissenschaftssystematischen Ort zwischen Politikwissenschaft und Soziologie, an dem interdisziplinäre Begegnungen nicht nur möglich und wünschenswert, sondern auch voraussetzungsvoll sind. Die wesentlichen Voraussetzungen werden im Folgenden dargelegt. 1.1.2 Beschreiben und Erklären oder Kritisieren und Verändern? Zur Methodologie einer praxisorientierten Demokratieforschung Die bisherigen Selbstvergewisserungen der Politischen Soziologie verweisen auf ihre gesellschaftstheoretischen Defizite (so Ebbighausen 1981), fordern nach der scheinbaren (Neu-)»Erfindung des Politischen« (Beck 1993) eine grundlegende Neu-Orientierung, wenn nicht gar Wiederbegründung einer »Soziologie der Politik« (so der ursprünglich vorgesehene Name der Sektion Politische Soziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie) in scharfer Abgrenzung zur Politikwissenschaft (vgl. Bach 2004: 17 ff.) oder verorten sie entschieden zwischen den Disziplinen (so Borchert 2004: 28 ff.), ohne allerdings Wissenschaftsbegriff und Methodologie näher auszuführen. Wer »als Brücke zwischen Politikwissenschaft und Soziologie« fungieren will, muss durchlässig sein »für Ideen und Konzepte, die in verschiedenen disziplinären Zusammenhängen generiert worden sind« (Borchert 2004: 35). Dies ist ebenso selbstverständlich wie die »Distanz zu jenen Akteuren, mit denen man sich beschäftigt« (ebd.). Sie gilt als conditio sine qua non von Kritikfähigkeit. Es bleibt das Missverständnis, für manche sogar Ärgernis mit ihrem Label, da der Verdacht aufkommen könnte, Politische Soziologie sei (partei-)politisch und erfülle nicht die Kriterien von Wissenschaftlichkeit. Deshalb sind zunächst einige grundsätzliche Erwägungen zum Wissenschaftsbegriff angezeigt. Zweifellos besteht die Leistungsfähigkeit der Politischen Soziologie als kritische Demokratiewissenschaft in ihrer wissenschaftlichen Existenz. Mit der Frage nach den Standards, die die Soziologie zur Wissenschaft machen, berühren wir einen grundsätzlichen Problemkreis, der sich spezifisch für die Sozialwissenschaften, weniger jedoch für die Naturwissenschaften stellt. Denn Letztere sind als »exakte« Wissenschaften anerkannt. Sie bedienen sich einer schwierigen Sprache, der Mathematik, und produzieren Ergebnisse, die - soweit sie technisch umgesetzt werden - nahezu unbefragt von Nutzen zu sein scheinen. Anders jedoch die Soziologie. Sieht man einmal von Meinungsumfragen und anderen Formen angewandter Soziologie ab, deren Ergebnisse unmittelbar politisch umsetzbar sind, dann scheint es, als befasste sich Soziologie überwiegend mit Problemen und Sachverhalten, von denen die meisten Gesellschaftsmitglieder bereits 29 <?page no="29"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft eine mehr oder weniger klare Vorstellung oder Meinung haben. Die Soziologen reden demnach nach allgemeiner Vorstellung über Dinge, zu denen jeder etwas zu sagen hat, weil wir sie aus unserem Alltag kennen. Dies ist eine große Chance für diese Wissenschaft, aber auch ihr großes Problem. Chance deshalb, weil soziologische Ergebnisse die Alltagsprobleme der Menschen betreffen und unter bestimmten Voraussetzungen geeignet sein können, etwas zur Lösung dieser Probleme beizutragen. Dies gilt auch für die Politische Soziologie. Ihre Alltagsrelevanz hat aber zwei Seiten. Zum einen wird die Grenze zwischen soziologischem Wissen und Alltagswissen fließend mit der Folge, dass Soziologie, wie kaum eine andere Wissenschaft, diese Grenze deutlich markieren muss, jenseits derer sie den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit aufgibt. Zum anderen bedeutet ihre Einbindung in den gesellschaftlichen Alltag zugleich eine erhöhte Konfrontation mit unterschiedlichen Ansprüchen und Interessen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, das eigene Vorverständnis vom Forschungsgegenstand und das Forschungs- und Erkenntnisinteresse offenzulegen und sich zu vergegenwärtigen. Mit anderen Worten: Wer Politische Soziologie betreibt, muss sich die Fragen stellen, was, wie und wozu er forscht. Gefundene Lösungen zu dieser methodologischen Problemstellung haben Konsequenzen für die Methodik. Die Antworten auf die Fragen nach dem Forschungsgegenstand, zum Beispiel den Dimensionen des Politischen, nach seiner methodischen Bearbeitung und nach der Verwertung von gewonnenen Ergebnissen können sehr unterschiedlich ausfallen. Der politische Soziologe geht, wie jeder Sozialwissenschaftler, nicht voraussetzungslos an seine Forschung, sondern hat immer schon eine bestimmte Vorstellung davon, was erforscht werden soll, wie der gewählte Gegenstand methodisch zu untersuchen ist und wozu dies getan werden soll, das heißt, was mit den Ergebnissen zu geschehen hat. Die Frage, wer die gewonnenen Ergebnisse wozu verwendet, ist eine Interessenfrage und markiert ein Machtproblem. Wer (Politik, Bürokratie u. a. m.) hat ein Interesse an politisch-soziologischen Forschungsergebnissen und zugleich die Macht, über sie zu verfügen? Und welches Interesse hat der Forscher selbst an der Verwertung seiner Ergebnisse? Dass mit dieser wichtigen, die Forschungsethik berührenden, aber letztlich sich als Problem der Definitions- und Verwertungsmacht über Forschungsergebnisse stellenden Frage nicht nur die Soziologie, sondern auch gerade solche Wissenschaften konfrontiert sind, die sich als interessenfrei und neutral gerieren, zeigen die Gefahren einer naturwissenschaftlich-technischen Entwicklung von der Steinschleuder zur Atombombe. Erkenntnis, zumal soziologische, und Interesse sind nicht zu trennen (grundlegend Habermas 1973a). Auf die Frage, wie das Erkenntnisinteresse zu berücksichtigen ist und welche Folgen dieser Sachverhalt für das methodische Vorgehen und das Selbstverständnis von Soziologie hat, fallen die Antworten unterschiedlich aus. So auch in der Politischen Soziologie. Wissenschaft sucht den Zugang zur Wirklichkeit. Für die Soziologie ist diese Wirklichkeit die Gesellschaft oder Teile von ihr (z. B. Politik). Die Ansichten darüber, wie dieser Zugang zu finden ist, gehen auseinander. Es gibt weder eine verbindliche Methoden- 30 <?page no="30"?> 1.1 Wozu Politische Soziologie? lehre noch eine Kanonisierung soziologischen Wissens. Soziologie produziert deshalb mehr neue Fragestellungen als sie Antworten gibt. Dies ist ein Ausweis für ihre theoretische Produktivität, aber auch für eine häufig mangelnde Verwertbarkeit von soziologischen Ergebnissen. Hat sich die Hypothese anhand der empirischen Überprüfung erhärtet, dann darf sie als vorläufig gesichert gelten. Dies mag politischen Akteuren, die nach »gesicherten Erkenntnissen« verlangen, ungenügend erscheinen und als Indiz dafür gelten, warum sich Politische Soziologie weniger als ihre politikwissenschaftlichen Schwestern in der Parteien-, Verbände- und Wahlforschung für Politikberatung eignet. Die Frage, wie Theorien als Hypothesensysteme zustande kommen, gibt zugleich auch Aufschluss über die Aufgabe, die ihnen zugeschrieben wird, das heißt über das Interesse, das mit ihnen verbunden ist. Zwei grundsätzliche Positionen sind hierbei richtungsweisend: (4) Von Anfang an sah eine vornehmlich empirisch orientierte Soziologie ihre Aufgabe darin, die sozialen Tatsachen zu beschreiben. Ihre Absicht war es, die Gesetze, nach denen die Gesellschaft funktioniert, möglichst mit naturwissenschaftlicher Exaktheit zu dechiffrieren. Erklärende Kraft und damit hypothetischen Charakter erhält die Beschreibung jedoch erst dann, wenn wir die beschriebenen Vorgänge »unter ein Gesetz bringen«, darin also allgemeine Gesetzmäßigkeiten erkennen können. (5) Erklären kann der Soziologe in der Regel aber nur dann, wenn er »versteht«, was in den Köpfen seiner Forschungsobjekte vorgeht. Max Weber hat darauf hingewiesen, dass es gerade die Wert- und Sinnorientierung des menschlichen Handelns ist, die gesellschaftliche Vorgänge von Naturvorgängen unterscheidet. Im Anschluss daran ließe sich Politische Soziologie als »verstehende« Soziologie betreiben. Wozu aber will Soziologie die sozialen Vorgänge überhaupt verstehen? Die Frage nach dem Erkenntnisinteresse stellt sich für die »verstehende« Soziologie ebenso wie für eine Soziologie, die sich mit der bloßen Beschreibung von sozialen Tatbeständen und ihrer Erklärung bescheidet. Sie stellt sich eher noch dringlicher; denn welchen Zweck hat Soziologie, wenn sie doch nur Aussagen über das macht, was ohnehin die Menschen wissen, wollen und tun? Zum einen, so wird man antworten können, wird die Verhaltensorientierung an Normen und Werten genauer, weil wissenschaftlich begründet, feststellbar sein. Dies gilt auch im Themenfeld der Politischen Soziologie, wenn es um politisches Handeln, wie zum Beispiel Partizipation in Form von Wahlakten, Bürgerbeteiligung in Formen der direkten Demokratie u. a. m. geht. Zum andern aber kann solche Soziologie den gesellschaftlichen Zusammenhang, das heißt den Einfluss gesellschaftlicher Faktoren auf das konkrete Verhalten und damit auch auf politisches Handeln der Gesellschaftsmitglieder offenlegen. Nicht zuletzt aber liegt das Interesse einer verstehenden Soziologie auch in der Feststellung von Widersprüchen, zum Beispiel zwischen dem, was die Menschen von ihren sozialen Beziehungen wissen und meinen und den gesellschaftlichen Tatsachen. Aufgabe der Soziologie ist es dann, auf Vorurteile, »falsches« Bewusstsein und Ideologien zu verweisen. Damit wird bereits die Grenze zu einer Soziologie überschritten, die den Anspruch einlösen will, mit dem die Menschen 31 <?page no="31"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft überhaupt begonnen haben, über ihre gesellschaftlichen Verhältnisse nachzudenken: um sie im Gebrauch kritischer Vernunft selbst zu gestalten. Mit dieser Aufgabenzuschreibung bewegen wir uns bereits auf dem Feld der kritischen Demokratiewissenschaft. »Wofür arbeitet ihr? Ich halte dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern. Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens Willen aufzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschritt von der Menschheit weg sein.« (Galileo Galilei). Die hier von Bert Brecht (1973: 1340) kritisierte Anhäufung von Wissen um des Wissens willen und die geforderte Ausrichtung der wissenschaftlichen Erkenntnis auf die menschliche Existenz hin bezeichnen die Kernelemente einer Soziologie, die ihren Zugriff auf die gesellschaftliche Wirklichkeit in der auf Wirklichkeitsgestaltung gerichteten Kritik sucht. Häufig wird aber die Frage danach, was Gesellschaft ihrem eigenen Anspruch gemäß sein sollte und könnte, in den Bereich vorwissenschaftlicher Spekulation oder nachwissenschaftlicher Bewertung der »wertneutral« gewonnenen Ergebnisse abgeschoben. Demgegenüber gewinnt eine Soziologie, die sich ihre eigene historische Herkunft aus dem objektiven Zusammenhang von Interessen, Ideologien und Ideen bewusst macht, eine Dimension der Kritik als historische Soziologie. Weitere Merkmale dieser Kritik sind Reflexivität und Praxisorientierung. Für das kritische Potenzial einer praxisorientierten Demokratieforschung heißt dies: Solche Kritik, »welche über die unbegrenzte intellektuelle Redlichkeit hinaus auch in die politische Verantwortung und Praxis drängt, muss immer wieder an die Notwendigkeit kritischen Zweifels gegen sich selbst und an ihr Verhältnis zum Kreis der Adressaten erinnert werden, deren Emanzipation ihr Verpflichtung und Aufgabe ist. Wenn Kritik selbst an der politischen Entscheidung und Tat beteiligt sein will, wenn sie über ihre als sicher geglaubte Einsicht in die notwendigen Maßnahmen zur Realisierung der moralischen Werte auch die Macht beansprucht, ihre Einsichten durchzusetzen, dann genügt es nicht mehr, Fragwürdigkeiten und Unzulänglichkeiten aufzuzeigen, für deren Beseitigung man aus elitär einsamer Erkenntnis heraus sich einsetzt. Politisch-praktische Kritik korrumpiert sich selbst, wenn sie nicht auch daran denkt, das kritische Bewusstsein und die intellektuellen und sozialen Voraussetzungen dazu auch für diejenigen zu schaffen, deren sozialer Situation sie sich verantwortlich weiß. Kritik ist mehr als Verantwortung nur gegenüber den eigenen moralischen Maßstäben und Prinzipien. Sie ist immer auch Verantwortung gegenüber anderen, für die zu erklären ist, ob und inwieweit sie es ertragen, mit der Kritik und insbesondere mit den aus der Kritik sich ergebenden praktisch-politischen Maßnahmen zu lebe.n« (Hartfiel 1970: 12 f.). Rufen wir uns das einleitende Zitat von Brecht in Erinnerung. Kritik bleibt einem emanzipatorischen Erkenntnisinteresse verpflichtet. Dies besagt, dass die kritische Durchleuchtung der gesellschaftlichen Grundlagen von Politik- und Interessenvermittlung auf deren prak- 32 <?page no="32"?> 1.1 Wozu Politische Soziologie? tische Gestaltung im Interesse von Aufklärung und Mündigkeit der Gesellschaftsmitglieder abzielt. Das Interesse an politisch-soziologischer Erkenntnis gerinnt damit zum Interesse an sozialer und politischer Emanzipation. Was folgt daraus für die Methodik einer praxisorientierten Demokratieforschung? Das Selbstverständnis der kritischen Demokratiewissenschaft ist forschungspraktisch umzusetzen. Die herkömmlichen Antworten unterscheiden zwischen einem empirischanalytischen und einem kritisch-dialektischen Ansatz. Politische Soziologie, die sich dem empirisch-analytischen Ansatz verpflichtet sieht, teilt dessen Prämisse, wonach Theorie und Forschung unauflöslich miteinander verbunden sind. Theorien erscheinen in dieser Tradition als Netze, die wir auswerfen, um die soziale Wirklichkeit einzufangen. Hierfür taugen sie allerdings nur dann, wenn sie ständig einer Erfolgskontrolle unterzogen werden, das heißt der wiederholbaren und nachprüfbaren Erfahrung (Albert 1968: 33). Das Ziel dieses Ansatzes ist es deshalb, die soziale Realität selbst soweit als möglich einzufangen, um durch eine solchermaßen erfahrungsgeleitete Theorie Prognosen aufstellen zu können. »Soziologie gewinnt dann den Charakter einer ›Sozialtechnologie‹«, Politische Soziologie wird zur politischen Planungswissenschaft. Durch das Sammeln und Interpretieren von Fakten, die Deskription von Tatbeständen und ihrer Erklärung anhand von Hypothesen, die Falsifikationstests unterworfen werden, eignet sich Politische Soziologie als Politiktatsachenforschung. Dies erklärt, warum der empirisch-analytische Ansatz nicht nur in der Soziologie, sondern auch in der praxisorientierten Demokratieforschung Tradition hat und sich in der modernen Partei-, Verbände-, Wahl- und Politikforschung durchgesetzt hat. In der jüngeren Politischen Soziologie findet sich der empirisch-analytische Ansatz in solchen Untersuchungen, die die gesellschaftliche Effektivität von Politischer Soziologie von deren Fähigkeit abhängig machen, sozialtechnologisch und politisch verwertbare Aussagen zu produzieren. Dass sich der empirisch-analytische Ansatz in der Politischen Soziologie weitgehend durchgesetzt hat, mag auch mit der Faszination zusammenhängen, die eine empirisch fundierte Lösung von politischen Entscheidungsproblemen auf den sozialwissenschaftlich aufgeschlossenen politischen Akteur ausübt. Im Unterschied dazu geht die kritisch-dialektische Soziologie von der Prämisse aus, dass nicht die Faktizitätskontrolle, sondern ein historischer Begriff des gesellschaftlichen Ganzen Ausgangspunkt des soziologischen Denkens zu sein hat. Das Ziel dieses Denkens besteht in der Erstellung kritischer Gesellschaftsanalyse. Um das Wirkliche zu erkennen, muss man es mit dem in ihm angelegten Möglichen konfrontieren. Dies bezeichnet den Kerngehalt der Kritik. Hierbei können die Ergebnisse der empirischanalytischen Soziologie durchaus eine wichtige Rolle spielen. Sie werden jedoch, worauf Ryffel (1974: 198) hinweist, eingebaut in einen normativen Rahmen mit Orientierungsfunktion für die gesellschaftlich gestaltende Praxis. Die Tradition der kritisch-dialektischen Soziologie ist in der Politischen Soziologie schwach ausgeprägt. Sie wird gelegentlich angemahnt (z. B. von Ebbighausen 1981: 227 ff.), wurde aber bereits von der praxisbezogenen Demokratieforschung 33 <?page no="33"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft kaum gepflegt. Denn diese verstand sich als empirisch orientierte »Politiktatsachenforschung« (Kastendiek 1977: 95). Zum guten Teil erklärt sich die Tatsache, dass der empirisch-analytische Ansatz in der Politischen Soziologie zum herrschenden avancieren konnte, aus den Mängeln des kritisch-dialektischen Ansatzes selbst. Kritischdialektische Politik- und Gesellschaftstheorie verkümmert leicht zur reinen negativen Kritik, die praxislos bleibt und umgekehrt: Die herrschende politische Praxis wird nicht mehr aufgearbeitet in einer soziologisch-kritischen Theorie. Zum andern verschließt sich das Denken in Widersprüchen seiner glatten Einpassung in politisch-praktische Konzepte von kurzer Reichweite. Es lässt sich schwerlich instrumentalisieren. Dies ist in einer Zeit, in der instrumenteller Rat und kaum grundsätzliche Kritik nachgefragt wird, eher abträglich. Soziologische Politikanalyse, will sie nicht nur affirmativ sein, darf unter Wahrung des kritischen Potenzials dieses Ansatzes nicht mehr hinter seinen gesellschaftskritischen Anspruch und hinter die Forderung nach dessen praktischer Einlösung zurückfallen. Gerade Letzteres aber verlangt, die Kommunikation in gesellschaftliche Praxisfelder der Politik- und Interessenvermittlung hinein aufzunehmen. Mit anderen Worten: kritischdialektische als kommunikative Demokratiewissenschaft zu betreiben. Kommunikative Politische Soziologie lässt sich von der Prämisse leiten, dass »keine wissenschaftliche Theorie ohne letzte Fundamentalaussagen auskommen (kann), die ihrerseits im Rahmen dieser Theorie nicht prüfbar sind« (Patzig 1966: 120). Deshalb darf sich Soziologie und erst recht nicht die Politische Soziologie in jene gegenseitige polemische Isolation begeben, in der die unterschiedlichen Ansätze bislang häufig diskutiert werden und deren Fruchtlosigkeit evident ist (so schon Narr 1972: 83 ff.). Vielmehr steht fest, dass die kritisch-dialektische Theorie ihre »konservative Aufgabe« (Jürgen Habermas), nämlich die zeitgemäße Einlösung bürgerlich-liberaler Emanzipationsversprechen anzumahnen (z. B. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Identität von Herrschenden und Beherrschten und nicht zuletzt gesellschaftliche und politische Öffentlichkeit), nur durch den Rückgriff auf die Tradition erfüllen kann. Ziel einer kommunikativen Politischen Soziologie ist es demnach, innerhalb der Soziologie die wissenschaftliche Kommunikation zwischen den verschiedenen Ansätzen zu fördern und diese zu einem Paradigmenverbund zu integrieren. Damit ist auf der Ebene der Forschungsmethoden zugleich die Option für einen Methodenpluralismus begründet. Keine Methode hat Ausschließlichkeitscharakter. Eine praxisorientierte Demokratieforschung darf deshalb das »Schisma« der empirischen Sozialforschung nicht reproduzieren. Quantitative und qualitative Methoden sind nicht gegeneinander auszuspielen, sie haben vielmehr, je nach Forschungsfrage und Problemstellung, Relevanz. Ihre unterschiedliche Reichweite und instrumentelle Qualität lassen sich, wie die moderne Methodenlehre zeigt, (z. B. durch Triangulation) nutzen (vgl. Schnell/ Hill/ Esser 2005: 262, 419). Das Methodenarsenal der empirisch arbeitenden Demokratiewissenschaft darf nicht methodisch borniert eingeschränkt, sondern muss durch bislang in der Politischen Soziologie kaum genutzte Methoden, wie z. B. 34 <?page no="34"?> 1.1 Wozu Politische Soziologie? ethnographische Beschreibungen (vgl. Pritzlaff 2006: 125 ff.) und Diskursanalyse (vgl. Keller/ Viehöver 2006: 103 ff.), erweitert werden (so auch von Trotha 2006: 283 ff. (299 f.)). Nach außen hin, nämlich gegenüber den Nachbardisziplinen, bedeutet dies, den wissenschaftlichen Diskurs in Gang zu setzen und aufrechtzuhalten. Mit anderen Worten: den Anspruch einer »Scharnierfunktion« zwischen Soziologie und Politikwissenschaft methodisch einzulösen. Damit ist zugleich die obige Aussage begründet, dass Politische Soziologie mit keiner von beiden Disziplinen deckungsgleich ist oder in eine der beiden einzubetten wäre. Von der Soziologie holt sie sich die kritisch-theoretische Absicherung ihres Erkenntnisinteresses an Aufklärung und menschenwürdiger Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch Politik. Mit der Politikwissenschaft teilt sie, wie eingangs dargestellt, ihren Gegenstand. Allerdings mit unterschiedlichen Perspektiven. Während die Politikwissenschaft ihr Augenmerk eher auf das Verhältnis von politischen Werten und Normen und ihrer institutionellen Ausformung legt (also die Bereiche Polity und Policy thematisiert), besteht der Bezugspunkt der Politischen Soziologie im Verhältnis von politischen Werten und Normen, deren Vermittlung in die Gesellschaft und damit in den »Politiktatsachen«. Deshalb nimmt sie vor allem die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen von Politik in den Blick. Politische Soziologie gewinnt dann ihre kritische Dimension aus den Widersprüchen zwischen normativem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit von politischem Handeln. Als kommunikative Politische Soziologie eröffnet sie die Chance, über interdisziplinäre Kooperation zu einer Integration von kritisch-soziologischer und soziologisch-politischer Denkweise beizutragen. 1.1.3 Zur Bedeutung von »sozialer Ungleichheit« für eine kritische Demokratiewissenschaft 1.1.3.1 Entgrenzung als Vertiefung: Zur gesellschaftswissenschaftlichen Fundierung der Politischen Soziologie Die oben skizzierte Debatte zum Profil des »Politischen« als Gegenstand einer Soziologie der Politik verlagert diesen aus dem Schatten des Leviathan in die Gesellschaft, vom Staatshandeln zum Alltagshandeln, von der Regierungspolitik auf die Sub-Politik und entgrenzt damit ihren Gegenstand. Diese Entgrenzung ist für eine kritische Demokratiewissenschaft in zweifacher Hinsicht richtungsweisend: Einerseits öffnet sie den Zugang zu einem Verständnis von Demokratie als gesellschaftlichem Prinzip. Demokratie, von der traditionell eng geführten Demokratiediskussion zur Staatsform verkürzt, wird in die Alltagsgestaltung der Menschen hinein verlängert und damit zur Lebensform. Eine solchermaßen »entgrenzte« Demokratie erweitert den normativen Rahmen der Demokratiewissenschaft, wie weiter unten gezeigt wird (vgl. 1.2). Andererseits vertieft eine auf »soziale Ungleichheit« erweiterte Perspektive den Blick auf die gesellschaftlichen Grundlagen von Demokratie. Aus dieser Rückbindung von 35 <?page no="35"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Demokratieentwicklung an ihre gesellschaftlichen Voraussetzungen schöpft die Demokratiewissenschaft ihr Leitmotiv: die kritische, theoretisch reflektierte und empirischpraktische Analyse der Politik- und Interessenvermittlung unter dem egalitären Anspruch des Demokratiepostulats einerseits und unter den Voraussetzungen und Folgen sozialer Ungleichheit andererseits. In wissenschaftssystematischer Hinsicht bezeichnet »soziale Ungleichheit« einen Ort, an dem sich Sozialstrukturanalyse und Soziologie der sozialen Ungleichheit und Untersuchungen zur Genese, Organisation und Durchsetzung von gesellschaftlichen Interessen und sozialer Macht begegnen. Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft setzt deshalb ein Verständnis dessen voraus, was mit sozialer Ungleichheit gemeint ist. Was ist soziale Ungleichheit? Eine Annäherung über J. J. Rousseau Die Menschen sind nicht gleich. Wer sich umschaut, erkennt auf den ersten Blick, wie sie sich durch Geschlecht, Lebensalter, Augenfarbe, Körpergröße voneinander unterscheiden. Doch diese Verschiedenartigkeit der Menschen ist nicht gemeint, wenn von »sozialer Ungleichheit« die Rede ist. Daraus folgt allerdings noch lange nicht, dass nicht physisch bedingte Verschiedenartigkeit für die Konstruktion von sozialer Ungleichheit sehr bedeutsam sein kann, wie im Fall des Rassismus, des Patriarchats usw. Physisch bedingte Verschiedenartigkeit dient häufig zur ideologischen Rechtfertigung von sozialer Ungleichheit, sie taugt jedoch nicht zu ihrer sozialwissenschaftlichen Erklärung. Hier hilft der Blick in eine »klassische« Abhandlung weiter, wie jene von JeanJacques Rousseau (1712-1778) »Über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen« (1754). Dort heißt es: »Ich nehme zwei Arten von Ungleichheit unter den Menschen an. Eine nenne ich die natürliche oder physische Ungleichheit, weil sie von der Natur eingeführt worden ist. Sie besteht in der Verschiedenheit des Alters, der Gesundheit, der körperlichen Stärke und der Geistes- oder Seelenkräfte. Die andere könnte man eine sittliche oder politische Ungleichheit nennen, weil sie von einer Art von Übereinkunft abhängt und durch die Einwilligung aller Menschen eingeführt oder wenigstens gebilligt worden ist. Sie besteht in verschiedenen Freiheiten, welche einige zu anderer Nachteil genießen, nämlich reicher, angesehener, mächtiger zu sein als diese oder sich sogar Gehorsam von ihnen leisten zu lassen.« (Rousseau 1981: 191) Der Text enthält drei weiterführende Aussagen zum Thema: (1) Das Problem der Ungleichheit unter den Menschen und die wissenschaftliche Beschäftigung damit ist älter als die Soziologie. Dies festzustellen ist keineswegs so banal, wie es klingt; denn die soziologische Beschäftigung mit sozialer Ungleichheit zehrt bis heute von der politisch-philosophischen Vorstellung: der Mensch sei von Natur aus frei und gleich, Ungleichheit demnach eine »künstliche«, historisch entstandene und deshalb auch überwindbare gesellschaftliche Lage. Dieser aufklärerische Optimismus war der Soziologie in die Wiege gelegt. Sozio- 36 <?page no="36"?> 1.1 Wozu Politische Soziologie? logie ist ein Kind der Aufklärung. In ihren Augen sind alle Menschen als soziale Wesen prinzipiell gleichartig und gleichwertig. Die gesellschaftliche Wirklichkeit, soweit sie durch Ungleichartigkeiten und Ungleichwertigkeiten zwischen den Menschen geprägt wird, ist deshalb Gegenstand von soziologischer Aufklärung und Kritik, soziale Ungleichheit demnach ein Ärgernis. An der Frage nach den Ursachen, den empirischen Ausformungen und der Überwindung von sozialer Ungleichheit entzünden sich von jeher soziologische Kritik, Theoriebildung und Gesellschaftsentwürfe. (2) Rousseau unterscheidet zwischen »natürlicher« und gesellschaftlich (durch Übereinkunft) verursachter Ungleichheit. Was auf den ersten Blick einleuchtet, erweist sich jedoch bei genauerem Hinsehen als höchst problematisch und soziologisch relevant; denn wer wollte heute noch bezweifeln, dass auch die Unterschiede »des Alters, der Gesundheit, der körperlichen Stärke und der Geistes- oder Seelenkräfte« wesentlich von den gesellschaftlichen Lebensumständen der Menschen bestimmt werden, demnach nicht »natürlich«, sondern sozial konstruiert sind, das heißt die Lebensumstände ihrerseits sind durch jene Art der »Übereinkunft« maßgeblich geprägt, aus der, nach Rousseau, moralische und politische Ungleichheiten hervorgehen. Und wie »natürlich« sind selbst physisch bedingte Verschiedenartigkeiten, wie Geschlecht, Augenfarbe oder »natürliche Begabung«, die zwar »von der Natur eingeführt«, aber in Zeiten der gentechnischen Reproduzierbarkeit des Menschen auch »außer Kraft gesetzt« werden können. »Sozial« als Attribut von Ungleichheit muss deshalb in einem sehr viel umfassenderen Sinne verstanden werden, als der aufklärerische Optimismus nahelegte. (3) Und entscheidend für ein soziologisches Verständnis von sozialer Ungleichheit ist die Feststellung, dass jene »durch die Einwilligung aller Menschen eingeführt oder wenigstens gebilligt worden« sei. Ungleichheit ist demnach sozial konstruiert, von Menschen »gemacht«, und deshalb auch aufhebbar, ohne dabei die zwar sozial verankerte aber funktionale soziale Differenzierung (i. S. v. horizontaler Arbeitsteilung) in einer Gesellschaft aufzugeben. Damit ist für eine soziologische Begriffsbestimmung von sozialer Ungleichheit ein weiteres gewonnen: die Unterscheidung zwischen sozialer Differenzierung durch unterschiedliche Sprachen, Lebensweisen, Religionszugehörigkeiten, Berufe, Verhaltensweisen und Wertvorstellungen auf der einen Seite. Ihre volle Entfaltung und Ausdifferenzierung ist der ganzen Vielfalt menschlicher Denk- und Verhaltensmöglichkeiten förderlich, vorausgesetzt, diese alle werden als prinzipiell gleichwertig anerkannt und führen nicht zu einseitigen Begünstigungen oder Benachteiligungen. Und - auf der anderen Seite - solchen sozialen Differenzierungen, die es mit sich bringen, dass einzelne Individuen oder Gruppen in dauerhafter Weise begünstigt, andere dauerhaft benachteiligt sind. Mit anderen Worten: Die bloße Feststellung von Andersartigkeit oder Verschiedenheit von menschlichen Eigenschaften oder Lebensweisen hat für das Problem sozialer 37 <?page no="37"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Ungleichheit noch wenig Aussagekraft und Informationsgehalt. Soziologisch interessant ist eine Andersartigkeit erst dann, wenn sie soziale Folgen in dem Sinne hat, dass sie in bestimmter, aber unterschiedlicher Weise zu Lebenschancen, Güterzuteilungen, Einflussmöglichkeiten oder Abhängigkeiten führt (vgl. Kreckel 2004: 15 ff.). Regelmäßig trifft dies für die Mitglieder von unterschiedlichen sozialen Klassen oder Schichten zu, aber keineswegs nur für diese. Ebenso sind davon die Angehörigen diskriminierter (oder privilegierter) gesellschaftlicher Teil- und Randgruppen betroffen, in den modernen Industriegesellschaften zum Beispiel Frauen, Ausländer, Farbige, Bewohner strukturschwacher Gebiete. Dies gilt auch im Weltmaßstab für ganze privilegierte oder benachteiligte Gesellschaften. Mit Reinhard Kreckel lässt sich deshalb der Begriff präziser bestimmen: »Soziale Ungleichheit im weiteren Sinne liegt überall dort vor, wo die Möglichkeiten des Zuganges zu allgemein verfügbaren und erstrebenswerten sozialen Gütern und/ oder zu sozialen Positionen, die mit ungleichen Machtund/ oder Interaktionsmöglichkeiten ausgestattet sind, dauerhafte Einschränkungen erfahren und dadurch die Lebenschancen der betroffenen Individuen, Gruppen oder Gesellschaften beeinträchtigt bzw. begünstigt werden.« (ebd.: 17) 1.1.3.2 Das soziale »Höher« und »Tiefer«: Soziale Ungleichheit und Sozialstruktur Wenn von sozialer Ungleichheit »im weiteren Sinne« die Rede ist, liegt es nahe, davon einen Begriff von sozialer Ungleichheit »im engeren Sinne« abzugrenzen. Auf diesem liegt das Hauptaugenmerk der traditionellen soziologischen Ungleichheitsforschung. Soziale Ungleichheit wird hier zur »Blaupause« der Sozialstruktur, mit anderen Worten: zu einem soziologisch modellierten Gesellschaftsmodell von hierarchisch übereinander angeordneten Klassen, Schichten, Statusgruppen oder ähnlichen Rangabstufungen. Gemeint ist hier die vertikale Dimension von sozialer Ungleichheit oder, wie es Karl Martin Bolte (1959 und 4. Aufl. 1975) treffend formulierte, das »soziale Höher und Tiefer«. Im Kern der soziologischen Beschäftigung mit sozialer Ungleichheit geht es demnach in erster Linie um das Phänomen der Über- und Unterordnung unter den Menschen. Dieser Konzentration auf die vertikale Differenzierung der Gesellschaft und die damit einhergehende stillschweigende Gleichsetzung von sozialer mit vertikaler Ungleichheit liegt die Vorstellung zugrunde, dass vertikale Ungleichheit die strukturbestimmende Form der Ungleichheit überhaupt sei und die Sozialstruktur der modernen Gesellschaft präge. Gesellschaft wird hier vorgestellt als eine sozial geschichtete Ordnung: Das, was sie zusammenhält, ist ihre Vertikalstruktur. Diese wird von der soziologischen Schichtungstheorie auf unterschiedliche Begriffe gebracht, wie zum Beispiel Kaste, Stand, Klasse und Schicht. Je nachdem spricht man von Kastengesellschaft (ein typisches Beispiel für eine solche gesellschaftliche Vertikalstruktur ist der Aufbau der indischen Gesellschaft, die religiös vom brahmanischen Kult des Hinduismus bestimmt 38 <?page no="38"?> 1.1 Wozu Politische Soziologie? wird) oder Ständegesellschaft. Als Stand bezeichnet man die Gesamtheit der Angehörigen einer Gesellschaftsgruppe, die einen durch Geburtszugehörigkeit, durch gesellschaftliche Funktion, durch spezifische Lebensführung und durch spezifische Rechte (Privilegien) und Pflichten bestimmten Rang in der Gesellschaft einnehmen. Der Stand kann ebenso religiös wie staatstheoretisch legitimiert sein. Jeder Stand entwickelt ein besonderes Ideal mit einer spezifischen Standesethik, die wiederum Formen und Inhalte der Lebensführung der Standesangehörigen bestimmt. Als Beispiel für eine durch Stände vertikal strukturierte Gesellschaft kann die mittelalterliche Stadt gelten (etwa bis zum 16. Jh.). Hier unterscheiden wir vier Stände: An der Spitze adlige und geistliche Stadtherren, darunter der Stand der Patrizier (Fern- und Großhandelskaufleute) und Grundbesitzer, dann der Stand der Bürger (Handwerker, Krämer, Beamte), sowie den gesellschaftlichen »Bodensatz« der niederen, »unehrlichen« Berufe: der »Unterständigen«. Komplizierter wird es mit der Klassengesellschaft. Während mit der Bezeichnung »Stand« eine vertikale Gliederung von Gruppen gemeint ist, in der sowohl die Verhältnisse der Gruppen zueinander als auch die Positionen der Menschen in dieser Gruppenordnung »stehende« sind, die Standesgesellschaft gewissermaßen sich im »eingeschwungenen Zustand« befindet, beinhaltet der Klassenbegriff die Vorstellung von dynamischen, sich verändernden, sich wandelnden Gruppenverhältnissen. In der marxistischen Tradition bedeutet Klasse mehr als nur einen ordnenden Begriff, der die Mitglieder einer Gesellschaft nach bestimmten sozialstatistisch erfassbaren Eigenschaften abgrenzt oder zusammenfügt. Klassen gelten als gesellschaftliche Aggregate von Menschen in gemeinsamer sozio-ökonomischer Lage und (mitunter auch) mit entsprechendem gesellschaftlichem Bewusstsein. Klassen erscheinen als Kraftpotenziale der Konflikte zwischen politisch-gesellschaftlich konträren Interessen. Auf der Grundlage solcher Interessen entstehen Auseinandersetzungen um (privilegierende und diskriminierende) Herrschaft, gleichgültig, worauf diese Herrschaft beruht. Im Vergleich zu den Ständen haben Klassen keine gemeinsame ideologische Bezugsbasis. Sie interpretieren sich in ihren Klassenideologien gegenseitig entweder als ordnungs- oder als fortschrittsfeindliche Kräfte. Gemeinsame Klassenlage als annähernd gleiche und ökonomische Situation (Lebenschancen, Güterbesitz, Einkommensmöglichkeiten, gesellschaftlicher Gestaltungseinfluss) führt nach Auffassung der meisten Klassentheorien nicht automatisch zu gleichem Klassenbewusstsein und Klassenhandeln. Eine nach wissenschaftlichen Merkmalen festgestellte »Klasse an sich« ist nicht immer auch gleichzeitig eine »Klasse für sich«. Theorien über soziale Ungleichheit, die den Begriff der Klasse zur primären sozialwissenschaftlichen Kategorie erheben, wollen damit zum Ausdruck bringen, dass die sozialen Merkmale und Beziehungen der Menschen weitestgehend durch die Klassenlage determiniert sind. Die Klassenlage bestimme das von Menschen erfahrene Familienleben ebenso wie die Chancen im Erziehungswesen, in der Berufs- und Arbeitswelt, in der medizinischen Versorgung usw., damit in der Persönlichkeitsbildung und in den individuellen wie sozialen Daseinsformen des Menschen überhaupt. 39 <?page no="39"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Der Begriff der sozialen Schicht ist in der Theorieentwicklung zur sozialen Ungleichheit moderner, aber auch ungenauer. Die Begriffe Kaste, Stand und Klasse zielen immer auf Aussagen über die sozialen Verhältnisse zwischen bestimmten Gruppen einer Gesellschaft in konkreter sozialhistorischer und kultureller Situation. Damit werden zugleich Aussagen über gesamtgesellschaftliche Struktur- und Entwicklungstendenzen getroffen. Wenn dagegen soziale Schichten oder soziale Schichtung einer Gesellschaft ermittelt werden, ist der soziologische Anspruch schon vom Ansatz her wesentlich bescheidener. Ihm geht es in der Regel nicht um Erkenntnisse über entstehungs- und gesamtgesellschaftliche Wirkungszusammenhänge von Ungleichheit, sondern zunächst nur um Unterschiede. Mit dem Schicht-Begriff ist demnach auch keine allgemeine, gesamtgesellschaftlich gültige theoretische Basis anvisiert. Ungleichheitsanalysen, die mit dem Schichtbegriff arbeiten, beschränken sich in der Regel auf sozialstatistische Feststellungen von Merkmalsverteilungen und entsprechenden personalen Zugehörigkeiten. Für jedes Mitglied einer Gesellschaft wird ermittelt, welche Merkmalsqualität bzw. quantität (hohes oder niedriges Einkommen, hoher oder niedriger Bildungsstand usw.) auf es entfällt und ob und in welcher Weise die Mitglieder einer Gesellschaft sich aufgrund solcher Merkmale im Verhältnis zu anderen als gleichwertig bzw. höher- oder geringerwertig (höher- oder tieferstehend) einschätzen oder eingeschätzt werden. Damit verweist die Analyse sozialer Ungleichheit entlang von Schichtungskriterien auf ein weiteres, zentrales Problem: Die Unterscheidung von objektiver Soziallage und subjektiver Wahrnehmung. Um soziologisch gehaltvolle Aussagen über das Verhalten und die Verhältnisse von Menschen in der Gesellschaft zu machen, muss mehr getan werden, als lediglich sozialstatistische Unterschiede zwischen den Individuen festzustellen. So ist es soziologisch unhaltbar, etwa aus der Position eines Menschen in der statistischen Einkommenspyramide allein schon Schlussfolgerungen hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Lebenschancen oder Verhaltensweisen zu ziehen. Soziale Ungleichheit lässt sich nicht an »objektiven« Daten messen. Gesellschaftliche realwirksame Ungleichheit kann erst festgestellt werden, wenn der Einfluss so genannter objektiver Daten auf das menschliche (individuelle oder kollektive) Verhalten geprüft wird. Hier tritt das Relevanzproblem auf. Woran zeigt sich soziale Ungleichheit? An welchem Verhalten lässt sich der soziale Rang einer Person ablesen? Welche Merkmale oder Verhaltensweisen sollen als Indikator für Über- und Unterordnung gelten? Fragen, auf die hier nicht weiter einzugehen ist. Sie gehören zu den Kernfragen der Sozialstrukturanalyse. 1.1.3.3 Das »Mehr« oder »Weniger«: Soziale Ungleichheit und Lebenschancen Die traditionelle soziologische Beschäftigung mit sozialer Ungleichheit war auf eine klassen- oder schichtentheoretische Basis gestellt. Was die herkömmlichen Klassen- und Schichtenanalysen bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam haben, ist Folgendes: ihre Blickverengung auf vertikale Ungleichheiten unter männlichen, erwachsenen »Normal- 40 <?page no="40"?> 1.1 Wozu Politische Soziologie? bürgern« innerhalb einer Gesellschaft. Die traditionelle Soziologie der sozialen Ungleichheit blieb deshalb auch nicht ohne Kritik. Diese kann in den folgenden vier Punkten zusammengefasst werden: a) Soziale Ungleichheit muss, über den Tellerrand der eigenen Gesellschaft hinaus, im Weltmaßstab analysiert werden. In der Weltgesellschaft geht es hierbei insbesondere um ungleiche Entwicklungschancen zwischen reichen und armen Ländern. Im Zentrum der soziologischen Ungleichheitsanalyse müssen deshalb die ungleichen internationalen Tauschverhältnisse stehen. Und dies schon deshalb, weil auch soziale Ungleichheit in einer Einzelgesellschaft nur noch im übergreifenden internationalen Zusammenhang verstanden werden kann, dies umso mehr als wirtschaftliche Globalisierung und dadurch bedingte internationale Arbeitsteilung, Wirtschaftsmigration, Standortkonkurrenzen im Weltmaßstab die »einheimischen« Ungleichheitsverhältnisse unmittelbar tangieren und verändern. b) Die Blickverengung auf den Normalbürger in einer Gesellschaft geht von der Annahme aus, die gesellschaftlichen Arbeitsbzw. Produktionsverhältnisse seien die Grundlagen von sozialer Ungleichheit in fortgeschrittenen Gesellschaften. Dies ist nicht falsch, aber unzureichend. Auch wenn es sich weiterhin um Arbeitsgesellschaften handelt, so kann dennoch nicht mehr die Lohnarbeit im Zentrum der Analyse stehen. Dies führt nämlich dazu, dass ökonomisch nichtaktive gesellschaftliche Gruppen, zum Beispiel nichterwerbstätige Hausfrauen, Arbeitslose, Rentner, Studierende und Auszubildende, kurzum alle, die nicht in einer Normalbiographie der Arbeitsgesellschaft stecken, aus der Ungleichheitsanalyse ausgeblendet bleiben. Vor allem die geschlechtsspezifischen Disparitäten, die sich an der Scheidelinie von Erwerbs- und Hausarbeit entfachen, kommen nicht in den Blick. Die traditionelle Ungleichheitsforschung bleibt geschlechtsblind. Alle mit dem Merkmal »Geschlecht« verbundenen Ungleichheiten geraten eher zu Sekundärphänomenen. Wie die regionale Herkunft, die Hautfarbe oder der Gesundheitszustand gilt das Geschlecht als unabhängige Variable, die lediglich der näheren empirischen Bestimmung der personellen Zusammensetzung der jeweils vorgegebenen, geschlechtsneutral definierten sozialen Klassen oder Schichten dient. Die soziologische Konzeption ubiquitärer, stabiler, sozialhomogener Schichten oder Klassen setzt jedoch die Existenz ubiquitärer, stabiler, sozialhomogener Familienhaushalte als mikrosoziale Bausteine voraus. Lösen sich diese auf, so gerät die ganze Konstruktion ins Wanken. Die Familie kann heute nicht mehr als Ort der primären sozialen Integration gelten, der allen Familienangehörigen (ungeachtet ihres Alters, Geschlechts, Bildungsniveaus oder Berufsstatus) eine einheitliche soziale Identität verleiht und sie gleichzeitig in einer gemeinsamen klassenbzw. schichtspezifischen Kultur verankert. Diese Tatsache hat in den letzten Jahren den Blick geöffnet für eine Soziologie geschlechtsspezifischer Ungleichheit. c) Soziale Ungleichheit kann nicht mehr gleichgesetzt werden mit vertikaler Ungleichheit. In den letzten Jahrzehnten haben neue, nichtvertikale Ungleichheiten zuneh- 41 <?page no="41"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft mend strukturprägendes Gewicht gewonnen. Hierzu zählen die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten ebenso wie regionale Disparitäten und die Benachteiligung von Minderheiten und sozialen Randgruppen, aber auch die Diskrepanzen zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen, die Ungleichverteilung der Wohlfahrtsteilhabe und des Zugangs zu öffentlichen Gütern, die Ungleichgewichtigkeit von sozialen Lasten, die periphere Lage von ausländischen Beschäftigten. Bei diesen »neuen« Ungleichheiten handelt es sich keineswegs um völlig neue Erscheinungen. Sie haben in den letzten Jahren nur an gesellschaftlicher und politischer Relevanz gewonnen und sind in das öffentliche Bewusstsein gerückt. So unterschiedlich die »neuen« Ungleichheiten auf den ersten Blick scheinen, sie haben doch eines gemeinsam: Sie lassen sich nicht mehr bruchlos in das Denkmodell einer hierarchischen, vertikalstrukturierten Gesellschaft einfügen, an dem sich die frühere Vorstellung von sozialer Ungleichheit durchweg orientierte. Soziologische Lagen- und Milieumodelle sowie eine Soziologie der Lebensstile sind letztlich die Konsequenz aus der Einsicht, dass man die soziale Verortung des Einzelnen nicht mehr allein an seiner Berufs- und Arbeitsbiographie festmachen kann. Die berufliche Stellung als das traditionelle »Rückgrat« der Ungleichheitsstruktur ist gebrochen. Nicht nur Bildung, Geld, Prestige, sondern auch Arbeits- und Freizeitbedingungen, soziale Sicherheit, Integrations- und Entfaltungsmöglichkeiten gelten heute als »neue« Quellen für die gesellschaftliche Verortung der Menschen und damit als Erscheinungsformen von möglicher sozialer Ungleichheit. 1.1.3.4 Fazit und Ausblick Als Fazit bleibt festzuhalten, dass horizontale Disparitäten, wie sie sich in sozialen Milieus und Lebensstilen ausdrücken, für eine angemessene soziologische Analyse von sozialer Ungleichheit wichtig sind. Gleichwohl überlagern sie die Dimensionen vertikaler Ungleichheit nur, aber sie setzen sie nicht außer Kraft. Im Ergebnis kann mit Reinhard Kreckel (2004: 20) von zwei Aggregatzuständen von sozialer Ungleichheit gesprochen werden, die in Rechnung stellen, dass bei sozialer Ungleichheit sowohl die ungleiche Verteilung von Gütern, Belohnungen, Bewertungen, Sanktionen usw. in einer Gesellschaft gemeint ist, als auch die asymmetrischen Beziehungen zwischen den Menschen. Mit anderen Worten, dass soziale Ungleichheit eine relationale und eine distributive Form hat. Distributive Ungleichheit (Verteilungsungleichheit) »liegt überall dort vor, wo die Möglichkeiten des Zugangs zu allgemeinverfügbaren und erstrebenswerten sozialen Gütern in dauerhafter Weise eingeschränkt sind und dadurch die Lebenschancen der betroffenen Individuen, Gruppen oder Gesellschaften beeinträchtigt bzw. begünstigt werden« (ebd.). Relationale Ungleichheit (Beziehungsungleichheit) »liegt überall dort vor, wo die von Individuen, Gruppen oder Gesellschaften innerhalb eines gesellschaftlichen oder weltweiten Strukturzusammenhangs eingenommenen (erworbenen oder zugeschriebenen) Positionen mit ungleichen 42 <?page no="42"?> 1.2 Die Schlüsselfrage: Was heißt »Demokratie«? Handlungsund/ oder Interaktionsbefugnissen oder -möglichkeiten ausgestattet sind und die Lebenschancen der davon Betroffenen dadurch langfristig beeinträchtigt bzw. begünstigt werden« (ebd.). Fasst man sowohl asymmetrische Beziehungen als auch ungleich verteilte Güter als strategische Ressourcen auf, dann kann die ungleiche Ressourcenverteilung objektive Ungleichheit genannt werden. Aus den objektiven Ressourcenungleichheiten ist jedoch noch keineswegs das subjektive Verhalten der Menschen abzuleiten. Diese Tatsache führt zu einer weiter gehenden Frage, die Jürgen Habermas bereits (1968: 66) gestellt hat, nämlich wie das Problem zu lösen sei, »Reichtum und Arbeit ( : : : ) ungleich und doch legitim zu verteilen«. Hier wird auf zweierlei aufmerksam gemacht: zum einen, dass soziale Ungleichheit nicht nur Konflikte entlang von sozialen Klassenlagen (z. B. zwischen Arbeit und Kapital), sondern auch zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit hervorbringen kann. Zwar bleibt das Erwerbsleben der zentrale Ort, an dem die Ungleichheitsverteilung von Lebenschancen verankert ist, der Arbeitsmarkt damit nach wie vor die zentrale Drehscheibe sozialer Ungleichheit, aber nicht mehr die einzige Quelle für soziale Ungleichheit und daraus resultierende Konflikte zwischen unterschiedlichen sozialen Klassen(-interessen). Zum anderen wird festgestellt, dass soziale Ungleichheit legitimiert werden kann. Soziale Ungleichheit bringt demnach gesellschaftliche Interessen (vgl. unten 1.3) hervor, die zueinander in Konflikt geraten, aber die Art und Weise der Konfliktaustragung vermag Ungleichheit zu legitimieren. Die Lösung des Legitimationsproblems heißt: Demokratie (vgl. 1.2). 1.2 Die Schlüsselfrage: Was heißt »Demokratie«? Für eine Demokratiewissenschaft gerät die Frage, was unter »Demokratie« zu verstehen sei, zur Schlüsselfrage. Sie erschließt uns die Wege zur Lösung des mit sozialer Ungleichheit verbundenen Legitimationsproblems und damit Antworten auf die Kernfrage der Politischen Soziologie, wie das demokratische Gleichheitspostulat mit den realen Ungleichheitsverhältnissen in Einklang zu bringen ist. Mit anderen Worten: Demokratie öffnet den Zugang zur theoretisch-normativen Rahmung des Gegenstandes von Politischer Soziologie. Allerdings gehen die Antworten auf die Frage, was mit Demokratie gemeint sein soll, weit auseinander. Für die einen stellt das demokratische System ein Auslaufmodell dar, dessen Gleichheitspostulat historisch überholt und dessen Problemlösungskapazität deshalb erschöpft sei. Man richtet sich gedanklich bereits in postdemokratischen Verhältnissen ein. Für andere »waren die Bedingungen für die Demokratie (noch nie) günstiger« (Schmidt 2001: 253) als heute. Eine eher skeptisch-realistische Einschätzung sieht Demokratie an einem Wendepunkt. Demokratie markiert eine zentrale Ungewissheitszone der modernen Gesellschaft - ein unvollendetes Projekt mit ungewissem Aus- 43 <?page no="43"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft gang. Seine Zukunftsfähigkeit liegt in tragfähigen Antworten auf drei zentrale Fragen, die sich aus den sozialen Ungleichheitsverhältnissen stellen. (1) Wie können entwickelte Gesellschaften unter den Herausforderungen einer internationalisierten Ökonomie und dadurch mitbedingter innergesellschaftlicher Differenzierung bei weiterem Auseinanderdriften des gesellschaftlichen »oben« und »unten« politisch gesteuert werden? Dies ist die Frage nach der Regierbarkeit von funktionaldifferenzierten, komplexen Gesellschaften unter Wahrung demokratischer Standards. Demokratietheoretisch begründete Antworten werden von Ansätzen formuliert, die vor allem die Steuerungsperspektive thematisieren (vgl. 1.2.1). (2) Wie kann dem Wertewandel in der modernen Gesellschaft und den veränderten Bürgererwartungen an einen leistungsfähigen Staat auf der Grundlage von neuen Partizipationsmöglichkeiten und bürgerschaftlichem Engagement Rechnung getragen werden? Dies ist die Frage nach der Legitimation staatlichen Handelns. Ihre Beantwortung rückt insbesondere die Bedeutung von Bürgerbeteiligung und das »mehr« oder »weniger« auf der Ebene ungleich verteilter Lebenschancen in den Mittelpunkt und unterstreicht die Relevanz von politischer Partizipation und Bürgerbeteiligung für die Lösung der Legitimationsproblematik (vgl. dazu 1.2.2) und schließlich: (3) Wie kann das demokratische Gleichheitspostulat gegenüber Ungleichheitslagen verteidigt werden, die nicht primär sozialstrukturell begründet sind, sondern sich vielmehr auf dem Feld der Geschlechterdifferenz herausbilden? Traditionelle Ansätze aus der Steuerungs- und Legitimationsperspektive sind »blind« für die geschlechtsspezifischen Demokratievoraussetzungen und -folgen. Geschlechtsspezifische soziale Ungleichheit markiert demnach eine demokratiewissenschaftliche »Querschnittsproblematik«. Ein möglicher Lösungsweg wird mit dem Ansatz der »Geschlechterdemokratie« abschließend beleuchtet (vgl. 1.2.3). 1.2.1 Demokratie als demokratische Steuerung Demokratie, aus der Steuerungsperspektive begründet, ist eine »Staatsform«. Ihre Qualität ergibt sich aus der Qualität des politisch-administrativen Systems und dem Tun und Lassen seiner Akteure. Entscheidend ist der Output auf unterschiedlichen Politikfeldern. Demokratie aus steuerungstheoretischer Sicht gründet demnach in der Policy- Dimension des Politikbe-griffs. Effektive Steuerung und Stabilität des politischen Systems werden in einem Bedingungszusammenhang gesehen (vgl. König 2002: 11 ff.). Demokratie hat die Aufgabe, diesen Bedingungszusammenhang zu ermöglichen. Mehrheitsprinzip als Verfahrensgrundlage für politische Entscheidungen, politische Opposition und Minderheitenschutz sowie das Freie Mandat der gewählten Abgeordneten gelten als konstitutive Elemente der repräsentativen Demokratie. »Zugrunde liegt diesem Demokratiemodell ein institutionalisiertes Regelsystem zur gesellschaftlichen 44 <?page no="44"?> 1.2 Die Schlüsselfrage: Was heißt »Demokratie«? Konfliktbearbeitung, das wir auch als das parlamentarische Regierungssystem bezeichnen können« (Korte/ Fröhlich 2004: 11). Eine gute Demokratie ermöglicht »gutes Regieren« - auf diese Formel lassen sich Demokratievorstellungen bringen, die aus der Steuerungsperspektive formuliert werden. Politikwissenschaftliche Theoriearbeiten zur politischen Planung, zur System- und Verhandlungstheorie sowie Implementationsforschung, Korporatismus- und Netzwerkforschung und neuerdings zur »kooperativen Demokratie« thematisieren diesen Zusammenhang (vgl. Holtkamp/ Bogumil/ Kißler 2006: 21 ff.). In der aktuellen Debatte stehen dabei weniger die demokratischen Standards von Regierungshandeln und Entscheidungen des politisch-administrativen Systems zur Debatte als vielmehr neue Formen des Verhandelns und Handelns im Schatten staatlicher Hierarchie. Steuerung als »Regieren« wird abgelöst durch eine neue Logik, die politische Steuerung und Formen der gesellschaftlichen Koordination in neuen Akteursbeziehungen und institutionellen Arrangements zusammenführt. Neben Hierarchie und Markt mit den Steuerungsmodi Herrschaft und Geld treten nun Verhandlung, Kommunikation und Vertrauen als Steuerungsmodi hinzu. An die Stelle von hierarchischer Steuerung (Government) tritt das Public Governance - »gutes Regieren« wird zum Problem des Good Governance. Ohne auf die verschiedenen Prägungen und Verwendungskonzepte des Governance- Begriffs hier eingehen zu können (vgl. ausführlich Benz et al. 2003 (Hg.); Klenk/ Nullmeier 2003), bleibt als Ertrag für einen auf diesem Theoriefeld verorteten Demokratiebegriff Folgendes festzuhalten: Kooperation in Governance-Strukturen integriert vor allem kollektive Akteure. Diese treten in Verhandlungen mit politisch-administrativen und anderen kollektiven Akteuren in Politiknetzwerken und Bündnisstrukturen, die sich von korporatistischen Arrangements durch die Ausweitung des Akteursspektrums und in der Regel auch durch einen geringeren Formalisierungsgrad unterscheiden. Im Gegensatz zur staatlich-hierarchischen Steuerung und zum Markt agieren die Akteure teilautonom. Politiknetzwerke basieren auf einer losen Koppelung. Sie erlauben wechselseitige Einflussnahme ohne einseitige Bindung. Das leitende Prinzip der Koordination kann Vertrauen, aber auch Ressourcenaustausch auf der Basis von Reziprozität sein. Konfliktregelung wird über Verhandlungen bzw. Diskurse realisiert. Allerdings sind die Übergänge zum Korporatismus fließend. Im Unterschied zum tradierten tripartistischen Arrangement im Konzept des Makro-Korporatismus (vgl. Schmitter 1981: 94 f., Lehmbruch 1981: 54) sind meso-korporatistische Arrangements eingebunden in ein Mehrebenensystem der Interessen- und Politikvermittlung und müssen sich nicht nur in einem horizontal erweiterten Spektrum organisierter Interessen, sondern auch im Wechselspiel mit vertikal über- und untergeordneten staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren behaupten. Mit der Dezentralisierung steigen die Variabilität und Anpassungsfähigkeit korporatistischer Arrangements an die jeweiligen lokalen bzw. regionalen Rahmenbedingungen. Der Staat als »Local Hero« (Willke 1992) tritt als Moderator und Animateur auf den Plan, sogenannte »weiche« Standortfaktoren, wie zum Beispiel die Einstellung der beteiligten Akteure, das 45 <?page no="45"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft soziokulturelle Ambiente einer Region und unterschiedliche Formen von symbolischer Politik (vgl. Heinze/ Schmid 1994: 84), gewinnen an Bedeutung. Wie sich auf den Feldern des ökonomischen Strukturwandels in einer Region (Heinze/ Schmid 1994: 55 ff.) oder der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in einer Kommune (Kißler/ Greifenstein/ Wiechmann 2003) zeigen lässt, hängt das Gelingen von politischer Steuerung auf diesen Feldern darüber hinaus auch von der quantitativen Ausweitung des Akteursspektrums ab. Der Übergang von korporatistischen Arrangements zu Politiknetzwerken im Rahmen der kooperativen Demokratie wird dadurch fließend (vgl. Holtkamp/ Bogumil/ Kißler 2006: 46 ff.). 1.2.2 Demokratie durch Legitimation Die legitimationstheoretische Perspektive von Demokratie erinnert an deren begriffsgeschichtliche Wurzel. Demokratie heißt Volksherrschaft. Sie wurde in ihrem Ursprung im athenischen Stadtstaat (5. Jh. v. Chr.) als eine Staatsverfassung verstanden, in der die Regierung »in der Hand der Vielen und nicht der Wenigen liegt« (Perikles) und für die bereits Aristoteles (384-322 v. Chr.) den Staatsbürger dadurch definierte, »dass er am Gericht und an der Regierung teilnimmt« (Aristoteles nach Bergstraesser/ Oberndörfer 1962: 40). Die Rede des Perikles liest sich aus heutiger Sicht wie ein Plädoyer für bürgerschaftliches Engagement und Partizipation: »ein athenischer Bürger vernachlässigt nicht den Staat zugunsten seiner Privatangelegenheiten. Diejenigen unter uns, die erwerbstätig sind, bilden sich klare politische Gedanken. Ein Mann, der sich nicht für öffentliche Angelegenheiten interessiert, ist für uns nicht harmlos, sondern nutzlos.« 2 Engagement und politische Beteiligung der Bürger stehen nicht nur demokratiegeschichtlich im Mittelpunkt von wissenschaftlichen Erwägungen, was denn die »Volksherrschaft« ausmache, sondern dienen im aktuellen Demokratiediskurs der wissenschaftlichen Profilierung der »partizipatorischen Demokratie« und der Deliberation als ihrem maßgeblichen Verfahren. Im Zentrum der Legitimationsperspektive steht die politische Beteiligung, wie bereits das Adjektiv »partizipatorisch« zum Ausdruck bringt. Sie dient im modernen Demokratiediskurs vor allem der Abgrenzung zwischen unterschiedlichen Demokratiekonzeptionen und der Entwicklung von Qualifizierungsaspekten für die moderne Demokratie (vgl. Berg-Schlosser/ Giegel (Hg.) 1999). »Partizipatorische Demokratie« steht in der Tradition zweier demokratietheoretischer Linien, die vor dem historischen Hintergrund der Wirtschafts- und Sozialformen des 17. und 18. Jahrhunderts (vgl. Fetscher 1972: 11) zwei divergierende Modelle der bürgerlichen Demokratie begründeten. Sie beeinflussen bis in die Gegenwart die Auseinandersetzung über die normative Grundlage, konzeptionelle Fassung und empirisch- 2 Weitere Nachweise für die Bedeutung einer aktiven Bürgerschaft für Bestand und Qualität der Demokratie und zum Spannungsverhältnis zwischen dieser und der Vita contemplativa in der Demokratiegeschichte (vgl. Münkler/ Krause 2001: 299 ff.). 46 <?page no="46"?> 1.2 Die Schlüsselfrage: Was heißt »Demokratie«? praktische Umsetzung von demokratischer Herrschaftsbestellung und -ausübung: zum einen das Modell der »Konkurrenzdemokratie« (Fraenkel 1964: 62 ff.) und in dieser Traditionslinie die theoretischen Ansätze formalanalytischer Demokratiemodelle. In ihnen wird die demokratische Herrschaftsbestellung im Wahlakt realisiert und die Ausübung von Herrschaft an Institutionen gebunden. Zu den vornehmsten Aufgaben dieser Institutionenordnung wiederum gehört die Sicherung von Stabilität und des Status quo der »civic culture«. Partizipation ist in diesem Demokratieverständnis positiv besetzt, denn die Teilnahme der Bürger dient in der klassischen, liberalen Variante dieser Theorie nicht nur der Kontrolle von politischer Gewalt und der Herrschaftslegitimation, sondern zielt auch auf die autonome Regelung gesellschaftlicher Angelegenheiten ohne staatliche Intervention ab. Politische Beteiligung gilt als Ausdruck bürgerlichen Freiheitsstrebens. In dieser Theorietradition steht auch das moderne Verständnis von politischer Partizipation als Legitimationsgrundlage des politisch-administrativen Systems. In Form von Planungspartizipation unterstützt sie verwaltungspolitische Handlungsprogramme in jenen Bereichen, wo Gesetzesgebundenheit und wissenschaftliche Politikberatung nicht ausreichen, nämlich im Vorfeld politischer Planung. Sie fördert das Problemverständnis im politischen Handlungsfeld und markiert Kompromisszonen im Planungsprozess. Partizipation dient als »Frühwarnsystem« (Offe 1975: 127_f.). Strategisch kalkulierte Beteiligung erweitert die Handlungsspielräume und erhöht die Modernisierungskapazität des politischen Systems durch administrativ gelenkte Massenmobilisierung gegen bornierte und kurzsichtige Einzelinteressen. Partizipation wirkt als »Treibsatz«. Davon zu unterscheiden ist im historischen Demokratiediskurs das Modell einer material bestimmten Demokratie. Es rekurriert im ursprünglichen Bedeutungssinn auf »Volksherrschaft«. Das Volk als alleiniger Souverän übt danach seine Herrschaft nicht mittelbar durch seine Repräsentanten in eigens hierfür eingerichteten Organisationen (z. B. Parlamenten), sondern unmittelbar aus (etwa durch plebiszitäre Formen der politischen Partizipation). Die Quintessenz dieses Demokratieverständnisses liegt in der »Orientierung am Ziel einer rational organisierten, sich selbst autonom bestimmenden Gesellschaft« (Zimpel 1972: 201). Das Identitätspostulat als regulative Idee aufnehmend (vgl. z. B. Barber 1998), liegt die aktuelle Problematik dieses Demokratieansatzes im Unterschied zur klassischen Konzeption des 18. Jahrhunderts »weniger in der Beschränkung politischer Macht als in ihrer vernünftigen Anwendung und in der Notwendigkeit, die vielen an ihrer Ausübung zu beteiligen« (Neumann 1967: 94). Da gemäß dieser Demokratievorstellung ein Staat »nur dann (und nur in dem Maße) als demokratisch bezeichnet werden (kann), wenn (bzw. indem) er einen möglichst großen Teil seiner Bürger an der politischen Willensbildung beteiligt und dem Prinzip nach jedem Bürger die Chance bietet, sich in diese Willensbildung einzuschalten« (Abendroth 1965: 74), ist eine material bestimmte immer zugleich auch eine partizipatorische Demokratie. 47 <?page no="47"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Die rationale und aufgeklärte Haltung, welche die Partizipation den Bürgerinnen und Bürgern über den Wahlakt hinaus abverlangt, macht politische Teilnahme zu einem Problem der politischen Sozialisation. Partizipation wird als Lern- und damit als ein schöpferischer und gestaltender Prozess »der Entfaltung und Bestätigung menschlicher Möglichkeiten überhaupt« verstanden (Fetscher 1972: 378; Überblick bei Kißler 1979: 38 ff.) und damit über die Herrschaftslegitimation hinaus »entgrenzt«. Partizipatorische Demokratie ist danach nicht nur Staatsform, sondern Lebensform. Sie gründet auf der gesellschaftlichen Makroebene auf der horizontal entgrenzten Partizipation (zum Partizipationsbegriff vgl. unten 2.1), die sich insbesondere auch auf die Bereiche der gesellschaftlichen Arbeit und Produktion erstreckt. Auf der Mesoebene von organisierten Interessen erstreckt sie sich auf die Binnenverfassung der in der Regel hierarchisch strukturierten Interessenorganisationen (vgl. Vilmar 1973; Dahl 1985). Die Entgrenzung der Partizipation im Rahmen der partizipatorischen Demokratie begründet unterschiedliche Strategien der Demokratisierung von Gesellschaft und ihren Subsystemen (vgl. Vilmar 1973). Sie rekurriert emphatisch auf einen Begriff von Staatsbürgerlichkeit (Citoyennété), wie er in der klassischen bürgerlichen Demokratietheorie angelegt ist und in der neueren Diskussion zur Staatsbürgerrolle in der modernen Gesellschaft eine Renaissance findet (vgl. Münkler/ Krause 2001: 299 ff ). Politische Beteiligung ist in diesem Ansatz normativ gefasst. Sie bringt das Prinzip der materiellen Gleichheit vor dem Gesetz zum Ausdruck. Dieses gilt als Grundlage für die Übernahme von staatsbürgerlichen Pflichten und Rechten, die prinzipiell allen Gesellschaftsmitgliedern offenstehen und nicht nur einer Gruppe von gesellschaftlich Privilegierten. Die Entgrenzung der Partizipation (Demokratisierung) ist an eine intakte politische Öffentlichkeit gebunden, die erst eine politische Kontrolle gesellschaftlicher Macht ermöglicht. Deshalb gehört der normative Bezugsrahmen dieser Öffentlichkeit, wie er einst im Verfassungskampf und Emanzipationsbestreben eines wirtschaftlich erstarkten Bürgertums angelegt war, zum theoretischen Fundus der partizipatorischen Demokratie (vgl. unten 2.3). Wie nach dem »Strukturwandel der Öffentlichkeit« (Habermas 1990) die Publizität von Herrschaftsausübung und der Konstitutionsprozess eines gesellschaftlichen Publikums und damit kritische Öffentlichkeit noch herstellbar sind, avanciert zu einer demokratietheoretischen Kernfrage. Eine mögliche Antwort heißt: durch Deliberation. Dabei handelt es sich um eine Form der kommunikativen Verständigung über die öffentlichen Angelegenheiten, die ihre legitimierende Kraft aus Meinungsbildungsprozessen gewinnt, an die die Beteiligten die Erwartung richten, dass ihr Ergebnis vernünftig sei. Deliberation meint deshalb zum einen gesellschaftliche Orte der kommunikativen Verständigung über die öffentlichen Angelegenheiten und zum anderen eine bestimmte Qualität von politischer Öffentlichkeit. Mit anderen Worten: Sie ist ein Verfahren der partizipatorischen Demokratie. Deliberative Verfahren erzeugen Legitimation von Herrschaft und Rationalität politischer Entscheidungen in einem infiniten Prozess der Wahrheitssuche, der nur den gleichsam »zwanglosen Zwang des besseren Arguments« (Habermas 1986: 352) kennt und deshalb tendenziell herrschaftsfrei ist. 48 <?page no="48"?> 1.2 Die Schlüsselfrage: Was heißt »Demokratie«? Alle Argumente sollen ungehindert und unverzerrt artikuliert werden können. Deliberation soll klären, was verallgemeinerungsfähig und damit von öffentlichem Interesse ist. Als demokratisches Verfahren zur Bestimmung des Öffentlichen rückt sie die »politische Öffentlichkeit« in den Fokus der demokratiewissenschaftlichen Analyse (vgl. dazu unten 2.3). Kritische Einwände gegen diese Demokratievorstellung verweisen auf die Kluft zwischen normativem Anspruch auf der einen und den realen Umsetzungsmöglichkeiten von partizipatorischer Demokratie und Deliberation auf der anderen Seite. Kritische Vorbehalte gegenüber dem Diskursmodell als Modell einer politisch aktiven Elite (vgl. Offe 1992: 129) werden nicht entkräftet und das Problem der Unterrepräsentation der Unterschichten und gesellschaftlich marginalisierten Gruppen in diskursiven Verfahren und bei der Wahrnehmung von Partizipationschancen werden im Rahmen dieses Demokratiemodells nur unzureichend gelöst. Dies gilt auch für die Genderproblematik (dazu unten 1.2.3). Nicht zuletzt geraten auch das Spannungsverhältnis zwischen Partizipation und kritischer politischer Öffentlichkeit auf der einen und einer vermachteten, eher partizipationsverschlossenen politischen Öffentlichkeitspraxis auf der anderen Seite, ebenso wie das Spannungsverhältnis zwischen unterschiedlichen Wertkriterien (wie z. B. zwischen Effizienz und Transparenz) diesem Demokratieansatz zum ungelösten Problem. Partizipation und Transparenz einerseits sowie Effizienz und Effektivität andererseits erscheinen hier als Gegensatzpaare. Richtungsweisend ist deshalb ein Ansatz, der die Legitimitäts- und Steuerungsperspektive zusammenführt. Dies leistet das Konzept der »komplexen Demokratie«. Hier steht die Legitimitätsperspektive für die inputorientierte Legitimität und betont die »Herrschaft durch das Volk«. Die Steuerungsperspektive wird dagegen der outputorientierten Legitimität zugeordnet und hebt die »Herrschaft für das Volk« bzw. die Qualität, die Effektivität und Effizienz politisch-administrativer Problemlösungen hervor (vgl. Scharpf 1970: 72 und 1999: 20). Die Theorie der komplexen Demokratie verbindet darüber hinaus auch die empirische bzw. realistische und die normative Theorie, sie verkleinert die Kluft zwischen normativem Anspruch und praktischer Umsetzung. Die Utopie einer stärkeren Partizipation der Bürger wird hier angepasst an die realistischerweise denkbaren und praktisch umsetzbaren Partizipationsmöglichkeiten. Indem dieser Ansatz die Steuerungs- und Legitimitätsperspektive zusammenführt, hält er den theoretischen Zugang zu einem Verständnis von Bürgerbeteiligung als »Leistungsverstärker« demokratischer Steuerung und als Qualifizierungschance der demokratischen Ordnung offen. 1.2.3 Von der Androkratie zur Geschlechterdemokratie Aus feministisch-politikwissenschaftlicher Sicht gleicht Demokratie einer »Männerveranstaltung«. Dies hat eine demokratiebegriffliche, aber auch eine real-demokratische 49 <?page no="49"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Tradition. Danach erscheint Demokratie als »Democracy among white males« (Dahl 1985: 11). Das Subjekt der klassischen Demokratie ist der männliche Citoyen. Auch die gegenwärtige Demokratiedebatte und der aktuelle Staatsbürgerlichkeitsdiskurs verfügen über kein Sensorium für soziale Ungleichheit, die entlang der Geschlechterdifferenz entsteht. Von daher ist die Kategorie »Geschlecht«, falls überhaupt als demokratierelevant anerkannt, zu vernachlässigen. Dies gilt sowohl für die unterschiedlichen politikwissenschaftlichen Ansätze zur demokratischen Steuerung als auch, wenn auch abgeschwächt, für die Konzeptionen der partizipatorischen und deliberativen Demokratie. Auch hier spielt die Geschlechterproblematik nur eine untergeordnete Rolle (vgl. Holland-Cunz 1998). Die Erklärung liegt auf der Hand: Politikwissenschaftliche Demokratietheorie rekurriert kaum auf die gesellschaftlichen Grundlagen von Demokratie. Auch soziologische Ansätze, die zwar den Begriff des Politischen »entgrenzen« und Formen der Sub-Politik mit einbeziehen, mangelt es an Sehschärfe für die Geschlechterproblematik. Hier setzt die feministische Demokratiekritik an. Sie macht darauf aufmerksam, »dass die moderne Demokratie Frauen den Status eines gleichberechtigten und vollwertigen Staatsbürgers immer noch vorenthält, indem nämlich Frauen zwar mittlerweile Männern in ihren staatsbürgerlichen Rechten weitgehend gleichgestellt sind, die sozioökonomischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen und Funktionsvoraussetzungen von ›Demokratie‹ aber immer noch so gestaltet sind, dass sie ihre formal gleichen Rechte nicht wirklich gleichberechtigt zur Geltung bringen können.« (Kurz-Scherf 1999: 218). Aus dieser Diskrepanz zwischen formaler Gleichstellung und tatsächlicher Ungleichheit hätte eine Demokratiekonzeption, die sich durch Sensibilität für diese Problematik auszeichnet, ihre kritische Kraft zu ziehen. Woran die feministische Demokratiekritik festmacht und wie ihr kritisches Potenzial demokratiewissenschaftlich zu nutzen ist, zeigt der programmatische Beitrag von Kurz-Scherf (1999: 217 ff.). Die wesentliche Argumentationslinie wird im Folgenden auf drei Punkte gebracht: die feministische Demokratiekritik, die Kritik der androkratischen Grundlagen der modernen Demokratie und das Konzept der »Geschlechterdemokratie«. Die demokratiekritischen Argumente verweisen auf den offenkundigen »Male- Chauvinismus in der politischen Theorie«. Eine Reihe von Untersuchungen belegt, dass prominente politikwissenschaftliche und soziologische Theorien und die herrschenden Diskurse zum Umbruch der Gegenwartsgesellschaft vor dem Hintergrund von Individualisierung und Globalisierung und sogar dezidiert herrschaftskritisch orientierte Demokratietheorien einen »zur Methode erhobenen Gender Gap« (ebd.: 226 im Anschluss an Holland-Cunz 1998) aufweisen. Die empirisch-praktische Umsetzung von Demokratie beruht auf formaler Gleichheit, lässt aber die substanzielle Ungleichheit zwischen Männern und Frauen gerade im Kernbereich des demokratischen Gleichheitspostulats, nämlich auf dem Feld der Machtverteilung, unberührt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das höchste Regierungsamt der Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal in der Geschichte von einer Frau eingenommen wird. Vielmehr 50 <?page no="50"?> 1.2 Die Schlüsselfrage: Was heißt »Demokratie«? kann, wie in anderen Bereichen, zum Beispiel auf dem Feld der Wissenschaft, davon ausgegangen werden, dass der ansteigende Frauenanteil an der Besetzung von Positionen im politisch-administrativen System eher ein Indiz für den Bedeutungsverlust von Politik darstellt. Die Kritik der androkratischen Grundstruktur von Demokratie übersieht nicht, dass ein zunehmendes Empowerment von Frauen in manchen Bereichen der Politik (z. B. durch wachsenden Frauenanteil bei der Besetzung von Abgeordnetensitzen in den Parlamenten), einhergehend mit der Erweiterung des Möglichkeitsraums weiblicher Existenzweisen, Frauen auch auf die Gewinnerseite der gegenwärtigen politischen, technisch-organisatorischen und ökonomischen Veränderungen der modernen Gesellschaft bringen. Sie betont jedoch die Ambivalenz der neuen Möglichkeiten, einerseits als Modernisierungsprozesse, um die Androkratie zeitgemäßer zu gestalten, und andererseits als neue Chancen für eine auf der materialen Gleichheit von Männern und Frauen basierenden Demokratie: Aus der Sicht feministischer Demokratiekritik ist demnach das Glas immer halb voll oder halb leer. »Insistiert sie auf der fortdauernden androkratischen Grundstruktur der modernen Gesellschaften, so liegt darin nicht zuletzt auch die Gefahr einer Entmutigung geschlechterpolitischen Engagements (. . . ). Betont sie dagegen die fortschreitende Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen, gerät ihr dies leicht zur Schönfärberei, was geschlechterpolitisches Engagement auch nicht gerade befördert, weil es sich gleichsam erübrigt hat. Demokratie in ihrer historischen kulturell spezifischen Ausgestaltung in den westlichen Industriegesellschaften (. . . ) muss als eine widersprüchliche Einheit der Ermöglichung und Verhinderung von Emanzipationsprozessen angesehen werden, allerdings mit der Tendenz zu einem Übergewicht der Kontinuität ihrer androkratischen Grundstruktur.« (Kurz-Scherf 1999: 233). Mit anderen Worten: Demokratie bleibt solange hinter ihren Möglichkeiten zurück, als sie über kein Konzept verfügt, diese Form der sozialen Ungleichheit zu überwinden. Es stellt sich die Frage, inwieweit mit dem Ansatz der Geschlechterdemokratie eine solche demokratietheoretische Perspektive vorliegt. »Geschlechterdemokratie« hat sich zum neuen Leitbild der Geschlechterpolitik entwickelt (vgl. Diaz 2003: 436 ff.). Auch hier beginnen die Schwierigkeiten bereits beim Begriff. Dieser eignet sich zweifellos als »Kampfbegriff« der Frauenbewegung, er sichert massenmediale Aufmerksamkeit und die Aufregung des politischen Gegners. Doch daraus folgt noch nicht, dass er auch diskursmächtig in der wissenschaftlichen Debatte über ein Demokratiekonzept wird, das die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen von Demokratie nicht als Fußnoten behandelt, sondern als deren Substanz erkennt. Hier wird deutlich, dass mit »Geschlechterdemokratie« kein ausgefeiltes neues Demokratiekonzept vorliegt, das zu anderen Demokratieansätzen in Konkurrenz tritt. Vielmehr handelt es sich um einen »Gegenbegriff«, der sich zum einen aus der Kritik an der real existierenden androkratischen Grundlage vorhandener Demokratiekonzepte nährt und zum anderen die traditionellen Konzepte der Frauenpolitik (Gleichberechtigung, Gleichstellung und Frauenförderung) transzendiert. 51 <?page no="51"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Neben dem Kritikpotenzial ist es vor allem die normative Kraft, die die »Geschlechterdemokratie« für eine praxisorientierte Demokratieforschung entfaltet. Es handelt sich deshalb nicht nur um einen »Gegenbegriff«, der einen »Gegenentwurf« zu anderen Demokratieansätzen in polemischer Isolation hervorbringen soll, sondern ebenso um einen »Brücken-Begriff«, der strategische Koppelungen zu demokratietheoretischen Ansätzen soziologischer und politikwissenschaftlicher Provenienz aufweist und geeignet ist, deren »halbiertes« Demokratieverständnis zu korrigieren. So erinnert die kritische Auseinandersetzung mit den androkratischen Strukturen der modernen Demokratie an jenen politisch-soziologischen Erkenntnisstand, den die praxisorientierte Demokratieforschung bereits erreicht, in der weiteren Debatte aber nicht weiter verfolgt hatte, nämlich, dass die gesellschaftliche Organisation von Arbeit und Herrschaft keine Randphänomene darstellen, sondern zum Wesenskern der Demokratie gehören und deshalb in das Zentrum demokratiewissenschaftlicher Aufmerksamkeit zu rücken haben. In der demokratiewissenschaftlichen wie in der feministischen Diskurstradition werden auf beiden Feldern Interessenkonstellationen und -konflikte verortet, die in ungleich verteilten Ressourcen gründen und in Widerspruch zum Gleichheitspostulat geraten. Für die einen hieß die »Lösung« des damit einhergehenden Legitimationsproblems »soziale Demokratie«. Für die feministisch inspirierte Vorstellung kann die Geschlechterdemokratie eine Legitimationsperspektive bereitstellen. Beide Perspektiven, so das vorläufige Ergebnis, öffnen den Blick auf die gesellschaftlichen und ökonomischen Grundlagen von Demokratie, aber nicht auf einen gemeinsamen Entwicklungspfad. Für die Konzeption der sozialen Demokratie entwickelt sich diese mit Zutun des Staates als maßgeblichem politischem Akteur. Erst der Wandel des modernen Verfassungsstaates zum Sozialstaat bildet die Grundlage für eine zukunftsfähige, und im Prinzip soziale Ungleichheitslagen überwindende, zumindest aber sozial verträglich gestaltende Demokratie. Diese wird zur Kompromissformel in der Auseinandersetzung unterschiedlicher Interessen auf den Feldern der Arbeit, Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Soweit diese Formel trägt, legitimiert sie Herrschaft. Geschlechterdemokratie entwickelt sich dagegen nicht mit staatlicher Unterstützung, sondern eher gegen ein androkratisch unterfüttertes politisch-administratives System und seine Imperative. Hieraus zieht das feministische Konzept seine Kraft als »normatives Gegenkonzept zur real-existierenden Androkratie« (Kurz-Scherf 1999: 252) und seine strategisch-politische Relevanz. Nicht der Staat oder das politisch-administrative System sehen sich dem Demokratisierungsanspruch ausgesetzt, sondern die Demokratie selbst. Soll »reflexive Demokratisierung« jedoch nicht nur mit ihrer begrifflichen Zwillingsschwester, der »reflexiven Modernisierung«, das Modernisierungspotenzial einer Industriegesellschaft steigern, die in ihrer Ökonomie (Marktversagen), in weiten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und vor allem auch auf dem Feld der politischen Steuerungsfähigkeit (Staatsversagen) an ihre Grenzen gestoßen ist, dann zeichnet sich in dieser transzendierenden Perspektive die neue normative Qualität des geschlechterdemokratischen Konzepts ab. Sie ruft in Erinnerung, dass »Demokratie« immer schon 52 <?page no="52"?> 1.3 Im Fokus: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie ein Kampfbegriff gegen die herrschenden Verhältnisse war, den sich politische und gesellschaftliche Opposition auf ihre Fahnen schrieben. Das demokratische Gleichheitspostulat wurde gegen die herrschende soziale Ungleichheit von den Beherrschten formuliert und in sozialen Bewegungen politischstrategisch verfolgt. Seine politisch-strategische Umsetzung wird deshalb - modernisierungspolitisch formuliert - nicht nur top down erfolgen können, wie eine staatsfixierte Demokratievorstellung meint, sondern bottom up zu reklamieren sein und in einem demokratiepolitischen »Gegenstromverfahren« zu erfolgen haben. Ein solches Verfahren ist aber, wie man von anderen politischen und gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen weiß, voraussetzungsvoll. Zu seinem Gelingen gehört die Balance zwischen Konflikt und Konsens der beteiligten Akteure: Der sozialstrukturell und androkratisch bedingte (Interessen-)Konflikt zwischen Beherrschten und Herrschenden einerseits und ihre in Verhandlungs- und Konsensbildungsprozessen ermöglichte Kooperation andererseits - und damit die Gratwanderung zwischen Integration und Fundamentalopposition - führen in die Zukunft der Demokratie. Die kritische, die normative und politisch-strategische Diskursqualität von »Geschlechterdemokratie« erweist sich nicht zuletzt daran, dass die damit gemeinte und geforderte Gleichheit (anstelle von sozialer Ungleichheit) mehr als Interessensausgleich meint. Vielmehr rückt sie in den demokratiewissenschaftlichen Fokus, die gesellschaftlichen Konfliktlinien, an denen soziale Interessen entstehen, die Orte, an denen sie organisiert und artikuliert werden, die unterschiedliche Ausstattung gesellschaftlicher Interessenträger mit Ressourcen für Organisation, Artikulation und Vermittlung ihrer Interessen in Politik. Mit anderen Worten: Die geschlechtsspezifische Perspektive rückt Interessen- und Politikvermittlung in das Zentrum der Analyse und schärft den Blick für die Verhältnisse, die das Verhalten der beteiligten gesellschaftlichen und politischen Akteure konditionieren. Das sind die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Interessen und Macht. Sie markieren die demokratiewissenschaftliche Kernproblematik: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie. 1.3 Im Fokus: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie 1.3.1 Was heißt »Gesellschaftliche Interessen« und in welchem Zusammenhang stehen sie zur sozialen Ungleichheit? 1.3.1.1 Gesellschaftliche Interessen: politikwissenschaftlicher und soziologischer Begriff »Interesse« gehört zu jenen Begriffen, für die gilt, was schon Augustinus über die Zeit gesagt hat: Wir wissen solange, was damit gemeint ist, bis man uns danach fragt. 53 <?page no="53"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Dabei handelt es sich um einen sozialwissenschaftlichen Kernbegriff. An der Frage, wie Interessen in der Gesellschaft entstehen (welche Bedeutung dabei der vertikalen Differenzierung zukommt) und wie Interessen auf diese zurückwirken (z. B. getragen vom Gleichheitspostulat), entzünden sich jene Ansätze der soziologischen Gesellschaftsanalyse, die in der Entstehung und Austragung von Interessenkonflikten den Motor für Gesellschaftsentwicklung sehen. Für die Politikwissenschaft als »eine Wissenschaft vom Interesse« geht es zentral um das Problem des Interessenwettbewerbs und der Interessendurchsetzung im politischen Bereich. Dabei meint Interesse zunächst einmal Dabeisein, Teilnahme an etwas, aber auch - wie im englischen Wort »interest« noch enthalten - Vorteil und Gewinn. Dieser doppelte Wortsinn eröffnet einen ersten Zugang zum Begriff: Interesse ist handlungsorientiert (Teilnahme) und zielbestimmt (Vorteil). Die Handlungsorientierung und Zielbestimmung von Interessen kann resultieren aus dem Bestreben nach individueller Bedürfnisbefriedigung, aus materiellen Mangellagen und Knappheitssituationen sowie aus den subjektiven Empfindungen von Mangel und Knappheit und den Rechtfertigungen für die Durchsetzung von Bedürfnissen. Mit anderen Worten: Quelle von sozialen Interessen ist die ungleiche Ressourcenverteilung im Sinne von distributiver und relationaler Ungleichheit sowie ihrer subjektiven Wahrnehmung. Der politikwissenschaftliche Interessenbegriff umfasst demnach eine individuelle, eine materielle und eine ideelle Dimension (vgl. von Alemann 1989: 26 ff.). Individuelle Bedürfnisbefriedigung, materielle Nutzenmehrung und ideelle Rechtfertigung benennen jedoch nicht nur Entstehungsgründe für die Herausbildung von Interessen. Sie verweisen auch auf die Handlungsorientierung von Interesse, wie sie in der soziologischen Begriffsdefinition zum Ausdruck kommt. Danach meint Interesse »die für bestimmte Personen, Gruppen, Klassen oder ganze Gesellschaften einer historisch-spezifischen Entwicklungsstufe gemeinsame, ihnen bewusste oder unbewusste Gesamtheit der materiellen und (materiell oder ideell begründeten) institutionellen Möglichkeiten, ihre individuellen sozialen Lebensformen zu erhalten oder zu erweitern« (Hartfiel 1972: 308). Mit dieser Begriffsbestimmung ist zweierlei gesagt: Zum einen, dass »gesellschaftliche« Interessen immer die Interessen in einer bestimmten Gesellschaft darstellen. Gesellschaftliche Interessen sind sozial verortet. Mit anderen Worten: In ihnen drückt sich die soziale Differenzierung der jeweiligen Gesellschaft aus. Zum anderen handelt es sich um »institutionelle Möglichkeiten« und das heißt: Interessen sind institutionell verfestigt und zum großen Teil organisiert. Unter organisierten Interessen versteht man »freiwillig gebildete soziale Einheiten mit bestimmten Zielen und arbeitsteiliger Gliederung, die individuelle, materielle und ideelle Interessen ihrer Mitglieder im Sinne von Bedürfnissen, Nutzen und Rechtfertigungen zu verwirklichen suchen« (von Alemann 1989: 30). Solche Interessenorganisationen sind in der Regel mit einer Leitungsinstanz ausgestattet, sie haben ihren gesellschaftlichen Ort und ein politisches Handlungsfeld. 54 <?page no="54"?> 1.3 Im Fokus: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie Mit Blick auf die gesellschaftliche Verortung und das politische Handlungsfeld von organisierten Interessen lassen sich Antworten finden auf die von Reinhard Kreckel aufgeworfene Frage, die für jeden Soziologen - angesichts höchst ungleich verteilter Güter und Lebenschancen sowie asymmetrischer Beziehungen zwischen den Menschen - immer wieder Anlass zur Verwunderung ist, nämlich: Wie ist es möglich, dass die in einer Gesellschaft (bzw. in der Welt) bei der Verteilung begehrter Güter regelmäßig benachteiligte, an der selbstständigen Bestimmung ihres Schicksals gehinderte und vielfach diskriminierte Mehrheit der Bevölkerung diesen Zustand so häufig tatenlos hinnimmt? Für die fortgeschrittenen Industriegesellschaften liegt die Antwort im Kräfteverhältnis zwischen den organisierten Interessen und der Art und Weise, wie mögliche Konflikte zwischen diesen ausgetragen bzw. eingedämmt werden. Die gesellschaftliche Verortung von organisierten Interessen führt zunächst auf das unwegsame Gelände einer hochgradig »organisierten« Gesellschaft. Die Deutschen, so heißt es, seien »Vereinsmeier«. Der nichtorganisierte Bundesbürger gehört zu einer kleinen Minderheit, wobei die Mitgliedschaft vor allem in freiwilligen Vereinigungen (z. B. Sportvereinen) von hoher Attraktivität ist. 3 Was aber unterscheidet die Mitgliedschaft in einem Sportverein, einem Kleintierzüchterverein von der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, politischen Partei oder religiösen Gemeinschaft? 1.3.1.2 Wie finden gesellschaftliche Interessen ihren sozialen Ort? Zur Bedeutung des Konflikts Für die Vermessung des Geländes zwischen unterschiedlichen Interessenorganisationen bietet die Frage nach der Genese, der inneren Struktur und der Funktion einer Organisation Orientierungshilfe. Antworten auf die Fragen, wie Interessenorganisationen entstehen (Genese), wie die innerverbandliche Willensbildung vonstatten geht (Struktur), welche Organisationsziele (Interessen) mit welchen Mitteln verfolgt werden, sind jedoch nur von begrenztem Aussagewert. Sie geben zwar Auskunft über die politische Relevanz der jeweiligen Interessenorganisation, weniger jedoch über ihren sozialen Ort. Im Zusammenhang mit der Ausgangsthese, wonach gerade der soziale Ort ausschlaggebend ist und damit die Frage, ob und wie die in sozialer Ungleichheit wurzelnden Interessen organisiert werden, bedarf es deshalb einer soziologischen Analyse der Sozialstruktur, um organisierte Interessen sozial verorten zu können. Die Gegenwartsgesellschaft der Bundesrepublik zeichnet sich allerdings dadurch aus, dass sich ihre interessenbildende Sozialstruktur nicht mehr auf einen Begriff bringen lässt. 4 Etikettierungen, wie zum Beispiel Industriegesellschaft, Freizeitgesellschaft, Wohlstandsgesellschaft oder auch Informationsgesellschaft, beziehen sich immer nur 3 Zum breiten Spektrum der organisierten Interessen vgl. den Überblick bei Rudzio 2006: 55_ff. 4 Zum Spektrum aktueller soziologischer Gesellschaftskonzepte vgl. die Zusammenstellung der Perzeptionen und Gesellschaftsbeschreibungen von zwölf prominenten Ansätzen bei Pongs 2000. 55 <?page no="55"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft auf ein kennzeichnendes Merkmal für gesellschaftliche Konfliktlinien, die in Interessenbildung münden können. So generierte der für die Klassengesellschaft kennzeichnende Konflikt zwischen Kapital und Arbeit spezifische Interessenorganisationen der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Eine für die Industriegesellschaft typische Konfliktlinie verläuft zwischen industrieller Produktionsweise und Ökologie, in der Wohlstandsgesellschaft zwischen arm und reich. Gerhard Himmelmann (1983: 11 ff.) entwickelte für die Gegenwartsgesellschaft ein Konfliktmodell, das sechs Konfliktlinien unterscheidet: Kapital versus Arbeit, Bürger versus Staat, Staat versus Privatwirtschaft, Konsumenten versus Produzenten, Individuum versus Öffentlichkeit und Industriesystem versus Umwelt. Die soziale Verortung von organisierten Interessen in einem Konfliktschema ist richtig, greift aber zu kurz : Sie steckt zwar Konflikt- und damit Handlungsfelder für Interessenorganisationen ab, die über die Konfliktstruktur der Klassengesellschaft hinausweisen. Mit anderen Worten: Die soziale Verortung von organisierten Interessen in einem Konfliktschema wird der Tatsache gerecht, dass die traditionelle Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit überlagert wird durch soziale Disparitäten (wie z. B. im Bereich von Wohnung, Verkehr etc.), die quer liegen zu Klassenstrukturen und durchaus geeignet sind, gesellschaftliche Interessen zu generieren, die dann ihrerseits Ausdruck von sozialer Verteilungsungleichheit sind. Die Rückführung gesellschaftlicher Interessen auf sozialstrukturelle Konfliktlagen (»cleavages«) bleibt aber den herrschenden industriegesellschaftlichen Vergesellschaftungsmodi sozialer Klassen- und Schichtbildung verhaftet. Sie verortet die organisierten Interessen auf den Konfliktfeldern der tradierten Industriegesellschaft. Damit wird zwar erklärt, warum es Gewerkschaften, politische Parteien und Automobilclubs gibt, die Erklärungskraft eines solchen Modells für die Interessenorganisationen jenseits industriegesellschaftlicher Konfliktlinien, wie zum Beispiel Bürgerinitiativen, bleibt jedoch schwach. Die Auslotung gesellschaftlicher Interessen bedarf deshalb eines neuen Koordinatensystems, das den Weg durch die Unübersichtlichkeit der gesellschaftlichen (Konflikt-) Verhältnisse weist. Dabei sind vor allem zwei Trends, die eine sozialstrukturelle Begründung von organisierten Interessen erschweren, ausschlaggebend: Erstens das Aufkommen neuer Formen der Vergesellschaftung (wie z. B. soziale Lagen und Milieus), zweitens die Transformation der ehemaligen DDR-Gesellschaft. Die bundesrepublikanische Gesellschaft zeichnet sich durch zunehmende Differenzierung aus. Der Ausbau des Sozialstaats, soziale und geographische Mobilität, Bildungsexpansion, zunehmende Frauenerwerbstätigkeit ließen bis in die 1990er Jahre hinein auseinanderdriften, was in der traditionellen Industriegesellschaft zusammengehörte: Produktionsweise und Vergesellschaftungsformen. »Die Industriegesellschaft, verstanden als ein lebensweltliches Modell, bei dem Geschlechtsrollen, Kleinfamilien, Klassen ineinander verschachtelt sind, verabschiedet sich bei laufendem, ja mehr noch: durch den laufenden Motor der Industriedynamik. Die gleiche Produktionsweise, das gleiche politische System, die gleiche Modernisierungsdynamik erzeugen ein anderes lebens- 56 <?page no="56"?> 1.3 Im Fokus: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie weltliches Gesicht der Gesellschaft: andere Netzwerke, Beziehungskreise, Konfliktlinien, politische Bündnisformen der Individuen.« (Beck 1990: 92) Kennzeichnend für diese Entwicklung ist die Ausdifferenzierung pluraler Lebensstile und neuer sozialer Milieus als Vergesellschaftungsformen (grundlegend Hradil 1987; Berger/ Hradil (Hg.) 1990, Vester u. a. 2001). Die soziologische Lebensweltforschung unterscheidet acht (so Clemens 1990: 22 ff.), neuerdings auch zehn soziale Milieus (vgl. KulturSpiegel 7/ 2006: 8 ff.): eine stabile bürgerliche Mitte (16 %), rückläufige konservative (5 %) und traditionsverwurzelte Milieus (1,5 %), abnehmende Milieus von Etablierten (10 %) und Konsummaterialisten (11 %), ein verschwindendes Milieu von DDR-Nostalgikern (6 %) sowie wachsende Milieus von Hedonisten (11 %), Experimentalisten (7 %), modernen Performern (8 %) und Postmaterialisten (10 %). Neuere Forschungsarbeiten verfeinern die Beschreibung der »Strukturierungen des sozialen Raums« (Vester u. a. 2001: 504 ff.) in doppelter Hinsicht: zum einen durch die Einordnung der sozialen Milieus in eine Vertikalstruktur, die drei Stufen aufweist: hegemoniale Milieus, respektable Volks- und Arbeitnehmermilieus und unterprivilegierte Volks- und Arbeitnehmermilieus. Zum anderen wird diese für die westdeutschen sozialen Milieus kennzeichnende Typologie ergänzt durch eine typenbildende Auswertung von ostdeutschen Forschungen. Dadurch werden Abweichungen und Übereinstimmungen mit der westdeutschen Milieugliederung sichtbar. Auch wenn die sozialstrukturelle Rückbindung solcher auf der Grundlage von sozio-kulturellen Standards abgegrenzten sozialen Milieus noch weitgehend aussteht, so lassen sich doch erkennbare Gemeinsamkeiten von neuen sozialen Milieus ausmachen, die interessenbildend sind: eine »emanzipatorische« Integrationsideologie, die personelle Rekrutierung aus Beschäftigten in »modernen« Sektoren (hierzu zählen die sog. neuen Berufe 5 , Humandienste, High- Tech-Arbeit) und die Vernetzung mit Alltagsformen der Vergemeinschaftung (z. B. in Lebensstilgruppen) und »expressiver sozialer Ungleichheit« (vgl. Lüdtke 1989). Dieser Trend zur Industrieproduktion ohne Industriegesellschaft wird nunmehr überlagert und (möglicherweise) konterkariert durch die Angliederung einer in ihren sozialstrukturellen Verhältnissen nicht weniger unübersichtlichen Gesellschaft. Der Diskurs um die sozialstrukturellen Grundlagen der in die alte bundesdeutsche Gesellschaft zu integrierenden DDR-Gesellschaft hält noch an (vgl. Geißler 1992; ders. 1996). Eine Typologie der ostdeutschen sozialen Milieus weist Gemeinsamkeiten, aber auch erhebliche Unterschiede zur westdeutschen Milieugliederung auf: »Die ostdeutsche Gesellschaft zeigt einerseits eine ähnliche Grundstruktur wie die anderen hochentwickelten Gesellschaften, nämlich drei Stufen und deren horizontale Unterteilung nach jeweils etwa drei Traditionslinien. Auch die Größenproportionen sind sehr ähnlich. 5 Gemeint sind damit Tätigkeiten, die im weiteren Sinne mit Kommunikation, Information, Gesundheit, Bildung zu tun haben und den Erwerb von »kulturellem Kapital« (Bourdieu) voraussetzen. 57 <?page no="57"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Andererseits sind diese Traditionslinien in sich deutlich anders unterteilt als in anderen Ländern.« (Vester u. a. 2001: 526) Welche Spuren die gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen in der Sozialstruktur hinterlassen, ist offen. Im Anschluss an frühere Arbeiten des französischen Soziologen Alain Touraine wird eine Dreiteilung der Gesellschaft als »neuartige Tendenz, die der gegenwärtigen Verfassung der kapitalistischen Produktionsweise und dem entsprechenden Macht- und Herrschaftssystem entspringt« (Negt 2005) prognostiziert. Danach ist ein Drittel der Bevölkerung sozial integriert und lebt, ausgestattet mit einem Arbeitsplatz, in zufriedenstellenden Verhältnissen, ein weiteres Drittel befindet sich dagegen in eher unsicheren Lebensverhältnissen, mit prekären Arbeitsverträgen und ungewissen Zukunftsaussichten. Das letzte Drittel wird zukünftig für die gesellschaftlichen Produktions- und Lebensverhältnisse nicht mehr gebraucht, es handelt sich um »eine Armee von dauerhaft Überflüssigen« (ebd.). Milieu- und Lebensstilforschung sowie Sozialstrukturanalyse neueren Datums teilen mit ihrem Gegenstand die Dynamik und Ungewissheit. Die Dinge sind im Fluss. Dies gilt umso mehr für die deutschen, durch die Transformation der ehemaligen DDR-Gesellschaft mitgeprägten Verhältnisse. Bei aller Verschiedenheit der sozialstrukturellen Verhältnisse - eines haben beide Gesellschaften gemeinsam: die industrielle Produktionsweise. Deshalb werden Konfliktlinien, die sich an diesem Strukturmerkmal ausrichten, ihre interessenpolitische Bedeutung behalten und eher vergrößern. Daraus folgt: Organisierte Interessen auf den Konfliktfeldern »Kapital versus Arbeit« und »Industriegesellschaft versus Umwelt« werden eher einen politischen Bedeutungszuwachs erfahren. Worin aber liegt die politische Relevanz von Interessenorganisationen? 1.3.1.3 Was unterscheidet den Tennisclub von einer Gewerkschaft? Zur politischen Relevanz von gesellschaftlichen Interessen Die soziale Verortung von gesellschaftlichen Interessen ist ein wichtiger, keineswegs aber hinreichender Ausweis für deren politische Bedeutung. Und das aus mindestens zwei Gründen: Zum einen haben Sportvereine, Automobilclubs, religiöse und kulturelle Vereinigungen »Politik« zwar nicht auf ihre Fahnen geschrieben. Sie sind deshalb aber noch lange nicht unpolitisch. Ihre politische Bedeutung liegt allerdings weniger in der Aggregierung und Transformation gesellschaftlicher Interessen in politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse (also in der Interessenvermittlung) als vielmehr in der Vermittlung von politischen Normen und gesellschaftlichen Werten gegenüber den Mitgliedern (also der Politikvermittlung). Sie vermitteln »Politik« in ihrer Eigenschaft als Sozialisationsagenturen. Davon zu unterscheiden sind Interessenorganisationen, deren Zielsetzung in der Aggregierung und Vermittlung von gesellschaftlichen Interessen in Politik besteht. Ihr Handlungsfeld liegt im intermediären Bereich zwischen Bürgern (Gesellschaft) und staatlichen Institutionen (politisch-administrativen System). Zu den wichtigsten inter- 58 <?page no="58"?> 1.3 Im Fokus: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie mediären Interessenorganisationen im bundesdeutschen System zählen die politischen Parteien, Verbände, Bürgerinitiativen und Massenmedien. Zum anderen sind nicht sämtliche gesellschaftlichen Interessen organisiert. Dies hat damit zu tun, dass es gesellschaftliche Interessen gibt, die nur schwer organisierbar (z. B. die Interessen von sozialen Minderheiten oder von zukünftigen, noch nicht geborenen Generationen) und kaum konfliktfähig sind. So sind zum Beispiel die Interessen von Industriearbeitern konfliktfähiger als die Interessen von Studierenden. Nicht zuletzt deshalb sind arbeitsorientierte Interessen eher und besser organisiert als die Interessen von Studierenden. Die Beispiele zeigen, dass es bei der Organisation gesellschaftlicher Interessen zugleich um die Frage nach der Durchsetzungs- und Konfliktfähigkeit dieser Interessen geht, mit anderen Worten: um Macht. In der ungleichen Machtverteilung, bzw. ungleichen Einflusschance von organisierten gesellschaftlichen Interessen auf Politik kommt, neben der oben gekennzeichneten Verteilungsungleichheit, der zweite Aspekt von sozialer Ungleichheit zum Vorschein: die Beziehungsasymmetrie und damit die ungleiche Verteilung von Einflusschancen bei der Interessendurchsetzung. t i e h h c i e l g n U e l a i z o S n e s s e r e t n I e h c i l t f a h c s l l e s e G t i e k g i h ä f t k i l f n o K t i e k g i h ä f s n o i t a s i n a g r O t i e h h c i e l g n u s s u l f n i E t h c a M t i e h h c i e l g n u s g n u l i e t r e V t i e h h c i e l g n u s g n u h e i z e B e h c s i g e t a r t S n e c r u o s s e R Abbildung 1: Interessenvermittlung als Machtprozess 59 <?page no="59"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft 1.3.2 Gesellschaftliche Interessen, soziale Ungleichheit und Macht Führt man die obigen Überlegungen zur sozialen Ungleichheit (vgl. 1.1.3) und zu den gesellschaftlichen Interessen (vgl. 1.3.1) zusammen, so lässt sich als Fazit festhalten: Die ungleiche Verteilung von Gütern (Verteilungsungleichheit) sowie die asymmetrischen Beziehungen (Beziehungsungleichheit) und damit die strategischen Ressourcen in der modernen Industriegesellschaft generieren gesellschaftliche Interessen. Die Art und Weise, wie diese artikuliert und politisch durchgesetzt werden können, ist ihrerseits ein Ausdruck der vertikalen Differenzierung der Gesellschaft und wirkt auf diese stabilisierend zurück, mit anderen Worten: Sie strukturiert die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Was aber ist Macht ? Die wohl bekannteste soziologische Definition liefert Max Weber. Danach ist Macht »jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht«. Träger der Macht können sowohl Personen sein, aber auch Gruppen, Verbände, Parteien oder Staaten, die über die Möglichkeit verfügen, ihren Willen (besser: ihre Interessen) durchzusetzen. Handelt es sich um Individuen, die ihre Interessen gegenüber anderen durchsetzen, dann spricht man von personaler Macht. Mit strukturell verankerter Macht hat man es zu tun, wenn strukturell vorgegebene Sozialbeziehungen, wie zum Beispiel die Einkommensverteilung oder Positionshierarchien bzw. ganz allgemein die sozialen Ungleichheitsstrukturen in einer Gesellschaft, eine Machtausübung von Personen oder Gruppen ermöglichen. Im Ergebnis heißt dies: Macht hat eine mikrosoziologische Komponente (innerhalb einer Sozialbeziehung den Willen durchsetzen) und eine makrosoziologische Komponente (die gesellschaftlichen Machtasymmetrien auf der Grundlage von sozialer Ungleichheit). Auf diese bezieht sich die folgende Darstellung. 6 Im Anschluss an Reinhard Kreckel (2004) kann makrosoziologisch die primäre Machtasymmetrie zwischen Kapital und Arbeit unterschieden werden von sekundären Machtasymmetrien und sozialen Schließungsstrategien auf dem Arbeitsmarkt. Der makrosoziologische Blick auf die primäre Machtasymmetrie von Kapital und Arbeit und die dadurch bedingte ungleiche Chancenverteilung bei der Artikulation und Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen ist für die Politische Soziologie wichtig. Allerdings bedarf es eines zweiten bzw. anderen Blicks, nämlich auf den Arbeitsmarkt, um die ungleichen Lebenschancen der Menschen zu erkennen und soziologisch angemessen beurteilen zu können. Quer zur primären Machtasymmetrie liegen sekundäre Machtasymmetrien, die deutlich machen, dass sowohl die Kapitalals auch die Arbeitnehmerseite intern strukturiert ist und sich durch erhebliche interne Machtungleichgewichte auszeichnet. Auf Kapitalseite äußern sich sekundäre Machtasymmetrien vor allem in den Unterschieden zwischen Kern- und Randbetrieben, Wachstumsbranchen und absterbenden 6 Zur mikrosoziologischen Dimension von Macht vgl. weiter unten 2.1. 60 <?page no="60"?> 1.3 Im Fokus: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie Industrien, Groß-, Mittel- und Kleinunternehmen usw., die dazu führen, dass die Verhandlungs- und Marktmacht höchst ungleich verteilt ist. Auf der Arbeitnehmerseite sind es die hierarchischen Differenzierungen zwischen Kern- und Randbelegschaften, Qualifizierten und Unqualifizierten, Beschäftigten auf gehobenen und untergeordneten Positionen, Jungen und Alten, Männern und Frauen oder: Rationalisierungsgewinnern und -verlierern, die zu sekundären Machtasymmetrien führen und die Lebenschancen der Menschen ungleich verteilen. Vor allem tragen diese sekundären Machtasymmetrien erheblich dazu bei, dass soziale Ungleichheit beständig wird und tendenziell kumuliert, oder anders gesagt: dass diejenigen, die aus einfachen Verhältnissen kommen, durchschnittlich geringere Chancen haben, ein höheres Bildungsniveau zu erreichen und damit über geringere Chancen verfügen, einen höheren Sozialstatus zu erlangen und einen angesehenen und einträglichen Beruf auszuüben. Allerdings ist soziologische Bescheidenheit angebracht. Bislang nämlich sind quantitative Untersuchungen der sozialen Ungleichheit und vor allem Analysen des Zusammenhangs zwischen makrosoziologisch konstatierten Machtasymmetrien und gesellschaftlichen Interessen sowie deren Durchsetzung im Hinblick auf gesellschaftliche Lebenschancen noch unzureichend. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass die Komplexität der Problemkonstellation aus einzelwissenschaftlicher Sicht und damit soziologisch verengt nicht angemessen zu bearbeiten ist. Dies resultiert schon aus der Tatsache, dass sowohl die primäre Macht-asymmetrie als auch die genannten sekundären Machtasymmetrien nicht allein durch das Kräftespiel von Akteuren der Kapital- und der Arbeitnehmerseite geprägt werden, sondern regelmäßig mindestens ein weiterer Akteur hinzukommt: der Staat . Gesellschaftliche Macht, ihre Voraussetzungen und Folgen, sind demnach immer auch das Ergebnis von staatlicher Politik. 1.3.3 Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie: Fazit und Perspektiven Soziale Ungleichheit, gesellschaftliche Interessen und ihre Durchsetzung auf der Grundlage interessenbedingter und -stabilisierender Machtasymmetrien stellen wissenschaftliche Anforderungen, die nicht von der Soziologie allein und schon gar nicht von einer isoliert arbeitenden soziologischen Ungleichheitsforschung angemessen zu bewältigen sind. 7 Dies gilt auch für eine praxisorientierte Demokratieforschung. Diese erschöpft 7 Was für die wissenschaftliche Forschung gilt, gilt ebenso für die Vermittlung von Forschungsergebnissen in der akademischen Lehre. Die mit den dargelegten Themen der soziologischen Machtanalyse und Ungleichheitsforschung verbundene Problematik ist deshalb notwendigerweise Gegenstand unterschiedlicher Lehrveranstaltungen in der sozialwissenschaftlichen Ausbildung. Organisationssoziologie, Industrie- und Betriebssoziologie, Politikwissenschaft und Erziehungswissenschaft begegnen sich über den Zusammenhängen von sozialer Ungleichheit, 61 <?page no="61"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft sich weder in Analysen von Macht und sozialer Ungleichheit noch in Theoriearbeit zur angemessenen normativen und begrifflichen Fassung der Demokratie. Die oben formulierten Aufgaben und das Programm dieser Wissenschaft sind anspruchsvoll. Ihre Umsetzung entscheidet maßgeblich darüber, ob sich Politische Soziologie als wissenschaftssystematischer Ort eignet, auf dem sich unterschiedliche Disziplinen, vornehmlich Politikwissenschaft und Soziologie, begegnen und über die disziplinären Grenzen hinweg fruchtbar kooperieren. Das dargelegte Erkenntnisinteresse der Politischen Soziologie als Demokratiewissenschaft, ihr spezifisches, die gesellschaftlichen Grundlagen von Demokratie berücksichtigendes Demokratieverständnis erlauben nunmehr, den Gegenstand einer praxisorientierten Demokratieforschung genauer zu bestimmen: Politik- und Interessenvermittlung als Problem der politischen Steuerung und demokratischen Legitimation, mit anderen Worten: als demokratisch zu gestaltendes Austauschverhältnis zwischen politisch-administrativem System auf der einen und einer durch soziale Ungleichheit geprägten Gesellschaft und ihrer mit unterschiedlichen Ressourcen ausgestatteten organisierten Interessen auf der anderen Seite (vgl. 1.3.3.1). Die demokratiewissenschaftliche Analyse von Politik- und Interessenvermittlung beantwortet hierzu nicht nur die Frage, was mit gesellschaftlichen Interessen gemeint ist. Sie reformuliert auch den Politikbegriff im Lichte von sozialer Ungleichheit, gesellschaftlichen Interessen und Macht(-legitimation) (vgl. 1.3.3.2) und mündet in zentrale und für die Operationalisierung des Untersuchungsprogramms maßgebliche Fragestellungen (vgl. 1.3.3.3). 1.3.3.1 Politik- und Interessenvermittlung als Gegenstand der praxisorientierten Demokratieforschung Die Aggregierung und Organisation von gesellschaftlichen Interessen ist kein Selbstzweck. Oben wurde dargelegt, dass gesellschaftliche Interessen organisiert und mit unterschiedlichen Ressourcen ausgestattet in Politik vermittelt werden, wobei ihr Einflusspotenzial maßgeblich von der Ressourcenausstattung abhängt. Interessenvermittlung ist deshalb machtbasiert, ihre wissenschaftliche Untersuchung Machtanalyse. Interessenvermittlung ist Interessenpolitik und deckt deshalb eine wichtige Dimension des Politikbegriffs ab (Politics). Als Ausdruck von gesellschaftlicher Macht verbindet sich mit Interessenvermittlung die Frage nach der demokratischen Legitimation von interessengeleiteten Vermittlungsprozessen. Die oben (vgl. 1.2.2) aus der Legitimationsperspektive gefundene Antwort heißt Partizipation. Legitimierte Macht und damit demokratische Herrschaft von Interessenvermittlungsakteuren gründet in der Partizipation am Vermittlungsprozess. Politik ist jedoch nicht nur Interessenpolitik, sondern dem allgemeinen Interesse verpflichtet. Politikvermittlung reduziert sich deshalb nicht auf die Vermittlung von gesellschaftlichen Interessen und Macht. Aus diesen Quellen speist sich u. a. die demokratiewissenschaftliche Lehre. 62 <?page no="62"?> 1.3 Im Fokus: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie wirkungsmächtigen Partikularinteressen im Gewand des Gemeinwohls. Die Rückkoppelung von politischen Werten und Normen (Polity) aus den Einrichtungen des politisch-administrativen Systems in die Gesellschaft stellt sich für die Politikwissenschaft als Problem der politischen Steuerung dar. Für eine Demokratiewissenschaft greift diese Perspektive zu kurz. Ihr Erkenntnisinteresse erschöpft sich nicht in den Voraussetzungen und Folgen von gelingender Steuerung im Sinne von »gutem Regieren«, es bezieht sich vielmehr auf dessen Voraussetzungen und Folgen in der Demokratie. Zu deren Wesenskern gehören politisches Engagement und Beteiligung, mit anderen Worten: der Bürger als demokratischer Akteur. Deshalb ist die politikwissenschaftliche aktuelle »Wiederentdeckung« des Bürgers nicht nur aus dem Blickwinkel eines normativen Konzepts moderner Bürger- und Tugenddiskurse zu diskutieren (vgl. Münkler 1992: 25 ff.) oder in Fortschreibung der Polis-Idee, das »Bürgersein« zum »Menschsein« zu stilisieren (vgl. Gebhardt 1995: 355). Sie hätte vielmehr das Nachdenken über die subjektiv-qualifikatorische Seite von Demokratie zu beflügeln. Diese aber ist das Ergebnis gelingender politischer Sozialisation. Politikvermittlung geschieht durch politische Sozialisation. Damit stellt sich der Austauschprozess zwischen Politik und Gesellschaft, verstanden als Interessen- und Politikvermittlung unter Demokratieanforderungen, als ein durch Partizipation und politische Sozialisation konstituierter Kommunikationszusammenhang dar (vgl. Abb. 2). Partizipation und politische Sozialisation sind ihrerseits interessengeleitet und deshalb nicht nur Verfahren, sondern auch Gegenstand von Interessen- und Politikvermittlung. Politik- und Interessenvermittlung konstituieren ein intermediäres Feld, das von Akteuren besetzt wird, die Partizipation ermöglichen oder verhindern, politisch sozialisieren und damit politische Kommunikation gestalten. Wenn demnach die Verfahren der Politik- und Interessenvermittlung von jenen Einrichtungen bestimmt werden, die die politische Kommunikation organisieren (vor allem die politischen Parteien, Verbände, Bürgerinitiativen), dann hängt die Antwort auf die Kernfrage nach der demokratischen Ausgestaltung von Politik- und Interessenvermittlung entscheidend von der politischen Kommunikations- und damit Öffentlichkeitsleistung dieser intermediären Akteure ab. Für die politische Öffentlichkeit des intermediären Bereiches zwischen politischadministrativem System und Gesellschaft kommt den Massenmedien eine besondere Bedeutung zu. Denn die Öffentlichkeit der intermediären Organisationen ist weitgehend medienvermittelt. Deshalb wird auf die Medienöffentlichkeit von Presse, Funk und Fernsehen und nicht zuletzt der neuen Informations- und Kommunikationstechniken eine praxisorientierte Demokratieforschung ihre besondere Aufmerksamkeit richten. Hierzu gehört insbesondere auch jene Einrichtung, die der parlamentarischen Demokratie ihren Namen gibt, weil historisch als Beteiligungs- und Sozialisationsorgan konstituiert und demokratietheoretisch wie normativ begründet die Öffentlichkeitsfunktion zu ihren vornehmsten Aufgaben zählt: das Parlament. Last, but not least, beteiligen sich Organisationen, in denen der gesellschaftliche Reichtum erzeugt und 63 <?page no="63"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft n o i t a k i n u m m o K e h c s i t i l o P m e t s y S s e v i t a r t s i n i m d a h c s i t i l o P t n e m a l r a P n e s s e r e t n I e h c i l t f a h c s l l e s e G t i e h h c i e l g n U e l a i z o S e h c s i t i l o P n e i e t r a P e d n ä b r e V r e g r ü B n e v i t a i t i n i e l a i z o S n e g n u g e w e B n e m h e n r e t n U n e s s a M n e i d e m k i t i l o P g n u l t t i m r e v h c r u d n o i t a s i l a i z o S n e s s e r e t n I g n u l t t i m r e v h c r u d n o i t a p i z i t r a P Abbildung 2: Politik- und Interessenvermittlung deren Wirken als Politik- und Interessenvermittlung demokratietheoretisch kaum thematisiert, aber empirisch praktisch evident ist, auf dem intermediären Feld, nämlich die Organisationen der gesellschaftlichen Arbeit (Wirtschaftsunternehmen). Erläuterung: Das Schaubild enthält nur solche Akteure der Politik- und Interessenvermittlung, deren Vermittlungsleistung Gegenstand der folgenden Darstellung ist. Das politisch-administrative System wird nicht weiter ausdifferenziert. Für seine politische Kommunikationsleistung ist in der parlamentarischen Demokratie vor allem das Parlament zuständig. Deshalb ist dieses auch Gegenstand der praxisorientierten Demokratieforschung und wird im Folgenden behandelt (vgl. unten 3). Für eine politikwissenschaftliche Regierungsforschung sind dagegen Regierung und Regierungshandeln Gegenstand der Analyse (vgl. Korte/ Fröhlich 2004: 14 ff.). Auch bei den intermediären Akteuren handelt es sich um keine abschließende Liste. Wissenschaftliche, kirchliche und kulturelle Organisationen besetzen ebenso das intermediäre Feld wie die hier aufgeführten Bürgerinitiativen oder Interessenverbände. Gleichwohl kommen sie in der folgenden Analyse nicht vor. Diese erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern auf ein exemplarisches Vorgehen, das allerdings die wesentlichen Einrichtungen der Politik- und Interessenvermittlung auf ihre politische Kommunikationsleistung hin untersucht. Intermediäre Einrichtungen organisieren politische Kommunikation, indem sie Information aus ihrer gesellschaftlichen Umwelt aufnehmen und an diese abgeben. Dies ist die Grundlage für die Aggregierung und Organisation gesellschaftlicher Inter- 64 <?page no="64"?> 1.3 Im Fokus: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie essen und zugleich für die Partizipation von Gesellschaftsmitgliedern an diesem Prozess. Die intermediären Organisationen konstituieren politische Kommunikation darüber hinaus durch Organisation und Vermittlung von gesellschaftlichen Interessen gegenüber dem politisch-administrativen System. In diesem Kommunikationsabschnitt ermöglichen sie Partizipation und politisches Lernen ihrer Mitglieder. Deren Beteiligungschancen und Lernerfolge sind das Ergebnis gelingender innerverbandlicher Kommunikation. Neben dem Informationsaustausch mit der Organisationsumwelt stehen deshalb der Informationsaustausch und damit die Kommunikationsleistung im Binnenbereich der intermediären Einrichtungen im Fokus der Analyse. Ihre Ergebnisse entscheiden über die Qualität der innerorganisatorischen Demokratie. Und schließlich steht das Austauschverhältnis zwischen dem politisch-administrativen System und den intermediären Einrichtungen in Frage. Die Praxis der Politik- und Interessenvermittlung im Lichte der politischen Öffentlichkeit entscheidet in diesem Kommunikationsabschnitt darüber, welche politischen Einflusschancen die intermediären Organisationen als Interessenvermittlungseinrichtungen bekommen und welche politischen Sozialisationsleistungen sie gegenüber ihren Mitgliedern erbringen, mit anderen Worten: inwieweit innerorganisatorische Demokratie auch nach außen hin, in der Kommunikation mit dem politisch-administrativen System zum Tragen kommt. 1.3.3.2 Demokratiewissenschaftliche Dimensionen des Politikbegriffs Praxisorientierte Demokratieforschung untersucht Politik- und Interessenvermittlung auf der Grundlage von politischer Kommunikation. Damit rücken jene Akteure in den Fokus der Analyse, die politische Kommunikation qua Verfassungsauftrag (wie z. B. Parlamente und Parteien) oder indem sie das intermediäre Feld zwischen politischadministrativem System und gesellschaftlichen Interessen besetzen, auf ihre Fahnen geschrieben haben. Ihre politische Kommunikationsleistung - und damit Relevanz für Bestand und Ausbau von Demokratie - hängt entscheidend davon ab, inwieweit Politik- und Interessenvermittlung für Bürger und Verbandsbürger partizipativ und politisch lernförderlich gestaltet werden. Das Erkenntnisinteresse der praxisorientierten Demokratieforschung umfasst deshalb die Rahmenbedingungen von intermediär gestalteter politischer und innerorganisatorischer Demokratie (Polity), die Ausgestaltung des Interessenvermittlungs- und Politikvermittlungsprozesses als Kommunikationsprozess (Politics) sowie die in diesem Prozess transportierten Themen und Inhalte (Policy). Praxisorientierte Demokratieforschung ist institutionenorientiert, weil sie sich vor allem mit den intermediären Einrichtungen der Politik- und Interessenvermittlung befasst. Sie nimmt deren Ausdrucks- und Erscheinungsformen (Verfassungsgrundlagen, Normen, formale und informale »Spielregeln«) in den Blick und untersucht in der Polity-Dimension vor allem die Kommunikations- und damit Öffentlichkeitstypen demokratischer Interessen- und Politikvermittlungseinrichtungen. Ihr Schwerpunkt liegt im Bereich der Politics und damit auf der inputorientierten Perspektive von 65 <?page no="65"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Dimension Polity Politics Policy Erkenntnisinteresse Gesellschaftliche und politische Grundlage von Demokratie Demokratische Organisation von Politik- und Interessenvermittlung Themen von politischer Kommunikation Ausrichtung Akteursorientiert Inputorientiert Outputorientiert Erscheinungsformen Verfassungsgemäße Absicherung von politischer Kommunikation durch Parlamente und intermediäre Akteure Interessen(-konflikte), Ressourcen und Machtquellen Demokratische politische Steuerung Interessengegenstände Pol. Verfassung, gesellschaftliche Herrschaft (formale und informale Institutionen) Prozesse der Politik- und Interessenvermittlung; pol. Partizipation, pol. Sozialisation, pol. Kommunikation Politikfelder (z. B. Wirtschafts-, Bildungs-, Umweltpolitik) als Interessen- und Politikvermittlungsbereiche, Parlamentstätigkeit (Steuerung durch Kommunikation) Quelle: In Anlehnung an Korte/ Fröhlich 2004: 13 Tabelle 1: Demokratiewissenschaftlicher Politikbegriff Interessen, Interessen-Konflikten, Einflusschancen und Handlungspotenzialen sowie Ressourcenausstattung von Interessenorganisationen (Parteien, Verbänden, Bürgerinitiativen etc.). Macht und Legitimation durch politische Kommunikation gehören zum Begriffskern von Politics. Im Policy-Bereich werden für eine outputorientierte Vorstellung von Politik die politische Steuerungsleistung der intermediären Akteure und des Parlaments und damit die Wirkungen von politischer Kommunikation maßgebend. Die praxisorientierte Demokratieforschung begibt sich mit dieser die Policy- Dimension ihres Politikbegriffs berührenden Perspektive auf unterschiedliche Politikfelder, wie zum Beispiel Wirtschafts-, Bildungs-, Umwelt- und Einwanderungspolitik. Vor allem aber gehören die Organisation und Politik des Parlaments als Policy-Bereich zum Untersuchungsgegenstand. Die Dimensionen eines demokratiewissenschaftlich reformulierten Politikbegriffs werden in der obigen Tabelle zusammengefasst (vgl. Tab. 1). 1.3.3.3 Zusammenfassung und weiterführende Fragen Im Fokus der politischen Soziologie als kritischer Demokratiewissenschaft steht das Austauschverhältnis zwischen politisch-administrativem System und Gesellschaft. Diese wird gekennzeichnet durch soziale Ungleichheit und Interessenpluralismus. Das Austauschverhältnis konstituiert sich auf der Grundlage von politischer Kommunikation. Zu deren Kernelementen gehören die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger auf dem Feld der Interessensowie Politikvermittlung durch politische Sozialisation. 66 <?page no="66"?> 1.3 Im Fokus: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie Politische Kommunikation ist organisiert und medienvermittelt. Zuständig hierfür sind die Akteure, die gesellschaftliche Interessen aggregieren, organisieren und vermitteln sowie Politikvermittlung betreiben. Sie besetzen hierzu das intermediäre Feld zwischen politisch-administrativem System und Gesellschaft. Zu den maßgeblichen Akteuren gehören die politischen Parteien und Verbände, Bürgerinitiativen und neue soziale Bewegungen, die Massenmedien und Wirtschaftsunternehmen. Auf Seiten des politisch-administrativen Systems obliegt die Kommunikationsaufgabe insbesondere dem Parlament. Maßgebend für eine Demokratiewissenschaft ist die Rückbindung der Interessen- und Politikvermittlung und damit der politischen Kommunikation an ihre gesellschaftlichen Grundlagen. Diese werden geprägt durch soziale Ungleichheit und Interessenpluralismus. Die ungleiche Ressourcenausstattung organisierter Interessen begründet ungleiche Einflusschancen und damit Macht. Die Legitimation von Macht ist ein Demokratieproblem. Deshalb fragt eine kritische Demokratiewissenschaft, wie Macht in Prozessen der Interessen- und Politikvermittlung zu legitimieren sei. Dies ist die Frage nach der politischen Kommunikationsleistung der intermediären Akteure im Außenverhältnis gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern einerseits und gegenüber den Einrichtungen des politisch-administrativen Systems andererseits, aber auch im Innenverhältnis gegenüber ihren Mitgliedern. Aus der Diskrepanz zwischen normativem Demokratieanspruch und dessen empirisch-praktischer Umsetzung zieht eine praxisorientierte Demokratieforschung ihre kritische Dimension. Neben der Beschreibung, Erklärung und dem Verstehen der Verfahren von Politik- und Interessenvermittlung und damit dem Akteurshandeln intermediärer Einrichtungen hat Politische Soziologie auch die Aufgabe zur Kritik. Sie löst diese Aufgabe auf der Grundlage eines demokratiewissenschaftlich reformulierten Politikbegriffs. Politische Soziologie ist Machtanalyse. Die Rückkoppelung ihres Gegenstandes an die gesellschaftliche Machtasymmetrie und damit die makrosoziologische Perspektive öffnet eine Zugangsweise für ein demokratiewissenschaftliches Verständnis von Politik- und Interessenvermittlung. Das Programm der Politischen Soziologie ist damit jedoch noch nicht erschöpft. Der makrosoziologische Zugang verweist auf die folgenden Problembereiche, die aus dieser Perspektive allein nicht zu bearbeiten sind: (1) Welche Voraussetzungen und Folgen zeitigen die vertikale und horizontale Differenzierung der Gesellschaft und die dadurch bedingten ungleichen Chancen bei der Interessendurchsetzung für die Wahrnehmung von Chancen »innerhalb einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen,« (Max Weber) und damit für die Macht in Organisationen (im Unterschied zur Machtentfaltung durch Organisationen)? Mit dieser mikrosoziologischen Fragestellung wird der Blick in die intermediären Organisationen der Interessen- und Politikvermittlung gelenkt. In Frage steht deren Kommunikationsleistung gegenüber ihren Mitgliedern, mit anderen Worten: die innerorganisatorische Demo- 67 <?page no="67"?> 1 Standortbestimmung: Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft kratie. Diese Frage ist von der Politischen Soziologie allein nicht zu beantworten. Organisationssoziologie, Industrie- und Betriebssoziologie und Partizipationsforschung liefern hierzu wichtige Beiträge. (2) Wie wird aus Macht Herrschaft ? Jeglicher Machtentfaltung wohnt - so Max Weber - die Tendenz inne, sich zur Herrschaft zu institutionalisieren. Diese ist eine spezielle Form legitimer Macht. Dabei können die Grundlagen der Legitimität, auf die sich Herrschaft stützt, unterschiedliche Formen annehmen. So unterscheidet Weber zwischen legaler, traditionaler und charismatischer Herrschaft. Demokratische Industriegesellschaften, in denen dem Einzelnen individuelle Freiheitsrechte garantiert sind, zeichnen sich dadurch aus, dass mit Hilfe von Gewaltenteilung, Rechtsordnung, Massenmedien u. a. m. die Machtausübung transparent und berechenbar wird und dadurch die Grundlage für politische Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger zustande kommt. Dies ist der Stoff, aus dem politische Legitimation entsteht. Die Beschäftigung mit der Legitimationsproblematik rückt Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft an die Seite von politikwissenschaftlicher Demokratietheorie und empirischer Demokratieforschung. (3) Und daraus folgend die Frage: Wie kann politische Teilnahme als Legitimationsquelle von politischer Machtausübung zur gesellschaftlichen Teilhabe (verstanden als Partizipation) ausgebaut werden, damit die dargelegten primären und sekundären Machtasymmetrien gesellschaftlich akzeptiert, mit anderen Worten in demokratische Herrschaftsverhältnisse überführt werden können? Wer partizipieren will, um seine Interessen zu artikulieren und durchzusetzen, muss wissen, wie und zu welchem Zweck er diese artikulieren und durchsetzen kann, das heißt: Partizipation setzt Kompetenz voraus. Teilnahmekompetenz darf nicht einfach unterstellt, aber sie kann erworben werden. Sie ist das Ergebnis von politischem Lernen. Die soziologische Beschäftigung mit den Voraussetzungen und Folgen von Partizipation muss sich demnach zugleich um ein Verständnis von politischem Lernen bzw. Sozialisation bemühen. Mit diesen Fragen ist der empirisch-analytische Horizont einer praxisorientierten Demokratieforschung abgesteckt. Er umfasst die normativen und theoretischen Grundlagen sowie empirischen Befunde der politischen Kommunikations- (und damit Partizipations- und Sozialisations-)Leistung von intermediären Akteuren der Politik- und Interessenvermittlung und damit ein Arbeitsprogramm, das im Folgenden in ersten Schritten operationalisiert werden soll. Hierzu gibt die Erläuterung der Grundbegriffe einer praxisorientierten Demokratieforschung Auskunft (dazu unten 2). 68 <?page no="68"?> 1.3 Im Fokus: Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie Literaturempfehlung Abendroth, Wolfgang (1967): Zur Einführung: Politische Wissenschaft als politische Soziologie. In: Ders.: Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie. Aufsätze zur Politischen Soziologie. Neuwied/ Berlin, S. 9-13 Ebbighausen, Rolf (1981): Politische Soziologie. Zur Geschichte und Ortsbestimmung. Opladen Kreckel, Reinhard (2004): Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit. 3. erw. Aufl., Frankfurt a. M./ New York Trotha, Trutz von (2006): Perspektiven der politischen Soziologie. In: Soziologie, 35. Jg., S. 283-302 69 <?page no="70"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie Politische Soziologie als praxisorientierte Demokratieforschung untersucht die Institutionen und Prozesse der Politik- und Interessenvermittlung auf der Grundlage von politischer Kommunikation. Diese kommt zustande, indem die Träger gesellschaftlicher Interessen an deren Organisation und Durchsetzung partizipieren und politische Werte, Normen und Spielregeln auf dem Weg der politischen Sozialisation internalisieren. Politische Partizipation (vgl. 2.1) und Politische Sozialisation (vgl. 2.2) gehören deshalb zu den Grundbegriffen der Politischen Soziologie. Das spezifisch Politische von Partizipation und Sozialisation sowie die Bedeutung von partizipationsoffener und politisch lernförderlicher Politik- und Interessenvermittlung und damit die politische Kommunikationsleistung von Parlament und intermediären Organisationen für Bestand und Zukunft der Demokratie entscheiden sich im Lichte der politischen Öffentlichkeit (vgl. 2.3). 2.1 Politische Partizipation: vom Modewort zum operationalisierbaren Begriff Eine seit den 1970er Jahren ausufernde Partizipationsrhetorik hat die Konturen des Partizipationsbegriffs verwischt. Alltagssprachlich steht »Partizipation« für alles und jedes, was mit Beteiligung oder Teilnahme woran auch immer zu tun hat. Partizipation ist zu einem Modewort geworden, zu einer Quelle von Missverständnissen zwischen sozialen Akteuren, die aus unterschiedlichen Praxisfeldern kommen - ein diffuser Begriff, der die Forschungsdiskussion über die Ländergrenzen hinweg erschwert und für empirische Demokratieforschung nicht operationalisierbar scheint. Wer von politischer Partizipation spricht, hat sich deshalb vorab zu vergewissern, was mit Partizipation gemeint sein soll (2.1.1). Für die weitere begriffliche Klärung ist es hilfreich, die objektiv-strukturelle Dimension von Partizipation (2.1.2) von der subjektiv-personengebundenen Dimension (2.1.3) zu unterscheiden. Partizipation ist organisiert und in Strukturen eingelagert, aber auch an qualifikatorische und motivationale Voraussetzungen gebunden. 2.1.1 Politische Partizipation als soziales Handeln »Partizipation« war immer schon ein normativ befrachteter Begriff. Damit waren und sind demokratietheoretisch begründete Vorstellungen von partizipatorischer Demokratie (vgl. oben 1.2.2), von Mitbestimmung und Selbstentfaltung in Organisationen und damit von innerorganisatorischer Demokratie verbunden. Ein emphatischer Betei- 71 <?page no="71"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie ligungsbegriff steht in der Tradition bürgerlich-politischer Partizipation und gesellschaftlicher Demokratisierung (dazu grundlegend Vilmar 1973 und kritisch Lindner 1990: 14 ff.). Davon zu unterscheiden ist ein empirisch-analytischer Partizipationsbegriff. Normativ weniger aufgeladen ist er dennoch nicht wertfrei, sondern interessenorientiert. Partizipation ist nicht zweckfrei. Das Beteiligungshandeln ist instrumentell: Es handelt sich, zumal bei Partizipation in Arbeitsorganisationen, um Arbeit. Der Beteiligungszweck resultiert aus dem Partizipationsinteresse. Ein Teil der Schwierigkeiten in der Partizipationspraxis ergibt sich aus dem Umstand, dass unterschiedliche Beteiligungsakteure ihre je eigenen Interessen mit dem Partizipationshandeln verbinden. Versteht man Partizipation als Beteiligung an Entscheidungsprozessen zu dem Zweck, dort die eigenen Interessen wahrzunehmen oder die Interessen anderer (z. B. von Wählerinnen und Wählern) zu vertreten, dann ergeben sich hieraus für die Definition eines empirisch-analytischen Partizipationsbegriffs drei weiterführende Aussagen: Erstens ist Partizipation soziales Handeln. Sein Sinn ergibt sich aus der Orientierung am Handeln anderer. Nur wer handelt, ist Partizipationssubjekt. Aber nicht jedes Handeln ist Beteiligungshandeln. Zur Partizipation wird zweitens das Handeln erst dadurch, dass es interessengeleitet ist. Dabei kann es sich um eigene, aber auch um die Interessen anderer (z. B. von Wählerinnen und Wählern) handeln. Durch Partizipation in Entscheidungsprozessen können die Interessen direkt wahrgenommen oder delegativ vertreten werden. Partizipation ist deshalb in delegativen (z. B. im Rahmen der gesetzlichen Mitbestimmung von gewählten Interessenvertretern) oder in direkten Formen (z. B. durch Plebiszite) möglich. Und schließlich heißt drittens Partizipation Teilnahme an Entscheidungsprozessen, die ohne Beteiligung einseitig dominiert werden. Daraus folgt: Partizipation schränkt Macht ein. Darin liegt ihr Wesenskern und letztlich der Zugang zu einem empirisch gehaltvollen und gleichwohl normativen Verständnis von Partizipation als politische Beteiligung. Das Partizipationshandeln wird zum politischen Handeln, soweit es Interessen in Entscheidungsprozessen zur Geltung verhilft, die von den Interessenträgern als »politisch« begriffen werden oder weil die Entscheidungsprozesse selbst in Prozesse der Politik- und Interessenvermittlung eingelagert sind oder die beteiligten Akteure politische Kommunikation als Entscheidungsrahmen organisieren. Die Chancen zur Interessenwahrnehmung auf der Grundlage von Beteiligung sind jedoch ungleich verteilt. Entscheidungsprozesse sind in der Regel asymmetrisch organisiert, das heißt, eine Führungselite dominiert den Prozess. Entscheidungsprozesse sind Machtprozesse. Deshalb steht Partizipation im Konflikt mit den institutionellen Grundlagen der Machtasymmetrie. Der normative und der empirisch analytische Zugang zum Partizipationsbegriff haben demnach eines gemeinsam: Partizipation meint auch Beteiligung an der Ausübung von zeitlich stabiler, institutionalisierter Macht und damit an Herrschaft. Partizipation als Machtlegitimation ist Quelle von Herrschaftskritik. Dies erklärt, warum die Einführung von Beteiligungsstrukturen gegen den Widerstand von Füh- 72 <?page no="72"?> 2.1 Politische Partizipation rungsgruppen und Inhabern von Herrschaftspositionen schwierig durchzusetzen, zugleich aber zur vorausschauenden Loyalitätssicherung und Akzeptanzbeschaffung notwendig ist. Wer partizipiert, kritisiert unbefragte Herrschaftsausübung und akzeptiert die partizipative Herrschaftsordnung. Hier liegt die legitimierende Kraft von Partizipation. Diese ist praktizierte Herrschaftskritik und zugleich Legitimation der Herrschaftsordnung und damit der Stoff, aus dem Demokratie entsteht. Was aber heißt Macht? Im Unterschied zum oben definierten makrosoziologischen Machtbegriff, lenkt Partizipation, verstanden als soziales Handeln, den Blick auf die mikro- und mesosoziologischen Dimensionen von Macht. Diese verorten Macht in den Austauschbeziehungen zwischen interessengeleiteten Akteuren und den intermediären Organisationen der Interessen- und Politikvermittlung. Für eine praxisorientierte Demokratieforschung sind zwei theoretische Zugänge ertragreich: a) Der mikropolitische Ansatz (vgl. Küpper/ Ortmann (Hg.) 1988), rekurrierend auf die strategische Organisationsanalyse von Crozier und Friedberg (1979). Danach handelt es sich bei Macht um eine Austauschbeziehung zwischen Akteuren, die grundsätzlich über Möglichkeiten verfügen, Ressourcen (z. B. Zeit, Geld, Recht, Wissen) für die Durchsetzung ihrer akteursspezifischen Interessen zu mobilisieren. Quelle von Machtressourcen ist die Kontrolle von relevanten Unsicherheitszonen. Der Arzt hat zum Beispiel dann Macht über den Patienten, wenn er eine für diesen relevante Unsicherheitszone kontrolliert: seine Gesundheit. Unsicherheitszonen können zum Beispiel auch dann entstehen, wenn im Zuge der Einführung von Formen der direkten Partizipation ein weiterer Akteur (z. B. partizipierende Bürger) hinzukommt und das Gefüge der Austauschbeziehungen zwischen traditionellen Akteuren (z. B. zwischen Repräsentanten und Leitungsinstanzen) aus dem Lot gerät. Ein solches Verständnis von Macht als kontingentes Verhalten löst das Bild dichotomischer, vertikaler Machtverhältnisse (z. B. Unter-/ Überordnungsverhältnisse in hierarchischen Organisationen) auf. Es setzt auf eine Handlungslogik, die keiner einheitlich-verbindlichen Rationalität folgt. Jedes Handeln der Akteure gerinnt zur »strategischen« Aktion. Mit diesem mikropolitischen Ansatz können wir den Handlungsaspekt von Partizipation begreifen. Partizipation ist dann strategisches Handeln und insofern eine Machtressource, als ihre Implementation in Form von Beteiligungsverfahren (z. B. Wahl, Mitbestimmung u. a. m.) Unsicherheitszonen in den tradierten Interaktionsbeziehungen der beteiligten Akteure schafft und/ oder neue Akteure auf den Plan bringt. Die Reichweite des mikropolitischen Ansatzes ist jedoch begrenzt, wo es um den Systemaspekt von Partizipation geht. Evidente Machtasymmetrien, zum Beispiel zwischen Vorgesetzten und Untergebenen oder zwischen Organisationsleitungen und einfachen Organisationsmitgliedern, müssen mikropolitisch anhand »intervenierender Variablen« erklärt werden, das heißt, anhand der Strukturen. Macht besteht nicht nur in Austauschbeziehungen. Sie ist strukturell verfestigt. So gibt es in jeder Organisation Regeln (Vorschriften, Gesetze, Geschäftsordnungen etc.), die die Beziehungen zwischen den Organisationsmitgliedern festlegen und die Asymmetrie absichern. Mehr noch: Die 73 <?page no="73"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie strukturellen Faktoren der asymmetrischen Austauschbeziehungen sind keine »quantité negligeable«, sondern die »condicio sine qua non« von Macht. Sie stellen Macht auf Dauer und verfestigen sie zur Herrschaft. b) Die akteurszentrierte Systemanalyse auf Grundlage der Theorie sozialer Regelsysteme (vgl. Burns/ Flam 1987), wie sie im Anschluss an Giddens (1988) entwickelt wurde. Danach sind Machtbeziehungen zunächst einmal geregelte Beziehungen. Die Existenz von Regelsystemen (z. B. Recht, Sitte, Brauch, Konvention) verhindert, dass bei jeder Entscheidung Macht mobilisiert werden muss. Regeln strukturieren aber nicht nur das Handeln in Interaktionsprozessen und damit die Machtausübung, sie schaffen auch Verhaltenssicherheit. Sie ordnen den Akteuren bestimmte Kompetenzen und Zuständigkeiten zu. Entscheidend ist, dass Regelsysteme das Akteurshandeln nicht determinieren, sondern konditionieren. Regeln sind keine neutralen Organisationsmittel: Sie dienen der sozialen Strukturierung. Sie werden von den Akteuren definiert und zur Interessenwahrnehmung, auch zur Interessenwahrnehmung durch Partizipation, eingesetzt. Macht bestimmt sich demnach als Definitionsmacht im Produktionszyklus von Regelsystemen: in den Phasen der Regelsetzung (z. B. durch das Parlament), Regelinterpretation (z. B. durch die Justiz) und Regelimplementation (z. B. durch die Verwaltung). Ausgehend von der Prämisse, dass die Verfahren der direkten Partizipation einerseits auf Regeln beruhen und andererseits durch das Handeln der Akteure mit Leben gefüllt werden, lässt sich Partizipation als Machtressource und damit die Frage nach dem Herrschaftsbezug von Beteiligung nun genauer formulieren, nämlich: Wie verändert Partizipation die Definitionsmacht der Akteure in den Prozessen der Regelsetzung, Regelinterpretation und -implementation? Entscheidend hierfür ist, inwieweit und mit welcher Reichweite Partizipation an interessenbezogenen Entscheidungen implementiert werden kann. Die mikropolitische Antwort auf die Frage, was ist Macht, ist für die weitere Erörterung des empirisch-analytischen Partizipationsbegriffs richtungsweisend. Sie erweitert die Perspektive vom Handlungsaspekt der Partizipation und damit von der soziologischen Definition von Beteiligung als soziales Handeln auf die strukturellorganisatorischen Grundlagen dieses Handelns. Partizipationshandeln ist geregelt. Bei der interessengeleiteten Teilnahme an Entscheidungsprozessen handelt es sich um Verfahren. 2.1.2 Partizipation als Verfahren Während eine soziologische Definition des Partizipationsbegriffs vor allem dessen Handlungsdimension betont, verweist die politikwissenschaftliche Sicht auf das Beteiligungshandeln auf dessen Charakter als Verfahren der Interessenartikulation und -durchsetzung. Damit rücken die Fragen ins Zentrum der Analyse, wer, wie, mit wel- 74 <?page no="74"?> 2.1 Politische Partizipation chen Folgen an Entscheidungsprozessen teilnimmt und welche Prämissen sich hieraus für das Gelingen von politischer Partizipation ergeben. Partizipationsverfahren gleichen in der Praxis häufig Spielwiesen, auf denen alle mitreden dürfen, ohne etwas zu sagen zu haben, oder aber sie reservieren entscheidungserhebliche Mitsprache auf wenige, von deren Entscheidungen aber viele betroffen sind. Deshalb entscheiden die Antworten auf die Fragen, wer partizipiert und mit welcher Verbindlichkeit bzw. Reichweite Teilnahme an Entscheidungen möglich ist, über die demokratische Qualität des Partizipationshandelns. Interessengeleitete Beteiligung an Entscheidungen wird unter drei Prämissen zur demokratischen Partizipation (vgl. Kißler 1994a: 309 ff.): • Sie muss nach dem Gleichheitsprinzip allen Entscheidungsbetroffenen zugänglich sein. Beteiligungsangebote, die sich nur an eine ausgewählte Gruppe richten, sind undemokratisch, nicht zuletzt, weil sie Polarisierungseffekte zeitigen. In intermediären Organisationen (wie z. B. politischen Parteien, Verbänden etc.) polarisieren sie zwischen mit Machtpositionen ausgestatteten Führungsgruppen und eher machtlosen, gleichwohl aber mit Interessen ausgestatteten Organisationsmitgliedern. Demokratische Beteiligung gehört nicht zu dieser oder jener politischen Ideologie, sondern stellt ein allgemeines Prinzip dar. Als Menschenrecht gilt sie nicht nur auf unterschiedlichen Ebenen des politischen Systems, sondern auch in den Verfahren der Politik- und Interessenvermittlung. • Demokratische Partizipation ist freiwillig. Das Freiwilligkeitsprinzip verlangt, dass die Beteiligung nicht oktroyiert werden kann. Wer nicht teilnimmt, darf daraus keine Nachteile haben, was nicht ausschließt, dass die Teilnahme positiv sanktioniert wird und den Teilnehmenden Vorteile bringt. • Partizipation muss verbindlich sein. Demokratische Partizipation ist mehr als bloßes Mitreden. Sämtliche Formen der »Redepartizipation« und mentalen Partizipation bewegen sich deshalb im Vorfeld von demokratischer Beteiligung. Gleichwohl sind sie von Bedeutung; denn wer seine Interessen in Entscheidungsprozessen wirkungsvoll wahrnehmen möchte, muss diese kennen und sich mental mit den Entscheidungsgrundlagen und möglichen Folgen auseinandersetzen. Die mentale Partizipation steht deshalb in einem Bedingungszusammenhang zu ihren realen Formen. Ausgehend von diesen Prämissen ergeben sich sodann folgende Kriterien für die demokratische Qualität von Partizipationsverfahren: (1) die Art und Weise, wie das Verfahren zustande kommt (die Regelproduktion) (2) wer am Verfahren teilnimmt (die Partizipationsquote) (3) die Reichweite der Beteiligung (der Partizipationsgrad) Partizipation als Verfahren regelt das Beteiligungshandeln. Die Produktion der Partizipationsregeln selbst ist, wie oben erläutert, Ausfluss der Definitionsmacht von beteiligten Akteuren. Die Partizipanten in Organisationen sind grundsätzlich nicht mit Definitionsmacht ausgestattet. Sie setzen Partizipationsregeln um, die andere für sie definiert und interpretiert haben. Partizipationsverfahren werden vorgegeben und sind 75 <?page no="75"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie deshalb Ausdruck der ungleichen Ausstattung von Akteuren mit Definitionsmacht und somit ihrerseits legitimationsbedürftig. Die Legitimation von »Partizipationsmacht« kann nicht durch die Mächtigen selbst erfolgen. Sie erfordert eine Regelproduktion, die das Partizipationsprinzip auf sich selbst anwendet und insoweit reflexiv ist. Die demokratische Qualität von Partizipationsverfahren steigt mit ihrer partizipativen Öffnung gegenüber einer neuen Setzung, Interpretation und Umsetzung der Beteiligungsregeln durch die Partizipanten. Die Partizipationsquote legt fest, wer am Beteiligungsverfahren teilnimmt. Sie berechnet sich nach der Anzahl der real Partizipierenden im Verhältnis zur Grundgesamtheit (z. B. der Organisationsmitglieder). Ein Beispiel: Verfügt eine Bürgerinitiative über 100 Mitglieder, von denen sich zehn engagieren und innerhalb der Initiative Aufgaben übernehmen und weitere fünf, die die Initiative nach außen hin, zum Beispiel gegenüber politisch-administrativen Einrichtungen vertreten, dann beträgt die Partizipationsquote dieses Beteiligungsverfahrens 15 %. Die Partizipationsquote ist messbar, es handelt sich um eine quantitative Größe. Im Unterschied dazu handelt es sich beim Partizipationsgrad um ein qualitatives Verfahrenselement. Gemeint ist die Reichweite bzw. Verbindlichkeit der Beteiligung. Im Wesentlichen lassen sich drei Partizipationsgrade unterscheiden: die unverbindliche Beteiligung, die verbindliche Partizipation und die Selbstverwaltung (vgl. Vilmar 1973: 162 f.). Erstere meint die »Teilhabe am Entscheidungsprozess der Dirigierenden durch Informations-, Beratungs- und Mitwirkungsrechte oder demonstrative Proteste der Betroffenen. Verbindliche Beteiligung führt dagegen zur Einschränkung der Entscheidungsvollmacht der Dirigierenden durch echte Mitbestimmung oder kollektive Gehorsamsverweigerung der Betroffenen. Selbstverwaltung dagegen heißt: Aufhebung der Entscheidungsvollmacht der Dirigierenden durch legalen Machtwechsel oder Subsystembesetzung und Selbstorganisation der Betroffenen bzw. Vergesellschaftung der Entscheidungsbildung« (ebd.). Partizipationsverfahren sind gestuft. Die Beteiligungsregeln unterscheiden in der Reichweite des Beteiligungshandelns Mitspracherechte von Mitwirkungs- und verbindlicheren Mitbestimmungsrechten. Nur diese schränken in Entscheidungsprozessen das Alleinentscheidungsrecht von Akteuren ein und wirken deshalb machtbegrenzend. Die Partizipationsquote und der Beteiligungsgrad stehen, wie die Partizipationsforschung belegt, in einem Bedingungsverhältnis. Dessen Ausgestaltung entscheidet über die demokratische Qualität von Beteiligungsverfahren. In der Praxis gestaltet sich das Verhältnis wie folgt: Bei hoher Partizipationsquote ist die Verbindlichkeit und Reichweite der Partizipation schwach, der Beteiligungsgrad demnach gering und umgekehrt gilt: Je größer die Reichweite der Partizipation, desto kleiner der Kreis der real Partizipierenden. Wo es kaum noch etwas zu entscheiden gibt, dürfen alle mitreden, wo aber viele mitwirken, ist der Entscheidungskorridor entsprechend eng und die Reichweite der Mitwirkung begrenzt. Demokratische Partizipation heißt nun aber nicht, den Beteiligungsgrad einfach zu entgrenzen und die Beteiligungsquote, ohne Ansehung der Entscheidungsvoraussetzun- 76 <?page no="76"?> 2.1 Politische Partizipation gen, -inhalte und folgen zu erhöhen. Vielmehr gewinnt Partizipation demokratische Qualität gerade dadurch, dass ihre Verfahren beide Parameter in ein Gleichgewicht bringen, das den Organisationszweck (z. B. wirkungsvolle Vertretung von Interessen nach außen hin) mit dem Partizipationsinteresse der Mitglieder ausbalanciert. Zu den demokratischen Standards gehört, dass diejenigen, die von Entscheidungen unmittelbar betroffen sind, ihre Interessen in den Entscheidungsprozess einbringen können und dass das Beteiligungshandeln gerade in solchen Fällen einen hohen Verbindlichkeitsgrad aufweist, in denen Entscheidungen irreversibel sind und ihre Folgen (und häufig nichtintendierten Nebenfolgen) Grund- und Menschenrechte verletzen könnten. Der Ausgleich zwischen den Partizipationsinteressen unterschiedlicher Akteure im Bedingungsverhältnis zwischen Partizipationsquote und -grad setzt die Ausstattung sämtlicher Akteure mit Definitionsmacht voraus, mit anderen Worten: ein Partizipationsverfahren als Kommunikationsprozess über die Beteiligungsregeln. Die Produktion von Beteiligungsregeln und die Implementation von Partizipationsverfahren findet nicht in einem sozialen Vakuum, sondern in intermediären Organisationen statt, die durch unterschiedliche Interessen, Konflikte und Strategien von kollektiven und Individualakteuren geprägt sind. Diese agieren häufig in der Grauzone informeller Arrangements und deshalb in einem Spannungsverhältnis zur Partizipation in formalisierten Entscheidungsprozessen. Von der formellen, in Beteiligungsregeln und -verfahren abgesicherten Partizipation ist deshalb die informelle Beteiligung zu unterscheiden 8 . Damit gewinnt politische Partizipation eine Problemdimension grundsätzlicher Art. Diese besteht im Ausbalancieren zwischen formeller und informeller Beteiligung an Regelungsprozessen, die die eigenen Beteiligungsinteressen tangieren. Wie die Einführungspraxis von neuen Verfahren der direkten Partizipation in Arbeits- und Verwaltungsorganisationen zeigt, stehen dabei häufig die Verfahren der formellen Partizipation im Schatten der informellen. Die Vorteile zusätzlicher Verfahren der direkten Partizipation reichen offenbar nicht an bereits durch informelle Beteiligung erreichte Autonomiegrade heran. So zeigt die Praxis in öffentlichen Verwaltungen und Arbeitsorganisationen, dass das dort vorfindbare Beharrungsinteresse und strukturkonservative Festhalten am Erreichten sich auch auf die informelle Definitionsmacht und den Autonomiegrad bei der alltäglichen Erledigung von Arbeitsaufgaben und damit einhergehenden Entscheidungsprozessen erstreckt. Im Bereich des Informellen können die Organisationsmitglieder in bürokratischen Organisationen ihre Interessen »mit einer gewissen Portion an Schlitzohrigkeit« (Mix/ Heisig 1999: 176) in einem Maße durch- 8 Die in der politikwissenschaftlichen Partizipationsforschung übliche Unterscheidung zwischen Formen der »konventionellen« und der »unkonventionellen« Beteiligung (vgl. Kaase 1993: 17 ff.) ist damit nicht deckungsgleich. Ob politische Partizipation konventionell (durch Parteien und Verbände) oder »unkonventionell« (z. B. durch soziale Bewegungen) ausgeübt wird, besagt noch wenig über ihren Formalisierungsgrad. Auch »unkonventionelle« politische Beteiligung, z. B. Wahrnehmung des Demonstrationsrechts, kann reglementiert und hochgradig formalisiert sein. 77 <?page no="77"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie setzen, das zusätzliche formalisierte Einflussmöglichkeiten, wenn nicht als unnötig, so doch als wenig attraktiv erscheinen lässt. Hinzu kommt, dass formelle Partizipation mit den informellen Beteiligungsmöglichkeiten nicht nur konkurriert, sondern diese unter Umständen sogar bedroht. Partizipation durch Verfahren zielt auf Transparenz und deckt auf, was zuvor im Verborgenen blieb, aber gerade deshalb für die Sicherung und Durchsetzung von Partikularinteressen wirksam war. Der Erfolg von Beteiligung hängt damit entscheidend von der Bedeutung der Partizipation in den Akteursbeziehungen ab. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, welche Voraussetzungen in intermediären Organisationen gegeben sein müssen, damit Partizipationsverfahren erfolgreich implementiert werden können und unter denen Partizipation gelingt. Partizipation ist nicht zweckfrei. Als Mittel zum Zweck liegt ihr Erfolg darin, dass sie den gesetzten Zweck befördert. Der Beteiligungszweck kann auf drei Interessendimensionen verortet werden: • das Organisationsinteresse: Partizipation ist dann erfolgreich, wenn sie den Organisationszweck befördert und dadurch der Umsetzung von Zielen der Interessen- und Politikvermittlung dient. Es handelt sich dann um gelingende Organisationspartizipation. • das Akteursinteresse: Partizipation ist dann erfolgreich, wenn sie der Durchsetzung von Interessen der Beteiligungsakteure dient, und • die Verfahrensstabilität: Beteiligung ist dann erfolgreich, wenn sie zustande kommt und stabil bleibt. Sowohl als Mittel für gelingende Organisationspartizipation als auch für die Interessensdurchsetzung von Akteuren taugt Beteiligung nur dann, wenn sie mit Leben gefüllt und von den Beteiligten auf Dauer gestellt wird. Der Partizipationserfolg lässt sich feststellen und bewerten. Die Ex-post-Begutachtung von Beteiligungskonzepten, -verfahren und ihrer Umsetzungspraxis stützt sich hierzu auf ein Evaluationsraster mit den Dimensionen Prozess, Struktur, Ergebnisse und Transfer. 9 Mit anderen Worten: Bestand und Schwächen von Partizipation sind anhand von Kriterien zu bewerten, die an der Prozesshaftigkeit der Beteiligung, ihrer Institutionalisierung und ihren Folgen festmachen. Im Einzelnen heißt das: • Zum Prozess: Partizipation ist eine Innovation, die implementiert werden muss. Die Innovation zerfällt in einen aktiven und einen passiven Teil. Die aktive Innovation, die Konzeptentwicklung, wird häufig außerhalb der betreffenden Organisation (z. B. im Rahmen von Politikberatung) vorbereitet. Sie ist in der Regel beteiligungsverschlossen und obliegt der Entscheidung weniger Akteure. Die passive Innovation oder Implementation bringt dagegen mehrere Akteure ins Spiel (in Organisationen z. B. gewählte Interessenvertretungen) und umfasst Prozesse der Umsetzung und Diffusion von Beteiligungsverfahren. Das entscheidende Kriterium für den Erfolg 9 Diese Evaluationsdimensionen greifen auf Vorschläge zurück, die für die Evaluation des kommunalen Netzwerkes »Kommunen der Zukunft« entwickelt wurden (vgl. Kißler/ Graf/ Wiechmann 2000). Zur partizipationsethischen Begründung der Erfolgskriterien vgl. Kißler 1994a: 309 ff. 78 <?page no="78"?> 2.1 Politische Partizipation von Beteiligung ist hier die Partizipationsquote. Eine hohe Beteiligungsquote garantiert allerdings nicht per se den Partizipationserfolg. Die optimale Beteiligungsquote ist abhängig vom jeweiligen Partizipationszweck. Sie kann nicht vorab festgesetzt, sondern muss im jeweiligen Verfahren praktisch ausgelotet werden. Dies verweist auf die oben genannte Prämisse der Freiwilligkeit. Partizipationsverfahren sollten sich möglichst an alle Entscheidungsbetroffenen richten, aber nicht alle verpflichten. Wer sich nicht beteiligt, darf daraus keine Nachteile haben. • Zur Institutionalisierung: Beteiligungsverfahren beruhen auf gesetzten, interpretierten und umgesetzten Regeln. Ein weiteres Erfolgskriterium von Partizipationsverfahren ist demnach die Beteiligung an der Regelproduktion, mit anderen Worten, die Ausübung von Definitionsmacht. Nur wer erfolgreich das Verfahren mitdefiniert, die Verfahrensregeln interpretiert und an ihrer Umsetzung beteiligt ist, wird im Ergebnis auch dem geregelten Partizipationsverfahren Erfolg bescheinigen. Deshalb sind multilaterale den unilateralen Verfahren grundsätzlich vorzuziehen. Multilaterale Partizipationsverfahren sehen die Beteiligung mehrerer Akteure, zum Beispiel von Organisationsleitung und gewählten Interessenvertretungen, an der Regelproduktion vor. Das Beteiligungsverfahren ist demnach das Ergebnis eines Interessenclearings unterschiedlicher Akteure. Dieser Verfahrenstyp scheint erfolgreicher als die Ausübung von Definitionsmacht durch lediglich einen Akteur, zum Beispiel das Organisationsmanagement, im Rahmen eines unilateralen Verfahrens. Multilateralität sollte, unter demokratisch-normativen Erwägungen, auch die Organisationsmitglieder mit einbeziehen, jedenfalls soweit die Partizipationsregeln ihre Interessen tangieren. Ausgestattet mit Definitionsmacht gewinnen sie dann Akteursstatus: Aus Agierenden werden Akteure. • Ergebnisse und Transfer von Partizipation: Der Erfolg von Beteiligung bemisst sich nach ihren Ergebnissen bzw. Folgen. Die Partizipationsfolgen zeigen sich mit Blick auf die erreichten Beteiligungszwecke. Neben diesen intendierten Folgen zeitigt Partizipation aber auch nicht intendierte (gleichwohl manchmal gern in Kauf genommene) Effekte. Auch an ihnen bildet sich der (Miss-)Erfolg von Beteiligung ab. Hierzu zählt vor allem das Gewinner-Verlierer-Syndrom. Partizipation schafft Beteiligungsgewinner und -verlierer. Als Erfolgskriterium kann deshalb die Formel gelten: Beteiligung sollte möglichst vielen Partizipanten nützen und möglichst wenigen schaden. Sowohl für die intendierten wie auch die nicht intendierten Folgen besteht das grundlegende Zurechnungsproblem. Welche Folge resultiert aus welcher Form der Partizipation? Ausschlaggebend für die Bewertung und Folgenzurechnung ist das Urteil der Akteure. Daraus folgt: Gelingende Partizipation bedarf institutionalisierter Verfahren einer Ex-post-Bewertung durch die Akteure im Sinne eines »Partizipationscontrollings«. Politische Soziologie als praxisorientierte Demokratieforschung ist (auch) Partizipationsforschung. Zu ihren Aufgaben gehört deshalb auch die Evaluation von Partizi- 79 <?page no="79"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie pationsverfahren. Dabei muss sie in Rechnung stellen, dass Partizipation neben der strukturell-organisatorischen Seite auch eine subjektiv-personengebundene Dimension aufweist. Die optimale Ausgestaltung von Partizipationsverfahren mit demokratischem Anspruch sowie partizipatives Handeln hängen ab von der Ausstattung der beteiligten Subjekte mit spezifischen Fähigkeiten. Partizipation ist ein Kompetenzproblem. 2.1.3 Politische Partizipation und Kompetenz Die subjektive, personengebundene Seite von Partizipationshandeln ist die Kompetenz der Handelnden. Diese darf nicht einfach unterstellt, aber sie kann erworben werden. Partizipationskompetenz ist keine feste Größe. Welche »subjektiven Qualitäten« (Max Horkheimer) ausgebildet sein müssen, um seine Interessen zu erkennen und entscheidungserheblich zur Geltung bringen zu können, hängt von den äußeren Rahmenbedingungen (Organisation des Entscheidungsprozesses, Herrschaftsstruktur, Ausgestaltung des Partizipationsverfahrens) und vom Gegenstand ab, auf den sich die Entscheidung bezieht. Hierzu kann der Ausbau einer Umgehungsstraße im Gemeindegebiet ebenso gehören wie die Einstellung von Tiefflügen oder die Einführung von Computertechnik am Arbeitsplatz. Solche Entscheidungen werden häufig von politischen Institutionen (z. B. Gemeinderat, Bundesministerien) (mit-)gefällt und sind rechtlich normiert. Sie verkörpern dadurch Rechtsetzungs- und -durchsetzungsprozesse. Politische Partizipation heißt dann Partizipation am Recht (vgl. Kißler 1984: 128 f.). Auf der subjektiven Seite verlangt solche Beteiligung Rechtskompetenz. Diese stellt eine wesentliche Dimension dessen dar, was politische Partizipationskompetenz ausmacht: die Summe der Fähigkeiten, Ansprüche und Interessen an Politik artikulieren und in entscheidungserhebliche Prozesse einbringen und dort durchsetzen zu können. Partizipationskompetenz ist deshalb zu definieren als ein Handlungspotenzial, das dazu befähigt, den Geltungsanspruch von Herrschaft zu beurteilen, das heißt, kritisch auf seine gesellschaftliche Interessengebundenheit und damit auf seinen Sinngehalt zu befragen, um ihn zu akzeptieren oder zu verwerfen. Sie ist somit ein Qualifikationsproblem. Dessen Lösung entscheidet nicht nur über die politische Qualifizierung der Partizipanten, sondern auch über die demokratische Qualität der Partizipation. Als Qualifikationsziel verfügt Partizipationskompetenz über eine kognitive und eine affektiv-motivationale Dimension. In kognitiver Hinsicht verlangt sie einen Fundus von Sachwissen (politischem Wissen, Rechtswissen), das eine Interessenartikulation an Entscheidungsträger und damit Beteiligung in Entscheidungsprozessen erlaubt. Die Anhäufung von politischem Wissen ist jedoch kein Selbstzweck. Politisches Wissen allein vermittelt noch keine Handlungskompetenz, eher ebnet es den Weg zur Apathie. Daraus folgt: Der Erwerb von Partizipationskompetenz setzt voraus, dass Sachwissen zu Handlungswissen führt. Neben der Sachinformation muss die Handlungsinformation treten und umgekehrt, die Entfaltung von Handlungskompetenz setzt in der Regel ein 80 <?page no="80"?> 2.1 Politische Partizipation ausgeprägtes Sachwissen voraus. Wer partizipieren will, muss wissen, wie und woran er partizipiert. Dies schließt jedoch nicht aus, dass Akteure ihr erhebliches Sachwissen in Ermangelung von Handlungswissen nicht mobilisieren und in Partizipationshandeln umsetzen können und umgekehrt: Akteure mit einem Überschuss an Handlungswissen wissen genau, wie sie ihre Interessen wirkungsvoll zur Geltung bringen könnten, wenn sie diese denn kennen würden. Als Partizipanten agieren sie viel, aber ins Leere. Erstere dagegen, mit einem überschießenden Sachwissen ausgestattet, sind gerade deshalb eher handlungsblockiert. Es kommt jedoch nicht nur darauf an, dass die Akteure partizipieren können, sie müssen dies auch wollen. Die motivationale Seite des Qualifikationsproblems besteht deshalb in der Ausbildung von Partizipationsinteresse. Woraus resultiert die Motivation, sich zu beteiligen? Die Quellen, aus denen unterschiedliche Akteure ihre Motivation schöpfen, sind vielfältig und liegen auf einem weiten Feld. Neben altruistischen Motiven darf der Beteiligungsmotivation vor allem ein ausgeprägtes Eigeninteresse zugeschrieben werden. Die Motivation, sich zu beteiligen, kann dann in der tatsächlichen oder antizipierten Interessenverletzung durch Entscheidungen gründen. Auf jeden Fall ist sie gekoppelt an das politische Interesse. Damit ist eine Einstellung zur Politik gemeint, die im Gegensatz zur politischen Apathie (Rechtsentfremdung etc.), Orientierung an Politik bedeutet. Diese besteht in der Ablehnung des politischen Geltungsanspruchs von Entscheidungsträgern (z. B. negative Rechtsorientierung) oder in seiner kritischen Befolgung (positive Rechtsorientierung). Beide, Sachwissen (politisches Wissen, Rechtswissen) und politisches Interesse, konstituieren politisches Bewusstsein. Dieses definiert sich demnach als ein Qualifikations- und Handlungspotenzial auf der Grundlage von politischem Sachwissen und politischem Interesse. Als Dimensionen von Partizipationskompetenz handelt es sich hierbei jedoch nicht um unveränderliche Größen. Sie sind vielmehr das jeweils erreichte und mit (zumeist) jeder Partizipationserfahrung korrigierbare Ergebnis von politischem Lernen. Zusammenfassung: Partizipation wird definiert als Teilnahme an Entscheidungsprozessen mit dem Ziel, Interessen durchzusetzen. Es handelt sich um interessengeleitetes Handeln in direkten oder delegativen Formen. Beide Varianten sind als Verfahren geregelt. Davon zu unterscheiden ist die informelle Partizipation. Sie verbleibt im Dunkeln organisationaler und lebensweltlicher Kontingenz. Partizipationshandeln ist politisch, wenn es der Durchsetzung von gesellschaftlichen Interessen in politischen Entscheidungsprozessen (Interessenvermittlung) dient. Partizipation legitimiert Macht. Macht ist verortet in den Austauschbeziehungen zwischen unterschiedlichen Akteuren und in Organisationen. Partizipation entfaltet dort legitimierende Kraft, soweit sie die Organisationsmitglieder mit Definitionsmacht über die Organisations- und Partizipationsregeln ausstattet. Die Partizipationsquote, der Beteiligungsgrad, die Freiwilligkeit und Nachhaltigkeit des Partizipationsverfahrens entscheiden über dessen demokratische Qualität. Zeitlich stabile und institutionalisierte Macht wird durch Partizipation zur demokratischen Herrschaft. Partizipa- 81 <?page no="81"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie e n e d n u b e g n e n o s r e p v i t k e j b u S n e g n u z t e s s u a r o v s n o i t a p i z i t r a P a H . t n e i r o n e r e d n a n a ( n l e d n a H s e l a i z o S ) 1 ( t k e j b u s s n o i t a p i z i t r a P ? t l e d n a h r e W : ) n l e d n e t o u q s n o i t a p i z i t r a P e Interessen) d m e r f / e n e g i e ( ? n e s s e r e t n I e h c l e W : n l e d n a H s e t n e i r o n e s s e r e t n i ) 2 ( ? n o i t a p i z i t r a P r e d n e g l o F : n l e d n a H s e t e t h c i r e g l e i z ) 3 ( d a r g s n o i t a p i z i t r a P ) t i e k h c i l d n i b r e V / e t i e w h c i e R ( n o i t a v i t o M Handlungswissen (Wie können Regeln genutzt werden? ) - Sachwissen (z.B. über Mitbestimmungsregeln) - . P e t k e r i D . P e v i t a g e l e D n e t n a i r a V i e w Z = h c s i r t e m m y s a d n i s e s s e z o r p s g n u d i e h c s t n E t h c a M ) t h c a M n a e m h a n l i e T = . P ( n o i t a m r o f n I ) t i e k h c i l t n e f f Ö ( n o i t a p i z i t r a P r e d n e n o i t k n u F ) n o i t a m i t i g e L h c r u d ( g n u r e i s i t a r k o m e D ) 1 ) n e n n I t n a p i z i t r a P r e d g n u t r e w f u A h c r u d ( n o i t a r g e t n I ) 2 ) t k i l f n o k n e s s e r e t n I ( g n u r e h c i s s n e d e i r F ) 3 g n u h e i z e b l a i z o S t f a h c s r r e H n o i t a s i n a g r O l i b a t s h c i l t i e z ) a t r e i s i l a n o i t u t i t s n i ) b t r e i m i t i g e l ) c ) . P e t l e g e r e g ( n e r h a f r e v s n o i t a p i z i t r a P Partizipationskompetenz Wer nimmt und mit welchen Folgen an Entscheidungsprozessen teil? Abbildung 3: Partizipation als Teilnahme an Entscheidungen 82 <?page no="82"?> 2.2 Politische Sozialisation: Partizipation lernen tion hat neben der Demokratiefunktion auch die Integration der Partizipanten und die Friedenssicherung im Fall von (Interessen-)Konflikten zur Aufgabe. Diese erfüllt sie nach Maßgabe der strukturell-organisatorischen Verfahrensgestaltung, aber nicht zuletzt auch auf Grundlage der subjektiv-personengebundenen Anforderungen. Partizipationskompetenz bezeichnet ein politisches Handlungspotenzial, das durch politische Sozialisation erworben werden kann. 2.2 Politische Sozialisation: Partizipation lernen »Was wäre, wenn Radioaktivität jucken würde? «, fragt Ulrich Beck (1988: 292 f.) und gibt folgende Antwort: »Realisten, auch Zyniker genannt, werden antworten: man würde irgendetwas erfinden, beispielsweise eine Gegensalbe, um das Jucken ›abzuschalten‹. Ein großes Geschäft also. Gewiss kämen schnell Erklärungen auf und würden sich großer Öffentlichkeitswirksamkeit erfreuen, dass der Juckreiz gar nichts zu bedeuten habe. Möglicherweise mit anderen Phänomenen als Radioaktivität korreliere. Jedenfalls nicht schädlich sei. Unangenehm, aber eindeutig bewiesenermaßen unschädlich. Anzunehmen wäre, wenn alle kratzend und mit geröteter Haut herumliefen und von Phototerminen mit Mannequins bis zu Managementsitzungen der vereinigten Leugnerinstitute alles unter dauerndem Kratzen aller Beteiligten stattfände, dass derartige Wegerklärungen keine große Überlebenschance hätten (. . . ). Damit stünde die Atompolitik wie überhaupt der Umgang mit modernen Großgefahren vor einer völlig veränderten Situation: Es wäre kulturell erfahrbar, worüber gestritten und verhandelt wird. Die Folgen des Fortschritts würden die Menschen nicht nur verletzen, diese Verletzung wäre auch als (lästige) Erfahrung allen präsent. Genau daran entscheidet sich die Zukunft der Demokratie: Sind wir in allen Einzelheiten der Überlebensfragen von Experten, auch von Gegenexperten abhängig, oder gewinnen wir mit der kulturell hergestellten Wahrnehmbarkeit der Gefahren die Kompetenz des eigenen Urteils zurück? Lautet die Alternative nur noch: autoritäre oder kritische Technokratie? Oder gibt es einen Weg, der Entmündigung und Enteignung des Alltages in der Gefahrenzivilisation entgegen zu wirken? « (ebd.) Einen wichtigen Zugang zu diesem Weg erschließt die politische Sozialisation. »Bildlich gesprochen: Dass Radioaktivität juckt, darin liegt ein zentraler Auftrag auch der politischen Bildung in der Risikogesellschaft.« (Beck 1990: 35). Mit dieser bildungspolitischen Aufgabenzuschreibung wird eine große Herausforderung formuliert. Sie wirft zugleich die Frage nach der Reichweite von politischer Bildung in emanzipatorischer Absicht auf. Man muss nicht an das Versagen bzw. die Überforderung der staatsbürgerlichen Erziehung in der Weimarer Republik erinnern, um sich die begrenzte Wirksamkeit der aufklärerischen Kraft und der demokratisierenden Impulse von pädagogisch- 83 <?page no="83"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie didaktischen Bildungsbemühungen gegenüber einer »schlechten Wirklichkeit« zu vergegenwärtigen. Politische Bildung allein kann nicht kompensieren, was in der politischen und gesellschaftlichen Realität versäumt wird. Wer demnach, mit den Worten von Ulrich Beck, »die Kompetenz des eigenen Urteils zurückgewinnen« will, formuliert nicht nur ein politisches Sozialisationsziel, sondern gerät auf einen schwierigen Lernweg. Dieser wird geebnet oder verbaut durch die vom politischen System selbst gesetzten Sozialisationsbedingungen und durch die gesellschaftlichen Strukturvorgaben für politische Sozialisation. Mit anderen Worten - durch die Bedingungen des politischen Lernens im Alltag. Was aber heißt politische Sozialisation? (dazu 2.2.1) Was soll politisch gelernt werden, wenn »Mündigkeit« und Kompetenzaneignung und damit die subjektiv-personengebundene Seite von politischer Partizipation als Lernziele formuliert werden (dazu 2.2.2) und schließlich, wie sind diese Ziele zu erreichen? Auf welchem Lernweg kann Partizipationskompetenz erworben werden? (dazu 2.2.3) 2.2.1 Was heißt politische Sozialisation? Der Mensch ist ein instinktarmes Wesen und er lebt in Gesellschaft. Zum Zwecke seines Überlebens und im Interesse der Verbesserung seiner Lebensbedingungen ist er naturnotwendig auf Lernprozesse angewiesen. Nach der biologischen durchläuft er notwendigerweise eine zweite »sozio-kulturelle Geburt«, die ihn zum gesellschaftlichen Wesen macht. Diesen Vorgang nennt man »Sozialisation«. Es handelt sich um ein vieldimensionales Geschehen, welches das Verhältnis des Individuums zu seiner gesellschaftlichen Umwelt grundlegend prägt und an dem eine Vielzahl von Personen (z. B. Erzieher), von Institutionen (z. B. Schule) und Faktoren der sozialen Umwelt (z. B. Massenmedien) teilhat. Als ein zentraler soziologischer Begriff meint Sozialisation • den Prozess der Determination des Individuums zur sozio-kulturellen Persönlichkeit durch die Ausformung von solchen kognitiven, sprachlichen, motivationalen, emotional-affektiven und handlungspraktischen Persönlichkeitsmerkmalen, die den Menschen dazu befähigen, seine gesellschaftliche Umwelt zu verstehen und aktiv an ihrer Gestaltung teilzunehmen (primäre Sozialisation); • den außerhalb der Familie vornehmlich in »peer groups« und Schule ablaufenden Prozess der Vermittlung von gesellschaftlichen Werten und Normen sowie Fähigkeiten zur sozialen Daseinsbewältigung (sekundäre Sozialisation); • den lebenslangen Prozess sozialer Determination des Individuums in späteren Lebensabschnitten auf der Grundlage primärer und sekundärer Sozialisiertheit (tertiäre Sozialisation). Sozialisation hat eine intentionale und eine funktionale Dimension. Erstere ist gemeint, wenn von Erziehung die Rede ist. Diese stellt sich als ein bewusstes und abgrenzbares auf jeden Fall aber absichtsvolles Handeln dar, welches bestimmte Wirkungen des 84 <?page no="84"?> 2.2 Politische Sozialisation: Partizipation lernen Sozialisationsprozesses unterstützen, anderen aber auch entgegenwirken kann. Erziehung bezeichnet die pädagogische oder mikrodidaktische Dimension von Sozialisation. Die gesamte soziale Umwelt des Menschen sozialisiert ihn darüber hinaus, zwar nicht zielgerichtet, aber funktional. Sozialisation umfasst deshalb auch den makrodidaktischen Aspekt der sozialen Einbettung erzieherischen Handelns, wie er sich in den Bildungsorganisationen (Schule etc.) und Sozialisationsinstanzen (Familie, Gruppen etc.) institutionell verfestigt. Was aber macht nun Sozialisation zur »politischen« Sozialisation? In einem weiteren Sinne von Politik ist jeder Sozialisationsprozess politisch. Die Trennung von politischer und allgemeiner Sozialisation ist hinfällig, wenn das Wesen des Politischen nach Kriterien gesellschaftlicher und politischer Herrschaft bestimmt wird. Indem dann Sozialisation die Mitglieder der Gesellschaft einem bestimmten Herrschaftssystem unterwirft, das heißt, politisch formiert und dadurch ihre affirmative Funktion wahrnimmt, entfaltet sie immer zugleich politische Wirkung. Wenn im Folgenden von politischer Sozialisation die Rede ist, dann in einem engeren Sinn. Politische Sozialisation gilt als Ausschnitt des allgemeinen Sozialisationsprozesses und ist normativ besetzt. Auf der intentionalen Seite geht es nicht nur um Erziehung, sondern um politische Bildung. Auf der funktionalen Seite werden politische Ziele, Werte und Normen sozialisiert, die den Menschen zur politischen Persönlichkeit formen. Politische Sozialisation ist darüber hinaus ein wertgebundener Begriff. Im einleitenden Zitat wurde Mündigkeit als eine mögliche Zielvorstellung von Sozialisation vorgegeben. Politische Sozialisation ist deshalb definiert als Gesamtheit aller Lernprozesse, die den Menschen zur politischen Persönlichkeit (Citoyen) formen und die daran zu messen sind, inwieweit sie Mündigkeit begünstigen oder verhindern (Claußen/ Geißler 1996). Politische Sozialisation bezieht ihren spezifisch politischen Gehalt aus dem Demokratieverständnis, welches dieser Wertorientierung zugrunde liegt. Beide sind nur zwei verschiedene Seiten ein und derselben Medaille, nämlich von Sozialisation als politisch-wertgebundenem Zielbegriff. Während Mündigkeit im Sinne von Selbstbestimmung und politische Handlungskompetenz das Sozialisationsziel auf Seiten des Individuums formulieren, bezeichnet Demokratie den politischgesellschaftlichen Prozess, zu dessen Gestaltung mündige Individuen fähig sind. Die strukturell-organisatorischen Grundlagen dieser Gestaltung finden sich in den Verfahren der politischen Sozialisation, ihre subjektiv-personengebundene Seite in der Partizipationskompetenz. Diese gilt demnach als politisches Lernziel. 2.2.2 Partizipationskompetenz als politisches Lernziel Der »mündige Staatsbürger« verkörpert eine, besonders von Politikern, gern bemühte Figur. Er gilt gemeinhin als Voraussetzung für eine lebendige Demokratie. Gleichwohl 85 <?page no="85"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie handelt es sich um eine Kunstfigur, karikiert im real existierenden und die politische Wirklichkeit prägenden politischen »Passivbürger«. »Mündigkeit«, historisch an die Emanzipation eines wirtschaftlich erstarkten Bürgertums gebunden, ist ein eminent politischer und als solcher auch pädagogischer Begriff. Die Diskrepanz zwischen dem Mündigkeitspostulat einerseits und seiner praktischen Einlösung andererseits war und ist der ärgerliche Stachel für eine politische Bildung in emanzipatorischer Absicht. Politische Bildung, verstanden als Konzeption, um das politische Denken und Handeln der Menschen mit pädagogischen Mitteln beeinflussen zu wollen, ist ein historisches Phänomen. »Politisch« gedacht, gebildet und gehandelt (im Sinne von Politik als Kampf bzw. Konkurrenz um Einfluss und Macht) wurde erst, als sich neben dem Staat eine Sphäre bürgerlichen Lebens entwickelte, die individualistische Freiheit von staatlicher, damals absolutistisch-feudaler Bevormundung benötigte und forderte. Der Autonomiekampf des Bürgertums als neuer sozialer Klasse wurde getragen von den Ideen der Aufklärung (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) und fand seinen ideologischen Niederschlag im Liberalismus. Feudale Fürstenwillkür sollte durch rechtsstaatliche, Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz verbürgende Verhältnisse ersetzt werden. Die so garantierte prinzipielle Gleichberechtigung aller Bürger machte zum ersten Mal eine allgemeine politische Erziehung notwendig. Politische Bildung war Erziehung zum bürgerlichen Freiheitsideal. Trotz unterschiedlicher Ausformung von politischen Bildungsvorstellungen während der einzelnen geschichtlichen Entwicklungsstufen von politischer Bildung (vgl. Abb. 4) lassen sich folgende Thesen verallgemeinern: • In den pädagogischen Konzeptionen von politischer Bildung manifestieren sich ideologisch die staatlichen und gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse und Interessenlagen ihrer Zeit. • Politische Bildung wird historisch erst zum Problem mit dem Zerfall der mittelalterlich-ständischen Gesellschaftsordnung. • Seitdem bemüht sich politische Bildung sowohl ihren Inhalten als auch Methoden nach, bestehende Herrschaftsverhältnisse zu konsolidieren oder sie durch Artikulation und Durchsetzung alternativer Herrschaftsordnungen abzuschaffen (vgl. dazu Kißler 1979: 19 ff.). Der sozialgeschichtliche Hintergrund von politischer Bildung lässt verschiedene Entwicklungsphasen erkennen: • Standesbildung in der Feudalgesellschaft; politisch gebildet war derjenige, welcher die Rechte und Pflichten seines Standes kannte; • Erziehung zum bürgerlichen Freiheitsideal in der frühbürgerlichen Gesellschaft; sie sollte als Instrument zur Durchsetzung der rechtsstaatlich geforderten Freiheitsrechte dienen; 86 <?page no="86"?> 2.2 Politische Sozialisation: Partizipation lernen g n u d l i b s e d n a t S l a e d i s t i e h i e r F n e h c i l r e g r ü b m u z g n u h e i z r E t n e m u r t s n i s t f a h c s r r e H ) e d n u k r e g r ü b s t a a t S ( g n u h e i z r e s k l o V t f a h c s n i e m e g s k l o V n e h c s i s s a r r u z g n u h e i z r E e z t ä s n A e h c s i r o t a p i z n a m e / e d n u k n e n o i t u t i t s n I / e d n u k s t f a h c s n i e m e G e h c s i r o t s i H e z t ä s n A g n u d l i B . l o p e l e i z s g n u d l i B ) e t r e W ( : n e d n u b e g n e n o s r e p ) g n u t r o w t n a r e V , n o i t a p i z n a m E ( r e g r ü B r e g i d n ü m : t e d n ü r g e b m e t s y s e t p e z n o k e i t a r k o m e D g e w s g n u d l i B ) k i t k a d i D ( m e x e p n e n r e L . l t r e W p e l b o r m l e i z n r e L p e l b o r m l a m r o f l a i r e t a m p h c i l d n u k n e n o i t u t i t s n i h c i l t f a h c s r e n t r a h c s i r o t a p i z n a m e / h c s i t e r o e h t t k i l f n o k o r k i m h c s i t k a d i d n o i t a s i l a i z o S . l o P n e n r e l s n o i t a s i n a g r O e l e i z s n o i t a s i n a g r O z n e i z i f f E z n e r a p s n a r T n o i t a p i z i t r a P l e m r o f l a e d I s n o i t a s i n a g r O t i e k h c i l t n e f f ö n e n r e L . l o P n e r u t n e g A . z o S n e n o i t u t i t s n I . l t n e f f ö t n e m a l r a P n e i e t r a P e d n ä b r e V n e v i t a i t i n i r e g r ü B e t i z i f e d s n o i t a s i l a i z o S s n o i t a v o n n I l e g n a m h c i l n ö s r e P e s i r k s t i e k e s i r k s n o i t a m i t i g e L o r k a m h c s i t k a d i d n e n o i t p e z n o k s g n u d l i B Abbildung 4: Dimensionen der politischen Sozialisation 87 <?page no="87"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie • Herrschaftsmittel gegenüber dem »vierten Stand« in der hochkapitalistischen Gesellschaft; politische Erziehung war eine geistig-politische Waffe zur Niederhaltung des aufkommenden Industrieproletariats; • Nationalpolitisch-demokratische Volkserziehung in der Weimarer Republik; als staatsbürgerliche Erziehung war politische Bildung auf die Ein- und Unterordnung des Einzelnen in das Staatsganze gerichtet; • Erziehung zur rassischen Volksgemeinschaft im Nationalsozialismus; sie diente der Formung des nationalsozialistischen Menschen; • Erziehung zum demokratischen Verhalten in der Nachkriegsphase Westdeutschlands; politische Bildung übernimmt die Aufgabe, den Ausbau und Bestand demokratischer Verhältnisse in der Bundesrepublik (mit) zu ermöglichen. Zu keiner Zeit war politische Bildung wertfrei. Ihre Zielvorstellungen leiten sich von unterschiedlichen Auffassungen von Demokratie ab. Einem formal bestimmten, konkurrenzdemokratischen Verständnis, das der oben (vgl. 1.2.1) dargelegten Steuerungsperspektive nahekommt, sind solche Konzeptionen in der politischen Bildung verpflichtet, die eher zur Anpassung und Integration der Individuen erziehen: der partnerschaftlich orientierte Ansatz, der staatsbürgerlich gesinnungsorientierte Ansatz. Einem materialen und auf Partizipation als zentrales Element setzenden Demokratieansatz, der aus der Legitimationsperspektive zu formulieren ist (vgl. dazu oben 1.2.2), sind vornehmlich solche Bildungskonzeptionen verpflichtet, die zur Mündigkeit und Emanzipation beitragen wollen: der konflikt-theoretisch orientierte Ansatz und politische Bildungsvorstellungen, die »Mündigkeit« als Bildungsziel formulieren. Die Formulierung von politischen Bildungszielen sagt noch nichts aus über die Möglichkeiten ihrer Vermittlung, das heißt didaktischen Umsetzung. Wer Partizipationskompetenz und damit deren oben skizzierte Qualifikationselemente (Sach- und politisches Handlungswissen, Motivation) in den Katalog von politischen Bildungszielen aufnimmt, steht vor zwei zentralen Problemen: dem Wertproblem und dem Lernzielproblem. Ersteres wirft die Frage auf, inwieweit unterrichtsbestimmende »Werte« einer wissenschaftlichen Analyse zugänglich sind. In der Unterrichtspraxis wird diese Frage zwischen den Polen dogmatischer oder dezisionistischer Behandlung des Wertproblems beantwortet. Das Lernzielproblem basiert auf der Frage, wie Lernziele definiert und didaktisch umgesetzt werden können. Eine mögliche Antwort hierauf ergibt sich aus den unterschiedlichen Auffassungen von Lernprozessen: als Instruktions- oder als Reflexionsvorgänge. Lernziele und Themen stehen in der politischen Bildung nicht unvermittelt nebeneinander. Eine an der Vermittlung von Partizipationskompetenz orientierte politische Bildung ist neben der Vermittlung von Wissen vor allem an bestimmten Bewusstseinslagen, politischer Handlungsfähigkeit, Einstellungen und Motivationsausprägung zum politischen Engagement interessiert und versucht diese anzustreben. 88 <?page no="88"?> 2.2 Politische Sozialisation: Partizipation lernen Dabei steht sie vor einem weiteren Kernproblem: In der politischen Bildung sind Lernziele wie Mündigkeit oder Partizipationskompetenz zwar demokratiewissenschaftlich belegt zu definieren, ihre Umsetzung jedoch schwerlich zu kontrollieren. Inwieweit ein politisches Lernziel erreicht wird, ist nicht operationalisierbar. Da zum Beispiel die Partizipationsmotivation kein äußeres Verhalten des Lernenden darstellt, kann sie auch keiner äußeren Kontrolle unterzogen werden. Die wirklichen Intentionen und Motive eines Individuums sind nicht beobachtbar, sondern nur verstehend erfahrbar. Wenn politische Bildung »Einstellungen« erzeugen oder verändern will, bleibt immer die Frage offen, ob ein bestimmtes Verhalten bzw. Agieren oder Reagieren wirklich der damit vermuteten Einstellung entspricht oder ob es sich um äußerliche Anpassung handelt. Die Lernerfahrungen, die der politische Unterricht für die Vermittlung von Partizipationskompetenz ermöglichen sollte, müssten den Lernenden die Bedeutung der behandelten politischen und gesellschaftlichen Inhalte für ihre eigene gesellschaftliche Existenz erschließen. Erst durch die Reflexion dieser Beziehung kann aus einem Lernen über Politik politisches Lernen werden. Die Vorgabe definierter Lernziele aber, auf die die Aktivitäten der Lernenden ausgerichtet werden sollen, setzt alle Inhalte des Politikunterrichts zu Mitteln herab. Je »lernzielbewusster« ein Schüler arbeitet, desto weniger lässt er sich von den Inhalten in Anspruch nehmen, desto weniger offen ist er für Erfahrungen, die er mit bestimmten Bedeutungsdimensionen der bearbeiteten Sache machen könnte, wenn er sich unbefangen auf sie einließe. Die Alternative hierzu wäre: keine strikte, durchzuhaltende Zielorientierung, sondern eine im Fortgang der Arbeit ständig neue Bestimmung der Unterrichtsziele, die in der Fixierung der jeweils aufzuklärenden Aspekte der Sache und in der Präzisierung der zu beantwortenden Fragen besteht. Statt »Zielstrebigkeit« ist dann für die Analyse gesellschaftlich-politischer Wirklichkeit etwas charakteristisch, das man »Suchbewegung« nennen kann. Welche Lernziele politischer Bildung auch immer zugrunde liegen, sie steht vor dem Problem, aus dem politisch-sozial relevanten »Stoff« auszuwählen. Dies gilt nicht zuletzt auch für das Lernziel Partizipationskompetenz. Das Problem, aus der Vielfalt möglicher politischer Unterrichtsstoffe den relevanten »Stoff« auszuwählen, kann durch die »Fall«-Methode in der politischen Bildung bewältigt werden. Sie ist Ausgangspunkt einer Theorie exemplarischen Lernens. Lernen heißt danach, die in bestimmten Formen subjektiver Interessen und Konflikterfahrung erscheinenden allgemeinen Inhalte der gesellschaftlichen Widersprüche zu erkennen. Die Effektivität von Lernprozessen an »Fällen« steigt in dem Maße, wie individuelle Interessen sich darin abbilden lassen bzw. wirksam sind. Der Lernende soll politische Bildung als Auflösung »fertiger« Sachverhalte in ihren Bestimmungs- und Vermittlungsmomenten erleben; das heißt, sein Verhältnis zur objektivierten politisch-sozialen Bildungswelt nicht schicksalhaft als Naturgesetz auffassen, sondern ihre Veränderbarkeit erkennen. Hierzu muss er den Herstellungsprozess von Informationen durchschauen 89 <?page no="89"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie und sich in der Rolle des gesellschaftlichen Subjekts selbst Aktivitäten zutrauen. Wissen umfasst darum (Giesecke 1974: 78 ff.): • Bildungswissen als »Reservoire« der Normen, die die Gesellschaft anbietet und deren Rezeption verlangt wird • Orientierungswissen, das die Wirkung eines Ereignisses, einer Situation (»Fall«) in einem funktionalen Rahmen klärt und grundsätzlich »Ordnung« in die zu beachtenden Konsequenzen von verschiedenen Entscheidungsalternativen (für politisches Handeln) bringt • Aktionswissen als Bewusstwerden der Notwendigkeit, das eigene Verhältnis zum »Fall« im Verlaufe seiner (gegebenenfalls auch handlungspraktischen) Aufarbeitung bzw. »Lösung« immer wieder neu zu reflektieren Orientierungs- und Aktionswissen in diesem Ansatz der politischen Bildung bezeichnen jene Qualifikationselemente der Partizipationskompetenz, die oben mit Sach- und Handlungswissen skizziert wurden. Mit der Fallmethode in der politischen Bildung bzw. im Ansatz des »exemplarischen Lernens« wird deshalb ein Lernweg eröffnet, der geeignet ist, Partizipationskompetenz und damit die subjektiv-personengebundene Seite von politischer Partizipation pädagogisch-intentional zu fördern. 10 Die Sozialisationsleistungen auf der mikro-didaktischen Ebene sind jedoch begrenzt. Deshalb stellt sich die Frage, wie Partizipationskompetenz makro-didaktisch erworben werden kann. Damit wechselt die Perspektive von der intentionalen zur funktionalen Seite der politischen Sozialisation (und von der oberen zur unteren Hälfte in Abb. 4). Politisches Lernen ist funktional. Dadurch unterscheidet es sich von politischer Erziehung. Gleichwohl ist es nicht wertfrei. Seine wertgebundene, normative Dimension ist, wie oben gezeigt, bereits im Begriff politischer Sozialisation angelegt. Ihre spezifisch politische Dimension erhalten politische Lernprozesse aus dem Bezug zur Herrschaft. Mit der Mündigkeitsorientierung politischen Lernens als Maßstab für das Gelingen oder Scheitern von politischer Sozialisation einerseits und ihrem Herrschaftsbezug andererseits, sind die normative und empirische Seite ein und derselben Medaille benannt: das politische Lernen durch Partizipation (vgl. dazu 2.2.3). Es handelt sich hierbei um einen Lernprozess, dessen Gelingen auf der individuell-subjektiven Seite den weithin verbreiteten autoritären Sozialcharakter durch einen demokratischen ersetzt (vgl. Claußen 1989: 287 ff.) und der auf der organisatorisch-systemischen Seite die Demokratie ohne Demokraten zu einer lebendigen, weil gelebten Demokratie fortentwickelt. Der Stoff, aus dem solches politische Lernen entsteht, heißt politische Kommunikation (vgl. dazu abschließend 2.2.4). 10 Zur Erziehung zur »Demokratiefähigkeit« auf der Grundlage von Partizipationserfahrungen von Kindern und Jugendlichen vgl. Büttner 2001; zum Demokratie-Lernen in der Schule vgl. Henkenborg 2005: 265 ff. 90 <?page no="90"?> 2.2 Politische Sozialisation: Partizipation lernen 2.2.3 Politisches Lernen als Partizipationslernen Dass nicht nur das Elternhaus und die Schule bilden, sondern auch »das Leben«, ist eine Binsenweisheit. So werden berufliche Qualifikationen heute - im Unterschied zur Ständegesellschaft - kaum noch in der Familie, selten in der Schule, sondern meist erst im Arbeitsalltag erworben. Wie die Fabrik oder das Büro beruflich und politisch sozialisieren, so setzt auch das politische System mit seinen Institutionen maßgebliche Bedingungen für den Erwerb von politischen Qualifikationen: von politischem Bewusstsein, Handlungskompetenz und motivation. Politisches Handeln und seine strukturellen Rahmenbedingungen bezeichnen die beiden Dimensionen von politischem Lernen: • Die individual-personengebundene Komponente in Form von Partizipationshandeln mit dem Lernziel Beteiligungskompetenz und • die strukturell-organisatorischen Grundlagen von politischer Partizipation, nämlich Demokratie als Lernprozess. Oben wurde das politische Lernziel »Partizipationskompetenz« als ein Qualifikations- und Handlungspotenzial auf der Grundlage von politischem Sach- und Handlungswissen sowie von Beteiligungsmotivation beschrieben und verdeutlicht, dass es sich hierbei nicht um unveränderliche Größen handelt. Sie sind vielmehr das jeweils erreichte und mit jeder Partizipationserfahrung korrigierbare Ergebnis eines Lernens, das auf der Grundlage von Beteiligung stattfindet. Wenn Partizipationskompetenz das Lernziel bezeichnet, dann meint Partizipationslernen beides, den Erwerb von Kompetenz (Lernziel) vermittels Partizipation (Lernweg). Der Erwerb von Partizipationskompetenz durch Beteiligung ist identisch mit einem Prozess der subjektiven Partizipationserfahrung und damit der Verarbeitung von Teilnahmeerlebnissen durch die Partizipanten. Dass darüber hinaus politisches Lernen auch stattfindet ohne (intellektuelle) Verarbeitung von Erlebnissen, sondern einfach durch praktisches Tun, ist bekannt, bleibt aber im Folgenden unberücksichtigt. Partizipationslernen ist Erfahrungslernen. Was heißt das? Wenn es stimmt, dass das Individuum immer einen Ausgleich (Balance) anstrebt zwischen seinen subjektiven Erfahrungen einerseits und seinen Vorstellungen über Struktur und Wirkungsweise seiner sozialen Umwelt auf diese Erfahrungen, das heißt seinen Deutungsmustern, andererseits, dann setzt Lernen gerade eine Differenz zwischen beiden voraus. Lernen besteht dann im »Einholen« der objektiven Situation durch subjektive Bewusstseins-(Wissens- und Interessens-)Veränderung und deren Rückwirkung auf die objektiven Erfahrungsbedingungen. Das Dilemma von pädagogischen Bemühungen besteht nun darin, dass die im Zuge politischer Bildungsmaßnahmen erzielte Veränderung von subjektiven Deutungsmustern und damit erworbener Partizipationskompetenz noch keine Auswirkungen auf der Verhaltensebene zeitigen muss. Menschen handeln bekanntlich gegen ihr besseres Wissen und auch gegen ihre eigenen Interessen. Dies führt zu der Annahme, dass Parti- 91 <?page no="91"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie zipationslernprozesse am konkreten Verhalten anzusetzen haben. Der Erfahrungsansatz in der politischen Didaktik, der Nahbereichsansatz (Beispiel: Wie hängt der Preis der Banane mit der Verschuldungskrise der armen Länder zusammen? ), das exemplarische Lernen, das projektorientierte Lernen (vgl. die Skizze dieser Ansätze bei Siebert 1990: 431 ff.) bringen die politisch-didaktischen Bemühungen und Überlegungen zum Ausdruck, um dieser Prämisse Rechnung zu tragen. Sämtliche Ansätze intentionalen politischen Lernens changieren zwischen Mikro- und Makrobereich von politischem Lernen als Erfahrungshintergrund. Von der pädagogisch-intentionalen zur strukturell-funktionalen Seite von Partizipationslernen führen die folgenden vier Stufen möglicher Erlebnisverarbeitung (dazu im Einzelnen Kißler 1979: 79 ff.). Partizipationserlebnisse können verarbeitet werden durch • Reflexion. Beispiel: Die Wehrdienstverweigerung eines Teilnehmers an der politischen Bildungsveranstaltung dient als Exempel und Reflexionsgrundlage für eine Teilnehmerkommunikation über die Interessenlage von Wehrdienstverweigerern sowie über mögliche Strategien zur Interessendurchsetzung. • Rollenspiel . Das Beispiel der Wehrdienstverweigerung wird zum Gegenstand eines Rollenspiels. Durch Nachspielen der Situation, wobei die Rollen des Verweigerers, der Mitglieder der Anhörungskommission, der Eltern, Vorgesetzten etc. von den Teilnehmern übernommen werden, können in der Spielrealität die Interessenunterschiede, Konflikt- und Kooperationsgrundlagen, politische und rechtliche Handlungsstrategien und die eigene Position gegenüber dem Wehrdienst und seinen Alternativen (z. B. Ersatzdienst, Totalverweigerung) erkannt werden. • Projektion. Die Kommunikation der intentionalen Erfahrungsverarbeitung auf der Grundlage von Reflexion und Rollen zur Wehrdienstverweigerung mündet hier in den Entwurf von politischen und rechtlichen Handlungsstrategien (z. B. Abfassung eines Begründungsschreibens oder argumentative Vorbereitung der Anhörung). Es handelt sich um eine Form der politischen Beratung (z. B. Rechtsberatung) auf der Grundlage kommunikativen Lernens in der Gruppe, die das tatsächliche politische Handeln (z. B. Verweigerung) vor- und nachbereitet. Der Lerneffekt liegt jedoch weniger in der Beratungsals vielmehr in der Handlungssituation. • Organisation. Die Verarbeitung von Politikerleben ist auf dieser Stufe primär ein makro-didaktisches Problem. Sie geschieht, um bei unserem Beispiel zu bleiben, in einem generell durch die Organisation des Wehrdienstes/ Ersatzdienstes vorgegebenen Erfahrungsfeld. »Generell« heißt in diesem Zusammenhang, dass die Organisation des Erfahrungsfeldes nicht auf das einzelne Organisationsmitglied, sondern auf das Kollektiv der Organisationsmitglieder zugeschnitten ist. Nicht mehr der intentionale Lernprozess, sondern die »lernende« Organisation steht hier im Mittelpunkt von politischem Lernen. Ersterer hat dann noch begleitende, komplementäre Aufgaben der Vor- und Nachbereitung, Wissensvermittlung und Diskussion tatsächlichen politischen Handelns. 92 <?page no="92"?> 2.2 Politische Sozialisation: Partizipation lernen Der Erwerb von Partizipationskompetenz geschieht dann auf unterschiedlichen Ebenen der Erfahrungsverarbeitung. Auf der Reflexionsebene wird über Partizipation nachgedacht und geredet, auf der Spielebene wird Beteiligung an Entscheidungsprozessen geprobt, auf der Ebene der Projektion vor- oder nachbereitet und in Organisationen real umgesetzt. Während die Reflexion über Erfahrung und das Rollenspiel im mikrodidaktischen Bereich verbleiben, führen die Auslagerung der Erfahrung in die politische Realität durch Projektion (aus dem Rollenspiel wird der »Ernstfall«) und die politische Erfahrung in Organisationen auf das Feld der Makrodidaktik. Auf beiden Feldern gilt: Subjektive Erfahrungen werden in objektiv begründeten Erfahrungszusammenhängen gemacht (z. B. in Unterrichtsorganisation, Interessenorganisation, Arbeitsorganisation etc.). Die für Lernen maßgebliche Differenz ergibt sich aus dem Organisationswandel (Innovation). Dieser kann entweder als passive, hingenommene Veränderung vor sich gehen, die gleichwohl erheblich die eigenen Interessen tangiert (z. B. Bau einer Umgehungsstraße, Ausweitung von Tieffluggebieten, Computerisierung des Arbeitsplatzes etc.). Politisches Lernen beruht dann auf regressiven Erfahrungen und kann eine resignative Haltung (politische Apathie) verfestigen. Innovation kann aber auch als aktiver, partizipativ gestalteter Wandel ablaufen. Die Umgehungsstraße wird nach Anhörung der Bürger (nicht) gebaut, gegen die Ausweitung des Tiefflugbereichs wird eine Bürgerinitiative gegründet, der Arbeitsplatz wird unter Mitwirkung des betroffenen Arbeitnehmers technisch-organisatorisch umgestaltet. In diesen Fällen kann die Innovation progressive Erfahrungen vermitteln und Partizipationskompetenz ausbilden. Fazit: Lernprozesse, die jenes Qualifikations- und Handlungspotenzial ausbilden, das mit »Partizipationskompetenz« benannt ist, sind Partizipationsprozesse. Sie stellen sich überall da ein, wo die Wechselwirkung von Lernziel (Erwerb von Partizipationskompetenz) und Lernweg (Verarbeitung von Partizipationserlebnissen) zum Tragen kommt, mit anderen Worten: wo politisches Bewusstsein praktisch werden und politische Partizipationserfahrung reflektiert werden kann, nämlich in Prozessen politischer Kommunikation. 2.2.4 Partizipationslernen durch politische Kommunikation Partizipationslernen findet dort statt, wo politische Partizipation ermöglicht und ihre Verfahren angesiedelt sind, in den Prozessen der Politik- und Interessenvermittlung. Damit richtet sich die Perspektive auf das politische System als Sozialisationsinstanz. Eine kommunikationstheoretisch fundierte politische Sozialisationstheorie unterscheidet zwischen politischem System und Systemumwelt und begreift das Verhältnis zwischen beiden als Kommunikationsprozess. Diesem kommt die Aufgabe zu, einerseits eine bestimmte politische Kultur zu tradieren und andererseits den Gesellschaftsmitgliedern die Möglichkeit zur Bewertung von politischen Outputs zu geben und einen Informationsrücklauf in das politische System hinein zu sichern, um dadurch Innova- 93 <?page no="93"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie tion (z. B. Reformen, Systemkorrekturen) zu garantieren. Diese erhöht die Lernkapazität des politischen Systems und garantiert dadurch sein Überleben. Der kommunikationstheoretische Ansatz legt deshalb auf die Frage nach dem Zusammenhang von politischer Kommunikation (Sozialisation) und Systemstabilität die Antwort nahe, dass mit erhöhter Sozialisationsleistung des politischen Systems und seiner Einrichtungen auch dessen Lernfähigkeit und damit Stabilität zunimmt. Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten: Die Sozialisationsleistung von politischer Kommunikation zwischen politischem System und gesellschaftlicher Umwelt ist eine doppelte: Zum einen erhöht sie innovativ die Lernkapazität und damit die Überlebensfähigkeit des Systems (Innovation), zum anderen gibt sie den kommunikativen Rahmen für Partizipationsmöglichkeiten der Gesellschaftsmitglieder an politischen Entscheidungsprozessen (politische Partizipation) ab. Innovation und Partizipation als Sozialisationsziele schließen sich demnach nicht gegenseitig aus. Sie können vielmehr einander bedingen. Ihr Bedingungsverhältnis ist als Prämisse in die Formulierung der oben (vgl. 1.2.2) skizzierten komplexen Demokratietheorie eingeflossen. Ausgehend von der Frage nach der demokratischen Organisation von politischen Entscheidungsprozessen liegt nunmehr das methodische Problem auf der Erhöhung der Lernfähigkeit des politischen Systems durch den Ausbau von Kommunikation mit der Systemumwelt. Dieser demokratietheoretische Ansatz schreibt dem Kommunikationszusammenhang zwischen politischem und gesellschaftlichem System herrschaftslegitimierende Kraft zu. Wenn deshalb im Folgenden von politischer Kommunikation die Rede ist, dann zunächst unter Verwendung eines formalen Kommunikationsbegriffs. Es geht um die organisatorisch-empirische Seite von politischer Kommunikation. Gemeint ist damit das organisierte Austauschverhältnis zwischen politischem System und Gesellschaft. Die normative und materiale Seite dieses Zusammenhangs, wie sie in den Begriffen von Demokratie und Öffentlichkeit zum Ausdruck kommt, wird weiter unten behandelt (vgl. 2.3). Welches sind nun die Konstituanten jenes Zusammenhangs zwischen politischem System und gesellschaftlicher Umwelt, der »politische Kommunikation« genannt werden kann? Eine Antwort auf diese Frage gibt zugleich Aufschluss über die Bedingungen von politischer Kommunikation und damit der Sozialisationsfunktion des politischen Systems. Sie vermittelt darüber hinaus einen Eindruck von der Politikvermittlung durch politische Sozialisation (vgl. Abb. 5). Das politische System als die Summe von politischen Institutionen entfaltet einen kommunikativen Zusammenhang mit seiner gesellschaftlichen Umwelt und damit sozialisierende Kraft durch seine Institutionen, vornehmlich durch das Parlament und die politischen Parteien als den zentralen politischen Einrichtungen. Kommunikation stellt sich formal durch Austausch von Informationen her. Indem politische Institutionen diesen Austausch organisieren und Bürger(-gruppen) sich daran beteiligen, entsteht politische (System-)Kommunikation. Um politische Kommunikation handelt es sich aber auch dann, wenn die kommunizierten Themen, das heißt 94 <?page no="94"?> 2.2 Politische Sozialisation: Partizipation lernen n o i t a r e p O e h c s i t i l o P t i e k h c i l t n e f f Ö n o i t a k i n u m m o K e h c s i t i l o P Heimliche Kommunikation e h c i e r e B n a k r A n e h c s i t i l o p s e d s m e t s y S n e i d e M t i e k h c i l t n e f f ö s g n u l m m a s r e V t i e k h c i l t n e f f ö s g n u n g e g e B t i e k h c i l t n e f f ö t i e k h c i l t n e f f Ö y t i l o P r u t k u r t S Öffentliche Kommunikation Quelle: Sarcinelli 1005: 17 Abbildung 5: Zusammenhang der Begriffe »Öffentlichkeit«, »Politische Kommunikation« und »Politische Öffentlichkeit« die Informationsinhalte, politikrelevant sind. Mit anderen Worten: Es gibt auch politische Kommunikation, ohne dass der Informationsaustausch durch Einrichtungen des politischen Systems organisiert wird. Politische (System-)Kommunikation kommt zustande, • wenn auf Seiten des politischen Systems ein hohes Maß an Transparenz seiner Institutionen vorhanden ist. Transparenz ermöglicht die Informationsabgabe an Adressaten in der Systemumwelt. Als Herrschaftstransparenz informiert sie über den Willensbildungsprozess. Dieser soll für eine interessierte Öffentlichkeit erkennbar werden. Herrschaftstransparenz ersetzt die »einseitige unbeantwortbare Information« (Luhmann 1970: 8) durch Chancen der Informationsbeantwortung und dient damit dem Abbau von Manipulation. Als Problemtransparenz unterrichtet sie über Gesetze, Programme und Verfahren der politischen Einrichtungen und erweitert damit den Blick der Adressaten auf mögliche Folgen von politischen Entscheidungen. In Form der Planungstransparenz vermittelt sie, im Unterschied zur rückblickenden Kontrolle von politisch-administrativen Institutionen, Einblick in den politischen (Entscheidungs)Prozess und gewinnt von daher Relevanz für die Zukunftsplanung durch Politik. Sie gehört zu den Grundlagen der Steuerungskapazität des politisch-administrativen Systems. In Form von Geschichtstransparenz bedient sie das Interesse der Bürgerinnen und Bürger am Einblick in die häufig durch Dezisionen und damit verbundene Verantwortung getragenen politischen Abläufe. Politik wird dadurch in ihrer Prozesshaftigkeit erkennbar und und es wird deutlich, dass sie sich nicht auf die reine Verwaltung von Sachen reduzieren lässt; • wenn zwischen Politik und Gesellschaft Möglichkeiten zur Partizipation an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen bestehen. Partizipations- 95 <?page no="95"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie verfahren verkörpern die institutionalisierten Chancen zur »Informationsbeantwortung«. Diese Chancen sind auf drei Ebenen institutionalisiert: Auf der untersten Ebene der direkten Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an der politischen Willensbildung, auf einer zweiten Ebene der unmittelbaren Teilnahme der gewählten politischen Repräsentanten und auf der dritten Ebene der Teilnahme des Parlaments am politischen Prozess. Für das Partizipationslernen maßgebend ist die erste Ebene der direkten Partizipation. Auf dieser Ebene bestehen verfassungsrechtlich gesicherte, primäre Partizipationsverfahren, wie: die Direktwahl der politischen Repräsentanten (Art. 20, 38 GG), die Mitwirkung über die politischen Parteien (Art. 21 GG), die Vereinigungs- und Partizipationsmöglichkeiten durch Interessenorganisationen (Art. 9 GG), die Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 GG) und das Petitionsrecht (Art. 17 GG); • wenn in System und Systemumwelt Steuerungsprozesse (durch Normen, Kultur, Sanktion etc.) die Effizienz des Informationsaustausches zwischen Institutionen und Partizipanten sichern. »Effizienz bezeichnet den Wirkungsgrad im Sinne technischrationaler Wirtschaftlichkeit bzw. Leistungsfähigkeit gemessen an der Zeit-Kosten- Nutzen-Relation (. . . ). Transparenz bezeichnet den Grad an Nachvollziehbarkeit durch Offenlegung und Durchschaubarkeit; (. . . ) Partizipation bezeichnet den Grad an Mitwirkung im Rahmen der in Wechselbeziehung zu einander stehenden Wirkungsstufen der teilnehmenden Beobachtung, Mitberatung und Mitentscheidung.« (Steffani 1973: 20) Bei Transparenz, Partizipation und Effizienz handelt es sich um Organisationsprinzipien, die über das Zustandekommen und Gelingen von politischer Kommunikation entscheiden. Vom Stellenwert, der dem Partizipationsprinzip in diesem »magischen Dreieck der Sozialwissenschaften« (Uwe Thaysen) zukommt, hängt entscheidend ab, inwieweit die politische Kommunikation Partizipationslernen im Sinne von politischem Erfahrungslernen ermöglicht. Die Praxis politischer Kommunikation entscheidet über die politische Sozialisationsleistung des Systems und seiner Institutionen als Sozialisationsagenturen. Nicht zuletzt aber gibt die Gewichtung der Organisationsfaktoren Auskunft zum Stand der Stabilität des Systems und zur Innovationskraft seiner Einrichtungen. Die Organisation von politischer Kommunikation kann modellhaft zieloptimierend und zielmaximierend erfolgen. Modellhaft heißt, dass die analytische Unterscheidung zwischen Modellen politischer Kommunikation auf der begrifflich-heuristischen Ebene zwar sinnvoll ist, so aber in der Wirklichkeit nicht vorkommt. Nehmen wir Transparenz, Partizipation und Effizienz als Zielvariablen, dann wird ein Zieloptimierungsmodell von politischer Kommunikation die verfügbaren Organisationsressourcen (Zeit, Geld, Wissen, Macht etc.) zur Verwirklichung mehrerer, in unserem Fall dreier, Organisationsziele einsetzen. Im Gegensatz dazu werden die vorhandenen Organisationsressourcen im Zielmaximierungsmodell lediglich zur Erreichung 96 <?page no="96"?> 2.2 Politische Sozialisation: Partizipation lernen eines Organisationszieles genutzt, zum Beispiel zur Effizienzsteigerung. Die Optimierung von Effizienz, Transparenz und Partizipation (E ↑ T ↑ P ↑ ) gibt die Idealformel für die Organisation von politischer Kommunikation ab. Nur die zieloptimierende Organisation von politischer Kommunikation vermag Systemstabilität und Innovationskraft gleichzeitig zu erhöhen und hierfür die politische Sozialisationsleistung des politischen Systems und seiner Einrichtungen zu nutzen. Oben wurde erläutert, warum Partizipationslernen auf der Grundlage von politischer Kommunikation erfolgt. Die Organisation von politischer Kommunikation setzt die Bedingungen für politisches Lernen. Soweit das politische System über seine Institutionen politische Kommunikation organisiert, erweisen sich diese als Agenturen der politischen Sozialisation. Ihre Sozialisationsleistung resultiert aus der Praxis organisierter politischer Kommunikation zwischen System und Systemumwelt und zwar dadurch, dass diese • die herrschenden Normen und Werte und damit Systemkultur (politische Kultur, Organisationskulturen etc.) tradiert, • den Gesellschaftsmitgliedern die Möglichkeit zur Bewertung des System-Outputs (z. B. von Gesetzen, Parteiprogrammen etc.) einräumt und • den Informationsrücklauf (Input) in das System hinein sichert, wodurch Innovationen (z. B. Systemkorrekturen, Reformen) möglich werden. Im Ergebnis heißt dies: Politische Systemsozialisation erhöht die Lernkapazität des politischen Systems und garantiert sein Überleben. Sie ist die Grundlage für gelingende Politikvermittlung. Diesen Zusammenhang zwischen Lernfähigkeit eines Systems und seiner Stabilisierung hat die politische Kybernetik hinreichend belegt (vgl. Deutsch 1973). Entscheidend jedoch ist, dass die politische Systemsozialisation auf der Grundlage organisierter Kommunikation zwischen politischem System und Gesellschaft nicht ohne »Rückkoppelung«, Informationsbeantwortung, Input, sprich Partizipation auskommt. Diese ist demnach nicht nur ein Grundelement der Interessenvermittlung, sondern auch der Politikvermittlung durch politische Sozialisation. Daraus folgt: Innovation und Partizipation als Sozialisationsziele schließen sich nicht gegenseitig aus. Sie stehen vielmehr in einem Bedingungsverhältnis. Wer den Systemen des realen Sozialismus, Respektive der DDR, noch kurz vor ihrem Zusammenbruch ein hohes Maß an Stabilität bescheinigte (vgl. z. B. Glaeßner 1989), hat die Bedeutung funktionierender und in diesen Systemen systematisch unterdrückter politischer Kommunikation als Stabilisierungsfaktor unterschätzt. Der für die meisten Beobachter überraschende Systemzusammenbruch in der DDR, der trotz vergleichsweise gutem materiellem Versorgungsniveau eintrat, resultierte nicht zuletzt auch aus dem Innovationsverlust eines lernunfähigen, weil partizipationsverschlossenen politischen Systems. Fazit: Die Lernkapazität des politischen Systems und damit seine Überlebensfähigkeit hängen ab vom gelungenen Partizipationslernen der Bürgerinnen und Bürger auf der Grundlage von politischer Kommunikation. Diese ist strukturell ange- 97 <?page no="97"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie legt und verfestigt, soweit es sich um einen organisierten Informationsaustausch handelt. Die Organisation von politischer Kommunikation und damit von Partizipationslernen obliegt den Instanzen innerorganisatorisch institutionalisierter und außerorganisatorisch-politisch fungierender Formen von Öffentlichkeit. Die normative und empirisch-praktische Seite von politischem Lernen als Partizipationslernen sind deshalb zu erschließen über die Organisationsanalyse jenes Mediums, das intern zwischen den Organisationsmitgliedern und extern zwischen Organisation und Bürgern politische Kommunikation stiftet: die politische Öffentlichkeit. 2.3 Politische Öffentlichkeit und Demokratie »Bundestagswahl, Feierstunden der Olympiade, Aktionen eines Scharfschützenkommandos, eine Uraufführung im Grossen Schauspielhaus gelten als öffentlich. Ereignisse von überragender öffentlicher Bedeutung wie Kindererziehung, Arbeit im Betrieb, Fernsehen in den eigenen vier Wänden gelten als privat. Die im Lebens- und Produktionszusammenhang wirklich produzierten kollektiven gesellschaftlichen Erfahrungen der Menschen liegen quer zu diesen Einteilungen.« (Negt/ Kluge 1973: 7). Da Öffentlichkeit gemeinhin mit Politik assoziiert wird, folgt hieraus, dass die für das (Über-) Leben der Menschen ausschlaggebenden Bereiche der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion als »nicht politisch« gelten und deshalb keine Felder abgeben, auf denen politisches Lernen stattfindet und auf die sich politische Kommunikation bezieht. Um dieses Paradoxon aufzulösen, ist zunächst zu erinnern an die historische Wiege von politischer Kommunikation als Geburtsstätte der bürgerlichen Demokratie (vgl. 2.3.1). Im Anschluss an diese normative Begriffsvalenz beschäftigen wir uns mit der empirischen Dimension des Öffentlichkeitsbegriffs (vgl. 2.3.2), um dann abschließend anhand einer Öffentlichkeitstypologie ein begriffliches Raster zur Untersuchung der herrschenden Kommunikations- und politischen Lernpraxis vorzustellen (vgl. 2.3.3). Dieses erlaubt die Operationalisierung der Grundbegriffe einer Demokratiewissenschaft in Untersuchungen zur politischen Kommunikationsleistung von Parlament und intermediären Organisationen in Prozessen der Politik- und Interessenvermittlung (dazu 3 und 4). 2.3.1 Politische Öffentlichkeit - ein normativer Begriff Historisch ist der Kommunikationsbegriff mit der politischen Emanzipation des Bürgertums verbunden. Insoweit ist er immer schon ein politischer Begriff. Die gegen die fürstliche Voluntas (Willkürherrschaft) gerichtete Forderung nach Durchdringung auch des politischen Bereichs, insbesondere der politischen Herrschaftsausübung, mit der das Wirtschaftshandeln beherrschenden ökonomischen Ratio führte dazu, dass die 98 <?page no="98"?> 2.3 Politische Öffentlichkeit und Demokratie um politischen Einfluss kämpfende »Öffentlichkeit« der privaten Warenproduzenten nicht mehr bereit war, das zu geben, was die Arkanhaltung des Hofes vom Untertan verlangte: Vertrauen ohne Kommunikation. Mit dem Vertrauen schwindet die Legitimationsgrundlage politischer Herrschaft. Vertrauen aber entsteht durch Kommunikation. Diese kommt durch Informationsaustausch zustande. Information aber bedarf der Publizität . Publizität ist demokratisch geboten und rechtsstaatlich erforderlich. Die demokratische und die rechtsstaatliche Publizität stehen in einem engen Bedingungsverhältnis: »die Rationalität der demokratischen Publizität - Zugänglichkeit, Überschaubarkeit, Möglichkeit der Einsichtnahme und -teilhabe - vertieft die rechtsstaatliche Rationalität als eine Sonderform formeller Öffentlichkeit, indem sie nicht nur Überschaubarkeit, sondern Einsehbarkeit, nicht nur Einsichtnahme, sondern die Möglichkeit wirklicher Einsicht gewährt.« (Rinken 1971: 276). Freilich ist Öffentlichkeit nicht schrankenlos. So ist zum Beispiel nur die geheime eine wirklich freie Wahl. Rationalitätssicherung als Öffentlichkeitsaufgabe erinnert an die aufklärerische Maxime: Überwindung von Voluntas durch Ratio. Dieses Kernpostulat der bürgerlichen Aufklärung und der von ihr inspirierten Verfassungsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts ist bislang noch nicht eingelöst. Ungelöst ist nach wie vor das »klassische« Problem der Abstimmung von Partikularinteressen und Gemeinwohl, unbefriedigend die scheinbare Formal»lösung« durch eine rigide Anwendung der Mehrheitsregel. Als Partizipationsproblem tritt es in der Frage zutage, wie die entscheidungserhebliche Artikulation und Durchsetzung von Interessen durch Partizipationshandeln ermöglicht und gleichwohl die Idee eines übergeordneten Gruppeninteresses gewahrt werden kann. Wie lassen sich individuelle Träume verwirklichen, ohne dass daraus der kollektive Albtraum droht? Diese Frage stellt sich verschärft in der Risikogesellschaft und vor allem dort, wo die Rationalität sozialtechnologischer Antwort ihre Wurzeln hat - jenseits von politischem System und Staatshandeln. Das »Öffentliche soll öffentlich sein«, heißt es bei Carl Welcker im Staats-Lexikon von 1848. Erst wenn das Öffentliche nicht mehr gleichgesetzt wird mit dem Staatlichen oder massenmedial Veröffentlichten, wird der Blick frei auf jenen Bereich, der heute materialiter einen Kernbereich des Öffentlichen ausmacht: die Arbeit im Betrieb oder genauer, die gesellschaftlichen Produktionsbedingungen. Denn die Antworten auf die Grundfragen was, wie und für wen produziert wird, sollen und können - heute weniger noch als im frühen 19. Jahrhundert - nur ökonomisch rational sein. Sie müssen vielmehr auch sozialverträglich und ökologisch vertretbar, das heißt aber gesellschaftlich vernünftig sein. Das vernunftsichernde Prinzip in der Demokratie ist Öffentlichkeit. Daraus folgt, dass das in den Austauschbeziehungen zwischen Staat, Kapital und Arbeit (industrielle Beziehungen) und in den betrieblichen Arbeitsbeziehungen realisierte Öffentlichkeitspotenzial darüber entscheidet, ob die mit den neuen Techniken und technisch-organisatorischen Rationalisierungsprozessen angezeigte Breitenveränderung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft »entscheidungsverschlossen auf 99 <?page no="99"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie den leisen, aber unaufhaltsamen Sohlen des Unpolitischen daherkommt« (Beck 1986: 303) oder aber in den Verstehens- und Handlungshorizont der Menschen zurückgeholt werden kann. Auf diesen normativen Gehalt von Öffentlichkeit nehmen wirtschaftsdemokratische Theorien und Programme explizit Bezug 11 , wenn sie, um ein Beispiel aus unserem Nachbarland zu nennen, das Ziel einer »neuen Staatsbürgerlichkeit« (Citoyenneté) im Unternehmen anstreben 12 . Wir sehen: Der normative Öffentlichkeitsbegriff eröffnet ein weites Problemfeld. Um sich zu orientieren, gilt es zunächst, die abwegige Idee zu verabschieden, der Verfassungskampf um Öffentlichkeit sei mit frühliberaler Emphase auf die kapitalistische Wirtschafts- und Unternehmensverfassung von heute zu verlängern. Gleichwohl ist aus Gründen der Vernunftsicherung und der Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft am Stellenwert von Öffentlichkeit auch für den Produktionsbereich festzuhalten. Die Produktionsöffentlichkeit ist ein wesentlicher Teil der politischen Öffentlichkeit (vgl. unten 6.2.3). Der Produktionsbereich markiert neben dem politischen System und seinen Institutionen ein zentrales Lernfeld für Politik. Deshalb sind Gegenstand dieses Lehrbuchs nicht nur die Lernorte politischer Kommunikation zwischen politischen Systemeinrichtungen und Bürgern, sondern auch der politische Lernort Betrieb (vgl. unten 4.3). Der Strukturwandel gesellschaftlicher und politischer Öffentlichkeit hat nicht nur Verfallsformen hervorgebracht, die Jürgen Habermas (1962 (1990)) als »Re- Feudalisierung« qualifiziert, sondern auch neue Elemente von Produktionsöffentlichkeit und authentischer Öffentlichkeit in den neuen sozialen Bewegungen (vgl. Stamm 1988: 260 ff.). Er leistet deshalb Orientierungshilfe für das Verständnis des empirischen Gehaltes von Öffentlichkeit. 2.3.2 Politische Öffentlichkeit durch Partizipation Öffentlichkeit hat ihren geographischen Ort. Institutionen entfalten Öffentlichkeit nach innen. In diesem Fall handelt es sich um Organisationsöffentlichkeit . Die Organisation interner politischer Kommunikation zwischen den Organisationsinstanzen und -mitgliedern entscheidet über den Stellenwert der jeweiligen Organisation als politischen Lernort. So stellt zum Beispiel das Parlament eine Sozialisationsagentur auch gegenüber den Parlamentariern dar. Die politische Partei sozialisiert ihre Mitglieder, der Industriebetrieb sozialisiert die dort Arbeitenden. 11 So das wirtschaftsdemokratische Konzept des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in der Weimarer Republik (Naphtalie (1928), 1977), in dessen Tradition die gewerkschaftliche Mitbestimmungsprogrammatik bis heute steht. 12 So die Auroux-Gesetze von 1982 der damaligen französischen Regierung. Zur Theorie und Praxis dieser Reform vgl. die Beiträge in Kißler (Hg.) 1985 und ders. (Hg.) 1989. 100 <?page no="100"?> 2.3 Politische Öffentlichkeit und Demokratie Neben der Organisationsöffentlichkeit bildet die Grundlage von politischer Kommunikation vor allem der Informationsaustausch zwischen innerorganisatorisch institutionalisierten und außerorganisatorisch-politisch fungierenden Formen von Öffentlichkeit. Diese entscheiden über die politische Sozialisationsleistung der beteiligten Institutionen und über das Gelingen von politischem Lernen (Erwerb von Partizipationskompetenz) der Bürger. Öffentlichkeit ist mehr als Offenheit oder Transparenz. Sie hat zwei empirische Dimensionen: Publizität und Publikum. Öffentlichkeit kommt zustande, indem ein inner- oder außerorganisatorisches Publikum vermittels Publizität von interessenbezogenen Entscheidungen an diesen partizipiert. Partizipation reicht dabei, wie oben (vgl. 2.1.1) gezeigt wurde, von der bloßen, aber unverzichtbaren Informationsrezeption zu interessenbezogenen Entscheidungen (= mentale Partizipation) über die mittelbare Teilnahme durch Interessenvertreter (= delegative Partizipation) bis zur unmittelbaren Beteiligung (Interessenwahrnehmung im Unterschied zur Interessenvertretung). Direkte Partizipation eines inner- oder außerorganisatorischen Publikums ist demnach definiert als entscheidungserhebliche Interessenartikulation durch Teilnahme an Kommunikationsprozessen über die Entscheidungsgrundlagen, -ziele und -durchsetzung zu unterschiedlichen Gegenstandsbereichen. Je nachdem, wo die Gegenstandsbereiche, auf die sich der Entscheidungsprozess bezieht, verortet sind, handelt es sich um unterschiedliche Teilöffentlichkeiten, wie zum Beispiel um Produktionsöffentlichkeit im Fall von produktionsbezogenen Entscheidungen. Die Art und Weise, wie partizipiert wird, und die Reichweite der Partizipation entscheiden über die Sozialisationsleistung der Öffentlichkeit. Mit anderen Worten: Direkte Partizipation ist die »Messlatte« für die Bestimmung und Bewertung von Öffentlichkeit; denn sie gibt Auskunft über • das realisierte Öffentlichkeitspotenzial in Organisationen und zwischen Organisation und Publikum und darüber hinaus • über die Verteilung von organisationsinterner und -externer Macht und Herrschaft; denn Partizipation ist, wie wir oben gesehen haben, eine Machtressource (zum Machtbegriff vgl. oben 2.1.1). Antworten auf die Frage, wie Partizipation die Definitionsmacht der Akteure in den Prozessen der Regelsetzung, Regelinterpretation und -implementation verändert, geben Auskunft über die Realisierungschancen von Öffentlichkeit auf den Feldern der Organisationsentwicklung und Kompetenzaneignung. Entscheidend hierfür nämlich ist - wie oben gezeigt wurde - inwieweit und mit welcher Reichweite Partizipation an interessenbezogenen Entscheidungen stattfindet. 101 <?page no="101"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie 2.3.3 Politische Öffentlichkeit: eine Typologie Für die Einrichtung von Partizipationsverfahren sind zwei Faktoren ausschlaggebend: die erreichte Publizität und die Konstitution eines real partizipierenden Publikums. Anhand dieser Kriterien lassen sich Idealtypen von Öffentlichkeit voneinander abgrenzen (vgl. Tab. 2): • das Arkan-Modell • das Modernisierungsmodell • das Autonomiemodell Diese Öffentlichkeitstypen werden abschließend skizziert und auf ihren Stellenwert für politische Kommunikation hin befragt. Dabei liegt das Augenmerk auf dem Zusammenhang zwischen direkter Partizipation und politischem Lernen und damit auf den Voraussetzungen und Folgen von politischer Kommunikation für die Demokratie. Merkmale Typ 1: Arkanum Typ 2: Modernisierung Typ 3: Autonomie Publizität repräsentativ manipulativ/ demonstrativ kritisch Publikum Untertan Aktivbürger Akteur/ Citoyen Partizipation mental real selbstorganisiert Kommunikation / asymmetrisch herrschaftsfrei Demokratie / repräsentativ/ parlamentarisch Staatsform plebiszitär/ deliberativ Gesellschaftsverfassung Tabelle 2: Politische Öffentlichkeit - eine Typologie (1) Das Arkan-Modell: Die höfische Arkan-Haltung, von Carl Schmitt (1928: 144 f.) als Trias von »persona», »auctoritas« und »voluntas« beschrieben 13 , wurde im Zuge der Parlamentarisierung politisch-staatlicher Herrschaftsentfaltung durch andere Formen von zum Teil demonstrativer, zum Teil kritischer Publizität ersetzt. Im Produktionsbereich lebt sie dagegen fort. Ihre Grundlage ist die repräsentative Öffentlichkeit 14 von produktionsbezogenen Entscheidungen. Sie stiftet keine Kommunikation. Partizipation 13 In dieser Trinität der absolutistischen Machtausübung meint »voluntas« den politischen Willen, der sich nach außen als Staatsraison verklärt. Deren Trägerrolle wird eingenommen von der Person des Fürsten, die sich im Arkan-Verhalten darstellt. Dessen Gegensatz ist die Publizität. »auctoritas« schließlich bedeutet konzentrierte Macht, die keine institutionelle Aufsplitterung duldet. 14 Zu den Publizitätsbegriffen im Einzelnen und zum Begriff der repräsentativen Öffentlichkeit vgl. Habermas, 1990: 58 ff., 352 ff., 17 ff., 293 ff.. 102 <?page no="102"?> 2.3 Politische Öffentlichkeit und Demokratie beschränkt sich im Arkan-Modell auf die mentale Teilnahme oder auf die Akklamation von Entscheidungen, die in den Dunkelkammern der Ministerialbürokratien und Führungsetagen getroffen und den Bürgern bzw. den Organisationsmitgliedern mitgeteilt werden. Ein Publikum kommt mangels Kommunikation nicht zustande. Reale Partizipation ist in diesem Modell dysfunktional: Beteiligung als »Reibungsverlust«. Dem Arkan-Modell begegnen wir in der Praxis von Kommunikationsverweigerung und überall dort, wo Kommunikationsprozesse über den Köpfen der Entscheidungsbetroffenen und unter deren Ausschluss kurzgeschlossen werden, so zum Beispiel in vielfältigen Formen der (Experten-)Kommunikation zwischen Exekutiv- und Verbandsspitzen und in der Praxis korporatistischer Arrangements. Im Produktionsbereich entsprechen dem Arkan-Modell Arbeitsbeziehungen, die die unbefragte Herrschaftsausübung des »Herrn im Haus« erlauben, dessen Gegenüber ist der »Untertan«. Kommunikationsverweigerung heißt Lernverweigerung. In Ermangelung von Partizipation bleibt Partizipationslernen blockiert. Dies schließt jedoch Lernen keineswegs aus. Partizipationskompetenz kann aber in beteiligungsverschlossenen Organisationen, die den formellen Informationsaustausch und damit Kommunikation systematisch verweigern, nicht im System selbst, sondern nur gegen dieses erworben werden. Das Lernen spielt sich im Bereich des Informellen, der verdeckten, ungeregelten Partizipation ab. Es führt nicht zur Organisationsentwicklung und Stabilisierung des Systems, sondern fördert eher dessen Zusammenbruch. Die Sozialisationsdefizite fehlender System- und Organisationsöffentlichkeit müssen im Arkan-Modell nicht zum Mangel an Handlungskompetenz auf Seiten der Individuen führen. Sie schlagen sich vielmehr vor allem in der Unfähigkeit des Systems nieder, die Partizipationskompetenz seiner Mitglieder zu seinem eigenen Wandel und Überleben zu nutzen. Ganz anders das Modernisierungsmodell der Öffentlichkeit. (2) Beim Modernisierungsmodell handelt es sich um die parlamentarisierte Form von politischer Öffentlichkeit. Deren Publizität ist demonstrativ, sie ermöglicht asymmetrische Kommunikation, die eine Teilnahme von Entscheidungsbetroffenen nicht nur zulässt, sondern sogar voraussetzt und fördert. Solche Teilnahme reicht jedoch nicht an die Entscheidungsziele und -grundlagen heran. Kommunikativ behandelt werden lediglich die Mittel (z. B. ein neues Gesetz), mit denen der nicht zur Disposition stehende Zweck (z. B. Energiegewinnung aus Kernkraft) erreicht werden soll. Ziel solcher Öffentlichkeit ist die Akzeptanzbeschaffung. Soweit dies gelingt, wird Öffentlichkeit zum Modernisierungsfaktor. Die in diesem Öffentlichkeitsmodell ermöglichte Partizipation ist durchaus ambivalent. Sie erhöht zweifellos die Chance, das zunehmend ausgeprägtere Beteiligungsinteresse und Partizipationsbedürfnis der Bürger zu befriedigen. Zugleich aber dient sie auch dem reibungslosen Abbau von psychisch-sozialen Anpassungsschwierigkeiten an harte Einschnitte in die Lebens- und Arbeitswelt der Menschen im Zuge des gesellschaftlichen Umbruchs. Partizipation als Integrationsinstrument gerät zur »Modernisie- 103 <?page no="103"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie rungssoftware« in einem gesellschaftlichen Veränderungsprozess, dessen Hardware die neuen Techniken auf den Feldern von Information, Kommunikation und Produktion wie Reproduktion sind. Das Modernisierungsmodell der Öffentlichkeit realisiert sich in der Expertenkommunikation mit einem wissenschaftlichen Teilpublikum, das auch die Kommunikation mit einem »alternativen« Expertenpublikum einschließt. Im Produktionsbereich treffen wir auf Modernisierungsöffentlichkeit in neuen Formen der direkten Arbeitnehmerbeteiligung (z. B. in Qualitätszirkeln, Lernstatt, Fortschrittsgruppen etc.). Lernen wird in diesem Öffentlichkeitsmodell nicht unterdrückt. Es gehört zu seinem konstitutiven Kern. Allerdings - und hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu dem im Folgenden dargestellten Autonomiemodell - bleibt das Lernen der Individuen eine Funktion der »lernenden«, das heißt flexiblen, sich auf neue Umweltbedingungen einstellenden und Kommunikation stiftenden Organisation. Kommunikation im Modernisierungsmodell verkörpert eine asymmetrische Machtbeziehung zwischen den Entscheidungsinstanzen und den Partizipanten. Diese sind im Produktionszyklus von Regelsystemen nicht am Regelsetzungs- und kaum am Interpretationsprozess von Regeln beteiligt. Ihre Teilnahme beschränkt sich auf die letzte Phase - den Regeldurchsetzungsprozess. Dadurch gewinnen sie durchaus Handlungsspielraum, der jedoch in der Regel auf die Spielwiese zugestandener Beteiligung begrenzt bleibt. Die Spielregeln selbst stehen nicht zur Disposition. Publizität auf diesem Feld reduziert sich auf einseitige unbeantwortbare Information, die Luhmann (1970: 2 ff.) »Manipulation« nennt. Diese verkürzt die partizipative Erfahrungsverarbeitung entweder auf einen mentalen Reflex oder erschöpft sie im Mitredendürfen, ohne etwas zu sagen zu haben. Die Partizipationsquote der Modernisierungsöffentlichkeit ist entweder hoch bei geringem Beteiligungsgrad oder umgekehrt, bei hohem Beteiligungsgrad ist die Partizipationsquote niedrig, eine verbindliche und weitreichende Beteiligung demnach für wenige reserviert. Dieses ist jedoch nur die eine, manipulativ verkümmerte Seite des Partizipationslernens im Rahmen von Modernisierungsöffentlichkeit. Auf der anderen Seite birgt die asymmetrische Modernisierungskommunikation auch Chancen für ihren Ausbau zur symmetrischen Kommunikation auf der Grundlage neuer Formen autonomer Öffentlichkeit; denn die Lern- und damit Überlebensfähigkeit des Systems ist auf die Lernfähigkeit und -bereitschaft seiner Mitglieder angewiesen. (3) Das Autonomiemodell von Öffentlichkeit geht davon aus, dass sich die Geltungsansprüche von Entscheidungen diskursiv und damit unter realer Beteiligung der Betroffenen einlösen. Seine Publizität ist kritisch, das heißt, die Entscheidungsgrundlagen, -ziele und -mittel offenlegend und mit herrschaftsrationalisierendem Impetus: »Das Maß, in dem sie sich durchsetzt, bezeichnet den Grad der Demokratisierung einer sozialstaatlich verfassten Industriegesellschaft - nämlich Rationalisierung des Vollzugs sozialer und politischer Gewalt.« (Habermas 1990: 338). Kritische Publizität ermöglicht die tatsächliche Teilnahme eines inner- oder außerorganisatorischen Publikums am Ent- 104 <?page no="104"?> 2.3 Politische Öffentlichkeit und Demokratie scheidungsprozess auf der Grundlage weitgehend symmetrischer und damit tendenziell herrschaftsfreier Kommunikation. Der Untertan wird aufgewertet zum Staatsbürger (Citoyen): Partizipation gilt als politisches Emanzipationsvehikel. Die Partizipationsquote ist hoch, die Beteiligung verbindlich und weitreichend. Das Autonomiemodell von Öffentlichkeit verändert die Machtverhältnisse. Es verteilt Definitionsmacht von den Mächtigen an die scheinbar Ohnmächtigen, wirkt dadurch machtbegrenzend und legitimierend. Es handelt sich um die Öffentlichkeit der partizipatorischen Demokratie (vgl. dazu oben 1.2.2). Ansätze des Autonomiemodells finden wir in selbstorganisierten authentischen Formen von Streiköffentlichkeit (traditionelle Arbeiteröffentlichkeit), regionalen und kommunalen Initiativen gegenüber Staats- und Verwaltungshandeln und gegenüber produktionsbezogenen Entscheidungen (neue Produktionsöffentlichkeiten) und in »freiwilligen Assoziationen« im vorpolitischen Raum, wie sie zum Teil von den neuen sozialen Bewegungen verkörpert werden (vgl. Habermas 1989: 465 ff.). Das Autonomiemodell ist demnach auch die politische Öffentlichkeit der Zivilgesellschaft. Seine Verwirklichung bleibt an die Möglichkeit von Kommunikation zwischen innerorganisatorisch institutionalisierten und außerorganisatorisch-politisch fungierenden Formen von Öffentlichkeit geknüpft. Kritische Publizität in Form alternativer, authentischer Öffentlichkeit (vgl. Stamm 1988) und die reale Partizipation eines freiwillig assoziierten Publikums stehen in einem engen Bedingungsverhältnis. Jene unterstützt den Konstitutionsprozess eines real partizipierenden Publikums. Dieses bringt Publizität durch sein Partizipationshandeln in authentischen Formen erst hervor. Kritisch anzumerken bleibt allerdings, dass das Autonomiemodell von Öffentlichkeit an jenem Dilemma leidet, das kennzeichnend ist für das Emanzipationsparadigma der partizipativen Demokratie. Die Bedingungen von Emanzipation, Autonomie, Aufklärung und - so ist hinzuzufügen - autonomer Öffentlichkeit als normative Zielvorgaben setzen bereits Öffentlichkeit in Form kritischer Publizität und ein real partizipierendes Publikum voraus. Denn die postulierte diskursive Teilnahme an interessenbezogenen Entscheidungen unterstellt den Entscheidungsprozess als herrschaftsfreien Kommunikationsprozess und die Kommunikationskompetenz der Betroffenen. Dieser Widerspruch führt bekanntlich entweder zu einer theorielosen, technokratischen Öffentlichkeitspraxis oder zu einer praxisfernen Öffentlichkeitsutopie. Um ihn aufzulösen, geht kein Weg an einer Neubestimmung von politischer Öffentlichkeit vorbei - nicht als partizipationsfreier, einseitiger Entscheidungs- und Interessendurchsetzungsprozess wie im Arkan-Modell, nicht als partizipative »Spielwiese« zur Akzeptanzbeschaffung und Loyalitätssicherung wie im Modernisierungsmodell, aber auch nicht als Diskurs kommunikationskompetenter Menschen, vielmehr als Lernprozess. Wie ein solcher Lernprozess in Gang gesetzt werden kann, auf welche objektiv organisatorischen und subjektiv personengebundenen Barrieren er trifft und welche Folgen von gelingendem Partizipationslernen sich abzeichnen, mit anderen Worten: wie die Realisierungschancen von politischer Öffentlichkeit als Prozess der Organisations- 105 <?page no="105"?> 2 Grundbegriffe der Politischen Soziologie entwicklung und Kompetenzaneignung aussehen - diese Frage öffnet ein weites und von einer praxisorientierten Demokratieforschung zu bearbeitendes Problemfeld. Erst das Aufdecken der Zusammenhänge zwischen Organisationsentwicklung und Kompetenzaneignung schützt die Analyse vor einem vorschnellen Verabschieden der autonomen Öffentlichkeit als politische Utopie und einer durch diese ermöglichten partizipatorischen Demokratie mit dem Argument, diese sei nicht zu realisieren. Die Argumente gegen die partizipatorische Demokratie bleiben nur dann stichhaltig, wenn Demokratie in ihren objektiv organisatorischen und subjektiv personengebundenen Grundlagen nicht als Lernprozess, sondern als Zustand begriffen wird. Unter der Öffentlichkeitsperspektive öffnet sich ein weites Feld. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf einige für die Empirie politischen Lernens durch Partizipation wesentliche Stellen. Entscheidend für das Partizipationslernen ist, erinnert sei an die Ausgangsdefinition von Öffentlichkeit, inwieweit direkte Partizipation an interessenbezogenen Entscheidungen stattfinden kann und damit Orte partizipativer Erfahrungsverarbeitung entstehen. Solche politischen Lernorte sind in den Kommunikationszusammenhängen zwischen politischem System und Gesellschaft angesiedelt. Sie werden im Folgenden identifiziert und in die politische Topographie der demokratischen Politik- und Interessenvermittlung eingeordnet. Literaturempfehlung Büttner, Christian (2001): Demokratie und Erziehung. Durch Partizipationserfahrungen zum »mündigen Bürger«? Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung 3/ 2001, Frankfurt a. M. Habermas, Jürgen (1989): Volkssouveränität als Verfahren. Ein normativer Begriff von Öffentlichkeit. In: Merkur, 43. Jg., H. 6, S. 465-477 Steffani, Winfried (1973): Parlamentarische Demokratie. Zur Problematik von Effizienz, Transparenz und Partizipation. In: Ders. (Hg.): Parlamentarismus ohne Transparenz. Opladen, 2. Aufl., S. 17-47 106 <?page no="106"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan: zur politischen Kommunikationsfunktion des Deutschen Bundestages »Die Öffentlichkeit der Ständeversammlung ist ein großes, die Bürger vorzüglich bildendes Schauspiel und das Volk lernt daraus am meisten das Wahrhafte seiner Interessen kennen.« (Hegel 1970: 482) Was der Philosoph für die Ständeversammlung behauptet, gilt mehr noch für das demokratisch gewählte Parlament. Die Idee von der politischen Sozialisationsaufgabe des Parlaments ist so alt wie die Institution selbst. Sie zielt auf den Abbau der Entfremdung zwischen Staat und Bürger, zwischen politischem System und Gesellschaft. In der parlamentarischen Demokratie verkörpert das Parlament jedoch nicht nur eine zentrale Einrichtung der Politikvermittlung, sondern stellt auch die maßgebliche Vermittlungsinstanz von gesellschaftlichen Interessen im politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess dar. Die Politikvermittlungsaufgabe erfüllt das Parlament im Rahmen seiner Öffentlichkeitsfunktion, Interessenvermittlung dagegen im Rahmen seiner politischen Repräsentationsfunktion. Wer die normativen Grundlagen und empirischen Befunde des Verhältnisses zwischen Parlament und gesellschaftlichen Interessen und damit die Politik- und Interessenvermittlungsleistungen dieser Einrichtung untersucht, muss deshalb genauer fragen: Was heißt parlamentarische Öffentlichkeit und politische Repräsentation heute, und inwieweit taugen sie zur Organisation und Vermittlung gesellschaftlicher Interessen (vgl. dazu 3.1)? Und schließlich: Wie werden die normativ zugeschriebenen Parlamentsfunktionen der Politik- und Interessenvermittlung auf der Grundlage von politischer Repräsentation und Parlamentsöffentlichkeit praktisch eingelöst? Diese Frage wird anhand der Praxis des Deutschen Bundestages beantwortet (vgl. dazu 3.2 und 3.3). 3.1 Der Deutsche Bundestag als öffentliches Parlament und politische Sozialisationsagentur 3.1.1 Normative Grundlagen parlamentarischer Öffentlichkeit Die dem Parlament von jeher zugeschriebene »Teaching Function« (W. Bagehot) hat der Deutsche Bundestag durch seine Öffentlichkeitsfunktion zu erfüllen. 15 Sozialisations- 15 Zur Bedeutung der Öffentlichkeitsfunktion des Bundestages für die parlamentarische Demokratie vgl. Kißler 1976 und die Podiumsdiskussion zum 40-jährigen Jubiläum des Bundestages, 107 <?page no="107"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan agentur ist der Bundestag nur als Öffentlichkeitsorgan, denn seine politische Sozialisationsleistung hängt maßgeblich von der kommunikationsstiftenden parlamentarischen Öffentlichkeit ab. Parlamentarische Politikvermittlung auf der Grundlage von Parlamentsöffentlichkeit erfüllt darüber hinaus zwei weitere Aufgaben: die demokratische Beteiligung (Partizipationsfunktion) sowie die Rationalisierung von Herrschaft (Legitimationsfunktion). Diese Funktionen stehen untereinander in einem Bedingungsverhältnis. Die politische Sozialisationsaufgabe, soweit sie im Rahmen der Öffentlichkeitsfunktion erfüllt wird, dient auch der demokratischen Beteiligung. Wer sich beteiligen will, muss wissen, woran und wozu er partizipiert, er muss die politischen Willensbildungs- und Entscheidungsgrundlagen kennen, seine Interessen abzuschätzen wissen und fähig sein, diese in Entscheidungsprozesse einzubringen. Demokratischer Beteiligung sind deshalb parlamentarische Information und Möglichkeiten der Informationsbeantwortung vorausgesetzt. Parlamentarische Öffentlichkeit kann dann dazu beitragen, die Entfremdung zwischen Bürgern und politischen Einrichtungen zu überwinden. Sie schafft Vertrauen. Nur als Öffentlichkeitsorgan ist das Parlament deshalb auch Legitimationsorgan für politische Herrschaft. Legitimationsbegründung findet vor allem auf der Grundlage von Wahlen statt. In einem politischen System, wo die Bürgerbeteiligung auf den Wahlakt beschränkt bliebe, ohne eingebunden zu sein in einen permanenten Austausch von Meinungen, Kritik und Interessenartikulation, bliebe ungeklärt, wie die Wahl Ausdruck einer rationalen Wählerentscheidung sein kann. Nur wo der Disput nicht in der Demonstration bereits getroffener Entscheidungen versandet, sondern durch beantwortbare Information über das Entscheidungsprogramm die Bürger in den Entscheidungsprozess mit einbezieht, ist politisches Entscheidungshandeln rational. Rationale Herrschaft ist legitim. Die parlamentarische Öffentlichkeitsfunktion ist normiert im Rechtsstaats- und Demokratiegebot des Grundgesetzes und konstituiert sich im Vermittlungsprozess zwischen parlamentarischer Publizität auf der einen und einem gesellschaftlichen Publikum auf der anderen Seite, wie er der Repräsentationsaufgabe des Parlaments obliegt. Parlamentarische Publizität und Publikum, und das heißt Parlamentsöffentlichkeit, stellen sich gegenseitig, aber auch nur gegenseitig her, nämlich auf der Grundlage von politischer Kommunikation. Der historische Strukturwandel der Öffentlichkeit (vgl. Habermas 1990) hat den für die parlamentarisch-repräsentative Demokratie essenziellen Kommunikationszusammenhang zerrissen. Ein gesellschaftliches Publikum räsonierender Privatleute existiert nicht mehr. Das einst vom Parlament (mit-)gestiftete politische Räsonnement lässt sich auch nicht durch eine wie auch immer geartete Zustimmungshaltung der Bürger zum Bundestag ersetzen. Öffentlichkeitsorgan ist deshalb der Bundestag insoweit, als er einen politischen Diskussionszusammenhang zwischen abgedr. in: Porzner/ Oberreuther/ Thaysen (Hg.) 1990: 50 ff., insbes. die Beiträge von Loewenberg, S. 50 ff. und Thaysen, S. 76 ff. 108 <?page no="108"?> 3.1 Der Deutsche Bundestag als öffentliches Parlament Entscheidungsträgern und -betroffenen herzustellen vermag und damit ein parlamentarisches Publikum erst konstituieren hilft. Im Zuge dieses Prozesses etabliert er sich als Ort politischen Lernens durch Partizipation. Die normativen Grundlagen solcher Parlamentsöffentlichkeit finden sich im Grundgesetz in den Vorschriften (1) des Freien Mandats (Art. 38 Abs. 1, Abs. 3 GG), (2) der Verhandlungsöffentlichkeit (Art. 42 Abs. 1 GG), (3) in den Minderheitenrechten der parlamentarischen Opposition (z. B. Art. 44 Abs. 1 GG) und (4) in der Rundfunk- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). 3.1.2 Repräsentationsöffentlichkeit durch das Freie Mandat Der Abgeordnete verkörpert das Subjekt der Parlamentsöffentlichkeit. Er ist Informationsempfänger und Informant im Prozess politischer Kommunikation, soweit sie vom Parlament gestiftet wird. Diese Kommunikationsaufgabe, die zugleich eine politische Sozialisationsaufgabe darstellt, wächst dem Abgeordneten unmittelbar aus seinem Repräsentantenstatus zu. Es gibt keine demokratische Repräsentation ohne kommunikationsstiftende Publizität. Diese ist die Quelle der Repräsentationsöffentlichkeit des Parlaments. Rechtlich und institutionell abgesichert wird diese Form parlamentarischer Öffentlichkeit durch das Freie Mandat. Danach ist der Abgeordnete an Weisungen nicht gebunden und nur seinem »Gewissen« unterworfen. Die Verfassungsvorschrift des Freien Mandats definiert den Abgeordneten zum Interessenvertreter, allerdings nicht zum Vertreter von Partikularinteressen. Er entscheidet für das ganze Volk, ungeachtet der Tatsache, dass er nur von einem Teil desselben gewählt wurde. Die Anerkennung der Entscheidungen von individuell bestellten Amtswaltern als Entscheidungen des Parlaments setzt jedoch eine allgemeine Rückbindung der Abgeordnetentätigkeit an das Volk voraus, die über den Wahlakt hinausgeht. Hierin wurzeln die kommunikative und die organisatorische Funktion des Freien Mandats. Seine organisatorische Funktion besteht darin, dass das Freie Mandat dem Bundestag die zur Wahrnehmung der Gesetzgebungsaufgaben notwendigen Entscheidungsmöglichkeiten und -alternativen verschafft. Interessenabwägung setzt nämlich die Loslösung von spezifischen Interessen und den mit ihnen an das Parlament herangetragenen vielfältigen Ziel- und Zweckkonflikten voraus. Das Freie Mandat trennt gewissermaßen das Amt des Abgeordneten von seiner Person. Es entlastet ihn dadurch im Entscheidungsprozess von sachfremden Problemen und anderen Rollenbezügen (z. B. als Verbandsmitglied) und erlaubt die Konzentration auf die Rolle des Amtswalters. Die kommunikative Funktion des Freien Mandats besteht in der Öffnung der Abgeordnetentätigkeit gegenüber einem möglichst breiten gesellschaftlichen Interes- 109 <?page no="109"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan senspektrum. Mit anderen Worten: Die organisatorische Funktion des Freien Mandats geht von der Tatsache aus, dass der Abgeordnete als Person zugleich Interessenträger ist, während die kommunikative Funktion den Abgeordneten zum Adressaten von gesellschaftlichen Interessen definiert. Die Verfassungsvorschrift berechtigt den Abgeordneten nicht nur auf Meinungen, Vorstellungen u. a. m. einzugehen, sie verpflichtet ihn auch dazu. Seinem Status als »Vertreter des ganzen Volkes« wird er nur dadurch gerecht, dass er sich um Ausgleich der unterschiedlichen Interessenanforderungen bemüht; denn diese gehören zu den entscheidungserheblichen, im »Gewissen« (Art. 38 Abs. 1, Satz 2 GG) zu reflektierenden Umständen. Die Voraussetzung hierfür schafft das Freie Mandat, indem es die Kommunikationskanäle zwischen Parlament und Bürgern über die sozialen Klassen- und Schichtgrenzen hinweg offen hält und damit das Spektrum an gesellschaftlichen Interessen, die an den Abgeordneten adressiert werden können, nicht, wie beim imperativen Mandat, auf eine bestimmte Gruppe verengt. Die vom Freien Mandat begründete kommunikative Vermittlungsposition des Abgeordneten bestimmt auch dessen Verhältnis zur Fraktion. Der Abgeordnete unterliegt der Fraktionsdisziplin. Im Unterschied zum Fraktionszwang ist damit ein »Pflichtreflex« der Beachtung gegenüber Anleitungen und Vorgaben der Fraktion gemeint. Diese starke Position des Abgeordneten gegenüber parlamentsexternen Partikularinteressen und parlamentsinternen Fraktionsinteressen, wie sie das Freie Mandat einräumt, steht im Spannungsverhältnis zum Parteienprivileg des Art. 21 GG und zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, die die Abgeordnetenposition zugunsten des Fraktionsparlaments schwächt (vgl. Hamm-Brücher 1989: 686 ff.). Das Freie Mandat ermöglicht Repräsentationsöffentlichkeit. Diese ist demnach eine parlamentarische Ressource für die Erfüllung der Politik- und Interessenvermittlungstätigkeit des Abgeordneten und definiert diesen als Subjekt der Parlamentsöffentlichkeit. 3.1.3 Kontrollöffentlichkeit durch parlamentarische Opposition Eine zweite Ressource liegt in der Kontrollöffentlichkeit . Wer informieren will, muss selbst informiert sein. Informationen beschafft sich der Bundestag durch seine Kontrolltätigkeit. Die Bedeutung des Parlaments als kommunikationsstiftende Einrichtung ergibt sich aus der Umsetzung des parlamentarischen Informations- und Kontrollanspruchs. Der Ort, an dem Kontrollöffentlichkeit entsteht, ist das Plenum, ihr wesentliches Medium die parlamentarische Debatte. Der Adressat dieses Anspruchs und damit das Subjekt der parlamentarischen Kontrollöffentlichkeit ist nicht das Gesamtparlament, sondern die parlamentarische Opposition. Dies ist das Ergebnis einer historischen Entwicklung, welche die ehemals zwischen Regierung und Parlament verlaufende Konfliktlinie nunmehr zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit auf der einen und parlamentarischer Opposition auf der anderen Seite verschoben hat. Daraus folgt zweier- 110 <?page no="110"?> 3.1 Der Deutsche Bundestag als öffentliches Parlament lei: Erstens die Tatsache, dass es ohne Opposition keine Parlamentsöffentlichkeit gibt und damit verbunden, dass die politische Sozialisationsleistung des Parlaments mit der Oppositionstätigkeit im Parlament steht und fällt. Und zweitens folgt aus der historischen Entwicklung, dass die Bedeutung der parlamentarischen Kontrollrechte für die Praxis der Kontrollöffentlichkeit des Bundestages entscheidend von ihrem Ausbau zu Minderheitenrechten abhängt. 3.1.4 Parlamentsöffentlichkeit als Medienöffentlichkeit Parlamentsöffentlichkeit ist medienvermittelt - und das von Anfang an. »Das parlamentarische Regime lebt von der Diskussion. Wie soll es die Diskussion verbieten? (. . . ) Der Rednerkampf auf der Tribüne ruft den Kampf der Pressbengel hervor, der debattierende Club im Parlament ergänzt sich notwendig durch die debattierenden Clubs in den Salons und Kneipen (. . . )« (Marx 1973: 153 f.). Wenn dagegen heute in Kneipengesprächen die Parlamentsdebatte kaum noch eine Rolle spielt, dann auch deshalb, weil sich die institutionellen Grundlagen von Parlamentsöffentlichkeit geändert haben. Die Arbeit der »Pressbengel« übernahm weitgehend die Fernsehkamera im Plenarsaal. Das Fenster, zu dem die Reden hinaus gehalten werden, ist in Wirklichkeit die Mattscheibe. Die parlamentarische Repräsentations- und Kontrollöffentlichkeit ist Medienöffentlichkeit . Die parlamentsbezogene Medienöffentlichkeit findet ihre normative Absicherung in der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1, Satz 1 GG) sowie in der Pressefreiheit und der freien Berichterstattung durch Rundfunk und Fernsehen (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG). Diese Rechte garantieren die Möglichkeiten zur massenmedialen Absicherung und Verstärkung von Parlamentsöffentlichkeit. Sie werten die Medien zu politischen Sozialisationsagenturen auf und definieren ihre Bedeutung im Prozess der Politik- und Interessenvermittlung. »Der Bundestag verhandelt öffentlich«, heißt es lapidar in Art. 42 Abs. 1 GG. Mit »Bundestag« ist hier sein Plenum gemeint. Die Vorschrift der Verhandlungsöffentlichkeit gilt nur für Plenarsitzungen des Parlaments. Sie stellt das maßgebliche Verfassungsinstitut für die Erfüllung der politischen Kommunikationsaufgabe des Bundestages dar. Die Verhandlungsöffentlichkeit des Bundestages kennt zwei Formen: Die Sitzungsöffentlichkeit und die Parlamentsberichterstattung . Verhandlungsöffentlichkeit verlangt allgemeine Zugänglichkeit für jedermann zur Zuhörertribüne und für Berichterstatter zur Pressetribüne. Sie ist von der Erklärungsöffentlichkeit zu unterscheiden, wie sie für die Bundestagsausschüsse gilt. Die Verhandlungsöffentlichkeit schließt in der parlamentarischen Praxis die Reglementierung des faktischen Zutritts durch Vergabe von Eintrittskarten nicht aus. Darüber hinaus ist es Parlamentsbrauch, dass den Massenmedien die Teilnahme an den öffentlichen Sitzungen gestattet wird. Dadurch wird die Sitzungsöffentlichkeit auf ein breites gesellschaftliches Publikum ausgeweitet. 111 <?page no="111"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan Auf Antrag eines Zehntels der Bundestagsmitglieder oder der Bundesregierung kann die Öffentlichkeit mit zwei Drittel Mehrheit der Abstimmenden ganz oder teilweise ausgeschlossen werden. Soweit zu den normativen und institutionellen Grundlagen von Parlamentsöffentlichkeit und damit von politischer Kommunikation, die durch den Bundestag ermöglicht wird. Was lässt sich zu ihrer Praxis sagen? 3.2 Vom halböffentlichen zum scheinöffentlichen Parlament: zur Empirie parlamentarischer Politikvermittlung Wenn wir vom Bundestag als einem Ort der politischen Kommunikation sprechen, dann steht damit sein Stellenwert als Öffentlichkeitsorgan und Sozialisationsagentur des politischen Systems für ein gesellschaftliches Publikum zur Debatte. Nicht untersucht werden soll dagegen seine Sozialisationsleistung nach innen für die Organisationsmitglieder. 16 Davon zu unterscheiden ist die Öffentlichkeitsarbeit der Abgeordneten (Informations- und Kontakttätigkeiten, Pressegespräche, Betreuung von Besuchergruppen u. a. m.), für die sie während der Sitzungswochen ein Viertel und während der sitzungsfreien Zeit fast die Hälfte ihrer Arbeitszeit aufbringen. Diese Tätigkeiten sind ebenso wie die im Folgenden nicht zur Diskussion stehende Wahlkreisarbeit Ausdruck einer verbreiteten »Außenorientierung« der Parlamentarier und damit eines Funktionsverständnisses, für das die Arbeit an der »Basis« einen wichtigen Stellenwert einnimmt 17 . Da sie außerhalb des Parlaments und häufig im Spannungsverhältnis zur Tätigkeit im Parlament geschieht, gibt diese Arbeit zwar Auskunft über das Selbstverständnis des Parlamentariers als Kommunikator, nicht jedoch über den Stellenwert des Parlaments als Kommunikationsorgan. Dieser entscheidet aber über die politische Sozialisationsleistung und damit Politikvermittlung des Bundestages und steht deshalb im Mittelpunkt der folgenden Darstellung. 3.2.1 Verhandlungsöffentlichkeit Die Art und Weise, wie der Bundestag öffentlich verhandelt, hängt von der Praxis seiner Verhandlungsöffentlichkeit (Sitzungsöffentlichkeit und Parlamentsberichterstattung) ab und darüber hinaus von der Kontrollöffentlichkeit , die vor allem von der parlamenta- 16 Zur beruflichen Sozialisationsleistung des Bundestages gegenüber seinen Mitgliedern, den Abgeordneten, vgl. die nach wie vor lesenswerte »Jungparlamentarier«-Studie von Badura/ Reese 1976 sowie Patzelt 1999: 244 ff. und von Oertzen 2006: 65. 17 Vgl. die empirischen Belege auf der Grundlage einer repräsentativen Abgeordnetenbefragung des 11. BT bei Herzog/ Rebenstorf/ Werner/ Weßels 1990: 20 ff., 95. 112 <?page no="112"?> 3.2 Parlamentarische Politikvermittlung rischen Opposition herzustellen ist. Über die Themenstruktur der parlamentarischpolitischen Kommunikation entscheidet maßgeblich die Repräsentationsöffentlichkeit . Zunächst zur Praxis der Sitzungsöffentlichkeit. Der Bundestag verhandelt (auch) öffentlich, vor allem aber geheim. In den 15 Wahlperioden von 1949 bis 2005 führte der Bundestag 6792 öffentliche Sitzungen durch. Im gleichen Zeitraum tagte er 55.240 Mal nicht öffentlich. Das Verhältnis von öffentlichen zu nichtöffentlichen Sitzungen beträgt demnach 1 : 8,1 (in den ersten 10 WP sogar 1 : 11) und vermittelt den Eindruck von einem Parlament, das sich weitgehend aus der Öffentlichkeit herausnimmt. Der Abgeordnete verbringt in der Sitzungswoche durchschnittlich ebenso viele Stunden im Plenum, wie auf Reisen. Die parlamentarische Arbeit hat sich in zahlreiche nichtöffentliche Gremien verlagert. Kritiker werfen deshalb dem Bundestag vor, ein »halböffentliches« Parlament zu sein. Allerdings zeichnet sich seit der 10. WP ein bemerkenswerter Trend zum Ausbau der Sitzungsöffentlichkeit ab. Der Bundestag tagte in der 14. WP (1998-2002) 18 öfter als je zuvor (253 Plenarsitzungen). Noch nie gab es - sieht man von der 1. WP ab - eine so lange Gesamtsitzungszeit (1999 Stunden), noch nie war die durchschnittliche Sitzungszeit pro Arbeitsjahr so hoch (491 : 37 Stunden) und dauerte die einzelne Sitzung solange (7 : 46 Stunden) wie zwischen 1998 und 2002. Die Sitzungsöffentlichkeit des Bundestages verkörpert ein wichtiges Standbein der Verhandlungsöffentlichkeit. Ihr zweites ist die Parlamentsberichterstattung. Die amtliche Parlamentsberichterstattung basiert auf den stenographischen Berichten, die den Sitzungsverlauf inhaltlich und atmosphärisch wiedergeben, und auf den Drucksachen des Deutschen Bundestages. Die protokollarische Dokumentation der Plenumssitzungen beeindruckt durch ihre schiere Quantität 19 und durch ihren hohen Informationswert. Der qualifizierten Publizität entspricht jedoch kein entsprechend großes Publikum. Der stenographische Bericht wird in kleiner Auflage vor allem an amtliche Stellen, Verbände, Bibliotheken und gesellschaftliche Organisationen abgegeben. Auch bei den Drucksachen des Bundestages dokumentiert ein quantitativer Zuwachs zwar parlamentarische Fleißarbeit, er schlägt sich aber nicht in einer entsprechenden Auflagenhöhe nieder. Die amtliche Parlamentsberichterstattung erreicht demnach nur ein kleines, parlamentarisches (Fach-)Publikum. Dieses wird durch intermediäre Organisationen erweitert, die sich zwischen Parlament und Öffentlichkeit herausgebildet haben: die parlamentarischen Vereinigungen (z. B. die Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen oder die Deutsche parlamentarische Gesellschaft e. V.). Sie stellen ein parlamentarisches (Fach-)Publikum 18 Die 15. WP (2002-2005) war wegen der vorgezogenen Wahl kürzer. Ihre empirische Aussagekraft für die Begründung von Trends ist deshalb begrenzt und bleibt im Folgenden unberücksichtigt. 19 Die stenographischen Protokolle umfassen nach 15 Wahlperioden 247.015 Seiten, davon allein 25.633 in der 14. WP. 113 <?page no="113"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan dar, das einem erweiterten politischen, journalistischen und wissenschaftlichen Publikum parlamentarisch-politische Kommunikationsangebote unterbreitet. Für die politische Kommunikation mit einem größeren, politisch interessierten Publikum kommt es dagegen vor allem auf die nichtamtliche Berichterstattung durch Presse, Rundfunk, Fernsehen und neuerdings das Internet an. Was die Empirie der Parlamentsberichterstattung anbelangt, ist zunächst zu unterscheiden zwischen den Medien des Bundestages und Bundestag in den Medien. Zu Ersteren zählen im Pressebereich die Wochenzeitung »Das Parlament« mit Berichten, Interviews, Reportagen und Hintergrundbeiträgen aus der deutschen und internationalen Politik mit dem Schwerpunkt Bundestag und das Magazin »Blickpunkt Bundestag«, das schwerpunktmäßig über die Arbeit der Abgeordneten und Fraktionen, der Ausschüsse und der Bundestagsverwaltung berichtet. Speziell an Jugendliche richtet sich »glasklar«, das in regelmäßigen Abständen dem »Blickpunkt Bundestag« beiliegt. Beide Printmedien werden vom Deutschen Bundestag herausgegeben. Der Bundestag verfügt inzwischen über ein eigenes Fernsehen. Das Parlamentsfernsehen überträgt per Web-TV die Debatten aus dem Plenarsaal im Netz. Im Parlamentsviertel, vor allem in den Büros der Abgeordneten und Bundestagsmitarbeiter, in Redaktionen und Bundesbehörden ist das Bundestagsfernsehen auch im normalen TV zu empfangen. Darüber hinaus geht der Bundestag »online«. Unter www.bundestag.de können detaillierte Informationen über die Parlamentsarbeit (Protokolle, Analysen, Datenhandbuch des Bundestages) abgerufen werden sowie eine Vielzahl von Informationen über den parlamentarischen Alltag. Unter www.mitmischen.de besteht die Möglichkeit, »Wissen« über das Parlament und seine Einrichtungen abzurufen und sich mit anderen und mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages über aktuelle Fragen der Politik auszutauschen. An dieser »Community« beteiligen sich derzeit ca. 5000 Jugendliche und 67 Bundestagsabgeordnete. Speziell an ein journalistisches und wissenschaftliches Fachpublikum richtet sich »hib-heute im Bundestag«. Hierbei handelt es sich um einen parlamentarischen Nachrichtenservice, der tagesaktuell und detailliert über die Arbeit der Fraktionen und Bundestagsgremien berichtet. Kennzeichnend für die Empirie der nichtamtlichen Berichterstattung ist der Versuch, diese auf der Basis von neuen Informations- und Kommunikationstechniken (Internet) zur professionellen Pflege von Public Relations auszubauen. Ihre Adressaten sind vornehmlich Jugendliche und professionelle Informationsarbeiter (Journalisten, Wissenschaftler etc.), mithin ein politisches Fachpublikum. Die verbesserte PR-Arbeit rückt den Bundestag in ein realistischeres, möglicherweise auch günstigeres Licht, sie verbessert jedoch nicht die strukturellen Grundlagen des Parlaments als Öffentlichkeitsorgan (dazu weiter unten). Die nichtamtliche Berichterstattung durch PR-Maßnahmen konditioniert, aber determiniert nicht das Bild des Parlaments in den Medien. In den Printmedien kommt der Bundestag kaum vor. Was die Parlamentsberichterstattung durch die überregionale Presse angeht, so wird diese, im Vergleich zur Weimarer Republik, durch einen 114 <?page no="114"?> 3.2 Parlamentarische Politikvermittlung Substanzverlust ausgehöhlt. Dieser äußert sich in quantitativer Hinsicht darin, dass die Parlamentsberichterstattung auf die überregionale Tagespresse beschränkt ist und eine authentische Wiedergabe der Plenarsitzungen lediglich in der Wochenzeitung »Das Parlament« stattfindet. Ein qualitativer Substanzverlust kommt darin zum Ausdruck, dass die Presse vor allem ergebnis- und nicht prozessorientiert aus dem Parlament berichtet - eine schon früh kritisierte, aber bis heute die pressemediale Parlamentspublizität kennzeichnende Tatsache. Ihre schwerste Hypothek trägt die Presseberichterstattung jedoch an der strukturellen Unterordnung des politischen Faktors der Parlamentsarbeit unter den publizistischen. Im Kern erklärt sich deshalb der Substanzverlust aus dem Aktualitäts-, Publizitäts- und Periodizitätsdruck, dem die Presse unterliegt (grundlegend dazu schon Haftendorn 1961: 282 ff.). Eine gewinnorientierte Presse unterwirft notwendigerweise die Parlamentsberichterstattung ihrem eigengesetzlichen Warencharakter. Ungleich bedeutsamer für die parlamentarische Publizität gestaltet sich die Rundfunk- und Fernsehberichterstattung. Für diese gilt, dass es kein festes Programmschema gibt. Berichte über die Parlamentsarbeit sind fakultativ. Im Vergleich zu anderen politischen Arenen und gesellschaftlichen Ereignissen erscheint der Bundestag in der Programmgestaltung eher unwichtig. An diesem Gesamteindruck ändert auch der politische Informationskanal »Phönix« wenig. Wenn dieser Sender ganze Debatten aus dem Bundestag überträgt, erreicht er einen Marktanteil von 0,7 Prozent. Die Sendung »Sabine Christiansen« sehen im Schnitt 4 Millionen Zuschauer, die Einschaltquote liegt bei 12,3 Prozent. Die Erweiterung der Verhandlungsöffentlichkeit auf ein Massenpublikum durch Funk, Medien und Internet birgt auch die Gefahr (darauf weist der Kampf zwischen den Fraktionen um die besten Sendezeiten für ihre Starredner hin), dass die Parlamentsrede zum unterhaltsamen Spektakel verkommt, bei dem nicht die politischen, sondern die Entertainerqualitäten des Redners gefragt sind. »Politiker, die in den Medien nicht stattfinden, existieren nicht«, so der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse (zit. nach Rauer 2006: 30). Die Fraktionen nutzen die Plenarsitzung mit Zutun der Massenmedien als parteipolitisches Public-Relations-Instrument, die Fernsehberichterstattung als kostenfreie Werbezeit im Kampf um die Wählergunst. Die kommunikationsstiftende Publizität der parlamentarischen Arbeit bleibt dabei auf der Strecke. Die massenmedial vermittelte Information verflacht zur demonstrativen Publizität, an der sich keine politische Kommunikation entzündet. Im Ergebnis ist festzuhalten: Sitzungsöffentlichkeit und Parlamentsberichterstattung inszenieren parlamentarisch-politische Kommunikation mit einem (wachsenden) Expertenpublikum, kaum jedoch mit dem Bürger. Hinzu kommt, dass die eigentlichen Schauplätze der parlamentarischen Politikbearbeitung abgedunkelt bleiben. Die Verhandlungsöffentlichkeit gilt nur für das Bundestagsplenum, die Ausschüsse unterliegen nur der Erklärungsöffentlichkeit. Zwar 115 <?page no="115"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan nimmt die Anzahl der Ausschusssitzungen mit jeder Legislaturperiode zu. Sie beträgt im Untersuchungszeitraum (1. bis 15. WP) 31.648 Sitzungen. Doch diese finden überwiegend hinter verschlossenen Türen statt. Von den 2519 Ausschusssitzungen in der 14. WP waren 83 öffentlich (3,3 %) und von den 1562 Sitzung der letzten 15. WP ganze 41 (2,6 %). Dies vermittelt das Bild eines zwar fleißigen, aber unscheinbaren Parlaments. Der im Lichte der Verhandlungsöffentlichkeit sichtbare Teil seiner Tätigkeit gleicht der Spitze des Eisberges. Zwar haben die Ausschüsse die Möglichkeit, öffentliche Sitzungen durchzuführen (vgl. § 69 Abs. 1 Satz 2 GeschOBT), davon wird jedoch kaum Gebrauch gemacht. Hingegen gewinnen die öffentlichen Anhörungen (Hearings) gemäß § 70 GeschOBT an Bedeutung. Von diesem Recht machen die Ausschüsse zunehmend Gebrauch. Von insgesamt 1901 Hearings fanden 336 allein in der 14. und 267 in der verkürzten 15. WP statt (zum Vergleich: in der 11. WP 235). Inzwischen ist die öffentliche Anhörung zum Normalfall bei fast allen bedeutenden Gesetzgebungsvorhaben geworden. Damit stellt sich verstärkt die Frage, wie gesichert werden kann, dass sie nicht zur bloßen Anhörung von unterschiedlichen Expertenmeinungen zu vorweg in Arkan-Bereichen getroffenen Entscheidungen verkommt. Parlamentsöffentlichkeit ist vor allem Expertenöffentlichkeit. Die strukturelle Verschiebung parlamentarischer Organisationsöffentlichkeit verstärkt den eingangs skizzierten Trend: Sie verfestigt politisch-parlamentarische Kommunikation zwischen Abgeordneten und Experten, ohne jedoch über das parlamentarische Teilpublikum einer »Gelehrtenöffentlichkeit« hinaus ein gesellschaftliches Publikum zu erreichen. Wird dieses Defizit der Parlamentsöffentlichkeit durch die Praxis der Kontroll- und Repräsentationsöffentlichkeit kompensiert? 3.2.2 Kontrollöffentlichkeit Die Bedeutung der Kontrollöffentlichkeit für das Profil des Bundestages als Ort politischer Kommunikation bestimmt sich nach drei Kriterien: (1) Welche Kontrollinstrumente werden wie oft eingesetzt (quantitative Ausübungsrate)? (2) Wer macht von einem Kontrollinstrument Gebrauch (Beteiligungsquote der parlamentarischen Opposition)? (3) Über welchen Öffentlichkeitsbezug verfügt das jeweilige Kontrollinstrument? Die große Anfrage ist geeignet, im Plenum »Großes« zur Sprache zu bringen, das heißt Richtungskontrolle auszuüben. Wie der tabellarische Überblick zeigt (vgl. Tab. 3), avancierte dieses Kontrollinstrument zur Domäne der parlamentarischen Opposition. In der 15. WP wurden sämtliche großen Anfragen von der Opposition eingebracht. Die hohe Beteiligungsquote der Opposition belegt den Informationswert der Großen Anfrage. Dazu verhält sich die quantitative Ausübungsrate umgekehrt proportional. 116 <?page no="116"?> 3.2 Parlamentarische Politikvermittlung e ß o r G P W n e g a r f n A e n i e l K n e g a r f n A e l l e u t k A n e g a r f n A e h c i l d n ü M n e d n u t S n i B O . s b a % n i B O . s b a % . l t f i r h c s . s b a n e g a r f n A n i B O % n i B O . s b a % 1 8 , 8 6 2 9 3 9 , 8 5 5 5 3 1 , 8 3 0 6 1 ■ 2 2 , 8 5 9 6 0 1 7 , 8 3 7 7 3 6 , 2 5 7 9 3 5 , 5 7 6 3 5 1 0 , 4 6 1 1 4 7 , 7 8 9 4 4 0 , 0 0 1 2 7 , 6 5 6 8 7 4 8 , 3 4 8 0 3 9 , 8 6 5 3 5 4 * , 6 3 5 4 0 * , 3 4 8 8 4 1 , 4 9 7 1 . A . k 3 3 7 0 1 6 0 , 0 0 1 8 5 , 4 6 7 0 1 4 6 6 9 6 8 , 2 8 9 6 5 6 , 0 8 1 3 7 0 , 0 9 0 2 9 , 8 6 2 7 5 5 5 2 9 2 1 8 , 8 8 0 8 4 8 , 0 7 4 2 8 0 , 0 0 1 9 1 , 4 6 1 2 6 1 1 6 2 8 1 1 3 , 4 8 4 3 4 2 , 0 7 7 4 9 3 ** , 3 8 2 1 6 , 0 6 3 1 4 9 1 7 9 4 1 , 4 8 7 9 2 0 , 5 7 2 3 0 1 9 , 6 7 7 1 1 9 , 5 6 6 3 8 5 1 8 2 0 7 0 , 6 7 6 0 0 1 0 , 4 8 5 7 1 1 1 6 , 8 7 6 2 1 1 , 0 7 7 1 1 6 1 4 3 1 4 5 , 8 9 9 1 4 1 2 , 6 8 5 4 1 2 1 6 , 0 8 3 0 1 1 , 6 6 5 6 6 6 1 5 1 2 4 1 , 8 9 2 9 3 1 7 , 5 8 8 9 3 1 4 , 5 8 3 0 1 9 , 0 8 6 0 9 4 1 4 7 5 3 1 , 9 8 0 7 0 2 7 , 9 8 6 5 1 4 1 6 , 1 8 1 4 1 3 , 6 9 8 3 8 1 1 9 0 3 3 1 , 9 9 3 1 8 1 1 , 5 9 1 0 1 5 1 0 , 9 6 1 7 9 , 8 9 3 7 0 1 1 0 5 5 2 7 , 9 9 7 9 7 0 , 0 0 1 5 6 5 1 - 1 6 , 6 8 9 2 7 1 , 1 7 8 4 1 7 1 1 3 1 0 0 8 6 , 6 7 9 1 4 1 1 7 , 4 7 0 6 2 1 ■ ■ Quelle: Schindler 1999; Feldkamp 2006: 16 und eigene Berechnungen Erläuterungen: WP = Wahlperiode; OB = Oppositionsbeteiligung (Anteil der Opposition an der parlamentarischen Kontrollinitiative) * Bis Dezember 1966 (Opposition SPD), ab 1. Dezember 1966 (Opposition FDP) 35,3% (Große Anfrage) und 41,6% (Kleine Anfragen) ** OB bis Oktober 1982 (Oppostion CDU/ CSU) 66,7%; danach (Oppostion SPD) 100% Tabelle 3: Empirie der parlamentarischen Kontrollöffentlichkeit Erst ab der 10. WP wird verstärkt von diesem Kontrollinstrument Gebrauch gemacht und trägt die quantitative Ausübungsrate der Qualität der Großen Anfrage als Kontroll- und Informationsinstrument Rechnung. Noch mehr liegt allerdings der quantitative Zuwachs auf Seiten der Kleinen Anfrage. Auch der Oppositionsanteil ist höher. Er liegt im Mittel der 15. WP bei 76,6 Prozent (im Vergleich zu 74,7 % bei den Großen Anfragen). Entscheidend jedoch ist der Öffentlichkeitsbezug beider Anfragen. Hier fällt ins Gewicht, dass das Verfahren der Kleinen Anfrage grundsätzlich schriftlich und damit »entparlamentarisiert« ist. Es dient zunehmend der effektiveren Information der parlamentarischen Opposition auf den Feldern der Leistungs- und Sachkontrolle, kaum aber der Kontrollöffentlichkeit unter Einbezug eines außerparlamentarischen Publikums. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich für die Kommunikationsrelevanz der mündlichen Anfragen (Fragestunden) ab. Auf den ersten Blick hat sich die Kontrollöffentlichkeit mit Einführung dieses Informationsinstruments im Jahre 1952 deutlich verbessert - zumindest in quantitativer Hinsicht (vgl. Tab. 3). Schaut man genauer hin, dann belegt 117 <?page no="117"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan die Statistik auch hier einen deutlichen Trend zur Verschriftlichung des Verfahrens. Der zunehmende Relevanzverlust der Fragestunde wird allerdings ausgeglichen durch die steile »Öffentlichkeitskarriere« eines anderen Kontrollinstruments: der Aktuellen Stunde. Wie Tabelle 3 zeigt, wurde von der Möglichkeit zu »Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse« (Anl. 5 GeschOBT) zunächst kaum Gebrauch gemacht. Bis zur 10. WP führte die Aktuelle Stunde ein parlamentarisches Schattendasein. Inzwischen ist eine Plenarsitzung ohne Aktuelle Stunde die Ausnahme. Der Oppositionsanteil ist mit 69 Prozent (15. WP) zwar vergleichsweise niedrig, aber über sämtliche Wahlperioden hinweg erreicht er mit 86,6 Prozent den Spitzenwert. An keiner anderen Kontrollinitiative ist die parlamentarische Opposition vergleichbar häufig beteiligt wie an den 729 Aktuellen Stunden, die bislang der Deutsche Bundestag durchführte. Deshalb handelt es sich bei der Aktuellen Stunde um das öffentlichkeitswirksamste Instrument des Parlaments. Aktuelle Stunde und Große Anfrage prägen sein Öffentlichkeitsprofil. Weitere wichtige Kontrollinstanzen des Parlaments sind der Haushaltsausschuss und der Untersuchungsausschuss. Während Ersterer jedoch, wie die anderen Bundestagsausschüsse auch, nicht öffentlich tagt, gilt dies neuerdings nicht mehr für den Untersuchungsausschuss. In der 15. WP wurde zum ersten Mal in der Parlamentsgeschichte die Sitzung des Untersuchungsausschusses (und mehrstündige Vernehmung des damaligen Bundesaußenministers) in Gänze übertragen - ein großes Fernsehspektakel mit breiter Aufmerksamkeit und hohen Einschaltquoten. Allerdings bleibt die Öffentlichkeitswirksamkeit solcher Ereignisse punktuell und die Ereignisse selbst bleiben rar. In den beiden letzten Wahlperioden wurden insgesamt drei Untersuchungsausschüsse (davon zwei in der 15. WP) eingesetzt. Der Oppositionsanteil betrug jeweils 100 Prozent (im Vergleich zu früheren Untersuchungsausschüssen in der 11. WP 50 %, in der 12. WP 33,3 % und in der 13. WP 50 %). Die weitere Entwicklung muss zeigen, inwieweit dieses Kontrollinstrument sich als PR-Aktivität von Parlamentsfraktionen und Selbstdarstellungsforum ehrgeiziger Abgeordneter erweist oder aber eine parlamentarische Kontrollpublizität hervorbringt, die geeignet ist, die Öffentlichkeitsfunktion des Bundestages zu stärken. Inwieweit das in beiden Instrumenten angelegte Kommunikationspotenzial tatsächlich ausgeschöpft werden kann, ist damit allerdings noch nicht entschieden. Hierfür kommt es entscheidend auf die Fähigkeit des Plenums an, nicht nur Information zu gewinnen, sondern diese auch mit einem gesellschaftlichen Publikum auszutauschen. Diese Kommunikationsleistung kann das Parlament durch seine Repräsentationsöffentlichkeit erfüllen. Ihr zentrales Medium ist die parlamentarische Debatte. 118 <?page no="118"?> 3.2 Parlamentarische Politikvermittlung 3.2.3 Repräsentationsöffentlichkeit der parlamentarischen Debatte Der kommunikative Wert der Debatte bemisst sich nach der Debattenordnung, dem Stil und der Themenstruktur der Debatte. Wie und worüber debattiert wird, hängt entscheidend ab (1) von der innerparlamentarischen Herrschaftsstruktur und (2) vom Sozialprofil des Bundestages. Kennzeichnend für die parlamentsinternen Herrschaftsverhältnisse ist die arbeitsteilige und hierarchische Organisation der Abgeordnetentätigkeit. Sie vermittelt das Bild einer »parlamentarischen Drei-Klassengesellschaft«, bestehend aus den Mitgliedern der engeren Fraktionsführung, den Verbandsvertretern und dem »Fußvolk« 20 . Wer, wann und zu welchen Themen in der Debatte das Wort ergreifen darf, ist streng geregelt (vgl. Besch 1989: 939 ff.). Bei der Berechnung der Redezeiten ergibt sich im derzeitigen Deutschen Bundestag (16. WP) eine leichte Begünstigung der Opposition. Eine Debattenstunde sieht für die CDU/ CSU-Fraktion und SPD-Fraktion je 19 Minuten, für die Oppositionsfraktionen 8 Minuten (FDP) bzw. je 7 Minuten (Bündnis 90/ Die Grünen und Die Linke) vor. Auch bei der Festsetzung der Tagesordnung kommt die Opposition hinreichend zum Zug. Von den wichtigsten vier Debattenthemen, die in der sogenannten Kernzeit (Donnerstag und Freitag) behandelt werden, kann sie jeweils eines, bei der restlichen Tagesordnung sogar eines von jeweils drei Themen bestimmen (vgl. Lantermann 2006: 8). Allerdings geht es in der Debatte nach herrschender Meinung nicht um parlamentarische Willensbildung, sondern um die Unterstützung der Meinungsbildung auf Seiten des Bürgers (vgl. Zeh 1986: 401 f.). Die Praxis zeigt jedoch, dass die parlamentarische Herrschaftsstruktur selbst diesen schlichten Anspruch auf demonstrative Publizität kaum einlösen kann. Mit der Art und Weise, wie im Bundestagsplenum debattiert wird, sind auch die Abgeordneten unzufrieden (vgl. die empirischen Belege bei Rose/ Hoffmann-Göttig 1982: 66). Sie spüren, dass der herrschende Debattenstil die Öffentlichkeitswirkung ihres Tuns erheblich einschränkt. Wer prägt den Debattenstil? Die Debatte wird von derjenigen Gruppe kontrolliert, die zum einen über die besten Ressourcen zur Informationsbeschaffung verfügt (also nicht vom »Fußvolk«) und zum anderen ihren Informationsvorsprung auch in die Debatte einbringt. Dies sind die Berufspolitiker. Das Mandat als Beruf auszuüben entspricht heute der Vorstellung der meisten Abgeordneten (vgl. Herzog/ Rebenstorf/ Werner/ Weßels 1990: 96) und ist das Ergebnis einer gewachsenen Professionalisierung der Parlamentsarbeit. Die 20 Die innerparlamentarische Herrschaftsstruktur ist Ausdruck der vertikalen Arbeitsteilung im Parlament (vgl. Schüttemeyer 1998). Daneben existiert eine ausgeprägte horizontale Arbeitsteilung. Sie definiert für den »einfachen« Abgeordneten die Themengebiete, auf denen er sich Fachwissen erwirbt und aus denen sich seine Expertenrolle ableitet (vgl. von Oertzen 2006: 82 ff.). 119 <?page no="119"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan dem Berufspolitiker zugeschriebene Manager-Auffassung von Politik und der gruppenspezifische Korpsgeist (vgl. von Oertzen 2006: 65 f.) führen zu forcierter Arbeitsteilung, Bürokratisierung und Hierarchisierung des parlamentarischen Prozesses. Dominanz des Sachverstandes, Ablösung des Rhetorikers durch den Experten sowie das »Redemonopol« in den Fraktionsführungsgruppen sind die Folgen. Verwurzelt in der deutschen Parlamentstradition nährt der Korpsgeist die Tendenz zur entpolitisierten, nur noch bei spektakulären Gesetzgebungsvorhaben kontroversen Debatte. Im Debattenalltag jedoch wird der Plenarsaal zu einem Ort, wo sich Experten aus Verbänden und Berufspolitiker zur Aussprache vor leeren Bänken treffen. Im Plenum des Bundestages spiegelt sich demnach die zunehmende Arbeitsteilung, Spezialisierung und Verwissenschaftlichung von Politik in den Ministerialbürokratien und in den großen Interessenorganisationen wider. »Wenn der Bundestag dieser Entwicklung nicht nacheiferte« - so wird rechtfertigend argumentiert -, »würde er immer mehr die Fähigkeit verlieren, sich unabhängig von den Ministerien und privaten Interessengruppen ein Urteil zu bilden« (Loewenberg 1990: 62). Ob diese Fähigkeit noch verloren gehen kann, darf in Anbetracht des weiter unten dargelegten eingebauten Lobbyismus und des institutionell abgesicherten und informellen Einflusspotenzials mächtiger Interessenverbände bezweifelt werden. Die Expertenmacht im Parlament hat für die Parlamentsöffentlichkeit ihren Preis: Im »Schichtwechsel« der Experten (Schneider 1980: 32) verkommt die parlamentarische Debatte zum inszenierten Auftritt, der mit eingeübtem Rollenspiel Spontaneität und Improvisation erstickt und den politischen Gehalt der Debatte auf ihren publizistischen Effekt reduziert. »Das Parlament ist die Bühne zur Präsentation politischer Meinungen und Vorschläge, aber es darf nicht zum ›Show-Room‹ verkommen.« (so der Bundestagsvizepräsident Thierse, zit. nach Rauer 2006: 30) Die Art und Weise, wie im Bundestag debattiert wird, ist symptomatisch für jene grundlegende Entwicklung, die zum Verlust des Subjekts von Parlamentsöffentlichkeit führt, nämlich der Opposition. Mit der historischen Verschiebung der politischen Konfliktlinie, die einst zwischen Gesamtparlament und Regierung verlief, in das Parlament hinein ging die Kontroll- und Öffentlichkeitsfunktion maßgeblich von der regierungsstützenden parlamentarischen Mehrheit auf die parlamentarische Minderheit über. Die Opposition wurde zum Subjekt der Parlamentsöffentlichkeit. Ihre Aufgabe besteht in der Umsetzung von Kontrollöffentlichkeit in politische Kommunikation (vgl. Kißler 1989: 1006 ff.). In der Praxis der Politikbearbeitung im Parlament und im vorparlamentarischen Raum wird die Opposition jedoch weitgehend eingebunden. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ändern sich sehr selten. Dies mag das Bestreben der Opposition erklären, hinter verschlossenen Türen »mit zu regieren«. So war bereits vor der derzeitigen Großen Koalition die parlamentarische Praxis von einer informellen Großen Koalition zwischen den Fraktionen der großen Volksparteien geprägt. Die Quelle, aus der sich die Integration der parlamentarischen Opposition speist, ist die Dominanz des Sachverstandes in Politikbearbeitungsprozessen, die zur Domäne von Experten aus 120 <?page no="120"?> 3.2 Parlamentarische Politikvermittlung Ministerialbürokratien, Interessenvertretern, Regierungs- und Oppositionsfraktionen geworden sind. Deshalb wird die Mehrzahl der Gesetze (in manchen Legislaturperioden über 90 %) von den beiden großen Fraktionen, auch wenn diese keine Große Koalition bilden, bei einigen Enthaltungen und Gegenstimmen angenommen (vgl. von Beyme 1989: 113). Das publizitätsfeindliche »Mitregieren der Opposition« wird auch nicht durch die partielle Belebung der Kontrollöffentlichkeit, wie sie oben dargestellt wurde, außer Kraft gesetzt. Zurück bleibt der Eindruck von einer »obskuren Zusammenarbeit« (Loewenberg 1990: 63) zwischen politischen und Verbandseliten, die das Subjekt der Parlamentsöffentlichkeit neutralisiert. Mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien schienen zunächst auch neue Informations- und Kommunikationschancen und damit eine technische Lösung des parlamentarischen Öffentlichkeitsproblems in Sicht. Die neuen Medien könnten den Abgeordneten von den Alltagsroutinen entlasten und ihn für seine Öffentlichkeitsaufgabe frei machen. Entscheidend jedoch ist, wozu der Abgeordnete seinen verbesserten Informationshaushalt einsetzt: für die kompetentere und noch fleißigere Arbeit in den Arkan-Bereichen der Ausschüsse, Fraktionen und Arbeitskreise oder für eine Schärfung der Kontroll- und Informationsinstrumente im Plenum. Zieht man in Betracht, dass die Abgeordneten ihr Tätigkeitsfeld weniger im Plenum, als vielmehr in den Ausschüssen sehen, dieses Selbstverständnis auch das Verständnis der großen Gruppe von Verbandsvertretern ausmacht, deren Domäne naturgemäß die Ausschussarbeit darstellt, und schließlich, dass die parlamentarischen Karrierewege nicht durch das Plenum, sondern durch die Ausschüsse führen, dann liegen die Folgen der Informatisierung des Bundestages auf der Hand. Diese schreibt die Rolle des fachlich versierten Experten als Normalrolle des Abgeordneten fest 21 und verstärkt die Tendenz zum publizitätsfeindlichen Expertenparlament. In ihrer Entwicklungslogik ließe sich dann auch die Debatte durch Computerkonferenzen ersetzen. Die »Architektur« des elektronischen Parlaments sieht das Plenum als Ort politischer Kommunikation nicht mehr vor. 3.2.4 Das parlamentarische Sozialprofil und seine Folgen für die politische Kommunikation Was in der Debatte zur Sprache kommt, ist sozial vermittelt, das heißt bedingt durch die Fähigkeit des Parlaments zu sozialer Repräsentation. Aus der sozialen Zusammensetzung des Parlaments erwächst seine Repräsentationsöffentlichkeit. Sie entscheidet, ob das Parlament über die politischen Antennen für politische Kommunikation mit einem die soziale Differenzierung der Gesellschaft übergreifenden Publikum verfügt. 21 »Die einfachen Abgeordneten ( . . . ) sind typischerweise fleißige, wohl informierte, oft erfahrene, fachlich mehr oder weniger versierte Sachbearbeiter, die parlamentarische Vorlagen erarbeiten und bewerten« (vgl. von Oertzen 2006: 256). 121 <?page no="121"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan Das Sozialprofil des Parlaments ist zugleich ein Indiz für den Frequenzbereich, den der Bundestag als »Sender« in die Gesellschaft hinein abzudecken vermag, und für die Gruppen, die er dort erreicht. Aus der sozialen Zusammensetzung des Bundestages lässt sich nicht zuletzt erschließen, welches gesellschaftliche Interessenspektrum das Parlament, über die organisierten Interessen hinaus, abdeckt. Die Frage, ob seine Sozialstruktur ein Spiegel- oder Zerrbild der gesellschaftlichen Interessenlagen darstellt, ist für seine Leistungsfähigkeit als Organ der Politik- und Interessenvermittlung von Bedeutung; denn das Sozialprofil des Bundestages bringt den Umfang der sozialen Repräsentation von gesellschaftlichen Interessen zum Ausdruck. Daraus zieht das Parlament die Kraft zur politischen Repräsentation. Das Sozialprofil konditioniert demnach die für parlamentarische Interessen- und Politikvermittlung maßgeblichen Parlamentsfunktionen der politischen Repräsentation und parlamentarischen Öffentlichkeit. Das Parlament - und das meint politische Repräsentation - muss in seiner sozialen Zusammensetzung kein Spiegelbild der Gesellschaft sein, das Sozialprofil darf aber auch kein Zerrbild darstellen. Denn die politische Repräsentation zieht ihre Kraft auch aus der sozialen Repräsentation und damit aus der Präsenz eines möglichst breiten gesellschaftlichen Spektrums im Parlament. Der Bundestag ist weit davon entfernt, eine Gesellschaft en miniature zu sein. Dort agieren vornehmlich Männer. Auch wenn sich der Frauenanteil - bei großen Unterschieden zwischen den einzelnen Fraktionen 22 - erhöht hat, so liegt er doch noch erheblich unter dem Organisationsgrad von Frauen in den politischen Parteien und im europaweiten Vergleich hinter den Frauenanteilen der skandinavischen Parlamente. Allerdings zeichnet sich eine Entwicklung zum Besseren ab. Von den 614 Abgeordneten des 16. Deutschen Bundestages sind 31,6 Prozent weiblich. Damit stabilisiert sich der Frauenanteil auf, für deutsche Verhältnisse, relativ hohem Niveau. Noch in der 11. WP (1987-1990) lag er erst bei 15,4 Prozent, in den ersten zehn Wahlperioden im Schnitt sogar nur bei 8,6 Prozent. Auch bei der Verteilung von parlamentarischen Führungspositionen (mit Ausnahme der Fraktionsführungen) kommen weibliche Abgeordnete weitaus häufiger zum Zug als in früheren Wahlperioden. Von den sieben Mitgliedern des Bundestagspräsidiums sind vier weiblich. In den 22 Ständigen Ausschüssen des Bundestages nehmen gegenwärtig zehn Frauen die Vorsitze und immerhin noch sieben die stellvertretenden Vorsitze ein. Außerordentlich stabil bleibt dagegen die parlamentarische Sozialstruktur in drei weiteren Dimensionen. Auch der 16. BT ist, wie schon seine Vorgänger, ein Parlament von öffentlich Bediensteten (40,2 %, davon 31,6 % Beamte) (vgl. Kintz 2006: 467). Im 15. BT lag ihr Anteil bei 41,8 Prozent (davon 33,5 % Beamte und 8,3 % Angestellte). Das Bonmot »der Bundestag ist mal voller und mal leerer, aber immer voller Lehrer« 22 In der derzeitigen 16. WP beträgt der Anteil weiblicher MdB an der CDU/ CSU-Fraktion 19,9 % und an der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen 56,9 %. Die Anteile an den anderen Fraktionen liegen dazwischen (vgl. Feldkamp 2006: 7). 122 <?page no="122"?> 3.2 Parlamentarische Politikvermittlung verfügt nach wie vor über empirische Evidenz. Von den 614 Mitgliedern des 16. BT haben 47 einen Lehramtsstudiengang absolviert. Rechts- und staatwissenschaftlich vorgebildete Abgeordnete stellen die größte Gruppe (135) (vgl. Kürschners Volkshandbuch 2006: 295). Der hohe Beamtenanteil hat in deutschen Parlamenten Tradition. Er lag schon im Paulskirchen-Parlament bei 47,9 Prozent (vgl. Eyck 1973: VII). Das parlamentarische Sozialprofil wird darüber hinaus gekennzeichnet durch einen ungebrochenen Trend zur Akademisierung. 440 Abgeordnete (= 73 %) des gegenwärtigen BT verfügen über einen höheren Schulabschluss, über einen Universitätsabschluss verfügen 379 Abgeordnete (62,8 %). Bereits im letzten rein westdeutschen Parlament, dem 11. BT (1987-1990), saßen mehr als zwei Drittel (67,4 %) der Abgeordneten mit einem Universitätsabschluss, gegenüber 4,3 Prozent der erwachsenen Bevölkerung (vgl. Müller 1988: 216). Mit der Akademisierung der Mandatsausübung holt der Bundestag nur nach, was in den Interessenorganisationen und politischen Parteien schon länger als Karrierevehikel gilt - eine Hochschulausbildung. Im Gewand der Interessenvertreter kommen deshalb auch die Akademiker ins Parlament. Wenn der Bundestag »gebildeter« geworden ist (Müller 1988: 200), dann ist dies auch Ausdruck der Verwissenschaftlichung von Politik. Politikbearbeitung im Parlament wurde zum Geschäft von Experten. Mit Experten sind in der Regel wissenschaftlich vorgebildete Spezialisten gemeint, die sich durch Fachwissen auf einem bestimmten Themengebiet auszeichnen. Als Abgeordnete verkörpern sie quantitativ die größte Gruppe im Bundestag: die Experten für das Allgemeine. 23 In Kooperation und engem Kontakt mit den Verbandsvertretern, den Experten für das Besondere, tragen sie dazu bei, dass vor allem die Arbeit in Ausschüssen und Arbeitskreisen Expertenangelegenheit bleibt und die oben skizzierten strukturellen Mängel der Verhandlungsöffentlichkeit nicht beseitigt werden. Und schließlich weist das Sozialprofil des Bundestages die Tendenz zur sozialen Nivellierung auf. Fast ein Fünftel der erwachsenen Bevölkerung kommt aus der Arbeiterschaft, im Bundestag zählen Arbeiter zusammen mit den Hausfrauen - eine der großen Bevölkerungsgruppen - zu den »politischen Randgruppen« (vgl. Müller 1988: 190). Lediglich drei Abgeordnete (0,50 %) des 16. BT rechneten sich dieser gesellschaftlichen Großgruppe zu (vgl. Kintz 2006: 469). Die extreme Unterrepräsentation von Arbeitern im parlamentarischen Sozialprofil wird auch nicht durch die Überrepräsentation organisierter Arbeitnehmerinteressen im Bundestag ausgeglichen. Denn die gesellschaftliche Selektion und innerorganisatorische Filterung von gesellschaftlichen, in diesem Fall Arbeitnehmerinteressen, durch die Organisationen begründet die Differenz zwischen gesellschaftlichen und organisierten Interessen und zwischen beiden 23 Die neuere Abgeordnetensoziologie unterscheidet zwischen dem Fach-Experten für ein bestimmtes Themenfeld und dem Input-Spezialisten für Responsivität als maßgebliche Dimensionen der Abgeordnetenrolle im »Expertenparlament« (von Oertzen 2006: 82 ff., 254). Die Position des »Experten für das Allgemeine« umfasst beide Dimensionen. 123 <?page no="123"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan auf der einen und den durch die jeweilige Organisation vermittelten Interessen auf der anderen Seite. Daraus folgt: Arbeitnehmervertreter ersetzen nicht die fehlenden Arbeitnehmer im Parlament. Die angezeigten Trends reichen durch sämtliche Wahlperioden hindurch. Zwar ist inzwischen das Risiko des Mandatsverlustes 24 bei Wahlen gestiegen, aber die größere Fluktuation bricht bislang (sieht man vom wachsenden Frauenanteil ab) nicht die skizzierten Trends. Deshalb bleibt das Sozialprofil relativ stabil. Beim Bundestag handelt es sich um ein sozial nivelliertes, »verbeamtetes« Akademikerparlament. Darin bleiben eine Reihe von gesellschaftlich relevanten und politisch brisanten Themen ausgeblendet oder werden für eine mittelschicht-orientierte politische Kommunikation aufbereitet. Fazit: Die Repräsentationsöffentlichkeit des Bundestages vermag in Anbetracht seines homogenen Sozialprofils die seit der 10. Wahlperiode erzielten Fortschritte auf den Feldern der Verhandlungs- und Kontrollöffentlichkeit kaum in parlamentarischpolitische Kommunikation umzusetzen. Der Bundestag tagt inzwischen zwar länger öffentlich, er ist auch besser informiert als seine Vorgänger. Er hat sogar, durch neue Fraktionen, seine Antennen für die gesellschaftlichen Themen eines in den neuen sozialen Bewegungen verorteten, außerparlamentarischen, politisch fungierenden Publikums ausgebaut. Aber den verengten »Frequenzbereich« eines »Mittelschichtparlaments« konnte er nicht erweitern. Mit vermehrten Anfragen und Aktuellen Stunden werden nur die alten gesellschaftlichen Teilöffentlichkeiten erreicht, für die der Bundestag als Sounding-Board fungiert. Im Verhältnis zu weiten Bereichen der Gesellschaft und zu den unteren sozialen Schichten bleibt es bei einem »so tun als ob« - einem verhandlungsöffentlich produzierten Schein von parlamentarischer Öffentlichkeit. Ihm entspricht auf Seiten des Publikums eine verbreitete, aber abnehmende Unterstützungshaltung gegenüber dem Parlament - anstelle seiner positiv-kritischen Akzeptanz. Wie die Ausführungen zur Medienöffentlichkeit durch Parlamentsberichterstattung nahelegen, sind diese Öffentlichkeitsdefizite dem Bundestag nicht allein anzurechnen, sondern auch das Ergebnis einer Vermittlungsfehlleistung der Massenmedien. Sie bringen den Bundestag ein Stück weit voran auf dem Weg in die Sackgasse: vom halböffentlichen zum scheinöffentlichen Parlament. Dies ist zugleich der Weg in die Bedeutungslosigkeit als politische Sozialisationsagentur. Das Sozialprofil des Parlaments ist darüber hinaus Ausdruck eines sozialen Schließungsprozesses, wie er in der schichtenspezifischen Interessenselektion durch Parteien und Verbände angelegt ist (vgl. dazu unten 4.1). Auf einen Nenner gebracht: Der Bundestag organisiert die gesellschaftlichen Interessen der Mittelschichtgesellschaft. Er wird darüber hinaus zum Adressaten von Interessen, soweit diese stark genug organisiert sind und parlamentsbezogen agieren. 24 So beträgt die durchschnittliche Mandatsdauer der im gegenwärtigen 16. BT versammelten Abgeordneten 6,85 Jahre, im 11. BT dagegen noch 8,18 Jahre (jeweils zu Beginn der WP) (vgl. Feldkamp 2006: 7). 124 <?page no="124"?> 3.3 Parlamentarische Interessenvermittlung 3.3 Das Parlament als Organisation und Adressat von gesellschaftlichen Interessen: zur Empirie parlamentarischer Interessenvermittlung Der Bundestag als Einrichtung parlamentarischer Interessen- und Politikvermittlung organisiert gesellschaftliche Interessen (dazu im Folgenden) und ist zugleich Adressat von organisierten Interessen (dazu weiter unten). Das parlamentarische Subjekt der Vermittlungstätigkeit ist der Abgeordnete. 3.3.1 Der Abgeordnete als Interessenvertreter: die interne Lobby »Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen«, heißt es in Art. 38 Abs. 1 GG. Damit wird der Abgeordnete zum Subjekt der parlamentarischen Öffentlichkeit und politischen Interessenrepräsentation erklärt. Dies ist die Kernaussage des Freien Mandats. Wie sieht der Abgeordnete selbst seine Position? Nach einer Umfrage, die die interfraktionelle Initiative Parlamentsreform im Jahre 1984 unter den Abgeordneten des Deutschen Bundestages durchführte, geht mehr als ein Drittel von ihnen davon aus, dass sie das Verfassungsgebot des Art. 38 Abs. 1 GG nicht ausreichend wahrnehmen können. »Das repräsentative Element des gewählten Volksvertreters wird eigentlich nur noch im Rahmen der Wahlkreisarbeit, bei der enger Kontakt mit den Bürgern erforderlich ist, spürbar. Dort liegt die letzte Domäne seiner Unabhängigkeit (. . . )« (Hamm- Brücher 1989: 695 f.). Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn eine Befragung der Abgeordneten des 11. BT ergibt, dass in der Hierarchie der Reformziele »die Stärkung der Stellung des einzelnen Abgeordneten« an oberster Stelle rangiert (bei 39 %) (vgl. Herzog/ Rebenstorf/ Werner/ Weßels 1990: 126). Die gleiche Untersuchung belegt auch, dass nur eine Minderheit der Abgeordneten sich als Vertreter der Partei (15 %) oder als Sprecher gesellschaftlicher Gruppen versteht (9 %). Allerdings ist auch das klassische Rollenverständnis, Inhaber eines Freien Mandats zu sein, nicht weit verbreitet (17 %). Entgegen dem Verfassungsbild vom »Vertreter des ganzen Volkes« begreifen sich die meisten Abgeordneten (47 %) als »Vertreter ihrer Wähler« 25 oder, wie eine neuere Studie belegt, als »Input-Spezialisten«, die für die Pflege parlamentarischer »Responsivität« zuständig sind (vgl. von Oertzen 2006: 54). 25 Vgl. die Ergebnisse der empirischen Parlaments- und Abgeordnetenuntersuchungen von Patzelt (1994: 85 ff. und ders. 1996: 462 ff.). Befragt wurden 2800 Landes-, Bundes- und Europaparlamentarier. 125 <?page no="125"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan Dieser Rollenperzeption der Abgeordneten entsprechen weitgehend die Rollenerwartungen der Wähler. Diese sehen im Bundestag weder eine Versammlung von Parteifunktionären noch von Interessenvertretern. Man erwartet eine Orientierung am und den direkten Kontakt zum Wähler. Inwieweit diese Erwartungen enttäuscht werden, kann ein Blick auf die tatsächliche Rollenerfüllung erklären. Was tun die Abgeordneten wirklich? Drei Viertel der Abgeordneten sehen ihren Tätigkeitsschwerpunkt in der Mitwirkung an der Gesetzgebung und Regierungskontrolle. Nur eine kleine Minderheit widmet sich an erster Stelle »der Artikulation bestimmter gesellschaftlicher Interessen« (7 %). Haben demnach die Abgeordneten taube Ohren für die organisierten gesellschaftlichen Interessen? In der Tat steht die Selbstzuschreibung von Tätigkeitsschwerpunkten durch die Abgeordneten im Kontrast zum hohen Anteil von Vertretern bestimmter gesellschaftlicher Interessen im Bundestag. Abgeordnete, die »hauptberuflich oder ehrenamtlich Funktionen in einem Verband ausüben oder ausgeübt haben (z. B. Geschäftsführer von Verbänden, Verbandsvorsitzende auf Kreis-, Bezirks- und Bundesebene, Verbandsmitglieder, Verbandsangestellte, Gewerkschaftssekretäre und Vertreter der innerparteilichen Interessengruppen)« (Schindler 1986: 205), machen bereits in der alten Bundesrepublik mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages aus (für den 10. BT 58,1 %). Von den 603 Abgeordneten des 15. Deutschen Bundestages (2002-2005) waren 27 Prozent hauptberuflich in Interessenorganisationen tätig (davon 15 % in Wirtschaftsorganisationen). Neben diesen Verbandsvertretern im engen Sinn sitzen auf den Abgeordnetenbänken »einfache« Verbandsmitglieder. Die meisten von ihnen sind gewerkschaftlich organisiert. Nun folgt aus der Mitgliedschaft in einer Interessenorganisation noch nicht automatisch die einseitige Interessenberücksichtigung in der parlamentarischen Arbeit, wohl aber »ein offenes Ohr und Verständnis für die Belange ›ihres‹ Verbandes« (Steinberg 1989: 227). Die parlamentarische Arbeit findet vor allem in den Fraktionen und Ausschüssen statt. Deren »Verbandsfärbung« zeigt, inwieweit sie gesellschaftliche Interessen organisieren und um welche Interessen es sich dabei handelt. 3.3.2 Die Fraktion als parlamentarische Organisationsform von gesellschaftlichen Interessen Die Fraktionen verkörpern die verlängerten Arme der Parteien in das Parlament. 26 Mit ihnen transportieren die politischen Parteien gesellschaftliche Interessen ihrer Mitglieder und Wähler in den parlamentarischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess. Um welche Interessen handelt es sich? 26 Zur Bedeutung der Fraktionen für den deutschen Parlamentarismus vgl. Schüttemeyer 1998 und für den BT vgl. Mayntz 2006: 33 ff. 126 <?page no="126"?> 3.3 Parlamentarische Interessenvermittlung Die Parteien vermitteln gesellschaftliche Interessen an die Fraktionen durch ihre sozialstrukturelle Verankerung. Diese macht fest an sozialen Konfliktlagen, deren Entwicklung in vier Phasen die Parteienlandschaft veränderte: (1) Bis in die 1960er Jahre hinein waren die folgenden Konfliktlinien zwischen gesellschaftlichen Interessenlagen prägend: Arbeit versus Kapital und religiös versus säkular. (2) Diese haben sich in der zweiten Phase überlagert und sind schließlich zu einem stabilen Rechts-Links-Gegensatz verschmolzen: ein arbeitnehmerorientiertes, säkulares, aufstiegsorientiertes und dem neuen Mittelstand verbundenes Lager stand dem religiös geprägten, konservativen Lager des alten Mittelstandes und Unternehmertums gegenüber. »Außerhalb dieser beiden Lager war politisches Niemandsland, so dass die drei im Bundestag vertretenen Parteien (einschließlich CSU) in den 1970er Jahren 98- bis 99 Prozent der Stimmen bei Bundestagswahlen auf sich vereinigen konnten.« (von Alemann 1990: 91) (3) Gesellschaftlicher Wertewandel (von materialistischen zu postmaterialistischen Werten), neue Vergesellschaftungsformen (plurale Lebensstile und neue Sozialmilieus) und neue Formen der Interessenorganisation (Bürgerinitiativen und neue soziale Bewegungen) legten in der dritten Phase eine weitere Konfliktlinie quer zur traditionellen Rechts-Links-Achse und brachten Bewegung in die Parteienlandschaft. Zwar behalten die traditionellen Konfliktlinien weiterhin prägende Kraft für die Mitgliederrekrutierung der Parteien. So kommt ca. ein Drittel der SPD- Mitglieder aus der Arbeiterschaft, die CDU rekrutiert ein Viertel (CSU ein Drittel) ihrer Mitglieder aus Selbstständigen, die FDP-Mitgliedschaft repräsentiert vor allem die Angestellten, Selbstständigen und Beamten. Sie gehen aber einher mit der Erosion traditioneller Parteimilieus und mit der Herausbildung neuer Kommunikationsnetzwerke und erklären die Erweiterung des Parteienspektrums durch Die Grünen, heute Bündnis 90/ Die Grünen. (4) Die Tatsache, dass im ersten gesamtdeutschen Parlament (1990) die westdeutsche Partei Die Grünen nicht mehr und mit der PDS eine sich zunächst als »Klassenpartei« verstehende Organisation vertreten war, kann als Ausdruck einer Revitalisierung der alten Konfliktkonstellation gewertet werden. Diese vierte und erst eingeleitete Veränderungsphase in der Parteienlandschaft ist noch nicht abgeschlossen. Sie findet ihren aktuellen Ausdruck in der Genese einer neuen Linkspartei aus der WASG und PDS und in der Erosion der Volksparteien. Diese Veränderungsphase hat ihre gesellschaftliche Grundlage in Verwerfungen der Gegenwartsgesellschaft im Zeichen der Globalisierung und deutschen Wiedervereinigung und dadurch mitindizierten sozialstrukturellen Veränderungen, die eine »Rückkehr« der Industriegesellschaft (mit wachsenden Anteilen neuer Armer und sozial Marginalisierter) und ihrer als historisch überwunden geglaubten Konflikte und Krisen anzeigen. 127 <?page no="127"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan Jede der vier skizzierten Phasen gestaltet den Interessenbezug der parlamentarischen Fraktionen anders. Kennzeichnend für die erste Phase ist ein parlamentarischer Bedeutungsverlust von Interessen, die sich, wie in der Weimarer Republik, an der nationalen (Zentrum versus Peripherie) und an der agrarisch-industriellen Konfliktlinie (Stadt versus Land) bilden. Die zweite, »sozialliberale« Phase bringt eine Annäherung der beiden großen Fraktionen in der Orientierung an gesellschaftlichen Interessenlagern auf der Grundlage einer abgeschwächten sozialen Differenzierung der Parteien (vgl. die Nachweise bei Veen/ Gluchowski 1988: 226 ff.). Kennzeichnend für die dritte Phase ist schließlich die Ausweitung des parlamentarisch vertretenen, fraktionell organisierten gesellschaftlichen Interessenspektrums über traditionelle Konfliktlinien und Milieubindungen der Parteien hinaus. In der vierten Phase schließlich zeichnen sich eine Re-Orientierung des Parlaments an industriegesellschaftlichen Konfliktlinien und eine Konzentration auf entsprechende gesellschaftliche Interessenlagen ab. Die skizzierte Entwicklung findet nicht nur ihren Ausdruck in der Rückbindung der Parlamentsfraktionen an gesellschaftliche Interessen durch ihre politischen Parteien. Diese verkörpert nur die eine Seite der Interessenorganisation durch die Fraktionen. Ihre zweite Seite besteht in der Integration organisierter Interessen in die Bundestagsfraktionen. Der gesellschaftlichen Interessenbindung der Parteien entspricht die Verteilung der organisierten Interessen auf ihre Fraktionen. Durch alle Wahlperioden hindurch findet sich in der CDU/ CSU-Fraktion ein erheblicher Anteil an Verbandsvertretern aus Arbeitgeber-, Wirtschafts- und mittelständischen Verbänden. Die SPD-Fraktion organisiert vor allem die Interessen aus dem Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsbereich. Diese fehlen wiederum fast völlig in der FDP-Fraktion und sind nur schwach in der CDU/ CSU-Fraktion vertreten, stärker dagegen in den Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen und der Linkspartei. 27 Insgesamt ist die Verbandsfärbung der Fraktionen beeindruckend. Wie kommt sie zustande? Die Verbände bauen ihre Lobby auf zwei Wegen in die Fraktionen ein: durch die direkte Beteiligung bei der Auslese von Wahlkreiskandidaten und bei der Aufstellung der Landeslisten und indirekt durch interessenmäßige Gliederungen in den Parteien selbst, wie zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen in der SPD sowie durch zahlreiche und nur zum Teil institutionalisierte Querverbindungen zwischen Parteien und parteinahen Interessenverbänden (wie z. B. zwischen Wirtschaftsrat und CDU). Diese öffnen den Interessenorganisationen Einflussmöglichkeiten auf die Kandidatenaufstellung der Parteien bei Parlamentswahlen. »Das geltende Wahlrecht garantiert zumindest den starken, gut organisierten Verbänden, eine ausreichende Zahl 27 Zur Verbandsfärbung des gegenwärtigen 16. BT vgl. die tabellarische Übersicht bei Rudzio 2006: 75. 128 <?page no="128"?> 3.3 Parlamentarische Interessenvermittlung von Verbandsführern, Verbandsfunktionären und einfachen Mitgliedern aussichtsreich zu nominieren.« (Steinberg 1989: 237) Die Vertreter der Unternehmerverbände, Mittelstandsvereinigungen, Gewerkschaften, Beamten, Landwirte, Heimatvertriebenen etc. besetzen dann als Fraktionsexperten die für ihre Interessenorganisation relevanten Bundestagsausschüsse. Das Ausmaß der Ausschussbesetzung durch Verbandsvertreter ist allerdings unterschiedlich groß. Die Verbandsdichte ist im Rechts- oder Verteidigungsausschuss relativ gering. Sie liegt im Wirtschaftsausschuss und in anderen Ausschüssen erheblich höher und bei den Domänen einer Statusgruppe, wie zum Beispiel Landwirtschaft, Familie, Gesundheit, erreicht sie Höchstwerte (vgl. von Beyme 1990: 187). Die Ausschüsse entwickeln sich dadurch zu »Verbandsinseln« für organisierte Interessen. Dies wird vor allem bei der Besetzung von Vorsitzenden- und Stellvertreterpositionen in den Ausschüssen deutlich. Diese werden zum großen Teil an Interessenvertreter vergeben. Insbesondere in jenen Ausschüssen, deren Arbeit stark organisierte Interessen unmittelbar tangiert, wie zum Beispiel im Wirtschaftsausschuss, übernimmt den Vorsitz regelmäßig ein Abgeordneter mit einschlägigem beruflichem oder verbandlichem Hintergrund. Dadurch bilden sich »regelrechte ›Arenen‹, begrenzte und abgegrenzte Schauplätze von Interessen- und Politikbearbeitung« (Weßels 1987: 309). Diese Tendenz spiegelt die Spezialisierung und Arbeitsteilung des politisch-parlamentarischen Prozesses wider und wird verstärkt durch die Berufsstruktur des Parlaments als einem wesentlichen Element seines Sozialprofils. 3.3.3 Interessenvermittlung durch Pressure-Strategien Gesellschaftliche Interessen werden in organisierter Form von den Verbänden in politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse eingebracht. Der Bundestag verfügt über das Gesetzgebungsmonopol auf Bundesebene (vgl. Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG). Dies macht ihn zu einem wichtigen Adressaten von Verbandsaktivitäten mit dem Ziel, die organisierten Interessen der Mitglieder zur Geltung zu bringen und ihnen parlamentarischen Einfluss zu verschaffen. Die Verbände treten als Pressure-Groups auf. Der Bundestag gewährt ihnen öffentliches Gehör auf unterschiedlichen Kanälen: (1) Auf dem Weg institutionalisierter Kommunikation. Deren zentraler Ort ist die öffentliche Anhörung, (2) in mittelbaren und unmittelbaren Formen der institutionalisierten Einflussnahme von Interessenorganisationen und (3) durch ausgeprägte informelle Kontakte zwischen Verbänden und Mitgliedern des Bundestages. Auf diesen Wegen üben die Verbände in unmittelbarer und mittelbarer Einflussnahme »Druck« auf das Parlament aus. 129 <?page no="129"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan Zu den Pressure-Instrumenten der unmittelbaren Einflussnahme zählt der Lobbyismus. Dieser stellt die klassische Form des Verbandseinflusses dar. Die direkte Kontaktaufnahme zwischen Verbandsvertretern zu Abgeordneten in der Lobby des Parlaments spielt heute kaum noch eine Rolle. Neben der oben dargestellten eingebauten Lobby, die in der »Verbandsfärbung« (interne Lobby) des Bundestages zum Ausdruck kommt, verfügt der externe Lobbyismus über institutionalisierte Einflussformen. Dazu zählen (1) förmliche Kontakte zwischen Verbänden und »nahestehenden« Abgeordneten im Rahmen von Arbeitskreisen und Kontaktgruppen in Fraktionen, (2) Abgeordnetensprechstunden, (3) Enquˆ ete-Kommissionen (vgl. Braß 1990: 65 ff.) und (4) nicht-öffentliche Anhörungen von Interessenvertretern durch die Bundestagsausschüsse (vgl. Weßels 1987: 290 f.). Die organisierten Interessen finden einen privilegierten Zugang zum Parlament durch die öffentliche Anhörung (Hearing) der Bundestagsausschüsse nach § 70 Abs. 1 GeschOBT, in der Sachverständige und Interessenvertreter zu Wort kommen. Nach dem Vorbild des amerikanischen Kongresshearings seit 1952 eingerichtet, haben die Bundestagsausschüsse von öffentlichen Informationssitzungen zunächst nur zögerlich Gebrauch gemacht. Seit der fünften Wahlperiode gewinnt jedoch die öffentliche Anhörung an Bedeutung. Heute passiert kaum noch eine Gesetzesvorlage von Gewicht den zuständigen Ausschuss ohne öffentliche Anhörung. Diese ist keineswegs nur mit Gesetzgebungsvorhaben befasst. Zwar überwiegt quantitativ das »legislative Hearing«, öffentliche Anhörungen mit investigativem Charakter sind selten. Jedoch befasst sich auch ein Großteil von öffentlichen Anhörungen mit Gutachten und Berichten zu spezifischen Politikbereichen oder mit Politikfolgen und eine nicht unerhebliche Anzahl auch mit Politikplanung (vgl. Weßels 1987: 291). Wer bei der öffentlichen Anhörung gehört werden will, muss dies publik machen. Die Verbände sind in einer beim Präsidenten des Bundestages geführten Liste registriert. Die »Lobbyliste« weist inzwischen 1970 Verbände auf (Stand 17.8.2006, www.bundestag.de/ bic/ registrierteverbaende.html), gleichwohl ist ihr Informationswert gering. Die Liste führt jeweils Namen und Sitz des Verbandes auf sowie seine Zusammensetzung und Geschäftsführung, Interessenbereich, Mitgliederzahl, Namen der Verbandsvertreter und Anschrift der Geschäftsstelle bei Bundestag und Bundesregierung. Sie gibt jedoch keine Auskunft über die Zahl der von den Verbänden tatsächlich Repräsentierten und das darin ruhende Einflusspotenzial. Die Listeneintragung sagt auch nichts über Verbandseinnahmen, Mitarbeiterzahl, Werbeaufwendungen, finanzielle Zuwendungen an Parteien und Abgeordnete aus (vgl. Steinberg 1989: 256). Nicht erfasst sind die ca. 4500 Interessenvertreter, die der Bundestag mit eigenen Lobbyausweisen ausgestattet hat und zu denen die einflussreichen Lobbyisten gehören, die die größten deutschen Unternehmen vertreten. Ihre Tätigkeit ist nicht nur gut organisiert und strategisch orientiert, sie verbleibt grundsätzlich im Bereich des Informellen 130 <?page no="130"?> 3.3 Parlamentarische Interessenvermittlung und ist Ausdruck einer wachsenden, gleichwohl »stillen Macht« (vgl. Leif/ Speth 2003). Immerhin dokumentiert die »Lobby-Liste« des Bundestages die Vielfalt organisierter Interessen, von denen die Ausschüsse eine spezifische Auswahl treffen. Entsprechend unterschiedlich setzt sich die geladene Expertenschaft zusammen. Allerdings spielen »unabhängige Experten« eine untergeordnete Rolle. »Eingeladen sind fast ausschließlich Experten in dem Sinne, dass sie kompetent sind, bestimmte Interessen zu artikulieren und zu vertreten.« (Weßels 1987: 293) Wichtig für eine angemessene Einschätzung der öffentlichen Ausschussanhörung ist Folgendes: Die öffentliche Anhörung markiert nur eine Station in einem längeren Politikbearbeitungsprozess, der mit der Anhörung von Interessenvertretern in seine parlamentarische Endphase kommt. Seine Dynamik gewinnt dieser Prozess in der Regel nicht aus der Mitte des Parlaments, sondern durch externe Kraftzentren: Ministerialbürokratie, politische Parteien, Massenmedien. Diese bilden deshalb auch die bevorzugten Einfallstore für mittelbare Formen der institutionalisierten Verbandseinwirkung (vgl. Leif 2004: 102). Öffentliche Anhörungen werden dadurch nicht überflüssig. Sie rücken nur in einen anderen Funktionszusammenhang. Zum einen werden sie als Selbstdarstellung der Fraktionen genutzt: »sie sind weitgehend ritualisierte und von den Fraktionen sorgfältig vorbereitete, vorhersehbar ablaufende Veranstaltungen, in denen die Fraktionen Sachverständige und Fragen so auswählen, dass die Antworten die eigene Position stützen und die Sachverständigen der Gegenseite desavouiert werden« (von Oertzen 2006: 238). Zum andern dienen öffentliche Anhörungen der Opposition, »um Öffentlichkeit zu erzeugen und/ oder das Gesetzgebungsverfahren zu verzögern« (ebd.). Nicht jedoch dienen die öffentlichen Anhörungen zur Stärkung der parlamentarischen Öffentlichkeit im Sinne von politischer Kommunikation mit einem außerparlamentarischen Publikum. 3.3.4 Interessenvermittlung durch mittelbare Einflussnahme auf den parlamentarischen Prozess Mittelbare Formen der Einflussnahme von Interessenorganisationen auf die parlamentarische Politikbearbeitung sind außerhalb des Parlaments institutionalisiert. Hierbei handelt es sich um ein weites und von der empirischen Parlamentarismusforschung noch unzureichend bearbeitetes Feld. Die folgenden Ausführungen verdichten die bisherigen Ergebnisse auf zentrale Aussagen: (1) Die organisierten Interessen finden bereits im Vorfeld öffentlicher Ausschusssitzungen, im Referentenstadium von Gesetzen, Gehör. Die förmliche Einflussnahme im konzeptionellen Bereich, rechtlich abgesichert in der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, Teil 2, öffnet den Verbänden ein breites Mitwirkungsfeld und beschleunigt den parlamentarischen Durchlauf der Gesetzes- 131 <?page no="131"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan entwürfe. Die Mitwirkungsmöglichkeiten sind allerdings auf solche Verbände beschränkt, deren Wirkungskreis sich auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt. Kommunale und regionale Interessen finden deshalb nur insoweit einen direkten Zugang zur Vorbereitung von Gesetzesentwürfen in Bundesministerien, als sie von den Bundesspitzen der verbandlichen Organisation artikuliert und von diesen in den ministeriellen Politikbearbeitungsprozess transportiert werden. (2) Bei den Bundesministerien ist eine große Anzahl von Beiräten und Expertenkommissionen angesiedelt. Diese sind zum Teil mit Interessenvertretern besetzt, die als Beirats- und Kommissionsmitglieder die Interessen ihres Verbandes bei der Vorbereitung eines Gesetzgebungsvorhabens im Auge haben. (3) Die Verbandsmitwirkung im Problemdefinitions- und Konzeptionalisierungsstadium von Gesetzen wird weiterhin gewährleistet durch die eingebaute innere Lobby. Wie der Bundestag so weist auch die Ministerialbürokratie eine Verbandfärbung auf. Sie verweist auf den Umstand, dass die Verbandsmitwirkung von beiden Seiten gewollt ist. Ihr liegen nicht nur Pressure-Strategien der Interessenorganisationen, sondern auch eine spezifische Nachfragepolitik der Ministerien zugrunde. Denn die Verbandsmitwirkung entlastet die Ministerialbürokratie. Durch die Verbandsmitwirkung »wird die gebündelte, mehrheitsfähige Position eines Interessensspektrums fertig ›serviert‹« (Straßner 2006: 15 und grundlegend Sebaldt 1997: 27 ff.). (4) Die Absprache, Kontaktpflege und Öffnung politischer Entscheidungsprozesse gegenüber den entscheidungsbetroffenen gesellschaftlichen Interessenorganisationen sind zur Voraussetzung für politische Effizienz im Allgemeinen und für gesellschaftliche Effektivität von Gesetzen im Besonderen geworden. Dies prägt auch das Verhältnis zwischen politischen Parteien und organisierten Interessen. Im Bestreben, möglichst viele Wähler und Mitglieder zu binden, müssen sich die Parteien für unterschiedliche gesellschaftliche Interessen öffnen. Sie räumen den Verbänden Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Kandidatenaufstellung ein; denn die Verbandsrepräsentanten binden en bloc Wählerstimmen an die Partei. Sie werden deshalb auf Listenplätzen abgesichert (vgl. Kremer 1984: 123). Dadurch avancieren im Gegenzug die Parteien zu Adressaten der Verbandsmitwirkung am politischparlamentarischen Prozess. (5) Die Interessenorganisationen wirken jedoch nicht nur bei der Gesetzgebung, sondern auch bei der Interpretation und Anwendung von Gesetzen mit. Auch die Judikative steht im Kräftefeld organisierter Interessen. Diese nehmen Stellung zu bestimmten, die Verbandsinteressen tangierenden Verfahren. Soweit es sich um Verfahren des Bundesverfassungsgerichtes handelt, entsprechen solche förmlichen Stellungnahmen der ständigen Gerichtspraxis. Darüber hinaus nehmen die Verbände auch verdeckt Einfluss, indem sie zum Beispiel »Musterprozesse« führen lassen (vgl. Steinberg 1989: 238). 132 <?page no="132"?> 3.3 Parlamentarische Interessenvermittlung (6) Zum wichtigsten Einfallstor des mittelbaren Verbandseinflusses auf den parlamentarischen Prozess gehört die Medienöffentlichkeit. Die Parlamente sind zu ihrer Funktionserfüllung in hohem Maße auf die Massenmedien angewiesen. Parlamentsöffentlichkeit ist medienvermittelt. Politikvermittlung insgesamt kann als »kommunikatives Kunstprodukt« begriffen werden (Sarcinelli 1987a: 24). Die Verbände können über die Massenmedien politischen Einfluss ausüben, indem sie die Aufsichtsgremien der Funkmedien kontrollieren. Dies trifft vor allem für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkräte zu, in denen die »relevanten gesellschaftlichen Kräfte« vertreten sind. Daneben tritt die verbandseigene Öffentlichkeitsarbeit als politischer Einflussfaktor. Zur »Pflege des Meinungsklimas« (Weber 1987: 214) verfügen große Verbände über eigene Public-Relations-Abteilungen, Pressedienste, wissenschaftliche Forschungsinstitute u. a. m. Sie organisieren Kongresse, unterhalten ständigen Kontakt zu Verlegern, Journalisten, Wissenschaftlern und anderen Multiplikatoren. Sie schalten Anzeigen in der regionalen und überregionalen Presse und setzen durch Fernsehauftritte ihre wichtigsten Repräsentanten ins rechte Licht. An der Verbandsbeteiligung in den Rundfunkorganen und an der Medienpräsenz von Verbandsvertretern tritt das Ungleichgewicht der organisierten Interessenvermittlung deutlich zu Tage: die mediale Selektion und Kanalisierung von bereits verbandsförmig vorselektierten gesellschaftlichen Interessen. Das Ergebnis ist eine Verbandsmitwirkung, die auf wenige große, einflussreiche Interessenorganisationen begrenzt bleibt. Die Mechanismen und Verfahren der unmittelbaren wie auch der mittelbaren Einwirkung von organisierten Interessen auf den politisch-parlamentarischen Prozess, wie sie oben skizziert wurden, haben eines gemeinsam: Sie sind formalisiert und bleiben somit im Bereich der formellen Einflussnahme. Davon zu unterscheiden sind nichtformalisierte, im informellen Bereich verlaufende Formen der Verbandsmitwirkung. 3.3.5 Interessenvermittlung durch informelle Kommunikation Die Interessenvermittlung durch die Verbände ist durch ein dicht geflochtenes Netz informeller Kontakte, Beziehungen und Kooperation abgesichert. Dieses dient einerseits der mittelbaren Einwirkung auf den parlamentarischen Entscheidungsprozess. Hier sind vor allem die informellen Konsultationen zwischen Ministerialbeamten und Verbandsvertretern zu nennen. Auf der Grundlage von Dauerkontakten und ständigen Arbeitsbeziehungen zwischen Referenten im Ministerium und im Verband, die für ein bestimmtes Themengebiet zuständig sind, bilden sich Loyalitätsmuster und Identifikationspotenziale heraus, die den Ministerialbeamten in die »Rolle eines Betreuers und Fürsprechers« (Steinberg 1989: 235) für bestimmte Verbandsinteressen bringen. Dadurch können Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Referaten eines Ressorts und zwischen verschiedenen Ressorts entstehen, die von den Verbänden nach 133 <?page no="133"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan dem Motto »divide et impera« genutzt werden. »Als Folge dieses engen Verhältnisses von Ministerialverwaltung und Verbänden dürfte bei vielen Gesetzentwürfen die Kabinetts- und später die Parlamentsvorlage das Ergebnis von Verhandlungen zwischen den beteiligten Ressorts und wenigen einflussreichen Verbänden darstellen.« (ebd.). Bei solchen »wasserdichten« Gesetzentwürfen ist dann eine unmittelbare Verbandseinwirkung im parlamentarischen Prozess kaum noch möglich, aber auch nicht mehr nötig. Dies relativiert die Bedeutung der informellen Kommunikation zwischen Abgeordneten und Verbandsvertretern. Gleichwohl ist diese für die parlamentarische Praxis ebenso prägend und für das Verständnis des Verhältnisses von Parlament und organisierten Interessen eher noch wichtiger als die oben dargelegte rechtlich abgesicherte formelle Kommunikation. Die Bahnen der informellen Kommunikation bleiben jedoch weitgehend abgedunkelt. Schon die institutionalisierten Kontakte werden wenig ausgeleuchtet. Zwar besteht neben der »Lobbyliste« die Pflicht, nach öffentlichen Ausschussanhörungen gegenüber dem Parlament zu berichten und dabei die Beiträge der Interessenvertreter offenzulegen. Diese Berichtspflicht wird jedoch in der Praxis kaum beachtet (vgl. Steinberg 1989: 225). Auch für die Verbesserung der Transparenz im Bereich der nichtinstitutionalisierten Kontakte gibt es Verhaltensregeln (vgl. die Grundzüge im § 44a Abs. 2 AbgG), die den Abgeordneten zur Offenlegung von Verbandsaufgaben, Beraterverträgen, zur Rechnungsführung über Spenden u. a. m. verpflichten. Mit der großen Relevanz der informellen Abgeordneten-Verbände-Beziehungen kontrastiert ein recht kleiner Befund an wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen. Bekanntlich sind die Abgeordneten sehr kontaktfreudig. Aufbau und Pflege von Kommunikationsbeziehungen gehört zum Kernbereich ihres Rollenverständnisses. Die Analyse ihres Zeitbudget zeigt, dass »die Abgeordneten für Informations- und Kontakttätigkeiten während der Sitzungswochen immerhin ein Viertel, während der sitzungsfreien Wochen sogar über 40 Prozent der Arbeitszeit« aufwenden (Herzog/ Rebenstorf/ Werner/ Weßels 1990: 95). Trotzdem sind sie der Auffassung, zu wenig Zeit für »Kontakte mit der Öffentlichkeit« zu haben (ebd.). Damit ist jedoch noch nichts über die Kontaktpersonen bzw. -organisationen und über die Qualität des Kontakts ausgesagt. Schlüsselt man die Kontakte auf, wird deutlich, dass an erster Stelle die Medienkontakte rangieren. Dies unterstreicht die fundamentale Bedeutung der Massenmedien für parlamentarische Interessen- und Politikvermittlung. Auf der Rangskala von Kontakten zu Organisationsbereichen gesellschaftlicher Interessen setzen die Abgeordneten die »Gewerkschaften« und »soziale, karitative und sozialpolitische Organisationen« an die ersten Stellen. Allerdings hängt die Häufigkeit von Organisationskontakten zu bestimmten Verbänden von der Fraktionszugehörigkeit ab. So pflegen die Abgeordneten der CDU/ CSU-Fraktion vornehmlich Kontakte zu Unternehmer- und Arbeitgeberverbänden. Ähnlich ist das Bild bei der FDP, anders jedoch bei den Abgeordneten der SPD-Fraktion. Deren bevorzugte Kontaktpersonen finden sich im Bereich sozialer und 134 <?page no="134"?> 3.3 Parlamentarische Interessenvermittlung kultureller Organisationen, in den Gewerkschaften und den Betriebsräten großer Wirtschaftsunternehmen. Spezialisierter erscheint dagegen das Kontaktprofil der Bündnisgrünen. Hier rangieren Bürgerinitiativen vor sozialen und kulturellen Organisationen, gefolgt von der Wissenschaft (vgl. Herzog/ Rebenstorf/ Werner/ Weßels 1990: 32 f.). Eine jüngere Abgeordnetenbefragung identifiziert vor allem den Wahlkreis als »wichtigste Quelle von Inputs« (von Oertzen 2006: 85) und damit der Kontaktpflege mit Bürgerinnen und Bürgern, aber auch mit maßgeblichen Interessenvertretern. Das informelle Kommunikationsnetz zwischen Parlament und Interessenorganisationen ist dicht. Es kommt durch die nachgewiesene starke »Außenorientierung« der Abgeordneten, aber auch durch die Kontaktsuche und -pflege der politischen und wirtschaftlichen Führungsschicht zustande. Vor allem aber wird es über die Bundestagsausschüsse geknüpft und durch einen neuen Typus von Interessenvertretern moderiert: den Politikberater. Hierbei handelt es sich häufig um Experten aus der Werbebranche oder Quereinsteiger aus dem Journalismus oder der Politik, die sich ihr Insiderwissen und ihren privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungsträgern honorieren lassen. »Vorbei die Zeit, dass sich Unternehmensvertreter glücklich schätzten, wenn es ihnen nach langem Antichambrieren gelang, ein paar ihrer wirtschaftsfördernden Formulierungen in einen Gesetzestext einzuschmuggeln. In der Berliner Republik vertrauen sie ihre Interessen journalistischen Profis (. . . ) an.« Diese bieten ihren »krisengeschüttelten Kunden ein Rundum-Sorglos-Paket an. Gespräche mit Fraktions- und Ausschussvorsitzenden samt Party im Pergamon-Museum und Interview (. . . )« (Hildebrandt 2006: 26). Für eine Bewertung der Kontakte zu den Bundestagsausschüssen ist folgender Befund ausschlaggebend: Die Ausschüsse des Deutschen Bundestages weisen im informellen Bereich ein Kontaktprofil auf, dessen Konturen bereits die formellen Beziehungen kennzeichnen. Die informellen Kommunikationskanäle folgen, mit anderen Worten, der gleichen Topographie funktionaler Differenzierung wie die formelle Kommunikation zwischen Ausschüssen und Verbänden (vgl. Weßels 1987: 298 mit empirischen Nachweisen). Fazit : Die Defizite ungleicher Interessenvermittlung, wie sie anhand der Einladungspraxis zu den öffentlichen Anhörungen zutage treten, werden durch die informelle Kommunikation zwischen Abgeordneten und Interessenorganisationen nicht ausgeglichen, sondern eher verstärkt. Offenbar folgt die ungleiche Berücksichtigung organisierter Interessen im formellen und informellen Bereich der gleichen Auswahl- und Handlungslogik auf Seiten der Abgeordneten. Diese gründet in den Kriterien, die über die Einflusschancen der unterschiedlichen Interessenorganisationen letztlich bestimmen. 135 <?page no="135"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan 3.3.6 Interessenvermittlung als Einflusschance Die dargelegten institutionalisierten, rechtlich abgesicherten Kommunikationsformen zwischen Parlament und organisierten Interessen sowie das informelle Kommunikationsnetz zwischen Abgeordneten und Verbandsvertretern öffnen Einflusschancen. Diese sind jedoch zwischen den unterschiedlichen Interessenorganisationen ungleich verteilt. Wie kommt es, dass bestimmte Großverbände, vor allem im wirtschaftlichen und sozialpolitischen Bereich, über einen privilegierten Zugang zum Parlament verfügen, andere, wie sich an der Einladungspraxis zu öffentlichen Anhörungen nachweisen lässt, dagegen weniger Chancen haben, parlamentarisches Gehör zu finden? Was die deutliche Überrepräsentation von Wirtschaftsorganisationen in der Anhörungspraxis der Bundestagsausschüsse anbelangt, ist diese sicherlich Ausdruck einer zunehmenden »Ökonomisierung« aller politischen Felder. »Die Wirtschaftsvertreter fühlen sich deshalb in jeder Frage als die Ansprechpartner für die Politik.« (Leif 2004: 102) Ausschlaggebend sind jedoch die spezifischen Verbandsressourcen: Verfügung über Produktivvermögen, organisatorische Handlungsautonomie (z. B. Tarifautonomie), Anhäufung von Sachverstand und vergleichsweise bessere Artikulationsmöglichkeiten (vgl. Weßels 1987: 296). Soweit zur Angebotsseite. Aus der Parlamentsperspektive gesehen spielen weitere Kriterien bei der Interessenberücksichtigung eine Rolle, die dem parlamentarischen Nachfragebedarf entspringen (vgl. dazu Steinberg 1989: 243 ff. und für das politische System insgesamt Straßner 2006: 10 ff.). Nachgefragt werden Interessenorganisationen, die (1) möglichst viele Wählerstimmen mobilisieren können, was nicht von der Mitgliederzahl abhängt; (2) eine gewisse programmatische Affinität zu den parlamentarischen »verbandsnahen« Gruppen aufweisen; (3) über einen Informationsstand und ein Ausmaß von Sachkunde verfügen, ohne deren Nutzung parlamentarische Politikbearbeitung schwerlich auskommt; (4) auf gesellschaftlichen Konfliktfeldern Interessen aggregieren und organisieren, deren Ausgleich und Vermittlung für Politikakzeptanz und Systemloyalität als notwendig erachtet werden; (5) entsprechende Finanzmittel einsetzen können, um durch kostenaufwendige Öffentlichkeitsarbeit, Kongresse, Gutachten etc. sich mittelbar Einfluss zu verschaffen oder durch finanzielle Zuwendungen an Parteien und einzelne Abgeordnete in Form von »Wahlkampffonds« bis zur »Pflege der politischen Landschaft« das unmittelbare Einflusspotenzial zu vergrößern. Wenn die ungleiche Ressourcenverteilung auf der verbandlichen Angebotsseite die ungleiche Interessenberücksichtigung auf der parlamentarischen Nachfrageseite erklärt, so darf dennoch eines nicht unterschlagen werden: Die Machtressourcen begründen Einflusschancen. Ob und wie diese genutzt werden und ob sie tatsächlichen Ein- 136 <?page no="136"?> 3.4 Parlamentarische Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie fluss bewirken, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Den tatsächlichen Einfluss von Verbänden auf parlamentarische Politikbearbeitung nachzuweisen ist ein schwieriges Unterfangen. Zwar gibt es eine Reihe von Fallstudien, die den Entstehungsprozess von Gesetzen und die Verbandsmitwirkung rekonstruieren (vgl. die Literaturhinweise bei Weßels 1987: 297, Anm. 29). Insgesamt handelt es sich aber noch um ein weitgehend unbestelltes Forschungsfeld. 3.4 Parlamentarische Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie »Unser demokratisches System ist mehr und mehr - nicht durch äußere Feinde oder gar durch Terrorismus - gefährdet, sondern durch einen Lobbyismus, der die Handlungsfähigkeit der Parlamentarier einschränkt« (Günter Grass im Spiegel-Streitgespräch mit Mathias Döpfner; Der Spiegel 2006: 156). Die Frage nach den Demokratiefolgen der parlamentarischen Politik- und Interessenvermittlung ist von demokratiewissenschaftlicher Relevanz (dazu 3.4.1). Empirisch gesicherte Antworten finden sich auf zwei Problemebenen: zum einen in den Auswirkungen der oben dargelegten Öffentlichkeitspraxis und Verbandsfärbung des Parlaments (interne Lobby) sowie der Pressure- Strategien (externe Lobby) auf die Kernfunktion des Parlaments: die politische Repräsentation (dazu 3.4.2) und zum anderen in seiner Stellung im Institutionengefüge des politischen Systems (dazu 3.4.3). Auf einer weiteren, prognostischen Ebene führt die Ausgangsfrage jedoch über den empirischen Befund der parlamentarischen Aufgabenerfüllung hinaus. Das Parlament sieht sich im Spiegel gesellschaftlicher Interessen mit sozialen Konfliktfeldern und gesellschaftlichem Wandel konfrontiert. Es ist aber nicht nur Akteur, sondern auch Gegenstand von Wandel. Parlamentsreform ist so alt wie die Institution selbst. Auch wenn der Bundestag bislang - trotz mehrfacher Anläufe - die Kraft zur grundlegenden Selbstreform nicht aufbrachte, so führten ihn doch merkliche Korrekturen (wie z. B. die Kleine Parlamentsreform von 1969, die Neufassung der Geschäftsordnung von 1980 und das Abgeordnetengesetz von 1976), aber auch ein schleichender Institutionenwandel an eine Wegmarkierung, die über die Zukunft des Parlamentarismus in Deutschland entscheidet. Das Parlament agiert nicht in einem politischen und sozialen Vakuum. Formell verbunden und informell vernetzt mit den exekutiven Einrichtungen, den Interessenorganisationen und politischen Parteien hängt, angesichts der technischen Aufrüstung dieser Einrichtungen, der Weg, den der Bundestag nehmen wird, maßgeblich davon ab, wie er mit den neuen Informations- und Kommunikationstechniken umgeht. Diese prägen nachhaltig das Bild des Parlaments als interessenvermittelndes Repräsentations- und als politikvermittelndes Öffentlichkeitsorgan im Rahmen eines technisch modernisierten Parlamentarismus. 137 <?page no="137"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan 3.4.1 Parlamentarische Politik- und Interessenvermittlung unter dem Einfluss organisierter Interessen: Risiken und Chancen für die parlamentarische Demokratie Die mit der Praxis der Politik- und Interessenvermittlung aufgeworfene Demokratiefrage wird in der politischen Öffentlichkeit und wissenschaftlichen Literatur unterschiedlich beantwortet. »Lobbyismus« ist für viele zu einem Reizwort geworden. Die Verquickung von Politik und organisierten gesellschaftlichen Interessen speist aktuelle Diskussionen zur Einführung eines »Ehrenkodex« für ehemalige Regierungsmitglieder, der regeln soll, unter welchen ethischen und demokratieförderlichen Bedingungen der Wechsel aus höchsten Regierungsämtern auf Führungspositionen in Wirtschaftsunternehmen erlaubt sein soll. Die Internetinitiative »Lobbycontrol«, in der Tradition der »Watchblogs«, möchte Fehlentwicklungen in Politik, Wirtschaft und Medien anprangern und dabei auch den Lobbyismus ins Visier nehmen. Auf der wissenschaftlichen Seite gehen die Meinungen zu den Demokratiefolgen weit auseinander. Auf der einen Seite des Spektrums schreibt man der Verbandseinwirkung »einen erheblichen demokratiepraktischen Wert« zu (Straßner 2006: 11) oder der Lobbyismus - differenzierter argumentierend - wird als ein neues Modell der staatlich-verbandlichen Beziehungen bewertet (von Winter 2003: 37), das einen Paradigmenwechsel vom Korporatismus zum Lobbyismus einleite (von Alemann 2000: 3 ff.; Lehmbruch 2006). Was sich aus Sicht der Verbändeforschung als wissenschaftlich reizvoll und demokratiepolitisch eher unbedenklich darstellt, stimmt aus demokratiewissenschaftlicher Perspektive betrachtet kritisch. Hier wird der Lobbyismus als »fünfte Gewalt« (Leif 2004: 102; Leif/ Speth (Hg.) 2006) gebrandmarkt, von der erhebliche Gefährdungen der Demokratie ausgehen. Diese eher kritische Sichtweise auf den Lobbyismus findet ein massenmediales Echo: »jedem Abgeordneten des Bundestages stehen 20 Lobbyisten gegenüber, mit üppigem Gehalt und dickem Spesenkonto ausgestattet. Die heimlichen Herrscher breiten sich aus.« (Der Spiegel 43/ 1993: 50 und Der Spiegel 19/ 2006: 32 ff.). Zwischen den Polen, der Lobbyismus sei ein ganz normales, ja sogar lebenswichtiges Element der Demokratie auf der einen und er gefährde oder zerstöre die Demokratie auf der anderen Seite, wird eine demokratiewissenschaftlich gestützte Einschätzung Demokratiegefährdungen, die in der Verquickung von Politik und organisierten Interessen gründen, an drei Kriterien festmachen: erstens am Prinzip der Öffentlichkeit. Die Verbandseinwirkung ist ein legitimes Instrument, soweit sie transparent und öffentlich nachvollziehbar ist (Transparenzgebot). Zweitens, und darauf wird im Folgenden noch einzugehen sein, gefährdet die Verbandsmitwirkung die parlamentarische Demokratie dann, wenn sie das Parlament »umgeht« und mit den exekutiven Instanzen kurzgeschlossen ist. Und schließlich resultieren drittens Demokratierisiken aus dem fehlenden »Abstandsgebot« von Politikern gegenüber Lobbyisten. 138 <?page no="138"?> 3.4 Parlamentarische Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie Dies ist jedoch nicht nur eine Frage des »do ut des« (von der Pflege der politischen Landschaft bis zur Korruption), sondern auch der politischen Kultur (vgl. Fücks 2003: 45 ff.). Die Demokratiefolgen der parlamentarischen Politik- und Interessenvermittlung zeigen sich aber vor allem in der Repräsentationsfunktion und auf dem Feld der institutionellen Macht des Parlaments. 3.4.2 Politische und soziale Repräsentation: die Erosion parlamentarischer Macht Die politische Repräsentation gesellschaftlicher Interessen durch den Bundestag setzt keine maßstabsgetreue Abbildung der gesellschaftlichen Interessenlandschaft im parlamentarischen Sozialprofil voraus. Unbestritten bleibt jedoch, dass die politische Repräsentationsfunktion ihre Kraft aus der sozialen Repräsentation zieht. Diese bewegt sich zwischen zwei Polen: (1) der Repräsentation der Mehrheit auf der Grundlage des Mehrheitswahlrechts. Sie wirkt systemstabilisierend und outputorientiert; (2) der »proportionalen« Repräsentation auf der Grundlage des Verhältniswahlrechts. Sie wirkt minderheitenfreundlich und ist inputorientiert. Das Sozialprofil des Parlaments verhält sich dann »zur Gesamtheit der Gesellschaft« ähnlich »wie eine Landkarte zum Territorium« (Hofmann/ Dreier 1989: 181). Dass der Bundestag eher im Kraftfeld des ersten Pols steht, zeigt ein Blick auf das oben dargestellte parlamentarische Sozialprofil. Schaut man genauer hin, dann wird ein Weiteres deutlich: Das Problem der ungleichen Interessenrepräsentation durch das Parlament reicht hinter die Entscheidung für ein bestimmtes Wahlsystem zurück. Es ist unerheblich, ob nach Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht gewählt wird, wenn die zur Wahl stehenden Kandidaten selbst bereits vorselektierte organisierte Interessen repräsentieren und die Mitwirkung der einflussreichen Interessenorganisationen an der Kandidatenaufstellung nur eine weitere Auswahl aus den ausgewählten Interessen vornimmt. Diese doppelte Selektion von gesellschaftlichen Interessen, wie sie im Sozialprofil und in der Verbandsfärbung des Bundestages zum Ausdruck kommt, tangiert seine politische Repräsentationsfunktion nicht erst dann, wenn das Parlament zu einer Institution mutiert, aus der »der Geist gewichen ist«. Mit dieser Metapher von Max Weber lässt sich ein gesellschaftlicher Zustand des »passiven Anarchismus« angesichts von Institutionen erklären, deren »Versprechen und Verheißungen ( : : : ) nicht mehr von den Einwohnern der Institutionen getragen, akzeptiert und ernstgenommen (werden)« (Offe 1990: 36), wie sie etwa für die ehemalige DDR kennzeichnend waren. Die Aushöhlung der politischen Repräsentationsfunktion beginnt schon im Vorfeld der politischen Entfremdung des Bürgers. Der Bundestag verliert an Ansehen. Rund 60 Prozent der Bürger haben Ende der 1980er Jahre eine schlechtere Meinung vom Bundestag als fünf Jahre zuvor (Wiedemeyer 1991: 1). Der Bundestag nimmt auf 139 <?page no="139"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan der Rangskala von »interessierten Repräsentationseinrichtungen« nur einen schlechten Mittelplatz ein (vgl. Herzog/ Rebenstorf/ Werner/ Weßels 1990: 54 f.), obgleich er das oberste staatliche Repräsentationsorgan darstellt - das »Gravitationszentrum des Verfassungsstaates« (Hofmann/ Dreier 1989: 177). Auch in einer neuen Untersuchung (vgl. Patzelt 2005: 19) schneidet der Bundestag schlecht ab. Gemessen auf einer Skala von sieben bis eins, werden seine Leistungen, den Willen der Volksmehrheit durchzusetzen oder die Wünsche und Ansichten des Volkes zur Grundlage seiner Entscheidungen zu machen, mit 3,4 bzw. 3,5 bewertet. In die gleiche Richtung weisen auch andere Daten. »Derzeit glauben 28 Prozent der Bürger, dass sich ihr Wahlkreisabgeordneter für ein Anliegen eines Bürgers, das dieser dem Parlamentarier mitteilt, auch wirklich einsetzen würde; 39 Prozent glauben dies eher nicht, 9 Prozent bestimmt nicht.« (Demuth 2005: 243) Auf der anderen Seite bleibt der Bundestag das zentrale Symbol der deutschen Demokratie, seine Geltungsansprüche werden kaum in Frage gestellt. Im historischen Vergleich mit den Reichstagen im Kaiserreich und der Weimarer Republik besitzt der Bundestag »grundsätzlich ein hohes Maß intransitiver Macht« (Demuth 2005: 242). 28 Gleichwohl schädigen die Mängel der sozialen Repräsentation des Bundestages sein Ansehen und reduzieren die Bürgererwartungen gegenüber der politischen Repräsentation. Die darin wurzelnde Distanz der Bürger und Bürgerinnen gegenüber dem Parlament ist empirisch belegt und wird auch auf Abgeordnetenseite als Problem erkannt. Die Wahlkreisarbeit hat für sie einen hohen Stellenwert (Herzog/ Rebenstorf/ Werner/ Weßels 1990: 20 ff. und neuerdings von Oertzen 2006: 85 f.), ohne allerdings die strukturell angelegten Defizite der Interessenrepräsentation durch das Parlament ausräumen zu können. 3.4.3 Strukturelle Entmachtung des Parlaments durch Gouvernementalisierung der Interessenvermittlung Die politisch angelegten und technisch verstärkten Strukturdefizite der politischen Interessenrepräsentation und parlamentarischen Politikvermittlung werden mitverursacht durch die oben dargestellte formelle und informelle Mitwirkung der Interessenorganisationen. Sie zeitigen Folgen für die Stellung des Parlaments im politischen System. Diese wird, wie am Beispiel der Verbandsmitwirkung an der Gesetzgebung gezeigt werden kann, markiert durch zwei Trends: erstens durch die Gouvernementalisierung der Interessenvermittlung und zweitens durch die dadurch verschärfte strukturelle Entmachtung des Parlaments. Die offenkundigen Schwächen der parlamentarischen Interessenrepräsentation »kompensieren« die Interessenorganisationen dadurch, dass sie ihre Interessen zunehmend am Parlament vorbei vermitteln. Ihre bevorzugten Kooperationspartner und Kon- 28 Zum Machtbegriff vgl. Patzelt/ Demuth/ Dreischer/ Messerschmidt/ Schirmer 2005: 9 ff. (14 f.). 140 <?page no="140"?> 3.4 Parlamentarische Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie taktpersonen finden sich in den Ministerien. Im Parlament wird dann »nachgebessert«, was im vorparlamentarischen Interessenclearing nicht erreicht werden konnte. Die mächtigen Interessenorganisationen sind eingebunden in eine symbiotische Verklammerung mit den staatlichen Einrichtungen, die ein wirkungsvolles Agieren am Parlament und selbst an den politischen Parteien vorbei erlaubt: »Die Großverbände sind selbstbewusste Kooperationspartner des Staates geworden, die aus der Rolle des Bittstellers in der Lobby des Parlaments herausgewachsen sind. Parlament und Parteien werden für manche Interaktion zwischen Exekutive und organisierten Interessen kaum mehr benötigt.« (von Alemann 1990: 108). Interessenvermittlung wird am Parlament vorbei »gouvernementalisiert«. Diese Konstellation »erniedrigt den Bundestag zu einem Ratifikationsorgan« (Demuth 2005: 245) und schwächt seine «transitive Macht« (zum Begriff vgl. Patzelt/ Demuth/ Dreischer/ Messerschmidt/ Schirmer 2005: 14 ff.). Die gouvernementalisierte Interessenvermittlung durch die großen Interessenverbände paralysiert das Parlament auf seinem originären Feld: der Gesetzgebung. Zwar muss nach wie vor jedes Gesetz formell durch das Parlament hindurch. Die Gouvernementalisierung der Interessenvertretung garantiert jedoch nicht nur eine geräuschlose Passage durch den parlamentarischen Prozess. Sie deckt auch den Machtverlust des Parlaments schonungslos auf. Neben der Schwächung transitiver parlamentarischer Macht, die aus der veränderten Stellung des Parlaments im politischen Institutionengefüge (nicht zuletzt auch im europäischen Mehrebenensystem) resultiert und damit die Machtfrage für ein Verfassungsorgan stellt, steht auch die Frage nach der Mitgliedermacht dieses Organs auf der wissenschaftlichen Agenda. Über Macht, verstanden als Definitionsmacht in Regelproduktionsprozessen (vgl. oben 2.2), verfügen die Abgeordneten (auch die Interessenvertreter unter ihnen) im Parlament nur noch rudimentär. Die möglichen Alternativen zum Gesetzentwurf, wie er in das Parlament eingebracht wird, sind im Vorfeld bereits ausgeräumt; denn jede grundlegende Änderung der Gesetzesvorlage im Parlament würde den schwierigen Interessenkompromiss im vorparlamentarischen Abstimmungsprozess gefährden. »So schrumpft die Rolle des Parlaments von der eines nahezu unumschränkten Gesetzesschöpfers in der Praxis zur rechtlich unentbehrlichen Legitimation bereits getroffener Entscheidungen Anderer. Zu diesen Anderen zählen ganz wesentlich auch die Verbände organisierten Interesses.« (Steinberg 1989: 249). Der Bundestag wird demnach nicht überflüssig, sondern zu einer Gesetzgebungsmaschinerie, mit der »16 Gesetze in Anwesenheit von 12 stimmberechtigten Abgeordneten in 7 oder 8 Minuten in zweiter und dritter Lesung zur Verabschiedung« gebracht werden (Ellwein 1990: 178). Reformvorstellungen, die auf eine Straffung des Gesetzgebungsprozesses abheben und dabei den vorparlamentarischen Bereich der Gesetzesvorbereitung außer Acht lassen, greifen jedoch zu kurz. Die strukturelle Entmachtung des Parlaments als Gesetzgebungsorgan ist die Folge eines Interessenvermittlungssystems, das die politische Kommunikation zwischen Verbands- und Exekutiveliten kurzschließt. Parlamentsreform, die den Bundestag in das Zentrum des Politikbearbeitungsprozesses rücken möchte, 141 <?page no="141"?> 3 Das Parlament als Öffentlichkeitsorgan muss deshalb die Selektions- und innerorganisatorischen Filtermechanismen der Interessenverbände so verändern, dass ein breiteres Spektrum von gesellschaftlichen Interessen erfasst und politisch vermittelt werden kann. Sie muss darüber hinaus die politische Repräsentation von gesellschaftlichen Interessen und die parlamentarische Politikvermittlung in die Gesellschaft hinein durch den Ausbau von Minderheitenrechten und die Stärkung der Abgeordnetenposition verbessern. Parlamentsreform meint deshalb Selbst-Reform des Bundestages, aber auch Verbändereform. In Anbetracht des dargelegten Verbandseinflusses muss jedoch bezweifelt werden, ob das Parlament hierfür die Kraft aufbringt. Verstärken wird sich eher die »Neigung zu parlamentarischem Eskapismus ( : : : ), eine gewisse Mutlosigkeit dieser Institution und ihrer Mitglieder, sobald es um das Parlament selbst, sobald es um Prinzipien des Parlamentarismus geht. ( : : : ) Eine Neigung zur Preisgabe von Parlamentarismus schon bevor es zur zumindest nicht auszuschließenden Probe kommt.« (Thaysen 1990: 77). Aber stehen das Parlament und das System, dem es seinen Namen gibt, nicht längst auf der Nagelprobe angesichts der enormen parlamentarischen Gestaltungsaufgaben, die der wissenschaftlich-technische Umbruch der Gesellschaft mit sich bringt, zumal dieser scheinbar unaufhaltsam, weil auf den leisen Sohlen des »Unpolitischen« daherkommt? Literaturempfehlung Leif, Thomas (2004): Grauzonen des Parlamentarismus ausleuchten - Wie der Lobbyismus unser demokratisches Gefüge untergräbt. In: Forschungsjournal NSB, H. 1/ 2004, S. 100-103 Oertzen, Jürgen von (2006): Das Expertenparlament. Abgeordnetenrollen in den Fachstrukturen bundesdeutscher Parlamente. Baden-Baden Patzelt, Werner J. (Hg.) (2005): Parlamente und ihre Macht. Kategorien und Fallbeispiele institutioneller Analyse. Baden-Baden Schüttemeyer, Suzanne S. (1998): Fraktionen im Deutschen Bundestag 1949-1997. Empirische Befunde und theoretische Folgerungen. Opladen 142 <?page no="142"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld: Norm und Wirklichkeit demokratischer Politik- und Interessenvermittlung Das folgende Kapitel befasst sich mit der Praxis von Politik- und Interessenvermittlung auf der Grundlage politischer Kommunikation zwischen politischem System und seiner gesellschaftlichen Umwelt. Wenn die Konstitutionsbedingungen von politischer Kommunikation durch die Verfahren der Politik- und Interessenvermittlung und damit von jenen Akteuren gesetzt werden, die diese Verfahren nutzen, dann hängt die Qualität der Demokratie entscheidend von der politischen Öffentlichkeitsleistung des intermediären Bereichs zwischen politisch-administrativem System und Gesellschaft ab und damit von den Kommunikationsleistungen jener Akteure, die dieses Feld besetzen: die politischen Parteien und Verbände (vgl. 4.1), die Bürgerinitiativen und neuen sozialen Bewegungen (vgl. 4.2) sowie Arbeitsorganisationen (Unternehmen) (vgl. 4.3). Die Öffentlichkeit der intermediären Organisationen ist weitgehend medienvermittelt. Deshalb wird auf die Medienöffentlichkeit von Presse, Funk und Fernsehen (vgl. 4.4) und nicht zuletzt auf die neuen Informations- und Kommunikationstechniken einzugehen sein (vgl. 4.5). Anhand einer Institutionenanalyse kann gezeigt werden, welche Rolle die politische Beteiligung von Bürgern und Organisationsmitgliedern für politisches Lernen durch Partizipation (Partizipationslernen) spielt. Die empirischen Befunde liefern einen realitätsnahen Eindruck von den Chancen für die Verbesserung von Politik- und Interessenvermittlung auf der Grundlage organisierter politischer Öffentlichkeit und zeigen Anknüpfungspunkte für eine praxisorientierte Demokratieforschung. Die folgenden Ausführungen sind weitgehend institutionenkundlich orientiert. Sie behandeln die jeweilige intermediäre Institution in zwei Schritten. In einem ersten werden die normativen Grundlagen und in einem zweiten die maßgeblichen empirischen Befunde der Politik- und Interessensvermittlung dargelegt. Anhand der normativ zugeschriebenen und empirisch eingelösten politischen Kommunikationsleistung des jeweiligen Akteurs wird dieser in seiner Bedeutung als politische Sozialisationsagentur und institutionalisierte Ermöglichung von politischer Partizipation kenntlich und damit auch seine Relevanz für Bestand und Zukunft der Demokratie. 143 <?page no="143"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld 4.1 Parteien und Verbände - Agenturen für politische Kommunikation? Handelt es sich beim Parlament um die zentrale Öffentlichkeitsorganisation des politischen Systems, so geht es im Folgenden um die Organisation von politischer Öffentlichkeit auf dem intermediären Feld zwischen politisch-administrativem System und Gesellschaft. Dieses Feld wird maßgeblich von Organisationen besetzt, die politische Kommunikation inszenieren und dadurch Interessen und Politik vermitteln: Parteien, Verbände und Bürgerinitiativen. In ihrer Eigenschaft als »Transmissionsriemen« zwischen gesellschaftlichem Publikum und politisch-administrativem System sind diese Einrichtungen anhand dreier Leitfragen auf ihr Demokratiepotenzial hin zu untersuchen: (1) Wie ist das Kommunikationsverhältnis zwischen Organisationen und Bürgern beschaffen? Das ist die Frage nach der Responsivität der Organisationen bzw. den Partizipationsmöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern. (2) Wie wird innerorganisatorisch Information verarbeitet? Gefragt wird hier nach der Qualität der innerorganisatorischen Demokratie. (3) Wie sieht das Kommunikationsverhältnis zwischen Organisation und politisch-administrativem System aus? Dies ist die Frage nach der Definitionsmacht der Organisation als kollektiver Akteur im Interessenvermittlungs- und Politikbearbeitungsprozess. Auf diesen drei Kommunikationsebenen entscheidet sich die Vermittlungsleistung intermediärer Organisationen bei der Transformation von interessenbezogener Information eines gesellschaftlichen Publikums in institutionalisierte Entscheidungsprozesse des politischen Systems und umgekehrt. Intermediäre Organisationen dienen der Politikvermittlung. 29 Mit der kommunikativen Öffnung dieses Vermittlungsprozesses für die Teilnahme eines externen Organisationspublikums und für die Basis der Organisationsmitglieder wird dieser Prozess zum Lernprozess im Sinne von Partizipationslernen einerseits und zum Qualifizierungspotenzial für die Demokratie andererseits. 4.1.1 Normative Grundlagen: der Verfassungsauftrag an die politischen Parteien »Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.« (Art. 1 Abs. 1 GG). Damit ist zweierlei gesagt: Zum einen wird die politische Sozialisationsaufgabe der Parteien festgeschrieben. Diese werden definiert als Medien im Kommunikationsprozess zwischen politisch-administrativem System und Bürgern und treten damit an die 29 Dazu grundlegend Sarcinelli 1987a: 19 ff. und die Beiträge von Claußen zur »Politikvermittlung als Problem lebenslangen Lernens« (83 ff.), von Czerwick zu »Parlament und Politikvermittlung« (161 ff.), von Roth zu den politischen Parteien (184 ff.) und von Weber zu den Verbänden als den Vermittlungsorganisationen (203 ff.) im gleichen Band sowie speziell zur Politikvermittlung durch politische Parteien Sarcinelli 2005: 173 ff. 144 <?page no="144"?> 4.1 Parteien und Verbände - Agenturen für politische Kommunikation? Stelle des öffentlichen Räsonnements, das im klassisch-liberalen Repräsentationsmodell diesen Kommunikationszusammenhang stiftete. Zum anderen besagt die Verfassungsvorschrift, die politischen Parteien wirken bei der Erfüllung dieser Kommunikations- und Sozialisationsaufgabe »mit«, woraus folgt, dass sie kein politisches Willensbildungsmonopol besitzen, sondern sich die Sozialisations- und Kommunikationsaufgabe mit anderen Einrichtungen zu teilen haben. Die Verfassungsvorschrift formuliert darüber hinaus für die Binnenverfassung der politischen Parteien ein Demokratiegebot: »Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen.« (Art. 21 GG). Das Parteiengesetz präzisiert, was damit gemeint ist. Danach muss es Mitgliederversammlungen, Vorstände und Schiedsgerichte als getrennte Parteiorgane mit bestimmten Rechten, territorialen Untergliederungen und demokratische, innerparteiliche Wahlen geben. Ausschlaggebend für das Kommunikationsverhältnis zwischen politischen Parteien und Bürgern ist zweierlei: zum einen die Informationsaufnahme aus der Gesellschaft und zum anderen die Publizität des Parteihandelns (Informationsabgabe). Damit ist zugleich gesagt, dass man sich den Kommunikationsprozess nicht als »Einbahnverkehr« vorzustellen hat, als linearen Vorgang vom Bürger (Volk) zu den Staatsorganen, vermittelt durch die politischen Parteien. Ebenso abwegig wäre die Assoziation eines »oben« (Staat) und »unten« (Volk). Deshalb ist es unangemessen, die politische Kommunikationsfunktion der Parteien aufzuspalten in voneinander unabhängige Aufgaben der Staatswillensbildung (gem. Art. 20 Abs. 2 GG) und »staatsfreie«, soll heißen politikfreie Willensbildung des Volkes (gem. Art. 21 Abs. 1 GG). 30 Vielmehr halten die Parteien den politischen Kommunikationskreislauf zwischen staatlich-administrativen Einrichtungen und Öffentlichkeit, zwischen der »Volkswillensbildung« und der »Staatswillensbildung« in Gang. Deshalb kommt den politischen Parteien, wie keinem anderen Akteur auf dem intermediären Feld, »eine besondere kommunikative Scharnierfunktion zu« (Sarcinelli 2005: 177). Die Parteien sind demnach weder in der organisierten Staatlichkeit noch in der »staatsfreien« Gesellschaft, sondern in einem öffentlichen Bereich zu verorten, der die Ausübung ihrer politischen Kommunikationsaufgabe ermöglicht. Hieraus gewinnen sie einen öffentlichen Status, der den Parteien »Verantwortung für das Ganze« (Hesse 1959: 44) zuschreibt und zugleich verbietet, sie auf Wahlvorbereitungsorganisationen zu reduzieren. Die politischen Parteien sorgen »für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen« (§ 1 Abs. 2 PartG) dadurch, dass sie gesellschaftliche Interessen bündeln und artikulieren, zum vertikalen und horizontalen Interessenausgleich beitragen (Interessenvermittlung), durch Kandidatenaufstellung bei den Wahlen geeignetes und qualifiziertes politisches Personal zur Verfügung stellen (Auswahl- 30 Eine solche Aufgabendifferenzierung nimmt aber die konservative Interpretation des Art. 21 GG durch das Bundesverfassungsgericht vor (vgl. BVerfGE 20, 56). 145 <?page no="145"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld und Rekrutierungsfunktion), gesellschaftliche Interessen in parteipolitische Ziele und Programme transformieren (Politikformulierung), gegenüber ihren Mitgliedern und einem gesellschaftlichen Publikum meinungsbildend auftreten und Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen (Politikvermittlung) sowie an der Formulierung von politischen Inhalten und Entscheidungen mitwirken (Politikgestaltung) und nicht zuletzt die Einrichtungen des politisch-administrativen Systems auf gesellschaftliche Problemlagen aufmerksam machen und damit Politik an gesellschaftliche Interessen und Probleme, die die Bevölkerung bewegen, zurückbinden (Frühwarnfunktion) (vgl. Gerstlberger 2001: 499 ff.). Die Parteien sind demnach im demokratischen System der Politik- und Interessenvermittlung unverzichtbar und für die Demokratie konstitutiv. Sie sind politische Kommunikatoren und stellen zugleich einen Kommunikationsraum zur Verfügung. Sie sind Subjekt und Objekt der politisch-demokratischen Öffentlichkeit (vgl. Sarcinelli 2005: 181 ff.). Ihr verfassungsrechtlich festgeschriebener öffentlicher Status begründet für die Parteien eine permanente Transformationspflicht von gesellschaftlichen Interessen in staatliche Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse und stellt somit ihre politische Kommunikationsfunktion auf Dauer. Die Parteien dürfen nicht nur zu Wahlkampfzeiten Bürgerbeteiligung organisieren. Sie müssen auch zwischen den Wahlakten politische Kommunikation und Partizipationslernen ermöglichen. Dies hat Konsequenzen für die Gestaltung des Informationsaustauschs mit dem Bürger und stellt Anforderungen an die demokratische Organisation der innerparteilichen Informationsverarbeitung. Anders verhält es sich mit den Verbänden. Zwar agieren die Verbände wie die Parteien auf dem intermediären Feld der Politik- und Interessenvermittlung, aber sie haben hierfür keinen Verfassungsauftrag. Die Verbände ziehen ihre formelle Legitimität »aus der Inanspruchnahme der im Grundgesetz verankerten Freiheitsrechte, wie zum Beispiel der Vereinigungs-, Meinungs- und Koalitionsfreiheit, nicht zuletzt jedoch aus der unangefochtenen Geltung des durch allgemeinen Konsens hinreichend tolerierten Prinzips: dem der verbandspluralistischen Gesellschaft selber« (Massing 1969: 343). Wie die politischen Parteien sind auch die Verbände Organisationsformen gesellschaftlicher Interessen. Beide sind für die Funktionsfähigkeit des politischen Systems unverzichtbar (vgl. Sebaldt/ Straßner 2004: 15). Sie bündeln die Vielzahl heterogener gesellschaftlicher Interessen zu verbandspolitischen Zielen und programmatischen Aussagen (Interessenaggregation), sie filtern aus der Vielzahl gesellschaftlicher Interessen und der mit ihnen verbundenen Forderungen jene heraus, die für das politische System verkraftbar sind (Interessenselektion), formen latente in manifeste Interessen um und machen diese entweder öffentlich oder in den oben (vgl. 3.3) dargelegten Formen des Lobbyismus geltend (Interessenartikulation). Die Verbände bieten ihren Mitgliedern Beteiligungsmöglichkeiten an und wirken, nicht zuletzt dadurch, sozial integrierend und gegenüber dem politischen System loyalitätsbildend (Integrationsfunktion), sie bieten Chancen zur Information und Kommunikation und schärfen dadurch das politische Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger (Politikvermittlung). Sie entlasten die 146 <?page no="146"?> 4.1 Parteien und Verbände - Agenturen für politische Kommunikation? politisch-administrativen Institutionen, indem sie gebündelte, mehrheitsfähige Positionen eines Interessenspektrums darstellen und, Hand in Hand mit staatlichen Einrichtungen, Leistungen erbringen (Regulationsfunktion). In Erfüllung dieser Funktionen tragen die Verbände zur Effizienz und Effektivität politisch-administrativer Maßnahmen bei und unterstützen dadurch die gesellschaftliche Anerkennung von staatlichem Handeln (Legitimationsfunktion). Aus dieser normativen Zuschreibung von Funktionen der Politik- und Interessenvermittlung an gesellschaftliche Interessenorganisationen (vgl. Straßner 2006: 10 ff.) erschließt sich das Demokratiepotenzial der Verbände. Oben (vgl. 2.2.4) wurden die Parameter einer demokratisch organisierten politischen Kommunikation im Rahmen des Optimierungsmodells vorgestellt. Danach ist die Steigerung von Partizipation, Transparenz und Effizienz ausschlaggebend für die Aktivierung des demokratischen Potenzials von politischer Kommunikation. Der den Verbänden zugeschriebene Funktionskatalog weist Interessen- und Politikvermittlungsaufgaben auf den drei Dimensionen demokratischer politischer Kommunikation aus, allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung. Interessenaggregation, -selektion und die Regulationsfunktion dienen eher der Effizienzsteigerung, die Interessenartikulation enthält dagegen eine deutliche Öffentlichkeitsorientierung. Ihre Umsetzung setzt den Informationsaustausch innerhalb der Verbandsorganisation zwischen Führungskräften und Verbandsmitgliedern voraus und erfüllt von daher das Transparenzkriterium. Die auf gesellschaftlicher Teilhabe basierende und im Verbund mit anderen intermediären Einrichtungen, wie politischen Parteien, kirchlichen Organisationen u. a., wahrgenommene Integrationsfunktion sowie die Politikvermittlungs- und Sozialisationsaufgaben, die die Verbände sowohl gegenüber ihren Mitgliedern als auch im Außenverhältnis gegenüber ihrem gesellschaftlichen Umfeld wahrnehmen, stärken die Partizipationsdimension. Wichtig ist es festzuhalten: Bei der Systematisierung von Funktionen gesellschaftlicher Interessenorganisationen auf dem intermediären Feld, auf der Grundlage eines demokratietheoretisch begründeten Optimierungsmodells, handelt es sich um normative Zuschreibungen. Die Praxis sieht dagegen anders aus. Sie ist Gegenstand der beiden folgenden Kapitel. In Bezug auf die politischen Parteien (vgl. dazu 4.1.2) werden zum einen der Informationsaustausch zwischen Parteiorganisation und gesellschaftlichem Umfeld (Parteipublikum) und zum anderen die nach innen entfaltete, mit den Parteimitgliedern geführte Kommunikation (innerorganisatorische Demokratie) in den Blick genommen. Auf beiden Kommunikationsfeldern hat die empirische Parteienforschung die Kommunikationspraxis und ihre Defizite hinreichend beschrieben. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die demokratiewissenschaftlich relevanten Befunde. 147 <?page no="147"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld 4.1.2 Das »eherne« Gesetz der Oligarchie: innerparteiliche Demokratie und Mediatisierung von Bürgerinteressen 4.1.2.1 Kommunikation zwischen Parteien und Bürgern Ausschlaggebend für das Kommunikationsverhältnis zwischen politischen Parteien und Bürgerinnen und Bürgern ist zum einen die Informationsaufnahme aus der Gesellschaft und zum anderen die Publizität des Parteihandelns (Informationsabgabe). Für die Informationsaufnahme aus der Gesellschaft stehen den Parteien drei Kommunikationswege zur Verfügung: • die kommunikativen Querverbindungen zu den Interessenverbänden und Organisationen verschiedener Art, die ihre Aufgabe in der Sammlung und Vermittlung von gesellschaftlichen Interessen sehen • der direkte Informationsaustausch mit den Bürgerinnen und Bürgern • die Diskussion mit den Parteimitgliedern; denn diese sind zugleich Mitglieder der Gesellschaft und Träger von gesellschaftlichen Interessen Der Informationsaustausch zwischen Partei und gesellschaftlicher Umwelt auf dem ersten Weg unterliegt einer doppelten Mediatisierung: einerseits durch kommunikative Querverbindungen zu den Interessenverbänden und Organisationen, die gesellschaftliche Interessen bereits selektieren und »filtern«. Die Parteien mediatisieren andererseits die bereits durch die Interessenorganisationen mediatisierte Information nochmals und blockieren so eine unmittelbare Teilnahme des Bürgers an parteiförmig organisierter politischer Kommunikation. Dieser doppelte Mediatisierungsprozess ist unterfüttert durch ein enges Netz der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches zwischen Parteien, Verbänden und Exekutivspitzen, bis hin zu korporatistischen Arrangements zwischen Großorganisationen, staatlichen Institutionen und Parteieinrichtungen sowie durch symbiotische Formen der Verankerung in soziopolitischen Milieus, aus denen sich »Vorfeldorganisationen« (wie z. B. die Gewerkschaften) für politische Parteien (z. B. für die SPD) rekrutieren (vgl. von Alemann 1990: 107 ff.). Die Unmittelbarkeit und Authentizität politischer Informationsaufnahme geht hierdurch verloren bzw. beschränkt sich auf den Kreis verbandlicher und parteilicher Eliten oder muss mit den parteinahen Interessenorganisationen geteilt werden. Entscheidend für die Kommunikationspraxis bleiben deshalb die beiden anderen Kommunikationswege und damit die Fragen, wie gestaltet sich eine direkte Informationsaufnahme der politischen Parteien aus ihrem gesellschaftlichen Umfeld? Die Antwort ergibt sich nicht zuletzt aus dem Mobilisierungspotenzial der politischen Parteien. Und schließlich: Wie gestaltet sich die Diskussion mit den Parteimitgliedern? Die Frage nach der Ausgestaltung der innerparteilichen Informationsverarbeitung ist zugleich die Frage nach der innerparteilichen Demokratie (vgl. dazu unten 4.1.2.2). Beide Fragen stehen in einem engen Bedingungszusammenhang. Denn die Diskussion mit den Parteimitgliedern und dadurch ermöglichte Informationsaufnahme aus der 148 <?page no="148"?> 4.1 Parteien und Verbände - Agenturen für politische Kommunikation? Gesellschaft setzt ein entsprechend breites gesellschaftliches Mitgliederspektrum in den Parteiorganisationen voraus. Dies ist nur dann gewährleistet, wenn auch in Zukunft Mitgliederparteien existieren. Die aktuelle Mitgliederentwicklung der Großparteien weist jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Die Zahl der Parteimitglieder geht seit Mitte der 1970er Jahre deutlich zurück (vgl. Niedermayer 2001: 186 ff.). Das »Ende der Parteien« wird bereits in populärwissenschaftlichen Buchtiteln geführt (Meng 1997). Die empirische Parteienforschung belegt die schwindende Attraktivität einer Parteimitgliedschaft in der deutschen Bevölkerung und verweist auf die Gründe für das nachlassende Mobilisierungspotenzial der politischen Parteien. 31 Mehr als zwei Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung gelten danach als »parteiferne« Bürger (im Osten 73 %). Die Gruppe der potenziellen Mitglieder beläuft sich auf 9 % (in den westlichen Bundesländern 10 Prozent, in den östlichen 7 %). Insgesamt sind 5 % der Bevölkerung in einer politischen Partei organisiert und 22 Prozent prinzipiell mobilisierbar. Die Parteienforschung belegt auch, wovon die Mobilisierungsfähigkeit der politischen Parteien abhängt, mit anderen Worten, warum Bürger Mitglieder politischer Parteien werden. Entscheidend für den Parteieintritt (nicht für die aktive Mitarbeit) sind expressive Anreize und damit der intrinsische Nutzen, der aus einer Parteimitgliedschaft erwächst. Dieser muss die mit der Mitgliedschaft verbundenen Kosten übersteigen, wobei unbestritten die bloße Mitgliedschaft in einer Partei sich als »low-cost-Aktivität« (Klein 2006: 40) darstellt. Die Ergebnisse der empirischen Parteienforschung belegen, dass für den Parteieintritt kollektive politische Anreize ausschlaggebend sind. Der Bürger wird danach Parteimitglied, um den Einfluss der Partei zu stärken oder ein parteispezifisches politisches Ziel (z. B. »soziale Gerechtigkeit« oder »liberale Wirtschaftspolitik« oder »Umweltschutz«) zu verfolgen oder, um sich für die Ziele der Partei einzusetzen. 32 Ein maßgebliches Problem für die Mobilisierungsfähigkeit der politischen Parteien besteht nun darin, dass sich das gesellschaftliche Parteiumfeld gewandelt hat und sich damit die Rahmenbedingungen für eine den veränderten Verhältnissen angemessene Anreizstruktur auf Seiten der Parteien und für eine angemessene Motivlage zum Parteieintritt nachhaltig geändert haben. Individualisierung, Wertewandel, Prekarisierung der Lebensverhältnisse und dadurch gegebene veränderte Zeitbudgets der Individuen sind nur einige Stichwörter, die belegen, warum die Bindungsfähigkeit von politischen Parteien, wie auch von anderen Großorganisationen, nachlässt und warum sich gerade jene Anreize, die für den Parteieintritt maßgeblich sind, abschwächen. Dem gesellschaftlichen Großtrend und den dadurch ausgelösten negativen Folgen für die Mobilisierungsfähigkeit der politischen Parteien versuchen diese entgegen- 31 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf die Datenbasis der Potsdamer Parteimitgliederstudie (vgl. Klein 2006: 35 ff. und ausführlich: Heinrich u. a. 2002). Einen Überblick der vorliegenden deutschen Parteimitgliederstudien liefert der Datenreport von Walter-Rogg/ Held 2004: 294 ff. 32 Vgl. die Anreizstruktur und die Verteilung der Mitgliedschaftsgründe in Tab. 3 bei Klein 2006: 50. 149 <?page no="149"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld zuwirken mit der Absicht, Interessen- und Politikvermittlung auch unter veränderten Bedingungen und in neuen institutionellen Arrangements zu bewerkstelligen. Hierzu zählen (vgl. zum Folgenden Sarcinelli 2005: 187 ff.) die »Öffnung« von Parteien für die Mitwirkung von Nichtmitgliedern, eine neue Organisations- und Veranstaltungskultur, die den mediengesellschaftlichen Anforderungen angepasst ist, die Professionalisierung von Public Relations und Öffentlichkeitsarbeit nach außen, die einer zunehmenden »Personalisierung« von Politik Rechnung trägt, und die Nutzung von neuen Informations- und Kommunikationstechniken für Politikdarstellung und Kampagnenfähigkeit, wie zum Beispiel das Direct Mailing als Versuch, die Kommunikation zwischen Partei und Bürgern im Vorfeld von Wahlen kurzzuschließen (vgl. Römmele 1999: 304 ff.). All dies zeigt, dass die politischen Parteien inzwischen in der »Mediengesellschaft« angekommen sind, aber die neuen institutionellen Arrangements (vgl. die Zusammenstellung bei Sarcinelli 2005: 192) belegen noch nicht, was die politischen Parteien dort bewirken. Erkennbar ist jedoch, dass die Informatisierung der Interessen- und Politikvermittlung nicht automatisch mit einer verbesserten politischen Informationsaufnahme aus der Gesellschaft einhergeht und die Qualität der parteivermittelten politischen Kommunikation nicht ohne Weiteres verbessert. Auch zukünftig bleibt deshalb für die Kommunikationspraxis der politischen Parteien jene Arena entscheidend, in der die Diskussion mit den Mitgliedern stattfindet (vgl. unten 4.1.2.2). Die Qualität der Informationsaufnahme der politischen Parteien aus der Gesellschaft hängt dagegen entscheidend davon ab, wie die Parteien in die Gesellschaft hineinwirken, mit anderen Worten: von ihrer Responsivität (zum Begriff vgl. von Alemann 1990: 113). Das soziale Rekrutierungsfeld der politischen Parteien ist komplex, entsprechend heterogen die Struktur der parteiförmig organisierten Interessen. Dies ist charakteristisch für Volksparteien; denn diese orientieren sich an einer möglichst großen Wähler- und Mitgliederschaft. Solche Parteien müssen deshalb möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen ansprechen und als »Allerweltsparteien« (Otto Kirchheimer) aller Welt Partei sein, auch wenn bis in die jüngere Vergangenheit hinein die größere Hälfte der Welt, nämlich die weibliche, systematisch ausgeblendet blieb (vgl. Hoecker 1995). Hinzu kommt das Aufkommen neuer Parteien, wie zum Beispiel Bündnis 90/ Die Grünen, das den kommunikativen Frequenzbereich des Parteiensystems auf die Neuen sozialen Bewegungen und Bürgerbewegungen erweitert und die Antennen der Parteien, auch der alten, für zuvor nicht oder nur schwach empfangene Botschaften aus parteiferneren gesellschaftlichen Bereichen sensibilisiert. Mit der Responsivität von Parteien wird das Kommunikationsverhältnis zu den Bürgern unter dem Anspruch der Publizität des Parteihandelns thematisiert. Denn vermittels Publizität wirken die Parteien auf die Gesellschaft zurück und entfalten damit Responsivität. Wie ist es um die Publizität der politischen Parteien bestellt? Oder anders gefragt: Wer definiert die Themen politischer Kommunikation zwischen Parteien und Bürgern? Die Partei, der Bürger oder keiner von beiden? 150 <?page no="150"?> 4.1 Parteien und Verbände - Agenturen für politische Kommunikation? Diese Fragen führen auf ein schwieriges und von der politischen Kommunikationsforschung zu bearbeitendes Feld. Die Antworten fallen unterschiedlich aus. Die Annahme, wonach die Parteien »Sprachrohre« des Volkes seien, entspricht klassischer Staatsrechtslehre. Sie ist normativ begründet und hat mit der Verfassungswirklichkeit wenig zu tun. Wer die Definitionsmacht dagegen auf Seiten der Parteien vermutet, kann sich auf eine politikwissenschaftliche Position berufen, die das Kommunikationsverhältnis zwischen Partei und Bürger nicht als Chance für eine Verbesserung der Responsivität begreift. Informationen, die den politischen Parteien aus unterschiedlichen sozialen Schichten und soziokulturellen Milieus der Gesellschaft zugehen, seien lediglich das Echo auf das von ihnen zuvor Artikulierte. 33 Responsivität erschöpft sich dann in der Vorformulierung politischer Themen durch die Parteien, die von den Parteieliten mit dem Gestus, »das Ohr am Volk« zu haben, wieder aufgegriffen werden. Gegenüber einer solchermaßen demonstrativen Publizität bleibt der Bürger reaktiv. Ein außerparteiliches Publikum kommt nicht zustande, das politische Themen in einem offenen Kommunikationsprozess mitformulieren könnte. Eine weitere, dritte Position sieht nicht nur die Bürger, sondern auch die politischen Parteien selbst als Reagierende im Prozess politischer Kommunikation. Die eigentliche Definitionsmacht liege bei denjenigen, die Information herstellen und verbreiten können: den Massenmedien. Für die These, dass Bürger und Parteien gemeinsam am »Medientropf« hängen und ihre Teilnahme an Prozessen politischer Kommunikation entscheidend vom Zugang zur massenmedialen Informationsaufbereitung abhängt, sprechen starke Indizien. Wieweit inzwischen die parteienstaatliche zur Fernseh- und Zuschauerdemokratie mutiert ist, wie tief die reale oder zugeschriebene Macht der Medien wirkt, zeigt sich nicht nur im Kampf der Parlamentsfraktionen um Zuteilung fernsehgerechter Redezeiten für ihre Starredner. Auch die »Deutsche Revolution« des Herbstes 1989 war nicht nur ein Medienereignis ersten Ranges, sondern auch von den Massenmedien selbst, vor allem vom Fernsehen, mitgestaltet - eine Medien-Revolution. Zu nennen wäre auch die Rolle der Medien bei der Skandalisierung von Politik - von der »Amigo-« bis zur »Schubladenaffäre«, von diversen Parteienfinanzierungsskandalen bis zur »Visa-Affäre«, in deren Verlauf im Mai 2005 zum ersten Mal eine Sitzung des BT- Untersuchungsausschusses (die Anhörung des Außenministers) komplett im Fernsehen übertragen wurde (12 Stunden), spielen die Massenmedien eine zentrale Rolle. Zwar üben die Parteien über die Besetzung der Kontrollgremien Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien aus. Aber auch hier verloren sie mit der Einführung des Privatfernsehens an Boden. Hinzu kommt der Verlust parteieigener Medien vor allem im Pressebereich. Gleichzeitig nimmt die Abhängigkeit der Parteien von der Meinungsbildung durch die Medien auf den immer schwierigeren Feldern von Akzep- 33 Von Wilhelm Hennis (1957: 48 f.) wurde schon in den 1950er Jahren diese Form der »Responsivität« und Scheinkommunikation mit einem auf den bildhaften Vergleich des »Sounding- Board« verglichen. 151 <?page no="151"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld tanzsicherung und von Konkurrenz um die Stimmen beweglicher Wechselwähler zu (vgl. von Alemann 1990: 110). Wie so häufig dürfte auch hier die Wahrheit in der Mitte liegen: Auch wenn politische Kommunikation vor allem massenmedial inszeniert wird, so ist gleichwohl die Definitionsmacht nicht einseitig auf die Massenmedien verteilt. Die politischen Parteien sind mehr als nur »Papiertiger«, die so tun, als könnten sie politikrelevante Themen formulieren. Sie tun dies auch. Allerdings teilen sie die Definitionsmacht mit anderen: mit den Verbänden, Bürgerinitiativen, sozialen Bewegungen und vor allem mit den Massenmedien. Parteien und Medien sind voneinander abhängig. Keine Seite ist im Prozess politischer Kommunikation all- oder ohnmächtig. Entscheidend jedoch ist, dass die politischen Parteien ihre relative Definitionsmacht nicht in unmittelbarer Rückkoppelung mit dem Bürger ausüben, sondern in mediatisierenden Formen des Informationsaustausches. 34 Die gelegentliche Rückkoppelung an einen demoskopisch ermittelten Wählerwillen (wie z. B. durch Direct Mailing, vgl. Römmele 1999: 304 ff.; dies. 2005) ersetzt nicht die Publizität des Parteihandelns, die eine reale Bürgerbeteiligung erst ermöglichen könnte. Fazit : Unmittelbare politische Kommunikation zwischen Partei und Bürgern und damit ein parteiförmig organisiertes Partizipationslernen für ein außerparteiliches Publikum finden kaum statt. 35 Damit ist noch nichts gesagt über die politische Kommunikationsleistung der Parteien nach innen, gegenüber ihren Mitgliedern. Ob politische Partizipation zwar auf die Parteimitglieder beschränkt, aber - parteiförmig organisiert - grundsätzlich möglich bleibt, oder ob die Mediatisierung des außerparteilichen Publikums in einem mediatisierten Mitgliederpublikum ihre Entsprechung findet, hängt von der Antwort auf die Frage ab, wie innerparteilich Information verarbeitet wird. 4.1.2.2 Innerparteiliche Demokratie Die Frage nach der Ausgestaltung der innerparteilichen Informationsverarbeitung und damit nach dem Zustand der politischen Kommunikation im Binnenverhältnis zu den Parteimitgliedern ist zugleich die Frage nach der innerparteilichen Demokratie. Dieser kommt nicht nur für den Prozess der politischen Willensbildung (vgl. Niedermayer 34 »Mediatisierung« hat eine doppelte Begriffsbedeutung. Gemeint ist zum einen die mediale Vermittlung von Politikinhalten durch Akteure der (Massen-)Kommunikation. Hierzu zählen auch die politischen Parteien. Zum anderen meint Mediatisierung auch die Wirkung auf die Kommunikationsthemen und -inhalte: »Die mediale Informationsverarbeitung prägt den Botschaften eine spezifische Medienlogik auf und beeinflusst damit notwendigerweise die durch Kommunikation begründeten Wahrnehmungen und Handlungen.« (Schulz 1997: 14). 35 Dies schließt nicht aus, dass die politischen Parteien politisch bilden, z. B. über parteinahe Bildungseinrichtungen. Intentionale politische Bildungsveranstaltungen sind jedoch zu unterscheiden von funktionalem Partizipationslernen (vgl. dazu oben 2.2). Nur auf Letzteres bezieht sich der obige Befund. 152 <?page no="152"?> 4.1 Parteien und Verbände - Agenturen für politische Kommunikation? 1989: 15), sondern auch für die Sicherung und Stärkung von Demokratie überhaupt zentrale Bedeutung zu. »Der Bestand der Demokratie im Staat hängt ab von der Pflege der Demokratie in den Parteien. Nur, wenn den plebiszitären Kräften innerhalb der Verbände und Parteien ausreichend Spielraum gewährt wird, kann eine Repräsentativverfassung sich entfalten.« (Fraenkel 1991: 203) Maßgebend für die Praxis der Binnenkommunikation in den politischen Parteien sind die strukturellen Rahmenbedingungen für innerparteilichen Informationsaustausch einerseits und die subjektiven, mit der Kompetenz- und Motivationslage der Parteimitglieder einhergehenden kulturellen Faktoren innerparteilicher Kommunikation andererseits. Die strukturelle Dimension markiert die Angebotseite, die kulturelle Dimension dagegen die Nachfrageseite auf dem Feld der innerparteilichen Kommunikation. Zunächst zu den strukturellen Faktoren. Die politischen Parteien sind bürokratische Großorganisationen, für die schon im Jahre 1911 Robert Michels das »eherne Gesetz der Oligarchie« formulierte: »Das soziologische Grundgesetz, dem die politischen Parteien ( : : : ) bedingungslos unterworfen sind, mag - auf seine kürzeste Formel gebracht - etwa so lauten: die Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über die Auftraggeber, der Delegierten über die Delegierenden ( : : : ). Somit stellt jede Parteiorganisation eine mächtige auf demokratischen Füßen ruhende Oligarchie dar. Überall Wähler und Gewählte, aber auch überall Macht der gewählten Führerschaft über die wählende Masse. Die oligarchische Struktur des Aufbaus verdeckt die demokratische Basis.« (Michels 1957: 370) Parteiorganisationen lassen sich vereinfacht in vier Ebenen differenzieren: auf der unteren Ebene die Ortsvereine, auf einer nächsten, mittleren Ebene die Kreise und Bezirke, darüber die Ebene der Parteiführung und als Schnittstellen zwischen den einzelnen Ebenen die Parteitage. Der Parteitag ist das höchste Gremium der Partei, »das oberste Organ des jeweiligen Gebietsverbandes« (§ 9 PartG). Ist der Parteitag für die demokratische Binnenstruktur eine zentrale Einrichtung, so stellt der Ortsverband das maßgebliche Rekrutierungsinstrument und den politischen Kommunikationsraum für die einfachen Parteimitglieder dar. Wie sieht die Praxis beider Einrichtungen aus? Wie die innerparteiliche Kommunikation im Parteialltag aussieht, soll heißen, wie es um die Chancen politischen Lernens für die Parteimitglieder bestellt ist, verdeutlicht das folgende ungeschminkte Bild: »Die Partei spielt als Mitgliederorganisation kaum noch eine aktive Rolle für die Entwicklung des politischen Bewußtseins und die Veränderung überkommener gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Entpolitisierung und Apathie prägen das reale Parteileben von heute. Die Basisorganisation der Partei, der Ortsverein, drückt immer weniger einen realen politischen und sozialkulturellen Zusammenhang der Mitglieder aus. Im Zuge zunehmender Mobilität wirkt er immer mehr als politischer Zwangszusammenschluß nach einseitigen örtlichen Kriterien. Das Parteileben ist fragmentiert und ritualisiert. Innerparteiliche Demokratie reduziert sich auf formaldemokratische Prozeduren. Dröge Verlautbarungen statt fruchtbarer Kontroverse, lokal bornierter Klüngel statt Mut zur Öffnung, Entsorgung politischer Themen statt 153 <?page no="153"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld politischer Streitkultur lähmen das Parteileben und führen zu ›toter Hose‹ statt ›lebendigem Ortsverein‹. Für die meisten aktiven Mitglieder spielt sich Politik ›da oben‹ in den Medien ab, ›hier unten‹ wird sie nachvollzogen und ausgebadet oder kleingemäkelt.« (Rudolph 1990: 6). 36 Was hier vom Mitglied eines SPD-Bezirksvorstandes, das über intime Kenntnisse und Erfahrungen mit innerparteilicher Demokratie verfügt, gesagt wird, gilt sicherlich nicht nur für seine Partei. Dass auch in anderen Parteien, ja selbst bei der mit hohem Anspruch an innerparteiliche Kommunikation angetretenen Partei Bündnis 90/ Die Grünen, die Parteiführung faktisch das Informationsverarbeitungsmonopol besitzt, dokumentiert auch die Tätigkeit des formell höchsten, aber für die parteiinterne Willensbildung und Informationsverarbeitung letztlich nicht ausschlaggebenden Parteigremiums: des Parteitages. »Leise und fleißig surrte die Abstimmungs-Maschinerie. Arbeitsteilig wurde in vier Gruppen das Wahlprogramm beraten. Geschäftsmäßig, monoton. Vorstandsvorlage, Änderungsantrag, Begründung (finstere Mienen beim Präsidium: ›aber kurz‹), Abstimmung. Vereinzelte Wünsche nach Generaldebatten zu wichtigen aktuellen Themen, zu Steuern etwa, wurden regelmäßig von der Mehrheit abgeschmettert: ›wir kommen sonst nicht durch‹.« (Arens/ Hölscher 1990: 3). Dieser Parteitagsbericht beschreibt keine negative Ausnahme, sondern Parteitagsroutine, wie sie sich nicht nur bei der FDP, deren Parteitag hier zur Debatte steht, eingeschliffen hat. Wie kaum eine andere Einrichtung ist der Parteitag der Ort demonstrativer Publizitätsentfaltung. Was von der Parteiführung längst vorentschieden wurde, soll von den Parteibürgern gebilligt werden. Innerparteiliche Publizität entpuppt sich als medienunterstützte Demonstration von Themen und Programmaussagen, an deren oligarchisch getroffener Formulierung der Parteibürger kaum partizipiert. Das eherne Gesetz der Oligarchie ist, wenn auch in modifizierter Form ungebrochen (vgl. Zeuner 1992: 215 ff.). Parteivorstände berufen Parteitage ein, bereiten sie technisch-inhaltlich vor. Sie halten Regie und Kontrolle der Parteitage fest in den Händen. Personelle Entscheidungen sind gekennzeichnet durch eliteninterne Selektion, im Extremfall Kooptation. Alle sachlichen Entscheidungen werden vom Parteivorstand kontrolliert. Die Werbe- und Wahlkampffunktion der Parteitage wirkt disziplinierend und verstärkt die Willensbildung »von oben nach unten«. Die Analyse von Bundesparteitagen der großen Parteien belegt »ein politisches Übergewicht der Parteiführungen gegenüber den Delegierten« (vgl. die Zusammenfassung bei Rudzio 2006: 147). Anträge von »unten« werden häufig in zusammengefassten Vorstandsanträgen berücksichtigt, Ablehnungen werden in die höfliche Form der »Überweisung« zur weiteren Behandlung an den Vorstand gekleidet oder abgeschmettert. Von vornherein sind die Kommunikationsthemen durch ein mehrstufiges System der Repräsentation innerparteilich gefiltert, vom Ortsverein über den Unterbezirk, den Bezirk bis zum Bundesparteitag. Daher verfügt die Mitgliederbasis über keine Chance der direkten Beteiligung am Parteitag. 36 Zur defizitären »Versammlungskultur« der politischen Parteien vgl. Wiesendahl 1997: 361 ff. 154 <?page no="154"?> 4.1 Parteien und Verbände - Agenturen für politische Kommunikation? Parteivorstände haben einen großen Informationsvorsprung vor den meisten Delegierten und einfachen Mitgliedern. Darüber hinaus verfügt die Parteispitze über »demoskopisches Herrschaftswissen«: Sie ist auf eine Mitgliederbasis als Auge und Ohr der Partei und auf die Kommunikationsleistung von Parteimitgliedern nicht mehr angewiesen. Den »Politprofis« in den Vorständen stehen quasi dilettierende Delegierte und eher desinteressierte einfache Parteimitglieder gegenüber. Allerdings erklärt das »eherne Gesetz der Oligarchie« nur eine, wenn auch maßgebliche Facette der innerparteilichen Kommunikationsgestaltung. Eine modernere Lesart der Gesetzlichkeiten, nach denen der innerparteiliche Informationsaustausch funktioniert, wird nicht übersehen, dass neben den formalisierten Top-down-Prozessen der oligarchisch dominierten innerparteilichen Willensbildung auch informelle und, zumindest im Ansatz, formelle Bottom-up-Prozesse der »Informationsbeantwortung« existieren. Zu den informellen gehört die Berücksichtigung des von der Parteiführung unterstellten oder demoskopisch ermittelten Mehrheitswillens oder der Interessen aktiver und einflussreicher Minderheiten der Mitgliederbasis in Vorstandsentscheidungen nach dem »Prinzip der antizipierten Reaktion« (Rudzio 2006: 151), zu den formalisierten Bahnen der Bottom-up-Information zählen die Sach- und Personalentscheidungen auf der Grundlage von Mitgliederbefragungen. Allerdings bleibt die Frage offen, ob durch solche Verfahren die politische Kommunikation in den Parteien verbessert und der innerparteilichen Demokratie auf die Beine geholfen werden kann (zum Pro und Kontra vgl. Sarcinelli 2005: 188 f.). Innerparteiliche Demokratie ist nicht nur das Ergebnis strukturell verfestigter und in den Bahnen innerorganisatorischer Kommunikation unterbreiteter Informationsangebote, sondern auch einer Mitgliedschaft, die an diesen Angeboten interessiert ist, sie annimmt und dadurch innerparteiliche Demokratie »nachfragt«. Hierzu sind die Ergebnisse der Parteienforschung ernüchternd: »50 Prozent der deutschen Parteimitglieder erweisen sich als Karteileichen, 19 Prozent als Versammlungsbesucher, 14 Prozent als geselligkeitsorientierte Aktive und 18 Prozent als ämterorientierte Aktive.« (Klein 2006: 54). 37 Andere Schätzungen beziffern den Anteil der aktiven Parteimitglieder auf ca. 20 Prozent (vgl. Niedermayer 2001: 434 ff.). Wenn darüber hinaus feststeht, dass lediglich 5 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung in einer politischen Partei organisiert sind, dann fällt die Partizipationsquote (= Anzahl der aktiv Partizipierenden im Verhältnis zu den Wahlberechtigten) auf unter 1 Prozent der Gesamtwählerschaft. Die Rekrutierung der Mitgliederschaft aus sozialen Mittelschichten und bestimmten Berufen (Beamte, Lehrer, Freiberufler) bringt darüber hinaus nicht nur einen sozialen »Bias« in die Mitgliederstruktur (vgl. zu den Unterschieden zwischen den etablierten politischen Parteien 37 Diese Partizipationstypen sind in den einzelnen Parteien sehr unterschiedlich ausgeprägt. So ist der Anteil der Karteileichen in der PDS geringer als in den anderen Parteien. Die ämterorientierten Aktiven sind in den kleineren Parteien FDP und Bündnis 90/ Die Grünen stärker vertreten als in den großen Parteien, auch bestehen deutliche Unterschiede zwischen west- und ostdeutschen Parteimitgliedern (vgl. Klein 2006: 54 f.). 155 <?page no="155"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld von Alemann 1990: 92 f. und neuerdings Biehl 2006: 277 ff.), betrachtet man die aktiven Parteimitglieder, und nur solche haben eine politische Kommunikationschance, dann erhalten diese Berufe ein noch größeres Gewicht. Zu den Determinanten innerparteilicher Kommunikation und dadurch ermöglichter Partizipation zählt auch die Geschlechtszugehörigkeit. Von den weiblichen Wahlberechtigten sind nur 2 Prozent Mitglied einer politischen Partei (vgl. Hoecker 1995: 76). In Führungspositionen der Parteien finden sich vor allem Männer, diese beteiligen sich aktiver am Parteileben als Frauen, für die es häufig schwieriger ist, Mehrfachbelastungen durch Haushalt und Beruf mit politischem Engagement in Einklang zu bringen (vgl. Winkler u. a. 1999: 8). Auch wenn der Anteil an weiblichen Mitgliedern bei den verschiedenen politischen Parteien unterschiedlich ausfällt und selbst wenn sich mittels Quotierungsverfahren oder infolge einer entsprechenden innerparteilichen Organisationskultur der Frauenanteil in der Parteiführung erhöhte, die »Verweiblichung« der Oligarchie setzt das Gesetz der Oligarchisierung nicht außer Kraft. Es wirft seinen langen Schatten auch über den Ausbau der innerparteilichen Geschlechterdemokratie. Die Defizite innerparteilicher Demokratie sind Ausdruck eines eklatanten Mangels an Organisationsöffentlichkeit der Parteien (zum Begriff vgl. oben 2.3). Sie verkürzen die Chancen für reale Bürgerbeteiligung an politischer Kommunikation und festigen die zwischen Parteieliten, verbandlichen und Exekutivführungsgruppen kurzgeschlossene politische Kommunikation. 4.1.2.3 Politische Kommunikation als doppelte Mediatisierung Eingangs wurde auf die kommunikativen Querverbindungen zwischen politischen Parteien und Interessenverbänden hingewiesen, die den Parteien (genauer ihren Führungsgremien bzw. Parteieliten) zur Informationsaufnahme aus dem gesellschaftlichen Umfeld dienen. Sie sind nicht geeignet, die Politikvermittlungsdefizite gegenüber den Parteibürgern zu kompensieren, sondern tragen eher zu ihrer Verstärkung bei. Denn die Partei-/ Verbands-Kommunikation mediatisiert den Informationsaustausch mit den Bürgerinnen und Bürgern in doppelter Weise: zum einen, indem die Verbände die organisierten Interessen als Interessen der organisierten Verbandsmitglieder (miss-)verstehen und diese zu Themen ihrer Interessen- und Politikvermittlung umformulieren. Die Parteien mediatisieren die bereits durch die Interessenorganisationen gefilterte Information nochmals und blockieren dadurch die unmittelbare Teilnahme des Bürgers an parteiförmig organisierter politischer Kommunikation. Dieser doppelte Mediatisierungsprozess ist unterfüttert durch ein enges Netz der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches zwischen Parteien, Verbänden und Exekutivspitzen, bis hin zu korporatistischen Arrangements zwischen Großorganisationen, staatlichen Institutionen und Parteieinrichtungen, und durch symbiotische Formen der Verankerung der Parteien in soziopolitischen Milieus. Dies ist die Kehrseite der oben dargestellten Verquickung von organisierten Interessen und Politikbearbeitungs- und Entscheidungsinstanzen im 156 <?page no="156"?> 4.1 Parteien und Verbände - Agenturen für politische Kommunikation? Zuge des modernen Lobbyismus und zählt zu den maßgeblichen neuen institutionellen Arrangements parteiförmig organisierter Interessen- und Politikvermittlung. Die Defizite innerparteilicher Demokratie bringen eine strukturelle Schwäche der politischen Parteien zum Ausdruck, nämlich, Kommunikation zwischen dem politischadministrativen System auf der einen und einem politisch fungierenden Parteienpublikum auf der anderen Seite herzustellen. Ein Teil der Parteienforschung stilisiert diese strukturelle Schwäche zur Stärke der politischen Parteien. Wie die Diskussion um parteiinterne Mitgliederbefragungen zeigt, löst die Einführung von Partizipationsmöglichkeiten unterhalb der Schwelle von direktdemokratischen Verfahren auf Forschungsseite Skepsis aus: Innerorganisatorische Demokratie gefährde die Stabilität und Homogenität der Parteien (so Schieren 1996: 216 ff.) oder seien »ein großes Täuschungsmanöver«, denn - so Joachim Raschke (1996: 52) - »sie unterbrechen die Eliten-Medienspiele nur für einen winzigen Augenblick. Sie fördern statt Demokratie die Illusion von Demokratie.« Mitgliederbefragungen in Sachfragen, die Beteiligung der Mitgliedschaft bei der Personalauswahl im Innern und die Öffnung der parteiförmig organisierten politischen Kommunikation nach außen (z. B. durch offene Kandidatenlisten) lassen sich gewiss als Entlastungsstrategien für die Parteieliten und als Rückzug aus der Verantwortung durch die Parteiführungen interpretieren; dennoch gibt es für die Rückkehr der Parteien in die Arenen der politischen Kommunikation keine Alternative. Der Ausbau innerparteilicher Demokratie und der Aufbau direkter politischer Kommunikation mit einer aktiven Bürgerschaft sind hierfür die Voraussetzung. Der Weg dorthin ist, in Anbetracht der veränderten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einer fortgeschrittenen Mediengesellschaft, langwierig, und es ist ungewiss, ob die politischen Parteien ihn gehen (wollen). 38 Dass die politischen Parteien, und selbst solche, die explizit mit dem Anspruch angetreten sind, ihre Öffentlichkeitsfunktion nicht (mehr) erfüllen, ist evident. Politische Öffentlichkeit sucht andere, nichtparteiförmig organisierte Kanäle der Beteiligung an politischer Kommunikation (wie z. B. in Form von Bürgerinitiativen, Demonstrationen etc.). Daraus lässt sich weder eine Akzeptanzkrise noch eine Glaubwürdigkeitslücke für die politischen Parteien konstruieren. Vielmehr relativieren die konstatierten Öffentlichkeitsdefizite den Stellenwert der Parteien als Kommunikations- und Sozialisationsagenturen des politischen Systems. Dadurch entstehen Chancen für neue, nichtparteiförmig organisierte Formen von politischer Öffentlichkeit (vgl. dazu unten 4.2), aber möglicherweise auch für »alte« Verbandsöffentlichkeiten. 38 Zur wissenschaftlichen Orientierung auf diesem Weg vgl. die Übersicht der institutionellen Arrangements für eine parteiförmig organisierte demokratische Politikvermittlung bei Sarcinelli 2005: 192. 157 <?page no="157"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld 4.1.3 Die Diskrepanz zwischen Mitgliedschafts- und Einflusslogik: politische Kommunikationsblockaden der Verbände Wenn im Folgenden von Verbänden die Rede ist, dann im Sinne von Großorganisationen, die auf unterschiedlichen Handlungsfeldern gesellschaftliche Interessen aggregieren und in politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse einbringen. Nicht gemeint sind damit »Ad hoc-Verbände«, die mit einer einzigen Forderung gegründet werden und sich nach deren erfolgreicher oder nicht erfolgter Durchsetzung wieder auflösen, wie zum Beispiel Bürgerinitiativen. Ebenso wenig erfasst werden die nicht an politischer Einflussnahme und Kommunikation orientierten Interessenorganisationen (wie z. B. Freizeitvereine, Hobbyclubs usw.). 39 Als organisierte Partizipation und Öffentlichkeitsorganisation tritt die verbandsförmige Organisation von gesellschaftlichen Interessen in Arbeitsteilung zu den politischen Parteien. Verbände im hier gemeinten Sinn sind intermediäre Einrichtungen zwischen Gesellschaft und politischem System, denen Interessen- und Politikvermittlungsaufgaben obliegen. Für die Beurteilung der Aufgabenerfüllung aus demokratiewissenschaftlicher Perspektive ist der Blick auf drei Untersuchungsfelder zu richten: auf die Ausgestaltung des Informationsaustausches mit einem Verbandspublikum, auf die innerverbandliche Willensbildung und schließlich auf die Kommunikation zwischen Verband und politischen Entscheidungsträgern. Auf allen drei Feldern zeigen sich deutliche Parallelen zu den politischen Parteien (deshalb können die Ausführungen hierzu kürzer gehalten werden), aber auch einige spezifische Unterschiede. 4.1.3.1 Die Selektion gesellschaftlicher Interessen Ebenso wenig wie die politischen Parteien sind die großen Interessenverbände Sprachrohre eines gesellschaftlichen Publikums. Für die Verbände kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu. Ihre Informationsaufnahme aus der Gesellschaft ist in hohem Maße selektiv. Bestimmte Interessen sind nicht organisiert und nur schwach oder gar nicht organisierbar. Nicht organisierbar sind insbesondere solche Interessen, die nicht eindeutig abgrenzbaren gesellschaftlichen Status- und Funktionsgruppen, sondern der Gesamtheit der Individuen zuzurechnen sind. Mangels Konfliktfähigkeit nicht organisiert sind die Interessen gesellschaftlicher Randgruppen (wie z. B. von ethnischen Minderheiten, Geisteskranken, Kriminellen etc.) und von noch nicht geborenen Generationen. Die gesellschaftliche Interessenrepräsentation durch Verbände ist demnach ungleich. Die selegierende Informationsaufnahme aus der Gesellschaft verkörpert deshalb einen sozialen Schließungsprozess, der das Problem der sozialen Exklusion verschärft. Ein weiteres Indiz hierfür ist auch die Tatsache, dass trotz »Verbandspluralität« 39 Zu den Abgrenzungsproblemen und zur Typologie organisierter Interessen vgl. von Alemann 1989: 29 ff. und 68 ff., vgl. auch die Einführung von Woyke/ Bandelow 2005 und die Textsammlung aus der neueren Verbändeforschung von Winter/ Willems (Hg.) 2006. 158 <?page no="158"?> 4.1 Parteien und Verbände - Agenturen für politische Kommunikation? die Spitzenverbände in den industriellen Beziehungen (Unternehmerverbände und Gewerkschaften) ein nahezu faktisches Monopol der organisierten Einflussnahme auf staatliche Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse ausüben. Die ungleiche Interessenrepräsentation steht im Spannungsverhältnis zur pluralistischen Gesellschaftsordnung, die ein breites Interessenspektrum kennt und eine entsprechend ausdifferenzierte Interessenartikulation erfordert (vgl. von Alemann/ Eckert 2006: 6). Gesellschaftliche Interessen werden auch nicht nur deshalb ungleich repräsentiert, weil ihre Organisationen mit unterschiedlichen Ressourcen und Machtpotenzialen ausgestattet sind. Die ungleiche Interessenrepräsentation ist auch Bedingung und Folge zugleich von Ungleichheitslagen im innerverbandlichen Informationsverarbeitungsprozess. 4.1.3.2 Die Dominanz der Einflusslogik Mit den Mitwirkungsmöglichkeiten der großen Interessenorganisationen nach außen (vgl. dazu die Ausführungen zum Lobbyismus oben 3.3) korrespondieren keine Einflussmöglichkeiten der Mitglieder im Innern. Wie bei den politischen Parteien waltet auch verbandsintern das »eherne Gesetz der Oligarchie«. Zwar schreibt das Grundgesetz ein demokratisches Verbandsleben nicht explizit vor. Allerdings ist die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 GG im Lichte des Demokratiegebots (Art. 20 Abs. 1 GG) zu lesen. Hieraus ergeben sich gewisse Mindeststandards für eine demokratische Organisation der innerverbandlichen Willensbildung (wie z. B. Wahl der Verbandsführung). Diese können gesetzlich normiert und in Satzungen von Interessenverbänden festgeschrieben werden. Darüber hinaus begründen der quasi öffentliche Status und die politische Aufgabenzuschreibung an die Interessenverbände, die sie in die Nähe der politischen Parteien rückt, aber auch der Grundrechtsschutz ihrer Mitglieder, die Forderung nach innerverbandlicher Demokratie (vgl. von Alemann 1989: 166 f.). In der Praxis verkommen jedoch viele Verbände zu Herrschaftsinstrumenten kleiner Führungsgruppen, die mit hohen Mitgliederzahlen politisch-strategisch argumentieren, aber die Mitgliederinteressen nicht repräsentieren (so schon Ellwein 1965: 117). Wie in den Parteien so ist auch in den Verbänden die Beteiligung an der Informationsverarbeitung schichtenspezifisch selegiert. Verbandsmitglieder mit höherem Sozialstatus besetzen häufiger innerverbandliche Führungspositionen. Die Kommunikation zwischen Verbandsspitzen und Mitgliedern beschränkt sich auf einseitige, unbeantwortbare Information. Was am Beispiel einer einflussreichen Interessenorganisation, dem Deutschen Bauernverband (DBV), gezeigt werden kann, ist generalisierbar: »Die Kommunikation zwischen Verband (DBV) und Mitgliedern ist also durch eine einseitige Information durch den Verband gekennzeichnet. Die Landwirte werden nicht objektiv über die neuen Probleme unterrichtet und sehen so alles von vornherein durch die Brille ihres Verbandes und in einer Auswahl und Interpretation, die der Verband vornimmt. Durch diese Gruppensprachenregelung versucht der DBV seine Mitglieder noch fester an sich zu binden und sie so zu einer interessenbewußten und aktionsfähigen Einheit zu 159 <?page no="159"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld machen. Die Kommunikation wurde damit zum Instrument einer demonstrativ oder manipulativ entfalteten Publizität.« (Ackermann 1970: 38 f.) Solche verbandsspezifische »Politikvermittlung nach innen« ist, so wird in der Verbändeforschung argumentiert, organisationspolitisch notwendig. »Es wäre jedoch falsch, diese Vorgänge ausschließlich als eine Form der Entmündigung der Mitgliedschaft und ihre Reduzierung zu einer Akklamationsgruppe für die Verbandsführung zu interpretieren. Denn die auf Anerkennung bestimmter verbandspolitischer Konzepte bezogenen Werbemaßnahmen der Verbandsführung dienen auch dazu, gesetzgeberische oder verwaltungsmäßige Entscheidungen, an denen die Verbandsrepräsentanten mitgewirkt haben, der eigenen Gruppe gegenüber zu vermitteln, zu erläutern und mögliche Widerstände gegen ihre Verwirklichung auszuräumen.« (Weber 1987: 211). Was jedoch verbandspolitisch geboten sein mag, muss noch lange nicht für die Entwicklung innerverbandlicher Demokratie förderlich sein. Über Verbandszeitschriften, Druckschriften, Versammlungen, Kundgebungen und Medienpräsenz der Verbandsführungen werden teilweise Interessen erst geweckt, die dann als solche der Mitglieder repräsentiert werden. Deren Beteiligung bekommt dadurch den Charakter von »Pseudo-Partizipation«. Diese ist das Ergebnis der Diskrepanz zwischen Mitgliedschafts- und Einflusslogik und damit des Spannungsverhältnisses zwischen innerverbandlicher Demokratie und politischer Durchsetzungsfähigkeit nach außen. Während im Bereich der politischen Parteien noch eine gewisse Informationsbeantwortung von »unten« durch demokratische Wahlverfahren gesichert scheint, wird die Manipulationsbreite der Verbandsspitzen vor allem durch die Notwendigkeit begrenzt, das Vertrauen der Mitglieder zu sichern. Die innerverbandliche Vertrauensbegründung beruht jedoch kaum auf Kommunikation, vielmehr auf Kommunikationsmanagement (dazu Hirscher/ Korte (Hg.) 2003). Sie gründet im Führungsgeschick der Verbandsspitze. Die vielfach unter dem Etikett »Mangel an innerverbandlicher Demokratie« in der Literatur abgehandelten Defizite von Organisationsöffentlichkeit beschränken sich nicht auf die Organisation von Mitgliederinteressen. Sie prägen auch das Bild der Interessenvermittlung; denn die vielfältigen formellen und informellen Formen der politischen Mitwirkung der Verbände haben eines gemeinsam: Sie sind publizitätsfeindlich. »Die ›anonyme Macht‹ der Verbände ist oft nicht nur der Öffentlichkeit verborgen, sondern auch den Mitgliedern.« (Ellwein 1965: 117; Leif/ Speth 2003 (Hg.): 9). Die Öffentlichkeitsdefizite der Verbandstätigkeit werden auch nicht dadurch ausgeglichen, dass Medien und Öffentlichkeit zu ihren wichtigen Adressaten zählen. Die »Medienmacht« der Verbände, die sich nicht zuletzt in auflagenstarken eigenen Presseerzeugnissen ausdrückt (vgl. von Alemann/ Eckert 2006: 5), dient nach außen den Public Relations und nach innen der Akzeptanzbeschaffung und Loyalitätssicherung, kaum jedoch der politischen Kommunikation mit den Verbandsmitgliedern oder einem gesellschaftlichen Publikum. Hier bestärkt die Publizitätsfeindlichkeit einen zwischen Verbands- und Exekutivspitzen kurzgeschlossenen Kommunikationsprozess. 160 <?page no="160"?> 4.1 Parteien und Verbände - Agenturen für politische Kommunikation? 4.1.3.3 Informationsaustausch im Zeichen der Einflusslogik Die Publizitätsfeindlichkeit der Verbände wird gefördert durch die oben dargelegten abgedunkelten Wege der Verbandsmitwirkung am politischen Prozess. Sie ist unter anderem das Ergebnis jener oft beklagten Kumpanei zwischen innerverbandlichen und staatlichen Oligarchien, die sich aus der auf beiden Seiten herrschenden Bürokratisierungsgesetzlichkeit, einem dadurch bedingten ähnlichen Arbeitsstil und aus der Rekrutierung von verbandlichen und staatlichen Führungsgruppen aus denselben sozialen Schichten und gesellschaftlichen Gruppen erklärt. Zwischen den Oligarchien bilden sich informelle Loyalitätsmuster und ein technisch getönter »Esprit de Corps« heraus, die den Stoff für eine »moderne« Arkan-Haltung abgeben und öffentliche Kontrolle erschweren. Keine wagt den anderen »durch übertriebene Forderungen übermäßig zu strapazieren - eine Art praktizierte Grenznutzentheorie - und weil sie alle zusammen in einer Art Selbstregulierung des Verbandseinflusses sich damit abgefunden zu haben scheinen, als Stilprinzip des politisch-öffentlichen Lebens einen mittleren ›Level‹ des Kompromißhandelns zu akzeptieren« (Massing 1969: 346). Die über die Köpfe von (Verbands-)Bürgern kurzgeschlossene Kommunikation zwischen politischen und Verbandseliten wird institutionell unterfüttert durch neokorporatistische Strukturen der Interessenvermittlung. Waren diese einst geprägt von tripartistisch zusammengesetzten Gremien (Staat, Kapital, Arbeit) 40 , wie zum Beispiel in der sogenannten Konzertierten Aktion (vgl. Schroeder 2001: 29 ff.), so geht die neuere Entwicklung auf die Inkorporierung einer zunehmend relevanten gesellschaftlichen Teilöffentlichkeit hinaus: der wissenschaftlichen Experten. Diese verfügen zusammen mit Experten der großen Interessenverbände über Sitz und Stimme in einer vor allem unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder gepflegten politischen Entscheidungsvorbereitung in zahlreichen Räten und Kommissionen. Kennzeichnend für die »Berliner Räterepublik« (Heinze 2002) ist eine moderne Form der Arkan-Politik, die hinter verschlossenen Türen politische Entscheidungen vorbereitet und das Ergebnis, massenmedial inszeniert, dem Volk präsentiert. Mit dem Vordringen korporatistischer Strukturen auf immer weitere politische Handlungsfelder, mit ihrem Zugriff auf wirtschaftliche, regionale, ökologische Problembereiche in Form von »Krisenkartellen«, versteinern die Strukturen der politischen Kommunikation »zu einem geschlossenen Elitenkartell« (von Alemann 1989: 177). Politische Kommunikation, so das Ergebnis, dient dann nicht mehr dem Informationsaustausch und damit der (zumindest) mentalen Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an Politik und kaum noch der öffentlichen Kritik und Kontrolle, sondern dem teils öffentlich inszenierten, teils verdeckten Verbandseinfluss. »Nun liegt es auf der Hand, dass die Kooperationsroutine zwischen Staat und Verbänden bei den daran beteiligten Personen so etwas wie eine In-Group-Mentalität produziert, also das Bewusstsein, der jeweils eigenen Sache am 40 Zu den Wirtschaftsverbänden vgl. Bührer 2006, zu den Gewerkschaften Schroeder/ Weßels (Hg.) 2003. 161 <?page no="161"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld Parteien Verbände Informationsaufnahme Mediatisierung des Bürgers Ungleichheit der Interessenrepräsentation Angleichung des Volksan den Parteiwillen schichtspezifische Interessenselektion Informationsverarbeitung Mediatisierung des Parteibürgers Oligarchisierungstendenzen Defizit innerparteilicher Demokratie schichtspezifische Verteilung von Führungspositionen Informationsabgabe Kurzschließung des politischen Kommunikationsprozesses zwischen den Partei-, Verbands- und Exekutivspitzen unter Ausschluss der (Partei-, Verbands-) Bürger Verlust an politischer Sozialisationsleistung mit dem Ziel: Partizipationslernen Tabelle 4: Organisationsöffentlichkeit von Parteien und Verbänden besten dadurch zu dienen, daß Konflikte, gute oder auch schlechte Kompromisse am besten gar nicht an die große Glocke gehängt werden. Diese Kooperationsroutine hat ihre Vorzüge, weil sie Politikgestaltung unaufgeregt, an sachlichen Notwendigkeiten und legitimen Interessen orientiert, ermöglicht. Doch sie hat auch den Nachteil, dass sie neuen Ideen und damit den Belangen von Minderheiten den Zugang in die Entscheidungsgremien verbauen kann.« (Weber 1987: 216). Politische Kommunikation unter der Dominanz der Einflusslogik von Verbänden ist deshalb demokratieabträglich. 4.1.4 Fazit: Attraktivitätseinbußen und Funktionswandel Im Hinblick auf die politische Sozialisationsleistung von großen Interessenverbänden bleibt festzuhalten: Die Verbände sind ebenso wenig wie die politischen Parteien Schulen für Demokratie. Ihre Interessen- und Politikvermittlung steht unter dem »ehernen Gesetz der Oligarchie«. Gemeinsam ist beiden Organisationen die schichtenspezifische Selektion von Informationsaufnahme aus der Gesellschaft und die Verfestigung dieser Filterfunktion durch organisationsinterne Oligarchisierung der Informationsverarbeitung. Diese geht einher mit einem zwischen Verbands-, Partei- und Exekutivspitzen kurzgeschlossenen publizitätsfeindlichen Informationsaustausch. Im gleichen Maße, wie hierdurch die Relevanz von Parlament, Parteien und Verbänden als kommunikationsstiftende Einrichtungen und Partizipationsorgane für ein gesellschaft- 162 <?page no="162"?> 4.2 Neue soziale Bewegungen - soziale Übungsfelder für Politik liches Publikum abnimmt, schwindet auch ihre Bedeutung für politisches Partizipationslernen und als Akteure demokratischer Öffentlichkeit. Dadurch werden Parteien und Verbände nicht funktionslos. Sie tragen weiterhin zur Systemerhaltung, sozialen Integration, Elitenrekrutierung und Legitimation von Politik bei; denn sie interpretieren das öffentliche Interesse im verbandsinternen Kommunikationsprozess (vgl. Weber 1987: 211; Straßner 2006: 12). Auch bleiben die Verbände durchaus lernfähig. Ein Beispiel für gelungene Organisationsentwicklung ist der traditionelle Naturschutzverband BUND (vgl. dazu von Alemann 1989: 137 ff.). Mit dem Verlust an politischer Sozialisationsleistung und Auslagerung von Partizipation in partei- und verbandsferne neue Organisationsformen gehen eindeutig Attraktivitätseinbußen und in der Regel auch Mitgliederverluste einher, die sich in den Großorganisationen in »Organisationslücken« vor allem im Bereich der Jugendlichen ausdrücken. Und nicht zuletzt öffnen die dargelegten Defizite einer öffentlich verfassten und damit partizipationsoffenen Politik- und Interessenvermittlung neue Räume für politische Kommunikation, die an den Parteien und Verbänden vorbeigeführt wird und ein Terrain absteckt, auf dem neue Formen von politischer Öffentlichkeit entstehen. Inwieweit handelt es sich hierbei auch um neue Lernorte für Politik mit Chancen für politische Partizipation? Auf diese Fragen geben die folgenden Ausführungen Antworten aus demokratiewissenschaftlicher Perspektive. 4.2 Neue soziale Bewegungen und Bürgerinitiativen - Soziale Übungsfelder für Politik? »Eine der interessantesten Erfahrungen (. . . ) und die wohl folgenreichste Entwicklung im Bereich der politischen Kultur ist das Entstehen und Erstarken jederzeit aktivierbarer intermediärer Kräfte zwischen Staat und Gesellschaft. Die Friedensbewegung ist ein Beispiel; sie war 1983/ 84 eingeschlafen, hat sich bis 1990 nicht geregt, plötzlich aber war sie wieder da. Man hat diese Bewegungen wohl als eine Art neuer Zwischengewalten zu deuten: zwischen der politischen Klasse der professionellen Politiker und der Politikbegleiter in der Publizistik, in der Bürokratie, bei den Verbänden auf der einen Seite und dem eher apathischen, nur wählenden Passivbürger auf der anderen Seite. Zwischen diesen beiden Typenfiguren schieben sich nun diese partiell aktivierbaren, dann aber sehr intensiv präsenten, engagierten Bürgerbewegungen.« (Guggenberger 1991: 37) Durch die politischen Parteien und etablierten Verbände werden die gesellschaftlichen Interessen, wie oben ausgeführt (vgl. 4.1), ungleich repräsentiert. Viele Interessen werden überhaupt nicht oder nur unzureichend aufgegriffen und in Prozesse politischer Kommunikation eingebracht. Dies begründet maßgeblich, warum sich die im Eingangszitat genannten neuen Formen der Interessenvermittlung und politischen 163 <?page no="163"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld Kommunikation herausgebildet haben. Die Neuen sozialen Bewegungen sind inzwischen »zu einer Dauererscheinung des gesellschaftlichen Lebens« geworden (Neidhardt/ Rucht 1993: 321) und zu Markenzeichen der bundesdeutschen »Bewegungsgesellschaft«. Diese brachte Institutionen jenseits von Markt und Staat hervor (vgl. Eder 1994: 40 ff.) und begründete eine Bewegungsforschung, die sich mit der Entstehungsgeschichte der Neuen sozialen Bewegungen, ihren institutionellen Ausformungen, zum Beispiel in Bürgerinitiativen, und mit ihrer gesellschaftlichen und politischen Bedeutung beschäftigt. Entstehungsgeschichtlich in der antiautoritären Studentenbewegung der 1960er Jahre verwurzelt mit historischen Vorläufern in den 1950er Jahren (z. B. in den Aktionen gegen die Wiederbewaffnung) (vgl. Karl 1981), stellen Neue soziale Bewegungen und Bürgerinitiativen heute Sammelbecken von solchen gesellschaftlichen Interessen dar, die mangels Organisationsfähigkeit oder mangels Konfliktfähigkeit partei- und verbandsförmig nicht organisiert bzw. nicht organisierbar sind. Sie sind Indiz für die Politisierung ehemals privater Lebensbereiche (vgl. Habermas 1973b: 182). Aber geht hiermit auch eine »Politisierung« des Individuums einher im Sinne des Erwerbs von politischer Handlungskompetenz? Bevor wir uns diesem demokratiewissenschaftlichen Kernproblem zuwenden und damit den Fragen, inwieweit es sich bei Bürgerinitiativen um organisierte Formen von Partizipationslernen handelt und inwieweit Neue soziale Bewegungen neue politische Lernchancen eröffnen, gilt es zunächst zu klären, was unter Neuen sozialen Bewegungen (NSB) und unter Bürgerinitiativen (BI) zu verstehen ist (dazu 4.2.1). Wie bei den politischen Parteien und Verbänden zeigt sich die demokratiepolitische Relevanz der NSB und ihrer Institutionen auf zwei Feldern: im politischen Kommunikationsraum, den sie für ihre Mitglieder und Anhänger organisieren, und demnach in der politischen Sozialisationsleistung im Binnenverhältnis (vgl. 4.2.3), aber auch in ihrer Außenwirkung und damit im Verhältnis zu anderen Institutionen der Politik- und Interessenvermittlung (vgl. dazu. 4.2.2). 4.2.1 Neue intermediäre Kräfte zwischen Staat und Gesellschaft: Entstehung und Bewegungskonjunkturen Soziale Bewegungen gehören, aus soziologischer Perspektive, zur gesellschaftlichen Normalität. Sie treten als Modernisierungsbewegungen, wie zum Beispiel die frühbürgerliche Emanzipationsbewegung, für die Ideen der Aufklärung und gesellschaftlichen Vernunft ein, als Inklusionsbewegungen (wie z. B. die Arbeiter- oder die Frauenbewegung) treten sie für gleiche Rechte für bislang benachteiligte gesellschaftliche Gruppen und deren soziale Integration ein. Prinzipienbewegungen (wie z. B. die Anti-AKW- oder die Friedensbewegung) verfolgen die Verwirklichung allgemeiner Leitideen der Moderne, antimoderne Bewegungen wehren sich gegen die Auflösung traditionaler Lebensweisen, 164 <?page no="164"?> 4.2 Neue soziale Bewegungen - soziale Übungsfelder für Politik Wissens- und Glaubensbestände durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt und Modernisierung (Münch 1994: 27 ff.). Soziale Bewegungen zählen zu den wichtigsten Einflussfaktoren für gesellschaftliche Strukturbildung und gesellschaftliche Entwicklung. Deshalb verspricht sich die Soziologie aus dem Studium von sozialen Bewegungen Aufschluss über ein soziologisches Kernproblem, nämlich wie im Wechselspiel von sozialstrukturellen Grundlagen und individuellem Handeln »Gesellschaft« entsteht: »die Produktion der Gesellschaft durch Gesellschaft« (Sztompka 1994: 79). Das soziologische Verständnis von sozialer Bewegung hebt deshalb auf die Bewegungsdynamik und ihre kollektiven Antriebskräfte ab. Soziale Bewegung ist danach definiert als »ein mobilisierender kollektiver Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisations- und Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen« (Raschke 1985: 77). Diese Definition klingt kompliziert. Sie benennt aber die maßgeblichen Kriterien, anhand derer soziale Bewegung identifiziert werden kann und die erklären, worin die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen intermediären Akteuren, den politischen Parteien und Verbänden, liegen. Eine soziale Bewegung weist definitionsgemäß sechs Merkmale auf: Es handelt sich um einen kollektiven Akteur mit Mobilisierungsfähigkeit. Damit ist gesagt, dass die Mobilisierung eine Existenzbedingung sozialer Bewegungen ist und weniger ihre Institutionalisierung zum Beispiel in Bürgerinitiativen und anderen Assoziationen. Soziale Bewegungen gewinnen ihren Akteursstatus nicht durch die Mitgliedschaft einer angebbaren Zahl von Personen, sondern durch ihre Fähigkeit, mit ihren Zielen und Aktionsformen ein Kollektiv zu erreichen. Deshalb verfügen sie nicht über Mitglieder (wie Parteien und Verbände), sondern über Anhänger. Die Ziele werden über eine gewisse Zeitspanne hinweg (z. T. mehrere Jahre) verfolgt, das grenzt soziale Bewegungen von anderen kurzlebigen Phänomenen (z. B. von Aktionsformen wie Demonstrationen etc.) ab. Die Grundlage der Kontinuität ist die hohe symbolische Integration, das heißt, die Anhänger einer sozialen Bewegung zeichnen sich durch ein »Wir-Gefühl« aus, ein Bewusstsein von Zusammengehörigkeit, das sich auch in Habitus, »Outfit«, Sprache und politischen Symbolen widerspiegelt. Kennzeichnend für soziale Bewegung ist die geringe Rollenspezifikation im Binnenbereich. Bekanntlich wächst die Ausdifferenzierung von Rollen mit dem Organisationsgrad. Dies trifft auch für soziale Bewegungen zu. Die relativ schwache Ausdifferenzierung von Rollen lässt dagegen wechselnde Partizipationsformen der Anhänger zu. Variable Organisations- und Aktionsformen gehören zu den weiteren Merkmalen einer sozialen Bewegung. Hierzu zählt u. a. auch die Gründung von Bürgerinitiativen. Soziale Bewegungen verfolgen Ziele. Dazu gehört gemeinhin nicht die Veränderung des Gesellschaftssystems oder politischen Systems, sondern wichtiger einzelner Elemente davon. Ziele unterliegen Veränderungen, soziale Bewegung erhält dadurch »Suchcharakter«. Organisationsgrad, Aktionsformen und Selbstvergewisserung durch Zielorientierung unterscheiden sich danach, ob sich die 165 <?page no="165"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld soziale Bewegung in der Konstituierungsphase, Konsolidierungs- oder Auflösungsphase befindet. Empirisch ist die Abgrenzung zwischen diesen Phasen schwierig und nicht eindeutig bestimmbar. Soziale Bewegungen können sich selbst auflösen, in »Nachfolgebewegungen« transformieren oder durch Institutionalisierung in organisierten Formen »aufgehen« (z. B. in politischen Parteien, Verbänden und Bürgerinitiativen). Die Definition zeigt nicht nur die Abgrenzungsprobleme zwischen sozialen Bewegungen und anderen intermediären Akteuren, sondern auch, warum soziale Bewegungen, worauf schon das Eingangszitat von Bernd Guggenberger hinweist, in latenten und manifesten Formen auftreten können, warum sie in bestimmten historischen Phasen sehr präsent, in anderen »totgesagt« werden. Entscheidend sind die Rahmenbedingungen für die Konstituierung eines kollektiven Akteurs und dessen Mobilisierungsfähigkeit. Die normativen Grundlagen hierfür formuliert die Verfassung in der Garantie der Vereinigungsfreiheit, in den Grundrechten der Informations- und Meinungsfreiheit und im Demonstrationsrecht. Die Existenz mobilisierungsfähiger kollektiver Akteure, die von diesen Rechten Gebrauch machten, gehört zur Geschichte der Bundesrepublik. So belegt die Bewegungsforschung ein breites Spektrum von Aktionsformen, innerhalb dessen, auch im internationalen Vergleich (vgl. Kriesi/ Koopmans/ Duyvendak/ Giugni 1995: 20), der »Protest« eine zentrale Rolle spielt und dass mit dieser Aktionsform schwerpunktmäßig Menschen- und Bürgerrechte verteidigt bzw. eingeklagt werden sollten. 41 Inzwischen haben sich zwar nicht die normativen Grundlagen, gleichwohl aber die politischen Rahmenbedingungen und der gesellschaftliche Kontext für soziale Bewegungen geändert. War die alte Bundesrepublik noch in gewisser Weise eine »Protestgesellschaft«, für die eine stetige Steigerung des Protestniveaus, auch nach der Wiedervereinigung, kennzeichnend war (vgl. Neidhardt/ Rucht 1993), trifft dies für die gegenwärtige Phase nicht mehr zu. Soziale Bewegungen, die noch in den 1980er und 1990er Jahren als mobilisierungsfähige kollektive Akteure präsent waren, sind heute durch Professionalisierung und politische Einbindung (z. B. in die lokale Agenda 21) mobilisierungsschwach (so die Ökologiebewegung) oder stehen mit ihren Zielen im politischen Abseits, weil andere, dringlichere Themen die politische Agenda besetzen (wie z. B. Massenarbeitslosigkeit). Hinzu kommen Attraktivitätseinbußen durch die »unliebsame Konkurrenz« (Roth 2001: 251) rechtsradikaler und fremdenfeindlicher Kollektivakteure mit zum Teil beachtlicher Mobilisierungsfähigkeit. Die früher gebräuchliche Formel »soziale Bewegung ist Emanzipationsbewegung« (Hofmann 1970: 7) greift zu kurz. Legt man die obige Definition an, dann werden auch »reaktionäre« mobilisierungsfähige Kollektivakteure darunter zu fassen sein (vgl. Bergmann/ Erb 1994: 80 ff. und die gegenteilige Auffassung von Butterwegge 1994: 35 ff.). Aus politikwissenschaftlicher Sicht verkörpern soziale Bewegungen organisierte gesellschaftliche Interessen. Mobilisierungsfähige Kollektivakteure sind demnach inter- 41 Zur Empirie von Aktionstypen und Themenfeldern von Neuen sozialen Bewegungen in West- und Ostdeutschland vgl. Rucht 1997: 384 ff. mit weiteren Literaturnachweisen. 166 <?page no="166"?> 4.2 Neue soziale Bewegungen - soziale Übungsfelder für Politik mediäre Akteure, die zusammen mit Parteien und Verbänden den öffentlichen Raum zwischen Staat und Gesellschaft besetzen. Bei der Trias von Parteien, Verbänden und Bewegungen handelt es sich im System der Politik- und Interessenvermittlung »lediglich um unterschiedliche Aggregatformen von Interessenpolitik.« (Roth 2001: 238), die sich durch unterschiedliche Ausstattung mit (Macht-)Ressourcen auszeichnen. »Gerade die Neuen sozialen Bewegungen haben allenfalls den Katzentisch der Macht besetzen können« (Roth 2001: 241). Soziale Bewegungen ziehen ihre Macht aus der Vielfalt und dem Zusammenwirken unterschiedlicher Organisations- und Aktionsformen (wozu auch die Bürgerinitiativen gehören), ihre wichtigste Machtressource ist jedoch die »Öffentlichkeit«. Dies unterscheidet die NSB von anderen intermediären Akteuren und rückt sie in den Fokus des demokratiewissenschaftlichen Interesses. Dieses erkennt in den vielfältigen Organisationsformen von NSB eine »politisch fungierende Öffentlichkeit« (Habermas 1990: 48). In Anbetracht der oben dargelegten Defizite von Parteien und Verbänden, als politische Kommunikationsräume und politische Kommunikatoren, richtet sich nunmehr die mit der politischen Öffentlichkeit verbundene Demokratieerwartung an die Organisationsformen der NSB: »Sie gehören nicht wie hochgradig verstaatlichte politische Parteien zum administrativen System, erzielen aber über publizistischen Einfluß politische Wirkungen, weil sie entweder direkt an der öffentlichen Kommunikation teilnehmen oder, wie zum Beispiel alternative Projekte, wegen des programmatischen Charakters ihrer Tätigkeiten durch ihr Beispiel einen impliziten Beitrag zur öffentlichen Diskussion leisten.« (Habermas 1990: 46). Inwieweit diese Erwartungen realistisch sind, entscheidet sich auf zwei Feldern: zum einen in der Konkurrenz und Kooperation zwischen neuen kollektiven Akteuren der sozialen Bewegungen und alten intermediären Akteuren der Parteien und Verbände (vgl. dazu 4.2.2) und zum andern in der Ausgestaltung jener Kommunikationsräume, die die NSB mit ihren Organisationsformen zur Verfügung stellen. Auf dem ersten Feld steht die Politik- und Interessenvermittlungsleistung der NSB als intermediäre Akteure zur Diskussion, auf dem zweiten Feld ihre Sozialisations- und Kommunikationsleistung gegenüber ihren Anhängern und im Binnenbereich ihrer Organisationen und Netzwerke (vgl. 4.2.3). Hierzu zählt ein breites Spektrum unterschiedlicher Formen von Bürgerbeteiligung, die im Folgenden auf den Begriff »Bürgerinitiative« (BI) gebracht werden. Die Vielfalt unterschiedlicher Organisations- und Aktionsformen, die sich hinter diesem Begriff verbergen, wird deutlich in Definitionsversuchen, die entweder theoretisch-analytisch vorgehen oder eine eher empirisch orientierte Begriffseingrenzung vornehmen. Claus Offe (1971: 158) wählt einen theoretisch-analytischen Zugriff. Er versteht unter BI alle »Aktionen, die sich auf eine Verbesserung der disparitären Bedürfnisbereiche richten (d. h. auf die Bereiche, in denen die Arbeitskraft und das Leben nicht durch individuelle Kontakte, sondern kollektiv reproduziert werden: Wohnung, Verkehr und Personentransport, Erziehung, Gesundheit, Erholung usw.) und die weder bloße Formen kollektiver Selbsthilfe sind, noch sich darauf beschränken, den offiziösen Instanzenzug des Systems zu mobilisieren. Sie bringen vielmehr Formen der Selbstorganisation der 167 <?page no="167"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld unmittelbar Betroffenen hervor, die ebenso wie ihre Aktionsformen im System der politischen Institutionen nicht vorgesehen sind.« Diese Definition trägt der historischen Tatsache Rechnung, dass die Entstehung von Bürgerinitiativen und anderen Gruppenaktivitäten entlang von gesellschaftlichen Interessenkonstellationen erfolgt(e), die nicht durch antagonistische Interessenkonflikte, wie (z. B. zwischen Kapital und Arbeit) geprägt sind, sondern durch disparitäre Bedürfnisse. Die Definition lässt darüber hinaus anklingen, dass die auf diesen Feldern angesiedelten sozialen Probleme und Konflikte auch auf das Versagen des »Parteien- und Verbändestaates« zurückgeführt werden können 42 , mit anderen Worten: Die Schwächen der Politik- und Interessenvermittlung und damit das politische Kommunikationsversagen von Parteien und Verbänden treiben neue Organisationsformen für Bürgerpartizipation hervor. Diese reichen von der bloßen Gruppe mit ausgeprägter kommunikativer Binnenstruktur bis zum eingetragenen Verein und zeichnen sich durch einen organisationalen Variantenreichtum aus, den eine empirisch orientierte Definition auf den Begriff bringt. Mit Blick auf die konstitutiven Grundlagen, Motivationen der Mitglieder und Anhänger und das »Gegenüber« von BI schlägt Gronemeyer (1973: 153 f.) vor, BI als Gruppenaktivitäten zu verstehen, die mit dem Ziel, bestimmte soziale Probleme und Konflikte aufzugreifen und zu bewältigen zustande kommen und denen damit eine »Auslöserfunktion« zukommt. BI sind demnach »reaktiv«. Kennzeichnend für die Motivationsgrundlagen seien die unmittelbare oder mittelbare Betroffenheit als Auslöser von Bürgerengagement und/ oder die Betroffenheit anderer und damit ein Altruismus, der sich aus einem mehr oder weniger ausgeprägten »sozialen Gewissen« erkläre. Das »Gegenüber« von BI ist zumeist eine administrative Einrichtung, häufig auf kommunaler Ebene. Aus diesen Definitionsangeboten wird deutlich, dass BI nicht identisch mit NSB (wie z. B. Umwelt-, Friedens-, Frauen-, Anti-AKW-Bewegung u. a. m.) sind, auch wenn sie im Alltagsbewusstein häufig mit diesen assoziiert werden. Gleichwohl stehen BI und NSB historisch und politisch-organisatorisch in einem engen Bezug (grundlegend Raschke 1985). Soziale Bewegungen sind der Humus, aus dem Interessenorganisationen und Bürgerinitiativen wachsen, so die kommunistischen, sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften aus der »alten Arbeiterbewegung«, die Partei Die Grünen vor allem aus der Umweltbewegung und als Bündnis 90/ Die Grünen unter Einschluss der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Die BI sind Bewegungs- Instrumente und Orte, an denen NSB sich organisatorisch verdichten. Mit anderen Worten: NSB verkörpern die in der Gesellschaft verankerten Standbeine 43 , die BI 42 Vgl. das Argumentationsspektrum für die Entstehung von Bürgerinitiativen bei Kersting 1997: 74 ff. 43 Die Verwurzelung der NSB in gesellschaftlichen Strukturveränderungen ist inzwischen Gegenstand von empirischen Forschungsvorhaben und gehört zum festen Programm der »Bewegungsforschung« (vgl. den Überblick von Ritter 1990: 12 ff. und darüber hinaus die Beiträge von Münch 1994: 27 ff.; Eder 1994: 40 ff.; Sztompka 1994: 70 ff.; Neidhardt/ Rucht 1993: 305 ff.). 168 <?page no="168"?> 4.2 Neue soziale Bewegungen - soziale Übungsfelder für Politik dagegen die Spielbeine eines umfassenden Politisierungsprozesses, der sich durch zwei Aspekte auszeichnet: »einmal die Entwicklung veränderter Ansprüche und Formen politischer Partizipation (. . . ), zum anderen die Veränderungen in der Alltagskultur und Lebenspraxis« (Clemens 1990: 23). Der Weg von den NSB zu den BI ist jedoch keine Einbahnstraße. Vor allem im Bereich des Umweltschutzes und der Antikernkraft-Initiativen kann man sehen, wie aus dem Protest gegen einzelne Projekte »Bewegung« entstand. Der Bewegungscharakter zahlreicher BI und damit die Symbiose von BI und Bürgerbewegung konstituieren Lernfelder für Politik, allerdings nicht unabhängig von den traditionellen Sozialisationsagenturen, den Parteien und Verbänden (vgl. von Alemann 1990: 110 und grundlegend Armbruster 1979: 83 f.). Ihre politische Kommunikationsleistung und damit demokratische Relevanz ergibt sich aus dem Wechselspiel zwischen neuen mobilisierungsfähigen Kollektivakteuren und alten intermediären Akteuren der Politik- und Interessenvermittlung. 4.2.2 Kompensation, Regeneration und Modernisierung: das Verhältnis zwischen neuen und alten intermediären Akteuren Bürgerinitiativen und Neue soziale Bewegungen sind Ausdruck und Gradmesser von Struktur- und Funktionsschwächen des politisch-administrativen Systems im Verhältnis zur Gesellschaft. »Die Bürgerbewegungen der Stunde, die Bürgerinitiativen, sind, wenn wir sie genauer besehen, keine Sprengsätze der repräsentativen Demokratie, sie sind (. . . ) viel eher Indikatoren für ganz spezifische Strukturschwächen, Funktionsschwächen dieser repräsentativen Ordnung (. . . )« (Guggenberger 1991: 37). Sie kompensieren teilweise die politischen Kommunikationsdefizite der politischen Parteien und etablierten Interessenorganisationen. Vor allem auf dem Feld der bürgerschaftlichen Selbsthilfe und advokatorischen Interessenvertretung kompensieren soziale Bewegungen die Schwächen politisch-administrativer Institutionen und etablierter Interessenorganisationen. Zu nennen sind hier die Vielzahl von Selbsthilfegruppen im Sozial- und Gesundheitsbereich, aber auch die Initiativen von Arbeitslosen, Mietern, Frauen etc. Zur advokatorischen Interessenvertretung zählt das Engagement für Personen, »deren Schicksal man meist nur aus zweiter Hand kennt (z. B. bedrohte Völker, politische Gefangene in Diktaturen, Kriegsflüchtlinge)« (Rucht 1997: 393), oder für Personen, deren Interessen nicht bzw. schwach organisiert oder, mangels Konfliktfähigkeit, kaum organisierbar sind. Im System der Politik- und Interessenvermittlung erfüllen die NSB auf den genannten Feldern ihre Kompensationsfunktion gegenüber anderen intermediären Organisationen nicht isoliert, sondern in Wechselbeziehungen zu diesen. Hierzu zählen ein produktives Zusammenspiel, aber auch die Konkurrenz und relative Ohnmacht im 169 <?page no="169"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld Vergleich zur geräuschlosen »Routinepolitik« (Roth 2001: 239) der Macht- und Einflusshierarchie etablierter Parteien und Verbände. Die Organisationsschwäche der NSB ist dann Bedingung ihrer Kompensationsstärke. »Gegenüber ihrer Umwelt durchlässig, schafft sie eine hohe strukturelle Flexibilität, erlaubt die rasche Aufnahme neuer Themen, stellt geringe Anforderungen an zurechenbare Verantwortung und programmatische Konkurrenz, begünstigt ein breites, auch disruptive Mittel einschließendes Repertoire. Die enge Verbindung von Motiven der Anhängerschaft und Zielen der Bewegung sorgt für eine hohe ›Bodenhaftung‹ und eine stark expressive Komponente von Bewegungsorganisationen« (Neidhardt/ Rucht 1993: 317). Darüber hinaus erfüllen NSB im Verhältnis zu den Parteien und Verbänden transzendierende und regenerative Aufgaben. Diese finden unter anderem in der Tatsache ihren Ausdruck, dass es in der Bundesrepublik Deutschland kaum noch eine politische Partei gibt, die nicht auch »Umweltpartei«, »Friedenspartei« usw. zu sein vorgibt. Bürgerinitiativen verkörpern institutionalisierte Herausforderungen an die Parteien und Verbände. »Falls die Qualitätsübertragung von den BI an die traditionellen Instanzen der politischen Willensbildung gelingt, liegt hierin das ›Bewegungsmoment positiver Selbstaufhebung‹« (Armbruster 1979: 84). Soziale Bewegungen und ihre Organisationsformen können demnach überflüssig durch Erfolg werden. Die neue Qualität der politischen Kommunikation und des Lernens in BI wäre sodann aufgehoben in den erneuerten Organisationsformen von Parteien und Verbänden, die Initiativen können sich auflösen. BI und NSB sind auch aus anderen Gründen temporär begrenzt. Die Auflösung von BI und das Abflauen von sozialen Bewegungen kann nicht als Ausdruck ihrer Misserfolge oder der Frustration ihrer Mitglieder und Anhänger gewertet werden. Im Unterschied zu einer politischen Partei oder Gewerkschaft, die nicht auf die Idee käme, sich nach erfolgreichem Kampf um die Durchsetzung ihrer Forderung (z. B. Lohnerhöhung) aufzulösen, kann die Auflösung einer BI auch Ausdruck ihres Erfolges sein. Mit der Regenerationsfunktion können Transzendierungseffekte einhergehen. Gegenüber den Parteien und Verbänden begreifen sich BI nicht als »Lückenbüßer« oder als Instanzen für die Zufuhr von »Frischluft«, sondern beharren auf einer die herrschende Partei- und Verbandskommunikation transzendierenden kritischen Öffentlichkeit. Dieses Selbstverständnis kann praktische Transzendierungseffekte dergestalt auslösen, dass Parteien zu »Bewegungsparteien« mutieren und Verbände zu Mitteln des Protestes und anderen den NSB abgeschauten Aktionsformen greifen. »Kaum ein Verband verzichtet grundsätzlich auf Protestpolitik, wenn dies geboten erscheint (. . . ). In den meisten sozialen Bewegungen, die einigermaßen dauerhaft auftreten, existieren Verbände, gelegentlich auch Parteien - in der Ökologiebewegung zum Beispiel die Umwelt- und Naturschutzverbände und zumindest phasenweise die Bündnisgrünen. Einzelne Verbände, wie die BBU oder BUND haben in ihrer Organisationskarriere zunächst als Verband angefangen, sind vorübergehend zur Bewegungsorganisation geworden, um schließlich wieder als Verband zu wirken.« (Roth 2001: 241). Trans- 170 <?page no="170"?> 4.2 Neue soziale Bewegungen - soziale Übungsfelder für Politik zendierende Effekte sind aber auch in umgekehrter Richtung möglich. »Was gestern noch als Arbeiterbewegung beschrieben wurde, erscheint heute als Vereins-, Parteien- und Verbändegeflecht. Auch heutige Bewegungen institutionalisieren sich in absehbarer Zeit als Verbände und Parteien bzw. sind bereits dabei, dies zu tun.« (ebd.). Eine erfolgreiche Regenerierung der Partei- und Verbandsorganisation und dadurch ausgelöste Transzendierungstendenzen sind für beide Seiten jedoch nicht automatisch mit Vorteilen verbunden. »Bewegungen sind nicht nur ein Jungbrunnen für neue bzw. erneuerte Verbände, sondern können deren politisches Gewicht auch reduzieren. Umgekehrt können Verbände Bewegungen das Wasser abgraben, wenn sie selbst mehr Beweglichkeit (Kampagnen- und Protestpolitik) und neue Formen der Einbindung (z. B. durch projektorientierte Mobilisierung) entwickeln.« (Roth 2001: 247) BI und NSB rekonstituieren, so wird behauptet (vgl. Habermas 1990: 46 ff.), eine politisch fungierende Öffentlichkeit und zwar dadurch, dass sie mit den Verfallsformen bürgerlicher Öffentlichkeit konkurrieren und diese regenerieren. Sie avancieren dadurch nicht nur zu Vermittlungsinstanzen für gesellschaftliche Interessen, die ohne sie vielleicht ungehört blieben, sondern, und hierin liegt die neue Qualität, zu Orten politischer Kommunikation, wo »erst öffentlich zu klären wäre, welche Interessen überhaupt politisch behandelt und schließlich berücksichtigt werden« (Armbruster 1979: 81). BI und NSB sind deshalb Initiativen zur Modernisierung der partei- und verbandsförmigen Organisation von politischer Kommunikation in der parlamentarischen Demokratie. Sie erledigen diese Modernisierungsaufgabe zum einen, indem sie die eingangs dargestellten kompensatorischen und regenerativen Aufgaben bewältigen und zum anderen, indem sie das Parteien- und Verbändesystem der Politik- und Interessenvermittlung ergänzen und zu dessen personeller Rekrutierung beitragen. Im Unterschied zur partei- und verbandsförmigen Organisation von politischer Kommunikation verfügen NSB über ein ausgeprägteres Sensorium für die politikrelevanten Themen der Alltagspraxis. Sie sensibilisieren die Antennen, erweitern das Themenspektrum politischer Kommunikation und komplettieren damit das Kommunikationsinstrumentarium für Politikvermittlung und Interessenartikulation. Die Komplementärfunktion erstreckt sich im Übrigen auch auf das Feld der politischen Personalrekrutierung. Als Übungsfelder für Partizipation vermitteln BI Fähigkeiten, die zur Mitgliederbeteiligung in Parteien und Verbänden qualifizieren. Insoweit sind Bürgerinitiativen auch Qualifizierungsinitiativen für gesellschaftliche Partizipationseliten. Dadurch kompensieren sie teilweise die Defizite der politisch-beruflichen Sozialisation in Parteien und Verbänden für die Personalrekrutierung des politischen Systems. Soweit zur Modernisierungsfunktion von NSB. Diese sind im Ergebnis Modernisierungsbewegungen der partei- und verbandsförmigen Organisation von politischer Kommunikation in der parlamentarischen Demokratie. Inwieweit sie darüber hinaus auch Beteiligungskompetenz vermitteln und damit zur Rekrutierung von Demokraten beitragen, hängt entscheidend von ihrem Verhältnis zur politischen Öffentlichkeit ab. NSB und BI verkörpern neue Formen von Modernisierungsöffentlichkeit. 171 <?page no="171"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld Sie entfachen aber auch politische Bewegungskommunikation und damit autonome (Gegen-) Öffentlichkeit (zu den Öffentlichkeitsbegriffen vgl. oben 2.3.3). NSB sind janusköpfig, ihre Organisationsformen im Hinblick auf die Demokratiefolgen ambivalent. Ob die Ambivalenz der Komplementär-, Regenerierungs- und Modernisierungsfunktionen von NSB auch die politische Kommunikation mit ihren Anhängern prägt, entscheidet sich anhand der Frage, inwieweit mobilisierungsfähige kollektive Akteure sich als politische Sozialisationsagenturen und ihre Organisationen sich als Lernorte für die Herausbildung von Partizipationskompetenz eignen. 4.2.3 Sozialisation und Partizipation: Politik- und Interessenvermittlung durch Beteiligungseliten Dem politischen Lernen auf der Grundlage von Bürgerbeteiligung wird gemeinhin große Bedeutung beigemessen. BI seien für politische Sozialisation »von ungleich größerer Bedeutung als etwa traditionelle Versuche ›politischer Bildung‹« (Gronemeyer 1973: 162). NSB leben vom Engagement ihrer Anhänger. Im Unterschied zur durchhierarchisierten Interessenorganisation in Parteien und Verbänden sind die Organisationsformen der NSB weniger durch das »eherne Gesetz der Oligarchie« geprägt als vielmehr durch Basisaktivitäten, wie zum Beispiel die Werbung neuer Anhänger, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Kontaktpflege mit anderen Gruppen, aber auch die Beschaffung von finanziellen und anderen Ressourcen. Da Rollenspezifikation und Arbeitsteilung - gemäß oben dargelegter NSB-Definition - schwach ausgeprägt sind, ist der Druck, aber auch die Chance für die Bewegungsaktivisten, »Dinge selbst in die Hand zu nehmen, sich in Konflikte einzumischen und im Zuge eines Learning by Doing Erfahrungen zu sammeln (entsprechend groß). Dabei geht es zunächst um eine Fülle praktischer und organisatorischer Tätigkeiten - von der Abfassung einer Presseerklärung bis zur Anmeldung und Durchführung einer Demonstration. Gefordert ist weiterhin die Aneignung des Sach- und Fachwissens, das für die jeweilige Materie von Belang ist. Oft entwickeln sich dabei ursprüngliche Laien zu Quasi-Experten, die den fachlich Ausgebildeten auf der Gegenseite durchaus Paroli bieten können. Schließlich erwerben viele Bewegte staatsbürgerliche Kompetenzen in dem Sinne, dass sie ihr Wissen um politische Prozesse und Institutionen erweitern, Ansatzpunkte für gesellschaftliche Veränderungen erkennen, aber auch Grenzen des politisch Möglichen und Machbaren erfahren. Das langjährige und vielseitige Engagement in sozialen Bewegungen wird damit zu einem Terrain politischer Sozialisation, das - im günstigen Falle - mündige, kritikfähige und sicherlich auch unbequeme Staatsbürger heranreifen läßt.« (Rucht 1997: 392 f.) Die Frage nach der politischen Sozialisationsleistung von Bürgerinitiativen legt demgegenüber eine differenziertere Antwort nahe. NSB und BI verfügen über zwei Wirkungsebenen: eine Erfahrungsebene und eine Sachebene. Während soziale Bewegungen vornehmlich Beteiligungserfahrung vermitteln und, soweit nicht organisatorisch ver- 172 <?page no="172"?> 4.2 Neue soziale Bewegungen - soziale Übungsfelder für Politik festigt, sich darin auch erschöpfen, steht für die BI die Sachebene im Vordergrund. BI werden nicht gegründet, um Partizipationserfahrungen zu machen, sondern um Interessen zu binden, soziale Bewegung zuzuspitzen und ihr eine Stoßrichtung zu geben, das heißt, Interessen zu Sachzielen zu verdichten und diese durchzusetzen. Unter dem Aspekt politischen Lernens ist aber vorrangig die Erfahrungsebene relevant (vgl. hierzu die Ausführungen zum Erfahrungslernen oben 2.2.3). In jeder BI macht der Einzelne Erfahrungen, die seine Einstellung und sein Verhalten beeinflussen, unabhängig von den verfolgten Sachzielen (Interessen). Während in der politischen Bildung politische Handlungskompetenz durch pädagogisch geförderte Einstellungs- und Bewusstseinsänderung erreicht werden soll, verläuft die Erfahrungsverarbeitung in BI und NSB umgekehrt: Neue Erfahrungen (Verhaltensänderung) können zur Einstellungsänderung führen. Durch Partizipationserfahrung kann Beteiligungskompetenz erzeugt werden. Beide Prozesse bezeichnen die Wechselwirkung zwischen »Reflexion«, im Sinne von pädagogisch geleitetem, intentionalem politischem Lernen, und »Aktion« als Grundlage für funktionales politisches Lernen. Hermann Giesecke (1971: 11 ff.) schlägt vor, politisches Lernen so zu organisieren, dass aus dieser Wechselbeziehung ein dialektisches Verhältnis wird: »Phasen der Aktion folgen solche der Reflexion, denen dann wieder Phasen der durch die vorausgegangene Reflexion verbesserten Aktion folgen usw.« Diese Idealvorstellung von politischem Lernen blendet allerdings ein entscheidendes Problem aus, nämlich die Frage, wer in BI agiert und in NSB partizipiert. Gefragt werden muss nach den gruppen- und schichtenspezifischen Zugangsvoraussetzungen und Blockaden für Partizipationserfahrung und damit nach der sozialen Verteilung von politischen Lernchancen. Hierzu gilt es zunächst festzuhalten, dass im internationalen Vergleich die NSB in der Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit eine erhebliche Mobilisierungsfähigkeit entfalten konnten und es verstanden, viele Anhänger zu gewinnen (vgl. Koopmans 1996: 28 ff.). BI können schätzungsweise bis zu 12 Prozent der erwachsenen Bevölkerung aktivieren. Ein Großteil davon kommt aus dem soziokulturellen Bereich und engagiert sich auf kommunalen Politikfeldern. Allerdings scheint das Sozialprofil von BI homogener als das von ihnen abgedeckte Spektrum gesellschaftlicher Interessen. Nomen est omen: »Bürgerinitiativen sind Bürger-Initiativen« (Armbruster 1979: 159); dennoch lohnt es sich genauer hinzusehen. Auch wenn die überwiegend positive Einstellung zur Mitarbeit in BI keine schichtenspezifischen Unterschiede mehr aufweist und sich BI von einer bürger-spezifischen Interessenvermittlung zu einer »Vertretung aller Bürger« entwickelt haben (vgl. von Kodolitsch 1984: 323), bleibt doch ein deutlicher Mittelschichtenbias 44 im Bereich der Initiatoren, Leiter und »Repräsentanten« der Bürgerinitiativen nach außen gegenüber administrativen Einrichtungen. »Überall nehmen sowohl bei der Initiierung wie bei der Durchführung der 44 Grundlegend zur Herrschafts- und Kommunikationsstruktur in Bürgerinitiativen die empirische Untersuchung von Schenk 1982. Zur sozialen Basis der NSB vgl. Rudzio 2006: 90 mit weiteren Literaturhinweisen. 173 <?page no="173"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld Aktionen Mitglieder der bürgerlichen Mittelschicht die führende Rolle ein.« (so schon Bahr 1972: 28). Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die oben für das Parlament, die politischen Parteien und Verbände festgestellte und für deren Sozialisationsdefizite mitverantwortliche »Herrschaft des Mittelstandes« (Benedict 1972: 80) waltet auch in den Bürgerinitiativen. Wer in den politischen Parteien aktiv ist und sich engagiert, tut dies eher als die »Karteileichen« auch außerhalb der Partei. Diese von der Parteien- und Partizipationsforschung nachgewiesene positive Korrelation zwischen innerparteilicher und außerparteilicher Partizipation stärkt den im Sozialprofil von NSB und BI abzulesenden Trend, die Partizipationschancen auf wenige zu begrenzen. Was folgt daraus für die politische Kommunikationsleistung von BI und Sozialisationseffekte von NSB gegenüber ihren Anhängern? Empirisch gesicherte Antworten werden maßgeblich vom Organisationstyp der Initiative abhängen. Die lose organisierte BI mit funktional differenzierter Aufgabenverteilung, relativ offener Führungsstruktur und einem ausgeprägten informellen Kommunikationsgeflecht entfaltet am ehesten eine prozessuale Dynamik, die Partizipationserfahrung nicht nur für eine interne Beteiligungselite reserviert. Sie ist nämlich auf dauernde Rückkoppelung mit der gesellschaftlichen Umwelt angewiesen. Dies dürfte schichtenübergreifende Kommunikationschancen für die Mitglieder erhöhen. Darüber hinaus markieren solche Initiativen ein unkonventionelles Partizipationsfeld, das sich durch geringen Institutionalisierungsgrad sowie kulturell bedingte Nähe zur weiblichen Sozialisation auszeichnet und deshalb - im Vergleich zu Parteien und Verbänden - eine geschlechtsspezifische Inklusion befördert (vgl. Hoecker 1995: 174 ff. mit weiteren Nachweisen). Demgegenüber werden formal institutionalisierte, vom Organisationstypus her einem Interessenverband ähnelnde Initiativen eher den Charakter sozialer Schließungsinstrumente annehmen, wenn es um den Zugang von Unterschichtangehörigen und von Frauen zu Partizipationserfahrungen geht. Offenbar verläuft die ungleiche Verteilung von Partizipationschancen und Kommunikationsmöglichkeiten entlang einer gesellschaftlichen Segmentationslinie, die soziale Übungsfelder für Bürgerbeteiligung schichtenspezifisch gegeneinander abgrenzt. Diese liegen für Mittelschichtangehörige eher im Reproduktionsbereich (Umwelt, Wohnung, Freizeit etc.) und damit in der Organisationsform von BI und den Aktionsformen der NSB. Für die Partizipation von Unterschichtangehörigen erstreckt sich das Terrain dagegen eher auf den Produktionsbereich (Arbeitsbedingungen, technisch-organisatorische Rationalisierung etc.). Es wird deshalb vornehmlich markiert durch die verbandsförmige Interessenorganisation der Gewerkschaften und steht in der Tradition einer alten sozialen Bewegung - der Arbeiterbewegung. Allerdings wird diese schichtenspezifische Polarisierung von politischen Kommunikationschancen, in denen die überkommene, durch den Interessengegensatz von Arbeit und Kapital gebildete Klassenstruktur der Industriegesellschaft durchscheint, zunehmend überlagert durch neue Formen der Vergesellschaftung: plurale Lebensstilgruppen 174 <?page no="174"?> 4.2 Neue soziale Bewegungen - soziale Übungsfelder für Politik und neue soziale Milieus. 45 Im Anschluss an Untersuchungen der kommerziellen Marktforschung (vgl. oben 1.1.3.3) und gestützt auf soziologische Theorien der Sozialstrukturanalyse (vgl. Bourdieu 1982) und der Mentalitätsforschung (vgl. Geiger 1932) hat sich inzwischen eine Milieu- und Lebensstilforschung etabliert. Ausgehend von der Prämisse, dass die NSB »nur die Spitze eines Eisberges soziostruktureller Veränderungen sind, von Veränderungen, die weit mehr Bevölkerungsanteile umfassen, als dies in den Neuen sozialen Bewegungen sichtbar wird« (Clemens 1990: 23), versucht diese Forschung, den Eisberg unter der Oberfläche auszuloten. Auf die Frage, welche gesellschaftlichen Interessen durch NSB vermittelt, mit anderen Worten, welche Interessenträger mit welchen Themen (Gender, Ökologie, Frieden etc.) erreichbar und mobilisierbar sind, verfügt die Bewegungsforschung über empirisch überprüfte Antworten. Auch wenn die sozialstrukturelle Verortung sozialer Milieus schwierig ist, so lassen sich doch erkennbare Gemeinsamkeiten neuer sozialer Milieus ausmachen. Dazu gehören, neben einer »emanzipatorischen« Integrationsideologie und einer personellen Rekrutierung überwiegend aus Beschäftigten in »modernen« Sektoren (neue Berufe, Humandienste, High-Tech-Arbeit) und neuen Armen, vor allem auch die Vernetzung der Milieus durch Alltagsformen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung: »Damit hat sich eine eigenständige Öffentlichkeit herausgebildet, die zugleich die Öffentlichkeit der NSB ist und die sich in zunehmenden Maße auch in die gesamtgesellschaftliche Öffentlichkeit einbringt.« (ebd.). Dieser Prozess ist von politischer Lernrelevanz. Er verändert die gesellschaftlichen Ansprüche an politische Partizipation über die institutionellen Vorgaben des tradierten Parteien- und Verbändesystems hinaus. Vor allem aber begründet er eine untergründige (Selbst-)Politisierung der Alltags- und Lebenspraxis. Zu bedenken ist allerdings, dass die empirische Absicherung dieser Annahmen noch auf schwachen Füßen steht. Milieuabgrenzungen orientieren sich an soziokulturellen Tatbeständen und gründen auf Merkmalsähnlichkeiten, ohne erkennbaren Bezug zur Sozialstruktur und zunächst auch ohne Aussagekraft für milieubedingtes politisches Lernen. Wer Milieuforschung betreibt, die Formation neuer Lebensstile in Stadtteilen untersucht, trifft in der Regel auf eine recht sperrige und gegenüber Forschungsinteressen nicht gerade aufgeschlossene Alltagspraxis. Antworten auf die Frage, worin deren spezifisch politische Dimension liegt, sind deshalb schwer zu finden. Mindestens ebenso problematisch ist die Interpretation des »politischen« Alltags als politische Lernpraxis. Dass im Alltag politisch gelernt wird, ist unbestritten, unabhängig von der Milieuzugehörigkeit. Für das alltägliche Zusammenleben unterschiedlicher Lebensstilgruppen in einer Großstadt werden von der Lebensstilforschung vor allem 45 Vgl. dazu den Forschungsüberblick von Berger/ Hradil 1990: 3 ff. und die Beiträge von Geißler zur »Bedeutung des Schichtbegriffs« (81 ff.) und von Hörning/ Michailow zum »Lebensstil als Vergesellschaftungsform« (501 ff.) im gleichen Band sowie die obigen Ausführungen zur Bedeutung von »sozialer Ungleichheit« für eine kritische Demokratiewissenschaft (1.1.3). 175 <?page no="175"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld drei Komponenten herausgearbeitet, die implizit politische Lernziele(-effekte) enthalten (vgl. Ritter 1990: 13): • die politische Indifferenz gegenüber Andersdenkenden (Existenz pluraler Lebensstilgruppen) • die gruppenimmanente Rechtfertigung des selbstgewählten Lebensstils (Gewöhnung an Differenz) • die Anerkennung des Rechts auf Besonderheit für sich und andere (demokratische Gruppenstruktur und kollektiver Partikularismus) Dieser politische »Lernzielkatalog« kann aber auch kritisch gegengelesen werden: Nährt die Indifferenz gegenüber Andersdenkenden nicht auch eine neue Gleichgültigkeit, schafft die Gewöhnung an Differenz nicht auch einen ausgeprägten, vielleicht überzogenen Individualismus und fördert der kollektive Partikularismus nicht gleichzeitig eine auf die Maße der Szenekneipe verkürzte politische Perspektive? Mit dem Aufkommen einer neuen sozialen Bewegung »von rechts« ist des Weiteren zu fragen, ob anstelle von Indifferenz gegenüber Andersdenkenden und Gewöhnung an Differenz nicht der Wille zur Ausgrenzung und Xenophobie in den politischen Lernzielkatalog national konservativer Milieus und reaktionärer Lebensstilgruppen gehören. Die Rückeroberung des Alltags als Raum für politisches Lernen findet ihren Ausdruck in den NSB und deren spezifischen Partizipationsformen: Demonstrationen, Diskussionen, Flugblättern, Versammlungen und in vielfältigen Organisationsformen (Bürgerinitiativen). Inwieweit diese Formen als Medien einer politischen Bewegungskultur schichtenspezifisch politische Kommunikations- und damit verbundene Lernchancen verteilen, kann auch nach dem kurzen Blick unter die Oberfläche organisierten Lernens nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Solange das Verhältnis von Lebensstilgruppe und sozialer Milieu- und Schichtzugehörigkeit nicht geklärt ist, erscheint deshalb die folgende abschließende These durchaus plausibel, nämlich dass • der Erwerb von politischer Partizipationskompetenz zwar milieuabhängig vorgeprägt sein mag, wobei neue soziale Milieus eine kulturelle Leitfunktion übernehmen können; • die Partizipation aber, das heißt die Umsetzung der Kompetenz im interessenorientierten Beteiligungshandeln, nach wie vor schichtenspezifisch formiert wird. 4.2.4 Fazit: Zur demokratiepolitischen Bedeutung von Bewegungsöffentlichkeit Milieuspezifische Vorprägung und schichtenspezifische Umsetzung von Partizipationskompetenz zeitigen Folgen für politische Kommunikation, soweit diese von NSB organisiert wird. Alltagskommunikation und politische Kommunikation klaffen auseinander. Erstere ist interpersonell strukturiert und vornehmlich milieugebunden, Letztere institutionell organisiert und schichtenspezifisch: Parlamente, Parteien, Verbände 176 <?page no="176"?> 4.2 Neue soziale Bewegungen - soziale Übungsfelder für Politik und Bürgerinitiativen organisieren überwiegend Mittelschichtenkommunikation. In der Gegenwartsgesellschaft, die sich sozialstrukturell als »Mittelschichtgesellschaft« mit einem hohen Anteil an neuen Armen, Randständigen und Ausgegrenzten darstellt, organisieren diese Einrichtungen die politische Kommunikation an starken gesellschaftlichen Minderheiten vorbei. Inwieweit BI und NSB auch für solche Gruppen Übungsfelder für Politik abgeben können, die durch die herrschende partei- und verbandsförmig organisierte politische Kommunikation ausgegrenzt bleiben, ist offen. Milieuverhaftung und Rückbindung an Alltagskulturen allein reichen nicht hin, um die politische Kommunikation nicht mehr nur für, sondern auch durch die Ausgegrenzten zu führen. Das Problem liegt im notwendigerweise mediatisierenden Charakter organisierter Kommunikation und damit von Lernorganisation. Mit der Organisation kommt die schichtenspezifische innerorganisatorische Herrschaftsstruktur ins Spiel. Hierin unterscheiden sich stark formalisierte Bürgerinitiativen kaum von den traditionellen politischen Einrichtungen und gesellschaftlichen Interessenorganisationen. BI und NSB sind, wie oben gezeigt, Initiativen zur Modernisierung der partei- und verbandsförmigen Organisation von politischer Kommunikation in Prozessen der Politik- und Interessenvermittlung. Soweit ihnen das gelingt, tragen sie zur Modernisierung der politischen Demokratie bei. Inwieweit sie darüber hinaus auch Beteiligungskompetenz vermitteln und damit zur Rekrutierung von Demokraten beitragen (im Sinne von demokratischer Qualifizierung), hängt entscheidend von ihrem Verhältnis zur politischen Öffentlichkeit ab. Neue soziale Bewegungen verkörpern neue Formen von Modernisierungsöffentlichkeit, aber sie entfachen auch autonome (Gegen-)Öffentlichkeit. Deshalb ist ihre demokratiepolitische Bedeutung ambivalent. Ihre Ambivalenz als Lernorte für Politik im doppelten Wortsinn - gelernt wird durch Politik (politisches Handeln) und für die Vermittlung von Politik (politisches Handeln Dritter) - entspricht ihrem Charakter als Medien für politische Kommunikation. Mehr noch als bei den anderen, traditionellen Kommunikationsmedien (Parlament, Parteien und Verbände) ist diese Ambivalenz die Folge ihrer Abhängigkeit von der öffentlichen Resonanz. Wo diese ausbleibt, kommen soziale Bewegungen ins politische Abseits; denn ihre (Einfluss-) Macht ist die Macht des besseren Arguments (kommunikative Macht). Was unter dem Gesichtspunkt von wirkungsmächtiger Politik- und Interessenvermittlung als Schwäche erscheint, kann sich als demokratiepolitische Stärke erweisen, nämlich dann, wenn soziale Bewegungen in ihren Organisationen neue Formen von autonomer Öffentlichkeit hervorbringen (zum Begriff vgl. die Öffentlichkeitstypologie oben 2.3.3). NSB bergen dadurch das Potenzial einer »demokratischen Produktivkraft« (Rucht 1997: 382 ff.) und damit eine demokratiepolitische Ressource, die allerdings nicht von allen Gesellschaftsmitgliedern in gleicher Weise genutzt werden kann. Die schichten- und geschlechtsspezifische Verteilung politischer Kommunikationschancen in partei- und verbandsförmig organisierten Prozessen der Politik- und Interessenvermittlung wird durch NSB und ihre Organisations- und Aktionsformen nicht aufgehoben, sondern eher verstärkt. Nicht zuletzt deshalb stellt sich die demokratiewissen- 177 <?page no="177"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld schaftlich relevante Frage nach politischen Lernorten und Kommunikationschancen, die auch für jene gesellschaftlichen Gruppen zugänglich sind, die von der Trias intermediärer Akteure der gesellschaftlichen Interessenorganisationen (Parteien, Verbände, NSB) nicht erreicht werden. Die Suche nach solchen Kommunikationsräumen und Lernorten führt auf ein Gelände, das bislang gegenüber einer politisch fungierenden Öffentlichkeit weitgehend abgedunkelt bleibt: die gesellschaftliche Produktion und betriebliche Arbeit. 4.3 Politik- und Interessenvermittlung in Arbeitsorganisationen: politische Kommunikation im Betrieb Arbeitsorganisationen sind Interessenorganisationen. Sie organisieren die Interessen des Unternehmers am Gewinn, des Managements an effizienter Nutzung der Arbeitskraft, der abhängig Beschäftigten an Entlohnung für die Arbeit, an qualifikationsgemäßem Arbeitseinsatz, Selbstverwirklichung in der Arbeit und nicht zuletzt am Erhalt des Arbeitsplatzes, aber auch die Interessen von Konsumenten an qualitativ hochwertigen Produkten, der Bürgerinnen und Bürger im regionalen Umfeld an umweltverträglichen Produktionsverfahren u. a. m. Diese Interessen sind unterschiedlich, zum Teil konfligierend und werden in der Demokratie öffentlich vermittelt. Dadurch werden sie Teil des Öffentlichen und demnach dessen, was vernünftig zu begründen und in Prozessen der Politikvermittlung zu kommunizieren ist. Die Orte, an denen gearbeitet und der gesellschaftliche Reichtum erzeugt wird, sind deshalb politische Felder. Diese werden gegenwärtig neu vermessen; denn die Bedingungen, unter denen die Menschen in den Fabriken und Büros arbeiten, sind im Umbruch. Neue Informations- und Kommunikationstechniken und neue Fertigungsmethoden verändern die Arbeitsbedingungen und bringen auch Bewegung in die Arbeitsbeziehungen. Dies ist in der Arbeitsforschung unbestritten, offen bleibt jedoch, wohin die Entwicklung geht. Aus demokratiewissenschaftlicher Sicht interessieren vor allem die Folgen für die Demokratie und damit die Frage nach dem demokratischen Potenzial von Arbeitshandeln in betrieblichen Organisationen. Inwieweit sind Arbeitsorganisationen Lernorganisationen? Vermittelt Arbeit Partizipationskompetenz? Dass Partizipationskompetenz durch Arbeit erworben werden könne, widerspricht der traditionellen Auffassung in den Arbeitswissenschaften. Danach gilt die Arbeitswelt als lernverschlossen, der Betrieb als bildungsfeindliches Milieu. Auch heute ist Arbeit für die meisten immer noch Last, Lernen dagegen für viele Lust. Arbeit heißt Belastung, Stress, fremdbestimmte Tätigkeit und eher Verlernen von Fähigkeiten, die den eigenen Bedürfnissen und Interessen entsprechen, und damit auch von Partizipationskompetenz. Lernen dagegen wird häufig assoziiert mit Freizeitaktivität, sozialem Aufstieg, 178 <?page no="178"?> 4.3 Politische Kommunikation im Betrieb mit selbstbestimmtem, den eigenen Interessen gemäßem Tun. Vor allem im Bereich der traditionellen Industriearbeit beherrschen monotone Arbeitsverrichtung und die Auslagerung von Lernmöglichkeiten aus dem Arbeitsprozess die betriebliche Praxis. Dass gleichwohl in Fabriken und Büros gelernt wird, steht außer Frage. Durch Arbeit werden nicht nur Güter, sondern auch Sozialcharaktere erzeugt. Die Stunden, die der Mensch arbeitet, »prägen sein Verhalten, auch in der Freizeit, auch gegenüber seiner Familie, seinen Kindern und seinen Freunden. Die Bedingungen, unter denen man arbeitet, und die Art dieser Arbeit sind eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung der Persönlichkeit: Sie können diese Entwicklung fördern, in dem Sinn, daß man Neues hinzulernt und seine Fähigkeiten entfaltet. Sie können die Persönlichkeit aber auch schädigen, wenn es sich etwa um geisttötende und stark belastende Arbeiten wie die am Fließband handelt.« (Volpert 1985: 184 f.). 46 Dass Arbeit und (Partizipations- )Lernen zusammengehören, weil sie nur zwei verschiedene Seiten ein und derselben Medaille darstellen, nämlich einer menschengerechten und sozial verträglichen Produktionsweise, ist mehr als eine abstrakte Utopie. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Arbeiterbewegung und ist Ausdruck von vitalen Arbeitnehmerinteressen an qualifizierter Tätigkeit und beruflicher Autonomie. Entscheidend aber ist, dass die Vorstellung, Arbeit müsse die Kreativität und Beteiligungsfähigkeiten der Arbeitenden fördern, unter den Bedingungen der entwickelten Industriegesellschaft (historisch vielleicht zum ersten Mal) eine tatsächliche Verwirklichungschance hat. Inwieweit diese genutzt wird, entscheidet maßgeblich über die demokratische Qualität von Politik- und Interessenvermittlung. Die folgenden Ausführungen werden die hinlänglich bekannte Kritik an den herrschenden partizipations- und lernfeindlichen Arbeitsbedingungen nicht fortschreiben. 47 Vielmehr sollen politisch-programmatische und strategische Grundlagen (vgl. 4.3.1) sowie empirische Befunde (vgl. 4.3.2) von neuen Möglichkeiten technisch und sozial induzierter Partizipation in Arbeitsorganisationen aufgezeigt und ihre Bedeutung für die Herausbildung von demokratischer Produktionsöffentlichkeit erörtert werden (vgl. 4.3.3). Ihre organisatorische Grundlage ist der öffentlich verfasste Betrieb (vgl. 4.3.4). 46 Diese Erkenntnis ist nicht neu. Karl Marx fasste sie in folgende Worte: Der Mensch setzt »die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand (. . . ) in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur.« (Marx 1972: 192). 47 Hierzu bietet die kritische Industrie- und Betriebssoziologie eine reichhaltige Fundgrube (vgl. z. B. Vilmar/ Kißler 1982) 179 <?page no="179"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld 4.3.1 Die neue Staatsbürgerlichkeit im Betrieb: normative und programmatische Grundlagen von Partizipationsarbeit Partizipationslernen im Betrieb setzt die Partizipation der Arbeitenden am Arbeitsplatz voraus. Die Forderung nach direkter Arbeitnehmerbeteiligung ist normativ begründet. Sie steht in zwei Traditionslinien: in einer älteren, gewerkschaftlichen Demokratisierungsprogrammatik und in einer jüngeren, arbeitspolitischen Modernisierungsprogrammatik. Da jede politisch-programmatische Partizipationsforderung, will sie Erfolg haben, durch die Betriebe hindurch muss, kommt es entscheidend darauf an, dass die betrieblichen Akteure sie aufgreifen und in ihrer Praxis umsetzen. Dies entscheidet maßgeblich darüber, wie und mit welchen Folgen partizipiert wird. Sich beteiligen heißt mitbestimmen. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer gehört zum Herzstück gewerkschaftlicher Programmatik und stellt im Verbund mit der Tarifautonomie eine tragende Säule der industriellen Beziehungen in Deutschland dar (vgl. Kißler 1992: 30 ff.; Müller-Jentsch 1997: 194 ff.). Die Mitbestimmungsidee ist alt. Sie reicht zurück bis in die Revolutionsjahre 1848/ 49. Als wirtschaftsdemokratische Forderung der Gewerkschaften wurzelt sie im von Fritz Naphtali (1928) entworfenen Programm des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (dem Vorläufer des DGB) zur Wirtschaftsdemokratie. Dieses Programm sieht eine mitbestimmte Wirtschaft auf vier Ebenen vor: am Arbeitsplatz durch die direkte Partizipation der Beschäftigten, im Betrieb durch die Mitbestimmung des Betriebsrats, im Unternehmen durch den Aufsichtsrat und schließlich in der Gesamtwirtschaft durch sogenannte Wirtschafts- und Sozialräte. In der Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland wurde diese Programmatik nur zum Teil eingelöst (vgl. Kißler 1992: 32 ff.; Demirovié 2006: 54 ff.). Gleichwohl sind die Arbeitenden im Betrieb nicht rechtlos. Menschen- und Grundrechte gelten auch hinter den Werktoren. Hierzu zählt unter anderem das Recht auf Arbeitsbedingungen, die die Menschenwürde nicht verletzen, aber auch die Meinungs- und Informationsfreiheit (des Art. 5 GG), nicht jedoch das Recht auf Partizipation. Dieses wird in der deutschen Betriebsverfassung begrenzt auf Wahlrechte (Teilnahme an Betriebsrats- und Personalratswahlen, Vertrauensleutewahlen) und das individuelle Beschwerderecht (§ 84 Abs. 1 BetrVG). Was fehlt, sind Möglichkeiten der Arbeitnehmer zur unmittelbaren Beteiligung am Arbeitsplatz. Vermehrte Beteiligungsmöglichkeiten außerhalb der Arbeitswelt (z. B. in Bürgerinitiativen), ein höheres Bildungsniveau und entsprechende Erwartungen an Handlungs- und Autonomiespielräume im Alltag erzeugen Modernisierungsdruck auch in den Betrieben und Büros. Auf Gewerkschaftsseite hat man inzwischen reagiert. Im Jahre 1985 legte der Bundesvorstand des DGB ein Programm auf, das die Erweiterung der Mitbestimmung auf den 180 <?page no="180"?> 4.3 Politische Kommunikation im Betrieb Arbeitsplatz vorsieht. Auch im geltenden Grundsatzprogramm des DGB vom November 1996 ist die direkte Beteiligung der Beschäftigten festgeschrieben. Die direkte Beteiligung der Arbeitenden an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen avancierte seit Beginn der 1970er Jahre in der Bundesrepublik und im europäischen Ausland auch zum Gegenstand von Regierungspolitik. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass eine staatliche Modernisierungspolitik, die das Beteiligungsinteresse der Arbeitenden ernst nimmt, vor allem in Skandinavien beheimatet ist (vgl. Fricke 1989: 136 ff.). Im bundesdeutschen Kontext sind vor allem drei modernisierungspolitische Programme zu nennen, die partizipationsoffen und forschungsvermittelt sind: • das Aktionsprogramm »Forschung Humanisierung des Arbeitslebens« (HdA-Programm) auf Bundesebene • das Programm »Mensch und Technik. Sozialverträgliche Technikgestaltung« (So- Tech-Programm) auf Länderebene • das New Public Management (in der deutschen Version des Neuen Steuerungsmodells) für den öffentlichen Sektor Beim HdA-Programm, von der sozial-liberalen Regierung im Jahr 1974 eingerichtet, handelt es sich, wie bereits aus dem Programmtitel hervorgeht, um ein Forschungsförderungsprogramm. Das Programm wurde auch nach dem Regierungswechsel von 1982 beibehalten, aber »entpolitisiert« (Fricke 2004: 149) und 1989 in »Arbeit und Technik« umbenannt. Schließlich legte die rot-grüne Bundesregierung 2001 unter dem Titel »Innovation Arbeitsgestaltung - Zukunft der Arbeit« ein Nachfolgeprogramm auf. In der ursprünglichen Programmzielsetzung heißt es: »Die Humanisierung des Arbeitslebens darf sich aber nicht nur im Abbau von Belastungen erschöpfen, sondern sollte darüber hinaus dem Einzelnen auch Möglichkeiten für die Entfaltung seiner Fähigkeiten und damit zur Selbstverwirklichung geben.« (Bundesminister für Forschung und Technologie (Hg.) 1978: 7). Noch deutlicher ausgeprägt ist die Partizipationsorientierung des So-Tech-Programms (vgl. von Alemann/ Schatz/ Viefhues 1986). Dieses ist eingebettet in eine arbeits- und technologiepolitische Programmatik der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die im Jahre 1984 als »Initiative Zukunftstechnologien« gestartet wurde. Das So-Tech-Programm erweitert die Forschungs- und Gestaltungsperspektive von der Arbeitsauf die Lebenswelt und öffnet die wissenschaftliche Expertenöffentlichkeit »nach unten«; angestrebt wurde der gesellschaftliche Diskurs über Technikanwendung und -folgenbewältigung. HdA-Programm und So-Tech-Programm postulieren die direkte Arbeitnehmerbeteiligung als wesentliche Voraussetzung für humane Arbeitsbedingungen. Das demokratiepolitische Verdienst beider Programme liegt darin, den Arbeitenden als betrieblichen Akteur »entdeckt« zu haben. Die direkte Arbeitnehmerbeteiligung an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen avancierte zu einem wichtigen, in der traditio- 181 <?page no="181"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld nellen Mitbestimmungsforschung völlig unterbelichteten und auch von der Industrie- und Betriebssoziologie sträflich vernachlässigten Forschungsthema. Direkte Partizipation lässt sich zwar programmatisch postulieren und forschungsvermittelt fördern, aber nicht oktroyieren. Entscheidend ist, dass die Akteure im Betrieb die programmatischen Vorstellungen aufgreifen und umsetzen. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Umsetzung einer modernisierungspolitischen Programmatik, die als deutsche Version des New Public Management in den 1990er Jahren und bis in die Gegenwart die Modernisierung der öffentlichen Arbeitsorganisationen prägte: das Neue Steuerungsmodell (NSM) (vgl. Budäus 1995; Thom/ Ritz 2000). Nach Maßgabe dieser modernisierungspolitischen Programmatik sollten die öffentlichen Verwaltungen nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch kundenorientierter (bürgerfreundlicher) und mitarbeiterorientiert werden. Im Zentrum der Mitarbeiterorientierung steht die Beteiligung der Beschäftigten an der Umgestaltung der Verwaltungs- und Arbeitsorganisationen. Vor allem in den Rathäusern gehörte in den 1990er Jahren die »Belegschaftsbeteiligung« zur gängigen »Modernisierungslyrik«: Die Kommunalverwaltung sollte durch die Mitwirkung der Beschäftigten modernisiert werden (vgl. Kißler 1995: 317 ff.). Wie die arbeitspolitische zeigt auch die modernisierungspolitische Programmatik der Beschäftigtenpartizipation erhebliche Divergenzen zwischen Theorie und Praxis (vgl. Kißler/ Bogumil/ Greifenstein/ Wiechmann 1997). Die Beschäftigten sehen nur geringe Einflussmöglichkeiten im Modernisierungsprozess (vgl. Schröder 1997: 2 f.) und stehen den Veränderungen zunächst skeptisch und inzwischen überwiegend ablehnend gegenüber (vgl. Grömig/ Gruner 1998: 581 ff.; Bogumil/ Grohs/ Kuhlmann/ Ohm 2007: 61 f., 94, 304 ff.). Sie gehören zu den Duldern und Verlierern der Verwaltungsmodernisierung und gewinnen auch auf dem Partizipationsgelände nichts hinzu. Die Partizipationsforschung zeigt aber auch deutliche Beteiligungsgewinne auf Seiten der Interessenvertretungen. Hierzu zählen die gewählten Personalräte und Gleichstellungsbeauftragten. Ihre delegative Partizipation (vgl. zum Begriff oben 2.1.1) wird aufgewertet, die direkte Partizipation der Beschäftigten dagegen zwar gefordert, aber in der Praxis kaum gefördert. Dies gilt für die praktische Umsetzung der arbeits- und modernisierungspolitischen Programmatik zur Beschäftigtenbeteiligung. Jenseits des normativen und programmatischen Rahmens, wie er von Gewerkschaften, Arbeits- und Modernisierungspolitik abgesteckt wird, existiert allerdings das weite Feld einer unternehmerischen Offensive, auf dem, abgesichert in Strategien des partizipativen Managements, neue Verfahren der direkten Partizipation eingeführt und erprobt werden. Sie sind Ausdruck eines neuen, »flexiblen Kapitalismus« (Sennett 1998), dessen Manager in den Arbeitsorganisationen mit differenzierten Partizipationsangeboten die Motivation, Eigeninitiative und Kreativität der Beschäftigten steigern und menschliche Arbeitskraft optimal nutzen wollen. In zahlreichen Unternehmen steht heute ein pfleglicherer »aufgeklärter ›Umgang‹ mit der lebendigen Arbeitskraft« (Kern/ Schumann 1984: 323) auf der Tagesordnung; 182 <?page no="182"?> 4.3 Politische Kommunikation im Betrieb denn angesichts verschärfter Konkurrenz, technischer Innovationen und erhöhter Flexibilitätsanforderungen, einhergehend mit neuem Qualitätsbewusstsein und Wertewandel, ist höhere Produktivität anders nicht mehr zu bekommen. Deshalb werden überkommene Führungsgrundsätze überprüft und partizipative Organisationsentwicklungsmodelle in den Unternehmen erprobt: Das Human-Resources-Management hat Konjunktur. Personalarbeit und -pflege sind in den 1980er Jahren aus dem Windschatten anderer Funktionsbereiche des Unternehmens (wie z. B. Fertigung, Absatz etc.) herausgetreten und haben einen ungeahnten Bedeutungszuwachs zu verzeichnen. Sie werden zur genuinen Managementaufgabe (vgl. Staehle 1994: 336 ff.). Zu ihrer Lösung reaktiviert das Management Human-Relations-Strategien. Partizipation dient als Sozialtechnik 48 zur Lösung von Akzeptanzproblemen, die häufig aus den Ängsten der Beschäftigten vor technisch-organisatorische Veränderungen der vertrauten Arbeitsbedingungen erwachsen. Darüber hinaus sollen das Erfahrungswissen und die technisch-organisatorische Phantasie der Beschäftigten in Arbeitsgestaltungsprozessen genutzt werden und schließlich ist Partizipation eine wichtige Motivationsquelle. Sie steigert das Verantwortungsbewusstsein der Partizipanten im Umgang mit den Arbeitsmitteln und in Bezug auf die Qualität des hergestellten Produkts. Partizipation als Managementstrategie erschließt »das Gold« in den Köpfen der Beschäftigten und damit eine wichtige, ansonsten brachliegende Ressource im Arbeitsprozess. Ein breites Spektrum von Verfahren der direkten Partizipation in Form von Qualitätszirkeln, Werkstattkreisen, Lernstatt, teil-autonomen Arbeitsgruppen usw. (vgl. Breisig 1990) dient diesem Zweck. Sie haben eines gemeinsam: Es handelt sich um Managementangebote. Sie können einseitig eingeführt und zurückgenommen werden und sind, demokratiewissenschaftlich bewertet, ambivalent. Die Beteiligungsverfahren belassen die Definitionsmacht über die Partizipationsinhalte und -ziele auf Seiten der betrieblichen Hierarchie und sind deshalb Herrschaftsinstrumente in den Händen des Managements (vgl. Gorz 2000). Aber Beteiligung ist implizit immer auch Herrschaftskritik. Partizipation, zum Beispiel in Qualitätszirkeln, eröffnet Lernfelder für den Erwerb von Beteiligungskompetenz (Qualitätszirkel sind Qualifizierungszirkel). Neue Formen der Arbeitnehmerbeteiligung schaffen Lernfelder für Partizipation »von oben«. Denn die Beteiligung ist kein Einbahnverkehr, sondern ein gegenseitiger Prozess des Informationsaustausches und der Interessenartikulation. Sie setzt deshalb Kompetenz auf beiden Seiten voraus: Die Partizipation der Arbeitnehmer in managementinitiierten Formen ermöglicht das Partizipationslernen für das mittlere und untere Manage- 48 Unter Sozialtechnik versteht man »Maßnahmen der Unternehmensführung, die auf unterschiedlichen Stufen eingesetzt werden zur (sekundären) Verhaltenssteuerung nachgeordneter Beschäftigtengruppen (. . . ). Sozialtechniken greifen vermutete und vorhandene Bedürfnisse der Beschäftigten teilweise auf, setzen positive Anreize und vermitteln am Unternehmerinteresse orientierte Bedeutungsmuster betrieblicher Realität.« (Breisig 1990: 9). Zur Praxis vgl. die Beiträge in: Kißler (Hg.) 1992 und neuerdings Schumann/ Kuhlmann/ Sanders/ Sperling (Hg.) 2006: 55 ff. 183 <?page no="183"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld ment. Inwieweit sie darüber hinaus auch zum Erwerb von Partizipationskompetenz für ausführende Arbeitskräfte beiträgt, ist damit noch nicht entschieden. In einschlägigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen überwiegt vor allem die Kritik. Mit neuen Sozialtechniken versuche das partizipative Management den subtileren Zugriff nicht nur auf die Arbeitskraft, sondern nun auch auf die ganze Person des Arbeiters. Partizipation diene vor allem der Arbeitnehmerintegration in das herrschende unternehmensspezifische Wertesystem. Die partizipative Unternehmenskultur schaffe neuartige individuelle Abhängigkeitsverhältnisse mit neofeudalistischen Zügen (vgl. Kißler 1990: 140). 4.3.2 Technisch-organisatorische Entwicklung durch Partizipation: Rationalisierung als Kommunikationsprozess Die Bedingungen, unter denen die Menschen in den Fabriken und Büros arbeiten, sind im Umbruch. Neue Informations- und Kommunikationstechniken sowie neue Fertigungstechniken verändern die Arbeitsbedingungen und bringen auch Bewegung in die Austauschbeziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Offen bleibt jedoch, wohin die Entwicklung demokratiepolitisch geht. In der arbeitssoziologischen Literatur überwiegt die kritische Skepsis. Hier werden vor allem die Risiken der neuen Techniken für die Beschäftigten betont und auf die Gefahren der Computerisierung für die herrschende delegative Partizipation der gewählten Interessenvertretungen hingewiesen. Neben den Risiken existieren allerdings auch Chancen, die zum einen als Lernchancen für den Erwerb von Partizipationskompetenz und zum anderen als Kommunikationsmöglichkeiten und Quellen innerbetrieblicher Öffentlichkeit genutzt werden können. Die Praxis zeigt, dass das Partizipationspotenzial der neuen Techniken bislang einseitig, nämlich überwiegend von Managementseite, genutzt wird. Eine breite Palette von Sozialtechniken belegt diesen Trend. Inwieweit dieses Potenzial auch zur Artikulation und Durchsetzung von Beschäftigteninteressen zu nutzen ist, bleibt eine offene Frage. Die Antworten können sehr unterschiedlich ausfallen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich beim Betrieb um kein soziales Vakuum, sondern um ein Konfliktfeld mit ausgeprägter Machtasymmetrie in den Sozialbeziehungen handelt, durchwirkt von einer hierarchischen Organisation. Wenn hier ein neues System der direkten Beteiligung an Kommunikations- und Entscheidungsprozessen etabliert wird, dann führt dies zu Friktionen auf Seiten der etablierten Produktionshierarchie und auf Seiten der gewählten Interessenvertretung. Wie die Implementationsprobleme von direkter Partizipation gelöst werden, beeinflusst maßgeblich deren demokratiepolitische Relevanz. Die Art und Weise, wie die neuen Techniken eingeführt werden (mit oder ohne Beschäftigtenbeteiligung) entscheidet darüber, inwieweit dabei Partizipationskompetenz erworben werden kann. Ob diese dann verschüttet oder aber immer wieder aktiviert 184 <?page no="184"?> 4.3 Politische Kommunikation im Betrieb wird, hängt des Weiteren davon ab, ob die Arbeitnehmer nicht nur über ihre Arbeit mitreden sollen, sondern auch in der Arbeit selbst neue Handlungsspielräume gewinnen. Genau dieses versprechen die »neuen Produktionskonzepte«. Mit der Einführung neuer Techniken hat - so scheint es - das alte tayloristische Produktionskonzept ausgedient. An die Stelle von rigider Arbeitsteilung treten ganzheitlich Aufgabenzuschnitte. »Das Ende der Arbeitsteilung? « heißt denn auch das einschlägige Werk, mit dem Kern und Schumann (1984) diese These arbeitssoziologisch begründet und in die wissenschaftliche und öffentliche Diskussion gebracht haben, 49 allerdings mit einem Fragezeichen im Buchtitel. Zweifellos ermöglichen neue Techniken eine Flexibilisierung und Dezen-tralisierung der Produktion mit organisatorischen Folgen, die die Position der Arbeitskraft im Produktionsprozess nachhaltig verändern können. Dezentralisierungsmaßnahmen verlagern Entscheidungen teilweise an den Arbeitsplatz zurück und werten die Arbeitskraft ideell und real auf. Die ideelle Aufwertung kommt nach Kern/ Schumann im veränderten Bild zum Ausdruck, das sich das Management vom Arbeiter macht. Hinter der Arbeitskraft werde der Mensch sichtbar. Dieser erscheine nicht mehr als Gegner, sondern trotz vorhandener Interessenunterschiede als Kooperationspartner und »aktiver Mitspieler im Betrieb« (Schumann 2006: 12). Ihre materielle Grundlage habe diese neue Wahrnehmungsweise in der Auflösung der alten Facharbeit und Requalifizierung der Industriearbeit. Tatsächlich bestätigt auch die Qualifikationsforschung, dass sich unter dem Einfluss der neuen Techniken die inneren Qualifikationsstrukturen verändern. Es kommt zu einer Verlagerung von fachlichen, berufsbezogenen zu überfachlichen, abstrakten Qualifikationsanforderungen, wie zum Beispiel Reaktionsschnelligkeit, Konzentrationsvermögen, Abstraktions- und Entscheidungsfähigkeit. Die neuen Produktionskonzepte fördern dadurch einen neuen Typ von Industriearbeit und die Herausbildung eines »neuen Facharbeiters«. Die Folgen dieser Entwicklung auf dem betrieblichen Beteiligungsterrain sind zweischneidig. Denn die Vernichtung der traditionellen Facharbeit zerstört auch, was für diese typisch war, eine enge Verkoppelung von hoher beruflicher Qualifikation und gewissen Freiheitsgraden und Handlungsspielräumen im Arbeitsprozess. Diesen Autonomieverlust wiegen die neuen Produktionskonzepte auf mit der Höher- und Andersqualifizierung einer weitaus kleineren Gruppe von Arbeitnehmern. Der neue Facharbeiter rekrutiert sich aus jenem Segment des innerbetrieblichen Arbeitsmarktes, das sich vornehmlich aus jungen, leistungswilligen, männlichen deutschen Arbeitnehmern zusammensetzt, die gemeinhin als »Rationalisierungsgewinner« gelten. Für diese bringen die neuen Produktionskonzepte einen doppelten Partizipationsgewinn: zum einen in Form neuer Handlungsspielräume und Beteiligungschancen in der Arbeit und zum anderen in Form von Partizipationsangeboten außerhalb des Arbeits- 49 Grundlegend zur Auseinandersetzung um die neuen Produktionskonzepte: Malsch/ Seltz (Hg.) 1987; einen guten Überblick vermittelt die Einführung von Jäger 1989: 113 ff. 185 <?page no="185"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld prozesses. 50 Diese führen zu einem »Besitzstandszuwachs« auf der Grundlage von symbolischer Gratifikation (= Partizipation). Rationalisierungsgewinner sind demnach auch Partizipationsgewinner. Diese sind jedoch dünn gesät. Denn bei zunehmend breiterer Diffusion der neuen Produktionskonzepte verändern sich die Arbeitsbedingungen nur zögerlich. 51 Der neue Facharbeiter gehört zu einer kleinen Minderheit. Daraus wird sich die zukünftige Partizipationselite im Betrieb rekrutieren. Was aber geschieht mit der Mehrheit der Rationalisierungsdulder (ältere Arbeitnehmer auf traditionellen Arbeitsplätzen) und der Rationalisierungsverlierer (Ausländer, Behinderte, Dequalifizierte und Frauen)? Für diese bergen die neuen Techniken nicht nur materielle Rationalisierungseinbußen bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes. Die Rationalisierungsverlierer verlieren auch auf dem innerbetrieblichen Partizipationsterrain. Rationalisierungsverlierer sind häufig nicht nur Partizipationsverlierer, sondern auch weiblich. Die neuen Techniken in der Arbeitswelt sind »weiblich«, für die Partizipation gelte dies auch. So konnte man in der ersten Phase der Technikeinschätzung in den 1980er Jahren hören. Dass Arbeiterinnen und weibliche Angestellte aufgrund der Spezifika des weiblichen Arbeitsvermögens und Lebenszusammenhangs über ein hohes Maß an Partizipationskompetenz verfügen, weisen Frerichs/ Morschhäuser/ Steinrücke (1989) eindrucksvoll nach. Frauen haben einen lebensweltlichen Zugang zur Partizipation, eine ganzheitliche Sicht der Dinge, was vermuten lässt, »dass Frauen, da sie aus der Perspektive des komplexen weiblichen Lebenszusammenhangs handeln, soziales und politisches Engagement als untrennbar verknüpft sehen - zugespitzt formuliert: dass in der Nicht-Trennung von sozialem und politischem Engagement ein spezifischer Politikzugang von Frauen gründet« (Frerichs 1988: 204 f.). Deshalb sind gerade weibliche Arbeitskräfte besonders aufgeschlossen gegenüber neuen Politikformen und Partizipationsverfahren im Betrieb. Dieser Befund deckt sich mit Ergebnissen der Partizipationsforschung zur Rolle der weiblichen Arbeitskräfte bei der Einführung neuer Techniken (vgl. Greifenstein/ Jansen/ Kißler 1991: 176 ff.). Zugleich aber tritt auf diesem Feld auch die besondere Problematik von »frauenverträglicher« Technikgestaltung durch die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen zutage. Sie besteht in der Diskrepanz zwischen nachgewiesener Partizipationskompetenz und -motivation einerseits und den tatsächlichen Beteiligungsmöglichkeiten für Frauen andererseits, dem Widerspruch also zwischen subjektiv- 50 Wie neue Produktionskonzepte in der betrieblichen Praxis Arbeit, Partizipation und Lernen zusammenführen, zeigt das derzeit spektakulärste Projekt auf deutschem Boden: »Auto 5000« der Volkswagen AG (vgl. Schumann/ Kuhlmann/ Sanders/ Sperling (Hg.) 2006 und speziell zur Qualifikationsproblematik den Beitrag von Sanders 2006: 79 ff.). 51 Für die Entwicklung in den Kernsektoren der Industrie (Automobilbau, Maschinenbau, chemische Industrie) vgl. den »Trendreport-Rationalisierung in der Industrie«, der den empirischen Befund der neuen Produktionskonzepte auf repräsentativer Datenbasis untersucht (Schumann/ Baethge-Kinsky/ Neumann/ Springer 1990: 47 ff. und Schumann u. a. 1994). 186 <?page no="186"?> 4.3 Politische Kommunikation im Betrieb personengebundenen und objektiv-organisatorischen Partizipationsbedingungen. Hinzu kommt die Ungleichheit der Zugangschancen zu hoch qualifizierten Arbeitsplätzen und damit zur Ausschöpfung des Partizipationspotenzials der neuen Techniken: Frauen sind Rationalisierungsverliererinnen und gehören zu den Partizipationsverlierern im Betrieb. Beide Thesen gilt es zu erläutern. Die spezifisch weibliche enge Verkopplung von Arbeits- und Lebenszusammenhang schafft nicht nur eine besondere Partizipationskompetenz, sondern generiert zugleich auch spezifische Partizipationshindernisse. Partizipation kostet Zeit, häufig auch arbeitsfreie Zeit. Die Doppelbelastung von berufstätigen Frauen stellt sich deshalb auch als Beteiligungsbarriere dar; denn kein betriebliches Partizipationsverfahren verändert die verfestigte Arbeitsteilung in außerbetrieblichen Lebenszusammenhängen. Die Partizipation gleicht deshalb einem Zwitter: Im Kompetenzbereich ist sie »weiblich«, in ihrer Organisation jedoch zugeschnitten auf die »männlichen« Arbeitsbedingungen. Partizipation hebelt die androkratische Grundstruktur von Betrieb und Arbeitsorganisation nicht aus, sondern verfestigt sie. Partizipative Technikgestaltung heißt deshalb für Frauen, und damit zur zweiten These, Vordringen in Entscheidungspositionen und damit auf männerdominierte Beteiligungsfelder. Diese liegen aber auf Seiten der Rationalisierungsgewinner. Als Rationalisierungsgewinnerinnen könnten Frauen auch neue Partizipationschancen hinzugewinnen und wahrnehmen. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. In den Betrieben existiert die schöne heile Computerwelt für Frauen nicht. 52 Auf die Frage, ob neue Techniken für Frauen neue Chancen bringen, die geschlechtsspezifische Ungleichheit abzumildern und sie am Rationalisierungsgewinn zu beteiligen, ist nicht pauschal zu antworten. Einerseits können unbestreitbar durch Computereinsatz Arbeitsplätze vernichtet werden. Betroffen sind davon vor allem Frauenarbeitsplätze. Aber selbst dort, wo Frauen auf EDV- Arbeitsplätzen sitzen, erhalten sie häufig nach wie vor weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen. Und schließlich arbeitet der weitaus größte Teil von Frauen auf wenig qualifizierten und schlechter bezahlten EDV-Arbeitsplätzen (z. B. Dateneingabe am Terminal). Der ehemals, auch in der feministischen Wissenschaft, propagierte »andere« Zugang von Frauen zur neuen Technik ist kurz. Er endet meistens am Datenterminal. Über Daten und Computer aber verfügen andere. Solange Frauen - und im Übrigen auch die meisten ihrer männlichen Kollegen - von dieser Verfügung ausgeschlossen bleiben, ist Skepsis angebracht. Es steht zu befürchten, dass der »weibliche« Zugang zu den neuen Techniken nicht auf den Weg zu einer neuen Chancengleichheit bei der Verteilung des Rationalisierungsgewinns führt, sondern in die Sackgasse der alten geschlechtsspezifischen Ungleichheit. 52 Zur Auswirkung der neuen Techniken auf Arbeit, Beschäftigung und Weiterbildung von Frauen vgl. den Forschungsüberblick von Gensior/ Lappe 1990. 187 <?page no="187"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld Diese eher pessimistische Erwartung findet sich in empirischen Forschungsarbeiten bestätigt. Diese zeigen, dass in den untersuchten Betrieben, sobald neue Techniken eingeführt werden, auch mit neuen Sozialtechniken in Form von Beteiligungsverfahren experimentiert wird. In den seltensten Fällen ändert sich dadurch die Situation der weiblichen Arbeitskräfte grundlegend. Immer noch sind es die Strukturen betrieblicher Herrschaft, in denen sich die »Männergesellschaft« widerspiegelt und die den Frauen nicht nur Qualifizierungs- und Aufstiegschancen verbauen, sondern auch Partizipationsmöglichkeiten nehmen. Dieser Befund gilt nicht nur für private Unternehmen, sondern auch für die öffentlichen Verwaltungen. Auch wenn das herrschende Modernisierungskonzept des NSM »blind« für die geschlechtsspezifischen Probleme von Veränderungsprozessen ist, sind diese in ihren Voraussetzungen und Folgen jedoch keineswegs geschlechtsneutral (vgl. Wiechmann/ Kißler 1997 und Wiechmann 2006). Dies gilt auch für die Partizipation (vgl. Kißler/ Graf/ Wiechmann 2000: 13 ff.). Die im Zuge der Modernisierung der Verwaltungsorganisationen und der Rationalisierung der Verwaltungsarbeit eingeführten Partizipationsverfahren berücksichtigen nur unzulänglich die Interessen der Beschäftigten und binden weibliche Beschäftigte noch weniger als ihre männlichen Kollegen in die Modernisierungsprozesse ein (vgl. Kißler/ Graf/ Wiechmann 2000: 57 f.). Hierfür werden konzeptionelle Defizite der Partizipation und vor allem die defizitäre Ergebnisumsetzung geltend gemacht, aber auch eine fehlende Akzeptanz auf Seiten der Führungskräfte. Fazit: Für die Beteiligung von ArbeitnehmerInnen gilt, was die direkte Partizipation im Betrieb insgesamt kennzeichnet: Sie stürzt nicht die Hierarchie und kehrt keine Trends um. Vielmehr wirkt sie trendverstärkend. Wo die Belegschaften durch die Einführung neuer Techniken in Segmente zerfallen, verschärft die Partizipation den Segmentierungsprozess, zum Beispiel zwischen Rationalisierungsgewinnern, -duldern und -verlierern. Gilt dies auch für die Machtverteilung im Betrieb? Die Antwort entscheidet über die demokratiepolitische Relevanz von Beteiligungsverfahren und liefert die Grundlage für eine Beurteilung der Arbeitsorganisation als Lernorganisation für Partizipation. 4.3.3 Neue Produktionsöffentlichkeiten - neue Lernorte für Partizipation Für eine abschließende Bewertung von neuen Formen der direkten Arbeitnehmerbeteiligung und damit des Betriebes als Lernort für Partizipation ist die Reichweite der Beteiligung maßgebend. Entscheidend für die Reichweite direkter Partizipation - erinnert sei an die Definition von Macht (vgl. oben 2.1.1) - ist die Definitionsmacht der Akteure im Produktionszyklus des partizipativen Regelsystems und damit die Frage: 188 <?page no="188"?> 4.3 Politische Kommunikation im Betrieb Wer setzt die Verfahrensregeln für direkte Partizipation, wer interpretiert sie und wer ist an ihrer Einführung und Umsetzung beteiligt? Anhand dieser Kriterien soll zunächst eine Typologie von Verfahren der direkten Partizipation das breite Spektrum unterschiedlicher Beteiligungsformen strukturieren, um sodann Defizite und Erweiterungsnotwendigkeiten aufzuzeigen. Schließlich wird gefragt, was die einzelnen Partizipationstypen zur Herstellung von Produktionsöffentlichkeit beitragen, das heißt, inwieweit sie Partizipationslernen ermöglichen und demokratiepolitisch relevant sind. Fragt man danach, wer an der Setzung, Interpretation und Implementation von Partizipationsregeln beteiligt ist, dann können zunächst zwei Verfahrenstypen unterschieden werden: Verfahren, deren Regelproduktion lediglich einem betrieblichen Akteur obliegt (unilaterale Verfahren), und solche Verfahren, an deren Regelsystem mehrere Akteure beteiligt sind (multilaterale Verfahren) (vgl. Tab. 5). Typ 1, die unilaterale Partizipation, umfasst managementinitiierte (Variante 1) und gewerkschaftlich initiierte Beteiligungsverfahren (Variante 2). Variante 1 ist vor allem in kleineren und mittleren Unternehmen mit traditionellen Interessenvertretungen ausgeprägt. Variante 2 entspricht der DGB-Konzeption zur Mitbestimmung am Arbeitsplatz und ist bislang kaum von praktischer Relevanz. In beiden Varianten dominiert jeweils ein Akteur das partizipative Regelsystem, was der eine (das Management) dabei an Definitionsmacht hinzugewinnt, muss der andere (der Betriebsrat) abgeben: Machtverteilung als Null-Summenspiel. 53 Typ 2, die multilaterale Partizipation, öffnet die Regelproduktion teilweise (Variante 3: verhandelte Beteiligung) oder ganz (Variante 4: kooperative Beteiligung) zwei betrieblichen Akteuren: dem Management und der Interessenvertretung. In den Unternehmen werden häufig im Rahmen von Modernisierungsprozessen Partizipationsverfahren zwischen Betriebsleitung und Interessenvertretung (Betriebs- oder Personalräte) in Betriebs- oder Dienstvereinbarungen geregelt (Variante 3). Diese Variante dominiert die Praxis. Variante 4 (kooperative Beteiligung) finden wir vor allem in Großunternehmen. Dort wird das Beteiligungsverfahren ausgehandelt, in Form einer Betriebsvereinbarung festgelegt und dann in enger Zusammenarbeit von Management und betrieblichen Interessenvertretungen (Betriebsrat, Vertrauensleute) umgesetzt. In der Regelproduktion des multilateralen Beteiligungsverfahrens (Typ 2) gewinnen beide Akteure hinzu: Machtverteilung als positives Summenspiel. Und die Arbeitnehmer selbst? Diese treten in sämtlichen Partizipationsvarianten erst in der letzten Phase der Regelproduktion auf den Plan - als Ausführende von Aufgaben, die der Definitionsmacht der beiden anderen Akteure entspringen. Die direkte Arbeitnehmerbeteiligung kommt ohne Beteiligung der Arbeitnehmer zustande. 53 Zur Machtverteilung vgl. die letzte Spalte in Tab. 5. Die Pfeilrichtung zeigt das vermutliche Ergebnis des Machtspiels an. 189 <?page no="189"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld p y t s n o i t a p i z i t r a P 1 p y T n e r h a f r e V e l a r e t a l i n u 2 p y T n e r h a f r e V e l a r e t a l i t l u m 3 p y T n o i t a s i n a g r o s t i e b r A e v i t a p i z i t r a p e r u e t k A l e g e R n o i t k u d o r p 1 e t n a i r a V t n e m e g a n a M t r e i i t i n i 2 e t n a i r a V h c i l t f a h c s k r e w e g t r e i i t i n i 3 e t n a i r a V t l e d n a h r e v 4 e t n a i r a V v i t a r e p o o k g n u z t e s l e g e R l a r t n e z l a r t n e z e d n o i t a t e r p r e t n i l e g e R n o i t a t n e m e l p m i l e g e R s e h c s i g e t a r t s t n e m e g a n a M g n u r h ü f s t f ä h c s e G s e v i t a r e p o t n e m e g a n a M e r a b l e t t i m n u e t z t e s e g r o V d n a b r e v h c a D o r P - B G D . B . z ( ) 4 8 9 1 n o v m m a r g t f a h c s k r e w e g l e z n i E g n u t e r t r e v n e s s e r e t n I ) t a r s b e i r t e B ( e h c i l t f a h c s k r e w e G e t u e l s n e u a r t r e V t a a t S n e i e t r a p f i r a T / g n u r h ü f s t f ä h c s e G e r t r e v n e s s e r e t n I g n u t e r a b l e t t i m n u e t z t e s e g r o V e g a n a M s e h c s i g e t a r t S t a r s b e i r t e b n r e z n o K / t n e m h ü f s t f ä h c s e G t a r s b e i r t e B / g n u r e g a n a M s e v i t a r e p O g n u t e r t r e v n e s s e r e t n I / t n e m ) t a r s b e i r t e B ( / e t z t e s e g r o V e r a b l e t t i m n u g n u t e r t r e v n e s s e r e t n I ) e t u e l s n e u a r t r e V ( / ) f i r a t l e t n a M . B . z ( n e i e t r a p f i r a T ) k i t i l o p s t i e b r A . B . z ( t a a t S / t n e m e g a n a M s e h c s i g e t a r t S g n u t e r t r e v n e s s e r e t n I / t n e m e g a n a M s e v i t a r e p O r e m h e n t i e b r A / g n u t e r t r e v n e s s e r e t n I / e t z t e s e g r o V e r a b l e t t i m ) n u ( r e m h e n t i e b r A / g n u t e r t r e v n e s s e r e t n I l e i p s n e m m u S s e v i t i s o p l e i p s n e m m u s l l u N g n u l i e t r e v t h c a M t n e m e g a n a M e t z t e s e g r o V . v n e s s e r e t n I r e m h e n t i e b r A t n e m e g a n a M e t z t e s e g r o V . v n e s s e r e t n I r e m h e n t i e b r A t n e m e g a n a M e t z t e s e g r o V . v n e s s e r e t n I r e m h e n t i e b r A t n e m e g a n a M e t z t e s e g r o V . v n e s s e r e t n I r e m h e n t i e b r A t n e m e g n a M e t z t e s e g r o V . v n e s s e r e t n I r e m h e n t i e b r A Quelle: In Anlehnung an Greifenstein/ Jansen/ Kißler 1993: 335 Tabelle 5: Verfahren der direkten Partizipation - eine Typologie 190 <?page no="190"?> 4.3 Politische Kommunikation im Betrieb Sämtliche Entwicklungsvarianten von direkter Partizipation haben, bei allen Unterschieden in der institutionellen Absicherung, Rückholbarkeit und im Themenspektrum der Beteiligung ein Weiteres gemeinsam: Die Partizipation ist parallel zum Arbeitsprozess organisiert. Das Beteiligungshandeln und das Arbeitshandeln fallen auseinander. Deshalb sind Erwartungen im Hinblick auf eine Überwindung der tayloristischen Arbeitsorganisation unrealistisch. Sämtliche Formen außerhalb des Arbeitsprozesses angesiedelter Beteiligung kompensieren vielmehr die Defizite einer inkommunikativen, hochgradig verdichteten und lernfeindlichen Arbeitsweise. Wo die Poren des Arbeitsprozesses geschlossen sind, eröffnen die Beteiligungsverfahren Möglichkeiten zum Ausbruch aus der Routine und zum Gespräch. Darin liegt gerade ihr Modernisierungspotenzial. Bei technisch-organisatorischen Innovationen sichert die Partizipation Akzeptanz (so vor allem in den Varianten 1 und 3) und dynamisiert die tradierten Akteursbeziehungen (so vor allem in den Varianten 2 und 4). Beide Partizipationstypen, die uni- und die multilateralen Verfahren, reduzieren demnach die Beteiligung auf ihren Modernisierungseffekt. Was heißt dies für die Produktionsöffentlichkeit im Betrieb? (Vgl. zum Öffentlichkeitsbegriff oben 2.3.) Sämtliche Varianten der Regelproduktion von Partizipationsverfahren generieren eine Produktionsöffentlichkeit, die sich maßgeblich von einem partizipationsverschlossenen Arkan-Modell unterscheidet. Sie ermöglichen asymmetrische Kommunikation über produktionsbezogene Entscheidungen. Mit der Einführung und weitgehenden Durchsetzung eines Modernisierungsmodells von Produktionsöffentlichkeit sind Arbeitsbeziehungen, die eine unbefragte Machtausübung des »Herrn im Haus« erlauben, zwar an-, aber keineswegs abgeschlagen. Denn die einseitige Disposition über Modernisierungsöffentlichkeit der unilateralen Beteiligung (Varianten 1 und 2) birgt ein erhebliches Refeudalisierungspotenzial. Gemeint ist damit die Umgestaltung des kollektiven Arbeitsverhältnisses in ein individuell ausgestaltetes Treue-/ Fürsorgeverhältnis im Zuge langfristig angelegter, individualisierender Personalpolitik des Human-Resources-Management und auf der Grundlage von betrieblichen Qualifizierungskonzepten und Beteiligungsangeboten (vgl. Kißler 1990: 140 ff.). Das im Rahmen von Modernisierungsöffentlichkeit ermöglichte Partizipationslernen führt zur reibungsloseren Integration, kaum aber zur wirkungsvolleren Interessenartikulation der Partizipanten. Der politische Sozialisationseffekt ist demnach nicht die betriebliche Citoyenneté, sondern die Corporate Identity. Wenn aber direkte Partizipation nicht nur die Defizite einer vormodernen Betriebs- und inkommunikativen Arbeitsorganisation kompensieren soll, dann geht kein Weg an einer Partizipation vorbei, die das Beteiligungsprinzip auf sich selbst anwendet: durch partizipative Regelproduktion. Voraussetzung hierfür ist, dass die Arbeitnehmer möglichst von Anfang an, das heißt bereits an der Regelsetzung des Partizipationsverfahrens beteiligt werden. Ein solcher Partizipationstyp (Typ 3) unterscheidet sich von den uni- und multilateralen Verfahren dadurch, dass er die Beteiligung der Arbeitenden nicht für diese, sondern mit ihnen gemeinsam regelt: der »dritte Akteur«, 191 <?page no="191"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld der Arbeitnehmer selbst, kommt dadurch ins Macht-Summenspiel. Die partizipative Regelproduktion erhält dann die Perspektive einer teil-autonomen Produktionsöffentlichkeit. Das Autonomiemodell der Produktionsöffentlichkeit geht - wie oben (vgl. 2.3.3) erläutert - davon aus, dass sich die Geltungsansprüche von produktionsbezogenen Entscheidungen unter verbindlicher Beteiligung der Betroffenen einlösen. Diese werden dadurch aufgewertet: vom Anhängsel der Maschine, bzw. Systemelement in einem elektronisch gesteuerten Fertigungsprozess zum Mittelpunkt der Produktion, vom Untertan zum Staatsbürger im Betrieb. Dies klingt utopisch. Aber dass es sich bei der autonomen Produktionsöffentlichkeit nicht um eine wirklichkeitsferne Utopie handelt, kann die empirische Partizipationsforschung belegen. So entstehen in deutschen Großunternehmen (anfänglich vor allem in der Automobilindustrie), aber inzwischen auch in Verwaltungsorganisationen (vgl. Nentzel 2001: 75 ff.; Kißler/ Bogumil/ Greifenstein 2001: 81 ff.), neben neuen Formen von Beteiligung in der Arbeitsgruppe, auch neue Formen der Gruppenarbeit (vgl. Binkelmann/ Braczyk/ Seltz (Hg.) 1993; Kißler 1994b: 86 ff.; Schumann 1996: 253 ff.; Dörre 2002: 120 ff.; Gerst 2006; Kuhlmann 2006: 93 ff.). Das Arbeiten in der teilautonomen Gruppe ermöglicht eine Beteiligung, die sich nicht im Reden über die Arbeit erschöpft, sondern sich in der Arbeit fortsetzt und damit den Arbeitsprozess zum Partizipations- und Lernprozess umgestaltet. Diese Entwicklung ist demokratiepolitisch durchaus riskant. Sie kann nämlich die Belegschaft in Rationalisierungsgewinner und -verlierer polarisieren und in die Sackgasse betrieblicher Modernisierungsverfahren für Partizipationseliten führen. Sie kann aber auch auf den steinigen Pfad langwieriger Kompetenzaneignung und Organisationsentwicklung gelenkt werden mit dem Ziel einer vernünftigen und das heißt diskursiven Verständigung über die Bedingungen, unter denen zukünftig zu arbeiten ist. Ausschlaggebend für die Richtung, in die die Entwicklung geht, wird sein, inwieweit neue Formen von Produktionsöffentlichkeit einen Kommunikationstransfer in den Arbeitsprozess erlauben 54 und gleichzeitig eine dauerhafte verbindliche Kommunikation über die Arbeitsbedingungen zulassen. Dies ist die Frage nach der Transformation der Betriebsverfassung zur Öffentlichkeitsverfassung. 4.3.4 Fazit: Die Transformation der Betriebsverfassung zur Öffentlichkeitsverfassung Kommunikative Arbeitsbedingungen erschöpfen sich nicht im Arbeitsprozess. Die dort gewonnenen Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch auf der Grundlage horizontaler Kommunikation zwischen den Arbeitenden bilden eine notwendige, aber nicht hinrei- 54 Z. B. auf der Grundlage einer integralen Strategie der Arbeitshumanisierung (vgl. Vilmar/ Weber 2004: 105 ff.) 192 <?page no="192"?> 4.3 Politische Kommunikation im Betrieb chende Bedingung für Partizipationslernen. Hinzu kommen muss die Rückbindung horizontaler Kommunikation an einen vertikalen Kommunikationsprozess, der es erlaubt, arbeitsorientierte Interessen in produktionsbezogene Entscheidungen einzubringen. Unter vertikaler Kommunikation versteht man den Informationsaustausch zwischen den Akteuren in den betrieblichen Arbeitsbeziehungen. Hierbei handelt es sich um asymmetrische Machtbeziehungen zwischen Management, Interessenvertretung und Arbeitnehmern. Mit dem Ausbau der Arbeitsbeziehungen zu weitgehend symmetrischen Kommunikationsbeziehungen ist die betriebliche Dimension einer Transformation der Betriebsverfassung zur Öffentlichkeitsverfassung angezeigt: der öffentlich verfasste Betrieb. Die Öffentlichkeitsverfassung des Betriebes hat zwei Seiten: sie ist a) interne Öffentlichkeit des Betriebs (betriebliche Organisationsöffentlichkeit) und b) externe Öffentlichkeit über den Betrieb (gesellschaftliche Produktionsöffentlichkeit). Die Transformation der Betriebsverfassung zur Öffentlichkeitsverfassung reicht demnach über den Betrieb als räumlich, organisatorisch und personell definierten Gegenstand hinaus. Sie setzt in den folgenden betrieblichen und überbetrieblichen Kommunikationsräumen an: • am Arbeitsplatz (Arbeitsgruppen) • im Betrieb (betriebliche Interessenvertretung/ Management) • im Unternehmen (Aufsichtsrat/ Vorstand) • in der Kommune/ Region (Administration, Verbände/ Parteien/ Bürgerinitiativen) Auf jeder dieser Ebenen stehen rechtliche und institutionell abgesicherte Transformationsinstrumente für den Umbau der Betriebsverfassung zur Öffentlichkeitsverfassung zur Verfügung: Auf der Ebene des Arbeitsplatzes sind die Wahlrechte der Arbeitnehmer, das individuelle Beschwerderecht, das Vorschlagswesen und die oben vorgestellten neuen Formen direkter Arbeitnehmerbeteiligung (Qualitätszirkel, Gruppenarbeit etc.) relevant. Für die Qualität des Arbeitsplatzes als Lernort kommt es darauf an, diese Rechte zu nutzen, an der Definitionsmacht über neue Beteiligungsverfahren auch die Arbeitnehmer zu beteiligen und den Arbeitsprozess selbst partizipativ zu gestalten. Die in der »modernen« Fabrik vorherrschende Modernisierungsöffentlichkeit verkörpert ein Durchgangsstadium von der traditionellen Arkan-Haltung (»Monarchie« im Betrieb) zur autonomen Organisationsöffentlichkeit (Betriebsdemokratie). Im Kommunikationsraum Betrieb sind vor allem die »Unterrichtung der Arbeitnehmer« (gemäß § 110 BetrVG), betriebliche Presseerzeugnisse (Werkszeitung, Flugblätter, Schwarzes Brett etc.) und vor allem die Betriebsversammlung (gemäß §§ 42, 43 Abs. 2 Satz 3 BetrVG) zu nennen. Diese Öffentlichkeitsrechte werden in der Praxis keineswegs ausgeschöpft. Die Information der Arbeitnehmer kommt in der Regel über die »demonstrative Publizität« von bereits getroffenen Entscheidungen nicht hinaus. So künden zum Beispiel Presseerzeugnisse und Aushänge in der formelhaften Sprache 193 <?page no="193"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld von Verordnungen Maßnahmen an, ohne im Sinne einer kritischen Publizität deren Entstehungsprozess und die Entscheidungsgrundlagen zu verdeutlichen. Vor allem die Betriebsversammlung, das zentrale Kommunikationsmedium des Betriebsrats, bleibt hinter den Erwartungen einer kritischen Öffentlichkeit zurück. Die gesetzlich vorgeschriebene Informationspflicht wird in technokratischer Herrschaftssprache (so vor allem in Großbetrieben), durchsetzt mit sozialpaternalistischen Stilübungen (so vor allem in kleineren Betrieben), abgewickelt. Das Belegschaftspublikum reduziert sich zum Akklamationsorgan, abgesichert durch ein äußeres Szenarium, das die repräsentative Publizität höfischer Arkan-Haltung imitiert: Der Monarch (Betriebsleiter), flankiert von seinem Hofstaat (Bereichsleiter, Führungskräfte) und kaum kontrolliert durch das »Parlament« (Betriebsrat, gewerkschaftliche Vertrauensleute), repräsentiert nicht das Volk, sondern vor dem Volk (der Belegschaft). Die bisherige defizitäre Praxis lässt den Schluss zu, dass für die Transformation der Betriebsverfassung zur Öffentlichkeitsverfassung keine neuen Kommunikationsrechte zu fordern sind, vielmehr die vorhandenen Rechte besser zu nutzen wären. So eröffnet zum Beispiel die Informationspflicht des § 43 BetrVG auch die Möglichkeit, Abteilungs- und Bereichsversammlungen abzuhalten, in denen die Arbeitnehmer eher mit arbeitsplatznahen Themen zu Wort kommen und ihre Interessen artikulieren können. Im Bereich des Unternehmens verkörpert der Aufsichtsrat das zentrale Öffentlichkeitsforum und zwar im doppelten Wortsinn - als Forum der Unternehmensöffentlichkeit und als Forum für die unternehmensbezogene externe Öffentlichkeit. Der Aufsichtsrat ist deshalb das zentrale Kommunikationsmedium der internen Organisationsöffentlichkeit, weil er auf der Grundlage von Wahlakten und vermittelt durch den Betriebsrat Kommunikation zu den betrieblichen Akteuren herstellt. 55 Der Aufsichtsrat repräsentiert aber auch unternehmensexterne Produktionsöffentlichkeit, weil seine Mitglieder sich zum Teil aus externen (Aktionärs-)Versammlungs- und Verbandsöffentlichkeiten rekrutieren. So haben die Gewerkschaften zum Beispiel für die Aufsichtsräte in der Eisen- und Stahlindustrie und im Bergbau (Montanindustrie) ein Delegationsrecht und für die Aufsichtsräte der Großunternehmen ein Vorschlagsrecht für die Wahl von Arbeitnehmervertretern. Allerdings zeigt die Entwicklung der Aufsichtsratszusammensetzung einen deutlichen Trend zum Ausschluss externer Produktionsöffentlichkeit. Diese war in den paritätisch besetzten Montanaufsichtsräten noch vertreten durch den sogenannten »neutralen Mann« und durch je »ein weiteres Mitglied« auf der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbank. Die Mitbestimmungsgesetze außerhalb der immer unbedeutenderen 55 Je nach Mitbestimmungsmodell variiert die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder, die von der Arbeitnehmerseite gewählt werden. Zu den Funktionen des Aufsichtsrats und zu seiner Bedeutung als Mitbestimmungsorgan in unterschiedlichen Branchen und Unternehmensgrößen vgl. Kißler 1992: 45 ff.. 194 <?page no="194"?> 4.3 Politische Kommunikation im Betrieb Montanindustrie kennen diese institutionell vorgegebene Orientierung an unternehmensübergreifenden Interessen nicht mehr. Die Zusammensetzung der Aufsichtsräte bildet hier nur noch den Interessengegensatz von Kapital und Arbeit ab. Mit diesem Rückzug des Unternehmens aus der Öffentlichkeit steigt das Risiko einer betriebsegoistischen Nutzung von Kommunikationsmöglichkeiten und dadurch gegebenen Partizipationschancen. Vor allem aber bedeutet der Rückzug aus der Öffentlichkeit einen Rückschritt auf dem Weg zur vernünftigen und das heißt öffentlichen Verständigung darüber, wie und was produziert werden soll. Eine solche Verständigung aber ist das Gebot der Stunde; denn große Unternehmen sind nicht nur wirtschaftlich bedeutende Produktionszentren und damit für Arbeitsplätze und Wohlstand breiter Bevölkerungsgruppen im kommunalen und regionalen Unternehmensumfeld verantwortlich. Sie verkörpern häufig auch durch ihre Produktionsweise und die hergestellten Produkte Destruktionszentren. Für ihre Destruktionspotenziale sind die Beispiele Legion: von der Umweltzerstörung durch Emissionen über die massiven Infrastruktureingriffe in die ökologischen Grundlagen auch jenseits des kommunalen und regionalen Umfeldes bis zum Export von Giftstoffen und Massenvernichtungsmitteln. Hieraus erwächst den Unternehmen eine bedeutende Öffentlichkeitsaufgabe, die nicht mit verbesserten PR-Maßnahmen und glänzenderen Werbebroschüren zu bewältigen ist. Vielmehr geht es um die Herstellung von unternehmensübergreifenden Öffentlichkeiten, in denen die kommunikativ gewonnenen Betriebsöffentlichkeiten »aufzuheben« sind. Sie haben ihren sozialen Ort in der Kommune und Region und ihre Grundlage in der Kommunikation zwischen betrieblich-organisatorischen und außerbetrieblich-politisch fungierenden Formen von Produktionsöffentlichkeit. Konkret heißt dies: • Erweiterung der gesellschaftlichen Interessenrepräsentation im Aufsichtsrat noch über das Montanmodell von 1951 hinaus, zum Beispiel durch Vergabe von Aufsichtsratsitzen an Vertreter von Verbraucher- und Umweltorganisationen, • Ausbau und Dynamisierung der Kommunikation zwischen betrieblichen Interessenvertretungen und intermediären Einrichtungen auf der Grundlage bereits bestehender Gewerkschafts- und Parteiverbindungen und schließlich • Herstellung und Pflege von Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Formen der Betriebsöffentlichkeit (z. B. Betriebsrats-, gewerkschaftliche Vertrauensleute- und auch Streiköffentlichkeit) und neuen Formen kommunaler und regionaler Öffentlichkeit (z. B. Bürgerinitiativen, Stadtteilgruppen, kritische Presse etc.) über die traditionellen Gewerkschafts- und Parteikontakte hinaus. Für den Betrieb als Lernort für Partizipation stellt sich die zentrale kommunikative Herausforderung auf diesem Feld der direkten Arbeitnehmer- und Bürgerbeteiligung an produktionsbezogenen Entscheidungen (wie z. B. Betriebsstilllegungen). An solchen Entscheidungen entzünden sich Kritik, Partizipationsmotivation und die kri- 195 <?page no="195"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld tische Publizität kommunaler und regionaler Teilöffentlichkeiten. Die Wiege solcher Produktionsöffentlichkeiten hat ihren geographischen Ort: Hattingen, Rheinhausen, Bischofferode etc. Ihr Publikum rekrutiert sich aus der traditionellen über- und innerbetrieblichen Arbeiteröffentlichkeit (Gewerkschaften, Interessenvertretungen und ihnen nahestehende politische Parteien) und aus den mit ihnen vernetzten regionalen und kommunalen Teilöffentlichkeiten (wie z. B. die »Frauen vor Tor 1« oder der Verein »Leben und arbeiten in Rheinhausen«). Die politische Kommunikationsaufgabe dieser neuen Formen von Produktionsöffentlichkeit bringt einer ihrer Initiatoren, der Betriebsrat Steegmann (1988: 14), auf den Punkt: »Wir gründen jetzt hier einen Verein ›Leben und arbeiten in Rheinhausen‹. Eine Art politisches Bindeglied auch für den Zeitraum, wenn die Belegschaft auseinander fällt.« Im Medium politischer Kommunikation über Produktionsentscheidungen formieren sich Elemente einer kritischen Gegenöffentlichkeit zum »runden Tisch«. Mit dieser Einrichtung der gesellschaftlichen Interessenvermittlung im sozialen und politischen Umbruch Mittel- und Osteuropas der 1990er Jahre könnte die zukunftsweisende Institution im Transformationsprozess der Betriebszur Öffentlichkeitsverfassung gefunden sein - als Antipode zur herrschenden neo-korporatistischen Kartellierung der Interessenvermittlung. Als Instanz produktionsbezogener Kommunikation hätte der Runde Tisch einerseits die Rudimente proletarischer Öffentlichkeit (im Sinne von Negt/ Kluge 1972) zu integrieren und andererseits die Zerfallsformen der kritischen bürgerlichen Öffentlichkeit (vgl. Stamm 1988: 271) zu reaktivieren. »Politisch« ist diese produktionsbezogene Kommunikation am Runden Tisch deshalb, weil sie den gesellschaftlichen Diskurs über die Arbeits- und Produktionsbedingungen eröffnen könnte und damit die Chance enthält, den Zusammenhang von betrieblich organisierter Arbeit gesellschaftlicher Produktion und politischem Lernen neu zu definieren: als öffentlich verfassten Raum für theoretische Reflexion, kollektive Erfahrungsverarbeitung und Wiederaneignung von Lebensgelände. Dies ist der Stoff, aus dem kritische Öffentlichkeit entsteht und damit ein gesellschaftliches Sensorium, das es erlaubt, die Destruktionspotenziale und Risiken der herrschenden Produktions- und Lebensweise wahrzunehmen. Eine im kommunalen und regionalen Umfeld von Unternehmen um Runde Tische formierte kritische Öffentlichkeit bleibt jedoch, wie andere partei- und verbandsförmig organisierte Formen der Politik- und Interessenvermittlung auch, auf die Mitwirkung massenmedial erzeugter Öffentlichkeit angewiesen. Presse, Funk, Fernsehen und Internet verstärken mit ihren technischen und organisatorischen Möglichkeiten die Stimme politischer Öffentlichkeiten und konstruieren einen Ermöglichungsraum für die politische Kommunikation. Als Megaagenturen politischen (Ver-)Lernens erregen sie demokratiewissenschaftliche Aufmerksamkeit. 196 <?page no="196"?> 4.4 Politische Kommunikation als Massenkommunikation 4.4 Politische Kommunikation als Massenkommunikation: Politik- und Interessenvermittlung durch die Massenmedien »Auf die Bildersturzbäche, die täglich über sie hereinbrechen, hochgejazzt zu Sensationen oder eingesülzt als Beiträge zur unterhaltenden Wissensbereicherung, auf die Wortlawinen und Papiermassen, die Internet-Ströme und die Bücherstapel reagieren die Bürger offenkundig mit einer wachsenden inneren Müdigkeit. Viele schalten ab. Oder lassen den Informationsstrom durch sich hindurchrauschen. Das idealisierte ›Prinzip Öffentlichkeit‹ - seit der Aufklärung gedacht als eine Art übergreifende Gesamtvernunft - funktioniert nicht mehr.« (Leinemann 2005: 9) Wenn diese kritische Einschätzung des bekannten Journalisten und Autors zutrifft, was folgt hieraus für die politische Kommunikation und welche Konsequenzen zeitigt der Befund für Bestand und Zukunft der Demokratie? Politische Kommunikation ist weitgehend medienvermittelt. Damit kommt den Massenkommunikationsmitteln eine zentrale Bedeutung für Bestand und Ausbau der Demokratie zu. Sie artikulieren gesellschaftliche Interessen gegenüber den intermediären Organisationen (Parteien, Verbänden etc.) und ermöglichen dadurch die partei- und verbandsförmige Interessenartikulation in politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen. Die »Macht« der Parteien und Interessenorganisationen im politischen System - insbesondere das Einflusspotenzial der politischen Opposition - beruht zum großen Teil auf mediengestützter Kritik und Kontrolle. Daraus folgt die bekannte und oben dargelegte Tatsache, dass es sich bei der politischen Öffentlichkeit intermediärer Einrichtungen um Medienöffentlichkeit handelt, mit der Konsequenz, dass die politische Kommunikationsleistung von Parteien und Verbänden maßgeblich von der Medienpräsenz der Partei- und Verbandseliten und von der Öffentlichkeitsarbeit der jeweiligen Organisation abhängt. Partei- und verbandsförmig organisierte politische Kommunikation wird zum Ergebnis eines »professionellen Kommunikationsmanagements« (für die politischen Parteien vgl. von Alemann 1990: 116). Diese Problemdimension einer mittelbaren, gewissermaßen durch Zwischenschaltung von intermediären Organisationen wahrgenommenen Kommunikationsaufgabe der Massenmedien bleibt in den folgenden Ausführungen unberücksichtigt. Sie wurde bereits oben bei der Darstellung der politischen Kommunikationsfunktion von Parteien und Verbänden abgehandelt. Im Folgenden geht es um die mediale Kommunikationsfunktion zwischen politischem System und Gesellschaft, die die Massenmedien originär, unmittelbar und (gelegentlich auch) gegen und in Konkurrenz zu anderen intermediären Einrichtungen wahrnehmen. Dabei stehen zwei Problemfelder im Vordergrund: erstens das Verhältnis zwischen Massenmedien und Bürgern und zweitens die medieninterne Informationsverarbeitung. Auf dem ersten Problemfeld geht es um die Frage nach der Existenz eines massenmedial (mit-)konstituierten politisch fungie- 197 <?page no="197"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld renden gesellschaftlichen Publikums, auf dem zweiten Feld um die Herausbildung eines kritischen Journalistenpublikums. Beide Problemfelder sind normativ befrachtet und werden gekennzeichnet durch verfassungsrechtlich untermauerte Erwartungen an die politische Kommunikations- und Sozialisationsleistungen der Massenmedien (vgl. dazu 4.4.1). Die Wirklichkeit massenmedialer politischer Kommunikation weist Diskrepanzen zum Verfassungsauftrag an die Massenmedien auf, politische Kommunikation herzustellen. Die Kritik entzündet sich nicht nur an der herrschenden massenmedialen Inszenierung von politischer Öffentlichkeit -, was mit einigen Schlaglichtern auf die Medienpraxis empirisch untermauert werden soll (vgl. 4.4.2) - sondern auch an den Folgen für Politik- und Interessenvermittlung in der Mediendemokratie. Sie sind von enormer demokratiepolitischer Relevanz (vgl. dazu 4.4.3). 4.4.1 Die politische Kommunikationsfunktion der Massenmedien: normative Grundlagen und institutionelle Rahmenbedingungen Die Massenmedien sind die Träger von Massenkommunikation. Im Unterschied zur interpersonalen Kommunikation handelt es sich hierbei um jene Form organisierter Kommunikation, die der Veröffentlichung von privaten Meinungen dient und im Ergebnis die öffentliche Meinung auf ihren empirisch fassbaren Gehalt bringt: als veröffentlichte Meinung. Organisierte Kommunikation dieser Art gilt nach der klassischen Definition von René König (1958: 172) als »Verbreitung bestimmter symbolischer Inhalte mittels besonderer technischer Veranstaltungen (. . . ) über weit verstreute Menschenmengen«. Einen theoretischen Zugang zur Massenkommunikation bietet die bekannte Formel von Lasswell (1964: 37): »Who says what in which channel to whom with what effect? « Mit dieser Fragestellung sind die relevanten Problemkreise der Massenkommunikation markiert: die Kommunikatoren (»wer«), das Kommunique (»was«), die Kommunikanten (»zu wem«) und die Kommunikationseffekte (»mit welcher Wirkung«). Bei der Frage nach den Kommunikatoren ist zu unterscheiden zwischen privater Presse und öffentlich-rechtlichem sowie privatem Funk und Fernsehen (duale Rundfunkordnung). Die Frage nach dem »was«, den Medieninhalten also, stellt sich in unserem Themenzusammenhang als Frage nach der Verteilung von Definitionsmacht über die Kommunikationsthemen und nicht in erster Linie als Frage nach den medial transportierten Inhalten; denn auch scheinbar unpolitische Medieninhalte können politisch höchst relevante Folgen zeitigen. Mit den Kommunikanten ist das Medienpublikum gemeint und damit die Adressaten von massenmedial aufbereiteter Information. Die Art und Weise, wie diese an der Massenkommunikation beteiligt werden, schließt den Kreis. Die Kommunikationswirkung auf Seiten der Medienadressaten ist Gegenstand 198 <?page no="198"?> 4.4 Politische Kommunikation als Massenkommunikation der Frage nach den politischen Lerneffekten eines partizipierenden Publikums. An ihnen bildet sich die politische Sozialisationsleistung der Massenmedien ab. Als Träger der Massenkommunikation bieten die Medien ihren Adressaten grundsätzlich Chancen zur Teilnahme an öffentlicher Meinungsbildung und damit zur Konstitution von öffentlicher Meinung. Hierin kommt die Öffentlichkeitsfunktion der Medien zum Ausdruck. Die Medien nehmen diese wahr, indem sie Informationen sammeln, interpretieren und verbreiten. Sie bieten damit, und darin liegt der Kern ihrer Öffentlichkeitsfunktion, »zumindest die Chance, möglichst viele Staatsbürger mit den politischen und sozialen Auseinandersetzungen zu konfrontieren. (. . . ) Ohne Massenmedien bestände die Gefahr, dass unbekannt, undiskutiert und ungeregelt bliebe, was als Streit der Interessen und Meinungen in der Demokratie öffentlich auszutragen ist.« (Meyn 2004: 23) Die Öffentlichkeitsfunktion der Massenmedien umfasst demnach ein breites Aufgabenspektrum: Information, Unterhaltung und Bildung des Bürgers, Kritik und Kontrolle des politischen Systems (politische Willensbildung und Entscheidungsfindung, Exekutivhandeln, Justiz etc.), aber auch die Repräsentation gesellschaftlicher Interessen 56 und die soziale Integration der Medienadressaten. Gerade diese Aufgaben sind entscheidend für die Beantwortung der Fragen nach dem Zugang zu den Medien (Partizipation) und nach der Ausgestaltung der Informationsverarbeitung durch die Medien (Publizität). Von der Qualität der medial erzeugten Publizität und der Partizipation eines Medienpublikums an der massenmedial hergestellten politischen Kommunikation hängt die politische Sozialisationsleistung der Massenmedien ab und letztlich auch ihre demokratische Relevanz. Die Öffentlichkeitsfunktion der Medien findet ihre normative Absicherung in • der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs.1 Satz 1 GG), • der Pressefreiheit und in • der Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG). Diese Rechtsinstitute gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Garanten für die freie Bildung einer öffentlichen Meinung und damit als konstituierender Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das Recht der freien Meinungsäußerung gilt als »eines der vornehmsten Menschenrechte (. . . ). Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt (. . . )« (BVerfGE 7, 198 (208)). 56 Hierzu zählt vor allem auch die Repräsentation von schwach organisierten oder unorganisierten gesellschaftlichen Interessen, die sich, über die intermediären Einrichtungen des Partei- und Verbändewesens nur unzureichend artikulieren können. Die Öffentlichkeitsaufgabe umfasst demnach auch die Herstellung von Chancengleichheit, nämlich »die Interessen der Machtlosen in die Meinungsbildung einzubringen und auf diese Weise für die Chancengleichheit zu sorgen, von der das Grundgesetz in seinem Demokratie-Verständnis ausgeht« (Meyn 2004: 25). 199 <?page no="199"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld Das Grundrecht der Informationsfreiheit, wonach jeder Bürger das Recht hat, »sich aus allgemein zugänglichen Quelle ungehindert zu unterrichten« (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), ist in hohem Maße demokratierelevant; denn es sichert die Existenz jenes mündigen und verantwortungsbewussten Bürgers, der als Subjekt realer politischer Partizipation zu gelten hat. Erst mit Hilfe der Informationsfreiheit »wird der Bürger in den Stand gesetzt, sich selbst die notwendigen Voraussetzungen zur Ausübung seiner persönlichen und politischen Aufgaben zu verschaffen, um im demokratischen Sinne verantwortlich handeln zu können« (BVerfGE 27, 71 (81f.)). Die Informationsfreiheit gründet auf der Pluralität von publizistischen Organen. Sie dient »zugleich der Rationalität und Wahrheitsorientierung des Meinungsbildungsprozesses. Die zugrunde liegende Philosophie setzt nicht auf die Zuverlässigkeit des einzelnen Organs, sondern auf den ständigen Prozess von Äußerung und Gegenäußerung, von wechselseitiger Korrektur und Kontrolle.« (Rudzio 2006: 384). Deshalb, so das Bundesverfassungsgericht, müssen die Rundfunk- und Fernsehprogramme (nicht unbedingt die einzelne Sendung) ausgewogen sein und sich durch eine gewisse Vielfalt auszeichnen (BVerfGE 12, 259 ff. und BVerfGE 31, 314 ff.). Voraussetzung für dieses Beteiligungswissen und damit für eine wesentliche Komponente der Partizipationskompetenz ist die Verfassungsgarantie der freien Presse. Im Unterschied zur Meinungs- und Informationsfreiheit ist die Pressefreiheit mehr als ein Individualrecht, das der Einzelne gegenüber dem Staat geltend machen kann. Das Grundgesetz schützt darüber hinaus die Presse in ihrer Gesamtheit als eine in der Demokratie unentbehrliche Einrichtung. Die Verfassungsgarantie umfasst demnach sowohl den Schutz vor staatlichen Eingriffen als auch den Schutz gegenüber gesellschaftlicher Macht (etwa wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen gegenüber Presseunternehmen). Die Verfassungsgarantie der freien Presse umfasst die äußere und die innere Pressefreiheit. Die äußere Pressefreiheit meint, dass »die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung gewährleistet ist« (BVerfGE 10, 118 (121)). Die äußere Pressefreiheit garantiert demnach den Zugang einer breiten Masse von Bürgern zu den Pressemedien. Damit hat die innere Pressefreiheit zu korrespondieren. Sie wird garantiert durch die Begrenzung der Einflussnahme des Presseunternehmens auf die Redaktion. Die Sicherung redaktioneller Freiheit muss als wesentliche Voraussetzung eines demokratischen Prozesses der innermedialen Informationsverarbeitung verstanden werden. Sie gründet in dem Recht »der im Pressewesen tätigen Personen (. . . ) ihre Meinung in der ihnen geeignet erscheinenden Form ebenso frei und ungehindert zu äußern wie jeder andere Bürger« (ebd.). Die Wahrnehmung von Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit wird begrenzt durch die Rechte Dritter, vor allem durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und durch das Recht auf Persönlichkeitsschutz. Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit finden nach Art. 5 Abs. 2 GG »ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in 200 <?page no="200"?> 4.4 Politische Kommunikation als Massenkommunikation dem Recht der persönlichen Ehre« (vgl. zu diesen Schranken der Kommunikationsrechte mit einschlägigen Praxisbeispielen Meyn 2004: 48 ff.). Pressefreiheit ist unteilbar. Das Recht unterscheidet nicht zwischen »guter« und »schlechter« Presse. Um die verantwortungsvolle Nutzung der Pressefreiheit zu garantieren, wurde der Presserat eingerichtet. Er arbeitet freiwillig und stellt das »moralische Gewissen« der Presse dar. Der Presserat setzt sich zusammen aus zehn Verlegern und zehn Journalisten. Seine Aufgabe ist es, Missstände im Pressewesen festzustellen und auf deren Beseitigung hinzuwirken, Beschwerden über einzelne Blätter zu prüfen und gegebenenfalls Rügen auszusprechen, Strukturveränderungen in der Presse aufzuzeigen sowie Entwicklungen entgegenzutreten, die eine freie Informations- und Meinungsbildung gefährden könnten und in Pressefragen gegenüber dem Gesetzgeber, der Regierung und Öffentlichkeit Vorschläge zu machen und Stellung zu beziehen (vgl. Meyn 2004: 58 f.). Der Presserat ahndet Verstöße gegen den »Pressekodex« (in der Fassung vom 20. Juni 2001). Dieser umfasst Richtlinien für die publizistische Arbeit und ist Grundlage für die Beschwerden der Bürger beim Presserat. Beim Presserat handelt es sich um eine Einrichtung der Selbstkontrolle. Wegen fehlender Sanktionsmöglichkeiten halten Kritiker den Presserat für einen »zahnlosen Tiger« (Meyn 2004: 62). Eine weitere Kontrollinstanz der Presse stellt die Bundesprüfstelle dar. Ihre Mitglieder werden vom für die Jugend zuständigen Bundesministerium und den Länderregierungen ernannt. Sie überprüfen Presseerzeugnisse darauf hin, ob sie »geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden«. Vor allem »verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeiten, Verbrechen oder Rassenhass anreizende sowie den Krieg verherrlichende Werke« (ebd.) werden in eine Liste eingetragen. Veröffentlichungen, die während eines Jahres mehr als zwei Mal auf diesen Index kommen, dürfen für die Dauer von drei bis zwölf Monaten Jugendlichen nicht zugänglich gemacht und deshalb nicht im Handel angeboten werden. Für die Transformation gesellschaftlicher Interessen und für die politische Partizipation des Bürgers sind neben der Presse der Rundfunk und vor allem das Fernsehen zu nennen. Diese Kommunikationsmedien dürfen »wegen der weitreichenden Wirkungen und Möglichkeiten sowie der Gefahr des Mißbrauchs zum Zwecke einseitiger Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden« (BVerfGE 31, 314 (325)). Die Wahrung der Rundfunkfreiheit verlangt nach herrschender Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, »daß dieses moderne Instrument der Meinungsbildung weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert wird. Die Veranstalter von Rundfunkdarbietungen müssen also so organisiert werden, daß alle in Betracht kommenden Kräfte in ihren Organen Einfluss haben und im Gesamtprogramm zu Wort kommen können« (ebd). Aus dieser Vorschrift folgt nicht zwingend eine öffentlich-rechtliche Organisationsform der Medien, 57 wohl aber 57 In mehreren Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht diese Argumentationslinie fortgeführt. Danach gelten die Pluralitätsanforderungen gegenüber privaten Programmanbietern nicht in 201 <?page no="201"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld eine umfassende, die Kontrolle der Kontrolleure ermöglichende, innermediale Publizität: »Öffentlichkeit aller politisch relevanten Vorgänge in den Sendeanstalten und die kritische Beobachtung dieser Vorgänge durch die politischen und gesellschaftlichen Kräfte gehören untrennbar zu einer demokratischen Organisation von Rundfunk und Fernsehen.« (Seifert 1972: 145) Fazit : Die normativen und institutionellen Grundlagen der Massenkommunikation stehen unter dem Primat der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit. Diese verschaffen den Medien eine »machtvolle Stellung« (Rudzio 2006: 385). Wie diese für die politische Kommunikation genutzt wird, zeigt ein Blick auf die Medienpraxis. 4.4.2 Print- und Funkmedien: empirische Befunde zu ihrer politischen Kommunikationsleistung Die politische Kommunikationsleistung der Massenmedien entscheidet sich auf zwei Feldern. Im Verhältnis zu den mediennutzenden Bürgerinnen und Bürgern und auf dem Feld der innermedialen Demokratie. Beide Bereiche geben Auskunft über die Aufnahme von gesellschaftlichen Interessen durch die Medien. Die ausgewogene Interessenrepräsentation in massenmedial inszenierter politischer Kommunikation stellt sich bei den verschiedenen Medien unterschiedlich dar. Zunächst zu den Printmedien. 4.4.2.1 Pressefreiheit im Schatten des Zieldualismus Die private Presse unterliegt den Marktgesetzen mit der Folge, dass die Verwirklichung der äußeren und inneren Pressefreiheit entscheidend von der Wettbewerbssituation und Marktstellung des Presseunternehmens abhängt. Das entscheidende Datum für das Unternehmen kann deshalb nicht der Informationsaustausch mit einem gesellschaftlichen Medienpublikum sein, sondern die Auflagenhöhe. Von der Auflagenhöhe hängen die Werbeeinnahmen ab. Zwei Drittel und mehr der Gestehungskosten einer Zeitung werden aus Anzeigenerlösen finanziert. Ähnlich stellt sich die Situation bei Zeitschriften dar, wo schon vom äußeren Erscheinungsbild her der mehr oder weniger informative und/ oder unterhaltsame Text (das Kommunique) der bloßen Verpackung von Werbeannoncen dient. Der Wettbewerb und die wirtschaftlich potenten Anzeigenkunden, fiskalische und steuerliche Vorteile der Verlags-, Druckereifusionen, kostensenkende Rationalisierungsmaßnahmen im Herstellungsprozess sowie das Bestreben, Absatzpositionen zu festigen und Marktrisiken zu verteilen, begünstigen jenen Prozess, der die äußere Pressegleichem Maße wie gegenüber den öffentlichen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss eine »Grundversorgung« sichern. Er genießt eine »Bestands- und Entwicklungsgarantie« (vgl. BVerfGE 57, 295 ff.; 73, 118 ff.; 83, 238 ff.). Ein Staatsvertrag zwischen den Bundesländern (vom 3. April 1987) schreibt die Dualität zwischen privaten und öffentlichen Anbietern fest und fordert von den privaten Programmgestaltern »Binnenpluralität«. 202 <?page no="202"?> 4.4 Politische Kommunikation als Massenkommunikation freiheit bedroht: die Pressekonzentration. Fünf große Verlagsgruppen teilen den Markt der »Kaufzeitungen« nahezu vollständig (zu 95,1 %) unter sich auf. Bei den Tageszeitungen insgesamt verfügen die zehn größten Verlagsgruppen über einen Marktanteil von 56,1 Prozent. Allein die Axel-Springer AG hält nahezu ein Viertel (22,7 %) der Auflage bei den Tageszeitungen, auf Rang zwei folgt die Verlagsgruppe WAZ (6 % anteilige Auflage) (vgl. Röper 2004: 270). Zwar ist die Gesamtauflage im Zeitungsmarkt in den letzten Jahren deutlich gesunken, aber nach wie vor verkauft ein Verlagshaus über 80 Prozent aller Zeitungen. Trotz deutlicher Auflagenverluste im Boulevard- Zeitungsmarkt verkauft sich »Bild« täglich in 3,8 Mio. Exemplaren (ebd.: 271) und erreicht damit ca. 9 Mio. Leser. Insbesondere in Ostdeutschland kam durch Verdrängungswettbewerb der westdeutschen Großverlage ein beispielloser Konzentrationsprozess in Gang, »der an Tempo und Ausmaß alles überbot, was man bislang in Deutschland auf diesem Sektor erlebt hatte« (Meyn 2004: 125). Zwar scheint mit Blick über die Landesgrenzen das deutsche Presseangebot vielfältiger als in manch anderen Ländern. Schaut man jedoch genauer hin, ist es mit der Angebotsvielfalt nicht weit her. Der bereits Mitte der 1970er Jahre nicht mehr überschaubare »Strukturwandel in der Tagespresse« (vgl. Drucksache des Deutschen Bundestages VII/ 2104: 5, 7) wird gekennzeichnet durch einen starken Rückgang von kleinen Verlagen und von Vollredaktionen. Hinter der hohen Anzahl von Zeitungstiteln, die eine bunte Vielfalt suggeriert, steht die Verarmung der Inhalte. Heute wird in ihrem politischen und allgemeinen Teil nicht einmal mehr jede zehnte Tageszeitung journalistisch selbstständig gestaltet (nur noch 135 von insgesamt 1567 Titeln). Der Zeitungsmantel wird von marktbeherrschenden Unternehmen gekauft, die eigene Produktion beschränkt sich auf die Sparte »Lokales«. Das Ergebnis ist eine zunehmende Monopolisierung des Zeitungsmarktes. Kleine Zeitungen werden vollständig aufgegeben, Regionalzeitungen schließen, einzelne Lokalredaktionen stellen Lokalausgaben ein, die Zeitungsdichte sinkt, das »Zeitungssterben« hält an. Ein Indikator für diese Entwicklung ist die wachsende Zahl von sogenannten Einzeitungskreisen und dort entstehenden Angebotsmonopolen. Viele Leser können sich über das lokale Geschehen deshalb nur aus einer Tageszeitung informieren. Anders verhält es sich bei der überregionalen Berichterstattung: Keine der wenigen überregionalen Zeitungen in Deutschland ist ohne Konkurrenz. Dagegen besteht in mehr als der Hälfte der Kreise (55,1 %), was die lokale Presse angeht, keine Alternative für die Bürger. In Ostdeutschland ist die Monopolisierung von Lokalzeitungen noch ausgeprägter. Hier berichtet inzwischen in zwei Dritteln aller Kreise und Städte nur ein Blatt über das regionale Geschehen (vgl. Meyn 2004: 79). Wenn aber der Wettbewerb fehlt, entfällt ein wesentlicher Anreiz für die journalistische Tätigkeit. Die Lokalberichterstattung weist, wie die Medienforschung zeigt, häufig Züge einer idyllischen Politikvermittlung auf (Simon 1987: 242 ff.). Die Lokalpresse degeneriert zum Instrument der lokalen Honoratiorengesellschaft, deren Interessen sie vornehmlich abbildet und in den Rang von öffentlicher Meinung erhebt und 203 <?page no="203"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld damit gegen Kritik immunisiert. 58 Dadurch nimmt die Meinungsveröffentlichung die Form der partizipationsfeindlichen repräsentativen Publizität an. Noch deutlicher entblößt sie ihren Herrschaftscharakter dort, wo die Lokalberichterstattung die Öffentlichkeitsarbeit der Rathäuser mit übernimmt. Anstatt Sprachrohr der Bürger ist sie PR-Instrument der lokalpolitischen Eliten. Ob Konzentration bei den Tageszeitungen, Kooperation zwischen nachrangigen und marktbeherrschenden Unternehmen oder Monopolisierung im Bereich der lokalen Presse, der Effekt ist immer der gleiche: Die Redaktionen werden kleiner, die Meinungsvielfalt nimmt ab, das Spektrum von thematisch aufgegriffenen gesellschaftlichen Interessen verengt sich. Daraus folgt: Die Defizite bei der Verwirklichung von äußerer Pressefreiheit schlagen durch auf die Praxis der inneren. Innere Pressefreiheit ist nur dort garantiert, wo durch die Tätigkeit des Journalisten und Redakteurs plurale gesellschaftliche Interessen in die Medieninhalte einfließen können. Der Umsetzung dieses Anspruchs steht im Pressebereich ein Dualismus der Ziele entgegen. Dieser resultiert aus den unterschiedlichen Aktionsbereichen der Pressehäuser, mit dem Standbein in der Wirtschaft, mit dem Spielbein im Journalismus. Historisch waren die Massenmedien an die Öffentlichkeit eines räsonierenden Publikums von Privatleuten gebunden. Mit der Auflösung dieser Bindung im Zuge des Strukturwandels der bürgerlichen Öffentlichkeit spalteten sich die Medien in Informations- und Meinungsträger auf der einen und in Werbeträger auf der anderen Seite. Diese Spaltung spiegelt sich im Antagonismus von Pressefreiheit und Gewerbefreiheit und im Konflikt zwischen privater und öffentlicher Aufgabe der Presse, zwischen Geschäftsinteresse und publizistischem Anspruch wider. Wo Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Prosperität des Presseunternehmens unabdingbare Voraussetzung für die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe als kommunikationsstiftendes Medium darstellen, sind die Prioritäten klar. Im Fall des Zielkonflikts hat die öffentliche Aufgabe hinter privaten Gewinninteressen zurückzustehen, notfalls die journalistische Tätigkeit der Verkaufshilfe zu dienen. Für die hierzu erforderliche latente und nur im Konfliktfall manifeste Ausrichtung der journalistischen Arbeit am ökonomischen Rentabilitätskalkül sorgen die »Schere im Kopf« des Journalisten und eine straffe Meinungshierarchie im Verleger-Redakteur-Verhältnis. Im Ergebnis heißt das: Die Praxis der inneren Pressefreiheit kompensiert nicht die Defizite der äußeren, sondern verstärkt diese noch. Die Konzentration der Presseorgane auf wenige und die Kooperation mit mächtigen Händen sowie die Monopolisierung schränken die Interessenrepräsentation bei der Informationsaufnahme ein und gestalten sie ungleich. Sie wird durch ein innermediales 58 Die Lokalpresse »enthält sich weitgehend der Kritik an der lokalen politischen Elite. Nur ca. zwei bis fünf Prozent ihrer Artikel weisen kritische Bemerkungen auf. Kommentare sind selten; es überwiegt der Verlautbarungsstil, indem Mitteilungen von Verwaltung, anderen Organisationen, meist deren Führungen, berichtet, häufig sogar die dazu eingesandten Texte einfach abgedruckt werden« (Simon 1987: 245). 204 <?page no="204"?> 4.4 Politische Kommunikation als Massenkommunikation Demokratiedefizit komplettiert. Auch wenn fortschrittliche Redaktionsstatute einen Teil der Definitionsmacht über die Medieninhalte für die Redakteure reklamieren, so ändert dies nichts an der strukturellen Asymmetrie. Die Bürger, ob als Medienpublikum oder als Journalisten, bleiben, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise, mediatisiert, auf eine Konsumentenrolle verwiesen. Diese stellt sich allerdings beim Journalisten anders dar als auf Seiten des Bürgers. Der Journalist/ Redakteur ist nicht selten Empfänger von durch ökonomische Zwänge »von oben« vorformulierter, von ihm nur noch publizistisch aufzubereitender, unbeantwortbarer Information. Die Konsumentenrolle des Bürgers artikuliert sich in der »Widersprüchlichkeit in der Position von Pressemedien, welche die ökonomische Wettbewerbstheorie (. . . ) mit dem Anspruch von Demokratie und demokratischer Öffentlichkeit zusammenhalten will: Ihre demokratische Legitimation würde die tägliche Abstimmung am Kiosk nur durch eine vorhergehende herrschaftsfreie Diskussion politisch argumentierender Menschen erhalten, eine Diskussion, zu der unbeschränkte Öffentlichkeit gehörte, die aber gerade durch das am Kiosk vorgegebene und durch ökonomische Machtpositionen determinierte Angebot an Zeitungen und Zeitschriften beschränkt ist. Dadurch erhält die tägliche Abstimmung vielmehr den Charakter einer täglichen Akklamation des Publikums zu inhaltlich weitgehend vorgeformten Informations- und Meinungsmustern, mit denen die private Presse den Bürger versorgt« (Huffschmid 1968: 32). Gilt dieses Verdikt auch für die Funkmedien? 4.4.2.2 Zur Praxis der politischen Fernseh-Kommunikation: ökonomische Grundlagen und institutionelle Rahmenbedingungen Rundfunk und Fernsehen sind sowohl öffentlich-rechtlich organisiert als auch in privaten Händen. Soweit es sich um private Medienträger handelt gelten die ökonomischen Abhängigkeiten, die bereits die Pressefreiheit tangieren. Hinzu kommt die Gefährdung der Pressefreiheit durch Doppel-Monopole. Zahlreiche Zeitungsverlage, die sich im Rundfunkwesen engagieren, verfügen auf dem Zeitungsmarkt über eine monopolähnliche Marktstellung. Aber auch die öffentlich-rechtlichen Medien können sich dem Marktgeschehen und dem Wettbewerb nicht entziehen: Vielmehr verschärft sich ihre Konkurrenzsituation mit dem Aufkommen privater Rundfunk- und Fernseheinrichtungen seit dem »medienpolitischen Urknall« (Meyn 2004: 167), dem Beginn des Kabelpilot-Projekts am 1.1.1984, das als Einstieg privater Anbieter von Hörfunk- und Fernsehprogrammen gilt. Die öffentlich-rechtlichen Anbieter ARD und ZDF verzeichnen inzwischen auf dem heftig umkämpften Werbemarkt ein kräftiges Minus und hatten schon zu Beginn der 1990er Jahre ihren Platz in der ersten Reihe verloren (vgl. Scheithauer 1990: 7). Die öffentlich-rechtlichen Sender der ARD und des ZDF verfügen über ca. ein Sechstel der Werbeinnahmen von RTL. Ihre Zuschaueranteile sind im Vergleich zu den privaten Anbietern rapide gesunken, von 40 Prozent für die ARD und 28,7 Prozent für 205 <?page no="205"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld das ZDF im Jahre 1990 auf 27,2 Prozent (ARD) und 13,7 Prozent (ZDF) im ersten Halbjahr 2005 (vgl. Rudzio 2006: 394). Kritische Prognosen zu den publizistischen und institutionellen Folgen der Konkurrenz zwischen öffentlichen und privaten Programmgestaltern klingen pessimistisch: »Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem dürfte das Schicksal des Sozialstaates bevorstehen; es wird nicht mit einem lauten Knall abtreten, sondern mit einem leisen Wimmern« (Meyn 2004: 195) und mit erheblichen Folgen für die Praxis der massenmedial organisierten politischen Kommunikation; denn das duale System erzeugt nicht nur Konkurrenz zwischen öffentlichen und privaten Anbietern, sondern auch ungleiche Chancen, der Gesamtheit gesellschaftlich organisierter Interessen einen Zugang zu den Medien zu öffnen. Die Zugangschancen sind im öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunk und Fernsehwesen besser als im Pressebereich und im privaten Funk und Fernsehen. Dies hängt mit dem Ausbau der Aufsichtsgremien (Rundfunk- und Verwaltungsräte) und Programmbeiräten zu Repräsentativgremien zusammen. In ihnen sind die gesellschaftlich relevanten Kräfte (z. B. Gewerkschaften, Kirchen, Arbeitgeberorganisationen, kulturelle Einrichtungen) vertreten, wobei die Vertreter der politischen Parteien in der Minderheit bleiben. Die Aufsichtsgremien sollen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, abgesichert in den Rundfunkgesetzen und Staatsverträgen, für die Interessen der Allgemeinheit eintreten, haben sich aber in der Praxis häufig »von einer Interessenvertretung für die Gesellschaft zu einer Gesellschaft von Interessenvertretern entwickelt« (Meyn 2004: 146). Dies gilt auch für den ungleich größeren Fernsehrat des ZDF, in den u. a. die Länder und politischen Parteien ihre Vertreter entsenden. Im bundesdeutschen System standen sich ursprünglich zwei Organisationstypen gegenüber: das beschriebene pluralistische, ständisch-korporative Modell und ein parlamentarisches Modell des Rundfunkrats. Sie beinhalten verschiedene Modi, den Kommunikationszusammenhang zum Medienpublikum herzustellen. Das parlamentarische Modell (z. B. Westdeutscher Rundfunk bis 1985) spiegelt in der Zusammensetzung des Aufsichtsgremiums die politischen Kräfteverhältnisse im Landesparlament wider. Das Parlament entfaltet wie keine andere Institution politische Legitimationskraft für die Wahl der Mitglieder von Aufsichtsgremien. Allerdings rückt die Medienkontrolle durch das Parlament als Staatsorgan die Medien in problematische Staatsnähe. Die Parlamentarier haben sich der massenmedial veröffentlichten Kritik zu stellen und dürfen deshalb kein Überwachungsmonopol über die Veröffentlichung von Kritik bekommen. Vor allem aber zeigte die Praxis, dass die parlamentarischen Rundfunkräte die Chancen einer ausgewogenen gesellschaftlichen Interessenrepräsentation dem Parteienproporz opfern. Die parlamentarische Zusammensetzung des Rundfunkrats spielt heute keine Rolle mehr. Durchgesetzt hat sich das ständisch-korporative Modell. Zu dessen Schwächen zählt die Informationsaufnahme aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Diese zeichnet sich durch einen unflexiblen Repräsentationsschlüssel und mangelnde Legitimation aus. Der einmal gewählte und über lange Zeit nicht mehr veränderte 206 <?page no="206"?> 4.4 Politische Kommunikation als Massenkommunikation Repräsentationsschlüssel führt inzwischen zu einer versteinerten Verteilungsstruktur des Einflusses der gesellschaftlichen Kräfte in den Aufsichtsgremien. Sie trägt der tatsächlichen gesellschaftlichen Entwicklung und damit den Verschiebungen in den sozialen und politischen Machtpositionen kaum noch Rechnung. Die fehlende Synchronisation verzerrt deshalb die innermediale Interessenrepräsentation. Im Verbund mit dem oben dargelegten (vgl. 4.1.3) innerverbandlichen Demokratiedefizit steht zudem die demokratische Legitimation der Interessenrepräsentation in den Aufsichtsgremien in Frage; denn die demokratisch legitimierte Repräsentation von Gruppeninteressen beruht auf der Kommunikation zwischen Repräsentierten und Repräsentanten. Wo diese, wie in bürokratischen Großorganisationen, fehlt, schwindet die Legitimation der Vertreter, für die Vertretenen zu sprechen: »Die rundfunk- und verfassungsrechtliche Forderung, die Rundfunk- und Fernsehräte sollten als Repräsentanten der Öffentlichkeit die gesellschaftliche Kontrolle über die Anstalten ausüben, sozusagen stellvertretend für alle Hörer und Zuschauer, erweist sich in der Praxis als problematisch, weil sie deren Wünsche zumeist gar nicht kennen und andererseits beim Publikum auch nicht bekannt sind. Ihnen fehlt also häufig die Rückkoppelung an die Basis. Ein zweiter Mangel wiegt noch schwerer: Nicht selten nämlich schicken die entsendungsberechtigten Gruppen Spitzenfunktionäre, deren Terminkalender es ihnen oft nicht erlaubt, an den Sitzungen überhaupt teilzunehmen.« (Meyn 2004: 149) Zu den gesellschaftlich relevanten Kräften gehören in Deutschland auch die politischen Parteien. Diese erweitern ihren Einfluss in den öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien über personalpolitische Entscheidungen nach Maßgabe des Parteien-Proporzes hinaus auf zwei Wegen: Zum einen, indem ihre Fraktionen in den Landesparlamenten bei der Verabschiedung der Rundfunkgesetze darüber entscheiden, welche gesellschaftlichen Gruppen in den Aufsichtsgremien vertreten sind, und zum anderen über ihre »Freundeskreise«: »Längst geht nichts mehr ohne sie oder gegen sie. Die gesellschaftlich relevanten Gruppen, die eigentlich vorgesehenen Kontrolleure, sind überwiegend in parteipolitisch geprägten Freundeskreisen aufgegangen.« (EPD MEDIEN 2002: 20, zit. nach Meyn 2004: 149) Werden die skizzierten Defizite bei der massenmedial organisierten Informationsaufnahme aus der Gesellschaft durch die medieninterne Informationsverarbeitung kompensiert oder aber - wie bei den Printmedien - eher noch verstärkt? Trotz zunehmendem Wettbewerbsdruck und wirtschaftlicher Abhängigkeit von Werbeeinnahmen auch der öffentlich-rechtlichen Medien weist die innermediale Informationsverarbeitung im Vergleich zum Pressewesen ein spezifisch anderes Problem auf: das der Publizität. Bei Funk und Fernsehen haben wir es mit einem traditionellen innermedialen Arkan-Bereich zu tun, abgesichert durch Schweigepflicht, Nichtöffentlichkeits- und Vertraulichkeitsgrundsatz. Er dient insbesondere dazu, den Einfluss der Parteien und Verbände auf die Medieninhalte der öffentlichen Kritik zu entziehen. Im Ergebnis werden deshalb die Schwächen der Informationsaufnahme nicht durch eine innermediale Diskussion der Informationsinhalte kompensiert, sondern ver- 207 <?page no="207"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld schärft und, zumindest was das Proporz-System anbelangt, durch die Geheimhaltungspraxis erst ermöglicht. Diese Praxis ist zugleich ein »Symptom für die Oligarchisierung der Anstalten« (Seifert 1972: 532) und damit für ein Defizit an innerorganisatorischer Demokratie, das die Position der Funkmedien bei der Herstellung von Kommunikation mit einem gesellschaftlichen Publikum schwächt. Proporz-System und Geheimhaltungspraxis tragen dazu bei, den verfassungspolitisch gebotenen und für die politische Kommunikationsleistung der Medien ausschlaggebenden Zusammenhang mit einem gesellschaftlichen Publikum zu ersetzen durch die Kommunikation zwischen Verbände-, Parteien- und Medienoligarchien. Was folgt hieraus für die Medieninhalte und deren Rezeption durch ein gesellschaftliches Medienpublikum. Oder anders gefragt: Welche Qualität haben die Medienrezeption als politischer Lernprozess und damit die massenmedial hergestellte politische Kommunikation? 4.4.2.3 Zur Empirie der Medienrezeption »In der ersten Zeit hatte Herr Jensen noch zielgerichtet bestimmte Sendungen gesehen, nach denen er den Apparat wieder ausgeschaltet hatte. Zunehmend jedoch blieb der Fernseher einfach eingeschaltet, so lange es ging, bis der Hunger kam oder Herr Jensen auf die Toilette oder Einkaufen gehen musste. Die maximal drei Stunden der ersten Tage waren schnell zu acht, dann zehn Stunden täglich geworden. Mit wachsender Willenlosigkeit gab er sich den Aufforderungen der Sender hin, nicht abzuschalten. (. . . ) Irgendwann schaltete Herr Jensen den Fernseher gleich nach dem Aufstehen ein und erst dann wieder aus, bevor er spät in der Nacht zu Bett ging. Einen Unterschied zwischen seinem Tagesablauf und dem Fernsehprogramm hätte Herr Jensen nur mit Mühe benennen können.« (Hein 2006: 35 f.) Deutschland ist ein Land von Zeitungslesern, 59 aber mehr noch von Fernsehkonsumenten. Es ist offenkundig, dass die Medien ihre Adressaten erreichen. Presseerzeugnisse, Rundfunksendungen, vor allem aber das Fernsehen genießen große Attraktivität und Letzteres, wie Jakob Hein anhand seiner Romanfigur demonstriert, gewinnt zunehmend auch Macht über die Zeit und ihre Verwendung. Insbesondere dann, wenn der Alltag nicht mehr durch Arbeitsverhältnisse und -organisationen strukturiert wird, tritt das Fernsehen an deren Stelle. Fast sämtliche Haushalte verfügen inzwischen über ein Fernsehgerät. Durchschnittlich zwei Stunden sahen Erwachsene in den 1980er Jahren fern (vgl. Winterhoff-Spurk 1989: 44), heute sind es dreieinhalb Stunden, allerdings mit ausgeprägten alters-, schichten- und regionalspezifischen Unterschieden. Der Fernsehkonsum steigt mit dem Alter und fällt mit zunehmender Bildung und höherer Schichtzugehörigkeit. Im Osten Deutschlands liegt er höher. Die öffentlich-rechtlichen Programme werden eher von Menschen mit Abitur, die Privaten eher von Real- und 59 Zwar geht der Anteil regelmäßiger Zeitungsleser zurück von über 80 % Ende der 1970er auf knapp über 70 % im Jahre 2001, er liegt aber im internationalen Vergleich noch relativ hoch (vgl. Rudzio 2006: 382). 208 <?page no="208"?> 4.4 Politische Kommunikation als Massenkommunikation Hauptschulabgängern bevorzugt. Das Fernsehen ist, so scheint es, die »Schule der Nation«. Die schiere Dauer der Mediennutzung verweist auf den großen Stellenwert des Mediums als »Bildungseinrichtung« und bringt das Fernsehen in Konkurrenz zu anderen Sozialisationsinstanzen, z. B. der Schule. Bei der durchschnittlichen Lebenserwartung in der Bundesrepublik verbringen die meisten Menschen insgesamt fast sechs Jahre vor dem Fernsehgerät. »Zum Vergleich: In der Schule sind die Lernenden dem Unterricht in allen Fächern bis hin zum Abitur nur etwas mehr als eineinhalb Jahre ausgesetzt« (Peters 1990: 52). Zweifellos ist das Fernsehen eine »Bildungsmacht par excellence« (ebd.: 54) und mit Abstrichen auch die anderen Massenmedien, doch mit welchen Ergebnissen? Die Beantwortung dieser Frage führt auf das Feld der Medienwirkungsforschung und ist hochkomplex. Ebenso wenig wie die Frage nach der Attraktivität der Massenmedien kann die Medienwirkung auf Seiten der Rezipienten disziplinär erklärt werden. Logistische Aspekte (leichte Zugänglichkeit), geistesgeschichtliche Grundlagen (neuzeitliche Weltaneignung versus mittelalterliche Weltanschauung), anthropologische Erklärungen (der Mensch als Neugierwesen), sozial-psychologische (das Medium als kollektiver Traum) und soziologische Erkenntnisse (z. B. Ausbruch aus Entfremdungszusammenhängen) und nicht zuletzt die pädagogische Dimension (der Mensch als lernendes Wesen) sind zu berücksichtigen. 60 Der Sachverhalt ist demnach hochkomplex. Für die Frage nach der politischen Kommunikations- und damit Sozialisationsleistung der Massenmedien kann die Betrachtung der Wirkungsproblematik eingegrenzt werden. Massenmedial inszenierte Kommunikation ist für politisches Lernen insoweit relevant, als sie politisch informiert, und zwar durchaus im aristotelischen Sinne als »In-forma-tion«. Bewusstseins(neu)formung auf der Grundlage von Medienrezeption setzt mentale Partizipation voraus. Mentale Beteiligung bedeutet kritische Rezeption von politischer Information. Sie unterscheidet sich von oberflächlicher bloßer Informiertheit. Denn die Existenz des aufgeklärten, real partizipierenden Bürgers lässt sich nicht denken ohne Aufklärung durch eine Information, die eine verantwortliche intellektuelle Erfassung und Verarbeitung von politischen Kommunikationsthemen ermöglicht. Empirisch fassbare und von der kritischen Medienwissenschaft immer wieder belegte Trends schmälern die Bedeutung der Informationsqualität der Massenmedien und somit ihre Relevanz für die demokratische Beteiligung. Hierzu zählen • die Personalisierung von Politik mit der Folge, dass komplexe Problemzusammenhänge und die sozialen und politischen Funktionen von Problematisierungs- und Konfliktprozessen undurchsichtig bleiben. »Auch läßt die daraus entstehende scheinbare Harmonisierung des Geschehens nur wenig Raum für Impulse in Richtung auf die verstärkte politische Partizipation des Einzelnen.« (Schatz 1972: 120). Die Personalisierungstendenz verschiebt bei der Auswahl und Festlegung von The- 60 Wer diese disziplinären Zugänge zur Medienforschung weiter verfolgen möchte, sollte zum Einstieg auf den Überblick von Peters 1990 zurückgreifen. Grundlegend Bonfadelli (2001). 209 <?page no="209"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld men für die politische Kommunikation (Agenda Setting) den Fokus von Sachthemen auf Personen (Hüning u. a. 2002: 299 ff.) und geht zu Lasten von kritischer Publizität; • die populistische Ausrichtung der Medieninhalte, ihre Vereinfachung und Emotionalisierung (Infotainment) mit der Gefahr, dass »Images, vordergründige Rituale, Sprechblasen, Leerformeln oder nichtssagende Signale gleichsam eine ›bewusstlose‹ Akklamation erzeugen und damit den Weg ebnen für die großen Vereinfacher, für die politischen Dramaturgen und Regisseure ›symbolischer Politik‹« (Sarcinelli 1990: 162). Dadurch bleiben »Kontinuität und Rationalität auf der Strecke« (Oberreuther 1989: 37); und schließlich • der Warencharakter von Medieninformation, wie er vor allem in der Unterhaltungs- und Zerstreuungsfunktion der Medien zum Ausdruck kommt. Der »Nachrichtenwert« eines Themas ist ausschlaggebend für seine journalistische Behandlung, damit seine Eignung für Dramatik und emotionale Relevanz (Schulz 1997: 70 ff.) bis hin zur Skandalisierung von Politik (Kepplinger 2001: 8 ff.). Frustration bzw. Enttäuschung politischer Erwartungen auf Seiten der Medienkonsumenten entstehen infolge der medienvermittelten Vorstellung »Politik sei eine leichte Sache« (Sarcinelli 1990: 162). Der Warencharakter von Medieninformation schafft in den Köpfen der Rezipienten »ein systematisch verzerrtes Bild der Welt« (Rudzio 2006: 397) und verweist sie auf ihre Rollen als Käufer und Zuschauer, mithin als Konsumenten. Dies nährt Passivität und rezeptive Grundhaltung gegenüber den »Politikangeboten« und steht im Spannungsverhältnis zum politischen Engagement und zur realen Partizipation jenseits der »Zuschauerdemokratie« (Wassermann 1989). • Personalisierung, Infotainment und Warencharakter der Medieninhalte bringen die grundlegende Diskrepanz zwischen der »Organisationslogik« und der »Medienlogik« zum Vorschein. Sie sind Ausdruck der real existierenden »Mediendemokratie« und zeitigen Folgen für die politische Kommunikation. Hierzu einige abschließende Anmerkungen. 4.4.3 Fazit: Politische Kommunikation in der Mediendemokratie Die Diskrepanz zwischen Organisationslogik und Medienlogik bezeichnet das Spannungsverhältnis zwischen den Gesetzmäßigkeiten, die politisches Handeln und Entscheidungsprozesse im politischen System bestimmen, auf der einen Seite und den Gesetzmäßigkeiten, denen die öffentlichkeitswirksame, massenmedial inszenierte Vermittlung von Politik unterliegt, auf der anderen. Die politik- und medienwissenschaftliche Debatte unterscheidet deshalb zwischen Entscheidungs- und Darstellungspolitik. Diese Unterscheidung berührt das Verhältnis von Politik und Medien in ihrem Kern und verweist auf das komplexe Beziehungsgeflecht von medialer Politikdarstellung und politischem Handeln (grundlegend Sarcinelli 2005: 107 ff.). Sie nährt aber auch das 210 <?page no="210"?> 4.4 Politische Kommunikation als Massenkommunikation Missverständnis, Politik werde gewissermaßen auf der Hinterbühne gemacht und auf der Vorderbühne dargestellt. »Die naive Annahme, auf der Hinterbühne werde die eigentliche Politik gemacht, die dann eingehüllt in eine Mogelpackung, als etwas ganz anderes auf der Vorderbühne ›verkauft‹ werde, lebt immer noch vom Bild eines außerhalb der Bühne (der Gesellschaft) stehenden Marionettenspielers, der die Figuren an seinen Fäden tanzen lässt.« (Soeffner 1998: 218). Sie übersieht, dass auch auf der Hinterbühne der Politik »Theater« gespielt wird, eine »Politik pur« nicht existiert, vielmehr Sachpolitik immer auch schon Anteile von Darstellungspolitik enthält. Es ist fraglich, »ob es ein politisches Entscheidungssystem jenseits massenpublizistischer und kommunikativer Prozesse überhaupt gibt« (Sarcinelli 2005: 114). Gleichwohl ist die Unterscheidung sinnvoll. Sie verweist auf zwei Sphären der Politik- und Interessenvermittlung, auf die unterschiedlichen Handlungsrationalitäten der beteiligten Akteure und letztlich auf einen Interaktionszusammenhang zwischen Politik und Medien, dessen Gestaltung Politik eine Stimme verleiht, den Bürgern die Beteiligung an politischer Kommunikation ermöglicht und damit die Praxis der Politik- und Interessenvermittlung einem mediendemokratischen Qualitätstest unterzieht. Dieser befördert die folgenden Erkenntnisse, wie sich politisches Handeln, Bürgerpartizipation sowie Interessen- und Politikvermittlung im politischen Kommunikationsraum, den die Massenmedien darstellungspolitisch gestalten, entwickeln. Die politische Kommunikationsforschung konstatiert folgende Trends: (a) Auf Seiten der Politik einen Bedeutungszuwachs des »Symbolischen«. Symbolisches Handeln ersetzt immer häufiger den Meinungsstreit, die öffentliche Willensbildung und politische Entscheidung, also das, was man gemeinhin unter Politik versteht. Symbolische Politik ersetzt dort Politik, wo diese nichts zu ändern vermag und wo sie den von ihr geweckten Erwartungen nicht gerecht werden kann. Symbolische Politik wird häufig missverstanden als »Pseudo-Politik«, sie ist jedoch mehr als ein »so tun, als ob« und auch kein bloßes Politiksurrogat. »Symbolische Politik« ist vielmehr Politik »und als solche weder prinzipiell gut noch prinzipiell schlecht, sondern ein notwendiger Bestandteil politischer Kommunikation« (Sarcinelli 2005: 137). Die Verwendung von symbolischen Mitteln in der Politik erzeugt Aufmerksamkeit, durchbricht Informationsroutinen und stiftet Ordnung (Signalfunktion), reduziert Komplexität und bringt Informationsmengen auf ein darstellbares Maß (Regulativfunktion). Symbole verleihen denjenigen, die sie politisch einsetzen, Definitionsmacht und mobilisieren Emotionen. Sie suggerieren Unmittelbarkeit und stiften emotionale Nähe zwischen politischen Akteuren und Bürgern. Allerdings fördert symbolische Politik auch den Hang zu einer personalisierten, dramatisierenden und unterhaltsameren Politik, die den Wünschen und Vorstellungen der Mediengesellschaft angepasst ist (Politainment) (Dörner 2001). Dadurch entstehen Diskrepanzen zwischen politischer Information und Sachverhalt, zwischen verbalen Aussagen und tatsächlichem Handeln und widersprüchliches Verhalten der politischen Akteure. Sie könnten zum Vertrauensschwund in die Problemlösungskapazitäten des 211 <?page no="211"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld politisch-administrativen Systems und zur »Politikverdrossenheit« beitragen. Symbolische Politik ist demnach durchaus ambivalent. Sie ist Quelle von Politainment und zugleich unverzichtbar für politische Kommunikation. (b) Auf Seiten der Medienadressaten beschneidet die medienlogische Inszenierung von Politik die Beteiligung der Bürger und reduziert deren Chancen zu medienvermitteltem politischem Lernen: »Die vorarrangierte politische Medienkultur erlaubt dem als Medienpublikum verstandenen Bürger die alltägliche symbolische Teilnahme am politischen Prozess oder besser an einem medieninszenierten Ausschnitt desselben. Die Wahrnehmung der massenmedial verbreiteten, Authentizität suggerierenden überschaubaren politischen Topologie kann so zum funktionalen Äquivalent für aktives politisches Verhalten werden.« (Sarcinelli 1987b: 243) Allerdings unterliegen diesem Mediatisierungsprozess nicht sämtliche Bürger in gleicher Weise. Das Medienpublikum ist gespalten. Wie bei den anderen intermediären Organisationen kann man auch im Bereich der Massenmedien eine schichten- und geschlechtsspezifische Segmentationswirkung der medienvermittelten politischen Kommunikation feststellen. Nach wie vor gibt es ein Partizipationsgefälle zwischen den Angehörigen der oberen und mittleren sozialen Schichten sowie Männern einerseits und den sozialen Unterschichten und Frauen andererseits. Deren Unterrepräsentation in den Parlamenten, in den Führungsetagen von politischen Parteien und Verbänden und selbst auf den Aktionsfeldern der Bürgerinitiativen und neuen sozialen Bewegungen spricht eine deutliche Sprache. Vor dem Hintergrund einer hinlänglich empirisch belegten positiven Korrelation zwischen politischer Information und realer Partizipation haben Massenmedien durchaus unterschiedliche Bedeutung; denn die politisch passiven Bürger neigen eher dazu, eine politische Sendung im Fernsehen zu verfolgen als sich durch Zeitungslektüre politisch zu informieren. Da aber die genannten apathisierenden, beteiligungsfeindlichen Tendenzen vor allem beim Fernsehen ausgeprägt sind, schließt sich ein Teufelskreis: Der politisch passive Bürger partizipiert mental gerade durch das Medium, das den Warencharakter der politischen Kommunikation am meisten pflegt, dem Rezipienten wie kein anderes Medium eine Konsumentenrolle zuschreibt und dadurch Beteiligungsbarrieren gerade dort erhöht, wo seine Attraktivität am größten ist: in den sozialen Unterschichten. Das Medienpublikum spaltet sich dadurch in die politisch gut informierte Beteiligungselite der »Medien-Citoyens« auf der einen und in die apathisierte Großgruppe der »Medien-Bourgeois« auf der anderen Seite mit erheblichen Folgen. Für die Masse der Mediennutzer nimmt Politik immer mehr die Form des Entertainments an, das eine Teilnahme an politischer Kommunikation und damit Partizipationslernen ausschließt. Man fühlt sich im besten Fall gut unterhalten, ansonsten aber ratlos und politisch entfremdet. »Obwohl die meisten Leute vom politischen Geschehen objektiv wenig wissen und verstehen, haben sie doch zunehmend das Bedürfnis nach Anteilnahme und das Gefühl der Betroffenheit entwickelt. Sie leben, um es salopp auszudrücken, mit ihren partizipatorischen Ansprüchen über die Verhältnisse ihrer politischen Bildung.« (Schulz 1987: 113 mit empirischen Belegen) 212 <?page no="212"?> 4.4 Politische Kommunikation als Massenkommunikation Diese Segmentationswirkung der Massenmedien wird nicht abgeschwächt, sondern eher verschärft durch die Einführung neuer Informations- und Kommunikationsmedien (vgl. dazu 4.5.2). Die intelligente Nutzung der Informations- und Kommunikationstechniken stellt ein soziales Schließungsinstrument dar. Die Informationschancen von computergestützten Nachrichtensystemen führen zu einem Besitzstandszuwachs an Informationskapital für privilegierte gesellschaftliche Minderheiten und vergrößern die Kluft zu der mit politischem Wissenskapital chronisch unterversorgten gesellschaftlichen Mehrheit. Die »informatisierte« Gesellschaft ist noch keine politisch informierte Gesellschaft. Die gesellschaftliche Informationselite verfügt nicht nur über mehr, sondern auch über qualitativ bessere politische Informationen: »Sie hat ein anderes Bild von der Politik« (Schulz 1987: 136). Dieses ist realistischer, weil weniger durch die Medienlogik, durch politisches Marketing und Ereignismanagement eingefärbt, als vielmehr durch die Organisationslogik politischen Handelns gezeichnet. Im Ergebnis heißt dies für die politische Kommunikationsleistung der Massenmedien, dass diese nicht eine egalitäre politische Kommunikation befördern, sondern die Zugangschancen auf die politischen Beteiligungsfelder ungleich verteilen. Der weitaus größere Teil der Gesellschaft bleibt aus der politischen Kommunikation ausgeblendet und auf die bloße Rezeption einseitiger, unbeantwortbarer Medieninformation angewiesen, mit der Folge zunehmender politischer Entfremdung und Apathie. (c) Politikvermittlung in der Demokratie bleibt davon nicht unberührt. Wenn »die gründige, stimmige, analytisch eingeordnete Information in den Medien (. . . ) Mangelware (wird), (. . . ) die politischen Akteure zunehmend weniger auf ihre eigenen Wurzeln, Ideen und Konzepte vertrauen, sondern bereits in der ersten Stufe der Entwicklung politischer Überlegungen an den medialen Wirkungshorizont denken. (. . . ), das Tele-Charisma, die Inszenierungsfähigkeit und Medien-Routiniertheit (. . . ) bei der Vergabe politischer Führungsämter immer wichtiger wird« (Leif 2002: 6), dann verändert dies die Grundlagen der Politikvermittlung. Und letztlich auch das Wesen der politischen Demokratie. Die »Kolonialisierung der Politik durch das Mediensystem« (Meyer 2001) ebnet den Weg in die »Mediokratie«. Der Politiker als Politikvermittlungsexperte sucht den medieninszenierten direkten Weg zum Bürger, was die Legitimationsbeschaffung für politische Entscheidungen grundlegend verändert; denn die für politische Legitimation zuständigen Einrichtungen der politischen Willensbildung und Interessenvermittlung werden umgangen und letztlich paralysiert. »In den Mittelpunkt rückt damit der quasi plebiszitär über die Medien bestätigte politische Führer« (Sarcinelli 2005: 160). Diesen Prozess nennt die politische Kommunikationsforschung »Plebiszitarisierung« (vgl. Jäger 1992; Sarcinelli 1999). Er verändert nicht nur das Anforderungsprofil auf Seiten der politischen Akteure, sondern auch das Erscheinungsbild der politischen Demokratie. Wenn sich Demokratie von anderen politischen Ordnungen dadurch unterscheidet, dass darin die politische Folgebereitschaft nicht erzwungen und die Legitimität politischen Handelns immer wieder neu erworben werden muss, dann liegt hierin 213 <?page no="213"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld Medien Funktionen Presse Fernsehen Politikvermittlung Monopolisierung Symbolpolitik Personalisierung Interessenvermittlung Konzentration Kooperation Polarisierung: Citoyen - Untertan Selektion Filterung Demokratiegestaltung Akklamation Wirtschaftlichkeit versus Öffentlichkeit Mediokratie demokratische »Fürstenherrschaft« Tabelle 6: Funktionale Defizite der Massenkommunikation die zentrale Bedeutung der politischen Kommunikation als Medium der Loyalitätsbeschaffung und Legitimationssicherung. Unter den Bedingungen der Plebiszitarisierung muss die Balance zwischen politischer Führung, Responsivität und populistischer Zurichtung von Politik neu gesucht werden. Wenn Politikvermittlung die Angelegenheit von medienkompetenten Politikvermittlungsexperten wird, der politische Akteur zum Medienstar und sein Charisma zur Quelle von Anerkennung und Legitimation, dann verändert dieser Prozess nicht nur die Politikvermittlung, sondern auch die Politikwahrnehmung und damit die Interaktion zwischen medienpräsenter Politikprominenz und den Bürgern als Medienpublikum. Diese verkörpern gewissermaßen einen dauerpräsenten Volkswillen, der die legitimierenden intermediären politischen Einrichtungen paralysiert und den Weg in eine medienfixierte »Stimmungsdemokratie« ebnet. Politische Herrschaft degenerierte dadurch in eine Form der »demokratischen Fürstenherrschaft« (Sarcinelli 2005: 263). Dies ist jedoch nur die eine und in der Medienforschung hinlänglich kritisierte Seite der Medaille. Ihre zweite zeigt ein durchaus freundlicheres Bild: Danach bergen die Massenmedien und ihre durch neue Informations- und Kommunikationstechniken erweiterten Nutzungsmöglichkeiten auch neue Chancen für politische Beteiligung und politisches Lernen. Diese liegen auf zwei Feldern: zum einen auf dem schichten- und geschlechtsspezifisch abgesteckten Terrain gesellschaftlich privilegierter Informationseliten. Dieses Feld wird mit zunehmender Informatisierung der politischen Kommunikation als Lernfeld für eine (durchaus erweiterbare) Partizipationselite konsolidiert. Dem trägt die Tatsache Rechnung, dass nicht alle Bürger politisch partizipieren können und wollen. Bürger und Demokratie geraten, so zeigt diese Perspektive, zwar unter »Kommunikationsstress«. Dieser lässt sich jedoch auf Seiten des Bürgers durch den Erwerb von Medienkompetenz bewältigen. Damit sind all jene Fähigkeiten gemeint, die den Bürger in die Lage versetzen, die mediengestützte Plebiszitarisierung der Politik in partizipationsgestützte Plebiszite zu transformieren. Auf Seiten des politischen Systems und seinen Einrichtungen könnte die Tendenz zur Plebiszitarisierung als Aufforderung verstanden werden, mit den Medien in einen produktiven Wettbewerb um neue Formen politischer Öffentlichkeit zu treten, die die 214 <?page no="214"?> 4.5 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« und Internet Legitimation von Herrschaft an Institutionen zurückbinden und aus deren Organisationsöffentlichkeit die Bürger neues Vertrauen in die politischen Einrichtungen schöpfen. Mediendemokratie ebnete dann nicht den Weg in die »demokratische Fürstenherrschaft« als vielmehr in die deliberative Demokratie. Diese stützt sich auf eine erneuerte, partizipationsoffene und institutionell abgesicherte Politik- und Interessenvermittlung, aber auch auf neue Formen von politischer Öffentlichkeit (Gegenöffentlichkeit) und andere Räume der Öffentlichkeitsproduktion (Internet). 4.5 Alternative Medienarbeit und neue Technologien - Neue Chancen für politische Kommunikation? Die Massenmedien - so lässt sich das obige Kapitel zusammenfassen - verteilen die Zugangschancen auf politische Partizipationsfelder ungleich. Ihre Interessen- und Politikvermittlungsleistung ist suboptimal, da der weitaus größere Teil der Gesellschaft aus der massenmedial inszenierten politischen Kommunikation ausgeblendet und auf die bloße Rezeption einseitiger, unbeantwortbarer Medieninformation angewiesen bleibt. Diese Defizite im Außenverhältnis werden im Binnenverhältnis der Medienorganisationen verstärkt. Politische Öffentlichkeit unterliegt den Marktgesetzen und ist eine Angelegenheit von gesellschaftlichen Kommunikationseliten mit der Folge zunehmender politischer Entfremdung und Apathie. Die »Mediendemokratie« kommt nunmehr von zwei Seiten unter Veränderungsdruck: Zum einen durch die Einführung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien und der dadurch angezeigten Entwicklung der Mediengesellschaft zur Multimediagesellschaft (vgl. 4.5.2) mit bislang noch ungeklärten Folgen für die Demokratie. Die demokratiepolitischen Risiken und Chancen zeigen sich vor allem im Internet (vgl. 4.5.3). Die Demokratiefolgen dieser Entwicklung hängen entscheidend davon ab, inwieweit sie das Spektrum politisch kommunizierter gesellschaftlicher Interessen erweitert und neue Artikulations- und Beteiligungschancen für solche gesellschaftlichen Gruppen schafft, die bislang von der politischen Öffentlichkeitsproduktion ausgeschlossen sind. Dies ist das Ziel alternativer Medienarbeit. Sie markiert jenes zweite Feld, auf dem neue Formen von politischer Kommunikation entstehen und mit dem Anspruch von »Gegenöffentlichkeit« die herrschende Mediendemokratie unter Veränderungsdruck stellen (vgl. 4.5.1). 4.5.1 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« 4.5.1.1 Was heißt »Gegenöffentlichkeit«? »Gegenöffentlichkeit heißt zu veröffentlichen, was nicht ›öffentlich‹ ist. Heißt unsere Probleme und Konflikte selbst veröffentlichen, selbst miteinander austauschen, selbst 215 <?page no="215"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld feststellen, was uns voranbringt, unseren Kopf zu gebrauchen, unsere Fähigkeiten zu entwickeln, unsere Phantasie zu beflügeln, unsere Kampfmoral zu stärken, zu lernen, menschlich zu werden und miteinander umzugehen, uns zu wehren und durchzusetzen.« (Stamm 1988: 110 f., 152) In dieser emphatischen Definition kommt zum Ausdruck, was mit Gegenöffentlichkeit oder alternativer Medienarbeit einst gemeint war: eine Medienpraxis, die sich durch neue Inhalte, Organisationsformen und Strukturen auszeichnet (vgl. Atton 2002). In inhaltlicher Hinsicht sollten vor allem solche gesellschaftlichen Gruppen und Personen zu Wort kommen, die in der herkömmlichen Öffentlichkeitsproduktion außen vor bleiben. An die Stelle von Professionalität der Medienarbeit sollte Authentizität treten und damit Improvisation und eine gewisse Amateurhaftigkeit, die die Medienarbeit »entmystifizieren« (Daehnke 2004: 89) und so niedrigschwellig organisieren, dass gerade solche Bürgerinnen und Bürger zu Wort kommen, die ansonsten keine Stimme haben. »So erweitert sich die Arena dessen, was auf dem Feld des Politischen zwischen den Interessengruppen zur Verhandlung steht.« (Oy 1997: 79) Das Konzept der Gegenöffentlichkeit stellt, vom Anspruch her, die massenmedial organisierte Politik- und Interessenvermittlung auf eine neue Grundlage, indem es das Spektrum der zu vermittelnden gesellschaftlichen Interessen erweitert und zugleich die Formen der Interessenvermittlung neu definiert (Authentizität der Medienarbeit). Es handelt sich deshalb um einen Gegenentwurf zu den herkömmlichen Inhalten und Formen politischer Öffentlichkeitsproduktion. Gegenöffentlichkeit verstand sich von vornherein »als soziale Praxis«, die »nicht nur mittels Medien, sondern auch in Form von Kommunen, besetzten Häusern, selbstverwalteten Betrieben und anderen Arten öffentlich organisierter ›Privatheit‹ (interveniert)« (Oy 1997: 79). Sie ist die Öffentlichkeit der Neuen sozialen Bewegungen und politischer Kommunikationsraum für zivilgesellschaftliche Akteure. Im Anschluss an die Studenten- und Bürgerbewegung der späten 1960er Jahre haben die Neuen sozialen Bewegungen neue, selbstkontrollierte Medien hervorgebracht, aber auch immer wieder Versuche unternommen, Zugang zu den etablierten Massenmedien zu gewinnen. Dies führte einerseits zu einer Wiederbelebung der massenmedial gestützten politischen Kommunikation. Die Massenmedien erzeugen eben nicht nur einseitige, unbeantwortbare Information (Manipulation). Sie sind für eine gesellschaftliche Minderheit auch Kommunikations-Medien und damit mehr als Zerfallsprodukte einer ehemals bürgerlichen Öffentlichkeit. Geblieben ist jedoch das Problem einer unzureichenden Repräsentation des gesellschaftlichen Interessenspektrums durch die Medieninhalte. Die Definitionsmacht über die Kommunikationsthemen bleibt in der Mediendemokratie den wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Eliten vorbehalten, die Masse der Bürger hat auf die Massenmedien keinen Einfluss. Dies kann auch bei der Herstellung von Medienprodukten in Großorganisationen und mit hohem Professionalisierungsgrad gar nicht anders sein. Gleichwohl waren an die Einführung und Nutzung neuer Informations- 216 <?page no="216"?> 4.5 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« und Internet und Kommunikationsmedien auch Erwartungen hinsichtlich einer wachsenden Bürgerbeteiligung an der Medienproduktion geknüpft. Dies ist der eine, im Folgenden näher zu erläuternde Weg zu einer modernisierten Medienöffentlichkeit: Bürgerbeteiligung als Modernisierungsinstrument. Der zweite »alternative« Weg führt auf der Grundlage kleinteiliger Herstellung von Medienprodukten bei weitgehend entprofessionalisierter Tätigkeit der Medienproduzenten zu neuen Formen einer »Gegenöffentlichkeit«. Es handelt sich hierbei, wie das Eingangszitat belegt, um einen emphatischen Begriff aus der Studenten- und Alternativbewegung, die es sowie es sie heute nicht mehr gibt. Gemeint sind Formen autonomer Medienproduktion, die gegen den herrschenden Typ von Öffentlichkeit gerichtet sind, der die öffentliche von der privaten Sphäre trennt. Gegenöffentlichkeit erklärt dagegen das vermeintlich Private für öffentlich und hat dadurch Anteil an der demokratiewissenschaftlich relevanten Entgrenzung des Politikbegriffs (vgl. dazu oben 1.3.3). Das wesentliche Element der Gegenöffentlichkeit ist die Produktion und Verarbeitung von authentischer Erfahrung. Es geht um eine »öffentliche Verarbeitungsweise des Privaten« (Stamm 1988: 152; Daehnke 2004: 87) durch kollektive Diskurse und Betroffenenberichterstattung in Alternativpresse und »freien« Radios: Bürgerbeteiligung als Emanzipationsvehikel. Zwischen Modernisierungs- und Gegenöffentlichkeit gibt es zahlreiche Querverbindungen. Auf beiden Wegen werden sowohl technisch-organisatorische Entwicklungen im Funk- und Pressebereich genutzt, als auch selbst Innovationen zur Entwicklung des Mediensystems hervorgebracht. Sie verlaufen nicht, wie der Begriff »Gegenöffentlichkeit« nahelegt, gegenläufig. Vielmehr stehen die unterschiedlichen Formen der Öffentlichkeitsproduktion in einem fruchtbaren Austauschverhältnis, das die zeitweise vorhandenen Unterschiede in den Bedingungen für Bürgerbeteiligung an der Medienproduktion einebnet. Modernisierungs- und Gegenöffentlichkeit sind Synonyme für Dynamik und Veränderung. Sie verweisen auf eine historische Tatsache. Wie ihr historisches Gegenüber, die bürgerliche Öffentlichkeit, unterliegt auch die Gegenöffentlichkeit einem »Strukturwandel«, der die massenmediale Ermöglichung von politischer Kommunikation nachhaltig verändert. 4.5.1.2 Strukturwandel der »Gegenöffentlichkeit«: Idee und Empirie Das Spannungsverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit alternativer Medienarbeit zeigt sich sowohl bei den Printmedien als auch im Funkmedienbereich. Zunächst zur Presse. Hier ist eine Reihe kleinerer Verlage entstanden, die zum Teil mit erheblichen Auflagen weit über einzelne »Szenen« hinaus vor allem lokale Öffentlichkeit herstellen. Sie werden komplettiert durch die so genannte Alternativpresse, die den Anspruch auf Gegenöffentlichkeit sowohl im lokalen als auch im überregionalen Bereich einlösen will und für die der ehemalige Frankfurter »Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten« (ID) historisches Vorbild war (vgl. Stamm 1988: 71). 217 <?page no="217"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld Im lokalen Bereich handelt es sich häufig um Presseerzeugnisse von Bürgerinitiativen, Stadteilgruppen (»Volksblätter«, »Szene-Blätter«, »Stadtzeitungen«). Sie konkurrieren heute mit lokalen Anzeigenblättern, deren politischer Informationswert gering ist, die aber mit steigender Auflagenhöhe (von 87 Mio. Exemplaren und rund 1300 Titeln im Jahre 2002) vor allem in den neuen Bundesländern sogar die etablierten Tageszeitungen vom Markt drängen (vgl. Meyn 2004: 89). Überregional wurde die Alternativpresse ehemals repräsentiert durch die »Tageszeitung« (TAZ). Bei aller Unterschiedlichkeit in der Konzeption, im Adressatenkreis und in den Inhalten zeichnen sich doch die genannten Presseerzeugnisse durch zwei gemeinsame Merkmale aus: Dezentralisierung der Information und Entprofessionalisierung der Medienproduktion. Die Redaktionen koordinieren häufig die freiwillige Mitarbeit zahlreicher Bürgerinnen und Bürger, der Übergang vom hauptberuflichen Journalisten zum mitunter schreibenden Bürger ist fließend geworden. Inzwischen hat ein tiefgreifender Strukturwandel nicht nur zum ideologischen und wirtschaftlichen Scheitern von Teilen des Konzepts geführt, sondern auch zu einer »Hierarchisierung« der Gegenöffentlichkeit, wie Stamm (1988: 241 ff.) am Beispiel des »alternativen« Flaggschiffes TAZ nachweist. Stichwörter hierfür sind: Auflösung der Identität von Lesern und Schreibern, Professionalisierung und Arbeitsteilung des Herstellungs- und Vermittlungsprozesses der Presseinhalte und damit einhergehend Reaktivierung von »bürgerlichen« Rezeptionsgewohnheiten, Ausdifferenzierung von »Kommunikationseliten« bei zunehmend fließenden Übergängen zwischen eingreifendem, kritischem (Alternativ-)Journalismus und engagiertem Journalismus liberaler Tageszeitungen (z. B. Frankfurter Rundschau) und Wochenpresse (z. B. Zeit, Spiegel). »Die Alternativblätter waren das publizistische Phänomen einer Zeit, in der die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen eine Gegenöffentlichkeit herausforderten und auch ein Publikum für solche Medien schufen. Die Faktoren, die schon Anfang der Achtziger Jahre in die Krise führten, machten die Neuorientierung notwendig, die die Alternativpresse herkömmlichen Typs marginalisierte und für andere den Abschied aus dem alternativen Segment bedeutete.« (Holtz-Bacha 1999: 345). Die ehemals mausgraue (weil auf Umweltpapier produzierte) Stadtzeitung mutierte zum bunten Zeitgeist-Magazin, das alternative Szeneblatt zum schrillen Lifestyle-Journal. Als Medium von »Gegenöffentlichkeit« erfuhr die Alternativpresse einen deutlichen Bedeutungsverlust, einhergehend mit einem Funktionswandel. Sie frischt das abgestandene Vokabular der traditionellen intermediären Einrichtungen (Parteien, Verbände) auf, 61 versorgt, orientiert an den Rezeptions- und Konsumbedürfnissen neuer sozialer Milieus, den ästhetischen Haushalt der herrschenden Kulturindustrie und erweitert die Angebotspalette für den »informierten« Bürger. Mit anderen Worten: Die Alterna- 61 Keine Partei, die nicht ihre »Querdenker« hegt, und kein Verband mehr, der nicht die »Streitkultur« pflegt. Weitere Beispiele für innovative Agenda-Setting-Function (Thematisierungsfunktion) der Alternativ-Presse lassen sich unschwer finden. 218 <?page no="218"?> 4.5 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« und Internet tivpresse avancierte zum Treibsatz einer neuen Medienöffentlichkeit. »Neu« an dieser Öffentlichkeit ist, über das bereits Gesagte hinaus, vor allem das Durchbrechen von herrschenden Informations- und Meinungsmonopole »insofern sie eine Heerschar von Gegen-Experten und Gegen-Interpreten zu Wort kommen lässt« (Stamm 1988: 255). Aus der einst angestrebten Produktion von Gegenöffentlichkeit bleiben die Herstellung von »Gegen-Expertenöffentlichkeit« und Auswirkungen auf das journalistische Rollenverständnis in der Mediendemokratie. Auch der »normale« Journalist/ Redakteur begreift sich als »aktiv-kritischer Akteur« mit dezidiert politischem Anspruch auf demokratische Kritik und Kontrolle (vgl. Rudzio 2006: 400 f.). In diesem »politischen« Rollenverständnis, vor allem aber in der Erweiterung der pressemedial erzeugten politischen Kommunikation, liegt ein entscheidender Modernisierungsimpuls für die Organisationsentwicklung der intermediären Einrichtungen. Allerdings hat er seinen Preis. Denn an der »Gegen-Expertenöffentlichkeit« partizipiert ein Publikum von alternativen Spezialisten. Deren Medienarbeit ist professionalisiert, abgekoppelt von der Alltagsöffentlichkeit und verschlossen gegenüber der Öffentlichkeitsproduktion durch breite Bürgerbeteiligung. Neuerdings treten die Bürgerbeteiligung an der Medienproduktion und der einst damit verbundene Deprofessionalisierungsanspruch der Alternativpresse in Gestalt des »Lese-Reporters« auf den Plan. Die größte deutsche Boulevardzeitung verteilt »Presseausweise« an jedermann. Dieser und jede Frau nehmen in wachsendem Maß entweder unentgeltlich (wie z. B. bei der Saarbrücker Zeitung) mit Tipps und Fotos oder als bezahlte »Handy-Knipser« (Brauck 2006: 121) (bei der Bild-Zeitung) an der Herstellung des Mediums teil 62 und konkurrieren mit den Fotografen, die für die Zeitungen als »feste Freie« arbeiten. Die Ansichten darüber, wie dieses Phänomen zu bewerten ist, gehen auseinander. Die Figur des »Lese-Reporters« mag eine vorübergehende Modeerscheinung sein und vor allem dem verbreiteten Denunziantentum sowie voyeuristischen Bedürfnissen genügen (vgl. Rutkowski 2006: 12). Vor allem aber erscheint sie als Karikatur des alternativen Medienarbeiters und des von ihm verfolgten Anspruchs, die Kluft zwischen Rezeption und Produktion der Medieninhalte zu überwinden. Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass es sich hierbei um Anfänge einer erweiterten Bürgerbeteiligung an der Medienproduktion handelt, die über das Internet auch Zugang zu den Redaktionskonferenzen gewinnt (wie z. B. bei der Münchner Boulevardzeitung »TZ«) und dadurch den Bürgern über das traditionelle Medium »Leserbrief« hinaus eine weitere Artikulationsmöglichkeit einräumt. Eine neue, partizipative Medienöffentlichkeit entsteht dadurch jedoch noch nicht. 62 Während der Sommerferien 2006 gingen angeblich täglich bis zu 2500 Bilder bei der Redaktion ein (Brauck 2006: 121). Eine andere neue Form des »Bürgerjournalismus« ist die Gemeinschaftsleistung tausender von Autoren für »Wikipedia«, dem inzwischen weltweit größten Lexikon (http: / / de.wikipedia.org). 219 <?page no="219"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld Wie realistisch sind die Beteiligungserwartungen vor dem Hintergrund der Entwicklung im Funkmedienbereich? Dort wurde der eingangs formulierte Anspruch der »Gegenöffentlichkeit« vor allem durch nichtkommerzielle Lokalradios umgesetzt. Diese sind Ausdruck einer inzwischen sehr vielfältigen »Bürgermedienlandschaft« und weisen bei allen Unterschieden typenübergreifend folgende Merkmale auf: offene Programmgestaltung, Vermittlung von Medienkompetenz, lokale Verankerung, Nichtkommerzialität und Gemeinnützigkeit sowie Orientierung am Leitthema der »Gegenöffentlichkeit«, indem »Personen oder Gruppen, die wegen ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung oder sexistischen und rassistischen Diskriminierung in den Medien kaum oder nicht zu Wort kommen, die Möglichkeit der unzensierten Meinungsäußerung erhalten« (Buchholz 1999: 79). Der Bundesverband Freier Radios (BFR) bringt diesen Anspruch in seiner 1995 verabschiedeten Charta zum Ausdruck und organisiert inzwischen eine Vielzahl entsprechender Initiativen. Allerdings ist die Konjunktur des privaten Rundfunks als Teil von Gegenöffentlichkeit (z. B. Radio Wendland) merklich abgeflacht. Von ausländischen Vorbildern inspiriert, wie zum Beispiel den »radios libres« im Frankreich der 1970er Jahre (vgl. Ott 1988), teilten »alternative« Privatsender hierzulande deren Schicksal: Aus Bürgerbeteiligung wurde »Bürgernähe«. In vielen Fällen verflachen zudem die Sendungen zu musikumrahmten Werbespots. Bestenfalls strahlen die Sender lokale Information aus oder bedienen thematisch eine »alternative« Klientel. Wie so manche aufgeschlossene Zeitungsredaktion sich ein »Leserparlament« zusammenstellt oder inzwischen mit den »Leserreportern« kooperiert, kommt auch in den Funkmedien der »Mann (und speziell die (Haus-)Frau von der Straße« zu Wort nach dem Motto: Journalisten fragen, die Bürger antworten. 63 Ähnlich verhält es sich mit den Partizipationschancen von sogenannten »Bürgerkanälen«. Diese sind offen für die Artikulation von Interessen und Meinungen von jedermann. Von der Idee her sollte jedem nichtgewerblichen Anbieter der Bürgerkanal zur Übertragung selbstproduzierter Sendungen offenstehen. Der »offene Kanal« und das durch ihn ermöglichte »Bürgerfernsehen« wurden in den Kabelpilotprojekten erprobt, das erste in Ludwigshafen 1984, und seit damals in nunmehr 70 offenen Kanälen bundesweit umgesetzt (vgl. Meyn 2004: 179 ff.). Hinter dem offenen Kanal (vgl. die Untersuchung von Tiersch 2004 für Rheinland-Pfalz und allgemein zum Thema Kamp/ Studthoff (Hg.) 2003) steht in der Regel ein Trägerverein, der z. T. ehrenamtlich (z. B. Rheinland-Pfalz), z. T. hauptamtlich geführt wird. Kennzeichnend für das »Bürgerfernsehen« ist der lokale Bezug und die Erwartung »Sprachrohr der Bürger« (Borgemeister 2006: 35) zu sein; denn offene Kanäle könnten gerade jenen 63 Mit dem »Hallo-Ü-Wagen« bereiste die Journalistin Carmen Thomas im Auftrag des WDR jahrelang jeden Donnerstagvormittag eine andere nordrhein-westfälische Stadt und bot deren Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, zu einem ausgewählten Thema ihre Meinung zu sagen und so, durchaus vergleichbar mit der Produktionsform eines »Freien Radios«, am Programm und dessen Gestaltung mitzuwirken. 220 <?page no="220"?> 4.5 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« und Internet Gruppen einen Zugang zur politischen Kommunikation verschaffen, die vom Machtkartell aus alten Medienoligarchien und neuen »alternativen« Mediokraten ausgegrenzt werden. Neben der eigenständigen, ohne redaktionelle Aufarbeitung auskommenden Produktion und der inhaltlich pluralistischen Ausrichtung steht deshalb vor allem. der Rollenwechsel vom Medienrezipienten zum Medienproduzenten zur Debatte. Seine Grundlage ist die aktive Partizipation der Bürger. Die bisherigen Erfahrungen sind jedoch ernüchternd. Der offene Kanal ist zwar partizipationsoffen, aber trotzdem oder gerade deshalb öffentlichkeitsverschlossen. Die öffentliche Resonanz dieser Programmform ist außerordentlich gering. Zwar ermöglicht der Bürgerkanal »sozialen Organisationen und Gruppen wie Bürgerinitiativen, Video- Gruppen und Vereinen, ihre Stadtteilarbeit einem größeren Publikum in ihrer Nahwelt vorzustellen, Produktionserfahrungen zu sammeln und vielleicht sogar ein Stück Selbstverwirklichung zu erleben (. . . ) Kritiker weisen darauf hin, dass die Hoffnung bislang sprach- und machtloserer Gruppen, im Offenen Kanal zu Wort zu kommen und die Öffentlichkeit auf ihre Belange aufmerksam zu machen, wegen der geringen Beachtung der Sendung eine Illusion ist.« (Meyn 2004: 179 f.). Um die Partizipationschancen des offenen Kanals und damit das politische Kommunikationspotenzial dieser Programmform zu nutzen, bedarf es offenbar mehr als verbesserter technischer und größerer finanzieller Unterstützung. 64 Hinzu kommen muss eine breit angelegte Aufklärung der Bürger über die Beteiligungsmöglichkeiten, das Wissen, wie diese genutzt werden können, und das Wollen, von den Chancen Gebrauch zu machen, das heißt aber: Partizipationskompetenz in Form von Medienkompetenz . 65 Diese entscheidet letztlich auch über die Demokratierelevanz des »Bürgerfernsehens«. 4.5.1.3 Zur Demokratierelevanz alternativer Medienarbeit Wie oben gezeigt wurde, ist das Konzept der »Gegenöffentlichkeit« nicht einfach historisch überholt, vielmehr unterliegt es einem Funktionswandel: von der Gegenöffentlichkeit zur Modernisierungsöffentlichkeit. Diese Entwicklung entscheidet über seine Bedeutung für politische Kommunikation und Demokratierelevanz. Die demokratiepolitischen Risiken und Chancen einer modernisierten »Gegenöffentlichkeit« liegen in drei Tendenzen: zum einen im oben skizzierten Transfer von Inhalten, Organisationsformen und Strukturen der Gegenöffentlichkeit in das herrschende Mediensys- 64 Die offenen Kanäle sind finanziell ausgestattet, die Nutzer können Technik ausleihen, Schnittplätze bestellen und sich von Kommunikationshelfern beraten lassen. 65 Medienkompetenz zu vermitteln ist mehr als nur eine medienpädagogische Aufgabe. Am Beispiel des Bürgerkanals wird deutlich, dass die Partzipations- und Lernchancen der neuen Medien für breite Bevölkerungsschichten nur genutzt werden können, wenn über den technisch kompetenten Umgang mit den Medien hinaus »Partizipation« auch auf anderen Handlungsfeldern gelernt werden kann. Der politisch passiv gehaltene Bürger wird auch durch das Beteiligungsangebot eines Bürgerkanals nicht aktiv. Wer z. B. an seinem Arbeitsplatz nichts zu sagen hat, wird auch anderswo nur schwerlich seine Sprache finden (vgl. dazu oben 4.3.2). 221 <?page no="221"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld tem. Wenn »der Einzug der Politik in erster Person, Betroffenheit und Authentizitätsanspruch in den Massenmedien« (Oy 2000: 79) tatsächlich stattgefunden hat, dann ist dies ein Nachweis für den gelungenen Transfer. Wenn darüber hinaus »Betroffenheit« inzwischen »aus den alternativen Nischen heraustretend, zu einem journalistischen Standard geworden ist« (Platen 1999), kann dies als ein weiteres Indiz für die Modernisierungseffekte gelungener Konzeptübertragung gelten. Arbeitsorganisatorische Flexibilisierung, größere Experimentierfreudigkeit, aber auch Selbstausbeutung und Identifikation mit Arbeit und Betrieb, wie sie einst für alternative Betriebe kennzeichnend waren, haben in den Redaktionen Einzug gehalten und stehen auf der Agenda eines zeitgemäßen Human Resource Management. Die demokratiepolitische Relevanz von »Gegenöffentlichkeit« in ihren modernisierten Formen zeigt sich auch auf einem anderen Feld. Gegenöffentlichkeit war immer auch massenmediale Inszenierung von Protest. Als Öffentlichkeit der Neuen sozialen Bewegungen ermöglichte sie für deren Aktivisten unmittelbare und sinnlich konkret erfahrbare Politikgestaltung, aber auch eine telewirksam inszenierte Plattform für moralische Empörung und magische Verzauberung der direkten Aktion (vgl. Baringhorst 1996: 15 ff.). Mit dem Niedergang der Neuen sozialen Bewegungen erodiert die gesellschaftliche Basis von »Gegenöffentlichkeit«. Zurück bleibt das Medienspektakel und ein symbolischer Inszenierungszauber, der den Anforderungen an eine kritische Öffentlichkeit nicht genügt: »massenmedial organisiert, ersetzen sie (die Medienspektakel, der Verf.) das Räsonnement, den diskursiven, auf den Sieg des besten Arguments angelegten Meinungs- und Willensbildungsprozess durch die inszenierte symbolische Demonstration von Protest und Mitleid - mit den öffentlichen Versammlungen bürgerlicher oder proletarischer Öffentlichkeit oder den basisnahen Formen subkultureller Gegenöffentlichkeit haben sie kaum noch etwas gemein« (Bahringhorst 1996: 23). Über diese Transformation der Gegenöffentlichkeit in eine»Symbolpolitik von unten« hinaus, zeigt sich ihr Bedeutungswandel schließlich in der Verlagerung der Öffentlichkeitsproduktion in das Internet. »Gegenöffentlichkeit« heute konstituiert sich zunehmend virtuell und auf der Grundlage von online betriebener Kommunikation. 66 Damit steht und fällt die Demokratierelevanz von »Gegenöffentlichkeit« mit deren »Netztauglichkeit«. Als Teil der politischen Kommunikation im Internet verleiht sie der Multimediagesellschaft den eigentümlichen Reiz von kritischer Kompetenz. 66 Bezeichnend für diese Entwicklung ist die im Rahmen einer Kommunikationsfachtagung im Mai 2005 vorgenommene »Bestandsaufnahme«. Das Tagungsprogramm bewegt sich thematisch zwischen »Cyberprotest«, Fallbeispielen zu »Bildblog.de«, »Move On - Zu den Chancen des digitalen Massenprotests« bis zum »Big Brother-Award als neue Form der Gegenöffentlichkeit« (vgl. Gegenöffentlichkeit heute - eine Bestandsaufnahme 2005: 94 f.). 222 <?page no="222"?> 4.5 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« und Internet 4.5.2 Politische Kommunikation im Internet: Akteure und Themen netzgestützter Politik- und Interessenvermittlung Politik- und Interessenvermittlung auf der Grundlage politischer Kommunikation stützt sich in der Mediendemokratie vor allem auf Presse, Rundfunk und Fernsehen. Dies gilt auch für das Konzept der »Gegenöffentlichkeit«. Die neuen Informations- und Kommunikationsmedien und vor allem das »Netz der Netze« (Internet) revolutionieren in technischer Hinsicht die Massenkommunikation und nähren Hoffnungen wie Befürchtungen für die Demokratie (vgl. 4.5.2.1). Wie begründet diese sind, zeigen die Voraussetzungen (dazu 4.5.2.2) und Folgen netzgestützter politischer Kommunikation (dazu 4.5.2.3). 4.5.2.1 Das Internet - eine elektronische Agora für den Bürger? »Der Planet Erde ist von einer riesigen aus Sendern und Empfängern, Kabeln und Computern bestehenden netzartigen Informationsmaschine umhüllt (. . . ) Die neue Epoche bricht mit einer Dynamik über die Menschheit herein, als würden Dampfmaschine, Automobil und Fernsehen innerhalb eines Jahres erfunden (. . . ) heute stürmt die elektronische Evolution in Monatssprüngen voran« (Degler 1993: 150 f.). Über die Auswirkungen der »digitalen Revolution« auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wurde in der Vergangenheit trefflich spekuliert, populärwissenschaftliche Zukunftsszenarien sind in der Regel schwarz-weiß gemalt. Dies gilt auch für die mit den neuen Medien und speziell mit dem Internet verbundenen Erwartungen im Hinblick auf die Risiken und Chancen für die politische Demokratie. Unstrittig sprechen starke Indizien dafür, dass die neuen Medien demokratische Potenziale bergen, die geeignet sind, Politik- und Interessenvermittlung nicht nur technisch zu revolutionieren, sondern auch auf eine neue demokratische Grundlage zu stellen. Hierzu zählen mögliche Auswirkungen auf die sozialstrukturellen Grundlagen und innergesellschaftlichen Machtverhältnisse, aber auch auf die internationale Arbeitsteilung, staatliche Souveränität und das Machtgefüge der Welt (Degler 1993: 152; Roszak 1986; Bühl 1997). Umstritten jedoch bleiben die Folgen der neuen Medien und insbesondere des Internets für die politische Kommunikation und damit für die Demokratie. Presse und Fernsehen organisieren politische Kommunikation im Wesentlichen als »Einbahnstraße«, von oben nach unten, von den Medienmachern zu den Medienrezipienten. Die Attraktivität des Konzepts »Gegenöffentlichkeit« resultiert nicht zuletzt aus der Idee, diese Trennung aufzuheben und »Gegenverkehr« zu ermöglichen. Wie oben dargelegt wurde, ist die Verwirklichung dieser Idee weitgehend gescheitert. Erst mit der Digitalisierung von Funk und Fernsehen, vor allem aber mit dem Internet bekommt die Vorstellung, politische Kommunikation könne im »globalen Dorf« als politischer Marktplatz organisiert werden, auf dem sich die Bürger zur politischen Öffentlichkeit 223 <?page no="223"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld konstituieren, neuen Auftrieb. Zum Wesen des Internets gehört, dass es alle bekannten Kommunikationswege zusammenführt und als »individualisiertes Massenmedium« dem Anspruch einer elektronischen Agora, die durch interaktive Vernetzung entsteht, eine technische Grundlage verleiht. Mit der Vorstellung, das Internet öffne »Einfallstore für Aufwärtskommunikation« (Leggewie 1998: 38) zwischen Bürgern und politisch-administrativem Systems, gehen Erwartungen an eine netzgestützte Politik- und Interessenvermittlungsqualität einher, die auch die politische Demokratie qualifizieren könnte. Solche Erwartungen machen an der »virtuellen Grenzenlosigkeit« des Netzes ebenso wie an den zahlreichen Beispielen »für den subversiven Gebrauch der neuen Medien« fest (Leggewie 2000: 161), vor allem aber an Strukturmerkmalen, die das Internet als Raum für demokratieförderliche politische Kommunikation geeignet erscheinen lassen. Hierzu zählen die ermöglichte Gleichheit der kommunikativen Beziehungen, wie die prinzipielle Offenheit des Zugangs, so dass die politische Bedeutung von Themen im netzgestützten Diskurs erst zu prüfen wäre und damit die Eignung des Internets für »Diskursivität« netzgestützter Debatten (vgl. Welz 2002: 3 ff.). Politikvermittlung bekäme dann, so die demokratiepolitische Erwartung, nicht nur ein anderes Gesicht, sondern auch ein anderes Gewicht: »Rezipienten werden zu Akteuren, Politiker zu Rezipienten - die klassischen Rollen der Politikvermittlung lösen sich auf« (Friedrichs/ Hart/ Schmidt 2002: 22). Das Internet bietet hierfür neue Formate, die dieses Medium von den alten Massenkommunikationstechniken unterscheiden: die individuelle Informationsmöglichkeit, die ständige Aktualisierungsmöglichkeit, die multimediale Präsentation sowie die Interaktivität (vgl. Meyn 2004: 18 f.). Vor allem hierin liegt der »Quantensprung« (Clemens 2001: 598) für Politikvermittlung, aber auch für die Artikulation von gesellschaftlichen Interessen. Netzgestützte Öffentlichkeit könnte, so die damit einhergehende Demokratieerwartung, die politische Öffentlichkeit der deliberativen Demokratie werden (vgl. Leggewie/ Bieber 2001: 37 ff.), weil sie Diskussion aber auch Beteiligung an der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung ermögliche und deshalb »ein geschärftes demokratisches Bewusstsein und Verantwortungsgefühl und insgesamt eine verbesserte Staatsbürgerlichkeit« (Siedschlag/ Rogg/ Welzel 2001: 13) befördern könne. »Richtig eingesetzt« - so das demokratiepolitische Fazit - »könnte das Internet dazu beitragen, politische Prozesse bürgernäher und demokratischer auszugestalten und die Partizipation der Bürger am staatlichen Handeln deutlich zu erhöhen« (Friedrichs/ Hart/ Schmidt 2002: 12). Dies würde Politik- und Interessenvermittlung auf eine neue massenkommunikationstechnische Grundlage stellen und die Demokratie insgesamt stärken. Inwieweit das Internet als technische Ressource für politische Kommunikation genutzt und seine demokratiepolitischen Potenziale ausgeschöpft werden, hängt entscheidend von der Frage ab, wer das Netz zu welchem Zweck nutzt. Ihre empirisch überprüfte Beantwortung zeigt, ob die Voraussetzungen für eine netzgestützte politische Kommunikation tatsächlich vorhanden sind, oder, begleitet von Demokratiehoffnungen, lediglich unterstellt werden. 224 <?page no="224"?> 4.5 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« und Internet 4.5.2.2 Politische Kommunikation im Netz: Akteure und Themen Politische Kommunikation im Internet setzt Netzzugang voraus sowie eine neue Qualität von Informationsnutzung und damit von politischer Informiertheit. Die schiere Nutzung zeigt, dass das Internet dabei ist, als neues Leitmedium das Fernsehen abzulösen. Während am Ende des letzten Jahrzehnts nur jeder zehnte Erwachsene Zugang zum Netz hatte, nutzen im Jahre 2004 bereits mehr als die Hälfte und inzwischen mehr als zwei Drittel der 16bis 74-Jährigen das Internet. Damit liegt Deutschland in der Netznutzung europaweit über dem Durchschnitt (44 %) und im oberen Segment bei der weltweiten Nutzung. Nur 16 Prozent der Weltbevölkerung haben Zugang zum Internet (vgl. TNS Infratest 2006: 64, Niedermayer 2005: 174). Dies zeigt, wer sich auf dem digitalen Marktplatz begegnet und dass innerhalb der deutschen Gesellschaft immerhin ein Drittel und weltweit ein ganzer Kontinent ausgeschlossen bleiben 67 . Der Zugang zum Netz und die damit gegebene Verbreiterung der Information besagen allerdings noch nichts über deren Tauglichkeit für politische Kommunikation. Informatisierung führt noch nicht zur Informiertheit (vgl. Marr 2005). Fragt man nun, ob es sich bei der Netzkommunikation um politische Kommunikation handelt, hängt die Antwort von zweierlei ab: zum einen von den im Netz vertretenen politischen Akteuren und damit von der Frage, wer netzgestützt kommuniziert und zum anderen von den Kommunikationsthemen bzw. Inhalten. Rilling (1997: 198) unterscheidet drei Gruppen von Politikinhalten und drei Kategorien von politischen Akteuren, die die Netzkommunikation prägen. Danach handelt es sich (1) um die Angebote der politischen »Abwärts-Information« des politischen Marketings durch Parlamente, Exekutiveinrichtungen und parteieigene Projekte. Hierzu zählen beispielsweise die Online-Informationsangebote der Parlamente 68 (für den Bundestag: www.bundestag.de und www.mitmischen.de), »virtuelle Ortsvereine« der Parteien, E-Mail-Listen zur direkten Kontaktaufnahme der Parteiführung mit den Mitgliedern, Online-Mitgliederbefragungen, zum Beispiel bei der Kandidatenaufstellung, und der Einsatz des Internets für Wahlkampfzwecke nach USamerikanischem Vorbild (vgl. Clemens 2001: 607 ff.; Bieber 2001: 553 ff.) sowie Webauftritte von Organisationen und Verbänden (wie z. B. Mailinglisten etc.), die vornehmlich der Mitgliederwerbung und -information über Verbandszweck und -tätigkeit dienen. Sodann handelt es sich (2) um Vorhaben zur Rationalisierung von politischer Kommunikation (Beispiel: Electronic Government). Hierunter versteht man »die Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten (Government) mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechniken über elektronische Medien« (von 67 So standen Ende des letzten Jahrzehnts bereits zwei Drittel der weltweit an das Netz angeschlossenen Rechner in den USA, jedoch nur 3 % in Afrika (Voregger 1997: 19). 68 Im deutschen Bundestag geht die Einführung elektronischer Informationssysteme auf das Parlakom zurück, das Ende der 1980er Jahre entwickelt und eingeführt wurde. 225 <?page no="225"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld Lucke/ Reinermann 2002: 1 ff.). Dabei geht es um weit mehr als um bürgerfreundliches Verwalten vermittels moderner Technik. Die Debatte zum E-Government weist diesem Konzept perspektivisch drei Dimensionen zu (vgl. zum Folgenden Hill 2002: 28): zuverlässige Verwaltungsdienstleistungen auf elektronischem Wege (E-Services), die Kommunikation von Bürgern, Interessengruppen und gewählten Repräsentanten (E-Governance) sowie die Entwicklung von Fähigkeiten und von IT-Infrastruktur (E-Knowledge). Und schließlich handelt es sich (3) um Angebote gesellschaftlicher Organisationen und Initiativen, wie zum Beispiel »virtuelle« Städte und Dörfer, die auf »Interaktivität« (vgl. Bieber/ Leggewie 2004) setzen und damit auch die Partizipation von unten nach oben ermöglichen. Politische Kommunikation dient hier dem »Empowerment« der Nutzer, der Einrichtung von virtuellen Netzwerken und von Räumen für »Gegenöffentlichkeit« mit der Perspektive, gesellschaftlichen Gruppen und nicht- oder schwachorganisierten Interessen ein Forum zu bieten, um sich zu artikulieren. Hierzu zählen auch die Nutzung und Gestaltung des Internets aus weiblicher Perspektive (z. B. für eine »Frauenbewegung online«) (vgl. Schachtner/ Winker 2005). Bei den das Netz beherrschenden Akteuren handelt es sich auf dem Feld der politischen Kommunikation an erster Stelle um große Inhaltsanbieter, die Politik als aktuelle Unterhaltung verkaufen (Info- und Politainment), sodann um »Frohsinnsanbieter«, die Politik als Nebeneffekt der Kommerzialisierung der öffentlichen Sphäre ihrerseits kommerzialisieren, und schließlich um »kapitalstarke politische Netzunternehmer«, die im Stande sind, Netzinteraktivität in massenpolitisch handhabbare zielgruppen- und zielpersonenspezifische Feedback-Reaktionen, Rückmeldungen des Publikums, umzuwandeln, »und im Übrigen die Installierung solcher Feedbackmechanismen als politische Partizipation inszenieren« (Rilling 1997: 198). Was folgt aus diesem Befund für die Qualität der netzgestützten politischen Kommunikation? 4.5.2.3 Hohe Erwartungen - nüchternes Fazit: das ungenutzte politische Kommunikationspotenzial des Internets Die Empirie der politischen Kommunikation im Internet hat eine quantitative und eine qualitative Seite. Erstere wird dadurch gekennzeichnet, dass der größte Teil des netzgestützten Informationsaustausches politikfern verläuft, politische Themen und Inhalte eher schwach ausgeprägt sind und bei der überwiegenden Zahl der Netznutzer kaum auf Interesse stoßen (vgl. Hoecker 2002: 40 f.). Die mit den technischen Möglichkeiten des Internets erreichbare quantitative Erleichterung der Kommunikation, wie sie in der »Hybridisierung« 69 von Individual- und Massenkommunikation zum Ausdruck kommt, führt nicht automatisch zur Qualitätssteigerung des Netzes als 69 So kann z. B. eine E-Mail an einen oder an eine Vielzahl von Adressaten ohne Kostenunterschied verschickt werden. 226 <?page no="226"?> 4.5 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« und Internet politischer Kommunikationsraum. So wird die enorme Erleichterung kostengünstiger Information erkauft mit Informations- (bzw. Daten-)Überflutung und Hilflosigkeit gegenüber einem »Datenmüll«, der die Diskrepanz zwischen dem wachsenden Informationsangebot einerseits und davon abgekoppelter politischer Informiertheit andererseits eher vergrößert. In qualitativer Hinsicht markiert die einschlägige Forschung vor allem drei Probleme netzgestützter politischer Kommunikation: zum einen die mangelnde Verlässlichkeit der Informationen. Diese resultiert aus der »Ortlosigkeit« und möglichen Anonymität der Netzteilnahme. Was für viele die Attraktivität des Netzes ausmacht, ist demnach seiner Qualität als Ort von politischer Öffentlichkeit abträglich. Zum andern die starke Fragmentierung netzgestützter Kommunikation mit der Folge, dass diese nicht in der Lage ist, »Themen und Meinungen nach Prioritäten zu sortieren und diese dann konzentriert an das politische System zu adressieren« (Schmalz-Bruns 2000: 118). Mit anderen Worten: das Internet kann die Gate-Keeping-Funktion der herkömmlichen Massenmedien nicht übernehmen (vgl. Clemens 2001: 599) und fällt als organisierte Form der Interessenvermittlung weitgehend aus. Und schließlich das Machtproblem. Netzgestützte politische Kommunikation ist weitgehend »vermachtet«, sie wird häufig betrieben aus ökonomischen Interessen betrieben, wird geprägt durch »Meinungseliten« und unterliegt der Wirksamkeit politischer und wirtschaftlicher Machtstrukturen (ebd.). Wenn politische Kommunikation im Netz vor allem von mit Machtressourcen ausgestatteten Akteuren (wie z. B. Parteien und Exekutiveinrichtungen) gemanagt wird, dann beschränkt dies die Bedeutung des Netzes als Raum einer, auch kritischen, politischen Öffentlichkeit 70 , aber stärkt gerade dadurch seine Relevanz für die Inszenierung von asymmetrischer Kommunikation. Diese verläuft, wie das Konzept des E- Government zeigt, in der Praxis weitgehend »von oben nach unten«. Zwar sind mit diesem Konzept die Visionen und Perspektiven von mehr Bürgernähe, kundenfreundlicher Verwaltung und Demokratiegewinn verbunden (vgl. für viele Friedrichs/ Hart/ Schmidt 2002: 12 ff.), die Praxis wirkt jedoch ernüchternd. Zwar gibt es eine Reihe von Ansätzen einer erfolgreichen Erprobung in der Fläche im Anschluss an Initiativen, wie etwa das Projekt der ehemaligen Bundesregierung »Bund Online 2005«, allerdings mit bislang bescheidenen Erfolgen. Bei der Nutzung des Internets für die Modernisierung von Politikvermittlung ist die Bundesrepublik eher »Mitläufer« als »Vorreiter«. Wie Umfragen in den deutschen Städten belegen, sind diese von einem bürgerbezogenen E-Government noch weit entfernt. Die weitaus meisten nutzen das Internet als »Schaufenster«, zunehmend stellen die Behörden auch elektronische Formulare zur Verfügung, die am hei- 70 Und bleibt damit hinter den Anforderungen der Deliberation zurück. Denn das für diese geltende Prinzip der Gleichberechtigung wird, wie z. B. die Moderation von Parteiforen bei der Präsentation von Kandidaten zeigt, nicht beachtet: »jeder kann sich zwar äußern, aber nicht jeder kommt zu Wort. (. . . ) der Moderator wählt aus, was vom gepflegten und gehegten Kandidaten beantwortet wird und anschließend auf die Bildschirme flattert« (Wachter 2002: 31). 227 <?page no="227"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld mischen PC ausgefüllt werden können. Erst in Ansätzen können aufwendigere Verwaltungsleistungen über das Netz abgerufen werden (wie z. B. Steuererklärungen online), noch kaum werden die Nutzer zu Teilnehmern eines netzgestützten Informationsaustausches zwischen Verwaltungseinrichtungen und Bürgern. Zwar planen die meisten deutschen Städte die Einführung von E-Government, aber den meisten fehlt es noch an einem entsprechenden Konzept. »Nur jedes fünfte Rathaus ist überhaupt im Netz vertreten.« (Prigge 2006: 317). Der Internetauftritt der deutschen Großstädte wird in erster Linie unter dem Aspekt des Stadtmarketings gestaltet. Die Städte sind damit keine negativen Ausnahmen, ihre Kommunikationspraxis ist vielmehr die Regel, wie sie auch für die anderen mit Machtressourcen ausgestatteten politischen Akteure im Netz gilt: Der virtuelle Raum dient vornehmlich der Selbstdarstellung, er bietet Präsentationsplattformen, erweitert und verfeinert die Techniken der demonstrativen Publizität. Inwieweit der virtuelle Raum darüber hinaus einem Publikum aktiver Netzbürger zur Verfügung steht und von diesen zur politischen Artikulation und Interessenvermittlung genutzt wird, mit anderen Worten, kritische Publizität hervorbringt, entscheidet über seine demokratische Qualität. 4.5.3 Demokratierisiken und -chancen politischer Kommunikation im Internet Das Demokratiepotenzial des Internets beflügelte in der Vergangenheit die demokratiepolitische Phantasie. 71 Eine realistische Einschätzung der Demokratiepotenziale des Internets gewinnt ihre Argumente aus zwei Quellen: zum einen aus der bisherigen Praxis unterschiedlicher Ansätze und Konzepte der »elektronischen Demokratie« (vgl. Clemens 2001: 597) und zum anderen aus dem gegenwärtigen Umbau des Mediums zu einem »Mitmach-Netz« (vgl. Strobel y Serra 2006: R 1). Die Umsetzungspraxis der elektronischen Demokratie bleibt bislang hinter den Erwartungen zurück. Die Perspektiven der »Democracy Web2.0« (Leggewie/ Bieber 2003) nähren dagegen eine neue Internet-Euphorie. Ob die demokratiepolitischen Hoffnungen berechtigt sind oder die Ernüchterung begründet ist, hängt entscheidend davon ab, inwieweit E-Democracy und Web 2.0 politische Partizipationspotenziale bergen, die von den Bürgern aktiv genutzt werden. 71 So waren mit der netzgestützten Kommunikation nicht nur die Qualifizierung der Demokratie, sondern sogar eine »Hyperdemocracy«, eine »Ultimate Democracy« - so das Time Magazine - in Aussicht gestellt (vgl. weitere Belege bei Rilling 1997: 194). Die Vorstellung, politische Kommunikation könne global erweitert und lokal verdichtet werden, sieht sich bestätigt in Praxisbeispielen einer kritischen Netzpolitik. Diese können als »Lichtblicke des Netzes und nicht zu unterschätzende Vorgriffe auf ein künftiges Netzbürgertum« gewertet werden (Leggewie 2000: 161). 228 <?page no="228"?> 4.5 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« und Internet 4.5.3.1 Das Partizipationspotenzial der »elektronischen Demokratie« »Elektronische Demokratie« blickt auf eine lange Begriffsgeschichte zurück, auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen ist nicht neu (vgl. Clemens 2001: 593 ff.). Im weitesten Sinne umfasst der Begriff sämtliche Internet-Angebote zur Bürgerbeteiligung an der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung. Dazu zählen Diskussionsforen, Online-Abstimmungen, Protestaktionen und vieles mehr. In einem engeren Sinne lässt sich die elektronische Demokratie auf drei unterschiedliche Konzepte bringen. Als »Tele-democracy« steht das Konzept in der Tradition der partizipatorischen Demokratie und stützt sich auf die Einführung der IuK-Techniken im Funk- und Fernsehbereich. Das digitale Fernsehen und der oben beschriebene »Bürgerkanal« sollten politische Entfremdung und Apathie überwinden und den Massenmedien eine neue Relevanz als Agenturen der politischen Sozialisation verschaffen. Als »Cyber-Democracy» umfasst sie elektronische Konzepte, die von der Entwicklung des Internets inspiriert sind und in diesem »eine neue athenische Demokratie heraufziehen (sehen), mit direkter Bürgerbeteiligung und digitaler Volksabstimmung« (Leggewie 2000: 154). Im Unterschied zur Tele-democracy wird die repräsentative Demokratie hierdurch perspektivisch nicht gestärkt, sondern ersetzt. Und schließlich umfasst die elektronische Demokratie Konzepte einer »electronic democratization« mit dem Ziel, die bestehenden demokratischen Einrichtungen als Politikvermittlungsinstanzen zu sichern und generell den Informationsaustausch zwischen politischen Akteuren und Bürgern auf eine neue technische Grundlage zu stellen. Während diese Dimension der elektronischen Demokratie das Politikvermittlungspotenzial des E-Government stärkt, dienen die Konzepte der Tele-democracy und der Cyber-Democracy eher der Interessenartikulation und -vermittlung durch erweiterte Bürgerbeteiligung. Die Praxis zeigt, dass die in diesen Konzepten zweifellos enthaltenen demokratischen Potenziale bislang nur unzureichend genutzt werden. So bleiben die ehemals mit der Digitalisierung der Funk- und Fernsehmedien verbundenen Erwartungen an Bürgerbeteiligung weit hinter den Möglichkeiten zurück. Der »offene Kanal« führt im System der Politik- und Interessenvermittlung eine kaum wahrgenommene Randexistenz (vgl. dazu oben 4.5.1). Aber auch auf dem Weg zur »electronic democratization« liegen erhebliche Barrieren. Online-Wahlen sollen die Abstimmungsmüdigkeit der Bürger überwinden und die Wahlbeteiligung steigern. Dabei beruht, wie sich zeigt, bereits die Ausgangsüberlegung auf einem Missverständnis: Die Wahlenthaltung immer größerer Teile der Bevölkerung sei »vorrangig ein technisches Problem« (Hoecker 2002: 42), das informationstechnisch zu lösen sei. Online-Wahlen sind auch aus anderen Gründen demokratiepolitisch bedenklich und nicht wünschenswert. »Stellt doch der Gang zur Wahlurne für die Mehrzahl der Menschen die einzige Form ihrer politischen Beteiligung dar. Diese vollständig in den privaten Raum zu verlagern würde das Prinzip der Öffentlichkeit von Demokratie verletzen« (Hoecker 2002: 42). Fehlerhafte Wahlcomputer und massive Manipulationen rücken die elektronische Wahl in ein demokratiepolitisch 229 <?page no="229"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld schlechtes Licht. »Denn der gute alte Wahlzettel ist kein museales Relikt, sondern eine scharfe Waffe gegen Manipulatoren und Diktatoren« (Schmundt 2006: 182). Die technischen Mängel der elektronischen Wahl sind nur Teil eines umfassenderen Problems: der mangelnden Sicherheit der Datenverarbeitung. Datenklau, Computerviren und Sicherheitslücken in Softwareprogrammen oder Browsern kennzeichnen die Netzpraxis. Mit Abhörverfahren und biometrischen Scannern wird dem Bürger eine sichere Internet-Gesellschaft suggeriert, die Praxis sieht jedoch anders aus. Viele Beobachter spannen deshalb den demokratiepolitischen Erwartungshorizont über die Cyber-Democracy und das mit diesem Konzept verbundene Empowerment der Netz-Nutzer. Danach verkörpert das Internet einen tiefgreifenden Strukturwandel der Öffentlichkeit und birgt Chancen »im politischen Gestaltungsprozess der nächsten Jahre seitens demokratischer Kräfte (. . . ) einen umfassenden emanzipatorischen Mediengebrauch zu nutzen« (Bühl 1996: 234). Diese Chancen bleiben bislang jedoch weitgehend ungenutzt. Die Partizipationsforschung erklärt warum: Danach ist die Ungleichverteilung von Beteiligungschancen kein technisches, sondern ein soziales Problem. Einschlägige Untersuchungen zur Nutzerbeteiligung etwa an Mailinglisten, Newsgroups und anderen Formen des politischen Netzwerkens zeigen, dass die Partizipationsmöglichkeiten nur »auf ein mäßiges Interesse« stoßen (Hoecker 2002: 42) mit der Folge, dass die für politische Kommunikation als demokratietragendes Element maßgeblichen Aktivbürger und insbesondere die von der herrschenden massenmedial inszenierten Kommunikation ausgeschlossenen, marginalisierten politischen Akteure als politische Teilöffentlichkeiten im Internet durchaus präsent, allerdings in der Vergangenheit kaum wahrnehmbar sind. Deshalb richten sich die Demokratieerwartungen nunmehr auf den Umbau des Internets vom digitalen Marktplatz zum »Basar der Massen« (Strobel y Serra 2006: R 1) im Zeichen des Web 2.0. 4.5.3.2 Das Demokratiepotenzial des Web 2.0 Web 2.0 steht für die zweite Generation des Internets, bei dem die Nutzer immer mehr Inhalte selbst produzieren und so aktiv an der Gestaltung von Websites mitwirken. Weblogs oder Blogs sind Tagebücher, die im Internet veröffentlicht werden und in der Regel frei zugänglich sind. Virtuelle Gemeinschaften (communities) tauschen sich online in sogenannten Foren oder Chats aus, Interaktivität findet demnach nicht mehr allein zwischen Anbieter (z. B. einer politischen Partei) und Konsument (Bürger) statt, sondern vor allem zwischen den »Usern« selbst. 72 Die im neuen Netz garantierte totale Interaktivität ermöglicht ein permanentes Plebiszit und »vollendet im besten Fall das Aufklärungsideal von der Selbsterziehung der Massen« (Strobel y Serra 2006: R 1). Inwieweit das »Mitmach-Netz« sich zu einem virtuellen Raum für politische Sozialisation entwickelt oder aber die bereits in der ersten Netzgeneration feststellbaren 72 Das spektakulärste Beispiel ist das Videoportal You Tube, das in kürzester Zeit eine Gemeinde von Millionen Anhängern hat und über »Marktmacht« verfügt. 230 <?page no="230"?> 4.5 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« und Internet Demokratierisiken verfestigt und die Demokratiechancen nicht nutzt, bleibt eine offene Frage. Allerdings lässt auch das Web 2.0 zentrale und für das Demokratiepotenzial der netzgestützten Kommunikation maßgebliche Strukturmerkmale unberührt, die eine eher von Skepsis getragene Antwort nahelegen. Hierzu zählen die trendverstärkenden und polarisierenden Effekte der Netzkommunikation. 4.5.3.3 Trendverstärkung und Polarisierung: Auf dem Weg in die netzgestützte demokratische Elitenherrschaft? »Gemessen am Anspruch einer Demokratie, für alle Bürger offen zu sein, müssten eigentlich alle Elemente einer elektronischen Demokratie abgelehnt werden« (Welz 2002: 9). Zu diesem Fazit kommt eine kritische Einschätzung der Demokratiepotenziale des Internets auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse der Partizipationsforschung. Danach gibt es einen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen der Soziallage und der damit verbundenen individuellen Ressourcenausstattung (Einkommen, Bildungsstand u. a. m.) auf der einen und dem politischen Interesse und der Beteiligungskompetenz auf der anderen Seite. Ein Blick auf das Sozialprofil der Internetanwender zeigt, dass hier der formal besser gebildete, männliche Nutzer mit überdurchschnittlichem Einkommen in der Altersgruppe der 20bis 40-Jährigen dominiert (vgl. Hoecker 2002: 38). Diese Gruppe vermag sowohl ihren politischen Informationshaushalt auf der Grundlage von Netzaktivitäten aufzustocken, als auch die Partizipationsmöglichkeiten der zweiten Internetgeneration zu nutzen. Sie verfügt über die erforderliche »Navigationskompetenz«, um im Datenmeer nicht unterzugehen und aus dem »digitalen Heuhaufen« jene Informationen herauszufiltern, die für Interessenartikulation und wirksame Beteiligung erforderlich sind. Sie schöpft die Beteiligungschancen der Internetkommunikation aus und profitiert von den Empowerment-Effekten eines neuen Aktivismus, der mit politischer Aktivität off-line in Verbänden, Parteien und Bürgerinitiativen häufig korrespondiert. Mag sein, dass sich hier das Profil einer neuen bunten »Bürgerbewegung« abzeichnet, für die »E-manzipation als Aufklärung Version 2.0« (Hornig 2006: 62) und damit ein altes Demokratieversprechen eingelöst wird. Auf der anderen Seite steht die große Gruppe der politisch Desinteressierten und schlecht Informierten, die vielleicht den neuen »Mitmach-Marktplatz« mitbesetzt, dort aber weniger politische Interessen verfolgt, als vielmehr Konsum- und Zerstreuungsbedürfnisse auslebt (vgl. Hoecker 2002: 38 f.). »Die reale Gefahr einer Wissenskluft zwischen Gut- und Schlechtinformierten zeichnet sich somit ab und wird möglicherweise zum zentralen Cleavage, zur ›sozialen Klassenspaltung‹ des 21. Jahrhunderts« (Hoecker 2002: 39). Die Demokratiefolgen dieser digitalen Polarisierung zu einer »Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft« (Welz 2002: 9) werden unterschiedlich eingeschätzt. Zum einen verstärken sie die in der Mediennutzung angelegten Trends der medialen Selektion von gesellschaftlichen Interessen und Exklusion von durch ihre Soziallage marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen aus der mediengestützten Inter- 231 <?page no="231"?> 4 Politische Kommunikation im intermediären Feld essenartikulation und Partizipation. Das Internet wirkt nicht kompensierend, sondern trendverstärkend. Zusammen mit den traditionellen Massenmedien verfestigt es die Unterschiede in der Verteilung von Informationskapital und damit gesellschaftliche Ungleichheit. Allerdings legen empirische Untersuchungen den Schluss nahe, dass das Internet nach wie vor »im Schatten der klassischen Massenmedien« steht und seine Polarisierungseffekte und damit möglicherweise demokratieabträglichen Folgen überschätzt werden (vgl. Marr 2005). Geht man davon aus, dass die Qualifizierung von Demokratie zwar ohne die Inklusion sozialer Minderheiten und solcher gesellschaftlichen Gruppen, die durch die Art und Weise, wie politische Kommunikation im intermediären Bereich und massenmedial organisiert wird, ausgeschlossen bleiben, nicht auskommt, dass aber die entscheidenden Innovationen zur demokratischen Erneuerung eher von gesellschaftlichen Minderheiten, sprich von Informationseliten, ausgehen dürften, dann bleibt die mit dem Internet verbundene Demokratiefrage durchaus offen. In welcher Weise die mit den neuen technischen Möglichkeiten gegebenen Voraussetzungen für eine »elektronische Demokratie« genutzt werden, ob zur bewusstlosen Akzeptanzbeschaffung von in modernen Arkan-Bereichen getroffenen Entscheidungen oder zur Einebnung von politischen Informationsunterschieden und damit zur partizipationsoffenen Politikverarbeitung durch entsprechende Kommunikationsnetzwerke, wird nicht durch die Technik, sondern durch die Art und Weise ihrer Nutzung entschieden: »Die demokratiepolitische Qualität des Netzes entsteht aus der demokratischen Gestaltung seiner technischen Architektur und setzt eine demokratische politische Kultur im wirklichen Leben voraus« (Rilling 1997: 205). Mit anderen Worten: Die Qualität der Demokratie online bestimmt sich nach den demokratischen Verhältnissen offline (so auch Leggewie 2000: 154). Eben deshalb darf die Frage nach den normativen Grundlagen und institutionellen Bedingungen von politischer Kommunikation nicht auf den intermediären Bereich zwischen politisch-administrativem System und Gesellschaft verkürzt werden. Zudem verteilen Parlament und intermediäre Organisationen schichtenspezifisch vorstrukturierte und massenmedial geöffnete Zugänge zur politischen Kommunikation. Sie reservieren damit die Teilnahme an politischer Öffentlichkeit für (vor allem männliche) gesellschaftliche Minderheiten und verweisen eine immer größere Gruppe auf digitale Marktplätze. Dort dürfen sie sich als User »immerhin umsonst austoben und das Netz mit ihren Reiseberichten und Urlaubsvideos voll stopfen. ›Emotion sharing‹ nennt man das in der Fachsprache. Vielleicht ist das ja schon der Fortschritt« (Strobel y Serra 2006: R 1) - für die Entwicklung der Demokratie jedoch eher ein Stillstand. Der Netzbürger ist im emphatischen Sinne als »netizen« eine gern zitierte Kunstfigur und wird karikiert durch den real existierenden User. Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft greift deshalb zu kurz, wenn sie sich in der Suche nach Antworten auf die Frage, wie sich die Bedingungen von Politik- und Interessenvermittlung in der Mediendemokratie verändern und welche Rolle hierbei das Internet spielt, erschöpft. Medien- und Kommunikationsforschung ist eine wichtige, aber nicht die 232 <?page no="232"?> 4.5 Politische Kommunikation durch »Gegenöffentlichkeit« und Internet einzige Quelle, aus der sich Demokratiewissenschaft speist. Diese muss vor allem den Blick auf jene Off-line-Verhältnisse richten, die sich im Schatten der gesellschaftlichen Dynamik und außerhalb der gewohnten demokratiewissenschaftlichen Aufmerksamkeitsrichtung abzeichnen. Diese Felder sollen im Folgenden abgesteckt werden. Literaturempfehlung Alemann, Ulrich von (1990): Parteien und Gesellschaft in der Bundesrepublik. Rekrutierung, Konkurrenz und Responsivität. In: Oberreuter, Heinrich/ Mintzel, Ralf (Hg.): Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. München, S. 84-125 Leggewie, Claus/ Bieber, Christoph (2003): Demokratie 2.0? : Politische Online- Kommunikation und digitale Politikprozesse. In: Arnim, Hans Herbert von (Hg.): Reform der Parteiendemokratie. Berlin, S. 135-150 Leif, Thomas/ Speth, Rudolf (Hg.) (2006): Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland. Wiesbaden Meyn, Hermann (2004): Massenmedien in Deutschland. Neuaufl., Konstanz Oertzen, Jürgen von (2006): Das Expertenparlament. Abgeordnetenrollen in den Fachstrukturen bundesdeutscher Parlamente. Baden-Baden Roth, Roland (2001): Die »bewegte« Bundesrepublik. Zur Bedeutung sozialer Bewegungen im deutschen Modell der Interessenvermittlung. In: Zimmer, Annette/ Weßels, Bernhard (Hg.): Verbände und Demokratie in Deutschland. Opladen, S. 237-259 Sanders, Frauke (2006): Verknüpfung von Arbeit und Lernen. In: Schumann, Michael/ Kuhlmann, Martin/ Sanders, Frauke/ Sperling, Hans Joachim (Hg.): Auto 5000: Ein neues Produktionskonzept. Die deutsche Antwort auf den Toyota-Weg? Hamburg, S. 79-89 Sarcinelli, Ulrich (2005): Politische Kommunikation in Deutschland. Zur Politikvermittlung im demokratischen System. Wiesbaden 233 <?page no="234"?> 5 Zivilgesellschaft: Zur sozialen »Erdung« der politischen Kommunikation Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie gründen auf politischer Kommunikation. Ihr Medium ist die politische Öffentlichkeit. Deren Konstitutionsbedingungen und Wirkungschancen verändern sich mit dem intermediären Feld und seinen Akteuren. Grundlage und Richtung der Veränderung wurden oben (in Kap. 4) dargelegt. Nicht behandelt wurden dagegen die grundlegenden Parameter des Institutionenwandels im intermediären Feld und damit seine (zivil-)gesellschaftlichen Grundlagen. Diese stellen die demokratische Praxis von Politik- und Interessenvermittlung vor neue Herausforderungen, sie begründen aber auch neue Demokratiechancen und verdienen deshalb demokratiewissenschaftliche Aufmerksamkeit. Politische Soziologie erweitert dann ihren Fragenkatalog. Nicht nur die demokratische Organisation von Politik- und Interessenvermittlung, sondern auch die Qualität der Demokratie rückt in den Untersuchungsfokus. Die Qualifizierung der Demokratie ist voraussetzungsvoll. Zu ihren Voraussetzungen gehört ein kooperativer Staat, der sich in neuartige Governance-Arrangements mit gesellschaftlichen Akteuren begibt. Direktdemokratische Verfahren der Bürgerbeteiligung und kooperative Formen des bürgerschaftlichen Engagements bedürfen ihrerseits gesellschaftliche Verhältnisse, die im sozialwissenschaftlichen und historischen Diskurs der letzten Jahre auf den Begriff »Zivilgesellschaft« gebracht wurden (vgl. dazu 5.1). Der Begriff ist vieldeutig (vgl. Heins 2002: 7 ff.), vor allem aber erklärungsbedürftig, weil geprägt durch schillernde Konnotationen und normative Versprechen und sozial verortet in der aktiven Gesellschaft engagierter Bürger (vgl. 5.2). Als »Gesellschaft« der »Zivilgesellschaft« entscheiden sie maßgeblich über deren sozialstrukturelle Verankerung im gesellschaftlichen »oben« und »unten« (vgl. dazu 5.3). Diese setzt die Bedingungen für die Sensibilität der zivilgesellschaftlichen Akteure gegenüber sozialer Ungleichheit, dem «Kainsmal« der modernen Gesellschaft, und damit für die demokratiepolitischen Perspektiven. Die Qualifizierung der Demokratie findet in den zivilgesellschaftlichen Verhältnissen ihre Voraussetzung, in der sozialen Ungleichheit ihre Begrenzung (vgl. dazu 5.4). 5.1 Begriff und Genese der Zivilgesellschaft Was dem einen vornehmlich als ein historischer Kampfbegriff gilt, erscheint dem anderen nur noch als eine bloße Worthülse. »Zivilgesellschaft« zeichnet sich vor allem durch begriffliche Funktionsvielfalt aus: deskriptiv als Zustandsbeschreibung der Gegenwarts- 235 <?page no="235"?> 5 Zivilgesellschaft: Zur sozialen »Erdung« der politischen Kommunikation gesellschaft, normativ als Utopie für eine bessere Gesellschaft und starke Demokratie, sozialräumlich als politische Formel von ost- und mitteleuropäischen Bürgerbewegungen gegen den realsozialistischen Staat in den 1980er Jahren und global als Synonym für eine liberale und demokratische Gesellschaftsordnung. Hinzu kommt: Die »Zivilgesellschaft« ist mehrsprachig. Sie kommt als »civil society«, »societé civil«, »societa civile« im wissenschaftlichen Diskurs daher, was nicht nur die Internationalität und globale Durchsetzung zivilgesellschaftlichen Denkens nachweist, sondern auch eine politische und gesellschaftliche Praxis, die ohne den historischen und sozialen Kontext nicht auf einen sozialwissenschaftlich adäquaten Begriff zu bringen ist. Wenn im Folgenden von »Zivilgesellschaft« die Rede ist, sind die angesprochenen Konzeptionen im deutschen Kontext zu begreifen. Neben dieser notwendigen Kontextualisierung verweist die aktuelle Beschäftigung mit »Zivilgesellschaft« auf einen weiteren zentralen Zugang zur begrifflichen Klärung: die sozialgeschichtliche Rekonstruktion des Begriffs. Kontextualisierung und Historisierung als methodisch-theoretische Zugangsweisen zeigen, dass es sich bei »Zivilgesellschaft« um einen doppelt konstruierten Begriff handelt, der aus einer deskriptiven und einer normativen Dimension besteht. Damit ist die Beschreibung eines gesellschaftlichen Zustandes ebenso gemeint wie die Erwartung an gesellschaftliche Verhältnisse, die sich durch »Zivilisierung« auszeichnen. Diese Doppelkonstruktion des Begriffs wird in folgender Definition zusammengefasst: »Zivilgesellschaft« bezeichnet »einerseits den weitgehend selbstregulierten sozialen Raum bürgerschaftlichen Engagements zwischen Staat, Ökonomie und Privatsphäre, andererseits ein immer noch nicht eingelöstes Zukunftsprojekt menschlichen Zusammenlebens in der Tradition der Aufklärung« (Kocka/ Nolte/ Randaria/ Reichardt 2001: 1). Diese sozialgeschichtlich inspirierte Fassung des Begriffs unterscheidet sich von einer engeren Definition, die »Zivilgesellschaft« auf ihre zwischen staatlicher, ökonomischer und privater Sphäre handelnden Akteure (z. B. Nichtregierungsorganisationen, freiwillige Assoziationen, Vereine und Netzwerke) einengt und sich durch die folgenden drei historischen Konnotationen auszeichnet: • gesellschaftliche Selbstorganisation, die sich zum Beispiel in sozialen Bewegungen, aber auch in einer entsprechenden subjektiven Ausstattung der Gesellschaftsmitglieder (Kommunikationskompetenz, Qualifikation, Partizipationsfähigkeit) äußert und in einer »Kultur der Zivilität« (Toleranz, Motivation zum bürgerschaftlichen Engagement u. a. m.) • eine ausdifferenzierte dezentralisierte Ökonomie, die in einem Spannungsverhältnis zur Privatsphäre (Oikos) steht und damit die Ausdifferenzierung von zwei Sphären, die in der Vormoderne noch in der Wahrnehmung von Produktions- und Reproduktionsaufgaben im »Ganzen Haus« zusammengelegt waren • die Differenz zwischen öffentlich und privat. »Zivilgesellschaft« definiert sich gerade auch im Verhältnis zum Staat und seinen Einrichtungen. Sie setzt rechts- und verfassungsstaatliche Verhältnisse voraus und Politikformen, wie sie auf der Grundlage 236 <?page no="236"?> 5.1 Begriff und Genese der Zivilgesellschaft von Standards der liberalen, repräsentativen Demokratie möglich sind. Hierzu zählt vor allem die vernunftsichernde Kraft öffentlichen Räsonnements. Gerade hieran schließt die normative Aufladung des Begriffs an. Sie findet ihren Ausdruck in den Konzeptionen des Neoliberalismus, des Kommunitarismus und der deliberativen Demokratie und begründet »Zivilgesellschaft« als »progressiven Erwartungsbegriff« (vgl. zum Folgenden von Beyme 2000: 57 ff.). So zeichnet sich die Begriffsgeschichte durch zwei Differenzierungsschübe aus, die zivilgesellschaftliche Minimalstandards vor allem im Verhältnis zum Staat formulierten. Während die neoliberale Konzeption antistaatlich bzw. minimalstaatlich geprägt ist und in der »Zivilgesellschaft« eine vor allem gegen staatliche Bevormundung und für bürgerschaftliche Verantwortung und freie Marktkonkurrenz eintretende Einrichtung begreift, setzt der kommunitaristische Ansatz weniger auf Staatsfreiheit der zivilen Gesellschaft als vielmehr auf deren staatliche Regulation zur Erzeugung von Gemeinwohlorientierung, bürgerschaftlichem Engagement und zur Sicherung von »Bürgertugenden«. Die normative Verortung von »Zivilgesellschaft« im Konzept der deliberativen Demokratie (vgl. oben 1.2.2) setzt dagegen auf die vermittelnde Tätigkeit von intermediären Organisationen, wozu vor allem nichtstaatliche und Non-Profit-Einrichtungen sowie freiwillige Assoziationen gehören, »die die Kommunikationsstrukturen der Öffentlichkeit in der Gesellschaftskomponente Lebenswelt verankern« (Habermas 1992: 442). Anhand der begriffshistorischen Einordnung sowie normativen Aufladung lassen sich (mit Gosewinkel 2003: 3 ff.) die folgenden zivilgesellschaftlichen Konzeptionen unterscheiden: Zivilgesellschaft als • räumliches Modell eines »Zwischen-Raums« (in der Literatur häufig synonym gebraucht zu »Drittem Sektor«, vgl. Anheier/ Priller/ Zimmer 2000: 71 ff.) und Gesamtheit jener sozialen Orte, an denen sich zivilgesellschaftliche Akteure (z. B. freie Assoziationen, neue soziale Bewegungen etc.) formieren; • interaktive Standards, basierend auf normativen Grundannahmen über die Qualität sozialen Handelns und der gesellschaftlichen und demokratischen Verhältnisse. »Zivilgesellschaft« konstituiert sich im Zuge eines Zivilisationsprozesses, der die Sphären der gesellschaftlichen Arbeit, der Bildung und sozialen Emanzipation umfasst (vgl. Kocka 2001: 6 f.) und der an Werthaltungen sowie Verhaltensmodi gebunden ist, die das Prädikat »Zivilität« verdienen (vgl. Klein 2001), sowie • diskursgeschichtliche bzw. relativistische Konzeption, die vor allem auf den sozialen Kontext der Begriffsverwendung, die Akteure und ihre Praktiken abhebt (vgl. Hellmuth/ Ehrenstein 2001: 149 ff.). Im begriffsgeschichtlichen Überblick zeigt sich, dass die »Zivilgesellschaft« (als Bürgergesellschaft) historisch eng mit dem Aufkommen eines wirtschaftlich erstarkten Bürgertums und dessen politischen Emanzipationsbestrebungen verbunden ist und sich im deutschen Kontext (im Unterschied zum angelsächsischen) gegen den Staat behauptete. Die sozialgeschichtliche Einordnung des Projekts zeigt darüber hinaus, 237 <?page no="237"?> 5 Zivilgesellschaft: Zur sozialen »Erdung« der politischen Kommunikation dass es sich um ein unabgeschlossenes Vorhaben handelt mit einer dynamischen, sich entwickelnden gesellschaftlichen Basis und offenem Ausgang. So war das Projekt der »Zivilgesellschaft« im 18. und frühen 19. Jahrhundert zunächst »auf Lesegesellschaften und Logen, auf Freundschafts- und Kommunikationskreise, auf Vereine und Assoziationen des städtischen Bürgertums, auf bürgerliche bzw. bürgerlich-adliche Milieus angewiesen. Zu diesen Milieus gehörten Kaufleute und Beamte, Rechtsanwälte, Ärzte, Gelehrte und protestantische Pfarrer, Kapitalbesitzer, Unternehmer und bisweilen gebildete Handwerker, später dann auch Techniker, Ingenieure und Naturwissenschaftler. Zusammengehalten wurden diese Milieus durch gemeinsame Kultur und Weltsicht, durch kulturelle Praktiken und Werte sehr viel mehr als durch Klassenzugehörigkeit und Macht. Lese- und Schreibfähigkeit gehörten dazu, die Betonung der allgemeinen Bildung, zumeist in neo-humanistischem Geist, Respekt für Leistung und Besitz sowie eine ausgeprägte Distanz zur körperlichen Arbeit. All dies war typisch für bürgerliche Kultur. Ein bestimmtes Ideal der Familie war charakteristisch für sie.« (Kocka 2001: 13). Charakteristisch für die Entstehungsphase der »Zivilgesellschaft« ist darüber hinaus ein Mindestmaß an sozialer Mobilität, wer als Handwerkersohn geboren wurde, konnte prinzipiell zum wohlhabenden Unternehmer und damit Angehörigen des städtischen Bürgertums aufsteigen. Des Weiteren war die »Zivilgesellschaft« von vornherein durch soziale und geschlechtsspezifische Ungleichheiten gekennzeichnet. Das Bürgertum unterschied sich durch seine spezifische Ausstattung mit materiellem, kulturellem und sozialem Kapital deutlich von der breiten Bevölkerung und die Differenz zwischen Männern und Frauen »prägte das Leben des Bürgertums tiefer und folgenreicher als es für die vorbürgerliche Welt der vorangehenden Jahrhunderte, für nicht-bürgerliche Klassen und Schichten derselben Zeit und für die nachbürgerliche Welt unserer Gegenwart typisch war und ist« (ebd.). Damit war ein bis in die Gegenwart kennzeichnender Widerspruch zwischen normativem Anspruch an die universelle Geltung seines Emanzipationsversprechens und der exklusiven Einlösung dieses Versprechens in der gesellschaftlichen Wirklichkeit für eine soziale Minderheit von ca. 5 % der Bevölkerung dem zivilgesellschaftlichen Projekt in die Wiege gelegt. 73 5.2 Soziale Verortung der zivilgesellschaftlichen Akteure Seit Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts stützt sich die »Zivilgesellschaft« auf eine veränderte soziale Basis. Hierzu zählen nun vor allem gelernte Arbeiter und Handwerker, Angehörige des in den Parteien der Linken und den Gewerkschaften organisierten Vierten Standes, mit anderen Worten: Die »Zivilgesellschaft« mutierte zum Projekt der Sozialdemokratie. Damit verringerte sich zwar die aufgezeigte Kluft 73 Zur Geschichte des deutschen Bürgertums vgl. Lundgreen (Hg.) 2000 und zur Genderproblematik Hagemann 2000: 57 ff. sowie Frevert (Hg.) 1988. 238 <?page no="238"?> 5.2 Soziale Verortung der zivilgesellschaftlichen Akteure zwischen normativem Anspruch auf Universalität und gesellschaftlicher Wirklichkeit, zugleich aber verlor die »Zivilgesellschaft« an Attraktivität für ein Bürgertum, das in Koalition mit der Krone bestrebt war, das aufkommende Industrieproletariat und seine Organisationen niederzuhalten. Mit der Brutalisierung der Kriegsführung und Überbetonung des Militärischen in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft schwächte der Erste Weltkrieg die zuvor erreichte zivilgesellschaftliche Substanz und stärkte die Feinde der »Zivilgesellschaft« in der Weimarer Republik. »Die Geschichte der Weimarer Republik stellt irritierende Beispiele dafür bereit, dass gewisse Formen und Mechanismen der ›Zivilgesellschaft‹ - etwa selbstorganisierte Mobilisierung aus dem sozialen Raum - in einer Weise genutzt werden können, dass sie die Prinzipien der ›Zivilgesellschaft‹, wie etwa die Prinzipien der legitimen Pluralität, des geregelten und tendenziell friedlichen Konfliktaustrags wie der Rechts- und Verfassungsmäßigkeit, eklatant untergraben. Die Nazi-Diktatur verneinte fast alles, wofür die ›Zivilgesellschaft‹ stand und sie schwächte ebenfalls das Bürgertum. Zwar kam sie nur mit der Hilfe wichtiger Teile des Bürgertums zur Macht. Aber einmal etabliert, trug sie zum Abstieg und zur Desintegration der bürgerlichen Kultur kräftig bei. ( : : : ) Die zweite deutsche Diktatur, die staatssozialistische DDR, unterschied sich in wesentlichen Hinsichten von der ersten, dem Nazi-Reich. Doch wie diese verneinte und beschädigte sie die Grundsätze der ›Zivilgesellschaft‹. Zugleich benutzte sie die vierzig Jahre ihrer Existenz, um das Bürgertum auf ihrem Territorium stark zu schwächen und zu dezimieren. Wiederum beobachtet man also Parallelen in der Entwicklung von ›Zivilgesellschaft‹ und Bürgertum, Parallelen des Abstiegs und der Beschädigung. Andererseits überlebten in der DDR starke Restbestände bürgerlicher Kultur in Distanz und Resistenz zum Regime. Man denke an die evangelische Kirche, das protestantische Pfarrhaus und die DDR als Leseland, in dem eine ältere Variante der Bildungsbürgerlichkeit weiterlebte.« (Kocka 2001: 17 f.). Bleibt demnach das Projekt der »Zivilgesellschaft« in den unterschiedlichen historischen Etappen an die Sozialgeschichte des Bürgertums gebunden, so gilt dies für die letzte, bundesdeutsche Etappe nur noch begrenzt. Wenn es stimmt, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Prinzipien der »Zivilgesellschaft« »eindeutiger und nachhaltiger Fuß gefasst (haben) als in irgendeiner vorherigen Periode deutscher Geschichte« (ebd.), dann ist dies erklärungsbedürftig. Erklärt werden kann die »soziale Entgrenzung« des zivilgesellschaftlichen Projekts durch seine vergleichsweise breitere gesellschaftliche Akzeptanz und vor allem durch die Verbreiterung seines gesellschaftlichen Fundaments. Zwar gehören die Traditionsbestände der bürgerlichen Gesellschaft und die Unterstützung durch eine politisch engagierte gesellschaftliche Mittelschicht auch für die Gegenwart zu den kulturellen und sozialen Quellen, aus denen die »Zivilgesellschaft« ihre Kraft zieht (vgl. Nolte 2001: 42 f.). Daneben aber und für die breite gesellschaftliche Akzeptanz des zivilgesellschaftlichen Projekts maßgebender und wohl auch zukunftsweisender ist der Strukturwandel im Verhältnis zwischen »Zivilgesellschaft«, Staat und Wirtschaft. Der Staat erscheint nun nicht mehr wie noch in der liberalen Tradition der 239 <?page no="239"?> 5 Zivilgesellschaft: Zur sozialen »Erdung« der politischen Kommunikation bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts als Widerpart einer politisch aktiven und sozial engagierten Bürgergesellschaft, vielmehr als deren Partner. Staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure begegnen sich auf unterschiedlichen Politikfeldern als interessengeleitet und mit unterschiedlicher Macht ausgestattet, aber prinzipiell an gemeinsamen, übergeordneten Zielen orientiert Handelnde. Diese neue Konstellation im Verhältnis von »Zivilgesellschaft« und Staat und die dadurch ermöglichte verbreiterte Akteurskonstellation im zivilgesellschaftlichen Projekt wird besonders deutlich in der Konzeption des Public Governance (vgl. dazu Klenk/ Nullmeier 2003; Kißler 2006: 6 ff.). In Public-Governance-Strukturen wird aus dem aktiven Staat im Drei-Sektoren-Modell (öffentlicher, privater und Dritter Sektor) ein aktivierender Staat, der vor allem auf den privaten und den Dritten Sektor einwirkt, um dort Ressourcen zu mobilisieren und zivilgesellschaftliche Kräfte zu aktivieren (z. B. zu bürgerschaftlichem Engagement) 74 . Kennzeichnend für die zivilgesellschaftlichen Organisationen (wie z. B. NGOs) ist ihre Multifunktionalität. Es handelt sich häufig um Dienstleistungsorganisationen. Sie bieten Beschäftigung, dienen aber auch der Politik- und Interessenvermittlung sowie der sozialen Integration (vgl. Reimer 2006). Im Verhältnis zur Wirtschaft bleibt die »Zivilgesellschaft« durchaus ambivalent. Zum einen handelt es sich um ein Spannungsverhältnis. Mit einer Kultur der Zivilität verträgt sich kaum die brutal ausgetragene Marktkonkurrenz. Soweit Marktprinzipien auf Sozialbeziehungen, kulturelle Praxis und Lebenswelt übergreifen, wirken sie dort als Bedrohung. Die Marktlogik stößt sich an zivilgesellschaftlichen Handlungslogiken, die nicht an Effizienz und Profitmaximierung, sondern an Solidarität und Vertrauensbildung orientiert sind. Auf der anderen Seite kommt die Wirtschaft ohne zivilgesellschaftliche Ressourcen nicht aus. Sie profitiert sowohl vom Dezentralisierungsbestreben moderner Produktion und Distribution als auch von kulturellen Praktiken, die »soziales Kapital« generieren, das als eine zunehmend wichtigere Ressource funktionierender Marktwirtschaften verstanden wird. Die Kultur der Zivilität avanciert zum »neuen Geist des Kapitalismus« (grundlegend Boltanski/ Chiapello 2003). Wie der Staat als Partner, so tritt die Wirtschaft als Nutznießer von in außerstaatlichen und Non-Profit-Unternehmen generiertem sozialem Kapital auf. Der Staat profitiert vom sozialen Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Die Bürgergesellschaft und vor allem im kommunalen Bereich das Konzept »Bürgerkommune« (vgl. 74 Bürgerschaftliches Engagement ist weit verbreitet. Gegenwärtig engagieren sich 23 Mio. Bürgerinnen und Bürger freiwillig. Ein »Bundesnetzwerk bürgerschaftliches Engagement« fördert die Entwicklung der »Bürgergesellschaft« und verfügt über 178 Mitgliedsorganisationen (vgl. Hebestreit 2006: 36). Als Indiz für eine aktive Bürgergesellschaft mag auch die Gründungswelle von Bürgerstiftungen gelten. Diese Selbsthilfeeinrichtungen decken ein breites Aufgabenspektrum ab (Jugend-, Alten-, Behindertenhilfe, Kultur- und Denkmalpflege, Naturschutz, Sport u. a. m.), allein im Jahre 2005 kamen 20 Stiftungen zu den bereits mehr als 100 existierenden hinzu (vgl. Dichtl 2005: 2). Zum Vereinswesen und seiner zivilgesellschaftlichen Bedeutung vgl. Zimmer 2007. 240 <?page no="240"?> 5.3 Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit Bogumil/ Holtkamp/ Schwarz 2003) setzen einen zivilgesellschaftlich »geschulten«, mit Partizipationskompetenz und Kommunikationsfähigkeit ausgestatteten aktiven Bürger voraus, wie ihn das zivilgesellschaftliche Projekt von jeher als seinen maßgeblichen Akteur kennt. Wie der Untertan für den modernen Staat, so ist der stumme Befehlsempfänger für eine prosperierende Wirtschaft dysfunktional geworden. Herrschaft in der modernen Staats- und Unternehmensorganisation legitimiert sich immer weniger über Macht und Geld als vielmehr über partizipative Einbindung und Vertrauensbildung, mithin durch Ressourcen, die das zivilgesellschaftliche Projekt zur Verfügung stellt. - Wenn auch zunächst einmal bloß als Versprechen; denn nach wie vor bleibt ein eklatanter Widerspruch zwischen zivilgesellschaftlich-normativem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit, der das Projekt von Anfang an kennzeichnet. 5.3 Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit Zu den Spannungsverhältnissen, inneren Widersprüchen und Begrenzungen von »Zivilgesellschaft« führen vor allem folgende Fragen: Wie wird das Universalitätsversprechen in einer gesellschaftlichen Praxis eingelöst, die sich durch Exklusivität und soziale Ungleichheit auszeichnet? Welche Rolle spielen die Gewalt und das Militärische in einem Projekt, das Zivilisierung und »Zivilität« auf seine Fahnen geschrieben hat? Welche Perspektive birgt die Renaissance der »Zivilgesellschaft« in den Transformationsprozessen Mittel- und Osteuropas (vgl. die Beiträge in Merkel (Hg.) 2000) sowie die dadurch gewonnene Attraktivität des Projekts für dessen weitere »Globalisierung« vor dem Hintergrund, dass seine maßgeblichen Akteure möglicherweise global denken, aber genötigt sind, lokal zu handeln? Hierzu nun abschließend einige Anmerkungen, die sich maßgeblich auf die bisherigen Forschungsarbeiten des WZB stützen: 75 Soziale Ungleichheit in ihren beiden Dimensionen als dichotomische und hierarchische Ungleichheit ist von Beginn an das Brandzeichen der »Zivilgesellschaft«. Die frühbürgerliche »Zivilgesellschaft« war eine von Männern dominierte Klassengesellschaft. Bereits ihre ideengeschichtliche Verwurzelung in den Entwürfen der »Civil Society« trägt die Ambivalenz, dass sie einerseits Strukturprinzipien und Verhaltsnormen hervorbringt, die ein hohes Maß an »Zivilität« aufweisen, andererseits aber Zivilität und Offenheit nach innen mit einer »ethnischen (kulturellen, religiösen) Homogenität, bzw. der ethnischen Abgrenzung nach außen« erkauft werden. Die bürgerliche Gesellschaft sprengte einerseits »ständische Grenzen der Zugehörigkeit (z. B. zwischen Adel und Bürgertum, zwischen Staatsdienern und handelsbürgerlichen Unternehmern), beschränkte sich aber andererseits auch noch im frühen 19. Jahrhundert auf eine relativ schmale adlig-bürgerliche Elite und blieb zudem die Domäne einer exklusiv männlichen 75 Vgl. zum Thema »Soziale Ungleichheit« Nolte 2001: 22 ff., zum Thema »Gewalt« Reichardt 2001: 45 ff. und zum Thema »Globalisierung« und »Zivilgesellschaft« Randaria 2001: 81 f. 241 <?page no="241"?> 5 Zivilgesellschaft: Zur sozialen »Erdung« der politischen Kommunikation Geselligkeit« (Nolte 2001: 29). Soziale Ungleichheit gehört auch heute noch zu den Strukturvoraussetzungen der »Zivilgesellschaft«, allerdings in neuen Formen. Während die Geschlechterdichotomie zwar nicht aufgehoben, aber im zivilgesellschaftlichen Kontext abgeschwächt wurde, gilt dies nicht für die Unter- und Überordnung zwischen den Menschen, mit anderen Worten: für das soziale »Höher« und »Tiefer«. Sozialstrukturanalyse und soziale Ungleichheitsforschung belegen die zunehmend divergierende Ausstattung gesellschaftlicher Gruppen mit materiellem, sozialem und kulturellem Kapital und die unterschiedlichen Chancen im Zugang zu strategischen gesellschaftlichen Ressourcen (vgl. z. B. Kreckel 2004). Daraus darf gefolgert werden, dass die Frage, wie soziale Gerechtigkeit und soziale Integration in einer durch Massenarbeitslosigkeit, neue Armut und sozialstrukturelle Verwerfungen (durch misslungene Inklusion von Flüchtlingen und Ausländern und Exklusion von Randständigen und Neuen Armen) gekennzeichneten Nach-Wohlfahrtsgesellschaft gesichert werden kann, zu den Überlebensfragen der »Zivilgesellschaft« gehört. Wie soziale Ungleichheit gehört auch »Gewalt« zu einer Gesellschaft, die »Zivilität« zum Programm hat. Auf der Konzeptebene zeigt sich das Spannungsverhältnis sowohl in der kommunitaristischen Vorstellung von Vergemeinschaftung und sozialer Eigenverantwortung auf der einen und Vergemeinschaftungsformen (politischer Extremismus, religiöse Sekten etc.) durch Gewalt auf der anderen Seite: »die kommunitaristischen Überlegungen der Einhegung von Gewalt basieren auf der Idee, dass das wechselseitige Band von Versprechungen, Verträgen und Bündnissen auf kleinem Raum stark genug sei, um Einzelne zu kontrollieren und von Gewalthandlungen abzuhalten. Gleichwohl bietet das formale Kriterium der Vergemeinschaftung keine hinreichende Begründung dafür, dass die Menschen als mündige Bürger friedlich zusammenleben und sich in ihrer Vielfalt gegenseitig tolerieren.« (Reichardt 2001: 54). Dies gilt auch für die Gewaltverhältnisse in der Familie. Diese gilt im kommunitaristischen Ansatz als zivilgesellschaftliche Keimzelle, in Wirklichkeit wird sie häufig geprägt von Dominanzstreben und Gewaltausübung zwischen ihren Mitgliedern. Ähnlich subtil gestaltet sich das Verhältnis von zivilgesellschaftlichem Anspruch, alle Staatsbürger über demokratische Institutionen ihre Angelegenheiten regeln zu lassen und dadurch von einer gewaltförmigen Interessenwahrnehmung abzuhalten, und der bekannten Tatsache, dass zivilgesellschaftliche Standards und die durch sie ermöglichten demokratischen Agitations- und Partizipationsrechte eine Bedingung für radikale und gewaltsame Massenbewegungen im frühen 20. Jahrhundert waren; »denn es war ja gerade der Stammtisch, die weitgespannte Vereinsstruktur, die intermediäre bürgerliche Infrastruktur, die den Trainingsplatz für den Nationalsozialismus bildeten und die es der NS-Bewegung ermöglichten, zu expandieren« (Reichardt 2001: 53). Dadurch ergibt sich ein »prekäres Paradox«. Es gründet darin, dass friedliche »Zivilgesellschaften« Demokratieforderungen stärken konnten, welche wiederum nicht zwingend gewaltfrei vorgetragen wurden. Daraus folgt, dass zivilgesellschaftliche Errungenschaften nur dann eine nachhaltige demokratische Perspektive enthalten, wenn die politische Verfassung 242 <?page no="242"?> 5.3 Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit der »Zivilgesellschaft« sich selbst verpflichtende Normen und Werte setzt, wie zum Beispiel Minderheitenrechte garantiert - und gewaltförmige Formen der Partizipation nicht bagatellisiert, sondern an die formaldemokratischen Institutionen der politischen Repräsentation einerseits und an direktdemokratische Verfahren andererseits zurückbindet (hierzu grundlegend Habermas 1992). Soziale Ungleichheit und Gewalt sind mit dem Ende der bürgerlichen Klassengesellschaft keinesfalls erledigt, sondern markieren die Probleme einer nach-bürgerlichen und vor allem einer globalisierten »Zivilgesellschaft« als Weltgesellschaft. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass das Konzept der »Zivilgesellschaft« mit den mittel- und osteuropäischen Transformationsprozessen der 1980er Jahre nicht nur eine Renaissance erfährt, sondern in seiner Perspektive über die westeuropäischen bürgerlichen Gesellschaften (in denen es einst ideengeschichtlich zu Hause war und empirisch-praktisch erprobt wurde) hinausweist. Seine weltweite Konjunktur, insbesondere in der Opposition zu Militärdiktaturen und autoritären Regimes in Südost-Asien und Lateinamerika, verdankt die Zivilgesellschaft »einer minimalistischen Reinkarnation von Demokratie, deren Merkmale Mehr-Parteien-Systeme, Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit sind. Eine von Geber-Organisationen stipulierte und finanzierte ›Zivilgesellschaft‹ ist reduziert auf einen entpolitisierten Bereich von NGOs (Non- Governmental Organizations). In der neoliberalen Agenda zur Umstrukturierung des Staates fungieren zivilgesellschaftliche Institutionen als billigere und effizientere Dienstleister. Die ›Zivilgesellschaft‹ wird festgelegt auf staatsbürgerliche Tugenden und zwanglose Vereinigungen, Solidarität und Selbsthilfe, so dass ihr auf diese Weise umdefinierter Aktionsbereich politische Auseinandersetzungen und Konkurrenz mit der Staatsgewalt ausschließt. Stattdessen wird sie als eine Welt marktfreundlicher Institutionen außerhalb und unabhängig vom Staat und als Alternative zu vielen staatlichen Funktionen betrachtet.« (Randaria 2001: 82 f.). Dies ist der Preis, der für die »Globalisierung« der »Zivilgesellschaft« gezahlt wird. Er besteht in der »freundlichen Übernahme« durch die Einrichtungen der formalen Demokratie außerhalb und durch die Akteure eines wettbewerbsorientierten Korporatismus innerhalb der »entwickelten« Ländergemeinschaft. Soziale Ungleichheit, Gewalt und Globalisierung markieren deshalb nicht nur die neuralgischen Punkte auf dem Weg vom Konzept zu seiner gesellschaftlichen Umsetzung, sondern verweisen auch auf den Umstand, dass die Sicherung von zivilgesellschaftlichen Standards innerhalb einer Gesellschaft voraussetzungsvoll und ihre Zukunft eher ungewiss ist. Zugespitzt: »Die Durchsetzung, gar Stabilisierung zivilgesellschaftlicher Konstellationen stellt nicht einen Ruhestand ›gelingender‹ gesellschaftlicher Ordnung, sondern einen Ausnahmezustand dar.« (Gosewinkel 2003: 17) 243 <?page no="243"?> 5 Zivilgesellschaft: Zur sozialen »Erdung« der politischen Kommunikation 5.4 Zivilgesellschaft und Demokratie Die Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Grundlagen demokratischer Qualifizierung befördert ein theoretisch fundiertes und empirisch gesichertes Verständnis von den Voraussetzungen und Folgen direktdemokratischer Verfahren der Bürgerbeteiligung und kooperativer Formen des bürgerschaftlichen Engagements. Sie setzt darüber hinaus wichtige Impulse für die Neuorientierung der Auftraggeber- und Mitgestalterrolle in der kooperativen Demokratie (Holtkamp/ Bogumil/ Kißler 2006). Die Rollendefinitionen bleiben bislang, vor allem wenn sie aus der Steuerungsperspektive formuliert werden, einem eher konventionellen Politikverständnis verhaftet: »Stets betritt der aktive Bürger erst dann den Raum des Politischen, wenn er sich in Handlungszusammenhänge begibt, die mit dem Staat bzw. den ihm zugehörigen Institutionen und Organen verflochten sind, oder wenn er deren Handeln zu beeinflussen sucht. Das nicht direkt mit Staatshandeln verbundene Engagement wird nur unzureichend thematisiert« (Schmidt 2001: 312). Politische Partizipation wird als »Frühwarnsystem«, die aktive Bürgerschaft als »Leistungsverstärker« und das Bürgerengagement als »Coproduktion« öffentlicher Güter verstanden und das selbst in jenen Varianten der Demokratietheorie, die die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen des Engagements mit in den Blick nehmen. Die politikwissenschaftliche Verortung der kooperativen Demokratie ist somit geprägt durch eine eigentümliche »Staatsfixierung« und bleibt deshalb hinter ihrem Gegenstand zurück: Sie reproduziert in ihren theoretischen Grundlagen die Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft, Verwaltung und Verwaltungsadressat und damit eine Frontstellung, die in der kooperativen Demokratie überwunden ist. Der Staat wird hier zum Partner, Kommunikator und Moderator in Public-Governance-Strukturen, die Auftraggeber- und Mitgestalterrolle hebt den Bürger auf »Augenhöhe« (vgl. Bogumil/ Holtkamp/ Kißler 2001) und löst die Frontstellung des 19. Jahrhunderts auf. Kooperative Demokratie, angemessen theoretisch zu fassen, verlangt deshalb nicht nur ein neues Regulationsmodell zwischen Staat, Markt und Gesellschaft (wie es der Governance-Ansatz bietet) auszuformulieren, sondern auch eine gesellschaftstheoretische Grundierung der kooperativen Demokratie. Diese hätte, über die zivilgesellschaftlichen Grundlagen von Bürgerengagement hinaus, gerade auch dessen, durch Sozialstruktur und gesellschaftliche Verortung geprägten, sozialen Voraussetzungen und Folgen zu thematisieren. Diese ermöglichen und begrenzen Qualifizierungsprozesse der Demokratie unter den Bedingungen zivilgesellschaftlicher Verhältnisse. Die Aporien, inneren Widersprüche und genannten Spannungsverhältnisse zwischen normativem Anspruch und seiner empirisch-praktischen Einlösung verweisen darüber hinaus auf die Grenzen und Gefährdungen des zivilgesellschaftlichen Projekts selbst. Diese liegen in seiner Überforderung. »Zivilgesellschaft« formuliert kein Gegenmodell zur bürgerlichen Klassengesellschaft, auch nicht zur nachbürgerlichen, ob als postmodern, reflexiv oder wie auch immer etikettierten Gegenwartsgesellschaft, son- 244 <?page no="244"?> 5.4 Zivilgesellschaft und Demokratie dern setzt normative Standards für gesellschaftliche Befriedung und erweiterte soziale Teilhabe. Das zivilgesellschaftliche Projekt transzendiert nicht die herrschenden Verhältnisse, sondern verweist auf diese zurück. Wer demnach zivilgesellschaftliche Formen der Vergemeinschaftung und Partzipation als Alternative formuliert, liegt falsch. Empirische Untersuchungen belegen, dass nach wie vor die traditionellen Großorganisationen von Gewerkschaften und Statusgruppen in der politischen Arena in der Vorhand sind. Eine Untersuchung von mehr als 150 Schlüsselentscheidungen des Deutschen Bundestages von 1940 bis 1994 zeigt, dass zivilgesellschaftliche Einrichtungen und Bewegungen in vielen Bereichen eher marginalen Einfluss ausübten und vor allem Agenda-Setting- Funktionen wahrnehmen (vgl. von Beyme 1997: 217). Wie der »Runde Tisch« in der gesellschaftlichen Transformation ausgedient hat und in der politischen Praxis nie jene Bedeutung besaß, die ihm seine Symbolik zuweist, verliert auch das zivilgesellschaftliche Projekt an Attraktivität. »Zivilgesellschaft« hat sich als Kampfbegriff weitgehend verbraucht. Ihr fehlt das freiheitsbedrohende Gegenüber. Nicht zuletzt deshalb muss auch die Frage, ob die erreichten zivilgesellschaftlichen Standards die in den neuen Gefährdungen der Demokratie und angedeuteten Umbrüchen der Gegenwartsgesellschaften erkennbaren Herausforderungen bewältigen können, offenbleiben. Ein Blick zurück stimmt eher skeptisch. In den Jahren zwischen 1922 und 1938 brechen nahezu alle neuen Demokratien zusammen, von weltweit 65 Staaten hatten 1920 35 konstitutionelle und gewählte Regierungen, 1944 waren davon nur noch zwölf Demokratien übrig geblieben (vgl. Hobsbawm, 1999: 146 f.). Die Hoffnung bleibt, dass »Zivilgesellschaften« dazu beitragen, demokratischen Frieden (im Sinne von Kant) zu sichern. Demokratien führen zwar selten Kriege gegeneinander, aber sie führen Kriege. Im historischen Rückblick zeigt sich, dass eine zivilgesellschaftliche, innerstaatliche Pazifierung der europäischen »Zivilgesellschaften« durchaus einhergeht mit der Entfaltung kriegerischer Gewalt nach außen. Gleichwohl bleibt die »Zivilgesellschaft« eine demokratiewissenschaftliche Projektionsfläche ersten Ranges; denn sie gilt als Gesellschaft aktiver Bürger - als »Bürgergesellschaft«. An diese richten sich Demokratieerwartungen. Bürgerbeteiligung und bürgerschaftliches Engagement bergen zweifellos Potenziale für die Qualifizierung der Demokratie auf der Grundlage von Partizipation und Kooperation (vgl. Kißler 2007), sie gelten aber auch als kostendämpfende Maßnahmen zur Bewältigung der Finanzkrise des Sozialstaates - je mehr »Verantwortung« der Einzelne übernimmt, desto mehr kann sich der Staat aus seiner Verantwortung zurückziehen - und als »Trostpflaster« (Hebestreit 2006: 35) zur Linderung politischer Enttäuschungen. Deshalb steht das bürgerschaftliche Engagement bei den politischen Akteuren hoch im Kurs. »Bürgergesellschaft« ist ein dehnbarer und normativ befrachteter Begriff. Vor allem aber ist er interessenbestimmt. Das Gleiche gilt für das bürgerschaftliche Engagement. Für die einen, vornehmlich für Wirtschaftsunternehmen, dient das »Engagement« der Image-Pflege, für die anderen, vornehmlich politischen Akteure der Entlastung von Verantwortung und der Legitimation. Inwieweit die demokratiepolitischen Potenziale 245 <?page no="245"?> 5 Zivilgesellschaft: Zur sozialen »Erdung« der politischen Kommunikation der »Bürgergesellschaft« erschlossen werden können, Bürgerbeteiligung und bürgerschaftliches Engagement als Qualifizierungsressourcen der Demokratie zu nutzen sind, bleibt bislang offen. Die Antwort dürfte entscheidend davon abhängen, inwieweit die Diskrepanz zwischen dem, was die normative Begrifflichkeit unterstellt, nämlich die Existenz des engagierten Bürgers im Sinne von Citoyen einerseits und dem real existierenden Passivbürger andererseits, überwunden werden kann. Die Renaissance des Bürgertums wird zwar vielfach beschworen, der aktive Bürger bleibt jedoch so lange eine demokratiewissenschaftliche Kunstfigur als seine gesellschaftliche Existenz vornehmlich an »bürgerlichen« Stilfragen und Kulturverständnis festgemacht wird. Erst mit der Existenz eines sozialstrukturell verorteten, politisch bewussten und aktiven Bürgertums ließe sich die »Zivilgesellschaft« bürgergesellschaftlich begründen und das mit ihr assoziierte demokratiepolitische Projekt vollenden. Die Gefährdungen und Begrenzung des zivilgesellschaftlichen Projekts ermuntern zum nüchternen Blick, erledigen aber keinesfalls die »Zivilgesellschaft« als ein Konzept von der gerechten Gesellschaft. Mit Klaus von Beyme lässt sich ein solches Konzept an einem neuen Verständnis von »Citizenship« festmachen. Gemeint ist damit »eine Art symbolische Einheit verschiedener Rollen der Menschen in den politischen Systemen. Europäische Citizenship steht bereits in unseren Reisepässen, aber eine völlige Integration ist ein Traum - und für viele noch nicht einmal ein schöner« (von Beyme 2000: 67). Soll kein Alptraum daraus werden, muss Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft Wege aus der begrifflichen Unbestimmtheit, dem argumentativen Dschungel und der normativen Konzeptplastizität weisen, das heißt aber, das Projekt der »Zivilgesellschaft« einem interdisziplinären Diskurs und, wichtiger noch, dem Selbstverständigungsprozess der gesellschaftlichen Akteure anheim stellen. Literaturempfehlung Holtkamp, Lars/ Bogumil, Jörg/ Kißler, Leo (2006): Kooperative Demokratie. Das politische Potenzial von Bürgerengagement. Frankfurt a. M. Klenk, Tanja/ Nullmeier, Frank (2003): Public Governance als Reformstrategie, Düsseldorf Reimer, Sabine (2006): Die Stärke der Zivilgesellschaft in Deutschland. Berlin Schiller, Theo (1999): Prinzipien und Qualifizierungskriterien von Demokratie. In: Berg-Schlosser, Dirk/ Giegel, Hans-Joachim (Hg.): Perspektiven der Demokratie. Probleme und Chancen im Zeitalter der Globalisierung. Frankfurt a. M./ New York, S. 28-56 246 <?page no="246"?> 6 Zusammenfassung und Ausblick: Perspektiven der Politischen Soziologie als Demokratiewissenschaft Politische Soziologie ist auf Standortsuche. Als Demokratiewissenschaft beschäftigt sie sich mit dem Austauschverhältnis von politisch-administrativem System und Gesellschaft unter den Anforderungen von Demokratie. Die Vermittlung von gesellschaftlichen Interessen in politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse sowie die Vermittlung von politischen Werten und Normen in die Gesellschaft ist organisiert. Grundlage demokratischer Politik- und Interessenvermittlung ist die organisierte politische Kommunikation auf der Grundlage von Partizipation der Interessenträger und politischer Sozialisation der Vermittlungsinstanzen. Hierzu zählen in der parlamentarischen Demokratie neben dem Parlament jene Akteure, die das intermediäre Feld zwischen Staat und Gesellschaft besetzen: Parteien, Verbände, Neue soziale Bewegungen, Unternehmen und die Medien der Massenkommunikation. Die folgenden Ausführungen resümieren zunächst die normativen Grundlagen und empirischen Befunde demokratischer Politik- und Interessenvermittlung (6.1). Hierbei handelt es sich um eine stichwortartige Zusammenfassung der wissenschaftlichen Standortbestimmung von Politischer Soziologie (vgl. oben 1), ihrer zentralen Theoriebegriffe (vgl. oben 2) sowie der normativen und empirischen Befunde ihres Gegenstandes (vgl. oben 3, 4 und 5). Die weiteren Ausführungen richten den Blick nach vorne. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft ist in Bewegung. Dadurch ergeben sich Risiken, aber auch Chancen für eine gefestigte und qualifizierte Demokratie sowie neue Themen und Forschungsgebiete für eine zukünftige Demokratiewissenschaft (vgl. 6.2). Mit welchen Anforderungen Politische Soziologie dadurch konfrontiert wird, welche Aufgaben sich insbesondere für eine praxisorientierte Demokratieforschung stellen, sind weiterführende Fragen, die abschließend behandelt werden (6.3) und deren Beantwortung zeigt, wie das Profil einer zukünftigen Demokratiewissenschaft aussehen könnte. 6.1 Demokratische Politik- und Interessenvermittlung - ein Resümee in zehn Thesen Politik- und Interessenvermittlung in der Demokratie steht im Fokus politikwissenschaftlicher und soziologischer Teildisziplinen. Für die Politische Soziologie markiert sie Forschungsfelder, auf denen ihre Selbstvergewisserung als Demokratiewissenschaft gelingt (dazu Thesen 1 und 2). Das Interesse einer praxisorientierten Demokratie- 247 <?page no="247"?> 6 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Perspektiven forschung bezieht sich auf die normativen Grundlagen und empirischen Befunde jener Einrichtungen, die, wie das Parlament, der Demokratie ihren Namen geben (These 3) oder die das intermediäre Feld zwischen Staat und Gesellschaft besetzen, politische Kommunikation organisieren und dadurch demokratische Politik- und Interessenvermittlung gestalten (Thesen 4 bis 10). 1. Politische Soziologie gewinnt ihren wissenschaftssystematischen Standort als Demokratiewissenschaft zwischen Politikwissenschaft und Soziologie. Sie teilt ihren Gegenstand mit der Politikwissenschaft, aber erweitert den Blick auf seine ökonomische Dimension und gesellschaftlichen Grundlagen: soziale Ungleichheit und Herrschaft. Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft besetzt dann jene Forschungsfelder, auf denen sich gesellschaftstheoretisch versierte Politikwissenschaftler mit demokratieinteressierten Soziologen zur interdisziplinären Zusammenarbeit treffen. Dadurch gewinnt Politische Soziologie eine kommunikative »Scharnierfunktion« zwischen den Disziplinen. Politische Soziologie ist kritische Demokratiewissenschaft. Quelle ihrer Kritik ist das Spannungsverhältnis zwischen dem demokratischen Gleichheitspostulat und den Folgen von sozialer Ungleichheit für eine demokratische Politik- und Interessenvermittlung. Die ungleiche Ressourcenausstattung organisierter gesellschaftlicher Interessen begründet ungleiche Einflusschancen und damit Macht. Politische Soziologie ist Machtanalyse. Sie fragt, wie Macht in Prozessen der Politik- und Interessenvermittlung zu legitimieren sei. Damit steht die politische Kommunikationsleistung der intermediären Akteure gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern einerseits und gegenüber den Einrichtungen des politisch-administrativen Systems andererseits in Frage, aber auch im Binnenverhältnis gegenüber den Organisationsmitgliedern. Empirisch gesättigte Antworten gewinnt die Politische Soziologie als praxisorientierte Demokratieforschung, indem sie das methodische Instrumentarium der empirischen Sozialforschung voll ausschöpft. 2. Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft muss die Frage beantworten, was Demokratie heißt. Hierauf gibt es steuerungstheoretisch und legitimationstheoretisch begründete Antworten. Demokratie aus der Steuerungsperspektive begründet gilt als »Staatsform«, legitimationstheoretisch fundiert dagegen als Prinzip der Gesellschaftsverfassung. Das Konzept der »komplexen Demokratie« führt beide Perspektiven zusammen. Seine Umsetzung gründet auf Bürgerbeteilung und bürgerschaftlichem Engagement sowie auf der Mitgliederpartizipation von Einrichtungen der Politik- und Interessenvermittlung. Demokratie hat gesellschaftliche Voraussetzungen und als soziales Gestaltungsprinzip gesellschaftliche Folgen. Hierzu zählt auch die androkratische Grundstruktur von Demokratie. »Geschlechterdemokratie« gehört deshalb zum normativen und konstitutionellen Kern eines soziologisch gehärteten Demokratiebegriffs. Aus dieser Vorstellung von Demokratie folgt ein erweiterter, demokratiewissenschaftlich gefasster Politikbegriff. Macht und Legitimation durch politische Kommunikation gehören zu seinem Begriffskern (Politics). Der Politikbegriff der praxisorientier- 248 <?page no="248"?> 6.1 Demokratische Politik- und Interessenvermittlung: Resümee ten Demokratieforschung bezieht sich darüber hinaus auf die Steuerungsleistung der intermediären Akteure, des Parlaments und damit auf die Wirkungen von politischer Kommunikation (Policy) sowie auf die Kommunikations- und Öffentlichkeitstypen demokratischer Politik- und Interessenvermittlungseinrichtungen (Polity). Praxisorientierte Demokratieforschung ist institutionenorientiert. Ihr Politikbegriff umfasst die Dimensionen des Politischen, demokratiewissenschaftlich gewichtet. Ihr Politikbegriff ist deshalb normativ. 3. Politische Soziologie untersucht die Prozesse der Politik- und Interessenvermittlung auf der Grundlage von politischer Kommunikation. Diese kommt zustande, indem die Träger gesellschaftlicher Interessen an der Interessenvermittlung partizipieren und politische Werte, Normen und Spielregeln im Rahmen von politischer Sozialisation lernen. Partizipation und politische Sozialisation gehören deshalb zu den Grundbegriffen der Politischen Soziologie. Das spezifisch Politische von Partizipation und Sozialisation sowie die Bedeutung von partizipationsoffener und politisch lernförderlicher Politik- und Interessenvermittlung entscheiden sich im Lichte der politischen Öffentlichkeit. Diese gehört deshalb zu den demokratiewissenschaftlichen Schlüsselbegriffen. Partizipation ist definiert als Teilnahme an Entscheidungsprozessen mit dem Ziel, Interessen durchzusetzen. Es handelt sich um zweckorientiertes soziales Handeln. Dieses hat eine objektiv-strukturelle Seite (Partizipationsverfahren) und eine subjektivpersonengebundene Seite (Partizipationskompetenz). Seine demokratische Qualität bestimmt sich nach der Art und Weise, wie das Verfahren zustande kommt (Regelproduktion), nach der Reichweite der Beteiligung (Partizipationsgrad) und danach, wer am Verfahren teilnimmt (Partizipationsquote). Je nach Verfahrensgestaltung unterscheidet man delegative von direkter Partizipation. Die subjektiv-personengebundene Dimension von Partizipation umfasst das Sachwissen, das Handlungswissen sowie die Teilnahmemotivation. Diese können durch politisches Lernen erworben werden. Partizipationskompetenz wird vermittelt durch Partizipationshandeln. Partizipationslernen ist dann definiert als Lernen von Partizipation (Lernziel) durch partizipatives Handeln (Lernweg). Dieses Lernen ist Erfahrungslernen. Es verläuft über vier Stufen: Reflexion, Rollenspiel, Projektion und Organisation. Die Erfahrungsreflexion und das Rollenspiel verbleiben im mikro-didaktischen Bereich der politischen Pädagogik. Projektion und Organisation von Erfahrung führen dagegen auf den makro-didaktischen Bereich politischen Lernens. Erfahrungslernen durch Partizipation setzt politische Kommunikation voraus. Politische Kommunikation zwischen politischem System und Gesellschaft kann organisiert werden. Organisationsfaktoren sind Systemtransparenz, gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten und effizienzsichernde Steuerungsmechanismen. Ihre Optimierung gibt die Idealformel für die Organisation von politischer Kommunikation ab. Sie erhöht die Lernkapazität des Systems und die Sozialisationsleistung seiner Einrichtungen, letztlich seine Überlebensfähigkeit. 249 <?page no="249"?> 6 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Perspektiven Politische Öffentlichkeit hat eine normative und eine empirische Seite. Normativ aufgeladen ist der Öffentlichkeitsbegriff durch seine historische Bindung an die politische Emanzipation des Bürgertums. Formal setzt sich Öffentlichkeit aus zwei empirischen Faktoren zusammen: Publizität und Publikum. Beide stellen sich gegenseitig her - durch Partizipation. Diese gibt deshalb den Maßstab für die Beurteilung unterschiedlicher Öffentlichkeitsmodelle ab: das Arkan-, das Modernisierungs- und das Autonomiemodell. Die Öffentlichkeitsmodelle generieren unterschiedliche Typen von Partizipationslernen, Legitimationsverfahren von Herrschaft und markieren die Lernorte zwischen politisch-administrativem System und Gesellschaft. 4. Das Parlament wird zum politischen Lernort in Erfüllung seiner Öffentlichkeitsfunktion. Parlamentarisch organisierte Politik- und Interessenvermittlung setzt kommunikationsstiftende parlamentarische Öffentlichkeit voraus. Parlamentsöffentlichkeit ermöglicht demokratische Beteiligung und Rationalisierung von Herrschaft. Die normativen Grundlagen von Parlamentsöffentlichkeit fasst das Grundgesetz in den Vorschriften des Freien Mandats, der Verhandlungsöffentlichkeit, den Minderheitenrechten der parlamentarischen Opposition und in der Rundfunk- und Pressefreiheit sowie den Informationsgrundrechten. Über die Praxis der Parlamentsöffentlichkeit entscheidet die Empirie der parlamentarischen Kontrolle und Repräsentation. Auf beiden Tätigkeitsfeldern weisen die modernen Parlamente - wie am Beispiel des Deutschen Bundestages deutlich wird - erhebliche Defizite auf. Die parlamentarische Kontrollpraxis wird geprägt durch die Große und Kleine Anfrage, Fragestunde und Aktuelle Stunde. Ihr Gebrauch während der bisherigen 15 WP lässt einen deutlichen Trend zur verbesserten Informationsbeschaffung des Bundestages erkennen. Das Parlament vermag seinen besseren Informationshaushalt jedoch nicht in Repräsentationsöffentlichkeit umzusetzen. Maßgebliche Kommunikationsbarrieren liegen in der Sitzungsöffentlichkeit, Parlamentsberichterstattung und Debatte. Letztere wird geprägt durch die Herrschaftsstruktur und das Sozialprofil des Bundestages. Nach wie vor handelt es sich um ein sozial nivelliertes, »verbeamtetes Akademikerparlament« (mit wachsendem Frauenanteil), dessen Repräsentationsöffentlichkeit die erzielten Fortschritte auf den Feldern der Verhandlungs- und Kontrollöffentlichkeit nicht in parlamentarisch-politische Kommunikation umzusetzen weiß. Die Öffentlichkeitsdefizite sind dem Parlament nicht allein zuzurechnen, sondern auch das Ergebnis einer Vermittlungsfehlleistung der Massenmedien. Sie bringen das Parlament weiter voran auf dem Weg in die Sackgasse: vom halböffentlichen zum scheinöffentlichen Parlament. Dies ist zugleich der Weg in die Bedeutungslosigkeit als politische Sozialisationsinstanz. Die parlamentarische Interessenvermittlung wird geprägt durch inneren und äußeren Lobbyismus. Der Bundestag als Einrichtung parlamentarischer Interessen- und Politikvermittlung organisiert gesellschaftliche Interessen und ist zugleich Adressat von organisierten Interessen. Er organisiert gesellschaftliche Interessen durch die Besetzung 250 <?page no="250"?> 6.1 Demokratische Politik- und Interessenvermittlung: Resümee der Abgeordnetenmandate mit Verbandsvertretern (»Verbandsfärbung« der Fraktionen) und nachweisbar in der »Verbandsdichte« der parlamentarischen Ausschüsse. Das Parlament wird zum Adressaten von gesellschaftlichen Interessen durch vielfältige formelle und informelle Kontakte seiner Mitglieder mit organisierten Interessen. Die informellen Kommunikationskanäle folgen der gleichen Topographie funktionaler Differenzierung wie die formelle Kommunikation (Beispiel: Ausschusshearings). Die ungleiche Berücksichtigung organisierter Interessen im formellen und informellen Bereich verteilt die Einflusschancen organisierter Interessen auf den parlamentarischen Prozess ungleich. Die Großverbände, vor allem im wirtschaftlichen und sozialpolitischen Bereich, verfügen über einen privilegierten Zugang zum Parlament. Der ungleichen Interessenberücksichtigung auf der parlamentarischen Ebene entspricht eine ungleiche Ressourcenverteilung auf der verbandlichen Ebene. Dies zeigt: Parlamentarische Interessenvermittlungsprozesse sind Machtprozesse. Parlamentarische Politik- und Interessenvermittlung unter dem Einfluss organisierter Interessen birgt Risiken und Chancen für die parlamentarische Demokratie. Die Verbandseinwirkung auf den parlamentarischen Prozess gilt als demokratieförderliche Teilnahme gesellschaftlicher Interessenträger an Politikformulierung und -umsetzung. Ihre demokratiepolitisch bedenklichen Folgen zeigen sich in der strukturellen Entmachtung des Parlaments. Die Großverbände vermitteln Interessen am Parlament vorbei durch Direktkontakte mit Regierungseinrichtungen (Gouvernementalisierung der Interessenvermittlung), im Parlament wird »nachgebessert«. Über Definitionsmacht im Parlament verfügen die Parlamentarier nur noch rudimentär. Parlamentsreform mit dem Ziel, die Öffentlichkeitsfunktion des Bundestages und damit seine demokratische Politik- und Interessenvermittlungsleistung zu stärken, muss deshalb den Bundestag in das Zentrum des Politikbearbeitungsprozesses rücken und die Selektions- und innerorganisatorischen Filtermechanismen der Interessenverbände so verändern, dass ein weiteres Spektrum von gesellschaftlichen Interessen erfasst und politisch vermittelt werden kann. Parlamentsreform, die das Parlament als zentralen Ort für politische Kommunikation zurückgewinnen möchte, heißt deshalb Selbstreform des Bundestages, aber auch Verbändereform. 5. Parteien und Verbände sind keine Schulen für Demokratie. Ihre politische Sozialisationsleistung bestimmt sich nach der Ausgestaltung des Kommunikationsverhältnisses zwischen Organisation und Bürgern, der innerorganisatorischen Informationsverarbeitung und der Vermittlungstätigkeit gegenüber dem politisch-administrativen System. Auf sämtlichen Abschnitten des Informationsaustausches ist die Organisationspraxis von Parteien und Verbänden defizitär. Folgende Stichwörter zeigen die Kommunikationsmängel an: Mediatisierung des Bürgers, Mittelschichtorientierung, innerorganisatorische Filterung von Informationen, Oligarchisierung der Informationsverarbeitung, kurzgeschlossene Kommunikation zwischen Organisations- und politischen Eliten. 251 <?page no="251"?> 6 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Perspektiven Die politischen Parteien haben den Verfassungsauftrag, an der »politischen Willensbildung« des Volkes mitzuwirken (Art. 21 Abs. 1 GG). Sie sind politische Kommunikatoren und stellen einen Kommunikationsraum zur Verfügung. Sie sind demnach im demokratischen System der Politik- und Interessenvermittlung unverzichtbar. Ihr öffentlicher Status verlangt eine permanente Transformation von gesellschaftlichen Interessen in staatliche Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse und damit eine dauerhafte politische Kommunikation. Die Verbände sollen gesellschaftliche Interessen aggregieren und gegenüber den politischen Einrichtungen artikulieren. Sie bieten ihren Mitgliedern Partizipationsmöglichkeiten und wirken dadurch sozialintegrierend. Sie beteiligen sich an Politikvermittlung, erbringen Hand in Hand mit staatlichen Einrichtungen Leistungen (Regulationsfunktion) und tragen zur gesellschaftlichen Anerkennung von staatlichem Handeln bei (Legitimationsfunktion). In der Praxis findet eine unmittelbare politische Kommunikation zwischen Parteien und Bürgern und damit ein parteiförmig organisiertes Partizipationslernen für ein außerparteiliches Publikum kaum statt. Die innerparteiliche Demokratie steht auf schwachen Füßen. Hier waltet das »eherne Gesetz der Oligarchie«, das durch formelle und informelle Bottom-up-Prozesse der »Informationsbeantwortung« abgeschwächt, aber nicht außer Kraft gesetzt wird. Politische Öffentlichkeit sucht deshalb andere, nicht parteiförmig organisierte Kanäle der Beteiligung an politischer Kommunikation (wie z. B. in Form von Bürgerinitiativen etc). Die Bedeutung der politischen Parteien als Kommunikations- und Sozialisationsagenturen des politischen Systems schwindet. Dies gilt auch für die großen gesellschaftlichen Interessenorganisationen. Die Informationsaufnahme der Verbände aus ihrem gesellschaftlichen Umfeld ist in hohem Maße selektiv. Sie verkörpert einen sozialen Schließungsprozess und verschärft das Problem der sozialen Exklusion. Trotz »Verbandspluralität« verfügen die Spitzenverbände in den industriellen Beziehungen (Unternehmerverbände und Gewerkschaften) über ein nahezu faktisches Monopol der organisierten Einflussnahme auf Politikformulierung und -umsetzung. Die ungleiche Interessenrepräsentation ist Bedingung und Folge von Ungleichheitslagen im innerverbandlichen Kommunikationsprozess. Mit den Mitwirkungsmöglichkeiten der Verbände nach außen korrespondieren keine Einflussmöglichkeiten der Mitglieder im Innern. Die Mitgliedschaftslogik steht im Schatten der Einflusslogik. Wie in den Parteien sind auch in den Interessenorganisationen Beteiligungschancen schichtenspezifisch selektiert. Politikvermittlung nach innen wird zur Angelegenheit eines geschickten Kommunikationsmanagements. Dieses stärkt die tendenziell publizitätsfeindliche Verbandsmacht nach Außen, nicht jedoch die politische Kommunikation mit den Verbandsmitgliedern oder einem gesellschaftlichen Publikum. Parteien und Verbände organisieren politische Kommunikation als kurzgeschlossenen publizitätsfeindlichen Informationsaustausch zwischen Verbands-, Partei- und Exekutivspitzen. In gleichem Maß, wie hierdurch ihre Bedeutung als kommunika- 252 <?page no="252"?> 6.1 Demokratische Politik- und Interessenvermittlung: Resümee tionsstiftende Einrichtungen und Partizipationsorgane abnimmt, schwindet auch ihre Relevanz für Partizipationslernen und ihr Potenzial für demokratische Öffentlichkeit. 6. Neue soziale Bewegungen und ihre gesellschaftlichen Organisationsformen (z. B. BI) verkörpern, neben den politischen Parteien und etablierten Verbänden, die dritte Säule im demokratischen System der Politik- und Interessenvermittlung. Ihre demokratiepolitische Relevanz erweist sich auf dem Feld der politischen Kommunikation mit ihren Mitgliedern und Anhängern und in ihrer Außenwirkung im Verhältnis zu den anderen intermediären Akteuren. Neue soziale Bewegungen und Bürgerinitiativen kompensieren in diesem Verhältnis die Strukturschwächen und Funktionsdefizite der partei- und verbandsförmig organisierten Politik- und Interessenvermittlung. Darüber hinaus erfüllen sie im Verhältnis zu den Parteien und Verbänden transzendierende und regenerative Aufgaben. Vor allem aber tragen Neue soziale Bewegungen und Bürgerinitiativen zur Modernisierung der partei- und verbandsförmigen politischen Kommunikation bei. Sie verfügen über ein ausgeprägteres Sensorium für die politikrelevanten Themen der Alltagspraxis und erweitern das Themenspektrum politischer Kommunikation. Bürgerinitiativen sind Qualifizierungsinitiativen für gesellschaftliche Beteiligungseliten. Neue soziale Bewegungen sind Modernisierungsbewegungen vor allem insoweit, als sie politische Öffentlichkeit hervorbringen. Diese ist, demokratiepolitisch bewertet, ambivalent. Es handelt sich um neue Formen von Modernisierungsöffentlichkeit, aber auch um politische Bewegungskommunikation und Ansätze autonomer (Gegen-)Öffentlichkeit. Neue soziale Bewegungen tragen zur Rückeroberung des Alltags als Ort für politisches Lernen bei. Allerdings sind die Lernchancen zum Erwerb von Partizipationskompetenz beschränkt; denn Beteiligungsprozesse sind milieuspezifisch vorgeprägt und erworbene Kompetenz wird schichtenspezifisch umgesetzt. Wie Parlamente, Parteien und Verbände organisieren auch Bürgerinitiativen überwiegend Mittelschichtenkommunikation. Mehr noch als bei parlaments-, partei- und verbandsförmig organisierter politischer Kommunikation hängt ihre demokratiepolitische Wirkung von der öffentlichen Resonanz ab; denn ihre (Einfluss-)Macht ist die Macht des besseren Arguments (kommunikative Macht). Die schichten- und geschlechterspezifische Verteilung politischer Kommunikationschancen in Parteien und Verbänden wird durch Neue soziale Bewegungen und Bürgerinitiativen nicht aufgehoben, eher verstärkt. Die in Neuen sozialen Bewegungen und Bürgerinitiativen ermöglichte Partizipation zeitigt Inklusions- und Exklusionseffekte. Sie integrieren die gesellschaftliche Beteiligungselite und verweisen die Angehörigen der sozialen Unterschicht auf mögliche andere Lernorte, wie zum Beispiel Produktionsstätten und Arbeitsorganisationen. 7. Arbeitsorganisationen sind Interessenorganisationen. Die Orte, an denen gearbeitet und der gesellschaftliche Reichtum erzeugt wird, sind politische Felder. Auf ihnen werden die Antworten auf die Frage gegeben, warum Produktion und Arbeit öffentlich 253 <?page no="253"?> 6 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Perspektiven sein sollen und worin das demokratische Potenzial von Arbeitshandeln in betrieblichen Organisationen zu suchen ist. Der Bedingungszusammenhang zwischen Arbeit und Demokratie zeigt sich vor allem im Bereich der Partizipation. Der Erwerb von Partizipationskompetenz im Betrieb setzt die Partizipation der Arbeitenden am Arbeitsplatz voraus. Partizipatives Management und neue Beteiligungsverfahren gehören heute zum betrieblichen Alltag. Dieser steht unter starkem Veränderungsdruck. Neue Techniken und neue Produktionskonzepte gehen in der Regel mit neuen Verfahren der direkten Arbeitnehmerbeteiligung einher. Dabei handelt es sich um Sozialtechniken, die aus Gründen der Akzeptanz- und Effizienzsicherung eingeführt werden und vor allem Funktionslücken im betrieblichen System der Interessenvertretung füllen. Das partizipative Management nutzt die Beteiligungspotenziale darüber hinaus, um das Erfahrungswissen der Beschäftigten zu aktivieren und das »Gold« in ihren Köpfen zu erschließen. Partizipation dient auch der Integration in die betriebliche Wertegemeinschaft. Technische Innovationen und neue Produktionskonzepte polarisieren die Belegschaften. Sie spalten diese in Partizipationseliten (Rationalisierungs- und Beteiligungsgewinner) und stecken für sie ein Lernfeld für den Erwerb von Partizipationskompetenz ab. Frauen gehören eher zu den Partizipations- und Rationalisierungsverlierern. Die an das spezifisch weibliche Arbeitsvermögen gekoppelte Beteiligungskompetenz bleibt deshalb weitgehend ungenutzt. Betriebliche Partizipation ist geregelt. Über die Teilnahme an der Regelproduktion entscheiden die betrieblichen Machtverhältnisse. Anhand der Definitionsmacht unterschiedlicher Akteure lässt sich Partizipation typologisieren. Die Partizipationstypologie unterscheidet die unilaterale von der multilateralen Beteiligung. Erstere umfasst managementinitiierte und gewerkschaftlich initiierte Partizipationsverfahren. Die multilaterale Beteiligung kann dagegen zwischen Management und Interessenvertretung ausgehandelt werden, oder sie wird unter weitgehender Kooperation zwischen beiden Seiten eingeführt und umgesetzt. Die Arbeitnehmer sind in sämtlichen Varianten erst am Schluss beteiligt, als Ausführende von Entscheidungen, die der Definitionsmacht der anderen Akteure entspringen. Ihr Partizipationslernen fällt aus. Ein dritter Typ von Partizipation verlegt die Beteiligung in den Arbeitsprozess selbst (Beispiel: teilautonome Gruppenarbeit). Er beinhaltet die Perspektive von kommunikativen und damit lernförderlichen Arbeitsbedingungen. Hierbei handelt es sich nicht um eine ab-strakte Utopie, vielmehr um einen von Wirtschaftlichkeitserwägungen und managerialem Kalkül gestützten Umbauprozess der Betriebsverfassung in eine Öffentlichkeitsverfassung. Der Betrieb als politischer Kommunikationsraum und der Arbeitsplatz als Lernort setzen ein ortsgebundenes Beschäftigungsverhältnis sowie einen Arbeitsplatz voraus. Die Partizipationschancen sind deshalb nicht nur innerhalb der Betriebe und Arbeitsorganisationen, sondern auch zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen ungleich verteilt. 254 <?page no="254"?> 6.1 Demokratische Politik- und Interessenvermittlung: Resümee 8. Politische Kommunikation ist medienvermittelt. Politische Öffentlichkeit von intermediären Organisationen bleibt ein Medienprodukt. Die Massenmedien gelten deshalb als Metaagenturen der politischen Sozialisation. Parteien, Verbände, soziale Bewegungen und andere intermediäre Akteure finden erst durch sie Gehör. Aber die Medien pflegen auch eine eigene Sprache (Agenda-Setting-Funktion), sie setzen autonom Themen in der politischen Kommunikation. Die Kommunikationsfunktion und politische Sozialisationsleistung der Massenmedien hat normative Grundlagen (vgl. Artikel 5 GG) und institutionelle Rahmenbedingungen. Dazu zählt bei den privaten Printmedien die Sicherung der äußeren und inneren Pressefreiheit. Erstere ist durch Konzentration im Pressewesen und durch Kooperation zwischen den Presseunternehmen bedroht. Die innere Pressefreiheit kommt durch die Dominanz des Gewinninteresses über die öffentliche Aufgabe der Presse unter Druck. Die Printmedien bewegen sich im Spannungsverhältnis zwischen Presse- und Gewerbefreiheit. Ihre politische Kommunikationsleistung steht unter dem Primat der Wirtschaftlichkeit. Die Meinungshierarchie im Verleger-Redaktions-Verhältnis und Monopolisierungstendenzen auf dem Feld der Politikvermittlung sowie Substanzverlust auf dem Feld der Interessenvermittlung sind die Folgen. Die Möglichkeiten der Presse, Demokratie mit zu gestalten, reduzieren sich deshalb auf akklamatorische Effekte und eine den Marktgesetzen und dem Konkurrenzdruck ausgesetzte Medienöffentlichkeit. 9. Funk und Fernsehen unterliegen dem Dualismus öffentlich-rechtlicher und privater Anbieter. Das Fernsehen gilt als Leitmedium. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien unterliegen den Marktgesetzen und dem Konkurrenzdruck. Ausschlaggebend sind Einschaltquote und Werbeeinnahmen. Die Chancen für eine gesellschaftliche Interessenvermittlung, die die Pluralität und das breite Interessenspektrum berücksichtigt, sind bei den öffentlich-rechtlichen Medien besser als bei den privaten Anbietern. Ausschlaggebend ist die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien. Diese setzen sich bei den öffentlich-rechtlichen Anbietern aus politischen Repräsentanten und Vertretern gesellschaftlicher Gruppen zusammen. Allerdings ist der Re-präsentationsschlüssel relativ starr, und stark organisierte verfügen über mehr Einfluss in den Aufsichtsgremien als schwach organisierte gesellschaftliche Interessen. Die Massenmedien wirken durch Interessenselektion und -filterung im Verhältnis zur Interessenvermittlung von Parteien und Verbänden trendverstärkend. Auf dem Feld der Politikvermittlung wertet vor allem das Fernsehen die Bedeutung des Symbolischen auf. Im Spannungsverhältnis zwischen Entscheidungspolitik und Darstellungspolitik dominiert die Medienlogik durch Personalisierung, Aktualitätsdruck und mediendramaturgische Inszenierung. Politik gewinnt dadurch nicht nur ein anderes Gesicht, sondern auch ein anderes demokratiepolitisches Gewicht. Tendenzen zur Mediokratie oder demokratischen »Fürstenherrschaft« sind mögliche demokratierelevante Effekte der massenmedialen Gestaltung von Politik- und Interessenvermittlung. 255 <?page no="255"?> 6 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Perspektiven 10. Die Struktur der durch intermediäre Organisationen (einschließlich der Massenmedien) hergestellten politischen Kommunikation hat neue Kommunikationszusammenhänge einer politischen Gegenöffentlichkeit hervorgebracht. Wie die traditionelle Öffentlichkeitsproduktion durch Print- und Funkmedien unterliegt auch die kritische Gegenöffentlichkeit einem Strukturwandel. Der Trend zur Professionalisierung und Arbeitsteilung, zur Reaktivierung »bürgerlicher« Medienrezeptionsgewohnheiten, zur Ausdifferenzierung von Kommunikationseliten bei zunehmend fließenden Übergängen zwischen eingreifendem, kritischem (Alternativ-)Journalismus und engagiertem Journalismus liberaler Presse kennzeichnen den Strukturwandel der Gegenöffentlichkeit. Die Folgen sind eine Angleichung unterschiedlicher Formen der Öffentlichkeitsproduktion, regenerative und kompensatorische Aufgaben der alternativen Medienarbeit im Verhältnis zur traditionellen Öffentlichkeit und vor allem die Reservierung des medienvermittelten Partizipationslernens für Kommunikationseliten. An der »Gegen- Expertenöffentlichkeit« partizipiert ein Publikum von alternativen Spezialisten und Profis. Die Modernisierungsöffentlichkeit alternativer Öffentlichkeitsproduktion wird demnach erkauft durch die Abkoppelung von der Alltagsöffentlichkeit und den Verzicht auf Öffnung der Öffentlichkeitsproduktion für breite Bürgerbeteiligung. Dadurch werden insbesondere die gesellschaftliche Unterschicht und soziokulturelle Minderheiten auf andere Beteiligungsmöglichkeiten und politische Lernorte verwiesen. Die Beteiligung der Bürger an der Medienproduktion, wie sie im Fernsehbereich durch den »offenen Kanal« oder das »Bürgerfernsehen« angestrebt, aber nur unzureichend umgesetzt wird, bleibt als »Leitidee« medientechnisch hergestellter politischer Öffentlichkeit erhalten. Sie wurzelt im Konzept der »Gegenöffentlichkeit«. Insgesamt wurden aber die ursprünglich mit diesem Konzept verbundenen Demokratieerwartungen enttäuscht, die Praxis ist ernüchternd. Dies gilt auch für demokratische Politik- und Interessenvermittlung vermittels neuer Informations- und Kommunikationstechniken. Vor allem an die Nutzung des Internets und an das Partizipationspotenzial der »elektronischen Demokratie« richteten sich demokratiepolitische Erwartungen. Die Praxis zeigt, dass Politik- und Interessenvermittlung auf der Grundlage neuer Techniken zwar neue Chancen auch für jene gesellschaftlichen Gruppen bergen, die auf dem vermachteten intermediären Feld kaum Fuß fassen können. Die Chancen werden bislang jedoch unzureichend genutzt. Das Netz wird »kolonialisiert« durch mächtige Akteure. Durch den Umbau des Netzes zum Web 2.0 entstehen neue, vielfältige Formen der Netzkommunikation, die jedoch, wie sich bislang zeigt, vornehmlich von den »alten« Informationseliten genutzt werden. Diese bessern ihren Informationshaushalt auf, der gemeine User sucht eher Zerstreuung. Die netzgestützte politische Kommunikation verstärkt deshalb die Polarisierung zwischen gesellschaftlichen Informationseliten und der Masse von eher Unbzw. Desinformierten. Demokratiepolitisch ebnen die neuen Informations- und Kommunikationstechniken, zusammen mit den alten Informations- und Kommunikationsmedien Presse, Funk und Fernsehen, den Weg in die demokratische Elitenherrschaft. 256 <?page no="256"?> 6.2 Neue demokratiewissenschaftliche Themen und Forschungsgebiete 6.2 Neue Themen und Forschungsgebiete: zum Profil einer zukünftigen Demokratiewissenschaft Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft richtet ihr Augenmerk auf das intermediäre Feld und die dort wirkenden Akteure der politischen Kommunikation. Diese gilt als Grundlage für eine demokratische Politik- und Interessenvermittlung. Aus dem Spannungsverhältnis zwischen normativ-demokratischem Anspruch und defizitärem empirischem Befund gewinnt Politische Soziologie ihre kritische Dimension und in Fortschreibung ihrer demokratiewissenschaftlichen Wurzeln ihre traditionellen, »alten« Fragestellungen. Politik- und Interessenvermittlung ist zwar institutionell gefasst, aber nicht statisch. Mit dem Wandel ihres Gegenstandes gewinnt Politische Soziologie ihre »neuen« Themen. Sie betritt damit Forschungsgebiete, die auch von anderen Disziplinen besetzt und nur im Abgleich mit deren Interessen, Methoden und Fragestellungen zu bearbeiten sind. Daraus gewinnt Politische Soziologie ihr zukünftiges Profil als Demokratiewissenschaft. Zu den maßgeblichen Forschungsgebieten, auf denen Quellen für inhaltliche Fragestellungen zu erschließen sind, die disziplinenübergreifend bearbeitet werden können und demnach für eine Demokratiewissenschaft Anschluss an wissenschaftliche Diskurse anderer Disziplinen ermöglichen, gehören vor allem solche, die den Gegenstand der Politischen Soziologie tiefgreifend verändern. Hierzu zählt das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen den Einrichtungen des politisch-administrativen Systems und den organisierten gesellschaftlichen Interessen (dazu 6.2.1). Hierzu zählt aber auch jener Bereich, der das Selbstverständnis einer Demokratiewissenschaft in ihrem Kern prägt, nämlich die Sicherung von Demokratie und die Frage, wie diese verteidigt und qualifiziert werden kann. Die Qualifizierung von Demokratie geschieht im Rahmen eines demokratischen Vertiefungsprozesses, wie er vor allem durch kooperative und plebiszitäre Elemente erreicht wird. Qualifizierung von Demokratie geschieht darüber hinaus durch deren Erweiterung auf die Sphäre der gesellschaftlichen Arbeit und Produktion (vgl. dazu 6.2.2). Diesen Erweiterungs- und Qualifizierungsprozess hat man sich als Umbau der wirtschaftlichen Verfassung, von der Arbeitsorganisation über die Betriebsbis zur Unternehmensverfassung, auf der Grundlage von neuen Formen der Produktionsöffentlichkeit vorzustellen (6.2.3). Auf den genannten Feldern findet Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft ihre Fragestellungen, neuen Forschungsbereiche und ihre Anschlussfähigkeit an disziplinäre Diskurse und damit ihr zukünftiges wissenschaftliches Profil. 257 <?page no="257"?> 6 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Perspektiven 6.2.1 Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft: zur Reformulierung des Gegenstandes der Politischen Soziologie Die Frage nach der demokratischen Gestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und seinen Einrichtungen auf der einen und Gesellschaft sowie ihren Akteuren auf der anderen Seite war für die Entstehung der Politischen Soziologie konstitutiv. Darauf wurde eingangs hingewiesen (vgl. 1.1.2). Die Antworten waren geprägt von der Vorstellung »einer weiteren Demokratisierung des Verbands-, Parteien- und Staatslebens« (Ebbighausen 1981: 229) einerseits und von der »Untersuchung der ökonomischen und sozialen Grundlagen der bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse« (ebd.) andererseits. Unverkennbar war die Fixierung auf den Staat und seine Demokratisierung. Demokratische Qualifizierung hieß Ausbau des Sozialstaates. Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft war demnach Staatswissenschaft. Mit der Krise des Sozialstaates und dem Verlust an staatlicher Steuerungsfähigkeit (»Staatsversagen«) greift diese Untersuchungsperspektive zu kurz, ihre Fragestellungen sind im Lichte einer sich abzeichnenden neuen Regulation zwischen Staat, Markt und Gesellschaft zu reformulieren. Public Management (vgl. Budäus 1995), Public Governance (vgl. Benz 2003: 263 ff.) und kooperative Demokratie (vgl. Holtkamp/ Bogumil/ Kißler 2006) bieten hierfür konzeptionelle Orientierungshilfe. Sie bergen Leitbilder einer neuen Staatlichkeit, die mit Begriffen wie »kommunikativer«, »kooperativer Staat« belegt werden und Ausdruck der Tatsache sind, dass der Nationalstaat unter dem Druck von Globalisierung und im Rahmen des europäischen Mehrebenensystems der Politik- und Interessenvermittlung seine Grenzen erreicht und deshalb grundlegend zu modernisieren ist. Mit dem neuen Staat korrespondiert die Vorstellung von einer starken Zivilgesellschaft, deren Akteure im Rahmen von Bürgerbeteiligung und bürgerschaftlichem Engagement willens und fähig sind, in ein neues Verhältnis zum Staat und seinen Einrichtungen zu treten. Politische Soziologie kommt deshalb nicht umhin, sich eine Vorstellung von »Zivilgesellschaft« zu machen und damit ihre staatswissenschaftliche Wurzel um eine gesellschaftswissenschaftliche Perspektive zu ergänzen. Dies gehört bereits zum Erkenntnisstand der traditionellen, in der Politikwissenschaft angesiedelten, praxisorientierten Demokratieforschung, auch wenn dieser Erkenntnis keine entsprechende Theorie- und Forschungsleistung folgte (vgl. Ebbighausen 1981: 228 ff.). Neu ist allerdings, dass im Rahmen eines sich abzeichnenden neuen Regulationsmodells, das nicht mehr den Imperativen der Hierarchie, aber auch nicht dem Primat der Marktgesetzlichkeit folgt, Politische Soziologie das ihr eigene Demokratiethema nur noch dann zureichend bearbeiten kann, wenn sie auf staatswissenschaftliche wie auf gesellschaftswissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreift und hieraus ihre neuen Forschungsthemen generiert. Dies wäre das Programm einer integrativen Demokratieforschung. Integrativ deshalb, weil sie das Demokratiepotenzial unterschiedlicher Modernisierungskonzeptionen des Staates mit zivilgesellschaftlichen Beteiligungsstrategien und 258 <?page no="258"?> 6.2 Neue demokratiewissenschaftliche Themen und Forschungsgebiete Ergebnissen von Organisationsentwicklung und -lernen zusammenführt und damit eine erhebliche Forschungslücke füllt. Diese besteht in der Kluft zwischen einer empirischen Partizipationsforschung auf der einen Seite, die im Modernisierungsdiskurs wissenschaftlich gestützte Argumente für Organisationsentwicklungsprozesse liefert, und einer Bürgerbeteiligungsforschung auf der anderen Seite, die sich vor allem im Kontext der lokalen Politik- und Demokratieforschung etablierte. Beide Forschungsstränge werden bislang noch weitgehend getrennt voneinander verfolgt. Das Erfordernis, die Demokratiepotenziale des Public Management und des Public Governance im Lichte von Verwaltungsöffentlichkeit zu erkennen und Voraussetzungen und Folgen ihrer Erschließung wissenschaftlich zu ergründen, setzt zweierlei voraus: • die theoretischen Zugänge der verwaltungswissenschaftlichen Demokratieforschung, betriebswirtschaftlichen Organisationslehre und politikwissenschaftlichen Partizipationsforschung zu erschließen und in eine gemeinsame Perspektive zu bringen sowie • die empirischen Fragestellungen auf die Konstitutionsbedingungen von politischer Öffentlichkeit zu konzentrieren, mit anderen Worten, danach zu fragen: Welches die Implementationsbedingungen und -folgen von politischer Kommunikation sind, die sich auf der Grundlage eines Zusammenwirkens von politisch fungierenden Teilöffentlichkeiten eines gesellschaftlichen Publikums mit neuen Formen der Staats- und Verwaltungsöffentlichkeit herstellen. Praxisorientierte Demokratieforschung bekäme dadurch eine integrative Dimension. Die verwaltungswissenschaftliche Bürokratieforschung kann zwar die organisatorischen und strukturellen Gründe angeben, warum die öffentliche Verwaltung notwendigerweise am Bürger und dieser an jener leidet, aber nicht, wie das Verhältnis zukünftig auf eine neue »Geschäftsgrundlage« zu bringen ist. Die politikwissenschaftliche Demokratieforschung entwickelt und überprüft bislang Konzepte für die Bürgerbeteiligung an Verwaltungsentscheidungen, bleibt aber blind für die Demokratiechancen, die in kundenorientiertem Verwalten nach Maßgabe des New Public Management stecken. Die herrschende betriebswirtschaftliche Argumentation reduziert dagegen Kundenorientierung auf deren Bedeutung als Element der Organisationsentwicklung und erklärt sie zur Managementaufgabe. Allen drei Ansätzen ist gemeinsam, dass sie die kulturelle Dimension des im Public Management angelegten Demokratiepotenzials unterschätzen und außer Acht lassen, dass die Artikulations- und Handlungsfähigkeit von Bürgern gegenüber dem Staat und seinen Verwaltungen und die Nutzung von damit einhergehenden Chancen, sich an Politikformulierungs- und -umsetzungsprozessen zu beteiligen (d. h. Akteursstatus zu gewinnen) Beteiligungskompetenz voraussetzen. Die politische Sozialisation des Staatsbürgers erstreckt sich jedoch nicht auf den Kompetenzerwerb als Wirtschaftsbürger oder aber als Kunde. Deshalb verlangt die Nutzung von neuen Demokratiechancen nach einem neuen Verständnis von politischem Lernen: als Selbstbefähigung des Bürgers in seiner Auftraggeber- und Mitgestalterrolle gegenüber dem Staat und seinen Einrichtungen. Empirische Demokratieforschung ist somit 259 <?page no="259"?> 6 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Perspektiven auch Sozialisationsforschung. Die kulturelle Dimension von Verwaltungsöffentlichkeit verlangt deshalb nach einer interdisziplinären Forschungsperspektive. Der Public-Management-Diskurs im Allgemeinen und die mit Public Governance und kooperativem Staat verbundenen neuen Austauschverhältnisse zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren im Besonderen bergen Demokratiechancen, die sich dem Blick über den nationalen Tellerrand erschließen. Ohne die Spezifität nationaler Strukturen und Aufgaben sowie ihre Bedeutung für die Staats- und Verwaltungsmodernisierung zu leugnen, belegen internationale Vergleiche, dass sich, gerade bei der Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Verwaltung und Bürgern, sehr ähnliche Innovationen herausgebildet haben. Deutschland ist kein Sonderfall. Deshalb kann die Architektur des verwaltungsinternen Umbaus (z. B. nach Maßgabe des Neuen Steuerungsmodells) und das neue Ausloten der Außengrenzen (z. B. nach Maßgabe des Public Management) sich sehr wohl an ausländischen Vorbildern orientieren. Erforderlich ist die Kenntnisnahme solcher Best-practice-Beispiele auf der Grundlage einer vergleichenden Systemanalyse. Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft gewinnt dadurch das Profil einer komparatistischen Demokratieforschung. Nun hat zwar die komparatistische Ausrichtung in der empirischen Demokratieforschung eine große Tradition, diese gilt jedoch nicht für die demokratietheoretisch geleitete empirische Beforschung des Public Management, des Public Governance und der kooperativen Demokratie. Wer diese Diskurse zusammenführen will, muss vor allem die traditionellen Leitbilder und überkommene Frontstellung im Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, Verwaltung und Bürgern aufgeben und damit der Fragestellung nachgehen, wie das neue Profil des Staates (genauer des öffentlichen Sektors) aussieht und welche Demokratiechancen es eröffnet. Die für eine Demokratiewissenschaft perspektivenreiche Antwort heißt: Der öffentliche Sektor gewinnt seine Umrisse an der Schnittstelle öffentlicher und privater Leistungserstellung und auf der Grundlage einer Funktionsbestimmung von öffentlichen Aufgaben, die sich leiten lässt von einem neuen Verständnis dessen, was mit »öffentlich« und »privat« gemeint sein soll. Damit öffnet sich die Perspektive auf das eingangs bezeichnete Feld einer Qualifizierung der Demokratie durch deren Erweiterung auf die Ökonomie. 6.2.2 Das Verhältnis von Arbeit und Demokratie: zur Reaktivierung des wirtschaftsdemokratischen Diskurses Arbeit und Demokratie zusammen zu denken ist nicht zeitgemäß und gilt auch wissenschaftlich als heikles Unterfangen. In der Theorie der deliberativen Demokratie wird Arbeit als instrumentelles, zweckrationales Handeln definiert, das prinzipiell in Widerspruch zum kommunikativen Handeln und zur Deliberation steht. In der Folge bleibt die Sphäre der Arbeit getrennt von Politik- und Interessenvermittlung vermittels politischer Öffentlichkeit. Arbeit gilt als demokratieresistent, Demokratie dagegen als eine 260 <?page no="260"?> 6.2 Neue demokratiewissenschaftliche Themen und Forschungsgebiete Angelegenheit, die sich aus dem Zusammenwirken zivilgesellschaftlicher Akteure (nicht jedoch von abhängig Beschäftigten) herstellt. Arbeit wird dadurch zur »demokratischen Leerstelle« (Lieb 2005: 172 ff.), ihre mögliche Bedeutung als »demokratische Baustelle« für die Stabilisierung und den Ausbau von Demokratie kommt nicht in den Blick. Sie steht jedoch im Zentrum des demokratiewissenschaftlichen Interesses, anknüpfend an die große Tradition des wirtschaftsdemokratischen Diskurses und an eine neuere Arbeitsforschung, die die Soziabilität 77 der Arbeit betont und diese als Quelle der Wertschöpfung »wiederentdeckt«. Diese Argumentation betont, dass nur die lebendige Arbeit in der Lage ist, einen gesellschaftlichen Wert zu erzeugen, und leitet daraus eine arbeitswerttheoretische Begründung für die demokratische Gestaltung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse ab (vgl. Bontrup 2006a: 20 ff.). Arbeit wie Produktion sind dem Öffentlichkeitsprinzip auszusetzen. Zum einen aus Gründen der Vernunftsicherung: Die Bedingungen, unter denen in einer Gesellschaft zu arbeiten ist, und die Produkte, die erzeugt und verteilt werden, dürfen nicht nur betriebswirtschaftlich rational, sie müssen auch ökologisch verantwortbar, sozial verträglich und damit gesellschaftlich vernünftig sein. Zum anderen, um Demokratie zu festigen und auszubauen. Eine auf die Sphäre des Staates beschränkte Demokratie ist halbiert und Ausdruck eines verkürzten Politikverständnisses. Und schließlich aus Gründen des Kompetenzerwerbs. Weil es keine lebendige Demokratie ohne aktive Demokraten gibt, sind die subjektiven Qualitäten, die zur Teilnahme an der Demokratie befähigen (Partizipationskompetenz), gerade auch dort zu erwerben, wo die Bürgerinnen und Bürger einen großen Teil ihres Alltags verbringen, in den Fabriken und Büros, am Arbeitsplatz. Der traditionelle wirtschaftsdemokratische Diskurs betont die Notwendigkeit, Arbeit und Produktion demokratisch zu gestalten. Unterbelichtet bleiben dagegen die Effekte einer demokratischen Produktion und partizipationsoffenen Arbeitsorganisation für die Qualifizierung der Demokratie. Aus demokratiewissenschaftlicher Sicht interessieren vor allem diese und damit die Frage nach dem demokratischen Potenzial von Arbeitshandeln in betrieblichen Organisationen. Die Trennung von Arbeit und Demokratie lässt nämlich unberücksichtigt, »dass in Arbeitsprozessen Politik gemacht wird und politisches Handeln von Akteuren ›in der Arbeit‹ Einfluss hat auf Politik und Gesellschaft« (Scheele 2005: 192). Vor allem aber nimmt die traditionelle Sichtweise die Entwicklung der Arbeit im Zuge neuer Informations- und Kommunikationstechniken und dadurch bedingten neuen Anforderungen an die Arbeitenden als kommunikativ Handelnde nicht wahr. Sie übersieht deshalb auch die neuen 77 Der Soziabilitätsbegriff umfasst drei Dimensionen: zum einen die Zusammenhänge zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Lebensbereichen und Teilsystemen im Verhältnis zur Erwerbsarbeit (externe Dimension), zum anderen das Verhältnis und die Zusammenhänge verschiedener Handlungslogiken und -kontexte in der Erwerbsarbeit (interne Dimension) und schließlich die Zusammenhänge zwischen Arbeit und politischer Partizipation (gesellschaftlichpolitische Dimension) (vgl. Janczyk 2005: 116 ff.). 261 <?page no="261"?> 6 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Perspektiven Möglichkeiten, den Arbeitsprozess als Kommunikationsprozess zu gestalten (vgl. die industriesoziologischen Belege bei Leithäuser 1986; Lepperhoff/ Scheele 2003: 10 f.). Der Bedingungszusammenhang zwischen Arbeit und Demokratie zeigt sich aber vor allem auf dem Feld der Partizipation. »Die Ausgestaltung von Erwerbsarbeit beeinflusst die Möglichkeiten individueller politischer Partizipation. So kann beispielsweise die Gestaltung von Arbeitsinhalten und -prozessen die Ausbildung von demokratischen Kompetenzen bzw. von Erfahrungen mit demokratischen Prozessen behindern oder befördern oder die Arbeitsgestaltung kann zeitliche Möglichkeiten für gesellschaftliches Engagement und demokratische Teilhabe schaffen oder einschränken« (Janczyk 2005: 118). Dies gilt auch für den Erwerb von Partizipationskompetenz durch Arbeit (vgl. dazu oben 4.3). Demgegenüber bleibt die politikwissenschaftliche Demokratieforschung in der Regel blind für den Betrieb als Ort politischen Lernens und für die Erwerbsarbeit in ihrer Qualität als Partizipationsarbeit. Sie bekommt deshalb, ebenso wenig wie die moderne Arbeitsforschung, der eine »verbreitete Scheu vor dem Normativen« (Kurz-Scherf 2005: 29) nachgesagt wird, die Zusammenhänge zwischen Arbeit und Demokratie in den Blick. Auf diese Zusammenhänge hinzuweisen, sie theoretisch zu begründen und forschungspraktisch zu bearbeiten gehört zu den zentralen Aufgaben einer politisch-soziologischen Demokratiewissenschaft. Zu ihrer Lösung wird sie die wirtschaftsdemokratische Debatte aufgreifen und fortsetzen. Sie kann sich dabei auf das Konzept der Wirtschaftsbürgerrechte stützen. Dieses bringt die zivilgesellschaftliche Debatte in einen produktiven Dialog mit der wirtschaftsdemokratischen Idee, die politischen Bürgerrechte der Auftraggeber- und Mitgestalterrolle müssten sich in der normativen Begründung der Arbeitnehmerrolle wiederfinden, der Status des Staatsbürgers sich in einer neuen Citoyenneté im Unternehmen fortsetzen. Diese umfasst drei Merkmale (vgl. Ulrich 2004: 170 ff.): • ein umfassender Bürgerstatus, der neben elementaren Persönlichkeits- und Staatsbürgerrechten auch Wirtschaftsbürgerrechte einschließt, • Bürgersinn, der sich in bürgerschaftlichem Engagement und einer mitverantwortlichen Gestaltung der »res publica« und damit in einem republikanischen Ethos ausdrückt, und schließlich • eine Zivilisierung des Marktes und des Staates. In einer wahren Bürgergesellschaft gilt der freie Bürger mehr als der »freie Markt! « (Ulrich 2004: 171). Die Konzepte der Wirtschaftsdemokratie und der Wirtschaftsbürgerrechte im Unternehmen besetzen demnach ein Forschungsfeld, das in Kooperation mit einer praxisorientierten Demokratiewissenschaft zukünftig zu bearbeiten ist. Zielführend wird hierbei vor allem ein normatives Verständnis von Arbeit und Produktion sein. Seine demokratiewissenschaftliche Fassung gründet in der aufklärerischen Maxime, wonach das Öffentliche öffentlich zu sein habe, und öffnet die Perspektive für die Transformation der Betriebsverfassung zur Öffentlichkeitsverfassung. 262 <?page no="262"?> 6.2 Neue demokratiewissenschaftliche Themen und Forschungsgebiete 6.2.3 Politische Öffentlichkeit als Produktionsöffentlichkeit: politisch-soziologische Fortschreibung der »Wirtschaftsdemokratie« Der technisch-organisatorische Umbruch der Arbeitsbedingungen bringt auch Bewegung in die Arbeitsbeziehungen. Diese gewinnt ihre Dynamik, wie oben (vgl. 4.3.2) gezeigt wurde, vor allem aus neuen Formen der direkten Arbeitnehmerbeteiligung. Dies ist in der Arbeitsforschung unbestritten, nicht jedoch die Richtung, in die die Entwicklung geht. Eine praxisorientierte Demokratieforschung kann hierzu Auskunft geben. Sie bewegt sich dabei auf einem Forschungsgelände, das traditionell von der Soziologie der industriellen Beziehungen theoretisch fundiert, von wirtschaftsdemokratischen Konzepten normativ belegt und von der Mitbestimmungs- und Partizipationsforschung empirisch bearbeitet wird. Die Soziologie der industriellen Beziehungen, eingebettet in eine internationale Industrial-Relations-Forschung, untersucht die Verwerfungen im dualen deutschen System, das die Arenen der Tarifautonomie einerseits und der Mitbestimmung von gewählten Interessenvertretungen im Betrieb und Unternehmen andererseits trennt, und fragt nach der Zukunftsfähigkeit dieses einstigen Erfolgsmodells. Die Mitbestimmungsforschung liefert Ergebnisse zur Praxis und fragt nach den Perspektiven der delegativen Partizipation von Betriebs- und Personalräten, der Aufsichtsratsmitbestimmung und in der jüngeren Vergangenheit auch nach der direkten Beteiligung am Arbeitsplatz. Die wirtschaftsdemokratische Debatte entwickelt, rekurrierend auf die traditionelle Systematik der Wirtschaftsdemokratie, Vorschläge für eine demokratische Gestaltung der Makroebene (z. B. auf der Grundlage von unternehmens- und branchenübergreifender Steuerung durch Wirtschafts- und Sozialräte, vgl. Bontrup 2006b), der Mesoebene (z. B. durch staatliche Sicherung der Tarifautonomie im Rahmen von Mindestlohn- und Arbeitszeitpolitik) und der Mikroebene (z. B. durch Ergänzung der delegativen Partizipation in Form von Mitbestimmung am Arbeitsplatz). So unterschiedlich die vorgeschlagenen Maßnahmen und wissenschaftlich begründeten Perspektiven sind, sie haben eines gemeinsam: »Sie lassen nicht erkennen, in welcher Weise sie etwas mit Demokratie zu tun haben« (Demirovié 2006: 85). Hier hätte die politisch-soziologische Argumentation anzusetzen. Ihr Interesse an einer Qualifizierung der Demokratie durch Erweiterung demokratischer Verfahren auf Arbeitsorganisationen und Produktionsbereich erschöpft sich nicht in der Frage, wie die Akteure der industriellen Beziehungen mit Macht auszustatten sind, 78 und auch nicht darin, wie die Macht von Akteuren begrenzt oder legitimiert werden kann. Es bezieht sich vielmehr auf die Folgen der Arbeits- und Produktionsbedingungen und damit verbundenen Machtverhältnisse für den Bestand und die Zukunft der Demokratie sowie 78 Wie zum Beispiel in großen Teilen der traditionellen Gewerkschaftssoziologie, der es um die Stärkung des gewerkschaftlichen Akteurs im System der industriellen Beziehungen geht. 263 <?page no="263"?> 6 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Perspektiven auf die arbeitspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten auf dem Boden einer qualifizierten Demokratie. Bei der Umsetzung dieses Forschungsinteresses hat eine praxisorientierte Demokratiewissenschaft den Erkenntnis- und Ergebnisaustausch mit der Soziologie der industriellen Beziehungen, mit der empirischen Mitbestimmungsforschung und mit einer reaktivierten wirtschaftsdemokratischen Debatte aufzunehmen und auf die Demokratieproblematik hin zu fokussieren. Politische Öffentlichkeit ist für Demokratie konstitutiv. Die Art und Weise, wie politische Öffentlichkeit zustande kommt, wer sie herstellt, zu welchem Zweck sie auf dem Feld der Politik- und Interessenvermittlung genutzt wird und welche Folgen sie zeitigt, entscheiden über ihre demokratische Qualität und ihre Tauglichkeit als Qualifizierungsmedium der Demokratie. Die Transformation von Produktionsöffentlichkeit in politische Öffentlichkeit als demokratiepolitisches Programm benennt damit die Aufgabenstellung einer zukünftigen praxisorientierten Demokratiewissenschaft. Die Umsetzung dieses Programms ist voraussetzungsvoll, seine wissenschaftliche Bearbeitung übersteigt die Möglichkeiten einzeldisziplinärer Forschung und stellt eine praxisorientierte Demokratiewissenschaft unter erhebliche Anforderungen (dazu 6.3). Von den Voraussetzungen sind vor allem die folgenden drei richtungsweisend: • ein demokratiewissenschaftliches Verständnis von Arbeit als Teil des Öffentlichen. Das wesentliche Merkmal der Arbeit in der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft besteht darin, »eine Tätigkeit innerhalb der öffentlichen Sphäre zu sein: eine Tätigkeit, die von anderen nachgefragt, bestimmt, als nützlich anerkannt und deshalb vergütet wird. Durch vergütete Arbeit (und insbesondere durch die Lohnarbeit) haben wir Teil an der öffentlichen Sphäre; durch sie erhalten wir eine soziale Existenz und Identität (. . . ) und sind eingegliedert in ein Netz von Austauschbeziehungen (. . . ).« Damit ist zugleich gesagt, dass die in der öffentlichen Sphäre bezahlte Arbeit ein maßgebliches Sozialisationsmedium ist, »ein Faktor der sozialen Eingliederung« (Gorz 1989: 27) und sie »qualifiziert mich als gesellschaftliches Individuum im Allgemeinen, das zum allgemeinen sozialen Nutzen beiträgt, ebenso fähig und mit den selben Rechten ausgestattet wie alle anderen, d. h. als Citoyen« (ebd.: 198 f.). Die Sozialintegration durch gesellschaftliche und d. h. »öffentliche« Arbeit hat allerdings ihren Preis. Sie unterwirft Arbeit und Produktion den Direktiven der ökonomischen Vernunft und trägt dazu bei, dass die technisch-organisatorische Modernisierung der Produktion, die Veränderung der Bedingungen, unter denen zu arbeiten ist, sowie die gesellschaftlichen Verwerfungen und Demokratiefolgen entscheidungsverschlossen und scheinbar zwanghaft, jedenfalls auf den Sohlen des »Unpolitischen« daherkommen. Zum weiteren demokratiewissenschaftlichen Vorverständnis gehört deshalb • der normative Gehalt von Produktionsöffentlichkeit. Deren Ziel ist die Sicherung gesellschaftlicher Vernunft über Arbeit, Produktion und deren Ergebnisse. Ihre Grundlage ist eine neue Staatsbürgerlichkeit im Betrieb. Sie wird ermöglicht durch demokratische Partizipation. Diese zeichnet sich gegenüber anderen Partizipations- 264 <?page no="264"?> 6.3 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Anforderungen formen dadurch aus, dass sie freiwillig, allen Beschäftigten zugänglich und verbindlich ist: »Nicht nur die Verfügung über materielle Produktionsmittel, sondern die immaterielle Selbstbestimmung über Art und Weise der Arbeitsverausgabung entscheidet demnach über die Qualität der demokratischen Partizipation« (Kißler 1997: 64 und weiterführend Moldaschl 2004: 216 ff.). Und schließlich zählt zu den Voraussetzungen einer Neubestimmung des Verhältnisses von Arbeit und Demokratie im Lichte der Produktionsöffentlichkeit die Erkenntnis, dass • Produktionsöffentlichkeit über die Organisationsöffentlichkeit von Betrieben und Unternehmen hinaus in neuen Formen grenzübergreifender, internationaler produktionsbezogener Teilöffentlichkeiten auftritt, die kommunale und regionale Formen der Produktionsöffentlichkeit nicht ersetzen, sondern erweitern. Die Entgrenzung der Produktionsöffentlichkeit bringt neue intermediäre Akteure in die Arenen der Politik- und Interessenvermittlung. 79 Die Entgrenzung von Arbeit und Produktion hat die Entgrenzung von Produktionsöffentlichkeit und die Mitwirkung neuer Akteure an der Öffentlichkeitsproduktion zur Folge. Die skizzierten Voraussetzungen generieren nicht nur neue Themen und Fragestellungen. Sie markieren für eine praxisorientierte Demokratieforschung auch ein erheblich erweitertes Forschungsgebiet und neue Herausforderungen an das wissenschaftliche Selbstverständnis, Forschungsinteresse und Methodik. 6.3 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Anforderungen und Perspektiven Politische Soziologie befindet sich in einem Prozess der Selbstvergewisserung. Sie verfügt, wie die einleitende Markierung des wissenschaftssystematischen Standortes verdeutlichen sollte, über ein erhebliches reflexives Potenzial. Ihre Zukunft als kritische Demokratiewissenschaft hängt maßgeblich davon ab, inwieweit sie dieses Potenzial zu nutzen weiß. Die Neugestaltung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft, die demokratische Gestaltung von Arbeit und Produktion und deren Rückwirkungen auf Bestand und Qualifizierung der politischen Demokratie sowie die Transformation der Wirtschafts- und Unternehmensverfassung in eine politische Öffentlichkeitsverfassung markieren Forschungsgebiete, die nicht einzeldisziplinär zu bearbeiten sind. Sie generieren Themen und Forschungsfragen, deren Beantwortung den Rückgriff auf Theoriebestände und auf empirisch gesicherte Erkenntnisse aus Staatswissenschaften, Arbeits- 79 Wie zum Beispiel der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und der im November 2006 gegründete Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) auf der Seite organisierter Interessen der Arbeit und die Global Players weltweit agierender Konzerne auf der Kapitalseite. Zur Entgrenzung produktionsbezogener politischer Öffentlichkeit trägt auch das öffentlichkeitswirksame Wirken weltweit agierender NGOs und internationaler Organisationen wie Weltbank, WTO etc. bei. 265 <?page no="265"?> 6 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Perspektiven forschung, Sozialisations- und Partizipationsforschung voraussetzt. Diese unter einem demokratietheoretischen Dach zusammenzuführen verlangt vor allem nach Theoriearbeit, die auch zukünftig aus drei Quellen schöpfen kann: zum einen aus dem Fundus der politikwissenschaftlichen Demokratietheorien (vgl. oben 1.2) sowie aus den Beständen organisations- und machtsoziologischer Partizipationstheorien (vgl. dazu oben 2.1). Die Theoriebestände beider Quellen sind für die Bearbeitung der oben skizzierten Forschungsfragen zwar wichtig, aber unzureichend. Die politikwissenschaftliche Demokratietheorie bedarf der geschlechterkompetenten und gesellschaftswissenschaftlichen »Erdung«. Partizipations- und machttheoretische Ansätze verkürzen häufig ihre Perspektive auf die originär politische Dimension von Partizipation. Sie behandeln demnach Partizipation durch und in Interessenorganisationen, kaum aber die Beteiligung in der Arbeit oder gar das Thema Partizipation als Arbeit. Nicht zuletzt deshalb bleibt Partizipationstheorie blind für die sozialen Grundlagen von »Partizipationsarbeit«. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen der Qualifizierung von Demokratie theoretisch aufzuarbeiten gehört zu den vordringlichen Aufgaben einer kritischen Demokratiewissenschaft. Diese Aufgabenstellung ist nicht neu. In seiner kritischen Theoriebilanz der Politischen Soziologie kritisiert Ebbighausen (1981: 231), dass in dieser Disziplin »angesichts weiterbestehender theoretischer Kontroversen, aber auch angesichts weiterbestehender Schwierigkeiten in der systematischen Vermittlung von allgemeiner Theorie und empirischer Forschung, Fortschritte in der theoretischen Diskussion nicht mehr in ausreichender Weise zur Kenntnis genommen werden (. . . ), pointiert gesagt: daß der unabdingbar hohe theoretische Anspruch kritischer Sozialwissenschaft erneut aufgegeben wird zu Gunsten eines vorsichtigen Lavierens nur mit Einzelhypothesen bzw. mit allen möglichen ›Theorien mittlerer Reichweite‹ je nach Spezifik der Fragestellung, letztlich angepasst an die herrschende wissenschaftliche und politische Konjunkturlage«. Wer dagegen Demokratiewissenschaft als Gesellschaftswissenschaft begreift, wird nicht umhin kommen, Demokratietheorie als Gesellschaftstheorie zu betreiben und die demokratiewissenschaftlichen Schlüsselbegriffe (vgl. dazu oben 2) gesellschaftstheoretisch zu fundieren. Demokratiewissenschaftliche Theoriearbeit steht im engen Bedingungszusammenhang zur Praxisorientierung der Demokratieforschung. Soweit diese mit dem Methodenarsenal der empirischen Sozialforschung betrieben wird, wird sie durch theoretische Fundierung nicht blockiert, sondern geleitet. Empirische Demokratieforschung leistet ihrerseits nur dann einen Beitrag zur weiteren theoretischen Beschäftigung mit dem Thema, wenn sie nicht als »Fliegenbeinzählerei« daherkommt, sondern mit theoretisch begründeten Fragestellungen und damit theoriegeleitet. Dies gilt auch für praxisorientierte Demokratieforschung, die sich als Auftragsforschung oder als praxisbegleitende Beratungswissenschaft versteht. Praxisorientierte Demokratieforschung wird dann als methodisch gesicherter, gemeinsamer Lernprozess der Forschungsbeteiligten verstanden. Begleitforschung ist insoweit umsetzungs- und gestaltungsorientiert. Sie versteht sich als theoriegeleitete Praxisanalyse und ergebnisorientierte Praxisbera- 266 <?page no="266"?> 6.3 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Anforderungen tung zugleich. Sie gerät dadurch in das Spannungsverhältnis zwischen unterschiedlichen Forschungsperspektiven und gelegentlich in den Konflikt zwischen unterschiedlichen Interessen der forschungsbeteiligten Akteure. 80 Für eine theoriegeleitete Praxisanalyse, die zugleich Beratungsaufgaben auf demokratiepolitischen Terrains übernimmt, bleiben zwei Standards unverzichtbar: zum einen die Wissenschaftlichkeit der verwendeten Instrumente und Methoden und zum anderen die Generierung von Fragestellungen der Praxisanalyse aus einem übergreifenden betroffenenorientierten Forschungsinteresse und nicht aus dem Interessenhorizont nur eines der beteiligten Praxisakteure. Auf den oben skizzierten Forschungsgebieten treffen in der Regel Organisationsinteressen (repräsentiert durch das Organisationsmanagement und Führungskräfte), die Interessen des politischen Akteurs (z. B. repräsentiert durch politische Parteien), die Sichtweise von Organisationsmitgliedern (z. B. des Personals abhängig Beschäftigter, repräsentiert durch Personalvertretungen, Gewerkschaft, Gleichstellungsbeauftragte) und die Sichtweisen und Interessen von Bürgerinnen und Bürgern (z. B. in ihrer Auftraggeber-, Mitgestalter- oder Kundenrolle) zusammen. Dieser Problematik begegnet eine theoriegeleitete demokratiewissenschaftliche Begleitforschung mit Hilfe des Mehrperspektivenansatzes, das heißt, die verschiedenen zu bearbeitenden Probleme und Fragestellungen werden systematisch aus den Sichtweisen und Interessen der verschiedenen beteiligten Gruppen betrachtet. Jede Perspektive beleuchtet unterschiedliche Dimensionen des untersuchten Forschungsgegenstandes. Die Mehrperspektivenanalyse ermöglicht so erst die angestrebte objektivierende Bestandsaufnahme durch die Begleitforschung. Für die Praxisberatung ist es unerlässlich, die Interessen und verschiedenen Perspektiven der betroffenen Gruppen und Individuen zu berücksichtigen, nur dadurch ergeben sich Chancen einer Kommunikation über Interessenausgleich und akzeptable Lösungsmöglichkeiten. Der Mehrperspektivenansatz hat methodische Voraussetzungen. Sollen unterschiedliche Perspektiven systematisch in den Forschungsprozess einbezogen werden, gelingt dies nur vermittels verschiedener Untersuchungsinstrumente und unter Nutzung des gesamten Methodenspektrums der empirischen Sozialforschung. Der Mehrperspektivenansatz ist insofern untrennbar mit einem multimethodischen Vorgehen verbunden. Gesellschaftswissenschaftliche Theoriearbeit und methodisch reflektierte Praxisorientierung sind die Voraussetzungen für die Formulierung eines demokratiewissenschaftlichen Forschungsinteresses, das mehr ist als die Summe der Einzelinteressen forschungsbeteiligter Akteure. Das wissenschaftlich begründete Interesse an einer »Qualifizierung« der Demokratie setzt deren Existenz voraus. Wenn, wie es zurzeit scheint, nahezu die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung der demokratischen Ordnung nicht mehr vertraut und große Teile Alternativen in der autoritären Führerherrschaft oder 80 Zu dieser Problemlage und ihrer Bearbeitung im Rahmen eines Begleitforschungsvorhabens auf dem Feld der kommunalen Verwaltungsreform vgl. Kißler/ Bogumil/ Greifenstein/ Wiechmann 1997: 43 ff. 267 <?page no="267"?> 6 Politische Soziologie als Demokratiewissenschaft: Perspektiven im Einparteiensystem sehen, dann ist Demokratie gefährdet. Positiv formuliert: Sie steht in Frage. Und damit in einer möglichen öffentlichen Auseinandersetzung über ihre Grundlagen, Verfahren und auch über das, was Demokratie dieser Gesellschaft »wert« ist. Die gemanagte politische Kommunikation und professionalisierte politische Öffentlichkeit formulieren, wie im Hauptteil dieses Bandes gezeigt wurde (vgl. oben 4), vielstimmige, aber unzureichende Antworten. Dies kritisch zu notieren und demokratische Alternativen aufzuzeigen gehört zum Profil einer Demokratiewissenschaft, die noch an eine vitale Zukunft ihres Gegenstandes glaubt. Literaturempfehlung Bontrup, Heinz-J. (2006): Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft. 3. Aufl., Köln Moldaschl, Manfred (2004): Partizipation und / als/ statt Demokratie. Zum Entwicklungsverhältnis von gesellschaftlicher Demokratisierung und organisationaler Partizipation. In: Weber, Wolfgang G./ Pasqualoni, Pier-Paolo/ Burtscher, Christian (Hg.): Wirtschaft, Demokratie und soziale Verantwortung. Kontinuitäten und Brüche. Göttingen, S. 216-245 Scheele, Alexandra (2005): Arbeit als politisches Feld. 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V., 113 Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen, 113 Deutsche Gesellschaft für Soziologie, 13 Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft, 13 Deutscher Bundestag, 18, 107, 110, 113-115, 122, 125, 126, 135, 225 Dezentralisierung, 185, 218 Digitalisierung, 223, 229 Diskurs, 45, 50, 105 Disparitäten, 41, 42, 56 Dritter Sektor, 237 E-Governance, 226 E-Government, 225-227, 229 E-Knowledge, 226 E-Services, 226 Effizienz, 96, 106 Einflusslogik, 252 elektronische Demokratie, 228, 229, 231, 256 Elite, 49, 148, 157, 204, 216, 241 Elitenherrschaft, 256 Emanzipation, 237 Empowerment, 51 Engagement, 44, 46, 51, 63 Enquete-Kommissione, 130 Entgrenzung, 27, 28, 35, 48 Entprofessionalisierung, 218 Entscheidungspolitik, 255 Entscheidungsprozesse, 72, 74-77, 80, 81, 93-95 Erfahrung, 33 Erfahrungslernen, 91, 96, 249 Erkenntnisinteresse, 26, 30-32, 62, 63, 65 Erklärung, 31, 33, 36, 50, 67 Erklärungsöffentlichkeit, 111, 115 Erziehung, 83-86, 88, 90, 106 Evaluation, 78, 79 exemplarisches Lernen, 89, 90 Exklusion, 158, 231, 252 Experte, 116, 120, 121, 123, 131, 135 Expertenkommunikation, 104 Expertenöffentlichkeit, 116 Familie, 41, 238, 242 Fernsehberichterstattung, 115 Fernsehen, 143, 151, 196, 198, 201, 205-208, 212, 223, 225, 229, 255, 256 Forschungsethik, 30 Fragestunde, 118, 250 Fraktion, 110, 119, 122, 126, 128, 134 Frauenbewegung, 164, 226 Freiburger Schule, 24 freies Mandat, 44, 109, 110 Freiheit, 199, 200 freiwillige Assoziationen, 165, 236, 237 Freiwilligkeitsprinzip, 75 Friedensbewegung, 163, 164 Gate-Keeping, 227 Gegenöffentlichkeit, 196, 215-218, 220- 223, 226, 256 Gemeinwohl, 63, 99 Geschlecht, 36, 37, 41, 50 298 <?page no="298"?> Register Geschlechterdemokratie, 17, 44, 49-53, 248 Geschlechterpolitik, 27, 51 Gesellschaft, 24-27, 29-32, 35, 37-44, 47, 48, 51, 54-58, 60, 62, 63, 66, 67, 69 Gesellschaftsanalyse, 33, 54 Gesellschaftsentwicklung, 54 Gesellschaftstheorie, 34 Gesetzgebung, 126, 132, 140, 141 Gewalt, 241-243, 245 Gewerbefreiheit, 255 Gewerkschaften, 56, 148, 159, 161, 168, 174, 180, 182, 194, 196, 206, 238, 245 Gleichberechtigung, 51 Gleichheit, 28, 34, 48, 50, 53 Gleichheitspostulat, 28, 43, 44, 52-54 Gleichheitsprinzip, 75 Gleichstellungsbeauftragte, 182 Globalisierung, 27, 41, 50 Gouvernementalisierung, 140, 141 Government, 45 Große Anfrage, 116 Großorganisationen, 148, 149, 153, 156, 158, 163, 207, 216 Handeln, 71-74, 80, 81, 84, 86, 90-92 Hearing, 116 Herrschaft, 15, 16, 28, 39, 45, 47-49, 52, 62, 68, 72, 74, 80, 81, 85, 90, 99, 101 Herrschaftsstruktur, 250 Hierarchie, 45, 183, 188 Human Resource Management, 222 Human-Resources, 183, 191 Hypothese, 31 Identitätspostulat, 47 Ideologie, 31, 32 Implementation, 73, 77, 78 Individualisierung, 50, 149 Individuum, 56 Industriearbeit, 179, 185 Industriegesellschaft, 52, 55-58, 60 industrielle Beziehungen, 99, 180 Informations- und Meinungsfreiheit, 166, 200 Informatisierung, 150, 214, 225 Infotainment, 210 innerorganisatorische Demokratie, 65 Innerparteiliche Demokratie, 148, 152, 153, 155 Innovation, 78, 93, 94, 97, 254, 260 Institutionen, 27, 47, 58 Integration, 35, 41, 53 Interessen, 24, 30-33, 36, 39, 43, 45, 48, 49, 52-56, 58-63, 65, 67, 68, 71-73, 75, 77-81, 83, 89, 91, 93, 99 Interessenaggregation, 146, 147 Interessenartikulation, 146, 147, 159, 171, 183, 191, 197, 229, 231, 232 Interessenkonflikte, 54 Interessenorganisationen, 48, 54-56, 58, 66, 96 Interessenselektion, 146 Interessenvermittlung, 24, 28, 29, 32, 34, 36, 53, 58, 59, 61-68 intermediäre Akteure, 63, 66, 67, 248, 249 intermediäre Organisationen, 63, 65, 67, 71, 73, 75, 77, 98, 143, 144, 169, 197, 212 Internet, 114, 115, 196, 197, 215, 219, 222-230, 232 Judikative, 132 Kabelpilot-Projekt, 205 Kapital, 43, 56, 57, 60, 61 Kapitalismus, 240 Kaste, 38, 40 Klassen, 38-41, 54, 56 Klassengesellschaft, 241, 243, 244 Kleine Anfrage, 117 Kollektivakteure, 169 Kommunalverwaltung, 182 Kommunikation, 34, 45, 57, 63, 65-67, 71, 92-105 Kommunikationsforschung, 151, 211, 213, 232 299 <?page no="299"?> Register Kommunikationsmanagements, 252 Kommunitarismus, 237 Kompetenz, 68 komplexe Demokratie, 49, 248 Konflikt, 43, 53, 56 Konfliktfähigkeit, 158, 164, 169 Konfliktregelung, 45 Konsens, 53 Kontrolle, 250 Kontrollöffentlichkeit, 110-112, 116, 117, 120, 121, 124 Kooperation, 27, 35, 45, 53 kooperative Demokratie, 244, 258 Koordination, 45 Korporatismus, 45, 138 Kritik, 20, 28, 32-34, 37, 41, 50, 51, 67 Kultur, 41 Kundenorientierung, 259 Lebensstil, 27, 42, 57 Lebensstilgruppen, 174-176 Lebensweltforschung, 57 Legitimation, 44, 46, 48, 62, 66-68 Legitimationsfunktion, 147 Leitmedium, 225 Lobbycontrol, 138 Lobbyismus, 120, 130, 137, 138, 142, 146, 157, 159, 233, 250 Lobbyliste, 130, 134 Lokalberichterstattung, 203 Lokalradios, 220 Macht, 15-18, 24, 25, 29, 30, 32, 36, 38, 47, 48, 53, 58-62, 66- 68, 72-74, 81, 86, 96, 101, 102 Makrodidaktik, 93 Management, 181-185, 189, 191, 193 Manipulation, 95, 104 Marburger Schule, 13 Markt, 45 Marktforschung, 175 Massenkommunikation, 197-199, 202, 214, 223, 226 Massenmedien, 15, 18, 59, 63, 67, 68, 111, 115, 124, 131, 133, 134, 151, 152, 197-199, 202, 204, 209, 211-216, 222, 227, 229, 232, 233, 250, 255, 256 Mediatisierung, 148, 152, 156 Mediendemokratie, 198, 210, 215, 216, 219, 223, 232 Mediengesellschaft, 150, 157, 211, 215 Medienkompetenz, 214, 220, 221 Medienrezeption, 208, 209 Medienwirkungsforschung, 209 Medienwissenschaft, 209 Medienöffentlichkeit, 63, 111, 124, 133 Mediokratie, 213, 255 Mehrheitsprinzip, 44 Mehrperspektivenanalyse, 267 Meinungs- und Informationsfreiheit, 96, 180, 199, 200 Meinungsbildung, 151, 199, 201 Mentalitätsforschung, 175 Methode, 34, 50 Methodik, 28, 30, 33 Methodologie, 26, 28, 29 Milieu, 42, 56-58 Minderheitenschutz, 44 Ministerialbürokratie, 131, 132 Mitbestimmung, 71-73, 76, 180, 189, 263 Mitglieder, 146, 147, 150, 152, 155, 156, 159, 160, 225 Mitgliederbefragungen, 155, 157, 225 Mitgliederpartizipation, 248 Mitgliedschaftslogik, 252 Mittelschichtenbias, 173 Modernisierungspolitik, 181, 182 Modernisierungsöffentlichkeit, 171, 177, 191, 193, 221 Monopolisierung, 203, 204 Multimediagesellschaft, 215, 222 Mündigkeit, 33 mündliche Anfrage, 117 Neoliberalismus, 237 Netzbürger, 228, 232 neue Informations- und Kommunikationstechnologien, 18 300 <?page no="300"?> Register neue soziale Bewegungen, 18, 100, 105, 163, 164, 169, 177, 247, 253 neue soziale Milieus, 175, 176 neue Steuerungsmodelle, 181, 182 neue Technologien, 215 Null-Summenspiel, 189 offener Kanal, 220, 221 öffentliche Anhörung, 116, 129-131 öffentliche Meinung, 198, 201 Öffentlichkeitsfunktion, 63 Öffentlichkeitsorgan, 107, 108, 112, 114, 137 Ökologie, 56 Ökonomie, 16, 27, 44, 52 Oligarchie, 148, 153-156, 159, 162, 172, 252 Opposition, 44, 53, 109, 110, 113, 116- 120, 131 Optimierungsmodells, 147 Organisationsentwicklung, 101, 103, 106, 259 Organisationspartizipation, 78 Organisationsöffentlichkeit, 18, 100, 101, 103, 156, 160, 162, 193, 194, 215 organisierte Interessen, 54-56 Ortsverband, 153 Output, 44 Paradigmenverbund, 34 Parlakom, 225 Parlament, 63, 64, 67, 71, 74, 94, 98, 100, 107-116, 118-127, 129, 130, 134-142, 144, 162, 174, 177, 194, 206, 232, 247, 248, 250, 251 parlamentarische Debatte, 110, 118, 120 parlamentarische Opposition, 250 Parlamentarismus, 126, 137, 142 Parlamentsberichterstattung, 111-115, 124 Parlamentsfernsehen, 114 Parlamentsreform, 125, 137, 141, 251 Parlamentsöffentlichkeit, 107-112, 116, 120, 121, 133 Parteien, 15, 18, 19, 21, 24, 27, 31, 56, 60, 63, 65-67, 143-160, 162-165, 167-172, 174-177, 193, 196, 197, 206, 207, 212, 218, 225, 227, 231, 233 Parteienforschung, 147, 149, 155, 157 Parteimitgliedschaft, 149 Parteitag, 153, 154 Partikularinteressen, 78, 99 Partizipation, 31, 44, 46-49, 62, 63, 65, 66, 68, 71-81, 83, 84, 88, 90, 91, 93-97, 100-103, 105, 106 Partizipationsforschung, 174, 182, 186, 192, 230, 231, 259, 263, 266 Partizipationsgrad, 75, 76, 249 Partizipationskompetenz, 80, 81, 83-85, 88-91, 93, 101, 103, 249, 253, 254, 261, 262 Partizipationslernen, 91-93, 96, 97, 103, 105, 106 Partizipationsquote, 75-77, 79, 81, 104, 105, 249 Partizipationstypologie, 254 Partizipationsverfahren, 249, 254 partizipatives Managements, 182 partizipatorische Demokratie, 46, 48 Personalisierung, 150, 209, 210 Persönlichkeitsschutz, 200 Plebiszit, 72 Plebiszitarisierung, 213, 214 Plenum, 110, 111, 113, 116, 120, 121 Policy, 14, 35, 44, 65, 66, 249 Politainment, 211, 226 Politics, 14, 62, 65, 248 Politik, 24, 26, 28-30, 32, 34, 35, 46, 50, 51, 53, 58, 59, 61-65, 67, 68 Politik- und Interessenvermittlung, 16- 20, 24, 28, 29, 32, 34, 53, 61-65, 67, 68 Politikanalyse, 24, 34 Politikbegriff, 248 Politikberatung, 31, 47 Politikformulierung, 146 Politikgestaltung, 146, 162, 222 301 <?page no="301"?> Register Politiknetzwerke, 45 Politiktatsachenforschung, 24, 33, 34 Politikverdrossenheit, 212 Politikvermittlung, 45, 53, 58, 62, 63, 66, 67, 144, 146, 150, 156, 157, 160, 162, 171, 178, 203, 211, 213, 214, 224, 227, 233 Politikwissenschaft, 23, 24, 26-29, 35, 54, 61-63 politisch-administratives System, 62, 63, 65, 66, 95 politische Bildung, 83, 88-90 politische Emanzipation, 98 politische Entfremdung, 139 politische Kommunikation, 16, 25, 63- 33, 72, 90, 93, 94, 96-96, 143, 147, 148, 150-152, 156, 157, 163, 171, 177, 196, 198, 202, 211, 212, 215, 217, 223, 225, 227, 228, 232 politische Kultur, 25, 93, 97, 139 politische Kybernetik, 97 politische Lernziele, 176 politische Öffentlichkeit, 17, 19, 34, 48, 49, 63, 71, 98, 100, 105, 249 politische Parteien, 75, 94, 96, 252, 253 politische Partizipation, 71, 80, 82 politische Sozialisation, 71, 83, 85 politische Soziologie, 13, 15, 17, 21, 23, 25-31, 33-36, 60, 62, 67-69 politische Sozialisation, 48, 63, 71, 85, 87, 90, 97 politischer Unterricht, 89 politisches Lernen, 68, 89, 91, 97, 98 politisches Räsonnement, 108 Politisches Wissen, 80 Politisierung, 164, 175 Polity, 14, 35, 63, 65, 249 Praxis, 32-34, 65 Praxisorientierung, 32 Prekarisierung, 149 Presse, 114, 133, 143, 172, 195, 196, 198, 200-205, 217, 218, 223 Pressefreiheit, 109, 111, 199-205, 250, 255 Pressekodex, 201 Pressekonzentration, 203 Presserat, 201 Pressure-Groups, 129 Printmedien, 114, 202, 207, 217 Privatsphäre, 236 Privatwirtschaft, 56 Produktion, 253, 257, 261, 262, 264, 265 Produktionskonzept, 185, 233, 254 Produktionsverhältnisse, 27, 41 Produktionsweise, 56, 58, 179, 195 Produktionsöffentlichkeit, 19, 100, 101, 179, 189, 191-196, 257, 263-265 Professionalisierung, 150, 166, 218 Proporz, 208 Protest, 166, 169, 222 Public Governance, 45, 240, 244, 246, 258-260 Public Management, 258-260 Public Relations, 114, 150, 160 Publikum, 17, 18, 101, 103, 105, 144, 146, 151, 152, 160, 163, 196, 207, 208, 218, 219, 221, 228, 250, 252, 256 Publizistik, 163 Publizität, 99, 101-105, 250 Qualifizierung, 80, 177, 228, 232 Qualitätszirkel, 183 Ratio, 98, 99 Rationalität, 48 Reflexion, 89, 92, 93 Reflexivität, 32 Regeln, 73, 74, 79, 104 Regelproduktion, 75, 76, 79, 249, 254 Regelsystem, 74, 104 Regierbarkeit, 44 Regulationsfunktion, 147 Rekrutierungsfunktion, 146 Repräsentation, 107, 109, 121, 137, 139, 140, 142, 250 302 <?page no="302"?> Register Repräsentationsöffentlichkeit, 109, 110, 113, 116, 118, 119, 121, 124 Responsivität, 144, 150, 151, 214, 233 Ressource, 43, 52, 53, 60, 62 Risikogesellschaft, 83, 99 Rollenspiel, 92, 93 Runder Tisch, 196, 245 Rundfunk, 109, 111, 114, 115, 199- 202, 205-207, 223 Schicht, 38, 40, 41 Selbsthilfegruppe, 169 Selbstverwirklichung, 178, 181, 221 Sounding-Board, 151 Souverän, 47 Soziabilität, 261 Sozialbeziehungen, 60 Sozialdemokratie, 238 soziale Bewegungen, 27, 67 soziale Gerechtigkeit, 242 soziale Klasse, 38, 41, 43 soziale Mobilität, 238 soziale Ungleichheit, 29, 36-38, 40-43, 43, 53, 62 Sozialintegration, 264 Soziallage, 40 Sozialprofil, 119, 121-124, 139, 250 Sozialstaat, 52, 258 Sozialstruktur, 24, 38, 55, 58 Sozialstrukturanalyse, 36, 40, 58, 175 Sozialtechnik, 183, 254 Sozialtechnologie, 33 Soziologie, 23-36, 41-43, 61, 62, 66-69 Staat, 24, 25, 44-47, 52, 56, 61 Staatsbürgerlichkeit, 48 Stadtmarketing, 228 Stand, 38-40 Steuerung, 44-46, 49, 50, 62, 63 Stimmungsdemokratie, 214 Studentenbewegung, 164 Ständeversammlung, 107 Subpolitik, 27, 35 symbolisches Handeln, 211 Tarifautonomie, 180, 263 Technikgestaltung, 181, 186, 187 Technokratie, 83 Teilöffentlichkeit, 161 Theorie, 26, 33, 34, 47, 49, 50 Transparenz, 78, 95, 96, 101, 106 Triangulation, 34 Umwelt, 56, 58, 64, 66 Ungleichheit, 28, 29, 35-44, 50, 53-55, 57, 59-62, 66, 67, 69 Unterschicht, 253, 256 User, 232, 256 Utopie, 236 Verbände, 18, 24, 31, 33, 59, 60, 63, 67, 143, 144, 146, 147, 153, 156, 158-163, 165, 167, 170, 174, 176, 177, 193, 207, 218, 233, 247, 251- 253, 255 Verbandsfärbung, 126, 128, 130, 137, 139 Verbandspluralität, 158 Verein, 168, 196 Vereinigungsfreiheit, 159, 166 Verfahren, 74, 75, 77, 79, 81, 85, 93, 95, 106 Vergemeinschaftung, 242, 245 Verhandlungsöffentlichkeit, 109, 111- 113, 115, 123 Vernunft, 32 Vertrauen, 45, 99, 108 Verwaltungsöffentlichkeit, 259, 260 Volksherrschaft, 46, 47 Volksparteien, 150 Volonté de tous, 24 Volonté General, 24 Voluntas, 98, 99 Wahlsystem, 139 Web2.0, 228 Weltgesellschaft, 41 Wertewandel, 149, 183 Wertschöpfung, 261 Wettbewerb, 202, 203, 205, 214 Willensbildung, 144-146, 152, 154, 155, 158, 159, 170, 199, 211, 213, 224, 229 Wirtschaft, 239, 240 303 <?page no="303"?> Register Wirtschaftsbürgerrechte, 262 Wirtschaftsdemokratie, 180, 262, 263 Wissen, 30, 32, 73, 80, 81, 88, 90, 91, 96 Wissenschaftsbegriff, 29 Zieldualismus, 202 Zivilgesellschaft, 27, 235-241, 243-246, 258 zivilgesellschaftliche Akteure, 216 Zivilität, 236, 237, 240-242 Zuschauerdemokratie, 151, 210 304